Alteuropa in seiner Kultur- und Stilentwicklung [Reprint 2019 ed.] 9783111483245, 9783111116426

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Alteuropa in seiner Kultur- und Stilentwicklung [Reprint 2019 ed.]
 9783111483245, 9783111116426

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Erstes Buch. Das Paläolithikum
Zweites Buch. Übergang zum Neolithikum
Drittes Buch. Westeuropa
Viertes Buch. Der nordische Kreis
Fünftes Buch. Der Donaukreis
Sechstes Buch. Die Bronzezeit im Süden
Siebentes Buch. Ägypten, Hettitien, Etrurien
Achtes Buch. Troja, Mykene, Homer
Neuntes Buch. Die Bronzezeit in Nord- und Mitteleuropa
Zehntes Buch. Die Lausitzer Kultur
Elftes Buch. Übersicht über die Weiterentwickelung
Zwölftes Buch. Schlußfolgerungen
Namen- und Sachregister

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Mteuropa

Alteuropa in seiner Kultur- und Sttlentwicklung von

Carl Schuchhardt

Mil 35 Tafel» und 101 Textabbildungen

Straßburg und Berlin Verlag von Karl 3. Trübn«

1919

E. A. Wagner, LniVerstrLtsduchvrurteret, Freiburg im Brei-gau.

meinen lieben alten Zeennöen

Vorwort Als ich 1908 die Leitung der Vorgeschichtlichen Abteilung bei den Berliner Museen übernahm, fiel mein erster Blick auf einen Schrank mit früher spanischer Keramik, deren Pokale und Näpfe verlangend nach Troja und Mykene hinüberschielten. Aber wie sollten die zwei zueinander kommen? Trotzdem haben mich jene Pokale und Näpfe nicht mehr losgelassen. Im Jahre 1910 bin ich in England der Stonehenge-Frage nachgegangen und habe gesehen, wie dort in der beginnenden Metallzeit monumentale Rundplätze mit eingeschachteten Gräbern und darauf- oder danebengesetzten Steinpfeilern an der Tages­ ordnung waren, — die Vorbilder für das Gräberrund von Mykene! ES war klar, daß dann auch die gleichzeitigen großen Kuppel­ gräber mit langem Zugang, die es in Spanien und Irland gibt, nicht barbarische Nachahmungen, sondern Vorläufer der berühm­ ten mykenischen Tholosbauten find. 1912 hat eine Automobilreise durch Frankreich und 1913 eine durch Italien mich in vielen entlegenen Museen mit der ältesten Kultur dieser Länder vertraut gemacht. Besonder- die Keramik

zeigte mir Westeuropa als einen einheitlichen alten Kulturkreis, in dem mannigfach die Wurzeln liegen für das, was bald darauf im östlichen Mittelmeere auftritt und zu hoher Blüte kommt. Die große Kultur der Diluvialzeit in Frankreich und Spanien erklärt diese allgemeine westliche Vorstufe. Auch in sie durfte ich an Ort und Stelle einen Blick tun, als im Herbst 1912 mein hochverehrter Freund Prof. Ludwig Darmstaedter unS eine zweimonatliche Grabung in den Hauserschen Fundstätten bei

Les Eyzies ausrüstete. Seit der Erwerbung der beiden Menschen­

skelette aus jener Gegend (1910) war ja die Paläolithforschung in der Berliner Sammlung an hervorragende Stelle gerückt.

Im Herbst 1913 konnte ich am Schluß der italienischen Reise noch Malta, Kreta, Athen aufsuchen und über Dolo, Salonik,

Belgrad nach Hause fahren.

Das brachte manchen neuen Zug

in das mir im ganzen schon feststehende Bild. In Malta ging mir die Bedeutung des mittelländischen Hofhauses auf und der

Ursprung von Kretas Kulturstempel, dem Kamaresstile.

Gegenüber diesem mittelländischen Kulturstrome hob sich immer deutlicher ein nordischer ab. Schon in Hannover hatte ich Respekt bekommen vor unserer norddeutschen Steinzeit mit ihren

Megalithgräbern als regelrechten Architekturgebilden und ihrer

Keramik mit einem ausgesprochenen Korbflechtstil in der Der« zierung. 1911 verfolgte ich auf einer Reise durch Österreich-

Ungarn die Ausbreitung dieses.Stils gegen Südosten hin und

seinen Kampf mit der dort einheimischen Bandkeramik, die mit ihren reinen Kürbisformen und einfachen Spiralornamenten wieder einen neuen Kulturherd darstellt und auch ihrerseits sich

weit nach der untern Donau hinschiebt. Ich sah, wie die Band­

keramik fortgelebt hat bis in die Hallstatt- und Lat«ne-Zeit, und der Gegensatz zwischen den beiden großen Kreisen der Germanen

und Kelten schien damit bis in die Steinzeit zurückzureichen. Die Grabungen auf der Römerschanze bei Potsdam (1908

bis 1911) warfen mich in den Strudel der ostgermanischen

Fragen. Ich erkannte in ihrer „Lausitzer Keramik" ein gut Teil

meiner norddeutschen Korbslechtelemente wieder

für germanisch.

und plädierte

Außerdem lieferte mir die Schanze ein großes

Haus vom Typus des trojanisch-mykenischen Megaron und wies

damit wieder auf die gegen Südosten gerichtete Entwicklung. Der Krieg brachte schließlich noch einige erwünschte Erkundungen

in Polen und in Rumänien bis zum Schwarzen Meere hin. In breitem Strome können wir nunmehr die verschiedenen

Stilarten der Steinzeit von Mittel- und Süddeutschland nach dem Balkan wandern sehen. Mit ihnen zieht daS rechteckige Haus,

und der Zug geschieht in schwerer Rüstung: Burgen bezeichne«

seinen Weg. Nicht bloß friedliche Durchdringung, (Eroberung ist die Losung gewesen. So wird Troja am Hellespont erreicht, so durch Thessalieu und Böotien Mykene und Tiryns. Auf der

Burg von Tiryns liegt unter dem von Schliemann freigelegtrN

Megaron-Palaste ein riesiges Rundhaus als Denkmal der alten

Mittelmeerkultur.

Die Mischung der nordischeo Element« mit

dem alten Mittelmeergute schafft die mykenische Kultur. Damit

beginnt für das Mittelmeer eine neue Ära. In Italien kommt der nordische Zustrom erst über die Straße von Valoaa herüber

nach Apulien und Sizilien, dann auch über die Alpen in die Pa­ un d Tiberlandschaft. In die Westländer, Frankreich und Spa­ nien, ist er erst erheblich später, zur Hallstattzeit, gelangt. In diesen gleichmäßig vom selben Zentrum ausgehenden

Strömungen, die nach und nach ganz Europa überfluten, haben

wir, das leuchtet wohl ein, die Jndogermanisierung unseres Erd­ teils zu erblicken. Mein Buch bemüht sich, den Gang der Ent­ wicklung rein aus den Kultur- und Stilerscheinungen abzulesen. In ihnen findet die alle, auf sprachlicher Grundlage stehende

Konstruktion einer indogermanischen Urheimat in Zentralasien oder Südrußland keinerlei Stütze, ebensowenig wie die Auf­

fassung skandinavischer Archäologen von einem südlichen Ur­ sprung unserer nordischen Kultur. Ich habe mich aber wohl ge­

hütet, die Ergebnisse vorwegzunehmen und etwa gleich in der Steinzeit von Iberern, Germanen, Kelten zu sprechen. In neun

Zehnteln des Buches hat allein das archäologische Material das

Wort, und erst, wo es in die historische Zeit ausmündet, fallen ihm wie von selbst die Völkernamen zu. Es geht ihm wie einem Forschungsreisenden, der in Zentralafrika oder in Brasilien lange an unbekannten Wasserläufen dahinzieht und erst, wenn er an

ihre Mündung gelangt, erkennt, welchen Flusies Quellen er ent­ deckt hat.

Das Buch behandelt zum ersten Male die beiden großen Kulturströmungen, die Lebensadern von Alteuropa, gleichwertig

nebeneinander; nur aus dem Gegensatze der beiden läßt sich das

in der geschichtlichen Zeit Gewordene verstehen.

Es geht aber

nicht darauf aus, jede Kultur in der ganzen Breite ihrer Er­

scheinung darzustellen, sondern hält sich an die keimtragenden und stammbildenden Elemente; denn Entwicklmng will es schil­

dern, nicht Zustand.

Wenn die Hauptgedanken des Buches Anerkennung finden, werden verschiedene Gebiete durch Umstellung

ihrer Gesichts­

punkte Nutzen daraus ziehen und auch von sich auS wieder der archäologischen Betrachtung helfen können. Möichte alle- so sach­

lich genommen werden wie es, glaub' ich, gewonnen und vor­ getragen ist.

Im August 1918

C. Schuchhardt

Anhalt Erstes Buch.Tas Paläolithikum Klima und Fundplätze..................................................................................... Die Periodenfolge............................................................................................. Die Menschenrassen............................................................................................. Bestattungen.......................................................................................................... Die Kunst..............................................................................................................

Zweite» Buch.

6etu 1 7 16 19 24

Übergang zum Neolithikum

Das Mesolithikum............................................................................................. Entstehung der neolithischen Kulturkreise.................................................. Der Ursprung der Töpferei............................................................................

Drittes Buch.

Westeuropa

Die Keramik.......................................................................................................... Geräte aus Stein, Ton, Bronze................................................... ... Wohnung: Pfahlbau,Haus, Burg................................................................... Höhlengräber......................................................................................................... Dolmen.................................................................................................................. Die Steinalleen inderBretagne...................................................................... Stonehenge.........................................................................................................

Vierte- Buch.

50 56 60 67 73 79 84

Der nordische Kreis

Anfänge.................................................................................................................. Grabbau .............................................................................................................. Hausbau .............................................................................................................. Geräte.................................................................................................................. Megalithkeramik....................................................................... Die Thüringische Schnurkeramik................................................................... Mischkulturen an der mittleren Elbe.........................

Fünftes Buch.

37 42 44

90 92 99 101 102 108 113

Der Douaukrei»

Bandkeramik.......................................................................................................... Die Häuser.......................................................................................................... Die Gräber..................... Ausbreitung gegen Osten................................................................................ Der nordische Zug zum Ballan...................................................................

116 121 123 124 182

XII

Inhalt

SechstesBuch.

Die Bronzezeit im Süden

s

Abb. 37. Eiltstehung der kretisch-mykenischen Säule a, b, c Bauten auf den Balearen. Nach Evans JHSt. 1901 und (b) Bezzeul erger Ztschr. f. Ethn. 1907; d, e Goldrin^e auS Mykene. Nach Evans o.cu O.

Afrika kommt bei bronzezeitlichen Anlagen diese alte Mittelmeerform des Baugliedes gelegentlich vor'. In diesen Balearenbauten ist noch nie regelrecht gegraben worden; es sind deshalb keine Funde vorhanden, die Aufschluß geben könnten, ob wir sie als Gräber oder als Häuser zu betrachten haben. Mit den Nuragen steht cs heute schon besser. Duncan Mackenzie, der sie in mehreren Kampagnen untersucht hat, ist zu dem bestimmten Ergebnis gekommen, daß sie Wohntürme dar­ stellen 4. Häufig lassen sich Gruppen von Felsgräbern als zu ihnen gehörig erkennen, öfter ist auch in den Nuragen selbst be­ stattet wordeil. Sie finden sich einzeln und in den verschiedensten

Abb. 38.

Schmuckdose in Gestalt eineß Hausmodells.

Don Melos, 7,

Gruppierungen. Offenbar suchte man ein bestimmtes System für die Zusammenordnung zu finden, wenn für einen größeren Zweck einer, zwei oder drei dieser Rundbauten nicht mehr ge­ nügten. Ein solches glücklich gefundenes System tritt uns in einem Hausmodell von Melos aus frühester Metallzeit entgegen (Abb. 38). Kleinen Steinbüchsen, wohl zur Aufbewahrung von Schmuck bestimmt, hat man mehrfach auf den Kykladen die Form von Rundhütten mit Kegeldach gegeben. Hier ist einmal eine ge­ schaffen, die ein ganzes Konglomerat von Rundhütten darstellt. ’ L. Frobenius, Der kleinafrikanische Grabbau,

Prähist. Ztschr. VIII

1916 Taf. 18b und 19a. 9 Papers of the British School at Rome 1910, 89—137.

Der Deckel ist leider verloren; er wird die spitzwölbigen Dächer der einzelnen Rundlinge ausgeprägt haben. Ihrer sieben zeigt die Dose in Hufeisenform um einen offenen Hof geordnet, je drei zur Linken und zur Rechten und den letzten im Hintergründe. Vorn ist die offene Seite des Hofes durch eine gerade Wand Mit einer überdachten Pforte darin abgeschlossen. Dies kleine Hausmodell ist von außerordentlicher Wichtigkeit für die Entstehung des vornehmen Haufes, des Palastes im Mittelmeere. Die alte einfache Rundhütte hat man vervielfacht und in größerer Zahl symmetrisch um einen rechteckigen Hof ge­ legt. Im Laufe der Zeit sind dann die einzelnen Räume recht­ eckig geworden und das Kegeldach ist einem flachen Dache ge­ wichen, aber immer ist der Binnenhof geblieben, in dem gekocht und gewirtschaftet wurde, so daß man ihn noch im Atrium des Pompejanischen Hauses wiedererkennt. Wie in anderer Weise die Rundhütte sich fortentwickelt hat, haben uns besonders die Grabungen von Orchomenos gelehrt. Dort enthält die unterste Schicht noch reine Rundhäuser, von 5—6 m lichter Weite, auf einem Steinsockel mit Lehmziegeln auf­ gebaut und zugewölbt. In der folgenden Schicht herrschen aber Ovalbauten mit Hockergräbern und erst die dritte Schicht bringt mit frühmykenischer Kultur rechteckige Häuser. Es ist die Frage, wie das Ovalhaus, das meist eine richtige Ellipse darstellt, ent­ standen ist, ob einfach durch Ausweitung des Rundhauses oder durch Kuppelung zweier Rundhäuser, die man dann durch Tan­ genten verband. Bei den ältesten und stattlichsten Beispielen wird rechts wie links noch der besondere Raum betont und ich neige deshalb mehr dazu, an eine Kuppelung zweier Rundräume zu denken. Aber im Grunde ist es ein Streit um Kaisers Bart, ob man in eine Rundhütte einen Vierecksraum hineingeschoben oder bei Verbindung zweier ihn in der Mitte von selbst ent­ standen denken will. Die Hauptsache ist, daß der Rundbau den ovalen gezeitigt hat ohne Einwirkung von östlichen oder nörd lichen Rechtecksbauten (vgl. Abb. 36 a und c). Ein einfaches Ovalhaus ist bei Rini in Thessalien zu Tage getreten mit einer Jnnenteilung, die die beiden Apsiden ab­ schneidet; ein Hockergrab liegt unmittelbar vor der Tür (Abb. 42). Solche Ovalbauten haben sich in der letzten Zeit öfter in den

C'ieiuölbc in her 'JJiimiimi

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"Allar aiiv H a ^ia r Slim

Tafel XIX

Tafel XX

Sxiiltnifcbcn mit» (^rnbnifitc

in Waum A, l> 9iifcbe G, beide in der Ab'naidra auf Ab al la

Haus und Palast

153

Unterschichten griechischer Kultstätten gefunden, so in Olympia das „Haus des Oinomaos" in dem stattlichen Ausmaß von 10:18,5 m und daneben die Reste von weiteren Ovalhäusern; eines in Eretria unter dem Apollotempel, eines in Paestum und mehrere im Ätolischen Thermos. Eine regelrechte Zusammenordnung von Ovalbauten aber überrascht uns in mehreren großen Anlagen auf Malta, die nach verschiedenen Richtungen unser Interesse in Anspruch nehmen. In drei riesigen Bauten, Gigantia auf Gozo, Hagiar Kim

Abb. 39.

Grundriß der Gigantia auf Gozo bei Malta, 1: 400

und Mnaidra auf Malta, zeigt sich ein und derselbe große Plan. In der Gigantia spricht er sich am reinsten aus, bei den beiden andern ist durch Umbauten und starke Erweiterungen das Ur­ sprüngliche etwas entstellt. Die Gigantia besteht aus zwei Baugruppen, die von einer gemeinsamen mächtigen Festungsmauer umschloßen sind. In jeder Gruppe liegen zwei langgestreckte Ovale parallel hintereinander, das zweite hat jedesmal an seiner hinteren Seite in der Mitte einen Apsisausbau (Abb. 39).

In allen Handbüchern figurieren diese Bauten als phönikische Heiligtümer, offene Einhegungen von Kultplätzen aus dem 7. oder 8. Jahrhundert vor Chr. Man hat nicht gesehen, d-aß über den Orthostaten der Wände ein Tholosgewölbe aus vorkragenden Steinschichten ansetzt (Taf. XIX 1), und hat die Keramik aus den Räumen nicht beachtet, die rund tausend Jahre älter ist als jene phönikische Zeit. Den Grundriß wird man sich nach dem Melos - Modell folgendermaßen entstanden denken dürfen. Zwei einander gegenüber liegende Hütten sind mit dem dazwischen befind­ lichen Hofstück jedesmal zu einem langeiförmigen Baukörper geworden. Dabei ist aber das Hofstück noch kenntlich ge­ blieben. Es ist gepflastert und liegt auf ebenem Boden, wäh­ rend die Fußböden der alten Hüttenräume um eine Stufe ge­ hoben sind. Die letzte Hütte im Hintergründe des Hofes ist zu einer Apsis geworden. Die Überdachung der Räume ist noch in der alten Weise durch vorkragende Gewölbeschichten hergestellt. Blieb dabei der Hof offen, so ergab sich für die Seitenansicht des Ganzen das Bild, das Gebäude assyrischer Burgen des 8. Jh. (Abb. 41) ge­ legentlich zeigen: je eine Halbkuppel links und rechts, in der Mitte ebene Fläche. Möglicherweise war aber das ganze Oval einheit­ lich überwölbt und erhielt nur durch einige Schlitze Licht und Luft. Waren nun diese merkwürdigen Maltabauten Paläste oder Gräber oder Heiligtümer? Sie enthalten neben den Durchgängen Wischen den Ovalen auffällige Nischen, die immer schon als Kult­ nischen angesprochen sind (XX 1). Sie werden gebildet durch zwei flankierende hohe Steinplatten mit einem Sockelsteine dazwischen. Auf dem Sockel haben zylindrische Säulen von 1—VA m Höhe gestanden. Solcher Pfeiler sind mehrere in den Räumen liegend gefunden (Abb. 40), einer steht auch im nördlichen Teile von Hagiar Kim in einer Nische, die von außen her in die Festungsmauer gebrochen ist, noch aufrecht. Davor sind gelegentlich noch die steinernen Opfertische erhalten, und einmal haben sich neben einem Altar (Taf. XIX 2) sieben sitzende Figuren gefunden, die mit dem Kulte in Zusammenhang stehen müßen. An anderen Stellen finden sich aber andersartige Nischen, kleine in die dicke Wand eingehauen und größere durch Wegnahme eines Stückes der Wand hergestellt. Sie sehen ganz aus, als ob man in ihnen be-

stattet hätte, und zwar in den kleinen offenbar nur Teile der Leiche, etwa den Kopf, wie im Spätpaläolithikum in der Ofnethöhle. Wir haben nur sehr schlechte Nachrichten über die schon 1840 und 1841 erfolgte Ausgrabung dieser Bauten, aber einmal wird doch der Fund von Menschenknochen erwähnt*. Es ist also nicht abzuweisen, daß in diesen Räumen Kulte gepflegt wurden, und sehr wahrscheinlich, daß man zugleich in

41

42 Abb. 40.

Kultsäule ou8 der Gigantia, 1 : 20

Abb. 41.

Durchschnitt eines assyrischen Hauses von einem Relief

Abb. 42.

Grundriß eines strinzeitlichen Hauses bei Rhini, Thessalien Nach Wace-Thompson, 1 : 200

ihnen bestattete. Trotzdem glaube ich, daß sie in erster Linie zum Wohnen bestimmt waren. Die Verschlußvorrichtungen am Hin­ teren Teile der Tore zeigen, daß diese von innen verschlossen wurden. Das spricht nicht für Gräber, in denen man sich doch nicht selber einschließen will. Es sind aber auch manche Stücke des täglichen Gebrauchs in dm Gebäudm gefunden, wie in Coradino ein großer Mahltrog. Das deutet auf Bewohnung. 1 Caruana: Report Malta (1882) S. 17.

Erinnern wir uns, wie im westeuropäischen Kreise schon vom Paläolithikum an in den Wohnhöhlen auch bestattet wurde und wie die Menschenbilder an den Wänden und die kleinen Rund­ plastiken offenbar die Verstorbenen darstellten, die man in denselben Höhlen verehren wollte, so wird uns der Befund in Malta nicht wundern. Die großen Räume, 15—28 m lang und 6—10 m breit, sind Wohnungen, in denen nach alter und ältester Sitte zugleich die Toten bestattet und ihr Andenken verehrt wurde'. Es hat sich diese Sitte, wie so viele andere aus Westeuropa, im Mittelmeere weit nach Osten gezogen bis an die Küsten von Syrien. Daher finden wir sie noch in viel späterer Zeit bei den Hettitern in Sendschirli und bei den Juden in Palästina. Ein Hettiterkönig rühmt sich, ein neues schönes Haus gebaut zu haben für sich und alle seine Väter', und von Manasse heißt es, daß er begraben wurde „in seinem Hause" (2 Chron. 33, 20).

Paläste dürfen wir also die großen Maltabauten nennen, nicht bloß wegen ihrer Stattlichkeit, sondern auch wegen ihrer burgartigen Festigkeit, die weit über das Alltägliche menschlicher Wohnungen hinausgeht. Die Gigantia ist in den sanften Abhang eines Kalksteinhügels hineingeschoben. Ihre Hinteren Teile haben sich 3—4 m tief in ihn eingeschnitten, die vorderen sind von einer Mauer aus kolossalen Blöcken umwehrt. Hagiar Kim und Mnaidra liegen auf ebener Fläche, nahe der Südküste von Malta, im An­ gesichte der kleinen Insel Filfola. Bei Hagiar Kim besteht die Front links und rechts vom Tore aus je drei mächtigen hochkant gestellten Steinplatten, rechts herum ist die Mauer bis auf die eingebrochene Kultnische ebenfalls wohlerhalten und weist Blöcke bis zu 6 m Länge auf. Links hatte sie ursprünglich sicher den gleichen Verlauf und umzog so zwei hintereinander liegende große Ovalräume. Das zweite ist allmählich ganz für Bestattungen in Anspruch genommen, und wohl deshalb hat man von ihm aus den großen Durchbruch nach links gemacht und strahlenförmig vier neue Ovalräume F G H J hinzugefügt, die nun fast ohne

• Gräber sind höchstens ein viertel so groß.

Vgl. Abb. 36, wo die

Gräber a b in viel größerem Maßstabe dargestellt sind als das Haus c

1 Ausgrabungen in Sendschirli II S. 168.

Nische rein der Bewohnung dienen konntenl. Die Mnaidra ent­ hält ebenfalls viele Bestattungsnischen und manche davon bieten ganz denselben Anblick wie einige Seitenräume in dem großen Grabe von Hal Saflieni: in der Front ein mächtiger Türsturz über zwei schweren Standplatten, die Wand dazwischen aus einer Steinplatte gebildet, in die ein enges viereckiges Loch eingeschnit­ ten ist, im Innern ein Bört von einem derben bauchigen Fuße getragen (Taf. XX 2). Die Keramik, die vor einigen Jahren bei einer Nachlese aus diesen Palästen gehoben wurde, entspricht ebenfalls der von Hal Saflieni, und zwar der einfachen sog. Bahria-Art mit geometri­ schen Mustern und weißer Inkrustierung. Der Grundriß aber, wie wir ihn durch Kombination der Maltabauten mit dem Melosmodell kennen gelernt haben, hat eine große weitere Geschichte. Sein Charakteristikum ist und bleibt der offene Hof, um den sich die Wohnräume im Hufeisen herumlegen. In ihm hat offenbar ursprünglich unter freiem Himmel der Herd gestanden und immer ein gut Teil des häus­ lichen Lebens sich abgespielt. Mit diesem Hofe als Mittelpunkt steht das mittelländische Haus in stärkstem Gegensatze zu dem nordischen Megaronhause, das darauf ausgeht, den Herd unter Dach zu bringen und damit für die kältere Jahreszeit einen großen wohnlichen Raum zu schaffen. So bringt das Hofhaus den Süden, das Herdhaus den Norden zu prägnantem Ausdruck. Das Hofhaus liegt in Kreta den großen Palästen zu Grunde, es geht nach Kleinasien hinein nach Boghasköi und Pergamon, tritt mit andern Zeichen der Mittelmeerkultur im 15. und 14. Jahrhundert vor Chr. in Ägypten auf und hat sich auf dem so manches Altertümliche treu bewahrenden etruskischen Boden bis späthin erhalten, so daß es noch im pompejanischen Hause mit dem Atrium als altem Hofe uns klassisch vor Augen steht. Nur hat sich eines im Laufe dieser Entwicklung geändert und gibt den späteren Palästen ein anderes Aussehen, als die Apsiden­ bauten von Malta und das Modell von Melos es haben: die runden Räume sind viereckig geworden. Diese Umwandlung mußte naturgemäß einsetzen, sobald man dazu überging, den 1 Albert Mayr, Die vorgeschichtl. Denkmäler von Malta 1901.

alten über der niedrigen Wand zugewölbten Räumen ein Ober­ geschoß aufzulegen. Die Rundhütte ist deshalb rund, weil sie zugewölbt werden soll; das Gewölbe baut sich sehr viel leichter, wenn alle Punkte seiner Basis von dem Gipfel, dem man zustrebt, gleich weit entfernt sind. Umgekehrt legt sich eine flache Decke, wie ein Obergeschoß sie voraussetzt, sehr viel besser auf einen vier­ eckigen als auf einen runden Raum. Das vielbesprochene Ovalhaus von Chamaizi auf Kreta' können wir heute beiseite lassen. Es bildet nicht, wie man ge­ meint hat, eine Etappe in der Entwicklung vom Rund zum Vier­ eck. Es zeigt schon völlig den Rahmenbau um einen Binnenhof und hat seinen ovalen Umriß nur ganz zufällig deshalb bekommen, weil das Plateau des Kegelberges, auf dem es als kleine Burg sich erhebt, diese ovale Form hatte. Durch diese Zwangsfotm ist manches in der Jnnenteilung verdrückt, was man nicht als wichtige Primitivbildung ansehen darf. Das Chanmizi-Haus ist nichts anderes als was wir von der Grundlage des MelosModells aus nun auf Kreta und an den Rändern des östlichen Mittelmeeres in langer Folge entwickelt sehen. Schon ganz ins Rechteckige ist alles umgesetzt in dem ein­ fachen Privathause von Palaikastro auf Kreta, bei dem trotz man­ cher eigenartigen Verbauung doch der alte Binnenhof mit dem Jmpluvium deutlich zu erkennen ist (Abb. 43 a). Frei entfaltet sehen wir sodann das Schema einer mehrstöckigen großen Wohnanlage um einen offenen Hof bei den fürst­ lichen Palästen von Knossos, Phaistos, Hagia Triada. Die Mehrstöckigkeit brachte in Knossos das unebene Terrain schon mit sich und in Evans' vortrefflichen Rekonstruktionen steht sie an Ort und Stelle jetzt deutlich vor Augen. Der Plan des Ganzen zeigt ein großes Hufeisen um einen riesenhaften Hof mit lauter rechtwinkligen Räumen. In der Mitte des Hofes steht ein Altar — wie in Tiryns — wohl für den Götterkult. Ein kleiner Raum im Palaste, so flach, daß er fast als Nische wirkt, enthielt einen andern Kult: auf einem niedrigen Sockel standen kleine Ton­ figuren mit erhobenen Armen neben aufgerichteten Doppelbetlen aus Bronze. Ich vermute in solchen geschlossenen Räumen den Ahnenkult des Hauses. 1 Noack, Ovalhaus und Palast 1908, S. 55 ff.

In Boghasköi, der alten Hettiterhauptstadt mykenischer Zeit in Kappadokien, sind mehrere große Gebäude aufgedeckt, bei denen sich vielfältige Räume um einen rechteckigen Binnenhof legen. Puchstein hat sie nach längerem Schwanken als Tempel bezeichnet, weil einer der hinteren Räume einen Kult zu enthalten

Abb. 43.

Häuser von Polaikastro (Kreta), Teil Amarna (Ägypten) und

Pompeji; a 1 : 666, b 1 : 644, c 1 : 1000

pflegt. Sie haben aber in ihrer ganzen Anlage und mit den gleichartigen Magazinen umher so viel Ähnlichkeit mit den kreti­ schen Palästen, daß man sie auch als solche betrachten muß. Der Kult, besonders der Ahnenkult, gehört auch in den Palast. Das schen wir in P e r g a m o n, wo in der Reihe der Palast­ bauten auf der Hochburg der zweitgrößte (IV) mit einer riesigen

Zisterne in seinem Binnenhofe ausgestattete an der Rückseite seines BinnenhofeS ebenfalls ein Gemach mit einem Altar enthält. In Ägypten, wo die ältere Hausgeschichte noch ziemlich unklar ist, treten in der 12. Dynastie (um 1900 v. Chr.) mit kretischen Kamaresscherben neben vielen kleinen Arbeiterhäusern auch einige große Grundrisse auf, die die dreifache LängSteilung des mittelländischen Hauses haben, und bei denen der mittlere Teil trotz starker Berbauung als alter Hof zu erkennen ist. In Amarna, der neu angelegten Hauptstadt Amenophis' IV. (1375 bis 1358), sind die mykenischen Scherben stark vertreten, und im HauSgrundriß tritt uns hier allgemein der mittelländische Cha­ rakter entgegen, freilich mit einer Anlehnung an das Altägyptische. Vom alten Reiche an kommt man 6eim stattlichen ägyptischen Gebäude zuerst in die „breite Halle" und dann nach dem Durch­ schreiten eines Korridors in die „tiefe Halle", hinter ihr folgen die weiteren Räume. Im Amarna-Hause (Abb. 43 b) sind die breite und die tiefe Halle dicht hintereinander gelegt und spielen zusammen die Rolle des mittelländischen Hofes, freilich ohne offen zu sein, wahrscheinlich nur durch schmale Deckenfenster erleuchtet. Um sie herum legen sich im Hufeisen die Wohnräume, wie es im alten Ägypten nie üblich gewesen war. An der Rückwand der tiefen Halle (bei A) liegen gelegentlich zwei flache Nischen mit niedrigen Sockeln, ganz wie die in Malta gestaltet und eigentlich an derselben Stelle, denn auch in Malta lagen sie für den Ein­ tretenden geradeaus in dem mittleren, dem Hofteile des Ge­ bäudes. Das letzte Gebiet des Altertums, das uns das mittelländische Haus erhalten hat, ist Etrurien, oder vielmehr das seine Über­ lieferung in diesem Punkte treu wiedergebende Pompeji (Abb. 43 c). Das „tuskische Atrium" ist der alte offene Binnenhof. Er hat das Jmpluvium behalten, hat den Eingang fast immer direkt von vorn in der Längsachse des Gebäudes, hat im Hintergründe die heiligen Stätten für die Hausgötter und Ahnen. In dem tuskischen Atrium ist die Art und die Gestalt des mittelländischen Dinnenhofes reiner bewahrt als irgendwo sonst. Er ist nicht zu einem weiten Prunkhofe geworden wie in Kreta, Boghasköi und Pergamon, und nicht zu einem überdeckten Saale wie in Amarna.

Hau« mb Pilast

161

Freilich gibt es neben dem »türkischen" Atrium und seinen Ab­ arten, dem diepluviatum, corinthium und tetrastylum, auch ein atrium testudinatwn, ein völlig überdecktes Atrium. DaS scheint aber, da es das Haus ganz verdunkelte, wenig Anklang gefunden zu haben; in Pompeji ist eS gar nicht vertreten. Baugeschichtlich sind die andern alle jüngere Bildungen, Entstellungen des alten Charakter- des Atriums. Bei dem festungsmäßigen Zuschnitt deS südlichen HauseS (vgl. Malta, Kreta) haben die Außenwände ur­ sprünglich keine Fenster gehabt. Alle- Licht und alle Luft kam nur von dem Binnenhofe. Ging man dann doch an eine Überdachung des HofeS, so lag es nahe, dieses Dach höher zu führen alS daS der Nebenräume, um obere Seitenfenster für den Hofraum zu ge-

Abb. 44. Fayence-Plüttchm, HauSsaffadrn darstellend aus Auoffo» (Kreta), Winnen. Diese basilikale Dachform tritt unS bei den vielen kreti­ schen Fayenceplättchen entgegen, die Hausfassaden darstellen (Abb. 44). Sie konnte nur auf einem Grundriß wie dem mittel­ ländischen entstehen, für das nordische Herdhaus ist sie nicht denk­ bar, das hat immer einen Giebel gehabt. Wie fest der mittelländische TypuS in Pompeji stand, zeigt sich auch darin, daß, wo es einmal nötig war, einen größeren Wohnkomplex alS ihn ein Atriumhaus bietet, zu schaffen, man hinter dem ersten einfach einen zweiten Grundriß wiederholte. Nicht anders als so sind die reichen pompejanischen Hauser aufzufaffen, bei denen ein Atriumhaus durch ein PeristylhauS er­ weitert ist, denn daS Peristyl ist nur ein auSgestalteteS Atrium, indem man dessen Seitenteile mit einem Dache versieht, daS sich

LchuchharHt, Altemwpa

11

auf den von Säulen umstellten innersten Teil (mit Jmpluvium) herabneigt. Ist das Sprechendste für die Entwicklung der Wohnbauten im Mittelmeere wohl der Grundriß, so lehrt doch auch der Aufbau mancherlei. Don der Dachkonstruktion, ob Gewölbe, flache Decke oder basilikale Überhöhung, war schon die Siebe. Es bleibt aber noch anderes. Bei den kretischen Palästen ist immer ausgefallen die monumentale Bauart der Wände mit den mächtigen hochge­ stellten Blöcken (Orthostaten) zu unterst. Dieselbe Konstruktion ist schon in Malta im Gebrauch. Sowohl die Innenwände der Ovalräume bei Hagiar Kim und Mnaidra haben sie, wie auch die Umfassungsmauer. Diese Orthostaten stehen steil, auf ihnen be­ ginnen erst die Flachblöcke, die Schicht für Schicht vorkragend sich zum Dache wölben (XIX1). In Malta können wir aber auch er­ kennen, wie diese Bauart entstanden ist. Es gibt bei der Gigantia und Mnaidra ältere Teile, wo noch nicht rechteckig behauene Blöcke, Quadern, verwendet sind, sondern Bruchsteine, zu unterst große und darüber kleinere. Aus ihnen ist mit reichlicher Verwendung von Lehmmörtel Gewölbe und Außenmauer hergestellt. Das Ge­ wölbe beginnt auf diese Weise ziemlich dicht am Boden. Die Außenmauer ist bei den Maltabauten besonders gesichert. Schwere Blöcke sind vor ihren Fuß gelegt, um ein Ausweichen und Wegrutschen des unter dem großen Gewölbedruck stehenden und bloß auf den Felsen gesetzten Sockels zu verhindern. Die vorgelegten Steine bilden mit ihrer Oberfläche eine einheitliche Ebene und wirken so wie eine flache und tiefe Bank, die gewiß auch häufig zum Sitzen benutzt wurde, zumal die Front dieser Paläste konkav gewölbt ist in Anpassung an einen rundlichen Versammlungsplatz vor ihr. Bei Homer tritt Nestor morgens aus seinem Palaste heraus und setzt sich „auf den geglätteten Steinen" vor der hohen Pforte nieder und nach und nach kommen seine Söhne und nehmen auch auf den Steinen Platz (0b. 3, 406 ff). Es ist, als ob hier eine Erinnerung an ganz cklte mittelländische Zustände vorläge, die schon in mykenischer Zeit kaum mehr bestanden, geschweige denn in derjenigen, wo die ho­ merischen Lieder fertig wurden. In der ganzen Anlage des fürstlichen Wohnsitzes stimmt Kreta mit Malta mehr zusammen als mit Troja und Mykene.

Der SSulenlult

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Kretas Kultur wurzelt im Westen, nicht im Norden. Knossos, Phaistos, Hagia Triada sind keine Burgen wie all die Stätten, die Homer als nationale Brennpunkte besingt. Sie sind einfach feste Paläste. Die Umfassungsmauer hat hinter sich nicht einmal einen Rondengang, sondern verkleidet direkt den Wohnkomplex. Ganz ebenso ist es in Malta: die Außenmauer trägt an ihren' Teile das Dachgewölbe der Wohnräume mit. Aber auch solche fürstlichen Wohnsitze gibt es bei Homer; bei Kirke klopfen die Fremdlinge am Tore und hören dabei schon den Gesang der Herrin aus ihrem Gemache.

Der Säulenkrrtt Der tvesteuropäische Menhir hat im Mittelmeere stark fort­ gewirkt. Nur hat er sich aus dem wenig zugerichteten Naturstein zu der zivilisierteren Form des Obelisken, des Pfeilers oder der Säule herausgeputzt und ist vielfach kleiner, zuweilen sogar sehrklein geworden. In den Nischen der Maltabauten haben kräftige, oben zu­ gespitzte Säulen gestanden; eine von ihnen, aus der Gigantia, ist oben abgebildet (Abb. 40). Eine andere, die nur umgefallen war, ist jetzt an ihrem Platze wieder aufgerichtet, mit dem kleinen Altar davor. Ein verzierter Altarblock stand auch in Hagiar Kini vor der linken Nische im ersten Raume, neben der die sieben Kalk­ steinfiguren gefunden sind (Taf. XIX 2). Wie der Kult an solchen Stellen sich abspielte, zeigen anschau­ lich die Bilder auf dem bemalten Sarkophage von Hagia Triada. Auf zwei nebeneinander stehenden Obelisken sitzen Vögel, die Seelen der Verstorbenen; davor steht auf einem Sockel eine große Amphora. Es erscheint ein Zug von mehreren Personen, die teils in die Amphora gießen, teils weitere Eimer zu solchem Trankopfer tragen, teils Musik machen (Taf. XXI). Ein etruskisches Grabgemälde zeigt noch um 500 vor Chr. ähnliches. Vor einem Altar erscheinen Männer und Frauen zum Teil mit verehrend erhobenen Händen. Auf dem Altar loht vorn das Opferfeuer, hinten steht eine Säule. Hinter der Säule steigt ein bärtiges Flügelwesen mit einer kleinen menschlichen Gestalt in die Luft empor; sie entführt die Seele des Verstorbenen (Abb. 58).

Auf den kleinen Gemmen, den „Jnselsteinen" des kretischen

Kreise-, finden sich öfter verwandte Darstellungen. Eine Person gießt au- einer großen Muschel ein Trankopfer auf einen Altar,

daneben steht ein kleiner schlanker Kegel auf einem Sockel, in

dem wir offenbar da- Kultobjekt zu erkennen haben (Abb. 45).

Die Säulen, die de- öfteren von Tieren flankiert werden, wie die über dem Löwentore von Mykene, stehen an Stelle einer

Gottheit. Die Tiere sind deren Begleittiere, und die Säule steht genau so zwischen ihnen, wie nachher die menschengestaltige Gott­

heit, die sie bei den Hälsen packt'.

Mb. 45.

(Bemme au» der Jdüischen Grotte auf Kreta.

Rach Evan»

Dreifache Vergrößerung

Steinkegel oder Säulchen auf einem Sockel, wie die Gemme au- der Jdäischen Grotte einen neben dem Altare zeigt, haben wir oben schon au- Thessalien mit der bemalten steinzeitlichen Keramik kennen gelernt. Die Steinchen sind nur 8—13 cm lang,

schön geglättet und mit einigen Blattzieraten bemalt. Mit ihrem spitzeren untern Teile stecken sie in einem Tonsockel (Abb. 46 a—d).

Diese kleinen Stücke sind vermutlich im Hause in Kultnischen aufgestellt gewesen. Bon ihnen au- erklärt sich die nur langsam fortschreitende Vermenschlichung der Idole int Ägäischen Kreise.

1 Beispiele in Fülle bei EvanS, Myceneen tree and pillar cult, Jonrn, of Hellen. Studie« 1901, S. 154—169.

Es ist gegangen wie mit den Menhirfiguren in Frankreich, der rohe Stein hat zunächst nur einige menschliche Andeutungen er­ halten und ist in manchen Einzelheiten bis späthin zu spüren. So verstehen wir die Kykladenweiber mit ihrem langen Halse und die kyprischen Brettidole (e, f). Noch deutlicher stellen die troja­ nischen Idole die erste Entwicklung vor Augen. Einige von ihnen haben dieselbe Form eines Kegels auf Sockel, die meisten sind einfache, nach oben sich etwas verjüngende Steine, einige schließ­ lich erhalten Andeutungen von Menschengestalt: Augen und

k Abb. 46.

*— d Thessalische Idole: Steinstifte mit Lonsockeln nach Wacr-

Lhompson •/„ e, f Kykladen-Idole aus Marmor, ea. '/,

Nase und vielleicht auch Armstümpfe (Abb. 47). Auch die kleinen Tonbüsten mit erhobenen oder gekreuzten Armen auf einem Trommelsockel, wie sie z. B. in der Kultnische zu KnossoS gefunden find, stammen entschieden von den Sockelpfeilerchen ab. Bei Homer tritt auch einmal ein Götterstein auf. AIS die Trojaner das Schiffslager der Griechen bestürmen, packt HMor einen großen Stein, der am Tore steht, unten breit und oben spitz, und den sonst zwei Männer nur eben tragen können, schwingt

ihn gegen die Holzflügel und zerschmettert sie mit Gekrache*. An Wegen und Toren haben sich bis späthin solche Steine erhalten, die dem Hermes oder Apollo heilig waren. Ganz monumental tritt uns die Kultform in Ägypten wieder vor Augen. Bei den deutschen Ausgrabungen in Abusir hat sich erst vor wenigen Jahren die älteste Gestalt des ägyptischen Tem­ pels ergeben; es ist eine im Freien stehende große Pyramide, zu der ein Zugang mit Empfangstor hinführt (Abb. 55). Bezeich­ nenderweise ist es ein Sonnenkult, der an dieser Stelle herrschte.

Abb. 47.

Trojanische Idole aus Marmor (a—d) und Thon (e), V3

Denn die Sonnenverehrung hat den Menhirgedanken, den HöhenPfeiler- und Säulenkultus gezeitigt. Die Bergkuppe, die am Morgen den ersten und am Abend den letzten Sonnenstrahl emp­ fängt, erscheint als die Wohnung der Gottheit auf Erden. In Ägypten findet sich schon im alten Reiche die Reliefdarstellung eines Kegelberges mit der Sonnenscheibe darauf, ein deutliches Zeichen, wie der Berg, der Kegel, als der Träger der Gottheit betrachtet wird. So bezeugen es auch die Worterklärungen späterer Zeit. Die babylonischen Sikkurats heißen e-kur „Berghaus", ein Haus, das einen Berg bedeutet. Herodot sagt in seiner BeschreiJlias 12, 445 fs.

düng des babylonischen Turmes, daß ganz oben ein leeres Ruhe­ bett für die Gottheit stehe, ein Götterbild sei aber nicht da. Man rechnete also mit dem unsichtbaren Erscheinen der Gottheit aus die­ sem Gebäude. Die Jrminsul der Sachsen schließlich ist die Univer­ salie columna quasi austinene emnia *, die „Weltsäule, die das All trägt". In allen Fällen ist die natürliche oder künstliche Er­ höhung nur der Thran der Gottheit, nicht ihr Sinnbild. Wer will sich aber verwundern, wenn im Laufe der Zeiten solch ein Stein­ kegel oder eine Säule beim Volke mißverstanden wurde, wenn aus dem Sitze der Gottheit ihr Inbegriff, ihre Erscheinungsform wurde. Die Berührung der Gottheit heiligt das rohe Material, und gerade, weil sie daneben nicht besonders erscheint, wird sie darin vermutet. Am sprechendsten zeigt sich das bei den Juden. Als sie aus Ägypten auszogen, «Zog der Herr vor ihnen her, des Tages in einer Wolkensäule . . . und des Nachts in einer Feuersäule"', und nachher, als Moses die Stiftshütte errichtet hatte, kam, wenn er in die Hütte trat, «die Wolkensäule hernieder und stund in der Hütte Tür und redete mit Mose". In Griechenland sind bis späthin in manchen Götterkulten die alten Steine erhalten geblieben, hier und da mit menschlichen Zügen versehen. Es dürfte das immer ein Zeichen sein, daß der betreffende Kult im alten Mittelmeere wurzelt, denn in Mittel- und Nardeuropa ist das Menhirwesen ursprünglich nicht zu Hause. In Betracht kommen die schon erwähnten Hermes und Apollo und weiter Artemis, Athena, Aphrodite, Hera, aber z. B. nicht Poseidon, Ares, Hephaistos und selten Zeus. Die lange Erhaltung der alten Form findet sich auch hauptsächlich am Rande der klassischen Kultur: in Sardes und Julia Gordus (Lydien), in Jusos (Karien), Torsos (Kilikien), Perge (Pamphylien), Emesa (Syrien). Im eigentlichen Griechenland hat die Glut der Hochkultur des 5. und 4. Jahrhunderts die Schlacken der ursprünglichen Entstehung beseitigt, nur hier und da ist ein Rest erkennbar, wie im Omphalos des Apollo oder den Hermen­ pfeilern. 1 Rudolf v. Fulda (um 850), Translatio 8. Alexandri. Mon. Germ. IIS.676. 3 2. Mose 13, 21.

Menschliche Figuren Eigenartig verhalten sich zom Säulenkulte die Menschen­ figuren im Mittelmeerkreise. Einmal findet eine Verschmelzung patt, indem Säule, Pfeiler oder Stele (Brett) halbweg- mensch­ liche Züge annehmen, daS andere Mal stehen die Figmen gan-

frei, in höchst realistischer Bildung neben den Säulen, die auch ihrerseits völlig ihre Gestalt wahren.

Für die letzte Art hat Malta die schönsten Beispiele geliefert. In dem Gebäude von Hagiar Kim sind neben einer Kultnische sieden Kalksteinfiguren gefunden in ungefähr ein Drittel Lebens­ größe. Die meisten sind nackt und sitzen fläch auf dem Boden,

von den bekleideten sitzen zwei auf einem höheren Block, eine steht. Am interessantesten sind die nacktem Sie haben enorm starke Hüften und Oberschenkel, so daß der unterste Teil des Beines mit dem Fuße dagegen spitz zuzulaufen scheint. Sie sind in dieser Bildung einzig verwandt den paläolithischen Frauenfiguren von Laussel. Das Sitzen auf der flachen Erde oder auf einer niedrigen

Platte entspricht offenbar einer Gewohnheit der Zeit. Im KnossosPalaste sind solche Sitzplätten gefunden mit zweiteiliger Aus­ höhlung zur Anpassung deS Körpers \ Ein Wandgemälderest aus demselben Palaste zeigt auch eine Schar von Damen, alle in der­

selben Weise sitzend, alS Zuschauer irgend einer Vorführung, und verschiedene Personen auf geschnittenen Steinen oder Ringen sitzen

so, z. B. die Hauptperson auf dem großen Goldringe au- My­ kene. Da eS daneben, in einem andern Saale, der offenbar der

Mannerverfammlung dienen soll, auch einen Thron und Wandbänke gibt, so pflegt man daS Hocken für die Weiber, daS Hoch­ sitzen für die Männer in Anspruch zu nehmen. Wenn daS richtig ist, würden wir in den hochsitzenden Figuren von Malta Männer zu erkennen haben, und da sie bekleidet sind, hätten in dieser Zeit, wenigstens im Hause, nur die Weiber sich nackt bewegt. Leider läßt sich von den Maltafiguren nach ihrer Körperbeschaffenheit nicht mit Sicherheit sagen, welche überhaupt männlich und welche

weiblich sind (Taf. XXII). AuS der großen Grabanlage von Hal Saflieni stammt der

1 Evans, Brit School Athene 1901 S. 38; Mosso, Escuraioni S. 115.

Tafel XXI

vp.Ut iiiv vQvi.i? vr?vCv non iwqctopn^ mjoir.a)

Sviiltiieimiiiumi von .Viupar Slim, M alta

Tafel XXII

Tafel XXIII

3d)liiienDe

'Vüidii

kleine 2orifiiuiv aiiv der ('mibimlmw von A?al ^iifheni

Torso einet kleinen Tonfigur mit starkem Leibe und großen Hängebrüsten, wiederum eine Erinnerung an die Bildungen deS längst voraufgegangenen Aurignacien. AuS demselben Grabe sind aber auch zwei fast ganz erhaltene kleine weibliche Tonfiguren vorhanden, die beide auf einem hohlen Brettgestell, einer Pritsche oder Molle, liegen und schlafen. Sie sind beide nur mit einem Rock bekleidet, während der Oberkörper nackt ist. Die eine liegt auf der rechten Seite und hat die rechte Hand unter den Kopf gelegt und die Knie etwas in die Höhe gezogen (Taf. XXIII). Die andere liegt flach und gerade ausgestreckt auf dem Bauche, so daß man sie völlig vom Rücken sieht; die Arme hat sie seitwärts auSgestreckt und dann im Ellenbogen rechtwinklig nach oben gebogen \ War bei den lässig hockenden Personen von Hagiar Kim schon nicht daran zu denken, daß sie Göttergestalten darstellen sollen, so gewiß noch weniger bei den so ungeniert gelagerten von Hal Saflieni. Sie schlafen offenbar in höchst natürlicher, selbstge­ wählter Lage. Die auf der Seite Ruhende liegt auffallend ganz so, wie die vielen als „liegende Hocker" Bestatteten. Von Rösten bei Merseburg besitzt das Berliner Museum 26 solcher Skelette, die, ohne auseinandergenommen zu werden, mitsamt der Lehm­ schicht, in die sie gebettet waren, gehoben worden sind, sich also bis heute völlig in ihrer Grablage befinden. Von diesen 26 Toten liegen 20 genau wie die Frau von Hal Saflieni, auf der rechten Seite mit der rechten Hand unter dem Kopfe, die Knie hochgezogen. Aus dieser Übereinstimmung dürfen wir zweierlei folgern: ein­ mal, daß die Röstener Skelette sich in einer natürlichen Schlaf­ stellung befinden, und zweitens, daß die kleinen Malteser Ton­ figuren im Todesfchlafe befindliche Personen darstellen sollen. Sie werden sich in den Kultnischen befunden haben, die eS in Hal Saflieni von genau derselben Form neben dem Eingang zum Grabe gibt wie in Hagiar Kim und den andern Palästen. Wir haben in ihnen also Bilder der Verstorbenen zu sehen, ebenso wie in den Sitzfiguren von Hagiar Kim. DaS Sitzen und das Liegen nimmt im Süden naturgemäß etwas andere Formen an als im Norden. Im Süden braucht 1 Hoerne- Urgesch. der bilb. Kunst3 S. 211.

man den größten Teil des Jahres die Berührung mit dem Erd­ boden nicht zu scheuen, daher das übliche Sitzen auf der flachen Erde. Bei längerem solchen Liegen wird aber der Körper sich etwas zusammenziehen, um seine natürliche Wärme zusammen­ zuhalten. Die völlige Nacktheit der Hagiar Kim-Figuren entspricht eben­ so wie ihre Fettleibigkeit noch dem Zustande derer von Laussel. Die Hal Saflieni-Figuren sind bekleidet, aber nur mit einem Rocke, der ganze Oberkörper ist nackt geblieben. Diese Tracht begegnet auch im kretischen Kreise noch häufig, so auf dem großen Gold­ ring aus Mykene (Abb. 74) und auf Jnselsteinen. In Rund­ figuren, wie den Schlangenfrauen, und in Wandgemälden herrscht dagegen ein Mieder, das in einer uns höchst raffiniert erscheinen­ den Weise die Brust frei läßt. Wir gehen bei diesem Eindruck von dem Gefühl aus, als ob man von völliger Verhüllung zu solcher Entblößung übergegangen wäre. So steht aber die Sache nicht. Es ist vielmehr schrittweise eine zunehmende Bekleidung erfolgt: nach der gänzlichen Nacktheit kam erst der Rock und dann dazu das ausgeschnittene Mieder, so daß man nun vor dem letzten Schritt der völligen Verhüllung steht. Auch diese Entwicklung sehen wir vom Westen nach dem Osten laufen: von: paläolithischen Südfrankreich über Malta und Kreta nach Mykene; und wir sehen sie verbunden mit einer zweiten Eigentümlichkeit, die auch ihre Wurzel in jenem Paläolithikum hat: der großen Fettleibigkeit der weiblichen Gestalten. Die starken Hüften und Oberschenkel haben auch die liegenden kleinen Malta­ figuren, und es haben sie diese und jene weitere Figur von Kreta, von Sparta, von Thessalien. Mit Kreta und Mykene aber hört sie schon auf. Das Mieder mit seiner engen Schnürung bringt den Geschmack an einer andern Linie auf; mit dem Schön­ heitsideal der gemästeten Frau ist es nun vorbei. Bei all diesen Figuren, sowohl den aus Pfeilern erwachsenen wie den frei gestalteten, sehe ich keine Notwendigkeit, an Götter zu denken. Jedenfalls sollte man das immer erst tun, wenn die Auffasiung als Bilder von Verstorbenen oder Ahnen nicht mehr möglich ist. Die kleinen Sockelbüsten z. B? sind in den kretischen 3 Evans, Knossos-Bericht B S A 1902, S. 99.

Palästen in kleinen Hausnischen gefunden, und diese Nischen haben sicher vorzugsweise, wenn nicht ausschließlich, dem Ahnenkult ge­ dient. Die alte Sitte des Bestattens im Hause, wie die Malta­ paläste sie noch zeigen, gibt dafür die ausreichende Erklärung. Es fragt sich aber überhaupt, ob nicht aller Kult im Hause nur ein Ahnenkult war und der Götterkult sich im Freien abspielte.

Die Keramik Die bronzezeitliche Keramik des Mittelmeeres zeigt ein über­ raschend starkes Fortwirken der spanischen Formen. Ich will weniger sprechen von dem „Zonenbecher", der als westeuropäisches Jmportstück sich auf Sizilien findet und auch auf den Kykladen und in Troja Einfluß geübt hat. Er ist ähnlich wie der spanische Dolchstab durch die halbe Welt gewandert, findet sich in Mittelnnd Süddeutschland bis nach Budapest. Wichtiger als das er­ scheint, daß die Hauptformen der großen Kulturen von Kreta, den Kykladen, Troja und Mykene ihre Wurzel im fernen Westen haben. Der Pithos, der an den Siretschen Ausgrabungsstätten so ost zur Bestattung benutzt war (Abb. 11 c) und in gleicher Form steinzeitlich auch am Rheine vorkommt, nur hier noch ohne die Knubben auf der Schulter, die einen umgelegten Trage­ strick halten sollen, ist der Vater der vielen Vorratsgefüße in den Magazinen von Knossos und Troja, denen auch die ältesten ägyptischen ganz entsprechen (Mofso Origini S. 14). Ein be­ sonders schönes Stück mit Kamares - Malerei von Phaistos (Taf. XXIV 4) zeigt die Knubben oben in derbe Schnur­ henkel umgewandelt und ebensolche Henkel auch im untersten Teile angebracht, genau da, wo schon bei Michelsberger Ge­ säßen zuweilen Schnurösen sitzen. Die Malerei macht, wie nirgend sonst, die Bestimmung der Henkel klar. Ein breites Band zieht sich durch die oberen und fällt auf beiden Seiten zwischen zweien von ihnen herab. Es ist da zusammengedreht und trägt an seinem Ende einen halbmondförmigen Griff. Da­ mit ist deutlich gemacht, wie solch ein Pithos von zwei Leuten getragen werden konnte. Es gibt auch aus verschiedenen Funden halbmondförmige Gegenstände aus Ton und Stein und Knochen,

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Sechstes Buch.

Die Bronzezeit im Süden

an ihren Enden durchbohrt, die man nach jener kretischen Pithos-malerei nun als Traggriffe bestimmen kann x. In Spanien haben wir ferner einen Pokal vorgefunden und gesehen, wie er dort aus dem beuteligen Napfe durch Anfü­ gung eines Untersatzes erst zu einem derbgedrungenen, dann zu einem schlankstieligen Trinkgefäß wurde (Abb. 11, Taf.X 6). Dieser Kelch findet sich in den frühesten kretischen Schichten und im früh­ dynastischen Ägypten (Abydos) wieder*, auch auf den Kykladen ist er nicht selten, hier überall noch ganz in der kretischen henkel­ losen Form. Erst in Troja tritt er auf in Gestalt eines präch­ tigen, leuchtend roten Exemplars mit Henkel, das wohl eher in die II. als in die I. Ansiedlung gehört (Abb. 62 k). Im Mhkenifchen ist er dann sowohl in Gold (in den Schachtgräbern) wie in Ton ganz alltäglich geworden. Die zweithäufigste Form von El Argar ist der Topf mit kugligem Unter- und geschweiftem Oberteil, von den Franzosen vaee carenS, „Bootvase", genannt. Auf Malta beherrscht er nach­ her die ganze Keramik (Abb. 50), und derselbe Topf, nur mit einem angefügten Fuße, wie wir ihn schon von dem Kelche her kennen, tritt uns als ein Hauptgefäß auf den Kykladen entgegen (Taf. XXIV 2). Auf Syros hat er sich ungefähr in jedem Grabe gefunden, reich verziert mit umlaufenden schmalen Spiralbändern. In Mykene ist der Silberbecher mit eingelegten Verzierungen ein Ableger davon, ebenso wie die Alabastervase, beide mit Henkeln ausgestattets. Die fußlose Form, aber mit hohen Hen­ keln, zeigt der Goldbecher Abb. 67 d. Auf den Kykladen fehlt auch nicht das Hauptstück aus der westeuropäischen Keramik überhaupt, der Glockenbecher; nur hat auch er Fuß und Henkel bekommen und sieht damit etwas ver­ kleidet aus (Taf. XXIV 3). Drei wichtige Gefäßformen des Westens also begegnen uns in der Ägäis in gleicher Weise mit einem Fuße und zuweilen auch mit einem Henkel ausgerüstet wieder. Aber damit ist's noch nicht genug. 1 Tsuntas, Dimini und Sesklo. Abb. 280—282.

Troja Nr. 8240 und

Bosöjük Nr. 1031.

8 Evans, Brit School Athens 1904 S. 24. 9 Schuchhardt, Schliemanns Ausgrabungen 8* 9 *282 und 285.

Nicht in El Argar, aber in Ciempozuelos fand sich als ein Haupttypus die Tulpenbecher-Vase (Abb. 10, 1, 2), die man trotz der weiten räumlichen Entfernung mit den bekannten Silbervasen (Abb. 62 d) aus dem großen trojanischen Schatze in Beziehung bringen möchte. Die Zwischenglieder sind spärlich, aber sie fehlen doch nicht ganz. In Theflalien ist ein bemalte- Gefäß dieser Art gefunden (Abb. 35 c), nach seiner Verzierung zu der von Nordea gekommenen neuen Kultur gehörig, nach seiner Form aber auS der alten mittelländischen Unterschicht stammend. Auf den Ky­ kladen kommt dasselbe Gefäß mit Henkel als Kanne vor und in Apulien haben sehr viel später die Canoffa-Vasen noch dieselbe geschnürte Form mit dem weitabsperrenden Halskragen. Sie und ihr Kreis sind mit ihrer aus der 1. Sikulischen Periode stammen­ den Mattmalerei und manchem Formalen der Pfahlbaukultur, wie den Mondhenkeln der Schalen und Näpfe, sicher ein Überlebsel aus gemischten, ganz alten Elementen. Die trojanischen Silbervasen sind so gar nicht von irgendwo anders her abzuleiten, daß wir uns doch an diese wenigen Bindeglieder halten dürfen, um sie mit Spanien in Beziehung zu bringen.

Auch die zweite Form von Ciempozuelos, die flache Schale mit fein profiliertem konkaven Halse, hat den Osten erreicht. Evans bildet sie aus Kreta und aus Ägypten ab (Brit. School Athene 1902, 121 ff.) und mit hohem Stilfuße versehen bringen die Nordvölker sie den Ägyptern unter den Tributgaben dar. Auch In den mykenischen Schachtgräbern verrät ein verdrückter Gold­ pokal (Schliemann S. 270) diese Form.

Die trojanische Schale mit Loch im emporstehenden Rand­ stück (Abb. 62 e), die in ihrer weichen Form und sorgfältigen Glättung ganz wie ein Ledernapf auSsieht, hat eS ähnlich schon auf dem Michelsberge gegeben (Taf. X c).

Schließlich ist ein in der El Argar-Kultur nur spärlich auf­ tretender kleiner Becher (Abb. 11 e), unten zylindrisch, aber oben ausschweifend, im Osten sehr zu Ehren gekommen. Er begegnet unS wieder unter dem Silbergerät in Troja, sodann in Kreta im KamareS-Stile, wo er schon, wie die vielen andern Formen, «inen Henkel bekommen hat; schließlich wird er ganz gewöhn­ lich, in Gold wie in Ton, in Mykene (Abb. 67 c). Auch unter

den: mykenischen Geschirr auf ägyptischen Darstellungen befindet er sich \ Neben und unter diesen westeuropäischen Einflüssen spricht anderes, offenbar Alteinheimifches in der Keramik mit. Woher dies gekommen ist, womit es in Beziehung steht, ist noch kaun: zu sagen. Auf Cypern blüht der Kürbisstil in so reiner Form wie nirgend sonst in der Welt. Die kugelbodigen Schalen und Näpfe, die Flaschen und Schnabelkannen sind alle aus ihm er­ wachsen. Die Schnabelkanne ist ganz ein Kind der Kürbisflafche, deren Hals man nur schräg oder geschweift abzuschneiden braucht, um den Schnabel zu erhalten. Hier ist die Beziehung zu Afrika noch unmittelbar, in Westeuropa ist sie mittelbar: zwischen den Kürbis und die Keramik hat sich die Lederform geschoben. Die unmittelbare afrikanische Natur scheint dem östlichen Mittelmeere überhaupt zu Grunde zu liegen. Sie macht sich auch in Troja geltend und im Hinterlande, das wenigstens in Bosojük und in Jortan Gelembe vorerst angestochen ist. Die Schnübelkanne ist der Standartenträger des östlichen Mittelmeeres. Wo sie auftritt, haben wir feinen Einfluß zu erkenne», in Troja und Jortan Gelembe, auf den Kykladen, in Thessalien und Kreta. Der mykenische Stil trägt sie westlich bis nach Sizilien, wo sie sich über die älteren westeuropäischen Formen legt, ebenso wie diese westlichen sich im Osten über die dortigen legen. Es ist das gleiche Verhältnis wie in Süddeutschland mit den verschiedenen bandkeramischen Stilen. Im Mittelmeere kommt dann als drittes Element der nordische Zustrom hinzu, der schwach erst in Troja und stärker in Mykene die verschiedenen Elemente zu einer neuen Einheit zusammenschweißt.

Die Ornamentik Was wir aus der Steinzeit und dem Übergange zur Bronze­ zeit im Mittelmeere kennen lernen, ist noch rein technisches Orna­ ment, d. h. es ist aus Motiven des Flechtens, Webens, Benähens, Umschnürens hervorgegangen und denkt noch an keinerlei Pflan­ zen oder Tiere. So war ja schon die Verzierung der spanischen ' Dussaud S. 53, aus dein Grabe der «Semnut

Die Ornamentik

Ciempszuelos-Gefäße eine Nachahmung kleinmotiviger Weberei oder Mattenflechterei. Ihr sehr nahe steht die Ornamentik der Kykladen und die Bahria-Keramik von Malta, ebenso wie die steinzeitliche von Kreta. Die von Troja I und von Jortan GelemSe1 hält sich, wenn auch in etwas größerer Linienführung, auf derselben Bahn. Dann folgt aber ein Umschwung. Wir sehen ihn in Malta sachte beginnen und auf Kreta in kräftiger Aus­ wirkung eine neue Einheit schaffen, den Kamares-Stil. Die Spi-

Abb. 48.

Mit Spiralranken verzierter Sockelstein; rechte Hälfte Gigantia auf Gozo Nach Abklatsch ca. -/»

rale und das Bogenband sind es einerseits, das Zickzack- und Fischgrätenmuster anderseits, die von der Umwandlung betroffen werden. An der Stelle, wo in Hagiar Kim auf Malta die sieben Kalksteinfiguren gefunden sind, stand ein Mar neben einer Nische. An dem Altar steigt vorn in der Mitte ein Zierband auf, das aus der Fischgräte zu einer Ranke mit gegenständigen Blättern 1 Der Ort liegt im Hinterlands von Pergamon am Gelembe-Tschai, bem Hauptquellflusse des Kaikos.

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Sechster Buch.

Die Bronzezeit im Süden

geworden ist (Taf. XIX 2). Diese Ranke findet sich ebenso wieder in der Karames-Malerei*1 und nicht minder häufig im mykenischen Stile (Abb. 67 c). Die Nische neben dem Altar aber ist an ihrer Rückwand mit zwei hängenden Spiralen gvschmückt, die symmetrisch gegeneinander stehen. Sie sind in reiner Linie geführt, zwischen ihren Anfangspunkten befindet sich aber ein eiförmiges Gebilde wie ein Tannen- oder Palmzapfen. Es

Abb. 49.

a Napf aur Kreta, Mittelminoisch b Strinthron in KnoffoS mit Sprossenranke

scheint, daß sie aus ihm hervorwachsend gedacht sind und daß also doch schon eine vegetabilische Anknüpfung im Spiele war. In der Gigantia auf Gozo finden sich auf einem Sockelsteine zwei Reihen fortlaufender Spiralen übereinander (Fig. 48). Bei ihnen ist jedesmal in den zwischen den Rundteilen verbleibenden Zwickeln ein kleiner hakenförmiger Sproß angebracht, ein Zeichen, daß man mit dem Gedanken an eine keimende Ranke spielte. Auch hierfür gibt es auf Kreta ein Beispiel: an dem Throne im KnoffoS1 Dufsaud, Civiliiations prehelleniques1 S. 207. 1 Evans, Brit. School Athens 1903, 125.

Die Ornamentik

Palaste, und zwar an der Front des Sitzes, haben die zum Spitz­ bogen aufsteigenden Reliefstäbe beiderseits zwei ganz ebenso ge­ formte Sprossen wie jene Spiralen (Abb. 49). Öfter und weit deutlicher findet sich solches Ausblühen der alten Spiralen in den eingeritzten oder auch einfarbig (rot auf gelb) aufgemalten Verzierungen der Tongefäße. Abb. 50 zeigt Gefäße, die noch mit einfachen Bogenlinien verziert sind. In ihrer Form spricht sich der alte „Bootnapf" aus (s. oben S. 172) mit scharfem Knick in der Wandung. Es ist die herrschende Form bet' Malta-Keramik. Bei den Gefäßen a und b sehen wir noch rein geometrische Bogen- und Gittermuster, bei c zweigt aber von dem Bogen schon ein Ast ab: wir haben den Übergang zur

Ranke.

Abb. 50.

Gefäße mit eingeritzten Dogenlinien, Malta.

78

In Abb. 51 gehen die Bogen- oder Spirallinien stark ins Pflanzliche üher. Die Bänder lassen da öfter die Bahn der Spirale nur noch schwach erkennen, sie endigen dünn und senden an verschiedenen Stellen lange Triebe auS1. Ganz eigenartig ist die Spiralverzierung angeordnet in dem Deckenmuster einer rechteckigen Grabkammer von Hal Saflieni, das ich 1913 dort kopiert habe (Abb. 52). Derbe Linien wachsen wie Bäume gerade empor und von ihnen zweigen seitlich abwechselnd links 1 Annals of archaeologie and anthropologie III (Liverpool 1910) Taf. X f.

Gchuchhardt, Vteuropa

12

und rechts erst kräftigere und nach oben zu zierlichere Spiral« ab. Zwischen ihnen sind öfter dicke runde Scheiben auf den Grund gemalt. Man fragt sich, ob damit etwa Früchte, wie Äpfel oder Apfelsinen, gemeint sein könnten. Sie scheinen aber nach ihrem anderweitigen Vorkommen in dieser Kultur nur zur Raumfüllung zu dienen. Die Deckenmalerei eines andern Raumes in Hal Saflieni (Abb. 58) hat als untere Borte eine geknickt verlaufende Linie, von deren ausspringenden Ecken jedesmal Spiral« abgehen, die sich um große runde Punkte rollen. Das Hauptmuster der Decke

Abb. 51.

8efäßk mit sprossenden Ranken.

Malta. */,

ist eine Art weiten Netzes, in dessen Maschen aber immer kurze Linien einspringen. Das Muster ist ziemlich genau das einer mykenischen Vase von H. Triada *, das Wohl ein wirkliches Netz mit darin gefangenen Purpurschnecken sein soll und bei dem die einspringenden kurzen Linien Fadenenden, die von den Knüpf­ stellen ausgehen, wärm. Die Punktfüllung des Grundes läßt sich von Malta über Kreta bis Troja verfolgen. Wie bei manchen Gefäßen in Malta die ganze Fläche durch Schraffierung aufgerauht, belebt

1 Mofso, Eecursioni S. 116.

Abb. 52.

Deckenmalerei in Rot aus einer Grabkammer in

H al Saslieni, M alta,

ca.

Dir Ornamentik

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toirb1,* so * 4 geschieht es bei andern durch Eintiefen runder Punkte oder Eindrücken des Fingernagels*; bei wieder andern werden plastische große Punkte, wie flache Knöpfe, in Reihen gegliedert oder auch wild durcheinander aufgesetzt *. Solche Knopfe sehen wir zur Füllung deS Grundes zwischen anderem Zierat auf einigen Pithoi von Knossos *, in der Kamares-Malerei finden sie sich auf Bändern, um diese stofflich vom Grunde abzuheben °, in Troja auf einer kleinen Tonbüchse (Abb. 62 h, i) in derselben Malerei rot auf gelbem Tongrunde, wie sie in Kreta in diesem Stile herrscht. In Malta sind auch ganze Steinflächen der großen Palastbauten mit kleinen eingetieften Punkten bedeckt, vgl. oben Taf. XIX 2 (Altar); offenbar sollte auch hier durch Belebung der Fläche das Stoffliche, Kräftige des Materials zur Geltung ge­ bracht werden. Die Hal Saflieni-Keramik ist gelegentlich schon zur Dar­ stellung von Tieren fortgeschritten; auf einer Schüße! sind einige Ochsen mit großen geschweiften Hörnern recht unbeholfen ein­

geritzt e. Auf Kreta hat sich eine ganz ähnliche Entwicklung voll­ zogen, nur ist sie zu viel eindrucksvollerer Kunst gediehen. Die Kamares-Malerei, genannt nach der Örtlichkeit am Fuße des Ida,

wo sie zuerst in größerer Menge gefunden ist, stellt diese Ent­ wicklung dar. Ihr Wesen ist nichts anderes als das Leben­ digwerden des linearen Ornaments. Das mag die kleine Reihe von Beispielen, die wir abbilden, veranschaulichen. Oben ist schon ein Pithos erwähnt, der in Form und Henkelver­ teilung dem mit aufgemalten Tragbändern ganz gleich ist (Abb. 54 b). Als Verzierung trägt er zwischen den oberen Henkeln große Kreise, in die je vier Bogen aus Doppelbogen eingehängt sind. Bei einem andern oft abgebildeten Exemplar (Abb. 54 c) stehen als Hauptornamente ebenfalls große Kreise zwischen den 1 Annals of archaeologie and anthropologie III (Liverpool 1910) Taf. IL • Ebd. Taf. L • Ebd. Taf. Vf. 4 EvanS, BSA 190* S. 12. • Gvan», BSA 1902 6.17—120; 1905 Tafe». • Annah (Liverpool 1910) Taf. XV. ---- HoerneS, Urgefch. d. bild. Kunst S. 351.

lenmalerei in Rot aus einer Grabkammer in Hal Saflieni, Malta

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Die Bronzezeit im Süden

Henkeln. Sie sind aber statt der vier Bogengruppen mit vier Spiralen gefüllt, die miteinander seitliche Verbindung haben. Von der oberen zur unteren läuft querüber noch eine direkte Ver­ bindungslinie. In den Zwickeln zwischen den vier Spiralen wachst jedesmal ein zackiges Blatt, zu dem wohl der Palmfächer Pate gestanden hat, nach außen heraus. In die nach der Mitte zu noch verbleibenden Lücken sind kleine drei- oder vierzackige Sternchen eingestreut. Noch einen Schritt weiter führt uns das in seiner höchst reiz­ vollen Verzierung geradezu berühmt gewordene Gefäß Abb. 54 a.

Abb. 54.

Kamareögefüße aus Kreta

Es ist ein zweihenkliger bauchiger Topf. Die Verzierung ist zwischen den Henkeln wieder einheitlich eingelegt und man er­ kennt unschwer, daß ihr dieselben vier Spiralen, die wir eben betrachtet haben, zu Grunde liegen; sie sind aber zu Kreisen ge­ worden, die sich um ein sphärisches Viereck legen, und der obere Kreis ist durch den Gefäßausguß zerschnitten. In die Kreise sind je vier oder fünf Sternchen geworfen. In dem Mittelviereck haben die Sterne einen dicken Kometenschweif erhalten, der zur Seite umbiegt; in die vier Zwickel schießen radial kolbenförmige Gebilde.

In den äußeren Zwickeln zwischen den vier Kreisen aber entwickeln sich wieder Palmblätter, nur sind es hier je zwei, die aus einem halbrunden Polsterknoten hervorwachsen. Das Ganze ist in leb­ hafter weißer Farbe mit spärlicher Verwendung von Gelb und Rot auf schwärzlichen Grund gemalt. So phantastisch diese Verzierung anmutet, so hat sie doch eine festere Struktur als das einfache Spiralgeschlinge auf dem vorigen Gefäße. Das kommt daher, daß sie von der Mitte aus entworfen ist in der Art, wie in flechtender oder häkelnder Hand­ arbeit ein rundes Stück geschaffen wird. Um den betonten Mittel­ punkt liegen fünf Knoten, die seitlich sich die Hände reichen, mit ihren Schwänzen aber umbiegen, um so das erste Stück gleich abzuschließen. Von ihm schießen in der zweiten Zone vier dicke Strahlen aus, und von ihren Spitzen schmiegen sich an das Mittel­ stück heran die Linien des sphärischen Vierecks, die auf ihrem Rücken die gefüllten Kreise tragen und aus ihren Ecken die Blatt­ wedel hervorgehen lassen. Aber all das ist nur Gefühl, und die Grundlage, auf der es beruht, war dem malenden Künstler gewiß selber gar nicht mehr bewußt. In solchen Beispielen ossenbart sich der Charakter des Kamarcs-Stiles. Er führt die überkommenen einfach geometrischen Verzierungen in allerhand pflanzliche Andeutungen hinüber, geht aber nie so weit, das Pflanzliche wirklich naturgetreu darzustellen. Es sind niemals echte Palmwedel, die aus seinen Zwickeln wachsen, sondern immer nur Anklänge an sie, und was die Sternchen mit und ohne Schwänze etwa bedeuten könnten, ist dem Künstler ganz gleichgültig. Das Ganze ist ein Linienspiel, ein neckisches Spiel, das bem Beschauer etwas vorgaukelt, aber nichts zu greifen gibt. Es ist nichts Wirkliches dargestellt und nichts will etwas bedeuten. Alles ist Linie, Rhythmus, Farbe; es ist Musik, nicht Poesie. Dies ätherische Wesen begegnet sich mit vielem in der modernen Kunst und deshalb hat es in unserer Zeit so viel Anklang und begeisterte Bewunderung gefunden. Es hat eine Parallele im Rokokozierwerk, wo auch mit vielem gespielt und nichts hand­ greiflich gegeben wird. Und am verwandtesten wohl ist ihm die „Tierornamentik" der Völkerwanderungszeit, die mit Köpfen und Füßen und Schwänzen allerhand Liniengeschlinge lebendig zu machen vorspiegelt und dann jedem Deutungsversuche doch gleich

Wieder ausweicht. Als Gegenstück zu dieser Tierornamentik könnte man die Kamares-Malerei Pflanzenornamentik nennen. Der Kamares-Stil ist Kreta eigentümlich. Er hat seine Vor­ stufen in Malta, aber Kreta hat ihn zur Vollendung gebracht. Nirgend im Norden, Osten oder Süden sind Anzeichen für seine Vorbereitung vorhanden. Wohl aber sind fertige Kamaresstücke nach verschiedenen Richtungen hin gewandert, und besonders wert­ voll sind solche Funde in Ägypten geworden, weil sie hier zwischen fest datiertem einheimischen Materiale aufgetreten sind, nämlich in solchem der XII. Dynastie, d. i. der Zeit von 1900—1800 vor Chr.

Tafel XXIV

'jlßäiicbc Svcmniit1 1—3 Sii)tlabcn, 1, 5 .Qrcta, bronv'^'itlid) nach 'IHoiio, 6, 7 tircin, fieui^eillid)

Tafel XXV

i

Ä (UW len 1 Vebertannc a. d. ^nynm, 2 (Slfenbeinfituir, Weib mit Slinb, vordynnnisch,

3 Cpfertafel mit .vnlbkttppelbntt.

Alle in Berlin

Siebentes Buch

Ägypten, Hettitien, Etrurien Drei Worte nenn' ich Euch inhaltschwer! — Ägypten, Hetti­ tien und Etrurien haben an den Rändern des Mittelmeeres jedes eigenartige und starke Kulturen entwickelt, ohne daß ganz leicht zu sagen wäre, wie weit und in welcher Richtung sie mit den andern Mittelmeerkulturen Zusammenhängen.

Die Ägypter Die Ägypter sind ein hamitisches Volk mit semitischer Sprache. Die Sprache muß von Babylonien oder Ostarabien stammen. Es wird deshalb angenommen, daß in sehr früher vordynastischer Zeit unternehmende Kolonisten von dorther über Nubien eingedrungen sind und dem Nillande ihre Sprache auf­ gezwungen haben. Erhebliche Übereinstimmungen finden sich auch sonst zwischen der ägyptischen und der babylonischen Kultur: der Sonnenkult, eine Reihe gemeinsamer Gottheiten, die riesige Py­ ramide als Götter- und Menschengrab, der Glaube an eine Insel der Seligen. Aber auf der andern Seite erinnert manches an die alte Kultur des westlichen Mittelmeeres und das ihr zu Grunde liegende Paläolithikum. Das Land wird ja nicht menschenleer gewesen sein, als die babylonischen Kolonisten ankamen; es könnte also von der Urbevölkerung her sich dieser oder jener Zug erhalten haben. Freilich sind auf den Ägypten vorgelagerten Inseln und auf dem griechischen Festlande paläolithifche Funde bisher merkwür­ digerweise nicht aufgetreten. Man hat sich gefragt, ob diese Land­ striche in der frühen Zeit etwa tiefer gelegen hätten, vom Meere

überdeckt gewesen wären. Aber in Malta und Sizilien treten die Geräte der älteren Steinzeit auf in einer Lage, daß man sieht, das Meer hat damals kaum ander- gestanden als heute, und auch in Griechenland sind keine Anzeichen für eine starke Niveau­ veränderung vorhanden. Es ist also das Land schon dagewesen, und es wird auch schon Menschen getragen haben, aber diese Menschen scheinen kulturlos gewesen zu sein, sie scheinen nicht die wohlgeformten Werkzeuge wie die Westeuropäer gehabt zu haben, so daß deshalb nichts irgendwie Auffallendes bei ihnen gefunden wird. Das Paläolithikum erstreckt sich im Mittelmeere über die Balearen und Sardinien nach Italien, Sizilien und Malta; schon auf Kreta versagt cs. Dafür zieht es aber stark fühlbar am Nordsaume von Afrika hin und gelangt so nach Ägypten. In Nordafrika haben wir für jene Zeit mit ganz andern Boden- und Himmclsverhältnisfen zu rechnen als heute. Im Hinterlande von Algier und Tunis liegen auf der Oberfläche der jetzigen Wüste die schönsten Werkzeuge von Acheulven- und Moustvrien-Charakter. Es müssen in jenen Landstrichen damals noch die großen Flüsse lebendig gewesen sein, deren System mit der Mündung in den Busen von Tunis wir heute noch an den toten Adern erkennen können. Auch in neolithischer Zeit sehen wir immer noch die Kultur von Westeuropa an der afrikanischen Küste ausgebreitet. Dolmen wie die französischen enthalten eine rein kürbisförmige Keramik8 und Steinhügel mit einer Kammer oder Kiste darin bergen Hockerbestattungen noch bis in die hellenistische Zeit hin­ ein Bei den Kabylen sind noch heute Stengelbecher in religiösem Gebrauche8 und eine geometrisch bemalte Keramik haben die Leute wie die altkyprische war8. Der breite afrikanische Nordrand er­ scheint geradezu als die Basis der ältesten Kultur des Mittel­ meeres. So kann es nicht wundernehmen, wenn auch Ägypten eine paläolithische Kultur gehabt hat. Rohere Formen hatte schon 1 Museum Perigueux. - L. Frobenius, Prähist. Ztschr. VH, .Der kleinasrikanische Grabbau.

3 L’Anthropologie 1899 S. 49. 4 Revue d’Ethnogr. et de Sociologie II 1911 Taf. XVII ff.

Scton Karr von dort gebracht, feinere aus verschiedenen Perioden hat Georg Schweinfurth in den Nebentälern des Nil sowie im Hinterlande von Tunis in Menge gesammelt und selbst aufs sorgfältigste bestimmt und veröffentlicht *. Mit gewichtigen Äuße­ rungen der Kultur knüpft dann auch in der frühen nachdiluvianischen Zeit Ägypten an den Westen an. Es bestattet feine Leichen als liegende Hocker, in Felle eingenäht oder in Tonfässer gepfercht, und mit allen Lebensutensilien für das Jenseits ausgerüstet. Die Häuser scheinen zwar in der Regel rechteckig zu sein, aber

ein paar Modelle haben rundliche Grundrisse mit einer Halbkuppel darüber (XXVI 3). Die Weiber, feist wie die Französinnen des Aurignacien, gehen nackt (XXVI2) und die Männer tun es eben­ falls oder haben als einzige Bekleidung einen breiten Bauch- oder Brustgürtel, der noch nichts verdecken, sondern die empfindlichen Weichteile offenbar nur gegen Stoß oder Hieb schützen soll1, ganz wie es mit den Bauch- und Brustgürteln der Männer im jüngeren Paläolithikum der Fall ist (Taf. VII3, VII11). Das Haar wird wie im Aurignacien vom Scheitel aus in konzentrischen Ringen ' Ztschr. s. Eth». 1907, 137—181. ’ L. Curtius, Die antike Kunst (im Handbuch d. Kunstw., Berlin 1918' Taf. 1.

ungeordnet oder fällt bei den Ohren in schwerer Masse lang herab (oben Abb. 5). Die Obelisken dürften nach Form und Bedeutung die Nach­ folger der westeuropäischen Menhirs sein. Das älteste Sonnen­ heiligtum in Ägypten, das durch die deutschen Grabungen in Abusir gewonnen ist, besteht nur aus einem großen Obelisken mit dem Kultplatze drum herum (Abb. 55). Noch Plinius sagt, die Obelisken seien solis numini dicati. Im Kultus sind die Menschen des Aurignacien, die in de­ mütiger Haltung die eine Hand in Gesichtshöhe erhoben und mit der andern ein Opfer spendend dastehen, in Ägypten gang und gäbe geworden. Wie in Laussel offenbar Verstorbene in dieser Weise an den Höhlenwänden abgebildet sind, so haben sich in Ägypten ganze Totenbücher entwickelt, die darstellen, wie die ins Jenseits Gelangten den verschiedenen dort herrschenden Gottheiten ihre Aufwartung zu machen haben. Ja noch mehr: in Westeuropa finden sich wie nirgend anders gigantische Anlagen zur Verehrung der Abgeschiedenen: die Megalithgräber mit den Menhirs und den Steinalleen. Die Steinalleen, die im Westen von gangbaren Straßen zu Kultplätzen und Gräbern führen (Abb. 21), sind in Ägypten zu gedeckten Gängen geworden, wie in Abusir* oder zu Bilderalleen wie der mit den Widdersphinxen von Karnak2, die jedesmal vom Nil aus zu Grabpyramiden oder Tempeln geleiten. Die Mastabas des alten Reiches erinnern in ihrer Form an die Hünenbetten des Westens und Nordens, in ihrer Einrichtung mit der Opferkammer vor dem Grabe an die künstlichen Höhlen

Frankreichs (s. Abb. 19). Solche Bauten werden nicht geschaffen, wenn nicht ein felsenfester Glaube vorhanden ist an die Wohltat, die man dem Verstorbenen damit erweist, ein Glaube, daß er die Wohltat voll genießen kann, da er fortlebt so frei und so empfänglich wie hienieden nicht zuvor. Der Glaube an ein seliges Jenseitsleben muß dem Westen schon aus seiner paläolithischen Kultur zu­ gewachsen sein, da er hier so verbreitet und so festgewurzelt ist wie nirgend sonst. Im östlichen Mittelmeere hat er bei den 1 Breasted, Geschichte Ägyptens 1910, Abb. 34.

1 Ebenda Abb. 128.

Griechen sich erst spät, in der klassischen Zeit, durchgerungen und ist auch dann nie volkstümlich geworden; dort blieb immer ein Schatten von der düsteren Auffassung, die uns bei Homer ent­ gegentritt. Die Grundlage der ganzen altägyptischen Auffas­ sung vom Tode bildet aber jener Glaube an die Verklärung des Toten, an die Befreiung seiner Seele aus dem engen Grabe, daß sie als Vogel herauskommen und in der Sonne sitzen darf, daß sie auffliegt zum Himmel und versetzt wird unter die Sterne, auf selige Inseln \ Es tritt uns dies alles in Ägypten so viel stärker und lebendiger entgegen als in Babylonien, daß man fragen möchte, ob nicht auch in diesem Punkte die Ur­ bevölkerung schon vorbereitet war, als die semitischen Kolonisten vom Osten her eintrafen. Solcher Glaube wird nicht übernom­ men, der wurzelt tief und wächst aus dem Urgründe hervor. Das sehen wir in Griechenland, wo er nicht hat hoch kommen können, weil die nötige Unterschicht fehlte. In der späteren Zeit hat Ägypten ebenfalls zuweilen starken Anteil genommen an der Kultur des Mittelmeeres. Die Häuser mit dem deutlichen Binnenhofe in der 12. Dynastie und wieder unter Amenophis IV. (s. oben Abb. 43 b), in denen unzählige kretische Scherben lagen, sind auch selber von dorther beeinflußt. Die Malereien in den Häusern von Amenophis' Königstadt, realistische Darstellungen von Pflanzen mit Tieren dazwischen, sind ganz wie die kretischen, und auch der Kunst, die am Hofe jenes feinsinnigen Königs erblühte, wird man vergeblich den Zu­ sammenhang mit der gleichzeitigen kretischen absprechen. Sie hat so viel Empfindung, so viel feinen Nerv, wie die original­ ägyptische weder vor- noch nachher je gehabt hat. Hier und da treten nordische Schwertklingen auf; eine trägt die Königskartusche von Sethos II., gehört also in das Ende des 13. Jahrhunderts vor Chr.'. Zu Anfang des neuen Reiches können wir einen ganzen Streitwagen, den heute im Museum zu Florenz befindlichen, als nordisches Jmportstück feststellen. Seine Deichsel ist aus Ulme, die Räderfelgen aus Esche und die Speichen sind mit B i r k e n b a st an die Nabe gebunden; ebenso daS Deichsel' Erman, Die ägyptische Religion* (1909) 6.104—110. ' PrLhift. Ztschr. IV (1912) S. 233.

ende mit solchem Bast umwickelt'. Das sind Beziehungen, die man alle noch nicht kannte, als man daS Dogma von dem ganz auf sich selbst gestellten, aus sich selbst entwickelten Ägypten pro­ klamierte, die man heute aber mehr als es bisher geschieht, be­ rücksichtigen sollte. Vielleicht werden dann diejenigen, die Ägypten so viel beffer kennen als es unsereinem vergönnt ist, dem hier nur flüchtig skizzierten Bilde bald ein weit schöneres folgen lassen können.

Die Hettiter Hettiter und Etrusker sind vielfach miteinander in Beziehung gebracht, weil ihre Sprachen einige Verwandtschaft zu haben scheinen. Die Etrusker, meint man heute gemeiniglich, hätten ursprünglich in der Nachbarschaft der Hettiter gewohnt und wären dann nach Italien gefahren. Die Hettiter haben ursprünglich im nördlichen Kleinasien ge­ sessen. Ihre alte Hauptstadt beim heutigen Bogasköi in Kappa­ dokien muß im 14. und 13. Jahrhundert geblüht haben. Von da aus hat das Volk sich allmählich ganz Kleinasien und das nörd­ liche Syrien unterworfen. Die ebenfalls durch deutsche Aus­ grabungen aufgeklärte spätere Hauptstadt Schamal bei Sendschirli östlich Alexandrette gehört dem 9. Jahrhundert an. Die Sprache der Hettiter, wie sie sich in den Tontafeln von Bogasköi darstellt, hat nach neuester Erkenntnis schon indogermanischen Charakter, d. h. sie ist eine indogermanisierte Sprache. Ihr Wort­ schatz ist uns noch zum großen Teil unverständlich, also altein­ heimisch, aber in der Flexion herrscht bereits stark indogerma­ nische Art. Eine ähnliche Mischung läßt sich auch in der künst­ lerischen Überlieferung erkennen. Während die Gestalten auf den Grabstelen und Siegelzylindern meist ganz babylonisch anmuten, verraten andere Dinge den Einfluß vom Mittelmeere. Die Pa­ läste in Bogasköi haben das Hofhaus mit Magazinen umher wie in Knossos. Das Stadttor ist aus großen horizontallagernden Blöcken durch Vorkragung spitzbogig gewölbt, eine Bauart, die jenen östlichen Gegenden sonst ganz fremd ist. Der an dem Tor. ' PrLhist. Ztschr. IV (1912) S. 447.

Pfeiler in Relief ausgemeißelte Gott oder König trägt einen hohen Helm mit mykenischer Krista und sein Schurz ist mit Spiralund Dreiecksbändern von Kykladenart verziert (Abb. 56). In Zonen übereinander findet sich auch die schräg zusammenlaufende Schraffierung, die auf den Kykladen das Hauptziermotiv ist'. Mehrfach kommt das Flechtband vor, als Umrahmung von Sie­ geln *. Auf einem solchen Siegel kehrt auch ein doppeltes Spiral­ band toicber *. Das Flechtband kennen wir wiederum von den

Lbd. 56.

Schurz dri Torwächters von BogaSköi.

Nach Puchstcin

Kykladen und von Troja. Tongefäße von Kültepe in der Nähe von Bogasköi haben mattfarbig aufgemalt eine geometrische Ornamentik mit Rautenband am Rande und breiten Kreuz­ bändern am Boden im Stile von Lianokladi in Thessalien'. Von ebendaher stammt eine tönerne Zierkanne ähnlich der silbernen auS einem mykenischen Schachtgrabe (Schliemann, Mykenä S. 296). Im Zwischenlande, wo in der Gegend von Smyrna FelSreliefS wie der sog. Sesostris und die Niobe den Hettitern gehören, zeigt sich manches Eigenartige, anscheinend Selbständige: 1 ’ ' 4

Ed. Meyer, Reich und Kultur der Chetiter 1914, S. 54. «bd. Taf. IV und S. 50, 53. ebb. S. 50. Ed. Meyer Taf. V.

die hohe Mütze, die Schnabelschuhe. Im ©ublcmbe, in Sendschirli, ist auf einer Statuenbasis eine kleine bärtige Figur im Knielaufschema dargestellt'. Auch der Zopf, den die Hettiter tragen, scheint altmittelländisch zu sein; in Spanien haben wir schon Spiralen kennen gelernt, die das Haar zusammenfassen sollten. Dieser Einfluß vom Mittelmeere her ist zum großen Teil noch vormykenisch, kykladisch-trojanisch; aber in dieser Kultur beginnt dort auch, wie der trojanische Palast dartut, bereits der nordisch« Einfluß, in dem wir das den indogermanischen Bestandteilen der hettitischen Sprache entsprechende archäologische Element zu er­ blicken haben. So wirkt hier die archäologische Analyse mit der Sprachforschung zu gegenseitiger Belehrung zusammen. Die Sprachforschung hatte die Jndogermanisierung des Hettitertums erkannt, die Archäologie zeigt den Weg, auf dem sie erfolgt ist, nämlich von der nördlichen Ägäis her. Die Archäologie würde für sich allein nicht wagen können, den Einfluß, den sie feststellt, als Jndogermanisierung zu bezeichnen. Diese wertvolle Bestim­ mung verdankt sie der Sprachforschung.

Die Etrusker Italien ist bis auf die Zeit, wo seine südlichsten Teile, Apu­ lien und Sizilien, von der bemalten Balkankeramik in Beschlag genommen werden, einheitlich in seinen Rundhütten, seinen Hockergräbern, seiner Kürbiskeramik und den breitklingigen Dolchen, kurz in einer ganz westeuropäischen Kultur. Dann zeigen aber um 2000 vor Chr. die Pfahlbauten Oberitaliens Eigentüm­ lichkeiten, die auf einen Einfluß von nördlich der Alpen her schließen lassen. Man hat ihn zuerst beobachtet an der allgemeinen Kultur. Die Einwanderer bauen sich ebenfalls geschützt in den Seen an und verbrennen ihre Toten. In der vollen Bronzezeit erfolgt ein zweiter Zustrom. Nun zeigt auch die Keramik Ver­ wandtschaft mit derjenigen nördlich der Alpen, und es läßt sich hauptsächlich an ihr die Ausbreitung des neuen Volkes erkennen. Die Gefäße von Bismantova bei Mantua und von Pianello bei * Ed. Meyer S. 111.

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Die Etrusker

Ancona haben die Zickzackverzierung, hängenden Dreiecke und besonders auffallend die kleinen Rosetten, die sich an der Donau aus der Vermischung von Hinkelstein- und Rössener Stil ent­ wickelt hatten (Abb. 57). Fast ständig treten auch die Buckel auf am Umbruch des Gefäßes, wie sie schon in Rössen selbst vorkamen und so nach Schlesien (Jordansmühl) und Südungarn (Lengyel) weiter gewandert sind. Die Form der Gefäße klingt zum Teil an die geschnürten Beutel der Württemberger Amphoren an, im Grunde ist sie aber eine Fortbildung der alten „Bootvase".

Abb. 57.

Gesäße von Bismantova bei Mantua

Diese Kultur dehnt sich an der Adria entlang aus, über­ schreitet dann den mittleren Appenin und zieht den Tiber hin­ unter nach Rom, wo die vorromulischen Forumgräber ihr ange­ hören. Ein anderer Zweig hält sich etwas nördlicher und ge­ winnt Tarquinii, also das südliche Etrurien; zugleich geht aber die Ausbreitung östlich des Appenin weiter bis nach Tarent. Pigorini, der diese ganze Theorie aufgestellt hat, erklärt die Urbewohner Italiens für iberisch-ligurisch, die neuen Ankömm­ linge für die Italiker. Ich zweifle nicht, daß er recht hat. Be­ zeichnend ist, daß die neue Kultur das Hauptgebiet Etruriens umgeht, offenbar weil hier ein wohlgefestigtes Staatswesen WiSchuch Hardt, Alteuropa

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derstand leistete. Und die Kultur Etruriens bildet in der Tat einen alten festen Block. Wohl haben die Etrusker durch lebhaften Verkehr mit Grie­ chenland, mit Kleinasien und Phönikien, mit Ägypten in der Dipylon- und der klassischen Zeit eine gewiße Tünche vom Aus­ lande angenommen, Kleidung und Schmuck, den Hausrat an be­ malten Vasen, einen gewissen Kreis mythologischer Vorstellungen, einige Götterfiguren; aber der Kern ihrer Kultur, wie er sich ausspricht im Haus- und Grabbau, im Bestatten und Verehren der Toten, in allerhand Eigentümlichkeiten des Lebens und Glaubens, ist bodenständig. In all diesen Dingen sind die Etrusker die treuesten Hüter und Bewahrer der alten west­ mittelländischen Kultur. Während in Griechenland längst durch nordische Zuströme eine neue Mischung entstanden ist, die ihren Zusammenhang mit dem voraufgegangenen „Pelasgischen" kaum mehr empfindet, ihn hochmütig ablehnt; während auch in Italien rings um das Etruskerland längst neue Kulturen und neue Stämme branden, die teils vom Balkan, teils von den Alpen gekommen sind, bleibt Etrurien beim alten und wird dadurch der Welt immer unverständlicher; als eine Art Pelasger betrachtet man sie mit Recht und bringt sie in Beziehung zu den Völkern am Ostrande des Klassisch-Griechischen, die auch auf ähnlicher Stufe stehen geblieben sind. Die verschiedenen Gräberarten, die aus kretischer und mhkenischer Zeit z. B. in der Umgegend von Knossos aufgetreten sind, gibt es in Etrurien als tombe a pozzo, tombe a fossa und tombe a camera noch im 9.—8., im 8.—7. und im 6. Jahr­ hundert. Ja, die mit dem mittelländischen Hofhause so ver­ wandte stattliche Grabanlage mit einem großen Mittelraume und kleineren seitlich angehängten Räumen, wie sie in der Kupfer­ zeit Anghelu Ruju auf Sardinien, Hal Saflieni auf Malta auf­ wiesen, ist in einem schönen Beispiel noch in späterer Zeit in Vulci vertreten: durch einen Vorraum kommt man in den Mittel­ raum, den „Hof" könnte man sagen; von ihm liegen links wie rechts drei Räume und ein letzter als Abschluß hinten. Wir haben genau das Schema wie bei dem kretischen Hausmodell *. 1 Martha, Manuel d’archeologie etrusque et romaine S. 50.

Die Etrusker

Das altmittelländische Haus selbst hat sich ja auch nirgend besser und reiner erhalten als im etruskischen Kreise bis nach Pompeji hin, mit dem Atrium als altem Hofe und den Wohn­ räumen iin Hufeisen darum herum. Das von der Überdachung der alten Rundhütte her bekannte, durch Vorkragen der Stein­ schichten gebildete „falsche Gewölbe" gibt es ebenfalls in Etrurien bis spätlnn, in Cervetri, Orvieto, Cortona, Frascati. Bei den Gräbern spielt der westeuropäische Menhir, in Pfeiler oder Säule übersetzt, noch seine Rolle. Auf dem oben schon besprochenen Totcnopfer von Caere steht auf dem hinteren Rande des Altars

Abb. 58.

Etruskisches Totcnopfcr, Toiitafclbild aus Caere.

Nach Baumeister

eine Säule mit Auflager, dahinter trägt ein Flügelwesen die Seele des Verstorbenen in die Lüfte, ganz ähnlich wie auf dem Harpyien­ monument von Fanthos in Karlen (Abb. 58). Vielfach findet sich auf Gräbern die kleine Säule in einen Knauf oder Pinienzapfen endigend auf einen Sockel gestellt. Eine ganze Anzahl solcher Steine ist im Berliner Museuin l. Diese Form geht zurück auf den Menhir ain Grabe in Frankreich und Südengland. Auf dem bekannten bemalten Sarkophage von Hagia Triada auf Kreta ist an den Schmalseiten jedesmal das verstorbene Ehe­ paar dargestellt, wie es auf einem zweispännigen Wagen ins JenBeschreibung der antiken Skulpturen (Berlin 1891) Nr. 1268 ff.

feitä fährt. In Etrurien ist solches Fahren oder Reiten auf dem letzten Wege sehr gewöhnlich. Die Aschenkisten haben das Bild häufig, während es in Griechenland selten ist (Lyseas-Stele). Bei den Etruskern geht in dieser Szene häufig der Todesdämon vor­ auf oder hinterher oder führt auch das Pferd am Zügel. Er trägt ein Doppelbeil, das aus Kreta bekannte alte Symbol der Herrscherwürde (Abb. 59). Wenn von diesen Eigentümlichkeiten die eine oder andere sich in Kleinasien wieder findet, so brauchen sie deshalb nicht von

Abb. 59.

Der Ritt ins Jenseits.

Etruskische Aschenkiste.

Nach Jnghirami

hier zu ftanunen; vielmehr ist zu bedenken, daß eben auch die Ostküste der Ägäis altmittelländischen Einfluß stark erfahren hatte. Schließlich appellieren wir noch an diejenige Instanz, die immer in nationalen Dingen den beachtenswertesten Spruch ab­ zugeben pflegt, an die Gefäßformen/- Bei den Etruskern sprechen sie doppelt, weil neben der Keramik auch die Bronzeindustrie ein­ heimisch ist. Die etruskischen Gefäßformen nun kann man ge­ radezu herauswachsen sehen aus den alten westeuropäischen. In El Argar (Spanien) war neben dem Pokal am häufigsten der Bootnapf, wie ich ihn genannt habe, der Topf mit kugligem Unterteil und konkav eingezogenem hohen Halse, derselbe, der mit

untergesetztem geschweiften Fuße uns auf den Kykladen zahlreich wieder begegnete. Dieser Topf hat auch in Italien stark Boden gefaßt. In den bronzezeitlichen Pfahlbauten bei Parma und Reggio beherrscht er das Feld. Im Bologncr Museum ist er aus den Grotte de Farne teils rein, teils in einigen Abwand­ lungen vertreten. Er hat dort mehrfach eine platte Standfläche erhalten, aber noch keinen Fuß, und mehrfach auch einen Henkel, bald am untern, bald am obern Teile. An Stelle des scharfen Knicks, mit dem bei der Originalform der untere gegen den obern Teil absetzt, erfolgt hier auch einmal ein weiches Umbiegen

Abb. 60.

Tongefäße aus bcr Grotte de Farne bei Bologna

(1

Abb. 61.

6

a—c Frühetruskische Keramik; d, e aus den Palafitti der Lombardei

zu einer rundlichen Schulter, so daß das Gefäß schon fast Hallstatt­ charakter bekommt (Abb. 60). In den Palafitti der Lombardei findet sich derselbe scharfknickige Hohlhalstopf mit einem dreieckigen Henkel vom Knick zup Mitte des Halses gehend, und ein flachgedrückter solcher Napf auf einen hohen geschweiften Fuß gesetzt (Abb. 61 d, e). Diese Formen liegen der nord- und mittelitalischen Ent­ wicklung der Folgezeit zu Grunde. Die Leitform der Villanova-Kultur, die Urne mit dem Kropfhalse, erscheint im wesentlichen

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Siebente- Buch.

Ägypten, Hettitien, Etrurien

als eine Ausgestaltung des Bootnapfes mit gerundeter Schulter, nur daß der auskragende Rand, aufzufassen als eine Folge der Einschnürung an seiner Basis, vielleicht unter dem Ein­ fluß der vom Norden eingedrungenen Pfahlbaukeramik (Bismantova) entstanden ist. Die etruskischen Bronzen haben die Kropfhalsurne gar nicht nachgemacht. Sie stehen immer noch in engster Nachfolge der Gefäße von Farne bei Bologna. Sie haben fast immer einen hohen geschweiften Fuß, aber ihr Körper ist entweder der spitzknickige des Bootnapfes oder der umgewan­ delte mit rundlicher Schulter. So sehen wir es in Benacci II bei Bologna, in Melenzani uff. Daß daneben häufig eine Form mit gedrückter Kugel als Körper steht, ist in einer Gegend, die auf altem Kürbisstile fußt, nahezu selbstverständlich (Abb. 61a, c). In Betulonia herrscht diese gedrückte Kugel neben einem Kelch wie dem aus den lombardischen Palafitti, der nun einen hohen Bandhenkel erhalten hat. Hier und da kommen ein paar besondere Formen vor, so in Poggio alla Guardia ein eiförmiger Tops mit niedrigem Fuß und geschnürtem Hohlhals. Er knüpft westlich an spanische und Michelsberger Formen an und setzt sich östlich fort in der ältesten Keramik von Olympia (Abb. 61 b). All diese Formen, bei denen es sich um die Zeit vom 9. bis 7. Jahrhundert handelt, sind gewiß nicht vom griechischen Boden oder von der kleinasiatischen Küste beeinflußt. Die dortigen geo­ metrischen Basen haben ganz andern Charakter. Ja, als nachher im 7. und 6. Jahrhundert die korinthische Töpferei vielfach als Vorbild der etruskischen auftritt, behält diese doch in den Haupt­ formen, wie z. B. in dem „Stengelbecher", ihre eigene Überliefe­ rung bei. lind immer hält sie auch fest an der alten schwärzlichen Färbung ihrer Tongefäße, die dann nach Metallvorbildern ent­ weder durch Gravierung oder durch Relief verziert werden. Den den geschichtlichen Etruskern unmittelbar voraufgehenben „protoetruskischen" Stil von Villanova werden wir nachher noch besonders zu behandeln haben, da er allerhand angenommene oder wirkliche Beziehungen zu nordischen Kreisen aufweist. Die Etrusker selbst aber möchte ich nach dem Charakter ihrer Kultur für einen Rest der alten Mittelmeervölker ansehen, der sich nordischen Einflüssen gegenüber seine Selbständigkeit bis

Di« EtruSker

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späthin gewahrt hat. Dafür spricht ja auch die Sprache der Etrusker, die wir, offenbar weil sie vorindogermanisch ist, immer noch nicht verstehen können. Sollte meine Auffassung Anklang finden, so würde mit dem Gewirr von Vorurteilen, das sich im Laufe der Zeiten um die Etrusker gehäuft hat, glücklich aufge­ räumt werden. Die Sprache der Etrusker ist der Hauptgrund, weshalb man von jeher gestritten hat, ob sie im westlichen Mittelitalien, dem nach ihnen genannten Etrurien, autochthon oder dorthin eingewandert seien. Griechen und Römern galten sie als ein stammfremdes, barbarisches Volk, so wie die Karer den homerischen Griechen. Herodot behauptet (I 94), sie seien aus Lydien ge­ kommen; bei den noch vorhandenen Pelasgern zu Plakia und Skylake an der Propontis und anderswo werde eine ähnliche Sprache gesprochen wie in Cortona (I 57). Herodot setzt die Tyrrhener direkt mit den Pelasgern gleich und erwähnt sie auf Jmbros (5. 26), Samothrake (2. 51), Lesbos. Suidas fügt noch Termon an der karischen Küste hinzu. Das Altertum hat sich fast einhellig dieser Auffassung seines ältesten Historiographen angeschlossen, so z. B. auch Tacitus (Ann. 4. 55). Nur Dionys von Halikarnaß hält die Etrusker für autochthon. In ihrem Namen steckt der Stamm turs. Turskum numen sagen die Unibrer für etruscum nomen. Die Griechen haben Topase« daraus gemacht und nach ihrer kalauernd etymologisie­ renden Art dabei an röpa«, turne, gedacht, an Leute, die auf hohen Festen wohnen. Sich selbst nannten die Etrusker aber Rasenae, wie Dionys (I 30) überliefert. In ägyptischen Inschriften werden unter den Nordvölkern, die im 14. und 13. Jahrhundert Einfälle ins Nilland machen, Turscha und Schardana genannt. Daß mit den Turscha die Etrusker oder Tyrrhener gemeint sind, ist klar, die Schardana wollen die einen auf die Sarder, die Leute von Sardes, die andern auf die Sardinier deuten, wobei die letzteren sicher recht haben, denn wie sollen die Sardes-Leute aufs Meer gekommen sein? Dann wird aber sehr wahrscheinlich, daß die Turscha als Genossen der Sarder auch in ihrer Nähe, also schon in Etrurien gesessen haben.

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Siebentes Buch.

Ägypten, Hettitien, Etrurien

In neuerer Zeit hat mit der alten Herodot-Auffasiung zuerst Niebuhr gebrochen. Er nahm an, daß die Etrusker vom Norden, von den Alpen her in ihr historisches Land eingewandert seien, denn in den Alpen finden sich etruskische Inschriften und bei Bologna reichliche Spuren von ihnen. Helbig hat diese These weiter ausgebaut und ihm haben sich Deecke, Martha, Ed. Meyer angeschlossen. Indes die Alpeninschriften erwiesen sich als sehr jung, erst aus dem 2. Jahrhundert vor Chr., und auch bei Bo­ logna zeigte sich, daß die Etrusker in den dortigen Kulturschichten erst die letzte Stelle einnehmen. Auf Lemnos fand sich eine In­ schrift in fremdartigem Alphabet und dem Etruskischen ver­ wandter Sprache, auch eine gewisse frühe Keramik dieser Gegen­ den entsprach der etruskischen; so kehrte man wieder zu Herodot zurück, Furtwängler (Die antiken Gemmen III 174) und Gustav Körte (bei Pauly - Wissowa „Etrusker") führten, und viele andere folgten. Furtwängler nahm das 10., Körte das 8. Jahr­ hundert für die Einwanderung der Etrusker aus der östlichen Ägäis an. Gegen eine solche Einwanderung spricht aber, daß sich nirgend eine volle Kultur des Ostens, sei es der spätmykenischen oder der Dipylonzeit, in Etrurien findet und daß das NationalEtruskische auch nicht an der Küste, sondern im Binnenlande seinen Ausgangsherd hat. So viel ich sehe, ist v. Wilamowitz heute der einzige, der an ein festes Wurzeln der Etrusker in ihrem Lande glaubt. Auf den Forschungen Wilhelm Schulzes fußend betont er, daß das Etrus­ kische stark auf die italischen Mundarten eingewirkt hat. Die Orts- und Familiennamen zeigen in Italien weithin etrus­ kisches Gepräge, auch wo wir gar nicht ahnen, wie Etrusker da hätten hinkommen können. Es sei ganz ausgeschlossen, daß dies Volk erst im 8. Jahrhundert an der toskanischen Küste erschienen wäre *. Mit dieser Auffassung würde meine aus dem archäologischen Material gewonnene zusammengehen. 1 v. Wilamowitz, Staat und Gesellschaft der Griechen 1910 S. 11 u. 12.

Achtes Buch

Troja, Mykene, Homer Die großen Ausgrabungen, die Schliemann und Dörpfeld in Troja, Mykene und Tiryns gemacht haben, bilden derartig den Höhepunkt unserer Belehrung über das älteste Südosteuropa, daß sie wirken wie ein Berg, den man am Schluß einer langen Wande­ rung ersteigt und von dem aus man nun nicht bloß die Wege, die zu ihm selbst hinführen, sondern auch die, die an ihm vor­ beiführen, und das Gelände, das hinter ihm liegt, deutlich über­ sieht. Troja zeigt uns in neun übereinander gelagerten Schichten die ganze Entwicklung dieser merkwürdigen Stätte vom Ausgang der Steinzeit bis in die römische Periode. Alle Bewegungen, die Südosteuropa erreicht und den Burgfelsen an den Dardanellen mit berührt haben, können wir hier in dieser oder jener Schicht erkennen und darnach sehr häufig näher bestimmen. In My­ kene und Tiryns aber tritt uns die Kultur der griechischen Helden­ zeit, der Zeit, die die Sage mit Gestalten wie Agamemnon, Menelaos, Odysseus belebt hat, in ihrer ganzen Pracht und Fülle vor Augen, so daß wir ihre Zusammensetzung, die verschiedenen Be­ standteile, aus denen sie erwachsen ist, wie nirgend sonst studieren können.

Troja Die Burg Troja liegt am kleinasiatischen Ufer der Darda­ nellen, nicht weit von der heutigen türkischen Festung Kum Kaleh, als mächtiger Königssitz mit dem fruchtbaren Hinterlande der Skamanderebene und am Eingang der Meeresstraße, die zu den reichen Kornländern der unteren Donau und Südrußlands führt. Wenn dem trojanischen Kriege überhaupt eine tatsächliche Be-

gebenheit innewohnt — was man am Ende nicht unmöglich zu finden braucht —, so kann es nur die sein, daß der neue Seebund, der unter mykenischem Szepter sich im Archipel gebildet hatte, die Macht des unbequemen älteren Troja brach und sich selbst dadurch neue große Entwicklungsmöglichkeiten schuf. Die Hauptschicht von Troja, die zweite von unten, die in drei Bau­ perioden eine lange Blüte gehabt hat, die großen Paläste ent­ hält und die vielen Schatzfunde geliefert hat, ist durch einen allgemeinen Zerstörungsbrand zu Grunde gegangen. Er war so katastrophal, daß die 5 m dick aus Holz und Lehm gebaute Burgmauer mitverbrannt ist, die Schätze aus den Häusern nicht gerettet sind und die Stätte weiterhin für Jahrhunderte nur zu dürftiger dörflicher Siedlung benutzt wurde (Schicht 3, 4 und 5). Erst in der 6. Periode haben die Mykenier selbst von der Burg Besitz ergriffen, sie mit neuen Mauern und neuen großen Wohngebäuden versehen, und von da an bleibt der Burgcharakter ununterbrochen erhalten. Die 7. Stufe ist die früh­ griechische, die 8. die hellenistische, die 9. die römische. Tritt man nun von Europa her an die Hauptschicht der troja­ nischen Kultur heran, so ist trotz mancher Anklänge an das vom Mittelmeere oder den Donauländern her Gewohnte der Haupt­ eindruck der von etwas Fremdem, Neuem, also wohl einheimisch Kleinasiatischem. Die kugligen Formen der Keramik gehen un­ mittelbar auf die Kürbisflasche zurück, wie sie auch der Keramik von Cypern und der von Jortan Gelembe im Hinterlande von Pergamon zu Grunde liegt. Mit Cypern stimmen auch die Dolche mit umgebogener Griffangel überein. Die hochrote Färbung der Gefäße findet sich ebenfalls nur nach Kleinasien hinein (Jortan, Gordion) und über Cypern bis nach Ägypten hin. Aber diesen Eindruck hat man mehr im Museum, weil die Kleinfunde in ihrer Hauptmasse aus der zweiten, der verbrannten Stadt stammen, die Trojas selbständigste und größte Periode darstellt. Im ganzen gesehen und unter Mitberücksichtigung des Baulichen stellt sich die Sache etwas anders. Wir haben in Troja die erste Burg am Gestade des griechi­ schen Meeres vor uns; und zwar ist es eine kleine Herrenkurg, in der 1. und 2. Periode nur von 40—45 m Kreisdurchmesser, mit nicht mehr Raum, als sie unsere mittelalterlichen Dynasten-

Troja

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Abb. 62. Trojanische Gefäße

bürgen zu bieten pflegen. Für die 1. Schicht kennen wir die Burg sehr wenig, nur der von Schliemann zu Beginn seiner Grabungen lang über den Hügel gezogene und bis auf den Felsen hinuntergetriebene „große Nordgraben" hat sie angeschnitten. Aber wir erkennen doch beiderseits die steinerne Umfassungsmauer und im Innern ein paar Hauswände. Die Keramik aus dieser ersten Siedlung ist graubraun oder schwärzlich mit polierter Ober­ fläche und mehrfach eingeritzten und weiß eingelassenen Verzie­ rungen. In ein paar schüchternen Versuchen tritt auch Weiß­ malerei auf. Am häufigsten ist die Schale mit stark eingebogenem Rande, an dem Wülste zu Schnurösen durchbohrt oder aussprin­ gende Platten zu Henkeln durchlocht wurden. Die für Becher ge­ haltenen Gefäße aus dieser Siedlung sind entschieden Untersätz(2166. 62 a, c). Sie haben genau die Form wie der in Kreta an einer Amphora festgewachsene (XXIV 5).1 2Der breit ausladende Fuß der Stücke spricht für solche Verwendung. Wie Becher zu jener Zeit aussahen, zeigt ein tönerner aus der ersten Siedlung, der einem goldenen aus der zweiten vollständig gleicht3. Häufig sind in dieser Siedlung von ihren Gefäßen abgebrochene zylin­ drische Hohlfüße gefunden. Man sucht in dieser Zeit noch, wie man die Gefäße standfest machen soll. Zwei große, kürbisförmige Kochtöpfe, die am Felsboden mit Kinderleichen darin gefunden sind, haben drei senkrecht stehende hohe Beine, ähnlich wie im Mittelalter die Grapen, die ebenfalls Kochtöpfe sind (Abb. 62 b). Die Werkzeuge der ersten Siedlung sind meist steinerne, aber ein paar Kupfer- oder Bronzenadeln gehören dazu, so daß wir mit dem Übergang zur Metallzeit zu rechnen haben. Die Keramik dieser ersten Schicht von Troja hat schon Schlie­ mann am westlichen Ufer des Hellespont in dem sog. Tumulus des Protesilaos genau so wiedergefunden. Bezeichnende Eigentümlich­ keiten von ihr, wie die Schnurösen und Henkel der Schalen, haben sich weiterhin auch unter dem ältesten Materiale der Tumuli in der Gegend von Salonik ergeben 3, und diese Übereinstimmung ist um so schwerwiegender, als in Troja die Keramik der 2. Periode 1 Mosso, Escursioni S. 121. 2 Hub. Schmidt, Troja-Katalog Nr. 158 und 5865, 5974. 8 Ztschr. f. Ethn. 1905 S. 96—99 (Hub. Schmidt).

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Tioja

sich wohl auf der Grundlage der ersten entwickelt, dann aber sehr bald zu neuen Formen übergeht. Die Burg der zweiten Schicht ist das große Troja mit seiner 5 m dicken Burgmauer und den allbekannten Pa­ lästen. Die Bauperioden der zweiten Burg zeigen sich be­ sonders an der Burgmauer (Abb. 63). In der 1. Periode springen ihre Tore wie mächtige viereckige Bastionen vor, durch die ein schmaler Fahrweg wie ein Höhlengang lang empor­

Abb. 63.

II. und VI. Burg von Troja.

Nach Dörpfrld

steigt. Schliemann dachte hierbei an das Skäische Tor Homers, auf dem die Frauen und Greise sich versammeln, um den Aus­ gang des Kampfes zu sehen. Die 2. Periode behält diese Tor­ blöcke nur wenig umgebaut noch bei. Erst die dritte ver­ mauert sie und legt an anderer Stelle die Kammertore an, mit Vorhalle vorn und hinten und einer Kammer in der Mitte, die nachher für die mykenische Zeit charakteristisch sind und durch das ganze Griechentum hindurch als Propyla, Eingänge zu Festplätzen, ihre Rolle gespielt haben. Der Palast und seine Nebengebände sind uns nur aus der

3. Periode der zweiten Burg bekannt, naturgemäß, da das Letzte am besten oder allein erhalten zu sein pflegt. Von der 1. und 2, Periode können wir nur so viel erkennen, daß ihre Anlagen innerhalb friedlicher Entwicklung umgebaut oder abgerissen wor­ den sind. In der 3. Periode liegt in der Mitte der Burg ein 10:30 m großer rechteckiger Bau mit einer Vorhalle von 10 :10 m in der Front und einem Saale von 10:20 m, in dessen Mitte der Herd steht, dahinter. An diesen Hauptbau schließt sich links und rechts ein schmäleres dreiteiliges Gebäude. Diese Palast­ bauten Weichen so sehr ab von dem jetzt erkannten Hofhause des alten Mittelmeeres und haben so viele Analogien in Mittel- und Nordeuropa, daß ihre Herkunft von dort nicht zweifelhaft sein kann (s. Abb. 30 a u. 89). Das trojanische Megavon ist noch ohne Säulen, während in Tiryns und Mykene vier solche um den Herd und zwei in der Front der Vorhalle zwischen den Anten stehen. Das mahnt dazu, grade dem trojanischen Bau keine zu starke Belastung durch das Dach zuzutrauen, also eher an ein Giebeldach als an ein flaches Dach zu denken. Ein Giebeldach nehmen wir ja auch für das nordische Haus unbedingt an; es wird also Grundriß und Aufbau dieses Hauses in Troja über­ nommen worden sein. Für den Wandbau in Troja ist noch folgendes zu beach­ ten. In der 2. Periode ist der Aufgang des großen 8üV-Tores flankiert mit Pfosten, die im Abstande von % m voneinander halb in die Wand eingelassen sind, um diese zu halten und die Decke zu tragen. Ferner sind die Anten des Palastes der 3. Pe­ riode mit dichtgestellten viereckigen Pfosten verkleidet. Das sind, wie es scheint, die einzigen Stellen, wo hochstrebende Hölzer ver­ wandt sind. Sonst hat man das Holz in den Wänden immer nur eingelagert, einen Rost aus ihm gebildet, der das Stein- und Lehmmaterial zusammenhält. Solche Mauern müssen, um trag­ fähig zu sein, sehr dick gebaut werden. Einen ganzen Meter messen die des Palastes. Diese Bauart ist aber nicht nördlichen, sondern südlichen Charakters. Im Norden haben wir bis nach Siebenbürgen und der Dobrudscha hin die aufstrebenden Hölzer kennen gelernt. Sie werden durch Flechtwerk verbunden und die so geschaffene Wand erhält dicken Lehmverstrich. Die dicke Mauer aus lagerndem Material aber ist für den mittelländischen Bau

Troja

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mit gewölbtem Dache erfunden. Wir sehen also, daß in Troja II trotz des nordischen Grundrisses und einer hier und da vorkom­ menden Pfostenverkleidung doch die südliche Übung der lagerhaften Mauer durchweg zur Herrschaft gekommen ist. Daraus erklärt sich wohl auch, daß die Säulen völlig fehlen. Gräber sind auf der Burg von Troja außer den in Koch­ töpfen bestatteten Kinderleichen nicht gefunden. Aber in der Nachbarschaft, im Hanai Tepe, hat sich in einer Schicht, deren Keramik mit Troja I parallel geht, eine Nekropole ergeben, die zumeist Hockerleichen enthielt. In dieser Schicht herrscht also noch die altmittclländische Bestattungsart. Was die Kl ein fünde aus Troja II betrifft, so ist schon auf ihren stark selbständigen, kleinasiatischen Charakter hingewiesen worden. In der Tat scheint die Keramik hier den Flaschen­ kürbis unmittelbar nachgeahmt zu haben, nicht wie in Westeuropa erst durch Vermittlung des Leders. Darin stimmen Troja, Cypern, Jortan Gelembe und Gordion überein. Überall hat die Hauptmasse der Gefäße kugliges Unterteil mit gerade aufgehendem engen oder weiten Halse, und die Schnabelkanne spielt eine be­ sondere Rolle. In Troja haben die Formen allerdings durchweg eine Standfläche erhalten; die sorgsam hergerichteten Untersätze sind daher verschwunden, nur ein paar einfachste zylindrische sind geblieben. Auf Cypern treten uns die Kürbisschalen so unver­ fälscht wie kaum irgendwo sonst entgegen. In Gordion ist auch der rote doppelhenklige Becher gefunden, der bisher in Troja alleinstand, und ebenso eigenartige Tonwülste mit durchbohrten Enden, die wahrscheinlich Traggriffe gewesen sind. Die bekannte kleine bleierne Relieffigur eines nackten Weibes mit Hängelocken und auf der Brust gekreuzten Händen aus Troja II hat zwei durchaus ähnliche Gegenstücke, beide aus Kleinasien, erhalten *. Ein besonderes Wort verdienen die S ch a tz f u n d e. Von A bis 8 zählen sie im Museum, es sind also 18 Stück. Davon ge­ hören nach dem äußern Befunde sieben sicher zur zweiten An­ siedlung (A, G, J, K, L, N, Q) und die andern unterscheiden sich stilistisch auch nicht von ihnen. Schliemann hat die Be­ ziehung dieser Funde zu den Bauten der zweiten Schicht nicht 1 1. Pcrrot Chipiez V Fig. 209; 2. Dussaud, Civ. preh. S. 365.

klargestellt, weil er die Bauten noch nicht kannte, als er die Schatzfunde machte. Nach ihrem Charakter müssen wir aber annehmen, daß es sämtlich Hausschätze gewesen sind. Gräber, aus denen sie stammen könnten, sind auf der Burg ausgeschlossen, und auch von Heiligtümern, denen man solche Depotfunde sonst so gerne gewidmet denkt, kann in der frühen Zeit nicht die Rede sein. Als Hausschätze bringen sie uns aber ein wundervoll leben­ diges Bild von dem, was wir bei Homer über die Schatzkammern in den Palästen erfahren. Bei Odysseus verwaltet Eurykleia diesen wichtigen Raum. Darin stehen Truhen mit Gewändern und Decken, und daneben Eßvorräte, wie Ol, Wein u. dgl. Menelaos holt den silbernen Mischkessel, den er dem Telemachos als Gastgeschenk verehren will, aus seiner Schatzkammer, und Priamos die reichen Gaben, mit denen er bei Achilles die Freigabe der Leiche seines Sohnes zu erreichen hofft. Wie nun bei Homer sowohl Rohmaterial wie gebrauchsfertige Sachen in den Schatz­ kammern lagern, so sind auch die trojanischen Schätze aus Roh­ material, Halbfabrikaten und völlig fertigen, ja schon vielfach gebrauchten Stücken zusammengesetzt. Das Rohmaterial besteht in Barren und Schmelzkönigen (Schliemann, Ilios S. 542, 550). Halbfabrikate befinden sich im Großen Schatze A in Gestalt von vielgelochten und gekerbten Stangen, die zu Perlen zerschnitten werden sollten (ebenda S. 550 u. 553), und von Hunderten kleiner Öfen, die zu Gliedern von Fuchsschwanzketten bestimmt waren (ebenda S. 554 Nr. 894—897). In Fülle treten die gebrauchs­ fertigen Stücke auf: kupferne Beile und Dolche, silberne und goldene Gefäße, goldene Schmucksachen, als da sind Kopfgehänge, Ohrringe, Armbänder, Nadeln. Wie sorgfältig diese Sachen auf­ bewahrt wurden, zeigt folgende kleine Beobachtung. Mehrfach fiel in den Gefäßen, die die Goldsachen enthielten, ein feines weiß­ liches Pulver auf. Als man es chemisch untersuchte, ergab sich, daß es wahrscheinlich der Überrest ist von feinem Leder, aus dem man sich also Futterale für das glänzende Geschirr denken darf. Ganz eigenartig und stilistisch besonders interessant sind die Kopfgehänge aus dem Großen Schatze. Sie erinnern uns daran, daß wir uns noch in der allerersten Metallzeit befinden, die Schmucksachen der voraufgegangenen Periode aus anderem, ver­ gänglichen Materiale nachzuahmen pflegt. Das eine der Gehänge

will offenbar Schnüre darstellen, die aus Leinen oder Wollfäden bestanden haben müssen und in Knötchen und Quasten endigten; das andere hat sich Häkelarbeit mit Luftmaschen zum Muster ge­ nommen. Es fehlt noch jede Andeutung eines vegetabilischen Motivs, alles ist technisches Ornament. Während solche Stücke ganz auf sich selbst gestellt sind, keinerlei Beziehungen irgendwohin aufweisen, spinnen andere weitgezogene Fäden. Die großen Silbergefäße — die offenbar Mischkrüge sind1 2— gehen zurück auf die „Tulpenbecher" des Michelsberger Stils im fernen Westen; ebenso der konische Silberbecher (Nr. 5866), der auch in die Kamares-Malerei Aufnahme ge­ funden und dort einen Henkel erhalten hat. Die goldene „Sau­ ciere" Nr. 5863 verweist auf die Kykladen, wo solche Gefäße, wenn auch nur mit einem Ausguß, typisch sind (Taf. XXIV 1). Die gedrückt kuglige Silbervase Nr. 5861 hat ebenfalls auf den Kykladen und in Chäronea ihre Parallelen. Das Edelmetall zeigt immer am ehesten fremden Einfluß, kostbare Stücke werden leichter weithin verbracht als alltägliches Geschirr. Ich würde inich nicht wundern, wenn sich eines Tages herausstellen sollte, daß die großen Silbervasen, so wie dastehen, von Spanien nach Troja gebracht wären, grade weil sie von Silber sind, für dessen Lieferung Spanien in jener Frühzeit in erster Linie in Betracht kommt. Aber einigen westeuropäischen Einfluß kann man auch in der troischen Keramik erkennen, so in der Kelle mit Loch im Lappengriff (Abb. 62 s), die auf dem Michelsberge ihre Gegenstücke hat, und in dem geschweiften Becher, der in Troja mit zwei Henkeln ausgestattet ist (Nr. 1822, 1996 ff.). Eine Beziehung, die längst erkannt ist, bieten ein paar merk­ würdige Knochenplättchen mit einer Reihe ovaler Buckel. Zwei davon sind in Troja gefunden (Nr. 7953 f.) und mehrere in Castelluccio auf Sizilien mit der bemalten Keramik des I. sikulischen Stils zusammen'. Natürlich ging die Meinung dahin, daß die sizilischen Stücke von Troja stammen müßten. Sie sind

1 Schuchhardt, Der Goldfund vom Messingwerk bei Eberswalde 1914 S. 48.

2 Bull, di Paletnol.

Schuchhardt, Nlteuropa

Ital. 1892, S. 1 ff.

aber wesentlich feiner gearbeitet als die trojanischen und werden deshalb eher die Vorbilder für diese gewesen sein. Wozu die Plättchen benutzt sind, ist ganz unklar. Als Jmportstücke vom Westen her kommen in Betracht das Bruchstück einer blattverzierten kretischen Steinvase vom KamaresStil (Nr. 7905) und eine thessalische Amphora mit geometrischer Malerei (Nr. 3561), denn da diese Malerei Troja sonst ganz fremd ist, muß das einzelne Stück wohl aus der Fremde gebracht sein. Bedauerlicherweise wissen wir nicht, in welcher trojanischen Schicht es gefunden ist. Wie die troischen Idole als Diminutivbildungen des west­ europäischen Menhirs zu betrachten sind, ist oben (S. 164 f.) schon dargelegt worden. In dieser Entwicklung scheint mir einer der stärksten Beweise zu liegen für die enge Zusammengehörigkeit der kleinasiatischen Küste mit der Kultur des Mittelmeeres. Neben solchen westlichen Beziehungen Trojas stehen die nörd­ lichen. Auch da erhalten wir den besten Anhalt wieder durch das Edelmetall. Im Großen Schatze sind zwei kleine Goldringe ge­ funden, offene Ringe, deren verdickte Enden spiralig übereinander greifen. Schliemann hatte sie für Lockenhalter erklärt. Es sind aber offenbar Ohrgehänge, die vermittelst eines Fadens oder be­ sonderen Ringes am Ohre befestigt waren. Von derartigen „Hängespiralen", wie Hubert Schmidt sie getauft hat *, sind nun in Ungarn und besonders in Siebenbürgen eine ziemliche Zahl ge­ funden, so daß ihre Formenentwicklung und ihre Verbreitung sich wohl erkennen läßt (Abb. 64). Die älteste Form ist die in Troja erhaltene, einfach ringförmige. Nachher werden die Gehänge ovaler, erhalten oben eine Ausbuchtung, um besser auf dem Be­ festigungsbändchen oder -ringe zu halten, und unten eine stärkere Verdickung der Enden. Allmählich winden sich die Enden mehr in die Höhe und rollen sich zur Spirale. Bei den mykenischen Stücken liegt diese Spirale noch innerhalb des Gehängerahmens, bei kauka­ sischen ragt sie hoch darüber hinaus. Damit ist für die Ver­ breitung der Stücke schon einiges angedeutet. Ihre Heimat ist wahrscheinlich Siebenbürgen, das alte Goldland, von da haben sie sich westlich in die frühest metallzeitliche Aunjetitzer Kultur 1 „Troja, Mykene, Ungarn", Ztschr. f. Ethn. 1904 S. 615.

hineingezogen, südlich in die Balkanhalbinscl nach Troja und Myfene und östlich an der Nordküste des Schwarzen Meeres entlang nach dem Kaukasus. Die Keramik zeigt nordischen Einfluß nur in Einzelheiten. Die Gesichtsverzierung am Halse oder Deckel hat ihre Vorstufe an der Donau. Bei Belgrad (Vintscha) sind mehrfach Gefäße ge­ funden, die schon Augen und Vogelnase andeuten. In der Ver­ zierung weicht die in Troja I herrschende großlinige Einritzung

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Abb. 64. Goldene Hüngespiralen aus Troja (a), Ungarn (b, c), dem Kaukasus (d) und Mykene (e, f). Nach Hubert Schmidt. Vi stark zurück. Einige Gefäße zeigen Umschnürungsmotive wie die Kanne Abb. 62 k, die in Form und Verzierung merkwürdig an den umflochtenen Kürbis oben Taf. IX 7 erinnert. Manche mit ganz dichter Ornamentik, wie die schöne schlanke Kanne Nr. 2458, sind ohne Einwirkung der mitteleuropäischen Schnurkeramik Wohl kaum denkbar. Als besonderes Kulturmomrnt muß hervor­ gehoben werden, daß mitten in Troja II, und zwar in seiner 2. Periode, die Töpferscheibe auftritt \ Eine grobe Gattung von 1 Hub. Schmidt, Katalog von Schliemanns Sammlung trojanischer Alter­ tümer S. XIII.

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Achtes Buch.

Troja, Mykene, Homer

gelben Tellern, Tassen und Kannen zeigt die deutlichen Dreh­ linien. Dadurch ändert sich auch manches in der Verzierung; die Horizontallinien treten in den Vordergrund, aus dem Zickzack wird die Wellenlinie. Da die Töpferscheibe in West- wie in Nordeuropa noch viele Jahrhunderte, ja im Norden noch rund zwei Jahrtausende nach Troja II unbekannt bleibt, kann ihre Einführung nur an der kleinasiatischen Küste entlang, also wohl von Ägypten her erfolgt sein. Wie koinnit nun in diese Kultur von Troja II mit ihrer stark kleinasiatischen Färbung und ihren weit mehr ägäischen als donauländischen Beziehungen der nordische Palast? Antwort: er muß schon zur Zeit von Troja I gebracht sein, auf dem Wege, den die älteste Keramik von Thrakien und Makedonien her weist. Die neuen Ankömmlinge brachten damals ihren gewohnten Haus­ rat mit, tauchten dann aber immer mehr in die höher stehende Kultur von Kleinasien und dem Jnselmeere ein und besaßen so in Troja II als einziges festes Stück nur noch ihre alte Haus­ form. Wenn man die jetzt freiliegende Oberfläche von Troja II später nach ihrer völligen Verwitterung einmal wegräumt, um Troja I aufzudecken, wird man dort wohl schon dieselben Häuser finden wie im thessalischen Dimini. Für die D a t i e r u n g der zweiten Burg von Troja haben wir einigen Anhalt. Viele Fundstücke, wie die Schnurösengefäße und die kyprischen Dolche, verbinden sie mit der frühen Kykladenzeit, die der kretischen Kamares-Malerei (um 1900 vor Chr.) vorauf­ liegt. Einige unscheinbare Stücke, Knopfsiegel mit Verzierungen', die man früher für Inschriften halten wollte, führen aber den Faden über Kreta in bestimmt datierte Schichten von Ägypten. Sie sind in Kreta in den Schichten gefunden, die Evans als 3. frühminoische und 1. mittelminoische bezeichnet, und in Ägypten in Schichten der VI. Dynastie, d. i. (nach Ed. Meyer) der Zeit um 2500 vor Chr. Auch die hochrote Keramik, die Troja mit Ägypten gemein hat, wird hier in das 3. Jahrtausend gesetzt. So kommen wir für Troja II mit seinen drei Bauperioden rund auf die Zeit von 2500—2000 und die folgenden Siedlungen III—V, die sich noch mit der Kamares-Malerei berühren und bis zum 1 Schliemann, Ilios S. 626 Nr. 1212 ff.

Mykenischen reichen, würden rund von 2000—1500 anzu­ setzen sein. Diese Datierung wirkt dann nach Westen und Norden fort. Troja II entspricht die 1. sikulische Periode, die älteren Terramaren Italiens und El Argar in Spanien. Auch sie sind also zwischen 2500 und 2000 anzusetzen. Ihnen allen voraus liegen aber die Glockenbecherstationen von Palmella und Ciempozuelos in Spanien, Anghelu Ruju auf Sardinien und Remedello in Italien; sie stehen gleich der bemalten Keramik von Thessalien und den Karpathen, sowie weiterhin den jüngeren Megalith­ gräbern des Nordens und erhalten ihr Datum durch die ägyp­ tischen Dynastien I—V, d. i. die Zeit von 3300—2500. Troja III—V sind offene Siedlungen mit ärmlichen Häusern aus dünnen Mauern. Was an Inventar diesen Perioden zuzu­ weisen ist, läßt sich von dem Troja II angehörigen nicht klar ab­ scheiden. Es ist nur zu vermuten, daß gewisse keramische Eigen­ tümlichkeiten hierher gehören, die sich von dem sichern Gut der zweiten Burg entfernen und überleiten zum Mykenischen. Dahin gehört z. B. die Deckelbüchse Abb. 62 h, i mit ausblühender Spi­ ralverzierung und dicken Punkten, wie sie auf Malta und Kreta vorkam, dann ein zierlicher Untersatz, mit rehbraunem Urfirniß überstrichen (Abb. 62 g), einige Schalen mit einem roten Kreuz in derben Pinselstrichen eingemalt. Erst die VI. Schicht (vgl. Abb. 63), bei Schliemanns letzten Ausgrabungen 1890 angeschnitten und nach Schliemanns Tode (26. Dezember 1890) von Dörpfeld, soweit sie erhalten war, freigelegt, ist wieder eine feste Burg mit stattlichen Mauern und großen Häusern und zwar nunmehr eine rein mykenische. Sie hat über den Schichten II—V aus deren Schutt ein neues, be­ trächtlich erweitertes Planum angelegt und ihren Mauerkranz somit in weitem Gürtel außerhalb dem der zweiten Burg ge­ zogen. Ihre ganze Mittelpartie ist aber nicht mehr vorhanden, weil in diesem Teile die spätere Bebauung, die griechische und besonders die römische, so tief hinuntergegriffen hat, daß sie die mykenische Schicht zerstörten. Da Schliemann die längste Zeit nur in dieser Mitte, im Bereiche von Troja II, gegraben hat, ist er auf das Originalmykenische gar nicht gestoßen, sondern hat als VI. Schicht eine der mykenischen vergesellschaftete feine graue

Keramik, die er lydisch nannte, gerechnet. Erst von 1890 an ist der breite Gürtel zwischen Burgmauer II und VI, der das Mykenische noch enthielt, freigelegt worden. Hier hat sich dann eine neue Burgmauer aus schöngehauenen Quadern ergeben, große Häuser, zum Teil von ausgesprochenem Megaron-Typus, davon eines mit drei Säulen in der Mitte der Längsachse, sind erstanden, und an Kleinfunden ein zwar spärliches, aber sehr bezeichnendes Hausinventar der späteren mykenischen Zeit: Tassen, Becher, Trichter und Bügelkannen von feingelblichem Tone mit flüchtig aufgemalten Spiralen oder Andeutung von Gewächsen, ein Elfen­ beinkamm, auch ein paar Goldfunde mit Rosetten u. dgl. Hier und da ist in dieser VI. Schicht ein Gebäude verbrannt, aber im ganzen ist sie von den Nachfolgern übernommen worden. Der mykenische Stil, den wir in Troja finden, ist nicht frühmykenisch, er ist jünger als die Schachtgräber von Mykene, die in das 16. oder 17. Jahrhundert gehören. Man wird ihn in das 15. und 14. Jahrhundert zu setzen haben. Die VII. Schicht führt zunächst die graue Ware, die es schon in der VI. gab, fort, dann tritt in ihr eine ganz neue auf mit Buckeln und Hörnern und abgeschrägten Rändern, die Hubert Schmidt wohl mit Recht den Kimmeriern zugewiesen hat, die im 8. Jahrhundert einen Einfall in diese Gegenden gemacht haben. Die Keramik weist zurück auf Ungarn und in letzter Linie Schle­ sien, so daß die Herkunft der Kimmerier aus den Donauländern damit angezeigt wäre. Mit der VIII. Schicht treten dann die Griechen, mit der IX. die Römer in Troja auf. Ein Stück Weltgeschichte der Vorzeit hat sich an dieser durch Homer uns gewiesenen und durch Schliemanns Homervertrauen wieder erschlossenen Stätte von Troja abgespielt. Wir sehen sie zunächst besetzt von einem Volke kleinasiatischer Kultur. Hinzu treten dann Elemente aus dem Westen und anscheinend ein Herrenvolk aus dem Norden. Wir sehen sie zunächst in engen Beziehungen mit Thrakien und Makedonien und begegnen noch in der zweiten Stadt einer für das Mittelmeer ganz neuen nor­ dischen Hausform. Allmählich haben die Zuwanderer sich aber in die einheimische Kultur eingewöhnt und sie zu hoher Blüte gebracht. Die zweite Siedlung, die bedeutendste, die Troja erlebt

Mykene

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hat, ist offenbar gewaltsam zerstört worden, und erst nach langer leerer Zeit ist ihr eine mykmische Burg gefolgt. Von da an bleibt die Verbindung mit dem griechischen Boden, abgesehen von dem kurzen Kimmerier-Jntermezzo, bestehen. Die Römer schätzen den Punkt nachher so hoch ein, daß Cäsar daran dachte, seine Resi­ denz nach Ilion zu verlegen, gewiß nicht bloß aus sentimentaler Begeisterung für die schmeichlerisch erfundene Sage, daß sein Julisches Geschlecht von Ilion stamme, sondern in realer Vorahnung der Rolle, die dieser Platz an den Dardanellen zu spielen berufen fei. Die spätere Geschichte von Byzanz hat seinem Fühlen Recht gegeben.

Mykene Die mykenische Kultur tritt uns in den Schachtgräbern der Agamemnon-Stadt schon in einem ganz fertigen Stile entgegen. Und doch sind die Schachtgräber das älteste, was dieser Stil bisher geliefert hat. Die Tholosbauten und alle Paläste sind jünger. Es ist einer der größten Glllcksfälle der Wissenschaft, daß uns das Frühmykenische gleich in einer zeitlich so geschlossenen Masse und in einem Reichtum an Material und Motiven, wie ihn kein anderer Fund der Welt wieder vor Augen stellt, beschert wurde. Schliemanns Weltruhm wäre schon wohlbegründet, wenn er nur den trojanischen und den mykenischen Goldschatz zu Tage ge­ fördert hätte. Die Schachtgräber von Mykene sind tombe a fossa, angelegt in einem umhegten offenen Rund, in dem Stelen auf den einzel­ nen Gräbern standen. Das Schachtgrab ist im Mittelmeere ge­ bräuchlich, das offene Rund ist alte westeuropäische Übung (Stone­ henge), die Stelen haben sich aus den dortigen Menhirs entwickelt. Die Leichen lagen aber in Mykene nicht mehr als Hocker, sondern gestreckt. Darin scheint sich schon ein nordischer Einfluß zu zeigen. Die Paläste der mykenischen Kultur verhalten sich wie in Tvoja. Sie sind das nordische Einhaus mit Vorhalle, und es zeigt sich nun, wie dieser Typus viel unbeholfener, viel weniger entwicklungsfähig ist als das mittelländische Hofhaus. Während man in Kreta um den Hof herum das Hufeisen von Wohnräumen nach Belieben ausgestalten, bei Vergrößerung des Hofes immer

mehr Zellen gestaffelt, mit Lichtfchachten dazwischen, anlegen kann, baut man, wie in Tiryns, so wie vorher schon in Troja, ein Megaron neben das andere und hat Mühe, durch Nebenräume und Korridore dem weiteren Bedürfnis und der Verbindung zu helfen.

Abb. 65.

Die Burg von Tiryns mit dem großen Rundbau in der Unterschicht

In Tiryns liegt 2 m unter dem mykenischen Palaste ein riesiger Rundbau von 16% m Durchmesser. Er konnte bisher nur in Teilen festgestellt werden, da wo ein Hof oder die größere Fläche eines Jnnenraums der Oberschicht eine Tiefgrabung zuließ. Der Rundbau liegt genau in der Mitte der natürlichen Bergfläche und der mykenischen Burgmauer. Er muß das Hauptstück der vormykenischen Bewohnung dieser Stätte gewesen sein und ist

damit das Siegel, das schon die altmittelländische Kultur auf sie gedrückt hat. Bei den Grabungen in der Schicht dieses alten Rundhauses ist auch eine vormykenische Keramik zutage gekom­ men, in der die Sauciere der Kykladen, die in der goldenen von Troja ihr Gegenstück hat, die Leitform bildet (Taf. XXIV 1). Diese Unterschicht von Tiryns steht also gleich mit Troja II, hat aber noch nicht den dortigen nordischen, sondern noch den runden altmittelländischen Palast. In ihr sind auch verschiedentlich Hockergräber zutage gekommen. Wir befinden uns also noch völlig in altmittelländischer Kultur, wo man die ausgestreckte Leiche nicht kannte und das Bestatten innerhalb der Siedlung erlaubt war. Die mykenischen Paläste von Mykene und Tiryns zeigen sich gegenüber dem trojanischen fortentwickelt. Sie haben zwei Borräume und verwenden Säulen sowohl in der Front zwischen den Anten wie im Innern um den Herd, dort zwei, hier vier. Die Säulen um den Herd sind bisher immer aufgefaßt worden als Träger eines basilikalen Oberbaues im Dache. Ich glaube, mit Unrecht. Wenn bei dem säulenlosen trojanischen Megaron not­ wendig ein nordisches Giebeldach anzunehmen war, so wird sich dasselbe auch auf das mykenische vererbt haben. Bei Homer haben wir ein untrügliches Zeugnis für die Dachkonstruktion im Hause des Odysseus. Als der Angriff gegen die Freier sich vor­ bereitet, fliegt Athena wie eine Schwalbe auf den Dachbalken *, um von da der kommenden Szene zuzuschauen. Das Megaron hatte also einen offenen Dachstuhl. Es wäre auch nicht einzu­ sehen, woher der spätere griechische Tempel sein Giebeldach haben sollte, wenn das mykenische Megaron, aus dem er sich in allem entwickelt hat, es nicht gehabt hätte. Die Mittelstützen sind bei der großen Spannweite des Raumes für die Zugbalken nötig; sie finden sich in der Mittelachse gereiht ja auch zuweilen bei alten Tempeln (Lokri, Thermos, Paestum)1 2, ohne daß man diesen darum jemals das Giebeldach abgesprochen hätte. Die Säule aber, die beim trojanischen Palaste noch fehlte, während sie in Thesialien (Sesklo und Dimini) nach dem Aus1 Odyssee 22, 239. 2 Springer-Wolters S. 164, 168, 170.

Weis Von Pfostenlöchern schon vorn und im Innern verwendet war, hat im mykenischen Kreise die kretische, von Westeuropa her beeinflußte Form angenommen: sie verdickt sich nach oben und hat statt des Kapitells mehrere flache, nach oben zu immer größer werdende Auflager. Diese Form ist aus der beim Gewölbebau häufig verwendeten Mittelstütze entstanden, die sich nach oben möglichst erweitern mußte, um den von den Wänden her vor­ kragenden Platten entgegenzukommen (s. oben Abb. 37).

Abb. 66.

Sog. Atreusgrab in Mykene 1 : 600

Auch die Grabform, welche mit den Megaronhäusern von Mykene und Tiryns zusammengehört, ist westeuropäisch. Es ist die große Tholos, eine bienenkorbförmige Kuppel in sog. falschem Gewölbe unterirdisch im Bergabhang angelegt und mit einem langen von wohlgefügten Wänden flankierten Zugänge (Dromos) versehen (Abb. 66). Diese Bauart haben wir stein- und kupferzeit­ lich in Portugal und Spanien kennen gelernt und vormykenisch aus Kreta wiedergetroffen. Bei einigen mykenischen Tholen ist neben dem großen runden Raum eine kleine rechteckige Grabkam-

mer angefügt, so beim sog. Atreusgrabe in Mykene und dem Kuppelgrabe von Orchomcnos. Das ist der letzte Rest der Sitte, die einst zahlreiche solche Kammern um den Hauptraum legte, in Sardinien (Anghelu Ruju), in Etrurien (Vulci), auf Malta (Hal Saflieni). Die Front der königlichen Tholen in Mykene pflegt reich gegliedert zu sein. Über dem Türsturz ist regelmäßig ein Dreieck ausgespart, das mit einer großen Steinplatte geschlossen wird. Derselben Erscheinung begegnen wir auch beim Löwentore der Burg. In dieser Konstruktion liegt eine Erinnerung an die alte allgemein übliche Zuwölbung jeder -Öffnung mit vorkragenden Platten. Umgekehrt scheint mir aber links und rechts von der Tür -eine Reminiszenz an nordische Bauweise aufzutreten. Dort wächst je eine Halbsäule aus der Wand heraus. Sie ist mit großem Zickzackschmuck verziert, hat ein großes Wulstkapitell und hilft den Türsturz tragen. Vergegenwärtigt man sich, wie Homer bei der Mauer des griechischen Schiffslagers von otvjXat -poßkr^rs; *, von vortrctenden Pfeilern spricht und denkt man an die Haus­ wände des neolithischen Nordens mit ihren lehmverstrichenen Pfeilerwänden, in denen die Pfeiler nach außen sich gewiß ebenso bemerkbar machten, wie sie es noch heute bei den ganz gleich ge­ bauten Häusern der Balkanbevölkerung tun, so wird man kaum zweifeln, daß die Halbsäulen der mykcnischen Tholen auf jene alten Holz- und Lehmbauten des Nordens zurückgehen'. Der B u r g e n b a u , d. h. die Sitte, für den fürstlichen Wohnsitz eine Bergfeste anzulegcu, in der zur Not auch Teile des Volkes Zuflucht finden können, ist mehr im Norden als im Mittel­ meere zu Hause. Wir finden sie mit der von Mitteleuropa kom­ menden Keramik sowohl in Thessalien (Sesklo und Dimini) wie nördlich der untern Donau (Cucuteni, Schäßburg, Erdösd), und die Zwischenglieder von da zurück nach der oberen Donau und dem oberen Rheine hin haben sich auch schon an verschiedenen Stellen bemerkbar gemacht. Vintscha bei Belgrad und Lengyel in Süd1 Ilias 12, 259. Auch die Mauern der Königsburg des Alkinoos sind axokoirssGiv ap-f^pora, durch Pfeiler gefestigt (Cb. 7, 45). 3 Wenn ich nicht irre, hat Dr. Kiekebusch zuerst auf diesen Zusammen­ hang hingewiesen, Prähist. Ztschr. IV 1912, 165.

Ungarn sind solche. Auf Kreta und Malta dagegen gibt es keine einzige Burg, die dortigen Fürstensitze sind ummauerte Paläste in flachem Gelände. Nur auf Pantelleria ist eine sehr stattliche Burg und in Spanien eine Reihe kleinerer. So ist die Burg­ anlage im mykenischen Kreise wohl sicher vom Norden gebracht, aber die Art, wie sie ausgeführt wird in einem Mauerbau aus mächtigen Steinblöcken, ist doch wieder mittelländisch, das haben die nordischen Ankömmlinge erst im Süden gelernt. Auf ihrem Wege die Donau hinunter haben sie in Holz und Lehm gebaut und auch in Thessalien nur kleine Steine verwendet. Im Mittel­ meere dagegen herrscht gemäß der felsigen und holzarmen Natur der Länder von Anfang an der Steinbau. In Spanien sehen wir ihn noch ziemlich bescheiden beginnen, in Malta werden schon Steine von 6 m Länge und 2 m Breite verbaut. Kreta fährt fort wie Malta eine schwere Orthostatenschicht als Basis zu legen. Die mykenischen Burgen haben dem gegenüber ein gleichmäßigeres Mauerwerk. Wie sie bei den Tholen gleich unten mit liegenden Quaderschichten beginnen, so tun sie es auch bei den Burgmauern. Die mächtigste Mauer dieser Art ist die von Tiryns. Sie ist 5—17 m dick und enthält auf einigen Strecken Galerien, die in falschem Gewölbe oben spitzbogig geschlossen sind. An mehreren Stellen springen große Klötze turmartig ein wenig vor. Es geht aber kein Tor durch solch einen Turmklotz wie in Troja. Die Tore sind vielmehr in Tiryns und in Mykene ganz anders an­ gelegt. Während sie in Troja und ebenso auch in Thessalien und an der oberen Donau und dem oberen Rhein senkrecht zur Mauer­ flucht in einer Linie glatt hindurchführen, legt sich in Tiryns und in Mykene das eine Ende der Burgmauer parallel vor das andere und zwischen dieser Enge hindurch führt der Eingang. Dadurch wird der Angreifer in die unangenehme Lage versetzt, schon bevor er das Tor selbst erreicht, ein ganzes Stück an der von den Verteidigern besetzten Burgmauer entlang gehen zu müssen und zwar mit seiner unbeschildeten rechten Seite der Mauer zu­ gewendet. Auch diese raffinierte Anlage scheint demnach eine Er­ findung des alten Südens zu sein. Wir können über ihre Ent­ stehung aber näheres bisher nicht erkennen und erweisen, weil die wenigen Burgen dort noch kaum von der Forschung be­ rührt sind.

Mykene

221

Sehen wir in all diesem Baulichen auf Schritt und Tritt das Nordische mit dem Südlichen sich mischen: wie die Grabformen südlich sind, aber die Bestattungsart als gestreckte Körper nordisch, der Palast wiederum nordisch, aber mit einer südlich geformten Säule, die Burganlage an sich nordisch, aber in ihrer technischen Ausführung südlich — so wird es uns nicht Wundernehmen, wenn auch in der Kleinkunst, den Grabstelen, der Keramik und den Metallgeräten, ähnliches uns entgegentritt. Kreta und die Kykladen einerseits, die Donau und der Norden anderseits haben auch dieser Kunst Pate gestanden. Auf den ersten Blick freilich scheint der südliche Charakter zu überwiegen, weil die bildlichen Darstellungen, die die Grabstelen und viele Metallarbeiten, be­ sonders die Dolchklingen, bieten, auf das Auge mehr Eindruck machen als hundert einfach verzierte Töpfe daneben. Und doch werden wir, je mehr die steinzeitliche Keramik der untern Donau bekannt wird, uns immer weniger sträuben dürfen, zuzugestehen, daß ihre überraschend feine Herstellung mit dem gutgeschlemmten Ton, dem ausgezeichneten Brand, der Bemalung erst bloß in Weiß auf monochronem Grunde, dann auch in mehreren Farben, be­ sonders Gelb und Schwarzbraun — daß dies alles das Vorbild für die mykenische Keramik abgegeben hat, die damit als eine Tochter der thessalischen und karpathischen erscheint. Im Frühmykenischen der Schachtgräber tritt das kretische Element stärker hervor als später. Es wird richtig sein, was schon oft ausgesprochen ist, daß unter dem Schachtgräberinventar ziemlich viel kretische Stücke oder jedenfalls Stücke kretischen Stils sich befinden. Ohne Besinnen werden wir das heute von den sog. Tempelchen aus Goldblech sagen, die dreiteilig mit überhöhtem Mittelstück den Querschnitt des kretischen und überhaupt mittelländischen Hof­ hauses darstellen (s. oben Abb. 44). Eine mykenische Hausfront müßte ganz anders aussehen, hat sie doch stets Vorhalle und ziemlich sicher auch ein Giebeldach gehabt. An Tempel ist bei den Darstellungen gar nicht zu denken, denn Tempel hat es im kreti­ schen und auch im mykenischen Kreise noch nicht gegeben. Die gehörnten Opferschalen, die auf den verschiedenen Dachteilen des Bauwerkes stehen, können immer nur ein Herrenhaus als fromm und gottesfürchtig bezeichnen wollen.

Die Keramik tritt in den Schachtgräbern sehr zurück; es herrschen die vornehmen Gefäße aus Gold und Silber. Beide aber, die Ton- und die Metallgefäße, zeigen durchweg süd- bezw. west­ europäische Formen. Häufig sind unter den Goldgefäßen die

b

c Abb. 67. Gefäße aus den mykenischen Schachtgräbern a Ton, Grab VI, b, c, d Gold, Grab VI, ’/3

konisch geschweifte Tasse (Abb. 67 c)1 und der elegante Pokal mit hohem Fuße (Abb. 67 b)2, deren Weg von Spanien über Kreta wir verfolgt haben. Der Bootnapf mit kugligem Boden von Spanien und den Kykladen kommt ohne und mit Fuß in Gold,

303.

1 Schuchhnrdt, Schliemanns Ausgrabungen! 1891, S. 242, 247, 281 - Cbd. S. 304, 320.

Silber und Alabaster vor (Abb. 67 d)1. Die birnförmigen Am­ phoren und Kannen mit starker Einschnürung über der Schulter, die in den Schachtgräbern zuerst auftreten (Abb. 67 a)' und später im Mykenischen so sehr beliebt geworden sind, dürften auch über Slreta (s. oben Taf. XXIV 5) aus dem westeuropäi­ schen Michelsberger Stile stammen. Die gedrückt kuglige kleine Amphora von den Kykladen ist in mehreren Tonexemplareu vor­ handen (Abb. 68 b)3 und ebenso die Schnabelkanne (Abb. 68 a). Die Ornamentik der Schachtgräber steht wie später nichts Mykenisches wieder unter dem Zeichen der Spirale. Besonders auf den Grabstclen, auf Goldbändcrn und den kleinen Gold­

scheiben wird sie höchst kunstvoll bis zu ganz komplizierten Formen gebracht. Auf einer der Stelen wird sie in verschiedener Aus­ prägung, als Brillenspirale, als einfache Hakenspirale, als laufende Spirale zur bloßen Füllung des Raumes, der zwischen den Fi­ guren einer Fahrszene verbleibt, benutzt3. Ein paarmal blüht die Spirale aus zu vegetabilischen Ge­ bilden, so daß wir lebhaft an Malta und Kreta erinnert werden. Das monumentale Beispiel ist die Alabasterdecke der Grabkammer zu Orchomenos mit ihren Spiralen, aus deren Zwickeln Palm­ wedel hervorwachsen, und eine ganz entsprechende Wandmalerei aus dem Tirynther Palaste (Abb. 69 a). Im Rahmen einer 1 Schuchhardt, Schliemanns Ausgrabungen 2 1891, S. 282, 284, 285. 2 Ebd. S. 221, 288, 313. 3 Ebd. S. 244, 310. 4 Ebd. S. 314. 5 Schuchhardt S. 203.

Grabstele wird die Spirale zu einer sprossenden Ranke', auf einer Tonscherbe zu einer Art Alge (Abb. 69 b)' auf der kleinen Taffe Abb. 68 b ist die Spirale selbst schon aufgegeben, ihr großes rundes Auge ist mit einem Palmwedel gefüllt und die Füh­ rungslinie geht abwechselnd einmal oben, einmal unten um diese Augen herum, ganz wie gelegentlich im Cucutenistile. In den Zwickeln zwischen dieser Linie und den Augen sind große runde Punkte angebracht, die wir auch schon von Malta

a Abb. 69.

Spiralverzierung, a ans dem Palaste von Tiryns, b von einer

Tonscherbe aus dem 4. mytenischen Schachtgrabe

und Kreta her kennen. Ein ganz ähnliches Ornament trägt ein goldenes Band aus dem zweiten Grabe3. Auch da sind aus den Spiralrollen Kreise geworden, und gefüllt sind sie jedesmal mit einer Rosette, die aber alle ihre Strahlenblätter zur Seite biegt, gleich als ob sie die wirbelnde Bewegung des alten Spirallaufes mitmachen wollte. In den Zwickeln stehen dieselben runden Punkte4. Nur in diesen wenigen Fällen ist das Herauswachsen des ' Schuchhardt S. 205. * Ebd. S. 287. » Ebd. S. 248 rechts. auch die Stücke Schuchhardt S. 212 und 213 Mitte, 266 267, 297.

4 Vgl.

Kreises und der Rosette aus der Spirale in Mykene zu erkennen. Die weiteren Stücke, welche Kreise, mit Buckeln oder Rosetten gefüllt, oft dicht gedrängt verwendeten, haben diese Kreise immer ohne verbindende Linie frei nebeneinander stehen. Es scheint darnach, daß diese ganze Kreis- und Rosettenverzierung aus einer ursprünglichen dichten Spiralbedeckung des Grundes hervor-, gegangen ist, wie sie der obere Teil der Grabstele (Schuchhardt S. 203) sowie verschiedene Goldsachen bieten. Die Spirale erscheint damit nur um so mehr als die Mutter der wichtigsten altmykenischen Ornamentmotive. Wo und wie sie selber entstanden ist, bleibt nach dem, was wir bisher von ihr er­ fahren haben, noch eine offene Frage. In Spanien und Frank­ reich trat sie so gut wie gar nicht, auf Malta, Kreta und den Ky­ kladen in der frühen Bronzezeit nur spärlich, nebenbei auf und immer einfach und wenig kunswoll geführt. Auch in Ägypten kommt sie in vordynastischer Zeit wohl vor, aber auch spärlich und immer als einfache, nicht doppelte Linie. Im Donaukreise dagegen fanden wir sie steinzeitlich schon als Hauptelement in die Keramik ausgenommen. Im nordischen Kreise werden wir ihr zur Bronzezeit wieder begegnen und dann einige Aufklärung über ihre Entstehung erhalten. Es möge also hier die Feststellung ge­ nügen, daß sie im Süden vormykenisch nur einfach und nebensäch­ lich behandelt wird und erst im Mykenischen die reiche Pflege er­ fährt, wie in der voraufgehenden und gleichzeitigen Kultur des Nordens. Gegen die Spirale treten die andern Ornamentmotive frühmykenisch sehr zurück. Auf einer Goldtasse*1 findet sich das „Fisch­ grätenmuster", in Wirklichkeit das Motiv der gegeneinander ge­ flochtenen Fäden, das auf den Kykladen so sehr beliebt war; sonst ist dies Motiv, fei es stehend oder liegend, immer schon wie in Malta und Kreta zu der Ranke mit gegenständigen Blättern geworden (s. oben Taf. XIX 2)2; und ebenso hat die diagonale Linienkreuzung, die wir vom Norden her die Donau herabziehen sahen, sich in einen vierteiligen Blattstern verwandelt2, bei dem das einzelne Blatt zuweilen sogar mehrteilig wird. 1 Schuchhardt S. 247. ’ Ebd. S. 267, 281. 1 Ebd. C. 217, 224, 225, 290. bchuchhardr, Alteuropa

Vgl. unsere Abb. 70 a.

Was mit diesen paar Beispielen sich in den Schachtgräbern eben erst anbahnt, daß nämlich neben der Spirale auch die gerad­ linigen Muster ins Pflanzliche hinübergezogen werden und damit gewissermaßen eine Seele erhalten, das entwickelt sich in der spä­ teren mykenischen Keramik bald kräftig weiter und treibt oft ori­ ginelle Blüten. Schon in den Schachtgräbern waren in der Ver­ zierung der Gefäße und Geräte zwei Richtungen zu unterscheiden, eine naturalistische und eine geometrische. Die naturalistische stellt auf den Dolchklingen und den Ringen ganz lebendige, der Natur abgelauschte Bilder dar und fügt nicht einmal einen linearen

Abb. 70.

Myktnische Scherben.

Nach Furlwängler-Loeschcke

Rahmen oder ein Füllmotiv hinzu; die geometrische Richtung ver­ wendet ebenso ausschließlich lineare Motive, und zwar kommen immer mehr diejenigen zur Herrschaft, die mit der nordischen Keramik durch Slavonien gewandert sind: die breiten Horizontalund Vertikalbänder, die Rautenkette, die Dreiecksreihe, die Fisch­ gräte. Dabei beginnen aber diese starren, eckigen Muster sich zu erweichen. Sie quellen auf, werden bogig, rundlich, bekommen Auswüchse, die sich rollen, oder werden blatt- und blütenähnlich. Eine besonders reiche Entwicklung hat die Diagonalkreuzung des Vierecks genommen. Die in ihm gegeneinanderstehenden Dreiecke

werden zu Halbkreisen, die Halbkreise werden mit Bogen gefüllt, oder die Zwickel zwischen ihnen werden es (Abb. 70). Dann er­ wächst in der Füllung auch eine Palmette, das breite Vertikalband, das die gekreuzten Vierecke voneinander trennte, bekommt Punktund Rosetteneinlagen, und ehe man sich's versieht, ist das schöne Muster des Tirynther „Kyanosfrieses" fertig (Abb. 71). Oder das Rautenband: die seitlichen Ecken der Rauten bekommen Schwänze, die sich wie kleine Weinfäden nach auswärts oder nach einwärts rollen. Je nachdem entstehen lilienartige offene Blüten oder unbestimmte Knospen, die eine an der andern hängen und das Rautenband, dem sie ihr Dasein verdanken, ganz verleugnen (Abb. 72). Bei dem liegenden Rautenbande bekommen schließlich

Abb. 71.

Alabasterfries aus Tiryns. Nach Törpfeld

die oberen Ecken einen Entenkopf und die untern ein paar Füße, so daß eine Schar munterer Vögel im Gänsemarsche dahin zu ziehen scheint (Abb. 73). Es ist ganz klar, den nordischen geradlinigen Zieraten ist es ebenso ergangen wie vorher den spiraligen: der Gestaltungs­ trieb der Mittelmeerleute hat sich auf die Dauer nicht mit ihnen befreunden können, er hat sie hinübergezogen in den Kreis des Lebendigen, hat aber nicht naturgetreue Bildungen aus ihnen gemacht, sondern gaukelt nur mit dem Liniensystem uns phanta­ stische Halbwesen vor. Damit zeigt sich in dem ganzen Gebaren der mykenischen Ornamentik eine treue Fortsetzung des KamaresEmpfindens und Gestaltens. Im Norden haben wir in den vor­ ausliegenden Zeiten dergleichen nie gesehen, auch nie das Bestreben

gefunden, zur Verzierung etwa ein Bild zu schaffen. Das einzige, was die dortige Kunst nach dem organischen Leben gebildet hat, sind die kleinen plastischen Tier- und Menschenfiguren im Donau­ kreise. Im Süden dagegen weist die paläolithische Höhlenkunst auf eine große natürliche Begabung der dortigen Bevölkerung für Beobachtung und figürliche Gestaltung, so daß die ähnliche

Abb. 72.

Mykenische Scherben.

b

a Abb. 73.

Nach Furtwängler-Loeschcke

Mykenische Scherben.

Nach Furtwängler Locschcke

Betätigung in späterer Zeit nur als ein kräftiges Wieder­ ausschlagen der alten Wurzel erscheint. Die Mischung im Mykenischen ist also gewiß dahin zu analysieren, daß das Bildliche vom Süden, das Linienornament im wesentlichen vom Norden stammt. Die rein bildlich verzierten Stücke, wie die Dolchklingen mit der Löwenjagd, mit den Enten im Schilf, die von Wildkatzen beschlichen werden, oder die Goldringe mit den drei stehenden

Frauen, die eine sitzende verehren, und mit den vielerlei Kampf­ und Jagdszenen, sind es denn auch gewesen, die man immer in erster Linie und vielleicht nicht mit Unrecht für Jmportstücke aus Kreta ansehen wollte. Es kommt nicht viel darauf an, ob sie wirklich in Kreta angefertigt sind oder von kretischen oder kretisch geschulten Goldschmieden in Mykene. Die Hauptsache ist, daß sie mit vielem andern in Mykene völlig kretischen Stil haben. Außer im Stilistischen sehen wir Nord und Süd noch in einigen handgreiflicheren Dingen nebeneinander stehen. Auf bem großen Goldringe tragen die Frauen nur den Rock, ihr ganzer Oberkörper ist unbekleidet, wie bei den liegenden kleinen Figuren

Abb. 74.

a Großer Goldring aus Mykene, b Siegelabdruck aus Knossos

Beide in doppelter Größe.

Nach Evans

auf Malta. Tas Toppeibeil spielt in Mykene noch eine ähnliche Rolle wie in Kreta, es steht auf einem Vasenbilde und bei Gold­ blechen 1 deni Stierkopfe zwischen den Hörnern. Auch die kreti­ schen Stierspiele sind vorhanden, wie das bekannte Wandbild von Tiryns zeigte Eine Aufklärung erfahren durch den Rückblick auf die Entwicklung im Mittelmeere die Idole, die mit ihrem ent­ weder rundgehaltenen Rumpfe oder lünettenförmig erhobenen Armen von Schliemann für Sinnbilder der Mondgöttin angesehen wurden. Sie stammen von den kleinen auf einen Sockel gesetzten Pfeilern (s. oben Abb. 46) und befinden sich immer noch im Übergange zu völliger Menschenähnlichkeit. Es ist — wohl zn 1 Schliemann, Mykenä S. 252. • Schliemann, Tiryns Taf. XIII.

beachten! — keines von diesen Idolen in den Schachtgräbern gefunden, sie stammen alle aus der Siedlung, und es ist auch sonst kein Grund vorhanden, sie eher für Götter- als für Ahnenbilder zu halten. Die Grenze zwischen Götter- und Ahnenbildern wie überhaupt zwischen Götter- und Ahnenverehrung läßt sich in dieser frühen Zeit noch schwerer ziehen als später. Neben den massenhaften sog. Idolen gibt es nur wenige sichere Götter­ gestalten, so die lanzenbewehrte auf dem großen Goldringe und einer bemalten Tontafel von Mykene, eine nackte männliche mit Speer auf einem Jnselsteine 1 und die von Löwen flankierte Berggöttin ebenfalls auf einem Jnselsteine (Abb. 74 b). Im letzteren Falle erscheint auf dem Berge oder Steinhaufen, der zu Zeiten des bildlosen Kultes für sich allein das Heiligtum darstellt, die Göttin in lebendiger Menschengestalt, in den anderen Fällen steht sie in der Luft oder auf der ebenen Erde (Dontafel Mykene). Daraus erklärt sich, daß wir in diesen Göttergestalten niemals ein starres totes Bild vor uns haben, sondern eine bewegliche, lebendige Erscheinung. Auf dem Mykenischen Goldringe (Abb. 74, 2) möchte ich in der unteren Szene eher die Verehrung einer verklärten Verstorbenen als eine Götteranbetung sehen. Der sehr familiäre Verkehr der Gruppe Paßt dafür besser, auch würden wir sonst zwei Götterschichten erhalten, eine auf der Erde, die andere in der Luft. Die Lnfterscheinungen des Doppelbeils und der Gewappneten (Zeus und Athena) bezeichnen m. E. die heilige Stätte, an der sich die Verehrung vollzieht. Ganz oben aber sind die Sonne, der Mond und das Meer dargestellt, so wie es in der Ilias auch für den Schild des Achill als erstes erwähnt wird (Jl. 18, 483 f.): Auf ihm schuf er die Erd' und das wogende Meer und den Himmel Auch den vollen Mond und die rastlos laufende Sonne.

Auf der andern Seite stehen mehrere Dinge, die nach dem Norden weisen. Die Schachtgräber enthielten eine große Zahl schöner Bernsteinperlen. Schliemann hat sie auf ihren Gehalt an Bernsteinsäure untersuchen lassen und das Ergebnis erhalten, daß es 71/2 % sind und die Perlen damit aus Ostseebernstein bestehen, denn der sonst in Betracht kommende sizilische Bernstein ' Archiv für Religionswissenschaft VII 1904, 144.

2 Abb. 75 c. Bügelnadel gefunden bei Mykene, ’/i

hat bloß 2V2 Tn Säure. Aus den Schachtgräbern sind auch ein paar schwere Hängespiralen vorhanden (Abb. 64 e, f), die wir schon in Troja kennen lernten, und die an der Donau und im ungarischen Kreise ihre Heimat haben. Die Dolche und Schwerter haben in Mykene durchweg die kretischen Formen, die Dolche breite Klinge, die Schwerter Klingen, die ebenfalls breit an­ setzen und ganz spitz zulaufen, und dabei starke Mittelrippen haben (Abb. 75 a). Es ist aber ein Schwert aus Mykene vorhanden, das unbedingt als nordisch anzu­ sprechen ist (Abb. 75 b). Es ähnelt den in Ägypten gefundenen mit den Königsnamen. Die ersten Fibeln, die wir im Mittelmeere überhaupt kennen lernen, sind in Mykene gefunden und haben die Form eines Violin­ bogens (Abb. 75 c). Vorher gab es nur einfache Nadeln. Diese aus einem Stück hergestellie und infolge einer Spiralbiegung an ihrer Wurzel federnde Fibel Abb. 75a Abb. 75 b ist eine Erfindung des Südens. Kretisches Schwert Nordische- Schwert Eine Spezialität des Nordens von den gefunden bei Kykladen ist das „technische Ornament". Mykene, */4

u

Je weniger dort die Bilder des Lebens den Kunstgewerbler reizen, um so liebevoller vertieft er sich darein, die Herstellungsart in einem bestimmten Stoffe als Zierat auf sein Gerät oder Gefäß zu übertragen, es gleichsam als in diesem Stoffe geschaffen er­ scheinen zu lassen. Die Behandlung der Megalith-Keramik war ein sprechendes Beispiel dafür, und in den nordischen Bronzen werden wir alsbald ein weiteres kennen lernen. Der Süden hat dem paläolithisch, neolithisch und bronzezeitlich nichts Ebenbür­ tiges an die Seite zu setzen. Nur in der spanischen Keramik von Ciempozuelos ist das Mattengeflecht mit der Kreuzung unter dem Boden einmal recht anschaulich geworden. Darauf geht die Vierteilung des Rundes zurück, die uns auf mykenischen Gold­

a Abb. 76.

Goldscheiben aus dem 4. mykenischen Schachtgrabe, Vi

scheiben ein paarmal begegnet1 (Abb. 76 a, c), nicht aber auf die Strahlen der Sonnenscheibe, wie nach dem Vorgänge von Sayce in der Vorrede zu Schliemanns Ilios immer und immer wieder behauptet worden ist. Schließlich ist wohl zu beachten, daß in Kreta sich eine eigene Schrift — Bilderschrift sowohl wie Kursive —, der Palastherren gefunden hat, daß aber auf den mykenischen Burgen dergleichen völlig fehlt; das einzige, was hier an Schrift auftritt, sind einige Hieroglyphen auf ägyptischen Jmportstücken. Es ist wohl kein Zweifel, daß auch in dieser Besonderheit sich ein nordisches Ele­ ment der mykenischen Kultur ausspricht: die zugewanderien Herren der ächischen Burgen waren Analphabeten. Schliemann, Mykenä S. 304.

Von weiter her, aus Ägypten und Babylonien, sind nur Spuren ins Mykenische gedrungen. Der babylonische Ahuramasda liegt der geflügelten bärtigen Figur zu Grunde, die in dem halbrunden Rahmen einer großen Nadel schwebt. Die Um­ rahmung mit gedrehten Schnüren, die in Palmwedel — die ur­ sprünglich nur Quasten waren — endigen, ist aber mykenisch. Ägyptischer Import sind die verschiedenen Fayence-Stücke, wie die großen Quasten. Verschiedentlich haben sich auch Skarabäen, ein Asse und sonstige kleine Stücke mit Hieroglyphen-Jnschriften gefunden. Sie sind uns zur Datierung der betreffenden Schichten höchst wertvoll, können aber keinerlei Beeinflussung des mykenischen Stils von Ägypten her beweisen. Für die Datierung der mykenischen Kultur kommt zunächst in Betracht, daß vormykenische Kamares-Scherben sich in Kahun und Abydos in Ägypten in Schichten der XII. Dynastie, also des 19. Jahrhunderts vor Chr. gefunden haben, so daß wir darnach die Schachtgräber, die sich an den Kamares-Stil in nicht 31t weitem Abstande anschließen, etwa in das 17. Jahrhundert zu setzen haben. Für die weitere Zeitbestimmung kommen dann zwei ägyptische Fayence-Stücke in Betracht, die in Mykene ge­ sunden sind: ein Affe mit der Königskartusche Amenophis' II. und eine kleine Vase mit der Amenophis' III., das wäre also die Zeit um 1440—1400. Schon spätmykenische Scherben sind so­ dann in Menge in der Königsstadt Amenophis' IV. Tell el Amarua gefunden, so daß wir ihre Zeit auf das 14. Jahrhundert bestimmen können. Vasen des letzten mykenischen Stils, zuin Teil schon im Übergänge zum geometrischen, finden sich mehrfach in der Zeit Ramses' III. (1198—1167) sowie auf den Wänden seines Grabes, so daß wir die mykenische Kunst uni 1200 ausblühend zu denken habend Als man zur Zeit Schliemanns von den vorgriechischen Kul­ turen nur erst Troja und Mykene kannte, sind diese manchem in dem Verhältnis von Mutter und Tochter erschienen. Heute sehen wir, daß beide sich sehr stark unterscheiden. Mykene hat als Untergrund das Altmittelländische und ist dazu in besonderer Weise von Kreta (Kamares - Stil) beeinflußt. Daneben hat ' Fimmen, Zeit und Dauer der mykenischen Kultur 1909, 51 ff.

es einen starken Zustrom vom Norden her erfahren, der ihm dieselbe Palastform wie Troja gebracht hat. Aber dieser Zustrom ist erheblich später erfolgt als nach Troja hin, erst nach der Ky­ kladen-Kultur, also nach Troja II, denn in ihr eingebettet liegt auf der Burg von Tiryns noch der mächtige Rundbau der alt­ mittelländischen Stufe. Ausgebreitet hat sich die mykenische Kultur vom griechischen Festlande aus weit stärker nach Südosten hin als gegen Westen. Schon an der Westküste von Griechenland ist sie spärlich. Das Dörpfeldsche Alt - Pylos ist dort ein Hauptstützpunkt, daneben stehen Siedlungen auf Kephalonia, Korfu, Leukas. Jmportstücke gehen bis Sizilien. Nach Osten dagegen zieht sie sich über die ganzen Inseln an die kleinasiatische Küste (Troja, Pitane, Milet), nach Cypern und Palästina. Die Philister sind offenbar ein von Kreta hierher gekommenes Volk mit mykenischer Kultur gewesen. Sie sind die Pulesata der ägyptischen Inschriften, die aus dem Kefti-Lande stammen, dem Kaphtor der Bibel (Jeremias 47, 4). Ihre Keramik von Geser ist eine entartet mykenische, ebenso die Rüstung Goliaths, Beinschienen und Helm, sowie seine Neigung zum Einzelkampfe, die den Juden ebenso schreckenerregend un­ gewohnt ist, wie sie der der homerischen Helden entspricht. Die Auffassung, die Helbig vertrat und die Dörpfeld von ihm übernommen hat, daß der Ursprung der mykenischen Kunst auf Phönikien zurückzuführen sei, ist ganz unhaltbar; nicht bloß weil der wirkliche Ursprung sich auf dem Festlande aus verschiedenen dort zusammenkommenden Strömen klar erweisen läßt, sondern auch weil in Phönikien und dem vorgelagerten Cypern, das doch in erster Linie beteiligt sein müßte, die Elemente für ihn fehlen. Wir kennen freilich die älteren Perioden der syrischen Küste noch sehr wenig; erst an ein paar Stellen, wie Jerusalem, Jericho, Lakisch ist sie angestochen. Ihre Keramik scheint der altminoischen von Kreta und der von den Kykladen verwandt zu sein. Cypern ist uns vertrauter infolge der Aufdeckung großer Nekropolen durch Ohnefalsch-Richtcr. In der Kupferzeit (bis ca. 2500 vor Chr.) herrscht hier die leuchtend rote Keramik mit eingekratztcn Verzierungen entsprechend Troja II und Jortan Gelembe. Die Verzierungen zeigen umlaufende Webemuster. So­ bald aber mit der Bronzezeit die bemalte Keramik einsetzt, kommen

auch die nordischen straff horizontal-vertikalen Ornamente, etwa wie in Lianokladi, und setzen sich auf die hergebrachten Kürbis­ formen, auf die sie gar nicht passen'. Beide zusammen, die Kürbis­ formen und die Äorbflechtmuster, halten sich dann auch in Cypern, als daneben längst mykenische, ganz anders geformte und bemalte Vasen eingeführt werden. Cypern ist nirgend schöpferisch, sondern immer aufnehmend und nachahmend. Es ist aber immer das Hauptdurchgangsland gewesen zwischen dem Archipel und Syrien, und so wie sich in Wirklichkeit der von dort nach hier verlaufende Einfluß in ihm spiegelt, so müßte, wenn der Strom umgekehrt gegangen wäre, sich's auch auf der Insel zeigen. Die Geschichte lehrt iri gleicher Weise, daß Syrien, und zwar sowohl Phönikien wie Palästina, mit dem Meere erst wirklich in Beziehung ge­ treten ist, als es um 1550 von Ägypten erobert wurde. Noch Thutmose III. bietet im 34. Jahre seiner Regierung (um 1482 vor Chr.) die ägäische Flotte auf, um vom Libanon Holz für seine Bauten nach Ägypten schaffen zu lassen. Eine phönikische gibt es offenbar noch gar nicht. Phönikien hat erst, als die my­ kenische Kultur völlig abgeblüht war, von etwa 1100 an einen eigenen Handel im Mittelmeere ausgenommen, damals Karthago gegründet, auf Sizilien und an der spanischen Küste sich festgesetzt und auch in Griechenland seine Faktoreien gehabt. Diese schon nachmykenische Zeit hat Homer vor Augen, wenn er sidonische Seeleute nach Griechenland kommen und köstliche Gewänder, die sidonische Frauen gewebt haben, bringen läßt. Daß dies zu der Blüte der mykenischen Burgen, die er im ganzen im Sinne hat, nicht paßt, brauchte ihm nicht bewußt zu werden. Er hätte schon ein gewiegter Archäologe, belehrt durch Ausgrabungen und Sammlungen sein müssen, um solch einen Anachronismus zu empfinden. Was wir etwa wirklich von Vorstufen der mykenischen Kunst in Cypern und Syrien finden, schreibt sich daher, daß von der altmittclländischen Kultur, die ja zum guten Teil die Grundlage der mykenischen bildet, schon manches an jene östlichen Küsten gelangt war. Es ist dort zufällig früher zu unserer Kenntnis gekommen als die Mutterkultur auf Kreta und den Kykladen. Vgl. Dussaud S. 235, 237.

So konnten die Abnehmer und Nachahmer als die Erfinder und Verbreiter erscheinen. Helbig hat sich sein Urteil gebildet, lange bevor in Kreta und auf den Kykladen die Grabungen begonnen waren, die das Verhältnis klargestellt haben. Nachher haben dann diese Länder, die immer den Rand des Mittelmeerherdes bildeten, auch die mykenische Kultur wieder festgehalten, als sie in der Mitte schon völlig ausgebrannt war, und haben aus ihren Resten allerhand Neues geschaffen, das in einem Rückströme das

einstige Mutterland wieder befruchten konnte. Das ist der sog. asiatische Stil in der frühgriechischen Kunst. Dieser spätere ost­ westliche Strom hat viel dazu beigetragen, daß man auch einen alten, der die mykenische Kunst gezeitigt hätte, in derselben Rich­ tung sich vorstellen wollte.

Homer An welcher Stelle steht Homer in der großen alteuropäischen Kulturentwicklung, die sich uns mehr und mehr entrollt? Je öfter wir ihn schon haben berufen müssen als Zeugen für die eine und andere Erscheinung, um so dringlicher wird diese

Frage. Die homerischen Epen sind, die Ilias im 9., die Odyssee im 7. oder gar erst im 6. Jahrhundert vor Chr. fertig geworden, zu einer Zeit also, wo die mykenische Kultur schon seit mehreren Jahrhunderten zu Ende war, wo es die Herrenburgen mit ihren glänzenden Palästen nicht mehr gab, wo Mykene, Tiryns und Troja zu unbedeutenden Weilern herabgesunken waren, wo Bau­ art und Grabsitte sich gewandelt hatten und ganz andere Waffen, Geräte, Gefäße im Gebrauch waren. Homer besingt aber Er­ eignisse, die unzweifelhaft in der trojanisch-mykenischen Zeit sich abgespielt haben, und wenn er sie vielfach auch mit Zügen seiner eigenen Zeit ausstattet, so trifft er doch vielfach das alte Milieu überraschend gut.

Wie erklärt sich das? Die Meinungen gehen weit aus­ einander. Die einen wollen Homer ganz für die alte Zeit in An­ spruch nehmen, ihn als Zeitgenossen der mykenischen Kunst und mykenischen Kämpfe ansehen und alles davon Abweichende nur als spätere Einschiebsel betrachten. Die andern versetzen ihn

ebenso radikal in die späte Zeit und sagen, wo er die alte einmal gut treffe, habe er Überbleibsel von ihr gekannt, und im ganzen „archaisiere" er überhaupt. Die Wahrheit liegt entschieden in der Mitte. Nach den um­ fassenden Analysen, die Wilamowitz mit der Odyssee und der Ilias, Robert und Bethe mit der Ilias vorgenommen haben, er­ kennen wir immer klarer die verschiedenen Schichten, aus denen diese großen Gedichte zusammengewachsen sind. Die Odyssee selbst zeigt uns, wie bei der Festtafel Sänger auftreten und einzelne Begebenheiten zur Harfe vortragen. Die Dichter, die Ilias und Odyssee geschaffen haben, sanden schon kleinere Epen verschiedenen Alters vor. Von ihnen benutzten sie größere und kleinere Stücke, woben auch geschlossene Einzellieder mit hinein und verbanden die Teile durch eigene Zudichtung. So ist eine ältere Odyssee zu erkennen, die die Heimkehr des Helden mit all den Abenteuern bei den Lästrygonen, dem Kyklopen, der Kirke, in der Unterwelt erzählt. Daneben steht ein jüngeres Epos von der Fahrt des Telemachos und ein jüngstes vom Frei ermord. Eingeschaltet sind als besondere Stücke der Aufent­ halt bei Kalypso und die Erkennungsszene zwischen Odysseus und Penelope. Hinzugedichtet hat der Bearbeiter das ganze erste Buch und im folgenden manche kleineren Teile. In der Ilias ist das älteste Stück die Patroklie in den mittleren Büchern, das jüngste die Leichenspiele am Schluß; als Einzelstücke geben sich die Schildbeschreibung, die alt ist, und die Dolonepisode, die ganz jung ist, zu erkennen. In diesen Schichten der Dichtung ist nun das Archäologische oft so handgreiflich verschieden, daß Robert von ihm aus an die Zergliederung der Ilias gegangen ist. Die Bewaffnung ist es besonders, auf der er nach dem Vorgänge von Reichel fußt. Manche Helden wie Aias, Sarpedon, Hektor führen den alter­ tümlichen großen Turmschild', der noch Panzer und Beinschienen erspart, den man schwerfällig vor sich herschiebt und der den Hektor, als er ihn auf den Rücken gehängt hat, um sich zurück­ zuziehen, mit seinem Rande an Nacken und Fußknöchel schlägt (Zl. 6, 177). Es ist der mykenische Schild, wie wir ihm in 1 yipcuv stixot;

-Dpyov II. 7, 219; 17, 128.

der Löwenjagd auf der Dolchklinge (Abb. 77) und auf Gold­ ringen und Gemmen begegnen. Ihm gegenüber steht der jüngere kleine Rundschild, zu dem man Panzer und Beinschienen trägt. Das ist die jonische Bewaffnung, die der mykenischen Kultur noch ganz fremd ist. Wir haben also bei Homer durchaus zu rechnen mit einer älteren mykenischen und einer jüngeren, schon griechischen Auf­ fassung, und wir können noch einen Schritt weiter gehen und innerhalb der mykenischen Partien die nordischen Züge von den altmittelländischen zu scheiden versuchen. Zu den Auffassungen der Spätzeit gehört es, daß Patroklos' Leiche auf einem Scheiterhaufen verbrannt und seine Asche, in ein goldenes Gefäß gesammelt, unter einem großen Grabhügel geborgen wird; ebenso, daß es in Troja einen Tempel der Athena gibt, zu dem, wie später immer in Athen, bei besonderer Gelegen­ heit ein neues Gewand für die Göttin in feierlichem Zuge hinauf­ getragen wird; denn in alttrojanischer oder mykenischer Zeit gab es noch nirgend einen Tempel oder ein Götterbild. Der Spätzeit gehören somit auch an die Priester und Priesterinnen, die ge­ legentlich erwähnt werden, in der Frühzeit ist der Herr des Hauses, der Fürst, noch stets sein eigener Priester. Der Spätzeit ent­ springen auch die Erwähnungen von sidonischen Gewändern, die Paris nach Troja gebracht habe (Jl. 6, 290 f.), von sidonischen Mischkesseln und Krügen aus Silber, die als köstlichste Schätze in den Häusern bewahrt werden (Jl. 23, 117; Od. 15, 117), von sidonischen Kaufleuten, die die Wärterin des Eumaios samt dem Knaben mit in ihre Heimat nehmen (Od. 15, 414). Daneben stehen bei Homer die Züge aus altem mykenischen und zum Teil noch älteren mittelländischen Gut. Er kennt Troja als starkummauerte Feste mit dem Skäischen Tore, von dessen großer Plattform die Greise und Frauen dem Kampf in der Ebene zuschauen. Bei ihm schimmert auch der Unterschied noch durch zwischen «dXtc und Soro als der geschützten Burg und der offenen Siedlung an ihrem Fuße, wie sie uns in so vielen Stätten der Frühzeit: Troja, Sesklo und Dimini, Tiryns, Athen vor Augen stehen. Die ir6X-c ist hochragend, schöngebaut, weitstraßig, von dem äatt> ist nichts Lobendes zu sagen als immer bloß, daß es groß ist. Durch das Sato geht aber Hekuba, um

alle Troerinnen zur Prozession aufzurufen, und durch das mto geht der Klageruf um die gefallenen Helden\ Die Lieder kennen zwei Arten fürstlicher Wohnsitze, die Burg und den ummauerten Palast. Auf einer Burg wohnen Priamos und Alkinoos, in einem bloßen Palaste oder besser noch Gutshofe Odysseus und Kirke. Als Odysseus nach Hause kommt, findet er seinen alten Hund auf dem Miste, der herausgeschafft ist aus den Ställen der Rinder und Maultiere. Und als Odysseus' Gefährten zu Kirke hineinwollen, klopfen sie am Hoftore und hören dabei schon den Gesang der Huldin aus ihrem Gemache. Das eine ist die nordisch-mykenische Wohnart des Fürsten, das andere die altmittelländische. Der Palast ist bei Homer durchaus der durch das nordische Megaron bezeichnete. Im Megaron sitzt Nausikaas Mutter „am glänzenden Feuer des Herdes an die Säule gelehnt". Im Me­ garon tafeln die Freier der Penelope. In der Vorhalle des Megaron wird dem zugereisten Fremden sein Nachtlager bereitet, während die Hausherren im Gemache selbst schlafen. Das Me­ garon muß einen offenen Dachstuhl mit einem Giebeldache gehabt haben, sonst könnte sich Athena nicht im Saale wie eine Schwalbe auf einen Balken schwingen, um dem Freiermorde zuzuschaueu (Od. 22, 240). Auf dem Hofe des Odysseus gibt es aber noch einen alten Rundbau, eine Tholos. Sie liegt dicht an der Hofmauer. In dem Winkel zwischen beiden treibt Telemachos die ungetreuen Mägde zusammen und hängt sie dann an einem Seile auf, das er um den Pfeiler in der Tholos schlingt (Od. 22, 457 ff.). Dieser Bau hatte also noch die alte Mittelstütze der westeuropäischen Kuppelhäuser. Er war offenbar ein Vorratsraum; für solche nebensächlichen Gebäude pflegen alte Formen sich am längsten zu erhalten2. Für das Schiffslager der Griechen kennt Homer den Holz1 Schuchhardt, Hof, Burg und Stadt. Neue Jahrb. f. klaff. Alt. 1908 6. 305 ff. • Aus einer Wagenfahrt von der Stadt Algier nach Süden zu den ersten Kabylendürfern sah ich vor einigen Jahren, wie die Leute dort zwar in recht­ eckigen Hütten wohnen, daneben aber Rundhütten mit oben aus dem Kegel­ dache herausragendem Holzpfosten haben.

und Erdbau und zwar in sehr verwandter Form wie bei den neolithischen Festungen an oberem Rhein und Donau. Er be­ schreibt einen breiten Sohlgraben, der zunächst gegen den Feind liegt, dann folgt eine noch breitere Berme, auf der die grie­ chischen Wachen für die Nacht postiert sind, und schließlich der Wall. Der und besonders seine Türme sind mit vortretenden Pfosten (snjkat jtpoßÄ^ts«) gebaut, die die Troer mit Hebe­ bäumen auszuwuchten suchen, um dann die ganze Mauer zum Einsturz zu bringen (Jl. 12, 259 ff.). Diese Wandpfosten sind der wichtigste Bestandteil des nordischen Holz-Erd-Baues von der neolithischen Zeit an bis zum römischen Lager. Es wurde oben schon darauf hingewiesen, daß die atf)Xat irpoßX-ijtec wahrscheinlich in den Halbsäulen an den mykenischen Tholen zu erkennen sind. Vor dem Tore dieses Schiffslagers hat offenbar ein Menhir­ stein gestanden als Heiligtum eines Hermes Propylaios oder Apollon Agyieus. Als Hektor in raschem Borstürmen bis hierher gelangt ist, packt er einen großen Stein, der dort steht und den sonst zwei Männer kaum bewegen können, unten breit und oben spitz, den schwingt er gegen die hölzernen Torflügel und schmettert sie krachend auseinander (II. 12, 445 ff.). Auch mit gelegentlichem Holzersatz für Menhirs scheint man nach Homer rechnen zu dürfen. Bei den Leichenspielen für Patroklos wird für das Wagenrennen als Ziel, das umfahren werden muß, ein großer weit hinten im Felde stehender Pfahl, der von zwei Steinen links und rechts gehalten wird, bestimmt und zweifelhaft gelassen, „sei er vielleicht ein Mal des längst ver­ storbenen Mannes, oder ein Rennziel auch von vorigen Menschen errichtet" (Jl. 23, 331 ff.). In Bezug auf die Waffen ist schließlich noch verschiedenes von Jnteresie. Wir sahen, daß in Mykene unter den Schwertern von kretischem Typus auch ein nordisches gefunden ist. Das könnte in Beziehung stehen zu den wiederholten Hinweisen Homers auf schöne thrakische Schwerter in den Händen achäischer Helden (Jl. 23, 560 f., 807 f.); denn Thrakien, dessen steinzeitliche bemalte Keramik als die technische Vorstufe zur mykenischen dasteht, ist wohl das zunächst in Betracht kommende nordische Lieferungs­ land für solche Kulturerzeugnisie. Noch wichtiger erscheint aber die Beziehung von Homers Beschreibung des Achillesschildes zu

mykenischen Funden. Der Dichter, der diese Schilderung schuf, muß noch Kenntnis gehabt haben von der Einlegearbeit aus ver­ schiedenen Metallen und von der Färbung des Goldes in ver­ schiedenen Abstufungen, wie sie uns bei den berühmten Dol