Amerikanismus: Kulturelle Abgrenzung von Europa und US-Nationalismus im frühen 20. Jahrhundert 3515104704, 9783515104708

Die Studie untersucht die vielfältigen Verbindungslinien im frühen 20. Jahrhundert zwischen der Suche nach amerikanische

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Amerikanismus: Kulturelle Abgrenzung von Europa und US-Nationalismus im frühen 20. Jahrhundert
 3515104704, 9783515104708

Table of contents :
VORWORT
INHALTSVERZEICHNIS
EINLEITUNG
1 UMBRÜCHE
2 NATIONSBILDUNG UND POSTKOLONIALE SCHLEIFSPUREN
3 ALTERITÄT EUROPAS
4 MEDIENTEXTE ALS QUELLE
5 ANALYSESPEKTRUM UND AUFBAU DER STUDIE
6 ZUM FORSCHUNGSSTAND
TEIL I
1 US-NATION BUILDERS: DIE QUALITÄTSMAGAZINE
1.1 „REVOLUTION DER MAGAZINE“. FELDVERSCHIEBUNGEN UND ABGRENZUNGEN
1.2 MEDIALE PRAKTIKEN UND GESELLSCHAFTLICHE FUNKTIONEN
1.3 DIVERSIFIKATION DES FELDES
1.4 VERNETZTE OPINION LEADERS
1.5 ZUR LESERSCHAFT
ZUSAMMENFASSUNG
2 EUROPA IM FOKUS
2.1 PERZEPTION DES EUROPÄISCHEN ANTIAMERIKANISMUS
2.2 EINWÄNDE GEGEN DEN EUROPÄISCHEN ANTIAMERIKANISMUS
2.3 TRANSATLANTISCHE ÜBERSETZUNGSARBEITEN
2.4 TRANSATLANTIZITÄT (ANTI)EUROPÄISMUS UND EUROPÄISIERUNG – (ANTI)AMERIKANISMUS UND AMERIKANISIERUNG
2.5 TRANSATLANTISCHE ELITE ALS HOFFNUNGSTRÄGER
2.6 TRANSATLANTISCHES DACHGERÜST: DIE HARPER SERIE UND DAS WESTERN CIVILIZATION-KONZEPT
ZUSAMMENFASSUNG
TEIL II
3 DIE „ANDEREN“. EUROPÄISCHE IMMIGRANTEN AUF DEM PRÜFSTAND
3.1 EUROPÄER IM LICHTE VON RASSENKUNDE, EUGENIK UND NATIVISMUS
3.2 GEBURTENKONTROLLE IM SPANNUNGSFELD VON EUGENIK UND NATIONALISMUS
3.3 RESTRIKTIONSPOLITIK GEGENÜBER EUROPÄERN UND DIE KONSTRUKTION VON WHITENESS
3.4 LIBERALER GEGENWIND
ZUSAMMENFASSUNG
4 EIN-, AUS- UND UMGRENZUNGEN GESCHLECHT, KLASSE, RACE
4.1 NEUE MANNS-BILDER UND NEUER NATIONALISMUS
4.2 FAMILIE UND HEIM ALS REFUGIUM DER NATION
4.3 KULTURFEMINISIERUNG: GEFAHR ODER CHANCE 178
FÜR DIE NATION?
4.4 AMERICAN PEOPLE ODER AMERICAN (WORKING) CLASSES?
4.5 AFRICAN AMERICANS: WEISSER RASSISMUS UND SCHWARZE IDENTITÄTSSUCHE
4.6 NATIVE AMERICANS IM KONTEXT NATIONALER UND ETHNISCHER NARRATIVE
ZUSAMMENFASSUNG
TEIL III
5 AMERIKANISIERUNG VON RAUM, ZEIT UND GESELLSCHAFT
5.1 AMERIKANISCHE GESCHICHTSSCHREIBUNG UND IHR LESEPUBLIKUM
5.2 DER FRONTIER-AMERIKANISMUS
5.3 AMERIKANISIERTE GEGENWARTS- UND ZUKUNFTSDEUTUNGEN
5.4 DER „AMERIKANISCHE CHARAKTER“ IM KONTEXT NATIONALER IDENTITÄTSSUCHE
5.5 NATIONALE BESONDERHEITEN DER AMERIKANISCHEN DEMOKRATIE UND IHRE GEFÄHRDUNGEN
5.6 AMERIKANISMUS IM KONTEXT VON MORAL UND RELIGION
5.7 NATIONALE HOMOGENISIERUNG UND US-SUPERIORITÄT DURCH STANDARDISIERUNG UND UNIFORMIERUNG
5.8 SPANNUNGEN ZWISCHEN REGIONALISMUS UND NATIONALISMUS
ZUSAMMENFASSUNG
6 KULTURELLER NATIONALISMUS
6.1 KUNST IN DEN USA: BESTANDSAUFNAHMEN UND VORHERSAGEN
6.2 EUROPÄISCHE KUNST – AMERIKANISCHE KUNST: BEWUNDERUNG, ABWEHR, SELBSTFINDUNG
6.3 ÖFFNUNGEN: EUROPÄISCHE MODERNE – MODERNE IN DEN USA
6.4 SELBSTEINSCHÄTZUNG UND REZENSIONSKULTUR
6.5 GENUIN AMERIKANISCHE KUNST DURCH AFRICAN AMERICANS?
6.6 KUNSTPOTENZIALE: VOLKS- UND GEBRAUCHSKÜNSTE, POPULÄR- UND MASSENKÜNSTE
ZUSAMMENFASSUNG
7 AMERIKANISIERUNG DER GLOBALPOLITIK. POSTULATE, PROJEKTE UND PROGNOSEN
7.1 EXPANSIONISMUS UND WELTMACHTHANDELN
7.2 EUROPA IM VISIER
7.3 GLOBALE ORDNUNGSSYSTEME
7.4 DER „FREMDE“ OSTEN
ZUSAMMENFASSUNG
ZUSAMMENFASSUNG
LITERATURVERZEICHNIS
PERSONENREGISTER

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Geschichte Franz Steiner Verlag

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t r ansatl a nti s ch e h i s to r i s ch e s t u d i en

Adelheid von Saldern

Amerikanismus Kulturelle Abgrenzung von Europa und US-Nationalismus im frühen 20. Jahrhundert

Adelheid von Saldern Amerikanismus

transatlantische historische studien Veröffentlichungen des Deutschen Historischen Instituts Washington, DC Herausgegeben von Hartmut Berghoff, Clelia Caruso, Mischa Honeck und Britta Waldschmidt-Nelson Band 49

Adelheid von Saldern

Amerikanismus Kulturelle Abgrenzung von Europa und US-Nationalismus im frühen 20. Jahrhundert

Franz Steiner Verlag

Umschlagabbildung: Fred Pansing: Porträts der Ozeandampfer ‚Kaiserin Auguste Victoria‘ und ‚Cleveland‘, 1911 © akg-images

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2013 Umschlaggestaltung: r2 Röger & Röttenbacher, Leonberg Druck: AZ Druck und Datentechnik, Kempten Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-10470-8

FÜR MARIE-LUISE UND SOPHIE

VORWORT Der Beginn dieser Studie liegt lange zurück. Am 2. und 3. Juli 1992 fand am Historischen Seminar der Leibniz Universität Hannover eine Tagung über Amerikanisierung? Moderne Lebensformen zwischen Internationalisierung und Nationalisierung statt. Die Ergebnisse dieser Tagung wurden im selben Jahr in einer Sektion auf dem Historikertag einem größeren Fachpublikum vorgestellt. Hieraus entstand 1996 der Aufsatzband mit dem Titel Amerikanisierung. Traum und Alptraum.1 Anders als heute, hatte das Themenfeld vor zwanzig Jahren unter deutschen Historikern und Historikerinnen einen gewissen Neuigkeitswert, zumal in dieser Publikation versucht wurde, die Komplexität der Aneignungen transatlantischer Einflüsse aufzuzeigen und somit diesbezügliche Schwarz-Weißmalereien aufzubrechen, die bis dahin oft die Diskussion bestimmt hatten. Schon damals wollte ich auch die andere Seite des Nordatlantiks in den Blick nehmen und fragen, wie denn der deutsche bzw. europäische Antiamerikanismus in jener Zeit in den USA rezipiert und diskutiert wurde. Daraus entwickelte sich ein Forschungsprojekt, das zeitweise vom German Marshall Fund und der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wurde. Die Aufenthalte als Gastwissenschaftlerin an der Johns Hopkins Universität in Baltimore 1989, der University of Chicago 1994, am European Center for European Studies an der Harvard Universität 1998/99 sowie anlässlich einiger Besuche am Deutschen Historischen Institut in Washington, D.C. nutzte ich für Vorstudien und themenbezogene Recherchen. Die ersten Teilergebnisse stellte ich in den darauffolgenden Jahren in mehreren Vorträgen auf Konferenzen in den USA und in Deutschland sowie in diversen Aufsätzen zur Diskussion. Auf Grund von anderen mit Drittmitteln finanzierten Forschungsprojekten und vielseitigen universitären Verpflichtungen blieb jedoch das ursprüngliche Vorhaben, das Quellenmaterial zu einer Monographie zu verarbeiten, über eine lange Zeitspanne hinweg liegen. Allerdings wurde der Lektüreradius durch die Vorbereitungen auf zahlreiche thematisch naheliegende Lehrveranstaltungen langsam, aber stetig erweitert. Eine solche Erweiterung war auch notwendig, zeigte es sich doch, dass das ursprüngliche Thema US-Reaktionen auf den europäischen Antiamerikanismus sehr eng angelegt war. Verständlich werden die US-Reaktionen nämlich nur dann, wenn sie in einen breiteren Diskurs über Europa eingebettet und analytisch mit der damals intensiven Suche vieler Amerikaner nach einer 1

Alf Lüdtke / Inge Marßolek / Adelheid von Saldern (Hg.), Amerikanisierung. Traum und Alptraum im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart, Franz Steiner, 1996.

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Vorwort

nationalen Identität verbunden werden. Diese Erkenntnis führte zu neuen analytischen Anstrengungen, von denen ich hoffe, dass sie sich in gewinnbringender Weise in den folgenden Ausführungen niedergeschlagen haben. Zahlreiche Personen haben mich auf diesem langen Forschungsweg begleitet: An erster Stelle ist Norbert Finzsch zu nennen, der die Studie durch profunde Kritik und zahlreiche Hinweise wesentlich bereichert hat und dem ich dafür sowie für seine steten Ermunterungen zu großem Dank verpflichtet bin. Britta Waldschmidt-Nelson vom Deutschen Historischen Institut in Washington, D.C. (DHI) und den anderen Kommissionsmitgliedern des Instituts, vor allem Clelia Caruso, danke ich sowohl für die außergewöhnlich gute Kooperation als auch für die Veränderungsvorschläge, die ich mir gern angeeignet habe. Bei einigen Nachrecherchen half freundlicherweise Sophie Mrozek, ebenfalls DHI. Nach der Lektüre des Gesamtmanuskripts übermittelte mir Geoff Eley dankenswerter Weise seine Eindrücke, die für mich überaus wertvoll waren, ebenso diverse Hinweise, die noch weitgehend eingearbeitet werden konnten. Konzeptionelle Anregungen und Kritik auf Konferenzen und in Colloquien sowie durch persönliche Gespräche und Korrespondenzen erhielt ich von zahlreichen Personen, vor allem von Doris Bachmann-Medick, Frank Bösch, Ariane Brill, David Crew, Thomas Etzemüller, Michael Geyer, Jessica Gienow-Hecht, Florian Greiner, Heinz Ickstatt, Georg G. Iggers, Christoph Irmscher, Ines Katenhusen, Lawrence W. Levine, Inge Marßolek, Christof Mauch, Jürgen Martschukat, Jörg Nagler, Anson Rabinbach, Morten Reitmayer, Daniel T. Rodgers, Axel Schildt, Dirk Schumann und Petra Terhoeven. Einzelne Manuskriptteile lasen zudem mit prüfenden Blicken Katharina Colberg, Michael von Schmaedel, Lu Seegers und Petra Spona. Ihnen allen sei sehr herzlich gedankt. Ferner bedanke ich mich bei der Leibniz Universität Hannover und beim Freundeskreis der Leibniz Universität Hannover e.V. für ihre Unterstützungen sowie bei der Institutsleitung des DHI für das Lektorat, das bei Ricarda Berthold in besten Händen lag. Dank gebührt auch den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen des Franz Steiner-Verlags sowie der Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen, der Library of Congress, Washington, D.C, der Boston Public Library, der Widener Library, Cambridge, Mass., sowie der Bibliothek des John F. Kennedy-Instituts für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin für ihre tatkräftigen Hilfeleistungen. A.v. S. Hannover/Göttingen, Herbst 2013

INHALTSVERZEICHNIS Einleitung ................................................................................................. 1 Umbrüche ........................................................................................ 2 Nationsbildung und postkoloniale Schleifspuren ........................... 3 Alterität Europas ............................................................................. 4 Medientexte als Quelle.................................................................... 5 Analysespektrum und Aufbau der Studie........................................ 6 Zum Forschungsstand .....................................................................

13 15 18 21 23 28 31

TEIL I 1 US-Nation Builders: Die Qualitätsmagazine .................................. 1.1 „Revolution der Magazine“.. Feldverschiebungen und Abgrenzungen ................................................................................. 1.2 Mediale Praktiken und gesellschaftliche Funktionen ..................... 1.3 Diversifikation des Feldes ............................................................... 1.4 Vernetzte Opinion Leaders.............................................................. 1.5 Zur Leserschaft ............................................................................... Zusammenfassung....................................................................................

45 46 51 56 64 71 75

2 2.1 2.2 2.3 2.4

Europa im Fokus ............................................................................. 77 Perzeption des europäischen Antiamerikanismus ........................... 79 Einwände gegen den europäischen Antiamerikanismus ................. 85 Transatlantische Übersetzungsarbeiten ........................................... 91 Transatlantizität. (Anti)Europäismus und Europäisierung – (Anti)Amerikanismus und Amerikanisierung ................................. 98 2.5 Transatlantische Elite als Hoffnungsträger ..................................... 107 2.6 Transatlantisches Dachgerüst: Die Harper Serie und das Western Civilization-Konzept ................................................... 113 Zusammenfassung.................................................................................... 118 TEIL II 3 Die „Anderen“. Europäische Immigranten auf dem Prüfstand ....... 123 3.1 Europäer im Lichte von Rassenkunde, Eugenik und Nativismus ............................................................................... 124 3.2 Geburtenkontrolle im Spannungsfeld von Eugenik und Nationalismus........................................................................... 135

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Inhaltsverzeichnis

3.3 Restriktionspolitik gegenüber Europäern und die Konstruktion von Whiteness ................................................................................. 140 3.4 Liberaler Gegenwind....................................................................... 147 Zusammenfassung.................................................................................... 159 4 4.1 4.2 4.3 4.4 4.5

Ein-, Aus- und Umgrenzungen. Geschlecht, Klasse, Race ............. Neue Manns-Bilder und Neuer Nationalismus ............................... Familie und Heim als Refugium der Nation ................................... Kulturfeminisierung: Gefahr oder Chance für die Nation? ............ American people oder American (working) classes? ...................... African Americans: Weißer Rassismus und schwarze Identitätssuche ................................................................. 4.6 Native Americans im Kontext nationaler und ethnischer Narrative ........................................................................ Zusammenfassung....................................................................................

163 164 167 171 178 186 195 200

TEIL III 5 5.1 5.2 5.3 5.4

Amerikanisierung von Raum, Zeit und Gesellschaft ...................... Amerikanische Geschichtsschreibung und ihr Lesepublikum ........ Der Frontier-Amerikanismus.......................................................... Amerikanisierte Gegenwarts- und Zukunftsdeutungen .................. Der „amerikanische Charakter“ im Kontext nationaler Identitätssuche................................................................................. 5.5 Nationale Besonderheiten der amerikanischen Demokratie und ihre Gefährdungen.................................................................... 5.6 Amerikanismus im Kontext von Moral und Religion..................... 5.7 Nationale Homogenisierung und US-Superiorität durch Standardisierung und Uniformierung.............................................. 5.8 Spannungen zwischen Regionalismus und Nationalismus ............. Zusammenfassung.................................................................................... 6 Kultureller Nationalismus ............................................................... 6.1 Kunst in den USA: Bestandsaufnahmen und Vorhersagen ............. 6.2 Europäische Kunst – amerikanische Kunst: Bewunderung, Abwehr, Selbstfindung .................................................................... 6.3 Öffnungen: Europäische Moderne – Moderne in den USA ............ 6.4 Selbsteinschätzung und Rezensionskultur ...................................... 6.5 Genuin amerikanische Kunst durch African Americans? ............... 6.6 Kunstpotenziale: Volks- und Gebrauchskünste, Populär- und Massenkünste .................................................................................. Zusammenfassung....................................................................................

205 206 211 214 222 231 240 252 257 263 267 269 276 286 296 299 305 313

Inhaltsverzeichnis

Amerikanisierung der Globalpolitik. Postulate, Projekte und Prognosen ................................................................................. 7.1 Expansionismus und Weltmachthandeln......................................... 7.2 Europa im Visier ............................................................................. 7.3 Globale Ordnungssysteme .............................................................. 7.4 Der „fremde“ Osten ........................................................................ Zusammenfassung....................................................................................

11

7

319 320 329 345 359 373

Zusammenfassung.................................................................................... 379 Literaturverzeichnis ................................................................................. 393 Personenregister ....................................................................................... 421

EINLEITUNG „The Englishman of to-day nags us and dislikes us […] He still thinks of us incorrigibly as ‚colonials‘. America – is still, as a writer recently expressed it, ‚culturally speaking a self-governing dominion of the British Empire‘.“1 So klagte der bekannte amerikanische Sozialkritiker Randolph Bourne im Jahr 1916. Ähnliche Gedanken äußerte kurz nach dem Ersten Weltkrieg der liberale Publizist Waldo Frank, als er über die Beziehungen der jungen Generation zum englischen Mutterland nachdachte: „The young American has little in common, psychologically, with Great Britain. The Colonial classes are the exploiting classes. English culture is an apt means to the suppression of a nascent, non-Anglo-Saxon culture of our own.“2 Der New Yorker Literaturprofessor J. E. Spingarn verwendete im selben Jahr ebenfalls den Kolonialismus-Begriff. Er sprach von „Anglo-Saxon ‚Colonialism‘“ und sah im „Colonial Spirit“ einen der Gründe für die Probleme (trouble) der USA.3 Die Suche nach den Spuren einer bodenständigen Zivilisation (indigenous civilization) erfolge, so der amerikanische Dichter und Publizist John Peale Bishop 1925, vor allem aus der Einsicht heraus, dass die Amerikaner bislang noch über kein „vollständiges Selbstbewusstsein als eine Nation“ verfügten, jedoch – so ergänzte er – seien sie auf dem Weg dorthin. „[W]e certainly in the last ten years become more alive to our own qualities and more anxious for their accurate definition – a state of mind – which does not in the least preclude a certain pride in whatever stands the test of being indubitably our own.“4 Solche und ähnlich lautende Äußerungen über die Beziehungen zum ehemaligen britischen Mutterland und über noch unzureichendes, jedoch anwachsendes Selbstbewusstsein der Amerikaner stammen allesamt aus dem frühen 20. Jahrhundert und markieren den Inhalt der vorliegenden Studie. Sie deuten auf kulturelle Unsicherheiten hin, die auf den ersten Blick nicht so recht zur weit verbreiteten Vorstellung passen wollen, wonach das 20. Jahrhundert ein amerikanisches Jahrhundert werden sollte.5 Übersehen wird bei dieser Kennzeichnung oft, dass die „Amerikanisierung“ des 20. Jahrhunderts ein schwieriger und diskursreicher Prozess war, der vor allem das frühe 1 2 3 4 5

Bourne, Trans-National America, 111 (hrsg. von Resek). Ähnlich auch Stearns, Civilization, VII. Frank, Our America, 163, ähnlich auch 159 (Fn). Spingarn, Scholarship, 97, 105. Weitere Quellenbelege enthält vor allem Kapitel 2.4. John Peale Bishop, „America Becomes ‚Past‘ Conscious“, in: Vanity Fair (Februar 1925), Kurzform in: The Reader’s Digest (März 1925), 667–668. Begonnen hat diese Kennzeichnung mit einer entsprechenden Aussage des Historikers und Senators Albert J. Beveridge im Jahr 1901.

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Einleitung

20. Jahrhundert prägte und damals sogar postkoloniale Schleifspuren aufwies. In der gesellschaftlichen, ökonomischen und weltpolitischen Umbruchzeit des frühen 20. Jahrhunderts intensivierte sich in den USA der Wunsch nach allseitiger Anerkennung kultureller Gleichwertigkeit mit Europa. Viele Europabilder standen unter dem Vorzeichen eines solchen, in den USA weit verbreiteten kulturellen Nationalismus.6 Die Studie untersucht an Hand meinungsbildender Zeitschriften des frühen 20. Jahrhunderts das kulturnationalistische Bestreben amerikanischer Publizisten, Künstler und Schriftsteller, die USA von europäischen Einflussnahmen und postkolonialen Befindlichkeiten zu befreien. Dieser kulturelle Nationalismus fällt nicht zufällig in eine Phase, in der die Suche nach nationaler (weißer) Identität auch zu einer intensivierten Amerikanisierungspolitik gegenüber Menschen, Zeiten und Räumen führte.7 Ein solcher Amerikanismus8 war mit Kategorisierungen und Hierarchisierungen der europäischen ImmigrantInnen sowie mit Exklusionen „nicht-weißer“ Menschen verbunden, vor allem wenn die Abgrenzungen zu Rassismus, Eugenik und Nativismus überschritten wurden und Alternativvorstellungen der „Anderen“ im Lande in den Diskursen über nationale Identität keinen ausreichenden Widerhall fanden. Der europäische Antiamerikanismus der 1920er Jahre bot amerikanischen, häufig transatlantisch eingestellten Publizisten mannigfache Gelegenheiten, die Andersartigkeit Europas und die Differenz der USA zum Alten Kontinent herauszustellen sowie gleichzeitig die transatlantischen Kommunikations- und Übersetzungsprozesse zu intensivieren und zukunftsträchtige transatlantische Verknüpfungspotenziale zu sondieren.

6

7

8

Der Begriff „kultureller Nationalismus“ (cultural nationalism) ist in zeitgenössischen Quellen und in der Sekundärliteratur zu finden. Damit ist ein Nationalismus gemeint, der auf die Schaffung einer möglichst genuinen amerikanische Kunst und Kultur ausgerichtet war. Hierzu siehe vor allem das sechste Kapitel. Der Begriff „Amerikanisierung“ wird als Konstrukt gesehen und in der vorliegenden Studie für Prozesse unterschiedlicher Art verwendet. Gemeint sind damit vor allem Vorgänge, die zum Ziel hatten, sowohl Gesellschaftsbereiche als auch Denk- und Verhaltensweisen von Individuen und Gruppen des eigenen Landes und anderer Nationen so zu verändern, dass diese in Selbst- und Fremdwahrnehmungen als (typisch) amerikanisch erschienen. Der zeitgenössische Begriff „Amerikanismus“ (Americanism) ist stets vage geblieben. Er umfasst Amerikanisierungsprozesse im Inneren des Landes sowie Eigenschaften, die sich mit dem Amercan way of life assoziieren lassen (Americanness). In einem Zirkelschluss ging es hauptsächlich um die bewusste Stärkung von Werten, Verhaltensweisen und Traditionen, die in der Öffentlichkeit bereits als typisch amerikanisch galten. Vgl. Gassert, Amerikanismus.

1 Umbrüche

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1 UMBRÜCHE Außer Frage steht, dass der Durchbruch der kulturellen Moderne, der mit einer seit den 1880/90er Jahren einsetzenden ökonomischen und sozialen Modernisierung der amerikanischen Gesellschaft verknüpft war9, einen großen Wandlungsprozess markiert. Der Erste Weltkrieg demontierte zusätzlich die herkömmlichen Erfahrungswelten der Menschen, und viele US-Bürger und -Bürgerinnen wurden sich bewusst, dass die USA von tiefgreifenden Umbrüchen gekennzeichnet waren. Der von zahlreichen Publizisten als notwendig erachteten Suche nach situationsadäquaten Reaktionen auf die Umbrüche im Innern des Landes und im Verhältnis zu anderen Nationen wollte der republikanische Präsident Warren G. Harding (1921–1923) bei seinem Wahlkampf von 1920 entgegentreten, indem er diese mit dem bekannt gewordenen Slogan Back to normalcy „überschrieb“. Doch die Nachkriegsgesellschaft erwies sich als zu aufgewühlt, um gleich nach dem Krieg zu einem Status der Normalität zurückzukehren. Unruhen, Streiks, Wirtschaftskrise und unzählige neu ins Land gekommene Einwanderer standen dem im Wege. Und außerdem, wohin sollte zurückgekehrt werden? Etwa zur Vorkriegsära? Diese so genannte Progressive Era10 war bekanntlich von einer außergewöhnlichen Aufbruchsstimmung und einem überdurchschnittlichen Reformeifer gekennzeichnet. Nicht mehr Individualismus und Laissez-Faire standen um die Jahrhundertwende im Zentrum liberalen Denkens11, sondern ein Fortschrittsoptimismus, der auf die Lösung gesellschaftlicher Probleme durch soziales, verantwortungsvolles Handeln der Individuen ausgerichtet war, wobei dem Zentralstaat eine aktive Rolle zugeschrieben und der Vertrustung der Wirtschaft der Kampf angesagt wurde. Die zwanziger Jahre standen im Unterschied zur Vorkriegs-Reformperiode hingegen unter einem anderen Stern. Nachdem Streiks und Unruhen durch stark repressive Maßnahmen eingedämmt worden waren und die Wirtschaftskrise von 1920/21 überwunden werden konnte, setzte eine ökonomische Prosperitätswelle ein. Der allein betriebsbezogene Welfare-Kapitalismus der Großkonzerne, der an die Stelle der staatsbezogenen Reformansätze der Progressive Era trat, verstärkte die Macht der Unternehmen. Die vor und vor allem während des Ersten Weltkriegs aufgebaute Zentralbürokratie wurde zurückgeschnitten. Hingegen setzten die republikanischen Regierungen unter 9

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11

Im Folgenden wird von der Entwicklung multipler Modernen (Eisenstadt, Multiple Modernities) ausgegangen, die auch die westlichen Gesellschaften voneinander unterscheiden. Vgl. u. a. Mauch/Patel, Wettlauf, 17. Im Text wird „progressiv“ in Anführungszeichen gesetzt, soweit damit auf die Spezifika dieser Phase und die damaligen Akteure Bezug genommen wird. Einführend u. a. Jaeger, Amerikanischer Liberalismus. Die Progressives bezeichneten sich selbst als liberal, die Laissez faire-Liberalen als konservativ. Noble, Conservatism, 179.

16

Einleitung

Hardings Nachfolger, den Präsidenten Calvin Coolidge (1923–1929) und Herbert Hoover (1929–1933) auf den während des Krieges begonnenen Ausbau von Kooperationsstrukturen zwischen Staat und Ökonomie, ferner auf die Unterstützung der Weiterentwicklung wirtschaftlicher Selbstorganisationen und schließlich auf Ansätze, die die Zukunftsfähigkeit gesamtwirtschaftlicher Planung avisierten. Der so genannte korporative Kapitalismus (corporative capitalism) schürte unter Linksliberalen schließlich sogar Hoffnungen, dass sich die korporative Seite einst zum Kollektiven hin weiterentwickeln werde und sich der Kapitalismus auf diese Weise transformieren ließe.12 Der Bedeutung der Außenwirtschaft kam zugute, dass der Republikaner Warren G. Harding, der im Präsidentenamt dem 1919 verstorbenen demokratischen Präsidenten Woodrow Wilson gefolgt war, dessen Bestreben versanden ließ, wonach die USA in einen vertraglich gebundenen Internationalismus integriert werden sollten. Stattdessen favorisierten er und seine republikanischen Nachfolger Coolidge und Hoover aus einer Position der Stärke heraus eine global angelegte open door-Politik, einen selektiven Unilateralismus sowie einen unabhängigen und größtenteils informellen Internationalismus, bei dem nicht nur die Übertragung amerikanische Werte, sondern auch die so genannte Dollar-Diplomatie13 eine maßgebliche Rolle spielten. Der Finanzsektor war längst mächtig genug und willens, durch Kapitalinvestitionen die großlinigen, häufig informellen Politikstrategien der US-Regierungen, insbesondere gegenüber Europa, Lateinamerika und Ostasien maßgeblich mitzugestalten.14 Strittig waren nicht nur außen(handels)politische Optionen, sondern auch Kultur- und Lebensstilfragen.15 Gerade die zwanziger Jahre markieren eine Ära der Dissonanz (a period of dissonance), und zwar zwischen religiös begründeten strengen Moralvorstellungen einerseits und der Begrüßung offenmoderner Lebensstile andererseits, zwischen Kleinstadtmief und (Groß-) „Stadt-Zivilisation“16, zwischen den Leitbildern der „alten“ (noch viktorianisch geprägten) USA und jenes des „neuen“ Amerikas.17 Nach Auffassung vieler Landsleute sollten bestimmte alte Werte in die neue Zeit transferiert 12 13

14 15 16 17

Brick, Transcending Capitalism, 84 f., 251. Unter dem Begriff der „Dollar-Diplomatie“ werden gewinnträchtige US-Auslandsinvestitionen und die Vergabe von Anleihen verstanden, die sich in bestimmten Ländern so sehr konzentrieren, dass wirtschaftliche und politische Einflussnahmen auf das betreffende Land möglich und auf diese Weise informelle Abhängigkeiten geschaffen werden. Vgl. dazu u. a. Ninkovich, The Wilsonian Century, 3. Kapitel. Vgl. u. a. Cohen, Making a Good Deal, 52. Dabei handelt es sich um einen zeitgenössischen Ausdruck, zit. n. Hochgeschwender, Raum, 35. Levine, The Unpredictable Past, 195, 247. Meist wurde nicht von den USA, sondern von „Amerika“ gesprochen – ein Begriff, der als Chiffre für die Entgrenzungstendenzen der US-Nationsbildung auf dem Kontinent der „Neuen Welt“ gedeutet werden kann.

1 Umbrüche

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werden und die laufenden Modernisierungsprozesse konturieren und einrahmen.18 Weniger ging es demnach um die Alternative Tradition vs. Moderne, sondern mehr um die Frage, welche Art von Moderne im neuen Amerika wünschenswert sei. Die modernisierte Wirtschaft, inklusive fordistischer Produktionsmethoden, veränderten nicht nur die Arbeitsplatz- und Arbeitsmarktstrukturen, sondern führten auch zu einer Konsum- und Kommerzgesellschaft, die die Lebensweise und das Verhalten der Menschen beträchtlich veränderte. Getragen von neuen städtischen Mittelschichten entfaltete sich eine urbanisierte Gesellschaft, in der zunehmend audiovisuelle Medien sowie neue Freizeit- und Sportmöglichkeiten den Alltag prägten. Das Auto vergrößerte die Mobilität der Menschen und avancierte zum Symbol der Dekade. Die privaten Lebensweisen wurden liberalisiert, sexuelle Libertinage war angesagt, alte Familienstrukturen brachen auf und Scheidungsraten nahmen zu.19 Das häufig gezeichnete Bild von den Roaring Twenties, auf dem flappers20, Jazz-Bands, Hollywood-Filme und Charleston tanzende Paare zu sehen sind, vermittelten zwar an sich nur einen Realitätsausschnitt, dafür aber das Image umfassender gesellschaftlich-urbaner Modernität. Publizisten, Künstler und Schriftsteller, die sich aus der zunehmenden Anzahl der alten und der neuen Mittelschichten rekrutierten, wurden sich mehr und mehr bewusst, dass sie in einer neuen Ära lebten, in der bisher gültige Maßstäbe künstlerischen Schaffens generell in Frage gestellt wurden. Das 1920 erreichte Wahlrecht sowie verbesserte Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten für Frauen erweiterten trotz fortbestehender Ungleichheiten deren Lebensperspektiven. Die Harlem-Renaissance avisierte den Anspruch von African Americans auf Anerkennung ihrer kulturellen Gleichwertigkeit mit der weißen Mehrheitsgesellschaft. Unter dem Dach des Protestantismus brachen heftige Kämpfe darüber aus, welche kirchliche Richtung die gesellschaftlichen Normen und Werte bestimmen und wie eng Kunst und Moral verbunden bleiben sollten. Das Prohibitionsgesetz von 1919, das Herstellung, Transport und Verkauf aller alkoholischen Getränke verbot, wurde zum Symbol eines groß angelegten religiösmoralischen Erziehungsprogramms. De facto wirkten kulturkonservative Strömungen auf das Leben und die Gesellschaftsauffassungen zahlreicher Frauen und Männer ein. Ihre (weißen) Vertreter und Vertreterinnen riefen zur Disziplinierung der urbanisierten Massen (herds) auf, zweifelten oft an der zukünftigen Demokratiefähigkeit der USA, sorgten sich um den Erhalt von

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Trotz Bedenken wird dieser Begriff auch in der vorliegenden Arbeit verschiedentlich verwendet – insbesondere bei quellennahen Aussagen. Levine, The Unpredictable Past, 204. Im Jahre 1929 wurden 205.000 Paare geschieden, 1914 waren es „nur“ 100.000. Leuchtenburg, The Perils, 162. Mit dem Begriff flappers sind junge Frauen gemeint, die mit Verve und einer Vorliebe für Performanz einen modern-libertären Lebensstil vertraten.

18

Einleitung

Familie und Nation, verteidigten besonders vehement Segregation und Exklusion der African Americans und brachten die zahlreichen europäischen Immigranten hauptsächlich mit gesellschaftspolitischen und nationalen Belastungen in Zusammenhang. Mit Argwohn schauten sie zudem vielfach auf die Massen- und Populärkünste, weil diese ihrer Meinung nach noch viel zu wenig reguliert und gesteuert seien. Kein Wunder, dass die durch Modernisierung und Moderne in Bewegung geratenen Ordnungen zu tiefgreifenden Verunsicherungen zahlreicher Gesellschaftsreformer führten und die alte Frage aufwärmten: Was ist Amerika und was soll aus Amerika werden? Hatte das Schlagwort vom American Dream in Gegenwart und Zukunft überhaupt noch einen realen Kern21, so überlegten viele Liberale anlässlich des Zwangs zur Neuorientierung nach gewonnenem Weltkrieg. Und diese Frage stellte sich erneut in voller Schärfe, als 1929/30 die ökonomische Prosperitätsphase zu Ende ging und eine große Wirtschaftsdepression einsetzte, die den Kapitalismus in eine tiefe Krise stürzte. Doch unabhängig von solchen Um- und Einbrüchen blieb das Thema „Nationsbildung“ in unterschiedlichen Kontexten stets auf der Agenda, auch in der Zwischenzeit. 2 NATIONSBILDUNG UND POSTKOLONIALE SCHLEIFSPUREN Gewiss, am Anfang stand die amerikanische Revolution mit ihrem Doppelcharakter als Befreiung vom Mutterland Großbritannien und als Fundament für eine selbst entworfene Republik. Dieses Großereignis galt seither als sakrosankter Kern und als eine der Kraftquellen für die nationale Identitätsfindung. Doch zeigte nicht zuletzt der Bürgerkrieg die fortbestehende innere Zerklüftung des Landes in höchst blutiger Weise. Das extrem föderalistische politische System lief nationalen Vereinheitlichungstendenzen ebenfalls zuwider. Das verbreitete, auf überschaubare lokale Räume ausgerichtete Denken und Handeln vieler Menschen, sei es im Rahmen von Kirchen, Schulen oder Gemeinden, waren auch nicht gerade einer großräumigen Nationsbildung wie derjenigen der USA förderlich. Die Weite des Landes und der Erfahrungshorizont der Pioniere erweckten darüber hinaus den Eindruck, als gebe es keine Grenzen und Begrenzungen, was sich ebenfalls nicht günstig auf die Nationsbildung auswirkte, beruhte diese doch gerade auf Abgrenzung und Grenzziehung. Die zahlreichen Einwanderer, die vielen verschiedenen Ethnien angehörten, erschwerten zusätzlich die Herausstellung nationaler Gemeinsamkeiten. Doch auf anderen Gebieten schritt die Vereinheitlichung der Nation zügig voran. So wurde seit den 1880er und 1890er Jahren die nationale Integration 21

Nach Allen, Only Yesterday, 179. Der Historiker James Truslow Adams hatte um 1930 diesen Ausdruck popularisiert.

2 Nationsbildung und postkoloniale Schleifspuren

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durch die Nationalisierung des Marktes, ferner durch die Neuerungen der Kommunikations- und Verkehrstechnologie und durch die seither nationsweit operierenden Medien gefördert, außerdem nahmen die Zentralisierungstendenzen der wirtschaftlichen und politischen Macht- und Herrschaftsinstitutionen (corporate liberalism and central power) insbesondere während der Progressive Era und im Ersten Weltkrieg beträchtlich zu.22 Einen neuen Schwung im Nationalisierungsprozess läutete die Propagierung der Parole eines New Nationalism ein, der vor allem seit dem SpanischAmerikanischen Krieg von 1898 an Bedeutung gewann und sich keineswegs nur auf den politischen Bereich bezog, sondern Gesellschaft, Kultur und Kommerz mit einschloss. Er reichte sogar bis in die Werbung der TourismusSparte: „See Europe if you will, but see America first“, lautete einer der Slogans.23 Im Ersten Weltkrieg machte sich dann ein mit besonderer Verve und Repression verfolgter New Patriotism breit24, der auch noch die frühen Nachkriegsjahre bestimmte. Die ständige Frage nach der Essenz der amerikanischen Nation war keineswegs singulär, sondern beschäftigte mehr oder weniger alle Nationen – und damit auch die Forschung. Seit den 1980er Jahren setzte sich die Auffassung durch, eine Nation hauptsächlich als eine institutionell und kulturell verankerte, imaginierte politische Gemeinschaft (imagined political community)25 zu begreifen, die immer wieder in Kommunikationsprozessen aktualisiert und den Zeiterfordernissen angepasst werden muss. Das Entwerfen der jeweils vorgestellten Gemeinschaft und ihre Verfestigung in Form eines „kulturellen Systems“26 erfolgt vorrangig durch intellektuelle Eliten. Diese nutzen Medien als Deutungs- und Vermittlungsinstanzen zur Konstruktion nationaler Selbst- und Fremdbilder. Dabei werden Differenzen zu anderen Nationen herausgearbeitet, die Sinnhaftigkeit einer Nation benannt und mit Symbolen und Metaphern unterlegt, Imaginationen in Worte und Bilder gefasst und vorgebliche Traditionen (invented traditions) reaktiviert.27 In dieser hauptsächlich seit den 1980er Jahren in den Geisteswissenschaften kursierenden Interpretation von Nationen und Nationalismen wird die Vorstellung abgelehnt, wonach die Nation ein quasi natürliches und organisch gewachsenes Gebilde sei. Allerdings kann dabei keineswegs die Wirkkraft solcher nationsbezogenen Imaginationen angezweifelt werden28, insbesondere, soweit es 22 23 24 25 26 27 28

Bodnar, Remaking America, 36 f. Shaffer, See America First, 29. Es handelte sich um ein Emblem der See American First League (ca. 1906). Zur Einführung siehe u. a. O’Leary, To Die For; Jacobson, Barbarian Virtues; Kaplan, The Anarchy. Anderson, Imagined Communities. Krakau, Einführende Überlegungen, 11 f. Hobsbawm/Ranger, The Invention. Vgl. u. a. Bronfen/Marius, Hybride Kulturen, 3.

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um Inklusionen und Exklusionen, um Hierarchisierungen und Machtpositionierungen sowie um Homogenisierungen und Fraktionierungen geht. Wie nicht zuletzt im Kontext postkolonialer Theorien hervorgehoben wird, ist Nationalismus als ein „modernes“ Projekt anzusehen, das traditionale Komponenten und angeblich authentische Kulturwerte in sich aufnimmt und durch solche Mischungen neue Identitätspotenziale zu generieren sucht.29 Dabei werden Nationen häufig mit Großfamilien (kinship) verglichen und Frauen gerne als Bewahrerinnen einer angeblich zeitlos-authentischen Verbundenheit mit der Natur gesehen, während Männer als Akteure vorwärtsschauender moderner Nationsbildung wahrgenommen werden.30 Die Konstruktion einer Nation im Sinne einer imaginierten politischen Gemeinschaft ist zudem als ein permanenter Prozess zu verstehen, der allerdings Phasen aufweist, in denen sich die Bemühungen um ein zeitadäquates Nationsverständnis intensivieren. So wird in Umbruchzeiten die nationale Identitätskonstruktion den neuen Gegebenheiten angepasst, wobei Vergangenheitsdeutungen und Zukunftsvisionen auf ihre weitere Brauchbarkeit überprüft werden.31 „Nation building is to be in the future a deliberate formative process, not an accidental […] arrangement“, konstatierte schon im frühen 20. Jahrhundert die bekannte „progressive“ Soziologin Frances Kellor.32 Der allgemeine Hinweis auf die amerikanischen Grundwerte wie Freiheit und Demokratie allein genügte deshalb nicht, obwohl darauf nicht verzichtet werden konnte. Was fehlte, das waren die konkreten Bezüge zu den jeweils aktuellen Entwicklungen und Problemkonstellationen in Staat und Gesellschaft. Die nationale Identitätskonstruktion musste also auch zeitgemäße Züge tragen und außerdem zukunftsweisend angelegt sein, sollten optimale Wirkungen erzielt werden.33 Die Diskurse über die amerikanische Nation enthielten im frühen 20. Jahrhundert sogar zahlreiche postkoloniale Schleifspuren, welche die Abgrenzungen zu Europa förderten, begleiteten und verschärften. Entsprechend den Erkenntnissen, die im Rahmen der Postcolonial Studies gewonnen worden sind, kann von postkolonialen Phänomenen gesprochen werden, wenn Kunst- und Literaturproduktion eines Landes auch nach dessen Unabhängigkeit noch im29 30 31

32 33

Vgl. McClintock, No Longer, 92. Ebd., 92; vgl. allg. Walby, Women. Der Begriff „Identität“ ist ebenfalls als eine weitgehend soziale Konstruktion aufzufassen, die allerdings durchaus realitätsmächtig im Sinne der Erzeugung von Zugehörigkeitsgefühlen ist. Vgl. u. a. die kritischen Bemerkungen von Bhabha, The Location, 54. In den vorliegenden Ausführungen wird deshalb von Identitätssuche, Identitätskonstruktion und Identitätsfindung gesprochen. So soll den intentionalen, bruchstückhaften, temporären, hybriden und differenzbesetzten Komponenten des Begriffs Rechnung getragen werden. Grundlegend zu Identität siehe Chartier, Die unvollendete Vergangenheit, insb. 12 f. Zum Konzept der Identitätsforschung siehe u. a. Handler, Is „Identity“. Zit. n. Higham, Strangers, 234. Der Begriff nation building ist auch ein zeitgenössischer Begriff. Für die Vorkriegs- und Kriegszeit siehe u. a. O’Leary, To Die For.

3 Alterität Europas

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mer hauptsächlich aus den Erfahrungen der Kolonisationszeit schöpften. Auch resultieren in solchen Fällen nationale Selbstversicherungen vorrangig aus Spannungen mit der ehemaligen Kolonialmacht. Schließlich werden die Differenzen zum imperialen Zentrum häufig artikuliert und besonders betont.34 Zu fragen ist, ob solche Kennzeichnungen auf das amerikanische Diskurssystem des frühen 20. Jahrhunderts ebenfalls zutreffen. Doch, wie immer die Antworten ausfallen werden, so bleiben diesbezügliche methodisch-historiografische Probleme bestehen.35 Denn der Postkolonialismus wird in der Regel auf die Phase nach dem Zweiten Weltkrieg und die damals erfolgten Dekolonisationsprozesse bezogen. Bei einer solchen Zeitfixierung bleibt die kulturelle Befreiung der USA vom britischen Mutterland bzw. von Europa außen vor. Wenn also im Folgenden von postkolonialen Schleifspuren oder von postkolonialen Nachwirkungen die Rede ist, so ist damit gerade nicht die Phase nach dem Zweiten Weltkrieg, sondern das frühe 20. Jahrhundert gemeint, das sich infolgedessen keinem zeitlich und konzeptionell eng gefassten Postkolonialismus-Konzept einfügen lässt. Eine weitere Besonderheit, die einem Rekurs auf gängige postkoloniale Erklärungsansätze Probleme bereitet, besteht in der Tatsache, dass sich in den USA britische Kolonialherrschaft hauptsächlich auf eine „europäische“ Siedlergesellschaft bezog, die ihrerseits die indigene Bevölkerung bekämpfte und kolonisierte. Daraus entstand eine Verschachtelung der Herrschaftsbeziehungen, die sich von der Kolonialherrschaft großer Teile Afrikas prinzipiell unterscheidet. So stellt sich die Aufgabe, herauszufinden, welche Merkmale für den amerikanischen Postkolonialismus des frühen 20. Jahrhunderts kennzeichnend sind. 3 ALTERITÄT EUROPAS Europa wurde in den USA vorrangig als Alterität wahrgenommen. Aus der Sicht der 1980er Jahre konstatierte der Historiker David W. Noble, dass für seine Generation genauso wie für frühere Generationen die Definition, was als amerikanisch gelten könne, mit der Feststellung beginne, dass dieses oder jenes Phänomen eben nicht europäisch sei.36 Diese verallgemeinerbare Primärreferenz muss indessen historisiert und kontextualisiert werden. Abgrenzungen von Europa gab es nämlich von Anfang an. Die USA interpretierten sich seit ihrer Unabhängigkeit im Vergleich zu den angeblich morbiden europäischen Nationen als die andere und bessere Nation, wie schon bei Thomas Jefferson nachzulesen ist. Die allerdings nur recht kurzlebige Know Nothing-Partei, mit richtigem Namen American Party, die sich in der Mitte des 19. Jahrhunderts 34 35 36

Pease, New Perspectives. Hierzu siehe den Überblick mit weiterführender Literatur von Stratton, The Beast, insb. 51–62. Noble, The End, 6.

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vor allem gegen die irischen Einwanderer und die katholische Kirche wandte, schrieb sogar explizit einen Antieuropäismus auf ihre Fahnen.37 Doch war es die Phase des frühen 20. Jahrhunderts, in der das binäre Denkmuster in Bezug auf Europa neue Konturen erhielt und intensiver diskutiert wurde. Die europabezogene Alteritätserfahrung ist an sich keine US-Besonderheit. Denn Differenzmerkmale prägen alle nationalen Selbstbilder und Handlungsmuster, weil nationale Identität gar nicht für sich allein bestimmt werden kann, sondern nur in Relation zu anderen Nationen, die dann als Alterität fungieren.38 Alterität und Identität bedingen sich wechselseitig, vor allem für jene, die nach einer weitmöglichen Homogenität einer Nation streben. Im Fall von Europa handelte es sich aus Sicht der Amerikaner um eine recht vertraute Alteritätserfahrung. Diese unterschied sich von einer völlig fremden Alteritätswahrnehmung (le tout-autre, Lévinas)39, sobald das Gros der weißen AmerikanerInnen etwa auf den Fernen Osten sowie auf Asiaten, Afrikaner und Mexikaner blickte, selbst wenn diese schon längere Zeit im Land lebten. Der Saarbrückner Romanist Hans-Jürgen Lüsebrink unterscheidet sechs Verarbeitungsweisen des Anderen und Fremden. Erstens geht es um das Separieren (separating) als Unterscheidung von Eigenem und Anderem, jedoch ohne Wertung. Zweitens handelt es sich um eine Distanzierung (distancing) durch deutliche Betonung der jeweiligen Besonderheiten. Drittens kann die Polarität von Fremdheit und Eigenheit akzentuiert werden (accentuating). Viertens sind eine Abwertung (devaluating/debasing) der fremden und eine Aufwertung der eigenen Kultur möglich. Fünftens werden positive bzw. negative Stereotype (assigning traits) herausgestellt und, sechstens, kann eine Typisierung (typing) vorgenommen werden.40 Sicherlich vermischen sich de facto die einzelnen Verarbeitungsweisen meist miteinander, zumal Alterität kein statisches Phänomen ist, sondern auf Grund ihrer Relationalität wechselnden Verstetigungs-, Aufweichungs- und Differenzierungsprozessen ausgesetzt ist, bei denen vielseitige Übersetzungspraktiken und Aushandlungen eine wichtige Rolle spielen. Jedenfalls impliziert die Unterscheidung zwischen dem Selbst und dem Anderen meist keine neutrale Beziehung, denn in der Regel wird, wie zu zeigen ist, aus Gründen der eigenen Identitätssuche eine Gewichtung oder gar eine Exklusion des Anderen vorgenommen.41 37

38

39

40 41

Woodward, The Old World’s New World, 38. Die Partei forderte für Einwanderer u. a. eine Spanne von 21 und nicht von 5 Jahren bis zur Erlangung der amerikanischen Staatsbürgerschaft. Vgl. u. a. auch Koschmann, The Nationalism, 768; Michael/Schäffauer, Zum Verhältnis, 12. Die Autoren beziehen sich vielfach auf die sozialphilosophischen Studien von Emmanuel Lévinas. Waldenfels, Studien, 35–37, 148 f. Allerdings wird verschiedentlich zwischen Fremdheit und Alterität unterschieden. Nicht alles was fremd ist, sei anders, und nicht alles, was anders ist, sei fremd. Münkler, „Wie [sic], die wir einst Europäer waren“, 3. Lüsebrink, Interkulturelle Kommunikation, 108. Vgl. Corbey/Leerssen, Studying Alterity.

4 Medientexte als Quelle

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Wenn der Anspruch auf nationale Differenz und Andersartigkeit allerdings so weit ausgedehnt wird, dass das Eigene nur mehr als Kontrast zum Fremden erscheint, kann dies zu einem problembeladenen Ethnozentrismus führen. Die mit dem Ethnozentrismus einhergehende „Zentrierung auf das Eigene entspringt [zwar] einem Drang zu kollektiver Selbsterhaltung und Selbsterweiterung“; vergessen wird dabei aber, dass nicht Einheitlichkeit, sondern Vielstimmigkeit und Mischung die Grundlagen von Gesellschaften und ihrer Kulturen sind. 42 Infolgedessen ist die Vorstellung, es gebe ein reines, essentialistisches Eigenes, nicht haltbar. Deshalb sind andere Nationen keineswegs allein nur als klar abgrenzbare Alterität und in ihrer Differenz zur eigenen Nation zu sehen. Vielmehr sollte ebenso deren relationale Komplementarität zum Eigenen ins Blickfeld kommen. Allerdings sind umfassende Tendenzen zur „Nostrifizierung“ ebenfalls problematisch.43 Gemeint sind damit nicht zuletzt machtbezogene Bestrebungen zur Transferierung eigener Werte, Normen und Entwicklungsformen auf andere Länder, um deren fremd erscheinende Alterität abzuschwächen.44 Da das Eigene auf dynamische kulturelle Austauschprozesse mit dem Anderen und dem Fremden angewiesen ist, sind schließlich auch essentialistische Vorstellungen über Kulturen obsolet.45 Bei kulturellen Austauschprozessen steht nicht die Alternative Akzeptanz oder Ablehnung im Raum; sondern Aushandlungen und kreative Aneignungen. Hierbei spielen Selektionen und Modifikationen sowie Umwertungen und Umdeutungen alterierender Kulturelemente eine Rolle, Vorgänge, die sich in der Regel auch machtpolitisch verorten lassen.46 Kurzum, es wird zu zeigen sein, wie gerade im frühen 20. Jahrhundert, als sich die Suche nach nationaler Identität intensivierte, die Diskussionen über die Andersartigkeit Europas im Vergleich zu den USA verdichteten und dem Zeitverständnis angeglichen wurden, wobei die älteren Identitätswurzeln, ein auserwähltes Volk Gottes mit einem universalen Missionsauftrag zu sein, unberührt blieben. 4 MEDIENTEXTE ALS QUELLE Vorstellungen über die Bedeutung der eigenen Nation und über andere Nationen entstehen nicht nur durch materielle Relikte, Traditionen, Stereotype, Bilder, Symbole und mündliche Erzählungen, sondern auch durch schriftlich verfasste Texte aller Art. Im 20. Jahrhundert erfolgte das „narrating the

42 43 44 45 46

Waldenfels, Studien, 150 (Zitat), 156 f. Matthes, The Operation, 84. Zum Begriff der „Nostrifizierung“ siehe ebd., 84. Vgl. Rutherford, A Place, 10. Vgl. dazu auch Waldenfels, Studien, 27; Mohnike, Imaginierte Geographien, 29.

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nation“47 vielfach auch mit Hilfe moderner Medien.48 Diese verfügten als Deutungs- und Vermittlungsinstanzen über gute Möglichkeiten, unter ihrer Leserschaft eine medial hergestellte, gemeinsame Wissensbasis zu erzeugen. Die Herausgeber der liberalen Zeitschrift The New Republic erkannten diese Aufgabe und konstatierten damals: People in all parts of the country […] differed in theories and programs; but they agreed that if The New Republic could bring sufficient enlightenment to the problems of the nation and sufficient sympathies to its complexities, it would serve all who feel the challenge of our time.49

Die neuen Kommunikations- und Verkehrstechnologien – Eisenbahn, Telegrafie, Telefon, Auto und Flugzeug – erleichterten diese Aufgabe, insofern sie den alten und neuen Medien eine nationsweite Verbreitung ermöglichten.50 Was diese kommunikationsstrukturelle Neuerung für ein so großes Land wie die USA bedeutete, kann schwerlich überschätzt werden.51 Im Mittelpunkt der vorliegenden Studie stehen nationsweit vertriebene Zeitschriften, die so genannten Quality Magazines. Das waren gehobene Publikationsorgane für die akademisch gebildeten, nationspolitisch maßgeblichen weißen Mittelschichten und Eliten.52 Die darin veröffentlichten Texte werden als relevante Teile des gesellschaftlichen Aussagesystems gesehen, die sowohl Wahrnehmungen und Erfahrungen als auch Symbole, Bilder und Stereotype aufbereiteten und deuteten. In ihnen schlugen sich kulturelle Codes nieder, die auch für die Analyse der Nationsbildungsprozesse relevant waren. Die Diskussionen über die eigene Nation und über Europa erweiterten, verknüpften und verdichteten sich zu regelrechten Diskursen.53 In deren Aussage-Konvolut waren Texte enthalten, welche die transatlantischen Beziehun47 48 49 50 51

52 53

Bhabha, Introduction, 22. So auch Michael/Schäffauer, Zum Verhältnis, 7. Zit. n. Conklin, The New Republic, VII. Auf die Bedeutung der neuen Kommunikationstechnologien verweist ausdrücklich auch Barnes, The History, 469. Falsch wäre es indessen, abwägen zu wollen, welchem Medium welche Relevanz zukam. Denn die Macht der Medien liegt – ungeachtet allgegenwärtiger Konkurrenzsituationen – gerade in ihrem Verbundsystem, da hierdurch zahlreiche Verstärkereffekte erzielt werden können. Vgl. auch Peterson, Magazines, 52 f. Dazu gehörten u. a. The Nation, The Forum, Harper’s Magazine, The New Republic und The Reader’s Digest. Näheres siehe das erste Kapitel. Foucault kennzeichnet Diskurse als „Raum des Sagbaren“. In Diskursen werden nicht nur Texte ver- und bearbeitet, sondern auch Symbole, Rituale und Relikte sowie Architektur- und Körpersprachen mit Deutungen und Sinnsetzungen versehen. Foucault, Archäologie. Diskurse produzieren auf diese Weise Aussage- und Wissenssysteme, die ihrerseits auf reale Handlungsweisen von Subjekten einwirken (können). Historische Analysen solcher macht- und medienbesetzten Diskursräume erfordern eine Operationalisierung, bei der einzelne Diskursfragmente sowie größere Diskursstränge und deren wechselseitige Vernetzung samt den jeweiligen Diskursknoten untersucht werden.

4 Medientexte als Quelle

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gen und Verflechtungen in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft deuteten und in Bezug zur US-Nation setzten. Die Printmedien sahen überdies ihre Aufgabe darin, als Übersetzer anderer Kulturen zu fungieren. So konnten sie Überfremdungsängste und kulturelle Voreingenommenheit verstärken oder abbauen sowie Differenzen und Ähnlichkeiten aufzeigen, das Fremde im Eigenen entdecken und soziales Wissen vermitteln.54 Sinngebung und Wirkung eines Textes erschließen sich primär nicht durch die Untersuchung der jeweiligen Entstehungsbedingungen und der subjektiven Intentionen eines Autors, „sondern durch die von ihm ausgelöste Eröffnung verschiedener Lesarten und neuer Bezüge.“55 Deshalb wird in der vorliegenden Studie nicht die subjektive Intention der Autoren rekonstruiert, sondern die Sicht imaginärer Leser und Leserinnen eingenommen. Ihre Rezeptionen brauchen nicht den Intentionen des Autors oder der Autorin zu entsprechen. Texte können von den LeserInnen auch umgedeutet und anders kontextualisiert, aber auch regelrecht missverstanden werden. Die meisten Texte lassen eben mehrere Sinndeutungen zu, die allerdings nicht beliebig sind, sondern in der Regel durch gesellschaftliche Wissensordnungen sowie individuelle Dispositionen und Situationen begrenzt werden. Für die Analyse einer Vielzahl miteinander vernetzter Texte hat deshalb auch die lange Zeit beliebte Frage nach deren Repräsentativität ihre frühere Königsstellung eingebüßt. Stattdessen geht es erstens um die Einsicht in die analytische Relevanz, die sich durch die Vernetzung von Texten bildet und ein regelrechtes Textgewebe mit einem eigenständig wirkenden Aussagesystem entstehen lässt. Zweitens ist es wegen der großen Komplexität und Heterogenität der amerikanischen Gesellschaft noch weniger als vielleicht in anderen Gesellschaften möglich, bestimmte Texte als repräsentativ zu kennzeichnen. Insofern vermitteln auch die hier zu untersuchenden Texte lediglich Ausschnitte damals vorhandener Deutungsmuster, die gleichwohl weit gefächerte Einblicke in die Sichtweise auf das „Wir“ und die „Anderen“ geben, zumal wenn auch davon abweichende Interpretationen berücksichtigt werden. Eine solche Studie ist ihrerseits selbstredend eine Konstruktion, die wegen der großen Deutungsvielfalt die Grenzen des historiografisch Machbaren aufzeigt. Sinclair Lewis hat dieses Problem 1929 mit kritischem Blick auf die damaligen Tendenzen zur Nationalisierung der unterschiedlichen Regionen in die Worte gefasst: „You cannot generalize about America, because you can prove anything about it you want to prove.“56 Diese Bemerkung klingt allerdings wie ein Plädoyer für Beliebigkeit, die indessen bekanntlich kein Maß54 55 56

Aus diesem Grunde spielt die Erforschung der Medien in der so genannten Kulturtransferforschung eine wichtige Rolle. Vgl. u. a. Jurt, Das wissenschaftliche Paradigma, 11. Bachmann-Medick, Kultur, 23 f., zum Folgenden 23–26. Sinclair Lewis in einem Interview mit Henry James Forman, „What’s right with America?“, in: McCall’s Magazine (November 1929), Kurzform, in: The Reader’s Digest (Dezember 1929), 705–707, 706.

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stab für historisches Arbeiten sein kann – auch nicht über die USA. Sie lässt zudem die altbekannte, ehedem heiß diskutierte Frage aufkommen, ob und ggf. wie bei Diskursanalysen die sozialen Wirklichkeiten perspektivisch in den Blick gelangen. Doch führt die hierbei implizit vorgenommene Kontrastierung von medialen Texten und sozialen Wirklichkeiten in die Irre, denn die Wahrnehmungsweise realer Vorgänge basiert nicht zuletzt auf Dispositionen, die ihrerseits wiederum durch Medien (mit)geprägt worden sind. So können soziale Wirklichkeiten ohne die Berücksichtigung medialer Deutungen nicht adäquat untersucht werden, wie umgekehrt die Analyse allein medialer Texte ohne Kontextualisierung nicht die sozialen Wirklichkeiten in ihrer wahrnehmbaren Komplexität einzufangen vermag. In den letzten Jahren hat das fachöffentliche Interesse an der kritischen Erforschung von medial vermittelten (nationalen) Sinnkonstruktionen zugenommen. Historiker und Historikerinnen, die sich der Aufgabe stellen, Narrative aller Art unter diesem Aspekt zu analysieren, sind sich im Allgemeinen durchaus bewusst, dass nationale Identitätskonstruktionen stets auch in den sozialen Wahrnehmungs- und Erfahrungswelten der Menschen zumindest ein Stück weit verankert sein müssen. Die besten Erfolgschancen eines Textes in der Öffentlichkeit zustimmend rezipiert zu werden, haben deshalb jene textimmanenten Sinnkonstruktionen, die an den sozialen Erfahrungen der RezipientInnen anknüpfen oder deren Bedürfnisse und Zukunftserwartungen in der einen oder anderen Weise aufgreifen. Texte sind insofern strukturell mit sozialen Wirklichkeiten sowie mit subjektiven Wahrnehmungen und Erfahrungen eng verwoben. Die Qualitätsmagazine schufen ein Areal für mediale Kommunikation, das als eine Art „dritter Raum“ (third space of enunciation)57, gedeutet werden kann, der über Zeitzonen und Raumgrenzen hinweg reichte58, und in dem Begegnungen und Aussprachen in transnationalen und postkolonialen Kontexten stattfanden. Was für eine solche Interpretation spricht, ist die Tatsache, dass die Qualitätsmagazine als relevante transnationale „Clearingstellen“ und Übersetzungsinstitutionen fungierten. Zahlreiche Diskurse zwischen Europäern und Amerikanern über den Austauschprozess der Kulturen diesseits und jenseits des Nordatlantiks fanden hier statt, und dabei wurden, wie gezeigt werden soll, immer wieder koloniale Schleifspuren sichtbar. Die Zeitschriften stellten gerade im frühen 20. Jahrhundert einen Diskursraum dar, in dem in Form medialer Interaktion diverse Auffassungen aus dem In- und Ausland aufeinander stießen, Übersetzungen vorgenommen wurden, Differenzen zu 57 58

Bhabha, zit. n. Parmar, Black Feminism, 108. Bhabha, The Location. „Bhabha posits hybridity as such a form of liminal or in-between space, where the ‚cutting edge of translation and negotiation‘ […] occurs and which he terms the third space […] Thus the third space is a mode of articulation, a way of describing a productive, and merely reflective, space that engenders new possibility.“ Meredith, Hybridity, 3.

4 Medientexte als Quelle

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Europa zur Sprache kamen und Sinnkonstruktionen hergestellt wurden. „Although there was nothing totally new about all of this, there was something special and excessive about it in this period“59, wie der Kulturhistoriker Warren Susman in seinem Rückblick aus dem Jahr 1985 schrieb. Eine hochgradig entwickelte Selbstthematisierung und die Suche nach einer amerikanischen Nationskonstruktion, die den tiefgreifenden Zeitenwandel adäquat berücksichtigte, markierten diesen öffentlichen Diskursraum. Die in der vorliegenden Studie angewandte Untersuchungsmethode lässt sich als ein gestuftes Vorgehen kennzeichnen, das ein an sich immer weiter ausbaubares und verzweigbares Auswahlverfahren darstellt. In einem ersten Durchgang kamen Zeitschriftenartikel in den Blick, die eine direkte Verbindung zwischen Europabezügen und nationaler Selbstdeutung erkennen ließen. Aus diesem Material wurden Kartierungen vorgenommen und jene Aspekte besonders gekennzeichnet, die auf Grund ihrer Wiederholungen als thematisch einschlägige Diskursstränge angesehen werden konnten. Auch galt es zu sondieren, welche Diskursknoten sich ergeben haben, und zwar sowohl solche, die sich durch Argumentationsverdichtungen auszeichneten als auch jene, die quasi Kreuzungspunkte zu anderen Diskurssträngen, etwa zu Rassenfragen oder zur Demokratieentwicklung, markierten. Bei einem zweiten Durchgang wurden die bereits ermittelten Diskursstränge und Diskursknoten durch weitere Texte ergänzt und kontextualisiert, um ansatzweise sowohl die Breite als auch die Dichte des diesbezüglichen Diskursraumes zu vermessen. Bei diesem stufenweise vorgenommenen Verfahren war angesichts der Masse an Quellen ein open end der Recherchen vorprogrammiert. Die Beendigung der Quellenrecherchen setzte ein, als sich der Eindruck verdichtete, dass mit dem gefundenem Material zwar sicherlich längst nicht alle Argumentationsstränge erfasst sind, aber doch ein beträchtlich großes Spektrum Berücksichtigung findet. So werden auch zahlreiche Texte weniger bekannter Autoren und Autorinnen beachtet, während bisher meist prominente Denker und Dichter untersucht worden sind. Allerdings zeichnen sich die hier analysierten Magazintexte durch zahlreiche Unschärfen aus. Denn viele AutorInnen definierten in ihren Artikeln die von ihnen verwendeten Begriffe nicht oder nur sehr vage, selbst wenn es sich um Kernbegriffe wie nation, culture, civilization und Americanism handelte. Darüber hinaus wurden häufig Gedankengänge nicht systematisch entwickelt und zu Ende geführt. Es wäre indessen falsch, nachträglich die offen gehaltenen Begriffe und Aussagen in feste analytische Raster pressen zu wollen. Denn gerade die Unschärfe in den Texten bildeten für die Rezipienten und Rezipientinnen attraktive Projektionsflächen, die unterschiedlich genutzt werden konnten. Die ausgewählten Zeitschriften, die hauptsächlich die 1920er Jahre betreffen, können in drei Untersuchungsringen verortet werden. Im inneren Un59

Susman, Culture, 115.

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tersuchungsring wurden drei Zeitschriften für eine intensive Auswertung herangezogen: die (rechts)liberale Zeitschrift Harper’s Magazine sowie die (links)liberalen Zeitschriften The Nation und The New Republic. Außerdem wurde die Zeitschrift The Forum eingesehen, weil hierin recht kontroverse Positionen zur Sprache kamen, so dass sich das nachzuzeichnende Diskursspektrum erweitern ließ. In einem mittleren Untersuchungsring befinden sich mehrere andere Zeitschriften, etwa The Yale Review, von denen nicht alle Jahrgänge untersucht wurden. In einem äußeren Untersuchungsring ist schließlich die Zeitschrift The Reader’s Digest angesiedelt, eine Zeitschrift, die sich damals ausschließlich durch den Wiederabdruck von Aufsätzen aus anderen Magazinen in kondensierter Form auszeichnete und folglich ein großes Spektrum von Stellungnahmen aus diversen Publikationsorganen abdeckte.60 Auf diese Weise kommen nicht zuletzt auch konservative Meinungen ins Blickfeld. Als flankierende Quellen dienen zeitgenössische Bücher, auf die in den Diskursen immer wieder verwiesen wurde. Denn auch sie wirkten auf die öffentliche Meinung ein, wie insbesondere am Anfang des fünften Kapitels näher dargelegt wird. Trotz der breit gefächerten Quellenrecherchen konnten nicht alle angesprochenen Themen gleichermaßen mit Zeitschriftenartikeln abgedeckt werden. Deshalb nimmt die schier unerschöpfliche Sekundärliteratur, die zu einem beträchtlichen Teil auf themenrelevante Aspekte hin durchgesehen wurde, eine wichtige Überbrückungsfunktion ein, weil durch sie die Zeitschriftentexte sinnvoll ergänzt und kontextualisiert werden konnten. Umgekehrt erhellen, differenzieren, bestätigten und verstärken manche Zeitschriftentexte diverse historische Sachverhalte, die bereits erforscht worden sind, so dass sie häufig auch als historiografische Quellen nützlich waren. 5 ANALYSESPEKTRUM UND AUFBAU DER STUDIE Die Studie verfolgt in drei Teilen und insgesamt sieben Kapiteln zum einen die amerikanischen Wahrnehmungen über Europa, zum anderen die inneramerikanischen Abgrenzungen und Exklusionen von Bevölkerungsgruppen, zum dritten die Suche nach amerikanischer nationaler Identität61, wobei die Verflechtung aller drei Teile herausgearbeitet wird. Das erste Kapitel handelt von den vielfältigen Qualitätsmagazinen, vor allem ihren Funktionen als amerikanische nation builder. Früher sei die Gesellschaft eher blind gewesen, meinte kein Geringerer als der bekannte amerikanische Historiker und Kulturphilosoph Henry Adams: „Society in America was always trying, almost as blindly as an earth-worm, to realize and understand itself.“ Und: „From the old-world point of view, the American had no 60 61

Näheres zu den Zeitschriften siehe das erste Kapitel. Dazu siehe u. a. Kazin/McCartin, Introduction, 8.

5 Analysespektrum und Aufbau der Studie

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mind; he had an economic thinking machine which could work only on a fixed line.“62 Dies sollte sich im frühen 20. Jahrhundert, wie gezeigt werden wird, gründlich ändern. Die Medien schufen vielseitige Möglichkeiten, amerikanische Identitätsvorstellungen landesweit nicht nur zu diskutieren, sondern auch in Narrative umzusetzen und zu popularisieren.63 Ein weiterer Untersuchungsaspekt betrifft die Zeitschriften-Akteure, die als opinion leaders fungierten und sich als eine neue publizistische Elite verstanden. Im zweiten Kapitel werden die amerikanischen Wahrnehmungen und Reaktionen auf die europäische Amerikakritik und den europäischen Antiamerikanismus untersucht.64 Hierbei wird der Frage nachgegangen, inwiefern der Differenzcharakter zu Europa betont wurde. Ferner wird die Transatlantizität der Phänomene „(Anti-)Europäismus“ und „Europäisierung“ sowie „(Anti-) Amerikanismus“ und „Amerikanisierung“ in ihrer Parallelität und kreuzweisen Verflechtung herausgearbeitet. Das Kapitel beleuchtet darüber hinaus Europa als vielseitigen Referenzraum sowie die zahlreichen kulturellen Übersetzungen, die zwischen der Alten und der Neuen Welt im Rahmen komplexer Austauschprozesse anstanden. In diesem Zusammenhang fällt der Blick auch auf deren Trägerschaft. Gemeint ist die publizistische Intellektuellengruppe, die sich in weiten Teilen als transatlantische Elite verstand und entsprechend handelte. Schließlich werden jene transatlantischen Verknüpfungen dargestellt, die sich im Western Civ-Konzept65 und in Schlagworten wie Western World und Western Civilization niederschlugen. Das dritte Kapitel, mit dem der zweite Teil des Buches beginnt, widmet sich den neu eingewanderten Europäern unter den Aspekten von Amerikanisierung und Amerikanismus sowie den Trends zum Rassismus und zur Eugenik. In der Analyse geht es um Abgrenzungen zwischen den „Alteingessenen“ (old stock) und den europäischen Neuankömmlingen, ferner um die erstmalige, angeblich wissenschaftlich untermauerte Kategorisierung und Hierarchisierung der europäischen Völker nach rassischen Kriterien sowie um Bestrebungen, das Leitbild einer relativ homogenen amerikanischen Nation in die Praxis umzusetzen. Diese an sich bereits gut erforschte Thematik dient als ein relevantes Beispiel für Diskurse, die jenseits der (links-)liberalen Qualitätsmagazine angesiedelt waren. Umso mehr interessiert die Frage, wie sich die liberale Publizistik gegenüber diesen Diskursen verhalten hat, wo ggf. Einfallstore lagen und welche Gegenkonzepte eine näher zu bestimmende Rolle spielten.

62 63 64 65

Adams, The Education, 141, 185. Vgl. Heywood Broun, „New York May Not Be America But –“, in: Redbook Magazine (März 1930), 1104–1106. Der Begriff „Antiamerikanismus“ ist wegen seines pauschalisierenden Charakters freilich zu problematisieren. Damit ist das Western Civilization-Projekt gemeint. Siehe hierzu Kapitel 2.6.

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Das vierte Kapitel widmet sich jenen Gruppen, die aus Sicht der dominanten weißen nation builders den Nationsbildungsprozess quasi von innen heraus „störten“. Dieser erweiterte Analyse-Blickwinkel ist der Tatsache geschuldet, dass aus deren Sicht das Fremde und die Anderen nicht nur in der Außenwelt, das heißt in Europa oder gar im Fernen Osten, sondern auch im eigenen Lande existierten.66 Im Zentrum der diesbezüglichen Ausführungen stehen zum einen Antifeminismus und Rassismus sowie die Vorbehalte gegenüber den working classes, und zwar unter dem Blickwinkel ihrer Marginalisierung in den nationalen Identitätsdiskursen. Zum anderen wird der Blick auf die Vorstellungen von Nation und Identität gerichtet, über die sich die Marginalisierten ihrerseits äußerten. Das fünfte Kapitel leitet den dritten Teil des Buches ein, in dem Amerikanisierung und Amerikanismus im Zentrum stehen. Untersucht wird in diesem Kapitel die Amerikanisierung von Raum und Zeit. Gemeint sind damit vor allem sowohl die Deutungen des amerikanischen Westens in Form des Turner’schen Frontier-Theorems als auch die Neubestimmungen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Einen gewichtigen Platz im Diskursraum nahm auch die Konstruktion eines „amerikanischen Charakters“ (Americanness) ein67 sowie die Trends zur Amerikanisierung von Demokratie, Religion und Moral. Schließlich geraten in diesem Kapitel auch die (produktiven) Spannungen in den Blick, welche die damals schon ausgeprägte Warenstandardisierung einerseits und die diversen Regionalismen für den Nationsbildungsprozess bedeutet haben. Im sechsten Kapitel geht es um die Künste und ihre Einbindung in die Diskurse über den kulturellen Nationalismus68 und Amerikanismus. Ihre große Relevanz für nationale Integrationsprozesse steht außer Zweifel. Die Künste seien das Medium der Reflexion (medium of reflexion) par excellence, konstatiert der Literaturwissenschaftler Roland Hagenbüchle.69 In diesem Zusammenhang werden Einschätzungen der amerikanischen Gegenwartskünste und diesbezügliche Zukunftserwartungen analysiert. Berücksichtigt werden sowohl die amerikanischen Bewunderer der europäischen Kunst als auch diverse Versuche zur Abnabelung von Europa sowie Vorbehalte gegenüber der europäischen Avantgarde. Ein weiterer Aspekt bezieht sich auf die vielseiti66

67 68 69

Der auf Differenz bezogene Begriff des „Anderen“ (other) wird hier aus der Sicht der hegemonialen Diskursträger verwendet, wohl wissend, dass diese Bezeichnung in der heutigen dezentrierten Historiografie hinterfragt und aus Sicht der so genannten „Anderen“ auch abgelehnt wird. Denn aus deren Blickwinkel waren es umgekehrt gerade die hegemonialen Diskursträger, die als die „Anderen“ wahrgenommen wurden. Der Begriff „Americanness“ bezeichnet Eigenschaften, die gemeinhin als typisch amerikanisch gelten. Zur den Nationalisierungstendenzen von Kunst und Kultur seit 1890 siehe u. a. Bodnar, Remaking America, 113–137. Hagenbüchle, From Common Ground, 5 f.

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gen Suchbewegungen, die das Ziel verfolgten, kulturelle Ressourcen für eine genuin amerikanische Kunst aufzuspüren, nicht zuletzt um sich dadurch leichter von Europa abnabeln zu können. Hierzu gehörten regionalistische Einbindungen sowie auch die kontrovers geführten Diskussionen darüber, den Kunstbegriff in Richtung Massenkünste auszuweiten und womöglich Jazz, Film und Design als künstlerisches Markenzeichen der USA zu interpretieren und aufzuwerten. Das siebte Kapitel schaut unter den Schlagworten „Postulate, Projekte und Prognosen“ aus amerikanischer Sicht auf Europa im Kontext einer veränderten Weltkonstellation und beginnenden US-Globalpolitik. Der Blick fällt als Erstes auf das expansionistische Weltmachthandeln der USA, welches auch das Verhältnis zu Europa tangierte. Auf diesem Analyse-Hintergrund werden die Diskussionen der internationalistisch engagierten Liberalen der zwanziger Jahre rekonstruiert. Während der Großteil der Diskussionen aktuelle außenpolitische Strukturen und Ereignisse betraf, vermittelten einige Autoren auch entferntere Zeithorizonte in Form von Vorhersagen und Visionen. Außerdem werden die Vorstellungen über globale Ordnungssysteme in Augenschein genommen, in denen Europa nur mehr eine untergeordnete Rolle zugedacht wurde. In gebotener Kürze rückt schließlich am Beispiel Chinas der Diskurs über das total Andere, den vielfach unbekannten und abgegrenzten Osten, ins Blickfeld, weil dieser die notwendige Kontrastfolie für die Konstruktion eines gemeinsamen euro-amerikanischen (weißen) Westens abgab.

6 ZUM FORSCHUNGSSTAND In Anbetracht der großen und weitverzweigten Forschungsliteratur zu den hier thematisierten Aspekten müssen diesbezügliche Hinweise kursorisch bleiben, selbst wenn sie sich nur auf den für die vorliegende Studie zentralen Punkt, die national-amerikanische Identitätssuche unter besonderer Berücksichtigung der Auswirkungen auf amerikanische Europabilder im frühen 20. Jahrhundert, beziehen. Diese Thematik, die sich vom Ansatz her gesehen als „Kritische Studie zur Verflechtungsgeschichte von Nationalismus und Transnationalismus“ etikettieren lässt, unterscheidet sich von einer konsequent entzentralisierten Forschungsrichtung, wie sie sich in den USA seit den späten sechziger und siebziger Jahren mit reichhaltigen Ergebnissen entfaltet hat. Entschieden haben damals zahlreiche Historiker und Historikerinnen ihre Forschungen auf der Fortexistenz schichtenspezifischer, ethnischer und regionaler Eigenheiten aufgebaut. Während vordem häufig eine stromlinienförmige Entwicklung eines nationalen Charakters und einer nationalen US-Gemeinschaft die Forschung bestimmt hatten, wechselte seit den späten sechziger Jahren im Kontext der Bürgerrechtsbewegung das Paradigma hin zur politisch-konzeptionell

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unterfütterten Analyse kleinteiliger gesellschaftlicher Einrichtungen und Gruppen, vor allem der ethnischen Minderheiten und ihrer Milieus. Davon profitiert die vorliegende Studie vor allem in jenen Passagen, in denen nach den Nations- und Identitätsvorstellungen einzelner Gruppen gefragt wird. Demgegenüber betonen liberale Nationalisten (New Nationalism) seit den neunziger Jahren, dass ethnische Zugehörigkeit und ethnische Identität im heutigen, als postethnisch bezeichneten Zeitalter keine Rolle mehr spielen sollten. Stattdessen müsste kosmopolitisches und solidarisches Denken in den Mittelpunkt gesellschaftlichen Zusammenhalts der amerikanischen Nation rücken, was sich auch auf die Wahl der Themenfelder auswirken sollte.70 Hingegen tendierten und tendieren nationsorientierte Konservative dazu, nach wie vor Bilder einer relativ homogenen amerikanischen Kultur zu entwerfen, die einer fortbestehenden (weißen) Mittelklassengesellschaft geschuldet sei.71 Sie plädieren dafür, dass die Geschichtsschreibung ihre Aufgabe vor allem in der Herausarbeitung nationaler Vereinheitlichungsmomente sehen sollte, um durch diese Art von Studien den konzeptionellen Zusammenhalt der Nation zu stärken. Im Hintergrund solcher Forderungen stehen nicht zuletzt nativistische Ängste, die sich gegen eine Überfremdungsgefahr der weißen Staatsbürger richten.72 Jenseits dieser unterschiedlichen Positionen hinsichtlich der US-Nation hat seit dem Ende des 20. Jahrhunderts das Interesse an einer kritischen Aufarbeitung der US-Nationsbildungs-Prozesse unter HistorikerInnen beträchtlich zugenommen.73 Zu diesem Forschungstrend trugen die Ent-Essentialisierung und die Betonung der Imagination und Konstruktion von Nationen wesentlich bei.74 Denn in Anbetracht der Interpretation der Nation als imagi70

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Hollinger, Postethnic America (1995); Lind, The Next American Nation (1995). Den Kult der Ethnizität (cult of ethnicity) problematisierte auch Arthur Maier Schlesinger, Jr. in seinem 1991 erschienenen Buch mit dem Titel The Disuniting of America. In den Fußnoten des folgenden Forschungsberichts wird zur leichteren Orientierung das jeweilige Veröffentlichungsjahr der zitierten Publikationen zugefügt. In diesem Zusammenhang ist auch die nach dem Zweiten Weltkrieg einflussreiche Consensus School zu nennen, welche die amerikanische Geschichtsschreibung stark geprägt hat. In ihr dominierten Perspektiven, die die gemeinsamen Werte und Normen der Nation herausstellten, demgegenüber die Gesellschaftskonflikte als zweitrangig angesehen wurden. Siehe u. a. Patel, Jenseits der Nation, 42 f. (2004). Nuys, Americanizing, 196 (2002). Chilton Williamson, Jr., Autor und Herausgeber der Chronicles, veröffentlichte 1993 im Rahmen des Rockford Instituts, eines konservativen think tank, sein Buch The Immigration Mystique. So lautet der Titel der 2009 veröffentlichten Studie von Jackson Lears. Lears, Rebirth. Anderson, Imagined Communities (1983); Hobsbawm/Ranger, The Invention (1983). Die rein konstruktivistische Interpretation von Nationen ist allerdings umstritten. Seyla Benhabib hebt hervor, dass dieser Ansatz nicht erklären könne, warum es nationale Bewegungen gibt, bei denen Menschen aus tiefster Überzeugung gemeinschaftlich handeln und warum sie sich mit bestimmten kulturellen Ausdrucksformen identifizieren, mit anderen hingegen nicht. Benhabib, Civil Society, 302 (1999).

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nierte Gemeinschaften (imagined communities) mit erfundener Traditionsbildung (invention of tradition) stellten sich neue Fragen, die darauf hinausliefen, die Nation in ihren jeweiligen diskursiven, symbolischen und emotional unterfütterten Formierungsprozessen zu analysieren.75 Die jeweiligen Nationskonstruktionen sollten fortan in kontextualisierter Weise historisiert und gleichzeitig deren Vernetzungen mit anderen gesellschaftlichen Problemkreisen aufgezeigt werden.76 Zudem haben die Forschungen über Nationen auch in heutiger Zeit an Gewicht gewonnen, weil die Nationen an Gestaltungsmöglichkeiten verlieren, insofern sie selbst einem Wandel unterliegen, bei dem ein größerer Anteil an gesellschaftlichen Beziehungen und staatlichen Funktionen nicht nur nationale, sondern unterschiedliche territoriale Reichweiten aufweisen.77 Im Folgenden werden neun Forschungsfelder und -aspekte der inneren US-Nationsbildung vorgestellt, die für die vorliegende Studie relevant sind: Als erstes sind Studien zu diversen Amerikanisierungsbestrebungen des frühen 20. Jahrhunderts zu nennen.78 In vorderster Reihe stehen Arbeiten über die Amerikanisierung der europäischen Immigranten und Immigrantinnen.79 In solchen Zusammenhängen erzielten indessen auch Studien über die amerikanische Pazifik-Region samt den dort lebenden Asiaten und Mexikanern erhöhte Aufmerksamkeit.80 Zudem wurde in den achtziger und neunziger Jahren der Mythos der weißen Frontier-Siedlergemeinschaft und damit das lange Zeit als Prototyp gelungener Amerikanisierung angesehene Narrativ weitgehend entzaubert.81 Auch Studien zum eindimensionalen und überhöhten Patriotismus vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg zeigten die Wucht der damaligen Amerikanisierungswelle.82 Ebenso gewannen Arbeiten über die 75

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Siehe hierzu die Sammelbände von Eley/Suny, Becoming National (1996), Kazin/McCartin, Americanism (2006) und Krakau, The American Nation (1997); siehe auch Gleason, American Identity (1995); Hagenbüchle/Raab, Negotiations (2000); Hansen, The Last Promise (2003); Saldern, Selbstbild (2006); dies., Identitätsbildung (2012); Volk-Birke/Grabbe, Konstruktionen (2003). Dazu siehe Bender, Rethinking (2002); ders., A Nation (2006). Einführend Schirmer, Jenseits der Nation (2001). Siehe u. a. Nuys, Americanizing (2002); Herrmann, Be an American! (1996); Knobel, America (1996). Hoerder, Struggle (1986); ders., From Ethnic Enclaves (2006); Jacobson, Special Sorrows (1995); Barrett, Americanization (1992); Bodnar, The Transplanted (1985); Ewen, Immigrant Women (1988); siehe auch die ältere Arbeit von Higham, Strangers (1955, 1988). Zum weiteren Kontext siehe Kazin/McCartin, Americanism (2006); Conzen, The Invention (2005). Moos, Outside America (2005). Slotkin, The Fatal Environment (1985); ders., Gunfighter Nation (1992, 1998). Vgl. die ältere Arbeit von Nash, Virgin Land (1950); Mayer, „Taste It!“ (1998); Waechter, Die Erfindung (1996); Lingelbach, Klio (2003). O’Leary, To Die For (1999); Goldstein, Saving „Old Glory“ (1995); Shaffer, See America First (2001).

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Amerikanisierung anderer Länder, das heißt, über den Transfer amerikanischer Werte und Waren nach Europa und nach Asien, neues Terrain in der Forschungslandschaft. Insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg wurden bekanntlich Schritte in Richtung eines globalen Pax Americana eingeleitet, die in den neunziger Jahren auf ein verstärktes Forschungsinteresse stießen.83 Unter einem solchen Aspekt erfuhr auch die Rekonstruktion der amerikanischen Missionsarbeit wachsende Aufmerksamkeit.84 Neues Gewicht in der Forschung erhielt der US-Nationsbildungs-Prozess, zweitens, durch das Aufzeigen der Verbindungen zur Rassenpolitik, eine Forschungsrichtung, die sich in kurzer Zeit durch eine Vielzahl von Studien ausgezeichnet hat.85 Nicht nur die Politik gegenüber den African Americans wurden unter solchem Blickwinkel neu justiert, sondern auch jene gegenüber Indianern, Asiaten und Mexikanern.86 Seit den achtziger Jahren forschten so genannte New Western Historians verstärkt über die negativen Seiten der Westbesiedlung, insbesondere über Rassismus und Gewalt gegenüber Mensch und Natur.87 Sie entthronten das Turner’sche Frontier-Theorem und damit auch die von ihm und seinen Zeitgenossen häufig verwendete Chiffre vom virgin land, die davor schützte, begangene Handlungen gegenüber den Ureinwohnern als Genozid im Zuge eines binnenländischen Imperialismus zu deuten. Außerdem wurde nun auch die Immigrationspolitik gegenüber Europäern verstärkt unter rassistischen Gesichtspunkten in Augenschein genommen und die zeitgenössischen Auswirkungen auf die Konstruktion von whiteness thematisiert.88 Kritische Studien zur Eugenik stießen ebenfalls auf gewichtige Zusammenhänge von Rasse und Nation, und zwar immer dann, wenn zur Diskussion stand, wer als assimilierbar und amerikanisierbar galt und wie die 83

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Vgl. u. a. Iriye, The Cambridge History, Bd. 3 (1993); Smith, America’s Mission (1994); ders., The American National Identity (1997); Burlin, The US Quest (2001). Siehe auch die ältere Arbeit von Williams, The Tragedy (1959), in der der wirtschaftspolitische Aspekt in globaler Perspektive im Mittelpunkt steht. Rosenberg, Spreading the American Dream (1982); Klein, Christian Mission (2009); Kiernan, America (1978); Darling, The Westernization (1979). Weitere Literaturangaben in: Rosenberg, Walking the Borders (1991). Finzsch, Wissenschaftlicher Rassismus (1990); Finzsch/Horton/Horton, Von Benin (1999); Schirmer Introduction (1998); Holt, Making Race (1995); Ngai, Impossible Subjects (2004); Jacobson, Barbarian Virtues (2000); ders., Whiteness (1998); Gilroy, The Black Atlantic (1993); Roediger, The Wages (1991); Lüthi, Invading Bodies (2009); Keevak, Becoming Yellow (2011); Mayer, Paper Citizens (2009); Berg, The Ticket (2000). Siehe u. a. Trachtenberg, Shades (2004). Waechter, Die Erfindung (1996); Klein, Frontiers (1997); Moos, Outside America (2005); Hine/Faragher, The American West (2000); Drinnon, Facing West (1980). Erinnert sei auch an die ältere Studie von Smith, Virgin Land (1950). Dazu siehe u. a. Jacobson, Whiteness (1998); Roediger, Working Toward Whiteness (2005); Carter, The Heart (2007).

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nordisch-weiße „Rasse“ (nordic-white race) vorrangig gefördert werden könne.89 Drittens wurden die vielschichtigen Zusammenhänge von Gender und Nationskonstruktion herausgearbeitet.90 In Augenschein geriet die häufig verwendete Metapher von der Nation als Großfamilie sowie die Bilder und Allegorien über Frauen als Mütter der Nation, die auf Grund ihrer vorgeblichen (passiven) Naturverbundenheit die essentialistisch verstandene Naturhaftigkeit der Nation repräsentierten. Auch erschlossen HistorikerInnen jene Quellenüberlieferungen, in denen Männer und Väter als Konstrukteure und Akteure der Nation in Erscheinung traten.91 Der Intersectionality-Ansatz, bei dem hinsichtlich der Unterdrückungs- und Marginalisierungspolitik die Verbindungslinien vor allem zwischen gender, class und race untersucht werden, bereicherte ebenfalls die kritische Nationalismusforschung, indem der Blick auf intersektionale Marginalisierung (intersectional invisibility) einzelner Gruppen in den Diskursen über Nationskonstruktion gelenkt wird. Damit wurde auch den Differenzen unter Frauen analytisch Rechnung getragen.92 Viertens fanden die US-Nationsbildungs-Prozesse durch die intensivierte Sichtweise auf Kultur und deren Verbindungen zu Politik, Wirtschaft und Sozialbewegungen größere Beachtung. Allerdings waren gerade in diesem Bereich nachhaltige Studien bereits in den späten sechziger und siebziger Jahren entstanden.93 Indessen hat sich im Kontext des cultural turn das Spektrum der Forschung über nationale Identitätssuche in den darauffolgenden Jahrzehnten nochmals beträchtlich erweitert und bestehende Forschungsfelder neu konturiert. Beispielsweise konnte in den sechziger und siebziger Jahren intellectual history noch wenig Aufmerksamkeit gegenüber der Sozialgeschichte erzielen. Doch seither verstärkte sich das Interesse an solcherart Analysen beträchtlich, wovon auch die Forschungen über Nations-Konstruktionen profitiert haben. Mit akteursorientiertem Blick wurden vielfach die Herausbildung und Vernetzung sowie das Wirken einer kritischen Intelligenz vor allem im frühen 20. Jahrhundert untersucht.94 Auch erfuhren Erinnerungskultur sowie Reli-

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Kline, Building (2005); Stern, Eugenic Nation (2005). Siehe u. a. Eley/Suny, Introduction (1996). Siehe u. a. Walby, Woman (1996); Gordon, Woman’s Body (1976); McClintock, No longer (1997); Hoganson, Fighting; Sluga, The Nation, Kap. 4 und 5 (2006); Montgomery, Nationalism (1986). Einen guten Überblick bietet Davis, Intersektionalität (2010 [2008]). Alexander, Nationalism (1969); Trachtenberg, Critics (1976). Wichtige Werke aus den achtziger Jahren: Alexander, Here the Country (1980); Susman, Culture (1985). Bender, New York (1987); Blake, Beloved Community (1990); Hansen, The Lost Promise (2003); ders., True Americanism (2006); Biel, Independent Intellectuals (1992); Fox/Kloppenberg, A Companion (1995). Vgl. auch die ältere Arbeit von Lasch, The New Radicalism (1965); Trachtenberg, Critics (1976) sowie die Quellensammlungen von Hollinger, The American Intellectual Tradition (2006).

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gion und regionalistische Bewegungen größere Berücksichtigung.95 Hinzu kommen aus den späten achtziger und den neunziger sowie dem ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts mehrere kritische Studien über die Geschichte der Historiografie, inklusive raumbezogener Mythenbildung.96 Hierbei wurden im Zuge der New American Studies die verbreiteten Vorstellungen, es habe eine amerikanische Einheitskultur existiert, kritisch hinterfragt.97 Ins Blickfeld der HistorikerInnen gerieten seither auch neue Themenfelder, vor allem die Geschichte über Architektur, Kunst und Medien sowie der Massenkultur und Populärkünste bestimmter Klassen, Schichten und Ethnien.98 Zum einschneidenden Wandel im Verständnis der afroamerikanischen Kultur sowie der Populärkultur trugen insbesondere die in den späten 1980/90er Jahren veröffentlichten Studien von Lawrence W. Levine bei.99 Levine wies in vielerlei Zusammenhängen darauf hin, dass die Unterscheidung zwischen highbrow und lowbrow obsolet sei, und auch die Geschichtsschreibung dies in ihren Analysen berücksichtigen müsse.100 Die Historiografie über die amerikanische Nation erhielt, fünftens, Auftrieb durch das Aufzeigen der Verbindungslinien zwischen der Binnengeschichte und der nach außen gerichteten Geschichte des Landes101, die den amerikanischen Expansionismus kennzeichneten. Lange Zeit gehörte es zum amerikanischen Nationsverständnis, sich vom europäischen Imperialismus und Kolonialismus entschieden abzugrenzen, ja sich hierzu als historisches 95 Zu public memory: Kammen, Mystic Chords (1991); ders., Public History (1999); Wallace, Visiting the Past (1986); Bodnar, Remaking America (1992). Zur Religion siehe die Serien, verfasst oder herausgegeben von Marty, Modern American Religion (Bd. 2: 1991); ferner: Preston, Sword (2012); Hochgeschwender, Amerikanische Religion (2007); Lacorne, Religion (2011); Morone, Hellfire Nation (2003) und zur Zivilreligion siehe u. a. Jaeger, Amerikanischer Liberalismus (2001). Zum Regionalismus siehe u. a. Dorman, Revolt (1998); Kalaidjian, American Culture (1993). 96 Zur Geschichtsschreibung siehe Novick, That Noble Dream (1988); Molho/Wood, Imagined Histories (1998); Thelen, Making History (1998); Noble, The End (1985); Lingelbach, Klio (2003); Tyrrell, Historians (2005); ders., Making Nations (1999); Klose, Dogmen (2003) sowie die ältere Arbeit von Kammen, Selvages (1975). Zu Raum- und Landschaftsimaginationen siehe Hochgeschwender, Raum (2004); Mauch/Zeller, The World (2008). 97 Dazu siehe u. a. Lipsitz, American Studies (2001). 98 Auf die zahlreiche Literatur zu den einzelnen Themenblöcken muss verzichtet werden. Zur Einführung siehe u. a. Ickstadt, Modernisierung (1990). 99 Levine, The Opening (1996); ders., The Unpredictable Past (1993); ders., Highbrow (1988); Gorman, Left Intellectuals; siehe auch Kalaidjian, American Culture (1993); Fluck, Gibt es seine amerikanische Kultur? (2003). Für die 1930er Jahre: Denning, The Cultural Front (1997). 100 Dazu siehe Levine, Highbrow. 101 Kaplan, The Anarchy (2002); Eperjesi, The Imperialist Imaginary Visions (2005). Zur damaligen inneramerikanischen Debatte über internationale Beziehungen siehe auch Hendrickson, Union (2009); Hilfrich, Falling Back (1997).

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Gegenprojekt zu begreifen und die expansionistische (Kolonial-)Politik des frühen 20. Jahrhunderts demnach lediglich als eine Episode in der amerikanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts zu interpretieren. Erst gegen Ende des 20. Jahrhunderts setzten sich nicht zuletzt durch die New Americanists Neuinterpretationen durch.102 Diese verknüpften in ihren retrospektiven Analysen nicht nur den Rassismus im Inneren des Landes mit jenem im US-Empire, sondern auch die vom Frontier-Theorem geprägte Nationsbildung im Inneren mit der Empire-Bildung jenseits der Staatsgrenzen.103 Beide Male sei es angeblich um die Konfrontation zwischen Zivilisation und Barbarei gegangen.104 Verstärkt wurde auch der kulturelle Aspekt des Imperialismus herausgearbeitet.105 Unter dem Eindruck zunehmender Globalisierung machten sich 2002 die Autoren Michael Hardt und Antonio Negri in ihrer kritischen Gegenwartsanalyse erneut für die Verwendung des Begriffs Empire stark. Im Unterschied zum Imperialismus der europäischen Staaten habe das US-Empire „kein territoriales Zentrum der Macht“ geschaffen, sondern sei dezentriert und deterritorialisierend angelegt gewesen. Auch fehlten zeitliche und räumliche Grenzziehungen und Herrschaftsschranken. Gleichwohl verfüge das Ordnungssystem über große Zerstörungs- und Unterdrückungspotenziale. Es sei „in die Tiefen der gesellschaftlichen Welt“ eingedrungen und versuche sogar über „die menschliche Natur zu herrschen“.106 Zwar bezieht sich eine solche Interpretation des US-Empire nicht speziell auf das frühe 20. Jahrhundert, doch bleibt sie selbstredend nicht ohne Rückwirkung auf Forschungen auch über diese Phase der US-Weltpolitik. Sechstens kam die US-Nation bei jenen Forschern vermehrt ins Blickfeld, die sich mit den Postcolonial Studies beschäftigten. Insbesondere interessierte die Frage, ob und ggf. inwieweit die Ansätze der Postcolonial Studies auch für die Aufarbeitung der amerikanischen Nationsgeschichte im frühen 20. Jahr102 Pease, New Perspectives (1991); Smith, The American National Identity (1997); zur US-Chinapolitik siehe Künnemann/Mayer, Trans-Pacific Interactions (2009); zur „Dollar-Diplomatie“ siehe Rosenberg, Revisiting Dollar Diplomacy. 103 Dazu siehe Pease, New Perspectives (1991); Kaplan, Left Alone (1991); dies., The Anarchy (2002); siehe auch Bender, A Nation (2006). 104 Dazu siehe u. a. die Studien der Literaturwissenschaftlerin Kaplan, The Anarchy (2002) und des Historikers Jacobson, Barbarian Virtues (2002). Für die nationale Entwicklung der Vereinigten Staaten sei die imperiale Politik nach innen und nach außen bedeutsam gewesen, vor allem die Kriege von 1812, 1846 und 1898 sowie der Zug gen Westen. Eine Verbindungslinie wurde sogar bis zu den Vietnam- und Irakkriegen gezogen. 105 Siehe Tomlinson, Cultural Imperialism (1991); Pease/Kaplan, Cultures (1991); Hulme, Including America (1995). 106 Hardt/Negri, Empire, Vorwort, insb. 12 f. Die Autoren hoffen auf die Möglichkeit, die Empire-Strukturen umzugestalten und dadurch ein Gegen-Empire zu schaffen. Ebd. 13. Im Unterschied zu solchen kritischen Sichtweisen über Entstehung und Profil des amerikanischen Imperiums sehen heutzutage Konservative den Empire-Charakter der USA im Prinzip als etwas Gutes und Heilbringendes an.

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hundert von Belang sein können. Solche Fragen haben allerdings unter HistorikerInnen bisher kein großes Echo gefunden107, zumal sich die Postcolonial Studies fast ausschließlich auf die Analyse ehemaliger europäischer Kolonien beziehen. Soweit die USA überhaupt ins Blickfeld kommt, wie dies in den Arbeiten von Amy Kaplan und Donald E. Pease der Fall ist108, wird ihr Status als Kolonial- und Imperialmacht (nach innen und nach außen) kritisch beleuchtet. Zwar nicht im Gegensatz, aber im Unterschied dazu steht in der vorliegenden Studie eine andere postkoloniale Perspektive im Zentrum. Gemeint ist der zeitgleiche Abgrenzungsprozess der USA vom ehemaligen britischen Mutterland bzw. von Europa, wobei einige Literaturhistoriker bereits auf solche Tendenzen verwiesen haben.109 Siebtens kommen Vergleiche mit anderen Nationen ins Blickfeld, weil diese für den Nationsbildungs-Prozess eine wichtige Rolle spielten.110 An sich markieren Vergleichsstudien eine längst eingefahrene Forschungsmethode, doch im Falle der USA schwebt noch immer (bzw. schon wieder) die so genannte Exzeptionalismus-These im Raum. Sicherlich, auf den ersten Blick spricht auch heute noch viel für diese These über die unvergleichbare Einzigartigkeit der USA.111 Auf den zweiten Blick und vor allem aus methodologischer Sicht lassen sich bekanntlich zahlreiche Einwände erheben. Hatte sich die These von der amerikanischen Einzigartigkeit allmählich – vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg – als amerikanischer Exzeptionalismus in Publizistik

107 Vgl. Kaplan, Left Alone, 11 f. Im Fokus der Analyse postkolonialer Herrschaftsverhältnisse stehen Komplexität und Langlebigkeit wechselseitiger Beziehungen. Vgl. Kaplan, The Anarchy, 14 f. Zu den Ausnahmen gehört u. a. die Aufsatzsammlung, die Richard King unter dem Titel Postcolonial America (2000) herausgegeben hat. Vgl. auch Pease, New Perspectives (1991). 108 Kaplan, Left Alone (1991); Pease/Kaplan, Cultures (1991). Unter postkolonialem Aspekt gewinnen auch die auf das Konzept der Ethnizität bezogenen Chicano Studies an Gewicht. Ebd. 16 f. 109 Ashcroft u. a., The Empire, 16 (1989), insb. 133–140. Die Autoren betonen die große Bedeutung, die der Literaturproduktion bei der Suche nach nationaler Identität zukam. Vgl. auch Stratton, The Beast (2000), ferner die Analysen der Literaturhistoriker Ickstadt, The (Re)Construction (2000) und Zacharasiewicz, Atlantic Double-Cross (2000). 110 Siehe u. a. Finzsch/Schirmer, Identity (1998). 111 In diesem Zusammenhang werden oft genannt: die festverankerte Vorrangstellung des Individuums, der fehlende Sozialismus europäischer Prägung, die Befreiungsrevolution, die spezifische Siedlungskultur (Frontier-Theorem) und die kommunitären Wurzeln der Vergemeinschaftung. Ferner sei an die große Anzahl von African Americans und an die Vielzahl von Immigranten zu denken. Herausgestellt werden außerdem die immense Größe des Landes, die Verschiedenartigkeit der Bevölkerung, die recht eingeschränkte Rolle des Federal State-Apparates, der weithin fehlende Wohlfahrtsstaat, die soziale Mobilität sowie die amerikanische Zivilreligion, wonach die Amerikaner ein auserwähltes Volk Gottes mit einem universalen Missionsauftrag seien.

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und Fachwissenschaft zunächst fest etabliert112, so wurde das Theorem seit den sechziger Jahren hinterfragt, indem u. a. kritisch darauf hingewiesen wurde, dass Europa hierbei weiterhin als nicht reflektierte Norm diene. Dies habe sich sowohl auf die politische Kultur als auch auf die richtungsweisende Forschung negativ ausgewirkt.113 Außerdem wird immer wieder darauf verwiesen, dass auch andere Nationen, etwa Frankreich, ihre Einmaligkeit herausgestrichen haben.114 Ferner würde das Bild von der Einzigartigkeit eines Landes leicht dazu führen, fragwürdige Politikstrategien zu legitimieren und Vergleiche mit anderen Ländern abzuwehren, indem ein solches Ansinnen als methodisch höchst problematisch oder gar als unzulässig gelte. Ungeachtet der vielen Einwände, blieb das Exzeptionalismus-Theorem indessen latent bestehen und wird in diversen Ausformungen offenbar immer dann reaktualisiert, wenn die Einmaligkeit und die Unvergleichbarkeit der amerikanischen Nation hervorgehoben werden sollen.115 In der historischen Forschung hat sich, achtens, der Wind mittlerweile allerdings längst in eine andere Richtung hin gedreht. Im Zuge der Globalisierung gegenwärtiger Gesellschaften gewann in der Geschichtswissenschaft die Frage nach der historischen Entwicklung transnationaler Beziehungen an Gewicht. So gilt nunmehr das Hauptinteresse der Historiker einer transnationalen Geschichtsschreibung, bei der es um Verflechtungsgeschichte (histoire croisée), Relationsanalysen, transkulturell verbundene Wahrnehmungsstudien und kontextualisierte „offene Vergleiche“ geht. Vermehrt fällt deshalb der Blick auch auf transatlantische Beziehungen und Netzwerke, vor allem auf die vielfältigen Kommunikationsprozesse, die durch persönliche AkteursBegegnungen, Konferenzen und Schriftverkehr sowie publizistische Erzeugnisse entstanden.116 Beteiligt waren Reformer und Reformerinnen sowie alte 112 Nach dem Zweiten Weltkrieg belebte der bekannte Sozialwissenschaftler Seymour Martin Lipset die These vom amerikanischen Exzeptionalismus wieder. Den Kernpunkt seiner Argumentation bildete der amerikanische Glaube (creed) an die Grundwerte. Hierin seien die Vorstellungen darüber verankert, was eine gute Gesellschaft bedeute. Lipset, The First New Nation (1963). Die Studie diente ebenfalls einer Erneuerung des amerikanischen Nationalgedankens in einer Phase aufbrechender Gesellschaftsordnung. Aus jüngerer kritischer Perspektive siehe u. a. Rodgers, Exceptionalism (1998); Tyrrell, American Exceptionalism (1991); Nelles, American Exceptionalism (1997); Guggisberg, American Exceptionalism (1996); Nolan, Against Exceptionalism (1997); Patel, Jenseits der Nation (2004). Weitere Literaturangaben in: Burlin, The US Quest (2001). 113 Verschleiert oder „vergessen“ wurde auch häufig die Gewalt, die am Anfang der amerikanischen Nationalgeschichte stand. 114 Vgl. Thelen, Making History, 376 (1998). 115 Kaplan, Left Alone (1991). 116 Rodgers, Atlantic Crossings (1989); Thelen, The Nation (1999); Tyrrell, Making Nations (1999); Kelley, But a Local Phase (1999); Linden, Transnationalizing American Labor History (1999); Gabaccia, Is Everywhere Nowhere? (1999); siehe auch die empirische Studie von Hughes, American Genesis (1989); aus deutscher Perspektive Wala, Gegen eine Vereinzelung (2004).

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und neue Wissenschafts- und Sozialexperten diesseits und jenseits des Atlantiks.117 In den stark akteursbezogenen Studien über Immigranten und Immigrantinnen wurde die Transatlantizität ebenfalls in den Mittelpunkt gerückt.118 Auch die Sichtweise auf die offiziellen Träger von Außenpolitik und Diplomatie hat sich infolge der gesellschaftlich verankerten, akteursorientierten Schwerpunktsetzung gravierend verschoben.119 Denn die dem GovernanceTheorem geschuldete Blickerweiterung bezieht nunmehr informelle, steuerungsbewusste Akteursgruppen und Institutionen aus den Bereichen Kultur, Wirtschaft, Kunst und Sozialreform in Analysen über Außenpolitik und Diplomatie mit ein.120 Neuntens haben im Vergleich zu solchen transnationalen Ansätzen auf den ersten Blick jene Studien, die von Wahrnehmungen und Bildern über andere Nationen handeln, nicht so viel an attraktivem Neuigkeitswert zu bieten. Sie gelten zwar als legitim, aber irgendwie auch zeitlos. Doch das Erkenntnispotenzial ist groß. Schon 1963 erschien Strouts Arbeit über The American Image of the Old World, das auch heute noch einen guten Ausgangspunkt für thematisch verwandte Studien bietet. Ebenso blickte Daniel J. Boorstin bereits 1976 in seiner Studie America and the Image of Europe über den Atlantik und ermittelte hierbei wichtige Sachverhalte. Ansonsten findet man zu diesem Thema zahlreiche Einzelbefunde in der Literatur.121 Die enge Zusammenführung der US-amerikanischen Europa-Wahrnehmungen mit dem US-amerikanischen Nationsbildungs-Prozess, die in der vorliegenden Studie vorgenommen wird, verarbeitet solche Einzelbefunde in hoffentlich weiterführender Weise. Insgesamt zeigt sich, dass die Studien über US-Nationsbildungs-Prozesse zwar eine weitverzweigte und vielfältige Forschungslandschaft hervorgebracht haben, dass die Arbeiten aber zum einen jeweils stark sektoral, das heißt auf den gewählten Untersuchungsgegenstand bezogen bleiben, zum anderen nicht systematisch mit deren diskussionsbezogenen Auswirkungen auf die Beziehung zu Europa bzw. zu einzelnen europäischen Ländern verkoppelt

117 Vgl. u. a. Rodgers, Atlantic Crossings (1998); ders., Competing Modernities (2008); Harvey, The Nation (2010); Glaser/Wellenreuther, Bridging the Atlantic (2002). 118 Siehe u. a. Hoerder, From Ethnic Enclaves (2006). 119 Siehe vor allem Iriye, Culture (1991); dies., Cultural Internationalism (1997); GienowHecht, Introduction (2003); dies., Sound Diplomacy (2009); Berg/Gassert, Deutschland (2004). 120 Das Governance-Konzept, wie es hier und in den folgenden Ausführungen verwendet wird, lenkt das Augenmerk nicht allein auf die offiziellen Autoritäten und auf hierarchisch von oben nach unten laufende Willensbildungsprozesse in Form von government, sondern auch auf zivilgesellschaftliche Ordnungs- und Steuerungskräfte (governance). Siehe u. a. Morris, Governance. 121 Siehe u. a. Glaser-Schmidt, Between Hope (1997); Nagler, From Culture.

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wurden.122 Umgekehrt hat die Forschung über amerikanische Europa-Bilder bisher meist auf eine systematische Bezugnahme zum US-NationsbildungsProzess verzichtet. Offensichtlich gibt es noch keine Zusammenschau der beiden an sich eng verbundenen Themenfelder unter der Fragestellung, wie das Verhältnis zu dem vertrauten, aber doch auch als Alterität wahrgenommenen Europa beschaffen war und wie die US-amerikanischen Reaktionen zu dem dort aufblühenden Antiamerikanismus ausfielen und medial aufbereitet, diskutiert sowie mit dem selbstbezogenen Nationsbildungsprozess verwoben wurden.123 So geht die vorliegende Studie in zweierlei Hinsicht über die schon existierende Literatur hinaus. Erstens wurden zahlreiche Texte sowohl auf ihre etwaigen Bezüge zu Europa als auch auf die amerikanische Nationsbildung durchgesehen und einer vernetzten Analyse unterzogen. Zweitens verbreitert die Arbeit das Diskursfeld, da zahlreiche Texte von Autoren und Autorinnen berücksichtigt werden, die bislang in der Literatur weniger Beachtung gefunden haben. Gerade bei einem solchen Thema sind überdies Kontextualisierungen und das Aufzeigen von Verbindungslinien und Verknüpfungen zwischen diversen Diskurssträngen notwendig, um Spannbreite und Gewebedichte der Vorstellungen zu vermessen, die sowohl die EuropaBilder als auch die US-Nationsbildung betrafen. In diesem Sinn soll aus amerikanischer Perspektive zur „transatlantischen Geschichtsschreibung“ beigetragen werden.

122 So fehlt in zahlreichen Indices thematisch einschlägiger Sekundärliteratur meist das Stichwort „Europa“. 123 Dass die Rolle der Medien in den transatlantischen Beziehungen generell noch unzureichend erforscht sei, bestätigen Wiener/Hampton, Introduction (2007).

TEIL I Teil I beschreibt die Profile jener amerikanischen Qualitätsmagazine, die zur gehobenen, landesweit agierenden Publizistik zählten. Sie übten zentrale Funktionen als nation builders und als transatlantische Brückenköpfe aus. Dazu gehören die Reaktionen auf den europäischen Antiamerikanismus. Dieser veranlasste zahlreiche Herausgeber und Autoren auf der Basis ihrer transatlantischen Netzwerke mannigfache Übersetzungsarbeiten zu leisten, die Differenzen zwischen den USA und dem Alten Kontinent zu artikulieren sowie neue transatlantische Verknüpfungspotenziale aufzuzeigen.

1 US-NATION BUILDERS: DIE QUALITÄTSMAGAZINE „America is par excellence the land of magazines“, meinte Frederick Lewis Allen, Mitherausgeber der Zeitschrift Harper’s Magazine, in seinem Rückblick aus dem Jahre 1941.1 Von diesem großen publizistischen Feld der Magazine trennte sich allerdings das kleine Feld der so genannten Qualitätsmagazine (quality magazines) ab, das in den folgenden Ausführungen im Mittelpunkt steht.2 Die Medienforschung hat bekanntlich viel der Bourdieu’schen Feldtheorie zu verdanken. Inspirierend ist vor allem, dass der französische Soziologe das Feld als einen sozialen Raum mit eigenen Handlungslogiken begreift und objektiv vorhandene Strukturen mit der Vorstellung individueller Strukturierungsmöglichkeiten verknüpft. Er lenkt das Augenmerk auf die Positionierung von Akteuren und ihrer Kulturprodukte innerhalb des Feldes und insistiert dabei auf die Relationalität solcher Positionierungen. Er beleuchtet das Procedere von Anerkennung und Nicht-Anerkennung sowie von Kohärenz und Konkurrenz innerhalb des Feldes. Infolgedessen betrachtet er das Feld als Kräfte-Areal und spart dabei den Aspekt von Macht und Hierarchie nicht aus. Schließlich verweist er auf die relative Autonomie eines Feldes gegenüber anderen Feldern.3 Innerhalb eines solchen Feldes, das sich durch eine zeitspezifische relationale Konfiguration auszeichnet, handeln Akteure auf der Basis ihres Habitus mit dem ihnen zur Verfügung stehenden ökonomischen, sozialen und kulturellen Kapital. Akteure verschieben dabei ihre eigenen Positionierungen wie auch die ihrer Konkurrenten, wodurch in vielen Fällen die relationale Konfiguration des Feldes verändert wird. Bourdieu begreift das Feld deshalb als bewegliches Kräfte-Areal, auf dem die Herausgeber und Autoren um ihre bestmögliche Platzierung kämpfen. Eine Reihe von empirisch einschlägigen

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Allen u. a., American Magazines, 439. Genau genommen handelt es sich um ein Subfeld. Die Bezeichnung der einzelnen Felder hängt vom jeweiligen Forschungsziel ab. So spricht Bourdieu zwar oft von größeren Feldern, wie dem literarischen, künstlerischen oder intellektuellen Feld, doch nennt er auch branchenspezifische Felder, etwa das Feld der Verlage oder Galerien. Über die spannungsreichen Relationen zwischen dem von den Populärmagazinen dominierten Feld der Magazine und dem (Sub-)Feld der Qualitätsmagazine siehe auch Saldern, USAmerikanische Magazine. Siehe u. a. Bourdieu, Kunst; ders., Das intellektuelle Feld; ders., Rede; ders., Klassenstellung; ders., Das literarische Feld; vgl. u. a. Wuggenig, Das Arbiträre; Johnson, Pierre Bourdieu; Jurt, Das literarische Feld; Pinto, Feldtheorie.

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1 US-Nation Builders: Die Qualitätsmagazine

Studien ermöglicht im Folgenden eine Skizze über das Kräfte-Feld der Qualitätsmagazine zu zeichnen.4 1.1 „REVOLUTION DER MAGAZINE“. FELDVERSCHIEBUNGEN UND ABGRENZUNGEN Die 1880/90er Jahre werden in der Literatur als Phase einer Zeitschriftenrevolution (magazine revolution) gekennzeichnet. So existierten im Jahre 1903 laut einer Statistik 21.000 periodicals, angeblich mehr als in ganz Europa.5 Zusammen mit den Zeitungen betrug die Auflagenhöhe 1914 rund 200 Millionen Exemplare.6 Drucktechnische Innovationen, die Verbesserung der Infrastrukturen und eine Ausweitung lesewilliger Mittelschichten hatten den Radius der Printmedien wesentlich vergrößert.7 Durch die Revolution der Magazine entstand auch das Feld der Qualitätsmagazine. Die Revolution der Magazine war nämlich nicht nur mit einer quantitativen Ausweitung der Zeitschriften, sondern auch mit erheblichen Verschiebungen innerhalb des gesamten publizistischen Feldes verbunden. Den quantitativ überschaubaren Abnehmerkreis früherer Zeit hatten vor allem Harper’s, Century8, Scribner’s9 und Atlantic Monthly bedient. Diese Zeitschriften wurden oft als General Magazines bezeichnet, wozu auch das 1865 gegründete Magazin The Nation zählte. In den 1880er und 1890er Jahren drängten sich indessen neue Magazine ins publizistische Feld.10 Diese waren zum großen Teil von Anfang an bereit, dem Kommerzialisierungstrend sowie dem Massengeschmack nachzukommen, etwa die 1893 gegründete Zeitschrift McClure’s, ferner die 1886 ins Leben gerufene und 1905 von William Randolph Hearst aufgekaufte Zeitschrift Cosmopolitan sowie die seit 1889 er4

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Als „Klassiker“ auf dem Gebiet der amerikanischen Zeitschriften-Forschung gelten Mott, A History; Peterson, Magazines; Emery/Emery, The Press; Tebbel/Zuckerman, The Magazine; Wood, Magazines. Wertvolle Hinweise findet man u. a. bei May, The End. Münsterberg, The Americans, 455. Darunter befanden sich rund 2.300 Tageszeitungen (dailies). Der Rest entfiel auf Zeitschriften, die wöchentlich, monatlich oder quartalsweise erschienen. Macy, Journalism, 35. Macy war als Mitherausgeber bei der Zeitung Boston Herold für den Bereich Literatur zuständig. Ohmann, Selling Culture, 340; Trachtenberg, Critics, 5. Der Name der alten Zeitschrift Scribner’s Magazine (1870–1881) wechselte 1881 in Century. Hiermit ist die neue Zeitschrift Scribner’s Magazine (1887–1939) gemeint. Allerdings gab es in dieser Phase keine politische Zeitschrift für und von Frauen, die für das Frauenwahlrecht kämpfte und gleichzeitig eine nennenswerte Verbreitung fand. Die bekannteste Zeitschrift Woman’s Journal erreichte „lediglich“ eine 5.000er-Auflage. Die von Margaret Sanger 1914 gegründete Zeitschrift Women Rebel stellte ihr Erscheinen nach kurzer Zeit wieder ein. Biel, Independent Intellectuals, 118.

1.1 „Revolution der Magazine“. Feldverschiebungen und Abgrenzungen

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schienene Zeitschrift Munsey’s Magazine. Schließlich existierten im Jahre 1929 in den USA rund 5.000 Magazine. Die älteren Zeitschriften passten sich auf verschiedene Weise dem neuen Zeitgeist an. So mutierte beispielsweise die Qualitätszeitschrift The Outlook (1870/1893–1928) von einem religiös-baptistischen Magazin zu einer familienorientierten Populärzeitschrift, die für einen liberalen Protestantismus und für Sozialreformen eintrat.11 Ellery Sedgwick rettete als Herausgeber das Magazin Atlantic Monthly, indem er seit den 1910er Jahren häufiger Artikel veröffentlichte, die bei den Lesern und Leserinnen auf menschliches Interesse stießen.12 Harper’s Magazine griff zum Teil die gleichen Themen auf, die auch viele Seiten der Populärmagazine füllten, insbesondere Familie, Sex und Ehe. Allerdings bereiteten die Autoren und Autorinnen solche Themenfelder in anderer Weise und auf höherem Niveau auf als in den Populärmagazinen üblich. An publizistischem Gewicht gewannen einige Zeitschriften in der Progressive Era auch infolge des damals neuartigen, recht populären investigativen Journalismus (muckraking) mit seiner scharfen kapitalismuskritischen Rhetorik, welche die Aufdeckung diverser Skandale in den großen Trusts begleitete. Eine weitere Verschiebung auf dem publizistischen Feld lösten die Boulevardzeitungen (tabloids) aus, weil sich die Tageszeitungen infolge dieser neuen Konkurrenz veranlasst sahen, ihre eigene Position durch Profiländerung zu sichern. So öffneten sich die Zeitungen, die ursprünglich als die wichtigsten Meinungsbildner (organs of opinions) im Lande galten und 1914 auf rund vierzig Millionen Exemplare allein in den Großstädten geschätzt wurden13, ebenfalls mehr dem Publikumsgeschmack. Zudem hingen sie immer stärker von Anzeigen ab und waren damit Einflussnahmen aus der Wirtschaft ausgesetzt.14 Die durch Publikumsgeschmack und Anzeigen verursachten relationalen Verschiebungen innerhalb des gesamten publizistischen Feldes kamen dem Ansehen der Qualitätsmagazine zugute, weswegen sie ihrerseits auch die kleinen, themengebundenen Broschüren, die bis dahin im Umlauf waren, erfolgreich vom Markt verdrängen konnten.15 Die genannten Veränderungen auf dem publizistischen Feld führten schließlich – ungeachtet aller fließenden Übergänge – zu einer relativen Absonderung der Qualitätszeitschriften sowohl von den Zeitungen als auch von den Populärmagazinen. Der Anspruch der Qualitätsmagazine auf intellektuelle Führerschaft im amerikanischen Journalismus zeigte sich beispielsweise, als die Redaktionen der Zeitschriften The Nation und The New Republic die Boulevardzeitungen als einen Beleg für die Degradierung des Journalismus 11 12 13 14 15

Mott, A History, Bd. 3, 422 f., 432. Allen u. a., American Magazines, 443. Macy, Journalism, 35. Zeitgenössische Kritik an diesen Feld-Verschiebungen äußerte Macy, Journalism. Münsterberg, The Americans, 455.

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1 US-Nation Builders: Die Qualitätsmagazine

bezeichneten und deren indirekte Einflussnahme auf die Tagespresse bedauerten.16 Doch auch andere Faktoren unterschieden die Qualitätsmagazine von den Zeitungen. Während sich in den 1920er Jahren in den Zeitungsredaktionen der so genannte objektive Journalismus (objective journalism) durchsetzte, bei dem strikt zwischen meinungsbildendem editorial und einer „objektiven“ Berichterstattung unterschieden wurde, bekannten sich die Redaktionen der Qualitätsmagazine von vornherein zu einem so genannten interpretativen Journalismus (interpretative journalism). Frederick Lewis Allen, langjähriger Mitherausgeber von Harper’s, sah aus der Retrospektive die Aufgabe der Qualitätsmagazine auch darin, ihre Artikel interessanter zu gestalten und die Neuigkeiten besser auszuwählen und aufzubereiten als die Presse.17 Diskussionen und Interpretationen von wichtigen Angelegenheiten sollten in den Qualitätsmagazinen zudem umfassender als in Zeitungen ausfallen, jedoch nicht so ausführlich wie in Büchern.18 Zwischen den Qualitätsmagazinen auf der einen Seite und den Populärmagazinen auf der anderen Seite kam es ebenfalls zu Grenzziehungen. Von Frederick Lewis Allen, einem der bekannten Publizisten, ist beispielsweise überliefert, dass er auf die publikumsorientierten Kollegen in den Redaktionen der Populärmagazine von oben herabschaute.19 Überliefert ist auch, dass Edward William Bok, der Herausgeber des höchst erfolgreichen Populärmagazins Ladies’ Home Journal, von einem Autor der Zeitschrift The Nation zu hören bekam, seine Kritik an Amerika sei immer trivial, und deshalb habe er als ein „Genius für Banalitäten“ zu gelten.20 Auch bei der Aufmachung der Zeitschriften trachteten die Qualitätsmagazine danach, sich von den Populärmagazinen zu unterscheiden. Die alte Zeitschrift The Nation, die 1922 den Untertitel A weekly journal devoted to Politics, Literature, Science, Drama, Music, Art, Finance21 trug, war fürs Auge wenig ansprechend gestaltet. Die Zeitschrift sah indessen gerade hierin ihr Markenzeichen.22 Ähnlich agierte die Redaktion der Zeitschrift The New Republic, des führenden Organs „progressiver“ Intellektueller. Die Zeitschrift hatte sogar noch in den dreißiger Jahren ein recht traditionelles Dekor.23 Und 16 17

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Nach Murphy, Tabloids, 60. Nach Tebbel/Zuckerman, The Magazine, 199. Eine Aufsehen erregende Abgrenzung von den Zeitungen erfolgte, als die Magazine The Nation und The New Republic herausstellten, wie ungenau die Berichterstattung der New York Times über die Russische Revolution gewesen sei. The Nation v. 6.3.1920 und The New Republic v. 4.8.1920. Nach Macy, Journalism, 49. Nach Tebbel/Zuckerman, The Magazine, 199. Ebd., 200. I. B […], „A Genius for Banality“, in: The Nation (Dezember 1920), 783 f. Vermutlich handelte es sich um den New Humanist Irving Babbitt. Seit 1925 stand im Titel nicht mehr Finance sondern Economy. Gannett, Villard’s „Nation“. Wickenden, The New Republic Reader, 7.

1.1 „Revolution der Magazine“. Feldverschiebungen und Abgrenzungen

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Harper’s ließ Abbildungen seit 1925 ganz wegfallen, weil diese, wie es hieß, zu teuer seien.24 Eine weitere Abgrenzung der Qualitätsmagazine zu den Populärmagazinen entstand infolge der im Lande um sich greifenden Kommerzialisierungstendenzen. Denn im Unterschied zu den Populärmagazinen verzichteten die Qualitätsmagazine weitgehend auf Werbeanzeigen als relevante Einnahmequelle. Allenfalls Anzeigen von Büchereien und Schulen sowie von Druckerzeugnissen und Reisen wurden akzeptiert.25 Kein Wunder, dass viele Qualitätsmagazine früher oder später mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen hatten, vor allem dann, wenn das Anfangskapital trotz des kulturellen und sozialen Ansehens der jeweiligen Gründer schlicht zu gering bemessen war.26 Manche Herausgeber verfügten allerdings durchaus über ausreichend eigene Finanzmittel, beispielsweise Oswald Garrison Villard, der Herausgeber der Zeitschrift The Nation, Sohn und Erbe eines Eisenbahnbau-Unternehmers. Aus Eisenbahngeschäften stammte auch das Kapital von George Harvey, mit dem dieser die konservative Monatszeitschrift North American Review kaufte.27 Der langjährige Herausgeber der Zeitschrift Outlook, Lyman Abbot, war offensichtlich ebenfalls finanziell in der Lage, die meisten Anteile am Verlag des Magazins zu erwerben.28 Manchmal finanzierten auch Buchverleger die Zeitschriften, wie Alfred Knopf, der so die Gründung des Magazins American Mercury mit H. L. Mencken als Herausgeber ermöglichte. Nicht selten halfen außerdem Sponsoren bei der Finanzierung von Zeitschriften. Häufig waren es Philanthropen, etwa Helen Swift, die Ehefrau des in England geborenen Francis Neilson, die hauptsächlich die Zeitschrift Freeman unterstützte.29 Das reiche Ehepaar William und Dorothy Straight sponserte die reformorientierte Zeitschrift The New Republic, um damit ihrem sozialen Gewissen Ausdruck zu verleihen.30 Doch gleichgültig ob Selbstfinanzierung oder Sponsorenfinan24

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Allen u. a., American Magazines, 443. Seit der Jahrhundertwende versuchten allerdings diverse Magazine, insbesondere Scribner’s, Kunstwerke abzubilden, um so den Kunstgeschmack der akademischen Mittelschichten zu formen. Dies geschah auch durch Illustrationen, die von Künstlern stammten, etwa von Howard Pyle. Das Magazin Literary Digest entschied sich zumindest für ein illustriertes Deckblatt und reproduzierte zu diesem Zweck bekannte Gemälde. Erst in der Zeitschrift Life, die 1936 von Henry Luce gegründet wurde, kamen große Fotoreportagen zum Einsatz. Siehe z. B. The Forum (März 1931), XXXIV, XXXV. Die Höhe des benötigten Startkapitals schwankte beträchtlich: DeWitt Wallace, der Gründer der Zeitschrift The Reader’s Digest, lieh sich lediglich 5.000 Dollar. Briton Hadden und Henry Luce brauchten hingegen für die Gründung der Zeitschrift Time ein Kapital von 86.000 Dollar. Zur Gründung dieses Magazins siehe Tebbel/Zuckerman, The Magazine, 162. George Harvey war vorher Mitherausgeber von Joseph Pulitzers höchst angesehener Zeitung New York World (1860–1931). Peterson, Magazines, 157. Ebd., 404. Tebbel/Zuckerman, The Magazine, 123.

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1 US-Nation Builders: Die Qualitätsmagazine

zierung, die Finanzmittel, die den Redaktionen zur Verfügung standen, reichten zwar, waren aber meist knapp bemessen.31 Ungeachtet der Finanzausstattung einer Zeitschrift sorgten Neugründungen per se für konkurrierende Bewegungen im Feld. Oswald Garrison Villard begrüßte als Herausgeber der Zeitschrift The Nation 1920 das neue Magazin Freeman im Lager des liberalen Journalismus. Sein Herausgeber Albert Jay Nock, vorher selbst Mitherausgeber der Zeitschrift The Nation, widersprach dem freilich selbstbewusst: „You make your appeal to the liberals; we make ours to the radicals.“32 Neue Konkurrenz machte auch Henry Luce, als er 1923 die auf Kurznachrichten spezialisierte Wochenzeitschrift Time gründete, die 1929 schon eine Auflage von 200.000 Stück erreichte. Gemeinsam mit der 1933 ins Leben gerufenen Zeitschrift Newsweek überrundeten beide alsbald insbesondere die Zeitschrift Literary Digest, da die neuen Blätter lebendiger und frischer in der Art der Darstellung waren als Literary Digest.33 Ein dauerhafter Geschäftserfolg war keinem Qualitätsmagazin sicher, zumal sich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs auch die Kosten für Produktion und Versand erhöhten.34 Die schwierige Geschäftslage vieler Qualitätszeitschriften resultierte meist aus den relativ niedrigen Verkaufs- und Abonnentenzahlen. Während die Populärmagazine schon 1913 Auflagen in Höhe von 320.000 (American) bis fast zwei Millionen Exemplaren (Saturday Evening Post) erreichten35, beliefen sich die Auflagen der Qualitätsmagazine meist nur zwischen 30.000 bis 100.000 Stück. Allein Harper’s Magazine kam 1925 auf 125.000 Exemplare, und die 1857 gegründete, literarisch orientierte Zeitschrift

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Die geschäftlichen Probleme, vor denen zahlreiche Qualitätsmagazine standen, führten immer wieder zu Zusammenlegungen, das heißt, die schwächeren Magazine wurden von stärkeren übernommen. Dadurch blieben die Strukturen des Feldes recht fluide. Century verband sich wegen schlechter Geschäftsergebnisse beispielsweise 1930 mit der Zeitschrift The Forum, und diese Zeitschrift wurde 1940 von der Zeitschrift Current History aufgekauft. Die 1900 gegründete, recht angesehene Populärzeitschrift The World’s Work ging 1932 mit der Zeitschrift Review of Reviews zusammen, die ihrerseits 1937 von der Zeitschrift Literary Digest geschluckt wurde, bis Letztere 1938 ebenfalls ihren Betrieb einstellen musste. Näheres bei Peterson, Magazines, 152; Emery/Emery, The Press, 340. Heuvel, The Nation, 520. Peterson, Magazines, 328; Mott, A History, Bd. 4, 577. Die Zeitschrift Time erhielt allerdings schon 1925 ihrerseits Konkurrenz durch den New Yorker, eine Zeitschrift, welche Time auf einer in Relation zur eigenen Stellung niedrigeren Position im Feld platziert sehen wollte. So hieß es in einem Prospekt des neuen Magazins New Yorker, einige Leute verträten die Meinung, dass die Zeitschrift Time doch „too inaccurate, too superficial, too flippant and imitative“ sei. Tebbel/Zuckerman, The Magazine, 173, 220. Auch jeder Wechsel in der Redaktion war recht riskant. Tebbel/Zuckerman, The Magazine, 99. Schneirov, The Dream, Anhang 1.

1.2 Mediale Praktiken und gesellschaftliche Funktionen

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The Atlantic Monthly erreichte 1920 immerhin eine Auflage von 95.000.36 Das Magazin Literary Digest übertrumpfte allerdings alle anderen Magazine infolge seines Geschäftsmodells, Artikel aus anderen Zeitschriften zusammenzustellen und zu veröffentlichen: Im Jahre 1909 betrug dessen Auflage 200.000 und 1927 1,5 Millionen Exemplare. Die Zeitschrift The Reader’s Digest verzeichnete auf Grund eines ähnlichen Geschäftsmodells ebenfalls einen rasanten Aufstieg. Sie begann mit 7.000 Exemplaren im Jahre 1922; die Auflage kletterte dann bis 1929 auf 109.000 Stück und erreichte 1935 bereits die erste Million. Hingegen erzielte das höchst angesehene Intellektuellen-Blatt Dial 1918 nur eine Auflage von 10.000.37 1.2 MEDIALE PRAKTIKEN UND GESELLSCHAFTLICHE FUNKTIONEN Magazine stellten Angebote zur Interpretation von Problemen und Ereignissen zur Verfügung und trugen zur Orientierung im Umgang mit sozialen Zuständen und gesellschaftlichem Wandel bei.38 In Richard Ohmanns Worten: „Journalism mapped the social world, situated readers in it, instructed a new class in its navigation.“39 Die Magazine vermittelten erstens zwischen Experten- und Laienwissen. Auf diese Weise vergrößerten und vereinheitlichten sie das Areal eines allgemein verfügbaren „sozialen Wissensstands“, wie dies auch der bekannte So36

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Tebbel/Zuckerman, The Magazine, 201. Die Zeitschrift The Nation erreichte 1919 eine Auflage von 60.000 Exemplaren, während die Auflage in den vorhergegangen und nachfolgenden Jahren geringer war. The New Republic kam in den Jahren zwischen 1917 und 1920 auf eine Auflage von 30.000 bis 43.000 Exemplaren; die Auflage sank indessen in den zwanziger Jahren beträchtlich, schätzungsweise auf 14.000. Das einzige Magazin für Literaturkritik, die 1924 in New York gegründete Zeitschrift The Saturday Review of Literature, zählte 25.000 Exemplare; die Zeitschrift North American Review hatte 1924 nur eine Auflage von 13.000 Exemplaren. Die Zeitschrift Outlook musste in den zwanziger Jahren erhebliche Verkaufseinbußen hinnehmen: Während sie vor dem Krieg noch eine Auflage von 125.000 Exemplaren zählte, waren es 1928 nur mehr 85.000. Die Zeitschrift American Mercury erzielte 1926 immerhin eine Auflage von 75.000 Exemplaren. Das Magazin Century fiel von 150.000 Exemplaren im Jahre 1906 auf 20.000 Exemplare im Jahr 1930. Die Zeitschrift Crisis, primär das Journal der ersten bedeutenden afroamerikanischen Bürgerrechtsorganisation N. A. A. C. P. zählte 1915 35.000 verkaufte Exemplare. Die Angaben über die Auflagenzahlen der einzelnen Zeitschriften variieren allerdings in der Literatur. Diverse Zahlen in: Tebbel/Zuckerman, The Magazine, 137, 204; Peterson, Magazines, 147, 151, 157, 407; Mott, A History, Bd. 5, 4; Seideman, The New Republic, 62, 82. Mott, A History, Bd. 3, 542 f. Vgl. auch I. A. Richards, „The Changing American Mind“, in: Harper’s Magazine (Januar 1927), 239–245, 241. Ohmann, Selling Culture, 287.

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1 US-Nation Builders: Die Qualitätsmagazine

zialphilosoph John Dewey damals forderte.40 Die Wissensverbreitung durch Medien sei umso wichtiger, da, wie Dewey meinte, es einerseits der Gesellschaft an ausreichendem gemeinsamem Wissen fehle, andererseits öffentliche Urteilsfindung ein solches Wissen voraussetze.41 Durch Übersetzungen des Expertenwissens in eine allgemein verständliche Sprache trugen die Zeitschriftenautoren dazu bei, ein gemeinsames Wissensarsenal (common body of knowledge) über die Grundfragen der Zeit, nicht zuletzt in transnationaler Perspektive, zu vermitteln.42 Verschiedentlich förderten die Zeitschriftenredaktionen das Wissensareal ihrer Abonnenten auch durch partizipatorische Angebote: So ermunterte die Redaktion der Zeitschrift The Forum Anfang der dreißiger Jahre ihre Leser, bestimmte Begriffe zu erläutern, etwa was unter einem zivilisierten Menschen zu verstehen sei, wer als ein Held (hero) bezeichnet werden solle, was als Erfolg gelten könne und wie Americanism und Sozialism zu deuten seien. Die besten Antworten wurden dann jeweils prämiert und veröffentlicht.43 Der bekannte Sozialphilosoph William James sah im Bestreben der Magazine, das soziale Wissen ihrer Leserschaft zu erweitern, die Folge einer kulturellen Verschiebung innerhalb des intellektuellen Feldes: Nicht mehr die Universitäten seien es, sondern eben die Zeitschriften, die als erstrangige Deutungsinstanzen der Gesellschaft Geltung erlangt hätten.44 So verwundert es nicht, dass Personen aus diversen Fachdisziplinen und Kultursparten in den Qualitätsmagazinen gerne Beiträge verfassten und auf diese Weise ihr Wissen verbreiteten. Die US-Magazine fungierten zweitens als mediale Kontakt- und Kommunikationszonen45 zwischen Europa und den USA. Hierin konnten Europäer und Amerikaner unterschiedliche Positionen, Vorstellungen und Interessen zum Ausdruck bringen, wodurch sich unter Umständen auch vorhandene Stereotype über das eigene und das jeweilige europäische Land verflüssigen ließen.46 Eine solche Kommunikationsfunktion der amerikanischen Qualitätsmagazine erhielt gerade in den USA eine große Bedeutung, weil es in diesem Land keine staatlichen Ansprechpartner gab, die sich für die Organisation eines transatlantischen Kulturaustausches zuständig fühlten und folglich solche 40 41 42 43 44 45

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Dewey, Die Öffentlichkeit, hier Nachwort v. Hans-Peter Krüger, 208. Dewey, Die Öffentlichkeit, 153. Susman, Culture, 113. Siehe z. B. The Forum (März 1931), XXXV. Nach Tebbel/Zuckerman, The Magazine, 120. James verwies dabei auf die Zeitschrift McClure’s. Mary Louise Pratt hat den Begriff „Kontaktzone“ im kolonialen Kontext geprägt. Ihr geht es um die Begegnung zwischen Kolonialherren und Eingeborenen. Pratt, Apokalypse; dies., Imperial Eyes. – Hinsichtlich der transatlantischen Kommunikation wird der Begriff auf die Magazine und die dort aufeinanderstoßenden Auffassungen und Deutungen transatlantischer Kulturdifferenzen bezogen. Dazu siehe auch die Einleitung des zweiten Kapitels.

1.2 Mediale Praktiken und gesellschaftliche Funktionen

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Aufgaben den privaten Initiativen oblagen.47 Bereits in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg widmeten sich Magazine stärker als zuvor ökonomischen und politischen Problemen anderer Länder, während bis dahin hauptsächlich traditionell aufbereitete Reiseberichte Auskünfte über Europa gegeben hatten.48 Nach dem Ersten Weltkrieg kam der Berichterstattung aus europäischen Ländern erhöhte Bedeutung zu. Entsprechende Texte begannen häufig mit einem Blick auf ganz Europa, um im Anschluss daran nach Ländern zu differenzieren. How Can Europe Be Saved fragte 1922 beispielsweise der Ökonom John F. Sinclair besorgt, um dann das wirtschaftliche Desaster in den einzelnen Ländern, inklusive Großbritannien und der Sowjetunion, zu schildern.49 Eine dritte Funktion der Magazine bezog sich auf die Nationsbildung. Auch die amerikanische Regierung war sich über die Relevanz der Magazine als Nationsbildner im Klaren und hatte nicht zuletzt deswegen 1879 per Gesetz die Postgebühren für den Zeitschriftenversand gesenkt. Der stetige Ausbau der Verkehrsmittel und -wege erleichterte ebenfalls die landesweite Verbreitung von Printmedien. Die Magazine profitierten davon mehr als die Zeitungen, weil letztere vielfach einen stärker regionalen und lokalen Bezug hatten.50 Die Qualitätsmagazine beförderten hingegen allein durch ihre über die ganzen Vereinigten Staaten verteilten Exemplare das nationale Zusammengehörigkeitsgefühl auf medialer Ebene und bewirkten die nationsweite Verbreitung von Standpunkten bzw. unterstützten nationale Selbstreflexionen und Kommunikationsprozesse. Kurzum: „The national magazine played the role as one of the most powerful influences in the nationalizing of the American thought and custom and the increasing unification of the United States around 1900.“51 Und da sich im frühen 20. Jahrhundert die Diskurse über Nation und nationale Identität im ganzen Land intensivierten, erhöhte sich auch die Bedeutung der Qualitätsmagazine – ungeachtet aller darin geäußerten Kritik an amerikanischen Verhältnissen.52 Die Qualitätsmagazine, aber auch einige Populärmagazine, zeigten sich, viertens, in der Progressive Era der Jahrhundertwende vor allem für soziale Verbesserungen aufgeschlossen und standen als einflussreiche Öffentlichkeitsforen für Reformer und Reformerinnen zur Verfügung53, auch wenn dabei die Unterstützung der Frauenwahlrechtsforderungen und anderer Frauen47

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Dexheimer, Die deutsch-amerikanischen Kulturbeziehungen. In Deutschland hingegen war es vor allem die Kulturabteilung des Auswärtigen Amtes, die solche Aufgaben übernahm. Tebbel/Zuckerman, The Magazine, 84. Dazu siehe auch das zweite Kapitel. John F. Sinclair, „How Can Europe Be Saved?“, in: The Nation (Januar 1922), Kurzform in: The Reader’s Digest (April 1922), 185 f. Der Autor war ein Banker aus Minnesota, der hier Eindrücke von einer Europa-Reise wiedergab. Zuilen, The Life Cycle, 12. Ebd. Czitrom, Media, 119 f. Schmidt-Gernig, Reisen, 9.

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1 US-Nation Builders: Die Qualitätsmagazine

Reformvorhaben eher dürftig ausfiel.54 In den zwanziger Jahren taten sich die Qualitätsmagazine trotz der zunehmenden Akzeptanz öffentlicher Kritik55 schwerer als vor dem Krieg, soziale Probleme und Reformanliegen der Öffentlichkeit nahe zu bringen. Stattdessen bestand große Nachfrage nach Orientierungen über den Wandel von Moral und Sitte. Nachgelassen hatte im Vergleich dazu der beschwingte Reformgeist der Progressive Era angesichts der Konstellationsveränderung, die nicht zuletzt den republikanischen Regierungen geschuldet war. Da die (links-)liberalen Qualitätsmagazine in den zwanziger Jahren jedoch beträchtliche Wirkkraft auf die politische Meinung der weißen liberalen Mittelschichten ausübten, mussten diese selbst von Andersdenkenden, inklusive des republikanischen Regierungsapparats, zur Kenntnis genommen werden. Die Zeitschriften kritisierten auch die Plutokratie, die Korruptionsfälle sowie Kapitalkonzentrationen, volkswirtschaftliche Planungsdefizite und gesellschaftliche Missstände, insbesondere während der Zeit der Großen Depression gegen Ende der zwanziger Jahre, so Harper’s, The Forum, Atlantic Monthly und Scribner’s Magazine.56 In dieser Hinsicht fungierten die liberalen Zeitschriften deshalb als mediale Brücke zwischen dem transatlantisch orientierten Reformliberalismus der Progressive Era und dem ebenfalls am transatlantischen Erfahrungsaustausch interessierten Staatsinterventionismus des New Deal der dreißiger Jahre.57 Qualitätszeitschriften verstanden sich fünftens als Forum, das die Einübung in demokratische Prozesse förderte. „At its most democratic, the journal of opinion provides a forum where intellectuals […] explore unconventional political and cultural positions and work to expand the boundaries of contemporary public debate.“58 Diese retrospektive Einschätzung von Casey Nelson Blake aus dem Jahre 1990 hätte allerdings auch schon von Frederick Lewis Allen (Harper’s Magazine) stammen können. Denn Allen konstatierte, wenngleich erst aus der Sicht des Jahres 1941, selbstbewusst, die amerikanischen Magazine belegten eindrucksvoll, wie Demokratie funktioniere (a very impressive exhibit of democracy working).59 Die Offenlegung kontroverser Standpunkte entsprach der raison d’être der Zeitschriften-Akteure. Als Gratwanderung sahen sie die Aufgabe an, ihr Verständnis von Meinungsfreiheit und Toleranz gegenüber Andersdenkenden im Sinne einer lebendigen Demo-

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Stettner, Herbert Croly, 74. Susman, Culture, 115 f. Susman beruft sich auf diverse Autoren, die in Stearns’ Buch Civilization in the United States (1922) Artikel verfasst hatten. Allen, Only Yesterday, 176; Boylan, Publicity, 174 f. Vgl. Pells, Radical Visions, 21; Boorstin, America, 33. Ungeachtet der staatlichen Interventionen während der Zeit des New Deal ließ sich freilich der sozialreformerische Idealismus der Progressive Era nicht mehr erneuern. Blake, Journals, 355. Zit. n. Wood, Magazines, 452.

1.2 Mediale Praktiken und gesellschaftliche Funktionen

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kratie auch nach außen hin zu dokumentieren, ohne dabei das Profil der Zeitschrift zu verwässern.60 Die Qualitätsmagazine spielten, sechstens, eine wichtige Rolle bei der Entwicklung und Steuerung des literarischen und künstlerischen Feldes.61 Die Redaktionen übten vor allem dann Macht aus, wenn Werturteile über Künstler und deren Werke anstanden. Eine Rezensionskultur entwickelte sich in den USA vor allem seit der Gründung der New York Times Book Review im Jahr 1896.62 Angehörige einer Elite, die häufig noch der Genteel-Kultur anhingen63, evaluierten neu erschienene Bücher vor allem in der Saturday Review of Literature. Das Rezensionsfeld erweiterte sich indessen im Verlauf der folgenden Jahre zusehends: Auch in Zeitschriften, wie etwa in The Nation und The New Republic, wurden Bücher über Kunst und Kultur sowie über Architektur, Theater und Musik rezensiert. Erstere verlieh sogar einen Poetry Price.64 Die Redaktionen der Qualitätsmagazine steuerten das Feld der Literatur nicht nur durch Kritiken, sondern auch dadurch, dass Schriftsteller Texte darin veröffentlichen konnten. Für deren Renommee blieben zwar Buchpublikationen wichtiger, aber viele Schriftsteller wussten, dass sie durch Veröffentlichungen von Texten in Zeitschriften ihren Bekanntheitsgrad und ihre Einnahmen vergrößern konnten.65 Denn nicht selten reüssierten Bücher erst dann auf dem Markt, wenn sich ein Autor zuvor durch seine Magazin-Veröffentlichungen bereits einen Namen gemacht hatte.66 Nicht nur junge, noch wenig bekannte Schriftsteller schrieben deshalb gerne in Magazinen, sondern auch so renommierte wie Sinclair Lewis und Theodore Dreiser, ja, diese scheuten sich ihrerseits nicht, den einen oder anderen Text selbst in Populärzeitschrif60

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Vgl. auch Blake, Journals. Mit Blick auf die Printmedien hatte Weyl 1912 einen positiven Eindruck von der zunehmenden Macht der öffentlichen Meinung. Weyl, The New Democracy, 137: Die Städter, so meinte er, läsen zwei Zeitungen sowie ein oder zwei Magazine und tauschten ihre aus unterschiedlichen Quellen gewonnenen Informationen wechselseitig aus. Vgl. Susman, Culture, 116; vgl. Alexander, Here the Country, 70; Zona Gale, „The United States and the Artist“, in: The Nation (Juli 1925), 22–23, 23. Der Ökonom und Journalist Henry Hazlitt bezweifelte allerdings den bleibenden Wert einer solchen Einflussnahme. Henry Hazlitt, „Our Greatest Authors. How Great Are They“, in: The Forum (Oktober 1932), 245–250, 249. Das Thema wird wieder in Kapitel 6.4 aufgegriffen. Hierzu und zum Folgenden siehe Tyrrell, Historians, 46, 47, 52. Unter der Genteel-Kultur des späten 19. Jahrhunderts versteht man die viktorianisch geprägte, auf die Verfeinerung des Lebens ausgerichtete und vielfach anglophile Kultur der oberen und mittleren Schichten, die vor allem in den Neuenglandstaaten zu finden waren. Den Begriff Genteel-Tradition führte George Santayana in seinem 1911 in Berkeley gehaltenen Vortrag mit dem Titel The Genteel Tradition in American Philosophy ein. Vgl. auch Kapitel 5.4 und 6.1. Näheres siehe auch Kapitel 4.5. May, The End, 298. Tassin, The Magazine, 367–369.

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ten, wie der Saturday Evening Post, zu veröffentlichen – ein Beispiel für die Relevanz von Medienverbünden. Auch bei Wissenschaftlern lässt sich die Funktionsweise eines solchen Medienverbundes nachweisen. Lewis Mumford veröffentlichte beispielsweise seine frühen Arbeiten in der Zeitschrift The Forum. Nicht selten entstanden Bücher auch aus der Sammlung von vorher in Magazinen veröffentlichten Aufsätzen.67 Die wechselseitige Stützung von Buch- und Magazinveröffentlichungen vergrößerte sich sogar noch in den zwanziger Jahren, weil Magazine populärer als Bücher wurden.68 So veröffentlichte der Historiker und Publizist James Truslow Adams in einem Artikel in der Zeitschrift Reader’s Digest (1932) einige Überlegungen aus seinem neuen Buch The Epic of America (1931). Um auf diese Weise den Buchverkauf anzuregen, wies die Redaktion der Zeitschrift eigens darauf hin, dass die American Library Association das Werk als eines der bemerkenswertesten Veröffentlichungen des Jahres 1931 bezeichnet habe und es sich tatsächlich um einen außergewöhnlichen Bestseller handle. Das Buch sollte, wie es hieß, deshalb in jedem amerikanischen Heim stehen.69 Es wurde auch tatsächlich ein Bestseller. 1.3 DIVERSIFIKATION DES FELDES Die Außenwelt nahm zwar das Feld der Qualitätsmagazine oftmals als Ensemble wahr, wie Pauschalbezeichnungen, etwa journals of opinion, independent journals, serious magazines, distinguished magazines und high-grade magazines zeigen. Wer aber genauer hinsieht, erkennt, dass auch dieses Feld diversifiziert war. Alle Qualitätsmagazine wiesen zwar auf den ersten Blick ein beachtliches Spektrum an Themen auf, wozu die internationalen Beziehungen genauso wie Kunst und Kultur sowie Fragen der persönlichen Lebensgestaltung gehörten. Einige Qualitätsmagazine waren jedoch explizit literarisch-künstlerisch ausgerichtet, wie Century oder Dial, andere gaben politischen Themen mehr Raum, wie The Nation, American Review of Reviews, Outlook, The North American Review, The Forum, The New Republic, The Atlantic Monthly und The Independent. Die linkschristlich ausgerichtete Zeitschrift The World Tomorrow suchte ihr Profil durch eine einmalige Kombination von Religion, Sozialismus und Pazifismus zu schärfen. Die Diversifikation des Feldes vergrößerte sich beträchtlich durch die vielen kleinen Magazine. Unter der Bezeichnung little magazines verstand man streng genommen jene oftmals besonders avantgardistisch oder auf hohem intellektuellem Niveau angesiedelten Qualitätsmagazine, die lediglich eine Auf67 68 69

Biel, Independent Intellectuals, 47, 86. Wood, Magazines, 459. James Truslow Adams, „The American Dream. Skizzen aus seinem Buch The Epic of America (1931)“, in: The Reader’s Digest (Juni 1932), 1–4.

1.3 Diversifikation des Feldes

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lage von wenigen tausend Stück hatten, wie beispielsweise die sozialistischen Zeitschriften New Review, The Masses, The Liberator, The New Masses und in den dreißiger Jahren The Partisan Review.70 Zur Gruppe der little magazines gehörten auch die Zeitschriften der African Americans, die den Schwarzen eine Stimme in der Öffentlichkeit gaben und deren Selbstbewusstsein stärkten.71 Die wohl wichtigste Zeitschrift war das seit 1909 von W. E. B. Du Bois herausgegebene Magazin Crisis, das als Journal der ersten bedeutenden afroamerikanischen Bürgerrechtsorganisation National Association for the Advancement of Colored People (N. A. A. C. P.) und als Wegbereiter eines amerikanisch-afrikanischen Nationalbewusstseins galt (vehicle for American black expression of national conscience).72 Radikaler war freilich der 1917 gegründete, sozialistisch gefärbte Messenger, der sich, zumindest zeitweise, direkt gegen die „old, reactionary Negro leaders“ richtete, womit vor allem Booker T. Washington gemeint war. Ferner ist noch an die 1923 gegründete Zeitschrift Opportunity der Urban League zu erinnern, die wissenschaftlich grundiert, sich einerseits den sozialen urbanen Problemen der African Americans widmete und andererseits den Aufstieg der African Americans verkündete.73 Die little magazines machten sich auch durch Experimentierfreudigkeit einen Namen, etwa mit Blick auf die Rezeption der europäischen Avantgarde, die Anfänge einer „amerikanischen Moderne“ oder die Möglichkeiten zur Schaffung einer proletarischen Kunst.74 Schon in der Vorkriegszeit hatten „junge Rebellen“ begonnen, sozialistische Politik und „linke“ Kunst zusammenführen, und dazu nutzten sie auch die Zeitschrift Masses. In der Nachkriegsära verfiel im Zuge des Red Scare und seinen Folgewirkungen alles, was als links galt, häufig der öffentlichen Diffamierung. Der Philanthrop und Erzieher Frederick Paul Keppel zeigte 1926 in einem Artikel in der Zeitschrift The Forum gleichwohl mit Nachdruck die engen Verbindungen zwischen den Vorstellungen der (politisierten) Arbeiter und einer (sozialistischen) Kunstausrichtung auf.75 Doch erst in den dreißiger Jahren vergrößerte sich das durch linke Sozialbewegungen gestützte Öffentlichkeitsinteresse für proletarische Kunst beträchtlich.76

70 71 72 73 74 75

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Vgl. Hoffman u. a., The Little Magazine. Hierzu und zum Folgenden Kalaidjian, American Culture, 3 f., 47. Huggins, Harlem Renaissance, 4 f., 30. Siehe auch das vierte Kapitel. So Walter C. Daniel, zit. n. Tebbel/Zuckerman, The Magazine, 137. Dazu siehe auch das vierte Kapitel. Tebbel/Zuckerman, The Magazine, 84. Die Autoren beziehen sich auf die Studien von Mott. Vgl. auch Kalaidjian, American Culture, 3, 9. Frederick Paul Keppel, „Do Workingmen want Culture?“, in: The Forum (Oktober 1926), 573–576; ähnlich auch Kalaidjian, American Culture. Allgemein, ohne Bezug auf Arbeiter: Robert Henri, „What About Art in America?“, in: Arts and Decoration (November 1925), Kurzform in: The Reader’s Digest (Januar 1926), 567–568, 567. Denning, The Cultural Front.

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Wegen des Profils und Niveaus einer Zeitschrift und der hiermit verbundenen Platzierung im Feld der Qualitätsmagazine kam es immer wieder zu Querelen. Zwar galt damals offenbar für viele Publizisten ein Qualitätsmagazin, wie The Atlantic Monthly, als ein so genanntes highbrow-Blatt, weil die Zeitschrift ein Niveau aufwies, das nur von einem relativ kleinen Teil der Leserschaft verstanden werden konnte – im Unterschied zu einer middlebrowZeitschrift wie The Saturday Evening Post.77 Doch solche Zuordnungen waren angesichts der damaligen Wettbewerbssituation recht umstritten. So stuften die Herausgeber der Zeitschriften The New Republic und The Nation andere Zeitschriften wie The Atlantic Monthly lediglich als middlebrow-Magazine ein, wobei sie nicht hinzuzufügen vergaßen, dass solche Zeitschriften auch weniger einflussreich seien als ihre eigenen, die als highbrow zu gelten hätten.78 Der Wunsch vieler Herausgeber, ihrer Zeitschrift ein eigenes, unverwechselbares und in der Öffentlichkeit hochgeschätztes Profil zu geben und diese im Feld ganz oben zu positionieren, schlug sich auch in mancher Selbstcharakterisierung nieder. So drückte der Herausgeber der Zeitschrift The Literary Digest die Bedeutung des Blattes mit den Worten aus: „Literary Digest is not just another magazine; it is an American Institution of major importance“.79 Einschätzungen, die bekannte Autoren und Konkurrenten über eine Zeitschrift vornahmen, waren natürlich noch wichtiger für die Positionierung eines Magazins als Selbstbewertungen. Davon profitierte vor allem die Zeitschrift The Nation. Anlässlich deren Jubiläums 1925 bezeichnete Upton Sinclair das Magazin als das nützlichste der ganzen USA.80 Und H. L. Mencken bewertete nicht nur die kleine sozialistische Zeitschrift Liberator als das „beste Magazin in Amerika“81, sondern kennzeichnete auch The Nation als einmalig im amerikanischen Journalismus, denn selbst ihre Gegner läsen sie (is read by its enemies). Überdies würden Herausgeber von anderen Zeitschriften überall im Lande täglich Ideen aus dieser Zeitschrift stehlen (editorial writers all over the land steal ideas from it daily).82 Die altehrwürdige, 1865 gegründete Zeitschrift The Nation, die im Feld der Qualitätsmagazine in der obersten Reihe rangierte, änderte seit 1918 unter der Leitung von Oswald Garrison Villard ihr vormals eher pluralistisches Profil zu einem klar positionierten „Magazin des Dissenses“. Das Magazin arbei-

77

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Trollinger/Kaestle, Highbrow. Münsterberg verglich das Niveau der Zeitschrift The Atlantic Monthly mit dem Niveau der Deutschen Rundschau. Münsterberg, The Americans, 456. Tebbel/Zuckerman, The Magazine, 203. Zit. n. Mott, A History, Bd. 4, 579. The Nation (Juli 1925), 41. Zit. n. Biel, Independent Intellectuals, 1. Zit. nach McWilliams, Introduction, 18.

1.3 Diversifikation des Feldes

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tete mit den führenden Liberalen des Landes zusammen.83 Es thematisierte nicht nur (außen)politische Fragen, vielmehr bot das Blatt auch qualitativ hochstehende Texte über Kultur an und veröffentlichte Artikel von sehr bekannten Autoren und Kulturkritikern, wie etwa von Heywood Broun, Carl Van Doren und Joseph Wood Krutch.84 Die Zeitschrift The New Republic, im Jahre 1914 unter der Herausgeberschaft von Herbert Croly, Walter Lippmann und Walter Weyl gegründet, galt als besonders einflussreich, weil sie Zugang zum politischen Establishment hatte. Das Magazin bezeichnete sich selbst als „journal of interpretation and opinion“85, verstand sich als „radikal ohne sozialistisch zu sein“ und gab sich pragmatisch, aber nicht doktrinär.86 Es setzte nicht nur auf innere Reformen, sondern auf eine Gesellschaft, die nicht mehr von skrupellosen Geschäftsleuten dominiert werden konnte87, sowie auf eine neu entworfene Republik mit einer planenden und intervenierenden, starken Zentralregierung.88 Der reformorientierte Liberalismus, wie ihn die Zeitschrift The New Republic vertrat, forderte, der Staat möge sich mehr gesellschaftspolitisch engagieren, mit den diversen gesellschaftlichen Gruppen intensiver kommunizieren und die Öffentlichkeit genauer informieren.89 Die transatlantisch gesinnten Publizisten, wie etwa der politische Philosoph Herbert Croly, suchten nach einem Mittelweg zwischen dem revolutionärem Sozialismus Europas und dem traditionellen Laissez Faire-Liberalismus der USA.90 Doch insgesamt gesehen war die Zeitschrift so widersprüchlich wie der „Progressivismus“ selbst. Die unterschiedlichen Positionen wurden lediglich durch einen „gemeinsamen Mittelklassenethos und eine gemeinsame moralische Energie“ zusammen gehalten, wie Arthur Maier Schlesinger Jr. aus der Sicht des Jahres 1964 rückblickend hervorhob91, sowie durch ein großes Vertrauen in die Zukunft, das sein Gründer Herbert Croly zu vermitteln wusste. Die neue Zeitschrift mischte das Feld der Qualitätsmagazine beträchtlich auf, denn es gelang den Herausgebern innerhalb kürzester Zeit, eine Spitzenposition einzunehmen. Crolys Elan ließ allerdings in den zwanziger Jahren aus gesundheitlichen Gründen stark nach. Die Zeitschrift blieb gleichwohl ein wichtiges Sprachrohr, vor allem 83

84 85 86 87 88 89 90 91

May, The End, 296. Zwischen 1909 und 1914 war der konservative New Humanist Paul Elmer More sogar Mitherausgeber der Zeitschrift, bis die Gegensätze zu Villard unüberbrückbar erschienen. Mores Nachfolger, Harold de Wolf Fuller, galt allerdings ebenfalls nicht als ein Liberaler. Näheres Mott, A History, Bd. 3, 353–355. Conklin, The New Republic, VII. Zit. n. Seideman, The New Republic, IX. Wickenden, The New Republic Reader, 2 f. Tebbel/Zuckerman, The Magazine, 123. Vgl. Paul Y. Anderson, „Washington Needs More Silver Lining“, in: The Nation (Juni 1929), 695. Zum Reformjournalismus siehe Cronin, Brother’s Keeper. Levy, The Intellectual Origins, 19. Zit. n. Tebbel/Zuckerman, The Magazine, 123.

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1 US-Nation Builders: Die Qualitätsmagazine

beim Kampf gegen Bigotterie. Sie betrieb auch eigene Studien über die ökonomischen Ungleichgewichte, attackierte die fehlende Wirtschaftsmoral und demaskierte immer wieder den Mythos der angeblich faktengetreuen Informationen durch die Presse.92 Auf der Basis ihrer teilweise massiven Kritik an amerikanischen Verhältnissen tendierte die Zeitschrift letztlich dazu, die Kohäsion der amerikanischen Nation zu unterschätzen, einer Nation, die alle Krisen schließlich doch überstand, ohne das Gesellschaftssystem entscheidend transformieren zu müssen. Hatten schon die beiden renommierten linksliberalen Zeitschriften The Nation und The New Republic immer wieder auf die Schattenseiten der amerikanischen Gesellschaft hingewiesen, so wurden sie von der 1924 gegründeten Zeitschrift American Mercury durch deren besonders scharfe Gesellschaftskritik bei Weitem übertroffen. Geleitet von den bekannten Publizisten H. L. Mencken und George Jean Nathan, die beide zuvor als Herausgeber von Smart Set tätig gewesen waren, wollte die Zeitschrift mit ihren vielen satirischen Beiträgen insbesondere junge Intellektuelle ansprechen. Das MenckenNathansche Magazin setzte alles daran, sich von den beiden konkurrierenden linksliberalen Zeitschriften zu unterscheiden. Hatte Mencken noch 1918 der Zeitschrift The Nation besondere Hochachtung gezollt93, so monierte er zehn Jahre später, dass das Blatt zwar liberal, aber zu wenig libertär (libertarianism) sei, außerdem zu gesetzesorientiert urteile.94 So konnte Mencken die Marktlücke nutzen; seine Zeitschrift mischte als Konkurrent das Feld beträchtlich auf und hievte sich in kürzester Zeit auf eine Top-Position.95 Die Diversifizierung des Feldes erfolgte ferner durch einige konservative Magazine und Zeitschriften für die Oberschichten. In diesem Zusammenhang ist die 1895 gegründete und bis 1933 existierende Zeitschrift The Bookman zu nennen, deren Einfluss und Verbreitung freilich begrenzt war. Als ein konservatives Blatt galt auch die bereits 1815 in Boston gegründete North Atlantic Review, die ein anerkanntes Sprachrohr der intellektuellen Oberklasse Neuenglands war96 und deren Artikel in den 1920er Jahren relativ häufig gekürzt im Reader’s Digest wiederabgedruckt wurden. The Atlantic Monthly vertrat in ihren Artikeln oftmals die Genteel-Tradition. Doch findet man darin, genauso wie im Scribner’s Magazine, durchaus auch kritische Artikel beispielsweise über krassen Individualismus (rugged individuals) und über die Plutokratie im Lande. Ähnliches gilt für die 1930 von Henry Luce gegründete Zeitschrift Fortune, die an sich die Interessen der Geschäftswelt vertrat und sich sogar in der Großen Depression für einen Marktkapitalismus einsetzte. Als typische 92 93 94 95 96

Hierzu und zum Folgenden siehe Seideman, The New Republic, 85, 162, 166. Villard, Fighting Years, 360. H. L. Mencken, „What’s Wrong With The Nation?“, in: The Nation (November 1928), 42–43. Mencken, A Book, 222. Ickstadt, Trans-national Democracy, 3.

1.3 Diversifikation des Feldes

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Oberschichten-Magazine galten insbesondere die 1913 gegründete Zeitschrift Vanity Fair und die eher satirisch angelegte Zeitschrift The New Yorker sowie die 1933 gegründete Männer-Zeitschrift Esquire, obgleich auch hierin gelegentlich durchaus kritische Bemerkungen über Gesellschaftszustände zu finden waren, was offenbar den Vorstellungen amerikanischer Öffentlichkeitskultur entsprach. Zur Diversifizierung des Feldes trug schließlich der allerdings unterschiedlich ausgeprägte Forums-Charakter der Qualitätszeitschriften bei. Die Zeitschrift The New Republic lud beispielsweise gelegentlich Staatsmänner, ausländische Honoratioren sowie zahlreiche Künstler und Schriftsteller diverser richtungspolitischer Couleur ein, um aus verschiedenen Perspektiven das Zeitgeschehen kommentieren zu lassen.97 In The Nation verfasste zum Beispiel Frank Jewett Mather, Jr., der dem konservativen New Humanism nahestand, einige Artikel.98 In der Zeitschrift Century schrieben während der zwanziger Jahre so unterschiedliche Autoren wie Lothrop Stoddard, Bertrand Russell und George Santayana.99 Die ursprünglich anglophil ausgerichtete Zeitschrift Harper’s Magazine entwickelte sich in den zwanziger Jahren ebenfalls zu einem öffentlichen Diskussionsforum. Nicht nur verfasste die konservative Schriftstellerin und Bryn Mawr-Professorin Katherine Fullerton Gerould aus Neuengland mehrere Artikel für das Magazin, sondern auch der linksliberale Oswald Garrison Villard sowie der bekannte Sozialkritiker und Journalist Heywood Broun. Das Magazin – zeitweise auch Harper’s Monthly Magazine genannt – ließ dementsprechend verlauten, es wolle zudem vermehrt die Diskussion über die moderne Lebenswelt fördern (discussion of the modern scene), um ihr bisheriges Image – sie galt weithin als ein „literally old woman’s home“ – zu revidieren. Die ursprünglich konservative und auf England ausgerichtete Zeitschrift wurde zwar nach 1918 unter der Herausgeberschaft von Thomas Wells liberaler, in ihr dominierten aber vor allem bei Fragen über Geschlechterbeziehungen nach wie vor recht konventionelle Auffassungen.100 Verstanden sich also die Qualitätsmagazine – im Unterschied zu den deutschen Richtungszeitschriften – generell als breit angelegte Diskussionsforen, so trieb keine Zeitschrift die Debattenkultur so weit wie die Zeitschrift The Forum. Das 1886 gegründete New Yorker Monatsmagazin trug den Untertitel „A Magazine of Discussion“, ab 1924 hieß es „A Magazine of Controversy“. Die Zeitschrift bezeichnete sich selbst als ein überparteiliches Magazin – of97 Seideman, The New Republic, 162. 98 Hoeveler, The New Humanism, 13. 99 Lob und Zuspruch erhielt diese Zeitschrift von Mencken: „It is, indeed, the one firstclass American magazine that has always welcomed newcomers, and that maintains an intelligent contact with the literature that is in being, and that consistently tries to make the best terms with the dominant Philistinism.“ Barnes, The History, Bd. 2, 1091. 100 Näheres siehe u. a. Peterson, Magazines.

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1 US-Nation Builders: Die Qualitätsmagazine

fen für freie Diskussionen. Ihr Ziel sei es, das neue Amerika zu interpretieren, das in diesem Jahrzehnt – gemeint waren die 1920er Jahre – nach einem Bewusstsein über sich selbst suche.101 Und in der Tat ist für diese Zeitschrift die lebendige Auseinandersetzung besonders charakteristisch, weil Personen mit extrem unterschiedlichen Positionen darin zu Wort kamen. Sogar der Chef des Ku Klux Klan, Hiram Wesley Evans, erhielt von der Redaktion 1925 Gelegenheit, seine Gedankengänge in aller Ausführlichkeit darzulegen.102 Ferner erhöhte die von einigen Zeitschriften kultivierte „Kunst der Kurzform“ den Diversifikationsgrad des Feldes. In der Zeitschrift Literary Digest wurden Berichte amerikanischer, kanadischer und europäischer Printmedien so solide aufbereitet, dass die Zeitschrift den Ruf eines qualitätsbewussten Magazins erwarb und alsbald zu den erfolgreichsten Zeitschriften des Landes zählte, wobei auch SchülerInnen und StudentInnen diese Zeitschrift gerne subskribierten.103 Das von William Seaver Woods herausgegebene Blatt spezialisierte sich zum einen auf eine ausgewogene Wiedergabe von Zeitungsartikeln über Zeitgeschehnisse, zum anderen auf das Portraitieren von Personen, die in der Öffentlichkeit standen, zum dritten auf Meinungsumfragen, besonders vor Präsidentenwahlen. Im Unterschied zu den meisten Qualitätsmagazinen beruhte die Finanzierung dieses anspruchsvollen Magazins vor allem auf Werbeanzeigen, die Firmen überproportional häufig an die Redaktion gerade dieser Zeitschrift vergaben.104 In langfristiger Perspektive war es jedoch in erster Linie die Zeitschrift The Reader’s Digest, die über Jahrzehnte hinweg unerwartet großen Erfolg für sich verbuchen konnte, da sie neue Leserschichten zu gewinnen vermochte. Von DeWitt Wallace und seiner Frau, Lila Acheson Wallace, im Jahre 1922 gegründet, fand das im Taschenbuchformat hergestellte Magazin nach kurzer Anlaufzeit schnell zunehmende Verbreitung. Das konservativ eingestellte Ehepaar beschränkte sich damals auf den Wiederabdruck von Artikeln, die zuvor in anderen Periodika erschienen waren.105 Im Unterschied zu Literary Digest wurden die stark gekürzten Artikel zum 101 Vgl. zum Beispiel The Forum (Juni 1926), 801 (Vorspann). 102 Hiram Wesley Evans, „The Klan: Defender of Americanism“, in: The Forum (Dezember 1925), 801–814, Kurzform in: The Reader’s Digest (Januar 1926), 583–584. Da sein Artikel zusätzlich im Reader’s Digest in Kurzform abgedruckt wurde, vergrößerte sich der Verbreitungsgrad des rechtsradikalen Gedankenguts beträchtlich. Ein anderes Beispiel für eine publizistische Hardlinerposition in der Phase des Red Scare ist der Aufsatz von Josephus Hon. Daniels, „Above All – Partiotism! A Seven-Point Remedy for our Hectic After-War Fever“, in: The Forum (März 1920), 298–306. 103 Die Fehlprognose über den Ausgang der Präsidentenwahl von 1936 hat der Zeitschrift, die allerdings schon seit der Großen Depression die Gunst sowohl der LeserInnen als auch der Anzeigenfirmen eingebüßt hatte, die Existenz gekostet. Mott, A History, Bd. 4, 577. 104 Mott, A History, Bd. 4, 574. 105 Davon profitierte vor allem die Zeitschrift The World Tomorrow, deren Artikel im Reader’s Digest oft in gekürzter Form wieder abgedruckt wurden.

1.3 Diversifikation des Feldes

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Hauptinhalt von Reader’s Digest, wobei die Herausgeber die Erlaubnis zum Wiederabdruck von Texten anderer Zeitschriften den betreffenden Redaktionen generös bezahlten.106 Die Auswahl der Artikel erfolgte nach Kriterien wie Verwendbarkeit eines Textes und dauerhaftes Interesse am Thema. Zudem sollte konstruktives Gedankengut im Sinne eines amerikanischen Optimismus und zum Zwecke der Schaffung eines besseren Amerikas der Öffentlichkeit vermittelt werden.107 Mit der Kurzform sprach das Blatt jene Mittelschichten bzw. Highschool-AbsolventInnen an, die zwar gut informiert sein wollten, aber entweder keine Zeit oder kein Geld oder keine Lust hatten, die für sie interessanten Artikel aus vielen Zeitschriften herauszusuchen und die teilweise langen Texte dann auch noch zu lesen. Die Kurzform kam demnach der bereits damals verbreiteten „Speed“-Mentalität entgegen. Kein Wunder, dass dieses System des gekürzten Wiederabdrucks von Texten in Journalistenkreisen auch auf Kritik stieß. Die Redaktion der Zeitschrift New Yorker wies zum Beispiel darauf hin, dass ein solches Verfahren nicht den Regeln (des Feldes) entspräche. Magazine sollten sich stattdessen durch Eigenbeiträge auszeichnen108 – ein indirekter Hinweis auf die Existenz informeller Regeln, die eigentlich von allen „Mitspielern“ befolgt werden sollten. Der Regel, Artikel selbst zu verfassen, wollte zwar die mit Reader’s Digest und Literary Digest konkurrierende Zeitschrift Time nachkommen, gleichzeitig sollten aber die Originaltexte selbst eine Kurzform aufweisen. Das Magazin führte damit eine neue Form journalistischer Darstellung ein.109 Als Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass die Diversifikation des Feldes auf der unterschiedlichen politischen Ausrichtung der Zeitschriften beruhte, ferner auf der Art der Kritik und den divergierenden Adressaten-Gruppen. Diversifizierungen traten des Weiteren durch den Grad des Forumscharakters einer Zeitschrift sowie durch die Entscheidung für oder gegen Kurzform-Konzepte und schließlich durch die Existenz zahlreicher, auf bestimmte Zielgruppen ausgerichteter kleiner Magazine ein. An der Spitze des Feldes standen – entsprechend den Selbst- und Fremdpositionierungen – die linksliberalen Zeitschriften The Nation und The New Republic, denen es gelang, dauerhaft als eine einflussreiche nationale Institution zu gelten110, während

106 In einem Zeitschriftenheft konnten auf diese Weise rund dreißig Artikel in Kurzform veröffentlicht werden. Eigene Stichprobe, Ausgabe vom März 1923. 107 Welky, Everything, 89. 108 Peterson, Magazines, 231. 109 Auf 32 Seiten wurden die lebendig geschriebenen Texte 22 Abteilungen zugeordnet und waren so in kurzer Zeit zu lesen und zu verorten. Mit diesem offensichtlich attraktiven Konzept verdrängte das Nachrichtenblatt am Ende der zwanziger Jahres allmählich auch die Vorherrschaft von Literary Digest. 110 Macy nannte in diesem Zusammenhang noch die Zeitschrift Freeman. Diese sowie „ein oder zwei andere“ von Macy nicht namentlich bezeichneten Zeitschriften hätten großen Einfluss gehabt. Macy, Journalism, 51.

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die radikalkritische Mencken’sche Zeitschrift American Mercury eine solche Spitzenstellung lediglich für einige Jahre einnehmen konnte.

1.4 VERNETZTE OPINION LEADERS Das Feld der Qualitätsmagazine, das von Herausgebern sowie von Publizisten, Schriftstellern, Künstlern und Wissenschaftlern gestaltet wurde, war Voraussetzung dafür, dass sich in den USA erstmals eine „Intelligenzia“ als soziale Gruppe außerhalb der Universitäten bilden konnte111, die sowohl durch die geografische Konzentration der Akteure als auch durch die nationsweit vertriebenen Zeitschriften zusammengehalten wurde.112 Die in der Öffentlichkeit agierenden Intellektuellen kamen meist aus gut situierten städtischen Mittelschichtfamilien, doch fühlten sie sich sozial ungebunden. Nicht selten waren es Söhne europäischer Immigranten.113 Einige Herausgeber fühlten sich allerdings einem Oberschichtenmilieu zugehörig: Dazu zählten Briton Hadden und Henry Luce, deren Nähe zu den WASPs bekannt war.114 Auch Oswald Garrison Villard, der Herausgeber der Zeitschrift The Nation, stammte aus einem sehr wohlhabenden Haus. Einerseits führte er als Sohn und Erbe eines Eisenbahnbau-Unternehmers das Leben eines Gentleman aus der Oberklasse, andererseits kämpfte er für soziale Reformen, half sogar bei der 1909 erfolgten Gründung der National Association for the Advancement of Colored People und ging als militanter Pazifist auf Konfrontationskurs zur Wilson-Regierung.115 Langsam entstanden im Zuge des allgemeinen Trends zur Professionalisierung der beruflichen Tätigkeiten eigene Ausbildungsstätten für angehende Journalisten.116 An der University of Missouri in Columbia etablierte sich 1908 die bekannteste Schule. Die bis dahin erfolgten Anstrengungen, eine journalistische Berufsausbildung aufzubauen, wurden schließlich durch das Engagement des Journalisten und Verlegers Joseph Pulitzer übertroffen, der 1913 die School of Journalism an der Columbia Universität in New York gründete. Abgesehen von diesen beiden angesehenen Einrichtungen galten 111 Blake, Journals, 355. 112 Vgl. Trachtenberg, Critics, 12. 113 Leuchtenburg, The Perils, 141 f. Leuchtenburg hatte allerdings nicht speziell die Zeitschriftenautoren im Blick, sondern allgemein die Gruppe der Intellektuellen. 114 Tebbel/Zuckerman, The Magazine, 159. WASP ist die Abkürzung für White Anglo-Saxon Protestants. 115 Ebd., 204. 116 Heald, Transatlantic Vistas, 3, 151 f. Umstritten blieb freilich stets, ob eine eigene Berufsausbildung für Journalisten überhaupt notwendig sei. Die erste Bildungsanstalt speziell für Journalisten war in den USA schon 1869 eröffnet worden. Seit Mitte der 1870er Jahre wurden in verschiedenen Orten weitere spezielle Kurse für angehende Journalisten angeboten.

1.4 Vernetzte Opinion Leaders

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die übrigen im Lande allmählich aufgebauten Schools of Journalism vielfach nicht gerade als Karriere fördernde professional schools.117 Die meisten Herausgeber und Autoren absolvierten deshalb eine akademische Ausbildung an Hochschulen. Vielfach besuchten sie sogar Elite-Universitäten.118 An der Harvard Universität studierten u. a. Walter Lippman, Van Wyck Brooks, John Macy, Harold E. Stearns, Hendrik Willem Van Loon und Frederick Lewis Allen. An der Yale Universität lernten Sinclair Lewis, George Soule und Waldo Frank. An der Universität in Princeton nahmen u. a. Edmund Wilson und F. Scott Fitzgerald ihr Studium auf. Der Sozialist Max Eastman, später Herausgeber der Zeitschrift Masses, hatte an der Columbia Universität in New York studiert, und der aus Iowa stammende Albert Shaw, der später die Zeitschrift Review of Reviews edieren sollte, erhielt seinen Doktor im Fach Government an der Johns Hopkins Universität in Baltimore.119 Zahlreiche angehende Journalisten und Publizisten sammelten nach ihrem Universitätsstudium zunächst Erfahrungen in Zeitungsredaktionen, bevor sie sich für eine kontinuierliche Mitarbeit bei Qualitätsmagazinen bewarben. Solche Praktika kamen der Netzwerk-Bildung zwischen den Magazin- und den Zeitungsredaktionen zugute, wenngleich der Zeitungsjournalismus wegen der stärkeren innerbetrieblichen Abhängigkeiten unter den nach Unabhängigkeit strebenden Publizisten als höchst problematisch galt. Ohne vielfältige Netzwerke konnte keine Zeitschriften-Redaktion reüssieren, musste sie sich doch auf recht verschiedene Weise und bei diversen Einrichtungen mit Informationen versorgen. Die von den Herausgebern zu sondierenden Berichte kamen teils über die verschiedenen Nachrichtenagenturen120, teils über Draht ins Haus. Außerdem werteten die Redakteure zahlreiche Zeitungen und andere Zeitschriften aus dem In- und Ausland aus. Keine der Qualitätsmagazine beschäftigte dauerhaft eigene Reporter im Ausland, gleichwohl nahm seit der Progressive Era die Berichterstattung insbesondere über europäische Themen auf der Basis von Recherchen vor Ort zu121, ein Zeichen für die Intensivierung transatlantischer Kommunikation. Die Magazine profitierten auch von der 1907 gegründeten United Press Association (UP), die ein internationales Berichtsnetzwerk aufbaute. William Randolph Hearst gründete vier Jahre später, 1911, das International New Service (INS) als Konkurrenzunternehmen und rundete damit sein Medienimperium 117 Bruce Bliven, der nach Herbert Crolys Tod im Jahre 1930 The New Republic übernahm, war in einer solchen Newspaper School ausgebildet worden. Mott, A History, Bd. 5, 213. 118 Dazu siehe May, The End, 298–301. 119 H. L. Mencken konnte allerdings „nur“ auf eine polytechnische Ausbildung in Baltimore verweisen. 120 Villard, Fighting Years, 516. 121 Rodgers, Atlantic Crossings, 67. Im Ersten Weltkrieg arbeitete z. B. Elizabeth Shepley Sergeant für The New Republic als Korrespondentin in Frankreich.

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ab. Etwa fünfhundert Korrespondenten berichteten aus Europa nicht nur für amerikanische Zeitungen, Presse-Vereinigungen (Press Associations) und Syndikate, sondern eben auch (gelegentlich) für Qualitätsmagazine.122 Die Zeitschrift The Nation leistete sich schließlich sogar so genannte „contributing editors“, die teilweise aus dem Ausland stammten, etwa den englischen Ökonomen und Imperialismuskritiker John A. Hobson, den deutschen Philosophen, Pädagogen und Pazifisten Friedrich Wilhelm Foerster und den französischen Schriftsteller Anatole France.123 So gewannen die transatlantischen Kommunikationsprozesse an Professionalität und Intensität. Die starke Hand der Herausgeber war trotz des Forumscharakters der Zeitschriften und damit der Breite der Auffassungen, die zum Tragen kamen, unverkennbar124, zumal sich die Editoren nicht scheuten, selbst in eingereichte Texte massiv einzugreifen. Oswald Garrison Villard gehörte zum Beispiel zur Riege amerikanischer Herausgeber, die in der Verbreitung der eigenen Urteile in Form von editorials ihre wesentliche Aufgabe sah. Auch verfassten sowohl die Hauptherausgeber als auch die für bestimmte Sparten verantwortlichen (Mit-)Herausgeber immer wieder selbst Artikel für ihre Zeitschrift. Lippmann reflektierte diesen Balance-Akt und bezeichnete als Mitherausgeber der Zeitschrift The New Republic programmatisch diese als ein „journal of unopinionated opinion“.125 Während die Redaktionsmitglieder eine vergleichsweise herausgehobene und sichere, wenngleich äußerst zeitraubende Position einnahmen, hatten es Journalisten und Publizisten oftmals schwer zu reüssieren. Im Zuge der Propaganda-Maschinerie der Wilson-Regierung erfuhr der Beruf zwar eine gewisse Aufwertung, da Journalisten bei der Beeinflussung der öffentlichen Meinung eine wichtige Rolle spielen sollten.126 Und Werbeagenturen, die gerade damals einen großen Aufschwung verzeichneten, benötigten ebenfalls mehr Journalisten. Denn überall sollten diese primär die jeweiligen Botschaften gut verkau-

122 Emery/Emery, The Press, 299. Die Zahlenangabe bezieht sich allerdings auf das Kriegsjahr 1915. Der in Berlin arbeitende Journalist Alfred G. Anderson veröffentlichte beispielsweise einen Bericht über Deutschland in der Zeitschrift The Forum. Alfred G. Anderson, „Germany now. Monarchial Ambitions – Social and Industrial Conditions“, in: The Forum (Januar 1920), 77–89. Über die Konzentration von Journalisten im Paris der 1920er Jahre berichtet u. a. Weber, News. 123 Mott, A History, Bd. 3, 355. 124 Seideman, The New Republic, X. 125 Zit. n. ebd., 168. 126 Selbst im Sekretariat von Präsident Coolidge wiesen drei von vier Mitarbeitern einen journalistischen Hintergrund auf. Kirkhorn, This Curious Existence, 131. Zur politischen Bedeutung der Journalisten siehe die Studie von Tye, The Father, die über Edward L. Bernays’ Propagandaarbeit in der Wilson-Regierung während des Ersten Weltkriegs handelt. Bernays hatte selbst 1929 darüber ein Buch mit dem Titel Christallizing Public Opinion veröffentlicht.

1.4 Vernetzte Opinion Leaders

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fen.127 Dabei wurden oftmals Grenzen des Berufsethos erreicht oder gar überschritten. Das galt übrigens auch für Zeitungen, weil Journalisten darin vieles gar nicht schreiben durften. Die jeweiligen Chefs begründeten ihre ablehnende Haltung damit, dass dies niemanden interessiere.128 Zahlreiche Journalisten und Publizisten hatten den Status von Freiberuflern (free lance), wobei sich eine regelmäßig schreibende Autorengruppe (writing regular) herausbildete. Unter den zahlreichen Freiberuflern gab es allerdings nur wenige, die so viel verdienten, dass sie von den gezahlten Honoraren gut leben konnten.129 Ihre häufigen finanziellen Engpässe deuteten die Betroffenen vielfach als Resultat einer nicht entfremdeten Arbeit.130 De facto war indessen die Konkurrenz groß: Harper’s erhielt zum Beispiel 1930 rund 25.000 eingereichte Artikel von Freiberuflern, von denen sie lediglich 175 annehmen konnte.131 Ein Großteil der Autoren ging deswegen noch einer anderweitigen Beschäftigung nach und verfasste nur gelegentlich einen Artikel für ein Magazin. Darunter befanden sich auch Personen mit einer angesehenen beruflichen Tätigkeit, etwa Wissenschaftler und Professoren.132 Der Literaturprofessor J. E. Spingarn äußerte sich 1922 über diese neue Gruppe von Autoren recht kritisch. „There has arisen a very characteristic academic product – the professor who writes popular articles, sometimes clever, sometimes precious, sometimes genteel and refined, sometimes merely commonplace, but almost always devoid of real knowledge or stimulating thought.“133 Nicht absprechen konnte man dieser Personengruppe allerdings deren „kulturelles Kapital“, das sie in ihrem Berufsfeld und meist auch durch Aufenthalte in Europa erworben hatten.134 Sie nutzte ihrerseits die Qualitätsmagazine gezielt dazu, ihre Auffassungen zu Themen etwa in Sozialphilosophie, Psycho127 Über eingeschränkte Möglichkeiten zur freien Meinungsäußerung klagte beispielsweise um 1920 Macy, Journalism, insb. 40. 128 Die angesehene Journalistin Dorothy Thompson bestätigte solche Einschätzungen. Dabei bezog sie sich auch auf George Seldes’ Buch You Cant’t Print That! The Truth behind the News 1918–1928 (London 1929). Dorothy Thompson, „Behind the Censorship“, in: The Nation (Februar 1929), 197. 129 Peterson, Magazines, 123. Über die schlechte Bezahlung vgl. auch Gannett, Villard’s „Nation“, 35. Näheres Biel, Independent Intellectuals, 41 f. Michael Kirkhorn bezeichnete in seiner Retrospektive aus dem Jahr 1984 das Leben der Journalisten in der Zwischenkriegszeit sogar als sonderbare Existenz (curious existence). Kirkhorn, This Curious Existence. 130 Näheres Bender, New York, 229. 131 Welky, Everything, 91. 132 Kein geringerer als der Präsident der Cornell Universität, Professor Jacob Gould Schurman, veröffentlichte beispielsweise 1920 in der Zeitschrift The Forum eine Analyse der veränderten Gesamtsituation und der Aufgaben, vor denen die USA nach dem Kriege standen. Jacob Gould Schurman, „New Ideals of Social Progress. Our National Destiny is Pre-Eminently in the New World“, in: The Forum (März 1920), 315–324. 133 Spingarn, Scholarship, 97. 134 Trachtenberg, Critics, 7.

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1 US-Nation Builders: Die Qualitätsmagazin

logie, Politikwissenschaften, Ökonomie, Eugenik oder Geschichte zu popularisieren. Nachgefragt wurden auch Erzählungen, wovon viele von Frauen stammten. Das war kein Zufall, denn insgesamt erwies sich der journalistische Tätigkeitsradius für Frauen als recht begrenzt.135 Zwar arbeiteten bereits in den späten 1890er Jahren tausende von Frauen als Journalistinnen und gewannen dadurch eine Stimme in der Öffentlichkeit.136 Darunter befanden sich auch bekannte muckrakers wie Ida M. Tarbell, die von Sam McClure engagiert wurde. Ebenso taten sich damals einige (wenige) weibliche African Americans auf journalistischem Gebiet hervor, etwa Ida B. Wells, die über Lynchpraktiken recherchierte und ihre erschütternden Ergebnisse auch veröffentlichen konnte.137 Doch war dies eher die Ausnahme als die Regel. Soweit Frauen nicht Erzählungen schrieben, bearbeiteten sie häufig „nur“ die nicht als politisch eingestuften Themenfelder, wie Kultur- und Moralfragen sowie Geschlechterbilder.138 Kein Zweifel, der Journalismus blieb zu großen Teilen eine Domäne der (weißen) Männer, insbesondere in den höheren Etagen der Redaktionen. Und auch das Netzwerk war im Kern ein Männer-Netzwerk, dessen Anfänge schon auf die Studienzeit an bekannten Universitäten zurückgingen. Immerhin schafften es jedoch reformpolitisch aktive Amerikanerinnen hauptsächlich in der Progressive Era mit Unterstützung der Zeitschriftenredaktionen, in denen sie veröffentlichen konnten, ihr Netzwerk mit gleichgesinnten europäischen Frauen zu pflegen und zu erweitern.139 Gerade Frauen waren es, die in der Progressive Era mehr denn zuvor in die Öffentlichkeit traten, ihre Tätigkeiten zu professionalisieren trachteten, gesellschaftliche Reformen vorantrieben und in diesem Sinne auch die Reformorientiertheit mancher Qualitätsmagazine stärkten. Hinzu kommen einige eindrucksvolle Erfolgsgeschichten. Eine davon war die von Dorothy Thompson, die in zahlreichen Magazinen und Zeitungen schrieb und es als transatlantisch orientierte Kolumnistin zu großer Bekanntheit und Wertschätzung brachte.140 Freda Kirchwey konnte ebenfalls auf eine berufliche Karriere verweisen. Der Herausgeber des Magazins The Nation, Oswald Garrison Villard, förderte zwar, glaubt man seinem Ruf, an sich gerne 135 Alpern, Freda Kirchwey, VII. Für Frauen fiel allein schon das wichtige Netzwerk der ehemaligen Studenten der Harvard Universität (Old Harvard) aus, denn die Universität nahm keine Studentinnen auf. 136 Ohmann, Selling Culture, 267. 137 Keller, Regulating a New Society, 260. 138 Ein gutes Beispiel ist die Zeitschrift The Atlantic Monthly. Siehe Sedgwick, The American Genteel Tradition, insb. 159. 139 Siehe hierzu u. a. Schüler, Frauenbewegung. 140 Schilpp/Murphy, Great Women, 168–178. Darin werden für die hier interessierende Zeitspanne zudem Ida Minerva Tarbell (1857–1944), Ida B. Wells (Barnett) (1862– 1931), Elizabeth Cochrane Seaman (1865–1922), Winifred Black Bonfils (1863–1936) und Rheta Childe Dorr (1866–1948) genannt.

1.4 Vernetzte Opinion Leaders

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ambitionierte und brillante junge Männer, gleichwohl kamen auch einige Frauen zum Zuge, und Freda Kirchwey, die spätere Aufkäuferin des Blattes, gehörte von 1918 an dazu.141 Seit 1923 arbeitete sie als managing editor und stieg so in den engeren Herausgeberkreis auf. Zu einem großen Bekanntheitsgrad brachte es auch die Feministin Dorothee Dunbar Bromley, die in den zwanziger Jahren für den Henry Holt Verlag in New York tätig war und als freie Mitarbeiterin sowohl in Zeitungen als auch in Zeitschriften Artikel über kontroverse Frauenthemen verfasste, vor allem über die „Neue Frau“ und die Geburtenkontrolle (birth control), womit vor allem die Empfängnisverhütung gemeint war. Ungeachtet der Mit- und Zuarbeit von Frauen, waren und blieben die Netzwerke, samt dem dabei gepflegten Kultus der Selbstreferentialität, männlich geprägt. Die Publizisten, die von sich reden machten, waren meist in den späten 1880er oder in den 1890er Jahren geboren. Ihr Wunsch nach Selbstfindung, Identität und Gemeinschaftserfahrung führten zu intensivierten Kommunikationsformen und Vernetzungen, mit New York und Chicago als räumliche Zentren und den Redaktionen als mediale und soziale Knotenpunkte.142 Nicht ohne Selbststilisierung interpretierten sich die vielfach jungen Männer schließlich als junge Generation (young generation), und ihre Selbstdefinition korrespondierte mehr und mehr mit den Fremdwahrnehmungen.143 Ausgestattet mit einem ausgeprägten Generations- und Geschlechtsbewusstsein, einem subjektiven Kollektivgefühl sowie einer Art „Zeitheimat“ (W. G. Sebald) beschäftigten sich die jungen Intellektuellen mit den Problemen und Tendenzen der sich rasch wandelnden amerikanischen Gesellschaft und ihren Selbstverortungen. Man kannte sich untereinander oder hatte zumindest von einander gehört. Die Arbeiten der Berufskollegen wurden genau zur Kenntnis genommen, und so lernten die „jungen Männer“ allmählich, sich wechselseitig einzuschätzen. Die Publizisten schufen für sich und ihresgleichen mittels der Zeitschriften einen medial stark vernetzten Kommunikationsraum und machten aus den

141 Siehe Alpern, Freda Kirchwey. Zu den wenigen Frauen siehe auch Biel, Independent Intellectuals, 109 f. 142 Biel, Independent Intellectuals, 88; Tyrrell, Historians, 47; allg. Bender, New York. New York war u. a. der Sitz von Scribner’s Magazine, The New Republic, The Nation, Review of Reviews, Literary Digest, Smart Set, Vanity Fair und The Bookman. Hingegen befand sich der Sitz der Zeitschrift Dial in Chicago. – Zu Greenwich/New York siehe Kapitel 6.3. In den zwanziger Jahren wohnten allerdings Intellektuelle auch häufig in den rustikalen Gegenden um New York. 143 Zu den jüngeren Kritikern zählten etwa Walter Lippman (geb. 1889), Kenneth Burke (geb. 1897), Malcolm Cowley (geb. 1898), Matthew Josephson (geb. 1899), Van Wyck Brooks (geb. 1886), Waldo Frank (geb. 1889) und Randoph Bourne (geb. 1886). Biel, Independent Intellectuals, 7. Zu den Älteren gehörten John Dewey (geb. 1859) und Thorstein Veblen (geb. 1857).

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1 US-Nation Builders: Die Qualitätsmagazine

Qualitätsmagazinen eine Art „trade papers of the intellectuals“144, zu denen auch Schriftsteller und Künstler gehörten. Doch der Korrespondentenring und das publizistische Netzwerk gingen weit über den Verlagsort hinaus, verteilten sich übers ganze Land, wie aus der weitläufigen Korrespondenz H. L. Menckens geschlossen werden kann.145 Manches little magazine entstand ebenfalls aus solchen Netzwerken.146 Allerdings verdichteten und ordneten sich die Netzwerkstrukturen nicht dergestalt, dass sie als „Schulen“ angesehen werden können, denn nicht der Gleichklang von Gedanken war gefragt, sondern der gekonnte Umgang mit einem großen Meinungsspektrum.147 Zur Vernetzung der Zeitschriften-Akteure trug des Weiteren der Wechsel vieler (Mit-)HerausgeberInnen von einer Magazinredaktion zur anderen bei. Da auch die Gelegenheitsautoren und -autorinnen aus Universität und Öffentlichkeit sowie viele Schriftsteller und Publizisten für diverse Magazine schrieben, verzweigten sich die Netzwerke immer mehr. Nicht selten bestanden auch Verbindungen zu jenen Universitäten, an denen die Herausgeber und Publizisten einst studiert hatten. Beispielsweise engagierten sich Harvard-Boys finanziell für die Zeitschrift The Atlantic und Old-Yaler für das Magazin Time.148 Gleichwohl beruhte die Arbeit der Zeitschriftenredaktionen hauptsächlich auf einer losen, stark selbstreferentiellen Gemeinschaft von liberalen Intellektuellen der Universitäten, die sich als Generalisten jenseits des sich herausbildenden Expertentums in den Universitäten verstanden.149 Sie sahen sich in der Position einer gehobenen Verantwortung für ihr Land und nahmen ihre Selbstverortung als neue Elite sehr ernst. Als Konstrukteure der öffentlichen Meinung wollten sie Vermittler in allen nationalen Kulturangelegenheiten sein. Obwohl die Magazine sich wechselseitig Konkurrenz machten, war das Kohäsionspotenzial unter den Publizisten dieses Subfeldes beträchtlich, zumal diese sich zu einer intellektuellen Elite zählten, die sich trotz aller Gesellschaftskritik dem Wohl des Landes und – wie im nächsten Kapitel gezeigt werden wird – gleichzeitig der Intensivierung transatlantischer Vernetzung verpflichtet fühlte.

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Cantwell, The Magazines, 354. Mott, A History, Bd. 5, 12. Trachtenberg, Critics, 5. So bestanden trotz Auffassungsunterschieden und Kontroversen zahlreiche Verbindungen zu den New Humanists Paul Elmer More und Irving Babbitt. Ebenso wenig waren Sozialisten wie Max Eastman und Michael Gold isoliert. 148 Tebbel/Zuckerman, The Magazine, 161–164. 149 Zu dem publizistisch aktiven Kreis gehörten u. a. John Dewey, Charles A. Beard, Randolph Bourne, H. L. Mencken, Van Wyck Brooks, Lewis Mumford, Edmund Wilson, George Jean Nathan, Waldo Frank, Carl Van Doren, Ludwig Lewisohn, Harold E. Stearns, Kenneth Burke, Joseph Wood Krutch, Paul Rosenfeld, George Soule und Stuart Chase sowie der sozialistische Schriftsteller Max Eastman.

1.5 Zur Leserschaft

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1.5 ZUR LESERSCHAFT Neue Kommunikationsmöglichkeiten, vor allem durch Telegraf und Eisenbahn, später durch Auto und Flugzeug, schufen leichtere und kostengünstigere Verbindungen selbst zwischen entfernt liegenden Regionen der USA. Die Magazine konnten unter solchen Voraussetzungen das ganze Territorium der USA bedienen. Ihrer Verbreitung kam ferner zugute, dass um 1900 die Alphabetisierung unter den in den USA geborenen Weißen bis über neunzig Prozent der Bevölkerung angestiegen war.150 Das machte sich vor allem auf dem Land bemerkbar. So gebe es nur wenige Farmen, die nicht eine Tageszeitung und ein national verbreitetes Magazin bezögen, hieß es.151 Für die 24 Millionen amerikanischen Haushalte standen nach einer Statistik aus dem Jahre 1921 rund 34 Millionen Tageszeitungs-Exemplare, 49 Millionen Wochenmagazin-Exemplare (weekly periodicals) und 84 Millionen Monatsmagazin-Exemplare zur Verfügung.152 Doch von solchen bombastisch klingenden Zahlen profitierten die Qualitätsmagazine nach den genannten Auflagenzahlen zu urteilen relativ wenig. Die wichtigste Lesergruppe der Qualitätsmagazine bestand aus Personen, die ihrerseits ebenfalls opinion leaders waren, wie etwa die Herausgeber anderer Zeitschriften sowie Reformer, Autoren und Lobbyisten, die, um ihre eigene Position in ihrem jeweiligen Feld zu überdenken oder zu festigen, sich ständig auf dem Laufenden halten mussten.153 So fungierte der mediale Kommunikationsraum für die neue Intellektuellenklasse als ein Vergemeinschaftungsraum. Er schuf für diese ein Forum, auf dem sich gesellschaftliche und nationale Belange diskutieren ließen und Intellektuelle sich untereinander entdeckten. „At its most democratic, the journal of opinion provides a forum where intellectuals can discover one another.“154 Angeblich wollte der Herausgeber der Zeitschrift The New Republic, Croly, auch gar kein breiteres Publikum ansprechen.155 Doch eine solche Einstellung war allein aus finanziellen Gründen problematisch. Außerdem wollten die Redaktionen mit ihren Magazinen ja zur Schaffung einer möglichst großen nationalen Öffentlichkeit beitragen, die auf den Schultern breiter akademischer (weißer) Mittelschichten beruhen sollte. Denn ursprünglich kam das Gros der Leser und Leserinnen nur aus den gehobenen Mittelschichten sowie den Oberschichten.156 Doch mit der Entstehung 150 Tyrrell, Historians, 47. Allerdings lasen die meisten gar keine Qualitätsmagzine. 151 Keppel, The Arts, 996. 152 Jesse Lee Bennett, „America Has a Book!“, in: The Bookman (Oktober 1925), Kurzform, in: The Reader’s Digest (November 1925), 443–444. 153 Tebbel/Zuckerman, The Magazine, 199, 204; vgl. auch Macy, Journalism, 51; Seideman, The New Republic, 48, 82. 154 Blake, Journals, 355. 155 Seideman, The New Republic, IX, 82. 156 Das gilt z. B. auch für die Zeitschrift The Nation. Schmidt, Magazines, 4.

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1 US-Nation Builders: Die Qualitätsmagazine

der professional managerial class, einer neuen, vielfach in Vororten der Städte lebenden, weniger gut ausgebildeten und weniger gut verdienenden Angestelltenschicht, sowie mit der zahlenmäßig immer stärker werdenden Gruppe der Freiberufler verbreitete sich seit dem Ende des 19. Jahrhundert der potentielle Leserkreis der Printmedien.157 Es waren Menschen mit einer so genannten middlebrow-culture, die, wie neuere Studien zeigen, das Lesen für sich vermehrt entdeckt hatten.158 Darunter befanden sich zahlreiche Akademiker der ersten Generation und vermutlich auch viele Frauen. Für Frauen waren alle Medien nicht zuletzt deshalb interessant, weil diese die relativen Abgrenzungen zwischen der privaten und der öffentlichen Sphäre durchbrachen. Denn die Qualitätsmagazine vermittelten öffentliche Angelegenheiten der privaten Sphäre, und umgekehrt wurden auch private Belange in die öffentlichen Kommunikationskanäle eingespeist.159 Wie viele von den potentiellen Lesern und Leserinnen tatsächlich Qualitätsmagazine rezipierten, lässt sich allerdings nicht feststellen, doch war, wie aus den verhältnismäßig niedrigen Auflagenzahlen zu schließen ist, der Kreis wohl recht begrenzt.160 Arbeiter kauften sowieso selten Printmedien, wie Untersuchungen über die Zeit von 1900 zeigten, obgleich sich dies in den zwanzuger Jahren zu ändern begann. Konfessions- und Detektiv-Magazine, Filmmagazine und Populärmagazine wie die Saturday Evening Post, fanden nunmehr auch in Arbeiterkreisen Absatz161, erwartungsgemäß aber keine Qualitätsmagazine. Zwar waren die Artikel in den Qualitätsmagazinen durchaus allgemeinverständlich geschrieben, dennoch wurden sie nicht von einem amerikanischen Massenpublikum gelesen, weil dieses eine leichtere Lektüre bevorzugte und entsprechende Angebote auch vorlagen.162 Eine in ländlichen Gegenden durchgeführte Studie aus den zwanziger Jahren brachte ans Licht, dass die hauptsächliche Lektüre zwar aus Zeitungen und Magazinen bestanden habe163, doch handelte es sich bei den Zeitschriften meist um Populärmagazine und nicht um Qualitätsmagazine. Lynds Middletown-Studie über die Stadt Muncie, Indiana, kam zu einem ähnlichen Ergebnis: Über 7.000 von 9.200 Personen hatten dort die großen Frauenmagazine wie Picturial Revue und Delineator abonniert, hingegen weniger als vierzig Familien Harper’s oder Atlantic Monthly.164 157 Vgl. Tebbel/Zuckerman, The Magazine, 109; Damon-Moore/Kaestle, Surveying, 181. 158 Nach Tyrrell, Historians, 45 f. Tyrrell bezieht sich seinerseits auf die Studien von Janice Radway. 159 Vgl. auch Lutz, Introduction. 160 Zu den aus den zwanziger Jahren stammenden Untersuchungen über das Leseverhalten von Erwachsenen in einem bestimmten Ort siehe Damon-Moore/Kaestle, Surveying, 181. Leider wird darin nicht zwischen Populär- und Qualitätsmagazinen unterschieden. 161 Ohmann, Selling Culture, 174, 363. 162 So Frederick Lewis Allen, nach Tebbel/Zuckerman, The Magazine, 189 f. 163 Nach Tyrrell, Historians, 45. 164 Nach Chafe, The Paradox, 115.

1.5 Zur Leserschaft

73

Allerdings konnten Qualitätsmagazine in vielen öffentlichen Bibliotheken (public libraries) rezipiert werden. Fast 400.000 Leser und Leserinnen sollen im Jahre 1921 allein Besucher der New Yorker Public Library gewesen sein.165 Und öffentliche Bibliotheken gab es viele im Lande. Im Jahre 1900 wurden in den USA 5.383 öffentliche Bibliotheken mit je über tausend Büchern registriert. Die zum Teil überaus repräsentativen, großen und modern eingerichteten Bibliotheksgebäude, etwa in Boston oder New York, sowie die vielen kleineren öffentlichen Bibliotheken – allein 350 Einrichtungen in Massachusetts – lassen darauf schließen, dass es eine nennenswert große Leserschicht gegeben haben muss.166 Vermutlich waren darunter viele Immigranten. Dass die Besucher und Besucherinnen der öffentlichen Bibliotheken allerdings vorrangig Qualitätsmagazine lasen, muss bezweifelt werden. Die Autoren der Qualitätsmagazine schrieben ja nicht zuletzt über politische Themen, wohl wissend, dass das Gros der potentiellen Leser und Leserinnen sich gerade dafür wenig interessierte.167 Das sei freilich eine relativ neue Entwicklung, beklagte damals der Schriftsteller Dunkin Aikman. Ein Thema wie die Kriegsschuldenfrage wäre zu früheren Zeiten sicherlich breit diskutiert worden, doch nun reagierten viele Amerikaner, die auf solche Probleme angesprochen wurden, mit apathisch klingenden Plattitüden (apathetic platitudes) und einem gelangweilten Zynismus bzw. einem schnellen Themenwechsel.168 Der Politikwissenschaftler Frank A. Kent bestätigte 1925 im Harper’s Magazine diese Beobachtung: Im Unterschied zu Großbritannien und anderen europäischen Ländern sowie zu Kanada hätten die meisten Amerikaner kein politisches Bewusstsein. Einst, um 1800, sei dies auch in den USA noch anders gewesen. Kent brachte die politische Apathie der Amerikaner mit der für ihn erschreckend geringen Wahlbeteiligung, selbst bei den so genannten Primaries, in Verbindung. Diese liege unter fünfzig Prozent, während die Wahlbeteiligung in den europäischen Ländern zwischen siebzig und achtzig Prozent betrage.169 165 166 167 168

Covert, Preface, XII. Ähnlich auch Münsterberg, The Americans, 449–453. Vgl. u. a. Heald, Transatlantic Vistas, 228 f. Duncan Aikman, „What Babbitt Won’t Talk About“, in: Harper’s Magazine (April 1926), Kurzform in: The Reader’s Digest (Mai 1926), 17–18, 18. Aikman war Autor des 1927 veröffentlichten Buches Calamity Jane and the Lady Wildcats. 169 Frank R. Kent, „The Political Decline of America“, in: Harper’s Magazine (Dezember 1925), 14–18, 16, 18. Der Engländer Harold J. Laski stellte ebenfalls eine auffallende politische Apathie der Amerikaner in The New Republic vom 18. Januar 1928 fest. Abdruck in: Wickenden, The New Republic Reader, 222. Charles E. Alexander konstatiert in seiner Studie eine politische Apathie selbst bei amerikanischen Intellektuellen und Künstlern, etwa bei Waldo Frank, Paul Rosenfeld und Matthew Josephson. Alexander, Here the Country, 114. Doch sollte nicht vergessen werden, dass deren kulturpolitisches Engagement von großer Relevanz für die Suche nach nationaler Identität und damit im weiteren Sinne durchaus politisch war.

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1 US-Nation Builders: Die Qualitätsmagazine

Apathie gebe es nicht nur gegenüber der Innenpolitik – lieber gingen die Leute zu Sport- und Freizeitveranstaltungen – sondern speziell auch mit Blick auf die Außenpolitik, unter dem Motto, die Ausländer sollten sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern. Mit welcher Ignoranz Amerikaner den vielen Europäern begegneten, sei manchmal erstaunlich.170 Die „Massen“ in den USA wären speziell gegen alles Europäische misstrauisch, registrierte der amerikanische Journalist Edgar Ansel Mowrer, und er fragte sich, ob dahinter vielleicht mehr als Starrhalsigkeit stecke?171 Der Durchschnittsamerikaner beschäftigte sich demnach auch selten mit europäischen Aversionen gegenüber Amerika; er oder sie lese die entsprechenden Texte nicht einmal, es sei ihnen grundsätzlich egal, was die anderen Nationen über die USA dächten, hieß es 1923 in einem Artikel der Zeitschrift The Forum.172 Noch weniger interessierten allerdings andere Weltregionen. Selbst große Ereignisse, etwa die Hungerkrise in China 1927, erregten in den USA kaum Aufmerksamkeit, vermutlich weil sich das Geschehen weit jenseits des eigenen Erfahrungshorizonts abspielte.173 In den Augen des damals stark nachgefragten und unter der Wilson-Regierung politisch einflussreichen Historikers James Truslow Adams waren die USA schlicht provinziell und wurden noch immer (1929) vom Frontier-Denken geprägt.174 Ein Herausgeber mehrerer Magazine habe ihm erklärt, so Adams, dass er aus diesem Grund nichts veröffentliche, was nicht direkt mit Amerika zusammenhänge. Und ein anderer Herausgeber eines der besten Magazine, der ab und zu einen Artikel über ein fremdes Land veröffentlichte, habe bedauert, dass seine Leser darauf nicht reagierten.175 Auch der transatlantisch denkende, über Jahre in Cambridge und Boston lehrende deutsche Psychologe Hugo Münsterberg beobachtete eine weit verbreitete Ignoranz der Durchschnittsamerikaner gegenüber dem Rest der Welt, auch gegenüber Europa. Der „Normalbürger“ wisse nichts über Europa und wolle auch nichts darüber wissen, da ihm das Sammeln von Informationen offenbar zu mühsam sei. Die Presse agiere diesbezüglich wenig hilfreich, weil sie zu schlecht berichte und sich primär auf Sensationen stürze. England weise unter Amerikanern noch den größten Bekanntheitsgrad auf, da viele mit der Vorstellung aufwüchsen, dass es sich bei den USA um eine Art englische Nation handle. Deshalb übersähen sie die Kontinentaleuropäer leicht. Münzen170 Joseph Collins, M. D., „Childish Americans“, in: Harper’s Magazine (Januar 1926), 133–141, 140; vgl. auch James Truslow Adams, „May I Ask …?“, in: The Forum (Oktober 1929), 207–213, 210; Stephen Leacock, „Americans Are Queer“, in: The Forum (April 1923), 224–225, 225. 171 Mowrer, Amerika, 189. 172 Stephen Leacock, „Americans Are Queer“, in: The Forum (April 1923), 224–225, 225. 173 Kirkhirn, This Curious Identity, 137 f. 174 Vgl. diverse Abschnitte im fünften Kapitel. 175 James Truslow Adams, „May I Ask …?“, in: The Forum (Oktober 1929), 207–213, 210. Die Namen der Herausgeber wurden nicht genannt.

Zusammenfassung

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berg kritisierte dies, denn ganz Europa sei schließlich als das Mutterland von Amerika anzusehen176 – eine Meinung, die der Auffassung vieler Angelsachsen diesseits und jenseits des Atlantiks zuwiderlief. Münsterbergs Bemerkung lässt allerdings auch den Schluss zu, dass der Anspruch des Inselreichs als alleiniges Mutterland zu gelten, zumindest gelegentlich auf Unmut der Kontinentaleuropäer stieß.

ZUSAMMENFASSUNG Verglichen mit anderen Printmedien wurden die Qualitätsmagazine in Selbstund Fremdeinschätzungen als besonders hochwertig eingestuft, und diese Bewertung hat sich im Großen und Ganzen bis heute gehalten. Wer mit der gesellschaftspolitischen Ausrichtung bestimmter Magazine nicht übereinstimmte, erkannte immerhin die Relevanz der diversen Funktionen dieser Zeitschriften und den relativ hohen Standard journalistischer Tätigkeit an.177 Die Qualitätsmagazine nahmen vielfache Funktionen in der Gesellschaft wahr, und zwar vor allem den Aufbau lebendiger transatlantischer Kommunikationszonen, die Vermittlung von Expertenwissen, die Beteiligung an Nationskonstruktionen und die Deutungen gesellschaftlichen Wandels sowie die Steuerung des literarischen und künstlerischen Feldes. Bildeten die kooperativ angelegten Querverbindungen zwischen den einzelnen Zeitschriftenredaktionen und ihren (meist männlichen) Herausgebern und Autoren das eine Merkmal des Feldes, so bestand das andere Charakteristikum aus zahlreichen Konkurrenzkämpfen, die schließlich unter dem Druck „ökonomischer Gesetze“ sogar zum Ende diverser Zeitschriften führte. Ein Gerangel entwickelte sich zudem um die besten Positionen innerhalb des Feldes, wobei die linksliberalen Zeitschriften The Nation und The New Republic eine Spitzenstellung gegenüber anderen Zeitschriften erlangten, die ihnen nur Menckens American Mercury für einige Jahre erfolgreich streitig machte. Als journalistische Neuerungen, die sich nicht zuletzt in Gründungen entsprechender Magazine niederschlugen, erwiesen sich die medialen Diskussionsforen, die Herausstellung des Digest-Charakters, die Konzentration auf Reprints, die Fokussierung auf Nachrichten in Kurzform und schließlich in den dreißiger Jahren die großen Fotoreportagen.

176 Münsterberg, American Patriotism, insb. 4–7, 13, 18, 22. 177 In Bezug auf die Zeitschrift The New Republic siehe die Gesamteinschätzung von Seideman, The New Republic, 168.

2 EUROPA IM FOKUS „Who Will Be Master, Europe or America?“ Der ökonomisch ausgebildete Journalist und zeitweise Herausgeber des Figaro, Lucien Romier, war sicherlich nicht der einzige Intellektuelle in Europa, der 1928 eine solche Frage aufwarf. Romiers Buch mit dem gleichnamigen Titel wurde rasch ins Amerikanische übersetzt und 1929 in der renommierten Zeitschrift The Nation unter der Überschrift America’s Fate rezensiert.1 Solche Pauschalfragen wie die von Romier sollten zwar primär bei den Lesern und Leserinnen Interesse für den Artikel erzeugen, dahinter standen jedoch oftmals Stereotype. Stereotype über andere Völker dienen bekanntlich von jeher den Menschen als Orientierung. Sie erleichtern Ein- und Zuordnung neuer Informationen und Eindrücke. Gespeichert in mental maps vereinfachen und schematisieren sie die stets selektiven Wahrnehmungen realer Erscheinungen, generalisieren sie, integrieren sie in ein meist binäres Denkmuster und lösen sie von ihren Entstehungskontexten ab, so dass sie sich verselbstständigen und stabilisieren können. „Nicht die halbe Wahrheit oder die halbe Lüge macht das Stereotyp zum Stereotyp“, sondern sein „apriorischer Charakter“, was heißt, dass Stereotypen „nicht hinterfragbar, nicht falsifizierbar“ sind.2 In retrospektiven Analysen müssen allerdings durchaus Stereotype hinterfragt, zumindest in die jeweiligen geschichtlichen Kontexte eingeordnet werden. So kann das späte 19. und das frühe 20. Jahrhundert als eine Phase gelten, in der ältere Stereotype auf neue Erkenntnisse in der Sozialpsychologie und den Naturwissenschaften stießen, die ihrerseits die Unterschiede sowohl zwischen Gruppen als auch zwischen Nationen fokussierten.3 Dabei spielte die stark hierarchisierte Differenzbestimmung von „Rassen“ eine wesentliche Rolle.4 Auf Grund des damaligen Modernisierungs-, Urbanisierungs- und Medialisierungsschubs in westlichen Gesellschaften intensivierte sich zudem die Suche nach zeitgemäßen, gleichwohl stabilen Leitbildern und Sinnstiftungen sowohl in den USA als auch in europäischen Ländern. Sicherlich, Stereotype sind meist stabil, ja sogar oft statischer Natur, gleichwohl verändern sie 1

2 3 4

Lucien Romier, Who Will be Master, Europe or America?, aus dem Französischen übersetzt von Matthew Josephson, New York 1928; William McDonald, „America’s Fate“ (= Rezension über Bernard Fays Buch An American Experiment), in: The Nation (Oktober 1929), 362. Hahn/Hahn, Nationale Stereotypen, 25. In Bezug auf soziale Gruppen sind die Tendenzen zur Biologisierung des Menschen und zur Messung von Körper und Intelligenz gemeint. Einflussreich war das Buch von William McDougalls, Introduction to Social Psychology (1908). Hierzu Sluga, The Nation, 66–69.

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2 Europa im Fokus

sich – ungeachtet ihrer Verselbständigungstendenzen – in Raum und Zeit, weil auch die jeweils betroffenen Gesellschaften und damit die Kontexte, in die Stereotype eingelassen sind, einem Wandel unterliegen. Stereotype müssen sich solchen Wandlungsprozessen zumindest bis zu einem gewissen Grad anpassen, anderenfalls verlören sie ihre Funktion, zu Aussagesystemen über die eigene Nation in Relation zu anderen Nationen beizutragen.5 Weil Entstehung und Existenz von Stereotypen in starkem Maße kontextabhängig waren und sind, verraten diese mehr über die Befindlichkeit ihrer Träger-Gesellschaft als über die stereotypisierte Gesellschaft.6 Für die Träger-Gesellschaft gewann sie insofern gesellschaftspolitische Bedeutung, als sie „nach innen integrieren und nach außen abgrenzen“ konnten. Sie wirkten demnach ähnlich wie nationalistische Denkschemata, mit denen sie überdies ja oft verschränkt waren und sind.7 Die mit Stereotypen unterlegten Differenzen zwischen den USA und Europa wurden in Europa vor allem vernehmbar, nachdem die USA infolge des Ersten Weltkrieges zur ökonomischen und politischen Weltmacht aufgestiegen waren und während der zwanziger Jahre in mannigfacher Weise auf Europa einwirkten. Angesichts dieser als Amerikanisierung Europas gekennzeichneten Trends8 breiteten sich auf dem Alten Kontinent Unsicherheiten und Bedrohungsängste aus. Die mit den Bedrohungsängsten in Europa aufblühenden Stereotype über die USA formten oftmals ein in sich relativ geschlossenes US-kritisches und oftmals stereotypisiertes Aussagesystem, das pauschalisierend als Antiamerikanismus bezeichnet worden ist. Im Folgenden soll rekonstruiert werden, wie die Herausgeber und Autoren amerikanischer Qualitätsmagazine den so genannten europäischen Antiamerikanismus und die entsprechenden Stereotypen wahrnahmen, wie sie darauf reagierten (1), welche Antwortstrategien sie entwickelten (2) und warum transatlantische Übersetzungsarbeiten so wichtig waren (3). Zudem wird gezeigt, inwiefern (Anti-)Europäismus und (Anti-)Amerikanismus sowie Europäisierungs- und Amerikanisierungstendenzen sowohl parallel existierten als auch kreuzweise aufeinander bezogen waren (4). Anschließend fällt Licht auf transatlantische Eliten, die sich als große Hoffnungsträger begriffen (5). Den Schlusspunkt setzt die Darstellung des groß angelegten transatlantischen Geschichtsnarrativs in Form der Harper Serie sowie des ebenfalls transatlantisch angelegten Civilization-Konzepts (6). Damit wird ein Bogen gespannt, der sowohl den transatlantischen Differenzcharakter als auch dessen konzeptionelle Überschreibung umfasst.

5 6 7 8

Hahn/Hahn, Nationale Stereotypen, 31. Walter Lippmann hat sich schon 1922 intensiv mit Stereotypen auseinandergesetzt. Lippmann, Public Opinion, 95. Hahn/Hahn, Nationale Stereotypen, 27. Ebd., 28; vgl. auch Jeismann, Was bedeuten Stereotypen, insb. 90 f. Dazu ausführlich de Grazia, Irresistible Empire; Nolan, Visions.

2.1 Perzeption des europäischen Antiamerikanismus

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2.1 PERZEPTION DES EUROPÄISCHEN ANTIAMERIKANISMUS „The Americans […] were little concerned with public opinion in Europe, a continent from which they now wanted to separate themselves politically and culturally as much as possible.“9 Diese Aussage des Historikers Jürgen Heideking stimmt zwar mit Blick auf die Durchschnittsamerikaner und in Bezug auf die gewünschte Loslösung von Europa. Doch sie stimmt nicht für die Vertreter „gehobener Publizistik“, die sich sehr wohl für die öffentliche Meinung in Europa interessierten. So wurden in den amerikanischen Qualitätsmagazinen alle relevanten europäischen Amerikabilder vorgestellt. Dabei fiel den Redakteuren und Autoren als erstes die nach 1918/19 erfolgte Zunahme und Intensivierung des europäischen Antiamerikanismus ins Auge – selbst in jenen Ländern, wie Frankreich und England, die vom Militäreinsatz der USA im Weltkrieg entscheidend profitiert hatten.10 Die neuartig schrillen Töne aus Europa schlugen sich auch in einigen Artikel-Überschriften nieder: Does England Dislike America?11, Does France Hate America?12 oder What’s Wrong With the United States?13 Einige Schlagzeilen wiesen in die gleiche Richtung: Amerika sei europaweit die unbeliebteste Nation. „Uncle Shylock we are called“, lamentierte der amerikanische Historiker Thomas Jefferson Wertenbaker. Amerika sei in Europa die verhassteste Nation, meinten auch der in Amerika langjährig lehrende Engländer George E. G. Catlin sowie das amerikanische Autorenehepaar Francis Miller und Helen Hill.14 Der amerikanische Neurologe Joseph Collins monierte 1927 im Harper’s Magazine, dass andere Nationen die Amerikaner ansähen, als seien sie eine „conglomeration of business wizards, unbeatable polo-players, peerless cup-defenders, whose days are given over to making money“.15 Der aus den Südstaaten stammende John Crowe Ransom konstatierte ebenfalls, dass ein Umschwung (revulsion) in der europäischen Öffentlichkeit eingetreten sei und sich eine Feindseligkeit gegenüber den USA dauerhaft eingenistet habe (an almost solid barrier of hostility).16 Der Sozialphilosoph und protes9 10 11

Heideking, The Constitution, 252. Woodward, The Old World’s New World, 46. C. E. M. Joad „Does England Dislike America?“; in: The Forum (November 1928), 692–698. 12 Pertinax (= André Geraud), „Does France Hate America“, in: The Forum (Dezember 1928), 871–875. 13 Thomas Jefferson Wertenbaker, „What’s Wrong With the United States?“, in: Scribner’s Magazine (Oktober 1928), Kurzform in: The Reader’s Digest (November 1928), 387–388. 14 George E. G. Catlin, „America under Fire. A European Defense of Our Civilization“, in: Harper’s Magazine (Juli 1927), 222–227; Francis Miller / Helen Hill, „Mare Nostrum“, in: The New Republic (Oktober 1930), 168–170, 169. 15 Joseph Collins, „Childish Americans“, in: Harper’s Magazine (Januar 1926), 133–141, 141. 16 Ransom, Reconstructed, 222.

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2 Europa im Fokus

tantische Theologe Reinhold Niebuhr stellte 1926 in der Zeitschrift The Atlantic Monthly und im Reader’s Digest fest: „Any cursory glance at the journals of Europe must convince even the most heedless American that tides of hatred, mixed with envy, are rising against us in the world.“17 Amerika habe heutzutage keine Freunde mehr, glaubte auch der Politikwissenschaftler von der Harvard Universität, Raymond Leslie Buell, wobei er sich bei der Frage zurückhielt, ob dies gerechtfertigt sei.18 Amerika sei jedenfalls zu machtvoll, um gemocht zu werden (to be liked), beklagte 1926 der Radiokommentator H. V. Kaltenborn. „The astute European statesman sees us as children playing with the new-won toy of World Power.“19 Der französische Amerika-Kenner Bernard Fay, der an sich ein recht differenziertes Bild über Amerika zeichnete, bestätigte ebenfalls, dass sich in Europa eine hasserfüllte Angst gegenüber den USA (hateful fear) verbreitet habe und alle anderen Gefühle zu überdecken drohe. Ein Korrespondent der New York Times fasste die Gesamtstimmung wie folgt zusammen: „Von allen Völkern in der Welt sind die Amerikaner jetzt die unbeliebtesten und die Vereinigten Staaten heute der unpopulärste Staat auf der Erde. Die zivilisierte Welt zerfällt allmählich in zwei Hälften – die Vereinigten Staaten auf der einen und alle anderen auf der anderen Seite.“20 Ein Europäer und Transatlantiker wie Hermann Graf Keyserling konstatierte 1929 in der Zeitschrift The Forum ebenfalls, das allgemeine Gefühl (general feeling) der Europäer gegenüber Amerika sei schlicht Abneigung (dislike).21 John Dos Passos berichtete im selben Jahr in The Nation von einer Serie der Zeitschrift España, in der die USA als ein bösartiger Koloss dargestellt worden seien, der auf den Hoffnungen der westlichen Welt herumtrample (a malignant colossus trampling out hope of the western world). Der hehre amerikanische Idealismus habe sich als eine Luftblase (bubble) erwiesen und schade dem Ansehen der USA sehr, so Dos Passos, und er resümierte: „From the loved refuge from oppression in how few years have we become for all the world one of the most hated of militarist nations!“22 Die in Frankreich lebende amerikanische Journalistin Ida Treat ging speziell auf den französischen Antiamerikanismus ein. Seit dem Mai 1926 habe sich die dortige Stimmung wegen des Dollar-Wertverlustes noch mehr als früher gegen die USA gewendet. Zuvor habe Charles Lindbergh (durch seine 17

Reinhold Niebuhr, „Puritanism and Prosperity“, in: The Atlantic Monthly (Juni 1926), Kurzform in: The Reader’s Digest (Juli 1926), 163–164, 163. 18 Raymond Leslie Buell, „American Imperialism“, in: The Yale Review (Oktober 1925), 455–458, 455. 19 H. V. Kaltenborn, „America’s Place in the World“, in: The Century Magazine (April 1926), Kurzform in: The Reader’s Digest (Mai 1926), 49–50, 49. 20 Zit. n. Denny, Amerika, 25. 21 Hermann Graf Keyserling, „America and Germany“, in: The Forum (April 1929), 199– 203, 200. 22 John Dos Passos, „America and the Pursuit of Happiness“, in: The Nation (Dezember 1929), 777–778, 777.

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faszinierende Flugleistung) es geschafft, die Stimmung gegenüber den USA etwas aufzuhellen. Doch die Verurteilung und Hinrichtung der beiden italienischen Anarchisten Sacco und Vancetti hätten in Frankreich viel böses Blut angerichtet, was die meisten Amerikaner ihrerseits nicht verstünden.23 Sogar Vergleiche mit der Affaire Dreyfus24 seien angestellt worden. Treat berichtete außerdem über die große Parade der amerikanischen Veteranen in Paris im September 1927. In Frankreich sei diese Feier zwar auf viel Beifall gestoßen, aber auch zynische Bemerkungen wären zu hören gewesen, etwa die, warum die Amerikaner ihren elektrischen Stuhl nicht gleich mitgebracht hätten oder warum so wenige schwarze Verstümmelte mitmarschierten, ob all die anderen Negroes gelyncht worden seien. Die starken Ressentiments gegenüber den USA hätten schließlich dazu geführt, dass die Franzosen nicht wirklich mitfeierten und es deshalb letztlich bei offiziellen Zeremonien geblieben sei. Schon die Parade auf den Champs Élysées im September 1919 hätte wegen ihrer fröhlichen und peppig aufgemachten Inszenierung die Gefühle vieler Franzosen verletzt, weil dadurch der Eindruck entstanden sei, dass die Amerikaner den europäischen Krieg nicht ernst genommen hätten.25 Nicht nur in Frankreich, auch in England schien die Abneigung (dislike) gegenüber den USA gewachsen zu sein, insbesondere unter den Tories, meinte 1929 der deutsche Transatlantiker Graf Keyserling in der Zeitschrift The Forum.26 Diese Ansicht teilte auch der Engländer Geoffrey Layman 1931 in derselben Zeitschrift. Er verwies auf den verbreiteten Eindruck bei seinen Landsleuten, wonach sich die beiden Nationalcharaktere (national characters) auseinander entwickelt hätten. Eine grundlegende Antipathie (fundamental antipathy) gegenüber den USA sei in England mittlerweile verbreitet. Massiv kritisiert wurden die Kriegsschuldenfrage und das Prohibitionsgesetz. Das als Besserwisserei ausgelegte Verhalten vieler Amerikaner werde in England ebenso als störend empfunden und auf den Glauben vieler Amerikaner an die vorgebliche moralische Superiorität und Außergewöhnlichkeit der Neuen Welt zurückgeführt. „The American, we think, always tends to regard himself as an exception of the rules which he would like to see enforced upon others.“

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Die beiden italienischen Einwanderer, die als Anarchisten galten, wurden trotz mangelhafter Beweise wegen doppelten Raubmordes verurteilt und 1927 hingerichtet. Dabei handelte es sich um die Verurteilung des jüdischen Hauptmanns Dreyfus 1894 wegen angeblichen Landesverrats. Zwar wurde dieser später rehabilitiert, doch löste der Prozess eine politische Krise in Frankreich aus, in der der Antisemitismus eine zentrale Rolle spielte. Ida Treat, „Is This America?“, in: The Nation (Oktober 1927), 420–422, Zitat 422. Die Parade sei tatsächlich geschmacklos gewesen, konstatierten und bedauerten auch die amerikanischen Zeitschriften The Nation und Literary Digest. Nach Kennedy, Over Here, 365. Hermann Graf Keyserling, „America and Germany“, in: The Forum (April 1929), 199– 203, 200.

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2 Europa im Fokus

Sicherlich, jede Nation denke, sie sei besser als die anderen, aber die Amerikaner machten von ihrer Selbsteinschätzung als herausragende Nation sehr viel Aufhebens (make so much noise about it). Solange die Größe der USA auf britische Kosten gehe, könnten in England keine positiven Einstellungen gegenüber den USA erwartet werden. Schließlich folgte eine elitär anmutende Pauschalkritik gegenüber der amerikanischen Zivilisation. But the new civilization which we see arising in America is dangerous precisely because it is in structure the same as our own, being indeed based on the old civilization common to both of us, and differing only in its style. It is in fact a vulgarization of our own civilization; and vulgarity is a much more infectious complaint than Communism. Vulgarity, I take it, is the expression of the uncultivated instincts of the herd.

Während in den USA unter respektablen Leuten (decent people) in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts noch gute Sitten (good manners) geherrscht hätten, habe die neue Massenzivilisation (mass civilization) eine Vulgarisierung des mentalen und geistigen Lebens der Nation mit sich gebracht, denn „it is not given to the many to live the mental and spiritual life of the few“.27 Noch schärfer formulierte 1928 der bekannte englische Philosoph C. E. M. Joad in der Zeitschrift The Forum die in Großbritannien grassierende Antipathie gegenüber Amerika. Joad prangerte die angebliche Donquichotterie (quixotism) und Scheinheiligkeit (hypocrisy) Amerikas an. So verwies er u. a. auf die große Diskrepanz zwischen verkündeten Glaubenssätzen und tatsächlichen Handlungsweisen. Außerdem komme in England die in Amerika gängige Wertschätzung von Größe, Geschwindigkeit, Geld und allem Mechanischen (mechanism) nicht gut an. Engländer kritisierten zudem Ruhelosigkeit und Langeweile (boredom) der Amerikaner. Reiche Amerikaner seien häufig ignorante und insgesamt wenig erfreuliche Gestalten. Schließlich prognostizierte Joad, England werde in 300 Jahren in völlige Abhängigkeit von Amerika (appanage) geraten. England existiere dann nur noch als Spielzeugland für reiche, vulgäre Amerikaner (the toy and the plaything of the vulgar rich). Allein schon wegen dieser Vorstellung würden die Engländer die Amerikaner nicht mögen. Für Joad ähnelten vor allem die amerikanischen Touristen den alten Vandalen, die England regelrecht überfielen – ein Land, das jenseits der großen Städte, wie er meinte, noch immer als liebenswert gelten könne.28 Solche pauschalen Einschätzungen, in amerikanischen Qualitätsmagazinen veröffentlicht, zeigen, wie sich machtpolitische und kulturelle Argumente zu einer gefährlichen Mischung aus Stereotypen, Ängsten, Voreingenommenheit und Vorwürfen verschränkten. Die Aversion gegen die USA ging weit über gängige Dissonanzen zwischen Nationen hinaus. Mag sein, dass Joad 27 28

Geoffrey Layman, „An Englishman’s Opinion of Us“, in: The Forum (Februar 1931), 123–128, Zitate 127 f. C. E. M. Joad, „Does England Dislike America?“, in: The Forum (November 1928), 692–698. Zur antibritischen Stimmung in den USA siehe Kapitel 2.4.

2.1 Perzeption des europäischen Antiamerikanismus

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übertrieben hat, doch eine generelle antiamerikanische Einstellung registrierte auch einer der Herausgeber der Hearst Magazin-Gruppe, William C. Lengel, während seines vierjährigen Aufenthalts in England in fast allen Schichten. Lengel führte eine solche Gesinnung vor allem auf die ökonomische Konkurrenzsituation zwischen den USA und Großbritannien zurück. Einzig britische Arbeiter zeigten sich vom Lebensstandard der amerikanischen Arbeiter, den sie vielfach aus Filmen kannten, tief beeindruckt.29 Die europäische Amerikakritik und der europäische Antiamerikanismus wurden durch USA-Reisen vieler Europäer untermauert und dabei bereits existierende Stereotype bestätigt. André Maurois, schon damals ein bekannter französischer Schriftsteller und Historiker, der zeitweise an der Princeton Universität dozierte und als guter Kenner der USA galt, veröffentlichte 1931 in der Zeitschrift Atlantic Monthly und in Kurzform im Reader’s Digest einen Artikel, in dem er über Wahrnehmungen französischer USA-Touristen berichtete. Bei solchen Gelegenheiten erlebten diese etliche Sonderbarkeiten, etwa die eher kargen Unterhaltungen, die große Bedeutung der Alkoholfrage, den hastig eingenommenen Lunch sowie besondere Statussymbole und Distinktionsweisen. Durch Wahrnehmungen der amerikanischen Andersartigkeit würden sich die Reisenden erst richtig ihrer jeweiligen nationalen Eigenheiten bewusst. „A people is a mirror in which each traveler contemplates his own image […] one finds, what one brings.“30 Obwohl der europäische Antiamerikanismus die Nationalgefühle vieler Amerikaner verletzte, sollten nach Ansichten der liberalen Publizisten emotionale Regungen aus den jeweiligen Antworten herausgehalten werden, galt Emotionalität in der US-Gesellschaft doch als weiblich und deshalb genauso wenig weiterführend wie die „primitive Emotionalität“ (primitive emotionality), die den African Americans und dem so genannten Mob der Großstädte zugeschrieben wurde.31 Zwar ließen sich die liberalen Autoren von solchen geschlechts- und rassenbezogenen Deutungen über die Gefühlswelt sicherlich nicht leiten, doch war ihnen auch die Emotionalität der so genannten „Einhundertprozent-Amerikaner“ (hundred per cent Americans) und der Genteel-Kultur zuwider. Nach dem Ersten Weltkrieg sprach der Publizist Harold E. Stearns deshalb von der Notwendigkeit, sich mit Emotionen generell zurückzuhalten (muffling of emotions).32 In den Antworten sollte anstelle von Emotionalität eine gewisse Coolness vorherrschen. Coolness wurde damals ein Modewort. Es versinnbildlichte die Loslösung von der stärker emotional ausgerichteten Kultur der viktoriani-

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Nach Richards, America, 99. André Maurois, „Advice to a Frenchman Going to America“, in: The Atlantic Monthly (September 1931), Kurzform in: The Reader’s Digest (November 1931), 1–3. Schneirov (The Dream, 245) verweist auf die Zeitschrift The Atlantic Monthly. Stearns, The Intellectual Life, 148.

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2 Europa im Fokus

schen Zeit.33 Die Neuorientierung entsprach dem massiven Gesellschaftswandel des frühen 20. Jahrhunderts. Gefragt waren nunmehr coole Reaktionen auf emotional aufgeladene Wahrnehmungen, und damit wuchs die Aversion gegen Emotionalität im öffentlichen Diskurs. Sicherlich zielte diese Neuausrichtung primär auf das Verhalten der Mittelschicht-Männer ab, das sich nicht zuletzt dadurch vom angeblich emotional handelnden Mob sowie von der imaginierten Emotionalität der Frauen unterscheiden sollte. Auch erhofften sich einige an der Nationsbildung interessierte Publizisten, dass Coolness zur nationsweiten Homogenisierung der Verhaltenskultur beitragen werde.34 Es waren die neuen Sozial- und Kulturexperten, die solche Standards setzten, um einer durch Arbeitskämpfe, Urbanisierungswellen, Modernisierungstrends und Immigranten„massen“ stark fragmentierten Nation zu einer „gemeinsamen Kultur“ (common culture) zu verhelfen. Cool zu sein – diese Haltung hob sich zudem angeblich vorteilhaft gegenüber jener der Europäer ab, die damals in den USA oft als durch Emotionalität und Impulsivität gekennzeichnet galten und so ein Kontrastbild zum Amerikaner darstellten. „We have seen“, schreibt der Historiker Peter N. Stearns aus heutiger Sicht rückblickend, „that some popularizations, particularly those dealing with grief, delighted in contrasting American rationality with European ungoverned impulse.“35 Unter Publizisten galt es demnach als opportun, sich etwaige Verletzungen, die durch antiamerikanische Äußerungen entstanden waren, nicht anmerken zu lassen. So versuchten die Autoren, aus einem gewissen nationalen Selbstbewusstsein heraus dem europäischen Antiamerikanismus in freundlich-sachlicher Weise zu begegnen und die Gemüter nicht noch weiter anzuheizen. Das fiel offensichtlich manchen Autoren nicht ganz leicht. Allein die in den Magazinen verbreitete Frage, wer die Amerikaner mag und wer nicht, zeigt, dass in den zwanziger Jahren Coolness noch nicht verinnerlicht worden war, zumindest nicht, was das Verhältnis der Amerikaner zu den Europäern anging. Solche Fragen hätten sonst erst gar nicht gestellt werden dürfen, auch dann nicht, wenn diese Art von reißerischen Überschriften und Slogans allein deswegen ausgewählt worden sein sollten, um in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit zu erregen. Im Unterschied zu den Überschriften waren die Antwor33

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Dazu und zum Folgenden Mentges, Coolness. Die Entstehung von Coolness führen einige Autoren auf die Zeit der Sklaverei zurück, als African Americans ihre Wut über Unrechtbehandlungen unterdrückten, um einer Strafe zu entgehen. Eine solche Verhaltensform wurde offenbar in den Kodex von weißen männlichen Amerikanern integriert, während diese ihrerseits die Schwarzen, wie angedeutet, mit primitiver Emotionalität in Verbindung brachten. Eine Parallele führt nach Westeuropa, wo sich in den 1920er Jahren eine Kultur der Kälte in Form einer Panzerung des Subjekts (Helmut Lethen) herausbildete. Stearns, American Cool, 2, 4–6, 185, 193. Ebd., 203, 303; vgl. auch Saldern, Emotions.

2.2 Einwände gegen den europäischen Antiamerikanismus

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ten allerdings tatsächlich wenig von Emotionen geprägt und stattdessen auf sachbezogene Argumente ausgerichtet. Allein gegenüber Frankreich kamen Gefühle offen zum Ausdruck. Der in Frankreich kursierende Antiamerikanismus schmerzte wohl am meisten, denn viele Amerikaner liebten dieses Land, und sie nahmen mit Genugtuung wahr, dass die Franzosen sie direkt nach dem Krieg noch als die großen Freunde Frankreichs gefeiert hatten.36 Immer wieder erklang in den amerikanischen Qualitätszeitschriften auch ein Loblied auf das schöne Paris und die französische Lebensart.37 Die zwei Nationen hätten zudem viele Gemeinsamkeiten, so hieß es, verfolgten sie doch beide hohe Ideale. Frankreich habe einst beim Kampf für die Unabhängigkeit Amerikas geholfen, und daraufhin habe Amerika eine ewig währende Liebe zu diesem Land geschworen (and from that day America swore an eternal love for France), wie anlässlich des großen Empfangs zu hören war, den die amerikanische Regierung 1922 dem französischen Marschall Foch bereitet hatte.38 Eine besondere Art von Coolness legte die Zeitschrift The Nation an den Tag, als sie in Form von Sketchen unter der Überschrift „America in Europe“ den europäischen Antiamerikanismus lächerlich machte. So fragt ein Spaziergänger in Europa einen Angler: „Catching anything?“ Und dieser antwortet: „Not a Thing.“ Daraufhin der Spaziergänger: „Well, I suppose, America is to blame.“ Ähnlich war auch die angebliche Pressemitteilung über den italienischen Vulkan: „Stromboli is again reported to be very active. It is supposed that America is at the bottom of that new eruption.“ Ein anderes Beispiel: „They predicted a very severe winter.“ „Of course, in a world dominated by the Americans …“ Und noch ein viertes Beispiel, das in die gleiche Richtung weist: Sagt der Verfasser eines Theaterstücks zum anderen: „My new play was a terrible failure.“ Und er erhält die Antwort: „It’s doutless the fault of those stingy, blood-sucking Americans.“39 2.2 EINWÄNDE GEGEN DEN EUROPÄISCHEN ANTIAMERIKANISMUS Ungeachtet aller eigenen Kritik an den USA, fühlten sich amerikanische Publizisten vom europäischen Antiamerikanismus herausgefordert, zumal viele von ihnen die Suche nach kultureller US-Identität unterstützten. Wenn es diesen Autoren gelang, auf die Herausforderungen der Europäer angemessen zu 36 37 38 39

Charles Henry Meltzer, „The Post-War Psychology of Europe“, in: The Forum (November 1920), 380–388, 384. Meltzer übersetzte u. a. Werke von Gerhart Hauptmann. Als Beispiel: Deems Taylor, „When a Good American Dies“, in: Vanity Fair (Juni 1929), Kurzform in: The Reader’s Digest (September 1929), 431–432. Commandant de Mierry, „Foch’s Impressions of America“, in: The Forum (Mai 1922), 441–450, 449. In: The Nation (Januar 1927), 57.

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2 Europa im Fokus

reagieren und gegenüber der amerikanischen Öffentlichkeit übersetzend-vermittelnd tätig zu sein, konnten sie die öffentliche Anerkennung ihrer intellektuellen Führungsposition im eigenen Lande stärken. Die Antworten auf den europäischen Antiamerikanismus waren folglich weitgehend Teil eines Elitendiskurses. Wie aus diversen Zeitschriftenartikeln der Qualitätsmagazine zu schließen ist, zeigten sich deren Verfasser zwar beeindruckt von den negativen Stereotypen, die in Europa der Charakterisierung Amerikas dienten. Darin sahen sie jedoch auch eine Chance, ihr eigenes Land kritisch zu beleuchten und gleichzeitig in die Rolle eines Mediators und kulturellen Übersetzers zu schlüpfen. Mit kritischer Empathie gegenüber dem eigenen Land wollten die Magazin-Redakteure an der Entwicklung einer selbstkritischen, aber auch selbstbewussten Nation mitwirken.40 Deshalb richteten sie ihr Augenmerk ebenso auf Fragen nationaler Standortbestimmung und amerikanischer Identität41, und die Auseinandersetzung mit der europäischen Amerikakritik diente hierfür als ein guter Aufhänger. Der Herausgeber der Zeitschrift The Forum führte die schon erwähnten Ausführungen des konservativen britischen Philosophen C. E. M. Joad 1928 mit den Worten ein: Ten years ago, at the signing of the Armistice, America was the most popular nation in the world. To-day observers tell us that America is feared and hated. If this be so, it is well to know the reasons for it; and to this end THE FORUM has invited frank spokesmen in several countries to tell us why they dislike us. Their pictures of Uncle Sam […] may be only ridiculous caricature; but even so, they will have the virtue – they will let us see ourselves as others see us.42

Eine Antwortstrategie bestand in der Relativierung der vorgebrachten Kritikpunkte, indem auf diverse US-eigene Leistungen hingewiesen wurde. „We’re Not So Bad“43, lautete die Botschaft. Dabei wurde verschiedentlich auf die vielen Erfindungen in den USA aufmerksam gemacht, vom Dampfschiff bis zur Gummivulkanisierung.44 Der Historiker Charles A. Beard nannte ebenfalls mit positivem Unterton die zahlreichen amerikanischen Errungenschaf-

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Siehe hierzu u. a. Joseph Collins, „Childish Americans. A Diagnosis of Our National Malady“, in: Harper’s Magazine (Januar 1926), 134–141. Vgl. zum Beispiel Frederick L. Allen, „These Disillusionized Highbrows“, in: The Independent (Mai 1927), Kurzform in: The Reader’s Digest (Mai 1927), 13–14. Ähnlich auch Ely Catherine Beach, „The Sorrows of Mencken“, in: The North American Review (Januar 1928), Kurzform in: The Reader’s Digest (Februar 1928), 63–64. Vorspann des Herausgebers (ohne Namensnennung) zum Artikel von C. E. M. Joad, „Does England Dislike America?“, in: The Forum (November 1928), 692–698. Jonathan Mitchell, „We’re Not So Bad“, in: The New Republic (Dezember 1929), 94– 95, 94. Thomas Jefferson Wertenbaker, „What’s Wrong With the United States?“, in: Scribner’s Magazine (Oktober 1928), Kurzform in: The Reader’s Digest (November 1928), 387– 388, 388.

2.2 Einwände gegen den europäischen Antiamerikanismus

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ten – vom Kaugummi bis zum amerikanischen Film.45 Wilbur Cortez Abbott, Professor für Geschichte an der Harvard Universität, gab zwar zu, dass bisher wenige Amerikaner im universalen Ehrentempel (universal hall of fame) zu finden seien, gleichwohl hätten diese große Verdienste an der Entwicklung der Zivilisation gehabt. Auf seiner Positivliste standen das Eintreten für Frieden, Demokratie und Freiheit, aber auch die Wohlfahrtshilfe gegenüber notleidenden Gruppen. Schließlich folgten Hinweise auf die große kulturelle Bedeutung, die der Sauberkeit in den USA zukomme, womit sowohl die intellektuelle und moralische als auch die körperliche Sauberkeit gemeint war.46 Charles A. Beard monierte 1928 im Harper’s Magazine allerdings, dass André Siegfried wie hundert andere europäische Kritiker auch, die USA ausschließlich mit Materialismus gleichsetzten und einen Gegensatz zu den reicheren und älteren Zivilisationen Europas konstruierten, vor allem zu Frankreich. Beard stellte seinerseits diese Zuschreibungen massiv in Frage, indem er darauf hinwies, dass ein solcher ästhetisch und religiös begründeter Vorwurf von Emotionen herrühre (the charge arises from emotions) und sich nicht halten ließe, denn auch Maschine und Wissenschaft (machine and science) seien wichtige Zivilisationsträger. Ebenso wenig stichhaltig, so Beard, sei der Vorwurf, es fehle an humanitärer Einstellung (humanitarianism). Sicherlich liege vieles im Argen, doch mit Blick auf Europa bräuchte das (amerikanische) Maschinenzeitalter beim Lebensstandard, bei Wohlfahrtseinrichtungen, bei der Sterberate sowie bei Strafgesetzen den Vergleich mit dem Alten Kontinent nicht zu scheuen.47 Auf der einen Seite wollten amerikanische Publizisten nicht, dass die USA primär oder gar ausschließlich als Land des materiellen Wohlstands gesehen wurden, auf der anderen Seite betonten sie dessen Sinnhaftigkeit. Der Wohlstand habe eine fundamentale Bedeutung für die Menschen, hoben Thomas Jefferson Wertenbaker und andere Autoren hervor.48 Der amerikanische Landschaftsarchitekt Frank A. Waugh pries vor allem das Auto als hohes Zivilisationsgut. Die Menschen könnten nunmehr Landschaften erkunden, und 45 46

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Charles A. Beard, „The American Invasion of Europe“, in: Harper’s Magazine (März 1929) 470–479. Wilbur Cortez Abbott, „Is America Civilized?“, in: The Forum (Oktober 1925), 481– 491. Zur Diskussion über Sauberkeit siehe auch Kapitel 5.7. Abbott nannte die großen Verdienste in den Bereichen Literatur, Kunst, Geschichtsschreibung und Architektur. Ferner erwähnte er Erfindungen, Organisationsmodelle und Fortschritte in der Medizin sowie den Bau des Panama-Kanals. Charles A. Beard, „Is Western Civilization in Peril?“, in: Harper’s Magazine (August 1928), 265–273. Thomas Jefferson Wertenbaker, „What’s Wrong With the United States?“, in: Scribner’s Magazine (Oktober 1928), Kurzform in: The Reader’s Digest (November 1928), 387– 388, 388; Stuart Chase, „Prosperity – Believe It or Not“, in: The Nation (Januar 1930), Kurzform in: The Reader’s Digest (März 1930), 1018–1020; Joseph Collins, „Childish Americans“, in: Harpers Monthly Magazine (Januar 1926), 131–140.

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2 Europa im Fokus

das sei unvergleichlich hochwertiger (incomparably superior) als alle Landschaftsmalereien in europäischen Kunstmuseen.49 Zwar hinkte der Vergleich gewaltig, aber die Botschaft war eindeutig: Amerika könne viel von dem bieten, was Europa (noch) nicht habe. Deshalb verwundert es wenig, wenn das niedrige Wohlstandsniveau in europäischen Ländern, wie eben in Frankreich, der Kritik anheimfiel. In The Literary Digest wurde 1929 auf ein altbekanntes Deutungsmuster hingewiesen, wonach die Franzosen in den Augen der Amerikaner sogar als arm gälten und in den USA Armut oft als Folge von Dummheit und Missgeschick (stupidity and failure) angesehen werde.50 Eine weitere Antwortstrategie beruhte auf der Wiederholung amerikafreundlicher Einstellungen von Europäern: Denn tatsächlich bestimmte der Antiamerikanismus bei Weitem nicht die gesamte Einstellungsskala der Europäer gegenüber den USA. Wenn aus Europa positive Bewertungen amerikanischer Kunstwerke bekannt wurden, dann kolportierten die Qualitätsmagazine diese besonders gern. Henri Matisse, so schrieb beispielsweise Wertenbaker 1928, habe einmal gesagt, dass die USA eine „Nation von Malern“ sei, und der englische Schriftsteller John Bonyton Priestley sei sogar der Auffassung, die USA verfügten über bessere Ausgangsbedingungen für die Entfaltung eines literarischen Genius (raw material for literary genius) als alle anderen Nationen. Große Leistungen seien bereits jetzt auf dem Gebiet der Architektur erbracht worden.51 Des Weiteren wurde auf kulturelle Defizite in Europa hingewiesen. Kein geringerer Publizist als John Dewey war es, der in diesem Zusammenhang die „prevalence of the old Europe tradition“ kritisierte und dabei die in Europa häufig zu beobachtende Missachtung des Körpers, der materiellen Dinge und der praktischen Belange hervorhob (with its disregard for the body, material things and practical concerns).52 Werte wie Liebe zur Schönheit, Sinn für Geheimnisvolles (sense of mystery) und Leidenschaft seien in den USA nicht verlorengegangen, so Beard 1928 im Harper’s Magazine; jedoch hätten sich die Bedingungen, unter denen sie entstehen könnten, durch die Dominanz von Wissenschaft und Maschine verändert. Dies müsse man akzeptieren und dann entschlossen in die Zukunft blicken (and turn their faces resolutely to the future).53 Einige amerikanische Autoren trösteten ihre Landsleute auch, indem sie den Antiamerikanismus auf die Niedergangängste vieler Europäer schoben, 49 50 51

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Frank A. Waugh, „Beyond the Boulevards“, in: The Outlook (Mai 1922), Kurzform in: The Reader’s Digest (Juli/August 1922), 373–374. o. V., „A Frenchman Looks Us Over“, in: The Literary Digest v. 5.1.1929. Thomas Jefferson Wertenbaker, „What’s Wrong With the United States?“, in: Scribner’s Magazine (Oktober 1928), Kurzform in: The Reader’s Digest (November 1928), 387– 388, 388. Zit. n. Strout, The American Image, 181 f. Charles A. Beard, „Is Western Civilization in Peril?“, in: Harper’s Magazine (August 1928), 265–273.

2.2 Einwände gegen den europäischen Antiamerikanismus

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kombiniert mit Neid und Minderwertigkeitskomplexen.54 In den US-Magazinen wurde zwar häufig über die Spezifika des Antiamerikanismus der einzelnen europäischen Länder geschrieben, doch das hielt die Autoren nicht davon ab, den Antiamerikanismus auch als ein gesamteuropäisches Phänomen zu kennzeichnen. „The counterpart of an American is not a Frenchman or an Italian, but a European; and the population of America is not to be accounted heterogeneous as compared with France but homogeneous as compared with the national animosities of Europe“55, so George E. G. Catlin. Catlin prophezeite 1927 im Harper’s Magazine: „Europe is in danger of becoming only the museum for the West, and a convenient technical night-school for the East.“56 In Europa würden diese Veränderungen in den transatlantischen Beziehungen mehr und mehr als Gefahr und als nachteilig für den Alten Kontinent angesehen.57 Und John Dewey erklärte 1927 im Harper’s Magazine die gegenwärtige Feindseligkeit (acute hostility) Europas gegenüber Amerika mit dem auf Europa gerichteten Amerikanisierungstrend. Die Europäer bewerteten nach dem Ersten Weltkrieg den Amerikanismus als eine neue Kulturform (form of culture), die sie als Bedrohung der Kultur des Alten Kontinents wahrnähmen, was sich in vielen Büchern und Zeitschriften niederschlage.58 Auch machte den Europäern die ökonomische Konkurrenz mit den USA zu schaffen. Europa liege in Wahrheit im Clinch mit sich selbst (at war with herself), zumal die amerikanische Invasion (American invasion) in Europa das Gewicht auf der Gewinnerseite, also zugunsten der USA, erhöht habe (add weight to the winning side), wie sich der vielschreibende Historiker Charles A. Beard ausdrückte.59 Der relative Niedergang Europas sei offensichtlich für Europäer schwer zu verkraften – auch und gerade für Frankreich. So gab der Eugeniker und Rassist Lothrop Stoddard 1931 in The Forum mit Blick auf Frankreich zu bedenken, dass das Land noch immer an seinem alten Ruhm als Grande Nation hänge, obwohl sich die Handlungsräume in Europa und weltweit bereits stark verändert hätten und Europa nicht mehr im Mittelpunkt des (Welt-)Geschehens stünde (focal point of human affairs).60

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Hermann Graf Keyserling, „America and Germany“, in: The Forum (April 1929), 199– 203, 200. George E. G. Catlin, „America under Fire. A European Defense of Our Civilization“, in: Harper’s Magazine (Juli 1927), 222–227, 223. Ebd., 222 f. Frank H. Simonds, „‚America Comes of Age‘ – in Europe“, in: The Review of Reviews (März 1928), Kurzform in: The Reader’s Digest (Mai 1928), 5–8, 5, 8. John Dewey, „‚America‘ – By Formula“, in: The New Republic (September 1929), 117– 119, 117. Charles A. Beard, „The American Invasion of Europe“, in: Harper’s Magazine (März 1929) 470–479, 475, 477. Lothrop Stoddard, „What France Really Wants“, in: The Forum (Dezember 1931), 374– 377, 377.

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Eine weitere Antwortstrategie bestand darin, auf die Schwächen Europas hinzuweisen. Zwar sei die Kritik der Europäer an den amerikanischen Zuständen und Verhaltensformen oft zutreffend, so hieß es, aber das rechtfertige nicht eine gehässige Einstellung gegenüber den USA, denn auch in Europa stünde nicht alles zum Besten. John Dewey wies 1929 in The New Republic zudem darauf hin, dass es mit der hochgepriesenen Individualität in Europa auch nicht immer weit her sei, wenn etwa der Blick auf Bauern und Proletarier falle.61 Selbst der anglophile New Humanist Irving Babbitt konnte nicht umhin zu konstatieren, dass entgegen der Meinung des Franzosen André Siegfried die kulturellen Standards (cultural standards) in Europa ebenfalls eingebrochen seien.62 Charles A. Beard hielt deshalb 1927 in der Zeitschrift The New Republic auch die Kritik des Franzosen am Materialismus der USA für übertrieben und oberflächlich. In seinen Augen war Amerika nicht materialistischer als die Länder Europas. Deshalb überzeuge auch die Gegenüberstellung nicht, wonach Henry Ford als Ikone der angeblich materialistisch handelnden USA angesehen werde und Mahatma Ghandi als Ikone des spirituellen Europas gelte. Ghandi würde sicherlich keine großen Unterschiede im Verhalten der diversen westlichen Funktionseliten machen, so Beard63, und die Ford’schen Produktionsmethoden würden sich ja schließlich auch in Europa verbreiten. Ein weiteres Gegenargument fußte auf Beobachtungen über Prädispositionen zahlreicher europäischer Antiamerikanisten. So werde der angelsächsische Antiamerikanismus häufig von Konservativen vertreten (diehard conservatives).64 Die Tories seien vor allem wegen der Charakteristika der amerikanischen Demokratie Antiamerikanisten, während die Liberalen gerade darüber positiv dächten, was ebenfalls ihren sozialen Zugehörigkeiten und Vorlieben entspräche (social affiliations and predelictions).65 Schließlich wurden gelegentlich die europäischen Medien für den Antiamerikanismus auf dem Alten Kontinent verantwortlich gemacht. Maurice de Wendel, der aus einer bekannten französischen Industriellenfamilie stammte, plädierte 1922 in der amerikanischen Zeitschrift The Forum dafür, die amerikanisch-französische Freundschaft zu festigen. In Erinnerung an den französischen General Lafayette und dessen Eintreten für die amerikanischen Kolo61 62 63 64 65

John Dewey, „‚America‘ – By Formula“, in: The New Republic (September 1929), 117– 119, 118. Irving Babbitt, „The Critic and American Life“, in: The Forum (Februar 1928), 161– 176, 175 f. Charles A. Beard, „A Frenchman in America“, in: The New Republic (Juni 1927), 75– 76. Rebecca West, „These American Men“, in: Harper’s Magazine (September 1925), 449– 456 und 459. Charles A. Beard, „The American Invasion of Europe“, in: Harper’s Magazine (März 1929), 470–479, 473.

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nisten im Unabhängigkeitskrieg konstatierte der Autor, dass Frankreich von alters her in Amerika große Sympathien genossen hätte. Die Freundschaft sei durch den gemeinsamen Kampf im Ersten Weltkrieg erneuert worden und habe auf französischer Seite große Dankbarkeit ausgelöst. Doch nach Kriegsende habe die französische Presse einen „Bruch mit unseren amerikanischen Freunden“ konstatiert. Die mediale Verbreitung einer solchen Einschätzung sei fatal.66 Die Antwortstrategien bezogen sich, zusammenfassend gesehen, teils auf die USA, teils auf Europa. Häufig wurde dafür plädiert, die großen Unterschiede zwischen den amerikanischen und den europäischen Kulturen sachlich-vergleichend herauszuarbeiten und diese dann als gegeben zu akzeptieren.67 Die direkten Antworten auf den europäischen Antiamerikanismus waren nicht auf eine hybride europäisch-amerikanische Gemeinschaftskultur ausgerichtet, vielmehr standen die amerikanischen liberalen Publizisten ungeachtet ihres eigenen transatlantischen Engagements zu den transatlantischen Differenzen und Andersartigkeiten, die sie zwar sachlich, aber mit Verve herausarbeiteten. 2.3 TRANSATLANTISCHE ÜBERSETZUNGSARBEITEN Eng verflochten mit den Auseinandersetzungen über den europäischen Antiamerikanismus waren die mannigfachen sprachlichen und inhaltsbezogenen Übersetzungsarbeiten, die dazu dienten, den europäischen Antiamerikanismus zu kontextualisieren, um dadurch bei den Lesern und Leserinnen der Zeitschriften ein größeres Verständnis hinsichtlich der Differenzen zwischen den USA und Europa zu erreichen. So bedeutsam sprachliche Übersetzungen für transnationale Austauschprozesse auch sind, so kann mit der wörtlichen Übersetzung eines Textes oft nicht der jeweilige Inhalt und seine Kontexte sinngetreu wiedergegeben werden. Notwendig ist deshalb ein mehrdimensionaler diskursiver Raum, in dem Inhalte aufbereitet und diskutiert werden können. Dazu gehört ein Wissen zum einen über die jeweiligen etablierten und tradierten nationalen Denk- und Aussagesysteme, zum anderen über die davon abweichenden sozialen und kulturellen Logiken, wie sie bestimmten Gruppen, Ethnien und Schichten zu eigen sind. Die besondere Sinnhaftigkeit kultureller Aushandlungen zwischen Europa und den USA unterstrich u. a. der Historiker Charles A. Beard. Er kritisierte in diesem Zusammenhang, die Europäer würden ihre Bücher über 66 67

Maurice de Wendel, „As France Sees America“, in: The Forum (August 1922), 606– 612, insb. 610–612, Zitat 610. Siehe z. B. eine entsprechende Bemerkung in der Rezension von Romiers Buch über die USA. Michael Fraenkel, „America’s Conquest of Europe“, in: The Forum (November1928), Illustrated Section XX–XXII.

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2 Europa im Fokus

Amerika antithetisch aufbauen.68 Wahrscheinlich wollte der irisch-amerikanische Schriftsteller Ernest Boyd, der seit 1920 in den USA lebte, seine eigenen Übersetzungen von solchen einfach gestrickten Pros und Contras deutlich abgrenzen, als er konstatierte: „Neither the enthusiasts nor the fault-finders [über Amerika; AvS] have contributed much of any assistance either to Europeans or to the Americans themselves.“69 Die Art des transatlantischen Vergleichens wurde immer wieder hinterfragt. Der Neurologe Joseph Collins wies 1926 darauf hin, dass das ständige Vergleichen-Wollen generell problematisch sei. Es diene zwar der Suche nach Selbstachtung, führe aber häufig sogar zum Glauben an die eigene Superiorität.70 Auch Catlin sprach sich für eine Reduzierung der Vergleiche aus und empfahl den Amerikanern zudem, sich nicht mehr so sehr um die europäischen Kritiker zu kümmern, sondern mehr die Energien darauf zu verwenden, die USA zu amerikanisieren.71 Sicherlich, nicht jede Beschreibung dessen, was die Eigenheiten der USA ausmachten, lässt sich per se unter dem Begriff des Antiamerikanismus und der Amerikakritik subsummieren. Die Unterschiede zwischen den USA und Europa stellten Europäer schon während des ganzen 19. Jahrhunderts immer wieder von Neuem fest, angefangen von Hector St. John de Crèvecoeur über Alexis de Toqueville bis hin zu Max Weber und zahlreichen anderen Besuchern Amerikas.72 Im Mittelpunkt der Differenz-Analysen standen auf beiden Seiten von Beginn an Verfassung, Demokratie, Religion und Erziehung, ferner die Besonderheiten einer Einwanderungs- und Siedlergesellschaft. Die schneller als in Europa fortschreitende Industrialisierung und Kommerzialisierung des Landes ließ sich bei transatlantischen Vergleichen konkretisieren, etwa durch Hinweise auf Wohlstand und Lohnhöhe, auf Effizienz- und Rationalisierungstrends sowie auf Eigenheiten in den Lebensstilen. Diese und andere amerikanische Besonderheiten wurden in versachlichten Vergleichen dutzende Male herausgestellt. Diverse Bücher über Amerika, die Kontinentaleuropäer geschrieben hatten und in denen transatlantische Differenzen zur Sprache kamen, wurden ins Englische bzw. Amerikanische übersetzt und so der amerikanischen Öffentlichkeit zugänglich gemacht.73 Diese Studien sollten den Amerikanern aus 68 69 70 71 72 73

Charles A. Beard, „The American Invasion of Europe“, in: Harper’s Magazine (März 1929) 470–479, 475. Boyd, As an Irishman Sees It, 489. Joseph Collins, „Childish Americans“, in: Harper’s Magazine (Januar 1926), 133–141. George E. G. Catlin, „America Under Fire. European Defense of Our Civilization“, in: Harper’s Magazine (Juli 1927), 222–227, 227. Vgl. dazu Woodward, The Old World’s New World, insb. 40–62; Boorstin, America, 19. Siehe u. a. Arthur Feiler, America Seen Through German Eyes, New York 1928; André Siegfried, America Comes of Age, New York 1927; Georges Duhamel, America the Menace. Scenes from the Life of the Future, New York 1931; Richard Müller-Freienfels, Mysteries of the Soul, London 1929.

2.3 Transatlantische Übersetzungsarbeiten

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europäischer Sicht transatlantisch-vergleichende Bilder und Deutungsmuster vermitteln und die wichtigsten Argumente der europäischen Amerikakritik und des europäischen Antiamerikanismus offenlegen. In den USA war unter Intellektuellen das Interesse an dieser Art von Texten augenscheinlich groß. André Siegfrieds Buch, Les États-Unis d’aujourdhui (1927), das unter dem Titel America Comes of Age, 1927 in London und 1928 in New York erschien, erreichte 14 Auflagen und führte in den USA zu landesweiten Diskussionen.74 Siegfrieds Kritik an der US-Gesellschaft wurde in diversen amerikanischen Zeitschriften immer wieder zitiert. Irving Babbitt stimmte zum Beispiel Siegfrieds Kritik am amerikanischen Pharisäertum zu, ebenso wie dessen negative Bewertung der (einseitigen) Konzentration auf Massenproduktion und materielle Effizienz.75 Beifall erfuhr in besonderer Weise Siegfrieds Feststellung, dass Amerika eine neue Sozialstruktur hervorgebracht habe, die sich gravierend von der in Europa unterscheide. Diese Beobachtung kursierte nicht nur in kleinen Intellektuellenkreisen, sondern wurde „Teil eines allgemeinen nationalen Bewusstseins“, wie der Kulturhistoriker Warren Susman rückblickend feststellte.76 Im Jahre 1930 erschien dann in englischer Sprache das Buch der Franzosen Robert Aron und Arnauld Dandieu The American Cancer (La cancer américain), worin die beiden Autoren die Amerikanisierung Frankreichs anprangerten und sogar als Kolonisierung interpretierten. Mit der aus der Medizin entlehnten Metapher „Krebs“ waren Krankheit und unvermeidlicher Tod (der französischen Kultur) assoziierbar. Francis Delaisis Buch wurde 1925 ebenfalls ins Englische übersetzt. Der Franzose machte hierin die wirtschaftlich bedingte, imperialistische Politik der einzelnen Nationen für die Kriege verantwortlich, bei der es letztlich um ökonomische Rivalitäten und um die Sicherung von Märkten in der unterentwickelten Welt gehe.77 Ein anderes Buch war die schon erwähnte Studie von Romier, die der amerikanische Sozialphilosoph Michael Fraenkel unter der Überschrift America conquers Europe rezensierte.78 Der Historiker Charles A. Beard erläuterte 1929 unter Anführung konkreter Beispiele den amerikanischen Lesern und Leserinnen von Harper’s Magazine die sowohl in den USA als auch in Europa vorherrschende binäre Denk74 75

76 77

78

Siehe dazu die Zusammenstellung der damaligen Artikel von Westin u. a., Views, 308– 313. Irving Babbitt, „The Critic and American Life“, in: The Forum (Februar 1928), 161– 176, 175 f.; vgl. auch die Erwähnung Siegfrieds in: Charles A. Beard, „Is Western Civilization in Peril?“, in: Harper’s Magazine (August 1928), 265–273, 266. Susman, Culture, 186. Siehe die Rezension des Buches von Francis [François] Delaisi, Political Myths and Economic Realities, London 1925, verfasst von J. A. Hobson in The Nation (November 1927), 575. Michael Fraenkel, „America’s Conquest of Europe“, in: The Forum (November 1928), Illustrated Section XX–XXII. Romiers 1927 veröffentlichtes Buch trug den Titel Qui Sera Le Maître. Europe ou Amérique?

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weise, welche auch den Antagonismus zwischen den USA und Europa erklärlich mache.79 Sicherlich, so gab Beard zu, könnten Amerikaner die Innengerichtetheit (inwardness) im Kontext europäischer Spiritualität niemals völlig verstehen und deshalb diesbezügliche Unterschiede zwischen Amerika und Europa auch nicht ganz fair beurteilen (can never be fairly adjusticated), doch bleibe zu beachten, dass zahlreiche transatlantische Vergleiche hinkten und viele Aspekte ausließen, etwa Hinweise auf die (schlechten) Lebenslagen der breiten Bevölkerungsschichten Europas.80 Wie zahlreiche andere amerikanische Intellektuelle machte Beard in seiner kulturellen Übersetzungsarbeit die Leser und Leserinnen mit europäischen Denkweisen bekannt, doch fehlte nicht der Hinweis, dass diese zwar anerkennenswert, aber nicht nachahmenswert seien, womit er in seine Übersetzungen stets die kulturelle Differenz zwischen Europa und Amerika sowie die nationale Besonderheit der USA betonte und Mimikry ablehnte. Für den bereits erwähnten Franzosen Maurice de Wendel gehörte zur kulturellen Übersetzungsarbeit vor allem der Austausch von Standpunkten sowie das Kennenlernen der unterschiedlichen Mentalitäten und Interessen der jeweils anderen Nation. Gerade hier hapere es seiner Meinung nach auch bei den Franzosen. Allerdings hätten sie jetzt immerhin schon zwischen Präsident Wilson und Amerika unterscheiden gelernt.81 Mit kritischem Blick auf die französischen Medien glaubte er, durch bessere Aufklärung und intensivierte kulturelle Übersetzungsarbeit ließen sich die Dissonanzen zwischen beiden Ländern in Anbetracht der Erinnerung an die große, historisch verankerte Freundschaft vermindern. Harold E. Stearns gehörte ebenfalls zu den frequentierten Übersetzern im transatlantischen Kommunikationsraum. In seinem 1922 herausgegebenen Buch Civilization in the United States. An Inquiry by Thirty Americans, bat er nicht zuletzt einen Engländer, einen Iren und einen Italiener, ihre Ansichten über die USA zu äußern, was sie dann auch auf insgesamt rund sechzig Seiten taten und dabei die transatlantischen Differenzen herausstellten. Zu den stark nachgefragten Übersetzern zählte ferner der deutsche Publizist Graf Keyserling, der in US-Zeitschriften den amerikanischen LeserInnen immer wieder Einblicke in die deutsche Mentalität und Denkweise über die USA ermöglichte. In Deutschland gebe es zwei Lager, auf der einen Seite stünden die Bewunderer der USA, auf der anderen all diejenigen, die Amerika verachteten. Doch keines der beiden Lager könnte seiner Meinung nach wegen ihrer binären Denkweise die Wirklichkeit einfangen und begreifen. Letztlich gehe es nämlich um die Frage, ob Deutschland auf die zeitgenössischen Rationali79 80 81

Charles A. Beard, „The American Invasion of Europe“, in: Harper’s Magazine (März 1929), 470–479, 475–477, 475. Ebd., passim. Maurice de Wendel, „As France Sees America“, in: The Forum (August 1922), 606– 612, insb. 610–612.

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sierungs- und Mechanisierungstrends anspreche.82 Jene Nationen, für die eine solche Entwicklung gewinnbringend sei, stünden den USA im Allgemeinen durchaus wohlwollend gegenüber. An sich gehörten die Deutschen dazu, die deshalb eigentlich als beste Freunde der Amerikaner in Europa gelten müssten, denn dieses Land sei nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg gerade dabei, einen Erholungsprozess einzuleiten und sich neu zu erfinden (new Germany has yet to be born). Die Kulturen Englands und Frankreichs seien hingegen im Vergleich zur amerikanischen Kultur zu verschieden. Englands Liebe zu den kleinen Dingen83 und Frankreichs Hochschätzung großer Qualität passten überhaupt nicht zu dem, was in Amerika kulturelle Geltung beanspruche. Die positiven historischen Erinnerungen an Gemeinsamkeiten mit Frankreich reichten ebenfalls nicht aus, um den Antiamerikanismus in der französischen Gesellschaft verstummen zu lassen. Zwar gebe es auch in Deutschland einen Antiamerikanismus, aber dieser besage letztlich wenig. Die vielen Vorbehalte, die in Deutschland gegenüber den Vereinigten Staaten existierten, seien, so der Graf, nur auf der Oberfläche angesiedelt.84 Die darunter liegenden Sympathien basierten auf gleichlaufenden Interessen und – so lässt sich ergänzen – strukturellen Gemeinsamkeiten, wie noch an anderer Stelle näher ausgeführt werden wird. Der Schriftsteller und Kulturphilosoph Eugen Diesel verwies in seinem Buch, das 1931 in Amerika unter dem Titel Germany and the Germans für zwei Dollar verkauft wurde, ebenfalls implizit auf die Sinnhaftigkeit deutsch-amerikanischer Übersetzungsarbeit. R. N(iebuhr) transferierte 1931 in The World Tomorrow seinerseits noch ein weiteres Mal die Hauptaussagen des Buches, indem er mit eigenen Worten Diesels Thesen in verständlicher Form darlegte. Er bestätigte dessen Ansicht, dass Deutschland als ein Paradebeispiel für die Zukunft der modernen westlichen Zivilisation zu gelten habe, weil sich in diesem Land die Kontraste auf allen Gebieten besonders deutlich zeigten, angefangen von nationalen Gefühlen und sozialem Radikalismus bis hin zu den recht unterschiedlichen Einstellungen gegenüber Modernisierungsprozessen.85 Und noch ein Beispiel sei angeführt: Das 1927 veröffentlichte Buch von Richard Müller-Freienfels, Geheimnisse der Seele, erschien zwei Jahre später ebenfalls in amerikanischer Übersetzung bei Knopf in New York und wurde unter anderem von John Dewey rezipiert und zitiert. In seiner Übersetzung wiederholte Dewey die The82 83

84 85

Hermann Graf Keyserling, „America and Germany“, in: The Forum (April 1929), 199– 203, 200; auch zum Folgenden ebd. Der Engländer Henry L. Stuart sprach ebenfalls von der Liebe der Engländer zu den kleinen und verborgenen Dingen (to little things and to hidden things). Ders., As an Englishman, 477. Hermann Graf Keyserling, „America and Germany“, in: The Forum (April 1929), 199– 203, 200–203. R[…] N[…]., „What the Future Holds In Store For US“, in: The World Tomorrow (Juni 1931), 203. Wahrscheinlich war Reinhold Niebuhr der Rezensent.

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sen des deutschen Autors mit eigenen Worten, die auf die Prognose hinausliefen, nach der sich die typisch amerikanische Denkweise früher oder später in der ganzen Welt durchsetzen werde.86 Als Beispiel für den Versuch, ein bestehendes Stereotyp über die USA aufzubrechen, kann ein Artikel im Harper’s Magazine dienen, den der an der Cambridge Universität lehrende Literaturkritiker I. A. Richards 1927 geschrieben hatte. Der Autor setzte die verschiedenen britischen und amerikanischen Sichtweisen auf bestimmte Phänomene miteinander in Beziehung, um so bei den amerikanischen Lesern und Leserinnen Verständnis gegenüber den Differenzen zu erreichen.87 Auffallend seien beispielsweise, so Richards, die ganz unterschiedlichen Einstellungen zur Freizeit (leisure). Im Unterschied zu Europa, vor allem zum alten Europa, gelte Freizeit in den USA eher als ein verweichlichtes und exotisches Phänomen (effeminate and exotic). Freizeit sollte hingegen gezielt genutzt werden, um, wie sich Richards ausdrückte, die westliche (hier: europäische) Kultur (heirs of Western Culture) durch deren Übernahme „beerben“ zu können. Im Unterschied zu Richards wollte der an der Columbia Universität lehrende amerikanisch-jüdische Philosophieprofessor Irwin Edman gerade nicht, dass die Freizeit mit der Adaption europäischer Kultur gefüllt werde.88 Hingegen stand Jesse Lee Bennett, Autor des 1925 veröffentlichten Buches Frontiers of Knowledge, eher auf Richards Seite, als er den Slogan „Reading with a Purpose“ verbreitete. Er plädierte dafür, dass sich die Menschen (in ihrer Freizeit) die entscheidenden Wissensgrundlagen selbst erarbeiten sollten, wozu angeblich das Lesen einer Handvoll Bücher ausreiche (basic essentials of all knowledge). Clevere Leute machten aus solchen Vorschlägen sogar ein gutes Geschäft. Ein Unternehmen bot zum Beispiel für 1.95 Dollar 25 Bücher meist europäischer Klassiker mit insgesamt über 2.000 Seiten an; und er beteuerte, dass deren Lektüre die Leser auf ein höheres Kulturniveau brächte.89 Das gute Geschäft beruhte letztlich auf der Sehnsucht vieler Amerikaner und Amerikanerinnen nach einem allgemein verbindlichen Bildungskanon europäischer Prägung, der dann auch die innere Nationsbildung fördern sollte. 86

John Dewey, „‚America‘ – By Formula“, in: The New Republic (September 1929), 117– 119, 117. Auch erwähnte Dewey den Grafen Keyserling. 87 Dazu und zum Folgenden I. A. Richards, „The Changing American Mind“, in: Harper’s Magazine (Januar 1927), 239–245. 88 Irwin Edman, „On American Leisure“, in: Harper’s Magazine (Januar 1928), Kurzform in: The Reader’s Digest (Februar 1928), 595–596, 595; Frank A. Waugh, „Beyond the Boulevards“, in: The Outlook (Mai 1922), Kurzform in: The Reader’s Digest (Juli/August 1922), 373–374; John Chapman Hilder, „O Tempora! O Motors!“, in: Harper’s Magazine (Dezember 1931), 73–81. 89 Darunter waren Werke von Schopenhauer, Goethe, Sokrates, Marcus Aurelius, H. G. Wells, Plato, Bacon, Emerson, Tolstoi, Huxley, Haeckel, Darwin, Nietzsche, Gilbert Murray, Samuel Butler, Pascal Tichener und John Stuart Mill. Eine Auflistung der Bücher befindet sich in La Follette’s Magazine in der Septemberausgabe von 1922.

2.3 Transatlantische Übersetzungsarbeiten

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Wie kommt es, dass die Frage nach der richtigen Freizeitgestaltung einen vergleichsweisen hohen Stellenwert im Diskursraum erringen konnte? Offensichtlich fungierte „Freizeit“ zum einen als Chiffre für die Notwendigkeit, die intensivierte Arbeitswelt zu kompensieren, zum anderen als Chiffre für die unterschiedlichen Lebensstile; außerdem wurde der Begriff zu einer zentralen Differenzbestimmung zwischen der Neuen und der Alten Welt hochstilisiert, an der sich exemplarisch zeigen ließ, wie sehr die unterschiedlichen Kulturen einer Übersetzung bedurften. Selbst in diesem Diskursstrang erhielten die angenommene kulturelle Unterlegenheit der USA gegenüber Europa und das Aufholbedürfnis auf amerikanischer Seite einen festen Platz. Der spanische US-Botschafter Salvador de Madariaga brachte 1928 in The Forum noch einen weiteren Aspekt in die Diskussion über Freizeit ein. Mit kritischem Blick auf die gängigen Meinungen über die Hochwertigkeit der westlichen Zivilisation merkte er an, dass sich nicht nur die Spanier (als Orientals of Europe), sondern auch die Schwarzen (black men) der freien Zeit (leisure) noch erfreuen könnten und dass dies keineswegs ein Zeichen der Unterentwicklung sei, vielmehr der Weisheit eines Volkes entspreche (wise men).90 Brachte Madariaga mit seiner Übersetzungsarbeit, bei der er überraschender Weise partielle Ähnlichkeiten in den Lebensstilen von Spaniern und Schwarzen konstatierte, all jene Bestrebungen ins Wanken, die auf eine klare und hierarchische Kategorisierung der Welt und der „Rassen“ ausgerichtet waren, so begnügten sich andere Übersetzer mit engeren Ausschnitten transatlantischer Ähnlichkeiten. So wollte die in Australien geborene und lange Zeit in London lebende Romanschriftstellerin I. A. R. Wylie nach ihrer 1917 erfolgten Übersiedlung in die USA der Leserschaft von Harper’s Magazine 1931 die Unterschiede zwischen dem englischen und dem amerikanischen Demokratieverständnis nahe bringen. Dabei warb sie auch um mehr Verständnis gegenüber den Gepflogenheiten der britischen Demokratie.91 Wie komplex die transatlantischen Übersetzungen manches Mal sein konnten, zeigen schließlich folgende zwei Beispiele: Der deutsche Publizist Friedrich Sieburg, ehedem Pariser Korrespondent für die Frankfurter Zeitung, wurde gebeten, die Hauptthesen aus seinem Buch Who Are These French in Kurzform in der amerikanischen Zeitschrift The Reader’s Digest zu veröffentlichen.92 Ein deutscher Frankreich-Spezialist äußerte sich also über Frankreich nicht nur in einer deutschen Zeitschrift, sondern auch in einem amerikanischen Magazin. Bei solchen Gelegenheiten vermittelte der Autor sein Wissen über die kulturellen Eigenarten Frankreichs, wobei er nicht um90 91 92

Salvador de Madariaga, „Our Muddling World. Black Men and White Civilization“, in: The Forum (November 1928), 754–758. I. A. R. Wylie, „The Art of Being Democratic“, in: Harper’s Magazine (Dezember 1931), 109–117. Friedrich Sieburg, „Realism vs. the Art of Living“, in: The Reader’s Digest (Mai 1932), 35–37.

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hin konnte zu prognostizieren, dass Frankreich als einziges Land der Amerikanisierung widerstehen und ein Land der Lebenskunst (art of life) bleiben werde. Die Romanschriftstellerin Kathleen Norris ermunterte überdies die nach Europa reisenden Frauen, einerseits ihren Patriotismus unter dem Motto „Love them all, but love America first“ zu bekunden, andererseits durch ihre Redeweise Übersetzungsarbeit zu leisten: „That England and Europe shall understand America, her surface faults, her great heart, her newness, eagerness, rashness, her failures and her great successes.“93 Die zahlreichen Berichte über Zustände und Entwicklungen in Europa lieferten gleichfalls nicht nur Informationsmaterial, sondern dienten häufig auch als Übersetzungen, die Verständnis für die Probleme und Andersartigkeit Europas bei gleichzeitiger Vergegenwärtigung transatlantischer Verbundenheit erwecken sollten. Zusammenfassend zeigt sich, dass in den diversen Übersetzungsarbeiten transatlantische Unterschiede vorgestellt, kontextualisiert und gewichtet wurden, ohne dabei Einebnungen vorzunehmen. Diverse Publizisten aus Europa und den USA bemühten sich, den Amerikanern die europäische Denkmatrix und Handlungslogik verständlich zu machen und umgekehrt, den Europäern die amerikanischen Lebensstile und Gesellschaftsauffassungen zu verdeutlichen und ihre Kontexte herauszuarbeiten. Die Qualitätsmagazine generierten einen transatlantischen Diskursraum, einen medialen „dritten Raum“, in dem die Konstatierung transnationaler Differenzen vorgetragen, verarbeitet und mit der Suche nach amerikanischer nationaler Identität verbunden wurde. Die Übersetzungsarbeiten konnten indessen keineswegs alle Fehlinterpretationen und einseitigen Deutungen von Sachverhalten, inklusive Über- und Untertreibungen, aus dem Wege räumen.

2.4 TRANSATLANTIZITÄT (ANTI)EUROPÄISMUS UND EUROPÄISIERUNG – (ANTI)AMERIKANISMUS UND AMERIKANISIERUNG Die Transatlantizität, worunter die Verknüpfungen zwischen Europa und den USA verstanden wird, soll im Folgenden zum einen mit Blick auf den Europäismus (1) sowie auf Prognosen zur Europäisierung der USA (2) konkretisiert werden. Zum anderen stehen die transatlantische Verzahnung des Antiamerikanismus (3) sowie des Amerikanismus (4) im Fokus.94

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Kathleen Norris, „Americans Who Make Me Mad“, in: Good Housekeeping (Dezember 1924), Kurzform in: The Reader’s Digest (Februar 1925), 625–626, 626. Diese Punkte sollen allerdings nur aufrissartig vorgestellt werden, denn eine gründliche Darstellung bedürfte der Aufarbeitung der europäischen Quellen und Forschungsliteratur als Grundlage für eine eigenständige Studie.

2.4 Transatlantizität

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(1) Für amerikakritische Europäer, insbesondere für Kulturkonservative, stellte sich die Frage, wie angesichts der Tendenzen zur Amerikanisierung Europas eine europäische Identität gewahrt werden könne. Die USA avancierte zur (vertrauten) Alterität der Europäer, die es den Europäern ermöglichte, trotz der kolossalen wirtschaftlichen und politischen Schwächung des Alten Kontinents infolge des Ersten Weltkriegs, Europa geistig zu stabilisieren. Das Vergleichen und Messen mit Amerika dienten nicht nur der Vergewisserung kultureller Größe der einzelnen europäischen Nationen, sondern eben auch der kulturellen Bedeutung von Europa insgesamt. Sie sorgten dafür, dass im Kern ein Gefühl der Überlegenheit gegenüber den USA erhalten blieb. Dabei fielen die Assoziationen und Begründungen unterschiedlich aus. Sie konnten sich sowohl auf den wissenschaftlichen Erfindungsgeist und die Kulturleistungen Europas als auch auf Lebensstil und „Rassen“zugehörigkeit beziehen. Ungeachtet der vielen Konflikte und Anfeindungen zwischen den europäischen Ländern wurde mit Blick auf die USA und in Bezug auf die Amerikanisierung Europas auch in Europa häufig von einem gemeinsamen Europa gesprochen, wobei die Überlegungen zu den Gemeinsamkeiten stets vage blieben.95 „Der Haß auf Amerika kann für Europäer etwas Aufrüttelndes haben (und schadet uns nicht)“ meinten 1929 Erika und Klaus Mann.96 Offensichtlich sollte mit der Konstruktion einer europäischen Identität die Alterität der Vereinigten Staaten noch stärker hervortreten. Und sicherlich gehörte das Messen der Europäer mit den Amerikanern während des frühen 20. Jahrhunderts zu jenen mit Stereotypen unterlegten Diskurssträngen, die zur Konstruktion eines europäischen Bewusstseins, vor allem im literarisch-politischen Feld wesentlich beigetragen haben. Gret Haller platziert deshalb in ihrer 2006 veröffentlichten Studie den europäischen Antiamerikanismus in die Nähe des Europäisimus, worunter sie ein „Festhalten an europäischen Werten“ versteht.97 „For the first time in its existence Europe has become too small for nationalism – and Europe is beginning to know it“, wie der amerikanische Journalist Edgar Ansel Mowrer 1928 konstatierte.98 Auch trugen die Amerikareisen zahlreicher Europäer oftmals zu mehr europäischem Selbstbewusstsein bei. Der britische Oberst und Schriftsteller J. F. C. Fuller meinte 1926 anlässlich seines Besuches in den USA: „Ich fühle mich nicht mehr als Engländer […]. Ich fühle jetzt, dass ich Europäer war, dass ich nicht zu einem anderen Land sondern zu einer anderen Zivilisation gehörte.“99

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Kaelble, Europäisches Selbstverständnis, 427, 432. Zit. n. ebd., 428. Haller, Amerikanismus, 25. Der Europäismus unterschied sich vom Amerikanismus dadurch, dass beim Europäismus Bekenntnisanforderung und -treue wegfielen. Nach ebd. Edgar Ansel Mowrer, „Germany After Ten Years“, in: The Harper’ Magazine (Dezember 1928), 61–69, 69. Zit. n. Kaelble, Europäisches Selbstverständnis, 431.

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Dass die Tendenzen zu einem in Europa aufblühenden Europäismus auch in den USA wahrgenommen wurden, zeigt sich nicht zuletzt in Bemerkungen, wie die über Stefan Zweig in The Nation (1927), wonach sich der österreichische Schriftsteller als „militanter Europäer“ gebärdet habe.100 John Dewey konstatierte ebenfalls 1927 im Harper’s Magazine, dass literarische Kreise in Europa (literary folk) ein Bewusstsein entwickelt hätten, wonach es eine von anderen Kulturen unterscheidbare europäische Kultur gebe (culture which is distinctively European). Diese gelte als kostbar und erhaltenswert angesichts deren Bedrohung durch eine neue Form des US-Barbarismus (by the invasion of a new form of barbarism issuing from the United States).101 Amerikanische Publizisten und Politiker beobachteten den Europäismus, der sich komplementär zum europäischen Antiamerikanismus entwickelte, allerdings mit einiger Sorge. Sie sahen die Gefahr, dass der bislang hauptsächlich auf den Kulturbereich bezogene Antiamerikanismus auf den politischen Bereich übertragen werde. Hierdurch könnte sich zum einen auch auf politischem Gebiet die antiamerikanische Stimmung in Europa verstärken.102 Ebenso bestehe die Gefahr, dass die europäischen Länder sich ihrer politischen Gemeinsamkeiten mehr und mehr bewusst würden und sie sich dann eines Tages vereint gegen Amerika richten könnten, was unbedingt vermieden werden müsse, wie Frank H. Simonds, später Mitautor eines Buches über internationale Beziehungen und ökonomischen Nationalismus, betonte.103 Hier zeigt sich erneut, wie eng die Diskussionsfelder Kultur und Politik in der Wahrnehmung amerikanischer Publizisten miteinander verknüpft wurden104 und wie sehr einige Akteure innerhalb des publizistisch-politischen Feldes ein gemeinsam agierendes Europa zu verhindern trachteten. (2) Auf amerikanischer Seite verbanden sich die Vorbehalte gegenüber dem Europäismus mit der Sorge, dass die Europäisierung der US-Kultur andauern werde oder gar weiter zunehmen könnte – ein Gefühl, das im und nach dem Ersten Weltkrieg sogar noch wuchs.105 Denn unter Amerikanern war die Vorstellung verbreitet, dass die USA de facto immer noch eine Kolonie Euro100 D. T[…], „New Books in Germany“, in: The Nation (Mai 1927), 531–532, 532. 101 John Dewey, „‚America‘ – By Formula“, in: The New Republic (September 1929), 117– 119, 117. 102 Dabei wurde insbesondere an die Verpflichtung der Europäer zur Zurückzahlung der Kriegsschulden bei gleichzeitig fortbestehenden amerikanischen Hochschutzzöllen gedacht. Siehe auch Kapitel 7.2. 103 Frank H. Simonds, „‚Uncle Shylock‘ in Europe“, in: The Review of Reviews (September 1926), Kurzform in: The Reader’s Digest (Oktober 1926), 327–329. Simonds veröffentlichte 1935 (zusammen mit Brooks Emeny) in New York das Buch The Great Powers in World Politics: International Relations and Economic Nationalism. 104 Wie amerikanische Politikexperten Deutschland auf politischer Ebene wahrnahmen und wie sich deren Meinungen dann auch in den Editorials der New York Times niedergeschlagen haben, zeigt Glaser-Schmidt, Between Hope. 105 Gienoch-Hecht, Sound Diplomacy, 176.

2.4 Transatlantizität

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pas sei, wie beispielsweise Van Wyck Brooks hervorhob (still a colony of Europe).106 In der amerikanischen Bevölkerung waren die alten Vorbehalte gegen die angebliche europäische Einflussnahme des ehemaligen Mutterlands noch längst nicht verschwunden, was sich auch in den Printmedien niederschlug.107 Ökonomisches Rivalitätsdenken war in den USA ebenfalls weit verbreitet. Insbesondere kritisierten zahlreiche amerikanische Farmer das Vereinigte Königreich, weil Weizen- und Baumwollpreise auf den Weltmärkten in Liverpool und London und nicht in den USA bestimmt würden. In diesem Zusammenhang hieß es immer wieder einmal, die USA befänden sich offensichtlich noch in einem quasi kolonialen Zustand.108 Eine jüngere Generation von Amerikanern distanzierte sich besonders häufig von Großbritannien.109 Doch auch ältere Intellektuelle, wie der 1878 geborene James Truslow Adams, bliesen nicht selten in das gleiche Horn. So sprach Adams in seinem Buch The Epic of America (1932) sogar von einer englischen Tyrannei (tyranny of England).110 Besonders häufig stand die britische Einflussnahme auf die US-Kultur in der Kritik.111 In einem Teil der amerikanischen Schulbücher wurden ebenfalls anti-britische Gefühle angesprochen, gefördert von irischen Einwanderern.112 Der irisch-amerikanische Schriftsteller Ernest Boyd sprach sicherlich manchem Amerikaner ebenfalls aus der Seele, als er 1922 in Stearns’ Buch Civilization in the United States schrieb: „Whatever their outward profession, the majority of Englishmen regard all other English-speaking countries as Colonies.“113 Und der antibritisch eingestellte Publizist Harold E. Stearns proklamierte seinerseits: „[W]hatever else American civilization is, it is not Anglo-Saxon, and […] we shall never achieve any genuine nationalistic selfconsciousness as long as we allow certain financial and social minorities to persuade us that we are still an English Colony“.114 An anderer Stelle äußerte 106 Van Wyck Brooks, The Literary Life, 194 f. 107 Vgl. Strout, The American Image, 143; Watt, Succeeding John Bull, 18. Zum britischen Antiamerikanismus siehe Kapitel 2.2. 108 Crapol, America, 219–223. 109 Watt, Succeeding John Bull, 50. 110 Zit. n. Clark, Less than Kin, 28. 111 Bourne, Trans-National America, 111 (hrsg. von Resek). Ähnlich auch Stearns, Civilization, VII. Offensichtlich waren die Amerikaner hinsichtlich kolonialer Nachwirkungen besonders empfindlich. In der Retrospektive handelte es sich in England um eine Übergangszeit, in der der Habitus ehemaliger Kolonialherren transformiert und diesem Konzept einverleibt wurde, das die gemeinsame Vergangenheit, die gemeinsame einem und die Chancen einer gemeinsamen Zukunftsgestaltung beider Länder betonte. Vgl. auch Kapitel 7.2. 112 Clark, Less than Kin, 29 f. 113 Boyd, As an Irishman Sees It, 493. Boyd konstatierte auch den (post)kolonialen Status der USA. Ebd., 504. 114 Stearns, Civilization, Preface, VII.

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2 Europa im Fokus

er sich kritisch gegenüber Neuengland, weil diese Region in seinen Augen (bloß) ein Abkömmling von England und Europa sei und keine Anstalten mache, wirklich amerikanisch zu werden (derivative from England and Europe, it made no pretensions to being intrinsically American).115 Die Betonung der Differenzen zu England machte selbst vor der Sprache nicht Halt. Lawrence F. Abbott, einer der Herausgeber der Zeitschrift Outlook, wies 1925 eigens darauf hin, dass es erst die Amerikaner gewesen seien, die die englische Sprache so verbessert hätten, dass sie nun universal einsetzbar sei (we have made it universal).116 Ergänzend wurde immer wieder auf die unterschiedlichen Lebensweisen und Alltagskulturen sowie auf den recht verschiedenen Grad an Wohlstand in beiden angelsächsischen Ländern hingewiesen.117 Die außenpolitische Annäherung der beiden angelsächsischen Länder verursachte offenbar sogar neue Befürchtungen, dass dies eine intensivierte Europäisierung Amerikas nach sich ziehen könne.118 Insgesamt gesehen standen die Antworten im Kontext postkolonialen Differenz- und Abgrenzungsdenkens, wobei den Europäern, insbesondere den Briten, sogar vorgeworfen wurde, für Fehlentwicklungen in den USA mitverantwortlich zu sein. Eine ähnliche Einschätzung, wenn auch nicht allein auf Großbritannien, sondern auf ganz Europa bezogen, nahm auch der Franzose André Siegfried in der Zeitschrift The Yale Review vor, als er 1930 bestätigte, dass Amerika bis dato als eine kulturelle Kolonie Europas (cultural colony of Europe) gelte.119 George E. G. Catlin distanzierte sich seinerseits 1927 im Harper’s Magazine ebenfalls entschieden von der Auffassung vieler Europäer, sie hätten quasi ein „Geburtsrecht“ auf Amerika und könnten deshalb über dieses eine zeitlich unbegrenzte Patronage ausüben.120 Aus europäischer Sicht stellte sich gelegentlich auch die Frage, ob die Europäisierung der USA künftig noch voranschreiten werde. Bemerkungen, 115 Stearns, The Intellectual Life, 138. 116 Lawrence F. Abbott, „Muddling Through“, in: The Outlook (Dezember 1925), 509–510, 509. Theodore Roosevelt plädierte in diesem Kontext auch für eine Vereinfachung der Schreibweise (simplified spelling). Zum Beispiel sollte das Wort through durch thru ersetzt werden. 117 Henry Fairchild Osborn, „England After Fifty Years“, in: The Forum (Januar 1927), 113–122, 122. Der Autor war Geologe und Eugeniker. Vgl. auch Harold Butcher, „England’s Middle-Class – Dead or Alive?“, in: The Nation (Juni 1927), 607. 118 Nach Strout, The American Image, 143–148, 151–153 f. Der Medienmogul Hearst hielt ebenfalls mit seiner antibritischen Einstellung nicht hinterm Berg. Zu den Bestrebungen zur Bildung einer amerikanisch-britischen Elite siehe Kapitel 2.5 und zu den außenpolitischen Annäherungen, inklusive amerikanisch-britischer Verbundenheit, siehe das Kapitel 7.2. 119 André Siegfried, „Will Europa Be Americanized?“, in: The Yale Review (März 1930), 433–446, 434. 120 George E. G. Catlin, „America Under Fire. A European Defense of Our Civilization“, in: Harper’s Magazine (Juli 1927), 222–227, 223.

2.4 Transatlantizität

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wie die des deutschen Philosophen Max Scheler aus dem Jahr 1915, wonach die USA noch immer und für lange Zeit eine „europäische Kulturkolonie“ bleiben werden, schürten solche Ängste auf amerikanischer Seite beträchtlich.121 Max Weber prophezeite sogar eine zunehmende Europäisierung des Neuen Kontinents. Er begründete eine solche Entwicklung allerdings ganz anders als Scheler, nämlich als Selbstangleichung im Zuge vereinheitlichender Modernisierungstendenzen. Einst habe Amerika sich von Europa vor allem durch die Verfügbarkeit über freies Land unterschieden, doch werde sich diese Differenz durch das Ende der Frontier-Phase allmählich verkleinern. Eine zunehmende Angleichung der USA an europäische Verhältnisse sei die Folge. Mit der Zeit, so prophezeite Weber, entstünden Klassenparteien und politische Strukturen nach europäischen Mustern, so dass sich dort keine bessere Welt mehr entwickeln könne. Schließlich beobachtete Weber in der Kriegszeit eine zunehmende Parallelität auch der politischen Strukturen. „Dieser Krieg […] wird eine Europäisierung Amerikas in mindestens dem gleichen Tempo zur Folge haben, wie man von einer Amerikanisierung Europas gesprochen hat. Die moderne Demokratie wird überall, wo sie Großstaatdemokratie ist, eine bürokratisierte Demokratie.“122 Konvergierende Entwicklungen im Sinne einer Europäisierung Amerikas nahm schließlich auch der Soziologe und Volkswirt Werner Sombart mit Blick auf die Arbeiterschaft an, weil jene Momente, die bislang den Aufbau starker sozialistischer Organisationen in den USA verhindert hätten, in Zukunft wegfallen würden.123 Diese Prognosen wurden in den USA allerdings nicht ernsthaft diskutiert. Doch gab es Ausnahmen. Der „progressive“ Historiker Vernon L. Parrington, der an der Universität zu Washington lehrte124 und die American Studies mitbegründete, betonte im Sinne Webers und Sombarts, dass die amerikanische Geschichte seit dem Ende der Frontier-Zeit keineswegs einen stetigen Fortschritt zu verzeichnen habe. Denn seither sei auch die Einzigartigkeit des Landes verloren gegangen und die USA erneut in die Pfade des europäischen Geschichtsverlaufs getreten.125 (3) Nicht nur war der Europäismus mit dem europäischen Antiamerikanismus verschränkt, vielmehr bestanden solche transatlantischen Verknüpfungen auch zwischen der europäischen und der amerikanischen Amerikakritik,

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Zit. n. Knöbl, Das Problem „Europa“, 269. Zit. n. ebd., 263. Nach ebd., 263 f. Allardyce, The Rise, 705; zu Parrington siehe Waechter, Die Erfindung, 183. Parrington lehrte von 1895 bis 1919 an der Columbia Universität und baute dann zusammen mit Croly und Beard die New School of Research in New York auf. Im Jahre 1929 starb er. Vgl. auch Bernard Fay, „An Invitation to American Historians“, in: Harper’s Magazine (Dezember 1932), 20–31, 29. 125 Nach Waechter, Die Erfindung, 176–183.

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2 Europa im Fokus

die sich nicht selten zu einem transatlantischen Antiamerikanismus steigerten, der seinerseits auf zahlreichen Stereotypen beruhte. Die Transkulturalität der Amerikakritik und des Antiamerikanismus zeigte sich vor allem in der unter amerikanischen Intellektuellen verbreiteten Neigung, der europäischen Amerikakritik zumindest in Teilen zuzustimmen.126 Dadurch erhielten die Kernaussagen der Amerikakritik und des europäischen Antiamerikanismus eine größere Verbreitung in den USA.127 Zur Vorhut der amerikanischen Amerikakritiker gehörte H. L. Mencken mit seiner Zeitschrift American Mercury.128 Mencken und die ihm verbundenen Publizisten129 urteilten über die USA der 1920er Jahre genauso scharf wie europäische Amerikakritiker, die sie sehr genau rezipierten.130 Schon 1914 schrieb Mencken zusammen mit George Jean Nathan und Willard Huntington ein kleines Buch über die großen Kontraste zwischen den europäischen Kulturen auf der einen und der amerikanischen Kultur auf der anderen Seite.131 Drei Viertel der Autoren, die für seine Zeitschrift schrieben, habe Mencken in seinem Sinne zu hart urteilenden Kritikern der amerikanischen Verhältnisse ausgebildet.132 Wegen seines großen Einflusses auf die öffentliche Meinung über amerikanische Kunst und Kultur könne man sogar von einer Mencken’schen Zeit sprechen, konstatierte damals der Kulturkritiker Carl Van Doren.133 Der elitär eingestellte Autodidakt Mencken richtete seine Attacken vor allem auf das puritanische Erbe, die Demokratieentwicklung und den Kolonialismus (sic) sowie gegen die akademische Welt. Er führte zudem die Revolte gegen die angelsächsisch gefärbte Genteel-Tradition an und kämpfte für kulturelle Unabhängigkeit von Großbritannien, insbesondere im literarischen Bereich.

126 Siehe z. B. Charles A. Beard, „Is Western Civilzation in Peril?“, in: Harper’s Magazine (August 1928), 265–273. 127 Sicherlich, nicht alle Kritiken, die in Europa über die USA geäußert wurden, können unter dem Begriff „Antiamerikanismus“ subsummiert werden. Die konkreten Kritiken der Europäer gegenüber konkreten Verhaltensweisen der Amerikaner vermischten sich indessen häufig mit dauerhaft bestehenden, negativ besetzten Stereotypen und bündelten sich zu einem vielgliedrigen Aussagesystem. 128 Mencken teilte beispielsweise Siegfrieds kritische Ansichten über Amerika. Auch stimmte er Siegfrieds Auffassung zu, dass es zwischen Briten und Amerikanern einen Basiskonflikt gebe. H. L. Mencken, „A Frenchman Takes a Look“, in: The Nation (Mai 1927), 533–534. 129 Zu denken ist an Henry Miller, Theodore Dreiser, John Steinbeck, William Faulkner und viele andere Künstler und Literaten. 130 Mencken bezog sich beispielsweise explizit auf Siegfrieds Amerikakritik. H. L. Mencken, „A Frenchman Takes a Look“, in: The Nation (Mai 1927), 533–534. 131 H. L. Mencken / George Jean Nathan / Willard Huntington, Europe after 8:15 (1914). 132 Carl Van Doren, „Those Who Run May Read“, in: The Forum (März 1926), 390–396, 395. 133 Ebd.

2.4 Transatlantizität

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Aus der wechselseitig verschränkten, transatlantischen Amerikakritik war am Vorabend des Ersten Weltkriegs unter den jungen amerikanischen Intellektuellen wie Randoph Bourne neue Empathie für Europa erwachsen. Der Alte Kontinent erschien ihnen als ein Refugium, um der von Bigotterie getragenen US-Gesellschaft entfliehen zu können. Sicherlich, nicht alle 28.000 Amerikaner und Amerikanerinnen, die 1928 allein in Großbritannien, Frankreich und Deutschland lebten134, kehrten den USA aus solchen Gründen den Rücken, doch unter ihnen befanden sich auch die als „lost generation“ bezeichneten expatriates. Nachdem diese die USA verlassen hatten, wurden sie in ihrem jeweiligen europäischen Gastland zu herausragenden transatlantischen Ikonen einer gelebten Amerikakritik schärfster Couleur. Harold E. Stearns schrieb beispielsweise Briefe und Kommentare aus Paris, in denen er sich über die moralische Attitüde gegenüber Europa mokierte.135 Der amerikanische Sozialphilosoph Michael Fraenkel, der ebenfalls als expatriate in Paris lebte, bekräftige Lucien Romiers Amerikakritik, insbesondere mit Blick auf die hohe Bedeutung, die dem Geld in den USA zukomme. Er kam zu dem Schluss, dass letztlich eine beträchtlich große Gegensätzlichkeit zwischen der amerikanischen und der europäischen Kultur vorherrsche (American versus European civilization).136 Die Transatlantizität der Amerikakritik war demnach nicht zu übersehen. John Dewey thematisierte deren Auswirkungen auf die politische Kultur des Landes: „The criticism […] is so much the burden of our own critics that one is never quite sure how much of the picture of foreign critics is drawn from direct observation and how much from native novels and essays that are not complacent with the American scene.“137 Denn obwohl sich die Durchschnittsamerikaner eigentlich für den europäischen Antiamerikanismus wenig interessierten, wurden sie doch durch die Kritiker und Satiriker aus dem eigenen Land immer wieder auf dieses Phänomen aufmerksam gemacht.138 Der amerikanische Literaturhistoriker Marcus Cunliffe fasste die Wirkkraft dieser transatlantischen Verknüpfung in ähnlich klingende Worte, als er schrieb: „There is no Anti-Americanism so eloquent as that of the native American.“139

134 Strout, The American Image, 178 f. 135 Stearns’ Berichte sind zu finden in: „Distance Lends Enchantment“, in: The Freeman (Dezember 1920), 381; „What can a Young Man Do“, in: ebd. (August 1920), 490; „Wicked Europe“, in: ebd. (Dezember 1922), 326; „This is Paris“, in: ebd. (Juli 1922), 398 f.; „Apologia of an Expatriate“, in: Scribner’s Magazine (März 1929), 340. 136 Michael Fraenkel, „America’s Conquest of Europe“, in: The Forum (November 1928), Illustrated Section XX–XXII, XXII. 137 John Dewey, „‚America‘ – By Formula“, in: The New Republic (September 1929), 117– 119, 118. 138 Charles A. Beard, „Is Western Civilization in Peril?“, in: Harper’s Magazine (August 1928), 265–273, 266. 139 Zit. n. Woodward, The Old World’s New World, 37.

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2 Europa im Fokus

(4) Nicht nur sollte die Transatlantizität der Amerikakritik und des Antiamerikanismus ins Auge stechen, sondern ebenso die transatlantische Verschränkung des Amerikanismus, wobei der Inhalt dieses Begriffs stets vage blieb. Der Sozialphilosoph Horace M. Kallen vertrat die Meinung, dass der Mann auf der Straße Amerikanismus mit Amerikanischem gleichsetze, und zwar im Unterschied zum Unamerikanischen (un-American), wobei diese Gegenüberstellung mit gut vs. böse (good and evil) assoziiert werde.140 Das mag übertrieben gewesen sein, doch ging es Kallen vor allem darum, das angeblich Unamerikanische, das vielfach mit dem Verhalten europäischer Immigranten gleichgesetzt wurde, umzudeuten und als wahren Amerikanismus zu kennzeichnen. Die USA, so Kallen, müssten sich gerade durch Differenzen innerhalb der Bevölkerung definieren.141 Allerdings überzeugte seine Umdeutung des Begriffs „Amerikanismus“ bekanntlich nur eine kleine Minderheit der weißen Amerikaner und Amerikanerinnen. Der Mainstream der öffentlichen Meinung verstand unter Amerikanismus in tautologischer Weise das, was als typisch amerikanisch galt. In den USA wurde der Amerikanismus eng mit Amerikanisierungsbestrebungen verbunden. Alle und alles sollte damals in den Vereinigten Staaten weitmöglich amerikanisiert werden. Parallel dazu wurde auch in Europa der Amerikanismus mit der Amerikanisierung Europas verknüpft. Vielfach galten die USA als Entwicklungsmodell, das sich vor allem unter Einflussnahme der USA in ähnlicher Form auch in Europa durchsetzen werde. Das erzeugte bei einem Teil der europäischen Intellektuellen die schon genannten Bedrohungsängste, während andere diesem Prozess gelassener oder gar positiver gegenüberstanden. Sie nahmen das Modellland USA vorrangig als ein Land der Freiheit und der Demokratie sowie als eine Nation mit dynamischer Entwicklungsfähigkeit wahr. Mit Blick auf die Vereinigten Staaten ließen sich die Hoffnungen auf materielle Prosperität und Entkrampfung sozialer Verteilungskonflikte mit entsprechenden Erwartungen an fordistische Produktionsmethoden verbinden. Der Franzose André Siegfried konstatierte 1930 in der Zeitschrift The Yale Review, nicht mehr Europa würde die USA inspirieren, sondern umgekehrt würden die USA Europa beflügeln.142 Graf Keyserling differenzierte allerdings noch weiter. Nicht ganz Europa und schon gar nicht Frankreich, sondern speziell Deutschland und Russland hätten mit den USA eine gemeinsame Interessenlage, denn diese Länder befänden sich auf der gleichen Entwicklungsschiene wie die Vereinigten Staaten. Die beiden Nationen hätten durch den Ausgang des Krieges alles verloren, so dass sie sich ganz der Zukunft verschreiben müssten. Angehende Inge140 Kallen, Culture, 36. Die ursprüngliche Veröffentlichung unter dem Titel The Meaning of Americanism stammt aus dem Jahr 1916. 141 Ebd., 43, 53. 142 André Siegfried, „Will Europa Be Americanized?“, in: The Yale Review (März 1930), 433–446, 434.

2.5 Transatlantische Elite als Hoffnungsträger

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nieure wüssten dies sehr wohl, während Intellektuelle oftmals (nationale) Romantiker (romanticists) geblieben seien und von den USA nicht viel verstünden.143 Tatsächlich waren Russland und Deutschland in den zwanziger Jahren an Rationalisierungsprozessen besonders interessiert, wenngleich diese in Russland nur punktuell und mit Unterstützung amerikanischer Ingenieure realisiert werden konnten. Und in Deutschland wurde während der zwanziger Jahre darüber mehr diskutiert als tatsächlich umgesetzt.144 Zahlreiche Besucher reisten in die USA, um den Fordismus zu studieren, und die Veröffentlichungen in Deutschland über die neuen Produktionsmethoden waren kaum mehr zu zählen.145 Graf Keyserlings Verweis auf die Zukunftsbezogenheit beider Länder infolge der deutschen Kriegsniederlage und der sowjetrussischen Revolution entbehrte nicht der Plausibilität. Neuere Forschungstrends über die Weimarer Republik bestätigen mehr oder weniger die Verbreitung solcher zukunftsorientierten Haltungen unter Meinungsbildnern aus diversen „Lagern“, während ehedem mehr die Krisenhaftigkeit der Weimarer Republik im Mittelpunkt der Analysen stand und diese vorwiegend von ihrem unrühmlichen Ende her interpretiert wurde. 146 Als Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass zwar sämtliche damals im Umlauf befindlichen Begriffe wie Amerikanismus und Antiamerikanismus, Europäismus und Antieuropäismus sowie Amerikanisierung und Europäisierung diesseits und jenseits des Atlantiks in Gebrauch waren, allerdings aus jeweils unterschiedlichen Perspektiven betrachtet und mit unterschiedlichen Wertungen versehen. Diese Transatlantizität wies bei genauerem Hinsehen komplexe Strukturen auf, insofern die unterschiedlichen Sichtweisen und Wertungen nicht zwischen den USA auf der einen Seite und Europa auf der anderen Seite getrennt waren, sondern solche Trennlinien mitten durch die jeweiligen Gesellschaften verliefen.

2.5 TRANSATLANTISCHE ELITE ALS HOFFNUNGSTRÄGER Die Transatlantizität, die sich im frühen 20. Jahrhundert enorm ausweitete147, drückte sich allerdings nicht nur in parallel verlaufenden und kreuzweise auf einander bezogenen Aussagesysteme diesseits und jenseits des Atlantiks aus. Vielmehr verkörperten auch viele Publizisten resp. Journalisten durch ihr ei143 Hermann Graf Keyserling, „America and Germany“, in: The Forum (April 1929), 199– 203, 200–203. 144 Zum Rationalisierungsprozess siehe Hachtmann/Saldern, „Gesellschaft am Fließband“; Saldern, „Alles ist möglich“. 145 So Charles A. Beard, „The American Invasion of Europe“, in: Harper’s Magazine (März 1929), 470–479, 478. 146 Graf, Die Zukunft, insb. 250–268. 147 Schäfer, American Progressives, 16; Rodgers, Atlantic Crossings.

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2 Europa im Fokus

genes Selbstverständnis von sich und ihrer Arbeit eine gewisse Transatlantizität, die ihrerseits als Ressource zur Anreicherung des „kulturellen Kapitals“ der Publizisten-Gruppe sowie als heilsversprechendes Zukunftsmodell fungierte. Zahlreiche Publizisten auf beiden Seiten des Atlantiks verstanden sich nämlich als Transatlantiker und äußersten sich auch in diesem Sinn in ihren jeweiligen Magazinbeiträgen und sonstigen Schriften. Dazu gehörte u. a. der deutsche Kulturphilosoph Hermann Graf Keyserling, der die USA gut kannte.148 Der Graf beschäftigte sich 1929 in der Zeitschrift The Forum mit den Beziehungen zwischen den USA und den europäischen Ländern149, wobei seine Beobachtungen und Einschätzungen große Aufmerksamkeit in den USA erzielten. Zu den gefragten britisch-amerikanischen Autoren zählte auch George E. G. Catlin, Sohn eines englischen Geistlichen. Catlin hatte über Thomas Hobbes gearbeitet, lehrte später an der Cornell Universität und veröffentlichte 1927 ein Buch über The Science and Methods of Politics. Ungeachtet seiner britischen Herkunft setzte sich Catlin sehr für die Förderung des nationalen Selbstwertgefühls der Amerikaner ein.150 Der Engländer Sir Philip Gibbs war ein ebenso gern gelesener Autor, der in amerikanischen Magazinen veröffentlichte, prophezeite er doch für Amerika eine große Zukunft.151 Auch der in Holland geborene Journalist und Populärwissenschaftler Hendrik Willem Van Loon konnte sein Wissen über die Verhältnisse diesseits und jenseits des Nordatlantiks in vielen Artikeln verarbeiten. Eine wichtige Vermittlerposition in der transatlantisch ausgerichteten Publizistik nahmen auch jüdische Publizisten dank ihres europäischen Migrationshintergrunds ein, etwa Israel Zangwill mit seiner englischen, Horace M. Kallen und Franz Boas mit ihrer deutschen Herkunft.152 Zu den Transatlantikern gehörte ferner die 1899 geborene Ida Treat. Sie stammte aus Illinois, besuchte die Western Reserve University, machte dann ihren Doktor an der Universität von Paris, und unterrichtete anschließend bis 1913 an der Western Reserve University romanische Sprachen. In den zwanziger Jahren ging sie wieder nach Paris, wo sie zwanzig Jahre lang als Schriftstellerin und Journalistin nicht zuletzt für amerikanische Magazine, wie The Nation, The New Yorker, Harper’s und The Saturday Evening Post, arbeitete. Die sozialistisch gesinnte Suffragistin und Pazifistin 148 Graf Keyserling absolvierte u. a. 1928 eine Vortragsreise durch die USA. 149 Hermann Graf Keyserling, „America and Germany“, in: The Forum (April 1929), 199– 203. 150 George E. G. Catlin, „America under Fire. A European Defense of Our Civilization“, in: Harper’s Magazine (Juli 1927), 222–227. 151 Woodward, The Old World’s New World, 54. Gibbs veröffentlichte 1920 in New York ein Buch, das den Titel trug People of Destiny: Americans As I Saw Them at Home and Abroad. 152 Gleason nennt noch Isaac Berkson und Julius Drachsler. Gleason, American Identity, 108 f.

2.5 Transatlantische Elite als Hoffnungsträger

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Crystal Eastman kann ebenfalls als Beispiel für transatlantisches Wirken gelten. Weil ihr Mann Walter Fuller in England lebte, reiste sie oft zwischen London und New York hin und her und verarbeitete ihre dabei gesammelten Informationen in zahlreichen Berichten für die feministische Presse.153 Europäische und amerikanische Tansatlantiker begnügten sich indessen oft nicht damit, allein durch ihre publizistische Tätigkeit den transatlantischen Kommunikationsprozess voranzutreiben. Vielmehr brachten sie sich selbst und ihresgleichen als transnationale Elite in ein heilsversprechendes Zukunftsprojekt ein. Der französische Industrielle Maurice de Wendel wünschte sich bereits 1922 in seinem Artikel der Zeitschrift The Forum ebenfalls eine neu zu schaffende transatlantische Elite (a small number of agents of the first order), die den transatlantischen Austausch- und Übersetzungsprozess vorantreiben sollte. Das Diplomatische Corps könne seiner Meinung nach eine solche Aufgabe nicht übernehmen, weil der Kontakt mit dem Mutterland oftmals fehle. Chancenreicher seien etwa französische Professoren, die in amerikanischen Universitäten lehrten, denn gerade in Bezug auf Intellektualität und Wissenschaft sei Frankreich überragend.154 Der britische Botschafter in den USA, Auckland Campell Geddes, machte 1920 in The Forum ebenfalls auf die potentielle Bedeutung der Universitäten für die Entwicklung der Weltgesellschaft aufmerksam. Vor allem seien es die Universitätsangehörigen (university men), die für eine funktionsfähige Führungsriege in ihren Ländern sorgen müssten. Diese sollten dann mit Universitätsangehörigen anderer Nationen in Verbindung treten, um Informationen über die zu erwartenden großen Veränderungen in Europa und Asien zu sammeln und zu erkunden, in welche Richtung die Entwicklungen in den einzelnen Ländern gingen. Eine solche transatlantische Elite sollte den Frieden und eine neue, unter amerikanischer Führung stehende Weltordnung befördern helfen.155 Der Diskurs über transnationale Eliten verdichtete sich offenbar gegen Ende der zwanziger Jahre. So sprach sich Bernard Fay 1929 in The Yale Review explizit für die Verständigung der transatlantischen Eliten aus, womit er Intellektuelle meinte (groups of intelligent, educated people). Deren Aufgabe sei es, sich auf beiden Seiten des Atlantiks gegen die populären Leidenschaften zu stemmen (who will be needed to guide and stem popular passions on both sides of the Atlantic).156 Die amerikanischen Publizisten Francis Miller 153 Biel, Independent Intellectuals, 120. 154 Maurice de Wendel, „As France Sees America“, in: The Forum (August 1922), 606– 612, insb. 610–612, Zitat 611. 155 Tatsächlich kam es zu vielen internationalen Aktivitäten auf zahlreichen Gebieten, angefangen vom Austausch wissenschaftlicher Erkenntnisse und Reformideen auf Konferenzen und in Fachzeitschriften bis hin zu Ausstellungen und internationalen Vereinigungen. Einzelheiten in Iriye, The Cambridge History. 156 Bernard Fay, „The Course of French-American Friendship“, in: The Yale Review (März 1929), 437–456, 455.

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und Helen Hill meinten damals, dass sich schon jetzt eine (Elite-)Gruppe von ähnlich denkenden Amerikanern und Europäern gebildet habe, die anstehende Probleme gleich beurteile: „Americans and Europeans are finding themselves aligned together in opposition to other Europeans and Americans in their thinking on the problems of the time.“157 Es gebe sowohl in den USA als auch in europäischen Gesellschaften Personen, die an der Förderung transatlantischer Gemeinsamkeiten und dem Aufbau einer einheitlichen Zivilisation (single civilization) interessiert seien.158 Sie erwarteten, dass sich politisch-kulturell gleichgesinnte Gruppen eines jeden Landes über die nationalen Grenzen hinweg zusammenschlössen. Es gebe zwar noch immer provinziell denkende Amerikaner und genau so provinziell denkende Europäer, aber deren Anzahl verringere sich, so dass bald diejenigen die Mehrheit erlangen könnten, die wie sie als eine gemeinsame Bewegung agierten und sich für eine einheitliche Zivilisation einsetzten (common movement in a single civilization).159 Auf britischer und amerikanischer Seite waren zudem Bestrebungen zur Bildung einer speziell amerikanisch-britischen Elite im Gang. Diese beruhten auf der Annahme, dass sich der soziokulturelle Status der Funktionseliten in beiden Ländern ähnelte. Schon in den 1890er Jahren hatten amerikanische Zeitungen und Zeitschriften verschiedentlich den Wunsch geäußert, mit England auf Augenhöhe zu verkehren. Ungeachtet der anwachsenden Zahl antibritischer Stellungnahmen160 erhielten seit der Jahrhundertwende amerikanisch-britische Transatlantiker sogar mehr Gewicht in der Öffentlichkeit. Die 157 Miller/Hill, The Giant, 221. 158 Francis Miller / Helen Hill, „Mare Nostrum“, in: The New Republic (Oktober 1930), 168–170. Helen Hill (1899–1995) stammte aus Lake Forest, Ill., studierte an der Bryn Mawr-Universität sowie in Oxford Ökonomie und politische Wissenschaften und promovierte 1928 an der University of Chicago. Zum Zeitpunkt ihrer Buchveröffentlichung 1930 arbeitete sie als freischaffende Autorin. Während der New Deal-Jahre war sie im Department of Agriculture tätig, und nach dem Zweiten Weltkrieg hatte sie einflussreiche Positionen in der Publizistik und in Frauenorganisationen inne. Francis Miller (1895–1978), in Kentucky geboren, wird als Presbyterianer, Wissenschaftler, Pädagoge, Autor, Soldat und Humanist gekennzeichnet. Er studierte Geschichte und Theologie an der Washingtoner Universität sowie der Lee Universität, ferner in Oxford und in der Schweiz. Unter dem Präsidenten Franklin Delano Roosevelt wurde er Direktor im Council for Foreign Relations. In dieser Funktion trat er wegen der aggressiven Haltung der faschistischen Staaten entschieden für eine Aufrüstung der Briten ein. Nach dem Zweiten Weltkrieg setzte er seine Karriere durch die Übernahme verschiedener Positionen im State Department fort. Das Berufsleben der beiden seit 1927 verheirateten Autoren verlief zwar nicht spektakulär, aber die Karrierewege zeigen, wie seit der Regierung Roosevelts transatlantisch denkende Publizisten sowohl für inneramerikanische als auch für außenpolitische Aufgaben eingesetzt wurden. 159 In dieser Aussage beziehen sich die Autoren auf Walter Lippmann, in: Francis Miller / Helen Hill, „Mare Nostrum“, in: The New Republic (Oktober 1930), 168–170, 170; Miller/Hill, The Giant, 220. 160 Dazu siehe Kapitel 2.4.

2.5 Transatlantische Elite als Hoffnungsträger

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„alteingesessenen“ Yankees sahen sich in Anbetracht der vielen neuen Fremden im Lande veranlasst, auf ihre angelsächsische Herkunft genauer zu blicken und sich dabei ihrer (elitären) Andersheit zu vergewissern; ja es entstand in solchen Kreisen eine regelrechte Anglophilie, die die Vorstellung unterstützte, dass Briten und Amerikaner einer gemeinsamen „Rasse“ mit einer gemeinsamen Sprache (English-speaking people) angehörten161 und über ähnlich strukturierte Wissensbestände verfügten. Tatsächlich wurde in amerikanischen Colleges das Studium des Angelsächsischen im späten 19. Jahrhundert besonders kultiviert. Auch konzentrierte sich die Lehre über Europa auf die englische Geschichte.162 Wissenschaftler auf den Gebieten der Literatur, der Geschichte und der Sozialwissenschaften sowie der Religion wollten die „rassische“ und kulturelle Affinität zu England in Form eines gemeinsamen „Wir“-Gefühls positiv gewürdigt sehen.163 Entsprechende amerikanischbritische Netzwerke unter ähnlich Denkenden erhielten ebenfalls eine größere Bedeutung.164 Wie elitär solche Vorstellungen oftmals waren, geht aus einem Statement der auch als Drehbuchautorin bekannt gewordenen Schriftstellerin I. A. R. Wylie hervor, als sie 1929 in The Forum mit großer Selbstverständlichkeit die Besonderheit einer britisch-amerikanischen Elite betonte, die sich vom wechselseitigen Hass der „Herden“ hüben und drüben positiv abhöbe: „Certainly England hates America – as America hates England, as all herds hate each other.“165 Insgesamt klang aus den Statements die Botschaft durch, transatlantische Eliten mögen die geistige Führung in allen Bereichen der Gesellschaft übernehmen und die Bildung einer gemeinsamen Zivilisation vorantreiben. Die eindeutigen Plädoyers für die Weiterentwicklung von informellen, funktionstüchtigen, transatlantischen Governance-Strukturen, jenseits der offiziellen Welt der Staatsmänner und Diplomaten, waren mit großen Hoffnungen auf bessere Zeiten verknüpft. Der damit verbundene Elitismus basierte auf der ebenfalls sowohl in den USA als auch in Europa verbreiteten Angst, dass die Demokratie als Massendemokratie auf Dauer nicht mehr funktionieren werde.

161 Strout, The American Image, 134, 145. Immerhin führten 42 Prozent der Bevölkerung ihre Wurzeln auf England zurück. Dawley, Struggles, 255. Andere bevorzugten hingegen den noch umfassenderen Begriff der Teutonics, bei dem die Deutschen eingeschlossen waren. Handlin, The Uprooted, 272 f. 162 Novick, That Noble Dream, 311. Ausführlich Tyrrell, Historians, 115, 130–137. 163 Dazu zählten beispielsweise der Historiker John Fiske und der an der Columbia Universität lehrende amerikanische Politikwissenschaftler John W. Burgess. 164 Zum amerikanisch-britischen Netzwerk siehe Clark, Less than Kin, 5; Startt, James Bryce, insb. 100, 104; Watt, Succeeding John Bull, 26; Brechtken, Scharnierzeit, 362. Brechtken macht auch auf die neue Akteurs-Generation in Großbritannien aufmerksam, die er als „Wende-Generation“ bezeichnet. Ebd. 165 Ida A. R. Wylie, „Anglo-American Joadism. A Reply to C. E. M. Joad,“ in: The Forum (Februar 1929), 106–108, 107. Der Brite C. E. M. Joad galt als konservativ.

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2 Europa im Fokus

Unter den Skeptikern ragte bekanntlich Walter Lippmann heraus.166 Ähnliche Vorbehalte gegenüber einer egalitären Massendemokratie teilte auch der „progressive“ Historiker James Harvey Robinson: Das einzige, was übrig bleibe, seien die „kreativen Gedanken“ einer kleinen geistigen Elite, meinte er.167 Und Ernest Gruening, Mitherausgeber der Zeitschrift The Nation blies in das gleiche Horn, wenn er betonte, der größte Fortschritt des Landes sei von einzelnen sozialen und politischen Pionieren erzielt worden, von Personen, die gegen Widerstände gekämpft hätten, um schließlich die Massen hinter sich zu bringen.168 Die Vertreter eines transatlantischen Elitismus, inklusive der vielen Publizisten, machten sich zudem die verbesserten Kommunikationsmöglichkeiten zunutze. Neben den zahlreichen Konferenzen und persönlichen Kontakten samt den dazugehörenden Korrespondenzen spielte die Publizistik als mediale Vermittlungsinstanz eine relevante Rolle. Der Ideen-Austausch begann sich schon in der Vorkriegsära zu intensivieren, als zahlreiche „progressive“ Reformer und Reformerinnen sich u. a. in Fragen der Kommunal- und Sozialpolitik wechselseitig verständigten. So trat die Transkulturalität der Reformambitionen in eindrucksvoller Weise zutage. Allerdings erhoben sich auch immer wieder Stimmen, die meinten, Amerika könne sich zwar von einem europäischen Land wie Deutschland durchaus inspirieren lassen, müsse dann aber seinen eigenen Weg gehen.169 In den zwanziger Jahren intensivierte und verbreitete sich der transatlantische Gedankenaustausch weiter, etwa unter Gewerkschafter, Architekten, Städteplaner und Sozialreformer sowie innerhalb der Frauenbewegung und der pazifistischen Gruppen, aber auch unter Rassekundlern, Sozialdarwinisten und Eugenikern.170 Denn nicht nur liberale Kräfte waren am transatlantischen Kommunikationsprozess beteiligt, sondern auch Andersdenkende, die ihr Gedankengut ebenfalls in transatlantische Gesinnungsgemeinschaften einbrachten.

166 Näheres zu Lippmanns Demokratie-Skepsis siehe Lippmann, Public Opinion. 167 Nach Waechter, Die Erfindung, 154; Hübinger, Nationale Reformen, 251. 168 Ernest Gruening, „A Good Subject“, in: The Nation (September 1925), 362–363, 363. Hingegen setzte Dewey trotz all seiner Bedenken auf den Erfolg seiner Erziehungskonzepte. Zu den Demokratievorstellungen siehe auch Kapitel 5.5. 169 Dazu siehe u. a. Schäfer, American Progressives; insb. 12–14; Rodgers, Atlantic Crossings, insb. 4. 170 Dazu siehe z. T. Rodgers, Atlantic Crossings.

2.6 Transatlantisches Dachgerüst

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2.6 TRANSATLANTISCHES DACHGERÜST: DIE HARPER SERIE UND DAS WESTERN CIVILIZATION-KONZEPT Im Zuge des sich ausbreitenden kulturellen US-Nationalismus galten einerseits die Feststellung von Unterschieden und die Hervorhebung von Differenzen zu Europa als adäquate Mittel der Identitätssuche. Andererseits gerieten zeitgleich historische Entwürfe in Umlauf, in denen der Alte Kontinent in Form eines euro-amerikanischen Verbundsystems konzeptionell „nostrifiziert“ wurde. Gemeint ist zum einen die damals in Angriff genommene Harper Serie zur Geschichte Europas, zum anderen das Western CivilizationKonzept, das die westliche Wertegemeinschaft in einen historisch aufbereiteten Gesamtentwurf einbinden und dabei die Bedeutung der längst gebräuchlichen Begriffe The West171 und Western World172 mit Inhalten füllen sollte. Dieses transatlantisch grundierte Konzept, das die amerikanische Geschichte „europäisierte“, bot eine Alternative zu den Tendenzen, die darauf ausgerichtet waren, die amerikanische Geschichte entsprechend den Interpretationen des Historikers Frederick Jackson Turner zu „amerikanisieren“.173 An sich waren die amerikanischen Historiker schon allein der Quellen wegen gewöhnt, vor allem die amerikanische Geschichte zu erforschen.174 Für amerikanische Durchschnittsstudenten der Vorkriegszeit lag Europa überdies meist auf einem weit entfernt liegenden Kontinent. An manchen Universitäten, wie etwa in Berkeley, wurden allerdings schon vor 1914 Kurse über europäische Geschichte im Überblick angeboten, etwa der Kurs History I. Dabei ging es um den Fortschrittsverlauf der westlichen europäischen Zivilisation von den Anfängen bis zu ihrer Vollendung in Form des Panama-Kanals (the progress of western European civilization from prehistoric times to the completion of the Panama Canal). Allerdings gab es vor dem Ersten Weltkrieg an keiner ameri171 Der Begriff The West hat allerdings eine zweifache Bedeutung. Zum einen meint er den werteorientierten Zusammenschluss von Europa und den USA, zum anderen das räumliche Ausgreifen der USA gen Westen in Richtung Pazifik und weiter – zunächst durch die Eroberung und Besiedlung des Kontinents, dann durch die amerikanische Expansionspolitik, die Drinnon nicht nur mit der Inbesitznahme der Philippinen, sondern sogar mit dem Vietnam-Krieg in Verbindung bringt. Drinnon, Facing West. 172 Siehe z. B. George E. G. Catlin, „America Under Fire. A European Defense of Our Civilization“, in: Harper’s Magazine (Juli 1927), 222–227, 222; Barnes, The History, Preface. 173 Dazu siehe das Kapitel 5.2. Selbst Frederick Jackson Turner hielt es – ungeachtet seiner Distanzierung von Europa – durchaus für sinnvoll, unter evolutionshistorischen Gesichtspunkten auf die europäische Geschichte zu blicken. Seine Untersuchungen zur Frontier-Kultur erachtete er sogar als einen wertvollen Beitrag zu einer evolutionär zu fassenden Weltgeschichte. Turner, The Significance of the Frontier. Turner erkannte indessen den europäischen Einfluss nur für die frühe US-Geschichte an. Bracher, Der „Frontier-Gedanke“, 231 f. 174 Lingelbach, Klio, 480 f.

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kanischen Universität einen Kurs über europäische Geistesgeschichte.175 Dies mag nicht zuletzt daran gelegen haben, dass die amerikanische Geschichtswissenschaft unter dem Einfluss der „progressiven“ Historiker stärker sozialgeschichtlich ausgerichtet war als die europäische Historiografie. Nach dem Ersten Weltkrieg intensivierten sich allgemein die Bestrebungen, die europäische Geschichte mit der amerikanischen stärker zu verzahnen, wie insbesondere der Mediävist und Präsidentenberater Charles Homer Haskins in seiner Begrüßungsansprache auf dem Kongress der American Historical Association 1921 mit Nachdruck forderte.176 Tatsächlich gelang es im Laufe der folgenden Jahre, Kurse über Western Civ in allen Colleges einzuführen und sie als Kern des allgemeinen Ausbildungskanons herausragend zu positionieren177, wobei die europäische Geschichte meistens en bloc gelehrt wurde.178 Dass sich die europäische Geschichte nach dem Ersten Weltkrieg in den USA im Aufwind befand, zeigt die damals entworfene, zwanzig Bände umfassende Harper Serie mit dem Obertitel The Rise of Modern Europe. Der Leiter des Großprojekts, William Langer, und die Autoren der einzelnen Bände galten als äußerst europafreundlich. Dieses Projekt war das größte Unterfangen amerikanischer Historiker jener Zeit. Es sollte mit einem ganzheitlichen Blick die europäische Geschichte seit dem Mittelalter darstellen.179 De facto wurden Schwerpunkte in der Politik- und Militärgeschichte im traditionellen Sinn gesetzt, wobei die Empathie für autoritäre Regierungsformen auffiel. Die Texte ließen auch rassistische, einschließlich antisemitische Züge sowie eine Abneigung gegenüber den angeblich irrational denkenden unteren Schichten, den so genannten Massen, erkennen. Die hohe Kultur Europas, insbesondere die Deutschlands, wurde hingegen als Ausdruck einer (weißen, männlichen) Elitenkultur gedeutet und bewundert. Unterlegt mit idealistischen Untertönen galt die Kultur als Einigungsband Europas, wobei Russland weitgehend ausgeklammert blieb.180 Das europabezogene Narrativ sollte dem 175 Novick, That Noble Dream, 31. 176 Berghahn/Maier, Modern Europe, 395 f.; Higham, History, 42. 177 Dabei kam der 1919 gegründeten New Yorker Columbia Universität, vor allem durch Charles Homer Haskins und James Harvey Robinson, eine Vorreiterposition zu. Vgl. dazu Gräser, Weltgeschichte, 370 f. Zum veränderten Ausbildungsangebot nach dem Ersten Weltkrieg siehe Allardyce, The Rise, 699, 702; Levine, The Opening, 55 f.; Geyer, Deutsche, 30. Allerdings wird aus retrospektiver Sicht konstatiert, dass die amerikanische Geschichtsschreibung über Europa während der Zwischenkriegszeit noch immer in den Kinderschuhen steckte. Novick, That Noble Dream, 177. Novick bezieht sich u. a. auf Leonard Kriegers Recherchen. 178 Berghahn/Maier, Modern Europe, 394. 179 Hierzu und zum Folgenden Harvey, The Nation. Der erste Band erschien 1935, der letzte Band 1971. Weibliche Autoren fehlen. 180 Im Kalten Krieg setzte Langer seine Position, Russland auszuklammern, mit Entschiedenheit gegenüber dem (Mit-)Autor John Wolf durch, der offenbar einen andersgearteten Text verfassen wollte oder bereits verfasst hatte. Harvey, The Nation, 491.

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besseren Verständnis der Wurzeln amerikanischer Gesellschaft und amerikanischer Kultur dienen. Denn Letztere sei als eine europäische anzusehen und als Western High Culture und Western Civilization zu kennzeichnen.181 Mit dem Begriff Western Civilization war zum einen ein vereinheitlichter Schmelztiegel diverser europäischer Kulturen (unified „melting pot“ of European culture) gemeint, zum anderen wurde darunter die progressive Weiterentwicklung der europäischen Zivilisation verstanden.182 Dieses großformatige und populäre Narrativ war so angelegt, dass die USA implizit als Erfüllungsort der (west-)europäischen Kulturleistungen erschien.183 Ein solches Erfüllungskonstrukt beruhte hier, wie auch im Western CivKonzept, auf zwei Säulen, dem Glauben an evolutionären Fortschritt sowie an einen atlantischen Zivilisationstransfer. Der Zivilisationsgedanke war zwar schon seit dem späten 18. Jahrhundert inhärenter Bestandteil der amerikanischen Zivilreligion und folglich der politischen Kultur und des amerikanischen Selbstverständnisses gewesen. Doch erst im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert verbanden Optimisten diesen mit der Vorstellung eines durch Wissenschaft und Technologie immer weiter voranschreitenden gesellschaftlichen Fortschritts, dessen Vorreiter eben die USA seien.184 Solche entwicklungsgeschichtlich begründeten Auffassungen erlaubten es, die Geschichte Europas als Erbe und Wertegemeinschaft mit derjenigen von Amerika auf einer langen Zeit- und Raumachse zu verknüpfen, die letztendlich in den USA endete.185 Das Konzept, das den Western Civ-Kursen zu Grunde lag und sich nach dem Ersten Weltkrieg rasch verbreitete, entstand zwar aus keinem einheitlichen Guss, aber Einigkeit bestand bei allen beteiligten Wissenschaftlern, dass die Wurzeln der engen kulturellen Bande zwischen Europa und den USA in der klassischen Welt der Antike, im Mittelalter, in der Renaissance sowie im modernen Europa zu suchen seien. Ein Teil der Historiker, wie der Geschichtsprofessor Carlton J. H. Hayes von der Columbia Universität, veröffentlichte 1932 ein alsbald weit verbreitetes Textbuch. Hierin vertrat er die Auffassung, dass Europa der Kontinent gewesen sei, auf dem sich die Hochkultur, die er als westlich bezeichnete, entwickeln konnte und die sich dann auch auf dem amerikanischen Kontinent ausgebreitet habe. „Europe has been 181 Berger/Lorenz, Introduction, 25; Harvey, The Nation, insb. 399. 182 Vgl. Harvey, The Nation, 481, 491. 183 Harvey vermeidet diese Schlussfolgerung allerdings in seiner Analyse. Harvey, The Nation. Wie verbreitet eine solche Auffassung war, zeigt beispielsweise Mowrer, wenn er von Amerika als der „Fortsetzung Europas“ sprach. Mowrer, Amerika, 32. 184 Siehe zum Beispiel John Lee Maddox, „Why Read History“, in: Current History (September 1928), Kurzform, in: The Reader’s Digest (November 1928), 429–430, 430. Die Bedeutung der Wissenschaften, insbesondere der Soziologie, für die Weiterentwicklung der Gesellschaft betonten u. a. die Chicagoer Soziologen Robert E. Park und Ernest Burgess in ihrem 1921 veröffentlichten Buch Introduction to the Science of Sociology. 185 Allardyce, The Rise, 706, 708 f.; Geyer, Deutsche, 30–35; Susman, Culture, 118 f.

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the seat of that continuous high civilization which we call ‚western‘, – which has come to be the distinctive civilization of the American continents as well as of Europe.“186 Andere Historiker, wie James Harvey Robinson, einer der Hauptträger der Western Civ-Kurse, setzten diesem transatlantischen Fundament quasi noch ein Sahnehäubchen auf: In seinem 1926 erschienenen Buch The Ordeal of Civilization ging Robinson vor allem der Frage nach, wie die gegenwärtige „westliche Zivilisation“ entstanden war.187 Dabei betonte er die Relevanz der modernen Geschichte, die er gleichfalls in einen für die USA vorteilhaften Evolutionskontext stellte. Inspiriert von evolutionistischen Denkmustern wurde die Geschichte eben häufig in der Weise erzählt, dass Kulmination und Erfüllung der westlichen Zivilisation, insbesondere im Hinblick auf Ratio und Freiheit, in den USA erfolgt seien.188 So konnte die Vergangenheit der Vereinigten Staaten zum einen verlängert und angereichert, zum anderen mit dem Glanz amerikanischer Gegenwart und Zukunft verknüpft werden. Der bekannte amerikanische Maler Robert Henri, der dem sozialkritischen Realismus zuzurechnen ist, hatte wohl Ähnliches im Sinn, als er im Magazin Arts and Decoration schrieb: „This country should begin to think the truth about itself, […] recognize its age-old background and the magnificence of its past, present and future.“189 Insbesondere hob der Historiker Charles A. Beard die Gemeinsamkeiten mit Europa durch den Begriff Western Civilization hervor, betonte dabei aber immer wieder die im Vergleich zu Europa größere Bedeutung der US-amerikanischen Gegenwart und Zukunft. So ließen viele seiner Texte die Schlussfolgerung zu, dass die USA das so genannte Maschinenzeitalter am besten repräsentiere.190 Obwohl die globale Perspektive nach dem Ersten Weltkrieg nie ganz aus der amerikanischen Universitätslehre verschwand191, verengte sich im Verlauf der zwanziger Jahre unter Historikern und in der Öffentlichkeit eher die Blickrichtung als dass sie sich erweiterte, was auch die Konzeption der Western Civ-Kurse tangierte. Zwar forderte 1921 Charles Homer Haskins in seiner schon erwähnten Begrüßungsansprache auf dem Kongress der American Historical Association auch eine internationale Perspektive (international outlook) zu berücksichtigen. Punktuell kamen dementsprechende Ansätze 186 Levine, The Opening, 54–63, Zitate 54, 63. 187 Robinson, The Ordeal, 748 f.; vgl. auch Levine, The Opening, 60. 188 Molho/Wood, Introduction, 6 f. In diesem Zusammenhang ist auch auf die Gründung des Journal of Modern History von 1929 zu verweisen, in dem der europäischen Geschichte ein wichtiger Platz zugewiesen wurde. Allardyce, The Rise, 709. 189 Robert Henri, „What About Art in America“, in: Arts and Decoration (November 1925), Kurzform in: The Reader’s Digest (Januar 1926), 567–568. 190 Charles A. Beard, „Is Western Civilization in Peril?“, in: Harper’s Magazine (August 1928), 265–273. Siehe auch Kapitel 5.3. 191 Siehe dazu Rasmussen, Bringing the World. Rasmussen reflektiert über den in den USA allerdings äußerst langsam einsetzenden Aufschwung einer globalen Geschichtsschreibung.

2.6 Transatlantisches Dachgerüst

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zwar durchaus zum Zuge, aber insgesamt dominierte dann doch in dieser Phase jene Generation von Historikern, die sich vorrangig der Erforschung amerikanischer Geschichte widmete192, während globale Zugänge wenig reüssierten, obwohl gerade damals die Weltpolitik für die USA an Relevanz gewonnen hatte. War in der Vorkriegszeit gelegentlich die amerikanische Entwicklung noch als Teil globaler Evolution interpretiert worden, so verbreiteten sich nach dem Krieg Vorstellungen, wonach die USA als alternativloses, einzigartiges Modell galten sowie als „größte Macht, die die Welt je gesehen“ hat (the greatest power the world has ever seen), wie sich der Historiker John Franklin Jameson in jenen Jahren einmal ausdrückte.193 Doch diese Positionsbestimmung führte nicht zu einer größeren Anerkennung der völlig fremd erscheinenden Kulturen194, wohingegen sie mit dem Konzept der euro-amerikanischen Western Civ-Kurse als durchaus kompatibel galt. Die Synthese von europäischer und amerikanischer Geschichte zu einer Einheit der westlichen Kultur (unity of Western Culture) unterstützte nämlich die ethnozentrische Auffassung, dass dem (gesamten) Westen unter Führung der USA ein Übergewicht in der Welt zukomme und zukommen müsse.195 Die westliche Zivilisation (Western Civilization) erschien als das Endprodukt der gesamten Weltgeschichte, und der „Aufstieg der westlichen ratio und des westlichen Individualismus“ wurde als „Entwicklung der Menschheit zur Freiheit“ interpretiert.196 Das Western Civ-Konzept und die Harper Serie, die aus einem Interesse an der Konstruktion einer (weißen) „westlichen Zivilisation“ und einem zukunftsweisenden neuen nationalen Selbstbewusstsein resultierten, basierten auf einer „Nostrifizierung“ europäischer Alterität und implizierten einen evolutionsgeschichtlich begründeten amerikanischen Erfüllungs- und Führungsanspruch.197 192 Higham, Hanging Together, 243 f. In den 1880er und 1890er Jahren behandelten noch neun Zehntel der historischen Dissertationen amerikanische Themen. Danach stieg zwar das Interesse an alter und mittelalterlicher, nicht jedoch an moderner europäischer Geschichte. Higham, History, 37, 40. „Between the wars, most Americanists stressed the distinctiveness of American society, and were little inclined to emphasize links with Europe.“ Novick, That Noble Dream, 311. 193 Zit. n. Tyrrell, Making Nations, 1036; Thelen, Making History, 384, 386. Regionen wie Afrika und Asien rückten erst seit den 1960er Jahren mehr in den Fokus. Vgl. auch Patel, Jenseits der Nation, 43. 194 Darin lag auch einer der Gründe, weswegen die Kurse seit den 1960er und 1970er Jahren stark in Verruf gerieten. Ausführlich: Levine, The Opening, 63–74. 195 Allardyce, The Rise, 708. Zitat von Beard, nach: ebd., 709; Lingelbach, Klio, 573. 196 Geyer, Deutsche, 31, 33; vgl. auch schon Robinson, The Ordeal, 4 f. 197 Der Historiker Marcus Gräser sieht im Western Civ-Konzept hingegen den Ausdruck eines „Minderwertigkeitskomplexes einer Nation“. Die amerikanische Nation sei „für ihre Historiker wie deren Publikum so selbstverständlich Bestandteil des europäischen Kulturraums“, dass „die Befähigung der USA zu einer ‚richtigen‘, an europäischen Vorbildern orientierten nationalen Vergangenheit wie zur Ausprägung einer autochthonen Nationalkultur latent bezweifelt wurde.“ Gräser, Weltgeschichte, 372 f.

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ZUSAMMENFASSUNG Die Inhalte der Zeitschriftenartikel, die auf den europäischen Antiamerikanismus eingingen, waren Bestandteile eines diskursiven Aussagesystems, mit dessen Hilfe ein bestimmtes Wissen über das Verhältnis zwischen Europa und Amerika nicht nur erzeugt, sondern durch die Nennung von Argumenten, Gegenargumenten und Zwischenpositionen auch ausgehandelt wurde. Stereotype zu wiederholen, um sie dann aufzubrechen, sie in Frage zu stellen und durch beweglichere Bilder zu ersetzen, bei denen die umfassenden Gesellschaftsveränderungen Berücksichtigung fanden – das gehörte zu den selbstgestellten Aufgaben der Magazinredaktionen. Die amerikanischen Qualitätsmagazine erwiesen sich als ein stark frequentierter Diskursraum, an dem virtuelle Begegnungen und Aushandlungen zwischen Protagonisten des einst dominanten Europa und jenen der mittlerweile in Politik und Wirtschaft dominant gewordenen USA stattfanden. Daraus entstanden indessen keine hybriden, die Differenzen zu Europa vermindernden Sichtweisen. Der europäische Antiamerikanismus führte in den USA zu beträchtlichen Irritationen, welche die Aufmerksamkeit der Leser und Leserinnen erweckten. So begann ein Diskursfeld zu florieren, auf dem der Leserschaft – neben den Wiederholungen der zahlreichen US-bezogenen Stereotypen – reichhaltige und vielseitig vergleichende Aussagen, Erwiderungen, Einschränkungen, Bestätigungen und Relativierungen angeboten wurden. Dazu gehörten auch die diversen Antwortstrategien auf amerikanischer Seite, welche die Relevanz und Stichhaltigkeit des europäischen Antiamerikanismus abschwächten und Gegenargumente lieferten. Die meist transatlantisch gesinnten Autoren legten auf eine Entemotionalisierung ihrer Erwiderungen Wert, was mit dem allgemeinen Trend zur Coolness zusammenhing. Dieser sollte nicht nur als ein Zeichen der Überwindung des viktorianischen Zeitalters gelten, sondern für manchen amerikanischen Autor auch die Überlegenheit der USA gegenüber Europa selbst auf der Gefühlsebene zum Ausdruck bringen. Durch die auf den europäischen Antiamerikanismus gerichteten Diskursstränge, die von zahlreichen Berichten über Europa begleitet wurden, vergrößerte sich das soziale Wissen über den Alten Kontinent, inklusive der diesbezüglichen Differenzen zu den USA. Die vielfach mit europäischen Verhältnissen vertrauten Autoren bemühten sich zudem, die Kontexte, die für den europäischen Antiamerikanismus maßgeblich waren, in ihren Magazinartikeln herauszuarbeiten. Die Vehemenz, mit der immer wieder die Differenz zwischen den USA und Europa betont wurde, lässt sich in einen postkolonialen Kontext einordnen.198 198 Vgl. Homi K. Bhahbas Plädoyer, die Analyse kultureller Differenz und nicht die der kulturellen Vielfalt in den Mittelpunkt postkolonialer Studien zu setzen.

Zusammenfassung

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Dessen ungeachtet verstanden sich die Herausgeber und Autoren der liberalen Qualitätsmagazine als Teil einer Elite, die sich ihrer bedeutsamen transatlantischen Brückenfunktion voll bewusst war. Deswegen störte sie einerseits der europäische Antiamerikanismus, insoweit er gegenüber den USA abfällige Werturteile einschloss. Andererseits fungierte gerade der europäische Antiamerikanismus als interkontinentaler Transmissionsriemen, und das in einer umfassenden Weise, die auch Übersetzungen der unterschiedlichen kulturellen Ausdrucksformen einschloss. Kennzeichen dieses transatlantischen Elitismus war zudem, dass er mit einem kulturellen Nationalismus kompatibel war. Dadurch kam es bei amerikanischen Publizisten immer wieder zu Verlautbarungen, die einmal kulturnationalistisches, ein andermal transnationales Engagement beinhalteten. Was zunächst als Widerspruch erscheinen mag, löst sich bei genauerem Hinsehen auf. So sollten die (gefühlten) kolonialen Abhängigkeiten von Großbritannien bzw. von Europa durch die zukünftige Zusammenarbeit der Transatlantik-Eliten überwunden werden. Deren transatlantisches Handeln werde dann, so die Annahme auf amerikanischer Seite, auf der Grundlage amerikanischer Paritätsvorstellungen bzw. amerikanischer Führungsansprüche erfolgen. Die Ausführungen zeigten überdies die transkulturelle und transatlantische Dimension des Antiamerikanismus, denn dieser fand ja nicht nur in Europa, sondern auch in den USA namhafte Verfechter, die die wesentlichen Kritikpunkte teilten. Analog dazu entfaltete sich eine Transatlantizität bei den Protagonisten des modernen Amerika und jenen Europäern, die entsprechende Entwicklungen auch auf dem Alten Kontinent mehr oder weniger begrüßten. Amerikaner glaubten vielfach, dass der in Europa grassierende Antiamerikanismus einen in ihren Augen meist unerwünschten Europäismus fördere. Doch blieb bekanntlich in Europa die Dominanz nationalistischen Denkens und Handelns bestehen und kontaminierte die Ansätze zur Europäisierung. Die mit Übersetzungen erzielten kulturellen Transferprozesse trugen, soweit sie in größere Aussagesysteme eingewoben wurden, zur Bewusstmachung der Differenzen zwischen den USA und Europa wesentlich bei. Die Übersetzungen nahmen in den amerikanischen Qualitätsmagazinen beträchtliche Ausmaße an. Sie sorgten dafür, dass europäische Denkweisen und Lebensstile in Amerika bekannt wurden und durch angemessene Historisierungen sowie Kontextualisierungen auf mehr Verständnis stießen, insofern kamen diesen wichtige Brückenfunktionen zu. Sie stimulierten einen permanenten Gedankenaustausch, initiierten medial vermittelte Aushandlungen und Abgleichungen, die schließlich zu neuen Verständigungsmöglichkeiten und Deutungsmustern führten, wobei Missverständnisse durch die verbreiteten Übersetzungstätigkeiten zwar vermindert, aber nie ausgeschlossen werden konnten. Anders ausgerichtet war, wie schließlich gezeigt wurde, das Western CivKonzept, das nicht auf Differenzen zu Europa abhob, sondern historische Ver-

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bundenheit ausdrückte und – auf der Basis evolutionärer Denkschemata – Tendenzen zur „Nostrifizierung“ europäischer Alterität erkennen ließ. Die Western Civ-Kurse, die die europäische Geschichte nach dem Ersten Weltkrieg in den Curricula der amerikanischen Colleges fest verankerten, stellten die historische Basis für das Projekt der euro-amerikanischen Westlichen Welt zur Verfügung.199 Sie erwiesen sich als kompatibel mit dem evolutionsgeschichtlich begründeten Führungsanspruch der USA. Das Konzept verband die USA auf der Grundlage ihrer neuen Weltmachtstellung stärker mit Europa, wobei die kulturellen Unterschiede zugunsten kultureller Gemeinsamkeiten relativiert wurden. Die USA galten implizit als Erfüllungsort all jener Ideen, die einst in Europa entwickelt worden waren.200.

199 Walter P. Webb brachte in seinem Buch The Great Frontier aus dem Jahre 1952 den Frontier-Begriff explizit mit Europa und der westlichen Zivilisation in Verbindung. Nach Higham, History, 215. 200 Das gilt auch für Horace M. Kallen, den Vertreter eines kulturellen Pluralismus. Siehe Zitat in: Gleason, American Identity, 97. Der amerikanische Historiker Peter Novick ordnet den Aufstieg der Western Civ-Kurse primär der Zeit nach 1945 zu, was allerdings die große Bedeutung der Konzeptionserarbeitung im frühen 20. Jahrhundert nicht schmälern sollte. Novick, That Noble Dream, 311 f. Novick bezieht sich hier auf Allan Nevins.

TEIL II Der zweite Teil der Studie trägt der Tatsache Rechnung, dass die gehobene Publizistik keineswegs nur aus der (links)liberalen Intelligenz bestand, sondern auch konservative, rassistische und reaktionäre Publizisten auf die öffentliche Meinung einwirkten. In zwei Kapiteln wird gezeigt, wie Rassismus, Eugenik sowie nativistisch ausgerichteter Nationalismus eine große Prägekraft auf Diskurse hatten. Ins Blickfeld kommen jene Gruppen, die im eigenen Lande lebten, indessen bei der Suche nach nationaler Identität als unterschiedlich gewichtete Störfaktoren galten und als potentiell handelnde Subjekte marginalisiert oder gar ausgeschlossen wurden. Da die Immigranten und Immigrantinnen in den damaligen Diskursen im Rampenlicht standen und sie meist aus Europa stammten, wird ihnen ein eigenes Kapitel gewidmet. Entsprechend dem Intersectionality-Ansatz, wonach die Verbindungslinien zwischen gender, class und race im Kontext von Benachteiligungen und Diskriminierungen fokussiert werden, fällt der Blick im darauffolgenden Kapitel auf die Diskurse über Geschlechter-, Klassen- und „Rassen“ sowie ansatzweise auf die jeweiligen Gegendiskurse. Dabei ist zu fragen, wie dieser Teil der nationalen Identitätssuche das Verhältnis zu Europa tangierte.

3 DIE „ANDEREN“. EUROPÄISCHE IMMIGRANTEN AUF DEM PRÜFSTAND „They simply look out of place in black clothes and stiff collar, since clearly they belong in skins, in wattled huts at the close of the Great Ice Age. These oxlike men are descendants of those who always stayed behind.“ Das war der Eindruck, den eine Gruppe von europäischen Immigranten, darunter Russen, Südslawen, Italiener, Griechen und Portugiesen, im besten Sonntagsanzug gekleidet, auf den reformerisch eingestellten Soziologen, Ökonomen und Eugeniker der Universität von Wisconsin, Professor Edward Alsworth Ross, machte.1 Der „progressiv“ eingestellte Wissenschaftler nahm die ihm als fremdartig erscheinenden Europäer offensichtlich auf sehr sinnliche Weise wahr. Ähnliche Eindrücke gaben auch andere „Einheimische“ beredt wieder. Für jene, die dem „old sweet Anglo-Saxon spell“ anhingen, und das waren vor allem die anglophilen Yankees aus Neuengland, bedeuteten die Massen von Immigranten und Immigrantinnen, die seit den 1880er Jahren ins Land gekommen waren, schlechtweg die Inkarnation von Fremdheit und Andersartigkeit. Sie wurden als eine kulturelle und gleichermaßen soziale Herausforderung wahrgenommen, die in vielen Fällen zu einer ablehnenden Haltung gegenüber dem Gros der eingewanderten Europäer führte.2 Forschungen über die Geschichte der Nationalstaaten haben gezeigt, dass deren Akteure und Repräsentanten häufig großen Wert auf ethnisch-kulturelle Homogenität legten und teilweise noch immer legen.3 Dementsprechend wurde und wird versucht, die Gefühle und Denkmuster der Bevölkerung in diese Richtung zu lenken. Aus Fremden entstanden dann Fremdkörper, die angeblich den Staatskörper gefährdeten, und aus dem „Wir“ wurden die aggressiven „Anderen“ ausgesondert, weil sie vorgeblich Gesellschaft und Nation penetrierten und verunreinigten. Differenz und Alterität verselbstständigten sich und überhöhten den Wert der Eigenheit durch Verminderung des Werts der Fremden.4 Im Folgenden werden solche Denkhorizonte vorgestellt, nach den Verknüpfungen zwischen diversen Diskursfragmenten gefragt und überlegt, welche Auswirkungen diese Vorgänge auf die Einschätzungen über Europa und die transatlantischen Beziehungen hatten. Entsprechend der postkolonialen 1 2 3 4

Zit. n. Levine, The Opening, 128 (Kursiv im Original). Zu Ross siehe auch Sluga, The Nation, 78 f.; Hansen, The Lost Promise, 92. Strout, The American Image, 132, 134. Die ausgeweitete Verwendung des Begriffs „Ethnie“ ist freilich erst jüngeren Datums. Aus der Sicht der „Anderen“ werden – umgekehrt – die Träger der dominanten Kultur die „Anderen“.

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3 Die „Anderen“. Europäische Immigranten auf dem Prüfstand

Theoriebildung ist deshalb auch zu fragen, ob die von Seiten der „Einheimischen“ stark betonten Differenzen gegenüber europäischen Einwanderern ebenfalls als eine Form der Ablösung von Europa interpretiert werden sollten.5 Im Blickpunkt der folgenden Ausführungen stehen Diskurse über nation building und „Rasse“ bzw. rassistisch grundierter Eugenik und den damit verbundenen Inklusions- und Exklusionsvorgängen.6 Dazu bedarf es einer Vorgehensweise, bei der die diskursiven Verknüpfungen herausgearbeitet werden, die zwischen der auf Amerikanisierung und Restriktion ausgerichteten Immigrationspolitik einerseits und den damals gängigen Vorstellungen über „Rassen“ sowie der gleichzeitig aufblühenden Eugenik andererseits bestanden haben.7 So ist zu fragen, wie Europäer unter rassistischen Gesichtspunkten kategorisiert und hierarchisiert wurden, ungeachtet der Tatsache, dass Europäer auch Weiße waren. Wie waren diese Diskussionen mit jenen über Bevölkerungsentwicklung und Geburtenkontrolle (birth control) verknüpft? Welche Rolle spielten Fachexperten und Machbarkeitsglaube? Und wie reagierte die liberale Publizistik auf solche Diskurse? 3.1 EUROPÄER IM LICHTE VON RASSENKUNDE, EUGENIK UND NATIVISMUS Die damalige Einwanderungspolitik gegenüber den Europäern war eng mit dem Durchbruch der Rassenkunde, der Eugenik und der Aktualisierung des angelsächsischen Nativismus verknüpft. Die Existenz von biologisch unterschiedlichen Rassen galt weithin als eine wissenschaftlich bewiesene Tatsache. Europäer wurden auf der Werteskala, die der Eingruppierung von Völkern diente, im Allgemeinen als Entität ganz oben platziert, während sich alle anderen „Rassen“ mit mittleren und unteren Rängen zufriedengeben mussten. Zwar verstärkten sich gerade um die Jahrhundertwende die rassistischen Vorbehalte und die Stereotype auch in Europa gegenüber den slawischen Völkern, insbesondere unter Deutschen, aber solche innereuropäischen Hierar5 6

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Vgl. Bronfen/Marius, Hybride Kulturen, 9 f. Die Autoren beziehen sich hier vor allem auf Stuart Hall. Für eine Zusammenführung der diversen Diskurse plädiert u. a. Schirmer, Introduction, XXIf. Zum Begriff der Rasse siehe u. a. Finzsch, Wissenschaftlicher Rassismus; Leiris, Die eigene und die fremde Kultur, insb. 72–118. Der Begriff „Rasse“ wird im Folgenden im Sinne des amerikanischen Begriffs race verwendet. Im Amerikanischen bezeichnete race damals auch Personengruppen, die heute Ethnien genannt werden. Zwar haben beispielsweise Kongressabgeordnete und Mitglieder des so genannten Quota Board auch schon zu dieser Zeit von Ethnizität (ethnicity) gesprochen, doch verbanden sie hiermit einen statischen Essentialismus, der in der heutigen Begriffsverwendung weitgehend fehlt bzw. fehlen sollte. Ngai, Impossible Subjects, 33 f.; grundlegend Roediger, Working Toward Whiteness, insb. 27–34.

3.1 Europäer im Lichte von Rassenkunde, Eugenik und Nativismus

125

chisierungen und Stereotypisierungen konnten die Selbst- und Fremdbilder vom Konstrukt eines hochwertigen (Gesamt-)Europäers als Vertreter der weißen „Rasse“ im Kern nicht in Frage stellen. In den USA mussten Europäer nun allerdings erleben, dass dieses Konstrukt massiv ins Wanken geriet, als unter biologisch-hierarchisierenden Aspekten die unterschiedliche ethnische Zusammensetzung „des Europäers“ gründlich und öffentlich wirksam der Begutachtung anheimfiel – mit dem Ergebnis, dass die Europäer klassifiziert und viele auf der Werteskala ganz unten eingeordnet wurden, nämlich all jene Immigranten, die aus Süd- und Osteuropa stammten. Althergebrachte Stereotype und (kulturelle) Vorbehalte gegenüber solchen und anderen europäischen Ethnien wurden durch angeblich wissenschaftlich fundierte, rassenkundliche Studien und Messungen neu begründet und erhielten dadurch eine andere Rahmung. Alles, was im engeren und weiteren Sinn mit „Rasse“ zu tun hatte, erfreute sich in den USA seit der Jahrhundertwende eines zunehmenden Interesses in Wissenschaft und Öffentlichkeit. Als Verstärker diente die intensive transnationale Vernetzung gerade der Rassenkundler und Eugeniker, die sich als Vertreter moderner und gesellschaftsrelevanter Wissenschaften verstanden und hierdurch beträchtliches Ansehen in der Öffentlichkeit erlangten. Dabei veränderte sich der Blick auf die zur Begutachtung anstehenden Menschengruppen. Während Anhänger der Rassenlehre früher mehr auf die Physiognomie eines Menschen als Individuum geachtet hatten, kam im frühen 20. Jahrhundert deren geografische Verortung hinzu, daneben ein gesteigertes Interesse an der Betonung von Differenz und Andersartigkeit anstelle von Gemeinsamkeit und Ähnlichkeit.8 Von einer solchen Blickverschiebung waren auch die eingewanderten Europäer betroffen. An sich galten in den USA alle Europäer als hochgeschätzte Kaukasier, ein Begriff, der nach allgemeiner Auffassung, einschließlich jener des Obersten Gerichtshofs, als Synonym für weiße Menschen Verwendung fand.9 Doch bei dieser allgemeinen Hochschätzung des Gesamt-Europäers blieb es nicht. Um die Jahrhundertwende fielen immer häufiger klassifizierende und hierarchisierende Blicke auf die einzelnen europäischen Ethnien. Bekannt wurde insbesondere die Studie des Ökonomen William Z. Ripley, Races of Europe, aus dem Jahre 1899. Der Autor unterschied drei „Rassen“ in Europa, die nordische „Rasse“, die er als teutonisch (teutonic) bezeichnete, sowie die Alpiner und die Mediterraner. Er folgte damit der Einteilung des einflussreichsten Rassenkundlers der USA, des Rechtsanwalts Madison Grant, Autor des allerdings erst 1916 erschienenen Buches The Passing of the Great Race, das in wenigen Jahren große Auflagen erzielte und auch ins Deutsche übersetzt wurde. Die Alpiner und die Mediterraner, so lautete die neue Botschaft der Rassenkundler, seien eigentlich gar keine richtigen Europäer, 8 9

Ngai, Impossible Subjects, 8. Ebd., 44. Der Begriff wird in angelsächsischen Ländern noch heute gebraucht.

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vielmehr handele es sich um westliche Ausläufer asiatischer Unterarten (subspecies). Zu Zeiten Karls des Großen habe Asien bereits jenseits der Elbe begonnen, und erst im Laufe der Jahrhunderte sei es gelungen, die Grenze Europas weiter nach Osten zu verschieben.10 Derartige Geschichtsinterpretationen hatten zur Folge, dass zahlreiche europäische Ethnien auf der Bewertungsskala herabgestuft wurden und fortan als degradierte „Rassen“ galten (degraded races), obwohl sie Weiße waren.11 Sie, etwa die Italian-Americans, füllten quasi – wie einst die von den Kelten abstammenden Iren12 – eine Zwischenkategorie zwischen Weiß und Nicht-Weiß aus, ähnlich wie Jewish Americans und Latinos. Ihnen fehlten, so hieß es, die angeblich für die echten Weißen typischen Eigenschaften, wie Tugendhaftigkeit, Weisheit und die Fähigkeit der Selbstaufopferung.13 Radikal denkende Rassenkundler, wie Madison Grant, lehnten die Melting Pot-Idee dementsprechend nicht nur für Schwarze, sondern eben auch für angeblich schlechtrassige Europäer ab. Einer der führenden Eugeniker, Nativisten und Rassisten14, der von Francis Galton und Gregor Mendel stark beeinflusste Biometriker Charles Davenport kennzeichnete die Bestrebungen zur Amerikanisierung der Europäer ebenfalls als naiv, weil Assimilation den Menschen nicht wirklich verändern könne.15 Selbst Mischehen kamen für Madison Grant und seinen Schüler Lothrop Stoddard sowie andere Rassenkundler nicht in Frage, galt es doch aus ihrem Blickwinkel die allein nordisch geprägte amerikanische Nationskonstruktion aufrechtzuerhalten bzw. zu stärken.16 10

11 12

13 14 15 16

Der Ausgang des Ersten Weltkrieges habe erneut eine Verschiebung der Grenzen mit sich gebracht. Nun sei eine Kette von alpinen Staaten entstanden, die vom Baltikum bis zur Adria reiche. Diese Entwicklung sei zu Lasten der nordischen Rasse gegangen (Slavic-Alpine in race, with little Nordic blood), so Madison Grant in seiner Einleitung zum Buch von Stoddard, The Rising Tide, XXXI. Ngai, Impossible Subjects, 19. Die irischen Einwanderer, die infolge der Hungersnot in ihrem Heimatland um die Mitte des 19. Jahrhunderts in die USA immigriert waren, wurden als Kelten und zunächst tendenziell als Nicht-Weiße wahrgenommen, wie auch Minstrel-Schaustücke zeigten. Vgl. Lind, The Next American Nation, 84. Das wird rückblickend mit ihrer äußerst schlechten materiellen Lage und ihren niederrangigen Erwerbstätigkeiten erklärt. Hierdurch hätten Iren einerseits die Schwarzen verdrängt, anderseits seien sie auf Grund ihrer sozialen Lage in deren Nähe gerückt. Erst allmählich sei ihr Weiß-Sein akzeptiert worden, woraufhin sie in der Öffentlichkeit mehr Anerkennung erfuhren. Vgl. Solomon, Ancestors, 155. Jacobson, Barbarian Virtues, 217; Freudenberg, White Women, 11. Dazu gehörte auch Henry Fairchild Osborn, langjähriger Präsident des American Museum of Natural History. Vgl. auch Jacobson, Barbarian Virtues, 160 f. In der Galton Society waren führende WASPs sowie Eugeniker und Rassisten organisiert. Barkan, The Retreat, 92. Higham, Strangers, 272 f. Für Stoddard war der Erste Weltkrieg von Beginn an ein weißer Bürgerkrieg (white civil war). Zu den Vertretern einer Theorie, die auf die Superiorität der nordischen Rasse fixiert war, gehörten u. a. der an der Harvard Universität leh-

3.1 Europäer im Lichte von Rassenkunde, Eugenik und Nativismus

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Die Rassenkundler bewirkten schließlich dank ihrer weitgefächerten Netzwerke, ihrer vorgeblichen Verwissenschaftlichung gepaart mit entsprechenden politischen Forderungen, dass sich rassistische Denkschemata und Sinnstiftungen in die amerikanisch-weiße Gesellschaft einnisteten, wenngleich mit unterschiedlicher Intensität und Schwerpunktsetzung. Der Wandel von einer auf Selbstständigkeit beruhenden Aufsteiger-Gesellschaft hin zu einem korporativen Kapitalismus mit einem Heer von Arbeitern und Angestellten schufen insbesondere in den „nationalistischen 1890er Jahren“ (nationalist ninetees, so Higham) den Nährboden für die Aufnahmebereitschaft rassistischen Gedankenguts in beträchtlich großen Teilen der Bevölkerung.17 Viele „progressive“ Sozialreformer und -reformerinnen hingen beispielsweise einem Gedankenkonstrukt an, das aus heutiger Sicht den Sachverhalt eines „pluralistischen Rassismus“ erfüllt: Einerseits distanzierten sie sich von jeglicher Hierarchisierung der „Rassen“, anderseits blieben sie der Vorstellung verhaftet, dass „Rasse“ ein essentialistisch-statisches Gruppengebilde sei. Außerdem überschätzten sie in der Regel die Differenzen zwischen den „Rassen“.18 Die beidseitige Abgrenzung müsse, so hieß es auch unter „Progressiven“, aufrecht erhalten werden, damit – und hier verfielen einige „Progressive“ dann doch in einen offenen Rassismus – die höhere Rasse nicht durch die niedere kontaminiert werde.19 Ein weiterer Stein kam ins Rollen, als die Verfechter von Rassentheorien zusammen mit Eugenikern und unterstützt von einigen Psychologen20 vermehrt Messungen an Menschen vornahmen.21 Der Eugeniker William Z. Ripley machte sich einen Namen, als er Kopfgrößen und Körpergestalten untersuchte, um auf der Grundlage intersubjektiv überprüfbarer Messungen die daraus gezogenen Schlussfolgerungen zu objektivieren. So wurde von Gehirnmessungen auf die Intelligenz eines Menschen geschlossen, und das Resultat fiel erwartungsgemäß aus: Die West- und Nordeuropäer schnitten bei solchen Untersuchungen am besten ab.22 Doch die Wissenschaftler begnügten sich da-

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22

rende Genetiker Edward M. East und der Geograf Ellsworth Huntington von der Yale Universität (ebd., 274) sowie der Ökonom Richmond Mayo Smith. Herrmann, Be an American!, 26. Kline, Building, 8. Selbst ein so honoriger Gelehrter wie Arthur Maier Schlesinger, Sr. konstatierte nicht nur, dass die Süd- und Osteuropäer einen sehr niedrigen Lebensstandard hätten und dadurch neue soziale Probleme verursachten, sondern dass auch „charakteristische rassische Unterschiede“ zu anderen Europäern bestünden. Schlesinger, The Significance, 83. Michels, Anti-Imperial Americanism, 376; Schäfer, American Progressives, 12, 218. Der Sozialpsychologe William McDougall leistete für die Rassenkundler wichtige Dienste. Higham, Strangers, 275 f. Die Rassisten Madison Grant und Lothrop Stoddard unterstützten selbstredend auch solche Messungen. o. V., „Immigration by Selection“, in: The Nation (Dezember 1920), 722. Levine, Highbrow, 222.

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mit nicht, sie nahmen eine Hierarchisierung und Klassifizierung der europäischen Ethnien (races) vor.23 Den Süd- und Südosteuropäern fehle es an Intelligenz, so das Ergebnis. Gemäß den Messungen an Soldaten während des Ersten Weltkrieges hatten angeblich Polen, Italiener und Russen einen Intelligenzquotienten, der nicht über dem eines Kindes liege und kaum die Messwerte der Schwarzen übersteige.24 Andere Studien ergaben, dass bei vielen europäischen Immigranten die Intelligenz sogar niedriger als bei „Negern“ sei.25 Die Euphorie, die die Hoffnung auf Objektivierung der rassenkundlichen Erkenntnisse mittels vergleichender Messverfahren auslöste, ließ auch die europäischen Neueinwanderer auf Ellis Island ins Visier der Empiriker geraten. Im Zuge der „Verwissenschaftlichung des Sozialen“ (Lutz Raphael) untersuchte Henry Herbert Goddard auf der Basis eines allerdings recht kleinen Samples die auf Ellis Island aus Europa angekommenen Personen. Er kam zu dem Ergebnis, dass 83 Prozent der Juden schwach begabt (feable-minded) seien, und ähnlich lauteten die Zahlen für Zugehörige anderer europäischer (Volks-)Gruppen: 80 Prozent bei Ungarn, 79 Prozent bei Italienern und 87 Prozent bei Russen. Die genaue Angabe der Messwerte, manchmal bis hinter dem Komma erhoben, sollte das Vertrauen in die Wissenschaftlichkeit des Verfahrens vergrößern.26 Flankierend zu den Messungen der Neuankömmlinge wurden die Körper charakterisiert. Der sozialdarwinistische Evolutionist und Eugeniker Albert Edward Wiggam studierte auf Ellis Island tausende Frauenkörper und beschrieb diese recht despektierlich. „They are broad-shipped, short, stout-legged with big feet; broad-backed, flat-chested with necks like a price-fight and with faces as expressionless and devoid of beauty as a pumpkin.“27 Der Hang zur Genauigkeit rassenkundlicher Aussagen führte zu spezifischen Merkmalsbeschreibungen einzelner europäischer Völker. Als ranghöchste Ethnie innerhalb der „teutonischen Rasse“ galten, wie gesagt, die Angelsachsen, die als original stock oder native stock, das heißt als angelsächsische Abkömmlinge der Gründungsväter der Nation, größte Wertschätzung erfuhren28 – eine Wertschätzung, die indessen nach Meinung der Nativisten in Zukunft stark gefährdet sei. Nicht nur historische Rückblenden auf die Nationsgründung sollten die Superiorität der Angelsachsen legitimieren; hinzu kamen auch rassistische Denkschemata, vermengt mit den allgegenwärtigen, wissenschaftlich aufbereiteten, sozialdarwinistischen und evolutionisti23 24 25 26 27

28

Roediger, The Wages. Ngai, Impossible Subjects, 24; Mink, The Wages, 15. Jacobson, Barbarian Virtues, 166 f. Lüthi, Invading Bodies. Albert Edward Wiggam, „Can We Have a Beautiful Race?“, in: Physical Culture, Kurzform in: The Reader’s Digest (Februar 1922), 43–44, 44. Näheres zu Ellis Island siehe u. a. Archdeacon, Becoming American, 146; Lüthi, Invading Bodies. Ngai, Imposible Subjects, 26; Solomon, Ancestors, 60 f.

3.1 Europäer im Lichte von Rassenkunde, Eugenik und Nativismus

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schen Konstrukten.29 So wurde vielfach angenommen, dass in der FrontierPionierzeit eine positive Auslese unter den Siedlern auf Grund äußerer widriger Umstände stattgefunden habe, mit dem Erfolg, dass nur die Besten übrig geblieben seien. Dieses Bild passte zu der mit den Angelsachsen verbundenen Vorstellung, dass sich die USA in Langzeitperspektive zur perfekten Gesellschaft entwickeln könnten und dass die „inferioren“ Immigranten aus Europa hierfür ein Hindernis darstellten.30 Die Italiener, die mit 3,8 Millionen unter den Einwanderern sehr stark vertreten waren31, schnitten bei rassenkundlichen und eugenischen Evaluierungen besonders schlecht ab. In den vorangegangenen Dezennien hatten sie häufig noch einiges Ansehen als Abkömmlinge des glanzvollen Römischen Reiches genossen. Damit war es nun vorbei, und das Land wurde zweigeteilt. Jetzt hieß es, die Italiener aus dem Norden gehörten zur zweitrangingen „Rasse“ der Alpiner und diejenigen aus dem Süden sogar zu den besonders niederrangigen Mediterranern mit negroidem Einschlag.32 Zweiteilungen nahmen amerikanische Rassenkundler teilweise auch für Frankreich und Deutschland vor, die nördlichen Hälften galten als nordic, die südlichen als alpine.33 Nach Maßgabe bestimmter Rassentheorien zählten nicht nur die bis dahin wenig angesehenen Skandinavier zu den „Gewinnern“34, sondern auch die Deutschen. Im Laufe des 19. Jahrhunderts war zwar schon ihr Ansehen in der amerikanischen Öffentlichkeit gestiegen, doch im Selbstverständnis der meisten „alteingesessenen“ Angelsachsen rangierten die Deutschen auf der Skala der Ethnien an niedrigerer Stelle als sie selbst, und vielfach galten sie noch immer als mediocre. Rassenkundler vertraten indessen nicht selten die so genannte teutonische Theorie, auch Germ-Theorie genannt, und betonten auf dieser Grundlage die Blutsverwandtschaft zwischen Deutschen und Angelsachsen.35 Das Theorem beinhaltete die Vorstellung, dass im Zuge der Völkerwanderungen bei dem zweistufigen Transfer – von Deutschland nach England 29 30 31 32 33 34

35

Vgl. auch Krakau, Missionsbewußtsein, 136. Archdeacon, Becoming American, 160. Ebd., 118. Madison Grant, „Introduction“, in: Stoddard, The Rising Tide, XXIV; vgl. auch Solomon, Ancestors, 164–167. Vgl. Reuter, The American Race Problem, 21–23. In den 1920er Jahren wurde gelegentlich der „typische Amerikaner“ nicht mehr allein mit britischen Vorfahren, sondern auch mit Vorfahren „nordwestlicher Europäer“ in Verbindung gebracht. Siehe z. B.: Gino Speranza, „The Immigrant Peril“, in: The World’s Work (Dezember 1923), Kurzform in: The Reader’s Digest (Januar 1924), 581–582, 581. Die Teutonic-Germ-Theorie führte die amerikanische Demokratie auf die altgermanische bzw. teutonische lokale Gemeinschaftsordnung zurück. Diese habe sich in England in Form der mittelalterlichen englischen Dorfkultur weiterentwickelt und sei schließlich im 17. Jahrhundert mit den Auswanderern in die USA gelangt, wo sie erneut einer positiv bewerteten Transformation unterlag. Solomon, Ancestors, 132, vgl. auch 158–160.

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und von England in die USA – eine Aufwärtsentwicklung der „Rasse“ stattgefunden habe, angefangen bei den Deutschen über die Engländer bis hin zu den angelsächsischen Amerikanern.36 Insofern stünden die angelsächsischen Amerikaner an der Spitze der weißen „Rasse“. Immerhin gehörten die Deutschen „dazu“. Auch Frederick Jackson Turner schloss bei seinen sozialräumlichen Interpretationen der transformativen Entstehung des neuen „Amerikaners“ im Kontext der Frontier-Kultur des amerikanischen Westens37 nicht nur die Skandinavier, sondern auch die Deutschen mit ein, während er die Franzosen und Spanier ausklammerte. Doch im Ersten Weltkrieg erlebten die Deutschen in den USA, wie schnell sich „wissenschaftlich“ abgestützte Behauptungen der politischen Großwetterlage anpassten: Denn nun erfuhren die Deutschen als Ethnie eine neue „rassische“ Bewertung, die Madison Grants guter Freund, der Zoologie-Professor Henry Fairchild Osborn, vornahm. Vertrat schon Grant die Auffassung, die Deutschen gehörten mehr zu den Alpinern und weniger zum nordischen Menschentyp, so kennzeichnete Osborn, seit 1908 Präsident des American Museum for Natural History in New York, die Deutschen nun sogar als „asiatische Barbaren“. Fortan galt die Version, dass der Kaiser und die Deutschen, „the huns“, von den „wilden Tartaren“ abstammten, und diese neue Imagination beherrschte auch die gesamte Kriegspropaganda.38 Einflussreich war damals bereits Henry Adams’ Buch The Education of Henry Adams, das 1907 privat ediert und 1918 veröffentlicht wurde. Obwohl der Autor in Deutschland studiert hatte, stritt er jeglichen Einfluss Deutschlands auf seine Person ab und unterstrich hingegen jenen der französischen mittelalterlichen Kultur, für die ihm Mont Saint Michel und Chartres als Wahrzeichen galten. Der Literaturhistoriker Waldemar Zacharasiewicz kommt in seiner diesbezüglichen Analyse sogar zu dem Schluss, dass Deutschland schon vor dem Krieg aus dem weitergehenden „Aushandlungsprozess“ über das, was als amerikanische Identität gelten könnte und sollte, ausgeschlossen worden sei39, während sich

36

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39

Eine solches Theorem vertrat u. a. der schon erwähnte, einflussreiche Charles Davenport. Jacobson, Barbarian Virtues, 157–160. Bender, Introduction, 3; Geary, Medievial Germany, 21; hierzu und zum Folgenden siehe Lingelbach, Klio, 521 f. Auch die so genannte Imperial School (u. a. Charles McLean, Herbert Andrews, Levi Osgood) war auf die Verteidigung des Angelsächsischen ausgerichtet. Diese Historiker relativierten u. a. die Signifikanz der vorrevolutionären Beschwerden der Kolonisten. Zur Imperial School siehe Lingelbach, Klio, 522; Novick, That Noble Dream, 82; Krieger, European History, 259. Dazu siehe Kapitel 5.2. Jacobson, Barbarian Virtues, 162; Higham, Strangers, 218; Sklar, The Plastic Age, 6. Im Allgemeinen wird der Begriff huns allein auf die so genannte Hunnen-Rede Kaiser Wilhelms II. aus dem Jahre 1900 zurückgeführt. Zacharasiewicz, Atlantic Double-Cross, 491. Der Autor verweist auch auf das Buch von Poultney Bigelow, Prussian Memories (1915–16), in dem Bigelow zu dem Schluss kam, dass es zu Deutschland keine fruchtbaren Austauschbeziehungen geben könne.

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damals die deutsche Traditionspflege und die deutsche Hochkultur, vor allem auf dem Gebiet der Musik40, durchaus noch einer allgemeinen Wertschätzung erfreute. In der Kriegszeit wurden die deutschen Einwanderer als Zugehörige der kriegsverursachenden Nation verunglimpft und zur kulturellen Assimilation gezwungen. Sauerkraut hieß nun beispielsweise „liberty cabbage“, und Familiennamen wurden angliziert.41 Herbert Creels Regierungs-Propaganda-Apparat Committee on Public Information sorgte dafür, die Vorbehalte gegenüber Deutschland und den deutschen Einwanderern mehrheitsfähig zu machen. Im Jahre 1915 wurde als Symbol eines nationalistisch gefärbten Amerikanismus, der Flag Day eingeführt. Ein Land, eine Sprache, eine Flagge – so lautete die neue Devise.42 Ungefähr 150.000 „America First“-Poster wurden verteilt. Der Kriegspatriotismus forderte von jedem Immigranten eine absolute Loyalität zur amerikanischen Nation, um als „wahrer Amerikaner“ zu gelten. Es gebe nur eine Nationalität in Amerika, verkündete der sich als Angelsachse fühlende Expräsident Theodore Roosevelt am 8. Juli 1918, und das sei die amerikanische. „There can be no fifty-fifty Americans in this country“. Alle Bindestrich-Amerikaner, das heißt, all jene mit geteilten mentalen Anbindungen und Loyalitätsgefühlen, wie dies bei vielen Einwanderern tatsächlich ja der Fall war, gerieten zu Außenseitern oder Verdächtigen. Alles Angelsächsische galt hingegen als qualitativ überragend (superior). Auf dem Hintergrund wirtschaftlicher Umstellungsprobleme und vieler Streiks sowie der bolschewistischen Revolution in Russland verfiel das Land in der ersten Phase nach dem Weltkrieg bekanntlich in einen Ausnahmezustand. Die von Politikern hochgepeitschte Furcht vor Ausländern, Sozialisten, Radikalen, Anarchisten, Streikenden und Pazifisten mündete in eine kollektive Hysterie (Red Scare), wobei den Menschen nach wie vor ein allumfassender Patriotismus abverlangt wurde.43 Während der konservativ-anglophile, dem New Humanism zugehörende Literaturwissenschaftler Stuart Pratt Sherman auch nach dem Ersten Weltkrieg die deutsche Kultur weiterhin massiv angriff44, plädierten andere Intellektuelle für deren (erneute) Hochschätzung. Zu Letzteren gehörten H. L. Menken, der einst Friedrich Nietzsche in den USA publik gemacht hatte, sowie Sinclair Lewis, der nach dem Krieg für eine differenzierte Betrachtung

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Ebd. Zu einem ähnlichen Ergebnis wie Zacharasiewicz kommt Jörg Nagler bei seinen Recherchen. Nagler, From Culture. Siehe dazu Gienow-Hecht, Sound Diplomacy. Higham, Strangers, 196. O’Leary, To Die For, 238. Vgl. zum Beispiel Josephus Hon. Daniels, „Above All – Patriotism!“, in: The Forum (März 1920), 298–306. Daniels war Secretary of Navy. Hoeveler, The New Humanism, 15 f.

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Deutschlands eintrat.45 Die Zeit arbeitete ebenfalls für Deutschland. Bereits um die Mitte der zwanziger Jahre fanden schließlich die deutschen „Klassiker“, insbesondere die vorher boykottierten Wagner-Opern, wieder Eingang ins Programm der großen Häuser46, ein Zeichen für die nachlassenden Aversionen gegenüber der deutscher Hochkultur. Und auch die Rassenkundler hatten nun nichts mehr dagegen einzuwenden, dass die Deutschen schließlich bei den Restriktionsgesetzen von 1921 und 1924 nicht nur gut abschnitten, sondern mit einer Einwanderungsquote von 25.957 pro Jahr sogar – nach den Angelsachsen – die zweithöchste Quote erhielten.47 Allerdings rückte Deutschland mit seiner politischen Kultur nicht ins Zentrum des Konzepts der „Westlichen Zivilisation“ (Western Civilization), das vorrangig auf die Länder Frankreich und England beschränkt blieb. Der bekannte amerikanische Journalist und zeitweise in Berlin lebende Auslandskorrespondent Edgar Ansel Mowrer bestätigte indirekt die Zwischenposition der Deutschen in einem seiner Aufsätze im Harper’s Magazine (1928). Je länger die Weimarer Republik existiere, desto größer sei die Chance, so Mowrer, dass Deutschland in den westlich-europäischen Strom hineinwachsen werde (western European currents), wobei auch viel von der Entwicklung in Großbritannien und Frankreich abhänge48, das hieß, so lässt sich ergänzen, von jenen zwei Ländern, die der Publizist offenbar als Kernländer westlicher Zivilisation ansah. Von solchen stark schwankenden Aufwärts- und Abwärtsbewegungen in der Einschätzung von Nationen und Volksgruppen (wie den Deutschen) waren Juden ausgenommen. Folgt man Davenport, so nahmen die rund zwei Millionen Ostjuden, die zwischen 1870 und 1914 in die USA einwanderten49, einen recht niedrigen Rang auf der Bewertungsskala der Europäer ein.50 Mehr und mehr wurden die bereits vorhandenen kulturellen Stereotype mit „rassischen“ Komponenten unterlegt und die Körper der Juden kategorisiert und pathologisiert51, obwohl die Frage, ob Juden überhaupt eine eigenständige „Rasse“ seien und wenn ja, wie diese bewertet werden sollte, durchaus auf unterschiedliche Antworten stieß. Außerdem kam Unsicherheit bei der Ein45

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Zacharasiewicz, Atlantic Double-Cross, 491–493. Zacharasiewicz verweist auf einen Artikel von Sinclair Lewis in The Nation anlässlich des 50. Geburtstages der Zeitschrift. Sinclair Lewis, „An American Views the Huns“, in: The Nation (Juli 1925), 19–20. Lewis verarbeitete diese Debatte später in Dodsworth (1929). Zu Stuart Pratt Sherman, der viel zum vorübergehenden Aufschwung des New Humanism Ende der zwanziger Jahre beitrug, siehe Hoeveler, The New Humanism. Wiedemann-Citera, Die Auswirkungen, 301. Ngai, Impossible Subjects, 28. Edgar Ansel Mowrer, „Germany After Ten Years“, in: Harper’s Magazine (Dezember 1928), 61–69, 69. Gleason, American Identity, 108. Die Zahlen variieren in der Literatur. Viele Juden lebten in New York. Jacobson, Barbarian Virtues, 157–160. Lüthi, Invading Bodies, 3. Kapitel.

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schätzung von Juden auf, da die hochgradigen sozialen und intellektuellen Kompetenzen zahlreicher Juden nicht übersehen werden konnten, weswegen die Behauptung, Juden gehörten generell einer niederwertigen „Rasse“ an, der Öffentlichkeit schwer zu vermitteln war. Erst in den letzten Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs kippte, nicht zuletzt unter dem Einfluss von Davenport, die diskursive Gemengelage eindeutig zu Ungunsten der Juden um.52 Zu den im Umlauf befindlichen negativen Stereotypen gehörte die Auffassung, dass Juden eine Bedrohung der internationalen Christenheit, der internationalen Finanzwelt und der internationalen angelsächsischen „Rasse“ darstellten.53 Für nativistisch gesinnte Protestanten war zudem der Wunsch maßgeblich, den Protestantismus der USA und der „alteingesessenen“ Angelsachsen nicht zu schwächen.54 Henry Fords Zeitschrift Dearborn Independent avancierte zeitweise zum Hauptorgan des Antisemitismus in den USA.55 Nathaniel Shaler, früherer Dekan der Lawrence Scientific School an der Harvard Universität, vertrat, ähnlich wie viele „Neuengland-Brahmins“56, einen kulturellen Antisemitismus, wonach Juden nie gute Amerikaner werden könnten, sie seien jedenfalls eine unerfreuliche Volksgruppe (they are to our race a very unpleasant people).57 Gebildete Konservative assoziierten mittlerweile reich gewordene (West-)Juden mit (dubiosen) Geld- und Finanzgeschäften und beklagten den sich angeblich dadurch ausbreitenden Materialismus in der Gesellschaft58, eine Auffassung, gegen die sich allerdings auch Stimmen erhoben, wie die des Schriftstellers Burton J. Hendrick in The World’s Work und The Reader’s Digest.59 Die fortbestehenden Ressentiments gegenüber den wohlhabend gewordenen Juden weiteten sich seit der Jahrhundertwende auf die armen, oftmals aus Polen und Russland stammenden Juden aus. Die orthodoxen Juden unter ihnen seien nie europäisiert worden (never been Europeanized) und hätten keine Vorstellung von Staatsbürgerlichkeit (never developed the slightest sense of citizenship), weswegen sie sich nicht assimilieren könnten, meinte Burton J. Hendrick in The World’s Work und im Reader’s Digest 1923.60 Die als „typisch jüdisch“ gekennzeichnete Körpergestalt lasse auf Degeneration schlie-

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60

Solomon, Ancestors, 169–175. Knobel, America, 224; Solomon, Ancestors, 39. Marty, Modern American Religion, 135. Barnes, The History, 478. Ford stammte aus Dearborn bei Detroit. Mit Brahmins (= Brahmanen) ist die neuenglische Oberschicht gemeint. Zit. n. Fuchs, The American Kaleidoscope, 57. Vgl. Archdeacon, Becoming American, 159. Burton J. Hendrick, „Do the Jews Dominate American Finance?“, in: The World’s Work, Kurzform in: The Reader’s Digest (Januar 1923), 683–686. Hendrick war ein an der Yale Universität ausgebildeter Schriftsteller und Journalist. Nach Burton J. Hendrick, „The Menace of the Polish Jews“, in: The World’s Work (Februar 1923), Kurzform in: The Reader’s Digest (Februar 1923), 757–758, 757.

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ßen.61 Der oberste Boss des Ku Klux Klan, der texanische Zahnarzt Hiram Wesley Evans, unterschied in der konservativen Zeitschrift The North American Review 1926 zwischen den westlichen Juden und den Ostjuden. Letztere seien gar keine richtigen Juden, meinte Evans, sondern Mongolen und Chasaren, wobei er sich auf ähnlich denkende Anthropologen berief.62 Und seine Gefolgsleute wurden nicht müde zu betonen, dass ihre Antipathie gegenüber Juden angeblich nicht erwachse, weil Juden minderwertig, sondern weil sie so ganz anders seien. Wer die beiden Teilaussagen kombiniert, kommt zu dem Schluss, dass sich der Antisemitismus gegenüber den Ostjuden mehr aus dem Rassismus und der Antisemitismus gegenüber den Westjuden mehr aus ihrer fremd erscheinenden (sozialen und kulturellen) Andersartigkeit speiste. Zeitgleich zum Antisemitismus des frühen 20. Jahrhunderts kam nicht nur in Europa, sondern auch in den USA ein zionistisch eingebundener jüdischer Nationalismus in Teilen der jüdischen Gruppen zum Tragen, verbunden mit der Frage, worin Jüdisch-Sein überhaupt bestehe und was es in Amerika bedeute, Jude zu sein. In den kursierenden Narrativen wurde bei Selbstdeutungen nicht selten ebenfalls von race, wenngleich erwartungsgemäß in einem positiven Sinn, gesprochen.63 Stellten solche Fremd- und Selbstdeutungen die Andersartigkeit der Juden in der amerikanischen Gesellschaft heraus, so entstanden auf religionspolitischem Gebiet gegenläufige Bestrebungen, die auf Inklusion ausgerichtet waren. Denn religiöse, nicht-jüdische Amerikaner wurden gewahr, dass nicht nur sie, sondern auch die Juden ein ausgewähltes Volk Gottes seien. Und während des Krieges stellten sich jüdische Institutionen, wie auch die protestantischen und katholischen Kirchen, hinter den amerikanischen Kriegseintritt, sodass es zu einer zukunftsweisenden christlich-jüdischen Solidaritätsgemeinschaft kam. Auf der anderen Seite litten gerade während des Krieges deutsch-amerikanische, vielfach bereits wohlhabend gewordene Juden als Deutsche und als Juden unter den Antipathien ihrer Mitbürger. Zahlreiche Juden wurden während der Red Scare-Phase zudem mit der bolschewistischen Revolution in Zusammenhang gebracht, ja es entstand sogar das Gerücht, dass Juden ein international organisiertes Komplott gegen die USA vorbereiteten, wie Evans in The Forum noch 1926 konstatierte.64 Auch untergrüben Juden, wie es hieß, das soziale Prestige der Universitäten. Viele Kinder von Einwanderern, vor allem jüdischer Herkunft, studierten an der als immigrationsfreundlich eingestellten 61 62 63 64

Clarke, These Days, 199 f. Hiram Wesley Evans, „The Klan’s Fight for Americanism“, in: The North American Review (März 1926), 33–63. Jacobson, Whiteness, 184–187; zur Einführung siehe Marty, Modern American Religion, 135–145. Ausführlich Higham, Strangers, 278–286; Hiram Wesley Evans, „The Klan: Defender of Americanism“, in: The Forum (Dezember 1925), Kurzform in: The Reader’s Digest (Januar 1926), 583–584.

3.2 Geburtenkontrolle im Spannungsfeld von Eugenik und Nationalismus

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Columbia Universität in New York (gateway of European immigration), was angeblich dazu geführt habe, dass Kinder aus den alten amerikanischen Familien vermehrt fortblieben.65 Im ganzen Land wurden für so genannte unerwünschte Personen, das hieß de facto vor allem für Juden, an privaten Colleges und Universitäten, inklusive Harvard, Quoten eingeführt.66 Erst der Zweite Weltkrieg und das Erschrecken über die Nazi-Verbrechen führten gegen Mitte des 20. Jahrhunderts zu einer Inklusion der amerikanischen Juden in die weiße US-Gemeinschaft der „Kaukasier“ (Caucasians).67 Gleichwohl konstatierte der jüdische Wissenschaftler und Publizist Leonard Fein auch für die Zeit danach: „We are too much an oppressed people, still, and too much a rejected people, even in this country, to accept the designation ‚white‘.“68 Zusammenfassend gesehen, lässt sich erstens festhalten, dass der Rassismus die alten und neuen Stereotype über europäische Volksgruppen in starkem Maße penetriert hat. Zweitens wurde deutlich, wie sich die rassenkundlichen „Erkenntnisse“ mit den politischen Umbrüchen veränderten, wobei Deutsche auf der Bewertungsskala im und unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg nur vorrübergehend ganz nach unten rutschten, während Juden auch noch in den 1920er Jahren unter dem Antisemitismus litten und Italiener weiterhin als minderwertig galten. 3.2 GEBURTENKONTROLLE IM SPANNUNGSFELD VON EUGENIK UND NATIONALISMUS Die Eugenik erlebte in den USA und anderswo seit der Entdeckung der Mendelschen Vererbungsgesetze und ihrer konzeptionellen Aufbereitung durch Francis Galton und dessen Vorlieben für biometrische Statistiken einen großen Aufschwung.69 Sie beanspruchte, den Lamarckianismus, der die Relevanz von Umwelteinflüssen für die Vererbung betonte, durch deren Biologisierung zu ersetzen. In wissenschaftliches Gewand gekleidet, erschienen zahlreichen Eugenikern „rassische“ Grenzen zwischen Menschengruppen als unaufhebbar; folglich wurde die Assimilationspolitik gegenüber den eingewanderten Europäern als unmögliches Unterfangen angesehen. So spielte die 65 66

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Levine, The Opening, 58 f. Der Präsident der Harvard Universität, A. Lawrence Lowell, zeigte sich besorgt über die „Rassenverteilung“ in seiner Universität. Knobel, America, 273. Harvard erhielt auch öffentliche Gelder, wodurch sich das Problem der Quotierung verschärfte. Vgl. auch Barkan, The Retreat, 214–220. Alle Bewerber mussten Fragebögen ausfüllen und dabei den Geburtsort des Vaters sowie einen etwaigen Namenswechsel angeben. o. V., Leserbrief, „What Was Your Father’s Name“, in: The Nation (Oktober 1924), 322. Der Autor kritisierte dieses Vorgehen. Jacobson, Whiteness, 187. Zit. n. ebd., 279 f. Näheres Higham, Strangers, 313–315; Lüthi, Invading Bodies, 70.

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3 Die „Anderen“. Europäische Immigranten auf dem Prüfstand

Eugenik in der 1894 gegründeten Immigration Restriction League nicht zufällig eine beträchtliche Rolle. Sie galt zudem als gutes Mittel gegen den angeblich zunehmenden Verfall von Moral und Sitte.70 Schließlich sei auch die Einheit der Nation in Gefahr und damit die „Seele des Amerikanismus“, so die Ängste der vielfach nativistisch ausgerichteten Eugeniker.71 Die Vorstellung, dass eine Nation möglichst homogen sein müsse, gewann zunehmend an Überzeugungskraft.72 „We need an American race, an American breed“, hieß es allerorten.73 Die neue Wissenschaft fand bei Gesellschaftsreformern und -reformerinnen sowie bei nativistisch denkenden Neuengland-Brahmins großen Anklang. Für viele Anhänger öffnete sich damit auch jenes Tor, das zum Rassismus führte. „Eugenics transformed the ambiguous xenophobia of Brahmin restrictions into a formidable racist ideology.“74 Hiermit waren oftmals Wunschvorstellungen verknüpft, die darauf hinausliefen, gerade mit Hilfe der modernen Wissenschaften soziale und nationale Probleme zu lösen.75 Im Jahre 1910 wurde das Forschungsinstitut Eugenic Record Office gegründet und von der Carnegie-Stiftung finanziert76, so dass sich auf dieser solide erscheinenden Basis relativ leicht ein dichtes nationales und transatlantisches Kommunikationsnetz aufbauen ließ.77 Getragen von der Vorstellung, eine Gesellschaft nach rational erscheinenden Kriterien durch eine Art eugenic engineering formen zu können, arbeiteten sich die Eugeniker damals vor allem an der Geburtenkontrollfrage ab78, zu deren Bedeutungszunahme die neuen Kernwissenschaften Demographie und Statistik wesentlich beitrugen. 70 71 72

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Kline, Building, 2. Hiram Evans, „The Klan’s Fight for Americanism“, in: The North American Review (März 1926), 33–63. So: o. V., „The Great Fallacy of Immigration“, in: The World’s Work (Juni 1923), Kurzform in: The Reader’s Digest (Juni 1923), 229–230, 230; Ickstadt, Trans-national Democracy, 4. Der Soziologe Harry Elmer Barnes nahm ebenfalls an, dass die Bevölkerung einst relativ homogen gewesen war. „[T]hrough the fundamental uniformity of the American social environment, there was being created a homogenous and united American people and the beginning of a national self-consciousness.“ Ähnlich argumentierte George Santayana, Character, 192 f. Die Ureinwohner und die African Americans wurden in solchen Betrachtungen ausgeklammert. Keller, Regulating a New Society, 243. Solomon, Ancestors, 151, 208; vgl. auch Barkan, The Retreat, 4. Zur „Verwissenschaftlichung des Sozialen“ siehe vor allem Raphael, Sozialexperten; Etzemüller, Die Ordnung. In diesen Kontexten wurde auch über Sterilisierung diskutiert. Entsprechende Gesetze unterstützten laut einer Umfrage knapp die Hälfte der Amerikaner. Einige US-Staaten hatten bereits 1911 Sterilisationsgesetze eingeführt, weitere folgten in den zwanziger Jahren. Keller, Regulating a New Society, 35–37. Näheres: Palmié, The Other Within, 222. Der Begriff „Geburtenkontrolle“ (birth control) meint vor allem Empfängnisverhütung und Familienplanung.

3.2 Geburtenkontrolle im Spannungsfeld von Eugenik und Nationalismus

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Eugeniker insistierten vor allem auf der quantitativen Stärkung der als hochwertig geltenden „einheimischen“ Bevölkerung (national stock) durch höhere Geburtenzahlen. Gleichzeitig wurden Möglichkeiten eruiert, wie die Geburtenzahlen bei gering bewerteten Bevölkerungsteilen gesenkt werden könnten.79 So kritisierte der Eugeniker Albert Edward Wiggam 1922/23 in der Zeitschrift Physical Culture und im Reader’s Digest, dass auf der einen Seite die meist als minderwertig angesehenen europäischen Immigrantinnen im Durchschnitt fast drei Kinder bekämen, während „die schönen Frauen mit alt-amerikanischen Wurzeln nur ein Kind zur Welt brächten.“80 Ähnlich argumentierte William Allen White, Journalist, Politiker und 1923 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneter Schriftsteller. In einem Artikel im Reader’s Digest sah White mit Schrecken voraus, dass die USA in einhundert Jahren nicht mehr das Land der Pilgrim Fathers sein würden, sondern das Land der Italiener, Griechen und Balkanvölker.81 Weit verbreitet war die u. a. im Harper’s Magazin 1926 veröffentlichte Befürchtung, dass sich die weiße angelsächsisch-protestantische Oberschicht und die weiße (gehobene) Mittelschicht im Zeitalter der Frauenemanzipation und der Forderung nach selbstbestimmter Geburtenkontrolle nicht mehr in ausreichendem Maß zahlenmäßig vergrößerten, weil Frauen wegen ihres beruflichen Engagements weniger Interesse hätten, Kinder großzuziehen.82 Während sich Moralisten vor allem um (junge) Frauen als zukünftige Mütter besondere Sorgen machten, da diese häufig nur mit einem angeblich noch „unausgereiften Verstand“ (immature mind) ausgestattet seien83, bewerteten Eugeniker weiße, junge Mittelschicht-Frauen demnach primär unter dem Aspekt ihres Beitrags zur Zukunftsfähigkeit der weißen „Rasse“.84 Deshalb schauten sie recht kritisch auf die individuellen, selbstsüchtig erscheinenden Freiheiten, die sich Frauen vermehrt herausnahmen. Doch gerieten nicht nur Ober- und Mittelschichten, sondern auch die „einheimische“ Arbeiterschaft ins Visier der Wissenschaftler. Die Konkurrenz 79

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Henry Pratt Fairchild, „Birth Control and Social Engineering“, in: The Nation (Januar 1932), 105–107, Zitat 107; Keller, Regulating a New Society, 32; Matthews, Just a Housewife, 163; vgl. Gordon, Woman’s Body, 274–300, 395. Kein Zufall war es, dass der bekannte Eugeniker Harry Laughlin vom Kongress beauftragt wurde, das House Committee on Immigration and Naturalization zu leiten. Albert Edward Wiggam, „Can We Have a Beautiful Race?“, in: Physical Culture, Kurzform in: The Reader’s Digest (Februar 1922), 43–44, 44; ders., „Better Brains – or Bedlam“, in: Pictorial Review (Juni 1923), Kurzform in: The Reader’s Digest (August 1923), 301–302. William Allen White, „What’s the Matter with America?“, in: The Reader’s Digest (Juli/ August 1922), 325–326, 326. Der Text erschien auch in Collier’s. The National Weekly. Vgl. u. a. Philips R. Clerk, „The Problem of the Educated Woman“, in: Harper’s Magazine (Dezember 1926), 57–63. Kritisch dazu Mencken, A Book, 282. Henry Fairchild Osborn, „Evolution and Daily Living“, in: The Forum (Januar 1925), 168–177, insb. 177. Zu Davenport siehe Barkan, The Retreat, 79.

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3 Die „Anderen“. Europäische Immigranten auf dem Prüfstand

der mit wenig Lohn zufriedenen europäischen Immigranten auf dem Arbeitsmarkt habe dazu geführt, dass auch die Geburtenrate der eingesessenen Arbeiterfamilien zurückgegangen sei, weil ihr Lebensstandard nur mehr bei kleinerer Kinderzahl gehalten werden könne85 – eine Einschätzung, die auch vom Präsidenten des Massachusetts Institute of Technology (MIT), dem Statistiker Francis Walker, geteilt wurde.86 Zwar verwarfen die meisten Eugeniker aus bevölkerungspolitischen Gründen allgemein zugängliche Informationen zur Geburtenkontrolle, sie befürworteten aber, wie etwa Wiggam 1923 in den Zeitschriften Pictorial Review und Reader’s Digest, dass der Staat die Anzahl von Geburten jener Eltern verringere, die über ein angeblich schlechtes Erbgut verfügten.87 Und damit waren vorrangig bestimmte europäische Einwanderer gemeint. Weil Statistiken zeigten, dass europäische Immigranten und Immigrantinnen nicht sehr gesund und zudem arm und schlecht ausgebildet waren, galten sie als minderwertig (inferior). Gerade im Zusammenspiel von wissenschaftlich anerkannten Methoden und politisch gewünschten, aus heutiger Sicht falschen, allenfalls problematischen Schlussfolgerungen lässt sich die Wirkungsmacht der Diskursfragmente erklären.88 Außerdem begründete der amerikanische Geograph und Ökonom Ellsworth Huntington die von ihm geforderte wissenschaftlich begleitete Geburtenbeschränkung bei „Minderwertigen“ mit dem zukünftig zu erwartenden Kampf um Nahrungsmittel, und dabei schnitten die so genannten Untüchtigen erneut schlecht ab, da sie seiner Ansicht nach weniger produzierten als konsumierten.89 Und der Eugeniker Henry Pratt Fairchild, Soziologieprofessor an der New York University, fasste die Chancen, die die Geburtenkontrolle mit sich brachten, in den Worten zusammen: „It is a phase of that broad, intelligent, scientific self direction of human groups which can rightly be designated social engineering.“90 Damit verortete Fairchild die Handhabung der eugenisch begründeten Geburtenkontrolle zu Recht in das neu verfügbare Arsenal gesellschaftspolitischer Sozialrationalisierung (social engineering), wonach Individuum und Gesellschaft mit wissenschaftlich ausgearbeiteten Methoden und durch Experten zu „bearbeiten“ sind.91 85 86 87 88 89 90 91

Schlesinger, New Viewpoints, 15. Ngai, Impossible Subjects, 30. Albert Edward Wiggam, „Better Brains – or Bedlam“, in: Pictorial Review (Juni 1923), Kurzform in: The Reader’s Digest (August 1923), 301–302, 302. Ngai, Impossible Subjects, 32. Ellsworth Huntington, „Where Can Man Best Live?“, in: The Forum (Mai 1916), 708– 717, 717. Henry Pratt Fairchild, „Birth Control and Social Engineering“, in: The Nation (Januar 1932), 105–107, Zitat 107. Der zeitgenössische Begriff social engineering wird heute – zusammen mit den Begriffen „Sozialrationalisierung“ und „Sozialfordismus“ – auch als analytische Kategorie verwendet. Siehe u. a. Etzemüller, Die Ordnung.

3.2 Geburtenkontrolle im Spannungsfeld von Eugenik und Nationalismus

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Eugeniker argumentierten indessen nicht nur mit Blick auf die inneramerikanischen Entwicklungen, sondern analysierten auch Weltzusammenhänge und verfolgten globale Ziele. Louis Israel Dublin, jüdisch-amerikanischer Statistiker und Demograph sowie Neomalthusianer, prognostizierte sogar Ende 1931 in The Forum und im Reader’s Digest, dass der in den USA registrierte Geburtenrückgang92 – bei gleichzeitig restriktiver Immigrationspolitik – weltpolitische Verschiebungen nach sich ziehen könnte. Der Geburtenrückgang sei nämlich ein Phänomen allein der Western World, während Länder wie Russland, Indien und China einen Geburtenzuwachs verzeichneten. Würde dies nicht, so fragte er sich, auf Dauer auch deren Einfluss in der Welt vergrößern?93 In Dublins Globalsicht rückte offensichtlich eine (den Frauen überlassene Handhabung der) Geburtenbeschränkung in die Nähe eines den Westen betreffenden Rassen-Selbstmordes (race suicide).94 Solche prognostischen Überlegungen stärkten indirekt die soziale Konstruktion einer gemeinsamen Western World der Weißen.95 Entsprechend einer Umfrage traten damals die meisten amerikanischen Ärzte, wenngleich aus unterschiedlichen Gründen für eine Geburtenkontrolle ein.96 Ebenso dächten die Central Conference of American Rabbis und zahlreiche protestantische Religionsgemeinschaften – im Unterschied zur katholischen Kirche.97 Ein solches Vorgehen sei auch mit den Grundsätzen der Episkopalen Kirche vereinbar, meinte die Frauenrechtlerin und Pazifistin Mary Ware Dennett 1922 in The Nation98, die jedoch, wie ebenfalls in dieser Zeitschrift zu lesen war, ihrerseits den Zugang zu Informationen über Geburten92 93 94 95 96

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Wandersee, Women’s Work, 55. Louis I. Dublin, „Birth Control and America’s Population“, in: The Forum (November 1931), Kurzform in: The Reader’s Digest (Januar 1932), 66–68, 68. Weiner, From Working Girl, 105. Vgl. dazu auch Kapitel 7.3. Hierzu und zum Folgenden Ray Erwin Baber, „Birth Control. A Balanced Sheet“, in: The Forum (Juni 1929), 294–299, 294. Ob die Aussage über Ärzte stimmt, mag dahingestellt bleiben. In den frühen zwanziger Jahren waren die meisten Ärzte jedenfalls noch Gegner liberalisierter Empfängnisverhütung, wie Linda Gordon (Woman’s Body, 259) konstatiert. Auf Frankreich bezog sich der zum katholischen Glauben übergetretene Schotte Halliday Sutherland, von Beruf Arzt und erfolgreicher Schriftsteller, der seinen ablehnenden Standpunkt zur Geburtenkontrolle entwicklungsgeschichtlich und religiös begründete. Kleine Familien, so meinte er, seien nicht gesünder als große Familien, und eine Aufbesserung der Rasse habe mit Geburtenkontrolle wenig zu tun. Halliday Sutherland, „The Fallacies of Birth Control“, in: The Forum (Juni 1927), 841–845. Marjorie Wells, über die weitere biografische Angaben fehlen, plädierte ebenfalls für die Großfamilie, und zwar vor allem deswegen, weil Großfamilien eine enorme Bereicherung für die Eltern bedeuten würden. Marjorie Wells, „Are Ten Too Many?“, in: The North American Review (Mai 1929), 262–268. Mary Ware Dennett, „Birth Control and the Episcopalians“, in: The Nation (September 1922), 308.

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3 Die „Anderen“. Europäische Immigranten auf dem Prüfstand

kontrolle zumindest für jene Ehepaare ablehnte, die als christlich gesinnt gelten wollten.99 Andere Befürworter der Geburtenkontrolle, wie der Eugeniker Ray Erwin Baber, betonten, dass die Zahl der Abtreibungen in den USA, die auf eine Million pro Jahr geschätzt wurde, bei Einführung von Empfängnisverhütungsmitteln sicherlich abnehmen würde.100 Ein solcher Schritt dürfe allerdings nicht zur Auflösung moralischer Wertmaßstäbe führen, mahnte der Dean von St. Paul’s in London, William R. Inge 1930 in der Zeitschrift Atlantic Monthly.101 Und der Eugeniker und Arzt Adolphus S. Knopf wünschte sich in seinem 1920 geschriebenen Artikel die Einführung von Geburtenkontrollen weltweit, um auf diese Weise eine bessere Qualität der Weltbevölkerung zu erreichen.102 Die Eugeniker nutzten vor allem die Zeitschrift The Forum, um ihre Gedankengänge in die liberale Öffentlichkeit hineinzutragen. Bedeutung kam auch den wiederabgedruckten Aufsätzen von Eugenikern im Reader’s Digest zu, da sich hierdurch der Verbreitungsgrad eugenischer Denkweise beträchtlich vergrößerte.

3.3 RESTRIKTIONSPOLITIK GEGENÜBER EUROPÄERN UND DIE KONSTRUKTION VON WHITENESS „I say, if we are going to keep this country as it is and not lose our liberty in the future, we have to keep not only the children out of it but the whole damned Europe.“ Das meinte ein Zeuge während einer Anhörung im Kongress.103 Er verknüpfte offenbar den Wunsch nach einer Einschränkung der Einwanderungsmöglichkeiten für Süd- und Südosteuropäer mit einer Loslösung von Gesamteuropa. Der weitverbreitete Nativismus, der die Rechte der „Einheimischen“ gegen alle Fremden verteidigte, trat allerdings in der Regel nicht mit solchen drastischen Verallgemeinerungen ans Licht der Öffentlichkeit, und er war auch nicht von vornherein rassistisch angelegt, sondern ursprünglich primär auf das Individuum und seine Leistungsfähigkeit gerichtet. Doch dominierten immer häufiger rassistische Denkmuster104, wobei es stets auch um Einfluss 99 o. V., „The Past Is With US Still“, in: The Nation (September 1922), 221. 100 Ray Erwin Baber, „Birth Control. A Balanced Sheet“, in: The Forum (Juni 1929), 294– 299, 296. 101 W. R. Inge, „Birth Control and the Moral Law“, in: The Atlantic Monthly (Dezember 1930), 696–703. 102 In diesem Zusammenhang erwähnte Knopf die gute Qualität der französischen Soldaten, was er auf die Geburtenkontrolle schob. Auch erwähnte er lobend die Geburtenkontrolle Hollands. Adolphus S. Knopf, „Birth Control and the World Crisis“, in: The Nation (November 1920), 589–591. 103 Zit. n. Reimers, Unwelcomed Strangers, 24. 104 Knobel, America, 276.

3.3 Restriktionspolitik gegenüber Europäern – Konstruktion von Whiteness

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und Machterhalt der WASPs ging. Namhafte „progressive“ ReformerInnen, die zumeist aus den weißen Mittelschichten stammten und sich über die Folgen von Industrialisierung, Urbanisierung und Massenimmigration besorgt zeigten, wollten keine multiethnische Gesellschaft, vielmehr unterstützten sie ebenfalls häufig aus ethnozentrischer Gesinnung heraus die Forderung nach restriktiven Immigrationsgesetzen. Auch der anglophile Präsident Woodrow Wilson hatte mit den zahlreichen Bindestrich-Amerikanern nichts im Sinn und meinte, dass die Nation eben gerade nicht aus diversen Gruppen bestehen sollte.105 Insbesondere wies er die Vorstellung zurück, es könne neben den Italo-Amerikanern (hyphonated Italian-Americans) auch Englisch-Amerikaner (English-Americans) geben. Weil die Engländer einst ins Land gekommen seien, verkörperten sie als erste Siedler nämlich den Typ des Originalen.106 Der nativistische, von homogenen Visionen geprägte Nationalismus, der zudem oft mit Eugenik und Rassismus verbunden war, unterstützte die Bestrebungen, die Zahl der europäischen Einwanderer massiv zu begrenzen. Führende Restriktionisten waren nicht zufällig häufig unter den Intellektuellen Neuenglands zu finden.107 Schon im Jahre 1887 wurde die nativistisch eingestellte, antikatholisch gesinnte American Protective Association gegründet, die bereits in der Mitte der 1890er Jahre 2,5 Millionen Mitglieder zählte.108 Nativistisch gesinnt waren zudem die American Security League, die Daughters of the American Revolution und die national angesehene und einflussreiche American Legion. Letztere, eigentlich eine Veteranen-Organisation, verzeichnete bereits 1920, ein Jahr nach ihrer Gründung, eine Million Mitglieder.109 Im Jahre 1894 wurde schließlich die Immigration Restriction League ins Leben gerufen, die zahlreiche Präsidenten und Professoren bekannter Universitäten mittrugen. Der Historiker John Fiske, Vertreter der angelsächsischen historischen Schule, wurde Präsident dieser Vereinigung. Das gleiche Ziel wie die League verfolgte auch die später gegründete Gesellschaft American Defense Society, die von Militaristen und Konservativen unterstützt wurde.110 In der Vorkriegszeit verstießen die Restriktionisten mit ihrem Vorhaben jedoch gegen die Interessen zahlreicher Unternehmer, die neue billige Arbeitskräfte aus Europa zum Aus- und Umbau ihrer Werke brauchten. Die Situation änderte sich erst im und nach dem Krieg. Die Unternehmer benötigten nun nicht mehr so viele Einwanderer wie ehedem, denn die Migration zahlreicher Schwarzen vom Süden in die nördlich gelegenen Industriegebiete sorgte, zusammen mit den vielen schon im Lande lebenden Immigranten, für ein aus105 106 107 108 109 110

Ebd., 244. Hitchens, Blood, 128. Marzolf, Americanizing, 108. Ngai, Impossible Subjects, 19. Knobel, America, 261. Higham, Strangers, 208. Zur League siehe Solomon, Ancestors, 123 f.

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reichendes Angebot an Arbeitskräften.111 Allmählich ließen sich die Unternehmer deshalb für Restriktionsgesetze gewinnen. Während die Republikaner im Allgemeinen hinter einer Neuregelung standen, zögerten die Demokraten, eine Restriktion europäischer Einwanderungszahlen einzuführen, zumal sie auch von den Wählerstimmen der Immigranten stärker als die Republikaner profitierten.112 Die „Progressiven“ erlagen bei Einwanderungsfragen nicht selten ebenfalls dem restriktionistisch geprägten Zeitgeist.113 Generell hielten Restriktionisten es durchaus für möglich, dass die Assimilationspolitik erfolgreich sein könnte, vorausgesetzt, die Anzahl der Immigranten hielte sich in Grenzen. Wenn nicht, dann seien diese unter „rassischem“ Gesichtspunkt für die Gesellschaft unverdaulich (racial indigestion).114 Die Grenze der „Verdaulichkeit“ werde, wie es hieß, überschritten, wenn, wie beispielsweise 1920 geschehen, jeden Tag rund 5.000 Personen auf Ellis Island ankämen. Tatsächlich wanderten in der Zeit zwischen 1880 und 1920 ca. 24 Millionen Menschen in die USA ein, wobei ungefähr drei Viertel aus Europa stammten.115 Bis die Restriktionisten ihr Ziel erreichten, verging allerdings eine Reihe von Jahren. Zwar nahm 1911 die so genannte Immigration Commission ihre Arbeit auf. Sie begann die europäischen Einwanderer nach „rassischen Kriterien“ zu klassifizieren.116 Ihre gesetzlichen Vorhaben scheiterten allerdings an dem Veto, das die jeweiligen Präsidenten der USA einlegten. Erst im Jahre 1917 konnte der Kongress das zweite Veto, das Präsident Wilson gegen ein solches Gesetz erhoben hatte, außer Kraft setzen: Fortan durften nur mehr jene ins Land kommen, die einen Literacy Test bestanden, also keine Analphabeten waren, was vor allem die Einwanderungschancen für viele Ost- und Südeuropäer ohne Schulausbildung verringerte. Die wesentlichen Einschnitte in die Geschichte der amerikanischen Einwanderungspolitik waren jedoch erst den Immigrationsgesetzen von 1921 und 1924 geschuldet.117 Das Johnson-Reed-Gesetz von 1924, das das weniger restriktive Gesetz von 1921 ablöste, reduzierte die Gesamtzahl der zulässigen 111 112 113 114 115

Jacobson, Babarian Virtues, 218. Fuchs, The American Kaleidoscope, 59. Higham, Strangers, 303. Zu den Industriellen siehe ebd., 317. Ngai, Impossible Subjects, 23; Herrmann, Be an American!, 23, 29. Herrmann, Be an American!, 19. In der Literatur weichen die Zahlen allerdings voneinander ab. Im Allgemeinen rechnet man für die Zeit vor 1914 mit einer Zuwanderung von einer Million Menschen pro Jahr (Degler, National Identity, 5). Bezogen auf die schon im Lande lebende Bevölkerung erreichte der Prozentsatz der Immigranten allerdings keine besondere Höhe, sondern belief sich auf rund zehn Prozent. Archdeacon, Becoming American, 113 f. 116 Solomon, Ancestors, 196–199. 117 An führender Stelle waren der Kongressabgeordnete Albert Johnson und der Senator aus Pennsylvania, David A. Reed, tätig. Ursprünglich beschränkte sich die Bundesgesetzgebung auf die Exklusion jener Immigranten, die sozial unerwünscht waren, vor al-

3.3 Restriktionspolitik gegenüber Europäern – Konstruktion von Whiteness

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Einwanderer auf rund 150.000 Personen pro Jahr. Berechnet nach dem Zensus von 1890, erhielten nunmehr die Süd- und Osteuropäer lediglich eine 15-Prozent-Quote.118 Im Unterschied dazu verfügten Großbritannien und Nordirland über eine Quote von insgesamt jährlich 65.721, während sich die Jahresquote für Italien auf nur 5.802 Personen belief.119 Das Gesetz von 1924 reduzierte nicht nur die Gesamtzahl der Immigranten, sondern ließ auch „rassisch“-ethnische Kategorisierungen und Hierarchien der europäischen Völker wirksam werden.120 Es schuf de facto eine Landkarte der „Rassen“ bzw. Ethnien in Europa, benannte die kartographierten Regionen allerdings dann doch mit dem Nationsbegriff.121 „National origin“, ein neuer, kontrovers diskutierter Begriff, der das jeweilige Geburtsland des Antragsstellers meinte, gab dem Gesetz von 1924 sein unverwechselbares Profil (National Origins Act). Der Bezug auf die Nation und nicht auf die ethnische Zugehörigkeit der Menschen verdeckte die weitgehend rassistisch begründete Kategorisierung und Hierarchisierung europäischer Völker. Diejenigen, die als niederrangig eingestuft wurden, galten als „inbetween peoples“.122 Das Gesetz definierte auch zum ersten Mal die amerikanische Nation, wozu alle Personen gehörten, die vor dem Erhebungsjahr 1890 eingewandert waren. Außerdem veränderten sich mit den Gesetzen von 1921 und 1924 die Sichtweisen auf ethnische Alteritäten. Während im 19. Jahrhundert kulturelle Differenzen im Mittelpunkt der Konstruktion von Andersartigkeit standen, waren es nun „rassische“ Kriterien, die die Alterität eines Teils der europäischen Ethnien ausmachten und die im Zusammenhang mit den Gesetzesverfahren nur notdürftig verschleiert werden konnten.123 Im Kongress war man sich indessen über die Restriktionsgesetze erstaunlich einig, wie der be-

118 119 120

121 122 123

lem der Kriminellen, Prostituierten und Behinderten. Von solchen Zuschreibungen waren ungefähr ein Prozent der Einwanderer betroffen. Ngai, Impossible Subjects, 18. Ngai, Impossible Subjects, 21. Entsprechend dem Zensus von 1890 bildeten die Nordeuropäer noch eine stark vertretene Gruppe. Ebd., 28. Die obere Grenze von rund 155.000 Einwanderern pro Jahr wurde allerdings nur 1929 erreicht (Higham, Strangers, 324), wobei die Immigranten aus West- und Nordeuropa gar nicht die ihnen zustehende Quote voll ausschöpften. Knobel, America, 275. Ngai, Impossible Subjects, 3. Roediger, Working Toward Whiteness, 12. Ebd., 23. Es gehe bei der Aufteilung der Immigrantengruppen nicht, wie es beschönigend hieß, um rassische Kriterien, sondern um die Aufrechterhaltung der Proportionen zwischen den „Einheimischen“ (old stock) und den neuen Immigranten. Higham, Strangers, 320. Der böhmisch-amerikanische Anthropologe Aleš Hrdlička bezeichnete – ungeachtet seiner Aversion gegenüber Madison Grant und seiner neutralen Haltung gegenüber den Begehren der Restriktionisten – in seinem 1925 veröffentlichten Buch Old Americans jene Personen als „alte Amerikaner“, die vier in den USA geborene Großeltern nachweisen könnten. Bei ihnen handelte es sich seiner Meinung nach um eine Mischung von Engländern, Iren und Schotten.

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kannte politische Kolumnist Mark Sullivan mit Verwunderung bemerkte.124 Zweifellos beruhigten die Restriktionsgesetze die nativistisch aufgeladenen Öffentlichkeitsforen. Doch deswegen war der Trend zur Hierarchisierung der europäischen Ethnien noch lange nicht vorbei: Angeblich wissenschaftliche Messungen aus dem Jahre 1926 sollten zum Beispiel erneut belegen, dass die meisten hochintelligenten Menschen nordischer Abstammung waren.125 Obwohl die Restriktionsgesetze vordergründig nur die Europäer betrafen, können die Auswirkungen auf die Unterscheidung zwischen weißen und nicht-weißen Rassen kaum überschätzt werden. Von der verschärften Abgrenzung der Weißen gegenüber den Nicht-Weißen im Zuge der Restriktionsgesetze waren vor allem die in den USA lebenden Asiaten betroffen.126 Bereits seit dem Chinese Exclusion Act von 1882 durften keine Chinesen mehr in die USA einwandern, weil sie angeblich einer inferioren Rasse angehörten.127 Im Restriktionsgesetz von 1924 erhielten Chinesen und Japaner sowie andere Asiaten überhaupt keine Quoten zugeteilt, da sie nunmehr als völlig fremd (absolute alien) galten. Der Oberste Gerichtshof hatte schon Anfang der zwanziger Jahre dementsprechend offiziell festgestellt, dass Asiaten nicht einbürgerungsfähig seien (racial ineligibility).128 Die Konstruktion einer Rasse mit bestimmter Hautfarbe gewann an Popularität. „Asiaten“ gehörten der „mongolischen Rasse“ mit „gelber Hautfarbe“ an.129 Der Oberste Gerichtshof berief sich allerdings bei seiner Entscheidung nicht auf die „mongolische Rasse“, sondern auf das erste Einbürgerungsgesetz von 1790 (Nationality Act), wonach die Staatsbürgerschaft „freien weißen Personen“ (free white persons) mit einem guten moralischen Charakter vorbehalten wurde.130 Doch 124 Nach Keller, Regulating a New Society, 231; vgl. auch Johnson, The Peace Progressives, 243; Archdeacon, Becoming Americans,174. 125 Solche Intelligenz-Messungen nahm Nathaniel D. Hirsch vor. Barzun, Race, 192. 126 Zu den African Americans siehe das 4. Kapitel. 127 Diejenigen Chinesen, die schon im Lande waren, konnten die Staatsbürgerschaft nicht erwerben, weil sie als assimilationsunfähig galten. Japan wurde in dem so genannten Gentlemen Agreement von 1908 ebenfalls nahegelegt, die Einwanderung ihrer Landsleute nach den Vereinigten Staaten zu verhindern. Das Immigrationsgesetz von 1917 verbot die Einwanderung der Bewohner zahlreicher asiatischer Länder ganz. 128 Ngai, Impossible Subjects, 7; Gino Speranza, „The Immigrant Peril“, in: The World’s Work (Dezember 1923), Kurzform in: The Reader’s Digest (Dezember 1923), 581–582, 581. Speranza bezog sich auf die Chinesen. Er sah aber auch die Integrationschancen für Mexikaner als ein Desaster an. Ebd., 582. 129 Ngai, Impossible Subjects, 38. Zur gelben Farbe als Kennzeichen der Asiaten siehe Keevak, Becoming Yellow. Ursprünglich galten Asiaten nämlich als weiß. Erst der Rassismus des späten 19. Jahrhunderts machte sie zu „gelben“ Menschen (ebd., 2) und im Westen zur „gelben Gefahr“. Die auf Asiaten fixierten Überfremdungsängste richteten sich vor allem gegen die Asiaten in Kalifornien, weil diese dort in Teilen der Landwirtschaft sowie in bestimmten Handelsbranchen dominierten. 130 Ngai, Impossible Subjects, 37. Erst 1952 wurden alle Rassekriterien, die der Erlangung einer Staatsbürgerschaft im Wege standen, per Gesetz aufgehoben. Ebd., 38.

3.3 Restriktionspolitik gegenüber Europäern – Konstruktion von Whiteness

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der Hindu Bhagat Singh Thind sah die Exklusion der Asiaten gleichwohl nicht ein. In einem Einbürgerungsverfahren am Obersten Gerichtshof argumentierte er 1923, dass es nicht auf die Hautfarbe, sondern auf das Blut und die Erbfolge ankäme, und demnach gehöre er zur arischen Rasse. Das Oberste Gericht verneinte dies jedoch, denn nur europäische Immigranten, die den Amerikanern von 1790 vertraut gewesen seien, also Briten und Nordeuropäer, hätten als Weiße zu gelten.131 Allerdings habe sich, wie es weiter hieß, mittlerweile der Begriff des Weiß-Seins ausgedehnt und auch die Alpiner und Mediterraner eingeschlossen, weil diese sich mit jenen, die schon im Lande waren, amalgamieren konnten. Anders verhalte es sich jedoch mit den Asiaten. James Phelan, amerikanischer Politiker und Banker, brachte die für „Einheimische“ unverträglich erscheinende Fremdheit der eingewanderten Asiaten, in diesem Falle der Japaner, mit den Worten zum Ausdruck: „Personally we have nothing against the Japanese, but as they will not assimilate with us and their social life is so different from ours, let them keep in a respectful distance.“132 Im Jahre 1923 errechnete man, dass ungefähr eine halbe Million Bewohner der USA als nicht einbürgerungsfähig galten, quasi „alien citizens“ blieben133, wobei auch unter „einheimischen“ und zugewanderten Arbeitern rassistische Einstellungen, etwa gegenüber den Chinesen recht verbreitet waren.134 Das weiße Amerika und die angestrebte Homogenität der „amerikanischen Rasse“ wurden nicht nur mit Blick auf die Asiaten herausgearbeitet, sondern auch gegenüber den Mexikanern betont. Nach der Aneignung mexikanischen Landes im amerikanisch-mexikanischen Krieg von 1846–1848 durch die USA wurden die fortan zu den Vereinigten Staaten gehörenden Mexikaner als weiße Menschen anerkannt und eingebürgert. In den folgenden Jahrzehnten war die Immigration der Mexikaner nicht weiter geregelt, so dass vor allem in den 1920er und 1930er Jahren die Anzahl der Einwanderer und der Wanderarbeiter aus dem südlichen Nachbarland beträchtlich zunahm.135 Im Zuge der Verbreitung rassistischer Denkhorizonte unterstrichen Angelsachsen mehr und mehr die Inferiorität der Mexikaner, sie seien auch nicht viel besser als Chinesen, hieß es.136 Im Jahre 1930 erfand man schließlich eine eigene, nicht-weiße „Rasse“-Kategorie für Mexikaner, woraufhin der gesellschaftliche Exklusionsprozess voranschritt, und zwar selbst gegenüber jenen Mexikanern, die in den ehemals mexikanischen Gebieten ihren Wohnsitz hat131 132 133 134 135

Ngai, Imposible Subjects, 45; Keller, Regulating a New Society, 249. Zit. n. Ngai, Impossible Subjects, 40. Keller, Regulating a New Society, 250. Barrett, Americanization, 100 f. In der Mitte der zwanziger Jahre kamen indessen rund 350.000 Immigranten pro Jahr in die USA, weil Kanada und Lateinamerika von den Restriktionsgesetzen nicht betroffen waren. 136 Nuys, Americanizing, u. a. 189.

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ten.137 Es sollten Konsequenzen aus der Tatsache gezogen werden, dass mexikanische Einwanderer sich oft nicht für eine amerikanische Staatsbürgerschaft interessierten, stattdessen ihren Patriotismus auf Mexiko bezogen und darüber hinaus am liebsten so weiterlebten, wie sie es vorher in ihrem Heimatland gewöhnt waren.138 Da viele Unternehmer und Farmer jedoch auf mexikanische Arbeiter angewiesen waren und diese deshalb toleriert werden mussten, wurden sie, insbesondere deren Frauen und Mütter, gleichwohl diversen Amerikanisierungsmaßnahmen unterzogen.139 Für das weiße Amerika blieben sie indessen nach wie vor fremde Alteritäten mit „brauner Haut“. Die Diskussionen über die Restriktionsgesetze wurden von thematisch einschlägigen Buchveröffentlichungen begleitet140, die die Botschaft vermittelten, dass alle Menschen nicht-weißer „Rassen“ minderwertig (inferior) seien, auch dann, wenn die betreffenden Menschen bereits seit geraumer Zeit in den USA lebten. Unter der Vorherrschaft eines solchen Zeitgeistes nützte es nur wenig, wenn der Boas-Schüler Melville J. Herskovits 1928 auf Grund seiner anthropologischen Studien feststellte, dass die Differenzen zwischen Weißen und Schwarzen nicht der rassischen Vererbung, sondern dem unterschiedlichen Ausbildungsstand geschuldet seien. Allerdings überraschte Herskovits seinen Lehrer mit einem anderen Forschungsergebnis, wonach die Schwarzen im Verlauf der amerikanischen Geschichte immer schwärzer geworden seien. Damit erlitt die von Franz Boas zeitweise artikulierte Hoffnung auf eine biologische Lösung des Weiß-Schwarz-Unterschiedes durch Mischehen einen Schiffsbruch.141 Bei der Sicht auf Asiaten spielte zudem die „Rettung“ der angeblich von Nicht-Weißen bedrohten Westküstenregion der USA und deren Amerikanisierung eine maßgebliche Rolle.142 Der Soziologe Robert Ezra Park spannte in seiner Kritik an rassistischen Auffassungen den Bogen noch weiter, indem er darauf aufmerksam machte, dass in den diesbezüglichen Diskursen auch Europa implizit betroffen sei. Das Immigrationsverbot für Asiaten besage, so Park, dass Europa (ebenso wie die USA) am Pazifik ende: „Europe, of which after all America is a mere western projection, ends here. The Pacific Coast is our racial frontier […] Incidentally, it may be said that if America, the front door of Europe, is closed to Asiatic immigration, Russia, the back door, is 137 Ngai, Impossible Subjects, 50–55; Nuys, Americanizing, 15. 138 Nuys, Americanizing, 26, 189. Zudem kam es zu Konflikten zwischen den neu eingewanderten Mexikanern und den Alt-Mexikanern. Ebd., 190. 139 Nuys, Americanizing, 28 f., 96 f., 102 ff., 144. 140 Siehe u. a. Lothrop Stoddard, The Rising Tide of Color (1920); ders., Revolt against Civilization (1922); Charles Gould, America: A Family Matter (1920), Clinton Stoddard Burr, America’s Race Heritage (1922), Charles Conant Josey, Race and National Solidarity (1923). 141 Palmié, The Other Within, 225–228. 142 Einschlägig: Nuys, Americanizing.

3.4 Liberaler Gegenwind

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wide open.“143 Park hatte offensichtlich eine euro-amerikanische Einheit, die Western World, im Blick, als deren Außengrenzen nunmehr Russland und die Pazifikküste galten. Was im euro-amerikanischen Western Civ-Konzept mit Blick auf evolutionsgeschichtliche Prozesse entwickelt wurde, fand hier in der Konstruktion der gemeinsamen Grenze aller europäischen und amerikanischen Weißen gegenüber den asiatischen Nicht-Weißen eine rassistisch grundierte Absicherung, von der sich Park selbst allerdings distanzierte. Insgesamt gesehen lassen sich widersprüchliche Auswirkungen der Restriktionsgesetze aufzeigen. Einerseits diskriminierten diese einen Teil der Weißen, nämlich die Süd- und Südosteuropäer, andererseits förderten sie indirekt das Bewusstsein über die Gemeinsamkeiten aller Menschen mit weißer Hautfarbe gegenüber allen Nicht-Weißen. 3.4 LIBERALER GEGENWIND Von Anfang an stießen die Diskurse über Melting Pot und Einwanderungsgesetze, ferner über Rassismus, Eugenik und Geburtensteuerung mehr oder weniger auf Gegenwind seitens der liberalen Publizistik. In der Fachzeitschrift Journal of Sociology und in Büchern veröffentlichten vor allem kritisch eingestellte Soziologen der Universität von Chicago (Chicago School) ihre differenzierten Recherche-Ergebnisse zu den Eingliederungsprozessen von Immigranten.144 Diese wandten sich gegen die Hoffnung vieler „Amerikanisierer“, sie könnten die Immigranten schnell zu einer relativ homogenen amerikanisierten Mittelschicht formen (middle-class mass), die sich nicht wesentlich von den „Einheimischen“ unterscheide. Unter dem Einfluss politisch engagierter und der jeweiligen ethnischen Gruppe zugehöriger Leitfiguren blieben die ethnischen Gemeinschaften, wie wir heute wissen, allerdings in sich stetig verändernden Formen erhalten, wobei das Quartier den sozialräumlichen Rahmen abgab. Angefangen von kirchlichen Einrichtungen bis hin zu Wirtschaftsbetrieben, Einkaufsläden, Versicherungen und Wohlfahrtsanstalten nutzten die Immigranten weitgehend ihre selbst aufgebaute, recht eigenständige Infrastruktur. Dazu gehörten auch eine in der Muttersprache verfasste 143 Park, Our Racial Frontier, 139. Zur Integration des Westens in die amerikanische Nation siehe Nuys, Americanizing, u. a. 3, 7. 144 Hierzu und zum Folgenden siehe u. a. Park, Racial Assimilation, 207. In den amerikanischen Sozialwissenschaften dominierte damals der Einfluss von Herbert Spencer, der einen Neu-Lamarckianismus vertrat. Demnach konnten kulturelle Eigenschaften, die ein Individuum durch Adaption an seine Umgebung erlangte, auf spätere Generationen vererbt werden. Ngai, Impossible Subjects, 23. Infolgedessen könnten auch, so die Vertreter der Chicago School, die angeblich degenerierten Eigenschaften der Süd- und Osteuropäer durch Anpassung an die amerikanische Umgebung überwunden und die neu erworbenen positiven Verhaltensweisen dauerhaft weitervererbt werden.

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Presse und eine als tradiert gedeutete Festkultur.145 Doch solche Milieus konnten den allmählichen Akkulturationsprozess der Immigranten, vor allem in der zweiten Generation, nicht verhindern und führten häufig zu deren Umzug in „neutralere“ Wohngegenden.146 Mit Ausnahme der Chicago School stieß die Erforschung der Alltagskulturen und Milieus ethnischer Gruppen damals in den Universitäten noch auf relativ wenig Interesse. Immigranten galten entweder als assimiliert, dann waren sie Amerikaner147, oder sie vermittelten den Eindruck von Nicht-Assimilierten, dann erregten ihre kulturellen Praktiken wegen der ihnen anhaftenden Fremd- und Andersartigkeit in Wissenschaft und Öffentlichkeit wenig Neugierde. Lediglich als Verursacher von Sozialproblemen gerieten sie nicht selten ins Blickfeld der Publizisten.148 Liberale Wissenschaftler und Publizisten äußerten in der Öffentlichkeit immer wieder harsche Kritik an der Art und Weise, wie vor allem Restriktionisten, Rassenkundler und Eugeniker über europäische Immigranten dachten. Zu den Kritikern zählten u. a. die pazifistisch eingestellte Wirtschafts-und Sozialwissenschaftlerin und spätere Professorin Emily Greene Balch, die „progressiven“ Sozialreformerinnen und Soziologinnen Frances Kellor und Jane Addams sowie der bekannte Harvard-Philosoph William James und sein Kollege Josiah Royce, ferner der bis 1909 amtierende Präsident der Harvard Universität, Charles W. Eliot. Auch John Dewey verteidigte als am Pragmatismus orientierter Erziehungswissenschaftler und Sozialphilosoph pluralistische Sichtweisen, wobei er an seiner Gegnerschaft gegenüber jeglicher Form von Zwangsassimilation keinen Zweifel ließ. Er unterstützte zwar eine national ausgerichtete Erziehung in den Schulen, warnte allerdings schon 1902 davor, die Immigranten-Kinder zu schnell ihrer Ursprungsnation zu entfremden, weil sie dann verächtlich auf die Lebensweise ihrer Eltern blicken würden.149 145 Zelizer, Multiple Markets, insb. 200–202. Doch habe, so die Historikerin Cohen, allmählich auch die Zusammenarbeit mit „Einheimischen“ zugenommen, vor allem am Arbeitsplatz, wenn es beispielsweise galt, gemeinsam gegen unangemessen erscheinende Anforderungen zu protestieren. Cohen, Making a New Deal, 363 f. und 54–97; Ewen, Immigrant Women. Zudem wirkte die aufblühende Filmkultur sowie die werbeintensive Konsumkultur integrationsfördernd, soweit Letztere nicht nur ethnische Geschmacksvorlieben bediente. Vgl. dazu allgemein: Geyer, Multiculturalism. 146 Ungeachtet der fortgeführten und bei vielen Jüngeren der zweiten Immigrantengeneration durchaus erfolgreichen Akkulturation und der Herausbildung hybrider Identitätsprägungen bestanden die ethnischen Milieus der ImmigrantInnen in ihren jeweiligen Wohnvierteln auch noch in der Folgezeit fort. 147 In beiden Fällen brauchten sie demnach bei der Beantwortung der Frage, was amerikanisch sei oder sein sollte, konzeptionell nicht berücksichtigt zu werden. Dieser Eindruck ergibt sich nach der Durchsicht zahlreicher Qualitätsmagazine jener Zeit. 148 Siehe zum Beispiel den Artikel von Kate Claghorn, „Our Immigrants and Ourselves“, in: The Atlantic Monthly (Oktober 1900), 535–548. 149 Dieses Argument griff auch Horace M. Kallen auf. Handlin, Education, 10. Zu Dewey siehe u. a. Dawley, Struggles, 258.

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Der Autor Edward Hale Bierstadt machte mit erhobenem Zeigefinger darauf aufmerksam, dass sich die Einwanderer ihrerseits recht schwer täten, die politisch-historischen Fundamente der amerikanischen Nation zu verstehen, da die diesbezüglichen Texte staatsbürgerlicher Instruktionen samt den dazugehörigen Dokumenten über die amerikanische Nationsbildung meist nur auf Englisch zur Verfügung stünden. Erschwerend für die Vermittlung amerikanischer Grundwerte und Normen sei zudem, dass die in den Sprachen der Einwanderer verfassten Presseorgane in ihrer potentiellen Funktion als Mediatoren in der Regel ungenutzt blieben.150 Liberale Kritik erregte auch die Konzeption des Melting Pot. Denn ein Großteil der Amerikanisierer wollten diesen Verschmelzungsprozess so steuern, dass am Schluss der Typus eines anglo-konformen Amerikaners herauskommen würde, der allerdings trotzdem nie die Qualität der „Alteingesessenen“ (old stock) erlangen könne. 151 Bourne lehnte dieses Konzept 1916 in The Atlantic Monthly entschieden ab und monierte, dass die Kennzeichnung aller ImmigrantInnen als Bindestrich-Amerikaner (hyphenated) nur bei den aus England stammenden Einwanderern keine Anwendung fand.152 Und der Assistenzprofessor für englische Sprache an der North Western University, F. B. Kaye prangerte 1922 in der Zeitschrift The Nation die Intoleranz und den konservativen Provinzialismus an, der den 100-Prozent-Amerikanismus begleite – ein Armutszeugnis des amerikanischen Erziehungssystems, wie er meinte.153 Weitgefasste Perspektiven entfaltete insbesondere der an der Harvard Universität lehrende Historiker Arthur Meier Schlesinger, Sr. (1921), ebenfalls im Journal of Sociology. Er konstatierte zwar, dass sich auf Grund der Einwanderungsströme amerikanische Ideale und amerikanische Kultur aufzulösen begännen, und „ein neu gemischter amerikanischer Typ“ im Werden begriffen sei, doch verfiel er deswegen keineswegs in Angst und Schrecken.154 Im Gegenteil, er würdigte im Rückblick die große Rolle, die Immigranten in der Geschichte der USA gespielt hätten, ja die Besonderheit der USA bestehe gerade darin, dass diese Nation aus vielen Nationen geformt worden sei.155 Schlesinger führte in einer 1926 erschienenen Schrift zusätzlich das Argu150 Edward Hale Bierstadt, „Aspects of Americanization“, 1922, rezensiert von Ester Johnston, „Americanization“, in: The Nation (November 1922), 528–529. 151 Diese Einschätzung kritisierte auch H. L. Mencken in seiner Besprechung des Buches von André Siegfried, das den Titel trägt America Comes of Age (1927), in: The Nation (1927), 533–534. Allerdings ist das Ziel der Assimilation gelegentlich selbst von neueingewanderten Immigranten, wie die der in Polen geborenen Jüdin Mary Antin, akzeptiert worden, was sie durch ihre eigene Selbstanpassung demonstrierte. Siehe Mary Antin, The Promise Land, Boston/New York 1912. 152 Bourne, Trans-National America, 111 (hrsg. von Resek). 153 F. B. Kaye, „‚Americanism‘ as an Educational Menace“, in: The Nation (Juli 1922), 11–12. 154 Schlesinger, The Significance, 82. 155 Waechter, Die Erfindung, 186.

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ment ins Feld, dass gerade die (früher eingewanderten) Immigranten zur Entwicklung des „nationalen Charakters“ beigetragen hätten, zu dem ein recht ausgeprägter Humor und ein großer Idealismus gehörten.156 Und was für die „alten“ Immigranten gelte, sollte, so kann ergänzt werden, seiner Meinung nach auch für die neuen zutreffen.157 Der Historiker legte ähnlich großen Wert darauf, den positiven Einfluss der europäischen Immigranten auf den Ausbau der städtischen Industriegesellschaft zu betonen, und er versäumte es ebenso wenig, die kulturellen Potenziale der neuen Einwanderer hervorzuheben.158 Auf sozialanthropologischer Seite war Franz Boas der namhafteste, antievolutionistische Verfechter eines weit gefassten, relationistisch verstandenen Kulturbegriffs, der die Immigrantenkulturen nicht ausklammerte und dies auch in den liberalen Printmedien deutlich machte. Boas lehnte entschieden eine Werteskala für Ethnien und „Rassen“ ab, was dazu führte, dass er Mitglied der National Association for the Advancement of Colored People (NAACP) wurde.159 In der liberalen Öffentlichkeit galt er allen RassismusGegnern als wissenschaftliche Autorität. Im Jahr 1925 verwies er in der Zeitschrift The Forum darauf, dass sich auch die europäischen Immigranten aus dem Süden und Osten Europas in der zweiten Generation bereits im Berufsleben und bei der Geburtenrate den amerikanischen Verhältnissen angepasst hätten und der Prozess der Amalgamierung weiter voranschreite.160 Damit bekräftigte er aus seiner Sicht die Erkenntnisse der Chicago School. Und der Verweis auf historische Erfahrungen im eigenen Lande verfehlte unter Liberalen nicht seine Wirkung. Der New Yorker Polizeireformer und Journalist Arthur Woods wies beispielsweise 1920 in The Forum dementsprechend darauf hin, dass viele Amerikaner einige Generationen zuvor selbst ja noch Immigranten gewesen seien, woraus er schloss, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis auch die neu ins Land Gekommenen als „Einheimische“ gälten.161 Durch Verweise auf ähnlich denkende Publizisten verdichteten und verketteten sich die Diskursfragmente. So berichtete Schlesinger über den streitlustigen deutschstämmigen, in Baltimore geborenen Sozialkritiker und Publizist H. L. Mencken, dass dieser ebenfalls mit der verbreiteten Immigrationsfeindlichkeit im Lande nichts im Sinn habe. Er stellte sich hinter Mencken. Dieser habe, wie Schlesinger berichtete, mit Verve die gesamte Immigrantenkultur verteidigt und darauf verwiesen, dass alle großen Künstler Amerikas des 19. Jahrhunderts einen Migrationshintergrund gehabt hätten, wobei er die von ihm als niederwertig eingestufte Kaste der Angelsachsen (low caste Anglo156 Schlesinger, New Viewpoints. 157 Schlesinger, The Significance, 84 f. 158 Ebd.; vgl. Higham, History, 192; Ickstadt, The (Re)Construction, 209, 219; sowie Horton, A Complex Past. 159 Higham, Strangers, 304. 160 Franz Boas, „The Nordic Nonsense“, in: The Forum (Oktober 1925), 502–511. 161 Arthur Woods, „Fair Play for the Foreign Born“, in: The Forum (Juli 1920), 58–69.

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Saxons) für unfähig erachtet habe, originelle Ideen zu entwickeln.162 Menckens Urteil richte sich primär gegen all jene, die die mangelnde Homogenität der Nation – verursacht durch die Immigrantenströme – für die nicht ausreichenden Kunstleistungen der USA verantwortlich machen wollten.163 Mencken lehne eine solche Argumentation seinerseits entschieden ab und habe gekontert: Walt Whitman sei halber Holländer gewesen, der Philosoph William James habe einen irischen Großvater gehabt, Edgar Allen Poe könne zum Teil auf deutsche Wurzeln verweisen, und auch der Schriftsteller William Dean Howells gelte größtenteils als deutsch und irisch. Die Musik sei fast gänzlich deutsch oder italienisch geprägt, die Malerei orientiere sich an Frankreich und die Architektur bestünde ebenfalls aus vielerlei Leihgaben. Überdies habe sich das amerikanische Erziehungsmodell – vom Kindergarten bis zur Universität – nach dem deutschen Modell ausgerichtet, und selbst Restaurantküchen, die etwas auf sich hielten, seien aus anderen Kulturen hervorgegangen.164 Doch nicht nur der deutschfreundliche und besonders englandkritische Publizist Mencken, sondern auch der Kunst- und Theaterkritiker Sheldon Cheney bestätigte 1938, dass der „colonial stock“ unter den herausragenden Künstlern sogar unterrepräsentiert sei.165 Auch der Kulturanthropologe Franz Boas wollte vom Superioritätsanspruch des nordischen Volkes (nordic people) nichts wissen. Mit Nachdruck wies er darauf hin, dass die Unterschiedlichkeit zwischen den Menschen innerhalb der einzelnen Ethnien einer solchen Behauptung widerspreche. Und da es überall in Europa zu einer Vermischung der Völker gekommen sei, könne man den „nordischen Typ“ auch in anderen Ethnien antreffen.166 Während die Kritiken gegenüber nordischen Superioritätsansprüchen in liberalen Kreisen auf weite Zustimmung stieß, war die Wirkkraft der beiden bedeutendsten Gesellschaftsentwürfe, die von den Sozialphilosophen und Kulturkritikern Horace M. Kallen und Randolph Bourne stammten, recht begrenzt, obwohl sie in den renommierten Zeitschriften The Nation (1915) und Atlantic Monthly (1916) veröffentlicht worden waren. Beide lehnten, ähnlich wie Mencken, Boas und viele andere Liberale, die Vorstellung ab, es gebe eine angelsächsische Superiorität. Stattdessen vertraten sie einen ethnischen Pluralismus. Der 1882 in Schlesien geborene jüdische Immigrant Horace M. Kallen, Professor an der Columbia Universität, wandte sich insbesondere gegen jene Assimilationskonzepte, die einer Hierarchisierung von Ethnien und einem undemokratischen Denkmuster entsprangen.167 Kallens Gegenentwurf, den er 1915 in 162 Nach Schlesinger, The Significance, insb. 82 und 84; vgl. auch ders., New Viewpoints, 19. 163 Solche Äußerungen gab es auch schon früher. Levine, Highbrow, 221. Beispiele auch in Keller, Regulating a New Society, 232. 164 So Mencken, nach Schlesinger, New Viewpoints, 19 f. 165 Cheney, Art, 91 f. 166 Siehe dazu Franz Boas, „The Nordic Nonsense“, in: The Forum (Oktober 1925), 502–511. 167 Hansen, True Americanism.

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The Nation veröffentlichte und der einen kulturellen Pluralismus (cultural pluralism) beinhaltete168, beruhte auf der Beobachtung, dass durch die Immigration oftmals das Gefühl der Zugehörigkeit eines Menschen zu seiner Heimat-Nation eher gestärkt als geschwächt werde. Aus dieser Wahrnehmung zog er positive Schlüsse. Er entwickelte daraus die Vision eines demokratisch strukturierten Commonwealth (democratic commonwealth), eine Demokratie der Nationen (democracy of nationalities) in ein- und demselben Land. In solchem Zusammenhang sprach er auch von einer Vielheit in der Einheit analog einem Orchester (a multiplicity in a unity, an orchestration of mankind).169 Den wohl wichtigsten Alternativentwurf verfasste bekanntlich der schon 1918 verstorbene Kulturkritiker Randolph Bourne, der ebenfalls der jungen Intellektuellengruppe der Vorkriegszeit angehörte. Im Jahre 1920, zwei Jahre vor seinem frühen Tod, also in einer Phase, in der sich die Furcht der amerikanischen Öffentlichkeit vor den vielen Fremden im Lande bereits stark vergrößert hatte, schrieb Bourne, der wie John Dewey und Jane Addams angloprotestantischer Herkunft war, 1916 einen wegweisenden Aufsatz in der Zeitschrift The Atlantic Monthly über ein neues „transnationales Amerika“.170 Nach der Feststellung, dass die Assimilationspolitik bis dato nicht zur Auflösung der ethnischen Kulturen geführt hatte und die Immigranten gleichwohl am öffentlichen Wohl des Landes mitwirkten, avisierte er – ähnlich wie Kallen – eine multikulturelle, so genannte transnationale amerikanische Gesellschaft, eine völlig neue „internationale Nation“, die sich, befreit von jeglichem Nationalismus, die kreativen kulturellen Potenziale der Immigranten voll zu Nutze machte. Bournes Vision sah ein „kosmopolitanes Amerika“ vor, wodurch, wie er prophezeite, das Land stärker und nicht schwächer werde171 und – so lässt sich ergänzen – auch über ein reicheres kulturelles Potenzial verfüge als Europa.172 Kallen und Bourne versuchten auf ihre Art schon damals das Konzept eines ethnisch-demokratisch verfassten Pluralismus zu formulieren und in das Selbstverständnis der Nation einzupflanzen, allerdings ohne die African Americans, die Asiaten, die Mexikaner und die Indianer zu berücksichtigen.173 Beide hingen in gewisser Weise der Vorstellung an, dass es eine „common 168 Horace M. Kallen, „Democracy versus the Melting-Pot“, in: The Nation (Februar 1915); vgl. hierzu auch Carolyn Lisberger, „Living on the Quota“, in: The Reader’s Digest (September 1932), 56–58. Die längere Fassung erschien in: The North American Review (August 1932). 169 Zit. n. Levine, The Opening, 114 f. 170 Randolphe Bourne, „Trans-National America“, in: The Atlantic Monthly (Juli 1916), 86–97. 171 Horace M. Kallen, „Democracy versus the Melting-Pot“, in: The Nation (Februar 1915); Randolphe Bourne, „Trans-National America“, in: The Atlantic Monthly (Juli 1916), 86–97. 172 Nach Hansen, The Lost Promise, 95. 173 Levine, The Opening, 116.

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racial inheritance“ gebe.174 Kallens kulturelle Pluralismus-Vision, die sich nicht zuletzt an den multiethnischen Ländern Europas, wie der Schweiz, Großbritannien und Belgien, orientierte, war recht statischer Natur, insofern er die Zugehörigkeit eines Menschen zu einer Ethnie als unveränderbar begriff und auf dieser Grundlage das Bild einer dauerhaften Koexistenz „getrennter und in sich homogener“ ethnischer Gruppen zeichnete.175 So eindrucksvoll all diese Gegenstimmen und Gegenentwürfe waren, so gelang es den Kritikern dennoch nicht, aus ihrer Minderheitsposition in der Öffentlichkeit herauszukommen176, sieht man von den jüdischen Zirkeln ab, in denen sich vor allem Kallen Gehör verschaffen konnte.177 Zwar war es möglich, dass liberale Kritiker ihre Gedanken über Immigranten in den Zeitschriften The Nation, The Forum und auch in The Atlantic Monthly veröffentlichten178, doch ihre ethnisch-pluralistischen Visionen konnten in den zwanziger Jahren den Diskursraum der liberalen und weniger liberalen Zeitschriften nicht eindeutig und kraftvoll in diese Richtung steuern, geschweige denn den Gesamtdiskurs dominieren.179 Besonders schwierig war es für die liberale Publizistik, die Forderungen der Restriktionisten aus den Angeln zu heben. Denn ungeachtet der rassistischen Komponenten galt deren Akzeptanz bereits weithin als natürliche Denkweise (natural way of thinking).180 Schon bald nach ihrer Gründung betrieb die Immigration Restriction League eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit und nutzte dazu diverse Publikationsorgane, etwa The Atlantic Monthly.181 Die Restriktionisten konnten ihren Einfluss auf die publizistische Öffentlichkeit immer weiter ausdehnen, und dies umso mehr, nachdem das Konzept des Melting-Pot in und nach dem Ersten Weltkrieg unter zahlreichen Konservativen und Liberalen als gescheitert galt182 und die Industrie weniger Arbeitskräfte aus dem Ausland brauchte. Zwar folgten die liberalen Qualitätsmagazine, wie The Nation und The New Republic, nicht der Fremdenfeindlichkeitswelle, auch hielten sie sich in ihren Stellungnahmen zur Amerikanisierung von Immigranten zurück.183 Sie konstatierten aber durchaus einen Hand174 175 176 177 178

179 180 181 182 183

Gleason, American Identity, 99–103, 102. Sollars, Konstruktionsversuche, 558. Foner, The Story, 190; Herrmann, Be an American!, 331; Solomon, Ancestors, 194. Higham, Strangers, 304. Horace M. Kallen, „Democracy versus the Melting-Pot“, in: The Nation (Februar 1915); Randolph Bourne, „Trans-National America“, in: The Atlantic Monthly (Juli 1916), 86–97; wiederveröff.: Bourne, Trans-National America, 113–117. Foner, The Story, 190; Herrmann, Be an American!, 332. Solomon, Ancestors, 194. Ebd., 105. Ickstadt, Trans-national Democracy, 3. Vgl. z. B. Felix Morley, „Making Americans“, in: The Nation (Mai 1919), 878; M(arcus) E. Ravage, „Standardizing the Immigrant“, in: The New Republic (Mai 1919), 145–147; allg. Higham, Strangers, 391; Marzolf, Americanizing, 114 f.

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lungsbedarf gegenüber den Immigrantenströmen, um die ihnen zugeschriebenen sozialen Probleme des Landes nicht anwachsen zu lassen.184 E. L. Godkin, der Herausgeber der einflussreichen, meinungsbildenden Zeitschrift The Nation sah ebenfalls in der Vielzahl der Immigranten vor allem eine Herausforderung für das amerikanische Schulsystem, die gemeistert werden müsse, sonst würden die Einwanderer skrupellosen Politikern verfallen, wie er meinte.185 Und die liberale, sozialreformerisch gesinnte Zeitschrift The New Republik unterstützte sogar offen die Restriktionspolitik186, weil dadurch ihrer Meinung nach einer gesellschaftlichen Spaltung vorgebeugt und eine größere Homogenität der Nation erreicht werden könnte. Auch wollte die Zeitschriftenredaktion die angebliche Orientalisierung (orientalization) der amerikanischen Westküstenstaaten verhindern helfen.187 Sicherlich mahnten die liberalen Zeitschriften, vor allem The Nation, immer wieder, zu einem vernunftgeleiteten Handeln zurückzukehren, die Flagge nicht zu einem nationalen Fetisch hochzustilisieren188 und die Diskriminierung von Ausländern zu beenden. So konnte selbst in der eher rechtsliberal eingestellten Zeitschrift Harper’s Magazine der Kriegskorrespondent und Schriftsteller Frederick Palmer an Hand zahlreicher Beispiele das weit verbreitete Vorurteil in Frage stellen, wonach die USA von Ausländern überrannt worden seien.189 Unterstützt wurden solche Haltungen auch von bekannten Persönlichkeiten wie der Reformerin und Pazifistin Jane Addams, die einen Großteil der Restriktionsbestimmungen aufgehoben sehen wollte.190 Und der ebenfalls einflussreiche Theologe und Sozialphilosoph Reinhold Niebuhr konnte in seinem 1927 in den Zeitschriften The Atlantic Monthly und The Reader’s Digest veröffentlichten Artikel nicht umhin, sein Bedauern darüber auszudrücken, dass die Immigrationsbeschränkungen Amerika ein Stück weit von Europa abschnitten.191 Als Verfechter eines liberalen Umgangs mit den Fremden im Land profilierte sich zwar die Zeitschrift The Nation, indem der Anthropologe Edward Sapir beispielsweise den biologistischen Vererbungstheorien die Bedeutung

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Nach Higham, Strangers, 271, 278, 302, 391. Nach LaGumina, American Education, 65. Nach Keller, Regulating a New Society, 226, 229, 231. „The Immigration Question“, in: The New Republic (1924), 6 f.; vgl. auch Keller, Regulating a New Society, 226, 229, 231, 247 f. Der einflussreiche liberale Kirchenmann Harry Emerson Fosdick bekannte sich ebenfalls zum Restriktionismus. Marty, Modern American Religion, Bd. 2, 84. Goldstein, Saving „Old Glory“, 69. Frederick Palmer, „America From a Mountain Top“, in: Harper’s Magazine (September 1920), 455–464. Johnson, The Peace Progressives, 217. Reinhold Niebuhr, „A Critique of Pacifism“, in: The Atlantic Monthly (Mai 1927), Kurzform in: The Reader’s Digest (Juni 1927), 73–74, 74.

3.4 Liberaler Gegenwind

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sozialer und kultureller Faktoren entgegensetzte192, aber selbst in dieser Zeitschrift lassen sich Spuren der neuen Denkart nachweisen. So wandte sich das Magazin zwar einerseits gegen allgemeine Intelligenztests, andererseits plädierte es aber für eine Selektion der Immigranten, und zwar durch eine „wissenschaftliche Anwendung des Intelligenz-Tests gemäß dem verbesserten Binet-Simon-Typ“. Hierdurch könnten, wie es in einem anonym geschriebenen Artikel hieß, vorrangig jene Eigenschaften gemessen werden, die auf die Fähigkeit eines Menschen schließen ließen, sich einer neuen Umgebung anzupassen.193 Nicht nur die Einstellung zur Immigrationsproblematik, sondern auch die Einschätzung der Geburtenkontrollfrage stellten Brücken dar, die, falls man sie überquerte, zur Eugenik und zum rassistischen Denken führten. Immerhin erhielten die namhaften Eugeniker Adolphus S. Knopf und Henry Pratt Fairchild Gelegenheit, über dieses Thema sogar in The Nation zu veröffentlichen, der eine 1920, der andere 1932.194 Hingegen sahen liberale Feministinnen die Geburtenkontrolle vorrangig als ein Recht der Frauen an, über ihren Körper selbst bestimmen zu können. Doch dieses Ansinnen konnte ebenfalls mit eugenischen Beweggründen verknüpft werden, wie dies vor allem bei der Hauptaktivistin für Geburtenkontrolle, der Krankenschwester Margaret Sanger der Fall war.195 In ihren Reformbemühungen wurde diese von liberalen Zeitschriften wie The New Republic196 und The Nation unterstützt.197 Vor allem befürwortete Freda Kirchwey als Mitherausgeberin der Zeitschrift The Nation solche Forderungen und ließ 192 Edward Sapir, „The Race Problem“, in: The Nation (Juli 1925), 40–42. 193 o. V., „Immigration by Selection“, in: The Nation (Dezember 1920), 722. 194 Adolphus S. Knopf, „Birth Control and the World Crisis“, in: The Nation (November 1920), 589–591; Henry Pratt Fairchild, „Birth Control and Social Engineering“, in: The Nation (Januar 1932), 105–107. 195 Die Befürworter einer liberalen Geburtenkontrolle sammelten sich vor allem in Margaret Sangers American Birth Control League oder in Mary Ware Dennetts Voluntary Parenthood League. Gordon, Woman’s Body, 250. Doch nicht alle Eugeniker befürworteten die Geburtenkontrolle. So weigerte sich der Direktor des Eugenic Record Office, Charles Davenport, in den zwanziger Jahren, die Forderungen nach einer legalen Geburtenkontrolle ohne Weiteres zu akzeptieren. Kline, Building, 65 f. Die National Women’s Party und die League of Women Voters sprachen sich ebenfalls gegen eine liberalisierte Vergabe von Mitteln zur Empfängnisverhütung aus. Eine solche Liberalisierung widerspreche ihren Vorstellungen über Femininität, Mütterlichkeit und Fortschritt (clashed with their conceptions of femininity, maternity, and progress). Hingegen stand das National Council of the Volontary Parenthood League auf der Seite der Befürworter. Vgl. auch den Leserbrief von Mary Ware Dennett, Vorsitzende des National Council of the Volontary Parenthood League, New York, in: The Nation (Juli 1925), 36–37; Gordon, Woman’s Body, 68; Keller, Regulating a New Society, 31. 196 Gordon, Woman’s Body, 226. 197 Lebsock, Women, 49; vgl. auch Cott, The Grounding, 166; McGerr, A Fierce Discontent, 262; zu Kirchwey siehe Alpern, Freda Kirchwey, 81.

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3 Die „Anderen“. Europäische Immigranten auf dem Prüfstand

auch Artikel über den Wandel der Sexualbeziehungen veröffentlichen.198 Dabei diente Europa oftmals als Vorbild. Die Sozialistin, Frauenrechtlerin und Befürworterin der Geburtenkontrolle, Crystal Eastman, berichtete zum Beispiel 1925 in The Nation darüber, dass in den meisten europäischen Ländern, so auch in England, Informationen über kontrazeptive Behandlungsmethoden weitergegeben werden dürften199, wobei allerdings diesbezügliche Informationen teilweise selektiv waren.200 John Dewey, der sich ebenfalls für eine selbstbestimmte Geburtenkontrolle einsetzte, kritisierte 1932 in diesem Kontext in The Nation, den Hang zahlreicher Amerikaner, viele Kinder zu bekommen, wobei er dieses Verhalten in Zusammenhang mit der amerikanischen Vorliebe für schiere Größe brachte.201 Und William Allen Pusey, Dermatologe aus Chicago, meinte schließlich 1932 in der Zeitschrift The Nation, Geburtenkontrolle könnte viel zum ehelichen Glück beitragen und die schlechtere Lösung in Form von Abtreibungen minimieren.202 Einen schweren Stand hatte die liberale Publizistik schließlich auch gegenüber den Rassetheorien, denn diese gewannen im und nach dem Krieg zunehmend an Deutungsmacht, und ihre Befürworter konnten entsprechende Artikel selbst in großen Zeitungen lancieren. So öffnete sich die vielgelesene Zeitung Saturday Evening Post, ähnlich wie die New York Times, den rassistischen Ideen von Madison Grant.203 Die Wiedergabe solcher Positionen er198 So veröffentlichte die amerikanische Anthropologin und Feministin Elsie Clews Parsons z. B. einen Artikel Changes in Sex Relations in: The Nation (Mai 1924), 551–552, 552. 199 Crystal Eastman, „Britain’s Labor Women“, in: The Nation (Juli 1925), 92–93, 93. 200 Erwähnt wurden in diesem Zusammenhang eine durch Gewerkschaften seit 1882 finanzierte Klinik in Holland sowie das Engagement der deutschen Sozialdemokratie und schließlich die kontrazeptiven Praktiken in Frankreich. Dabei blieb unerwähnt, dass gerade die französischen und holländischen Regierungen nach 1918 ihre Haltung gegenüber der Geburtenkontrolle änderten und wegen des enormen Bevölkerungsrückgangs im Ersten Weltkrieg fortan eine eher restriktive Politik verfolgten. Genauigkeit ließ auch das Statement der Frauenrechtlerin und Pazifistin Mary Ware Dennett vermissen, als sie in der Zeitschrift The Nation beklagte, dass die USA als einziges Land mit einem umfassenden Verbot aufwarteten, was sie in höchstem Maße bedauerte. Leserbrief von Mary Ware Dennett, in: The Nation (Juli 1925), 36–37. Nicht zur Sprache kam dabei, dass in Schweden seit 1910 ein ähnliches Gesetz bestand, wonach die Propagierung und der Verkauf empfängnisverhütender Mittel unerlaubt waren, und dieses Gesetz wurde erst 1938 aufgehoben. Orfali, Modell, 497. Außerdem gingen in den USA die Einzelstaaten ganz unterschiedlich mit der Verbotsfrage um. „Lediglich“ sieben Staaten hatten bis 1930 schließlich ein Informationsverbot über Geburtenkontrollmöglichkeiten eingeführt. 201 John Dewey, „Education and Birth Control“, in: The Nation (Januar 1932), 112. Das war sicherlich eine überspitzt-satirische Bemerkung. 202 William Allen Pusey, „Birth Control and Sex Moralitiy“, in: The Nation (Januar 1932), 111–112. Im Jahre 1930 gab es schließlich in den USA 55 Geburtenkontrollkliniken in 23 Städten, die in 12 US-Staaten lagen. Gordon, Woman’s Body, 270. 203 Zit. n. Henry Pratt Fairchild, „The End of Race Migration“, in: The Yale Review, Kurzform in: The Reader’s Digest (September 1922), 393–394, 394. Ähnlich äußerte sich

3.4 Liberaler Gegenwind

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folgte überdies in Zeitschriften, wie der Yale Review, The World’s Work und The Reader’s Digest. Eine bedeutsame Rolle spielte in diesem Zusammenhang die Zeitschrift The Forum, erstens wegen des Mitherausgebers A. Washington Pezet und zweitens wegen des Forumscharakters der Zeitschrift. Pezet sah Sozialreformen kritisch unter dem Blickwinkel, dass dadurch die Überlebenschancen der untüchtigen Personen (unfit people) erhöht werden würden. Eine Jahrhundertaufgabe sei es, meinte Pezet 1925, die „Zivilisierbaren zu zivilisieren und damit zu beginnen, die Unzivilisierbaren zu eliminieren“, womit er die Grenze hin zur „negativen Eugenik“ bereits überschritt.204 Zwei Jahre später lobte er das neue Buch von Lothrop Stoddard, Reforging America, und zwar vor allem wegen dessen Zustimmung zu den Restriktionsgesetzen und zur Rassentrennung zwischen Weißen und Schwarzen (bi-racialism). Pezet bezeichnete Stoddard zudem als Sprecher der dominanten „einheimischen“ Mehrheit.205 In den Zeitschriften North American Review und Atlantic Monthly waren ebenfalls Vorschläge zu finden, die zum Repertoire der nativistisch gefärbten Eugenik gehörten, etwa der Rat, so genannte niederrangige Menschen (lower-grade men) vom Wahlrecht auszuschließen. Hiram W. Evans erhielt 1925/26 sogar Gelegenheit, die Ziele des Ku Klux Klan in der konservativen North American Review, aber auch in der Zeitschrift The Forum sowie in Kurzform im Reader’s Digest darzulegen.206 Der bekannte Schriftsteller und Historiker William Roscoe Thayer konnte mit Hilfe der Zeitschrift The North American Review und The Reader’s Digest 1922 ebenfalls einem größeren Publikum seine Ansicht vermitteln, wonach die eingereisten Immigranten aus Süd- und Osteuropa auf der Bewertungsskala der „Rassen“ ganz unten – nahe den Asiaten – zu platzieren seien.207 Sicherlich beherrschten die Rassenkundler und Eugeniker mit ihren Theorie-Konstrukten, ihrem Mess-Eifer und ihren vorgeblich wissenschaftlich begründeten Observationen nicht das gesamte US-amerikanische Meinungsspektrum. Doch hinterließen ihre Bemühungen, den Rassismus zu verwissen-

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auch der Republikaner James French Strother, „New Light of Immigration Peril“, in: The World’s Work (Oktober 1923), Kurzform in: The Reader’s Digest (Oktober 1923), 467–468; vgl. auch Higham, Strangers, 262, 265, 271. A. Washington Pezet, Leserbrief, in: The Forum (Juni 1925), 919–921, 921. Die internationale Panama-Pazifik-Ausstellung in San Franzisco 1915 popularisierte ebenfalls die Auffassung von der angeblichen Qualitätsverschlechterung der amerikanischen Bevölkerung. A. Washington Pezet, „Re-casting the Melting Pot“, in: The Forum (Juli 1927), 155– 156. Vgl. Ickstadt, Trans-national Democracy, 3. In diesen Zeitschriften konnte auch Madison Grant veröffentlichen. Siehe auch die noch weitere Zeitschriften umfassende Liste in: Ickstadt, The (Re)Construction, 208 f. Vgl. u. a. Hiram W. Evans, „The Klan: Defender of Americanism“, in: The Forum (Dezember 1925), Kurzform in: The Reader’s Digest (Januar 1926), 583–584. William Roscoe Thayer, „Throwing Away Our Birthright“, in: The North American Review, Kurzform in: The Reader’s Digest (März 1922), 69–70.

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schaftlichen und diesen sowie die weithin angesehene Eugenik mit größeren nationalen Zielsetzungen zu verbinden, offensichtlich vielfältige Spuren in der Publizistik208, wobei dem Reader’s Digest wegen der selektiven Wiederveröffentlichung entsprechender Aufsätze besondere Bedeutung zukam. Die gegen den Rassismus eingestellten liberalen Wissenschaftler und Publizisten hielten sich lange Zeit mit der Formierung einer wirksamen Gegenöffentlichkeit zurück. Der liberale Publizist Walter E. Weyl warnte beispielsweise zwar schon vor dem Ersten Weltkrieg vor den Folgen der Exkludierungspolitik gegenüber Asiaten, begründete dies aber lediglich damit, dass eine solche Haltung nicht der amerikanischen Gastfreundschaft (hospitality) entspräche.209 Geschwächt wurde die rassismusfeindliche Minderheitsposition in der liberalen Publizistik, soweit sie von jüdischen linksliberalen Intellektuellen getätigt wurden, auch dadurch, dass ihre Gegner ihnen, vor allem den Boasianern, nachsagten, sie sprächen lediglich pro domo.210 Als schließlich um 1930 eine namhafte Gegenfront entstand, konnte diese sich in der Öffentlichkeit auch zunehmend Gehör verschaffen211, wenngleich die Restriktionsgesetze nicht zurückgenommen wurden und die Eugenik weiterhin auf breiten Zuspruch stieß. Die für die USA typische Kultur offener Diskussionsforen, in denen diametral entgegengesetzte Ansichten hintereinander publiziert wurden, wie vor allem in der Zeitschrift The Forum, stand zwar im Zeichen freier Meinungsbildung, sorgte jedoch gleichzeitig für die Verbreitung rassistischen und eugenischen Denkens bis in liberale Leserkreise hinein.212 Ähnliche Effekte gingen vom Abdruck solcher Leserbriefe aus, die Vorurteile etwa gegen Schwarze legitimierten.213 In der Zeitschrift The Forum war 1926 ein Artikel zu lesen, in dem von angeblich wissenschaftlichen Messungen am „alten amerikanischen Typus“ berichtet wurde. „The observations show, in general, that the unmixed descendants of the older stock of Americans do already present an approach towards a physical type which be called ‚American‘.“214 So aufnahmebereit sich die Zeitschrift The Forum für Artikel von Rassisten zeigte, so konnte darin dank eines radikalen publizistischen Pluralismus der Zeitschrift auch ein Rassismus-Gegner, wie Franz Boas, seine Meinung über den „Nordic Nonsense“ veröffentlichen.215 Davon unterschied sich die Zeitschrift The 208 209 210 211 212

Näheres in Barkan, The Retreat, 8, 10, 70. Weyl, The New Democracy, 347. Barkan, The Retreat, 9, 92. Ebd., 177. So konnte nicht nur Hiram Wesley Evans, sondern auch Madison Grant seine Gedanken in: The Forum (September 1925) äußern. Ihm widersprach in der Oktober-Ausgabe Franz Boas. 213 Siehe beispielsweise den Leserbrief von Sam W. Small (Atlanta), in: The Forum (September 1927), 458 f. 214 Aleš Hrdlička, „The Americans of Tomorrow“, in: The Forum (Juli 1926), 99–103, 101. 215 Franz Boas, „This Nordic Nonsense“, in: The Forum (Oktober 1925), 501–511.

Zusammenfassung

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Reader’s Digest, insofern sie bei solchen Themen vor allem Artikel in gekürzter Form wiederveröffentlichte, die in The North Atlantic Review und World’s Work erschienen waren und zur Formung einer Gegenöffentlichkeit zu Rassismus und Eugenik nichts beitrugen, im Gegenteil.

ZUSAMMENFASSUNG Im Kontext der Einwanderungsfrage wurde Europa immer weniger als Einheit gesehen. Vielmehr liefen quer über die Landkarte des Kontinents „rassisch“ begründete Teilungslinien. Zwar sind die Rassentheorien nicht im Zuge der neuen Einwanderungswellen entstanden, doch erhielten sie in den USA hierdurch großen Auftrieb, wobei sich die Diskursstränge über Rasse, Eugenik und Immigration wechselseitig verknüpften. Durch befürwortende Beiträge diverser Nachbarwissenschaftler erhielten die Rassenkundler massive Unterstützung. So bildete sich eine disziplinenübergreifende Expertenkultur heraus, in der sich Vertreter der Sozialwissenschaften, der Demographie, der Psychologie, der Ökonomie, der Statistik und der Biometrie gegenseitig die Bälle zuwarfen. Europa wurde in diesen Kreisen vorrangig unter angeblich wissenschaftlichem Vorzeichen als bloße geografische Objektfläche rassisch unterschiedlicher Regionen und rassisch bedingter Binnengrenzen gesehen. Hierdurch erlitt die von alters her gewohnte Respektabilität Europas große Einbußen, und der Loslösungsprozess von Europa, genauer, von großen Teilen Europas, wurde gefördert. Der nunmehr binnendifferenzierte und stark hierarchisierte Alte Kontinent unterlag vorrangig einer Prüfung, welche Bevölkerungsteile aus welchen Regionen für den US-Nationsbildungsprozess wünschenswert seien und welche nicht. Damit verfiel Europa einer utilitaristisch geprägten Instrumentalisierung. Schließlich zeigten die Ausführungen, wie stark der Nationsbildungsprozess mit publizistisch wirksamen In- und Exklusionen verbunden war. Im Falle der Europäer blieben In- und Exklusionen allerdings miteinander spannungsreich verwoben. Denn all jene, die auf die Assimilierungspolitik der Europäer setzten, zielten letztlich auf deren Inklusion in die amerikanische Gesellschaft ab. Doch diese Zielsetzung war in der damaligen Gegenwart mit zahlreichen sozialen Praktiken verbunden, die Abgrenzung und (von Seiten überzeugter Rassisten) sogar Exklusion bedeuteten. Obwohl die USA von Anfang an ein Einwanderungsland waren, wurde das Nationsverständnis durch die Wunschvorstellung geprägt, die Nation möglichst zu homogenisieren. Die Nation erhielt die Eigenschaft eines natürlichen und teleologischen Zustandes, demgegenüber die Massenimmigration aus Europa als unnatürliches, von außen erfolgtes Eindringen wahrgenommen wurde. Diese Deutungen verbanden sich mit althergebrachten, häufig religiös

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unterlegten Auffassungen über die Nation, wie dem Glauben an Manifest Destiny, und mit neueren evolutionsgeschichtlichen „Erkenntnissen“.216 Um den Anspruch auf relative Homogenität der amerikanischen Nation glaubhaft vertreten zu können, wurde im Zeichen eines neu interpretierten Nationsverständnisses und im Kontext von Rassenlehre und Eugenik die Sichtweise auf alle fremd erscheinenden Europäer verändert. Begriffe, wie native stock und national origin dienten als Abgrenzung, wurden neuartig begründet und als politische Waffe eingesetzt. Diese Konstruktionen sollten nicht zuletzt die kulturelle, soziale und politische Macht der WASPs auch unter den veränderten Zeitverhältnissen sichern helfen.217 Rassisten förderten zusammen mit Eugenikern und Nativisten einerseits zwar den Ablösungsprozess vom europäischen Kontinent, stärkten aber andererseits das Anbindungspotenzial zu Großbritannien. Gerade die Unterscheidung zwischen angelsächsischen und anderen europäischen Einwanderern sowie die generelle Hochschätzung der Angelsachsen und ihrer amerikanischen Nachkommen zeigen die Einflussnahme der anglophilen Neuengländer auf die damaligen Diskurse über Rassismus und Immigration. Im Gegensatz dazu richteten sich die Diskurse der liberalen kulturellen Nationalisten vorrangig gegen den Superioritätsanspruch der old stock-Angelsachsen und gegen die kulturelle Einflussnahme Großbritanniens.218 Dieser Gegensatz verweist auf die inneren Spannungen des Landes und die großen Unterschiede, die zwischen amerikanischen Nationalisten bestanden, genauer, zwischen den nativistisch-rassistischen Nationalisten einerseits und den kulturellen Nationalisten andererseits. Die Problematik, die große Teile der Öffentlichkeit und Publizistik in der Masseneinwanderung aus Europa sahen, vergrößerte sich zusätzlich durch den Neuen Nationalismus (New Nationalism). Dieser verlangte von eingewanderten Europäern eine komplette Enteuropäisierung bzw. Amerikanisierung, de facto den Durchlauf einer Art national engineering, bei dem auch die Eugenik eine maßgebliche Rolle spielte. Die einflussreiche Eugenik entsprang ihrerseits der Kombination zwischen einem im Fortschrittsdenken und in bestimmten Vererbungstheorien eingebundenen Machbarkeitsglauben einerseits und massiven Dekadenz- sowie Degenerationsängsten andererseits. Sie konnte zudem in den Rassismus eingebunden sein. Solche Kontexte konturierten auch die zahlreichen Diskussionen über Geburtenrückgang und Geburtenkontrolle, soweit diese nicht ausschließlich als Selbstbestimmungsrecht der Frauen gedeutet wurden. Ungeachtet der rassistisch motivierten Kategorisierung und Hierarchisierung europäischer Ethnien vertieften die Restriktionsgesetze von 1921 und 216 Ngai, Impossible Subjects, 30. 217 Vgl. Ickstadt, The (Re)Construction, 208. 218 Dazu siehe auch Kapitel 2.6 und 7.4.

Zusammenfassung

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1924 den Differenzcharakter zwischen Weiß-Sein und Nicht-Weiß-Sein. Durch dieses gravierende Differenzkonstrukt wurden die grundlegenden Gemeinsamkeiten aller (amerikanisch-europäischen) Weißen und damit die Verknüpfungen von whiteness und westernness weiter ins Bewusstsein gerückt.219 So konnte der gegen diverse europäische Ethnien gerichtete Rassismus bereits zukunftsweisend „überschrieben“ werden. Vieles spricht für die Annahme, dass gerade in dieser Zeit auf Grund der Restriktionsgesetze und der reichhaltigen Diskurse über race und Ethnien auch das machtpolitisch grundierte Wissen über die Bedeutung von Weiß-Sein als gesellschaftlich gewünschte Norm zugenommen hat. Das publizistisch untermauerte Zusammenspiel rassistisch denkender Fachexperten verzögerte die Formierung von Gegenöffentlichkeiten. Die Gegner rassistischer Politik umfassten zwar ebenfalls ein breites Spektrum von Fachexperten und Publizisten, doch so einflussreich diese in ihren jeweiligen Netzwerken und unter ähnlich Denkenden auch waren, so wenig schafften sie es, den Diskursraum zu majorisieren. Da nützte auch die antibritische Gefühlslage zahlreicher kultureller Nationalisten wenig. Ebenso wenig schlug sich die Transatlantizität vieler Autoren und Autorinnen liberaler Magazine in der Bildung einer schlagkräftigen Gegenöffentlichkeit nieder, zumal auch Rassenkundler und Eugeniker mit europäischen Gleichgesinnten stark vernetzt waren, wodurch ihren Auffassungen zusätzliches Gewicht verliehen wurde. Während sich ein Teil der Zeitschriften und sogar bekannte Tageszeitungen für die Rezeption rassistischer und eugenischer Vorstellungen durchaus aufgeschlossen zeigten oder diese sogar unterstützten, hielten linksliberale Qualitätsmagazine, allen voran die Zeitschrift The Nation, mehr oder weniger entschlossen dagegen. Die Auseinandersetzung um die europäischen Immigranten spaltete das Feld der Publizistik teils tiefgreifend, teils bestanden indessen auch Übergänge und Brücken zwischen den unterschiedlichen Positionen. Eine solche Brücke war der auf Einwanderungsbegrenzung ausgerichtete Restriktionismus, zu dem sich die Zeitschrift The New Republic sogar offen bekannte, sowie das Geburtenkontrollrecht, das zum einen als Frauenselbstbestimmung betrachtet, zum anderen einer eugenisch orientierten Bevölkerungspolitik zugeordnet werden konnte. Sicherlich, der Nativismus, gepaart mit angeblich wissenschaftlich untermauertem Rassismus und der Eugenik, bestimmte in den USA „nur“ eine relativ kurze Periode von rund fünfzig Jahren, von ca. 1880 bis 1930. Danach setzten sich immer mehr Erkenntnisse über die Einflüsse der Umwelt und Kultur gegenüber jenen Auffassungen durch, die vordem allein der Biologie geschuldet waren. Dank seiner wissenschaftlichen Reputation konnte vor allem Boas viel zum Niedergang der Rassenlehre in den USA der dreißiger 219 Frankenberg, White Women, insb. 11–18.

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Jahre beitragen.220 Bekanntlich fanden zahlreiche Europäer, vor allem Juden, während der NS-Zeit gerade in den USA eine neue Heimstätte. Die Rassenpolitik der Nationalsozialisten führte viele Amerikaner dazu, ihre Forderung nach einer ethnisch weitgehend homogenisierten Nation zu überdenken. Die Immigranten-Kulturen wurden, soweit sie fortexistierten, immer weniger als eine Bedrohung für die amerikanische Gesellschaft angesehen.221 Dieses Bedrohungsgefühl, das in den zwanziger Jahren noch in so starkem Maße vorhanden war, kann als Zeichen nationaler Unsicherheit gedeutet werden. Im und nach dem Zweiten Weltkrieg „mutierten“ jene europäischen Einwanderer, die einst zu den niederwertigen „Rassen“ Europas gezählt worden waren, stillschweigend – im Sinne von Kallen und Bourne – zu positiv bewerteten weißen Amerikanern europäischer Herkunft (European Americans)222, die fortan für viele Amerikaner sogar das „eigentlich Amerikanische“ verkörperten.223 Gleichwohl wirkte die rassistische Erblast aus dem frühen 20. Jahrhundert nach, und die Auseinandersetzungen über die Bedeutung von Ethnizität für die amerikanische Nation gingen und gehen überdies weiter.

220 Barkan, The Retreat, 78, 89, 281. 221 Knobel, America, 275. 222 Singal, Towards a Definition, 19; Stocking, Boasian Ethnography, 3–9; Lind, The Next American Nation, 84. 223 Sollars, Konstruktionsversuche, 562. Die Quotierung europäischer Einwanderungspolitik wurde allerdings erst 1965 durch die liberale Immigration Reform (Immigration and Nationality Act) beendet.

4 EIN-, AUS- UND UMGRENZUNGEN GESCHLECHT, KLASSE, RACE Bekannt ist zwar, dass sich nationale Identitätsfindung generell auf der Basis von Inklusionen und Exklusionen vollzieht; so auch in den USA.1 Doch in der Geschichte jedes Landes nahmen und nehmen Ein- und Ausgrenzungen andere Formen und Ausmaße an und betreffen verschiedene Gruppen, so dass genauere Blicke notwendig sind. Die Analyse des Diskurses über nationale Identität legt die innere Verbindung der Bevölkerungsgruppen offen, die wegen ihres Geschlechts oder ihrer Klassen- und Rassenzugehörigkeit (gender, class und race) als meinungsbildende und potentiell handlungsfähige Subjekte exkludiert waren und von den Diskursträgern als die jeweils „Anderen“ wahrgenommen wurden.2 Der intersektionale Forschungsansatz fordert deshalb eine integrative Perspektive, in der die Unterdrückungsmechanismen unterschiedlich kategorisierter Gruppen aufeinander bezogen werden, ohne dabei die Gruppen zu hierarchisieren.3 Im Folgenden wird zum einen die Objektrolle der genannten Gruppen mit Blick auf deren Gleichläufigkeit herausgearbeitet, aber auch die Unterschiede berücksichtigt. Zum anderen sollen die Versuche der Betroffenen nachgezeichnet werden, aus solchen Objektrollen auszubrechen und sich auch in den Diskursen über Nationskonstruktionen als handlungsfähige und nationszugehörige Subjekte zu verorten sowie eigene Identitätskonstruktionen zu entwerfen. In den ersten drei Unterkapiteln richtet sich das Augenmerk auf die geläufigen Geschlechterbilder unter dem Aspekt der nationalen Identitätskonstruktionen, entsprechend der allgemeinen Erkenntnis, dass nationale Identitätssuche in der Regel geschlechterbezogene Züge trägt. Das vierte Unterkapitel analysiert zum einen die Sichtweisen auf die Gesellschaft unter der Fragestellung, inwieweit der Begriff „Volk“ (people) den Klassenbegriff (class) verdrängte. Zum anderen werden in Form eines Perspektivenwechsels die Vorstellungen der Arbeiterorganisationen und der Sozialistischen Partei über nationale Identität ins Blickfeld kommen. Im fünften und sechsten Unterkapitel 1 2 3

Siehe u. a. Finzsch/Schirmer, Identity. Andersen/Collins, Why Race, insb. 5–9. Als Einführung siehe ebd. Der in der Soziologie entwickelte Intersectionality-Ansatz (siehe vor allem Collins, Black Feminist Thought) bezieht sich im Kern auf die strukturelle und prozessurale Verwobenheit einzelner Gruppen mit Blick auf Benachteiligungen, Diskriminierungen und Unterdrückungen, wobei race, class und gender im Zentrum stehen (vgl. u. a. Collins). Für geschichtswissenschaftliche Studien ist dieser sich in steter Entwicklung befindliche Ansatz brauchbar, falls die entsprechenden Untersuchungsperspektiven ausgeweitet sowie historisiert und kontextualisiert werden.

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4 Ein-, Aus- und Umgrenzungen. Geschlecht, Klasse, Race

stehen dann die vielfach exkludierten African Americans und die Native Americans im Mittelpunkt der Ausführungen. Hier werden diverse Formen von Rassismus sowie deren Objektrolle in nationalen Identitätsdiskursen herausgearbeitet. Im Verlauf eines erneuten Perspektivenwechsels rücken dann ethnische Identitätsvorstellungen der African Americans und der Native Americans ins Blickfeld, einschließlich der Frage, welche Auswirkungen diese auf das Europabild hatten. 4.1 NEUE MANNS-BILDER UND NEUER NATIONALISMUS Dass Nationskonstruktionen mit Geschlechterbildern zusammenhängen, ist mittlerweile eine Binsenweisheit. Doch die Verbindungslinien sind in den Gesellschaften unterschiedlich stark ausgeprägt, sie umfassen auch nicht alle Geschlechterbilder, die in einer Gesellschaft existieren, gleichermaßen; überdies sind die Verknüpfungen zeitbezogen und damit einem Wandel unterworfen. Die Umbruchzeit, die das frühe 20. Jahrhundert kennzeichnete, ließ mehrere teils miteinander konkurrierende, teils korrespondierende neue MannsBilder entstehen.4 So gab es noch immer das ehedem dominante, viktorianisch ausgerichtete Männlichkeitsbild. Dessen Ikone war ein charaktervoller selfmade-man, der sich durch eine ausgeprägte Kontrolle über Körper, Sexualität und Gefühle auszeichnete, sich als christlicher Gentleman gebärdete und eine stark normierte, patriarchalisch geprägte Geschlechterordnung für rechtens hielt, in welcher Moral, männliche Reinheit (male purity) auf sexuellem Gebiet und gewaltfreier Umgang mit Frauen vorherrschen sollten.5 Dieses konventionelle idealtypische Manns-Bild, das auch die Überlegenheit amerikanischer Zivilisation über die europäische zeigen sollte6, war zwar immer noch in den zwanziger Jahren in Magazinen zu finden, aber seine Anziehungskraft und Attraktivität ließen beträchtlich nach. So verwundert es nicht, wenn um die Jahrhundertwende im Kontext des Frontier-Theorems und der Diskurse über die angebliche Krise und Feminisierung des Mannes sowie über den Roosevelt’schen Neuen Nationalismus ein neues Männer-Leitbild entstand. Dieses richtete sich gegen eine angebliche, mit großen Ängsten besetzte Feminisierung der Männer (men have been feminized)7 und führte zum Wunsch einer Remaskulinisierung der Gesellschaft, des Kulturlebens und der Nation. Vitalität und Energie kombiniert mit Tugendhaftigkeit 4 5 6 7

Ausführlicher dazu Pendergast, Horatio. Der Autor untersuchte zwei Zeitschriften: Esquire. The Magazine of Men und American Magazine. White, The First Sexual Revolution, 2–4. Ebd., 5. So Stearns, The Intellectual Life, 145; so die Frauenrechtlerin Sarah Grand, in Newman, White Women’s Rights, 36. Über die angebliche Feminisierung des Mannes schrieben die Popularmagazine schon seit den 1890er Jahren. Brod, The Making, 23.

4.1 Neue Manns-Bilder und Neuer Nationalismus

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(virtue) galten nunmehr als erstrebenswerte Eigenschaften dieses männlichweißen Typus eines wahren, moralisch aufgerüsteten Amerikaners8, der als Leitfigur auch für die Boy Scouts und in christlich-evangelikaler Form für die Jugendorganisation Young Men’s Christian Association (YMCA) fungierte. Vielen jungen Männern galten Cowboys und Jäger nunmehr als Ikonen einer als männlich-heroisch interpretierten Kultur des amerikanischen Westens, als „kultureller Arm eines hegemonialen Nationalismus“, als ein Ort für die Entstehung von Americanness und Amerikanismus9 und ebenso als Gegenentwurf zu einem als verweichlicht geltenden Europa. Allein durch harte und gefährliche Anstrengungen, so Theodore Roosevelt, könnten die Amerikaner schließlich das Ziel der wahren nationalen Größe (true national greatness) erreichen.10 „Weakness is a crime“, hieß es nun. Roosevelt wollte die Verhaltensweisen des Siedler-Pioniers auf die expansionistisch ausgerichtete Post-Frontier-Zeit übertragen und stilisierte sich selbst als Vorbild.11 Dabei wurde Männlichkeit auch mit (Körper-)Größe und Kraft gleichgesetzt.12 Im globalen Maßstab gesehen sollte die imaginierte männliche Stärke des Amerikaners zudem als Ver-Körperung des „Westens“ gelten und einen gravierenden Unterschied zum angeblich femininverweichlichten „Osten“ markieren.13 Zum Konstrukt dieses vermännlichten Männertypus gehörte auch eine aggressive Ablehnung der Frauenrechtsbewegung.14 Fantasien kreisten sogar um Unterwerfungen und Vergewaltigungen von Frauen, wie sich aus den überaus erfolgreichen Tarzan-Büchern sowie den Filmen über Entführungen von Frauen, etwa Rudolph Valentinos The Sheik (1921), schlussfolgern lässt.15 Dabei bezog sich Männlichkeit primär auf den eigenen (weißen) Körper, wobei dieser gerne mit Imaginationen männlicher Wildheit, auch oder gerade auf sexuellem Gebiet, und mit weißer (nationsbezogener) Suprematie verbunden wurde.16 So entstand ein Männertypus, der manches Mal grausamer und dämonischer als vergleichbare europäische Typen erschien.17 8

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So auch Croly, The Promise, 13, 454. In weißen amerikanischen Mittelschichten kursierte die Vorstellung einer „muscular Christianity“. Mangan/Walvin, Manliness, Einleitung, 3–6. Moos, Outside America, 4–7, Zitate 5 und 7; ausführlich Hine/Faragher, The American West, u. a. 472, 496. Nach Higham, Hanging Together, 176. Moos, Outside America, 18–21. Näheres zu dieser Symbolsprache siehe Clarke, These Days, insb. 189–192. Hoganson, Fighting, 202, 204 f. Dazu und zum Folgenden siehe Bederman, Manliness; vgl. auch Kaplan, The Anarchy, 3. Kapitel. Bederman, Manliness, 167–169; Kiernan, America, 164. Ebd., 167 f. White spricht für die zwanziger Jahre auch vom Typus des Tramp Bohemian, der sich vom Bild des wilden und primitiven Mannes ableitete und ebenfalls einem Gewaltethos huldigte. White, The First Sexual Revolution, 180. So David Brion Davis, nach ebd., 195.

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4 Ein-, Aus- und Umgrenzungen. Geschlecht, Klasse, Race

Zu diesem auf die Zivilisierung der Wildnis ausgerichteten, remaskulinisierten Männer-Bild entstand ein zivilisiert-urbanes Pendant als ein drittes Männerbild, das auch unter Schriftstellern und Künstlern Anklang fand. In diesen Kreisen tat man sich offenbar schwer, mit den neuen Geschlechterrollen zurechtzukommen. Einem antifeministisch gesinnten Trend in MännerGruppen folgend, wurde das Ansinnen von Feministinnen, Männer und Frauen sollten gemeinsam zur Verbesserung der als überlegen angesehenen (weißen, angelsächsischen) „Rasse“ beitragen, zurückgewiesen.18 In solchen Männer-Gruppen dominierte eher die Auffassung, dass gesellschaftspolitisch aktive Frauen nichts oder allenfalls wenig zur Zivilisation beitrügen, dass Frauenmacht eine Gefahr für die Zivilisation darstelle, dass Frauen irrational handelten und außerdem für die Auflösung von Sitten und Normen auf sexuellem Gebiet verantwortlich gemacht werden müssten. Einigen Politikern galten Feministinnen sogar als „politische Hermaphroditen“, als eine Art „drittes Geschlecht“.19 Eine der Leitlektüren war der 1903 veröffentlichte Bestseller von Otto Weininger, dem notorischen Frauenfeind aus Österreich. Das viel gelesene Buch, das den Titel Geschlecht und Charakter trug, kam noch im selben Jahr auch in englischer Sprache auf den amerikanischen Markt.20 Diffuser, aber wirklichkeitsnäher war ein viertes Manns-Bild, das einen modernen und erfolgreichen Geschäftsmann oder einen Ingenieur erkennen ließ. Solche Männer hätten sich, wie es in zahlreichen Narrativen hieß, auf ein intensives Arbeits- und Geschäftsleben eingestellt und von der aktiven Teilnahme an kulturellen Veranstaltungen verabschiedet. Als eine geschlechterund nationsbezogene Demonstration konnte schon die White City auf der Columbian Exposition in Chicago von 1893 verstanden werden, da der damals visualisierte Fortschritt weißer (amerikanischer) Zivilisation als rein männliches Verdienst dargestellt wurde.21 Doch kamen auch Nachteile eines solchen Männertyps zur Sprache: Diese zögen es nämlich vor, nicht mehr in der Familie, sondern in Männerclubs wie Rotary, Kiwanis und Lions ihren Lunch einzunehmen. Und am Abend kehrten sie schließlich nach anstrengendem, aber erfolgreichem Geschäfts- und Arbeitstag als meist müde Ehemänner und Väter nach Hause zurück.22 Neben dem Bild des modernen arbeits- und erfolgsorientierten Geschäftsmanns und Ingenieurs im frühen 20. Jahrhundert führte der Durchbruch der neuen Freizeit- und Konsumkultur sowie der Jugendlichkeitskult zur Heraus18

19 20 21 22

Als Protagonistin einer solchen Auffassung gilt Charlotte Perkins Gilman. Bederman, Manliness, 121–169. Nach ihrer Vorstellung war Zivilisation vor allem das Werk weißer Frauen. Ebd., 144 f., 167. So äußerte sich der zu den WASPs zählende Senator John James Ingalls aus Kansas. Hofstadter, Anti-intellectualism, 188. Vgl. Allen, Feminism, 1108. Kline, Building, 8. Vgl. zu diesem Themenfeld u. a. Filene, Him/Her/Self, 142–147.

4.2 Familie und Heim als Refugium der Nation

167

bildung von zwei weiteren, miteinander verwandten und oftmals verknüpften Männer-Typen, dem jungen, modernen und dynamischen Sportsmann und dem modernen konsumbewussten Mann. Wie bei einem Teil der weiblichen Ikonen wurde Körperlichkeit auch bei Männern zum signifikanten Merkmal moderner Geschlechtlichkeit. Nicht nur der Sportsmann war auf Körperlichkeit ausgerichtet; vielmehr produzierte auch die neue Konsumkultur einen solchen Typus, und zwar den körperlich gepflegten und auch sonst in seinem Lebensstil recht konsumbejahenden Mann. Dazu passte das Bild eines Mittelschicht-Mannes, der Selbstinszenierungen (performing self) pflegte, den Typus der Neuen Frau (new women) akzeptierte, vielleicht sogar profeministisch eingestellt war, patriarchalische Attitüden ablehnte, mit Sexualität freizügig und offen umging, allerdings in der Ehe dann doch meist nicht (ganz) auf männliche Dominanz verzichten wollte.23 In den jeweiligen Bild-Konstruktionen zeichneten sich die Manns-Bilder, zusammenfassend gesehen, dadurch aus, dass sie sich teilweise vom anderen Geschlecht in partiell recht aggressiven Formen abgrenzen wollten und gegenüber dem Aufbrechen der konventionellen Geschlechterordnung massive Unsicherheiten verrieten, die auf solche Weise kompensiert werden sollten. Weil Frauen vorrangig als Alterität wahrgenommen wurden, entstand ein Männlichkeitskult in mehreren Variationen – vom „wilden Mann“ bis zum modernen Sportsmann, von der konsumbewussten Männerkultur bis zur Männerkultur der modernen Arbeits- und Geschäftswelt. Von den gezeichneten Manns-Bildern war das Konstrukt des „wilden Mannes“ am engsten mit national-militärischem Amerikanismus und der Inszenierung amerikanischer Superiorität gegenüber Europa verbunden. Doch auch die anderen Manns-Bilder wiesen Potenziale auf, die als Überlegenheit des Amerikaners zum (dekadenten) Europäer gedeutet werden konnten24, etwa durch Hinweise auf Körperlichkeit und Robustheit des amerikanischen Sports- und Freizeitmannes oder mit Blick auf den überaus erfolgreichen Geschäftsmann. 4.2 FAMILIE UND HEIM ALS REFUGIUM DER NATION Bekanntlich waren es hauptsächlich Männer, die als Träger der Nation galten und als Akteure in die nationale Geschichtsschreibung eingingen25, während Frauen vor allem durch ihre Pflege von Familie und Heim in die Nationskonstruktion eingebunden wurden. Der niederländisch-amerikanische Publizist Hendrik Willem Van Loon sah es sogar als vorteilhaft an, dass die Nationsgeschichte der Vereinigten Staaten kaum herausragende Frauen kenne, denn 23 24 25

White, The First Sexual Revolution, 180–189; Brod, The Making, 49. Die genannten Eigenschaften konnten allerdings auch zur inneramerikanischen Kritik dieser Manns-Bilder führen. Vgl. Walby, Women, insb. 241–245.

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4 Ein-, Aus- und Umgrenzungen. Geschlecht, Klasse, Race

diese würden üblicherweise auch unrühmlichen Ärger (infamous trouble) verursachen.26 Von solchen unrühmlichen Äußerungen ließen sich jene Frauen nicht beeindrucken, die mit großer Verve für die Erlangung des Frauenwahlrechts und für die Reformierung von Staat und Gesellschaft gekämpft hatten. Zwar erreichten sie bekanntlich 1920 mit dem 19. Amendment ihr Hauptziel, das Frauenwahlrecht. Doch konnten sie nicht verhindern, dass sich in der Folgezeit die politische Reformorientiertheit der Vorkriegsära nicht weiter fortsetzte und sich zudem die Interessen vieler Frauen von der öffentlichen in die private und berufliche Sphäre verlagerten.27 Zu der Interessenverschiebung trugen die verbesserten Ausbildungschancen für Mädchen und Frauen bei. Doch was bedeutete dies für die Nation? Der amerikanische Dichter und Kenner europäischer Kunst, C. F. McIntyre, stellte 1930 in der Zeitschrift The World Tomorrow die Frage, ob denn studierte und unverheiratete Frauen, deren Anzahl kontinuierlich ansteige, überhaupt noch eine Chance hätten, glücklich zu werden.28 Hier kam das klassische Element amerikanischen Selbstverständnisses, das pursuit of happiness, als rhetorischer Bremsklotz neuer weiblicher Lebensstile zum Tragen, zumal wenn diese sich zu Ungunsten von Familie und Heim auswirken sollten. Dazu passt, dass zahlreiche Artikel über Moralvorstellungen und Lebensstile speziell die junge moderne „Neue Frau“ ins Visier nahmen, die als flapper (H. L. Mencken) bezeichnet wurde. Ihr gelockerter Umgang mit Sexualität, ihre symbolische Aneignung männlicher Konventionen wie Zigaretten rauchen sowie ihre androgyn wirkende, die weiblichen Reize gleichwohl nicht verbergende Kleidung stellten für zahlreiche Männer, aber auch für die ältere und mittlere Frauengeneration oftmals eine kulturelle Herausforderung dar, deren nationspolitische Konsequenzen gefürchtet wurden. Die weiblichen Gegenentwürfe zum flapper-Typus bezogen sich auf ein alternativ-modernes Leitbild, das aus einer gut ausgebildeten, selbstständig 26 27

28

Es handelt sich um ein Zitat im Zitat. Loon, History, 299. Hinzu kam, dass sich die Frauenbewegung über die Frage zerstritt, ob Frauen auf allen Gebieten, also auch am Arbeitsplatz, gleiche Rechte (equal rights) wie Männer einfordern oder eher auf den Erlass spezifischer Arbeitsschutzbestimmungen für Frauen und Mütter (protective legislation) drängen sollten. In den zwischen der National Woman’s Party und der League of Women Voters diesbezüglich kontrovers geführten Diskussionen stand die Projektionsfläche „Europa“ für die jeweils gewünschte Zielrichtung zur Verfügung – je nachdem auf welches Land und auf welche Frauenorganisation Bezug genommen wurde. Während in der deutschen Frauenbewegung geschlechterdifferente Gesetzesvorhaben eine dominante Rolle spielten, neigte die Frauenbewegung im Vereinigten Königreich der Gleichstellungsoption zu, was allerdings 1927 zu ihrer Spaltung führte. Vgl. dazu u. a. Delap, The Feminist Avant-Garde, 3, 327–329; Pugh, Women, 51 f.; Bolt, Sisterhood, 56–60. C. F. McIntyre, „Eternally the Feminine“, in: The World Tomorrow (August 1930), 340– 342, 340.

4.2 Familie und Heim als Refugium der Nation

169

agierenden Frau, die sich für mehr Frauenrechte und für andere öffentliche Belange (mit oder ohne Familie) verantwortungsbewusst und tatkräftig einsetzte. Der vor allem seit der Progressive Era laut artikulierte Anspruch von Frauenrechtlerinnen, ihr Engagement für das Haus auf die öffentliche Sphäre zu übertragen, wurde teilweise auch von Männern akzeptiert, soweit die Machtfrage nicht tangiert war. Joseph Rodes Buchanan, Professor für Medizin, Psychologie und Anthropologie, stellte diese Aufgabenerweiterung in einen nationalen Kontext. Es handele sich dabei nicht allein um Frauenrechte, sondern um eine nationale Frage, um eine Rassenfrage und um eine Weltfrage (a national question, a race question, a world question). Denn die moralische Superiorität der amerikanischen Frauen bedeute für diese sogar eine Verpflichtung zur Mission innerhalb und außerhalb des Landes.29 Doch die Akzeptanz weiblicher Missions- und Wohltätigkeiten hatte mit der verbreiteten Ablehnung des Kampfs für gesetzlich fixierte Frauenrechte wenig zu tun. Zudem standen beide Formen von Aktivitäten gar nicht im Zentrum nationsbezogener Diskurse. Denn den Mittelpunkt bildeten Modelle neuer Häuslichkeit (domesticity) und neu definierter Mutterschaft. Zu diesem Kontext gehörte die Frage, ob Mütter berufstätig sein könnten und sollten, worüber es selbst unter Frauen keine übereinstimmende Meinung gab. Und obwohl die Quote der Frauenerwerbstätigkeit im frühen 20. Jahrhundert allgemein anstieg, blieb die Erwerbstätigkeit verheirateter Frauen die Angelegenheit einer kleinen (allerdings wachsenden) Minderheit.30 Weiße Mittelschicht-Mütter, die einer Erwerbsarbeit nachgingen, erschienen weiterhin vielfach als Außenseiterinnen.31 Auch wurden Sigmund Freuds Theorien dazu benutzt, Frauen zu attackieren und sie als deviant zu bezeichnen, wenn sie ihre Rolle als Hausfrau und Mutter nicht voll akzeptierten.32 Die konservativ-nationalistische Frauenorganisation Daughters of the American Revolution, die in den frühen zwanziger Jahren 140.000 Mitglieder zählte – vorwiegend weiße, protestantische Mittelschicht-Frauen –, sah in den neuen, berufsbezogenen Lebensmustern explizit eine große Bedrohung für Familie und Nation.33 Nicht zufällig richtete sich deshalb in den öffentlichen Diskussionen viel Aufmerksamkeit darauf, das Heim zu einem reizvollen und interessanten Ort selbst für verheiratete Akademikerinnen und für sonstige als modern geltende 29

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Zit. n. Newman, White Women’s Rights, 23. Die außerordentlich vielen (ehrenamtlich geleisteten) gesellschaftlichen Aktivitäten gerade von Ehefrauen wurden auch in der Öffentlichkeit immer wieder lobend herausgestellt. Vgl. u. a. Wandersee, Women’s Work, 2, 26. Das galt sogar schon für Ehefrauen. Chafe, Women, 330. Der Autor bezieht sich auf die entsprechenden Recherchen der Anthropologin Margaret Mead, einer Schülerin von Franz Boas, aus dem Jahre 1935. Smith-Rosenberg, The New Woman. Wendt, Nationalist Middle-Class Women, 33 f.

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4 Ein-, Aus- und Umgrenzungen. Geschlecht, Klasse, Race

Frauen der Mittelschichten zu stilisieren. Verwiesen wurde auf die Fülle obligatorischer Aufgaben im Haus und in der Familie, die von Ehefrauen und Müttern zu erledigen seien.34 Andere Frauen, vor allem im Umkreis der so genannten home economics, priesen die technischen Errungenschaften der Haushaltsmechanisierung und -modernisierung enthusiastisch an. Sie deuteten die Hausarbeit als ein produktives Betätigungsfeld für alle Frauen. Die notwendig erscheinende Neugestaltung der Wohnung interpretierten sie als eine Art Kunstausübung und bezogen sich vor allem auf das Vorbild der britischen, naturbezogenen Arts und Crafts-Bewegung.35 Schließlich galt eine reflektierte Kindererziehung36 als verantwortungsvolle, spannende und vielseitige Aufgabe37, die es nicht nötig machte, dass Mütter außer Haus nach Arbeit suchten, es sei denn, sie müssten dies aus ökonomischer Notwendigkeit tun. Um einen Ausgleich zum aufgegebenen Beruf zu schaffen, müsse das Zuhause nämlich so gestaltet werden, dass sich die Kinder zu Persönlichkeiten entwickeln könnten, meinte beispielsweise die Familien- und Kinderberaterin Maude Dutton Lynch.38 Ähnlich wie Ellen Key in Schweden39 stellte die bekannte amerikanische Suffragistin Charlotte Perkins Gilman die nationale und gesellschaftliche Bedeutung gerade der mütterlichen Erziehungsaufgaben heraus, auch wenn sie – im Unterschied zu Key – dafür keine Bezahlung verlangte.40 Und tatsächlich wirkten die neuen, mit Heim, Herd, Kind und Familie verbundenen Sinnsetzungen dergestalt, dass für die Mehrheit der verheirateten Frauen nach wie vor die Konzentration auf die Familie an oberster Stelle stand. Dementsprechend bevorzugten AutorInnen in den Populärmagazinen, in Filmdrehbüchern und Ratgeber-Texten verschiedenartige Narrative, in denen sich Frauen trotz ihrer erfolgreichen Berufstätigkeiten am Schluss für eine Ehe ohne außerhäusliche Erwerbsarbeit entschieden. Sie reproduzierten damit eine nach Geschlechtern getrennte Kultur, mystifizierten 34 35 36 37 38 39

40

Vgl. u. a. Edith Clark, „Trying to Be Modern“, in: The Nation (August 1927), 153–155. Vgl. u. a. Hayden, The Grand Domestic Revolution, 10; Cowan, Two Washes; Boris, Crossing Boundaries, 45. Die Kindererziehung war damals in den Sog der Sozialpsychologie und der behavioristischen Theorien geraten. Wandersee, Women’s Work, 3; Mintz/Kellogg, Domestic Revolutions, 121. Maude Dutton Lynch, „A Home-Cure for Boredom“, in: The Forum (Juli 1930), 8–13. Ellen Key, Das Jahrhundert des Kindes (1900). Key lehnte in ihrem in Europa und den USA erfolgreichen Buch die Prügelstrafe für Kinder ab und trat für Gesamtschulen ein. Sie sah die Bestimmung für Frauen primär in der Fürsorge für Kinder. Gleichzeitig verfocht sie sowohl die „positive“ wie auch die „negative“ Eugenik. Von der Frauenbewegung wollte sie indessen nichts wissen. Strasser, Never Done, 230. Während auch Eleanor Rathbone, Mitglied des englischen Parlaments, nach 1918 Lohnzahlungen für Hausfrauen verlangte, wurden solche Forderungen in den USA erst in den vierziger Jahren erhoben. Hayden, Redesigning, 91. Gilman kritisierte, wie viele Aktivistinnen aus der Vorkriegs-Frauenbewegung, die Lockerung der Sitten im Geschlechterverhältnis. Dumenil, Modern Temper, 138.

4.3 Kulturfeminisierung: Gefahr oder Chance für die Nation?

171

Haus und Heim und vermittelten viele Klischees und Stereotype. Diese fielen indessen nie widerspruchsfrei aus und waren auch nicht hermetisch geschlossen, so dass sie unterschiedlich gelesen werden konnten. Das Konstrukt über Haus und Heim fungierte häufig als Diskursfragment, das seinerseits mit jenen über Nationsbildung und Europa-Alterität verbunden war. Denn die Nation wurde oft als eine Art patriarchalisch ausgerichtete Großfamilie beschrieben, die sich aus zahlreichen Einzelfamilien (der gleichen Rasse) zusammensetze. „A family is an epitome of a nation“, meinte im 19. Jahrhundert ein anonym gebliebener Rezensent einer populären medizinischen Abhandlung.41 Dabei hatten auch Väter ihren Part zu spielen. Zwar sollten diese als verantwortliche Hauptakteure in Staat, Gesellschaft und Nation fungieren, sie sollten sich aber auch um ihre Familien kümmern. Insbesondere müssten sie das Verhältnis zu ihren Kindern pflegen, um nicht die Existenz der amerikanischen Nation von innen heraus zu gefährden.42 Und Frauen sollten sich nicht nur um Haus und Kinder kümmern, sondern auch das Leben und die Karriere ihrer Männer ermöglichen und vervollständigen.43 Eine solche natürlich erscheinende Familienstruktur galt weithin als Modell für die politisch-nationale und soziale Ordnung des Landes.44 Obwohl in europäischen Ländern Diskurse über Konstanz und Wandel der Geschlechterordnung sowie der Familienkultur und deren Auswirkungen auf die Nation damals in recht ähnlicher Weise wie in den USA abliefen, versäumten die amerikanischen Protagonisten der modernen Haus- und Heimkultur es nicht, auch diesbezüglich auf das Besondere der amerikanischen Gesellschaft, den höheren Entwicklungsgrad des modernen Heims, im Vergleich zu Europa hinzuweisen. 4.3 KULTURFEMINISIERUNG: GEFAHR ODER CHANCE FÜR DIE NATION? Ausländern, die in die USA reisten, fiel vor allem die anscheinend weitreichende Feminisierung (feminization) des amerikanischen Gesellschafts- und Kulturlebens auf. Tatsächlich waren es vorrangig (Ehe-)Frauen, die sich vielfach als Mitglieder der Women’s Clubs für die Hohen Künste interessierten und den größten Teil des Lesepublikums stellten. Die im Jahre 1926 rund drei Millionen Mitglieder umfassenden Women’s Clubs45, die vor allem aus Mittelschichten stammten, hatten verfügbare Zeit, teils weil sie ein Dienstmädchen zu Hause beschäftigten, teils weil die Kinder schon groß waren, teils 41 42 43 44 45

Zit. in: Mayer, Paper Citizens, 86, vgl. auch 85; McClintock, No Longer, 93. Martschukat, White Men, 225. Sluga, The Nation, 104. So dachte auch Präsident Wilson. Ebd., 93. Beard/Beard, The Rise, 721.

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weil die Technisierung ihres Haushalts für ausreichende Entlastung sorgte.46 So trugen die Women’s Clubs wesentlich zur Partizipation von Frauen an der öffentlichen Kultur bei.47 In der Musik waren sogar neunzig Prozent der Unterstützer weiblich48, wobei sicherlich viele von ihnen auch zu den Mitgliedern der Women’s Clubs zählten. Hier ein Leben für die Kultur, dort ein Leben fürs Geschäft, diese Form der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung hatte sich tatsächlich in den USA ausgebreitet, wie auch die Lyndsche MiddletownStudie zeigte.49 In dem sich angeblich bereits anbahnenden Frauenzeitalter (Age of Woman) sahen zahlreiche Intellektuelle und Künstler eine große Gefahr für Gesellschaft und Nation50, gelegentlich ein schreckliches Desaster (terrible disasters). Der britische Romanschriftsteller D. H. Lawrence, der zwischen 1922 und 1925 in den USA lebte, verstieg sich in der Zeitschrift Harper’s Magazine sogar zu der Behauptung: „Every stride she takes is a stride of death – such is the Age of Woman.“51 Die Thesen über die Feminisierung von Kunst und Kultur wurden indirekt auch im Turner-Theorem angesprochen, insofern die Frontier-Geschichte hauptsächlich als eine Geschichte von Männern über Männer erzählt wurde, wie ja auch nahezu alle „progressiven“ Historiker Männer waren und in männlich geprägten Milieus ihre Auffassungen über Kunst und Kultur entwickelten.52 Viele Zeitbeobachter glaubten, dass nach dem Ende der Frontier-Phase eine Verweichlichung – sprich: Verweiblichung – der kulturellen und künstlerischen Praktiken stattgefunden habe, das der Suche nach einer nationalen Kunst schade. Selbst der Promotor und Organisator der Armory Schau, Alfred Stieglitz, fürchtete, dass die amerikanische Kunst weiter feminisiert werde.53 Und er stand damit unter amerikanischen Intellektuellen nicht alleine da. Auch liberale Intellektuelle, wie Brooks, Mumford, Mencken und Stearns, vertraten eine ähnliche Meinung.54 Durch 46 47

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Zu den Be- und Entlastungen im Haushalt siehe u. a. Cowan, More Work, 175 f., 178; Schor, The Overworked American, 204; vgl. Hayden, Redesigning, 105. Viele Women’s Clubs wurden im Laufe der zwanziger Jahre konservativ. Sie legten auch keinen Wert darauf, gesellschaftspolitisch relevante Sachprobleme aufzugreifen und zu diskutieren. Ryan, Womanhood, 254. Taylor, Music, 205. Nach James Truslow Adams, „May I Ask …?“, in: The Forum (Oktober 1929), 207– 213, 210. Die Zweiteilung der Öffentlichkeit registrierte u. a. auch Van Wyck Brooks in seinem Buch America’s Coming-of-Age, 111. Kritisch dazu Beatrice M. Hinkle, „Woman’s Subjective Dependence upon Man“, in: Harper’s Magazine (Januar 1932), 193–205, 198; vgl. auch Harris, American Manners, 151. Zit. n. Beatrice M. Hinkle, „Woman’s Subjective Dependence upon Man“, in: Harper’s Magazine (Januar 1932), 193–205, 198. Vgl. auch Lingelbach, Klio, 495. Eine Ausnahme war Mary R. Beard, die Ehefrau von Charles A. Beard, die allerdings an keiner Universität lehrte. Swinth, Painting Professionals, 171, 183. Vgl. z. B. Stearns, The Intellectual Life, 135, 141–145.

4.3 Kulturfeminisierung: Gefahr oder Chance für die Nation?

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den zunehmenden Einfluss von weißen Mittelschicht-Frauen auf die Kultur habe sich die Kultur selbst verändert. Das sei nicht gut für die Frauen, nicht gut für das Geschlechterverhältnis, nicht gut für die Kultur und schon gar nicht gut für die Nation. Zwischen der Verweiblichung der Kultur, den Defiziten in der Kunst und der Verweichlichung der Nation bestünde ein enger Zusammenhang. „Wir überlassen die Kunst, die wir besitzen, ganz und gar den Frauen und bevorzugen das Seichte“, meinte der amerikanische Journalist Edgar Ansel Mowrer 1928.55 Könnte sich, so wurde argwöhnisch gefragt, unter solchen Gegebenheiten eine amerikanische Hochkultur in Zukunft überhaupt optimal entfalten? Der Historiker James Truslow Adams hielt sich ebenso wenig mit Kritik an den Frauen zurück. Die amerikanischen Frauen, so wetterte er, hätten es versäumt, ihre Männer zu zivilisieren und an die Kunst heranzuführen – ganz im Unterschied zu den europäischen Frauen. In den USA hätten sich die Frauen zwar selbst mit Kunst und Kultur vertraut gemacht, woraufhin die Kunst weithin den Ruf erhalten habe, dass ein verweichlichter bzw. verweiblichter Dilettantismus am Werke sei (effeminate dilettantism). Das ganze gesellschaftliche Leben habe aber darunter gelitten und spiele sich nunmehr in einer wenig kreativen Atmosphäre ab. Selbst bei Konversationen dominierten Frauen, so dass mittlerweile alle Themen, die sich nicht auf das Geschäftsleben bezögen, als verweiblicht bzw. verweichlicht gelten würden (effeminate).56 Solche frauenkritischen Beobachtungen wurden durch angeblich wissenschaftlich fundierte Tests unterfüttert. Diese hätten eine größere Spannbreite der Intelligenz bei Männern im Vergleich zu jener von Frauen gezeigt, weswegen es keine weiblichen Genies gegeben habe – eine Auffassung, die die Autorin des Buches Rebellion in Labor Unions, Sylvia Kopald, 1924 in The Nation mit Verve bestritt und stattdessen auf unterschiedliche Sozialisationsbedingungen der Geschlechter hinwies.57 John B. Watson, der Begründer des Behaviorismus, wies überdies 1927, ebenfalls in der Zeitschrift The Nation, darauf hin, dass Frauen keine großen Künstlernaturen seien und auch keine bedeutenden Wissenschaftsleistungen erbracht hätten.58 Wie viele seiner intellektuellen Zeitgenossen glaubte auch der öffentlichkeitswirksame Sozialphilosoph und Kulturkritiker George Santayana, ein Befürworter konventioneller Aufgabenteilung zwischen den Geschlechtern, nicht an die Möglichkeit weiblicher Kreativität. Während er den Wolkenkratzer als Ausgeburt des tatkräftig-aggressiven Männlich-Amerikanischen deutete, kennzeichnete er den recht verbreiteten Kolonialstil (Colonial Style) lediglich als imitativ und ver55 56 57 58

Mowrer, Amerika, 19. Adams, The Epic, 404–411. Sylvia Kopald, „Where Are the Women Geniuses?“, in: The Nation (Dezember 1924), 619–622. Siehe u. a. John B. Watson, „The Weakness of Women“, in: The Nation (Juli 1927), 9–10, 10.

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band diesen mit Frauen, die sich an der überkommenen Genteel-Kultur festklammern würden – ein Beispiel für eine eklatante Hierarchisierung der Geschlechter im Kontext nationaler Identitätsdiskurse.59 Die Kritik am Vordringen der Frauen in der Kunst- und Kulturöffentlichkeit beschränkte sich jedoch nicht auf solche allgemein gehaltenen Statements, sondern bezog sich auch auf einzelne Kunstbereiche. So stellte der einflussreiche amerikanische Schriftsteller Robert Herrick 1929 in der Zeitschrift The Nation eine schnell zunehmende Feminisierung vor allem bei Romanen fest. Der Prozess habe sich nach dem Krieg sehr beschleunigt und zu einer Psychologisierung der Erzählungen geführt, worüber Männer in zahlreichen Zeitungen, Magazinen und Büchern klagten.60 Trotz der Kenntnisse über die Emotionalität der Amerikaner männlichen und weiblichen Geschlechts verwarfen viele männliche Autoren vor allem den Gedanken, dass auch der etwas weichere Männertypus (effeminate American male) zur Emotionalität des Landes (emotional America) beitrage; stattdessen wurde allein die Frauendominanz für jedwede Emotionalität in Kunst und Kultur verantwortlich gemacht.61 Der Publizist und Kritiker St. John Irvine beschuldigte Frauen sogar, dass sie auch am Niedergang des US-Dramas in Amerika Schuld seien.62 Der Kritik fiel außerdem anheim, dass sich die Literatur-Produktion stark am Geschmack von Frauen orientiere, was auch ein Grund dafür sei, dass Männer diese nicht mehr rezipierten. So seien Frauen über Literatur und Kunst viel besser informiert als Männer.63 Auf der Basis dieser vielseitigen massiven Kritik an der Kulturfeminisierung setzte eine von Männern getragene Gegenbewegung ein, die den Einfluss von Frauen auf die Produktion und Rezeptionskultur von Kunst und Literatur einschränken wollte. Intellektuelle, wie Brooks, Mumford, Mencken und Stearns, gehörten dazu, weil sie sich und ihre Arbeit bewusst von der angeblichen Verweiblichung der Kultur befreien wollten.64 So nimmt es nicht wunder, wenn Künstlerinnen häufig diskriminiert wurden.65 Selbst ein so liberal-kritischer Geist wie Van Wyck Brooks trat für eine Remaskulinisierung der Kultur ein.66 Gerade kulturelle Nationalisten hatten Angst, dass die USA 59 60

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Santayana, The Genteel Tradition, 4. Robert Herrick, „What is Happening to our Fiction?“, in: The Nation (Dezember 1929), 673–674; Lillian Symes, „The New Masculinism“, in: Harper’s Magazine (Juni 1930), 98–107, 98. Ira S. Wile / Mary Day Winn, „Emotional America“, in: The Outlook and Independent, Kurzform in: The Reader’s Digest (Juli 1929), 251–253. Dr. Wile war Psychiater. Nach Lillian Symes, „The New Masculinism“, in: Harper’s Magazine (Juni 1930), 98– 107, 99. Nach ebd. Biel, Independent Intellectuals, 114 f. Swinth, Painting Professionals, 186. Davon ist nicht die Rede bei Keppel, The Arts, 999 f. In Fox/Kloppenberg, A Companion, 89. Den Kurzbeitrag verfasste Casey Nelson Blake.

4.3 Kulturfeminisierung: Gefahr oder Chance für die Nation?

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infolge des Kulturfeminismus auf kulturellem Gebiet gegenüber Europa an Boden verlieren würden. Schließlich glaubte Adams in seinem 1932 veröffentlichen Buch The Epic eine Wende erkennen zu können, die er mit der Vorstellung verband, ein genuin kultiviertes Leben sei unter Männern – mehr als unter Frauen – im Kommen. Wieso, fragte er, sei [unter Männern; AvS] die Vorstellung weit verbreitet, dass ein kultivierter Geist (cultivated mind) beim Streben nach (beruflichem) Erfolg hinderlich und ein Zeichen ineffizienter Verweiblichung bzw. Verweichlichung (effeminacy) sei? Was Adams damit genau meinte, muss offen bleiben, wie so vieles in solchen Artikeln. Doch seine Botschaft war klar: Adams forderte von seinen amerikanischen Geschlechtskollegen, sich gründlich von ihrer Frontier-Mentalität zu verabschieden und die nächste Stufe der Zivilisation zu erklimmen. Erst dann könnten Männer ihre Frauen zivilisieren, erst dann könnten sie den Frauen gegenüber (wieder) überlegen sein.67 Diese Prognose zeigte in seinen Schlussfolgerungen nicht das Ziel einer Gleichberechtigung von Mann und Frau auf, sondern im Gegenteil, am Horizont stand das Bild eines vom Mann dominierten Geschlechterverhältnisses. Letztlich herrschte in diesen Männer-Gruppen die Auffassung vor, dass Produktion und Rezeption der Hochkultur nur als Praxis von Männern zu denken seien, während die Massenkünste mit Weiblichkeit und Verweichlichung in Verbindung gebracht wurden.68 An einigen Stellen brach dieses Konstrukt allerdings bereits auf, so wenn von den femininen Anteilen die Rede ist, die auch Männer mehr oder weniger in sich trügen. Auffallend ist auch die von Männern propagierte Selbstzuordnung des Männlichen zu Hochkultur und Nation, während Frauen sich mehr auf Moral und Gesellschaft sowie auf Internationalität und Menschheitswohl bezogen. Der Wunsch nach einer Remaskulinisierung von Kunst und Kultur, der angesichts der Moderne stark anachronistische Züge trug, lässt darauf schließen, dass es im Grunde um die Definitionsmacht über das ging, was als modern und vor allem was als amerikanisch, als männlich und als Hohe Kunst zu gelten habe. „The modernist masculination of high culture meant relinquishing claims to universality and retreating from the belief that culture was an avenue to class unity.“69 Dass sich zahlreiche Frauen eine solche negative Sichtweise auf ihr Engagement in Kunst und Kultur nicht gefallen ließen, war zu erwarten. Als erstes sollten vergleichende Studien in anderen Ländern angefertigt werden, um die Rede von der Feminisierung speziell der amerikanischen Literatur, womit refinement, romanticism und effeminacy gemeint seien, einer kritischen Überprüfung zu unterziehen. In diesem Zusammenhang wurde auf den allgemeinen Trend der Zeit hingewiesen, in der Literatur neurotische, pathologi67 68 69

James Truslow Adams, „May I Ask …?“, in: The Forum (Oktober 1929), 207–213, 212 f. Kalaidjian, American Culture, 268 f. Swinth, Painting Professionals, 167 f.

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sche und exotische Figuren zu präsentieren. Die Werke von Proust und Gide würden sich auch nicht gerade durch Robustheit und Unpersönlichkeit auszeichnen. Im Grunde handle es sich eben um einen universalen Trend, der die neue Psychologie verarbeite.70 Die Gegenoffensive gesellschaftspolitisch engagierter Frauen ging indessen noch weiter. Die damals bekannte Sozialpsychologin Beatrice M. Hinkle prognostizierte 1932 im Harper’s Magazine tatsächlich ein von Frauen beherrschtes Zeitalter, bewertete dieses jedoch – im Unterschied zu den verbreiteten Ansichten unter Männern – eindeutig positiv. Auch in einem zweiten Punkt waren Differenzen zu den Diagnosen, wie sie männliche Publizisten vortrugen, festzustellen: Hinkles Vision war eher kosmopolitisch, jedenfalls nicht nationalistisch ausgerichtet.71 Sie hegte zudem die Hoffnung, dass in dem von ihr erwarteten Frauenzeitalter eine höherwertige, auf moralischer Stärke basierende Gesellschaftsordnung verwirklicht sein werde, in der Frauen als Mütter der Zivilisation handelten.72 Um diesen Zustand zu erreichen, dürften Frauen nicht in gleicher Weise wie Männer danach streben, Macht zu gewinnen und Macht auszuüben. Auch sollten sie nicht einfach die bisher den Männern vorbehaltenen Tätigkeiten übernehmen, sondern auf einer höheren kulturellen Ebene agieren und die Übernahme von Tätigkeiten als ein Mittel ansehen, sich selbst mehr in die Gesellschaft einzubringen und sich dabei weiter zu entwickeln. Nichts sei in diesem Zusammenhang wichtiger, als dass Frauen ein eigenes Beziehungsnetz aufbauten, das mit demjenigen der Männer und ihrer Solidaritätskultur vergleichbar werde. Frauen hätten heutzutage eine gute Chance, ein neues Bewusstsein zu erlangen, das nicht nur ihrem Besten, sondern auch dem Besten der „Rasse“ (for the good of the race) diene. Frauen seien Hoffnungsträger: 70 71

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Lillian Symes, „The New Masculinism“, in: Harper’s Magazine (Juni 1930), 98–107, 102 f.; vgl. auch Burnham, The New Psychology, 124. Vgl. z. B. Beatrice M. Hinkle, „Woman’s Subjectice Dependance upon Man“, in: Harper’s Magazine (Januar 1932), 193–205. Auf Bilder, die schon um die Jahrhundertwende gewachsene Frauen und geschrumpfte Männer zeigten, verweist Clark, These Days, 181–234. Vgl. u. a. Beatrice M. Hinkle, „Women’s Subjective Dependence upon Man“, in: Harper’s Magazine (Januar 1932), 193–205; Ellsworth Huntington, „Why the American Woman is Unique“, in: The Nation (August 1927), 105–107. Der Autor war Wirtschaftsgeograf und unterstützte die Eugenik. Karl de Schweinitz, „The Home“, in: The Survey (Juni 1923), 344–346. De Schweinitz wurde später Professor für Sozialfragen an der Universität in Los Angeles (UCLA). Dorothee Dunbar Bromley, „Feminist – New Style“, in: Harper’s Magazine (Oktober 1927), 552–560. Bromley war eine bekannte Journalistin. Mary Borden, „Society, English and American“, in: Harper’s Magazine (März 1923), 535–542. Borden war eine bekannte amerikanische Schriftstellerin, die viele Jahre in England lebte. In diesem Artikel wurde der englische Autor Anthony Ludovici kritisiert, weil dieser die angebliche Gefahr einer von Frauen beherrschten Welt durch die Rückkehr der Frauen ins häusliche Milieu bannen wollte. o. V., „An WomanMade World“, in: The Nation (August 1925), 201.

4.3 Kulturfeminisierung: Gefahr oder Chance für die Nation?

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To-day a spiritual pessimism and hopelessness pervade the world, and if women cannot bring forth a new vision, a new ideal, I do not know from whence it will come. For they alone can transmute the maternal instinct into that great principle of love and altruism which must be the basis of a new understanding among men.73

Es gehe letztlich darum, die Welt zu erlösen (redeem the world). Ob die westliche Zivilisation ihrer höchsten Bestimmung (highest destiny) nachkommen werde oder ob sie diese verkommen lasse, hänge zu einem großen Teil an den Frauen und an dem, was sie aus sich machten. Kurzum, die größte Frauenaufgabe liege darin, zu einer Höherentwicklung der Menschheit beizutragen (more highly envolved human beings).74 Hinkle entwickelte hier eine Sozialutopie, bei der Moral und Mütterlichkeit zu geistigen Organisationsprinzipien einer Weltgesellschaft avancierten.75 Charakteristisch für diese Vision war, dass sie sich auf die weißen angelsächsischen (protestantischen) Mittelschicht-Frauen bezog, während sie die recht unterschiedlichen Handlungschancen von Frauen anderer Schichten, anderer Ethnien und anderer Religionszugehörigkeiten nicht in den Blick nahm.76 Ferner schloss die Psychologin zu schnell von tatsächlichen Veränderungen im Geschlechterverhältnis auf die Verwirklichungsmöglichkeiten ihrer Utopien. Diese blieben wie alle Utopien sehr vage, wenn es um die Frage ging, wie mit dem Prinzip der Mütterlichkeit Staat und Gesellschaft umgeformt werden sollten. Schließlich basierte ihr visionäres Gesellschaftsbild zumindest in diesem Text primär nicht auf selbstbestimmter Individualität von Frauen, sondern auf dem Mütterlichkeitsgedanken. Damit schränkte sie das Spektrum an Frauenbildern ein, reproduzierte erneut die Unterschiedlichkeit der Geschlechtscharaktere und schloss konzeptionell all jene Frauen aus, die mit Mütterlichkeit nichts im Sinn hatten. Im Grunde wurde auch hier mit einfachen Kausalitäten und biologistischen Apriori-Annahmen gearbeitet, so als ob alle Frauen von Mütterlichkeit und Moral geprägt seien. Weil diese Sozialutopie nicht direkt auf die Größe der eigenen Nation, sondern auf die Erlösung der Menschheit ausgerichtet war, spielte die Loslösung von Europa eine geringere Rolle als bei Kulturnationalisten. In diesem Zusammenhang fällt auf, mit welcher Verve sich amerikanische Aktivistinnen internationalisierten und dabei das nationale Korsett ablegten. 73

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Beatrice M. Hinkle, „Woman’s Subjective Dependence upon Man“, in: Harper’s Magazine (Januar 1932), 193–205; ähnlich Dorothy Dunbar Bromley, „Feminist – New Style“, in: Harper’s Magazine (Oktober 1927), 552–560. Beatrice M. Hinkle, „Woman’s Subjective Dependence upon Man“, in: Harper’s Magazine (Januar 1932), 193–205, 204 f. Wie Hinkle dachten auch andere Feministinnen, etwa Charlotte Perkins Gilman. Bederman, Manliness, 151, 160 f. Allerdings gibt es auch Aussagen von Gilman, in der beide Geschlechter ihren Beitrag zur Fortentwicklung der Kultur zu leisten hätten und auch leisten könnten. Ebd. Ähnlich auch Carter, The Heart, 88.

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4 Ein-, Aus- und Umgrenzungen. Geschlecht, Klasse, Race

Auch wenn im Ersten Weltkrieg die Dominanz nationaler Zugehörigkeit dann doch das Handeln der meisten Frauen bestimmte, bleibt bemerkenswert, dass sich viele gesellschaftspolitisch aktive Frauen mit einem konstruktiven Internationalismus identifizierten77, der sich allerdings in der Regel vorrangig auf Nord- und Westeuropäerinnen beschränkte. Vielfach aus Mittelschichten stammend und meist christlich gesinnt, diskutierten sie auf ihren internationalen Treffen über diverse Probleme, die mit dem Durchbruch der Moderne verbunden waren. Sie verstanden sich als transatlantische, euro-amerikanische (weiße) Frauen-Elite, die gesellschaftspolitischen Einfluss auf ihre Länder beanspruchte, auch wenn die Meinungen über zentrale Probleme, etwa die Geburtenkontrolle, auseinander gingen.78 Viel spricht für eine These, wonach die auffallend enge Verbindung von Feminismus und Internationalismus nicht zuletzt eine Reaktion auf die Remaskulinisierung des Nationalismus war. In diesen Diskursen über Frauen- und Geschlechterfragen gab Harper’s Magazine insbesondere jenen Autorinnen Gelegenheit zur Meinungsäußerung, die für eine von Frauen getragene Zivilisation eintraten, und zwar gemäß dem Leitbild einer allseits verantwortungs- und selbstbewussten Frau sowie dem Leitbild einer Mutter, die sich aktiv für Belange von Familie, Gesellschaft und Nation einsetzte. Im Unterschied dazu bezogen die Zeitschriften The Nation und The Forum in der Auswahl ihrer veröffentlichten Artikel zu Frauen- und Geschlechterfragen keine eindeutige Position, fungierten vielmehr als Plattform für die Wiedergabe diverser Auffassungen und Perspektiven, wobei berufstätige Mütter kein eigenständiges Leitbild abgaben. 4.4 AMERICAN PEOPLE ODER AMERICAN (WORKING) CLASSES? Das auf die Analyse des Siedlerlebens ausgerichtete Frontier-Theorem reaktivierte die traditionelle Selbstbehauptung, wonach es in Amerika keine Klassen gebe.79 Die Arbeit bestand damals für alle Männer angeblich hauptsächlich im Jagen und in der Landbestellung (yeoman farmer).80 War diese Geschichtsdarstellung schon recht einseitig, so ließ sie sich mit Blick auf die urbanisierte Industriegesellschaft überhaupt nicht mehr halten: „Yet classes, likes regions, are primarily constituent segments of American society. In the course of time, they became rivals for national honor with their own distinctive inflections of a national culture.“81 Der Historiker Higham, von dem dieses Statement 77 78

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Dazu siehe vor allem Sluga, The Nation, 106–131. Dazu ausführlich, Rupp, Worlds. Die Autorin untersuchte vor allem die Organisationen International Council of Women, International Alliance of Women und die Women’s International League for Peace and Freedom. Welky, Everything, 6. Vgl. Slotkin, Gunfighter Nation, 31–33. Higham, Hanging Together, 257.

4.4 American people oder American (working) classes?

179

stammt, relativierte die damaligen Möglichkeiten, in den USA eine einheitliche nationale Kultur zu schaffen. Doch was in der analytischen Retrospektive klar erkennbar ist, wollten viele Zeitgenossen im frühen 20. Jahrhundert nicht wahrhaben, widersprach eine solche Sichtweise doch dem Mythos von den sozialen Gleichheitschancen (für Weiße) im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Es sollte ein amerikanisches Volk (American people), aber keine Klassengesellschaft wie in Europa geben.82 Der Rassismus gegenüber den Schwarzen und den neuen Immigranten half entscheidend mit, auch nach der FrontierZeit, das hieß, in der modernen Industriegesellschaft, die Fiktion einer klassenlosen Gesellschaft aufrechtzuerhalten, indem alle Nicht-Weißen und Nicht„Einheimischen“ aus der Betrachtung ausgeklammert wurden.83 Wer Zeitsprünge nicht scheute, konnte sich sogar auf Alexis de Tocqueville berufen, der 1831 meinte, dass sich die ganze Gesellschaft „anscheinend zu einer Mittelklasse (middle class) verschmolzen habe“.84 Daran wurde vielleicht manch ein Leser erinnert, als ihm Gustavus Myers’ 1925 erschienenes Buch The History of American Idealism in die Hände fiel. Der Historiker und Journalist zeichnete das amerikanische Volk nicht als eine Klassengesellschaft, sondern als eine unteilbare Einheit (the American people as a whole). Dieses amerikanische Volk, so schwärmte Myers, habe eine starke idealistische Gesinnung und befinde sich darüber hinaus stets auf der Gewinnerseite – jenseits aller Unkenrufe aus Europa.85 Myers stand mit seiner Meinung nicht allein. Viele Zeitbeobachter aus der professional-managerial Schicht negierten ebenfalls jegliche Klassengrenzen und Antagonismen zwischen den Klassen86, glaubten stattdessen an soziale Mobilität und individuelle Chancen aller Menschen in der Gesellschaft. Das Land hätte, wie häufig zu hören war, so viele Ressourcen, dass keiner unfreiwillig in Armut fallen müsse. Gegen eine solche Charakterisierung der amerikanischen Gesellschaft wurden allerdings schon damals massive Einwände erhoben, zumal auch die Existenz der Oberschicht oftmals offiziell geleugnet werde (against the formal acknowledgement), weil diese auch nicht recht zum Bild vom American people passte. Das habe soziale Folgen, meinte der Sozialkritiker Albert Jay Nock 1932 im Harper’s Magazine. Zwar würden deren Angehörige häufig durchaus generös handeln, doch verlange keine andere Nation von ihrer Oberschicht so wenig wie die USA (asked less from its upper-class). Folglich habe diese kein Verantwortungsgefühl für die Gesellschaft entwickeln können (re82 83 84 85

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Im Englischen hat allerdings der Begriff class bekanntlich eine Doppelbedeutung im Sinne von Klasse und Schicht. So u. a. Herbert Hoover (1922), in: Dawley, Struggles, 284. Nach Lasch, The New Radicalism, XI. Vorwort, VIII; Epilog, 347–349. Myers gehörte vor dem Ersten Weltkrieg der Sozialistischen Partei an, von der er sich wegen deren Pazifismus 1917 trennte. Seine späteren Texte gehen offensichtlich auf Distanz zum Sozialismus. Ohmann, Selling Culture, 171 f.

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sponsibility for obligations that are historically distinctive of an upper class), womit Nock der Veblen’schen Sicht auf die amerikanische Elite folgte.87 Über die unteren Schichten (lower classes) werde, so Ernest Gruening, Mitherausgeber der Zeitschrift The Nation, ebenso wenig gesprochen.88 Nock wies darauf hin, dass spätestens nach dem Ende der Frontier-Periode ein beträchtlich großes Proletariat in Stadt und Land entstanden sei und der Überschuss an Arbeitskräften sogar zu ökonomischer Ausbeutung geführt habe (economic exploitation).89 Weil die Existenz realer Klassenstrukturen marginalisiert wurde, spielte die Arbeiterschaft in Diskursen über Americanness und nationale Identität ebenfalls keine Rolle.90 Die „progressiven“ ReformerInnen, die selbst meist den Mittelschichten angehörten, hatten mit der Arbeiterschaft generell wenig im Sinn. Für sie ging es in erster Linie darum, eine ungeordnet wirkende Gesellschaft mit Hilfe des Staates und seiner Behörden in ein rationales und nationales Ordnungssystem zu überführen.91 Ebenso wenig schauten Kulturkritiker auf die Arbeiterklasse, wenn sie ihre Hoffnungen auf ein besseres Amerika zum Ausdruck brachten.92 Selbst die liberalen Qualitätsmagazine hielten sich in ihren Stellungnahmen zur Lage der Arbeiterschaft auffallend zurück.93 Sie traten längst nicht immer entschieden für streikende Arbeiter und Arbeiterinnen ein, unter denen sich häufig zahlreiche europäische Immigranten befanden. Dies hätte den amerikanischen Traum von den unbegrenzten sozialen Aufstiegschancen empfindlich gestört.94 Der Herausgeber der Zeitschrift The New Republic, Herbert Croly, konstatierte zwar, dass sich auf der einen Seite eine privilegierte Klasse (priviledged class) und auf der anderen Seite untere Klassen (lower classes) herausgebildet hätten und dass dies der Vereinheitlichung der Nation abträglich sei. Doch hatte er, wie zahlreiche liberale Intellektuelle seiner Zeit, weder mit den Belangen der Arbeiter, noch mit den Ge87 88 89

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Veblen hatte die Oberschicht als barbarisch und feudalistisch bezeichnet. Siehe Brick, Transcending Capitalism, 251. Ernest Gruening, „A Good Subject“, in: The Nation (September 1925), 362–364. Albert Jay Nock, „Our American Upper Class“, in: Harper’s Magazine (Januar 1932), 151–158, insb. 153, 157 f. Der Amerikaner Nock zählte seit 1914 zum HerausgeberTeam der Zeitschrift The Nation und von 1920–1924 der Zeitschrift The Freeman. Zum Teil trifft dies bis heute zu. Pessen, Status, 362. Erst die Vertreter der New Labor History, vor allem David Montgomery, Herbert G. Gutman und Alan Dawley, setzten Gegengewichte. Schäfer, American Progressives, 29 f. Trachtenberg, Critics, 12. Eine Ausnahme bildete die Zeitschrift Freeman. Sie gehörte zu jenen kleinen Magazinen, die gegenüber den Gewerkschaften (labour unionism) offen eingestellt waren. Tebbel/Zuckerman, The Magazine, 83. Allerdings kritisierte beispielsweise die Zeitschrift The New Republic 1921 die arbeiterfeindliche Haltung des damaligen Vizepräsidenten Calvin Coolidge. Auch berichtete die Zeitschrift vom Kohlenminenstreik im Jahr 1922. Conklin, The New Republic, XIII.

4.4 American people oder American (working) classes?

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werkschaften viel im Sinn. Stattdessen distanzierte er sich von deren Interessenpolitik. Nur im Vergleich mit den europäischen Arbeitern zeichnete er ein positives Bild von den „guten Amerikanern“ (good Americans) im eigenen Land. Als Anhänger von Theodore Roosevelt war Croly in der Vorkriegsära überzeugt, dass Arbeiter bedauerlicher Weise primär Klasseninteressen anstelle nationaler Interessen verfolgten.95 Da die neu gegründeten Arbeitermagazine sich nicht lange hielten, existierte auch kein namhaftes publizistisches Gegengewicht.96 Thorstein Veblen, der „sich am radikalsten von der europäischen intellektuellen Tradition löste“ und unter solchem Blickwinkel auch die amerikanischen Verhältnisse analysierte, sprach zwar von einer industrial class, subsummierte aber darunter auch Farmer, womit er die Besonderheit Amerikas und indirekt die Differenz zu Europa hervorhob.97 Die Konstruktion der USA als Land der Mittelschichten (middle classes) unterstützte die These vom amerikanischen Exzeptionalismus. Dabei wurde u. a. die Art der Klassenkonflikte, wie sie für Europa typisch waren, als Norm angesehen, woraufhin die ethnisierten Klassenkonflikte in den USA wegen ihrer Andersartigkeit nicht als Klassenkonflikte interpretiert zu werden brauchten.98 Erst infolge der Masseneinwanderung der Europäer im späten 19. Jahrhundert erfolgte eine Koppelung von Ethnisierung (racialization) und Klassenzugehörigkeit: „[T]he alien in America is faced by a class opinion“, wie der Sozialreformer Frederic C. Howe die wechselseitige Verflechtung von Fremdheit und Klasse auf den Punkt brachte.99 Gemeint war die Tatsache, dass die neu ins Land gekommenen Immigranten meist ungelernte Arbeitskräfte waren und auch nicht über die gleich guten ökonomischen Aufstiegschancen verfügten wie die früheren Immigranten sie einst gehabt hatten. Sie blieben zumindest in der ersten Generation vielfach als einfache Arbeiter am unteren Ende der Gesellschaft und galten in den Augen der Mittelschichten nicht selten als fremdartiger Großstadtmob (alien mob). Die Streikenden im Haymarket-Debakel von 1884, worunter sich zahlreiche Immigranten aus Europa befanden, waren sogar als „weiße Wilde“ (white savages) bezeichnet worden.100 In Magazinartikeln tauchten auch sonst häufig Schlagworte wie Masse (crowd), Herde (herd) und Mob (mob) auf, womit ebenfalls hauptsächlich europäische Arbeiter und Arbeiterinnen gemeint waren. Doch von solchen pauschal vorgenommenen Diskriminierungen profitierten die „einheimischen“ Arbeiter nicht immer. David M. Perry, Präsident der Unternehmerorganisation National Association of Manufacturers ließ 1903 seinen Aggressionen besonders freien Lauf. „Organized labor knows but one law, and that is 95 96 97 98 99 100

Lloyd, In the Bear’s Group, 114–117. Tebbel/Zuckerman, The Magazine, 84. Zitat von Truninger, Die Amerikanisierung, 23. Zu Veblens Klassifizierung siehe ebd. 103. Slotkin, The Fatal Environment, 34. Howe, The Alien, 337. Ausdruck in Slotkin, Gunfighter Nation, 20, vgl. auch 21.

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the law of physical force – the law of the Huns and Vandals, the law of the savage.“101 Perry übertrug hier die Gleichsetzung der europäischen Immigranten mit wilden Stämmen auf die gesamte Arbeiterorganisation, und dies, obwohl die große Gewerkschaft American Federation of Labor (AFL) sich im Allgemeinen gegenüber den Arbeitgebern recht kooperationsbereit zeigte. Die 1886 als Zusammenschluss von Handwerkerorganisationen gegründete amerikanische AFL war kaum an der Mitgliedschaft ungelernter Arbeiter interessiert, und sie nahm auch keine Schwarzen auf.102 Unter Führung von Samuel Gompers vertrat die AFL vor allem die Interessen der „einheimischen“ gelernten Arbeiterschaft, distanzierte sich von den (ungelernten) europäischen Immigranten, die neu ins Land gekommen waren, und unterstützte auch die Forderungen nach einem Lesetest (literary test) als eine der Vorbedingungen für die Erteilung einer Einwanderungserlaubnis. Die AFL proklamierte mit Blick auf die industriellen Beziehungen einen amerikaspezifischen Weg, der sich von jenem der europäischen sozialistischen Gewerkschaften wesentlich unterscheiden sollte.103 Demnach wurde keine Kampfposition gegenüber den Vertretern des Kapitals eingenommen, stattdessen nach einer sozialen Harmonie zwischen Kapital und Arbeit gesucht. Dazu gehörte, dass die Gewerkschaften für höhere Löhne und gute Arbeitsbedingungen eintraten, sah diese doch in solchen Verbesserungen eine Chance, aber auch eine Verpflichtung, den Vorbildcharakter der USA gegenüber Europa und der ganzen Welt aufrecht zu erhalten und womöglich noch zu vergrößern. Diese amerikaspezifischen Zielsetzungen versuchte die AFL im Zuge ihrer Amerikanisierungsbestrebungen auch den europäischen Immigranten nahe zu bringen.104 Im Unterschied zur Mehrheit der Sozialistischen Partei105 unterstützten Gompers und die AFL zudem den New Patriotism, den sie ebenfalls europäischen Immigranten vermitteln wollten. Dementsprechend stand die AFL auf Seiten der Wilson-Regierung, als diese den Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg beschloss. Selbst die nativistische Bewegung ging nicht spurlos an der AFL vorbei und fand bei Mitgliedern Unterstützung.106 Die Gewerkschaft kämpfte vor allem gegen die Abwertung gelernter Arbeit (skilled work), die der zunehmenden Mechanisierung der Produktionsprozesse geschuldet war. Ihre nicht zuletzt auch mit solchen Umstellungen einhergehenden Vorbehalte 101 Zit. n. ebd., 91. 102 Zur Entstehung eines Arbeiterbewusstseins unter schwarzen Arbeiterinnen siehe Harley, When Your Work. 103 Allerdings wurde die Forderung, Familienlöhne für Männer sollten so hoch sein, dass Ehefrauen zu Hause bleiben könnten, sowohl in Europa als auch in den USA erhoben. Dawley, Struggles, 279. 104 Barrett, Americanization, 1009. In der U. S.-Labor History älterer Art wurden Arbeiter, die als Einwanderer ins Land gekommen waren, kaum berücksichtigt. Hoerder, From Ethnic Enclaves, 124. 105 Herbert Croly, in: Wickenden, The New Republic Reader, 439. 106 Schlesinger, New Viewpoints, 18.

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gegenüber den vielen ungelernten Immigranten aus Europa verstärkten oftmals Distanz und Voreingenommenheit zwischen den „einheimischen“ und den neu eingewanderten Arbeitergruppen, so dass es nicht verwundert, wenn die AFL schließlich auch den Restriktionsgesetzen zustimmte. Die AFL bekämpfte überdies die international ausgerichtete, militante Arbeiterorganisation Industrial Workers of the World (Wobblies, I. W. W.). Diese öffnete sich gegenüber den Frauen, den Immigranten sowie den African Americans, zählte 1912 allerdings nur rund 25.000 Mitglieder. Viele Aktivisten, die selbst häufig vom Alten Kontinent stammten, hielten rigide Assimilationsstrategien gegenüber den aus Europa eingewanderten Arbeitern für falsch und vermieden auch eine Hierarchisierung der europäischen Ethnien.107 Sie wollten mit dem Mittel des Generalstreiks für eine „industrielle Demokratie“ (industrial democracy) kämpfen108, das heißt für eine neue Gesellschaft (new society) jenseits der existierenden Form des Kapitalismus. Stattdessen sollte die industrielle Grundordnung auf den demokratisch zu organisierenden Industriebranchen (industrial divisions) beruhen. Ihre anarcho-syndikalistischen Auffassungen verbanden sie mit der Vision einer transnationalen Verbrüderung aller Arbeiter.109 Entsprechend ihrer Internationalität sperrte sich die I. W. W. von ihrem Selbstverständnis her gegen jegliches Versprechen nationaler Identität; folglich beteiligte sie sich auch nicht am New Nationalism und ließ sich ebenso wenig vom Kriegspatriotismus vereinnahmen. Die Arbeiter hätten kein Vaterland, das sie lieben könnten, so war in der Zeitschrift Industrial Worker zu lesen.110 Ihre pazifistische Einstellung erleichterte es dem Staat, während des Krieges und danach massive Unterdrückungsmaßnahmen gegen sie einzuleiten. Der führende Sozialist Eugen Victor Debs verband den Kampf der Arbeiterklasse (class struggle) mit einem klassenbewussten Kosmopolitanismus (the whole working class of the whole world), der letztendlich die Entstehung einer klassenlosen Gesellschaft ermöglichen sollte.111 Als die Redaktion des American Journal of Sociology 1916 eine Befragung unter 250 prominenten Zeitgenossen über ihr Verständnis von Amerikanismus vornahm, antwortete Debs, er hoffe, dass dadurch das private Industrie-Eigentum verschwinde.112 107 Solomon, Ancestors, 199. 108 Debs, Writings, insb. 40, 126, 145. Zur Sozialistischen Partei als Antikriegspartei siehe auch Montgomery, The Fall, 327, 358, 371 f. 109 Foner, History, Bd. 4, insb. 140–143. 110 O’Leary, To Die For, 225. 111 Nach Salvatore, Eugen V. Debs, 192 f., 226. Die besonderen Probleme, denen die African Americans gegenüberstanden, anerkannte er allerdings erst im Verlauf der zwanziger Jahre. Ebd., 226 f. 112 Nach Keller, Regulating a New Society, 241. Die Konzentration auf eine neue ökonomische Ordnung, die, wie angenommen, alle anderen gesellschaftlichen Probleme lösen werde, führte unter Sozialisten zu einer Vernachlässigung des Einsatzes für unterdrückte Gruppen in der damaligen Gesellschaft. Pittinger, American Socialists, 198.

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Der ablehnenden Einstellung vieler Sozialisten sowohl gegenüber den Nationalisierungs- und Amerikanisierungstendenzen als auch gegenüber expansionistischer Politik sowie gegen den Kriegseintritt der USA entsprach nach dem Krieg das zunehmende Interesse an Fragen der internationalen Ordnung.113 Der Schriftsteller Max Eastman, ebenfalls führendes Mitglied der Sozialistischen Partei, anerkannte zwar den Patriotismus als ein Grundbedürfnis des Menschen, wollte diesen jedoch von Kriegen entkoppeln und überdies alle Nationen dieser Welt in einer Föderation vereinigen.114 Er gehörte deshalb auch zu jenen, die nach dem Ersten Weltkrieg Wilsons Plädoyer für einen neuen friedensichernden Internationalismus unterstützten, denn er nahm an: „For all the organic interests of men, except their sheer love of patriotic fighting, itself, are against the perpetual recurrence of international war.“ 115 Das Eintreten für internationale Belange widersprach nicht der Wahrnehmung, dass es besondere amerikanische Traditionen gebe. So verband vor allem Eugen V. Debs seinen Sozialismus mit amerikatypischem Individualismus, womit er nicht zuletzt den Eindruck vermitteln wollte, dass der (europäische) Sozialismus uramerikanisch sei (socialism was as American as cherry pie).116 Nach dem Krieg zeigten nicht nur die Repressionsmaßnahmen gegen alles was links erschien (Red Scare), sondern auch die massiven Streikwellen, dass Klassenkonflikte aus der amerikanischen Gesellschaft nicht wegzudenken waren. In solchen Konfliktsituationen amerikanisierten sich zahlreiche Arbeiter-Immigranten quasi „von unten“, und auch die Stereotypen „einheimischer“ Arbeitergruppen über die fremden Arbeitskollegen gerieten in Bewegung. Parallel dazu setzten nach dem Ersten Weltkrieg auch „von oben“ vermehrt Amerikanisierungsbestrebungen ein. Die Gewerkschaften deuteten nämlich ihre eigene Bewegung nunmehr als typisch amerikanisch unter dem Motto: „Unionism is the spirit of Americanism.“117 Amerikanismus wurde in diesem Zusammenhang als Synonym für eine gerechtere Verteilung der nationalen Ressourcen und der Machtrefugien aufgefasst. Der Begriff „Amerikanismus“ sollte offensichtlich nicht allein jenen Amerikanisierern (Americanizers) gehören, die darunter hauptsächlich eine Anpassung der Menschen an die Erfordernisse von Sozialfordismus, Konsumerismus und Nationalismus verstanden. Vielmehr wurde er nun sozial- und kapitalismuskritisch gewen-

113 Allerdings entfaltete sich im Umkreis der Sozialistischen Partei unter Immigranten auch ein gewisser auf die USA bezogener Nationalismus, insbesondere unter deren Elite, den clansmen, während eingewanderte Intellektuelle dazu tendierten, den Internationalismus hochzuhalten. Montgomery, Nationalism, 340. 114 Max Eastman, „What is Patriotism and What Shall We Do With It?“, wiederveröff. in: Cook, Toward the Great Change, 239–248, 248. 115 Nach Bender, A Nation, 242. 116 Zitat von Lears, Rebirth, 304; vgl. Salvatore, Eugen V. Debs, 343 f. 117 Zit. n. Gerstle, Working-Class, 6, zum Folgenden ebd., 6–9.

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det, um dadurch eine gewerkschaftskonforme Amerikanisierung der ArbeiterImmigranten zu erreichen.118 Ähnlich verfuhren selbst die Kommunisten in den USA. Zwar vertrat die Kommunistische Partei einen Internationalismus der Arbeiterklasse, doch gleichzeitig versuchte sie in den zwanziger Jahren mit großer Verve, ihre Partei zu amerikanisieren und den Kommunismus ebenfalls als amerikanisches Projekt zu deuten. Damit konnte sie nicht zuletzt Arbeiter aus der zweiten Einwanderer-Generation ansprechen, die sich selbst häufig als „amerikanische Radikale“ interpretierten119, ein Trend, der sich in den dreißiger Jahren noch verstärken sollte. Allerdings verbanden viele Immigranten – innerhalb und außerhalb der Parteien und Gewerkschaften – ihr Klassenbewusstsein und ihren Internationalismus häufig weiterhin mit einem ethnischen Zusammengehörigkeitsgefühl.120 Ungeachtet aller Amerikanisierungstendenzen blieb auch die Basis noch vielfach ethnisch-pluralistisch ausgerichtet und durch multiple Identitäten gekennzeichnet.121 Mit der Gründung des Committee of Industrial Organization (CIO) 1935 erhielten ungelernte Immigranten schließlich eine auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Interessenvertretung. Im Kontext der Cultural Front der dreißiger Jahre vermochten auch linksgerichtete Intellektuelle und proletarisch gesinnte Künstler aus Arbeiterkreisen oder mit Immigrationshintergrund durch ihre stark gesellschafts- und klassenpolitisch orientierte Kunstproduktion größeres Gewicht in der amerikanischen Öffentlichkeit zu erlangen.122 Insgesamt zeigt sich die große Diskrepanz zwischen dem Mythos des klassenlosen amerikanischen Volkes auf der einen Seite und der klassenbewussten Position der I. W. W. sowie der Sozialistischen und Kommunistischen Partei auf der anderen Seite. Dazwischen agierte und lavierte die AFL-Führung, die vor dem Ersten Weltkrieg durch ihren Patriotismus und ihre nativistischen Tendenzen die „einheimischen“, gelernten, männlichen und weißen Arbeiter in das Konstrukt der einheitlichen, großartigen Nation integrieren wollte. Hierzu gehörte auch die Betonung der Unterschiede zu Europa, indem die Besserstellung der amerikanischen Arbeiter hervorgehoben wurde, was als Zeichen amerikanischer Superiorität gegenüber Europa gewertet werden konnte. Distanz zu Europa kam in den Diskursen auch immer dann zum Ausdruck, wenn die Klassenkonflikte in den USA entweder geleugnet oder als ethnische Konflikte umgedeutet wurden.

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Barrett, Americanization. Nach ebd., 1007. Montgomery, Nationalism, 328. Linden, Transnationalizing American Labor History, 1092. Denning, The Cultural Front.

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4.5 AFRICAN AMERICANS: WEISSER RASSISMUS UND SCHWARZE IDENTITÄTSSUCHE „For the Negro’s sake as well as for our own, we should prefer to stay apart“, schrieb der liberale Publizist Walter E. Weyl in seinem 1912 veröffentlichten Buch The New Democracy, und damit stand er unter liberalen Publizisten nicht alleine.123 Sehr viel stärker als die Arbeiterschaft galt im Zeitalter des Sozialdarwinismus und Rassismus „der Neger“ (the Negro) in ihren Augen als der ganz „Andere“ und der absolut Fremde. Die populären langlebigen Minstrel-Shows des frühen und mittleren 19. Jahrhunderts, in denen weiße Mitspieler ihre Gesichter schwarz anmalten, symbolisierten, wie bedeutsam das „vorübergehende Schwarz-Sein“ für das spielerische Erleben „rassischer“ Unterschiedlichkeit war. Es diente letztlich der Selbstversicherung von permanentem Weiß-Sein.124 Diese Selbstversicherungsszenerie verlor im Zeitalter des biologisch begründeten Rassismus seine spielerische Seite. Zahlreichen Weißen erschienen Charakter und Körper der Schwarzen sowie ihre Sprechweise als eine Frontalattacke auf die Zivilisation125 und deshalb als das „einzige wirklich fremde, nicht assimilierbare rassische Element in Amerika“ (the only really alien, unassimilable racial element which America contained), eine Ansicht, die der konservative Eugeniker und Rassist aus Neuengland, Lothrop Stoddard, besonders lautstark vertrat. Er betonte die angeblich wissenschaftlich untermauerte Differenz der Rassen und trat deshalb wie viele seiner Landsleute für eine radikale Rassentrennung ein.126 Diesem Segregationsgedanken hatte bekanntlich der Supreme Court im Jahre 1896 in seinem Grundsatzurteil „separate but equal“ Rechnung getragen. Infolge der Großen Wanderung (Great Migration) der African Americans vom Süden in den Norden während der 1910er und 1920er Jahre gerieten die „völlig Fremden“ in die räumliche Nähe der dort lebenden Weißen.127 Schon die Weltausstellung in Chicago im Jahre 1893, auf der die Weiße Stadt (White City) zelebriert wurde und Turner sein Frontier-Theorem präsentierte, war voll gespickt mit symbolisch aufgeladenen Repräsentationen sowie Sinnstiftungsangeboten samt den darin implizit enthaltenden Exklusionen (der Schwarzen). Die Migration der Schwarzen in den Norden bewirkte, dass die 123 124 125 126

Weyl, The New Democracy, 346. Zu dieser Lesart vgl. Holt, Making Race, 16. Vgl. Huggins, Harlem Renaissance, 154, 173, 175. Zit. n. Ickstadt, Trans-national Democracy, 5; vgl. Lothrop Stoddard, „The Impasse of the Color Line“, in: The Forum (Oktober 1927), 510–519. Vom „foreign body“ sprach u. a. der Psychologe McDougall (Harvard Universität), nach dem Ersten Weltkrieg. Sluga, The Nation, 138. 127 Es handelte sich um über eine Million Menschen. Allg. Montgomery, The Fall; Trotter, The Great Migration. In den zwanziger Jahren verdingte sich zudem eine beträchtliche Anzahl von Mexikanern in Industriebetrieben auf amerikanischem Boden.

4.5 African Americans: Weißer Rassismus und schwarze Identitätssuche

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Ethnisierung der Klassenkonflikte eine neue Schärfe erlangte. Auch unter der „einheimischen“ sowie der aus Europa zugewanderten weißen Arbeiterschaft waren rassistische Vorbehalte gegenüber African Americans verbreitet, vor allem gegenüber jenen, die nach dem Krieg als Streikbrecher auftraten.128 Die Ängste der Weißen vor den Schwarzen belasteten auch die Suche nach nationaler Identität. Innere und äußere Abgrenzung erschienen den meisten Weißen als einzige Möglichkeit. Oft war zu hören, dass die Schwarzen nicht hochkommen dürften, wenn die Zivilisation in den Vereinigten Staaten und der „nationale Charakter“ des Landes nicht gefährdet werden sollten. Letztlich stünde, wie es hieß, der Selbsterhalt (self-preservation) der reinen weißen „Rasse“ auf dem Spiel. Hybridität durch Heiraten sei deshalb ebenfalls abzulehnen. Die Eugeniker warnten ihrerseits ständig davor, durch Vermischungen das Land „rassisch“ zu degenerieren (degeneration).129 Ein Zyniker erhoffte sich eine biologische „Lösung“: Bei Schwarzen, die in die Städte des Nordens gewandert seien, würde, wie Blanton Fortson von der University of Georgia meinte, die Fruchtbarkeit nachlassen, sie bekämen deshalb immer weniger Kinder und würden allmählich aussterben (gradually die out).130 Auch der Dienst an der Waffe während des Ersten Weltkrieges brachte den African Americans keine Anerkennung und keine Lageverbesserung. Die Nationskonstruktion war weiß und sollte auch weiß bleiben. Ungeachtet (links-) liberaler Kritik an Diskriminierungs- und Gewaltpraktiken gegenüber Schwarzen, etwa in The Nation131, wichen selbst weitsichtige und kosmopolitisch eingestellte weiße Intellektuelle wie Randolph Bourne der Frage aus, inwieweit African Americans zur amerikanischen Nationsbildung beigetragen hatten oder beitragen könnten. Vielfach befangen in weißem Suprematie-Denken, engagierten sich in der Regel weder „progressive“ Intellektuelle, noch Sozialwissenschaftler und Sozialreformer sonderlich für die Verbesserung der Bürgerrechte von Schwarzen im Lande.132 Selbst die sich als „progressiv“ verstehende Woman’s Christian Temperance Union (WCTU) nahm keine Schwarzen in ihre Organisation auf.133 Die Reformorganisation Protestant Social Gospel kümmerte sich zwar um städtische Arme, doch hauptsächlich unter der weißen Bevölkerung.134 Die Frauenrechtsorganisationen hielten sich in Fragen, wie die Bürgerrechte 128 Barrett, Americanization, 1002–1004. Unter den Streikbrechern befanden sich auch eingewanderte Mexikaner. 129 Newman, White Women’s Rights, 10, 18, 20, 162. 130 Blanton Fortson, „Northward to Distinction“, in: The Forum (November 1924), 593–600. 131 Vgl. u. a. Weyl, The New Democracy, 342–345; William Pickens, „The Woman Voter Hits the Color Line“, in: The Nation (Oktober 1920), 372–373. Pickens lehrte am Talladega College und war Dean des Morgan College. 132 Das gilt auch für die bekannte liberale Feministin Charlotte Perkins Gilman und ihr einflussreiches Wirken in den 1890er Jahren. Nach Bederman, Manliness, 122. 133 So berichtete Frances Willard aus den Südstaaten. In Carby, On the Treshold, 336. 134 Noll, God, 81.

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für Schwarze verbessert werden könnten, ebenfalls zurück. Alice Paul, die für die rechtliche Gleichstellung (equal rights) der Geschlechter kämpfte und der National Women’s Party vorstand, begründete dieses Verhalten damit, dass sie nicht die parteizugehörigen weißen Südstaatlerinnen brüskieren wolle. Wer sich eine weiß-schwarze Frauensolidarität erhofft hatte, sah sich deshalb enttäuscht.135 Im Grunde werteten die meisten (weißen) Frauenrechtlerinnen die Differenz zwischen den Rassen höher als die Differenz zwischen den Geschlechtern. Unterfüttert wurde diese Distanzierung durch den Glauben an zivilisatorisch-evolutionäre Prozesse, die der weißen „Rasse“ Suprematie verliehen habe, weil schwarze Frauen, wie auch andere primitive Gruppen (primitive groups) immer noch in patriarchalische Verhältnisse eingebunden seien. Im Unterschied dazu habe der evolutionsgeschichtliche Fortschritt den Patriarchalismus unter Weißen bereits disqualifiziert und damit die kulturellen Differenzen zwischen den Rassen sogar noch vergrößert.136 Während das Gros der weißen Mehrheitsgesellschaft die African Americans außerdem vorwiegend als Objekte betrachtete und nur dann als Subjekte wahrnahm, wenn nach den Verursachern sozialer und kultureller Probleme gesucht wurde, begann eine Minderheit weißer Frauen die Rassentrennungen aufzubrechen und mit schwarzen Frauen gemeinsame Interessen und gemeinsame Problemlagen zu sondieren.137 Dabei spielte für schwarze Frauen die Kultivierung ihrer Rasse (racial uplift) und die Erlangung von Respektabilität nach wie vor eine namhafte Rolle, verbunden mit der Hoffnung, auf diese Weise den Rassismus eines Tages überwinden zu können. 135 Nach Berg, The Ticket, 95 f., 99–101; Newman, White Women’s Rights, 6, 43. 136 Weil die weiße Gesellschaft großen Wert auf Abgrenzungen gegenüber den African Americans legten, entstanden zahlreiche Doppelorganisationen. So wurde beispielsweise ein Woman’s Era Club speziell für schwarze Frauen, etwa in Boston, gegründet und ebenso eine national operierende Organisation, The National Association for Colored Women, die sich insbesondere für die Abschaffung rassendiskriminierender Strukturen engagierte. Allen, The New Negro, 51. In diesem Umfeld wurden bereits vor dem Ersten Weltkrieg nicht nur die Lynchpraktiken attackiert, vor allem von der schwarzen Journalistin Ida B. Wells, sondern es kursierten auch kritische Überlegungen zum Konstrukt (weißer) Männlichkeit, zu Bürgerrechtsfragen sowie zu den Verbindungslinien zwischen rassistischen Unterdrückungen im Inland und der imperialistischen US-Politik nach außen hin. Carby, On the Treshold, 332 f. Carby nennt in diesem Zusammenhang neben Ida B. Wells die Südstaatlerin Anna Julia Cooper. 137 Zu den Ausnahmen gehörten die Sozialreformerinnen Jane Addams und Florence Kelly, die sogar Mitglieder der NAACP wurden. Zusammen mit den schwarzen Bürgerrechtlerinnen Mary Church Terrell und Ida B. Wells setzten sie sich vor und während des Ersten Weltkrieges für ein allgemeines Frauenwahlrecht ein. Ein Mitglied der Commission on Inter-racial Cooperation, die von weißen protestantischen Amerikanerinnen gegründet worden war, betonte das wachsende Verständnis der Kommissionsmitglieder für die Lebenslage schwarzer Frauen. Robert L. Duffus, „Counter-Mining the Ku Klux Klan“, in: The World’s Work (Juli 1923), Kurzform in: The Reader’s Digest (Juli 1923), 273– 276, 275; vgl. auch Lerner, Black Women.

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Als Speerspitze nativistisch-rassistischer Nationskonstruktionen gegenüber den Schwarzen fungierte bekanntlich der Ku Klux Klan, und das in recht aggressiven Formen. Die Organisation stand im Zeichen eines protestantischen Nationalismus, verfolgte und diffamierte deshalb nicht nur African Americans, sondern auch Ausländer, Katholiken und Juden. Die religiös bestimmte und oftmals fundamentalistisch anmutende Fremdenfeindlichkeit – das Gros der neuen Einwanderer war ja katholisch oder hing der jüdischen Religion an – verband sich mit einer rassistisch begründeten Xenophobie.138 In der Nachkriegsära gelang es dem Ku Klux Klan, dessen Hauptrekrutierungsgebiete im Mittleren Westen und im Süden der USA lagen, sich nicht nur in ländlichen, abseits gelegenen Gebieten und Kleinstädten, sondern auch in Großstädten zu verankern, wobei die Organisation ihre aggressive Gewaltund Kampfbereitschaft mit geschickt gewählter, auf Nation und Nativismus bezogener Rhetorik „überschreiben“ konnte.139 Ungefähr die Hälfte der Mitglieder waren Frauen, die sich von dem postulierten Gleichheitsanspruch weißer Frauen sowie von den patriotischen und angeblich reformorientierten Parolen des Ku Klux Klans angesprochen fühlten und wie die männlichen Mitglieder die Macht der weißen Protestanten gesichert sehen wollten.140 Bei zahlreichen Unterstützern des Ku Klux Klans vermischte sich der alte protestantische Moralkodex mit nativistischen Vorstellungen141 und dem rassistischen Zeitgeist.142 Solche auf Abgrenzung und Exklusion ausgerichteten Sichtweisen eines Großteils der weißen Mittelschichtgesellschaft stießen bei schwarzen Publizisten zunehmend auf Gegenwehr. Dazu gehörte die Konstruktion eines eigenen Bildes von Amerika. So wurde zwischen 1923 und 1926 in der sozialistischen Zeitschrift The Messenger beispielsweise eine Serie veröffentlicht, deren Umdeutungen sich allein schon im Titel These „Colored“ United States niederschlug.143 Dieser perspektivenreiche Text war ein Gegenentwurf zu einer 49-teiligen Artikelserie in der Zeitschrift The Nation über die einzelnen 138 Higham, Strangers, 293. 139 Im Jahr 1925, auf dem Höhepunkt seiner Macht, wies der Ku Klux Klan immerhin rund vier Millionen Mitglieder auf. Morone, Hellfire Nation, 338. Die Angaben über die Zahl der Mitglieder schwanken. Martin spricht von rund fünf Millionen Mitgliedern im Jahr 1925. Näheres u. a. Martin, AmeriKKKa, 61. 140 Blee, Women, u. a. 2, 6. 141 Knobel, America, insb. 7. Kapitel, 235–279. 142 Allerdings geriet der Ku Klux Klan in der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre in der Öffentlichkeit mehr und mehr in die Defensive. Die skandalumwitterte Organisation konnte immer weniger den nationalen Selbstverständigungsprozess beeinflussen. Die Restriktionsgesetze von 1921 und 1924 hatten dem Nativismus den Wind aus den Segeln genommen. Ihre Verfechter machten zudem die Erfahrung, dass das angeblich homogene „Wir“ de facto zwar sehr viel heterogener war, als sie sich dies eigentlich wünschten, dass es sich aber damit gleichwohl gut leben ließ. Knobel, America, 239. 143 Hönnighausen, Region, 350 f.; Lutz, Introduction, 9.

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Regionen, die den Titel These United States trug, in der die African Americans jedoch kaum Beachtung fanden, und wenn, dann mit negativen Attributen versehen.144 Die Essays im Messenger reflektierten hingegen die „Komplexität der afroamerikanischen Beziehungen sowohl zum afroamerikanischen als auch zum amerikanischen Nationalismus“.145 Deutlich wurde in diesen Texten, dass African Americans vor dem Problem standen, sich sowohl in der rassistisch ausgerichteten amerikanisch-weißen Gesellschaft zu positionieren als auch nach einer eigenständigen ethnischen Identität zu suchen. In der Zeit des späten 19. Jahrhunderts dominierte, vor allem bei Booker T. Washington, der damaligen Leitfigur zahlreicher African Americans, die Vorstellung, dass die Kultur der Schwarzen allein durch Bildung und Selbstertüchtigung verbessert werden könne und müsse (improvement), um die Anerkennungschancen durch die weiße Gesellschaft zu vergrößern. Damit kam Washington der Vorstellung weißer Reformer nahe, wonach durch Zivilisierung der kulturelle Aufstieg (uplifting) der schwarzen Rasse ermöglicht werden könne und müsse.146 Washingtons Uplifting-Konzept beeinflusste Oscar Micheaux, den erfolgreichsten schwarzen Filmemacher der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Aus dessen Prinzipien der Selbsterziehung und Selbstanstrengung der Schwarzen schuf Micheaux, der als „schwarzer Turner“ galt, ein ganz anderes Bild vom amerikanischen Westen, als der weiße Historiker dies getan hatte.147 Für Micheaux existierte keine hochwertige weiße Frontier-Kultur, vielmehr zeichnete er den amerikanischen Westen als ein unbegrenztes Areal, das für eine Höherentwicklung der afroamerikanischen Rasse geeignet erschien, wodurch sich dann deren Anerkennung in der weißen amerikanischen Gesellschaft erreichen ließe.148 Obwohl de facto wenige Schwarze während der Frontier-Zeit nach Westen gezogen waren, galt dieser Landesteil als eine Region potentieller Freiheit. Der amerikanische Westen wurde so auch für viele Schwarze zu einer Projektionsfläche für emanzipative Fantasien und Imaginationen, zumal sich African Americans nicht selten – ähnlich wie weiße Amerikaner – als ein auserwähltes Volk betrachteten, das allerdings, im Unterschied zu den Weißen, unterdrückt worden sei.149 Von den gesellschaftsintegrativen Rassenkonzepten Washingtons und den Micheaux’schen imaginativen Narrativen setzte sich W. E. B. Du Bois deutlich ab. Engagiert verfolgte er das Ziel, mit einer doppelten Identitätskonst144 Borus, The Unexplored Twenties, 12. Im Jahre 1928 veröffentliche The Forum allerdings eine Debatte zwischen dem Rassisten Lothrop Stoddard und dem afroamerikanischen Künstler Alain Locke. 145 Lutz, Introduction, 11 (m. Ü.). 146 Gaines, Racial Uplift Ideology, 436–439. 147 Zu Turner siehe Kapitel 5.2. 148 Moos, Outside America, 53–56, 59–63, 76 f., 212. 149 Stewart/Ruffins, A Faithful Witness, 307; Lehmann, Protestantisches Christentum, 167 f.

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ruktion der Schwarzen – als Amerikaner und Afrikaner – diese an der Nationskonstruktion der USA intensiv partizipieren zu lassen. So sollten sich eines Tages die Vorurteile der Weißen gegenüber den Schwarzen völlig verflüchtigen. Erst dann könne sich eine auf wechselseitiger Anerkennung beruhende, national-amerikanische Kultur entwickeln.150 Als Du Bois 1916 im Zuge einer Umfrage der Redaktion der Zeitschrift American Journal of Sociology auf die Frage antworten sollte, was er unter Amerikanismus verstehe, meinte er damals noch hoffnungsvoll, dass im Amerikanismus das Ziel angelegt sei, die Rassentrennung (color line) zu überwinden.151 Denn in seiner Weltsicht werde die color line die Welt des 20. Jahrhunderts und ihre sozialen Problemkonstellationen bestimmen. Du Bois hatte einst in Deutschland studiert und kannte das Land so gut, dass er für seine Zielsetzung das Vorbild der Bismarck’schen Einigungspolitik bemühte.152 Auch in seinen Gedichten bezog er sich verschiedentlich auf Europa, genauer, auf europäische vorchristliche Mythen. Doch aus solchen Europa-Bezügen sollten keine zu weitreichenden Schlüsse gezogen werden, denn Du Bois rezipierte auch nicht-europäische Kulturtraditionen. So widmete er sich dem tradierten Äthiopianismus, ferner der religiös-spirituellen Auslegung biblischer Verheißungen, gepaart mit „Volksgeist“-Mythologien, die er allesamt zu Gunsten der Afrikaner auslegte. Selbst die Versklavung der Afrikaner erhielt dadurch einen tieferen Sinn, weil diese zu ihrer moralischen Überlegenheit (gegenüber Weißen) geführt habe.153 Du Bois bewunderte überdies die Schönheit afrikanischer Kunst und ermunterte schwarze Künstler nach Afrika zu gehen, um sich von der dortigen Kunst inspirieren zu lassen.154 Er suchte darüber hinaus nach „genuin“ afrikanisch-amerikanischen Kulturrelikten in amerikanischen Regionen, die ebenfalls der Bildung afrikanisch-nationaler US-Identität förderlich sein sollten – unter dem Motto: Was würde Amerika ohne die Schwarzen sein?155 Er glaubte diese Relikte schließlich im Süden des Landes gefunden zu haben und wollte sie für sein afrikanisch-amerikanisches Nationsverständnis fruchtbar machen. In seinem 1903 veröffentlichten Schlüsseltext Souls of Black Folk mit seinen „sorrow songs“, den Spirituals, fand er schließlich die wahre amerikanische Musik (true American 150 Gooding-Williams, In the Shadow, 86. 151 Nach Keller, Regulating a New Society, 241. Keller bezieht sich auf eine Aussage der konservativ-katholischen Romanschriftstellerin Agnes Repplier. Im Krieg unterstützte Du Bois wie viele andere Schwarze den amerikanischen Einsatz als Kampf für die Demokratie, getragen von der Hoffnung, die Rassenbeziehungen im eigenen Lande dadurch verbessern zu können – eine Hoffnung, die sich bekanntlich nicht erfüllte. Gaines, Uplifting, 223. 152 Hierzu und zum Folgenden siehe Finzsch, Von der „Double Consciousness“, 4; Gilroy, The Black Atlantic, 35; Gaines, Uplifting, 9; Huggins, Harlem Renaissance, 244. 153 Dazu ausführlich Moses, The Golden Age, insb. 160 f., 164, 169. 154 Nach Kirschke, Art, 14. 155 Nach Hagenbüchle, From Common Ground, 11.

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music).156 Du Bois setzte diese zum deutschen Volkslied in Beziehung, was seine Vertrautheit mit der deutschen und europäischen Kultur erkennen lässt. Beeinflusst vom europäischen Romantizismus und dem damit verbundenen kulturellen Nationalismus rückte Du Bois ebenfalls das (ländliche) Volk (folk) und nicht die schwarze städtische Mittelschicht ins Zentrum des Diskurses über schwarze Kulturwerte und Authentizität.157 Die schwarze Volkskultur (folk culture) war freilich immer männlich geprägt, Frauen blieben exkludiert. Auch bestand die Gefahr, einem auf die schwarze Rasse bezogenen Essentialismus zu verfallen.158 Alain Locke war sich dieser Fallstricke offensichtlich besonders bewusst. Zwar rückte auch er die im Süden lebenden agrarischländlichen Schwarzen in den Mittelpunkt seiner Studien, versuchte aber, die Differenzen innerhalb der African Americans zu berücksichtigen, weswegen er bewusst nicht für die Negroes, sondern als Negroe schrieb. Während Du Bois eine afrikanisch-amerikanische Identitätskonstruktion favorisierte, forcierte der Populist Marcus Garvey die komplette Afrikanisierung der Schwarzen. Durch die Propagierung eines schwarzen Nationalismus (Black Nationalism) konnte er in den zwanziger Jahren rund eine halbe Million African Americans als Mitglieder seiner Organisation Universal Negro Improvement Association (UNIA) und für seine Pläne zur Auswanderung ins afrikanische Liberia gewinnen. Garveys Afrikanisierungspolitik, die sich – spiegelbildlich zum Anliegen des Ku Klux Klans – aus seiner Idee der Rassenreinheit (race purity) und eines schwarzen Rassendenkens speisten, tangierte auch das Europabild. Denn er und seine Unterstützer relativierten ausdrücklich die Bedeutung der Europäer mit Blick auf die Zivilisierungsprozesse in Afrika. Gleichzeitig wertete er die genuine Kultur des schwarzen Kontinents aus vorkolonialen Zeiten auf. Es habe einst ein großes zivilisiertes Afrika gegeben, bevor die Europäer gekommen seien. Somit verwarf er die in Europa gängige Vorstellung, dass erst die Europäer die Zivilisation nach Afrika gebracht hätten.159 Während weiße Publizisten Europa als historische Quelle ihrer Kultur und Zivilisation werteten, beziehungsweise sich, wie Turner, davon absichtsvoll abzugrenzen suchten, blickten Garveys Anhänger analog dazu nach Afrika als dem Ursprungsland ihrer Kultur, die ihrer Ansicht nach ähnlich hoch bewertet werden sollte wie die europäische.160 Viele African Americans im Lande nahmen die diversen Identitätskonzepte jedoch gar nicht so recht wahr. Ihnen blieb ihre eigene Geschichte weit156 Du Bois, The Souls, 22. 157 Hierzu und zum Folgenden siehe Favor, Authentic Blackness, 11–23; Gaines, Uplifting, 185; Gilroy, The Black Atlantic, 90 f., 97. 158 Dazu Gilroy, The Black Atlantic, 32. 159 Stewart/Ruffins, A Faithful Witness, 314. 160 Huggins, Harlem Renaissance, 83, 7; vgl. Finzsch, Von der „Double Consciousness“. Die Komintern hatte 1928 die African Americans im Süden der USA als eine eigene unabhängige Nation deklariert. Gorman, Left Intellectuals, 133.

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gehend verborgen, denn schwarze Kinder wurden von früh an einseitig mit weißen Narrativen, Kulturvorstellungen und Normen vertraut gemacht. Ein Kernproblem der African Americans bestand deshalb darin, dass sie nur gelernt hatten, sich durch die Brille der Weißen zu sehen.161 Die weiß geprägten Sozialisationsinstanzen bewirkten eine Internalisierung weißer Deutungsmuster, welche die Sichtweise auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, inklusive der Sklaverei, weitgehend bestimmten. Von ihren afrikanischen Wurzeln hörten sie wenig. So konnte die afroamerikanische Geschichte, geschweige denn die afrikanische Geschichte, nicht wesentlich zur Identitätsfindung der Schwarzen beitragen.162 Gleichwohl füllten Identitätsfragen zunehmend den Diskursraum der African Americans. Viele strebten offensichtlich eine Art Doppelidentität an. Einerseits fühlten sie sich als die „Anderen“ und Diskriminierten, andererseits durchaus als Amerikaner mit gemeinsamen Grundwerten – ungeachtet der zahlreichen Verstöße und Übergriffe, die ihnen widerfuhren. Das kulturelle Selbstbewusstsein der African Americans stieg in dem Maße, in dem sich seit der Mitte der zwanziger Jahre die bis dahin vorherrschenden rigiden Amerikanisierungstendenzen abzuschwächen begannen und die Zukunft als multikulturelle Vielfalt nach dem Vorbild der Harlem Renaissance und der Immigrantenkulturen imaginiert werden konnte. Die Chance, dass die USA gerade wegen der Existenz verschiedener Rassen ein weltweites Leitbild abgeben werden, könne nur erreicht werden, wenn die amerikanische Demokratie die African Americans völlig gleichberechtigt integriere, ergänzte A. L. Jackson 1921 das Du Bois’sche Konzept in der Zeitschrift The Forum.163 Obwohl sich Du Bois immer mehr mit der Kultur Afrikas vertraut gemacht hatte, hielt er dennoch Distanz zu Garvey und erst recht zu dessen zwielichtigem Geschäftsgebaren. Enttäuscht vom Ausbleiben grundlegender Reformen und beeinflusst von den Auseinandersetzungen über den Afrozentrismus verabschiedete sich Du Bois schließlich gänzlich von der Suche nach national-ethnischer Identität. „Damit war die Frage nach der Möglichkeit, Amerikaner und Afroamerikaner in einer Person zu sein, für Du Bois endgültig negativ beschieden“164, resümiert der Historiker Norbert Finzsch. Ungeachtet seiner fortlaufenden Kritik am amerikanischen Rassismus sah Du Bois das Problem der color line nun nicht mehr nur im nationalen, sondern auch im globalen Rahmen. „The problem of the twentieth century is the problem of the color line, – the relation of the darker to the lighter races of men in Asia and Africa, in America and the islands of the sea.“ Um diesem Trend zur Globali-

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Vgl. Holt, Making Race, 1. Vgl. Huggins, Harlem Renaissance, 61, 63, 245. A. L. Jackson, „The Negro’s Aspirations“, in: The Forum (Februar 1921), 217–228, 228. Finzsch, Von der „Double Consciousness“, 168; vgl. auch Gilroy, The Black Atlantic, u. a. 19, 137.

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sierung eines weißen euro-amerikanischen Imperialismus165 etwas entgegenzusetzen, entwarf Du Bois visionäre Zukunftsbilder, die nicht von eugenischen und rassistischen Prinzipien, sondern von Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit und Würde für alle Rassen kündeten.166 Zusammenfassend zeigt sich, wie die African Americans aus der Sicht der Weißen als unveränderliche Alterität eine durchaus wichtige Rolle spielten, soweit es darum ging, die Vorstellung zu verfestigen, dass die amerikanische Nation allein eine weiße Identität habe und haben könne. Der Mainstream der von Weißen geführten Diskurse über Nation und nationale Identität nahm von der Sichtweise der African Americans auf die nationale Entwicklung wenig Notiz.167 Doch trug die scharfe Grenzziehung der Weißen gegenüber den Schwarzen indirekt zur amerikanischen Identitätskonstruktion als Nation von Weißen bei.168 African Americans erschienen vielfach bloß in ihrer Objekthaftigkeit, quasi als „invertierende Spiegel“ (Toni Morrison), in den nationsbezogenen Identitätsdiskursen. Die von Du Bois vorgetragenen Alternativkonzepte der African Americans, welche von einem afrikanisch-amerikanischen Doppelbewusstsein ausgingen und nach Du Bois’ Vorstellung auf die Bildung einer amerikanischafrikanischen Nation abzielten, stießen hingegen in der weißen Öffentlichkeit auf wenig Gehör. Schwarze Frauen waren in doppelter Weise ausgegrenzt, denn auch in den afroamerikanischen Diskursen über ethnische Identität spielten sie keine nennenswerte Rolle. Die „Entdeckung“ Afrikas sowie die Entdeckung afrikanischer Volkskultur im amerikanischen Süden verfestigten die Distanz und Differenz zu Europa169, zumal Garvey auch die europäischen Zivilisationsleistungen im kolonialen Afrika in Abrede stellte. Europa blieb nur noch als Projektionsfläche von Bedeutung, vor allem bei Du Bois, der persönlich mit Deutschland und der europäischen Kultur sehr vertraut war und sie schätzte. Die recht unter165 Gooding-Williams, In the Shadow, 89. 166 Nach Kaplan, The Anarchy, 17, 20 f., Zitat 21, vgl. auch 141–214. Kaplan bezieht sich auf Du Bois’ Darkwater: Voices from Within the Veil aus dem Jahre 1920; vgl. auch Bender/Geyer, Mission, 31. 167 Gilroy, The Black Atlantic, 6. Eine Ausnahme war Archibald Rutledge, „America’s Kindliest Race“, Kurzform in: The Reader’s Digest (April 1933), 94–97. Rutledge, ein viel gelesener weißer Schriftsteller aus dem Süden der USA, pries immerhin die Freundlichkeit und Lebenskunst der Schwarzen. 168 Hierzu siehe Finzsch, Die Harlem Renaissance. Doch selbst in ihrem Objektcharakter waren African Americans marginalisiert. So beschäftigten sich die Studierenden in Soziologiekursen an Colleges und Universitäten zwar mit Integrationsproblemen der Immigration (inkl. der Amerikanisierungspolitik), aber nicht oder nur oberflächlich mit den als minderwertig (inferior) und nicht assimilierbar geltenden „Negroes“ sowie den „Orientalen“ im Lande. Robert E. Park und Edward Byron Reuter gehörten zu den wenigen Ausnahmen unter den Lehrenden. Reuter, The American Race Problem, XIf. 169 Huggins, Harlem Renaissance, 77, 79, 83.

4.6 Native Americans im Kontext nationaler und ethnischer Narrative

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schiedlichen Ziele, die Washington, Garvey sowie der jüngere und ältere Du Bois verfolgten, zeigen die Spannbreite des Ringens führender African Americans um eine adäquate Neuplatzierung der Schwarzen in den USA, in Afrika und in der Weltgesellschaft. Dabei spielten Imaginationen und Visionen eine wichtige Rolle, wie auch mit Blick auf Micheaux deutlich wurde. Während, insgesamt gesehen, rassistisch-nativistische Plädoyers entweder in der konservativen Zeitschrift North American Review und als Forumsbeitag in The Forum Veröffentlichungschancen erhielten, zeigte die Zeitschrift The Nation wenig bürgerrechtliches Engagement, wie u. a. die Serie These United States offenlegte. African Americans konnten in The Forum veröffentlichen, gelegentlich auch in den Zeitschriften The Nation und Harper’s Magazine. 4.6 NATIVE AMERICANS IM KONTEXT NATIONALER UND ETHNISCHER NARRATIVE Neben den African Americans waren es die Ureinwohner, die als gleichwertige Subjekte aus den gängigen Nationskonstruktionen herausfielen. So herrschte bei Vertretern der Scientific Historians die Tendenz vor, Native Americans lediglich als Teil der Urgeschichte (prehistory) anzusehen, weswegen sich eine Beschäftigung mit ihnen außerhalb der Archäologie erübrige.170 Gleichwohl waren die Indianer aus dem historiografischen und kulturellen Gedächtnis der Amerikaner nicht nur als menschliches „Urgestein“ gespeichert, und das Interesse an ihnen sollte sich in den folgenden Jahrzehnten noch steigern. Die tief liegenden, potentiell selbstverletzenden Bruchstellen, die sich bei Rückblicken auf die Siedlungsgeschichte des Landes und die damit verknüpfte, fast vollständige Ausrottung der Urbevölkerung zeigten, wurden durch „heilende“ Narrative überschrieben, die zugleich der amerikanischen Identitätsbildung dienen sollten.171 Im Mittelpunkt dieser Narrative stand bekanntlich die Auffassung, dass es die weißen Siedler gewesen seien, die die Wildnis samt den Indianern zivilisiert hätten.172 Im Frontier-Theorem war auch Europa indirekt mit der Indianerkultur verbunden, denn hierin wurde der Kontrast zwischen der Aristokratie der Alten Welt (Old World aristocracy) und den Wilden in der Neuen Welt (New World savage) herausgestellt.173 Solche Narrative samt mythenbildenden Erinnerungen an die Kämpfe der Weißen gegen die Indianer lebten vor allem in den von William F. Cody verfassten Geschichten und Schaustücken fort. Unter dem Titel Buffalo Bill’s 170 171 172 173

Tyrrell, Historians, 230. Vgl. auch Michaels, Anti-Imperial Americanism, 372. So Herbert Croly, siehe Waechter, Die Erfindung, 216. Slotkin, The Fatal Environment, 35.

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Wild West schrieben sich die „wundervollen“ Pionier- und Frontier-Erzählungen in das kulturelle Gedächtnis der Amerikaner ein.174 Cody selbst wurde nach seinem Tode 1917 nicht nur als Autor, sondern auch als ehemaliger Büffeljäger zur Ikone einer mit dem amerikanischen Westen verbundenen Vorstellung von Americanness und amerikanischem Charakter.175 Dessen Geschichten formten die populären Bilder über den Wilden Westen und seinen Indianern nicht nur in den USA, sondern auch in europäischen Städten, in denen entsprechende Schaustücke in Form von tableaux vivants gezeigt wurden. Diese Aufführungen waren vom Gedanken des letztlich universalen Kampfes und Sieges zwischen (weißen) „progressiven“ und (nicht-weißen) „regressiven“ Rassen getragen. Nachdem die letzten Indianer 1890 durch das Massaker von Wounded Knee endgültig besiegt worden waren und keine Gefahr mehr für die weißen Siedler darstellten, sollten sie, vor allem die Kinder und Jugendlichen, amerikanisiert und von ihren Stämmen entfremdet sowie schließlich als Individuen Staatsbürger der amerikanischen Nation werden176, wofür in erster Linie die 1911 gegründete Society of American Indians eintrat. Die Bilder, die über die Indianer in der amerikanischen und europäischen Öffentlichkeit kursierten, übermittelten die Botschaft, dass der Zivilisierungs- und Amerikanisierungsprozess, wie ihn vor allem das Bureau of Indian Affairs in höchst rigiden Formen gegenüber Indianern vorangetrieben hatte, erfolgreich sei. Doch ein solches Bild war einseitig. So beklagte die Zeitschrift Outlook im Juli 1913, dass zahlreiche Indianer auf Grund ihrer vielen fortexistierenden Stammeskulturen nur schwerlich zu einer nützlichen Staatsbürgerschaft (useful citizenship) mit patriotischer Gesinnung (love for the flag of the country) erzogen werden könnten. Letztlich überwog indessen bei den Prognosen ein optimistischer Ton zumindest mit Blick auf zukünftige Erziehungserfolge.177 Durch das Gesetz von 1924 (Indian Citizenship Act) erhielten Indianer schließlich die amerikanische Staatsbürgerschaft auf geburtsrechtlicher Grundlage zuerkannt. Das Gesetz ermöglichte nun sogar die gleichzeitige Stammesmitgliedschaft, so dass Doppelzugehörigkeiten rechtens wurden.178 Allerdings durften nur jene wählen, die lesen und schreiben konnten oder Individualeigentum besaßen. Den meist mittellosen Stammesgemeinschaften wurde in den Reservaten nach wie vor innerhalb eines von der Regierung festgelegten Rahmens eine gewisse Autonomie zugestanden, wobei rechtliche Abhängigkeiten be-

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Moos, Outside America, 207. Ebd., 208–211. Trachtenberg, Shades, 21 f. Zit. n. ebd., 227. Bis dahin konnten nur jene Personen die amerikanische Staatsbürgerschaft erwerben, die über individuellen Landbesitz verfügten und sich vom Stammesverband getrennt hatten.

4.6 Native Americans im Kontext nationaler und ethnischer Narrative

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stehen blieben.179 So waren die Native Americans die einzige Bevölkerungsgruppe, die unter einem eigenen Rechtssystem stand, der ihren Status als Kolonisierte perpetuierte.180 Die tristen Lebensperspektiven der meisten Native Americans wurden allerdings durch das zunehmende Interesse der Öffentlichkeit an ihrer Fremdheit und Andersartigkeit sowie an ihrem Beitrag zur amerikanischen Nationsbildung „überschrieben“. Während die einen in den übrig gebliebenen Ureinwohnern den verschwindenden Amerikaner (vanishing American) sahen181, imaginierten andere freudvoll deren Wiedergeburt (rebirth).182 Indianer wurden nunmehr zwar weiterhin als primitiv, aber letztlich als Menschenschlag mit nobler Gesinnung gekennzeichnet, und damit entsprachen diese dem seit der europäischen Aufklärung tradierten Bild vom „Edlen Wilden“.183 Fotografen, Schriftsteller und sonstige Publizisten romantisierten die Indianer und fanden deren tradierte Lebensweise unter vielen Aspekten nachahmenswert. Insbesondere sollten für weiße junge Männer Gegenbilder zu den Gefahren einer angeblichen Überzivilisierung mit samt ihren Tendenzen zur Verweichlichung bzw. Verweiblichung geschaffen werden.184 Selbst dem Indianerblut wurde eine reinigende Wirkung zugesprochen.185 Unzählige Fotos und Schaustücke sollten den Weißen die allerdings oft verzerrten Vorstellungen über die Kultur der Native Americans nahebringen. Diverse Spiele zelebrierten die Andersartigkeit der Indianer und regten die Fantasie der Weißen über die eigene Andersheit an.186 Sicherlich handelte es sich oftmals um puren Exotismus und um eine Kommerzialisierung indianischer Andersheit, doch bestanden durchaus Anschlussmöglichkeiten an die kulturrelativistische Theorie, wie sie Franz Boas bereits in seinem 1911 veröffentlichten Buch The Mind of Primitive Man dargelegt hatte. Hierin kritisierte er vehement das medienwirksame, binäre Bild vom ungestümen, irrationalen Wilden einerseits und dem zivilisiert-rational denkenden und handelnden (weißen) Mann andererseits. Stattdessen deutete er die Begegnungen mit dem „Anderen“ und Fremden als produktiven Kulturaustausch.187 In diesem Sinne wertete der Archäologe Edgar 179 Ausführlich Hoxie, A Final Promise, 238, 242; Tyack, Preserving the Republic, insb. 77. 180 Nach Trachtenberg, Shades, 45. 181 Hier ist vor allem an die Fotografien zu denken, die Edward Sheriff Curtis um die Jahrhundertwende von Indianern als einer verschwindenden „Rasse“ machte, ferner an den Autor Joseph Kossuth Dixon, der 1913 das ebenfalls reichlich bebilderte Buch The Vanishing Race veröffentlichte. 182 Moos, Outside America, 203; Trachtenberg, Shades, XXIV, 171, 175. Die New York Times begrüßte diese Vorstellung explizit. Ebd., 211. 183 Moos, Outside America, 149–183; zit. n. Slotkin, Gunfighter Nation, 67, 86; vgl. Hine/ Faragher, The American West, 501 f.; Kohl, Entzauberter Blick. 184 Martschukat, White Men, 221–223; grundlegend: ders., Die Ordnung, 8. Kapitel. 185 Trachtenberg, Shades, 201. 186 Deloria, Playing Indian, insb. 125, 183. 187 Stocking, Boasian Ethnographie, 4.

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L. Hewlett anlässlich der Ausgrabungen im amerikanischen Südwesten die indianische Kultur auf. Er sah in ihr das kulturelle Erbe für die Herausbildung einer neuen regionsbezogenen Zivilreligion (new regionalist civic religion) und ein Modell für eine gelungene organische Ordnung.188 Verschiedentlich steigerte sich die Wertschätzung der Native Americans dergestalt, dass sie sogar als Gründer der amerikanischen Nation (first American) mystifiziert wurden, wobei auch deren naturverbundene Ursprünglichkeit in die moderne Nationskonstruktion einging. Trends zur US-Nationalisierung der Indianer und zur Selbst-Indianisierung der Weißen hatten zwar eine lange Tradition, doch um die Jahrhundertwende wurden diese Bestrebungen in Anbetracht des intensivierten Nationalismus reaktualisiert. In solchen Imaginationen verschmolzen Indianer und Weiße zum „amerikanischen Volk“ (American people).189 Auch wenn der Bezug zu Europa bei diesen Volks- und Nationskonstruktionen nicht im Mittelpunkt stand, war er einer ihrer immanenten Bestandteile. So sprach der Maler Marsden Hartley in seinem Essay 1921 The Red Man vom Indianer als einem Geschenk (ausschließlich) für ganz Amerika. „We have upon our own soil something to show the world as our own.“190 Die nationale Aufwertung der Indianer als „erste Amerikaner“ und als Inkarnation amerikanischer Eigenheit und ihre narrative Integration in die amerikanische Nationskonstruktion waren weitere Bausteine in jenem Mosaik, das die Differenz zwischen Amerika und Europa durch das Aufzeigen nicht-europäischer Wurzeln der USA-Geschichte verbildlichte.191 Während sich Indianer bestens eigneten, die Phantasien und Imaginationen weißer Amerikaner zu beflügeln, gab es einige Fachleute, die sich konkret für eine Würdigung indianischer Kultur in der Öffentlichkeit einsetzten. So eröffneten im Jahre 1931 die seit 1922 in New York existierenden Grand Central Art Galleries eine Ausstellung über „indianische Kunst“, in der die gezeigten handwerklich gefertigten Gegenstände ausdrücklich als Kunst deklariert wurden. Der Philosophieprofessor Hartley Alexander sah in solchen Gebrauchsgegenständen eine der „größten originalen Ausdrucksformen im Bereich des Designs“ und konstatierte 1931 in The Nation zufrieden, dass sich diese Wertschätzung auch in der Öffentlichkeit durchzusetzen beginne. Es seien vor allem die Muster, die bestächen, wobei die geometrisch einfachen Formen mit der modernen Kunst viel gemeinsam hätten.192 Der vorläufige Höhepunkt in der Neubewertung indianischer Kultur war die Ausstellung von 188 189 190 191 192

Dorman, Revolt, 80, 103. Trachtenberg, Shades, 11, 175. Zit. n. ebd., 284. Nach ebd., 295; Moos, Outside America, 207. Hartley Alexander, „The Art of the American Indian“, in: The Nation (May 1931), 501– 503. Alexander war Mitglied der Beratungskommission für die Ausstellung indianischer Kunst. Vgl. auch o. V. „The Last First Americans“, in: The New Republic, Kurzform in: The Reader’s Digest (Dezember 1922), 629–630, 629.

4.6 Native Americans im Kontext nationaler und ethnischer Narrative

199

1933 im Museum of Modern Art, die bezeichnender Weise den Titel American Sources of Modern Art trug.193 Solche Tendenzen zur Anerkennung indianischer Kultur lassen die Frage aufkommen, welches Bild Native Americans von sich selbst machten. Einige Antworten geben indigene Autoren. Diese wehrten sich zwar gegen eine bloße Objektrolle als die „ganz Anderen“, zeichneten aber von sich selbst auch das Bild eines „ganz Anderen“ mit Blick auf den weißen Amerikaner. Im Unterschied zu vielen African Americans konnten sie mit der Vorstellung einer doppelten Identität als Indian-Americans wenig anfangen. Für viele waren deren Stammeszugehörigkeit und die Verbesserung ihrer Lebensverhältnisse wichtiger. Sie tendierten dazu, sich außerhalb der amerikanischen Nation zu verorten und ihre Stammeszugehörigkeit als abgegrenzte kulturelle und politische Entität zu begreifen.194 So achteten sie darauf, die Erinnerung an ihre eigene Geschichte insbesondere durch Erzählungen wachzuhalten. Die Schriftstellerin Zitkala-Sa (Aka Gertrude Bonnin) trat im Zusammenhang mit ihrer scharfen Kritik an den miserablen Zuständen in den Reservaten für den Erhalt indigener Traditionen ein, bejahte indessen auch die moderne Lebensweise und Haushaltsführung; zudem äußerte sie sich zurückhaltend zu den Nationalisierungstendenzen jener Zeit und forderte, alle Indianer mögen universale Bürgerrechte (universal citizenship) erwerben können.195 Die kulturelle Aufwertung der Indianer im frühen 20. Jahrhundert führte auch dazu, dass Autobiografien von Ureinwohnern veröffentlicht werden konnten. Als ein herausragendes Beispiel kann die 1928 publizierte Autobiografie von Luther Standing Bear mit dem Titel My People the Sioux gelten. Der Autor wollte dem weißen Lesepublikum ein wahres und authentisches Bild seines Volkes vermitteln. Besonders wichtig waren ihm Hinweise auf die kulturelle Integrität der Indianer, wobei er die Ansicht vertrat, dass nur er als Indianer die Indianer verstehen könne.196 Standing Bear kennzeichnete die Ureinwohner als die eigentlich noblen Amerikaner (noble Americans) und als die wahren Amerikaner, wobei er deren Identitätsdenken verklärte.197 Ähnlich wie Du Bois schwebte ihm die Erlangung von Gleichheit vor bei gleichzeitiger Beibehaltung kultureller Differenzen und einer Nationskonstruktion, die auf Heterogenität beruhen sollte.198 Standing Bear war überzeugt, dass es primär die Indianer seien, die Amerika retten könnten. Die Menschen, die einst 193 Saab, For the Millions, 96–98. 194 Trachtenberg, Shades, XVII. 195 Nach Zitkala-Sa (Aka Gertrude Bonnin), Americanize the First American, 222 (Vorspann). 196 Moos, Outside America, 185–187. 197 Zit. n. Moos, Outside America, 187. Frühere Texte von Indianern deutet Walker als Konstrukte eines „native America“ und einer „Indian nation“. Walker, Indian Nation, 205. 198 Nach Trachtenberg, Shades, 292.

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von Europa in die USA gekommen seien, wären noch immer Fremde im Lande (is still a foreigner and an alien).199 Sie verstünden die Indianer nicht, und deshalb verstünden sie auch Amerika nicht. Dieser Zustand müsste sich ändern. „Why should not America be cognizant of itself, aware of its identity?“200 Damit positionierte Standing Bear die Indianer als Zentrum der amerikanischen Nationskonstruktion. Er ließ die weißen europäischen Immigranten von Beginn ihrer Einwanderung bis in das 20. Jahrhundert hinein als fremdartige und lernresistente Andere erscheinen und band die Zukunftsfähigkeit Amerikas nicht zuletzt an ein Umdenken des weißen Mannes. Standing Bears Bücher erhielten positive Reaktionen in The New Republic, The Nation und The Saturday Review durch prominente Kritiker, etwa Van Wyck Brooks, Mark Van Doren und R. L. Duffus. Gelegentlich fiel dabei auch der Blick auf die schlechten Lebensverhältnisse der Indianer in den Reservaten, beispielsweise 1931 in Menckens American Mercury.201 Insgesamt gesehen wies die Sicht der weißen Amerikaner auf die Native Americans ein breites Spektrum auf, das von kulturell-rassistischen Überheblichkeiten über die Wertschätzung indianischer Kunst sowie ihrer Lebensweise und ihrem Naturverständnis bis hin zur nationalen Konstruktion der Indianer als „erste Amerikaner“ und als Kern des „amerikanischen Volkes“ reichte. Ungeachtet dieser Breite der Sichtweisen auf den fremden Anderen sowie ihrer Überbrückungsversuche blieb schließlich doch der mystifizierte Raum des Wilden Westens mit seinen wilden, fremd erscheinenden Indianern im transatlantischen Medienaustausch noch rund ein halbes Jahrhundert dominant. Die Bedeutung des wilden Indianers für die (weiße) nationalamerikanische Identitätssuche lag, ungeachtet der vielen romantischen und exotischen Zuschreibungen und Phantasmagorien, dann doch primär in der stark hierarchisierten, rassistisch kontaminierten Abgrenzung der europäisch-amerikanischen Weißen von den „Rothäuten“, wofür die Reservate Symbolkraft erlangten. Jene, die gleichwohl die Native Americans in die nationale Identitätskonstruktion integrieren wollten, imaginierten ein amerikanisches Nationsverständnis, bei dem seine europäischen Wurzeln ein Stück weit gekappt wurden. ZUSAMMENFASSUNG Entsprechend dem intersektionalen Ansatz hat sich gezeigt, dass in den meisten Diskursen über nationale Identität nicht zufällig Frauen, Arbeiter, NichtEuropäer sowie die neuen Immigranten aus Süd- und Südosteuropa als potentiell meinungsbildende und handlungsfähige Subjekte fehlten.202 In der von 199 200 201 202

Zit. n. ebd., 306. Zit. n. ebd. Nach ebd., 293. Vgl. Sluga, The Nation, 132; Ohmann, Selling Culture, 277 f.

Zusammenfassung

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weißen Mittelschicht-Männern geprägten Sichtweise auf die US-Nation wurden diese Gruppen zwar als Hindernis oder als Problem für die nationale Identitätsfindung angesehen, aber paradoxerweise waren es gerade sie, die im Zuge des New Nationalism für die Nationskonstruktion dennoch eine relevante Rolle spielten. Denn ähnlich wie gegenüber der Andersheit Europas trug auch die Andersheit bestimmter Bevölkerungsgruppen dazu bei, Abgrenzungen vorzunehmen und die Differenzprofile von „Wir“ und „Sie“ zu schärfen. Ein anderes Bild ergab sich, sobald die Perspektive wechselte und die Frage gestellt wurde, wie sich die betroffenen Gruppen selbst im Diskurs über die Nationskonstruktion verorteten. Indianische Autoren zeichneten ihrerseits ebenfalls das Selbstkonstrukt des ganz Anderen, allerdings mit positiven Attributen und Bewertungen versehen. Sie nahmen sich sogar als die „ersten Amerikaner“ und die eigentlich richtigen Amerikaner wahr. African Americans entwarfen mehrere Alternativen, angefangen von sozialintegrativen Uplifting-Modellen über partizipativ angelegte Doppelidentitäten als Afrikaner und Amerikaner bis hin zum rein afrikanisch ausgerichteten Black Nationalism. Weiße liberale Frauen, die aus der konventionellen Geschlechterrolle ausbrechen wollten, kämpften nicht nur für Gleichberechtigung, sondern erhofften sich von der so genannten Kulturfeminisierung häufig auch eine moralisch höherwertige, außerdem friedfertige und kosmopolitisch eingestellte Nation. Weibliche Publizisten konnten in den Qualitätsmagazinen zwar zu bestimmten gesellschaftlichen Themen schreiben, doch selten äußerten sie sich über nationale Identitätsfragen.203 Vielleicht wurden sie nicht gebeten, vielleicht fanden sie diesen Themenkreis im Vergleich zu anderen Diskussionsgegenständen auch nicht so wichtig, zumal der Nationalismus-Kult bei Weitem nicht allen Publizistinnen gefallen haben mag. Die Debatten über die Kulturfeminisierung haben zudem exemplarisch gezeigt, wie stark die nationale Identitätssuche auch Geschlechterrollen tangierte und wie die entsprechenden Diskursstränge sich mit jenen über Nativismus, Eugenik, Geburtenkontrolle und Rassismus überschnitten, sobald es um weiße, angelsächsisch geprägte Nationsbildung ging. Die Diskurse über die einzelnen Themen zogen sich zwar über die ganzen zwanziger Jahre hin, doch lag der zeitliche Schwerpunkt auf der zweiten Hälfte der Dekade, insbesondere bei Kommentaren zur „Neuen Frau“ und zum „Neuen Mann“, zur Kulturfeminisierung sowie zum New Negro, wobei die Große Depression kein Ende der Diskussionen bedeutete. Des Weiteren hat sich gezeigt, dass das Spektrum von Autoren und Autorinnen recht groß war, vor allem bei Geschlechterthemen, zumal sich bei solchen Diskussionen auch FachexpertInnen, vor allem Psychologen und Verhaltensforscher, häufig zu Wort meldeten. Der Forumscharakter der Zeitschriften führte dazu, dass 203 Baker, The Domestication.

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4 Ein-, Aus- und Umgrenzungen. Geschlecht, Klasse, Race

gegensätzliche Standpunkte in ein und derselben Zeitschrift erscheinen konnten, und zwar nicht nur in The Forum, sondern auch in den Magazinen The Nation und Harper’s Magazine. Wie bei den Diskursen über Europa, ging es den Zeitschriftenredaktionen offensichtlich nicht darum, als Richtungszeitschriften zu agieren, sondern den Differenzcharakter zwischen den einzelnen Standpunkten zu dokumentieren. Europa erschien in den Diskursen häufig als Bezugspunkt. So verband die AFL ihre Strategie der konfliktbegrenzten Lohnaushandlungen mit der Vorstellung, dass die höheren Löhne für die Überlegenheit und Leitbildfunktion Amerikas gegenüber Europa sprächen. In anderen Diskurssträngen erlitt Europa als Referenzfolie allerdings einen Bedeutungsverlust, etwa durch die Selbstbeschreibung der Native Americans, wonach sie es seien, die als erste und einzig richtige Amerikaner zu gelten hätten. Dadurch wurde nicht nur der Einfluss der europäischen Aufklärung, sondern auch der US-Gründungsmythos, bei dem die Siedlergemeinschaften der Europäer im Mittelpunkt standen, in Frage gestellt. Ebenso rückte Europa zumindest für diese Bevölkerungsgruppen ins Abseits, soweit African Americans ihre kulturellen Wurzeln explizit im amerikanischen Süden und auf dem afrikanischen Kontinent suchten. Da die African Americans als segregiertexkludierte Minderheitssubjekte auf die weißen Hauptrepräsentanten des Nationsdiskurses jedoch keinen nennenswerten Einfluss hatten, hielten sich die Auswirkungen auf den europabezogenen Diskurs allerdings in Grenzen, zumal das weiße, euro-amerikanische Western Civ-Konzept ein starkes Gegengewicht schuf.

TEIL III Im dritten Teil wechselt die Blickrichtung erneut. Im Mittelpunkt stehen nunmehr die vielfältigen Amerikanisierungstendenzen. Diese sind ihrerseits im Kontext der nation building-Prozesse zu sehen, in denen die Distanzbestimmung zu Europa eine beträchtliche Rolle spielte. Unter solchen Aspekten führt die „Reise“ im fünften Kapitel zur damaligen Interpretation von Raum und Zeit sowie zur national-symbolischen Aufladung diverser Phänomene, die als amerikanische Charakteristika galten. Das sechste Kapitel thematisiert den kulturellen Nationalismus, indem die komplexen Auseinandersetzungen über eine Amerikanisierung von Kunst und Literatur skizziert werden. Schließlich stehen im siebten Kapitel jene Diskurse im Zentrum, in denen die weltpolitische Seite der Amerikanisierung zur Sprache kommt.

5 AMERIKANISIERUNG VON RAUM, ZEIT UND GESELLSCHAFT He has desired […] to paint a picture with broad strokes of the brush, of the variegated past which has made our national story, and at the same time to try to discover for himself and others how the ordinary American, under which category most of us come, has become what he is today in outlook, character, and opinion.

Es war der liberale und in der Öffentlichkeit recht bekannte Historiker James Truslow Adams, der im Vorwort zu seinem 1932 veröffentlichten Buch The Epic of America in dritter Person seine Aufgabe als Autor beschrieb. In späteren Passagen verwies Adams ausführlich auf seinen Fachkollegen Frederick Jackson Turner und dessen Frontier-Theorem. Beide griffen ein Thema auf, das die Amerikaner schon seit den Ausführungen von Hector St. John de Crèvecoeur beschäftigt hatte.1 „I imagine that one of the most curious, one of the oddest, things that non-Americans notice in America is what might be called America’s selfconsciousness about his Americanness. We have been like that for many years – from the beginning, in fact.“2 Es gebe ganze Regale voll von Büchern, in denen darüber geschrieben stehe, was und wie die Amerikaner seien, und jeder verstehe etwas anderes darunter, konstatierte John Kouwenhoven, von dem auch das Zitat stammt, in seinem 1961 erschienenen Buch The beer can by the highway.3 Im Zuge des spacing turn ist bekanntlich das analytische Interesse an der Erforschung der Sinnkonstruktionen von Räumen immens gestiegen.4 Denn Räume beruhen auf der Basis sozialer und kultureller Relationen in Form von Bedeutungszuschreibungen, die Individuen und Kollektive vornehmen. Hierzu zählen auch jene Beziehungen, die Zusammenhänge zwischen Raumund Nationsentstehung samt ihrer Be- und Entgrenzungen produzieren. Wie gezeigt werden soll, war in den USA zum einen die geografische Weite, zum anderen die Konstruktion der Zivilisierung dieses weiten Raumes für den amerikanischen Nationsbildungs-Prozess konstitutiv. Im ersten Teil geht es um Entstehung und Entwicklung der amerikanischen Geschichtsschreibung, um ihre Richtungsänderung, ihre Professionalisierung und um die Tendenzen, auf die publizistische Öffentlichkeit einzuwir1

2 3 4

Crèvecoeur, Letters, III. Der bekannte Literat und französische Konsul Hector St. John de Crèvecoeur (1735–1813) fragte schon damals „What is an American?“. Siehe auch Kazin/McCartin, Americanism, 34. Kouwenhoven, The Beer Can, 23. Ebd., 27, vgl. auch 32. Der Publizist John Kouwenhoven lehrte u. a. am New Yorker Barnard College für Frauen. Als Einführung siehe Löw, Raumsoziologie.

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5 Amerikanisierung von Raum, Zeit und Gesellschaft

ken. In den folgenden Teilen werden die Trends zur Amerikanisierung von Geschichte, Gegenwart und Zukunft analysiert und den Auswirkungen auf das Verhältnis zu Europa nachgegangen. Unter einer solchen Fragestellung wird dann das populäre Konstrukt eines „amerikanischen Charakters“ ins Licht gerückt.5 Anschließend werden die Tendenzen zur „Amerikanisierung“ von Demokratie sowie die Einflüsse des puritanischen Erbes und des protestantischen Fundamentalismus auf das Bild des „typisch Amerikanischen“ vorgestellt und etwaige Europa-Bezüge skizziert. Schließlich werden jene Diskursstränge in Augenschein genommen, in denen von den Auswirkungen der industriell erstellten Warenstandardisierung auf die Nationsbildung die Rede war, sowie auf die Spannungen, die zwischen Regionalismus und Nationalismus bestanden und die Sichtweise auf Europa tangierten. 5.1 AMERIKANISCHE GESCHICHTSSCHREIBUNG UND IHR LESEPUBLIKUM Lange Zeit schrieben in den USA vorrangig Amateure die Geschichtsbücher.6 Erst seit den 1870er und 1880er Jahren konnte sich die Historiografie als Wissenschaft etablieren (Scientific History). Deren Vertreter orientierten sich in ihrem methodischen und konzeptionellen Vorgehen gerne an englischen Traditionen.7 Der amerikanische Unabhängigkeitskrieg hatte zwar eine politische Selbstständigkeit der Amerikaner bewirkt, aber der britische Einfluss blieb während des ganzen 19. Jahrhunderts nicht nur bestehen, sondern wurde auch im Bewusstsein jeder Generation erneuert, wozu fortan die professionell arbeitenden Historiker wesentlich beitrugen. Ihre Darstellungsweise unterstützte die anglophilen Neuengland-Eliten, die eine Anglisierung der USA betrieben.8 Doch seit der Jahrhundertwende machten die meist aus dem Mittleren Westen stammenden so genannten „progressiven“ Historiker (progressive historians) von sich reden9, weil sie andersartige historiografische Narrative 5 6 7

8 9

Dazu siehe u. a. Saldern, Amerikanischer Charakter. George Bancroft war einer der bekanntesten „vorprofessionellen“ Geschichtsschreiber. Vgl. Novick, That Noble Dream, 21; Tyrrell, Historians, 25. In den 1870er Jahren zählte man erst elf Geschichtsprofessoren in den USA. Thelen, Making History, 384. Anfänglich fanden die Vertreter der Scientific History ein Vorbild auch in der deutschen Geschichtsschreibung, insbesondere in den Werken Leopold von Rankes. Die anglophilen Historiker neigten ansonsten dazu, die Bedeutung der anderen Europäer für die Entwicklung der USA zu marginalisieren, etwa hinsichtlich des Aufbaus der Siedlungskultur im Westen. Lind, The Next American Nation, 63. Auch veränderte sich die soziale Herkunft der Historiker. Diese stammten weniger oft aus der kulturellen Neuengland-Elite, sondern häufiger aus kleinbürgerlich-städtischen Immigrantenfamilien. Ausführlich Higham, History, 64.

5.1 Amerikanische Geschichtsschreibung und ihr Lesepublikum

207

(New History) verfassten.10 Sie fokussierten ihre Studien nicht mehr wie ihre Vorgänger auf politische Ereignisabläufe, sondern entweder – wie vor allem der höchst einflussreiche Historiker Charles A. Beard – auf ökonomische Prozesse11 oder, wie Frederick Jackson Turner, auf raumbezogene soziokulturelle Vorgänge. In ihren Studien rückte auch die Geschichte des „amerikanischen Volkes“ (American people) stärker ins Zentrum als dies bis dahin in Geschichtsbüchern üblich war. Die historiografischen Narrative über die USA sollten sich nicht nur von europäischen Erzählungen unterscheiden, sondern auch nützlich für die Gegenwart sein (usable past), wie Van Wyck Brooks in der Zeitschrift The Dial 1918 forderte.12 Die hauptsächlich mit Lehre beschäftigten Universitätsprofessoren schrieben allerdings in der Regel eher selten Artikel für Zeitungen und Magazine – im Unterschied zur Gruppe freischaffender Publizisten, zu welcher der wohlhabende James Truslow Adams gehörte, der sich jedoch keiner renommierten Historiker-Schule verbunden fühlte. Diese Arbeitsteilung führte indessen zu keinen großen Gegensätzen zwischen den Professionellen und den Freischaffenden, vielmehr war der Übergang zwischen beiden Gruppen fließend.13 Letztere sahen sich eher als Vermittler zwischen den professionell arbeitenden Historikern und den akademisch gebildeten Mittelschichten.14 Während der Einfluss der professionellen, an Universitäten lehrenden Historiker auf die Öffentlichkeit in den 1920er Jahren eher sank als zunahm, wuchs jener der außeruniversitären „Amateure“ und der hauptsächlich publizistisch tätigen Historiker, wie Charles A. Beard, James Truslow Adams und Bernard DeVoto, beträchtlich an, zumal, wenn sie auch mit ihren Buchveröffentlichungen reüssierten. Doch wer las all die Bücher? In einigen Staaten gab es ja nicht einmal Buchläden. Dort wurden Bücher nur nebenbei in drugstores oder an Zeitungs10

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Dazu siehe u. a. Waechter, Die Erfindung; Hofstadter, The Progressive Historians; Breisach, American Progressive History; Tyrrell, Historians, 29 f. Die Bezeichnung New History stammt vom gleichnamigen Titel eines 1912 erschienenen Essaybandes, den James Harvey Robinson verfasst hatte. Beard hatte das Zustandekommen der Verfassung in Verbindung mit ökonomischen Interessen gebracht. Sein 1913 veröffentlichtes Buch An Economic Interpretation of the Constitution wurde in der Zwischenkriegszeit sehr einflussreich. Der Verfasser interpretierte auch den Bürgerkrieg als Kampf zwischen Klassen und ökonomischen Systemen. Nach Novick, That Noble Dream, 235. Zu Beard siehe u. a. Klose, Dogmen, 157–225. Hierzu und zum Folgenden Van Wyck Brooks, „On Creating a Usable Past“, in: The Dial (April 1918), 337–341; vgl. Orvell, The Real Thing, 168. Ähnlich wie Brooks äußerte sich auch der Begründer des Pragmatismus, William James. Vgl. Kammen, Selvages, 116 f. Zur Aversion von Intellektuellen gegenüber der Geschichtsschreibung und zur Zukunftsorientiertheit unter Intellektuellen siehe Biel, Independent Intellectuals, 169. Ebd., 4, 52. Ähnlich argumentierte auch Bernard Fay, „An Invitation to American Historians“, in: Harper’s Magazine (Dezember 1932), 20–31, 25. Tyrrell, Historians, 49, 53; Higham, History, 75, 78, 80.

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5 Amerikanisierung von Raum, Zeit und Gesellschaft

ständen verkauft. Nach Schätzungen von 1931 bestanden in den ganzen USA lediglich rund 500 Buchläden, und diese waren meistens in Städten zentriert.15 Viele Bücher wurden freilich über die neu gegründeten Buchklubs vertrieben.16 Unter den Non Fiction-Büchern, die immerhin fünfzig Prozent des Sortiments ausmachten, befanden sich auch zahlreiche historische und biographische Texte.17 Die Gesamtproduktion allein von historischen Büchern war um 1925 auf das Dreifache im Vergleich zu der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg gestiegen.18 Der Krieg hatte offensichtlich stimulierend auf das Interesse der Öffentlichkeit an Geschichte und an der damit verbundenen Suche nach nationaler Identität gewirkt. War das ältere Lesepublikum noch weitgehend in einer anglophilen Elitenkultur eingebunden gewesen, so erweiterte sich nunmehr das Spektrum der gern als middlebrow bezeichneten Leserschaft19 – dank der Expansion der höheren Ausbildung und des Anwachsens der Zahl der Angestelltenberufe. Zu einem schlechteren Ergebnis kommt hingegen, wer die Größe des Lesepublikums mit der Größe der Bevölkerung in Beziehung setzt. Sechzig Millionen Menschen wollten von Büchern nichts wissen, nur vier Prozent der Bevölkerung besuchten Buchläden. Wenn überhaupt, dann kauften die Leute meist Bücher, von denen sie gehört hatten, doch hörten sie eben nur von wenigen, weil es kaum Buch-Anzeigen gab.20 Nach einer zeitgenössischen Schätzung erwarben lediglich rund 200.000 Haushalte regelmäßig Bücher. Verglichen mit dem Kauf anderer Güter, etwa Autos, und verglichen mit europäischen Ländern, etwa mit Dänemark, sei diese Zahl als niedrig anzusehen. Die große Mehrheit der Menschen läse keine Bücher, meinte Ellis W. Meyers, ein namhafter Vertreter der American Booksellers’ Association, der es eigentlich wissen musste.21 Auch sollte man sich nicht von den relativ hohen Auflagen einiger Veröffentlichungen täuschen lassen, denn diese wurden zwar gekauft, 15 16

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Welky, Everything, 150. In den späten zwanziger Jahren existierten in den USA neun Buchklubs, wobei die beiden größten, der Book-of-the-Month Club (1926) und die Literary Guild (1927) je 100.000 Mitglieder aufwiesen, die sich vor allem in Städten und insbesondere in Schulen und Colleges befanden. The Forum (April 1929), XI, Anzeige. Die Organisatoren achteten bei ihrer Bücherauswahl durchaus auf literarisches Niveau. Auch Bücher europäischer Autoren hatten eine Chance, auf die Versandliste gesetzt zu werden, so jene von Erich Maria Remarque und Arnold Zweig. Raeithel, Geschichte, 387. Nach Tyrrell, Historians, 45. Das historiografische Buch der Beards, The Rise, profitierte beispielsweise sehr von solchen Vertriebspraktiken. Susman, Culture, 188. Tyrrell, Historians, 47. Higham, History, 73 f. Burges Johnson, „The Alleged Depravity of Popular Taste“, in: Harper’s Magazine (Januar 1921), 209–215, 212. Meyers bezieht seine Aussage auf Haushalte. Nach Jesse Lee Bennett, „America Has a Book!“, in: The Bookman (Oktober 1925), Kurzform, in: The Reader’s Digest (November 1925), 443–444. Bennett war Herausgeber, Publizist und Autor des Buches What books can do for you.

5.1 Amerikanische Geschichtsschreibung und ihr Lesepublikum

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aber vermutlich meist nicht gelesen.22 Sie dienten wohl mehr als Schmuckstücke. Ein englischer Verleger machte daraus sogar ein gutes Geschäft. Er warb in den USA mit einer Serie leinengebundener Bücher (cloth bound) zu einem recht niedrigen Preis und in einer handlichen Größe. Und siehe da: Innerhalb weniger Monate verkaufte er davon über eine Million Exemplare. Die Idee kam offenbar bei vielen Amerikanern gut an23, wohl nicht zuletzt deshalb, weil die Bücher als schön galten. Da sich die Anzahl der Leser und Leserinnen trotz ihrer quantitativen Begrenztheit vergrößerte, wuchs auch das Interesse an der Vermittlung von verständlich aufbereiteten Wissensbeständen, vor allem über die Geschichte des Landes. Der französische Historiker Bernard Fay, der in Harvard studiert hatte, schrieb im Harper’s Magazine, dass Geschichte in den USA zunehmend als wichtig angesehen werde, weil die Menschen dadurch ein Gefühl der eigenen Bedeutung erhielten.24 Die wichtigste Kraft, die das Land als Einheit zusammenhalte, sei seine Geschichte, so Fay 1932. Überdies fand er die amerikanische Geschichte besonders spannend, in seinen Augen war sie eine „Epitome der Weltgeschichte“.25 Das Interesse an der Vergangenheit beschränkte sich nicht allein auf die schriftlich verfassten Geschichtsnarrative, sondern bezog auch andere historische Überlieferungs- und Ausdrucksformen mit ein. Der amerikanische Schriftsteller John Peale Bishop verwies auf Filme sowie auf Romane, Bühnenstücke, Gedichte, Gemälde, Drucke und Möbel.26 Nicht zufällig baute das Metropolitan Museum einen neuen Flügel an, der hauptsächlich Relikte aus vergangenen Zeiten ausstellte, die als amerikatypisch galten, und der Zulauf von Besuchern war unerwartet groß. Im Jahre 1922 wurde im Rahmen eines stark nationalisierten Festes außerdem das Lincoln-Monument in Washington, D. C. eingeweiht. Auch das rekonstruierte Colonial Williamsburg veranschaulichte die Vergangenheit durch nationale Symbolik und Narrative.27 Nicht zufällig fanden damals die Declaration und der amerikanische 22 23 24

25

26

27

Stephen Leacock, „Americans Are Queer“, in: The Forum (April 1923), 224–225, 224 f. Burges Johnson, „The Alleged Depravity of Popular Taste“, in: Harper’s Magazine (Januar 1921), 209–215, 213. Bernard Fay, „An Invitation to American Historians“, in: Harper’s Magazine (Dezember 1932), 20–31, 20, 24. Fay spielte später eine unrühmliche Rolle in der Vichy-Regierung. Fay meinte damit die „Eroberung der Erde durch die weiße „Rasse“ und die Besiedelung der Kontinente durch den indo-europäischen Genius“. Bernard Fay, „An Invitation to American Historians“, in: Harper’s Magazine (Dezember 1932), 20–31, 22 f., 30 f. John Peale Bishop, „America becomes ‚Past‘ Conscious“, in: Vanity Fair (Februar 1925), Kurzform in: The Reader’s Digest (März 1925), 667–668, 668. In der Zeitschrift Vanity Fair, die sich auf Kultur, Mode und Politik konzentrierte, veröffentlichten viele angesehene Schriftsteller jener Jahre. Zu den Museen vgl. auch Wallace, Visiting the Past, 141. Kabisch, The Tools; vgl. dazu und zum Folgenden Wallace, Visiting the Past, 142–146.

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5 Amerikanisierung von Raum, Zeit und Gesellschaft

Verfassungstext in der Library of Congress einen repräsentativen und öffentlichkeitswirksamen Ausstellungsort. Das Interesse an Familiengeschichten und Genealogie wuchs ebenfalls.28 Viele Amerikaner, die sich seit dem Ersten Weltkrieg nach mehr mentaler Sicherheit sehnten, lenkten ihre Blicke im Zuge einer allgemeinen Historisierungswelle auch auf die eigenen Familienwurzeln. Dazu gehörte der Hang zahlreicher Neuengländer, die Kolonialzeit wiederzubeleben (colonial revival), um ihre angelsächsische Abstammung auch auf diese Weise zu demonstrieren. Amerika war für sie von jeher ein angelsächsisch geformtes Land, und dies sollte auch so bleiben.29 Im Zuge einer schließlich weit über Neuengland hinausgehenden Nostalgiewelle entstand in den zwanziger Jahren ein „Kult der Antiquitäten und ihrer Kopisten“30, und die Massenproduktion kolonialer Stil-Möbel fand im ganzen Land großen Absatz. Offensichtlich hatten sich auch für Nicht-Neuengländer die Relikte von der Kolonialherrschaft so weit gelöst, dass sie eine positiv besetzte Vergangenheit repräsentieren konnten und somit einen Ausgleich zu den Verunsicherungen bereitstellten, die die Moderne und das Maschinenzeitalter für die Menschen bedeuteten. Dementsprechend galt das alte Americana der Kolonialzeit mehr und mehr als amerikanische und nicht als englische Kultur. Wie man sich solche Umdeutungen im Sinne einer Amerikanisierung vorzustellen hatte, zeigte der Maler Robert Henri am Beispiel seiner Interpretation der aus der Kolonialzeit stammenden Häuser, die vor allem in Neuengland zu finden waren: „They were in the manner of European styles, but there was a spirit added to the adaptation which was distinctively American.“31 Es war also der amerikanische Geist, der dem europäischen Stil hinzugefügt wurde, wodurch nach Henris Auffassung eine Transformation erfolgte. Für die spannungsreiche Symbiose von alt und neu stand auch Henry Ford, prominenter Vertreter der Fließbandproduktion, zugleich jedoch auch Erbauer des Dearborn Museum, in dem Relikte aus vorindustrieller Zeit ausgestellt wurden, sowie des Museumsdorfs Henry Ford Museum & Greenfield Village.32 Derselbe Henry Ford war es, der die Geschichte früher allerdings als Quatsch (history is bunk) bezeichnet hatte, und solche Verwerfungen fanden in Teilen der Öffentlichkeit durchaus auch weiterhin Gehör (a grateful country sang Amen), wie der bekannte niederländisch-amerikanische Schriftsteller Hendrik Willem Van Loon mit Bedauern resümierte. Ungeachtet der Tatsache, dass sich Menschen durchaus für ihre eigene Kindheit und ihre Familien28 29 30 31 32

Vgl. Solomon, Ancestors, 60. Vgl. Gowans, The Comfortable House, 10. Giedion, Die Herrschaft, 539; Lynes, The Tastemakers, 240; Allen, Only Yesterday, 173. Robert Henri, „What About Art in America?“, in: Arts and Decoration (November 1925), Kurzform in: The Reader’s Digest (Januar 1926), 567–568, 568. Orvell, The Real Thing, 166–168.

5.2 Der Frontier-Amerikanismus

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geschichte interessierten33, gehe der Durchschnittsamerikaner keineswegs in öffentliche Bibliotheken, um Geschichtsbücher zu lesen. Das Interesse an Geschichte war und blieb demnach ein Phänomen der (akademischen) Mittelschichten. 5.2 DER FRONTIER-AMERIKANISMUS Das in den (akademischen) Mittelschichten verbreitete Interesse an Geschichte zeigte sich vor allem im Kontext der Neuinterpretation des amerikanischen Westens als ein für die Nationsbildung signifikantes Grenzareal (frontier). Die damit verbundene Aufwertung des (mittleren) Westens verbindet sich bis auf den heutigen Tag unumstritten mit dem Namen des bekannten Historikers Frederick Jackson Turner und seinem 1893 veröffentlichten Vortrag, der den Titel The Significance of the Frontier in American History trug. Turner thematisierte in diesem Text die Geschichte der nach dem Westen des Landes vordringenden Siedler, ihren erfolgreichen Kampf mit den Naturgewalten, ihre tiefgreifende Auseinandersetzung mit Wildnis und „Barbarei“ sowie ihren angeblich vorbildhaften Aufbau eines Gemeinwesens. Besonderen Wert legte Turner in seinem Narrativ auf die Behauptung, dass die Pioniere über viel freies Land (free land) verfügten.34 Eine relative Gleichheit im wirtschaftlichen Bereich habe hierdurch unter den Siedlern entstehen können, worauf der amerikatypische Individualismus samt Freiheitsanspruch beruhe.35 Niemand hatte bis dahin ein ähnlich selbstwertsteigerndes Theorem entworfen, in dem Umwelt, Raum und Geschichte konzeptionell zusammengeführt und als Einflussgrößen auf den Menschen, aber auch als gesellschaftliche Gestaltungskraft dargestellt wurden36, wobei sozialdarwinistische Gedankengänge mit umwelt- und evolutionsbezogenen Vorstellungen eine Symbiose eingingen. Turner stieß mit seiner Art der historischen Analyse sowohl in der Öffentlichkeit als auch bei seinen Fachkollegen auf großen Widerhall. Für den New Nationalism, der seit der Jahrhundertwende die Öffentlichkeit erfasste, bot er und auch sein Schüler Frederick L. Paxson eine dazu passende und zudem originelle Geschichtsdeutung an37, die das neue nationale Selbst33 34 35 36 37

Loon, History, 297–308, Zitat 299. Ford entdeckte die Bedeutung der Geschichte erst später. Dazu und zum Folgenden Turner, The Significance of the Frontier; vgl. u. a. Waechter, Die Erfindung, 15, 109; Novick, That Noble Dream, 94. Turner, The Significance of the Frontier, 61; vgl. Waechter, Die Erfindung, 14; Breisach, American Progressive History, 25. Dazu generell Hochgeschwender, Raum. Croly, The Promise, 1; Waechter, Die Erfindung, 194; Allardyce, The Rise, 706; ähnlich auch Higham, History, 190 f.; ders., Hanging Together, 44. Die Übertragung der Fron-

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5 Amerikanisierung von Raum, Zeit und Gesellschaft

wertgefühl der Öffentlichkeit stärken sollte.38 Turners Ansicht, dass sich die Siedler schnell und effektiv amerikanisiert hätten (rapid and effective Americanization), war für große Teile der amerikanischen Öffentlichkeit besonders attraktiv.39 Turner nannte auch das Ergebnis: „The fact is, that there is a new product that is American.“40 Attraktiv war schließlich wohl auch, was der Historiker-Kollege James Truslow Adams, ungeachtet seiner massiven Kritik an der Frontier-Kultur, mit den Worten auf den Punkt brachte: „But the frontier also left us our American dream, which is being wrought out in many hearts and many institutions.“41 Turner deutete die Eroberung und Domestizierung der Wildnis im Westen als Hauptursache für die Entstehung amerikanischer Alterität zu Europa. [We] must study the transforming influence of American wilderness, remote from Europe, and by its resources and its free opportunities affording the conditions under which a new people, with new social and political types and ideals, could arise to play its own part in the world, and to influence Europe.42

Während die Scientific Historians zur nationalen Identitätsstiftung in der Weise beitragen wollten, dass sie die Kontinuität und Verbundenheit zu Europa, insbesondere zu England, betonten, verfolgten Turner und andere „progressive“ Historiker zwar das gleiche nationsorientierte Ziel, aber auf anderem Weg, mit anderer Schwerpunktsetzung und mit anderen Argumenten. Die Betonung der historischen Andersartigkeit Amerikas im Vergleich zu Europa führte zur Amerikanisierung und Enteuropäisierung der amerikanischen Geschichte, wodurch nicht zuletzt eine „hausgemachte nationale Identität“ (homegrown national identity) erzeugt werden sollte.43 Turner wollte allerdings die amerikanische Geschichte nicht isoliert von Europa betrachtet sehen; auch hegte er persönlich keinerlei Groll gegenüber Europa: „He neither feared nor hated Europe, but he loved America“, hieß es damals über ihn.44 Allerdings wies Turner mit kritischem Ton darauf hin, dass bei der Besichtigung großartiger europäischer Bauwerke und Städte oftmals vergessen werde, wie viele

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tier-Kultur auf andere Erdteile lag allerdings trotz der archetypischen Züge dieser Erzählung nie im Interesse Turners, hätte dies doch die Einmaligkeit der amerikanischen Entwicklung in Frage gestellt. Vgl. Ellis/Munslow, Narrative, 12 f. Auch Woodrow Wilson würdigte diese Geschichtsinterpretation. Hofstadter, The Progressive Historians, 60. Turner, The Significance of the Frontier, 56. Ebd. Adams, Epic, 413; Higham, History, 95. Turner, The Frontier, Vorwort. Horton, Race, 316; vgl. Lingelbach, Klio, 534; Bender, Introduction, 3 f.; vgl. auch Higham, History, 173; Henningsen, Der Mythos, 159. Bernard Fay, „An Invitation to American Historians“, in: Harper’s Magazine (Dezember 1932), 20–31, 30; Bender, Introduction, 3 f.

5.2 Der Frontier-Amerikanismus

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arme Menschen hierfür hart arbeiten mussten – es sei dies eine humanitäre Tragödie sondergleichen gewesen.45 In Umkehrung der positiven Bewertung der Frontier-Kultur, wie sie vor allem durch Turner erfolgte, betonte ein Teil der liberalen Publizisten gerade deren negativen Auswirkungen auf die amerikanische Gesellschaft.46 Beispielsweise hob Joseph Wood Krutch, Mitherausgeber der Zeitschrift The Nation, hervor, dass die Besiedlung des Westens destruktiv auf die bereits im Osten erreichten kulturellen Standards gewirkt hätte. Zudem seien, wie der Herausgeber der Zeitschrift The New Republic, Herbert Croly, hervorhob, die Ideale der Frontier-Phase im Industriezeitalter gänzlich überholt.47 Ferner müsse die mit dem Frontier-Theorem automatisch verbundene Enteuropäisierung der amerikanischen Geschichte problematisiert werden.48 Die USA seien nicht zuletzt wegen der Aus- und Nachwirkungen der Frontier-Kultur auch immer provinziell geblieben und interessierten sich deshalb nicht für andere Länder. All diese Kritikpunkte, die im Zusammenhang mit dem Frontier-Theorem geäußert wurden, vermochten nicht, dessen weitläufige Akzeptanz in der Publizistik und der Fachöffentlichkeit zu vermindern. Im Gegenteil, der Mythos vom amerikanischen Westen wurde vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg zusätzlich mit patriotischer Symbolik angereichert, populistisch aufbereitet und in die audio-visuelle Medienproduktion eingespeist.49 Das Frontier-Theorem war sowohl ein bedeutsames historiografisches Narrativ als auch ein moderner Mythos, der die gesellschaftsbildende Bedeutung von Raum und Grenze herausstellte – einer Grenze zwischen Zivilisation und Wildnis bzw. „Barbarei“. Hierin bestand der stabile Kern dieses Mythos, der ansonsten vielfältig auslegbar und anpassungsfähig war.50 Erst seit den dreißiger Jahren vermehrte sich die Kritik an Turners Geschichtsinterpretation. 45 46

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Nach Klein, Frontiers, 82. Ähnlich dachten auch der Historiker Dixon Ryan Fox, der Sozialphilosoph Lewis Mumford sowie H. L. Mencken, John Dewey und Van Wyck Brooks. Waechter, Die Erfindung, 226. Waechter spricht in diesem Kontext von einer negativen Frontier-These. Ebd., 227; vgl. auch Hofstadter, Turner, 436; Blake, Beloved Community, 134; Susman, Culture, 36 f. Croly, The Promise, insb. 3–7, 11, 17; Waechter, Die Erfindung, 223, 227. Croly war durch sein Buch The Promise of Amercan Life von 1909, in dem er für eine „organische“ (organic) Erneuerung von Nation, Staat und Gesellschaft im Sinne eines demokratischen Kollektivismus eintrat, bekannt geworden. Ähnlich argumentierten Niebuhr und Stearns. Reinhold Niebuhr, „Catastrophe or Social Control. The Alternatives for America“, in: Harper’s Magazine (Juni 1932), 114–118, 114 f.; Stearns, The Intellectual Life, 136 f. Vgl. Hofstadter, Turner, 438. Vgl. ebd. Vgl. dazu für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg Abel, Americanizing, 3. Kapitel, insb. 123. Vgl. Hochgeschwender, Raum, 37; Slotkin, Gunfighter Nation, 24. Es war vor allem Henry Nash Smith, der in seiner Studie aus dem Jahre 1950 die Narrative über die Fron-

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5 Amerikanisierung von Raum, Zeit und Gesellschaft

Nun hieß es, dass dieser die Bedeutung der Westbesiedlung für die Ausprägung der US-Kultur stark überschätzt habe und der Westen auch als ein Teil des modernen, urbanen Amerikas wahrgenommen werden müsse.51 In der Retrospektive lässt sich das Turner’sche Frontier-Theorem als ein Teil eines weit ausgreifenden postkolonialen Abnabelungsprozesses von Europa interpretieren. Die darin verankerte Aufwertung des amerikanischen Westen als eine die gesamten USA prägende Geschichtslandschaft wird jedenfalls zu Recht als eine Zäsur angesehen.52 Turners entschiedenes Eintreten für eine identitätsstiftende Interpretation der amerikanischen Geschichte trug sicherlich dazu bei, den Amerikanisierungsprozess in den USA auch auf anderen Gebieten voranzutreiben und zu popularisieren.

5.3 AMERIKANISIERTE GEGENWARTS- UND ZUKUNFTSDEUTUNGEN Nicht nur die Geschichte, auch Gegenwart und Zukunft sollten amerikanisiert werden, und das geschah mit Hilfe der Evolutionstheorie und dem damit verknüpftem Fortschrittsglauben. Evolutionslehre und Fortschrittsglaube hatten in der amerikanischen Gedankenwelt Tradition, so auch unter den amerikanischen Scientific Historians des späten 19. Jahrhunderts, etwa bei den Historikern Henry Adams, Herbert Baxter Adams und John Fiske.53 In dieser Hinsicht lösten Turner54 und andere New Historians keinen Paradigmenwechsel aus. Allerdings unterschieden sie sich in der Frage, welches die wesentlichen Einflussfaktoren waren, die auf die soziale und kulturelle Weiterentwicklung der amerikanischen Gesellschaft einwirkten: Während die Scientific Historians diese im puritanischen Erbe (puritan heridity) sahen, betrachteten die „progressiven“ Historiker die Umwelt (environment) als ausschlaggebend, wie dies ja auch im Frontier-Theorem besonders eklatant zum Ausdruck kam.55 Unter dem Einfluss der Lehren von Charles Darwin und Herbert Spen-

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tier-Kultur gerade wegen ihrer mythischen Prägekraft für bedeutsam hielt. Nash, Virgin Land. Näheres siehe Waechter, Die Erfindung, 314 f. Higham, History, 214 f.; Slotkin thematisiert den langwährenden Einfluss des FrontierTheorems auf die meinungsbildende historiografische Schule. Slotkin, Gunfighter Nation, 3. Dazu Tyrrell, Making Nations, 1017; Hofstadter, The Progressive Historians, 47 f.; Hofstadter zitiert zustimmend Charles A. Beard. Vgl. u. a. Lingelbach, Klio, 520. Noble, The End, 23, 25; Bracher, Der „Frontier-Gedanke“, 23. Turner interpretierte den Zug der Siedler nach Westen als einen konstanten Erneuerungsprozess, als einen Neubeginn einer kreativen sozialen Evolution. Vgl. Waechter, Die Erfindung, 103–105. Ähnlich dachte auch Turners Schüler, der „progressive“ Historiker Carl L. Becker aus Iowa. Ebd., 169–171. Lingelbach, Klio, 536 f.; Novick, That Noble Dream, 92 f.

5.3 Amerikanisierte Gegenwarts- und Zukunftsdeutungen

215

cer wurde der Evolutionsgedanke enttranszentalisiert, entromantisiert und stattdessen so stark naturalisiert, dass er sich – auf Menschen bezogen – mit dem Begriff des Sozialdarwinismus fassen lässt.56 Turner war bekanntlich nicht nur derjenige, der die Frontier-Zeit pries, sondern er war es auch, der 1893 das Ende dieser Phase konstatierte, wobei er sich auf eine Verlautbarung des Leiters der Volkszählung von 1890 berief. Was sollte dann aber für Gegenwart und Zukunft nationsbestimmend sein? Genügte es, allein auf das Erbe der Frontier-Kultur zu verweisen? Mussten die Attribute, die dieser Phase zugeschrieben wurden, nicht mit deren Ende ebenfalls verblassen?57 Sollte deshalb nicht nach einer identitätsstiftenden Interpretation der Gegenwart gesucht werden? Als besonders geeignet erschien hierfür der Begriff des Maschinenzeitalters. Dieser signalisierte das Neue der damaligen Gegenwart, mit ihm konnte jedoch auch an das Erbe der Frontier-Kultur angeknüpft werden. Die Verbindungsmöglichkeit lag in der Herausstellung der Figur des Pioniers.58 War der Siedler in der Frontier-Ära der Pionier, so avancierte im Narrativ über das Maschinenzeitalter der Ingenieur zum Pionier. Der Ingenieur galt als Erfinder sowie als ein Mann der Tat und des fachlichen Könnens, ferner als ein Mann mit „personal restraint“ und „unassailable ethics“. So wurde der Ingenieur zum (männlich geprägten) Prototyp des amerikanischen Gegenwarts- und Zukunftsgestalters und zu einer populären Leitfigur hochstilisiert.59 Führende Vertreter einer evolutionistischen Bestandsaufnahme der Gegenwart waren Charles A. Beard und seine Frau Mary Beard, eine Pionierin amerikanischer Frauengeschichtsschreibung.60 Die Beards anerkannten aus fortschrittsorientierter Sicht zwar die Leistungen Turners für die amerikanische Geschichtsschreibung, distanzierten sich jedoch von dessen Ignoranz des Industriezeitalters und erst recht von all jenen, die den Fragen auswichen, wie Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft auf einander bezogen sein sollten.61 Das vom Ehepaar gemeinsam verfasste Buch The Rise of American Civilization (1927) wurde mit einer Gesamtauflage von mehr als 130.000 Exemplaren ein Bestseller und ein Standard-Textbuch in Schulen und Colleges.62 56 57 58 59

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Über den Einfluss der Gedankengänge von Darwin und Spencer siehe u. a. Waechter, Die Erfindung, 170; Krakau, Missionsbewußtsein, 2. Kapitel. Adams, The Epic, 408. Vgl. u. a. Santayana, Character, 170; Slotkin, The Fatal Environment, 12. Ebd., 125, 12; Tichi, Shifting Gears, 170. Der Historiker Henry Adams behauptete, dass sich der „nationale Charakter“ in Amerika durch Schnelligkeit des Intellekts (quickness of intelligence) auszeichne, und er verwies dabei auch auf die vielen (Ingenieurs-)Erfindungen gerade auf militärischem Gebiet. Nach ebd., 139; Strout, The American Image, 117. Allen, Feminism, 1112. Nach Nore, Charles A. Beard, 115. Waechter, Die Erfindung, 165; Tyrrell, Historians, 61. Die Beards verkauften von ihren verschiedenen Büchern zur amerikanischen Geschichte, worunter sich das ebenfalls recht bekannte 1939 erschienene Buch Midpassage befand, insgesamt über fünf Millio-

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5 Amerikanisierung von Raum, Zeit und Gesellschaft

Das Ehepaar Beard deutete die Gegenwart primär als Maschinenzeitalter (machine age) und füllte diesen Begriff, der sich in der Öffentlichkeit schon durchgesetzt hatte63, mit Inhalten, wobei es auch Verknüpfungen zum gleichzeitig verbreiteten „technologischen Utopismus“ herstellte.64 Die gegenwärtigen und zukünftigen Gesellschaften seien, so lautete die Botschaft, von der Maschine sowie von Wissenschaft und Technologie geprägt65, und gerade in solchen Bereichen seien es die USA, die die Führungsrolle übernommen hätten. Die Interpretation der damaligen Gegenwart als Maschinenzeitalter erlaubte Charles A. Beard und ähnlich Denkenden, die Koordinaten der bis dahin gängigen kulturellen Wertematrix so zu verändern, dass sich auch die Bedeutung Europas für Gegenwart und Zukunft verringerte.66 Beard, der bedauerte, dass die USA es versäumt hätten, unifizierende Ideen unters Volk zu bringen, wollte nun seinerseits ein gegenwartsbezogenes nationales Bewusstsein entwickeln helfen, welches auf der Basis von Industrialisierung, Technikentwicklung und Wohlstand beruhte und die Einzigartigkeit der amerikanischen Zivilisationsentwicklung betonte.67 Reisen nach Europa und Japan bestärkten die Beards vermutlich in ihrem Glauben, dass Amerika etwas Besonderes, etwas Einzigartiges sei, und dass sich die amerikanische Geschichte von der europäischen gravierend unterscheide.68 Während Turner mit seinem Frontier-Theorem die Singularität Amerikas und die Überlegenheit der USA gegenüber Europa begründete, ordnete Charles A. Beard die amerikanische Geschichte mehr in den „Gesamtzusammenhang der westlichen Zivilisationsgeschichte“ und in die Geschichte ihrer

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nen Exemplare. Lingelbach, Klio, 539. Nach einer Umfrage der Zeitschrift The New Republic aus dem Jahre 1938 darüber, welche Bücher die Auffassungen der LeserInnen besonders stark beeinflusst hätten, rangierte Beard gleich nach Veblen – noch vor Dewey und Freud. Novick, That Noble Dream, 240. Charles A. Beard verlor allerdings seinen guten Ruf im Zweiten Weltkrieg. Er hatte Präsident Roosevelt beschuldigt, die Öffentlichkeit in Bezug auf den Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg irregeführt zu haben. Bacevich, American Empire, 12. Auch Dewey verwendete damals diesen Begriff. Dewey, Die Öffentlichkeit, z. B. 112, 124. Im Jahr 1927 fand auch die große Ausstellung in New York statt, die den Titel Machine-Age Exposition trug. Dazu siehe Segal, Technological Utopianism, insb. 98–128, 103. Eingebettet in ein organisches Gesellschaftsmodell wurden zu dieser Zeit auch Naturkonservierungen, etwa in Form von Naturparks, vorangetrieben, ferner die angeblich segensreichen Wirkungspotenziale des Taylorismus herausgestellt sowie den Planungseuphorien freien Lauf gelassen. Ebd., 98, 103. Der Begriff des Organischen ließ sich in den US-amerikanischen Diskursen offensichtlich ohne Weiteres mit Maschine, Technik, Effizienz und Planung verbinden. Vgl. auch Klose, Dogmen, 200. Siehe Beard/Beard, The Rise. Das 30. Kapitel trägt die Überschrift „The Machine Age“; allg.: Segal, Technological Utopianism, insb. 125. Nore, Charles A. Beard, 120, 123, 125. Klose, Dogmen, 200; Noble, The End, 7, 10.

5.3 Amerikanisierte Gegenwarts- und Zukunftsdeutungen

217

Industrialisierung ein.69 Die Beards, wie auch andere Publizisten, gelangten indessen in Bezug auf das transatlantische Verhältnis zu einem ähnlichen Ergebnis wie Turner: So seien es die USA, die dank der nie endenden Energie ihrer Bewohner nunmehr die Führungsrolle übernommen hätten.70 Der liberale Publizist Hiram K. Motherwell, der von 1919 bis 1927 in Europa für Daily News arbeitete, schlug 1930 verwandte Töne an, als er ausrief: „At the precise historic moment when the question, who should command the machine age, hung in the balance, America went into high; Europe went into reverse. That decided where empire would henceforth reside.“71 Wie auch andere „progressive“ Historiker verbanden die Beards ihre Sicht auf das Maschinenzeitalter mit einer optimistischen Prognose für die Zukunft Amerikas, da sich ihrer Meinung nach schon jetzt auf allen Gebieten eine große Kräfte-Entfaltung der amerikanischen Nation zeige.72 Weil sie und andere „progressive“ Historiker ihren Evolutions- und Fortschrittsglauben mit großem Optimismus verknüpften73, führte dies nicht selten zur Annahme, dass sich schon allein ein solcher typisch amerikanischer Optimismus vom Pessimismus des dekadent erscheinenden Europas unterscheide und deshalb als Ausdruck der Suche nach kultureller und mentaler Unabhängigkeit von Europa gedeutet werden müsse.74 Der Historiker Brooks Adams, der Bruder von Henry Adams, brachte das „klassische“, jedoch aktualisierte Selbst- und Sendungsbewusstsein mit den Worten auf den Punkt: „I am for the new world – the new America, the new empire […] we are the people of destiny.“75 Auch der „progressive“ Historiker James Harvey Robinson, der einst in Freiburg/Breisgau promoviert hatte, vertrat eine ausgesprochen evolutionistische Geschichtsauffassung, die mit einem menschheitsbezogenen Fortschrittsoptimismus einherging. Es gelte, „unsere große gegenwärtige Aufgabe der menschlichen Verbesserung“ (human betterment) zu bewerkstelligen76, wobei Robinson, wie auch die Beards, die industrielle Gesellschaft (der USA) als bisherigen Höhepunkt der sozialen Evo-

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Waechter, Die Erfindung, 169. Siehe vor allem Beard/Beard, The Rise; vgl. Higham, Hanging Together, 247 f.; Klose, Dogmen, 200; Krieger, European History, 254; Tichi, Shifting Gears, 55. Zit. n. einer von Harvey E. Fisk verfassten Rezension über Motherwells Buch The Imperial Dollar, in: The American Economic Review (1930), H. 1, 141–143, 141. Vgl. Segal, Technological Utopianism, insb. 125. Beards Optimismus verschwand nach dem Ersten Weltkrieg weder bei ihm noch in der Bevölkerung. So zeigte sich Sinclair Lewis 1929 vom gesunden Optimismus vieler Menschen im Lande beeindruckt. Interview mit Henry James Forman, „What’s Right with America?“, in: McCall’s Magazine (November 1929), Kurzform in: The Reader’s Digest (Dezember 1929) 705–707, 706. Iggers, Historiography, 43. Buschendorf, Turn-of-the-Century Self Doubt, 160. Zit. n. Higham, Hanging Together, 189. Zit. nach Molho/Wood, Introduction. Sein 1912 erschienenes Buch trug den Titel New History.

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lution ansahen.77 Mit Blick auf die Zukunft konstatierte der breitenwirksame Philosoph Will Durant schließlich, dass nach dem Maschinenzeitalter das Zeitalter der Kultur folgen werde. Bezeichnender Weise begründete er eine solche Auffassung durch Analogieschlüsse mit Europa, genauer mit der griechischen Geschichte, deren stufenförmig erfolgte Entwicklung mit jener der amerikanischen verglichen werden könne. Die USA seien demnach gerade dabei, von der zweiten zur dritten Entwicklungsstufe zu gelangen.78 Evolutionistisches Denken drückte sich auch in der beliebten Metapher von der Jugendlichkeit der USA aus. Diese wurde mit Stärke und Zukunftsfähigkeit assoziiert, wobei häufig zugleich Bemerkungen über die sich bereits abzeichnende Reife (maturity) des Landes folgten.79 Den Jungen gehöre die Zukunft, so hieß es oftmals voller Optimismus, Europa hingegen sei alt, eine old world, deren Gestaltungskraft im Schwinden begriffen sei. Es waren gerade die amerikanischen Liberalen, die zu wissen meinten, dass die zukünftige Hegemonie der jungen und dynamischen Vereinigten Staaten, basierend auf einem hohen Arbeitsethos und dem Glauben an Fortschritt, nicht aufzuhalten sei, wobei sie das industrialisierte und urbanisierte sowie metropolitane Amerika und nicht mehr (allein) die Frontier-Kultur meinten. Eine Distanzierung von Europa erfolgte vor allem als Abwehrreaktion gegenüber den Einflussnahmen des ehemaligen Mutterlandes. In ihrem 1927 erschienenen Buch The Rise of American Civilization interpretierte das Ehepaar Beard die amerikanische Geschichte als einen Kampf zwischen Volk und Eliten, als eine Auseinandersetzung zwischen amerikanischen und europäischen Prinzipien und Identitätszugehörigkeiten.80 Solche Einschätzungen nahm Charles A. Beard auch mit Blick auf die gesellschaftlichen Zustände während der zwanziger Jahre vor, indem er darauf verwies, dass seiner Meinung nach Leute im Establishment noch immer nur vortäuschten, amerikanische Interessen zu verfolgen.81 „Progressive“ Liberale hofften darauf, dass sich im Maschinen-Zeitalter auch die Gesellschaft positiv weiterentwickeln werde.82 Der Neurologe Jo77 78 79 80 81

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Waechter, Die Erfindung, 149; Lingelbach, Klio, 533. Interview mit Henry James Forman, „What’s Right with America?“, in: McCall’s Magazine (November 1929), Kurzform in: The Reader’s Digest (Dezember 1929) 705–707, 705. Vgl. z. B. Frank, Our America, 4; Santayana, Character, 179–182; Waechter, Die Erfindung, 149. So Noble, The End, 48. Nach ebd., 57. Aus dieser Perspektive entwickelte sich bei Charles A. Beard in den 1930er Jahren ein so genannter Kontinentalismus (continentalism), wonach die wahren Interessen Amerikas im heimischen Markt gesucht werden sollten und sich die USA von den angeblich korrupten Einflüssen der Alten Welt lösen müssten. Strout, The American Image, 213 f.; Noble, The End, 9. So Thomas Jefferson Wertenbaker, „What’s Wrong With the United States?“, in: Scribner’s Magazine (Oktober 1928), Kurzform in: The Reader’s Digest (November 1928), 387–388, 388.

5.3 Amerikanisierte Gegenwarts- und Zukunftsdeutungen

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seph Collins hielt 1925 in The Forum trotz aller Kritik an den USA eine glanzvolle Zukunft des Landes für möglich: „Then the United States will take its place in the sun, not merely because of its power and wealth, but because it is leading the way to a better civilization.“83 Amerikaner hätten allen Grund, so auch die Schlussfolgerung des Historikers Wertenbaker 1928, auf sich stolz zu sein und Zutrauen in die eigene Zukunft zu fassen.84 Die Große Depression änderte an dieser Gesamteinschätzung wenig. Im Gegenteil, die Diskurse über die Umbrüche der Nation intensivierten sich sogar. So sah John Dewey in einem Artikel vom Herbst 1929 zwar durchaus die zahlreichen negativen Auswirkungen, die vom Trend zur Quantifizierung, Mechanisierung und Standardisierung der Industrieproduktion ausgingen, doch seien diese seiner Ansicht nach in Zukunft überwindbar, da Amerika sich erst in einem frühen Stadium der Transition (early stage of the transition) befände. Im Übrigen, so ergänzte er, würden viele Defekte der amerikanischen Gesellschaft jetzt erst aufgedeckt werden, obwohl diese eigentlich einem älteren Kulturtypus geschuldet seien (older type of culture).85 Ebenso sprach James Truslow Adams, ungeachtet der Großen Depression, den USA auf Grund einer bereits weit entwickelten sozialen Ordnung eine Vorbildfunktion für die Zukunft der ganzen Welt zu86, die er zudem mit dem klassischen amerikanischen Traum verband. „It is not a dream of motor cars and high wages merely, but a dream of a social order, in which each man and each woman shall be able to attain to the fullest stature of which they are innately capable.“87 Trotz aller Enttäuschungen über den tatsächlichen Verlauf der durch die republikanischen Regierungen geprägten zwanziger Jahre glaubte er nach wie vor an den Traum Amerikas, an die Schaffung einer werteorientierten Great Society88, wenngleich es nach seiner Einschätzung noch lange dauern werde, bis dieser amerikanische Traum verwirklicht sein werde.89 Zuvor sei es nach Adams Auffas83 84

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Joseph V. Collins., „The Mistakes of America“, in: The Forum (Juni 1925), 834–839, 839. Thomas Jefferson Wertenbaker, „What’s Wrong With the United States?“, in: Scribner’s Magazine (Oktober 1928), Kurzform in: The Reader’s Digest (November 1928), 387– 388, 388. John Dewey, „‚America‘ – By Formula“, in: The New Republic (September 1929), 117– 119, 118. James Truslow Adams, „Our Changing Characteristics“, in: The Forum (Dezember 1930), 321–328, 326 f.; ders., „The American Dream“. Skizzen aus seinem Buch The Epic of America (1931), Kurzform in: The Reader’s Digest (Juni 1932), 1–4. James Truslow Adams, „The American Dream“, in: The Reader’s Digest (Juni 1932), 1–4, 1. Die Basis bildet dessen Buch The Epic. Adams, The Epic, 411. Der Begriff Great Society (bekannt im Kontext der Reformpolitik Präsident Johnsons in den 1960er Jahren) wurde von Dewey zur Unterscheidung vom Begriff Great Community verwendet. Er geht zurück auf das Buch des britischen Sozialphilosophen Graham Wallas, The Great Society. A Psychological Analysis, New York 1914. Wallas war Lippmanns Mentor. Westbrook, John Dewey, 307. Adams, The Epic, 416.

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sung notwendig, auch das nationale Einkommen besser als bisher zu verteilen; auch müssten die Menschen ihre Selbstbezogenheit und ihren Hang zum billigen Amüsement aufgeben und sich stattdessen darauf besinnen, was gutes Leben im alten griechischen Sinne bedeute.90 Bedauernd stellte er fest, dass Amerika bislang nicht das erreicht habe, was seiner Ansicht nach bereits erreichbar gewesen wäre. Mit purem Optimismus und der Selbstdeutung des Landes als ein jugendliches könne nicht angemessen auf die Veränderungen der Gesellschaft reagiert werden. Nur auf die Praxis zu setzen sei ebenfalls nicht ausreichend. Ohne Visionen gehe es nicht.91 Insgesamt steht fest, dass die Beards, wie auch James Truslow Adams, wesentlich dazu beigetragen haben, die Bedeutung der vorindustriellen, siedlungs- und agrarromantischen Referenz- und Projektionsfolien92 angesichts der ganz anders gestalteten Gegenwart und Zukunft stark zu relativieren. Dabei wurde das nach wie vor weithin akzeptierte Frontier-Theorem nicht explizit in Frage gestellt, indessen durch die Historisierung der Frontier-Kultur deren Romantisierung und Mythologisierung erleichtert.93 Zeitlich parallel zu den für Amerika positiven Gegenwarts- und Zukunftsanalysen meldeten sich allerdings auch Kulturpessimisten zu Wort. Schon um die Jahrhundertwende kamen Unsicherheiten und Zweifel auf (crisis of pessimism), obwohl diese im Allgemeinen als unamerikanisch galten.94 Doch in den ersten Nachkriegsjahren verstärkten sich die pessimistischen Töne. So zeichnete Stearns einflussreiches Buch Civilization of the United States (1922), das eine Reihe von Essays bekannter meist amerikanischer Publizisten beinhaltete, ein eher pessimistisch grundiertes Bild von den USA. Darüber hinaus thematisierten einige bekannte Kulturpessimisten in eher kosmischen Zusammenhängen das als problematisch empfundene Verhältnis von Mensch und Maschine. Für Joseph Wood Krutch lag der fundamentale Konflikt zwischen dem menschlichen Geist und dem natürlichen Universum (between the human spirit and the natural universe). Stuart Chase horrifizierte vor allem die Macht der Wissenschaft und das Fehlen von Auswegen und Alternativen. Solcherart Überlegungen blieben indessen meist auf einer abstrakten Ebene stehen oder verfingen sich im Moralisieren und Psychologisieren.95 Zwar 90 91 92 93

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James Truslow Adams, „The American Dream“, Kurzform in: The Reader’s Digest (Juni 1932), 1–4, 2 f. Adams, The Epic, 304–306, 400. Vgl. Kammen, Mystic Chords, 8. Piccoli, As an Italian Sees It, 516. Der Neapolitaner Raffaello Piccoli war im Rahmen eines transatlantischen Austauschprozesses als Dozent für italienische Literatur an mehreren amerikanischen Universitäten tätig. Buschendorf, Turn-of-the-Century Self Doubt, 179. Pells, Radical Visions, 26–33, Zitat 30. Die Zeitschrift The New Republic brachte 1929 eine Artikelserie mit dem Titel Men and Machines, in deren Rahmen auch Chase seine Vorstellungen in Worte fasste. Krutch veröffentlichte seine Ansichten 1929 in seinem Buch The Modern Temper.

5.3 Amerikanisierte Gegenwarts- und Zukunftsdeutungen

221

spielte bei diesen Zukunftsszenarien auch die Rezeption der Oswald Spengler’schen Thesen über das Werden und Vergehen von Kulturen eine nicht unwichtige Rolle, doch das hieß nicht, dass seine Gedankengänge Oberhand erlangt hätten. So studierte der Journalist und Europakenner Edgar Ansel Mowrer zwar Spenglers Werk, schloss sich dann jedoch explizit Bertrand Russells Vorstellungen an, wonach sich die menschliche Gesellschaft „teilweise zyklisch, teilweise fortschreitend“ entwickle. Letztendlich kam Mowrer zu dem Schluss, dass sich die Geschichte „in Gestalt einer geneigten, aber im Ganzen aufwärts strebenden Spirale“ vollziehe. So redete er keinem platten Optimismus und keinem endlosen Fortschrittsglauben das Wort, begriff allerdings als überzeugter Transatlantiker die universale Dominanz der „euroamerikanischen Kultur“ als eine große Chance für die menschheitliche Entwicklung.96 Auch ohne Rekurs auf die euro-amerikanischen Zukunftschancen hielten Mumford und Dewey eine pessimistische Prognose ebenfalls für übertrieben. Denn die Maschinen seien gar nicht die Hauptursache der gesellschaftlichen und individuellen Probleme, und außerdem sei eine Versöhnung zwischen Technologie, Humanismus und Wissenschaft durchaus möglich.97 Eine Einschätzung, ob Kulturoptimisten oder Kulturpessimisten während der zwanziger Jahre in der liberalen Publizistik dominierten, ist schwierig. Richard H. Pells sieht aus retrospektiver Sicht die Pessimisten in einer dominanten Position. Er erklärt dies u. a. mit dem fehlenden Einfluss der „progressiven“ Liberalen auf die Politik der republikanischen Regierungen in diesen Jahren.98 Sicherlich fehlten damals die frühere Zuversicht in die Reformfähigkeit des Landes und die einflussreichen Verbindungen zur Zentralregierung, wie sie unter dem Präsidenten Wilson bestanden hatten. Und eine pessimistische Grundstimmung war nicht nur in den ersten Nachkriegsjahren, sondern auch in der Zeit der Großen Depression bei einigen liberalen Publizisten erkennbar. Doch den großformatigen, abstrakten und pauschalisierenden Problematisierungen des Maschinenzeitalters stand die konkrete Einflussnahme von Publizisten wie Beard, Adams, Mumford und Dewey sowie ähnlich denkender Publizisten, auch von jenen aus der zweiten Reihe, gegenüber.99 Diese konnten in Zeitschriftenartikeln und in Buchform ihren zukunftsgerichteten Reformoptimismus selbst bzw. gerade in der Großen Wirtschaftskrise darlegen, womit sie offensichtlich das in dieser schwierigen Phase weitverbreitete Verlangen nach nationalem Selbstbewusstsein und positiven Zukunftsprognosen bedienten. Ihre evolutionistisch-fortschrittsorientiert ge-

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Mowrer, Amerika, 174–189, Zitat 179, 184. Pells, Radical Visions, 30–32. Ebd., 32 f. Zur Relativierung der Relevanz pessimistischer und desillusionierter Sichtweisen in der US-Gesellschaft siehe mit Blick auf die gesamten zwanziger Jahre u. a. Lasch, The New Radicalism, 251.

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5 Amerikanisierung von Raum, Zeit und Gesellschaft

prägte Denkweise entsprach dem Gefühl vieler Landsleute, wonach Amerika sich in einem fortschreitenden Aufwärtsprozess befinde.100 5.4 DER „AMERIKANISCHE CHARAKTER“ IM KONTEXT NATIONALER IDENTITÄTSSUCHE Amerikaner seien anders als Europäer, das war auf beiden Seiten des Nordatlantiks eine feststehende Meinung.101 Viele Amerikaner glaubten demzufolge, dass es so etwas wie einen „amerikanischen Charakter“ gebe102, und zwar gerade mit Blick auf die Differenzen zu den Menschen in der Alten Welt.103 Der amerikanische Charakter zeichnete sich nach Auffassung damaliger Zeitgenossen durch gewisse Attribute aus, für die auch der Begriff Americanness Verwendung fand. Americanness basiere, so der gemeinsame Nenner der ansonsten recht unterschiedlich denkenden Publizisten, auf dem Prinzip der Andersartigkeit im Vergleich mit Europäern.104 Impulse erhielten die Diskussionen über Americanness zudem durch die damals ebenfalls verbreitete Auffassung von der amerikanischen Einzigartigkeit (American uniqueness), einer Vorstellung, die sich später zum amerikanischen Exzeptionalismus (American exceptionalism) erweitern und verfestigen sollte.105 Das Bild von der Transformation des Europäers zum Amerikaner hatte einst schon Hector St. John de Crèvecoeur entworfen, und er sollte nicht der Einzige bleiben, der diese Auffassung vertrat. In Gertrude Steins FamilienErzählung The Making of Americans war ein ähnlicher Gedanke zu finden: „The old people in a new world, the new people made out of the old, that is the story I mean to tell for that is what really is and what I really know.“106 Der in Spanien geborene, kosmopolitisch gesinnte Sozialphilosoph George Santa100 Vgl. Kouwenhoven, The Beer Can, insb. 52, 73. Auf ihn bezieht sich auch Fluck, Gibt es eine amerikanische Kultur? Ähnliche Interpretationsmuster bot allerdings schon der irische Dichter und Schriftsteller James Stephens an. Roundtable Gespräch, veröffentlicht unter dem Titel: „America’s Place in History“, in: The Forum (Februar 1930), 96–100, 100. 101 Siehe z. B. O. N. Pisgan, „Impressions of America“, in: The Forum (April 1927), 586– 594, 586; Adams, The Epic, Vorwort. 102 Die folgenden Ausführungen über den amerikanischen Charakter bezwecken selbstredend nicht, ein solches Thema als Forschungsgegenstand neu zu beleben, wie dies etwa in den 1950er Jahren der Fall war. Vielmehr geht es darum, seine ehemaligen Sinnkonstruktionen und die diversen Verknüpfungen mit den damaligen Geschichts- und Gegenwartsdeutungen, inklusive der Differenzen zu Europa, herauszuarbeiten. Erst in den sechziger Jahren wurde die Vorstellung, es gebe einen „amerikanischen Charakter“, gründlich zerstört. Vgl. Kazin/McCartin, Introduction, 7 f. 103 Strout, The American Image, 272. Strout bezieht sich auf Untersuchungen der 1950er Jahre. 104 Vgl. Buschendorf, Turn-of-the-Century Self Doubt, 179. 105 Siehe auch die Einleitung (Forschungsstand). 106 Stein, The Making, 137–172, 137.

5.4 Der „amerikanische Charakter“ im Kontext nationaler Identitätssuche

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yana, der bis 1912 in den USA lebte und in Harvard ausgebildet wurde, trug ebenfalls zur Konstruktion des Amerikaners bei. Er publizierte 1920 eine mehrmals aufgelegte Studie über Charakter & Opinion in the United States, in der er das Bild eines einzigen Amerikaners entwarf und über diese konstruierte Person (mythical) Parabeln formulierte. Seine Botschaft lautete, es gebe zwar immense Unterschiede zwischen einzelnen Amerikanern, doch bestehe eine große Uniformität mit Blick auf Umgebung, Sitten, Temperament und Denkart.107 Ein zentrales Merkmal sei dessen „moralischer Materialismus“ (moral materialism), seine singuläre Beziehung zur Quantität (singular preoccupation with quantity) sowie der Glaube an das „Evangelium der Arbeit“ (gospel of work) und an den (immer währenden) Fortschritt.108 Turner integrierte ebenfalls die Vorstellung eines amerikanischen Charakters in sein Frontier-Narrativ. Der Kampf der Siedler gegen die Wildnis habe einen Menschentypus geformt, der sich durch körperliche Robustheit sowie einen starken Durchhaltewillen auszeichne. Seine Merkmalsbeschreibung des Siedler-Typus diente vor allem der Abgrenzung von der besonders in den Neuenglandstaaten einflussreichen, viktorianisch geprägten Genteel-Kultur, die gerade in der Kultivierung einer verfeinerten Lebensart und einem „Kult der Kultur“ bestand.109 Da die Genteel-Kultur jedoch immer weniger den Persönlichkeitsprofilen und Lebenswirklichkeiten des frühen 20. Jahrhunderts entsprach, traf Turner mit seinem alternativen Menschentypus offensichtlich den Nerv der Zeit. Turners Ausführungen über den Siedler-Typus konnten auch gut mit anderen Diskurssträngen verbunden werden, etwa mit dem über Sozialdarwinismus. So betonte Turner die natürliche Selektion, denen die Siedler in ihrem Kampf gegen die Naturgewalten ausgesetzt waren und die den Typus des Nordic American hervorgebracht habe. Solche Interpretationen erwiesen sich ihrerseits wiederum mit jenen Vorstellungen kompatibel, wonach die (weißen) Amerikaner als „Rasse“ alle anderen „Rassen“ überragten110 und die Heraus107 Santayana, Character, insb. 167 f. Auch gehöre der amerikanische Humor, der aus Grenzerfahrungen entstanden sei, zum amerikanischen Charakter, wie später vor allem Constance Rourke betonen sollte. Siehe auch Kapitel 6.6. 108 Zit. in Seaton, The Genteel Tradition, 106 f. Santayanas Amerikaner war allerdings immer ein weißer Mensch (sprich: Mann). Ebd., 170. 109 In diesem Sinne äußerte sich der Schriftsteller Winthrop Parkhurst, „The Cult of Culture“, in: The Bookman (Oktober 1932), Kurzform in: The Reader’s Digest (Februar 1933), 9–10. Zur Genteel-Kultur siehe auch Kapitel 6.1. Vgl. u. a. Higham, History, 199; Stein, The Making, 137. 110 Vgl. Kammen, Mystic Chords, 8; Hofstadter, Social Darwinism; James Truslow Adams, „May I Ask …?“, in: The Forum (Oktober 1929), 207–213, 209. Kein Wunder, dass der Führer des Ku Klux Klan, Hiram Wesley Evans, eine solche sozialdarwinistische Interpretation des amerikanischen Nationalcharakters mit besonderer Verve vertrat, indem er ebenfalls den harten Selektionsprozess betonte, dem die Pioniere ausgesetzt gewesen und aus dem schließlich die Nordic Americans hervorgegangen seien. Waechter, Die Erfindung, 222.

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bildung eines solchen neuen Menschentypus111 auch dem Glauben an das Manifest Destiny entsprach.112 Diskursive Anknüpfungspunkte ergaben sich auch mit dem New Nationalism, wie ihn der Historiker und spätere Präsident Theodore Roosevelt seit den 1890er Jahre vertrat. Von der Kultur des amerikanischen Westens fasziniert, betonte Roosevelt die darauf beruhende Außergewöhnlichkeit der amerikanischen Nation und ihrer Menschen.113 Er bekräftigte die Amerikanisierung und Nationalisierung dieses Menschentypus und verkettete diesen sowohl mit seinen Vorstellungen über gesellschaftliche Reformvorhaben seiner Zeit114 als auch mit der Forderung nach einer neuen Maskulinität (new masculinity).115 Die Medien verarbeiteten solche Körper-Leitbilder in mannigfacher Weise, etwa in Form sinnstiftender Westernfilme mit starken und robusten (weißen) Helden.116 Außerdem war Turners Siedlerbild diskursiv mit den Thesen der Kulturanthropologen verknüpft, zumindest bis zu einem gewissen Grad. So sprach Boas ebenfalls von einem amerikanischen Typus (American type), der durch biologische Vermischung zwischen den europäischen Immigranten zustande gekommen sei.117 Ein solcher „amerikanischer Typus“ mutierte dann im Diskursverlauf häufig zu einem eigenständigen, spezifisch amerikanischen Nationalcharakter.118 Dieser galt überdies nicht selten als ein verbesserter Typus der westeuropäischen Vorfahren119, was den Anschluss an evolutionsgeschichtliche und superioritätsbezogene Auffassungen ermöglichte. 111 Darwins Theorien bestärkten zahlreiche Amerikaner ebenfalls in ihrer Auffassung, dass die natürliche Selektion die Amerikaner so stark gemacht hätte. Krakau, Missionsbewußtsein, 135. 112 Vgl. ebd. 113 Roosevelt trat auch für die Nationalisierung der damaligen Reformbewegung ein (nationalizing the reform movement). Zitat von Croly, The Promise, 168, vgl. auch 273, 276. 114 Zur „Nationalisierung der Reformbewegung“ siehe Croly, The Promise, 168, vgl. auch 273, 276. Croly unterstützte diese Tendenz. 115 Dazu siehe Kapitel 4.1. Die damit einhergehende Diskriminierung körperlicher Schwäche führte in der Nach-Frontier-Zeit nicht zufällig zum raschen Aufblühen einer Sport-, Gesundheits- und Naturbewegung, inklusive der Etablierung der dafür notwendigen Einrichtungen. Vgl. Steiner, Recreation, 912 f. 116 Levine, The Unpredictable Past, 202. 117 Nach Barlin, The Retreat, 88. Clark Wissler, ebenfalls Kulturanthropologe, sprach auch vom europäisch-amerikanischen Typus (Euro-American type). Dessen Kultur, so konstatierte Wissler ohne eine Wertung vorzunehmen, stehe den britischen, französischen und deutschen Kulturen sowie einiger kleiner Staaten am nächsten, während die Kulturen Russlands, der Balkanländer und eines Teils der mediterranen Staaten am wenigsten Gemeinsamkeiten mit ihr aufweisen würden. Wissler, Man, 23, 32. Wissler, ein Schüler von Boas, gehörte der Galton-Gesellschaft an, die sich ihrerseits gegenüber der Eugenik aufgeschlossen zeigte. Palmié, The Other Within, 223. 118 So Mowrer, Amerika, 55. 119 Barkan, The Retreat, 98 f.

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Außer den zahlreichen diskursiven Anschlussmöglichkeiten, die sich im Kontext des Siedler-Leitbilds ergaben, wurden auch Kontinuitäten zwischen dem Menschentypus der Frontier-Zeit und dem Menschentypus des Maschinenzeitalters herausgearbeitet, und zwar in Form des Machbarkeitsglaubens.120 Amerika sei ein Versprechen und ein Traum, proklamierte Waldo Frank 1919. „And in the seeking, we create her.“121 „Making America“ ließe sich dieser Satz im Gefolge des performance turn ergänzen.122 Der weit verbreitete Glaube, dass alles machbar sei, wurde zudem durch den einflussreichen Behaviorismus gestärkt. Dessen Begründer John B. Watson, der 1913 diesem Denksystem den Namen gegeben hat123, betrachtete nicht nur die Gesellschaft, sondern auch die Individuen als permanente Experimentierfelder, als groß angelegte Laboratorien, die zu grenzoffenen und grenzüberschreitenden Selbstermächtigungen einluden.124 Die Attraktion des Machbarkeitsglaubens als typisch amerikanische Charaktereigenschaft erhöhte sich zudem durch die Rezeption Freud’scher Theoreme.125 Die Lehren Sigmund Freuds, der 1909 in den USA an der Clark Universität Vorträge gehalten hatte, wurden in der Folgezeit allerdings zusehends „amerikanisiert“ und seine Begrifflichkeiten popularisiert.126 Fasziniert blickte die Leserschaft auf Texte, in denen nun das Selbst in den Fokus geriet, insbesondere in Form publizistisch gut aufbereiteter und anwendungsorientierter Psychologie. Applied Psychology avancierte sogar zum neuen Lehrstoff in den Colleges.127 Der teils lockere, teils unbedarft erscheinende Umgang mit der Psychologie sollte sowohl die Machbarkeit einer harmonischen Gesellschaft128 als auch die der eigenen Person unterstreichen.129 Als Reaktion auf die Vereinsamung des Individuums in und durch die „Massengesellschaft“ wuchs offenbar das Interesse der Öffentlichkeit am „Kult des 120 121 122 123 124 125

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Vgl. u. a. Adams, Henry Adams, 232. Frank, Our America, 8, 10. Hier ist an den analogen Ausdruck „Doing Gender“ zu denken. John B. Watsons Artikel trug die Überschrift „Psychology as the Behaviorist Views it“, in: Psychological Review 50 (1913), 158–177. Vgl. auch Fluck, Gibt es eine amerikanische Kultur?, 168, 178–182. Vgl. u. a. Westbrook, John Dewey, 283. Allerdings wurde auch in den zwanziger Jahren noch verschiedentlich bezweifelt, ob die Psychoanalyse überhaupt eine Wissenschaft sei. Zur Popularisierung von Freud siehe u. a. James S. Van Teslaar, „Freud and Our Frailties“, in: The Forum (Oktober 1921), 406–411. Vgl. u. a. Tipple, Crisis, 340–343. Kouwenhouven, The Beer Can, 83. Vgl. die Beobachtungen der englischen Literaturkritikerin Rebecca West, „These American Men“, in: Harper’s Magazine (September 1925), 449–456, 451 f.; Hochgeschwender, Amerikanische Religion, 133. Hochgeschwender stützt sich auf die Untersuchungen von Eli Zaretsky. Dazu generell Susman, Culture, insb. 279–285. Aus heutiger Sicht ist hier auf Foucaults Überlegungen zur „Governementalität“, insbesondere auf den Teilaspekt der Selbsttechnologien hinzuweisen. Foucault, Geschichte.

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Selbst“.130 Die Arbeit an der eigenen Person zu einer Persönlichkeit (personality) sei wichtig, so hieß es allerorten, weil von ihr der Erfolg in Beruf und Gesellschaft abhänge.131 Unterstützt vom Machbarkeitsglauben erhielt schließlich der Mythos vom Aufstieg des Tellerwäschers zum Millionär erneute Schubkraft. Unzählige Ratgeber-Bücher, Magazin-Artikel und Filmnarrative boten dementsprechend Wege an, wie man gesund, erfolgreich, weise und somit glücklich werden könne.132 Dabei propagierten die Autoren einen oftmals auf therapeutische Wirkung ausgerichteten Optimismus, wobei gelegentlich auch auf den „Spiegel der nationalen Seele“ (mirror of our national soul) Bezug genommen wurde.133 Neben den Ratgeber-Texten gewann die LaienPsychoanalyse durch die Woge persönlicher Bekenntnisse an Attraktion. Diese wurden in den so genannten Bekenntnis-Magazinen (confession magazines), wie True Story Magazine, erfolgreich vermarktet. Solche autobiografischen Erzählungen sollten helfen, das versteckte Selbst zu entdecken (hidden self) und sein Potenzial zur Entfaltung zu bringen, um auf diese Weise eine permanente Selbstverbesserung zu erreichen. Die umfangreiche Ratgeber-Literatur schloss ausdrücklich das äußere Erscheinungsbild einer Person in die Arbeit am Selbst mit ein. Zahlreiche Werbebilder zeigten, wie typische AmerikanerInnen aussehen und handeln sollten. Zu Leitfiguren avancierten zudem bekannte Hollywood-FilmschauspielerInnen.134 Der Körper galt als „kulturelles Kapital“ (Bourdieu) und als formbares „Rohmaterial“, das unter der Hand vielfach zur Ware wurde. Ein eigener 130 Burnham, The New Psychology, 124; Lears, From Salvation, 8. 131 Vgl. u. a. Susman, Culture, 271–284. 132 Siehe u. a. W. Beran Wolfe, How To Be Happy Though Human (1931); Walter B. Pitkin, The Psychology of Happiness (1929) und ders., The Secret of Achievement (1930). Pitkin war Psychologe. Der marxistische Kritiker V. F. Calverton nahm in seiner Besprechung in: The Nation (Dezember 1929), 778–779 dazu kritisch Stellung. Nur vereinzelt waren allerdings kritische Stimmen über die Art zu hören, wie die Psychologie rezipiert wurde: Der Sozialist Stolberg sah darin eine Entwürdigung (degradation) der Psychologie. Benjamin Stolberg, „Degradation of American Psychology“, in: The Nation (Oktober 1930), 395–398. Mehrere Definitionen in: The Forum (Juli 1926), 31–32. Ebenso gab es Artikel, in denen gefordert wurde, dass sich das soziale Verhalten der Menschen ändern müsse, um den Erkenntnisfortschritten in den Naturwissenschaften und der Technik zu entsprechen. Siehe u. a. Raymond Blaine Fosdick, „The Old Savage in the New Age“, in: The Golden Book Magazine (November 1930), Kurzform in: The Reader’s Digest (Dezember 1930), 685–687, 687. Fosdick war Rechtsanwalt und Publizist. 133 Vgl. Gifford, The American Reception, 131; Zitat in: Harold Bruce, „Healthy-Mindedness“, in: The Nation (Oktober 1921), 450–451, 450. Bruce lehrte Englisch an einer kalifornischen Universität. 134 Vgl. Abel, Americanizing, Kap. 6, 231–257. Vgl. auch Heywood Broun, „New York May Not Be America But –“, in: Redbook Magazine (März 1930), Kurzform in: The Reader’s Digest (April 1930), 1104–1106. Vgl. Wendt, Massenmedien.

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Schönheitskult entwickelte sich. Um diesem Genüge zu tun, wurden Schönheitssalons eröffnet und Schönheitsoperationen durchgeführt.135 Dahinter stand der Glaube, dass alles, eben auch die Schönheit, machbar sei und dass die Amerikaner ein besonderes Faible für Schönheit hätten (love of beauty), was sich nicht zuletzt sowohl in den Wolkenkratzern als auch in der Frauenkleidung ausdrücke.136 Dieser amerikanische Schönheitskult sei Ausdruck des gegenwärtigen Maschinenzeitalters und wirke sich auf allen Gebieten aus, wie der Arzt und Publizist Morris Fishbein 1926 im American Mercury und im Reader’s Digest meinte.137 Der Schönheitskult wurde mit dem byzantinischen Zeitalter, also wieder einmal mit dem alten Europa, verglichen. Damit sollte zum Ausdruck gebracht werden, dass ein Aneignungsprozess europäischer Hochkultur stattgefunden hatte138 – allerdings verbunden mit einer Transformation, die zu quasi demokratisierten Schönheitsvorstellungen führte, welche dann als typisch amerikanisch galten. Der Glauben an die Machbarkeit des Individuums hatte sich überdies von der in der Genteel-Kultur verankerten viktorianischen Vorstellung verabschiedet, wonach primär eine Charakterbildung notwendig sei, die sich an einer höheren Ordnung bzw. an Tugenden wie Pflicht, Ehre und Integrität orientierte. Stattdessen sollte nunmehr in einem dauerhaften Prozess das Image einer Person optimiert werden. „Not every person can become a personage, but every person can become a personality.“139 Allerdings wurde hier nicht berücksichtigt, dass das Bild vom amerikanischen Charakter bereits durch die Turner’schen Thesen absichtsvoll eine anti-viktorianische Grundie135 Thyra Samter Winslow, „Beauty for Sale“, in: The New Republic (November 1931), Kurzform in: The Reader’s Digest (Januar 1932), 71–73. Winslow war die Verfasserin von Romanen und Kurzgeschichten. Schätzungsweise existierten damals allein in Manhattan schon 1.500–2.000 Schönheitsgeschäfte. Morris Fishbein, „The Cult of Beauty“, in: The American Mercury (Februar 1926), Kurzform in: The Reader’s Digest (März 1926), 743–744. 136 So Harvey Maitland Watts, „Beauty in America“, in: The Forum (Januar 1928), 113– 119; Lucien Labaudt, „Modern Art and Women’s Dress“, in: Overland Monthly and Out West Magazine (Juli 1924), 204. Labaudt war französisch-amerikanischer Maler. Auch ist an die allenfalls kosmetischen (so Stearns) Bestrebungen zur Verschönerung der Städte zu erinnern, die im Kontext des City Beautiful Movement in der Vorkriegsära im Gange waren. 137 Siehe u. a. Morris Fishbein, „The Cult of Beauty“, in: The American Mercury (Februar 1926), Kurzform in: The Reader’s Digest (März 1926), 743–744; Thyra Samter Winslow, „Beauty for Sale“, in: The New Republic (November 1931), Kurzform in: The Reader’s Digest (Januar 1932), 71–72; Harvey Maitland Watts, „Beauty in America“, in: The Forum (Januar 1928), 113–119. Eine entgegengesetzte Meinung hatte Myfanwy I. Crawshay, „The Cult of Ugliness“, in: Today and Tomorrow (Januar 1931), Kurzform in: The Reader’s Digest (Juni 1931), 114–116. Die Autorin war Journalistin. 138 Bernard Fay, „The Course of French-American Friendship“, in: The Yale Review (März 1929), 437–456, 445 f. 139 Zit. n. Blake, Beloved Community, 50.

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rung erhalten hatte und sich diese Distanzierung noch in den Diskussionen verstärkte, in denen die Konstruktion des amerikanischen Charakters mit dem kommerzialisierten Maschinen- und Konsumzeitalter in Verbindung gebracht wurde. Der Machbarkeitsglaube, kombiniert mit der Vorstellung eines (weißen) Mannes mit starkem Willen und demokratischer Gesinnung, der die Dinge anzupacken verstand und seine Person zum Erfolg führen konnte140, wurde damals eben als typisch amerikanisch, und das hieß indirekt als nichteuropäisch angesehen. Stellt sich schließlich die Frage, wie die liberale Publizistik auf diese Trends zur Amerikanisierung des Individuums reagiert hat? Zum einen zeichnete sie in zahlreichen Artikeln diese Zeittendenzen in vielen Facetten nach, wodurch sie ihre Leserschaft für bestimmte Trends sensibilisierte. Zum anderen äußerte eine Reihe von Autoren und Autorinnen auch Kritik. Stand das Bild des positiv bewerteten amerikanischen Charakters im Zeichen des Machbarkeitsglaubens und hatte Turner in seinem Frontier-Theorem die ruhelose und nervöse Energie noch positiv bewertet, so wurde das Gegenbild durch häufigen Verweis auf die Ruhelosigkeit des Amerikaners bestimmt.141 Tempo, Hast, Eile und Nervosität seien eine Folge dieser Ruhelosigkeit und würden den Alltag der Menschen beschleunigen.142 Hierunter würde selbst die Esskultur143 und der moderne Tourismus leiden.144 Die Ruhelosigkeit entspringe einer falschen Vorstellung darüber, was wertvoll sei, meinte 1928 der populäre englische Philosoph C. E. M. Joad in der amerikanischen Zeitschrift The Forum ebenfalls mit kritischem Unterton.145 Die Amerikaner könnten, so eine andere Stimme, das Leben nicht genießen. Sie hätten infolgedessen auch keine Zeit, um sich beispielsweise an der Kunst zu erfreuen.146 Die Maschine sei eigentlich erfunden worden, um die Menschen von Arbeit zu entlasten und freie Zeit zu gewinnen, eine freie Zeit (leisure), die nicht wieder von Arbeit gefüllt werden dürfe, vielmehr auf andere Weise sinnvoll genutzt werden soll140 Robert C. Benchley, „Barnum and the Birthrate“, in: The Forum (Juli 1928), Kurzform in: The Reader’s Digest (Juli 1923), 277–278, 277. Benchley war Kolumnist und Filmschauspieler. 141 Siehe zum Beispiel Elizabeth Tilton, „America’s National Defects“, in: Current History (Juni 1923), Kurzform in: The Reader’s Digest (Juni 1923), 227–228. 142 Zur Kontextualisierung solcher Phänomene siehe auch James Truslow Adams, „The Tempo of American Life“, in: Harper’s Magazine (August 1931), 439–448. 143 Thurston Macauley, „The Decline of Eating in America“, in: The Forum (Dezember 1926), 917–921. Auch H. L. Mencken kritisierte vehement den Verfall der Esskultur. H. L. Mencken, „A La Maryland“, in: The Nation (Dezember 1923), 731; vgl. o. V. „When We Americans Dine. A Symposium on the Great American Dinner“, in: The Nation (Dezember 1923), 731. 144 C. E. M. Joad, „Does England Dislike Amerika?“, in: The Forum (November 1928), 692–698, 697. 145 Ebd., 694. 146 O. N. Pisgan, „Impressions of America“, in: The Forum (April 1927), 586–594, 592.

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te.147 Sich vom Behaviorismus distanzierend, warnte George Santayana schließlich vor einer Gesellschaft, die sich nur der Effizienz in der Arbeitswelt verschreibe, eine Entwicklung, die allerdings seiner Meinung nach eintreten werde (I foresee a behaviorist millenium).148 Die Ruhelosigkeit sei, wie oftmals formuliert wurde, letztlich durch den verbreiteten Glauben entstanden, dass das jeweils Gewünschte auch machbar sei und Amerikaner Angst hätten, etwas zu versäumen. Zum Schreckgespenst eines ruhelosen Amerikaners wurde für viele Kritiker die Hauptfigur in dem damals viel gelesenen Roman Main Street von Sinclair Lewis. Auch in anderen literarischen Texten149 thematisierten Autoren die Ruhelosigkeit, die sich in Nervosität und Neurasthenie ausdrücke, Erscheinungen, die auch als Reaktion auf den kulturellen Wandel und die moderne Zivilisation gedeutet wurden.150 Außerdem verhindere Ruhelosigkeit die geistige und damit die emotionale Reife (maturity of mind which involves emotional maturity). Hierdurch entstehe bei erwachsenen Amerikanern ein Infantilismus (adult-infantilism), der typisch für das neue Amerika sei151, wie Joseph Collins 1926 im Harper’s Magazine und im Reader’s Digest konstatierte. Der Neurologe führte dieses Phänomen auf die seiner Meinung nach zu leicht erreichte Prosperität des Landes im Maschinenzeitalter zurück.152 Die Neigung insbesondere der anglo-amerikanischen Mittelschichten zu Nervosität und Neurasthenie infolge neustrukturierter Arbeitsbedingungen und Berufsalltage deutete nach damaliger Einschätzung darauf hin, dass die Gesellschaft insgesamt und damit die Nation gefährdet seien. Zwar wurden Nervosität und Neurasthenie auch als positive Erscheinungen interpretiert. Sie stünden für die hohe Zivilisationsstufe, die die Amerikaner bereits erreicht hätten, wobei wiederum die Evolutionstheorie gute Dienste tat. Denn mit ihr ließ sich die Auffassung begründen, dass „der Amerikaner“ biologisch und kulturell allen anderen Völkern, auch denen Europas, überlegen sei. Doch diese positive Deutung konnte die Befürchtung unter Nativisten und Eugenikern nicht ausräumen, die genannten Phänomene könnten sich negativ auf die Reproduktionsfähigkeit der weißen Mittelschicht-Frauen auswirken.153 Offensichtlich kreuzten sich bei der Interpretation von Ruhelosigkeit und Neu-

147 Lawrence A. Conrad, „The Worthy Use of Leisure“, in: The Forum (November 1931), 312–314. 148 George Santayana, „Living Without Thinking“, in: The Forum (September 1922), 731– 735. 149 Es handelt sich um Texte des literarischen Realismus. Ausführlich Lutz, American Nervousness, u. a. 14–16, 36 f. 150 Burnham, The New Psychology, 124. 151 Joseph Collins, M. D., „Childish Americans“, in: Harper’s Magazine (Januar 1926), Kurzform in: The Reader’s Digest (Februar 1926), 615–616, 619–620. 152 Ebd., 619. 153 Carter, The Heart, 7.

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rasthenie die Eugenik-Diskurse mit jenen über den amerikanischen Charakter und auch mit jenen über das Gebärverhalten von Frauen. Weil Machbarkeitsglaube und Ruhelosigkeit häufig als zwei zusammengehörende Teile des amerikanischen Charakters angesehen wurden, verwundert es nicht, wenn der weithin renommierte Historiker James Truslow Adams inmitten der Großen Depression sich veranlasst sah, in der Zeitschrift The Forum seine Landsleute aufzurütteln und zum Umdenken aufzufordern. Der Hang zur Selbstperformanz (self-expression) müsse durch Selbstdisziplin ersetzt werden, ebenso das Ideal des (materiellen) Wohlstands durch das der Freiheit.154 Wir, die Amerikaner, so meinte der Autor auch in seinem 1932 erschienen Buch beschwörend, müssten endlich erwachsen werden, nach Weisheit suchen und Beschränkungen akzeptieren. Anstelle Größe und Statistik sollten Qualität und geistige Werte treten. Können wir, so seine rhetorisch gemeinte Frage, denn nicht einen ganz neuen Typus von Amerikaner entwickeln, indem wir das Gute in uns halten und das Böse tilgen? Oder gehöre beides unwiderruflich zusammen?155 Die alten Verhaltensnormen der Frontier-Kultur seien endgültig passé, doch neue Formen müssten sich erst entfalten.156 Adams stellt hier zwar rein rhetorische Fragen, doch brachte er seine Kritik am derzeitigen amerikanischen Charakter sowie seine Hoffnung auf dessen Wandlungsmöglichkeit recht beredt zum Ausdruck, allerdings gepaart mit einer guten Portion Skepsis. Europa spielte in seinen Überlegungen keine „explizite“ Rolle, auch nicht als Projektionsfläche, weswegen offenbleibt, woher er seine hehren Maßstäbe nahm. Trotz aller Kritik und ungeachtet aller Sorge um den Amerikaner standen, zusammenfassend gesehen, die vielen Beiträge in liberalen Qualitätsmagazinen unter dem Eindruck der gewaltigen Zukunftspotenziale des Landes und seiner (weißen) Bevölkerung. Noch waren allerdings jene liberalen Publizisten in der Minderheit, die, wie Bourne und Kallen, aber auch Adams, die Auffassung vertraten, dass es angesichts der vielartigen Immigrantenkulturen im Lande gar keinen einheitlichen nationalen Charakter (unified national character) gebe und geben könne.157

154 James Truslow Adams, „Our Changing Characteristics“, in: The Forum (Dezember 1930), 321–328, 323 f. 155 Adams, The Epic, 404–411. 156 Amerika wirke derzeit noch immer wie ein ungehobeltes (raw) Land, und das sei nicht mehr angemessen, ebenso wenig wie Gesetzlosigkeit und Korruption. Ebd., 403. 157 James Truslow Adams, „Our Changing Characteristics“, in: The Forum (Dezember 1930), 321–328.

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5.5 NATIONALE BESONDERHEITEN DER AMERIKANISCHEN DEMOKRATIE UND IHRE GEFÄHRDUNGEN Nicht nur standen die Diskussionen über den „amerikanischen Charakter“ im Kontext der allseitigen Bestrebungen, Americanness und Amerikanismus näher zu bestimmen, sondern davon wurde auch der Diskurs über die amerikanische Demokratie tangiert. Die ältere Generation der Scientific Historians der Ostküste „erdeten“ die Demokratie der USA noch transatlantisch, und zwar in doppelter Weise, zum einen durch die Rezeption der europäischen Aufklärung, zum anderen durch die Teutonic Germ-Theorie.158 Die jüngere Generation der „progressiven“ Historiker, so auch Turner, zeichnete indessen ein ganz anderes Bild von der Entstehung amerikanischer Gesellschaft und amerikanischer Demokratie. Turner verwarf erstens das Teutonic-Germ-Theorem, zweitens verlagerte er die Entstehung der Demokratie von der Ostküste der Pilgrim-Fathers in den Westen der USA, und drittens stellte er die Frontier-Demokratie schließlich dem Bild eines antidemokratischen Neuenglands gegenüber, das von anglophilen und privilegierten Klassen dominiert werde.159 Im Westen hätte es hingegen eine freie Verfügung über neues Eigentum (freehold property) gegeben sowie einen hohen Grad an Partizipation. Die Siedler, so hieß es weiter, mussten außerdem Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten gewinnen, soziale Verantwortung beim Aufbau ihres Gemeinwesens übernehmen und optimistische Zukunftsvorstellungen entwickeln – alles Eigenschaften und Handlungsweisen, die in der Folgezeit zu einer vorbildlichen Gesellschaftsform geführt hätten.160 Soziale Hierarchien seien außerdem auf ein Minimum beschränkt gewesen, und gegen staatliche Macht und Kontrolle habe großes Misstrauen geherrscht.161 „Democracy [is] born of free land“, verkündete Turner ungeachtet aller dort ansässigen Ureinwohner.162 Er amerikanisierte damit quasi die Entstehungsgeschichte der US-Demokratie, indem er diese mit dem „freien Land“ und der Lebensweise der Siedler während der Frontier-Zeit in Verbindung brachte und so die damaligen Demokratieformen als ein „autochthon amerikanisches Produkt“ und als Krönung der gesamten Demokratie-Entwicklung interpretierte.163 „Never before in the history of the world has a democracy existed on so vast an area and handled things in the gross with such success.“164 158 Dazu siehe Kapitel 3.1. 159 Waechter, Die Erfindung, 115, 162; nach Smith, Virgin Land, 256. 160 Turner, The Significance of the Frontier, 61; vgl. Waechter, Die Erfindung, 14; Breisach, American Progressive History, 25. 161 Vgl. auch Lingelbach, Klio, 486. 162 Zit. n. Smith, Virgin Land, 253. 163 Waechter, Die Erfindung, 15. 164 Frederick Jackson Turner, „Contributions of the West to American Democracy“, wiederveröff. in: Vare/Smith, The American Idea, 566–575, 575.

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Weil die Demokratie aus der Verfügbarkeit über „freies Land“ und dem Aufbau eines agrarischen Umfelds erwachsen sei, habe nach Turners Auffassung das Ende der Frontier-Ära auch die Demokratie ihrer wirksamsten Kräfte beraubt. Folgerichtig stand er der Entwicklungsmöglichkeit der Demokratie in Amerika skeptisch gegenüber, zumal er auch dem industriell-urbanisierten neuen Amerika mit Blick auf die Demokratie-Entwicklung wenig Konstruktives abgewinnen konnte.165 Während der Frontier-Zeit hätten Demokratie und Kapitalismus keineswegs antagonistisch zueinander gestanden, doch danach seien diese auf Grund der großen Kapitalanhäufungen einerseits und der organisierten Arbeiterschaft andererseits kollidiert, wodurch praktisch ein neues Nationsprofil entstanden sei.166 Kurzum, Turners Vorstellungen über die Demokratie im 20. Jahrhundert waren sichtlich von republikanischen Vorstellungen alter Couleur geprägt. Sie basierten auf der Konstruktion einer Sozialordnung, in der angeblich alle einen gleichen Zugang zu Wohlstand und Macht hatten.167 Während Turner seine Vorstellung von der Entstehung der Demokratie speziell auf die Frontier-Kultur bezog, verallgemeinerte John Dewey das Erklärungsspektrum und stellte dieses in einen sozialphilosophischen Zusammenhang, der als Pragmatismus in die Geschichte einging. Wegen seines Nützlichkeitsdenkens (value of utility) konnte der Pragmatismus sogar als Befreiungsschlag (tool of liberation) gegen die (anglophilen) „alteingesessenen“ Neuengländer (old stock) interpretiert werden, wie Waldo Frank dies seinerseits tat.168 Und Charles A. Beard kennzeichnete den Pragmatismus, wie ihn Dewey vertrat, als die einzige Philosophie, die im Einklang mit dem (gegenwärtigen) amerikanischen Leben und der amerikanischen Kultur stehe169, eine Interpretation, die ebenfalls als Unterscheidungsmerkmal gegenüber Europa diente, ungeachtet der Tatsache, dass Beard stets die Bedeutung der europäischen Aufklärung für die amerikanische Demokratieentwicklung anerkannte. In Deweys Pragmatismus fungierte die Gesellschaft als ein Laboratorium.170 Dabei war seine Demokratietheorie um die Begriffe Kommunikation, Erfahrung und Erziehung zentriert. „Die demokratische Verfassung Ameri165 Smith, Virgin Land, 259. 166 Nach Klein, Frontiers, 91. 167 Slotkin, Gunfighter Nation, 59. Auch Croly fand an der Vorstellung der informellen und gelebten Demokratie, wie sich diese infolge des Zugs gen Westen angeblich herausgebildet hatte, offenbar Gefallen, weil nach seiner Ansicht gerade diese Art von Demokratie eine demokratische Gesellschaft auszeichne. Levy, The Intellectual Origins, 16. 168 So Frank, Our America, 26 f. Der Pragmatismus lief allerdings stets Gefahr, zu einem puren Utilitarismus verkürzt zu werden. 169 Novick, That Noble Dream, 151. 170 Allerdings wies das Dewey’sche Laboratorium eine gesellschaftstheoretisch viel weiter reichende Ausrichtung auf als dasjenige der Behavioristen, die sich auf das StimulusResponse-Theorem bezogen. Vgl. Westbrook, John Dewey, 292.

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kas“, so Dewey, „wurde aus einem echten Gemeinschaftsleben heraus entwickelt, das heißt, aus der Assoziation in lokalen und kleinen Zentren.“ Die von „England geborgten politischen Institutionen“ seien alle in Amerika „umgeformt und entwickelt“ worden.171 Dewey vertrat demnach eine Auffassung, die in diesem Punkt der Turner’schen Interpretation ähnelte. Beide sahen die amerikanische Form der Demokratie nicht nur als eine Herrschaftsform an, sondern auch als eine soziale Lebensweise (way of life). Bei dieser Erklärung der amerikanischen Demokratie-Entstehung bezog sich Dewey jedoch, anders als Turner, explizit auch auf Europa, indem er auf das britische Erbe verwies, das er hierfür als ebenso wichtig erachtete wie die amerikanische Siedler-Kultur.172 Weil Dewey die gesellschaftlich-lebensweltliche Einbindung einer Demokratie für besonders wichtig erachtete, lenkte er seinen Blick vor allem auf Kommunikationsprozesse.173 Diese Schwerpunktsetzung implizierte ebenfalls eine Loslösung von dem offenbar als Belastung empfundenen Übergewicht europäischer Denktraditionen, welche die anglophilen Vertreter Neuenglands nach wie vor hochhielten.174 Dewey rückte durch seine Betonung der Kommunikationsaspekte, die er mit Interaktion, Erfahrung und Erziehung verknüpfte, Elemente in den Mittelpunkt seiner Demokratietheorie, die sich von der Gewichtung europäischer Geistestraditionen unterschieden und sich auch unterscheiden sollten. Der pragmatistisch gesinnte Sozialphilosoph war allerdings weit davon entfernt, seine theoretisch eingebundenen Vorstellungen, wie eine „kreative Demokratie“ mit inhärenten Problemlösungskompetenzen auszusehen habe175, allein in einen amerikanischen oder gar westamerikanischen Rahmen zu stellen.176 Gleichwohl wurde ihm immer wieder nachgesagt, dass seine Demokratietheorie primär darauf ausgerichtet gewesen sei, diese mit der amerikanischen Lebensweise (American way of life) zu verknüpfen und eine anti-europäische Einstellung zu fördern.177 171 Dewey, Die Öffentlichkeit, 100, 102. 172 Schon Alexis de Tocqueville hatte die amerikanische Demokratie als strukturell verankerte soziale Organisationsweise und kulturelle Lebensform beschrieben. Ders., Über die Demokratie, Bd. 2. In einem der Handbücher für Immigranten wurde die amerikanische Demokratie nach alter republikanischer Tradition mit Selbstverwaltung (self-governance) gleichgesetzt und die Angelsachsen zur Erfüllung dieser Aufgabe als hervorragend befähigt (preeminent) angesehen. „Of all the nations founded in the western hemisphere, only those established by settlers in which the British strain is predominant, have attained real stability or spread the blessings of democracy.“ Zit. n. Carter, The Heart, 107. 173 Der Begriff Kommunikation spielte in den damaligen Diskussionen in den USA – im Vergleich zu Europa – eine viel größere Rolle. Vgl. Susman, Culture, 258–261. 174 Strout, The American Image, 181; Higham, Hanging Together, 194. 175 Ausdruck von Jörke, Demokratie, 79, 206. 176 Vgl. Dewey, Philosophie. 177 Ein Kritiker dieser Interpretation ist Jörke, Demokratie, 71. Molnar konstatierte bei Dewey eine anti-europäische Gesinnung. Molnar, The Emerging Atlantic Culture, 22.

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Hatte Dewey – ähnlich wie Turner – mit seinen Verweisen auf die sozialen Praktiken während der Frontier-Phase den Einfluss Europas auf die Demokratieentwicklung in den USA tatsächlich relativiert, so unterschied er sich von Turner insofern, als Dewey die Turner’schen Vorstellungen über das Verhältnis von Zivilisation und Wildnis problematisierte. Im Unterschied zu Turner betonte er, dass die Frontier-Kultur das amerikanische Selbstbewusstsein gespalten habe. Entstanden seien einerseits eine „tiefsitzende Angst gegenüber Unordnung“ und andererseits ein anarchischer Individualismus, weswegen in der Nach-Frontier-Zeit die Demokratie gefährdet worden sei.178 Ging es in den damaligen Diskursen zum einen um die Frage, wie die amerikanische Demokratie entstanden war und wie sie sich von der europäischen Demokratie unterschied, so enthielten diese zum anderen Überlegungen zur künftigen Demokratie-Entwicklung. Hierzu hatten Beard und andere Liberale, darunter auch Herbert Croly und John Dewey, viel zu sagen. Im Unterschied zu Turner verband Beard seine Demokratie-Vorstellungen primär mit der Industriegesellschaft. Sein allerdings nur vage umrissenes Zukunftskonzept „Industrielle Demokratie“ (industrial democracy) gehört in das Konvolut der Visionen des 20. Jahrhunderts über die Weiterentwicklung von Kapitalismus und Demokratie.179 In den zwanziger Jahren sahen die Protagonisten darin explizit ein amerikanisches Modell, worauf auch die Vermeidung des europäisch geprägten Sozialismus-Begriffs hindeutet. Das Konzept Industrielle Demokratie beruhte auf der Feststellung, dass der so genannte Industrialismus bereits tendenziell erreicht worden sei, und damit das höchste Stadium ökonomischer Entwicklung. Auf dieser materiellen Basis könnte und sollte dann eine Industrielle Demokratie entstehen, durch die auch die politische Demokratie erweitert und optimiert werde. Die avisierte politisch-ökonomische Partnerschafts- und Partizipationskultur schaffe zudem die strukturelle Voraussetzung für eine soziale und ökonomische Planung der Wirtschaft auf nationaler Ebene und auf der Grundlage gemeinsamer Werte (perfect partnership of all citizens and all values).180 Unter dem Eindruck der Erfolge der jungen Sowjetunion trat insbesondere Beard, der damals einem reformorien178 Nach Klein, Frontiers, 8, Zitat 107. 179 Brick, Transcending Capitalism, 57. Es entstand sogar eine League for Industrial Democracy, die u. a. von Arthur M. Schlesinger, Sr., Horace M. Kallen und John Dewey unterstützt wurde. Ebd. 62. Inwieweit diese Diskursstränge über Industriedemokratie mit jenen der Sozialistischen Partei (Debs) verknüpft waren, kann hier nicht nachgegangen werden. 180 Noble, The End, 26, Zitat 37; Nore, Charles A. Beard, 98. In der Vorkriegs-Reformära standen hingegen noch nicht Bestrebungen zur Demokratisierung der Industriebranchen im Vordergrund, sondern staatliche Eingriffsmöglichkeiten in die industriellen Beziehungen. So votierte Croly nicht zuletzt für mehr Zentralisierung und Nationalisierung der Entscheidungsabläufe (New Nationalism), um mittels einer starken Exekutive die Beziehungen zwischen Kapital und Arbeit im Sinne nationaler Interessen regeln zu können.

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tierten Sozialismus zuneigte181, zudem für eine nationale Planung ein, weil der Frontier-bezogene „rauhbeinige Individualismus“ (rugged individualism) nicht mehr zur gegenwärtigen Gesellschaftsform passe.182 Beards Kritik an den bestehenden gesellschaftlichen Verhältnissen in den USA183 machte ihn nicht nur zu einem Befürworter von Planung, sondern auch, ähnlich wie Dewey, zu einem Protagonisten einer Wirtschaftskultur, die jenseits eines als selbstsüchtig angesehenen kapitalistischen Establishments aufgebaut werden sollte.184 Das avisierte Zusammenspiel von demokratisch geerdeter Partizipation und ökonomischer Planung entstammte Beards Überzeugung, dass die industrielle Produktionsweise im Prinzip kooperativer Natur sei. Wie viele andere Radikale (radicals) und Liberale nach dem Krieg185 dachte auch Beard, durch „Industrielle Planung“ eine glorreiche Zukunft für die USA – unabhängig von den Entwicklungen in der Welt – sichern zu können. Beeindruckt von den Reformbewegungen der Progressive Era schaute Beard, ebenfalls im Unterschied zum eher pessimistisch gestimmten Turner, recht hoffnungsvoll in die Zukunft, Europa und die ganze Welt mit eingeschlossen. Beard wollte jedenfalls in und mit Amerika mehr erreichen als in Europa möglich schien. Den überaus großen Potenzialen, die in der Einzigartigkeit und in der nationalen Tradition Amerikas lägen, müsse und könne seiner Meinung nach Rechnung getragen und eine wahre Demokratie in Form der Industriellen Demokratie geschaffen werden.186 Ähnliche Auffassungen zur Weiterentwicklung der Demokratie vertrat 1932 Reinhold Niebuhr, protestantisch-liberaler Kirchenmann und Anhänger der Social Gospel-Bewegung. Wie Beard unterschied Niebuhr zwischen zwei Eigentumsformen, zum einen gebe es das private Eigentum der Mittelklassen, das der Demokratie verpflichtet und durchaus rational und produktiv sei, zum anderen existiere das private Eigentum, das dem Kapitalismus zuzuordnen sei und als parasitär und irrational zu gelten habe. Niebuhr glaubte seinerseits ebenfalls an eine „soziale“ Evolution, wonach das als chaotisch angesehene 181 Beard verließ während des Ersten Weltkrieges die illiberal erscheinende Columbia Universität und gründete zusammen mit James Harvey Robinson, John Dewey, Herbert Croly und einigen anderen die New School for Social Research in New York, die als eine Art freie Universität konzipiert wurde, an der dann auch u. a. Thorstein Veblen und Harold J. Laski lehrten. 182 Charles A. Beard, „The Myth of Rugged American Individualism“, in: Harper’s Magazine (Dezember 1931), 13–22. 183 Noble, The End, 39–42. 184 Nach ebd., 44. 185 Siehe den Rückblick von George Soule, seit 1923 (Mit-)Herausgeber der Zeitschrift The New Republic. George Soule, „Hard-Boiled Radicalism“, in: The New Republic (Januar 1931), 262, nach Westbrook, John Dewey, 275 f. 186 Noble, The End, 41–64. Beard schwächte in der Nachkriegsära unter Marys Einfluss seine ehedem stark ökonomistisch geprägten Interpretationen der amerikanischen Geschichte ab.

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kapitalistische Stadium einst überwunden werde und sich eine (soziale) Harmonie in Form einer höher entwickelten Demokratie entfalten könne.187 Er vertraute auf die Gestaltungskraft der Mittelklassen, wenngleich dieser Glaube bei ihm schon brüchig war, da, wie er 1932 im Harper’s Magazine hervorhob, den USA gemeinsame Traditionen fehlten, die als Kitt der Gesellschaft fungieren könnten.188 In England seien es die „Klassiker“, die zumindest unter Gebildeten als ein solcher Kitt fungierten, meinte Harold E. Stearns, wenngleich in einem anderen Zusammenhang.189 So verschieden die einzelnen Schwerpunktsetzungen unter Liberalen auch waren, so hoben sie sich deutlich von jener der konservativen New Humanists ab: Diese schoben alle Missstände im Lande auf die angeblich damals bereits vorherrschende „egalitäre“ Demokratie. Denn mit der Weiterentwicklung der Demokratie und der allgemeinen Schulausbildung sei massenweise der Typus des Halbgebildeten (half-educated) entstanden, der primär auf materielle Werte schaue.190 Der Schriftsteller Irving Babbitt nahm auch die Highschools ins Visier und monierte 1928 in der Zeitschrift The Forum, dass die Colleges allen, außer einigen klar erkennbaren Idioten (sheer idiot), nunmehr offen stünden und sich die Leistungsstandards dementsprechend gesenkt hätten. So werde die amerikanische Gesellschaft zu einer Gesellschaft der Mediokrität, der Ignoranz und der Vulgarität (mediocrity, ignorance and vulgarity).191 Elitäre Vorstellungen waren allerdings nicht nur bei konservativen New Humanists zu finden, sondern auch beim „progressiven“ Historiker und Präsidenten Theodore Roosevelt (1901–1909). Dieser bezog sein Herrschaftskonzept auf ein „neo-aristokratisches Recht“, das sich eine neuartige Siedler-Elite während der Frontier-Zeit im Kampf gegen die Indianer angeeignet und auch im Umgang mit der Zentralregierung ausgeübt habe. Die amerikanische Demokratie sei gerade durch diese heroische und machtvolle Elite entstanden.192 Roosevelt verknüpfte auf diese Weise seinen Elitismus mit der Frontier-Kultur und einer Demokratie jenseits europäischer Leitbilder. Er wollte die Demokratie erhalten, indem er beabsichtigte, sowohl die „Robber Barone“ in der Wirtschaft als auch die demokratischen Bewegungen der Populisten, Sozialisten und Gewerkschafter in ihre Schranken zu verweisen. Außerdem sollte der Widerstand der African Americans gegen die gängigen Jim Crow-Praktiken193 187 Nach Noble, The End, 69. 188 Reinhold Niebuhr, „Catastrophe or Social Control. The Alternatives for America“, in: Harper’s Magazine (Juni 1932), 114–118, 118; Noble, The End, 70–73. 189 Stearns, The Intellectual Life, 146. 190 o. V., „What is a Civilized Man“, in: The Nation (März 1931), XXXV. 191 Irving Babbitt, „The Critic and American Life“, in: The Forum (Februar 1928), 161– 176, 172 sowie Susman, Culture, 191. 192 Slotkin, Gunfighter Nation, 50 f., 57. 193 Darunter sind die Maßnahmen zu verstehen, die der Rassentrennung und Rassendiskriminierung der African Americans dienten.

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zum Schweigen gebracht werden. Roosevelt begründete seine illiberalen, rassistischen Auffassungen damit, dass all diese Bewegungen und Bestrebungen die korporative Solidarität der amerikanischen Nation gefährdeten. Manche Rassenkundler und Eugeniker gingen allerdings noch einen Schritt weiter. Sie kennzeichneten nicht nur die Frontier-Kultur als einen Kampf der „Rassen“, sondern forderten auch für die Post-Frontier-Phase, durch eugenische Maßnahmen eine Neo-Aristokratie zu züchten. Die damalige Demokratie-Skepsis beschränkte sich indessen nicht allein auf die bislang genannten Personen und Gruppen. Die meisten Sozialwissenschaftler und „progressiven“ Publizisten zweifelten ebenfalls in den zwanziger Jahren an der Funktionsfähigkeit der amerikanischen Demokratie infolge mangelnder Moral und fehlender Entscheidungskraft des „gemeinen Mannes“.194 So konstatierte der Mitbegründer der Zeitschrift The New Republic, Walter E. Weyl, im Unterschied zu Turner, dass Demokratie für die Siedler lediglich die Abwesenheit einer starken Regierung bedeutet und der damalige Individualismus sich durch nahezu wildwüchsige Formen ausgezeichnet habe (almost savage). Der durchschnittliche Pionier sei von Ignoranz geprägt, dreckig, oft betrunken und häufig brutal gewesen. Eine gemeinschaftsorientierte Ethik sei damals überhaupt nicht entwickelt worden.195 Zwar hoffte Weyl, dass der seither zunehmende Wohlstand der USA einst eine vollwertige Demokratie (full democracy) ermöglichen werde, doch davon sei das Land im Moment noch weit entfernt. Falls die Demokratie sich jedoch als inkompatibel mit Wohlstand und Glücklich-Sein (happiness) erweise, werde sie zu bestehen aufhören. Viele Amerikaner hätten mehr Angst vor einer Demokratie als vor einer Diktatur. Gleichwohl gebe es in den USA Anzeichen dafür, dass der Wohlstand und damit auch das Interesse an Informationen und Bildung gestiegen seien196, was er wohl als positive Zeichen wertete. Während Weyl in seinem 1912 veröffentlichten Buch The New Democracy zudem die Exzesse des Individualismus anprangerte, die zu einer machtvollen demokratiegefährdenden Plutokratie geführt hätten197, sahen zahlreiche Demokratie-Skeptiker nicht die Plutokraten als Hauptgefahr für die Demokratie, sondern die Großstadt-„Herden“ (herds) und den Großstadt„Mob“.198 Wie sich Herden und Mob zusammensetzten und was sie negativ auszeichnete, blieb zwar im Unklaren, jedoch fungierten diese oft gebrauchten Begriffe als Chiffre für Großstadtängste und für eine Ablehnung der neu eingewanderten (europäischen) Immigranten-Arbeiter. Ebenso vage blieb meist der Massenbegriff. Lediglich der in den zwanziger Jahren von der Ent194 Fox, Epitaph, 130; Lippmann, Public Opinion. Hierzu und zum Folgenden vgl. auch Kloppenberg, Uncertain Victory, 392; zu Stoddard siehe Susman, Culture, 117. 195 Nach Waechter, Die Erfindung, 227. 196 Weyl, The New Democracy, 191, 221, 224 f., 350 f. 197 Ebd., 348. 198 Beispiel: o. V., „Discipline and Culture“, in: The Nation (Juni 1928), 765.

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wicklung Amerikas enttäuschte (ehemals) liberale Publizist Walter Lippmann beklagte nicht nur mit großer Verve die Irrationalität und Emotionalität der Massen, sondern begründete bekanntlich seine Position auch genauer als gemeinhin üblich. Da die Massen nicht die Komplexität der öffentlichen Probleme erfassen könnten und nur in Stereotypen dächten, seien sie auch den Anforderungen der Demokratie in einer komplexen Gesellschaft nicht mehr gewachsen. Deswegen kam Lippmann in seinem 1922 erschienenen Buch über „öffentliche Meinung“ (public opinion) ebenfalls zu einer „elitistischen Version der repräsentativen Demokratie“ bzw. zu einem „demokratischen Elitismus“, der von Wissenschaftlern und Experten getragen werden sollte.199 Die in den USA in den zwanziger Jahren recht verbreitete DemokratieSkepsis, die weit bis ins liberale Lager reichte, sowie das meist vage umrissene Zerrbild von den ungezügelten und für die Demokratie untauglichen „Massen“ bezogen sich zwar sicherlich primär auf die Bevölkerungsagglomerationen in amerikanischen Groß- und Industriestädten mit ihren zahlreichen, neu zugezogenen African Americans und den europäisch-weißen Zuwanderern. Doch handelte es sich stets auch um Diskurse, die diesseits und jenseits des Atlantiks in ähnlicher Form stattfanden. Der Einfluss, den Gustave Le Bon mit seinem 1895 veröffentlichten Buch über die Psychologie des foules, das schon 1898 ins Englische übersetzt worden war, ist nicht von der Hand zu weisen. Im Zuge dieses transatlantischen Transferprozesses kamen in den USA unter Politikern und Publizisten vermehrt Ängste auf, dass sich die Demokratie angesichts der gesellschaftlichen Strukturveränderungen auf Dauer nicht mehr steuern ließe. Solche Befürchtungen verstärkten sich noch bei den ehemaligen Anti-Suffragisten, nachdem 1920 auch Frauen das Wahlrecht erhalten hatten und keine ausreichenden historischen Erfahrungen vorlagen, wie sich diese Neuerung auf Demokratie und Parteien auswirken würde.200 Zusammenfassend lässt sich festhalten: Während die einen – ähnlich wie zahlreiche konservative Europäer201 – Probleme mit der Massendemokratie hatten und einen Ausweg in unterschiedlich begründeten und unterschiedlich stark ausgeprägten elitären Denkfigurationen suchten, forderten andere, vor allem Beard, eine Weiterentwicklung der Demokratie sowie der Industrie, die 199 Lippmann, Public Opinion; Ausdrücke von Jörke, Demokratie, 216 und Westbrook, John Dewey, 299. Robert und Helen Lynd interpretierten ihre demokratiebezogenen Beobachtungen, die sie bei ihren beiden Untersuchungen in Middletown (Muncie) machten, ähnlich skeptisch. Lynd, Middletown; dies., Middletown in Transition; Fox, Epitaph, 127–133. John Dewey dachte trotz aller Demokratie-Probleme über die Chancen der Demokratie in der Massen- und Mediengesellschaft viel positiver als Lippmann und setzte dabei vor allem auf Erziehungskonzepte. 200 Vgl. Fox/Kloppenberg, A Companion, 175. Den Kurzbeitrag über Demokratie schrieb Kloppenberg selbst. Auch bereitete das Wahl(klientel)system in den Immigranten-Quartieren, das in der Chiffre Tammany Hall zum Ausdruck kam, den demokratiekritischen Zeitbeobachtern einiges Kopfzerbrechen. 201 Zur problematischen Perzeption von ‚Massen‘ siehe u. a. Bublitz, In der Zerstreuung.

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schließlich zu einer planungskompetenten, partizipativ angelegten Industriellen Demokratie führen sollte. Dewey, Beard und Niebuhr standen mit ihren Überlegungen, wie die Demokratie in den USA auf eine höhere Stufe gehievt und auf die Wirtschaft erweitert werden könnte, nicht allein, denn sie konnten ihre Kapitalismusund Demokratieanalysen in liberalen Qualitätsmagazinen, inklusive Harper’s Magazine, veröffentlichen. Ihre diesbezüglichen Ausführungen, die sich in der Zeit der Großen Wirtschaftskrise anhäuften, fungierten als Orientierungsmodelle, die allerdings keineswegs einheitlich ausgerichtet waren und auch nicht die Demokratie-Diskurse insgesamt dominieren konnten. Die Differenzierung von Kapitalformen und -größen hatte indessen Tradition. In der Vorkriegszeit wurde bereits verschiedentlich für mehr Kontrolle der Industrie und damit des Großkapitals geworben, wohingegen nach wie vor eine Republik kleiner Unternehmen vielen Zeitbeobachtern noch immer als erstrebenswert galt. Nach dem Krieg unterschieden Publizisten wie Niebuhr bestenfalls zwischen zwei Kapitalformen und Beards Konzept der Industriellen Demokratie nahm auch nur eine der Kapitalformen, nämlich die der Großindustrie, kritisch ins Visier. Insgesamt lassen sich die liberalen Zeitschriften als Plattform für Problemlösungen hinsichtlich der Demokratie-Entwicklung kennzeichnen und nicht als Richtungszeitschriften. Obwohl die Demokratie im Amerika des frühen 20. Jahrhunderts auf viel Skepsis stieß, diente sie nach wie vor als ein amerikanischer Aktivposten gegenüber Europa. Die amerikanische Demokratie sei von großem Einfluss auf die Europäer, meinte 1925 beispielsweise der an der Harvard Universität lehrende Historiker Wilbur Cortez Abbott in The Forum, denn diese könnten sehen, wie zum ersten Mal in der Geschichte ein demokratisches Regierungssystem über eine riesengroße Fläche und eine enorm hohe Anzahl von Menschen funktioniere.202 Während die Demokratieskepsis diesseits und jenseits des Atlantiks Ähnlichkeiten aufwies, bestanden transatlantische Differenzen auf Grund der Ambitionen, die in den USA existierende Demokratie zu „amerikanisieren“. Gemeint ist die konzeptionelle Rückbindung ihrer Entstehungsgeschichte und ihrer Spezifika an die ihrerseits stark amerikanisierte Frontier-Kultur und – allgemeiner gefasst – an die spezifisch amerikanische Lebensweise (American way of life).

202 Wilbur Cortez Abbott, „Is America civilized?“, in: The Forum (Oktober 1925), 481– 491.

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5.6 AMERIKANISMUS IM KONTEXT VON MORAL UND RELIGION Bekanntlich prägte die protestantische Religion mit ihren zahlreichen Kirchen gerade in den USA in starkem Maße die amerikanische Kultur und das Gros der Moralvorstellungen.203 Eine Bekenntniskultur dominierte, die auf der Verbindung von Politik und Recht mit Moral und Religion beruhte und sich auf die Idee des von Gott Auserwählt-Seins (manifest Destiny) als Gründungsmythos bezog. Der seit der Vorkriegszeit auch in religiösen Kreisen verbreitete Fortschrittsglaube war eben nicht nur auf den wirtschaftlichen und technologischen Bereich ausgerichtet, sondern umfasste auch die moralische Verbesserung der Gesellschaft. Die ganze Nation sollte auf einen höheren MoralStandard gehievt werden. Hierin bestand zwischen Konservativen und „Progressiven“ grundsätzliche Übereinstimmung. Die Erreichung dieses Zieles würde die Besonderheit Amerikas demonstrativ unter Beweis stellen können und damit auch die Überlegenheit gegenüber Europa: „[T]he Americans believe that they find everywhere in Europe the symptoms of moral decadence and laxity“, meinte der deutsche Psychologe Münsterberg, der damals in den USA lehrte.204 Getragen von einer gegenüber der Moderne aufgeschlossenen „neuen Theologie“ (Marty)205 bemühte sich insbesondere die Social GospelBewegung als eine Art inneramerikanische Missionsbewegung, diesen kulturellen Fortschritt in Moralangelegenheiten herbeizuführen. Die fortschrittsgläubige und reformorientierte Organisation wollte vor allem die schlechten Verhältnisse, in denen Menschen insbesondere in den Großstädten lebten, verändern, um damit die Voraussetzungen für eine Anhebung deren MoralStandards zu schaffen. Doch gerade daran nahmen konservative Evangelikale Anstoß, und die Social Gospel-Bewegung galt in ihren Augen alsbald als Vertreterin der Häresie. Denn nach Meinung der konservativen Evangelikalen sollte sich die Social Gospel-Organisation hauptsächlich auf die Übermittlung der traditionellen religiösen Lehrsätze konzentrieren. Die bibeltreuen Evangelikalen, die seit der Jahrhundertwende vor allem im Süden des Landes zunehmend an Boden gewonnen hatten, sich vor allem dort als Fundamentalisten gebärdeten und damit die Nord-Süd-Teilung des amerikanischen Protestantismus mit seinen vielen Denominationen vertieften206, begründeten ihre Ansichten und 203 Hierzu und zum Folgenden siehe Preston, Sword, 11–13, 177–182. Die Methodisten und Baptisten machten nach damaliger Einschätzung mehr als die Hälfte aller protestantischen Kirchen in den USA aus. Wenn man die Kongregationalisten, die Presbyterianer, die zwei reformierten Kirchen sowie die Lutheraner hinzuzählt, habe man das Gros der Protestanten Amerikas erfasst. So Rauschenbus(c)h in Vinz, Pulpit, 28. 204 Münsterberg, The Americans, 522 f. 205 Marty, Righteous Empire, 190. 206 Ihre Positionen breiteten sie vor allem in der Zeitschrift Current History aus. Außerdem veröffentlichten sie zahlreiche Pamphlete und Bücher. Furniss, The Fundamentalist

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Standpunkte allein mit Verweisen auf die Bibel, selbst wenn wissenschaftliche Erkenntnisse dem entgegenstanden. Gestützt durch einen in Amerika verbreiteten Anti-Intellektualismus erschien ihnen vor allem die Art und Weise, wie sich Gesellschaft, Kultur und Lebensführung modernisierten, primär als allgemeiner Sittenverfall.207 Folglich waren sie bestrebt, die sich modernisierende Gesellschaft allein nach ihren bibeltextorientierten Vorstellungen zu gestalten.208 Die unterschiedlichen Auffassungen über die Erreichung neuer MoralStandards bezogen sich nicht nur auf die Frage nach den richtigen Handlungsstrategien, sondern auch darauf, wie eine zeitgerechte Moral und Handlungsethik in und mit der Moderne überhaupt beschaffen sein könnte und sollte. Klar war lediglich, dass die viktorianisch geprägten Moralvorstellungen dem gesellschaftlichen Wandlungsprozess nicht mehr gewachsen waren. Wie jedoch die neuen Verhaltensnormen aussehen sollten und welche Rolle der Religion zugedacht war, darüber bestand selbst innerhalb des Protestantismus keine Einigkeit, geschweige denn in der Gesamtgesellschaft.209 Die Auseinandersetzungen um die Dominanz der religiösen Ausrichtung in Moralfragen fanden bekanntlich zwischen Fundamentalisten, die sich aus Angehörigen von verschiedenen protestantischen Kirchen, vor allem aus Baptisten und Methodisten des Südens zusammensetzten210, und einem liberalen Theologie-Flügel, dem so genannten Mainline-Protestantismus statt. Dieser basierte insbesondere auf den städtischen Mittelschichten des Nordens und den protestantischen „Alteingesessenen“ (old-stock Protestants) der Neuenglandstaaten.211 Kennzeichen des liberalen Protestantismus, zu der auch die Social Gospel-Organisation zählte, war seine reformorientierte Offenheit gegenüber Modernisierungstendenzen in der Gesellschaft und gegenüber der Wissenschaft.212 Der einflussreiche baptistische Kirchenmann Harry Emerson Fosdick plädierte dementsprechend für ein „christliches Leben in modernen TerControversy, 11 f., 185. 207 Vgl. ebd., 29, 89. 208 Hochgeschwender, Amerikanische Religion, 5. Kapitel. Deshalb ist der Begriff „Antimodernismus“ leicht missverständlich, worauf auch Hochgeschwender hinweist. 209 Beispiel: James Truslow Adams, „Our Dissolving Ethics“, in: The Atlantic Monthly, Kurzform in: The Reader’s Digest (Dezember 1926), 471–472. Ob die Moral im Lande damals tatsächlich im Sinken begriffen war, wie viele Zeitgenossen behaupteten, blieb erwartungsgemäß stets strittig. Zweifel an dieser Behauptung äußerte u. a. die Schriftstellerin Gertrude Atherton, „Is There a Moral Decline?“, in: The Forum (Februar 1921), 312–316. 210 Marty, Righteous Empire, 218–223. 211 Dazu gehörten im frühen 20. Jahrhundert Lutheraner, Episkopale, Presbyterianer und Kongregationalisten sowie Methodisten und Baptisten. 212 Hochgeschwender, Amerikanische Religion, 137. Der Gipfel des Kulturkampfes zeigte sich im Scopes-Prozess in Tennessee 1925, bei dem es um gravierende Deutungs- und

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mini“. Mit kritischem Ton schaute er u. a. auf die vielen zynischen jungen Egoisten (many cynical young egoists), die tatsächlich ein Problem für die Gesellschaft darstellen würden. Denn die individuelle Moral und die intellektuellen Fähigkeiten der Menschen seien offenbar nicht entsprechend der Größe bzw. des Wohlstands und der damit verbundenen Möglichkeiten des Landes gewachsen. Deshalb hielt Fosdick zeitgemäße Normen über ehrenhaftes Verhalten für notwendig. Mit Blick auf die Zukunft der USA schaute er warnend auf die Geschichte Europas, wo im Verlauf der historischen Entwicklung diverse Völker durch Wohlstand zu Grunde gegangen seien, etwa das antike Griechenland und das alte Rom.213 So groß die Spaltung zwischen dem konservativen und dem liberalen Flügel des Protestantismus auch war, so waren sie sich offensichtlich doch in einem Punkt einig, dass nämlich die Suche nach neuen Moralmaßstäben nicht ohne Bezug zur Religion vor sich gehen dürfe.214 Wen Fosdick mit den „zynischen jungen Egoisten“ meinte, ist im Text nicht ausgesprochen, doch wahrscheinlich dachte er damit nicht zuletzt an die säkularisierten, liberalen Publizisten der jüngeren Generation, denn diese diskutierten über eine „neue Moral“ jenseits aller Kirchenrichtungen.215 Freda Kirchwey und The Nation veranstalteten 1924 ein für den Diskursverlauf aussagekräftiges Symposium über Our changing Morality, dessen Beiträge noch im selben Jahr in Buchform veröffentlicht wurden. In ihrer Einführung charakterisierte Kirchwey die gegenwärtigen Moralvorstellungen als chaotisch und widersprüchlich. Daraus zog sie den Schluss, dass in Moralangelegenheiten eine gewisse Führung von Seiten der Intellektuellen notwendig sei, denn die geistige Engstirnigkeit habe viel zu lange gewährt. Als die einzelnen Beiträge zuerst in The Nation erschienen waren, erhielt die Redaktion indessen eine Menge Zuschriften, in denen diese als Ausdruck schierer Blasphemie bezeichnet wurden. Und dies, obwohl die Autoren und Autorinnen mehr analysierten und kommentierten als dogmatische Ansichten verkündeten.216 Offenbar waren Moralfragen ein sehr heißes Eisen, und offenbar wurde die Zeitschrift gelegentlich auch von jenen gelesen, die in streng religiösen Kontexten beheimatet waren.

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Lehrunterschiede in Bezug auf die Entstehungsgeschichte der Menschheit ging (Evolutionstheorie vs. biblische Schöpfungsgeschichte). Ausführlich u. a. ebd., 156–165. Harry Emerson Fosdick, zit. n. Geldbach, Protestantischer Fundamentalismus, 83; ders., „Morals Secede From the Union“, in: Harper’s Magazine (März 1932), 682–692; ders., „Are We Riding for a Fall?“, in: The American Magazine (Mai 1929), Kurzform, in: The Reader’s Digest (Juni 1929), 104–107; ders., „What Are We Standing For?“, in: The Delineator (Februar 1926), Kurzform, in: The Reader’s Digest (Februar 1926), 633– 634. Harry Emerson Fosdick, „The Dangers of Modernism“, in: Harper’s Magazine (März 1929), 406–410. Jäger, Amerikanischer Liberalismus, 343. Kirchwey, Introduction, VII. Darin schrieben u. a. Bertrand Russell, J. W. Krutch, Sylvia Kopald, Ludwig Lewisohn und Beatrice M. Hinkle.

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Die Diskussionen über die „neue Moral“ unter säkularisierten Intellektuellen zentrierten sich um den Begriff der Selbsterfüllung (self-fulfillment). Darunter konnte jeder etwas anderes verstehen, viele assoziierten damit vor allem die freie Liebe. Wie daraus eine bessere Gesellschaft entstehen könnte, wurde zwar in unterschiedlichen Kontexten immer wieder erhofft und erwartet, der Weg dorthin blieb allerdings im Unklaren, zumal die Vorstellungen über Selbsterfüllung weitgehend auf die individuelle Lebensweise gerichtet waren. Und eine Selbsterfüllung schien vielen von ihnen in Europa leichter möglich zu sein als in den USA. Sozialisten, wie V. F. Calverton, setzten freilich nach wie vor auf die Zusammenführung individueller Selbsterfüllung mit einer kollektiven Gemeinschaft, und die junge Sowjetunion diente nicht selten als Vorbild. Am Ende der zwanziger Jahre verlagerte sich der Schwerpunkt der Diskussionen über Moral weg von individueller Selbsterfüllung hin zu einer Kritik am Hedonismus und zu einer „Moralität des Humanismus“ (morality of humanism), wie Lippmann sich ausdrückte. Doch auch bei diesem Schwenk spielte die Religion keine erkennbare Rolle, zumindest nicht auf dem 1930 abgehaltenen Symposium, bei dem es um die Kritik am New Humanism ging.217 Liberale Publizisten warfen den Vertretern des konservativen New Humanism vor, am puritanischen Erbe festzuhalten, eine engstirnige überholte Moralität zu vertreten, noch dazu diese zu einem Fetisch zu erheben und das Verhalten der Individuen kontrollieren zu wollen. Eine weitere Frontlinie existierte zwischen dem liberalen Protestantismus und dem Katholizismus. Ressentiments gegenüber dem Katholizismus gehörten zur Geschichte der USA von Anfang an, und zwar vor allem wegen der transnationalen Anbindung der katholischen Kirche an Rom. Hinzu kamen die Abneigungen aus jeweils aktuellem Anlass, in der Mitte des 19. Jahrhundert richteten diese sich gegen die eingewanderten katholischen Iren, im frühen 20. Jahrhundert gegen die katholischen Immigranten aus Süd- und Südosteuropa. Solche Ressentiments wurden offensichtlich weder durch die Unterstützung des US-Kriegseintritts 1917 seitens der Katholischen Kirche ausgeräumt, noch durch deren Tendenzen zur Selbst-Amerikanisierung („Americanize“ itself).218 Denn nicht nur nativistisch-protestantische Organisationen sowie der rassistisch orientierte Ku Klux Klan diskriminierten und verachteten Katholiken219, sondern auch liberale Kräfte innerhalb und außerhalb der 217 Eine Ausnahme war Allen Tate, der Dichter aus Kentucky. Biel, Independent Intellectuals, 159. Zur wissenschaftsbejahenden Gedankenwelt des religiösen Humanismus samt dessen Lebensphilosophie, in dem der Mensch im Mittelpunkt stand, siehe Meyer, Secular Transcendence. Zu dieser Gruppe gehörte auch John Dewey. 218 Hofstadter, Anti-intellectualism, 136. 219 Der Ku Klux Klan sprach von katholischer Fremdheit (Catholic alienism). Den Katholiken wurde auch vorgeworfen, dass sie häufig en bloc wählten. Hiram Evans, „The Klan’s Fight for Americanism“, in: The North American Review (März 1926), 33–63.

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protestantischen Kirchen betonen immer wieder die Schwächen des Katholizismus. Im Unterschied zum Katholizismus sei der (liberale) Protestantismus die „Religion der modernen Kultur“ und einer Zivilisation, die auf experimenteller Wissenschaft basiere. Im Vergleich dazu gehöre der Katholizismus der Vergangenheit an, wie der anglikanische Reverend William R. Inge aus England in den amerikanischen Zeitschriften The Atlantic Monthly und im Reader’s Digest meinte. Sicherlich ist seine Meinung für das Verhältnis der US-Kirchen zueinander nicht repräsentativ, doch rannte er mit seiner Auffassung bei anglophilen Nativisten offene Türen ein, zumal er in diesem Zusammenhang mit positivem Unterton auch auf den „Anglo-Saxon mind“ hinwies.220 Hier verzahnten sich offensichtlich die Diskursstränge über Religion mit jenen über Immigranten sowie mit jenen über die behauptete Superiorität eines transatlantisch-angelsächsischen Protestantismus. Hier verzwirnten sich auch protestantische Religion, Moral und nationaler Amerikanismus.221 Die alte puritanische Vorstellung von The City of the Hill wurde revitalisiert, der Nationalismus religiös fundiert und die Religion gedanklich nationalisiert, und zwar in Form einer religionsübergreifenden Vereinigung (National Church), die eine christliche Nation (Christian nation) repräsentieren sollte.222 Nativisten bauten indessen vor allem auf die protestantischen Angelsachsen. Diese seien speziell dazu auserkoren, eines Tages die Welt zu regieren, weil sie durch Rasse und Religion über den hochwertigsten Fundus verfügten. Die Kirche, so meinte der Methodisten-Bischof William P. Anderson 1928 in der konservativen Zeitschrift The North American Review und im Reader’s Digest, sei das Rückgrat (backbone) der Nation: „True patriotism takes root and comes to fruitage in earnest moral conviction.“223 Eine Amerikanisierung der protestantischen Kirchen erwog auch Walter Rauschenbus(c)h, Schulprofessor in Rochester, der sich in den Vorkriegsjahren den reformorientierten Bestrebungen der Social Gospel-Bewegung verpflichtet fühlte. Dem baptistischen Kirchenmann schwebte vor, eine vereinheitlichte amerikanische Kirche, einen nationalen Evangelismus (national evangelism) zu schaffen. Doch stellte er bedauernd fest, dass die Kirchen mit genuin amerikanischen Wurzeln, wie Mormonen und Christian Science, als Basis dafür nicht geeignet seien, während alle Denominationen der MainlineProtestanten europäischen Ursprungs wären, so dass dieses Ziel derzeit nicht erreicht werden könne. Deshalb vertrat er mit Verve die Transformationsthese: Zwar seien die protestantischen Kirchen europäischen Ursprungs, sie hätten aber längst den amerikanischen Geist (American spirit) in sich aufge220 William R. Inge, „Catholic Church and Anglo-Saxon Mind“, in: The Atlantic Monthly (April 1923), Kurzform in: The Reader’s Digest (April 1923), 123–126, 126. 221 Hierzu und zum Folgenden siehe Preston, Sword, 13, 207, 255. 222 Dazu Marty, Modern American Religion, Bd. 2, 37–42. 223 Bishop William P. Anderson, „The Call to Patriotism“, in: The North American Review (März 1925), Kurzform in: The Reader’s Digest (Mai 1925), 39–40, 40.

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nommen, wenngleich noch nicht den neuen Zeitaufgaben entsprechend.224 Auch Rauschenbus(c)h glaubte an die Superiorität der USA und nannte als Beleg vier zentrale Institutionen bzw. Bereiche, wobei Europa stets als Vergleichsfolie diente: die demokratisierte Familie, die demokratisierte Kirche, ferner das moderne Erziehungssystem sowie die im politischen System verankerten Gleichheits- und Freiheitsrechte. In diesen vier Bereichen wollte er den amerikanisch-protestantischen Nationalismus verortet sehen.225 Die Angriffe der Fundamentalisten auf den liberalen Flügel des Protestantismus gingen ebenfalls „Hand in Hand mit einer Welle des Patriotismus“, von der vor allem theologisch interessierte Kreise erfasst wurden. Der von Fundamentalisten getragene Patriotismus verband sich mit einer massiven Kritik an Deutschland.226 Denn Deutschland galt nicht nur als Kriegsverursacher, sondern auch als Heimstätte der liberalen Theologie und der skeptizistischen Philosophie. Deren angeblich „destruktive Kritik“ habe das amerikanische Volk infiziert. Dadurch seien Evolutionismus und Sozialdarwinismus popularisiert worden, die ihrerseits zur Konkurrenz der Großmächte untereinander und schließlich zum Großen Krieg geführt hätten. In diesen Kreisen wurde Deutschland schlechtweg zum Anti-Christ hochstilisiert.227 Die Schlussfolgerung der Fundamentalisten lautete deshalb: Falls sich Amerika nicht auf die Bibel rückbesinne, werde das Land niedergehen (collapse).228 Als gute Patrioten wollten sie deshalb mit großem Nachdruck die Amerikanisierung der USA in Richtung einer christlichen Nation vorantreiben, imperialistische Politik gegenüber zivilisatorisch angeblich niederrangigen Völkern aus religiösen Gründen unterstützen und sich „von den Vorgaben der deutschen Theologie und Philosophie lösen, um eine genuin amerikanische Theologie zu gründen.“ 229 „Every American is at heart an Evangelist“, meinte der Franzose André Siegfried sicherlich überspitzt in seiner Charakterisierung des amerikanischen öffentlichen Lebens der späten zwanziger Jahre, die in den USA viel Auf224 Zit. n. Vinz, Pulpit, 28. 225 Ebd., 26–39, Zitat 28. Rauschenbus(c)h, dessen Familie ursprünglich aus Deutschland kam, war allerdings nicht nur Sozialreformer und Vertreter der Idee einer national vereinigten protestantischen Kirche, sondern galt auch als Rassist und Verfechter der teutonischen Superioritätstheorie. Er unterstützte zwar den Spanisch-Amerikanischen Krieg, lehnte aber den Kriegseintritt der USA gegen Deutschland 1917 ab. Ebd., 21 f. 226 Geldbach, Protestantischer Fundamentalismus, 65. 227 Preston, Sword, 177, 257. Der gleiche negative Einfluss sei, so hieß es weiter, dem russischen Bolschewismus geschuldet. 228 G. M. Mardsen in: The Presbyterian (1920), zit. n. Geldbach, Protestantischer Fundamentalismus, 77. 229 Hochgeschwender, Amerikanische Religion, 148 f., Zitat 149; Marty, Righteous Empire, 198. Während die Ablösung von Europa auf der Wunschliste vieler Fundamentalisten stand, hat die „Neo-Orthodoxie“ der dreißiger Jahre (Karl Barth) die Transatlantizität in anderen Teilen des amerikanischen Protestantismus gestärkt.

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merksamkeit erregte.230 Zwar war der Kampf der Fundamentalisten, so lässt sich zusammenfassen, primär gegen die libertäre und säkularisierte Moderne innerhalb der USA gerichtet, doch tangierte er auch Europa, insofern sich ultrakonservative Protestanten von der liberalen Ausrichtung deutscher Theologie lösen wollten. Ihr Versuch, eine genuin amerikanische Theologie zu schaffen, implizierte nicht nur eine Distanzierung von Deutschland, sondern auch die Visualisierung einer moralisch-sittlichen Überlegenheit der USA gegenüber ganz Europa.231 Doch die bibeltreuen fundamentalistischen Gruppen der amerikanischen Gesellschaft verstärkten nicht nur die Differenzen zu Europa bzw. zu einzelnen Teilen Europas, sondern lösten auch innerhalb der Vereinigten Staaten einen hart geführten Kulturkampf aus. Eine Gegenkampagne, getragen von der liberalen Publizistik, richtete sich auf die gesellschaftliche Einflussnahme des so genannten „Puritanismus“. Obwohl es den „Puritanismus“ im ursprünglichen Sinn längst nicht mehr gab, war der Begriff im frühen 20. Jahrhundert als kirchenübergreifender Kampfbegriff in aller Munde, vor allem bei jenen, die hierin die Quelle allen Übels sahen.232 Zwar hatte der Calvinismus der „frühen“ Puritaner im Laufe der Zeit seine Verankerung im amerikanischen Leben verloren233, doch hätten sich einige Züge erhalten, wie die Prüderie gegenüber Sexualität, der hohe Stellenwert von Moral und das ausgeprägte Sendungsbewusstsein (manifest destiny). Nach dem Inkrafttreten des Alkoholverbots durch den Erlass des Prohibitionsgesetzes im Jahre 1919 verschärfte sich der anti-„puritanische“ Kampf der (säkularisierten) Liberalen. Die Rebellion gegen die Prohibition habe, so sah dies zumindest H. L. Mencken, zu einer Ablehnung der gesamten „puritanischen“ Kultur geführt (against the whole Puritan Kultur [sic]).234 Mencken, der den „Puritanismus“ als national gesinnt und gleichzeitig als säkularisiert kennzeichnete (national and secularized Puritanism), sah im modernen „Puritaner“ nichts weiter als einen selbstgerechten Moralisten (self-righteous moralist).235 Der liberale Theologe Reinhold Niebuhr sprach 1927 in The Atlantik Monthly und im Reader’s Digest gar von einem „puritanischen Heidentum“ (Puritan Paganism), das alles Sinnliche verabscheue, Freudvolles und Schönes unterdrücke und sich in Genügsamkeit (austerity) übe.236 Darüber hinaus ließen sich, so 230 Zit. n. Noll, God, 26. 231 Vgl. Münsterberg, The Americans, 522 f. 232 Im Kreuzfeuer der Kritik standen im frühen 20. Jahrhundert insbesondere die bibeltreuen, besonders illiberalen Evangelikalen. Siehe u. a. John Dewey, „The American Intellectual Frontier“, in: The New Republic (Mai 1922), 303–305. 233 Santayana, The Genteel Tradition, 6. 234 H. L. Mencken, „A Frenchman takes a Look“, in: The Nation (Mai 1927), 533–534; Seaton, The Genteel Tradition, 160. 235 Seaton, The Genteel Tradition, 163. 236 Reinhold Niebuhr, „Puritanism and Prosperity“, in: The Atlantic Monthly (Juni 1926), Kurzform in: The Reader’s Digest (Juli 1926), 163–164. Vgl. Alexander, Here the Coun-

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wieder Niebuhr, „Anklänge an eine Hypokrisie“ (touch of hypocrisy) finden. Eine solche Scheinheiligkeit hätte bei den (transatlantischen) Kritikern der amerikanischen Zivilisation zynische Reaktionen hervorgerufen.237 Kritische Bewertungen des „Puritanismus“ enthielten auch vier veröffentlichte Leserzuschriften, die auf die Frage der Redaktion der Zeitschrift The Forum antworteten, was sie unter „Puritanismus“ verstanden. In den Zuschriften war die Rede von „unnatürlicher Repression“, von „einer negativen Haltung gegenüber dem Leben“ sowie von Asketismus und Intoleranz. Etwas freundlicher fiel lediglich eine der publizierten Stellungnahmen aus, wonach dem puritanischen Moralkodex immerhin zugestanden wurde, dass er auf ein „ausbalanciertes“ und „harmonisches“ Leben abziele, eine Ansicht, die andere Publizisten, wie der Fernost-Kenner und spätere Professor an der Columbia Universität, Nathaniel Peffer, gerade in Frage stellten.238 Verübelt wurde den „Puritanern“ insbesondere, dass sie nicht nur ihre Anhänger erziehen wollten, sondern auch die Sitten und Normen der gesamten Bevölkerung nach ihren Prinzipien auszurichten suchten. Denn ungeachtet aller Säkularisierungstendenzen, denen der „Puritanismus“ im Lauf der Zeit unterlegen war, behielt das calvinistisch-puritanische Erbe die Selbstverpflichtung bei, wonach sich ihre Anhänger in gesellschaftliche Belange aktiv einzumischen und die ganze Gesellschaft zu missionieren hätten. Eine solche Zielsetzung führe, wie Nathaniel Peffer 1930 im Outlook and Independent sowie im Reader’s Digest betonte, nicht selten zu einer intoleranten Haltung gegenüber anderen Menschen und deren Gewohnheiten. So würden Künstler und alle übrigen „Abweichler“ in den USA als ungesund und unamerikanisch gelten.239 Hier zeichneten sich Verbindungen zu jenem Diskursstrang ab, in dem Leitfiguren konstruiert wurden, die sich durch Konformität und Anti-Intellektualität auszeichneten: Ein solcher (geistig) „gesunder Amerikaner“ hob sich klar erkennbar von jenem imaginierten europäischen Gegentypus ab, der als Künstler oder Kritiker angeblich alle Normen in Frage stellen durfte, ohne negative Folgen befürchten zu müssen. Der kritische Diskurs über den „Puritanismus“ war zudem mit jenem über eine bestimmte Art der „Amerikanisierung“ europäischer Immigranten verknüpft. Randoph Bourne sowie Walter Lippmann, John Dewey, Frederic C. Howe, Lincoln Steffens u. a. attackierten in solchem Zusammenhang den Vorkriegs-„Progressivismus“ wegen seiner vielfach puritanisch anmutenden try, 33 f. 237 Reinhold Niebuhr, „Puritanism and Prosperity“, in: The Atlantic Monthly (Juni 1926), Kurzform in: The Reader’s Digest (Juli 1926), 163–164, 164. 238 The Forum (Oktober 1929), LIII; Nathaniel Peffer, „Europe’s Babbitry“, in: The Outlook and Independent (Januar 1930), Kurzform in: The Reader’s Digest (Februar 1930), 893–895. 239 Nathaniel Peffer, „Europe’s Babbitry“, in: The Outlook and Independent (Januar 1930), Kurzform in: The Reader’s Digest (Februar 1930), 893–895, 893 f.

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Bestrebungen zur (moralischen) Veredelung (uplift) der (eingewanderten) Europäer.240 Schließlich lassen sich noch Verknüpfungen mit nations- und europabezogenen Diskurssträngen aufzeigen, so wenn u. a. Randolph Bourne seine Kritik am puritanischen Erbe in einen direkten Zusammenhang mit seiner Kritik am angelsächsischen Erbe brachte.241 Anti-Nativismus und AntiPuritanismus gehörten offenbar für ihn und für viele Liberale zusammen. Der „Puritanismus“ forderte seine Kritiker zudem immer wieder heraus, vergleichend nach Europa zu blicken. Reinhold Niebuhr fokussierte 1926 in Atlantic Monthly und im Reader’s Digest insbesondere die transnationale Differenz in der Entwicklung von Wirtschaft und Religion sowie der historischpolitischen Kultur. Mit Rekurs auf Max Webers Werk über Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus betonte Niebuhr, dass die moderne Industrie und der Kommerz in Europa zwar eng mit der Entfaltung des Protestantismus verknüpft gewesen seien, dass sich dort aber gleichwohl noch bestimmte mittelalterliche Werte erhalten hätten. Anders sei die Geschichte der USA verlaufen. Als einzige Nation des Westens habe sich hier die Industriegesellschaft völlig ungehindert von Religion und Moraltradition (totally unhampered by religions and moral traditions) entwickeln können. Darin läge zwar ein Schlüssel zur Erklärung ihres phänomenalen Erfolges – allerdings sei dies um den Preis geschehen, dass die religiösen Werte und Normen in den USA nicht mehr zum gegenwärtigen Entwicklungsstand (der Gesellschaft) passten. Denn diese ließen jegliche „soziale Imagination“ (social imagination) darüber vermissen, wie die Gesellschaft mit der (wildwüchsig) erreichten Wirtschaftsmacht umgehen sollte.242 Niebuhr nutzte hier Europa als positiv besetzte Projektionsfläche, um seine Kritik am „Puritanismus“ und an der gesellschaftsgefährdenden Machtsteigerung der US-Wirtschaft zu untermauern.243 Der Vergleich zwischen der europäischen und der amerikanischen Entwicklung von Gesellschaft und Wirtschaft mündete letztlich in einen „negativen Amerikanismus“, mit dem der „Puritanismus“, genauer das puritanische Erbe, belastet wurde.244 Nicht nur die Wirtschaft, auch die Außenpolitik geriet ins Visier der „Puritanismus“-Kritiker: So klagte Niebuhr über die Naivität, mit der viele Amerikaner die internationale Politik beurteilten und sich einer unreflektier240 Lasch, The New Radicalism, 253. Teilweise hatten die Kritiker indessen selbst den Vorkriegs-„Progressivismus“ samt sozialer Kontrolle unterstützt. Ebd., 254. 241 Ebd., 93, 118. 242 Reinhold Niebuhr, „Puritanism and Prosperity“, in: The Atlantic Monthly (Juni 1926), Kurzform in: The Reader’s Digest (Juli 1926), 163–164. 243 Die US-Wirtschaft zeichnete sich im frühen 20. Jahrhundert bekanntlich schon durch große Korporationen (trusts) aus, welche die wichtigsten Industriebranchen weitgehend kontrollierten. 244 Der Begriff „negativer Amerikanismus“ besagt, dass bestimmte negativ bewertete Eigenschaften als typisch amerikanisch angesehen wurden.

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ten Weltmission verschrieben. Dies sei ebenfalls als eine Folge des puritanischen Erbes anzusehen. „We make simple moral judgements, remain unconscious of the self-interest that colors them, support them with an enthusiasm which derives from our waning but still influential evangelical piety, and are surprised that our contemporaries will not accept us as saviors of the world.“245 Schließlich galt das puritanische Erbe auch als Verursacher der großen Gegensätzlichkeit in der Lebensführung der Amerikaner. So sei die Gesellschaft sowohl vom Asketismus als auch von Verschwendung, sowohl von Toleranz als auch von Intoleranz, sowohl von Liberalität als auch von Illiberalität, sowohl von Moral als auch von Unmoral gekennzeichnet. Ferner habe der Asketismus, dessen Entstehung durch den „Puritanismus“ festzustehen schien, offensichtlich zu heftigen Gegenreaktionen geführt, die sich im Hang zur Verschwendung und zum Luxus ausdrückten.246 Das puritanische Erbe habe, wie der der US-Gesellschaft an sich recht wohlgesonnene amerikanische Autor John Erskine 1930 im Collier’s Weekly und im Reader’s Digest schrieb, außerdem zu einer Doppelmoral geführt. Dabei verwies er ebenfalls auf das Prohibitionsgesetz, weil das Alkoholverbot selbst von dessen Gesetzesbefürwortern übertreten werde.247 Gerade jene liberalen Gesellschaftskritiker, die mit Blick auf die zu erneuernde Nationsbildung an der Durchsetzung von allgemein akzeptierten Modellen einer modernen, ethisch vertretbaren Lebensführung interessiert waren, erachteten hierfür die durch den „Puritanismus“ gesteigerten alltagskulturellen Gegensätze als kontraproduktiv. Eine scharfe Kritik des „Puritanismus“ war auch unter kulturellen Nationalisten tief verankert. So machte Van Wyck Brooks, ähnlich wie H. L. Mencken, für die gesellschaftlichen Fehlentwicklungen in den USA nicht nur das Siedler-Pionierleben, sondern eben auch den großen Einfluss des puritanischen Erbes auf die Öffentlichkeitskultur verantwortlich (all-influential fact in the history of the American mind). Dabei habe die in der Genteel-Kultur

245 Reinhold Niebuhr, „Akward Imperialists“, in: The Atlantic Monthly (Mai 1930), Kurzform in: The Reader’s Digest (Juni 1930), 106–108, 107. 246 Dazu siehe auch den wiederveröffentlichten Text von Nathaniel Hawthorne, „Puritan Main Street“, in: The Golden Book Magazine (Juni 1931), Kurzform in: The Reader’s Digest (Juli 1931), 215–217. 247 John Erskine, „We Have with Us“, in: Collier’s Weekly (Januar 1930), Kurzform in: The Reader’s Digest (März 1930), 1124–1126, 1126. Diesen Punkt griff auch der Methodisten-Bischof Anderson auf. Mit Blick auf die vielen Übertretungen des Verbots warnte er vor dem verheerenden Ansehensverlust der USA in der ganzen Welt. William Franklin Anderson, „The Call to Patriotism“, in: The North American Review (März 1925), Kurzform in: The Reader’s Digest (Mai 1925), 39–40; vgl. auch Welskopp, Amerikas große Ernüchterung.

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voll entfaltete Kombination von Prüderie und Kommerz einen besonders verderblichen Einfluss auf die Gesellschaft ausgeübt.248 Selbst der ehedem hochgeachtete Puritanismus des 17. und 18. Jahrhunderts geriet ins Visier der liberalen Publizisten. Vernon L. Parrington gehörte neben James Truslow Adams zu jenen Historikern, die gerade den frühen Neuengland-Puritanismus entschieden ablehnten. Parrington entlarvte die anglophil-verklärende Sicht auf das puritanische Neuengland des 18. Jahrhunderts in seinen Darstellungen zur Geschichte dieser Region als puren Mythos.249 Und sicherlich war es auch kein Zufall, dass gerade damals die Erzählungen des Schriftstellers Nathaniel Hawthorne (1804–1864) in Erinnerung gerufen wurden. Denn sein Narrativ über die Hexenverfolgung im puritanischen Neuengland des 17. Jahrhunderts war nicht gerade geeignet, das Ansehen des alten Puritanismus zu erhöhen.250 Unabhängig von der Qualität der Aufarbeitung solcher historischen Sachverhalte ließen diese Studien nämlich Assoziationen zu, die den Antipuritanismus stützten und zudem mit Antinativismus verbanden. Während unter kritischen Publizisten häufig Unstimmigkeiten darüber bestanden, ob die Negativerscheinungen der amerikanischen Gesellschaft mehr auf die Nachwirkungen der Siedler-Kultur oder mehr auf den „Puritanismus“ zurückzuführen seien, verknüpfte Waldo Frank beide Begründungen miteinander und verfestigte damit die negative Seite des Amerikanismus. Denn gerade in der Verschmelzung der Kultur der ersten Siedler mit dem Puritanismus lag nach Franks Ansicht das eigentlich Problematische (They merged and become one). Das rohe Pionierleben der frühen Siedler habe dazu geführt, Lebensfreude und Kultur zu verwerfen (life-denying, culture-denying pioneers). Auf dieser Grundlage seien eine vorrangig auf Geldverdienen zentrierte Lebensphilosophie und ein Moralismus entstanden, die den Erfolg vieler Kaufleute und Produzenten, die sich in Neuengland niedergelassen hatten, erleichtert und legitimiert hätten.251 Auf einer solchen Basis und unterstützt von den puritanisch eingestellten Universitäten Harvard und Yale habe sich 248 Brooks, America’s Coming-of-Age, 8, 162; Brooks suchte nach einer Zivilisation für Amerika jenseits der Kultur des (anglophilen) „Yankee stock“, wobei er der Überzeugung anhing, dass das Leben in Europa besser zu meistern sei. Siehe ders., A Book, 4. Kapitel; vgl. Leuchtenburg, The Perils, 143–145; Strout, The American Image, 180. 249 Parrington, Main Currents, Bd. 1. Parrington, kritisierte in seinem 1927 erschienenen Buch Main Currents in American Thought alle puritanischen Dogmen, wozu er auch den Antidemokratismus zählte. Nach David D. Hall, „Puritanism“ in: Fox/Kloppenberg, A Companion, 559–561. 250 Nathaniel Hawthorne, „Puritan Main Street“, in: The Golden Book Magazine (Juni 1931), Kurzform in: The Reader’s Digest (Juli 1931), 215–217. 251 Auch heute werden Frontier-Kultur und Puritanismus nicht mehr als voneinander völlig getrennte Welten angesehen, sondern es wird der zwischen ihnen liegende innere Zusammenhang herausgearbeitet: Der gemeinsame Nenner sei im Begriff der „Wildnis“ (wilderness) zu finden, der nahezu sakral aufgeladen und mit der Vorstellung verbunden

5.6 Amerikanismus im Kontext von Moral und Religion

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die neuenglische Kultur in dieser Region schließlich festigen können und damit auch die englische Herrschaft über das kulturelle Leben ermöglicht. Sich gegen die neuenglische Kultur zu wehren, sei, wie er meinte, kein Affront gegen England, sondern ein Plädoyer für Amerika.252 Aus dem „negativen Amerikanismus“ wurde durch diese Drehung ein positiv gewendeter Nationalismus, der freilich die Abnabelung von Europa mit einschloss. Allerdings gab es unter Liberalen auch Stimmen, die die Kritik am damaligen „Puritanismus“ relativierten oder gar ins Positive wendeten. John Dewey machte in erster Linie nicht den „Puritanismus“ für die Gegensätzlichkeit in der amerikanischen Kultur verantwortlich, sondern das in seinen Augen negativ zu bewertende Frontier-Erbe.253 Und Deweys Schüler, der Philosophieprofessor Herbert Wallace Schneider wies in seinem 1930 erschienenen Buch The Puritan Mind sogar darauf hin, dass es ja gerade der (frühe) Puritanismus gewesen sei, der die Grundlagen für intellektuelles Leben in diesem Lande überhaupt erst geschaffen habe.254 Der Kritiker und Autor Walter Prichard Eaton hatte schon 1924 in der Zeitschrift The American Mercury und im Reader’s Digest zudem die verbreitete Auffassung verworfen, dass die einstigen Puritaner keine Kunst hervorgebracht hätten, wobei er auf deren handwerkliche Arbeiten verwies.255 Erst recht sah der traditionsgebundene New Humanist Irving Babbitt mit Blick auf die zwanziger Jahre das eigentliche Problem der amerikanischen Gesellschaft nicht in den Bemühungen der „Puritaner“, die Menschen zu kontrollieren, um ihr Verhalten zu verbessern (uplifting), sondern in den bereits bestehenden Mängeln des Innenlebens der Individuen.256 Sein Gesinnungsgenosse Stuart Pratt Sherman verband den „Puritanismus“ sogar mit dem nationalen Genius (national genius) Amerikas257, ungeachtet der Tatsache, dass die meisten konservativen und „puritanisch“ gesinnten New Humanists gerade ihre historische und gegenwärtige Verbundenheit zu England, aufrechterhalten wollten. Zusammenfassend zeigte sich, dass die Diskurse über Religion und Moral ein regelrechtes Drehkreuz darstellten, von dem aus zahlreiche andere Diskursstränge weg- bzw. hinführten – ein Zeichen für die zentrale Position, die Religion und Moral in der Gesellschaft jener Zeit einnahmen. Dieses Drehkreuz war mit den Qualitätsmagazinen eng verbunden. Zwar analysierten die

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wurde, dass dieser als ein „Symbol absoluter Potentialität“ und „Zukünftigkeit“ zu gelten habe. Brunotte, Puritanismus, 48 f. Frank, Our America, 64–77, 148, 163. Nach Susman, Culture, 36 f. Schneider, The Puritan Mind. Walter Prichard Eaton, „A Heritage of Taste“, in: The American Mercury (November 1924), Kurzform in: The Reader’s Digest (Dezember 1924), 467–468. Irving Babbitt, „The Critic and American Life“, in: The Forum (Februar 1928), 161– 176, 164–166. Zit. n. Hoeveler, The New Humanism, 91.

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5 Amerikanisierung von Raum, Zeit und Gesellschaft

Zeitschriftenautoren nicht die Verschränkung der diversen Diskursstränge, aber sie stellten Foren bereit, auf denen die einzelnen Diskursstränge sowie der publizistische Kampf gegen den „Puritanismus“ erfolgen konnte. Letztlich belegte die liberale Publizistik den „Puritanismus“ mit so viel Kritik, dass daraus die Vorstellung eines „negativen Amerikanismus“ hervorging. Dieser umfasste alle Merkmale, die Liberale damals als abträglich und hinderlich für eine offene amerikanische Gesellschaft ansahen. Die häufige Kennzeichnung der Fundamentalisten und ihrer Sympathisanten als „Puritaner“ vermittelte allerdings den Eindruck, als ob es bei dieser Auseinandersetzung primär um Tradition vs. Moderne ging. Indessen wollten Fundamentalisten ebenfalls als neuerungsbewusste Gesellschaftskraft gelten und im Sinne der Bibeltexte die Modernisierung der Gesellschaft ausrichten. 5.7 NATIONALE HOMOGENISIERUNG UND US-SUPERIORITÄT DURCH STANDARDISIERUNG UND UNIFORMIERUNG Fragen nach nationaler Eigenart tangierten nicht nur Demokratie, Religion und Moral, sondern auch die Ökonomie. Dazu gehörte die zunehmende Standardisierung von Waren infolge rationalisierter und mechanisierter Produktionsmethoden. Die Maschine wurde nicht zuletzt unter der intellektuellen Führung von Charles A. Beard als Wahrzeichen der Zeit und der US-Nation gesehen, untermauert durch die Herausstellung der Maschinenästhetik in einer großen Ausstellung, die, wie schon erwähnt, 1927 in New York stattfand und den Titel Machine-Age Exposition trug.258 Ging es bei dieser Ausstellung primär um die Maschinenästhetik in der Kunst, so wurden in der Ausstellung Machine Art von 1934 auch maschinell und serienweise hergestellte Erzeugnisse visualisiert. Die Diskussion über maschinell fabrizierte Massenwaren hatte indessen schon in den zwanziger Jahren ihren Weg in die Öffentlichkeit und Publizistik gefunden und auch Fragen der Nationsbildung aufgeworfen. Konservative Gesellschaftsbeobachter sahen in der Standardisierung von Waren ein Zeichen für die Standardisierung der gesamten Gesellschaft, und eine solche Entwicklung hielten sie für höchst bedenklich. Eine gewisse Mary Beale aus Washington, D. C. beklagte 1924 in ihrem Leserbrief an die Zeitschrift The Forum beispielsweise die Standardisierung bei der Mode und bei der Ausbildung in staatlichen Highschools. Sie glaubte, dass das Land da258 Dazu und zur Ausstellung Machine Art im Museum of Modern Art 1934 siehe Wilson, The Modern Eye, 149–200. Demgegenüber prangerten die expatriates die Dominanz der Maschine an. Auch Mumford kritisierte, dass die Maschine mittlerweile schon alle Aspekte des Lebens beherrsche und menschliche Werte zerstöre. Tipple, Crisis, 228; von Moos, Nachwort, 808; Alexander, Here the Country, 50. Zu Mumford siehe sein Buch Technics and Zivilization von 1934.

5.7 Standardisierung und Uniformierung

253

durch in die Mittelmäßigkeit (mediocrity) absinke.259 Ebenso sorgenvoll und mit großen Vorbehalten blickte auch ein Teil der liberalen Publizisten auf den Trend zur Standardisierung und Uniformierung der Gesellschaft.260 Am bekanntesten ist Sinclair Lewis’ Babbitt geworden – eine literarische Figur, die erkennen ließ, wie die Individualität der Menschen samt ihren freien Wahlmöglichkeiten bereits Schaden erlitten hat. Babbittism wurde zu einem geläufigen Schlagwort und mit einem neuen Negativ-Image versehen, das für den typischen Kleinstadt-Amerikaner und seine Mediokrität stand.261 Der Sozialist Benjamin Stolberg nahm 1930 in diesem Zusammenhang in The Nation die zunehmende behavioristische Ausprägung des Pragmatismus, die nach seiner Ansicht mittlerweile von der Mehrheit der akademisch gebildeten (educated) Amerikaner vertreten werde, ebenfalls kritisch in den Blick: Dadurch entstünde ein Trend, der das „amerikanische Leben vom Professor bis zum flapper vereinheitliche“ (unifies).262 Viele Menschen wollten genau das haben, was andere haben. Die Gedanken seien ebenfalls standardisiert, monierte 1926 auch der Neurologe Joseph Collins im Harper’s Magazine.263 Stimulierend auf diesen mit Argusaugen beobachteten Uniformierungsprozess wirkte zudem die Produktwerbung, vermittelte sie doch den Eindruck, dass alle, die das jeweilige Produkt nutzten, dasselbe fühlten und in gleicher Weise deuteten. Auch amerikanische Regionalisten beklagten nicht nur die Zentralisierungstendenzen auf politischem Gebiet, sondern – ähnlich wie europäische Amerikakritiker – die Standardisierung und Uniformierung Amerikas infolge der neuen Massenproduktion.264 Andere liberale Publizisten waren bestrebt, die verbreiteten Ängste vor der Standardisierung der Warenproduktion zu verringern. Das Ehepaar Beard konzedierte zwar, dass die neuen Produktionsmethoden ambivalente Auswirkungen hätten, verfiel deswegen jedoch nicht in einen Kulturpessimismus.265 Das galt ebenso für den Dichter Harvey Maitland Watts. Trotz Standardisierung bliebe, so Watts in seinen zwei Artikeln von 1925 und 1928 in The Forum, noch genügend Spielraum für individuelle Wünsche. Darin liege das eigentliche amerikanische Wunder.266 „Mass production gives the homes every 259 Mary Beale, „Standardization“, in: The Forum (Juni 1924), Abt. „Our Rostrum“. 260 Siehe u. a. Ernest Gruening (The Nation) und Harold E. Stearns. Lutz, Introduction, 8. 261 Sinclair Lewis veröffentlichte seinen Roman Babbitt im Jahr 1922. Zu Lewis’ gleichwohl ambivalenten Einstellung gegenüber der damaligen amerikanischen Gesellschaft siehe Zacharasiewicz, Atlantic Double-Cross, 495. 262 Benjamin Stolberg, „Degradation of American Psychology“, in: The Nation (Oktober 1930), 395–398, 395. 263 Joseph Collins, M. D., „Childish Americans“, in: Harper’s Magazine (Januar 1926), 133–141, 135 f. 264 Dorman, Revolt, 125. 265 Vgl. Klose, Dogmen, 339. 266 Harvey Maitland Watts, „The American Miracle“, in: The Forum (März 1925), 373– 378, 373.

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5 Amerikanisierung von Raum, Zeit und Gesellschaft

possibility of choice“, beruhigte er die vielen kritischen Stimmen in der Öffentlichkeit.267 Der Professor für englische Literatur, John Erskine, wies 1930 im Collier’s Weekly und im Reader’s Digest ebenso darauf hin, dass die Standardisierung durchaus individuelle Ausdrucksmöglichkeiten erlaube.268 Und daran war den vielen auf Individualität bedachten Amerikanern offensichtlich sehr gelegen. Denn anscheinend führte die Kultur unter formal Gleichen zur Statusunsicherheit und stimulierte die ständige Suche des Individuums nach Anerkennung und Selbstbehauptung durch Distinktion, Performanz und auffallenden Konsum.269 „We take things in their extreme“, konstatierte Collins 1926 im Harper’s Magazine.270 So lasse sich auch, wie vor allem Thorstein Veblen hervorhob, der so genannte Geltungskonsum (conspicuous consumption) erklären.271 Ein anderer Teil der Liberalen verknüpfte die zunehmende Warenstandardisierung mit der Suche nach nationaler Identität. Doch wie sah die Brücke aus, die die Warenstandardisierung mit der Nationsbildung verband? Im Minneapolis Journal 1920 war über diese Frage Folgendes zu lesen: Looking out over this country of ours, the observer is impressed with […] ‚the pleasant uniformity of American life‘. Here, amid a multitude of opportunities, purposes and interests, obtains a striking unity of ideal, customs and thought. This is not a hundred million individuals, but a nation on the march towards its destiny.272

Ähnlich positiv, wenn auch nicht so enthusiastisch gesinnt, machte der Journalist Heywood Broun auf die nationsbildenden Wirkungen der Warenstandardisierung aufmerksam: Wenn die New Yorker wüssten, so schrieb er, dass die Mädchen in Montana die gleichen Kleider trügen wie jene in New York, das Erstaunen wäre groß. Die kulturellen Unterschiede zwischen dem ländlichen und städtischen Amerika seien im Verschwinden. Die Mode im ganzen Lande richte sich nach national bekannten Leinwandstars. Die gleichen Kleider, die gleichen Autos, die gleichen Büchsensuppen, kurzum, die Maschinenproduktion habe das Land zusammengebracht. In einer Zeit der Eisenbahnen und Flugzeuge könne es kein Hinterland (hinterland) mehr geben, „distance had died“.273 Auffallend an Brouns Ausführungen ist sein Rekurs gerade auf die Kleidung. Dahinter stand zum einen das Wissen darüber, dass Kleider 267 Harvey Maitland Watts, „Beauty in America“, in: The Forum (Januar 1928), 113–119, 118. 268 John Erskine, „We Have with Us“, in: Collier’s Weekly (Januar 1930), Kurzform in: The Reader’s Digest (März 1930), 1124–1126, 1126. 269 Zur Performanz siehe Fluck, Gibt es eine amerikanische Kultur?, 182. 270 Joseph Collins, M. D., „Childish Americans“, in: Harper’s Magazine (Januar 1926), Kurzform in: The Reader’s Digest (Februar 1926), 615–616, 619–620, 616. 271 Fluck, Gibt es eine amerikanische Kultur?, 180, 182. 272 Zit. n. Mayer, „Taste it!“, 137. 273 Heywood Broun, „New York May Not Be America But –“, in: Redbook Magazine (März 1930), 1104–1106.

5.7 Standardisierung und Uniformierung

255

Leute machten (the clothes make the man). Zum anderen war die Bezugnahme der Tatsache geschuldet, dass sich damals die Konfektions-Kleidung (readymade clothing) in den USA im Unterschied zu Europa bereits durchsetzte und hierdurch das Image verbreitet wurde, diese sei, wie Harvey Maitland Watts einmal schrieb, in allen praktischen Details und vor allem im Hinblick auf den damit verbundenen Enthusiasmus absolut amerikanisch (absolutely American).274 Denn die Konfektionsmode sei aus einem amerikanischen Blickwinkel heraus entwickelt worden: „The thing is American!“275, eine nationale Gesinnung (national spirit) spiegele sich gerade in der Konfektionskleidung wider.276 Da das amerikanische Selbstverständnis dank des großen Binnenmarktes und eines relativ verbreiteten Wohlstands sehr auf die materielle Kultur ausgerichtet war, kam in einer Zeit, in der auf allen Gebieten nach nationalen Identitätskomponenten gesucht wurde, einer solchen Interpretation erhöhte Bedeutung zu. 277 Darüber hinaus geriet das neue Phänomen der Warenstandardisierung in den Sog der Differenzbestimmung zu Europa. Der Sauberkeitsdiskurs, der u. a. auf den bereits standardisierten Einbau von Badewannen in Wohnungen rekurrierte, ist ein anschauliches Beispiel. So schrieb Watts 1925 in The Forum: „Cleanliness of body, soul, and spirit, which is really next to Godliness“, all das sei hier in den USA erreicht worden, während Europäer im Vergleich dazu als ungewaschen gelten müssten. Wie weit verbreitet solche Auffassungen damals in den USA waren, lässt sich aus dem Statement eines Chicagoer Stadtpolitikers schließen, wonach das Bad die „einzige zivilisierende Macht [sei], die etwas gegen die unzivilisierten Europäer [= Immigranten], die sich in unsere Städten drängen, ausrichten kann.“278 Die Badewanne war nicht nur Symbol für die fortgeschrittene Hygiene der „einheimischen“ Amerikaner, sondern stand auch für den – im Vergleich zu Europa – viel größeren materiellen Wohlstand der USA. Die standardisierte Badewanne fungierte in solchen Argumentationskontexten – trotz satirischer Bemerkungen manch eines Europäers – als Zeichen kultureller Überlegenheit der USA gegenüber Europa: „We can afford to flaunt both our flag and our bathtub and enjoy the comments of Europeans denied the protection of the one and the convenience of the other. In any jokes about our bathtub the laugh is with us.“279 In einer 274 Harvey Maitland Watts, „The American Miracle“, in: The Forum (März 1925), 373– 378, 377. 275 Ebd., 376 f. 276 Ebd., 373. 277 Die Untersuchung der (Massen-)Konsumkultur, einschließlich der Werbung, spielt in der neueren Forschung eine zunehmende Rolle, wobei auch die Zusammenhänge zwischen Produktzuschreibungen und Nationsbildung sowie Nationalismen berücksichtigt werden. Vgl. Marchand, Advertising. 278 Zit. n. Viola Schenz, „Eine saubere Sache“, in: Süddeutsche Zeitung 8./9.9. 2012, V2/6. 279 Harvey Maitland Watts, „The Symbolic Bathtub“, in: The Forum (Mai 1925), 705–710, 705.

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5 Amerikanisierung von Raum, Zeit und Gesellschaft

Zeitphase, in der sich die Hygiene als moderne Wissenschaft generierte, die Installationsarbeit als Folge der Ingenieurskunst galt und der erreichte Wohlstand den massenweisen Einbau dieses Gebrauchsgegenstandes vor allem in Mittelschicht-Wohnungen ermöglichte, eignete sich die Badewanne bestens als symbolträchtiges Anschauungsobjekt zur Artikulation von Differenz und Überlegenheit gegenüber dem Alten Kontinent. Zudem korrespondierte das Gegensatzpaar sauber/dreckig mit dem Gegensatzpaar hoch- und niederrangig und damit auch mit Einschätzungen des jeweiligen Respektabilitätsgrades.280 Dies ließ sich dementsprechend ebenfalls auf das Verhältnis der USA zu Europa übertragen. Dass die amerikanische Badewanne und das dahinter stehende moderne Installationssystem zum Fortschrittssymbol amerikanischer Alltagskultur avancieren und gegenüber Europa Superioritätsgefühle auslösen konnte281, fanden freilich auch manche Amerikaner der Persiflage wert. So war im Harper’s Magazine einmal zu lesen: „Just as Greece gave to the world Art, and Rome gave Law, so America has given Plumbing“.282 Insgesamt zeigt sich, dass das neue Phänomen der Warenstandardisierung mehrere Deutungsmöglichkeiten bereithielt. Dem generellen Bedauern und den Sehnsüchten nach dem alten Amerika standen Interpretationen gegenüber, die zum einen auf fortbestehende Distinktionsmöglichkeiten hinwiesen, zum anderen die inhärenten Vereinheitlichungstendenzen der Alltagskulturen zum Nutzen der Nationsbildung hervorhoben. Schließlich dienten einige Deutungsmuster auch der Artikulation materialisierter Differenz zu Europa. Die standardisierte Konfektionsmode fungierte als Chiffre für eine hochentwickelte Produktionsweise, der Badewannen-Kult symbolisierte Sauberkeit in Höchstform und der extreme Geltungskonsum spiegelte den erreichten Wohlstand wider. Kurzum, die Warenstandardisierung repräsentierte auf unterschiedliche Weise die Überlegenheit der USA gegenüber Europa. Wen eine solche Interpretation überzeugt, der oder die wird erneut an typisch postkoloniale Verhaltensmodi erinnert. Gemeint ist das Sich-Messen mit anderen Nationen, letztlich aus einem Gefühl der Unsicherheit heraus, sowie dem steten Streben nach Abgrenzung und Anerkennung.283 Die liberalen Publizisten blickten in ihren Zeitschriftenartikeln teils sorgenvoll auf die mit der Warenstandardisierung erreichte Uniformierung der Gesellschaft, teil überwogen Beschwichtigungen mit Rekurs auf die „feinen Unterschiede“ (Bourdieu), teils kamen nationsorientierte Interpretationen 280 Zur Einführung in diesen Themenkomplex siehe Cohen, Locating Filth. 281 Harvey Maitland Watts, „The Symbolic Bathtub“, in: The Forum (Mai 1925), 705–710. 282 Charles A. Bennett, „The House Comfortable“, in: Harper’s Magazine (Februar 1927), 391–394, 392. Bennett war Professor für Industrial Arts. 283 Die damaligen Überlegungen, dass die Warenstandardisierung samt der damit verbundenen Werbung der Homogenisierung der Nation förderlich sei, ähnelten jenen Zuschreibungen, mit denen in jener Zeit gelegentlich auch die neuen Massenmedien bedacht wurden. Pells, Radical Visions, 26.

5.8 Spannungen zwischen Regionalismus und Nationalismus

257

zum Zuge. In erster Linie sollte das Bewusstsein der Leser und Leserinnen über die Veränderungen in der Gesellschaft gestärkt und deren kritische Beobachtungsgabe geschärft werden. 5.8 SPANNUNGEN ZWISCHEN REGIONALISMUS UND NATIONALISMUS Obwohl Mädchen in Montana angeblich die gleichen Kleider trugen wie in New York, blieben Spannungen zwischen den Regionen und den Vereinheitlichungstendenzen der Nation bestehen. Die recht unterschiedliche Entstehung der einzelnen amerikanischen Staaten und ihre höchst verschiedenen ökonomischen und kulturellen Prägungen machten eine gesamtnationale Identitätskonstruktion jenseits der allgemein gültigen Verfassung schwierig. Die allmähliche Entwicklung eines gemeinsamen Marktes und die verbesserten Kommunikationsmöglichkeiten sowie die Entwicklung der Massenmedien und die zunehmenden Tendenzen zur Warenstandardisierung verringerten um die Jahrhundertwende einerseits das Eigenständigkeitsdenken der Einzelstaaten. Andererseits vergrößerte sich dieses gerade damals infolge bzw. als Ausdruck eines reaktivierten Regionalismus, der nicht zuletzt die Uniformierung des Landes284 sowie die Aus- und Nachwirkungen einer auf Vereinheitlichung ausgerichteten Nationsbildung problematisierte. Weil die Urbanisierung weiter voranschritt und dementsprechend die Sehnsüchte nach dem alten heilen Amerika wuchsen, fielen auch die auf Stadt und Land bezogenen Imaginationen, denen jeweils bestimmte Regionen zugeordnet wurden, immer stärker auseinander.285 Auf der einen Seite schlugen sich positive Großstadt-Imaginationen in Kunst und Publizistik nieder, und viele Amerikaner nahmen die Großstadt als reichhaltigen Möglichkeits- und Gestaltungsraum wahr. Auf der anderen Seite gedieh indessen in den zwanziger Jahren auch der Agrar- und Kleinstadtromantizismus. Aus Sicht der zahlreichen Anti-Urbanisten war nämlich die Stadt zu einem Ort der Fremden (aliens) geworden, womit hauptsächlich europäische Immigranten gemeint waren, und zu einer Stadt der „Neger“ (negroes), womit die große Migration der African Americans vom ländlichen Süden in die Städte des Nordens angesprochen wurde, – kurzum, zu einem Ort, in dem angeblich die amerikanischen Werte verloren gegangen waren. Folglich stieg die Wertschätzung nicht-verstädterter Regionen mit ihren fortexistierenden kulturellen Eigenhei-

284 Hornung, The Making, 116; Lutz, Introduction, 8. 285 Dazu und zum Folgenden Leuchtenburg, The Perils, 227–229. Den Spannungszuständen lagen allerdings auch reale Interessenunterschiede zu Grunde. Schon die temporäre populistische Reformbewegung der 1890er Jahre hatte explizit ländliche Interessen vertreten, wozu auch Verstaatlichungs- und staatliche Regulierungswünsche gehörten.

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5 Amerikanisierung von Raum, Zeit und Gesellschaft

ten als Quelle kulturellen Reichtums.286 So entstand ein idealisiertes Kontrastbild zur realen amerikanischen Stadt, das an das alte Winthrop’sche Narrativ der City upon a Hill erinnerte – und somit an den Ort eines erneuerten und gereinigten Christentums mit paradigmatischem Vorbildcharakter für jedwede wohlgeordnete Stadt.287 Dadurch, so erhofften sich zahlreiche Regionalisten, könnte der angeblich kränkelnden US-Zivilisation neue Gegenkräfte eingeflößt werden, und überdies ließen sich so die Künste beflügeln.288 Frederick Jackson Turner hatte den amerikanischen Raum zunächst nur zweigeteilt: hier der Osten (the East), dort der Westen (the West). Er sprach von Sektionen und meinte damit Landesteile, die geografisch und sozial so einheitlich (unified) strukturiert wären, dass sich in ihnen ein gemeinsames Bewusstsein über Ideale und Bräuche sowie ein Sinn für die Andersartigkeit anderer Landesteile entwickelt hätten.289 Turners Erfolge werden nur verständlich, wenn sie als Teil der breit angelegten regionalistischen Bewegung verstanden werden. Dabei ging es um die Suche nach amerikanischen Identitätswurzeln und genuin amerikanischer Volkskultur290, die man nicht mehr im europäisierten und dekadent erscheinenden Neuengland entdecken könnte291, sondern eben in anderen Regionen.292 Es war gerade die Unterschiedlichkeit zwischen den Regionen, die nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch Wissenschaftler und Literaten faszinierte. Charles A. Beard, der selbst aus Indiana stammte, arbeitete beispielsweise die wirtschaftlichen und politischen Konflikte zwischen den Regionen, vor allem zwischen dem Norden und dem Süden heraus und verband diese mit den unterschiedlichen Interessen von Industrie und Landwirtschaft.293 Theodore Dreiser, ebenfalls in Indiana geboren, würdigte ausdrücklich die ihn faszinierende Vielfalt der Regionen. Die Redaktionen der Magazine kamen dem öffentlichen Interesse an den diversen Regionen entgegen. Herbert Croly, organisierte 1928 als (Mit-) Herausgeber der Zeitschrift The New Republic die Veröffentlichung einer von Waldo Frank verfassten Serie unter dem Titel The Re-Discovery of America. Die Zeitschrift The Nation hatte schon 1922 zur Publizität der Regionen beigetragen, indem sie 49 Artikel unter der Überschrift These United States ver-

286 287 288 289

290 291 292 293

Vgl. Lutz, Introduction, 8. Henningsen, Der Mythos, 146; vgl. auch Susman, Culture, 250 f. Vgl. Dorman, Revolt, 104, 130. Siehe Turner, Sections, insb. 325–328, 338; vgl. auch Hönnighausen, Region, 354. Diese Zweiteilung der USA differenzierte Turner allerdings später insofern, als er und zahlreiche Regionalisten nicht allein die recht großräumigen und grobgeschnittenen Landesteile (sections), sondern Regionen als kulturell eigenständig und charakterprägend ansahen. Dorman, Revolt, 104, 130. Siehe dazu auch Kapitel 6.6. So auch Turner. Waechter, Die Erfindung, 14. Hönnighausen, Region; Tashjian, The Artlessness. Klose, Dogmen, 220.

5.8 Spannungen zwischen Regionalismus und Nationalismus

259

öffentlichte.294 Ernest Gruening, der Mitherausgeber der Zeitschrift The Nation, gab 1925 erneut eine Serie von Aufsätzen über die einzelnen Regionen Amerikas in Auftrag.295 Lewis Mumford, der die deutschen föderalistischen Traditionen sehr zu schätzen wusste, warf unter dem Aspekt der von ihm favorisierten Regionalplanung ebenfalls ein Auge auf regionale Besonderheiten. Auch Constance Rourke ließ sich in ihren Studien zur amerikanischen Kultur von der Eigenprägung diverser Regionen beeindrucken. Oft schrieb sie über den „amerikanischen Charakter“ und betonte dabei – ähnlich wie Turner – die Bedeutung der Volkskultur (folk culture), vor allem die des amerikanischen Westens, denn darin liege das natürliche Erbe (natural inheritance) der Amerikaner, das gewürdigt werden müsse.296 Unterstützung erfuhren die Regionalisten durch Ethnologen, etwa durch Ruth Benedict, die ihrerseits Feldforschung in Amerikas Südwesten betrieb. Und die damals aufblühende sozialgeografische Fotografie tat ein Übriges, um die Besonderheiten der einzelnen Regionen im Bilde festzuhalten – wenngleich gerade nicht in den Qualitätsmagazinen. Die Regionalbewegung wurde in den zwanziger Jahren von großen Teilen der Öffentlichkeit mit beträchtlichem Interesse wahrgenommen.297 Das war nicht nur dem Einfluss des Turner’schen Frontier-Theorems geschuldet, sondern auch eine Gegenreaktion zu den staatlichen Zentralisierungstendenzen, die während des Ersten Weltkriegs beträchtlich zugenommen hatten. Außerdem vergrößerte der wachsende Automobil-Tourismus das Interesse an Natur und Kultur der jeweils besuchten Landesteile.298 Unterstützt von Erinnerungsfotos bildeten Touristen ihre mental maps, in die vielfach das erste Mal eigene (allerdings mediengestützte) Wahrnehmungen von der räumlichen Größe und Vielfalt der USA eingeschrieben wurden. Die Einrichtung von National Parks hielt sowohl regionale als auch nationale Sinnstiftungsangebote bereit. Die für die Öffentlichkeit verfügbaren großflächigen Naturräume veranschaulichten nicht zuletzt die gravierenden Unterschiede zwischen den USA und Europa.299 Auch die neuen, in die Landschaft eingebundenen Parkways versorgten die amerikanischen Autofahrer mit regionalem und nationalem Wohlgefühl.300 Von der Regionalbewegung und ihrer Aufwertung der Sektionen bzw. Regionen profitierte als Erstes der Westen. Der hauptsächlich von Turner entfal294 295 296 297

Neu veröffentlicht: Borus, These United States. Hönnighausen, Region, 351. Rourke, American Humor, Vorwort; vgl. auch Alexander, Here the Country, 213–216. Dazu siehe Dorman, Revolt; Borus, The Unexplored Twenties; vgl. Tyrrell, Historians, 32. 298 Siehe zum Beispiel o. V., „America Discovers Itself“, in: Vogue (Juni 1930), Kurzform, in: The Reader’s Digest (August 1930), 289–291. 299 Dazu siehe Meringolo, Museums; Rothman, Why the Nation. 300 Davis, The Rise, 36.

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5 Amerikanisierung von Raum, Zeit und Gesellschaft

tete Gründungsmythos des Westens301 belebte nicht zufällig die Historiografie dieser Region nachhaltig. Im Jahre 1907 wurde bezeichnenderweise die Mississippi Valley Historical Association gegründet und damit die Geschichtsschreibung des Mittleren Westens vorangetrieben. Sherwood Anderson und andere Literaten schrieben über die Midwest-Region in ihren Romanen.302 Bernard DeVoto profilierte sich damals bewusst als regionalistisch gesinnter Historiker des amerikanischen Westens.303 Zahlreiche Wissenschaftler, Literaten, Künstler und Publizisten zeigten ebenfalls ein Interesse an den Eigenarten des Westens, aber auch an anderen Regionen der USA und ihren Kulturen. Der Süden des Landes gewann ebenfalls durch die regionalistische Bewegung an Ansehen. Der Historiker Parrington, der ausführlich über die kulturelle Heterogenität der USA schrieb, widmete sich nicht zuletzt den Besonderheiten des Südens.304 Überzeugte Südstaatler nahmen die günstige Gelegenheit wahr, die ihnen der Regionalismus bot, und machten sich ein eigenes, positiv gefärbtes Bild von ihrer Geschichte vor allem aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg. Diese bereiteten sie so auf, dass sie partiell in einen alternativen Nationalismus mündete, der seinerseits auf regionaler Autonomie und weißer Überlegenheit beruhte.305 In den zwanziger Jahren avancierte der Süden sogar zum Neuen Süden (New South). Dieses Konstrukt stieß in der Öffentlichkeit und in manchen Künstlerkreisen auf zunehmende Sympathien, weil sie damit die Hoffnung verbanden, dass sich in dieser Region ein eigener kultivierter Lebensstil als Erbe der alten Plantagenkultur reanimieren ließe und hieraus eine genuin amerikanische Kunst und Kultur erwachsen könnte, die dann auch über den Süden hinaus strahlen würde.306 Der Dichter und Literaturkritiker John Crowe Ransom sah die Einzigartigkeit des agrarischen Südens in seiner Kultur, die den europäischen Kulturlandschaften, insbesondere den englischen, entsprungen sei, und diesen noch immer gleiche. Während im Norden der USA Materialismus und Industrialismus dominierten, sei im Süden eine anglophile Mentalität und ein europäisch geprägter Konservatismus verbreitet – und dies, obwohl in der Öffentlichkeit die Gegnerschaft zum britischen Finanzkapital, vor allem in den 1880er Jahren, noch gewaltig gewesen 301 302 303 304 305

Hine/Faragher, The American West, 503–508. Bodnar, Remaking America, 122. Dorman, Revolt, 86. Parrington, Main Currents. O’Leary, To Die For, 6. In der Literatur wird in diesem Zusammenhang von Southern movement und Agrarian movement gesprochen sowie auf deren Manifest I’ll Take my Stand von 1930 hingewiesen. 306 Siehe u. a. Finzsch, Die Maler; siehe auch Kapitel 6.6. In der Großen Wirtschaftskrise und auch noch danach verstärkte sich die Suche nach alternativen Lebens- und Ausdrucksformen jenseits der Großstädte bzw. der Industrieregionen, und das Interesse der Öffentlichkeit am Süden erreichte einen Höhepunkt. Tyrrell, Historians, 48. Im Jahre 1934 wurde die Southern Historical Association gegründet.

5.8 Spannungen zwischen Regionalismus und Nationalismus

261

wäre.307 Die fundamentalistisch orientierte Sichtweise auf die Bibel als einen unfehlbaren Text und die kompromisslose Ablehnung des Darwinismus gerieten zu einer Angelegenheit regionalen Stolzes.308 Selbst bei der Sicht auf die Besonderheiten einer Region wurde Europa offensichtlich argumentativ ins Spiel gebracht, diesmal jedoch nicht im Zuge eines Abkoppelungsversuchs, sondern als Beleg für die Besonderheiten des Südens. Obwohl sich einst die „präprofessionell“ arbeitenden Historiker viel mit lokaler und sektionaler Geschichte beschäftigt hatten309 und die nachfolgende Generation der so genannten Scientific Historians ihre Studien ebenfalls häufig auf eine Region, zuvörderst die Ostküste, konzentrierten310, war deren Interesse doch stets auch auf die Geschichte der Nationsbildung ausgerichtet. Dessen ungeachtet drang der erste Präsident der American Historical Association, Andrew D. White von der Cornell Universität im Zuge der inneren Nationsbildung darauf, „alle Geschichte im Sinne eines amerikanischen Gesichtspunktes“ umzuschreiben (rewritten from an American point of view).311 Für ihn und ähnlich Denkende kulminierte die amerikanische Geschichte gerade im Zustandekommen einer leistungsstarken Union. Im Unterschied zu dieser synthetisierenden Geschichtsbetrachtung der „konservativen Evolutionisten“ (Higham) zeigte sich die nachfolgende Generation der „progressiven“ Historiker wieder mehr an der Erforschung der sektionalen Unterschiedlichkeit interessiert. Denn für sie waren die Konflikte zwischen den Landesteilen genauso wenig wie die zwischen ökonomischen Gruppen bereits entschieden.312 Das hielt sie jedoch ebenfalls nicht davon ab, im Zuge des New Nationalism auch für eine nationsorientierte Geschichtsschreibung zu plädieren. „The New Nationalism puts the national need before sectional or personal advantages“313, wie sich Charles A. Beard, ausdrückte. Lokale und regionale Persönlichkeiten, die mit der Geschichtswissenschaft an sich nichts zu tun hatten, unterstützten das Bestreben solcher nationsorientierten Geschichtsbetrachtungen, weil sie diese, ungeachtet des Regionalismus, für unerlässlich erachteten.314 Auch Turner wollte die von ihm herausgearbeitete Bedeutung der Sektionen mit seiner Vorstellung vom nationalen Einheitscharakter des Landes in Übereinstimmung bringen, so wenn er sagte: „Our national character is a 307 308 309 310 311

Watt, Succeeding John Bull, 15. Dawley, Struggles, 270. Novick, That Noble Dream, 72 f. Waechter, Die Erfindung, 76. Hierzu gehörte auch Herbert Baxter Adams. Nach Thelen, Making History, 385. Unterstützt wurden synthetisierende, nationsbetonte Aspekte in der Geschichtsschreibung nach dem Ersten Weltkrieg u. a. vom Historiker John Franklin Jameson. Higham, History, 55; vgl. auch Novick, That Noble Dream, 73. 312 Higham, History, 148, vgl. auch 150–157. 313 Charles A. Beard, zit. n. Noble, The End, 38. 314 Slotkin, The Fatal Environment, 39.

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composite of these sections.“315 Seine „nationale Vision“ war darauf ausgelegt, dass jede Region ihren Platz im nationalen Haus finden sollte. „We are members of one body, though it is a varied body.“316 Er und ähnlich Denkende verbreiteten das Bild einer „symphonischen Nation“. Mit Blick auf das zersplitterte Europa (dispersed Europe) sollte die Neue Welt nun zur Alten Welt eine gelungene Alternative in Form einer dezentralisierten Vielfalt von regionalen Kulturen bieten, die sich wie in einer Symphonie zusammenfügen ließen. Doch solche Bilder umfassender Harmonie stießen nicht selten auf Widerspruch, vor allem in den südlichen Landesteilen. So interpretierte der Dichter und Essayist aus Tennessee, Donald Davidson, das Verhältnis der Regionen zueinander als eines der Hegemonie des Nordostens über alle anderen Regionen. Seit dem Bürgerkrieg trete der Nordosten als imperiale Region auf, während die anderen Regionen als ihre Kolonialgebiete fungierten (colonial dependencies).317 Abgesehen von diesen inneramerikanischen kolonialen Befindlichkeiten stieß die Suche nach einem konstruktiven Verhältnis zwischen Region und Nation in der publizistischen Öffentlichkeit im Allgemeinen jedoch auf ein positives Echo. Ungeachtet der großen Resonanz, die die regionale Geschichtsschreibung und die folkloristische Kulturpflege auslösten, ergriff der Wunsch nach einer umfassenden, nationsorientierten Historiografie auch das neue Lesepublikum.318 Das Interesse an nationaler Geschichtsschreibung wurde durch „progressive“ Historiker wie Beard319 und Parrington beträchtlich vorangetrieben. Ihre Forderung, die amerikanische Geschichte als amerikanische Geschichte neu zu schreiben, sollte freilich keineswegs den Regionalismus demontieren, sondern die regionalen Kulturen als konstitutive Bestandteile des nationalen Staates interpretieren. Der einflussreiche Philosophieprofessor und Vertreter des idealistischen Personalismus, Josiah Royce, trat in ähnlicher Weise für eine Balance zwischen Einheitsstaat und Regionen ein.320 Und Lewis Mumford wünschte sich ebenfalls keinen selbstgenügsamen Sektionalismus, sondern einen, der eine Doppelorientierung aufweise, sich also auf Region und Nation beziehe.321

315 Zit. n. Hönnighausen, Region, 356. 316 Turner, Sections, 339; Dorman, Revolt, 130 f. Zur Nationalisierung der Kultur des Mittleren Westen siehe auch Bodnar, Remaking America, 113. 317 Nach Hönnighausen, Region, 356. 318 Vgl. u. a. Thelen, Making History, 383. 319 Beard warf Turner vor, er unterschätze das Gewicht des Ostens mit seinen vielen Großstädten. Charles A. Beard, „The Frontier in American History“, in: The New Republic (1921), 349–350. 320 Nach Klein, Frontiers, 98; Hönnighausen, Region. 321 Nach Hönnighausen, Region, 358.

Zusammenfassung

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Insgesamt gesehen blieb das Spannungsgefüge zwischen regionalen und nationalen Identitätskonstruktionen zwar bestehen, aber der große Bruch fand bekanntlich nicht statt. Die regionalistischen Bewegungen mit der von ihr hauptsächlich avisierten Aufwertung der regionalen Kulturen war zwar im weiteren Sinn auch eine politische Bewegung, doch hielt sich deren direkte Politisierung offensichtlich in Grenzen. Jedenfalls gelang es, das spannungsreiche Verhältnis zwischen Region und Nation nicht in eine Konfrontation bestimmter Einzelstaaten zur Zentralregierung münden zu lassen. So konnte dieses im Lot gehaltene Gesamtgefüge – ungeachtet der inneren Spannungen – sogar als ein Erfolgsmodell dem zersplitterten und zerrütteten Europa gegenübergestellt werden.322 Die liberalen Qualitätsmagazine trugen mit ihren Artikeln dazu bei, dass sich das soziale Wissen der Leserschaft über die jeweils anderen Regionen vergrößern und so ein Bewusstsein vom Reichtum der inländischen Kulturen erwachsen konnte, ohne dadurch das nationale Zusammengehörigkeitsgefühl negativ zu tangieren. ZUSAMMENFASSUNG Die hier vorgestellten Themenfelder berührten das Verhältnis zu Europa im Kontext amerikanischer Identitätssuche. Allerdings war der Bezug zu Europa unterschiedlich stark gewichtet. Auch ermöglichte die Referenzfolie „Europa“ verschiedene Botschaften. Einige Botschaften waren auf US-Superiorität ausgerichtet, vor allem Aussagen zur amerikanischen Demokratie, zu den amerikanischen Moral- und Hygienemaßstäben, zur amerikanisierten Theologie der Evangelikalen, zu „typisch amerikanischen“ Charaktereigenschaften sowie zum hohen Niveau der Warenstandardisierung. Die sozialphilosophische Grundlage der Suprematie-Vorstellungen bestanden vielfach im Glauben an Evolution und Fortschritt sowie an Vorsehung und Mission. Andere Botschaften waren auf die Herausarbeitung von Differenz und Distanz zu Europa ausgerichtet. Im Zentrum stand die Amerikanisierung von Raum und Zeit, die vor allem von den beiden Historikern Turner und Beard öffentlich vertreten wurde. Das Turner’sche Frontier-Theorem fungierte lange Zeit als zentraler Bezugspunkt, und zwar nicht nur für die Geschichtsschreibung, sondern auch für die Interpretation der Demokratie, der Aufwertung des amerikanischen Westens und der Kennzeichnung des „amerikanischen Charakters“. Auf der Weltausstellung in Chicago von 1893 kreuzten sich die Inszenierungen der amerikanischen Geschichte mit jener der amerikanischen Gegenwart: Während Turner dort sein Frontier-Theorem über die europaferne, amerikanische Vergangenheit vortrug, zeigte der ausgestellte Maschinenpark die großen Ingenieursleistungen der (damaligen) Gegenwart und symbolisierte damit im322 Vgl. dazu auch das Kapitel 7.2 und 7.3.

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plizit die industrielle Überlegenheit gegenüber Europa, die auch Beard in seinen Texten über das Maschinenzeitalter unterstrich.323 Ein weiteres Kennzeichen der Amerikanisierungstendenzen bestand in der zeitgemäßen Füllung des Begriffs „Amerikanismus“ und seiner Verfestigung durch die Herausbildung von Stereotypen. Mit Amerikanismus wurde all das bezeichnet, was als typisch amerikanisch galt. Doch was typisch amerikanisch war, lag ja nicht von vornherein fest, sondern wurde in den Diskursen ausgehandelt, und durch Wiederholungen verfestigte sich der Eindruck, dass bestimmte Phänomene eine generalisierbare Besonderheit Amerikas ausmachten. Insofern beruht die These vom Exzeptionalismus nicht nur auf den alten zivilreligiösen Bestimmungsfaktoren, sondern wies stets auch zeitgemäße Züge auf, etwa die Aussage, dass Amerikaner infolge des natürlichen Ausleseprozesses eine besonders robuste Gesundheit und einen hohen Sauberkeitsstandard hätten. Zur Herausarbeitung und Verbreitung solcher (angeblichen) amerikatypischen Züge trugen die Qualitätsmagazine ungewollt viel bei. Oftmals in geballter Form, vor allem in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre, wurden Verhaltensweisen und Gewohnheiten unter die Lupe genommen, kamen Freizeit, Moral, happiness und Schönheit in den Fokus. Alle konnten bei solchen Themen mitreden, die Anzahl der darauf bezogenen Artikel schwoll beträchtlich an. Besonders gefragt waren zwar diverse Fachexperten, etwa Psychologen und Erzieher. Doch verfassten dazu auch zahlreiche SchriftstellerInnen, Kirchenmänner und Historiker Beiträge, ganz zu schweigen von dem Kreis der mit den Qualitätsmagazinen besonders verbundenen Intellektuellen und Publizisten, wie etwa Brooks, Santayana, Weyl, Kirchwey, Frank, Krutch, Niebuhr und Allen, die zudem vielfach eigenständige Bücher veröffentlichten, in denen sie ebenfalls über typisch amerikanische Eigenschaften und Zustände schrieben. Ein weiteres Kennzeichen des Amerikanismus war, dass er zwei konträre Interpretationen bereit hielt, so dass von einem positiven und von einem negativen Amerikanismus gesprochen werden kann. Denn während die einen unter dem Begriff Amerikanismus all jene Besonderheiten des Landes, der Menschen und der Gesellschaft subsummierten, die sie mehr oder weniger positiv evaluierten, deuteten andere Publizisten oftmals gerade diese Eigenschaften als Problem und als Negativum. Solche konträr zueinander stehenden Bewertungen bezogen sich vor allem auf den Einfluss der Moral sowie auf den Machbarkeitsglauben und die Ruhelosigkeit der Menschen, zwei wesentliche Eigenschaften dessen, was den „amerikanischen Charakter“ ausmachte. Gerade mit Blick auf den verbreiteten Machbarkeitsglauben verwundert die ebenfalls verbreitete Skepsis in Bezug auf die Demokratieentwicklung in 323 Slotkin, The Fatal Environment, 4; ders., Gunfighter Nation, 63–67; O’Leary, To Die For, 167.

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der „Massengesellschaft“ – selbst unter Liberalen (Lippmann). In dieser Hinsicht dominierten schließlich elitäre Überlegungen, gepaart mit Ängsten vor dem „Großstadtmob“. Zwar wurden Zukunftsperspektiven in Form des Projekts der „Industriellen Demokratie“ aufgezeigt und gesellschaftliche Potenziale mit Blick auf zivilisatorische Errungenschaften (Beard) und pragmatistisch grundierte Erziehungsmöglichkeiten (Dewey) umrissen, doch konnten diese Perspektiven weder den Skeptizismus, noch das Liebäugeln mit einer Elitendemokratie eliminieren. Der italienische Faschismus diente keineswegs als abschreckendes Beispiel, erst der deutsche Nationalsozialismus führte zu einem Umdenken und zu einer anderen Sicht auf die amerikanische Demokratie. Sowohl der positiv als auch der negativ gedeutete Amerikanismus war auf die Betonung der Differenz zu Europa ausgerichtet, allerdings mit konträren Ergebnissen. Während der positive Amerikanismus vor allem auf die Bewusstmachung der US-Superiorität gegenüber Europa zielte, verwies der negative Amerikanismus teils implizit, teils explizit auf die positiven Seiten Europas. Der Alte Kontinent blieb beides Mal die Projektionsfläche und diente als oft genutzte Referenz. In der Regel waren die Beiträge in den liberalen Zeitschriften nicht auf eine Harmonisierung der Positionen angelegt, vielmehr blieben die Differenzen in den Auffassungen bestehen und schufen so Freiraum für unterschiedliche Resonanzen. Bemerkenswert an diesen Diskursen war ferner die weitgehende Ausgrenzung der „Anderen“. Die neu ins Land gekommenen europäischen Einwanderer, die zum großen Teil ganz andere Verhaltensformen aufwiesen als in Zeitschriften unter der Kennzeichnung „amerikatypisch“ zu lesen war, blieben aus den Diskursen exkludiert und erschienen allenfalls – wie auch African Americans – als gefürchteter, angeblich demokratiegefährdender „Mob“ der Großstädte. Der Amerikanismus als stereotypes Konstrukt bezog sich im Kern vorrangig auf die weißen „einheimischen“ Mittelschichten. Auch die Geschlechterunterschiede verschwanden vielfach hinter anscheinend geschlechtsneutralen Aussagen, auch wenn de facto ein Geschlecht mehr als das andere betroffen war: So blieb der Machbarkeitsglaube unausgesprochen männlich konnotiert, und mit den Leitfiguren des Pioniers und des Ingenieurs stand es nicht anders. Im Unterschied dazu richteten sich Moralfragen implizit mehr an Frauen als Hüterinnen von Sitten und Normen.324 Die Diskurse vermittelten häufig den Eindruck postkolonialer Befindlichkeiten. Denn Neuenglands anglophile Ausrichtung interpretierten zahlreiche Publizisten als informelle britische Herrschaft über das kulturelle Leben der USA. Nicht zuletzt deswegen wurden die Überbleibsel der anglophilen Genteel-Kultur in den zwanziger Jahren so vehement bekämpft. Der liberale Publizist Waldo Frank betonte in diesem Zusammenhang 1919 allerdings auch: „The reaction against English domination in American cultural life is not an 324 Siehe dazu Kapitel 4.2 und 4.3.

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attack on England. It is a plea for America.“325 So gewannen die Amerikanisierungs- und Entanglisierungstendenzen eine nationsbezogene Sinnhaftigkeit. Nicht England- oder Europafeindlichkeit war das Motiv für die Amerikanisierungsbestrebungen von Raum und Zeit sowie von Individuum und Gesellschaft, vielmehr sollte Europas kulturelle Superiorität ein Ende finden.

325 Frank, Our America, 163.

6 KULTURELLER NATIONALISMUS The American He will speak the language of Shakespeare And his brow will be that of a conqueror, But in his eyes will be a hint of Raphael’s saints, And the strains of Wagner, singing in his heart, will lift him to the stars, The harp of Tara will sound in his ears forever And the call of the clan. Then will Himself take form – His thoughts, his dreams, his inspiration – What new rhythms will be start down the passage of the winds, What untried harmonies? What new colors will he splash upon the world canvas? Some day, to the end of the earth He will carry his message. (Alice M. Fay, 1911–1968)1

In diesem Gedicht wird das zum Ausdruck gebracht, was viele Amerikaner seit der Jahrhundertwende hofften und glaubten: Auf der Basis europäischer Kunsttradition werde in den USA etwas Neues entstehen, von dem die ganze Welt profitieren könne. Doch die hier ausgedrückte Zuversicht war nur die eine Seite. Die andere Seite, die in dem obigen Gedicht allerdings nicht in Erscheinung tritt, war eine, die von großer Unsicherheit zeugte. Zwar gingen die USA weltpolitisch gestärkt aus dem Ersten Weltkrieg hervor, aber sie erlebten im Innern des Landes gerade auf dem Gebiet der Künste die große kulturelle Umbruchzeit als Phase der Verunsicherung besonders intensiv, und viele fühlten sich von ihr zu einer Neuorientierung herausgefordert. Pierre Bourdieu hat an empirischen Beispielen verdeutlicht, wie sehr die Künste in der jeweiligen Gesellschaft verankert waren und sind, so dass allein werkimmanente Interpretationen nicht ausreichten. Stattdessen gelte es, die gesellschaftlichen Bedingungen herauszuarbeiten, die ein Kunstwerk entstehen lassen.2 Zu den gesellschaftlichen Bedingungen gehören auch Struktur und Profil der Öffentlichkeit sowie der Medien. Während der 1920er Jahre verbreitete sich in den USA das öffentliche Interesse an Kunst und Literatur beträchtlich. So wurden damals immerhin sechzig neue Museen eröffnet, und

1 2

In: The Forum (April 1923), 1419. Bourdieu, Die Regeln.

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6 Kultureller Nationalismus

die Umsätze des Kunsthandels stiegen ebenfalls.3 Etwa 800 Kunstvereine gab es 1931 in den USA mit zusammen 75.000 Mitgliedern, während die Musikvereine sogar 300.000 Mitglieder aufwiesen.4 War die Ansicht des amerikanischen Malers Robert Henri überzogen, wonach, wie er 1925/26 in Arts and Decoration und im Reader’s Digest schrieb, kein Volk als Ganzes (people as a whole) an Kunst mehr interessiert sei als das amerikanische?5 Zwar spielten Zeitungen und Magazine bei der Herausbildung medialer Öffentlichkeit zahlreicher Schriftsteller eine entscheidende Rolle6, doch sollten Printmedien zusammen mit thematisch einschlägigen Büchern gesehen werden. Im Jahre 1929 seien rund eine Million Exemplare allein von kunstbezogenen Büchern verkauft worden, und rund vier Millionen veräußerte Exemplare beinhalteten Gedichte und Dramen. Hinzu kamen mehr als 45 Millionen verkaufte Romane, behauptete der Pädagoge und Präsident der Carnegie Corporation, Frederick P. Keppel, rückblickend aus dem Jahre 1933.7 Auch sei das Niveau des Publikumsgeschmacks gestiegen, wie zumindest damalige Verleger meinten: Moderne Schriftsteller fänden guten Absatz, und Gedichtbände ließen sich ebenfalls erfolgreich vermarkten.8 Die Romane von Sinclair Lewis, also Main Street, Babbitt und Elmer Gantry, verkauften sich besonders gut9 – und zwar schon bevor Lewis im Jahre 1930 als erster Amerikaner den Literaturnobelpreis erhalten sollte. Auch moderne, afrikanisch-amerikanische Literatur (und Malerei), deren Repräsentanten ihre eigenen Traditionen künstlerisch umzusetzen suchten, hatten ein beachtlich großes Publikum gefunden, ohne dass deren Werke freilich in den Mainstream der (weißen) Kunstdiskurse gelangen konnten.10 In den zwanziger Jahren, als die Diskurse über Amerikas Künste an Fahrt und Intensität gewannen, kreiste ein Großteil der Magazinbeiträge um die Frage, wie genuin amerikanische Kunst angesichts des Übergewichts hochwertiger europäischer Künste entstehen könne und wie diese ausgerichtet sein sollte. 11 Die folgenden Längsschnitte, die auf die Verflechtung der Kunstmit den Nationsdiskursen ausgerichtet sind, fokussieren drei Aspekte: Im ersten Unterkapitel geht es überblicksartig um damals vorgenommene Bestands3 4 5 6 7

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McCoy, Coming of Age, 135. Keppel, The Arts, 975. Robert Henri, „What About Art in America?“, in: Arts and Decoration (November 1925), Kurzform in: The Reader’s Digest (Januar 1926), 567–568, 567. Dazu siehe auch das erste Kapitel und May, The End, 197 f. Keppel, The Arts, 975. Allerdings gab es auch negative Einschätzungen, die besagten, dass Amerikaner wenige Bücher läsen. R. L. Duffus, Books. Their Place in a Democracy, Boston/New York 1930. Keppel, The Arts, 992. Von Lewis’ Buch Main Street wurden allein 1920 rund 400.000 Exemplare verkauft. Kalaidjian, American Culture, 66–104, 83. Zu diesem Kapitel siehe vor allem Trachtenberg, Critics; Alexander, Here the Country; Levine, Highbrow; ders., The Unpredictable Past; Bender, New York.

6.1 Kunst in den USA: Bestandsaufnahmen und Vorhersagen

269

aufnahmen über die Künste in den USA und um diesbezügliche Zukunftsprognosen. Im zweiten Unterkapitel wird nach dem Stellenwert der europäischen Künste12 in den USA gefragt, wobei zwischen den „klassischen Werken“13 und der Moderne unterschieden werden muss. Zudem werden die Forderungen nach einer eigenständigen nationalen Kunst vorgestellt. Im dritten Unterkapitel kommen die Öffnungen gegenüber der europäischen Moderne und die Suche nach einer US-Moderne zur Sprache. Während im vierten Unterkapitel die Probleme mit den Selbsteinschätzungen und der Rezensionskultur dargelegt werden, geht es im fünften und sechsten Kapitel um diverse Ausweitungen des Kunstbegriffs, die ihrerseits mit der Suche nach einer genuin amerikanischen Kunst verbunden waren.

6.1 KUNST IN DEN USA: BESTANDSAUFNAHMEN UND VORHERSAGEN Während des frühen 20. Jahrhunderts standen in der liberalen Publizistik Stellungnahmen zum Gegenwartszustand der amerikanischen Künste hoch im Kurs14, wobei nicht nur nach den Ursachen der jeweiligen Befunde, sondern auch nach den Zukunftsperspektiven gefragt wurde. What is Wrong with American Culture?, das war die übergreifende Fragestellung. Unter diesem Titel veröffentlichte der Anthropologe Robert Briffault 1929 in Scribner’s Magazine einen provokativen Artikel, der sich außerdem gegen den europäischen Superioritätsanspruch in Kunst und Kultur wandte.15 Einigermaßen einig waren sich die meisten Publizisten in der eher negativen Bewertung der gegenwärtigen amerikanischen Kunst. Die anglophilen Vertreter des New Humanism, allen voran Irving Babbitt sowie die in der Öffentlichkeit geschätzten Literaturkritiker Paul Elmer More und Stuart Pratt Sherman16 konnten beim besten Willen in den USA keine eigenständige amerikanische (hohe) Kunst erkennen und setzten deshalb nach wie vor entschieden auf die kulturelle Einflussnahme Englands.

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Die Verwendung des Begriffs „europäische Künste“ lässt sich rechtfertigen, weil diese pauschale Kennzeichnung auch in den damaligen Diskursen immer wieder auftauchte (European arts). Unklar blieb in der Regel, ob damit auch Großbritannien gemeint war. Bei diesem Begriff handelte es sich ebenfalls um ein fluides Konstrukt. Siehe u. a. den Rückblick von Cheney, Art, 83–85; vgl. u. a. die Bewertung von Gertrude Steins Werken seitens Ludwig Lewisohn, in: The Nation (November 1923), 583. Robert Briffault, „What is Wrong with American Culture?“, in: Scribner’s Magazine (Oktober 1929), 207–209, zit. n. Finzsch, Die Maler, 142. Diese Gruppe von New Humanists vertrat einen literarischen, primär auf Ästhetik ausgerichteten Humanismus. Meyer, Secular Transcendence, 224; vgl. Boorstin, America, 30. Als Vertreter eines intellektuellen Konservatismus orientierte sie sich am „puritanischen“ Leitbild und am Leben und Werk des englischen Dichters Matthew Arnold.

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6 Kultureller Nationalismus

In das gleiche Klage-Horn blies allerdings auch der liberale amerikanische Schriftsteller und Literaturkritiker Edmund Wilson, bis 1932 Mitherausgeber der Zeitschrift The New Republic und Protagonist der Moderne. Er zeigte sich betrübt, die von ihm und vielen anderen Kritikern, darunter auch von H. L. Mencken, konstatierte kulturelle Inferiorität der USA gegenüber Europa. Bei seinem Vergleich mit dem Alten Kontinent monierte er 1930 nicht zuletzt, dass selbst die gerade während der zwanziger Jahre in den USA zur Blüte gelangte Literaturkritik noch immer weniger weit entwickelt sei als jenseits des Atlantiks.17 Ähnliche Rückstände gebe es bei Museen. Als im Jahre 1929 das Museum for Modern Art eröffnet wurde, fehlte bezeichnender Weise nicht der Hinweis, dass die USA auch in der Museumsentwicklung hinter Europa herhinke. „Paris has its Luxembourg, London its Tate Gallery, Berlin its Kronprinzen Palast, and even the smaller German cities can point to their excellent modern collections“, konstatierte 1929 der amerikanische Kunsthistoriker Lloyd Goodrich in der Zeitschrift The Nation voller Neid.18 Auch die amerikanischen Dramen lägen, wie der US-Schriftsteller Montrose Moses 1925 in The Forum meinte, hinter den neuen Entwicklungen in Europa um dreißig Jahre zurück, wobei Moses vergleichend auf das Repertoire der „freien“ und „unabhängigen Bühnen“ in Berlin, in Paris und in London hinwies. Die amerikanischen Dramen könnten ebenfalls nicht mit den europäischen mithalten. Sie seien noch immer epigonenhaft (imitative), verglichen etwa mit jenen von Gerhart Hauptmann, August Strindberg oder Frank Wedekind. Und selbst die Stücke, die im neuerungswilligen Princetown-Theater zur Aufführung gelangten, folgten seiner Meinung nach zu sehr den englischen Vorbildern. Eine Ausnahme stelle lediglich Eugene O’Neill dar.19 Liberale Kritiker und Publizisten suchten nach den Ursachen für diesen als recht unbefriedigend geltenden Ist-Zustand der amerikanischen Künste. Das Augenmerk fiel primär auf das eigene Land, vor allem auf die, wie es hieß, allgemeine kulturelle Verarmung des Landes.20 Diese sei, erstens, den 17

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Nach Sklar, The Plastic Age, 152–164, 158. Zu Edmund Wilson siehe auch Bender, New York, 255–260. Gegen Ende der zwanziger Jahre vergrößerte sich allerdings das Spektrum der Anerkennungen amerikanischer Kunstleistungen. Allen, Only Yesterday, 183 f. Lloyd Goodrich, „A Museum of Modern Art“, in: The Nation (Dezember 1929), 664– 665, 664. In Deutschland war zwar tatsächlich eine Reihe von Museumsdirektoren gegenüber der modernen Kunst aufgeschlossen. Allerdings beschränkte sich ihr Interesse in der Regel auf den Expressionismus, den sie als typisch deutsche Ausdrucksform interpretierten, sowie auf die Neue Sachlichkeit. Lidtke, Museen, 233 f. Montrose Moses, „New Trends in the Theatre, IV – America“, 2. Teil, in: The Forum (Februar 1925), 231–234. Henry Hazlitt bewertete Eugene O’Neill als den einzigen großen Dramenschreiber. Henry Hazlitt, „Our Greatest Authors. How Great Are They“, in: The Forum (Oktober 1932), 245–250, 247. Zum Provincetown-Theater siehe weiter unten. Vgl. u. a. John Dewey, „‚America‘ – by Formula“, in: The New Republic (September 1929), 117–119, 223; Alexander, Here the Country, 88 f.

6.1 Kunst in den USA: Bestandsaufnahmen und Vorhersagen

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Nachwirkungen der Frontier-Kultur geschuldet.21 Dessen Werte und Normen seien bedauerlicherweise erhalten geblieben und hätten die Entfaltung einer (hochstehenden) Kultur behindert. Zahlreiche Publizisten blickten, zweitens, auf die ihrer Ansicht nach recht negativen Einflüsse des puritanischen Erbes22, weil dieses Erbe ebenfalls für die Entwicklung der Künste sowie des Kunstmarkts hinderlich gewesen sei und zudem einer unrealistischen und von Moral geprägten Literatur Vorschub geleistet habe.23 Dadurch unterscheide sich Amerika von den europäischen Ländern, selbst von den Praktiken in England (even in England).24 Deshalb seien, so der Dramatiker Elmer Rice, auch die Theaterstücke in den USA im Unterschied zu jenen in Europa überaus konservativ.25 Kein geringerer als H. L. Mencken beklagte selbstkritisch, dass er als Herausgeber einer Qualitätszeitschrift zwar allein ein Intellektuellenpublikum bediene, gleichwohl selbst eine „Schere im Kopf“ habe. Denn er überlege sich stets, ob irgendein methodistischer Priester etwas Unmoralisches in einem für eine Publikation vorgesehenen Text finden könnte. Und anderen Herausgebern ginge es ähnlich.26 Zu den genannten Ursachen für den amerikanischen Rückstand im Bereich von Kunst und Kultur gehörten, drittens, die Nachwirkungen der Genteel-Kultur, worauf vor allem George Santayana verwies und dabei gerne auf deren Imitationsgehabe und Epigonentum hinwies.27 Die für die GenteelKultur charakteristische Mischung aus verdünntem Calvinismus und angelsächsischer Kulturvorstellung mit Superioritätsanspruch sei, so Santayana, ein typisches Merkmal einer kolonialen Mentalität, die seiner Meinung nach noch immer in den USA existiere.28 Nur durch ihre Ablösung könne genuin amerikanische Kunst entstehen.29 Als ein vierter Grund galt bei vielen Kritikern die fehlende Unterstützung der Künste durch Staat und Kirche, weshalb sich im Unterschied zu Europa 21 22

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Zur Frontier-Kultur siehe Kapitel 5.2. Brooks, America’s Coming-of-Age, 9. Tashjian weist darauf hin, dass die puritanische Religion ursprünglich keineswegs kunstfeindlich eingestellt war. Tashjian, The Artlessness, 167. Vgl. auch Kapitel 5.6. Siehe u. a. Spingarn, Scholarship, 101. Elmer Rice, „Sex in the Modern Theater“, in: Harper’s Magazine (Mai 1932), 665–673. H. L. Mencken, Auszüge aus seinem Buch A Book of Prefaces, New York 1917, nach Hollinger/Capper, The American Intellectual Tradition, 189–195, 188 (Einführung); vgl. auch Mencken, A Book, 276–283. Fluck, Gibt es eine amerikanische Kultur?, 163; vgl. auch Alexander, Here the Country, 8; Gienow-Hecht, Sound Diplomacy, 26. Santayana sah damals die hauptsächlichen Quellen der Genteel-Tradition sowohl im Calvinismus als auch im Transzentalismus eines Ralph Waldo Emersons, der das Insistieren auf die „original sin“ verworfen hatte. Santayana, The Genteel Tradition, 18; Seaton, The Genteel Tradition, 163. Nach Trachtenberg, Critics, 14 (= Trachtenbergs Einleitung zum Buch von George Santayana, Winds of Doctrine, New York 1915), 185–215. Näheres siehe Fluck, Gibt es seine amerikanische Kultur?, 162 f.

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6 Kultureller Nationalismus

hauptsächlich eine gewinnorientierte Kommerzialisierung der Künste hätte durchsetzen können.30 Beispielsweise wurden Orchester als Aktiengesellschaften gegründet, die Gewinne abwerfen mussten. Und Museen waren von ihren jeweiligen Trustees abhängig.31 Die amerikanische Kunstentwicklung war daher von Anfang an vor allem auf die Akzeptanz der Öffentlichkeit angewiesen.32 Schließlich wurden, fünftens, die Negativbewertungen (dispraise) amerikanischer Kunst und Literatur, die „einheimische“ Kritiker vornahmen, als wenig stimulierend für die Herausbildung einer kreativen Kunstszene angesehen, zumal dadurch unter Künstlern und Schriftstellern auch Selbstachtung und eigene Wertschätzung verloren gegangen seien bzw. sich erst gar nicht herausbilden konnten.33 Fielen die Bestandsaufnahmen und die Ursachenforschung über den Zustand der Künste recht negativ aus, so drehte sich das Blatt, sobald Zukunftsaussichten angesprochen wurden. Die zahlreichen positiven Prognosen sollten die kritischen Gegenwartsanalysen ausgleichen und das kulturelle Selbstwertgefühl der Künstler steigern.34 Viele Schriftsteller, Intellektuelle und Künstler, darunter der Schriftsteller Rollo Walter Brown35, suchten gezielt nach einer genuin amerikanischen Kunst und glaubten, dass sich diese bereits schemenhaft am Horizont abzeichne.36 Der bekannte Historiker Thomas Jefferson Wertenbaker schrieb 1928 in den Zeitschriften Scribner’s und Reader’s Digest über die amerikanische Literatur, dass sich zwar die gewünschten Leistungen nicht ganz so schnell einstellten wie erwartet, dass aber die Aussichten großartig seien.37 Die positiven Zukunftsprognosen basierten auf diversen Annahmen. Große Bedeutung wurde erstens dem Krieg und vor allem dem Kriegsausgang zugemessen. Durch die Machtsteigerung der USA auf politischem und ökonomischem Gebiet sei das amerikanische Selbstvertrauen zumindest in diesen Bereichen gestiegen. Van Wyck Brooks konstatierte das Ende der kulturellen 30

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Vgl. z. B. John Dewey, „‚America‘ – By Formula“, in: The New Republic (September 1929), 117–119, 119; Bender, New York, 315; Strout, The American Image, 182; Fluck, Gibt es eine amerikanische Kultur?, 167. Vgl. Cheney, Art, 101 (rückblickend aus der Perspektive des Jahres 1938). Erst in der Zeit des New Deal erhielten Künstler Unterstützungen von der öffentlichen Hand. Nach Fluck, Gibt es eine amerikanische Kultur?, 167. Näheres siehe 4. Unterkapitel. Vgl. hierzu auch Trommler, Reformkultur, 44. Nach Browns Meinung seien die amerikanischen Leistungen in den Bereichen Architektur und Dramen am weitesten fortgeschritten. Rollo Walter Brown, „The Creative Spirit and Art“, in: Harper’s Magazine (Februar 1925), 343–350, 343, 349. Trachtenberg, Critics, 12. Thomas Jefferson Wertenbaker, „What is Wrong With the United States?“, in: Scribner’s Magazine (Oktober 1928), Kurzform in: The Reader’s Digest (November 1928), 387– 388, 388.

6.1 Kunst in den USA: Bestandsaufnahmen und Vorhersagen

273

Abhängigkeit von England, und Waldo Frank geriet aus ähnlichen Gründen gänzlich ins Schwärmen. „Now, we are mature, we are men; it is a thrilling prospect […] we are now the masters of the day, and this world at last our Dominion.“ Frank betrachtete Europa als sterbenden Kontinent, die Zukunft liege allein in den USA.38 Zweitens stand bei anderen Publizisten die Maschine im Mittelpunk der positiven Zukunftsprognosen. Beard prophezeite 1928 im Harper’s Magazine, dass es nur eine Frage der Zeit sei, bis die Maschine ihren Ausdruck auch in der Kunst finden werde, und dies werde vorrangig in den USA und nicht in Europa geschehen.39 Viele Publizisten, einschließlich des hochgeschätzten Kunst- und Musikkritikers Paul Rosenfeld und des Literaturkritikers Waldo Frank, sahen in diesem Sinne ebenfalls gerade in der Maschine den Impulsgeber für die amerikanischen Künste.40 Derzeit habe Amerika im kulturellen Bereich zwar noch nicht viel zu bieten, aber es sei lediglich eine Frage der Zeit, bis sich dies ändern werde, hatte schon Philip Gibbs 1920 im Harper’s Magazine prophezeit: „[T]here will come great minds, and artists, and leaders of thought, surpassing any that have yet revealed themselves. All our reading of history points to that revolution. The flowering time of America seems due to arrive, after its growing-pains.“41 In anderen Artikeln forderten Intellektuelle, wie Thorstein Veblen, Herbert Croly, Walter Lippmann und John Dewey zudem, dass die neue Kunst nicht nur die neuen Maschinen, sondern auch die neuen Ordnungsmodelle des Industriekapitalismus reflektieren müsse.42 Eine solche Kunst solle dazu beitragen, eine gemeinsame, nationale Kultur zu entwickeln, der dann die Aufgabe zufalle, einen Ausgleich für die fordistisch geprägte Arbeitsteilung zu schaffen und die Gesellschaft zusammenzuhalten. Eine dritte auf Zukunftsprognose ausgerichtete Argumentationslinie entstammte populistisch gewendeten Evolutionsvorstellungen. Viele Publizisten, etwa Harold E. Stearns, beklagten zwar die Kulturlosigkeit des Landes, glaubten aber, dass sich die amerikanische Kunst im embryonalen Zustand befinde und sich ein nationales Selbstbewusstsein auch auf diesem Gebiet rasch entwickeln werde.43 Neben dem Hinweis auf den embryonalen Zustand der USA fand die Metapher der Jugendlichkeit häufig Verwendung, wenn es um

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Leuchtenburg, The Perils, 151; Alexander, Here the Country, 114. Charles A. Beard, „Is Western Civilization in Peril?“, in: Harper’s Magazine (August 1928), 265–273; vgl. auch Orvell, The Real Thing, XXVI. Vgl. auch das 5. Kapitel. Leuchtenburg, The Perils, 151; Alexander, Here the Country, 114; Davidson, Early American Modernist Painting, 7 f. Philip Gibbs, „What England thinks of America“, in: Harper’s Magazine (Juni 1920), 11. Gibbs war ein Engländer, der sich für ein positives USA-Bild einsetzte und in den USA sehr gefragt war. Blake, Beloved Community, 78. Dorman, Revolt, 20.

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Zukunftserwartungen auf künstlerischem Gebiet ging.44 Brooks prophezeite:: „[W]ithin our lifetime America is going to be one of the great cultural facts of the world“.45 Robert Henri war sich hingegen über den Zeitpunkt des künstlerischen Durchbruchs der Amerikaner im Weltmaßstab nicht ganz so sicher: „A day would come when there would be art, created and understood, in America. It would come – not now – but later – perhaps not in this century but surely in the next!“46 Rollo Walter Brown bewertete 1925 die zukünftige Entwicklung insbesondere im Bereich der Dramen zwar als vielversprechend, nannte dann aber ebenfalls einen langen Zeitraum von zwanzig, fünfzig oder hundert Jahren bis ein weltweiter Durchbruch der amerikanischen Künste erfolgen werde.47 Auch die Vergangenheit wurde, viertens, als Begründung für den kommenden Aufstieg der USA zur Kunstnation angeführt. Robert Henri machte darauf aufmerksam, dass die Amerikaner zwar eine junge Nation seien, das Volk aber eine lange Vergangenheit habe, es besitze ja denselben historischen Hintergrund wie die Europäer. Die Großartigkeit (magnificence) seiner Vergangenheit verdiene volle Anerkennung.48 Auch Herbert Croly, der ebenfalls zu den kulturellen Nationalisten zählte, schätzte die kreativen Ausdrucksformen in der Vergangenheit sehr und sah in ihnen die Grundlage für eine ebenso kreative Gegenwart und Zukunft.49 In seinen historischen Studien wertete auch Lewis Mumford die US-Vergangenheit auf künstlerischem Gebiet auf, indem er darin eine gute Basis für die (zukünftige) Entfaltung einer nationalen Kunst zu erkennen glaubte. Unterstützt wurde er dabei von Publizisten und Kulturkritikern wie Paul Rosenfeld, Van Wyck Brooks, Randolph Bourne und Waldo Frank.50 Unter Bezugnahme auf die Vergangenheit prophezeite 1923 der bekannte englische Schriftsteller und Literaturkritiker D. H. Lawrence, der zeitweise in den USA lebte und die amerikanische Literatur bestens kannte, dass neben Russland die USA es seien, die auf literarischem Gebiet einer positiven Zukunft entgegengehen würden. „Two bodies of mo44

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Vgl. auch Robert Henri, „What About Art in America?“, in: Arts and Decoration (November 1925), Kurzform in: The Reader’s Digest (Januar 1926), 567–568; Alexander, Here the Country, 18. Zit. n. Alexander, Here the Country, 85. Frank veröffentlichte 1919 das Buch Our America, das dieses neue Selbstvertrauen zum Ausdruck brachte. Robert Henri, „What About Art in America?“, in: Arts and Decoration (November 1925), Kurzform in: The Reader’s Digest (Januar 1926), 567–568, 568. Rollo Walter Brown, „The Creative Spirit and Art“, in: Harper’s Magazine (Februar 1925), 343–350, 343, 349. Robert Henri, „What About Art in America?“, in: Arts and Decoration (November 1925), Kurzform in: The Reader’s Digest (Januar 1926), 567–568, 567. Alexander, Here the Country, 20 f. Zu Croly siehe u. a. Bender, New York, 222–228. Alexander, Here the Country, 96 f. Die Transzentalisten Ralph Waldo Emerson, Walt Whitman, Hermann Melville, Nathaniel Hawthorne und Henry David Thoreau genossen vor diesem Hintergrund große Wertschätzung.

6.1 Kunst in den USA: Bestandsaufnahmen und Vorhersagen

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dern literature seem to me to have come to the real verge: the Russian and the American.“51 Fünftens wurde die europäische Kunst historisiert und individualisiert. Wegen der völlig anderen, auf der Maschine basierenden, gesellschaftlichen Grundlagen der gegenwärtigen und zukünftigen Epoche, so Beard im Harper’s Magazine 1928, könne den europäischen Klassikern wie Horaz, Shakespeare und Goethe keine große Bedeutung mehr zukommen (little meaning for a civilization founded on a different basis).52 Durch die Historisierung der europäischen Klassiker relativierten sich deren kulturelle Leistungen zwar nicht für die Vergangenheit, dafür aber für Gegenwart und Zukunft. Zwar wurde stets anerkannt, dass die alten Meister einst große Leistungen vollbracht hätten, aber ihre Verdienste seien eben einer vergangenen Zeit zuzurechnen. Außerdem sollten, wie der amerikanische Musikkritiker und Künstler Charles L. Buchanan 1926 in der Zeitschrift Outlook schrieb, die Kunstwerke großer Künstler allein als individuelle Leistungen und nicht als Ausdruck einer bestimmten Nation angesehen werden.53 Sechstens sei noch eine Begründung erwähnt, die zumindest von einer kleinen Minderheit vertreten wurde.54 Gemeint ist der kosmopolitische Pluralismus, der sich vorrangig mit Randolph Bourne verbindet.55 Bourne, dem der künstlerische Aufstieg Amerikas ebenfalls ein großes Anliegen war, entwickelte seine kritischen Gegenwartsanalysen und optimistischen Zukunftsperspektiven mit Blick auf die Immigrantenkulturen im Lande. Auf dieser Basis könne sich Amerika kulturell und damit auch auf künstlerischem Gebiet profilieren, und zwar in einem Ausmaß, das die Welt zuvor noch nie gesehen habe. So entstünde die erste „internationale Nation“ bzw. das erste „trans-nationale“ Land.56 In der Tat waren zahlreiche erst kürzlich in die USA gekommenen Immigranten beispielsweise auf der Independent Show 1921 mit vielfach postimpressionistischen Werken vertreten, darunter solchen, die von

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Zit. n. Bradbury, The Modern American Novel, innerer Klappentext. Charles A. Beard, „Is Western Civilization in Peril?“, in: Harper’s Magazine (August 1928), 265–273. Zu Beard siehe Noble, The End, insb. 41–65. Charles L. Buchanan, „Nationalism and American Music“, in: The Outlook (August 1926), 484–486. Buchanan, der die amerikanische Kunst im Großen und Ganzen als Imitation kennzeichnete und kritisierte, trat für eine Rebellion im Bereich der Künste ein. Alexander, Here the Country, 18. Umgekehrt versuchten viele Deutsche in Deutschland, insbesondere auf der politischen Rechten, gerade damals ihre Klassiker zu „nationalisieren“. Zu ihnen gehörte kein Geringerer als John Dewey. Bender, New York, 316. Ausführlich Hansen, The Lost Promise. Der Autor geht insbesondere auf Horace M. Kallen, Eugen V. Debs, John Dewey, W. E. B. Du Bois, Louis Brandeis und Jane Addams ein. Bourne und Kallen hätten allerdings wenig Einfluss auf die Öffentlichkeit gehabt, meint auch Foner, The Story, 190. Alexander, Here the Country, 81.

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6 Kultureller Nationalismus

deutschen und russischen Juden stammten.57 Doch gemeinhin galten Künstler mit Migrationshintergrund als amerikanische Künstler. Mit Ausnahme von Bourne und einigen Gleichgesinnten stießen ihre europäische Herkunft und ihre europäischen Kulturtraditionen in der amerikanischen Öffentlichkeit auf keine nennenswerte Resonanz.58 Das änderte sich erst im Verlauf der dreißiger Jahre. Der kosmopolitisch eingestellte Kunst- und Theaterkritiker Sheldon Cheney stellte schließlich 1938 die zentrale Frage, ob denn angesichts der vielen Einwanderer überhaupt die Herausbildung einer „amerikanischen“ Kunst zu erwarten sei.59 6.2 EUROPÄISCHE KUNST – AMERIKANISCHE KUNST: BEWUNDERUNG, ABWEHR, SELBSTFINDUNG Die meisten Bewunderer europäischer Kunst waren unter der neuenglischen Ostküsten-Elite, die häufig noch die Genteel-Tradition hochhielt, zu finden. Die amerikanische Ostküsten-Elite, die das kulturelle Establishment im Lande zu repräsentieren beanspruchte, plädierte dafür, dass die Leitbildfunktion der klassischen europäischen, vor allem der britischen Kunst und Literatur, auch in Zukunft erhalten bleibe60 und auch die Lebensstile, wie Geschmack und Mode, bestimmen möge.61 In ihrer Vorliebe für alles Britische äußerten einige Anhänger der Genteel-Tradition, so Henry Alden Mills, Herausgeber der Zeitschrift Harper’s Magazine und Charles Eliot Norton, Professor für Kunstgeschichte an der Harvard Universität, um die Jahrhundertwende sogar den Wunsch, zusammen mit England eine angelsächsische Kunstausrichtung zu fördern, vor allem im Literaturbereich, weil die gemeinsame Sprache hierfür besondere Chancen böte.62 57

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Roeder, What Have Modernists, 60. Roeder bezieht sich auf eine Untersuchung von Frank Jewett Mather. Tatsächlich war der Beitrag europäischer Immigranten zur Entwicklung amerikanischer Kunst beträchtlich. Zu denken ist beispielsweise an die Ausstellung amerikanischer Werke im Palace of the Legion of Honor in San Francisco 1929. Die bedeutende Rolle der Immigranten zeigt sich des Weiteren in einer Untersuchung über die Zusammensetzung der Studenten in der National Academy of Design. Dort waren 47 Prozent der Studenten – gemessen an der Anzahl der Studenten der letzten zwölf Jahre – ebenfalls im Ausland geboren. Keppel, The Arts, 1000 f. Sklar, The Plastic Age, 5. Cheney, Art, 91 f. Vgl. Alexander, Here the Country, 10 f., 12 f. Shakespeare-Stücke wurden in den USA auch in den zwanziger Jahren vielfach aufgeführt, vor allem auf Bühnen in Colleges. Rollo Walter Brown, „The Creative Spirit and Art“, in: Harper’s Magazine (Februar 1925), 343–350, 348. Unter den zahlreichen anglophilen Genteel-Schriftstellern erfreuten sich William Dean Howells und Henry James eines besonderen Bekanntheitsgrads. Frank, Our America, 30. Strout, The American Image, 138. Alexander, Here the Country, 14 f.

6.2 Europäische Kunst – amerikanische Kunst

277

Nach Auffassung der anglophilen Ostküsten-Elite sollte die Kunst mit den Wertvorstellungen des Landes, das hieß, mit ihren eigenen, korrespondieren. Wahrhaft kultivierte Menschen (cultured persons) hätten zudem eine Verantwortung für die Verbreitung der Hohen Künste. So sollten die (europäischen) Hohen Künste dem allgemeinen Publikum in Form eines Erziehungsprogramms zugänglich gemacht werden. L’art pour l’art-Prinzipien verbanden die traditionsorientierten Neuengländer hingegen gerne mit dekadenten Europäern. Eine solche moralisch-erzieherische Funktion der Hohen Künste wünschten sich in den zwanziger Jahren auch die konservativen New Humanists, die die Genteel-Tradition in die neue Zeit überführten und dabei sozialphilosophisch untermauerten.63 Abgesehen von solchen allgemein gehaltenen Anbindungen an die europäischen, vor allem britischen Kultur- und Kunstvorstellungen kreisten die Diskurse über die europäische Kunst erstens um die Hochschätzung der klassischen europäischen Künste (1), zweitens um die verbreitete Abwehr der europäischen Moderne (2) und drittens um das Bestreben, sich von europäischen Einflüssen zu lösen und so den Selbstfindungsprozess voranzutreiben (3). (1) Zahlreiche Plädoyers, die für eine Anbindung der amerikanischen Künste an die klassischen europäischen Künste eintraten, waren allerdings gerade nicht auf England, sondern auf den europäischen Kontinent bezogen. Insbesondere legte H. L. Mencken eine Aversion gegen alles Angelsächsische an den Tag, während er die Kunst aus dem übrigen Europa verehrte und romantisierte.64 Die Hochschätzung der „alten Meister“ Europas war eben keineswegs nur ein Anliegen der (angelsächsischen) Eliten Neuenglands, sondern wurde auch von weiten Teilen der akademischen Mittelschichten des gesamten Landes vertreten.65 Das zeigt auch die Klage der Bundesvereinigung der Women’s Clubs. So empfand die Vorsitzende für Kunstangelegenheiten, Rose V. S. Berry 1926 die Tatsache beschämend, dass die Vereinigten Staaten keine nationale Kunstgalerie besäßen. Gäbe es eine, könnten darin auch die im Lande aufbewahrten (europäischen) Kunstschätze gezeigt werden, etwa Bilder von Rubens, Tizian und Rembrandt. Der Grund für dieses Versäumnis läge nicht im Desinteresse der Öffentlichkeit an der alten europä-

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Zu den (literarischen) New Humanists gehörten in führender Position Irving Babbitt, Paul Elmer More, Stuart Pratt Sherman sowie die Nashville Fugitives an der Vanderbilt Universität. Vgl. auch Bender, New York, 236 f. Sinclair Lewis setzte sich 1930 mit den New Humanists sowie der traditionsorientierten Academy of Arts and Letters (gegr. 1904) und dem National Institute of Arts and Letters (gegr. 1898) in äußerst kritischer Form auseinander. Mencken schätzte unter den Europäern insbesondere Gerhart Hauptmann, James Joyce, sowie Havelock Ellis. Beeinflusst wurde er vor allem von Friedrich Nietzsche. Leuchtenburg, The Perils, 152 f. Damals wurden selbst an den Universitäten nur wenige Kurse über amerikanische Literatur angeboten. Levine, The Opening, 83.

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6 Kultureller Nationalismus

ischen Kunst, sondern darin, dass diese gar nichts von der Existenz solcher Kunstschätze im eigenen Lande wüsste.66 Doch nicht nur die europäischen Klassiker in der Malerei, sondern auch die europäischen Klassiker anderer Künste erfreuten sich in den USA großer Beliebtheit. Vor allem deutsche Musik galt als Inbegriff von Hochkultur.67 Während in und nach dem Ersten Weltkrieg diese Wertschätzung, soweit sie die deutsche Musik betraf, unter dem kriegsbedingten Deutschenhass zu leiden hatte, sorgten nach dessen Abklingen Mitte der zwanziger Jahre deutsche Werke erneut für volle Konzertsäle und Opernhäuser.68 Der in Deutschland geborene Leiter des New Yorker Symphonie-Orchesters, Walter Damrosch, der mit moderner Musik gar nichts im Sinne hatte und dazu noch recht deutschfreundlich eingestellt war, brachte vor allem Wagner-Opern nach New York. So wie er handelten offenbar viele Konzertorganisatoren, denn die Programme wurden auch in den zwanziger Jahren nach wie vor hauptsächlich von deutscher bzw. europäischer klassischer Musik bestimmt.69 Nur wenige amerikanische Kompositionen fanden Eingang in das Repertoire der großen Orchester, etwa das von New York oder Boston. Gegen diese Übermacht europäischer (klassischer) Musik regte sich allerdings auch Widerstand, woraufhin einige wenige amerikanischer Musikwerke, etwa die Oper The King’s Henchman von Deems Taylor und Edna St. Vincent, aufgeführt wurden. (2) Zahlreiche akademisch gebildete Amerikaner sprachen zwar auf die klassische europäische Kunst und Literatur an, hatten aber nichts mit der europäischen Moderne im Sinn.70 Von kulturkonservativen, anglophilen Neuengländern war allerdings auch nichts anderes zu erwarten. Sie wollten die kontinentaleuropäische Avantgarde zurückdrängen, indem sie sich verstärkt dem künstlerisch eher konventionell ausgerichteten Inselreich zuwendeten, vor allem auf literarischem Gebiet.71 Doch die Ablehnung der europäischen Avantgarde zog viel weitere Kreise. So richtete sich im Bereich der bildenden Künste der Mainstream der amerikanischen Kunstkritik generell gegen die nachimpressionistische europäische Moderne72, unterstützt von den mächtigen amerikanischen Akademien, die vielfach in der Tradition verharrten.73 Auch das Metropolitan Mu66 67 68 69

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Rose V. S. Berry, „Mislaid – A Nation’s Treasure“, in: The Delineator (Juli 1926), Kurzform in: The Reader’s Digest (Juli 1926), 147–148. Gienow-Hecht, Sound Diplomacy, 217; O’Leary, To Die For, 240. Vgl. z. B. o. V., „Our Musical Riches“, in: The Nation (September 1920), 316–317. Nach Gienoch-Hecht, Sound Diplomacy, 211. In den dreißiger Jahren kamen Arnold Schönberg, Kurt Weill und Paul Hindemith als Emigranten in die USA. Sie trugen wesentlich dazu bei, das Interesse für moderne Musik in den USA zu wecken. Ebd. Näheres hierzu siehe u. a. Tashjian, The Artlessness, 164. Alexander, Here the Country, 84. Finzsch, Die Maler, 201. Die Orientierung an der europäischen Kunst endete im Allgemeinen bei den französischen Impressionisten. Alexander, Here the Country, 13.

6.2 Europäische Kunst – amerikanische Kunst

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seum of Art sammelte nur recht lückenhaft Werke, die als modern galten.74 Der Maler Henri Matisse sowie andere „ultra-moderne Franzosen“ wurden von der Mehrheit der amerikanischen Kritiker als Menschen mit dekadenter Seele bezeichnet.75 Weit verbreitet war auch die Kritik am europäischen Kubismus.76 Gegner der europäischen Moderne verunglimpften im Extremfall sogar die allgemein hochgeschätzte Kunstmetropole Frankreichs, in der auch die Moderne eine Heimstätte gefunden hatte.77 So behauptete der nativistisch eingestellte Kunstkritiker Thomas Craven 1929 in der Zeitschrift The Forum, dass Frankreich gar nicht die Kunst liebe, sondern lediglich die Imitation. Auch hätten Künstler in den französischen Medien keinen guten Ruf. „In no other country is art so brutally or ignorantly flouted by the press.“ Die Kunst sei dort zu einem „hoch professionalisierten Geschäft“ reduziert worden. „Matisse, Derain, and the adopted Picasso – are now laboring for the glory of France; that is, they are conducting picture factories to supply the American market […]. The truth is that France no longer has anything to offer the genuine artist; she reigns as a paradise of second-raters.“78 74

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Dies führte indessen auch zu harscher Kritik. Siehe Lloyd Goodrich, „A Museum of Modern Art“, in: The Nation (Dezember 1929), 664–665, 664; vgl. Walter Gutman, „What Ails the Metropolitan Museum?“, in: The Nation (Dezember 1928), 614–616. Allerdings fand 1921 dort eine Ausstellung der französischen Impressionisten statt, in der auch einige wenige postimpressionistische Werke zu sehen waren. Pierre Loving, „Art and the World’s Illusion“, in: The Nation (September 1921), 270–271. Vgl. auch die Äußerung von Charles Demuth in: Kellner, Letters of Charles Demuth, 30. Petruck, American Art Criticism, 82; Alexander, Here the Country, 48 f. Auch wurden Expressionismus und Futurismus abgelehnt. Siehe u. a. Cornelia Comer, „Recent Reflections“, in: The Atlantic Monthly (April 1915), 501; The Forum (Juni 1925), 769; Petruck, American Art Criticism, 83; Davidson, Early American Modernist Painting, 6. Die Vorzugsstellung, die Frankreich auf dem Kunstsektor in den USA genoss, machte sich auch in der Einfuhr von Kunstwerken bemerkbar. Nach einer Studie des Deutschen Generalkonsulats in New York von 1907 betrug der Anteil französischer Werke am USImport von Kunstwerken in der Vorkriegszeit 57,2 Prozent, während sich der Anteil der Importe von Kunstwerken aus Deutschland lediglich auf 5,1 Prozent belief. Pommerin, Der Kaiser, 295. Die auf Frankreich fokussierte Kunstwahrnehmung in den USA konstatierte auch Lloyd Goodrich, „A Museum of Modern Art“, in: The Nation (Dezember 1929), 664–665, 665. Düwell, Deutschlands auswärtige Kulturpolitik, 184. Allerdings konnte Deutschland wenigstens zu den jährlichen Ausstellungen des Carnegie-Instituts Kunstwerke liefern. Auch wurden zwei Bücher mit Zeichnungen von George Grosz in den USA verkauft, und die beiden Bücher dieses „einzigartigen Künstlers“ wurden von Walter Kien unter der Überschrift „A German Caricaturist“ in The Nation (Februar 1931), 158, bekannt gemacht. Grosz kam später, so wie Lionel Feininger, als Immigrant in die USA. Thomas Craven, „The Curse of French Culture“, in: The Forum (Juli 1929), 57–63, Zitate 62. Allerdings erkannte Craven an, dass Frankreich in Europa das einzige Land sei, das es geschafft habe, aus seiner Kultur ein wirksames nationales Instrument zu machen (to transform culture to an adaptable and efficient national instrument). Ebd. Craven

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6 Kultureller Nationalismus

Noch in den dreißiger Jahren attackierte der regionalistisch orientierte Maler Thomas Hart Benton den Galeristen und Fotografen Alfred Stieglitz, weil sich dieser angeblich für einen „fremden“ Modernismus stark gemacht habe. Damit sprach er das aus, was viele Amerikaner im frühen 20. Jahrhundert dachten. Die Kritik an den europäischen Modernisten steigerte sich, sobald der Blick auf moderne Musik fiel. So kamen europäische Kompositionen aus der Nach-Wagner-Zeit in den USA recht wenig zur Aufführung.79 Der Pianist Arthur Shattuck sah sogar für amerikanische Komponisten neue Erfolgschancen, weil sie eine Lücke füllen könnten, falls sich in Europa vorrangig moderne Musik breit mache, die Shattuck als Degenerationserscheinung abwertete.80 Gegner der europäischen Moderne waren auch in Architekten-Kreisen zu finden. Viele amerikanische Architekten schätzten noch immer die klassischen europäischen Vorbilder, insbesondere die französische École des Beaux Arts-Tradition, sowie die Neugotik.81 Architekturgeschichtliche Neuerscheinungen auf dem Büchermarkt thematisierten dementsprechend neben den englischen vor allem die französischen Vorbilder.82 Davon war insbesondere das Bauhaus negativ betroffen. Dieses wurde bis zum Beginn der dreißiger Jahre in den USA allenfalls partiell rezipiert und überdies als Vorbild lediglich teilweise geschätzt. Zwar konnte der Bauhaus-Direktor Walter Gropius 1928 infolge seiner Amerikareise den Bekanntheitsgrad dieser avantgardistischen Institution sicherlich erhöhen, zumal der international eingestellte und der Moderne verpflichtete Maler Louis Lozowick im selben Jahre in The Nation mit viel Empathie die „Bauhaus-Bücher“ rezensierte.83 Aber die führenden amerikanischen Architekten Louis H. Sullivan und Frank Lloyd Wright betrachteten sich selbst als die einzigen und wichtigsten Vertreter mo-

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schrieb auch für William Randolph Hearsts patriotische Zeitschrift American. Vgl. Saab, For the Millions, 5. Ausführlich und höchst kritisch gegenüber Craven äußerte sich Laurence Buermeyer, „Some Popular Fallacies in Aesthetics“, in: The Dial (Februar 1924), 107–121. Zum französischen Theater siehe auch Ludwig Lewisohns Kritik an einem französischen Gastspiel in New York, in: The Nation (Oktober 1923), 495 f. Vorbehalte gegenüber moderner (europäischer) Musik äußerte u. a. der Komponist Daniel Gregory Mason in seinem 1929 veröffentlichten Buch mit dem Titel The Dilemma of American Music. Dies bedauerte Blanche Bloch zwar in ihrer Rezension in The Nation, zeigte aber auch Verständnis für die ablehnende Haltung. Blanche Bloch, „Music in America“, in: The Nation (August 1928), 227–228. Nach Gienow-Hecht, Sound Diplomacy, 213. Thöner, Deutschland, 156. Mit Ausnahme der Universität Pittsburgh wurden insbesondere Universitätsgebäude im neogotischen Stil errichtet. Köth, America, 324 f. In diesem Sinne rezensierte der Präsident der School of Fine Art and Applied Art, Frank Alvah Parson, drei Neuerscheinungen in: The Independent (März 1925), 363–364. Auf den in den USA weitverbreiteten Eklektizismus in der damaligen Architektur kann hier nicht näher eingegangen werden. Thöner, Deutschland, 155; Louis Lozowick, „Modern Art in Germany“, in: The Nation (November 1928), 494. Gropius trat allerdings schon im April 1928 als Direktor des Bauhauses zurück.

6.2 Europäische Kunst – amerikanische Kunst

281

derner (amerikanischer) Architektur84 und traten für die Entfaltung eines (modernen) Nationalstils (national style) ein. Sie waren zwar wie Gropius davon überzeugt, dass die in den USA beliebte Anlehnung an die vergangenen, europäischen Stile passé sei. Doch auch die europäische Architekten-Avantgarde stieß bei ihnen auf Vorbehalte. Frank Lloyd Wright wollte sich vom radikalen, maschinenfixierten Formalismus eines Le Corbusier und eines Gropius unterscheiden. Seine Bauvorhaben sollten sich demgegenüber durch Bodenhaftung und Rücksichtnahme auf Naturressourcen auszeichnen und eine „organische Moderne“ generieren, die als genuiner Ausdruck amerikanischer Architektur im Maschinenzeitalter zu gelten habe.85 Schon allein der mit dem Namen Wright verbundene Prairie-Stil, der sich auf keine europäischen Vorbilder bezog, was allein schon der Begriff „Prairie“ zeigte, sollte die amerikanische Andersheit gegenüber Europa offenlegen. Dadurch gewann Wright schließlich auch die Empathie Lewis Mumfords, der den utilitaristisch-funktionalistischen Bauhaus-Stil ebenfalls ablehnte.86 Mumford prangerte allerdings genauso den Geschmacksverfall in Amerika samt vorherrschendem Plagiatismus europäischer Kunststile an, gab indessen immer wieder der Hoffnung auf eine Neuorientierung amerikanischer Architekten beredten Ausdruck.87 Der Direktor des neuen Museum of Modern Art, Alfred H. Barr, Jr., selbst ein großer Bauhaus-Verehrer, räumte noch 1932 ein, dass amerikanische Architekten „erst kürzlich“ die funktionalistische Formensprache, die sich durch Selbstbeschränkung und Disziplin (restraint und discipline) auszeichne, zu akzeptieren begonnen hätten. Offensichtlich habe diese, so Barr, dem amerikanischen variationsreichen „Individualismus-Kult“ (bislang) nicht entsprochen.88 Solche Vorbehalte amerikanischer Architekten gegenüber den europäischen Avantgarde-Architekten mündeten in einen permanenten transatlantischen Wettstreit über den „richtigen“ Weg in die Moderne. Insbesondere kam dem Wettbewerb um den Bauauftrag des Chicago Tribune Tower im Jahre 1922 symbolische Bedeutung zu. Bekanntlich gewann hierbei nicht der moderne Gebäude-Entwurf des Europäers Walter Gropius, sondern ein der Neugotik entlehnter Vorschlag der Amerikaner John Mead Howell und Raymond Hood.89 84

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Vgl. Alexander, Here the Country, 102. Trotz großer Anerkennung ihrer Leistungen konnten allerdings Sullivan und Wright ihre Vorstellungen von moderner Architektur im Wohnungsbau nicht auf breiter Front durchsetzen, weil das Gros der amerikanischen Architekten den eklektizistisch ausgerichteten Markt bediente. Vgl. Tichi, Shifting Gears, 17 f. Alexander, Here the Country, 122–125. Allerdings akzeptierte Mumford das Hochhaus als Gebäude für Behörden und ähnliche Einrichtungen. Köth, America, 313. Lewis Mumford, „American Taste“, in: Harper’s Magazine (Oktober 1927), 569–577, insb. 573, 575. In diesem Zusammenhang nannte Barr auch Frank Lloyd Wright. Thöner, Deutschland, 158; zu Gropius’ Schwierigkeiten, in den USA Fuß zu fassen, siehe Domhardt, Individuum. Hood verteidigte an sich die moderne Kunst wegen ihres

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6 Kultureller Nationalismus

(3) Während viele Amerikaner nach wie vor zwar die europäische „klassische Kunst“ wertschätzten, aber die europäische Moderne ablehnten, zeichneten sich Kulturnationalisten dadurch aus, dass sie primär eine große, eigenständige Kunst schaffen wollten und deswegen die europäische Hegemonie auf dem Gebiet der Künste generell als Problem ansahen. Zwar hatten bereits Schriftsteller der Neuengland-Romantik eine nationale Kunst zu entwickeln versucht90, doch seit der Jahrhundertwende begann der kulturelle Nationalismus beträchtlich an Boden zu gewinnen, wie zahlreiche Stellungnahmen zeigen. In Van Wyck Brooks’ Büchern America’s Coming-of-Age (1915) und The Pilgrimage of Henry James (1925) wurde in deutlicher Sprache einer Enteuropäisierung der amerikanischen Kunst das Wort geredet. Brooks forderte deshalb auch die amerikanischen Schriftsteller auf, das amerikanische Leben intensiver wahrzunehmen und zu verarbeiten.91 Denn daraus könne sich dann eine „indigene Literatur“ entwickeln, die von der europäischen Literatur, insbesondere von den britischen Vorbildern, unabhängig sei. Inspiriert vom organizistischen Denken Herders und als Bewunderer von Emerson und Whitman wünschte sich Brooks eine Überwindung der künstlerischen Defizite.92 Den Literaturhistorikern sollte es nicht um die Suche nach Meisterwerken gehen, sondern darum, herauszufinden, wer sich in seinem Werk der Entstehung der neuen amerikanischen Gesellschaft aufrichtig gestellt habe. Hierin liege das Bedeutsame und Interessante auch an der amerikanischen Literaturgeschichte, weswegen vor allem Henry David Thoreau und Walt Whitman93 gewürdigt werden müssten. Herbert Croly plädierte, ähnlich wie Randolph Bourne und Sinclair Lewis, ebenso für eine national-amerikanische Kunst und Literatur.94 Für Sinclair Lewis war es zudem ein Anliegen, gerade die bestehenden Differenzen zwischen den europäischen Gesellschaften und den amerikanischen

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Versuchs zur Ehrlichkeit. Raymond M. Hood, „The Spirit of Modern Art“, in: The Architectural Forum (November 1929), Kurzform in: The Reader’s Digest (Februar 1930), 884–886. Heller/Rudnick, Introduction, 6; Strout, The American Image, 77; Gienow-Hecht, Sound Diplomacy, 157. Die Bestrebungen ließen sich sogar bis ins 18. Jahrhundert zurückverfolgen. Ebd. Brooks, America’s Coming-of-Age, 38. Zu Brooks Enteuropäisierungsbestrebungen siehe u. a. Boorstin, America, 28 f. Alexander, Here the Country, 35–38; vgl. auch Ickstadt, The (Re)Construction, 210. Schon Whitman bedauerte die imitativen Trends in der amerikanischen Literatur. Es fehle an „Americanness“. Nach Kammen, American Culture, 63. In diesem Zusammenhang wurde auch oft Ralph Waldo Emerson genannt. Dieser thematisierte in seinem Werk die Begegnung des Menschen mit der Natur, durch die – so die Botschaft – Selbstentfaltungsmöglichkeiten freigesetzt und damit die Selbstentfremdung des Menschen überwunden werden könne. Über Poe, Hawthorne und Henry James urteilte William Faulkner, sie seien in erster Linie Europäer und keine bodenständigen amerikanischen Schriftsteller (indigenous American writers) – im Unterschied zu Walt Whitman, Mark Twain und Carl Sandburg. Nach Hönnighausen, Region, 359. Alexander, Here the Country, 20 f.; Boorstin, America, 26 f.

6.2 Europäische Kunst – amerikanische Kunst

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Verhältnissen zu verarbeiten und mit der Suche nach nationaler Identität in Form einer klar als amerikanisch erkennbaren Literatur zu verbinden. Der Amerikanist Zacharasiewicz sieht in seiner Retrospektive hierin einen Zusammenhang zu einem typisch spätkolonialen Verhaltensmuster. Thus the conflicting paradigms, which had intrigued many and empowered some in their search for emancipation from a late colonial mentality and for a sense of a distinct American identity and a literary voice, aptly found expression in the well-balanced consideration of the relative values of the cultures of the two hemispheres in a work of fiction by the first American to win a Nobel Prize in literature.95

In solchen Kontexten fiel dann der Blick nicht auf das Inselreich, sondern verstärkt auf den europäischen Kontinent. Waldo Frank schlug 1919 vor: „Now, one way to lose the hold of English literature is to stress the literatures of other European countries.“ Allerdings riet er auch zur Entwicklung einer eigenständigen Literatur: „Another [way] is to stress our own.“96 Selbst Alfred Stieglitz, der große Liebhaber der europäischen Moderne, rief nach einer „amerikanischen“ Kunst, die sich zwar in ihren Techniken an den französischen Postimpressionisten orientieren könne, aber nicht die „verdammte französische Geschmacksausrichtung“ (damned French flavor) übernehmen solle.97 Van Wyck Brooks forderte, dass die amerikanischen Künstler zuerst ihre Devotion gegenüber Europa verlieren und ihr Selbstbewusstsein stärken müssten, bevor sie große Leistungen vollbringen könnten.98 Und dafür setzte er sich entschieden ein. „Brooks is creating a consciousness of American life“99, konstatierte Waldo Frank voller Anerkennung über seinen Kollegen.100 Sogar der führende anglophile New Humanist Irving Babbitt wollte, dass Amerika im Kunst- und Literaturbereich etwas Eigenständiges schaffe (initiating something of our own).101 Der Radiokommentator H. V. Kaltenborn ging 1926 in den Zeitschriften Century Magazine und Reader’s Digest in seinen Forderungen noch einen Schritt weiter: Ziel sei es, neben der schon erreichten materiellen Führerschaft auch die geistige Führerschaft in der Welt zu gewinnen. Isolation und ein Zurück dürfe es nicht geben.102 95 96 97 98 99 100

Zacharasiewicz, Atlantic Double-Cross, 495. Frank, Our America, 164. Zit. n. Heller/Rudnick, Introduction, 7. Alexander, Here the Country, 80. Frank, Our America, 195 f. Brooks vertrat eine an den Gilden orientierte Kunstvorstellung. Er verteidigte den (europäischen) Realismus und Romantizismus des 19. Jahrhunderts als Leitbild und verehrte vor allem William Morris, den namhaften, sozialkritischen Vertreter der britischen Arts und Crafts-Bewegung des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Blake, Beloved Community, 215. 101 Irving Babbitt, „The Critic and American Life“, in: The Forum (Februar 1928), 161– 176, 171. 102 H. V. Kaltenborn, „America’s Place in the World“, in: The Century Magazine (April 1926), Kurzform in: The Reader’s Digest (Mai 1926), 49–50, 50.

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Zu den generellen Klagen und Anklagen kamen jene, die sich auf einzelne Kunstbereiche bezogen, etwa auf Musik. Zwar sei Musik in ihrer Zugkraft (appeal) universal, glaubte der amerikanische kulturnationalistisch gesinnte Komponist Henry F. B. Gilbert, nicht aber in ihrer Ausdrucksweise.103 So war spätestens seit dem Ende des 19. Jahrhunderts der Ruf nach einer „nationalen musikalischen Identität“ unüberhörbar.104 In der Vorkriegszeit steigerten sich unter Kulturnationalisten die Aversionen gegen die Dominanz der Europäer gerade auf dem Gebiet der Musik, und diese verstärkten sich noch in den zwanziger Jahren.105 Der Musikkritiker Charles Henry Meltzer lehnte 1923 in The Forum vehement die Dominanz der ausländischen Opern sowie der ausländischen Sänger ab, zumal wenn diese sich fremder Sprachen bedienten. Schließlich forderte er: „It is high time that we grew conscious of the cruel way in which American composers, singers, conductors, instrumentalists, are handicapped. First, and in many instances, by poverty. And next, by fierce and well-backed foreign rivalities.“106 Diejenigen Amerikaner, die die Gelegenheit bekämen, ihre Ausbildung in Europa zu komplettieren, würden bedauerlicher Weise erleben, dass ihnen alsbald alles Amerikanische und Individualistische ausgetrieben werde (everything American and individualistic will be smoothed out of them). Meltzer klagte deshalb: „They will return gallicized, or germanized, or italianized.“107 Geklagt wurde auch über die Museumspolitik. Nach wie vor würde primär europäische Kunst, vor allem Bilder Alter Meister, gekauft und ausgestellt werden.108 Der Journalist und Kulturkritiker Forbes Watson, Freund europäischer und amerikanischer Moderne, kritisierte noch 1929 die Sammler, insofern diese wichtige amerikanische Künstler immer noch unbeachtet ließen und stattdessen so handelten, als ob sie Sklaven von Paris (slaves of Paris) wären.109 Die Abwehr des europäischen (Bauhaus-)Funktionalismus stand offenbar ebenfalls im Kontext des kulturellen Nationalismus, wie Alfred H. Barr 1932 zugab: „American nationalists will also oppose the Style as another European invasion.“110 Für viele Amerikaner war augenscheinlich die europäische Suprematie auf den einzelnen Kunstsektoren immer schwerer zu ertragen. Die Befürwor103 104 105 106 107 108 109 110

Alexander, Here the Country, 58 f. Dazu Schmidt-Beste, Was ist „amerikanische Musik“? Alexander, Here the Country, 21–25; Gienow-Hecht, Sound Diplomacy. Charles Henry Meltzer, „Music for Americans“, in: The Forum (April 1923), 1530– 1535, 1531. Ebd., 1533. Heller/Rudnick, Introduction, 8; Saab, For the Millions, 5. Zit. n. Petruck, American Art Criticism, 154. Vorwort von Barr in: Hitchcock/Johnson, The International Style, 13–15. Keppel konstatierte aus der Sicht des Jahres 1933, dass bereits fast jede Stadt in den USA über ein Bauwerk moderner Architektur verfüge, wenn auch nicht im Bereich der Kirchenbauten. Keppel, The Arts, 965.

6.2 Europäische Kunst – amerikanische Kunst

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ter einer nationalen Kunst wollten eine Kunst, die die Heterogenität des Landes verringerte, eine soziale Reife ausdrückte, die Demokratie stärkte und sich zudem von der Kunst anderer Länder unterschied. Gesucht wurde dabei meist nach Ausdrucksformen, die der Hohen Kunst zugeordnet werden konnten, getreu der Auffassung, dass eine Nation nur dann als groß gelte, wenn sie über eine allseits als hochwertig anerkannte Kunst verfüge. Der Literatur- und Kunstkritiker Sheldon Cheney meinte sogar noch 1938: „A nation’s standing […] will be judged ultimately almost solely upon the evidence of surviving works in the field of the arts.“111 Nur wenige stellten in den zwanziger Jahren die Frage, ob moderne Kunst überhaupt nationalisiert werden könne und solle. Zu den wenigen gehörte der angesehene Maler Robert Henri, selbst Verfechter einer Abgrenzung von Europa – unter dem Motto: die Europäer hätten weder eine größere Würde, noch eine höhere Kultur (has not a greater dignity or a superior culture)112 als die Amerikaner, wie sich ergänzen lässt. Zwar sah Henri ein, dass man für die Vergangenheit durchaus von einer griechischen, spanischen oder französischen Kunst sprechen könne, dass dies aber für die Zukunft nicht mehr gelte. „[P]eople all over the world are no longer living within the confines of their own geographical barriers, but are in touch with everything that is going on. The art of today cannot be confined to nations, but must be – without barriers – a world art.“113 Irving Babbitt stellte 1928 ebenfalls die gesamte Theorie der (nationalen) Originalität in Frage (to question the whole theory of originality).114 Das Plädoyer für die Entnationalisierung und Universalisierung der Künste lässt Assoziationen mit dem Begriff der Weltliteratur entstehen, den u. a. Goethe einst geprägt hatte. Ihm war die Aufhebung von nationalen Grenzen für große Kunstwerke und die Schaffung transnationaler Kulturräume ebenfalls ein Anliegen gewesen.115 Ein solcher Trend zur Entnationalisierung der Künste erinnert auch an die Einführung des Begriffs International Style anlässlich der Architekturausstellung des Museum of Modern Art im Jahre 1932. Denn hierbei ging es, zumindest nach einer der möglichen Interpretationen des Begriffs, gleichfalls um eine Entnationalisierung (und implizit um eine Enteuropäisierung) der modernen Architekturformen.116 Noch im 111 Cheney, Art, 83. 112 Robert Henri, „What About Art in America?“, in: Arts and Decoration (November 1925), Kurzform in: The Reader’s Digest (Januar 1926), 567–568, 568. 113 Ebd., 567. 114 Irving Babbitt, „The Critic and American Life“, in: The Forum (Februar 1928), 161– 176, 171. 115 Vgl. Jordan, Welche Grenzen?, 35 f. 116 Allerdings sollte bei all den berechtigten Plädoyers zur Entnationalisierung der modernen Künste nicht vergessen werden, dass unter ihrem Deckmantel nach wie vor nationale Macht- und Einflussansprüche sowie Konkurrenzdenken geltend gemacht wurden und werden. Der Bauhaushistoriker Wolfgang Thöner wählte für seine diesbezüglichen

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selben Jahr veröffentlichten Henry-Russell Hitchcock und Philip Johnson das Buch The International Style: Architecture since 1922. Darin wurden zwar auch die Werke der Europäer Le Corbusier, Oud, Gropius und Mies van der Rohe positiv gewürdigt. Aber der radikale Funktionalismus, der von der europäischen Avantgarde vertreten wurde, fand keinen Eingang in die Beschreibung dessen, was unter International Style verstanden werden sollte.117 Zu den seltenen Stimmen, die eine engstirnige Nationalisierung der Künste in Frage stellten, gehörte schließlich auch der französisch-amerikanische Komponist und Astrologe Dane Rudhyar. Dieser plädierte 1926 in der Zeitschrift The Forum zwar zum einen für eine eigenständige amerikanische Musik, die sich von jener Europas unterscheide. Zum anderen brachte er aber diese Forderung mit der Konstruktion einer Westlichen Welt in Verbindung. So trat er für eine Kunst ein, die zukünftig die (gesamte) westliche Zivilisation repräsentiere. Sie sollte in Amerika ihre Heimstätte haben und müsse so gestaltet sein, dass sie auch als Weltmusik (World-music) attraktiv sei. Das gelinge nur, wenn eine neue Spiritualität erreicht werde. Rudhyar glaubte, dass sich Debussy und Scriabin auf dem richtigen Weg zu jenem höheren Subjektivismus befänden, der den Kern einer solchen westlichen Musik bilden sollte und im neuen, von Humanität geprägten Amerika seine Inkarnation erfahren werde (which must be the keynote of Western music as it becomes incarnated into the new human soil of America).118 Rudhyars Perspektive korrespondierte zwar mit dem Western Civ-Projekt und war insofern zukunftsweisend, konnte aber in den zwanziger Jahren keine nennenswerte Resonanz gewinnen. Zu sehr dominierte gerade auf dem Gebiet der Künste der kulturelle Nationalismus die Diskurse. 6.3 ÖFFNUNGEN: EUROPÄISCHE MODERNE – MODERNE IN DEN USA Während sich das Gros der an Kunst interessierten (gehobenen) Mittelschichten vor und nach dem Ersten Weltkrieg eher für die europäischen Klassiker und nicht für die europäische Moderne interessierte, zeigte eine relativ kleine Gruppe, die Young Intellectuals, bereits vor dem Ersten Weltkrieg ein großes Ausführungen sogar die Überschrift „Amerikanisierung des Bauhauses“. Thöner, Deutschland, 155. 117 Ebd., 157. Barr imaginierte damals bereits eine postfunktionalistische Formensprache, die er begrüßte. Hitchcock und Johnson betrachteten die von ihnen vertretene moderne Architektur als einen Stil, den sie nicht nur vom Funktionalismus, sondern weitgehend auch von allen „sozialen und kulturellen Implikationen“ losgelöst sehen wollten. Ebd., 155; vgl. Rodgers, Atlantic Crossings, 406. 118 Dane Rudhyar, „A New Conception of Music“, in: The Forum (Dezember 1926), 892– 901, 900.

6.3 Öffnungen: Europäische Moderne – Moderne in den USA

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Interesse an der europäischen Moderne.119 Die Künstler, Literaten und Publizisten, die sich im New Yorker Greenwich Village in einem kommunikationsfreudigen Bohème-Milieu einrichteten, konzentrierten sich auf die Gestaltung der Zukunft und distanzierten sich trotz oder gerade wegen ihrer eigenen, zumeist angelsächsischen Herkunft von der in ihren Augen höchst veralteten, anglophilen Genteel-Kultur und von dem auf künstlerischem Gebiet eher konventionellen England-Vorbild.120 Dafür blickten sie umso lieber auf Italiener, Slaven und vor allem auf die osteuropäischen Juden der New Yorker East Side, deren Kultur und Lebensweise sie beeindruckte.121 „New York lies between invading Europe and America. A frontier city“122, konstatierte der kulturnationalistisch gesinnte Publizist Waldo Frank, bevor er auf Importe europäischer Gemälde zu sprechen kam. Die berühmte Gallery 291 von Alfred Stieglitz123 galt damals als wichtigstes Kommunikationszentrum für moderne Kunstliebhaber, ebenso der Mabel Dodge Luhan Salon, in dem sich alle Protagonisten der künstlerischen Moderne die Klinke in die Hand gaben. Auch die Gruppe The Eight oder Ashcan School um den Maler Robert Henri, deren Mitglieder häufig Skizzen in Zeitungen anfertigten, traten für eine Trendwende in der bildenden Kunst ein.124 Die „jungen Rebellen“, die in Greenwich Village heimisch wurden, glaubten fest an die Möglichkeiten eines amerikanischen Aufstiegs im künstlerischen Bereich.125 Sie gründeten neue Zeitschriften, um auf diesen Foren die Trendwende zu diskutieren und neue Perspektiven zu entwickeln. Die von den Sozialisten Max Eastman und Floyd Dell herausgegebene Zeitschrift The Masses versuchte, moderne Kunstformen mit sozialistischen Politikkonzepten zu verbinden.126 Die Zeitschrift Seven Arts mit James Oppenheim, Waldo Frank und Van Wyck Brooks als Herausgeberteam bot ein Forum, auf dem jüdische und nicht-jüdische Intellektuelle ihre Ansichten über die amerikanische Kunstentwicklung äußern konnten. Set, eine Zeitschrift, die unter H. L. Mencken und George Jean Nathan die neuen, in Europa kursierenden Geistesströmungen aufgriff, unterstützte die Bewegung der jungen Intellektuellen 119 Blake, Beloved Community, 123 f. Einen Einfluss auf diese Gruppen übten auch europäische Geistesgrößen wie Friedrich Nietzsche, Sigmund Freud, Havelock Ellis und Henri Bergson aus. Alexander, Here the Country, 30; May, The Rebellion, 251–259. Irving Babbitt, der die traditionellen Wertorientierungen in Kunst und Kultur hochhielt, machte den mit Bergson assoziierten Irrationalismus mit verantwortlich für die von ihm abgelehnte Moderne. Ebd., 254. 120 Sedgwick, The American Genteel Tradition, 166. 121 May, The End, 282 f. 122 Frank, Our America, 180. 123 Stieglitz, der Sohn deutsch-jüdischer Eltern, war in Berlin ausgebildet worden. 124 Saab, For the Millions, 6. 125 Näheres Alexander, Here the Country, 75–78; Bender, New York, 247. 126 Leach, The Radicals; Kalaidjian, American Culture.

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und Künstler ebenfalls und stimmte in den Chor jener ein, die die bisherige vorwiegend konventionell gestaltete Kunstproduktion in den USA kritisierten.127 In den zwanziger Jahren erlangte schließlich Dial großen Einfluss als ein Magazin, in dem amerikanische und europäische Künstler und Schriftsteller veröffentlichten. So wandelte sich das ursprünglich auf künstlerischem Gebiet eher konservativ eingestellte Blatt nach dem Ersten Weltkrieg zur führenden Zeitschrift der künstlerischen Moderne in den USA, wobei diese stets auch auf den transatlantischen Brückenschlag Wert legte.128 Die kleine Zeitschrift Poetry avancierte für eine kurze Zeit dank des Einsatzes von Ezra Pound ebenfalls zu einer wichtigen Plattform für moderne Dichtkunst.129 Ohne destruktiv auf den eher konventionellen Kunstgeschmack der Zeit wirken zu wollen, trat, ähnlich wie die Zeitschrift The Nation, auch die Zeitschrift The New Republic nach dem Krieg mehr und mehr für moderne Literatur und Kunst ein.130 Ein großer, öffentlichkeitswirksamer Coup gelang den „progressiven“ Künstlern im Jahre 1913 durch die von Stieglitz initiierte Armory-Show in New York. Dort sahen die Besucher neben einigen amerikanischen Werken 1.600 Gemälde der europäischen Avantgarde. Darunter befanden sich auch Bilder der Franzosen Marcel Duchamp und Francis Picabia, die großen Einfluss auf die amerikanische Avantgarde gewinnen sollten.131 Picabia pries die USA als technologisch besonders fortgeschrittenem Land und versah sein Bild, das eine Art Zündkerze zeigte, mit dem Titel Portrait d’une jeune fille américaine dans l’état de nudité. Das Publikum war zu großen Teilen gerade von diesem Bild schockiert. Mit Unverständnis reagierte es allerdings auch auf andere Werke, etwa auf Duchamps Bild Nude Descending a Staircase und auf das Urinal aus Porzellan. Empörte Anhänger der Genteel-Tradition stellten sogar Bezüge zu den europäischen Immigranten in den USA her und kennzeichneten die Vereinigten Staaten deswegen sogar gelegentlich als Kolonie (Kontinental)Europas.132 127 Trachtenberg, Critics, 7, 14. 128 Alexander, Here the Country, 101 f. Im Dial schrieben unter anderen Ezra Pound, D. H. Lawrence und T. S. Eliot sowie George Santayana, Thomas Mann und Bertrand Russell. Im Falle von Max Eastmans sozialistischer (kurzlebiger) Zeitschrift Liberator (1918), der Nachfolgezeitschrift von The Masses, und der Zeitschrift New Masses, die in den späten zwanziger Jahren unter dem Einfluss von Michael Gold stand, reichte der transatlantische Brückenschlag bis in die Sowjetunion. Kalaidjian, American Culture, 27–35, 46–47. 129 Homberger, Chicago, 153 f. 130 Wickenden, The New Republic Reader, 8; Bender, New York, 227 f.; Alexander, Here the Country, 31 f.,73 f.; vgl. May, The End, 297. 131 Beide Maler sahen in New York die Stadt der Zukunft und das Symbol des Maschinenzeitalters. 132 Siehe zu diesem Absatz: Roeder, What have Modernists, 57 f.; vgl. auch Green, The New Art, 163; Swinth, Painting Professionals, 171; Giedion, Die Herrschaft, 132; Ly-

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Die amerikanischen Vertreter der Moderne verletzten bewusst in mehr oder minder starkem Maße die akademischen Konventionen des Landes.133 Maler wie der in der Ukraine geborene Louis Lozowick und der in Italien geborene Joseph Stella ließen sich außerdem ohne Probleme sowohl vor als auch nach dem Ersten Weltkrieg von der europäischen Avantgarde beeinflussen, etwa bei ihrer neuen Sicht auf die Stadt. Sie stimmten Duchamp und Picabia zu, als diese darauf hinwiesen, dass gerade das urbane Amerika reichhaltige Motive für amerikanische Maler liefere. Tatsächlich spielten neben Brücken die Wolkenkratzer in der Malerei der amerikanischen Moderne eine herausragende Rolle. Die Maschine als Symbol des Fortschritts wurde, wie prognostiziert, ebenfalls ein Objekt der künstlerischen Umsetzung. Manche Künstler haben sich auch vom sowjetischen Konstruktivismus der frühen zwanziger Jahre inspirieren lassen, weil dieser gerade der Maschine künstlerischen Ausdruck verliehen hatte. Der Kunstkritiker Paul Rosenfeld sah jedenfalls eine kleine Anzahl von kreativen Experimenteuren am Werk, deren Mittelpunkt die Stieglitz-Galerie 291 sei.134 Auf dem Theatersektor machten die so genannten kleinen Theater (little theaters) von sich reden, da sie es waren, die die europäische Moderne nach den USA brachten. Getragen wurden die Kleinbühnen, die von Princetown ihren Ausgang nahmen, von avantgardistisch eingestellten Intellektuellen, Theaterleuten und Schriftstellern.135 Diese orientierten sich an den kleinen Experimentiertheatern in Deutschland, Frankreich, England und Russland. Die Bewegung verbreitete sich in den ganzen USA, im mittleren Westen genau so wie in den großen Kulturzentren, etwa in New York und Chicago. Ihre Aktivisten rezipierten europäische zeitgenössische Vorbilder, vor allem Stücke von William Butler Yeats, August Strindberg und George Bernard Shaw. Oben an standen die Werke des großen amerikanischen Hoffnungsträgers Eunes, The Tastemakers, 219; Moos, Nachwort, 808; Abbildung u. a. in: Sturm, Die zweite Entdeckung, 146. 133 In diesem Zusammenhang ist insbesondere. auf Charles Demuth zu verweisen, denn seine Aquarelle drückten angeblich typisch amerikanische Gefühle aus. Solche Bilder wurden im Laufe der zwanziger Jahre von mehreren öffentlichen Museen angekauft. A. E. Gallatin 1922, in: Kellner, Letters of Charles Demuth, 153, 157. 134 Nach Davidson, Early American Modernist Painting, 8. Außer dem Kreis um Alfred Stieglitz gab es allein in New York die Dadaisten, die sich für die amerikanische Industriekultur interessierten, darüber hinaus sind die Präzisionisten (vor allem Charles Sheeler, Georgia O’Keeffe, Charles Demuth, Ralston Crawford) zu nennen, die sich vom Kubismus und Futurismus beeinflusst zeigten und in ihren industriebezogenen Bildern geometrische sowie technoide Stilelemente bevorzugten. Zur Fragmentierung der Künstlerszene in New York siehe Bender, New York, 252; vgl. Swinth, Painting Professionals; Petruck, American Art Criticism, 119; Roeder, What have Modernists; Davidson, Early American Modernist Painting. 135 Darunter befanden sich viele Juden aus diversen europäischen Ländern sowie Deutsche. Frank, Our America, 212 f.

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gene O’Neill. In den Dramen wurden häufig gemäß den allgemeinen Zeittendenzen psychologische Aspekte verarbeitet. Ziel war es, ein Theater zu schaffen, das sich als Alternative zu den populistischen und kommerzialisierten Broadway-Theatern verstand, die harsche Kritik auf sich zogen.136 Obwohl viel Elan verlorenging, als diverse Bühnen während der zwanziger Jahre in den USA selbst in den Sog der Kommerzialisierung gerieten, kommt der Theaterreformbewegung das Verdienst zu, dem experimentellen Theater in den USA den Weg bereitet zu haben.137 Verbreiteten die little theaters die Rezeption der Moderne quasi im Kleinformat, so bedeutete im Vergleich dazu die Eröffnung des New Yorker Museum of Modern Art im Jahr 1929 einen öffentlichkeitswirksamen Paukenschlag.138 Der Name des Museums war Programm. Der Architekturhistoriker Henry-Russell Hitchcock und der Architekt Philip Johnson, die beide das Dessauer Bauhaus aus eigener Anschauung kannten, organisierten, wie schon erwähnt, im Auftrag der Museumsleitung 1932 die erste Architekturausstellung, die vorrangig der europäischen Moderne gewidmet war.139 Sympathie gegenüber der modernen europäischen Kunst und Kultur wird außerdem vielen expatriates nachgesagt, jenen Schriftstellern und Künstlern, die für mehrere Jahre in attraktive europäische Städte zogen, um dort zu leben und zu arbeiteten. Einige waren schon vor dem Ersten Weltkrieg nach Europa umgesiedelt, allen voran T. S. Eliot, der sich in London niederließ, sowie Gertrude Stein, die Paris als Aufenthaltsort wählte, und Ezra Pound, der in London, Paris und Rapallo seinen Wohnsitz nahm. Auch George Santayana, der bekannte amerikanische Sozialphilosoph, lebte seit 1912 in Europa. Nach dem Ersten Weltkrieg erhielt Paris noch mehr als in der Vorkriegszeit den Ruf des wichtigsten transatlantischen Kunstzentrums, einer Metropole, die nach ver136 Alexander, Here the Country, 106 f.; vgl. z. B. Fred Eastman, „The Challenge to the American Theatre“, in: Harper’s Magazine (August 1925), 328–332, 330, 332; Jane Cowl, „The Collapse of the Drama“, in: Pictorial Review (September 1929), Kurzform in: The Reader’s Digest (September 1929), 572–574; Montrose Moses, „New Trends in the Theatre: IV – America“; 1. Teil, in: The Forum (Januar 1925), 83–87 sowie 2. Teil, in: The Forum (Februar 1925), 231–237. Alexander, Here the Country, 147 f. 137 Vgl. zu diesem Absatz: Ebd., 146 f.; Näheres in Matthews, The New Psychology, 146. Dabei ist zu berücksichtigen, dass in den USA eine optimistische Lesart der Freud’schen Werke dominierte. Vgl. auch Heller/Rudnick, Introduction, 5 f., 10; Keppel, The Arts, 993. 138 Das neue Museum begann mit einer Ausstellung französischer Kunstwerke, was die Protagonisten amerikanischer Kunst in starkem Maße irritierte. Kammen, Mystic Chords, 313; Wilson, The Modern Eye, 99 f. Die Autorin vertritt insgesamt eine überaus positive Einschätzung der Museumspolitik während der ersten fünf Jahre, indem sie auf die gute Verankerung der amerikanischen Kunst in der Gesellschaft sowie auf die Erziehungsbestrebungen des Museums verweist. Ebd., 97–148, 124. 139 Thöner, Deutschland, 157. Im Jahre 1927 gab es allerdings in New York schon eine Ausstellung, in der Fotografien von Dessauer Bauhaus-Bauten gezeigt wurden.

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breiteter Ansicht der Neuankömmlinge das 20. Jahrhundert wie keine andere Stadt versinnbildlichte. Im Spannungsfeld von Flucht und Identitätssuche kehrten die expatriates ihrem Mutterland den Rücken, weil sie ein Leben in den USA wegen der angeblichen Bigotterie, der politischen Leere und des kulturellen Banausentums nicht aushielten.140 Nur in Europa könne man noch leben, meinte Stearns, der deshalb 1921 die USA verließ. Lewisohn folgte 1924.141 Unter den jüngeren Emigranten befanden sich u. a. die Schriftsteller F. Scott Fitzgerald, E. E. Cummings, John Dos Passos und Ernest Hemingway. Viele der besten amerikanischen Romane und Erzählungen wurden also in Europa geschrieben.142 Auch wenn sich die expatriates dem damaligen Amerika in keiner Weise verpflichtet fühlten und die dortigen gesellschaftlichen Zustände scharf kritisierten, so waren ihre Werke doch stets auch transatlantische Brücken. Ungeachtet der Einflüsse der europäischen Moderne auf die Schreibweise der jungen Schriftsteller blieben manche Werke nicht ohne Spuren amerikabezogener Nostalgie und Mythenbildung, wenn beispielsweise das Bild von ländlich strukturierten Regionen gezeichnet wurde, das in großen Teilen längst der Vergangenheit angehörte.143 Die expatriates zogen in ihrem Heimatland allerdings deshalb auch viele kritische Stimmen auf sich. Da sie keinem Land angehörten, schienen ihren Werken, wie es hieß, oftmals die notwendigen Bezüge zum tatsächlichen amerikanischen Leben zu fehlen.144 Thomas Craven vertrat die Ansicht, die expatriates unterlägen einer Täuschung, falls sie annähmen, dass Kunst sich aus der sklavischen Nachahmung von Impulsen anderer entwickle (slaves to the impulses of others), womit er wohl auf europäische Vorbilder anspielte.145 Künstler könnten auch in den USA tätig sein, wie die amerikanische Schriftstellerin Zona Gale mit kritischem Unterton bemerkte.146 Charles A. Beard äußerte sich 1930 recht ähnlich: „While a few critics go abroad for inspiration the great body of thinkers still agree with Emerson that we must stand fast where we are and work out our destiny on lines already marked out.“147 140 Gertrude Stein nannte die Kriegsteilnehmer lost generation. Der Begriff wurde auf die expatriates ausgedehnt. 141 Biel, Independent Intellectuals, 100, 105. Auch Cowley und Josephson lebten in Europa. 142 Dazu Hoffman, Fiction, 314–316. F. Scott Fitzgerald wurde mit seinem 1920 erschienenen Roman The Side of Paradise zur Symbolfigur der Dekade. Tipple, Crisis, 359. 143 Bradbury, The Modern American Novel, 61. 144 So u. a. Brooks nach Alexander, Here the Country, 39; vgl. Leuchtenburg, The Perils, 147–151; Biel, Independent Intellectuals, 106. 145 Thomas Craven, „The Curse of French Culture“, in: The Forum (Juli 1929), 57–63, 63. 146 Zona Gale, „The United States and the Artist“, in: The Nation (Juli 1925), 22–23, 22. Ähnlich äußerte sich Ludwig Lewisohn, „Can an Artist Live in America“, in: The Nation (Oktober 1925), 423–424; vgl. auch Edgar Lee Masters, „The American Background“, in: The Nation (August 1926), 226–229. 147 Charles A. Beard (1930), zit. n. Strout, The American Image, 210.

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Im Unterschied zu den expatriates begnügten sich viele amerikanische Kunst- und Literaturkritiker mit ausgiebigen Reisen nach Europa, die junge Sowjetunion eingeschlossen.148 Oftmals fühlten sie sich mit der Zeit in beiden Erdteilen zu Hause – oder halb zu Hause.149 Sie sahen sich auch in Kunstangelegenheiten als transatlantische Brückenköpfe, die durch Artikel in Zeitschriften das amerikanische Publikum mit der europäischen Alterität vertraut machen wollten. Und ein Teil von ihnen konnte mit der modernen Kunst Europas auch etwas anfangen. Zu den Bewunderern europäisch-moderner Kunstwerke gehörte der in Deutschland geborene jüdische Immigrantensohn Ludwig Lewisohn, der über europäische Werke zahlreiche Artikel und Rezensionen in amerikanischen Qualitätsmagazinen schrieb.150 Lewisohn stellte u. a. Franz Werfel und die Expressionisten dem amerikanischen Publikum vor.151 Magazine, wie The Nation, brachten immer wieder Rezensionen über literarische Neuerscheinungen aus Europa, die ins Amerikanische übersetzt wurden.152 Lee Simonson, Direktor der Theatergilde, machte 1932 in The Forum nicht zuletzt Reinhardts Deutsches Theater der amerikanischen Leserschaft bekannt.153 Und Max Eastman zeigte sich von den modernen Kunstströmungen der sowjetischen Frühphase fasziniert.154 Die Öffnung einer Minderheit amerikanischer Künstler und Schriftsteller gegenüber der europäischen Moderne provozierte die Frage, ob es nicht auch eine Moderne in Amerika oder gar eine amerikanische Moderne geben sollte und wie diese aussehen könnte. Für Gertrude Stein waren es gerade die USA, die das 20. Jahrhundert und damit die Moderne verkörperten.155 Sie wertete 148 Roeder, What have Modernists, 56. Um 1930 begaben sich jährlich immerhin rund 500.000 Amerikaner „abroad“, womit wohl vor allem Reisen nach Europa gemeint waren. Helen M. Bramble, „Women’s Club Bureau“, in: The Forum (April 1930), LIV. 149 Viele hatten auch einen Migrationshintergrund und waren daher mit Europa besonders verbunden. 150 Siehe Ludwig Lewisohn, o. T., in: The Nation (November 1921), 583–584, 583. Gegen Ende der zwanziger Jahre sah er Europa allerdings immer mehr dahinsterben. Strout, The American Image, 193. 151 Ludwig Lewisohn, „The Progress of Poetry: Germany“, in: The Nation, (April 1921), 550–552. Abwertend: Arthur Eloesser, „The German Theatre of Today“, in: The Nation (Juni 1922), 701–702. 152 So Franz Werfels Der Abituriententag (Class Reunion). Rezension von Joseph Wood Krutch, in: The Nation (Juli 1929), 120–121. 153 Lee Simonson, „The New ‚Road‘. One Way to Revise the American Theatre“, in: The Forum (August 1932), 106–112, 107. Simonson klagte, dass für die Theater in den USA häufig zu wenig Geld zur Verfügung stehe, weswegen das amerikanische Theater kaum etwas zur nationalen Kultur beitragen könne. Ebd. 112. Vgl. auch den Überblick von Barrett Clark, „New Trends in the Theatre“, in: The Forum (November 1924), 664–672. 154 Kalaidjian, American Culture, 27 f. 155 Ickstein, Modernisierung; ders., The (Re)Construction, 207. Stein sah in Henry James den ersten Schriftsteller, der „den Weg zu den literarischen Methoden des 20. Jahrhunderts“ gefunden habe. Ebd.; Fluck, Gibt es eine amerikanische Kultur?, 165. Sicherlich

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die moderne Schreibweise nicht nur als ein Resultat europäischer Einflüsse, sondern bereits als ein Ausdrucksmittel der amerikanischen Gesellschaft. Selbst eine Meisterin des Sprachexperiments156, vertrat sie die Auffassung, dass der moderne Stil den amerikanischen Lebenserfahrungen besonders angemessen sei, und deswegen, so versicherte sie, werde auch Amerika das Zentrum der Moderne werden.157 Auf dem Gebiet der bildenden Künste seien ebenfalls bereits Verlagerungen von Europa zu den USA erkennbar. Gertrude Stein sah beispielsweise den Kubismus als eine im Grunde amerikanische Kunstform an, was allerdings Kritik, nicht zuletzt beim französischen Hauptvertreter des Kubismus, Georges Braque, hervorrief.158 Der spätere Präsident der machtvollen National Academy of Design, Edwin Blashfield, ließ – ähnlich wie Stein – ebenfalls keinen Zweifel daran, dass Moderne und Amerikanismus in eins zu setzen seien, als er bereits 1910 proklamierte: „We must be modern and we must be American.“159 Steins Botschaft, dass die gesellschaftliche Verfasstheit Amerikas für die Moderne in Kunst und Literatur geradezu geschaffen sei, zog keineswegs einen schnellen Wandel in den Kunstauffassungen nach sich. Trotz dieser frühen Plädoyers für eine kreative moderne Kunstproduktion in den USA waren nicht nur die 1910er, sondern auch noch die 1920er Jahre durch den Kampf um die offiziöse Anerkennung moderner amerikanischer Kunst in der Öffentlichkeit gekennzeichnet. Vor 1929 hatte nur das Brooklyn Museum of Art eine große Ausstellung moderner Kunst organisiert.160 Allein in den fünf Jahren nach der Armory-Show wurden zwar 250 Ausstellungen mit modernen Kunstwerken gezählt161, doch erst die schon erwähnte Gründung des Museum of Modern Art im Jahre 1929, die auf private Initiative hin erfolgte, setzte klare Zeichen einer Öffnung der USA in Richtung Moderne.162 Der Kunsthistoriker Lloyd Goodrich erwartete deshalb gerade von diesem Museum, dass es insbesondere die „einheimischen“ (modernen) Künstler fördere. „ [I]f it shows a lack of sympathy or understanding for American art, all its presentation of foreign art will do no more than encourage our tendency toward an artistic inferiority complex“.163 Bei der ersten Architekturausstellung 1932 sollten ursprünglich überhaupt keine amerikanischen Werke präsentiert werden. Erst

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war es kein Zufall, dass Stein wie auch Dreiser und Sandburg aus der zweiten Einwanderer-Generation stammten. Hoeveler, The New Humanism, 62. Ickstein, Modernisierung, 175. Bradbury, The Modern American Novel, 61. Ders., The Nonhomemade World, 33. Zit. n. Roeder, What have Modernists, 66. Der Kunstkritiker Henry McBride gehörte auch zu jenen, die die Moderne in Europa und Amerika intensiv gefördert sehen wollten. Wilson, The Modern Eye, 103. Roeder, What have Modernists, 58; Swinth, Painting Professionals, 203. Lloyd Goodrich, „A Museum of Modern Art“, in: The Nation (Dezember 1929), 664–665. Ebd., 665. Barr wies den Vorwurf, das Museum würde zu wenig amerikanische Kunst fördern, entschieden zurück. Dazu siehe Saab, For the Millions, 96.

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nachdem die Treuhänder des Museums Druck auf die Ausstellungsleitung ausgeübt hatten, berücksichtigte diese wenigstens einige Arbeiten amerikanischer Architekten.164 Die amerikanischen Künstlergruppen wetteiferten ihrerseits untereinander, wessen Werke die wahre amerikanische (moderne) Kunst verkörperten. Teils hatten sie wenig Sinn für Macht und für gezielte Einflussnahme auf den Kunstmarkt. Meist agierten sie recht zurückhaltend und begnügten sich mit der Rolle eines Vermittlers und Interpreten dessen, was (amerikanische) Moderne bedeute. Zwar entstanden immer mehr Malergruppen, die sich der Moderne zurechnen ließen und die auch auf ein langsam wachsendes Publikumsinteresse stießen, doch war eine öffentliche Anerkennung der Moderne in der Architektur leichter zu erreichen, allerdings nur in Teilbereichen. Auf der einen Seite reagierte das Publikum noch auf die Ausstellung moderner Architektur 1932 im Museum of Modern Art häufig mit Missmut165, auf der anderen Seite erfreuten sich die Wolkenkratzer einer großen Akzeptanz, denn diese fungierten als Symbole der neuen kulturellen Leistungen des Landes im Zeitalter amerikanischer Reife (maturity) und kultureller Führung.166 In einigen Publikationen galten die amerikanischen Hochhäuser sogar schon als Zeichen einer USWeltsuprematie auf dem Feld der Architektur.167 Mit Stolz wiesen die Protagonisten darauf hin, dass eine solche Baukunst keine europäischen Wurzeln habe.168 Der bekannte amerikanische Architekt Hugh Ferris stellte zudem fest, dass „amerikanischer Geist“ und „amerikanische Ideale“ die Bautechnologie in den USA längst durchdrungen hätten. Die damit verbundene eigenständige Ästhetik müsse sich deswegen auch in Form einer genuinen „amerikanischen Architektur“ niederschlagen.169 Und der bekannte Schriftsteller und Publizist Stuart Chase, von Haus aus Ökonom und Ingenieur, ließ 1930 in The Nation und im Reader’s Digest ebenfalls keinen Zweifel daran, welche Bauten für ihn in Frage kamen: „Architecture is searching for a thrilling new form of art in the skyscraper.“170 Kurzum, die Wolkenkratzer wurden vom kulturellen Nationalismus völlig vereinnahmt Suzanne La Folette, die das 164 Es handelt sich um Werke von Frank Lloyd Wright, Richard Neutra, Raymond Hood, Bowman Brothers sowie von George Howe und dem in der Schweiz geborenen Amerikaner William Lescaze. Thöner, Deutschland, 160. 165 Gartman, From Autos, 157. 166 Dazu und zu den Wolkenkratzer-Städten der Zukunft siehe Willis, Skyscraper. 167 Köth, America, 306–312; siehe auch Rollo Walter Brown, „The Creative Spirit and Art“, in: Harper’s Magazine (Februar 1925), 343–350, 347; Alexander, Here the Country, 121 f. 168 Vgl. Köth, America, insb. 308. Diese Behauptung war allerdings umstritten. Vgl. auch Willis, Skyscraper, 165. 169 Thöner, Deutschland, 156. 170 Stuart Chase, „Prosperity – Believe It or Not“, in: The Nation (Januar 1930), Kurzform in: The Reader’s Digest (März 1930), 1018–1020, 1020.

6.3 Öffnungen: Europäische Moderne – Moderne in den USA

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„progressive“ Magazin Freeman geleitet hatte, begutachtete allerdings in ihrem 1930 erschienenen Buch Art in America die Qualität der Wolkenkratzer genauer. Nicht die Türme mit den gotischen Aufsätzen gehörten nach ihrer Meinung zu den Repräsentanten einer amerikanischen Moderne, sondern nur jene, die dem Funktionalen auch eine entsprechende Form verliehen haben, wie dies beim New Yorker Telephone Building (1930) der Fall sei. Grundsätzlichere Einwände gegen Wolkenkratzer erhob hingegen Mumford. Während er die Brooklyn Brücke in New York durchaus als Kunst würdigte (a work of art), brachte er die Wolkenkratzer in Zusammenhang mit dem brutalen Charakter modern-technisch orientierter Ordnung.171 Mit Blick auf die Literatur konstatierte der amerikanische Kritiker und spätere Pulitzer-Preisträger Carl Van Doren in der Zeitschrift The Forum schon früh, dass zwischen 1913 und 1917 ein bemerkenswerter Wandel stattgefunden habe und in kürzester Zeit eine „brillante Dichtkunst“ entstanden sei.172 Die Herausgeberin der kleinen Zeitschrift Poetry, Harriet Monroe, meinte im Jahre 1917 sogar, dass die neuen amerikanischen Gedichte die englischen bereits übertroffen hätten.173 Und der Literaturkritiker Ludwig Lewisohn schätzte die naturalistischen Perspektiven, die er in Werken von Joseph Hergesheimer und Theodore Dreiser entdeckte, offensichtlich hoch ein. Auch wenn es sich bei Dreisers Werken wegen der europäischen Vorbilder um keine typisch amerikanische Literatur handle, biete sie immerhin eine „neue Literatur in Amerika“.174 Für Mencken bedeutete Dreiser ebenfalls wegen seiner naturalistischen Schreibweise einen Lichtblick, während auf der anderen Seite der neuenglische Literaturkritiker Stuart Pratt Sherman gerade dessen Naturalismus als barbarisch kennzeichnete (barbarian naturalism).175 Und noch 1938 meinte der Kunst- und Theaterkritiker Sheldon Cheney, dass

171 Haw, The Brooklyn Bridge, 125 f. Auch Louis H. Sullivan und Henry-Russell Hitchcock hatten Vorbehalte gegenüber Wolkenkratzern. Mit Vehemenz trat Mumford für eine an humanen Werten orientierte (amerikanische) Architektur ein, die er als „organischen Funktionalismus“ bezeichnete. Er zeigte auch keine Scheu, sich von einem Europäer, dem schottischen Biologen und Stadtplaner Patrick Geddes, beeinflussen zu lassen. Der Regionalist Mumford wollte durch Dezentralisierung einen organischen Prozess des Zusammenlebens der Menschen in Gang setzen, aus der dann, wie er hoffte, eine adäquate (amerikanische) Architektur hervorgehen werde. 172 Carl Van Doren, „Those Who Run May Read“, in: The Forum (März 1926), 390–396, 393. Van Doren pries auch noch die in den frühen zwanziger Jahren veröffentlichten Werke Main Street von Sinclair Lewis und Jurgen von James Branch Cabell sowie The Emperor Jones von Eugene O’Neill, doch sei, wie er klagte, in den folgenden Jahren der mit diesen Werken verbundene Impetus verloren gegangen. Ebd., 396. 173 Nach Alexander, Here the Country, 32. 174 Ludwig Lewisohn, „The New Literature in America“, in: The Nation (März 1921), 429. Lewisohn schrieb auch für die New York Times. 175 Hoeveler, The New Humanism, 15; vgl. Edgar Lee Masters, „The American Background“, in: The Nation (August 1926), 226–229, 228.

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6 Kultureller Nationalismus

zwar der englische Einfluss auf die amerikanische Kunst zurückgegangen sei, am wenigsten jedoch im Literaturbereich.176 6.4 SELBSTEINSCHÄTZUNG UND REZENSIONSKULTUR Englische Einflüsse, die Herausforderungen der Moderne und der kulturelle Nationalismus erschwerten offensichtlich die damalige Bewertung amerikanischer Kunst- und Literaturproduktion, und dies führte häufig zu einer Unterschätzung der Werke.177 Eine Auslese vorzunehmen, sei für Kritiker ein schwieriges Unterfangen, weil es zu diffuse Interessen und Richtungen im Literaturbereich gebe, hieß es 1925 beispielsweise in der Zeitschrift The Nation.178 Mumford vermisste generell eine intellektuell begründete Rahmensetzung für die Literaturkritik.179 H. L. Mencken, der sich besonders für den Aufbau einer qualitativ hochstehenden Rezensionskultur in den USA engagierte, hielt mit seiner Kritik am Gros der Rezensenten nicht hinterm Berg. Sie seien halbgebildet und dünkelhaft (half-educated and conceited class). Es fehle am nötigen kulturellen Rüstzeug (adequate cultural equipment); sie verstünden nicht, was in anderen Ländern passiere und hätten keine gute berufliche Ausbildung, weibliche Rezensenten seien alte Jungfern (elderly virgin) und Blaustrümpfe (blue stocking).180 Diese Negativbilanz amerikanischer Rezensenten, samt den frauendiskriminierenden „Randbemerkungen“ führte Mencken vor allem auf den überbordenden Moralismus zurück, weil dieser als primärer Bewertungsmaßstab diene, ferner auf den fehlenden Sinn für Ästhetik, was wiederum dem puritanischen Erbe geschuldet sei.181 Erschwerend kam hinzu, dass vor allem in England, dem ehemaligen Mutterland, viele Kunst- und Literaturkenner noch immer die Ansicht vertraten, in den USA gäbe es keine große Musik, keine große Literatur und keine große Kunst.182 Das verunsicherte auf der anderen Seite des Atlantiks. Noch Anfang der dreißiger Jahre waren Klagen zu hören, wonach die Amerikaner als Volk (as a people) keine adäquate Wahrnehmung ihrer eigenständigen literarischen Tradition hätten (own distinctive literary tradition).183 So nannte 176 177 178 179 180

Cheney, Art, 91 f. Vgl. Zelinsky, Nation, 166. o. V., „An American Paradox“, in: The Nation (November 1925), 531–532, 532. Blake, Beloved Community, 231. Vgl. Menckens Bemerkung im Vorwort zur 5. Auflage seiner Schrift A Book of Prefaces von 1928 sowie die Seiten 152–155. 181 Ebd., Kapitel „Puritanism as a Literary Force“, 197–283. 182 Mary Crowley, „America’s Place in History“, in: The Forum (Februar 1930), 96–100, 98. Crowley war Lizentiat der Royal Academy of Music und Mitglied der Royal Society of Literature. 183 Bernard Fay in: William McDonald, „Portrait of America“ (Buchbesprechung), in: The Nation (Februar 1929), 258–259, 259. Zur Suche nach Bewertungsmaßstäben siehe u. a.

6.4 Selbsteinschätzung und Rezensionskultur

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selbst der amerikanische Literaturkritiker Henry Hazlitt 1932 in der Zeitschrift The Forum zwar eine Liste von Namen großer amerikanischer Romanschriftsteller, aber die Frage, wer in einhundert Jahren noch geschätzt werden wird, beantwortete er dann doch mit der Nennung europäischer Schriftsteller, wie Marcel Proust, Thomas Mann und James Joyce. Den größten Anspruch auf lang andauernde Wertschätzung amerikanischer Autoren hätten seiner Meinung nach Theodor Dreiser und Sinclair Lewis.184 Selbst in einem 1938 verfassten Rückblick von Sheldon Cheney war die Unterbewertung amerikanischer Leistungen auf dem Gebiet der Künste und Literatur herauszulesen.185 Eine der möglichen Erklärungen für die relative Geringschätzung der zeitgenössischen amerikanischen Literatur (und Kunst) bot der Publizist Tomas L. Masson an, als er bereits 1921 auf die vielen im Ausland geborenen Literaturkritiker hinwies, die im Grunde unamerikanisch dächten. „They have saturated themselves with foreign traditions and have kept themselves immune to the native atmosphere, loudly proclaiming its crudeness and intense vulgarity.“186 Doch das war sicherlich nicht der alleinige und auch nicht der wichtigste Grund. Als relevanter erwies sich wohl die kulturelle Unsicherheit in Bewertungsfragen, die sich aus der Unsicherheit gegenüber der Moderne und den selbst gestellten Anforderungen im Rahmen eines wie immer gearteten kulturellen Nationalismus ergab. Oder lag es an der unterentwickelten Rezensionskultur? Abgesehen von der vielseitigen Kritik an der bestehenden Rezensionskultur verzeichnete diese gerade damals große Fortschritte. Dies resultierte aus der gesellschaftlichen Aufwertung von Kunst- und Literaturkritikern, die nunmehr als Vertreter einer ernst zu nehmenden Profession galten.187 Die Kritiken wiesen oftmals einen weit gespannten Argumentationsbogen auf, handle

184

185 186 187

Granville Hicks, „The Twenties in American Literature“, in: The Nation (Februar 1930), 183–185. Hicks war selbst Literaturkritiker und Schriftsteller sowie Assistant Professor für Englisch am Rensselaer Polytechnischen Institut. Vgl. auch Sklar, The Plastic Age, 10. Henry Hazlitt, „Our Greatest Authors. How Great Are They“, in: The Forum (Oktober 1932), 245–250, 246 f. Als einziger großer Dramaturg galt in Hazlitts Augen Eugene O’Neill. Ebd. Schriftsteller mit großen Verkaufserfolgen waren Lewis, Scott Fitzgerald, Wilder und Dreiser. Higham, History, 74. Cheney, Art, 85. Thomas L. Masson, „Has America A Literature“, in: The Forum (März 1921), 348–354, 351. Susman, Culture, 115 f. Der damalige Literaturkritiker Henry Hazlitt nannte in diesem Zusammenhang folgende Personen: H. L. Mencken, Van Wyck Brooks, Lewis Mumford, Paul Elmer More, Irving Babbitt, Edmund Wilson, George Jean Nathan, Kenneth Burke und Joseph Wood Krutch. Henry Hazlitt, „Our Greatest Authors. How Great Are They“, in: The Forum (Oktober 1932), 245–251. Allerdings klagte James Truslow Adams, dass Kritiker vielfach noch immer als obstruktiv gälten und als gefährlich für das Gemeinschaftsleben angesehen würden. Adams, The Epic, 404–411.

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6 Kultureller Nationalismus

es sich doch, wie der Publizist Ludwig Lewisohn meinte, um eine Auseinandersetzung über die Zukunft der amerikanischen Zivilisation (future of our civilization itself).188 Dabei waren sich die meisten Kritiker, auch wenn sie verschiedenen Richtungen angehörten, in einem Punkt einig, nämlich dass dieses Land eine geistige Fehlentwicklung durchlaufen habe.189 Zu einem Vorbild für viele amerikanische Kritiker avancierte Van Wyck Brooks. Nach Meinung seiner Zeitgenossin Mary M. Colum hatte er nicht nur Sinn für Ästhetik, sondern auch für gesellschaftliche Fragen. Brooks argumentiere außerdem nicht parteipolitisch, sondern wolle allgemeingültige ästhetische Standards entwickeln helfen. Außerdem halte er eine enge Verknüpfung der künstlerischen Ausdrucksformen mit den im jeweiligen Entstehungsland gemachten Erfahrungen für unabdingbar.190 Allmählich stieg die Wertschätzung amerikanischer Kunst und Literatur, zumal einzelne Werke auch in Europa auf große Anerkennung stießen. Frederick P. Keppel beobachtete 1933, dass Europa tatsächlich immer häufiger einen Blick auf amerikanische Architektur, Musik und Literatur werfe. Dies sei ein Zeichen dafür, dass die Amerikaner auf diesen Gebieten bereits jetzt „wichtige originale Arbeit“ vollbracht hätten.191 Der Schriftsteller, Journalist und Literaturkritiker Malcolm Cowley, der zeitweise in Paris lebte und dann seit 1929 als associate editor für die liberale Zeitschrift The New Republic arbeitete, bezeichnete seine Gegenwart sogar als zweite Blütezeit der amerikanischen Literatur, die mit der ersten Blütezeit der 1840 und 1850er Jahre, also mit Hawthorne, Emerson, Melville und Whitman, verglichen werden könne.192 Zwar gab es auch weiterhin Kritiker der modernen (amerikanischen) Kunst, doch zahlreiche Publizisten, welche die Diskussionen der zwanziger Jahre bestritten hatten, zeigten sich schließlich im Verlauf der dreißiger Jahre gegenüber der (amerikanischen) Moderne aufgeschlossen – nicht zuletzt dank des großen Einflusses der europäischen Avantgarde-Künstler und Architekten, die wegen der NS-Herrschaft in die USA emigrierten. Am liebsten war den Amerikanern indessen nach wie vor eine amerikanisierte Moderne, um sie als Ausdruck heimischer Kultur etikettieren zu können (homemade).193 Zwar sei die Moderne in Europa entstanden, hieß es nun, aber erst in den USA habe sie richtig aufblühen und gedeihen können. Noch 1938 wies der Architekturkritiker und Bauhaus-Anhänger Douglas Haskell mit Nachdruck darauf hin, dass es ja die Amerikaner gewesen seien, die die 188 Zit. n. Hoeveler, The New Humanism, 84. 189 Ebd. 190 Mary M. Colum, „An American Critic: Van Wyck Brooks“, in: The Dial (Januar 1924), 33–41. 191 Keppel, The Arts, 1007. 192 Nach Bradbury, The Modern American Novel, 63. Die Aussage Cowleys ist nicht genau datiert. 193 Bradbury, The Nonhomemade World.

6.5 Genuin amerikanische Kunst durch African Americans?

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Basis für die europäische Moderne, nicht zuletzt für die Werke von Le Corbusier, geliefert hätten. Das sei in den USA vergessen worden. Selbst Le Corbusier mangle es, wie Haskell mit kritischem Ton feststellte, an Kenntnissen über solche Zusammenhänge. Und er vergaß auch nicht, bei dieser Gelegenheit auf die – gerade im Vergleich mit Europäern – große Bedeutung der amerikanischen Ingenieure und Techniker vor allem bei Neuerungen der (häuslichen) Infrastruktur hinzuweisen.194 Aus dem „kommunikativen Gedächtnis“ (Assmann) verschwand so allmählich das Wissen über den holprigen Weg, der die Vereinigten Staaten in die Moderne führte. Vielmehr entstand der Mythos, dass Amerika und (kulturelle) Moderne von Anfang an in eins zu setzen seien (Stein) und die USA bereits in den zwanziger Jahren „in der Kunst der Moderne seinen wesentlichen Ausdruck gefunden“ habe (William Carlos Williams).195 Es war dies in großen Teilen ein Mythos, der indessen für die Selbstdeutung und Selbstvergewisserung des 20. Jahrhunderts als eines „amerikanischen Jahrhunderts“ besonders nach 1945 und im Kalten Krieg konstitutive Bedeutung für den allgemeinen Suprematieanspruch der USA gewinnen sollte.196 6.5 GENUIN AMERIKANISCHE KUNST DURCH AFRICAN AMERICANS? Sollten ausgerechnet die von der weißen Mehrheitsgesellschaft häufig als minderwertig betrachteten African Americans zu einer genuin amerikanischen Kunst beigetragen haben? Diese Frage bewegte die Gemüter insbesondere im 194 Haskell, Architecture, 105, 116. Auch die Kunst des Brückenbaus, vor allem sichtbar an der Brooklyn Brücke, wurde, zusammen mit jener, die sich im Bau von Getreidesilos zeigte, immer wieder genannt, wenn es um amerikanische Ingenieurskunst ging. 195 Zit. n. Ickstadt, Modernisierung, 186. 196 Bradbury, The Nonhomemade World, 28. Die Zusammenarbeit der amerikanischen Anhänger moderner Architektur mit den während der NS-Zeit emigrierten Architekten, darunter Walter Gropius, Marcel Breuer und vor allem Ludwig Mies van der Rohe, stärkte schließlich eine Moderne in der amerikanischen Öffentlichkeit, die sich immer weniger einer bestimmten Nation zuordnen ließ. Thöner, Deutschland, 160–162. Während des Kalten Krieges verbanden die Amerikaner die abstrakte Kunst, die noch in den dreißiger Jahren weithin als antiamerikanischer Internationalismus gedeutet wurde, mit positiv besetzten amerikanischen Werten, und der CIA förderte auch entsprechende Ausstellungen in Europa. Wagnleitner, Coca-Colonisation, 353; Petruck, American Art Criticism, 8. Zur „Amerikanisierung“ der Moderne, wie sie auf der MOMA-Ausstellung in Berlin im Jahre 2004 erfolgte, siehe Werner Spies, „Die amerikanische Unfehlbarkeitserklärung“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 17.8.2004, 35. Spies kritisierte an der Ausstellung, dass in jenen Abteilungen, welche die moderne Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg zeigten, keine europäischen, sondern nur mehr amerikanische Werke zu sehen waren. Zur Umdeutung des Bauhauses durch die MOMA siehe auch Jordan Mejias, „Was Sie schon immer über das Bauhaus wissen wollten“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 17.11.2009, 3.

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Zuge der Harlem Renaissance197, denn diese brachte die Kunst- und Kulturszene in starke Bewegung. Die Harlem-Kultur wies zwar eine große Spannbreite an Einstellungen, Überzeugungen, Kunstauffassungen, Stilrichtungen und Interessen auf198, doch ein besonderes Gewicht erhielt die Verbindung von Black Modernism und Cultural Nationalism. Für schwarze Träger der Harlem Renaissance, wie für den Philosophieprofessor Alain Locke, bedeuteten die hochwertigen künstlerischen Leistungen, die African Americans damals vorlegten, afrikanisch-amerikanische Integrationsmodelle im gesamtnationalen Maßstab, und zwar auf der Basis voller Gleichberechtigung der African Americans mit der weißen Mehrheitsgesellschaft.199 Sie sollten jedoch nicht nur zu einer nationalen, sondern auch zu einer ethnischen Identität der Schwarzen beitragen. Allerdings schwebte Locke keine ethnische Geschlossenheit (closed ethnic shop) vor200, sondern eine „offene Gesellschaft“. Locke konzipierte in diesem Zusammenhang das Bild des New Negro, das er als einen integralen Bestandteil eines „zukünftigen“ Amerika sehen wollte – ganz nach dem Vorbild der Harlem-Kultur, die er diesbezüglich als (nationales) Laboratorium betrachtete. Das schwarz-weiße Harlem-Laboratorium veränderte den Umgang mit afroamerikanischer Literatur.201 Weiße Publizisten äußerten sogar großen Respekt gegenüber der künstlerischen Produktivität der African Americans, doch blieb gerade auf dem Literatursektor die Segregation zwischen schwarzen und weißen Texten trotz aller Vermittlungsbemühungen bestehen.202 Denn in der Literatur der Weißen wurde in der Regel die Rassenfrage igno197 Einführend: Finzsch/Horton/Horton, Von Benin, 388–411. 198 Lutz, Introduction, 1. 199 Afroamerikanische sowie afrokaribische Nationalisten, Kommunisten und Sozialisten hofften außerdem, dass das Selbstbestimmungsrecht der Völker, welches die Grundlage des Völkerbundes ausmachte und zu zahlreichen Staatsneugründungen in Europa geführt hatte, auch den Amerikanern afrikanischer Herkunft zu mehr Selbstbestimmungsrechten verhelfen werde. Allen, The New Negro, 53. Europa fungierte hier wieder einmal als erstrangige Projektionsfläche. 200 Alain Locke, „Should the Negro Be Encouraged to Cultural Equality?“, in: The Forum (Oktober 1927), 500–510, insb. 502–508; vgl. auch Kornweibel, No Crystal Stair, 116. 201 Dazu und zum Folgenden siehe u. a. Finzsch, Von der „Double Consciousness“, 165. Als die Herausgeber afroamerikanischer Magazine in den zwanziger Jahren sogar Literaturpreise an schwarze Künstler vergaben, wurden in die Jurys auch weiße Literaturkritiker berufen. Sicherlich war ein solcher Schritt für viele African Americans einerseits problematisch, insofern die Beteiligung von Weißen als „benevolent censor“ ausgelegt werden konnte. Gaines, Uplifting, 224 f.; Tebbel/Zuckerman, The Magazine, 211. Doch vergrößerte sich andererseits dadurch die Dialogfähigkeit zwischen schwarzen Schriftstellern und weißen Literaturkritikern sowie die Chancen auf eine Anerkennung afroamerikanischer Leistungen in Literatur und Kunst durch weiße Kollegen. 202 Als Vermittler fungierte vor allem Carl Van Vechten. Ausführlich dazu Alexander, Here the Country, 128; Kalaidjian, American Culture, 68.

6.5 Genuin amerikanische Kunst durch African Americans?

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riert.203 Die Hoffnung vieler schwarzer Künstler und Intellektuellen, dass die Harlem Renaissance auch die Rassendiskriminierung beseitigen und eine Brücke zum (weißen) amerikanischen Nationalismus bedeute, weil die Zuschreibung kultureller Inferiorität der Schwarzen nicht mehr zutreffe204, erfüllte sich nicht. Der bedeutende afroamerikanische Schriftsteller James Weldon Johnson behielt Recht, als er mahnte nicht zu vergessen, dass African Americans aus dem weißen amerikanischen Rassenkonzept exkludiert waren (American Negroes as heroes form no part of white America’s concept of race).205 Kurzum, die Harlem Renaissance brachte zwar den Kunstsektor in Bewegung und erfreute sich unter Weißen eines beträchtlichen Achtungserfolges206, konnte aber keine Tendenzen zur Inklusion der African Americans bei der Suche nach nationaler Identität auslösen.207 Diese blieb ausschließlich Weißen vorbehalten. Die größte Herausforderung für die künstlerische und kulturelle Positionsbestimmung der African Americans in der weißen US-Gesellschaft bestand in der Bewertung der Spirituals und des Jazz. Handelte es sich dabei um Kunst? War diese Kunst genuin amerikanisch? Die Ansichten drifteten stark auseinander: Im Jazz und in den Spirituals sah Locke zwar selbst noch keine Kunstform, dafür aber eine Ressource, aus der sich hochwertige Kunst entwickeln könne. Insbesondere die Spirituals seien sowohl Ausdruck der African Americans als auch der (ganzen) Nation. Folglich müssten diese auch für die ganze Nation als repräsentativ gelten (nationally representative). Amerika könne es sich nicht leisten, solche Qualitäten, die in Europa durchaus Anerkennung fänden, zu ignorieren, denn so viel habe das Land in dieser Hinsicht ja nicht zu bieten.208 Die afroamerikanischen Populärhistoriker Arthur Schomburg

203 Wintz, Black Culture, 4 f. 204 Allen, The New Negro, 62–64; Kammen, Mystic Chords, 414; vgl. Bender, New York, 254: „Black art would in most cases be pressed to conform to white notions of black authenticity.“ 205 Zit. n. Goerge W. Jacobs, „Negro Authors Must Eat“, in: The Nation (Juni 1919), 710– 711, 711. 206 Vgl. zum Beispiel James Welden Johnson, „Race Prejudice and the Negro Artist“, in: Harper’s Magazine (Oktober 1928), 769–776. Zu den großen Unterstützern der Harlem Renaissance seitens der Weißen gehörte der Schriftsteller, Musikkritiker, Publizist und Fotograf Carl Van Vechten. Kellner, Letters of Carl Van Vechten; Alexander, Here the Country, 137–139. Die Veröffentlichung seines Buches Nigger Harlem (New York 1926) war eine Sensation; rund 100.000 Exemplare wurden verkauft. White, The First Sexual Revolution, 205. 207 Stewart/Ruffins, A Faithful Witness, 312; Lothrop Stoddard, „The Impasse of the Color Line“, in: The Forum (Oktober 1927), 510–519, insb. 512, 514. 208 Alain Locke, „Should the Negro Be Encouraged to Cultural Equality?“, in: The Forum (Oktober 1927), 500–510, insb. 502–508; zit. auch nach Gilroy, The Black Atlantic, 91.

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und Joel A. Rogers sahen Jazz zwar als Kultur der unteren (schwarzen) Schichten an, nicht aber als Kunst.209 Ein Teil der weißen Musikkritiker war hingegen positiver gestimmt. Der Musikkritiker Samuel Chotzinoff sah in den Spirituals die einzige amerikanische Volksmusik, die durchaus mit der Volksmusik aus europäischen Staaten vergleichbar sei.210 Der böhmische Komponist Antonin Dvořák, der mehrere Jahre als Direktor des Nationalen Konservatoriums in New York tätig war, betonte ebenfalls die Relevanz der Black Spirituals für die Herausbildung einer nationalen Musikszene in den USA.211 Der Jazz gehörte noch mehr zu jenen musikalischen Ausdrucksformen, die dem Kunstdiskurs auch unter Weißen einen neuen Schwung verliehen, wenngleich die Debatten darüber sehr kontrovers verliefen. Vielfach wurden kunstelitäre Vorbehalte gegenüber dem Jazz geäußert.212 Oftmals löste diese Musik zwar Sympathiebekundungen aus, doch wurde ihr jeglicher Kunstcharakter abgesprochen. Franz Damrosch war sicherlich nicht der einzige weiße Musiker, der zwar zugab, dass die Harlem Renaissance (und somit wohl auch der Jazz) als Ausdruck einer primitiven Rasse (self-expression of a primitive race) ein faszinierendes Phänomen sei, das aber bei der Suche der Weißen nach nationaler Identität nicht berücksichtigt werden dürfe.213 Der bekannte afroamerikanische Schriftsteller und Dichter Langston Hughes vertrat eine gegenteilige Auffassung: Nach seiner Meinung waren Jazz und Spirituals bereits eine ernstzunehmende Kunstform.214 Sie seien sowohl eigenständiger Ausdruck der African Americans als auch der (amerikanisch-afrikanischen) Nation und sollten dementsprechend gewürdigt werden. Andere weiße Publizisten bewerteten den Jazz nicht zuletzt deswegen positiv, weil sie darin die einzige kulturelle Leistung sahen, die Europa den USA zu verdanken habe und nicht umgekehrt. Negro-Musik sei die wahre

209 Stewart/Ruffins, A Faithful Witness, 315; vgl. auch diverse kritische Positionen über die Kennzeichnung des Jazz’ als Kunst im zentralen Magazin der Schwarzen, im Messenger. Kornweibel, No Crystal Stair, 123 f. 210 Samuel Chotzinoff, „Jazz: A Brief History – I“, in: Vanity Fair (Juni 1923), Kurzform in: The Reader’s Digest (Juni 1923), 207–208, 207. 211 Gienow-Hecht, Sound Diplomacy, 165; Alexander, Here the Country, 23, 56. Zur Wertschätzung der Spirituals als eminent wichtigen Beitrag zu den Künsten siehe auch o. V. „Black Voices“, in: The Nation (September 1924), 278 und William J. Shultz, „Music. ‚Made in America‘“, in: The Nation (Dezember 1922), 645–646. Der rassistisch denkende Musikologe John Powell sammelte deshalb u. a. Volksgesänge aus dem Süden. Kammen, Selvages, 146. 212 Typisch war beispielsweise die Reaktion in Ladies Home Journal vom August 1921. Der Text trug die Überschrift „Does Jazz Put the Sin in Syncopation?“, zit. n. Harvey, Jazz, 134. 213 Franz Damrosch (1924), zit. n. Walser, Deep Jazz, 275; Alexander, Here the Country, 141. 214 Huggins, Harlem Renaissance, 9 f.; Alexander, Here the Country, 135 f.

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amerikanische Musik, beteuerte u. a. A. L. Jackson.215 Der Publizist Isaac Goldberg konstatierte 1932 in The Forum, der Jazz habe bewirkt, dass Europa zum ersten Mal in der Kunstgeschichte gegenüber den USA ein SchuldnerKontinent geworden sei (Europe, through Jazz, became a debtor continent to us).216 Auch der Dichter William Carlos Williams sah in der ethnisch-transkulturellen Integration das entscheidende Potenzial für eine amerikanische Moderne jenseits des Europäisch-Angelsächsischen.217 In der amerikanischen Zeitschrift The Forum interpretierte der irische Dichter James Stephens 1930 den Jazz sogar als eine neue Kunstform (an art in the process of becoming) mit großem Symbolcharakter für all das, was Amerika verkörpere: „Jazz is America’s answer to the sagging energy that we are familiar with all through Europe.“218 Eine solche freilich in der amerikanischen Öffentlichkeit immer umstritten gebliebene Hochschätzung der Jazz-Musik219 und deren Interpretation als Kunstform bzw. als nationale amerikanische Kunst warf unter Weißen häufig die Frage auf, welchen Anteil African Americans am Zustandekommen dieser Musik gehabt haben (over the true color).220 Samuel Chotzinoff brachte in der Zeitschrift Vanity Fair 1923 den Jazz offen mit dem Genius der Schwarzen (negro genius) in Verbindung: „It is that genius which has produced the American jazz, the only distinct and original idiom we have.“221 Viele, die im Jazz eine nationale Kulturleistung erblickten, neigten indessen nicht selten dazu, die afroamerikanische Herkunft von Jazz zu minimalisieren oder gar als das zerstörerische Fremde zu interpretieren, das erst auf weiteren Entwicklungsstufen von weißen Amerikanern kultiviert und amerikanisiert worden sei.222 Es gab sogar Versuche, den Ursprung der Jazz-Musik nach Europa zu verlegen. Eine „Zähmung“ der Jazz-Musik nahm vor allem der weiße Musiker Paul Whiteman und seine Band vor. Whiteman machte den Jazz „weicher“ und 215 216 217 218 219 220

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A. L. Jackson, „The Negro’s Aspirations“, in: The Forum (Februar 1921), 217–228, 223. Isaac Goldberg, „Jazz“, in: The Forum (April 1932), 232–236, 236. Vgl. Ickstadt, Trans-national Democracy, 12. James Stephens, in: „America’s Place in History“, in: The Forum (Februar 1930), 96– 100, 100. Vgl. zum Beispiel Don Knowlton, „The Anatomy of Jazz“, in: Harper’s Magazine (April 1926), 578–585. In: The Nation (März 1921), 321. In einem Aufsatz von Paul Bernhard, in: The Living Age (September 1926), 580–585 wurde Jazz mit der europäischen „Zigeuner-Musik“ in Verbindung gebracht. Samuel Chotzinoff, „Jazz: A Brief History – I und II“, in: Vanity Fair (Juni 1923), Kurzform in: The Reader’s Digest (Juni/Juli 1923), 207–208, 207, 281 f., Zitat 282. Siehe u. a. Sigmund Spaeth, „Jazz is not Music“, in: The Forum (August 1928), 267– 271. Der amerikanische Musikologe Spaeth erkannte den Jazz nicht als ernstzunehmende Musikform an. Ders., „Jazzmania“, in: The North American Review (Mai 1928), 539–544, 539.

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„süßer“. Damit erzielte er einen großen Erfolg sowohl in den USA als auch in Europa.223 Er sei der erste authentische Musiker, der aus Amerika komme, hieß es nun.224 Einige Publizisten fanden den Jazz in der Weise, wie ihn u. a. Paul Whiteman präsentierte, sogar als Geschmackserzieher brauchbar, wie 1926 der Schriftsteller Don Knowlton im Harper’s Magazine meinte. Nach einer differenzierten Betrachtung der Anatomie der Jazz-Musik sah er im Jazz ein geeignetes Mittel, das musikalische Niveau der Zuhörerschaft zu heben: „[T]he fact remains that the shop girl who has heard Paul Whiteman has taken a step toward appreciation of Beethoven’s Seventh Symphony.“225 Die Bedeutung der Jazz-Musik lag für den Autor demnach in der Erziehung der breiten Bevölkerungsschichten zu einer europäisch bestimmten Hohen Kunst in Form Alter Meister. Für neuen Diskussionsstoff sorgte schließlich George Gershwin, der Sohn recht wohlhabender russischer Juden, mit seiner 1924 in New York aufgeführten Rhapsody in Blue. „Go straight on and you will knock all Europe silly“, schrieb ihm Carl Van Vechten begeistert.226 Als 1928 An American in Paris folgte, war Gershwins Beliebtheit diesseits und jenseits des Atlantiks gefestigt. Doch meldeten sich auch amerikanische Kritiker zu Wort, etwa der Musikexperte B. H. Haggin 1926 in The Nation. Nach seiner Auffassung sollten die Unterschiede zwischen einer amerikanischen und einer europäischen Symphonie nicht größer sein als die zwischen zwei europäischen Symphonien. Für Gershwins Musik treffe dies jedoch nicht zu, weil die Unterschiede zu europäischen Symphonien gewaltig seien. Deswegen müsse sich durch Gershwins Musik auch nichts in der konventionellen Bewertungsskala ändern. „Our cultivated music will continue to be part of the cultivated music in the Western world.“227 Auffallend an dieser Schlussfolgerung ist, dass Haggin die europäische Musik, um die es ihm ja hauptsächlich ging, bereits pauschal als Musik der westlichen Welt deklarierte. Als Zwischenfazit ist festzuhalten, dass die liberalen Zeitschriften an der Debatte über die Harlem Renaissance und speziell über Jazz sehr interessiert waren. Hier sahen auch die Redaktionen liberaler Zeitschriften eine Möglichkeit, Segregationslinien zwischen weiß und schwarz punktuell aufzuweichen. Der künstlerische Wert der Jazz-Musik wurde freilich recht kontrovers beurteilt. Ferner blieb deren Stellenwert für die amerikanische Konstruktion von Kunst und Nation in der Schwebe.228 Außerdem wurde der Anteil der 223 Alexander, Here the Country, 141. 224 Henrietta Straus, „American Music via Europe“, in: The Nation (September 1924), 268. 225 Don Knowlton, „The Anatomy of Jazz“, in: Harper’s Magazine (April 1926), 578–585, Zitat 585. 226 Zit. n. Alexander, Here the Country, 140. 227 B. H. Haggin, „Gershwin and Our Music“, in: The Nation (Oktober 1932), 308–309, 309. 228 Isaac Goldberg, „Jazz“, in: The Forum (April 1932), 232–236; Henrietta Straus, „Jazz and ‚The Rhapsody in Blue‘“, in: The Nation (März 1924), 263.

6.6 Kunstpotenziale: Volks- und Gebrauchskünste, Populär- und Massenkünste 305

Schwarzen an seinem Zustandekommen unterschiedlich bemessen und teilweise die Farbgebung dieser Musik „gebleicht“. Die qualitative Distanz zur hochbewerteten europäischen Musik stand vielfach außer Frage. 6.6 KUNSTPOTENZIALE: VOLKS- UND GEBRAUCHSKÜNSTE, POPULÄR- UND MASSENKÜNSTE Die Suche nach einer genuin amerikanischen Kunst führte nicht nur zu produktiven Auseinandersetzungen mit der Moderne, sondern auch zur Suche nach Inspirationen durch regionale Volkskulturen sowie nach neuen Kunstpotenzialen in den Gebrauchskünsten und den Massenkünsten. Viele Künstler unterschiedlicher Couleur sahen ländlich geprägte Regionalkulturen als geeignete Quellen für die Entwicklung einer amerikanischen Kunst an, durch die die „Säure der Moderne“ (acids of modernity) neutralisiert, der krasse Individualismus (rugged individualism) überwunden sowie ein Gegengewicht zur urbanen Massenkultur hergestellt werden könne. William J. Shultz erläuterte 1922 in The Nation seine Ansicht darüber am Beispiel der europäischen Musik. So hätten sich die europäischen Komponisten im 19. Jahrhundert ebenfalls von der Volksmusik inspirieren lassen. Seither sei es in der Musik zu beträchtlichen Divergenzen zwischen den einzelnen Nationen gekommen. Die USA hätten auf Grund ihrer kurzen Geschichte indessen bisher noch nicht die Möglichkeit gehabt, eine vergleichbare eigene Musikkultur zu schaffen. Dieser Zustand werde sich erst ändern, wenn die amerikanischen Konservatorien auf ihr eigenes Volk schauten, anstatt über den Ozean nach Europa zu blicken und dort nach Modellen zu suchen. Dann werde sich sehr schnell eine wahre amerikanische Musik herausbilden.229 „Auf ihr eigenes Volk“ zu schauen, das war tatsächlich die Intention, die die Regionalisten zu diversen Suchaktionen und künstlerischen Aktivitäten animierte. In diesem Zusammenhang ist als erstes auf die Pageant-Theaterbewegung zu verweisen, die sich auf Historienspiele konzentrierte. Sie entstand um 1910 als Ausdruck einer wachsenden Unzufriedenheit mit der New Yorker Dominanz auf dem Gebiet des amerikanischen Theaters und der europäischen Suprematie im Bereich der Dramen. Ihre Protagonisten schauten deshalb gezielt auf die „Provinz“ und wollten sich von dort her inspirieren lassen.230 Lokale Ereignisse und Heldengeschichten wurden in Form von Episoden mit passender Musik und Chören sowie Tänzen verarbeitet, wodurch eine volksnahe, demokratische Kunst zum Ausdruck kommen sollte. Die Vorführungen bezeichnete selbst der transnational eingestellte Randolph Bourne als über229 „[W]hen our conservatories can look to their own people, instead of across the ocean, for models: then, perhaps, will a music truly American arise without prompting.“ William J. Shultz, „Music. ‚Made in America‘“, in: The Nation (Dezember 1922), 645–646. 230 Alexander, Here the Country, 66.

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zeugendes Beispiel einer neuen sozialen Kunst in der amerikanischen Welt (something genuinely and exitingly new).231 Die Pageant-Theaterbewegung konnte auch bei anderen Literaturkritikern, wie etwa Van Wyck Brooks und William Carlos Williams, reüssieren, da auch sie annahmen, dass sich die Kunst eines Landes aus ihrer Geschichte und ihren Relikten entwickeln könne.232 Eine weitere wichtige Kunstressource wurde, wie schon ausgeführt, den Spirituals sowie dem indianischen Erbe zugeschrieben.233 Wer aber auf „einheimische“ weiße Kunstressourcen Wert legte, landete früher oder später bei der Siedler-Kultur. „We Americans, so-called, are no more black Africans than we are red Indians; and it is absurd to imagine, that the negro idiot could ever give adequate expression to the soul of our race […] it must be based upon Anglo-American folk-song“, meinte der aus Virginia stammende Komponist und Pianist John Powell, als er über die Frage nachdachte, wie national-amerikanische Musik entstehen könnte.234 Während Harold E. Stearns die Auffassung vertrat, dass sich die weißen Pioniere weder die kulturellen Hinterlassenschaften der Ureinwohner angeeignet noch selbst eine Volkskultur geschaffen hätten235, bestanden die Regionalisten, etwa der „WesternHistoriker“ Bernard DeVoto, darauf, dass die Pioniere durchaus als ein Volk (folk) mit eigenständigen kulturellen Praktiken anzusehen seien. Dabei trat die Frage auf, inwieweit die Siedlerkultur überhaupt als amerikanisch gelten könne. So vertrat der Folklorist Alexander Haggerty Krappe die Ansicht, dass die Siedlerkultur gar nicht amerikanisch, sondern europäisch geprägt gewesen sei, während der Kulturanthropologe Benjamin A. Botkin und seine Fachkollegin Constance Rourke diese Einschätzung verwarfen. In besonders intensiver Weise engagierte sich Rourke, die sich 1908/09 in Europa mit europäischen Volkserzählungen beschäftigt hatte, nach dem Ersten Weltkrieg für die Entdeckung und Würdigung der amerikanischen Siedler-Kultur.236 Sie vertrat die Turner’sche Auffassung, wonach die Siedlerkultur zwar ursprünglich europäisch gewesen sei, sich dann aber während des Siedlungsprozesses transformiert habe. Deshalb handle es sich durchaus um eine kulturelle Neuschöpfung237, die als amerikanisch zu bezeichnen sei. Die in den zwanziger Jahren zur Blüte gelangte Wiederentdeckung der Regionalkulturen führte schließlich gegen Ende der Dekade sowie in den dreißiger Jahren zu entsprechenden Malereien, etwa die von Thomas Hart 231 232 233 234 235

Zit. n. Alexander, Here the Country, 64. Vgl. Kammen, Mystic Chords, 306. Dazu siehe Kapitel 4.6. Zit. n. Schmidt-Beste, Was ist „amerikanische“ Musik?, 184. Dorman, Revolt, 85. Ähnlich dachten Waldo Frank, Vernon L. Parrington und Lewis Mumford. Ebd. 84. 236 Ebd., 90 f.; Kammen, Mystic Chords, 426. 237 Dorman, Revolt, 92; Alexander, Here the Country, 214.

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Benton aus Missouri, Charles Burchfield aus Ohio, Steuart Curry aus Kansas und Grant Wood aus Iowa. Diese Maler verehrten zwar die alten europäischen Meisterwerke, doch als kulturelle Nationalisten glaubten sie, dass allein ihre Werke und nicht die der amerikanischen Modernisten „originär amerikanisch“ und „anti-europäisch“ seien, also die wahre amerikanische Kunst ausdrückten und so „eine kulturelle amerikanische Identität“ beförderten.238 Benton, der schließlich zu einem der markantesten Vertreter des künstlerischen Regionalismus und der Suchbewegung nach den angeblich wahren amerikanischen Künsten werden sollte, wollte von Anfang an Nationalpatriotismus und regionale Populärkunst in Form großer Wandgemälde zusammenführen. Entsprechende Vorbilder seien im amerikanischen bodenständigen (vernacular) Regionalismus zu entdecken, da dieser von der angeblichen europäischen Dekadenz unberührt geblieben sei.239 Wer die regionsbezogenen Suchbewegungen insgesamt betrachtet, sieht, dass die mit ihnen verbundenen Praktiken zu einem dezentralen Kulturnationalismus beitragen sollten. Hierbei erhielten volkskulturelle Relikte der Westund Südgebiete des Landes größeres Gewicht als ehedem. Die künstlerischen Ausdrucksformen wurden ihrerseits meist als genuin-amerikanisch gedeutet, was, zumindest indirekt, dem Abtrennungsprozess von Europa zugute kommen sollte. Im Unterschied zur Regionalkultur konnten die Massenkünste weniger Interesse bei jenen erregen, die amerikanisch-genuine Kunst produzieren wollten. Die Frage, wie die Massenkünste einzuschätzen seien, berührte indirekt auch das Verhältnis zu Europa, insofern viele amerikanische Publizisten die Künste noch immer nach europäisch-konventioneller Art hierarchisierten. Sie sahen in den Massenkünsten keine Kunstpotenziale und erst recht kein Wahrzeichen amerikanischer Kunst und Kultur. Dementsprechend setzten sich die meisten Qualitätsmagazine vor dem Ersten Weltkrieg relativ wenig mit den Massenkünsten auseinander.240 Die größte Kritik kam von konservativer Seite und von den Anhängern der Genteel-Kultur. Die Massenkünste würden die soziale Ordnung gefährden und nichts zur Hebung des künstlerischen Geschmacks beitragen. Folglich vermieden auch die eher konservativ eingestellten Redaktionen der Zeitschriften The Atlantic Monthly und North 238 Hierzu und zum Folgenden vgl. Finzsch, Die Maler. Ungeachtet des jeweils eigenen Profils wurden Präzisionisten, Regionalisten und Social Realists mit dem Sammelbegriff American Scene-Maler versehen. Sie lehnten die abstrakte Malerei ab, beschäftigten sich mit amerikanischen Szenerien und betrachteten ihre jeweilige Kunstrichtung als typisch amerikanisch. 239 Tashjian, The Artlessness, 171–173; Waechter, Die Erfindung, 361; Klose, Dogmen, 358– 360. Die Regionalisten unter den Malern, die vor allem in den dreißiger Jahren bekannt wurden, wollten Moderne und Tradition miteinander versöhnen, wobei die Elemente der Moderne dem sozialistischen Realismus entlehnt waren. Zelinsky, Nation, 164. 240 Gorman, Left Intellectuals, 71; Alexander, Here the Country, 144.

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America Review Artikel über Populär- und Massenkünste zu veröffentlichen.241 Doch gab es auch Zeitschriften, die sich den neuen Zeittrends öffneten. Am entschiedensten trat die 1913 gegründete Zeitschrift Vanity Fair für eine Ausweitung des Kunstbegriffs ein. Die ursprünglich kunstelitär eingestellte Zeitschrift war – neben Smart Set – eines der wenigen Magazine der zwanziger Jahre, welche die neue audiovisuelle Massen- und Medienkultur für die akademischen Mittelschichten interessant machte. Ein Wegbereiter für eine Ausweitung des Kunstbegriffs war auch die Zeitschrift Dial. Diese Zeitschrift widmete sich in den zwanziger Jahren insbesondere den populären Künsten. Der Herausgeber von Broom, der expatriate Matthew Josephson, erkannte, dass das, was Amerika an indigener Hochkultur fehlte, durch moderne Populärkultur ausgeglichen werden könne. Er plädierte für eine Annäherung an die „rhythms of the cinema, the music of towers, the architecture of motor cars and shop windows, the magnificent new machines“.242 George Santayana urteilte ähnlich: „It is veneer, rouge, aestheticism, art museums, new theatres, etc., that make America impotent. The good things are football, kindness, and jazz bands.“243 John Dewey entwickelte ebenfalls einen Sinn für die Populärkünste (popular arts), weil er diese als Kommunikationsmedien begriff. Indem er die Bedeutung der Erfahrungsgemeinschaft (community of experience) herausstellte, entfremdete er sich von konventionellen Kunstvorstellungen und interessierte sich mehr für die Populärkünste.244 The arts which today have most vitality for the average person are things he does not take to be art; for instance, the movie, jazzed music, the comic strip […] For when what he knows as art is relegated to the museum and gallery, the unconquerable impulse toward experiences enjoyable in themselves finds such outlet as the daily environment provides.245

Insbesondere waren es Walter Haviland und Gilbert Seldes, die genuine Kunstformen (genuine art forms) nicht nur in den Wolkenkratzern, sondern 241 Dial vertrat vor dem Krieg ebenfalls noch traditionelle Ästhetikformen. 242 Zit. n. Kalaidjian, American Culture, 129 und Pells, Radical Visions, 40. Mit Nachdruck verweist Levine auf die notwendige Unterscheidung zwischen dem Begriff mass culture im Sinne einer auf die Massenverbreitung bezogenen industriell gefertigten Medienproduktion und dem Begriff popular culture, der auf die Akzeptanz und mannigfache Aneignung seitens der Rezipienten abhebt. Levine, The Unpredictable Past, 296. In der Zeitschrift Broom fanden schließlich jene ein Sprachrohr, die in der Maschine ein Kennzeichen nationaler Identität und demokratisierter Schönheit sahen und von daher auch die mit der Maschine einhergehende Massenkultur aufwerten wollten. Alexander, Here the Country, 112. 243 Santayana (1931), zit. n. Tipple, Crisis, 233. 244 Allerdings sah Dewey auch die negativen Folgen der billigen Massenvergnügen; insbesondere monierte er, dass diese die Menschen vom Interesse an politischen Fragen ablenkten. Dewey, Die Öffentlichkeit, 138 f. 245 Dewey, Art, 5 f.

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auch in Filmen und in Vaudeville-Theatern sowie in Slapsticks, Comics, Jazz und modernen Werbebildern entdeckten. Diese würden einem Energie-Kultus (cult of energy) entspringen, der die Vergeistigung (spirituality), welche die europäische Kunst auszeichne, hinter sich lasse.246 Demokratie als Lebensform und Alltagskultur sei, so der bekannte Herausgeber der Zeitschrift Dial, Gilbert Seldes, auch die Grundlage der so genannten Vernicular-Kunst – jener Gebrauchskunst, die sich einerseits den Zeitläuften anpasste, andererseits diese selbst prägte.247 Der amerikanische Humor, der aus Grenzerfahrungen entstanden sei, gehöre ebenfalls zur Vernicular-Kunst. Gemeint waren damit beispielsweise die großen Erzählungen (tall tales) des Westens, oder die alten Minstrel-Schaustücke, wie Constance Rourke 1931 in ihrem Buch The American Humor herausarbeitete. Rourke, beeinflusst von Herder, Turner sowie den Kulturanthropologen Franz Boas und Ruth Benedict248, verwarf die verbreitete Auffassung, dass es auch in den USA eine Dichotomie zwischen highbrow und lowbrow gebe. Sie gebrauchte den Begriff der Populärkünste (popular arts), womit sie sowohl die volkstümliche Kunst (folk art) als auch die kommerzialisierten Künste zusammenfasste. Rourke arbeitete zudem heraus, dass der amerikanische Humor durch unbekümmerte Unehrerbietigkeit „gegenüber gesellschaftlichen Hierarchien“ sowie durch die „stolze Behauptung individueller Unabhängigkeit“ gekennzeichnet sei249 und als Inbegriff einer demokratisch orientierten Kultur zu gelten habe, wie sie für die USA eben typisch sei.250 In den Diskursen über Populär- und Massenkünste fiel der Blick vor allem auf den Film, allerdings nicht so häufig, wie dies der zukunftsweisenden Neuheit dieses Genres entsprochen hätte.251 In dem von Harold E. Stearns 1922 herausgegebenen Essayband America Now fehlte bezeichnenderweise ein Artikel über das neue Massenmedium. Und auch in den folgenden Jahren entwickelten sich wenige Publizisten zu versierten Filmkritikern. Im Raum stand auch hier wiederum die Frage, ob mit der Produktion von Filmen überhaupt 246 Zit. n. Alexander, Here the Country, 112. Auf die zunehmende Wertschätzung der Comics als typisch amerikanische Kunstform kann hier nicht weiter eingegangen werden. Zu den Spirituals siehe auch Kapitel 4.5. 247 Europäische Vorbilder sah Seldes bei Aristophanes, Molière und Rabelais. Seldes, The Seven Liveley Arts; vgl. auch Kouwenhoven, Made in America. Seldes, der aus einer Immigrantenfamilie stammte, unterstützte auch das Turner’sche Frontier-Theorem. 248 Siehe das allerdings erst 1934 veröffentlichte Werk von Benedict, Patterns. Die Autorin verglich zwar die einzelnen Kulturen miteinander, verfasste aber keine Typologie. Sie plädierte dafür, die „primitiven Kulturen“ in ihrer Ganzheit zu betrachten. Vgl. ebd., insb. das Vorwort von Margaret Mead. 249 Nach Fluck, Gibt es eine amerikanische Kultur?, 167. 250 Siehe auch Rourkes Vorwort. Rourke, American Humor. Zu Rourke siehe auch Fluck, Gibt es eine amerikanische Kultur?, 166 f. 251 Vgl. Dalton Trumbo, „Frankenstein in Hollywood“, in: The Forum (März 1932), 142– 146, 143.

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Kunst entstehen könne und ob der Filmproduktion für die Identitätssuche Amerikas eine besondere Bedeutung zukomme. Und wie beim Jazz war die Bewertung des Films ebenfalls umstritten.252 Das Ehepaar Beard kritisierte die Radio- und Filmunterhaltung generell, da diese zumeist uniform und für die Demokratieentwicklung wertlos sei.253 Ähnlich äußerte sich der Chicagoer Stadtsoziologe Robert E. Park. Er betrachtete die neuen Medien als demoralisierende Kräfte, welche die traditionellen Mittel zur sozialen Kontrolle der Bevölkerung unterlaufen würden. Außerdem sah er in der Nutzung der modernen Medien ein Zeichen von Ruhelosigkeit und in der Zeit, die dafür verwendet werde, eine Verschwendung.254 Doch wurden auch Stimmen laut, die die Möglichkeit betonten, mit Filmen eine neue Kunstform zu schaffen. Als Bahnbrecher galt David Griffiths Film The Birth of Nation aus dem Jahre 1915, der – ungeachtet seines reaktionär-rassistischen Inhalts – die neuartigen technischen und künstlerischen Ausdrucks- und Visibilisierungsmöglichkeiten aufzeigte, über die das neue Medium verfügte. Auch Griffiths Way Down East wurde als Kunst (art, artistry und artistic) gekennzeichnet. Ebenso erfuhr Charlie Chaplin selbst bei jenen Publizisten Anerkennung als Künstler, die ansonsten auf den Film als Genre eher herab blickten. Insbesondere ließ sich Gilbert Seldes, der Filmkritiken auch für die Zeitschrift The New Republic schrieb, von der Kunst Chaplins beeindrucken, zumal er in Filmen generell ein großes Kunstpotenzial erkannte.255 „The movies will become an art and will be rated as an art“, proklamierte schließlich der amerikanische Drehbuchschreiber Dalton Trumbo im Jahre 1932.256 Großen Eindruck machten zu dieser Zeit auch schon Eisensteins Filme, etwa auf Alfred H. Barr, Jr., der in ihnen durchaus eine Kunstform sah.257 Bekanntlich stellte die Filmindustrie indessen viele Filme her, die weniger mit Kunst als mit Kommerz zu tun haben wollten. Und solche Filme vermittelten auch keine nationalen Botschaften oder gar Visionen, sondern dienten meist der Affirmation bestehender gesellschaftlicher Verhältnisse.258 Unter den Protagonisten des so genannten künstlerischen Films breiteten sich deshalb mannigfaltige Enttäuschungen über die zahlreichen „Schund“-Filme 252 Vgl. Allen, Only Yesterday, 172 f.; vgl. auch S. L. M. Barlow, „The Movies – An Arraignment“, in: The Forum (Januar 1922), 37–41; B. H. Haggin, „Music. The Pendant looks at Jazz“, in: The Nation (Dezember 1925), 685–688. 253 Klose, Dogmen, 342–344. 254 Czitrom, Media, 118 f. 255 Siehe Seldes, The Seven Lively Arts, 41–56; ders., „‚Art‘ in the Movies“, in: The Nation (Juli 1925), 148. 256 Dalton Trumbo, „Frankenstein in Hollywood“, in: The Forum (März 1932), 142–146, 146. 257 Andreas Stobl, „Die Macht der Präsentation“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung v. 11.12.2007, N 3. 258 Zelinsky, Nation, 169.

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aus, deren Zustandekommen der Profitgier der Produzenten zugeschrieben wurde.259 Die Erbverwalter der Genteel-Tradition zeigten sich erst recht unzufrieden, denn sie wollten vor allem Filme, die für die Erziehung der Bevölkerung einsetzbar waren.260 Zusätzliche Bedenken entstanden, als 1928 die Talkies eingeführt wurden. In Verkennung der weiteren Aufwärtsentwicklung der amerikanischen Filmbranche befürchtete beispielsweise der Filmstudiobesitzer Jack L. Warner, dass nunmehr die weltweite Suprematie amerikanischer Filme verloren gehen werde.261 Hinter solchen Ängsten stand auch die starke Konkurrenz zwischen der amerikanischen und der europäischen Filmwirtschaft. Bekanntlich kam dem amerikanischen Film nicht zuletzt die Funktion zu, die amerikanische Vorherrschaft auf dem europäischen Filmmarkt zu erringen – primär aus kommerziellen Gründen und nicht als Wahrzeichen spezifisch amerikanischer Kunst. Allerdings sollten die Europäer durch die Filme mit der amerikanischen Lebensweise vertraut gemacht werden, wobei auch hier die Frage nach dem künstlerischen Wert zweitrangig war. Während die auf den Film bezogenen Diskurse der zwanziger Jahre, zusammenfassend gesehen, noch einen eher pointilistischen Eindruck machten, verdichteten sich in den dreißiger Jahren die Diskursstränge über die Populär- und Massenkünste beträchtlich, somit auch über den Film. Die diesbezüglichen Debatten gewannen an Konsistenz und Qualität.262 Nunmehr nahmen auch Linksintellektuelle im Rahmen der Popular Front die im Maschinenzeitalter erwachsene Massenkultur ernst, wollten diese entsprechend ihrer politischen Überzeugung formen und ein anderes Amerika entstehen lassen. Nicht nur der Film, sondern auch das Design interessierte im Zusammenhang mit der Frage, was typisch amerikanische Kunst im 20. Jahrhundert sein könnte. Ungeachtet der Einflüsse, die von der britischen Arts and Crafts-Bewegung im späten 19. Jahrhundert auf die amerikanische Designentwicklung ausgingen263, hieß es im Laufe der 1920er Jahre immer häufiger, dass sich in den USA mittlerweile eine eigenständige moderne Ästhetik entwickelt habe, die zunehmend auch das Design von Massenprodukten präge.264 Und wieder stellten sich die gleichen Fragen wie über Jazz und Film, nämlich ob es sich dabei um eine Kunstform handele, was Europa in diesem Bereich zu bieten habe und ob sich die Designästhetik zur Konstruktion amerikanischer Identi259 Auf die Zensur durch Staaten und Kommunen sowie auf die Arbeit der freiwilligen Filmkontrolle samt der 1934 eingerichteten Hays-Kommission (nach William H. Hays) kann hier nicht weiter eingegangen werden. 260 Alexander, Here the Country, 144. 261 Ebd., 145. 262 Vgl. Denning, The Cultural Front, 454–462, 455; Alexander, Here the Country, 86; Saldern, US-amerikanische Medien. 263 Beeinflusst wurde vor allem Gustav Stickley. Orvell, The Real Thing, 158–163. 264 Vgl. Cheney, Art, 88; Paul M. Mazur, „Mass Production and Style“, in: The Review of Reviews (Mai 1928), Kurzform in: The Reader’s Digest (Juni 1928), 97–98.

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tät eigne. Nicht zufällig eröffnete im Jahre 1922 das Metropolitan Museum eine Ausstellung über angewandte Kunst (applied art), um so dem Amerikanismus in der Industriekunst (Americanism in our industrial art) Rechnung zu tragen.265 Hinter ihrer Legitimierung als Gebrauchskunst (art of use) standen bekannte Persönlichkeiten, wie die Architekten Sullivan und Wright. In der Zeitschrift The Forum hieß es diesbezüglich, dass die wahre amerikanische Kunst eine Kunst für die Massen sei, die aus dem industriellen Design hervorgehe und sich darin auch ausdrücke.266 Überdies bediente sich die Werbung des neuen Schönheitskults. So veröffentlichte die Zeitschrift Atlantic Monthly 1927 einen Artikel mit der Überschrift „Beauty the New Business Tool“.267 Amerikanische Designer wollten sich von europäischen Meistern ebenfalls emanzipieren (emancipate himself from European masters).268 In der Zeitschrift The Nation machte Stuart Chase, Autor der Bücher Prosperity und Fact or Myth, auf die Bedeutung dieser Neuerungen für die amerikanische Kultur aufmerksam. „A whole new wage of decoration is breaking out in lavender bathtubs and rose-colored oil heaters […] There is just a chance that America might whirl itself into the most breath-taking civilization which history has yet to record.“269 Tatsächlich wurden insbesondere Küchen und Badezimmer oftmals nicht nur mit neuen Installationen, sondern auch mit einem neuartigen Dekor versehen.270 Allerdings wollte das Gros der Möbeldesigner von der funktionalistischen Bauhaus-Moderne nichts wissen.271 Lieber orientierte es sich am meist eklektizistischen Geschmack seiner Kunden.272 Eine besonders attraktive Mischung zwischen Neuem und vertraut Altem gelang schließlich, als seit der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre Raymond Loewy gestalterischen Einfluss auf die Designentwicklung gewann. „Häßlichkeit verkauft sich schlecht“, meinte der Vater der überaus erfolgreichen Stromlinienform, die ihrerseits Fortschrittsglauben und Zuversicht symbolisierte.273 Dieses Design sei, so Frederick P. Keppel 1933, aus der nationalen Vertrautheit mit mechanischen Künsten entwickelt worden274 und habe den 265 Richard F. Bach vom Metropolitan Museum, zit. n. Orvell, The Real Thing, 181. 266 Nach Alexander, Here the Country, 115. 267 Autor war Ernest Elmo Calkins, der der modernen Kunst zuneigte. Zit. n. Ewen, All Consuming Images, 45. 268 Nach Orvell, The Real Thing, 181. 269 Stuart Chase, „Prosperity – Believe It or Not“, in: The Nation (Januar 1930), Kurzform in: The Reader’s Digest (März 1930), 1018–1020, 1020. 270 Dazu Keppel, The Arts, 981 f. 271 Vgl. die vernichtende Kritik über den amerikanischen Geschmack von Lewis Mumford, „American Taste“, in: Harper’s Magazine (Oktober 1927), 569–577, insb. 569; Baxandall/Ewen, Picture Windows, 20. Verständnis für die übliche Geschmacksausrichtung findet man bei Gowans, The Comfortable House. 272 Saldern, Social Rationalization. 273 Albrecht, Triumph, Titelblatt. 274 Keppel, The Arts, 966.

Zusammenfassung

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bis dahin vielfach anzutreffenden (europäisierten) Art Deco-Stil in den USA abzulösen vermocht.275 Auch hier ging es demnach nicht zuletzt um die Emanzipation von europäischer Ästhetik und um die Entwicklung eines genuin amerikanischen Produktdesigns.276 Im Jahr 1932 wurde die amerikanische Produktästhetik quasi „geadelt“, indem das symbolreiche Museum of Modern Art ein eigenes Department of Industrial Design einrichtete. So habe Amerika einen eigenen nationalen Stil geschaffen, meinte der amerikanische Dichter Harvey Mayland Watts. Dieser entdeckte die Schönheit des amerikanischen Designs u. a. in der standardisierten Massenproduktion (beauty has triumphed) verglaster Veranden (glass-in-porch) der Vorortshäuser, die bei Weitem nicht alle gleich seien, sondern sich bei näherer Betrachtung dann doch zumindest in kleinen Details unterschieden.277 Wieder fiel ein kritischer Blick auf jene Amerikaner, für die noch immer ein idealisiertes Europa als Vorbild diente. „It is always elsewhere that one finds perfection, and generally they claim to have found it in their idealized Europe.“278 Europa blieb offensichtlich auf diesem Gebiet als Vergleichsfolie präsent, und vielfältige Anregungen kamen nach wie vor vom Alten Kontinent.279 Doch war das wachsende Selbstbewusstsein über eigene Leistungen unüberhörbar. ZUSAMMENFASSUNG Deutlich wurde in den vorstehenden Ausführungen das Spannungsfeld zwischen der Akzeptanz der europäischen Hegemonie auf den Gebieten der (klassischen) Hohen Künste einerseits und der Suche nach einer genuin nationalen amerikanischen Kunst andererseits – einer Kunst, die auf eigenen Traditionen und eigenständigen Ausdrucksformen beruhen sollte und gleichzeitig der europäischen Moderne Paroli bieten konnte. Die anglophilen Anhänger der Genteel-Tradition und des New Humanism waren nicht mehr stark genug, den amerikanischen Kunstgeschmack weiterhin zu europäisieren und dabei die klassische Kunst Europas auch für die Zukunft Amerikas als Leitbild hinzu-

275 Die Stromlinienform sollte das bundesdeutsche Design besonders in den fünfziger Jahren beeinflussen. Sturm, Die zweite Entdeckung, 149. 276 Auch diesbezüglich gab es allerdings europäische Vorläufer. Als ein solcher gilt der 1921 fertig gestellte Einsteinturm in Potsdam von Erich Mendelsohn. 277 Harvey Maitland Watts, „Beauty in America“, in: The Forum (Januar 1928), 113–119, 118. 278 Ebd., Zitat 115. 279 Trommler, Reformkultur, 33. So konnten 1928 im Rahmen der internationalen New Yorker Keramik-Ausstellung sowie in den Räumen des großen Warenhauses Macy deutsche (und nicht mehr französische) Kunstgewerbe-Produkte gezeigt werden. Düwell, Deutschlands auswärtige Kulturpolitik, 184 f. Zu den Ausstellungen moderner Einrichtungen in Warenhäusern und Filmen siehe Wilson, The Modern Eye, 75–90.

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stellen.280 Aus dem Gefühl der Unterlegenheit und Unsicherheit281 gegenüber Europa, besonders gegenüber der französischen Malerei, griff ein kultureller Nationalismus um sich, der allerdings recht unterschiedliche Formen annahm und deren Vertreter diverse Wege gingen. Die europäische Avantgarde erleichterte in gewisser Weise den Loslösungsprozess von Europa, denn ein Teil der amerikanischen Kulturnationalisten konnten mit dieser nicht viel anfangen, nicht zuletzt deshalb, weil sie als fremde, ausländische Kunstrichtung galt.282 Eine gemeinsame „Kunst des Westens“ (Western Art) als Konstrukt einer euro-amerikanischen Kunst nach dem Vorbild des Western Civ-Konzepts war damals ein allenfalls gelegentlich und beiläufig formulierter Gedanke, bestimmte also keineswegs den Mainstream der Kunst-Diskurse jener Zeit. Und selbst diejenigen, die sich – wie Stieglitz – einer internationalen Avantgarde verpflichtet fühlten, wollten einer amerikanischen Kunst durchaus zu einer eigenen Blüte verhelfen. Während europäische Konservative immer wieder Ängste äußerten, dass Amerika sie auf allen Gebieten amerikanisieren und darunter auch die europäische Kunst und Kultur leiden werde, hatten die kulturellen Nationalisten in den USA, umgekehrt, ähnliche Gefühle, insofern sie fürchteten, dass die Europäer sie im Bereich der Kunst weiterhin europäisieren wollten. Die mit solchen Ängsten verbundene Abwehr der jeweiligen Einflüsse beruhte aus heutiger Sicht auf der Annahme eher eindimensionaler Adaptionsprozesse. Diese negierte die tatsächlich viel komplexeren Aneignungen transatlantischer Einflüsse, gerade auf dem Gebiet der Künste.283 Außerdem führte sie zu einer permanenten Rede über sich selbst, und eine solche Selbstreferentialität kann ihrerseits als typisch für Ausdrucksformen postkolonialer Befindlichkeiten gelten.284 Zahlreiche Künstler, Kritiker und Intellektuelle verfolgten zwar das gemeinsame Ziel einer amerikanischen, nationalen Kunst, aber wie dieses Ziel am besten zu erreichen sei, darin unterschieden sie sich beträchtlich. Die einen setzten auf eine (gemäßigte) Moderne, andere suchten nach kunstfördernden Ressourcen in den Regionalkulturen, aus denen ebenfalls US-spezifische Kunstformen entstehen sollten. Während der kunstbezogene Regionalismus in den Diskursen breit verankert war, führten die Massenkünste eher ein Schattendasein. Zwar öffneten sich durchaus Publizisten gegenüber dem Gedanken, dass diese, vor allem 280 281 282 283

Molnar, The Emerging Atlantic Culture, 21 f. So Forbes Watson 1924, in: Petruck, American Art Criticism, 161. Saab, For the Millions, 90. Dichter wie William Carlos Williams und Wallace Stevens sowie zahlreiche amerikanische Romanschriftsteller, Musiker und Maler fühlten sich beispielsweise der Moderne gegenüber verpflichtet ohne deshalb ausschließlich nach Europa blicken zu wollen. Bradbury, The Nonhomemade World, 27, 33. 284 Ashcroft u. a., The Empire, 138.

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Filme, künstlerische Potenziale in sich tragen würden, doch bestanden in den zwanziger Jahren diesbezüglich auch noch vielfache Vorbehalte. Nach wie vor blieb in weiten Kreisen die Unterscheidung zwischen highbrow und lowbrow bestehen: Denn, wie der Theater- und Kunstkritiker Sheldon Cheney, der durchaus positiv zur modernen Kunst stand, noch im Jahre 1938 meinte, „ ‚[A]rt in civilization‘ implies advance rather in the fields of the pure or expressional arts“.285 Doch von solchen Stimmen abgesehen, waren es gerade die dreißiger Jahre, in der einschneidende Bewertungsumbrüche erfolgen sollten.286 Die viel diskutierten Fragen, ob für die Entwicklung von Jazz der Beitrag von African Americans oder der von weißen Amerikanern oder der von Europäern größer war und ob Jazz eine genuin amerikanische Kunst darstellte, die unabhängig von europäischen Einflüssen entstanden sei, führten mitten ins Diskurszentrum nationaler Identitätssuche. Hier kreuzten sich die Diskursstränge über US-amerikanische Identitätssuche mit jenen über Rasse, über Kunst und schließlich auch mit jenen über die Differenzkultur gegenüber Europa. Bei all den Diskussionen über amerikanische Kunst spielten die Qualitätsmagazine eine bedeutsame Rolle. Trotz aller selbst eingestandenen Defizite sowie fortbestehender Anfeindungen hat die Kulturkritik und das publizistische Interesse an der Kunstentwicklung im frühen 20. Jahrhundert eine Blütezeit erlebt, zu der die Magazine wesentlich beigetragen haben. Diese bereiteten den Boden, auf dem dann seit den dreißiger Jahren sowohl eine Moderne in Amerika als auch eine amerikanische Moderne größere Anerkennung in der Öffentlichkeit erfuhren.287 Auffallend an den vielen Artikeln über die amerikanischen Kunstpotenziale ist, dass diese nicht nur in den speziell kunstorientierten little magazines veröffentlicht wurden, sondern auch in Zeitschriften, die sich einem breiten Themenspektrum widmeten. Die Zeitschriften veröffentlichten unterschiedliche Positionen. So entpuppten sich einige Autoren der Zeitschrift The New Republic als Avantgardisten, andere galten eher als konventionell. Insgesamt beteiligten sich zahlreiche Schriftsteller und Künstler an den Diskursen, verfassten Bestandsaufnahmen, prognostizierten die Zukunft und vermittelten ihrem Lesepublikum, wie wichtig eine genuin amerikanische Kunst für die nationale Identität und das Ansehen diesseits und jenseits des Atlantiks sei. Daraus ist zu schließen, dass der kulturelle Nationalismus einen zentralen Diskursgegenstand darstellte, der weit über politische Grenzziehungen hinausreichte. So zerstritten und unsicher sich viele Autoren bei der Frage zeigten, wie eine genuin amerikanische Kunst erreicht werden könne und was darunter zu verstehen sei, so einig war man 285 Cheney, Art, 89. 286 Dazu vor allem Denning, Cultural Front. 287 Vgl. Bender, New York, 321–324.

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6 Kultureller Nationalismus

sich – mit Ausnahme radikal-anglophiler Anhänger der Genteel-Kultur –, dass die Erreichung eines solchen Zieles wünschenswert sei. Dieser Sachverhalt bestätigt die Virulenz postkolonialer Schleifspuren im frühen 20. Jahrhundert und damit jene Forschungsergebnisse, die einige Literaturhistoriker in ihren Analysen literarischer Texte bereits herausgearbeitet haben.288 Die verstärkte Suche nach genuin amerikanischer Kunst und Kultur und der Wunsch nach diesbezüglicher Abkoppelung von Europa in den zwanziger und auch noch in den dreißiger Jahren trug im Grunde anachronistische Züge. Eine solche Suche erfolgte historisch verspätet, denn als ein Wesenszug der Nachkriegsmoderne in Kunst und Kultur galt ja gerade ihre Internationalität. Als situationsadäquater und letztlich chancenreicher erwies sich deshalb Randolph Bournes Konzept eines kosmopolitischen Nationalismus, der auf den Prinzipien kultureller Pluralität beruhte. Wegweisend war auch dessen positive Bewertung der (europäischen) Immigrantenkulturen für die Weiterentwicklung neuer Kunstformen in den USA.289 Insgesamt bleibt der Eindruck haften, dass die Suche nach genuin amerikanischer Kunst von der Vorstellung ausging, dass es eine solche überhaupt geben könne und dass dies auch wünschenswert sei.290 Allerdings waren andere Länder ebenso wenig frei von solchen nationalen Vereinnahmungen. So galt der deutsche Expressionismus bis 1933 bekanntlich häufig als eine moderne, gleichwohl national-deutsche Kunstrichtung.291 Schließlich bleibt die Frage offen, wie der in den zwanziger Jahren stark ausgeprägte kulturelle Nationalismus, der spätestens nach 1945 verblasste292, erklärt werden kann. Der Soziologe William Ogburn führte 1922 in seinem Buch Social Change den „cultural lag“ auf die zeitliche Diskrepanz zurück, die zwischen der Entwicklung von Wissenschaft, Technik und Industrie einerseits und den Sitten und Normen sowie mentalen Gewohnheiten andererseits bestanden habe.293 Wer sich mit dieser in mancher Hinsicht durchaus stichhaltigen Erklärung nicht begnügt, kann wiederum in postkolonialen Ansätzen fündig werden. Viel spricht nämlich dafür, im kulturellen Nationalismus ein postkoloniales Trauma zu sehen, das dazu führte, die Loslösung von Europa in besonders starkem Maße voranzutreiben, um nach avisierter Erreichung 288 Siehe vor allem Ickstadt, The (Re)Construction (2000) und Zacharasiewicz, Atlantic Double-Cross (2000). 289 Immigranten spielten tatsächlich auch bei der Entstehung einer linksgerichteten Cultural Front der 1930er Jahre eine große Rolle. Denning, The Cultural Front. 290 Vielfach negierten kulturelle Nationalisten in ihren Diskussionen die Einsicht, dass es gar keine national eingegrenzten Kulturen und Künste geben kann und sollte. 291 Cheney, Art, 96. Das verunsicherte die Nationalsozialisten nach 1933 vorübergehend. Schließlich entschieden sie sich doch, den Expressionismus als „entartet“ zu deuten. 292 Alexander, Here the Country, 242. Die seitherige Transnationalisierung der Kunst darf freilich nicht darüber hinwegtäuschen, dass Kunstproduktionen und Kunstbewertungen nach wie vor auch nationalen Einflüssen ausgesetzt sind. 293 Nach Pells, Radical Visions, 24 f.

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eigener Kunstgröße dem Alten Kontinent zumindest auf Augenhöhe begegnen zu können. Sicherlich war es auch kein Zufall, dass der Kulturnationalismus mit dem Aufstieg der USA auf (welt-)politischem und ökonomisch-technologischem Gebiet verknüpft wurde. Dadurch eröffneten sich nämlich Gestaltungsperspektiven, die weit über Europa hinausgingen und globale Dimensionen erlangten, wie Brooks schon 1917 als missionarischen Auftrag Amerikas formulierte. Nur wenn sich in den USA eine „nationale Kultur“ in Form gemeinschaftlichen Denkens und Handelns entwickele, sei es möglich, so Brooks, dass die USA in Zukunft fähig sein würden, erfolgreich im globalen Maßstab zu agieren (to give something to the rest of the world that is better than what the rest of the world at present calls „Americanism“).294 Zwar verstummte die Kritik an der gegenüber Europa wenig selbstbewussten Mentalität bestimmter Künstler und Schriftsteller auch in den dreißiger Jahren nicht ganz295, doch erhielt seit dem Ende der zwanziger Jahre in der Öffentlichkeit die Auffasung ein stärkeres Gewicht, dass die Nation bereits eine neue Zivilisation auf den Weg gebracht habe. „An era had ended […] An old order was giving place to new“, wie sich Frederick Lewis Allen ausdrückte.296 In den dreißiger Jahren wurden die Einstellungen zu Kunst und Kultur in der gehobenen Publizistik zudem merklich pluralistischer und pragmatischer. Die künstlerische Produktion gewann an öffentlicher Attraktivität und wurde mit öffentlichen Mitteln gefördert. Zahlreiche expatriates kehrten in die USA zurück und bereicherten zielgerichtet die Kunstszene.297 Die Selbsteinschätzungen künstlerischer Leistungen fielen positiver als früher aus. Stellvertretend für viele andere sei auf James Truslow Adams verwiesen, der zwar 1932 noch immer meinte, kein amerikanischer Künstler würde dauerhaften Weltruhm erlangen, gleichzeitig aber konstatierte: „In literature and drama, to-day, there is no work being done better anywhere than in the United States.“298

294 Van Wyck Brooks, Toward a National Culture, zit. n. Kammen, Mystic Chords, 418; weitere Stellungnahmen dazu, so von Ezra Pound, siehe ebd., 419. 295 Nach Susman, Culture, 186. 296 Zit. n. Alexander, Nationalism, 1. 297 Gilbert Seldes, nach Strout, The American Image, 197. Der deutsche Militäranalytiker Alfred Vagts konstatierte ebenfalls noch 1935 in seinem Kapitel über „Konkurrenz und Harmonisierungsversuche“, dass die „kulturelle Emanzipation Amerikas vom Mutterland […] eine der am spätesten durchgeführten Unabhängigkeitsakte“ sei. Vagts, Deutschland, Bd. 2, 2008. 298 Adams, The Epic, 403.

7 AMERIKANISIERUNG DER GLOBALPOLITIK. POSTULATE, PROJEKTE UND PROGNOSEN „[T]he intellectuals of all nations are trying to peer into the coming day, to discover whether the curve of contemporary civilization now rises majestically toward a distant zenith or in reality has already begun to sink toward a nadir near at hand“. So charakterisierte der Historiker Charles A. Beard 1928 im Harper’s Magazine die damalige globale Umbruchsituation.1 In den 1920er Jahren wuchs das Interesse der liberalen Intellektuellen an der Außenpolitik in Gegenwart und Zukunft, wie auch aus dem obigen Zitat von Beard hervorgeht. Das darf nicht weiter verwundern, da der Wunsch nach nationaler Größe in den meisten Fällen transnationale Horizonte einbezieht. So auch damals in den USA. Nicht zufällig beschäftigten sich um 1926 rund zwölfhundert US-amerikanische Organisationen vorrangig mit internationalen Fragen.2 Das Interesse der akademischen Öffentlichkeit an der Darstellung umfassender Zusammenhänge zog immense Verkaufserfolge diverser Groß-Erzählungen nach sich.3 Mentale Erschütterungen durch den Ersten Weltkrieg führten dazu, über die Stärken und Schwächen der eigenen Nation nachzudenken und frühere Selbstverständlichkeiten in Frage zu stellen. Die Amerikaner hätten ihren provinziellen Status (provincials) endgültig hinter sich gelassen und seien nun Bürger der Welt (citizens of the world) geworden, verkündete Präsident Wilson in seiner Inauguraladresse vom 5. März 1917.4 Wie zu erwarten, differierten indessen die Vorstellungen über die neue Rolle der USA in der Welt beträchtlich. Beleuchtet wird im Folgenden, wie die stark veränderte Globalkonstellation und Amerikas Suprematie die Diskussionskultur beeinflussten und zu Äußerungen allerlei weltpolitischer Ansichten, Interpretationen, Spekulationen, Glaubenssätzen, Hoffnungen, Postulaten, Ratschlägen und Prognosen führten, die nicht selten idealistischen und visionären Charakter annahmen.5 Das Kapitel besteht aus vier Teilen. Es beginnt mit der Diskussion über den expansionistischen Aufbruch der USA um die Jahrhundertwende und den 1 2 3

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Charles A. Beard, „Is Western Civilization in Peril“, in: Harper’s Magazine (August 1928), 265–273, 265. Osgood, Ideals, 309. Zu nennen sind das Buch von H. G. Wells, Outline of History (1919), ferner das Buch von Hendrik Willem Van Loon, The Story of Mankind (1921) und das Buch von James Harvey Robinson The Mind in the Making (1921) sowie die schon erwähnten Bücher von James Truslow Adams und Van Wyck Brooks. Zit. n. Boorstin, America, 21. Vgl. dazu Gienow-Hecht, Introduction, 6; Iriye, Culture, 215.

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7 Amerikanisierung der Globalpolitik. Postulate, Projekte und Prognosen

Diskussionen über amerikanisches Weltmachthandeln nach 1918. Im zweiten Teil stehen diverse europabezogene Projekte im Fokus. Im dritten Teil werden globale US-Ordnungsperspektiven erörtert, während der vierte Teil sich speziell der Konstruktion des fremd erscheinenden „Ostens“ samt den damit verbundenen Folgen für das Bild vom „Westen“ zuwendet.

7.1 EXPANSIONISMUS UND WELTMACHTHANDELN Gewiss, der Spanisch-Amerikanische Krieg von 1898 und der neue Offensivcharakter in der Lateinamerikapolitik konnten zunächst noch der MonroeDoktrin von 1823 inkorporiert werden, nachdem diese dementsprechend erweitert und Kuba zum Vorhof der USA erklärt (Corollary of the Monroe Doctrine) worden war. Doch die Besetzung der Philippinen, die schließlich nach der Unterdrückung ihrer Bewohner den Status einer Kolonie erhielten und dementsprechend auch von Croly als American colony bezeichnet wurde6, passte nicht mehr zu dieser politischen Maxime und machte sie ein Stück weit überflüssig. Die Amerikanisierung der Philippinen hatte überdies Auswirkungen auf die geografischen mental maps vieler Amerikaner, insbesondere im Westen der USA. Denn der Pazifik wurde nun ein Stück weit amerikanisiert (American Pacific), und die geografische Ferne des Ostens verminderte sich durch den neuen Stützpunkt. Der Pazifik wurde zudem nicht mehr nur als Grenze, sondern auch als (kulturelle und politische) Brücke zwischen den USA und den diversen Regionen in Asien und im Pazifik wahrgenommen.7 Dabei kristallisierte sich allerdings auch das neue geostrategische Interesse einer aufwärtsstrebenden Weltmacht samt ihrer industriell voll entwickelten Wirtschaft heraus. Denn mit der „Notrifizierung“ des Pazifiks verbanden sich Ansprüche der heimischen Wirtschaft auf verbesserte Exportsteigerung und Rohstoffsicherung sowie gestiegene Erwartungen auf gute Chancen für Auslandsinvestitionen und einen Ausgleich für konjunkturelle Überproduktionskrisen im eigenen Land. Neue Legitimationsstrategien für die Wende in der amerikanischen Außenpolitik bündelten sich in den Schlagworten New Nationalism und New Patriotism, womit eine national-offensive Politik nach innen und nach außen gemeint war. Frederick Jackson Turner, der die amerikanische Expansionspolitik verteidigte, verband diese dementsprechend mit der früher erfolgten Eroberung des amerikanischen Westens und interpretierte den neuen Expansionswillen der USA schließlich generell als einen Wesenszug der amerikanischen Nation. „For nearly three centuries the dominant fact in American life 6 7

So Croly, The Promise, 309. Eperjesi, The Imperialist Imaginary Visions, 16.

7.1 Expansionismus und Weltmachthandeln

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has been expansion […] and the demands for a vigorous foreign policy […] and for extension of American influence to outlying islands and adjoining countries, are indications that the movement will continue.“8 Einer der Hauptakteure des alt-neuen Expansionismus war bekanntlich der spätere Präsident Theodore Roosevelt (1901–1908). Nach seinen Vorstellungen sollte der Krieg gegen Spanien zum Anlass genommen werden, eine expansive Außenpolitik einzuleiten. Die Befürworter einer Unterdrückungspolitik gegenüber den Filipinos legitimierten ein solches Handeln mit ihrem sozialdarwinistisch-rassistisch geprägten Glauben, wonach es sich bei diesen um ein minderwertiges Volk (inferior people) handle. Den Amerikanern falle deshalb die Aufgabe zu, die wilde Anarchie auf den Philippinen (savage anarchy) zu eliminieren9 und im Namen allgemeiner Humanität (name of common humanity) den Auftrag, der sich aus dem Glauben an das Manifest Destiny ergebe, geografisch auszuweiten.10 Die Gegner der expansionistischen US-Politik11 hatten bei so vielen variations- und imaginationsreichen Rechtfertigungsbeiträgen einen schweren Stand. Doch es gab sie, die Bedenkenträger. Vielfach gehörten sie sogar zur alten Ostküstenelite, entstammten damit der gleichen Schicht wie die mit der Finanzwelt verbundenen Expansionisten.12 Die oppositionellen Neuengländer fürchteten nicht zuletzt, dass durch den Expansionismus die innere Ordnung und Moral des Landes, die Machtverhältnisse und die alten amerikanischen Glaubenssätze zerstört werden könnten.13 Der allerdings nicht an der Ostküste, sondern in Tennessee geborene Politikwissenschaftler John W. Burgess unterstützte zwar den amerikanischen Suprematie-Anspruch an sich, wandte sich aber gegen die Kolonisierung der Philippinen, weil er kein minderwertiges Volk (inferior people) in das amerikanische System integriert sehen wollte.14 Mit Vorbehalt und Kritik reagierte auch der in New York geborene Philosoph William James, als er von der Niederschlagung des Aufstands der Filipinos im Jahre 1899 hörte. Pulitzers New York World opponierte ebenfalls gegen die amerikanische Annexion der Philippinen.15 Mit Blick auf das alte Rom fürch8

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Zit. n. Rosenberg, Spreading the American Dream, 14. Zu den Expansionisten zählten u. a. Andrew Carnegie, der Sozialdarwinist William Graham Sumner (Professor an der Yale Universität) sowie Mark Twain, William James und der Schriftsteller William Dean Howells. Strout, The American Image, 146. Vgl. die kritische Studie von Jacobson, Barbarian Virtues; Slotkin, Gunfighter Nation, 80. Hansen, The Lost Promise, 13–25. Während Republikaner in der Regel von Expansion sprachen, verwendeten Demokraten häufig den Imperialismus-Begriff. Näheres siehe Lammersdorf, Moral, 21 f.; Bender, A Nation, 224. Zu den Gegnern des Krieges gegen die Filipinos gehörten auch Vertreter des Mainline Protestantism, die eine solche Politik als unamerikanisch und unchristlich bewerteten. Preston, Sword, 220, 222. Solomon, Ancestors, 119 f.; Fiebig-von Hase, Zukunftsvorstellungen, 167. Nach Rosenberg, Spreading the American Dream, 45. Emery/Emery, The Press, 250.

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7 Amerikanisierung der Globalpolitik. Postulate, Projekte und Prognosen

teten Anti-Expansionisten generell den zukünftigen Niedergang Amerikas, da ein Empire das Mutterland leicht überfordere.16 Zwar war die Front der Expansions-Gegner beträchtlich groß, doch blieben diese gleichwohl in der Minderheit. Ihre soziale und politische Heterogenität schwächte ihre Wirkkraft, selbst in der liberalen Publizistik. Ihre Kritik wurde auch dadurch erschwert, dass das Selbstbild moralischer Überlegenheit der USA nicht angegriffen werden durfte, auch nicht, nachdem die Militärs auf den Philippinen als brutale Unterdrücker aufgetreten waren. Der Glaube an die moralische Überlegenheit der amerikanischen Nation erwies sich als ein unantastbares Kernelement nationaler Selbstgewissheit in einer sich rapide verändernden Welt. Unterdrückung konnte deshalb lediglich in Form einer korrigierbaren Verfehlung einzelner Personen oder Gruppen dargestellt werden. Eine Massenbewegung gegen den Krieg auf den Philippinen war nicht in Sicht.17 In den zwanziger Jahren verschob sich der diskursive Fokus von der Kolonisierung der Philippinen hin zur Einschätzung des gesamten US-Weltmachthandelns. Die Befürworter amerikanischer Expansion bezogen sich hauptsächlich auf die alten nationalen Selbstinterpretationen wie Mission (mission), Auserwählt-Sein und Vorbestimmung (destiny). Diese religiös eingebundenen Axiome boten Projektionsflächen, die verschieden gefüllt werden konnten, so auch mit der Rechtfertigung expansionistischer US-Politik, die dann als universale Aufgabe der amerikanischen Nation gedeutet wurde.18 Es gehe nicht um Macht, Geld und Einfluss, hieß es in den Begründungen, sondern um die Segnung der Völker mit den Werten der Demokratie und der individuellen Freiheit. Die Amerikanisierung der Welt bedeutete im amerikanischen Selbstverständnis die Segnung der Welt mit amerikanischen Grundwerten.19 „This is the time of all others when democracy should prove its purity and its spiritual power to prevail. It is surely the manifest destiny of the United States to lead in the attempt to make this spirit prevail.“20 Wilson, von dem dieser Ausspruch aus dem Jahr 1920 stammt, nahm in seinen Reden häufig Bezug auf den Manifest Destiny-Glaubenssatz. Offenbar legte er großen Wert darauf, die neuen Handlungsoptionen mit den klassischen zivilreligiösen Werten der amerikanischen Nation zu verbinden – vor allem mit dem Missionsauftrag samt der Verbreitung von Moral, Demokratie und Freiheit.21 Der Präsident 16 17 18

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Näheres siehe Hilfrich, Falling Back, insb. 152, 156. O’Leary, To Die For, 141. Vgl. Bender/Geyer, Mission, 28–30; Krakau, Missionsbewußtsein; H. V. Kaltenborn, „America’s Place in the World“, in: The Reader’s Digest (Mai 1926), 49–50, 50. Die längere Fassung erschien im April 1926 in The Century Magazine. Den Weltmissionsgedanken vertrat z. B. seit den 1880er Jahren der protestantische Kirchenmann und Gründer der Social Gospel-Organisation, Josiah Strong. Vgl. auch Tyrrell, Woman’s World, 289. Zit. n. Weinberg, Manifest Destiny, 470; vgl. hierzu und zum Folgenden auch Krakau, American Nation. Link, Woodrow Wilson, 6.

7.1 Expansionismus und Weltmachthandeln

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neigte zu einer religiösen Interpretation auch des US-Kriegseintritts 1917, wonach der damit verbundene amerikanische Weltführungsanspruch letztlich christliche Ziele verfolgte (shep-herding the world into the kingdom of God).22 Auch blieb Wilson und mit ihm viele liberale Internationalisten des Landes der an John Locke anknüpfenden liberalen Tradition verhaftet, wonach das internationale System von Vernunftgesetzen bestimmt werden müsse, die es auch gegenüber anders ausgerichteten Staaten durchzusetzen gelte.23 Denn Wilsons religiös unterlegte programmatische Botschaft wurde von seinen Unterstützern, etwa von Herbert Croly, als Signal für eine neue Weltordnung unter amerikanischer Führerschaft gedeutet, die ihrerseits zum Wohle der Menschheit wirken sollte.24 Europa, die USA, Japan und China müssten ihren Platz in diesem neuen Weltsystem finden, so Croly.25 Ungeachtet aller religiös fundierten, utopischen Komponenten lag eine solche Politik durchaus auch im realen Sicherheitsinteresse der Vereinigten Staaten. Denn der Atlantische Ozean allein würde hierfür nicht mehr ausreichen.26 Beeindruckt waren wohl viele davon, dass, wie der Historiker James Harvey Robinson damals beobachtete, sich Präsident Wilson in der ganzen Welt leicht Gehör verschaffen konnte, was Hoffnungen auf eine Einung (unification) der Menschheit zu rechtfertigen schien.27 Selbst linksliberale Friedensaktivistinnen, wie Jane Addams, begrüßten das neue Weltmachthandeln der USA. Sie wollten dieses dazu nutzen, der Welt Frieden und Demokratie zu bringen. Der Idee, dass die Welt sich infolge der neuen Weltstellung Amerikas verbessern ließe, hing selbst der zutiefst anti-imperialistisch gesinnte W. E. B. Du Bois an. Du Bois schrieb den USA eine moralische Hegemonie (moral hegemony) zu und kennzeichnete die amerikanische Weltpolitik als kosmopolitischen Patriotismus (cosmopolitan patriotism).28 Zwar rechtfertigte er nicht die Art, wie Kolonien entstanden waren, doch da sie nun einmal existierten, sei es notwendig, die dort lebenden Menschen mit den westlichen Errungenschaften vertraut zu machen, vor allem mit den Grundsätzen der Demokratie und Selbstverwaltung. Sein Anliegen war, Gewalt und Angst (force and

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Zit. n. Mazower, Governing the World, 125. Krakau, Einführende Überlegungen, 60. Smith, The American National Identity, 334; Link, Woodrow Wilson, 6. Zu Wilsons Politik siehe auch Smith, America’s Mission, 84–110. Croly, The Promise, 311. Ebd. Eine globale Friedensordnung konnte zudem die Militärausgaben verringern, so hofften zahlreiche Liberale. Smith, The American National Identity, 342. Sicherheitsfragen hätten auch eine Rolle für den Kriegseintritt Amerikas 1917 gespielt, wie vor allem Walter Lippmann 1941 im Rückblick betonte. Osgood, Ideals, 114–121. So der Historiker Robinson, The Ordeal, 747. Vgl. Hansen, The Lost Promise, 139, 157. Zum kosmopolitischen Patriotismus trug auch der amerikanische Philosoph Morris R. Cohen wesentlich bei. Hollinger, Morris R. Cohen, 249.

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7 Amerikanisierung der Globalpolitik. Postulate, Projekte und Prognosen

fear) zu Freiheit und Freundschaft (freedom and friendship) zu transformieren und die fortbestehenden Ungerechtigkeiten in den Kolonien zu bekämpfen.29 Auch wenn die Philippinen in den zwanziger Jahren nicht mehr im Zentrum der Diskussionen standen, blieb immer noch die Frage virulent, ob die amerikanische Weltpolitik als imperialistisch zu kennzeichnen sei, wie sich Reinhard Niebuhr rückblickend in einem Artikel im Reader’s Digest von 1930 ausdrückte?30 In diesem Zusammenhang wurde verschiedentlich auf die Diskrepanzen zwischen den Eigen- und den Fremdwahrnehmungen hingewiesen, so etwa 1923 von Seiten des Journalisten und Politikers, Arthur Bullard, in Our World und im The Reader’s Digest. Andere Nationen sähen die amerikanische Politik durchaus als imperialistisch an, während die eigene Bevölkerung nach wie vor den großen Unterschied des amerikanischen Expansionismus zum europäischen Imperialismus hervorhebe.31 Die diesbezüglichen Diskussionen drehten sich tatsächlich primär um die Herausstellung der Differenzen zwischen den USA und Europa. Dabei erfolgte eine Art Amerikanisierung des US-Weltmachthandelns, erstens, indem der Begriff Empire schließlich den Begriff Imperialismus als Kennzeichnung der US-Politik weitgehend ersetzte und zweitens indem die Empire-Politik mit bestimmten amerikatypischen Attributen versehen wurde. Der durchschnittliche Amerikaner lehne den Imperialismus (europäischer Couleur) aus moralischen Gründen ab, hieß es 1927 in einem Artikel von William J. McNally, einem der Befürworter imperialistischer US-Politik. Deshalb sei es so wichtig, zwischen verschiedenen Formen des Imperialismus zu unterscheiden. Die amerikanische Form zeichne sich durch Offenheit, Aufgeklärtheit und intellektuelle Ehrlichkeit aus, und ein solcher Imperialismus sei für Amerikaner viel leichter akzeptabel als andere Imperialismusformen.32 Eine ähnliche Position vertrat in dieser amerikanischen Zeitschrift 1927 der bolivianische Schriftsteller Diòmedes Pereyra. Der amerikanische Imperialismus unterscheide sich generell vom europäischen Imperialismus dadurch, dass er defensiv sei und sich auf der Basis des Manifest Destiny-Prinzips hauptsächlich auf die westliche Hemisphäre beziehe.33 Walter Lippmann versuchte ebenfalls 1927 in Vanity Fair und im The Reader’s Digest seinen Landsleuten klar zu machen, dass diese der Weltmacht USA den Empire-Status endlich 29 30 31 32 33

Nach Hansen, The Lost Promise, 141; Cain, From Liberalism, 458. Vgl. z. B. Reinhold Niebuhr, „Awkward Imperialists“, in: The Reader’s Digest (Oktober 1930), 106–108. Arthur Bullard, „A Union of the Americas“, in: Our World (April 1923), Kurzform in: The Reader’s Digest (April 1923), 81–82, 81. William J. McNally, „Open Imperialism openly arrived at“, in: The Forum (Dezember 1927), 821–828. Diòmedes Pereyra, „A South American Denial“, in: The Forum (Dezember 1927), 829– 835, 831. Der Begriff Manifest Destiny wurde von ihm kurz erwähnt in: The Forum (Dezember 1927), 821.

7.1 Expansionismus und Weltmachthandeln

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zugestehen müssten.34 Besonders positiv gegenüber der US-Empire-Politik äußerte sich auch Hiram K. Motherwell, der Verfasser des 1929 in New York erschienenen Buches The Imperial Dollar. Motherwell begrüßte 1929 in der Zeitschrift The Forum auch die Machtzunahme der USA auf Kosten Europas. „The entire world, with the exception of the United States, believes that there is an American Empire which is fast growing to include the entire Western Hemisphere, and in some degree Europe and parts of Asia as well.“35 Motherwell vertrat sogar die Ansicht, dass der imperiale Geist besser sei als der nationale, denn: „[T]he characteristic of national sovereignty is the power to declare war. The characteristic of imperial sovereignty is the power to impose peace“. Der New Yorker Banker Harvey E. Fisk, der eine Rezension über Motherwells Buch schrieb, äußerte sich erwartungsgemäß begeistert über diese Studie, welche auch die zahlreichen amerikanischen Auslandsinvestitionen in ein positives Licht rückte.36 Zwar nicht gerade bei Motherwell, doch bei anderen liberalen Internationalisten dominierte vielfach eine idealistische Sicht auf die amerikanische Weltmachtpolitik. Dagegen erhob sich unter liberalen sowie bei geostrategisch argumentierenden „Realisten“ Widerspruch.37 H. L. Mencken zog in seiner Zeitschrift American Mercury gegen idealistisch gesinnte Internationalisten sarkastisch zu Felde. Positiv konnotierte Zukunftserwartungen würden sich nicht selten mit der realen amerikanischen Politik stoßen, beklagte 1927 auch Diòmedes Pereyra in der Zeitschrift The Forum. Die amerikanische Politik sei für Außenstehende schwer zu verstehen, weil Zielsetzung und Praktiken weit auseinander fielen. „The fact is, the United States pursues (sic) a moral end difficult for the world to understand because it is so far from the current practice in international relations, and, therefore, so inexplicable when America holds such a dictatorial position and such ascendency as she was since the World War.“38 Trotz der Diskrepanzen zwischen hehren Intentionen und tatsächlicher Machtpolitik hielten zahlreiche Liberale an der Überzeugung fest, die ameri34

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Dabei konstatierte Lippmann, dass Lateinamerikaner und Europäer die USA als einen imperialistischen Staat betrachteten. Walter Lippmann, „America as an Empire“, in: Vanity Fair (April 1927), Kurzform in: The Reader’s Digest (April 1927), 77–78, 77. Hiram K. Motherwell, „The American Empire“, in: The Forum (Dezember 1929), 372– 377, 374. Der Autor interpretierte den Begriff Empire wie folgt: „Empire is exclusive influence exercised by one nation over another politically distinct nation or community.“ Zit. n. Harvey E. Fisk in seiner Rezension, in: The American Economic Review (1930), H. 1, 140–144, 141 f. Die auf Auslandsinvestitionen basierende Dollar-Diplomatie verfolgte – außer hohen Gewinnmargen – nach landesüblicher Einschätzung das Ziel, die Welt zu modernisieren und gleichzeitig den Vereinigten Staaten zu Wohlstand, Einfluss und Macht zu verhelfen. Vgl. Horsman, Race, 297. Iriye spricht von einem Dialog. Iriye, Cultural Internationalism, 10. Diòmedes Pereyra, „A South American Denial“, in: The Forum (Dezember 1927), 829– 835, 831.

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7 Amerikanisierung der Globalpolitik. Postulate, Projekte und Prognosen

kanische Expansionspolitik habe etwas mit Moral und höherem Auftrag zu tun. Denn durch die enge Verzahnung von Politik, Moral und Religion wollte und sollte sich die US-Expansionspolitik von jener Europas unterscheiden.39 Der amerikanische Philosoph und Schriftsteller Will Durant stand sicherlich nicht alleine, als er 1929 in The Forum seine Hoffnung auf eine internationale Ordnung von der Entstehung einer internationalen Moralität abhängig machte. Dabei blickte er recht optimistisch in die Zukunft. „[A]nd when at last it is organized, it will be permissible to be loyal to humanity and to rise in morals to that broad perspective, that sense of the whole, which is the secret of the good life, as it is the guide to beauty and the test of truth“.40 Weniger zuversichtlich äußerte sich hingegen der frühere Präsident der Princeton Universität, John Grier Hibben: „Are we worthy of our destiny“, fragte er 1933 in The Forum zweifelnd, wobei er auf die dafür notwendigen, aber bisher unzureichenden Voraussetzungen verwies, insbesondere in Bezug auf den Glauben und hinsichtlich des Eintretens der Bevölkerung für höhere Ziele.41 Während viele Internationalisten auf ein neues Verhältnis zu Europa und eine friedliche Weltordnung auf der Basis stärker entwickelter Moralität hofften, äußerte Edwin L. James 1930 in The New York Times und im Reader’s Digest scharfe Kritik an solchen Schwärmereien, weil sie in seinen Augen realitätsfern seien. James monierte die Diskrepanz, die für ihn darin bestand, dass die USA den anderen Nationen gute Ratschläge erteilten, was sie tun sollten, während sie sich selbst um andere Meinungen nicht kümmerten. Ob die Amerikaner ihre große ökonomische und politische Macht in einer neuen Weise auszuüben verstünden, das sei „die größte Frage der Weltpolitik“.42 Als exzellenter Europakenner wies James in seinem Artikel aus dem Jahre 1930 darauf hin, dass die amerikanische Außenpolitik eben nicht auf moralischen Intentionen beruhe, auch wenn dies häufig geglaubt werde.43 Auch der damals einflussreiche Historiker James Harvey Robinson stellte in seinem Werk The Ordeal of Civilization (1926) die rhetorische Frage: „Is not the mo-

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Zur Bedeutung der Religion für die jeweiligen Positionen siehe Preston, Sword, 229 f. Will Durant, „Our Changing Morals“, in: The Forum (April 1929), 226–231, 231. John Grier Hibben, „Are We Worthy of Our Destiny?“, in: The Forum (Februar 1933), Kurzform in: The Reader’s Digest (März 1933), 5–6. Edwin L. James, „America’s Moral Influence, If Any“, in: The New York Times v. 19.8.1930, Kurzform in: The Reader’s Digest (Oktober 1930), 513–515, Zitat 515. James war Kriegskorrespondent in Paris. Nach Kriegsende leitete er dort das Büro der New York Times. Im Jahre 1929 wechselte er für kurze Zeit nach London, bevor er nach New York zurückging. Seit dem Jahr 1932 war er Managing Editor der New York Times. Desmond, Crisis, 295. Edwin L. James, „America’s Moral Influence, If Any“, in: New York Times v. 19.8.1930, Kurzform in: The Reader’s Digest (Oktober 1930), 513–515. Zur außenpolitischen Kompetenz der Zeitung siehe Glaser-Schmidt, Between Hope, insb. 211–213; Desmond, Crisis, 295.

7.1 Expansionismus und Weltmachthandeln

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ral overrating of the past our besetting danger?“44 Hiram K. Motherwell trat 1929 ebenfalls für mehr Ehrlichkeit in den Selbstanalysen ein. Eine imperiale Macht könne durchaus Frieden herbeiführen, doch sei die moralische Verlogenheit gefährlich, wie man vor allem bei der Eroberung der Philippinen habe sehen können.45 Harold E. Stearns verwies zudem darauf, dass liberaler Idealismus und Gewalt generell nicht zusammenpassten. Und der Präsident der Cornell Universität, Jacob Gould Schurman, problematisierte ähnlich wie James die US-Politik, insofern sie bestimmte Rechte ausschließlich für sich beanspruchte, vor allem das Recht zur Aufrüstung und das Recht, alleine darüber zu entscheiden, wer die Ehre und die Interessen Amerikas verletze. Denn wenn die Amerikaner auf solche Rechte beharrten, müssten sie diese auch den anderen Nationen zugestehen.46 Derartige schon 1920 geäußerten Bedenken bezogen sich auf die damalige Auseinandersetzung über den Völkerbund und die sich abzeichnende US-Politik, in Zukunft allein einen unabhängigen Internationalismus (independent internationalism) zu verfolgen, was so viel hieß, dass die USA nach globalen Ordnungskonzepten suchten ohne sich selbst vertraglich zu binden.47 In den zwanziger Jahren stand unter den kritisch eingestellten Publizisten oftmals die Lateinamerika-Politik im Fokus. Das war kein Zufall. Gerade an ihr lässt sich auch aus heutiger Sicht die Empire-orientierte Entgrenzung der USA gut nachvollziehen.48 Diese ist ihrerseits im Zusammenhang mit dem nation building-Prozess zu sehen. Gemeint ist die gerade in damaliger Zeit erfolgte Schaffung von (abhängigen) Grenzregionen (borderlands) sowie die Migration zahlreicher Zentralamerikaner in die USA. Die USA nahmen sich außerdem das Recht heraus, gegenüber lateinamerikanischen Ländern zu intervenieren.49 Dabei ging es vor dem Ersten Weltkrieg darum, den (wohl überschätzten) potentiellen Einfluss europäischer Länder auf diese Region auszuschalten und Lateinamerika als wirtschaftliche und politische Interessensphäre der USA zu festigen, wobei Präsident Wilson die ebenfalls gewünschte politische Stabilität dieser Länder durch die Etablierung konstitutioneller Demokratien erreichen woll-

44 45 46 47

48

49

Robinson, The Ordeal, 749. Hiram K. Motherwell, „The American Empire“, in: The Forum (Dezember 1929), 372– 377, 376 f. Jacob Gould Schurman, „New Ideals of Social Progress. Our National Destiny is PreEminently in the New World“, in: The Forum (März 1920), 315–324. Vgl. Lafeber, The American Age, 318. Der Ausdruck stammt von Joan Hoff Wilson. In diesem Zusammenhang ist vor allem auf den unter dem Präsidenten Harding arbeitenden Secretary of Commerce, Herbert Hoover, den späteren Präsidenten, zu verweisen. Der gebräuchlichen Verwendung des Begriffs „Amerika“ anstelle des Begriffs „USA“ kommt symbolische Bedeutung zu, ebenso wie dem Bau des Panama-Kanals, der 1914 eröffnet und als amerikanisches Meisterwerk gefeiert wurde. Zwischen 1900 und 1933 kam es zu Interventionen in den Ländern Nicaragua, Mexiko, Haiti, Kuba, Honduras sowie in der Dominikanischen Republik.

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7 Amerikanisierung der Globalpolitik. Postulate, Projekte und Prognosen

te.50 In den zwanziger Jahren führte dann das korporativistisch strukturierte Zusammenspiel von US-Politik mit Großkonzernen und Finanzkapital verstärkt zu einer informellen Machtzusammenballung in Lateinamerika, die nicht zuletzt der amerikanischen Rohstoffsicherung zugute kommen sollte. Kritik an der Lateinamerika-Politik richtete sich vor allem gegen die Neigung der USA zu Interventionen in dieser Region. Hiergegen Bedenken zu äußern, war unter liberalen Publizisten nachvollziehbar und akzeptabel, zumal dies auch der angesehene Publizist Walter Lippmann 1927 tat, der ansonsten das neue Weltmachthandeln der USA durchaus unterstützte.51 Und Raymond Leslie Buell von der Harvard Universität und Verfasser zweier Bücher über internationale Beziehungen gestand 1925 in The Yale Review und im The Reader’s Digest den USA sogar zu, dass sie unter bestimmten Bedingungen in einigen Ländern, so auch in Lateinamerika, intervenieren dürften, doch diese Handlungen sollten seiner Ansicht nach unter den Augen der Welt geschehen. Deshalb sei eine Einbindung der USA in den Völkerbund sinnvoll, zumal dadurch erreicht werden könnte, dass sich der Ruf der USA als imperialistische Interventionsmacht nicht noch mehr verfestige.52 Während liberale Kritik an US-Interventionen in Lateinamerika quasi stets in der Luft lag, bereitet die Einschätzung der so genannten Dollar-Diplomatie mehr Probleme. Denn ein solches politisch abgestütztes, ökonomisches Vorgehen galt auch in der liberal-„progressiven“ Publizistik häufig als weltoffene Befreiungs- und Modernisierungspolitik. So akzeptierte Lippmann durchaus die Dollar-Diplomatie als Einflussmittel auf fremde Länder.53 Anders schätzte der in Texas geborene Missionar Samuel Guy Inman 1924 diese Form der Einflussnahme ein. Nachdem er die karibische Region besucht hatte, kennzeichnete er in der eher rechtsliberalen Zeitschrift The Atlantic Monthly die so genannte Dollar-Diplomatie schlechtweg als „amerikanischen Imperialismus“. Diese Politik führe seiner Meinung nach nämlich zum Niedergang der betroffenen Nationen. Damit überschritt er offenbar die Grenzen des Sagbaren. Denn kein geringerer als Sumner Welles vom State Department wies flugs in derselben Zeitschrift die Beschuldigungen energisch zurück. Welles betonte, dass das Engagement des Finanzkapitals allen daran beteiligten Ländern zugute komme und dass es sich deshalb nicht um eine ökonomische Herrschaft handele.54 Offenbar stießen in dieser Kontro50 51 52 53 54

Smith, America’s Mission, 65–74. Walter Lippmann, „America as an Empire“, in: Vanity Fair (April 1927), Kurzform in: The Reader’s Digest (Juni 1927), 77–78, 77. Raymond Leslie Buell, „American Imperialists“, in: The Yale Review (Oktober 1925), Kurzform in: The Reader’s Digest (November 1925), 455–458, 458. Nach Iriye, The Cambridge History, 98. Samuel Guy Inman, „Imperialist America“, in: The Atlantic Monthly (Juli 1924), 107– 116; Sumner Welles, „Is America Imperialistic?“, in: The Atlantic Monthly (September 1924), 421–423.

7.2 Europa im Visier

329

verse zwischen einem Missionar und einem Regierungsvertreter zwei diametral entgegengesetzte Deutungen der Dollar-Diplomatie in Lateinamerika aufeinander.55 Zusammenfassend wird sichtbar, dass dank einer großen Variationsbreite sinnstiftender Visionen in zahlreichen Artikeln der liberalen Magazine USWeltmachthandeln mit Vorstellungen, die der Zivilreligion entstammten, „überschrieben“ 56 und die Differenz zum europäischen Imperialismus herausgearbeitet wurde. Das gelang mit Blick auf die Kolonialisierung der Philippinen noch nicht so recht, zumal es sich damals um einen überaus massiven Einschnitt in die Konventionen amerikanischer US-Außenpolitik handelte. Nach gewonnenem Weltkrieg taten sich indessen neue Zukunftsperspektiven in einer grundsätzlich veränderten Weltkonstellation auf; was sich auch in den Magazin-Beiträgen niederschlug. Nun konnte glaubhaft versichert werden, dass in jedem Fall die neue Weltmachtstellung der USA vielfältige Handlungs- und Gestaltungschancen in sich berge, die sich gleichermaßen zu Gunsten der Nation und zu Gunsten der Welt einsetzen ließen. Dazu gehörte die Selbstermächtigung der USA, andere Länder zu zivilisieren, zu demokratisieren, ferner amerikanische Werte, Normen und Waren zu exportieren und, wie man glaubte, allgemein friedensstiftend zu wirken. In diesem Mantel ließ sich vorteilhaft politisch-sicherheitsstrategische, ökonomische und kulturelle Macht- und Interessenpolitik einhüllen oder gar verhüllen. Die Diskussion in den Zeitschriften darüber, ob die US-Weltmachtpolitik als Empire-Politik oder als Imperialismus zu kennzeichnen sei, war alles andere als Wortklauberei, vielmehr ging es dabei immer auch um die Differenzbestimmung zu Europa. Und da zu dieser Differenzbestimmung an vorderer Stelle auch die Dollar-Diplomatie gehörte, reagierte die Washingtoner Regierung so empfindlich, als diese ausgerechnet von einem Missionar in der angesehenen Zeitschrift Atlantic Monthly als imperialistisch gekennzeichnet wurde. Liberal, realistisch denkende Zeitbeobachter kritisierten ihrerseits vor allem die Überbetonung der Moral, wiesen auf die Gefährlichkeit des Idealismus in der Außenpolitik hin und hatten große Vorbehalte gegenüber dem Prinzip des unabhängigen Internationalismus, den die republikanische USRegierung als ihre Handlungsleitlinie verfolgte.

7.2 EUROPA IM VISIER Bekanntlich gehörte es seit den Gründungsvätern und erst recht seit der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung zur Identitätsstiftung der Amerikaner, die Neue Welt als Antipode zur Alten zu begreifen, realiter und symbolisch 55

56

Ausführlich Rosenberg, Revisiting Dollar Diplomacy. Die Unterschiedlichkeit der Auffassungen spiegelt sich auch in den heutigen Einschätzungen wider. Vgl. Iriye, The Cambridge History, 95. Allerdings stießen konkrete Politikmaßnahmen auch auf konkrete Kritik.

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7 Amerikanisierung der Globalpolitik. Postulate, Projekte und Prognosen

getrennt durch den Atlantik. Diese Trennung blieb freilich nicht statisch. Schon in der Vorkriegsära wurde über eine amerikanische Neubestimmung des Verhältnisses der USA zu Europa im Rahmen globaler Politik diskutiert und dabei die Vorstellung verbreitet, dass mit der Verschiebung des wirtschaftlichen Gewichts zu Gunsten der USA auch eine transatlantische Verlagerung des politischen Machtzentrums einhergehen müsse.57 Der Historiker Martin Brechtken spricht mit Blick auf den Wandel des europäischen, transatlantischen und globalen Staatensystems sowie mit Bezug auf die Bündniskonstellationen für die Zeit um die Jahrhundertwende, die er von 1895 bis 1907 ansetzte, sogar von einer Scharnierzeit, in der die Veränderungen in den amerikanisch-britischen Beziehungen einen zentralen Baustein ausmachten.58 In den zwanziger Jahren befassten sich zahlreiche Diskussionsbeiträge mit dem Ersten Weltkrieg, inklusive seiner Ursachen und Nachwirkungen, die im ersten Teil dargestellt werden (1), gefolgt von Stellungnahmen zu diversen europabezogenen Projekten (2). Anschließend fällt der Blick auf ein amerikanisches Zukunftskonzept, das eine North Atlantic Civilization avisierte (3). Schließlich werden jene Verlautbarungen wiedergegeben, die kriegerische Auseinandersetzungen in Europa vorhersagten (4). (1) Die verbreitete Auffassung, dass der US-Staat auch die internationale Politik im Sinne seiner Werte (mit)gestalten könne und müsse, führte dazu, dass sich relativ wenige Liberale und „Progressive“ als Pazifisten bezeichneten, die gegen den Eintritt Amerikas in den Ersten Weltkrieg agierten, die meisten hingegen diesen rechtfertigten (war liberals).59 Häufig mit religiösmoralischem Unterton warfen Vertreter beider Seiten sich gegenseitig vor, die Situation falsch einzuschätzen.60 Die war liberals sahen den Kriegseintritt als eine absolute Notwendigkeit an. Sie erhofften sich von diesem weitergehende Sozialreformen und einen Sieg des demokratischen Gedankens sowie die Erreichung einer Weltzivilisation auf höherem moralischem Niveau als vorher.61 Zudem fürchteten sie bei einem anderen Verhalten der USA die Isolation ihrer Nation und damit auch einen Einflussverlust.62 Walter Lippmann, der die deutsche Aggression als einen Krieg gegen die Atlantische Gemeinschaft (Atlantic community) bezeichnete und den Kriegseintritt der USA unterstützte63, betonte, dass die Weltpolitik zur nationalen Verantwortung (national responsibility) der USA 57 58 59

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Fiebig-von Hase, Zukunftsvorstellungen, 163. Brechtken, Scharnierzeit, u. a. 31. Zu den war liberals gehörten u. a. John Dewey, Walter Lippmann, Herbert Croly – und mit ihnen der Großteil der Akademiker. Ausführlich Lasch, The New Radicalism, 181– 224; Hirschfeld, Nationalist Progressivism; Gruber, Mars. Zur religiösen Prägung siehe Preston, Sword, 237, 240, 259. Kennedy, Over Here, 349 mit Bezug auf John Dewey. Lasch, The New Radicalism, 222 f.; Hirschfeld, Nationalist Progressivism, 141 f. Zit. n. Wickenden, The New Republic Reader, 3.

7.2 Europa im Visier

331

gehöre.64 Ähnlich dachte auch der „progressiv“ eingestellte Herausgeber der Zeitschrift The New Republic, Herbert Croly. Während die Zeitschrift The Nation, wie übrigens auch die konservativen Hearst-Blätter, sich gegen den Kriegseintritt der USA aussprachen, galt die Zeitschrift The New Republic zeitweise sogar als eine Art Sprachrohr der Wilson-Regierung. Einer der einflussreichsten „progressiven“ Journalisten der Vorkriegs- und Kriegszeit, Walter Lippmann, Mitherausgeber dieser Zeitschrift, wirkte sogar maßgeblich bei der Ausarbeitung der Vierzehn Punkte Wilsons mit.65 Die Zeitschrift verbreitete die Hoffnung, dass der Krieg der Sicherung der Demokratie in der Welt dienen werde (make the world safe for democracy) und dann endlich zukünftige Kriege obsolet würden (war to end all wars).66 Während die beiden genannten Zeitschriften ihre jeweilige Anfangshaltung auch im Verlaufe des Krieges beibehielten, steht die Zeitschrift Seven Arts als ein Beispiel für einen Meinungsumschwung. Zunächst war sie positiv gestimmt gegenüber den neuen Möglichkeiten, die der Krieg für die Erweckung der Nation und die Erreichung kultureller Unabhängigkeit von Europa bedeuten könne. Doch bald, schon im Mai 1917, kamen dem Herausgeber Oppenheim Bedenken, ob der Krieg wirklich, wie immer wieder behauptet wurde, Amerika transformieren könne. Als der junge Kriegsgegner Randolph Bourne dann im Juni 1917 in die Redaktion des Magazins einstieg, war die Richtungsänderung der Zeitschrift vorprogrammiert. Bourne schrieb Antikriegs-Essays und beschuldigte darin die war liberals, vor allem Dewey und Lippmann, dass sie einen Ausverkauf ihrer Intellektualität und geistigen Unabhängigkeit betreiben würden und an Machtausübung beteiligt sein wollten.67 Kein Wunder, dass es auch nach dem Ersten Weltkrieg zu heftigen Auseinandersetzungen über die Kriegsschuldfrage kam, bei der es immer auch um die nachträgliche Rechtfertigung der eigenen Haltung ging. Davon waren auch Textbücher in Schulen und anderen Ausbildungsstätten betroffen.68 Während die Einen den Zeigefinger erhoben, wenn Texte in ihren Augen zu unpatriotisch ausfielen oder gar irische und prodeutsche Sichtweisen durchschlugen, kritisierten die Anderen, wenn aus ihrer Sicht probritische Schwerpunktsetzungen zu argumentativen Engführungen verleiteten.69 Auch die Historiker spalteten sich in zwei Lager. Ein Teil der Historiker blieb nach dem Krieg bei einer Sichtweise, wonach Deutschland mit Blick auf den Kriegsausbruch als schwer belas64 65 66 67 68 69

Näheres in Alstyne, The Rising American Empire, 199 f. Peterson, Magazines, 425. Die am 8. Januar 1918 verkündeten „Vierzehn Punkte“ umrissen die künftige Friedensordnung. Zit. n. Seideman, The New Republic, 48. Näheres Biel, Independent Intellectuals, 63–67. O’Leary, To Die For, 175. Schon während des Krieges waren Kurse über die Kriegsursachen durchgeführt worden, in denen die Deutschen in äußerst negativer Weise den sehr positiv bewerteten Franzosen und Engländern gegenübergestellt wurden. Levine, The Opening, 55 f.

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7 Amerikanisierung der Globalpolitik. Postulate, Projekte und Prognosen

tet erschien.70 Andere, die so genannten „Revisionisten“, darunter angesehene und bekannte Historiker wie Charles A. Beard, Carl L. Becker und Arthur Meier Schlesinger, Sr., sowie der Soziologieprofessor Harry Elmer Barnes nahmen das europäische Staatensystem insgesamt in Augenschein und prangerten vor allem die Verdorbenheit (rottenness) des europäischen Kolonialismus und Nationalismus an, ferner die europäische Machtpolitik und den Militarismus, woraus sie den Schluss zogen, dass Deutschlands Kriegsschuld zu relativieren sei und – noch weitergehend – der Eintritt Amerikas in den Krieg generell als ein Fehler angesehen werden müsse.71 Viele Amerikaner, so Charles A. Beard 1927 in The New Republic, erwarteten sogar eine Entschuldigung von England und Frankreich, dass sie in den ersten Kriegsjahren eine Propaganda losgetreten hätten, die zum Eintritt der USA in den Krieg geführt habe.72 Als der amerikanische Botschafter in London, George Harvey, 1921 öffentlich die Ansicht vertrat, dass die USA aus eigenen Sicherheitsinteressen in den Weltkrieg eingetreten seien und er für diese Bemerkung auch noch die Unterstützung von Präsident Harding erhielt, empfanden weite Teile der liberalen Publizistik dies als Affront gegenüber den von ihnen hochgehaltenen, auf Weltverbesserung ausgerichteten Idealismus amerikanischer Außen- und Kriegspolitik.73 Allerdings verfielen zahlreiche Kriegsliberale auch angesichts der politischen Hysterie während der Phase des Red Scare in ein Stadium der Desillusionierung, zumal Recherchen, die in der Tradition des muckraking standen, den Verdacht auf ökonomische Interessen am US-Kriegseintritt bestätigt hatten.74 Doch solche Enthüllungen betrafen die Vergangenheit, die Zukunft der US-Weltpolitik könnte und sollte anderen Maßstäben folgen. Für viele Liberale galt es, die neuen Handlungschancen, die sich für die USA aus dem Kriegsausgang ergaben, konzeptionell auszuloten.75 Doch die US-Realpolitik der republikanischen Regierungen stellten die visionären Internationalisten immer wieder vor eine harte Belastungsprobe. Am Pranger stand insbesondere die Frage der Rückzahlung europäischer Kriegsschulden76, die in Kombination mit der Hochschutzzollpolitik der USA gesehen wurde. Zur 70

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Zu nennen sind Carlton J. H. Hayes, Charles D. Hazen, Roland G. Usher, Raymond Turner, Charles Seymour und Bernadotte E. Schmitt. Siehe u. a. Hofstadter, The Progressive Historians, 320; ausführlich Novick, That Noble Dream, 206–224. Berghahn/Maier, Modern Europe, 396 f. Dem revisionistischen Lager gehörten außerdem die Historiker Sidney B. Fay, und William Langer an. Charles A. Beard, „A Frenchman in America“, in: The New Republic (Juni 1927), 73– 76. Dazu Osgood, Ideals, 312 f. Zur Reaktion der Öffentlichkeit siehe Literary Digest (Juni 1921), 10–12. Osgood, Ideals, 315 f. Ausführlich ebd., 314–319. Geoffrey Layman, „An Englishman’s Opinion to Us“, in: The Forum (Februar 1931), 123–128, 126; William McDonald, „Portrait of America“ (= Rezension über Bernard

7.2 Europa im Visier

333

Erhellung des Hintergrunds dieser Diskussion sei daran erinnert, dass die USA hinsichtlich des von Europa geforderten Erlasses der europäischen Kriegsschulden hart blieben und nicht nachgaben. Gleichzeitig verhinderten sie den Import europäischer Waren durch die 1922 erfolgte Einführung eines Hochschutzzolltarifs, dem Fordney-McCumber-Tarif, der dem Land eine positive Handelsbilanz sicherte.77 Herbert Hoover, der damalige Handelsminister und spätere Präsident, verteidigte dieses Vorgehen. Eine globale ökonomische Weiterentwicklung hänge eben von einer starken amerikanischen Wirtschaft ab und dazu könne die Hochschutzzollpolitik beitragen, weil sie Investitionen im Lande fördere, den Wert des Dollars erhöhe und damit die Aufgabe der USA als Weltbanker erleichtere.78 Eine solche Politik fand in Europa keine Anhänger, nur Gegner. Der britische Botschafter in den Vereinigten Staaten Sir Auckland Campell Geddes beklagte sich 1921 bitterlich über das amerikanische Verhalten in der Kriegsschuldenfrage. Die USA wollten die führende Nation in der Welt werden, würden jedoch Britannien als einen Vasallenstaat betrachten, solange das Land seine Schulden nicht bezahlt habe.79 Er, wie auch viele andere Europäer, wiesen immer wieder darauf hin, dass sie ja ihre Schulden gegenüber den USA wegen der einseitigen Handelsrestriktionen nicht verringern könnten. Der amerikanische Psychologe und Pädagoge G. Stanley Hall, der an der Hoffnung auf eine positive Veränderbarkeit der Welt festhielt, gab 1922 im Century Magazin und im Reader’s Digest Politikern den Rat, die zurückgezahlten europäischen Schulden zu Gunsten von Investitionen in Europa zu verwenden, um die dortigen Zustände zu verbessern.80 Frank H. Simonds, der Verfasser der History of the World War, kritisierte 1926 in den Zeitschriften Review of Reviews und im Reader’s Digest die USA ebenfalls wegen ihres Verhaltens in der Schuldenfrage.81 Reinhold Niebuhr, dessen Stimme in außenpolitischen Angelegenheiten recht gefragt war, zeigte sich 1930 in den

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Fays Buch An American Experiment), in: The Nation (Februar 1929), 258–259, 259. Vgl. auch Junker, Power, 53. Iriye, The Cambridge History, 99. Als dann die Zölle wieder gesenkt wurden, kam es zur Einführung von Importquoten. Rosenberg, Spreading the American Dream, 232. Iriye, The Cambridge History, 100. Die USA zogen es vor, mit diversen Ländern bilaterale Verträge mit niedrigeren Einfuhrzöllen für amerikanische Waren abzuschließen. Sicherlich wurden die Belastungen in den amerikanischen Beziehungen mit europäischen Ländern ein Stück weit durch eine konstruktive bilaterale Außenpolitik aufgefangen. Dies gilt bekanntlich besonders für Deutschland, als der Dawes-Plan 1924 und die darauf basierende Anleihepolitik die deutschen Finanzen und Schulden in einen von beiden Seiten akzeptierten Rahmen einpassten. Nach Rosenberg, Spreading the American Dream, 144. G. Stanley Hall, „Salvaging Civilization“, in: The Century Magazine (Oktober 1922), Kurzform in: The Reader’s Digest (November 1922), 517–520. Frank H. Simonds, „‚Uncle Shylock‘ in Europe“, in: The Review of Reviews (September 1926), Kurzform in: The Reader’s Digest (Oktober 1926), 327–328 und 354.

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7 Amerikanisierung der Globalpolitik. Postulate, Projekte und Prognosen

Zeitschriften The Atlantic Monthly und im Reader’s Digest in diesem Zusammenhang über die Naivität jener Amerikaner erstaunt, die glaubten, dass Amerika die Welt retten könne. Er monierte, dass die US-Politik nie die Reaktionen anderer Nationen auf ihre Politik ins Kalkül zögen. So hätten sich 34 Länder über die amerikanischen Schutzzolltarife beschwert, doch die Antwort der Regierung habe sich auf den Hinweis beschränkt, dass keine andere Nation das Recht habe, sich in innere Angelegenheiten der USA einzumischen.82 Die drei Stellungnahmen aus verschiedenen Zeitschriften deuten darauf hin, dass sich die Kritik an der amerikanischen Schuldenpolitik über die ganzen zwanziger Jahre hinzog und dass zumindest die hier vorgestellten Autoren in dieser Frage offensichtlich viel Verständnis für die europäischen Klagen aufbrachten. Davon ließen sich freilich die republikanischen Regierungen nicht beeindrucken. Auch rückblickend ist das Verhalten der Republikaner in der Kriegsschulden- und Hochschutzzollfrage häufig als kurzsichtig bezeichnet worden. Allerdings sollte dabei nicht vergessen werden, dass hinter dieser Politik durchaus eine Strategie stand, die darauf hinauslief, durch die Vergabe amerikanischer Kredite und durch Privatinvestitionen in Europa immer mehr Einfluss auf dortige Wirtschaftssysteme zu erhalten, und den amerikanischen Warenexport zu vergrößern, um auf diese Weise zum Wohlstand der einheimischen Ökonomie beizutragen.83 Dabei deuteten die Protagonisten dieser Politik die eingeschlagenen Wege, die zur US-amerikanischen Prosperität führten, als Voraussetzung für eine Außenpolitik, die den globalen Frieden ermöglichen und sichern werde.84 Die Große Depression stellte allerdings dieses Strategiekonzept gänzlich in Frage. Kein Wunder, dass Präsident Hoover die Ursachen für die Große Krise vorrangig in Europa suchte (an economic hurricane from abroad) und damit die massiven Strukturschwächen der amerikanischen Wirtschaft herunterspielte.85 Nach dem Desaster des Ersten Weltkriegs war es nun anscheinend erneut Europa, das Unheil für Amerika brachte.86 (2) Zwar gehörte die Kriegsschuldenfrage zu den wichtigen Bestimmungsfaktoren des amerikanisch-europäischen Verhältnisses während der 82

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Reinhold Niebuhr, „Awkward Imperialists“, in: The Atlantic Monthly (Mai 1930), Kurzform in: The Reader’s Digest (Juni 1930), 106–108, 108. Die Amerikaner, so Niebuhr, schlössen sich nicht zuletzt durch die Tarifpolitik von Europa ab. Um diese Privilegien aufrecht zu erhalten, lasse Amerika sich nicht zu sehr auf Europa und seine Probleme ein. Reinhold Niebuhr, „A Critique of Pacifism“, in: The Atlantic Monthly (Mai 1927), Kurzform in: The Reader’s Digest (Juni 1927), 73–74, 74. Niebuhrs Anerkennung des neuen „ökonomischen Zeitalters“ in Form der Dollar-Diplomatie betont Iriye, The Cambridge History, 98. Diese Strategie war nicht allein auf Europa beschränkt. Vgl. auch Rosenberg, Spreading the American Dream, 155. Iriye, The Cambridge History, 100. Zit. n. Boorstin, America, 32. Vgl. ebd.

7.2 Europa im Visier

335

zwanziger Jahre, doch machte sie Überlegungen zu den langfristigen nordatlantischen Beziehungen deswegen nicht obsolet. Im Gegenteil, die Frage, wie der globale Frieden dauerhaft erreicht werden könne, gab Anlass für diverse Gedankenspiele, bei denen das Verhältnis zu England im Mittelpunkt stand: Dieses Verhältnis hatte sich schon vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu verändern begonnen. Zwar fühlten sich die USA noch im späten 19. Jahrhundert von Großbritannien in Handels- und Wirtschaftsfragen herausgefordert, und zeitweise trübten auch britisch-amerikanische Auseinandersetzungen um Venezuela das beidseitige Verhältnis87, doch seit der Beilegung dieser Krise sowie seit dem Spanisch-Amerikanischen Krieg, dem Burenkrieg und dem Aufbau eines amerikanischen Imperiums entdeckten namhafte amerikanische Politiker und Strategen88 bei Fragen der Weltpolitik Großbritannien als einen potenziellen Partner. In den USA hatte es ja immer probritische Gruppierungen von Männern und Frauen gegeben, wie umgekehrt auch in Großbritannien proamerikanische Kreise existierten. Von beiden Seiten wurden gerne die Ähnlichkeiten der demokratischen Traditionen und der politischen Ideale sowie die gleiche Sprache beschworen. Auch die gemeinsame ethnische Herkunft, das kulturelle Erbe und die Suche nach einer beidseitig getragenen Weltpolitik, so die allgemeine Auffassung, schufen Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Nationen und ließen tiefe Bindungen vieler Amerikaner zu den Briten entstehen, wie Cushing Strout rückblickend ausführte.89 Daraus ließen sich Zukunftsperspektiven, die auf eine gemeinsame Führerschaft über die Welt abzielten, entwickeln.90 Dementsprechend verwundert äußerte sich 1903 Henry Adams über das Verhältnis zu England: „Nothing is more curious to me than the sudden change of our susceptibility.“91 Die Anzahl solcher probritischen Stimmen vergrößerte sich in den USA noch im und nach gewonnenem Weltkrieg. Der Krieg zeigte die Gemeinsamkeiten der politisch-kulturellen Grundlagen beider Länder, die über Sprache und „Rasse“ hinausgingen und Denkstile sowie Normen und Werte mit umfassten (epistemic community).92 Auch Präsident Wilson sympathisierte mit dem Gedanken einer engeren amerikanisch-britischen Kooperation.93 Einer 87

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Vgl. u. a. Brechtken, Scharnierzeit, 360. Dort auch weiterführende Hinweise auf die beträchtlich großen Dissonanzen zwischen den USA und Großbritannien, die in einem Teil der Literatur marginalisiert würden. So der spätere Präsident der USA, Theodore Roosevelt sowie Herbert Croly und Henry Adams, schließlich auch Alfred Thayer Mahan, Marine-Offizier und Präsident des Newport Kriegs-Kollegs. Vgl. Strout, The American Image, 134, 141 f. Gienow-Hecht, Sound Diplomacy, 25 f. Während des Spanisch-Amerikanischen Krieges stand die öffentliche Meinung in Großbritannien auf Seiten der USA, und die USA hielten sich ihrerseits im Burenkrieg mit antibritischen Stellungnahmen zurück. Zit. n. Brechtken, Scharnierzeit, 25. Watt, Succeeding John Bull; vgl. auch Lehmkuhl, Pax Anglo-Americana, 1. Kapitel. Mazower, Governing the World, 128.

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7 Amerikanisierung der Globalpolitik. Postulate, Projekte und Prognosen

Zusammenarbeit aller Angelsachsen sei auch auf Grund ihrer gemeinsamen Geschichte eine besondere Bedeutung zuzumessen, weil davon wesentlich die Zukunftsgestaltung der Welt abhinge, wie der britische Botschafter in den USA, Auckland Campell Geddes, 1920 in The Forum meinte.94 Wem die Suprematie innerhalb des wie immer gearteten britisch-amerikanischen Verhältnisses zufallen werde, klärte der Krieg ebenfalls. So sei es anzuerkennen, wie der Radiokommentator H. V. Kaltenborn 1926 in den Zeitschriften Century Magazine und Reader’s Digest hervorhob, dass Großbritannien die USA als Weltmacht de facto akzeptiert habe.95 Einer der Herausgeber der Zeitschrift The Forum, A. Washington Pezet, befürwortete 1925 in diesem Sinne einen Pax Anglo-Americana, das heißt ein weltweites Zusammenspiel mit England unter amerikanischer Hegemonie.96 Er sah darin einen praktikablen Weg aus dem Dilemma der USA, einerseits keine Isolationspolitik verfolgen zu können, andererseits zu wissen, dass die Zeit für eine internationale Kooperationskultur noch nicht reif war.97 Durch einen Pax Anglo-Americana könne es gelingen, in der Welt eine dauerhafte stabile Ordnung herbeizuführen, vor allem im Fernen Osten – eine Idee, die auch von Teilen der Populärmedien aufgegriffen wurde.98 Der in den USA lehrende Brite George E. G. Catlin, der zur transnational operierenden Publizisten-Elite zählte, begrüßte 1927 eine solche Kontaktintensivierung im Harper’s Magazine ausdrücklich und meinte, Amerika werde zusammen mit den anderen englischsprechenden Völkern eine (gemeinsame) Zivilisation aufbauen können, in der das Zentrum freilich nicht mehr in Europa (sondern in den USA) liege.99 Die Stellungnahmen zeigen, wie sich ungeachtet des gegen England gerichteten kulturellen Nationalismus in der liberalen Publizistik bereits Tendenzen zu Gunsten einer Politik der besonderen Beziehungen zwischen den beiden Ländern in ersten Umrissen abzeichneten, während die öffentliche Meinung in den beiden Ländern von einer wechselseitigen Allianz noch wenig hielt.100

94 Sir Auckland Campell Geddes, „Coming World Changes“, in: The Forum (September/ Oktober 1920), 129–132, 131 f. Zur transatlantischen Elite siehe auch Kiernan, America, 142. Der Autor nennt seinerseits Jane Addams, George Bernard Shaw, Norman Angell sowie das Ehepaar Webb. 95 H. V. Kaltenborn, „America’s Place in the World“, in: The Century Magazine (April 1926), Kurzform in: The Reader’s Digest (Mai 1926), 49–50, 50. 96 A. Washington Pezet, „Cooperation or Isolation? Twelve Selected Letters From Our Readers“, in: The Forum (Juni 1925), 915–921, 919–921. Pezet war der Verfasser des Buches Aristokia (New York 1919). 97 A. Washington Pezet, „Cooperation or Isolation? Twelve Selected Letters From Our Readers“, in: The Forum (Juni 1925), 915–921, 919–921; vgl. Iriye, The Cambridge History, 70. 98 Richards, America, 95. 99 George E. G. Catlin, „America Under Fire. A European Defense of Our Civilization“, in: Harper’s Magazine (Juli 1927), 222–227, 227. 100 Mazower, Governing the World, 128 f.

7.2 Europa im Visier

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Tatsächlich waren im Nachklang zum Ersten Weltkrieg Bündnisvorstellungen ins Spiel gebracht worden, in denen Großbritannien einen wichtigen Part übernehmen sollte. Damals fanden Begriffe wie „Atlantische Welt“ (Atlantic World) und „Atlantische Gemeinschaft“ (Atlantic Community) in der liberalen Publizistik zunehmende Verbreitung, wie Walter Lippmann allerdings schon 1917 in The New Republic hervorgehoben hatte.101 Lippmann sah im Projekt einer Atlantischen Gemeinschaft (Atlantic Community) auch eine konkrete Alternative zu dem eher unspezifischen Internationalismus Wilson’scher Prägung. Eine solche Atlantische Gemeinschaft sollte PanAmerika, das britische Commonwealth, Frankreich und seine „lateinischen Nachbarn“ sowie die Niederlande und Skandinavien umfassen. Angepeilt wurden eine gemeinsame Verteidigungspolitik und eine gemeinsame Außenpolitik.102 Die Idee einer Atlantischen Gemeinschaft stieß auch bei republikanisch-konservativ gesinnten Internationalisten wie etwa bei William Howard Taft, Elihu Root und dem Vorsitzenden des Senatskomitees für auswärtige Beziehungen, Henry Cabot Lodge, auf Interesse. Diese konnten sich allerdings noch mehr für den französischen Alternativvorschlag erwärmen, eine amerikanisch-britisch-französische (Militär-)Allianz unter einem gemeinsamen Kommando zu gründen. Doch einen solchen Plan lehnte Wilson ab. Denn der Präsident, Sohn eines presbyterianischen Kirchenmannes, verknüpfte Verpflichtungen aus internationalen Übereinkünften mit Vorstellungen, die sich aus der Bibel herleiten ließen und außerdem moralischen Grundsätzen entsprachen. Sollten diese zur Befriedung zukünftiger Konfliktfälle nicht ausreichen, so wollte Wilson selbst dann nicht auf das Militär setzen, sondern auf die Macht der öffentlichen Meinung sowie auf wirtschaftliche Sanktionen.103 Fest verankert war zudem sein Glaube, dass wahre Demokratien, wie die der USA, den besten Schutz vor einem Krieg böten.104 Doch gerade von einem solchen Krieg war ebenfalls die Rede, und zwar ausgerechnet zwischen den USA und Großbritannien, einem Krieg, bei dem es um Märkte und Rohmaterialien gehen werde. Wer in dieser Beziehung einige Aufmerksamkeit erregte, war der Amerikaner Ludwell Denny mit seinem 1930 in englisch und deutsch erschienenen Buch, das allein schon durch seinen Titel America Conquers Britain. A Record of Economic War die Öffentlichkeit provozierte. Seine Prognose stützte der Autor zum einen auf das Argument, dass eine weitverbreitete wechselseitige Abneigung in den jeweiligen Heimatländern bestehe, zum anderen auf die ökonomische Konkurrenz-

101 So etwa Walter Lippmann, „The Defense of the Atlantic World“, in: The New Republic (Februar 1917), 59–61; vgl. Strout, The American Image, 160. 102 Strout, The American Image, 221 f. 103 Hendrickson, Union, 336, 338. 104 Vgl. auch Krakau, Missionsbewußtsein, 181.

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situation zwischen beiden Ländern, vor allem bei Öl und Kautschuk. Letztlich gehe es um nichts Geringeres als um die Weltherrschaft.105 Doch das waren Unkenrufe, die den Diskursraum nicht erobern konnten. Anders stand es mit dem Projekt „Vereinigte Staaten von Europa“. Gegen dieses Projekt eines Staatenbundes bildete sich in den USA eine klare und breite Abwehrfront heraus. Denn eine solche europäische Föderation schien der Weltmachtstellung der USA wenig förderlich zu sein. Frank H. Simonds, der Verfasser einer Geschichte über den Ersten Weltkrieg, fürchtete gar in der Zeitschrift The Review of Reviews und im Reader’s Digest (1926), dass eine Solidarbewegung innerhalb Europa schneller als erwartet entstehen und sich gegen die USA richten könne (unite against us), eine Gefahr, die man in den Vereinigten Staaten angeblich jedoch nicht wahrnehmen wolle. In Europa würden nach Simonds Ansicht Politiker wie Senator William E. Borah aus Idaho, und Senator David A. Reed aus Pennsylvania sowie Hiram Johnson aus Kalifornien als authentische Stimmen eines amerikanischen Imperialismus (American imperialism) und einer Dollar-Realpolitik (dollar realpolitic) betrachtet werden. Bestimmte öffentliche Verlautbarungen hierzulande brächten die Gemüter in Europa schnell in Wallung, und das könnte für die USA unter Umständen zu einer gefährlichen Situation führen.106 Doch von einer solchen Gefahrenkulisse ließ sich die amerikanische Öffentlichkeit wohl nicht sehr beeindrucken. Mehr Gehör fand vermutlich Charles A. Beard, als er der amerikanischen Regierung riet, den europäischen Querelen gelassen zu begegnen und weiterhin für eine balance of power in Europa zu sorgen. Das nütze den nationalen Interessen der USA am meisten.107 Salvador de Madariaga, Professor für Literatur in Oxford und ab 1931 spanischer Botschafter in den USA, der sich um die Gründung des Völkerbundes bereits verdient gemacht hatte, sah 1930 in der Zeitschrift The Forum die Gefahr eines europäischen Zusammenschlusses nicht einmal gegeben. Denn Kultur und Wirtschaft seien in den europäischen Ländern primär national ausgerichtet. Weil Madariaga außerdem eine Entwicklung im Auge hatte, die in erster Linie auf eine Organisation der Welt ausgerichtet war (organization of the world), beurteilte er auch unter einem solchen Aspekt das EuropaProjekt und stellte dabei ebenfalls fest, dass dieses für die amerikanischen Interessen eher schädlich und für den von den USA propagierten Aufbau einer Weltorganisation sogar hinderlich sei.108 Der englische Publizist und Ökonom 105 Richards, America, 101. Zu diesem Diskurs über einen möglichen Krieg siehe auch Watt, Succeeding John Bull, 50, 55. 106 Frank H. Simonds, „‚Uncle Shylock‘ in Europe“, in: The Review of Reviews (September 1926), Kurzform in: The Reader’s Digest (Oktober 1926), 327–328 und 354. 107 Nach Hofstadter, The Progressive Historians, 321. 108 Salvador de Madariaga, „Our Muddling World. The United States of Europe“, in: The Forum (Januar 1930), 19–23; ders., „The Disunited States of Europe“, in: The Forum (Oktober 1930), 246–249.

7.2 Europa im Visier

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John A. Hobson mischte sich ein Jahr zuvor in The Nation ebenfalls in die Diskussion ein und nahm auch gegen das Projekt der Vereinigten Staaten von Europa Stellung. Ohne Russland und Großbritannien hätte ein solches Gebilde wenig Sinn. Seine Konzeption, die derjenigen von Woodrow Wilson entsprach, war darauf ausgerichtet, auf der einen Seite das Prinzip nationaler Selbstbestimmung durchzusetzen, auf der anderen Seite den internationalen Zusammenhalt durch die Bildung großer Organisationen, wie dem Völkerbund, zu erreichen. Ein Vereinigtes Europa stünde einer solchen Konzeption entgegen. Die Kolonien der einzelnen europäischen Länder machten, wie er meinte, einen europäischen Zusammenschluss zudem schier unmöglich. Nach Hobsons Auffassung bedeutete sogar die etwaige Gründung eines „Europäischen Zollvereins“ gegenüber den nichteuropäischen Nationen, so auch gegenüber den USA, eine Diskriminierung.109 Stellten die Gegner des europäischen Staatenbundes in der liberalen Publizistik offensichtlich die Mehrheit, so kamen doch auch einige wenige Unterstützer des Projektes zu Wort. Zu ihnen gehörte der ehemalige Linkssozialist Frank Bohn.110 Er begründete 1930 seine Position in der Zeitschrift The Forum u. a. mit den vielseitigen wirtschaftlichen Verflechtungen der europäischen Länder untereinander, und er erinnerte an die vornationalen Zeitphasen in Europa, in denen sich die großen Intellektuellen und Künstler vielfach als Europäer gefühlt hätten. Es gebe eben eine europäische Kultur, die ein verbindendes Element innerhalb Europas darstelle.111 Schon einige Jahre zuvor, 1922, hatte sich Frederick Jackson Turner im Ergebnis recht ähnlich geäußert, wenngleich anders begründet. Auch er sah einige Anzeichen dafür, dass Europa zusammenwachse, und nannte in diesem Zusammenhang in The Yale Review die internationalen Einrichtungen in Den Haag sowie die vielen Kongresse und den seiner Meinung nach ausbaufähigen Völkerbund. Er äußerte die Überzeugung, dass Europa eine zentrale Regierung brauche, die die internationalen Beziehungen für Europa dirigieren könne, sonst käme Europa unter das Ruder der USA (slave of the United States).112 Und er schlug vor, nach amerikanischem Vorbild in Europa eine Liga der (Groß-)Regionen (league of sections) zu gründen.113 Hier zeigt sich, dass selbst der bedeutende 109 John A. Hobson, „The United States of Europe“, in: The Nation (Oktober 1929), 484– 485. 110 Bohn verließ nach 1919 die Arbeiterbewegung und sympathisierte mit nationalistischen Politikstrategien. 111 Frank Bohn, „The U. S. of Europe“, in: The Forum (Mai 1930), 290–293. Auch der französische Historiker Bernard Fay trat in seinem Buch The American Experiment (1928) für einen europäischen Föderalismus ein, ebenso William McDonald, der für die Zeitschrift The Nation schrieb. William McDonald, „Portrait of America“ (= Rezension über Fays Buch An American Experiment), in: The Nation (Februar 1929), 258–259. 112 Turner, Sections, 320 f. 113 Ebd., 317; siehe auch Dortman, Revolt, 132; Klein, Frontiers, 94; Sloga, The Nation, 137.

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„Amerikanisierer Amerikas“ keiner politischen US-Hegemonie über Europa das Wort redete und dass er außerdem ein Gespür dafür hatte, welche Bedeutung den Regionen im 20. Jahrhundert zukommen werde. (3) So unerwünscht und unrealistisch die Bildung der „Vereinigten Staaten von Europa“ aus der Perspektive der meisten US-Intellektuellen und -Politiker auch war, so blieb die Frage im Raum stehen, wie die Führungsrolle der USA gegenüber Europa jenseits aller vertraglich geregelten Bündnispläne auf eine solide und nachhaltige Basis gestellt werden könnte. Ende der zwanziger Jahre publizierte das Ehepaar Francis Miller und Helen Hill ein umfassendes Projekt, namens North Atlantic Civilization, das darauf eine Antwort geben wollte. Die 1930 erschienene Schrift trug den zugkräftigen Titel The Giant of the Western World. Die darin enthaltenen Hauptthesen verbreiteten die Autoren im selben Jahr auch in der Zeitschrift The New Republic.114 Offenbar noch wenig beeinflusst von der Großen Depression prophezeiten Miller und Hill als eine der Ersten die Entwicklung eines gemeinsamen transatlantischen Marktes auf der Basis maschinenerzeugter Güter. Because of the presence of American firms there, and the recent reorganizations of European industry to meet a generalized market, a common system of production and merchandising is coming into being around the shores of the North Atlantic. This system is so universal in its extent and so revolutionary in its implications for society that no aspect of life can escape its influence.115

Das Autoren-Ehepaar verglich diese avisierte Entwicklung mit jener des Römischen Reiches, das sich ebenfalls um ein Meer herum herausgebildet und schließlich die mediterrane Welt geschaffen habe. Doch Miller und Hill konstatierten auch Unterschiede. Während das Römische Reich durch ein Netzwerk administrativer Regulierungen und militärischer Absicherungen zusammengehalten worden sei, werde die Kohäsion der Nationen um den Nordatlantik durch eine gemeinsame Konsumkultur erreicht. Die Einheit dieser Zivilisation beruhe also nicht auf Militär und Verwaltung, sondern auf Ökonomie und Konsum. Mit der Erinnerung an das Römische Reich wollte das Autoren-Ehepaar seine Prognose offensichtlich in die Weltgeschichte inkorporieren und dadurch wohl auch die Plausibilität seiner Thesen erhöhen. Miller/ Hill betonten zudem das Neue dieser Vision, das dem „Genius des amerikanischen Volkes“ zu verdanken sei. In einer solchen atlantischen Ökonomie- und Konsumgemeinschaft bräuchten die Großfirmen keine Wettbewerber mehr zu fürchten, sie könnten deshalb umso mehr für den Weltmarkt produzieren. Das Zentrum dieser Nordatlantischen Gemeinschaft bildeten nach Ansicht der Autoren allerdings die Gebiete um den Nordatlantik, weil deren Bevölkerung 114 Francis Miller / Helen Hill, „Mare Nostrum“, in: The New Republic (Oktober 1930), 168–170, 170. Vgl. hierzu Saldern, North Atlantic Civilization. 115 Francis Miller / Helen Hill, „Mare Nostrum“, in: The New Republic (Oktober 1930), 168–170, 168; dies., The Giant; siehe auch Rosenberg, Spreading the American Dream.

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eine große soziale und ethnische (racial) Affinität zu den USA habe, folglich sich Gemeinsamkeiten in den Geschmacksausrichtungen und Konsumbedürfnissen entwickeln würden, die dann leicht durch entsprechende Waren zu befriedigen seien.116 Mit den Waren könnte dann auch die amerikanische Lebensweise (the whole American way of life) exportiert werden. Die avisierte North Atlantic World wies somit nicht nur ökonomische, sondern auch (alltags-)kulturelle Dimensionen auf, indem angenommen wurde, der Warenund Werte-Import führe eine Veränderung der europäischen Lebensstile herbei, und so entstünde schließlich eine gemeinsame transatlantische Konsumkultur.117 Auf dieser Basis sollte schließlich eine neue North Atlantic Civilization entstehen, die bis zum Schwarzen Meer reichen und von einer gemeinsamen Bürgerschaft (common citizenship) getragen werde.118 Amerika sei dabei, sich zu internationalisieren, Europa sei dabei, sich zu amerikanisieren. Integriert in einer ökonomischen Einheit würden sich beide Gesellschaftstypen verändern, sich wechselseitig angleichen und sich durch viele Gemeinsamkeiten auszeichnen, so dass sie schließlich zu einer einheitlichen Zivilisation zusammenwüchsen.119 Daraus könne sich eine transatlantische Machtbalance herausbilden. Entscheidend für die Entstehung einer solchen neuartigen transatlantischen Machtbalance sei die Entwicklung einer Konferenzkultur zwischen den jeweiligen Regierungen.120 Hier obsiegte der Glaube an die Chancen, durch rationale Argumente in einem allseitigen Kommunikationsprozess unter Berücksichtigung der Weltöffentlichkeit (world public opinion) die „best practices“ herauszufinden.121 Obwohl die Hauptthesen dieses Miller/Hill’schen Buches den Rezensenten in der Zeitschrift The New Republic nicht ganz überzeugten, gestand er dem Autoren-Ehepaar zu, einen sehr wichtigen Diskussionsbeitrag über die gegenwärtigen und zukünftigen Beziehungen zwischen den Vereinigten Staaten und Europa geliefert zu haben. Der Rezensent Raymond Leslie Buell, der durch sein 1925 veröffentlichtes Buch International Relations als Fachmann für auswärtige Angelegenheiten einer größeren Öffentlichkeit bekannt gewor116 Francis Miller / Helen Hill, „Mare Nostrum“, in: The New Republic (Oktober 1930), 168–170; de Grazia, Irresistible Empire. 117 Francis Miller / Helen Hill, „Mare Nostrum“, in: The New Republic (Oktober 1930), 168–170, 169. 118 Miller/Hill, The Giant, 220, 229, 232 f. Ähnlich hatten sich schon Woodrow Wilson und Walter Lippmann geäußert. De Grazia, Irresistible Empire, 1–4; Miller/Hill, „Mare Nostrum“, in: The New Republic (Oktober 1930), 168–170, 170. Richard Müller-Freienfels schrieb im Zusammenhang mit seinen Ausführungen zur Amerikanisierung Europas ebenfalls über die zukünftige „euro-amerikanische(n) Welt“. 119 Von einer durch solchen Transfer sich entwickelnden gemeinsamen Kultur sprach auch der bekannte Soziologe der Universität von Chicago, Robert Ezra Park. Nach Iriye, The Cambridge History, 113. 120 Miller/Hill, The Giant, 238. 121 Vgl. Iriye, The Cambridge History, 68.

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den ist, hielt das Miller/Hill’sche Projekt nämlich für etwas realitätsfern. Solange die großen Mächte ihren ökonomischen Nationalismus nicht aufgäben und die Zolltarife stattdessen immer mehr anhöben, solange könne seiner Meinung nach auch keine North Atlantic Civilization entstehen und der Frieden überdies nicht gesichert werden.122 Hier kann nicht der Frage nachgegangen werden, inwieweit es sich bei dem North Atlantic Civilization-Projekt um eine auf die weitere Zukunft ausgerichtete Konzeptionalisierung des bereits in Gang Gekommenen gehandelt hat, doch dass amerikanische Waren, Finanzinvestitionen, Produktionsmethoden, Know-how und kulturelle Produkte in den zwanziger Jahren beschleunigt den Weg nach Europa fanden, steht außer Frage und ist auch bereits gründlich untersucht worden.123 Weniger bekannt ist, dass die Sowjetunion in solchen „progressiv“-liberalen Konzepten und Strategien noch eingeschlossen war.124 Offenbar hoffte das Autoren-Ehepaar Miller/Hill, dass der Warenstrom aus den USA die Demokratisierung auch in diesem Lande vorantreiben werde.125 Journalistische Beachtung fanden auch die zahlreichen amerikanischen Experten, die in Europa in diversen Organisationen arbeiteten, nicht zuletzt in jenen, die im Rahmen des Völkerbunds tätig waren.126 Der kenntnisreiche Publizist H. V. Kaltenborn berichtete 1925 in den Zeitschriften Century Magazine und Reader’s Digest von seinen diesbezüglichen Recherchen in Europa und den dort angrenzenden Ländern. Er zählte eine Reihe solcher Berater- und Hilfsdienste auf, die im Kontext des Völkerbundes und in Deutschland im Zusammenhang mit dem Dawes-Plan geleistet worden seien.127 Kaltenborn verband damit die Notwendigkeit, die USA müsse auch eine geistige Führerschaft übernehmen. „We have already won material power. We must

122 Raymond Leslie Buell, „An Empire of the Future“, in: The New Republic (März 1931), 105–106. 123 Siehe de Grazia, Irresistible Empire; zu England siehe Dimbleby/Reynolds, An Ocean Apart, 96–115; Iriye, The Cambridge History, 112–115. 124 Vgl. auch Alstyne, The Rising American Empire, 203. 125 So Miller/Hill, The Giant, 221; dies., „Mare Nostrum“, in: The New Republic (Oktober 1930), 168–170. Zwar erkannte die USA die Sowjetunion diplomatisch nicht an, aber der Handel dorthin weitete sich beträchtlich aus. Iriye, The Cambridge History, 85, 87; Lafeber, The American Age, 330; von Laue, The World Revolution, 163; siehe auch allg. Lasch, The American Liberals. So stammten beispielsweise 42 Prozent der neuen Filme, die in den zwanziger Jahren in Russland gezeigt wurden, aus den USA. Scherer, Einholen, 192. Viele Ausländer kamen nach Russland, um beim industriellen Aufbau des Landes zu helfen, darunter zahlreiche Deutsche und Amerikaner. Ebd., 194. 126 Howlett/Lieberman, A History, 231. 127 In Athen arbeiteten beispielsweise amerikanische Hilfsorganisationen mit dem Völkerbund zusammen, als es darum ging, Lager für Flüchtlinge zu errichten. Näheres in Iriye, The Cambridge History, 80 f.; dies., Cultural Internationalism, 65 f.

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achieve spiritual leadership.“128 Die im Jahre 1922 gegründete Zeitschrift Foreign Affairs sollte, wie die Herausgeber schrieben, für die besten Gedanken aus Amerika und Europa ein Forum bilden. Auffallend ist, dass die Verfasser fast aller Artikel eine aktive Politik der Vereinigten Staaten gegenüber Europa forderten.129 (4) Getrübt wurde dieser rege transatlantische Gedankenaustausch, die zahlreichen Berater- und Hilfsdienste sowie die intensivierte transatlantische Netzwerkarbeit lediglich durch einige Prognosen über einen zukünftigen Krieg in Europa. So sah der Yaler Geograph, Ökonom und Eugeniker Ellsworth Huntington, Autor des Buches The Charakter of Races (1924) schon 1925 im Scribner’s Magazine und im Reader’s Digest, dass einst die Deutschen ihre Expansion auf Russland ausdehnen werden. Er begründete dies damit, dass Deutschland noch über Führer verfüge, während Russland seine Führungsriege eliminiert habe.130 Hier wurden die unterschiedlichen Abläufe und Nachwirkungen der Revolutionen von 1917 und 1918 in Beziehung zueinander gesetzt und aus diesem einzigen Faktor nicht nur auf kriegerische Auseinandersetzungen, sondern auch auf den zukünftigen Kriegsausgang geschlossen. Die Kriegsprognose des amerikanischen Schriftstellers und Journalisten Frederick Palmer, der im Ersten Weltkrieg als Korrespondent tätig gewesen war, bezog sich ebenfalls auf Deutschland. Palmer prophezeite 1925 im Harper’s Magazine und im Reader’s Digest, dass ein Krieg Deutschlands gegen Polen beginnen werde, weil die Deutschen den polnischen Korridor und Danzig zurückgewinnen wollten131, womit er nur allzu Recht haben sollte. Den Ausbruch eines Kriegs prophezeite schließlich auch der französische Schriftsteller André Maurois in der amerikanischen Zeitschrift The Forum. Der kommende Weltkrieg, den er auf 1947 datierte, würde dreißig Millionen Menschen das Leben kosten, viele große Städte, inklusive New York, zerstören und populistische Diktatoren (dictators of public opinion) hervorbringen.132 Warum der Krieg gerade 1947 ausbrechen sollte, blieb allerdings offen. Die Zuspitzung der Kriegsgefahr lag offensichtlich auch für H. G. Wells aus der Sicht des Jahres 1922 nach einem ähnlich langen Zeitraum von zwanzig oder dreißig Jahren, falls bis dahin keine politische Einigung (political unification) gelungen sei.133 128 H. V. Kaltenborn, „America’s Place in the World“, in: The Century Magazine (April 1925), Kurzform in: The Reader’s Digest (April 1925), 49–50, 50. Offensichtlich kursierte dieses Konzept unter liberalen Internationalisten. 129 Costigliola, United States, 42. 130 Ellsworth Huntington, „The Suicide of Russia“, in: Scribner’s Magazine (Februar 1925), Kurzform in: The Reader’s Digest (März 1925), 685–686, 686. 131 Frederick Palmer, „Where the Next War Will Start“, in: Harper’s Magazine (November 1925), Kurzform in: The Reader’s Digest (Dezember 1925), 513–514. 132 Nach Kirkhorn, This Curious Existence, 133. 133 H. G. Wells, „In the Dawn of Human Greatness“, in: The Reader’s Digest (Dezember 1922), 595–596, 595. Der Text wurde auch in Collier’s Weekly veröffentlicht.

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Einige Prognostiker versuchten außerdem, die zukünftige Rolle Russlands einzuschätzen. Während Miller/Hill, wie schon erwähnt, den amerikanischen Warentransport und damit die amerikanische Lebensweise bis an den Ural vordringen sahen, sagte der irische Schriftsteller und Dichter James Stephens in der amerikanischen Zeitschrift The Forum 1930 den Kalten Krieg voraus. Er glaubte, dass Russland das übrige Europa vor allem auf kulturellem Gebiet stark attackieren werde und dass deshalb die USA Europa zu Hilfe kommen müssten. „It seems a fated destiny, then, the gigantic conflict of the future will be between America and Russia.“134 Dass Amerika und Russland die beiden bestimmenden Länder der Zukunft sein würden, meinte auch Graf Keyserling in derselben Zeitschrift 1929. „[M]odern Russia and America stand for the two foci of the New World in the Making […] they belong as polar opposites to an identical field of force“.135 Eine barbarische Zukunft prognostizierte 1929 der amerikanische Publizist Joseph Wood Krutch für Russland, falls das kommunistische Experiment sich halten könne. Allerdings liege Russland in seiner Entwicklung rund hundert Jahre zurück. Doch bestehe, so Krutch, die Gefahr, dass Amerika einst nicht mehr die Kraft haben werde, sich zu verjüngen (rejuvenation).136 Damit konterte der liberale Publizist Krutch die Faszination einiger Linksliberaler im Umkreis der Zeitschriften The Nation und The New Republic über die neue Planungskultur der jungen Sowjetrepublik. So hatte Freda Kirchwey, deren Texte eine prosowjetische Perspektive enthielten, ein ganzes Heft der Zeitschrift The Nation mit unterschiedlichen Beiträgen von Amerikanern und Europäern über die Sowjetunion organisiert.137 Als Zwischenfazit lässt sich festhalten, dass einige Themen in den liberalen Qualitätsmagazinen wenige Auffassungsunterschiede erkennen ließen, so wenn es um die Ablehnung der US-Politik in der Kriegsschuldenfrage ging sowie – hier in Übereinstimmung mit der US-Politik – um die Verwerfung des Projekts der Vereinigten Staaten von Europa. Hingegen waren der Kriegseintritt der USA und auch die Frage der Kriegsverursachung „heiße“ Themen, die die liberalen Intellektuellen und Publizisten spalteten. Mit Blick auf die Neukonstituierung des Verhältnisses der USA zu Europa kamen fünf Ideenkonglomerate bzw. vage Projektvorstellungen zur Sprache: eine anglo-amerikanische Allianz, die Vereinigten Staaten von Europa138, eine Atlantische Gemeinschaft (Atlantic Community), eine amerikanisch-britisch-französische Militärallianz sowie das Konzept einer Nordatlantischen Zivilisationsgemein134 James Stephens, „America’s Place in History. An Irish Dialogue“, in: The Forum (Februar 1930), 96–100, 97. 135 Hermann Graf Keyserling, „America and Germany“, in: The Forum (April 1929), 199– 203, 201. 136 Krutch, The Modern Temper, 162–169. 137 Alpern, Freda Kirchwey, 34, 47. 138 Der Völkerbund galt hingegen als globales Ordnungsmodell, siehe das folgende Unterkapitel.

7.3 Globale Ordnungssysteme

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schaft (North Atlantic Civilization). Doch nur das zuletzt genannte Konzept wurde durch den US-Export von Waren, Know-how und (Film-)Bildern schon damals ansatzweise in Gang gesetzt. Die anderen vier Konzepte bzw. Ideenkonglomerate verwiesen auf die Zeit nach 1945, in der auch die Bildung transatlantischer Eliten weiter voranschreiten sollte. Die Vorstellung einer sich im Aufbau befindlichen North Atlantic Civilization wurde allerdings durch die europabezogenen Kriegsprognosen empfindlich gestört, obgleich diese über das Niveau diskursiver Einsprengsel nicht hinaus gelangten. 7.3 GLOBALE ORDNUNGSSYSTEME Obwohl weite Teile der amerikanischen Gesellschaft nach Ende des Krieges wenig Interesse an internationaler Politik zeigten und obwohl sich ein Teil der Liberalen gegen die Pariser Vorortsverträge und sogar – wegen der damit verbundenen Selbstverpflichtungen – gegen den Völkerbund wandte139, stimulierten die stark erweiterten Handlungsmöglichkeiten der USA die breit angelegten Diskussionen vieler liberaler und international engagierter Publizisten. In den folgenden Ausführungen liegen die Schwerpunkte auf der Herausarbeitung der diskursiven Zusammenhänge, in denen globale Ordnungsmodelle (1), pazifistische Bestrebungen (2) sowie global ausgerichtete Prognosen (3) zum Zuge kamen. (1) Jenseits von weitgreifenden Zukunftsvisionen und Utopien wurden einige konkrete globale Ordnungsmodelle entworfen, das Unionsmodell war eins davon. In der Zeitschrift The Forum vertrat Frank Bohn 1930 die Auffassung, dass die USA das Projekt der Vereinigten Staaten von Europa nicht zuletzt deshalb unterstützen sollten, weil in der Bildung von großen Föderationen generell die Richtung weiterer Weltentwicklung zu suchen sei. Er sah in der Zukunft fünf große kontinentale Unionen im Entstehen, vielleicht auch sieben, und zwar die Vereinigten Staaten von Nordamerika, von Lateinamerika, von Westeuropa, von Russland und von China. Hinzu könnten seiner Ansicht nach wahrscheinlich noch das britische Commonwealth und vielleicht auch die Vereinigten Staaten von Indien kommen.140 Als Vorbilder dienten, neben der neuen Union der jungen SU, vor allem die Vereinigten Staaten von Amerika.141 Der hauptsächliche Bezug auf die USA lag auch nahe, denn im Vergleich zu den zahlreichen innereuropäischen Kriegen hatten sich die amerikanischen Unionsstaaten seit Beendigung des Bürgerkriegs be139 Hendrickson, Union, 325. Auch die Zeitschrift The Nation konnte dem Versailler Vertrag nicht viel Sinnvolles abgewinnen. 140 Frank Bohn, „The U. S. of Europe“, in: The Forum (Mai 1930), 290–293, 293. Dabei fällt auf, dass Großbritannien losgelöst von Europa positioniert wurde. Siehe Salvador de Madariaga, „The Disunited States of Europe“, in: The Forum (Oktober 1930), 246–249, 247. 141 Hendrickson, Union, insb. 11.

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kanntlich ungeachtet aller fortbestehenden Spannungen zu einer friedvollen Föderation entwickelt. Mit einigem Stolz konnte deshalb auf die Außergewöhnlichkeit und den globalen Modellcharakter der amerikanischen Staatenunion hingewiesen werden. Um global-föderale Ordnungsentwürfe ging es auch dem Sozialphilosophen Randolph Bourne, ebenfalls aus einer Außenseiterposition heraus. Seine Vorstellung, die USA seien eine „Weltföderation en minature“ wollte er nicht nur als eine „neue Vision“ für die amerikanische Gesellschaft, sondern auch als Vision für eine neue Weltordnung verstanden wissen. Dementsprechend plädierte er für einen nach innen und außen gerichteten Kosmopolitanismus: „Already we are living this cosmopolitan America. What we need is everywhere a vivid consciousness of the new ideal.“142 Sein viel zitierter Aufsatz über „Trans-national America“ war allerdings mehr auf die amerikanische Gesellschaft und weniger auf die avisierte Weltordnung gerichtet. Vermutlich bedingt durch seinen frühen Tod 1918, fehlen weitere Ausführungen über die Frage, wie er seine inneramerikanische Sichtweise auf einen globalen Ordnungsentwurf transferieren und damit die Verbindungslinien zwischen Innen und Außen ziehen wollte. Das Interesse an Unionen als Grundmuster globaler Ordnungen lenkte den Blick auch auf das alte Bolivar’sche Projekt einer Pan America Union, eines Zusammenschlusses aller amerikanischen Nationen. Seit den 1870er Jahren hatten immer wieder Inter-American conferences stattgefunden, die schließlich 1890 auf US-Initiative zu einer Pan-Amerikanischen Union mit Übereinkünften auf wirtschaftlicher und rechtlicher Basis führten. Von vielen Zeitgenossen wurde nun der Unionsgedanke mit der angekündigten Überwindung der in Europa kultivierten balance of power-Politik in Verbindung gebracht. Gegen Kriegsende interpretierte Wilson die Pan American Union sogar als Vorstufe einer Organisation, wie er sie für den Völkerbund plante.143 Der amerikanische Korrespondent und Autor Arthur Bullard sah 1923 in Our World und im Reader’s Digest umgekehrt für die Weiterentwicklung der Idee einer Panamerikanischen Union nur dann eine Chance, wenn die darin zusammengeführten Nationen zusätzlich in eine übergeordnete Organisation, wie die des Völkerbunds, integriert würden und dort auch schwächere Staaten eine Stimme erhielten.144 Doch soweit kam es bekanntlich nicht.145 Solche Überlegungen zeigen ausschnittartig, wie viele Potenziale dem Völkerbund zugeschrieben wurden. Durch ihn sollte schließlich die Realität 142 Bourne, Trans-National America, 117, 122. 143 Nach Mazower, Governing the World, 123. 144 Arthur Bullard, „A Union of the Americas“, in: Our World (April 1923), Kurzform in: The Reader’s Digest (April 1923), 81–82. 145 Doch sollte es bis nach dem Zweiten Weltkrieg dauern, bis eine Erneuerung des panamerikanischen Gedankens in Form der Gründung der Organization of American States (OAS) erfolgte.

7.3 Globale Ordnungssysteme

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der Großmächte mit dem demokratischen Prinzip der Völkergemeinschaft versöhnt werden.146 Die bisher üblichen Allianzen sowie die balance-of-power-Politik würden dann ebenfalls der Vergangenheit angehören, so Wilsons Hoffnung. Eine solche Organisation böte den USA auch die Möglichkeit, die Außenpolitik der europäischen Länder zu kontrollieren.147 Doch diese Wilson’sche Sicht über die Einbindung der USA in den Völkerbund war in den USA bekanntlich äußerst strittig. Sicherlich, in der liberalen, internationalistisch gesinnten Nachkriegsöffentlichkeit des Landes, die von Teilen der neuen Mittelschichten und Akademikern getragen wurde, gab es viele Stimmen, die mit der Wilson’schen Politik sympathisierten. In einem solchen Sinn warb u. a. Robert W. Bruère, der spätere Konfliktberater Franklin D. Roosevelts, 1919 im Harper’s Magazine nicht nur für ein allgemeines internationales Engagement der USA, sondern auch konkret für die Bildung einer Society of Nations. Die Amerikaner seien nun Weltbürger geworden und so dürfe auch die US-Politik nicht mehr nur nationale Zwecksetzungen verfolgen. „American purposes are going to be tested by the purposes of mankind and not by the purposes of national ambition.“148 Am besten sei deshalb die Schaffung eines internationalen Ordnungssystems, hob auch der bekannte Publizist Edward S. Martin 1922 hervor. Die USA müsse, so Martin, auf die Zukunft Europas jedenfalls Einfluss ausüben, um die Spannungen zwischen den dortigen Nationen zu verringern.149 Raymond Leslie Buell von der Harvard Universität und Verfasser zweier Bücher über internationale Beziehungen erachtete 1925 in The Yale Review und The Reader’s Digest eine Einbindung der USA in den Völkerbund nach wie vor für sinnvoll, zumal dadurch erreicht werden könne, dass sich der Ruf der USA als imperialistische Interventionsmacht nicht noch mehr verfestige.150 Der in den USA recht bekannte französische Journalist Francis Delaisi, der seine Hoffnungen auf eine konstruktive Weltregierung (government of the world) nicht aufgegeben hatte, sah noch 1925 vielversprechende Ansätze sowohl im Völkerbund als auch in mehreren, global agierenden Unternehmen, etwa der Internationalen Handelskammer und dem International Labor Office in Genf. Erst müsse jedoch die nationale Ausrichtung der Wirtschaftspolitik überwunden werden.151 146 Mazower, Governing the World, 153. 147 Ambrosius, Wilsonian Statecraft, 142 f. 148 Robert W. Bruère, „Changing America. The New Nationalism“, in: Harper’s Magazine (Februar 1919), 289–294, 289, 294. Robert W. Bruère war Autor, Forscher und Experte für industrielle Beziehungen. Er war auch associate editor der sozialreformerischen Zeitschrift The Survey. 149 Edward S. Martin, „A Christmas Message“, in: The Reader’s Digest (Dezember 1922), 589–590. Martin veröffentlichte 1909 das Buch The Wayfarer. 150 Raymond Leslie Buell, „American Imperialists“, in: The Yale Review (Oktober 1925), Kurzform in: The Reader’s Digest (November 1925), 455–458, 458. 151 Siehe die von J. A. Hobson verfasste Besprechung des Delaisi’schen Buches (Political Myths and Economic Realities, London 1925), in: The Nation (November 1927), 575.

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Den Völkerbund begrüßten auch die Women’s Peace Union (WPU) unter Führung von Jane Addams sowie das National Committee on the Cause and Cure of War (NCCCW), das von der ehemaligen Suffragistin Carrie Chapman Catt geleitet wurde.152 Konservative Internationalisten, wie Elihu Root, der Vorsitzende der American Society of International Law, setzten ihre Hoffnungen jedoch stärker auf eine Einbindung der USA in ein internationales Rechtssystem, wie dem Haager Gerichtshof.153 Da wenig bekannt ist, wie die Leser und Leserinnen der liberalen Zeitschriften über das Verhältnis der USA zu internationalen Organisationen dachten, stößt die Umfrage, die die Zeitschrift The Forum unter ihrer Leserschaft 1925 durchführte, auf besonderes Interesse. Die Frage lautete, ob sich die USA isolieren oder an internationalen Organisationen beteiligen sollten. Zwar gaben die Herausgeber nicht bekannt, wie hoch die Zahl der Einsendungen war, aber sie veröffentlichten immerhin die prozentuale Verteilung der Stimmen. Demnach traten 35 Prozent für eine Mitarbeit in Organisationen wie dem Völkerbund und dem Haager Gerichtshof ein. Weitere 33 Prozent sprachen sich zwar für den Beitritt Amerikas zu einer internationalen Einrichtung aus, verzichteten indessen auf eine nähere Spezifizierung derselben oder plädierten für eine Organisation, die für die USA weniger Engagement (als der Völkerbund) verlangte. Schließlich votierten fünf Prozent für einen föderalen Superstaat im Weltmaßstab (United States of the World). Den 73 Prozent der Leserbriefschreiber, die in diversen Formen eine ordnungspolitische Kooperation mit anderen Nationen anstrebten, standen nur rund dreizehn Prozent gegenüber, die eindeutig für eine isolationistische Politik plädierten. Schließlich befürworteten rund drei Prozent eine wechselnde Politik je nach den Gegebenheiten (opportunism).154 Einige Antworten veröffentlichte das Magazin.155 Ein gewisser H. G. Doyle aus Washington, D. C. machte eine internationale Kooperation erstens von der Beendigung des Misstrauens anderer Län-

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Originalfassung: ders., Les contradictions du monde moderne, Paris 1925, insb. Kap. XVII, 467–518. Ein so weitgespanntes Völkerbund-Konzept entsprach indessen nicht den ursprünglichen Intentionen der Gründer dieser internationalen Vereinigung. Smith, America’s Mission, 95, 105. Alonso, The Women’s Peace Union, XXIV. Vgl. Elihu Root, „Steps Toward Preserving Peace“, in: Foreign Affairs (April 1925), 352; siehe auch den Artikel des Harvard-Professors für Internationales Recht, Manley O. Hudson, „The Liberals and the League“, in: The Nation (April 1923), 383–384. Allerdings verbanden die Vertreter eines internationalen Rechts, wie Root, ihre Friedensvorstellungen generell mehr mit internationalen Rechtsinstitutionen, während sich Wilson und seine Anhänger in solchen Fragen vielfach auf moralische Grundsätze beriefen. Mazower, Governing the World, 92 f., 121. „Cooperation or Isolation? Twelve Selected Letters From Our Readers“, in: The Forum (Juni 1925), 915–921, 919–921. Rund zehn Prozent der Vorschläge konnten nicht eingruppiert werden. Ebd.

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der gegenüber Amerika abhängig und zweitens davon, dass sich die Amerikaner ihrerseits mehr für andere Länder interessierten. Durch Kooperation mit anderen Staaten könne die Western Civilization gesichert werden, meinte Frank Aydelotte, Präsident des Swartmore College in seinem Leserbrief. Und Andrew D. Hopkins aus Parkersburg, Westvirginia, der ebenfalls für eine internationale Kooperation eintrat, zählte die großen Probleme der Menschheit auf, die auf solche Weise einer Lösung näher gebracht werden könnten.156 An den veröffentlichten Zuschriften fällt auf, dass diese sich nur mehr teilweise auf Europa bezogen, während Weltzusammenhänge und globale Horizonte in den Vordergrund traten.157 Weil die Redaktion der Zeitschrift selbst international eingestellt war, verwundert es nicht, dass nur relativ wenige isolationistische Auffassungen veröffentlicht wurden, die an sich im Lande großen Rückhalt fanden, wenngleich vielleicht nicht gerade unter der Leserschaft dieser Zeitschrift.158 Hinter dem gebräuchlichen Begriff des Isolationismus verbargen sich allerdings unterschiedliche Haltungen, wie auch die Umfragen zeigen. Grundsätzliche Isolationisten fand man unter konservativen Protestanten. Diese vertraten häufig einen Nationalismus, der prinzipiell die Idee einer Weltföderation und internationale Organisationen ausschloss.159 Das Gros der so genannten Isolationisten wandte sich hingegen „lediglich“ gegen die konkrete Architektur einer Organisation wie die des Völkerbundes. Frank H. Simonds befürchtete beispielsweise 1928 in der Zeitschrift The Review of Reviews und im Reader’s Digest, dass aus dem Völkerbund später eine europäische Konföderation entstehen könnte160, was nicht im amerikanischen Interesse läge. Das Gros der Völkerbund-Gegner verwarf indessen primär die im Völker-

156 Außer der Vermeidung von Kriegen und der Förderung von ausgewogenem Wohlstand (balanced prosperity) wurden folgende Punkte genannt: 1. ausreichende Nahrungsmittel für die wachsende Bevölkerung, 2. Kampf gegen Krankheiten von Menschen, Tieren und Pflanzen, 3. Eugenik und Geburtenkontrolle, 4. Probleme der Migrationen und der geografischen Verteilung landwirtschaftlicher Erträge, 5. wissenschaftliche und ökonomische Anpassung der verschiedenen Aktivitäten an die klimatischen Bedingungen, 6. ökonomische Entwicklung der unbewohnten tropischen Gebiete und 7. Erhalt der natürlichen Ressourcen. 157 „Cooperation or Isolation? Twelve Selected Letters From Our Readers“, in: The Forum (Juni 1925), 915–921. 158 Eine Ausnahme war der Leserbrief eines gewissen C. S. Lee aus New York, der nicht nur für eine Isolation, sondern auch für eine Aufrüstung Amerikas eintrat. „Cooperation or Isolation? Twelve Selected Letters From Our Readers“, in: The Forum (Juni 1925), 915–921. 159 Preston, Sword, 255. 160 Frank H. Simonds, „‚America Comes of Age‘ – in Europe“, in: The Review of Reviews (März 1928), Kurzform in: The Reader’s Digest (Mai 1928), 5–8, 7. Simonds verfasste eine Geschichte des Ersten Weltkriegs.

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bund-Vertrag vorgesehenen internationalen Verpflichtungen.161 Man musste gar kein überzeugter „Isolationist“ sein, um zu befürchten, dass die USA durch einen Beitritt zum Völkerbund in einen neuen Krieg hineingezogen werden könnten, den sie gar nicht wollten.162 Das Konzept wirkte offenbar in den Vereinigten Staaten zu europäisch163 und passte nicht zu all den Tendenzen, die damals auf eine „Enteuropäisierung“ der USA ausgerichtet waren. Bei jenen Publizisten und Politikern, die die konkrete Struktur des Völkerbunds ablehnten, war der Artikel X des Vertragsentwurfs, der eine Verpflichtungsklausel im Konfliktfall beinhaltete, der Stein des Anstoßes.164 Zu den Gegnern des Artikels X der Völkerbundsatzung gehörten sowohl liberale Gruppen als auch die so genannten Reservationisten, zu denen u. a. William Randolph Hearst sowie die republikanischen Senatoren Hiram Johnson aus Kalifornien und William E. Borah aus Idaho zählten.165 Weil Präsident Wilson jedoch nicht nachgab, war die Ablehnung des Völkerbunds im US-Senat 1920 nicht mehr zu verhindern, woraufhin die isolationistische Grundstimmung innerhalb Teilen der Bevölkerung gefestigt und mit dem Nimbus der Verfolgung wahrer nationaler Interessen versehen wurde.166 Doch nicht nur wandten sich Republikaner gegen den Völkerbund-Vertrag, sondern auch die „progressiv“-liberale Zeitschrift The New Republic sowie übrigens auch die allermeisten Tageszeitungen.167 Der an sich internationalistisch eingestellte Herausgeber der New Republic, Herbert Croly, lehnte nicht nur den Völkerbund, sondern die gesamten Pariser Vorortsverträge ab, weil diese nach seiner Ansicht einem unmenschlichen Monster (inhuman monster) glichen und deshalb wenig friedliebende Nationalismen in Europa befördern würden.168 Der Mitherausgeber Walter Lippmann, wandte sich ebenso gegen den Völkerbund, und zwar wiederum wegen der Verpflichtungen des Artikels X. Das kostete die Zeitschrift allerdings die Wilson-Anhänger unter ihrer Leserschaft, die zur Villard’schen Zeitschrift The Nation abwanderten, da dieses Blatt dem Eintritt der USA in den Völkerbund prinzipiell positiv gegenüberstand.169 161 Zu den Widersprüchen des Isolationismus siehe schon Barnes, The History, 922–924, rückblickend aus dem Jahr 1935. 162 Lears, Rebirth, 349, 351. 163 Mazower, Governing the World, 140. 164 Der Artikel X verpflichtete die Bundesmitglieder zur (militärischen) Abwehr, falls eines der Bundesmitglieder von außen angegriffen wird. 165 Kennedy, Over Here, 361; Mazower, Governing the World, 138–141. 166 Hendrickson, Union, 338. Mazower, Governing the World, 140 f. 167 Higham, Strangers, 270. 168 Vgl. auch Lasch, The New Radicalism, 220; Iriye, The Cambridge History, 68–72; Zitat in Kennedy, Over Here, 359. 169 Doch auch diese Zeitschrift hatte mit Problemen zu kämpfen. Im Krieg war ihr nämlich der Ruf zuteil geworden, prodeutsch und pazifistisch eingestellt zu sein. Und als sie der Russischen Revolution überdies so manches Mal Empathie entgegenbrachte, erfuhr das

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Bemerkenswert an den gesamten Diskussionen über den Völkerbund ist, dass diese zeitlich weit über die Ablehnung der Vertragsratifizierung im Jahr 1920 hinausreichten und im Grunde die ganzen zwanziger Jahre hinweg andauerten. Offenbar verbanden sich zu viele Hoffnungen mit den neuen Handlungsmöglichkeiten der USA und dabei konnte der Völkerbund nicht übersehen werden. Ein weiteres Kennzeichen der Diskussionen war, dass die pround contra-Stimmen quer durch das liberale Lager gingen, wie dies durch die unterschiedliche Haltung der beiden führenden liberalen Zeitschriften The New Republic und The Nation deutlich wurde. Die Diskussionen zeigen überdies das große Spektrum des so genannten Isolationismus auf – an einem Ende der Wunsch nach einem prinzipiellen Rückzug der USA vom Weltgeschehen, am anderen Ende die ablehnende Haltung gegenüber allen völkerrechtlichen Vertragsverpflichtungen für die USA. Während der Völkerbund in den USA im Senat 1920 abgelehnt wurde, erfreute sich das bereits 1922 zustande gekommene Washingtoner Flottenabkommen großer Zustimmung. Der Senat billigte diesen Vertrag mit nur einer Gegenstimme, die Republikaner verbuchten den Erfolg für sich170, die Weltöffentlichkeit reagierte euphorisch.171 In diesem Vertrag wurde das Verhältnis der Flottenstärke in Bruttoregistertonnen zwischen den Ländern USA, Großbritannien, Japan, Frankreich und Italien neu geregelt.172 Der Pakt galt als ein Teil der Friedenssicherung und der internationalen Ordnung in Ostasien.173 Darüber hinaus sicherte er die Gleichstellung der amerikanischen Flottenstärke mit der britischen völkerrechtlich ab. Kein Wunder, dass die britischen Admirale verlegen und verdutzt auf ihren Stühlen saßen, als der Secretary of State, Charles Evans Hughes, das neue Flottenverhältnis in einer „bombshell speech“ verkündete.174 Die amerikanische liberale Öffentlichkeit begrüßte hingegen das Abkommen, das die republikanische Harding-Regierung zu Wege gebracht hatte, und interpretierte den Vertrag über die Flottenstärke sogar als Teil einer neuen Weltordnung.175 Das Abkommen symbolisierte für viele Zeitgenossen diesseits und jenseits des Nordatlantiks außerdem die Ablösung der britisch-europäischen Suprematie durch die USA. Reinhold Niebuhr interpretierte die Übereinkunft in diesem Sinne als ein Zeichen, dass Großbritannien die Beziehungen zu den USA nicht gefährden wolle und des-

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Magazin in der Zeit des Red Scare nach dem Krieg von Seiten der Behörden beträchtliche Unannehmlichkeiten, unter anderem wegen der Überschrift Civil Liberty dead, mit dem das Editorial eines Heftes versehen war. Emery/Emery, The Press, 297. Dingman, Power, 213. Adams, Die USA, 51. Das Verhältnis belief sich auf 5 (USA) zu 5 (Großbritannien) zu 3 (Japan) zu 1,75 (Frankreich) zu 1,75 (Italien). Goldstein/Maurer, The Washington Conference, 2. Dingman, Power, 196. Ebd., 197.

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wegen gegenüber der amerikanischen Suprematie endgültig kapituliert habe176, wenngleich, so kann ergänzt werden, mit nicht geringer Wehmut.177 Das Washingtoner Abkommen würdigten liberale Internationalisten außerdem als Zeichen der Abrüstung. Die USA hatten nämlich seit 1916 eine größere Stärke für ihre Flotte ins Auge gefasst, doch ließen sie dieses Vorhaben nun fallen.178 War nicht hier – wie auch im Völkerbund – tatsächlich der Grundstein für eine neue Weltordnung gelegt?179 Doch gab es auch kritische Stimmen, so in der Zeitschrift The Nation. Die Redaktion fragte ihrer pazifistischen Grundstimmung getreu, warum die USA überhaupt weiter aufrüsten sollten und ob Aufrüstung wirklich eine Vorbedingung sei, um in der Welt gehört zu werden und Respekt zu erlangen?180 Das Washingtoner System implizierte ferner eine Machtverschiebung gegenüber China, und zwar zu Lasten von Großbritannien und Russland und zu Gunsten der USA.181 Die USA legten großen Wert darauf, dass Japan und die europäischen Mächte China nicht aufspalteten, wie dies mit dem Osmanischen Reich einst geschehen war. Am Washingtoner System lässt sich der Bedeutungsschwund Europas im Weltkalkül der USA gut aufzeigen. Während der Westen die Stärke Japans fürchtete, waren die Japaner ihrerseits darüber düpiert, dass es ihnen nicht gelang, bei der Festlegung der Flottenstärke volle Gleichberechtigung zu den USA und zu Großbritannien durchzusetzen. Schärfere Konturen erhielt infolgedessen jenes Fremdbild, bei dem The West in einem globalisierten Kontext als US-dominierte Interessengemeinschaft gegenüber The East dargestellt wurde. Großbritannien konnte nämlich zukünftig in dieser Region keine Politik mehr ohne Zustimmung der USA machen. Und die USA standen nicht mehr vor der Gefahr, im Falle eines Krieges mit Japan gegen Großbritannien kämpfen zu müssen. Das Washingtoner Ab-

176 Die amerikanische Flotte spielte schon vor dem Ersten Weltkrieg in der politischen Publizistik der USA eine große Rolle. So hatte diesbezüglich der Marinehistoriker Alfred T. Mahan auf amerikanische Sicherheitsinteressen hingewiesen und das damalige deutsch-englische maritime Wettrüsten als eine Bedrohung für die USA angesehen, was dann auch zur Aufrüstung der USA als Seemacht führte. Reinhold Niebuhr, „Awkward Imperialists“, in: The Atlantic Monthly (Mai 1930), Kurzform in: The Reader’s Digest (Januar 1930), 106–108. 177 Siehe u. a. C. E. M. Joad, „Does England Dislike America“, in: The Forum (November 1928), 692–698, 693. 178 Die vertraglich festgelegte Begrenzung umfasste freilich nicht alle Schiffstypen. So waren kleinere Schiffe, wie Kreuzer, davon ausgenommen. Zudem kam damals der Bau der Luftwaffe schon in Gang, wodurch sich die Bedeutung der Flotten verringerte. 179 So auch der französische Journalist Francis Delaisi (François Délaisi). Siehe die Besprechung seines Buches Political Myths and Economic Realities, London 1925, in: The Nation (November 1927), 575. 180 Siehe o. V., o. T., in: The Nation (März 1921), 467. 181 Lafeber, The American Age, 320, 325; vgl. zum Washingtoner System auch Iriye, The Cambridge History, insb. 82, 85.

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kommen galt zusammenfassend gesehen als ein historischer Wendepunkt mit großer Symbolik und ein Schritt in Richtung Friedenssicherung.182 (3) Um mehr als ein solches Friedenssignal ging es indessen der Friedensbewegung, die in den USA der zwanziger Jahre über einen bemerkenswert großen Anhang verfügte, wobei viele noch vom „progressiven“ Geist der Vorkriegszeit beeinflusst waren. Die Erhaltung des Weltfriedens sollte ihrer Ansicht nach zum obersten Ziel amerikanischer Politik erhoben werden, wie zum Beispiel der Rechtsanwalt und Politiker David Hunter Miller 1924 in The Forum meinte.183 Zwar gab es nur fünfzig Friedensvereine in den USA, doch die Unterstützung des Friedengedankens war damals weit verbreitet und reichte von der Socialist Party und vielen Arbeiter-Studenten des Brookwood Labor College in Katonah, New York, bis hin zu den Handelskammern und zu konservativen Kreisen. Insgesamt sollen in den zwanziger Jahren 45 bis 60 Millionen Amerikaner und Amerikanerinnen gegenüber der Friedensidee aufgeschlossen gewesen sein.184 Dazu gehörte vor allem Oswald Garrison Villard, Herausgeber der Zeitschrift The Nation, der stark pazifistisch eingestellt war, ebenso wie sein engster Vertrauter und Redaktions-Manager Ernest Gruening. Nach eigener Einschätzung vertraten die Pazifisten zum einen die wahren Werte ihres Landes, zum anderen die Idee eines transnationalen Austauschs Gleichgesinnter, um gemeinsam gegen einen selbstsüchtigen Nationalismus und für einen wahren Nationalismus (true nationalism) zu kämpfen.185 Kennzeichen der amerikanischen Friedensbewegung war die Zweigleisigkeit in der Verfolgung ihrer Zielsetzung: internationaler Frieden auf der einen Seite und nationaler Amerikanismus auf der anderen Seite.186 Dementsprechend betonten Pazifisten stets auch die nationale Bedeutung ihrer Bewegung und legten gleichzeitig großen Wert auf die Ausdehnung der internationalen Kooperation187 sowie die Förderung einer internationalen Moral (international morality).188 Amerikanische Aktivistinnen, die während des Krieges schon gegen die Kriegsgräuel eingetreten waren und dabei die besondere Sensibilität der Frau 182 Vgl. Miller/Hill, The Giant, 131, 133. 183 David Hunter Miller, „American Foreign Policy“, in: The Forum (Mai 1924), 657–662. Vgl. auch zum Folgenden Iriye, The Cambridge History, 103–111. 184 Dallek, The American Style, 95–97. 185 Näheres siehe Iriye, The Cambridge History, 103–115. Iriye bezog sich auf James T. Shotwell, Historiker an der Columbia Universität. 186 Dallek, The American Style, 96. Einen kritischen Blick auf die angeblich kriegstreibenden „amerikanischen Kapitalisten“ im eigenen Land warf u. a. der Journalist Edgar Ansel Mowrer. Mowrer, Amerika, 144. 187 Dawley, Changing the World, Foto auf der Seite nach 338, siehe auch 335. Carrie Chapman Catt leitete, wie erwähnt, das National Committee on The Cause and Cure of War (NCCCW) und organisierte jährlich internationale Konferenzen für friedensaktive Frauen. Howlett/Lieberman, A History, 235. 188 Will Durant, „Our changing morals“, in: The Forum (April 1929), 226–231, 231.

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gegenüber menschlichem Leben und Leiden herausgestellt hatten189, waren in der internationalen Friedensbewegung der Nachkriegszeit besonders aktiv. Ihre transnationale Kooperationsfreude litt allerdings in den ersten Jahren nach Kriegsende noch unter den ernüchternden Erfahrungen, die mit dem nationalistischen Kriegspatriotismus gemacht worden waren, dessen Sogwirkung auch ein beträchtlich großer Teil der Frauen in den diversen kriegsführenden Ländern unterlegen war. Gleichwohl erschien nach Beendigung des Krieges vielen Aktivistinnen, vor allem Jane Addams, Carrie Chapman Catt und Emily Greene Balch, ein internationales Agieren gerade auf Grund der Kriegserfahrungen notwendiger denn je zu sein. Zahlreiche ehemalige Suffragisten und Reformerinnen aus der Progressive Era, vielfach gut ausgebildete, in der Regel verheiratete Frauen aus weißen Mittelschichten190, sahen in einem solchen Engagement für den Frieden eine neue sinnvolle Aufgabe zur Verfolgung humanitärer, auf Vertrauen basierender Ziele in nationalen und internationalen Kontexten.191 Unterstützt wurde der auf Friedenssicherung bedachte und auf internationale Kommunikation und Kooperation ausgerichtete Zeitgeist auch durch verschiedene international besetzte Ausschüsse des Völkerbunds, in denen Vertreter der USA mitarbeiteten. Gleichzeitig widmeten sich Forschungsinstitute in den USA, beispielsweise eines an der Universität von Chicago, der Analyse von Krieg und Frieden, wenn auch meist nur auf allgemeine Perspektiven und abstrakte Horizonte ausgerichtet.192 Zur Völkerverständigung ge189 So Jane Addams, nach O’Leary, To Die For, 222; vgl. Walby, Woman, 247 f. 190 Die Aussagen beziehen sich primär auf die 1919 gegründete Women’s International League for Peace and Freedom. Schott, Reconstructing, 6 f.; zu Addams Gedankenwelt ebd., 17–28. 191 Die transatlantische Brückenfunktion der Friedensidee faszinierte damals auch zahlreiche Europäer. So entwarf der französische Schriftsteller Romain Rolland eine Erklärung, in der er die Aufgabe der Intellektuellen formulierte, die darin bestehe, eine internationale Verständigung zu Wege zu bringen, die durch eine entsprechende, neu zu entwickelnde Kultur zustande kommen sollte. Rolland setzte auf internationale Kommunikation in kulturellen Bereichen, falls die Staaten gegeneinander Waffen erhöben. Die Intellektuellen hätten die Pflicht, die Massen von chauvinistischen Attitüden abzubringen. Iriye, The Cambridge History, 108; dies., Cultural Internationalism, 56. Bekannt wurde auch der Briefwechsel zwischen Sigmund Freud und Albert Einstein aus dem Jahre 1932, in dem diese ihre Ansichten über Krieg und Frieden austauschten und sich optimistisch zu den künftigen Friedenschancen äußerten. Iriye, The Cambridge History, 109. Liberale Gedankengänge wiesen in allen wichtigen Ländern in die gleiche (friedenssichernde) Richtung, meinte H. G. Wells hoffnungsvoll. Wells, Outline, 582. Der hier zum Ausdruck gebrachte Optimismus, dass Intellektuelle als transnationale Vermittler zwischen den Staaten fungieren und den Chauvinismus in ihren jeweiligen Ländern besänftigen könnten, stieß allerdings auf den Widerstand der damals recht zahlreichen Nationalisten eines jeden Landes. Vgl. Iriye, Cultural Internationalism, 56–61; dies., The Cambridge History, 108 f. 192 Iriye, The Cambridge History, 105 f.; Dallek, The American Style, 95; Mazower, Governing the World, 143, 149.

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hörte zudem ein expandierender Kulturaustausch, insbesondere in Form von Ausstellungen und Konzerten, um auch von dieser Seite das wechselseitige Verstehen zwischen den Nationen zu fördern. Allein in den USA widmeten sich 350 Vereine dieser Aufgabe.193 Vom kulturellen Nationalismus war in solchen Kontexten bezeichnender Weise nicht die Rede. Selbst ein Teil der so genannten Isolationisten beschäftigte sich aus friedenssichernden Motiven heraus mit internationalen Fragen, vor allem die Peace Progressives. Diese Friedensaktivisten gehörten allerdings der Minderheit des Senats an und stammten vielfach aus dem republikanischen Lager des Mittleren Westens.194 Die Friedensbewegten unter den republikanischen Senatoren verfolgten eine anti-imperialistische und anti-militaristische Politik, traten entschieden gegen jegliche traditionelle Machtpolitik ein, arbeiteten mit Teilen der Friedensbewegung zusammen und wollten – neben dem wirtschaftlichen – auch den kulturellen und ideologischen Austausch in den internationalen Beziehungen stärken.195 Sie kombinierten ihre hauptsächlich moralischen Beweggründe mit strategischen und langfristig ökonomischen Zielsetzungen. Von der Wilson’schen Politik unterschieden sich diese Friedensaktivisten vor allem dadurch, dass sie die vom Präsidenten vorgesehenen Verpflichtungen der USA im Völkerbund sowie das Mandatssystem bei der Neuordnung ehemaliger deutscher Kolonien ablehnten. In ihren Augen schädigte der europäische, aber auch der japanische Imperialismus auf lange Sicht die Sicherheitsinteressen der USA. Sie betrachteten die Sowjetunion als das damals stabilste System in Europa und plädierten für dessen völkerrechtliche Anerkennung. Den USA müsse es aber auf Grund ihrer moralischen Kraft gelingen, gleichzeitig den Einfluss der Bolschewiki zu minimieren, um auf diese Weise in der Sowjetunion die Einrichtung eines demokratischen Systems zu erleichtern.196 Die Friedensrepublikaner entwickelten zudem Vorstellungen über eine neue Weltordnung. Dazu gehörte die Unterstützung nationaldemokratischer Bewegungen in unterentwickelten Ländern, etwa in China.197 Avisiert wurde in solchen Kontexten eine Welt von unabhängigen national denkenden Staaten, auf deren Basis eine friedvolle, ökonomisch offene Weltordnung entstehen sollte. 193 Iriye, The Cambridge History, 110. Hier ist vor allem an das Institute for Pacific Relations zu erinnern, das seinen Sitz erst in Honolulu, dann in New York hatte. 194 Robert David Johnson analysierte in seiner Studie von 1995 die außenpolitischen Vorstellungen dieser Gruppe von Senatoren und zeichnete ein Bild, das im Unterschied zur älteren Literatur nicht mehr deren regionale und agrarpolitische Einbindung betonte, sondern ihr genuines Interesse an einer amerikanischen Außenpolitik, die aus ihrer Sicht ebenfalls dem Aufbau einer friedlichen Weltordnung dienen sollte. Johnson, The Peace Progressives, 2–7, 147–149, 234. Zu nennen sind u. a. William E. Borah, George Norris, John Blain, Robert La Follette, Smith W. Brookhart, Asle Gronna und William Kenyon. 195 Ebd. 196 Ebd., 143–146, 149, 156. 197 Ebd., 147, 149.

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7 Amerikanisierung der Globalpolitik. Postulate, Projekte und Prognosen

Die Peace Progressives unter den Republikanern vertraten einen Weg jenseits der Wilson’schen Politik einerseits und dem allein auf die Geschäftswelt bezogenen Internationalismus der amerikanischen Administration (business internationalism) in Form der Dollar-Diplomatie andererseits. Dabei überschätzten sie die Einflussmöglichkeit, die die USA auf die europäischen Staaten und auf deren imperialistische Politik hatten.198 Sie traten zwar als Politiker aus dem mittleren Westen nicht so entschieden für die Bildung einer transnationalen Elite ein wie die von der Ostküste. Doch ihr Plädoyer für einen stärkeren kulturellen Austausch zwischen den Nationen sowie ihre Zusammenarbeit mit der Friedensbewegung und ihre Einflussnahme auf die amerikanischen liberalen Magazine der Ostküste erzielte einige Aufmerksamkeit, insbesondere, weil es sich um Republikaner handelte, die oftmals pauschal dem Isolationismus zugeordnet wurden. Große Hoffnungen setzten pazifistische Gruppierungen schließlich auf die Signalwirkung, die sie dem Kellogg-Briand-Pakt von 1928 zuschrieben, der in den USA damals bezeichnenderweise oft nur Kellogg-Pakt genannt wurde. Der Kriegsächtungspakt, der von 62 Ländern, einschließlich der Vereinigten Staaten, unterzeichnet wurde und der die moralische Gesinnung (moral sense) Amerikas unter Beweis stellen sollte, entbehrte freilich einer Sanktionsklausel.199 Der Vertrag rief in den USA gleichwohl große Zustimmung hervor, auch wenn Zweifler, wie Reinhold Niebuhr, nicht verstummten.200 Äußerst nüchtern kommentierte auch Edwin L. James 1930 in der New York Times und im Reader’s Digest den Pakt: Viele Nationen hätten nur unterschrieben, weil die USA als Großmacht hinter dem Abkommen stünden, und nicht, weil die Staaten ihre Einstellung zu Frieden und Krieg verändert hätten. Auch sei die respektvolle Haltung der Briten gegenüber den Wünschen der Amerikaner nicht der höheren Moral, sondern der Machtposition der USA zu verdanken gewesen.201 Eine solche nüchterne Einschätzung des Vertrags war Wasser auf die Mühlen jener Publizisten, die generell zu einer realistischen Einschätzung der amerikanischen Handlungsweisen und -möglichkeiten drängten. Dazu gehörte der ehemalige Kriegskorrespondent Paul Scott Mowrer. Er plädierte dafür, dass die (auf Friedenssicherung ausgerichteten) Gefühle der Nation in Einklang mit den langfristigen Interessen des Landes gebracht werden müssten, und das könne nur durch entsprechende Erziehung und Öffentlichkeitsarbeit seitens der geistigen Eliten erreicht werden.202 198 Ebd., 151 f., 155, 199, 312, 315. 199 Junker, Power, 56. 200 Dallek, The American Style, 101 f. Reinhold Niebuhr bezweifelte allerdings die Wirkung des Kellogg-Briand-Pakts. Reinhold Niebuhr, „Awkward Imperialists“, in: The Reader’s Digest (Oktober 1930), 106–108. 201 Edwin L. James, „America’s Moral Influence, If Any“, in: The New York Times v. 19.8.1930, Kurzform in: The Reader’s Digest (Oktober 1930), 513–515, 513. 202 Osgood, Ideals, 327 f.

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Der Kriegsächtungspakt konnte auch nicht verhindern, dass vor und nach seiner Unterzeichnung über Kriegsgefahren diskutiert wurde. Neben den direkt oder indirekt europabezogenen Kriegsprognosen (s. o.) und den dezidiert vorgetragenen West-Ost-Kriegsgefahren, von denen noch die Rede sein wird, standen jene, die weltweite Probleme so bündelten, dass sich daraus ein Gefahrensyndrom bildete. Der bekannte Chemiker Hudson Maxim meinte 1925 im Success Magazine und im Reader’s Digest, dass in rund fünfzig Jahren ein Krieg ausbrechen werde. Dieser werde noch verheerendere Dimensionen haben als der letzte Weltkrieg, weil die Staaten bis dahin von so großer Überbevölkerung gekennzeichnet sein würden, dass viele Menschen in einem Krieg ohne Weiteres (en masse) verheizt werden könnten (throw away in battle).203 Bemerkenswert an diesem bitter klingenden Statement ist die Rückführung des Kriegsausbruchs auf die prognostizierte Übervölkerung. Maxim hatte allerdings die kriegstechnischen Entwicklungspotenziale nicht ausreichend einbezogen, wodurch seine Argumentation an Glaubwürdigkeit einbüßte. Der Mitherausgeber der Zeitschrift The Forum, A. Washington Pezet, sagte 1925 ebenfalls vorher, dass es Krieg geben werde, und zwar nicht zuletzt wegen der ungleichen Verteilung lebenswichtiger Güter, ferner wegen des verbreiteten Nationalismus und einer Demokratie, in der die „Unzivilisierten“ das Sagen hätten. Pezet kombinierte in seinem Statement Verteilungskämpfe, Nationalismus und Demokratieschwächen zu einem Verursachungskomplex, wobei seine Vorbehalte gegenüber der „Massendemokratie“ aus heutiger Sicht sicherlich am wenigsten überzeugen. Obwohl der elitär eingestellte Herausgeber sich nicht auf die Ausbreitung von Einzelheiten einließ, bezogen sich seine Kriegsprognosen eindeutig auf den Weltzusammenhang. Für Pezet erschien die Welt höchst unkoordiniert und letztlich als ein Monster, man müsse ihr erst Verstand einhauchen (creation of a mind).204 Hier zog der Publizist offenbar gegen die optimistischen liberalen Internationalisten zu Felde, die an die Schaffung einer friedvollen und demokratischen Globalordnung glaubten. Doch dominierten im Diskursraum weniger die Kriegsprognosen, sondern positive Zukunftspotenziale. Teilweise verdichteten sich damals vage Visionen sogar zu Prognosen über die Weltentwicklung, die ihrerseits nicht nur ein eigenes Aussagesystem, sondern auch ein eigenes Referenzsystem schufen. Zur zentralen Leitfigur avancierte der britische Historiker und 203 Hudson Maxim, „Fifty Years From Now“, in: Success Magazine (Dezember 1925), Kurzform in: The Reader’s Digest (Januar 1926), 555–556. Eine Gefahr für einen neuen Weltkrieg in der Enkelgeneration sah auch Gibbs voraus. Sir Philip Gibbs, „The Day After Tomorrow“, in: Hearst’s International Cosmopolitan (Oktober 1927), Kurzform in: The Reader’s Digest (November 1927), 411–412. Hingegen hoffte Andrew Carnegie, dass Kriege gegen Ende des 20. Jahrhunderts ein für allemal aufhörten. Sullivan, Our Times, 371. 204 „Cooperation or Isolation? Twelve Selected Letters From Our Readers“, in: The Forum (Juni 1925), 915–921, 919–921.

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7 Amerikanisierung der Globalpolitik. Postulate, Projekte und Prognosen

Schriftsteller H. G. Wells. Er sei der größte Prophet der Gegenwart (most persistent and perhaps most representative prophet of our generation), hieß es über ihn, und seine Vorhersagen würden der hebräischen Eschatologie ähneln (a perfect parallel to Hebrew eschatology), urteilte der amerikanische Dichter Roy Helton 1932 im Harper’s Magazine.205 Doch publizistische Aufmerksamkeit hatte H. G. Wells schon viel früher erregt, und zwar durch seinen Vortrag über die „Entdeckung der Zukunft“ im Jahre 1903. Hierin hatte Wells nämlich für eine Zukunftsforschung geworben, die auf einer rationalen Basis beruhen sollte. Im Jahr 1920 folgte sein großes Kompendium Outline of History, das ein Bestseller wurde. Wells thematisierte in diesem historischen Werk auch die Zukunft und entfaltete diesbezüglich eine „pazifistisch-demokratische Utopie des Weltstaatenbundes, der Weltplanwirtschaft, der Weltreligion und der allgemeinen Volkserziehung“.206 Wells Hoffnungen, die er 1922 im Collier’s Weekly und im Reader’s Digest noch einmal zum Ausdruck brachte, zielten auf den Völkerbund und die in seinen Augen damit verknüpften Möglichkeiten, mit Hilfe der Wissenschaft sowie einer systematischen Planung eine neue Weltordnung und eine geeinte Welt (world unity) zu schaffen, woraufhin sich die Menschheit zu neuer Größe entwickeln könne.207 In globalen Maßstäben dachte Wells erneut in seinem 1933 erschienen Buch The Shape of Things to Come. Hierin äußerte er unter Berücksichtigung außereuropäischer Kulturen wiederum die Hoffnung, es könne ein moderner Weltstaat (modern world state) und eine Weltregierung (world government) entstehen.208 Sicherlich, Wells multiplizierte und verlängerte lediglich damals gegenwärtige Trends in die Zukunft, er blieb auch in seinen Formulierungen recht vage und schuf keine wirklich alternativen Zukunftsszenarien, gleichwohl erweiterte er mit seinen Prognosen den Vorstellungshorizont seiner Zeitgenossen entscheidend und sorgte für Visionen und Utopien, die ihn überdauern sollten.209 Zusammenfassend zeigt sich ein buntes Bild an Beobachtungen, Reflexionen, Konzepten und Aktivitäten, die alle darauf ausgerichtet waren, eine neue Globalordnung unter amerikanischer Führung auf den Weg zu bringen. Damit verknüpften sich mannigfache Hoffnungen auf eine bessere, das hieß, eine moralisch höher stehende Welt. Transatlantische Eliten dienten der Friedenssicherung; Kommunikation und Kooperation jenseits offizieller Politik

205 Roy Helton, „The Perils of Prophecy“, in: Harper’s Magazine (Juni 1932), 74–83, Zitat 75. 206 So urteilte zumindest Ernst Troeltsch in Deutschland. Zit. n. Hübinger, Nationale Reformen, 251. 207 H. G. Wells, „In the Dawn of Human Greatness“, in: The Reader’s Digest (Dezember 1922), 595–596. Der Text erschien auch in Collier’s Weekly. 208 Wells, Outline, Kapitel 41, § 3 und 4; 586–589. 209 Dazu siehe Mazower, Governing the World, VII, 26.

7.4 Der „fremde“ Osten

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und Diplomatie sollten die Völkerverständigung fördern.210 Solche mit großen Hoffnungen und Erwartungen besetzten Governance-Strukturen waren für das frühe 20. Jahrhundert ein wichtiges Kennzeichen.211 Die Kontroversen um den Völkerbund zeigten allerdings auch, wie umstritten das Profil des amerikanischen Weltengagements selbst unter liberalen Intellektuellen war. Beträchtlich differierten zudem die primären Zielsetzungen, die mit der amerikanischen Weltpolitik verbunden wurden. Für Liberale standen Friedenssicherung und der Export von Demokratie und Werten an vorderer Stelle, Republikaner rückten hingegen nationale Sicherheitsinteressen und Handlungsfreiheit auf außenpolitischem und außenwirtschaftlichem Gebiet in den Mittelpunkt ihrer Weltpolitik. Da auf außenpolitischem Gebiet die Vormachtstellung der USA nicht mehr bezweifelt und auch nicht mehr rückgängig zu machen war, verebbte das ständige transatlantische Kräftemessen, das die Diskussionen auf dem Gebiet der Künste charakterisierte. 7.4 DER „FREMDE“ OSTEN Western World oder North Atlantic Civilization meinten nicht nur eine westliche Werte- und Warengemeinschaft, sondern auch eine Abgrenzungsgemeinschaft gegenüber dem Osten, womit vor allem China und Japan gemeint waren.212 In den folgenden Ausführungen liegen die Schwerpunkte zum einen auf dem diskursiven, teilweise prognostischen Kräftemessen zwischen West und Ost, nicht zuletzt im Kontext der realen US-China-Politik (1), zum anderen geht es um (punktuelle) Öffnungen gegenüber einer neuen Sichtweise auf den Osten (2). (1) Charles A. Beard betonte 1928 im Harper’s Magazine die Unterschiedlichkeit zwischen der modernen westlichen Zivilisation (Western Civilization), die auf der Maschine und den Wissenschaften beruhe, und den östlichen Kulturen, die das nicht täten.213 Die Begriffe East und West fanden in der damaligen Publizistik als Gegensatzpaar eine große Verbreitung. Doch bestimmten Abgrenzungen und Gegensätze nicht die alleinige Sicht der amerikanischen Öffentlichkeit über den (Fernen) Osten, der damals auch Orient 210 Ninkovich, The Wilsonian Century, 104 f. 211 Siehe auch Rodgers, Atlantic Crossings. 212 Vgl. auch Iriye, Cultural Internationalism, 35 f. Allerdings haben Miller und Hill in ihrem Buch The Giant of the Western World nicht ausgeführt, wie sich der „Riese“ auf die Ökonomien und Kulturen der anderen Länder und Kontinente auswirken werde. Doch allein mit dem Begriff des „Riesen“ konnten Größe und Macht assoziiert werden. 213 Auch unterscheide sich die Western Civilization von jenen älterer Zeiten, in denen die Agrar- und Handwerksgesellschaften vorherrschten. Kennzeichen der heutigen Western Civilization sei ihre große Dynamik, die in früheren Gesellschaften nicht vorhanden gewesen sei. Charles A. Beard, „Is Western Civilization in Peril?“, in: Harper’s Magazine (August 1928), 265–273.

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genannt wurde. So kursierten mehrere Bilder und diverse Imaginationen insbesondere über China, über jenes Land, das seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in Form von „unequal treatises“ einer permanenten Penetrations- und Kontrollpolitik seitens europäischer Staaten ausgesetzt war214 und nunmehr auch noch den zunehmenden Expansionswillen der Japaner fürchten musste. Nach dem Sturz des letzten Kaisers der Qing-Dynastie im Jahre 1912 erlebte China nachhaltige Machtkämpfe diverser Gruppierungen im eigenen Lande, wobei es nicht gelang, die divergierenden Gruppen zu gemeinsamer Willensbildung und Politik zu bewegen, sieht man von der anti-imperialistischen Kampagne Mitte der zwanziger Jahre ab, die sich nicht zuletzt gegen fremde Kaufleute und Missionare richtete.215 Schon vor dem Ersten Weltkrieg trat der politisch einflussreiche Vorsitzende des Senate Committee on Foreign Affairs, Senator Cushman K. Davis, dafür ein, dass die USA in China mehr Präsenz zeigen und mehr Einfluss auf das Land nehmen, andernfalls würden die Vereinigten Staaten selbst zum „China des Westens“ werden, dem dann sogar Angriffe von außen drohen könnten.216 Macht und Einfluss im Osten ließen sich auf verschiedene Weise gewinnen. Kein Wunder also, dass sich auch jene Publizisten mit dieser Frage beschäftigten, die an die Möglichkeiten des Transfers einer Zivilisation auf eine andere glaubten, wobei die USA selbstredend als Geberland imaginiert wurden. Eine solche Annahme schlug nicht selten in einen allgemeinen Optimismus um. Die Amerikaner, so hieß es dann, sollten sich keine allzu großen Sorgen um ihre Zukunft machen217, zumal auch die dominante Sprache Englisch und nicht eine asiatische Sprache sein werde. Denn die westliche Kultur würde sich nach Osten ausbreiten und nicht umgekehrt.218 Unter liberalen Publizisten kristallisierte sich die Auffassung heraus, dass der Osten den Westen nicht übertrumpfen könne und dürfe. Charles A. Beard, der dem Westen auf Grund der inneren Dynamik des Maschinenzeitalters Dauerhaftigkeit zuschrieb, kam zu dem Schluss, dass die westlichen Länder zumindest für die nächsten Jahrhunderte ihre Führungsrolle behielten. „Un214 Während die europäischen Staaten in ihrer China-Politik auf Einflusssphären abzielten, vertraten die USA eine Open door-Politik. 215 Iriye, The Cambridge History, 85. 216 Näheres bei Fiebig-von Hase, Zukunftsvorstellungen, 166. 217 Strout, The American Image, 154. Vgl. auch das Interview mit Henry Ford durch B. C. Forbes, in: Forbes Magazine v. 1.9.1929. 218 Villalobos Dominguez, „The Language of the Future“, in: The Living Age (September 1929), Kurzform in: The Reader’s Digest (Dezember 1929), 727–728. Die spanische Sprache könne zwar neben Englisch ebenfalls eine herausragende Bedeutung gewinnen, so der spanische Künstler Villalobos Dominguez. Aber auf Dauer könne Spanisch nicht mit der englischen Sprache mithalten, weil die USA in der Wissenschaft, Technologie und Politikforschung das bedeutendste Land geworden seien, wobei, wie er meinte, auch die dominante Filmindustrie nicht vergessen werden sollte. Ebd.

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less there is a material decline in Western technology – and no evidence of such a slump is now in sight – then it may be safely contended that none of the agricultural civilizations of Asia and Africa will be able to catch up with the scientific development of the West.“219 Auch auf künstlerischem Gebiet gebe es keine Anzeichen dafür, dass der Westen im Niedergang begriffen sei. Natürlich könne es Revolutionen wie in Russland geben, aber auch die jeweils folgenden neu ernannten Regierungen müssten ihrerseits auch wieder auf Maschinen setzen, wie gerade die Sowjetunion zeige. Sollten sich die westlichen Länder untereinander durch Krieg zerstören, so sei es selbst dann wahrscheinlich, dass sich der Kapitalismus westlicher Prägung wieder erhole.220 Beards Äußerungen nahmen teilweise utopische Züge an. In seinen selbstreferentiellen Gedankenspielen verbanden sich evolutionsorientierte Zukunftshorizonte mit dem Glauben an den amerikanischen Genius und seinen einmaligen Möglichkeiten zur Zukunftsgestaltung.221 Während Beard die westliche Überlegenheit immerhin noch relativ sachlich begründete, versah der hochgeschätzte Erfinder Thomas A. Edison seine schon 1926 in The Forum veröffentlichten Einschätzungen reichlich mit westlicher Überheblichkeit. If he [the American; AvS] compares the dull intelligence, the empty lives of the human beings whom he finds in China with the alert mentalities and the full lives which characterize men and women in America, he will see at once how much machines are capable of accomplishing for the development of man.222

Weil der Beard’sche Zukunftsoptimismus in der liberalen Publizistik überwog223, fielen die wenigen Prognosen besonders auf, die den möglichen Niedergang des Westens ins Auge fassten. „Progressive“ Internationalisten neigten dazu, gerade den Chinesen in einer allerdings wohl eher fern liegenden Zukunft die Erlangung einer globalen Superiorität zuzutrauen. Einige Spuren dieser Vorhersagen führten zu Oswald Spenglers bekanntem Buch Der Untergang des Abendlandes.224 Dessen Prognosen wurden dergestalt rezipiert, dass die westliche Welt ihrem Niedergang entgegengehen und der Osten eines Tages die Kernelemente der Western Civilization übernehmen könnte.225 Spenglers Gedankengänge die er auch in amerikanischen Zeitschriften wie The Dial 219 Damit nahm Beard eine andere Position als Spengler ein. Vgl. Klose, Dogmen, 199 f. 220 Charles A. Beard, „Is Western Civilization in Peril?“, in: Harper’s Magazine (August 1928), 265–273, 271. 221 Allg. Hölscher, Die Entdeckung, 233–236. 222 Thomas A. Edison, „Machine-Made Freedom“, in: The Forum (Oktober 1926), 492– 495, 493 f. 223 Vgl. u. a. Mowrer, Amerika, 27 in Bezug auf die mögliche Konkurrenz Russlands. 224 Die englischsprachige Fassung des Spengler’schen Buches mit dem Titel Decline of the West (1917) wurde in den USA ein Bestseller. 225 Siehe u. a. George E. G. Catlin, „America Under Fire. A European Defense of Our Civilization“, in: Harper’s Magazine (Juli 1927), 222–227, 227.

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publizierte226, seien nicht allzu wörtlich zu nehmen, meinte zwar kein geringerer als der damals bekannte amerikanische Philosoph Will Durant 1926 im Harper’s Magazine.227 Doch Charles A. Beard gehörte zu jenen Intellektuellen, die eine solche Prognose trotzdem ernst nahmen, auch wenn er sie für höchst unwahrscheinlich hielt. Der amerikanische Historiker meinte, der Osten könne den Westen nur dann zerstören, falls er Technologie und Prinzipien der westlichen Zivilisation übernehmen würde.228 „If, in due time, the East smashes the West on the battlefield, it will be because the East has completely taken over the technology of the West, gone it one better, and thus become Western in civilization. In that case machine civilization will not disappear but will make a geographical shift.“229 Pessimistischer äußerste sich der bekannte Historiker und Kulturphilosoph Henry Adams. Er sagte voraus, dass, falls Russland sich anschicke, China zu organisieren (organized China), fiele die Western Civilization um 1950 in sich zusammen.230 Die meisten diesbezüglichen Aussagen blieben freilich im Vagen und Allgemeinen stecken. China werde aufholen, meinte etwa der ebenfalls bekannte dänische Gelehrte und Kritiker George Brandes, der 1921 in der Zeitschrift The Forum die Gelegenheit erhielt, seine Auffassung auch einem amerikanischen Publikum mitzuteilen. „In much too short a time Europe will succumb industrially in competition with the Far East.“ Dabei hatte er nicht nur Japan, sondern vor allem China im Blick. Es gebe kein Handwerk und keine Handarbeit, in denen die Chinesen mit der weißen Rasse nicht erfolgreich konkurrieren könnten. Und da die Chinesen so viel anspruchsloser seien als die Europäer und Amerikaner, sei der „industrielle Triumph der gelben Rassen über die weiße unvermeidlich“.231 Hier wurde teilweise Europa zusammen mit den USA schon als Entität gesehen und im Singular als weiße „Rasse“ bezeichnet.232 Ähnlich dachte der vielgereiste und in den USA recht angesehene Graf Keyserling. In der Zeitschrift The Yales Review sah der deutsche Publizist und Kulturphilosoph in einem Artikel aus dem Jahr 1927 voraus, dass in den nächsten Jahrhunderten nicht der Westen, sondern der Osten jener Teil der Welt sein werde, der das verkörpere, was allgemein unter westlichem Materialismus verstanden werde (of what is still being called Western materi226 Oswald Spengler, „The Downfall of Western Civilization“, in: The Dial (November 1924) 361–378 und ebd. (Dezember 1924), 482–504. 227 Will Durant, „Is Progress an Delusion?“, in: Harper’s Magazine (November 1926), Kurzform in: The Reader’s Digest (Dezember 1926), 453–454, 454. 228 Charles A. Beard, „Is Western Civilization in Peril?“, in: Harper’s Magazine (August 1928), 265–273. 229 Ebd., 269. 230 Nach Strout, The American Image, 155. 231 George Brandes, „The Passing of the White Race“, in: The Forum (März 1921), 254– 256, Zitate 255 f. 232 Siehe u. a. ein Artikel des kalifornischen Senators George Perkins von 1906, Auszüge zit. n. Mehnert, Deutschland, 52.

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alism). Es gebe wenig Zweifel, dass Asien vor allem wegen seiner billigen Arbeitskräfte einst das Zentrum der industriellen Welt werde, und er empfahl als Gegenmittel mehr Spiritualität.233 „If we Westerners want to hold our own, we will have to lay more and more stress on the spiritual side of life.“234 Deutschland sei in dieser Beziehung ein Weltlaboratorium (world’s laboratory). Hier spielten Ideen, spirituelle Werte und Imaginationen eine entscheidende Rolle, und gerade darin liege für den Westen (we Westerners) die alleinige Chance sich zu behaupten. „Europe is the Palastine of the new age to come.“235 Das war eine recht eigenwillige Einschätzung, die zwar sicherlich in den nach Selbstbewusstsein strebenden Vereinigten Staaten nicht gut ankam, die aber immerhin dort veröffentlicht werden konnte. Bemerkenswert an dieser Vorstellung war insbesondere, dass Graf Keyserling Asien vorrangig als Produzent billiger Waren sah und nicht auch die asiatischen spirituellen Potenziale hervorhob. Während Keyserling unter Spiritualität eine meta-religiöse Ausrichtung von Lebensweise und Kultur verstand, hoben andere Publizisten in diesem Zusammenhang allein die Bedeutung der christlichen Religion hervor, wie aus dem Beitrag des britischen Schriftstellers G. K. Chesterton 1929 in der Zeitschrift The Forum hervorgeht, wobei dieser sich auf ähnlich lautende Gedankengänge des Kulturtheoretikers und Geschichtsphilosophen Arnold J. Toynbee stützte.236 Als die Zeitschrift The Forum 1929 eine Debatte über die Frage durchführte, ob der Westen im Niedergang begriffen sei, verteidigte der indische Literaturwissenschaftler Vasudeo B. Metta die östlichen Kulturen als Hort der Stabilität. Im Vergleich dazu sah er den westlichen Fortschritt sowie die im Westen vorherrschende Neigung, auf allen Gebieten des Lebens und der Gesellschaft einen Wandel herbeizuführen, als höchst problematisch an.237 Über den möglichen Niedergang des Westens dachte auch der Publizist Joseph Wood Krutch nach. Dieser veröffentlichte in Atlantic Monthly mehrere Teile seines 1929 erschienenen Buches The Modern Temper, das ein Bestseller wurde. Wegen der darin vertretenen, nicht gerade optimistischen Sichtweise auf die Entwicklung der Menschheit und wegen der Vorbehalte, die Krutch gegenüber der Dominanz von Wissenschaft, Technologie und Rationalität äußerte, wurden seine Thesen über den möglichen Niedergang des Westens weithin diskutiert. Als provokativer Skeptiker und überzeugter Hu233 Graf Keyserling gründete 1920 eine so genannte „Schule der Weisheit“ in Darmstadt. 234 Hermann Graf Keyserling, „Germany as the World’s Laboratory“, in: The Yale Review (März 1927), 433–442. 235 Ebd. 236 G. K. Chesterton, „The West’s Defense“, in: The Forum (Juni 1929), 360–363, 361. Ähnlich schrieb auch der britische Schriftsteller und Kriegskorrespondent Sir Philip Gibbs, „The Day After Tomorrow“, in: Hearst’s International Cosmopolitan (Oktober 1927), Kurzform in: The Reader’s Digest (November 1927), 411–412. 237 Vasudeo B. Metta, „The Challenge of the Orient“, in: The Forum (Juni 1929), 354–360.

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manist überlegte er in seiner Zusammenfassung, ob und warum dekadente Kulturen untergehen und Barbaren dominieren könnten. Die Frage sei, ob auch Amerika ein ähnliches Schicksal erleiden werde. Von den Schwarzen in Afrika gehe wohl kaum eine Gefahr aus, eher von den Chinesen. Deren Kultur sei abgestorben, und China sei wieder in die Primitivität zurückgefallen (become once more primitive). Wenn unser Niedergang, so Krutch, wegen unserer Sturheit (stubbornness) unvermeidlich sei, dann sei es halt so (so be it); und wenn für uns kein Platz im natürlichen Universum sein sollte, dann sei es besser, als Menschen zu sterben als wie Tiere zu leben (We should rather die as men than live as animals).238 Die defaitistischen Farben in solchen binären Bildern sind unübersehbar. Deutlich wird auch Krutchs geringe Wertschätzung des chinesischen Kulturniveaus. Im Unterschied zu solchen evolutionistisch geprägten Überlegungen über Werden und Vergehen von Zivilisationen kamen Ansichten zum Tragen, die den Zusammenstoß diverser Kulturen prognostizierten, und das schon seit den Vorkriegsjahren. Der Publizist Hugh H. Lusk, der sich für die Anti-TrustBewegung engagierte, fasste 1907 in einem Artikel der konservativen Zeitschrift North American Review die Gefahr, die von den Asiaten drohe, mit den Worten zusammen: „The real peril is to be found […] in the collision and competition of civilizations.“239 Während Lusk eine Kollision der Zivilisationen fürchtete, beschworen offen rassistisch eingestellte Publizisten noch deutlicher die „Gelbe Gefahr“. Dazu gehörte an erster Stelle Madison Grant mit seinem viel gelesenen Buch The Pasing of the Great Race von 1916 sowie sein Schüler, der ebenfalls recht bekannte Historiker und Journalist Lothrop Stoddard. Sie alle prognostizierten für die Zukunft einen Kampf der „Rassen“.240 Hieraus ergab sich für ihn die Frage, wie die Suprematie der westlichen Rasse erhalten werden könne, wobei die häufig pessimistischen Untertöne auch hierbei nicht zu überhören waren. Falls die nordischen Führer die Kontrolle über die weiße Rasse verlören, so Stoddard, könnten auch alle Hoffnungen auf eine (globale) Ausbreitung der Demokratie begraben werden.241 Stoddards Rassismus, der auch noch in den zwanziger Jahren vor allem die nicht-liberalen Teile des Diskursraums penetrierte, setzte die gewünschten Herrschafts- und Machtstrukturen im Innern der USA mit dem 238 Krutch, The Modern Temper, 161–169, 169. Allerdings könnten auch die Russen eine Gefahr darstellen, doch lägen sie in der Entwicklung ein Jahrhundert zurück, so der Autor. 239 Zit. n. Mehnert, Deutschland, 53. 240 Stoddard, The Rising Tide; Hiram Wesley Evans, „The Klan’s Fight for Americanism“, in: The North American Review (März 1926), 33–63; vgl. Mehnert, Deutschland. Ähnlich dachten im Übrigen auch Will Irwin und der Engländer H. M. Hyndman. Nach G. Stanley Hall, „Salvaging Civilization“, in: The Century Magazine (Oktober 1922), Kurzform in: The Reader’s Digest (November 1922), 517–520, 517 f. 241 Zu Stoddard siehe Solomon, Ancestors, 203.

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globalen Überlebenskampf der weißen „Rasse“ gegenüber der gelben „Rasse“ in Eins. Ganz anders begründete der niederländische Anthropologe Bernelot Moens, von dem der Schriftsteller Edward S. Martin 1927 im Harper’s Magazine berichtete, seine Furcht vor einem Krieg der „Rassen“. Dieser werde seiner Meinung nach eintreten, falls die Weißen nicht endlich aufhörten, ihre Superiorität herauszustellen. Jedenfalls seien die anderen „Rassen“ in der Lage, das Niveau der Weißen zu erlangen.242 In einem anderen Text aus dem Jahr 1929 wurde ebenso die eigene Gesellschaft in die Verantwortung genommen. But a civilization based on competition instead of cooperation, in which class warfare is chronic, and in which the practical element is prized far more than moral or spiritual values, in which commercialism is beginning to invade art, literature, and even religion – that civilization has little vitality or strength to overcome decades.243

Die Imagination der großen Gegensätze zwischen West und Ost führten allerdings nicht nur radikale Rassenpolitiker dazu, Zusammenstöße und Kriege zwischen den Kulturen zu prophezeien, sondern eine solche Vorstellung war auch unter liberalen Publizisten zu finden. George E. G. Catlin schrieb 1927 darüber im Harper’s Magazine: What strikes […] to-day, is not Poland or Switzerland or France, or even ancient Japan, but China, India, and the British Commonwealth, the United States, Brazil, and Russia. As the world’s population increases and invention develops the resources of the soil, it is with these countries that the future of the world lies. The time has not come yet; but already we are at the Continental Divide of History.244

Europa werde jedenfalls aufhören, im Zentrum der Weltpolitik zu stehen.245 Dabei sei es unvermeidlich, dass die Sitten und Erfordernisse der europäischamerikanischen Zivilisation mit den Gewohnheiten der primitiven Völker und mit den Traditionen des Ostens einst zusammenstoßen werden, meinte George E. G. Catlin in seiner Besprechung des 1931 erschienenen Buches, das der „progressive“ Sozialphilosoph Delisle Burns unter dem Titel Modern Civilization on Trial geschrieben hatte.246 Ungeachtet seiner prinzipiell eher opti242 Edward S. Martin, „Race Wars and Marriage“, in: Harper’s Magazine (Oktober 1927), 653–655, 653. 243 G. K. Chesterton, „The West’s Defense“, in: The Forum (Juni 1929), 360–363, 363. 244 George E. G. Catlin, „America Under Fire“. A European Defense of Our Civilization, in: Harper’s Magazine (Juli 1927), 222–227. Schon im Jahre 1912 hatte der Historiker John Franklin Jameson prognostiziert, dass die Nationen in Zukunft nicht mehr die Weltstrukturen bestimmen würden. Bender, A Nation, 299. 245 George E. G. Catlin, „America Under Fire. A European Defense of Our Civilization“, in: Harper’s Magazine (Juli 1927), 222–227, 223. 246 In: The Nation (August 1931), 188–189, 188. Burns deutete seinerseits die Einflussnahme des Westens auf die technologische Entwicklung östlicher Gesellschaften positiv.

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mistischen Sicht auf die Zukunft verlagerte Beard die vom Osten drohenden Gefahren mehr auf den wirtschaftlichen Sektor. In einem 1928 veröffentlichten Aufsatz im Harper’s Magazine vertrat er die Ansicht, dass die Kriegsgefahr durch die zunehmende internationale Konkurrenz bei billigen Maschinenprodukten gesteigert werde, zumal dann, wenn gleichzeitig die Stimmung in einer schlecht informierten Öffentlichkeit durch leidenschaftlichen Chauvinismus (der Massen) angeheizt werde.247 Während Texte, welche die Gefahren des Ostens thematisierten, meist auf Rassen- und Zivilisationsaspekten fußten und in der Regel über allgemeine Statements nicht hinausgingen, geriet Japan zusätzlich wegen seiner imperialistischen Haltung in den Fokus der Prognostiker. Stoddard fürchtete sogar, dass die Japaner schon auf dem Weg seien, eine Weltherrschaft zu errichten.248 Eines besonderen Bekanntheitsgrades erfreute sich die Prognose des Engländers Hector C. Bywater, der um 1925 in einem in den USA intensiv rezipierten Roman bereits für die frühen dreißiger Jahre einen japanisch-amerikanischen Krieg vorhersagte. Der Marinekorrespondent, der u. a. für die New York Times schrieb, stellte 1926 in einem Beitrag für die Zeitschrift The Forum die expansionistische Politik Japans in den Fokus, weil der von Japan in Angriff genommene Aufbau eines panasiatischen Reiches auch die amerikanischen Interessen in Guam249 und auf den Philippinen tangierten.250 Dabei verband er seine Prophezeiungen mit realen Sachverhalten, etwa durch Hinweise auf die Anzahl der Kriegsschiffe, wodurch die Glaubwürdigkeit seiner Prognose erhöht werden sollte.251 (2) Die verbreiteten Ängste vor dem Osten resultierten nicht zuletzt daraus, dass die amerikanische Öffentlichkeit wenig über diese Weltregion wusste. „Oriental scholarship is a desert through which a few nomadic professors wander aimlessly“, konstatierte der amerikanische Literaturkritiker und 247 Charles A. Beard, „Is Western Civilization in Peril?“, in: Harper’s Magazine (August 1928), 265–273, 271. 248 Stoddard, The Rising Tide, 53. 249 Die Pazifikinsel Guam wurde im Spanisch-Amerikanischen Krieg von Amerikanern besetzt und 1899 unter US-Verwaltung gestellt. Hawai wurde 1898 von den USA annektiert. 250 Hector C. Bywater, „Is a War with Japan Possible? –Yes“, in: The Forum (Juni 1926), Kurzform in: The Reader’s Digest (August 1926), 227–228; vgl. auch Hector C. Bywaters Buch The Great Pacific War. A History of the American-Japanese Campaign of 1931–1933, das 1925 in London erschien. Die potentielle Gefahr, die vom Aufstieg Japans ausging (yellow peril), wurde zwar schon vor dem Ersten Weltkrieg gesehen. Doch mussten aus amerikanischer Sicht erst die Philippinen und die nationalen Interessen im Fernen Osten gesichert werden, bevor Japans Politik genauer ins Visier genommen werden konnte. Deswegen kam es 1908 im Root-Takahira-Agreement noch einmal zu einer Verständigung mit Japan. Gleichwohl blieb der Aufstieg Japans in der Wahrnehmung vieler Amerikaner besorgniserregend. Vgl. Mehnert, Deutschland, 59. 251 Bywater, The Great Pacific War.

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Bürgerrechtler J. E. Spingarn 1922.252 Der Autor bestätigte hiermit die schon vor dem Ersten Weltkrieg geäußerte Meinung von Franz Boas, wie schwer es sei, in den USA Informationen über den Fernen Osten zu bekommen. „At the present time there is no place in the United States where a young man can obtain information on subjects relating to Eastern Asia.“253 Das, was in der Öffentlichkeit über diese Weltregion bekannt war, stammte nicht selten aus der Feder von Diplomaten, Touristen, von der American Asiatic Association254 und vor allem von Missionaren. Sicherlich, gerade die Missionare waren es, die China allmählich in das globale Mediensystem integrierten255 und damit die noch immer vorherrschende amerikanisch-eurozentrische Sichtweise potentiell erweiterten. Justus Buchler, Professor für Philosophie an der Columbia Universität, erklärte die gleichwohl unübersehbaren Leerstellen unter anderem damit, dass zu wenige Experten für die Geschichte des Ostens existierten, weil die meisten Institutionen einseitig auf den Westen fixiert seien. Buchler sah seinerseits ebenfalls die Welt zwischen Orient und Okzident als zweigeteilt an, wobei der afrikanische Kontinent, wie so oft, anscheinend aus der Betrachtung herausfiel.256 Einig waren sich beide Anthropologen sowie die FachkollegInnen Margaret Mead, Ruth Benedict, Edward Sapir und Elsie Clews Parsons allerdings darüber, dass die Bedeutung der westlichen industriellen Zivilisation relativiert werden müsse und Kulturen nicht-westlicher Volksgruppen als beachtenswerte Alternativen zu gelten hätten.257 Der britische Neo-Maltusianer Havelock Ellis, der in Amerika recht bekannt war, legte diesen Relativierungskodex allerdings auf seine eigene Weise aus. Er konstatierte, dass der unzivilisierte Mann (uncivilized man) des Ostens ein hohes Maß an kultiviertem Sexualleben erreicht habe, wovon die „Zivilisierten“ im Westen noch viel lernen könnten. In diesem Zusammenhang beklagte er, dass die wissenschaftliche Erforschung und Lehre der Sexologie hierzulande kaum entwickelt sei. Dr. Magnus Hirschfeld und sein Institut in Berlin seien eine große Ausnahme.258

252 253 254 255

Spingarn, Scholarship, 96. Zit. n. Eperjesi, The Imperialist Imaginary Visions, 88. Ausführlich ebd., 86–104. Klein, Christian Mission, 150–155; vgl. auch Künnemann, Following with Blooding Footsteps, insb. 165 f. 256 Levine, The Opening, 59 f. 257 Nach Blake, Beloved Community, 271. 258 Ellis war mit Margaret Sanger liiert. Die amerikanische Psychologin Beatrice Hinkle verwies in ihren Vergleichen über die Liebeskünste ebenfalls auf die Unterschiede zwischen der mangelhaften Sexualkultur der westlichen Welt (Western Civilization) und der höher stehenden Sexualität der Hindus sowie der Brahmanen. Beatrice M. Hinkle, „Woman’s Subjective Dependence upon Man“, in: Harper’s Magazine (Januar 1932), 193–205; vgl. auch Carter, The Heart, u. a. 155.

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Während viele Publizisten das Verhältnis von West zu Ost noch immer in einer Sprache der Angst sowie der Abgrenzung, der Hierarchisierung und Gegensätzlichkeit fassten, erhoben sich auch einige liberale Stimmen in der Publizistik, die für eine neue Offenheit der USA gegenüber China plädierten. John Dewey hatte schon 1920 in der Zeitschrift The New Republic über China berichtet. Der führende Anthropologe Franz Boas trat für die Gründung einer Oriental School an der Columbia Universität ein, weil der Handel mit dem Fernen Osten zunehme und deswegen die Kenntnisse über die Kulturen dieser Länder gesteigert werden müssten.259 Er vertrat die Auffassung, dass es Kulturen gebe, die sich unabhängig von der europäischen Kultur entwickelt hätten und folglich auch nicht mit deren Standards gemessen werden könnten. Ebenso widersprach er dem verbreiteten Evolutionismus, wonach die kulturellen Entwicklungen nach ein und demselben, also universell gültigen Grundschema abliefen.260 Boas’ Schüler Clark Wissler vertrat allerdings in diesem Fall einen anderen Standpunkt als sein Lehrer. So betonte er, dass die euro-amerikanische Kultur und die asiatische Kultur sehr wohl auf einander bezogen seien (are related) und dass beide Kulturen einen entfernt liegenden gemeinsamen Ursprung hätten (remote common origin).261 Zu den Vorreitern dieser neuen Offenheit gegenüber fremden Kulturen gehörte die Zeitschrift The Forum, insofern sie 1925 eine Artikelserie über Zivilisationen publizierte. Im Vorspann erklärten die Herausgeber, dass viele Autoren nicht zufrieden seien, wenn auf die Maschinerie argumentativ zu viel Gewicht gelegt und dementsprechend bei anderen Kulturen nur Rückständigkeit registriert werde. Angemessener wäre es deshalb, offen danach zu fragen, was andere Kulturen für die Weltzivilisation beigetragen hätten und was die Amerikaner als Erbe und Nutznießer daraus lernen könnten. Das erste Statement gab der bekannte ostindische Autor Dhan Gopal Mukerji ab, der damals in den USA lebte. Er wählte eine lockere Gesprächsform zwischen einem neugierigen Amerikaner, der in Indien weilte, und einem Inder, der die indischen Errungenschaften darlegte, und zwar sowohl in Wissenschaft und Kunst als auch in der Alltagskultur, inklusive der Spiritualität, die nach Meinung des Autors, gerade dem Westen so sehr abgehe.262 Der junge chinesische Wissenschaftler Chi-Fung Liu thematisierte in seinem Beitrag die langwährende und blühende Zivilisation Chinas, die sich ohne Kontakt zur westlichen Welt entwickelt habe und dieser auch kaum bekannt gewesen sei. Die Essenz der chinesischen Zivilisation liege in der Subordination des einzelnen Lebens unter 259 Jacobson, Barbarian Virtues, 171. Die Bedeutung Ostasiens als Handelspartner für die USA nahm damals tatsächlich in Relation zu Europa zu. Iriye, The Cambridge History, 95; Dallek, The American Style, 108. 260 Jacobson, Barbarian Virtues, 149–152. 261 Wissler, Man, 32 f. 262 Dhan Gopal Mukerji, „What Is Civilization? India’s Answer“, in: The Forum (Januar 1925), 1–12.

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das Leben als Ganzes sowie darin, dass sie von allen Kulturen die humanste sei.263 Die wenigen Wissenschaftler, die sich auf amerikanischer Seite mit nichteuropäischen Regionen beschäftigten264, interessierten sich vor allem für die Schritte zur Westernisierung Asiens oder konzentrierten sich auf die Erforschung der diplomatischen Beziehungen zwischen West und Ost. Besondere Aufmerksamkeit erregten dabei die Geschichten von Expansionen.265 Anders ausgerichtet war hingegen das Werk von Herbert H. Gowen und Josef Washington Hall aus dem Jahre 1927 mit dem Titel An Outline History of China. Die Autoren ließen sich von dem Gedanken motivieren, dass sich die Grenzen zwischen den Kontinenten verflüssigt hätten und sich das Weltinteresse vom Mittelmeer und dem Atlantik hin zum Pazifik verschöbe, die Durchschnittsstudenten indessen nach wie vor auf Westeuropa und Amerika fixiert seien. About the borders of the Pacific the two greatest cultural divisions of the human race are in this age to meet […] and the coming together of East and West is to result in prosperity and cultural enrichment for both sides, a mutual understanding and sympathy, founded on knowledge, must be created.266

Chi-Fung Liu, der das Gowen/Hall-Buch durchweg positiv rezensierte, würdigte die Sichtweise der beiden Autoren in der Zeitschrift The Forum. Liu hob lobend hervor, dass die Autoren China als das Zentrum von Asien bezeichnet hätten, dem im 20. Jahrhundert große Bedeutung zukommen werde. „China and America, the most vital representatives of the Eastern and Western types of culture are destined to be the history-making nations of the century.“267 Hall, der für diesen Buchteil verantwortlich zeichnete, plädierte deshalb für ein neues Verhältnis der USA zu China, zu einem Land, in dem so viel in Veränderung begriffen sei. Es reiche überhaupt nicht aus, die Beziehungen allein den Missionaren und Geschäftsleuten zu überlassen.268 263 Chi-Fung Liu, „What is Civilization? The Answer of China“, in: The Forum (Mai 1925), 698–704. Außerdem wurde die Kultur des alten Ägypten vorgestellt. Schon vorher fiel in einem eigenen Artikel der Blick auf Afrika. W. E. B. Du Bois verwies auf die in Afrika liegenden Ursprünge aller Kultur und Kunst sowie auf den Modellcharakter, den das religiös eingebundene dörfliche Gemeinschaftsleben in Afrika für humanes Zusammenleben abgegeben habe. W. E. Burghardt Du Bois, „What is Civilization? Africa’s Answer“, in: The Forum (Februar 1925), 178–188. 264 Dazu siehe Rasmussen, Bringing the World. 265 Higham, History, 43. 266 Gowen/Hall, An Outline, 1 f., 7 f. Gowen war Professor für östliche (oriental) Sprachen und Literatur an der Universität von Washington. Hall war Korrespondent und Dozent für das pazifische Asien und lehrte ebenfalls an der Universität von Washington in Seattle. 267 Zit. n. Chi-Fung Liu, Rezension, in: The Forum (März 1927), 475–476, 475. 268 Nach Chi-Fung Liu, „China, Past and Present“, in: The Forum (März 1927), 475–476, 476. Zu amerikanischen Kirchengruppen und ihrer internationalen Arbeit siehe u. a. Lafeber, The American Age, 329.

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7 Amerikanisierung der Globalpolitik. Postulate, Projekte und Prognosen

Für ein neues Verhältnis des Westens zu China trat auch der amerikanische Philosoph C. Delisle Burns ein. Die Modernisierung des asiatischen Landes sollte aus eigener Kraft erfolgen, alle Formen von Herrschaft (domination) und Kontrolle müssten aufhören. Dem Land müsse der Status der Gleichheit zuerkannt werden, nur so könne sich der Westen die dortigen Märkte sichern, die Chancen für (rentable) Kapitalinvestitionen erhöhen und damit umfassenden Einfluss gewinnen. Die Modernisierung des Landes dürfe allerdings, wie er meinte, nicht alle Traditionen zerstören. Und dann folgte ein Vergleich mit Afrikanern. Die Asiaten hätten soziale Erfahrungen und Einsichten (insights) sowie Fähigkeiten, über die „primitive Rassen in Afrika“ (primitive races of Africa) nicht verfügten. Was in China – ähnlich wie in Indien, der Türkei und Ägypten – zu erwarten sei, das seien, analog den Modernisierungsprozessen in Japan, neue Formen des gesellschaftlichen Lebens, die, ungeachtet der westlichen Präsenz in China, allerdings nicht vom Westen ausgegangen seien.269 Die amerikanischen Einflüsse auf China waren tatsächlich gerade in den zwanziger Jahren beträchtlich und erfreuten sich in den USA einer breit gestreuten Akzeptanz. Gegen eine friedliche Penetration des Landes hatten auch die „progressiven“ Liberalen in den USA in der Regel nichts einzuwenden, zumal dann nicht, wenn diese den Anschein erweckte, dass sie der Bildung eines demokratischen und unabhängigen Chinas diente. Allerdings wollten die Zweifel, ob ein solches Ziel je erreicht werden könne, nicht verstummen.270 So wurden selbst die Modernisierungsprozesse, die damals in China erfolgten, keineswegs von allen Publizisten in einem positiven Licht gesehen: „The Chinese – like the Europeans, like the whole world – are abandoning old beauties and old customs for cheaper and more efficient models. They are becoming modernized, standardized, Americanized, like Japan“, stellte Lewis S. Gannett, der Mitherausgeber der Zeitschrift The Nation, 1928 mit einem bedauernden und recht kritischen Unterton fest.271 China selbst sei zu machtlos gewesen, um das Eindringen der westlichen Welt (Western men) in sein politisches und ökonomisches System zu verhindern.272 In Gannetts Augen verfügte China über mittelalterliche Tugenden, die dem „ruhelosen, mobilen, industrialisierten“ Westen fehlten, die jetzt allerdings auch in China verloren zu gehen drohten.273 Der Autor prognostizierte, dass ganz China das westliche 269 Burns, Modern Civilization, 96–101. Afrika fiel aus dieser Betrachtung heraus. 270 Dallek, The American Style, 73, 77. 271 Lewis S. Gannett, „Is China being Americanized?“, in: The Nation (Juli 1926), Kurzform in: The Reader’s Digest (September 1926), 313–314, 313. 272 Allerdings habe China nach Meinung Gannetts mit Genugtuung erfahren, dass der Westen bei den feinen Künsten des Lebens China nicht das Wasser reichen könne. 273 „China is so picturesque, so obviously different to the outward eye, that we are tempted to make her out more different to us than she is […]. We make discover our essential likeness too late. And then the problem, for the Chinese as for us, will be how to regain

7.4 Der „fremde“ Osten

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Gesellschaftsmodell adaptieren werde, wie die Hafenstädte dies bereits täten.274 Die westlichen Einflüsse auf China wurden in der Publizistik häufig mit dem Begriff der Modernisierung gleichgesetzt, was logisch erschien, wenn man die westliche Kultur als universale Kultur und als Inkarnation der Moderne interpretierte. Unterfütterung erhielt eine solche Sinnsetzung durch die Deutung, dass die asiatischen Kulturen stehen geblieben seien.275 Der amerikanische Superioritätsanspruch verbarg sich meistens in der Rede von der Verbreitung des amerikanischen Know-hows und der westlichen Werte. Expansionismus, nationales Interesse und der ehrliche Wunsch nach guten Beziehungen zu China vermischten sich zusehends miteinander. Sicherlich, eine Open door-Politik gegenüber China als Gegenkonzept zu abgegrenzten Einflusssphären hatte zwar schon Großbritannien um die Mitte des 19. Jahrhunderts verfolgt, doch 1899 waren es die Amerikaner, allen voran Theodore Roosevelt, die dieses auf formal gleiche Zugangschancen beruhende Prinzip gegenüber den auf Einflusszonen ausgerichteten Europäern vertraten und schließlich mit ihnen sowie mit China vertraglich regelten. Die Open DoorPolitik diente außerdem zur Darlegung der grundsätzlichen Unterschiede zwischen der amerikanischen Expansionspolitik und dem europäischen Imperialismus-Modell. Die Öffnung des ostasiatischen Landes nutzten die maßgeblichen amerikanischen Globalstrategen, inklusive Woodrow Wilson, um ihre wirtschaftlichen und kulturellen Aktivitäten in China zu verstetigen und sogar zu steigern.276 Auf ökonomischem Gebiet handelte es sich in der Regel um große Privatinvestitionen, die teilweise schon durch weltweit agierende Kar-

those essentially medieval virtues which China still has and which our restless, mobile, industrialized West has not.“ Lewis S. Gannett, „Is China being Americanized?“, in: The Nation (Juli 1926), Kurzform in: The Reader’s Digest (September 1926), 313–314. 274 Lewis S. Gannett, „Is China being Americanized?“, in: The Nation (Juli 1926), Kurzform in: The Reader’s Digest (September 1926), 313–314, 314. 275 Allerdings verringerte sich auch unter chinesischen Liberalen nach dem Ersten Weltkrieg die Aufnahmebereitschaft gegenüber westlichen Zivilisationserrungenschaften. Vor 1914 hatten diese selbst ihr eigenes Land häufig als rückständig betrachtetet und die westliche Zivilisation als diskutables Zukunftsmodell für ihr Land gesehen. Doch nach dem zivilisatorischen Desaster des Ersten Weltkrieges wurden sie diesbezüglich skeptischer. Hinzu kam die Enttäuschung darüber, dass China in der globalen Nachkriegsordnung nicht aufgewertet wurde und allen westlichen Nationen daran lag, das Land schwach zu halten. Die chinesischen Reformer näherten sich infolgedessen wieder konservativeren Entwicklungsperspektiven an, wonach die westliche Zivilisation eben nicht für alle Weltteile als Vorbild taugte. Vgl. u. a. Manela, The Wilson Moment, 99–117. Zu den unerwiderten Kooperationswünschen mit dem Westen, die japanische Schriftsteller vor 1914 äußerten, siehe Iryie, Cultural Internationalism, 39. 276 Vgl. Alstyne, The Rising American Empire, 193. Aus chinesischer Sicht siehe das 1922 in New York erschienene Buch China Awakened von Min-Ch’ien T. Z. Tyau. Der Autor war technischer Berater der chinesischen Delegation beim Völkerbund.

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telle abgestützt wurden.277 Die zwanziger Jahre waren – neben den sechziger Jahren – eine Dekade, in der Amerika am meisten ökonomisch expandierte.278 Die Beards, die die Open door-Politik ihres Landes an sich guthießen, standen gewiss nicht alleine da, als sie bestimmte Privatinvestitionen als eine Intervention in China interpretierten, die in ihren Augen zuvörderst dem wirtschaftlichen US-Expansionismus im Innern sowie auf internationaler Ebene diente279, und nicht der Freiheit und Demokratie, so lässt sich ergänzen. Jenseits aller Kritiken ging mit der wirtschaftlichen Penetration die christliche und kulturelle Einflussnahme des Landes durch die USA weiter bzw. intensivierte sich sogar noch. Unter exterritorialem Schutz stehend, verfolgten rund 2.500 Missionare in der Regel nicht nur eine Christianisierung der Bevölkerung, sondern traten auch als Übersetzer und Vermittler westlicher moderner Kulturwerte auf.280 Neben den Missionaren engagierten sich die aufblühenden amerikanischen Stiftungen für China-Projekte.281 Als ein andersartiges, aber nicht minder zugkräftiges Mittel der Einflussnahme auf asiatische Gesellschaften galt der Sport, denn dadurch könnten, wie es hieß, westliche Ideale und westliche Ethik spielerisch vermittelt und zwischen Ost und West harmonische Beziehungen aufgebaut werden, wie ein von Katherine Mayo geschriebener Artikel in der amerikanischen Zeitschrift Outlook und im Reader’s Digest hervorhob.282 Schulen dienten gleichfalls der kulturellen

277 Hingegen blieben die Unterstützungen seitens der Regierungen im Hintergrund. Der Handelsminister Herbert Hoover operierte im Sinne eines auf die Industrie-Interessen bezogenen „kooperativen Staatsverständnisses“. Rosenberg, Spreading the American Dream, 210. Hendrickson betont ebenfalls die internationalistische Dimension der republikanischen Regierungspolitik, vor allem deren Eintreten für eine Open door-Politik. Er bezeichnet die Protagonisten dieser Politik als Semi-Internationalisten. Hendrickson, Union, 344 f. 278 Rosenberg, Spreading the American Dream, 121, 136, 140. 279 Beard/Beard, America, 381, 441; Nore, Charles A. Beard, 97. Die Beards beriefen sich auf Tyler Dennett. Vgl. auch das 1959 erschienene Buch des ähnlich argumentierenden Historikers William Appleman Williams, The Tragedy, außerdem Bacevich, American Empire. 280 Klein, Christian Mission, 143–148; vgl. Kiernan, America, 137; Darling, The Westernization, 207–217. Weitere Literaturangaben in: Rosenberg, Walking the Borders, 29. 281 Schon im Jahre 1914 begann u. a. die Rockefeller Stiftung ihr philanthropisches Programm auf China auszudehnen. Sie folgte damit einer quasi säkularisierten Version des amerikanischen Missionsgedankens. Rosenberg, Spreading the American Dream, 119, 121. 282 Katherine Mayo, „Fair Play for the World“, in: The Outlook, Kurzform in: The Reader’s Digest (März 1922), 85–86. Mayo war eine amerikanische Schriftstellerin, die sich kritisch mit dem indischen Hinduismus auseinandergesetzt hatte. Die amerikanische Young Men’s Christian Association (YMCA) entsandte aus solchen Gründen tatsächlich hundert trainierte Sportleiter (physical directors) in 25 verschiedene Länder diverser Kontinente, darunter eben auch nach China.

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„Entwicklungshilfe“.283 Bis zu den zwanziger Jahren gab es 13 von Amerikanern geführte Colleges in China.284 Auch waren zahlreiche Landwirtschaftsberater am Werk. Die Bestrebungen zur Universalisierung amerikanischer Werte drückten sich zudem deutlich in den Versuchen der unter amerikanischen Frauen recht populären Woman’s Christian Temperance-Bewegung aus, das amerikanische Alkoholverbot weltweit, und so auch in China, Gesetz werden zu lassen. Der Schriftsteller, Kriegskorrespondent und Radioansager Frazier Hunt stellte 1922 in Hearst’s International und im Reader’s Digest solcherlei Ambitionen in einen größeren, teilweise jedoch satirisch klingenden Zusammenhang: „But the oral significance of dry America is tremendous. It is part of the American civilization that is slowly spreading over the world – the civilization of the low-priced motor car, the picture show, the higher standard of living, the universal bathtub and toothbrush.“285 Die Durchsetzung solcher und anderer amerikanischer Werte und Errungenschaften auf transnationaler Ebene sollte vor allem in Form eines auf freier Privatinitiative basierenden Internationalismus (voluntaristic internationalism) erreicht werden, und die entsprechenden Initiativen wurden in amerikanischen Zeitschriften im Allgemeinen auch wohlwollend beurteilt.286 ZUSAMMENFASSUNG Der Aufbau eines Empire im Amerikanisch-Philippinischen Krieg, der von Teilen der politischen Elite mit dem Hinweis auf entwicklungsgeschichtliche, zivilisationsverpflichtete und sozialdarwinistische Gründe sowie mit Bezug auf das Manifest Destiny-Ideologem legitimiert werden konnte, galt in den zwanziger Jahre als fait accompli. Allerdings passte nach wie vor die Errichtung einer Kolonie nicht in das Bild, das Amerika von sich machte, wonach die USA nicht durch solcherart Politikstrategien, sondern allein dank des Genius des amerikanischen Volkes Weltgröße erlangt habe (sheer genius of this

283 Fosdick zeigte sich deshalb beunruhigt über nationalistische Gegenströmungen, etwa die Organisation Bible Union of China, die in seinen Augen fundamentalistische Züge aufwies. Furness, The Fundamentalist Controversy, 181. 284 Kiernan, America, 137; Darling, The Westernization, 207–217. Weitere Literaturangaben in Rosenberg, Walking the Borders, 29. 285 Frazier Hunt, „The World War on Booze“, in: Hearst’s International (Oktober 1922), Kurzform in: The Reader’s Digest (November 1922), 519–520, 520. Tyrrell, Woman’s World, 256, 278–284, 288 f. So spendete die Rockefeller Stiftung viel Geld für die „Trockenlegung“ Europas. 286 In den zwanziger Jahren äußerte der amerikanische Japanologe Ernest Fenollosa sogar den Wunsch, dass im Geiste universalistisch-humanistischer Werte ein amerikanisches, demokratisches Imperium im Osten entstehen möge, und zwar nicht in Form einer Eroberung, sondern durch Fusion. Ickstadt, Westward the Empire, 35.

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people), wie sich Woodrow Wilson einmal ausdrückte.287 Die neue amerikanische Suprematie nach gewonnenem Weltkrieg schürte diesbezügliche Diskussionen weiter an. In dem stark frequentierten Diskursraum kamen unterschiedliche Positionen über den amerikanischen Imperialismus, die neue USWeltpolitik und das Profil des amerikanischen Empire zur Sprache. Auffallend ist das bunte Gemisch männlicher Autoren. Zwar fehlten amerikanische Schriftsteller, dafür kamen politisch bzw. ökonomisch versierte Köpfe, wie Lippmann, Motherwell, Du Bois und der Banker Harvey E. Fisk zu Wort. Während der zeitliche Schwerpunkt der Diskussionen über den Völkerbund eher auf der Mitte der zwanziger Jahre lag, konzentrierten sich die Beiträge über die weltpolitischen Zukunftsaussichten mehr auf die späten zwanziger Jahre. So erschienen drei zentrale Studien mit internationalen Perspektiven, wie die von Beard, Miller/Hill und Motherwell, zwischen 1927 und 1929. Es scheint, als ob rund zehn Jahre nach Kriegsende und in Anbetracht der beginnenden Wirtschaftskrise der Wunsch nach einem Überdenken amerikanischer Weltpolitik angezeigt war. Die in den liberalen Zeitschriftenbeiträgen veröffentlichten Stellungnahmen zu außenpolitischen Fragen vermitteln in einigen Punkten ein relativ einheitliches Bild. Beachtenswert ist das weit verbreitete Verständnis für den europäischen Standpunkt in der Kriegsschuldenfrage, die ebenso mehrheitliche Ablehnung der Vereinigten Staaten von Europa sowie die große Unterstützung der meist positiven Interpretation des Washingtoner Abkommens und des Briand-Kellogg-Pakts. Da die liberalen Zeitschriften keine Richtungszeitschriften waren, lässt sich auch ihr Profil nicht fixieren, allenfalls vage umreißen: Die führende liberale Zeitschrift The Nation, die um die Jahrhundertwende den nationalistischen und imperialistischen Posaunenklängen eines Theodore Roosevelt widerstanden hatte, nahm im Weltkrieg eine pazifistische Haltung ein. Sie stand schließlich trotz Vorbehalte hinter dem avisierten Eintritt der USA in den Völkerbund, zeigte darüber hinaus Empathie gegenüber der jungen Sowjetunion und lehnte die amerikanische Hochschutzzollpolitik sowie eine offensive USMittelamerika-Politik ab.288 Die Zeitschrift The New Republic mutierte hingegen von einem Unterstützungsblatt für den New Nationalism und die Wilson’sche Kriegspolitik zu einem Gegner der Pariser Vorortsverträge und des Völkerbunds. Die vorstehenden Ausführungen zeigten die enge Verzahnung von nationalen und transatlantischen Denkweisen und Interessen, die sich durch Überlegungen zu globalen Handlungsperspektiven und Zukunftshorizonten erweiterten. Wollten Liberale vor allem den Status einer Weltmacht zur friedlichen Verbreitung des American way of life sowie zur Sicherung eines universellen Frie287 Darauf macht Jacobson, Barbarian Virtues, 263–265 aufmerksam. 288 Vgl. Tebbel/Zuckerman, The Magazine, 204.

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dens durch moralische Einflussnahme nutzen, sahen viele Konservative darin primär die Chance und Verpflichtung, die Stärke der USA als Weltmacht samt ihren Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen zu festigen und zu vergrößern. Indessen gab es nicht wenige, die hofften, beide Ziele gleichzeitig verfolgen und miteinander verbinden zu können. Kurzum, die Diskussionen über den neuen Internationalismus zeigten die Spannungen auf, die zwischen interessengeleitetem Nationalismus und altruistischem Internationalismus bestanden.289 Die Diskussionen darüber, wie die amerikanische Außenpolitik interpretiert werden sollte und ob Amerika als imperialistisch zu gelten habe, berührten stets die übergeordnete Frage, worin die amerikanisch-nationale Identität unter Berücksichtigung globaler Perspektiven zu sehen sei. Die kulturelle Loslösung von Europa im Sinne eines kulturellen Nationalismus sowie die nationale Selbstreferentialität im Kontext des New Nationalism machten, ungeachtet ihrer Unterschiedlichkeit, die eine Seite aus. Die andere Seite bestand im Zugehen auf Europa – nunmehr aber unter dem Vorzeichen globaler Suprematie. Es handelte sich um zwei Seiten einer Medaille, zu deren Akzeptanz in der amerikanischen Öffentlichkeit die hoffnungsfreudigen Vertreter des demokratischen Internationalismus durch ihre Zeitschriftenartikel eine Menge beigetragen haben.290 In keiner anderen Phase der USA waren Liberale so sehr davon überzeugt, dass sich alle Völker grundsätzlich den gleichen Idealen verpflichtet fühlten wie sie, weswegen sie glaubten, die Welt unter amerikanischer Führung neu ordnen zu können. Die gleichzeitige Verfolgung nationaler Sicherheits- und Wirtschaftsinteressen wurde vielfach erfolgreich mit Werte-orientiertem Internationalismus „überschrieben“. Die Ambivalenzen, die in solchen mehrdimensionalen Weltkonzepten steckten, mutierten dabei oftmals zu ambivalenzfreien Dualitäten. Denn die liberal-„progressiven“, auf Friedenssicherung ausgerichteten Gruppen reflektierten häufig nicht ausreichend die Umschlagspunkte, bei denen aus der wirtschaftlichen und kulturellen Penetration eines Landes informelle Imperialismus-Politik wurde. Kennzeichnend für den damaligen liberal-demokratischen Internationalismus, wie er sich auch in zahlreichen Konzepten und sozialen Praktiken jenseits offizieller Politik und Diplomatie niederschlug, waren dessen vielfach moralisch gefärbte und idealistische Komponenten. Auf dieser Basis konnten sich auch zahlreiche reformorientierte und transatlantisch vernetzte Frauen, die mit der militärisch-konservativen Variante des amerikanischen Nationalismus wenig im Sinne hatten, gemeinsam mit gleichgesinnten Männern für einen friedvollen Internationalismus unter amerikanischer Führung einsetzen und die liberalen Qualitätsmagazine zur Verbreitung ihrer Standpunkte nutzen. 289 Vgl. Iriye, The Cambridge History, 99, vgl. auch 102. 290 Die Doppelgesichtigkeit wird bislang in der Literatur wenig herausgearbeitet.

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Der Selbstfindungsprozess der USA als neue Weltmacht konfigurierte auch das Verhältnis zu Europa, wobei die liberalen Qualitätsmagazine ebenfalls als transatlantische Brückenköpfe dienten. Sie unterstützten durch diverse Beiträge die Vorschläge zu einem nordatlantischen Ideenaustausch zwischen nationalen Eliten jenseits der Regierungen und einer transnationalen Zusammenarbeit zwecks Sicherung des Friedens. Viel spricht für die Annahme, dass in der Bildung einer solchen funktionstüchtigen transatlantischen Elite, die diesseits und jenseits des Nordatlantiks entstehen und jenseits des politischen Apparats agieren sollte, eine der wichtigsten politisch-kulturellen Hoffnungen der liberalen Publizisten lag. Dadurch gewann die Transatlantizität eine neue gesellschaftliche und politische Bedeutung, die allerdings die in sie gesetzten Friedenserwartungen nicht zu erfüllen vermochte. Kurzum, unterhalb der Ebene der offiziellen Politik und Diplomatie konnten sich viele transatlantische Netzwerke und Aktivitäten entfalten, die auch die große Bedeutung des Governance-Theorems für Analysen des frühen 20. Jahrhunderts belegen. Wenn der katholisch-konservative Historiker Thomas Molnar 1994 von der Entstehung (emerging) einer „Atlantischen Kultur“ sprach, womit er die Verbindung der europäischen mit der amerikanischen Kultur bei gleichzeitig starker Asymmetrie zu Gunsten Amerikas meinte (claims overlordship)291, dann kann man sich eines Déjà vu-Eindrucks nicht erwehren, denn die Anfänge gehen bis in das frühe 20. Jahrhundert zurück. Die damals in verschiedenen Variationen entwickelte Idee einer nordatlantischen Gemeinschaft bedeutete überdies eine wichtige Neuerung amerikanischer Denktraditionen in der Außenpolitik. Sie sollte in starkem Maße das freilich recht komplexe Verhältnis Europas und der USA seit 1945 bestimmen – nachdem das NS-Konzept gescheitert war, das einen gegen Amerika gerichteten und nach rassistischem Muster ausgestalteten europäischen Großraum unter deutscher Führung vorsah.292 Im visionären Entwurf der North Atlantic Civilization, der ebenfalls im Umkreis liberaler Qualitätsmagazine am Ende der zwanziger Jahre veröffentlicht wurde, kamen allerdings die vielen Aneignungsmöglichkeiten „importierter“ Konsum- und Kulturgüter durch die jeweilige Aufnahmegesellschaft noch nicht zur Sprache. Doch dass sich die amerikanische Konsumkultur als eine geschichtsträchtige Kraft erwiesen hat und selbst das gesellschaftliche Alternativprojekt, die sozialistische Planwirtschaft der Sowjetunion, von innen aushöhlen und damit langfristig gefährden konnte, ist unübersehbar.293

291 Molnar, The Emerging Atlantic Culture, insb. 4, 105–109. Molnar ersetzte den Begriff der Amerikanisierung durch den freundlicher klingenden Terminus „Atlantische Kultur“, wobei der Begriff die Frage der Dominanz ausklammert. 292 So Strout, The American Image, 249. 293 Siehe dazu de Grazia, Irresistible Empire.

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Die Diskussionen über den „fremden Osten“ dienten ganz offensichtlich nicht zuletzt der eigenen Verortung und Selbsterfahrung. Zwar richtete sich immer wieder der Blick auf universelle Werte, doch diese wurden in der Regel aus amerikanischen Werten extrahiert. Die Bestrebungen zur teilweisen „Nostrifizierung“ des Ostens unterstützten vor allem Liberale und die entsprechenden Qualitätsmagazine, soweit der Transfer der westlichen Werte und Normen, vor allem die der Demokratie, mit friedlichen Mitteln erfolgte und soweit nationalchinesische Selbstfindungsprozesse und Unabhängigkeitsbestrebungen dadurch nicht behindert würden.294 Gleichzeitig waren es gerade die zwanziger Jahre, in denen liberale Qualitätsmagazine ein gesteigertes Interesse an den Tag legten, mehr über den „fremden Osten“ in Erfahrung zu bringen und ihrer Leserschaft diesbezügliche Kenntnisse zu vermitteln. Die Qualitätsmagazine sorgten auf diesem Gebiet für eine zukunftsweisende Erweiterung des sozialen Wissens ihrer Leserschaft, obwohl diesbezüglich sicherlich noch mehr möglich gewesen wäre. Die Wissensvermittlung war nicht selten mit der Tendenz verbunden, den Kulturen aus entfernten Weltregionen ungeachtet ihrer Fremdheit eine gewisse Anerkennung zu zollen.295 Die vielfach fortbestehende Sichtweise auf den Osten als fremde Alterität stand schließlich auch in Zusammenhang mit den Tendenzen zur „Nostrifizierung“ Europas und deren Überführung in das Konstrukt einer gemeinsamen weißen Westlichen Welt unter amerikanischer Führung. Oftmals war dabei die Überzeugung im Spiel, dass Weiß-Sein und Zivilisationshöchststand zusammenfielen.296 Auf dieser Basis dominierte eine euro-amerikanische, westliche Sichtweise auf die Welt, und die Rede von der gemeinsamen Westlichen Zivilisation (Western Civilization) begann sich zu verstetigen. Den zwischendurch eingeblendeten Prognosen muss eine bestimmte Wirkmacht zugeschrieben werden. „Pictures of the future are myths, but myths have a very real influence in the present“, konstatierte der britische Sozialist, Humangenetiker und Evolutionist J. B. S. Haldane in seinem Essay über The Future of Man von 1932, der auch im Harper’s Magazine veröffentlicht wurde.297 In den sozialen Konstruktionen der Zukunft waren Erwartungen eingelagert, die meist über individuelle Vorstellungen hinausreichten, insofern sie gesellschaftlich verankerte Annahmen und Vermutungen, etwa über Kontinuitäten und Brüche in den Entwicklungsverläufen und Kräftekonstellationen, ausdrückten. Oftmals fungierten solche Zukunftsbilder auch als Vernetzungsknoten recht unterschiedlicher Diskurse. So bestanden Diskursüberschneidungen zwischen den Diskursen über „den Osten“ mit jenen über Modernisierung, informellen Imperialismus und Missionsauftrag sowie über 294 295 296 297

Nach Dallek, The American Style, 73. Am wenigsten galt dies für Afrika. Vgl. auch Bender, A Nation, 227. J. B. S. Haldane in seinem Essay über „The Future of Man“, in: Harper’s Magazine (März 1932), 441–449, 449.

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Bevölkerungsdruck, Eugenik und die „Rassenunterschiede“. Dabei wurden nicht zuletzt solche über innergesellschaftliche Zustände und Entwicklungen mit jenen über andere Nationen verknüpft.

ZUSAMMENFASSUNG Wenn Senator Beveridge 1901 prognostizierte, das 20. Jahrhundert werde ein amerikanisches Jahrhundert sein, dann hatte er zwar im Ergebnis Recht behalten, doch konnte er noch nicht den zahlreichen Verunsicherungen und den dadurch bedingten Selbstthematisierungen hinreichend Rechnung tragen, die diesen Aufstiegsprozess insbesondere im frühen 20. Jahrhundert begleiteten. In zehn Punkten soll die Komplexität des selbstreferentiellen sowie des nationsbezogenen und transatlantischen Verständigungsprozesses samt dem weitmaschigen diskursiven Geflecht von konkurrierenden Argumenten und Vorstellungen sowie Sinnkonstruktionen und Deutungsmustern zusammengefasst werden. (1) Viel spricht dafür, einen Großteil der Diskussionen im frühen 20. Jahrhundert unter ein postkoloniales Interpretament zu stellen. Peter Hulme, Literaturwissenschaftler an der Universität Essex, kennzeichnet den Postkolonialismus als einen Prozess der Loslösung von einem umfassenden kolonialen Syndrom, der zwar viele Formen annehmen kann, dem sich die mit einer kolonialen Vergangenheit belasteten Staaten jedoch kaum entziehen können. „‚Postkolonialismus‘ ist (oder sollte es sein) ein deskriptiver und kein evaluativer Begriff.“1 In diesem Sinne wurde der Begriff auch in der vorliegenden Studie verwendet.2 Sicherlich, nicht alle Kriterien postkolonialer Kultur lassen sich für die USA des frühen 20. Jahrhunderts verifizieren. So waren es weniger die Erinnerungen an die offizielle Kolonialzeit als vielmehr die postkolonialen Erfahrungen, die im Laufe des 19. Jahrhunderts gemacht wurden, welche eine entsprechende postkoloniale Befindlichkeit vieler Publizisten, Künstler und Schriftsteller entstehen ließen, die sich vor allem auf die innere Abhängigkeit vom ehemaligen Mutterland bezog. Deshalb gehörten der Wunsch nach Abgrenzung von Großbritannien bzw. von Europa sowie die Betonung von Alterität und Differenz zum Alten Kontinent zu den Hauptkennzeichen dieser Phase. Postkoloniale Empfindlichkeiten auf amerikanischer Seite entsprangen keineswegs reinen Fantasievorstellungen. Der englische Politikwissenschaftler Harold J. Laski meinte sogar noch 1948, den Europäern fiele es schwer, die USA überhaupt nicht mehr bevormunden zu können (patronize America).3 Um wie viel mehr mögen Amerikaner im frühen 20. Jahrhundert den Wunsch zahlreicher Europäer gespürt haben, die Verei1 2 3

Hulme, Including America, zit. n. Hall, Wann war der „Postkolonialismus“?, 226. Vgl. die Einleitung. Laski, The American Democracy, 724. Ähnlich der amerikanische Journalist Mowrer, allerdings mit Blick auf die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Mowrer, Amerika, 9.

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nigten Staaten nach wie vor wenigstens noch auf kulturell-künstlerischem Gebiet einen untergeordneten Platz zuzuweisen und das Land diese Geringschätzung auch fühlen zu lassen. Allerdings unterschieden sich die amerikanischen kolonialen Nachwirkungen deutlich von jenen, die etwa in vielen afrikanischen Ländern zu finden sind. Erstens handelte es sich um eine europäische Siedlergesellschaft und zweitens hatte das (ehemalige) Kolonialland USA seinerseits das Land samt der dort lebenden Urbevölkerung kolonisiert. Deren „Zivilisierung“ bzw. Amerikanisierung erreichte einen Höhepunkt just zu einer Zeit, als die USA drittens im Amerikanisch-Philippinischen Krieg zudem den Sprung in den Status einer überseeischen Kolonialmacht machten und überdies, viertens, ein informelles Empire in Lateinamerika aufbauten. Die Zeitgleichheit, die zwischen den USA als postkolonialem Objekt und den USA als Empire-Akteur bestanden hat, macht eine Besonderheit der US-Geschichte des frühen 20. Jahrhunderts aus. Das zeitliche Zusammentreffen von postkolonialen Befindlichkeiten einerseits und (nach 1918) der (imperialen) Selbstermächtigung zur Weltgestaltung andererseits verursachte beträchtliche Spannungszustände im Inneren der Nation. So wurden die Briten als ehemalige Kolonialmacht ganz verschieden bewertet. Während diese in rassistisch geprägten Diskursen als Angelsachsen an die Spitze aller „Rassen“ rückten, waren sie in den kulturnationalistischen Diskursen gerade der große Stein des Anstoßes. Diese Bewertungsdifferenz resultierte aus der Unterschiedlichkeit der jeweiligen Diskursträger. Den „Rassen“-Diskurs bestellten vorrangig die neuenglischen WASPs, den Kulturnationalismus vertraten hingegen die liberale Intelligenzia sowie ein Teil der Künstler und Schriftsteller. (2) Der Autorin und Juristin Gret Haller ist zuzustimmen, wenn sie in ihrer Retrospektive betont, dass es in den USA immer zwei Denkrichtungen gegeben habe, eine von der europäischen Tradition bestimmte und eine „eigenständige amerikanische Linie“.4 Doch im frühen 20. Jahrhundert erfuhr das dadurch erzeugte Spannungsgefüge eine große Dynamik, da sich die zwei Denkrichtungen jeweils verstärkten und sich mit anderen Aussagesystemen und Diskurssträngen verknüpften. Einerseits verbanden nunmehr Teile der europagetreuen, besonders anglophilen Kreise ihren Nationalismus mit einem partiell aggressiven und auf Exklusionen bedachten Nativismus, andererseits verfolgten liberal-„progressive“ Repräsentanten des kulturellen Nationalismus vehementer als früher das Ziel, eine genuin nationale Kultur nicht zuletzt durch Abgrenzung von Europa zu erreichen. Der Literaturwissenschaftler Heinz Ickstadt, der in seiner Retrospektive ebenfalls auf den postkolonialen kulturellen Nationalismus (postcolonial cultural nationalism) verweist, betont zu Recht, dass dessen Verfechter in ihrer Suche nach einem neu zu definierenden Amerika (redefined „America“) we4

Haller, Amerikanismus, 24.

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der engstirnig waren noch chauvinistisch dachten (narrowly national or chauvinist).5 Ihr kultureller Nationalismus hatte mit den populären nationalistisch-patriotischen Gefühlen, wie sie seit dem Spanisch-Amerikanischen Krieg und verstärkt seit dem Eintritt Amerikas in den Ersten Weltkrieg im Umlauf waren, nichts zu tun.6 Auf solche Unterschiede hinzuweisen ist wichtig, denn der Nationalismus hatte in Amerika damals tatsächlich ganz verschiedene Gesichter. (3) Die auffallendste Erscheinung, die größtenteils ebenfalls der postkolonialen US-Geschichte sowie dem kulturellen Nationalismus zuzuschreiben ist, war der Ablösungsprozess von Europa, den kulturelle Nationalisten massiv vorantrieben.7 Deshalb stießen insbesondere die Differenzen zu Europa auf große Beachtung, wobei als Gegenentwurf häufig der Begriff „Amerikanismus“ Verwendung fand. Die Attraktion dieses Begriffs basierte auf dem breiten Spektrum an Deutungen und positiven Sinnkonstruktionen, die sich mit ihm verbinden ließen. Dabei wurden auch die Begriffe Alte und Neue Welt neu justiert, mit teilweise alten, teilweise neuen Inhalten gefüllt und häufig mit identitätsfördernden Attributen versehen. Europa blieb zwar an sich eine sehr „vertraute“ Alterität, deren „historisch“ gewachsene Verbundenheit stets betont und auch gewürdigt wurde, doch diese Vertrautheit eliminierte nicht die Alterität Europas an sich, vor allem soweit der Blick auf Gegenwart und Zukunft fiel. Auf der Grundlage evolutionistisch gefärbter Langzeitperspektiven, denen zufolge Europas große Zeit bereits abgelaufen war, interpretierten meinungsbildende US-Publizisten während der zwanziger Jahre das 20. Jahrhundert als ein amerikanisches. Der europäische Antiamerikanismus, der in den amerikanischen Qualitätsmagazinen sehr genau wahrgenommen wurde, fungierte oftmals als eine Art Katalysator bei der eigenen Standortbestimmung sowie der Konstruktion nationaler Identität und der Taxierung transatlantischer Kräfteverhältnisse in Kunstangelegenheiten und hinsichtlich sonstiger kultureller Leistungen. Die aspektreichen Erwiderungen auf den europäischen Antiamerikanismus beinhalteten teilweise eine bloße Feststellung der Differenzen, teilweise eine Betonung der US-Besonderheiten, teilweise eine Polarisierung von Fremdheit und Eigenheit. In diesen Diskurskontexten waren sowohl gesellschaftliche und kulturelle Selbstkritik als auch eine Ab- und Aufwertung der eigenen Kunst und Kultur möglich. Des Weiteren wurden als Reaktion auf den europäischen Antiamerikanismus in den verschiedenen Qualitätsmagazinen mannigfache Stereotype durch ausgedehnte Übersetzungsarbeiten aufgebrochen. Viel spricht dafür, gerade die Verknüpfungen der verschiedenartigen europabezogenen Differenzbestimmungen als ein Charakteristikum dieser Phase zu 5 6 7

Ickstadt, The (Re)Construction, 209. Trachtenberg, Critics, 10 f. So auch Zacharasiewicz, Atlantic Double Cross, 478.

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deuten, dessen Ursache in der durch den europäischen Antiamerikanismus stimulierten Selbstreferentialität zu suchen ist. In den Diskursen kam Europa teilweise als Entität zum Zuge, teilweise wurde zwischen Großbritannien und dem Kontinent unterschieden, teilweise dominierten die Grenzziehungen zwischen West- und Nordeuropäern auf der einen und den Süd- und Osteuropäern auf der anderen Seite, teilweise wurden Trennlinien gezogen, die quer zu den Nationen liefen, etwa Norditalien vs. Süditalien. Da die europäischen Staaten und Gesellschaften in und mit der Moderne an Vielfältigkeit gewonnen hatten, nahm in den diversen Diskursen auch die Vielgestaltigkeit der Bezüge, die sich auf Europa richteten, zu. Dabei wurde das klassische Andersartigkeitsmuster aus der Tocqueville’schen Zeit8 in beträchtlichem Ausmaß erweitert und neue Kontexte erschlossen. Welches Europaverständnis in den einzelnen Diskurssträngen gerade zum Zuge kam, richtete sich vorrangig nach dem Ziel, das mit den jeweiligen Aussagen verfolgt wurde. Am Besten und Nachhaltigsten diente Europa den amerikanischen Diskutanten, wenn es eine fluide Projektionsfläche blieb, die sich für unterschiedliche Referenzen einsetzen ließ. Dabei wirkten solche Rekurse, wie sie in den Qualitätsmagazinen zu finden waren, in der Regel eher kursorisch und assoziativ; sie blieben zudem vielfach in Andeutungen stecken, die Kontexte fehlten teilweise, so dass das dadurch vermittelte Bild über europäische Andersartigkeiten oftmals wenig „geerdet“ erschien. (4) Kennzeichen des Amerikanismus waren die vielfach genutzten Chancen, nicht nur die Immigranten, sondern auch vieles andere zu amerikanisieren. Dazu gehörten Räume und Zeiten, Demokratie, Moral und Religion, Ästhetik und Charaktere sowie Kunst und Architektur. Ein weiteres Kennzeichen des kulturellen Nationalismus bestand in den Anknüpfungsmöglichkeiten zu anderen Diskursen. Hierbei bildete die Eugenik eine besonders bedeutsame Kommunikationsbrücke, auf der sich Nationalisten verschiedener Couleur begegnen und sich über Steuerungen des Reproduktionsverhaltens verständigen konnten. Auch kreuzten sich die Diskurse über kulturellen Nationalismus nicht selten mit Diskursen über Kulturfeminismus und Geschlechterbilder. Die von den Gesellschaftskritikern oftmals beschriebene Eruption der amerikanischen Gesellschaft war allerdings im Kern eine Folge des Übergangs von einem ländlich-agrarisch geprägten Amerika in ein städtisch-industrialisiertes Land, was einen sozialen Strukturwandel und eine Modernisierung der Lebensstile nach sich zog. Die dadurch verursachten gesellschaftlichen Spannungen verkörperten sich buchstäblich in den vielfach unerwünschten europäischen Einwanderern, die oftmals als Sündenböcke für unliebsame Entwicklungen in der Gesellschaft dienten. Nativistisch gesinnte Kritiker und 8

Gemeint sind vor allem die Staatsform und das Staatsverständnis sowie der Freiheitsbegriff, das Moralverständnis, die Grundrechte und das Erziehungssystem.

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Eugeniker nahmen häufig Anleihen bei dem in der Gesellschaft florierenden Rassismus, um die Differenzen zwischen den europäischen Völkern herauszuarbeiten und diese nach „rassischen“ Kriterien zu hierarchisieren. So entstand das Bild rassisch „hochwertiger“ und rassisch „minderwertiger“ und deshalb unerwünschter Europäer. Zum Leitbild einer „gesunden“ amerikanischen Nation avancierte zugleich die Konstruktion einer als angeblich erreichbar erscheinenden relativen Homogenität der Bevölkerung, die vorwiegend auf nordeuropäischen bzw. angelsächsischen Ethnien beruhen sollte. Dabei wurden in der Regel die ethnisch gemischte Zusammensetzung der früheren Einwanderer-Generationen sowie die Existenz der vielen Nicht-Weißen im Lande absichtsvoll übersehen. (5) In den nationsbezogenen Identitätskonstrukten bildeten Grenzen, Grenzerfahrungen, Abgrenzungen, Grenzerweiterungen und Entgrenzungen eine große Rolle, und zwar sowohl nach innen als auch nach außen.9 Dabei verlagerten sich Nachwirkungen der Kolonisation in die „entkolonialisierte Gesellschaft hinein“.10 Die nationsbezogenen Identitätsdiskurse wirkten sich in der Regel verschärfend auf die Abgrenzungen von bestimmten Gruppen im eigenen Lande aus, die bis zu Exklusionen reichten. Gemeint sind die African Americans, die Native Americans, die Asiaten und Mexikaner, die europäischen Einwanderer sowie – aus männlich-kulturkonservativer und kulturnationalistischer Sicht – all jene Frauen, die die konventionelle Geschlechterordnung grundsätzlich in Frage stellten. Frontier, verstanden als sozio-kulturelle Grenzregion, wurde nicht zufällig ein geläufiges Schlagwort der Zeit. Zu erinnern ist an den einflussreichen „progressiven“ Historiker Frederick Jackson Turner, der sowohl die große Bedeutung von Grenze, samt der damit verbundenen Grenzerfahrungen und Grenzkulturen, betonte als auch die Entgrenzungstendenzen nach innen und außen herausstellte. In solchen Kontexten fiel der Blick einerseits auf die innere Kolonisation des Landes, andererseits auf die (informelle) Expansionspolitik, vor allem gegenüber den lateinamerikanischen Ländern sowie den Philippinen und China. Der Hang zu Entgrenzungen gehörte außerdem zum traditionellen, religiös fundierten Missionsgedanken. Dabei ging es im Kern um eine Entgrenzung der USA im globalen Maßstab, was sich im häufig verwendeten Begriff des Universalen und Universalistischen ausdrückte11 und nach 1918 seine besondere Wirkkraft entfaltete. Die Grenzziehungen gegenüber African Americans beinhalteten deren Exklusion als ernst zu nehmende Subjekte aus allen nationsbezogenen Identitätsdiskursen.12 Die öffentliche Aufmerksamkeit, die die Harlem-Renaissance und die künstlerischen Leistungen einzelner African Americans durch9 10 11 12

Inspirierend hierzu Rosenberg, Walking the Borders. Vgl. allg. Hall, Wann war der „Postkolonialismus“, 228. Krakau, Amerikanische Außenpolitik, 59. Vgl. auch Foner, The Story, 185; Dawley, Struggles, 240.

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aus erreichten, stand buchstäblich „auf einem anderen Blatt“13, zumal damit nicht selten das Urteil verbunden wurde, es handle sich hier um die Ausdrucksweise einer letztlich primitiven Rasse. Doch als Objekte trugen die African Americans sehr wohl zur Nationskonstruktion bei. Denn gerade ihre als unveränderbar geltende Fremdartigkeit diente dem sich davon abgrenzenden nationalen Selbstfindungsprozess der Weißen, der auf die Konstruktion eines weißen Nationsverständnisses abzielte.14 Grenzziehungen erfolgten auch zwischen den Geschlechtern. Gemeint sind die Angriffe auf die so genannte Kulturfeminisierung der Gesellschaft, der eine Remaskulinisierung von Kunst und Kunstöffentlichkeit entgegengesetzt werden sollte. Anderenfalls würden sich die Chancen verringern, das Niveau einer national geformten Hochkultur zu erreichen, wie auch Vertreter der „young generation“ meinten. Was auf den ersten Blick als eine Extremposition erscheint, zeigt bei näherem Hinsehen die gesellschaftlich tief verankerte „strukturelle“ Verknüpfung der Nationskonstruktion mit der Geschlechterkonstruktion. Ungeachtet der Unterstützung vieler Frauen blieb nation building im Kern ein Projekt männlicher Intellektueller, was sich auch in den Geschlechterzuweisungen niederschlug. So wurde Emotionalität als typisch weiblich angesehen und genauso wenig als zukunftsträchtiges Modell nationalen Selbstbewusstseins gewertet wie die angeblich primitive Emotionalität (primitive emotionality) der African Americans, aber auch der „emotional aufgerüsteten“ weißen „Hundertprozent-Amerikaner“ (hundred per cent Americans), von der unberechenbar erscheinenden Emotionalität des „Großstadtmobs“ ganz abgesehen. Eugeniker und Rassisten, Nativisten und Nationalisten sowie Kulturkonservative diverser Couleur problematisierten außerdem die berufliche Tätigkeit weißer Mittelschichtmütter. Ihnen erschien die Pflege des Heims und die Erziehung einer ausreichend großen Anzahl weißer Mittelschichtkinder notwendig, um die Reproduktion und damit die Zukunftsfähigkeit eines vollwertigen weißen Amerikas zu gewährleisten. Die Professionalisierung und Mechanisierung sowie die symbolische Aufwertung der Hausarbeit und der häuslichen Kindererziehung sollten das Heim selbst für beruflich qualifizierte, anspruchsvolle Frauen attraktiv machen. Solche Bestrebungen gehörten keineswegs zu den amerikanischen Spezifika, wie ein Blick auf die europäische Landkarte zeigt. In den USA erhielten sie allerdings eine besondere Note, da der ihnen zugrundeliegende Diskurs nicht nur mit Diskussionen über Bevölkerungspolitik, sondern auch mit jenen über Masseneinwanderung, Eugenik und Rassentrennung besonders fest verknotet war. Mit Grenze hatte auch die Politik gegenüber den Native Americans zu tun. Ungeachtet aller die Rassengrenzen aufhebenden Romantisierungen der Ur13 14

Vgl. allg.: Berg, The Ticket, insb. Kapitel 3. Franz Damrosch (1924), zit. n. Walser, Deep Jazz, 275.

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einwohner in den Diskursen über nationale Identitätssuche wurde ihr Lebensraum in Form von Reservaten symbolträchtig ein- und abgegrenzt. Gleichzeitig erfuhr ihre Kolonialisierung eine positive Deutung, und zwar als Zivilisierung und Amerikanisierung. Trotz aller spezifischen Kontexte war dieses sinnstiftende Grundmuster auch bei der Zivilisierung und Amerikanisierung mexikanischer Einwanderer erkennbar. Im Falle der Filipinos ließ sich deren Zivilisierung schließlich in die seither entgrenzte Empire-Politik einordnen. Doch bekanntlich wurde nicht die formelle Eroberung der Philippinen das Muster amerikanischer Entgrenzungspolitik, sondern die auf informelle Einflussnahme abhebende China-Politik. Denn China sollte gerade keine Abgrenzungen durch eine Aufteilung in Einflusssphären erfahren, sondern als offener Raum den Vorstellungen einer friedlichen Penetration des Riesenreiches mit amerikanischen Waren und Werten Genüge tun. Bemerkenswert zukunftsweisend war Beards Prognose, dass der Osten den Westen nur dann überrunden könne, falls der Osten die Techniken des Westens und deren Zivilisation übernehme. Die Sicht auf die Gesellschaft entbehrte überdies häufig der Wahrnehmung von Klassengrenzen. Ungeachtet der reflektierten Veblen’schen Gesellschaftsbeschreibungen dominierten in den üblichen nationsbezogenen Diskursen vage gehaltene, verbale Entgrenzungen, zum einen, indem pauschalisierend gerne vom American people, zum anderen, ebenfalls pauschalisierend, vom „Großstadtmob“ gesprochen wurde. (6) Internationalismus und Nationalismus erwiesen sich durchaus als kompatibel. So waren viele kulturelle Nationalisten so genannte Internationalisten. Sowohl Transnationalität als auch Unabhängigkeit von Europa blieben für die jungen Intellektuellen ein zentrales Element ihrer Selbstdefinition und ihrer Selbstbeauftragung. Darüber hinaus erklärten liberale Internationalisten stets, mit ihrer Politik die (wahren) nationalen Interessen Amerikas zu vertreten, etwa durch den friedvollen Export amerikanischer Waren und Werte bei gleichzeitiger Verfolgung der Prinzipien nationaler Selbstbestimmung und Demokratie sowie der Sicherung des internationalen Friedens in Europa und der Welt. Schließlich befürworteten selbst nationalistisch-isolationistisch gesinnte Amerikaner durchaus bestimmte Formen von Internationalismus, und zwar solche, bei denen keine multinationalen vertraglichen Bindungen vorgesehen waren und die möglichst zudem den Sicherheitsinteressen des Landes sowie dem Dollar-Imperialismus dienten. Liberale Publizisten sahen sich ihrerseits überdies als Mediatoren, die zwischen den Nationen vermittelten.15 Ein dichtes Kommunikationsnetz überspannte den Nordatlantik. So entstand ein großes Potenzial transatlantischer Governance-Strukturen jenseits der offiziellen Vertreter von Politik und Diplomatie. Die Intelligenzia deutete sich als Kerngruppe einer transatlanti15

Vgl. auch Iriye, The Cambridge History, 108.

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schen Elite, die in Zukunft immer mehr Einfluss auf die Ausrichtung der jeweils eigenen Nation sowie auf die wechselseitigen, transatlantischen Beziehungen nehmen wollte. Gerade die Kombination von kulturellem Nationalismus und politisch-kultureller Transatlantizität zeichnete das Gros der liberalen Publizisten aus und prägte, vor allem wegen der damit verbundenen großen Hoffnungen auf Weltverbesserung und Frieden, diese Phase amerikanischer Geschichte in besonderer Weise. Ersichtlich wurde auch, dass die mit den Qualitätsmagazinen verbundenen liberalen Intellektuellen nicht an einem kulturellen Isolationismus der USA interessiert waren. Vielmehr sollten das Kräftemessen und die Leistungsvergleiche zwischen den USA und Europa dazu dienen, eine transatlantische Kooperationsbasis auf der Basis gleichwertiger kultureller Partnerschaft oder gar auf der Grundlage amerikanischer kultureller Suprematie zu schaffen. (7) Im Unterschied zur vertrauten Alterität Europas blieb der Osten die fremde Alterität. Das Western Civ-Konzept demonstrierte die weiße Identität der nordatlantischen Nationen gegenüber den nicht-weißen (fernöstlichen) Nationen und ihren Kulturen. Schon damals wurde ein Krieg der „Rassen“ und Kulturen vorhergesagt. Das frühe 20. Jahrhundert war eine Phase, in der dementsprechend das Bewusstsein über die nationale und transnationale Bedeutung von whiteness (making white) beträchtlich anstieg. Die von amerikanischer Seite aktiv betriebene ökonomische und kulturelle Penetration Chinas, die von liberalen Internationalisten weitgehend mitgetragen wurde, sollte die Modernisierung des Landes nach westlicher Prägung vorantreiben und das ganz Fremdartige des Fernen Ostens ein Stück weit „nostrifizieren“, ohne die identitätsfördernde Alterität zum Verschwinden zu bringen. Dieses Spannungsfeld zwischen „Nostrifizierungstendenz“ und Alteritätsbewahrung fand einen Niederschlag in jenen Magazinbeiträgen, die explizit das Ziel verfolgten, das bis dahin geringe soziale Wissen über den Fernen Osten zu vergrößern. (8) Ein besonderes Kennzeichen des amerikanisch-europäischen Verhältnisses bestand in der Transatlantizität sowohl des Antiamerikanismus als auch des Amerikanismus. Teilweise kreuzten sich diesbezügliche Argumentationen und Reaktionsweisen, teilweise liefen sie parallel. So verstärkte der europäische Antiamerikanismus den Trend zur Amerikanisierung der USA. Umgekehrt förderte die avisierte Amerikanisierung Europas den Europäismus in Europa. Antiamerikanismus und Amerikakritik der Europäer fanden große Unterstützung sowohl unter amerikanischen Publizisten als auch bei amerikanischen expatriates. Analog dazu stieß der Amerikanismus in den USA auf breite Zustimmung, konnte jedoch auch in Europa auf Befürworter verweisen. Dieses komplexe transatlantische Wechselspiel entsprach zumindest teilweise den Erkenntnissen aus der Stereotypenforschung, wonach Heterostereotype Übereinstimmungen zu Autostereotypen aufweisen.16 Es zeigt zudem parti16

Hahn/Hahn, Nationale Stereotypen, 28.

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ell Konvergenzen auf, etwa mit Blick auf Modernisierungsprozesse, die sich zwar auf beiden Seiten des Atlantiks vollzogen haben, aber wegen der Ungleichzeitigkeiten und Ungleichmäßigkeiten im Ablauf damals als Amerikanisierung Europas bzw. als amerikatypisches Phänomen interpretiert wurden. Die Transatlantizität gipfelte schließlich im Western Civ-Konzept. Dieses Konzept eliminierte auf der Basis einer evolutionistisch grundierten Geschichtsanalyse weitgehend die Differenzpunkte zwischen Europa und den USA. Daraus entstand die Konstruktion einer (weißen) amerikanisch-europäischen Wertegemeinschaft. Hierbei wurde die europäische Geschichtsentwicklung „nostrifiziert“ und in eine euro-amerikanische Entität überführt. In diesem Kontext erschien dann die Alterität zu Europa lediglich als eine „andere Identität“, die zu einer gemeinsamen „neuen [westlichen] Identität“ transformiert werden konnte.17 Dementsprechend wurden die europäischen Leistungen auf dem Gebiet von Kunst und Kultur der gemeinsamen Vergangenheit zugeordnet. Der evolutionäre Fortschrittsgedanke ermöglichte außerdem eine Lesart des Konzepts, wonach der USA die Zukunftsgestaltung zufiele. Dieses Western Civ-Narrativ marginalisierte zwar nachhaltig die Differenzen zu Europa durch die Hervorhebung der mit dem Alten Kontinent verflochtenen Geschichte, doch handelte es sich primär um eine „Überschreibung“ der in anderen Diskurszusammenhängen stark betonten Differenzen, so dass in späteren Jahrzehnten (bis heute) jede der beiden Beziehungsseiten reaktiviert werden konnte. (9) Die Qualitätsmagazine boten einen Diskursraum, in dem ein lebendiger transatlantischer Gedanken- und Kulturaustausch zwischen Europäern und Amerikanern sowie eine ausgeprägte Übersetzungskultur ihren Ort fanden. Der Forumscharakter der Zeitschriften, besonders jener der Zeitschrift The Forum, ließ bewusst unterschiedliche Positionen zu Tage treten. Nicht die Vermischung von Standpunkten war das Ziel dieser Zeitschriften, sondern die Pflege eines Aushandlungsraumes, in dem die Differenzen in den Auffassungen zu einem Themenkomplex, etwa zu nationalen Identitätsproblemen in transatlantischen Zusammenhängen, zum Zuge kommen konnten. So sollten die Voraussetzungen für individuelle Meinungsbildung geschaffen werden18, ohne dadurch das Profil der Zeitschrift zu verwischen. Was Lippmann als Mitherausgeber der Zeitschrift The New Republic über dieses Blatt sagte, gilt mehr oder weniger für alle liberalen Qualitätszeitschriften jener Zeit: Sie verstanden sich durchweg als „journal(s) of unopinionated opinion“19, weswegen es auch wenig Sinn machen würde, analytisch genaue Profile der einzelnen Zeitschriften herausarbeiten zu wollen. Diese Struktur der Diskussionskultur gehört sicherlich zu den Besonderheiten der US-Publizistik. 17 18 19

Zu den zitierten Begriffen siehe Michael/Schäffauer, Zum Verhältnis, 13, 15. Vgl. Bachmann-Medick, Dritter Raum, 26. Zit. n. Seideman, The New Republic, 168.

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Die Qualitätsmagazine standen für die Neuentwicklung und Akzeptanz breit angelegter Gesellschaftskritik. Sie bedienten dabei die nation buildingThematik, die ihrerseits mit dem Ziel verbunden war, eine selbstkritische, aber auch eine gegenüber Europa selbstbewusste und von Nachahmung (mimikry) befreite Nation entstehen zu lassen. Dabei handelte es sich im Kern um einen Intellektuellen-Diskurs, dessen hohe qualitative Relevanz für die amerikanische Gesellschaft jedoch nicht in Frage stehen sollte. In den liberalen Qualitätsmagazinen lassen sich auch zahlreiche Beiträge über die Schwachstellen der amerikanischen Gesellschaft auffinden. Mit Kritik wurde nicht gespart, und über die Gesellschaftsprobleme, die sich in der großen Umbruchzeit des frühen 20. Jahrhunderts ergaben, boten die Zeitschriften ein gutes Diskussionsforum. Auf eine inhaltlich genaue Vorstellung, welche Art von Moderne wünschenswert sei, wurde indessen wohlweislich verzichtet. Dadurch hätten die liberalen Magazine ihre Funktion als offene Foren für die notwendig erscheinenden Suchbewegungen verloren. Klar war lediglich die Absage an fundamentalistische Positionen, an rassistisch begründeten Rassismus und an einen Imperialismus europäischer Couleur. Überdies bestand ein gemeinsamer Nenner in dem Wunsch nach genuin-künstlerischer Größe und einem „angemessenen“ nationalen Selbstwertgefühl. Weil die Redaktionen der Qualitätsmagazine bewusst stets auch Europäer direkt oder indirekt zu Wort kommen ließen, konnten die Zeitschriften einen „dritten Ort“ (Bhabha) bilden, an dem transatlantische Differenzen zum Ausdruck gebracht und ausgehandelt wurden, wobei die vielen nicht auflösbar erscheinenden Differenzen zu Europa der Suche nach nationaler amerikanischer Identität förderlich waren. Dieser dritte Ort bestand aus einem transatlantisch-medialen Brückenraum, in dem eine Art doppeltes Denken (doublethink) über „Wir“ und „Sie“ möglich wurde, und die Spannungen zwischen zwei Kulturen20 die nach Einfluss und Anerkennung ringenden Diskursträger prägten. Hier konnte sowohl in transatlantischen als auch – diskursiv verknotet — in national(istisch)en Kontexten über Deutungen und Sinnsetzungen von Differenzen diskutiert werden, konnten transatlantische Übersetzungen erfolgen, und man konnte soziale Wissensbestände transatlantisch zirkulieren lassen, wobei diese von den Diskursteilnehmern des jeweils anderen Kontinents oftmals angereichert und überschrieben wurden. Die Autoren (und Autorinnen), die für diese Qualitätsmagazine Beiträge verfassten, stellten einen neuen Typus von medienbezogenen Intellektuellen dar. Sie nutzten die Medien in Form eines (konkurrierenden und kohäsiven) Verbundsystems gezielt, um Nationsbildungsprozesse voranzutreiben und dabei die Diskurse zu steuern, ferner um Übersetzungen vorzunehmen, schließlich um Amerika zu enteuropäisieren und gleichzeitig transatlantische Perspektiven für ein zukünftiges Verhältnis zu Europa auf geänderter Grundlage 20

Vgl. Breger/Döring, Einleitung, 12.

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zu entfalten. Auch war es den oftmals jungen Intellektuellen ein Anliegen, eine öffentliche Kritikkultur in den USA zu etablieren und damit Intellektuellen eine angesehene Position in der Gesellschaft zu sichern. Deshalb kam es immer wieder zu Selbstthematisierungen. Die Akteure waren allerdings bemüht, jegliche externe Einflussnahme auf die Zeitschriften zu minimieren oder sie zu ihrem eigenen Vorteil zu nutzen. Die Verbindungen der Zeitschrift New Republic zur Wilson-Regierung ließ dieses Magazin an der politischen Macht partizipieren. Die liberale Position während des Red Scare brachte die Zeitschrift The Nation in große Bedrängnis. Doch war offensichtlich ihre Position wirtschaftlich und politisch so gefestigt, dass sie solche Drangsale überdauern konnte. In den Jahren der republikanischen Regierungen verloren beide Zeitschriften an politischem Einfluss, doch vermochten sie auch dann noch ihre herausgehobene Position in der publizistischen Öffentlichkeit zu halten, zumal auch das politische Establishment nicht umhin konnte, sie zu rezipieren. Die Diskussionen über „Rasse“, Eugenik, Geburtenkontrolle und Immigranten-Quoten zeigten allerdings auch die Grenzen ihres Einflusses auf die öffentliche Meinung und die politische Willensbildung der zwanziger Jahre. Die einzelnen publizistischen Positionen formierten sich indessen zu keinem geschlossenen Diskurskörper, vielmehr trugen sie zur Gestaltung offener und weit gefächerter Diskussionsstränge bei, weswegen die Qualitätsmagazine nicht als Richtungszeitschriften gekennzeichnet werden können. Gleichwohl lassen sich in der Sichtweise auf Europa bestimmte Schwerpunkte erkennen. Ungeachtet der Breite der Positionen, die in den Qualitätsmagazinen zu finden sind, hatten liberal-„progressive“ Internationalisten, die auf Frieden und Völkerverständigung ausgerichtet waren, ein starkes Gewicht. Die Zeitschriften gaben zum einen ein Forum ab, auf dem Autoren ihre diesbezüglichen Ziele darlegen konnten, zum anderen förderten die Redaktionen direkt die internationale Verständigung, indem sie viele Publizisten, Schriftsteller und Intellektuelle aus europäischen Ländern einluden, über ihr jeweiliges Land, über die USA und über transnationale Themen zu schreiben. (10) Zu den Besonderheiten des frühen 20. Jahrhunderts gehörten Gewichtsverschiebungen bei transatlantischen Positionsbestimmungen über Kunst und Kultur, weswegen diese Phase als Transferphase gekennzeichnet werden kann. „God damn the continent of Europe“, meinte F. Scott Fitzgerald, als er 1912 London besuchte. In zwanzig Jahren werde New York die Kulturhauptstadt sein, weil die Kultur dem Geld folgen werde (culture follows money). Das war zwar übertrieben, aber die Eröffnung des Museum of Modern Art genau zwanzig Jahre später in New York markierte zweifellos eine Zäsur, die in eine solche Richtung wies. Während dieser Transferphase durchliefen amerikanische Intellektuelle eine Zeit der Selbstfindung sowie der Suche nach Bewertungskriterien amerikanischer Kunst und Kultur. Dabei orientierten sich auch jene Publizisten, die

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in den zwanziger Jahren einen kulturellen Nationalismus vertraten, noch vielfach an dem europäisch geprägten Begriff von Hochkultur. Gleichzeitig versuchten sie aber auch ansatzweise, den Kunst- und Kulturbegriff nach verschiedenen Richtungen hin zu erweitern, wenngleich eine klare, allgemein anerkannte Positionsbestimmung der Populär- und Massenkünste als inhärente Kulturphänomene der (amerikanischen) Moderne mit einem hohen Kunstpotenzial noch fehlte. Allerdings fehlten auch die großen Ängste und Aufgeregtheiten gegenüber den neuen Massenkünsten – ganz im Unterschied zu den überdimensionierten Befürchtungen, die etwa große Teile des deutschen Bildungsbürgertums in jener Zeit, nach verlorenem Krieg und überstandener Revolution, befielen. Auf einer längeren Zeitachse gesehen musste der kulturelle Nationalismus scheitern. Denn erstens war die Vorstellung, es könne eine national reine Kunst und Kultur geben, generell abwegig, schon gar nicht in einer Gesellschaft, wie der amerikanischen, in der wegen der diversen Einwanderer-Milieus und den African Americans gar keine genuin nationale Kunstausrichtung möglich war. Zweitens beinhaltete der kulturelle Nationalismus, soweit er sich auf die Moderne bezog, einen zusätzlichen Anachronismus. Denn Kennzeichen der modernen Kunst war ja letztlich deren Transnationalität, selbst wenn bestimmte nationale Eigenheiten und nationale Ansprüche und Vereinnahmungen erhalten blieben. Seit dem Zweiten Weltkrieg traten die nationalistischen Bestrebungen in der Kunst tatsächlich in den Hintergrund, stattdessen begann deren Internationalität die diskursive Oberhand zu gewinnen21, eine Entwicklung, deren Vorreiter in der Armory-Show von 1913 und in dem 1932 entstandenen Begriff des International Style gesehen werden können. Die Selbstfindungsphase der USA traf nicht zufällig zeitlich mit dem Übergang der USA zu einer erstrangigen Industriegesellschaft und Weltmacht sowie mit dem Durchbruch der kulturellen Moderne zusammen. Dadurch entstand für die USA – wie auch für andere Länder – eine schwierige Statuspassage. Diese erinnert an das Liminalitäts-Theorem, das vom Ethnologen Victor Turner für Individuen und Gruppen entwickelt wurde22, indessen auch auf Nationen übertragen werden kann. Mit Rückbezug auf Arnold van Genneps Rites de Passage betont Turner vor allem den Schwellenzustand, der auf der einen Seite durch die Trennung von früheren sozialen und kulturellen Einbindungen und auf der anderen Seite durch die später erfolgten Neupositionierungen und Angliederungen entsteht. Gemeint ist eine Übergangsphase, in der sich Nationen – ähnlich wie Individuen – in einem mehrdeutigen Zwischenstadium befinden, die Victor Turner als „betwixt and between“ bezeichnet hat. In diese Richtung deutet auch die häufige Verwendung von Ausdrücken, die das Bild eines jugendlichen, mobilen, ungestüm vorwärtsdrängenden und 21 22

Alexander, Here the Country, 243. Turner, Betwixt and Between; ders. Liminalität.

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Grenzen sprengenden Amerika zeichnen, wobei gleichzeitig gerne auf den Reifungsprozess der Nation, gerade auf kulturellem Gebiet, hingewiesen wurde.23 Ebenso definierten sich junge Kritiker, Literaten und Künstler häufig als „junge Generation“ mit identitätssuchenden Vorstellungen bezüglich Kultur, Geschlecht und Nation. Zu dieser historischen Zwischenposition der USA des frühen 20. Jahrhunderts gehörte auch das sich in der Veränderung begriffene Verhältnis zu Europa. Sicherlich ist es kein Zufall, dass in den dreißiger und vierziger Jahren die Bedeutung des Frontier-Theorems, welches bis dahin als Symbol für die Amerikanisierung der amerikanischen Geschichte galt, beträchtlich abnahm. Ebenso wandelte sich allmählich die Einschätzung der europäischen Immigranten, insofern alle Europäer, auch die Südländer, fortan als Weiße galten. Ferner entkoppelte sich langsam das amerikanische Identitätsgefühl vom Angelsächsischen (de-Anglo-Saxonization).24 Schließlich erfuhren nach 1945 die amerikanischen modernen Künste im eigenen Land und in Europa „endlich“ jene Hochschätzung, die sich namhafte liberale Publizisten, Literaten und Künstler schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts gewünscht hatten. So wurde schließlich jener Grad an nationalem Selbstwertgefühl auf kulturellem und künstlerischem Gebiet erreicht, der offenbar eine der Voraussetzungen war, den liminalen Schwellenzustand in diesem Gesellschaftsbereich zu beenden und die Transatlantizität auf eine neue Basis zu stellen.

23

24

Vgl. u. a. Santayana, The Genteel Tradition, 98, 110. Allerdings spricht auch Einiges für eine These, wonach die amerikanische Nation mit „permanenter“ Jugendlichkeit (inklusive aller der Jugendlichkeit zugeschriebenen Stärken und Schwächen) in Verbindung gebracht wird. Heutzutage haben sich die Wunschvorstellungen in Bezug auf das Verhältnis der USA zu Europa verschoben: Ging es im frühen 20. Jahrhundert um die Alternative zwischen einer weißen, vom europäischen Einfluss freigehaltenen USA einerseits und einer weißen, europäischen Einfluss bejahenden USA andererseits, so wird heute die Dominanz einer weißen USA, die ihre Verflechtung mit Europa grundsätzlich hochschätzen, einer bunt gemischten, multikulturellen und daher strukturell eher europafernen US-Gesellschaft gegenübergestellt.

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PERSONENREGISTER Abbot, Lyman 49 Abbott, Lawrence F. 102 Abbott, Wilbur Cortez 87, 239 Adams, Brooks 217 Adams, Henry 28, 130, 214 f., 217, 335, 362 Adams, Herbert Baxter 261 Adams, James Truslow 18, 56, 74, 101, 173, 175, 205, 207, 212, 219 ff., 230, 250, 297, 317, 319 Addams, Jane 148, 152, 154, 188, 275, 323, 336, 348, 354 Aikman, Dunkin 73 Alexander, Charles E. 73 Alexander, Hartley 198 Allen, Frederick Lewis 45, 48, 54, 65, 72, 264, 317 Anderson, Alfred G. 66 Anderson, Sherwood 260 Anderson, William P. 244, 249 Andrews, Herbert 130 Angell, Norman 336 Antin, Mary 149 Aristophanes 309 Arnold, Matthew 269 Aron, Robert 93 Assmann, Alaida 299 Aurelius, Marcus 96 Aydelotte, Frank 348 Babbitt, Irving 48, 70, 90, 93, 236, 251, 269, 277, 283, 285, 287, 297 Baber, Ray Erwin 140 Bach, Richard F. 312 Bacon, Francis 96 Balch, Emily Greene 148, 354 Barnes, Harry Elmer 24, 136, 332 Barr, Alfred H., Jr. 281, 284, 286 Barth, Karl 245 Beale, Mary 252 Bear, Luther Standing 199 f. Beard, Charles, A. 70, 86–91, 93 f., 103, 116 f., 172, 207 f., 214–218, 220 f., 232, 234 f., 238 f., 252 f., 258, 261–265, 273, 275, 291, 310, 319, 332, 338, 359–362, 366, 372, 374, 385

Beard, Mary R. 172, 208, 215–218, 220, 253, 310, 372 Becker, Carl. L. 214, 332 Benchley, Robert C. 140 Benedict, Ruth 259, 309, 367 Benhabib, Seyla 32 Bennett, Charles A. 256 Bennett, Jesse Lee 96, 208 Benton, Thomas Hart 280, 307 Bergson, Henri 287 Berkson, Isaak 108 Bernays, Edward L. 66 Berry, Rose V. S. 277 Beveridge, Albert J. 13, 379 Bhabha, Homi K. 20, 26, 388 Bierstadt, Edward Hale 149 Bigelow, Poultney 130 Bishop, John Peale 13, 209 Bismarck, Otto von 191 Blain, John 355 Blake, Casey Nelson 54, 174 Blashfield, Edwin 293 Bliven, Bruce 65 Bloch, Blanche 280 Boas, Franz 108, 146, 150 f., 158, 161, 169, 197, 224, 309, 367 f. Bohn, Frank 339, 345 Bok, Edward William 48 Bolivar, Simon 346 Bon, Gustave Le 238 Bonfils, Winifred Black 68 Boorstin, Daniel J. 40 Borah, William E. 338, 350, 355 Borden, Mary 176 Botkin, Benjamin A. 306 Bourdieu, Pierre 45, 226, 256, 267 Bourne, Randolph 13, 69 f., 105, 149, 151 f., 162, 187, 230, 247 f., 274 ff., 282, 305, 316, 331, 346 Bowman Brothers 294 Boyd, Ernest 92, 101 Brandeis, Louis 275 Brandes, George 362 Braque, Georges 293

422

Personenregister

Brechtken, Magnus 111, 330 Breuer, Marcel 299 Briand, Aristide 356, 374 Briffault, Robert 269 Bromley, Dorothee Dunbar 69, 176 Brookhart, Smith W. 355 Brooks, Van Wyck 65, 69 f., 101, 172, 200, 207, 213, 249 f., 264, 272, 274, 282 f., 287, 291, 297 f., 306, 317, 319 Broun, Heywood 59, 61, 254 Brown, Rollo Walter 272, 274 Bruce, Harold 226 Bruère, Robert W. 347 Buchanan, Charles L. 275 Buchanan, Joseph Rodes 169 Buchler, Justus 367 Buell, Raymond Leslie 80, 328, 341, 347 Bullard, Arthur 324, 346 Burchfield, Charles 307 Burgess, Ernest 115 Burgess, John W. 111, 321 Burke, Kenneth 69 f., 297 Burns, Delisle C. 365 Butler, Samuel 96 Bywater, Hector C. 366 Cabell, James Branch 295 Calkins, Ernest Elmo 312 Calverton, V. F. 226, 243 Carby, Hazel V. 188 Carnegie, Andrew 321, 357 Catlin, George E. G. 79, 89, 92, 102, 108, 336, 365 Catt, Carrie Chapman 348, 353 f. Chaplin, Charlie 310 Chase, Stuart 70, 220, 294, 312 Cheney, Sheldon 315 Chesterton, G. K. 363 Chotzinoff, Samuel 302 f. Cody, William F. 195 f. Cohen, Lizabeth 148 Cohen, Morris R. 323 Collins. Joseph 79, 92, 219, 229, 253 f. Colum, Mary M. 298 Coolidge, Calvin 16, 66, 180 Cooper, Anna Julia 188 Cowley, Malcolm 69, 291, 298 Craven, Thomas 279 f., 291 Crawford, Ralston 289 Creels, Herbert 131 Crèvecoeur, Hector St. John de 92, 222

Croly, Herbert 59, 65, 71, 103, 165, 180 ff., 195, 213, 224, 232, 234 f., 258, 273 f., 282, 320, 323, 330 f., 335, 350 Crowley, Mary 296 Cummings, E. E. 291 Cunliffe, Marcus 105 Curry, Steuart 307 Curtis, Edward Sheriff 197 Damrosch, Franz (Frank) 302, 384 Damrosch, Walter 278 Dandieu, Arnauld 93 Daniels, Josephus Hon. 131 Darwin, Charles 96, 214 f., 224 Davenport, Charles 126, 130, 132 f., 137, 155 Davidson, Donald 262 Davis, Cushman K. 360 Davis, David Brion 165 Dawes, Charles Gates 333, 342 Dawley, Alan 180 Debs, Eugen Victor 183 f., 234, 275 Debussy, Claude 286 Delaisi, Francis 93, 347, 352 Dell, Floyd 287 Demuth, Charles 279, 289 Dennet, Tyler 372 Dennett, Mary Ware 139, 155 f. Denny, Ludwell 337 Derain, André 279 DeVoto, Bernard 207, 260, 306 Dewey, John 52, 69 f., 88 ff., 95 f., 100, 105, 112, 148, 152, 156, 213, 216, 219, 221, 232–235, 238 f., 243, 247, 251, 265, 273, 275, 308, 330 f., 368 Diesel, Eugen 95 Dixon, Joseph Kossuth 197 Dominguez, Villalobos 360 Doren, Carl Van 59, 70, 104, 295 Doren, Mark Van 2oo Dorr, Rheta Childe 68 Doyle, H. G. 348 Drachsler, Julius 108 Dreiser, Theodore 55, 104, 258, 293,295, 297 Dreyfus, Alfred 81 Drinnon, Richard 113 Du Bois, W. E. B. 57, 190–195, 199, 275, 323, 369, 374 Dublin, Louis Israel 139 Duchamp, Marcel 288 f.

Personenregister

Duffus, R. L. 200 Durant, Will 218, 326, 362 Dvořák, Antonin 302 East, Edward M. 127 Eastman, Crystal 108 f., 156 Eastman, Max 65, 70, 184, 287 f., 292 Eaton, Walter Prichard 251 Edison, Thomas A. 361 Edman, Irwin 96 Einstein, Albert 276, 354 Eisenstadt, Shmuel 15 Eisenstein, Sergei Mikhailovitch 310 Eliot, Charles W. 148 Eliot, T. S. 288, 290 Ellis, Havelock 277, 287, 367 Emeny, Brooks 100 Emerson, Ralph Waldo 89, 271, 274, 282, 291, 298 Erskine, John 249, 254 Evans, Hiram Wesley 62, 134, 157 f., 223 Fairchild, Henry Pratt 138, 155 Faulkner, William 104, 282 Fay, Alice M. 267 Fay, Bernard 77, 80, 109, 209, 296, 333, 339 Fay, Sidney B. 332 Fein, Leonard 135 Feininger, Lionel 279 Fenollosa, Ernest 373 Ferris, Hugh 294 Finzsch, Norbert 193 Fishbein, Morris 227 Fisk, Harvey E. 217, 325, 374 Fiske, John 111, 141, 214 Fitzgerald, F. Scott 65, 291, 297, 389 Foch, Ferdinand 85 Foerster, Friedrich Wilhelm 66 Forbes, B. C. 360 Ford, Henry 90, 133, 210 f., 360 Forman, Henry James 25, 72, 218 Fosdick, Harry Emerson 154, 241 f., 373 Fosdick, Raymond Blaine 226 Foucault, Michel 24, 225 Fox, Dixon Ryan 213 Fraenkel, Michael 93, 105 France, Anatole 66 Frank, Waldo 13, 65, 69 f., 73, 225, 232, 250, 258, 264 f., 273 f., 283, 287, 306 Freud, Sigmund 169, 216, 225, 287, 290, 354

423

Fuller, Harold de Wolf 59 Fuller, J.F.C. 99 Fuller, Walter 109 Gale, Zona 291 Gallatin, A. E. 289 Galton, Francis 126, 135, 224 Gannett, Lewis S. 370 Garvey, Marcus 192–195 Geddes, Auckland Campell 109, 333, 336 Geddes, Patrick 295 Gennep, Arnold de 390 Gerould, Katherine Fullerton 61 Gershwin, George 304 Ghandi, Mahatma 90 Gibbs, Philip 108, 273, 357, 363 Gide, André 176 Gilbert, Henry F. B. 284 Gilman, Charlotte Perkins 166, 170, 187 Gleason, Philip 108 Goddard, Henry Herbert 128 Godkin, E. L. 154 Goethe, Johann Wolfgang von 96, 275, 285 Gold, Michael 147, 288 Goldberg, Isaac 303 Gompers, Samuel 182 Goodrich, Lloyd 270, 293 Gordon, Linda 139 Gowen, Herbert H. 369 Grand, Sarah 164 Grant, Madison 125 ff., 130, 143, 156 ff., 364 Gräser, Marcus 117 Griffith, David 310 Gronna, Asle 355 Gropius, Walter 280 f., 286, 299 Grosz, George 279 Gruening, Ernest 112, 180, 253, 259, 353 Gutman, Herbert G. 180 Hadden, Briton 49, 64 Haeckel, Ernst 96 Hagenbüchle, Roland 30 Haggin, B. H. 304 Haldane, J. B. S. 377 Hall, Josef Washington 369 Hall, Stanley G. 333 Hall, Stuart 124 Haller, Gret 99, 380 Harding, Warren G. 15 f., 327, 332, 351 Hardt, Michael 37 Hartley, Marsden 198

424

Personenregister

Harvey, George 49, 332 Harvey, John L. 115 Haskell, Douglas 298 f. Haskins, Charles Homer 114, 116 Hauptmann, Gerhart 85, 270, 277 Haviland, Walter 308 Hawthorne, Nathaniel 249 f., 274, 282, 298 Hayes, Carlton J. H. 115, 332 Hays, William H. 311 Hazen, Charles D. 332 Hazlitt, Henry 55, 270, 297 Hearst, William Randolph 46, 65, 83, 102, 280, 331, 350 Heideking, Jürgen 79 Helton, Roy 358 Hemingway, Ernest 291 Hendrick, Burton J. 133 Hendrickson, David C. 372 Henri, Robert 116, 210, 268, 274, 285, 287 Herder, Johann Gottfried 282, 309 Hergesheimer, Joseph 295 Herrick, Robert 174 Herskovits, Melville J. 146 Hewlett, Edgar L. 198 Hibben, John Grier 326 Hicks, Granville 297 Higham, John 127, 178, 261 Hill, Helen 79, 110, 340–343, 359, 374 Hindemith, Paul 278 Hinkle, Beatrice 176 f., 367 Hirsch, Nathaniel D. 144 Hirschfeld, Magnus 367 Hitchcock, Henry-Russell 286, 290, 295 Hobbes, Thomas 108 Hobson, John A. 66, 77, 338 f., 347 Hochgeschweder, Michael 225, 241 Holt, Henry 69 Hood, Raymond 281, 294 Hoover, Herbert 16, 179, 327, 333 f., 372 Hopkins, Andrew D. 349 Horaz 275 Howe, Frederic C. 181, 247 Howe, George 294 Howell, John Mead 281 Howells, William Dean 151, 276, 321 Hrdlička, Aleš 143 Hughes, Charles Evans 351 Hughes, Langston 302 Hulme, Peter 379 Hunt, Frazier 373

Huntington, Ellsworth 127, 138, 343 Huntington, Willard 104 Huxley, Aldous 96 Hyndman, H. L. 364 Ickstadt, Heinz 38, 380 Ingalls, John James 166 Inge, William R. 140, 244 Inman, Samuel Guy 328 Iriye, Akira 325, 334, 353 Irvine, St. John 174 Irwin, Will 364 Jackson, A. L. 193, 303 James, Edwin L. 326, 356 James, Henry 276, 282, 292 James, William 52, 148, 151, 207 Jameson, John Franklin 117, 261, 365 Jefferson, Thomas 21 Joad, C. E. M. 82, 86, 111, 228 Johnson, Albert 142 Johnson, Hiram 338, 350 Johnson, James Weldon 301 Johnson, Lyndon B. 219 Johnson, Philip 286, 290 Johnson, Robert David 355 Josephson, Mattew 69, 73, 77, 291, 308 Joyce, James 277, 297 Kallen, Horace M. 106, 108, 120, 148, 151 ff., 162, 230, 234, 275 Kaltenborn, H. V. 80, 283, 336, 342 Kaplan, Amy 38, 194 Karl der Große 126 Kaye, F. B. 149 Keller, Morton 191 Kellogg, Frank Billings 356, 374 Kellor, Frances 20, 148 Kelly, Florence 188 Kent, Frank A. 73 Kenyon, William 355 Keppel, Frederick P. 57, 268, 284, 298, 312 Key, Ellen 170 Keyserling, Hermann Graf 80 f., 94, 96, 106 ff., 344, 362 f. Kien, Walter 279 King, Richard 38 Kirchwey, Freda 68 f., 155, 242, 264, 344 Kirkhorn, Michael 67 Kloppenberg, James T. 238 Knopf, Adolphus S. 140, 155 Knopf, Alfred 49, 95 Knowlton, Don 304

Personenregister

Kopald, Sylvia 173, 242 Kouwenhoven, John 205 Krappe, Alexander Haggerty 306 Krieger, Leonard 114 Krutch, Joseph Wood 59, 70, 213, 220, 242, 264, 297, 344, 363 f. Labaudt, Lucien 227 La Folette, Suzanne 294 La Follette, Robert 355 Lafayette, Gilbert du Motier, Marquis de 90 Lamarck, Jean Baptiste de 135, 147 Langer, William 114, 332 Laski, Harold J. 73, 235, 379 Laughlin, Harry 137 Lawrence, D. H. 172, 274, 288 Layman, Geoffrey 81 Le Corbusier 281, 286, 299 Lears, Jackson 32 Lee, C. S. 349 Lengel, William C. 83 Lescaze, William 294 Leuchtenburg, William E. 64 Lévinas, Emmanuel 22 Levine, Lawrence W. 36, 308 Lewis, Sinclair 25, 55, 65, 131 f., 217, 229, 253, 268, 277, 282, 295, 297 Lewisohn, Ludwig 70, 242, 269, 291 f., 295, 298 Lindbergh, Charles 80 Lippmann, Walter 59, 66, 78, 110, 112, 238, 243, 247, 265, 273, 323 ff., 328, 330 f., 337, 341, 350, 374, 387 Lipset, Seymour Martin 39 Liu, Chi-Fung 368 f. Locke, Alain 190, 192, 300 f. Locke, John 323 Lodge, Henry Cabot 337 Loewy, Raymond 312 Loon, Hendrik Willem Van 65, 108, 167, 210, 319 Lowell, A. Lawrence 135 Lozowick, Louis 280, 289 Luce, Henry 49 f., 60, 64 Ludovici, Anthony 176 Lüsebrink, Hans-Jürgen 22 Lusk, Hugh H. 364 Lynch, Maude Dutton 170 Lynd, Helen 72, 172, 238 Lynd, Robert 72, 172, 238

425

Macy, John 46, 63, 65 Madariaga, Salvador de 97, 338 Mahan, Alfred Thayer 335, 352 Mann, Erika 99 Mann, Klaus 99 Mann, Thomas 288, 297 Mardsen, G. M. 245 Martin, Edward S. 347, 365 Martin, Roger 189 Marty, Martin E. 36, 240 Mason, Daniel Gregory 280 Masson, Tomas L. 297 Mather, Frank Jewett, Jr. 61, 276 Matisse, Henri 88, 279 Maurois, André 83, 343 Maxim, Hudson, 357 Mayo, Katharine 372 McBride, Henry 293 McClure, Sam 68 McDonald William 339 McDougall, William 127, 186 McIntyre, C. F. 168 McLean, Charles 130 McNally, William J. 324 Mead, Margaret 169, 309, 367 Meltzer, Charles Henry 85, 284 Melville, Hermann 274, 298 Mencken, H. L. 49, 58, 60 f., 64 f., 70, 75, 104, 149 ff., 168, 172, 174, 200, 213, 228, 246, 249, 270 f., 277, 287, 295 ff., 325 Mendel, Gregor 126, 135 Mendelsohn, Erich 313 Metta, Vasudeo 363 Meyers, Ellis W. 208 Micheaux, Oscar 190, 195 Mies van der Rohe, Ludwig 286, 299 Mill, John Stuart 96 Miller, David Hunter 353 Miller, Francis 79, 110, 340–343, 359, 374 Miller, Henry 104 Moens, Bernelot 365 Molière, Jean Baptiste 309 Molnar, Thomas 233, 376 Monroe, Harriet 295 Monroe, James 320 Montgomery, David 180 More, Paul Elmar 59, 70, 269, 277, 297 Morris, William 283 Morrison, Toni 194

426

Personenregister

Moses, Montrose 270 Motherwell, Hiram K. 217, 325, 327, 374 Mott, Frank Luther 57 Mowrer, Edgar Ansel 74, 99, 115, 132, 173, 221, 353, 379 Mowrer, Paul Scott 356 Mukerji, Dhan Gopal 368 Mumford, Lewis 56, 70, 172, 174, 213, 221, 252, 259, 262, 274, 281, 295 ff., 306, 312 Müller-Freienfels, Richard 95, 341 Münsterberg, Hugo 58, 74 f., 240 Murray, Gilbert 96 Myers, Gustavus 179 Nagler, Jörg 131 Nathan, George Jean 60, 70, 104, 287, 297 Negri, Antonio 37 Neilson, Francis 49 Neutra, Richard 294 Nevins, Allan 120 Niebuhr, Reinhold 80, 95, 154, 213, 235, 239, 246 ff., 264, 324, 333 f., 351, 356 Nietzsche, Friedrich 96, 131, 277, 287 Noble, David W. 21 Nock, Albert Jay 50, 179 f. Norris, George 355 Norris, Kathleen 98 Norton, Charles Eliot 276 Novick, Peter 114, 120 O’Neill, Eugene 270 O’Keeffe, Georgia 289 Ogburn, William 316 Oppenheim, James 287, 331 Osborn, Henry Fairchild 126, 130 Osgood, Levi 130 Oud, J. J. P. 286 Palmer, Frederick 154, 343 Park, Robert E. 115, 146 f., 194, 310, 341 Parkhurst, Winthrop, 223 Parrington, Vernon L. 103, 250, 260, 262, 306 Parson, Frank Alvah 280 Parsons, Elsie Clews 156, 367 Passos, John Dos 80, 291 Paxson, Frederick L. 211 Pease, Donald E. 38 Peffer, Nathaniel 247 Pells, Richard H. 221 Pereyra, Diòmedes 324 f. Perkins, George 362

Perry, David M. 181 f. Pezet, A. Washington 157, 336, 357 Phelan, James 145 Picabia, Francis 288 f. Picasso, Pablo 279 Piccoli, Raffaello 220 Pickens, William 187 Pitkin, Walter P. 226 Poe, Edgar Allen 151, 282 Pound, Ezra 288, 290, 317 Powell, John 302, 306 Pratt, Mary Luise 52 Priestley, John onyton 88 Proust, Marcel 176, 297 Pulitzer, Joseph 49, 64, 137, 295, 321 Pusey, William Allen 156 Pyle, Howard 49 Rabelais, François 309 Radway, Janice 72 Ranke, Leopold von 206 Ransom, John Crowe 79, 260 Raphael, Lutz 128 Rasmussen, Jens Rahbeck 116 Rathbone, Eleanor 170 Rauschenbus(c)h, Walter 240, 244 f. Reed, David A. 142, 338 Reinhardt, Max 292 Remarque, Erich Maria 208 Repplier, Agnes 191 Reuter, Edward Byron 194 Rice, Elmer 271 Richards, I. A. 96 Ripley, William Z. 125, 127 Robinson, James Harvey 112, 114, 116, 207, 217, 235, 319, 323, 326 Rockefeller, John D. 372 f. Roeder, George H., Jr. 276 Rogers, Joel A. 302 Rolland, Romain 354 Romier, Lucien 77, 91, 93, 105 Roosevelt, Franklin Delano 110, 216, 347 Roosevelt, Theodore 102, 131, 164 f., 181, 224, 236 f., 321, 335, 371, 374 Root, Elihu 337, 348, 366 Rosenfeld, Paul 70, 73, 273 f., 289 Ross, Edward Alsworth 123 Rourke, Constance 223, 259, 306, 309 Royce, Josiah 148, 262 Rudhyar, Dane 286 Russell, Bertrand 61, 221, 242, 288

Personenregister

Rutledge, Archibald 194 Sandburg, Carl 282, 293 Sanger, Margaret 46, 155, 367 Santayana, George 55, 61, 136, 173, 222 f., 229, 264, 271, 288, 290, 308 Sapir, Edward 154, 367 Scheler, Max 103 Schlesinger, Arthur Maier, Jr. 32, 59 Schlesinger, Arthur Maier, Sr. 127, 149 f., 234, 332 Schmitt, Bernadotte E. 332 Schneider, Herbert Wallace 251 Schneirov, Matthew 428 Schomburg, Arthur 301 Schönberg, Arnold 278 Schopenhauer, Arthur 96 Schurman, Jacob Gould 67, 327 Schweinitz, Karl de 176 Scopes, John Thomas 241 Scriabin, Alexander 286 Seaman, Elizabeth Cochrane 68 Sedgwick, Ellery 47 Seldes, George 67 Seldes, Gilbert 308 ff. Sergeant, Elizabeth Shepley 65 Seymour, Charles 332 Shakespeare, William 267, 275 f. Shaler, Nathaniel 133 Shattuck, Arthur 280 Shaw, Albert 65 Shaw, George Bernard 289, 336 Sheeler, Charles 289 Sherman, Stuart Pratt 131 f., 251, 269, 277, 295 Shotwell, James T. 353 Shultz, William J. 305 Sieburg, Friedrich 97 Siegfried, André 87, 90, 93, 102, 104, 106, 149, 245 Simonds, Frank H. 100, 333, 338, 349 Simonson, Lee 292 Sinclair, John F. 53 Sinclair, Upton 58 Slotkin, Richard 214 Smith, Henry Nash 213 Smith, Richmond Mayo 127 Sokrates 96 Sombart, Werner 103 Soule, George 65, 70, 235 Spaeth, Sigmund 303

427

Spencer, Herbert 147, 215 Spengler, Oswald 221, 361 Speranza, Gino 144 Spies, Werner 299 Spingarn, J. E. 13, 67, 367 Stearns, Harold E. 65, 70, 83, 94, 101, 105, 172, 174, 213, 220, 227, 236, 253, 273, 291, 306, 309, 327 Stearns, Peter N. 84 Steffens, Lincoln 247 Stein, Gertrude 222, 269, 290–293, 299 Steinbeck, John 104 Stella, Joseph 289 Stephens, James 222, 303, 343 Stevens, Wallace 314 Stickley, Gustav 311 Stieglitz, Alfred 172, 280, 283, 287 ff., 314 Stoddard, Lothrop 61, 89, 126 f., 157, 186, 190, 237, 364, 366 Stolberg, Benjamin 226, 253 Straight, Dorothy 49 Straight, William 49 Strindberg, August 270, 289 Strong, Josiah 322 Strout, Cushing 40, 222, 335 Stuart, Henry L. 95 Sullivan, Louis H. 280 f., 295, 312 Sullivan, Mark 144 Sumner, William Graham 321 Susman, Warren 27, 54, 93 Sutherland, Halliday 139 Swift, Helen 49 Taft, William Howard 337 Takahira, Kogorõ 366 Tarbell, Ida M. 68 Tashjian, Dickran 271 Tate, Allen 243 Taylor, Deems 278 Taylor, Frederick Winslow 216 Terrell, Mary Church 188 Thayer, William Roscoe 157 Thind, Bhagat Singh 145 Thompson, Dorothy 67 f. Thöner, Wolfgang 285 Thoreau, Henry David 274, 282 Tichener, Pascal 96 Tocqueville, Alexis de 179, 233, 382 Tolstoi, Leo 96 Toynbee, Arnold J. 363 Treat, Ida 80 f., 108

428

Personenregister

Troeltsch, Ernst 358 Trumbo, Dalton 310 Turner, Frederick Jackson 30, 34, 113, 130, 172, 186, 190, 192, 205, 207, 211–217, 223 f., 227 f., 231–235, 237, 258 f., 261 ff., 306, 309, 320, 339, 383 Turner, Raymond 332 Turner, Victor 390 Twain, Mark 282, 321 Tyau, Min-Ch’ien T. Z. 371 Tyrrell, Ian 72 Usher, Roland G. 332 Vagts, Alfred 317 Valentino, Rudolph 165 Veblen, Thorstein 69, 180 f., 216, 235, 254, 273, 385 Vechten, Carl Van 300 f., 304 Villard, Oswald Garrison 49 f., 58 f., 61, 64, 66, 68, 350, 353 Vincent, Edna St. 278 Waechter, Matthias 213 Wagner, Richard 132, 267, 278, 280 Walker, Cheryl 199 Walker, Francis 138 Wallace, DeWitt 49, 62 Wallace, Lila Acheson 62 Wallas, Graham 219 Warner, Jack L. 311 Washington, Booker T. 57, 190, 195 Watson, Forbes 284, 314 Watson, John B. 173, 225 Watts, Harvey Maitland 253, 255, 313 Waugh, Frank A. 87 Webb, Beatrice 336 Webb, Sydney 336 Webb, Walter P. 120 Weber, Max 92, 103, 248 Wedekind, Frank 270 Weill, Kurt 278 Weininger, Otto 166 Welles, Sumner 328 Wells, H. G. 96, 319, 343, 354, 358

Wells, Ida B. 68, 188 Wells, Marjorie 139 Wells, Thomas 61 Wendel, Maurice de 90, 94, 109 Werfel, Franz 292 Wertenbaker, Thomas Jefferson 79, 87 f., 219, 272 Weyl, Walter E. 55, 59, 158, 186, 237, 264 White, Andrew D. 261 White, Kevin 165 White, William Allen 137 Whiteman, Paul 303 f. Whitman, Walt 151, 274, 282, 298 Wiggam, Albert Edward 128, 137 f. Wilder, Thornton 297 Wile, Ira S. 174 Willard, Frances 187 Williams, William Carlos 299, 306 Williams, William Appleman 34, 372 Williamson, Chilton, Jr. 32 Wilson, Edmund 65, 70, 270, 297 Wilson, Joan Hoff 327 Wilson, Woodrow 16, 64, 66, 74, 94, 141 f., 171, 182, 184, 212, 221, 319, 322 f., 327, 331, 335, 337 f., 341, 346 ff., 350, 355 f., 371, 374, 389 Winslow, Thyra Samter 227 Winthrop, John 258 Wissler, Clark 224, 368 Wolf, John 114 Wood, Grant 307 Woods, Arthur, 150 Woods, William Seaver 62 Wright, Frank Lloyd 280 f., 294, 312 Wylie, I. A. R. 97, 111 Yeats, William Butler 289 Zacharasiewicz, Waldemar 130 ff., 283 Zangwill, Israel 108 Zaretsky, Eli 225 Zitkala-Sa (Aka Gertrude Bonnin) 199 Zweig, Arnold 208 Zweig, Stefan 100

Die Studie untersucht die vielfältigen Verbindungslinien im frühen 20. Jahr­ hundert zwischen der Suche nach amerikanischer Identität und dem Wunsch nach einer von Europa unabhängigen, eigenständigen Kunst und Kultur. Im Mittelpunkt stehen dabei die meinungsbildenden liberalen Zeitschriften die­ ser Zeit. Deutlich wird das kulturnationalistische Bestreben amerikanischer Publizisten, Künstler und Schriftsteller, die USA von europäischen Einfluss­ nahmen und postkolonialen Befindlichkeiten zu befreien. Dieser kulturelle Nationalismus fällt nicht zufällig in eine Phase intensivierter Amerikanisierungspolitik. Hierbei wurden Abgrenzungen zu Rassismus, Eu­ genik und Nativismus häufig überschritten, und Alternativkonzepte der „An­ deren“ im Lande fanden in den Diskursen über nationale Identität kaum Wi­ derhall. Der europäische Antiamerikanismus der 1920er Jahre bot den zumeist trans­ atlantisch eingestellten Publizisten mannigfache Gelegenheiten, die Anders­ artigkeit Europas und die Differenz der USA zum Alten Kontinent heraus­ zustellen sowie gleichzeitig die transatlantischen Kommunikations­ und Übersetzungsprozesse zu intensivieren.

ISBN 978-3-515-10470-8

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7 83 5 1 5 1 04 7 08

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