Alter Melanchthon: Muster theologischer Autoritätsstiftung bei Matthias Flacius Illyricus 9783666553004, 9783525553008, 9783647553009

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Alter Melanchthon: Muster theologischer Autoritätsstiftung bei Matthias Flacius Illyricus
 9783666553004, 9783525553008, 9783647553009

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Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte Herausgegeben von Thomas Kaufmann und Volker Henning Drecoll

Band 96

Vandenhoeck & Ruprecht

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Andreas Waschbüsch

Alter Melanchthon Muster theologischer Autoritätsstiftung bei Matthias Flacius Illyricus

Vandenhoeck & Ruprecht

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-55300-8

© 2008, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Satz und Satztechnik (LATEX): Andreas Waschbüsch, München Druck und Bindung: c Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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I nunc, edere me iube libellos. Lectis vix tibi paginis duabus Spectas eschatocollion, Severe, Et longas trahis oscitationes. Haec sunt, quae relegente me solebas Rapta exscribere, sed Vitellianis, Haec sunt, singula quae sinu ferebas Per convivia cuncta, per theatra, Haec sunt aut meliora si qua nescis. Quid prodest mihi tam macer libellus, Nullo crassior ut sit umbilico, Si totus tibi triduo legatur? Numquam deliciae supiniores. Lassus tam cito deficis viator, Et cum currere debeas Bovillas, Interiungere quaeris ad Camenas? I nunc, edere me iube libellos. (Mart. ep. II, 6)

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Vorwort Dieses Buch beschreibt Elemente der nach 1546 einsetzenden Flügelkämpfe der Wittenberger Reformation. Nicht von einer durch mehr oder minder naive „Auch schon“- bzw. „Immer noch“-Geschichtsbegeisterung bestimmten Warte, die dogmatische Inhalte – etwa als angeblich genuine Luthermeinung – und ihre Bewahrung oder Verwerfung in die Zeit kurz nach seinem Tod zurückverlegt und spätere Positionen hier materialiter angelegt findet, sondern aus einer Perspektive, die die besondere Konstellation einer ab 1548 einsetzenden, irrational polemisch erscheinenden kirchenpolitischen Propaganda mit dem „proto-modernen“ methodischen Aufbruch, der gemeinhin mit dem Namen Flacius assoziiert wird, zu verbinden sucht: Das Scheitern vieler alter wie mancher neuer (Selbst)Rechtfertigungsprogramme im Moment der Niederlage des Schmalkaldischen Bundes eröffnete der kritischen Phantasie dieses Gelehrten der „zweiten Generation“ die besondere Chance, sein – freilich mit manchem Zeitgenossen geteiltes – Unbehagen in grundlegend neu orientierter Weise auszudrücken, so daß er bis auf den heutigen Tag als Schlüsselfigur in der Wissenschaftsgeschichte wie auf dem Schachbrett theologiepolitischen Positionskampfes gilt. Wenn es gelingt, dieses befremdliche aber doch zentrale „Zugleich“ eines furor theologicus einerseits und rationaler Methodenwahl wie bewußter Stilisierung andererseits ein wenig plausibler zu machen, ist das Ziel der Darstellung erreicht. Die vorliegende Untersuchung wurde im Februar 2005 der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen unter dem Titel Muster theologischer Autoritätsstiftung bei Matthias Flacius Illyricus in seinen Magdeburger Publikationen der Jahre 1548/49 als Dissertation vorgelegt und angenommen. Das Promotionsverfahren wurde mit dem Rigorosum am 23. November 2005 abgeschlossen. Mein besonderer Dank gilt dem Erstreferenten, meinem Lehrer Herrn Prof. Dr. Thomas Kaufmann. Er hob diese Arbeit, die im Kontext eines von der DFG geförderten Forschungsprojektes an der Ludwig-Maximilians-Universität München entstand, nicht nur gleichsam aus der Wiege, sondern weckte überhaupt meine Begeisterung für Flugschriftenforschung. Auch nach seinem Wechsel von der LMU an die Göttinger Fakultät sicherte er das weitere Gelingen, indem er mir im Rahmen einer Tätigkeit als Mitarbeiter der Abteilung für Niedersächsische Kirchengeschichte alle der Forschung notwendigen Freiheiten einräumte. Das Attribut „Doktorvater“ beschreibt seine Verdienste unzulänglich, sofern er mein Voranschreiten mit freundschaftlichem Rat und außergewöhnlichem Engagement förderte.

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VIII

Vorwort

Mein weiterer Dank geht an Herrn Prof. Dr. Reiner Anselm, der das Zweitgutachten übernahm. Eine wahrlich viel zu dürre Floskel, die der ernsten Sorgfalt, mit der er seiner sogenannten „Amtspflicht“ nachkam, an keiner Stelle gerecht wird. Herrn Prof. Dr. Reinhard Feldmeier, Herrn Prof. Dr. Friedrich Wilhelm Graf und Herrn Prof. em. Dr. Reinhard Schwarz danke ich für die freundliche Begleitung meiner wissenschaftlichen Arbeit, deren Fortgang sie unterstützten. In Dankbarkeit verbunden bin ich auch den vielen anderen, die zum Gelingen beitrugen: Zunächst den Teilnehmerinnen und Teilnehmern des Göttinger Doktorandenkolloquiums, besonders Herrn Prof. em. Dr. Dr. h.c. Bernd Moeller, der einige Präzisierungen anregte. Sodann meinen mir in Freundschaft verbundenen Kollegen Herrn Prof. Dr. Alf Christophersen, Herrn Prof. Dr. Christian Friedrich Hempelmann (Ph.D.), Herrn Dr. Dr. Andreas Gößner und Herrn PD Dr. Anselm Schubert, die neben manchen Korrekturen wichtige weiterführende Hinweise einbrachten. Schließlich habe ich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bayerischen Staatsbibliothek, insbesondere der Leiterin der VD 16–Abteilung Frau Dr. Gisela Möncke, denen der Münchener Universitätsbibliothek, der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel, der Universitätsbibliothek Göttingen, der Universitätsbibliothek Hamburg, der Universitätsbibliothek Leipzig, des Universitätsarchivs Halle, der Bibliothek der Franckeschen Stiftungen Halle, der Bibiliothek des Evangelischen Predigerseminars im Augusteum Wittenberg, der Johannes a Lasco Bibliothek Emden und Herrn Dr. Lutz Mahnke von der Ratsschulbibliothek Zwickau zu danken. Es ist mir eine besondere Freude, daß die Untersuchung mit dem Preis der Commerzbank-Stiftung 2005 ausgezeichnet wurde, für dessen Verleihung ich dem Universitätsbund Göttingen e.V. danke. Zuletzt wäre diese Arbeit nie geschrieben worden, hätte nicht meine Familie mit Begeisterung und anhaltend kritischer Diskussionsbereitschaft ‚mitpromoviert‘ und durch ihre Zuneigung und Zuversicht den festen Grund dafür gelegt, daß das Vorhaben umgesetzt werden konnte. Meiner Frau Stefanie und meinem Sohn David widme ich darum dieses Buch.

München, April 2006

Andreas Waschbüsch

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Inhalt H ISTORIEN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

1. Gegenstand und Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Methodische Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Der Tradition verhaftet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

3 4 10

2. Die Karriere bis 1546 . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Basel und Tübingen . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Nach Wittenberg . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Lehr- und Lernprofile . . . . . . . . . . 2.2.2 Matthias Flacius Illyricus in Wittenberg 2.2.3 Die Hebräisch-Professur . . . . . . . .

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3. Die Lage im Reich . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Ausgangsbedingungen . . . . . . . . . . . . . 3.2 Das Interim . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Der kursächsische Weg . . . . . . . . . . . . . 3.4 Eine tragische Wende? . . . . . . . . . . . . . 3.5 Die Pegauer Formel und der Landtagsbeschluß

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27 27 31 36 37 44

L ESESTÜCKE . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

4. Oppositionelle Etablierung . . . . . . . . . . . . 4.1 Eine protestatio contra Interim . . . . . . . 4.2 Wider die Tyrannen: Johannes Waremundus 4.3 Zwischenbericht: Theodorus Henetus . . . 4.4 Über das Ärgernis: Johannes Hermannus .

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49 50 54 72 78

5. Das Interim in Sachsen: Christianus Lauterwar . . . . . . . . . . . .

92

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6. Der Abschied von Wittenberg: Carolus Azarias . . . . . . . . . . . . 105 7. Rechte Lehre und richtige Exegese: De justificatione . . . . . . . . . 120 8. Der Blick zurück: Apologia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 8.1 ars latet arte sua . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

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Inhalt

8.2 Existenz und Amt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 9.

Recensio auctoris . . . . 9.1 De afflictione . . . 9.2 De conversione . . 9.3 De comprobatione

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151 154 155 156

VORLETZTE D INGE – An Stelle eines Schlußwortes . . . . . . . . . . . 161 A NHANG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 A. oratio Illyrici Jhenae recitata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 B. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 1. Drucke und Handschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 2. Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204

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Abkürzungen Die Abkürzungen folgen – sofern hier nicht ergänzend vermerkt – dem von S IEG FRIED M. S CHWERTNER verfaßten IATG2 : Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete. Berlin, New York 2 1992. AdamP = Adam, Melchior: Vitae Germanorum philosophorum, qui seculo superiori, et quod excurrit, philosophicis ac humanioribus literis clari floruerunt. – Frankfurt (a.M.): Impensis Jonae Rosae; [Heidelberg:] Typis Johannis Lacelloti [recte: Lancelotti], Acad. Typogr., 1615. Exemplar UB Mannheim – Sign. Ha T 008 (2. Ex. Sch 070/150; Titelauflage Sch 070/152–1). AdamM = Ders.: Vitae Germanorum medicorum. – [Frankfurt (a.M.):] Hered. Jonae Rosae; Heidelberg: Johannes Georgius Geyder, Acad. Typogr., 1620. Exemplar UB Mannheim – Sign. Ha T 008 (2. Ex. Sch 070/150 an 1). AdamI = Ders.: Vitae Germanorum iureconsultorum et politicorum, qui superiori seculo et quod excurrit floruerunt. – [Frankfurt (a.M.):] Hered. Jonae Rosae; Heidelberg: Johannes Georgius Geyder, Acad. Typogr., 1620. Exemplar UB Mannheim – Sign. Ha T 008 (2. Ex. Sch 070/150; Titelauflage Sch 070/152–1). AdamTh = Ders.: Vitae Germanorum Theologorum qui superiori seculo Ecclesiam Christi [. . . ] propagarunt [. . . ] – Frankfurt (a.M.): Jonas Rosa; Heidelberg: Johannes Georgius Geyder, Acad. Typogr., 1620. Exemplar UB Mannheim – Sign. Ha T 008 (2. Ex. Sch 079/226). AdamThEP = Ders.: Decades Duæ Continentes Vitas Theologorum Exterorum Principum, Qui Ecclesiam Christi Superiori Seculo Propagarunt Et Propugnarunt. – Frankfurt (a.M.): Jonae Rosae vidua, 1653. Exemplar UB Mannheim – Sign.: Sch 080/141 an 1. BMS = Berlinische Monatsschrift, hg. von Hans-Jürgen Mende im Auftrag des Luisenstädtischer Bildungsvereins e.V. Berlin 1992–2001. BBKL = Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon. 23. Bde. Hg. von Friedrich-Wilhelm Bautz(†) und Traugott Bautz. Hamm, Herzberg, Nordhausen 1990 ff. Cl = Luthers Werke in Auswahl. Unter Mitwirkung von Albert Leitzmann hg. von Otto Clemen. 8 Bde. Berlin 5 1959. ClKS = Clemen, Otto: Kleine Schriften zur Reformationsgeschichte (1897–1944), hg. von Ernst Koch. Bd. I–IX. Leipzig 1982–1988.

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Abkürzungen

DBA I = Deutsches Bibliographisches Archiv. Hg. v. Bernhard Fabian & Willi Gorzny. Eine Kumulation aus 254 der wichtigsten biographischen Nachschlagewerke für den deutschen Bereich bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts [Microfiche-Edition]. München 1982–1985. DBA II = Deutsches Biographisches Archiv. Neue Folge bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts [Microfiche-Edition]. München 1989–1993. DWB = Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. 32 Bde., Leipzig 1854–1971. Erasm.Ep. = Opus epistolarum Des. Erasmi Roterodami denuo recogn. et auctum per P. S. Allen. (12 Bde.) Oxford 1906–1958. MStA = Melanchthons Werke in Auswahl. Unter Mitwirkung von Hans Engelland, Gerhard Ebeling, Richard Nürnberger und Hans Volz hg. von Robert Stupperich. 6 Bde. Gütersloh 1951–1955. PKMS = Die politische Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten Moritz von Sachsen. Hg. v. Erich Brandenburg & Johannes Herrmann & Günther Wartenberg & Christian Winter. Bde. 1–2, Leipzig 1900–1904; Bde. 3–6, Berlin 1978–2005. VD 16 = Bayerische Staatsbibliothek [München] – Herzog August Bibliothek [Wolfenbüttel] (Hg.): Verzeichnis der im deutschen Sprachgebiet erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts. 25 Bde. Stuttgart 1983–2000. Zedler = Johann Heinrich Zedler: Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschaften und Künste. 64 Bde. und 4 Anhänge, Halle, Leipzig 1732–1754 [ND Graz 1961–1964].

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H ISTORIEN

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1. Gegenstand und Problemstellung Im weiteren Sinne handelt es sich bei dem gewaltigen Druckaufkommen in Magdeburg1 , des „Herrgotts Kanzlei“2 , um die Mitte des 16. Jahrhunderts um ein mediengeschichtliches Ereignis sui generis, was nicht nur qualitativ die Nachhaltigkeit in der Rezeption noch hundert Jahre später im Dreißigjährigen Krieg3 , sondern schon der zeitgenössische quantitative Vergleich zu illustrieren vermag: beläuft sich die Gesamtzahl der in Magdeburg erschienen Drucke des 16. Jahrhunderts auf etwa 1750 Exemplare, so entfallen allein etwa 680 davon auf den Zeitraum von 1540 bis 1559. Dabei macht das Quadrennium der Reichsacht und Belagerung Magdeburgs (1547–51) mit etwa 400 Titeln fast ein Viertel der Gesamtproduktion des Jahrhunderts aus. Damit liegt Magdeburg für diesen Zeitraum von vier Jahren in der ‚Top-Ten‘ deutscher Druckorte auf Platz drei, nur überboten von dem einsamen Spitzenreiter Wittenberg und dem um nur wenige Drucke produktiveren Basel. Nürnberg, Frankfurt a.M., Leipzig, Köln oder Lübeck liefern etwa nur die Hälfte des erzielten Volumens – eine Tatsache, die sich kaum rational-ökonomisch erklären läßt.4 Prominenter, wenn nicht der Autor in Magdeburg war Matthias Flacius Illyricus5 . In jüngerer Zeit wurde die mangelnde Bezugnahme auf die Voraussetzungen wie auch auf die jeweilige Funktion der verschiedenen topologischen und hermeneutischen Ausführungen im Werk des Flacius beklagt6 ; es ist ebenso festzustellen, daß die Untersuchung der formalen Gestaltung der kirchenpolitischen Schriften hinsichtlich ihres Wirkpotentials, und sei es als möglicherweise vorweggenommene Ausführungen oder wenigstens Vorstufen flacianischer Hermeneutik in einer vergleichenden Analyse noch gar keine Berücksichtigung erfahren hat.7 Auch die jüngste literaturwissenschaftliche Untersuchung zu seiner Bedeutung als Humanist und Kirchenkritiker8 hat zur Klärung der charakterisierenden (Titel)Begriffe bzw. einer mit ihnen assoziierten Methodik außer einer hier und 1 Vgl. Asmus: 1200 Jahre Magdeburg2 ; für eine bau- und kunstgeschichtliche Orientierung im „Alten Magdeburg“ emfpiehlt sich nach wie vor Dehio: Magdeburg. 2 Vgl. Kaufmann: “Our Lord God’s Chancery”, S. 572–576. 3 Vgl. Puhle: „. . . ganz verheeret!“, S. 13–24.63–79.112–236; Kaufmann: Dreißigjähriger Krieg, S. 26–33, bes. Anm. 89; Kaufmann: Ende der Reformation, passim, bes. S. 1–12.38–72. 4 Alle ermittelten Zahlen nach VD 16, Bd. 25: Ortsregister. 5 Vgl. Kaufmann: Ende der Reformation, S. 73–77; Kaufmann: Matthias Flacius Illyricus, S. 185 f. 6 Z.B. Diebner: Flacius, S. 177 f. 7 Die der publizistischen Methode des Flacius verantwortete Studie von Haßlinger: Religiöse Propaganda geht an vielen Stellen nicht nur historisch in die Irre, sondern kommt leider auch zu keinem befriedigend konsistenten Gesamtergebnis; s.u. S. 8. 8 Vgl. Hartmann: Humanismus und Kirchenkritik; dazu insbesondere auch die Rezension von Pohlig: Rez. MA: M. Hartmann.

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Historien

da geäußerten Verwunderung über augenscheinlich vorrangig theologische Interessen wenig beigetragen – wenngleich die Arbeit freilich in hervorragender Weise die Bibliothek des Flacius rekonstruiert.9 Mit solcher Unschärfe korrespondiert eine Unsicherheit bei der Definition wie Differenzierung des Humanismusbegriffs und seiner Methode – auch aus kirchengeschichtlicher Sicht. Bisweilen ergeben sich aus Verallgemeinerungsbemühungen sogar Widersprüche.10 Im folgenden soll nun unter Berücksichtigung der sich ergebenden Desiderate die Anfangszeit der innerprotestantischen Streitigkeiten um das angebliche Erbe Luthers gerade hier im Kontext ekklesiologisch-literarischer Binnenidentifikation und -definition11 in einer einmaligen zeitlichen und lokalen Dichte dessen, was man öffentliche theologische Diskussion12 zu nennen pflegt, untersucht werden und am Beispiel des zu wesentlichen Teilen als Flugschrift verbreiteten Œvres des Flacius auf den folgenden Seiten zur Darstellung kommen.

1.1 Methodische Perspektiven Die Erforschung des Flugschriftenmediums des 16. Jahrhunderts hat u.a. gezeigt, in welch hohem Maße die Verbreitung – zumal deutschsprachiger – Literatur der reformatorischen Bewegung Vorschub geleistet hat.13 Uneinigkeit besteht allerdings darüber, inwieweit eine gewisse Auflagenstärke und Auflagenzahl, die Sprachfassung oder die literarische Gattung je für die Feststellung einer breiten Rezeption Bedingung seien, bzw. wo deren anzunehmender „Grenzwert“ liegt. Es mag in diesem Zusammenhang auch angebracht sein zu fragen, ob der tatsächliche Informationsgehalt von Schriften wirklich dem gesellschaftlichen Informationsstand vorgängig ist, ob Druckerzeugnisse auch in ihrer formalen Gestalt nicht vielmehr oder wenigstens auch zugleich Spiegel einer bereits existenten Gedankenwelt darstellen. Solche Fragen dürften nur schwer direkt aus der druckgeschichtlichen Analyse beantwortet werden können; daß sie allerdings bezogen auf die soziale Welt von nur geringer Relevanz sein dürften, wurde bereits gezeigt.14 An welchem kommunikativen Ort auch immer gedacht, dürfte der In9 Insbesondere die thematisch-lokale Gliederung ist von Interesse: vgl. Hartmann: Humanismus und Kirchenkritik, S. 99 ff. 10 Vgl. Augustijn: Humanismus, S. H47–H49.H96–H101. 11 Zum Interimsstreit als Nucleus für die Ausbildung eines reflektierten Traditionsverständnises sowie der hermeneutischen Bemühungen des Flacius vgl. Massner: Überlieferung und Autorität, bes. S. 25–33. 12 Vgl. Kaufmann: Ende der Reformation, S. 65 ff. 13 Vgl. Moeller: Flugschriften (TRE), auch die umfangreichen Literaturangaben; Schilling, J.: Flugblätter (RGG4 ); Volz: Flugschriften (RGG3 ); weiterer Überblick und knappe wie konzise Darstellung, insbesondere kirchenpolitische Öffentlichkeit betreffend in Kaufmann: Rez.: Städtische Predigt, S. 229–234. 14 Vgl. Giesecke: Buchdruck S. 283: „Boockmann und mit ihm viele andere moderne Beobachter [. . . ] sehen nicht, daß die Druckmaschinen genauso wie alle natürlichen Elemente des Gesellschaftssystems, alle Menschen aus Fleisch und Blut, einsozialisiert werden. Die Leistung der typographischen Informationssysteme wird als ‚Handeln‘ aufgefasst und dieses als ‚Vergesellschaftung von Informationen‘ spezifiziert – damals und auch heute (noch): Selbst wenn das Amtsblatt nicht ausgeliefert, kein einziges Exemplar einer Dissertation vertrieben wurde, die Ausschreibung in einer Zeitung von niemandem

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Gegenstand und Problemstellung

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halt der Schriften als soziologisches Faktum angesehen werden – und zwar auch unabhängig von seiner tatsächlichen Rezeption.15 Was wären aber – wenn denn überhaupt rekonstruierbar – die gängigen Kriterien für eine solche Rezeption? Im Zuge der Beantwortung dieser Frage wird niemand ernsthaft leugnen können, daß die Druckproduktion des 16. Jahrhunderts mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit beinahe als Spekulationsbetrieb ihrer Zeit vorauslief. Allein eine konkrete Käuferschaft erscheint – für den zeitgenössischen Drucker oder Herausgeber ebensowenig wie für uns16 – außerhalb institutionsgebundener Produktion, etwa für den Lehrbetrieb an Schulen oder sonstige Institutionen mit feststehendem Bedarf bei berechenbarer Haushaltslage, kaum kalkulierbar. Aber es wird ebenso zugegeben werden müssen, daß dieser Vertrauensvorschuß – womöglich bisweilen unter völliger Mißachtung ökonomischen Kalküls in schlichter Sympathie für Themen und Autoren oder auf der Basis eines grundsätzlichen seelsorgerlichen oder politischen Interesses – in Reihen der Drucker und ihrer Gutachter17 offensichtlich geleistet wurde.18 Die diesem Sachverhalt folgende, oft vorgebrachte Kritik am in der Forschung mehr oder minder umstrittenen Begriff des ‚Massenmediums‘ setzt sich quantifizierenden Thesen letztlich im Sinne von Bekenntnis oder Ablehnung aus. Mehr oder minder konsequent wird mit Auflagenzahl, -höhe, Preis, Kaufkraft und Rezeptionsfähigkeit – oder doch meist nur: den Mutmaßungen darüber – argumentiert. So darf es nicht verwundern, daß recht weit streuende Auffassungen von verbindlichen Zahlen und anwendbaren Relationen zur Auflagenplanung, zum Einkommen, zur saison-, tätigkeits- und regionalabhängigen Kaufkraft, zur – auch fremdsprachlichen – Alphabetisierung etc. zu finden sind. Die crux all diegelesen wird, gilt die Verordnung, die Dissertation oder die Ausschreibung dennoch mit ihrem ‚Druck‘ als veröffentlicht. Die Gesellschaft hat sich mit dieser und anderen Normierungen ihre eigene Struktur geschaffen – und solange sie ihre Identität nicht tiefgreifend ändert, hält sie sich auch an diese Normen“. 15 Giesecke: Buchdruck: „Für den Sozialwissenschaftler und für jeden, der die Selbstbeschreibung der Menschen als soziale Wesen ernst nimmt, sind diese Normen, die Erwartungen und Ängste, die soziales Handeln orientieren, Fakten. Es gibt [. . . ] keine Veranlassung, die ‚Topoi der Flugschriften‘, z.B. diejenigen, daß sie für den ‚gemein man‘ geschrieben sind, nicht ‚wörtlich zu nehmen‘. Will man nicht gänzlich am Zeitgeist vorbeisehen und -argumentieren, muß man sie vor allem und zunächst ernst nehmen. Sie sind, selbst dann, wenn man sie als ‚literarische‘ Muster klassifiziert, ein Spezialfall sozialer Normen. Natürlich kann man solche normativen Forderungen wie jene nach möglichst weiter Verbreitung von Informationen oder auch nach einer Beteiligung des Volkes an der Lenkung des Staates ideologiekritisch bewerten“. 16 Zum methodischen Problem der Beurteilung der Exemplarizität und Repräsentativität von Quellen im allgemeineren vgl. Esch: Überlieferungs-Chance. 17 Zu Flacius als Druckkoordinator vgl. Kaufmann: Ende der Reformation, S. 58.73 f., Anm. 122. 18 Etwas weniger vertrauensvoll ist da mancher Forscher unserer Zeit; vgl. Leppin: Antichrist und Jüngster Tag, S. 24 f.: „[Es] scheint auch wirklich ein [...] weiter Adressatenkreis im Auge, wenngleich auch [...] der Fall einer lateinischen Schrift und mithin eindeutiger Ausrichtung am gebildeten Publikum auftreten kann. Doch darf nicht übersehen werden, daß Kauf und Lektüre einer Flugschrift sowohl einerseits die ja im 16. Jahrhundert durchaus noch nicht allgemein vorauszusetzende Lesefähigkeit als auch andererseits genügend Besitz voraussetzen, da der Preis von Flugschriften, wie bekannte Angaben aus dem frühen 16. Jahrhundert zeigen, zwar gering, aber doch auch nicht völlig zu vernachlässigen war. Primäre Adressaten sind also lesefähige und finanziell gesicherte Käufer“.

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Historien

ser Theoriebildungen ist dabei die ihnen gemeinsame Annahme, daß sich Öffentlichkeit bevorzugt über eine sozial, intellektuell, wirtschaftlich oder politisch gegliederte Anteilnahme konstatieren lasse. Dem grundsätzlichen Widerspruch, in dem solche Öffentlichkeitskonstruktionen stehen, und der sich eben nur temporär bzw. perspektivisch zu einer Unschärferelation auflösen läßt, entkommt man freilich nicht.19 Dies gilt um so mehr für die „repräsentative Öffentlichkeit“20 der frühen Neuzeit. Oder anders gesagt: Die kommunikative Praxis der Zeit bzw. die in sie eingebettete soziale Realität als solche ist nur unzureichend durch Analyse affirmativer Handlungsmuster abbildbar. Es sei darum hier vorausgesetzt, daß ein öffentlicher Wille bzw. Menschen, welche versuchten, allgemeine und verbindliche Ergebnisse, Konventionen oder Handlungsmuster zu verfügen, kaum real möglich sind, sofern es die eine Sache ist, was jemand empfiehlt oder anordnet, die andere aber, was ein beliebiger Rezipient tatsächlich tut oder tun kann.21 Die 19 Vgl. Hölscher: Öffentlichkeit, S. 136: „[E]inerseits ist die Öffentlichkeit ihrem Wesen nach unbegrenzt, so daß soziale Verbände, die sich nach außen abschließen, diesen Namen eigentlich nicht verdienen. Andererseits ist die Öffentlichkeit einer Handlung, eines Ereignisses usw., d.h. die Zahl derer, die daran teilhaben, faktisch immer begrenzt – und zwar sowohl nach außen zur nicht beteiligten Umwelt hin wie auch nach innen durch die Regeln und Strukturen, die jeder soziale Verband im Hinblick auf seine interne Offenheit als ‚Öffentlichkeit‘ bezeichnet oder ihm diese Bezeichnung im Hinblick auf seine externe Abgeschlossenheit verweigert.“ 20 Zum Begriff und seiner Bedeutung als Gegenbegriff zu einer politisch strukturierten „bürgerlichen Öffentlichkeit“ vgl. Habermas: Strukturwandel3 Kap. 1. 21 Jeder Gesellschaft ist zudem eine zu große Pluralität inne; kaum eine stützte sich je auf einheitlich verfügbare Wissensbereiche. Und selbst wenn solche vorhanden wären – spätestens das sog. „Handeln im allgemeinen“ ist eine Utopie. Das – zumal literarische – Vortäuschen eines allgemeinen Willens, einer gemeinsamen Geisteshaltung und allgemeinen Handelns für Dinge im allgemeinen dürfte durchweg fiktionale Gebilde hervorgebracht haben. Freilich höchst nützliche Gebilde in den Händen von kirchlichen Führern, weltlichen Herrschern oder Lenkungsausschüssen und Beratern. Die Kunst der propagandistischen Anwendung entfaltet sich hier im wesentlichen bei der Verwendung von Symbolen oder Symboltexten, die bei aller Selbsttranszendenz, möglichst viele – verschiedene – subjektive Emotionen auf sich vereinend binden, nachdem sie von ihren genuinen Ideen kunstvoll durch Interpretation getrennt wurden, oder aber in möglichst radikaler Zuspitzung die Anschlußfähigkeit eines von der „Öffentlichkeit“ auszuschließenden Personenkreises unterbindet bei gleichzeitiger Stärkung der Alternative. Niemand wird sich darum über die Tatsache hinwegtäuschen lassen dürfen, daß in der Folge meinungsbildender Öffentlichkeitsarbeit das Handeln wie eh und je zunächst unter Ausschluß der Öffentlichkeit von wirtschaftlichen, politischen oder eben Bildungs-Eliten bestimmt wurde. Der Unterschied ist lediglich, daß solche Vertreter – während sie zum eignen Nutzen bzw. zur Abwendung eigenen Verderbs handelten – behaupten und glauben konnten, Vertreter eines öffentlichen Meinungsbildes oder Willens zu sein und je öffentliche Sympathie, Zustimmung und Unterstützung zu besitzen. Um solche Druckmittel überhaupt erst zu gewinnen, brachten sie die sog. Öffentlichkeit oder Allgemeinheit erst ins Spiel, beinahe im Sinne eines – überspitzt gesprochen – „Selbstinduktionsapparates“. Es sei die Möglichkeit zugestanden, daß das je individuelle Interesse an der Selbststeigerung oder auch nur -erhaltung einzelner oder privilegierter Gruppen sowie ihrer Multiplikatoren dann in der Folge der Proklamation von Öffentlichkeit freilich Anhang findet. Vgl. Foucault: Ordnung des Diskurses, S. 10–12; Foucault: Diskurs und Wahrheit, S. 177–181. Spezieller für die Frühe Neuzeit Hamm: Bürgertum und Glaube, S. 51–76; Wilke: Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte, S. 10 ff.; Giesecke: Buchdruck, S. 254 ff.; Lutz, R. H.: Der gemeine Mann, passim. Und auch wenn der Einwand geltend gemacht werden könnte, daß religiöse Publizistik hier einen Sonderstatus einnehme, sofern die Kirche als einzige Korporation sowohl eine gesamte Gesellschaft einschloß, als auch einzelne Korporationen (Bistümer, Klöster, Konvente, Universitäten, Kirchen) kommunikativ wirkten, und so letztlich Verbindungen zwischen an sich isolierten Gesellschaftsschichten entstanden, ja die Kirche eigentlicher „Raum einer Öffentlichkeit“ sei – wie Benzinger: Wesen und Formen, S. 301 –,

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folgende Untersuchung wird sich darum auf die impliziten wie expliziten Eröffnungs- und Lenkungsansprüche der jeweiligen Publikationsstücke beschränken und selbige zu anderen öffentlichen Phänomenen oder Ereignissen, wo greifbar, als spezifische Rezeptionsmöglichkeiten kritisch in Beziehung setzen. Dies soll auf der Basis einer Analyse von Erzähltechnik bzw. rhetorischen Mustern22 – gerade auch im Kontext medialer Gestaltung – geschehen. Stellen auch Drucke in ihrer Vielfalt gewiß ein prozessuales Kommunikationsfeld dar, in welchem sich ein Druck auf einen anderen beziehen mag oder vom Rezipienten bezogen wird, so ist ein einzelner Druck – bei aller Diatribe und insinuatio – zunächst als Medium nur autoritative Konstitution eines Kommunikationszusammenhanges, der im Moment der Erstellung wie der Rezeption in der Richtung von Absender zu Adressat verläuft, insofern er schlicht ein Thema hat, welches der Autor setzt und der Leser – freilich nicht notwendig ebenso – annimmt, ohne unmittelbar Rückfragen stellen zu können23 ; auch wenn in einem solchen Prozeß mittelbar kommunikative Verknüpfung ihren Niederschlag finden mag, etwa durch die Aufnahme möglicher Gegenargumente, von Dialogen etc. – sie bleibt in den hermeneutischen Grenzen des Themas selbst.24 Sogar dann, wenn nicht Gesagtes25 rezipiert wird, da das Ungesagte sich in seiner kommunikativen Relevanz aus dem Gesagten mittelbar ableiten läßt.26 Was ist nun spezieller auf dem Feld der Erforschung der Interimspublizistik des Flacius bereits ausgearbeitet? Vorhanden sind Zusammenfassungen und argumentative Aufrisse, vornehmlich in der von Wilhelm Preger verfaßten zweibändigen Biographie, die teils bis in die Analyse des Sprachstils27 vordringen. Pregers Werk bleibt – obgleich bis heute unüberholt – hinsichtlich der Darstellungsbreite so scheint die kritische Rückfrage doch unumgänglich, ob die Protagonisten oder auch nur die Initiatoren solcher Kommunikation wirklich nur dem gesellschaftlichen Durchschnitt entsprachen. Vieles deutet ins Gegenteil: Haßlinger: Religiöse Propaganda, S. 9–19; Heintzel: Propaganda, passim; Wilke: Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte, S. 38; Schilling, M.: Bildpublizistik, S. 40 f. 22 Im Sinne der durch Lausberg: Handbuch der literarischen Rhetorik, aufbereiteten Terminologie für die Interpretation, die hier vorrangig zum Zuge kommen soll. Ergänzend zur Anwendbarkeit: Gadamer: Rhetorik, Hermeneutik und Ideologiekritik, S. 61 ff. und Giesecke: Buchdruck, S. 254 ff. 23 Zu den verschiedenen Typen von Relationen der narrativen Kommunikation unter dem Aspekt der Dialogizität vgl. exemplarisch Schmid: Dialogizität. 24 Die Untersuchung folgt hier dem Paradigma eines „intendierten“ [Wolff: Der intendierte Leser; zur Differenzierung vgl. Grimm: Rezeptionsgeschichte, S. 38 f.] bzw. „implizierten“ [vgl. Iser: Der Akt des Lesens] Lesers: „der implizite Leser [sc. besitzt] keine reale Existenz; denn er verkörpert die Gesamtheit der Vororientierungen, die ein fiktionaler Text seinen möglichen Lesern als Rezeptionsbedingungen anbietet. Folglich ist der implizite Leser nicht in einem empirischen Substrat verankert, sondern in der Struktur der Texte selbst fundiert“ [Iser: Der Akt des Lesens, S. 60]. Zur neuerlichen Systematisierung der Begriffe und dem integrierenden Konzept des „modellhaften“ Lesers, eines lettore modello, vgl. Eco: Lector in fabula2 . 25 Zum Sachverhalt, daß ein Autor einem Rezipienten immer nur so viel bietet, wieviel er mitteilen zu müssen glaubt, um den Rezipienten den Rest dann gleichsam selbst „wissen“ zu lassen, vgl. Grice: Logic and Conversation. 26 Vgl. Eco: Grenzen3 , S. 360–397. 27 Vgl. insbesondere zur Stilanalyse im Zuge der Zuweisung von Pseudonyma Preger: Flacius und seine Zeit I, S. 58–61.

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aber gerade bei der Erschließung der Interimspublizistik auf inhaltlich-paraphrasierende und mehr oder minder schematische Wiedergabe beschränkt und zugleich von einem weitenteils von August Twesten inspirierten „apologetischen“ Interpretationsansatz geleitet28 , so daß man zu dem Schluß kommen muß, daß die eigentliche Disposition des Flacius und damit sein vielfach konstatiertes, für die Folgezeit bestimmendes autoritätsstiftendes Potential über seine eigene Person hinaus29 – sowohl rhetorisch und drucktechnisch im Sinne der Präsentation, als auch theologisch in Bindung oder Lossagung an bzw. von Tradition – im einzelnen nur sehr unvollkommen, wenn überhaupt erkennbar ist. Die Untersuchung von Christina Haßlinger30 wiederum widmet sich dem Thema gleichsam topologisch. So wird zwar der Blick auf das technische Repertoire des Flacius frei, aber durch die isolierte Darstellung einzelner Techniken und Stilmittel – teils sogar falsch erläutert –, gerät der Zusammenhang der literarischen Entwicklung, ja die gesamte Chronologie der Schriften in ihrem Bezug zur Zeitgeschichte aus dem Gesichtsfeld. Entsprechend verhält es sich mit der Traditionsanalyse. Der pointiert affirmative Hinweis auf ein lutherisches sola scriptura31 vor dem Hintergrund humanistischer Bildungstradition32 gibt selten mehr als eine grobe Skizze einer Gedankenführung vor. Christina Beatrice Melanie Frank spricht im Zuge einer recht allgemeinen Stilbeschreibung von „Selbststilisierung“ im Rahmen einer lutherisch-orthodoxen Tradition, ja geht sogar von einer detaillierten Ausformung durch Anhänger und Nachfolger aus. Es fehlt allerdings leider jeder weitere Hinweis auf bzw. Beweis für die letztlich nur angenommene Tatsache.33 Vor ähnliche Schwierigkeiten, wenn auch von einer geradezu entgegengesetzten Perspektive geleitet, stellt die (Teil)Biographie von Oliver Kermit Olson34 . Das beeindruckend materialreiche Buch, das in seiner medialen Fülle schon fast einem Museumskatalog gleichkommt, widmet sich den Zusammenhängen in den argumentativen Details über weitere Strecken ebenfalls unchronologisch, ja anthologisch und folgt darin einem unausgesprochenen 28

Vgl. Preger: Flacius und seine Zeit I, Vorwort, S. V. Vgl. Olson: Flacius and the survival, Vorwort; Hase: Gestalt der Kirche Luthers, passim; Haßlinger: Religiöse Propaganda, S. 9 ff.; Preger: Flacius und seine Zeit I, Vorwort S. IV f. 30 Haßlinger: Religiöse Propaganda. 31 Daß dieses Prinzip eine Fülle von Kanonsfragen impliziert, die noch dazu schon bei Luther selbst einem Wandel unterworfen waren, ja selbst noch bei zeitlich dichten Aussagen der Vermittlung bedurften, wird nur sehr unzureichend reflektiert. Vgl. dagegen Althaus: Theologie Luthers S. 71–98; Fuller: Biblical Theology; Sick: Melanchthon als Ausleger des AT S. 7–40; bei Luther selbst etwa: WA 6, 93, 10 ff. gegen WA 7, 97, 23; 10 II, 73, 15; 18, 606, 29; 46, 414, 15. 32 Auf diese oftmals unvermittelte Synthese laufen die Darstellungen oder Konjekturen des Bildungsprofils und der Geisteswelt des Flacius in der Literatur von Preger: Flacius und seine Zeit (I S. 13 ff.) bis Moldaenke: Schriftverständnis [vgl. den wertvollen Überblick über die ältere Literatur und die Ausführungen zur Hermeneutik als „Drang nach Wahrheit“: S. 5–26.] über Hartmann: Humanismus und Kirchenkritik bis Olson: Flacius and the survival – sofern überhaupt bezogen auf die hier zu behandelnden Schriften – allesamt hinaus, ohne daß eine tatsächliche Prüfung des Sachverhalts bzw. eine Klärung des Aussagegehalts stattfindet. 33 Frank: Untersuchungen zum Catalogus, S. 3 ff. 34 Olson: Flacius and the survival. 29

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apologetischen Interesse. Dieses findet – schon seit Twesten35 und Preger – seinen Ursprung und seine psychologisierende interpretative Basis wesentlich in der Apologia36 des Flacius: Widersprüche, Antinomien und Konstellationsfragen werden im wortwörtlich aufgefaßten Rahmen einer Selbstinszenierung der Streitparteien analysiert und oftmals ex post gedeutet, bevorzugt eben unter beinahe ahistorischer, psychologischer Vorordnung eines wie auch immer gearteten Subjektivismus bzw. einer Art unverrückbarer Gerechtigkeitsfrage, die bezogen auf die angeblich unwandelbar lautere Gesinnung des „Lutherbewahrers“ Flacius immer wieder von neuem gestellt wird und es in eben dieser Vorordnung erlaubt – oder besser: nahelegt –, Frühes ausschließlich von Späterem her zu erläutern. Das schmälert den Wert der Arbeit an sich hinsichtlich des präsentierten Materials – trotz der die Nachvollziehbarkeit einschränkenden Streuung – nicht. Aber solches Vorgehen läßt das Desiderat nach einer ausgewogeneren Deutung unter Berücksichtigung bereits vielfach geäußerter gegenläufiger Hinweise auf problematische Sachzusammenhänge und Fragen nach nachweisbaren interessensgeleiteten Tendenzen37 um so größer erscheinen; gerade auch hinsichtlich der Frage, inwieweit Flacius in einer verallgemeinernd vorausgesetzten ideologischen Gegensatzkonstellation zwischen Humanismus und Theologie, oder zwischen Melanchthon und Luther, oder zwischen Wissenschaft und Kirchenpolitik überhaupt einer Position eindeutig zuzuschreiben ist, bzw. inwieweit er, sofern er auch nur einer der genannten Alternativen zuzuordnen ist, sie weiterentwickelte. Es ist darum doppelt bedauerlich, daß bei Olson zwar eine kritische Perspektive im ersten Kapitel recht breit angelegt ist, aber keine weitere Berücksichtigung mehr findet.38 Zudem blieb bislang – auch wenn etwa Preger39 hier vergleichsweise ausführlich darstellt – gerade die Unterteilung, die Funktion der Argumentationsglieder und Zitate ebenso wie die Notwendigkeit oder Willkür ihres Zusammenhangs im Hinblick auf das Darstellungsziel einer Publikation unerklärt. Die einzigen beiden Forscher, die eine Textanalyse bislang konsequent durchgeführt haben, sind Rudolf Keller40 – wenn auch für die Auseinandersetzung des Flacius 35

Twesten: Matthias Flacius Illyricus. Flacius: Apologia; Flacius: Entschuldigung; zur Diskussion der Apologie und der interpretativen Schlüsselrolle der in ihr geschilderten Überwindung der Anfechtung vgl. Kaufmann: Erfahrungsmuster, S. 298 ff., bes. Anm. 90. 37 So etwa bei Ritschl: Theologie und Metaphysik, S. 55 f.; Chalybaeus: Durchführung des Interims, S. 4–15; Haußleiter: Flacius als Herausgeber, passim; Dingel: Flacius als Schüler; Zeeden: Luther und die Reformation, S. 47–53; Massner: Überlieferung und Autorität, S. 14–15.28–35; Bring: Verhältnis, S. 97–102; Koch: Philippismus, S. 67; Barton: Luthers Erbe, S. 10 f.; Scheible: Melanchthon, S. 192; Scheible: Der Catalogus Testium Veritatis; Scheible: Entstehung der Magdeburger Zenturien; Diener: The Magdeburg centuries, S. 99 ff., bes. Anm. 113, welcher letzterer insbesondere Ritschls Einordnung völlig überzeugend korrigiert, zu finden. 38 Vgl. Olson: Flacius and the survival, S. 44 ff., bes. S. 46 [Anm. 67]. Zum Problem der Rekonstruktion von „Ideologiebegriffen“ exemplarisch: Gadamer: Rhetorik, Hermeneutik und Ideologiekritik, S. 63–67; Koselleck: Vergangene Zukunft3 , S. 349–375. 39 Preger: Flacius und seine Zeit Bd. I S. 108 ff. 40 Vgl. Keller: Schlüssel zur Schrift, S. 25–92. 36

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mit Kaspar Schwenckfeld41 – und Thomas Kaufmann42 – hier für die Magdeburger Publizistik, in der Flacius als Autor zwar eine nicht unbedeutende Rolle spielt, aber eben auch nicht exklusiv Berücksichtigung finden kann. Dies muß um so mehr gelten, wenn man wie Kaufmann die Drucke vornehmlich gattungstypologisch in den Blick nimmt.43 Im Bild gesprochen: Es ist – von den beiden genannten Ausnahmen einmal abgesehen – hinsichtlich der Beurteilung der Publikationstätigkeit des Flacius zum Interim sowie ihrer Chronologie oftmals so, als hätte man nach der Baugeschichte eines Gebäudes gefragt, und die befragte Person hätte schlicht einen Grundriß gereicht, ohne den der Zeit des jeweiligen Architekten entsprechenden Technik- und Materialstand, die Ausbaustufen in ihrer Entwicklung, den Zweck einzelner Gebäudeelemente oder zumindest doch den Plan der Anlage im Sinne seiner Ordnung zu erläutern. Die fragende Person wüßte freilich mit dem Grundriß in der Hand immer noch genügend, um sich in besagtem Gebäude zu orientieren. Aber das Eigentliche der Struktur – gerade auch in ihrer schrittweisen baulichen Verwirklichung, der folgend z.B. der Architekt der Anlage seine Aufgaben unter notgedrungen spontaner Berücksichtigung plötzlich sich ergebender Schwierigkeiten bewältigt hat – bliebe fürs erste verborgen. Um so bedauerlicher, sofern von der oberflächlich bzw. wortwörtlich den Texten entnommenen „Erfüllung“ eines angeblichen Zwecks oftmals in recht bedenklicher Weise auf die Absicht oder die Verwirklichung im Sinne theologiepolitischer Verortbarkeit geschlossen wurde. In anderen Worten: Die Propaganda wirkte nachhaltig fort.

1.2 Der Tradition verhaftet Der Schwerpunkt der Betrachtung soll nun auf den ersten kirchenpolitischen Schriften des Flacius liegen, d.h. denen der Jahre 1548 und 1549. Sie sind insbesondere deswegen von Interesse, weil sie sowohl Antwort auf die Frage nach der methodisch-publizistischen Entwicklung des Flacius in der Zeit kurz vor bis zu seinem Weggang aus Wittenberg, seine anfänglichen Quellen- bzw. Traditionsbezüge, als auch – sofern überhaupt existent – denjenigen Punkt, an dem eine vollständige Abkehr von Melanchthon erfolgte, Auskunft geben können und zudem, worin diese Abkehr zu sehen wäre. Hiermit ist das weitere Vorgehen einer der autoritätsstiftenden Publizistik des Flacius gewidmeten Untersuchung implizit erfaßt: Es soll im Folgenden darum gehen, das Nacheinander der Gedanken und Argumente wie auch ihre Herkunft aus bzw. ihren neuordnenden Bezug auf die theologische Tradition – auch im Sinne des Ausschlusses – als Instrumentalisierung im Hinblick auf eine Publika41 42 43

Vgl. BBKL 9 (1995), Sp. 1215–1235. Vgl. Kaufmann: Ende der Reformation. Vgl. Kaufmann: Ende der Reformation, S. 240–257.268–381.

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tionsabsicht im gedruckten Medium zu verstehen44 . Denn wie der Architekt im Raum, so disponiert der Publizist in der Zeit; und wie jener nach den Bedürfnissen des beauftragenden Bauherren konstruiert, so baut dieser mit Rücksicht auf das, was den Zweck der Veröffentlichung wie auch der Darstellung im Detail ausmacht: die Überzeugung der Leser, der Sieg der publizierten Auffassung.45 Die antike Redetheorie hat diese Zweck- bzw. Zielorientierung der rednerischen dispositio ( ´ ), die von dem nur Wohlgefälligen eines schön proportionierten Kunstwerks ebenso deutlich zu trennen ist46 , wie von der Klarheit einer logisch gegliederten Abhandlung47 , durch ein wenig friedfertiges Beispiel verdeutlicht: Wie es für den Feldherrn nicht allein wichtig sein kann, über welche Stärke und welche Bewaffnung seine Soldaten verfügen, sondern vor allem, daß er sie in der richtigen Anordnung aufzustellen und einzusetzen weiß, so zählen auch beim Redner nicht nur die Gedanken als solche: Sein Erfolg hängt wesent44 Daß es hierbei überhaupt sinnvoll sein soll, etwa ein rhetorisches Grundschema – zumal eines der forensischen Rhetorik – zur Anwendung zu bringen, rechtfertigt zunächst die allgemeine wie individuelle Bildungsgeschichte (vgl. Grafton: Philologie und Bildung, bes. auch die Literatur S. 43; Jäger: Klassische Philologie3 , S. 139–144; Pfeiffer: Klassische Philologie, S. 17–155; Hentschke/Muhlack: Einführung, S. 5–59; zum Wittenberger Humanismus vgl. Grossmann: Humanism, S. 36–85; Junghans: Luthers Einfluß; Kathe: Philosophische Fakultät, S. 1–125; Sperl: Melanchthon; Wriedt: Anfänge, hier: S. 33 f.; zu Flacius bzw. der rhetorischen Anlage bei seinem Lehrer Melanchthon s.u. S. 17.). Daneben auch der materielle Untersuchungsgegenstand, i.e. die gedruckten Flugschriften, insofern Flacius im Medium der Flugschrift zumindest bezogen auf unseren thematischen Kontext – andernorts hat er disputiert – erstens strittige Sachverhalte in Orientierung an einem im Zuge der Untersuchung noch näher zu bestimmenden Kanon zur Entscheidung zu führen sucht, und sich dabei zweitens formal in Begriff und Struktur in Simulation eines Kommunikationszusammenhangs – seien es Sachgliederungen, seien es Schilderungen von Tatbeständen, seien es Argumentationen, seien es Plädoyers, seien es Gegenreden – auch solche im Predigtstil –, seien es Belehrungen – an antike Redetradition, die er selbst bei Johann Baptista Egnatio (s.u. S. 13) verinnerlichen konnte, anlehnend, quasi sprechend an seine Leser wendet: Ebensogut wäre der – freilich taube – Prediger auf der Kanzel vorstellbar (s.u. S. 59 ff.). Hinzu kommt die rezipienten- wie medienbezogene Tatsache, daß zumindest noch in weiten Teilen Textantizipation im 16. Jahrhundert über Vorlesen oder Vorsprechen durch Prediger, „wandernde Journalisten“ oder „Reimsänger“ – etwa auf den Märkten – vermittelt war: vgl. Wilke: Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte, S. 10–18. Dies hat für die Textkonstitution eine Rolle gespielt. Zuletzt rechtfertigt es die Wirklichkeit religiöser Interpersonalität an sich, religiöse Glaubensgemeinschaften auf die „gemeinschaftsstiftende Kraft und Wirksamkeit persuasiver Rede und Verkündigung“ zurückzuführen, ja „Religion als Phänomen menschlicher Kultur ‚more rhetorico‘ zu betrachten“: vgl. Oesterreich: Erfindung, S. 70. 45 In der hier folgend versuchten Skizze eines Teilgebietes dessen, was „rhetorische Auslegungslehre“ heißen könnte, verdankt sich – neben den grundsätzlichen Überlegungen von Gadamer: Rhetorik, Hermeneutik und Ideologiekritik – der größte Teil den Ausführungen „Grundsätze der forensischen Rhetorik“ von Neumeister: Grundsätze der forensischen Rhetorik. An älterem scheint mir vor allem das – kaum auszuschöpfende – Handbuch der katholischen Kanzelberedsamkeit von Lutz, J.: Handbuch der Kanzelberedsamkeit – v.a. S. 786 ff. – beachtenswert. Grundlegende Übersicht bietet ebenso fundiert wie straff nach wie vor Fuhrmann: Rhetorik3 . 46 Vgl. Neumeister: Grundsätze der forensischen Rhetorik, S. 11 f. 47 Eindrucksvoll – wie auch gerade für die Publizistik passend – formuliert Vischer: Aesthetik2 , III S. 1437 f.: „[. . . D]ie Anordnung [. . . ] keine Aufgabe des prosaischen Denkens, nicht rein logisch, sondern die bestimmte Energie seines Zwecks gebietet es [. . . ], die Überzeugungsgründe [. . . ] so zu disponieren, daß diese sämtlichen Kräfte steigend zu einem Strom anwachsen, der endlich reif ist, durch die Schleusen zu brechen, d.h. als Entschluß [. . . ], als That in die Welt hinauszufluthen.“ Die neuere Rhetorik spricht hier gerne vergleichsweise platt von einem „psychologischen“Aufbau; im Gegensatz zum logischen. Vgl. auch Hovland: Order of Presentation3 .

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lich davon ab, daß er sie wirkungsvoll gruppiert und eine jede Information, ein jedes Argument zu der Zeit ins Spiel bringt, da er im Denken des Hörers, dem Kampfplatz der Rede, am meisten auszurichten vermag.48 Seit den frühesten Anfängen hat die Rhetorik der Disposition besonderes Interesse gewidmet, man kann sogar sagen, daß Rhetorik ihr eigentliches Dasein darin begründet, daß sie die überzeugende Rede in Glieder disponiert.49 Im Kern der Rede stehen – ich gebrauche hier wie im folgenden die lateinische Terminologie, wie sie vor allem durch Quintilian traditionell geworden ist – die beiden vorwiegend auf Belehrung des Hörers gerichteten Teile50 : die narratio, d.h. die erzählende Vorstellung des Sachverhalts – „Dies und das ist geschehen“ –, und die argumentatio, d.h. die Diskussion dieses Sachverhalts, welcher entweder hinsichtlich seiner Faktizität zur Debatte steht – „Aus diesen und jenen Gründen muß sich die Sache so und so ereignet haben“ –, oder aber, wenn das Geschehen an sich unumstritten ist, hinsichtlich seiner Qualifikation – „Aus diesen und jenen Gründen muß die Sache so und so beurteilt werden“. Um diesen inneren Kern der Rede gruppieren sich dann die beiden Redeteile, die mehr auf Stimmung und Gefühle des Rezipienten berechnet sind: das prooemium, d.h. die Einleitung, durch welche das Publikum willens und fähig gemacht wird, den Ausführungen zu folgen, und die peroratio, d.h. der Redeschluß, in welchem mit einer zusammenfassenden Vergegenwärtigung des Gesagten der entscheidende Appell formuliert wird: „So mußt du entscheiden!“ Dieses einfachste Schema der zweckmäßigen Rede, das, wie Cicero einmal sagt, von der Natur selbst gegeben zu sein scheint51 , wird dann bereits im Laufe des fünften Jahrhunderts v. Chr. so vielfach angereichert, ja künstlich verfeinert, daß sich Platon in seinem Phaidros52 über die von Rhetoren ausgetüftelten Redeteile wie den „Hinterdreinbeweis“ und das 48

Vgl. Cic. Brut. 139: omnia veniebant Antonio in mentem eaque suo quaeque loco, ubi plurimum proficere et valere possent, ut ab imperatore equites, pedites, levis armatura, sic ab illo in maxime opportunis orationis partibus conlocabantur. Sonst: Rhet. Her. 3, 18; Quint. inst. 7, prooem. 2; 7, 10, 13. Ein anderes Gleichnis, in dem jedoch gerade dies zweckhaft Proportionierte der Rede weniger hervortritt, ist das vom lebendigen Körper: Plat. Phaedr. 264 c: [. . . ] ´ ´ ´ [. . . ]. Vgl. Aristot. rhet. 1415 b; Cic. de or. 2, 325; Cic. Brut. 208 f.; Quint. inst . 7 ` prooem. 2; inst. 7, 10, 16 et. al. 49 Dies gilt auch und gerade für Melanchthon: Vgl. Melanchthon: Institutiones Rhetoricae B5v : Dispositionem ait Cicero in secundo de Oratore [sc. libro] tantum posse in dicendo, ut ad uicendum nulla plus possit. Melanchthon: Elementorum Rhetorices libri, D3v : De Dispositione: Cicero nullam partem scribit plu ad victoriam conducere, quam dispositionem. 50 Nach Cic. part. 4; vgl. Cic. de or. 2, 311; Quint. inst. 8 prooem. 7 et al. 51 Cic. de or. 2, 307: [. . . ] hoc dicendi natura ipsa praescribit; vgl. Quint. inst. 2, 17, 6: [. . . ] cuius sententiae [sc. rhetoricam non esse artem] talis defensio est, quod indocti et barbari et servi, pro se cum locuntur, aliquid dicant simile principio, narrent, probent, refutent et, quod vim habeat epilogi, deprecentur. Entsprechend formuliert Melanchthon: Institutiones Rhetoricae A2v : Est enim observatio quaedam naturae, qua in quavis re ipsa hominum ratio considerat, quid prius, quid posterus, quid proprium, quid improprium sit, in B5v : Esto autem haec unica disponendi regula, ut naturae ordinem sequaris, quem ipsa dicendi ratio praeferebit bzw. Melanchthon: Elementorum Rhetorices libri D4r : Ac profecto mirum est, quum hunc ordinem in dicendo natura ostendat etiam indoctis. 52 Plat. Phaid. 267 a.

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Die Karriere bis 1546

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„Rand- oder Nebenlob“ lustig machen konnte.53 Im pragmatischen Sinne durchgesetzt haben sich die Systeme aus Ciceros De inventione, das des zu Melanchthons Zeit noch als echter Cicero geltenden auctor ad Herrenium und Quintilians Anweisungen der institutio oratoria. Sie kennen außer den genannten noch die folgenden Redeteile: die unmittelbar auf die narratio folgende Bezeichnung des exakten Streitpunktes – „Darum geht es“– als propositio54 und die mit dieser verbundene partitio, d.h. die Angabe der der argumentatio zugrundeliegenden Gliederung – „Zuerst werde ich jenes, dann dieses beweisen bzw. widerlegen“. In eben diesem Sinne wird auch die argumentatio zerlegt in eine positiv beweisende confirmatio und eine negativ widerlegende re- bzw. confutatio, wobei auch für die Anordnung im Inneren gewisse Vorschriften gemacht werden. Die peroratio schließlich soll enthalten: enumeratio – Rekapitulation des Gesagten –, indignatio – Erregung von Antipathie gegen Gegner55 –, conquestio – Erregung von Mitleid i.e. Identifikation mit der Sache des Vortrags, letzteres bevorzugt die Sache des Verteidigers.

2. Die Karriere bis 1546 Mit Blick auf die europäische Bildungs- und Kulturgeschichte ist die antike Redetheorie ein wichtiges Hilfsmittel zur Beschreibung und Erkenntnis von Argumentationsmustern.56 Aber inwiefern ist sie es im traditionalen Sinne auch für die Analyse von Publikationen wie „Flugschriften“ des 16. Jahrhunderts aus der Feder des magister artium Flacius? Insofern Matthias Flacius Illyricus in Venedig studierte57 , wurde er – neben der ohnehin ausgeprägten Cicerorezeption bei den 53 Einen Überblick über die Redeteile der verschiedenen Systeme gibt Lausberg: Handbuch der literarischen Rhetorik § 262. 54 So auch bei Melanchthon: Elementorum Rhetorices libri, D4r . 55 Der Auctor setzt stärker auf die Polemik, wenn er an Stelle der indignatio sogar amplificatio verlangt; vgl. Rhet. Her. 2, 47. 56 S.o. S. 11 nebst Anmerkungen; Wimmel: Die Kultur holt uns ein, S. 9 ff. 57 Vgl. Preger: Flacius und seine Zeit Bd. 1, S. 14; Barton: Flacius, S. 278; Olson: Flacius (TRE), S. 206; Olson: Flacius and the survival, S. 25–38; Kaufmann: Matthias Flacius Illyricus, S. 178–180. Man führe sich nur einmal die folgende Liste der von seinem Lehrer Johann Baptista Egnatio, einem Erasmusschüler – teils in Zusammenarbeit mit Erasmus – bis 1544 herausgegebenen Titel (Textausgaben und Kommentare) vor Augen: M. T. Ciceronis Epistolae familiares Ioannis Baptistae Egnatii eruditissima interpretamenta. Ubertini Crescentinatis uberiora comenta. Martini Philetici expositio S.l., 1505 [ca.]; M. T. Ciceronis Epistolae familiares Ioannis Baptistae Egnatii eruditissima interpretamanta, Ubertini Crescenti [. . . ] com[m]enta, Martini Philetici expositio. Primi libri ad lentulum Per Georgium Merulam [. . . ] argumentu[m] Et Politiani [. . . ] annotationes [. . . ] Aditu[m] est Quiritibus corolarium Ascensi Tractatus de generibus [. . . ] epistolae Mediolani: Vegius, 1509; Ovidii Nas. Heroides, Sappho et Ibis cum J. Bapt. Egnatii observationibus Venetiis, 1515; Ioannis Baptistae Egnatii Veneti in Ovidii Heroides Sapphus epistolam & Ibin observationes Venetiis: Paganini, 1515; M. T. Cic[eronis] officiorum lib. 3, Cato maior, sive de senectute. Laelius, sive de amicitia. Somnium Scipionis ex VI, de rep.. excerptum. Pa. [Ed. Joannes Baptista Egnatius] e Theodorus : radoxa. `

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Rhetorikern des späten Mittelalters58 – mit der vertieften rede- und literaturtheoretischen Tradition gerade Norditaliens konfrontiert, die sich systematisch an die Lehren antiker Rede-, Stil- und Dichtungstheorie – vor allem an Ciceros de inventione und de oratore, an die rhetorica ad Herennium, an Servius mit seinem Vergil-Kommentar, an Horaz mit seiner ars poetica und an Quintilians institutio oratoria – anlehnte bzw. diese selbst bewahrte.59 Nachdem er noch in Albona den grammatischen Schulunterricht bei dem Mailänder Francesco Ascerio60 abgeschlossen hatte, ging er im Alter von 16 Jahren nach Venedig zu Giambattista Cipelli – auch bekannt als Johann Baptista Egnatio –, einem Schüler und Kollegen des Erasmus.61 Cipellis Einfluß, gerade was seine Auffassung einer praktischen Orientierung der Bildung angeht, kann nicht genug Beachtung finden: Er gebrauchte systematisch die Exempelmethode in Verknüpfung mit lokalhistorischer Analyse nach thematischen (Vergleichs)Gesichtspunkten zur Gewinnung von Argumenten62 für politische Optionen wie für apologetische Zwecke63 und bereitete dieser Methode mit der Heraus´ ´ Venetiis 1515; Quinti Septimi Florentis Tertulliani Apologeticus. [Ed. Giovanni Battista Egnatio] Venet. 1515; [In hoc volumine haec continentur] Ioannis Baptistae Egnatii Veneti de Caesaribus: libri III a dictatore Caesare ad Constantinum Palaeologum, hinc a Carolo Magno ad Maximilianum Caesarem [. . . ] Venetiis: Aldus & Socerus, 1516; Ioannis Baptistae Egnatii Veneti De Caesaribus libri III: a dictatore Caesare ad Constantinum Palaeologum, hinc a Carolo Magno ad Maximilianum Caesarem Venetiis: Aldus, 1516; In Dioscoridem annotamenta Egnazii, Giovanni B. Venetia, 1516 [In hoc volumine haec continentur Ioannis Baptistae Egnatii Veneti in Dioscoridem ab Hermolao Barbaro tralatum annotamenta, quibus morborum et remediorum vocabula obscura in usum etiam mediocriter eruditorum explicantur. Pedacii Dioscoridis Anazarbei de medicinali materia [et al.] Venetiis: Gregoriorus, 1516]; In hoc volumine haec continentur, Nervae et Traiani atque Adriani Caesarum vitae ex Dione, Georgio Merula interprete, Aelius Spartianus [. . . ] Ab Ioanne Baptista Egnatio Veneto diligentissime castigati. Eiusdem Io. baptistae Egnatii de Caesaribus libri tres [et al.] Venetiis: Aldus & Socerus, 1519; Suetonii Duodecim caesares Index rerum memorabilium per singula Tranquilli Caesares ab I[oannes] B[ap.] Egnatio [. . . ] compositus. Sext. Aurelii Victoris a D. Caesare Augusto usque Theodosium excerpta. Eutropii de gestis romanorum libri X. Pauli Diaconi libri VIII. ad Eutropii historiam additi Venetia: Aldus, 1521; Omnia quam antehac emendatiora: annotationes Des. Erasmi & Egnatii cognitu dignae, C. Suetonius Tranquillus, Dion Cassius, Aelius Spartianus, Iulius Capitolinus, Aelius Lampridius, Vulcatius Gallicanus, Trebellius Pollio, Flavius Vopiscus, Herodianus Politiano interp., Sex. Aurelius Victor, Pomponius Laetus, Io. Baptista Egnatius, Ammianus Marcellinus quatuor libris auctus ; cum indicibus copiosis. – Basileae: Froben, 1533; P. Vergilii Maronis Bucolica, Georgica, et Aeneis / Servii Honorati et Aelii Donati [. . . ] commentariis illustrata [. . . ] castigatius excusa Basileae: Curio, 1544. 58 Vgl. Kesting: Cicero (DLMA)2 , Sp. 1275 f. 59 Vgl. Klopsch: Rhetorik I. (LMA), Sp. 787–789; Gier: Rhetorik III. (LMA), Sp. 791 f.; Alessio: Rhetorica ad Herennium (LMA), Sp. 785 f.; Ax: Lorenzo Valla. 60 Vgl. Olson: Flacius and the survival, S. 28, bes. Anm. 26. 61 Vgl. Olson: Flacius and the survival, S. 29–35. 62 Hartmann: Humanismus und Kirchenkritik, S. 32–36 ignoriert diesen bei Flacius also schon sehr früh angelegten Sachverhalt. Zu den weiteren vorbildlich wirkenden bzw. im Rahmen ihrer Programmatik anregenden – vornehmlich erasmianischen – Gelehrten der Zeit s.u. S. 19. 63 Vgl. Egnatio: de Exemplis, fol. 6a : ein der sonst ungewöhnlich toleranten Prägung Venedigs deutlich widerstrebendes – gleichsam antik inspiriertes – Votum gegen die Tatsache, daß in der Stadt eine Maumetana superstitio gefunden werden könne. Entsprechend auch seine Haltung zum Tyrannenmord, soweit es etwa die Beurteilung des Lampugnani angeht. Vgl. Egnatio: de Exemplis, fol. 99b ; zum Schulprofil vgl. Ross: Venetian Schools and Teachers; allgemein nach wie vor instruktiv: Burckhardt: Kultur der Renaissance10 , Bd. 1, S. 266–273.

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gabe und Kommentierung vor allem kaiserzeitlicher historisch-biographischer Quellen, deren Sammlung er systematisch um mittelalterliche Quellen erweiterte, selbst den Weg. Nach dreijähriger Ausbildung bei diesem seinem Rhetor machte sich Matthias Flacius, der Theologie studieren wollte, auf Rat seines Onkels, des Franziskanerprovinzials Baldo Lupetino, schließlich auf die Reise ins Deutsche Reich.64

2.1 Basel und Tübingen Über Augsburg – Bonifazius Wolfhart alias Lykosthenes65 hatte ihn von dort gleich weiterdirigiert – gelangte er nach Basel,66 wo sich Matthias Flacius Illyricus zur Zeit des Rektorats von Niklaus Briefer67 – also nach dem 1. Mai 1539 – als Matheus de Franciscis, de Albona Polensis dioc.[esi] in Illirico sub Venetorum dicione – pauper68

immatrikulierte. Der Hinweis im Kommentar der Baseler Universitätsmatrikel auf ein bereits zuvor am 6. Mai 1534 begonnenes Studium in Wittenberg69 – angeblich also im Alter von 14 Jahren – verwechselt unseren Protagonisten offensichtlich mit Mathias Garbicius Illyricus70 , der 1539 bereits in Tübingen tätig war. Unser Matthias studierte nun bei Simon Grynaeus71 – in dessen Haus war er auf Lykosthenes’ Empfehlung untergekommen – Biblica und bei Oporinus72 vornehmlich Griechisch. Bei Sebastian Münster73 besuchte er wohl Hebräisch-Lektionen.74 Nach einem Jahr zog er weiter nach Tübingen, wo er bei dem bereits erwähnten Landsmann Mathias Garbicius Illyricus, Gräzistik-Professor und Wittenberger Magister, wohnte.75 In den Matrikeln76 ist unser Matthias Flacius Illyricus hier nicht nachweisbar, und von seinen Studien – wie man es auch für die Baseler Zeit festhalten muß – wenig bekannt, sieht man von den immernoch spärlichen Details, die in mit mehrjähriger Distanz niedergeschriebenen Berichten zu 64

Vgl. Flacius: Entschuldigung D4v ; Heldelinus: Ein christliche Predigt T2v . Vgl. Zedler 18, Sp. 1458. 66 Vgl. Heldelinus: Ein christliche Predigt T2v . 67 Rektor vom 1. Mai 1539 bis 30. April 1540. 68 Vgl. Wackernagel: Matrikel der Universität Basel II, S. 22. 69 Vgl.Förstemann: Album 1. 70 Vgl. ADB 8, S. 367. 71 Vgl. AdamP H3v –H4v ; Zedler 11, Sp. 1158 f.; Pfeiffer: Klassische Philologie, S. 111.175. 72 Vgl. Hartmann: Humanismus und Kirchenkritik, S. 75 ff.; Steinmann: Johannes Oporinus; NDB 8, S. 590*.720*; NDB 10, S. 189*; NDB 19, S. 555 f.; ADB 24, S. 381–387; ADB 45, S. 669 (Korrektur); AdamP Q1v –Q4v ; Zedler 25, Sp. 1676–1678. 73 Vgl. BBKL 6 (1993), Sp. 316–326. 74 Vgl. Heldelinus: Ein christliche Predigt T2r f.; Preger: Flacius und seine Zeit, Bd. 2, S. 481; Olson: Flacius and the survival, S. 35 f. 75 Vgl. Heldelinus: Ein christliche Predigt T3r ; Olson: Flacius and the survival, S. 37. 76 Vgl. Hermelink: Matrikeln der Universität Tübingen 1. 65

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lesen sind.77 Immerhin schreibt er selbst, er habe hier als Repetitor bei Garbicius ein Auskommen gefunden, und Camerarius78 , Schenk79 und Leonhard Fuchs80 kennengelernt, ja mit letzterem sogar Freundschaft geschlossen.81 Sie alle empfahlen ihn schließlich an Melanchthon.82

2.2 Nach Wittenberg 1541, zur Zeit des Regensburger Religionsgespräches reiste er schließlich nach Wittenberg.83 Melanchthon empfahl ihn an Dr. Friedrich Backofen84 , bei dem er auch wohnte,85 und vermittelte Flacius, der in der Matrikel vermutlich als der im Oktober 1541 unter den gratis inscripti sub vicerectoratu Georgij maioris verzeichnete Mattheus Watzer ex Dalmatia86

geführt ist, Schüler im Griechischen und Hebräischen.87 Er besuchte in dieser Zeit hauptsächlich Vorlesungen bei dem Gräzisten und Latinisten Ortelius88 und Me77 Prominentestes Beispiel für die Baseler Zeit wäre der Bericht des Flacius-Schülers Heinrich Pantaleon in seiner dreibändigen Prosopographiae Herovm Atqve Illvstrivm Virorum Totivs Germaniae, Pars [...] In Hac Personarum Descriptione Omnium Tam Armis Et Authoritate, quam literis & religione totius Germaniae celebrium virorum Vitae & res praeclare gestae bona fide referuntur Authore Heinrico Pantaleone Physico Basiliensi. [Basileae: Byringer 1565–1566]. 78 Vgl. BBKL 1 (1990), Sp. 891 f. 79 Offensichtlich meinte Flacius Jakob Schenk; vgl. ADB 31, S. 49–51. 80 Vgl. NDB 5, S. 681 f.; NDB 19, S. 439 (in Artikel: Öllinger, Georg); NDB 21, S. 217 (in Artikel: Rauwolf, Leonhard); ADB 8, S. 169–170. 81 Vgl. Heldelinus: Ein christliche Predigt T3v . 82 Preger: Flacius und seine Zeit, Bd. 1, S. 21 interpretiert die entsprechende Passage aus Camerarius: De Philippi Melanchthonis ortu so, als sei der Autor exklusiv für die Empfehlung verantwortlich; dort heißt es allerdings Ususque est hospitio Garbicii pro facultatibus ipsius non illiberali, & expertus meam quoque & aliorum benevolentiam ac studium. Inde discedens Wittenbergam est profectus. Eumque humanitate aliquanto maiore complexus est Philippus Melanchthon, quod a nobis advenisset; ebd., S. 286. Die Deutung des a nobis als majestatis erscheint allerdings angesichts des doch unmittelbar im vorangegangen Satz stehenden Ausdrucks meam [...] benevolentiam ein wenig gezwungen. 83 Vgl. Dingel: Flacius als Schüler, S. 79, Anm. 4; Heldelinus: Ein christliche Predigt T3r . 84 Friedrich Backofen aus Leipzig wurde am 23. Januar 1534 in Wittenberg immatrikuliert, im Winter 1536/37 Baccalaureus, am 10. Juli 1539 Magister artium und am 23. Mai 1540 von Luther ordiniert; vgl. WABr 8, Nr. 3419 [Vorbemerkungen 619 f.: Die wiedergegebene Vermutung von Enders 12, 3124 , Backofen sei schon 1539 bei Medler in Naumburg gewesen, geht wohl auf eine etwas weiter gefaßte Interpretation folgender Formulierung zurück: [6] [. . . ] Nec opus est M. Corbianum sumptus [7] facere, Qui est per omnia etiam apud Virginem excusatus, tantum [8] Backofen et Tu poteris hoc tempus et sumtum perdere. Sie wird durch die vorliegende Information des Flacius widerlegt.]; WABr 12, Nr. 4329 (442, 67 ff.). 85 Vgl. Flacius: Entschuldigung E1r ; Olson: Flacius and the survival, S. 47. 86 Vgl. Förstemann: Album 1, S. 191; WABr 10, Nr. 3884; WABr 10, Nr. 3943 (461, Anm. 6). Dafür, daß sich hinter dem Eintrag tatsächlich Flacius verbirgt, spricht zunächst die einen Hörfehler nahelegende lautliche Ähnlichkeit von Watzer und Vlacich und schließlich die Herkunftsangabe Dalmatia, sofern sie als Regionalbezeichnung ungeachtet der wechselnden Obrigkeiten von der Antike bis ins 16. Jh. gültig blieb. 87 Vgl. Heldelinus: Ein christliche Predigt T3r . 88 Vgl. NDB 5, S. 377*; ADB 43, S. 462 f.

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lanchthon, war mit dem Latinisten Paul Eber89 eng verbunden und kam in Kontakt mit Luther.90 In diese Zeit könnte auch die Erweiterung seines Namens um die geographische Spezifizierung seiner Herkunft, das cognomen „Illyricus“, fallen. Als Hinweis auf eine solche erst später vorgenommene präzisierende Ergänzung mag das handschriftlich notierte, beim Einbinden beschädigte elegische Distichon dienen, welches sich in einem Wolfenbütteler Band91 eines PsalmenDrucks92 im Rückendeckel findet: ˘os˘a C˘oh¯ors || n˘omin¯ ˘ are93 dix¯ ¯ er¯e †l¯acum94 M¯e qu¯ond¯am || St˘udi¯ 95 ˘ ¯ ˘ N¯omin˘e m¯ut¯at¯o || n¯unc v˘oc˘or Ill˘yricus

2.2.1 Lehr- und Lernprofile Die wohl bis dahin noch stark philologisch-formalbildend geprägten Studien erhielten hier in Wittenberg eine weniger als Bruch, denn als Kontinuität zu begreifende systematische Prägung durch das Studium bei Melanchthon96 : Die theologische Bildung an den loci als „Anwendung“ eines der Antike entnommenen „dialektisch-rhetorischen [. . . ] Begriffes auf die Geschichte“97 hat für das Kon89

Vgl. BBKL 1 (1990), Sp. 1441 f. Olson: Flacius and the survival, S. 41–49. 91 HAB A 183b.8◦ Helmst.; für den Hinweis auf den Band danke ich Frau Dr. Maria von Katte (HAB Wolfenbüttel). 92 VD 16 B 3157; o.O./o.J.; vermutlich Baseler Druck von 1536 bei Bartholomäus Westheimer (Signet/Schild: Pfeil mit umringelndem Fisch). 93 Gestrichen; darüber: nominare vocare. 94 Nicht nur die zuletzt vorzunehmende Konjektur, sondern auch die Streichung durch den konzipierenden Dichter verdient eine knappe Erklärung: Das anapästische nominare würde – ganz abgesehen von der doppelten Kürzung, d.h. der des Perfektstamms und der der Personalendung, zunächst ebenso wie auch die darüber notierten Alternativen nominare vocare – nicht den quantitativen Anforderungen des Hexameters genügen. Daß letztlich dixere der endgültigen Fassung entspricht, wird insofern plausibel, als es allein in die Versfußzählung passen würde, wenn man etwa [†F†]lacus und damit die Endsilbe des vorhergehenden Wortes „positionslang“ d.h. geschlossen liest. Auch wenn der fünfte Versfuß dann – was an sich höchst selten ist – spondeisch lautet; vgl. Crusius: Römische Metrik8 , S. 42 ff., bes. S. 48 f. Die Abweichung der Kongruenz cohors . . . dixere ließe sich hingegen leicht als constructio ad sensum verstehen, berücksichtigt man den hier natürlich pluralen, kollektiven Charakter von studiosa cohors. 95 Für die Annahme der Wittenberger Zeit spricht, daß er sich in Basel zwar schon mit Angabe seiner Herkunft in Illirico, aber noch ohne Nachnamen bzw. Hinweis auf das Vlacich inskribierte. Überdies verweist Flacius auf einen alten Gebrauch der Anrede seitens der (Mit)Studenten – vermutlich [†F†]lacus –, was eine Benennung am Studienort Basel, gleichwohl Druckort besagten Psalmen-Druckes, unter Berücksichtigung des Matrikeleintrags unwahrscheinlich erscheinen läßt. Später in Tübingen bestand immerhin Verwechslungsgefahr mit dem erwähnten Mathias Garbicius Illyricus, die eine Erweiterung um das die Verwechslung begünstigende Element Illyricus kaum beförderte. Mit der Magisterpromotion war der Beiname in Wittenberg spätestens aktenkundig und offiziell; vgl. Köstlin: Baccalaurei und Magistri (39a ). 96 Vgl. Leiner: Anfänge der Hermeneutik. 97 Maurer: Melanchthons Loci, S. 17; Maurer: Melanchthon zwischen Humanismus und Reformation, S. 114–118; Gadamer: Gesammelte Werke, II, S. 286–290; Zovko: Rezeption von Flacius, S. 182 f.; Talanga: Paralipomena, S. 112–118; Kordi´c: Organismusbegriff , S. 80–92; im umfassenderen Sinne zur Darstellung der Rhetorik Melanchthons ist die Untersuchung von Kuropka: Melanchthon: Wissenschaft und Gesellschaft einschlägig; vgl. daneben Kathe: Philosophische Fakultät, S. 60–63; insbesondere zur syste90

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zept der clavis des Flacius ebenso wie für den Catalogus über die Entwicklung der Zenturien bis hin zur Anlage der Paralipomena Dialectices Pate gestanden.98 Sie deckte sich überdies mit den bereits erwähnten topischen Anlagen der venezianischen Schule unter Egnatio.99 Melanchthon hatte bereits in seiner Tübinger Zeit durch Weiterführung der Ansätze des Erasmus die Rhetorik mit der Auslegungskunst verbunden100 , eine Anlage, die schließlich in den Elementa Rhetorices von 1531 bzw. der zweiten, korrigierten Auflage von 1537101 deutlich zum Ausdruck kam: Nemo enim potest longas contentiones et perplexas disputationes animo complecti, nisi arte aliqua adiuvetur, quae ostendat seriem partium, et intervalla, et dicentium consilia, et viam tradat res obscuras explicandi ac patefaciendi. Haec utilitas movit homines prudentes, ad excogitanda praecepta, ut in commune consulerent omnibus [. . . ] Quare et nos ad hunc usum trademus Rhetoricen, ut adolescentes adiuvet in bonis autoribus legendis, qui quidem sine hac via nullo modo intellegi possunt.102

bzw. Quanquam autem ipsa praecepta Rhetorices levia & perquam puerilia videntur, tamen hoc sibi persuadent adolescentes, & ad iudicandum, & ad maximas caussas explicandas prorsus ea necessaria esse.103 [. . . ] Quum enim imperiti non possint longas & difficiles disputationes intelligere, si semel decurrant oculi per universum corpus orationis, necesse est ordinem regionesque partium ostendere, ut singula membra considerari queant, & iudicari quomodo consentiant.104 105 Zugleich hatte Melanchthon einen reformatorischen ausgearbeitet, der nun in Abkehr vom Humanismus erasmischer Prägung einer grundlegend ab-

matischen Einübung der Deklamation zur monologischen Argumentation und im Dienste der Polemik S. 75–77. 98 Vgl. Talanga: Paralipomena; Keller: Schlüssel zur Schrift, S. 11–22; Moldaenke: Schriftverständnis; Scheible: Melanchthon als akademischer Lehrer, S. 20–24; Diener: The Magdeburg centuries, S. 111 ff.; Scheible: Der Plan der Magdeburger Zenturien, S. 33–120; insbesondere zur Rhetorik als bildendem Prinzip für Historiographie vgl. Kathe: Philosophische Fakultät, S. 120. 99 S.o. S. 14. 100 Vgl. Scheible: Melanchthon als akademischer Lehrer, S. 23; Reventlow: Epochen der Bibelauslegung III, S. 93–97. 101 Hier sind wesentlich die Ausführungen der älteren Rhetorik als Melanchthon: Institutiones Rhetoricae und der älteren Dialektik als Melanchthon: Compendiaria Dialectices Ratio bündelnd miteinander verknüpft. So konnte man auch schon 1522 Melanchthon: Compendiaria Dialectices Ratio B5v lesen: Prolixas disputationes & controuersias, argumenta item rhetorum figuris illustrata ordinataque, complecti animus hominis nequeat, nisi certa quadam periodo comprehenderit: in qua ordinem, progressionesque singularum sententiarum, ceu in tabula, contueatur. Proinde, longa oratio in syllogismos cogitur. 102 CR XIII, 417 f. 103 Melanchthon: Elementorum Rhetorices libri A3r . 104 Melanchthon: Elementorum Rhetorices libri D3v 105 Zu Flacius Abhängigkeit von Melanchthons Skopos-Begriff vgl. Gadamer: Gesammelte Werke, II, S. 281 f.; Zovko: Rezeption von Flacius, bes. S. 181 f.; Geldsetzer: De ratione, bes. Anm. 9; Kordi´c: Organismusbegriff .

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weichenden Anthropologie Luthers Rechnung tragen konnte, bei der der Glaube nicht einfältiges Auge, sondern sensus misericordiae Dei ist.106 Schließlich beschränkte Melanchthon in einer gleichsam „bijektiven“ Konzentration der loci als exegetisch verantworteter Dogmatik, die aus der Schrift gewonnen zur Exegese zurückführen sollte, die dialektische Beliebigkeit des Fragehorizontes bzw. eine freie Weiterentwicklung des Aussagbaren, wenngleich er dem von Erasmus, Agricola107 und Valla angeregten rhetorischen Ordnungsschema der loci treu geblieben war.108 Hier liegt ein gewichtiges Argument gegen die schlichte, polare Gegenüberstellung der Bildungsoptionen ‚lutherische Theologie‘ auf der einen Seite und ‚Artistik‘ bzw. ‚doktrinale Philosophie melanchthonischer Prägung‘ auf der anderen.109 Nicht zufällig oder aus einem Mißverständnis heraus hatte Erasmus über Melanchthon bzw. seine loci geurteilt: ipso Luthero lutheranior.110 Mit der rhetorischen Orientierung an heidnisch-antiken Vorbildern – vor allem Aristoteles111 – sowie deren beständiger Weiterentwicklung war allerdings für den Polyhistor Melanchthon zugleich auch eine erkenntnisleitende verbunden, die neben der wissenschaftlichen Aufgabe die praktisch-politische Aktivität be106 Vgl. WA 19, 609, 4–14 [De servo arbitrio]: [4] Et ut breviter dicam, Duplex et claritas scripturae, sicut et duplex obscuritas, [5] Una externa in verbi ministerio posita, altera in cordis cognitione sita, Si [6] de interna claritate dixeris, nullus homo unum iota in scripturis videt, nisi [7] qui spiritum Dei habet, omnes habent obscuratum cor, ita, ut si etiam [8] dicant et norint proferre omnia scripturae, nihil tamen horum sentiant aut [9] vere cognoscant, neque credunt Deum, nec sese esse creaturas Dei, nec quicquam [10] [Ps. 14, 1 (Vulg.)] aliud, iuxta illud Psal. 13. Dixit insipiens in corde suo, Deus nihil [11] est. Spiritus enim requiritur ad totam scripturam et ad quamlibet eius partem [12] intelligendam. Si de externa dixeris, Nihil prorsus relictum est obscurum aut [13] ambiguum, sed omnia sunt per verbum in lucem producta certissimam et [14] declarata toto orbi quaecunque sunt in scripturis. Zur Bedeutung Luthers für die Etablierung wissenschaftlicher Hermeneutik vgl. Holl: Luthers Bedeutung4 ; zu Recht korrigiert Sick: Melanchthon als Ausleger des AT, S. 148 ff. die Einschätzung des unmittelbaren Luthereinflusses auf Flacius an diesem Punkt mit dem Hinweis auf die systematische Ausarbeitung bei Melanchthon. Ebenso Raeder: Flacius als Bibelausleger, S. 37–42, während Olson: Flacius and the survival, S. 47–49 an einer – den gezeigten aristotelischen Einflüssen seitens Melanchthons entgegenstehenden – von Luther bzw. seiner Seelsorge geprägten angeblichen „biographischen Wende“ festhält, ohne sie analytisch in ihrem Niederschlag aus den Schriften des Flacius selbst zeigen zu können. Der erste Hinweis auf den direkten Vermittlungszusammenhang der Hermeneutik ausgehend von den rhetorica Melanchthons hin zur clavis des Flacius findet sich allerdings schon 1817 bei Lücke: Grundriß der neutestamentlichen Hermeneutik, S. 204 f.; zu Friedrich Lücke und der Konzeption seiner Hermeneutischen Entwürfe vgl. Christophersen: Friedrich Lücke, Bd. 1. 107 Vgl. BBKL 1 (1990), Sp. 61. 108 Melanchthon: Institutiones Rhetoricae A3r ; Scheible: Melanchthon, S. 140–142; Pfeiffer: Klassische Philologie, S. 120; Buck: Rezeption der Antike, S. 83 ff.; Kaufmann: Ende der Reformation, S. 240 ff., bes. Anm. 187 & 189; Kolb: Philipp’s Foes. 109 Vgl. Dingel: Flacius als Schüler; Olson: Flacius and the survival, S. 41–46, bes. S. 46.; Keller: Schlüssel zur Schrift, S. 128–161. 110 Erasm. Ep. 2911, 26. 111 Zur Frage nach dem Begriff des Aristotelismus vgl. Gadamer: Gesammelte Werke, II, S. 281–284 und Geldsetzer: Flacius und die Begründung, S. 208–218; zur Weiterführung bei Flacius im einzelnen Gadamer: Gesammelte Werke, II, S. 284–287; Geldsetzer: Flacius und die Begründung, S. 216 ff.; daneben vgl. Olson: Flacius and the survival, S. 41–46.73, der allerdings der insbesondere von Geldsetzer: Flacius und die Begründung, S. 210 deutlich gemachten Problematik des Sprachgebrauchs des 16. Jahrhunderts erlegen zu sein scheint; zum immanenten Verhältnis von Platonismus und Aristotelismus vgl. Gadamer: Gesammelte Werke, II, S. 287.

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gleitete:112 So traten bei ihm Autoren wie Xenophon oder Platon an die Seite der alttestamentlichen Propheten. Sie ergänzten dabei eben nicht nur die geschichtlich-ethischen Angaben letzterer, was sie allein schon für den Ausleger unentbehrlich mache, sondern wiesen vor allem auf den einen Herrn der Geschichte hin.113 So erklärt es sich, daß für Melanchthon zwischen dem Gotteswort bei den Propheten einerseits und den Erzählungen der Historiker oder Abhandlungen der Philosophen andererseits zwar ein gradueller, aber eben kein grundsätzlicher Unterschied bestand. Beispielhaft wurde diese bündelnde Prägung für Matthias Flacius Illyricus, der auch als Tutor bzw. Repetitor114 für Melanchthons Studenten tätig war, an den Gegenständen der Vorlesungen Melanchthons in den frühen 40er Jahren. Die Themen115 sind schwerpunktmäßig bezogen auf Cicero und seine Dialektik, Lykurg und Demosthenes, die Ethik des Aristoteles, die Loci, den Römerbrief, den Kolosserbrief und die Sprüche Salomonis.116 Als weiterer greifbarer Beweis seiner – in diesem Sinne auch gar nicht primär theologischen – Bildungsgeschichte von Egnatio über Grynaeus bis Melanchthon erschien 1550 in dritter Auflage die Basler Aristoteles-Ausgabe von Erasmus von Rotterdam, zu der Flacius hochgelobte Anmerkungen (annotationes) zur Rhetorik, den moralia, zur Kosmologie und der Tugendlehre beigesteuert hatte.117

112 Daß Melanchthon ein viertes genus, das didacticum bzw. selbst entwickelt hat, wird in vielen Abhandlungen über die Rhetorik unterschlagen; vgl. De rhetorica libri tres, Wittenberg 1519, passim; zuletzt ausführlich dargestellt von Classen: Neue Elemente. 113 Ein für Melanchthon legitimer Universalismus, insofern er sich dabei auf die Kirchenväter – besonders aber Hieronymus und Augustin – berufen konnte: vgl. CR II, 459 [Brevis discendae theologiae ratio]: Interim cum si versaris in bibliis, interdum legendum est aliquid Augustini. Nam is longe praestat aliis veteribus [. . . ] Inspiciendus aliquando Hieronymus et alii, ac observandum quid iis desiit, aut in qua parte valeant. Sick: Melanchthon als Ausleger des AT S. 131 ff. Zum (pythagoräisch-neu)platonisch geprägten Geschichtsbild Melanchthons vgl. Maurer: Melanchthon zwischen Humanismus und Reformation, S. 99 ff.; Schwarz: Weltzeit – Endzeit; zum Niederschlag der Geschichte in der Rhetorik Classen: Neue Elemente, S. 334–335; zur Rezeption bei Flacius Geldsetzer: Flacius und die Begründung, S. 210–215. 114 Olson: Flacius and the survival, S. 42; s.u. S. 24. 115 Vgl. Hartfelder: Philipp Melanchthon S. 561 ff. 116 1541: Ptolemaei ; 1542: Euripides, Cicero de oratore, Cicero dialectica (Also: de inventione, de optimo genere dicendi, topica), Loci communes, Thukydides, Cicero pro Murena; 1543: Ptolemaei Quadripartitum (Erstmals von Camerarius 1535 in griechischer Sprache herausgegeben), Aristoteles Ethik liber V.; 1544: Dialektik, Horaz de arte poetica, Römerbrief; 1545: Aristoteles Ethik liber I., Über Camerarius’ libellus scriptus ad Latomum de invocatione sanctorum, Lykurgi oratio, Pindar; 1547: Kolosserbrief, Sprüche Salomonis, Confessio doctrinae. 117 Vgl. Erasmus: , Vorrede [Isingrinius candido lectori]: Deinde Matthias Flac´ cius Illyricus, vir doctrina non tam celebris quam praestabilis, et in litteris Graecis, praesertim in Aristotele, acri iudicio praeditus, nobis suas Annotationes communicavit in Artem dicendi, in Moralia et in libros de mundo et de virtutibus: in quibus Annotationibus ita diligentem navavit operam, ut eum apud me quidam, qui iudicare hac de re posset, singulariter commendarit.

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2.2.2 Matthias Flacius Illyricus in Wittenberg Über den Eindruck, den der junge Flacius in Wittenberg vermittelte, ist – von seinen Selbstdarstellungen einmal abgesehen – wenig bekannt. Das liegt wohl zum einen daran, daß die bisherigen Darstellungen zu seiner Biographie sich wesentlich an Preger118 orientiert haben und dieser nun vornehmlich aus den zurückschauenden Dokumenten des Flacius selbst um eine Rekonstruktion bemüht war. Entsprechendes gilt noch für Olson119 . Viele dieser Deutungen müssen allein deswegen umstritten bleiben, da sie auf ein von Flacius mehr oder minder ausdrücklich geäußertes apologetisches Vorhaben gegründet, ja zumeist sogar direkt der Apologie120 vom 23. Juli 1549 bzw. der narratio certaminum121 aus dem Jahre 1568 entnommen wurden. Solche Deutungsoptionen bzw. Wertungen, die sich aus besagten Quellen direkt ergeben und die regelmäßig in eine angeblich kritische Einschätzung des Melanchthonurteils über Flacius einbezogen werden, können bis hierhin also kaum zufriedenstellend beurteilt werden. Darum sollen im folgenden zunächst Plausibilitätsargumente für die Wirkmacht, die Flacius als Neuankömmling in Wittenberg auch und gerade im Anschluß an eine von Melanchthon bis zu dieser Zeit geprägte „Wittenberger Bildungsidentität“ – und sei sie auch in weiten Teilen als eine von Flacius selbst zunächst nur konstruierte angenommen – und die sich daran knüpfende Vertrautheit mit den Verhältnissen entfalten konnte, gewonnen werden. Bereits in einem Brief Melanchthons an Camerarius vom 21. Juli 1542122 wird erwähnt, daß ein namentlich nicht näher benannter Professor aus Marburg, ein Freund Adam Kraffts123 , mit dem Illyricus in Wittenberg über eine Berufung – vermutlich in der Nachfolge Gerhard Geldenhauers – verhandelt habe.124 Es ent118

Preger: Flacius und seine Zeit. S.o. S. 9. 120 Flacius: Apologia; Flacius: Entschuldigung. 121 Erzehlunge der Handlungen/oder Religionsstreiten und Sachen Matthiae Fl:Illyrici/von jm selbs trewlich und wahrhafftiglich/auff Beger der Prediger zu Strasburg/beschrieben / Anno 1586. zu Strasburg. In: Heldelinus: Ein christliche Predigt S3v . 122 Vgl. MBW 3, 3009. 123 Vgl. BBKL 4 (1992), Sp. 581–582. 124 Mit der 1527 erfolgten Neubegründung war die Universität Marburg durch Landgraf Philipp von Hessen als erste protestantische Hochschule nach Einführung der Reformation eingesetzt. Der erste Kanzler war Johannes Feige, der erste Rektor Johannes Eisermann (Ferrarius bzw. auch Ferreus). Vier Fakultäten waren vorgesehen: Artistik (Philosophie), Theologie, Jura und Medizin. Für die Mediziner standen zunächst ein, ab 1542 zwei, ab 1564 drei Ordinariate zur Verfügung. Vgl. Hermelink: Philipps-Universität2 , passim; Bauer: Melanchthon und die Marburger Professoren2 , Vorwort (über die Berufungspolitik Philipps von Hessen): „Bemerkenswert ist vor allem der Blick des hessischen Landgrafen nach Westen. Noch ungeklärt ist die Frage, wie Philipp darauf kam, den Nimwegener Erasmianer Gerhard Geldenhauer zu berufen. Möglicherweise imponierte ihm dessen mutiges Schreiben an Kaiser Karl V., in dem er die Politik der Ketzerverfolgungen mit biblischen und historischen Argumenten offen kritisierte. Der anonyme Nachruf auf Geldenhauer, der mit einer Widmung an Landgraf Philipp 1542 in Marburg erschien, setzt einige Akzente, die für die Motive seiner Berufung nach Marburg aufschlußreich sind. Wichtig waren dem anonymen Biographen Geldenhauers [. . . ] seine Nähe zu Erasmus von Rotterdam und die Stationen seiner beruflichen Laufbahn als Sekretär, Historiker und Diplomat im Dienste des künftigen 119

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spricht der Annahme einer – wohl in der Hauptsache hinsichtlich der Sprachbeherrschung des Italienischen – diplomatischen Tauglichkeit, wenn Flacius dann auch im Sommer 1543125 als Gesandter in der Angelegenheit der Intervention gegen die auf Veranlassung Pauls III. in Venedig vorgenommenen Inhaftierungen „evangelischer“ Mitchristen, insbesondere für den Onkel, den Franziskaner Baldo Lupetino, fungierte.126 In dasselbe Jahr fällt die erstmalige Kontaktaufnahme Melanchthons mit dem genannten Johann Baptista Egnatio in Venedig, die die Vermittlung von deutschen Studenten zum „Aufbaustudiengang“in Italien zum Ziel hatte.127 Im weiteren Verlauf des Jahres 1544 findet Matthias Erwähnung als Gastgeber bzw. Untervermieter für ausländische Studenten128 . All dies kann die Annahme stützen, daß er als ein im Wortsinne prominenter Vertreter einer als musterhaft verstandenen italienischen Bildungs- und Kommunikationstradition angesehen wurde. 2.2.3 Die Hebräisch-Professur Das Jahr 1544 ist aber schließlich auch für die institutionsgebundene Entwicklung seiner Position von Bedeutung: Es wurde die Besetzung des seit 1518 eingesetzten Hebräisch-Lehrstuhls von neuem verhandelt.129 Nachdem der Böhme Matthias Goldhahn alias Aurogallus130 die Stelle seit 1521 innegehabt hatte, trat nach dessen Tod am 10. November 1543 der Bibliothekar der kurfürstlichen Schloßbibliothek Magister Lucas Edenberger131 in einem Brief vom 13. November an den Kurfürsten unter Berufung auf angebliche Voten Melanchthons und Luthers als Bewerber auf. Luther empfahl das Gesuch Edenbergers tatsächlich nachvollziehbar in einem Brief vom 3. Dezember Kaisers Karl, des Utrechter Bischofs Philipp von Burgund und Maximilians von Burgund. Außerdem wird sein Entschluß aus dem Jahre 1526 für den Glauben und das Schriftverständnis der Reformation als gewichtige Gewissensentscheidung geschildert, die für seine künftige Karriere als Pädagoge und Theologe folgenreich gewesen sei“. Es sei an dieser Stelle deutlich ausgesprochen, daß es für die hier insinuierte Analogie-Konstruktion als theologiepolitische Erklärung für das Interesse gerade am jüngeren Illyricus keine eindeutigen Belege gibt. Von dem überregionalen Rekrutierungsinteresse Philipps, das sich auch auf die Besetzungen der juristischen und medizinischen Ordinariate erstreckte, einmal abgesehen gehörte Geldenhauer immerhin auch theologisch in das Umfeld der oberdeutschen Reformatoren, an dem auch die mit Matthias Flacius Illyricus bekannten Lykosthenes, Grynaeus und Fuchs Anteil nahmen. Es mußte jedenfalls auffallen, wenn der gerade 22jährige – noch ohne Magisterpromotion – bereits Angebote für eine solche Stelle bekam. 125 Vgl. MBW 3, 3268. 126 Vgl. Olson: Flacius and the survival, S. 49–51. 127 Vgl. MBW 3, 3294; 9, 3352 a. Zur internationalen Ausstrahlung der Leucorea vgl. Gößner: Studenten an der Universität Wittenberg, S. 23–32. 128 Vgl. MBW 4, 3693. 129 Vgl. Friedensburg: Anstellung des Flacius. 130 Vgl. BBKL 1 (1990), Sp 304. 131 Lucas Edenberger: †1548 Weimar; Studium in Wittenberg; Erzieher von Johann Ernst I. von SachsenCoburg (1533–1539), dem Halbbruder Johann Friedrichs; seit 1536/37 „Libreivorsteher“ und Aufseher der Wittenberger Bibliothek, erledigte zahlreiche Bücherankäufe; 1547 Übersiedelung mit der Wittenberger Bibliothek nach Weimar; vgl. Bulling: Geschichte der Universitätsbibliothek Jena, S. 13 f.; 18.

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1543132 , indem er darauf hinwies, daß Edenberger ein guter Christ sei, insofern er der reinen Lehre anhinge. Überdies sei er lange bekannt und jeder wisse, was man an ihm habe, weswegen er den Vorzug vor anderen, die erst seit kürzerer Zeit in Wittenberg seien, verdiene. Der Kurfürst ging allerdings nach der üblichen Verfahrenspraxis vor und forderte die Universität auf, Neubesetzungsvorschläge zu unterbreiten. In einem Brief vom 20. Dezember wies die Universitätsleitung zunächst auf einige auswärtige Spitzenkandidaten hin, zog allerdings schon vorab den Schluß, daß keiner von diesen angesichts der geringen Ausstattung der Stelle – sie war mit 100 Gulden dotiert133 – gewonnen werden könnte. Es kämen also nur Wittenberger in Frage. Bei der damaligen Vorschlagsliste ist auffällig, daß von dem gängigen Prozedere abgewichen und entgegen der seit der Fundation von 1502 bei Vakanzen üblichen Vorschlagsliste von zwei Kandidaten nun drei Namen vorlegte: den besagten Lucas Edenberger, Theodor Fabricius134 – einen Schüler des Aurogallus und Wittenberger Hebräisch-Privatlehrer, der zwischenzeitlich auch in Köln und Hessen tätig war – und Matthias Flacius Illyricus. Die Erweiterung der Liste wird erklärt unter Hinweis auf die Tatsache, daß Fabricius in Hessen in Ungnade gefallen sey,

die zwar durch Fürbitte in Wittenberg ausgeräumt sei, aber es kämen eben harte Schreiben wider Fabricius

an. Tatsächlich hatte sich Fabricius während eines Diakonats in Kassel bei Philipp anläßlich einer kritischen Predigt über die Doppelehe unbeliebt gemacht und war schließlich im Streit entlassen worden. Wenn darum der Kurfürst Bedenken trage, so wäre Illyricus ein guter Kandidat, der zwar nicht eyne solch ansehnliche Person

sei wie Fabricius, aber eben in der hebräischen Sprache mehr gelehrter Leute gehört

habe und nicht weniger geschickt sei, sie zu lehren. Der Kurfürst nahm keinen Anstoß an den Beschwerden über Fabricius, faßte allerdings zugleich den in einem Brief vom 30. Dezember 1543 mitgeteilten Beschluß, beide zunächst auf ein Jahr befristet zur Probe anzustellen, um dann zu entscheiden, welcher der beiden sich am besten bewährt hätte, um diesen dann endgültig anzustellen oder aber im Falle des Versagens beider, einen Dritten zu berufen.135 Bis dahin sollten 132

WABr 10, Nr. 3943. Das ist die – neben der der Gräzistik – höchstbezahlteste philosophische Professur; alle anderen waren mit 80 Gulden dotiert; vgl. Kathe: Philosophische Fakultät, S. 84. 134 Vgl. BBKL 1 (1990), Sp. 1591 f. 135 Dieses Votum widerspricht keineswegs der Deutung von Kathe, der auf die faktische „Mehrfachbesetzung“ bzw. die Tradition eines breiten flankierenden Angebots verweist [vgl. Kathe: Philosophische Fakultät, S. 113], sondern belegt viel eher die mangelnde Bereitschaft zur Aufstockung der Mittel. Zur Chronologie der Besetzungen im Überblick vgl. Kathe: Philosophische Fakultät, S. 460. 133

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sich beide das Gehalt teilen. Eine für Edenberger wohl erträgliche Entscheidung, da er sein altes Bibliothekarsgehalt von 40 Gulden beibehalten durfte und somit auf 90% des eigentlichen Gehalts kam, kaum aber für Fabricius. Er erwarb am 23. Mai 1544 den Doktorgrad und kündigte im Juli 1544 mit der Begründung, daß 50 Gulden ihm zur Unterhaltssicherung nicht ausreichten. Er übernahm eine Pfarrstelle in Zerbst – wohl mit Empfehlung Luthers. Der Kurfürst ordnete in der Folge das Nachrücken des Illyricus an, was nun wiederum nicht den Erwartungen Edenbergers entsprach, der sich nach dem Ausscheiden des Fabricius Hoffnungen auf die volle Besoldung gemacht hatte. Edenberger gab aber nicht gleich auf, sondern schaffte es unter neuerlicher Verwendung seiner Beziehungen136 zu Luther, daß die Universität es zunächst unterließ, Illyricus von der zu seinen Gunsten verfügten Entscheidung des Kurfürsten in Kenntnis zu setzen. Die Sache wurde in uneingeweihten Kreisen offensichtlich als noch in der Schwebe begriffen angesehen. An diesem Punkt schaltete sich der kurfürstliche Kanzler Dr. Gregor Brück ein, indem er beim Kurfürsten für den jungen Illyricus warb. Das Schreiben, das als Anhang einem nicht mehr erhaltenen Brief an den Kurfürsten beigefügt war, soll um seines illustrativen Charakters willen hier nochmals137 wiedergegeben werden: Gnedigster herr. E. churf. g. wissen sich gnediglich zu erinnern, das sie nehst alhie bewilligten, auch dem Philippo befehlen lassen, das dem Illirico das halbe stipendium von der Hebreischen lectio solt assigniert vnd die ander helft magistro Lucaszen Eidenberger nach der zeit gelassen werden. Philippus hat ime wol davon gesagt, wie er mir vor wenigen Tagen angezeigt, aber das er das halbe stipendium haben soll, das sei ime noch nit vermeldet. nun haben E. churf. g. vom Philippo selbs gehort, wie er ine vor einen jungen man gelobt hatt, das er in lateinischer, griechischer vnd ebreischer sprach, auch sonst in freien kunsten gelert vnd geschickt sei, auch viel schuler hab, denen er privatim liest, domit er sich alhie so wol als er kan behilft. solch und dergleichen ingenia seint nicht alweg zu finden. ich besorg, genanter magister Lucas practicire bei D. Martino, domit er die lectio allein mocht haben, meins erachtens nit vmbs lesens noch der schulen nutzes willen, sondern vmb des soldes willen domit er im jar zweihundert vnd vierzig gulden hett. wo nun E. churf. g. wolten, das der Illiricus zu dem halben stipendio solt angestelt werden, so were guth, das E. churf. g. eine schrift an die universitet theten mit anzeig, sie wusten sich zu erinnern, als vorm jar der Aurogallus, hebreischer lector, gestorben, hetten sie E. churf. g. drei personen, daraus einen legenten zu berurter lection zu bewilligen, nominirt. darauf aber E. churf. g. dozumal bewilligt, das stipenium zwischen magister Lucas Eidenberger vnd dem Fabritio zu teilen. nachdem aber Fabritius vnlangst hinweg gezogen vnd sie dan vorm jar den Illiricum neben vorgenannten beiden als 136 137

Vgl. WABr 9, 1, XXV. Vgl. Friedensburg: Anstellung des Flacius, S. 308 f.

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zu berurter lectio wol tuglich auch nominirt, so wusten sich doctor Martinus, Pomeranus vnd magister Philippus zu erinnern, als E. churf. g. nehst alhie zu Wittenberg gewest, das sie ir hetten gefallen lassen gemelten Illiricum an des Fabritii stadt vff das halbe stipendium zu mehrberurter lection zu verordnen. dieweil dan das E. churf. g. genzlich gmüht were, so begerten E. churf. g. gnediglich, das sie ime das halbe stipendium furderlich vnd vnvorzuglich wolten zusagen, vff das kunftige quatember die ebreische lection neben vnd mit magister Lucas Eidenberger lesen anzufahen, und das daran sie E. churf. g. genzlich vnd gnedige meinung theten. Zu diesem schreiben bewegt mich am allermeisten disz, das ich in der kirchen gesehen, wie sich feine junge gesellen vmb gemelten Illiricum vf den feirtagen fugen mit hebreischen buchlein, die sie lesen, vnd wo sie mangel haben, so fragen sie inen, so gibt er inen bescheit vnd vnterrichtet sie gütwillig, das ich achten kan, er wurde den schulern sehr nutz sein. dan er ist jung, gelert und als ein frömdling arm, die schuler wurden weniger scheu haben inen vmb bericht zu ider zeith anzusprechen dan einen alten, wie magister Lucas ist. so hat auch Fabritius insonderheit fur guth angesehen, das derselb junge man an seine stadt mocht gestelt werden, dan er were gelert vnd geschickt darzu. datum vt supra.

Brück hat sich – soviel als erster unmittelbarer Kommentar – offensichtlich bei Edenbergers Gehalt um 100 Gulden verrechnet, da die volle Lektion wie gesagt mit 100 Gulden dotiert war, und Edenberger noch in der Besoldungsliste vom Quartal Crucis 1545 nur über 12 1/2 und 10 Gulden quittierte. Wir erfahren überdies, daß Flacius also ein fachlich beschlagener Mann sei, mit entsprechender Lehrerfahrung aus einer Repetitoren- bzw. Nachhilfelehrertätigkeit. Das belegten auch die lobenden Worte seiner Lehrer und Kollegen. Überdies habe er guten Kontakt zu den Studenten, die ihn auch gerne freiwillig aufsuchten. Zumal auch am Sonntag nach der Predigt. Diese Aussage rahmt das Schreiben. Eingebettet ist eine – letztlich diffamierende – Schilderung der Sorge, Edenberger benutze seine Kontakte zu Luther als Einflußnahme um einer reinen Einkommenssteigerung willen. Nach einem gleichsam den Gesamtvorgang neuerlich schildernden Abriß kehrt Brück wie angedeutet zum Rahmen, zur Eignung der Person des Flacius, zurück. Variiert werden lediglich die Aussagen zur Veranschaulichung der Eignung und der neuerliche Verweis auf seine externen Referenzen, insbesondere das Lob des Fabricius. Das Eintreten Brücks hatte Erfolg, und so quittierte auch „Mathias Francovich Illyricus“ den Empfang von 12 1/2 Gulden.138 Auf diese erste Anstellung hin, gründete Illyricus einen eigenen Hausstand und heiratete im Jahr 1545. Er hatte aber wohl unter andauernden finanziellen Engpässen zu leiden, da er seinem Protektor und Gönner Brück klarmachte, daß er mit 50 Gulden nicht weiter auskäme. Nachdem Brück ihn zunächst an die Universität bzw. an Melanchthon verwiesen 138

Vgl. Friedensburg: Anstellung des Flacius, S. 307, Anm. 1.

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hatte, hier aber nichts erreicht wurde, ermutigte Brück den Illyricus dazu, ein Gesuch an den Kurfürsten aufzusetzen, welches Brück mit einem Zusatzschreiben unterstützte. Brück führte darin aus, daß es Edenberger kaum um die Professur gehe, sondern nur um das Geld. Eine seltsam anmutende Argumentation, berücksichtigt man, worum es bei Flacius geht. Immerhin: Brück verwies darauf, daß die Teilung des Einkommens nur auf ein Jahr befristet gewesen sei, während sie nun bald über zwei Jahre bestehe. Brück gab zusätzlich zu bedenken, daß kürzlich der Hebraist Dr. Ziegler in Leipzig verstorben sei139 , den das bereits erwähnte Schreiben der Universität noch zu den Berühmtheiten des Faches gezählt hatte, und daß mocht man seiner [sc. des Illyricus] hie nit wollen achten, vff das er gen Leipzig geschoben würd.

Edenberger solle also anderweitig abgefunden werden, dem Illyricus aber die ungeteilte Professur mit dem vollen Einkommen zugeeignet werden. Der Kurfürst folgte dem Vorschlag und wies die Universität entsprechend an. Dennoch gab es Schwierigkeiten bei der Abfindung Edenbergers, die der frisch gebackene ordentliche Professor aber aus dem Weg räumte, indem er sich bereit erklärte, seinem ehemaligen Mitbewerber 20 Gulden abzutreten. Der Kurfürst genehmigte dies mit der ausdrücklichen Bestimmung vom 5. Januar 1546, daß nach Ablauf der zwei Jahre der Illyricus die 100 Gulden ohne Abzug erhalten solle; auf Anregung Brücks verfügte er auch, Illyricus solle sich verpflichten, eine Anzahl Jahre bei der Lektion zu bleiben.140

Wenn auch nicht ausdrücklich überliefert, hat Illyricus sich der Bedingung wohl gefügt141 , wenngleich sie für ihn keine praktische Bedeutung mehr haben sollte. Als Professor Hebreae linguae erlangte Matthias Flacius Illyricus am 25. Februar 1546 unter dem Dekanat des Johann Stol(t)z142 als erster von 39 Kandidaten den gradus Magisterii philosophici und wurde am 1. Mai desselben Jahres in den Senat der artistischen Fakultät aufgenommen.143 Einmal von der Tatsache abgesehen, daß bei der Durchsetzung der Berufung des Matthias Flacius Illyricus auch das sophistische Argument, hier sei ein Ar139 Vgl. Friedensburg: Anstellung des Flacius, S. 307, Anm. 4; entweder hat sich Friedensburg bei der Übertragung geirrt, oder Brück gab hier etwas Falsches an: Der Hebraist Dr. Bernhard Ziegler starb erst am 1. Januar 1552; vgl. AdamP I6v : ex hac vita abiit anno quinquaoesimo secunde, supra mille quingentos, eius die primo, hoc est, calendis lanuarii, aetatis suae quinquagesimo sexto; Zedler 62, S. 555 f.: 2. Januar 1552, was nach AdamP der Tag des Begräbnisses war, ebd.; dagegen nach DBA I, 1410, 427–428: 1496–1556. Die Datierung des Todes ist schon in WA leider stellenweise falsch: WA 48, S. 706 Anm. 4: 1496–1556 vs. WA 48, Revisionsnachträge S. 69: 1496–1552 unter Hinweis auf WABr 9, 72: Vorbem.; WATr 4, 10, Nr. 5001, Anm. 6: 1496–1556. 140 Vgl. Friedensburg: Anstellung des Flacius, S. 308, Anm. 1. 141 Köstlin: Baccalaurei und Magistri, S. 308. 142 Vgl. DBA II, 1273, 214. 143 Vgl. Köstlin: Baccalaurei und Magistri (39a ) und (167b ).

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mer, der es verdient hätte, während es dem Kollegen nur ums Geld gehe, gebraucht wurde, so wurde doch zugleich in allen Verhandlungsphasen der exzeptionelle Charakter des jungen Mannes und zuletzt auch sein Berufsethos betont. In dem Maße, wie er den älteren Kollegen als Jungspund und Exot suspekt oder doch zumindest noch der weiteren Erprobung bedürftig schien, in eben dem Maße wurde auf die große Zahl seiner Schüler und seine offene, bereitwillige Art, die Studenten auch außerplanmäßig zu betreuen, abgehoben. Seine wissenschaftliche Reputation wurde nirgends in Frage gestellt – im Gegenteil. Interessant wäre es gewesen zu erfahren – aber leider gibt es keine Nachrichten darüber –, wie die Ergebnisse der personalpolitischen Wirren letztlich im Kollegium beurteilt wurden. Die Tatsache, daß Brück sich einschaltete, darf dabei gewiß nicht überbewertet werden, da viele, wenn nicht alle Stellenbesetzungen an persönliche – auch außeruniversitäre – Voten gebunden waren, und der Kanzler sich zugleich auf das wohl weithin maßgebliche Gutachten Melanchthons berufen konnte. Brück setzte überdies auch anfänglich nur das durch, was ohnedies schon angeordnet worden war. Der berufliche Werdegang des jungen Venetianers in Wittenberg kann – ebenso wie seine Bildungsgeschichte – insofern als integrativer Entwicklungsprozeß verstanden werden, als Matthias Flacius Illyricus nicht nur seinen Ruf, der sich auf seine ungewöhnlich guten Sprachkenntnisse sowie seine internationalen Beziehungen bezog, beibehielt und zugleich auch amtlich bzw. formal in die Institution Universität und ihre Gemeinde einbezogen wurde, eben aufgrund der Anerkennung, die er fand. Gerade diese Institutionsbezogenheit unterscheidet ihn etwa von Cantimoris italienischen Häretikern.144 Er wäre darum auch hinsichtlich seiner „Traditionsbindung“ am ehesten in einer Mitte zwischen – um einmal die in der Forschung geäußerten Deutungsextreme zu nennen – blindem Epigonentum einerseits und isolierendem Fanatismus andererseits zu verorten.

3. Die Lage im Reich 3.1 Ausgangsbedingungen Nachdem sich auf dem Augsburger Reichstag 1530 eine Gruppe evangelischer Fürsten und Städte vor Kaiser und Reich zum evangelischen Glauben bekannt hatte, formierte sich unter dem Druck der drohenden altgläubigen Reaktion der Schmalkaldische Bund, unter dessen Schutz die Mehrheit der deutschen Länder und Städte zum Evangelium übertrat. Seit dem Jahr 1541 schien es dem Kaiser unmöglich, die Protestanten ohne po144

Vgl. Cantimori: Italienische Häretiker.

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litisch-militärische Unterwerfung auf einem Konzil zu reintegrieren145 . Die Religionsgespräche in Hagenau, Worms und Regensburg 1540/41 sowie ein deutsches Nationalkonzil waren – nicht zuletzt durch die Intrigen des Papstes bedingt146 – gescheitert. 1542 eliminierte Kaiser Karl V. den politischen Einfluß des Landgrafen Philipp von Hessen, gemeinsam mit Kurfürst Johann Friedrich von Sachsen Führer des Schmalkaldischen Bundes, indem er als Gegenleistung für die Duldung einer Doppelehe die Enthaltung von Bündnissen mit König Franz I. oder anderen auswärtigen Potentaten gegen den Kaiser verlangte.147 1543 kam Karl aus Spanien nach Deutschland, um seine Gegner zu unterwerfen. Dabei hatte er Frankreich als Erzfeind des habsburgischen (spanisch-niederländischen) Reiches, den mit Frankreich verbündeten Papst, der in Italien die Macht seiner Familie auf Kosten der Habsburger zu erweitern bemüht war, und den Schmalkaldischen Bund gegen sich. Infolge der Bindung Philipps war es Karl zunächst ein leichtes, den evangelisch gewordenen Herzog Wilhelm von Kleve niederzuwerfen, ohne daß dieser irgendeine Unterstützung erfuhr.148 Nach der Zusicherung protestantischer Unterstützung gegen den französischen Reichsfeind 1544 – erwirkt durch Zugeständnisse bis zum klärenden Konzil149 – besiegte Karl die Franzosen an der Marne. Er schloß bald darauf Frieden mit König Franz I. von Frankreich, wodurch er sich die Hilfe Frankreichs gegen den Papst und die Türken und – für den Fall der Fälle – gegen die Protestanten sicherte. Unter dem so entstandenen doppelten Druck wurde der Papst 1545 nun im Sinne der kaiserlichen Interessen dazu gezwungen, einem Konzil in Trient zuzustimmen. Es fand allerdings ohne protestantische Beteiligung statt, und der Kaiser versuchte vergeblich, die wichtigen, die Protestanten betreffenden Entscheidungen zurückzustellen. Immerhin hatte Karl es bis 1546 geschafft, neben den Markgrafen Johann von Brandenburg-Küstrin und Albrecht Alcibiades von Brandenburg-Kulmbach auch 145 Rassow: Karl V., S. 62: „Die unaufhaltsame Ausbreitung der lutherischen Ketzerei habe ihren Grund in der ständischen Hoheit [sc. landesherrlichen Selbständigkeit] der Reichsfürsten. Die abgewichenen Stände verteidigten mit ihrem Glauben zugleich ihre landesherrliche Selbständigkeit und umgekehrt[. . . ] Es komme darauf an, diese Selbständigkeit der Landesherren zuerst zu zerstören, aus Deutschland einen Staat zu machen, in dem die Macht beim Kaiser lag. Erst wenn das gelungen sei, bestehe Aussicht, durch eine starke Reichsgewalt auch die Abgewichenen zum rechten Glauben und in die durch das Konzil reformierte Kirche zurückzuführen“; analog zuletzt Kohler: Karl V., S. 269: „Es ist offensichtlich, daß mit dem Scheitern der kaiserlichen Unionspolitik in der Kirchen- und Religionsfrage in den jahren 1540/41 das Entstehen neuer politischer Überlegungen und Vorstellungen verbunden war, die einer gewaltsamen Lösung der Religionsfrage galten, sobald es die Situation erlauben würde. Die planmäßig betriebene Bindung von evangelischen Fürsten an die kaiserliche Politik bildete den Anfang davon.“ 146 Kohler: Karl V., S. 266–268; zur lutherischen Perspektive vgl. Schwarz: Luther, S. 207–214; zu den mit der Frage als solcher verbunenen Erwartungen vgl. Brockmann: Konzilsfrage, passim, bes. S. 15–24; in Bezug auf den Reichstag in Augsburg vgl. Rabe: Reichsbund und Interim, S. 36–66. 147 Zu den weiteren Details vgl. Kohler: Karl V., S. 269–271. 148 Es hatte zu den kaiserlichen Auflagen für Philipp gehört, die Aufnahme des Herzogs in den Schmalkaldischen Bund zu verhindern; vgl. Kohler: Karl V., S. 270. 149 Vgl. Schwarz: Luther, S. 170.213; Rabe: Reichsbund und Interim, S. 9 ff.

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Herzog Moritz von Sachsen auf seine Seite zu ziehen. Aus verschiedenen Gründen vertraten die evangelischen Fürsten stärker ihre individuellen Hausinteressen als die des Bündnisses150 , und so versprach sich Moritz von der überregionalen Macht des Kaisers offensichtlich mehr Erfolg als vom Einfluß seines kurfürstlichen Cousins Johann Friedrich. Angesichts der Bündnispolitik Karls bestand kein Zweifel, daß er den Krieg plante. So sammelten sich ebenfalls die Bündnis-Protestanten mit ihren Heeren unter Beteiligung des schwäbischen Städtebundes, des Kurfürsten Johann Friedrich und des Landgrafen Philipp an der Donau. Am 19. Oktober 1546 schloß Herzog Moritz nach längerem Zögern – mit der Aussicht auf den Kurfürstentitel – mit dem Kaiserbruder, König Ferdinand von Böhmen, ein Angriffsbündnis gegen Kursachsen. Nach dem Einfall der beiden war Johann Friedrich gezwungen, mit dem größten Teil des Donauheeres abzurücken und Süddeutschland preiszugeben, um so sein Land zu retten. Der verbleibende Rest der Armeen des schmalkaldischen Bundes wurde überrannt, die süddeutschen Städte mußten sich ergeben und in der Folgezeit umfangreiche Kriegsabgaben an den Kaiser entrichten. Württemberg und die Kurpfalz kapitulierten und der Erzbischof von Köln floh. Im Frühjahr 1547 zog der Papst seine für den „Ketzerkrieg“bereitgestellten Truppen aus Angst vor einem vollständigen Sieg des Kaisers über die Fürsten und der daraus potentiell erwachsenden Reichsmacht gegen das Papsttum zurück und verlegte das Konzil von Trient, das rechtlich zum Reich gehörte, in seinen eigenen Machtbereich, nach Bologna. Am 24. April 1547 wurde Kurfürst Johann Friedrich – nach der vorläufigen Rückeroberung Sachsens und der Gefangennahme Alcibiades’ – in der Schlacht bei Mühlberg an der Elbe von dem mit den Truppen Moritzens und Ferdinands vereinigten kaiserlichen Heer geschlagen und als Geächteter in einem Schaugericht zunächst zum Tode verurteilt, schließlich zu lebenslanger Haft begnadigt. Von den Erfolgen der Gegner entmutigt, ergab sich nun auch Philipp von Hessen und wanderte entgegen den anfänglichen Zusagen auf Straffreiheit in kaiserliche Gefangenschaft.151 In Norddeutschland blieben Bremen und Magdeburg Widerstandszentren der Evangelischen. Zwar hielt rein formal die über Magdeburg verhängte Acht dem Kaiser alle Möglichkeiten, weitere Maßnahmen zu beschließen, offen, aber Magdeburg blieb von einer eigentümlichen Immunität gekennzeichnet: der Rat setzte in Kontinuität seiner seit den 1520er Jahren (Reichsacht 1528) eingeschlagenen politischen Linie und im Vertrauen auf den Schmalkaldischen Bund beharrlich auf Selbständigkeit. Der militärische Arm des Kaisers reichte eben nicht so weit in den reichsfernen Norden, und Moritz, der nach dem Empfang der Kurfürstenwürde152 mit der Exekution der Reichsacht über Magdeburg beauftragt worden war, 150 Zur Einschätzung der Motivationslage, die im beschriebenen „unkonfessionellen“ Sinne erhalten blieb, vgl. Rabe: Reichsbund und Interim, S. 416 f.; PKMS III, S. 15–21. 151 Vgl. Rabe: Reichsbund und Interim, S. 67–72; Brandi: Kaiser Karl V.8 , S. 473–478; Kohler: Karl V., S. 316–319; PKMS III, S. 21–31. 152 Die Verhandlungen um die Modalitäten der Verleihung, die Erstellung der Urkunde etc. war ein parallel zur Religionsfrage in Augsburg verhandeltes Thema, das die besondere Aufmerksamkeit und

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zögerte selbige so lange als möglich hinaus, um unter dem Vorwand der Kriegsvorbereitung tatsächlich ein Heer gegen den Kaiser aufzustellen. Ferdinand, der Bruder Karls verhielt sich die ganze Zeit über zumindest neutral.153 Der neue Kurfürst bemühte sich in der Folge, die Universität Wittenberg wieder zu sammeln und ihren Ruf zu restaurieren.154 Ziel dieser Bemühungen war wohl die Verpflichtung der Wittenberger Professoren, besonders auch Melanchthons. Das sächsische Bistum Naumburg erhielt erneut der katholische Humanist Julius von Pflug, der Freund und Berater des Kaisers in protestantischen ‚Angelegenheiten‘ war. Nikolaus von Amsdorf, der bisherige evangelische Bischof, floh nach Magdeburg.155 Im Januar 1548156 schließlich kontrollierte der Kaiser die politische Situation im Reich – immerhin vorläufig – zu seiner Zufriedenheit. Er forderte gestützt auf den Reichstag von Augsburg im mehrheitlichen Einvernehmen mit den dort versammelten protestantischen Fürsten die Zurückverlegung des Konzils nach Trient unter Berufung auf seine Amtsgewalt: Der Kaiser solle Oberhaupt des Konzils werden, oder man müsse ein eigenes deutsches Nationalkonzil einberufen. Karl strebte eine politische Zwischenlösung – ein INTERIM – an, ohne die Protestanten unter das Trienter Konzil mit seiner Reihe antiprotestantischer Beschlüsse zu zwingen. Er fürchtete wohl, das evangelische Lager sonst zu einem extremen, gewissensgebundenen bzw. vom Glauben getragenen Widerstand zu reizen. Zugleich aber scheint es auch, als habe er die Zeit bis zur Wiederherstellung des bischöflichen Kirchenregiments und des alten Kultus nicht völlig ungenutzt verstreichen lassen wollen. Somit beschränkte er sich in der Frage nach der vorläufigen kirchenpolitischen Lösung in Deutschland auf drei glaubwürdig der Tradition der Kaiserpolitik entsprechende, aber zugleich auch strategisch wichtige Ziele:157 Oberste Priorität mußte die [1] Eingliederung der Protestanten unter die Einheit der Kirche und kaiserliche Dominanz haben; erst damit ergab sich die bloße [2] Möglichkeit eines gemeinen Konzils, sowie der Restauration und Reform der Kirche, d.h. nicht zuletzt auch ihrer Verwaltung. Damit wiederum würde ein [3] Zurückdrängen des Papsteinflusses in der deutschen Religionsfrage bei gleichzeitiger Stärkung der kaiserlichen Reichsmacht realistische Option. Vorsicht der Räte verlangte, da damit ein nicht geringes Druckmittel gegeben war. Vgl. PKMS III, passim; insbesondere ab August 1547. 153 Vgl. Mehlhausen: Augsburger Interim S. 9 f.; insbesondere auch zur Entwicklung in den Hansestädten vgl. Postel: Hansestädte; Weyrauch: Konfessionelle Krise, S. 68, bes. Anm. 107; zur durchaus inhomogenen Lage in Mitteldeutschland und insbesondere dem detailliert dargestellten, gleichsam leuchtenden Beispiel der freien Reichsstadt Nordhausen vgl. Wartenberg: Zwischen Kaiser, Konfession und Landesherrschaft, bes. S. 242–250; zum Brandenburger Territorium vgl. Nischan: Interimskrise. 154 Vgl. Töpfer: Die Leucorea am Scheideweg, passim. 155 Vgl. Kaufmann: Ende der Reformation, S. 19–24, zu Amsdorf bes. S. 22, Anm. 85. 156 Vgl. Rabe: Reichsbund und Interim, S. 407 ff.; PKMS III, S. 33–35. 157 Zur Zielsetzung wie zur taktisch problematischen Vermischung von politischen und Religionsfragen in der Diskussion, zumal hinsichtlich der Restitution von Kirchengut vgl. PKMS III, S. 33–37; Rabe: Reichsbund und Interim, S. 407–424, bes. S. 420–423; Rabe: Interimspolitik; Carl: Die Haltung des reichsunmittelbaren Adels; Schmidt: Teutsche Libertät.

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3.2 Das Interim Der Kaiser griff den Vorschlag der Kurfürsten von der Pfalz und von Brandenburg auf, eine vorübergehende Einigung der Parteien zu erzielen. Dazu war ihm ein Entwurf von einigen „von hohem Stand“ übergeben worden158 , als dessen Hauptverfasser mal der evangelische Hofprediger Johann Agricola159 in Berlin, mal Johann Gropper160 in Köln, mal die Reformkatholiken Julius von Pflug161 oder Michael Helding162 genannt werden, oder aber eine aus diesen gebildete Arbeitsgruppe.163 Das Dokument selbst trägt keine Sphragis, und die Nennung der geistigen Väter muß wohl mit Pfeilschifter eine „mehr oder minder begründete Mutmaßung“164 bleiben: Immerhin scheinen Helding und Pflug als Haupteditoren gesichert, wohingegen Gropper165 lediglich gutachterlich tätig wurde, aber eben mit seinem Gutachten entscheidende redaktionelle Anstöße für die erste Augsburger Interims-Entwurffassung (sog. Dezemberformel) gab.166 Das zugrunde gelegte Dokument war vor allem bezüglich der Rechtfertigungslehre167 , der Kirchenartikel168 , der sieben Sakramente169 und des Meßopfers170 ein altgläubiges Dokument, wenngleich einige vorsichtige Zugeständnisse – nicht ohne deutlichen Verweis auf die freilich gründsätzlich viel bessere und darum nach Möglichkeit vorzuziehende altgläubige Praxis – hinsichtlich der Fasten158 Melanchthon muß bereits – zumindest in groben Zügen – von dem Vorhaben Karls unterrichtet gewesen sein, wenn er an Camerarius am 1. September 1547 schreibt: Erit et conventus Augustanus novi belli classicum, praesertim, si mysteria illa Grudiorum, seu, ut alii narrant, Groperi, proferentur, munita edictis hasta Caroli scriptis, CR VI, 658 f.; MBW 5, 4870. 159 Vgl. BBKL 1 (1990), Sp. 57–59. 160 Vgl. BBKL 2 (1990), Sp. 355–357. 161 Vgl. BBKL 15 (1999), Sp. 1156–1161. 162 Vgl. BBKL 2 (1990), Sp. 696–698. 163 Vgl. u.a.: Lau: Interim (RGG3 ); Mehlhausen: Interim (TRE); Preger: Flacius und seine Zeit, Bd. 1 S. 108 ff.; Schnackenburg: Interim (LThK); PKMS III, S. 34; Scheible: Das Augsburger Interim; Rabe: Reichsbund und Interim, S. 424 ff. insbesondere an der angeblichen Autorschaft Agricolas hatte Kawerau schon früh Zweifel geäußert; vgl. Kawerau: Johann Agricola, S. 249–260; entsprechend zweifelt Wolgast: Formula reformationis, S. 345 f., Anm. 12. 164 ARCEG VI, S. V. 165 ARCEG VI, S. 156 ff. 166 Zum Text und seiner Edition vgl.: Hergang: Das Augsburger Interim S. 5 ff. und S. 20 ff.; Mehlhausen: Augsburger Interim, S. 9–23; insbesondere aber auch Pfeilschifters Ausführungen in ARCEG VI, S. V–VII, wo er neben den Geheimhaltungsbemühungen Karls V. insbesondere die Quellenverfälschung durch den Pflugnachlaßverwalter M. Christian Gottfried Müller(1788 bis 1819/20 Bibliothekar der Zeitzer Stiftsbibliothek) gezeigt hat. 167 Vgl. ARCEG VI, S. 315 f.: [Cap. VII] De caritate et bonis operibus. 168 Vgl. ARCEG VI, S. 317 ff.: [Cap. IX] De ecclesia; [Cap. X] De notis et signis ecclesiae verae; [Cap. XI] De auctoritate et potestate ecclesiae; [Cap. XII] De ministris ecclesiae; [Cap. XIII] De pontifice summo et episcopis. 169 Vgl. ARCEG VI, S. 322 ff.: [Cap. XIV] De sacramentis in genere; [Cap. XV] De baptismo; [Cap. XVI] De confirmatione; [Cap. XVII] De sacramento poenitentiae; [Cap. XVIII] De sacramento eucharistiae; [Cap. XIX] De sacra unctione; [Cap. XX] De sacramento ordinis; [Cap XXI] De scramento matrimonii. 170 Vgl. ARCEG VI, S. 331 ff.: [Cap. XXII] De sacrificio missae.

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zeit171, der Priesterehe172 und des Laienkelchs173 gemacht wurden. Es wurde schließlich am 15. Mai 1548 offiziell publiziert174 und mit der Reichstagsverordnung vom 30. Juni175 – entgegen der ursprünglichen Intention einer allgemein gültigen „Reichsreligionsordnung“ – nur den protestantischen Ständen und Städten auferlegt. Seine Verarbeitung in den sächsischen Gutachten ist hier von größtem Interesse und soll deswegen etwas breiter dargelegt werden: Die Erstbegutachtung erfolgte durch Melanchthon. Nachdem Karl V. bereits im März 1548 Kurfürst Moritz eine Abschrift des Interims übergeben hatte176 , wurde selbiges nun zur vorbereitenden Lektüre nach Wittenberg übersandt.177 Bei einem geheimen Treffen mit dem kurfürstlichen Hofrat Komerstadt178 – wohl aus Gründen der größeren Nähe Komerstadts zu Melanchthon an dem eigentlich bei den Verhandlungen in Augsburg federführenden Carlowitz179 vorbei180 , ebenso wie aus Gründen der Geheimhaltung auch und gerade gegenüber dem Kaiser, der wiederholt Melanchthons Auslieferung als dem Verführer Johann Friedrichs und dem Autor von Schriften, in denen der Kaiser angegriffen wurde, gefordert hatte181 – in (Alt)Zella (an der Mulde) äußerte sich Melanchthon zunächst nur münd171 Vgl. ARCEG VI, S. 344: [Cap. XXVI] De caeremoniis et usu sacramentorum vss. 4–7: [. . . ] mos et institutum ecclesiae veteris, ut [. . . ] carnibus abstineatur, non improbetur, sed ita tamen, ut non astringantur, quos necessitas excusat, quales sunt laborantes, peregrinantes, gravidae lactantes, pueri, senes, aegroti. 172 Vgl. ARCEG VI, S. 344: [Cap. XXVI] De caeremoniis et usu sacramentorum. vss. 12–24: Et quamquam cum apostolo sentiendum est eum, qui caelebs est, curare quae sunt domini etc. [1. Kor. 7, 32] eoque magis optandum multos inveniri clericos, qui cum caelibes sint vere contineant, [. . . ] Cum vero multi, qui ministerii ecclesiastici functiones tenent, iam multis in locis duxerint uxores nec sint, qui ministeria obire velint, non videtur expedire, ut nunc mutetur, sed super ea re generalis concilii sententia expectetur, cum mutatio talis, ut nunc sunt tempora, sine gravi perturbatione fieri non possit. Illud tamen negandum non est, etsi coniugium per se honorabile est iuxta scripturam [Hebr. 13, 4], eum tamen, qui non ducit uxorem et vere continet, melius facere iuxta eandem scripturam [Mt. 10, 10 sqq.; 1. Kor. 7,1]. 173 Vgl. ARCEG VI, S. 345 [Cap. XXVI] De caeremoniis et usu sacramentorum. vss. 8–11: Hi tamen, qui utriusque speciei usum amplectuntur, illam inveteratam sub una specie communicandi consuetudinem reprehendere non debent, sed alteri alteros sinant suo sensu abundare, donec super ea re concilium oecumenicum decreverit. 174 Die zugrunde gelegte Fassung ist die sog. Märzformel; vgl. ARCEG VI, S. 308 ff. 175 Hier in endgültiger Überarbeitung der Märzformel unter Einbeziehung der sog. kaiserlichen Reformformel bzw. formula reformationis oder Reformnotel vom 14. Juni; vgl. ARCEG VI, S. 309 ff. und 348 ff.; Wolgast: Formula reformationis. 176 Vgl. zum Verlauf PKMS III, Nr. 1017 und 1030. 177 Bereits mit den ersten Auszügen in der Ratskorrespondenz und mit der Denkschrift zum Religionsvergleich für Kurfürst Joachim von Anfang 1548 wurde eine Begutachtung durch Melanchthon auf der Basis der CA, der Apologie und der loci nahegelegt. Vgl. PKMS III, Nr. 953, 1015, 1016. 178 Vgl. AdamI, I3v f.; Zedler 15, Sp. 2121 f. (unter Kummerstadt); NDB 2, S. 479 f.; ADB 6, S. 498 (unter Komerstadt). 179 Vgl. AdamI, P6v f.; Zedler 5, Sp. 854 f.; NDB 3, S. 145 f.; ADB 3, S. 788–790. 180 Vgl. PKMS III, S. 34 f.; vgl. ClKS VI, S. 545. 181 Vgl. Scheible: Melanchthons Brief an Carlowitz, S. 108; PKMS III, Nr. 1030, S. 756 f. Welche Schriften gegen den Kaiser gemeint waren, gibt das Protokoll leider nicht wieder. Vermutlich handelt es sich aber um Melanchthons Ausarbeitung der Stellungnahme der evangelischen Stände zum eben eröffneten Konzil von Trient, welches der alte Kurfürst im Januar 1546 in Auftrag gegeben hatte (vgl. CR VI, 19/MBW 4, 4123) und das unter dem Titel Vrsach, Warumb die Stende, so der Augspurgischen Confession anhangen, Christliche lehr erstlich angenommen, vnd endlich dabey zuuerharren gedencken. Auch

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lich.182 Er wußte von alldem nichts und erstellte auf Anweisung in der Nacht vom 31. März auf den 1. April zunächst in deutscher Sprache183 ein schriftliches Gutachten, das er später ins Lateinische übersetzte.184 Die Berichte Komerstadts lassen darauf schließen, daß Melanchthon von Beginn an die „soziale“ Dimension des Problems zu bedenken gab und sich mit der Gesamtfrage der Annehmbarkeit beschäftigte. Komerstadt versuchte, die Äußerungen Melanchthons denn auch sofort in ein Bedenken umzusetzen, was Melanchthon anläßlich der Vorlage zur Korrektur nun wieder als aussichtsloses Vorgehen bezeichnete. Komerstadt verlangte darum ein eigenes Bedenken Melanchthons185 , dessen Kritik sich – neben wenig ausgeführter Einzelkritik v.a. an der Sakramentenlehre und am Meßkanon sowie der Verhandelbarkeit der Fragen vor einem Konzil186 – zunächst hauptsächlich auf die Indifferenz des sprachlichen Ausdrucks und Verallgemeinerungen richtete. Aus dem besagten Bericht Komerstadts gehen aber auch einige Empfehlungen des Rates hervor, die für die Folgezeit von Bedeutung sein sollten bzw. die weitere Entwicklung bestimmten: Die anderen Theologen sollten nach Zwickau beordert werden und Melanchthon sei zwingend hinzuziehen, da sie nichts ohne ihn täten. In einer Aktennotiz der Räte heißt es zu dem Schreiben, die Theologen mögen mitteilen, welche Artikel in dem „Buch“ [sc. liber Augustanus] gegen die Schrift stünden. Moritz werde ein Gutachten noch nicht befehlen, aber sie mögen sich vorbereiten, dabei aber alles streng geheimhalten.187 In einem zweiten Brief an Komerstadt vom 15. April – inzwischen waren weitere Theologen und einige Ratspersonen als psychologische Stützen hinzugezogen worden188 – kritisierte Melanchthon schärfer: vornehmlich die Ausführungen in den Kapiteln VI [De modo, per quem homo iustificationem accipit] und VII [De caritate et bonis operibus]189 bezüglich des zugrunde gelegten RechtWarumb das vermeindte Trientische Concilium weder zubesuchen, noch darein zu willigen sey [. . . ] Gestellet auss Churfürstlichem befelh, durch H. Philippum Melanthon. in Augsburg bei Othmar [VD 16 M 2651], Nürnberg bei Berg/Neuber [VD 16 M 2653] und Magdeburg bei Lotther [VD 16 M 2652] erschien. Die nachgearbeitete lateinische Fasssung wurde in Wittenberg unter dem Titel Cavsae Qvare Et Amplexæ Sint, Et Retinendam Dvcant doctrinam, quam profitentur, Ecclesiæ, quæ confessionem Augustæ exhibitam Imperatori sequuntur & quare iniquis iudicibus, collectis in synodo Tridentina, ut vocant, non sit adsentiendum bei Klug gedruckt [VD16 M 2650]. Melanchthon hatte darin nicht nur die Frage nach dem Regiment der Konzilien und Bischöfe scharf relativiert, sondern jegliche Form der Herrschaftsausübung auf der Basis von Schriftgemäßheit und Gottesgehorsam relativiert, insbesondere mit Blick auf Sakramente und „abgöttische“ Zeremonien. 182 Vgl. PKMS III, Nr. 1044.1045. 183 CR VI, 839 ff.; MBW 5, 5105; PKMS III, Nr. 1040.1041. 184 Iudicium I. de libro Interim; in: Pezel: Consilia II, 5 ff. (Dazu ebenso Hammer: Melanchthonforschung Bd. 1, Nr. 705). 185 Vgl. PKMS III, Nr. 1044, S. 769. 186 S.o. S. 30. 187 Vgl. PKMS III, Nr. 1044, S. 770. 188 Vgl. PKMS III, Nr. 1055. 189 Melanchthon weist auf die eine Tatsache hin, die bei erster Betrachtung gar nicht leicht zu finden ist: daß der Glaube nach Wortlaut von Cap. VI zunächst nur eine Vorstufe der Gerechtigkeit sei, und

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fertigungsverständnisses, ebenso wie in Kapitel XXII [De sacrificio missae] bezüglich des Gottesdienstverständnisses und sandte die Schrift nach Zwickau, um das neue Gutachten190 nach Augsburg gelangen zu lassen. Inzwischen hatte der Kurfürst auch offiziell von seinen Theologen eine umfassendere Stellungnahme gefordert, woraufhin Caspar Cruciger191 , Georg Major192 , Johannes Pfeffinger193 und Philipp Melanchthon am 20. April neuerlich in (Alt)Zella tätig wurden und vier Tage später ein entsprechendes neues Gutachten194 Moritz zusandten. Hinzu kam am folgenden Tage noch die Declaratio ad Iudic. III. pertinens195 als eine Melanchthonis ulterior declaratio de libro Augustano, die Melanchthon einem Bericht an den Hofrat Komerstadt beigefügt hatte.196 Parallel waren Gutachten der Räte entstanden, die hinsichtlich der Vermittelbarkeit theologischer Argumente Bedenken trugen oder sie selbst nicht nachvollziehen konnten.197 Darunter auch Gutachten Melanchthons zu anderen Bedenken – insbesondere dem der Bischöfe198 – und eine grundsätzliche taktische Abstimmung zwischen den Räten, die wohl darauf abzielte, die Theologen möglichst „still zu halten“. Eine in ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzende Aufgabe, die einem Balanceakt auf dem Drahtseil glich: Einserseits durfte die diplomatische Mission nicht gefährdet selbigem erst als Komplettierung die (Nächsten)Liebe folge; diese ist in Cap. VII wiederum das Movens und die Keimzelle für gute Werke, die sich schließlich gleichsam reziprok selbst vermehren, um schließlich cooperante gratia in der Identifikation des so verstandenen Prozesses mit der iustificatio ex operibus nach Jak (2,14 ff.) zu gipfeln. Gerade die geschickte Aufteilung der Kapitel und die damit verbundene Trennung des gesamten Rechtfertigungsgeschehens in scheinbar zwei Aspekte eines Zusammenhangs gibt hier den Ausschlag für die Kritik, auch wenn sich die Passagen auf den ersten Blick einem operational-logischen Verständnis des Rechtfertigungsgeschehens eben durch die Trennung der Kapitel und durch die eingeschalteten Definitionen und Bibelzitate geradezu zu entziehen scheinen. Eine Raffung der Vorgangsbeschreibung im lateinischen Wortlaut – über die scheinbar getrennten Kapitel der Märzformel hinweg – macht das Dilemma deutlich: [G]ratia divina movet mentem in deum per Christum et hic motus est fidei, per quam homo [. . . ] assentitur. [. . . ] Qui ita credit et a divinae iustitiae timore [. . . ] ad considerandam misericordiam dei et redemtionem per sanguinem Christi est conversus, hic erigitur et movente gratia dei concipit fiduciam atque spem, ut credat praeter spem in spe. Praeter meriti sui, in spe misericordiae promissae, tribuens gloriam deo. Atque ita perducitur ad caritatem. [. . . ] Caritas autem, quae est finis praecepti et plenitudo legis, simulac iustificationem ingreditur, fervens est et foecunda iamque omnium bonorum operum semina intra seipsam includit. Quae ut parata est ferre bonos iustitiae fructus, ita fert eos in iustificato [. . . ] eique operandi facultas impedimento aliquo non adimitur. [. . . ] Ac iustificati iam et servi facti iustitiae membra sua exhibentes serva iustitiae ad sanctificationem cooperante gratia bonis operibus abundant et quanto magis eisdem abundant, tanto maiora iustitiae incrementa ipsis adiunguntur, ut qui iusti sunt iustiores fiant. Quod reliquum est, etsi opera a deo mandata ut necessaria ad salutem sunt praecipue urgenda iuxta illud Christi [etc.]; in: ARCEG VI, S. 314 f. 190 Vgl. CR VI, 853 ff.; MBW 5, 5117; PKMS III, Nr. 1065; lat.: Iudicium II. de libro Interim; in: Pezel Melanchthon: Phil. Melanchthonis [. . . ] Consilia II, 9–14. 191 Vgl. BBKL 1 (1990), Sp. 1171. 192 Vgl. BBKL 14 (1998), Sp. 1224–1227. 193 Vgl. BBKL 7 (1994), Sp. 413–416. 194 CR VI, 865 ff.; MBW 5, 5130; PKMS II I, Nr. 1070; lat.: Iudicium III. de libro Interim; in: Pezel Melanchthon: Phil. Melanchthonis [. . . ] Consilia II, 16 ff. 195 CR VI, 876 f.; MBW 5, 5137; lat. in: Pezel Melanchthon: Phil. Melanchthonis [. . . ] Consilia II, 26. 196 Vgl. PKMS III, Nr. 1072. 197 Vgl. PKMS III, Nr. 1072 (Zusatz), 1073. 198 Vgl. PKMS III, Nr. 1077.

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werden. Andererseits sollte kein Maulkorb verhängt werden; allein schon deswegen, weil die politisch verwertbaren Argumentationselemente der Theologenbedenken in Auszügen durchaus übernommen wurden.199 Noch während dieses laufenden „Begutachtungsprozesses“ in Sachsen wurde am 15. Mai200 das Interim in Augsburg an die Reichsstände übergeben. Kurfürst Moritz erklärte am 18. Mai dem Kaiser, er könne ohne Befragung seiner Landstände keine Umsetzungszusagen für seinen Herrschaftsbereich machen. Moritz schrieb an Karl und Ferdinand, daß er bei allem Bemühen von seinen verbindlichen Zusagen an seine Untertanen nicht absehen könne. Er verwies durchaus auf das allgemeine Konfliktpotential, aber beschwichtigte zugleich: Soweit es mit dem Gotteswort, der Bibel, vereinbar sei, werde man mit Blick auf ein vom Kaiser in Aussicht gestelltes Konzil201 die Artikel der Erbsünde, Rechtfertigung und Lehre sicher annehmen. Mit Blick auf den Rest wird vor allem die Verdammung der von der katholischen Kirche „Getrennten“mit dem Hinweis darauf moniert, daß – wie allgemein bekannt – die Urkirche eine andere gewesen sei. Dies und vieles Anderes wie Kirchenregiment, Meßritual, und manches liturgisch-rituelle Element – bisweilen als Aberglaube deklariert – wird vornehmlich mit Blick auf die sozialen Folgen im Territorium als (eingeschränkt) annehmbar oder unannehmbar unterbreitet.202 Gleich nach seiner Rückreise von Augsburg nach Dresden begann Moritz, eine Ständeversammlung in Meißen vorzubereiten. Im Zuge dieser Bemühungen entsandte er ein von der ersten Fassung verschiedenes Interim203 an die Wittenberger Theologen – insbesondere wieder an Melanchthon –, um nun ein spezielles Gutachten zur Vorlage auf der Ständeversammlung erstellen zu lassen. Es handelte sich hierbei um das Iudicium IV., das am 16. Juni von Melanchthon zunächst an den Superintendenten Pfeffinger zur Mitunterschrift und endlich mit einem besonderen Schreiben204 am 17. Juni an den Kurfürsten selbst geschickt wurde. Melanchthon schien in der Folge um Transparenz und Abstimmung bemüht, denn er übersandte einige Abschriften des Gutachtens an Freunde und Bekannte: am 19. Juni205 an Meienburg206 , den Bürgermeister von Nordhausen, sowie am 20. Juni207 an Veit Dietrich208 , einen Nürnberger Prediger, am 25. Juni209 an Ni199

Vgl. PKMS III, Nr. 1072, 1073, 1076. Zu den Reaktionen, zumal nach der Verlesung auf die Erklärung des Reichsvizekanzlers Seld und die Zustimmung des Erzbischofs von Mainz, sowie folgende Proteste vgl. Rabe: Reichsbund und Interim, S. 441 ff. 201 S.o. S. 30. 202 Vgl. PKMS III, 1079. 203 Eine Fassung, die um die kaiserliche Reformnotel vom 14. Juni 1548 ergänzt worden war; vgl. ARCEG VI, S. 348 ff. und CR VII, 101; MBW 5, 5250. 204 CR VI, 954 f.; MBW 5, 5184; PKMS IV, Nr. 14.15. 205 Vgl. CR VI, 943 f./MBW 5, 5188 und CR VI, 949. 206 Vgl. ADB 52, S. 286–288. 207 Vgl. CR VI, 945 f.; MBW 5, 5191. 208 Vgl. BBKL 1 (1990), Sp. 1302 f. 209 Vgl. CR VI, 952 f.; MBW 5, 5197. 200

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kolaus Medler210 in Braunschweig und selbigen Tages211 an Georg Buchholzer212 in Berlin. Die Wittenberger Professoren – namentlich die neben dem Leipziger Johannes Pfeffinger unterzeichnenden Johannes Bugenhagen, Caspar Cruciger, Georg Major, Philipp Melanchthon und Sebastian Fröschel213 – agierten mit dem Iudicium IV. de libro Interim214 freilich noch nicht öffentlich. Gleichwohl: Dieses Iudicium IV. de libro Interim war das bislang am ausführlichsten ausgearbeitete – zumindest sofern von der fehlenden Kommentierung des kaiserlichen Vorworts und der Ergänzungen, die die beiden kaiserlichen Gelehrten, die Spanier Pedro de Malvenda215 und Domingo de Soto216 , noch anbrachten, abgesehen wird.217 Das folgende Iudicium V.218 , wohl vom 6. Juli, stimmt mit dem Iudicium IV. in großen Teilen wörtlich überein und scheint lediglich um einen Vorsatzteil „Bedenken zur ksl. Proposition“, also die Kommentierung des nun erst vorliegenden Prooems Karls ergänzt, wobei man insbesondere auf das Verhältnis zu den decreta Tridentina, die Umsetzungsmodalitäten angesichts der Neuordnungen durch das Interim und die Konzilsfrage im weiteren Sinne einging.

3.3 Der kursächsische Weg Die bis hierhin kurz skizzierte Entstehungsgeschichte des Interims und seiner Kommentierung in Sachsen wie auch weitere ‚private‘ Gutachten und Briefe219 weisen viele Kritikpunkte an dem liber Augustanus / INTERIM des oben genannten Iudicii IV. als die Melanchthons aus. Somit wäre die starke Bezugnahme auf seine Person in den folgenden Streitigkeiten um die Beurteilung des Interims berechtigter Weise nicht allein in den persönlichen Antipathien des jeweiligen Kritikers zu suchen. Hinzu kommt die deutlich erkennbare Zielsetzung der Räte, ihn als eine Art Speerspitze oder Galeonsfigur, die er ja de facto auch war, an Stelle der übrigen Theologen zu instrumentalisieren. Auch die Lage der verschiedenen Geheimhaltungsebenen muß beachtet werden: es ist das eine, was in Augsburg öffentlich wurde; etwas Anderes ist es, was die Räte in Abstimmung mit Moritz wußten und planten, wieder etwas Anderes, was Melanchthon und beteiligte Co210

Vgl. BBKL 5 (1993), Sp. 1150–1153. Vgl. CR VI, 957 f.; MBW 5, 5199. 212 Vgl. BBKL 1 (1990), Sp. 787. 213 Vgl. BBKL 2 (1990), Sp. 139 f. 214 CR VI, 924 ff.; MBW 5, 5182. 215 Vgl. BBKL 5 (1993), Sp. 650–651. 216 Vgl. BBKL 10 (1995), Sp. 831–836. 217 Die Vorrede und die Ergänzungen lagen den evangelischen Theologen schlicht noch nicht vor, wie sich aus dem Präskript des Iudicium IV. ergibt: „Uns ist die Vorrede, die neulich für das Buch gemacht ist, nicht zugestellt, darum jetzund wir davon keine Meldung thun können.“ 218 CR VII, 12 ff.; MBW 5, 5208; PKMS IV, Nr. 34. 219 Vgl. CR VII, 289 und CR VII, 301 ff./MBW 5, 5403 u.v.a. 211

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Gutachter diskutierten, wieder etwas Anderes, was sie davon berichten durften220 , und schließlich noch einmal etwas Anderes, was daraus letztlich von den Räten in Abstimmung mit dem Kurfürsten im Sinne der Präsentation gemacht wurde.221 In dem einen Punkt, daß man das Interim in der in Augsburg vorgelegten Fassung nicht akzeptieren könne, waren sich freilich alle einig. Auf die Sachfrage folgt die nach der Exekution: Die Durchsetzung des Interims erstreckte sich in höchst unterschiedlicher Weise auf das reformatorisch geprägte Reichsgebiet. Letztlich konnte es nur in Gebieten mit kaiserlicher Militärpräsenz zur Geltung gebracht werden.222 Immerhin, hier waren Amtsniederlegungen Geistlicher, Vertreibungen223 widerspenstiger Prediger, Inhaftierungen und die daraus resultierenden geistlichen und sozialen Mißstände als einschneidende Folgen greifbar. Bezüglich des gesamtdeutschen Geltungsanspruches des Interims nahm Kursachsen – wie dargestellt – eine besondere Rolle ein: Moritz hatte nach dem Erhalt seines Kurfürstentitels seinen Untertanen Glaubensprotektion zugesagt, wie auch das Personal der Universität Wittenberg nach der Wiedereröffnung seiner vollen Freiheit in Lehre und Glauben versichert worden war.224 Allerdings stand Moritz zugleich unter dem Erwartungsdruck des Kaisers, nachdem alle Sonderverhandlungen im Verlauf des Augsburger Reichstags ergebnislos geblieben waren. Melanchthon kooperierte, soweit es ihm konstruktiv möglich war. Er hatte schließlich schon in seinem allerersten Gutachten im Januar 1548 bei dem Treffen mit Komerstadt in (Alt)Zella225 entsprechende Zusätze in Kernartikeln als vergleichsweise unbedenklich qualifiziert. Die Zeremonien waren ein praktisches Problem, das viel größere Breitenwirksamkeit erlangen konnte. Zumal in einem gemeinsamen Gutachten der Theologen-Kollegen bezüglich der in Meißen diskutierten Zeremonien, die im Interim vorgeschrieben wurden, klassifiziert selbige in Teilen auch auf breiterer gutachterlicher Basis als ´ wurden, über die man nicht streiten brauche.226

3.4 Eine tragische Wende? Melanchthons Position und sein Ansehen als Gutachter hatte sich schließlich durch einen unvorhergesehenen Zwischenfall kurz zuvor extrem verschlechtert: das Iudicium IV.227 wurde ohne Kenntnis seiner Autoren von Flacius228 veröffent220

Vgl. exemplarisch die Instruktion vom 18. Oktober, PKMS IV, Nr. 127. Vgl. exemplarisch das Protokoll der Ratssitzung von Anfang September 1548, PKMS IV, Nr. 84. 222 S.o. S. 30. 223 Vgl. Vogt: Bugenhagens Briefwechsel. Nachträge, S. 706; Kawerau: Johann Agricola, S. 285–291. 224 Vgl. CR VI, 605–611; MBW 5, 4812.4813.4814; zum weiteren Hintergrund, insbesondere auch die binnensächsische Opposition gegen den neuen Kurfürsten betreffend vgl. PKMS III, S. 30–37. 225 S.o. S. 33. 226 Vgl. CR VII, 41 f.; MBW 5, 5208. 227 S.o. S. 38. 228 Zu seiner Herausgeberschaft s. Kaufmann: Ende der Reformation, S. 55 f.; bes. Anm.59; Preger: Flacius und seine Zeit I, S. 56 f. 221

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licht, und zwar als „Bedenken der Wittenberger Theologen“229 Mitte Juli 1548 in Magdeburg.230 Der Druck war auf das wesentlichste beschränkt und setzte unmittelbar mit der Stellungnahme zu de iustificatione et bonis operibus ein und ließ die Vorrede der Vorlage, die ursprünglich den Mangel des kaiserlichen Vorworts beklagte und ansonsten den guten Willen anzuzeigen bemüht war, einfach aus.231 Der Druck wurde ein für alle Beteiligten letztlich tragischer Publikationserfolg, sofern er durch seine Verbreitung den Schwerpunkt der Diskussion von der eigentlichen Sache auf die Frage, wer hier mit welcher Meinung und Absicht begutachte, verschob. Diese Neuakzentuierung wurde nun dadurch zum Dilemma, daß gerade am 30. Juni das kaiserliche Mandat gegen den Druck von Schmäh- und sonstigen Schriften, Bildern, etc. gegen das Interim auch in Sachsen eingegangen war, und zwar just als ein Ergebnis und (Teil)Umsetzungsstück der neuen Reichspolizeiordnung, deren Exekution freilich effektiv dem jeweiligen Territorialfürsten oblag.232 Das hieß einerseits, daß man zur Zeit der Veröffentlichung vermutlich noch nichts von der neuerlich verschärften Anordnung durch den Kaiser wissen konnte233 , auch sofern es sich aus den Korrespondenzen erschließen läßt. Das hieß aber auch andererseits, daß das ursprüngliche Ansinnen der Publikation, nämlich Melanchthon aus der Reserve zu locken und zu einem neuerlichen klaren (Bekenner)Votum zu bewegen, bevorzugt gegen das Interim, für Melanchthon als Möglichkeit – auch seiner eigenen Überzeugung zum Trotz – nicht mehr bestand. Mit dem „Bedenken“ war ja ein Gutachten von prominentester Seite öffentlich geworden, dessen Autor als Autoritätsgarant eigentlich „territorial-intern“ für eine vertretbare Durchführung einer Kompromißregelung eintreten sollte, und dessen kritischer Teil „extern“ der vorsichtigen Abwehr oder doch zumindest verzögernden Problematisierung Argumentationsmaterial zuführen sollte, ohne die Gesamtduchführbarkeit dem Kaiser gegenüber ausdrücklich in Frage zu stellen. Nun hatte man auf Seiten Melanchthons wie der Räte an zwei Fronten ein Problem: Das Interim mußte in Sachsen unmißverständlich als unevangelisches Mängelpapier gelten, und der Kaiser mußte glauben, daß man in Totalopposition – eben auch gegen die Zensurverordnungen – an seiner Reichsreligionsordnung 229

Melanchthon: Bedenken [. . . ] der Theologen zu Wittenberg. Es erschienen noch im selben Jahr sechs Nachdrucke des Dokuments: Es waren dies vier hochdeutsche Drucke bei Lotther (VD 16 M 4323–26) und einer bei Hans Walther [niederdeutsch Wolther, geboren 1500 übernahm die Druckerei Heinrich Öttingers und war von 1530 bis 1560 tätig; vgl. Kapp: Geschichte des Buchhandels, S. 185] (VD 16 M 4327) unter dem in den ersten fünf Fällen hinsichtlich der Autorschaft modifizierten Titel: Bedencken auffs INTERIM Des Ehrwirdigen und Hochgelarten Herrn PHILIPPI MELANTHONIS. Daneben findet sich ein niederdeutscher Druck mit dem ursprünglichen Titel: Christlick bedencken der Evangelischen Theologen und Gelarten tho Wittemberg up dat Interim [HAB A: 490.1 Theol. (5)]; zum Druckvergleich vgl. Boghardt: Partial Dulicate Setting. 231 Vgl. CR VII, 12 f.; MBW 5, 5208; PKMS IV, Nr. 14, bes. auch Am. 1; VD 16 B 1846–47. 232 Vgl. Rabe: Reichsbund und Interim, S. 295–360; Hasse: Zensur theologischer Bücher in Kursachsen, S. 23–25; Kaufmann: Ende der Reformation, S. 44 f., bes. Anm. 14 & 15. 233 Vgl. Preger: Flacius und seine Zeit I, S. 57 Anm. *). 230

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Fundamentalkritik übte. Diejenigen Befürchtungen, die Melanchthon von Beginn an trug, bestätigten sich: Aufruhr und Eskalation hielten Einzug. Es rebellierten nun nicht nur die Theologen des immer noch gefangenen Johann Friedrich von Sachsen und erklärten zum ganzen Artikel 26 (De ceremoniis et usu sacramentorum), er stelle eine vollständige Restauration des Papismus dar.234 Auch der Kaiser zeigte sich erbost und verlangte neuerlich von Moritz in einem Schreiben vom 31. August die Auslieferung Melanchthons sowie die Veröffentlichung der zuvor übersandten Polizeiordnung und die Exekution bei Zuwiderhandlungen jeglicher Art.235 Melanchthon wurde allerdings offensichtlich mit dem Vorwurf schon vor dem Schreiben des Kaisers konfrontiert, nachdem am 26. August der königliche Gesandte Hans von Oppersdorf bei Kurfürst Moritz Anzeige erstattet hatte.236 . König Ferdinand riet vermittels seines Gesandten an dieser Stelle Moritz auch zur Annahme der kaiserlichen Religionsordnung. Alles Andere werde als Beleidigung aufgefaßt werden müssen. Der Kurfürst solle Schrift und Predigt gegen das Interim verbieten und die verantwortlichen Theologen bestrafen. Moritz antwortete noch am selben Tag237 , daß er von dem Druck gehört habe und ihm auch ein Exemplar unter dem Namen Melanchthons zugekommen sei. Und hier verdient eines Beachtung: Der königliche Gesandte hatte offensichtlich das „Bedenken der Theologen“ gemeint. Nicht der königliche Gesandte zeigte den Namen Melanchthons an, es war Moritz, der angab, daß er den Druck, nachdem er ihm nicht gefiel, Melanchthon habe vorlegen lassen. Kein Wort davon, daß es sich um Auftragsarbeiten handelte. Und zum Glück für den Kurfürsten war dies wegen der Auslassung der Vorrede auch nicht mehr ohne weiteres erkennbar.238 Mit dem Druckexemplar konfrontiert habe Melanchthon erwidert, er habe den Druck nicht angeordnet, und anschließend das Exemplar zerrissen. Dabei habe es der Kurfürst bewenden lassen. Er wolle aber das neue Exemplar zur Überprüfung nach Wittenberg senden. Überdies – so versichert Moritz – habe er Verfügungen gegen Streitschriften und Predigten erlassen. Nachdem Melanchthon neuerlich mit einem Druck des Bedenkens konfrontiert worden war – diesmal also dem „der Theologen“ – schrieb er am 8. September einen Entschuldigungsbrief an Moritz, in welchem er zunächst darauf verwies, daß das Gutachten ohne sein Wissen publiziert worden sei, daß es verändert worden sei, und daß es – ungeachtet der kaiserlichen Kritik – doch immerhin manches zugestand, worüber bislang gestritten wurde.239 Melanchthon brachte 234

Zum Wortlaut der Erklärung vgl. Mehlhausen: Streit umd die Adiaphora, S. 116; zum Votum insbesondere Amsdorfs und seiner Entstehung vgl. PKMS IV, Nr. 20 (das Schreiben belegt bereits Amsdorfs Kontakte zu „alternativen Druckereien“, sollten Zensurmaßnahmen beschlossen werden) & 41. 235 Vgl. PKMS IV, Nr. 81. 236 Vgl. das Protokoll PKMS IV, Nr. 77. 237 Vgl. PKMS IV, Nr. 78. 238 S.o. S. 38. 239 Vgl. PKMS IV, Nr. 89; MBW 5, 5285 (hier auch Hinweise zur Chronologie des Briefeingangs in Wittenberg).

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abschließend sein Bemühen zum Ausdruck, dem Kurfürsten weiterhin dienstbar zu sein, und verwies darauf, daß dies unter Mißachtung manches Schutzangebots geschehe, welches ihm zur Ermöglichung harscherer Kritik am Interim gemacht worden sei. In einer Instruktion für zwei Räte vom 18. September240 legte Kurfürst Moritz König Ferdinand den Sachverhalt nochmals so dar, daß der Kurfürst von dem „Bedenken“ nichts gewußt habe, Melanchthon dazu nichts eingestanden und das ihm vorgelegte Exemplar zerrissen habe. Er bat im weiteren, die Theologen zu entschuldigen, wenn ohne deren Wissen etwas gedruckt werde. Der Kurfürst wolle freilich für ein verschärftes Druckverbot sorgen. Predigten gegen das Interim seien bereits untersagt.241 Auch sei man schon gegen widerspenstige Pfarrer vorgegangen.242 Es wird deutlich, wie verflochten die Situation war. Neuerlich zum Ausdruck kam die diplomatische Bindung in einem Entschuldigungsbrief des Kurfürsten an den Kaiser vom 31. Oktober243 : Der Kurfürst brauche Melanchthon, allein mit Blick darauf, daß in Sachsen die „neue Religion“ nun schon seit 30 Jahren eingeführt sei. Auch darum könne bei den anstehenden Veränderungen auf Melanchthon – wohl allein im Sinne der Glaubwürdigkeit – nicht verzichtet werden, weil bereits mit einem gewissen Erziehungs- und Gewöhnungseffekt zu rechnen sei. Schließlich werde er auch schon von anderer Seite angegriffen, zu große Zugeständnisse zu machen. Der Kurfürst bat darum, aus den genannten Gründen die Anklage gegen seinen Praeceptor fallenzulassen und ihn so lange nicht ausliefern zu müssen, wie er sich für den Religionsvergleich einsetze. Und wiederum verdient es Beachtung: Moritz gab den kaiserlichen Druck direkt an Melanchthon weiter. Darum scheint Zweifel unangebracht, ob Melanchthon sich der Bedingungen seiner persönlichen „Protektion“ bewußt war.244 So blieb auf politischer Ebene für Kursachsen die nicht ohne beständig anhaltenden Druck der kurfürstlichen Räte wie auch letztlich der „wohlmeinenden“ Gegner des Interims eine nun zum Zwang etablierte Kompromißstrategie Melanchthons bestimmend. Und daß es diesen Druck gab und mit welchen Mitteln bei der Ausübung von Beginn an agiert wurde, beweist ein noch stärker von Widerstandsgeist geprägter Brief Melanchthons an Matthias Luther vom 23. Juli: Etsi autem et politici gubernatores recte intelligere fontes doctrinae, et eius propagationem adiuvare deberent: tamen quia multi eam non intelligunt, multi 240 241

Vgl. PKMS IV, Nr. 98, S. 142. Tatsächlich wurde ein entsprechendes Ausschreiben erst im November publiziert; vgl. PKMS IV,

170. 242 Die Konjektur in PKMS IV, Nr. 98 „Freiberg (Annaberg?)“ ist falsch. Es handelt sich bei dem vorgeladenen und zeitweilig inhaftierten Pfarrer von Freiberg offensichtlich um Christoph Zobel, vgl. Chalybaeus: Durchführung des Interims, S. 61. 243 Vgl. PKMS IV, Nr. 145. 244 Diesen ganzen Sachverhalt übergingen sowohl Preger: Flacius und seine Zeit als auch Olson: Flacius and the survival, wenn sie beide in der Rekonstruktion der Motivationslagen mehr oder minder deutlich konstatieren, daß Flacius eine große Gefahr auf sich nahm, während Melanchthon von der Protektion des Kurfürsten „profitierte“.

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etiam oderunt, et iam, spe novi status, laetantur, ego consiliis eorum me admiscere nequaquam volo. Et saepe hoc anno insidiose interrogatus sum. Petunt a me et alii adprobationem imbecillitatis, ut postea praetextu mei nominis excusetur defectio. Recepto autem libro proximum est, ut pellantur pii Doctores, et sequentur aliae perturbationes Ecclesiae.245

Eben diese Haltung, die ein Wissen um die Problematik „repräsentativer Handlung“ deutlich erkennen ließ, letzterer aber wesentlich mit Zurückhaltung Rechnung trug, war freilich durch die Zensurverordnung bzw. den sich daraus ergebenden „Schuldaspekt“ in Folge der Protektion durch den Kurfürsten wie geschildert nahezu alternativlos geworden.246 Abschreckendstes Beispiel der Konsequenzen einer Anerkennung des Interims war bis dahin für Melanchthon der Fall eines nicht namentlich genannten Predigers im Rheinland, der sich umbrachte, nachdem dort das Interim angenommen worden war247 . Ebenso befürchtete er seit Beginn der Verhandlungen nicht nur den Widerstand der Pfarrer und Prediger, sondern insbesondere auch der Bevölkerung. In Sachsen hatte es entsprechende „Exempel“ gegeben.248 Und schließlich schien mit dem Tode Crucigers, den er als persönlichen Vertrauten schmerz245 Vgl. CR VII, 80; MBW 5, 5233. Ab diesem Punkt ist allerspätestens auch Scheible: Melanchthons Brief an Carlowitz, S. 112 nicht mehr zuzustimmen, wenn er über die Ratspolitik schreibt: „Die Theologen fanden hier vollstes Verständnis und nachdrückliche Unterstützung. Sie waren von seiten der Politiker keinem Druck ausgesetzt.“ Freilich war Diplomatie von Anfang an oberstes Gebot – zumal, wenn man sich einer anhaltenden militärischen Bedrohung wie auch der politischen kaiserlichen Autorität ausgesetzt sah. Aber aus dem Bemühen um möglichst wenig Aufsehen, um eine geschickte, kleinteilige Entwicklung und Präsentation von Fortschritten im Territorium von vornherein auf eine entspannte Atmosphäre bei den Theologen zu schließen, legen schon die immer wieder entschuldigenden Einleitungen der Gutachten selbst nicht gerade nahe, zumal das permanente Bemühen ins Auge sticht, kriteriologisch Randständiges von kriteriologisch Zentralem zu trennen und so die gefährlichsten Klippen gleich „weiträumig“ zu umschiffen. Ganz analog muß eine Rückfrage an die tatsächliche Lage des „Gefälles“ innerhalb der Beziehung zwischen Kurfürsten bzw. dessen Ratspersonal und Melanchthon gestellt werden, wenn es etwa bei Töpfer: Die Leucorea am Scheideweg, S. 87, S. 87 in Anlehnung an das etablierte Bild von „Fürst und Reformator“ (Wartenberg) heißt: „Vom 14. Oktober 1547 datiert das erste theologische, der Konzilsfrage gewidmete Gutachten Melanchthons in albertinischen Diensten, mit dem seine entgültige [sic] Entscheidung für einen Verbleib in Wittenberg verbunden ist. Für die Dresdner Politik sollte der Wittenberger Professor zukünftig ganz unentbehrlich werden.“ Das Gegenteil scheint der Fall zu sein, wird neben den Äußerungen Melanchthons die sich für ihn zunehmend verschärfende Rechtslage beachtet. Entsprechendes stellt Töpfer: Die Leucorea am Scheideweg, S. 88 f. – auch durchaus im Sinne zunehmenden und bewußt ausgeübten kurfürstlichen Drucks – fest, ohne allerdings die volle Konsequenz daraus zu ziehen, denn er gelangt nur zur Revision der Position von Scheible: Melanchthon, S. 182–192. 246 Vgl. PKMS IV, Nr. 40. Es soll an dieser Stelle darauf hingewiesen sein, daß Melanchthon in zahlreichen Briefen (vgl. CR VII, 77/MBW 5, 5230; CR VII, 89/MBW 5, 5237; CR VII, 102 ff./MBW 5, 5257; CR VII, 113/MBW 4, 3993; CR VII, 129 ff./MBW 5, 5274; CR VII, 133 f./MBW 5, 5282; CR VII, 139/MBW 5, 5622; CR VII, 142 f./MBW 5, 5296; CR VII, 143 f./MBW 5, 5297; CR VII, 144 f./MBW 5, 5294; CR VII, 158 f./MBW 5, 5312; CR VII, 165/MBW 5, 5318; CR VII, 168/MBW 4, 4409; CR VII, 168 f./MBW 5, 5321; u.a.) intern nach wie vor seine Unentschlossenheit, ja seinen Widerwillen, die ohne Weiteres anzuerkennen, auch unter dem Eindruck persönlicher Gefahr – sie ging biswei´ len vor allem auch auf die fortgesetzte Agitation Eislebens zurück (vgl. CR VII, 129 ff.; MBW 5, 5274; Kawerau: Johann Agricola, S. 241–291) –, recht deutlich zeigte. 247 Vgl. CR VII, 160 f.; MBW 5, 5311. 248 S.o. S. 40.

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lich zu vermissen angab249 , seine ursprüngliche Zurückhaltung, bei allem Problembewußtsein eben aus der Kenntnis des unauflöslichen Für und Wider heraus – Melanchthon schrieb oft von einer inextricabilis quaestio –, endgültig gebrochen. Erste Anzeichen einer Frustration waren freilich bereits in einem Brief an Carlowitz vom 28. April (vgl. CR VI, 879 ff.; MBW 5, 5139) wahrnehmbar, einem grundsätzlich apologetischen Schreiben, das die Kritikanteile in den Gutachten Melanchthons begründen sollte, aber dessen Formulierungen nach Bekanntwerden für einige Mißstimmung auf Seiten der Interimsgegner und für Überraschung auf der Seite der Kaiserlichen sorgte.250 249

Vgl. CR VII, 226 f.; MBW 5, 5365. Zur allgemeineren Beurteilung des Sachverhalts und der Frage nach der Unterordnung Melanchthons, auch insbesondere dabei sein Verhältnis zu Luther betreffend vgl. die ausgewogene Darstellung bei Scheible: Melanchthons Brief an Carlowitz, Scheible: Melanchthon, S. 158–169.182–200 und Herrmann: Selbstbehauptung. Die Darstellung bei Kurig: Philipp Melanchthon über sich und Martin Luther hingegen muß mit Blick auf die Argumentationsbasis als mißlungen angesehen werden. Gleichwohl gelangt der Autor zu einer um Ausgleich bemühten Einschätzung. Dazu fünf knappe Hinweise: 1.) Kurig irrt m.E. grundsätzlich, wenn er einen standardisierten Gebrauch des Deutschen bei seiner Analyse der zeitgenössischen Übersetzung durch Stoltz voraussetzt und ausgehend von dem „wenn er oft“ der Stoltzschen Übersetzung ausschließlich einen „temporal-iterativen“ Sinn rekonstruiert. [Vgl. DWB 29, 1 WENN, konj., Sp. 51–53.] 2.) Es ist fragwürdig, wenn Kurig trotz seiner Anmerkungen zur uneinheitlichen Grammatikrekonstruktion im 16. Jahrhundert die Stilistik auf der Basis „klassischer“ Grammatik analysiert: der Anfang einer mehr oder minder vollständigen Rekonstruktion dieser Grammatik und Stilistik auf der Basis von Cicero und Caesar war der Philologie des 18. und 19. Jahrhunderts vorbehalten und entsprach nicht in jeder Hinsicht dem Stilempfinden der frühen Neuzeit – schon Valla oder Erasmus machten sich über die Ciceronianer lustig. Melanchthon war darum nun gewiß immer noch ein hervorragender Stilist und an Cicero – ebenso wie an Quintilian – orientiert, aber eben nicht nach den Kriterien eines Kardinal Bembo. 3.) Hinzu kommt als besonders ärgerlicher Lapsus – wenn man denn ahistorisch / „klassisch“argumentieren und zugleich beim temporalen Sinn bleiben möchte –, daß bei den temporalen Aussagen mit sog. cum narrativum bzw. historicum, bei denen im Zuge der Erzählung bestimmter Ereignisse ein gleichzeitiger Nebenumstand die besagte Zeit selbst charakterisiert (analog zu fuit tempus cum), sehr wohl regelmäßig beim Perfekt (als einem sog. Nebentempus) im Hauptsatz cum im Nebensatz mit dem Verb im Konjunktiv Imperfekt steht, sofern der Nebenumstand sich gleichzeitig (auch inzidentiell) einstellt. Bisweilen ist es auch beim cum relativum eingeordnet (eine Unterscheidung fällt auch nicht immer leicht, was aber naheliegt, wenn man alternativ eine Parataxe, etwa mit relativem Satzanschluß quo tempore oder quando imaginiert): Atque ego hoc ex eis saepe audivi, cum dicerent pergratum Atheniensis et sibi fecisse et multis principibus civitatis [. . . ] [Cic. De orat. 2, 155, 1]; Nam si, id quod Graecorum investigatur annalibus, Roma condita est secundo anno Olympiadis septumae, in id saeculum Romuli cecidit aetas, cum iam plena Graecia poëtarum et musicorum esset minorque fabulis nisi de veteribus rebus haberetur fides. [Cic. rep. 2, 18, 11 – ein Text, den Melanchthon freilich nicht kennen konnte] etc.; vgl. Kühner/Stegmann: Ausführliche Grammatik, § 205, 2; Rubenbauer/Hoffmann: Lateinische Grammatik11 , § 254, )1; Menge: Lehrbuch, §§ 573–576; Menge: Repetitorium11 , § 267. 4.) Kurig irrt, wenn er sich auf die Verteidigung Melanchthons zur Begriffsbedeutung von verläßt, als sei sie unmißverständlich bzw. als „heroisches Attribut“ vollständig erfaßt; vgl. zu Bedeutung und Gebrauch Liddell/Scott: Greek-English Lexicon9 , S. 1937 f. 5.) Kurig übergeht bei der abschließenden Rückschau auf den Ausgangspunkt seiner Analyse, die Übersetzung Stoltzens, die Tatsache, daß gerade nicht eine Übersetzung auf dem Reichstag in Augsburg herumgereicht wurde, sondern eine lateinische Abschrift des Briefes. Ebensowenig wurde in der Folge letztper se als skandalös empfunden, sondern lich Melanchthons servitus im Gegenüber zu Luthers – und das gab m.E. den wirkungsgeschichtlichen Ausschlag – der Gebrauch eines solchen Epithetons für den verstorbenen Luther, das sich als Verletzung des pietas-Gebots, de mortuis nil nisi bene, im Sinne der Bedeutung von „(egozentrischer) Rechthaberei“ verstehen und reaktualisiert in Übertragung auf 250

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Wenngleich Melanchthon mit der gutachterlichen Tätigkeit fortfuhr, hatte er das Spiel ja schon lange durchschaut.251 Dennoch oder gerade deshalb wurden bei Beratungen in Torgau und (Alt)Zella im Oktober und November 1548 weitere Gutachten erarbeitet, die immerhin „abgöttische Ceremonien“252 von den übrianzusehen seien, schieden. gen Ritualelementen, die nach wie vor als ´ Aus diesen Gutachten der Theologen formulierten die sächsischen Hofjuristen am 19. November das sog. Interim Cellense253 , ein Verzeichnis der Adiaphora oder „Mittelceremonien“, „der man sich verglichen“254 . Dieser Text wurde schließlich auch am 17. Dezember 1548 von Kurfürst Moritz und Joachim II. als gemeinsame Grundlage in der Religionsfrage als Decretum Iuterbocense unterzeichnet, wobei die Notwendigkeit weiterer Klärungen ausdrücklicher Bestandteil des Epilogs255 war. Doch nicht allein dieses Entscheidungsvakuum verbleibender Klärungen, sondern die dissimulierte Unentschiedenheit Melanchthons zwischen politischem Zwang und Orthodoxie256 in ihrer inzwischen auch aktenkundigen Offensichtlichkeit war nun nicht nur universitätsintern zu einer brennenden Frage geworden. So eröffnete etwa ein Brief von Johann Brenz257 von Anfang 1549 an Melanchthon mit den Worten: Salutem in Christo. Legi literas tuas, curas et sollicitudines, et laudo quidem pietatem tuam, quam erga patriam et Ecclesiam vestram declaras: sed qua radiejenigen beziehen ließ, die mit (einem freilich in bestimmter Weise selektiv angeeigneten) Luther als Symbolfigur evangelischen Glaubens und als Autoritätsfigur gegen eine altgläubig-restaurative Überformung im Zuge kaiserlicher „Gegenreformation“ vorgingen. In diesem Sinne ist von einer prinzipiell tendenziellen oder gar falschen Wiedergabe der Melanchthonschen Formulierung in der im CR gebotenen Übersetzung schlicht nicht zu sprechen, sofern Stolz ja nur übersetzen konnte, was er – gemeinsam mit vielen anderen – „verstand“. 251 Besonders deutlich wird diese Aporie auch in dem von Melanchthon verfaßten und von Georg von Anhalt unterzeichneten Brief an Buchholzer vom 18. Dezember (vgl. CR VII 251 ff.; MBW 5, 5474). 252 Vgl. CR VII, 210; MBW 5, 5355. 253 Vgl. CR VII, 215 ff.; MBW 5, 5359. 254 Tatsächlich konnte wohl keine vollständige Einigkeit in Fragen des Meßkanons erzielt werden; vgl. CR VII, 214 f.; MBW 5, 5357; PKMS IV, Nr. 174.175.176. 255 Vgl. CR VII, 248 f.; MBW 5, 5398.1.2. 256 Melanchthon äußert in einem Brief an Meienburg vom 6. Januar 1549 selbst nach seiner Rückkehr aus Leipzig in seltsam paradoxer Weise seine Einschätzung der Unbedenklichkeit des Vorgehens einerseits, andererseits sein ungutes Gefühl dabei: Lipsica actio non facit in Ecclesia mutationem, quia controversia de Missa et Canone reiicitur ad alias deliberationes. Sed tamen quaedam optarim aliter deliberationes. Sed tamen quaedam optarim aliter acta esse (CR VII, 292; MBW 5, 5396). Entsprechend gespalten ist sein Brief an Johannes Spangenberg [vgl. BBKL 10 (1995), Sp. 874–880. Zu Spangenbergs Position vgl. Wartenberg: Zwischen Kaiser, Konfession und Landesherrschaft, bes. S. 239 f.; Carl: Die Haltung des reichsunmittelbaren Adels, bes. S. 147–150] und die Kollegen vom 23. Januar: Etsi autem multa Ecclesiis nostris minitantur, et profecto horribilis crudelitas in Suevia exercetur: tamen nec verae doctrinae corruptelas unquam recipiemus, nec vitiosos cultus approbabimus. In aliis rebus adiaphoris servitutem quamlibet duram tolerabimus. [. . . ] Quanquam autem scio quibusdam horridiores sententias magis placere: tamen haec magna causa est cur servitutem toleremus, ne fiat in Ecclesiis solitudo, qualis iam in multis locis est. [. . . ] Cum igitur videamus quo in periculo sint non tantum docentes, sed etiam ipsae Ecclesiae, hoc est pii coetus: tantisper donec pie possumus, manere apud Ecclesias studeamus: etiamsi toleranda est aliqua servitus, quae tamen sit sine impietate (CR VII, 314; MBW 5, 5422). 257 Vgl. BBKL 1 (1990), 743 f.

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Historien tione tuis consiliis satisfieri possit, non video. Speras inveniri posse aliquem modum, quo et Christo et Caesareo Interitui inserviri queat, hoc est, in periculis quaerere modum, quo duobus dominis inter se pugnantibus servire possis.258

Die anhaltenden Bemühungen Moritzens um eine Interessensvermittlung gipfelten schließlich in der Vorlage eines Kirchenordnungspapiers259 auf dem Leipziger Landtag um Weihnachten 1548; es war von Hofjuristen als Kompilation verschiedener Vorarbeiten zusammengestellt worden. Wenngleich dieses Papier in Kursachsen die Funktion der öffentlichen kaiserlichen Kirchenverordnung einnehmen sollte, wurde es zunächst nicht publiziert, da man befürchtete, es könne als Kompromiß den Unwillen aller erregen: den des Kaisers ebenso wie den der Theologen oder der Untertanen – wenn auch je aus unterschiedlichen Gründen. Gutachten bzw. Voten wurden weiter eingeholt und Bedenken zur strategischen Vermittlung verfaßt.260 Zudem war der exakte Durchführungsrahmen nach wie vor alles Andere als klar.261

3.5 Die Pegauer Formel und der Landtagsbeschluß Ohne an dieser Stelle die inhaltliche Weiterentwicklung des Leipziger Interims aus dem Augsburger Interim im einzelnen zu besprechen, muß festgehalten werden, daß es bei der Anerkennung von Firmung und letzter Salbung, bei der Meßfeier, der Priesterkleidung, den Bildern und Ikonen, dem Horengesang und dem Fasten als Zeichen äußerlicher Ordnung, die der kaiserlichen Befehlsgewalt oblagen, blieb. Melanchthon, dem es augenscheinlich in erster Linie um die Korrektur des Rechtfertigungsartikels ging262 , sah selbigen im Leipziger Interim durch die sog. Pegauer Formel263 vom August 1548 ersetzt. Oder sagen wir besser, er mußte ihn letztlich ersetzt sehen – und zwar aus zweierlei Gründen: Es war zum ersten schlicht politische Vorgabe. Schon Ende Oktober berichtete von Carlowitz, er habe in Zeitz gesagt, daß Moritz das Interim nicht in der kaiserlichen Form annehmen werde, sondern lediglich dem „Titel“ nach dem Kaiser die „Ehre geben werde“. Der taktische Trick sei ein reiner Rechtfertigungsartikel, der alles übrige faktisch hinfällig werden ließe: Vigilien, Seelenmessen, Heiligenanrufung, etc. Ein zweiter Grund war die Opposition der römischen Bischöfe, denen man in Ritualfragen entgegenkommen müsse.264 Und tatsächlich: Es war über die Formulierung des Artikels [Wie der Mensch für Gott gerecht wird]265 bei der Über258

Vgl. CR VII, 289. Vgl. CR VII, 258–264; MBW 5, 5387; PKMS IV, S. 11–18. 260 Vgl. exemplarisch Melanchthons PKMS IV, Nr. 299/MBW 5, 5476. 261 Vgl. PKMS IV, Nr. 291 ff. 262 Vgl. PKMS IV, Nr. 73. 263 CR VII, 48 ff./MBW 5, 5209; CR VII, 117 ff./MBW 5, 5264; CR VII, 120 ff./MBW 5, 5268; PKMS IV, Nr. 74. 264 Vgl. PKMS IV, Nr. 144. 265 Vgl. PMKS IV, Nr. 74, S. 116–119. 259

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Die Lage im Reich

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leitung zum Folgepunkt [Von den guten wercken] in Pegau zu heftigem Streit über einen Zusatz, den Carlowitz für die Bischöfe an Stelle von Melanchthons Ausführung notiert hatte266 , gekommen; aber nach langer Diskussion zwischen Fachs und Melanchthon einigte man sich dahingehend, einfach den Zusatz der Bischöfe vor Melanchthons Wortlaut einzufügen. Melanchthon mußte sich damit begnügen, daß ein richtiger Wortlaut zu Papier kam, wenn es da lautete: Es werden auch die tugenden vnnd gutte werck in solchen versuneten gerechtigkeit genennet, wie oben von der eingegebenen gerechtigkeit gemeldet, doch nicht in diesem vorstand, das darumb die person vorgebunge der sunden habe, oder das die person in Gottes gericht ane sund sey, Sondern das der mensch durch den hei. geist ernewert vnd gerechtigkeit mit dem werg vorbringen kan und das goth Ihnen, disen swachen angefangnen gehorsam, in diser elenden gebrechlichen natur, vmb seines Sons willen in den glauben wil gefallen lassen, von welcher werggerechtigkait Johannes redet, do er spricht, wer gerechtkait thuet, der ist gerecht.267

Ein Dilemma im wahrsten Sinne des Wortes – insbesondere hinsichtlich der Frage, welche „Werkgerechtigkeit“ denn letztlich bei Johannes stehe: Doppelte Schriftgemäßheit? Der Wortlaut wurde Bischof Pflug vorgelegt, und am 24. August hatten die Bischöfe im Beisein der Räte und Theologen festgestellt, daß der vorgelegte Artikel mit der Rechtfertigungsnotel des Interims übereinstimme. Daraufhin protestierte Melanchthon laut – wie es scheint, allen unmittelbaren Beschwichtigungen der Räte zum Trotz.268 Schließlich erstellten Georg von Anhalt und Melanchthon auf anfänglichen Wunsch der Bischöfe ein Verzeichnis derjenigen Artikel, die mit Mängeln behaftet waren.269 Der Rat Ludwig Fachs270 urteilte, daß beide dabei viel nachgegeben hätten. Als man diese Mängelliste schließlich verhandeln wollte, hätten die Bischöfe aber abgelehnt, da sie nicht die Macht hätten, das Interim zu ändern. Im übrigen hielten sie nur die Frage der Ordination und der Messe für problematisch. Sie zogen sich dabei auf die Position zurück, sie 266 Melanchthon schrieb: „Es werden auch die tugenden vund gutte werck in solchen versuneten gerechtigkeit genennet, wie oben von der eingegebenen gerechtigkeit gemeldet, doch nicht in diesem vorstand, das darumb die person vorgebung der sunden habe, ader das die person in Gottes gericht ane sund sey, Sondern das Got in disen schwachen angefangnen gehorsam, in diser elenden gebrechlichen natur, vmb seines Sons willen in den gleubigen, wil gefallen lassen, von welcher werck gerechtickeit Johannes redet da er spricht, wer gerechtigkeit thut, der ist gerecht, vnd ist whar, wo die werck wider Gott streitten, do ist Gottes verachtung vnd ist keine bekerung zw Got im hertzen gescheen [. . . ].“; PMKS IV, Nr. 74, S. 119; die Notiz des Carlowitz ersetzte den kursiven Passus mit den Worten: der mensch durch den hailigen geist erneuet vnd die gerechtigkeit mit dem werk vorbringen kan, vnd das geht wie Johannes sagt; vgl. PKMS IV, Nr. 74, S. 121 Anm. 27. 267 Vgl. die Notiz PKMS IV, Nr. 75. 268 Vgl. den Bericht von Ludwig Fachs PKMS IV, Nr. 76, S. 123. 269 Vgl. CR VII, 119 f./MBW 5, 5267. 270 Vgl. Zedler 9, Sp. 60; ADB 6, S. 528–530.

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Historien

bräuchten allein für die Umsetzung des Interims in diesen Fragen ein Indultum des Papstes, welches vom Kaiser zu erwirken sei.271 Es kann – ohne daß der exakten Verlauf der Argumentation aus dem Ratsprotokoll rekonstruierbar wäre – festgehalten werden, daß Melanchthon wohl zumindest in Teilen übervorteilt worden war: Es waren zwar seine Pegauer Worte, die im Text der Landtagsvorlage standen, aber in einem höchst problematischen Kontext. Die Initiative hatten letztlich die Räte, was die Eingaben beim Kurfürsten betraf. Und augenscheinlich ging auch noch weiterhin ein nicht geringer diplomatischer Druck von den Bischöfen aus, die selbst vom Kaiser evaluiert wurden.272 Melanchthon fügte sich weiter in die Situation. Man wartete das ganze Frühjahr ab. Erst als die Polemik nebst der ihr anhangenden Gerüchte überhand nahm, ließ Moritz auf den Rat Melanchthons273 hin schließlich im Juli 1549 ein Exzerpt des Landtagspapiers, das von Flacius sog. Kleine oder Leipziger Interim274 , durch Druck veröffentlichen. Die Umsetzung dieser offiziellen Fassung wurde dem Klärungsstand entsprechend nur provisorisch und mit viel Zurückhaltung betrieben, wenngleich bzw. gerade weil das Papier – auch zur Zeit seiner Publikation – immer noch eine keineswegs geringe theologische Brisanz hatte und die Reaktionen seitens der Kirchendiener, Landesbewohner wie auch insbesondere des Kaisers abzusehen waren.275

271

PKMS IV, Nr. 76, S. 123. Vgl. exemplarisch PKMS IV, Nr. 391. 273 Vgl. das Gutachten an Kanzler Ulrich Mordeisen PKMS IV, Nr. 394. 274 Vgl. CR VII, 426–428; MBW 5, 5588; PKMS IV. Nr. 397. 275 Vgl. Chalybaeus: Durchführung des Interims, passim; Melanchthons Empfehlung vom Mai/Juni 1549 in: PKMS IV, Nr. 394/MBW 5, 5561. 272

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L ESESTÜCKE

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4. Oppositionelle Etablierung Bei der Betrachtung der Gegenseite empfiehlt sich zunächst ein Rückblick. In einem Brief vom 22. November 1546 empfahl Melanchthon anläßlich der Schließung der Universität den Hebräischprofessor Flacius als Sprachgelehrten nach Braunschweig an Nikolaus Medler. Jener habe Bücher in Venedig für die Universität gekauft, und wolle sie nun in Braunschweig verkaufen. Er schreibt: Postquam hoc tristi tumultu schola armis impiis cognatorum principum perterrefacta conticuit, vides passim vagari exulantes et doctores et auditores, planeque noster coetus Ecclesiae exilia refert. Venit autem istuc Matthias Illyvincit, non ricus vir doctus, qui Epiphanium illum Salaminium1 solum cognitione linguarum, sed etiam rerum scientia. Iudicio nostrae Academiae ei praelectio linguae Ebraeae mandata est, et est eius in interpretatione eximia, ut ipse iudicare non solum diligentia sed etiam dexteritas poteris.2

Daß Melanchthon bei der Wahl des hier zum Vergleich vorgeführten Bischofs der Alten Kirche die über die Sprachfertigkeiten3 hinausgehende Nähe des gepriesenen Magister zu seinem antiken Vorbild – Epiphanius galt als glühender Bekämpfer von Ketzerei und scharfer Polemiker gegen die Bilderverehrung – bereits bei der Abfassung des Briefes vor Augen hatte, ist unmöglich, sofern es keine interne Diskussionen in der Zeit vor dem sich abzeichnenden sächsischen Sonderweg geben konnte. Man wird hier divinatorischen Fähigkeiten vermuten müssen. Melanchthon bedankte sich denn auch ohne jeden weiteren Rekurs auf die Qualifikation in einem Brief vom 5. Dezember bei Medler für die freundliche Aufnahme seines Schülers.4 Matthias Flacius Illyricus blieb bis zum Frühjahr 1548 in Braunschweig, wie er es Melanchthon noch vor dem 1. September 1

Vgl. BBKL 1 (1990), Sp. 1521–1522. vgl. CR VI, 286; MBW 4, 4456. 3 MPL 23: [OPERA OMNIA HIERONYMI STRIDONENSIS.] Hieronymus Stridonensis: S. EUSEBII HIERONYMI STRIDONENSIS PRESBYTERI APOLOGIA ADVERSUS LIBROS RUFINI, MISSA LIBER SECUNDUS. 21: [Col. 0445A] Denique quidam ex ipsis, qui se velut evangelizandi necessitatem per omnes gentes et per omnes linguas habere putat, de Origene [Col. 0445B] male loquendi, sex millia librorum ejus se legisse, quam plurima [515] fratrum multitudine audiente, confessus est.;22.: [Col. 0445C] Quis est ille, qui velut necessitatem evangelizandi per omnes gentes, [Col. 0445D] et per omnes linguas habere se putat, de Origene male loquendi?; LIBER TERTIUS. 6: [Col. 0462A] Ego philosophus, rhetor, grammaticus, dialecticus, Hebraeus, Graecus, Latinus, trilinguis. Hoc modo et tu bilinguis eris, qui tantam habes Graeci Latinique sermonis scientiam, ut et Graeci te Latinum, et Latini [Mss. ] [Col. 0462B] quia quinque te Graecum putent: et papa Epiphanius linguis contra te et Amasium tuum (Origenem) loquitur. 4 Vgl. CR VI, 303 f.; MBW 4, 4484. 2

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1547 mitgeteilt hatte.5 Hier lernte er im Rahmen seiner Tätigkeit am Pädagogium vermutlich auch seinen späteren – wohl hauptsächlich für Übersetzungen zuständigen6 – Mitarbeiter Albert Rolevinc(k)7 kennen und nahm ihn bei seiner Rückkehr an die Universität in seine Dienste. Ab spätestens Juni 1548 wurde Flacius von Wittenberg aus mit der teils anonymen Herausgabe von Gutachten bzw. pseudonymen Publikationen aktiv.

4.1 Eine protestatio contra Interim Das Schreiben in lateinischer Sprache, beinahe im Stil eines Serienbriefes, findet sich als Abschrift mit eigenhändiger Unterschrift des Flacius im von Sillem edierten Briefwechsel Joachim Westphals abgedruckt.8 Flacius beginnt das Schreiben, nachdem er im Einleitungssatz kurz die allgemeine Pflicht der Gottesfürchtigen, für die Bewahrung der Kirche zu sorgen, betont hat, mit den Worten: mihi sane sollicite de hac materia cogitanti ac praesentium temporum conditionem perpendenti, non venit quidquam in mentem, quod commodius ac ecclesiae utilius, post orationem quidem, fieri posse existimem, quam si, quoniam vi et fraude, ut a veritate discredamus, urgemur, protestationem aliquam contra Interim et omnes doctrinae nostrae perturbationes, graviter et prudenter nomine eorum scriptam, qui subscribere vellent, evulgaremus. In qua significaremus nulla jura pati, ut indicta causa homines, qui se ad reddendam suorum factorum rationem offerunt, trucidentur.

Flacius verweist in der Folge darauf, daß Luther selbst, ebenso wie Fürsten und Städte evangelischen Bekenntnisses angesichts der unrechten Verdammung des Papstes ein freies Konzil gefordert hätte, ja daß Kaiser und Reichsfürsten ein solches oftmals versprochen hätten. Man müsse also vom Kaiser jene freie Anhörung fordern und Einspruch erheben – und zwar: coram Deo et hominibus, quod injustissime nobiscum et cum causa Evangelii agatur, quod contra omnia jura et promissa, inauditi jugulemur, et ab ea doctrina, quam nos certo statuimus esse unicam Christi veritatem, fraudibus et violentia abstrahamur.

Aus der implizierten Perspektive geht zunächst hervor, daß das Dokument aller Wahrscheinlichkeit nach aus einer Zeit stammt, da die Durchsetzungswilligkeit 5

Dieser Befund ergibt sich, sofern Melanchthon es am 1. September brieflich anderweitig mitteilte; vgl. CR VI, 660; MBW 5, 4873. 6 Vgl. Haußleiter: Flacius als Herausgeber, S. 156; Hülße: Beiträge zur Geschichte der Buchdruckerkunst, S. 33 f. 7 Vgl. Zedler 32, Sp. 593–595; Sp. 594: „des Flacii Illyrici amanuensis“, also ein a manu servus, i.e. Schreibgehilfe oder Sekretär. Zedler gibt an, er habe „viel seiner [sc. Faclii] Schriften, die er drucken lassen, verdeutscht, auch was er drucken lassen, corrigieret und zum Druck befördert“; entsprechend AGL 7, Sp. 318. 8 Vgl. Sillem: Briefsammlung Westphal Bd. 1, S. 90 f. Zur Person Westphals vgl. ADB 42, S. 198.

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Oppositionelle Etablierung

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des Kaisers noch in Frage stand und von einer besonderen kursächsischen Variante noch keine Rede sein konnte. Frühest denkbarer terminus post quem wäre August 1547, als das Gerücht aufkam, der Kaiser wolle ein in Löwen verfaßtes Buch zur verbindlichen Grundlage für Gesetze eine einheitliche Lehre betreffend vorlegen.9 Wahrscheinlicher dürfte aber ein Zeitpunkt nach der persönlichen Instruktion Melanchthons durch Moritz im Rahmen der Anfang Januar 1548 in Torgau geführten Verhandlungen über die finanzielle Ausstattung10 der Universität Wittenberg und damit die Bestands(zu)sicherung durch den Albertiner sein. Diese fanden während der Verhandlungen über die schließlich abgelehnte Anerkennung des Konzils von Trient statt, an denen Melanchthon nicht teilnahm.11 Cruciger, Major und Melanchthon, die zunächst als potentielle Teilnehmer eines Religionsgespräches gehandelt wurden, hatten Moritz am 22. Januar brieflich vor einem für die Protestanten bedrückenden Religionsgesetz gewarnt.12 Moritz reagierte auf die erkennbare Opposition mit einem Bedenken zur Religionsänderung, welches Publikationen zum Thema ausdrücklich mit Blick auf den erwartbaren Aufruhr verbot.13 Melanchthon selbst äußerte Anfang März 1548 mehrfach in Briefen die nicht ganz falsche Vermutung, daß das Interim auf Betreiben des Kurfürsten Joachim II. von Brandenburg dem Kaiser in den Sinn gekommen sei.14 Eine solchermaßen beeinflußte Position des Kaisers impliziert auch der besagte Flacius-Brief, wenn er die Möglichkeit, den Kaiser noch zu überzeugen, ausdrücklich in den Blick nimmt. Als terminus ante quem kommt eben darum auch nur Mitte bis Ende Mai in Frage, da ab dem 14. Mai dann die kaiserliche Sonderbehandlung oder „Vorverurteilung“ der Evangelischen mehr oder minder offen feststand. Nach der Übersendung der sog. Märzformel an Kurfürst Moritz, zu der Melanchthon auf Anweisung Komerstadts nach einer mündlichen Verhandlung über die Vorlage vom 31. März auf den 1. April in (Alt)Zella erwähntes15 Gutachten erstellt hatte, kursierten in Wittenberg nach Melanchthons Rückkehr am 3. April schließlich genauere Informationen, weil sich Melanchthon mündlich – so Komerstadts Bericht – gegenüber Bernhard Ziegler und Georg Fabricius, brieflich gegenüber Herzog Albrecht von Preußen, Camerarius, Dietrich, Cruciger und Jonas16 über die Inhalte und ihre Problematik geäußert hatte.17 9

MBW 5, 4850: Melanchthon aus Wittenberg an Meienburg in Nordhausen vom 20. August 1547. Vgl. Friedensburg: Urkundenbuch Wittenberg I, S. 299 f. (Nr. 301). 11 Vgl. Scheible: Melanchthons Brief an Carlowitz, S. 106; zur Ablehnung und dem Zorn Moritzens darüber vgl. PKMS III, Nr. 963. 12 Vgl. CR VI, 795/MBW 5, 5040; zum Beratungsstand des Kurfürsten im allgemeinen vgl. PKMS III, Nr. 994.1015.1016.1017. 13 Vgl. PKMS III, Nr. 994, S. 724. 14 Zur Entwicklung und Durchführung des Interims in Brandenburg vgl. Nischan: Interimskrise sowie Kawerau: Johann Agricola, S. 261–291. Entsprechende Gerüchte um eine Einflußnahme Joachims auf Kurfürst Moritz hatte Flacius Melanchthon später in einem Brief um den 21. Oktober – hier bringt Flacius zusätzlich König Ferdinand als planende Kraft ins Spiel – mitgeteilt (vgl. MBW 5, 5340). 15 S.o. S. 33. 16 Vgl. BBKL 3 (1992), Sp. 636–637. 17 Vgl. Scheible: Melanchthons Brief an Carlowitz, S. 108 f. 10

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Flacius stellt nachfolgend in dem Schreiben die aus einem solchen konzertierten Vorgehen erwachsenden möglichen Vorzüge dar: Zunächst bestünde die Möglichkeit, der Kaiser selbst könne einlenken, und wenn schon nicht wegen seines Gerechtigkeitsempfindens, so doch wenigstens angesichts der daraus resultierenden Urteile derer, die auch nur einen Funken Verstand hätten, und also zugeben würden, daß man hier dem ungerechten Wahnsinn der Gegner des Evangeliums nachgebe. Keiner würde in weltlichen Rechtsstreitigkeiten so nachlässig von seinen Rechten absehen, wie die Evangelischen in ihrer Angelegenheit. Er zweifele darum nicht, daß ebenso wie die Gegner durch die Verhandlungsbereitschaft und das Zurückweichen bestärkt würden, durch beständige Verteidigung des evangelischen Anliegens selbige Gegner halbwegs im Zaum gehalten werden könnten. Überdies sei Gott wunderwirkend in seinen Heiligen, auch in noch so kleinen Angelegenheiten, in welche eben diese Heiligen verwickelt seien. Die in dem Schreiben angesprochene nachgiebige Position war bereits in den ersten Gutachten Melanchthons trotz aller Ablehnung des Gesamtpapiers in der ihm vorliegenden Fassung angeklungen, insofern er die Abstriche bei denjenigen Verhandlungsgegenständen, die eben keine Heilsnotwendigkeit besäßen, sprich seien, als immerhin mögliche Kompromisse an eine Aussicht auf dauerhaften Frieden gebunden hatte. Dem fakultativen Charakter der Optionen entsprechend vielfältig waren die Ansichten in Wittenberg. Sie waren zugleich begleitet von solchen Nachrichten, die – gleichwohl nicht unmittelbar mit den Zielsetzungen des Interims verbunden – eine durchaus negative Erwartung aufkommen lassen konnten: die Bologneser Dekrete Pauls III., die dieser an den Kaiser geschickt hatte, waren in ihrer die Trienter Bestimmung überbietenden Schärfe spätestens seit Januar 1548 in Wittenberg bekannt18 ; es kursierten hartnäckig Gerüchte über neue Kriegsvorbereitungen in Süddeutschland, die durch das harte Durchgreifen des Kaisers, angesichts des neuerlichen Bündnisses Papst Pauls III. mit Heinrich II. von Frankreich19 , ebenso wie die Bedrängung Herzog Ulrichs von Württemberg durch spanische Truppen, um Zahlungen an König Ferdinand zu erzwingen, zusätzliche Nahrung erhielten; in den Niederlanden seien die Witwe und der einzige Sohn eines namentlich nicht genannten Grafen enthauptet worden, da sie Almosensammlungsaktionen von Antonitermönchen20 in ihrem Gebiet nicht hatten zulassen wollen. Mit solchen Nachrichten verband sich die Sorge, die Wittenberger könnten erneut vertrieben werden. Flacius schreibt weiter, daß selbst wenn bei den Tyrannen – man beachte den Wortwechsel, der zugleich eine Deutung des angenommenen Negativergebnisses basierend auf den geschilderten Gerüchten vorwegnimmt – mit einem Protest nichts bewirkt werden könne, doch wenigstens die eigenen Leute bestärkt werden könnten, indem aufgezeigt werde wie 18

Vgl. MBW 5, 5035.5075: hauptsächlich zu Abendmahl und Buße. Vgl. MBW 5, 5066: Drei Hauptleute waren hingerichtet worden, weil sie Heinrich Landsknechte zuführen wollten. 20 Vgl. MBW 5, 5089. 19

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ungerecht und illegal die Gegner verführen. Zugleich würden so Sympathisanten im gegnerischen Lager zum Übertritt bewegt werden können, wenn sie die Legitimität der Forderungen, daß einer Exekution notwendig eine gerechte Verhandlung vorausgehen müsse, sähen. Darum sei die Protestation auch als bloße Standortbestimmung, als Zeugnis in der gegenwärtigen Situation dringlichst geboten. Schließlich – wenn auch noch die Welt das Klagen und die Tränen nicht ansehen oder gar verspotten wolle –, so werde sich Gott doch nicht abwenden, sondern zu gegebener Zeit Trost spenden. Wer solches erkenne, der müsse zumal als minister ecclesiae alles in seiner Macht Stehende tun; der Segen Gottes sei zur gebotenen Zeit gewiß. Eine solche Argumentation setzt zweierlei voraus: erstens, daß der in Aussicht gestellte Zweck überhaupt erfüllt werden kann und zugleich in einem vernünftigen Verhältnis zu den dafür notwendigen Mitteln steht. Zweitens, daß die Alternative des Stillhaltens keinem Zweck dient. Es gibt zwar keine Anhaltspunkte dafür, daß Kollegen auch kollektiv auf das Anschreiben des Flacius noch im Jahre 1548 in der geforderten Weise reagiert hätten. Entscheidend bleibt aber für die weitere Untersuchung, daß Flacius überhaupt auf eine entsprechende Konsolidierung vorab setzte. Es gab daneben manche offene, von Flacius doch unabhängige Einzel-Opposition gegen das Interim, die die Autorität von Namen – sei es der eigene, sei es Luther – noch vor Flacius ins Spiel brachte, vor allem (frühestens) ab April von Nikolaus Gallus21 und ab Juni von Nikolaus Amsdorf22 und den Pfarrern aus dem ernestinischen Territorium23 sowie manchen anderen aus allen Teilen des Reiches24 , die sich heftig gegen das Gutachten der albertinischen Theologen wandten, welches Flacius in zwei Varianten in Magdeburg hatte veröffentlichen lassen.25 Als Melanchthon sich im Anschluß daran nicht einmal zu den eigenen Worten unter Hinweis auf die Tatsache, daß der Druck nicht von ihm autorisiert und angeblich „verdunkelt“ worden sei, bekennen wollte – er war durch die Publikation in Bedrängnis geraten, da der Kaiser wie oben geschildert26 nun seine Auslieferung aufgrund der zu widrigen Gutachten forderte27 –, hätte er schon als Gefallener oder Verräter gelten können.28 Flacius hielt am praeceptor aber fest, wie sich zeigen wird.

21 Vgl. Voit: Nikolaus Gallus, S. 62–90, bes. S. 64; Voit: Gallus und das Interim; Kawerau: Bedenken des Gallus; Kaufmann: Ende der Reformation, S. 82, Anm. 148. 22 Er verfaßte zwei Gutachten: vgl. PKMS IV, Nr. 9 und 41; zum ersten Druck Kaufmann: Ende der Reformation, S. 86–90. 23 Vgl. Chalybaeus: Durchführung des Interims, passim; Kaufmann: Ende der Reformation, S. 77 f. 24 Vgl. Weyrauch: Konfessionelle Krise, S. 133 ff. 25 Zu den in Magdeburg gedruckten ablehnenden Gutachten und ihrem weitreichenden Verbreitungsgebiet vgl. Kaufmann: Ende der Reformation, S. 77–85; Postel: Hansestädte. 26 S.o. S. 39 f. 27 Vgl. PKMS IV, Nr. 81. 28 Zum Sachverhalt allgemein: Herrmann: Selbstbehauptung; Scheible: Melanchthons Brief an Carlowitz; Scheible: Melanchthon.

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4.2 Wider die Tyrannen: Johannes Waremundus Der unter dem Autoren-Pseudonym29 Waremundus erschienene Druck ist die erste volkssprachliche30 Publikation des Flacius, der als direkte Verarbeitung der vorangegangenen protestatio unter veränderter Perspektive gelesen werden kann: es findet sich nicht nur im Titel31 die Aufnahme der „Gattungsbezeichnung“, also einer Protest(ations)schrift, sondern in Teilen wortwörtliche Übersetzungen aus der im Brief an Westphal greifbaren lateinischen protestatio; der Quartdruck ist freilich an die veränderten Umstände angeglichen: er setzt insbesondere die Verabschiedung der kaiserlichen Reformnotel vom 14. Juni bzw. ihren Druck vom 30. Juni 154832 und Zwangsmaßnahmen in Regensburg – wohl die Androhung der Durchführung des Interims durch 300 Spanier vom 24. Juni, sollte sich der Rat weigern, das Interim anzunehmen33 –, also ein terminus post von Ende Juni bis Anfang/Mitte Juli voraus. Es zeigt sich schon bei dem ersten pseudonymen Druck des Flacius eine Eigentümlichkeit, die er in seinen antiinterimistischen Schriften – wie auch vereinzelt andernorts – durchhält: das Titelblatt trägt Schriftworte. Im vorliegenden Fall Ps 2 [1–2] und Ex 9 [16], deren Thema die Autoritätskritik ist. Sie dienen aber nicht nur vordergründig wie auch formal der Immunisierung gegen klassische zensurpolitische Argumente, sondern präsentieren zugleich den Druck selbst als (verkündigtes) Gotteswort,34 sofern sie die inhaltlich-thematische Zuspitzung und den interpretativen Rahmen des allgemeineren Titels protestation wiedergeben. Überdies auch durch den bloßen Kontext der Bibelstellen, der lediglich evoziert, aber nicht ausgeschrieben wird. In der Kombination unterschiedlicher biblischer 29 Vgl. zu den Pseudonyma Kaufmann: Ende der Reformation, S. 241, Anm. 184; Preger: Flacius und seine Zeit I, S. 58–61. 30 Was Flacius Deutschkenntnisse angeht, so stimmen eher polemische wie wahrscheinlich positiv eingenommene Quellen in ihrem Urteil weitestgehend überein: Flacius an Gallus, Frühjahr 1962, in: Preger: Flacius und seine Zeit, S. 228: Si ob testes imperitos erit germanice loquendum, tu scis me id praestare non posse; Brenz an Herzog Christoph von Württemberg, 13. September 1566, in: Bossert: Unbekanntes Stück, S. 58: Dabey mögen wir auch nitt wissen, Ob er In ministerio Ecclesiae zu gebrauchen, Dieweil er Zweyuells ohne der Teütschen Sprach alls Ain geborner aus Illiria nicht sonders bericht oder sich derselbigen auff der Canzell mit Frucht gebrauchen möchte; vgl. Camerarius: De Philippi Melanchthonis ortu, S. 292: In Flacio perfecta cognitio linguae Germanicae nunquam fuit, sic, loquendi scribendique diserte ut facultatem adipisceretur. Man wird also eine – soweit man es den Druckwerken unmittelbar entnehmen kann – exzellente literarische Beherrschung und – soweit man den Mitteilungen darüber Glauben schenken darf – eine wahrscheinlich durch „barbarische“ Aussprache wesentlich verstärkt wahrgenommene mangelhafte aktive Fertigkeit annehmen müssen. 31 Vgl. Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation. 32 Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation B3r/v : [B3r ]Zu dem so ist auch ein ander Buch/welches [B3v ] Tittel heist Reformatio Ecclesiae, itzund ausgangen/bestetiget vnnd von den Bischoffen angenommen; zum Sachverhalt selbst, s.o. S. 32 f.; zu Protokoll-Handschrift und Druck vgl. ARCEG VI, S. 348 f.; zur gattungstypologischen Besprechung, ebenfalls mit vielfältigen Hinweisen zu Datierung und Stil vgl. Kaufmann: Ende der Reformation, S. 240–245, bes. S. 240, Anm. 182; vgl. Preger: Flacius und seine Zeit I, S. 58 ff. 33 Vgl. Dollinger: Evangelium in Regensburg, S. 201–207, bes. S. 204 Anm. 133. 34 Vgl. Giesecke: Buchdruck, S. 177 ff.; Hasse: Zensur theologischer Bücher in Kursachsen, S. 13 ff.

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Bücher – auch aus erkennbar unterschiedlichen erzählhistorischen Schichten – kommt zum Ausdruck, daß die biblische Botschaft universaler Natur ist und einheitlich. Solcher Anspruch ist parallelisierbar mit dem qualifizierenden Adjektiv „gemin“ des Titelblatts. Sofern die beklagten Vorgänge die christliche Identität in toto treffen, ist auch sie (all)gemein(gültig). Freilich eine Öffentlichkeitskonstruktion, die von der unhinterfragten Grundthese, Christus als geoffenbartes Gotteswort sei auctor in fabula seu historia, ausgeht. Ein dennoch nicht unwesentlicher Autoritätsgewinn. So wird es denn auch nicht überraschen, wenn der Text mit der Situation Christi vor dem verstockten Hohen Rat – er ist in erkennbarem Bemühen um aktualisierende Parallelisierung als Jüdische[n] Pfaffen35

bezeichnet – anhebt. Nicht nur werde die wahrheitsgemäße Aussage Christi – allen Erweisungen seiner Lehre in Schrift und (Wunder)Tat zum Trotz – nicht anerkannt, nein, gerade weil man nichts Anderes gegen ihn in der Hand hatte, versuchte man offen und ohne Scham, ihn zu töten. Noch als er vor Pilatus, der keine Schuld an ihm fand, stand, habe man begonnen schwartzen greulichen gifft/gar herauss zuschütten36

da man die Kreuzigung forderte. Es folgt ein argumentum a minore ausgehend von dem steigernden Trikolon, daß es schon eine Tyrannei und großer Jammer sei, einen vnschüldigen Menschen / ya an dem lebendigen Sohn Gottes / am Heilandt der gantzen Welt [sc. solches] zu vben37 ,

aber es sei ein ungleich teuflischeres Stück, daß nicht die Heiden – repäsentiert durch Pilatus – sondern das sog. „Volk Gottes“, ja dessen Hohepriester dies vollbracht hätten. Der Autor vollzieht die Wende zum aktuellen Geschehen ohne explizit vermittelnde Überleitung, wenn es dann heißt: Aber Gott sey es geklagt/die vndanckbare vnnd vermaledeite welt handelt mit CHRIsto/vnd seinen Brüdern/das ist mit der warhafftigen christlichen Kirchen nicht anders [. . . ].38

Damit ist der primäre aktuelle Anlaß oder der „Anklagepunkt“ aus dem Analogieschluß genannt und die Beziehung zwischen dem Redegegenstand und dem Redner beziehungsweise dem Publikum vorstrukturiert: Die wahre Kirche leide. Sie werde um des wahren Glaubens willen verfolgt. Eine Parallele, die Melanchthon bereits in Vrsach, Warumb die Stende39 ausgearbeitet hatte: 35 36 37 38 39

Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation A2r . Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation A2r . Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation A2v . Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation A2v . S.o. S. 32, Anm. 34.

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Lesestücke Ist doch in dem Israelitischen Volck zu allen zeiten schier das gröszte teil des Volckes Abgöttisch gewesen. Und die Priester selbs, welche, wie sy es yetzt nennen, die ordentliche gewalt und regiment der Kirchen hetten, Dieselbigen verfachten [i.e. verspeisten40 ] selbst die opffer, so Gott gebotten hette, damit das sy die leut von der gerechtigkeit des glaubens abfüreten vnd auff die opffer vnd andere werck vnd Gottes dienst lereten vertrauen. Welchen yrrthumb des Volcks vnd der Priester, so die Propheten strafften, wurden ir vil, wie dann yetzt auch geschicht, darüber getödtet. Und nach der Maccabeer Regiment, da zwo Secten, Pharisei und Saducei, das regiment innen hetten, musz man ye bekennen, das zu der selbigen zeit nit allein ein klein theil des volcks, Sonder auch ein grosser hauff der Priester, Schrifftgelerten vund Richter mit greulichen yrrthumb befleckt gewesen seind. [. . . ] Sage mir, ob yetzt in unsern zeiten die Epicurische Bäpste, Bischoffe vnd Cardinäle dem hauffen der Saduceer zu jhener zeit nicht gleich seind, Vnd den Phariseern unsere Pfaffen und Münche, Welche jre Mesz, Vigilien und andern falschen ertichten Gotesdienst umbs geld verkauffen.41

Im weiteren Verlauf der Protestation des Waremundus werden im Stil einer insinuatio42 Optionen ausgehend von der Diagnose, daß es seit der Apostelgeschichte so gewesen sei und auch immer sein werde, kritische Einwände aus dem eigenen Lager den Gesamtanlaß der Klage- oder Redesituation betreffend besprochen: Solle man schweigen und stillhalten, weil es auf der Welt nun schon immer so war? Nein, denn der Herr Chistus selbs hat am Charfreitag/nicht aller ding still geschwigen/das er des lebendigen Gottes / wahrhafftiger Sohn sey.43

Überdies obliege es der Kirche, die Gottesgabe des Geistes und das anhangende Predigtamt ernstzunehmen 40

Vgl. DWB 3, 11 FACH, n., Sp. 1221. MStA 1, S. 418 f. 42 Die insinuatio ist entgegen der primären Wortbedeutung als terminus technicus keine reine Einschmeichelei, sondern verhandelt das prooemium unter erschwerten Bedingungen, d.h. etwa vor einem voreingenommenen, wenig aufgeschlossenem oder angewiderten, ermüdeten, verängstigten Publikum. Mittel zur Bewältigung vgl. Rhet. Her. 1, 10: Si persuasus auditor fuerit, id est, si oratio adversariorum fecerit fidem auditoribus – neque enim non facile scire poterimus, quoniam non sumus nescii, quibus rebus fides fieri soleat – ergo si fidem factam putabimus, his nos rebus insinuabimus ad causam: de eo, quod adversarii firmissimum sibi adiumentum putarint, primum nos dicturos pollicebimur; ab adversarii dicto exordiemur, et ab eo maxime, quod ille nuperrime dixerit; dubitatione utemur quid potissimum dicamus aut quo loco primum respondeamus, cum admiratione. Si defessi erint audiendo, ab aliqua re, quae risum movere possit, ab apologo, fabula vere simili, imitatione depravata, inversione, ambiguo, suspicione, inrisione, stultitia, exuperatione, collectione, litterarum mutatione, praete expectatione, similitudine, novitate, historia, versu, ab alicuius interpellatione aut adrisione; si promiserimus aliter ac parati fuerimus, nos esse dicturos, nos non eodem modo, ut ceteri soleant, verba facturos; analog: Melanchthon: Institutiones Rhetoricae A5r . 43 Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation A3r . 41

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auff das die welt gestrafft werd/von wegen der sünde / das sie Christum nicht annehmen will/Vnnd von wegen des vnrechten gerichts/das sie die heilsamen Lehr des Euangelii so vnbillich verdammet.44

Die Situation der Verfolgung habe also – so die Parallelität zwischen Christus und dem Autor, bzw. der durch ihn vertretenen Gemeinde – alternativlos ermächtigenden Charakter. Das Handeln in der Verkündigung wird eins mit dem (Rede)Handeln Christi bzw. seiner geistbegabten Kirche. Damit ist zugleich eine neuartige Kommunikationsregel eingeführt, die den bisherigen Verhandlungsverlauf um das Interim auch formal radikal in Frage stellt: diejenigen, über die beschlossen wird, die sich unterwerfen oder anpassen sollen, die bei Verweigerung die Verfolgung zu erwarten haben, haben eben deshalb die eigentliche Beschlußvollmacht; neben der geschickten analogiegeführten Syllogistik eine recht radikale Hinwendung zu einer Art Kongregationskirche der Verfolgten, die aus der Subjektivität der in ihr sich versammelnden Glaubenden gefolgert wird. Aus Opfern werden durch ihren Opferstatus in Parallele zu Christus selbstbewußte Kläger. Denn in dem Maße, in dem die protestführende Gemeinde, in der ersten Person Plural des Autors als Anwalt oder Fürsprecher – ein grundsätzlich durchgehaltenes Wir – miteingeschlossen, mit Christus als dem Urtypus und aktuell verhandelten Paradigma identifiziert werden kann, wird mit der breiten Betroffenheitsbasis nun durch die Wendung hin zum Priestertum der Gläubigen eine christgläubige Opposition etabliert. Sie belegt zugleich das gem[e]ine der Protestation; ja es wird aus der universalen Betroffenheit als Kommunikationssituation des Druckes und dem aus dieser Universalität abgeleiteten Protest in weitläufigerer Auslegung der Bibelworte auf dem Titelblatt eine (All)Gemeinheit eigentlich erst konstituiert.45 Sie ist freilich nicht demokratisch-mehrheitsrechtlich gedacht. Sie folgt vielmehr schlicht aus dem – in der Sprechsituation des Autors schicksalsgleich erlebten – Bezugszusammenhang zwischen Christus und seinen membra, jedes membrum in gleicher Weise im Glauben Christus verbunden. Man wird sich über den Sensationsgehalt solcher Rede „in Vollmacht“ bzw. ihre Wirkung auf die Zeitgenossen wahrscheinlich nicht zu geringe Vorstellungen machen dürfen. Der Autor fährt fort, indem er die Gegner als unnachgiebig wider besseren Wissens denunziert – eine Parallele zu dem vorgehenden dictum, man hätte gegen Christus auch nichts vorbringen können. Es folgt die occupatio, daß in diesem Sinne auch nichts anderes zu erwarten sei als damals: man werde es den treuen Gliedern Christi nicht danken, ja sie mit dem Vorwurf der Gottlosigkeit konfrontieren – im Bilde des Textes für Epicurern46 halten. Melanchthon hatte es in seiner genannten47 Stellungnahme so gefaßt: 44 45 46 47

Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation A3r . Vgl. Kaufmann: Ende der Reformation, S. 242. Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation A3v . S.o. S. 32.

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Lesestücke wie man vor augen an vns sihet, [. . . ] das wir Gottes wort höher dann alle ding auff erden, wie sy mügen genant werden, halten solen, wie dann geschrieben steet: „Man soll Gott meer dann den menschen gehorchen.“ Wir wissen aber auch seer wol, wie lecherlich vnnd schimpflich solches etlichen rohen und Gotlosen leuten ist vnd wie sy solche Christliche werck vnd meinung ubel deuten vnd auszlegen künden, dann wir es nu offt vnd vil jar her gehört vnd erfahren, auch leiden müssen. Etlich seind viel Epicurei, die von Got nichts halten vnd achten alle religion für lauter fabeln, die schreiben vnd sagen, das man die Christlichen kirchen leer nach der zeit vnd der Potentaten vnd Regenten willen vnd meinung reichten oder lenken solle.48

Aber man könne, fährt Waremundus fort – und hier findet der Leser eine Passage, die sich schon in oben genannter protestatio stand49 –, immerhin damit rechnen, daß man bei einigen Verständigen unter den Gegnern, ja im mindesteten bei Gott selbst Gehör fände: Derhalben sollen wir nicht unterlassen vor GOTT vnnd dem Menschen / beide vnsere vnschuldt beschwerung / Vnnd auch das vnsinnige wüten vnnd toben/der feind fürzutragen.50

Es folgt der Schluß des prooemiums mit der Definition der eigenen Redehaltung – gleichsam als propositio –, die sich im weitesten Sinne als Auslegung des Autorenpseudonyms und seiner mit dem Namen verbundenen Aufgabe – wiederum in wörtlicher Anlehnung an oben genannte lateinische protestatio51 – verstehen läßt: Vber das sind wir jtzund nicht gesinnet/ vnsere rede zu lencken / nach den ohren der welt/welche des liebkosens vnnd fuchsschwentzens gewonet ist/sondern wollen vns befleissen unsere klag und protestation/für Gott dem allmechtigen/vnd der gantzen welt/ mit bequemen eigentlichen worten / so viel vns immer möglich ist/für zubringen. Derhalben bezeugen und klagen wir/für Gott und der gantzen welt/das die obgesagten Gottesfeind/die heuchler und tyrannen /wider alle recht vnd billigkeit/vns vnd vnsere Religion vberfallen / welche niemals gebürlicher weiss zuurteilen für genohmen / viel weniger verdampt worden ist/sondern von allen rechtsinnigen / die nur ziemlich bericht davon vberkommen / für rechtschaffen vnnd war erkandt wirdt.52

„Waremund tut Wahrheit kund.“53 Die Stoßrichtung ist durch die Benennung mit dem Namen des Bußpredigers und Propheten aus der Wüste, demjenigen der 48

MStA 1, S. 414. S.o. S. 50: coram Deo et hominibus, quod injustissime nobiscum et cum causa Evangelii agatur, quod contra omnia jura et promissa, inauditi jugulemur. 50 Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation A4r . 51 S.o. S. 50: quod contra omnia jura et promissa, inauditi jugulemur etc. 52 Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation A4r/v . 53 Vgl. DWB 27, WAHR II 9., adj., Sp. 737. 49

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auf Christus wies, hinreichend klar symbolisiert: hier wird nicht nur vorgeblich gesprochen, sondern so, wie es sich „erweist“. In der narrativ-argumentativen Darlegung54 des Sachverhalts wird nun ein e contrario darzustellender Grundsatz propagiert: zunächst gelte ja allgemein, daß niemand ungehört verurteilt werden dürfe. So habe man sich stets, von Luthers Reaktion auf die Eröffnung des Ketzerprozesses gegen ihn 1518 bis zur Berufung [sc. protestantischer] Fürsten und Stände auf einen klärenden Prozeß, im Rahmen allgemeiner Rechtsgrundsätze bewegt. Die Gegner wiederum hätten seit dieser Zeit solchen Grundsatz mißachtet. Es folgt die Steigerung a minore: würde man so auch nur mit einem Menschen verfahren, so sei allgemeiner Protest erwartbar, wie etwa im Falle Luthers. Aber [s]o bedenke nun bey sich selbs ein jeder mensch/der nur ein menschlich blutstropffen in seim leib hat/ Wie gar ein teufflische/vnnd nicht allein tyrannische/ oder wülfische grausamkeit es sey / Das die jhenigen /zu welchen man sich jhrer eids pflicht halben/schutz vnnd schirm versehen solt/So viel gelerter Gottfürchtiger Leut/ Stedt/ Fürstenthumb vnnd Lender mit schwerdt vnnd feur verfolgen / ehe denn sie zuuerhörung jhrer sachen zugelassen sind.55

Der Vergleich ist um die Aufrechterhaltung der Antithese von teuflischer, tyrannischer, ja „wölfischer“ Grausamkeit auf der einen Seite und der – durch solches Vorgehen freilich verletzten – Eidespflicht eines guten Schirmherrn, hier fast zum Hirten stilisiert, auf der anderen Seite bemüht. Eine weitere Steigerung erfährt der Sachverhalt durch den Hinweis auf die noch höher zu veranschlagende Bedeutung des Problems in geistlicher Dimension: es gehe nicht nur um die Güter zeitlichen Lebens, sondern um das Seelenheil. Eine Knechtung und Versklavung 54 Kaufmann: Ende der Reformation, S. 242 hat festgestellt, daß keine ‚reine‘ Form der Gerichtsrede vorliege, sofern sie immer wieder durch paränetische Passagen oder Trostworte an die Gemeinde unterbrochen werde. Dazu ist zu sagen, daß die strikte Trennung von narratio und argumentatio sowie der jeweilige interne logische Aufbau schon der Antike Probleme bereitete bzw. nicht deutlich hinsichtlich der strukturellen Ausführung bestimmt wurde; während etwa der Auctor ad Herennium empfahl, die narratio möge kurz, deutlich und wahrscheinlich – eben im Sinne schlichter Sachdefinition – sein (1, 9, 14), meinte schon Aristoteles, eine lange Darstellung des Problemfalles allein, wie es nun einmal bei komplizierten Sachverhalten nötig sei, zerreiße Darlegung und Argumentation bzw. Auslegung zu sehr (Rhet. 1414a, 37). Entsprechend galt der sog. ordo artificiosus als von der Sachorientierung abhängig und sah in Abhängigkeit vom Rednerurteil Abweichungen vor: Genera dispositionum sunt duo: unum ab institutione artis profectum, alterum ad casum temporis adcommodatum. Ex institutione artis disponemus, cum sequemur eam praeceptionem, quam in primo libro exposuimus, hoc est, ut utamur principio, narratione, divisione, confirmatione, confutatione, conclusione; et ut hunc ordinem, quemadmodum praeceptum est ante, in dicendo sequamur. Item ex institutione artis non modo totas causas per orationem, sed singulas quoque argumentationes disponemus, quemadmodum in libro secundo docuimus: in expositionem, rationem, confirmationem rationis, exornationem, conclusionem. Haec igitur duplex dispositio est: una per orationes, altera per argumentationes, ab institutione artis profecta. Est autem alia dispositio, quae, cum ab ordine artificioso recedendum est, oratoris iudicio ad tempus adcommodatur; ut si ab narratione dicere incipiamus aut ab aliqua firmissima argumentatione aut litterarum aliquarum recitatione; aut si secundum principium confirmatione utamur, deinde narratione aut si quam eiusmodi permutationem ordinis faciemus; quorum nihil, nisi causa postulat, fieri oportebit. (Rhet. Her. 3, 16, 4 ff.) 55 Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation B1r .

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Lesestücke

unermeßlichen Ausmaßes, ärger noch als die vor Zeiten das Volk Gottes treffende, schwer lastende Pharaonische Tyrannei.

Ein Rückverweis auf die Textstelle Ex 9 [16] vom Titelblatt, die der Aufforderung Gottes an Moses entnommen ist: einer vor dem Pharao zu haltenden Strafrede, die Gottes gerade eben noch anhaltende Geduld offenbart. Eine Drohung an den Kaiser, wenn auch fein verklausuliert, sofern die Drohung nur aus der „Vergleichsebene“ verständlich wird und hinsichtlich der Deutlichkeit in keinem Verhältnis zu der geäußerten Pfaffenkritik steht.56 Dieses Schema ist nicht neu. Melanchthon hatte bereits in seinen loci communes von 1521 unter dem Topos de scandalo selbigen als offensio fidei et charitatis definiert und hinzugefügt sed in his fides potior est.57

In den loci praecipui theologici von 1535 hatte er das Schema um die Unterscheidung von scandalum acceptum und scandalum datum erweitert – in der Ausgabe von 1543 lautete es schließlich: Duplex est autem scandalum seu duplex offensio. Prior offensio est Pharisaica seu, ut vocant, scandalum acceptum [. . . ].58

Er schrieb über die Pflicht in Abwägung der Schuldfrage: Hinc regulae haec tenenda est. Necesse est confiteri veram doctrinam et fugere idola et facere opera mandata a Deo, etiamsi fremunt et repugnant impii et concipiunt maiores flammas odii adversus Evangelium, et quamquam dissidia tristia oriuntur ex impiorum pertinacia. Peccant autem impii adversantes Evangelio et causae sunt dissidiorum ipsi, quia cedere veritati debeant. Non peccant hi, qui iuxta vocationem recte docent aut confitentur Evangelium, ut peccabat Pharao magno furore repugnans voci Dei per Mosen sonanti et testimoniis Dei, Non peccabat Moses, etiamsi totam Aegyptum discordia illa perdidit.59

Das Schema wird nun von Waremundus um ein argumentum e contrario zur Veranschaulichung der Ungerechtigkeit erweitert: noch selbst dem Ketzer Arius habe man auf den Konzilien Anhörungen zuteil werden lassen. Heute gelte das von Doktoren, Städten, Ländern und Nationen offensichtlich nicht mehr.60 Der 56 Kaufmann: Ende der Reformation, S. 242 hat zu Recht konstatiert, daß, obwohl der Kaiser nirgends direkt genannt ist, die Schrift sich dennoch deutlich auch gegen ihn wendet, wenn man die „Obrigkeitsbezogenheit“ der Kritik selbst in den Blick nimmt, wie es denn auch Kaufmann: Ende der Reformation, S. 243 ff. unter Hinweis auf das Psalmenwort des Titelblattes und bei der Wiederkehr der „Pharao“-Figur völlig überzeugend interpretiert. 57 MStA 2/I, S. 161. 58 MStA 2/II, S. 752. 59 MStA 2/II, S. 752 f.; zur Reformfrage in Wittenberg und der Diskussion um die Grenze zwischen Glaube und Nächstenliebe, sowie die Abwägung von necessitas und indifferens in Melanchthons de scandalo et missa vgl. Kruse: Universitätstheologie und Kirchenreform, S. 317 ff., bes. 326 f. 60 Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation B1v .

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Autor setzt dabei freilich in Fortsetzung der grundsätzlichen Heilstypologie voraus, daß das, was den Sachverhalt dem quasi juristischen Ausgangspunkt nach als verbrecherisch oder ungerecht kennzeichnet und was ja eigentlich erst Klärungsgegenstand wäre – nämlich ob etwa Doktor Luther nach Beschluß eines freien Konzils ein Ketzer sei oder ob nicht vielmehr die protestantischen Fürsten gegen die Kirche gesündigt hätten – an sich im Sinne der hier geführten Gegenanklage keiner Klärung bedarf, sofern es eben in der Antithese e silentio vorausgesetzt ist. Sie findet sich für den besagten Fall freilich in Melanchthons loci praecipui: In civilibus controversiis hoc fieri potest, ut non sumas tibi iudicium de alterutra parte, nihil enim opus est singulis scire aliena negotia. [. . . ] Sed de controversiis doctrinae necesse est singulos pios iudicare, amplecti et profiteri vera, iuxta illud: „Si quis aliud Evangelium docet, anathema sit.“ Et confessio mandata est: „Qui confitebitur me coram hominibus, confitebor et ego eum coram Patre coelesti.“61

Diese Ungerechtigkeit der Vorverurteilung sei nun Waremundus zufolge nicht nur Verletzung oberster Fürstenpflicht, sondern geradezu deren Umkehrung. Entsprechend verhalte es sich mit der Möglichkeit an einem freien Konzil teilzunehmen: das conciliabulum zu Trient sei kein Konzil, und die Teilnahme sei durch den Schmalkaldischen Krieg unmöglich gemacht worden. In diesem Sinne brauche man auch nicht weiter auf ein Konzil oder ähnliches zu warten, wo doch der Wille, die Wahrheit zu unterdrücken – zumal mit dem Erscheinen der Reformatio ecclesiae – und in gotteslästerlicher Weise zu verfolgen, offenbar sei. Und nicht nur zuletzt, das sei schon länger offene Praxis: [D]er Babst vnd seine Bischoff verheissen/das sie vns ein freies Concilium geben wollen / wenn halten sies aber? Warumb Tyrannisieren vnnd toben sie in des / also mit schwert und fewr wider vns/ehe wir verurteilt sind? Warumb zustören sie unsere kirchen? Warumb verfolgen sie an allen örten / mit solchem wüten vnnd toben vnsere Lehr / die wir bereit vnd von hertzen gefrewet sint ihnen/wenn sie wollen/auff einem freien Concilio zubeweisen/das sie des Herrn Christi Lehr sei?62

Eine ganz entsprechende Argumentation a posteriori hatte Melanchthon in seinem Gutachten63 von 1546 entfaltet, wo es hieß: Also ist auch wiederum das das unser meinung, das wo man leere und Gottesdienst sihet, welche offentlich wider Gottes wort und gebott seind, so soll man Gott und nit den menschen gehorsam sein64 , und solche falsche und verfürische leer und Gottesdienst abthun und rechte Göttliche leer und dienst pflantzen, und nicht auf menschliche erkanntnuß, als Consilia oder Reformationes, 61 62 63 64

MStA 2/II, S. 761. Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation B2r . S.o. S. 32. Apg 5, 29.

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Lesestücke warten, Und sonderlich soll man auf solcher leut erkanntnuß und Reformation nit warten, welche der warheit offentlich feind seind. Und so gleich etwas in so viel streitigen sachen were, dasz erkanntnuß bedürft, Warumb verdampt der Bapst die unsern, vor aller welt erkanntnuß? Es ist aber offentlich, das die Bäpstlichen vieler eerlicher frommer leut ermorden, nicht in zweiffelhafftigen sachen, sonder in bekanntnuß offentlicher warheit. In solche unrechte verfolgung kan noch soll nyemands willigen.65

Im Erweis des mangelnden guten Willens gibt sich Waremundus allerdings nicht zufrieden, sondern analysiert in Form einer ab hier einsetzenden percontatio – einem beständigen Frage und Antwort bzw. These und Gegenthese simulierenden Gespräch – die Kernargumentation unter Rückgriff auf die bereits bekannten Muster des Verfahrens: In der mangelnden Bereitschaft, ein faires Verfahren zu entwickeln und die Beweise, die in ihm ebenso zum Tragen kämen wie jetzt auch, anzuerkennen, erweise sich die Identität der Täter wie der Opfer, von denen diesmal wie im Spiegel des Anfangsarguments der insinuatio auf Christus (zurück)geschlossen wird: Sagen vnd beweisen wirs/so gleuben sie es nicht/fragen wir sie/so geben sie vns keine antwort/Vnd lassen vns gleichwohl nicht los / Sondern schreien ohne vnterlas/weg weg mit jhnen Creutzige sie/Creutzige sie.66

Die folgende Passage erläutert denn auch die Vorstellung des Autors von der Genese des Unglücks: An den alten Schandtaten hätte man gewiß genug zu bereuen gehabt: Wenn sie sich gleich nicht vnderstanden hetten auffs new an Gottes wort Ritter zu werden/Solcher Gottloser Böswicht gifftigen Syrop/der one zweiffel aus dem becher / der Babylonischen hurn des Babsts zu Rom geschenckt ist.67

Die Trennung in die (Raub)Ritter einerseits, die brandschatzend durchführen, was der geistige Urheber auf der anderen Seite, der Papst, sich erdacht hat, macht eine doppelte Verantwortung für die Misere deutlich. Gegen Gott und sein Werkzeug stehen der Antichrist und die weltlichen Machthaber, die jener vor seinen Karren spannt. In Anlehnung an das „schwarze, greuliche Gift“68 der ‚Judenpfaffen‘ und des durch eben dieses gegen Christus aufgehetzten Mobs ist hier nun in der Wende zum Aktualitätsgeschehen vom ‚giftigen Sirup‘ die Rede. Doch – so wahr Gott Zeuge sei – die Verfolgung um der Verweigerung der Annahme einer neuen Lehre willen Interim genandt69 65 66 67 68 69

MStA 1, S. 429. Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation B4v . Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation C1r . Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation A2r . Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation C1r .

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sei nur der Anfang. Denn wo man sich dagegen mit Argumenten wehre, da werde man von den Gegnern noch des crimen laesa maestatis bezichtigt, in Mißachtung derjenigen Majestät, die über allen Majestäten stehe: Gott selbst. Melanchthon resümierte zwei Jahre zuvor: Da behüte uns Got vor. Sonder das will Got ernstlich von allen menschen haben, das sy ee alle Bischoffe, Künige und Herrn erzürnen, Ja, ee leib und leben verlassen sollen, ee sy sich einicherley Gottes lesterung, wider den heiligen geist, teilhafftig machen solten.70

In einem zweiten Argumentationsteil wendet sich Waremundus in fortgesetzten Fragen nun dem new buch71

selbst zu. Als erstes wird in ironischen Fragen die Erkenntnisgrundlage des Buches angezweifelt und damit auf den dubiosen, undurchsichtigen Entstehungscharakter verwiesen, den der Autor – wiederum in Beziehung gesetzt zum flüssig-giftigen Element – als mirakulös und sagenhaft kennzeichnet: ists ihnen denn vom Himel offenbart? oder hat das heilige leben vnd wandel/der Gottsuorreter vñ schmarutzler/die dis Chyneram72 oder meerwunder gezimmert haben / so grösses ansehen bey ihnen/das sie den selben geiffer vnnd vnflat für warhafftige Lehr halten können?73

Die Neuheit bzw. Unerhörtheit der Lehre an sich, der Mangel an Herkunftsbezug, mache das Buch zur Fabel, was die zitierten Bilder als „gezimmerte“ Ausgeburten metaphorisch verdeutlichen. Ebenso ist die disparate Erscheinung, das ungeordnete, das in seinen Elementen nicht zusammenpassende Wesen Bild für die Problematik des Inhalts des Buches: es bilde eben nicht Christus oder christlichen Glauben ab, sondern ein „heidnisches Monstrum“. Ein Konstrukt, das bestenfalls als Ergebnis einer kindlichen Spiellaune durchgehe. Um so trauriger – so das argumentum e contrario – sei dann das Spiel, das mit denen getrieben werde, die zur Annahme solchen Wahnsinns unter entsprechend hartem, gewaltsamem Druck gezwungen seien. Es sei eben kein Kinderspiel. Entsprechend hatte es schon bei Melanchthon geheißen: 70

MStA 1, S. 433. Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation C1v . 72 sc. Chimaeram bzw. ´ , ein griechiches Fabelwesen: sie ist zu einem Drittel Löwe inklusive des vorderen Kopfes, in der Mitte Ziege nebst einem Ziegenkopf auf dem Rücken, und zu einem letzten Drittel Schlange, die den Schwanz bildet. Sie speit Feuer. Nach Homer und Hesiod war die Chimäre göttlichen Ursprungs: Ihre Mutter war Echidna (selbst ein Monstrum und zugleich fruchtbare Brüterin neuer Monstra, halb Frau, halb Schlange) und der Vater war Thyphon. Die Chimaera wurde von Bellerophon mit der Hilfe des Pegasus erschlagen. In ihrer „bunten Gesamtheit“ ist sie an der vorliegenden Stelle wohl Symbol für das Phantastische an sich. Vgl. Hom. Il. 6, 179; ibid. 16, 328; Hes. Th. 319. 73 Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation C1r . 71

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Lesestücke Allhier sprechen etliche, das wir allein etlich gerings lappenwerck und Kinderthedinge anfechten, zu welchen, wenn wir nit so wunderlich und seltzam wären, vmb gemeins fridens und eintrechtigkeit wir billich schweigen vnd die selbige nit melden noch erregen solten. Dann solche uneinigkeit schade vil meer Christlicher Kirche, dann dise geringe und kindische sachen, davon wir streiten.74

Das sei also nur „Lappenwerk“ bzw. Flickwerk und Kinderkram. Waremundus fährt hier fort, die „kindischen“ Probleme, die letztlich doch heilsbedrohende Irrlehren seien, zu erläutern: zunächst die Rechtfertigungslehre, dann die Glaubenslehre, die Sakramentslehre, das Abendmahl und seine Liturgie, dann den „Wahn“ der Fürbitte und zuletzt mißbräuchliche, ja von der Schrift verbotene Zeremonien betreffend. Tyrannen, die solche zu halten befehlen, seien nicht besser als Nebukadnezar, als er eine Goldstatute errichten ließ und zu deren Anbetung zwang75 . So offensichtlich sei somit das Unrecht, ja die Falschheit, daß es letztlich jeder als solches erkennen und beurteilen könne.76 Waremundus belegt die konstatierte Öffentlichkeit, wenn er nach einer eingeschobenen Gerichtsandrohung77 Belege und Argumente anführt, die freilich durch den Hinweis auf ihre Relevanz die Öffentlichkeit der Unterdrückung dem Leser oder Hörer erst im weiteren, ja im Sinne einer internationalen Bedeutung bewußt machen oder im Fall ihrer wiederholten Verwendung einprägen sollen: mit den Türken sei Frieden geschlossen worden, um die Christen zu verfolgen.78 Pharao sei dagegen ein Waisenkind gewesen, da er den Juden keine jüdische Obrigkeit war. Die Interims-Obrigkeit hingegen ist christlich, wieder a minore. Die Bringschuld hinsichtlich des Nachweises der Rechtmäßigkeit liege freilich bei den Evangelischen, nur hätten sie nie eine echte Chance dazu im Sinne eines freien ökumenischen Konzils bekommen. Der Grund sei ja klar erkennbar: man gehe auf der ganzen Welt mit Mord und Totschlag vor, wie es etwa die Verfolgungen in Österreich, Ober(deutsch)land oder auch die Ermordungen Adliger in den Niederlanden zeige.79 Nach solchem Nachweis von Mißständen in ganz Europa, die freilich für Sachsen erst durch die Botschaft des Waremundus eigentlich öffentlich werden, folgt eine Hinwendung zur Gegnerschaft: Wer einwenden wolle, das sei nur zänkisches Geschrei, der unterdrücke eben just die Tatsache, daß hier vorverurteilt werde, wider besseren Wissens: 74

S.o. S. 32; MStA 1, S. 419 f. Vgl. Dan 3, 1–30; im Druck lautet der Name Nabucho donosor, was auf die ursprüngliche Verwendung von Septuaginta oder Vulgata hindeutet. 76 Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation C2v . 77 Vgl. Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation C3r/v . 78 Vgl. Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation C4v ; zur Frage der Türkengefahr und ihrer Beseitigung als Voraussetzung für den Reichstag vgl. Rabe: Reichsbund und Interim, S. 24–36. 79 Vgl. Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation D1v f.; s.o. S. 52. Zum Widerstand im Süden des Reiches vgl. Weyrauch: Konfessionelle Krise, S. 65–70.132–162. 75

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Uber das ist die warheit vnserer Lehr/auch den tyrannen selbs nicht frembd/welch mit viel argumenten kan beweiset werden.80

Es folgen derer neun: Erstens seien die Artikel zu Rechtfertigung und Erbsünde auf dem Reichstag zu Regensburg 1541 approbiert worden; ja sie wären sogar vom Kaiser selbst angenommen worden, wenn es der päpstliche Legat nicht verhindert hätte.81 Der Autor übergeht dabei die durchaus kritische Frage, inwieweit eine isolierte Zustimmung in diesen Punkten – zumal sich evangelisches Rechtfertigungsverständnis lediglich „einordnen“ ließ, und die Kompromisse letztlich vom Kaiser wie vom Papst wie auch von Luther abgelehnt wurden – hinreichend war.82 Zum zweiten beweise die aktuell im Interim gegebene Integration der Priesterehe und des Empfangs des Abendmahls unter beiderlei Gestalt, die – schon vormals – anerkannte Richtigkeit der evangelischen Auffassung. Daß erstere nicht nur nicht falsch, sondern richtig sei, erweise nicht nur die Schrift, sondern – wieder e contrario – ebenso der Mißbrauch bzw. die Unzucht auf katholischer Seite.83 Drittens – und Waremundus fährt e contrario fort – sei die Bilderverehrung als Götzenverehrung klar wider Gottes Willen und nur als Wahnsinn, als Verstandes- und Sinnlosigkeit zu begreifen, wie der Psalm sage.84 Viertens sei der Ablaßhandel als Geschäftemacherei offen erkannt, und fünftens beweise der Mangel bzw. die Unterlassung der Predigt im katholischen Kirchenwesen eine Abkehr von Gott und einen Verlust des Seelenheils.85 Daran reiht sich sechstens – ohne daß die Ursächlichkeit des Wortmangels behauptet wird, legt sie sich doch nahe – die Mangelhaftigkeit der Lebensführung katholischer Geistlicher.86 So erweise sich die Richtigkeit der Lehre auch zum siebenten dadurch, daß die Altgläubigen zugeben müßten, das wir Gott hab lob/auff den dörffern solche Pfarrher haben/ welche inn heiliger Schrifft viel verstendiger/ vnd geübter sind denn ihre Prediger/welche sie in grossen Stedten für seelsorger auffstellen.87

Achtens könne nicht nur am Leben, sondern auch am Sterben – vornehmlich in Bekenntnis und Anrufung Gottes – ersehen werden, wer Diener des Herrn gewe80 Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation D2v .; die Passage ist doppeldeutig, wenn man mit einbezieht, daß nicht nur die Argumentation als solche, sondern auch die Quelle – eben Melanchthons Bearbeitung Vrsach, Warumb die Stende – durch öffentlichen Druck bekannt war. So bekannt, daß wahrscheinlich sie – noch ohne Melanchthons und gewiß auch Flacius’ Wissen – zur erstmaligen Forderung der Auslieferung des praeceptor geführt hatte; s.o. S. 32 f. 81 Vgl. Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation D2v . 82 Vgl. Pfnür: Einigung bei den Religionsgesprächen; Dollinger: Evangelium in Regensburg, S. 151–156. 83 Vgl. Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation D2v f.; vgl. MStA 1, S. 420. 84 Vgl. zur Psalmenstelle Ps 115, 8; zum Argument Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation D3r/v ; vgl. MStA 1, S. 421. 85 Vgl. Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation D3r/v ; vgl. MStA 1, S. 420 f., 433. 86 Vgl. Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation D3v f. 87 Vgl. Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation D4r ; vgl. MStA 1, S. 421.

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sen sei.88 Solches sei in Luther erwiesen, wie nicht nur Doktoren, sondern auch Grafen bezeugt hätten.89 Hingegen sei mancher katholische Gelehrte – namentlich Johann Eck90 (in margine), Jacobus Latomus91 und Johannes Hoffmeister92 – im Angesicht des Todes zum Widerruf katholischer und Bekenntnis evangelischer Lehre bewegt worden.93 Schließlich und neuntens könne man schon an dem hartnäckig nicht eingelösten Versprechen des Konzils, ja dem andauernden „neronischen Wüten“ erkennen, wie die Gegner selbst den Ausgang der Sache einschätzten.94 Ohne, daß der Autor es deutlich macht, stehen alle diese Punkte in unmittelbarem Bezug zu den Reformartikeln der formula reformationis95 . So erweist sich gemäß der Darstellung in den genannten Punkten der formula in demselben Maße die Falschheit papistischer „Teufelslehre“ wie die Rechtmäßigkeit evangelischen „Christusbekenntnisses“. Die gesamte Argumentation ist zudem bis in Elemente des Wortlauts wiederum an Melanchthons Vrsach, Warumb die Stende angelehnt, wo es etwa heißt: Dann erstlich ist das gewisz, das Got alle Unzucht und alle unreinigkeit ernstlichen mit zeitlichen und ewigen peynen straffet. Zum andern, wenn die gewissen und hertzen der menschen verunreiniget, so künden sy nit recht und ernstlich beten und Got anruffen, Derhalben sy von einer sünd in die andern als Kinder des zorns fallen. Weiter ist offentlich, das sy ungelert seind und das Predigamt nicht erhalten. In vielen Landen seind keine Predig. Im andern, da sy predigen ist doch die Leer nit reine noch recht. Derhalben werden von vns nicht geringe oder weniger leut yrrthumb gestrafft. Denn das gegentheil, welches der Kirchen Titel, vnd das sy ordentlich gewalt in der kirchen habern, rümet, verthädiget nit geringe, sondern grosze und erschröckliche yrrthumb, durch welche Jesus Christus Gottes Son geschmehet vnd gelestert vnd der leut gewissen verfüret wirt, welche yrrthumb sy mit schwert vnd fewr vnd grosser Tyranney schützen und handhaben, als von keinem Regenten, welche nicht Heiden geweßt, zuvor nye geschehen. Dieweil dann solcher grewel des gegentheils yeder menigklich sihet, also erschröckliche yrrthumb in der leere, Abgötterey, schendtliche vnzucht, verachtung und versaumnusz des predigamptes und Neronische Tyranney wider alle, so jnen jr Neronisch, Gotlosz wesen nicht billichen, So sollen ja alle menschen auff erden solche laster nicht allein erkennen, sonder auch vor Gottes Zorn darwider hertzlich erschrecken.96 88

Hintergrund ist hier Joh 8, 51. Zur Überlieferung von Luthers Tod und den Umständen, anwesenden Personen etc. vgl. WA 54, 478–496. 90 Vgl. BBKL 1 (1990), Sp. 1452–1454. 91 Vgl. BBKL 4 (1992), Sp. 1219–1221. 92 Vgl. NDB 9, S. 441; ADB 12, S. 617. 93 Vgl. Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation D4r/v . 94 Vgl. Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation D4v . 95 S.o. S. 32. 96 MStA 1, S. 421 f. 89

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In den loci praecipui theologici hatte er die Motivationslagen entsprechenden Gruppen zugeordnet und wiederum einen allgemeinen (heils)geschichtlichen Horizont eröffnet: Sunt autem variae causae, cur impii verae doctrinae aut illis necessariis mutationibus irascantur. Alii pugnant de ventris commodis, ut qui quaestus magnos, qui erant ex Missis aut ex invocatione mortuorum, diminui nolunt. Alii de auctoritate dimicant, alii fascinati persuasionibus suis nolunt ea, quae ipsi mirantur et probant, taxari. [. . . ] Viri politici, quia vident ex dissensionibus opiniorum oriri distractiones Principum, bella et perturbationem disciplinae, nolunt moveri ullas de doctrina disputationes. Exempla autem talium offensionum omnibus Ecclesiae temporibus multa fuerunt, sunt et erunt. Sacerdotes adversabantur Ieremiae praedicenti excidium Ierosolymae et praetextus speciosos habebant. Christo et Apostolis adversabantur plerique omnes, qui eruditione et auctoritate in populo Iudaico antecellebant.97

Man kann recht deutlich sehen, daß Waremundus lediglich diejenigen Argumente aus Vrsach, Warumb die Stende, die inzwischen hinfällig wurden, ausläßt, dafür andere ausschreibt. Das die gesamte protestatio durchziehende Muster de minore war ebendort bei Melanchthon vorbereitet. Ebenso wie mancher Vergleich – nicht nur das an sich naheliegende Tyrannenbild, auch seine historisch-heilsgeschichtliche Konkretion in den loci, sei es zum Pharao oder zum neronischen Wüten der Politiker. Doch zurück zur protestatio: In einer an den aufzählenden Argumentationsblock anschließenden neuerlichen Drohrede und in Vorbereitung der peroratio fordert Waremund in mahnender Erinnerung an das Jüngste Gericht die Umkehr der Tyrannen und ein freies Konzil.98 Im Rückgriff auf das Anfangsbild von den Verächtern Christi – und mit ihm seiner Propheten wie Apostel –, die ebenfalls ihre gerechte Strafe fänden, warnt er vor falscher Überheblichkeit und drängt dazu, die Ebenbildlichkeit zu bedenken.99 Die Schuld hätten schon immer andere gehabt, die auf die Unrechtmäßigkeit des Handelns und der Lehre verwiesen und zur Umkehr gemahnt hätten, nie der Teufel selbst – seien die angeblichen Unruhestifter jetzt Paulus als Apostel, Elia als Prophet oder Christus als Messias.100 Man habe sie vielmehr statt dessen verfolgt. Melanchthon hatte dieses Argument vollkommen analog so gefaßt: Welchen yrrthumb des Volcks vnd der Priester, so die Propheten strafften, wurden ir vil, wie dann yetzt auch geschicht, darüber getödtet. [. . . ] Sage mir. ob yetzt in vnsern zeiten die Epicurische Bäpste, Bischöffe und Cardinäle dem hauffen der Saduceer zu jhener zeit nicht gleich seind, Und den Phariseern 97 98 99 100

MStA 2/II, S. 752 f. Vgl. Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation E1r –E2r . Vgl. Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation E2r –E4r . Vgl. Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation E4r/v .

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Lesestücke unsere Pfaffen und Münche, Welche jre Mesz, Vigilien und andern falschen ertichten Gottesdienst umbs gelt verkauffen.101

In der die Argumentation abschließenden peroratio faßt Waremundus antithetisch zusammen: es werde nichts Neues beklagt. Bislang sei nur im Inneren der Christengemeine der Friede, mit Blick auf die osmanische Invasion der Krieg gewünscht worden. Der Gegner tue unter den Einflüsterungen seiner Berater das Gegenteil: er verfolge die Christen und lasse die Türken in Frieden. Man habe sich bislang an alles gehalten, aber der Gegner an nichts, da die Falschpropheten in den Reihen der Gegner lehren, Ketzern müsse keine Treue gehalten werden. Die christliche Seite handele auf Gebot Gottes, Christi Lehre als Wahrheit zu bekennen, die in der Bibel ihren Ursprung habe, und auf die die Christen getauft seien. Die Verfolgung solcher Wahrheit sei antichristliche Gottesverachtung. Melanchthon hatte diesen Punkt in seiner Vorrede so ausgeführt: [sc. wollen wir . . . ] zuvor die sache an ir selb, wie grosz und wichtig dieselbige und was uns solche leer anzunehmen, zubekennen und zuerhalten für Hohe ursach bewegen, erwegen und betrachten. Dann es werden zu seiner zeit alle menschen auff erden, wo vnd zu yeder zeit die seind, Got dem Herrn rechenschaft geben müssen, so sy vns vnnd vnser leer schelten vnd verdammen, Dann diese leer, so wir verthedigen, ye nicht vnser, sonder Gottes ist, seine eer und der leut Seelen seligkeit belangend.102

Waremundus fährt fort: so würden auch die „guten Künste“, die „Ehrbarkeit der Sitten“ wie auch der öffentliche Nutzen in Ehren gehalten, ja gefördert. Die Gegner täten das Gegenteil. Nie sei einer der Gegner, der Verfolger des Herrn, um der Religion willen getötet worden, ganz anders die Bekenner Christi, wie es das Beispiel der Gräfin103 belege.104 Es folgt schließlich eine die Perspektive auf den Gegner abschließende Drohrede mit dem ultimativen Bußruf unter neuerlichem Verweis auf die Apokalypse bzw. das Endgericht.105 Es darf nicht in Vergessenheit geraten: es spricht bzw. schreibt ja ein Jo(h)annes [Waremund]. Die Beweisführung im eigentlichen Sinne ist abgeschlossen, und der Autor wendet sich nun der rhetorischen Tradition entsprechend der abschließenden Ermahnung geneigter Zuhörer bzw. bekennend der eigenen Partei zu, wie es wiederum Melanchthon schon in Vrsach, Warumb die Stende vorgemacht hatte. Diese neuerliche Hinwendung mag redundant erscheinen, aber sie stellt letztlich die aus der Abwehr der gegnerischen Argumente gewonnenen Punkte nochmals in ihrem positiv-bekenntnishaften Gehalt deutlich vor Augen: 101 102 103 104 105

MStA 1, S. 419. MStA 1, S. 412. S.o. S. 52 bzw. S. 64. Vgl. Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation E4v –F2r . Vgl. Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation F2v .

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Wir streiten jitzund mit niemandt eigens/weltlichs nutzes halben / Sondern wir wolten gern das das jenige/welches ein jglich mensch der da seelig werden will / hoch von nöten ist / vnuertunckelt vnd vnuertrieben gelassen würde/Nemlich der einige weg zur seeligkeit/der da ist durch den glauben an den HERrn Jhesum/die warhafftige erkenntnis Gottes / zu welcher das gantz menschlich geschlecht fürnehmlich geschaffen ist [. . . ] Zum andern wollen wir auch vns selbst/das ist alle recht Gottfürchtige/ die auff dem gantzen weltkreis wonen/ vermanet haben/das wir uns nicht von dem wort Gottes widerumb verfüren oder abschrecken lassen/sintemal wer durch Gottes genad / die gründtliche warheit Christlicher Lehr (Gott hab lob vnd danck) ein mal erkennet haben/vnd dasselbige nicht allein aus heiliger Schrifft/aus der gelerten Leut bücher vnnd aus der erfarung / inn welchem wir entpfinden / das vnser eigen gewissen vnnd der Heilige Geist selbst / inn vnsern hertzen zeugnis gibt / vnd der warheit dieser Lehr/ sondern auch aus dem bekenntnis/ der widersacher / welche vor keinem freyen rechtschaffenem gericht mit jhrer sach erscheinen dörffen.106

Die Ermächtigung sei also, eben weil Verfolgungen stattfänden, weil Anfechtung erfahren werde, auch existentieller Natur. Solche Ermächtigung erwachse nicht nur aus Lehren, sondern aus der subjektiven Erfahrung von Gott gestifteten Glaubens in der Situation der Anfechtung, der gegen die Widersacher zum Bekenntnis fordere. Melanchthon hatte diesen die menschliche ratio und sapientia überbietenden Sachverhalt in Vrsach, Warumb die Stende so dargestellt: Dann ye das menschlich geschlecht vor allen dingen darzu von Got geschaffen, dasz sy Got jren Schöpffer erkennen vnd ime dienen sollen, deszhalben denn auch die menschen durch Regiment von Gott [. . . ] gegeneinander verbunden seind, das einer den andern durch rechte leer vnd Christliche Gottesdienst vnd leben zu Gottes erkanntnusz fürdern und bringen soll. [. . . ] Die warheit aber vnd rechter verstand der Göttlichen schrifft bleibet bey denen, welche sy fleisig und hertzlich [sc. be]geren lernen vnd studieren vnd sich mit Gottförchtigem vnd demütigem hertzen Got undergeben, welche jr sünde erkennen vnd vor dem zorn Gottes, der die sünde straffet, sich entsetzen vnd erschrecken. Und doch wiederumb durch den glauben vnd die zuuersicht der barmhertzigkeit Gottes, welche er vmb seines Sons, unsers mitlers willen vns hat verheiszen, sich widerumb trösten vnd erhalten und Gott von hertzen bitten und anruffen, das er sy wölle durch sein geist füren vnd regieren, und folgen nit menschlicher vernunfft und weiszheit, sonder Gottes wort hören, was das jnen sage vnd gebiete.107

In beiden Texten führt die Krise der menschlichen Bestimmung, die Krise der Gotteserkenntnis, in die Re-Konversion. Sie ist – besonders deutlich beim Waremundus ausgeführt – dabei gruppenkonstitutiv-kollektiv gedacht. Als Aufforderung wird sie schließlich ausgesprochen. Die Verfolgung müsse eben darum angenommen werden, auch wenn das den Untergang bedeute. Das weise schon die „Kirchengeschichte“, so Waremundus: 106 107

Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation F4r/v . MStA 1, S. 436 f.

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Lesestücke Denn wir wissen das die Gottfürchtigen allweg das gelück haben auff dieser welt / das sie allein vnerhorter sachen müssen verurteilt werden [. . . ] Ob gleich derselbigen sach vnd vnschuld/öffentlich fürgebracht vnd erkandt ward/wie beides/ die Hystorien der Heiligen Schrifft/vnnd auch andere geschicht / die sich hernachmals inn der kirchen zugetragen / solches vberflüssig bezeugen / vnnd bleibt für vnnd für/biss an der welt ende / Das der Gottlose gleissner Cain /den warhafftigen Gottesdiener Abel/ on alle gerechtigkeit auffs jemmerlichst zu todt schlecht.108

Neben der erkennbaren Aufnahme augustinischen Prädestinationskonzeptes109 wird wieder der Praeceptor bemüht. Melanchthon hatte in seiner Ausarbeitung nicht nur vielfältige Beispiele aus der „Heilsgeschichte“, sondern insbesondere aus der älteren Kirchengeschichte herangezogen.110 Die durch die Geschichte hindurch konstante Verfolgung, Sündenbestrafung und darin doch Aufrechterhaltung der Kirche gegen alle Depravation, hatte er ebenso angemerkt: Daran ist kein zweiffel, daß alle zeit etlich Gotförchtige leut in der Christlichen Kirchen geweszt seind, und noch seind, Welchen ettlich yrrthumb wee gethan, und dieselbigen einer meer und klärer dann der ander gestrafft haben. [. . . ] Mittlerweil aber, wie zuvor gesagt, haben viel Gotlose Bischoff das regiment in der kirchen gefürt, welchen es meer umb grosz gewalt und gut, dann umb Christliche leere, deren sy wenig geacht, zu thun gewesen. [. . . ] Das aber Gott den sünden feind sey vnd dieselbigen ernstlichen straffe, das bezeugen ye die tegliche vnd mannigfaltige plagen [. . . ], vnd ist kein zweiffel, das zu allen zeiten, von anfang der welt, Gott der Herr stets vmb der sünden willen das menschlich geschlecht gestrafft hat vnd noch straffet.111

Die Kontinuität der Geschichte erweise sich in der Kontinuität der Heilsgeschichte112 , ja im eigentlichen Sinne sind sie ununterschieden – gleichwohl Waremundus von „andere(n) geschicht“ spricht –, sofern die Geschichte jenseits des in der Bibel präsentierten Rahmens lediglich ebenfalls ihren Niederschlag finde. Die Bibel ist hier nur als besondere Quelle aufgefaßt, nicht als besondere Kategorie. Das belegt analog auch die Melanchthon-Stelle, die Gott als den Herrn der Geschichte im allgemeinen kennzeichnet.113 Im Sinne der gesamten Protestation liefert die Bibel, angefangen von den Titelschriftworten, bis hin zu den biblischen Typologien, sogar den Verstehenszugang zur (Zeit)Geschichte schlechthin. Waremundus folgert darum a minore: Angst sei fehl am Platze. Es gehe de minore nicht nur – wie schon die Heiden meinten – um das Vaterland, für das allein 108 109 110 111 112 113

Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation F4v f. Vgl. etwa De civ. XV, 1; zur Konzeption der „Kirchengeschichte“ ebd. XVIII. Vor allem aus der – dem Thema naheliegenden – Konzilsgeschichte; vgl. MStA 1, S. 446 f. MStA 1, S. 418.422. Vgl. dazu ebenfalls MStA 2/II, S. 753.760 etc. Hier ist eine der Schlüsselquellen für die strategische Anlage den catalogus testium veritatis zu sehen.

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schon es eine Ehre sei zu sterben114 , sondern um das himmlische Vaterland und die ewige Ehre.115 Gottes Zorn solle angezeigt werden, frei nach Offb 13, und das Bild des Tieres dürfe nach Offb 16 nicht angenommen werden.116 Daß – ganz in Melanchthons Sinne der beständigen Bestrafung der Sünden durch Plagen – die Pharaonische Abgötterey bereits Bestrafung finde, beweise die letztjährige Heuschreckenplage in Tirol.117 Es sei darum die vornehmliche Pflicht aller Lehrer/Pfarrhern vnd seelsorger118

dem Angriff auf die Herde Christi zu widerstehen, selbige mit der Schrift zu verteidigen, und so lange dabei zu bleiben, bis man von der ganzen Kirche oder Gemeinde ausgeschlossen werde.119 Es folgt zum allgemeinen Trost ein den Druck abschließender Gottesappell, welcher die Bestrafung der Feinde und die Erhaltung der Kirche erbittet. Der Druck etabliert also zusammengefaßt im Stile einer Gerichtsrede nicht nur eine defensio, die er – durch die im Zuge einer recensio der betroffenen Personen und ihres Identitätszusammenhangs mit Christus als Kläger gefundenen Opfer – zur accusatio wendet, sondern liefert auch drei wichtige Kriterien für die weitere Verhaltensweise: Wer [1] die Wahrheit göttlichen Wortes und somit in Christus erfahren habe, müsse an solchem Glauben festhalten, da sonst eine Infragestellung der ganzen Persönlichkeit und des Seelenheils folge. Er müsse darum mit der Schrift selbst verteidigt werden. Den Gegnern sei [2] darum auch nichts zuzugeben. Zumal es ihnen nicht wirklich um eine Einigung auf der Basis des Einverständnisses gehe, sondern um Unterdrückung der Wahrheit. Eventuell von Verordnungen betroffene Geistliche dürften [3] um der neuen Verordnung willen weder sich darein fügen, noch fliehen, so lange sie nicht von der Kirche – als Kongregationskirche gedacht – dazu gezwungen würden. Wird der Zeitpunkt der Entstehung mitbedacht, so muß festgestellt werden, daß durch die rhetorische Konstruktion eines Rechtsfalles und seiner Ausarbeitung in heilsgeschichtlicher Analogie, mit eingearbeiteten Klagen, die Anschuldigungen oder andere Unrechtsschilderungen referieren, der argumentativen Erwiderung 114 Vgl. Hor. carm. 3, 2, 13 ff.: dulce et decorum est pro patria mori: || mors et fugacem persequitur virum || nec parcit inbellis iuventae || poplitibus timidoque tergo. 115 Vgl. Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation G1v f. 116 Vgl. Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation G2r/v . 117 Das Phänomen der Heuschreckenplage ist in Mitteleuropa seit dem 6. Jahrhundert belegt (vgl. Eugippius: Vita Sancti Severini, 12, 1); entsprechende Hinweise für Kärnten und Tirol finden sich auch in der Bayerischen Geschichte Aventins: vgl. Dünninger: Johannes Aventinus, S. 145 ff.; zu Flacius Kenntnissen Aventin betreffend vgl. Hartmann: Humanismus und Kirchenkritik, S. 169 ff.; zu den Wanderwegen von Heuschrecken und den (früh)neuzeitlichen Berichten darüber vgl. Zedler 12, Sp. 1965 f.; in Wittenberg war z.B. 1542 ein eigener Druck unter dem Titel „Vom Zuge der Hewschrecken, was sich allwegen darnach begeben, vnd was für Straffe gevolget; Aus der Lateinischen Cronica ins Deutsche gebracht. New Zeitung aus Ungern“ bei Josef Klug erschienen (VD16 V 2415). 118 Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation G4r . 119 Vgl. Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation G4r/v .

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und der Aussprache von Trostworten in handlungsleitender Perspektive überhaupt erst ein Problemfall generiert wird. Moritz hatte weder eine Religionsordnung publizieren lassen, noch eine verschärfte Zensur verhängt. Beides geschah erst 1549. Damit war freilich das der Präsentation der geminen Protestation zugrundeliegende und der Wahrnehmung nach noch rein virtuelle Phänomen einer interimistischen Kirchenneuordnung in Sachsen literarisch real und zugleich bewußt geworden. Man kann ebenso feststellen, daß die kritische Verarbeitung auf Punkten beruht, die Melanchthon kurz zuvor anläßlich der Konzilsfrage selbst ausgearbeitet und in seinen (internen) Interims-Gutachten nicht revidiert hatte. Luther hingegen kommt im ganzen Text nur einmal vor: als Symbol für den neuerlichen Beginn des unrechtmäßigen Umgangs mit der wahren christlichen bzw. evangelischen Sache, sofern er – wie seit Christus viele andere auch – wider besseren Wissens seiner Richter verurteilt worden war. Zwar mutet die Verwendung der Schrift und ihre Kanonisierung aus der Parallele mit Christus heraus ‚biblizistisch‘, ja gut „lutherisch“ an, aber sie wird nirgends systematisch durchgeführt. Sie setzt überall den Schritt, aus der Schrift die Lehraussage zu gewinnen, schon voraus und gibt lediglich zum dogmatischen locus – ebenso wie zum Gesamtproblem durch die Vorordnung der Schriftworte auf dem Titelblatt – die biblischen loci als heilsgeschichtliche Parallelen oder Archetypen wider. Sofern der Text einer bestimmten Situation folgt, kann allerdings weder die Einheit von scriptura und doctrina ausgeschlossen, noch systematisch behauptet werden.

4.3 Zwischenbericht: Theodorus Henetus Die Situation führte zu ersten bekannten direkten Konfrontationen zwischen dem praeceptor und seinem Schüler, nachdem Ende Oktober 1548 gerüchteweise bekannt geworden war, daß Moritz das kaiserliche Interim zwar nicht annehmen wolle, aber beabsichtige, eine eigene reformierte Fassung vorzulegen, was ja – wie geschildert – tatsächlich durch eine überlieferte Kanzleinotiz, die sich auf Carlowitz als Informanden beruft, für diesen Zeitraum als „kursierend“ bestätigt werden kann.120 Aber selbst darauffolgend war Flacius noch gar nicht namentlich auffällig geworden – er hatte lediglich in internen Gesprächen ebenso wie in dem ersten bekannten Brief zur Sache versucht, namentlich Einfluß zu gewinnen.121 Insbesondere in Fragen der Messe wollte er auf Melanchthon einwirken.122 Flacius wies in dem Brief ausdrücklich auf sein noch reines Gewissen hin, welches er bei Verschlechterung der Dinge nicht durch Abweichen oder Unterlassung der 120

S.o. S. 44. Vgl. Flacius: Apologia A4v –A5v . 122 Daß die Messe nach wie vor ein Problem war und blieb, belegt der Eiertanz zwischen den Gutachten der Theologen „auf das Vorhalten der Räte“ vom 18. Oktober in Torgau, das erste Bedenken der Theologen und Georgs von Anhalt vom 20. November und die andere Schrift der Theologen vom 21. November in (Alt)Zella: vgl. PKMS IV, Nr. 129, 174, 175. 121

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Verteidigung nochmals – wie während seiner dreijährigen Bedrückung, die durch Luthers Seelsorge schließlich geheilt worden war – in Gefahr bringen wolle. Problemdarstellung und Argumentationselemente die Messe betreffend waren in den Argumentationsteil einer 1548 im Druck erschienen Schrift, die unter dem Autorenpseudonym Theodorus Henetus123 , – in der griechischen Übersetzung des hebräischen Namens – als „Mat(a)thias“ bzw. „Gottesgeschenk aus Venedig“, erschien, eingearbeitet.124 Die Schrift hat kompilatorischen Charakter, was auch der Titelbegriff „Bericht“ wiedergibt: Ein kurtzer bericht vom Interim125

Der Druck trägt auf dem Titelblatt das biblische Motto von Jes 8 [10], daß aller Rat und alle Beratung angesichts des Immanuel, des „Gott mit uns“, zum Scheitern verurteilt sei. Gegen Christus – so die Einbettung von Prov 21, 30 – helfe keine Weisheit, kein Verstand, kein Rat: eine Variation des Motivs von Ps 2 [1–2], wie es dem Waremundus zugrunde lag. Das engere Thema ist denn auch das fortgesetzte Schweigen vieler, die doch die Stimme erheben müßten. Die Schrift ist weithin eine Sammlung bereits bekannter Kritikelemente. Stück für Stück wird das Interim wie schon im Waremundus sowohl mit Blick auf das Findungs-, wie auch das Durchsetzungsverfahren als ein Korruptionspapier diskreditiert. Am Anfang der Invektive steht die Beschreibung einer Teufelslist, welche auf dem Trienter Konzil erdacht worden sei: Ein papistisch Interim haben sie geschmidt / darinnen vnter honig vnnd †s†üsen worten eytel Teruffelischer gifft verborgen sint / Damit wollen sie vns zuuerleugnung der erkandten Göttlichen warheit dringen / Wie dann die Gottlosen selbst rhümen / Das Buch sol nicht Interim, sondern Iterum heißen / Das ist / das wir durch die selbige leer widerumb von newes auff alle jhre vorige grewel/vnd Abgötterey sollen gezogen werden.126

Geschmiedet sei es, also ein Kunstprodukt. Und noch dazu eine Täuschung nach Art des Honigrandbechers.127 Es folgt – wiewohl viele andere Artikel verdorben 123

Zu den Pseudonyma s.o. S. 54. Die Namensvariation ist so durchschaubar, daß hier eine echte Pseudonymität nur sehr eingeschränkt angenommen werden kann. Daneben erscheint der Hinweis des Flacius in seiner Verteidigungsschrift an Bugenhagen, er habe zunächst drei deutsche Schriften ohne Nennung seines Namens publiziert, ein wenig gesucht; vgl. Flacius: EPISTOLA APOLOGETICA A4v : Aedidi ante semestre tria uulgaria scripta contra Papistas et Interimistas, in quibus ne nomen quidem meum apposui, quod profecto non fuit eius factum, qui suam gloriam quaereret; Flacius: Eine Entschuldigung [. . . ] an einen Pfarher A2v : Ich habe vor eim halben jare drey Deudsche schrifft widder die Papisten vnd Interimisten lassen ausgehen/da ich meinen namen nicht habe vor gesetzet / welchs warlich nicht von solchem geschehen ist / der seine eigen ehre süchte. 125 Flacius: Henetus: Ein kurtzer bericht. 126 Flacius: Henetus: Ein kurtzer bericht A3r/v . 127 Vgl. Lucr. rer. nat. 1, 935 ff.: id quoque enim non ab nulla ratione videtur; || sed vel uti pueris absinthia taetra medentes || cum dare conantur, prius oras pocula circum || contingunt mellis dulci flavoque 124

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seien – eine Analyse des Meßartikels, bzw. der Passage de nova lege in Christo.128 Henetus kritisiert die Auffassung Christi als eines Bringers des neuen Gesetzes129 , die völlig unsinnige doppelte Einsetzung des Abendmahls und seiner Feier als Seelennahrung für die Gläubigen und Gedächtnisopfer, das den Aposteln anempfohlen worden sei; solche Einsetzung beruhe auf Verkürzung, Isolierung und unzulässiger Applikation der Herrenworte. Der wahre Sinn werde hingegen aus 1 Kor 11 [23–26] überdeutlich ersichtlich. Daraus erkläre sich auch der Charakter der Verfasser: Dieweil aber die rechte meinung dieses orts / byde auss dem natürlichen verstandt des texts /vnnd auch aus der Auslegung Pauli vnnd der veter diesen mutwilligen verfelschern des Testaments Christi nicht kan vnbewust sein/lieber so bedenck/wie vormessne Leut das sein müssen / die zu bestetigung jhrer falschen lere dorffen vnserm Herren Christo seine wort so trutzlich vorkehren130

Die Gegner würden zwar schreien, daß man ungehorsam sei, aber wieviel schlimmer sei solche antichristliche Lehre? Zumal der Ungehorsam sich im Lichte der dogmatischen Verfehlungen des Interims als Gehorsam erweisen müsse. Und Henetus fährt wiederum a minore fort, daß es sicher schon ein Frevel sei, das Testament eines Menschen zu verfälschen. Wieviel schlimmer stünde es da bei der Verfälschung des Testamentes des Sohnes Gottes? Es folgt eine Hinwendung zum Leser, beinahe im Stil eines Briefes oder einer direkten Rede. Immer wieder wird die Offensichtlichkeit des Verbrechens dem Dialogpartner direkt vor Augen gehalten, der Ton wie in einer peroratio beschwörend: Nun aber bitt ich dich wollest bedenken / was für mercklichen nutz vnnd frucht solche Gottlose verfelschung des Göttlichen wortes mit sich bringe131 liquore, || ut puerorum aetas inprovida ludificetur || labrorum tenus, interea perpotet amarum || absinthi laticem deceptaque non capiatur, || sed potius tali facto recreata valescat; Georg von Anhalt hatte dies Agricola auf dem Tag vorgeworfen, daß der Meßkanon bleibe was er sei, auch wenn er schön geredet werde und ihm so ein honigsüßer Geschmack gegeben werde: s.u. S. 97. 128 Am Rand der Druckseite A4r findet sich dazu eine Verweisglosse Folio 17., die so gar nicht zur Seitenzählung der Interimsurkunden zu passen scheint, da sich in der handschriftlichen lateinischen Urkunden-Fassung der Anfang des Meßartikels fol. 22r , der Unterabschnitt de nova lege in Christo fol. 24r/v findet [vgl. ARC VI, S. 331.333] bzw. nach der bei Mehlhausen: Augsburger Interim abgedruckten unpaginierten deutschen Fassung nach Mehlhausens eigener Zählung auf S. 37, also fol. 18. Die entsprechende lateinische Urkunde zählt bei Mehlhausen allerdings für den genannten Unterabschnitt S. 33, das wäre fol. 17r . Die Abweichung zu Pfeilschifters Text erklärt sich, wenn man die ausgelassenen Blätter bzw. fünf Leerseiten mitberücksichtigt, die ARC VI, S. 308 genannt werden. Tatsächlich fehlten bis zur genannten Stelle exakt fünf Seiten (11v , 19v , 20r/v und 21v ) und die Urkunde begann erst auf fol. 2r Mitte. Wenn man nun annimmt ein Schreiber habe entsprechend ökonomisch zur endgültigen Abschrift übertragen, dann ergibt sich analog zur Seitenzählung von Mehlhausen fol. 17 bzw. S. 33. Daraus folgt, daß Flacius wohl eine entsprechend komprimierte Abschrift der lateinischen Urkunde verwendete. 129 Flacius: Henetus: Ein kurtzer bericht A3v f.; Mehlhausen: Augsburger Interim, S. 113. 130 Flacius: Henetus: Ein kurtzer bericht A4v . 131 Flacius: Henetus: Ein kurtzer bericht B1r .

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Henetus geht die weiteren Argumente nach dem Motto respice finem jeweils a posteriori durch: Wer das Abendmahl so reiche, tue dies zum Verderben derjenigen, die es somit falsch empfangen, da sie es sich nach Paulus132 zum Gericht äßen und tränken.133 Zudem ginge durch die Umwandlung des Opfergedankens das Gedächtnis an das Sühneopfer Christi verloren. Das sei vollständige Restauration aller Irrtümer des Papsttums.134 Entsprechend würden die Gegner hinsichtlich der letzten Ölung irren, ja die Welt betrügen, sofern sie ihren Gebrauch falsch bestimmten und hinsichtlich der Anwendungsvollmacht elitär beschränkten. Dies widerspreche aber der Intention des Paulus wie der der Alten Kirche in toto. Es bedürfe aber keiner weiteren Ausführungen zum Thema, sofern allein an der Messe der ganze Irrtum des Papsttums offen hervortrete und Luther zum Thema hinreichend Verständliches und Ausführliches geschrieben habe.135 Der direkt angesprochene geliebte Bruder in Christus möge sich darum nicht verführen lassen, die Barmherzigkeit Gottes durch die Annahme widergöttlicher Lehre zu verwerfen. Und mit solcher Versuchung müsse gerechnet werden, da es eben der Feinde Absicht sei, die wahre Lehre zu bedrohen. Der Autor mahnt: Das du dich aber nicht allezeit uff newe trostschrifft für die blöden gewissen vertrösten solt/ hats meines bedunckens / nicht grosser meldung von nöten / Denn du weist das der dritte Helias/der heilige getroste Mann Doctor Martinus Luther zu dem HERREN aus diesem jamertal seeliglich abgeschieden/vnd nicht mehr vorhanden ist / Vnnd vber das so erfordert es sunst die gegenwertige zeit nicht so sehr langes disputierens / als bestendige bekendtnis Göttlicher erkanter warheit/Denn die widersacher weil sie sehen das jhre Finsternis nicht bestehen mügen / so sie gegen den hellen glantz des Euangelij gehalten werden / Darumb wollen sie in keinem weg gestanden / das eine offentliche freihe erkendtnis der leer gehalten werde.136

Die Passage ist in zweierlei Hinsicht auffällig. Einmal, weil Luther bei aller Würdigung als in der Sache zentrale Bezugsfigur ausdrücklich als „abgeschlossenes Kapitel“ dargestellt wird, und zweitens weil in der aktuellen Situation ohnedies das Bekenntnis der Lehre gegen die Bestrebungen, sie zu unterdrücken, viel dringlicher sei als Trostworte. Es läßt sich im Anschluß an letztere Beobachtung vermuten, daß die Schrift nach den ersten Publikationsverboten antiinterimistischer Schriften verfaßt ist. Damit käme als Zeitrahmen für die Abfassung der 132

Vgl. 1 Kor 11, 29. Vgl. Flacius: Henetus: Ein kurtzer bericht B1r/v . 134 Vgl. Flacius: Henetus: Ein kurtzer bericht B1v f. 135 Vgl. Flacius: Henetus: Ein kurtzer bericht B2r/v f.; vgl. zur Abendmahlspublizistik Luthers Kaufmann: Abendmahlstheologie, insbesondere auch die Literatur, sowie zur chronologischen Übersicht Anhang 4; Mehlhausen: Augsburger Interim, S. 12, bes. auch Anm. 9; Schwarz: Luther, S. 123–127.156–161; Althaus: Theologie Luthers, S. 318–338. 136 Flacius: Henetus: Ein kurtzer bericht B3v . 133

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Schrift die Spanne vom 18. September137 bis zum Tag von Jüterbog ab dem 16. Dezember in Frage.138 Die weitere Darstellung wiederholt die bereits von Waremundus bekannte Betrugschronologie: in Deutschland sei noch kein freies Konzil eingeräumt worden, gerade weil der Ausgang offensichtlich sei. Schon in Regensburg 1541 hätten die altgläubigen Gegner viele Punkte als rechtmäßig anerkennen müssen.139 Und schließlich habe vor etlich Jahren140

Bischof Albrecht141 diverse Artikel angenommen. Darum sei die Absicht des Interims, das all dem eben in seiner dogmatisch-systematischen wie scheinheiligen Falschheit keine Rechnung trage, offen zu erkennen. Und weil die Gegner eben keine Chance auf Erfolg in der offenen und freien Disputation sähen, kriechen drey Sophisten in einem winckel zusammen vnnd machen etwas verblumelts dasselbige treiben vnnd fiddern sie mit unseglichem betrug vnd list / mit beystand etlicher verwegener Leut/vnd kluger Epicurer/denen es nur vmb gut vnd ehre/nicht vmb Gottes wort/des Herren Christi ehr/vnd der Menschen seeligkeit zuthun ist/vnnd drawen alle grawsame plage/allen denen so nicht drein verwilligen wöllen.142

Am Rand sind in einer Glosse die drei Sophisten, die Epikureer, benannt: Julius Pflug Eisleiben vnd der Weybischoff von Meintz Oprae claros Solones von welchen geschrieben stehet Hos audite.143

Es ist das erste Mal, daß die Urheber des Interims von Flacius namentlich genannt werden. Als Verschärfung und Fokussierung des Angriffs ein Indiz für die Spätdatierung des Henetus als letztem Druck von 1548144 , und zwar insofern, als ein Polemiker die Personen doch von Anfang an um ihrer Charakterisierung willen, insbesondere hinsichtlich des (Selbst)Widerspruches, den der Bischof von Naumburg, Julius von Pflug, Johann Agricola und der Weihbischof von Mainz sowie Titularbischof von Sidon, Michael Helding, als gemäßigte „Reformer“ oder im 137

S.o. S. 40. S.o. S. 43. 139 S.o. S. 65. 140 Flacius: Henetus: Ein kurtzer bericht B4r . 141 Er verhielt sich in Augsburg 1530 im mindesten neutral und bemühte sich um das Zustandekommen des Nürnberger Friedens von 1532; vgl. BBKL 1 (1990), Sp. 92–93. 142 Flacius: Henetus: Ein kurtzer bericht B4r/v . 143 Flacius: Henetus: Ein kurtzer bericht B4v , marg. 144 Er ist also noch vor Weihnachten erschienen. Was hingegen Olson: Flacius and the survival, S. 103 dazu bewegt hat, – abgesehen davon, daß er sich angeblich in die Nachfolge Kaweraus begibt – Lauterwar als Erstdruck der Pseudonyma zu präsentieren, scheint kaum nachvollziehbar. Er bringt keine Erklärung, inwiefern innere oder äußere Gründe dafür sprächen, die abgedruckten Erscheinungsjahre zu ignorieren. 138

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Falle Agricolas gar als angeblich Evangelischer nun aus Sicht der Interimsgegner offenbarten, kaum ungenannt gelassen hätte, wenn sie ihm nur rechtzeitig bekannt oder mit hinreichender Sicherheit verantwortlich erschienen wären. Die Beobachtung paßt auch zu der Tatsache, daß die Namen dem Druck nur in margine beigefügt sind – offenkundig eine nachträgliche Ergänzung, nachdem der Satz des entsprechenden Seitenbereichs abgeschlossen war. Hinzu kommt die – an sich naheliegende – Beobachtung, daß die „Schuldfrage“ im Zuge der bis dato erschienenen Publikationen sich von bösen papistischen kaiserlichen Beratern, über den Kaiser selbst, bis hin schließlich zu Vermittlungstheologen entwickelt, welche letztere ja nun zunächst einmal nicht gerade in der allervordersten Front der Verdächtigen standen. Analog lassen die Briefe an Melanchthon erkennen, daß Klarheit in dieser Frage noch bis Anfang Dezember, als als theologischer Berater Joachims II. von Brandenburg in Jüterbog auftrat, nicht gegeben war.145 Sie werden hier im doppelten Sinne charakterisiert: sie seien Solones op[e]rae, im Bild des legendären Verfassungsvaters Athens also ‚Gesetzgeber des Werkes‘. In ironischer Adaption des Verklärungs-Wortes Mk 9, 7 bzw. Lk 9, 35 hic est Filius meus carissimus/electus audite illum werden sie als solche an die Stelle Christi gesetzt. Der Autor kommt zum Ende seiner Sammlung, indem er den Leser mit letzten Lektürevorschlägen wappnet: Derhalben wer du bist/der du Gott fürchtest/sihe das du dich vnnd die deinen vnterweisest/tröstest/ vnnd inn der warheit sterckest / mit schrifften des Ehrwirdigen Herren Doctor Martini Lutheri/Seeliger gedechtnis/vnd anderer Gottfürchtigen gelerter Scribenten/fürnemlich aber mit der Heiligen schrifft / Vnd weil Menner sich jtzund schewen den namen des HERREN zu bekennen / So schreien kinder vnd stein / vnd helff wer helffen kan / nach seinem höchsten vermögen/auff das doch des HERREN name / vnd nicht des Teuffels des Babsts zu Rom / vnnd der heylosen Münch vnnd Messpfaffen geheiliget werde146

Es muß nicht verwundern, daß Henetus in der Folge fast ausschließlich neutestamentliche Bibelstellen als loci für Bekennerpflicht und -zuversicht, welche letztere aus der Verfolgung der Gerechten ihre Gewißheit bezieht, liefert.147 Erklärungsbedürftig ist allerdings die Wendung, daß Kinder und Steine schreien werden. Die Ableitung der Kinder de maiore ist im Gegenüber zu den „scheuen Männern“ evident. Aber was bedeuten die Steine? Es handelt sich – wie noch ersichtlich werden wird148 – um eine Selbststilisierung in Anlehnung an Lk 19, 40, 145 S.u. S. 80; seit April 1548 vermutete Melanchthon zwar schon Agricola als Anstifter der ersten Auslieferungsforderungen des Kaisers [vgl. Kawerau: Johann Agricola, S. 262], aber Gewißheit gab es nicht. Und selbst auf Basis einzelner Gutachten, die gegen Agricola in den Druck gegeben wurden, allen voran Adler: Wider den spöttischen Lügner, das frühestens Ende Juli in den Druck gelangt sein konnte, konnte nicht von einer zentralen Bedeutung Agricolas ausgegangen werden. 146 Flacius: Henetus: Ein kurtzer bericht B4v . 147 Vgl. Flacius: Henetus: Ein kurtzer bericht C1r –C2r . 148 S.u. S. 116.

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die der Autor hier zunächst unerklärt läßt.149 In der Wendung, daß helfe, wer helfen kann, ist lediglich auf die letzte aller Alternativen verwiesen. Sphragis – gleichsam als Belege für das letztliche Scheitern der Feinde vor Gott – ebenso wie die darum zu ertragende Bedrängnis bilden neuerliche zeithistorische Erzählungen, die bereits aus den beiden Vorläuferdrucken bekannt sind: Das Konzil von Trient habe Gott trotz aller Geweihter, Mönche und Kardinäle also zutrent150 ,

daß man nicht zweifeln brauche, daß er das Interim, das nur von einer Handvoll Sophisten geschmiedet sei, ebenfalls zunichte machen werde. Die Enthauptung der ungenannten Gräfin in den Niederlanden151 sei bei allem mit dem Ereignis verbundenen Schrecken ein Beispiel für den Bekenner-Widerstand gegen das Wüten des Antichristen152 und zugleich Anlaß zur Klage: überall breite sich das Evangelium aus, nur im Mutterland, wo es von neuem das Licht erblickt habe, da leugne man es, wie einstmals die Juden mit Christus und die Türken mit den Christen umgegangen seien.153 Das Gebet der Elenden, und das unschuldige Blut Abels schreie solches zum Himmel.154

4.4 Über das Ärgernis: Johannes Hermannus Etwa acht Wochen nach Verfassung seines ersten bekannten direkten Briefes, als die Verhandlungen in Jüterbog und Leipzig bevorstanden, überreichte Flacius einen weiteren Brief an Melanchthon, dem eine erweiterte Materialsammlung über die Messe, einem Kernstück des Interims, was seinen papistischen Charakter angehe, beigelegt war.155 Nachdem schon Anfang September 1548 offensichtlich in Folge der publizierten Gutachten156 Anfragen von Pastoren zum Interim in Wittenberg eingegangen waren, hatte Melanchthon – vorbehaltlich der Tatsache, daß er das Augsburger Interim trotz des Drucks seitens der Politik keinesfalls billigen werde – es den Anfragenden noch freigestellt, wie sie sich verhalten sollten, und ihnen bei ihrer Entscheidung lediglich das Bemühen um Unabhängigkeit von den Politikern nahegelegt.157 Dies mag inkonsequent scheinen, zumal Melanchthon sowohl in den inzwischen publizierten Bedenken, den loci beim Topos de scandalo als auch 149 Er antwortete und sprach zu ihnen: Ich sage euch: Wo diese [sc. die Jünger] werden schweigen, so werden die Steine schreien. 150 Flacius: Henetus: Ein kurtzer bericht C2r . 151 S.o. S. 52 bzw. S. 64. 152 Vgl. Flacius: Henetus: Ein kurtzer bericht C2r/v . 153 S.o. S. 64. 154 Vgl. Flacius: Henetus: Ein kurtzer bericht C2v . 155 Vgl. MBW 5, 5382; Flacius: Apologia A5v –A6v . 156 S.o. S. 38. 157 Vgl. dazu auch Melanchthons Brief vom 9. September 1548 an Georg von Anhalt; MBW 5, 5286.

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in Vrsach, Warumb die Stende die Revision der vera doctrina als widergöttlich abgelehnt hatte. In den loci im dritten Unterabschnitt von de scandalo nach de necessario faciendis und de necessario vitandis bzw. de scandalo accepto und de scandalo dato, in de adiaphoris ut de esu carnium die sexto aut similibus ritibus inutilibus158

hatte er allerdings folgenden Gedanken eingeführt: Postquam autem doctrina de veris et falsis cultibus et de libertate iam proposita est, concedendum est exempli causa, ut inutiles ritus abiiciantur, nec pertinacia eorum laudanda est, qui cum agnoscant doctrinam veram esse, tamen acerbe flagitant omnes ritus.159

Damit nahm Melanchthon, nachdem er 1521 zunächst noch schärfer als Luther für eine Reform des Kirchenritus eingetreten war160 , Luthers Eingabe auf, daß ein seelsorgerliches Problem entstehen könne, wenn auf bestimmten Reformmaßnahmen blind beharrt werde, und deren Durchführung nicht an den Fähigkeiten oder Schwächen derer ausgerichtet werde, die letztlich „reformatorisch“ mitvollziehend handeln müßten.161 Zudem, so Luther damals, dürfe bei allem „seligen Aufruhr“ kein Anlaß oder Grund gegeben werden, daß die Gegner um so leichter das Evangelium oder die evangelische Sache diskreditieren könnten.162 Es darf hier gewiß konstatiert werden, daß mit der Ritualfrage manche schmerzhafte Erinnerung verbunden war, die so letztlich in obiger Einschränkung des Topos de scandalo ihren Niederschlag fand: Haec pertinacia multiplex scandalum est, quia confirmat hostes verae doctrinae et adducit imbecilliores in dubitationem, qui metuunt non probari usum libertatis illis, qui doctrina vel auctoritate antecellunt, et contristatur interdum Spiritus sanctus in imbecillioribus, cum dolent se accusari levitatis.163

Solange nicht klar sei, daß alle die causa libertatis nachvollziehen könnten und die Schrift nicht eindeutig sei164 , müsse Zurückhaltung geübt werden. Das tat Melanchthon, wenn er trotz eigener Überzeugung von einer konkreten Empfehlung abrückte bzw. sie den Pfarrherren vor Ort überließ – und setzte doch zugleich voraus, daß solches Vorgehen auch in Umkehrung gelte: also bei der Revision eigentlich richtig gehandhabter, aber mit Blick auf den Kern der (Rechtfertigungs)Lehre kriteriologisch unbedeutender Praxis. 158

MStA 2/II, S. 759. MStA 2/II, S. 759. 160 Vgl. zum Problem der Durchsetzung reformatorischer Lehre im Kirchenritus Kruse: Universitätstheologie und Kirchenreform, passim. 161 Vgl. Kruse: Universitätstheologie und Kirchenreform, S. 332–336. 162 Vgl. Kruse: Universitätstheologie und Kirchenreform, S. 343–347. 163 MStA 2/II, S. 759 f. 164 Vgl. Röm 14, 1–5. 159

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Hier setzte die Schrift aus der Feder des Flacius ein: die die Pastoren, mit Gutachten betrauten Lehrer und vermutlich auch die Räte165 gleichsam beratende Schrift des Johannes Hermannus.166 Er hatte auch um den 21. Oktober167 Melanchthon, der für seine Wahrheitsliebe ja bekannt sei, in dem von ihm persönlich überreichten Brief erstmals eindringlicher gewarnt, daß jener darauf achten müsse, daß er nicht von den Fürsten, vor allem aber von Kurfürst Joachim II. und König Ferdinand, mißbraucht werde. Es gäbe bereits Gerüchte über Zugeständnisse, vor denen Flacius ausdrücklich warne, da jede Änderung der kirchlichen Praxis großen Ärger hervorrufen werde. Kurz vor dem Tag zu (Alt)Zella, als sich die Gerüchte verdichtet hatten, gab er darum auch Georg Major die lateinische Fassung des Hermannus als Beratungsvorlage mit, die kurze Zeit später, als Cruciger im Sterben lag, in den Druck ging.168 Der im Vergleich zu den vorangegangenen weniger umfangreiche Druck – er umfaßt nur sechs Blatt Quart – präsentiert einen Titel, der mit dem aus dem Lateinischen abgeleiteten und dort für Titel gebräuchlichen faktischen quod, deutsch daß, einen Sachverhalt als tatsächlich einführt, der in unserem Fall den Eindruck eines handlungsleitenden Axioms erweckt: Daß man so schnell – zumal dem Teufel und Antichristen zum Gefallen – in der Kirche nichts verändern soll. Es spricht Johannes Hermann. Der bereits durch den Waremundus etablierte Name des Bußpredigers und Propheten Christi ist diesmal um den Zunamen, des „Kriegsmannes“ ergänzt. Unter der Autorenangabe findet sich in etwa der Größe des Textblockes des Titels entsprechend das Bibelwort aus Lk 17 (1b–2): Wehe dem/durch welchem ergernis kommen/es were ym nützer/das man eymb mülstein an seinen hals hencket/vnd würffe yhn yns Meer/Denn das er dieser kleinen einen ergert.

Es schließt ohne Hinweis an die in den loci praecipui theologici gebotene Parallelstelle Mt 18, 6 und 7b an, die zur Kennzeichnung des scandalum datum diente: 165 Vgl. Flacius: Hermannus: Das man in diesen geschwinden leufften B1v f.: So ja die Oberkeit wil vnsinnig sein [. . . ] So solt dennoch jhr Lehrer [. . . ] Last sie selbst ihre mandat vnd bevel aussruffen. Des Predigers ampt erforderts nicht. 166 Flacius: Hermannus: Das man in diesen geschwinden leufften; zur Frage, ob es sich überhaupt um einen Flaciusdruck handelt, und warum vgl. die lateinische Fassung des Druckes mit der ausdrücklichen Autorenangabe Flacius: Quod hoc tempore nulla penitus mutatio Die lateinische Fassung der Apologie [an Bugenhagen], die zuvor erschienen war, wie es in der deutschen Entschuldigung A2r ausdrücklich gesagt wird, enthält diese zuweisende Passage nicht, behandelt dafür aber um so detaillierter die Unterstellung, Flacius habe Joachim Westphal Schriften untergeschoben: vgl. Flacius: EPISTOLA APOLOGETICA A3r : [. . . ] quod dixisti, scriptum, quod e duobus malis sit eligendum a me vel confictum, vel autori furto sublatum, aut eo inscio vel inuito impressum, falsum est.; vgl. Westphal: Explicatio Generalis Sententiae. 167 Vgl. MBW 5, 5340. 168 Vgl. Flacius: Eine Entschuldigung [. . . ] an einen Pfarher B1r : So habe ich auch ehr denn D.[octor] C.[ruziger] gestorben ist die Schrift/DAS MAN NICHTS VERENDERN SOLT/Deudsch lassen ausgehen/ vnnd habe den Lateinischen Text dem D.[octor] G.[eorg] M.[aior] in die handt gegeben/ Do ist er ghen Celln gezogen/ eben also geschrieben/ wie es hernach gedruckt ist. Die lateinische Fassung erschien nach Weihnachten als Flacius: Quod hoc tempore nulla penitus mutatio

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Dixi iam de Pharisaica offensione. Nunc de altero genere scandali dicendum est, quod vocatur datum, de quo Matth. 18 dicitur: „Vae homini, per quem venit scandalum.“ Est autem aut falsa doctrina aut malum exemplum, quod aliis nocet, vel quia licentiam in aliis confirmat vel quia alios ad imitationem invitat vel quia deterret aliquos ab Evangelio vel quia praebet occasionem maledicendi Christo aut Ecclesiae Dei vel quia serit alia plura peccata. Talia scandala fuerunt inde usque a lapsu primo Hevae, sunt et erunt falsae doctrinae, idolorum cultus, haereses, humanae traditiones, quae sine peccato servari non possunt, item talia facta, quae sunt alia scelera quoquo modo.169

In diesem intertextuellen Sinne bietet das Titelblatt im Schriftwort, sofern die Pharaosthematik des Waremundus-Druckes wie gezeigt dem scandalum acceptum170 zugewiesen wird, den Hinweis, den Hermannus-Druck als logische Fortsetzung des Waremundus-Druckes zu begreifen. Das letzte Wort des Bibelzitats, „ergert“, deutet auf den dogmatischen Kontext: es geht eben im engeren sytema. Die kaiserliche Reformnotel tischen Sinne um die Frage nach dem vom 14. Juni hatte ja auch just mit den Worten Ut abusus et scandala [. . . ] tollantur begonnen.171 Auf der allgemeineren Aussageebene des Schriftworts ist die Thematik wegen des Drohcharakters in den Kontext einer beratenden Rede172 angesichts der Gefahren gerückt. Tatsächlich beginnt der Text des Druckes auch unmittelbar – wie schon der Henetus-Druck – mit einer Gefahrenbeschreibung, nämlich der Feststellung, daß die List der alten Schlange, Satans und der Gottlosen Falschheit ungebrochen sei. Das müsse so sein, da ihre Scheußlichkeit wie die ihrer Diener nicht offenbar werden dürfe. Um die Menschen zu betrügen, um ihnen ein nasen drehen/vorstellen sie sich erstlich in Engel des lichtes/geben einen schein grosser Heiligkeit für/vnd wollen durch etliche stücke/die der wahrheit ein wenig ehnlich sindt/jhrem Gotlosen grewel vnd irrthumb einen zutrit machen.173

Hermannus deutet das Zeitgeschehen vor dem Hintergrund von 2 Kor 11, 14. In Anlehnung an Paulus’ Nachweis der falschen Apostel wird das Tun der Schüler von ihrem Meister abgeleitet. In der Weise, wie sich der Autor dieses die Wirklichkeit erschließenden biblischen Schlüssels bedient, wird er zum alter Paulus. Er fährt fort, daß dieses Vorhaben seinen Widerpart bei denjenigen Christen finde, die jhrer nerrischen klugheit folgen / das ist / die richtschnur Göttliches worts und glaubens faren lassen/vnd alles nach jhrer vernunfft vnd gutdünckel messen wollen [. . . ].174 169 170 171 172 173 174

MStA 2/II, S. 756. S.o. S. 60. ARCEG VI, S. 349. Vgl. Aristot. rhet. 1358 b ff. Flacius: Hermannus: Das man in diesen geschwinden leufften A2r . Flacius: Hermannus: Das man in diesen geschwinden leufften A2r .

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Das Konzept der hier vorgelegten beratenden Rede ist also ein zur Weltweisheit – analog zu 1 Kor 2,6 – alternatives: die Bibel sei der beste Ratgeber, nicht menschliche ratio oder sapientia. Über kurz oder lang erlägen die „Weltweisen“ ja doch dem Bemühen des hinterlistigen Verleumders, der sich an den alten Adam heranmache.175 Wie schon Waremundus und Melanchthon in den loci betont Hermannus, daß dies schon immer so gewesen sei, aber die Not der aktuellen Situation gebiete es, sich ganz der Gegenwart zu widmen. Melanchthon hatte hingegen das scandalum von der Verführung Evas, über die Ermordung Abels und Davids Ehebruch, dem folgenden Bruderkrieg unter den Söhnen, dem Aufstand gegen den Vater beispielhaft ausgeführt. Für solches wie für die folgenden Zitate aus dem griechischen Altertum die Häresien eines Arius oder der Manichäer hat Hermannus ebensowenig Zeit wie für die Verfallsgeschichte der Kirche unter dem Einfluß eines Mohammed, eines pervertierten Priestertums, Mönchtums oder dem Gift der Täufer.176 Eine Wendung, die ihre ethische Notwendigkeit aus den im Titel konstatierten „geschwinden leufften“ bezieht. Es müsse Schritt gehalten werden, solle eine Chance aufrecht erhalten werden. Damit findet das prooemium sein Ende und es folgt die narratio. Bei der nun zeitgeschichtlich orientierten Situationsanalyse konstatiert der Autor – immer noch im Fokus des biblischen Urtyps –, daß der Teufel, seine Brüder und die öffentlichen Verfolger Christi, nachdem sie erkannt hätten, daß das Malzeichen des Tieres177 – das Interim – nicht öffentlich in allen Kirchen eingeführt werden könne, zur List gegriffen hätten. Darum schlügen die Gegner erst etliche mittle ding für/wie sie es nennen/als da sind die Fasten/oder vnderscheid der speis/ die man an diesem oder jhenem tag halten soll. Item ein newe weis der firmung/festag/glockenleuten/vnd andere vnnütze narrenteidunge/auff das so wir darein bewilligen/das volck algemehlich gewohne/ auch in wichtigen sachen/verenderung zumachen/vnd wir mit der that bezeugen/das wir bereit sint/das INTERIM vnd Babstumb anzunemen.178

Es scheint beachtenswert, daß Hermannus den Charakter der Vorschläge – inwieseien – eo ipso nicht in den Blick weit sie etwa per se Mitteldinge oder nimmt, wenngleich er sie als „angebliche“ kennzeichnet, sofern sie lediglich so genannt werden.179 Er konzentriert sich ausschließlich auf die Folgen, die „wich175

Vgl. Flacius: Hermannus: Das man in diesen geschwinden leufften A2r/v . MStA 2/II, S. 756 f. 177 Vgl. Offb 13, 11–17. 178 Flacius: Hermannus: Das man in diesen geschwinden leufften A2v . 179 Die Herkunft des Begriffes im zeitgenössischen Diskurs ist nicht ganz eindeutig. Von Melanchthon scheint er nicht geprägt zu sein, da er sich in einem Brief von 1556 an Flacius auf die Genese der Diskussion im Vorfeld des „Leipziger Interims“ rückblickend beinahe entschuldigt, daß es ein ihm von den Räten aufgedrängter Begriff gewesen sei: Tandem Princeps nobis sua voce dixit: se non petere, ut doctrina mutetur aut ulla res necessaria sed ut ritus externos in ordine festorum, lectionum, vestitu retinerent. Haec postea consiliari nominarunt adiaphora. Nam ab ipsis vocabulum nobis initio propositum est. (CR VIII, 841/MBW 7, 7945 – Brief an Flacius vom 5.9.1556). 176

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tigeren Sachen“, die bald auch fallen werden. Denn selbst wenn es nicht zur Einigung käme, werde Zwang folgen, sofern dann die gescheiterten Verhandlungen dann als Argument und Erweis der prinzipiellen Untauglichkeit der Evangelischen in Anschlag gebracht würden. Man werde am Ende gar als strafwürdiger Widersacher identifiziert: Tatsächlich findet sich aber in einem sehr viel früheren Kontext selbiger Begriff wieder: auf dem Augsburger Reichstag von 1530. Dies scheint in gewissem Maße bedeutsam, da ja im weiteren Verlauf der Auseinandersetzung auch Lutherbriefe publiziert wurden, d.h. es auf Seiten der Interimsgegner Teil des Streitbewußtseins war, daß man auf früheren Arbeiten aufbauen konnte [zur Edition der Lutherbriefe vgl. Haußleiter: Flacius als Herausgeber; und weiter kontextualisierend Kaufmann: Ende der Reformation, S. 367–381, bes. S. 368, Anm. 745]. Melanchthon hatte 1530 bei den Gesprächen auf dem Reichstag, die nach der Verlesung des Bekenntnisses stattgefunden hatten, bemerkt, daß die Gegner im Bezug auf die eigentlichen Glaubensartikel noch am kompromißbereitesten waren. In den Fragen des Laienkelchs dagegen, der Priesterehe und ganz besonders des Bischofsregiments und des übrigen römischen Kirchenbrauchs beharrte die Gegenseite unnachgiebig auf ihrem Standpunkt. Um ein Scheitern der Bemühungen zu vermeiden, konsultierte er deswegen Luther mit der dringenden Bitte, ob man nicht im Bezug auf „Menschengesetze“, traditiones, eine entgegenkommende Haltung gewinnen könne [WABr 5, Nr. 1646 (476, 24 ff.)]. Melanchthon machte zugleich deutlich, daß das Menschenwerk nicht als Gottesdienst verstanden werden dürfe, und selbiges strikt von der Lehre des Evangeliums zu trennen sei. Sie könnten doch einfach als Bischofsanordnungen – als Anordnungen kirchlicher Obrigkeit – angenommen werden, die der guten Ordnung und Erziehung zur Disziplin dienen könnten und somit einen guten Zweck erfüllen würden. Melanchthon nahm Luther dabei noch vorweg – wohl aus den Erfahrungen die Einführung der Reformation betreffend (s.o. S. 79.) heraus –, wenn er darauf verweist, daß Luther sage, diese Sitten könnten aufgegeben werden, da sie nicht allein gegen die Rechtfertigungslehre sprächen, sondern auch eine Einschränkung der evangelischen Freiheit bedeuteten. Dies scheine Melanchthon allerdings nicht hinreichend, da an den Stellen, wo Gehorsam nötig sei, man nicht von Freiheit sprechen könne. Dieses Problem gelte es zu lösen. Luther antwortete, daß das Problem eben in der Amtsgewalt der Bischöfe gesehen werden müsse: alles hinge davon ab, wer letztlich das Recht habe, der Kirche Ordnungen und Gesetze aufzuerlegen. Nur die papistische Vermischung von kirchlicher und weltlicher Macht, die der Teufel so erstaunlich ermöglicht habe, bedinge die Vorstellung, daß man die Bischöfe über die Kirche setzen könne [WABr 5, Nr. 1656 (492, 26 ff.)]. Der weitere Briefwechsel beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern nicht Gehorsam als Gottesdienst verstanden werden könne [WABr 5, Nr. 1663 (508, 21 ff.)]. Luther schien die Frage als unehmend anstößig zu empfinden und erwiderte, daß Gott gemäß dem ersten Gebot und allen Propheten ausschließlich sich und seinem Wort die Stiftung bzw. Einsetzung des Gottesdienstes eingeräumt habe, so daß alle Menschensatzungen, die auf irgendeine Weise als Gottesdienst gemeint seien, letztlich dem ersten Gebot zuwiderliefen und eine Selbstvergöttlichung des Menschen darstellten [WABr 5, Nr. 1672 (523, 1 ff.)]. Am 22. August 1530 berichtete Melanchthon schließlich von den erneut mit Eck fortgesetzten Verhandlungen: Eck habe es als völlig indifferens bezeichnet, ob man das Abendmahl unter einer Gestalt oder beiderlei Gestalt empfange [WABr 5, Nr. 1691 (555, 16 ff.)]. Luther reagiert heftig: ein solches indifferens verärgere ihn sehr, denn wenn einmal ein indifferens im Wort Gottes zugelassen worden sei, stelle sich die Frage, wie dann verhindert werden solle, daß jedes Wort Gottes und damit alle göttliche Ordnung und jedes Gesetz zum indifferens werde [WABr 5, Nr. 1699 (577, 22 f.)]. Und was den Gehorsam gegenüber den Bischöfen angehe, so solle Melanchthon vorsichtig sein und nicht mehr geben, als er habe. Denn die Gegner würden jedes Zugeständnis weit, weiter, am weitesten auffassen, die ihrigen aber genau, genauer auf das Genaueste den Protestanten zurechnen [WABr 5, Nr. 1699 (578, 35 ff.)]. Immerhin bezeichnete Luther diejenigen Bereiche, wo durch die Schrift keine allgemeine Kultusordnung festgelegt sei, als „schweifende Sachen“, in denen man nachgeben könne – allein sie dürften die Gewissen nicht belasten, was Luthers Christus nicht erdulden könne (WABr 5, Nr. 1715b (616, 83–94)]; entsprechend hatte er in der Galatervorlesung der folgenden Jahre (1531–1532) die freie Zustimmung der Gemeinden zur Bedingung für jede Annahme von „Mitteldingen“ gemacht, um die Unverletztheit der Gewissen zu wahren (WA 40, 1, 159 ff.): Paradebeispiel ist hier der Zusammenstoß zwischen Petrus und Paulus

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Lesestücke So wir aber nicht darein bewilligen wollen/verhoffen sie darmit zubeweisen/das wir als zanckberige / die auch im geringsten jhres zanckens nicht müssig stehen können/billich der leute gunst vorlieren vnnd straffwirdig geachtet werden.180

Was zunächst noch unpersönlich ausgedrückt wurde – die Feinde des Evangeliums, die Teufelsjünger gegen die Leute, die unsere „Weisen“ überlisten und so uns mitverderben –, bekommt jetzt eine konkrete Form durch das von Waremundus bereits bekannte kollektive wir. Damit ist der neuerliche Kommunikationszusammenhang umrissen, und die Bennenung der Zielsetzung der Schrift schließt das prooemium ab: [. . . V]nser Herr Gott/kan die weisen in jhrem radtschlagen fangen/ demselbigen wollten wir diese spitzfündige weissheit vnserer widdersacher/in vnserm gebeth fürtragen/vnnd bitten das er sie zu nicht mache vnnd in schanden bestehen lasse. Wir wollen auch auff dissmal etliche vrsachen erzelen/warumb es in keinem wege zu dulden sey/das in diesen geschwinden zeiten/einigerley vorenderung inn den Kirchen Christi/zugelassen werde.181

Der unmittelbare Drohgestus bzw. die Warnrede ist bis zum Ende der narratio aufgelöst in eine Art Eingabe beim höchsten Gericht: durch Gebet zu Gott werde die Vernichtung der Gegner bewirkt.182 Unter besonderer Berücksichtigung dieses (Mit)Adressaten wolle Hermannus auch auff dissmal etliche vrsachen erzelen/warumb es in keinem wege zudulden sey/das in diesen geschwinden zeiten/einigerley vorenderung inn der Kirchen Christi/zugelassen werde.183 in Antiochia und der folgende Streit um die jüdischen Speisegebote. Selbst bezüglich des Bischofsregimentes äußert sich Luther in ähnlicher Weise, wenngleich alle Überlegungen dieser Art sinnlos seien, da zunächst der Papst aufhören müsse, der Papst zu sein und die lutherische Lehre zu verfolgen, und die Bischöfe eine andere kirchliche Rechtsprechung als die des Henkers praktizieren müßten [WABr 5, Nr. 1707b (595, 196–200)]. Was die Aussichten der Sache anginge, müsse eine Einigung auf diesem Wege als eine Einigung zwischen „Christus und Belial“ interpretiert werden, die wenig Aussicht auf Erfolg habe, da der Papst diese nicht wollen werde, und Luther diese verwünsche [WABr 5, Nr. 1698 (576, 14)]. Die Haltung Luthers, die den Verzicht auf alles weitere unter die Bedingung der Klärung der Glaubensfragen stellte, und die auch zum Grundtenor in Melanchthons loci praecipui theologici von 1535 bis 1559 wurde, fand schließlich kirchenpolitisch im Wittenberger Bedenken vom Januar 1540 [WABr 9, Nr. 3436 (19 ff.)] seine systematische Ausprägung: sie enthält nämlich den der CA noch fehlenden dritten Teil „von äußerlichen Mitteldingen, auch Adiaphora genannt“, in dem die Fragen der allgemeinen Kirchenbräuche, des bischöflichen Kirchenregiments und der Schulordnung erörtert wurden, wobei die katholische Grundhaltung freilich nur in geringen Teilen als Kompromißbasis klassifiziert wurde, da sie im Wesentlichen evangelischem Kirchenrechtsempfinden zuwiderlaufen mußte; vgl. Augustijn: Religionsgespräche; Bubenheimer: Scandalum et ius divinum; Bubenheimer: Luthers Stellung zum Aufruhr; Kohnle: Reichstag und Reformation, S. 381–394, bes. S. 388; zur Anlage des Problems in der Wittenberger Reformation vgl. Kruse: Universitätstheologie und Kirchenreform, S. 323–349; s.a.o. S. 60. 180 Flacius: Hermannus: Das man in diesen geschwinden leufften A2v . 181 Flacius: Hermannus: Das man in diesen geschwinden leufften A3r . 182 Flacius: Hermannus: Das man in diesen geschwinden leufften A3r . 183 Flacius: Hermannus: Das man in diesen geschwinden leufften A3r .

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Es folgen in der argumentatio tatsächlich acht eigentliche Argumente, deren erstes lautet, daß der klügste Philosophus184 Aristoteles [. . . ] oftmals / vor geringen zuruttungen der Gesetze vnd regimenten185

gewarnt habe186 darumb das durch solche vorenderunge/ob sie gleich klein anzusehen sind/die Bürger gewonen in mehr vnnd groessere vorenderunge zubewilligen / Und entspringet offtmals aus einem kleinen ding/ das man in der erst für nichtig helt/ein grosser mechtiger jamer.187

Der Autor enttarnt sich damit nicht nur als gelehrter Mann, der mit antiker, ja sogar griechischer Texttradition vertraut ist. Er ruft damit auch den gesamten Kontext der Debatte am Anfang des vierten Buches der politica ab: die dem Staatsziel untergeordnete Frage nach der Veränderbarkeit des Staates unter den Bedingungen eben dieses Staatszieles; nach Aristoteles dürfe nämlich dem Prinzip der Medizin wie der Gymnastik bzw. der Trainigslehre für (Leistungs)Sport, des Schiffsbaus oder der Textilbranche – ja überhaupt allen Disziplinen und Künsten, die sich mit dem Ganzen beschäftigen – folgend nicht der Tradition nachgegangen werden, sondern es müsse stets das Beste für das Ganze und selbiges zugleich 184

Leonardo Bruni – und in Anlehnung an ihn auch Giovanni Pontano, Lorenzo Valla und Angelo Poliziano – hatte dieses Urteil etabliert, sofern er Aristoteles als den Meister der logischen Darstellung und Denkrichtigkeit dem Platon als dem Meister der rhetorischen Präsentation nicht nur zur Seite gestellt hatte. Mit Blick auf die primär zu suchende wissenschaftliche Wahrheit und reine Erkenntnis sei Platon dem Aristoteles sogar letztlich unterzuordnen; vgl. Baron: Leonardo Bruni Aretino, S. 151–164; Baron: From Petrarch to Leonardo Bruni, passim; Pfeiffer: Klassische Philologie, S. 47. Dieses Urteil aus dem Vorwort zur Vita Aristotelis aus der Feder Brunis von 1429 [Bruni: Humanistisch-philosophische Schriften, S. 43 ff.] zitiert auch Melanchthon, wenn er etwa in der 1537 als Einzeldruck erschienen Oratio de vita Aristotelis dicta in promotione magistrorum [CR XI, 342 ff.; MStA 3, S. 96 ff.] sagt, daß den Aristoteles vor allem zwei Dinge ausgezeichnet hätten: seine mit herausragender Sorgfalt ausgearbeitete wissenschaftliche Methode und sein Wahrheitsstreben, die er dann jeweils mit der Rhetorik verband. Das erhebe den Peripatos über alle anderen Philosophenschulen, die Akademie eingeschlossen. Argumentativ eingeholt wurde es im Detail insbesondere durch die Kritik bzw. Zweifel hinsichtlich der Verwirklichbarkeit an Platons Politeia. Dieses Urteil hat Melanchthon dann vielfach – zumal im Kontext dialektischer Darstellung – wiederholt, und darf wohl hinsichtlich der Wittenberger Lehrkultur als etabliert gelten. Es fand auch seinen Niederschlag in der – zusammen mit Brunis Fassung abgedruckten – Vita Aristotelis Melanchthons, die 1538 in der zweibändigen Sammelausgabe der Werke des Aristoteles unter dem Titel Aristotelis Stagiritae, Philosophorum omnium facile principis, Opera [. . . ] Ad haec De vita Aristotelis, deque genere philosophiae, ac scriptis eiusdem, commentatio doctiszima, per Philippum Melanchthonem bei Bebel in Basel gedruckt wurde. Das Urteil fand entsprechend auch Eingang in die Vorrede der 1558 in Basel erschienen Paralipomena Dialectices des Flacius [vgl. Flacius: Paralipomena dialectices]. 185 Flacius: Hermannus: Das man in diesen geschwinden leufften A3r . 186 Vgl. Aristot. pol. 1289 a: “ ; 1303 A:

187

Flacius: Hermannus: Das man in diesen geschwinden leufften A3r .

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auch in allen auf das Ganze bezogenen Teilen gesucht werden: Eine wunderbare Analogie zum corpus wie den membra Christi, Der Nachsatz, daß aus kleinen Dingen großes Übel erwachse, findet sich allerdings so nicht bei Aristoteles. Nun, wo dann? Das auf das erste Argument überleitende auff dissmal188 am Ende der narratio hatte schon nahegelegt, daß hier etwas folgen könnte, was zuvor ausgelassen wurde. Und tatsächlich beginnt die argumentatio mit einem Punkt, der sich nahezu wörtlich in Melanchthons loci unter dem Topos de scandalo bei der Erzählung der Geschichte der scandala189 als eingeschobene Zitatreihe findet und der zuvor ausdrücklich übergangen worden war.190 Melanchthon hatte in den loci geschrieben: Nihil parvum, inquit Hippocrates, nihil contemne.191 Et Thucydides inquit de .192 bellorum erratis,

Hermannus hat die dem Argument zugrundeliegende These also aus den loci übernommen, um ein im Druck nicht nachgewiesenes Zitat selbständig erweitert und schließlich diejenigen Zitate, die schon bei Melanchthon standen, angefügt, ohne deren Quellenangaben zu übernehmen. Zugleich wurde – was eigentlich in einem allgemeinen Teil der narratio im Zuge der Kontextualisierung hätte erwartet werden können – ein altes dictum in die argumentatio gezogen: Geschichte bzw. auctoritas als argumentum ad traditionem. Damit wird aber auch – ganz im Stile eines Hysteron-Proteron – als allgemeiner Grundsatz dargestellt, was eigentlich dem Beweisziel entspricht und noch dazu schon bei Aristoteles an den Zweck gebunden war.193 Um solche Auslegung braucht sich der Leser freilich 188

Flacius: Hermannus: Das man in diesen geschwinden leufften A3r . S.o. S. 60. 190 gegenwertige bekümmernis vnnd threnen dringen vns/das wir der vorigen geschicht [sc. der scandala] geschweigen; Flacius: Hermannus: Das man in diesen geschwinden leufften A2v . 191 Die genannte Stelle ist nicht eindeutig zuzuweisen. Vermutlich handelt es sich um eine freiere Widergabe von Hippokr. prog. 25, 9 ff.: 189

Ansonsten findet sich bei Hippokrates des öfteren eine Beschreibung von zur Katastrophe auswachsenden unscheinbaren Sympthomen: z.B. die Beschreibung der Pathogenese und Disseminierung von Erysipelas [=Rotlauf] in Hippokr. morb. pop. 3, 3, 4, 1 ff.: “

192

Thuk. Hist. 2, 11, 4, 2:

. Aristoteles hatte ausdrücklich an der Praxis orientiert – Platon und seinen Dialog Nomoi überbietend – der Entwicklungsidee eine weit bedeutendere Stellung eingeräumt; vgl. Demandt: Der Idealstaat, S. 114 f. 193

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eigentlich nicht zu kümmern, denn Hermannus gibt die Deutung vor, wenn er empfiehlt: Mögen sich derhalben alle diejhenigen/so den Kirchen Christi vnd jhrem eigenen gewissen recht fürstehen wollen/seh wol für des Tausent künstigers des Teuffels listigem betrug / vnnd schedlichen verenderungen hüten.194

Die Autorität des klügsten Philosophen Aristoteles wird den Kirchenvorstehern wie allen aufrichtigen Menschen nachhaltig ans Herz gelegt, da die Feinde Christi nur auf die Zerstörung wahren Christusglaubens und der – bislang von Gott bewahrten – Kirche aus seien. Wenn sich schon jemand auf traditiones berufen will, dann müssen es die richtigen sein. Die Deutung bezieht dabei, ohne es deutlich zu machen, eine ähnliche Steigerung mit ein, wie sie bereits im Waremundus angeklungen war: Wenn Pilatus195 als Heide schon nichts Bestrafenswürdiges an Christus fand, um wieviel schlimmer sind dann die Juden als dessen Brüder einzuschätzen? Wenn es schon bei den Heiden für eine Ehre gehalten wurde, für das weltliche Vaterland196 zu sterben, um wieviel mehr gelte dies für das himmlische Vaterland? Letztlich fungiert auch hier das heidnisch-antike Vorbild wieder für den Christen als Vorsatz im argumentum e minore. Und es erfüllt einen weiteren wichtigen Zweck: wenn schon Weltweisheit beim Gegner zum Tragen kommt, so muß doch bei all dem deutlich werden, daß nicht einmal im engen Rahmen solcher Erkenntnis Widerspruch ausgeschlossen ist. Im Gegenteil. Daß schließlich angesichts solcher Argumente nicht der Sprecher selbst mit den Weltweisen verwechselt werden kann, die ja zuvor als konkurrierende Berater angegriffen worden waren, garantiert der Schluß, der auf Gottes bewahrende Kraft weist. Das zweite Argument ist kein wirklich neues Argument, sondern im Stile eines argumentum a fortiori eine bloße Affirmation der Ausgangslage, wenn der Autor konstatiert, daß die Gegner eben die Absicht hätten, den wahren Glauben und die Kirche ganz abzuschaffen. Darum sei jeder Schritt auf sie zu vergeblich. Sie wären – wie schon gesagt – ohnedies nicht zufrieden. Letztlich würden diese so bestenfalls ermutigt, insofern ja überhaupt etwas nachgegeben werde. Der Sprecher untermauert diese Behauptung mit einer Sentenz: Es ist ja nicht vmb sonst von den Alten vorstendigen leuten gesagt/man soll dem anfang des vbels widderstehen/sonst ists zu lang geharret/wenn mans hat vber handt kummen/vnd einwurtzeln lassen.197

Das antike Zitat198 erfüllt wiederum die Funktion, die Absehbarkeit oder Berechenbarkeit der Gefahr, sofern sie sich in einem etablierten, altbekannten Sche194

Flacius: Hermannus: Das man in diesen geschwinden leufften A3r . S.o. S. 55. 196 S.o. S. 70. 197 Flacius: Hermannus: Das man in diesen geschwinden leufften A3v . 198 Vgl. Ov. rem. am. 91 f.: Principiis obsta; sero medicina paratur, || Cum mala per longas convaluere moras. 195

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ma beschreiben läßt, zu unterstreichen. Zudem war dieses Schema mehrfach von Melanchthon gebraucht worden.199 So wird dem Gesamttenor neuerlich Nachdruck verliehen. Freilich geschieht dies unter der Zuhilfenahme der als solchen kritisch beäugten „alternativen“ Weltweisheit, die nun in ihrer sachbezogen richtigen Variation vorgeführt wird. Das dritte Argument ist eines der am ausführlichsten ausgearbeiteten und legt das Bibelwort des Titelblattes unmittelbar aus: Christus habe gesagt, daß es besser sei, jemanden zu ertränken, ehe auch nur der geringsten Brüder einer geärgert werde. Hermannus geht bei der Darlegung von der akuten Bedarfssituation der Gemeinde aus, das fürnemlich jtzundt/von den fürnemsten Kirchen vnnd Schulen / Christlicher Religion bestendige bekenntnis jhres glaubens erwartet vnnd erfordert wirt, / ist es gewisslich war / man würde nicht allein einen / sondern viel vnnd schier vnzelihe menschen ergern/So jtzund jrgenteine vorenderung inn/einer heuptkirchen/die für andern einen grossen beruff hat / fürgenommen würde.200

An den Vorbildcharakter wird appelliert. Und von neuem führt er – ganz der Analyse des „Verführungsszenarios“ entsprechend – Aristoteles als weltliche Autorität gegen Argumente ins Feld, die weltlicher Vernunft zugänglich sein wollen: In solchen hendeln ist sehr vleisig zubetrachten / das der gemeine man / wie Aristoteles sagt201 / nicht konne/ von den sachen vnterschiedlich vrteilen. Mit einer kleinen eusserlichen Ceremonie allein / lest sich der vnvorstendige pöbel/viel leichtlicher bewegen / als mit einer geschickten scharffsinnigen disputation.202

Wiederum zweifelt der Autor die Unbedenklichkeit der Ritualänderung im dogmatischen Sinne nicht an. Sie sei aber dem Effekt nach zu beurteilen, welcher sich jenseits der rein rationalen Beurteilung zeige. Geschickt führt der Autor den aristotelischen Gedanken aus dem fünften Buch der Politik, das die aristotelische Revolutionstheorie darstellt, als argumentum ad traditionem an, der eben eine besondere Verantwortung – von der Unfähigkeit des kleinen Mannes, Sophismata zu durchschauen, ausgehend – den führenden Personen nahelegt. Er suggeriert so 199 200 201

Vgl. Olson: Flacius and the survival, S. 113. Flacius: Hermannus: Das man in diesen geschwinden leufften A3v f. Vgl. Aristot. pol. 1303 b:

A f.:

“ “

202



Flacius: Hermannus: Das man in diesen geschwinden leufften A4r .

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; 1307

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nicht nur eine gleichsam sozialstabilisierende, politisch denkenden Lesern nachvollziehbare Bewertungsstrategie als argumentum a fortiori, als Beweis durch bereits bewiesene Behauptung, sondern indem er den Kontext verkürzt, erweckt er zudem den Eindruck, als hätte Aristoteles im ganzen gegen jede Form der Veränderung plädiert.203 Zugleich wird die ratio der in der Entscheidungsposition Stehenden e consensu entmachtet, sofern sie sich ihrer Rolle als Vetreter des Volkes erinnern sollen, wie es Aristoteles in der Empfehlung des Amtseides als Maxime nahegelegt hatte.204 Damit hat im Rahmen der Darstellungslogik des Hermannus Aristoteles nichts Anderes empfohlen als Jesus. Darum sei es unter allen Umständen zu vermeiden, so Hermannus, daß man die papistische Lehre auch nur anzunehmen scheine. Der Autor wendet sich an dieser Stelle unmittelbar, beinahe mimetisch die Drohrede Christi replizierend an den (intendierten) Leser: Du der du dich etwas sterckers bedüncken lest/lachest villeicht dieses schwachen Christen der sich so leichtlich ergern lest.205

Es dürfe dabei aber nicht vergessen werden, daß Christus auch und gerade für ihn gestorben sei, und daß eben darum der Schwachen Gebrechlichkeit von den Starken mitgestützt werden müsse. Ja nicht einmal die „Klüglinge“ könnten die Tatsache leugnen, daß die Veränderungen die Gewissen bedrücken würden.206 Weil – so das vierte Argument in der Hinwendung vom Schaden anderer zum eigenen Schaden – all dies Zeichen der Verzagtheit und Angst seien, so das argumentum a posteriori, müsse sich jeder auch um des eigenen Heils willen dreifach hüten, wie das folgende, steigernd angeordnete Trikolon negativ ausmalt: ansonsten würden ja zunächst die Gegner ermutigt, sodann die eigenen Mitstreiter frustriert und Gott schließlich erzürnt.207 Das fünfte Argument räumt e contrario mit Gal 5, 1208 zwar ein, daß die gewonnene Freiheit in Christus nicht durch neue Gesetzlichkeit aufgehoben werden solle, aber stellt das Wort aus Röm 14 (1 ff.) daneben, daß die Gewissen nicht verwirrt werden dürfen. Um der Schwäche der Brüder willen müsse die Freiheit zurückstehen. Der Kontext der Röm-Stelle erschließt die zeitgenössische Situation aber nicht nur psychologisch als scandalum, sondern auch sachlich: es ging 203 Aristoteles hatte die Stabilität der Gesetze und ihrer Anwendung bzw. die Ahndung auch der geringsten Abweichung strikt auf die Ausgewogenheit der Gesellschaftsinteressen und ihrer Repräsentation bezogen und nicht per se empfohlen – im Gegenteil; vgl. Demandt: Der Idealstaat, S. 115 ff. 204 Vgl. Aristot. pol. 1310 a: 205 Flacius: Hermannus: Das man in diesen geschwinden leufften A4r . 206 Hier dürfte kaum exklusiv an Melanchthon gedacht sein, da dieser im Gefolge seines Landesfürsten eben die Frage der „Sozialdisziplinierung“ von Anfang an als Hauptproblem gekennzeichnet hatte, und etwa der Kaiser wie die kaiserlichen Räte in Anerkennung dieser Problematik ja die weiteren Verhandlungen in Sachsen mehr oder minder geduldig begleitet hatten. 207 Vgl. Flacius: Hermannus: Das man in diesen geschwinden leufften A4v . 208 Der Druck gibt „vi.“ wieder, was vermutlich ein schlichter Druckfehler oder ein Versehen im Vorlage-Manuskript ist.

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ja auch bei Paulus – freilich zwischen Juden- und Heidenchristen vermittelnd – unter anderem um Feiertagsritus und Speisegesetz. Hermannus resümiert: Also ein schedlich ding ist das ergernis/Nu aber will mans vmbkeren vnd widder die Christlichen freiheit thun/ auff das die schwachen betrübt vnd geergert werden.209

Dieses Argument ist insofern keine Doublette der vorigen, als es den Aspekt der Umkehrungsabsicht der Gegner unmittelbar im Lichte neuerlicher Entbergung durch den biblischen Text vorführt und zugleich die biblische Basis für den Umgang mit aus der Bibel selbst gewonnenen Gegenargumenten in Vorwegnahme derselben a fortiori entscheidend erweitert. Das sechste Argument ist das längste und führt die im vorigen Argument bereits angedeutete Diatribe zu einer defensio aus, die sich die Empfehlungen des Hermannus bis hierhin im Stile einer confutatio zu eigen macht: Dem Antichristen – also denen, die gegen Gottes Wort handeln – dürften keine Zugeständnisse gemacht werden. Denn wie könnten Christus und Belial, also im neutestamentlichen Sinne: das personifizierte Böse, übereinkommen? So die Frage in Anlehnung an 2 Kor 6, 15. Mit der schlicht erscheinenden rhetorischen Frage evoziert der Autor wiederum – im Stile eines alter Paulus – einen wichtigen biblischen Kontext, der die Empfehlung der secessio nahelegt.210 Ein jeder solle sich fernhalten von den Antichristen und ihren Kirchen, die mit dem wort Göttliches mundes durch Paulum vorbannet vnnd vorfluchet sind/nach dem spruch Pauli. Gal.j.211 So jemandt euch ein Euangelium prediget/ anders denn das jhr von mir entfangen habt/der sey vorflucht.212

Die Reaktualisierung des Gotteswortes nach Paulus überträgt die Autorität des Apostels auf den Text. Die epikureischen, also Gott verachtenden oder geringschätzenden „Klüglinge“ hingegen – so der verächtliche Ausdruck, den Hermannus wählt – würden auf den indifferenten Charakter der Änderungen hinweisen, über die man um des Friedens und der Sicherheit willen nicht streiten solle. Hierzu müsse man wissen, daß a posteriori mit Blick auf die Wirkung im beschriebenen Sinne der Verwirrung der Gläubigen ein noch so geringes 209

Vgl. Flacius: Hermannus: Das man in diesen geschwinden leufften A4v . 1 Kor 6, 14–17: [14] Ziehet nicht am fremden Joch mit den Ungläubigen, Denn was hat die Gerechtigkeit für Genieß mit der Ungerechtigkeit? Was hat das Licht für Gemeinschaft mit der Finsternis? [15] Wie stimmt Christus mit Belial? Oder was für ein Teil hat der Gläubige mit dem Ungläubigen? [16] Was hat der Tempel Gottes für Gleichheit mit den Götzen? Ihr aber seid der Tempel des lebendigen Gottes, wie denn Gott spricht: Ich will in ihnen wohnen und in ihnen wandeln und will ihr Gott sein, und sie sollen mein Volk sein. [17] Darum gehet aus von ihnen und sondert euch ab, spricht der HERR, und rühret kein Unreines an, so will ich euch annehmen. 211 Gal 1, 8. 212 Vgl. Flacius: Hermannus: Das man in diesen geschwinden leufften B1r . 210

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Oppositionelle Etablierung ergernis nicht geschehen mag [. . . ] noch dennoch kan es nicht mehr sein für ein Adiaphoron oder mittel ding gerechnet werden. Denn das jhenige / darmit du einen erwürgest/fur welchen der HERR Jhesus gestorben ist/soltu in keinen weg für ein schertz oder gering ding achten.213

In eben diesem Sinne habe Paulus den Petrus hinsichtlich seines Umgangs mit dem Reinheitsgebot getadelt.214 Es werde wohl auch eingeworfen, daß es besser sei, sich nach den Weisen, nicht nach des gemeinen hauffens sinn215

zu richten. Dies sei zwar kasuell richtig, erkennt Hermannus an. Aber nicht prinzipiell. Die faktische Überlegenheit der Weisen beweise eben nur ihre Faktizität, nicht aber die Legalität, was aus dem Christuswort des Titels hervorgehe. In diesem Sinne könne die Natürlichkeit nicht an die Stelle der gebotenen Sittlichkeit gesetzt werden. Darum bittet der Autor Lieben herrn/wollet doch das seuffzen vnd betrübnis der Gottfürchtigen/die widder euch zu Gott bitten vnd seufftzen würden / nicht so in wind schlahen.216

Das siebente Argument wiederholt die im sechsten gewonnenen kriteriologischen Maßstäbe, wenn es a priori festhält, daß die bedrängten Gewissen Schaden nehmen würden, wenn jemand die Adiaphora oder mitle ding auff die Religion zeucht217

Im achten und abschließenden Argument ruft Hermannus das zu Anfang konstatierte Forum der Öffentlichkeit ins Gedächtnis, wenn er schreibt: Alle menschen haben jhre augen auff euch gewendet / also das jhr auch das wenigste dem Teuffel und Antichrist nicht einreumen kondet/ so jhr anders nicht wollet/das sich der Gottlose hauff rhümen/vnd die schwach gleubigen befürchten / gleichsam den widersachern mehr vnd wichtiger artickel von euch zugelassen sind.218 213

Vgl. Flacius: Hermannus: Das man in diesen geschwinden leufften B1r . Gal 2, 11 ff.; die Stelle fand just auch schon in den Loci von 1521, genauer bei der Darlegung de scandalo als Musterbeispiel für die Übertretung menschlicher Gesetze docendae libertatis gratia Verwendung: vgl. MStA II/1, S. 162. 215 Vgl. Flacius: Hermannus: Das man in diesen geschwinden leufften B1v ; vermutlich ist Plat. rep. 494 “ a ff. gemeint: “ 214



216 217 218

Vgl. Flacius: Hermannus: Das man in diesen geschwinden leufften B1v . Vgl. Flacius: Hermannus: Das man in diesen geschwinden leufften B1v . Vgl. Flacius: Hermannus: Das man in diesen geschwinden leufften B1v .

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Lesestücke

Aus der öffentlichen Erwartungshaltung wird so zugleich ein argumentum ad oculos. Die Folgerung, daß die Obrigkeit solches nun ganz offensichtlich wolle, dürfe Lehrer der Kirche weder verführen noch in irgendeiner Weise unter Druck setzen. Sofern solche Veränderungen verkündet werden sollen, wäre es schlicht angebracht, sie durch den Marckmeister auff dem marck ausruffen219

zu lassen. Die Prediger auf der Kanzel hätten sich nicht in einen solchen Dienst zu stellen – zumal Hermannus ja die biblischen Argumente dagegen ebenso vorbrachte wie die „weltlich-politischen“. Es seien noch genug scandala übrig, so daß sie nicht unnötig vermehrt werden müßten.

5. Das Interim in Sachsen: Christianus Lauterwar Melanchthon und Major hatten sich – so ein Bericht über den Leipziger Landtag an Herzog Albrecht von Preußen von Anfang Januar 1549220 – bereiterklärt, an einer widerspruchsfreien Druckfassung des Leipziger Interims mitzuarbeiten. Zuvor hatte Johannes Agricola nach Ankündigung am 21. Dezember bereits am 23. Dezember in der Schloßkirche zu Cölln an der Spree in Anwesenheit Kurfürst Joachims II. vorgetragen, daß Kurfürst Moritz und besagter Joachim eine angeblich von den Wittenberger Theologen verfaßte Interpretation des Interims zur Einführung, die Artikel von Jüterbog vom 16. und 17. Dezember, die im wesentlichen auf den in (Alt)Zella erarbeiteten Konventsartikeln basierten, in ihren Ländern angenommen hätten. Zumindest geht es so aus einem Brief Georg Buchholzers vom 7. Januar 1549 aus Berlin an Bugenhagen, Melanchthon und die übrigen Wittenberger Theologen als ehemalige Lehrer hervor. Er ist vom Prediger Hieronymus Schwolle221 , dem Kollegen Agricolas, und Pfarrer Johannes Baderesch (Pommeranus)222 mitunterzeichnet.223 Agricola verlas dem Bericht zufolge die genannten Artikel, verteidigte das kaiserliche Interim, das er ausdrücklich mit der kurfürstlichen Ordnung, die von ihm geschaffen sei, gleichsetzte, und sprach schließlich von einem Dokument, das unter seiner Autorschaft ganz Europa für das Evangelium geöffnet habe. Insbesondere letzte Äußerung hatte das Faß in einem gewissen Sinne zum Überlaufen gebracht; nicht nur aus Brandenburg wandten sich besorgte Pfarrer nach Wittenberg, obwohl das Papier verglichen 219

Vgl. Flacius: Hermannus: Das man in diesen geschwinden leufften B2r . Vgl. PKMS IV, Nr. 235. 221 Vgl. Kawerau: Johann Agricola, S. 224.285.307.317.326.248. 222 Vgl. BMS 2/1993, S. 80; Seyffert: Annalen, S. 134; Koziol: Kleine Chronik; Materna/Ribbe: Berlin, S. 40; Gundermann: Kirchenregiment, S. 161; Baderesch wurde am 25. Februar 1537 erster protestantischer Pfarrer an St. Petri zu Berlin. 223 Vgl. MBW 5, 5398; PKMS IV, Nr. 243. 220

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mit der brandenburgischen Kirchenordnung von 1540 bis auf die „Ölung nach der Apostel Gebot“ nichts Neues enthielt.224 Melanchthon und Bugenhagen rieten nun den Anfragenden dazu, sollte der Kurfürst seiner Geistlichkeit zugleich mit den Artikeln von Jüterbog das Augsburger Buch vorlegen, zu erklären, sie blieben bei der alten Kirchenordnung. Wenn der Kurfürst es so interpretieren sollte, daß irgendwelche Artikel mit dem Augsburger Interim übereinstimmten, um dem Kaiser etwas Entsprechendes vorweisen zu können, so bräuchte sie das ja nicht stören. In einem privaten Brief an Hieronymus Schwolle225 schrieb Melanchthon ergänzend, daß er selbst an sich keine Bedenken trage, Adiaphora anzunehmen, und daß ausgeharrt werden solle, da die Betreuung der Gemeinden das Wichtigste sei – wie die Verwüstungen in Schwaben und am Rhein zeigten. Entsprechend schrieb er an Georg Buchholzer am 15. März in einem privaten Brief, dem er Flacius’ Schrift über den biblischen Glaubensbegriff De vocabulo fidei beilegte, seine zweite bekannte Schrift nach seiner Magisterarbeit226 , daß er hoffe, daß Joachim die Bestimmungen mildern werde.227 Die Ausführungen des öffentlichen Schreibens verglichen mit den privaten Briefen zeigen sehr gut die Doppelstrategie, die offenbar nach Weihnachten in Sachsen verfolgt wurde: nach innen hin mildern und trösten, und nach außen die Harmlosigkeit der Änderungen betonen, sofern es evangelische Zweifel gibt, bzw. die Konformität den altgläubigen Kritikern gegenüber. Das Schlimmste, die Wiedereinführung der Messe, welche Joachim auf dem Tag zu Jüterbog vorgeschlagen hatte, konnte freilich mit dem scharfen Gegengutachten Melanchthons, für das Flacius das Material beigesteuert hatte,228 einstweilen abgewehrt werden, sofern sich die Kurfürsten darauf einigten, die Frage ein andermal zu klären. Dieses Material war – wie schon der Hermannus – kurz nach oder noch während der Beratungen, bei denen es verwendet worden war, erschienen. Diese Situation aufgreifend erschien also wohl um Weihnachten 1548 bzw. Jahresanfang 1549, als regelrechter Bestseller229 unter dem Pseudonym Christianus Lauterwar230 eine Schrift im Druck, die sich noch detaillierter mit der Messe auseinandersetzte und überdies erstmals personenbezogene Nachrichten bot.231 Die beiden Bibelstellen auf dem Titelblatt, Offb 18 (2 f.) und Offb (2) legen im Vergleich zu den vorhergehenden Publikationen allerdings eine Wende nahe: die Heiden haben den Wein des Zorns getrunken und die Könige mit Babylon Hurerei getrieben. Zum anderen werde eine Drüse an den Menschen erscheinen, 224

Vgl. Kawerau: Johann Agricola, S. 280 ff. Vgl. MBW 5, 5400. 226 Vgl. Olson: Flacius and the survival, S. 53; Kaufmann: Matthias Flacius Illyricus, S. 181; Keller: Schlüssel zur Schrift, passim; Diebner: Flacius. 227 Vgl. MBW 5, 5478. 228 S.o. S. 78. 229 Vgl. Olson: Flacius and the survival, S. 103, bes. Anm. 10. 230 Zu den Pseudonyma s.o. S. 54. 231 Flacius: Wider Das I NTERIM,. 225

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die das Malzeichen des Tiers, das Interim, wie erläuternd angefügt ist, angenommen haben. Damit ist der Deutungshorizont schließlich auf „endzeitliche Entbergung“232 ausgerichtet. Die 16 Blatt Quart umfassende Schrift ist dem Titel entsprechend in drei Themenbereiche unterteilt: Die Widerlegung des interimistischen Artikels de sacrificio missae, die sich in wesentlichen Argumentationsteilen mit dem im Henetus präsentierten Material deckt, einem Teil über den Meßkanon und einem speziellen Teil gegen Johann Agricola von Eisleben. Die Schrift beginnt mit einer Vorrede Christian Lauterwars, also des Christen, der nichts als die Wahrheit spricht, a persona sua: schon bei der Bibellektüre habe er sich oftmals sehr gewundert, daß so viele den erkannten Glauben, die göttliche Wahrheit so leichtfertig verworfen hätten. Doch nun sehe der Autor zusammen mit den Zeitgenossen, wie viele Menschen aller Stände sich dem Antichristen zuwenden, also im Sinne des Titelblattes das Interim annähmen. Um so trauriger sei dies alles, wenn bedacht werde – so a minore und e contrario zugleich –, wieviel zögerlicher sie die Propagation des Evangeliums und seine freie Predigt betrieben hätten. Es folgt die adversative Affirmation: Mögen die anderen ruhig machen, was sie wollen, der Autor setze auf den Herrn Christus. Die Gegner würden schon noch sehen, was sie davon hätten, nicht wie der gefangene Kurfürst, also Johann Friedrich233 , beim Bekenntnis geblieben zu sein. Aber um diese Leute, also die beiden Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg, die nun wohl das Interim annähmen, gehe es gar nicht. Vielmehr gehe es um diejenigen, die noch unschlüssig seien, was getan und angenommen werden solle.234 Der Hauptteil beginnt mit der Analyse des Meßartikels, welcher die Opferanschauung nahelegt. Dieser Unterpunkt ist der schon aus dem Henetus bekannten Kritik235 , die ja erst beim neuen Gesetz in Christus einsetzte, vorgeordnet: Es würden gleich zu Beginn des Artikels heidnische Opfer als Analogie zugelassen.236 Das sei ein so ungeheuerlicher Vorgang, daß er der richtigen Gegendarstellung bedürfe. Von der Verheißung im Paradies bis zu Paulus und der kriteriologischen Abschaffung des Gesetzes und aller Zeremonien wird ein Bogen gezogen, der schließlich in der Frage gipfelt: so wolt ich gerne/von den Papisten / vnnd Jnterimisten/aus der Heiligen schrifft hören/mit welchem grund odder schein /sie solche eusserliche Cermenonien/Opffer/vnd Gottesdienst/welche des Babsthumbs voll gewesen / widder in die kirchen einfüren wollen.237

232 233 234 235 236 237

Vgl. Kaufmann: Ende der Reformation, S. 214. S.o. S. 29. Vgl. Flacius: Wider Das I NTERIM, A2r/v . S.o. S. 75. Vgl. Flacius: Wider Das I NTERIM, A2v ; Mehlhausen: Augsburger Interim, S. 103. Flacius: Wider Das I NTERIM, A3v .

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Daran schließt sich unmittelbar der zweite Punkt an: Weil solches Vorgehen nicht in der Schrift gegründet sei, sei der ganze Gottesdienst abgöttisch. Und hier wird – ebenso wie im Henetus – nun unmittelbar die Verwerfung der Messe durch den Hinweis auf die Abendmahlsworte und ihre Auslegung bei Paulus238 vollzogen.239 In Überbietung der Argumentation in Henetus’ Bericht wird aber diesmal auch die Argumentationsbasis angegriffen: was etwa das Heranziehen Melchisedeks angehe240 , so genüge ein Blick in die Bibel (Gen 14), um festzustellen, daß es sich nicht um eine Opferszene handele. Ein weiterer Blick in den Hebräerbrief könne ausreichen, um festzustellen, daß Wein und Brot, womit Abraham empfangen wurde, in keiner Weise bei Paulus Erwähnung fänden, obgleich er den Ursprungstext selbst behandele. Es fällt auf, daß das durch ein Kirchenväterzitat241 eingeführte Argument des Interimstextes durchgehend mit Bibelworten widerlegt wird. Ein drittes Argument gegen die Messe sei, daß weder Christus, noch die Apostel die Messe irgendwo erwähnt, geschweige denn praktiziert hätten.242 Zum vierten könne das Abendmahl, auch nach der Einsetzung in der Kommunion recht empfangen, nicht de actu als Opfer, ja erst recht nicht als Dankopfer bezeichnet werden: Es läge dann eine Subjekt-Objekt-Vertauschung vor; Gott zeige im Abendmahl seine Werke den Menschen, nicht umgekehrt. Genau wie in Taufe, Absolution und Abendmahl der jeweilige Gemeindediener an Stelle Christi spreche bzw. handele. Ebenso sei es unsinnig anzunehmen, Lauterwar handele, derweil ihn der Priester an Christi statt taufe, absolviere oder ihm das Evangelium verkündige. Ebensowenig also im Altarsopfer, das noch dazu willkürlich wie unlogisch als sacrificium bezeichnet werde. Denn was unterscheide es spezieller vom sacramentum, daß es nun diesen Namen verdient hätte?243 Was schließlich die Tatsache angehe, daß in der Alten Kirche von Eucharistie statt Kommunion die Rede war, so dürfe das nicht verwundern, da im damaligen Gottesdienst nach der Kommunion schlicht eine Danksagung folgte, so wie das noch zu Lauterwars Zeit in der evangelischen Kirche üblich sei. Hingegen würde solches kaum zum Altarsakrament passen. Wie unterscheide sich dann Eucharistie von jeglicher Art der Danksagung im Zuge der Speiseaufnahme? Könne nicht gleich jedes Dankgebet Eucharistie heißen? Überdies sei all solches abwegig, da nicht Opfer genannt werden könne, wofür gedankt werde, was also empfangen werde.244 Damit findet die Meßkritik – neuerlich vom Abendmahlsverständnis ausgehend – ihren Abschluß. Die interimistische Ordnung ist als papistische Verderbnis erkannt. Wer ihr zustimme, betreibe im Sinne des Offenbarungswortes 238 239 240 241 242 243 244

Vgl. 1 Kor 11, 29; s.o. S. 75. Vgl. Flacius: Wider Das I NTERIM, A3v –B1r . Vgl. Mehlhausen: Augsburger Interim, S. 119. Hier: Johannes Damascenus fid. orth. 4,13 (MPG 94, 1149). Vgl. Flacius: Wider Das I NTERIM, A3v –B1r . Vgl. Flacius: Wider Das I NTERIM, B1v –B2r . Vgl. Flacius: Wider Das I NTERIM, B2r/v .

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vom Titelblatt Hurerei mit dem Antichristen. In der Überleitung auf den folgenden Teil nimmt sich Lauterwar vor, einen Blick auf den Canon zu werfen, auf den die Messe gegründet sei. „Widder den Canonem“ ist als Überschrift abgesetzt und erzeugt so dem Schriftbild nach einen den Artikeln der Interimsurkunde analogen Eindruck, was die Bezüge im Text, die den Artikel quasi passieren lassen, belegen. Der Autor beginnt mit einer aporetischen Behauptung: Es kan niemandt beweisen/das der Canon von Christo/odder den Aposteln / odder von einem Concilio/odder von einem frommen Gottfürchtigen gelerten Man/der etwan ein gross ansehen in der Christlichen Kirchen gehabt/gestellet vnd geordnet sey. Denn wie Gregorius in seinem Register245 schreibet/so ist er zusamen getragen vnd gerafft/von einem der er vorechtlich scholasticum nennet/vnd keines ehrtitels wirdick achtet.246

Aus der Aporie versucht der Autor Kapital zu schlagen, wenn er von der der Person nach unbekannten Urheberschaft auf die Unwürdigkeit des Verfassers und damit des Textes schließt. Überdies gehe allein schon aus der Vielfalt der in verschiedenen Sprachen abgefaßten Canones, die voneinander inhaltlich abweichen, hervor, daß sie weder von dem einen Christus, noch von der einen Kirche gestiftet seien.247 Es folgt der Unterabschnitt Von des Canons vorstand vnd meinung248 ,

welcher die Konsekration durch den Priester als Opfer für das Seelenheil darstellt. Er beginnt mit der Klage darüber, daß solches Opferverständnis die Satisfaktion in Christi Sterben in Frage stelle, wenn es selbige um schlichtes Brot und Wein ergänzen zu müssen glaube.249 Dazu gedenke der Priester bei seiner Bitte um Gnade für ihn und die Kirche mit keiner Silbe des Mittlers Jesu Christi. Dies zeige ebenfalls, daß im Canon eben die Mittlerrolle als solche verachtet und Christi Amt zu Schanden gemacht werde.250 Drittens und viertens, nachdem der Priester geopfert habe, so bitte er erneut um Wandlung, um erneut zu opfern. Dies spätestens entbehre jeder Grundlage göttlichen Wortes und sei Sünde, ja eine noch größere Gotteslästerung als der Versuch, Gottes Wort zur Zauberei zu 245 Das Register Gregors hatte Flacius also schon zu Zeiten seiner Wittenberger Professur in einer Handschrift besessen: Registrum VI, 2, ed. Erich Caspar: Das Register Gregors VII. (MGH epp. sel. 2, 2 (1923) S. 391–394; vgl. Hartmann: Humanismus und Kirchenkritik, S. 259–309, bes. S. 269.274–281 über HAB Aug. 27.9. fol.). Es ist freilich vollkommen unverständlich, wie Hartmann Preger zur biographischen Abhandlung heranziehen kann, aber dann etwa auf S. 106 über „mindestens“ drei Aufenthalte in Magdeburg wie jede sonstige Reisestation vor 1552, die im Niedbruckbriefwechsel nicht dokumentiert ist, letztlich mutmaßen muß. 246 Flacius: Wider Das I NTERIM, B3r . 247 Vgl. Flacius: Wider Das I NTERIM, B3r . 248 Flacius: Wider Das I NTERIM, B3r . 249 Vgl. Mehlhausen: Augsburger Interim, S. 119 f. 250 Vgl. Mehlhausen: Augsburger Interim, S. 121.

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mißbrauchen.251 Fünftens bitte der Priester, Gott möge der Hostie gnädig sein, oder – wie es im Interim noch viel grausamer gefaßt sei – Jesu Christi selbst.252 Eine Hinrichtung am Altar! So arbeitet sich Lauterwar durch den Interimsartikel de sacrificio missae bis er schließlich feststellt: Jch acht’s für vnnötig/jhre falsche glosen zuuerlegen/Denn diese bestie des Canons/ist so grausam vvnd vnfletick/das jhr scheutzlich gestalt von keinem schmuck/kan bedeckt vnd gezieret bleiben/Solchs mus jederman sagen/der dis schrecklich thier / nur einmal recht angesehen hat.253

Die Identifikation mit dem Tier, das im Bibelwort des Titelblattes schon vorkam, führt zurück zu denen, die sein Mal tragen. Tatsächlich schließt unmittelbar der dritte und letzte Teil an: Dazu dienet vnd hilfft vns nicht ein wenig/das Er Eisleben/so jtzund der vornemste/ vnter den Jnterimisten ist / für etlichen jaren selber/ widder die Mess/ vnnd den Canon geschrieben.254

Lauterwar denunziert Johann Agricola von Eisleben als Interimisten und Umfaller, was – wohl wegen der fortgeschrittenen Druckproduktion – beim Henetus nur knapp als Glosse möglich gewesen war.255 Tatsächlich war 1527 eine Schrift Eislebens in Wittenberg gedruckt worden, die nun in einem Neudruck ebenfalls Anfang 1549 in Magdeburg bei Rödinger erneut veröffentlicht wurde.256 Das sei um so verwunderlicher, da er zuletzt da mit jhm ein recht Christlicher frommer/vnnd gelerter Fürst/in kegenwertigkeit/seines Gnedigsten Herrn / von dem INTERIM, Mess vnd Canon disputiret/Vnd jhm der Hochgedachte Fürst vorgeworffen / das er selb widder den Canon geprediget/vnd geschrieben / diese vnbeschlieffene grobe antwort geben/ Es sey geschehen in jener zeit/da die Papisten nicht recht von der Mess hielten/vnnd noch in jrrthumb steckten/Nun sie aber im rechten vorstant vnnd wege weren / möchte man den Canon/wol one sünde lesen vnd behalten257

Nachdem in Jüterbog nach Übergabe von Melanchthons Gutachten gegen die Messe eine Beratung im kleineren Kreis der Fürsten ohne die kursächsischen Theologen, anscheinend aber in Anwesenheit Agricolas abgehalten wurde, trat wohl Georg III. von Anhalt-Dessau258 , Vorgänger Michael Heldings als Bischof von Merseburg, gegen Agricolas Verteidigung der Messe auf und ging ihn im 251 252 253 254 255 256 257 258

Flacius: Wider Das I NTERIM, B3r –B4r ; vgl. Mehlhausen: Augsburger Interim, S. 121 f. Vgl. Mehlhausen: Augsburger Interim, S. 113 f. Flacius: Wider Das I NTERIM, C1r . Flacius: Wider Das I NTERIM, C1v . S.o. S. 76. Vgl. Flacius: Von der Messe; vgl. Kawerau: Johann Agricola, S. 82 f. Flacius: Wider Das I NTERIM, C1v . Vgl. BBKL 2 (1990), Sp. 210 f.

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beschriebenen Sinne an. Auf Agricolas obige Erwiderung habe Georg – so Lauterwar – gesagt, daß beides nicht sein könne: entweder sei der Kanon früher falsch und jetzt richtig, woraus folge, daß Agricola ihn völlig zu recht kritisiert habe, dann müßten die Altgläubigen aber den bei ihnen noch im Gebrauch befindlichen alten Kanon verwerfen oder selbigen reformieren. Bleibe der Kanon aber unverändert, so würde die altgläubige Seite ihre Abgötterei beibehalten, und Agricola gegen seinen seelsorgerlichen Auftrag verstoßen und sich selbst der Lüge überführen.259 Es folgt der Vorwurf nutzloser Beschönigung im Bilde des bereits aus dem Henetus bekannten Bildes des Honig(rand)bechers.260 Doch solche Peinlichkeiten hätten Agricolas Hochmut keinen Abbruch getan – er habe sich: Bald nach dieser disputation [. . . ] bey etlichen seinen gesellen berhümet / er habe einen großen Beer gefangen / vnd diese seine verblümte rede/hat er selbs erkleret / vnd gesprochen / er hette den Fürsten vberwunden/vnd auff seine meinung gebracht. Es [sc. be]darff nicht wort/Er ist ein trefflicher jeger / dieweil er so leichtlich hohe Adler/vnd grosse beren fangen kan/Aber der tolle verblente jeger sihet leider nicht/das er selber von eim andern gefangen ist/der jhn bald auff ein ewige fleischbanck/zur ewigen marter füren/vnd legen wirt.261

Die Tierbilder erklären sich aus den Landes-Wappen: der Bär für Anhalt, der Adler für Brandenburg. Daß Agricola angeblich Erfolg hatte, konnte Lauterwar nur aus der Tatsache ableiten, daß die Kurfürsten sich zu weiteren Beratungen über die Messe entschlossen hatten. Wozu ihm dieser angebliche Sieg nütze, stellt Lauterwar drastisch dar. Doch der Schande nicht genug, Agricola habe sich ja nicht einmal unterstanden, das Interim aus Luthers Schriften zu verteidigen, obgleich Luther doch sein Leben lang ausschließlich gerade den Antichristen bekämpft und nicht gerechtfertigt habe, wie das Agricola tue. Der Autor wendet sich an sein Publikum: Ich bitt dich Christlicher leser/was meinstu das man von eim solchen losen Mann halten sol/vnd denen die jhn wie einen Engel/vnnd newen Gesetzgeber/vom Himmel gesand auffnehmen/ehren vnd preisen?262

Der Absatz gibt den Inhalt der Randglosse aus dem Henetus wieder, wo die drei „Sophisten“ als Solones op[e]rae bezeichnet worden waren, die an die Stelle Christi gesetzt wurden.263 Wenn Lauterwar fortfährt, daß Luther Agricola gemieden habe, so habe das seinen Grund darin, daß der ihn schlicht durchschaut habe: Es leben noch glaubwirdige Menner, die fur etlichen jaren bey Doctor Martino/kurtz für seinem abscheid/mit andern gelerten frommen Mennern gewe259 260 261 262 263

Vgl. Flacius: Wider Das I NTERIM, C1v ; Kawerau: Johann Agricola, S. 281. S.o. S. 73. Flacius: Wider Das I NTERIM, C2r . Flacius: Wider Das I NTERIM, C2v . S.o. S. 76.

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sen/vnd aus seinem waren mund gehöret haben/da etliche Eissleben entschüldigen/Eissleben wird vom Teuffel getrieben /der jhn gar eingenommen./Jhr werdet wol erfahren / was er nach meinem todt für lerm wirt anrichten. Diese vnsers lieben Vaters weissagung/wie warhafftick sie sey erfüllet / lernet vns die erfahrung. Denn dies INTERIM kümpt fürnemlich aus der Marck/welchs leichtlich zubeweisen ist.264

Abgesehen von der Brandmarkung des „teuflischen Eisleben“, die mittels des Hinweises auf Wahrheitszeugen geschickt in eine scheinbar objektiv deutbare Vergangenheit verlegt wird, kommt hier nun Luther als Prophet und Wahrheitskünder ins Spiel. Es ist in diesem Sinne das erste direkte auf Lutheräußerungen bezogene Argument aus der Feder des Flacius. Aber bei aller Wertschätzung für Luther, die bei Flacius sicher vorauszusetzen ist, darf doch nicht außer Acht gelassen werden, wodurch diese erste Lutheraneignung motiviert ist: es ist der korrigierende Hinweis auf Luther bzw. die Verteidigung einer Wittenberger Identitätsfigur gegen Agricola, der sich Luther – in der Auseinandersetzung als erster – argumentativ angeeignet hatte.265 Nicht das persönliche Verhältnis zu Luther spielt eine Rolle – was freilich unter den Bedingungen der Pseudonymität bedenklich wäre –, sondern es gebe eben „glaubwirdige Menner“, die für die wahre Meinung Luthers bürgten. Schließlich werde die Wahrhaftigkeit der Erfüllung der Lutherworte vermittels der Erfahrung in Evidenz eingeholt.266 Der Autor ist bei alledem gerade nicht selbst Zeuge. Entsprechend formulierte Flacius im Epilog eines wohl ebenfalls um diese Zeit im Druck herausgegebenen Briefes Luthers von 1540, ursprünglich im Nachgang des Antinomer-Streits entstanden267 : [V]nser Wirdiger in Gott Vater seliger gedechtnis Doctor Martinus Lutherus hat kürtzlich vor seinem end 268 in gegenwarts des Doctor Pomers /Philippi / Creutzigers / Maioris / Jonae / vnd D.Pauli Benedicti und dann also geredet/sehet euch für. [. . . H]ütet euch für dem Eisleben/denn er wirt nicht allein vom Teuffel geritten/ Sonder der Teuffel wonet selbs in jhm/Vnd solches kan man jtzund an jhm wol spüren/dann der herlose verwegen man darff noch auff 264

Flacius: Wider Das I NTERIM, C2v . Agricola hatte 1548 in einem Gutachten für Carlowitz versucht, die Lehrsätze des Interims auf Luther, Melanchthon und Bucer zu stützen, entsprechend versuchte er in einer Verhandlung vom Frühjahr 1549 mit Johann von Küstrin zu argumentieren; vgl. Kawerau: Johann Agricola, S. 262 ff. 266 Wenn Olson: Flacius and the survival, S. 111, Anm. 32 mit Preger: Flacius und seine Zeit II, S. 113 eine Selbststilisierung des Waremundus als alter Lutherus nahelegt, so beachtet er die jeweiligen Bezüge, die Entwicklung der Argumentation auch gerade im Druck des Waremundus, die doch verblüffend gut ohne Lutherreferenz auskam, und eben die vorrangige Verwendung zur Bezeichnung gleichsam prophetischer oder vollmächtiger Rede nicht; s.o. S. 58. 267 Flacius: Ein Schrifft [. . . ] Lutheri; vgl. zu Textgeschichte und Handschriften-/Druck-Vergleich WA 51, 425–444. 268 Flacius ordnet den Brief wohl nicht richtig ein, wenn er ihn auf die Zeit kurz vor Luthers Tod datiert. Ein entsprechender Fehler war ihm allerdings schon bei der Schilderung im Lauterwar unterlaufen; der Titel des Briefdrucks war entsprechend irreführend. 265

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Lesestücke der Cantzel schrein/wie durch sein Jnterim das heilige Evangelium so sein in gantz Europam ausgebreitet werde/das der erwirdige vater D. Mar. selbs so er jtzt solche zunemung der Christenheit sehen solt sich one zweyffel seer frewen/vnd x. jar lenger leben würd.269

Ein starkes Stück. Solche Propaganda mußte Agricola nicht nur persönlich diskreditieren, sondern ihn seiner wichtigsten Argumentationsbasis berauben: der – freilich in bezug auf seine Person für die kundigeren Zeitgenossen ohnedies fragwürdigen – Übereinstimmung mit den Reformatoren aus Wittenberg. Überdies darf die Attraktion, die solche Enthüllungsdrucke boten, nicht unterschätzt werden. Ungeachtet der ernsthaften Thematik wird sie wohl in analoger Weise zu der moderner Sensationsblätter und einschlägiger society-Magazine ausgefallen sein, wofür manche zeitgenössische Nachricht spricht.270 Aber zurück zu Lauterwar. Daß das Interim brandenburgischer Provenienz sei, bestätige zu Franckfort an der Oder ein Magister / vnnd sonderlicher alter freund des Eisslebens / der bekennet öffentlich / das sich schon für v. jahren Eissleben gerühmet / er wisse radt vnd that / wie man der streitigen Religion sachen/könde abhelffen/vnd die Lehr vergleichen271

Aller Wahrscheinlichkeit ist Agricolas Schwager272 Andreas Musculus273 gemeint. 1542274 war er auf Anraten Agricolas nach Frankfurt gegangen, wo er 1548 gegen das Interim Bekenntnis ablegte.275 Ebenso habe Agricola sich bei seiner Abfahrt nach Augsburg gerühmt, er sei ein Reformator ganz Deutschlands.276 Aus Augsburg habe er geschrieben, er habe dem Evangelium ein großes, breites Fenster geöffnet. Lauterwar kommentiert: ja freilich/nicht das es in die kirche gelassen / odder da es schon gekommen/vnd geprediget wirt/ darinne bleibe/Sondern das es vberal aussgetrieben würde277

Eisleben habe der Kirche also Fenster gebaut, damit das Evangelium entweiche. Ein Christusaustreiber sei er, und damit das genaue Gegenteil dessen, was er zu 269

Flacius: Ein Schrifft [. . . ] Lutheri B3r/v . S.o. S. 93; Olson: Flacius and the survival, S. 103; Kawerau: Johann Agricola, S. 292–301. 271 Flacius: Wider Das I NTERIM, C2v . 272 D.h. mit der jüngeren Schwester von Agricolas Frau in Wittenberg 1540 verheiratet; vgl. Kawerau: Johann Agricola, S. 27 f. Zu dieser Verwendung des Begriffes „Schwager“ im weiteren Sinne vgl. DWB 15, 2 SCHWAGER, Sp. 2176 f. 273 Vgl. BBKL 6 (1993), Sp. 380 f. 274 Vgl. BBKL 6 (1993), Sp. 380; Zedler 22, Sp. 1340. 275 Vgl. Zedler 22, Sp. 1340. In Frankfurt war seit 1546 auch Hartmann Beyer als Prediger tätig, der nicht nur gegen das Interim opponierte, sondern auch mit Flacius im Briefkontakt stand und später in Magdeburg Flugschriften drucken ließ; vgl. BBKL 1 (1990), Sp. 570 f. 276 Zu den Behauptungen Agricolas während seines Aufenthalts in Augsburg vgl. Kawerau: Johann Agricola, S. 257 f. 277 Flacius: Wider Das I NTERIM, C3r . 270

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sein und getan zu haben vorgebe: Etwa daß er den Papst reformiert278 , den Kaiser bekehrt und „lutherisch“ gemacht habe, daß ein goldenes Zeitalter angebrochen sei, und sich das Evangelium durch alle Bistümer über ganz Europa ausbreiten werde.279 Er habe es ja selbst zugegeben: als er von Augspurgk gereiset/ hat er im heimzuge Doctor Glatio280 zugeschrieben / non solum adfui compositioni Interim sed etiam prefui.281

Er sei sogar seinen eigenen Worten zufolge nicht nur Beförderer oder Begleiter gewesen, sondern habe sogar bei der Verfassung des unchristlichen, ja antichristlichen Buches die Feder geführt, so das argumentum ad verecundiam.282 Die argumenta in hominem lassen freilich auch den Teil de vita et moribus als Klärung der Motivationsgrundlagen nicht aus: Agricola sei sowohl vom Kaiser mit 500 Kronen, wie auch von Ferdinand mit 500 Talern bezahlt worden, ja vber solche verehrung vnd geschenk / habe jhm auch der Keyser / durch einen Bischoff zugesagt/er wolle seine töchter mit grosser ehrlichen morgengabe aussteuern/wenn sie werden verehelichen. Also kann der Judas seinen lohn/so er für die verreterey/des HERRN Christi entpfangen / selber nicht verschweigen/muss sich seiner löblichen thatten rhümen.283

Der Leser könne gut sehen, was von einem solchen Christusverleugner, Judas und „Mamelucken“ – wie es weiter heißt – und damit von dem ganzen Interim zu halten sei. 278 Zum Erweis dieser seiner Falschheit wurden auch Inquisitionsunterlagen publiziert, die in direkter Anlehnung an seine Prahlerei zeigen sollten, wie es um die Evangelisierung Europas wirklich stehe; vgl. Kaufmann: Ende der Reformation, S. 319 ff., bes. Anm. 549. 279 Vgl. Flacius: Wider Das I NTERIM, C3r . 280 Es handelt sich um Caspar Glatz, Pastor in Orlamünde und ehemaliger Archidiakon an der Wittenberger Schloßkirche, der als dritter nach Amsdorf und Menius die Schrift Amsdorff: Der Prediger [. . . ] Bedencken (mit)unterzeichnet hatte; vgl. NDB 6, S. 434*; ADB 9, S. 220–221. Zur Formierung der Interimsgegner aus dem Wittenberger Umfeld sowie den damit verbundenen Bekanntschaften dann später in Magdeburg vgl. Kaufmann: Ende der Reformation, S. 157–170. 281 Flacius: Wider Das I NTERIM, C3r . 282 Auch wenn Agricola bei der inhaltlichen Gestaltung mit allergrößter Wahrscheinlichkeit keine bedeutende Rolle spielte, so konnte er sich doch seiner Autorschaft hinsichtlich seiner Übersetzung ins Deutsche, die für das Deutsche Reich offizielle Fassung wurde, rühmen: s.o. S. 31; Mehlhausen: Augsburger Interim, S. 14–15.23. Den Zeitgenossen konnte freilich die Tatsache, daß Agricola als einziger evangelischer Berater in Augsburg verblieben war, sich in der Folge als eifriger Werber für das Interim betätigte und schließlich als brandenburgischer Berater in Jüterbog und Berlin aufgetreten war, genügen, seinen Aussagen zu glauben. Eine Prägung der Rechtfertigungslehre wurde jedenfalls schon recht früh vermutet: vgl. Kawerau: Johann Agricola, S. 257. Solche Unsicherheiten waren aber wohl schon auf dem Reichstag selbst intendiert, ja womöglich aktiv durch Instruktion und Bezahlung gefördert worden. Denn schon die Märzformel sah eine doppelte „Sprachregelung“ vor, sofern das Interim – ganz analog zum Wormser bzw. Regensburger Buch – den protestantischen Parteien mit protestantischer, den altgläubigen mit altgläubiger Provenienz vorgestellt werden sollte; vgl. ARCEG VI, S. 309. 283 Flacius: Wider Das I NTERIM, C3r/v ; zur Finanzierung Agricolas und der darauf aufbauenden Polemik gegen Ferdinand als „Sanct Talerus“ und seinen Bruders, den Kaiser, als „Goldnerus“ vgl. Kawerau: Johann Agricola, S. 257.

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Lauterwar schließt seine Schrift mit einer refutatio der wichtigsten Argumente der Interimsgegner. Den Anfang macht eine Rekapitulation der Vorrede zum Artikel de sacrificio missae, die exakt die drei Argumente des Henetus284 bis in den Wortlaut wiederholt. Darauf folgt eine Erweiterung unter der lateinischen Überschrift Contra Islebii Argumenta in sechs Punkten, die nun ausdrücklich auf die jüngsten Verteidigungen Agricolas bezugnehmen: de statu coniecturae heißt es, die Ausbreitung des Evangeliums sei erstens eine schlichte Lüge, da das Interim in allen Punkten dem Evangelium entgegenstehe. Es werde ja auch in keiner „papistischen Kirche“ umgesetzt, da dieselben es ja schon seit jeher in ihrer Kirche hätten. Daher käme es das sie es nicht Interim sondern Iterum285 heissen / vnnd das aus vnsern Kirchen / Christus widderumb durch dis Buch aussgetrieben wirt.286

Zweitens seien es – de statu qualitatis – keine geringen Punkte, in denen Veränderungen vorgenommen seien, sondern die wichtigsten vnd nötigsten287 ,

wie die Sündenvergebung, Rechtfertigung, vom Mittler und vom Abendmahl. Der dritte Punkt wird von Lauterwar zunächst wiederum de vita et moribus entkräftet: Was drittens die Tatsache angehe, daß Agricola sich auf Schriftbeweise aus den Aposteln und Moses beziehe288 , so sei es nötig zu wissen – und hier findet der Leser die für den status definitionis typische Motivanalyse der betrügerischen Absicht –, das ein grosser vnterscheid ist/zwischen Eissleben/Mosi vnd den Aposteln / Denn die gewiss den Heiligen Geist/vnd zeugnis gehabt/das sie in der Lehr nicht irren können/Eisleben aber hat offt gröblich nicht in kleinen / sondern grossen artickeln geirret / vnd widderruffen / Mit was ernst ers aber gethan / wirt er am Jüngsten tag recht fülen/Denn GOTT lest sich nicht/wie die menschen effen.289

Es sei schließlich viertens – de statu definitionis – auch etwas ganz Anderes, wenn ein Fehler eine Zeitlang aus Not ertragen werde oder um etwas Gutes zu 284

S.o. S. 75 f. Das Wortspiel zur Namensgebung des Buches ist zugleich Schlüssel seiner Deutung. Es gab sogar manche Publikation, die sich der Verballhornung exklusiv widmete; vgl. Kaufmann: Ende der Reformation, S. 246–250. 286 Flacius: Wider Das I NTERIM, C4r . 287 Flacius: Wider Das I NTERIM, C4v . 288 Eisleben hatte sich in dem Gutachten für Carlowitz auf die Beschneidung des Timotheus durch Paulus (Apg 16, 3), auf Pauli Gelübde in Kenchreai (Apg 18, 18), auf die Bestimmungen des Aposteldekrets (Apg 15, 13–20), auf Moses Unterlassung der Beschneidung während der Wüstenwanderung (Jos 5, 5) und auf die Erlaubnis, Ehen durch Scheidebrief aufzulösen, berufen (Deu 24, 1); vgl. Kawerau: Johann Agricola, S. 263. 289 Flacius: Wider Das I NTERIM, C4v . 285

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bewirken, wie es Moses und die Apostel getan hätten, als die jetzige Verordnung zum Gesetz, wie es durch das Interim geschehe, welches richtigen Brauch und seine begründete Anschauung verwerfe bzw. die Anhänger desselben verfolge. Das sei ja vielmehr öffentlich instaurierte Gotteslästerung. Es sei auch sechstens etwas Anderes, ob denen, die sich bemühen, aber nur Teilerfolge erzielen, Nachsicht entgegengebracht werde – ein ganz und gar melanchthonisches Argument, 290 –, oder denen nachgegeben werde, deren einzige Absicht es sei, die göttliche Lehre zu vernichten, denn etwa: Der Apostel decret de suffocato sanguine291 / dienete zu Christlicher einigkeit/ auff das die Predige des heiligen Euangelij/dester fürderlicher vnnd weiter ausgebreitet würde/Aber durch das Gottlose INTERIM werden die Christlichen kirchen zerstrewet vnd verstöret/wie solchs die erfarung ausweiset / nicht ohne grosse bekümmernis/aller frommen Christen.292

Solche Differenzierungen müsse man vornehmen, um Irrtümer zu vermeiden. In einem weiteren Teil werden die fürnemsten Argument Er[sc. -i] Eisslebens / mit welchem er sein INTERIM schmücken wil.293

vorgestellt. Den Schluß der vorangegangen grundsätzlich nach den anwendbaren status hinterfragten Argumentationsreihe aufnehmend widmet sich Lauterwar den Bibelstellen, die Agricola herangezogen hatte: geschickt argumentiert der Autor extra causam, indem er fragt, was wohl passieren würde, wenn Agricola – sofern er auf die Aussetzung der Beschneidung, das Dekret von Blut und Ersticktem oder das heidnische Gelübde des Paulus als Begründung dafür, den Feinden des Evangeliums nachzugeben, verweise – darlegen müsse, ob er die Taufe 40 Jahre lang aussetzen wolle, oder ob er wieder Scheidebriefe ausstellen würde. Er werde, soweit er auch nur halbwegs bei Trost sei, solches ja wohl als unrechtmäßig zurückweisen. Lauterwar folgert a comparatione maioris: Ist ihm nun dieses nicht zugelassen welches Moses vnd die Aposteln gethan haben / viel weniger wirt jhm was anders / welches er demselbigen gemess vnd ehnlich achtet / zuthun gebüren.294

Moses habe die Beschneidung auch nur darum ausgesetzt, weil Wundbehandlung und ihr zuträgliche Hygiene bei alltäglicher Wanderung durch die Wüste eben schlicht nicht möglich gewesen sei. Den Scheidebrief habe er ja auch in keiner 290 291 292 293 294

Vgl. MStA 2/II, S. 393–404. Apg 15, 13–20. Flacius: Wider Das I NTERIM, D1r . Flacius: Wider Das I NTERIM, D1r . Flacius: Wider Das I NTERIM, D1v .

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Weise als göttlichem Gebot entsprechend oder gar als göttliches Gebot per se verordnet, sondern lediglich als von Gott für „etliche Zeit“295 zugelassen. Schließlich sei es erstunken, um nicht zu sagen erlogen, daß Paulus ein heidnisches Gelübde getan habe, sofern sich solche in Num 6 hinreichend ausgeführt fänden. Entsprechend hätten auch die Apostel nichts Neues geboten, sondern hätten aus wichtigen Gründen, die hier nichts weiter zur Sache täten, alte Bräuche erneuert, Wie man aus der vorrede des hochgelerten Herrn / vnsers lieben Praeceptoris / Philippi Melanthonis sihet/vnnd lernet/die man lateinisch findet / in dem gesprech zu Worms gehalten/Anno xl.296

Ganz analog zur Abwehr der Inanspruchnahme Luthers wird hier der geliebte praeceptor Melanchthon unter Hinweis auf dessen Vorrede zum Wormser Buch297 gegen eine Vereinnahmung verteidigt. Aber es sei sinnlos, mit Agricola über solche Punkte zu diskutieren – so die praeteritio. Es stehe ja hinreichend fest, daß das Evangelium eben nicht ausgebreitet, sondern durch das Interim ausgelöscht werde: wo CHRISTus zuuor ist gepredigt/da wirt er jtzt ausgetrieben/denn die rechtschaffene gelerten trewen Prediger/werden mit jhren Weibern vnd Kindern jtzt veriagt / etliche gefenglich eingezogen/vnd getödtet.298

Die Nachrichten von Vertreibungen stimmten, aber Hinrichtungen von Predigern hatten bis dahin kaum mehr als Gerüchtecharakter bzw. waren von remotiora übertreibend gefolgert.299 Das zweite Buch schließlich, die formula reformationis, zeige ja allein schon hinsichtlich seines Geltungsanspruchs – und neuerlich erfolgt der Hinweis auf das Interim-Iterum-Wortspiel –, wie weit es die papistischen Bischöfe reformiere. Lauterwar fügt schließlich als letztes „bekentnis und vrteil“ der beiden bedeutensten Interimisten an, eine neuerliche Verunglimpfung ad verecundiam: Julius von Pflug habe im August 1548 zu Pegau ja zugegeben,300 295

Flacius: Wider Das I NTERIM, D1v . Flacius: Wider Das I NTERIM, D2r . 297 Es wurde kompiliert aus den Diarien des Wormser Religionsgespräches vom 28. Oktober 1540 bis zum 19. Januar 1541, sowie den Akten der von Gropper, Veltwyck, Bucer und Capito geführten Geheimverhandlungen, und sollte für den Regensburger Reichstag 1541 als Diskussionsgrundlage dienen. Bekanntlich hat Melanchthon – er vermerkte auf dem ersten Blatt des Konvoluts, das er Luther übersandte, mit Blick auf die Realisierbarkeit „politia platonis“ – die Einigung, die zwischenzeitlich in Aussicht schien, fallen lassen. Vgl. Ganzer/zur Mühlen: Das Wormser Religionsgespräch; ARCEG 6, S. 21–88; Pfnür: Einigung bei den Religionsgesprächen; Melanchthon: Acta in Conventv, die genannte Vorrede findet sich A2r –A4v und wurde in Magdeburg – von Anton Otto [vgl. ADB 24, S. 745 f.] kommentiert – nochmals separat publiziert: vgl. Otto: Vorrede Philippi. 298 Flacius: Wider Das I NTERIM, D2r . 299 S.o. S. 52 f., 40 f.; vgl. Chalybaeus: Durchführung des Interims, passim. 300 Vgl. PKMS IV, Nr. 75 und Nr. 76. 296

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das noch viel falsches vnnd abgöttisch in dem INTERIM stünde / vnnd wenn mans annimpt/bestetiget würde / Aber er sey des keine vrsach / Denn ein Hispanischer Münch Dominius de Soto301 genannt / habe das INTERIM verfelschet [. . . ] Jedoch helt er allenthalben an/das mans annemen sol / So lieb vnd thewer acht er die zeitliche ehr/das er darüber der ewigen vergisset.302

Eine analoge Argumentation wie schon im Waremundus: das wahre Vaterland müsse – zumal einem Kirchenmann – vor Augen stehen.303 Und wieder kommt Lauterwar auf Agricola: er habe nach seiner Heimkehr aus Augsburg bei einer Diskussion mit dem Propst von Berlin, Buchholzer, in Gegenwart weiterer Prediger schließlich dem Propst die Hand gegeben304 und gesagt: Es ist ja gewis war/wer das INTERIM helt/der ist ewigk des Teuffels / Vnnd im Predigen hat er das INTERIM offt also entschüldigen wollen / Was belanget die anruffung der Heiligen / stehet im INTERIM / man müge wol sagen / heiliger Petre bitte für mich / Dis aber will ich nicht thuen / vnd jhr solts auch nicht thuen/So kan vns diese Gottlose anruffung nicht jrren/vnnd schaden.305

Die Aporie, d.h. die Überführung Agricolas contradictione zeige, was für ein Gottes- und Menschenverächter der Mann sei, der da den Eindruck erwecke, die Heiligenanrufung dürfe nicht verworfen werden. Der christliche Leser sehe schließlich, so Lauterwar, was die Interimisten von ihrem eigenen Werk hielten. Jeder sehe sich vor, ehe er auch „des Teuffels“ werde. Statt dessen solle an Erund Bekenntnis Christi festgehalten werden. Die Beispiele – auch der bereits dem Interim verfallenen Personen – mögen Warnung genug sein vor dem Zorne Gottes. Der Text schließt mit einer Anrufung Christi und seines gerechten Gerichts.

6. Der Abschied von Wittenberg: Carolus Azarias Mit dem Weggang des Flacius aus Wittenberg war aus der Sicht Melanchthons zugleich eine Eskalation des Streites mit einer besonderen Wendung gegen seine Person verknüpft. In einem Brief306 vom 14. April 1549 schrieb Johannes Au301 Damit ist der Konjektur Pfeilschifters in ARCEG VI, S. 309 zur mündlichen Auseinandersetzung des Kaisers mit Santa Croce ausdrücklich zuzustimmen: questi Protestanti [. . . ] havevano fatto loro questo libretto e domandatolo per instituto di vita sino alla determinatione del concilio et che lui fece vedere da due theologi catholici et da molti, et volse che lo corrigessero catholicamente . . . . Gravella hatte erklärt cioè il confessore et il Sotto, li quali erano stati quelli che l’havevano coretta et approvata. Also war es Domingo, nicht Pedro de Soto, der kaiserliche Beichtvater. 302 Flacius: Wider Das I NTERIM, D2v . 303 S.o. S. 70. 304 Kawerau verweist darauf, daß Flacius die einzige Quelle für die Behauptung sei: vgl. Kawerau: Johann Agricola, S. 285. 305 Flacius: Wider Das I NTERIM, D2v . 306 UA Halle Rep. 1 Nr. 4589 fol. 522r –523r ; Friedensburg: Unbekanntes Stück.

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rifaber307 an Flacius, daß er bei einem Essen bei Hans Lufft, das am Tag des Weggangs des Flacius aus Wittenberg stattgefunden habe, neben Melanchthon gesessen sei, und dieser zunächst ganz freimütig über Flacius gesprochen habe, dessen Vorlesungen Aurifaber fortsetzen sollte. Er fährt fort: postea vero nescio quibus rationibus quorumve relationibus factum sit, ut idem dominus praeceptor Azariam a te scriptum esse credere tibique graviter succensere ceperit. itaque proximo die lunae, cum eum negociorum quorundam causa adiissem, querebat ex me primum, num quas litteras abs te accepissem; cumque ego, id quod res poscit, responderem nullas me accepisse, addebat porro: scribas illi, ne mihi properet maledicere.

Von welchen Beschimpfungen ist hier die Rede? Sie fallen schon einmal definitiv nicht mit den später erwähnten beleidigenden Scholien und dem in ihnen begegnenden Vorwurf des „Philippisierens“ bzw. philippizare308 zusammen, da sie in einem eigenen Abschnitt auf den „Azarias“ bezogen werden und nicht auf die im Brief später erwähnte Edition der Lutherbriefe. Was hatte also initiativ diese Stimmungswende herbeigeführt? In einem Brief Ludwig Fachs’ an Georg Komerstadt309 vom 24. Februar 1549 wird in einem beigefügten Zettel berichtet, daß manche Wittenberger Theologen auf die Rede, die Agricola gehalten hatte, bzw. auch die bloßen Nachrichten darüber so reagiert hätten, daß sie Fachs bedrängt und gesagt hätten, daß sie die Artikel von (Alt)Zella und Leipzig nicht bewilligt hätten. Es seien daraufhin sogar handschriftliche Zeugnisse Bugenhagens und Melanchthons aus Leipzig oder Torgau gezeigt und verlesen worden. Solche Nachrichten deuten auf eine zwischenzeitlich stark angespannte Stimmung in Wittenberg. Und nicht nur bei den Theologen: die Studenten in Wittenberg sollen Kurfürst Joachim II. mit Schneebällen beworfen und derweil „Interim, Interim“ gerufen haben. Bei der solchermaßen erfolgten „Bombardierung“ der Gäste des Kurfürsten habe auch einer aus dem Gefolge beim Herausreiten aus dem Schloß einen harten Schneeball ins Gesicht bekommen. Der „Anschlag“ konnte schließlich durch Einsatz der Garde aufgelöst werden. Es darf hier nicht vergessen werden: Der Landtagsbeschluß war zwar gefaßt, aber nichts darüber veröffentlicht worden. Sehr wohl war aber am 10. Januar 1549 die Zensur durch ein neuerliches Ausschreiben Moritzens verschärft worden, die den Verkauf, Besitz und die Verbreitung von „Schmehbriefe / Liedere / 307

Vgl. BBKL 1 (1990), Sp. 303. Bei dem Kunstwort philippizare handelt es sich um eine latinisierte Anlehnung an einen prominenten Ausdruck, den Demosthenes in de corona [18, 176, 7] für eine nur oberflächlich vaterlandstreue und letztlich Philipp II. von Makedonien in die Karten spielende Politik bzw. Ratgeberschaft geprägt hatte: . Er ist freilich in seiner Anwendung auf Melanchthon doppelt provokativ. Vgl. Friedensburg: Unbekanntes Stück, S. 64, Anm. 2. Analoge Ausdrücke waren in der griechischen Polemik als „Lakonisieren“ oder als „Medismos“, also das Begünstigen der Spartaner bzw. eine perserfreundliche Einstellung. 309 Vgl. PKMS IV, Nr. 283. 308

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Reime vnd Gemelde/zuföderst mit vnunterschriebenen / unbekanten vnd ertichten Namen“ verbot bzw. zur Anzeige zu bringen aufforderte.310 Nun waren aber – allein der bloßen Evidenz nach – die Flacius-Drucke nicht allzuschwer zuzuweisen. Hinzu kommt, daß mindestens Major und Melanchthon um die Identität des einen oder anderen Pseudonyms wissen mußten. Ende März oder Anfang April erschien auch die lateinische Fassung des Hermannus im Druck311 , die ja nun Flacius als den Autor der deutschen Fassung klar kennzeichnete. Sie war noch dazu um eine Rede eines Hermannus Primas gegen ein Buch eines unbekannten Autors gerichtet. Der ungenannte Autor war Melanchthon.312 Hermannus Primas war aller Wahrscheinlichkeit nach Paul Eber.313 Wittenberg war unter diesen Umständen ein zu gefährlicher Aufenthaltsort für Flacius geworden. Nicht nur, weil seine Autorschaft an sich bekannt werden mußte, sondern weil er in direkte Opposition zu seinen Lehrern und Kollegen getreten war, von denen man annehmen muß, daß sie ihn wenn nicht protegiert, so doch zumindest geduldig mitgetragen, bisweilen informiert und mit ihm diskutiert hatten, wie eben Melanchthon und Major. Ob an diese zunächst wohlwollende Protektion selbst implizit oder explizit konkrete Einzelbedingungen geknüpft waren, die Flacius durch seinen Weggang verletzte bzw. gänzlich ignorierte ist unklar, aber auch nicht unwahrscheinlich. Flacius hatte sich jedenfalls entsprechend in einer – gemessen am von ihm selbst genannten einfachen Grund eines Weggangs – recht differenzierten Apologie an einen ungenannten Pfarrherren – gemeint ist Johannes Bugenhagen314 – von Mitte Juni 1549315 verteidigt. Bugenhagen hatte ihn von der Kanzel herab beschuldigt:316 Flacius hätte nur aus karrieristischen Gründen, um sich zu profilie310

Vgl. Hasse: Zensur theologischer Bücher in Kursachsen, S. 66 ff., bes. S. 474. Vgl. Flacius: Quod hoc tempore nulla penitus mutatio. 312 Vgl. Friedensburg: Unbekanntes Stück, S. 65: eadem autem ferme hora, qua is [sc. Melanchthon] rediit, libellus etiam tuus Hermannique primatis hic vulgatus est. adfui cum eijus a praeceptore fieret mentio. afffirmabat ille se bono et simplici animo scriptum illud composuisse neque incerto autore, ut Hermannus affirmat, sparsisse. item se semper et fuisse et esse in ea sententia idque in comiciis Augustanis et Ratisponensibus palam in deliberationibus principum professum: quod vellet necessaria retineri, de non necessariis non dimicari. 313 Und zwar insofern Flacius schreibt Flacius: Apologia B5r/v : Itaque sub Cellensia comitia cum intelligerem malum iam esse pro foribus, aedidi breve scriptum uulgari lingua, titulo quod nihil sit mutandum. Illudque idem latine tunc paulo prolixius descriptum D. Maiori obtuli. Oravi et M. Paulum, ut de eadem re scriberet; B6v : et alioqui scripsit de ea re erudite et copiose M. Paulus; Flacius: Entschuldigung E2v : Darumb/als der tag zu Zelle angehen solte/ vnd ich sahe/das das vnglück für der thür war/liess ich ein klein Deudsch büchlein ausgehen/mit diesem Tittel/Das man nichts verendern soll. Und eben dasselbe/hab ich etwas weitleufftiger in Lateinischer sprache geschrieben/vnd es D.Maior dieselbige zeit vberantwortet. Hab auch Magister Paulum gebeten/das auch er von dieser sache etwas schreiben solte; E3v : So hat auch Magister Paulus/wol vnd reichlich von dieser sach geschrieben. 314 Daß es sich um Bugenhagen handeln muß, wird aus der Erwähnung seiner Predigten sowie dem Brief an einen Fürsten – Christian III. von Dänemark – deutlich; im Detail s.u. S. 138. 315 Vgl. Flacius: Eine Entschuldigung [. . . ] an einen Pfarher B1v : so will ich meine Apologiam lassen aus gehen/ die ich an die Schule geschrieben vnd jetzt vberschickt habe; analog Flacius: Apologia ♣A6v . 316 Vgl. Flacius: EPISTOLA APOLOGETICA A2r ; Flacius: Eine Entschuldigung [. . . ] an einen Pfarher v A1 , A1v . 311

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ren, so viel gegen das Interim geschrieben317 , hätte sich schließlich nur von seinen Lehrern abgewandt, weil ihm weder die Nachfolge Caspar Crucigers nach dessen Tod, noch somit dessen Dekanat318 an der Fakultät anvertraut worden sei,319 und schließlich sei er als Verräter aus Wittenberg in Mißachtung seines Amtes geflohen.320 Flacius ließ diese Vorwürfe also nicht auf sich sitzen. Alleiniger Grund für seinen Weggang sei vielmehr folgender gewesen: Quod autem istinc discessi, feci propter certum periculum, quod mihi imminebat propterea quod restiti istis novis mutationibus, si enim in tempore non discessissem, accidisset mihi idem (vel etiam aliquid longe peius) quod accidit istis duobus concionatoribus321 , qui tamen habent totius regionis testimonium.322

Daß die Herren herausfinden mochten, wer dahinter steckte, war die eine Sache. Aber wie verhielt es sich mit dem Zorn Melanchthons und der Aufforderung, Flacius solle aufhören ihn zu beschimpfen? Wo war der „Meister“ denn bislang geschmäht worden? Flacius betonte ja in der Apologie an den – ebenfalls noch nicht namentlich erwähnten – Bugenhagen323 ebenso wie in dem in der Apologie 317 Vgl. Flacius: EPISTOLA APOLOGETICA A4v ; Flacius: Eine Entschuldigung [. . . ] an einen Pfarher A2v –A3r . 318 Daß sich Flacius für die Besetzung des Dekanats wenigstens indirekt empfohlen bzw. um entsprechende Berücksichtigung geworben hatte, könnte man aus dem Brief Melanchthons vom 28. April 1549 an Paul Eber schließen, wo es heißt, daß Flacius den Vorschlag gemacht hätte, von der Altersrangordnung abzugehen und auch jüngere Kandidaten bei der Dekanswahl zu berücksichtigen. Gleichwohl stand er selbst besagtem Brief zufolge von vornherein nicht zur Debatte; vgl. MBW 5, 5513. 319 Flacius: Eine Entschuldigung [. . . ] an einen Pfarher B1r/v . 320 Vgl. Flacius: EPISTOLA APOLOGETICA A5r/v ; Flacius: Eine Entschuldigung [. . . ] an einen Pfarher A3v . 321 Es handelte sich um Gabriel Didymus und Michael Schulz; vgl. Chalybaeus: Durchführung des Interims, S. 39 und 46 ff.; BBKL 14 (1998), Sp. 672–674. 322 Flacius: EPISTOLA APOLOGETICA A5r/v . Die deutsche Fassung [vgl. Flacius: Eine Entschuldigung [. . . ] an einen Pfarher A3v f.] fügt dem nichts hinzu. Bei seiner Antrittsvorlesung in Jena trug er dann wie folgt vor: Amisso eo ueluti exercitu praecipuaque uicum summa ignominia ac dedecore perculsi quidem & perturbati erant, quod de tanta spe deciderant, Recollegerunt tamen se denuo animumque recuperunt, et ope nostrorum quorundam Apostatarum nouam machinam ab interimendo nomen trahentes, nouasque copias ad exitium Ecclesiae Dei instruxerunt, direxeruntque, cum summa atrocissimaque comminatione extremi exitij, si quis contra uel scibere uel loqui uel pingere uel fingere uel sculpere, uel denique omnino mutire aut tantum nutu innuere quicquam ausus fuisset. [vgl. Anhang A: oratio Jhenae f10r/v .] In seiner Erzählung von 1568 fügte Flacius sogar noch hinzu: Solches gab mir Ursache/das ich dachte/ich solte mich mit meiner Gegenwertigkeit solcher Sünden nicht theilhafftig machen/ sondern viel mehr mit meinem wegreysen/darwider protestieren. Bedachte auch darneben die grosse Gefahr/die mir nicht allein von den Papisten/sondern auch von den unsern/Ja von den Hochgelerten selbs entstehen würden/wenn sie es erfüren/das die Schrifften/sonderlich so wider das Leipsische Buch gerichtet waren/von mir geschrieben weren/denn von den andern hatten sie zum theil Wissenschaft / sonderlich D.Maior. [Heldelinus: Ein christliche Predigt X1v .] So erklärt sich auch der Weggang des Flacius, obwohl er seine hochschwangere Frau zurücklassen mußte. Daß ihm wohl in Wittenberg unter unmittelbarer Bezugnahme auf die beiden Torgauer Prediger Gewalt angedroht worden sei, legt Kaufmann: Ende der Reformation, S. 160 f., Anm. 10 ausführlich dar. 323 Vgl. Flacius: EPISTOLA APOLOGETICA A2v , A5v ; Flacius: Eine Entschuldigung [. . . ] an einen Pfarher A2r , A1v . Er droht allerdings damit, seine Entschuldigung an die Universität im Druck erscheinen zu lassen: Flacius: Eine Entschuldigung [. . . ] an einen Pfarher B1v .

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an den Rektor der Universität, Jakob Milich324 abgedruckten Entschuldigungsbrief beigefügten Zettel325 , er habe den Praeceptor ohne seinen Namen zu nennen in seinen Schriften ermahnt. Tatsächlich fand Melanchthon nirgends explizite negative Erwähnung: in den drei Drucken gegen das Interim kommt er – sieht man von der lobenden Erwähnung seiner Vorrede zum Wormser Buch und seiner Nennung als „Lutherzeugen“ ab – nicht vor.326 Ebensowenig im Hermannus – so gesehen scheint Flacius die Wahrheit zu sagen. Für den lateinischen Hermannus kann man freilich einwenden, daß – wie Melanchthon ja Aurifaber gegenüber sagte – seine darin abgedruckte Schrift gerade nicht anonym erschienen sei.327 Aber von wertender Polemik im direkten Sinne ad hominem keine Spur. Wie steht es nun aber mit der letzten pseudonymen Schrift, die aber doch schließlich den Ausschlag gab, daß Melanchthon Aurifaber instruierte, seine Aufforderung an Flacius zu übermitteln? Flacius hatte sich wohl ebenfalls – wie mancher andere auch328 – Einblick in das Leipziger Papier verschafft und war über den Inhalt so verstört, daß er sich gezwungen sah zu handeln. So berichtet er zumindest in der Apologie an die Universität.329 Ergebnis seiner Einsichten war eine Schrift, die noch vor Ostern in Magdeburg unter dem Titel Wider den Schnöden Teuffel/der sich jtzt abermals in einen Engel des liechtes verkleidet hat/das ist wider das newe INTERIM 330

erschien. Bereits der Titel deutet eine Revision an: „abermals“ könne etwas „Neues“ gesehen werden. Es spricht Carolus Azarias Gotsburgensis – der „(freie) Mann, in dem Gott stark ist“ von der „Gottesburg“ oder dem „Gott eine Burg ist“. „Azarias“ oder „Mes(ch)ach“ war einer der drei Jünglinge im Feuerofen, die sich Nebukadnezars Anweisung, ein goldenes Götzenbild anzubeten, widersetzt hatten, obwohl es im wahrsten Sinne des Wortes „heiß“ wurde.331 Nebukadnezar war bereits im Waremundus thematisches Bild für den widergöttlichen Tyrannen gewesen. Das Titelblatt des neuen Drucks bietet nun gleich drei Schriftworte, die allesamt Kontexten entnommen sind, bei denen es um das Gemeindeamt oder die Mahnung an die Gläubigen geht: 1 Petr 5 (8), 2 Chr 16 (9), 2 Kor 11.332 Allerdings lassen sich die Zitate fortlaufend wie ein einheitlicher Text lesen, da sowohl die Subjekte wie auch die überleitenden Konjunktionen gut passen. 324 325 326 327 328 329 330 331 332

Vgl. NDB 20, S. 278 (im Artikel: Peucer, Caspar); ADB 21, S. 745; AdamM F6v –G1v . Vgl. Flacius: Apologia A8v ; Flacius: Entschuldigung D3r . S.o. S. 104. S.o. S. 105. S.o. S. 106. Vgl. Flacius: Apologia C1v ; Flacius: Entschuldigung F1v . Flacius: Azarias: Wider den Schnöden Teuffel. Vgl. Dan 3, 1–30. Der Druck gibt für zweitere Stelle fälschlicherweise 2. CORINT. 16. wieder.

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Lesestücke

Der Text mit einer zeitgeschichtlichen Diagnose: es sei die letzte, von der Christus gesagt habe das als dann uiel falscher Propheten auffstehen werden.333

Nichts geringeres als die Gerichtsrede aus Mk 13 sei der Situationsanalyse angemessen, jetzt wo sich die Meister unter den „Klüglingen“ erhoben hätten. Neue Gesetze und Formen der Religion würden von Sophisten eingebracht, die mit Betrug und leeren Versprechungen überfallartig alles schönredeten, so daß kein Zweifel sei, sie würden vom Teufel selbst geritten. Viel drastischer könnte eine Einführung kaum ausfallen. In Aufnahme der bekannten Elemente werden die Propagatoren des neuen Interims mit den gleichen Begriffen belegt, wie vormals Helding, Pflug oder Agricola. Vor allem sind sie inzwischen selbst in den Rang unmittelbar beschließender Subjekte – zuvor waren es nur Berater von Räten und Fürsten – erhoben worden. Sie sind gleichsam „neue Fürsten der Endzeit“. Aber die Dramatik wird noch gesteigert, wenn Azarias e minore feststellt: Es ist aber ein grosser iammer vnd schwere plag / das durch sie so sehr geergeret werden/nicht allein schlechte Leyen/sonder auch die/so zuuor die Seulen und furnempsten in der Kirchen gehalten waren/ welcher ein teil jtzund Gottlose Leer helffen fördern. Ein teil aber sein / wie der Prophet sagt334 / stumme hunde worden / die wol jhrem Herrn/ wenn sie jn herkommen sehen/mit dem schwantz/stim und geberden freundtlich schmeicheln/ und umb jhn her huppfen und springen. Wenn sie aber sehen das der Wolff jres Herrn Christi Schefflein zureisset / So dörffen sie das maul nicht auffthun.335

Die Passage wirkt inkonzin, verläuft aber hinsichtlich der Argumentation jeweils zum letzten Glied antithetisch: Dem Leiden der Laien steht der Skandal des Verrats und der Unterstützung der Gegner durch einen Teil der vormaligen Führer in Anlehnung an Gal 2,9, wo Jakobus, Kephas und Johannes so bezeichnet werden, entgegen. Ein anderer Teil – und auch dessen Tun wird auf der Ebene des Bibelwortes letztlich gedeutet – habe seine Pflicht schlicht aufgegeben bzw. sei an der Wahrnehmung derselben gehindert. So käme es, daß die Gottesfürchtigen, wo überhaupt noch vorhanden, nicht allein von frömbden/sondern auch von jhren besten freunden gehasset / unwerth gehalten/uorlassen / und an etlichen örthern in der Tyrannen lande uberantwortet336 [sc.: werden.] 333

Flacius: Azarias: Wider den Schnöden Teuffel A2r . Jes 56, 10. 335 Flacius: Azarias: Wider den Schnöden Teuffel A2r . 336 Flacius: Azarias: Wider den Schnöden Teuffel A2r . Die Passage erweckt allerdings einen Eindruck, der bis zu dem genannten Zeitpunkt kaum belegt werden kann. Die Anspielung auf die Überantwortung durch Freunde, wo nicht die „Vertreibung“ des Autors bereits vorab angedacht war, kann, sofern es um die 334

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Sonderlich wenn sie rathen/das man den Herrn Christum ein wenig mit grösserm ernst und bestendigkeit bekennen soll.337

Indem der zweite Teil den Sachverhalt gleichsam „verniedlicht“, man also nur mit ein wenig mehr Ernst Christus bekenne, entsteht ein um so größerer Eindruck von Ungerechtigkeit, wenn die ohnedies nur noch in geringer Zahl vorhandenen Bekenner von den eigenen Leuten der Obrigkeit übergeben werden. Aber gerade darin gehe es denen, denen die Welt Feind wurde, nicht anders als Christus – eine Paralleisierung, die an sich bereits im Waremundus fruchtbar gemacht worden war. Nur hier jetzt auf die eigene Glaubenspartei gemünzt: Wittenberg ist nicht mehr, was es einmal war. Es herrsche Ungerechtigkeit, die Liebe sei erkaltet, so daß letztlich die Christen einander gegenseitig wie wilde Tiere auffräßen. Ja sogar intime Freunde seien dem Teufel und Antichrist verfallen. Die Welt laufe nach dem Greuel der Verwüstung, aber nichts desto trotz lasse sich der Weissagung gemäß das Evangelium hören. All dies habe aber Christus vorausgesagt, damit die Gläubigen gewappnet seien, sich nicht verführen zu lassen. Für Satan sei es das gewisse Zeichen seines Endes, was ihn dazu bewege, in einem letzten Aufbäumen und Wüten möglichst viele mit in den Abgrund zu reißen. Auch darum wolle der Ich-Sprecher der Flugschrift mit den kärglichen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln die listigen Anschläge, die geschähen, aufdecken338 : Investigativ-Theologie als Exegese zeitgeschichtlicher Ereignisse. Man hat kaum einen INTERIM oder Hellischen Teuffel/der sich in einen Engel des lichtes vorkleidet hatte / das schempart339 vom maul gezogen/vnd seine Tücke dem einfeldigen Gemeinen man eröffnet/ Sihe da ist bereit an ein anderer Teuffel vorhanden/ Welcher sich viel hübscher in einen Engel des liechtes vorwandelt hat denn der erste [. . . ].340

Es seien nicht mehr die „geschwinden leuffte“ des einen Interims, es ist mittlerweile die rasante Abfolge der – stets erneuerten – Interims-Beschlüsse. Die jeweilige Verkleidung – nach 2 Kor 11 in einen „Engel des Lichts“ –, hier als metaphorische Umschreibung für die Tarnung einer dem Erscheinungbild völlig entgegenstehenden, hintergründiger Bosheit, werde immer besser, perfider und so für den Laien immer schwieriger zu durchschauen.341 Der Umstand wird wie folgt erklärt: Beschlüsse des Leipziger Landtags geht, letztlich nur auf die Diskussionen mit Leonhard Beyer zwischen dem 3. Januar und dem 31. März bezogen sein, sofern von Absetzung nicht die Rede ist; vgl. Chalybaeus: Durchführung des Interims, S. 43–46. Didymus wurde zwar am 6. Februar ins Rathaus bestellt, aber erst am 31. März nach Torgau zur Verhandlung mit den Wittenberger Professoren bestellt; Chalybaeus: Durchführung des Interims, S. 48. 337 Flacius: Azarias: Wider den Schnöden Teuffel A2r . 338 Vgl. Flacius: Azarias: Wider den Schnöden Teuffel A2v f. 339 Eine Bezeichnung für eine – im wesentlichen aus einem Bart bestehenden – Maske oder Verkleidung; vgl. DWB 15, 2 SCHÖNBART, Sp. 1487 f. 340 Flacius: Azarias: Wider den Schnöden Teuffel A3r . 341 Daß und wie dies ins Bild gesetzt wurde, zeigt die Herausgabe eines „Faltbildes“ zum Chorrock, also auch noch einer auf der Wortebene der „Verkleidung“ entsprechenden Thematik, anschaulichst:

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Lesestücke [sc. Man] will sich in der Christlichen Kirchen auch für Christum auffwerfen/das ist ein newes INTERIM will man der Christlichen Kirchen beybringen/ Welches nicht allein mit unrechter gewalt der Tyrannen gerüstet ist/ Sonder auch (wie die Achitophels gesellen fürgeben) mit beystandt gelerter Leuth/ Die in der Kirchen Gottes keines gerngen ansehens sindt.342

Selbstermächtigung ist nicht zum ersten Mal das Thema. Die Art ist allerdings neu. Im spirituellen Sinne werde gegen Christus bzw. sein Wort aufgetreten, sich an seine Stelle gesetzt. Das zu bemerken, war im Zuge der Zwangsmaßnahmen, die mit der militärisch gestützten Autorität des Kaisers einhergingen – etwa im Waremundus343 noch im Kontext des ungerechten Erwürgens, wie es die Pharaonen oder der Hohe Rat getan hätten, gedeutet –, noch vergleichsweise einfach. Jetzt sei genaugenommen ein neuer status eingetreten. Das Verbrechen als solches werde nicht mehr – wie es der ursprüngliche Vorwurf, die Ungerechtigkeit sei offen und dreist vorgetragen, darstellte – erkennbar, sofern einfach „Anwälte“ bestellt seien, die die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen einem mehr oder minder von der Evidenz geleiteten Erfahrungszugang entzögen. Sie werden als Kollegen des Ahitophel344 gekennzeichnet, dem Berater Davids, der sich mit Absalom gegen David verbündete, und sich – eine Parallele zu Judas345 – erhing, nachdem Absalom seinen Rat nicht befolgte.346 Aber Azarias gibt nicht auf: Nu wolan mit Gottes hülff/wollen wir gnugsam beweisen/das man diesem Schnöden Teuffel auch nichts in der Christlichen Kirchen einreumen oder jhn an des HERRN Christi stadt anbeten sol. Wir wollen aber erstlich hirvon nur in gemein etliche vrsachen ertzelen/ vnd hernachmals auch in sonderheit einen jeden grewel dieses schnöden Teuffels des newen INTERIMS an tag bringen.347

Die Ursachenschilderung, die narratio rerum gestarum, beginnt mit einem Pflichtenkatalog, an dem alles Folgende zu bemessen ist. Der Autor eröffnet ohne jede weitere Erklärung mit der These, daß es Aufgabe eines jeden Christen sei, aber ganz besonders der Lehrer, klares Bekenntnis abzulegen348 , da sie Lichter seien, die Gott selbst angezündet habe349 . Dem dürfe nicht sophistisch ausgewichen werden, indem mancher auff beiden achseln trage/oder auff beiden seiten hincke.350 vgl. Kaufmann: Ende der Reformation, S. 398–428, bes. 418–423, abgebildet ebd. in Anhang 4, Abb. 18, S. 585. 342 Flacius: Azarias: Wider den Schnöden Teuffel A3v . 343 S.o. S. 55. 344 Achitophel ist die Namensform der Vulgata. 345 Zumindest nach Mt 27, 5. Nachfolger des Judas aber war nach der Apostelgeschichte Matthias: Apg 1, 15–26. 346 Vgl. 2 Sam 15, 12 ff. 347 Flacius: Azarias: Wider den Schnöden Teuffel A3v . 348 1 Joh 4, 2 f. 349 Vgl. Phil 2, 15. 350 Flacius: Azarias: Wider den Schnöden Teuffel A3v .

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Das koste das Seelenheil. Das Elia-Zitat351 evoziert die selbiger Bibeltextpassage vorangegangene Situation eines Streitgesprächs zwischen Ahab und Elia, wo es (1 Kön 18, 17 f.) heißt: Und da Ahab Elia sah, sprach Ahab zu ihm: Bist du, der Israel verwirret? Er aber sprach: Ich verwirre Israel nicht, sondern du und deines Vaters Haus, damit daß ihr des HERRN Gebote verlassen habt und wandelt Baalim nach.

Damit ist – freilich hier unausgesprochen – intertextuell die „Ermächtigungssituation“ des Autors mit seiner Bußrede als Legitimation evoziert: Ein neuer Elia, der – bei gleichzeitiger Abwehr des Vorwurfs, Aufruhr zu stiften – die Abweichler zurechtweist. Es kommen viele Argumente, die bereits aus den vorhergehenden Schriften bekannt sind: der Vorbildcharakter aus dem Hermannus352 , der fahrlässige Umgang mit der eigenen Tradition, wie sie von Lauterwahr gegen Agricola verteidigt worden war353 . Der Eindruck von Verrat der evangelischen Sache müsse entstehen, wenn sich niemand durch öffentliche Schriften äußern dürfe.354 Die im Hermanunter Bezug auf nus schon ausgearbeitete kriteriologische Kritik an den Gal 5355 findet als dritter Punkt Eingang. Erst an vierter Stelle liest man etwas Neues: die gottlosen Artikel würden beschönigt, mit Bischöfen Sinn und Bedeutung des einen oder anderen Artikels ausgehandelt und in fragwürdiger Weise argumentativ abgesichert. Doch wozu? Es werde darüber gepredigt – wer wisse schon, wie lange das noch erlaubt sei. Und sonst? Wer erfahre davon angesichts der Zensur, die kommentierende bzw. interpretierende Schriften verbiete? Gar kein tropffen sind sie es gebessert/Sondern durch vnsere Jnterimistische verenderung vnd stillschweigen/werden wir weit vnd breit allerley Papistische Abgötterey/grewel vnd Jrthumb/die des INTERIMS natürlicher verstand vnnd meinung mit sich bringet/vberhand nemen lassen/Werden auch des Antichrists Tyranney wüten vnd toben stercken/Blöde gewissen vnnd den Heiligen geist/der in jhnen wonet/ betrüben/bestürzen vnd math machen.356

Neben dem vom Titelblatt des Waremundus bekannten Motiv des Wütens und Tobens des Teufels bzw. seiner tyrannischen Werkzeuge357 konstatiert Azarias, daß die naheliegende, dem gesunden Menschenverstand entsprechende Deutung der im Interimstext verzeichneten Artikel ohne Kommentierung dann fünftens in papistischen Irrtum führen müßten. Alles sei nur auf diese Restitution des Papsttums ausgerichtet. Da helfe auch keine Annahme unter Bedingung „wohlmeinender Auffassung“ oder „differenzierten Verständnisses“. Es sei schon ganz zu 351 352 353 354 355 356 357

Vgl. 1 Kön 18, 21. S.o. S. 88. S.o. S. 98 ff. Vgl. Flacius: Azarias: Wider den Schnöden Teuffel A4r . S.o. S. 89. Flacius: Azarias: Wider den Schnöden Teuffel A4v . S.o. S. 54.

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Anfang eben diese des Teufels List gewesen, das Papsttum Stück für Stück, Irrtum für Irrtum, Mißbrauch für Mißbrauch aufzubauen.358 Wie wiederum schon aus dem Hermannus bekannt359 solle den neuerlichen Anfängen gewehrt werden. Soweit die allgemeinen Problempunkte. In einem zweiten Teil geht Azarias nun auf die besonderen Fehler des „neuen Interims“360 , das umb Weihnachten auff dem landtag zu Leiptzig dem Adel vnd gesandten des Meissnischen vnd Sechsischen Chur vnd Fürstenthums ist fürgelegt worden,361

ein. Zunächst sei es grundsätzlich pervers, sofern es die alten Irrtümer als Reformen hin zu besserem Ritus und reiner Lehre verkaufe. An keiner Stelle würden die papistischen Irrtümer verworfen, was e silentio einer faktischen Verwerfung wahrer evangelischer Lehre gleichkäme, die durch Gottes Barmherzigkeit zuletzt nochmals aufgeleuchtet sei. In der Vermischung teils widersprüchlicher Aussagen propagiere es eine Vereinigung Christi und Belials. Azarias deutet das im Bild des Reiters, der dem Pferd die Zügel anlegt, sie zunächst schleifen läßt, um dann immer fester anzuziehen. Darum sei es nötig, einige Artikel unter diesem Gesichtspunkt genauer zu untersuchen.362 Im Artikel von der Rechtfertigung sei – neben anderen Irrtümern – das sola fide aufgehoben. Von Christi Verdienst sei nirgends die Rede. Im Artikel von der Gewalt und Autorität der Kirche sei durch die Unterordnung von Lehre und Ritus unter die Kirche, das sola scriptura faktisch abgeschafft. Im folgenden Kapitel von den Kirchendienern schließlich sei die Ordination den Bischöfen überantwortet, was der Benennung gefälliger statt guter Kandidaten Tür und Tor öffne. Entsprechende Empfehlungen fänden sich ja schon in der kaiserlichen formula reformationis. Auch würden Firmung und altes Taufritual nebst lateinischer Liturgie präsentiert. Die Artikel von Buße und Beichte würden nichts Konkretes ausführen, was doch e silentio gewiß ein Hinweis sei, daß die Auffassung des Interims gelten müsse. Die Absolution und was ihr „anhängig“ sei363 meine doch ebenso gewiß nichts Anderes als die Satisfaktion. Ja sogar Ablaßbriefe seien gebilligt worden. Die Lehre von der Kommunion sei so falsch wie im Interim, aber sie werde immerhin zum Unterricht der Gläubigen zur Lektüre empfohlen. Es 358 Hier findet sich die den Magdeburger Zenturien zugrunde gelegte Idee, die historiographische Grundthese der Dekadenzgeschichte, die – vermittelt durch die Argumentation der Gutachten der 1540er Jahre – in nicht geringen Teilen auf Melanchthons Didymi Faventini adversus Thomam Placentium pro Martini Luthero theologo oratio zurückzuführen ist; vgl. Scheible: Der Plan der Magdeburger Zenturien, S. 1–32. Melanchthon hatte den Verfall der alten Kirche vornehmlich am wachsenden Herrschaftsanspuch des römischen Bischofs festgemacht und im Unterpunkt De causa Pontificia nach der Behandlung der biblischen Legitimierung historisch fortschreitend dargelegt; vgl. MStA 1, S. 116 ff.; CR I, 291–293. 359 S.o. S. 88. 360 Vgl. PKMS IV, Nr. 212. 361 Flacius: Azarias: Wider den Schnöden Teuffel B1v . 362 Vgl. Flacius: Azarias: Wider den Schnöden Teuffel B1v f. 363 Vgl. Flacius: Azarias: Wider den Schnöden Teuffel B2v .

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folgt schlußendlich eine Widerlegung an, die die Argumente Lauterwars364 rekapituliert. An all dem könne der Leser leichtlich der Alten Schlangen list vermercken/Denn mit diesem newen INTERIM wil sie den Raub vnd Diebstahl des alten INTERIMS bestetigen.365

Raub und Diebstahl, die Hinwegnahme Christi durch die Verfälschung seines Testaments sind mit dem Begriff des Interims selbst verbunden, ja geben sein Wesen preis, wenn man es von lat. interimo ableitet. Die letzte Ölung sei ein analoger Wahnsinn, zumal nicht geklärt sei, was damit genau gemeint sei. Wiederum wird e silentio die entsprechende Bestimmung des Interims als maßgeblich gefolgert: ein Sakrament zur Seligkeit. Aber sie wissen fürwar nicht, was sie plaudern366

wenn sie schlicht eine Ölung analog zum usus der Apostel empfehlen. Denn erstens hätten die Apostel selbige eben nicht allein als Sakrament zur Sündenvergebung gebraucht, sondern auch als Heilmittel, Kraft ihrer Geistesgabe. Könnten keine solchen Wunder mehr vollbracht werden, so bräuchte man sie nicht mehr, zumal die Befestigung des Evangeliums, wie noch zur Apostelzeit, auch nicht in Frage stehe. Überdies sei angesichts solcher alter Praxis der Begriff „letzte Ölung“ als solcher ad absurdum geführt: Denn die Apostel Salbeten solche krancken vber welchen sie noch gute hoffnung hatten/ das durchs gebett jnen wider möchte zur gesundtheit auffgeholfen werden. Die papisten aber schmieren die krancken da allererst/wenn sie in letzten zügen liegen / vnd gar kein hoffnung des lebens mehr vorhanden ist/sondern jederman darauf wartet/wenn jhnen die Seel ausgehe.367

Durch die kontrastierende Wortwahl „salben“ vs. „schmieren“ wird der Gegensatz der Salbung zum Heil und der Abfertigung zum Tode nochmals in seiner Dramatik unterstrichen. Ähnlich absurd sei die Anrufung der Toten und anderes mehr, das bei der Ölung unwidersprochen zugelassen sei. Im Kapitel von der Messe finde sich vollständige Restitution papistischen Brauchs: insbesondere die Marien- und Heiligenbeichte, die den Angerufenen die göttliche Macht der Sündenvergebung zuschreibe, sei ein Unding ohne gleichen. Die lateinischen Gesänge, die der Gemeinde den Mitvollzug unmöglich machten, die Lehre vom Fegefeuer, den Vigilien und Seelenmessen, all dies sei Teufelswerk, und sei es noch so allgemein gehalten und noch so gut präsentiert. Das Kapitel vom Fasten, sonderlich de esu carnis, wird von Azarias unter neuerlichem Hinweis auf Gal 5 364 365 366 367

S.o. S. 95. Flacius: Azarias: Wider den Schnöden Teuffel B3r . Flacius: Azarias: Wider den Schnöden Teuffel B3r . Flacius: Azarias: Wider den Schnöden Teuffel B4r .

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auf das schärfeste verworfen, und auch unter die Bischöfe werde er sich so allgemein formuliert niemals als „seine Herren“ unterordnen, sofern etwa auch der Papst ein Bischof sei. Da könne ja ebensogut der Teufel als Herr angenommen werden.368 Was schließlich das Schlußwort allgemein angehe, so biete man darin ja ausdrücklich an, sich mit den Bischoffen zuuergleichen. Darmit geben sie zuuerstehen/ das hinter dem INTERIM noch ein Interim stecke.369

Diese Doppelgesichtigkeit bzw. Maskierung holt das am Anfang stehende Bild vom „neuen Engel des Lichts“ sachlich ein und beschließt die Darstellung der Irrtümer des Leipziger Landtagspapiers. Besonders interessant für die Ausgangsfrage nach der namentlichen Erwähnung Melanchthons ist freilich die Passage im Schlußteil der Schrift, die auf den Verlauf der Verhandlungen in Leipzig eingeht. Es heißt da: jha die stein vnd felsen werden jhn bekennen / wo wir schweigen / vnd wirth dennoch Christus widerumb aufferstehen / es sey der welt lieb oder leyd.370

Die Steine oder Felsen werden also reden. Der Autor hatte – wie zuvor bereits geschildert –, in der Einleitung davon gesprochen, daß er mit seinen geringfügigen Mitteln – immerhin der Etymologie zufolge leistet der Herr dem so Bezeichneten Hilfe bzw. ist stark in ihm –, das ihm Gebotene versuchen werde. Das Bild von den Steinen und Felsen hat hier die Funktion, wie in Lk 19,40, nämlich zu betonen, daß die Wahrheit des Wortes unabhängig von den an sich zuständigen Verkündern zur Not auch auf „unüblichem Wege“zur Verbreitung käme. In einem Brief an Andreas Poach371 in Halle vom 1. August 1549372 schrieb Flacius, also in einer nicht zu großen zeitlichen Distanz zur Publikation des Azarias zu seiner gegenwärtigen Situation und Motivation das folgende: Circumspectaui sane et ego, num alicunde aliquis exurgeret, qui se istis impiis conatibus opponeret, ac primum quidem ipsos, praesertim uero philip[pum] multum oravi et hortatus sum. postea cum uiderem malum pergere nec se quemquam opponere, non potui dolori animi et conscientiae repugnare. quare quantumvis me infantem esse agnouerim semper, tamen in hoc tanto pontificum 368

Vgl. Flacius: Azarias: Wider den Schnöden Teuffel C1v . Flacius: Azarias: Wider den Schnöden Teuffel C1v . 370 Flacius: Azarias: Wider den Schnöden Teuffel C2r . 371 Vgl. BBKL 7 (1994), 762–763. Der Brief ist auch deswegen interessant, weil er Aufschluß über die Informationsquellen des Flacius gibt. Es heißt im Schlußabschnitt: Quod mihi praeter preces etiam pecuniarium adiumentum polliceris, habeo ingentes gratias. Uerum hoc rectius diuites aliqui fecerint. a te ego tantum illud serio postulo, ut mihiquam primum ista lisensia acta et imprimis ea, quae eis praeterea adiuncta sunt, mittere uelis. item, si quae praeterea de nouis actionibus explorare potes. scis enim mihi istis in hoc certamine uehementer opus esse. quare si causam hanc amas, obsecro te labora, ut quamprimum omnia cognoscam quae nondum penitus perspecta habeo. 372 RSB Zwickau Ms. QQ 39. 369

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et scribarum partim silentio partim etiam furiosa cupiditate opprimendi veritatem Christi non potui omittere, quo minus „Benedictus, qui uenit“, clamarem. Vere in me opinor impletam esse prophetiam Christi, quod, si illi tacuerint, lapides sint clamaturi, nam ego scribens Germanice idem plane sum quod lapis clamans. dominus Jesus potens est per nos lapides et plane testacea uasa suam gloriam et miserorum hominum salutem promouere. [. . . ] si isti potentes sapientes & Nobiles uolunt plus hostes & diabolum quam deum timere, tum eliget deus imbecilla & contempta mundi et ea, quae non sunt, ut confundat ea omnia, quae in mundo eximia sunt.

Er liefert damit nicht nur den Hinweis darauf, daß auch die ausschließlich deutschen Publikationen373 aus seiner Feder stammten, sondern gewährt einen Blick auf sein gleichsam in heilsgeschichtliche Bilder eingebundenes Selbstverständnis, und liefert mit dem dominus Jesus potens est per nos lapides noch die an die Zeugenschaft gebundene Übersetzung des Namens Azarias. Es sei hier zugleich auf die Tatsache hingewiesen, daß sich die heilsgeschichtliche Deutung allerdings – so hier die Begründung – aus der Beobachtung herleitet, daß ausgerechnet er als letzter denkbarer Verantwortlicher den Deutschen Zeugnis geben muß. Das geschilderte Selbstverständnis hatte also keine Vorgängigkeit, sondern ergab sich aus der – angesichts der ihm zur Verfügung stehenden Informationen – nicht ganz falschen Zeitdiagnose aus dem Azarias: Daraus erscheynet/das/ob gleich Judas den Herrn Christum verrathen/ Petrus yhn verlaugnen/ vnd die andern Jünger von jm fliehen werden / Dennoch wirt man noch etwan einen Schecher am Creutz vnd einen Kriegshauptman finden/der wirt jhn bekennen. jha die stein vnd felsen werden jhn bekennen / wo wir schweigen / vnd wirth dennoch Christus widerumb aufferstehen / es sey der welt lieb oder leyd . Wie man denn in dem Hochgemelten Meisnischen vnd Sechsischen Landtag/ der jtzt vmb Weinachten zu Leiptzigk gehalten/mit der that erfahren hat/ Da der gantzen Landtschafft gesandten/vnd furnemlich der Adel374 frey bestendig vnd Christlich geantwortet haben / Sie wollen leyb vnd gut bey Gottes: Wort zusetzen. Vnd da die Bischoffe auff die ölung vnd etliche andere Artickel hart dringen wolten/ ist ein Tapfferer man vom Adel den Bischoffen vnter die augen getretten vnnd hat gesagt / Ja lieben Herrn / Solche Artickel wolt jhr han/ die euch dienen/ Reine Christliche leer aus diesen landen gentzlich zuuertilgen/ vnd das jhr vns wider möchtet mit füssen tretten/wie jr zuuor gethan habt. Denck du/ob nicht dieser Hauptmann in dieser marterwochen ein verstendiger vnd bestendiger Christ sey / Viel mehr denn eben Petrus / Joannes/ Philippus/Jacobus/ Maior/ etc. Die da Christum verliessen/ da es zum treffen kam.375 373 374 375

S.o. S. ff. Vgl. PKMS Nr. 211; Nr. 227 [Randnotizen des Schreibers]; Nr. 235. Flacius: Azarias: Wider den Schnöden Teuffel C2r .

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Lesestücke

Die Passage war ebenfalls von dem Mottotext der ganzen Schrift, Mk 13, ausgehend mit der These eröffnet worden, daß das Wort Gottes auch durch Verfolgung und Verrat nicht zum Verstummen gebracht werden könne, und diese These wurde schließlich mit dem „historischen“ Beleg des Christusbekenntnisses am Kreuz untermauert. Der Text macht an dieser Stelle die Wende zur applicatio auf die gegenwärtigen Verhältnisse, da er mit dem den lector in fabula integrierenden „wir“ auf den von Geheimabsprache und politischem Kalkül geprägten Zeitraum um Weihnachten 1548/49 zurückkommt. Ausgehend von der Rückbindung des biblischen Bekenntnisereignisses an das zeitgeschichtliche Geschehen fährt der Autor fort mit der Schilderung eines Zwischenfalls auf dem Landtag, der sich an die Vorlage des von Bischof Johann VIII. von Meißen und Bischof Julius von Pflug von Naumburg-Zeitz vorgelegten Gutachtens376 anschloß. Ein nicht namentlich genannter Hauptmann – vermutlich einer der Grafen377 – habe in der Landtagswoche, die als Karwoche identifiziert wird, den Bischöfen widersprochen. Dieser sei besser gewesen als – hier wieder die Rückbindung an das österliche Geschehen und den Hauptmann unter dem Kreuz – die ängstlichen Herrenjünger. Der Vortrag des bischöflichen Gutachtens muß tatsächlich von nicht geringem Widerspruch begleitet gewesen sein, wie man den Kommentaren des Schreiberprotokolls entnehmen kann.378 Konkrete Schlüsse auf solche Widersprüche folgten allerdings nicht, da Moritz den Landtag mit dem Dank für die Eingaben, die er bedenken wolle, beendete. Analog zu der Identifikation des zeitgenössischen Widerspruchs zum Bekenntnis unter dem Kreuz legt die Parallelisierung nahe: die ihm entgegengesetzten Apostel. Was sich zunächst wie die Aufzählung von Jüngern – des Petrus, Johannes, Philipp, Jacobus und schließlich des Jacobus maior, des Zebedaiden – liest und also mit dem Verleugner beginnt, der im Druck von den übrigen Namen abgesetzt ist, ließe sich im weiteren Textverlauf auch folgendermaßen lesen: Denck du/ob nicht dieser Hauptmann in dieser marterwochen ein verstendiger vnd bestendiger Christ sey / Viel mehr denn eben Petrus [sc. als Urtypus des Papstes]/ Joannes [sc. Bugenhagen]/ Philippus [sc. Melanchthon]/Jacobus [sc. Milichius]/ [sc. Georg] Maior/ etc. Die da Christum verliessen/ da es zum treffen kam.

Bugenhagen als Superintendent und Melanchthon als Hauptgutachter hatten die Bedenken zum Interim als erste unterzeichnet und verteidigt, und schließlich – wie bereits erwähnt – ihre Position durch das Antwortschreiben an die Pfarrherren in Brandenburg untermauert. Jacob Milichius hatte immerhin als Dekan der medizinischen Fakultät und zugleich Universitätsrektor im Sommersemester 376

Vgl. PKMS IV, Nr. 227. Das Bedenken der Grafen legt eine solche kritische Haltung nahe und war womöglich von Georg von Anhalt erstellt worden; vgl. PKMS IV, Nr. 214, Nr. 229. 378 Vgl. PKMS IV, Nr. 227 Anm. 1–11. 377

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Carolus Azarias

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des Jahres 1549379 Melanchthon universitätsintern gestützt, und Major war als Co-Autor gemeinsam mit Melanchthon für die „widerspruchsfreie“Druckfassung des Leipziger Interims verantwortlich. Läse man die Passage so – und die Lesart drängte sich dem zeitgenössischen Rezipienten wohl auf –, ließe sich der Zorn Melanchthons verstehen. So schließt der Textteil, beachtet man den Anfang des Waremundus mit der Ausgangsposition Christi vor dem Hohen Rat und anschließend vor Pilatus, ein aus der gesamten Passionsgeschichte herausgebildetes zeitgeschichtliches Verständnis ab. Das Schlußwort der Schrift rekapituliert die aus solchem Beispiel zu ersehenden Pflichten, die erwartbaren Folgen und richtet schließlich die Bitte an ganz Deutschland, sich Gott gegenüber nicht undankbar zu zeigen, wo er doch hier in diesen letzten zeiten dieser Nation / am ersten vnnd reichlichsten seynen einigen Son /vnd den rechten Wegk zu Ewigker Seligkeit offenbaret hat.380

Ein jeder möge sich dieser Ehre in Glaube und Bekenntnis würdig erweisen. In Wittenberg selbst schlug der Azarias wohl als äußerst erfolgreiche Provokation ein, wenngleich die geschickte Art der Präsentation es dem Autor ermöglichte, zunächst den Unschuldigen zu mimen. Diese Art der Auslegung aber, aus der Bibellektüre Anleitung bzw. Deutungsoptionen für die gegenwärtige Entscheidungssituation zu gewinnen, die unter syllogistisch anmutender Rückführung auf andere dem jeweiligen locus zugeordnete Bibeltexte ihre Bestätigung erfuhren, hatte Flacius bei Melanchthon kennengelernt. In diesem Sachverhalt liegt auch die schon für Zeitgenossen schwer nachvollziehbare, oft mit Unverständnis aufgenommene Eigentümlichkeit der Auseinandersetzung des Schülers mit dem „Meister“ begründet: Flacius blieb der Sache, die er in Wittenberg gelernt hatte, unter allen Umständen treu und wurde es darum auch nicht müde – etwa in der Apologie –, Melanchthon als großem Lehrer zu danken. Er schreibt dort ebenfalls: An etlichen örtern hab ich zuuerstehen geben [. . . ] das eine schwachheit bey jhnen were/welchs doch sonst jdermanne bekant war.Auff das ich aber die selbe linderte/hab ich sie mit der Aposteln schwachheit vergleichet.381

Ein zugegeben schwacher Trost für Melanchthon, gegen den sein eigenes „Arsenal“ – die Argumente, die just zur Verteidigung der Adiaphora um der schwachen Mitmenschen willen dienten – nun als Entschuldigung ins Feld geführt wurde.

379

Vgl. Förstemann: Album 1, S. 805. Flacius: Azarias: Wider den Schnöden Teuffel C3r . 381 Flacius: Entschuldigung F2v ; lat.: Innui alicubi obiter [. . . ] esse in eis quandam imbecillitatem, (quod alioqui iam erat omnibus notissimum), quam tamen quo lenirem, cum Apostolorum imbecillitate comparavi.; vgl. Flacius: Apologia C3r . 380

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Lesestücke

7. Rechte Lehre und richtige Exegese: De justificatione Nachdem mit der Pegauer Formel382 und dem bischöflichem Zusatz eine doppelte, ja widersprüchliche Anschauung von der Rechtfertigung in den Leipziger Landtagsbeschluß Eingang gefunden hatte, war die Diskussion neben der Frage um die Frage nach dem rechten Rechtfertigungsverständnis383 nach den erweitert worden. Flacius hatte dazu eine eigene Schrift veröffentlicht. Es handelt sich genauer gesagt um den lateinischen Druck Quod locus Lucae VII.384 Dico tibi remissa sunt ei peccata multa, nam dilexit multum, nihil Pharisaicae iustitiae patrocinetur385 ,

der auf dem Titelblatt neben der Autorenangabe, dem Druckjahr 1549 und dem Druckort Magdeburg ein lateinisches Zitat aus Hosea 14 (v.10) trägt, welches selbst wiederum Psalmzitat aus Ps 25,10 ist; und an eben diesem Ort, als Sphragis des Hoseabuches enthält es eine passende kontextuelle Note, sofern es um die Bekehrung Israels nach seinem Abfall zum Götzendienst geht.386 Der Druck ist insbesondere deshalb von Bedeutung, weil er noch unzweifelhafter als alle anderen Publikationen Rückschlüsse auf Flacius’ jüngeren Traditionsbezug erlaubt. Flacius besaß nämlich einen Band387 , der eine bei Lotther388 1536 in Magdeburg unter dem nahezu identischen Titel DE ILLO LUCAE VII. DIMITTVNTUR EI PECCATA MVLTA, QUONIAM DIlexit multum. Disputatio. D. Mart. Luther. MDXXXVI.389

erschienene Disputation Luthers enthielt. Eine bessere Vorlage gegen das der Pegauer Formel zur Seite gestellte Stück im Sinne der Werkgerechtigkeit und die „adiaphoristisch“ verblendeten Wittenberger konnte es kaum geben, wenngleich – oder auch gerade weil – die Lk-Stelle in der Pegauer Formel nicht zur Argumentation gegen oder für ein operationales390 Verständnis des Rechtfertigungsge382

S.o. S. 44. An und für sich konnte diese Frage hinsichtlich der Kompromißtauglichkeit ihres Gegenstandes – auch ungeachtet aller folgenden Interimsgutachten – schon mit der Promotionsdisputation Maximilian Mörlins vom 12. März 1546, die unter dem Vorsitz Melanchthons und in Auseinandersetzung mit den propositiones Malvendas vom Regensburger Colloqium abgehalten worden war, in Wittenberg als wesentlich erledigt gelten; vgl. Malvenda & Mörlin: Propositiones A2v–A3r : propos. 8 & A4r –A5r : propos. 10–17. Zur Person Mörlins vgl. ADB 22, S. 235; NDB 17, S. 679*. 384 Lk 7,47 [37–50]. 385 Vgl. Flacius: Quod locus Lucae. 386 Es heißt dort: Die Wege des Herrn sind richtig; und die Gerechten wandeln darin; die Übertreter aber kommen zu Fall. 387 Vgl. HAB K 291.8◦ Helmst (23), Band „[No] 303“ aus dem Besitz des Flacius. 388 Vgl. ADB 19, S. 277–278. 389 Vgl. WA 38, I, 127–134. 390 Mit dem Begriff sei hier eine Theorie bezeichnet, die das Rechtfertigungsgeschehen nicht nur beschreibend abbildet, sondern zugleich ethisch handhabbar macht und sich (teil)subjektiv aneignet. Sie unterscheidet sich von einer nur auf Erkenntnis oder Erfahrung gerichteten passiv-kontemplativen Theorie durch ihren aktiv-gestaltenden Bezug zur Wirklichkeit, sofern sie – zumindest anteilig – auf unmittelbare praktische Umsetzbarkeit gerichtet ist. 383

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schehens bzw. seines „Werkeanteils“ in der Pegauer Formel herangezogen worden war.391 Es kann allerdings, sofern die Deutung favorisiert wird, bei Flacius handele es sich um einen „Luthererben“, die Enttäuschung beim Lesen seiner Publikation kaum unterdrückt werden. Der gebotene Text hat – neben der vom Vulgata-Wortlaut bei Luther abweichenden Wiedergabe des quoniam mit nam – weder hinsichtlich der Argumentationsform, noch der systematischen Darlegung auch nur im entferntesten etwas mit dem Druck von Luthers Schrift zu tun: Nach einer Einleitung, die an erster Stelle und als Anlaß der Schrift die existenzbedrohende Preisgabe des Seelenheils der Gläubigen beklagt, wird festgestellt, daß die im Titel genannte und gegenwärtig von Papisten wie Interimsvermittlern mißbrauchte noch ad in irgendeiner Weise eine ArgumenLk-Stelle weder ad tation für eine verderbte Rechtfertigungslehre, die prozeßhaft die Tat als anteilig wirksam am Rechtfertigungsgeschehen begreift, wie sie im Interim angelegt war, stützen könne.392 Damit ist zugleich die Gliederung der folgenden Abhanddes lung vorgegeben: Flacius beginnt mit dem Skopos, indem er feststellt, das griechischen Originaltextes sei dem Gesamtsinn der Passage nach ausschließlich explikativ zu verstehen: „denn sie hat viel geliebt“. Igitur particula /quia non indicat hic causam rei, sed tantum praecedentem affirmationem CHRISTI: Dico tibi, &c. esse veram: Et tota illa sententiola: Nam dilexit multum nihil est nisi confirmatio praecedentis propositionis.393

Zumal Christus ja hinzugefügt habe, daß die Vergebung der Schuld ausdrücklich Ursache der Liebe sei. Es gehe hier also nicht um die Darstellung einer causa efficiens, sondern um den Erweis der Überheblichkeit des Pharisäers, der nur auf Werkgerechtigkeit und das damit verbundene Selbstlob abhebe. Christus spreche hier ja nicht ohne erklärenden Kontext, und noch viel weniger verkündige er Paradoxes: Cum igitur & praecedentia & sequentia doceant dilectionem esse effectum remissionis peccatorum, non dubito quin & in hac sententiola CHRISTUS ita locutus sit, neque enim non cohaerentia locutus est, multo minus contradictoria.394

Darauf folgt eine Analyse auf der Basis der möglichen Wort-Bedeutungen von , die abhängig von seiner Verwendung sind: im wesentlichen fallen sie in den Bereich des konsekutiv Explikativen und des kausal Unterordnenden:395 391

Vgl. PKMS IV, Nr. 74. vgl. Flacius: Quod locus Lucae A2r . 393 Flacius: Quod locus Lucae A2v . 394 Flacius: Quod locus Lucae A3r . 395 Zur Verwendung vgl. Liddell/Scott: A Greek-English Lexicon. Oxford 9 1940 (ND 1961), S. 1265; Radermacher: Neutestamentliche Grammatik, S. 149.159 f. 392

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Lesestücke Quo autem aliquanto clarius probemus hunc esse loci sensum, uolumus hic quasdam uoces declarare quae a multis non satis recte in hoc textu accipiuntur.396

Flacius zieht die Parallele zum Lateinischen quia, in analoger Bedeutung bzw. Verwendung zu quod bzw. in Anlehnung an . Significat igitur , id est, Quia alias idem quod propter, uel Germanicum, darumb, ut cum dicimus, Ciceronem factum esse doctum, quia diligenter studuerit, quia ingenio ualuerit, quia habuerit bonos praeceptores: DEUM nobis remittere peccata quia sit misericors, quia CHRISTUS pro humano genere satisfecerit.397

In all diesen Beispielen liege nichts jeweils zu Bekräftigendes vor, und darum könne auch das quia nicht per se als Kennzeichen eines assertorischen Satzes aufgefaßt werden. Es sei hingegen jeweils die causa efficiens derjenigen Sache genannt, welche an sich schon als bekannt vorausgesetzt wird, erklärend, nicht beweisend. Es bestehe ja kein Zweifel, daß Cicero ein gebildeter Mann gewesen sei, hocque tanquam notum assumitur, per Quia igitur non probatur, sed eius eruditionis causae efficientes ostenduntur.398

So sei es ja auch üblich zu sagen, daß jemand kränkele, weil er ein unmäßiges Leben geführt habe, oder weil er seiner Veranlagung nach krankheitsanfällig sei. So sei eben auch Cicero getötet worden, weil er Antonius in seinen Reden angegriffen hatte; Caesar sei getötet worden, weil er das republikanische Staatswesen seiner Willkür unterworfen hatte. Wo also das quia nur die Wirkursache eines Ereignisses anzeige, da bekräftige bzw. belege es den – eben schon als wahr angenommenen – Vorsatz nicht.399 Aber eben so müsse den Papisten zufolge an der bzw. quia verstanden werden. Lk-Stelle das Eine andere Bedeutung sei schließlich analog zum lateinischen nam bzw. dem deutschen denn, wie etwa auch oft gesagt werde: Cicero est interfectus, quia caput eius est Romam allatum: Ciceronem fuisse natura mitem quia hoc actiones & scripta eius testantur: Caesarem fuisse clementem, quia suis maximis inimicis benigne pepercit.400

Hier zeige das quia nicht den Grund der Sache, sondern bekräftige im assertorischen Sinne den Vorsatz. An allen diesen Stellen könne nun statt quia auch stehen bzw. deutsch denn. Darum könne die Lesart lauten: 396 397 398 399 400

Flacius: Quod locus Lucae A3r . Flacius: Quod locus Lucae A3r . Flacius: Quod locus Lucae A3v . Zur definitio causalis bei Melanchthon vgl. Melanchthon: Compendiaria Dialectices Ratio B2r . Flacius: Quod locus Lucae A3v .

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Affirmo (nam dico saepe in Nouo Testamento significat affirmatio) huic mulieri esse remissa peccata.401

Flacius untermauert seine Behauptung noch einmal, indem er hier also das im unter Hinweis auf die phraseologische griechischen Urtext vorangehende Gleichwertigkeit zu dico mit affirmo wiedergibt, und so den explikativen Sinn des Nachsatzes durch das so rekonstruierte Vorhandensein einer vorgängigen assertio behaupten kann. Es könne aber keineswegs heißen Remissa sunt huic mulieri peccata propter dilectionem [. . . ].402

Er fügt wohl als praesumptio bzw. procatalipsis eines Einwurfs hinzu: hier sei mit propter zwar explikativ formuliert, aber der Vorsatz von einer kausalen Aussage abgeleitet. Es muß an dieser Stelle freilich konstatiert werden, daß all diese Argumente so keine Gültigkeit haben, sofern nun einmal nirgends ein nam gelesen wird. Daran ändern auch die im Ringschluß angefügten, erläuternden Beispiele von unterordnenden Folgerungen, die allesamt mit quia als integraler Konjunktion wiedergegeben werden, nichts. Solches Vorgehen muß auch im weiteren philologischen Sinne fragwürdig, ja beinahe absurd erscheinen, sofern es die stilistisch-grammatikalische Normierung, also einen „Einheitstext“ voraussetzt. Nach der Maßgabe einer bestimmten Dogmatik ist das Vorgehen allerdings keineswegs absurd: Die ganze Bibel verstanden als ein in sich widerspruchsfreies und eben darum einheitliches Wort Gottes ermöglicht, ja erzwingt ein solches Verfahren geradezu. Darum hält Flacius auch just weiter assertorisch dagegen, daß erstens schon allein gesunder Menschenverstand nahelege, daß eine so kurze Liebeserweisung wie das einmalige Salben die Schande eines ganzen Lebens kaum abwaschen könne, und zweitens solches Verständnis dem gesamten Kontext widerspreche: dilectionem esse effectum remissionis peccatorum, & causam remissionis esse fidem.403

Zudem war damit gemessen an der aristotelischen Analytik nahezu jeder Punkt der von Melanchthon immer wieder empfohlenen oder sogar eingeforderten404 assertorischen Syllogistik abgehandelt: die , also die Operation mit analogen Unter- oder Alternativbegriffen zeigt die Kongruenz, der Widerspruch bei gegenteiliger Annahme bzw. die Umkehrung, die sog. reductio ad impossibile, hingegen die Sperrigkeit der Deutung zum Vor- und Nachsatz sowie den Widerspruch des problematischen Einwurfs zur apodiktischen Grundannahme.405 In 401

Flacius: Quod locus Lucae A4r . Flacius: Quod locus Lucae A4r . 403 Flacius: Quod locus Lucae A4r . 404 Etwa im Verlauf der Antrittsvorlesung in Wittenberg CR XI, 15 ff./MStA 3, S. 29–42; in der Rede De vita Aristotelis CR XI, 342 ff.; in der oratio de Aristotele CR XI, 647 ff./MStA 3, S. 122–134; et al. 405 Aristot. Anal. pr. et poster. 49 b ff. 402

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unserem Falle: daß ein zu deutender Zusammenhang zwischen Schuldvergebung nicht nur möglich, sonund Liebe bestehe. Daß eine solche Verwendung des dern üblich sei, zeigt Flacius nun – wiederum auf der Basis der Grundannahme eines Einheitstextes – mit dem Verweis auf 1 Joh 3 (14): nos scimus, quod transiimus ex morte ad vitam,

/quia diligimus fratres,406

wo wiederum keine Aussage über eine causa efficiens getroffen sein könne, wo derselbe Johannes doch im Evangelium Joh 5,24 ff. vom sola fide schreibe: Qui credit transiuit a morte ad uitam [. . . ].407

Darum gelte sicut hic sed

non docet causam efficientem nostri transitus a morte ad uitam, affert.408

Somit sei endgültig erwiesen, daß hier die beispiel- oder zeichenhafte Erklärung des dem Grundsatz nach bereits Gewußten zum Tragen komme, diese Erklärung vorangesetzten assertio nur angehängt sei. Nach einem aber der durch analogen Beispiel aus dem 1 Joh [4] folgert Flacius, daß eben darum an solchen Stellen um der Eindeutigkeit willen immer mit nam bzw. denn zu übersetzen sei. Was schließlich die Prothesis, den Vorsatz, beträfe, Dico tibi remissa sunt409 ,

der ja mit dem verbum dicendi eingeleitet wird, und somit ebenfalls erwarten ließe, so liege schlicht ein Hebraismus vor: Flacius erklärt – ein grammatikalisch wohl noch haltbar,410 aber primär von Melanchthons These, daß die neutestamentlichen Schriften zwar griechisch verfaßt, aber hebräisch gedacht zur Einleitung der Rede nach solchen seien, motiviert411 –, daß das hebräische Verben des Sagens oftmals wegfallen könne, was freilich im Lateinischen wie im Griechischen unüblich sei. Aber eben darum sei es gerade notwendig, daß die gesamte Perikope im lateinischen Wortlaut unter Einschluß des einleitenden dico bzw. affirmo zitiert werde, da sonst nicht ersichtlich sei, was affirmatio und was ratio affirmationis sei: Quare ferendum non est ut textus citetur mutilate [. . . ] addenda enim sunt semper illa priora [. . . ] ut clarius animaduertatur, quod sit quaedam asseueratio, 406

Flacius: Quod locus Lucae A4v . Flacius: Quod locus Lucae A4v . 408 Flacius: Quod locus Lucae A4v . 409 Flacius: Quod locus Lucae A5r . 410 Vgl. Gesenius: Hebräische Grammatik (27. Aufl.), § 104c (Erläutertungstext). 411 Diese These findet sich vielfach, insbesondere in den loci wiederholt; vgl. Olson: Flacius and the survival, S. 53–55. Sie ist wesentlich von Hieronymus inspiriert; er schrieb in seiner praefatio in Evangelio: De Novo nunc loquor Testamento, quod graecum esse non dubium est, excepto Apostolo Mattheo qui primus in Iudaea evangelium Christi hebraeis litteris edidit. Zur Debatte im 16. Jh. Vgl. Kluge: Die hebräische Sprachwissenschaft 2, S. 112, Anm. 28. 407

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quae post se rationem affirmationis requirat, & non sit simplex quaedam causae expositio.412

Was die Übersetzung des griechischen in der Vulgata mit dem Präsens mit dilexit übersetzt wurde, was ja die paremittuntur betreffe, während pistische These auch hinsichtlich eines angedeuteten zeitlich strukturierten Kausal-Verlaufs von der vergangenen Liebe zur gegenwärtigen Vergebung stützen könnte, da es ja unmöglich sei, daß die causa efficiens ihrem Effekt folge, so müsse, um solchen Irrtum zu vermeiden, stets im Gedächtnis behalten werden, stünde, das Perfekt Passiv413 , das wiedaß im Griechischen hier eben derum an sich eine Übersetzung ins lateinische Perfekt verlange: remissi sunt. Eine entsprechende Variante biete auch 1 Joh 2 [12–14], wo alternierend Aorist mit anschließendem -Satz im Perfekt gebraucht werund Präsens von den. Die zunächst verwirrende Schlußfolgerung lautet letztlich e contrario, daß beim Johannesbrief ebenfalls an denjenigen Stellen, wo im Vorsatz Präsens stehe, vom noch wirkenden Effekt nach dem Vorsatz auf ein faktisches praeteritum geschlossen werden müsse. Das hieße letztlich sogar, daß bei der vorliegenden Stelle selbst im Falle einer Annahme einer dem Wortlaut remittuntur nach richtigen Vulgata-Übersetzung nach Flacius ein historisches Präsens anzunehmen sei. Und um die Modalitäten des Syllogismus zu komplettieren, wird auch der Nachsatz wiederum proleptischen Erwägungen unterworfen: Sollte jemand allzu spitzfindig auf dem konkurrierenden perfectum von dilexit beharren, so müsse er wissen, daß es sich mit großer Wahrscheinlichkeit wiederum um einen Hebraismus handele, insofern es für das Hebräische charakteristisch sei – unter Betonung der Dauer bzw. des anhaltenden Effekts –, das praeteritum auch anstelle anderer tempora zu gebrauchen. Letztlich sei für eine Entgegnung darauf als Argument allein schon hinreichend, daß Christus kurz zuvor von der gegenwärtig praktizierten Liebe gesprochen habe: Nec movebimur magnopere si quis dicat, etiam dilexit ese in praeterito: Nam etsi possemus & illud dicere, quod scilicet Hebraei multum utantur praeterito etiam pro alijs temporibus, tamen satis nobi est, quod CHRISTUS in proxime praecedentibus clare indicat, se de praesenti dilectione loqui.414

Es überwiege also letztlich die Evidenz des Redehandelns Christi im Text. Nach einer Zusammenfassung, die einem syllogistischen Schluß aus maior – minor 412

Flacius: Quod locus Lucae A5r . Zitiert wird bemerkenswerterweise nicht die Grammatik Melanchthons, sondern Manuel Chrysoloin der Ausgabe von Guarino Da Verona: indicativi praeteriras’ ˆ ˆ ˆ teste Guarino. Ein Exemplar, tum Atticum, ut Grammatici dicunt vel Doricum potius ab Activo das die weite Verbreitung dieses wegen seiner vielfältigen Formenbeispiele zum Standard der Zeit zählenden Werkes belegt, findet sich in der JALB Emden in der Sammlung Hardenberg unter der Signatur Philol. 8. 414 Flacius: Quod locus Lucae A5v . 413

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und conclusio415 gleichkommt und die als zu skizzierendes Element im übrigen auch Bestandteil der von Melanchthon abgenommenen Magisterprüfung des Flacius war,416 repetiert der Autor noch einmal knapp die Thesenfolge im Text: Er folgert letztlich, daß Christus selbst die contradictio maioris wiedergebe, wenn er nach dem Eingeständnis des Pharisäers sage, daß dem wenig vergeben werde, der wenig Liebe aufbringe. Zuvor hätte Christus das zugrundeliegende oppositum minoris ja schon erwiesen, wenn er sagte, daß der Pharisäer zu wenig Liebe ziege. Die Folgerung ergebe sich aus dem oppositum des zur Sünderin gewandten „Dir sind Deine Verfehlungen vergeben“, und damit meint der Autor wohl: dem Pharisäer nicht. Flacius läßt aber eine explizite Deutung offen. Vermutlich absichtlich, da die im Text vorgängige Rede vom Schuldner explizit von der Schuldentlassung beider ausging und lediglich auf die in der Folge erwiesene Dankbarkeit und die Folgefrage, wer denn nun hier mehr Schulden erlassen bekäme, einging. Hier erweise sich – so Flacius – letztlich der prophetische Charakter Jesu, sofern er, Christus, zu dieser Auslegung in der Lage sei. Das zeige die Schrift auch andernorts, wenn es etwa 1 Joh 2 [29] heiße: „wer Recht tut, der ist von Gott geboren“ oder Gal 5 [6]: „In Christo Jesu gilt der Glaube, der durch die Liebe tätig ist“. Die Schrift schließt endlich mit fünf rationes firmissimae: PRIMA [sc. ratio] est scopus [. . . ] SECVNDA est totus contextus [. . . ] TERTIA est a natura sermonis [. . . ] QUARTA, quia plane firmiter probari potest nouam oboedientiam [sc. ex aliis locis] [. . . ] POSTREMA est, quod CHRISTUS ipse affirmat417

Nun, was hat der Leser erfahren? Die Bibel bzw. Christus interpretiert sich – wie Homer418 – immer noch selbst. Freilich nur, wenn sie richtig verstanden wird – hier: artistisch –, d.h. wenn sie nach den von Melanchthon propagierten Regeln von Grammatik, Rhetorik und Dialektik ausgelegt wird. Die Aussagen werden durch sprachliche Analysen gestützt, wo sie haltbar scheinen. Eine klare Trennung oder Abwägung von Erzähllogik und sprachlicher Form findet sich allerdings nicht. Statt dessen wird die eigene syllogistische Methode mit dem, was und wie es Jesus sagte, identifiziert, bzw. als angeblich textimmanent im Nach415 Zu Struktur und Terminologie de syllogismo cathegorico simplicive, die ebenfalls von Melanchthon übernommen wurde, vgl. Melanchthon: Compendiaria Dialectices Ratio C1r –C2r . 416 Vgl. Olson: Flacius and the survival, S. 53. 417 Flacius: Quod locus Lucae A6r . 418 Der fälschlicherweise mit Aristarch verbundene Satz, , der tatsächlich auf Porphyrs Homerica Zetemata zurückgeht, diente als Vorbild, wenngleich er Aristarchs Maxime trifft; vgl. Porphyrii quaestionum Homericarum ad Iliadem pertinentium reliquiae, fasc. 2, Ed. Schrader, H., Leipzig 1882, S. 297, v. 16; Porph. Quaest. Hom. 1, 56 (4 f.). Derjenige Druck, der zu Melanchthons Zeit Verwendung fand, war die Aldine von 1521: Homericarum quaestionum Liber, Venetia [Aldus].

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gang reproduziert.419 In der Identifikation der prophetischen Begabung Christi mit seiner Selbstauslegung gewinnt der externe interpres Flacius natürlich unausgesprochen einen Deutestandpunkt, der nicht mehr beweist, als daß die Methode der dogmatischen Ableitung auch bijektiv in der Rückführung zum Text funktionieren kann. Allerdings setzt sie eine bestimmte dogmatische Haltung eben voraus. Flacius verfährt ja im Rahmen seiner Logik letztlich nur Verkündigung „nachzeichnend“. Angebliche Parallelstellen, wo Christus in fabula nicht selbst spricht, werden gleichwohl als Beleg für das, was er nach Lukas sagt, ohne methodische Bedenken um Abhängigkeiten oder sonstige historisch zu vermittelnde Dimensionen herangezogen: die Bibel ist als ganze Wort Christi.420 Das durch die Exegese nachgewiesene Versagen der Auslegung der Gegner, an die sich der Druck richtet, bindet sich freilich in der Erzählanalyse geschickt an das im Text geschilderte Versagen des Pharisäers. Ganz analog zum auf dem Titelblatt zitierten Hosea-Wort, das als interpretatives Schlüsselwort nachhallt. Es ist abschließend zu fragen, was Flacius zu dem Abweichen von der vergleichsweise schlicht ausgeführten Luther-Schrift, die eingangs erwähnt wurde, bewegte? Tatsächlich findet sich in den loci praecipui theologici unter dem locus de gratia et de iustificatione ein Anhang De argumentis adversariorum, der sowohl die Stelle 1 Joh 3, die als Parallelbeispiel für den sprachlichen Gebrauch diente, als argumentum Tertium vorstellt421 , als auch als argumentum Decimum septimum422 den Syllogismus Remittuntur ei peccata multa, quia dilexit multum. Ergo propter dilectionem fit remissio.423 419 Analog hatte Melanchthon in seiner Dialektik die Argumentation des Paulus am Beispiel des Hebräerbriefs als Theologie in syllogistischer Struktur nachgezeichnet; vgl. Melanchthon: Compendiaria Dialectices Ratio D4v . 420 Was dem modernen Leser bei aller Vorordnung von Joh 1 wie eine ungeheuerliche Vergewaltigung erscheint, ist aber nicht nur ausgehend von einer dogmatischen Grundorientierung an der Einheit der Schrift geboten, sondern auch mit Blick auf eine mit der dogmatischen Aussage parallel zu beachtende erkenntnistheoretische Implikation: Wenn ein im oben definierten Sinne [S.o. S. 120] operationales, also im weitesten theologischen Sinne mindestens synergistisches Verständnis abgelehnt und ein gänzlich passivisches Rechtfertigungsgeschehen fidei imputatione dagegen etabliert werden soll, muß eine Aporie, die der Ablehnung des operationalen Verständnisses innewohnt, strikt vermieden werden: Mit der Formulierung einer ihrem Selbstverständnis nach bloßen Erkenntnistheorie würde sich das sprechende Subjekt, der Schöpfer der jeweiligen Theorie oder des jeweiligen Dogmas, seinem unmittelbaren Selbstverständnis nach ja aus dem Zusammenhang seiner Theorie bereits als theoretisch mitvollziehendes Subjekt herauslösen und blind gegenüber der eigenen (Beschreibungs)Praxis werden, ja sie ad absurdum führen. Oder anders gesprochen: es wäre in der gegebenen Perspektive keine Selbstbeschreibung ohne Selbstvergottung oder zumindest vollmächtige (Teil)Aneignung des göttlichen Subjekts mehr möglich. In eben dieser gebotenen Vorsicht führt der Autor hier ebenso trickreich wie sprachlogisch behutsam den impliziten Sinn von CA IV. aus, wenn er Christus sich selbst in seinem Heilshandeln erklären läßt und – durchaus auch eingedenk des hinsichtlich seines hermeneutischen Ranges nicht zu unterschätzenden Pro(to)logs in Joh 1 – seiner Erklärung schlicht glaubt. Eine Vorsicht, die Osiander einige Jahre später vermissen ließ. 421 Vgl. MStA 2/II, S. 419 ff. 422 Vgl. MStA 2/II, S. 433 ff. 423 MStA 2/II, S. 433.

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empfiehlt. Melanchthon hatte ebenfalls dargelegt, daß die absolutio prinzipiell zweifach verstehbar sei. Aber die Rechtfertigung aus Glauben sei letztlich evident: In hac absolutione necesse est intelligi, quod fide accipiatur remissio, non propter nostras virtutes. Ideo inquit Christus: Fides tua salvam te fecit.424

Im weiteren wies der Praeceptor darauf hin, daß die Gegenüberstellung der biblischen Szene ein Abbild für das Verständnis des Daseins der Kirche sei; es werde gleichsam ein „(heils)geschichtlicher Typus“ als Widerstreit zwischen Gesetz und Evangelium geschildert: Ac tota historia imago est Ecclesiae, semper duo sunt coetus: Alter hypocriticus, inflatus ordinaria auctoritate et opinione iustitiae, propterea quod videtur utcunque tueri doctrinam disciplinae et legis. Alter coetus est, qui audit Evangelium, vere agit poenitentiam et vera fide invocat Deum, agnoscit Filium Dei Mediatorem et praedicat Evangelium.425

Erstere Weise könnte nun gar nicht zur Vergebung gelangen, da zu letzterer notorisch die Buße gehöre. Wer sich aber in seiner Selbstgerechtigkeit auf Weihen, Diziplin und Zeremonien verlasse, könne ja weder bereuen, noch die eigene Bedürftigkeit des Opfers in Christus erkennen. Hic igitur Christus consolationem piis proponit, refutat acriter Pharisaeum et detrahit ei laudem iustitiae, ut significet se defendere suam Ecclesiam contra iniqua iudicia hypocritici coetus.426

Melanchthon schloß mit der Bemerkung: Si cui vero haec solutio de duplici absolutione non placet, utatur altera. Usitatae sunt synecdochae427 : Remittuntur ei multa, quia conversa est. Talia dicta et alibi occurunt, et tamen synecdoche explicanda est.428

Genau dies hatte Flacius – unter Aufbietung seiner Sprach- und Dialektikkenntnisse – getan, ohne bei der Wahl des Bibelworts auf dem Titelblatt und in der Einleitung der Schrift auf die heilsgeschichtliche „Parallelisierung“ zu verzichten.429

424

MStA 2/II, S. 433. MStA 2/II, S. 434. 426 MStA 2/II, S. 434. 427 Als Sinnfigur identisch mit der pars pro toto. Als Satzfigur bisweilen auch als Substitution gebraucht. 428 MStA 2/II, S. 434 f. 429 Zur eingehenderen Würdigung solcher Hermeneutik, die den Leser in den Text einzeichnet und zugleich aus ihm heraus verstehbar macht vgl. Baur: Flacius, S. 378 f. 425

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8. Der Blick zurück: Apologia Flacius verließ schließlich Ende März 1549 die Universität Wittenberg, da er die Veränderung der Riten nicht erdulden wollte – so schreibt Melanchthon am 29. März an Georg von Anhalt.430 Am ersten Oktober des Jahres 1549 erscheint – wie zuvor bereits in der Apologie an Bugenhagen angedroht431 – eine recht umfangreiche Flugschrift bei Michael Lotther im lateinischen Druck, und wohl nicht viel später – wie man dem Titelblatt, wo es „verdeutscht“ heißt, entnehmen kann – eben eine übersetzte Fassung bei Christian Rödinger: die Apologia Matthiae Flacii Illyrici ad Scholam Vitebergensem in Adiaphorum causa. Eiusdem Epistola de eadem materia ad Philip.[pum] Melantho.[nem.] Item qaedam alia eiusdem generis.432

oder mit deutschem Titel Entschuldigung Matthiae Flacii Illyrici geschrieben an die Universitet zu Wittemberg der Mittelding halben. Item sein brieff an Philip.[pum] Melanthonem sampt ettlichen andern schrifften dieselbige sach belangend. Verdeutscht.433

8.1 ars latet arte sua Diese Schrift verdient nun in mancherlei Hinsicht besondere Beachtung, insofern in ihr zunächst durch den Autor die Wittenberger als direkte, namentlich erwähnte Opponenten angegangen werden und das bisherige Vorgehen in den Kontext eines gleichsam nach dem Muster eines neuerlichen gerichtlichen Beweisverfahrens zu klärenden Sachverhalts gerückt wird; sodann, sofern der Autor sein Verständnis dessen, was man „Humanismus“ zu nennen gewöhnt ist, besonders plastisch vorführt; und schließlich, sofern das in ihr zu Tage tretende Bemühen um Leserlenkung kaum bemerkt wurde, gleichwohl sie zu den literarisch-stilistisch wohl elaboriertesten Publikationen des Flacius gezählt werden muß und beinahe das gesamte Spektrum forensischer Argumentation aufzubieten weiß. Wie es der Titel bereits verkündet, hat es der Leser mit einer Sammlung zu tun. Sie ist noch dazu umfangreich. Aber sie enthält im Argumentationsteil, dem Rechtfertigungsbrief an die Universität, so viele zuvor veröffentlichte, bekannte Argumente in bereits gezeigter Darbietung, daß sie hier nur noch am Rande Beachtung finden sollen. Im Vordergrund soll hingegen das Titelblatt, die Vorrede an den Leser, insbesondere deren literarische Ausgestaltung an herausragenden Punkten, und schließlich die theologische Position in Zusammenfassung stehen. 430 431 432 433

Vgl. MBW 5, 5487. S.o. S. 73; S. 107. Flacius: Apologia. Flacius: Entschuldigung.

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Bereits das erste Wort des Titelblatts, Apologia, evoziert manche Assoziation. Ein Theologe des 16. Jh.s dachte vermutlich an Melanchthons ApolCA. Unabhängig nun von der Frage nach der Historizität bzw. Authentizität der Verteidigungsrede eines Sokrates in der von Platon überlieferten Fassung – war und ist es doch auch nicht ganz fern, sich an ihr Sujet erinnert zu fühlen. Platon ließ den Sokrates seine Verteidigung mit dem Hinweis darauf eröffnen, daß die Prozeßgegner, obwohl ihre Anklage höchst überzeugend klang, nichts als Lügen verbreitet hätten. Er war in der ersten Formulierung der Anklage dem Vorwurf ausgesetzt, ein zu sein, der philosophischer Spekulation in rhetorisch trickreicher Verdrehung nachgehe. Ausgehend von dem Delphischen Orakelspruch – niemand sei weiser , indem er sich – als Sokrates – untersuchte Sokrates nun den Begriff der unter den Zeitgeangesichts seiner Situation zunächst völlig absurd – den nossen zuwandte. Er prüfte Politiker, Dichter und Kunsthandwerker, also solche Athener, die in Geltung standen, und kam zu dem niederschmetternden Ergebnis, daß diese Leute nichts wüßten – nicht bezüglich ihres Fachwissens, sondern was wertvolle, das seelische Wohl erhaltende, also ethisch relevante Dinge an.434 Sokrates hingehe. Sein vernichtendes Urteil lautete: gegen wisse um seine Unwissenheit in diesen Dingen und insofern sei er allein . Er widerlegte seine Gegner im weiteren Verlauf – paradoxerweise – ein mit ihren eigenen Worten, den Blick immer auf diese zentrale Frage nach der ethischen Tauglichkeit gerichtet, und trat entschieden dem Vorwurf der – der Selbstgefälligkeit oder des Starrsinns – entgegen, indem er auf die innere Stimme, die die Widersprüchlichkeit zwischen seiner äußeren Erscheinung, seinem Auftreten und seiner sozialen Herkunft auf der einen und seiner auf der anderen Seite aufhob, wiederholt hinwies.435 Diesem Sujet entsprechend weist die Inhaltsangabe auf dem Titelbild darauf hin, daß hier die Gegner selbst zu Wort kämen: ex ipsorum autorum ore. Der Übergang zum christlichen Gehalt der Frage beginnt mit der logischen Darstellung des Sachverhalts, der allerdings über den Begriff der carnalis sapientia aus 1 Kor [1 & 2] und seiner dialektides Sokrates schen Erörterung bei Paulus immer noch mit der zweifachen verbunden werden kann. Er wird freilich ganz und gar paulinisch ausgebreitet. Diese Verknüpfung findet formal wie inhaltlich ihren Widerhall in den auffallenden Wendungen, die Flacius nach beinahe jedem Unschulds- oder Abwehrargument hin zur Anklage der Wittenberger vollzieht: im Rahmen des klassischen Beispiels für den status definitivus wird so eine argumentatio de qualitate436 entwickelt. Der Drucksatz selbst stellt ebenfalls eine Besonderheit dar, insofern er die in den sich hin zu dem letzten Wort des Titelblattes – scandala – beständig verkürzenden und damit bildlich zuspitzenden Zeilen geschilderte Dynamik sowie den Diskussionsverlauf veranschaulicht: 434 435 436

Plat. Apol. Socr. 21 d, 4. ibid. 34 D, 9; 37 A, 3; 38 A, 8 f. Zu den status vgl. Fuhrmann: Rhetorik3 , S. 99 ff.

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EX HISCE SCRIPTIS PIE LECTOR, præter scriptoris innocentiam, cognosces totam Adiaphori_ cæ controuersiæ originem, & progressum, ac omnino omnes causas istarum Adiaphoricarum fraudum, idue ex ipsorum au_ torum ore. Disces causam efficientem437 esse, partim impiorum cupiditatem prodendi, ac crucifigendi Christum, & liberandi Romanum Barabbam, partim imbecillium diffidentiam, me_ tum & carnalem sapientiam, Causam materialem438 esse union_ nem Christi, & Belial, lucis & tenebrarum, ouium & lupo_ rum, seruire duobus sibi mutuo inimicissimis Dominis, Chri_ sto & Antichristo ac impio mundo. Causam formalem439 esse fucos ementitos & adulterinos colores ordinis, discipli_ næ & conformitatis. Causam finalem440 esse restituti_ onem papatus & collocationem Antichristi in templo Christi, confirmation¯e impiorum, ut de Ecclesia et Christo triumphent, Contristationem piorum lan_ guefactionem, inductionem in dubitationem, schis_ mata & infinita scandala. Wenn in die Inhaltsangabe der Darstellung auf dem Titelblatt zugleich die vierfache Kausalitätslehre des Aristoteles als Gliedrungsschema eingeht, so mag dies neben der Platonischen Anlage eklektizistisch erscheinen – es kann aber ebenso als Reflex derjenigen Anschauung wahrgenommen werden, die wie schon aufgezeigt441 Bruni – und in Anlehnung an ihn auch Valla und Polizian – etabliert hatten und bei Melanchthon fortlebte: Aristoteles als wissenschaftlich-logische Steigerung des lediglich noch stilistisch-sprachlich überlegenen Platon. Dieses Urteil hat Melanchthon vielfach – zumal im Kontext dialektischer Darstellung – wiederholt, und es darf wohl hinsichtlich der Wittenberger Lehrkultur als etabliert gelten.442 Das besondere Verhältnis zwischen Aristoteles und Platon als Verhältnis zwischen Schüler und Lehrer ist in allen genannten Darstellungen berücksichtigt und findet in der vorliegenden Apologie schließlich ebenfalls seinen Niederschlag. Was die Frage nach etwaigen dem zeitgenössischen theologischen Diskurs entnommenen Sprachbilder angeht, so fällt insbesondere der römische „Barabbas“ 437

causa efficiens; vgl. Aristot. Phys. 194 b, 29 f.: . causa materialis: vgl. ibid. 194 B, 24: . 439 causa formalis: vgl. ibid. 194 B, 26: . 440 causa finalis: vgl. ibid. 194 B, 32: . 441 S.o. S. 85 f. 442 Zu Melanchthons Vorlesungen s.o. S. 20 f.; speziell zur Übernahme der vierfachen Kausalitätslehre im Rahmen dialektischer definitio vgl. Melanchthon: Compendiaria Dialectices Ratio B2r/v . 438

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und die wiederkehrende Antithese „Christus – Belial“ bzw. „Christus – Antichrist“ auf.443 Flacius hatte diese Anspielungen in eben dieser Weise schon bei der Komposition eines Text-Mosaiks, das er im Frühjahr 1549 aus den Coburg-Briefen Luthers444 zusammengesetzt und veröffentlicht hatte, auf dem Titelblatt und beim resümierenden Nachwort gebraucht.445 Der Bezug gerade auf diese scharfe Kritik Luthers an der sog. concordia lag für Flacius auch deswegen nahe, weil Pflug als einer der beteiligten Autoren des Interims bekannt war.446 Wie steht es nun mit der weiteren Durchführung der Apologia? Hält sie, was das Titelblatt verspricht? Es kann zunächst festgestellt werden, daß kaum ein Punkt offen bleibt. Die einzelnen Stücke sind sorgfältig ausgewählt und auf die jeweilig unterschiedlichen Adressaten, die zugleich jeweils unterschiedliche Gesellschaftsgruppen repräsentieren können, gut abgestimmt: die eigentliche praefatio richtet sich wie schon die kurze Zusammenfassung auf dem Titelblatt an einen pius lector, also eine breitere Leserschaft und damit an ein Publikum, das von den allgemeineren Sachfragen betroffen sein mag. Darum enthält sie auch im wesentlichen Aspekte und Argumentationsmuster, die keinerlei Kenntnisse der spezielleren Sach-Diskussion oder gar interna voraussetzen. Sie beginnt mit der vergleichsweise schlichten Feststellung, daß Gott mehr gehorcht werden müsse als den Menschen, und führt damit unmittelbar die auf dem Titelblatt bereits mehr oder minder deutlich angesprochenen Elemente fort. Sie reflektiert den Gehorsamsbegriff nach allen Seiten und argumentiert, daß sogar nach innerweltlichen 443 Beide Bilder gehen in der vorliegenden Prägung auf Luther zurück, der ersteres in der Fastenpostille von 1525, genauer in der „Epistel auff den Sontag nach Epiphanie Ro. xij.“ WA 17 II, 6, 27 f.: [26] Und Summa, diese zwey priesterthum reymen sich eben zu samen wie [27] Christus und Barrabbas, wie liecht und finsternis, wie Gott und wellt. [28] Denn so wenig als Christus ist durchs schmieroele und platten priester worden, [29] also wenig wird auch dis priesterthum yemand geben durch schmieren odder [30] bescheren, dennoch ist Christus priester mit allen seynen Christen zur Abwehr katholischen Amtsverständnisses und zur Untermauerung des allgemeinen Priestertums ausgebreitet hatte, und zweiteres 2 Kor 6, 15 entsprechend zwar schon im Kontext seiner assertio omnium articulorum M. Lutheri per bullam Leonis X. novissimam damnatorum von 1520, genauer in der assertio seines 18. Artikels als Bild für die Unvereinbarkeit von göttlicher Allmacht und Remissions-Gewalt des Papstes WA 7, 125, 20 ff.: At sanctissimus ille vicarius [21] dei in terris docet, se posse tollere et remittere quae deus imponit: tam [22] pulchre convenit cum principe et rege suo, sicut Belial cum Christo, aber erst in der Vorrede des 1534 erschienen Titels von Antonius Corvinus Quatenus expediat aeditam recens Erasmi de sarcienda Ecclesiae concordia Rationem sequi endgültig im vorliegenden Sinne entfaltet hatte; vgl. WA 38, 237. Luther verwarf in letztgenanntem Beitrag Erasmus’ Schrift De amabili Ecclesiae concordia, die auf Bitten des Reformkatholiken Julius von Pflug 1533 – die Vorrede datiert vom 30. September – veröffentlicht worden war und die in Pflugscher Perspektive eine Auslegung des 84. Psalms geboten hatte. Solche Perspektiven seien aber nichts als leere Versprechungen, ja geradezu grotesk angesichts „konstanten Beharrens des Papsttums im Irrtum und fortgesetzter Mißachtung des Wortes Gottes“. Zur Diskussion der Aufnahme solcher Bilder in Identitätswelten – gerade am Beispiel Magdeburgs – vgl. Kaufmann: Ende der Reformation, S. 429–484, bes. S. 448–464. 444 Vgl. Flacius: Etliche Brieffe. 445 Zu den Lutherveröffentlichungen als Traditionsbelebung und -sicherung vgl. Kaufmann: Ende der Reformation, S. 367–381; Haußleiter: Flacius als Herausgeber; Olson: Flacius and the survival, S. 163–167. 446 S.o. S. 31.

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Kriterien das Interim ein Skandal sei. Schließlich hätten selbst die Heiden das Gemeinwohl über das individuelle Glück gestellt. Flacius verweist hier auf die Politeia447 und die Nomoi448 . Den Gedanken der Verpflichtung gegenüber „Volk und Vaterland“ – wie schon im Waremundus und in Verbindung mit der aristotelischen Politik im Hermannus449 – steigert er in Anlehnung an Phli 3, 20 zu der Frage, was das Vaterland eines Christen sei, und leitet schließlich über zum engeren Sozialgefüge des Verhältnisses vom Lehrer zum Schüler. Er schreibt: Laudatur Aristoteles, quod veritatis defendendae gratia Platonem Praeceptorem su¯u, & Socratem optimum mortalium oraculo pronunciatum, repraehendere non sit veritus, habetur veluti pro oraculo eius dictum, quod etiam charissit .450 simis hominibus

In der deutschen Druckfassung heißt es entsprechend: Plato ist der grössest Philosophus gewesen / und Socrates der heiligest vnd fromest/wie man von ihnen lieset/dennoch lobet man Aristotelem/das er vmb der warheit willen sich wider Platonem (der sein schulmeister gewesen) gelegt hat/vnd auch Socrati nicht alles hat lassen gutt sein/ Ja man helt es fur eine himelische Gottliche rede/bey den gelerten/ das Aristoteles schreibet/ da er spricht451 Man sol die warheit viel höher vnd grösser achten/denn vnsere allerliebsten freunde.452

Daß die weitere Argumentation schließlich a minore auf die Unhaltbarkeit der Kritik an Flacius angesichts seiner Gottesliebe hinführt, dürfte kaum überraschen. Damit wäre nun innerhalb des Argumentationsfortgangs die Erzählung bei der Person des Autors selbst angelangt. Diese in allen Einzelstücken der Apologie zu findenden Wendepunkte hin zur Person, die durchgehend zur Gegenkritik führen, sind noch in jüngerer Zeit als Kernstücke der Schrift wahrgenommen worden, da sich natürlich bei allem Verständnis für die Problematik des Interims dem Leser die Frage aufdrängte und noch aufdrängt, was den jungen Italiener dazu brachte, gerade eine solche Opposition zu inszenieren. Insofern diese Stellen manche Details aus der Biographie des Flacius preisgeben, galten sie der älteren Forschung als Quellen in der Quelle, die mehr oder minder unkritisch übernommen wurden.453 Insbesondere aber derjenige Teil am Anfang des eigentlichen Entschuldigungsschreibens an die Universität, also der eigentlichen Apologie. 447 448 449 450 451 452 453

Vgl. Plat. rep. 475 d et. al. Vgl. Plat. leg. 773 c ff. S.o. S. 70. Flacius: Apologia ♣4r . Vgl. Aristot. Eth. Nic. 1096 a, 16 f. Flacius: Entschuldigung A3v . S.o. S. 9 f.

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Die Frage nach dem autoritativen Gestus und seiner argumentativen Absicherung in der Apologie haben bisher nur Irene Dingel454 und Thomas Kaufmann455 eingehender untersucht. Mit – freilich auch durch die jeweils zugrunde gelegte Fragestellung – unterschiedlichem Ergebnis. Während Dingel insbesondere das Verhältnis der doppelten Bezogenheit auf Luther (vornehmlich dogmatisch) wie auf Melanchthon (vornehmlich methodisch) nachgeradezu als psychologisches Dilemma erkennt, in dem die „tief empfundene Verehrung für den Praeceptor“456 einem „unbelehrbaren Abweichen vom Lutherschen Bekennermut“457 und der daraus resultierenden „Abwertung Melanchthons als Verantwortlichem und Unterstützer des [. . . ] sogenannten Leipziger Interims“458 entgegensteht, und letztlich als Autorisationsproblem in dem Maße bestehen bleibe, in welchem Flacius eben nur „Sprachrohr“ Luthers sei, analysiert Kaufmann bei der Untersuchung reformatorisch geprägter Selbstdeutungsmuster den in der Apologie verarbeiteten Werdegang des Flacius derart, daß „[d]ie eigene Erfahrung [. . . ] das Wort der Bibel [qualifiziert], das erst in seiner aus der Verzweiflung der Gottesferne herausführenden Kraft lebenswendendes Heilswort ist. Insofern bestätigt die von Flacius gebotene Schilderung [. . . ] ein spezifisches von Leseerfahrung geprägtes, als existentielle Wende gedeutetes Modell reformatorischer Selbstthematisierung.“459 Er kommt zu dem Schluß, daß in solch einer Wende von gleichsam vorreformatorisch begriffenem Dasein hin zum Leben einer auf Christus bezogenen Glaubensgewißheit „[d]ie gläubige Existenz extra Christum [. . . ] in der gläubigen Existenz in Christo saniert [wird].“460 Selbst wenn man beide Erkenntnisse als jeweils komplementäre Beobachtungen zusammenliest, etwa in der Weise, daß bei jeder existenziellen Wendung hin zu „Luthers Christus“ lediglich eine methodische Bezogenheit auf Melanchthon bleiben kann, die dann zum Gewissensproblem gegenüber dem eigenen Förderer wird, sind doch bei der hier im Mittelpunkt stehenden Frage nach strategischer Verarbeitung zwei Fragen offen: 1. Wenn Flacius – ein Befund, der immerhin hinsichtlich seiner im mindesten doppelten Bezogenheit einleuchtet – tatsächlich als Identitätsträger, ja noch dazu als zerrissener zwischen Luther und Melanchthon stehen soll, wie konnte er den Rahmen, in dem der Dissens zwischen Luther und Melanchthon ausgetragen oder auch einfach ausgehalten wurde und den Luther zu Lebzeiten selbst doch stets beibehielt – vermutlich weil er schlicht geringer war, als hier zugrunde gelegt461 –, so unverschämt sprengen, wenn er 454 455 456 457 458 459 460 461

Vgl. Dingel: Flacius als Schüler. Vgl. Kaufmann: Erfahrungsmuster. Dingel: Flacius als Schüler, S. 82. Dingel: Flacius als Schüler, S. 82. Dingel: Flacius als Schüler, S. 82. Kaufmann: Erfahrungsmuster, S. 301 f. Kaufmann: Erfahrungsmuster, S. 305. Vgl. Scheible: Melanchthon, S. 166–169.

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doch letztlich gleichsam Luther folgte? Die Zeiten waren doch, das wird ja selbst noch aus seiner vergleichsweise höchst spärlichen Rezeption lutherischer Bilder deutlich, nicht zum erstenmal gefährlich. Diese Tatsache kann aus dem Vorbild Luthers selbst heraus nicht unmittelbar begründet werden und bleibt im „psychologischen Dunkel“ der Dingelschen Analyse; und obwohl sie an einer Stelle deutlich auf die spezielle wissenschaftliche Prägung des Flacius durch Melanchthon, insbesondere die Etablierung kontextbezogener Exegese, hinweist, nimmt sie etwa den Kontext der ihrem Urteil zugrundeliegenden Stellen selbst mit den Mitteln der von ihr nahegelegten Tradition nun gerade nicht in den Blick. 2. Bei der von Kaufmann vorgenommenen Untersuchung bleibt der ersten Frage beinahe parallel – im gesamten Beitrag wie bei der spezielleren Untersuchung des Beispiels Flacius – völlig unbeantwortet, inwieweit sich das Thematisieren solch existenzieller Erfahrung dem Moment verdanken kann. Oder anders gefragt, warum die von Kaufmann als Wende vom vorher zum nachher angenommene Erfahrung als zentrale Kategorie der Selbstdeutung ausgerechnet hier zum Tragen kommen konnte. Daß dem jungen Flacius die tentatio als solche tatsächlich Gewißheit und im Sinne von Luthers experientia facit theologum auch eine bestimmte Identität gab, braucht man kaum anzweifeln. Er behauptet es ja schlicht.462 Bei der Frage nach der Deutung des Ereignisses und seiner Einbettung in einen Erzählzusammenhang ist allerdings auch davon auszugehen, daß etwa die noch so reale Erfahrung von Anfechtung und schließlich rechtfertigender Gnade aus lutherischer Seelsorge heraus ja ebensogut in anderen Auseinandersetzungsformen hätte zu Tage treten können. Das legen die Wittenberger Reaktion auf das Auftreten des Flacius ja von Anfang an hinreichend nahe: insbesondere wenn er nach eigener Auskunft schon in internen Gesprächen effektiv nur pro forma Gehör fand. Die Erfahrung der Anfechtung mußte nicht einmal evident auf den ihr folgenden Begründungszusammenhang bezogen werden. Sie konnte überdies nicht zwingend als Exklusivbesitz des Flacius angesehen werden bzw. war es im Kreis der Wittenberger Gemeinde schlicht nicht. Entsprechend wird sein Bekehrungserlebnis außerhalb der Apologie von ihm nur in seinem einen Brief463 , den er mit der Materialsammlung zur Messe überreichte, und der nun eben in der Apologie464 als „Beweisdokument“ mitabgedruckt ist, beiläufig erwähnt. Die Möglichkeit eines Reflexes, der auf die unmittelbar gegebene Situation bezogen ist, ja womöglich ihr überhaupt erst entspringt, und damit das Auftreten dieser besonderen Form der Selbstthematisierung erläutern mag, wird so kaum hinreichend hinterfragt. Statt dessen blendet die Analyse in einer gleich462 463 464

S.u. S. 143 f. S.o. S. 78. Vgl. Flacius: Apologia A5v –A6v ; Flacius: Entschuldigung C4v f.

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sam monolithischen Deutung der Person des Flacius vor bzw. nach einer existenziellen Wende die von Flacius selbst mit in den Blick genommene Spannung in der Gleichzeitigkeit der doppelten Tradition – in deren Rahmen diese Erfahrung der Wende doch (wenn überhaupt) erst entfaltet wird – nahezu vollständig aus und behauptet die Stabilisierung der Existenz in Christus. Sie suggeriert so in letztlich unzutreffender Weise, daß die gewonnene Gewißheit selbst das Autoritätsmerkmal des Flacius sei. Es fällt zudem auf, daß diese biographische „Wende“ weder in seiner Antrittsvorlesung in Jena465 noch in seiner Erzählung466 Erwähnung findet; der Tod Luthers und die damit verbundene Zeitenwende hin zum Interim hat hingegen sehr wohl einen festen Platz. Der tatsächliche Wahrheitsgehalt der Selbstauskünfte des Flacius im Einleitungsteil der eigentlichen Apologie ist nun – wie gesagt – kaum zu bestimmen, wenn Parallelüberlieferungen aus einer anderen Feder fehlen. Es fehlt aber auch jeder Grund, den Angaben zu mißtrauen. Immerhin mag die „Gestaltung“ oder Inszenierung eines Identifikationsangebotes, das Kaufmann als solches ebenfalls feststellt, als Korrektiv für den begründeten Vorschlag einer Bewertung der Selbstdarstellung dienen. Zunächst verdient der Umstand Beachtung, daß Flacius den Textlaut seiner Publikation offensichtlich für einen mit den Details nicht allzu vertrauten und darum unentschiedenen Leser präpariert467 hat, wenn es etwa in der deutschen Entschuldigung leserlenkend heißt: Der gleichen will ich auch den Günstigen Leser gebeten haben [. . . ] das er die schuld nicht mir geben wolt [. . . ].468

Er beginnt seine Selbstdarstellung auch nicht ab ovo, sondern noch vor den Stationen seines Werdegangs in der praefatio zum Gesamtdruck, indem er die Diskussion seiner Motive von der Gegenwart ausgehend voranstellt. Er schreibt in der lateinischen Fassung a persona sua: Cogitavi etiam, uide tu omnibus subsidijs ad tantam rem necessarijs destitueris, es peregrinus, non satis gnarus sermonis, nullius auctoritatis homuncio, nulla ex parte eruditione conferendus ijs, cum quibus tibi res erit, nullam habes ab ullo homine promissionem. Praeterea istius negocij est tanta difficultas, ut ei multi etiam summi viri cedant. [. . . ] Ac hic fatebor sane meum peccatum, me non ita feruere pietate, ut si de solorum Adiaphoristarum salute ageretur, uellem tam multorum odia in me concitare, meque ac meos in tanta discrimina uictus, famae, & uitae ipsius conijcere. Verum cum uidi non solum de ipsorum exitio, sed etiam tam multarum Ecclesiarum & ipsius Christi gloria agi, dent 465

Vgl. Anhang A: oratio Jhenae f2v ff. Vgl. Heldelinus: Ein christliche Predigt T2v ff. 467 Aber nicht nur formal, sondern auch sachlich: Auch bei der Schilderung der Tatsache, daß er eine Anstellung als Hebräisch-Professor fand, stellt er den Hergang E1v beschönigend dar. S.o. S. 22 ff. 468 Flacius: Entschuldigung D4r . 466

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mihi homines obsecro ueniam, si non sum tam fortis epicureus, ut tanta mala ociosus spectare potuerim.469

Die Situation ist hinreichend umschrieben. Flacius inszeniert sich gerade nicht als Berufenen. Er steht alleine da, nicht gerade prädestiniert, er ist lediglich die letzte Alternative in einer drängenden Situation, während andere still zusehen. Eine im Wortsinn originelle und ganz individuell gefärbte Argumentation die nur im Sinne der Melanchthonschen Empfehlung für das exordium im Rahmen der laudatio a temporum periculis ad misericordiam als captatio benevolentiae dient? Wahrscheinlich nicht, soweit es der Vergleich belegt: Credo ego vos, iudices, mirari quid sit quod, cum tot summi oratores hominesque nobilissimi sedeant, ego potissimum surrexerim, is qui neque aetate neque ingenio neque auctoritate sim cum his qui sedeant comparandus. Omnes hi quos videtis adesse in hac causa iniuriam novo scelere conflatam putant oportere defendi, defendere ipsi propter iniquitatem temporum non audent. Ita fit ut adsint propterea quod officium sequuntur, taceant autem idcirco quia periculum vitant. Quid ergo? audacissimus ego ex omnibus? Minime. An tanto officiosior quam ceteri? Ne istius quidem laudis ita sum cupidus ut aliis eam praereptam velim. [. . . ] His de causis ego huic causae patronus exstiti, non electus unus qui maximo ingenio sed relictus ex omnibus qui minimo periculo possem dicere, neque uti satis firmo praesidio defensus Sex. Roscius verum uti ne omnino desertus esset. [. . . ] His de rebus tantis tamque atrocibus neque satis me commode dicere neque satis graviter conqueri neque satis libere vociferari posse intellego. Nam commoditati ingenium, gravitati aetas, libertati tempora sunt impedimento. Huc accedit summus timor quem mihi natura pudorque meus attribuit et vestra dignitas et vis adversariorum et Sex. Rosci pericula.470

Bei aller Differenz zwischen der Situation des 29jährigen Flacius und derjenigen, in der sich der 26jährige Cicero bei seinem ersten überlieferten Plädoyer in einem Strafprozeß des Jahres 80 v.Chr. kurz nach den Sullanischen Proskriptionen wiederfand, so ließe sich über die frappierende Ähnlichkeit der humilitas simulierenden Formulierungen hinaus – die Unzulänglichkeit der geistigen Anlagen, das mangelnde Ansehen, die viel besser geeigneten, hochangesehenen anderen Kandidaten, die sich schlicht vor ihrer Verantwortung drücken und nur zusehen – noch manche andere Parallele finden: Cicero war zu der Zeit des Prozesses kaum ein solcher Niemand, wie er es gerne verstanden haben möchte, da er sich in Privatprozessen471 bereits ausgezeichnet hatte. Das Vorgehen selbst war von einer so unglaublichen Dreistigkeit, daß er einen durchschlagenden Überraschungseffekt erzielen konnte. Er mußte allerdings peinlich bemüht sein, sich nicht zu sehr zu produzieren, oder gar Eigennutz anzudeuten, sondern sich letztlich in ein solches 469 470 471

Flacius: Apologia ♣4v f. Cic. Rosc. 1 ff. Vgl. etwa Pro P. Quinctio (81 v.Chr.).

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Licht rücken, als würde er in Demut vor dem Auditorium die allgemeinen Interessen der guten Sache vertreten, und zwar als letzter zur Verfügung stehender Kandidat. Er mußte bei aller Invektive gegen manche drückebergerischen Kollegen die Chance aufrechterhalten, diejenigen unentschiedenen Mitglieder des Senats – und davon saßen nicht wenige auf den Geschworenenbänken – durch das schlichte Argument a minore472 , „Wenn ich unbedeutender Jungspund diesen Fall um der Gerechtigkeit willen übernehme, wie sehr sollte es den hohen Herren hier dann ein Leichtes sein, einen solchen Skandalfall zu verhindern“, auf seine Seite zu ziehen, sie dadurch bei der Standes-Ehre zu packen. Ebenso waren dadurch diejenigen Zuschauer in den Bann genommen, die hier den normalen, unkorrumpierten Mitbürger am Werk sahen. Auch bei der Verteidigung des Sextus Roscius Amerino ging es der formalen Anklage nach um Vatermord. Ich sage deswegen „auch“, weil vor allem Bugenhagen473 in Predigten und Briefen und später auch Melanchthon in Wittenberg einen entsprechenden Vorwurf erhoben hatten, nachdem Flacius durch seine Publikationen die Auslieferungsgefahr an den Kaiser für alle Beteiligten deutlich gesteigert und seinen Lehrern angesichts ihres Schweigens den Verlust des Seelenheils im Zuge seiner Bußreden (mit)angedroht hatte. Und tatsächlich war für die Redekonzeption des genus demonstrativum, speziell de personarum laude als locus a temporum periculis orsus die Rede pro Sexto Roscio von Melanchthon empfohlen worden.474 Hatte Flacius die Vorwürfe als unberechtigte Ablenkungsmanöver und Finten qualifiziert, so bewies Cicero, daß die Anklage gegen Roscius nur den legitimen Erben des ermordeten Vaters beseitigen sollte.475 Die an und für sich aussichtlose Ausgangssituation der Verteidigung – die Hauptbelastungszeugen waren bestochen oder Nutznießer, das polizeiliche Protokoll war 472

Vgl. Melanchthon: Elementorum Rhetorices libri D5v : Plerumque autem a minore inchoatur argumentatio. 473 Ein direkter Beleg für die Beschuldigung des Vatermordes steht aus, aber es findet sich bei Vogt: Bugenhagens Briefwechsel als Nr. 226 ein Schreiben an König Christian III. von Dänemark und Norwegen vom 28. Februar 1549, in dem es [S. 439] heißt: „Noch hat ein ehrloser Mensch, der seines namens nicht darf bekannt sein, drei Quaternen wider uns lassen drücken, darinnen er vermanet bei dem Evangelio zu bleiben. Er leret aber nichts welchs in dieser Zeit allermeist von nöten ist. Darnach trotzet der ungenannte Mensch: ich wil bei dem Evangelio bleiben etc. Ja wer bistu? wie heissestu? da frag nicht nach. Ich wil dieweil so plaudern: ich wil nicht abfallen von dem Evangelio, wie die Theologi zu Wittenberg haben gethan etc. Wir sitzen hie g. K. in mennigerlei fare darumb das wir unser Kirchen und diese Schule nicht haben wolt verlas. Der Teufel hat uns bisher nicht kont umbringen mit seinem Mord, weil uns Got so gnediglich mit seiner Wunderthat in sein Schutz genommen hat, Got sei lob. So nimt er nu seine ander Kunst fur (Jo.8) und wil uns bescheissen mit seiner lügen, das wir sollen stinken fur der Christenheit.“ Daß solche Worte auch von der Kanzel zu hören waren, ist nicht unwahrscheinlich. Denn daß das Interim und die aktuelle Lage durchaus polemisch verhandeltes Kanzelthema Bugenhagens war, ist belegt; vgl. Vogt: Bugenhagens Briefwechsel Nr. 225; CR VIII, 140–141/MBW 5, 5454. 474 Vgl. Melanchthon: Institutiones Rhetoricae A4v . 475 Dies war der Plan, nachdem der Name des im Herbst des Jahres 81 v.Chr. Ermordeten auf wundersame Weise auf einer der bereits im Juni desselben Jahres geschlossenen Proskriptionslisten erschienen war, und ein Günstling Sullas, zufällig der Auftraggeber des Anklägers, die Grundstücke zu einem Spottpreis erworben hatte.

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Apologia

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gefälscht, kein Indiz konnte Roscius entlasten, die Anklagepartei wußte die politische Macht auf ihrer Seite – meisterte Cicero unter anderem dadurch in bravouröser wie erfolgreicher Weise, daß er bereits mit der Vorrede beginnend letztlich gar nicht im Rahmen der Anklage und ihrer Beweiskonstruktion versuchte, Gegenargumente und Entlastungshinweise zu finden, sondern ausgehend von der schlicht nach dem „cui bono“-Prinzip konstatierten Unschuld des Mandanten, dem Herzstück der Verteidigungsargumentation, eine Anklage gegen die Kläger führte. Durch diese Anwendung des sogenannten ordo artificiosus zog er das Zentralargument und eine kurze daran anknüpfende peroratio noch vor die narratio und die eigentliche argumentatio. Er legte mit seinem Plädoyer eine solch erdrückende Evidenz für die Ungerechtigkeit der Anklage vor, daß das Gericht, just nachdem der Verteidiger geendet hatte, den Angeklagten wegen Mangels an Tatbeweisen augenblicklich freisprach. So ging die Rede als Musterbeispiel für eine versio in adversarium in die Rhetorik-Theorie ein.476 Die Argumente des Flacius lauteten in der eigentlichen Apologie analog: Agricola war gekauft worden477 , die Wittenberger hatten offensichtlich Angst, die Zensur verbot bei Strafverfolgung den „Anwälten Christi“ jedes Aufmucken478 . In diesem Sinne ging er zum Gegenangriff über und klagte die Verantwortlichen der „Amtsflucht“ an. Der Vergleich läßt sich mit Blick auf diese versio in adversarios noch fortsetzen: die Einleitung zu derjenigen Passage, die das Ereignis umschreibt, welches von Kaufmann als Selbstthematisierung in der Deutung einer existentiellen Wende beschrieben wird, beginnt in der lateinischen Apologia – freilich gestützt auf 1 Petr 3, 15 – wie folgt: Proinde cogor breuiter uobis uiri doctißimi mearum contra praesentes mutationes actionum rationem reddere, ut omnes boni agnoscant, et me et causam hanc lucem non defuere, et ueris firmisque rationibus defendi posse. Moneo autem omnes delicatas aures, quae (ut ille [sc. Petrus] inquit)479 suauia quam salutaria audire malunt, ut hoc scriptum non cognoscant. Nam mihi in eo est animus quam simplicißime et quam maxime serio potero, ueritatem dicere, nec me in eo tam ad humanas aures nimium adulationibus assuetas iudiciumque, quam ad praescriptum CHRISTI qiusque extremum iudicium accommodare. Simul autem et illud uolo orare aequum lectorem, ut si in hac mea apologia aliquorum errata attingere coactus fuero, non mea id culpa factum existimet, sed ipsorum, qui primum laedendo bonas mentes, querelis, postea uero sua crimina alijs tribuendo, apologiae occasionem praebuerunt.480

Er kann nicht anders. Und auch wenn Flacius hofft, Gehör zu finden, so weiß er doch, daß angesichts der Schwere des Unterfangens, der Unerhörtheit, er sich der 476 477 478 479 480

Vgl. Quint. inst. 7, 2, 23, 1. S.o. S. 101 f. S.o. S. 40 f. 1 Petr 3, 15. Flacius: Apologia B2r f.

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Zustimmung seiner Leser nicht sicher sein kann. Immerhin habe schlimmstenfalls Gott als Richter das letzte Wort. Letztlich seien es aber nur die Bedrücker der Gläubigen, seine eigenen Verleumder, die ihn hier zur Verteidigung gedrängt hätten. Cicero nun leitete in eben dieser Rede für Roscius wie folgt zur (letztlich bereits argumentierenden) narratio über: Quapropter vos oro atque obsecro, iudices, ut attente bonaque cum venia verba mea audiatis. Fide sapientiaque vestra fretus plus oneris sustuli quam ferre me posse intellego. Hoc onus si vos aliqua ex parte adlevabitis, feram ut potero studio et industria, iudices; sin a vobis, id quod non spero, deserar, tamen animo non deficiam et id quod suscepi quoad potero perferam. Quod si perferre non potero, opprimi me onere offici malo quam id quod mihi cum fide semel impositum est aut propter perfidiam abicere aut propter infirmitatem animi deponere. [. . . ] Accusant ei qui in fortunas huius invaserunt, causam dicit is cui praeter calamitatem nihil reliquerunt; accusant ei quibus occidi patrem Sex. Rosci bono fuit, causam dicit is cui non modo luctum mors patris attulit verum etiam egestatem; accusant ei qui hunc ipsum iugulare summe cupierunt, causam dicit is qui etiam ad hoc ipsum iudicium cum praesidio venit ne hic ibidem ante oculos vestros trucidetur; denique accusant ei quos populus poscit, causam dicit is qui unus relictus ex illorum nefaria caede restat.481

Die Parallele ist wiederum recht auffällig: Er appelliere an das Wohlwollen, wolle das Urteil der zuständigen Richter achten, sehe sich dennoch einer höheren Sache verpflichtet. Und wenn manches Unerhörte hier Erwähnung finden müsse, so gehe die Schuld dafür doch nicht auf das Konto dessen, der sich hier verteidigen (lassen) müsse; die wahren Verbrecher säßen auf der Klägerbank. Die Ausführungen des Flacius wiederum gipfeln schließlich in dem Appell: Quandoquidem autem non mea profecto hic, sed C HRISTI ipsius causa agitur, inuoco Dominum I HESVM, ut quoniam a patre coelesti missus est, ut destruat opera Diaboli, estque praecipuum opus Diaboli etiam mendacium ac uerborum sophistica, quibus rei ueritas inuoluitur et obsecratur. Vt inquam tum meam mentem et os regat, quo ea, quae uerißima, ipsique gratißima sunt, dicam, tum et aliorum animos suo spiritu ac timore ita emolliat, ut ea, quae uere pieque a me dici intellexerint, omnibus humanis affectibus abiectis, toto pectore amplectantur, rebusque omnibus uici et condemnati huius mundi longe praeferant. Ac primum quidem, quoniam hoc multis, qui ea, qui praecesserunt, ignorant, perabsurdum uidetur me nouum hominem nuper quasi repente et temere in hoc theatrum erupisse, oportet me breuiter praecedentia quaedam recensere, ut agnoscant meae uitae et actionum conuenientem harmoniam, minusque offendantur, dum sibi omnia in nostris rebus probe constare animaduerterint.482 481 482

Cic. Rosc. 8 ff. Flacius: Apologia B2v .

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Die Pflicht dessen, der den „Vorsitz“ hat, wird eingefordert um der Bedeutung der Sache willen: Immerhin gehe es ja um Christi Sache selbst. Missetaten, Lüge und Meineid müssen geahndet werden. Die gerechte Strafe, Zerstörung des Teufelswerks wird eingefordert; durch des Flacius Erzählung kraft der Inspiration Christi soll das Ausmaß der Lüge aufgedeckt werden. Dazu wird eine Erzählung von Anfang an notwendig sein, um die mißliche Situation des Beklagten, des homo novus Flacius, verstehen zu können. Ciceros narratio wiederum wird – beinahe „entsprechend“ – so eingeleitet: Qua vociferatione in ceteris iudiciis accusatores uti consuerunt, ea nos hoc tempore utimur qui causam dicimus. Petimus abs te, M. Fanni483 , a vobisque, iudices, ut quam acerrime maleficia vindicetis, ut quam fortissime hominibus audacissimis resistatis, ut hoc cogitetis, nisi in hac causa qui vester animus sit ostendetis, eo prorumpere hominum cupiditatem et scelus et audaciam ut non modo clam verum etiam hic in foro ante tribunal tuum, M. Fanni, ante pedes vestros, iudices, inter ipsa subsellia caedes futurae sint. Etenim quid aliud hoc iudicio temptatur nisi ut id fieri liceat? [. . . ] Atque ut facilius intellegere possitis, iudices, ea quae facta sunt indigniora esse quam haec sunt quae dicimus, ab initio res quem ad modum gesta sit vobis exponemus, quo facilius et huius hominis innocentissimi miserias et illorum audacias cognoscere possitis et rei publicae calamitatem.484

Der vorsitzende Praetor möge seines Amtes walten und die doch offenkundigen Schandtaten hart bestrafen, sonst drohe Mord und Totschlag. Das Ganze – hier freilich nicht das Schicksal Christi, sondern die Staatsordnung – stehe auf dem Spiel. Dieses Ganze wird bei Cicero mit dem Individualschicksal des Angeklagten wie der Dreistigkeit der Kläger verbunden. Es sei dieselbe „Korruption“ die hier a minore im Einzelfall wie im Ganzen am Werk sei. Entsprechend leidet Flacius für Christus – als dessen Anwalt – unter den opportunistischen Machenschaften der Christusgegner, „Achitopheln“ und „Epikureern“. Weitere Parallelen könnten aufgezählt werden – etwa die Spannung von langer, heimlicher Planung, bei Flacius „Heimlichkeit nach (hi)spanischer Art“ bzw. clam Hispanice485 genannt, und doch in alle Öffentlichkeit getragener Dreistigkeit; oder die Argumentation mit „informationspolitischen“ Ungereimtheiten – allein das bislang Dargestellte kann genügen, um folgende Thesen aufzustellen: 1. Flacius rückt das Zeitgeschehen bereits der formalen Behandlung nach in einen Rahmen, der Assoziationen zu antiken Paradefällen weckt. Sokrates vor Gericht, das Interim in der Logik als „Sullanische Proskriptionen“ begriffen, die Wittenberger als „Lügenbrüder“ und „Proskriptionsgünstlinge“ usw. Er selbst stilisiert seine Position im Geschehen als vom Gewissen Gezwungener und zugleich als zu Unrecht Angeklagter. 483 484 485

Der dem Geschworenengericht vorsitzende Praetor des Jahres 81/80. Cic. Rosc. 12 ff. Flacius: Entschuldigung A1r .

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2. Die gewissenhafte Schulung an antiker Rhetorik und ihrer Topik, wie sie integraler Bestandteil Melanchthonscher Lehre war, erlangte beim eifrigen Schüler Flacius im Zuge seines literarischen Schaffens nicht zu unterschätzende Bedeutung. Zur Verdeutlichung, daß Rhetorik und Topik im Stile eines Cicero bei Melanchthon außerordentliche Wertschätzung genossen, genügt es, sich die praefatio in officia Ciceronis von 1534486 vor Augen zu führen. Es verdient zusätzlich Beachtung, daß Melanchthon eben so großen Wert auf pädagogisch gewendete Taxis und Taktik als Muster für die Lebensführung in toto legte.487 Dies beweist durchaus auch im rein formalen Sinne der eigens diesem Thema am Beispiel einer anderen Cicero-Rede gewidmete Titel von 1533, die Dispositio orationis quam pro Archia poëta Cicero habuit. All dies ist auch insofern von Gewicht für Flacius, als hier die konsequente Fortsetzung derjenigen Tradition erkennbar wird, die schon in Venedig bestimmend war.488 3. Es dürfte schwer fallen – sind die Spuren solcher Bildungstradition und der an ihr haftenden literarischen Form einmal in der Publizistik des Interimsstreites entdeckt –, allein eine „existentielle Wende“ des Flacius als Grundlage seiner Selbstautorisation zu konstatieren; noch dazu, wenn er selbst das Bemühen ausspricht, als der „ewig gleiche“, dessen Reden und Tun übereinstimmt, zu gelten: dabey sie erkennen mögen/wie mein leben/vnd handel allezeit gleich vberein gestimpt haben oder lateinisch gesagt und auf die Darstellung selbst bezogen: vita orationi congruens. Noch weniger kann die Motiviation bislang als ein allein vom gnesiolutheranischen Willen zur Orthodoxie geprägtes Luthertum erkannt werden.489 4. Eine gleichsam schizophren anmutende Oszillation schließlich – und mag sie noch so latent sein – zwischen stiller Bewunderung für den leider wankenden Melanchthon einerseits und der eifrigen Anlehnung an den bekennerfreudigen Luther aus der Apologie herauszulesen, wie es Dingel490 letztlich tut, läßt nicht nur manchen Aspekt des Verhältnisses zwischen Luther und Melanchthon selbst erklärungsbedürftig erscheinen, sondern erhellt die in der Apologie begegnenden argumentativen Anlagen meines Erachtens 486 Vgl. MStA 3, S. 83 f.: Omnis autem doctrina aut rerum cognitionem continet, aut verborum et quia rerum notae verba sunt, prior est verborum cognitio, ad quam comparandum tametsi necessariae sunt artes, grammatica dialectica, rhetorica, tamen sine exemplis artes ipsae sunt inefficaces. Ideo boni auctores legendi sunt, ex quibus linguae phrasin discamus, ex quorum imitatione comparemus nobis eiusmodi genus orationis quod adhiberi possit ad graves causas explicandas, quodque lumen afferre rebus obscuris possit, si quando homines de magnis rebus, ut saepe accidit, docendi erunt. Nemo autem ignorat optimum dicendi magistrum esse Ciceronem. Entsprechendes findet sich auch (neben dem ausgesprochenen Lob für Quintilian und Livius) in Melanchthon: Institutiones Rhetoricae; Melanchthon: Compendiaria Dialectices Ratio; Melanchthon: Elementorum Rhetorices libri. 487 Vgl. MStA 3, S. 83: Ad haec numquam perfectam doctrinam consequuntur isti, quorum animus non prospicit certum finem studiorum, et vagantur temere ac sine ordine ac ratione [. . . ]. 488 S.o. S. 13. 489 Inzwischen in Kaufmann: Ende der Reformation, S. 367–381 revidiert. 490 Dingel: Flacius als Schüler.

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nur unzureichend. Abgesehen von den Anspielungen, die in den Sprachbildern auf dem Titelblatt begegneten, – und selbst hier war die Quelle mit keiner Silbe gekennzeichnet – so kam Luther bislang in der Apologie überhaupt nicht vor. 5. Um es thetisch-positiv zu formulieren: Flacius dekliniert mit voller Absicht Melanchthon schlicht Melanchthon vor. Und zwar unter nicht gerade sparsamer Aufbietung des literarischen Arsenals, über das er verfügte.

8.2 Existenz und Amt Es folgt die eigentliche Schilderung seines Werdegangs, mit dem deutlichen Verweis auf seine Bekehrung nebst vorangegangener Versuchungen. In seiner Darstellung geht Flacius von einem unbestimmten Urzustand aus: damals als er den Frieden seines Gewissens „gekannt und die Heilige Schrift lieb gehabt“ hatte. Doch mit dem fortschreitenden Bemühen um die Theologie ergreift ihn ohne aus der Schilderung erkennbarem Anlaß oder Grund die Anfechtung. Schließlich bringt ihn sein Vermieter Backofen dazu, sich auszusprechen, und stellt den Kontakt zu Luther her. An dieser Stelle hält Flacius in der Erzählung inne und schreibt: Dis alles erzele ich darumb/ das ihr nicht gedenckt/ ich hab die lehr des Euangelij allein aus dem lesen/ vnd müssigen gedancken / sonder auch durch meine eigne erfahrung/erkant/ Vnd das ich gar nicht ein unuersuchter Christ sey / Welchs D.Marti. Luther an eim Theologo sonderlich haben wolte491 / und die Schrift492 lobt auch solchs an Christo493

Er selbst gibt die Interpretation seiner Selbstdarstellung vor, die – sofern man ihm glauben möchte – lautet: es soll ein jeder Leser nachvollziehen können, daß er nicht allein durch theoretisches Studium, sondern auch durch Erfahrung – insbesondere Erfahrung der Anfechtung – das Evangelium kennenlernte. Flacius grenzt zwei Bereiche als Wege der Evangeliumserkenntnis voneinander ab: der erste wird doppelt charakterisiert als „Lesen und müßiger Gedanke“ – zusammengefaßt: der quasi phänomenologische Bereich, insofern er auf die Wahrnehmung der Wesenserscheinung der Dinge und ihre Reflexion reduziert bleibt; 491 Vgl. WA TR 1, 16, 10–13: Iuristae possunt suos discipulos humiliare, quando volunt superbire de eruditione, quia habent forum et practicam, nos autem, quia non habemus practicam, non possumus nostros discipulos humiliare. Sola experientia facit theologum; vgl. zur Interpretation der Stelle Stolt: Luthers Rhetorik, S. 53–55. Ebenso: Martin Luther, Vorrede zum ersten Band der Wittenberger Ausgabe der deutschen Schriften (1539) [hg.v. K. Bornkamm und G. Ebeling, Martin Luther, Ausgewählte Schriften], 1.Band (1982), S. 9: Anfechtung [sc. ist] der Prüfstein, die lehrt dich nicht allein wissen und verstehen, sondern auch erfahren, wie recht, wie wahrhaftig, wie süß, wie lieblich, wie mächtig, wie tröstlich Gottes Wort sei. 492 Mt 4,1–11; Mk 1,12–13; Lk 4,1–13.22.28 f. u.a. 493 Flacius: Entschuldigung E1v .

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der zweite, der quasi existentialistische Bereich, der nicht mehr nur die Schrift als Gegenüber im Objekt ansieht, sondern in der eigenen Erfahrung die Lehre der Schrift erlebend erkennt, zugleich zum Subjekt im Sinne der Schrift wird – dies habe Luther von einem Theologen verlangt, und eben dies sei im Vorbild Christi wichtiger Bestandteil. Solches hatte Flacius auch jeweils in seinen Publikationen im den jeweiligen Druck und damit auch darin verarbeiteten Zeitdiagnosen erschließenden biblischen Motto umgesetzt. Dennoch ist keiner der beiden oben genannten Wahrnehmungsbereiche für sich selbst genommen hinreichend, sondern lediglich notwendig, beinahe wie komplementäre Teile. Flacius bemüht sich also, auch theologisch, nicht nur im Sinne der formalen Widerspruchsfreiund in einer heit der oben skizzierten Argumentation, als Person deren bestimmten Beziehung zueinander stehen, verstanden zu werden. Ohne auf die Frage nach der Historizität des von Flacius verfaßten Selbstzeugnisses eingehen zu wollen, sei hier nochmals das Augenmerk auf die Funktion der zitierten Passage gelenkt: dabey sie erkennen mögen

oder in der lateinischen Fassung: ut intelligatis. Es scheint letztlich also nach vermitdem Willen des Erzählers darum zu gehen, sich selbst bzw. seinen derart dem Leser zu erschließen, daß seiner Widerspruchshaltung, tels seines seinem aggressiven Auftreten eine rationale, intelligible Form gegeben wird: ut intelligatis. Er will durch die Darstellung seiner wenn nicht historischen, so doch im Sinne eines argumentum e probabile zumindest im historischen Sinne denkbaren Biographie an seiner Erfahrung teilhaben lassen und so eine Basis eines gemeinsamen Selbst-Verständnisses schaffen, die jeweils eigene Versuchung mit eingeschlossen. Gerade dieses Motiv der Versuchung wird durch die zitierte Passage mit ihrem Hinweis sowohl auf Luther mit seiner Forderung sola experientia facit theologum494 , als auch auf das Vorbild Christi verstärkt. Die Schilderung dient der Erhärtung des im Rahmen der Argumentation Benötigten. Damit ist Historizität weder ausgeschlossen noch im Sinne eines Datums festgeschrieben. Der Text ist hier schlicht der rhetorischen Grundregel des ipse moveatur495 folgend gestaltet. Es geht dabei primär um das Identifikationsangebot.496 Man erfährt auch außer den Namen des Vermieters und des Seelsorgers nichts an harten Fakten. Die Beschreibung der Versuchung beläßt es bei allgemeinsten Begriffen. Kein konkreter Inhalt, weder der Anfechtung, noch des Trostes bzw. des ihn vermittelnden Wortes wird deutlich. Wohl weniger ein Mangel historischer Genauigkeit, die doch sonst bei den Datierungen und Motivationsangaben allenthalben zu finden ist, sondern eher eine Notwendigkeit für ein Identifikationsangebot, 494

S.o. S. 143. Vgl. Cic. de or. 2, 43–52; Quint. inst. 6, 2, 26.28. 496 Zur exemplarischen Verarbeitung dieses Sachverhalts, insbesondere zur allgemeineren Darstellung des Wechselbezugs von Heilzusage, Anfechtung und Glauben bei Flacius vgl. Schwarz: Die Bettlerhand des Glaubens, S. 111 ff. 495

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das viele Leser erreichen will. An der inhaltlichen Unbestimmtheit ändert auch der geschilderte Fürbittritus in der Wittenberger Kirche nichts. Er ist für Zeitgenossen gewiß überprüfbar, aber ob er in einer Weise exemplarisch war, daß man daraus per se eine dezidierte Autorisierung des Flacius allein zum „Wahrheitszeugen“ an sich folgern kann? Der Fortgang des auktorialen Kommentares mag das bisher Gesagte zusätzlich erhärten: Ich könt mit warheit/ noch viel mehr gewisse zeichen der gegenwertigkeit Gottes/ welcher mir alle zeit hilfft und beystehet/ auch widderstand des Teuffels/ welcher mich nicht allein in andern sachen/ sonder zuuoraus in meinem studirn verhindert/erzelen/wens nicht zu lang würde/ und nicht iemandt dencken möcht/ ich thete es rhumbs halben. Aber was ich hie schreibe/das schreibe ich für Gott.497

Der Text verweist deutlich auf den Auswahlcharakter, den die biographische Erzählung hat, und zeigt über die unmittelbare Zielsetzung des zu erweckenden Verständnisses bei den Lesern das gleichsam weiterführende Ziel des Gottesdienstes. In diesem Sinne könnte sogar sophistisch zurückgefragt werden, warum er es überhaupt schreibt, oder warum er es nicht – wie manches andere Faktum im Übermaß – ein wenig inhaltlich präzisiert. Im Rahmen der bisher nachvollzogenen Zielsetzung ist dies letztlich ein Appell an den Leser, solches glaubend mitzuvollziehen. So wie Flacius „für Gott“ seinen Glauben bezeugt, mögen es andere auch tun. Entsprechend hatte schon Heinz Scheible über den existentialen Zug498 geurteilt: In allgemeinerer Form wird die Existenz ebenso zum Muster, etwa wenn die Parallelisierung der Geschichte Elias, dessen Anfechtung und Trost ad perpetuam ecclesiae Dei consolationem aufgezeichnet worden seien, in der Vorrede der Zenturien an den Leser mit der kritischen Situation der Kirche zusammen mit der Ausweitung zum Kriterium ex ipsa rerum experientia omniumque temporum historia durch Flacius verknüpft wird.499 Nach der auktorialen Zäsur erfährt auch der biographisch-erzählende Text eine Wende: Es folgt eine Passage, die sich insbesondere auf den beruflichen Werdegang bezieht und weniger die innere Entwicklung als die ihr korrespondierenden Verhaltensweisen und Taten darstellt. In ihr möchte der Autor augenscheinlich seine bisherige Zurückhaltung beleuchten und seine – an der Größe der drohenden Gefahr gemessen – gemäßigte Reaktion. Dabei fokussiert Flacius als Hebräischprofessor vornehmlich auf Melanchthon als „Kollegen“: Nach derselben zeit sind jtzt anderthalb jar verlauffen/darin ich on unterlass mit dem Herrn Philippo mit schrifften und mündlich gehandelt hab / das man den widdersachern nichts solte nachlassen. [. . . ] Dergleichen hab ich (wiewol etwas weniger) mit den andern Professorn auch gehandelt.500 497 498 499 500

Flacius: Entschuldigung E1v . Vgl. Scheible: Entstehung der Magdeburger Zenturien, S. 50–54. Vgl. Scheible: Der Catalogus Testium Veritatis. Flacius: Entschuldigung E2r .

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Er geht schließlich noch weiter, als sich die Dringlichkeit der Gefahr steigert: [Ich] bin fast allen gelerten /des orts/zu fuss gefallen / hab sie gebeten/das sie den feinden nichts nachgeben / sonder bey den Obersten anhalten solten /das sie gar nichts einreumten.501

Wenngleich Flacius darauf abhebt, daß er von Anfang an die Gefahr durchschaut habe, betont er doch zugleich, daß er einen entsprechenden Augenblick abgewartet habe. So habe er noch den Theologen – also Georg Major – zu (Alt)Zella einen Brief ohne namentliche Unterzeichnung, [d]enn ich hoffte/der Brief solte so ein grösser ansehen haben502

übergeben um sich nicht persönlich hervorzutun. In dieser Weise präsentiert sich Flacius noch deutlicher an späterer Stelle: So wolt ich noch viel seiner [sc. Melanchthon] wort/so er gegen mir und andern in sonderheit gesagt hat erzelen/ dadurch ich klerlich beweisen könte/das er/der Herr Phil. in seinem hertzen und gewissen wol flet / das die itzigen handlungen der Kirche zum verderben gedeien. Aber ich will die selben sparn/bis auff ein ander zeit/ da sie am nötigsten sein werden.503

Es scheint ihm nicht um den Sieg argumentis ad hominem zu gehen, gleichwohl er unverhohlen droht. Er fordert vielmehr die Buße der Betroffenen. So verstandene Autorität, die durch die biographischen Züge nur insofern ergänzt wird, als die Biographie die Kriterien, die Gott bei der Wahl seines Sprechers wohl anwenden mag, die Gefälligkeit, plausibel macht, ließe sich also derart bündeln: Schlußendlich drängt sich doch im Rahmen solcher Lebensschilderung geradezu das Bild des Propheten im alttestamentlichen Sinne auf, wie schon von Scheible gezeigt504 : Er duldet bis zur Schmerzgrenze, er schilt das Volk, dasselbe hört nicht auf ihn, denn der Prophet gilt nichts im eigenen Land etc. Da er freilich als solcher Quasi-Prophet ausschließlich das, was Gott ihm eingibt – unverändert durch seine eigene Persönlichkeit oder sein Bewußtsein –, wiedergibt, kann aus der Unfehlbarkeit Gottes auf die Unfehlbarkeit des Propheten geschlossen werden. Dabei entspricht es dem voluntaristischen Moment des alttestamentlichen Gottesbegriffes, daß der Schwerpunkt des Beistandsgedankens nicht in der gefühlsmäßigen, liebenden Verbundenheit zu seinem Propheten, sondern im handelnden Eingreifen zugunsten der auserwählten Partei liegt.505 Entsprechend lautete ja auch die Bitte des Flacius, die die Zerstörung des Teufelswerks zum Inhalt hatte. 501 502 503 504 505

Flacius: Entschuldigung E2r . Flacius: Entschuldigung E2v . Flacius: Entschuldigung E2v . Vgl. Scheible: Entstehung der Magdeburger Zenturien, S. 50–54. Vgl. Ziegler: Die Liebe Gottes, S. 28 ff.

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Es wird also davon auszugehen sein, daß die Frage nach der Autorität bei Flacius nur insofern für sein Selbstverständnis prägend ist, als es sich bei seiner Autorität der Darstellung nach um die momentane Inkorporation göttlicher Autorität handelt, die dann aus seinem Bibelzitat, aus seiner Exegese oder Bußaufforderung etc. spricht und zugleich dem Wirken Gottes Wirklichkeit verleihen soll. Diese Züge manifestieren sich in der Funktionalisierung der persönlichen Erfahrung des Evangeliums und den damit korrespondierenden äußeren Handlungen als Anschauungsmuster, die von vornherein dem Darstellungsziel untergordnet sind, hier: der Erinnerung an den Gehorsam gegen Gott als allen Menschen notwendigem, die Ganzheit des einzelnen Menschen erst ermöglichendem Element der Selbst-Auslegung und Selbst-Kritik. An eben diesen Punkten scheint sich auch jegliche kirchlich-dogmatische, kirchenpolitische und weltpolitische Entscheidung – im speziellen aber das Interim – messen lassen zu müssen. Der über allem zugleich stehende Grundsatz ist der, den Melanchthon schon in seiner Vrsach, Warumb die stende506 angeführt hatte, daß man Gott mehr gehorchen muß als den Menschen. Mit der Frage nach der Autorität des Flacius und ihrer Positionierung korrespondiert die Frage nach dem Amtsverständnis. Flacius hielt von Anfang an fest, daß die Kirche in Geheimverhandlungen nicht verteidigt werden könne. Welche Alternativen sieht er? Er verlangt in dem Brief an Milichius, den Rektor der Universität zu Wittenberg, die Wahrnehmung seiner Pflicht, indem er schreibt: Derhalben/ Achtbar Herr Rector/ will euch gebüren nicht allein ewrer gunst halben/so ihr zum Herrn Philippo tragt/ sonder auch ewers Ampts und pflicht halben / so jhr der Kirche und Schule schuldig seid/ das jhr mit allem vleis dahin erbeitet/das solche verenderungen/vnd verfelschung der Religion/ vnterlassen / vnd sonst ein ander Prophet/schreiet. Aber sie schreien /weicht/weicht/vnterwerfft euch dem Antichrist und den Pharaonibus/ also werdet jhr errettet werden.507

Flacius leitet ein weiteres Manko aus der Zurückhaltung der Wittenberger ab: Melanchthon etwa verkenne auch die Pflichten um die kirchliche Autorität seines Amtes dahingehend, daß, sollte tatsächlich die Herrschaft Christi betont werden und Christi Wille allein in der Kirche Geltung haben, dieser Wille uneingeschränkt gelten müsse. Als Menschen seien die Theologen Wittenbergs der Möglichkeit des Irrtums ausgesetzt, was wiederum impliziere, daß sie das Wort Christi falsch anwenden könnten. Dann bestünde aber immerhin noch die Möglichkeit, ihre Meinung aus der Schrift zu widerlegen, d.h. den wahren Christus gegen den falsch interpretierten auftreten zu lassen.508 Niemals aber sei es möglich, im Namen Christi unverbindlich zu sprechen, da alles was an dieser Stelle gesagt werde, 506

S.o. S, 58. Flacius: Entschuldigung H3r . 508 Hier hat der Ansatz zur Ausbildung einer reflektierten Schrifthermeneutik seinen genuinen Ort; vgl. Geldsetzer: De ratione; Keller: Schlüssel zur Schrift; Raeder: Flacius als Bibelausleger. 507

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nicht dem Wort Christi, dem Wort, das den unbedingten Gehorsam fordere, entsprechen könne. Darum könne es auch kein Wort der Kirche sein, deren einzige Machtausübung im Predigeramt, im „das-Wort-zur-Geltung-bringen“ liege. Der Reflex auf oben kurz umrissene, beinahe prophetengleiche Autorität lautet: Denn als ich zu Hamburg509 war / schreib ein gelarter man an einen Pfarhern /aus der Marck/ das der Bürgermeister von Brandenburg/auff dem Tage zu Berlin/ zu etlichen Predigern/welche sich widder das Merckische Interim satzten/ gesagt hette. Was wolt ihr uiel disputieren/dauon,Philippus hat gesagt/er will lieber das gantze Interim annemen,denn die kirche uerlassen, Also hört man jtzt an allen örten / da die Kirchen verstört werden/nichts anders / denn diese wortt/ Er hats gesagt/oder / Die Theologen / habens gesagt. Was gilts ob das Gottlose/ Er hats gesagt/ nicht einmal wird in vnglück komen/vnd wird gelten nur Neum Iehoua/ das ist der Herr hats gesagt. Das sey bisher von dem Argument gesagt/ auff das nicht uilleicht die Romer kommen [. . . ]510

Daß er selbst die Diskussion mit dem „Bedenken der Theologen“ bzw. Melanchthons eröffnet hatte, den praeceptor zitiert, Melanchthon als Zeugen für Luthers Abneigung gegen Agricola ebenso gebraucht, wie gegen ihn Aristoteles ins Feld geführt hatte, historische und zeitgeschichtliche Beispiele bemüht hatte, all das hat hier offensichtlich formal keine Geltung. Inhaltlich war die Kongruenz mit dem biblischen Skopos ausschlaggebend. Daß er selbigen melanchthonisch bestimmte, wurde gezeigt. Flacius sieht die Folgen wiederum in der Schwächung der Massen – ein Verlust der Beständigkeit, ein Verrat am Volk, das dem Teufel zum Opfer wird. Bleibt zu fragen, was Flacius letztlich erwartete, wenn stets bedacht wird, daß Melanchthon und seine Kollegen immer dann, wenn sie in adiaphoristischen Fragen ihre Autorität gebrauchten – freilich hier zur bedingten Annahme des Interims –, von Flacius der Auflösung und Zerrüttung der Kirche angeklagt wurden, wenn sie aber schwiegen, der Amtsflucht und indirekten Schützenhilfe für die Gegner bezichtigt wurden. Der scheinbaren Aporie liegt die Forderung nach der auf der einen Seite aufgegebenen repräsentativen Autorität des Evangeliums und auf der anderen Seite die Kritik an der Anmaßung einer Vollmacht, in letztlich weltlichen Dingen den Mächtigen zum Gefallen zu entscheiden, zugrunde. Dabei gebe es nur eine Lösung: Wenn die Lage der Dinge nicht aus der Schrift selbst zu beantworten sei, so müsse nach dem Grundsatz der evangelischen Freiheit die jeweilige Gemeinde entscheiden dürfen. Die Wittenberger hätten aber als Minderheiten-Gremium in Analogie zum Konzil von Trient in Geheimverhandlungen beschlossen, und zwar nicht zum Wohl der Kirche, sondern zum Wohl der 509 Zum Wanderweg des Flacius, den er beschritt, nachdem er Wittenberg verlassen hatte, vgl. Heldelinus: Ein christliche Predigt X2v ff. 510 Flacius: Entschuldigung G4v .

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Apologia

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Fürsten. Ein typisches Merkmal katholischer Kaisertreue, wie es die Genese des Interims und seiner militärisch gestützten Durchsetzung511 selbst gezeigt habe: Nicht/das zween odder drey zu winckel kriechen / vnd die köpffe zusamen stecken / auff gut Hispanisch / wie in dieser sachen offt geschehen / da etliche wenig mit den Feinden des Euangelij zusamen / geraunet vnd beschlossen/darnach den andern Christen/ als werens jhre leibeigene knechte/stracks befohlen haben/das: sie jhre gesetze solten annemen. Solchs aber thun sie vornemlich darumb / denn sie wissen/das das liecht der lügen schadet / vnd zweiffeln nicht/das die Gotfürchtigen/wenn sie zeit hetten sich von solchen newen satzung zu bedencken/ die selben nicht würden annemen.512

Melanchthon versuchte, diese Auslieferung an die altgläubige Obrigkeit bzw. das Kirchenregiment als harmlos zu klassifizieren. Flacius verwies dagegen auf einen kurzen Passus aus dem Text des Leipziger Interims, den die Bischöfe Melanchthon untergejubelt hätten, und zeigt daran die gefährliche Rechtslage, in die sich die Kirche Christi begeben habe: man stelle im Kapitel von der Kirche und der Ordination der Priester die ganze Religion auf den Kopf, da hier angeordnet werde, daß man das lehre, was die Kirche befiehlt. Zugleich werde im Kapitel von den Kirchendienern allen Lehrern befohlen, den Bischöfen zu gehorchen. Was für Bischöfe das wären, würde erst am Schluß deutlich, wo sie Pflug und den Bischof von Meißen, offensichtliche Verfolger der Evangeliums, als ihre Herren Bischöfe anerkennen würden und versprächen, in Demut mit ihnen die weiteren Artikel zu besprechen. Dabei würden sie doch nur zu gut wissen, was für eine Person der oberste Bischof, der Papst, sei. Die Kritik ist identisch mit der des Azarias.513 Aber wie könnte so etwas evangelisch geregelt werden? Flacius antwortet, daß die christliche Gemeinde selbst die Worte des obersten Kirchenfürsten Jesus Christus hören solle und daß sie selbst keine eigenen Stimmen und Lehren hervorbringen oder konstituieren solle. Melanchthon hatte dies ebenso in seinem Gutachten vom 16. Juni 1548, dem iudicium quartum de libro Interim, noch selbst bekräftigt: [. . . ] daß Gott seine Offenbarungen gegeben hat, die wir annehmen sollen, und daß nicht wie im weltlichen Reich einer Person zur Interpretation Gewalt gegeben werden soll.514

Es sei also klar, daß alle diejenigen sündigten – egal, ob Bischof oder nicht –, die ohne Zustimmung der Kirche oder sogar gegen deren ausdrücklichen Willen Vorschriften machten, selbst wenn selbige nicht gegen göttliches Gebot sprächen. Christus allein ordne die Kirche, und die Lehrer und Prediger der Kirche hätten nur soweit Autorität, wie sie die Autorität Christi verkörperten. Diejenigen 511 512 513 514

S.o. S. 30. Flacius: Entschuldigung B3v f. S.o. S. 116. Vgl. PKMS IV, Nr. 14, S. 56.

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Angelegenheiten, welche nach göttlicher Ordnung der freien Entscheidung der Gemeinde obliegen, müssen letztlich von ihr entschieden werden. Es gebe keine Möglichkeit die Autoritäten der Kirche von dieser Pflicht zu entbinden. Frei und öffentlich müsse nicht allein über die Lehre, sondern auch über den Kultus und die Kirchenordnungen verhandelt werden: Vnd so sie meinen/ das man mit guten gewissen etwas endern kan/ solt sie Artickel stellen/vnd die selben dem gantzen lande / vnd allen Gottfürchtigen Kirchen fürlegen / auch zeit geben/das mann sich etliche monat darauff bedencken könte. Darnach möchte mann ein tag halten / vnd anderer Gottfürchtigen meinung auch hören.515

Wie deutlich wird verfolgt Flacius keineswegs ein obrigkeitlich legitimiertes Konzept kirchlicher Lehrbildung oder Entscheidungsfindung. Eher eine Kongregationskirche mit klarer Berücksichtigung des Priestertums aller Gläubigen in der Repräsentation ihrer Kirchenführer. Freilich war dies das ideologische Fernziel auch Melanchthons, da er eben immer wieder auf den Übergangscharakter des Interims verwies: interim tantum. Nur hätten die Adiaphoristen nach Flacius selbiges Ziel durch ihre bereits dargelegte Geheimdiplomatie und die bloße Idee von der Möglichkeit einer Übergangslösung unterlaufen. Schließlich sei es ein großer Unterschied, ob eine weltliche Macht Unterdrückung ausübe oder eine geistliche, und schließlich sei es ausschlaggebend, ob man die geistliche Knechtschaft als etwas von außen Aufgepfropftes erlebe oder sich innerlich füge und damit geistlich unterworfen werde: es sei Gottes Wille, daß die Kirche ihre Freiheit in der freiwilligen Dienstbarkeit beständig verteidige.516 Melanchthon hatte noch vor dem Druck der Apologie auf die bis dahin publizierten Schriften reagiert. Es erschien noch 1549 vor dem 1. Oktober in Wittenberg eine Schrift, die sich mit den zuletzt geäußerten Vorwürfen517 zur Satisfaktionslehre auseinandersetzte: Doctrina De Poenitentia, Ideo repetita ut praestigiae de Satisfactionibus recens excogitatae a quibusdam Sophistis refutarentur. Epistola ad lectorem in qua respondetur Flacio Illyrico.518

Die persönliche Replik, die sich auf Melanchthons gute fama berief, lautete resümierend am Schluß: Postremo natura mea multis nota est, non adpeto laudem toruitatis, sed mediocris est comitas, qua iocos interdum etiam in doloribus talia dicta postea 515

Flacius: Entschuldigung B3v . Hier kann die von Bring: Verhältnis, S. 99.105 konstatierte Verhältnisbestimmung von „Philippisten“ und „Gensiolutheranern“ Bestätigung finden, wenn es heißt, daß beide von Melanchthon abhängen, sofern auch die sog. „Gnesiolutheraner“ wesentlich auf dem Trost der Gewissen beharren und also vom Menschen her, gleichsam statt mit der lutherischen iustitia civilis „(universal)ethisch“ argumentieren. 517 Flacius’ Qvod Locvs Lvcae fiel darunter. 518 Melanchthon: Doctrina de Poenitentia. 516

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calumniose spargere ut iste facit, est, non officiosum, ut nihil dicam asperius. Sin autem ut in quadam parte suae Epistolae significat, mihi gladios etiam minatur, casus aliquis me oppresserit, quorumque gladiis praebenda erit haec misera ceruix, commendabo me filio Dei domino nostro Iesu Christo crucifixo pro nobis et reus citato, qui inspector est cordium et scit me simplici studio quaesivisse veritatem, non factiones aut regna constituere, non laxare frenos curiositati voluisse,519 nec sine magna difficultate diligenter considerata universa antiquitate, multas intricatas quaestiones evoluisse, meque iuventuti ad disciplinam et ad moderationem et ad colenda rectissima studia hortatorem fuisse.520

Obwohl Melanchthon bei seiner Absichtserklärung am Schluß beinahe versöhnliche Töne anschlug, stellte er doch die Indiskretion, die insbesondere in der unseriösen Weiter- und Wiedergabe von ipsius dicta in Mißachtung der Wertigkeit und des Kontextes des jeweils Geäußerten zu sehen ist, in den Vordergrund. Das sei : liederlich. Ein etymologischer Ansatznicht pflichtgemäß, das sei eben punkt, eine Wurzel für den in den späten 1550er Jahren geläufigen Kampfbegriff Flacianer war gepflanzt; in einem ganz undogmatischen Sinne: Lott(h)erbube – Sensationstheologe.521

9. Recensio auctoris Zur Publikationstätigkeit des Flacius während der kritischen Phase der interimistischen und adiaphoristischen Streitigkeiten existiert ein Metadokument, das nicht den Streitigkeiten selbst entwachsen ist, und rein zeitlich näher liegt als die „Erzählung der Handlungen“522 , aber leider bislang wohl nur von Preger523 gesichtet wurde, obwohl es noch typische Elemente dessen enthält, was die theologische wie auch kirchenpolitische Perspektive des Flacius für die betreffende Zeit ausmacht: seine Antrittsvorlesung in Jena vom 17. Mai 1557.524 Das Dokument deckt sich inhaltlich – von den das Studienprogramm betreffenden Angaben abgesehen – mit den Abschiedsschreiben an die Geistlichkeit und den Rat 519

Ein direkter Reflex auf das entsprechende Bild aus dem Azarias; s.o. S. 114. Melanchthon: Doctrina de Poenitentia A6r/v . 521 Eine Konnotation, die wohl bei aller dogmatischer Einfärbung auch später noch mitschwang; vgl. Friedensburg: Urkundenbuch Wittenberg I, Nr. 466, S. 583 f.: Item Nicolaus Detlevus, stipendiarius theologiae und Pierii kinder paedagogus, habe an M.Reichhardts tische der Flacianer erwehnet. do einer gefraget, was Flacianer weren, hat er gesagt, es weren alles losse puben, die der Formulae Concordiae unterschrieben hetten; den Hinweis auf diesen Eintrag verdanke ich A. Gößner. Zuletzt detailliert behandelt von Kaufmann: Die Anfänge der Theologischen Fakultät Jena, S. 209, Anm. 3. 522 Heldelinus: Ein christliche Predigt. 523 Vgl. Preger: Flacius und seine Zeit II, S. 108 ff. 524 Text vgl. Anhang A. 520

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von Magdeburg, von wo Flacius nach beinahe zehnjährigem Aufenthalt Abschied nahm, um seinen Dienst an der neuen Universität anzutreten.525 Es besteht aus 22 durchgehend vorder- und rückseitig beschriebenen Folioblättern, die jeweils recto in capite vom Autor selbst numeriert sind. Der Text der Antrittsvorlesung sei hier als Ergänzung wie auch als weiteres Korrektiv zum bisher dargestellten an den betreffenden Stellen vorgeführt. Nach dem Prooem, das die folgenden Ausführungen stilistisch und inhaltlich von den gängigen humanistischen Prunkreden betont absetzen will,526 quoniam mihi non temere ac praeter officium, non etiam gloriae captandae studio, aut ostentandae eruditionis gratia suscipitur, merito aequiores habere debebit, ac in meliorem partem accipi, etiamsi aliquanto rudior, ieiuniorque fuerit527 ,

fährt Flacius mit der Bitte fort, daß Gott seine Kirche erhalten möge, wie er es ehedem und zuletzt tat, ja die Kirche veluti ex inferis reduxit528 .

Zugleich bittet er darum, daß ihm als einem zu schwerem Kriegsdienst Berufenen ebenso wie dem Auditorium der Geist gegeben werde, daß Gott lenkend beistehe, daß alle so zu Werkzeugen würden, so daß nichts unterlassen werde, was der Vollendung göttlichen Segens zuträglich sei. Unabhängig von der Tatsache, daß der Abschnitt nicht gerade sparsam mit Formelsprache umgeht, bietet er doch eine nicht ganz selbstverständliche heilsgeschichtliche Grundorientierung. Sie wird auch zugleich zum Thema, zum eigenen Programm erklärt: Flacius wolle sich nach den heftigen Stürmen der letzten Jahre – er nennt als terminus post quem den Tod Luthers – auf die mahnende Vergegenwärtigung des Geschehenen bei sich selbst und im Blick auf die Studenten konzentrieren. Ja, das sei überhaupt einziger Nutzen und höchstes Ziel theologischer Bildung, die Werke und Wohltaten Gottes erkennen und würdigen zu können.529 Solches Erkennen sei etwa durch Naturerfahrung vermittelt, die zugleich in ihrer bewegten Ordnung Abbild des Leitungs- und Erhaltungswillens Gottes sei. Flacius bleibt dabei zunächst ganz im Rahmen einer von Melanchthon geprägten Artistik, wenn er die wundersame Erhaltung mit einem Xenophon-Zitat als Einleitung ausführt.530 Die Erkenntnis des Leitungs- und Erhaltungswillens 525 Vgl. Preger: Flacius und seine Zeit II, S. 104 ff.; Kaufmann: Die Anfänge der Theologischen Fakultät Jena. 526 Ein Scheinargument, sofern der Redner bereits ganz am Anfang das aristotelische Hapaxlegomenon gebraucht und auch im weiteren Verlauf der Darlegung keineswegs mit impliziten Bezügen oder solchen Zitaten geizt, die sich nun gerade nicht in den geläufigsten Schultexten finden; vgl. Anhang A (Apparat). 527 Anhang A: oratio Jhenae f2r . 528 Anhang A: oratio Jhenae f2v . 529 Vgl. Anhang A: oratio Jhenae f3r ; es könnte geradezu als ein Programm einer theologia informativa sive impressiva bezeichnet werden. 530 Vgl. Anhang A: oratio Jhenae f3r f.

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Gottes sei zwar scheinbar relativiert durch die Tatsache, daß die geordnete Natur auch den Chaoswesen Lebensraum ist. Allein lehre das Bedenken dieser wunderbaren Tatsache, wie sehr Gott unter den damit geradezu widrigen Bedingungen die wahre Kirche beschütze. So dürfe eben auch nicht in noch so aussichtsloser Situation gezögert oder gar gewichen werden, sondern die Gläubigen müßten sich erst recht jedweder Bedrohung entgegenstellen. Alles Andere wäre kleinmütig und dumm, ein Zeichen von Unglauben. Dabei sei zugleich nicht nur das unmittelbare Wirken von tragender Bedeutung, sondern auch das Vorbild für die Nachwelt.531 Man könnte fragen, wie er zu einer solchen Luthereinordnung in Anwendung auf den Erhaltungswillen Gottes für die ganze Kirche durch ihre Geschichte hindurch und einen daraus gefolgerten Auftrag für die „Erben“ kommen konnte. Noch zu Beginn des Jahres 1548 – wie Flacius selbst später berichtet532 – hatte Melanchthon eine oratio recitata in renunciatione gradu Theologia clarissimi viri Melchioris Isindri Suidnicensis533 verfaßt, die neben heftiger Schelte auf die unter dem Deckmantel einer friedensstiftenden Kompromißlösung interimistisch eingeführte mutatio doctrinae zwei signifikante Punkte enthielt: Zunächst die Aufforderung an die versammelte Hörerschaft, an der wahren Lehre festzuhalten und sie zu verteidigen, wie es Paulus Timotheus geboten habe534 . Melanchthon hatte betont, daß diese Lehre des Paulus durch Luther überhaupt erst wieder ans Licht gebracht worden sei.535 Im weiteren Verlauf der Rede hatte Melanchthon eine heilsgeschichtlich akzentuierte Periodisierung der Kirchengeschichte entwickelt: Analog zu der fortschreitenden Korruption der ursprünglich fehlerfreien Anbetung der Patriarchen durch die mit Moses etablierte Zeremonialgesetzgebung und die nachfolgende Restitution durch Christus sei in der christlichen Kirche mit Luther – nach dem Zeitalter der unverfälschten Überlieferung zur Zeit der Apostel, der Korruption der apostolischen Lehre durch Origenes, der Restitution durch Augustin, der neuerlichen Verderbnis im Zeitalter der Scholastik und des Mönchtums – endlich das fünfte christliche Zeitalter, in dem Gott seine Kirche wiederum zu ihren Quellen zurückgerufen habe, angebrochen. Die reine Lehre sei in den Kirchen zu vernehmen als die Stimme des Evangeliums.536 Melanchthon ließ die Argumentation mit der neuerlichen Aufforderung an die studentischen Hörer enden, daß sie nicht vergessen mögen, daß sie Wächter himmlischer Lehre seien.537 531

Vgl. Anhang A: oratio Jhenae f3v f. Vgl. Heldelinus: Ein christliche Predigt V3r/v . 533 Vgl. Melanchthon: oratio recitata; CR XI, 783–788: oratio de Martino Luthero, vel de aetatibus diversis ac temporibus Ecclesiae, et dissensionibus Ecclesiarum nostro tempore; recitata cum decerneretur gradus Melchiori Isindero, Suidnicensi. 534 2 Tim 1,14. 535 Vgl. CR XI, 783 f. 536 Vgl. CR XI, 785–787. 537 Vgl. CR XI, 785. 532

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Flacius geht schließlich zu dem eigenen Hauptpunkt des hier zu behandelnden Teils seiner „informativen“ Darlegungen über: der Rekapitulation der letzten zehn Jahre. Sie seien geprägt von Verfolgergewalt und den feinsinnigen, nur den Schein des Wahren tragenden Fallen, die der Kirche durch falsche Lehren gestellt wurden. Aber weil selbst nach dem Ende der unmittelbaren Verfolgung der Gläubigen und ihrer Kirche die Versuchungen nicht ernst genommen worden seien, ja andere gar den Glauben an die göttliche Fürsorge für den wahren Glauben und seine Kirche, ja sogar gänzlich an einen planenden Gott verloren hätten und damit nach Art der Epikureer das Göttliche im Nichts aufgehen ließen, hätten die Gläubigen und ihre Kirche einen doppelten Schaden genommen.538 Flacius verbindet so in geschickter Weise Innen- und Außenperspektive: in dem Maße also, in welchem die unmittelbare Bedrückung als unmotiviert oder ungeahndet geglaubt wird, in eben diesem Maße werden auch weithin Unbetroffene – sei es aus zeitlicher, sei es räumlicher Distanz – „verdorben“.

9.1 De afflictione Um sich also der Aufgabe von Theologie im weiteren Sinne wie auch dem abgeleiteten Vorhaben im engeren zu stellen, beginnt Flacius eine Erzählung und Deutung des wunderbaren Wirkens Gottes in den Jahren 1546 bis 1556. Zunächst, und dies ist ein vergleichsweise knapp dargelegtes admirabile factum, habe es Gott gefallen, seinen dritten Elia zu sich zu nehmen. Er betont, daß dies nicht de platonicorum periodorum, aut etiam astrologicarum coniunctionum decreto, sed de suo [sc. Dei] arbitrio539

geschehen sei.540 Entweder weil der Herr dem Neubegründer wahrer und reiner Gottesverehrung den Anblick gräßlicher Deformierung des Glaubens ersparen wollte, oder weil er verhindern wollte, daß jener durch seinen Glauben und seine Gebete eine solche Mauer um die Kirche lege, daß sie dem Zorne Gottes letztlich standhielte, d.h. Gott besänftige. Dies mag zunächst paradox klingen, hat aber einen quasi pädagogischen Grund. Kaum sei Luther nämlich verstorben, sei es so gewesen, als ob alle Höllendämonen von der Kette gelassen worden seien und nun im Sturm zur Bedrückung der Gläubigen ausrückten: so hätte etwa das „Winkelkonzil“ zu Trient gute Fortschritte gemacht, der Antichrist und dessen Diener hätten die Waffen gegen die Diener der Kirche Gottes erhoben, damit die Zeitgenossen am eigenen Leibe – afflictione – die Erfahrung machen könnten, 538 Vgl. Anhang A: oratio Jhenae f3v –f4v ; das Bild der überheblichen, gotteslästerlichen Epikureers als „Korruptionsprinzip“ fand sich ebenfalls schon in Melanchthons Rede von 1548. 539 Anhang A: oratio Jhenae f5r . 540 Eine direkte polemische Spitze gegen Melanchthon, der im Verlauf der Interimsverhandlungen zu Augsburg mit astrologischen Berechnungen auf einen baldigen Tod des Kaisers spekuliert hatte; vgl. Olson: Flacius and the survival, S. 109 f. Zur Astrologie und Traumdeutung des 16. Jh.s – nicht nur bei Melanchthon – vgl. Kaufmann: Ende der Reformation, S. 306 ff., bes. S. 307, Anm. 488.

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daß dieser Luther oder besser die Gnade Gottes, mit der eben jener gesegnet war, Wagen und Reiter der Kirche Gottes gewesen sei.541 Die Argumentation des Abschnitts ist vielschichtig und bedürfte in mancherlei Hinsicht der Erläuterung, besonders auffällig ist aber derjenige Aspekt, der auch in der Frühphase der Publikationstätigkeit des Flacius eine zentrale Rolle spielte: die experientia bzw. Erfahrung.542 Hatte die Schilderung seiner Glaubensentwicklung in enger Verknüpfung mit der Schilerung der übrigen Biographie in der Apologie noch einen Schwerpunkt in der nachvollziehbaren Vermittlung dessen, was christliche Wahrheit im Glauben sei, nämlich sowohl Lektüre der Schrift und Bedenken des Wortes als dem quasi phänomenologischen Zugang zum Glauben, als auch eigene Erfahrung, der quasi existentialistischen Dimension – jedes jeweils nicht als hinreichendes Element, sondern als je notwendiger Bestandteil der einen christlichen Identität –, und war dies zunächst in bloßer Rückbindung an die Parallelfigur Christus (Mt 4, 1–11; Mk 1,12–13; Lk 4, 1–13.22, 28 f. et al.) Autoritätsargument für den nun durch Anfechtung zum wahren Glauben gekommenen Flacius, so wird es hier zum Kriterium für die Erkennbarkeit von Rechtgläubigkeit überhaupt. Als Bekennt geäußert werden könne nur, was als Wahrheit frei erkannt und zugleich leidend – hier im Zuge der Verfolgungen der wahren Kirche – erfahren worden sei.543

9.2 De conversione Die jüngste Geschichte zeige das wunderbare Eingreifen Gottes ebenso darin, daß die Feinde zu Luthers Zeit, obwohl sie mit höchst geschickten und durch weltliche Macht gestützten, also weit überlegenen Angriffen und Täuschungen vorgingen, dennoch nichts erreicht hätten. Zuletzt aber hätten sie so leicht und unbedrängt Fortschritte gemacht, als würden Superhelden gegen Frauen und Kinder kämpfen. Gefördert worden sei diese Wendung durch die Wankelmütigkeit und Gottlosigkeit vieler, die zuvor noch engste Vertraute und Freunde der wahren Gläubigen gewesen seien.544 So könne jeder also sehen und gleichsam mit eigenen Händen ertasten, was die Schrift meine, wenn sie einmal sagt, der Engel des Herrn bewache die Kirche, ein andermal davon berichte, daß der Herr den lang gehegten Weinberg den wilden Tieren zum Fraß vorwerfe und der Verwüstung preisgebe. Subjekt der Heilsgeschichte sei jedenfalls Gott und nicht der Mensch. Solches habe schon Jeremia dem Volk Juda vorausgesagt, daß der ihnen die Waffen aus den Händen ringen und die Chaldäer stärken werde; und wenn in deren Lagern auch nur Kranke, 541

Vgl. Anhang A: oratio Jhenae f5r . S.o. S. 143. 543 Vgl. Anhang A: oratio Jhenae f5v –f6v . 544 Hier kann ebenso an Melanchthon wie an Agricola gedacht sein, der eben 1527 noch entschiedener Kritiker der Messe gewesen war; s.o. S. 97. 542

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Kinder und Invaliden übrig wären – mit Gottes Hilfe würden sie Jerusalem erobern und schleifen.545

9.3 De comprobatione Proprium solchen quasi-prophetischen Wirkens ist aber zugleich die Überprüfung ex eventu. Dabei wird nicht etwa die Veritabilität der Schrift überprüft und etwa Jeremias Aussagen an der historischen Entwicklung gemessen, sondern umgekehrt die Veritabilität des Geschehenen am Schriftwort. Das Wirken Gottes bestätigt Flacius nämlich die wahre politische bzw. kirchen-politische Perspektive. Nur sie hat Anspruch auf Realität im Sinne eines Geltungsanspruchs. In besonderer Weise würde aber auch durch die Verfolgung und Demütigung der wahren Kirche der jüngsten Zeit inmitten der Strafe eine wunderbare Prüfung und weitere Reinigung unter den Gläubigen vorgenommen. So seien die Herzen vieler „Lügenbrüder“ offenbart worden, ja im Schmelztiegel des Zornes seien auch die engsten Beziehungen gelöst worden, während zuvor getrennte und einander unbekannte Menschen zusammengeführt worden seien. So habe die Hitze der Verfolgung analog dem physikalischen Phänomen der Schmelze die Gottesfürchtigen einander eng verbunden und von denen abgesondert, die einem Menschen mehr gehorchten als Gott: Sicut enim physici dicunt, frigus omnia siue unia siue diuersi generis temere connectere, & contra calorem eterogenea disgregare & omogenea congregare: Ita tunc ignis ille aestusque persecutionum coniungebat ueniebatque Deum serio timentes, et disgregabat ab ijs, qui magis homines quam Deum formidabant.546

Der Grund hierfür sei insbesondere in der Tatsache gegeben – und hier wird das existentialistische Motiv der von Flacius propagierten Glaubenswahrheit erneut angewandt –, daß Gott nicht wollte, daß die Gläubigen bloß mündlich, sondern in höchster Gefahr und womöglich mit dem Leben von seiner Wahrheit Zeugnis ablegen. Nur so sei es gekommen, daß er Satan, Antichrist und den anderen Ungläubigen überhaupt erlaubt habe, die Heiligen zu verfolgen: Fuit quoque illarum cladium et illa causa, quod Deus noluit suos non tantum ore, sed & gravissimis periculis damnisque atque adeo etiam sanguine ueritati suae testimonium praebere: Ideo Sathanae, Antichristo, ac alijs impijs, uti suum homicidamque promouendo exaturarent, permisit.547

Schließlich aber hätten nicht nur die Gegner, sondern auch die Evangelischen vielfach den Irrtum im Herzen getragen, die wahre Religion könne unter den 545 546 547

Vgl. Anhang A: oratio Jhenae f6r/v . Anhang A: oratio Jhenae f6v . Anhang A: oratio Jhenae f7r .

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Schutz und die Gunst einer Abmachung gestellt oder schlicht selbst zur Verhandlungssache gemacht werden, so als sei nicht der Herr allein in allem gegenwärtig. Doch Gott wollte die Verirrten von ihrem Irrtum befreien und die Ehre der Kirche wiederherstellen, indem er sich als derjenige erwiesen habe, der sie allein begründe, trage, beschütze und vermehre, und nicht die humanam uel improbitatem, ut aduersarii putabant, uel industriam, ut nos censemus.548

Flacius vollzieht hier wiederum eine Wende zur zeitgeschichtlichen Individualperspektive: Darum hätten alle Fürsten, Reichsstädte und Gelehrten ein entsprechendes (Vor)bild abgegeben, die einen durch Tod, Gefangenschaft und Emigration, die anderen durch Schweigen, Wankelmut und Versagen. So habe Gott zugleich die Kirche allen erdenklichen Schwierigkeiten ausgesetzt, der äußersten Verzweiflung überlassen und gleichsam an die Pforten der Hölle geführt, daß kaum einer geblieben sei, der noch an ihrem Untergang gezweifelt hätte. In dem Moment aber, da die Prominentesten abzufallen begannen, erinnerte der Herr mitten im Zorn an sein Mitleid und begann also, allmählich die Seinen aus der Unterwelt ans Licht zurückzuführen und wiederaufzurichten und zugleich auch die Macht der Gegner zu brechen. So hätte jeder Gläubige aber sein Todesurteil akzeptieren gelernt und eben dabei aufgehört, auf sich selbst zu vertrauen. Die ganze Hoffnung liege auf auf dem, der allein die Toten wiederauferweckt.549 In der hier zugrunde gelegten Perspektive auf die pädagogische Wirkung des Bösen, ja in der fokussierenden Hinführung zur beinahe individualpsychologischen Befindlichkeit liegt wohl der Versuch vor, mit der Rezeption des alten paulinischen Konflikts zwischen „fleischlichen“ und „geistlichen“Neigungen im wahrsten Sinne des Wortes Geschichte zu schreiben.550 Diese Hinführung bzw. Einbettung in einen quasi psychologischen, inneren Rahmen schließt dabei die mythisch-kosmische Sicht des teuflischen Dämons und seiner Schergen offensichtlich nicht aus. Auch er war bei Luther – etwa in De captivitate babylonicae – ebenso wie bei Melanchthon – etwa in De potestate et primatu papae schon vorgegeben, ebenso wie in der Confessio Augustana. Gerade in den folgenden Abschnitten spiegelt sich nun eine stärker als zuvor erkennbare Bezugnahme auf Luther: in der Ausgestaltung der fortführenden Erzählung, in welchen Etappen bzw. durch welche einzelnen Siege schließlich die wahre Kirche von Gott zum Triumph geführt wurde. So sei etwa die zunehmende Uneinigkeit auf dem Trienter Konzil ueluti prima quaedam uictoria triumphusque Michaelis nostri551 548 549 550 551

Anhang A: oratio Jhenae f7v . Vgl. Anhang A: oratio Jhenae f7v –f8v . Nach 1 Kor 10, 13. Anhang A: oratio Jhenae f9r/v .

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Lesestücke

gewesen. Ebenso sei es dem Pseudolamm, dem Interim nämlich, als dem zweigehörnten Restaurator des siebenköpfigen Drachen zwar zunächst gelungen, die Anbetung des Antichrists auch durch Androhung von scheinbaren Strafen Gottes zu restaurieren, so daß es viele Versuche gab, etwa die Pommers552 , Eislebens553 und sog. „Anderer“554 , durch Kommentare und Refutationen super Canonem aus Schwarz Weiß zu machen, Schatten in Licht zu verwandeln.555 Aber nach Ablauf von 666 Tagen, der Zahl des Tiers, das sei etwa der Zeitraum vom Spätsommer 1548 bis zum ausgehenden Frühjahr 1550, habe der Spuk ein Ende gefunden: Michael noster [sc. nefariam bestiam specie agnina] debellauit et cum summa ignominia ex Ecclesia sua explosit.556

Schließlich sei auch im Kampf zwischen Christus und Belial, dem neuen Interim, der Herr und Heiland siegreich geblieben. Es mag verwundern, daß keine Rede mehr vom Erzengel ist. Er ist bei allen folgenden Beispielen vollständig durch Christus substituiert. Flacius legt hier, am Kriterium der Schrift – besonders an Daniel und an der Apokalypse – orientiert, augenscheinlich eine Predigt Luthers, die dieser am 29. September 1544, also am Tage Michaelis gehalten hatte, zugrunde. Flacius war zu dieser Zeit bereits in Wittenberg, könnte sie also gehört haben. Sie war noch 1544 in Wittenberg als 16 Blätter umfassender Quartdruck erschienen.557 Luther ging hier vom exegetischen Problem der Epistel (Offb 12, 7–12) aus, welche überliefert, daß der Vision zufolge ein Streit im Himmel entbrannte.558 Nachdem der Satan aber schon gefallen sei und also nicht mehr hinaufgelangen könne, müsse sich das Geschilderte nicht im naheliegenden Wortsinne erfassen lassen. Sieht man einmal von den Mitteln der Deutung ab, so kann sich Luthers Ergebnis durchaus auch heute noch sehen lassen: Johannes formuliere Geschichtswahrnehmung im Spiegel christlicher Glaubensüberzeugung. Seine Begründung lautet: Da nämlich der heilige Rest, die durch das Blut Christi Erlösten, dereinst seien wie die Engel559 , müßten sie auch als Engel im Diesseits gelten können. Von diesem Reich Christi auf Erden redet auch dieser text, so er spricht: ‚Es ward ein großer Streit im Himmel‘ etc., wie denn das gantze Buch der Offenbarung Johannis durchaus alles von der Kirchen Christi auf Erden und seinen Dienern redet, Darumb was hie von dem Streit im Himmel gesagt wird, das 552

Vgl. Amsdorff: Antwort auff Doct: Pommers Scheltwort. Vgl. Flacius: Von der Messe; Flacius: Wider Das I NTERIM,; s.a.o. S. 93 ff. 554 Aller Wahrscheinlichkeit nach ist hier vornehmlich Michael Helding: Von der Hailigisten Messe gemeint. 555 Vgl. Anhang A: oratio Jhenae f10v –f11v . 556 Anhang A: oratio Jhenae f11v . 557 Vgl. Luther: Epistel [. . . ] von den heiligen Engeln; zum Text: WA 49, 34, S. 570 ff. 558 Zur Entwicklung von Luthers apokalyptischem Geschichtsbild vgl. Schwarz: Weltzeit – Endzeit. 559 Mt 22, 30. 553

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Recensio auctoris

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muß auch hie auf Erden bey der sichtbaren Kirchen geschehen und solcher Streit nicht von den Geistern im Himmel, sondern von dem der Christen, die in Christi Reich sind durch den Glauben, verstanden werden.560

Ihr Führer aber, Michael, sei niemand anders als Christus selbst. Luther präsenals Indetierte im folgenden eine Namensanalyse, die das hebräische Präfix finitpronomen interpretierte: quidam sicut Deus. Wer anders als Christus könne das sein? Luther fuhr fort: Die streiten mit dem Teufel, der die Welt verführet, und ist hie kein ander Krieg denn wider seine Versuchung bei den Menschen auf Erden, darum geschieht auch dieser Streit nicht mit Harnisch, Schwert, Spies, Bichsen und leiblicher oder menschlicher Macht, sondern allein durch das Wort, wie er [sc. Johannes] auch sagt, daß sie den Sieg behalten durch das Wort ihres zeugnisses etc. Mit diesem Zeugnis (das ist: durch Predigt und Bekenntnis des Worts) schlagen sie den teufel aus dem Himmel, da der Teufel sich unter sie mengen will und sie wieder sürtzen von ihrer Seligkeit, dort [sc. im Himmel] des Schauens [sc. der Herrlichkeit von Angesicht zu Angesicht], und hier des Glaubens.“ [. . . ] All wie sollen wir ihm tun? Des mögen wir uns, sonderlich, die da Gottes Wort führen, frolich erwegen und hie keinen Friede hoffen, sondern dencken wir sein Kriegsleute, die da mussen zu Felde liegen, ja stets zur Wehre gerüst stehen, das wo ein Krieg aufhöret, gehet flugs der ander an. Denn wir sind berufen durch Christum und schon angeschrieben (in der Taufe) unter das Heer, das da unter Christo kriegen soll wider den Teufel. Daher auch Ps. 78 die Apostel und Prediger heisset Könige der Heerscharen und spricht, Gott gebe sein Wort mit Heerscharen.561

Mit der Aufnahme dieser Konzeption ist Flacius freilich über den unmittelbaren Textanschluß hinaus kein genuiner Luthernachfolger, sofern die Elemente apokalytischer Geschichtsdeutung aus einer prophetischen Bibelauslegung in Wittenberg Allgemeingut wurden. So wurden sie etwa auch von Bugenhagen562 oder von Melanchthon563 geteilt. Auch wenn Luther innerhalb der Strukturierung der Zeitgeschichte von Flacius – wie bei Melanchthon – einen prominenten Ort zugewiesen bekam, auch wenn Flacius die Einleitung seiner Lehrtätigkeit mit Luthers Vorwort zum Römerbrief beginnen lassen wollte, beschrieb er doch den Nutzen und Stellenwert der Kenntnis des Römerbriefes wie folgt: Recitabo tamen luculentissimum eius prooemium compendio a sumo non tantum nostrae, sed et omnium aetatum Theologo d.D. Martino Luthero ultimo 560 561 562 563

WA 49, 34. WA 49, 34, S. 577.579 f. Vgl. in besonders deutlicher Analogie Vogt: Bugenhagens Briefwechsel Nr. 219 und 232. Vgl. Schwarz: Weltzeit – Endzeit, S. 53 ff.

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Lesestücke Helia conscriptum. Quod abunde piorum scholasticorum mentes ad eam conferendam inuitare ac excitare poterit. Sic uero ille grauissimus uir in praefatione eiusdem Epistulae eam celebrat. Cum Epistula pauli ad Romanos, unica totius scripturae sit methodus, et absolutissima Epitome noui testamenti seu Euangelij quod ipsa certe uel sola, breuiter & purissime tradit: dignam sane existimo, quae non modo ab omnibus christianis imbibatur a teneris, ediscatur ad Verbum, sed et quae assidua & perpetua meditatione, ceu ruminata & concocta haud aliter atque probe digestus cibus in intima animi uiscera traijciatur: Tam diues aut haec Epistula est spiritualium quoddam copiae cornu, ut millies perlegenti, semper occurat nouum aliquid: adeo ut haec lectio longe omnium utilissima, quod in eruditione rerum sacrarum, cognitione christi, discenda natura fidei omnium spiritualium afectuum ui cognoscenda, altius prouehat: subinde tibi inter manus crescat, semperque maior, iucundior & preciosior, opulentior seipsa fiat. Et iterum: Consilium enim Apostoli fuit in hac Epistola ceu summatim comprehendere & compendio tractare totum Euangelium et quicquid est doctrinae christianae, et methodum breuem parare in uniuersam scripturam Veteris Testamenti, Moysen, scilicet & omnes prophetas. Nam qui hanc Epistulam probe perlectam, imo concoctam in animo habuerit, hic certissimam methodum habet & in totum uetus testamentum. Proinde, ut supra monui.564

Das Integral der Schrift und evangelischer Lehre, Dogmatik in nuce, das consi, die Epistel als universaler Schlüssel zum Verständnis lium Apostoli als auch und gerade des Alten Testaments: Damit war, ohne es direkt auszusprechen, diejenige Anschauung formuliert, die Melanchthons loci zugrunde lag, und ihr blieb das vorgetragene Lehrprogramm ganz und gar verhaftet. Auch wenn der praeceptor keine Erwähnung mehr fand, so wirkte er in der Wiederaufnahme der kirchengeschichtlichen Einbettung Luthers und der Bindung des Auftrags der Jugend an sein Wirken aus der Rede Melanchthons von 1548, ja schließlich sogar noch in der Zweckbestimmung der theologischen Ausbildung, die in der Parallelisierung göttlichen Auftrags an seine Kirche und aristotelischer Sozialethik gipfelte, fort.565 schließlich im dichterischem Bild aus Hesiods

564 565

Anhang A: oratio Jhenae f21r –f22r . Anhang A: oratio Jhenae f23v .

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VORLETZTE D INGE

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An Stelle eines Schlußwortes Es drängt nun die Frage, ob sich das „Phänomen Flacius“ als in Magdeburg publizierender Kontroverstheologe tatsächlich sozialpsychologisch – etwa als Eiferer und Nachahmer Melanchthons – bzw. als das eines in oberflächliche, schwärmerisch-apokalyptische Selbstdeutungen abdriftenden, isolierten Radikaltheologen, der eine ganze Generation spaltete, auch nur als Alternativfrage wird aufrechterhalten lassen. Ebenso fraglich ist, ob angesichts der erkennbaren Lutherbezüge trotz aller Weiterführung zum praktischen Konzept von dem Flacianischen im Sinne einer eigenen, womöglich sogar gensioluther(an)ischen1 theologischen Prägung die Rede sein kann. Dem Begriff nach sicherlich nicht. Das zeigt schlicht die Resonanz Melanchthons als des beinahe durchgehend anzutreffenden Vorbildes. Ebensowenig scheint es haltbar, die Philippisten als monolithisch-schulischen Gegenpol zu beschreiben. Die Schriften des Flacius lassen einfach zu deutlich einen im mindesten doppelten Bezug zu den beiden Personen erkennen, die die Identität der Wittenberger theologischen Fakultät bestimmten wie nach ihnen niemand mehr. Das scheint aber auch vollkommen evident, sofern Melanchthon in den allerweitesten Teilen bis 1547 dogmatisch nichts Anderes vertrat als Luther. Und selbst für die Zeit danach muß die Frage, ob es ein typischer Melanchthonscher Zug sei, die Mäßigung als solche in adiaphoris zu suchen, unbeantwortet bleiben. Luther hatte die Eroberung Wittenbergs nicht mehr erleben müssen – Deo volente und zu seinem Glück, wie sogar Flacius eingesteht. Werden die frühen Drucke in den Blick genommen, die einen unmittelbareren „lutherischen“ Einfluß etwa Amsdorfs, der als einziger aus dem Kreis der späteren Riege der „Herrgotts Kanzlisten“ für sich beanspruchen konnte, Luther näher gekannt zu haben, kaum nahelegen, so läßt sich eben feststellen, daß die Argumentation, wo sie sich um Anschlußmöglichkeiten und Autoritäten bemüht, – nicht immer deutlich erkennbar – fast ausschließlich auf Melanchthons Ausarbeitungen reformatorischer Inhalte und ihn als Kommunikator bezogen ist: Geschichte als Heilsgeschichte und Gesichtsfeld für die Erkenntnis der providentia Dei – durchaus auch in ihrer Dekadenz2 , die antiken auctoritates, die ratio e rerum natura, die Dialektik, die Rhetorik, die Exempla – auch solche, die aus einer beinahe bis ins Hysterische gesteigerten Anteilnahme an zeitgeschichtlichen Ereignissen gerüchte1 Zum Aussagegehalt wie zur Anwendbarkeit des Begriffs im speziellen vgl. Kaufmann: Ende der Reformation, S. 74, Anm. 123. 2 Das Interesse an einer ganz anders „erfundenen“ Urkirche dürfte wesentlich von Polydore Vergils Bestseller De inventoribus rerum (3 Bde. Antike: Venedig 1499; um 5 Bde. zum frühen Christentum und (früh)kirchlichen Institutionen erw. Auflage: Basel 1521) (mit)beeinflußt sein; vgl. Copenhaver: On Discovery; Copenhaver: Historiography of Discovery; Stegmann: De inventoribus rei Christianae.

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Vorletzte Dinge

weise bekannt wurden, und vieles Andere mehr. Bei der weiteren Beurteilung wird auch nicht außer Acht gelassen werden dürfen, daß alles mit Melanchthon begann: Seine anfänglichen (kritischen) Gutachten, seine loci waren maßgeblich, nicht Luthers Disputationen.3 Es mag allzu trivial erscheinen, aber eine moderne Kritik wird auch hier im weiteren Sinne von dem ausgehen müssen, was Flacius bereits gegen Agricola4 bei der Abwehr der Inanspruchnahme Luthers und bei der Verteidigung mit Melanchthon, bzw. im Azarias als die Gefahr schlechthin kennzeichnete: Das neue Interim war mit der Autorität Wittenbergs geschmückt bzw. mit einem pseudo-wittenbergischen Anstrich geschminkt5 . Dadurch trat die Notwendigkeit einer binnenwittenbergischen Differenzierung überhaupt erst zu Tage. Die Anbindung an Luther, die bis in die spätere Zeit nach wie vor der Darstellung eines periodisierenden Schemas einverleibt wurde, ist darum unter den Bedingungen des Bezugsverlusts zu den Wittenberger Kollegen als sekundäre Traditionskonstruktion anzusehen. Sie wird frühestens mit der Übersiedlung nach Magdeburg plausibel. Nicht „Luther oder Melanchthon?“ lautete darum die Frage, sondern, ob die Nachtigall zu Wittenberg6 auch flöge, wie sie sänge (bzw. auf der Basis einer aus selektiver Aneignung rekonstruierten Tradition: fliegen sollte). Selbst noch weit über diese Streitigkeiten hinaus wirkte der Unterricht des Praeceptors fort.7 Die Unterordnung der philologischen Wissenschaft wie auch der Philosophie unter die Lebenswichtigkeit des Glaubens einte die – allen Vermittlungsangeboten von philosophischer Seite zum Trotz – untereinander völlig unversöhnbar scheinenden Wittenberger Gelehrten der theologischen Fakultät letztlich gegen einen reinen Humanismus, der die Quellen des Christentums einer fundamentalen (Text)Kritik unterwarf, die zumeist aus allgemeinen Sprachforschungen und Stilbemühungen erwuchs und den studia humanitatis einen bisweilen mit der christlichen Glaubenshaltung konkurrierenden Selbstzweck beimaß.8 Die Trennlinie markierte lediglich die Problemfrage nach der Notwendigkeit der Umsetzung einmal gewonnener Einsichten oder Wahrheiten. Die Grenze des an die Einheit der doctrina gebundenen einheitlichen Methodenkanons und seine bijektive Anwendbarkeit war unter den Bedingungen äußeren Zwangs noch 3 Und auch für die spätere Zeit wird man die Differenz zu Luther in zentralen dogmatischen Aspekten nicht übersehen dürfen; vgl. Haikola: Gesetz und Evangelium. 4 S.o. S. 98 ff. 5 S.o. S. 110 ff. 6 Vgl. Coppel: Philomela, bes. S. 427 f. 7 S.o. S. 159. 8 Daran ändert auch die von Augustijn in ihrer Allgemeinheit und unter Verzicht des m.E. so wichtigen Kritikelements unglücklich fortgeschriebene Kategorie des „Bibelhumanisten“ nichts [vgl. Augustijn: Humanismus, H47–H49]. Denn in einem weiteren literarischen Sinne, der sich etwa als gesteigertes Bemühen um Sprachrichtigkeit und -angemessenheit, als Engagement bei der Wiederentdeckung und Neuerschließung antiker Quellen – auch der des Christentums – und als mit deren Erschließung hoffnungsvoll verbundener Aussicht auf Kultivierung menschlichen Lebens beschreiben ließe, dürfte sich schwerlich ein Intellektueller des 16. Jahrhunderts finden lassen, der nicht auch Humanist war.

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An Stelle eines Schlußwortes

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nicht ausgelotet worden. Die humanistische Methode der Textrestitution und -interpretation an Hand sprachlicher Beobachtung diente dem Erweis, daß Christus spricht. Das göttliche Subjekt des Sprechens, das mit seinem Sprechakt effektiv als identisch verstanden wurde bzw. verstanden werden sollte, und die Richtigkeit bzw. Eindeutigkeit seiner Sprache als solche wurde bei Flacius an keiner Stelle durch die Methode in Frage gestellt. Siegfried Raeder9 schien sich darum in seiner Darstellung von Flacius Exegese, die auf der Analyse der clavis scripturae von 1567 beruht, bisweilen die mangelnde Sensibilität des Autors angesichts der Bildung und des Scharfsinns des Flacius nicht erklären zu können. Sie bleibt trotz modernster Methodik doch an vielen Stellen hinter den – ex eventu betrachtet: treffenderen – Urteilen Luthers, der weit weniger wissenschaftlichen Aufwand betrieb, über die eine oder andere Einleitungsfrage zum Alten oder Neuen Testament zurück. Zugleich wurde deutlich, daß im Nachgang der Ausarbeitung und Vermittlung von Melanchthons Loci die Frage nach der „lutherischen Lehre“, die in der Vorrede der CA noch mit der schlichten Predigt des reinen Wortes Gottes gleichgesetzt worden war, immer stärkere dogmatisch-exklusive Zuspitzung erfuhr. Entsprechend folgte, daß die Bibel in jeder Hinsicht den Inhalten der Lehre entsprechen, ja, in der systematischen Umkehrung – beinahe mathematischer Bijektivität entsprechend – sich bei der identifizierenden Rückbindung der Lehre an die Bibel als identisch, als vollkommenes Integral der Lehre erweisen mußte. Hier liegen die Anfänge der (in den Dienst der Theologie gestellten) Hermeneutik.10 Die von Melanchthon in vielen Reden behauptete Kongruenz, die umfassende Anwendbarkeit des Gotteswortes auf alle Lebensfragen, auch die Grenzbereiche von Kirche, Ethik und Politik, die Luther etwa in der im Nachgang der Bauernkriege entbrannten Streitfrage um das Verhältnis von geschriebenem Gesetz und Billigkeit abweichend von Melanchthon bestritt, schrieb Flacius systematisch aus. Angefangen bei seiner Magisterarbeit, die gegen die von Elias Levita philologisch ausgebreitete Tatsache, daß die Vokalisierung und Akzentzeichen der überlieferten alttestamentlichen Handschriften sekundär seien11 – eine Ansicht, die Luther mit Levita nicht nur teilte, sondern auch weidlich zur Konjektur nutzte –, ge9

Vgl. Raeder: Flacius als Bibelausleger, S. 13–42. Luther verstand das Neue Testament auch nicht eigentlich als kodifizierte Offenbarung, sondern als Evangelium, frohe Neu-Botschaft alter Inhalte ohne jede linguistische Systematisierung. Er stellte dazu schon in der Wartburgpostille deutlich fest, daß es gemäß dieser Tatsache gar nicht dem Charakter des Neuen Testaments entspreche, neue Bücher „von christlicher Lehre“ zu schreiben, sondern solches vielmehr schon damals zu seiner Entstehungszeit ein Zeichen des Geistesverlusts gewesen sei. Die bloße Not habe es erforderlich gemacht; vgl. WA 10,I,1: 626, 15–16; 627, 1–5. Und tatsächlich wurde so der Kanon für Luther fragwürdig, wie man es an seiner Kritik am Jakobus- und Hebräerbrief sowie der Apokalypse deutlich erkennt. Flacius verteidigte hingegen Jakobus etwa mit Thomas von Aquin. Der Hebräerbrief wird Flacius eigenen Stilanalysen zum Trotz für paulinisch gehalten, da er wichtige Lehrstücke wie etwa das vom Hohepriesteramt Christi etc. enthält, die hinsichtlich der Inspiration keines anderen Autors als Paulus würdig seien. Das Kriterium „was Christum treibet“ genügte Luther hingegen vollauf und ließ ihn letztlich literarkritisch erfolgreicher sein als etwa Flacius. 11 Vgl. Kluge: Die hebräische Sprachwissenschaft 1, bes. S. 183–189.185 Anm. 92. 10

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Vorletzte Dinge

richtet war und die unumstößliche „Ganzheit“ des Wortlauts seit „wohl Adams Zeiten“ behauptete12 und schließlich der These Melanchthons folgend das Neue Testament und darin zumal die Schriften des Paulus als hebräischen Gedanken faßte, bis hin zur clavis scripturae, der glossa compendiaria oder den paralipomena dilektikes, die im Dienste der Einheit von scriptum und sententia seu doctrina verfaßt wurden.13 Alles war nach den von Melanchthon14 geforderten, angewandten und teils noch erweiterten Regeln der Wissenschaftlichkeit15 , wie sie das Trivium in Wittenberg bereitstellte, ausgearbeitet.16 Der Bewegung auf einer methodischen Grenzlinie, die die aus der Glaubensoder Lehrwirklichkeit gewonnene Anschauung mit dem Verstehen des Textes als dem ursprünglichen exegetischen Vorgang verschmolz, bzw. letzteren umzukehren oder besser wiederzufinden bemüht war, hatte ein theologie-politisches Korrelat: Im Zuge zeitgeschichtlicher Deutungsherausforderungen, etwa einer Diagnose als (Re)Formulierung allgemeinen wie individual-biographischen christlichen Daseins, wurde eine apokalyptische Komponente christlichen Redens als entbergende, gleichsam (text)kritische Rede etabliert: Aktuelles Geschehen wurde vom biblisch-(heils)geschichtlichen Bild ausgehend neu gedeutet und auf selbiges hermeneutisch reflektiert zurückgeführt. Erst die Einsicht, daß eine abwägende Relativierung reformatorischer Erkenntnis der Identität des glaubenden Subjekts gefährlich werden konnte, ja mußte, beförderte das Bemühen um eine binnenlutherische Differenzierung durch die Reformulierung und Thesaurierung „wahrer“ identitätsstiftender Muster als Problemstellung eines sog. „zweiten Geschlechts“17 . Bei der Bewältigung dieser Aufgabe ging die ursprünglich im Vordergrund stehende Zielsetzung eines aktuellen Bekenntnisses mehr und mehr verloren. Ein Prozeß, der sich in unerhörter Weise mit der Publikationstätigkeit in Magdeburg verdichtete und beschleunigte.18 Die mit der Bewahrung des „echten“ glaubensfrohen Aufbruchs in einen neuen Abschnitt der Heilsgeschichte notwendig verbundene Fixierung – etwa durch das in apologetischem Bemühen etablierte Sammeln von traditionellen Wortkrümeln oder durch den bekennenden Bezug auf bestimmte autoritative 12 Vgl. Pick: The Vowel-Points Controversy, S. 164; Olson: Flacius and the survival, S. 53; Kluge: Die hebräische Sprachwissenschaft 1, hier: S. 186 Anm. 93. Daß Melanchthon auch diese Ansicht wesentlich geprägt hat, belegt eindrücklich Kluge: Die hebräische Sprachwissenschaft 2, bes. S. 102–106. 13 Zu den Paralipomena und der These von der eingeborenen Gottesliebe vgl. Preger: Flacius und seine Zeit II, S. 212 ff. 14 Ausdrücklich sei der Befund gegen Holls Urteil, das sich primär einer Analyse ex post verdankte, gestellt; vgl. Holl: Luthers Bedeutung4 . 15 Zur anhaltenden Relevanz vgl. Maccoby: Wissenschaftliche Rhetorik4 ; Matheson: Rhetoric of Reformation. 16 Ein Urteil, das sich sogar noch in der Polemik gegen Flacius wiederholt; vgl. Scholastici VVitebergenses: Refvtatio, A4v : Vnum profer articulum, quem tu explicaris melius, quam fuerit a tuo explicatus , quod tu uel intellexeris Praeceptore, aut ex reconditae eruditionis tuae thesauro produc unum uel explicaveris sine opera tui Praeceptoris & scriptorum adiumento! 17 Vgl. Holl: Luthers Bedeutung4 , S. 578. 18 Vgl. Kaufmann: Ende der Reformation, S. 97–103.

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An Stelle eines Schlußwortes

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Muster und Auslegungen einer ersten Generation sowie durch deren Systematisierung um der Versiegelung ihrer „Ursprünglichkeit“ willen – hatte den „lebendigen“ Anfang wie auch das in der „tötenden“ Festschreibung logisch mitvollzogene Ende der Reformation als heilsgeschichtlicher Etappe letztlich in Historie überführt: der Beginn eines neuen Apostolischen Zeitalters.

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A NHANG

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A. oratio Illyrici Jhenae recitata HSS: HAB 11.7. Aug. fol. (2) f. 2–23 Der folgende Text bietet neben dem Haupttext zwei Apparate, deren erster in der Handschrift verzeichnete Texteingriffe und Marginalien des Flacius, der zweite die erkennbaren Quellen(bezüge) ausweist. Die der antiken Literatur entstammenden Textelemente werden nach den PHI- bzw. TLG-Standardausgaben zitiert. Der Wortlaut entspricht der handschriftlichen Vorlage. Nur an Stellen, wo Sinnverlust drohte, oder durch Mehrfachkorrekturen eine Entstellung des Textes vorlag, wurde mit Originalvermerk in Apparat 1 korrigiert. Seitenwechsel der Originalhandschrift sind im Haupttext in eckige Klammern gesetzt. [f2r ] ORATIO ILLYRICI JHENAE RECITATA Cum in hanc celebram scholam ab illustrissimis principibus saxoniae, ut publice Theologiam profiterer notatus sim, iamque in Domini more Lectio antiqua inchoanda sit, necessario putaui mihi coetum hunc honestissimorum eruditissimorum uirorum bonas hic literas artesque profitentium, tum studiose iuuentutis oratione aliqua compellandum esse, ne uel inhumanitatis notam silendo incurrerem, uel alioqui aliquos dubios incertosque quo animo sim aut huc uenerim relinquerem. inhumanitatis signum esse, multasque etiam optime Solet sane & confutas amicitias (ut prouerbium testatur) dissoluere, & contra amica collocutio, cum nouas connectere, tum ueteres confirmare. Quae oratio, quoniam mihi non temere & ac praeter officium, non etiam gloriae captandae studio, aut ostentandae eruditionis gratia suscipitur, merito aequiores auditores habere debebit, ac in meliorem partem accipi, etiamsi aliquanto rudior, ieiuniorque fuerit, quod [f2v ] a nobis uiri doctissimi studiosaque iuuentute amanter peto. Verum ne uel de quoque male suspicari, uel pluris humanum fauorem diuino facere uidear, rectius forte fecero si ac omnipotentem Deum patrem Domini nostri Ihesu Christi inuocauero, ac una cum hoc christo addicto denotoque comitio orauero primum, ut sicut ille hactenus Ecclesiam suam misericorditer rexit, & saepe ex summis difficultatibus tum olim, tum & nostris temporibus liberauit, 11 & ] lit. Flacii 11 ac ] sup. Flacius 8

17 ] Flacius: oomnipotentem

] Aristot. Eth. Nik. 1157 b:

9 ut prouerbium testatur ] Arsenii [& Apostolii] Apophtegmata patrum Cent. 14, sect. 59a, 1:

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ac ueluti ex inferis reduxit, ita iam quoque eam clementer regat & conseruet. Deinde ut me quoque ad hanc grauiorem militiam euocatum, ac nostrum singulos suo sancto spiritu imbuat & dirigat, nosque ita uasa misericordiae salutariaque instrumenta faciat, ut & conentur ea, quae recta utiliaque sint, et salutarem †ea† exitum finemque eius benedictione nanciscantur. Secundum hanc cum primis necessariam precationem non incommode nec praeter meam functionem officiumque et ante actos labores ac pericula facere hunc christianissimo coetui [f3r ] uideri (ut arbitror) potero, si post tam saeuam proximorum annorum tempestatem in hisce munere donatis nobis halcyonijs de Ecclesiae statu, de aliquibus mirabilibus Dei beneficijs ei hoc breui tempore a R.V. d. D. Martini morte praestitis saltem memetipsum & iuniores pie admonuero. Nam haec est ueluti praxis quaedam usus ac ceu fructus omnis christianae eruditionis, ut Dei opera ac beneficentiam agnoscat et celebret ore corde opere seu uita ipsa. Sin iucundum, simul ac utile & in primis ex officio hominis est diuinae bonitatis, prouidentiae ac omnipotentiae uestigia contemplari in ipsa rerum natura, In creatiatione in tam sapienti opificio adeo uariorum & tam certorum, continuorumque coeli motuum ac inde orientium mirabilium operationum affectionumque in elementis, In perpetua propagatione diuersarum specierum animatarum & inanimium ad usum potissimum hominis conseruatarum, In tam multiplicibus causis et effectibus perpetuo eadem ratione agentibus, & denique in singularum creaturarum mirabili structura. Multo profecto magis [f3v ] pias mentes delectat, docet, consolatur, & in primis ad gratitudinem erga Deum inuitat consideratu admirabilis bonitatis ac omnipotentiae Dei, qua perpetuo Ecclesiae suae adest, eam regit, tuetur et conseruat. Socrates apud Xenophontem ex oculi consideratione animaduertit et pronun. Sed nihil inde amplius quam eam tiat Deum esse Dei prouidentiam uoluntatemque cognoscit, qua ille non homines tantum sed & iumenta conseruat, quaque super bonos & malos solem suum Lucere & pluuiam cadere facit: At haec mirabilium Dei operum in Ecclesia consideratio nobis simul ueram religionem, ueram Ecclesiam, & denique fauorem eius quo forti uegetatique in aeternum uicturi sumus, commonstrat: docet item nos quam mirabilis esse Deus in sanctis suis soleat, quam saepe uel occultet sese Ecclesiae, uel quasi quendam somnum prae se ferat, uel etiam irati hostis ei faciem exhibeat, quam illis omnibus nos a peruicacissima uel constantissima potius in eum fiducia absterreri non debeamus, [f4r ] quod fit constanti tandem omnes difficultates uincamus, Docet item, quo modo in bellis domini non cedende, sed contra audentius 24 ea ] n.l. 33–34 opere [...] ipsa ] suppl. Flacius 46 apud Xenophontem ] Xen. Mem. 1,4,7:

47 ] Flacius: 51 simul ] iter. Flacius `

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A. oratio Illyrici Jhenae recitata

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eundo, omnia tandem uicturi expugnaturique simus. Summa ergo Dei sapientia quae nos etiam in futuram uitam perducet ex ista consideratione admirabilium Dei operum In Ecclesiae suae gubernatione haberi ac percipi potest, ad quam considerationem celebrationemque operum Dei nos passim scriptura praesertim autem psaltes inuitat hortaturque. Vere certe admirabilis est deus in sanctis suis, dum eos mirabiliter regit, deducit ad inferos ac reducit, et ingentia sunt, uti psalmus testatur, opera eius, sed stultus, id est impius ea non considerat, nec insipiens perpendit. Nos uero cum sumus genus electorum sacerdotium regale, gens sancta, populus a Domino acquisitus, ut uirtutes praedicemus illius, qui nos e tenebris in admirbilem suam lucem uocauit, consideremus summa diligentia totoque pectore Dei uirtutes, opera ac ingentia benefitia celebremus, ut ea & nos & alios omnemque posteritatem ad ueram pietatem excitent. [f4v ] Quam uarie igitur sit hisce iam decem annis Ecclesia Dei ueraque religio, tum manifesta persecutorum uiolentia, ac tyrannide, tum & falsorum dogmatum subtilibus, plausilibusque dolis exagitata afflictaque, et sicut christus inquit, cribrata, ob recentem eorum memoriam scimus omnes. Sed quia multis eae piorum totiusque Ecclesiae oppressiones, dum non satis ab eis perpenduntur, duplicis ruinae causam praebuerunt, dum alij hanc religionem Ecclesiamque, quae tam durum in modum exagitetur, ut non esse Deo curae, eoque nec ueram, cum impijs statuum & ad alias sectas deficiunt, uel etiam omnem prouidentiam ipsumque Deum nihil esse cum Epicureis statuunt concludunt. Ne ergo nos quoque in alterutrum horum fernalium praecipitiorum annorum, Dei opera beneficiaque expendamus. Quod si pie diligenterque fecerimus, admirabilem profecto eius prouidentiam ac bonitatem agnoscemus, cogemur ei gloriam dare & dicere omnia bene fecit. [f5r ] Primum igi itaque admirabile Dei factum est, quod cum semel Ecclesiam suam affligere et ueluti dilectam sponsam in manus hostium aliqandiu tradere, propter plures causas, (de quibus postea) non de platonicorum periodorum, aut etiam astrologicarum coniunctionum decreto, sed de suo arbitrio statuisset: remouit suum illum tertium Heliam, uerae puraeque religionis hisce ultimis temporibus instauratorem, siue ne sequutura mala turpemque defectionem spectare cogeretur, siue ne se uid fide precibusque suis murum pro domo Domini, irae diuinae opponeret. Simul itaque ac ille e medio sublatus est, mox perinde ac si omnes cacadaemones inferorum carcere emissi ad affligandos pios euolassent, tum Tridentinum conciliabulum foelicius progredi, tum & Antichristi eiusque ministrorum a arma in nos impetum facere coeperunt, ut re ipsa propriaque expe64 sunt ] Flacius: sum 78 statuunt ] lit. Flacii 79 Ne ] a.r. Flacii: Neq

83 igi ] lit. Flacii 89 uid ] lit. Flacii 93 a ] lit. Flacii

64 psalmus testatur ] VUL Ps 91,6: quam magnificata sunt opera tua Domine, satis profundae factae sunt cogitationes tuae, uir insipiens non cognoscet et stultus non intelleget (HEB) istud / (GRE) haec. 73 christus inquit ] VUL Lc 22,31: Simon Simon ecce Satanas expetiuit uos ut cribraret sicut triticum.

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rientia comperimus, tum uirum uel potius Dei gratiam, quae cum eo fuit, currus & equites Ecclesiae Dei fuisse. Secundo mirificum illud quoque, quod sicut antea omnes nefarij aduersariorum [f5v ] conatus consiliaque, quantumuis fraude dexteritate, et potentia instituta instructaque fuerint, omnia semper irrita innaniaque cum summo ipsorum dedecore euanescebant: Ita contra postquam tempus afflictionis horaque potestatis tenebrarum Dei uoluntate aduenit, omnia ipsorum consilia prauaeque machinationes ita uiuae, ingentes ac efficaces fuerunt, nostra uero omnia remedia inania, stulta ac irrita, ut inde meros heroas, hinc foeminas aut etiam pueros stare, consulere bellare acres ac res gerrere diceres. Taceo peruersa iudicia et sermones, item infinitas proditiones aliosque plane nefarios conatus multorum, qui antea pijs intimi coniunctissimique fuerant, omnes tamen in commune totius Ecclesiae exitium directos; Quas omnes aut pestes aut uenena infernalis ante aut furia per Ecclesiam Dei late ac longe disperserat. Reipsa tum cernere & quasi manibus palpare potuimus quid id sit, quod scriptura dicit angelum Domini circa eius Ecclesiam castra metari, ac circum circa eam excubare. Item in omnibus uijs suis eam custodire et gestare, ne ad lapidem pedem suum offendat; [f6r ] Quid item contra sit, quod interdum disrumpat Deus materiam siue uineae, antea summo studio culta, eamque in depascionem omnium ferarum tradat. Pingit Virgilius suum Turnum, primum diuinitus incitatum confirmatumque fortissime in ipsis Troianorum castris pugnantem, postea imminenti ei iam suo fato, ita languide frustraque omnia conantum, ac dormientes saepe in somnijs dum uel fugere uel repugnare hosti conantur, nihil proficere uident. Simili ferme pictura & hoc tempore quidam pietate & ac uirtute praestantem heroam Johannem Fridericum non inscite depinxit, armatum quidem, se ita inter dumos spinasque implicitum ac haerentem ut frustra circumstantibus, uenenatissimis uiolentissimisque bestijs repugnare conaretur. 96 quoque illud ] transp. Flacius num. sup.: 2 1 103 acres ] lit. Flacii 112 summo ] Flacius: sumo

118 & ] lit. Flacii 120 uenenatissimis ] a.r. Flacii: uenenatissimiis

108–109 scriptura dicit ] VUL Ps 90,10–12 (GRE): et flagellum non adpropinquabit tabernaculo tuo quoniam angelis suis mandabit de te ut custodiant te in omnibus uiis tuis in manibus portabunt te ne forte offendas ad lapidem pedem tuum; cf. Mt 4, 6. Lc 4, 12. 111 Quid item contra sit ] VUL Ps 79,13–14 (GRE): ut quid destruxisti maceriam eius et uindemiant eam omnes qui praetergrediuntur uiam exterminauit eam aper de silua et singularis ferus depastus est eam; (HEB): quare dissipasti maceriam eius et uindemiauerunt eam omnes qui transeunt per uiam uastauit eam aper de silua et omnes bestiae agri depastae sunt eam. 114 Pingit Virgilius ] Verg. Aen. 7, 596 ff.; 10, 439 ff.; 12, 887 ff. 116–117 ita ... uident ] Verg. Aen. 12, 908–914: Ac uelut in somnis, oculos ubi languida pressit | nocte quies, nequiquam auidos extendere cursus | uelle uidemur et in mediis conatibus aegri | succidimus; non lingua ualet, non corpore notae | sufficiunt uires, nec uox aut uerba sequuntur: | sic Turno, quacumque uiam uirtute petiuit, | successum dea dira negat.

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A. oratio Illyrici Jhenae recitata

Hoc sane est, quod Dauid dicit Deum armare & corroborare manus suas ad nitendendum arcum, et dare uires ut transiliat murum. Item quod Hieremias praedicit Judais fore, ut Deus arma, quae in manibus habebant, contra eos conuertat, [f6v ] et econtra ita chaldaeos eorum aduersarios corroboret confirmetque, ut etiam si pueri aegroti ac uulnerati in eorum castris superessent, illi tamen ipsi consurrecturi ac Hierosolymam expugnaturi euersurique essent. Tertio considerandum est admirabile Dei consulium causaeque cur uoluit hoc tempore suam Ecclesiam affligi & cribrari, ut scilicet puniret nostra peccata, ut elati probarenturque conspirerenturque sicut aurum in igne probatum purgatum, ut multorum hypocritarum ac insijncerorum fratrum corda reuelarentur. Vidimus sane mirabiles furore hominum etiam coniunctissimorum separationes. et contra antea distinctorum, aut sibi inuicem ignotorum consociationes. Sicunt enim physici dicunt, frigus omnia siue unia siue diuersi generis temere temere connectere, & contra calorem eterogenea disgregare & omogenea congregare: Ita tunc ignis ille aestusque persecutionum coniungebat uniebatque Deum serio timentes, et disgregabat ab ijs, qui magis homines quam Deum formidabant; [f7r ] aut alioqui non ex animo uerae pietati adhaerebant, quos antea omnes frigus longi pacis quietisque copularat, consociaratque, confluebant item ui probatorij illius ignis omnes illae minus probae feces cum reliquis aduersarijs in unam persecuutorum sentinam, uti in purgatione metallorum fieri assolet. 129 Ecclesiam suam ] transp. Flacius num. sup.: 2 1

130 probatum ] lit. Flacii 134 temere ] lit. Flacii

122 Dauid dicit ] VUL II Sm 22,30 / VUL Ps 17,29 (HEB): in te enim curram accinctus et in Deo meo transiliam murum; VUL II Sm 22,35 / VUL Ps 17,34 (HEB): docens manus meas ad proelium et conponens quasi arcum aereum brachia mea; VUL Ps 17,29 (GRE): et in Deo meo transgrediar murum; VUL Ps 17,34 (GRE): qui doces manus meas in proelium et posuisti arcum aereum brachia mea. 123 quod Hieremias praedicit ] VUL Ier 21,4–7: haec dicit Dominus Deus Israhel ecce ego conuertam uasa belli quae in manibus uestris sunt et quibus uos pugnatis aduersum regem Babylonis et Chaldeos qui obsident uos in circuitu murorum et congregabo ea in medio ciuitatis huius et debellabo ego uos in manu extenta et brachio forti et in furore et in indignatione et in ira grandi et percutiam habitatores ciuitatis huius homines et bestiae pestilentia magna morientur et post haec ait Dominus dabo Sedeciam regem Iuda et seruos eius et populum eius et qui derelicti sunt in ciuitate hac a peste et gladio et fame in manu Nabuchodonosor regis Babylonis et in manu inimicorum eorum et in manu quaerentium animam eorum et percutiet eos in ore gladii et non mouebitur neque parcet nec miserebitur. 134 physici dicunt ] Aristot. De gen. et corr. 329 b: ; Aristot. Met. 378 b: Alex. in Aristot. Met. Lib. Comm. 181, 7–10: ; Sophon. In Aristot. lib. de anim. 101, 17–18: ; Scripta Ph. Mel. ad hist. prof. et philos. spectantia: initia doctrinae physicae III. De re naturali [CR XIII 303]: Calor enim est efficax, congregat cognata, et dissipat non cognata.

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Fuit quoque illarum cladium et illa causa, quod Deus noluit suos non tantum ore, sed & grauissimis periculis damnisque atque adeo etiam sanguine ueritati suae testimonium praebere: Ideoque Sathanae, Antichristo, ac alijs impijs, uti suum homicidamque mendacemque animum pios persequendo & errores corruptelasque promouendo exaturarent, permisit. Denique illa fuit (meo quidem iudicio) uel primaria tantae cladis causa, quod tum non tantum aduersarij, sed & nos Euangelici (ut notamur) eum sacrilegum errorem in pectore nostro circumgestaremus, ut & sentiremus, et saepe, proh dolor, etiam diceremus, hanc ueram religionem [f7v ] praesidio fauoreque amplissimi foederis, potentum principum munitarum ciuitatum & doctorum uirorum niti fulcirique, nihil interim perpendentes praedicantesque Dei praesentiam, quid aduersariorum fraudes prauasque machinationes retundebant, et nostris pium animum, prudens consilium, uiresque sustulebat, & demum consilia conatusque nostrorum efficacia foeliciaque reddebat, uel potius, ut uno scripturae uerbo rem totam dicam, qui solus omnia erat in omnibus. Cum inquam hunc tam taetrum Idololatricum, et Deo debitam gloriam adimentem, nosque in hominum fiduciam trahentem errorem, in pectoribus nostris circumferremus, uoluit Deus & nos illo liberare, gloriam suam uindicare & demum maius decus gloriamque religioni ac Ecclesiae suae apponere, dum ostendit se eum esse, qui eam plantet sustentet, protegat & augeat, & non humanam uel improbitatem, ut aduersarij putabant, uel industriam ut nos censebamus. Quare amouet omnia ista mentis nostrae Idola humana scilicet praesidia amplissimi foederis [f8r ] potentum principum, munitarum ciuitatum et doctorum uirorum, uel per mortem, uel per captiuitatem, uel per emigrationem, uel per silentium, uel per uacillationem aut demum etiam per defectionem. Adduxerat item eas difficultates extremamque desperationem, et (sicut scriptura inquit) ad inferos, ipsos, Ecclesiam religionemque suam, ut nemo ferme nostrum de interitu eius, qui ante oculos omnibus obuersabatur, admodum dubitaret. Contra uero aduersarios suos nostrosque ita confirmauerat, potentia opibus ac gloria auxerat ornaratque, ut nihil amplius illi de sui regni perpetuitate, nostrique extremo exitio dubitarent, foelixque simul ac sapiens ille esse iudicaretur, qui etiam ex nostris Ecclesijs in eorum gratiam fauoremque quibuscunque omnino possit, uel etiam pessimis artibus sese insinuare posset, cum aliorum piorum damno & calamitate gloriae Dei uiolatione, et infinitorum christi pusillorum scandalo. In hunc tam tristem comploratumque [f8v ] statum, eum iam res Ecclesiae religionisque nostrae perductae essent, & contra aduersariorum in summam potentiam auctae, ornatae constabilitaeque: Ita paulatim Deus coepit suam Ecclesiam 160 Dum ] corr. Flacius

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] lit. Flacii

155 uno scripturae uerbo ] VUL III Rg 14,28: [sc. Filius] qui sibi subjecit omnia, ut sit Deus omnia in omnibus; Col 3,11: sed omnia et in omnibus Christus. 167 scriptura inquit ] VUL Is 14,11: detracta est ad inferos superbia tua; Sir 9,17: usque ad inferos non placebit impius.

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religionemque ex inferis extremoque interitu reuocare, & instaurare, ita etiam aduersariorum potentiam frangere ac comminuere ut facile appareret, eum etiam in ira misericordiae suae recordatum esse, et ideo nos ad inferos deduxisse, ut inde etiam clementer reduceret: Ideo nos supra modum grauasse, eoque deduxisse, ut sententiam mortis in nobis ipsis acciperemus, ne in nobismet confideremus, sed in eo, qui resuscitat mortuos. Manifestum item factum est, eum non ideo aduersarios euexisse corroborasse, et ueluti supra tergum caputque nostrum collocasse, quod eorum furore, impietate ac impoenitenti ueritatis suae persecutione delectaretur, ut ipsi, multique uacillantes ex nostris suspicabuntur, sed, sicut de pharaone dicitur, ut in tanta hostium suorum potentia ignominiose prosternenda, uires gloriamque suam tanto g clarius gloriosiusque declararet. Hanc uero gloriam, Ecclesiae religionisque [f9r ] suae liberationem & aduersariorum expugnationem dum peragit, quatuor potissimum quosdam quasi conflictus proeliaque cum suis aduersarijs perfecit, quae breuiter ac ordine commemorabo, ut magis a iuuentute haec bella triumphique Domini (uti dignissima sunt) considerari possint. Prima uictoria triumphusque christi post Lutheri piae memoriae mortem fuit mirabilis salutarisque nobis, dissipatio Tridentini conciliabuli. Cum enim papistae singulari fraude eodem ferme momento et coetum Tridentinum uniuersalis concilij nomine tituloque ornatum, et summi monarchae arma contra nos nostramque religionem instruxissent: Iamque & armis nos penitus oppressissent, et conciliabulum illud in plerisque articulis nostram doctrinam sententiamque damnasset: Cum item omnes nostrae religionis homines, praesertim potentiores certatim sese pseudosynodo illi uel innata prauitate ac impietate, uel etiam caesaris metu nemine ferme tantam impietatem reprehendente, subijcerent, nihilque iam amplius restare [f9v ] uideretur, quam in illud conciliabulum ultimam contra nos nostramque religionem sententiam pronunciaret exequandamque caesari ac Episcopis ad eam rem tunc longe paratissimis et promptissimis demandaret: Cum is inquam tam tristis rerum omnium nostrarum, Ecclesiaeque status essent, subito Deus immisso illis sanctissimis patribus uertiginis spiritu ita dissipauit disturbauitque, ut non tantum a sese inuicem diffugeret, sed etiam contra sese mutuo scribere ac contendere acriter inciperent, Tridentini patres contra Bonnonienses, et e conuerso caesar cum Episcopis Germanicis contra papam, & papa contra illos. Atque haec fuit ueluti prima quaedam uictoria triumphusque Michaelis nostri, qui uere fortis est in prelio, Qua ille non tantum praesentem hostium suorum, simul ac nostrorum ualidissimum conatum et ueluti copias disturbauit, confregit, contuditque, et nos ueramque religionem, a praesentissimo extremoque periculo eripuit, sed etiam ipsos persecutorum animos non parum repressit, retuditque, ut timidius cunctantiusque porro contra ueritatem insanirent. Taceo quod eos ibi illa longe [f10r ] terribilissima machina monumentoque authoritatis concilij, qua semper nobis minabantur, quaque sola adhuc aliquid ingens efficere 189 g ] lit. Flacii

198 Summi ] a.r. Flacii

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possent uidebantur priuauit, nemo enim non ibi cognouit reipsa exprimentaque papae conciliabula nihil aliud quam foetidissima Antichristi, uti Lutherus propria manu prophetia pictura praefigurarat, excrementa esse. Quare omnes ibi agnouerunt nihil esse, quod post haec concilij autoritatem expectarent in deligenda uera religione, sed ipsosmet oportere manifestam ueritatem amplecti, & filij dilecti uocem audire. Amisso eo ueluti exercitu praecipuaque uicum summa ignominia ac dedecore perculsi quidem & perturbati erant, quod de tanta spe deciderant, Recollegerunt tamen se denuo animumque recuperunt, et ope nostrorum quorundam Apostatarum nouam machinam ab interimendo nomen trahentes, nouasque copias ad exitium Ecclesiae Dei instruxerunt, direxeruntque, cum summa atrocissimaque comminatione extremi exitij, si quis contra uel scibere uel loqui uel pingere uel fingere uel sculpere, uel denique omnino mutire aut tantum nutu innuere [f10v ] quicquam ausus fuisset. Terificus profecto ille aduersariorum conatus apparatusque interim erat, et praesentaneum exitium nostris Ecclesijs secum apportare uidebatur. Nam †et† monarchae non tantum arma, sed & uerbales minas solum inanesque chartas omnes turpiter muliebriterque tremebant, & nemo non ex magnatibus ac potentioribus sese illi impio libro ultro subijciebat. Denique & plausibilia quaedam proponebantur, quaedam uidebantur ad tempus largiri, ut communionem sub utraque specie, et Sacerdotum coniugium, quaedam etiam ita uel lenita uel fucata erant, ut prudentes quoque cordatosque deciperent. Haec nefaria Draconis, id est, Antichristi et Septicipitis bestiae, id est, summi persecutores, machinatio interim, est in apocalypsi depicta per aliam bestiam, cornua quidem duo instar agni habentem, nempe communionem integram et coniugium sacerdotum, Sed interea omnia sic loquentem agentemque, sicut Draco Romanus: Omnia item eo dirigentem, ut omnes homines Draconem & bestiam ab eo sanatam adorarent, id est, summo sese monarchae tran etiam in [f11r ] religionis causis subijcerent. Faciebat uero ea agnum mentiens seu agnina pelle tecta bestia Interim multa ac miranda, ita ut etiam ignis de coelo caderet, id est, ut etiam seductae conscientiae iram diuinam, nisi acciperent Interim et monarchae ea in re obedirent, formidarent. Erant enim passim Doctor Interim, Islebius & alij qui omnia pollirent & excusarent, uerterent nigram in candida, & tenebras in lucem, scriberent commentaria super canonem, ordinariam glossam super Interim, omnibusque persuaderent hunc illumue sensum scripti esse, nec id tam prauum esse, ut forte multi nescio quorum ineptis schedis persuasi, suspicarentur. Quare magna uoce plenisque buccis declamitabant eos suae pertinaciae non 220 possent ] lit. Flacii 228 recuperunt ] Flacius: recoperunt

235 †et† ] n.l. 247 tran ] lit. Flacii

243 in apocalypsi depicta ] VUL Apc 13,11: et uidi aliam bestiam ascendentem de terra et habebat cornua duo similia agni et loquebatur sicut draco.

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christi martyres esse, imo et suimet suorumque homicidas, qui pati potius quam accipere Interim uellent. Ne quis uero dubitaret hanc ipsum bestiam expressisse Interim eique nomen ac dierum numerus conuenit Sexcenti enim 66, numerum eius nomen eius ac numerum esse apocalypsis testatur. Efficit uero hic numerus ferme biennium, [f11v ] sicut & Interim circiter duobus annis a medio 48 usque ad medium 50 cum inueterascente iam & tantum non antiquato Interim adiaphoricae corruptelae, seu noua Interim christi pusillos turbarent, & seducerent. Hanc quoque nefariam bestiam specie agna, miraculisque dementantem ac seducentem omnesque homines ad adorandam antichristi impietatem, ita noster Michael noster debellauit, et cum summa ignominia ex Ecclesia sua explosit, ut sicut seuerissime a toto imperio mandatum erat, ne quisquam contra uel scriberet quicquam uel ederet uel loqueretur, uel pingeret, uel omnino contra mutiret: Ita uix unquam ullus liber prodiit, contra quem plura scripta dictaue sint, quam contra illud ipsum Interim: Et sicut tunc nemo non eam bestiam adorabat, eiusque cultor uideri nolebat, ita contra postea neminem non atque adeo etiam proprios autores eius puduerit, pigueritque. Atque haec fuit secunda uictoria Domini ac Regis nostri de antichristo, eius ministris [f12r ] ac nefarijs moliminibus, qui utro solus fortem se esse in eo proelio nobis omnibus uel diffugientibus, uel trepidantibus, uel denique tanquam multum periculum adesset dormitantibus ostendit. Ne quaeso molestum uobis sit uisci doctissimi, studiosaque iuuentus si siutius in hac mirabilium Dei commemoratione immoror. Habemus enim nos quoque non minus quam olim Israelitae seuerissimum Dei mandatum ut crebro recordemur liberisque nostris ac iuuebtuti enarremus, quantis calamitatibus Romanus pharao cum suis ministris nos afflixerit presseritque quamquam gloriosis liberationibus nos coelestis ille beneficus pater inde liberauerit iudicaueritque. Certe mandatum de gratitudine celebrationeque diuinorum benefitiorum, ita hoc seueriter a nobis flagitat, ut uix ullo alio peccato tam atrociter offendere nos Euangelicos Deum putem ac nostra ista tam tetra ingratitudine, quod nec ingentia damna periculaque ab hostibus christianae pietatis nobis illa perpendimus, nec benefitia diuinasque liberationes magnifacimus, multo minus ea grata mente celebramus. sed ad rem. Tertius quasi conflictus proeliumque [f12v ] christi cum Belial fuit, quod cum illa agnum mentiens bestia Interim non omnia ex sententia se peragere posse cerneret, et quasi interitum sibi instare animaduerteret, mandauit (uti Apocalypsis habet) fieri Imaginem quandam septicipitis bestiae. id est nouas quasdam corrup257 suimet ] mg. ins. Flacius 259–260 numerum eius ] lit. Flacii

287 sed ad rem. ] lit. Flacii

260 apocalypsis testatur ] VUL Apc 13,18: Hic sapientia est qui habet intellectum conputet numerum bestiae numerus enim hominis est et numerus eius est sescenti sexaginta sex. 290–291 uti Apocalypsis habet ] VUL Apc 13,14: et seducit habitantes terram propter signa quae data sunt illi facere in conspectu bestiae dicens habitantibus in terra ut faciant imaginem bestiae quae gabet plagam gladii et vixit.

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telas uerae puraeque pietatis, quae quoquomodo sententiam mentemque supremi persequutoris exprimeret. Eam omnes adorare ac ab ea characterem accipere oportuit, qui non potius interfici aut persecutionem pati maluerunt. Ea Imago in gratiam gloriamque supremi monarchae confecta, eiusque mentem ac uoluntatem exprimens, fuerunt adiaphoricae corruptelae. Quae, quanta autoritate ac maiestate non tantum uictoris caesaris, qui omnes tales mutationes ardentissime urgebat, sed & pseudo Euangelicorum principum, imo & doctorum ac clarorum uirorum commendadtione fauoreque ornatae condecorataeque erant, norunt omnes. Quantam etiam perniciem adferebant Ecclesiae Dei tum suis proprijs erroribus, quos multos habebant, tum eo nomine, quod toti Interi= [f13r ] misticae papisticaeque impietati aditum in religionem nostram patefaciebant, testantur tot per eas funditus subuersae Ecclesiae. Sed nolo de hac parte prolixius dicere, ne studia insectandi quenqaum agitari atque haec commemorare uidear. Tametsi aequum profecto esset, eam in Ecclesia esse pietatem erga Deum, eam etiam mirabilium operum benefitiorumque eius admirationem, eam denique nostrorum lapsuum imbecillitatumque agnitionem, ut neminem puderet, nemoque dignitatem suam laedi arbitraretur, si omnes unanimiter clamaremus cum sanctis prophetis: peccauimus inique egimus cum maioribus nostris Tibi Domine gloria ac iusticia, nobis uero ignominia ac iusticio confusio faciei. Liceat uel breuiter hoc quoque ingens periculum Ecclesiae Dei attingere, et ipsorum qui eius autores fuerunt uersibus anno 5 4 0 cum eius ideum per somnium uiderunt conscriptis iudicare, quo ingens filij Dei uictoria beneficiumque Ecclesiae suae praestitum illucescat. Hisce uero uerbis Imaginem eius tunc praeuisam depinxerunt. [f13v ] Me iussere duces fallacem pingere Hÿenam: Et monstri speciem proposuere mihi Taetra erat, ex uarijs moles confusa figuris Tectaque linenti sanguinolenta cute Virgenei vultus: sed torua micantia flammis 295 suprema ] corr. Flacius 302 impietate ] corr. Flacius 302 pate ] s. ins. Flacius 309–310 peccauimus [...] nostris ] mg. ins. Flacius 310 iusticio ] lit. Flacii

313 anno 5 4 0 ] cf. CR X, 576: mense Maio 1541 313–314 per somnium uiderunt ] CR X, 576 s.s.: Somnium Philippi de hyaena in comitiis Ratisbonensibus. 320 linenti ] CR X, 576: liventi

309 cum sanctis prophetis ] VUL III Rg 8,47: peccauimus inique egimus impie gessimus; II Par 6,37: peccauimus inique fecimus impie egimus; Idt 7,19: peccauimus cum patribus nostris iniuste egimus iniquitatem fecimus; Ps 105,6 (GRE): iniuste egimus iniquitatem fecimus; Ps 105,6 (HEB): peccauimus cum patribus nostris inique fecimus impie egimus; Bar. 2,12: peccauimus impie egimus inique gessimus Domine Deus noster; Dan. 3(PrAzar),29: pecauimus enim et inique egimus; Dn 9,5: peccauimus inique fecimus impie egimus.

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A. oratio Illyrici Jhenae recitata

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Lumina saeuitiae tristia signa dabant A collo gemini pendebant membra Draconis Et Scÿllae tandem pars erat una pedes. Horrebam aspiciens: et toto pectore sanguis Ac pene extructo sanguine vita fugit Vt pingam tamen illi urgent, non obsequor, aio Iratus, pingi non bene posse pedes. Quo ruitis proceres? quis mentes occupat erro? Cur templo infertis talia mostra Dei? Excutior somno, gelidus de pectore manat Sudor et e subito membra pavore stupent Nonnihil hac moneor fortassis Imagine: Sed te Christe rogo, ut placidus pectora nostra regas. Hanc igitur etiam perniciosam bestiae Imaginem foedeque in Ecclesia Dei grassantem hÿaenam victor triumphatorque inferorum Rex noster, ita uicit & aboleuit, ut iam ipsimet eius quasi parentes et obstreticatores se quicquam cum ea unquam habuisse [f14r ] Haec fuit tertia quaedam uicoria triumphusque seruatoris ac Domini nostri non sine ingenti Ecclesiae Dei & aduersariorum damno ignominiaque per contemptibilia stultaque organa gloriose parta. Vere enim tunc quoque Dominus stulta mundi huius & quae plane nihil erant elegerat, ut omnia quae erant eximia contraque ipsum sese erigebant, et pro Antichristo militabant expugnaret, debellaretque, ut tanto magis uirtus gloriaque eius a quo omnia bona salutariaque sunt elus elucesceret. Hisce tribus ingentibus cladibus acceptis, Antichristi cultores, sectatoresque cum in Augustanis anni 50 comitijs dubij rerum suarum, eiusque quod agendum potissimum uideretur essent, cum insuper (testibus illis actionibus, et Sledani historia) Apostatae nostri publice quererentur, sed ideo non posse Interim in suis regionibus penitus erigere, quod multi famosi libelli ex certo quodam loco prodirent, qui omnibus persuaderent illas mutationes ingentes impietates aut in se continere, aut secum trahere, eoque et subditos ad inobedientiam in talibus religionis conatibus incitarent. [f14v ] Haec inquam cum aduersarij animaduerterent, nihil prius, maiorique studio, labore ac sumtibus agendum esse censuerunt, quam ut eum Locum, unde talia scripta prodirent, expugnarent ac perderent: quo & impedimenta illa scriptorum prauique, ut ipsi sentiebant, exempli, amouerentur, et terrore tam seuerae casti324 324 325 326 329 329

Et Scÿllae ] CR X, 576: Scillaei una ] CR X, 576: ima pectore ] CR X, 576: corpore extructo ] CR X, 576: extincto quis ] CR X, 576: Qui erro ] CR X, 576: error

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mostra ] CR X, 576: monstra de ] CR X, 576: cum placidus ] CR X, 576: praesens inferorum ] Flacius: inferorurum Damno ] corr. Flacius elus ] lit. Flacii

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gantionis omnes postea ad adorandum Draconem bestiam eiusque Imaginem siue hÿenam promptioresque fierent. Tentarunt itaque rem summo studio, totiusque Imperij uiribus, perfecisseque ferme quod uoluerunt, uisi sunt: Deus tamen qui corda principum in sua manu habet, ita per multas tribulationes crucesque suorum eo tandem conatum eum deduxit conuertitque, ut ea ipsa Antichristianorum Victoria conuersis ipsorum proprijs armis in ipsos & politicam & spiritualem eorum tÿrannidem confringeret. Est uero etiam tempus in Apocalÿpsim dicatum, quo Draco & bestia cum secundaria bestia eiusque imagine et charactereibus Ecclesiam Dei in religione essent [f15r ] turbatura, nempe mensibus 42 seu sesqui quarto anno, quod cum ipso facto ex arte conuenit. Nam a medio 48 anni quo Idolum aut bestia Interim publice adoranda colendaque magna cum solennitate proposita est, usque ad finem 1551 Domini anni cum omnes istae corruptelae praeter reliquias Iebuseorum Maioris conciderunt 42 menses elapsi sunt. Vt apparet diuinam maiestatem ferme ante 1500 annos istas tetras collusiones miserorum hominum cum Babÿlonica , fraude, eamque gestante septicipite bestia, praedixisse omnesque, ut sibi ab eis cauerent, seuerissime praemonuisse, eoque non ex philonikeia aut audaci temeriate contra hactenus repugnatum ac deinceps repugnandum esse. Remanserunt uero nihilominus reliquiae quaedam passim istorum Iebuseorum Amorreorum et Cananeorum, ut haberent pij in quo se ad bella Domini, ut olim Israelitae, exercerent. Quae summa seueritate pii praemoendae affligendaeque sunt, Alioqui profecto eis indulgebimus, ut plerique pertaesi longi belli cupiunt, erunt ueluti sqaedam spinae in oculis [f15v ] & claui in lateribus nostris, ut olim Israelitis Deus praedixit, et experimento ipso accidit. pulchre & apposite facit Homerus Atem quidem illam coelitus praecipitatam pedibus ualere & summa uelocitate omnia percurrere laedentem ac inficientem homines, sed Litas tarde eam claudicando consequi & conari sanare ea, quae illa uiolarit. Sic enim uidemus subito uigentia damna dari a Satana tum politijs, tum in primis Ecclesijs, sed non mox sanari illa, quod clare in proximorum annorum corruptelis apparuit, quae subito quidam ab infernali illa coeloque explosa miserorum furca sunt illatae, sed non mox aboleri tolliue possunt, imo manent & perpetuo manebunt in omnem posteritatem, tum in Ecclesijs multis, ut in Marchia uidere est, tum & in multorum cordibus & conscientijs. Quare simus fortes in fide et isti diabolico ueneno constantissime resistamus. 373 , ] lit. Flacii 374 philonikeia ] sc.

378 praemoendae ] sc. praemonendae

380–381 ut . . . praedixit ] VUL Nm 33,55: qui remanserint erunt uobis quasi claui in oculis et lanceae in lateribus. 381–384 facit Homerus . . . uiolarit ] Hom.Il. 9, 502–507:

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A. oratio Illyrici Jhenae recitata

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Saepe me illa admirabilia diuina iustitiae, prouidentiae ac omnipotentiae exempla singulari longeque suauissimo speculo [f16r ] oblectarunt, dum cerno ueritatis aduersarios, pietissimo Electori, Magdeburgensi ciuitati alijsque Euangelicis tristem foueam fudentes, in eam ipsosmet tandem miserandum in modum incidisse. Si enim hosce monarcha non oppressisset, nec unum quendam uerum germaniae phaetontem in hisce regionibus tantopere exaltasset, nunquam ille cum Gallo conspirare, totamque pene Germaniam contra Caesarem comouere ausus fuisset. Quibus auxilijs Gallus destitutus, non profecto tanta, quae effecit perfecisset, nec alter in ijs difficultatibus, quibus oppressus est, haesisset. Inciderunt ergo in foueam, quam fecerunt, & laquet quem pijs posuerunt, comprehensus est pes eorum. Iustus es o Domine, et iustum est iudicium tuu, Inscrutabilia sunt consilia et inenarrabiles uiae tuae, quae non prius cernuntur, quam peracta suum finem metamque sortiuntur. A tergo igitur Dominum contemplari possumus. Nam ab Aa nteriori parte nemo eum satis unquam mortalis agnoscet omniaque opera eius initio plena uarijs scandalis nobis uidentur. Sed postea eximia eius sapientia [f16v ] ac bonitas ex ipsis factis, dum considerantur, perspicitur. Quid autem de eo dicemus quod plerique ex illis nostris uel potius christi persequutoribus sibimet inuicem exitio fuere, et quidem ij qui sese antea prae nimio amore concordiaque dulcissimo fratrum nomine appellabant? Vt prorsus agnoscere possimus, perinde hoc quoque tempore accidisse, ut sibi inuicem nefarij sceleris premia persoluerent, qui antea contra Dominum & christum eius, infantesque illius confessores militauerant, sicut & Iudicium quondam accidisse, simili historia legimus. Vere noster iste infaustus phaeton in incendio misere germaniae a semetipso excitato diuino fulmine iustissime perijt, quantumuis quidam turpes gnatones mentiantur eum nec pietatem erga Deum nec iusticiam erga homines uiolasse unquam conuenit itaque Epitaphion:

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Hic situs est phaeton currus auriga paterni Quem si non temnit magnis tum excidit ausis. Haec iam breuiter de admirabilibus Dei operibus horum proximorum annorum a morte R.V.d.D. Martini pie memoriae commemorare coram nobis clarissimi [f17r ] ac doctissimi uiri studiosae iuuentuti uolui, quo & ipsa nobiscum bella ista Domini nostri Ihesu Christi cum Satana, Antichrsito, eius mancipijs & collusoribus considerare, ei pro tantis beneficijs grata esse, eumque celebrare, & denique ex praeteritis futura cognoscere ad omnem pietatem et officia accomodare distat assuefiatque. Vere enim grandia & admirabilia sunt Dei opera, uti psalmus inquit, Sed stulti (id est impij) non confiderant ea nec insipientes intelligunt. At nos, qui 394 pietissimo ] Flacius: pientissimo 396 uerum ] mg. ins. Flacius 405 Aa nteriori ] sup. litt. Flacius

414 misere ] sc. miserae 416 nec . . . Deum ] mg. ins. Flacius 421 pie ] sc. piae

426 Vere . . . inquit ] VUL Ps 91,6: quam magnificata sunt opera tua Domine, satis profundae factae sunt cogitationes tuae, uir insipiens non cognoscet et stultus non intelleget (HEB) istud / (GRE) haec.

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christo saluatori nos deuouimus, uerbum eius didicimus, spiritum hausimus, et denique membra eius facti sumus, contemplemur perpondamusque inexplicabilia eius miracula ac beneficia, eaque & in praesens et omnem posteritatem enarremus celebremusque. Saepe profecto omnes pij tum pericula proximorum annorum, tum etiam liberationes considerare deberent, et intueri inter alia etiam triste totius Angliae exemplum, quae nunc penitus uera Christi religione priuata in Aegyptias Romani pharaonis tenebras, foedamque ac exitialem seruitutem retracta est. [f17v ] Quantillum enim tandem obsecro abfuit, quin Germaniae idem accidisset? Atqui Angli aliquanto constantius pro ueritate decertarunt, et non pauci ex eis etiam martyrio per uaria supplicia affecti sunt. Contra in Germania quem tandem martyrem nominare in tot Ecclesiarum ruinis possumus, praeter pietissimum Electorem, qui non cum una, sed multis mortibus, dum ueritatem confiteretur, colluctatus est. De praesentibus porro afflictionibus difficultatibus, de tetris erroribus, noxijs abusibus, deformi ataxia, dissidijsque alijsque incommodis, quae Ecclesiam Dei affligunt, deque certis remedijs necessario primo quoque tempore adhibendis, non pauca utiliter dici possent deberentque, Sed ea magis in synodo aliqua, quam hic suum locum tempusque haberent, ac utiliter proponi possent deberentque. Hic & adhortatio ad studiosam iuuentutem de retinendo utraque manu omnique studio cura, & opera, coelestis ueritatis deposito utiliter ac in suo loco adhiberi posset. Sed hanc quoque & temporis breuitas excludit, & sedulo a concionatoribus & doctoribus crebroque repeti non dubito. [f18r ] Locus forte esset etiam de imminentibus futurisque periculis dicere, nosquemet ad poenitentiam et effugiendam uenturam Dei iram excitare: Nam tametsi astrologi omnia futura & accuratius circumscribunt, & animosijs asseuerant, tamen pij quoque diuinare possunt ex sacris literis, ex tanta mundi uisitationem, tempusque acceptum, et quae ad suum pacem faciunt non agnoscentis securitate, Item ex eo quod praeteritorum annorum horribilia peccata, defectionis, abnegationis, corruptelarum, persecutionis non tantum per piam poenitentiam inuitans commonstrat ueniaeque petitionem non abolet, sed etiam ea excusando iram sibi in die irae ac uindictae diuinae cumulat, Item ex tot tetris ac horrendis prodigijs, quae passim Deus nos ad poenitentiam inuitans commonstrat. Ex hisce inquam omnibus facile imminentia mala piae mentes praeuidere possunt. Sed haec procul dubio a uerbi Dei ministris, quorum est poenitentiam diligenter praedicare, & quomodo miseri homines a uentura ira effugere possint, commonstrare saepius in concionibus inculcantur.

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in ] iter. Flacius pietissimum ] Flacius: pientissimum afflictionibus ] lit. Flacii tetris ] sc. taetris

442 ataxia ] sc. 446 ] lit. Flacii 457–458 inuitans commonstrat ] lit. Flacii 459 tetris ] sc. taetris

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A. oratio Illyrici Jhenae recitata

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[f18v ] Haec iam de statu Ecclesiae proximorum annorum deque admirandis filij Dei beneficijs ac bellis cum summo hoste Antichristo gestis dicere uolui, ut & ipse nomen eius gloriamque in coetu magno (ut psalmista inquit) celebrarem, utque memetipsum ac studiosam iuuentutem hisce admirabilibus diuinae potentiae exemplis erudirem, & ad pietatis studium excitarem. Nihil dubitans me id in loco ac ex officio fecisse. Si enim aliquem uel doctum uel potentem uirum, qui ante no†S†nos uixerunt in schola orationibus celebrare, aut aliquam utilem sententiam explicare laudi datur, multo magis decuerit me initio Theologia†e† huius lectionis, et in hac christiana schola filium Dei, eius triumphum beneficiaque celebrare, & studiosam iuuentutem tum ad piam uitam, tum ad sane Theologiae studium cognitionemque incitare. De me porro ipso meaque hac uocationeque aliquid mihi dicendum esset, in eam saltem sententiam, ut quoniam cum magnis quibusdam uiris non leuia certamina habuerim, & adhuc habeam, multorumque prosopoliptarum [f19r ] sermonibus sim passim accusatus tanquam nimium philonicus et philautius, meam innocentiam coram hoc honestissimo coetu assererem. Quod quidem perlibenter facerem, non tam certe meae famae bonique nominis tuendi studio, quod tamen ne ipsum quidem christiano homini negligendum est, quam, quo cognita mea innocentia cum omnibus magis amanter & fraterne conuiuere, & a studiosa iuuentute aequiori animo audiri possem: Verum, quoniam totus causae expositio nimis longi temporis magnaeque operae est, nec sine suscipione studij alios laedendi facile tractari potest, Illa tantum iam meae defensionis capita breuiter proponam. primum prolixe me in multis aeditisque scriptis causa hanc totam controuersiamque declarasse, seundum omnes eius partes, causas, & circumstantias. Quibus lectis abunde cuiuis ueritas necessitasque patebit, qui quidem ueritatem ex animo quaesierit. Secundo affirmo me non tantum priuatim saepius, sed & publice rationes ac uias controuersiam hanc tollendi, uel per iudicium [f19v ] uel per amicam aliquam arbitrariamque piorum uirorum compositionem, ostendisse, et quidem me saepe, cum erga alios, tum & dudum erga illustrissimos Saxoniae principes nostros Dominos clementissimos, scriptis declarauisse, quid inter alios iudices etiam huius scholae Theologos non ferre tantum possim sed etiam ultro expetam. Tertio dico me multos multorumque eximiorum uirorum mediationes infacienda pia pace tentasse, et quidem postremo etiam Saxoniarum Ecclesiarum splendidam legationem ad tollendos errores faciendumque pacem precibus exciuisse. Egerunt hanc eandem rem et legati Illustrissimi ducis Med†g†elburgensis 466 uolui ] corr. Waschbüsch; Flacius: nolui 471 nos ] sup. litt. Flacius 473 triumphum ] corr. Waschbüsch; Flacius: triumphus

478 prosopoliptarum ] sc. 479 philonicus ] sc. 479 philautius ] sc.

467 ut . . . inquit ] VUL Ps 110,1 f.: confitebor [GRE tibi] Domine in toto corde meo in consilio iustorum et congregatione magna opera Domini.

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Johannis Alberti summi pietatis ac bonarum literarum fautoris. Sed cuius culpa illae duae ut ita dicam, mditationes irritae fuerint, quisue ut tollerentur errores & controuersiae consentire noluerit, ipsorum testimonio pronunciandum permitto, tametsi abunde hactenus quoque coram multis testati sint. Vltimo & illud bona fide sinceraque conscientia affirmo me cum summa gratiarum [f20r ] actione accepturum, si uel tota haec schola uel singulis eius doctores de pijs remedijs tantorum malorum cogitare mecumque & cum altera parte de illis amanter agere uolent. Si reipsa repererint me pia salutaria ac ex uerbo Dei deprompta medicamina repulisse, habeant sane me pro publicano et Ethnico, quam ipso Dominus Jhesus supremam ferme mulctam hic in Ecclesia esse constituit. Caeterum de lectione mea ita dudum, cum uocarer, cogitaueram, et etiam cum R. domino Amsdorffio per literas contuleram ita denique cum doctissimis uiris collegis meis in professione theologica comprobantibus illustrissimis principibus decreui, id consultissimum et studiosae iuuentuti utilissimum fore, ut, quoniam illi pro donis sibi diuinitus datis res ipsas sententiasue huius sacrosanctae professionis plene tradunt, ego omissa omni uberiore rerum explicatione locorumue communionum, aut materiarum theologicarum tractatione nudum tantum textum sacrorum Bibliorum Audiosae iuuentuti cum breui aliqua explicatione proponerem. Id enim uel maxime non tantum theologo [f20v ] homini, sed & cuiuis christiano utile est, in fontes ipsos doctrinae de Deo cognitos perspectosque habeat. Quod nunc, proh dolor, etiam in summis Academijs negligitur, ut profecto valde verendum sit, ne abiectis ferme Biblijs ad hominum scripta, nouosque sententiarum Magistros adducimur. Quare de communi sententia nostri Theologici collegij constitutum est, ut paulinas Epistulas eiusmodi compendiosa explicatione percurrerem, In qua primum poneretur generalis summa, argumentum scopusue totius scripti enarrandi, una cum eiusdem itidem generali dispositione omnium praecipuorum membrorum. Secundo proponeretur specialis summa & dispositio. Tertio loco sententiae dictaque obscura aut dubia siue ob sermonis phrasin peregriniorem, siue ob res difficilioresque diligenter explicarentur. Quo pertinere debeat etiam concilistio locorum in specie pugnantium, & abusus insignes testimoniorum scripturae. Scio quidem hunc esse pene immensum laborem et tantum summorum & eruditissimorum uirorum operam conatumque requirere. Sed in praeclaris arduisque rebus etiam tentasse, [f21r ] aut saltem alios magis idoneos ad eam rem suo conatu inuitasse pulchrum utileque fuerit. Exit tamen aliquousque, ut in domino confido progredi etiam meae tenui industriae, si ultra omnino non dabitur. Quod ipsum quantumuis exile suos profecto fructus, eosque haud penitendos, auditoribus afferet. 508 repererint ] sc. reppererint 527 scopus ] sc. 530 phrasin ] sc.

533 pene ] sc. paene 539 penitendos ] sc. paenitendos

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Affirmat praeclarissimus rerum omnium indagator Aristoteles magnas esse habendas gratias ijs, qui uel quaestiones, uel etiam tantum opiniones suas nobis de utilibus rebus relinquerunt, quod & illae ad ueram inuentionem nos deducant. Affirmat item res initio uel crasse delineandas esse si fieri aliter nequeat, Tempus enim esse optimum expolitorem bene inuentorum, & mediocris industriae esse recte inchoatis subinde aliquid utiliter adijcere. Inchoati igitur in domini nomine Epistulam pauli ad Romanos quam ideo laudare non puto esse opus, quod nemo eam sanus uituperet, imo omnes pij uno ore †de†praedicant. Recitabo tamen luculentissimum eius prooemium compendio a sumo non tantum nostrae, sed et omnium aetatum Theologo d.D. Martino Luthero ultimo Helia conscriptum. Quod abunde piorum scholasticorum mentes ad eam conferendam inuitare & ac excitare poterit. Sic uero ille grauissimus uir [f21v ] in praefatione eiusdem Epistulae eam celebrat. Cum Epistula pauli ad Romanos, unica totius scripturae sit methodus, et absolutissima Epitome noui testamenti seu Euangelij quod ipsa certe uel sola, breuiter & purissime tradit: dignam sane existimo, quae non modo ab omnibus christianis imbibatur a teneris, ediscatur ad Verbum, sed et quae assidua & perpetua meditatione, ceu ruminata & concocta haud aliter atque probe digestus cibus in intima animi uiscera traijciatur: Tam diues aut haec Epistula est spiritualium quoddam copiae cornu, ut millies perlegenti, semper occurat nouum aliquid: adeo ut haec lectio longe omnium utilissima, quod in eruditione rerum sacrarum, cognitione christi, discenda natura fidei omnium spiritualium afectuum ui cognoscenda, altius prouehat: subinde tibi inter manus crescat, semperque maior, iucundior & preciosior, opulentior seipsa fiat. Et iterum: Consilium enim Apostoli fuit in hac Epistola ceu summatim comprehendere & compendio tractare totum Euangelium [f22r ] et quicquid est doctrinae christianae, et methodum breuem parare in uniuersam scripturam Veteris Testamenti, Moysen, scilicet & omnes prophetas. Nam qui hanc Epistulam probe perlectam, imo concoctam in animo habuerit, hic certissimam methodum habet & in totum uetus testamentum. Proinde, ut supra monui. hic iterum exhortor, quemadmodum Moses Deut: 2. Vt ponatis haec in cordibus uestris, doceatisque filios uestros, quo continua meditatione modis omnibus nobis familiarissima fiat. 551 & ac ] sup. litt. Flacius

548 sumo ] sc. summo 540 Affirmat . . . Aristoteles ] Aristot. Met. 993 a:

543 Affirmat item ] Aristot. Met. 993 a:

548 luculentissimum eius prooemium ] WA DB 7, 2–27.

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Hisce grauissimis Viri & Theologiae patris, uti Hebraei Arabesque loqui solent Epistulae huius collaudationibus excitari incitarique omnes Theologiae candidati merito debent, ut eam summo desiderio cognoscant. Illud sane citra inuidiam, ut opinor, ac uere dicere possum, habere studiosam iuuentutem hic iam tantam occasionem ipsos coelestis doctrinae fontes cognoscendi, quantam hactenus in nulla Germaniae Academia multis hactenus annis habuit, Non quod non sint ubique plurimi longe me doctiores, [f22v ] sed quod nescio qua infoelicitate ubique haec sacrosancti huius studii pars foede negligitur. Vt (sicut & prius dixi) non leue periculum ueritati unde impendeat. De mea porro uoluntate priuatisque officijs erga collegas meos, uiros doctissimos, uel studiosam iuuentutem, non opinor esse admodum necessem ut multa praedicem, cum pollicitationes multae uerborumque nimia dulcedo plerunque, idque non sine causa, suspecta esse soleat. Res tamen ipsa, uti confido comprobabit, me ea officia quae a christiano homine expectari possint, pro mearum uirium tenuitate mediocriter omnibus praestare: Sicut & de uobis uicissim eadem mihi omnia non dubitanter polliceor. Certe nemo offendere poterit me cum quiquam de priuatis aliquibus rebus aut commodis iniurijsue unquam uel durius uel diutius contendisse, aut quenquam et nomine laesisse. Nam publicani utilitates & praesertim ueritatem oportere & Platoni & Socrati & omnibus amicissimis hominibus praeferre nemo unquam Vir bonus, uel etiam Ethnicus, nedum christianus dubitauit: Vt non dubitem mihi hic quoque cum omnibus bonis commenturum. [f23r ] Dixi hactenus, tum & de proximo praeteritorum annorum Ecclesiae statu, ingentia pericula eius diuinasque liberationes iuuentuti ostendens, non quenquam laedendi, sed Deum ac filium eius unicum Dominum nostrum Ihesum Christum praedicandi studio, ac ut meipsum ac iuuentutem ad considerationem & praedicationem mirabilium Dei operum, ad gratitudinem erga Deum & morum uitaeque christianam honestatem, in primisque ad tuendum coeleste depositum, unde omnis nostra et terrena & aeterna salus dependet, excitarem, inflammaremque. Dixi & de lectione mea priuatisque officijs quantum opus fuit. Quae omnia si non sunt ea uel copia rerum ac uerborum, uel sententiarum pondere, uel uerborum delectu ac styli continuitate numeroue exposita, ac alijs eruditiores ex hoc loco declamare solent, sicuti initio petij, ut boni consulatis, ita iam quoque amanter oro ac obsecro. Non enim ostentationis ambitionisue gratia haec oratio a me scripta recitataue est, sed officij, publicae utilitatis et gloriae diuinae. [f23v ]Vult quoque deus ipse quandam donorum uarietatem in sua Ecclesia, ut, sicut Aristoteles praeclare dicit, non ex medico & medico, sed ex medico & agricola ciuitatem constare, ita Paulus quoque saepius inculcat in corpore christia597 Deum ] lit. Flacii

608 medico & medico ] a.r. Flacii: modico & modico

608 sicut Aristoteles . . . dicit ] Aristot. Eth. Nik. 1133 a:

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A. oratio Illyrici Jhenae recitata

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no mystico, quod est Ecclesia eius non omnes esse posse oculos aut aures, aut manus, sed oportere esse uaria membra, quorum nihilissimis saepe uel minime carere possumus. Habent quoque Alfodelus & Malua, quantumuis uiles herbae uideantur, suum, si Hesiodo credamus: Dominus autem Ihesus architectus formatorque huius corporis, qui est Dominus ac Deus, Rex & sacerdos, frater & caput nostrum, nos suo sancto spritu uegetet, uiuificet, negat ac gubernet, ut ad gloriam nominis sui & Ecclesiae utilitatem, omnia nostra studia, uota, operas ac labores, pie foeliciterque conferamus. AMEN.

612 Alfodelus ] i.e. Affodillus, Asphodelus

613

] Flacius:

613 si Hesiodo credamus ] Hesiod op. et dies v. 41:

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B. Literaturverzeichnis 1. Drucke und Handschriften Adler, Kaspar: Wider den spöttischen Lügner vnd vnuerschempten verleumbder M. Isslebium Agricolam. Nötige verantwortung/ vnd Ernstliche warnung/ Wider das Interim. Apologia M. Casparis Aqvilae Bischoff zu Salfeld. M.D.XLVII. [(Magdeburg, Rödinger:) Freytag nach Jacobi], [VD 16 A 279] (zitiert: Adler: Wider den spöttischen Lügner). Amsdorff, Nicolaus von: Antwort auff Doct: Pommers Scheltwort, so er auff der Cantzel aussgeschütt hat am Sonntag nach Vdalrici, M.D.XLIX.: mit einem kurtzen Anhang gebessert / durch Nicolaum von Amsdorff [Magdeburg: Rödinger] 1549, [VD 16 A 2324] (zitiert: Amsdorff: Antwort auff Doct: Pommers Scheltwort). [Amsdorff, Nikolaus von]: Der Prediger der Jungen Herrn, Johans Friderichen, Hertzogen zu Sachssen etc. Sönen, Christlich Bedencken auff das Interim [(Magdeburg, Lotther:) 1548], [VD 16 P 4740] (zitiert: Amsdorff: Der Prediger [. . . ] Bedencken). Camerarius, Joachim: De Philippi Melanchthonis ortu, totius vitae curriculo & morte [. . . ] Narratio diligens & accurata Joachimi Camerarii Papeberg (Lipsiae, Excudebat Ernestus Voegelin Constantiensis Anno 1566.), [VD 16 C 502] (zitiert: Camerarius: De Philippi Melanchthonis ortu). Desiderius, Erasmus (Hg.): . A RISTOTELIS SUMMI SEMPER PHILOSOPHI , ET IN ´ quem unum vim suam universam contulisse natura rerum videtur, opera quaecunque hactenus extiterunt omnia: quae quidem ut antea integris aliquot libris supra priores editiones omnes a nobis aucta prodierunt, ita nunc quoque, lucis et memoriae causa, in capita diligenter distincta in lucem emittimus. Praeterea quam diligentiam, ut omnibus editionibus reliquis, omnia haec exirent an nostra officina emendatiora, adhibuerimus, quoniam uno verbo dici non potest, ex sequenti pagina plenius cognoscere licebit. Per Desid. Erasm. Roterodamum [. . . ] BASILEAE P ER I O . B EB . ET M ICH . I SING . ). A NNO M.D.L. [Exemp. SUB Göttingen: 2 Auct. Gr. IV, 8] (zitiert: Erasmus: ´ Egnatio, Johann Baptista: Joannis Baptistae Egnatii de Exemplis illustrium virorum Venetae civitatis atque aliarum gentium libri novem: cum indice rerum notabilium. Parisiis. Turisanus sub Aldina bibliotheca, 1554, [Exemp. UB München: 0001/8 Hist. 2321] (zitiert: Egnatio: de Exemplis). Flacius Illyricus, Matthias: AMICA HVMILIS ET DEVOta admonitio M.F. Illyr. ad gentem sanctam, regaleque Antichristi sacerdotium de corrigendo sacrosancto canone Missae. [. . . ] 1550. (MAGDEBURGI EXCUDEbat Michael Lotther.), [VD 16 F 1250]. Ders.: Eine freuntliche / demütige vnd andechtige erinnerung M. Fl. Illyr. an das heilige Volck / vnd Künigliche priesterthumb des Antchrists von der besserung des heiligen Canons oder Stilmessen. [. . . ] Gedruckt zu Magdeburgk durch Michael Lotther. 1550. [VD 16 F 1251]. Ders.: ANTIDOTUM auff Osiandri gifftiges Schmeckbier/ Durch Matt. Fla. Jllyri. vnd Nico. Gallum [. . . ] (Gedruckt zu Magdeburg bey Christian Rödinger.), [VD 16 F 1254]. Ders.: Antwort Matth. Fl. Illyr. auff etliche Beschüldigung D. Gei. Maiors / vnd D. Pommers [Magdeburg: Rödinger; um 1551], [VD 16 F 1259]. Ders.: Apologia Matthiae Flacii Illyrici ad Scholam Vitebergensem in adiaphororum causa. Eiusdem epistola de eadem materia ad Philip. Melantho. Item quaedam alia eiusdem generis (Impressum Magdeburgi per Michaelem Lottherum. Anno 1549. calendis octobris.), [VD 16 F 1264] (zitiert: Flacius: Apologia). Ders.: Entschuldigung Matthiae Flacij Illyrici/ geschrieben an die Uniuersitet zu Wittemberg/ der Mittelding halben. Item sein brieff an Philip. Melanthonem/ sampt etlichen andern schrifften dieselbige sach belangend. Verdeudscht, (Gedruckt zu Magdeburg bey Christian Rödinger) [VD 16 F 1266] (zitiert: Flacius: Entschuldigung).

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Literaturverzeichnis

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Ders.: Eine entschuldigung Mathiae Flacij Jllyrici/an einen Pfarher. Item desselben/was da sey die Kirchen verlassen odder nicht verlassen. Item zween Trewme Philippi [. . . ] M.D.XLIX. [Magdeburg, Rödinger], [VD 16 F 1370] (zitiert: Flacius: Eine Entschuldigung [. . . ] an einen Pfarher). Ders.: EPISTOLA APOLOGETICA MATthiae Flacij Jllyrici ad quendam Pastorem. ITEM DUO SOMnia Philippi. [Magdeburg, Lotther: 1549], [VD 16 F 1370] (zitiert: Flacius: EPISTOLA APOLOGETICA). [Flacius Illyricus, Matthias]: Ein gemine protestation vnd klagschrifft aller frommen Christen wieder das Jnterim vnnd andere geschwinde anschlege vnd grausame verfolgung der wiedersacher des Evangelij/ allen Gotfürchtigen gewissen / zu dieser betrübten zeit/uberaus sehr nützlich vnnd tröstlich zu lesen. Durch Joannem waremundum [. . . ] [1548], [VD 16 F 1405] (zitiert: Flacius: Waremundus: Eine gemine protestation). Ders.: Ein kurtzer bericht vom Interim/daraus man leichtlich kan die leer unnd Geist desselbigen Buchs erkennen/ Durch Theodorum Henetum allen frommen Christen zu dieser zeit nützlich vnnd tröstlich. [. . . ] 1548. [VD 16 F 1437] (zitiert: Flacius: Henetus: Ein kurtzer bericht). Flacius Illyricus, Matthias: Quod hoc tempore nulla penitus mutatio in religione sit in gratiam impiorum facienda. Per Matth. Flacium Illiric. Contra qvoddam scriptvm incerti autoris/ in quo suadetur mutatio piarum caeremoniarum in Papisticas. Per Hermannum Primatem. [. . . ] 1549. [VD 16 F 1471] (zitiert: Flacius: Quod hoc tempore nulla penitus mutatio). Ders.: QVOD LOCVS LVCAE VII. DICO tibi remissa sunt ei peccata multa, nam dilexit multum, nihil Pharisaicae iusticiae patrocinetur. Per Matth. Flacium Illyricum. [. . . ] 1549. MAGADABURGI. [VD 16 F 1473] (zitiert: Flacius: Quod locus Lucae). [Flacius Illyricus, Matthias]: Von der Messe vnd jhrem Canone Magistri Johannis Agricolae Eysleben/ Lhere vnd schrifft/Welche er auff dme Reychstag zu Speyer in der Epistel zu den Colossern geprediget/ vnd folgend Anno M.D. xxvij. zu Wittenbergk im Druck offentlich hat ausgehen lassen/Dem Jnterim so er ytzt hat helffen stellen/ gantz entgegen/ Daraus sein geyst zuvermercken. [(Magdeburg, Rödinger: 1549)], [VD 16 F 1544] (zitiert: Flacius: Von der Messe). Ders.: Wider Das I NTERIM. Papistische Mess/ Canonem/ vnnd Meister Eissleuben/ durch Christianum lauterwar/ zu dieser zeit nützlich zu lesen. [(Magdeburg, Lotther:) Anno. 1549.], [VD 16 F 1554] (zitiert: Flacius: Wider Das I NTERIM,). Ders.: Wider den Schnöden Teuffel/der sich jtzt abermals in einen Engel des liechtes verkleidet hat/das ist wider das newe INTERIM/ Durch Carolum Azariam Gotsburgensem [. . . ] M.D.XLIX. [Magdeburg, Rödinger], [VD 16 F 1559] (zitiert: Flacius: Azarias: Wider den Schnöden Teuffel). Ders.: Das man in diesen geschwinden leufften/dem Teuffel und Antichristen zugefallen/nichts in den Kirchen Gottes vorendern soll. Durch Johannem Hermannum [. . . ] 1548. [VD 16 H 2352] (zitiert: Flacius: Hermannus: Das man in diesen geschwinden leufften). Ders.: Etliche Brieffe/ des Ehrwirdigen Herrn D. Martini Luthers seliger gedechtnis/ an die Theologos auff den Reichstag zu Augspurg geschrieben/ Anno M.D.XXX. Von der vereinigung Christi vnd Belials/ Auss welchen man viel nützlicher Lehr in gegenwertiger gefahr der Kirchen nemen kan/ Verdeudscht. Jtem etliche andere schrifften/ nützlich vnd tröstlich zu lesen. Jtem zwo schriffte der Theologen zu Wittemberg/Eine an die Prediger zu Nürnberg / Die ander an den Churfürsten zu Sachsen/auch von voreinigung Christi vnd belial/Anno XL. geschrieben. Jtem eine schrifft der Prediger zu Naumburg an die Theologen zu Wittemberg. Jtem onts teliche brieff D.M.L. auch sehr nützlich vnd tröstlich zu lesen. [. . . ] [Magdeburg, Rödinger: 1549], [VD 16 L 3726] (zitiert: Flacius: Etliche Brieffe). Ders.: Ein Schrifft des Achtbarn vnd Ehrwirdigen Herren seliger gedechtnis/ Doctoris Martini Lutheri/wider den Eisleben/kurtz vor seinem end geschrieben/vormals aber nie im Druck aussgangen [. . . ] M.D.XLIX [(Magdeburg, Rödinger: 1549)], [VD 16 L 5859] (zitiert: Flacius: Ein Schrifft [. . . ] Lutheri). Heldelinus, Gasparus: Eine Christliche predigt vber der Leiche des Ehrnwuerdigen vnd hochgelerten Herrn/M: Matthiae Flacij Jllyrici/Weland getrewen Dieners vnd bestendigen Merterers Jesu Christi / fromen Hertzen zu gut gestellet / Durch M. Gasparum Heldelinum Lindauiensem. Jtem/ Summarischer Bericht/der Handlungen vnd Streitsachen Herrn Matthiae Flacij Jllyrici/von jm selbst verzeich-

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net. [. . . ] Gedruckt im Jar 1575. [Oberursel]: [Henricus] [VD 16 H 1563] (zitiert: Heldelinus: Ein christliche Predigt). Helding, Michael: Von der Hailigisten Messe Fünfzehen Predige/ zu Augspurg auff dem Reichsztag/ im Jar M.D.XLviij. gepredigt. Durch Michaeln Bischoff zu Sidonien/ Meintzischen Suffraganeen. [. . . ] Getruckt zu Jngolstat/ durch Alexander Weissenhorn. M.D.XLVIII. Jahr, [VD 16 H 1624] (zitiert: Helding: Von der Hailigisten Messe). Luther, Martin: Eine Predigt vber die Epistel, so man lieset von den heiligen Engeln. Apoc. XII. Mart. Luth. Wittemberg [Nickel Schirlentz] 1544, [VD 16 L 5708] (zitiert: Luther: Epistel [. . . ] von den heiligen Engeln). Malvenda, Petrus & Mörlin, Maximilian: PROPOSITIONES PETRI MALVENDAE PROPOSITAE IN Colloquio Ratisponensi. Anno 1546. HIS OPPOSITAE PROpositiones uerae disputatae Vitebergae a M. Maximiliano Mauro Vitebergensi docente Euangelium in aula Illustrissimi Ducis Saxoniae Iohannis Ernesti etc. Die Martij duodecimo, (Impressum Vitebergae, apud Vitum Creutzer, 1548) [VD 16 M 409] (zitiert: Malvenda & Mörlin: Propositiones). Melanchthon, Philipp: Elementorum Rhetorices, Libri duo, Diligenter recogniti. Autore Philippo Melanthone. Antuerpiae. In Aedibus Ioannis Steelsii, In Scuto Burgundiae. 1537, [Nijhoff/Kronenberg 3518; Ex. JALB Emden: A-H8 – Nr. 3 in Konvolut. –] (zitiert: Melanchthon: Elementorum Rhetorices libri). [Melanchthon, Philipp]: Phil. Melanchthonis [. . . ] Consilia sive Iudicia Theologica, Itemque Responsiones ad quaestiones de rebus variis ac multiplicibus secundum seriem annorum digestae etc. Collecta et nunc primum edita studio et opera Christophori Pezelii (Nevstadii, Apud haeredes Wilhelmi Harnisij, 1600), [VD 16 M 2384] (zitiert: Melanchthon: Phil. Melanchthonis [. . . ] Consilia). Ders.: Acta in Conventv Ratisbonensi continentia haec quae sequuntur. Librvm Propositvm Delectis Collocutoribus Articvlos Oppositos certis locis in libro. Responsionem coniunctorum Augustanae confessioni, de libro. Praefationes quasdam, quae indicant causas, cur articuli quidam reprehensi sint. Responsionem ad Contareni scriptum. Caetera quae de emendatione Abusuum exhibita sunt, et historica quaedam, in alio volumine complectemur. [Wittenberg, Klug: 1541], [VD 16 M 2387] (zitiert: Melanchthon: Acta in Conventv). Melanchthon, Philipp: Compendiaria Dialectices Ratio. Autore Philippo Melanchthone. [Coloniae Apud Heronem Alopecium, Anno domini M. D. XXII], [VD 16 M 2805] (zitiert: Melanchthon: Compendiaria Dialectices Ratio). Ders.: Doctrina De Poenitentia, Ideo repetita ut praestigiae de Satisfactionibus recens excogitatae a quibusdam Sophistis refutarentur. Epistola ad lectorem in qua respondetur Flacio Illyrico. Autore Philippo Melanthone. Vitebergae apud Josephum Klug. Anno M.D.XLIX. [Kal. Oct. 1549], [VD 16 M 3073] (zitiert: Melanchthon: Doctrina de Poenitentia). Ders.: Institutiones Rhetoricae. Coloniae Apud Heronem Alopecium [1521], [VD 16 M 3515] (zitiert: Melanchthon: Institutiones Rhetoricae). Ders.: Oratio recitata in renunciatione gradus Theologici clarissimi uiri Melchioris Isinderi Suidnicensis. 1548 [Wittenberg, Lufft], [VD 16 M 3909] (zitiert: Melanchthon: oratio recitata). [Melanchthon, Philipp]: Bedencken auffs INTERIM Der Theologen zu Wittenberg. 1548 (Finis Junii 16.), [VD 16 M 4322] (zitiert: Melanchthon: Bedenken [. . . ] der Theologen zu Wittenberg). Melanchthon, Philipp: Bedencken auffs INTERIM Des Ehrwirdigen vnd Hochgelarten Herrn PHILIPPI MELANTHONIS. 1548 (Finis Junii 16.), [VD 16 M 4325]. Otto, Anton: Die Vorrede Philippi vber das Regenspurgische Interim / mit einer erklerung Anthonij Othonis/Pharhers zu Northausen / sehr lustig vnd nützlich zu lesen. [Magdeburg], [VD 16 M 2392] (zitiert: Otto: Vorrede Philippi). Pezel, Christoph: Consilia sive iudicia theologica, itemque responsiones ad quaestiones de rebus variis ac multiplicibus secundum seriem annorum digestae [1600], Neustadii [VD 16 M 2384] (zitiert: Pezel: Consilia). Sleidanus, Johannes: IOAN. SLEIDANI, DE STATU RELIGIONIS ET REIPVBLICAE, CAROLO QVINTO, CAESARE, Commentari: CVM indice luculentißimo. M. D. LV. (ARGENTORATI Excudebat Vuendelinus Rihelius. Anno M. D. LV.), [VD 16 S 6669].

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Literaturverzeichnis

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Westphal, Joachim: Explicatio Generalis Sententiae, Quod e duobus malis minus sit eligendum, ex qua facile quiuis intelligere potest, quid in praesenti de adiaphoris controuersia sequendum aut fugiendum sit per M. Ioachimum VVestphalum Hamb. [Magdeburg, Lotther:] 1549, [VD 16 W 2286] (zitiert: Westphal: Explicatio Generalis Sententiae). VVitebergenses, Scholastici: Vera, Gravis Et Constans Refvtatio Frivolae, Stolidae, Falsae Et Vere Flaccidae Responsionis Flaccij llyrici, quam Titulo Necessariae defensionis opposuit Epistolae Scholasticorum VVitebergensium / Scripta a Scholasticis VVitebergensibus Epistolae forma ad ipsum Flacium. Adiecta est & Prima Epistola Scholasticorum VVitebergensium, Et frigida, futilis ac scurilis Flaccij Defensio, VVitebergae M. D. LVIII [VD 16 S 3804] (zitiert: Scholastici VVitebergenses: Refvtatio).

2. Literatur Alessio, Gian Carlo: Rhetorica ad Herennium, in: Lexikon des Mittelalters, hg. v. Bretscher-Gisiger, Charlotte (et al.). Bd. 7. Stuttgart, Weimar 1980–1998, Sp. 785 f (zitiert: Alessio: Rhetorica ad Herennium (LMA)). Althaus, Paul: Die Theologie Martin Luthers, Gütersloh 1962 (zitiert: Althaus: Theologie Luthers). Asmus, Helmut / Wille, Manfred: 1200 Jahre Magdeburg. Von der Kaiserpfalz zur Landeshauptstadt. Eine Stadtgeschichte in zwei Bänden, Bd. 1, Die Jahre 805 bis 1631, Magdeburg 2 2005 (zitiert: Asmus: 1200 Jahre Magdeburg2 ). Augustijn, Cornelis: Die Religionsgespräche der vierziger Jahre, in: Die Religionsgespräche der Reformationszeit [= SVRG 191], hg. v. Müller, Gerhard. Gütersloh 1980, S. 43–54 (zitiert: Augustijn: Religionsgespräche). Ders.: Humanismus [= KIG Lfg. H2 Bd. 2], Göttingen 2003 (zitiert: Augustijn: Humanismus). Ax, Wolfram: Lorenzo Valla (1407–1457). Elegentiarum linguae Latinae libri sex, in: Von Eleganz und Barbarei. Lateinische Grammatik und Stilistik in Renaissance und Barock [= Wolfenbütteler Forschungen 95], hg. v. Ax, Wolfram. Wiesbaden 2001, S. 29–57 (zitiert: Ax: Lorenzo Valla). Baron, Hans: From Petrarch to Leonardo Bruni. Studies in Humanistic and Political Literature, Princeton 1968 (zitiert: Baron: From Petrarch to Leonardo Bruni). Ders.: Leonardo Bruni Aretino und der Humanismus des Quattrocentoi [MF], [Rare Books, Manuscript, and Special Collections Library. Duke University, Box 9C185, Durham, N.C. 27708–0185] o.J. (zitiert: Baron: Leonardo Bruni Aretino). Barton, Peter F.: Um Luthers Erbe. Studie und Texte zur Spätreformation. Tilemann Heshusius (1527–1559) [= UKG 6], Witten 1972 (zitiert: Barton: Luthers Erbe). Ders.: Matthias Flacius Illyricus, in: Gestalten der Kirchengeschichte, hg. v. Greschat, Martin. Bd. 6. Die Reformationszeit II, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1981, S. 277–293 (zitiert: Barton: Flacius). Bauer, Barbara: Melanchthon und die Marburger Professoren (1527–1627). Ein Ausstellungskatalog. 2 Bde. [= Schriften der Universitätsbibliothek Marburg 89], Marburg 2 2000 (zitiert: Bauer: Melanchthon und die Marburger Professoren2 ). Baur, Jörg: Flacius – Radikale Theologie, in: ZThK 72 (1975), S. 365–380 (zitiert: Baur: Flacius). Benzinger, Josef: Zum Wesen und zu den Formen von Kommunikation und Publizistik im Mittelalter. Eine bibliographische und methodologische Studie. in: Publizistik 15 (1970), S. 295–318 (zitiert: Benzinger: Wesen und Formen). Boghardt, Martin: Partial Duplicate Settings, in: The Library 15/4 (Dec. 1993), S. 312–319 (zitiert: Boghardt: Partial Dulicate Setting). Bossert, Gustav: Ein unbekanntes Stück aus dem Leben des Flacius, in: ARG 22 (1923), S. 49–61 (zitiert: Bossert: Unbekanntes Stück). Brandi, Karl: Kaiser Karl V. Werden und Schicksal einer Persoenlichkeit und eines Weltreiches, Frankfurt 8 1986 (zitiert: Brandi: Kaiser Karl V.8 ). Bring, Ragnar: Das Verhältnis von Glauben und Werken in der lutherischen Theologie [= FGLP 10.7], München 1955 (zitiert: Bring: Verhältnis).

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Anhang

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Rassow, Peter: Karl V.: der letzte Kaiser des Mittelalters, Göttingen 1958 (zitiert: Rassow: Karl V.). Reventlow, Henning Graf: Epochen der Bibelauslegung, Bd. III, Renaissance – Reformation – Humanismus, München 1997 (zitiert: Reventlow: Epochen der Bibelauslegung III). Ritschl, Albrecht: Theologie und Metaphysik: zur Verständigung und Abwehr, Bonn 1881 (zitiert: Ritschl: Theologie und Metaphysik). Ross, James Bruce: Venetian Schools and Teachers Fourteenth to Early Sixteenth Century: A Survey and a Study of Giovanni Battista Egnazio, in: RenQ 29 (Winter) 1976(4), S. 521–566 (zitiert: Ross: Venetian Schools and Teachers). Rubenbauer, Georg / Hofmann, Johann Baptist: Lateinische Grammatik, Neubearbeitet von R. Heine, München 11 1989 (zitiert: Rubenbauer/Hoffmann: Lateinische Grammatik11 ). Scheible, Heinz: Der Plan der Magdeburger Zenturien und ihre ungedruckte Reformationsgeschichte, Univ. Diss. Heidelberg, Heidelberg 1960 (zitiert: Scheible: Der Plan der Magdeburger Zenturien). Ders.: Die Entstehung der Magdeburger Zenturien, Ein Beitrag zur Geschichte der historiographischen Methode, Gütersloh 1966 (zitiert: Scheible: Entstehung der Magdeburger Zenturien). Ders.: Melanchthons Brief an Carlowitz, in: ARG 57 (1966), S. 102–140 (zitiert: Scheible: Melanchthons Brief an Carlowitz). Ders.: Der Catalogus Testium Veritatis – Flacius als Schüler Melanchthons, in: BPfKG 63 (1996), S. 343(91)–357(105) (zitiert: Scheible: Der Catalogus Testium Veritatis). Ders.: Melanchthon als akademischer Lehrer, in: Melanchthon in seinen Schülern [= Wolfenbütteler Forschungen 73], hg. v. Scheible, Heinz. Wiesbaden 1997, S. 13–29 (zitiert: Scheible: Melanchthon als akademischer Lehrer). Ders.: Melanchthon. Eine Biographie, München 1997 (zitiert: Scheible: Melanchthon). Ders.: Das Augsburger Interim und die evangelischen Kirchen, in: Heimatkundliche Blätter für den Kreis Biberach 21/1 (1998), S. 3–13 (zitiert: Scheible: Das Augsburger Interim). Schilling, Johannes: Flugblätter und Flugschriften der Reformationszeit, in: RGG4 , Bd. 3. 2000, Sp. 169 f (zitiert: Schilling, J.: Flugblätter (RGG4 )). Schilling, Michael: Bildpublizistik der frühen Neuzeit: Aufgaben und Leistungen des illustrierten Flugblatts in Deutschland bis um 1700 [= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 29], Tübingen 1990 (zitiert: Schilling, M.: Bildpublizistik). Schmid, Wolf: „Dialogizität“ in der narrativen „Kommunikation“, in: Dialogue an Rhetoric. Communication Strategies in Russian Text and Theory, hg. v. Lunde, Ingunn. Bergen 1999, S. 9–23 (zitiert: Schmid: Dialogizität). Schmidt, Georg: „Teutsche Libertät“ oder „Spanische Servitut“. Deutungsstrategien im Kampf um den evangelischen Glauben und die Reichsverfassung (1546–1552), in: Das Interim 1548/50. Herrschaftskrise und Glaubenskonflikt [= SVRG 203], hg. v. Schorn-Schütte, Luise. Gütersloh 2005, S. 166–191 (zitiert: Schmidt: Teutsche Libertät). Schnackenburg, Rudolf: Interim, in: LThK, Bd. 5. 1960, Sp. 727 (zitiert: Schnackenburg: Interim (LThK)). Schwarz, Reinhard: Luther [= KIG Lfg.1 Bd. 3], Göttingen 1986 (zitiert: Schwarz: Luther). Ders.: Die Bettlerhand des Glaubens. Ein illustrierter Einblattdruck des Matthias Flacius Illyricus, Regensburg 1561/62, in: ZBKG 69 (2000), S. 97–120 (zitiert: Schwarz: Die Bettlerhand des Glaubens). Ders.: Weltzeit – Endzeit im Kontext der reformatorischen Theologie. Fragen an unser geschichtliches Bewußtsein, in: Protestantismus und Kultur [= VKHW, Neue Folge 6], hg. v. Zschoch, Hellmut. Neukirchen-Vluyn 2002, S. 46–62 (zitiert: Schwarz: Weltzeit – Endzeit). Seyffert, Johann Christian: Annalen der Stadt und Festung Küstrin aus Urkunden und Handschriften, Küstrin 1801 (zitiert: Seyffert: Annalen). Sick, Hansjörg: Melanchthon als Ausleger des Alten Testaments, in: Beiträge zur Geschichte der Biblischen Hermeneutik, hg. v. Cullmann, Oscar (et al.). Bd. 2. Tübingen 1959 (zitiert: Sick: Melanchthon als Ausleger des AT).

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202

Anhang

Sillem, C.H.W(ilhelm): Briefsammlung des Hamburgischen Superintendenten Joachim Westphal aus den Jahren 1530 bis 1575. Bearb. und erläutert von C.H.W. Sillem, Bd. 1, Briefe aus den Jahren 1530 bis 1558, Hamburg 1903 (zitiert: Sillem: Briefsammlung Westphal). Sperl, Adolf: Melanchthon zwischen Humanismus und Reformation, München 1959 (zitiert: Sperl: Melanchthon). Stegmann, Andre: De inventoribus rei Christianae: Polydore Vergil ou l’Erasmianisme, in: Colloquia Erasmiana Touronensia Centre d’Etude superieur de la renaissance de Tour [= Collection De Pétrarque à Descartes Actes du 12ième colloque international d’études humanistes (Tours, 1969)], Bd. 1. Paris 1972, S. 313–321 (zitiert: Stegmann: De inventoribus rei Christianae). Steinmann, Martin: Johannes Oporinus. Ein Basler Buchdrucker um die Mitte des 16. Jahrhunderts [= BBGW 105], Basel, Stuttgart 1967 (zitiert: Steinmann: Johannes Oporinus). Stolt, Birgit: Martin Luthers Rhetorik des Herzens, Tübingen 2000 (zitiert: Stolt: Luthers Rhetorik). Talanga, Josip: Paralipomena dialectices des Matthias Flacius Illyricus, in: Matthias Flacius Illyricus: Leben & Werk. Internationales Symposium, Mannheim, Februar 1991 (Südosteuropa-Studien 53), hg. v. Mateši´c, Josip. München 1993, S. 111–138 (zitiert: Talanga: Paralipomena). Töpfer, Thomas: Die Leucorea am Scheideweg. Der Übergang von Universität und Stadt Wittenberg an das albertinische Kursachsen 1547/48. Eine Studie zur Entstehung der mitteldeutschen Bildungslandschaft [= Beiträge zur Leipziger Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte, Reihe B, Bd. 3], Leipzig 2004 (zitiert: Töpfer: Die Leucorea am Scheideweg). Twesten, August D. Chr.: Matthias Flacius Illyricus: eine Vorlesung, Berlin 1844 (zitiert: Twesten: Matthias Flacius Illyricus). Viehweg, Theodor: Topik und Jurisprudenz: Ein Beitr. zur rechtswiss. Grundlagenforschung, München 5 1974. Vischer, Friedrich Th.: Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen. 10 Bde. Hildesheim, Zürich, New York 2 1846–1858 (ND 1922–1923) (zitiert: Vischer: Aesthetik2 ). Vlaci´c Ilirik, Matija [= Matthias Flacius Illyricus]; Talanga, Josip / Grgi´c, Filip (Hg.): Paralipomena dialectices, Zagreb 1994 (zitiert: Flacius: Paralipomena dialectices). Vogt, Otto (Hg.): Dr. Johannes Bugenhagens Briefwechsel. Im Auftrage der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Alterthumskunde gesammelt und herausgegeben durch Lic. O. Vogt, ev. Pfarrer, Stettin 1888 (zitiert: Vogt: Bugenhagens Briefwechsel). Ders.: Dr. Johannes Bugenhagens Briefwechsel. Gesammelt und herausgegeben von Otto Vogt. Nachträge, Stettin 1888 (ND Hildesheim 1966) (zitiert: Vogt: Bugenhagens Briefwechsel. Nachträge). Voit, Hartmut: Nikolaus Gallus und das Interim. Eine anonyme Druckschrift aus dem Jahre 1548, in: ARG 65 (1974), S. 277–285 (zitiert: Voit: Gallus und das Interim). Ders.: Nikolaus Gallus. Ein Beitrag zur Reformationsgeschichte der nachlutherischen Zeit [= EKGB 54], Neustadt (a.d. Aisch) 1977 (zitiert: Voit: Nikolaus Gallus). Volz, Hans: Flugschriften der Reformationszeit, in: RGG3 , Bd. 2. Tübingen et al. 1958–1965, Sp. 985 f (zitiert: Volz: Flugschriften (RGG3 )). Wackernagel, Hans Georg (Hg.): Die Matrikel der Universität Basel, Bd. II, 1532/33–1600/1, Basel 1956 (zitiert: Wackernagel: Matrikel der Universität Basel II). Wartenberg, Günther: Zwischen Kaiser, Konfession und Landesherrschaft. Das Interim in Mitteldeutschland, in: Das Interim 1548/50. Herrschaftskrise und Glaubenskonflikt [= SVRG 203], hg. v. SchornSchütte, Luise. Gütersloh 2005, S. 233–254 (zitiert: Wartenberg: Zwischen Kaiser, Konfession und Landesherrschaft). Weyrauch, Erdmann: Konfessionelle Krise und soziale Stabilität. Das Interim in Straßburg (1548–1562), Stuttgart 1978 (zitiert: Weyrauch: Konfessionelle Krise). Wilke, Jürgen: Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte. Von den Anfängen bis ins 20. Jahrhundert, Köln, Weimar, Wien 2000 (zitiert: Wilke: Grundzüge der Medien- und Kommunikationsgeschichte). Wimmel, Walter: Die Kultur holt uns ein. Die Bedeutung der Textualität für das geschichtliche Werden, Würzburg 1981 (zitiert: Wimmel: Die Kultur holt uns ein).

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Wolff, Erwin: Der intendierte Leser. Überlegungen und Beispiele zur Einführung eines literaturwissenschaftlichen Begriffs, in: Poetica. Zeitschrift für Sprach und Literaturwissenschaft 4 (1971), S. 141–166 (zitiert: Wolff: Der intendierte Leser). Wolgast, Eike: Die Formula reformationis, in: Das Interim 1548/50. Herrschaftskrise und Glaubenskonflikt [= SVRG 203], hg. v. Schorn-Schütte, Luise. Gütersloh 2005, S. 342–365 (zitiert: Wolgast: Formula reformationis). Wotschke, Theodor: Ein Sammler von Melanchthonbriefen, in: ARG 22 (1923), S. 65–67. Wriedt, Markus: Die Anfänge der Theologischen Fakultät Wittenberg 1502–1518, in: Die Theologische Fakultät Wittenberg 1502 bis 1602. Beiträge zur 500. Wiederkehr des Gründungsjahres der Leucorea [= Leucorea-Studien zur Geschichte der Reformation und der Lutherischen Orthodoxie 5], hg. v. Dingel, Irene / Wartenberg, Günther. Leipzig 2002, S. 11–37 (zitiert: Wriedt: Anfänge). Zeeden, Ernst Walter: Martin Luther und die Reformation im Urteil des deutschen Luthertums. Studien zum Selbstverständnis des lutherischen Protestantismus von Luthers Tode bis zum Beginn der Goethezeit. I. Bd.: Darstellung, Freiburg 1950 (zitiert: Zeeden: Luther und die Reformation). Ziegler, Joseph: Die Liebe Gottes bei den Propheten, Münster 1930 (zitiert: Ziegler: Die Liebe Gottes). Zovko, Jure: Zur Rezeption von M. Flacius in der philosophischen Hermeneutik, in: Matthias Flacius Illyricus: Leben & Werk. Internationales Symposium, Mannheim, Februar 1991 (Südosteuropa-Studien 53), hg. v. Mateši´c, Josip. München 1993, S. 177–197 (zitiert: Zovko: Rezeption von Flacius).

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Register Abel 70 Abraham 95 Absalom 112 Adam, 82, 166 Adam, Melchior 15, 26, 32, 109 Adler, Kaspar 77 Agricola, Johannes (von Eisleben) 31, 41, 74, 76 f., 92, 94, 97–106, 110, 113, 139, 148, 155, 158, 164 Agricola, Rudolf 19 Ahab 113 Ahitophel 112, 141 Albona 14 f. Albrecht, Alcibiades 28 f. Albrecht, II. Markgraf von Brandenburg (Erzbischof Magdeburg / Mainz) 76 Albrecht, von Brandenburg-Ansbach 51, 92 Alessio, Gian Carlo 14 Althaus, Paul 8, 75 Altzella 32, 34, 37, 43, 51, 72, 80, 92, 106 f., 146 Amsdorf, Nikolaus von 30, 39, 53, 101, 163 Anselm, Reiner VIII Antiochia (am Orontes) 84 Antonius, Marcus [Triumvir] 12, 122 Aristarch (von Samothrake) 126 Aristoteles 12, 19 f., 59, 81, 85–89, 123, 131, 133, 148 Arius 60, 82 Ascerio, Francesco 14 Asmus, Helmut 3 Athen 42, 77, 130 Augsburg 15, 27–37, 42, 44, 76, 78, 83, 93, 100 f., 105, 107, 154, 157, 181 Augustijn, Cornelis 4, 84, 164 Augustinus, Aurelius 20, 70, 153 Aurifaber, Johannes 106, 109 Aurogallus, Matthias 22, 24 Aventinus, Johannes 71 Ax, Wolfram 14 Azarias Gotsburgensis, Carolus [= Pseud. Flac.] 105 f., 109 f., 112–117, 119, 149, 151, 164 Baal 113 Babylon 62, 93 Backofen (Lipsiensis), Friedrich 143 Backofen, Friedrich [Lipsienis] 16

Baderesch (Pommeranus), Johannes 92 Barabbas 131 f. Baron, Hans 85 Barton, Peter F. 9, 13 Basel 3, 15, 17, 20, 85 Bauer, Barbara 21 Baur, Jörg 128 Belial 84, 90, 114, 131 f., 158 Bembo, Pietro 42 Benzinger, Josef 6 Berg, Johann vom 33 Berlin 31, 36, 92, 101, 105, 148 Beyer, Hartmann 100 Beyer, Leonhard 111 Boghardt, Martin 38 Bologna 29, 52 Bornkamm, Karin 143 Bossert, Gustav 54 Brandi, Karl 29 Braunschweig 36, 49 Bremen 29 Brenz, Johann 43, 54 Bring, Ragnar 9, 150 Brockmann, Thomas 28 Brück, Gregor 24–27 Bruni, Leonardo 85 Bucer, Martin 99, 104 Buchholzer, Georg 36, 43, 92 f., 105 Buck, August 19 Bugenhagen, Johannes 25, 36 f., 73, 80, 92 f., 99, 106 ff., 118, 129, 138, 158 f. Bulling, Karl 22 Burckhardt, Jacob 14 Camerarius, Joachim 16, 20 f., 31, 51, 54 Cantimori, Delio 27 Capito, Wolfgang Fabricius 104 Carl, Horst 30, 43 Carlowitz, Christoph von 32, 42, 44 f., 72, 99, 102 Caspar, Erich 96 Chalybaeus, Albert 9, 40, 46, 53, 104, 108, 111 Christian III., König von Dänemark 107, 138 Christophersen, Alf VIII, 19 Christoph von Württemberg 54 Classen, Carl Joachim 20 Clemen, Otto 32

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Register Cölln (an der Spree) 92 Cornelius Scipio Aemilianus Africanus, Publius 13 Cornelius Sulla Felix, Lucius 137 f., 141 Corvinus, Antonius 132 Cruciger, Caspar 34, 36, 41, 51, 80, 99, 108 Crusius, Friedrich 17 Daniel [Proph.] 158 Dehio, Georg 3 Delphi 130 Demandt, Alexander 86, 89 Demosthenes 20, 106 Didymus, Faventinus [= Pseud. Mel.] 114 Didymus, Gabriel 108, 111 Diebner, Bernd Jörg 3, 93 Diener, Ronald E. 9, 18 Dietrich, Veit 35, 51 Dingel, Irene 9, 16, 19, 134 f., 142 Dollinger, Robert 54, 65 Dresden 35 Ebeling, Gerhard 143 Eber, Paul 17, 99, 107 f. Eck, Johann 66, 83 Eco, Umberto 7 Edenberger, Lukas 22–26 Egnatio, Johann Baptista 11, 13 f., 18, 20, 22 Eisermann, Johannes 21 Elia [Proph.] 67, 75, 113, 145, 154, 160 Epikur 56 ff., 67, 76, 90, 137, 141, 154 Epiphanius von Salamis 49 Erasmus Desiderius (Roterodamus) 13 f., 18–21, 42, 132 Esch, Arnold 5 Eugippius 71 Euripides 20 Eva 81 f. Fabricius, Georg 51 Fabricius, Theodor 23 ff. Fachs, Ludwig 45, 106 Fannius [Praetor], Marcus 141 Feige, Johannes 21 Feldmeier, Reinhard VIII Ferdinand I., König von Böhmen und Ungarn 29 f., 35, 39 f., 51 f., 80, 101 Flacius Illyricus, Matthias VII, 3 ff., 7–11, 13–27, 37, 40, 46, 49–54, 65, 71–74, 76, 78, 80, 82, 85, 93, 96, 99 f., 105–109, 116, 119–130, 132–159, 163–166, 171–185, 187 ff. Förstemann, Karl Eduard 15 f., 119 Foucault, Michel 6 Frank, Christina Melanie Beatrix 8

205

Frankfurt (am Main) 3, 100 Franz I., König von Frankreich 28 Freiberg 40 Friedensburg, Walter 22, 24 ff., 51, 105 ff., 151 Friedrich II. (der Weise) von der Pfalz 31 Fröschel, Sebastian 36 Fuchs, Leonhard 16, 22 Fuhrmann, Manfred 11, 130 Fuller, Daniel 8 Gadamer, Hans-Georg 7, 9, 11, 17 ff. Gallus, Nikolaus 53 f. Ganzer, Klaus 104 Garbicius Illyricus, Mathias 15 ff. Geldenhauer, Gerhard 21 f. Geldsetzer, Lutz 18 ff., 147 Georg III. (der Gottselige) von Anhalt-Dessau 43, 45, 72, 74, 78, 97 f., 118, 129 Gier, Albert 14 Giesecke, Michael 4–7, 54 Glatz, Caspar 101 Gößner, Andreas 22, 151 Graf, Friedrich Wilhelm VIII Grafton, Anthony 11 Gregor VII. (Bischof von Rom) 96 Grice, Herbert Paul 7 Grimm, Gunter E. 7 Gropper, Johann 31, 104 Grossmann, Maria 11 Grynaeus, Simon 15, 20, 22 Gundermann, Iselin 92 Gößner, Andreas VIII Habermas, Jürgen 6 f., 9, 11 Hagenau 28 Haikola, Lauri 164 Halle 116 Hamburg 148 Hamm, Berndt 6 Hammer, Wilhelm 33 Hartfelder, Karl 20 Hartmann, Martina 3 f., 8, 14 f., 71, 96 Hase, Hans Chr. von 8 Hasse, Hans-Peter 38, 54, 107 Haßlinger, Christina 3, 7 f. Haußleiter, Johannes 9, 50, 83, 132 Heinrich II., König von Frankreich 52 Heintzel, Alexander 7 Heldelin, Caspar d.J. 15 f., 21, 108, 136, 148, 151, 153 Helding, Michael 31, 76, 97, 110, 158 Hempelmann, Christian Friedrich VIII Henetus, Theodorus [= Pseud. Flac.] 72–77, 81, 94 f., 97 f., 102

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Anhang

Hentschke, Ada 11 Hermannus, Johannes [= Pseud. Flac.] 78, 80 ff., 84, 86–93, 107 Hermann V. von Wied 29 Hermelink, Heinrich 21 Herrmann, Johannes 42, 53 Hesiod 63, 160 Heusenstamm, Sebastian von 35 Hieronymus, Sophronius Eusebius 20, 49, 124 Hippokrates (von Kos) 86 Hölscher, Lucian 6 Hoffmeister, Johannes 66 Holl, Karl 19, 166 Homer 63, 126 Horatius Flaccus, Quintus 14, 20 Hosea [Proph.] 120 Hovland, Carl I. 11 Hülße, Friedrich 50 Iser, Wolfgang 7 Isinder, Melchior 153 Isingrin, Michael 20 Iulius Caesar, Caius 14, 42, 122 Jäger, Gerhard 11 Jakobus, Alph. [Apost.] 117 f. Jakobus, Zebed. [Apost.] 110, 117 f. Jena 108, 136, 151 Jeremia [Proph.] 155 f. Jerusalem 67, 156 Jesus 66, 89, 117, 126, 149 Joachim II. von Brandenburg 31 f., 43, 51, 77, 92 f., 106 Johann, Ernst I. von Sachsen-Coburg 22 Johann, Friedrich I. (der Großmütige) von Sachsen 22, 28 f., 32, 39, 94 Johann, VIII. von Maltitz 118, 149 Johann, von Brandenburg-Küstrin 28, 99 Johannes, [Evang.] 124 Johannes, Zebed. [Apost.] 117 f. Jonas, Justus 51, 99 Judas [Apost.] 101, 112, 117 Jüterbog 43, 76 ff., 92 f., 97, 101 Junghans, Helmar 11 Kaehler, Siegfried A. 21 Kain 70 Karl V. [Kaiser HRR], König Karl I. von Spanien 21 f., 27–32, 35–40, 44, 46, 50–53, 60, 65, 77, 89, 93, 101, 105, 112, 154 Kassel 23 Kathe, Heinz 11, 17 f., 23 Katte, Maria von 17

Kaufmann, Thomas VII, 3 ff., 9 f., 13, 19, 30, 37 f., 53 f., 57, 59 f., 75, 83, 93 f., 101 f., 108, 112, 132, 134 ff., 139, 142, 151 f., 154, 163, 166 Kawerau, Gustav 31, 37, 41, 51, 53, 76 f., 92 f., 97–102, 105 Keller, Rudolf 9, 18 f., 93, 147 Kenchreai 102 Kesting, Peter 14 Klopsch, Paul 14 Klug, Josef 33, 71 Kluge, Otto 166 Koch, Ernst 9 Köln 3, 23, 29, 31 Köstlin, Julius 17, 26 Kohler, Alfred 28 f. Kolb, Robert 19 Kolossai 20 Komerstadt, Georg 32 ff., 37, 51, 106 Kordi´c, Ivan 17 f. Koselleck, Reinhart 9 Koziol, Klaus 92 Krafft, Adam 21 Kruse, Jens-Martin 60, 79, 84 Kurig, Hans 42 Kuropka, Nicole 17 Laelius, Gaius 13 Lampugnani, Johann Andrea 14 Latomus, Jacobus 20, 66 Lau, Franz 31 Lausberg, Heinrich 7 Lauterwar, Christianus [= Pseud. Flac.] 76, 92–98 Leiner, Martin 17 Leipzig 3, 16, 26, 36, 43 f., 46, 78, 82, 92, 106, 108 f., 111, 114, 116 f., 119 f., 126, 134, 149 Leo X. (Bischof von Rom) 132 Levita, Elias 165 Licinius Archias [Poeta], Aulus 142 Licinius Murena, Lucius 20 Livius, Titus 142 Löwen 51 Lott[h]er, Michael 33, 38, 120, 129 Lucretius Carus, Titus 73 Lübeck 3 Lücke, Friedrich 19 Lufft, Hans 106 Lukas [Evang.] 120, 127 Lupetino, Baldo 15, 22 Luther, Martin VII, 4, 8 f., 16 f., 19, 22, 24 f., 28, 42 f., 50, 53, 59, 61, 65 f., 72 f., 75, 77, 79, 83 f., 98 ff., 104, 106, 109, 114, 120 f., 127,

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Register 132, 134 ff., 142 ff., 148, 150, 152–155, 157–160, 163–166, 172, 177 f., 183, 187 Luther, Matthias 40 Lutz, Joseph 11 Lutz, Robert Hermann 6 Lykurg (Atheniensis) 20 Maccoby, Nathan 166 Magdeburg 3, 10, 18, 29 f., 33, 38, 53, 96 f., 100 f., 104, 109, 114, 120, 132, 145, 152, 163 f., 166, 183 Mahnke, Lutz VIII Mainz 35, 76 Major, Georg 16, 34, 36, 51, 80, 92, 99, 107 f., 118 f., 146 Malvenda, Pedro de 36, 120 Mani 82 Marburg 21 Massner, Joachim 4, 9 Materna, Ingo 92 Matheson, Peter 166 Matthias [Apost.] 112 Maurer, Wilhelm 17, 20 Maximilian von Burgund 22 Medler, Nikolaus 16, 36, 49 Mehlhausen, Joachim 30 f., 39, 74 f., 94–97, 101 Meienburg, Michael 35, 43, 51 Meißen 35, 37, 117, 149 Melanchthon, Philipp 9–13, 16–22, 24 f., 27, 30–46, 49–53, 55, 57, 60 f., 63, 65–72, 77–80, 82–86, 88 f., 92 f., 97, 99, 103–109, 114, 116, 118 ff., 123–126, 128–131, 134 f., 137 f., 142 f., 145–155, 157, 159 f., 163–166 Melchisedek 95 Menius, Justus 101 Merseburg 97 Michael [Archangel.] 157 ff. Milich, Jakob 109, 118, 147 Moeller, Bernd VIII, 4 Mörlin, Maximilian 120 Mohammed 82 Moldaenke, Günter 8, 18 Mordeisen, Ulrich 46 Moritz von Sachsen 29, 32–37, 39 f., 43 f., 46, 51, 72, 92, 106, 118 Moses 60, 102 f., 153, 160 Most, Glenn W. 11 Mühlberg 29 Müller, M. Christian Gottfried 31 Münster, Sebastian 15 Muhlack, Ulrich 11 Musculus, Andreas 100 Möncke, Gisela VIII

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Naumburg 30, 118 Nebukadnezar II. 64, 109 Nero Claudius Caes. Aug. Germanicus 66 f. Neuber, Ulrich 33 Neumeister, Christoff 11 Nischan, Bodo 30, 51 Nordhausen 30, 35, 51 Nürnberg 3, 33, 35, 76 Oesterreich, Peter L. 11 Olson, Oliver Kermit 8 f., 13–17, 19–22, 40, 76, 88, 93, 99 f., 124, 126, 132, 154, 166 Oporinus, Johannes 15 Oppersdorf, Hans von 39 Origenes (Adamantius) 153 Orlamünde 101 Ortelius (Vinshemius), Veit 16 Osiander, Andreas 127 Ot[h]mar, Valentin 33 Otto, Anton 104 Ovidius Naso, Publius 13, 87 Pantaleon, Heinrich 16 Paul III. (Bischof von Rom) 22, 28 f., 46, 52, 62, 65, 101 Paulus (von Tarsus) [Apost.] 67, 75, 81, 83, 90 f., 94 f., 102 ff., 127, 130, 153, 165 f. Pegau 44 ff., 104, 120 f. Peucer, Caspar 109 Pezel, Christoph 34 Pfeffinger, Johannes 34 ff. Pfeiffer, Rudolf 11, 15, 19, 85 Pfeilschifter, Georg 31, 74, 105 Pflug, Julius von 30 f., 45, 76, 104, 110, 118, 132, 149 Pfnür, Vinzenz 65, 104 Philipp, I. (der Großmütige) von Hessen 21 ff., 28 f. Philipp, von Burgund 22 Philippus [Apost.] 117 f. Pick, Bernhard 166 Pindar 20 Platon 12, 19 f., 85 f., 91, 104, 130 f., 133, 188 Poach, Andreas 116 Poliziano, Angelo 85 Pontano, Giovanni 85 Pontius Pilatus 55, 87, 119 Porcius Cato Maior, Marcus 13 Porphyrios 126 Postel, Rainer 30, 53 Preger, Wilhelm 7 ff., 13, 15 f., 21, 31, 37 f., 40, 54, 96, 99, 151 f., 166 Ptolemaeus [= Klaudios Ptolem.] 20

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Anhang

Pythagoras 20 Quintilianus, Marcus Fabius 12 ff., 42, 139, 142, 144 Rabe, Horst 28–31, 35, 38, 64 Raeder, Siegfried 19, 147, 165 Rassow, Peter 28 Regensburg 16, 28, 54, 65, 76, 101, 104, 107, 120 Reventlow, Henning Graf 18 Rhadimus Placentinus, Thomas 114 Ribbe, Wolfgang 92 Ritschl, Albrecht 9 Rödinger, Christian 97, 129 Rolevinc, Albert 50 Rom 20, 42, 62, 77, 122, 131, 148, 160 Roscius Amerino, Sextus 137–140 Salomo [Rex] 20 Scheible, Heinz 9, 18 f., 31 f., 41 f., 51, 53, 114, 134, 145 f. Schenk, Jakob 16 Schilling, Johannes 4 Schilling, Michael 7 Schmid, Wolf 7 Schmidt, Georg 30 Schnackenburg, Rudolf 31 Schubert, Anselm VIII Schulz, Michael 108 Schwarz, Reinhard VIII, 20, 28, 75, 144, 158 f. Schwenckfeld von Ossig, Kaspar 10 Schwolle, Hieronymus 92 f. Seld, Georg Sigmund 35 Septimius Florens Tertullianus, Quintus 14 Servius Honoratius, Maurus 14 Seyffert, Johann Christian 92 Sick, Hansjörg 8, 19 f. Sillem, Carl Hieronymus Wilhelm 50 Simon Petrus [Apost.] 83, 91, 105, 117 f., 139 Sokrates 130, 133, 141 Solon 76 f., 98 Soto, Domingo de 36, 105 Soto, Pedro de 105 Spangenberg, Johannes 43 Sperl, Adolf 11 Steinmann, Martin 15 Stoltz, Johann 26, 42 Talanga, Josip 17 f. Thomas (von Aquin) 165 Thukydides 20, 86 Timotheus 102, 153 Töpfer, Thomas 30, 41

Torgau 43, 51, 72, 106, 108, 111 Trient 28 ff., 32 f., 36, 51 f., 61, 73, 78, 148, 154, 157, 173, 177 Tübingen 15, 17 Tullius Cicero, Marcus 12 ff., 20, 42, 122, 137–142, 144 Twesten, August Detlef Christian 8 f. Ulrich von Württemberg 52 Valla, Lorenzo 19, 42, 85, 131 Veltwyck, Gerard van 104 Venedig 13 ff., 18, 22, 27, 49, 73, 142 Vergil, Polydore 163 Vergilius Maro, Publius 14 Vischer, Friedrich Theodor 11 Voit, Hartmut 53 Wackernagel, Hans Georg 15 Walt(h)er, Hans 38 Waremundus, Johannes [= Pseud. Flac.] 54, 56, 58, 60–65, 67–70, 73, 76, 80 ff., 84, 87, 99, 105, 109, 111 ff., 119, 133 Wartenberg, Günther 30, 41, 43 Weimar 22 Westphal, Joachim 50, 54, 80 Weyrauch, Erdmann 30 Wilhelm V. (der Reiche) von Jülich-Kleve-Berg 28 Wilke, Jürgen 6 f., 11 Wittenberg 3, 10 f., 15 ff., 20–23, 25, 27, 30, 32 f., 35–39, 41, 50 ff., 60, 71, 78, 84 f., 92, 96 f., 99 ff., 105–108, 111, 119 f., 123, 129 ff., 135, 138 f., 141, 143, 145, 147 f., 150, 158 f., 163 f. Wolfenbüttel 17 Wolff, Erwin 7 Wolfhart, Bonifaz 15, 22 Wolgast, Eike 31 f. Worms 28, 101, 104, 109 Wriedt, Markus 11 Xenophon 20, 152 Zedler, Johann Heinrich 15, 26, 32, 45, 50, 71, 100 Zeeden, Ernst Walter 9 Zeitz 31, 44, 118 Zerbst 24 Ziegler, Bernhard 26, 51 Ziegler, Joseph 146 Zobel, Christoph 40 Zovko, Jure 17 f. Zur Mühlen, Karl-Heinz 104 Zwickau 33 f., 116

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