Allgemeine Mikrobiologie [10. unveränderte ed.] 9783132418851

Das Standardwerk der Mikrobiologie – aktuell und umfassend Hier erfährst du alles, was du im Biologiestudium über Mikr

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Allgemeine Mikrobiologie [10. unveränderte ed.]
 9783132418851

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Übersicht 1

Die Mikroorganismen – eine kurze Einführung

26

2

Die Prokaryonta und die prokaryontische Zelle

50

3

Pilze

72

4

Viren

112

5

Die Besonderheiten prokaryontischer Zellen

142

6

Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie

178

7

Wachstum und Ernährung der Mikroorganismen

228

8

Zentrale Stoffwechselwege

258

9

Biosynthesen

294

10

Transport durch die Cytoplasmamembran

334

11

Abbau organischer Verbindungen

354

12

Oxidation anorganischer Verbindungen: chemolithotrophe Lebensweise

388

13

Mikrobielle Gärungen

410

14

Anaerobe Atmung

442

15

Phototrophe Lebensweise

466

16

Regulation des Stoffwechsels und des Zellaufbaus von Bakterien

494

17

Mikrobielle Vielfalt, Evolution und Systematik

532

18

Die Rolle von Mikroorganismen im Stoffkreislauf und in der Natur

598

19

Mikroorganismen als Symbionten und Antagonisten

638

20

Mikroorganismen im Dienste des Menschen: Biotechnologie

684

Anhang

716

Sachverzeichnis

728

Allgemeine Mikrobiologie Herausgegeben von Georg Fuchs Begründet von Hans-Günter Schlegel Mit Beiträgen von Thomas Eitinger Georg Fuchs Johann Heider Börries Kemper Erika Kothe Jörg Overmann Bernhard Schink Erwin Schneider Gottfried Unden

10., unveränderte Auflage 750 Abbildungen

Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Impressum Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 1969, 2017 Georg Thieme Verlag KG Rüdigerstraße 14 70469 Stuttgart Deutschland Telefon: +49/(0)711/8931-0 Unsere Homepage: www.thieme.de

Geschützte Warennamen (Warenzeichen ®) werden nicht immer besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt. Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen oder die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Printed in Germany Zeichnungen: Bitmap, Mannheim Umschlaggestaltung: Thieme Verlagsgruppe Umschlagfoto: Chondromyces robustus; Aufnahme: Hans Reichenbach Redaktion: Dr. rer. nat. Birgit Jarosch Satz: Druckhaus Götz GmbH, Ludwigsburg gesetzt aus Arbortext APP V9.1 Unicode Druck: Firmengruppe APPL, aprinta druck, Wemding ISBN 978-3-13-241885-1

Auch erhältlich als E-Book: eISBN (PDF) 978-3-13-241886-8 eISBN (EPub) 978-3-13-241887-5

4

Wichtiger Hinweis: Wie jede Wissenschaft ist die Medizin ständigen Entwicklungen unterworfen. Forschung und klinische Erfahrung erweitern unsere Erkenntnisse, insbesondere was Behandlung und medikamentöse Therapie anbelangt. Soweit in diesem Werk eine Dosierung oder eine Applikation erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autoren, Herausgeber und Verlag große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angabe dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes entspricht. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag jedoch keine Gewähr übernommen werden. Jeder Benutzer ist angehalten, durch sorgfältige Prüfung der Beipackzettel der verwendeten Präparate und gegebenenfalls nach Konsultation eines Spezialisten festzustellen, ob die dort gegebene Empfehlung für Dosierungen oder die Beachtung von Kontraindikationen gegenüber der Angabe in diesem Buch abweicht. Eine solche Prüfung ist besonders wichtig bei selten verwendeten Präparaten oder solchen, die neu auf den Markt gebracht worden sind. Jede Dosierung oder Applikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers. Autoren und Verlag appellieren an jeden Benutzer, ihm etwa auffallende Ungenauigkeiten dem Verlag mitzuteilen.

1 2 3 4 5 6

Vorwort zur 9. Auflage Nimmt man die Neuauflage in die Hand, so fällt zuerst das große Format auf. Schlägt man das Buch auf, findet man ein übersichtliches, zweispaltiges Layout. Der Verzicht auf die leeren Randspalten der letzten Auflage erlaubte eine beträchtliche Ergänzung des Inhalts bei einer nur geringen Zunahme des Seitenumfangs. Das Buch ist immer noch handlich geblieben und soll es bleiben; das bewährte didaktische Konzept und die hervorragende Bebilderung laden zum Schmökern ein. Neu und besonders wichtig ist das Kapitel über die biologische Vielfalt der Prokaryonten. Hier findet man endlich die von Vielen vermisste Seite-an-Seite-Darstellung der übergeordneten systematischen und physiologischen Einheiten mit den wichtigsten Vertretern, bestens illustriert und in den bisherigen Text integriert. Einige Kapitel wurden inhaltlich erheblich erweitert. Dies gilt besonders für die Kapitel über Regulation, Biotechnologie, Ökologie und medizinische Mikrobiologie sowie den Anhang mit den thermodynamischen Grundlagen. Die Aufteilung des Stoffes unter neun Autoren garantiert zwar eine Aktualität der Darstellung, führt aber auch zu Einbußen in der Kohärenz. An der Verknüpfung der einzelnen Kapitel wurde deshalb intensiv gearbeitet, um Vorgänge, die man gerne im Zusammenhang dargestellt

sähe, nicht allzu sehr aufzutrennen und dennoch Wiederholungen zu vermeiden. Dazu haben wir auch das grundlegende Kapitel Genetik und Molekularbiologie weit vorgezogen und die „Buch-im-Buch“-Kapitel über Viren und Pilze besser integriert. Frau Dr. Karin Hauser vom Thieme-Verlag war wieder unser bewährter „spiritus rector“. Sie hat schwungvoll, hoch kompetent und immer freundlich die Autoren geführt, genauestens die Beiträge redigiert und zahllose treffende Anregungen gegeben. Ihr und ihren Mitarbeitern, vor allem Herrn Manfred Lehnert, danken wir herzlichst. Für Kritik, Anregungen, Beiträge und Bilder sind wir vielen ungenannten Studenten und Kollegen dankbar, besonders August Böck, Stephan Hammer, Bernhard Hauer, Andreas Kappler, Jörg Simon, Johannes Sikorski und Wolfgang Wohlleben. Wir gedenken in Dankbarkeit des verstorbenen Begründers dieses Buches, Hans Günter Schlegel. Autoren und Verlag hoffen, dass das Buch seinen Platz als Standard-Lehrbuch der „Allgemeinen Mikrobiologie“ gefunden hat.

Die Autoren

Juni 2014

5

Vorwort zur 1. Auflage Die Mikrobiologie behandelt vorwiegend die großen Gruppen der Pilze, Bakterien und Viren, die an Mannigfaltigkeit und physiologischen Phänomenen den Objekten der traditionellen Fächer Botanik und Zoologie nicht nachstehen. Zur Lösung der Grundprobleme der allgemeinen Biologie hat das Studium der Mikroorganismen in den letzten Jahren hervorragende Beiträge geleistet. Die leichte Handlichkeit, das rasche Wachstum, das hohe Anpassungsvermögen und andere Eigenschaften haben die Mikroorganismen zu den bevorzugten Objekten der Biochemie und Genetik werden lassen. Den Studierenden der Mikrobiologie stehen die hervorragenden, im Literaturverzeichnis genannten Lehrbücher „Stanier et al., General Microbiology“, „Thimann, Das Leben der Bakterien“ und „Davis et al., Microbiology“ sowie zahlreiche andere Lehr- und Handbücher zur Verfügung. Es fehlte jedoch eine knapp gefasste Darstellung, die nicht nur dem Mikrobiologen eine Übersicht, sondern auch dem Studierenden der Botanik, Zoologie, Pharmazie, Landwirtschaft, Medizin, Chemie und Physik die nötigen Grundkenntnisse der Allgemeinen Mikrobiologie zu vermitteln vermag. Das vorliegende Buch soll den Anforderungen dieses weiten Leserkreises Rechnung tragen. Es soll einen allgemeinen Überblick und spezielle Kenntnisse vermitteln und Anregungen geben. Das Buch setzt gewisse Kenntnisse der Biologie voraus, die beispielsweise in den in der gleichen Reihe herausgegebenen kurzen Lehrbüchern der Botanik und der Zoologie vermittelt werden. Das Buch regt auch dazu an, Grenzgebiete, in erster Linie Allgemeine Biochemie, eingehend zu studieren. Neben einem Skelett der chemischen Grundreaktionen des Stoffwechsels werden hier nur die für Mikroorganismen typischen Stoffwechselreaktionen hinreichend ausführlich dargelegt. Zugunsten einer möglichst eingehenden Darstellung grundlegender Zusammenhänge und Hintansetzung einer mehr beschreibenden Mitteilung konzentriert sich der vorliegende Text auf die Physiologie der Bakterien.

6

Durch das Verständnis molekularer Zusammenhänge ist die Biologie einfacher und leichter überschaubar geworden. Die mannigfaltigen Lebensäußerungen und Stoffwechselleistungen lassen sich auf gemeinsame Ursachen und eine begrenzte Zahl von Elementarstrukturen und -prozessen sowie von Bau- und Stoffwechselplänen zurückführen, deren Kenntnis wiederum auch für den deskriptiven Bereich wertvolle heuristische Prinzipien abzuleiten gestattet. So trägt das Eindringen in die Tiefe für das Verständnis der Breite reiche Frucht. Dank: Für die vielfältige Unterstützung, Kritik und Beratung, die ich von meinen Mitarbeitern D. Claus, U. Eberhardt, G. Gottschalk und N. Pfennig erfahren habe, sei an dieser Stelle besonders gedankt. Einen wesentlichen Anteil an der Arbeit hat Fräulein Dr. K. Schmidt. Ohne ihre Mithilfe bei dem Entwurf der Zeichnungen, bei der Durcharbeitung des Manuskripts und vielen redaktionellen Arbeiten wäre der rechtzeitige Abschluss des Manuskripts nicht möglich gewesen. Herrn L. Schnellbächer danke ich für die sorgfältige und verständnisvolle Ausführung der Zeichnungen. Frau M. Welskop sei für das Schreiben des Manuskripts und die Abfassung des Sachverzeichnisses gedankt. Dank gebührt auch allen Kollegen, die mir unveröffentlichte fotografische Abbildungen überlassen oder Hochglanzabzüge bereits veröffentlichter Abbildungen zur Verfügung gestellt haben. Die großzügige Genehmigung der Wiedergabe dieser Abbildungen durch die Verlagshäuser wird dankbar gewürdigt. Besondere Anerkennung verdient der Georg Thieme Verlag, der es unternommen hat, für die biologischen Wissenschaften eine Reihe außerordentlich preiswerter, gut ausgestatteter einführender Lehrbücher herauszubringen.

H.-G. Schlegel

Göttingen, im November 1968

Anschriften Herausgeber Fuchs, Georg, Prof. Dr. rer. nat. Institut für Biologie II Universität Freiburg Abteilung für Mikrobiologie Schänzlestr. 1 79104 Freiburg Deutschland

Mitarbeiter Eitinger, Thomas, Prof. Dr. rer. nat. Institut für Biologie/Mikrobiologie Humboldt-Universität zu Berlin Chausseestr. 117 10115 Berlin Heider, Johann, Prof. Dr. Philipps Universität Marburg Fachbereich Biologie Karl-von-Frisch-Str. 8 35043 Marburg Kemper, Börries, Prof. Dr. rer. nat. Uni-Center 2915 Luxemburger Str. 124–136 50939 Köln

Kothe, Erika, Prof. Dr. rer. nat. Institut für Mikrobiologie Friedrich-Schiller-Universität Neugasse 25 07743 Jena Overmann, Jörg, Prof. Dr. Leibnitz-Institut, DSMZ GmbH Inhoffenstr. 7B 38124 Braunschweig Schink, Bernhard, Prof. Dr. rer. nat. Fakultät für Biologie Universität Konstanz Universitätsstr. 10 78464 Konstanz Schneider, Erwin, Prof. Dr. rer. nat. Institut für Biologie Humboldt-Universität zu Berlin Physiologie der Mikroorganismen Chausseestr. 117 10115 Berlin Unden, Gottfried, Prof. Dr. rer. nat. Institut für Mikrobiologie und Weinforschung Johannes-Gutenberg-Universität Joh.-Joachim-Becher-Weg 15 55128 Mainz

7

© Sven Hoppe – Fotolia

Kapitel 1 Die Mikroorganismen – eine kurze Einführung

1.1

Überblick

26

1.2

Die Anfänge der Mikrobiologie

26

1.3

Die alten drei Reiche: Tiere, Pflanzen und Protisten

28

1.4

Von den zwei Reichen der Prokaryonten und Eukaryonten zu den drei neuen Reichen

29

1.5

Evolution der Organismen und phylogenetischer Stammbaum

31

1.6

Allgemeine Eigenschaften der Mikroorganismen

34

1.7

Rolle der Mikroorganismen für unseren Planeten Erde

37

1.8

Mikroorganismen als Symbionten

42

1.9

Mikroorganismen im Dienste des Menschen

44

1.10

Mikroorganismen als Gesundmacher – der Mensch als besiedelter Raum

46

Mikroorganismen als Krankheitserreger

46

1.11

Einführung

1 Die Mikroorganismen – eine kurze Einführung Georg Fuchs

1.1 Überblick Die meisten Menschen haben keine rechte Vorstellung von Mikroorganismen; ja, sie verbinden mit ihnen zuerst Krankheitserreger und damit ausschließlich negative Gefühle. Anders der Leser dieses Buches: Er möchte sich über die Welt der unsichtbar kleinen Lebewesen informieren, sei es als Biologe, Chemiker, Landwirt, Mediziner, Biotechnologe, Ernährungswissenschaftler, Lebensmitteltechnologe, Geologe oder Lehrer. Diese Einführung stellt Mikroorganismen als Lebewesen sui generis vor, mit ihrer langen Entwicklungsgeschichte, der bisher nur teilweise bekannten Vielfalt, ihrer scheinbar einfachen Bauart und doch so wirkungsvollen Funktionsweise, der Lebens- und Ernährungsweise, ihren Feinden. Als Schattenreich neben den sichtbaren Tieren und Pflanzen werden Mikroorganismen leicht übersehen. Sie spielen dennoch eine entscheidende Rolle in der Natur, besonders beim Kreislauf der Stoffe, aber auch als Symbionten von höheren Lebewesen. Der Mensch selbst ist ein von Mikroorganismen besiedelter Raum, besonders die Schleimhäute und der Darmtrakt. Für den Menschen haben Mikroorganismen große wirtschaftliche Bedeutung. Zum einen sind es Nützlinge, die im Lebensmittelbereich unseren Alltag bereichern und in der Biotechnologie eine immer größere Rolle spielen. Zum andern sind Mikroorganismen aber auch als Schädlinge verantwortlich für die Zerstörung von Materialien und als Krankheitserreger.

1.2 Die Anfänge der Mikrobiologie Die beiden großen biologischen Disziplinen, die sich mit Pflanzen (Botanik) und Tieren (Zoologie) beschäftigen, hatten sich schon zu Wissenschaften entwickelt, bevor das Mikroskop zur Verfügung stand und bevor das Experiment als Forschungsmethode eingeführt wurde. Was der Mensch mit bloßem Auge erkennen kann, kann er beschreiben, auseinandernehmen, benennen und ordnen. Im Gegensatz dazu bestanden über die Existenz von Mikroorganismen lange Zeit nur Mutmaßungen (Plus 1.1). Von Mikroorganismen konnte man also erst etwas erfahren, nachdem es gelungen war, das unsichtbar Kleine sichtbar zu machen. Die Entdeckung der Bakterien ist Antonie van Leeuwenhoek (1632–1723) aus Delft zu verdanken. Er baute einfachste Mikroskope; es waren eigentlich nur Lupen mit einer einzigen, jedoch recht vollkommen geschliffenen Linse, die eine Vergrößerung bis 270fach zuließ (▶ Abb. 1.1). Damit untersuchte er in harter Arbeit, was immer ihm interessant erschien. So beobachtete er um 1683 in seinem Zahnbelag winzige beweg-

26

Plus 1.1

●V

Wie kam der Mensch auf die Existenz von Mikroorganismen?

Aus der Sicht der heutigen Zeit etwas unverständlich, sind drei zentrale Fragen der Stimulus gewesen, um den Mikroorganismen auf die Spur zu kommen. 1. Gibt es eine Urzeugung von Lebewesen aus unbelebter Materie, und seien es nur kleinste Würmer? 2. Welches Prinzip steckt hinter den Phänomenen Gärung und Fäulnis? 3. Welches Agens verbirgt sich hinter den Ansteckungskrankheiten, Krankheiten, die offensichtlich durch Körperkontakt übertragen werden? Natürlich hatte der Mensch seit Urzeiten Mikroorganismen schon in seine Dienste genommen, ohne von ihnen zu wissen. Die Bereitung von Wein und Essig, das Brauen von Bier, die Verwendung von Bierhefe zum Backen, die Herstellung von Käse oder von Sauerkraut und viele andere Verfahren im Lebensmittelbereich sind nachweislich schon viele Tausend Jahre alt.

liche „Tierchen“. Er schätzte korrekt ab, dass „die Anzahl dieser Tierchen in einem Teilchen davon, nicht dicker als ein Pferdehaar, die Anzahl der Menschen in einem Königreich übersteigt“. Diese und andere Entdeckungen teilte er brieflich der Royal Society in London mit. Die beigefügte Zeichnung lässt klar verschiedene Bakterienformen und sogar die Bewegungsweise erkennen (▶ Abb. 1.1). Sein Werk war seiner Zeit so weit voraus, dass es nahezu 150 Jahre unwirksam blieb. Die Herstellung einfacher Mikroskope und das Mikroskopieren damit blieben Zeitvertreib, ohne wissenschaftlichen Anspruch. Ein bestimmender Biologe des 18. Jahrhunderts, Carl von Linné (1707–1778), hatte in seinem Werk „Systema naturae...“ (1735) noch keinen richtigen Platz für Mikroorganismen. Es bedurfte weiterer Erkenntnisse, der Verfügbarkeit von Farbstoffen und vor allem der Verbesserung des Mikroskops im 19. Jahrhundert, bis eine Wissenschaft von den Mikroorganismen, die Mikrobiologie, entstehen konnte. Brauchbare Mikroskope standen erst ab 1821 und gute Mikroskope mit Ölimmersion erst ab 1878 zur Verfügung. Die 50 Jahre von 1860 bis 1910 werden das klassische Zeitalter der Mikrobiologie genannt. Wichtige methodische Grundlagen und neue wissenschaftliche Konzepte wurden erarbeitet, es gelang die Identifizierung der Erreger gefürchteter Ansteckungskrankheiten, die Gärungsprozesse wurden grundsätzlich verstanden, ja man entwickelte sogar wirksame Impfungen gegen Infektions-

Einführung

1 Die Mikroorganismen – eine kurze Einführung Georg Fuchs

1.1 Überblick Die meisten Menschen haben keine rechte Vorstellung von Mikroorganismen; ja, sie verbinden mit ihnen zuerst Krankheitserreger und damit ausschließlich negative Gefühle. Anders der Leser dieses Buches: Er möchte sich über die Welt der unsichtbar kleinen Lebewesen informieren, sei es als Biologe, Chemiker, Landwirt, Mediziner, Biotechnologe, Ernährungswissenschaftler, Lebensmitteltechnologe, Geologe oder Lehrer. Diese Einführung stellt Mikroorganismen als Lebewesen sui generis vor, mit ihrer langen Entwicklungsgeschichte, der bisher nur teilweise bekannten Vielfalt, ihrer scheinbar einfachen Bauart und doch so wirkungsvollen Funktionsweise, der Lebens- und Ernährungsweise, ihren Feinden. Als Schattenreich neben den sichtbaren Tieren und Pflanzen werden Mikroorganismen leicht übersehen. Sie spielen dennoch eine entscheidende Rolle in der Natur, besonders beim Kreislauf der Stoffe, aber auch als Symbionten von höheren Lebewesen. Der Mensch selbst ist ein von Mikroorganismen besiedelter Raum, besonders die Schleimhäute und der Darmtrakt. Für den Menschen haben Mikroorganismen große wirtschaftliche Bedeutung. Zum einen sind es Nützlinge, die im Lebensmittelbereich unseren Alltag bereichern und in der Biotechnologie eine immer größere Rolle spielen. Zum andern sind Mikroorganismen aber auch als Schädlinge verantwortlich für die Zerstörung von Materialien und als Krankheitserreger.

1.2 Die Anfänge der Mikrobiologie Die beiden großen biologischen Disziplinen, die sich mit Pflanzen (Botanik) und Tieren (Zoologie) beschäftigen, hatten sich schon zu Wissenschaften entwickelt, bevor das Mikroskop zur Verfügung stand und bevor das Experiment als Forschungsmethode eingeführt wurde. Was der Mensch mit bloßem Auge erkennen kann, kann er beschreiben, auseinandernehmen, benennen und ordnen. Im Gegensatz dazu bestanden über die Existenz von Mikroorganismen lange Zeit nur Mutmaßungen (Plus 1.1). Von Mikroorganismen konnte man also erst etwas erfahren, nachdem es gelungen war, das unsichtbar Kleine sichtbar zu machen. Die Entdeckung der Bakterien ist Antonie van Leeuwenhoek (1632–1723) aus Delft zu verdanken. Er baute einfachste Mikroskope; es waren eigentlich nur Lupen mit einer einzigen, jedoch recht vollkommen geschliffenen Linse, die eine Vergrößerung bis 270fach zuließ (▶ Abb. 1.1). Damit untersuchte er in harter Arbeit, was immer ihm interessant erschien. So beobachtete er um 1683 in seinem Zahnbelag winzige beweg-

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Plus 1.1

●V

Wie kam der Mensch auf die Existenz von Mikroorganismen?

Aus der Sicht der heutigen Zeit etwas unverständlich, sind drei zentrale Fragen der Stimulus gewesen, um den Mikroorganismen auf die Spur zu kommen. 1. Gibt es eine Urzeugung von Lebewesen aus unbelebter Materie, und seien es nur kleinste Würmer? 2. Welches Prinzip steckt hinter den Phänomenen Gärung und Fäulnis? 3. Welches Agens verbirgt sich hinter den Ansteckungskrankheiten, Krankheiten, die offensichtlich durch Körperkontakt übertragen werden? Natürlich hatte der Mensch seit Urzeiten Mikroorganismen schon in seine Dienste genommen, ohne von ihnen zu wissen. Die Bereitung von Wein und Essig, das Brauen von Bier, die Verwendung von Bierhefe zum Backen, die Herstellung von Käse oder von Sauerkraut und viele andere Verfahren im Lebensmittelbereich sind nachweislich schon viele Tausend Jahre alt.

liche „Tierchen“. Er schätzte korrekt ab, dass „die Anzahl dieser Tierchen in einem Teilchen davon, nicht dicker als ein Pferdehaar, die Anzahl der Menschen in einem Königreich übersteigt“. Diese und andere Entdeckungen teilte er brieflich der Royal Society in London mit. Die beigefügte Zeichnung lässt klar verschiedene Bakterienformen und sogar die Bewegungsweise erkennen (▶ Abb. 1.1). Sein Werk war seiner Zeit so weit voraus, dass es nahezu 150 Jahre unwirksam blieb. Die Herstellung einfacher Mikroskope und das Mikroskopieren damit blieben Zeitvertreib, ohne wissenschaftlichen Anspruch. Ein bestimmender Biologe des 18. Jahrhunderts, Carl von Linné (1707–1778), hatte in seinem Werk „Systema naturae...“ (1735) noch keinen richtigen Platz für Mikroorganismen. Es bedurfte weiterer Erkenntnisse, der Verfügbarkeit von Farbstoffen und vor allem der Verbesserung des Mikroskops im 19. Jahrhundert, bis eine Wissenschaft von den Mikroorganismen, die Mikrobiologie, entstehen konnte. Brauchbare Mikroskope standen erst ab 1821 und gute Mikroskope mit Ölimmersion erst ab 1878 zur Verfügung. Die 50 Jahre von 1860 bis 1910 werden das klassische Zeitalter der Mikrobiologie genannt. Wichtige methodische Grundlagen und neue wissenschaftliche Konzepte wurden erarbeitet, es gelang die Identifizierung der Erreger gefürchteter Ansteckungskrankheiten, die Gärungsprozesse wurden grundsätzlich verstanden, ja man entwickelte sogar wirksame Impfungen gegen Infektions-

1.2 Die Anfänge der Mikrobiologie

Abb. 1.1 Das Mikroskop des Antonie van Leeuwenhoek (1632–1723). Die kleine bikonvexe Linse ist oben in die Metallplatte eingefasst. Der Dorn dient als Objektträger und lässt sich mit den beiden Schrauben zum Fokussieren bewegen. Das Ganze ist nur etwa 10 cm groß. Seine Zeichnung gibt die kleinen „Tierchen“ wieder – Bakterien, die er damit entdeckte und beobachtete. Die Spur von C nach D gibt die Bewegungsart von B an. (Leeuwenhoek and the early Microscope. Editor Brian Bracegirdle, 1983. Catalogue of an Exhibition in The Science Museum, London 1983.)

krankheiten. Auch praktische Folgerungen wie das Pasteurisieren und andere Anwendungen in großer Zahl ergaben sich. Diese Aufbruchszeit der Biologie ist durch viele hervorragende Persönlichkeiten geprägt, von denen Louis Pasteur (1822–1895) (▶ Abb. 1.2) und Robert Koch (1843–1910) (▶ Abb. 1.3) in der Mikrobiologie am nachhaltigsten gewirkt haben. Pasteur hatte als Chemiker vor allem technische Prozesse im Auge und war maßgeblich an der Entwicklung der Methoden der Hitzesterilisation („Pasteurisieren“) und der Desinfektion beteiligt. Diese Verfahren hatten unmittelbare praktische und bleibende Bedeutung. Für die Mikrobiologie waren keimfreie Medien die wichtigste Voraussetzung für alles Weitere. Er konnte damit überzeugend widerlegen, dass es eine Urzeugung gibt: Eine Brühe bleibt nach Hitzebehandlung steril, während in Kontrollversuchen die gewohnte Gärung oder Fäulnis einsetzt. Seine Gegner hatten gefordert, dass Luft für die Urzeugung nötig sei; also verwendete er Gefäße mit langen, gebogenen, dünnen Hälsen, durch die Luft eindringen konnte („Schwanenhalskolben“), aber Keime aus der Luft abgehalten wurden. Er erkannte, dass die Milchsäuregärung und die alkoholische Gärung wie auch die Umwandlung von Wein zu Essig durch Mikroorganismen verursacht werden. Gärung deutete er als „Leben ohne Sauerstoff“. Er leistete auch wesentliche Beiträge zur Impfung gegen Ansteckungskrankheiten. Impfungen haben mehr Menschenleben gerettet als irgendein anderer medizinischer Fortschritt. Der Engländer Edward Jenner (1749–1823) hatte bereits 1797 die wenig gefährlichen Kuhpocken zum Impfen von Menschen gegen die gefürchteten echten Pocken verwendet. Er verwendete Lymphe aus den Pockenpusteln der Kuh, man spricht noch heute von Vakzination (von lat. vaccinia,

Abb. 1.2 Louis Pasteur (1822–1895). (H. G. Schlegel, Geschichte der Mikrobiologie, Acta Historica Leopoldina, Nr. 28, Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina, Halle 1999.)

Abb. 1.3 Robert Koch (1843–1910). (G. Schlegel, Geschichte der Mikrobiologie, Acta Historica Leopoldina, Nr. 28, Deutsche Akademie der Naturforscher Leopoldina, Halle 1999.)

7

Einführung Kuhpocken). Bevor die Pockenschutzimpfung eingeführt wurde, starb jährlich einer von 140 Menschen an Pocken, noch mehr wurden durch Pockennarben zeitlebens verunstaltet wie Beethoven. Seit 1980 sind die Pocken ausgerottet! Man wusste natürlich noch nicht um die Natur des Ansteckungsprinzips, in diesem Fall das Pockenvirus. In einem spektakulären Versuch impfte Pasteur Schafe mit Proben, die abgetötete Erreger des Milzbrandes enthielten. Infizierte er später die Schafe mit unbehandelten Proben, überlebten alle geimpften Schafe, während die ungeimpften Kontrolltiere an Milzbrand starben. Der Erreger, Bacillus anthracis, ist ein großes, mikroskopisch gut studierbares Bakterium, das im Zusammenhang mit Terroranschlägen in letzter Zeit wieder bekannt geworden ist. Wenn man sich vor Augen hält, dass zwischen Fäulnis einerseits und abschreckenden Ansteckungskrankheiten wie Aussatz (Lepra) andererseits ein offensichtlicher Zusammenhang besteht, versteht man, dass die Zeit damit reif war für die Lösung des Rätsels Ansteckungskrankheiten. Koch hatte als Landarzt naturgemäß ein besonderes Auge für dieses Problem und hat erstmals klar gezeigt, dass Infektionskrankheiten wie Milzbrand, Tuberkulose und Cholera jeweils durch voneinander unterscheidbare Bakterienarten verursacht wurden. Zuvor hatte man angenommen, Bakterien seien eine einzige Art, die verschiedene Formen annehmen kann; solche Formänderungen kannte man z. B. von Pilzen mit Wirts- und Generationswechsel. Zur Beweisführung benötigte Koch feste Nährmedien. Er führte durch Gelatine (später durch Agar) verfestigte Nährbrühen ein, auf denen einzelne Bakterien in kurzer Zeit zu sichtbaren Kolonien heranwuchsen. Diese Koch’sche Plattengusstechnik war die Voraussetzung für das Studium reiner Kulturen und deren Unterscheidung. Zur Unterscheidung haben er und seine Schüler auch Färbemethoden eingeführt, um Bakterien im Gewebe sichtbar zu machen; die Mikrophotographie erlaubte die Dokumentation der Befunde. Im Fall des Tuberkuloseerregers Mycobacterium tuberculosis verwendete Koch in genialer Weise seine neue Plattengusstechnik, neue Färbemethoden und Meerschweinchen als Versuchstiere (Tiermodelle). Die Bedeutung seiner Arbeiten kann man daran ermessen, dass damals jeder siebte gemeldete Todesfall durch Tuberkulose verursacht war. Koch erhielt 1905 den Nobelpreis für Medizin (Methode 1.1). Botaniker waren die Pioniere auf dem Gebiet der allgemeinen Mikrobiologie. Ferdinand Cohn (1828–1898) stellte ein erstes System der Bakterien und Pilze auf. Er erkannte, dass stäbchenförmige Bazillen hitzeresistente Sporen bilden, die selbst Kochen aushalten. Anton de Bary (1831–1888) sind viele Entdeckungen bei Pilzen zu verdanken; er verfasste ein erstes Lehrbuch der Mykologie. Sergej Winogradsky (1856–1953) entdeckte, dass verschiedene Bakterien zum Leben anorganische Verbindungen wie Schwefel oder Ammoniak mit Luftsauerstoff

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Methode 1.1 Die vier Koch’schen Postulate

d ●

Damit ein Bakterium zweifelsfrei als Erreger einer Infektionskrankheit angesehen werden kann, müssen folgende vier Koch’sche Postulate erfüllt sein. 1. Dieses Bakterium muss im kranken Tier oder Menschen nachweisbar sein. 2. Es muss in Reinkultur gebracht werden. 3. Durch Infektion von gesunden Tieren mit dieser Reinkultur muss dieselbe Krankheit hervorgerufen werden können. 4. Zur Kontrolle muss der gleiche Mikroorganismus aus diesem experimentell erkrankten Tier wieder isoliert werden können. Die Postulate unterstreichen die Wichtigkeit von Tiermodellen für die medizinische Mikrobiologie. Allerdings gibt es nicht für jede Infektionskrankheit ein geeignetes Tiermodell.

zu Schwefelsäure bzw. Salpetersäure oxidieren. Sie beziehen den Zellkohlenstoff aus dem CO2 der Luft. Die Entdeckung dieses neuen „modus vivendi“, die Chemolithoautotrophie, war ein Meilenstein in der Mikrobiologie. Martinus Beijerinck (1851–1931) führte das Prinzip der Anreicherungskultur (Selektionskultur) ein. Mit dieser Methode isolierte er sulfatreduzierende anaerobe Bakterien, die eine anaerobe Atmung betreiben, in der Luftsauerstoff durch Sulfat als Oxidationsmittel ersetzt ist. Statt H2O wird dabei H2S gebildet. Er studierte die Stickstoffbindung durch symbiontische Knöllchenbakterien der Leguminosen und durch Bodenbakterien (Azotobacter sp.). Damit erkannte er grundlegende mikrobielle Stoffwechselleistungen. Beijerinck war auch der Entdecker des Tabakmosaikvirus. Diese kurze Einführung in die Geschichte der Mikrobiologie endet hier mit den Anfängen des Faches. Die drei zu Beginn erwähnten Fragen waren beantwortet; neue kamen hinzu. In Kapitel 1.6 wird tabellarisch auf weitere wichtige Entdeckungen und methodische Entwicklungen eingegangen. Ansonsten verweisen wir auf die weitergehende Literatur.

1.3 Die alten drei Reiche: Tiere, Pflanzen und Protisten Die Unterschiede in der Gestalt und im Aufbau von Tier und Pflanze, welche die Einteilung der Lebewesen bis ins 19. Jahrhundert begründeten, sind für jeden Menschen offenkundig. Diese Unterschiede lassen sich auf die grundsätzlichen Verschiedenheiten in der Ernährungsweise zurückführen.

Einführung Kuhpocken). Bevor die Pockenschutzimpfung eingeführt wurde, starb jährlich einer von 140 Menschen an Pocken, noch mehr wurden durch Pockennarben zeitlebens verunstaltet wie Beethoven. Seit 1980 sind die Pocken ausgerottet! Man wusste natürlich noch nicht um die Natur des Ansteckungsprinzips, in diesem Fall das Pockenvirus. In einem spektakulären Versuch impfte Pasteur Schafe mit Proben, die abgetötete Erreger des Milzbrandes enthielten. Infizierte er später die Schafe mit unbehandelten Proben, überlebten alle geimpften Schafe, während die ungeimpften Kontrolltiere an Milzbrand starben. Der Erreger, Bacillus anthracis, ist ein großes, mikroskopisch gut studierbares Bakterium, das im Zusammenhang mit Terroranschlägen in letzter Zeit wieder bekannt geworden ist. Wenn man sich vor Augen hält, dass zwischen Fäulnis einerseits und abschreckenden Ansteckungskrankheiten wie Aussatz (Lepra) andererseits ein offensichtlicher Zusammenhang besteht, versteht man, dass die Zeit damit reif war für die Lösung des Rätsels Ansteckungskrankheiten. Koch hatte als Landarzt naturgemäß ein besonderes Auge für dieses Problem und hat erstmals klar gezeigt, dass Infektionskrankheiten wie Milzbrand, Tuberkulose und Cholera jeweils durch voneinander unterscheidbare Bakterienarten verursacht wurden. Zuvor hatte man angenommen, Bakterien seien eine einzige Art, die verschiedene Formen annehmen kann; solche Formänderungen kannte man z. B. von Pilzen mit Wirts- und Generationswechsel. Zur Beweisführung benötigte Koch feste Nährmedien. Er führte durch Gelatine (später durch Agar) verfestigte Nährbrühen ein, auf denen einzelne Bakterien in kurzer Zeit zu sichtbaren Kolonien heranwuchsen. Diese Koch’sche Plattengusstechnik war die Voraussetzung für das Studium reiner Kulturen und deren Unterscheidung. Zur Unterscheidung haben er und seine Schüler auch Färbemethoden eingeführt, um Bakterien im Gewebe sichtbar zu machen; die Mikrophotographie erlaubte die Dokumentation der Befunde. Im Fall des Tuberkuloseerregers Mycobacterium tuberculosis verwendete Koch in genialer Weise seine neue Plattengusstechnik, neue Färbemethoden und Meerschweinchen als Versuchstiere (Tiermodelle). Die Bedeutung seiner Arbeiten kann man daran ermessen, dass damals jeder siebte gemeldete Todesfall durch Tuberkulose verursacht war. Koch erhielt 1905 den Nobelpreis für Medizin (Methode 1.1). Botaniker waren die Pioniere auf dem Gebiet der allgemeinen Mikrobiologie. Ferdinand Cohn (1828–1898) stellte ein erstes System der Bakterien und Pilze auf. Er erkannte, dass stäbchenförmige Bazillen hitzeresistente Sporen bilden, die selbst Kochen aushalten. Anton de Bary (1831–1888) sind viele Entdeckungen bei Pilzen zu verdanken; er verfasste ein erstes Lehrbuch der Mykologie. Sergej Winogradsky (1856–1953) entdeckte, dass verschiedene Bakterien zum Leben anorganische Verbindungen wie Schwefel oder Ammoniak mit Luftsauerstoff

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Methode 1.1 Die vier Koch’schen Postulate

d ●

Damit ein Bakterium zweifelsfrei als Erreger einer Infektionskrankheit angesehen werden kann, müssen folgende vier Koch’sche Postulate erfüllt sein. 1. Dieses Bakterium muss im kranken Tier oder Menschen nachweisbar sein. 2. Es muss in Reinkultur gebracht werden. 3. Durch Infektion von gesunden Tieren mit dieser Reinkultur muss dieselbe Krankheit hervorgerufen werden können. 4. Zur Kontrolle muss der gleiche Mikroorganismus aus diesem experimentell erkrankten Tier wieder isoliert werden können. Die Postulate unterstreichen die Wichtigkeit von Tiermodellen für die medizinische Mikrobiologie. Allerdings gibt es nicht für jede Infektionskrankheit ein geeignetes Tiermodell.

zu Schwefelsäure bzw. Salpetersäure oxidieren. Sie beziehen den Zellkohlenstoff aus dem CO2 der Luft. Die Entdeckung dieses neuen „modus vivendi“, die Chemolithoautotrophie, war ein Meilenstein in der Mikrobiologie. Martinus Beijerinck (1851–1931) führte das Prinzip der Anreicherungskultur (Selektionskultur) ein. Mit dieser Methode isolierte er sulfatreduzierende anaerobe Bakterien, die eine anaerobe Atmung betreiben, in der Luftsauerstoff durch Sulfat als Oxidationsmittel ersetzt ist. Statt H2O wird dabei H2S gebildet. Er studierte die Stickstoffbindung durch symbiontische Knöllchenbakterien der Leguminosen und durch Bodenbakterien (Azotobacter sp.). Damit erkannte er grundlegende mikrobielle Stoffwechselleistungen. Beijerinck war auch der Entdecker des Tabakmosaikvirus. Diese kurze Einführung in die Geschichte der Mikrobiologie endet hier mit den Anfängen des Faches. Die drei zu Beginn erwähnten Fragen waren beantwortet; neue kamen hinzu. In Kapitel 1.6 wird tabellarisch auf weitere wichtige Entdeckungen und methodische Entwicklungen eingegangen. Ansonsten verweisen wir auf die weitergehende Literatur.

1.3 Die alten drei Reiche: Tiere, Pflanzen und Protisten Die Unterschiede in der Gestalt und im Aufbau von Tier und Pflanze, welche die Einteilung der Lebewesen bis ins 19. Jahrhundert begründeten, sind für jeden Menschen offenkundig. Diese Unterschiede lassen sich auf die grundsätzlichen Verschiedenheiten in der Ernährungsweise zurückführen.

1.4 Von den zwei Reichen der Prokaryonten und Eukaryonten zu den drei neuen Reichen

1.3.1 Tiere Die Tiere ernähren sich von fertigen organischen Substanzen (heterotrophe Ernährungsweise, „sich von anderen ernähren“), die im Inneren des Körpers, im Darmkanal, aufbereitet, verdaut und resorbiert werden. Der Embryonalentwicklung kann man entnehmen, dass diese Körperhöhlung durch Einstülpung der Blastula entsteht. Die tierische Entwicklung zielt auf die Schaffung resorbierender Innenflächen ab. Dieses Bauprinzip ist von den Hohltieren (Hydrozoa; Beispiel: Süßwasserpolyp) bis zu den höchsten Wirbeltieren verwirklicht.

1.3.2 Pflanzen Die Pflanzen sind grundverschieden gestaltet, entsprechend ihrem völlig andersartigen Ernährungstypus. Sie nutzen das Sonnenlicht als Energiequelle und bilden selbst die zum Aufbau ihres Körpers nötigen Substanzen aus anorganischen Stoffen (autotrophe Lebensweise, „sich selbst ernähren“). Die photosynthetisch tätigen, mit den absorbierenden Pigmenten ausgestatteten Zellen und Gewebe sind nach außen hin orientiert und bilden weite Außenflächen. Weitere durchgängige Unterschiede zwischen Tieren und Pflanzen betreffen das Vorhandensein von Zellwänden bei Pflanzen, die Befähigung zur aktiven Bewegung und Ortsveränderung bei Tieren und das Synthesevermögen für bestimmte Substanzen. Pflanzen- und Tierreich waren weitgehend scharf voneinander abzugrenzen, solange über Mikroorganismen wenig bekannt war. Sogar die Pilze haben so viele Merkmale mit den Pflanzen gemeinsam, dass man sie ungeachtet ihrer heterotrophen Ernährungsweise (fälschlich) zu den Pflanzen zählen konnte.

1.3.3 Protisten Schwieriger war zu entscheiden, welchem Organismenreich die Bakterien, Schleimpilze und andere Einzeller zuzuordnen waren. Für das dritte Reich der Lebewesen wurde der Kollektivname Protisten (Urlebewesen) geprägt. So hatte Ernst Haeckel (1866) die gesamte Organismenwelt in drei oberste Hauptgruppen oder Reiche eingeteilt: Tierreich, Pflanzenreich und Protistenreich. Auf der Selektions- und Deszendenztheorie Charles Darwins (1859) aufbauend, fasste Haeckel die damals bekannten Gattungen und Arten von Pflanzen und Tieren unter dem Gesichtspunkt ihrer möglichen Entwicklung zusammen. Er stellte in dem phylogenetischen Stammbaum (▶ Abb. 1.4) dar, wie sich die heute lebenden Organismen aus einer gemeinsamen Wurzel entwickelt haben könnten. Vom Reich der Protisten hatte Haeckel freilich noch keine rechte Vorstellung. Zu den Protisten zählte man Organismen, die sich von Tieren und Pflanzen durch ihre geringe morphologische Differenzierung unterscheiden und von denen die meisten einzellig sind.

1.4 Von den zwei Reichen der Prokaryonten und Eukaryonten zu den drei neuen Reichen Das 19. Jahrhundert hat wesentliche biologische Erkenntnisse gebracht: Die physikalische Grundeinheit der Organismen ist die Zelle; sie ist die kleinste lebensfähige Einheit. Alle Lebewesen stammen von einem gemeinsamen Urahn ab; sie sind in einem Prozess der Evolution aus anorganischer Materie entstanden und mit einander näher oder ferner verwandt. Die Fortschritte der Biologie im 20. Jahrhundert haben zu einer weiteren wesentlichen Erkenntnis geführt, dem Prinzip von der „Einheit in der Biochemie“: Die stoffliche Zusammensetzung ist allen Lebewesen gemeinsam, ein wichtiges Indiz für die gemeinsame Abstammung aller Lebewesen. Desoxyribonukleinsäure (DNA), Ribonukleinsäure (RNA), Proteine und Lipide sind die Grundbestandteile aller Zellen, ATP ist der universelle Energieträger, der genetische Code ist universell.

1.4.1 Die zwei Reiche: Prokaryonten und Eukaryonten Das Studium der Feinheiten der stofflichen Zusammensetzung durch die Biochemie und der Feinstruktur verschiedener Zelltypen durch die Elektronenmikroskopie hat jedoch bemerkenswerte Unterschiede zwischen Bakterien auf der einen Seite und Tieren und Pflanzen einschließlich ihrer mikroskopisch kleinen Vertreter auf der anderen Seite erkennen lassen. Die Unterschiede in ihrer Zellorganisation sind so tiefgreifend, dass man seit etwa 1950 bis 1960 beide Gruppen als die beiden Reiche Prokaryonten und Eukaryonten einander gegenübergestellt hat. Das unterscheidende Merkmal, das leicht zu bestimmen ist, ist das Vorhandensein eines membranumhüllten Zellkerns (griech. karyon oder lat. nucleus) bei den Eukaryonten. Die dargelegten Unterschiede zwischen Tieren und Pflanzen sind dagegen nur als die Folge einer unterschiedlichen Lebensweise zu verstehen; beide Gruppen haben jedoch eine nahe gemeinsame stammesgeschichtliche Wurzel. Die Protisten im Sinne von Haeckel lassen sich dagegen aufgrund ihrer Zellstruktur in zwei scharf voneinander abgrenzbare Gruppen unterteilen: Die höheren Protisten ähneln bezüglich ihres Zellaufbaus den Tieren und Pflanzen; sie sind Eukaryonten. Zu ihnen gehören die Algen, Pilze und Protozoen. Diese Mikroorganismen bilden einen Kosmos für sich, mit vielen verschiedenen Entwicklungslinien im Stammbaum der Eukaryonten. Auf diese faszinierend vielfältigen Gruppen wird teilweise in Kapitel 3 eingegangen. Die Viren sind als nichtzelluläre Teilchen allen Organismen gegenüberzustellen. Sie sind noch kleiner als Bakterien (20–400 nm) und können sich nicht

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1.4 Von den zwei Reichen der Prokaryonten und Eukaryonten zu den drei neuen Reichen

1.3.1 Tiere Die Tiere ernähren sich von fertigen organischen Substanzen (heterotrophe Ernährungsweise, „sich von anderen ernähren“), die im Inneren des Körpers, im Darmkanal, aufbereitet, verdaut und resorbiert werden. Der Embryonalentwicklung kann man entnehmen, dass diese Körperhöhlung durch Einstülpung der Blastula entsteht. Die tierische Entwicklung zielt auf die Schaffung resorbierender Innenflächen ab. Dieses Bauprinzip ist von den Hohltieren (Hydrozoa; Beispiel: Süßwasserpolyp) bis zu den höchsten Wirbeltieren verwirklicht.

1.3.2 Pflanzen Die Pflanzen sind grundverschieden gestaltet, entsprechend ihrem völlig andersartigen Ernährungstypus. Sie nutzen das Sonnenlicht als Energiequelle und bilden selbst die zum Aufbau ihres Körpers nötigen Substanzen aus anorganischen Stoffen (autotrophe Lebensweise, „sich selbst ernähren“). Die photosynthetisch tätigen, mit den absorbierenden Pigmenten ausgestatteten Zellen und Gewebe sind nach außen hin orientiert und bilden weite Außenflächen. Weitere durchgängige Unterschiede zwischen Tieren und Pflanzen betreffen das Vorhandensein von Zellwänden bei Pflanzen, die Befähigung zur aktiven Bewegung und Ortsveränderung bei Tieren und das Synthesevermögen für bestimmte Substanzen. Pflanzen- und Tierreich waren weitgehend scharf voneinander abzugrenzen, solange über Mikroorganismen wenig bekannt war. Sogar die Pilze haben so viele Merkmale mit den Pflanzen gemeinsam, dass man sie ungeachtet ihrer heterotrophen Ernährungsweise (fälschlich) zu den Pflanzen zählen konnte.

1.3.3 Protisten Schwieriger war zu entscheiden, welchem Organismenreich die Bakterien, Schleimpilze und andere Einzeller zuzuordnen waren. Für das dritte Reich der Lebewesen wurde der Kollektivname Protisten (Urlebewesen) geprägt. So hatte Ernst Haeckel (1866) die gesamte Organismenwelt in drei oberste Hauptgruppen oder Reiche eingeteilt: Tierreich, Pflanzenreich und Protistenreich. Auf der Selektions- und Deszendenztheorie Charles Darwins (1859) aufbauend, fasste Haeckel die damals bekannten Gattungen und Arten von Pflanzen und Tieren unter dem Gesichtspunkt ihrer möglichen Entwicklung zusammen. Er stellte in dem phylogenetischen Stammbaum (▶ Abb. 1.4) dar, wie sich die heute lebenden Organismen aus einer gemeinsamen Wurzel entwickelt haben könnten. Vom Reich der Protisten hatte Haeckel freilich noch keine rechte Vorstellung. Zu den Protisten zählte man Organismen, die sich von Tieren und Pflanzen durch ihre geringe morphologische Differenzierung unterscheiden und von denen die meisten einzellig sind.

1.4 Von den zwei Reichen der Prokaryonten und Eukaryonten zu den drei neuen Reichen Das 19. Jahrhundert hat wesentliche biologische Erkenntnisse gebracht: Die physikalische Grundeinheit der Organismen ist die Zelle; sie ist die kleinste lebensfähige Einheit. Alle Lebewesen stammen von einem gemeinsamen Urahn ab; sie sind in einem Prozess der Evolution aus anorganischer Materie entstanden und mit einander näher oder ferner verwandt. Die Fortschritte der Biologie im 20. Jahrhundert haben zu einer weiteren wesentlichen Erkenntnis geführt, dem Prinzip von der „Einheit in der Biochemie“: Die stoffliche Zusammensetzung ist allen Lebewesen gemeinsam, ein wichtiges Indiz für die gemeinsame Abstammung aller Lebewesen. Desoxyribonukleinsäure (DNA), Ribonukleinsäure (RNA), Proteine und Lipide sind die Grundbestandteile aller Zellen, ATP ist der universelle Energieträger, der genetische Code ist universell.

1.4.1 Die zwei Reiche: Prokaryonten und Eukaryonten Das Studium der Feinheiten der stofflichen Zusammensetzung durch die Biochemie und der Feinstruktur verschiedener Zelltypen durch die Elektronenmikroskopie hat jedoch bemerkenswerte Unterschiede zwischen Bakterien auf der einen Seite und Tieren und Pflanzen einschließlich ihrer mikroskopisch kleinen Vertreter auf der anderen Seite erkennen lassen. Die Unterschiede in ihrer Zellorganisation sind so tiefgreifend, dass man seit etwa 1950 bis 1960 beide Gruppen als die beiden Reiche Prokaryonten und Eukaryonten einander gegenübergestellt hat. Das unterscheidende Merkmal, das leicht zu bestimmen ist, ist das Vorhandensein eines membranumhüllten Zellkerns (griech. karyon oder lat. nucleus) bei den Eukaryonten. Die dargelegten Unterschiede zwischen Tieren und Pflanzen sind dagegen nur als die Folge einer unterschiedlichen Lebensweise zu verstehen; beide Gruppen haben jedoch eine nahe gemeinsame stammesgeschichtliche Wurzel. Die Protisten im Sinne von Haeckel lassen sich dagegen aufgrund ihrer Zellstruktur in zwei scharf voneinander abgrenzbare Gruppen unterteilen: Die höheren Protisten ähneln bezüglich ihres Zellaufbaus den Tieren und Pflanzen; sie sind Eukaryonten. Zu ihnen gehören die Algen, Pilze und Protozoen. Diese Mikroorganismen bilden einen Kosmos für sich, mit vielen verschiedenen Entwicklungslinien im Stammbaum der Eukaryonten. Auf diese faszinierend vielfältigen Gruppen wird teilweise in Kapitel 3 eingegangen. Die Viren sind als nichtzelluläre Teilchen allen Organismen gegenüberzustellen. Sie sind noch kleiner als Bakterien (20–400 nm) und können sich nicht

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Einführung

Abb. 1.4 Der erste phylogenetische Stammbaum der Organismen von Ernst Haeckel (1866). Mit Moneres sind die Prokaryonten gemeint. (Ernst Haeckel, Allgemeine Entwicklungsgeschichte der Organismen, Berlin 1866.)

selbst vermehren, sondern bedürfen lebender Zellen zu ihrer Vermehrung (Reproduktion, Kapitel 4). Die Eukaryonten verfügen über einen echten Kern. Dieser enthält den größten Teil des Genoms der eukaryontischen Zelle. Das Genom ist auf einen Satz von Chromosomen verteilt, der nach Verdopplung durch einen als Mitose bezeichneten Vorgang getrennt wird. In den Chromosomen liegt die DNA in Assoziation mit Histonen vor. Die eukaryontische Zelle enthält Organellen, wie die Mitochondrien und (bei Pflanzen) die Chloroplasten; diese enthalten einen anderen, sehr kleinen Teil des Genoms, und zwar in Form ringförmig geschlossener DNA-Moleküle. Daneben gibt es weitere Organellen wie das endoplasmatische Retikulum. Die Ribosomen sind groß (80S).

30

Den Prokaryonten fehlen ein von einer Membran umgebener Kern sowie Organellen. Diese offenkundige Gemeinsamkeit und die einfache mikroskopische Zellstruktur der Prokaryonten täuscht aber eine nahe phylogenetische Verwandtschaft aller Bakterien vor, die nicht existiert, wie wir gleich sehen werden.

1.4.2 Die drei neuen Reiche: Archaea, Bacteria und Eukarya Der heutige Leser kann sich kaum in die Lage von Forschern bis vor wenigen Jahrzehnten versetzen, die sich für die Mannigfaltigkeit, die natürliche Verwandtschaft

1.5 Evolution der Organismen und phylogenetischer Stammbaum

Eukarya

Bacteria

grüne Nicht-SchwefelBakterien

Mitochondrien GramPositive Proteobakterien Chloroplasten Cyanobakterien Flavobakterien

Archaea

Euryarchaeota Methanosarcina Methanobacterium Halophile

Crenarchaeota Methanococcus Thermoproteus Pyrodictium Thermococcus marine Crenarchaeota

Pyrolobus

Korarchaeota

Thermotoga

Entamoebae

Thermodesulfobacterium

Methanopyrus

Thermoplasma

Schleimpilze

Tiere Pilze Pflanzen Ciliaten Flagellaten Trichomonaden

Microsporidien Diplomonaden

Aquifex

Abb. 1.5 Moderner phylogenetischer Stammbaum der Organismen. Die Länge der Äste ist ein Maß für die Veränderungen der Gene der ribosomalen DNA, deren Sequenzvergleich diesem Stammbaum zugrunde liegt. Natürlich berücksichtigt der Stammbaum auch alle anderen charakteristischen wesentlichen Eigenschaften der Organismen.

und die Evolution von Mikroorganismen interessierten. Diese Themen waren Gegenstand kontroverser Spekulationen. Zu einem phylogenetischen Stammbaum der Prokaryonten gelangte man erst, nachdem Carl Woese ab Mitte der 1970er-Jahre die RNA der Ribosomen, die rRNA, einer großen Zahl von Bakterien isoliert und die Sequenz der Basen bestimmt hatte. Aus dem Grad der Ähnlichkeit der Basensequenzen verschiedener Prokaryonten ließ sich die Schlussfolgerung ziehen, dass alle Lebewesen eine gemeinsame Wurzel haben und dass sich die Prokaryonten (synonym mit Bakterien) früh in zwei große Gruppen aufgespalten haben, die Eubakterien (oder Bacteria; nicht Bakterien!) und die Archaebakterien (oder Archaea). Diese beiden Reiche stehen gleichberechtigt neben dem Reich der Eukaryonten (oder Eukarya) (▶ Abb. 1.5). Man hat inzwischen viele weitere molekulare und strukturelle Indizien, welche die neue Theorie stützen. Es ist sogar wahrscheinlich, dass die Archaea aus einer gemeinsamen Entwicklungslinie mit den Eukaryonten abzweigen. Einerseits haben die Archaea eine große Ähnlichkeit mit den Eukaryonten hinsichtlich der Molekularbiologie der Zelle, beispielsweise in der DNA-, RNA- und Proteinsynthese. Andererseits haben Bacteria und Archaea große Ähnlichkeiten in der mikroskopischen Zellstruktur sowie im Energie- und Baustoffwechsel (Plus 1.2).

1.5 Evolution der Organismen und phylogenetischer Stammbaum Der neue phylogenetische Stammbaum, wie er in ▶ Abb. 1.5 gezeigt ist, ist wiederum eine Theorie, die der ständigen Überprüfung und Verbesserung bedarf. Der Stammbaum, das natürliche System, vermittelt den Eindruck eines starren Gebildes. In Wirklichkeit sind aus Gründen der Übersichtlichkeit viele Verflechtungen nicht eingezeichnet. Die Abstammung von Organellen der Eukaryonten von prokaryontischen Vorläufern fehlt, ebenso die enorm wichtige Übertragung von Genen zwischen den einzelnen Entwicklungslinien (lateraler Gentransfer). Natürliche Stammbäume sind äußerst wichtig, denn sie erlauben Vorhersagen. So kann man aus der Aussage, die Kuh ist ein Wirbeltier und gehört zu den Säugetieren/ Paarhufern, bereits viel über ihre Eigenschaften voraussagen, ohne das Tier je gesehen zu haben. Leider schränkt der große Umfang von lateralem Gentransfer bei Prokaryonten das Vorhersagepotenzial des natürlichen Systems wieder ein. Auch über den Zeitraum der frühen biologischen Evolution, in dem sich einzelne Bakteriengruppen entwickelt haben, lässt sich heute etwas aussagen (▶ Abb. 1.6). Die Entwicklung der grundlegenden Stoffwechselwege der Bakterien muss zu einem sehr frühen Zeitpunkt erfolgt sein (Plus 1.3). Das lässt sich aus dem 13C/12C-Isotopenverhältnis des organischen Kohlenstoffs (Corg) schließen, der seit mehr als 3,8 Mrd. Jahren mit den Sedimenten abgelagert wird. Die Isotopenzusammensetzung dieses Corg

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1.5 Evolution der Organismen und phylogenetischer Stammbaum

Eukarya

Bacteria

grüne Nicht-SchwefelBakterien

Mitochondrien GramPositive Proteobakterien Chloroplasten Cyanobakterien Flavobakterien

Archaea

Euryarchaeota Methanosarcina Methanobacterium Halophile

Crenarchaeota Methanococcus Thermoproteus Pyrodictium Thermococcus marine Crenarchaeota

Pyrolobus

Korarchaeota

Thermotoga

Entamoebae

Thermodesulfobacterium

Methanopyrus

Thermoplasma

Schleimpilze

Tiere Pilze Pflanzen Ciliaten Flagellaten Trichomonaden

Microsporidien Diplomonaden

Aquifex

Abb. 1.5 Moderner phylogenetischer Stammbaum der Organismen. Die Länge der Äste ist ein Maß für die Veränderungen der Gene der ribosomalen DNA, deren Sequenzvergleich diesem Stammbaum zugrunde liegt. Natürlich berücksichtigt der Stammbaum auch alle anderen charakteristischen wesentlichen Eigenschaften der Organismen.

und die Evolution von Mikroorganismen interessierten. Diese Themen waren Gegenstand kontroverser Spekulationen. Zu einem phylogenetischen Stammbaum der Prokaryonten gelangte man erst, nachdem Carl Woese ab Mitte der 1970er-Jahre die RNA der Ribosomen, die rRNA, einer großen Zahl von Bakterien isoliert und die Sequenz der Basen bestimmt hatte. Aus dem Grad der Ähnlichkeit der Basensequenzen verschiedener Prokaryonten ließ sich die Schlussfolgerung ziehen, dass alle Lebewesen eine gemeinsame Wurzel haben und dass sich die Prokaryonten (synonym mit Bakterien) früh in zwei große Gruppen aufgespalten haben, die Eubakterien (oder Bacteria; nicht Bakterien!) und die Archaebakterien (oder Archaea). Diese beiden Reiche stehen gleichberechtigt neben dem Reich der Eukaryonten (oder Eukarya) (▶ Abb. 1.5). Man hat inzwischen viele weitere molekulare und strukturelle Indizien, welche die neue Theorie stützen. Es ist sogar wahrscheinlich, dass die Archaea aus einer gemeinsamen Entwicklungslinie mit den Eukaryonten abzweigen. Einerseits haben die Archaea eine große Ähnlichkeit mit den Eukaryonten hinsichtlich der Molekularbiologie der Zelle, beispielsweise in der DNA-, RNA- und Proteinsynthese. Andererseits haben Bacteria und Archaea große Ähnlichkeiten in der mikroskopischen Zellstruktur sowie im Energie- und Baustoffwechsel (Plus 1.2).

1.5 Evolution der Organismen und phylogenetischer Stammbaum Der neue phylogenetische Stammbaum, wie er in ▶ Abb. 1.5 gezeigt ist, ist wiederum eine Theorie, die der ständigen Überprüfung und Verbesserung bedarf. Der Stammbaum, das natürliche System, vermittelt den Eindruck eines starren Gebildes. In Wirklichkeit sind aus Gründen der Übersichtlichkeit viele Verflechtungen nicht eingezeichnet. Die Abstammung von Organellen der Eukaryonten von prokaryontischen Vorläufern fehlt, ebenso die enorm wichtige Übertragung von Genen zwischen den einzelnen Entwicklungslinien (lateraler Gentransfer). Natürliche Stammbäume sind äußerst wichtig, denn sie erlauben Vorhersagen. So kann man aus der Aussage, die Kuh ist ein Wirbeltier und gehört zu den Säugetieren/ Paarhufern, bereits viel über ihre Eigenschaften voraussagen, ohne das Tier je gesehen zu haben. Leider schränkt der große Umfang von lateralem Gentransfer bei Prokaryonten das Vorhersagepotenzial des natürlichen Systems wieder ein. Auch über den Zeitraum der frühen biologischen Evolution, in dem sich einzelne Bakteriengruppen entwickelt haben, lässt sich heute etwas aussagen (▶ Abb. 1.6). Die Entwicklung der grundlegenden Stoffwechselwege der Bakterien muss zu einem sehr frühen Zeitpunkt erfolgt sein (Plus 1.3). Das lässt sich aus dem 13C/12C-Isotopenverhältnis des organischen Kohlenstoffs (Corg) schließen, der seit mehr als 3,8 Mrd. Jahren mit den Sedimenten abgelagert wird. Die Isotopenzusammensetzung dieses Corg

1

Einführung

Plus 1.2

●V

●V

Das Prinzip des miniaturisierten prokaryontischen Organismus

Zeugnisse für frühe Lebensentstehung und die Entstehung der heutigen Eukaryonten

Bacteria und Archaea haben offenbar ein ähnliches einfaches, aber erfolgreiches Organisationsprinzip beibehalten, das des miniaturisierten prokaryontischen Organismus. Die DNA liegt als ringförmig geschlossener Strang im Cytoplasma vor. Dieses Bakterienchromosom ist viel kleiner und die Gene sind viel kompakter angeordnet (mit wenig nichtcodierender DNA) als bei typischen Eukaryonten; es enthält – „stromlinienförmig“ auf hohe Effektivität angelegt – die gesamte zur Vermehrung der Zelle notwendige Information. Die kleinsten Genome freilebender Bakterien haben 1300 Gene (1,3 Mio. Basenpaare). Bakterien mit komplexen Eigenschaften haben bis 8 000 Gene, während symbiontische oder parasitische Arten, die nicht mehr frei existieren können, ihr Genom auf bis zu 500 Gene verkleinert haben. Histonähnliche Proteine und niedermolekulare Verbindungen sorgen für eine kompakte Verpackung; diese muss dennoch garantieren, dass die in einer wachsenden Bakterienzelle gleichzeitig ablaufende Transkription der Gene und die Replikation der DNA reibungslos funktionieren. Daneben können kleine ringförmig geschlossene DNA-Moleküle, sogenannte Plasmide, vorliegen. Diese enthalten zusätzliche genetische Information, sind aber unter Laborbedingungen entbehrlich. Die Vermehrung erfolgt durch Zweiteilung der Zelle. Die prokaryontische Zelle enthält keine Organellen; die Unterteilung der Zelle in distinkte Räume fehlt in der Regel. Aber es gibt auch hier eine Art von Cytoskelett, freilich aus abgewandelten Komponenten aufgebaut und weniger ausgeprägt als bei Eukaryonten. Die Ribosomen sind klein (70S). Die Ribosomen und der Proteinsyntheseapparat sowie die prokaryontische Zellwand sind die Angriffspunkte für mehrere Antibiotika. Diese Antibiotika wirken – wegen der genannten Unterschiede zu den Bacteria – in der Regel nicht auf Archaea, unter denen bisher auch keine pathogenen Arten bekannt geworden sind. Weitere Unterschiede zwischen den drei Reichen werden in Kapitel 2 dargelegt. Die prokaryontische Form ist morphologisch relativ wenig differenziert. Der Gestalt nach lassen sich nur wenige Formen unterscheiden, die sich durchweg auf die Kugel sowie gerade und gekrümmte Zylinder als Grundformen zurückführen lassen. Dieser „Einförmigkeit“ steht aber eine stoffwechselphysiologische Vielseitigkeit und Flexibilität sondergleichen gegenüber.

Man kann das Alter von Sedimentgesteinen, die eventuell frühe Lebensspuren enthalten, recht genau mit der radiometrischen Altersbestimmung ermitteln: Radioaktive Isotope zerfallen zu charakteristischen Tochterisotopen mit einer bestimmten Halbwertszeit. Aus dem Mengenverhältnis Mutter-/Tochterisotop resultiert das Alter der Probe. Das Isua-Sediment in Grönland (3,8 Mrd. Jahre) gilt als das älteste erhaltene Sedimentgestein. Verschiedene Befunde sprechen für eine sehr frühe Lebensentstehung vor vielleicht 3,8 Mrd. Jahren: Kerogen („Geopolymere“) ist ein unlösliches organisches Polymer in Sedimentgestein, das ursprünglich aus biologischer Substanz stammt. Chemofossilien, die sich z. B. von Tetrapyrrolen oder von Steroiden ableiten, sind ein weiteres Indiz für biologischen Ursprung. Schließlich zeigt die biologische Fixierung von Kohlenstoff in organische Moleküle eine geringe, aber gut messbare Bevorzugung des leichteren Kohlenstoffisotops 12C gegenüber dem schwereren Isotop 13C (als Standard für den Vergleich verwendet man die Carbonatsubstanz von fossilen Belemniten). Diese „13C-Diskriminierung“ gibt es bei chemischen Reaktionen nicht. Zur Ausbreitung und evolutionären Aufspaltung der Eukaryonten konnte es erst kommen, als durch die Tätigkeit der Cyanobakterien eine stabile sauerstoffhaltige Atmosphäre entstanden war. Die Endosymbiose eines Eukaryontenvorläufers mit fakultativ aeroben Bakterien aus der Gruppe der Alphaproteobakterien hat vor vielleicht 1,4 Mrd. Jahren zum ersten Mal stattgefunden; damit entstand die erste Eukaryontenzelle. Danach entstand die erste pflanzliche Zelle, indem diese erste Eukaryontenzelle mit einem photosynthetisierenden Cyanobakterium eine Endosymbiose eingegangen ist.

(oder auch Kerogens) ist die gleiche wie die der rezenten autotrophen Bakterien und Pflanzen. Daraus ist zu schließen, dass der im frühen Archaikum in die Sedimente gelangte Corg von autotrophen Bakterien stammt. Aus dem

32

Plus 1.3

Vorkommen charakteristischer Biomoleküle in diesen Sedimenten kann man sogar vorsichtig auf die Produzenten zurückschließen. Wahrscheinlich waren die ersten selbstständigen Lebewesen thermophile anaerobe Bakterien, die in der Lage waren, Energie aus der anaeroben Umsetzung von anorganischen Molekülen zu beziehen. Sie mussten ihre Synthesen von Bausteinen überwiegend aus anorganischem Material bewerkstelligen. Unter den heutigen Archaea und ursprünglichen Bacteria gibt es viele Vertreter, die unter den extremen Bedingungen eines frühen Lebensszenarios existieren: hohe Temperatur; Fehlen von Sauerstoff, organischen Kohlenstoffverbindungen und Licht; Nutzung von vulkanischen Gasen (CO2, H2S, N2, Spuren anderer Gase wie H2 oder CO) und von Mineralien. Stromatolithe („Kissensteine“) (▶ Abb. 1.7a), biogene Sedimentgesteine mit versteinerten Mikrobenmatten, gehö-

1.5 Evolution der Organismen und phylogenetischer Stammbaum

0 Ausbreitung von großen eukaryontischen Lebewesen

Ursprung und Ausbreitung von makroskopischen Eukaryonten 1,0 Ausbreitung der Eukaryonten, Entstehung der sexuellen Fortpflanzung

Zunahme der Vielgestaltigkeit bei Mikrofosslilien Zunahme der Größe kugelförmiger Mikrofossilien

Entstehung von Festigungselementen bei Algen und Metazoen

Ursprung der Eukaryonten 1,5

Ausbreitung der aeroben Prokaryonten

jüngste detritische Uranylerze

2,5 Ausbreitung der anaeroben Prokaryonten

erstes gehäuftes Auftreten verschiedener Stromatolithen erstes Auftreten von Stromatolithen

3,0

früheste Kohlenstoffablagerung mit einem Isotopenverhältnis, das auf Photosyntheseprozesse hindeutet erstes Auftreten von fossilienähnlichen Objekten

3,5

Ursprung der photosynthetisch aktiven Bakterien chemische Evolutionsvorgänge gipfeln in der Bildung der ersten anaeroben Bakterien anorganische Freisetzung geringer Spuren von Sauerstoff

ältestes Sedimentgestein 4,0 ältestes bekanntes kristallines Gestein

Entstehung der Meere und Kontinente Alter des Mondes und der Meteoriten

4,5

Entstehung der Erde

anaerobe Bakterien photosynthetisch aktive Bakterien

erste Mikrofossilien aus Stromatolithen

Entstehung der oxygenen Photosynthese

aerobe Bakterien

erstes Auftreten der Heterozystenähnlichen Zellen

Ausbreitung der sauerstoffreichen Atmosphäre, Entwicklung der aeroben Atmung, Aussterben einiger Anaerobier

Cyanobakterien

2,0

sauerstoffreich

Hauptperiode der gebänderten Eisenformationen

wirbellose Tiere

0,5

erste Lebensspuren von wirbellosen Tieren und erstes Auftreten von großen Algen Abnahme der Vielgestaltigkeit und Häufigkeit von Stromatolithen

Lebens- Prokaryonten Eukaryonten raum

makroskopische Algen

erstes Auftreten von Versteinerungen wirbelloser Tiere

Erklärung

einzellige Algen

erstes Auftreten von wirbellosen Tieren mit Exoskelett und älteste Kieselalgen

Alter [Mrd. Jahre]

sauerstofffrei

Befund

Abb. 1.6 Geologische Zeiträume und Etappen der biologischen Evolution.

Abb. 1.7 a Stromatolithe an der Küste Australiens. (Aufnahme Karin Hauser, Stuttgart) b Geschliffener Schnitt durch einen gebänderten Eisenstein (engl. banded iron formations = BIF’s). (Aufnahme P. K. Strother, Boston)

a

b

ren ebenfalls zu den ältesten Anhaltspunkten für die Datierung biologischer Aktivitäten in der Erdgeschichte; ihre Bildung muss auf die Beteiligung photosynthetisierender autotropher Bakterien zurückgehen. (Heutzutage werden Mikrobenmatten von Tieren abgeweidet, sodass sie nicht diese Ausmaße erreichen.)

Photosynthetische Cyanobakterien muss es schon vor über 2 Mrd. Jahren gegeben haben. Ihre Tätigkeit hat zur Entwicklung von Sauerstoff geführt. Der Sauerstoff wurde jedoch zunächst von reduzierten Eisen(II)-Verbindungen abgefangen, die dabei zur Fe(III)-Stufe oxidiert wurden. Diese fielen als unlösliche Eisenoxide aus und wurden in Randbecken der Weltmeere als rot gebänderte Eisenstei-

3

Einführung ne (engl. banded iron formations = BIF’s) ausgefällt (▶ Abb. 1.7b). Die vorliegenden Erkenntnisse führen zu der Annahme, dass die derzeit lebenden Prokaryonten Nachfahren der ältesten Organismen sind und sich der universale Zellstoffwechsel auf der Stufe der Prokaryonten aus dem letzten gemeinsamen Vorfahren aller Lebewesen entwickelt hat. Prokaryonten haben also eine lange Geschichte und haben drei Viertel der Zeit unseren Planeten Erde geprägt. Erst die Endosymbiose mit Bakterien vor ca. 1,4 Mrd. Jahren hat die Voraussetzung für den Erfolg der Eukaryonten geschaffen. Mehrzellige „höhere“ Eukaryonten gibt es erst seit 750 Mio. Jahren.

1.6 Allgemeine Eigenschaften der Mikroorganismen 1.6.1 Das erfolgreiche Prinzip Kleinheit und große Zahl Das in ihrer Benennung ausgedrückte Kennzeichen der Mikroorganismen ist die geringe Größe des Individuums. Die geringen Abmessungen gaben nicht nur das ursprüngliche Motiv zur Abtrennung der Mikroorganismen von den Tieren und Pflanzen; diese Kleinheit hat auch wesentliche Konsequenzen hinsichtlich der Morphologie, der Aktivität und Flexibilität des Stoffwechsels, der ökologischen Verbreitung und der Handhabbarkeit im Labor (Plus 1.4).

●V

Plus 1.4 Das Prinzip Kleinheit

Die Kleinheit des Individuums entspricht einem enorm erfolgreichen Organisationsprinzip der Bakterien, das gleichberechtigt neben demjenigen der vielzelligen Lebewesen steht. Alle Leistungen, für die ein Vielzeller verschiedene Gewebe oder Organe hat, werden von einer Zelle erbracht: Nahrungsaufnahme und -verdauung, Energiegewinnung, Biosynthesen, Anlage von Speicherstoffen, Aufnahme und Verarbeitung von Umweltreizen, Bewegung, Vermehrung, Entwicklung von Ruhestadien bei ungünstigen Umweltbedingungen.

1.6.2 Größeneinheit Mikrometer, die Elle des Mikrobiologen Der Durchmesser der meisten Bakterien ist nicht größer als ein tausendstel Millimeter, 1 µm (▶ Tab. 1.1). Die kleinsten Bakterien haben einen Durchmesser von knapp 0,2 µm. Der Maßstab des Mikrobiologen ist daher die Größeneinheit Mikrometer (1 μm = 10–3 mm oder 10–6 m); Angaben über die Feinstruktur der Zelle erfolgen in Nanometer (1 nm = 10–9 m oder 10–3 μm). Die Abmessungen eukaryontischer Mikroorganismen wie Hefen und Protozoen liegen bei 10 μm. Das kleinste Bakterium verhält sich zum größten Tier wie der Mensch zum Erdball. Es gibt aber auch wenige „Riesenbakterien“, die eine große Ausnahme darstellen. Manche sind den Wissenschaftlern wegen ihrer spektakulären Größe früh aufgefallen; sie speichern Schwefelkügelchen im Cytoplasma. Die größten Bakterien sind bereits mit bloßem Auge zu sehen. Sie bestehen hauptsächlich aus einer Vakuole zum Speichern von Stoffen. Das menschliche Auge kann zwei Punkte nur dann voneinander unterscheiden, wenn sie mehr als 0,2 mm (= 200 μm) voneinander entfernt sind. Das erklärt, warum erst infolge der Entwicklung leistungsfähiger Mikroskope im 19. Jahrhundert die Wissenschaft der Mikrobiologie aufblühen konnte; damit wurde das Auflösungsvermögen des menschlichen Auges um das 1000fache erweitert, sodass es mithilfe dieses Instruments zwei Punkte mit einem Abstand von etwa 0,2 μm noch unterscheiden kann. Das Elektronenmikroskop hat diese Grenze wiederum 1000fach erweitert und bis in den Bereich unter 1 nm (1 Nanometer) vorgeschoben.

1.6.3 Großes Oberfläche/VolumenVerhältnis und seine Folgen Bei diesen kleinen Organismen ist das Verhältnis von Oberfläche zu Volumen sehr groß. Zerteilt man einen Würfel von 1 cm Kantenlänge (= 1 cm3) in Würfel von 1 μm Kantenlänge, so erhält man 1012 Würfel von je 1 μm3; 1 μm3 ist etwa das Volumen einer mittleren Bakterienzelle. Bei einem spezifischen Gewicht der Zelle von ca. 1 g cm–3 ergibt sich das Gewicht einer Bakterienzelle von ca. 10–12 g. Die Oberfläche dieser kleinen Würfel (Bakterien) ist 10 000fach größer als die des großen Wür-

Tab. 1.1 Einige Unterschiede zwischen pro- und eukaryontischen Zellen. Die Angaben sind Durchschnittszahlen, die Größenordnungen verdeutlichen sollen. Die Atmungsrate wird angegeben in μl O2 verbraucht pro mg Trockensubstanz und Stunde (nach W. Fritsche, Mikrobiologie. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, 2001).

34

Eigenschaft

Bakterien

Hefen

Pflanzliche und tierische Zellen

Durchmesser (μm)

1

10

100

Volumen (μm3)

1

1000

> 10 000

Atmungsrate

1000

100

10–20 (Niere, Leber) 0,5–4 (Wurzel, Blatt)

Generationszeit (h)

0,3–1

2–10

etwa 20

Einführung ne (engl. banded iron formations = BIF’s) ausgefällt (▶ Abb. 1.7b). Die vorliegenden Erkenntnisse führen zu der Annahme, dass die derzeit lebenden Prokaryonten Nachfahren der ältesten Organismen sind und sich der universale Zellstoffwechsel auf der Stufe der Prokaryonten aus dem letzten gemeinsamen Vorfahren aller Lebewesen entwickelt hat. Prokaryonten haben also eine lange Geschichte und haben drei Viertel der Zeit unseren Planeten Erde geprägt. Erst die Endosymbiose mit Bakterien vor ca. 1,4 Mrd. Jahren hat die Voraussetzung für den Erfolg der Eukaryonten geschaffen. Mehrzellige „höhere“ Eukaryonten gibt es erst seit 750 Mio. Jahren.

1.6 Allgemeine Eigenschaften der Mikroorganismen 1.6.1 Das erfolgreiche Prinzip Kleinheit und große Zahl Das in ihrer Benennung ausgedrückte Kennzeichen der Mikroorganismen ist die geringe Größe des Individuums. Die geringen Abmessungen gaben nicht nur das ursprüngliche Motiv zur Abtrennung der Mikroorganismen von den Tieren und Pflanzen; diese Kleinheit hat auch wesentliche Konsequenzen hinsichtlich der Morphologie, der Aktivität und Flexibilität des Stoffwechsels, der ökologischen Verbreitung und der Handhabbarkeit im Labor (Plus 1.4).

●V

Plus 1.4 Das Prinzip Kleinheit

Die Kleinheit des Individuums entspricht einem enorm erfolgreichen Organisationsprinzip der Bakterien, das gleichberechtigt neben demjenigen der vielzelligen Lebewesen steht. Alle Leistungen, für die ein Vielzeller verschiedene Gewebe oder Organe hat, werden von einer Zelle erbracht: Nahrungsaufnahme und -verdauung, Energiegewinnung, Biosynthesen, Anlage von Speicherstoffen, Aufnahme und Verarbeitung von Umweltreizen, Bewegung, Vermehrung, Entwicklung von Ruhestadien bei ungünstigen Umweltbedingungen.

1.6.2 Größeneinheit Mikrometer, die Elle des Mikrobiologen Der Durchmesser der meisten Bakterien ist nicht größer als ein tausendstel Millimeter, 1 µm (▶ Tab. 1.1). Die kleinsten Bakterien haben einen Durchmesser von knapp 0,2 µm. Der Maßstab des Mikrobiologen ist daher die Größeneinheit Mikrometer (1 μm = 10–3 mm oder 10–6 m); Angaben über die Feinstruktur der Zelle erfolgen in Nanometer (1 nm = 10–9 m oder 10–3 μm). Die Abmessungen eukaryontischer Mikroorganismen wie Hefen und Protozoen liegen bei 10 μm. Das kleinste Bakterium verhält sich zum größten Tier wie der Mensch zum Erdball. Es gibt aber auch wenige „Riesenbakterien“, die eine große Ausnahme darstellen. Manche sind den Wissenschaftlern wegen ihrer spektakulären Größe früh aufgefallen; sie speichern Schwefelkügelchen im Cytoplasma. Die größten Bakterien sind bereits mit bloßem Auge zu sehen. Sie bestehen hauptsächlich aus einer Vakuole zum Speichern von Stoffen. Das menschliche Auge kann zwei Punkte nur dann voneinander unterscheiden, wenn sie mehr als 0,2 mm (= 200 μm) voneinander entfernt sind. Das erklärt, warum erst infolge der Entwicklung leistungsfähiger Mikroskope im 19. Jahrhundert die Wissenschaft der Mikrobiologie aufblühen konnte; damit wurde das Auflösungsvermögen des menschlichen Auges um das 1000fache erweitert, sodass es mithilfe dieses Instruments zwei Punkte mit einem Abstand von etwa 0,2 μm noch unterscheiden kann. Das Elektronenmikroskop hat diese Grenze wiederum 1000fach erweitert und bis in den Bereich unter 1 nm (1 Nanometer) vorgeschoben.

1.6.3 Großes Oberfläche/VolumenVerhältnis und seine Folgen Bei diesen kleinen Organismen ist das Verhältnis von Oberfläche zu Volumen sehr groß. Zerteilt man einen Würfel von 1 cm Kantenlänge (= 1 cm3) in Würfel von 1 μm Kantenlänge, so erhält man 1012 Würfel von je 1 μm3; 1 μm3 ist etwa das Volumen einer mittleren Bakterienzelle. Bei einem spezifischen Gewicht der Zelle von ca. 1 g cm–3 ergibt sich das Gewicht einer Bakterienzelle von ca. 10–12 g. Die Oberfläche dieser kleinen Würfel (Bakterien) ist 10 000fach größer als die des großen Wür-

Tab. 1.1 Einige Unterschiede zwischen pro- und eukaryontischen Zellen. Die Angaben sind Durchschnittszahlen, die Größenordnungen verdeutlichen sollen. Die Atmungsrate wird angegeben in μl O2 verbraucht pro mg Trockensubstanz und Stunde (nach W. Fritsche, Mikrobiologie. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, 2001).

34

Eigenschaft

Bakterien

Hefen

Pflanzliche und tierische Zellen

Durchmesser (μm)

1

10

100

Volumen (μm3)

1

1000

> 10 000

Atmungsrate

1000

100

10–20 (Niere, Leber) 0,5–4 (Wurzel, Blatt)

Generationszeit (h)

0,3–1

2–10

etwa 20

1.6 Allgemeine Eigenschaften der Mikroorganismen fels, nämlich 6 m2 gegenüber 6 cm2. Das zeigt, dass Mikroorganismen eine riesige Kontaktfläche mit ihrer Umwelt haben, welche die Stoffaufnahme enorm begünstigt. Diese Eigenschaft ist von Bedeutung, da Mikroorganismen keine Makromoleküle aufnehmen können („sie haben keine Zähne“). Stattdessen scheiden sie Exoenzyme aus, welche die ungelösten makromolekularen Stoffe mit Wasser in Bruchstücke spalten; diese werden dann in die Zelle transportiert. Die meisten Mikroorganismen leben vergesellschaftet auf Oberflächen. Im Boden leben Mikroorganismen häufig in Mikrokolonien. In diesen ist die Individuenzahl groß genug, um ausreichende Mengen von Exoenzymen zu bilden, um lokal die Makromoleküle beispielsweise in einem Stück Holz abbauen zu können. Dennoch machen die Individuen sich noch keine zu große Konkurrenz. In wässrigem Milieu bilden Bakterien oft strukturierte Biofilme auf Oberflächen, welche ihre Ablösung verhindern. Viele photosynthetisierende Bakterien bilden millimeterdicke Matten, in denen nach Licht- und Stoffgradienten geordnet verschiedene Arten – jede an der ihr zusagenden Stelle – ihr Auskommen haben. Die Kleinheit garantiert auch, dass Stoffe innerhalb einer Sekunde alle Orte in der Zelle durch einfache Diffusion erreichen; die Zelle braucht kein Versorgungssystem. Das hohe Oberfläche/Volumen-Verhältnis hat große Wechselwirkungen mit der Umgebung zur Folge und begründet auch den hohen Stoffumsatz mancher Mikroorganismen (▶ Tab. 1.1). Eine einfache Regel besagt, dass der Grundenergieumsatz der Tiere nicht der Masse, sondern ihrer Oberfläche proportional ist. Wenn man diese Regel sinngemäß auf die Verhältnisse bei Geweben und

Plus 1.5 Staunenswerte Leistungsfähigkeit des Stoffwechsels

●V

Ein kleines Gedankenexperiment nötigt großen Respekt vor der potenziellen Stoffwechselleistung von Bakterien, Hefen und Pilzen ab. Nehmen wir an, ein einziges Bakterium der Masse 10–12 g könne sich unter optimaler Nährstoffversorgung einmal je Stunde teilen (eine realistische Annahme; die kürzeste bei Bakterien beobachtete Generationszeit beträgt sogar nur 11 Minuten!). Nach n Teilungen (Generationen) erhält man 2n Bakterien. Nach nur 3 Tagen (3 × 24 = 72 Teilungen) erhält man theoretisch 272 Zellen mit einer Masse von 5 000 t! Nach weniger als 6 Tagen (132 Teilungen) ergibt sich eine Masse von 6 × 1021 t, das Gewicht unseres Planeten. Der hohen Stoffwechselrate der Mikroorganismen steht auch ein hoher Wirkungsgrad gegenüber. Etwa die Hälfte des Substrates wird aerob in Zellmasse eingebaut; ihr Erhaltungsstoffwechsel erfordert wenig Energie. Bakterien können deshalb lange Zeit hungern, um sich dann bei günstigen Bedingungen rasch zu vermehren.

kleinen Zellen anwendet, so müsste man Stoffwechselaktivitäten erwarten, die sich um mehrere Zehnerpotenzen voneinander unterscheiden. ▶ Tab. 1.1 lässt die erwartete Abhängigkeit der Stoffwechselaktivitäten, gemessen am Sauerstoffverbrauch, von der Größe der Gewebe und Zellen erkennen. Entsprechend hoch sind auch die Zuwachsraten der Mikroorganismen. Ein Rind von 500 kg bildet in 24 Stunden etwa 0,5 kg Protein, 500 kg Hefezellen können aber im selben Zeitraum mehr als 50 000 kg Protein produzieren (Plus 1.5).

1.6.4 Stoffwechselvielfalt und individuelle Anpassungsfähigkeit Dem oberflächlichen Betrachter erscheinen Mikroorganismen wegen ihrer geringen Größe und einfachen Bauform als primitive und unterentwickelte Lebewesen. Nimmt man die Vielfalt, Leistungsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit ihres Stoffwechsels, sozusagen die Voraussetzungen für ihr Lebensmetier, als Maßstab für Entwicklung, so ergibt sich ein ganz anderes Bild: Es sind im kleinen Größenmaßstab hoch entwickelte Lebewesen.

Stoffwechselvielfalt Bakterien haben dank ihrer Stoffwechselvielfalt und Anpassungsfähigkeit an physikalische Umweltbedingungen die verschiedensten Lebensformen gefunden (▶ Tab. 1.2). Während Tiere und Pflanzen durchweg Sauerstoff benötigen, sind mehrere Gruppen der Prokaryonten in der Lage, unter Luftabschluss (unter anoxischen Bedingungen) zu leben und die zum Wachstum notwendige Energie durch Gärung oder anaerobe Atmung zu gewinnen. Andere Gruppen vermögen Lichtenergie zu nutzen und ihre Zellsubstanz entweder aus organischen Verbindungen oder aus Kohlendioxid aufzubauen. Wieder andere Bakterien sind zur Energiegewinnung durch Oxidation anorganischer Verbindungen oder Elemente befähigt. Vereinfacht gesagt kann in Bakterien jegliche chemische oder lichtgetriebene Reaktion zur Energiegewinnung ausgenutzt werden, vorausgesetzt, sie ist chemisch und energetisch plausibel und auf der Erde gibt es einen Ort, an dem solche Bedingungen und Verbindungen vorkommen. Weit verbreitet ist auch das Vermögen, molekularen Stickstoff zu fixieren. Dieser physiologischen Vielseitigkeit und Flexibilität, den hohen Syntheseraten und dem raschen Wachstum, dem einfachen Zellaufbau sowie der unkomplizierten Struktur des genetischen Materials ist es zuzuschreiben, dass die Prokaryonten seit mehreren Jahrzehnten zu den bevorzugten Forschungsobjekten der allgemeinen Biologie geworden sind.

5

Einführung Tab. 1.2 Einige mikrobielle Lebensbedingungen und Bezeichnungen für ihre Lebensweise. Aus der Kombination der einzelnen Lebensbedingungen in Verbindung mit den vielfältigen Stoffwechseltypen und genutzten Substraten ergibt sich die Vielfalt der Mikroorganismen und ihrer Leistungen. Die Bevorzugung bestimmter Bedingungen wird mit dem Suffix „-phil“ ausgedrückt, das Tolerieren mit dem Suffix „-tolerant“ (nach W. Fritsche, Mikrobiologie, Spektrum Akademischer Verlag). Lebensbedingung

Mikrobielle Lebensweise

Energiequelle chemische Reaktion

chemotroph

Lichtreaktion

phototroph

Herkunft von Reduktionsäquivalenten organische Verbindungen

organotroph

anorganische Verbindungen

lithotroph

C-Quelle organische Verbindungen

heterotroph

anorganische Verbindungen (CO2)

autotroph

Organismen als Substrat kooperative Interaktion

symbiontisch, mutualistisch

antagonistische Interaktion

parasitisch

abgestorbene Substanz

saprophytisch

Sauerstoff vorhanden, oxisch

aerob

nicht vorhanden, anoxisch

anaerob

geringer Partialdruck, mikrooxisch

mikroaerob

Temperaturbereich mittel (20–45 °C)

mesophil

hoch (45–70 °C)

thermophil

sehr hoch (70–110 °C)

extrem thermophil, hyperthermophil

tief (0–20 °C)

psychrophil (kryophil)

pH-Bereich neutral

neutrophil

tief

acidophil

hoch

alkaliphil

Druck hoch

barophil

osmotischer Druck und Wassergehalt hoher Salzgehalt

halophil

hoher Zuckergehalt

saccharophil

hoher Gehalt osmotisch wirksamer Verbindungen

osmophil

Individuelle Anpassungsfähigkeit Bakterien können bis zu hundert verschiedene Verbindungen als Nahrungsquelle nutzen. Alle Arten zusammengenommen verfügen über ein unvorstellbares Potenzial an enzymkatalysierten Prozessen, die von höheren Pflanzen und Tieren nie erreicht werden. Letztere sind

36

bezüglich ihrer enzymatischen Ausrüstung verhältnismäßig starr. Ihr Bestand an Enzymen verändert sich zwar im Zuge der individuellen Entwicklung, er verändert sich aber bei einem Milieuwechsel nur wenig. Bei Mikroorganismen ist die Flexibilität des Stoffwechsels viel größer. Eine hohe Anpassungsfähigkeit ist eine Notwendigkeit, die sich auf ihre geringen Abmessungen zurückführen lässt. Eine kleine Bakterienzelle bietet nur für einige 100 000 Proteinmoleküle Raum. Nicht benötigte Enzyme können daher nicht vorrätig gehalten werden. Viele der Nährstoffverwertung dienende Enzyme werden nur produziert, wenn der betreffende Nährstoff in der Umgebung der Zelle auftritt. Diese induzierten Enzyme können bis zu 10 % des Proteingehalts der Zelle ausmachen. Zelluläre Regulationsmechanismen spielen also bei Mikroorganismen eine erheblich größere Rolle und geben sich deutlicher zu erkennen als bei anderen Lebewesen.

1.6.5 Rasche genetische Anpassung Die Welt der Mikroorganismen ist nicht nur mit kleinen Größenmaßstäben, sondern auch mit großen Individuenzahlen zu beschreiben. Die unvorstellbar hohe Anzahl an Organismen hat zur Folge, dass ansonsten seltene, vorteilhafte Mutationen relativ häufig vorkommen und sich unter Selektionsdruck rasch durchsetzen können. Ein berüchtigtes Beispiel ist der Erwerb von mehrfachen Antibiotikaresistenzen in Krankenhauskeimen. Der „laterale“ Transfer von Genen selbst über die Art- oder Gattungsgrenze hinweg ist eher die Regel als die Ausnahme. Die Genomsequenzen zeugen eindeutig vom Erwerb vieler Gene, wahrscheinlich über die Hälfte, von außen. Manchmal bilden diese Gene ganze Pakete, sogenannte Genominseln; ein Beispiel dafür sind die Pathogenitätsinseln. Dies sind Gruppen von Genen, die für die notwendigen Eigenschaften codieren, um erfolgreich einen Wirt zu besiedeln. In nahe verwandten nichtpathogenen Stämmen oder Arten fehlen diese Inseln. Der Genaustausch ohne sexuellen Prozess und die folgende Genrekombination ist besonders bei den Bakterien eine wesentliche Triebkraft der Evolution. Man geht sogar so weit, dass man von einem gemeinsamen Genpool einer Art spricht. Ein zentraler Teil davon ist allen Mitgliedern der Art gemeinsam; der andere, oft größere Teil ist auf verschiedene Teilpopulationen verteilt und kann bei Bedarf rasch ausgetauscht und erworben werden.

1.6.6 Verbreitung und Überdauerungsvermögen der Mikroorganismen Die geringen Abmessungen der Mikroorganismen sind auch von ökologischer Bedeutung. Bakterien und Pilze sind allgegenwärtig (Plus 1.6). Man findet sie in arktischen Gebieten, im Wasser und in hohen Luftschichten.

1.7 Rolle der Mikroorganismen für unseren Planeten Erde a

Plus 1.6 Vorkommen von Mikroorganismen und die Technik der Anreicherungskultur

b

Abb. 1.8 Beispiele für extreme Biotope von Mikroorganismen. a Siedender vulkanischer Schlamm. (Aufnahme Georg Fuchs, Freiburg) b Saline mit Kochsalz nahe an der Sättigungsgrenze. (fotolia/ Ramon Grosso)

Die wichtigste Voraussetzung für ihr Leben ist flüssiges Wasser, aber selbst trockenes Brot bietet noch Lebensraum für manche Pilze. In den letzten 30 Jahren sind selbst in extremsten Bereichen der Erde Bakterien entdeckt worden (▶ Abb. 1.8). Bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt (–4 °C) bis knapp über dem Siedepunkt des Wassers (Maximum 113 °C); in pH-Bereichen von 1 (0,1 N Säure!) bis 11, in Trinkwasser wie in 30 %iger Kochsalzlösung oder 20 %iger Zuckerlösung, bei Normaldruck wie bei mehreren Hundert Bar Druck am Meeresboden und Kilometer tief im Erdinneren.

1.6.7 Mikroorganismen als Modellobjekte der Forschung Die Verfahren, nach denen sich Mikroorganismen im Labor kultivieren lassen, sind um 1880 entwickelt worden. Mit Gelatine oder Agar verfestigte, klare Nährböden machten es möglich, einzelne Zellen zu isolieren, ihr Wachstum zu Kolonien zu verfolgen und Reinkulturen zu erhalten. Die Standardisierung der Steril- und Nährbodentechnik führte zur raschen Entwicklung der medizinischen Mikrobiologie. Die geringen Dimensionen der Mikroorganismen erlauben, Populationen von 108–1010 Einzelzellen in einem Reagenzglas oder auf einer einzigen Petrischale zu untersuchen. Damit lassen sich so seltene Ereignisse wie Mutationen oder Merkmalsübertragungen mit geringen Hilfsmitteln und auf engem Raum nachwei-

●V

Ein wesentliches Erfolgsgeheimnis von Mikroorganismen ist, dass sie eingetrocknet oder eingefroren oft lange Zeit lebensfähig bleiben und wegen ihrer Kleinheit leicht verbreitet werden. Unter natürlichen Bedingungen muss daher kein Standort und kein Substrat beimpft werden. Rohmilch enthält bereits ca. 105 Bakterien pro Gramm, Trinkwasser darf nicht mehr als 100 Bakterien pro Gramm enthalten (und muss deshalb manchmal speziell entkeimt werden). Man schätzt, dass 1 g Gartenboden oder Kompost viele Hundert Bakterien- und Pilzarten beherbergt. Die Pilze, die etwa die Hälfte der Lebendmasse eines Gartenbodens ausmachen, sind mit etwa 107 Zellen vertreten. Die Bakterienzahl liegt in der Größenordnung 108–109. Dazu kommen etwa 106 Protozoen und Algen. Dem stehen einige Hundert Nematoden, sowie Würmer, Mollusken und Insekten gegenüber, die vielleicht 10 % der Biomasse ausmachen. Man schätzt, dass im Meer und im Meeressediment 1029 oder mehr Bakterien leben. Die große Artenzahl auf kleinstem Raum macht man sich für die Anreicherungskultur zunutze. Im Allgemeinen genügt 1 g eines Gartenbodens, um ein Bakterium zu finden, das einen beliebigen Naturstoff zu verwerten vermag. Mikroorganismen sind überall; nur das Milieu entscheidet, welcher Typ zur Vermehrung kommt. Durch Herstellung entsprechend selektiver Bedingungen in einem Reagenzglas lassen sich die meisten bekannten Mikroorganismen aus einem kleinen Quantum Erde oder Schlamm, in speziellen Fällen auch aus anderem Standortmaterial, in Anreicherungskultur und daraus in Reinkultur bringen. Dennoch kennt man bisher nur einen Bruchteil der existierenden Arten.

sen. Seit den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts sind Mikroorganismen bei der Aufklärung der elementaren Lebensprozesse unentbehrlich geworden. Ohne sie gäbe es keine moderne Biochemie, Genetik oder Molekularbiologie. ▶ Tab. 1.3 fasst einige Meilensteine der Forschung an und mit Mikroorganismen zusammen.

1.7 Rolle der Mikroorganismen für unseren Planeten Erde Ihrer Rolle und Funktion im Naturhaushalt entsprechend teilt man die Organismen in drei Gruppen ein. Die Grünen Pflanzen, aber auch phototrophe Bakterien, produzieren unter Verwertung von Sonnenenergie und Kohlendioxid organische Substanz (sowie Sauerstoff) und werden als Produzenten bezeichnet. Es sei jedoch daran erinnert, dass Prokaryonten während drei Viertel unserer

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1.7 Rolle der Mikroorganismen für unseren Planeten Erde a

Plus 1.6 Vorkommen von Mikroorganismen und die Technik der Anreicherungskultur

b

Abb. 1.8 Beispiele für extreme Biotope von Mikroorganismen. a Siedender vulkanischer Schlamm. (Aufnahme Georg Fuchs, Freiburg) b Saline mit Kochsalz nahe an der Sättigungsgrenze. (fotolia/ Ramon Grosso)

Die wichtigste Voraussetzung für ihr Leben ist flüssiges Wasser, aber selbst trockenes Brot bietet noch Lebensraum für manche Pilze. In den letzten 30 Jahren sind selbst in extremsten Bereichen der Erde Bakterien entdeckt worden (▶ Abb. 1.8). Bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt (–4 °C) bis knapp über dem Siedepunkt des Wassers (Maximum 113 °C); in pH-Bereichen von 1 (0,1 N Säure!) bis 11, in Trinkwasser wie in 30 %iger Kochsalzlösung oder 20 %iger Zuckerlösung, bei Normaldruck wie bei mehreren Hundert Bar Druck am Meeresboden und Kilometer tief im Erdinneren.

1.6.7 Mikroorganismen als Modellobjekte der Forschung Die Verfahren, nach denen sich Mikroorganismen im Labor kultivieren lassen, sind um 1880 entwickelt worden. Mit Gelatine oder Agar verfestigte, klare Nährböden machten es möglich, einzelne Zellen zu isolieren, ihr Wachstum zu Kolonien zu verfolgen und Reinkulturen zu erhalten. Die Standardisierung der Steril- und Nährbodentechnik führte zur raschen Entwicklung der medizinischen Mikrobiologie. Die geringen Dimensionen der Mikroorganismen erlauben, Populationen von 108–1010 Einzelzellen in einem Reagenzglas oder auf einer einzigen Petrischale zu untersuchen. Damit lassen sich so seltene Ereignisse wie Mutationen oder Merkmalsübertragungen mit geringen Hilfsmitteln und auf engem Raum nachwei-

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Ein wesentliches Erfolgsgeheimnis von Mikroorganismen ist, dass sie eingetrocknet oder eingefroren oft lange Zeit lebensfähig bleiben und wegen ihrer Kleinheit leicht verbreitet werden. Unter natürlichen Bedingungen muss daher kein Standort und kein Substrat beimpft werden. Rohmilch enthält bereits ca. 105 Bakterien pro Gramm, Trinkwasser darf nicht mehr als 100 Bakterien pro Gramm enthalten (und muss deshalb manchmal speziell entkeimt werden). Man schätzt, dass 1 g Gartenboden oder Kompost viele Hundert Bakterien- und Pilzarten beherbergt. Die Pilze, die etwa die Hälfte der Lebendmasse eines Gartenbodens ausmachen, sind mit etwa 107 Zellen vertreten. Die Bakterienzahl liegt in der Größenordnung 108–109. Dazu kommen etwa 106 Protozoen und Algen. Dem stehen einige Hundert Nematoden, sowie Würmer, Mollusken und Insekten gegenüber, die vielleicht 10 % der Biomasse ausmachen. Man schätzt, dass im Meer und im Meeressediment 1029 oder mehr Bakterien leben. Die große Artenzahl auf kleinstem Raum macht man sich für die Anreicherungskultur zunutze. Im Allgemeinen genügt 1 g eines Gartenbodens, um ein Bakterium zu finden, das einen beliebigen Naturstoff zu verwerten vermag. Mikroorganismen sind überall; nur das Milieu entscheidet, welcher Typ zur Vermehrung kommt. Durch Herstellung entsprechend selektiver Bedingungen in einem Reagenzglas lassen sich die meisten bekannten Mikroorganismen aus einem kleinen Quantum Erde oder Schlamm, in speziellen Fällen auch aus anderem Standortmaterial, in Anreicherungskultur und daraus in Reinkultur bringen. Dennoch kennt man bisher nur einen Bruchteil der existierenden Arten.

sen. Seit den fünfziger Jahren des 20. Jahrhunderts sind Mikroorganismen bei der Aufklärung der elementaren Lebensprozesse unentbehrlich geworden. Ohne sie gäbe es keine moderne Biochemie, Genetik oder Molekularbiologie. ▶ Tab. 1.3 fasst einige Meilensteine der Forschung an und mit Mikroorganismen zusammen.

1.7 Rolle der Mikroorganismen für unseren Planeten Erde Ihrer Rolle und Funktion im Naturhaushalt entsprechend teilt man die Organismen in drei Gruppen ein. Die Grünen Pflanzen, aber auch phototrophe Bakterien, produzieren unter Verwertung von Sonnenenergie und Kohlendioxid organische Substanz (sowie Sauerstoff) und werden als Produzenten bezeichnet. Es sei jedoch daran erinnert, dass Prokaryonten während drei Viertel unserer

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Einführung Tab. 1.3 Einige Meilensteine der Forschung an und mit Mikroorganismen.

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Jahr

Forscher

Entdeckung, Konzept, Methode

1684

Antonie van Leeuwenhoek

Bakterien

1798

Edward Jenner

Impfung gegen Pocken

1837

Theodor Schwann, Friedrich T. Kützing

alkoholische Gärung durch Hefen

1847

Ignaz Semmelweis

Desinfektion zur Vermeidung von Kindbettfieber

1857

Louis Pasteur

Mikrobiologie der Milchsäuregärung

1860

Louis Pasteur

Rolle der Hefe in der alkoholischen Gärung

1864

Louis Pasteur

Kontroverse über die Urzeugung beigelegt

1866

Anton de Bary Ernst Haeckel

erstes Lehrbuch der Mykologie, Pilzreinkultur 1870 Begriff Protisten

1867

Joseph Lister Simon Schwenderer

Prinzipien zur Keimfreiheit in der Chirurgie Flechtensymbiose

1872

Ferdinand J. Cohn

hitzeresistente Bakteriensporen

1881

Robert Koch

Methoden, um Bakterien in Reinkultur zu untersuchen

1882

Robert Koch

Tuberkuloseerreger

1884

Robert Koch

Koch’sche Regeln und Choleraerreger

1884

Hans Christian Gram

Gramfärbung

1886

Hermann Hellriegel, Hermann Wilfarth

Erkennung der N2-Fixierung

1889

Sergej Winogradsky

Konzept der Chemolithotrophie

1889/1897

Martinus Beijerinck Friedrich Loeffler

Viruskonzept am Tabakmosaikvirus Maul- und Klauenseuche als Viruskrankheit

1890

Sergej Winogradsky

autotrophes Wachstum chemolithotropher Bakterien

1897

Eduard Buchner

alkoholische Gärung durch zellfreien Hefepresssaft

1901

Martinus Beijerinck

Anreicherungskultur

1908

Paul Ehrlich

Chemotherapeutische Agenzien

1917

Felix D’Herelle

Bakteriophagen

1926

Albert J. Kluyver

Konzept der Einheit in der Biochemie

1928

Frederick Griffith

Pneumokokken-Transformation

1929

Alexander Fleming

Penicillin

1932

Cornelis B. van Niel

Verständnis der Photosynthese

1934

Ernst Ruska

Elektronenmikroskop

1935

Frits Zernicke

Phasenkontrastmikroskop

1944

Oswald Avery, Colin MacLeod, Maclyn McCarty

DNA ist das genetische Material

1944

Selman A. Waksman, Albert Schatz

Streptomycin

1946

Edward L. Tatum, Joshua Lederberg, George W. Beadle

Konjugation von Bakterien Ein-Gen-ein-Enzym-Hypothese

1951/1952

Barbara McClintock Joshua Lederberg

Transposons DNA-Transduktion

1953

James D. Watson, Francis Crick, Rosalind Franklin

DNA-Struktur

1957

Roger Stanier

Lehrbuch „The microbial world”

1959

Arthur Pardee, François Jacob, Jacques Monod

Genregulation durch einen Repressor

1960

François Jacob, David Perrin, Carmen Sanchez, Jacques Monod

Operonkonzept

1962

Cornelis B. van Niel

Konzept eines Bakteriums

1966

Marshall W. Nirenberg, Har Gobind Khorana

Genetischer Code

1967

Thomas Brock

Bakterien in Quellen mit siedendheißem Wasser

1986

Werner Arber

Restriktionsendonukleasen

1969

Howard M. Temin, David Baltimore, Renato Dulbecco

Retroviren und Reverse Transkriptase

1975

Georg Köhler, César Milstein

monoklonale Antikörper

1977

Carl Woese, George E. Fox

Archaea, natürlicher Stammbaum

1.7 Rolle der Mikroorganismen für unseren Planeten Erde Tab. 1.3 Fortsetzung Jahr

Forscher

Entdeckung, Konzept, Methode

1977

Frederick Sanger, Steve Nicklen, Alan R. Coulson

Methoden der DNA-Sequenzierung

1982

Karl Otto Stetter

extrem thermophile Bakterien

1983

Luc Montagnier

HIV (der Erreger von AIDS)

1988

Kary Mullis

Polymerasekettenreaktion (PCR)

1995

Craig Venter, Hamilton O. Smith

vollständige Sequenz eines bakteriellen Genoms

Erdgeschichte, als es noch keine Pflanzen und Tiere gab, eine sauerstoffhaltige Atmosphäre und eine bewohnbare Erde geschaffen haben. Sauerstoff ermöglichte auch die Bildung von zwei Dritteln der 4 500 Mineralien. Die Biosphäre und die Geosphäre entwickelten sich also gemeinsam. Die Tiere sind die Konsumenten; sie verbrauchen einen großen Teil der primären Biomasse zur Energiegewinnung, einen kleineren Teil zur Synthese ihrer Körpersubstanz. Tiere und Pflanzen fallen schließlich einem Abbau anheim, bei dem die organische Substanz in mineralische, anorganische Verbindungen überführt wird. An diesem als Mineralisation bezeichneten Vorgang sind in erster Linie Pilze und Bakterien beteiligt; sie fungieren im Naturhaushalt als Destruenten. Pilze spielen ausschließlich im Boden eine Rolle, während Bakterien in Böden und Gewässern vorkommen. Die Bioelemente machen also Kreisläufe durch (Plus 1.7). An dieser Stelle wird kurz auf die biogeochemischen Kreisläufe des Kohlenstoffs, Stickstoffs, Phosphors und Schwefels eingegangen.

Plus 1.7 Stoffkreislauf

●V

Die Rolle der Mikroorganismen als Katalysatoren in einem Kreislaufprozess ist darauf zurückzuführen, dass manche aerobe Bakterien (solche, die eine Sauerstoffatmung haben) reduzierte anorganische Verbindungen wie H2S, NH3 oder CH4 mit Sauerstoff oxidieren können und daraus ihre Lebensenergie beziehen. Andere, anaerobe Bakterien (solche, die ohne Sauerstoff leben) können wiederum unter Sauerstoffausschluss die oxidierten Produkte der ersteren, wie Sulfat, Nitrat oder CO2, anstelle von Sauerstoff in einer anaeroben Atmung verwenden. Die reduzierten Produkte H2S, NH3 oder CH4 diffundieren wieder in die Zone mit Sauerstoff und der Kreislauf ist geschlossen. Dieser Kreislauf wird letztlich angetrieben durch die Energie, welche aus dem Sonnenlicht stammt und durch Photosynthese in den organischen Verbindungen gebunden wird.

1.7.1 Kreislauf des Kohlenstoffs An erster Stelle steht der Kohlenstoff, von dem etwa 2 × 1012 t in lebender Biomasse fixiert sind, etwa gleich viel, wie Kohlenstoff im CO2 der Luft enthalten ist. Im Kreislauf des Kohlenstoffs erfüllen die Mikroorganismen ihre für die Erhaltung des Lebens auf der Erde bedeutendste Funktion (▶ Abb. 1.9).

Mineralisierung des Kohlenstoffs Mikroorganismen sorgen für die Mineralisierung des Kohlenstoffs, der durch die Grünen Pflanzen in organische Bindung übergeführt wurde, und damit für die Erhaltung eines sehr delikaten Gleichgewichts. Die atmosphärische Luft enthält nur 0,039 % Kohlendioxid (13 μmol gelöstes CO2 pro l Wasser bei pH = 7 und 20 °C). Die photosynthetische Leistung der Grünen Pflanzen (aber auch autotropher Bakterien) ist so groß (ca. 2 × 1011 t CO2 fixiert pro Jahr), dass sich der Kohlendioxidvorrat der Atmosphäre (ca. 9,5 × 1012 t CO2) innerhalb von 10 bis 20 Jahren erschöpfen würde. Das ist eine für unsere Zeitmaße relativ kurze Spanne. Im Gegensatz dazu schätzt man, dass die fossilen Kohlenstoffvorräte der Erde mehrere Jahrhunderte ausreichen (Methanhydrate in den Sedimenten mit ca. 2,7 × 1013 t C, Kohle, Erdöl, Ölschiefer und Erdgas mit ca. 1 × 1013 t C). Selbst wenn man den CO2-Vorrat der Ozeane (ca. 1,3 × 1014 t C) in Rechnung stellt, so würde der Kohlendioxidvorrat nur etwa 2000 Jahre vorhalten. Die Grünen Pflanzen müssten ihre Kohlendioxidfixierung bald einstellen, wenn niedere Tiere und Mikroorganismen nicht durch fortwährende Mineralisation der organischen Substanz für eine Regeneration des Kohlendioxids sorgen würden. Ein Beispiel für die Mineralisierung im Kleinen ist der Komposthaufen. Den Bakterien und Pilzen des Bodens kommt im globalen Stoffhaushalt keine mindere Bedeutung zu als den photosynthetisch tätigen Grünen Pflanzen. Die gegenseitige Abhängigkeit aller Lebewesen auf der Erde wird im Kohlenstoffkreislauf am deutlichsten. Ein geringer Teil des mineralisierten Kohlenstoffs (1– 1,5 %) erreicht die Atmosphäre nicht als CO2, sondern in Form von Methan. Dieses Gas und andere Spurengase (H2, CO, N2O) werden durch die OH-Radikale der Luft, das „Persil der Atmosphäre“, oxidiert. Das Meer scheint auf den ersten Blick eine gewaltige Reserve an Kohlendioxid darzustellen. Jedoch ist die Austauschgeschwindigkeit des

9

Einführung

Abb. 1.9 Der Kreislauf des Kohlenstoffs. Erklärung siehe Text.

Lufthülle der Erde 2600 ×109 t CO2 Photosynthese 129 ×109 t CO2 Atmung 37 × 109 t CO2

Verbrennung 18 × 109 t CO2

Mineralisation 92 × 109 t CO2

Austausch

CO Pflanzen

CH4

aerob

anaerob

Mikroorganismen

Kohle, Erdgas, Petroleum 10 000 ×109 t CO2 Sedimente 10 - 2500000 ×109 t CO2

Phytoplankton Atmung 146 × 109 t CO2 Mineralien Ozeane

atmosphärischen Kohlendioxids mit dem Kohlendioxid des Meeres, das zu über 90 % in Form von HCO3– vorliegt, sehr gering; pro Jahr wird nur ein Zehntel des Luftkohlendioxids mit einer dünnen Oberflächenschicht des Meeres ausgetauscht.

Kohlendioxidfixierung An dem biochemischen Mechanismus der photosynthetischen Kohlendioxidfixierung durch die Grünen Pflanzen sind in erster Linie Zucker und verwandte Verbindungen beteiligt. Die Masse des fixierten Kohlenstoffs wird in Form von polymeren Zuckern in den Hölzern und Gräsern vorübergehend festgelegt; nahezu 60 % des auf dem Land fixierten Kohlendioxids führt zur Produktion von Holz. Die Holzsubstanz besteht zu 75 % aus Polysacchariden (Cellulose, Hemicellulose, Stärke, Pectine und Arabinogalactane) und zu wenig mehr als 20 % aus Lignin und Lignanen; der Proteingehalt ist gering (1 %). Bei Gräsern und krautigen Pflanzen ist der Anteil an Polysacchariden noch höher. Das Vorherrschen der Polysaccharide unter den Assimilationsprodukten der Grünen Pflanzen begründet die große Bedeutung der Zucker als Nährstoffe für alle auf organische Nahrung angewiesenen Lebewesen. Glucose und andere Zucker sind in Form ihrer Polymere nicht nur die mengenmäßig überwiegenden Substrate des Mineralisationsprozesses in der Natur, sondern als Monomere auch die bevorzugten Nährstoffe für die meisten Mikroorganismen.

40

Photosynthese

130000 ×109 t CO2

1.7.2 Kreislauf des Stickstoffs Im Mittelpunkt des Stickstoffkreislaufs (▶ Abb. 1.10) steht Ammonium. Dieses ist das Produkt des Abbaus von Protein, das mit der abgestorbenen Tier- und Pflanzensubstanz in den Boden gelangt ist. In gut durchlüfteten Böden unterliegt das Ammonium der Nitrifikation; durch Nitrosomonas- und Nitrobacter-Arten wird Ammonium zu Nitrit und Nitrat oxidiert. Sowohl Ammonium als auch Nitrat können von den Pflanzen als Stickstoffquelle verwertet und assimiliert werden. Liegt Nitrat unter Sauerstoffabschluss vor, kommt es zur Stickstoffentwicklung (Denitrifikation). Die beteiligten Bakterien benutzen dabei Nitrat als Sauerstoffquelle (Wasserstoffakzeptor). Sie „atmen“ also mit NO3– anstelle von O2; man spricht daher von „Nitratatmung“. Die Denitrifikation führt zu Stickstoffverlusten im Boden. Nur Prokaryonten sind zur Stickstofffixierung befähigt. Die Stickstofffixierung und die Humusbildung im Zuge des Abbaus von organischem Material sind die Grundlage für die Bodenfruchtbarkeit. Humus entsteht beim aeroben Abbau von Pflanzenmaterial und ist ein hochmolekulares komplexes Zufallsprodukt aus dem aromatischen Grundgerüst des Lignins.

1.7.3 Kreislauf des Phosphors Phosphor ist häufig das wachstumsbegrenzende Element. Er liegt in der Biosphäre nahezu ausschließlich als Phosphat vor. In den Organismen ist Phosphorsäure meist als Ester gebunden. Die Ester werden nach Absterben der Zellen rasch gespalten, und Phosphat-Ionen werden frei. Die Phosphatkonzentration im Boden, im Süßwasser und im Meer ist oft sehr gering (bis 1 nM!); zudem werden

1.7 Rolle der Mikroorganismen für unseren Planeten Erde

N2

NH3 + HNO3 Niederschläge

Abb. 1.10 Der Kreislauf des Stickstoffs. Erklärung siehe Text.

N2

biologische N2-Bindung

nicht symbiontische

symbiontische

Proteine Pflanzen Mikroorganismen

Proteolyse

Proteine Pflanzen Tiere

assimilatorische Nitratreduktion

Proteolyse

Denitrifikation N2O NO

Spaltprodukte

NH4+

Nitrifikation

NO3-

Humus

Phosphate durch Bildung unlöslicher Salze (Apatit und Schwermetallkomplexe) meistens rasch festgelegt. Dagegen gelangen lösliche Düngerphosphate vielerorts in Fließgewässer und Seen. Da deren Konzentration an Eisen-, Calcium- und Aluminium-Ionen häufig nicht hoch

ist, bleibt Phosphat löslich und führt somit zur Eutrophierung der Gewässer, insbesondere zur Begünstigung stickstofffixierender Cyanobakterien (sog. Wasserblüte) (Plus 1.8).

●V

Plus 1.8 Begrenzung der Biomasseproduktion durch Phosphor und Stickstoff Die Elemente, die das Wachstum der Pflanzen und damit die Biomasseproduktion begrenzen, sind Phosphor und Stickstoff. Sie sind die wachstumslimitierenden Faktoren auf dem Land und in den meisten Ozeanen. Für das Meerwasser liegen genaue Angaben vor. Aus der Tabelle lässt sich entnehmen, wie viel Biomasse (in g Trockenmasse) aus den in 1 m3 Meerwasser enthaltenen Elementen gebildet

werden kann. Aus 28 g Kohlenstoff (C) lassen sich 60– 100 g, aus 0,3 g Stickstoff (N) 6 g und aus 0,03 g Phosphor (P) nur 5 g Biomasse erzeugen. Die Biomasseproduktion wird also letztlich durch Phosphat begrenzt. Im Meerwasser haben folglich auch die stickstofffixierenden Organismen, z. B. Cyanobakterien, keinen Selektionsvorteil. In tropischen tiefen Meeren hat sich jedoch überraschend Eisen als das wachstumslimitierende Element herausgestellt.

Verteilung der Bioelemente in der Trockenmasse von Mikroorganismen und im Meerwasser (1 entspricht 100 g Biomasse). Element

g pro 100 g Trockenmasse der Organismen („A“)

g in 1 m3 Meerwasser („N“)

Verhältnis N/A

Kalium

1

390

390

Kohlenstoff

30

28

ca. 1

Silicium

0,5

0,5

1

Stickstoff

5

0,3

0,06

Phosphor

0,6

0,03

0,05

Schwefel

1

900

900

Eisen

1

0,05

0,05

Vanadium

0,003

0,0003

0,1

1

Einführung

organische Schwefelverbindung assimilatorische Sulfatreduktion

Desulfuration

dissimilatorische Sulfatreduktion SO42–

Oxidation

S2–

S Abb. 1.11 Der Kreislauf des Schwefels. Erklärung siehe Text.

1.7.4 Kreislauf des Schwefels In den lebenden Zellen liegt Schwefel hauptsächlich als Mercaptogruppe (HS-Gruppe) in Form von schwefelhaltigen Aminosäuren vor (▶ Abb. 1.11). Sein Anteil an der Trockenmasse der Organismen beträgt weniger als 1 %. Bei der Zersetzung der organischen Substanzen werden die Mercaptogruppen als H2S abgespalten. Schwefelwasserstoff oxidiert mit Sauerstoff spontan zu Schwefel und anderen Produkten. Schwefelwasserstoff und Schwefel werden aber vor allem von aeroben Bakterien zur Energiegewinnung zu Sulfat oxidiert (Sulfurikanten). Sulfat kommt im Meerwasser (ca. 28 mM) in etwa 100fach höherer Konzentration vor als gelöster Sauerstoff. In Sedimenten entsteht die überwiegende Menge des in der Natur auftretenden Schwefelwasserstoffs im Zuge der dissimilatorischen Sulfatreduktion durch Desulfurikanten (sulfatreduzierende Bakterien). Dieser in anoxischen Sedimenten von Gewässern entstehende Schwefelwasserstoff kann durch anaerobe phototrophe Bakterien wieder zu Schwefel und Sulfat oxidiert werden. Gelangt der Schwefelwasserstoff in sauerstoffhaltige Zonen, so wird er entweder abiotisch oder durch aerobe Schwefelbakterien zu Sulfat oxidiert. Den zur Synthese schwefelhaltiger Aminosäuren notwendigen Schwefelwasserstoff gewinnen die Pflanzen und Mikroorganismen durch assimilatorische Sulfatreduktion. Tiere sind auf die Aufnahme reduzierter Schwefelverbindungen mit der Nahrung angewiesen.

1.7.5 Mikroorganismen und ihre Fressfeinde Wegen ihrer Kleinheit stehen Mikroorganismen am Anfang der Nahrungskette. Sie sind wie alle Lebewesen anfällig für einen Befall durch Viren, die bei Bakterien Bakteriophagen oder Phagen genannt werden. Die Bakterienräuber, die von Mikroorganismen leben, sind vor allem die Protozoen, die deutlich größer sind als sie. Frei lebende Bakterien werden durch Phagocytose aufgenom-

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Abb. 1.12 Protozoen, die als Bakterienräuber leben. Sesshaftes Glockentierchen, das Bakterien mithilfe von Cilien einstrudelt („Strudler“).

men und verdaut. Strudler wie die Ciliaten (z. B. das Pantoffeltierchen) oder Flagellaten erzeugen mit ihren Cilien einen Strom in Richtung Mundöffnung, in der die Futterbakterien durch Reusen ausgesiebt werden (▶ Abb. 1.12). Die Aufnahme kann auch durch Umfließen der Zellen auf Oberflächen erfolgen (sog. Schlinger wie die Amöben). Die Aufnahme in Phagosomen der Protozoen ähnelt der Aufnahme durch Zellen des Immunsystems. Das Überleben in den Verdauungsvakuolen der Protozoen stellt ähnliche Anforderungen an pathogene Bakterien wie das Überleben in Makrophagen der Tiere und des Menschen. Man hat den Verdacht, dass Protozoen ein natürliches Reservoir für manche pathogene Bakterien bilden. Die Ausbildung von größeren Zellverbänden wie die Hyphenmassen der Pilze, Bakterienmatten oder Biofilme müssen auch unter dem Gesichtspunkt des potenziellen Gefressenwerdens gesehen werden. Diese Verbände können nur von Grasern (von Protozoen, Nematoden, aber auch größeren Tieren) abgeweidet, aber nicht von Schlingern und Strudlern gefressen werden. Dieser Vorteil ist eine der Triebfedern für die Ausbildung von Biofilmen; solche entgehen selbst den Immunzellen des Körpers (Schlinger).

1.8 Mikroorganismen als Symbionten Die Mehrzahl der Tiere und Pflanzen und eine große Zahl von Protozoen sind direkt abhängig von Mikroorganismen, mit denen sie in Symbiose leben (▶ Abb. 1.13). Der Begriff Symbiose bedeutet ein gesetzmäßiges Zusammenleben verschiedener Arten zu beiderseitigem Vorteil. Der größere Partner wird als Wirt, der kleinere als Symbiont bezeichnet (Plus 1.9). Die Symbionten sind so sehr an die Wirtsumgebung angepasst, dass sie häufig nicht mehr frei existieren können; man kann sie meist auch nicht in Kultur nehmen.

Einführung

organische Schwefelverbindung assimilatorische Sulfatreduktion

Desulfuration

dissimilatorische Sulfatreduktion SO42–

Oxidation

S2–

S Abb. 1.11 Der Kreislauf des Schwefels. Erklärung siehe Text.

1.7.4 Kreislauf des Schwefels In den lebenden Zellen liegt Schwefel hauptsächlich als Mercaptogruppe (HS-Gruppe) in Form von schwefelhaltigen Aminosäuren vor (▶ Abb. 1.11). Sein Anteil an der Trockenmasse der Organismen beträgt weniger als 1 %. Bei der Zersetzung der organischen Substanzen werden die Mercaptogruppen als H2S abgespalten. Schwefelwasserstoff oxidiert mit Sauerstoff spontan zu Schwefel und anderen Produkten. Schwefelwasserstoff und Schwefel werden aber vor allem von aeroben Bakterien zur Energiegewinnung zu Sulfat oxidiert (Sulfurikanten). Sulfat kommt im Meerwasser (ca. 28 mM) in etwa 100fach höherer Konzentration vor als gelöster Sauerstoff. In Sedimenten entsteht die überwiegende Menge des in der Natur auftretenden Schwefelwasserstoffs im Zuge der dissimilatorischen Sulfatreduktion durch Desulfurikanten (sulfatreduzierende Bakterien). Dieser in anoxischen Sedimenten von Gewässern entstehende Schwefelwasserstoff kann durch anaerobe phototrophe Bakterien wieder zu Schwefel und Sulfat oxidiert werden. Gelangt der Schwefelwasserstoff in sauerstoffhaltige Zonen, so wird er entweder abiotisch oder durch aerobe Schwefelbakterien zu Sulfat oxidiert. Den zur Synthese schwefelhaltiger Aminosäuren notwendigen Schwefelwasserstoff gewinnen die Pflanzen und Mikroorganismen durch assimilatorische Sulfatreduktion. Tiere sind auf die Aufnahme reduzierter Schwefelverbindungen mit der Nahrung angewiesen.

1.7.5 Mikroorganismen und ihre Fressfeinde Wegen ihrer Kleinheit stehen Mikroorganismen am Anfang der Nahrungskette. Sie sind wie alle Lebewesen anfällig für einen Befall durch Viren, die bei Bakterien Bakteriophagen oder Phagen genannt werden. Die Bakterienräuber, die von Mikroorganismen leben, sind vor allem die Protozoen, die deutlich größer sind als sie. Frei lebende Bakterien werden durch Phagocytose aufgenom-

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Abb. 1.12 Protozoen, die als Bakterienräuber leben. Sesshaftes Glockentierchen, das Bakterien mithilfe von Cilien einstrudelt („Strudler“).

men und verdaut. Strudler wie die Ciliaten (z. B. das Pantoffeltierchen) oder Flagellaten erzeugen mit ihren Cilien einen Strom in Richtung Mundöffnung, in der die Futterbakterien durch Reusen ausgesiebt werden (▶ Abb. 1.12). Die Aufnahme kann auch durch Umfließen der Zellen auf Oberflächen erfolgen (sog. Schlinger wie die Amöben). Die Aufnahme in Phagosomen der Protozoen ähnelt der Aufnahme durch Zellen des Immunsystems. Das Überleben in den Verdauungsvakuolen der Protozoen stellt ähnliche Anforderungen an pathogene Bakterien wie das Überleben in Makrophagen der Tiere und des Menschen. Man hat den Verdacht, dass Protozoen ein natürliches Reservoir für manche pathogene Bakterien bilden. Die Ausbildung von größeren Zellverbänden wie die Hyphenmassen der Pilze, Bakterienmatten oder Biofilme müssen auch unter dem Gesichtspunkt des potenziellen Gefressenwerdens gesehen werden. Diese Verbände können nur von Grasern (von Protozoen, Nematoden, aber auch größeren Tieren) abgeweidet, aber nicht von Schlingern und Strudlern gefressen werden. Dieser Vorteil ist eine der Triebfedern für die Ausbildung von Biofilmen; solche entgehen selbst den Immunzellen des Körpers (Schlinger).

1.8 Mikroorganismen als Symbionten Die Mehrzahl der Tiere und Pflanzen und eine große Zahl von Protozoen sind direkt abhängig von Mikroorganismen, mit denen sie in Symbiose leben (▶ Abb. 1.13). Der Begriff Symbiose bedeutet ein gesetzmäßiges Zusammenleben verschiedener Arten zu beiderseitigem Vorteil. Der größere Partner wird als Wirt, der kleinere als Symbiont bezeichnet (Plus 1.9). Die Symbionten sind so sehr an die Wirtsumgebung angepasst, dass sie häufig nicht mehr frei existieren können; man kann sie meist auch nicht in Kultur nehmen.

1.8 Mikroorganismen als Symbionten a

b

c

d

e

f

Abb. 1.13 Einige Beispiele für Symbiosen zwischen Mikroorganismen und höheren Lebewesen. a Eine Flechte als Symbiose zwischen einzelliger Grünalge und Schlauchpilz. (Bakterienlicht und Wurzelpilz: Endosymbiosen in Forschung und Geschichte, Basilisken-Presse, Marburg 1998.) b Eine Orchidee mit Mykorrhiza. (Bakterienlicht und Wurzelpilz: Endosymbiosen in Forschung und Geschichte, Basilisken-Presse, Marburg 1998.) c Eine Wurzelknolle der Erle mit stickstofffixierenden Symbionten. (Bakterienlicht und Wurzelpilz: Endosymbiosen in Forschung und Geschichte, Basilisken-Presse, Marburg 1998.) d Der Termitendarm mit celluloseverdauenden Mikroorganismen. (Aufnahme Helmut König und Alfred Breunig, Mainz) e Ein Nahrungsspezialist (Feuerwanze), der Bakterien als Vitaminspender braucht. (Bakterienlicht und Wurzelpilz: Endosymbiosen in Forschung und Geschichte, Basilisken-Presse, Marburg 1998.) f Ein Korallenriff als Symbiose zwischen Korallen und einzelligen Algen. (fotolia/vilainecrevette)

Plus 1.9

●V

Die Entdeckung der Symbiose und der Endosymbiose

Bereits 1866, 9 Jahre nach Darwins epochemachendem Werk über die Entstehung der Arten, wurden die Flechten als Symbiose zwischen einem Schlauchpilz (Ascomyceten) und einer Grünalge oder – selten – einem Cyanobakterium erkannt. Damit hatte man das erste Beispiel dafür gefunden, wie Kooperationen von Organismen im Kampf ums Dasein vorteilhaft sein können und ganz neue Lebensformen zustande bringen. 1905 postulierte der russische Biologe Konstantin S. Mereschkowski (1855–1921), dass die Chloroplasten ihren Ursprung in eigenständigen Cyanobakterien haben und erst später Teil der Pflanzenzelle wurden (Endosymbiontentheorie). Flechten sind Pioniere der Landbesiedlung. Der Pilz macht 80 % der Flechtenmasse aus, die Alge 20 %. Die Alge gibt also 80 % der Photosyntheseprodukte an den Pilze ab, sie erhält im Gegenzug mineralische Nährstoffe, Wasser und eine geschützte Umgebung. Etwa 80 % der Landpflanzen leben im Wurzelbereich mit Bodenpilzen zusammen, die eine Mykorrhiza („Pilzwurzel“) ausbilden; darunter die meisten Waldbäume (Birke/Birkenpilz!). Die Landbesiedlung durch die Pflanzen vor 460 Mio. Jahren wäre ohne die Hilfe der Pilze

nicht möglich gewesen. Der Pilz umgibt oder durchdringt sogar die Wurzelhaare und wirkt als „verlängerter Arm“ der Wurzel; er vergrößert deren Einzugsbereich und Oberfläche dadurch enorm. Der Pilz versorgt die Wurzel mit Wasser und anorganischen Nährstoffen; man schätzt, dass 80 % des Phosphats vom Pilz geliefert wird. Der Pilz erhält dafür 20 % der Kohlenhydrate aus der Photosynthese als Kohlenstoff- und Energiequelle. Orchideensamen sind winzig und haben kein Nährgewebe. Die Sämlinge benötigen sog. Ammenpilze für ihre Entwicklung, bis sie selbst Photosynthese betreiben können. Schmetterlingsblütler, mit über 20 000 Arten die größte Pflanzenfamilie, gehen mit stickstofffixierenden gramnegativen Proteobakterien eine Wurzelknöllchensymbiose ein. Unter den Vertretern dieser Familie sind viele Kulturpflanzen wie Erbse, Bohne, Sojabohne, Klee oder Luzerne. Erle und Sanddorn gehen eine ähnliche Symbiose mit grampositiven Bakterien ein. Das Bakterium bindet Luftstickstoff in Ammoniak und gibt ihn an die Pflanze ab. Die Pflanze versorgt den Symbionten im Gegenzug mit organischen Verbindungen (Dicarbonsäuren). Insekten, die sich auf das Saugen von Pflanzensäften oder Blut spezialisiert haben, aber auch holzfressende Käferlarven, sind erstaunlicherweise mangelernährt. Blattläusen, Wanzen, Zikaden, Tierläusen oder Stechmücken fehlen Vitamine, Steroide oder essenzielle Aminosäuren. In bestimmten Geweben, den sogenannten Bacteriomen,

3

Einführung beherbergen diese Insekten Bakterienkolonien (nicht Pilze, wie ursprünglich angenommen und wie der alte Name Mycetom suggeriert); schon die Eier der Tiere werden infiziert. Die Symbionten produzieren die fehlenden Verbindungen im Übermaß und geben sie an den Wirt ab. Wegen der konstanten und üppigen Umgebung haben die Symbionten bereits einen Großteil ihrer Gene aufgegeben. Da diese Symbiose am Anfang der Entwicklung dieser Insektenlinien gestanden hat und man die Insektenentwicklung anhand fossiler Funde (Bernsteineinschlüsse!) nahezu lückenlos nachzeichnen kann, kann man aus dieser Symbiose eine Art biologischer Uhr rekonstruieren. Holzfressende Insekten wie die Termiten sowie Wiederkäuer ernähren sich hauptsächlich von Cellulose. Der Aufschluss der Cellulose erfolgt in Gärkammern ihres Magen-Darm-Traktes (wie der Pansen der Kuh oder der aufgeweitete Hinterdarm der Termiten) mithilfe von Protozoen und Bakterien. Ein Teil der Einzellermasse wird vom Wirt verdaut und die Gärprodukte (Acetat, Propionat, Butyrat) werden ebenfalls assimiliert. Ohne Nutzbarmachung von Wiederkäuern als Haustiere hätte der Mensch große Bereiche unseres Planeten nicht besiedeln können. Eine ständig wachsende Zahl von Meerestieren geht eine Symbiose mit Bakterien ein. Diese Bakterien gewinnen Energie aus der Oxidation von Schwefelwasserstoff oder Methan und können wie die Pflanzen Zellmaterial aus CO2 aufbauen. Der Wirt versorgt sie über die Blutbahn mit Mineralien, Sauerstoff und den gasförmigen Substraten; er lebt von den Bakterien. Korallen der tropischen Flachmeere beherbergen einzellige Grünalgen, die sie mit Photosyntheseprodukten versorgen; sie sorgen auch für die Bildung des Kalkgerüstes, das in der Brandungszone lebenswichtig ist. Diese Lebensgemeinschaft hat eine 100fach höhere Produktivität als das umgebende freie Wasser! Auch Prokaryonten bilden untereinander Symbiosen. Die wichtigste ist die Syntrophie von strikt anaeroben Bakterien. Syntrophie ist eine gemeinsame Stoffwechselleistung, die nur von mehreren Partnern erbracht werden kann. In diesem speziellen Fall geht es um die Umsetzung von Gärprodukten zu Biogas (Methan und Kohlendioxid), eine Reaktion mit sehr geringer Energiefreisetzung, die auch noch allen beteiligten Partnern zum Leben reichen muss. Man spricht vom Leben nahe dem thermodynamischen Gleichgewicht. Schließlich sei daran erinnert, dass die Endosymbiose eines Eukaryontenvorläufers mit einem Alphaproteobakterium zu den aeroben und anaeroben Mitochondrien sowie zu den Hydrogenosomen (S. 54) (Plus 2.1) und Mitosomen der Eukaryonten geführt hat. Mitosomen sind Organellen, die in manchen anaeroben oder mikroaerophilen eukaryontischen Einzellern wie Entamoeba histolytica vorkommen. Es sind stark degenerierte Mitochondrien, welche die Fähigkeit zur oxidativen Phosphorylierung

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verloren haben; sie werden aber noch für die Synthese von Eisen-Schwefel-Proteinen benötigt. Die zweite Endosymbiose mit Cyanobakterien hat die Chloroplasten hervorgebracht. Hier ist die Symbiose bis zur Aufgabe der Identität der beiden Partner fortgeschritten.

1.9 Mikroorganismen im Dienste des Menschen Die Mikrobiologie ist heute eine wichtige praktische Disziplin geworden. Steriles Arbeiten und sicherer Umgang mit Mikroorganismen ist eine Voraussetzung für die Arbeit in vielen anderen Fachrichtungen. Dies allein ist Grund genug, sich mit den Grundlagen der Mikrobiologie und ihren Methoden zu befassen. Im folgenden Kapitel sollen der Mensch und seine Beziehungen zu Mikroorganismen im Mittelpunkt stehen. Am Anfang steht die vielfältige Nutzung von Mikroorganismen. Aber auch Krankheiten von Mensch, Tier und Pflanze haben immense wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung. Damit ergeben sich wichtige Betätigungsfelder für Mikrobiologen: die Biotechnologie, die Lebensmitteltechnologie, die Pharmazeutische Industrie, die mikrobiologische Qualitätskontrolle, die medizinische Mikrobiologie, die mikrobiologische Diagnostik und andere. Der Unbefangene erkennt die praktische Bedeutung der Mikroorganismen zunächst an den Schäden, die sie als Pathogene bei Mensch, Tier und Pflanze verursachen. Obwohl Mikroorganismen noch in anderen Bereichen der Natur und in der Industrie als Schädlinge auftreten, überwiegt ihre Rolle als Nützlinge bei weitem. Mikroorganismen haben sich seit langem einen festen Platz im Haushalt und in der Industrie erobert; ihre Leistungen als „Nutzpflanzen“ sind nicht zu entbehren. Ihre Verwendung erstreckt sich von der Veredlung landwirtschaftlicher Erzeugnisse bis zur Katalyse diffiziler chemischer Reaktionen.

1.9.1 Klassische mikrobielle Verfahren Am Beispiel der Bier- und Weinbereitung mittels Hefen, der Brotbereitung und der Herstellung von Milchprodukten mithilfe von Milchsäurebakterien sowie der Herstellung von Speiseessig durch Essigsäurebakterien wird deutlich, dass Mikroorganismen zu den ältesten „Kulturpflanzen“ zählen. In Asien werden seit alters her Sojabohnen mithilfe von Schimmelpilzen, Hefen und Milchsäurebakterien aufbereitet. Abgesehen von der Ethanolproduktion sind Mikroorganismen in die industrielle Produktion reiner Verbindungen erst seit hundert Jahren eingeschaltet worden. Bereits im Ersten Weltkrieg wurde eine gesteuerte Hefegärung zur Herstellung von Glycerin als Vor-

Einführung beherbergen diese Insekten Bakterienkolonien (nicht Pilze, wie ursprünglich angenommen und wie der alte Name Mycetom suggeriert); schon die Eier der Tiere werden infiziert. Die Symbionten produzieren die fehlenden Verbindungen im Übermaß und geben sie an den Wirt ab. Wegen der konstanten und üppigen Umgebung haben die Symbionten bereits einen Großteil ihrer Gene aufgegeben. Da diese Symbiose am Anfang der Entwicklung dieser Insektenlinien gestanden hat und man die Insektenentwicklung anhand fossiler Funde (Bernsteineinschlüsse!) nahezu lückenlos nachzeichnen kann, kann man aus dieser Symbiose eine Art biologischer Uhr rekonstruieren. Holzfressende Insekten wie die Termiten sowie Wiederkäuer ernähren sich hauptsächlich von Cellulose. Der Aufschluss der Cellulose erfolgt in Gärkammern ihres Magen-Darm-Traktes (wie der Pansen der Kuh oder der aufgeweitete Hinterdarm der Termiten) mithilfe von Protozoen und Bakterien. Ein Teil der Einzellermasse wird vom Wirt verdaut und die Gärprodukte (Acetat, Propionat, Butyrat) werden ebenfalls assimiliert. Ohne Nutzbarmachung von Wiederkäuern als Haustiere hätte der Mensch große Bereiche unseres Planeten nicht besiedeln können. Eine ständig wachsende Zahl von Meerestieren geht eine Symbiose mit Bakterien ein. Diese Bakterien gewinnen Energie aus der Oxidation von Schwefelwasserstoff oder Methan und können wie die Pflanzen Zellmaterial aus CO2 aufbauen. Der Wirt versorgt sie über die Blutbahn mit Mineralien, Sauerstoff und den gasförmigen Substraten; er lebt von den Bakterien. Korallen der tropischen Flachmeere beherbergen einzellige Grünalgen, die sie mit Photosyntheseprodukten versorgen; sie sorgen auch für die Bildung des Kalkgerüstes, das in der Brandungszone lebenswichtig ist. Diese Lebensgemeinschaft hat eine 100fach höhere Produktivität als das umgebende freie Wasser! Auch Prokaryonten bilden untereinander Symbiosen. Die wichtigste ist die Syntrophie von strikt anaeroben Bakterien. Syntrophie ist eine gemeinsame Stoffwechselleistung, die nur von mehreren Partnern erbracht werden kann. In diesem speziellen Fall geht es um die Umsetzung von Gärprodukten zu Biogas (Methan und Kohlendioxid), eine Reaktion mit sehr geringer Energiefreisetzung, die auch noch allen beteiligten Partnern zum Leben reichen muss. Man spricht vom Leben nahe dem thermodynamischen Gleichgewicht. Schließlich sei daran erinnert, dass die Endosymbiose eines Eukaryontenvorläufers mit einem Alphaproteobakterium zu den aeroben und anaeroben Mitochondrien sowie zu den Hydrogenosomen (S. 54) (Plus 2.1) und Mitosomen der Eukaryonten geführt hat. Mitosomen sind Organellen, die in manchen anaeroben oder mikroaerophilen eukaryontischen Einzellern wie Entamoeba histolytica vorkommen. Es sind stark degenerierte Mitochondrien, welche die Fähigkeit zur oxidativen Phosphorylierung

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verloren haben; sie werden aber noch für die Synthese von Eisen-Schwefel-Proteinen benötigt. Die zweite Endosymbiose mit Cyanobakterien hat die Chloroplasten hervorgebracht. Hier ist die Symbiose bis zur Aufgabe der Identität der beiden Partner fortgeschritten.

1.9 Mikroorganismen im Dienste des Menschen Die Mikrobiologie ist heute eine wichtige praktische Disziplin geworden. Steriles Arbeiten und sicherer Umgang mit Mikroorganismen ist eine Voraussetzung für die Arbeit in vielen anderen Fachrichtungen. Dies allein ist Grund genug, sich mit den Grundlagen der Mikrobiologie und ihren Methoden zu befassen. Im folgenden Kapitel sollen der Mensch und seine Beziehungen zu Mikroorganismen im Mittelpunkt stehen. Am Anfang steht die vielfältige Nutzung von Mikroorganismen. Aber auch Krankheiten von Mensch, Tier und Pflanze haben immense wirtschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung. Damit ergeben sich wichtige Betätigungsfelder für Mikrobiologen: die Biotechnologie, die Lebensmitteltechnologie, die Pharmazeutische Industrie, die mikrobiologische Qualitätskontrolle, die medizinische Mikrobiologie, die mikrobiologische Diagnostik und andere. Der Unbefangene erkennt die praktische Bedeutung der Mikroorganismen zunächst an den Schäden, die sie als Pathogene bei Mensch, Tier und Pflanze verursachen. Obwohl Mikroorganismen noch in anderen Bereichen der Natur und in der Industrie als Schädlinge auftreten, überwiegt ihre Rolle als Nützlinge bei weitem. Mikroorganismen haben sich seit langem einen festen Platz im Haushalt und in der Industrie erobert; ihre Leistungen als „Nutzpflanzen“ sind nicht zu entbehren. Ihre Verwendung erstreckt sich von der Veredlung landwirtschaftlicher Erzeugnisse bis zur Katalyse diffiziler chemischer Reaktionen.

1.9.1 Klassische mikrobielle Verfahren Am Beispiel der Bier- und Weinbereitung mittels Hefen, der Brotbereitung und der Herstellung von Milchprodukten mithilfe von Milchsäurebakterien sowie der Herstellung von Speiseessig durch Essigsäurebakterien wird deutlich, dass Mikroorganismen zu den ältesten „Kulturpflanzen“ zählen. In Asien werden seit alters her Sojabohnen mithilfe von Schimmelpilzen, Hefen und Milchsäurebakterien aufbereitet. Abgesehen von der Ethanolproduktion sind Mikroorganismen in die industrielle Produktion reiner Verbindungen erst seit hundert Jahren eingeschaltet worden. Bereits im Ersten Weltkrieg wurde eine gesteuerte Hefegärung zur Herstellung von Glycerin als Vor-

1.9 Mikroorganismen im Dienste des Menschen stufe für Sprengstoff (Trinitroglycerin) ausgenutzt. Die in der Nahrungsmittelindustrie in großen Mengen benötigte Milchsäure oder Zitronensäure wird mithilfe von Milchsäurebakterien bzw. durch den Schimmelpilz Aspergillus niger hergestellt. Aus billigen kohlenhydratreichen Abfällen lassen sich durch Gärungen mit Clostridien und Bacilli Aceton, Butanol, 2-Propanol, Butandiol und andere Grundchemikalien herstellen. Heute sind Antibiotika wirtschaftlich wichtige Produkte (Plus 1.10).

Plus 1.10 Antibiotikaproduktion

●V

Die Entdeckung der Antibiotika hat eine neue Epoche der medizinischen Therapie und der Heilmittelindustrie eingeleitet. Dem Penicillin und anderen Ausscheidungsprodukten von Pilzen, Actinobakterien und anderen Bakterien verdankt die Menschheit nahezu unfehlbare Mittel zur Bekämpfung bakterieller Infektionskrankheiten. Die Suche nach neuen Antibiotika und anderen Wirkstoffen ist noch immer erfolgreich.

1.9.2 Neue mikrobielle Verfahren Die klassischen Gärungen werden durch neue mikrobielle Produktionen und Umsetzungen ergänzt. Carotinoide und Steroide werden aus Pilzen gewonnen. Seit der Entdeckung, dass Corynebacterium glutamicum aus Zucker und Ammoniumsalz mit hoher Ausbeute Glutaminsäure produziert, sind Mutanten isoliert und Verfahren entwickelt worden, nach denen sich viele Aminosäuren, Nukleotide und Biochemikalien im großen Maßstab herstellen lassen. Mikroorganismen werden vom Chemiker zur enzymatischen Katalyse von Teilprozessen in lange Syntheseketten eingeschaltet; mikrobielle Umsetzungen übertreffen chemische an Spezifität und Ausbeute. Die klassischen Beispiele für enzymunterstützte Synthesen sind die Produktion von halbsynthetischen Penicillinen, von Vitamin C und von Steroidhormonen. Mikroorganismen werden in großem Maßstab zur Produktion von Vitaminen und von essenziellen Aminosäuren verwendet. Die Zugabe der Aminosäuren verbessert den Nährwert von pflanzlichem Tierfutter, das häufig nicht genügend Lysin enthält. Mikrobiell hergestellte Polysaccharide werden als Dickungsmittel vor allem in der Lebensmittelindustrie eingesetzt. Ein großer Markt sind mikrobiell gewonnene Enzyme. Amylasen werden zur Stärkehydrolyse verwendet, Glucose-Isomerase zur Herstellung von Sirup, Proteinasen bei der Lederherstellung, Pectinasen zur Fruchtsaftklärung, Proteinasen und Lipasen als Waschmittelbestandteile zur Entfernung von Eiweiß- und Fettflecken, Cellulasen zur Veredlung von Textilien aus Baumwolle.

1.9.3 Mikroorganismen und Gentechnologie Die Aufklärung der Mechanismen der Genübertragung bei Bakterien und der Beteiligung von extrachromosomalen Elementen haben Möglichkeiten zur Übertragung von Fremd-DNA in Bakterien eröffnet. Die Gentechnologie macht es möglich, Gene, beispielsweise das menschliche Gen für Insulin oder für Interferon, in Bakterien einzuführen und in ihnen die entsprechenden Proteine synthetisieren zu lassen. Hormone, Antigene, Antikörper und andere Proteine werden mithilfe von Mikroorganismen hergestellt. Diese Proteine mussten früher aus Schlachttieren oder Versuchstieren gewonnen werden. Resistenzeigenschaften, beispielsweise gegen Insektenfraß oder Pilzbefall, lassen sich durch Gentechnologie auf Nutzpflanzen übertragen. Auch versucht man, den Apparat für die Fixierung von Stickstoff auf höhere Pflanzen zu übertragen. Schließlich macht die Gentechnologie die Herstellung von DNA-Sonden möglich, mit denen man defekte, veränderte DNA-Abschnitte erkennen kann. Die Gentechnologie, für die die Bakterien die Werkzeuge liefern, hat eine neue Ära der biologischen Evolution eingeleitet.

1.9.4 Mikroorganismen in Umweltprozessen Die Fähigkeit von Bakterien, rasch und nahezu vollständig alle möglichen organischen Verbindungen zu CO2 oxidieren zu können, macht man sich bei der Abwasserreinigung zunutze. Die biologische Stufe der Kläranlagen besteht aus einem belüfteten Becken, in dem Bakterien, die gelöste Stoffe oxidieren können, sich massenhaft vermehren (▶ Abb. 1.14). Auch Ammoniumionen werden dabei zu Nitrat oxidiert. Unter Sauerstoffmangel entwickeln sich Bakterien, die ohne Sauerstoff von den noch verbliebenen geringen Mengen an organischen Stoffen leben; sie reduzieren dabei das Nitrat zu gasförmigem N2. Die Bakterienmasse und andere unlösliche organische Stoffe set-

Abb. 1.14 Biologische Abwasserreinigung in einer Kläranlage. (fotolia/Bernd Geller)

5

Einführung zen sich ab; sie werden in einen Faulturm gepumpt und dort langsam durch anaerobe Bakteriengemeinschaften zu Biogas (CO2 und CH4) umgesetzt. Das Methan kann verbrannt werden und liefert die Energie für den Betrieb der Anlage. Auch Böden, die mit toxischen Verbindungen verunreinigt sind, lassen sich mikrobiologisch reinigen (Bodensanierung). Natürlich befallen Bakterien auch Tiere. Diese Tatsache kann man sich bei der Schädlingsbekämpfung zunutze machen, um durch gezielten Einsatz dieser Bakterien beispielsweise Schadinsekten zu bekämpfen. Das beste Beispiel ist das insektenpathogene Bakterium Bacillus thuringiensis, das heute erfolgreich im Weinbau gegen den Traubenwickler eingesetzt wird.

1.9.5 Monopolstellung der Mikroorganismen Es ist hervorzuheben, dass einige in besonders großen Mengen verfügbare Rohstoffe wie Erdöl, Erdgas oder Cellulose nur von Mikroorganismen verwertet und entweder zu Zellmaterial (Biomasse) oder Zwischenprodukten, die von den Zellen ausgeschieden werden, umgesetzt werden können. Mikroorganismen haben daher bei der Veredlung solcher Rohstoffe eine Monopolstellung. Die Erschließung dieser Rohstoffe durch biologische Verfahren hat gerade erst begonnen. Es würde zu weit führen, hier alle Verfahren und Produkte der angewandten Mikrobiologie aufzuzählen und über die Möglichkeiten weiterer Anwendungen zu spekulieren. Die Beziehungen zwischen Grundlagenforschung und Praxis sind in der Mikrobiologie wie in allen Naturwissenschaften sehr eng: „Il n’y a pas des sciences appliqués... Mais il y a des applications de la science” (Pasteur).

1.10 Mikroorganismen als Gesundmacher – der Mensch als besiedelter Raum Der Mensch wird von Mikroorganismen besiedelt. Auf der Hautfläche eines Menschen (ca. 2 m2) leben nur wenige Bakterien (109). Da Mikroorganismen Wasser zum Leben benötigen, gedeihen sie nur in den feuchten Körperzonen. Ihr Wachstum schadet dem Menschen nicht, es sind Kommensalen. Die Schleimhäute haben dagegen eine Fläche von 400 m2 und sind dicht mit Bakterien besiedelt. So ist der Mund- und Rachenraum ein enorm komplexes Biotop. Der Speichel enthält bereits bis zu 109 Bakterien pro ml. Die dünnen und verletzlichen Schleimhäute sind die Haupteinfallstore für Krankheitserreger. Im gesunden Menschen wirkt die natürliche Mikrobengemeinschaft der Schleimhautoberflächen als Wächter gegen pathogene Mikroorganismen. Die Zusammenhänge sind noch we-

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Plus 1.11 Gnotobiotik

●V

Die Rolle von Mikroorganismen für den gesunden Säuger kann man abschätzen, indem man Versuchstiere, die durch Kaiserschnitt auf die Welt gebracht werden, völlig steril aufzieht und studiert (Gnotobiotik). Folgende Funktionen der Darmflora hat man so festgestellt: Die Bakterien des Darms sind verantwortlich für die Vergärung von Stoffen (damit auch für die Bildung erwünschter Gärprodukte) sowie für die Produktion von Vitaminen. Die natürliche Darmflora wirkt als Fresskonkurrenz zu pathogenen Bakterien und konkurriert auch um die Bindestellen der Darmschleimhaut für Bakterien. Beide Effekte verhindern die Besiedlung durch Krankheitserreger. Die Darmflora ist wesentlich für die normale Entwicklungssteuerung des Darmtraktes verantwortlich; ein bakterienfreier Darm verkrüppelt. An den Darmbakterien schult das Immunsystem das Erkennen von körperfremden Antigenen.

nig verstanden. In der Scheide der Frau sorgen Milchsäurebakterien durch Vergärung von Glykogen zu Milchsäure (pKa = 3,7) für ein saures schützendes Milieu (pH = 3,5). Pathogene Bakterien und Pilze tolerieren die milchsauren pH-Werte nicht und werden so ferngehalten. Der Verdauungstrakt beherbergt zehnmal mehr Bakterienzellen als der Mensch Körperzellen hat. Der Dickdarminhalt enthält etwa 1011 Bakterien pro Gramm. Man hat über hundert Bakterienarten im Darm festgestellt, von denen wenige die Hauptarten sind (Plus 1.11).

1.11 Mikroorganismen als Krankheitserreger Ein wichtiger Grund, sich mit der Biologie von Mikroorganismen zu beschäftigen, ist die Tatsache, dass es einigen wenigen von ihnen gelungen ist, die natürlichen Abwehrmechanismen lebender Organismen zu überwinden und in ihnen zu parasitieren; die Folgen können tödliche Erkrankungen des Wirts sein (Plus 1.12). Durch Impfungen kann der Erkrankung vorgebeugt werden. Ist die Krankheit ausgebrochen, ist es entscheidend, rasch die richtige Diagnose zu stellen und die beste Therapie zu wählen (in der Regel ein Antibiotikum oder eine Kombination mehrerer Wirkstoffe). Die medizinische Mikrobiologie hat zwischen 1870 und 1910 ihre größten Triumphe gefeiert. Es war ihr in rascher Folge gelungen, hauptsächlich Bakterien, aber auch Protozoen (und noch später die Viren) als die Verursacher verschiedener Infektionskrankheiten zu entdecken. Diese neuen Einsichten hatten große Auswirkungen auf die Hygiene, eine entscheidende Voraussetzung für die Volksgesundheit. In Verbindung mit der Immun-

Einführung zen sich ab; sie werden in einen Faulturm gepumpt und dort langsam durch anaerobe Bakteriengemeinschaften zu Biogas (CO2 und CH4) umgesetzt. Das Methan kann verbrannt werden und liefert die Energie für den Betrieb der Anlage. Auch Böden, die mit toxischen Verbindungen verunreinigt sind, lassen sich mikrobiologisch reinigen (Bodensanierung). Natürlich befallen Bakterien auch Tiere. Diese Tatsache kann man sich bei der Schädlingsbekämpfung zunutze machen, um durch gezielten Einsatz dieser Bakterien beispielsweise Schadinsekten zu bekämpfen. Das beste Beispiel ist das insektenpathogene Bakterium Bacillus thuringiensis, das heute erfolgreich im Weinbau gegen den Traubenwickler eingesetzt wird.

1.9.5 Monopolstellung der Mikroorganismen Es ist hervorzuheben, dass einige in besonders großen Mengen verfügbare Rohstoffe wie Erdöl, Erdgas oder Cellulose nur von Mikroorganismen verwertet und entweder zu Zellmaterial (Biomasse) oder Zwischenprodukten, die von den Zellen ausgeschieden werden, umgesetzt werden können. Mikroorganismen haben daher bei der Veredlung solcher Rohstoffe eine Monopolstellung. Die Erschließung dieser Rohstoffe durch biologische Verfahren hat gerade erst begonnen. Es würde zu weit führen, hier alle Verfahren und Produkte der angewandten Mikrobiologie aufzuzählen und über die Möglichkeiten weiterer Anwendungen zu spekulieren. Die Beziehungen zwischen Grundlagenforschung und Praxis sind in der Mikrobiologie wie in allen Naturwissenschaften sehr eng: „Il n’y a pas des sciences appliqués... Mais il y a des applications de la science” (Pasteur).

1.10 Mikroorganismen als Gesundmacher – der Mensch als besiedelter Raum Der Mensch wird von Mikroorganismen besiedelt. Auf der Hautfläche eines Menschen (ca. 2 m2) leben nur wenige Bakterien (109). Da Mikroorganismen Wasser zum Leben benötigen, gedeihen sie nur in den feuchten Körperzonen. Ihr Wachstum schadet dem Menschen nicht, es sind Kommensalen. Die Schleimhäute haben dagegen eine Fläche von 400 m2 und sind dicht mit Bakterien besiedelt. So ist der Mund- und Rachenraum ein enorm komplexes Biotop. Der Speichel enthält bereits bis zu 109 Bakterien pro ml. Die dünnen und verletzlichen Schleimhäute sind die Haupteinfallstore für Krankheitserreger. Im gesunden Menschen wirkt die natürliche Mikrobengemeinschaft der Schleimhautoberflächen als Wächter gegen pathogene Mikroorganismen. Die Zusammenhänge sind noch we-

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Plus 1.11 Gnotobiotik

●V

Die Rolle von Mikroorganismen für den gesunden Säuger kann man abschätzen, indem man Versuchstiere, die durch Kaiserschnitt auf die Welt gebracht werden, völlig steril aufzieht und studiert (Gnotobiotik). Folgende Funktionen der Darmflora hat man so festgestellt: Die Bakterien des Darms sind verantwortlich für die Vergärung von Stoffen (damit auch für die Bildung erwünschter Gärprodukte) sowie für die Produktion von Vitaminen. Die natürliche Darmflora wirkt als Fresskonkurrenz zu pathogenen Bakterien und konkurriert auch um die Bindestellen der Darmschleimhaut für Bakterien. Beide Effekte verhindern die Besiedlung durch Krankheitserreger. Die Darmflora ist wesentlich für die normale Entwicklungssteuerung des Darmtraktes verantwortlich; ein bakterienfreier Darm verkrüppelt. An den Darmbakterien schult das Immunsystem das Erkennen von körperfremden Antigenen.

nig verstanden. In der Scheide der Frau sorgen Milchsäurebakterien durch Vergärung von Glykogen zu Milchsäure (pKa = 3,7) für ein saures schützendes Milieu (pH = 3,5). Pathogene Bakterien und Pilze tolerieren die milchsauren pH-Werte nicht und werden so ferngehalten. Der Verdauungstrakt beherbergt zehnmal mehr Bakterienzellen als der Mensch Körperzellen hat. Der Dickdarminhalt enthält etwa 1011 Bakterien pro Gramm. Man hat über hundert Bakterienarten im Darm festgestellt, von denen wenige die Hauptarten sind (Plus 1.11).

1.11 Mikroorganismen als Krankheitserreger Ein wichtiger Grund, sich mit der Biologie von Mikroorganismen zu beschäftigen, ist die Tatsache, dass es einigen wenigen von ihnen gelungen ist, die natürlichen Abwehrmechanismen lebender Organismen zu überwinden und in ihnen zu parasitieren; die Folgen können tödliche Erkrankungen des Wirts sein (Plus 1.12). Durch Impfungen kann der Erkrankung vorgebeugt werden. Ist die Krankheit ausgebrochen, ist es entscheidend, rasch die richtige Diagnose zu stellen und die beste Therapie zu wählen (in der Regel ein Antibiotikum oder eine Kombination mehrerer Wirkstoffe). Die medizinische Mikrobiologie hat zwischen 1870 und 1910 ihre größten Triumphe gefeiert. Es war ihr in rascher Folge gelungen, hauptsächlich Bakterien, aber auch Protozoen (und noch später die Viren) als die Verursacher verschiedener Infektionskrankheiten zu entdecken. Diese neuen Einsichten hatten große Auswirkungen auf die Hygiene, eine entscheidende Voraussetzung für die Volksgesundheit. In Verbindung mit der Immun-

1.11 Mikroorganismen als Krankheitserreger

●V

Plus 1.12 Infektionskrankheiten, die Todesursache Nummer 1 Die Zahl der Menschen auf der Erde ist über lange Zeiträume nur langsam angestiegen. Die Ursache dafür waren Hunger und Infektionskrankheiten, die vor allem Kinder weggerafft haben, deren Immunsystem noch nicht voll entwickelt ist. Kinder sind noch heute in den wenig entwickelten Ländern die ersten Opfer von Infektionskrankheiten.

Mio. 4,0

Man schätzt, dass die Hälfte der Menschen Infektionskrankheiten erlag (▶ Abb. 1.15). Noch 1875 starb in Deutschland jedes dritte Kind im ersten Lebensjahr. Die meisten Erreger werden von Mensch zu Mensch übertragen, ein kleinerer Teil über die Nahrung, das Trinkwasser oder durch Insektenstiche.

Abb. 1.15 Jährliche Todesfälle durch Infektionskrankheiten weltweit. Die Angaben beziehen sich auf die 1990er Jahre.

akute Atemwegsinfektionen (4,4 Mio.) Durchfallerkrankungen (3,1 Mio.) Tuberkulose (3,1 Mio.)

3,0

Malaria (2,1 Mio.) Hepatitis B (1,1 Mio.)

2,0

Masern (1,0 Mio.) HIV/AIDS (> 1 Mio.) Neugeborenentetanus (500 000)

1,0

Keuchhusten (355000) Rundwurm und Hakenwurm (165 000)

biologie wurde das Prinzip entdeckt, wie Impfungen vielen dieser Schrecken der Menschheit vorbeugen können, wenn auch wirksame Heilmittel noch nicht zur Verfügung standen. Die erste dieser Zauberkugeln gegen Bakterien, die den Parasiten trafen, aber nicht den Wirt, war das Medikament Salvarsan gegen Syphilis, gefolgt von den Sulfonamiden und schließlich den Antibiotika, dem wohl größten Erfolg der modernen Medizin. Glücklicherweise spielen Pilze als Pathogene für Tiere kaum eine Rolle. Umgekehrt sind nur wenige Bakterien für Pflanzen gefährlich, besonders im Gefolge von Verletzungen oder Pilzbefall. Pilze sind, neben den Viren, die Hauptschädlinge von Pflanzen. Sie können mit Anheftungsstrukturen und durch die Wirkung von Enzymen die Cuticula oder die Zellwand der Pflanzen angreifen und aktiv mit ihren Hyphen in die Pflanze eindringen, häufig über die Stomata. Bakterien dringen in die Tiere meist über die Schleimhäute, vor allem des Darmtraktes und der Atmungsorgane, ein. Bakterielle Infektionskrankheiten wie Tuberkulose (Mycobacterium tuberculosis), Pest (Yersinia pestis), Cholera (Vibrio cholerae), Typhus (Salmonella typhi), oder Diphtherie (Corynebacterium diphtheriae) haben vor dem

20. Jahrhundert regelmäßig die Bevölkerung dezimiert, häufig in Seuchenzügen. Die krankheitsauslösenden Bakterien produzieren unterschiedliche Zellgifte. Besonders gefürchtete Toxine sind die Neurotoxine; wenige Nanogramm (Milliardstel Gramm) des potentesten Toxins (Botulin, das Gift des Fleischvergiftung verursachenden Clostridium botulinum) kann einen Menschen töten! Von den viralen Erkrankungen waren die Pocken, die Grippe und das Gelbfieber die gefürchtetsten. In den Tropen kommen noch von Protozoen verursachte Ansteckungskrankheiten wie Malaria und Schlafkrankheit dazu. Brauchen wir noch Mikrobiologen? In der heutigen Zeit gibt es ein Comeback der Tuberkulose, die „neuen Feinde“ sind aber hauptsächlich Viren (HIV, Grippe, Hepatitis). Die Resistenzbildung vieler Bakterien gegen Antibiotika lässt befürchten, dass diese Waffe stumpf werden könnte. Auch neue Erreger entstehen. Die medizinische Mikrobiologie und die Wirkstoffforschung stehen vor neuen Herausforderungen. Es gibt nur vorübergehende Siege im Kampf gegen die Infektionskrankheiten und ihre Erreger.

7

Einführung

M ●

Zusammenfassung ●













Mikroorganismen wurden um 1680 entdeckt, ihre Natur und ihre Bedeutung für den Menschen wurden jedoch erst in den Jahren 1870 bis 1910 erkannt. Lange Zeit wurden Organismen in drei Reiche eingeteilt, Tiere, Pflanzen und Protisten. Erst um 1950 wurden die Prokaryonten den Eukaryonten als eigenes Reich gegenübergestellt. Um 1980 erkannte man, dass die Prokaryonten aus zwei Entwicklungslinien bestehen, den Bacteria oder Eubakterien und den Archaea oder Archaebakterien. Molekulare Methoden erlauben es, einen universellen Stammbaum der Lebewesen aufzustellen. Heute kennt man etwa 80 verschiedene Entwicklungslinien bei Prokaryonten. Mikroorganismen sind gekennzeichnet durch die Tatsache, dass alle Lebensprozesse in einer einzigen Zelle ablaufen. Diese Zelle hat eine Größenordnung von einem oder wenigen Mikrometern; ihre Kleinheit und das damit verbundene große Oberfläche/Volumen-Verhältnis haben wichtige Folgen für die Lebensweise. Mikroorganismen besiedeln fast alle Bereiche der Erde. Sie setzen die Grenzen des Lebens. Ihre Biomasse zusammengenommen entspricht fast der Hälfte der gesamten Biomasse. Mikroorganismen bildeten die Grundlage des Lebens und sind die Gestalter der Erde. Sie sind Glieder im Kreislauf der Stoffe und durch ihre geochemischen

Literatur zum Weiterlesen unter: www.thieme.de/literatur-fuchs

48









Aktivitäten gestalten sie das Gesicht der Erde. In der frühen Evolution waren sie die einzigen Produzenten, heute überwiegt jedoch ihre Rolle als Destruenten. Sie sorgen für den vollständigen Abbau der Stoffe. Sie besitzen ungewöhnliche und teilweise ursprüngliche Wege der Energiegewinnung. Mikroorganismen sind Partner bei zahllosen Symbiosen mit Eukaryonten; das bedeutendste Beispiel ist die Endosymbiose, die zur Bildung von Mitochondrien und Chloroplasten geführt hat. Es gibt nur wenige höhere Lebewesen, die nicht auf Symbiose mit Mikroorganismen angewiesen sind. Mikroorganismen spielen eine große wirtschaftliche Rolle auf traditionellen Gebieten wie der Lebensmitteltechnologie; zunehmend sind mikrobielle Prozesse in Verbindung mit der Gentechnologie die Grundlage bedeutender Wirtschaftszweige. Der Mensch selbst ist ein von Mikroorganismen besiedelter Raum, besonders die Schleimhäute und der Darmtrakt. Pathogene Mikroorganismen und die von ihnen verursachten Infektionskrankheiten waren verantwortlich für den frühen Tod der Hälfte der Menschheit. Wirksame Impfungen und Antibiotikatherapien waren die größten Fortschritte der Medizin und die Mikrobiologie bleibt eine Schlüsselwissenschaft für die Gesundheit des Menschen.

© Sebastian Kaulitzki – Fotolia

Kapitel 2 Die Prokaryonta und die prokaryontische Zelle

2.1

Überblick

50

2.2

Prokaryonten versus Eukaryonten

50

2.3

Archaea versus Bacteria

54

2.4

Die Prokaryontenzelle – Zellform, Größe und chemische Zusammensetzung

54

Die Prokaryonta und die prokaryontische Zelle

2 Die Prokaryonta und die prokaryontische Zelle Erwin Schneider

50

Mensch 1m

Länge mancher Nerven- und Muskelzellen

0,1 m Hühnerei 1 cm Froschei 1 mm

10 μm

1 μm

100 nm

eukaryontische Zelle Zellkern die meisten Bakterien Mitochondrium

Mycoplasma Viren Ribosomen

Elektronenmikroskop

100 μm

Lichtmikroskop

Im Verlauf der biologischen Evolution sind aus einer gemeinsamen Urzelle, auch Progenote genannt, drei Gruppen von Organismen hervorgegangen, Bacteria (Eubakterien), Archaea (Archaebakterien) und Eukarya (Eukaryonten). Bacteria und Archaea werden zu den Prokaryonten zusammengefasst. Eukaryonten schließen Pflanzen, Tiere, Pilze, Protozoen und Algen ein. Die heutigen Eukaryonten haben sich dabei durch Aufnahme von Eubakterien mit besonderen Stoffwechselaktivitäten in einen Vorläufereukaryonten entwickelt. In beiden Gruppen ist die Zelle die kleinste lebensfähige Einheit. Ihre makromolekularen Grundbestandteile sind Desoxyribonukleinsäure (DNA), Ribonukleinsäure (RNA), Proteine, Lipide und Kohlenhydrate. Eine prokaryontische Zelle ist in der Regel bedeutend kleiner als eine eukaryontische Zelle. Dies bedeutet, dass sie gemessen an ihrem Volumen eine relativ große Oberfläche besitzt. Dies bietet den Vorteil, dass ein schneller und effizienter Transport von Nährstoffen in die Zelle und von Ausscheidungsprodukten in die Umgebung möglich ist. Die hohe metabolische Aktivität gewährleistet schnelles Wachstum. Prokaryontische und eukaryontische Zellen unterscheiden sich weiterhin in der Größe ihres Genoms und in der Art ihrer Vermehrung. Auch sind prokaryontische Zellen weniger strukturiert. So fehlen ihnen die für eukaryontische Zellen typischen Organellen, wie Mitochondrien, Chloroplasten oder ein GolgiApparat. Archaea unterscheiden sich von Bacteria in der chemischen Zusammensetzung der Zellwände und der Zellmembran, aber auch in vielen grundlegenden molekularbiologischen Eigenschaften. Darüber hinaus besiedeln sie extreme Lebensräume oder haben einen außergewöhnlichen Stoffwechsel. Das Erscheinungsbild prokaryontischer Zellen ist auf relativ wenige Formen begrenzt, unter denen Stäbchen- und Kugelform (Kokken) vorherrschen. Diese morphologischen Unterschiede werden neben physiologischen, chemischen und molekularbiologischen Daten zur Klassifizierung der Prokaryonten in einem künstlichen System herangezogen. Aussagen über die evolutionäre Verwandtschaft liefert dagegen das „natürliche“ System, welches auf molekularbiologischen Analysen beruht.

10 m

menschliches Auge

2.1 Überblick

10 nm Proteine Lipide 1 nm

0,1 nm

kleine Moleküle Atome

Abb. 2.1 Zusammenhang zwischen der Größe verschiedener Beobachtungsobjekte und dem Auflösungsvermögen von Auge, Licht- und Elektronenmikroskop.

karyontische Zelle etwa 10fach größer (▶ Abb. 2.1). Auch ein Vergleich der Feinstrukturen (▶ Abb. 2.2) sowie der stofflichen Zusammensetzung lässt tiefgreifende Unterschiede zwischen prokaryontischen und eukaryontischen Zellen erkennen, deren wichtigste Merkmale im folgenden dargestellt sind (s. auch ▶ Tab. 2.1).

2.2 Prokaryonten versus Eukaryonten

2.2.1 Struktur des Genoms

Ein Vergleich von prokaryontischen und eukaryontischen Zellen offenbart zunächst eine erhebliche Differenz in der Zellgröße. Während die typische prokaryontische Zelle in der Regel nur wenige Mikrometer (μm) misst, ist die eu-

▶ Das Genom der Eukaryonten. Die eukaryontische Zelle besitzt einen Kern (griech. karyon oder lat. nucleus), in dem der Hauptanteil der aus DNA bestehenden Erbinformation (Genom) lokalisiert ist. Darüber hinaus tragen die

Die Prokaryonta und die prokaryontische Zelle

2 Die Prokaryonta und die prokaryontische Zelle Erwin Schneider

50

Mensch 1m

Länge mancher Nerven- und Muskelzellen

0,1 m Hühnerei 1 cm Froschei 1 mm

10 μm

1 μm

100 nm

eukaryontische Zelle Zellkern die meisten Bakterien Mitochondrium

Mycoplasma Viren Ribosomen

Elektronenmikroskop

100 μm

Lichtmikroskop

Im Verlauf der biologischen Evolution sind aus einer gemeinsamen Urzelle, auch Progenote genannt, drei Gruppen von Organismen hervorgegangen, Bacteria (Eubakterien), Archaea (Archaebakterien) und Eukarya (Eukaryonten). Bacteria und Archaea werden zu den Prokaryonten zusammengefasst. Eukaryonten schließen Pflanzen, Tiere, Pilze, Protozoen und Algen ein. Die heutigen Eukaryonten haben sich dabei durch Aufnahme von Eubakterien mit besonderen Stoffwechselaktivitäten in einen Vorläufereukaryonten entwickelt. In beiden Gruppen ist die Zelle die kleinste lebensfähige Einheit. Ihre makromolekularen Grundbestandteile sind Desoxyribonukleinsäure (DNA), Ribonukleinsäure (RNA), Proteine, Lipide und Kohlenhydrate. Eine prokaryontische Zelle ist in der Regel bedeutend kleiner als eine eukaryontische Zelle. Dies bedeutet, dass sie gemessen an ihrem Volumen eine relativ große Oberfläche besitzt. Dies bietet den Vorteil, dass ein schneller und effizienter Transport von Nährstoffen in die Zelle und von Ausscheidungsprodukten in die Umgebung möglich ist. Die hohe metabolische Aktivität gewährleistet schnelles Wachstum. Prokaryontische und eukaryontische Zellen unterscheiden sich weiterhin in der Größe ihres Genoms und in der Art ihrer Vermehrung. Auch sind prokaryontische Zellen weniger strukturiert. So fehlen ihnen die für eukaryontische Zellen typischen Organellen, wie Mitochondrien, Chloroplasten oder ein GolgiApparat. Archaea unterscheiden sich von Bacteria in der chemischen Zusammensetzung der Zellwände und der Zellmembran, aber auch in vielen grundlegenden molekularbiologischen Eigenschaften. Darüber hinaus besiedeln sie extreme Lebensräume oder haben einen außergewöhnlichen Stoffwechsel. Das Erscheinungsbild prokaryontischer Zellen ist auf relativ wenige Formen begrenzt, unter denen Stäbchen- und Kugelform (Kokken) vorherrschen. Diese morphologischen Unterschiede werden neben physiologischen, chemischen und molekularbiologischen Daten zur Klassifizierung der Prokaryonten in einem künstlichen System herangezogen. Aussagen über die evolutionäre Verwandtschaft liefert dagegen das „natürliche“ System, welches auf molekularbiologischen Analysen beruht.

10 m

menschliches Auge

2.1 Überblick

10 nm Proteine Lipide 1 nm

0,1 nm

kleine Moleküle Atome

Abb. 2.1 Zusammenhang zwischen der Größe verschiedener Beobachtungsobjekte und dem Auflösungsvermögen von Auge, Licht- und Elektronenmikroskop.

karyontische Zelle etwa 10fach größer (▶ Abb. 2.1). Auch ein Vergleich der Feinstrukturen (▶ Abb. 2.2) sowie der stofflichen Zusammensetzung lässt tiefgreifende Unterschiede zwischen prokaryontischen und eukaryontischen Zellen erkennen, deren wichtigste Merkmale im folgenden dargestellt sind (s. auch ▶ Tab. 2.1).

2.2 Prokaryonten versus Eukaryonten

2.2.1 Struktur des Genoms

Ein Vergleich von prokaryontischen und eukaryontischen Zellen offenbart zunächst eine erhebliche Differenz in der Zellgröße. Während die typische prokaryontische Zelle in der Regel nur wenige Mikrometer (μm) misst, ist die eu-

▶ Das Genom der Eukaryonten. Die eukaryontische Zelle besitzt einen Kern (griech. karyon oder lat. nucleus), in dem der Hauptanteil der aus DNA bestehenden Erbinformation (Genom) lokalisiert ist. Darüber hinaus tragen die

2.2 Prokaryonten versus Eukaryonten Bakterienzelle

Tierzelle

Zellwand Plasmamembran Ribosom Polysom Cytoplasma

Chromosom Plasmid

Pflanzenzelle

Plasmamembran Ribosom Polysom Cytoplasma Mitochondrium Golgiapparat ER Kernmembran Zellkern Nukleolus

Zellwand Plasmamembran Ribosom Polysom Cytoplasma Mitochondrium Golgiapparat ER Kernmembran Zellkern Nukleolus Pore Chloroplast Vakuole

Abb. 2.2 Schematische Darstellung des Aufbaus einer Prokaryontenzelle im Vergleich zu Tier- und Pflanzenzellen.

im Cytoplasma befindlichen Mitochondrien und die Chloroplasten der Pflanzen ein eigenes kleines Genom, das Ähnlichkeiten mit dem Genom von Prokaryonten aufweist. Im Kern ist das Genom auf mehrere Einzelstrukturen, die Chromosomen, verteilt. Der für einen bestimmten Organismus charakteristische Chromosomensatz wird in einem als Mitose (S. 78) bezeichneten Vorgang exakt dupliziert und auf die Tochterzellen vererbt. Dazu müssen die Chromosomen zunächst kondensiert werden. Hierbei spielt die Assoziation der DNA mit basischen Proteinen, den Histonen, in Form von Nukleosomen, eine wichtige Rolle. Höhere Pflanzen und Tiere vermehren sich sexuell, d. h. bei der Befruchtung verschmelzen die männliche Keimzelle und die weibliche Eizelle zu einer Zygote. Während die Keimzellen nur einen einzigen Chromosomensatz (haploid) tragen, enthalten die Zygote und die Körperzellen einen doppelten Chromosomensatz (diploid). Daraus folgt, dass für die sexuelle Phase eine Reduktion des diploiden in einen haploiden Chromosomensatz erfolgen muss. Diese Reduktionsteilung, Meiose genannt, wird durch Paarung der jeweils homologen, von beiden Eltern stammenden Chromosomen eingeleitet. Dabei können kreuzweise DNA-Bereiche ausgetauscht und neu kombiniert werden (Rekombination). Durch Duplikation der gepaarten Chromosomen und anschließende Verteilung eines jeweiligen Chromosomensatzes entstehen vier ha-

ploide Tochterzellen. Bei zahlreichen niederen Eukaryonten, eingeschlossen Algen und Protozoen, vollzieht sich die Meiose unmittelbar im Anschluss an die Zygotenbildung. Diese Organismen sind vorwiegend haploid (siehe Lehrbücher der Genetik). ▶ Das Genom der Prokaryonten. Die prokaryontische Zelle besitzt keinen Zellkern. Die DNA liegt als ringförmig geschlossenes Molekül im Cytoplasma vor, in seltenen Fällen auch als lineares Molekül. Das Bakterienchromosom erscheint in der elektronenmikroskopischen Aufnahme als ein feinfädiges komplexes Netz, das als Nukleoid bezeichnet wird und einer Kernregion entspricht (▶ Abb. 2.3). Jede Zelle enthält ein bis mehrere identische Chromosomen. Darüber hinaus verfügen viele Prokaryonten über Plasmide. Diese extrachromosomalen DNA-Moleküle tragen keine lebenswichtigen Erbinformationen, verleihen dem Wirt jedoch häufig Wachstumsvorteile gegenüber konkurrierenden Organismen. Plasmide variieren in ihrer Größe und Kopienzahl pro Zelle; sie treten gewöhnlich in einer ringförmig geschlossenen, seltener in einer linearen Form auf.

2.2.2 Struktur der Zelle ▶ Die prokaryontische Zelle ist weniger strukturiert. Schon ein erster Blick auf die prokaryontische und die eu-

1

Die Prokaryonta und die prokaryontische Zelle Tab. 2.1 Vergleich der wesentlichen Merkmale pro- und eukaryontischer Zellen. Prokaryonten

Eukaryonten

Archaea

Bacteria

einzellige Eukarya, Pflanzen, Tiere, Pilze

Größe

0,3–10 μm

0,3–10 μm, bis 750 μm

5 – 1 mm, bis zu mehreren Metern

Organisationsform

einzellig

einzellig

ein- oder mehrzellig

Membranaufbau

Etherlipide

Esterlipide, Hopanoide

Esterlipide, Sterole

Zellwand

Pseudopeptidoglykan, Polysaccharide, Glykoproteine, Proteine

Peptidoglykan, Polysaccharide, Proteine

Pflanzen und Pilze: Polysaccharide, Cellulose bzw. Chitin

Bewegung

Flagellen (ähnlich Typ-IV-Pili), Archaellin

Flagellen, Flagellin

Geißeln und Cilien (Mikrotubuli), Pseudopodien

Struktur und Funktion des Cytoplasmas intrazelluläre Membranen, Kompartimentierung

selten, Proteinmembranen

selten, organellenähnliche Kompartimente Membraneinstülpungen bei phototrophen und chemolithotrophen Bacteria

vorhanden, ER, Golgi-Apparat, Lysosomen, Microbodies, Pflanzen, Pilze: Vakuole

Organellen

keine

selten, Magnetosomen, Anammoxosomen, Carboxysomen, Gasvesikel

Mitochondrien, Pflanzen: Plastiden

Ribosomen

70S

70S

80S (70S: Mitochondrien, Plastiden)

Startaminosäure bei der Translation

Methionin

N-Formylmethionin

Methionin

Zellteilung

Septenbildung

Septenbildung

Mitose

Cytoskelett

FtsZ-Protein u. a. (ähnlich Tubulin) MreB-Protein u. a. (ähnlich Aktin)

FtsZ-Protein u. a. MreB-Protein u. a. Crescentin (ähnlich Intermediärfilament bei Caulobacter)

Tubulin, Aktin, Intermediärfilament

Lokalisation und Struktur der Erbinformation Kernstruktur

kernähnliche Struktur (Nukleoid)

kernähnliche Struktur (Nukleoid)

Zellkern (Nukleus) umgeben von Membran (Kernhülle)

chromosomale DNA

meist ringförmig ein bis mehrere identische Chromosomen histonverwandte Proteine nukleosomenähnlich haploid Transkription und Translation gleichzeitig

meist ringförmig ein bis mehrere identische Chromosomen histonähnliche Proteine haploid Transkription und Translation gleichzeitig

linear mehrere verschiedene Chromosomen Histone meist in Nukleosomen diploid oder haploid Transkription (Zellkern) und Translation (Cytoplasma) getrennt

extrachromosomale DNA

Plasmide, häufig linear

Plasmide, meist ringförmig

Plasmon der Mitochondrien und Plastiden (Pflanzen) Pilze: auch Plasmide

Introns

selten

selten

überwiegend vorhanden

genetische Rekombination

konjugationsähnlicher Prozess

Konjugation

Meiose, Syngamie

RNA-Polymerasen

eine (ähnlich Pol II) 11–13 Untereinheiten

eine 5 Untereinheiten

drei Pol I (14 Untereinheiten) Pol II (12 Untereinheiten) Pol III (17 Untereinheiten)

karyontische Zelle (▶ Abb. 2.2, ▶ Abb. 2.3) zeigt, dass in allen Organismengruppen das Zellinnere, das Cytoplasma, von einer Membran umschlossen ist, die eine Barriere für den Transport von Stoffen in die Zelle und aus der Zelle heraus darstellt. Die prokaryontische Zelle ist im

52

Vergleich zu den eukaryontischen Zellen sehr viel einfacher strukturiert. Ihr fehlen gänzlich Organellen wie Mitochondrien und Chloroplasten, die Reaktionsräume für bestimmte stoffwechselphysiologische Prozesse bilden. Die Mitochondrien sind in nahezu allen eukaryonti-

2.2 Prokaryonten versus Eukaryonten

Abb. 2.3 Elektronenmikroskopische Aufnahme eines Ultradünnschnitts von Escherichia coli B. Zellwand und Cytoplasmamembran sind aufgrund leichter Plasmolyse deutlich zu erkennen. Vergrößerung 56 200fach (ganze Zelle) bzw. 216 000fach (Ausschnitt). (Aufnahmen H. Frank, Tübingen)

Nukleoid Cytoplasma mit Ribosomen

Cytoplasmamembran

Zellwand

Zellwand Cytoplasmamembran

schen Zellen anzutreffen, sie sind die Orte der Energiegewinnung. Pflanzen und Algen besitzen darüber hinaus Chloroplasten, in denen die Photosynthese abläuft. Allerdings wurden auch bei manchen Bakterien organellähnliche Kompartimente gefunden, die in Kap. 5 genauer besprochen werden. ▶ Die eukaryontische Zelle enthält separate Funktionsräume. Die eukaryontische Zelle ist durchzogen von einem Netzwerk interner Membranen. Sie bilden das endoplasmatische Retikulum (ER), den Golgi-Apparat, die Lysosomen und die Peroxisomen. Den Zellkern umgibt eine doppelte Membran. Sie enthält Poren, die aus Proteinen bestehen, die den Ein- und Austritt von Metaboliten in und aus dem Kern steuern. Ein Teil des ER, das glatte endoplasmatische Retikulum, ist an der Synthese von Lipiden und am Kohlenhydratstoffwechsel beteiligt. Das raue endoplasmatische Retikulum ist Ort der Proteinsynthese. Es ist perlschnurartig mit 80S-Ribosomen besetzt, die größer sind als die 70S-Ribosomen der Prokaryonten (S, Svedberg-Einheit, gibt den Sedimentationskoeffizienten der ribosomalen Untereinheit oder des kompletten Ribosoms im Schwerefeld einer Ultrazentrifuge an). Die Ribosomen bestehen aus Proteinen und Ribonukleinsäure und werden in Eukaryonten im Kern gebildet. Hierzu wandern die im Cytoplasma synthetisierten ribosomalen Proteine durch die Kernmembran in eine RNA-reiche Region des Kerns, den Nukleolus. Dort werden die Proteine mit der rRNA (r, ribosomal) zu zwei Untereinheiten zusammengefügt, ins Cytoplasma exportiert und schließlich zum fertigen Ribosom zusammengesetzt. Im Golgi-Apparat, der von Membranstapeln durchzogen ist, werden die am ER gebildeten Produkte wie Hormone und Verdauungsenzyme modifiziert und von der Zelle sekretiert. In den Lysosomen und Peroxisomen laufen bestimmte enzymatische Reaktionen ab, z. B. der Abbau von Lipiden, Proteinen und Polysacchariden. ▶ Zellorganellen in Eukaryonten und Endosymbiontentheorie. Die stäbchenförmigen Mitochondrien (singular: Mitochondrium) haben etwa die Größe eines Bakteriums

und sind umgeben von einer äußeren und einer inneren Membran; letztere besteht aus Leisten (Cristae) oder Röhren (Tubuli). An diesen Membranen laufen die Atmung (Respiration) und die ATP-Synthese ab. In der Matrix des Mitochondriums werden die organischen Substrate oxidiert, vornehmlich durch die Enzyme des Citratzyklus. Die chlorophyllhaltigen Chloroplasten der photosynthetischen Eukaryonten sind größer als die Mitochondrien. Ähnlich wie die Mitochondrien besitzen sie eine sehr durchlässige äußere Membran und eine wenig permeable innere Membran. Anstelle der Cristae beherbergen die Chloroplasten ringförmige Membranstapel, sogenannte Thylakoide, an denen der Photosyntheseprozess und die ATP-Synthese ablaufen. Im Stroma dominiert das Schlüsselenzym der autotrophen CO2-Fixierung, die Ribulosebisphosphat-Carboxylase (Rubisco) (S. 310). Sie macht bis zu 50 % der gesamten Chloroplastenproteine aus und leitet die Synthese von organischen Zellbestandteilen aus Kohlendioxid ein. Sowohl Mitochondrien als auch Chloroplasten enthalten eigene DNA, die wie bei den Prokaryonten als ein geschlossenes, ringförmiges Molekül vorliegt. Beide Organellen besitzen darüberhinaus 70S-Ribosomen, die nicht nur in der Größe, sondern auch in der Sequenz der rRNA den Ribosomen der Prokaryonten gleichen. Dies erklärt auch, dass die Proteinsynthese in Mitochondrien und Chloroplasten durch ähnliche Antibiotika gehemmt wird wie die Proteinsynthese der Eubakterien (Kap. 5.14). Aufgrund dieser auffallenden Ähnlichkeiten von Mitochondrien und Chloroplasten mit prokaryontischen Zellen wird seit langem die Endosymbiontentheorie zur Entstehung eukaryontischer Zellen diskutiert. Die Endosymbiontentheorie geht davon aus, dass sich die heutigen Eukaryonten durch Aufnahme von respiratorischen bzw. phototrophen Bakterien in eine Vorläuferzelle entwickelt haben. Im Laufe der Evolution wurden dann Teile der (bakteriellen) Organell-DNA in den Kern der Wirtszelle integriert. Die Existenz spezieller Organellen wie den Hydrogenosomen bei einigen eukaryontischen Mikroorganismen wird als weiterer Hinweis für die Endosymbiotentheorie gewertet (Plus 2.1).

3

Die Prokaryonta und die prokaryontische Zelle

●V

Plus 2.1 Hydrogenosomen Einige Protozoen (eukaryontische Mikroorganismen), die streng an einen sauerstofffreien, fermentativen Stoffwechsel angepasst sind, verfügen über ein besonderes Organell, das Hydrogenosom. In Hydrogenosomen wird Pyruvat zu dem energiereichen Acetyl-CoA, Kohlendioxid und Wasserstoff oxidiert (▶ Abb. 2.4). Aus Acetyl-CoA kann in Abwesenheit von Sauerstoff, dem normalen Elektronenakzeptor der Atmung, ATP gebildet werden (s. auch Kap. 13.2.4). Im Gegensatz zu den Mitochondrien besitzen Hydrogenosomen in der Regel keine DNA und Ribosomen. Da die KernDNA hydrogenosomentragender Eukaryonten Gene enthält, die vermutlich bakteriellen Ursprungs sind, wird postuliert, dass fakultativ anaerobe Bakterien nach Erreichen des endosymbiotischen Zustands ihre DNA vollständig in den Kern der Wirtszelle übertragen haben und die Hydrogenosomen als eine stoffwechselphysiologische Einheit erhalten blieben. Nach dieser Theorie sind Hydrogenosomen und Mitochondrien auf eine ähnliche Endosymbiose zurückzuführen.

2.3 Archaea versus Bacteria Zur Gruppe der Prokaryonten gehören auch die Archaea (Archaebakterien). Sie verfügen über denselben generellen Zellaufbau wie die Bacteria (Eubakterien). Zu ihnen zählen Vertreter, die sich an extremen, eigentlich lebensfeindlichen Standorten finden, wie zum Beispiel in heißen, zum Teil sauren Quellen (hyperthermophile) und Salzseen (extrem halophile), sowie die Methanogenen, die als einzige Organismengruppe einen Stoffwechsel betreiben, dessen Endprodukt Methan ist. Deshalb gelten sie auch als mögliche Nachkommen evolutionär sehr ursprünglicher Organismen. Archaea weisen einige typische Merkmale auf, die sie von den Bacteria unterscheiden (s. auch ▶ Tab. 2.1). Diese betreffen u. a. den Aufbau der Zellwände, die chemische Zusammensetzung der Lipide der Cytoplasmamembran, den Aufbau der zur Transkription benötigten RNA-Polymerase sowie Aspekte der Proteinsynthese. So fehlt den Archaea die für Bacteria charakteristische Zellwandsubstanz (Murein). Weiterhin weisen ihre Membranlipide reduzierte Isoprenalkohole (Isopranalkohole) auf, die in Etherbindungen mit Glycerin verknüpft sind, während Bacteria – mit wenigen Ausnahmen – und Eukaryonten Fettsäuren verestert mit Glycerin besitzen. Im Gegensatz zu Bacteria, die über eine RNA-Polymerase mit fünf Untereinheiten verfügen, besitzen Archaea, wie auch die Eukarya, generell komplexer zusammengesetzte Enzyme dieses Typs (Transkription). Obgleich sowohl Archaea als auch Bacteria über 70S-Ribosomen als Orte der Proteinsynthese (Translation) verfügen, ergibt sich bei Archaea eine größere Ähnlichkeit des Prozesses zum eukaryonti-

54

Glucose

Zellmembran

Glycolyse

Cytoplasma CO2 + H2

Pyruvat

Pyruvat

Acetyl-CoA ADP ATP

Hydrogenosom ATP

Acetat

Abb. 2.4 Bildung von ATP in Hydrogenosomen. Erklärung siehe Text.

schen System (mit 80S-Ribosomen). So wird jedes Protein mit der Aminosäure Methionin gestartet, während Bacteria hier ein modifiziertes Methionin (N-Formylmethionin) verwenden. Auch sind die Ribosomen bzw. die Translation unempfindlich gegenüber bekannten Hemmstoffen der eubakteriellen Proteinsynthese, wie dem Antibiotikum Chloramphenicol, aber empfindlich gegen Diphtherietoxin, einem Hemmer der eukaryontischen Proteinsynthese. Diese und andere Eigenschaften unterstreichen die auf der Basis phylogenetischer Analysen erfolgte Einteilung von Bacteria und Archaea in separate Domänen innerhalb der Prokaryonten (s. ▶ Abb. 1.5).

2.4 Die Prokaryontenzelle – Zellform, Größe und chemische Zusammensetzung Im Folgenden werden der Aufbau, die Zusammensetzung und einige Funktionen der prokaryontischen Zelle erläutert. Hauptsächliches Bezugsobjekt ist eine gramnegative Bakterienzelle. Das zu den am besten untersuchten Organismen zählende Enterobakterium Escherichia coli (▶ Abb. 2.3) steht hier stellvertretend als Modell. Ein schematisches Abbild einer prokaryontischen Standardzelle (▶ Abb. 2.5) vereint in idealisierter Form die allgemeinen Merkmale eines Bakteriums. Nicht alle Merkmale dieser Idealzelle treffen im Einzelfall zu.

Die Prokaryonta und die prokaryontische Zelle

●V

Plus 2.1 Hydrogenosomen Einige Protozoen (eukaryontische Mikroorganismen), die streng an einen sauerstofffreien, fermentativen Stoffwechsel angepasst sind, verfügen über ein besonderes Organell, das Hydrogenosom. In Hydrogenosomen wird Pyruvat zu dem energiereichen Acetyl-CoA, Kohlendioxid und Wasserstoff oxidiert (▶ Abb. 2.4). Aus Acetyl-CoA kann in Abwesenheit von Sauerstoff, dem normalen Elektronenakzeptor der Atmung, ATP gebildet werden (s. auch Kap. 13.2.4). Im Gegensatz zu den Mitochondrien besitzen Hydrogenosomen in der Regel keine DNA und Ribosomen. Da die KernDNA hydrogenosomentragender Eukaryonten Gene enthält, die vermutlich bakteriellen Ursprungs sind, wird postuliert, dass fakultativ anaerobe Bakterien nach Erreichen des endosymbiotischen Zustands ihre DNA vollständig in den Kern der Wirtszelle übertragen haben und die Hydrogenosomen als eine stoffwechselphysiologische Einheit erhalten blieben. Nach dieser Theorie sind Hydrogenosomen und Mitochondrien auf eine ähnliche Endosymbiose zurückzuführen.

2.3 Archaea versus Bacteria Zur Gruppe der Prokaryonten gehören auch die Archaea (Archaebakterien). Sie verfügen über denselben generellen Zellaufbau wie die Bacteria (Eubakterien). Zu ihnen zählen Vertreter, die sich an extremen, eigentlich lebensfeindlichen Standorten finden, wie zum Beispiel in heißen, zum Teil sauren Quellen (hyperthermophile) und Salzseen (extrem halophile), sowie die Methanogenen, die als einzige Organismengruppe einen Stoffwechsel betreiben, dessen Endprodukt Methan ist. Deshalb gelten sie auch als mögliche Nachkommen evolutionär sehr ursprünglicher Organismen. Archaea weisen einige typische Merkmale auf, die sie von den Bacteria unterscheiden (s. auch ▶ Tab. 2.1). Diese betreffen u. a. den Aufbau der Zellwände, die chemische Zusammensetzung der Lipide der Cytoplasmamembran, den Aufbau der zur Transkription benötigten RNA-Polymerase sowie Aspekte der Proteinsynthese. So fehlt den Archaea die für Bacteria charakteristische Zellwandsubstanz (Murein). Weiterhin weisen ihre Membranlipide reduzierte Isoprenalkohole (Isopranalkohole) auf, die in Etherbindungen mit Glycerin verknüpft sind, während Bacteria – mit wenigen Ausnahmen – und Eukaryonten Fettsäuren verestert mit Glycerin besitzen. Im Gegensatz zu Bacteria, die über eine RNA-Polymerase mit fünf Untereinheiten verfügen, besitzen Archaea, wie auch die Eukarya, generell komplexer zusammengesetzte Enzyme dieses Typs (Transkription). Obgleich sowohl Archaea als auch Bacteria über 70S-Ribosomen als Orte der Proteinsynthese (Translation) verfügen, ergibt sich bei Archaea eine größere Ähnlichkeit des Prozesses zum eukaryonti-

54

Glucose

Zellmembran

Glycolyse

Cytoplasma CO2 + H2

Pyruvat

Pyruvat

Acetyl-CoA ADP ATP

Hydrogenosom ATP

Acetat

Abb. 2.4 Bildung von ATP in Hydrogenosomen. Erklärung siehe Text.

schen System (mit 80S-Ribosomen). So wird jedes Protein mit der Aminosäure Methionin gestartet, während Bacteria hier ein modifiziertes Methionin (N-Formylmethionin) verwenden. Auch sind die Ribosomen bzw. die Translation unempfindlich gegenüber bekannten Hemmstoffen der eubakteriellen Proteinsynthese, wie dem Antibiotikum Chloramphenicol, aber empfindlich gegen Diphtherietoxin, einem Hemmer der eukaryontischen Proteinsynthese. Diese und andere Eigenschaften unterstreichen die auf der Basis phylogenetischer Analysen erfolgte Einteilung von Bacteria und Archaea in separate Domänen innerhalb der Prokaryonten (s. ▶ Abb. 1.5).

2.4 Die Prokaryontenzelle – Zellform, Größe und chemische Zusammensetzung Im Folgenden werden der Aufbau, die Zusammensetzung und einige Funktionen der prokaryontischen Zelle erläutert. Hauptsächliches Bezugsobjekt ist eine gramnegative Bakterienzelle. Das zu den am besten untersuchten Organismen zählende Enterobakterium Escherichia coli (▶ Abb. 2.3) steht hier stellvertretend als Modell. Ein schematisches Abbild einer prokaryontischen Standardzelle (▶ Abb. 2.5) vereint in idealisierter Form die allgemeinen Merkmale eines Bakteriums. Nicht alle Merkmale dieser Idealzelle treffen im Einzelfall zu.

2.4 Die Prokaryontenzelle – Zellform, Größe und chemische Zusammensetzung

Plasmid Ribosom

kernäquivalenter Pilus Bereich Polysom Cytoplasmamembran

Fimbrien

Zellwand

Chromosom

Flagelle

Speichergranula

mRNA

Abb. 2.5 Schematischer Aufbau einer Bakterienzelle. Es sind sowohl die allgemeinen strukturellen Merkmale als auch Besonderheiten berücksichtigt, die nicht bei allen Arten vorkommen. Die Zellhülle entspricht derjenigen eines gramnegativen Bakteriums. (nach Doenecke et al., Karlsons Biochemie, Thieme, 2005)

Kapsel Schleimschicht

intracytoplasmatische Membran

periplasmatischer Raum äußere Membran

Oberflächenschicht aus Protein 1 μm

2.4.1 Morphologische Merkmale Die prokaryontische Standardzelle leitet sich in ihrer Gestalt entweder von einem Zylinder oder einer Kugel ab (▶ Abb. 2.6). Die zylindrische Stäbchenform, etwa 1 μm breit und 3–5 μm lang, ist typisch für Angehörige der Enterobacteriaceae (▶ Abb. 2.3) sowie der Gattungen Pseudomonas und Bacillus. Formvarianten sind die einfach oder helixartig gekrümmten Stäbchen, die als Vibrio bzw. Spirillum bezeichnet werden. Der Gestalt einer Kugel gleichen die Kokken (Cocci), von denen Mikroformen existieren (Nanoarchaea), die nur einen Durchmesser von < 0,5 μm besitzen (▶ Abb. 2.26). Sowohl bei stäbchenförmigen als auch bei coccoiden Prokaryonten ist häufig zu beobachten, dass die Zellen nach der Teilung zusammenbleiben. Sie bilden arttypische Zellverbände in Form von Ketten (Diplokokken, kettenartige Streptokokken) oder Zellpaketen (traubenförmige Staphylokokken, bündelartige Sarcinen, ▶ Abb. 2.7a). Abweichend von diesen Grundformen zeigen einige Prokaryonten ungewöhnliche morphologische Merkmale. Dünne, helixartig gewunde-

ne, fädige Zellen (Durchmesser 0,25 μm) sind charakteristisch für die Spirochaeten (▶ Abb. 2.7b). Keulenförmige Zellen, die eine Tendenz zur Verzweigung haben, finden sich in den Gattungen Corynebacterium (▶ Abb. 2.7c) und Mycobacterium. Andere Prokaryonten entwickeln einen Stiel, um sich an Oberflächen anzuheften, oder bilden hyphenartige Auswüchse (Prosthekate, ▶ Abb. 2.8). Verzweigte filamentöse Zellen, die einem Pilzmyzel gleichen, sind typisch für Streptomyceten und Actinomyceten (▶ Abb. 2.7d). Schließlich sind unter den Prokaryonten auch einige Riesenbakterien anzutreffen, z. B. Chromatium okenii (20 μm Länge), Thiospirillum jenense (50 μm Länge), Achromatium sp. (35 × 95 μm) und Epulopiscium fishelsoni (80 × 600 μm), das als Darmsymbiont des Braunen Doktorfisches (Acanthurus nigrofuscus) lebt. Spitzenreiter ist Thiomargarita namibiensis (Länge bis 750 μm, ▶ Abb. 2.7e), das die Größe von Paramecium (150 μm), einem Ciliat, um das Mehrfache übertrifft. Die Zellen dieser Riesenbakterien sind von einer Vakuole ausgefüllt, in der Nährstoffe (z. B. Nitrat und Schwefel) gespeichert werden. Abb. 2.6 Wuchsformen von Bakterien.

Kokken

Streptokokken

Stäbchen

eckige Enden

gewundene Stäbchen

Staphylokokken

schlank

Vibrionen

Diplokokken

plump

Neisserien

kokkoid

Spirillen (starr, plump)

fädig

Sarcinen

spitze Enden

Spirochaeten (flexibel, zart)

5

Die Prokaryonta und die prokaryontische Zelle a

b

c

d

e

Abb. 2.7 Beispiele für Bakterienformen. a In Nährlösung gewachsene Zellpakete von Sarcina ventriculi (Hellfeldaufnahme, 750fach). (Aufnahme D. Claus) b Elektronenmikroskopische Aufnahme vom gestreckten Zustand einer Mundspirochaete mit mehreren Achsialfibrillen (Vergrößerung 7 000fach). (aus Listgarten H. J. Bacteriol. 88 (1964):1087) c Elektronenmikroskopische Aufnahme von Corynebacterium glutamicum. (Aufnahme Forschungszentrum, Jülich) d Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme von Streptomyces collinus Stamm Tü 365. (Aufnahme Tina Laiple, Tübingen) e Thiomargarita namibiensis; Zelldurchmesser ca. 200 μm mit Schwefeleinschlüssen (helle, kugelige Strukturen). (Aufnahme Heide Schulz-Vogt, Rostock)

Abb. 2.8 Prosthekate und gestielte Bakterien.

Hyphomicrobium

Rhodomicrobium

Ancalomicrobium

56

Caulobacter

Gallionella

Prosthecomicrobium

Nevskia

2.4.2 Stoffliche Zusammensetzung

Proteine

Die prokaryontische Zelle, z. B. die von E. coli, besteht überwiegend (70–85 %) aus Wasser. Die Trockenmasse enthält hauptsächlich polymere Substanzen (96 %). Die frei vorliegenden monomeren Bausteine (Aminosäuren, Zucker, Nukleotide und anorganische Ionen) machen nur 4 % der Trockenmasse (S. 296) aus.

Unter den polymeren Zellinhaltsstoffen dominieren Proteine. Eine E.-coli-Zelle enthält das Potenzial zur Bildung von 4 288 verschiedenen Proteinen, von denen etwa 2700 bekannt sind. Die Proteine kommen sowohl im Cytoplasma als auch in der Zellhülle vor. Sie erfüllen strukturelle, katalytische (enzymatische) und regulatorische Funktionen. Ihre Zusammensetzung und Konzentration variiert je nach Lebensbedingungen der Zelle. Ein komplexes Regulationsnetzwerk sorgt dafür, dass nicht alle Proteine gleichzeitig und auf einem hohen Niveau gebildet, son-

2.4 Die Prokaryontenzelle – Zellform, Größe und chemische Zusammensetzung dern bedarfsgerecht produziert werden. Dadurch wird kostbare Energie gespart, die sonst in hohem Maße durch unnötige Proteinsynthese verloren ginge. Proteine bestehen aus 20 universell verwendeten L-Aminosäuren. Hinzu kommt in vielen (fakultativ) anaeroben Bakterien die Aminosäure Selenocystein und bei nur wenigen Prokaryonten die Aminosäure Pyrrolysin (▶ Abb. 2.9). Die Aminosäuren enthalten zwei wichtige funktionelle Gruppen, die Carboxylgruppe (–COOH,

Glycin (Gly) [G]

L-Alanin (Ala) [A]

COO– H 3N

C

H

L-Valin (Val) [V]

COO– H3N

C

H

pKa = 1,7–2,6) und die Aminogruppe (–NH2, pKa –NH3+ = 8,9–10,6). Bei der Verknüpfung zweier Aminosäuren kommt es zur Bildung einer Peptidbindung (▶ Abb. 2.10). Infolge einer Kettenverlängerung entsteht ein aus zahlreichen Aminosäuren zusammengesetztes Polypeptid, das eine große Vielfalt an Struktur- und Funktionsmöglichkeiten bietet. Die Aminosäuren unterscheiden sich hinsichtlich des Restes (R) am α-C-Atom, das beide funktionelle Gruppen trägt (▶ Abb. 2.9). Die Aminogruppe am

L-Leucin (Leu) [L]

COO–

H

H3 N

CH3

C

COO–

H

H3 N

CH H 3C CH3

L-Cystein (Cys) [C]

COO– H3N

C

H

H

C

OH

L-Selenocystein (Sel) [U]

H3N

C

H

H3N

CH2 S

H

C

H

CH CH3

H3N

C

H3 N

C

H

COO– H3 N

H

L-Tryptophan (Trp) [W]

L-Phenylalanin (Phe) [F]

COO–

COO– H3N

H 2N

L-Tyrosin (Tyr) [Y]

C

CH2

H3N

C

COO–

H3N

C

H

H3N

C

L-Asparaginsäure (Asp) [D]

H

NH

L-Asparagin (Asp-NH2 oder Asn) [N]

COO– H3 N

CH2

C

H

H

CH2

CH2

CH2 S CH3

COO–

H

L-Histidin (His) [H]

COO–

H

H

CH3

N H L-Prolin (Pro) [P]

C

CH2OH

CH H2 C CH3

CH2

Se

L-Serin (Ser) [S]

COO–

COO–

CH2

CH3

H

L-Methionin (Met) [M]

COO–

COO–

C

CH2 H3C

L-Threonin (Thr) [T]

L-Isoleucin (Ile) [I]

HN L-Glutaminsäure (Glu) [E] COO–

COO– H3 N

C

H

H3 N

C

H

CH2

CH2

CH2

COO–

C

CH2

O

NH2

COO–

OH L-Glutamin (Glu-NH2 oder Gln) [Q]

L-Lysin (Lys) [K]

O

C

H

L-Arginin (Arg) [R]

COO– H3 N

C

H

COO– H3 N

C

COO–

H

H3N

C

H

CH2

CH2

CH2

CH2

CH2

CH2

CH2

CH2

C

CH2

CH2

CH2

CH2 NH3

CH2

NH

NH2

ionisierbar: negativ geladen ionisierbar: positiv geladen

COO– H3N

L-Pyrollysin (Pyl) [O]

NH O

C

polar (nicht ionisierbar) apolar (hydrophob)

C N

H2 N

NH2

CH3 Abb. 2.9 Strukturen und Eigenschaften der Aminosäureseitenketten.

7

Die Prokaryonta und die prokaryontische Zelle

R2 O

H O H3N

C

C

OH

C

HN H

+

R1

C

O–

H

H 2O H O H3N

C

C

R1

R2 O N

C

H

H

O–

C

Peptidbindung Abb. 2.10 Bildung einer Peptidbindung.

COO– H3 N

C

H

CH3

COO– H3N

C

H

H

CH3

COO– C

COO–

NH3

CH3

L-Alanin

H

C CH3

NH3

D-Alanin

Abb. 2.11 Stereoisomere L- und D-Formen. Links ist jeweils die zweidimensionale, rechts die dreidimensionale Darstellung gezeigt.

α-C-Atom kann in zwei stereoisomeren (enantiomeren) Formen vorkommen, der D- oder L-Form, wie dies am Beispiel des Alanins veranschaulicht ist (▶ Abb. 2.11). Bei der Proteinbiosynthese an den Ribosomen werden ausschließlich die L-Aminosäuren als Vorstufen verwertet. D-Aminosäuren, die nur in kurzen Peptiden wie im Peptidoglykan (S. 328) oder in Peptidantibiotika (S. 698) vorkommen, werden dagegen von speziellen Multienzymkomplexen verknüpft. Das chemische Verhalten einer Aminosäure wird weitgehend durch die Eigenschaften des Seitenrestes R bestimmt (▶ Abb. 2.9). So können negativ und positiv geladene Aminosäuren, z. B. Aspartat bzw. Arginin, ionische Bindungen innerhalb eines Proteins eingehen. Über Schwefelatome benachbarter Cysteinmoleküle sind kovalente Verknüpfungen zwischen und innerhalb von Peptidketten möglich (▶ Abb. 2.12).

Anzahl und Sequenz der Aminosäuren sind in der DNA verschlüsselt; sie bestimmen die Primärstruktur eines Proteins. Bedingt durch die unterschiedlichen chemischen Eigenschaften der Aminosäuren nimmt die Polypeptidkette durch Faltung eine bestimmte räumliche Konformation ein, die als Sekundärstruktur bezeichnet wird. Die Ausbildung der Sekundärstruktur wird vornehmlich durch nichtkovalente Bindungen, hauptsächlich durch Wasserstoffbrückenbindungen, stabilisiert (▶ Abb. 2.13a). In größeren Molekülen wechseln schraubenförmig gewundene Bereiche (α-Helix) und stapelförmige Schichten (β-Faltblatt, ▶ Abb. 2.13b). Diese diskreten Segmente innerhalb des Polypeptids bilden Domänen, die mit bestimmten Funktionen des Proteins korrelieren. Die dreidimensionale Struktur eines Proteins, auch als Tertiärstruktur bezeichnet, vereint die einzelnen Domänen eines Polypeptids zu einem Gesamtmolekül. Sie wird, ebenso wie die Sekundärstruktur, durch kovalente Disulfidbrücken, durch Wasserstoffbrückenbindungen sowie durch hydrophobe und ionische Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Aminosäuren stabilisiert (▶ Abb. 2.12). Nicht selten ist ein Protein aus mehreren Polypeptidketten (Untereinheiten) zusammengesetzt, deren Anzahl und Konformation die Quartärstruktur des Proteins ausmachen. Derartige oligomere Proteine enthalten entweder identische oder nichtidentische Untereinheiten. So besteht z. B. die bereits erwähnte RNA-Polymerase (▶ Tab. 2.1) aus mehreren unterschiedlichen Untereinheiten, die zu einem Proteinkomplex assembliert werden.

Desoxyribonukleinsäure Das prokaryontische Genom besteht aus Desoxyribonukleinsäure (DNA), sie lässt sich in drei äquimolare Grundbausteine zerlegen: in Desoxyribose, Phosphat und eine stickstoffhaltige Base. Desoxyribonukleotide entstehen durch enzymatische Katalyse mittels Ribonukleotid-Reduktase aus Ribonukleotiden, den Grundbausteinen der Ribonukleinsäure (RNA). Vier verschiedene heterozyklische Verbindungen, die Pyrimidine Cytosin und Thymin und die Purine Guanin und Adenin, repräsentieren die

C CH2

CH2

CH2

S

C

C

S CH2

O O

O– –

C

O

Ca

2+

O

O

CH3 CH3

O–

NH3

CH2

CH2

CH

CH3 CH3 H

CH

N DisulfidBindung

58

Ionenbindungen

Wasserstoffbrückenbindung

hydrophobe Bindung

Abb. 2.12 Möglichkeiten der Ausbildung von Haupt- und Nebenvalenzen bei Proteinmolekülen. Die Bindungslängen sind nicht maßstabsgetreu dargestellt.

2.4 Die Prokaryontenzelle – Zellform, Größe und chemische Zusammensetzung

a

b

O O

C C CH C CH N R 17 O C CH N R H 16 O C CH N R H 15 C CH N R H 14 CH N R H 13 R12 H O O C O

O

N H O C R CH R CH C O H N H N C O HC R HC R O C N H N H O C CH R CH R C O H N H N C O HC R HC R O C N H N H O C CH R R CH C O H N H N C O HC R HC R O C N H N H O C

R

C CH N CH N R H 9 R8 H O O C C CH CH N R 6 N R H

R

R

5

H

Wasserstoffbrücken zwischen nahegelegenen Aminosäuren

O O

C C CH N CH N R H 2 R1 H

N H CH C O H N HC O C N H CH C O H N HC O C N H CH C O H N HC O C N H

R

R

R

Wasserstoffbrücken zwischen entfernten Aminosäuren

Abb. 2.13 Sekundärstrukturen von Proteinketten. a α-Helix. b β-Faltblatt.

O

O

N

N

N

N

N O

H

N

N H

O

H H

N

N N

N N

H

G

O H

H

O 3' H

O DNA-Kette

Wasserstoffbrückenbindung

3' Hydroxyl

H

O

H

H 3C

N

P

O

O

N

H

O

N

H2C

–O

Adenin H

C

Thymin

O

Guanin

H

H O

H2C 5'

Cytosin

P

H

c

O

H

O –

H

H

H

H

H

O

H

T

O

H

P O

H2C 5'

Guanin (G) DNA RNA

Adenin (A) DNA RNA

RNA

NH2

P

N

O

N H

N

O

–O



Uracil (U)

Thymin (T) DNA

Cytosin (C) DNA RNA

N H

O

O

NH

O

N H

O

5 6 1N 2 4 3

A

N H

9

O

O

7

H2C

8

3' Hydroxyl

H

NH

NH

O N

H

N H

NH2 N

H

5 4 3N 6 1 2

O

O H3C

b 5' Phosphat

O 3' H

NH2

Purinbasen

H

Pyrimidinbasen

a

5' Phosphat

Abb. 2.14 Nukleinsäuren. a Strukturen der Basen in DNA und RNA. b Komplementäre und antiparallele Eigenschaften der DNA. c Spezifische Basenpaarung zwischen Guanin und Cytosin sowie Adenin und Thymin. A, Adenin, T, Thymin, C, Cytosin, G, Guanin.

9

Basen der DNA (▶ Abb. 2.14a). Über das N1-Atom der Pyrimidinbasen bzw. das N9-Atom der Purinbasen sind sie N-glykosidisch mit dem C 1-Atom der Desoxyribose zu einem Nukleosid verknüpft. Zusammen mit dem Phosphatrest, der mit dem C 5-Atom der Desoxyribose eine Esterbindung eingeht, bilden die drei Bausteine ein Nukleotid. Die DNA ist eine Kette aus kovalent verbundenen Nukleotiden. Das Rückgrat dieses Polymers besteht aus den über Phosphodiestergruppen verbundenen Desoxyribosemolekülen, mit einem freien Phosphatrest am C 5’-Ende und einer freien Hydroxylgruppe am entgegengesetzten C 3’-Ende (▶ Abb. 2.14b). Die im Cytoplasma befindliche DNA liegt als doppelsträngiges, helikal gewundenes Molekül vor. Die beiden gegenläufigen Stränge (5’→3’, 3’→5’) weisen also eine Polarität auf, sie sind antiparallel und werden über rechtwinklig zur Achse, nach innen weisende Basen durch Wasserstoffbrückenbindungen zusammengehalten. Um den Abständen und den Bindungsverhältnissen Rechnung zu tragen, muss jedem Adenin (A) ein Thymin (T) und jedem Guanin (G) ein Cytosin (C) gegenüberstehen. Bei der komplementären Paarung A/T kommt es zur Ausprägung zweier und im Fall von G/C zu drei Wasserstoffbrückenbindungen (▶ Abb. 2.14c). Aus dieser von Erwin Chargaff entdeckten Gesetzmäßigkeit der Basenpaarung folgt, dass die Summe der Pyrimidingleich der Summe der Purinbasen ist. Diese Erkenntnis bildete eine wichtige Grundlage bei der Entwicklung des Modells einer DNA-Doppelhelix durch James D. Watson und Francis Crick (1953). Der molare prozentuale Anteil der Basen Guanin (G) plus Cytosin (C) an den Gesamtbasen (GC-Gehalt) der DNA variiert in verschiedenen Organismen von ca. 20 % bis fast 80 % (▶ Abb. 2.15); diese Variation ist bedingt durch die unterschiedliche Nutzung der mehrfachen Codons für die einzelnen Aminosäuren („codon usage“)

Organismen Prokaryonten · Bacteria · Archaea Eukaryonten · Tiere · Pflanzen · Algen · Pilze · Protozoa 10 20 30 40 50 60 70 80 90 100 GC [mol %] Abb. 2.15 GC-Gehalt der DNA verschiedener Organismen.

60

relative UV-Absorption

Die Prokaryonta und die prokaryontische Zelle

1,5 1,4 1,3 1,2

Knäuelzustand Doppelhelix

1,1 1,0 30 40 50 60 70 80 90 100

120°C

Tm Abb. 2.16 Schmelzkurve zur Bestimmung des GC-Gehalts von DNA. Tm gibt die Temperatur an, bei der die halbe maximale Extinktionszunahme erreicht ist.

(S. 206). Der GC-Gehalt wird auch zur Charakterisierung der prokaryontischen DNA herangezogen: GC-Gehalt (mol%) = 100(G + C)/(A + T + G + C). Organismen mit ähnlichem GC-Gehalt haben oft, jedoch nicht zwangsläufig, sehr ähnliche Phänotypen. Der GC-Gehalt kann z. B. durch Bestimmung der Schmelztemperatur (Tm) der DNA ermittelt werden. Dabei macht man sich zunutze, dass die beiden Stränge der DNA-Doppelhelix bei Erwärmung durch Auflösung der Wasserstoffbrückenbindungen zwischen GC und AT getrennt („geschmolzen“) werden. Die Höhe der Schmelztemperatur wird dabei wesentlich durch das Mengenverhältnis zwischen GC- und AT-Paaren bestimmt. Da zwischen Guanin und Cytosin drei, zwischen Adenin und Thymin jedoch nur zwei Wasserstoffbrückenbindungen vorliegen, steigt die Stabilität und somit die Schmelztemperatur mit dem GC-Gehalt. Die Trennung der Polynukleotidstränge ist mit einer Absorptionszunahme bei 260 nm verbunden (Hyperchromizität), wodurch der Vorgang photometrisch gemessen werden kann (▶ Abb. 2.16). Aus der Schmelztemperatur lässt sich der GC-Gehalt berechnen. Eine einzige helikale Windung in der Doppelhelix (▶ Abb. 2.17) umfasst 10 Basenpaare (bp). Die Struktur dieser DNA, die eine große und eine kleine Furche erkennen lässt, ist bedeutsam für die Interaktion von regulatorischen Proteinen mit der DNA. Das Genom des Bakteriums Escherichia coli K12 (Stamm MG 1655) besteht beispielsweise aus 4 639 221 bp, vereinfacht formuliert aus 4 600 Kilobasenpaaren (kb), bzw. 4,6 Megabasenpaaren (Mb). Das Chromosom ist, wie bei den meisten Bakterien, ein kovalent geschlossenes, ringförmiges Molekül. Daneben kommen bei anderen Bakterien wie Streptomyceten jedoch auch lineare Chromosomen vor. Das Chromosom hat eine Länge von 1,5 mm und einen Durchmesser von 2 nm und muss in einer E.-coli-Zelle Platz finden, die 2 × 0,5 μm misst. Dies ist nur vorstellbar, wenn das fädige Molekül eine besondere Architektur – in Form des Nukleoids – einnimmt (s. ▶ Abb. 2.3 und Kap. 6.2).

2.4 Die Prokaryontenzelle – Zellform, Größe und chemische Zusammensetzung

a

b

3,4 nm

0,34 nm 1 nm

H

O

C in der Phosphodiesterkette

C bzw. N in den Basen

P

Abb. 2.17 Raumstruktur der DNA-Doppelhelix. (aus Knippers, Molekulare Genetik, Thieme, 2006) a Dimensionen: Eine vollständige Windung umfasst 3,4 nm und erstreckt sich über 10 Basenpaare. b Kalottenmodell der DNA-Doppelhelix: Für jedes Atom wurde eine andersfarbige Kugel (Kalotte) eingesetzt. Die Größe der Kalotten entspricht den Dimensionen der verschiedenen Atome.

Ein Vergleich entschlüsselter Genome aus Prokaryonten mit denen von Eukaryonten zeigt, dass Mikroorganismen zwar relativ kleine Genome besitzen, ihre Größe jedoch innerhalb der Organismen erheblich variiert. Darüber hinaus sind wenige Bakterien bekannt, die über mehrere verschiedene Chromosomen verfügen (Kap. 6.2).

Transfer-RNA (tRNA) und kleine, regulatorische RNA (sRNA, s für engl. small). Der RNA-Anteil an der Zelltrockenmasse kann bis zu 20 % ausmachen (Kap. 7.2). Davon entfallen ca. 80 % auf die rRNA, die in Prokaryonten in den Größen 23S, 16S und 5S vorkommt und durch ausgeprägte Sekundärstrukturen mit konstanten und variablen Sequenzbereichen gekennzeichnet ist (▶ Abb. 2.19). Bakterien enthalten etwa 60 verschiedene tRNAs, die meist nur zwischen 70 und 93 Nukleotide lang sind. Sie haben die Funktion, jeweils eine Aminosäure zu aktivieren und an den Ort der Proteinsynthese – die Ribosomen – heranzuführen. Innerhalb dieser Moleküle gibt es sowohl konstante als auch variable Regionen. Außerdem kommen einige seltene Basen vor, die durch nachträgliche (posttranskriptionale) chemische Modifikation der Standardbasen entstehen. Die Moleküle besitzen ausgeprägte Sekundärstrukturen. Am 3’-Ende ist die jeweilige Aminosäure durch Esterbindung an ein Adeninnukleotid gebunden, während sich in der sogenannten Anticodonschleife die aus drei Nucleotiden bestehende Erkennungsstelle für das der Aminosäure entsprechende Codon auf der mRNA befindet (▶ Abb. 2.18). Ca. 15 % der RNA einer Zelle sind tRNAs. mRNAs entstehen bei der Transkription codierender DNA-Abschnitte und dienen bei der Proteinsynthese an den Ribosomen als Matrize. Da ihre Lebensdauer nur wenige Minuten beträgt, entspricht der konstant messbare Anteil in der Zelle ca. 4 %.

5' 1 pG G

15

A hU G A C U C m2G 10 hU G C 25 G A G G G A m22G 20

Ribonukleinsäure Ribonukleinsäuren bestehen grundsätzlich aus den gleichen Bausteinen wie DNA, nämlich Pyrimidin- oder Purinbasen, C5-Zucker und Phosphat. Allerdings kommt bei der RNA nur Uracil anstelle von Thymin vor (▶ Abb. 2.14a), und die Desoxyribose ist durch Ribose ersetzt. Weiterhin bilden Ribonukleinsäuren, mit Ausnahme einiger Viren-RNAs, keine Doppelhelix aus, sondern liegen als Einzelstrang vor. Sie können jedoch durch komplementäre Basenpaarungen innerhalb des Moleküls eine Sekundärstruktur aufweisen (▶ Abb. 2.18). Die RNA-Moleküle der Zelle unterteilen sich in ribosomale RNA (rRNA), Messenger(Boten)-RNA (mRNA),

C G G 5A U U U

C C A 30 G A 2' m C U m2'G

3' AOH AS-Akzeptor C 75 C A C G C 70 U U 60 A 65 C U A G A C A C m 1A G m 5C U G U G C T Ψ C 50 55 U 7 m G G 45 A G G U m5C 40 Ψ A A A A 35

Abb. 2.18 Struktur einer Transfer-RNA. Dargestellt ist das Kleeblatt-Modell der aus 76 Nukleotiden bestehenden phenylalaninübertragenden tRNA der Hefe. A, Adenosin, C, Cytidin, G, Guanosin, U, Uridin, P, Phosphat. Seltene Nukleotide sind hU (Dihydrouridin), Gm (Methyl- bzw. Dimethylguanosin), T (Ribothymidin) und Ψ (Pseudouridin). Die Nukleotide des Anticodons sind rot hervorgehoben. (aus Nultsch, Allgemeine Botanik, Thieme, 2001)

1

Die Prokaryonta und die prokaryontische Zelle

Abb. 2.19 Sekundärstruktur der 16S-rRNA von E. coli. Blau, Kontakte mit der tRNA im A-Ort des Ribosoms; Rot, Kontakte mit der tRNA im P-Ort des Ribosoms; Grün umrandet: Sequenzbereiche, die nur für Bacteria charakteristisch sind und bei Archaea oder Eukarya nicht vorkommen („Signatursequenzen“, s. auch Kap. 17). (nach Knippers, Molekulare Genetik, Thieme, 2006)

sRNAs bestehen aus relativ kurzen Transkripten (ca. 50–300 Nukleotide), die in Prokaryonten sehr häufig vorkommen. Ihre Wirkmechanismen unterscheiden sich. So bildet eine Gruppe meist unmittelbar an der Ribosomenbindestelle einer mRNA kurze, nicht perfekte Basenpaare und blockiert so die Translation. Andere binden spezifisch an Proteine, wodurch deren Funktion beeinflusst wird. Weiterhin gibt es regulatorische RNAs, die als Teil der zu regulierenden mRNA transkribiert werden („Riboswitch“). Einzelheiten zu regulatorischen RNAs werden in Kapitel 16 behandelt.

Polysaccharide Kohlenhydrate der allgemeinen Struktur Cn(H2O)m kommen in der Zelle hauptsächlich in Form einiger Zucker und ihrer Polymerverbindungen, den Oligo- und Polysacchariden, vor. Insbesondere von Bedeutung sind Zucker mit vier bis sieben Kohlenstoffatomen. Pentosen (C5-Zucker), wie Ribose und Desoxyribose, sind Bestandteile von RNA und DNA, während Glucose, eine Hexose (C6-Zucker), ein wichtiger Baustein und Substrat zur Gewinnung von Zellenergie darstellt. Derivate der Glucose,

62

wie die Aminozucker N-Acetylglucosamin und N-Acetylmuraminsäure, sind die Grundbausteine der bakteriellen Zellwand (S. 147). Werden Zucker miteinander verknüpft, so kann dies durch α- oder β-glykosidische Bindungen erfolgen. Als Speicherstoffe genutzte Polysaccharide, wie Stärke oder Glykogen, enthalten α-glykosidische Bindungen, da diese durch Enzyme leicht hydrolytisch spaltbar sind. Dagegen sind β-glykosidische Bindungen zugfest und wegen der vielen Wasserstoffbrückenbindungen in polymeren Polysacchariden schwerer angreifbar. Deshalb finden sie sich vorwiegend in Zellwandkomponenten, z. B. im Peptidoglykan (bei Bakterien), in Cellulose (bei Pflanzen) oder in Chitin (bei Pilzen und einigen Tieren) (S. 359).

Lipide Lipide bestehen im allgemeinen aus Fettsäuren, die über Esterbindungen mit dem dreiwertigen Alkohol Glycerin verknüpft sind. Am häufigsten kommen Fettsäuren mit 16 oder 18 Kohlenstoffatomen vor, die gesättigt (Palmitin- bzw. Stearinsäure) oder einfach ungesättigt (Palmitoinsäure bzw. Oleinsäure), sein können (▶ Abb. 2.20a).

2.4 Die Prokaryontenzelle – Zellform, Größe und chemische Zusammensetzung a häufige Fettsäuren

c komplexe Lipide Phosphatidylethanolamin (ein Phospholipid)

O 16

15

H3C

13 14

11 12

9 10

7 8

5 6

3 4

2

1

C

O–

C16 gesättigt (Palmitinsäure) O

H3C

C

O–

O C

H3 C

C

H3 C

Phosphat

Fettsäuren

H

O

C

H

C

H

O –

O

P

O

O

O C

C

O

C16 einfach ungesättigt (Palmitoleinsäure)

H3C

H O

Ethanolamin

O–

H

CH2 Glycerin CH2

C18 gesättigt (Stearinsäure)

+

NH3

O H 3C

C

O–

Monogalactosylglycerid (ein Glykolipid) CH2OH

C18 einfach ungesättigt (Ölsäure)

O

HO

b einfaches Lipid (Triglycerid) O C

H3C

H O

C

H

H H

H

H H

OH

C

O

C

H

O

C

H

H3C

Etherbindung

C

H

O

C

H

C

H

O C

H3C

H

Fettsäuren

C

H3C

O C

O O

O

H3C

d Archaelipide

H OH

Galactose

Esterbindung Glycerin

O

H

Fettsäuren

Glycerin

Phytanyl CH3

H2 C O

C

HC O

C

CH3

H2COPO32–

CH3-Gruppe Biphytanyl

H2 C O

C

HC O

C

H2COPO32–

HOCH2 C

O

CH

C

O

CH2

Abb. 2.20 Strukturen gängiger Fettsäuren, einfacher und komplexer Lipide. a Strukturen häufiger gesättigter und ungesättigter Fettsäuren. b Ein einfaches Lipid besteht aus Glycerin, das über drei Esterbindungen mit drei Fettsäuren verbunden ist. c Bei einem komplexen Lipid trägt die dritte Alkoholgruppe des Glycerins eine Substituenten, der keine Fettsäure ist. d Bei Lipiden der Archaea ist Glycerin mit reduzierten Isoprenoidalkoholen über Etherbindungen verknüpft.

Werden drei Fettsäuren mit einem Molekül Glycerin über Esterbindungen verknüpft, entstehen sogenannte Triglyceride (Fettspeicher, ▶ Abb. 2.20b). Von komplexen Lipiden der Membranen spricht man, wenn diese aus nur zwei unpolaren Fettsäuren und einer polaren, variablen chemischen Verbindung bestehen (▶ Abb. 2.20c). Dabei kann es sich um ein modifiziertes Phosphat (Phospholipide) oder Zucker (Glykolipide) handeln. Aufgrund ihres Aufbaus haben Lipide einen amphipathischen Charakter, d. h. sie besitzen sowohl hydrophile als auch hydrophobe

Eigenschaften. Dies führt dazu, dass sich die hydrophoben Fettsäureketten in wässrigem Milieu gerichtet gegeneinander anordnen und somit eine für wasserlösliche Stoffe undurchlässige Barriere erzeugen. Lipide sind daher besonders geeignet, die Zelle durch Membranbildung von ihrer Umgebung abzutrennen bzw. Kompartimentierung innerhalb einer Zelle zu ermöglichen. Phospholipide stellen die wichtigsten Komponenten bakterieller Membranen (S. 150) dar.

3

Die Prokaryonta und die prokaryontische Zelle

Methode 2.1 Taxonomische Hierarchie Die Klassifizierung kann nach mehreren theoretischen Konzepten erfolgen, die jedoch das gleiche Ordnungsprinzip nutzen, auch wenn die klassische Definition des Artbegriffes für Prokaryonten nicht verwendbar ist (s. Kap. 17). Danach ist die Grundeinheit, die Reinkultur eines isolierten Organismus, der „Stamm“. Stämme werden zu Arten, letztere zu Gattungen und diese zu Familien zusammengefasst. Oft werden Vertreter einer Art noch aufgrund gemeinsamer Eigenschaften in Vare oder Typen unterteilt. Man unterscheidet Biovar, Pathovar, Phagovar, Morphovar oder Serovar, unterschieden durch Biotop (Lebensraum), Pathogenität (Verursachung von Erkrankungen), Phagenbefall (Reaktion mit bakterienspezifischen Viren), Form oder Serumreaktion (Reaktion mit Antikörpern). Dabei folgt die Namensgebung von Prokaryonten derselben binären Nomenklatur wie die der Eukaryonten: Die Organismen werden mit einem Gattungs- und Artnamen be-

Bei den Archaea werden keine Fettsäuren, sondern langkettige Alkohole (reduzierte Isoprenoidalkohole) mit Glycerin über Etherbindungen verknüpft (▶ Abb. 2.20d).

2.4.3 Ausgewählte Beispiele prokaryontischer Organismen aus dem „natürlichen“ System Die Wissenschaft der Taxonomie beschäftigt sich mit der Klassifizierung von Organismen. Basierend auf der für höhere Organismen entwickelten Systematik werden Mikroorganismen nach folgenden Kriterien gruppiert: ● Charakterisierung durch Ermittlung morphologischer, physiologischer, chemischer und molekularbiologischer Daten ● Klassifizierung unter Verwendung theoretischer Verfahren und ● Nomenklatur durch Zuteilung einer entsprechenden Namensbezeichnung (Methode 2.1). Dieses „künstliche“ System der Klassifizierung kann jedoch keine Aussage über evolutionäre Verwandtschaftsbeziehungen der Organismen treffen. Bei der „natürlichen“ oder phylogenetischen Klassifizierung handelt es sich dagegen um den Versuch, die Organismen auf der Grundlage evolutionärer Verwandtschaft zu ordnen und einen phylogenetischen Stammbaum zu entwickeln. Dazu werden Sequenzdaten der 16S-rRNA oder anderer konservierter und universell verbreiteter Makromoleküle eines oder mehrerer Organismen mit Standardmethoden ermittelt. Mithilfe spezieller Computerprogramme werden die Daten mit bereits vorhandenen Informationen, die in Datenbanken gespeichert sind, verglichen. Für eine

64

d ●

zeichnet, bei denen es sich um lateinische oder griechische Ableitungen von Eigenschaften, Herkunft oder Forschernamen handelt (z. B. Escherichia coli, nach Theodor Escherich, der dieses Bakterium erstmals aus dem Stuhl eines Neugeborenen, also aus dem Dickdarm [griech. colon] isoliert hat). Die Schreibweise ist kursiv. Bei neu isolierten Organismen ist die Namensgebung nur dann international verbindlich, wenn dies im „International Journal of Systematic Bacteriology“ veröffentlicht wurde. Als Maßstab für eine Art dient ein Typstamm, der in öffentlichen Kultursammlungen hinterlegt ist. Beispiel: Familie: Enterobacteriaceae Gattung: Salmonella Art: S. enterica Var oder Typ: serovar Typhimurium Typ-Stamm: LT 2

detaillierte Beschreibung taxonomischer und phylogenetischer Verfahren wird auf Kap. 17 verwiesen. Derzeit sind über 80 natürliche Gruppen von Prokaryonten bekannt. Einige sind nur durch wenige Vertreter charakterisiert, während andere bisher nur hypothetisch sind, da ihre Existenz ausschließlich durch DNA-Sequenzdaten aus Umweltproben nachgewiesen wurde. Bei den hier ausgewählten Beispielen handelt es sich um einige charakteristische Arten oder Gattungen aus den einzelnen Entwicklungslinien der Prokaryonten. Sie geben einen Einblick in die Vielfalt prokaryontischer Lebensformen. Die Beispiele umfassen im Labor genutzte Modellorganismen, ökologisch und medizinisch bedeutsame Vertreter, Organismen, die in der Lebensmittel- und Biotechnologie Verwendung finden, sowie solche, die besondere Zellstrukturen aufweisen oder einmalige Stoffwechselleistungen vollbringen. Eine vertiefte Behandlung der Systematik (Kap. 17), der physiologischen Diversität (Kap. 11 bis 15) und der ökologischen Bedeutung (Kap. 18) erfolgt an anderer Stelle. Zum besseren Verständnis der folgenden Abschnitte seien hier ein paar für die Einordnung der Mikroorganismen verwendete Merkmale kurz erklärt, auf die später genauer eingegangen wird. Oxidasepositive Bakterien haben eine Atmungskette wie die der Mitochondrien, während oxidasenegative eine verkürzte Kette haben. Katalase schützt die Zellen vor Wasserstoffperoxid. Statt mit Sauerstoff können viele Bakterien eine anaerobe Atmung mit Molekülen wie Nitrat oder Sulfat betreiben. Bei der Photosynthese unterscheidet man eine oxygene (O2-freisetzende) und eine anoxygene Photosynthese. Nitrifizierer oxidieren aerob Ammonium zu Nitrat, Denitrifizierer reduzieren anaerob Nitrat zu N2. Die Begriffe Elektronendonatoren und -akzeptoren bezeichnen Verbindungen,

2.4 Die Prokaryontenzelle – Zellform, Größe und chemische Zusammensetzung die Elektronen abgeben (zum Zweck der Atmung oder bei Biosynthesen) bzw. aufnehmen. Begriffe, welche die Lebensweise bezeichnen (Suffix: „-troph“), wurden in Kapitel 1 erklärt. Die lateinischen und griechischen Wurzeln vieler Begriffe sind im Anhang aufgeführt.

2.4.4 Bacteria

b

a

c

d

Proteobakterien (= Purpurbakterien) Diese Gruppe enthält die größte Zahl aller bekannten Bacteria, die sich durch extreme Stoffwechselvielfalt auszeichnen. Ihre Vielfalt entspricht der des Insektenreichs unter den Tieren. Ihre Lebensweise ist entweder phototroph, chemolithotroph oder chemoorganotroph. Sie sind gramnegativ. Die meisten anoxygenen phototrophen Bakterien gehören zu den Proteobakterien. Sie werden in fünf Untergruppen unterteilt: alpha bis epsilon. Von der alpha-Gruppe stammt der Vorläufer der Mitochondrien, ein fakultativ aerobes Bakterium, ab. Bradyrhizobium japonicum („in Wurzeln lebend, langsam wachsend, mit Bezug zu Japan“, alpha-Gruppe, ▶ Abb. 2.21a) ist ein bewegliches Stäbchen, das in Symbiose mit der Sojabohne lebt und molekularen Stickstoff (N2) als Stickstoffquelle (S. 298) verwerten kann („Wurzelknöllchenbakterien“) (S. 638). Thiobacillus denitrificans („kleines denitrifizierendes Schwefelstäbchen“, beta-Gruppe, ▶ Abb. 2.21b) ist der am besten untersuchte „Schwefeloxidierer“. Das Bakterium ist obligat chemolithotroph und fakultativ anaerob. Als Elektronendonator kann es auch Pyrit (FeS2) und FeS verwenden. Nitrat kann als Elektronenakzeptor bei der Schwefeloxidation dienen. In seiner natürlichen Umgebung trägt der Organismus zur Entfernung von Nitrat aus dem Grundwasser bei. Escherichia coli (nach Theodor Escherich, „aus dem Dickdarm stammend“, gamma-Gruppe, ▶ Abb. 2.21c) ist der prominenteste Vertreter der Enterobacteriaceae (nichtsporulierende, fakultativ aerobe Stäbchen, unbeweglich oder peritrich begeißelt, oxidasenegativ). Er ist ein universeller, kommensaler Bewohner des Dickdarms (griech. enteron, das Innere) warmblütiger Tiere (einschließlich des Menschen, ca. 108–109 pro g Stuhl, s. auch Kap. 19.4). Im Hinblick auf biochemische, genetische und molekularbiologische Eigenschaften ist E. coli der am besten untersuchte Prokaryont. Von ihm sind zahlreiche pathogene („krankmachende“) Stämme bekannt, die u. a. Darmerkrankungen (S. 661) und Harnwegserkrankungen (S. 666) hervorrufen. Pseudomonas aeruginosa („falscher Monade, grünspanfarbig“, gamma-Gruppe, ▶ Abb. 2.21d) ist ein gerade oder leicht gekrümmtes Stäbchen, das polar begeißelt ist; es ist oxidase- und katalasepositiv, obligat respiratorisch, die Glucoseverwertung erfolgt über den 2-Keto-3-desoxy-6-Phosphogluconatweg (S. 269). Es besiedelt aquatische oder terrestrische Lebensräume und gehört zur fluoreszierenden Untergruppe, da es die fluoreszierenden

e

f

Abb. 2.21 Verschiedene Vertreter der Proteobakterien. a Bradyrhizobium japonicum. (Aufnahme Daniel Studer, ETH Zürich) b Thiobacillus denitrificans. (Aufnahme Joseph Tringe und Harry Beller, Lawrence Livermore National Laboratory und Lawrence Berkeley National Laboratory, USA) c Escherichia coli. (aus Kayser et al., Taschenlehrbuch Medizinische Mikrobiologie, Thieme, 2010) d Pseudomonas aeruginosa. (Aufnahme Hans G. Gelderblom, RKI Berlin) e Stigmatella aurantiaca. (Aufnahme Hans Reichenbach) f Helicobacter pylori. (Aufnahme Volker Brinkmann, MPI Berlin)

Farbstoffe Fluorescein und Pyocyanin bildet (Farbe wie Grünspan). Es ist opportunistisch pathogen und infiziert v. a. immungeschwächte Patienten (z. B. nach Behandlung mit Immunsuppressiva, Antibiotika oder Strahlen). Dabei verursacht es Harnwegs- und Atemwegsinfektionen. Es gehört zu den sogenannten „Krankenhauskeimen“, die Infektionen von Kathetern, Infusionsschläuchen usw. hervorrufen (nosokomiale Infektionen) (S. 673); es kann auch Operationswunden oder Verbrennungen kontaminieren. Stämme, die aus Mukoviszidosepatienten isoliert werden, besitzen eine extrazelluläre Schleimschicht. P. aeruginosa ist natürlicherweise resistent gegen viele Antibiotika (RPlasmid), jedoch sensitiv gegenüber Polymyxin. Stigmatella aurantiaca („kleines Zeichen, orangefarben“, delta-Gruppe, ▶ Abb. 2.21e) ist ein Vertreter der Myxobakterien, der sich durch Gleitbewegung auf einer Oberfläche fortbewegt. S. aurantiaca ist ein obligat aerobes, chemoheterotrophes Bodenbakterium, das auf den

5

Die Prokaryonta und die prokaryontische Zelle Abbau komplexer Strukturen wie Zellen oder Makromoleküle spezialisiert ist. Sein Genom ist sehr groß (10 Mb). Die vegetativen Zellen fressen andere Bakterien. Bei Nährstoffmangel bildet es Schwärme, die sich zu Fruchtkörpern vereinen; die Zellen im Inneren wandeln sich in Ruheformen, sog. Myxosporen, um. Helicobacter pylori („helixförmiges Bakterium, vom Magenpförtner“, epsilon-Gruppe, ▶ Abb. 2.21f) ist ein mikroaerophiles, bewegliches Spirillum, das die Magenschleimhaut beim Menschen kolonisiert. Es besitzt das Enzym Urease, welches Harnstoff zu Kohlendioxid und basischem Ammoniak hydrolysiert und so das Überleben im sauren Milieu gewährleistet. H. pylori verursacht Magengeschwüre, die zu peptischem Ulzer und Magenkrebs führen können. Entdeckt wurde es erstmals 1979 von dem Australier Robin Warren, der 2005 gemeinsam mit Barry Marshall dafür den Nobelpreis für Medizin erhalten hat (S. 665).

a

c

e

b

d

f

Grampositive Bakterien Nichtsporulierend mit niedrigem GC-Gehalt Staphylococcus aureus („traubenförmiges Kugelbakterium, golden“, ▶ Abb. 2.22a). Die Zellen von S. aureus sind wie die Beeren einer Traube angeordnet. Das Bakterium ist fakulativ aerob, unbeweglich, katalasepositiv, gelb pigmentiert und relativ resistent gegen Austrocknung und hohe Salzkonzentrationen (halotolerant). Als pathogenes Bakterium tritt es häufig in Verbindung mit Hautinfektionen (Pickeln, Geschwüren), Lungenentzündung, Knochenmarksentzündung, Meningitis und Arthritis auf. Es verursacht Lebensmittelvergiftungen durch Toxine und kann das toxische Schocksyndrom auslösen. Es ist ein häufiger Besiedler des Nasenraums, wird manchmal als „Eitererreger“ bezeichnet und gehört ebenfalls (wie P. aeruginosa, s. o.) zu den „Krankenhauskeimen“ (S. 673). Streptococcus pneumoniae („kettenförmiges Kugelbakterium, der Lungen“, ▶ Abb. 2.22b). Hierbei handelt es sich um obligat anaerobe, aerotolerante Zellen, die von einer Kapsel umgeben sind. S. pneumoniae gehört zur Gruppe der homofermentativen Milchsäurebakterien (S. 416). Es besitzt eine natürliche Kompetenz zur Aufnahme von DNA (S. 195). Sein Lebensraum ist die Schleimhaut des oberen Respirationstrakts. Dort kann es Lungenentzündung und Meningitis und bei Kindern auch Mittelohrentzündung verursachen (S. 660). Lactobacillus acidophilus („kleines säureliebendes Stäbchen aus der Milch“, ▶ Abb. 2.22c) ist ein homofermentatives Milchsäurebakterium, das Zucker zu Milchsäure vergärt und in der Lebensmittelindustrie verwendet wird. Es besiedelt die Schleimhäute der Vagina zwischen Pubertät und Menopause (S. 643). L. acidophilus zählt zu den sogenannten probiotischen Bakterien, denen bei Besiedlung des Verdauungstrakts eine Stimulierung des Immunsystems zugesprochen wird. Deshalb wird auch ihr Einsatz als Nahrungsergänzungsstoff diskutiert.

66

Abb. 2.22 Grampositive Bakterien. a Staphylococcus aureus. (aus Kayser et al., Taschenlehrbuch Medizinische Mikrobiologie, Thieme, 2010) b Streptococcus pneumoniae. (Aufnahme Hans G. Gelderblom, RKI Berlin) c Lactobacillus acidophilus. (Aufnahme Rüdiger Pukall, DSZM, Braunschweig) d Mykoplasmen. (aus Klingenberger-Nobel, E., F.W. Cochow: J. gen. Microbiol. 12 (1955):95) e Clostridium tetani. (copyright Meckes/Ottawa/eye of science/ Agentur Focus) f Tetanus bei einem Jugendlichen. (aus Hof, Dörries, Duale Reihe Mikrobiologie, Thieme, 2009.)

Außerdem sind sie Bestandteil des Zahnbelags und dadurch an der Entstehung von Karies (S. 645) beteiligt. Mykoplasmen („pilzähnlich“, ▶ Abb. 2.22d) sind zellwandlose, parasitisch lebende Bakterien (sie haben die Zellwand sekundär verloren) und sind daher osmotisch labil. Sie enthalten häufig vom Wirt übernommene Steroide und manchmal Lipoglykane, mit denen sie ihre Cytoplasmamembran stabilisieren. Aufgrund ihrer parasitären Lebensweise haben sie nur ein kleines Genom (500– 900 kb). Sie sind wahrscheinlich die kleinsten Organismen, die zu autonomem Wachstum befähigt sind. Die wichtigsten Genera sind: Mycoplasma, Spiroplasma, UreaVaginplasma. Sie sind Bestandteil der Normalflora bei Tieren und Pflanzen, viele sind aber als Krankheitserreger von Mensch, Tieren und Pflanzen bekannt. M. pneumo-

2.4 Die Prokaryontenzelle – Zellform, Größe und chemische Zusammensetzung niae verursacht beim Menschen Infekte der Respirationsorgane.

Endosporenbildner mit niedrigem GC-Gehalt Bacillus subtilis („schlankes kleines Stäbchen“) ist der am besten charakterisierte grampositive Organismus. Es ist ein fakultativ aerobes Bodenbakterium („Heubazillus“), mit einer natürlichen Kompetenz zur DNA-Aufnahme. Clostridium tetani („kleine Spindel, mit Bezug zu Krampf“, ▶ Abb. 2.22e) ist ein obligat anaerobes, begeißeltes Stäbchen, das im Boden lebt. Es besitzt keine Cytochrome und vermag Aminosäuren zu fermentieren. C. tetani verursacht nach Infektion tiefer Wunden Wundstarrkrampf (S. 667) durch die Wirkung eines Neurotoxins. Das Toxin verhindert die Relaxation von Muskeln, indem es die Freisetzung inhibitorischer Neurotransmitter blockiert. Dadurch werden Krämpfe verursacht (▶ Abb. 2.22f). Bazillen und Clostridien bilden Endosporen (s. Kap. 5), daher der Name der Gruppe.

Vertreter mit hohem GC-Gehalt Corynebacterium glutamicum („keulenförmiges Stäbchen, von Glutaminsäure“, vgl. ▶ Abb. 2.7c) ist aerob, unbeweglich, coryneform („keulenförmig“). Die Zellen „schnappen“ während der Teilung, wobei sie sich durch unterschiedlich schnelles Aufreißen der Zellwandverbindungen gegeneinander abwinkeln. C. glutamicum ist von wirtschaftlichem Interesse, da es Aminosäuren wie Glutaminsäure und Lysin produziert. Mycobacterium tuberculosis („pilzartiges Stäbchen, von Tuberkeln“, ▶ Abb. 2.23) ist ein aerobes, stäbchenförmiges Bakterium. Es enthält stark hydrophobe Kohlenwasserstoffe (Mykolsäuren) in der Zellwand, wodurch die Zellen wasserabstoßend sind und zum Nachweis speziell angefärbt werden können (Ziehl-Neelsen-Färbung) (S. 149). In Kultur zeigt es ein langsames Wachstum, wobei die Zellen lange schnurartige Strukturen bilden, die

auf ein Glykolipid zurückgeführt werden. M. tuberculosis verursacht Lungentuberkulose (S. 659). Streptomyces griseus („grauer, kettenartiger Pilz“) gehört zur Gruppe der Actinomyceten (filamentös wachsende Organismen). Vertreter der Gattung Streptomyces sind wichtige Bodenbakterien. Sie leben aerob, schnüren am Ende ihrer „Hyphen“ Sporen ab und haben ein lineares Chromosom. Sie spielen eine wichtige Rolle in der Biotechnologie, da sie Antibiotika wie Streptomycin (S. 697) bilden.

Cyanobakterien Die Cyanobakterien (früher als „Blaualgen“ bezeichnet) bilden eine große bedeutsame Gruppe mit oxygener Photosynthese (S. 484). Aus ihr stammt der Vorläufer der Chloroplasten. Synechococcus elongatus („zusammenhängendes Kugelbakterium, verlängert“, ▶ Abb. 2.24a). Bei S. elongatus handelt es sich um ein einzelliges, kokken- bis stäbchenförmiges Cyanobakterium mit einem Durchmesser von < 3 μm. Es kommt im Süßwasser vor und lebt obligat photoautotroph. Seine Thylakoide sind peripher lokalisiert. Es ist durch freie DNA transformierbar, und wird als Modellorganismus zur Untersuchung circadianer Rhythmen („biologische Uhr“) bei Prokaryonten eingesetzt.

Chlamydia Chlamydia trachomatis („Umhang, des Trachoms“, ▶ Abb. 2.24b) hat eine obligat parasitäre Lebensweise und dadurch einen sehr eingeschränkten Metabolismus und ein kleines Genom (1 Mb). Es durchläuft einen Vermehrungszyklus mit zwei Formen, die ein Überleben außerhalb bzw. innerhalb von Wirtszellen ermöglichen. C. trachomatis ist der Erreger der Körnerkrankheit des Auges (Trachom), die zur Erblindung führen kann (häufigste Ursache der Erblindung beim Menschen). Außerdem kann es Bindehautentzündung und Infektionen des Urogenitaltraktes verursachen.

Planctomyces Planctomyces maris („schwimmender Pilz, aus dem Meer“, ▶ Abb. 2.24c) ist ein marines Bakterium mit obligat aerober Lebensweise. Seine Zellwand enthält kein Peptidoglykan, sondern Protein. P. maris bildet einen Stiel und vermehrt sich durch Knospung.

Bacteroides

Abb. 2.23 Mycobacterium tuberculosis. (Aufnahme Volker Brinkmann, MPI Berlin)

Bacteroides fragilis („stäbchenähnlich, brüchig“, ▶ Abb. 2.24d) ist obligat anaerob und chemoorganotroph. Es lebt als Kommensale im Verdauungstrakt von Mensch und Tieren. Es ist das häufigste Bakterium im menschlichen Dickdarm (> 1011 g–1 Stuhl) (Kap. 19.4.3).

7

Die Prokaryonta und die prokaryontische Zelle a

c

b

d

ren mithilfe einzelner oder mehrerer bipolar angeordneter Flagellen, die im Periplasmaraum verbleiben (Endoflagellen) (S. 167) und von einer äußeren Scheide umgeben sind, um die Längsachse. Sie können hochviskose Medien durchdringen und sind schwer kultivierbar. Treponema pallidum („sich drehender Faden, blass“, ▶ Abb. 2.24f) ist der Erreger der Syphilis (S. 667). Die Zellen sind 5–15 μm × 0,1–0,4 μm groß, nicht helikal, sondern abgeflacht und sehr dünn. Normalerweise beschränkt sich T. pallidum auf den Menschen. T. pallidum ist nicht kultivierbar, mikroaerophil und hat ein relativ kleines Genom (1,14 Mb).

Deinococcus

e

f

Deinococcus radiodurans („ungewöhnliches Kugelbakterium, strahlungsresistent”, ▶ Abb. 2.25a) ist ein grampositives, unbewegliches Stäbchen, das anaerob und chemoorganotroph lebt. Es hat eine ungewöhnliche Zellwand mit einer äußeren Membran, die jedoch kein Lipid A enthält. Die Zellen sind durch Carotinoide rot oder pink gefärbt. Sie sind hochgradig resistent gegen UV-Strahlung, radioaktive Strahlung und Hitze. Ihr sehr effizientes DNAa

Abb. 2.24 a Synechococcus (Vergrößerung 60 000fach). (Aufnahme Elfriede Pistorius, Bielefeld) b Chlamydia. (Aufnahme Hans G. Gelderblom, RKI Berlin) c Planctomyces maris. (Aufnahme Heinz Schlesner, Kiel) d Bacteroides fragilis. (copyright CNRI/science photo library) e Chlorobaculum tepidum (früher Chlorobium tepidum). Maßstab, 0,1 μm. (Aufnahme Niels-Ulrik Frigaard, University of Copenhagen) f Treponema pallidum. (copyright Meckes/Ottawa/eye of science/Agentur Focus)

b

c

Grüne Schwefelbakterien Chlorobaculum tebitum, früher Chlorobium tepidum) („grüner Stab, lauwarm“, ▶ Abb. 2.24e). Die Zellen von C. tebitum sind kurze bis lange unbewegliche Stäbchen. Das Schwefelbakterium lebt aquatisch, ist strikt anaerob und obligat photoautotroph. C. tebitum verwendet H2S als Elektronendonator; die Schwefelakkumulation erfolgt außerhalb der Zelle. Die CO2-Fixierung findet durch einen reduktiven Citratzyklus (S. 312) statt. Die Zellen enthalten Chlorosomen (S. 160) (umgeben von einer einschichtigen Membran), die als Lichtantennen (S. 477) dienen.

Spirochäten Spirochaeta sp. („spiralisiertes Haar“, vgl. ▶ Abb. 2.7b). Die Vertreter dieser Gattung sind fakultativ aerob oder anaerob, chemoheterotroph und leben im Wasser. Sie sind sehr lang (5–250 μm) mit nur geringem Durchmesser (0,2–0,75 μm) und haben eine spirillenartige Gestalt. Sie sind jedoch flexibel und beweglich. Spirochaeta rotie-

68

d

Abb. 2.25 a Deinococcus radiodurans. (Aufnahme Reinhard Rachel, Regensburg) b Chloroflexus aurantiacus. (Aufnahme Georg Fuchs, Freiburg) c Thermotoga maritima. (Aufnahme Reinhard Rachel, Regensburg) d Aquifex aeolicus. (Aufnahme Reinhard Rachel, Regensburg)

2.4 Die Prokaryontenzelle – Zellform, Größe und chemische Zusammensetzung Reparatursystem ermöglicht ein Überleben nach Bestrahlung, die das Chromosom zerlegt; sie sind daher auch sehr resistent gegenüber mutagenen Agenzien. D. radiodurans enthält zwei unterschiedliche Chromosomen (2,6 und 0,4 Mb). Das Bakterium kann aus Bodenproben, Hausstaub oder Hackfleisch isoliert werden.

Grüne Nicht-Schwefelbakterien (Grüne schwefelfreie Bakterien) Chloroflexus aurantiacus („grüne Krümmung, orangefarben“, ▶ Abb. 2.25b) lebt anoxygen phototroph, ist jedoch variabel in seinen Stoffwechselwegen. Es ist filamentös, thermophil und bildet in neutralen bis alkalischen heißen Quellen orange gefärbte Matten. C. aurantiacus verwendet als bislang einziger bekannter phototropher Organismus den 3-Hydroxypropionatweg (S. 313) zur CO2-Fixierung. Es bildet Chlorosomen und hat Ähnlichkeiten sowohl mit Grünen Schwefelbakterien als auch mit Purpurbakterien.

Thermotoga Thermotoga maritima („heißer Mantel, des Meeres”, ▶ Abb. 2.25c) kommt in terrestrischen heißen Quellen und marinen Hydrothermalquellen vor. Es ist stäbchenförmig, hyperthermophil (maximal bis 90 °C), fermentativ chemoorganotroph, anaerob und von einer Proteinhülle („Toga“) umgeben.

optimal bei 90 °C und betreibt einen chemolithoautotrophen anaeroben Stoffwechsel auf der Basis von elementarem Schwefel, Wasserstoff und CO2. Die assoziierten kokkenförmigen Zellen von N. equitans besitzen einen Durchmesser von nur 0,3–0,5 µm, woraus sich ein Zellvolumen von 0,02–0,06 µm3 ergibt; das entspricht nur etwa einem Prozent des Volumens einer E.-coli-Zelle und dem Volumen großer Viren. Im Genom von N. equitans fehlen Gene zur Synthese der wichtigsten Zellbausteine wie Aminosäuren, Nukleotide oder Lipide. N. equitans ist somit auf den Partnerorganismus angewiesen, während I. hospitalis alleine in Reinkultur wachsen kann. Wie der Organismus seinen Stoffwechsel betreibt, ist noch weitgehend unbekannt. Aufgrund phylogenetischer Analysen wird N. equitans als Repräsentant eines neuen Reichs innerhalb der Archaea, der Nanoarchaeota, vorgeschlagen.

Crenarchaeota Sulfolobus acidocaldarius („schwefeloxidierender Lappen, heiß und sauer“, ▶ Abb. 2.26c) kommt in vulkanischen Biotopen (z. B. Yellowstone Nationalpark, Utah, USA) vor. Sein Lebensraum sind also schwefelreiche, saure heiße Quellen mit Temperaturen von 90 °C und einem pH-Wert von 1–5. S. acidocaldarius lebt aerob chemolithotroph. Es oxidiert H2S oder S zu Schwefelsäure und a

b

Aquifex Aquifex aeolicus („Wassermacher, von den aeolischen Inseln“, ▶ Abb. 2.25d) ist obligat chemolithoautotroph. Es benutzt H2 oder S als Elektronendonatoren und O2 oder NO3– als Elektronenakzeptoren. A. aeolicus ist tolerant gegenüber niedrigen O2-Konzentrationen und nutzt den reduktiven Citratzyklus (S. 312) zur CO2-Fixierung. Es ist hyperthermophil (maximal bis 95 °C) und hat ein kleines Genom (1,55 Mb).

c

d

2.4.5 Archaea Euryarchaeota Methanosarcina barkeri („Methanpakete”, nach H. A. Barker, ▶ Abb. 2.26a) sind große unregelmäßige, in Paketen angeordnete Stäbchen, die strikt anaerob sind. Man findet sie in Sumpfgebieten, aber auch im Rinderpansen. M. barkeri bildet Methan aus CO2/H2, Methanol, Methylamin oder Acetat (S. 458). Seine Zellwand besteht aus Heteropolysaccharid. Nanoarchaeum equitans („der reitende Urzwerg“) wurde in einer Co-Kultur mit dem Archaebakterium Ignicoccus hospitalis („gastliche Feuerkugel“, ▶ Abb. 2.26b), das zur Gruppe der Crenarchaeota gehört, in Meeressedimenten nördlich von Island entdeckt. I. hospitalis wächst

Abb. 2.26 Vertreter der Archaea. a Methanosarcina barkeri. (Aufnahme Herbert H. P. Fang, The University of Hong Kong) b Mehrere Zellen von Nanoarchaeum in Assoziation mit Ignicoccus hospitalis. Maßstab 1μm. (Aufnahme Thomas Heimerl, Reinhard Rachel, Harald Huber, Regensburg) c Sulfolobus sp. (Aufnahme Reinhard Rachel, Regensburg) d Nitrosopumilus maritimus. (Aufnahme Martin Könneke, Bremen)

9

Die Prokaryonta und die prokaryontische Zelle Fe2 + zu Fe3 + und fixiert CO2. Es kann aber auch organotroph wachsen. Es wird zur sauren Minerallaugung von Eisen und Kupfer in Lagerstätten bei hohen Temperaturen eingesetzt. Nitrosopumilus maritimus („ammoniumoxidierender Zwerg, aus dem Meer“, ▶ Abb. 2.26d) ist ein marines, stäbchenförmiges, aerobes, chemolithoautotrophes Archaebakterium, das seine Zellenergie aus der Oxidation von geringsten Konzentrationen von Ammonium zu Nitrat gewinnt. Die Zellen sind mit einem Durchmesser von

ca. 0,2 µm und einer Länge von ca. 0,9 µm relativ klein. N. maritimus ist das erste Isolat eines Nitrifizierers in der Domäne der Archaea und der erste mesophile Vertreter der Crenarchaeota. Aufgrund phylogenetischer Analysen wird N. maritimus als Repräsentant eines neuen Reiches innerhalb der Archaea, der Thaumarchaeota (vom griech. thaumas für Wunder), vorgeschlagen. Cenarchaeum symbiosum lebt als Symbiont in einem Meeresschwamm. Die Existenz weiterer Vertreter dieser Gruppe ist auch in Erdproben nachgewiesen worden,

Zusammenfassung ●



● ●







Alle lebenden Organismen lassen sich in drei Reiche einteilen: Bacteria, Archaea und Eukarya. Die Prokaryonten umfassen die Bacteria und die Archaea und sind durch das Fehlen eines echten Zellkerns gekennzeichnet. Zu den Eukaryonten zählen Protozoen, Algen, Pilze, Pflanzen und Tiere. Die eukaryontische Zelle ist ca. 10fach größer als eine durchschnittliche prokaryontische Zelle. Im Kern eukaryontischer Zellen ist der Hauptteil des Genoms lokalisiert. In der Mitose wird das Genom dupliziert und auf die Tochterzellen übertragen. Höhere Pflanzen und Tiere vermehren sich sexuell unter Ausbildung einer Zygote aus Keimzelle und Eizelle, deren Chromosomensätze zuvor durch Meiose reduziert wurden. Das Bakterienchromosom ist als Nukleoid organisiert. Die eukaryontische Zelle ist durch separate Funktionsräume – Organellen – stärker strukturiert als die prokaryontische Zelle. Außer Ribosomen, die auch bei prokaryontischen Zellen vorkommen, enthält sie den Golgi-Apparat, das endoplasmatische Retikulum, Lysosomen und Peroxisomen, Mitochondrien und (bei grünen Pflanzen) Chloroplasten. Die Endosymbiontentheorie zur Erklärung der Entstehung der eukaryontischen Zelle geht davon aus, dass diese sich durch Aufnahme von respiratorischen bzw. phototrophen Bakterien in eine Vorläuferzelle entwickelt hat. Archaea weisen typische Merkmale auf, die sie von den Eubakterien unterscheiden. Diese betreffen den Aufbau der Zellwände, die chemische Zusammensetzung der Lipide der Cytoplasmamembran, den Aufbau der RNAPolymerase sowie die Molekularbiologie der Zelle wie Aspekte der Proteinsynthese. Dagegen gleicht der Stoffwechsel weitgehend dem der Eubakterien. Prokaryontische Zellformen umfassen zylinderförmige und gekrümmte Stäbchen, Kokken (Diplo-, Strepto-, Stapylo-), schraubenförmige, fädige, keulenförmige, stielbildende und mycelartig wachsende Zellen. Die durchschnittliche Größe eines Stäbchens beträgt 1 × 3 μm.

Literatur zum Weiterlesen unter: www.thieme.de/literatur-fuchs

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M ●

Die prokaryontische Zelle besteht zu 70–-85 % aus Wasser. Die Trockenmasse enthält vorwiegend Polymerverbindungen wie Proteine, Nukleinsäuren, Lipide und Polysaccharide. Proteine bestehen aus L-Aminosäuren, die über Peptidbindungen miteinander verknüpft sind. In der Zelle liegen sie charakteristisch gefaltet (Sekundärstruktur) in dreidimensionaler (Tertiär-)Struktur als Einzelmoleküle oder in Komplexen aus mehreren Polypeptiden (Quartärstruktur) vor. Desoxyribonukleinsäure (DNA) besteht aus Desoxyribose, Phosphat und den organischen Basen Adenin, Guanin (Purine), Thymin und Cytosin (Pyrimidine) und bildet das bakterielle Genom. Zwei Einzelketten liegen als Doppelhelix gepaart vor. Adenin und Thymin sowie Guanin und Cytosin stabilisieren die Doppelhelix durch Ausbildung von Wasserstoffbrückenbindungen. Ribonukleinsäuren (RNA) enthalten Ribose statt Desoxyribose und die Base Uracil statt Thymin. Sie kommen als ribosomale RNA, Messenger-RNA und Transfer-RNA vor und sind einzelsträngig. Darüberhinaus gibt es zahlreiche kleine, regulatorische sRNAs, die über Basenpaarungen mit der mRNA die Translation blockieren oder durch Bindung an Proteine deren Aktivität beeinflussen. Polysaccharide bestehen aus Zuckermolekülen, die je nach Verknüpfung als Speicherstoffe (α-glykosidisch) oder als Zellwandbestandteile (β-glykosidisch) verwendet werden. Lipide bestehen im allgemeinen aus Fettsäuren, die über Esterbindung mit Glycerin verknüpft sind. Phospholipide als typische Komponenten der Cytoplasmamembran enthalten darüberhinaus einen modifizierten Phosphatrest. Durch diesen Aufbau haben Lipide einen amphipatischen Charakter. Archaea besitzen Etherlipide, bei denen Glycerin mit langkettige Alkoholen (reduzierte Isoprenoidalkohole) verknüpft ist.

© Ivonne Wierink – Fotolia

Kapitel 3 Pilze

3.1

Überblick

72

3.2

Vorkommen der Pilze

72

3.3

Die pilzliche Zelle

72

3.4

Einteilung der Pilze

75

3.5

Asexuelle Vermehrung

78

3.6

Sexuelle Vermehrung

80

3.7

Saprophytisches Wachstum

84

3.8

Interaktionen mit Pflanzen – von Phytopathogenen zu Symbionten

85

3.9

Tier- und humanpathogene Pilze

91

3.10

Pilzgenetik

93

3.11

Pilze in der Biotechnologie und Produktion

98

3.12

Vielfalt pilzlicher Lebensformen

100

Pilze

3 Pilze Erika Kothe

3.1 Überblick Jeder kennt die Back- oder Brauhefe, aber auch der – gewollte oder ungewollte – Schimmel auf Lebensmitteln und im feuchten Keller, die Rostpilze auf Blättern der Gartenpflanzen und die Waldpilze sind uns vertraut. Dahinter verbergen sich eukaryontische Mikroorganismen, eine Schwestergruppe der Tiere. Erkenntnisse, die man an Hefen gewinnt, haben deshalb Bedeutung für das Verständnis der Biologie von Pflanzen und Tieren. Trotz ihrer offenkundigen Verschiedenheit bilden die echten Pilze (Mycota) eine monophyletische, sehr bunte, recht uneinheitliche Gruppe mit interessanter Biologie. Unter ihnen gibt es sowohl riesige als auch winzige Organismen. So ist ein Exemplar des Weißfäulepilzes Armillaria ostreya bekannt, das eine Fläche von 890 Hektar einnimmt, 150 Tonnen wiegt und ein Alter von ungefähr 2400 Jahren besitzt. Andererseits sind mit ca. 3 μm Durchmesser auch mikroskopisch kleine Vertreter wie die Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae vertreten, die schon im Altertum zum Brauen und Backen eingesetzt wurde. Pilze spielen als chemoheterotrophe Destruenten eine große Rolle im Stoffkreislauf. Sie sind Saprophyten, die von der Zersetzung organischen Materials leben. Ihre Hyphen (die aus miteinander verbundenen, fadenförmigen Zellen bestehen) können komplexe, auch wasserunlösliche Substrate – also die Hauptmasse organischer Substanz – durchdringen und von innen abbauen. Beim Abbau solcher Materialien sind Pilze die Pioniere; Bakterien profitieren von ihren Abbauprodukten. Damit besetzen Pilze viele wichtige Nischen im Kohlenstoffkreislauf, in denen Bakterien kaum Chancen haben. Dagegen haben sie in der Regel das freie Wasser, anaerobe Bereiche und anorganische Substrate nicht erobert und nutzen auch das Licht nicht als Energiequelle. Gegen Fressfeinde und unliebsame Konkurrenz haben sie eine Unzahl von Sekundärmetaboliten entwickelt. Ihre sexuell oder asexuell gebildeten Sporen sorgen für eine massenhafte Verbreitung, meist durch die Luft. Nicht minder bedeutend ist ihr Einfluss auf unser Leben: sei es durch ihren Einsatz als Gärhefen und Veredler vieler Milchprodukte, als Produzenten von Antibiotika und Enzymen, aber auch als Schadorganismen von Pflanzen. Pilze bilden mit den meisten Landpflanzen Wurzelsymbiosen (Mykorrhiza) und mit phototrophen Grünalgen oder Cyanobakterien die symbiontischen Flechten, die auch unwirtliche Substrate wie freiliegendes Gestein besiedeln können. Daher sind die Pilze ein wichtiger Bestandteil der mikrobiellen Welt und unserer Existenz. Schwerpunkt dieses Kapitels ist die Systematik der Pilze wie auch ihre Vermehrung und ihre Genetik, während

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ihre Bedeutung als Pathogene, als Speisepilze und für die Biotechnologie nur kurz angesprochen werden. In anderen Kapiteln ausführlicher behandelt werden der aerobe Stoffwechsel von Makromolekülen, besonders von Lignocellulose, und von wasserunlöslichen Kohlenwasserstoffen (Kap. 11), Gärungen (Kap. 13), die Synthese von Sekundärmetaboliten (Kap. 9 und Kap. 20), die Rolle in der Lebensmittelbereitung und Biotechnologie (Kap. 20) sowie die Schadwirkung von Pilzen, besonders auf Pflanzen (Kap. 19).

3.2 Vorkommen der Pilze Pilze sind weltweit verbreitet und häufig. Sie kommen hauptsächlich in terrestrischen Ökosystemen vor. Die Stabilität dieser Ökosysteme hängt in hohem Maße von Pilzen ab; und die Landwirtschaft kann ohne die Beteiligung von Pilzen nicht die zur Ernährung der Menschen notwendigen Lebensmittel produzieren. Aber auch pathogene Pilze spielen eine große Rolle. Sie kommen sowohl als Pflanzenschädlinge im Gartenbau und in der Landwirtschaft als auch als tier- und humanpathogene Arten vor. Außerdem haben sich eine Reihe leicht zu kultivierender Pilze als Modellsysteme bewährt. Ein Beispiel sind die Hefen, die für die Analyse der Funktionsweise einer eukaryontischen Zelle genutzt wurden und werden. In der Artenzahl stehen Pilze hinter den Insekten an zweiter Stelle. Man schätzt, dass auf jede Pflanzenart etwa sechs Pilzarten kommen. Nimmt man diese Zahlen als repräsentativ an, müsste es weltweit ungefähr 1,5 Mio. Pilzarten geben. Von diesen ist bisher nur ein geringer Teil bekannt (ca. 70 000 Arten). Die einzelnen Gruppen der Pilze haben viele saprophytische Nischen besetzt: Sie wachsen auf totem organischem Material und beziehen ihre Nährstoffe aus diesem. Aber auch parasitische und symbiontische Ernährungsweise kommen vor. In allen Formen zeigen Pilze vielfältige Anpassungsstrategien an ihren Lebensraum. Die für das Verständnis des Kapitels wichtigsten Begriffe der Pilzforschung (Mykologie) werden in Plus 3.1 erläutert.

3.3 Die pilzliche Zelle 3.3.1 Aufbau der pilzlichen Zelle Die pilzliche Zelle zeigt den typischen Aufbau einer eukaryontischen Zelle. Sie enthält, wie auch tierische und pflanzliche Zellen, Organellen und wird von einer Zellwand umgeben, die dem Druck des Turgors der Zelle entgegenwirkt. Der Zellkern ist dabei als namensgebende Struktur der Eukaryonten bereits lichtmikroskopisch er-

Pilze

3 Pilze Erika Kothe

3.1 Überblick Jeder kennt die Back- oder Brauhefe, aber auch der – gewollte oder ungewollte – Schimmel auf Lebensmitteln und im feuchten Keller, die Rostpilze auf Blättern der Gartenpflanzen und die Waldpilze sind uns vertraut. Dahinter verbergen sich eukaryontische Mikroorganismen, eine Schwestergruppe der Tiere. Erkenntnisse, die man an Hefen gewinnt, haben deshalb Bedeutung für das Verständnis der Biologie von Pflanzen und Tieren. Trotz ihrer offenkundigen Verschiedenheit bilden die echten Pilze (Mycota) eine monophyletische, sehr bunte, recht uneinheitliche Gruppe mit interessanter Biologie. Unter ihnen gibt es sowohl riesige als auch winzige Organismen. So ist ein Exemplar des Weißfäulepilzes Armillaria ostreya bekannt, das eine Fläche von 890 Hektar einnimmt, 150 Tonnen wiegt und ein Alter von ungefähr 2400 Jahren besitzt. Andererseits sind mit ca. 3 μm Durchmesser auch mikroskopisch kleine Vertreter wie die Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae vertreten, die schon im Altertum zum Brauen und Backen eingesetzt wurde. Pilze spielen als chemoheterotrophe Destruenten eine große Rolle im Stoffkreislauf. Sie sind Saprophyten, die von der Zersetzung organischen Materials leben. Ihre Hyphen (die aus miteinander verbundenen, fadenförmigen Zellen bestehen) können komplexe, auch wasserunlösliche Substrate – also die Hauptmasse organischer Substanz – durchdringen und von innen abbauen. Beim Abbau solcher Materialien sind Pilze die Pioniere; Bakterien profitieren von ihren Abbauprodukten. Damit besetzen Pilze viele wichtige Nischen im Kohlenstoffkreislauf, in denen Bakterien kaum Chancen haben. Dagegen haben sie in der Regel das freie Wasser, anaerobe Bereiche und anorganische Substrate nicht erobert und nutzen auch das Licht nicht als Energiequelle. Gegen Fressfeinde und unliebsame Konkurrenz haben sie eine Unzahl von Sekundärmetaboliten entwickelt. Ihre sexuell oder asexuell gebildeten Sporen sorgen für eine massenhafte Verbreitung, meist durch die Luft. Nicht minder bedeutend ist ihr Einfluss auf unser Leben: sei es durch ihren Einsatz als Gärhefen und Veredler vieler Milchprodukte, als Produzenten von Antibiotika und Enzymen, aber auch als Schadorganismen von Pflanzen. Pilze bilden mit den meisten Landpflanzen Wurzelsymbiosen (Mykorrhiza) und mit phototrophen Grünalgen oder Cyanobakterien die symbiontischen Flechten, die auch unwirtliche Substrate wie freiliegendes Gestein besiedeln können. Daher sind die Pilze ein wichtiger Bestandteil der mikrobiellen Welt und unserer Existenz. Schwerpunkt dieses Kapitels ist die Systematik der Pilze wie auch ihre Vermehrung und ihre Genetik, während

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ihre Bedeutung als Pathogene, als Speisepilze und für die Biotechnologie nur kurz angesprochen werden. In anderen Kapiteln ausführlicher behandelt werden der aerobe Stoffwechsel von Makromolekülen, besonders von Lignocellulose, und von wasserunlöslichen Kohlenwasserstoffen (Kap. 11), Gärungen (Kap. 13), die Synthese von Sekundärmetaboliten (Kap. 9 und Kap. 20), die Rolle in der Lebensmittelbereitung und Biotechnologie (Kap. 20) sowie die Schadwirkung von Pilzen, besonders auf Pflanzen (Kap. 19).

3.2 Vorkommen der Pilze Pilze sind weltweit verbreitet und häufig. Sie kommen hauptsächlich in terrestrischen Ökosystemen vor. Die Stabilität dieser Ökosysteme hängt in hohem Maße von Pilzen ab; und die Landwirtschaft kann ohne die Beteiligung von Pilzen nicht die zur Ernährung der Menschen notwendigen Lebensmittel produzieren. Aber auch pathogene Pilze spielen eine große Rolle. Sie kommen sowohl als Pflanzenschädlinge im Gartenbau und in der Landwirtschaft als auch als tier- und humanpathogene Arten vor. Außerdem haben sich eine Reihe leicht zu kultivierender Pilze als Modellsysteme bewährt. Ein Beispiel sind die Hefen, die für die Analyse der Funktionsweise einer eukaryontischen Zelle genutzt wurden und werden. In der Artenzahl stehen Pilze hinter den Insekten an zweiter Stelle. Man schätzt, dass auf jede Pflanzenart etwa sechs Pilzarten kommen. Nimmt man diese Zahlen als repräsentativ an, müsste es weltweit ungefähr 1,5 Mio. Pilzarten geben. Von diesen ist bisher nur ein geringer Teil bekannt (ca. 70 000 Arten). Die einzelnen Gruppen der Pilze haben viele saprophytische Nischen besetzt: Sie wachsen auf totem organischem Material und beziehen ihre Nährstoffe aus diesem. Aber auch parasitische und symbiontische Ernährungsweise kommen vor. In allen Formen zeigen Pilze vielfältige Anpassungsstrategien an ihren Lebensraum. Die für das Verständnis des Kapitels wichtigsten Begriffe der Pilzforschung (Mykologie) werden in Plus 3.1 erläutert.

3.3 Die pilzliche Zelle 3.3.1 Aufbau der pilzlichen Zelle Die pilzliche Zelle zeigt den typischen Aufbau einer eukaryontischen Zelle. Sie enthält, wie auch tierische und pflanzliche Zellen, Organellen und wird von einer Zellwand umgeben, die dem Druck des Turgors der Zelle entgegenwirkt. Der Zellkern ist dabei als namensgebende Struktur der Eukaryonten bereits lichtmikroskopisch er-

3.3 Die pilzliche Zelle

Plus 3.1 Glossar wichtiger Begriffe der Mykologie Phylogenie Ascomyceten: Schlauchpilze, bilden Meiosporen in Schläuchen (Asci) Basidiomyceten: Ständerpilze, bilden Meiosporen an Ständern (Basidien) Chytridiomyceten: Töpfchenpilze imperfekte Pilze, Deuteromyceten, Hyphomyceten: Formklasse für Pilze unbekannter phylogenetischer Zuordnung; teils mit asexueller aber ohne bekannte sexuelle Vermehrungsform Perithecium, Cleistothecium, Apothecium: Fruchtkörperformen bei Ascomyceten Zygomyceten: Jochpilze Wachstum und Morphologie Anastomose: Verbindung von getrennt wachsenden Hyphen apikal: Wachstum an der Hyphenspitze Hyphe: fädig, filamentös aneinandergereihte Pilzzellen isotrop: gleichmäßiges Wachstum in alle Richtungen Mycel: verzweigtes Hyphengeflecht polar: gerichtetes Wachstum Pseudoparenchym, Plektenchym: gewebeartiger Zellverband aus Hyphen Rhizomorph: lineare Struktur aus zusammengelagerten Hyphen Sexuelle und asexuelle Vermehrung Anamorph: asexuelle Vermehrungsform Conidie: asexuell gebildete Spore, Mitospore Dikaryon: Mycel mit den Kernen beider Elternstämme in jeder Zelle

kennbar. Er enthält die Chromosomen, die als einfacher Satz (haploid) oder nach einer Kernverschmelzung (Karyogamie) als diploider Satz vorliegen können. In der Regel folgt bei Pilzen – anders als bei anderen Eukaryonten – auf die Kernverschmelzung gleich wieder eine Meiose, sodass die diploide Phase nur sehr kurz ist. Außerdem kommen bei Pilzen häufig mehrkernige Stadien vor, wobei im Regelfall jeder einzelne Kern haploid ist. Damit besitzen Pilze eine ausgeprägte Haplophase, was für genetische Untersuchungen von Vorteil ist. Für die meisten Pilze ist die Ausbildung von an der Spitze wachsenden Hyphen und daraus entstehenden, verzweigten Mycelien charakteristisch. Der Kern wird zum Cytoplasma hin durch die Kernhülle abgeschlossen. Die Proteine, die beispielsweise zur Transkription im Kern benötigt werden, müssen deshalb mit Kernlokalisierungssequenzen versehen sein. Durch diese wird der Transport aus dem Cytoplasma durch die

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fertil: fruchtbar, führt zur Bildung sexueller Vermehrungsformen Heterothallie: Fremdbefruchtung, Fruchtkörperbildung nach vorhergehender Kreuzung Homothallie: Selbstbefruchtung, Fruchtkörperbildung ohne vorherige Kreuzung Hymenium: Fruchtschicht, aus palisadenartig angeordneten Basidien oder Asci bestehende Schicht Monokaryon: Mycel mit einem Kern pro Zelle Teleomorph: sexuelle Vermehrungsform Phytopathologie Appressorium: Infektionsstruktur zur Penetration der Pflanzenoberfläche biotroph: auf lebende Wirtszellen angewiesen Elicitoren: Auslöser einer pflanzlichen Abwehrreaktion extrahaustoriale Matrix: zwischen Haustorium und Wirtszelle befindlicher Raum Haustorium: in der Pflanzenzelle gebildete Struktur zur Nährstoffaufnahme Infektionshyphe: aus dem Appressorium in die Pflanze einwachsende Hyphe inkompatible Interaktion: erfolgreiche Abwehr des Pathogens durch die Pflanze kompatible Interaktion: Schädigung und Abtöten der Pflanze durch das Pathogen nekrotroph, perthotroph: die Pflanzenzellen zunächst abtötend

Kernporen in den Kern ermöglicht. Die mRNA muss dagegen aus dem Nukleoplasma des Kerns heraus ins Cytoplasma transportiert werden. Die Kernhülle selbst ist doppelt angelegt und hat Verbindung zum endoplasmatischen Retikulum, sodass eine Kontinuität innerhalb der intrazellulären Membranen besteht. Neben dem endoplasmatischen Retikulum sind Membranstapel und Vesikel vorhanden, darunter Lysosomen mit lytischen Enzymen, Peroxisomen mit Katalasen und Peroxidasen, Parenthosomen an den Septen und Vakuolen. Bei Pilzen sind die Vakuolen im Vergleich zu denen der Pflanzen klein. Dafür werden mehrere Vakuolen gebildet und diese auch über die Zellgrenzen hinweg transportiert. So werden ganze Vakuolen mit ihren Inhaltsstoffen für den Transport in den Hyphen benutzt. Pilze besitzen Mitochondrien, die auf eine Endosymbiose zurückgehen, aber keine Plastiden.

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Pilze Mit ihren Hyphen, die aus einzelnen, fädig aneinandergereihten Zellen bestehen, durchdringen Pilze ihre Substrate. Die Zellen sind durch Poren in den Septen verbunden, sodass Stoffe über weite Entfernung transportiert werden können. Dadurch können auch Hyphenspitzen versorgt werden, die keinen Kontakt zu Nährstoffen mehr haben. So ist es den Pilzen möglich, unwirtliche Flächen zu überwachsen. Die Substrate können abgebaut werden, indem eine große Menge unterschiedlicher Enzyme sezerniert werden. Diese sind auch für die Industrie von großem Interesse.

3.3.2 Pilzwachstum Hefen Hefen vermehren sich in der Regel durch Knospung. Dabei wachsen die Zellen isotrop, d. h. in alle Richtungen gleichmäßig. Damit sind Hefen einzellige Organismen. Außerdem können Pseudohyphen gebildet werden. Sie entstehen, wenn sich die Tochterzellen vollständig voneinander trennen, sich aber nicht abschnüren. Bei einer Pseudohyphe sind, anders als beim filamentösen Wachstum, noch immer die einzelnen Zellen erkennbar. Wenn neben dem Wachstum durch Knospung auch ein echtes Hyphenwachstum vorkommt, werden die Pilze als dimorph bezeichnet. Das Umschalten der Wachstumsform von Hefe auf Hyphe kann an die Pathogenität gekoppelt sein (Kap. 3.8).

kuolen erfolgt in den Hyphen über weite Strecken und auch über Zellgrenzen hinweg.

Septen Die Hyphen der Pilze können durch Septen gegliedert und in einzelne Kompartimente geteilt sein. Die einzelnen Kompartimente sind oft mehrkernig, wobei die Kerne jeweils genetisch identisch (Homokaryon) oder genetisch verschieden (Heterokaryon) sein können. Die Septen, welche die Kompartimente voneinander trennen, sind bei den verschiedenen Taxa unterschiedlich aufgebaut. Es existieren einfache Septen mit einem Porus, der bei den meisten Ascomyceten (zur Einteilung der Pilze Kap. 3.4) durch das Woronin-Körperchen verschlossen werden kann (▶ Abb. 3.1). Besonders bei den Basidiomyceten kommen auch komplexere Poren, die Doliporen vor, die von einer membranösen Kappe, dem Parenthosom umgeben sind. Durch die Poren ist ein Transport möglich, der das Mycel versorgt, da nur die Hyphen an a

Filamentöse Pilze Filamentöse Pilze wachsen in Form eines Mycels. Die einzelne Hyphe wächst apikal, also nur durch polares, anisotropes Spitzenwachstum. Es können jedoch auch Verzweigungen angelegt werden, die dann wieder apikal wachsen. Dadurch entsteht ein verzweigtes und untereinander durch Anastomosen verbundenes Hyphengeflecht. Für das apikale Spitzenwachstum wird Zellwandmaterial in Vesikeln zu einer Fusionsstelle an der Hyphenspitze transportiert. Die Vesikel fusionieren mit der Zellmembran, sodass dort neues Material in die wachsende Zellmembran und die Zellwand eingebaut werden kann. Die Zellwand besteht aus Chitin, einem Homopolymer aus N-Acetylglucosamin, ergänzt durch Chitosan und Glucan sowie in unterschiedlichem Umfang auch Cellulose (Kap. 11.3). Die Vesikel, die zum gerichteten Hyphenwachstum beitragen, sind in manchen Pilzen auch als Strukturen im lichtmikroskopischen Bild sichtbar: Der Spitzenkörper ist ein Zentrum für die Verteilung und den Einbau der Vesikel und liegt direkt hinter der wachsenden Hyphenspitze. Der Transport der Vesikel erfolgt entlang des Cytoskeletts, das durch Mikrotubuli und Aktinfilamente gebildet wird. Der ATP-abhängige Transport erfolgt durch Motorproteine, wobei Myosin an Aktinfilamenten und Kinesine sowie Dynein an den Mikrotubuli entlangwandern. Der Transport von Kernen, Mitochondrien, Vesikeln oder Va-

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b

Abb. 3.1 Septen bei filamentösen Pilzen. (Aufnahmen Robert Bauer, Tübingen) a Woronin-Körperchen und einfache Septen bei Cymadothea trifolii (105 000fache Vergrößerung). b Doliporus mit Parenthosom bei Schizophyllum commune (81 000fache Vergrößerung).

3.4 Einteilung der Pilze

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Plus 3.2 Die Eroberung des Luftraums Das filamentöse Wachstum der Pilze erlaubt eine gute Ausnutzung des Substrats. Hierfür muss zunächst ein Substratmycel entstehen, das die Nährstoffe direkt aus dem Substrat aufnehmen kann. Zum Abbau von polymeren Substraten sezernieren die Hyphen eine Vielzahl von Exoenzymen. Für eine Verbreitung ist allerdings ein Wachstum in den Luftraum sinnvoll, sodass die Sporen vom Wind weggetragen werden können. Dazu wird ein Luftmycel gebildet, welches das wässrige Milieu des Substrats verlässt. Die Lufthyphen wachsen dabei aus dem wässrigen, hydrophilen Milieu in die hydrophobe Umgebung der Luft. Dabei müssen sie die Oberflächenspannung des wässrigen Milieus überwinden. Der Pilz bildet dazu an der Hyphenoberfläche eine Proteinschicht aus aggregierten Hydrophobin-Monomeren, die sich dann auch als schützende Hülle um die Lufthyphen zieht. a

b Monomer Aggregatform

Luft

Medium

der Wachstumsfront neue Nährstoffressourcen erschließen und abbauen können. Die Hyphen können pseudoparenchymatische Strukturen bilden, die aus zusammengelagerten Hyphen bestehen. Dabei entsteht kein echter Gewebeverband, sondern – beispielsweise in den makroskopischen Fruchtkörpern – ein aus einzelnen, getrennten Hyphen bestehendes Pseudoparenchym oder Plektenchym. Im Boden können mehrere Hyphen zu stärkeren, teilweise differenzierten Hyphensträngen, den Rhizomorphen zusammengelagert sein. Neben diesen Substrathyphen bilden die Pilze ein Luftmycel, das als watteartiger Überzug in den Luftraum reicht (Plus 3.2).

3.4 Einteilung der Pilze Die Pilze gehören neben den zwei großen Gruppen der Pflanzen und Tiere und einer Reihe kleinerer, einzelliger Lebensformen (▶ Abb. 3.3) zu den Eukarya. Dass die Pilze tatsächlich einen eigenen, selbständigen Rang einneh-

Hydrophobine zeichnen sich durch 8 konservierte Cysteinreste aus, die für die Umfaltung von einer löslichen Monomerform in die Aggregatform notwendig sind. Das Monomer wird ausgeschieden und verteilt sich im Medium (▶ Abb. 5.52). An einer hydrophob/hydrophilen Grenzschicht wie zwischen Wasser und Luft falten sich die Proteine um und bilden in ihrer aggregierten Form Multimere. Dabei entsteht eine Auflagerung mit einer hydrophilen, zur Zelle hin weisenden Seite und einer hydrophoben Außenseite. Das Protein kann auch zur Anheftung von Hyphen an hydrophobe Oberflächen wie an die Cuticula von Pflanzenzellen dienen, womit phytopathogene Pilze eine Anheftung an den Wirt erreichen. Hydrophobine tragen auch dazu bei, Hyphen – beispielsweise in einem Fruchtkörper – miteinander zu verbinden, damit ein Plektenchym entstehen kann.

Abb. 3.2 Das Protein Hydrophobin wird als Monomer ausgeschieden. a An einer hydrophil/hydrophoben Grenzschicht lagert es sich spontan um, was zur Aggregation führt. b Die stäbchenförmigen Auflagerungen auf der Zellwand der Lufthyphen des Pilzes können elektronenmikroskopisch sichtbar gemacht werden. (Aufnahme Han Wösten, Utrecht, Niederlande)

men, wurde durch phylogenetische Analysen mit molekularbiologischen Methoden bestätigt. Innerhalb der Pilze gibt es Organismen, die als Einzelzellen leben und sich durch hefeartige Sprossung vermehren. Weiterhin können viele Pilze filamentös wachsen und so ein zusammenhängendes, durch Septen gegliedertes Mycel bilden. Die Pilze enthalten in ihrer Zellwand neben Proteinen und anderen Polysacchariden als wichtigen Strukturbestandteil Chitin (S. 359). Innerhalb der Pilze werden nach neueren Analysen, die auf über 100 Genen beruhen, folgende Hauptgruppen unterschieden: ● das Unterreich der Dikarya mit den Abteilungen Basidiomycota und Ascomycota, ● die Zygomycota mit den drei Gruppen Entomophtoromyceten, Glomeromyceten sowie Mucormyceten und ● die als Chytridien zusammengefassten Gruppen der Blastocladiomyceten, Neocallimastigomyceten und Chytridiomyceten.

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3.4 Einteilung der Pilze

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Plus 3.2 Die Eroberung des Luftraums Das filamentöse Wachstum der Pilze erlaubt eine gute Ausnutzung des Substrats. Hierfür muss zunächst ein Substratmycel entstehen, das die Nährstoffe direkt aus dem Substrat aufnehmen kann. Zum Abbau von polymeren Substraten sezernieren die Hyphen eine Vielzahl von Exoenzymen. Für eine Verbreitung ist allerdings ein Wachstum in den Luftraum sinnvoll, sodass die Sporen vom Wind weggetragen werden können. Dazu wird ein Luftmycel gebildet, welches das wässrige Milieu des Substrats verlässt. Die Lufthyphen wachsen dabei aus dem wässrigen, hydrophilen Milieu in die hydrophobe Umgebung der Luft. Dabei müssen sie die Oberflächenspannung des wässrigen Milieus überwinden. Der Pilz bildet dazu an der Hyphenoberfläche eine Proteinschicht aus aggregierten Hydrophobin-Monomeren, die sich dann auch als schützende Hülle um die Lufthyphen zieht. a

b Monomer Aggregatform

Luft

Medium

der Wachstumsfront neue Nährstoffressourcen erschließen und abbauen können. Die Hyphen können pseudoparenchymatische Strukturen bilden, die aus zusammengelagerten Hyphen bestehen. Dabei entsteht kein echter Gewebeverband, sondern – beispielsweise in den makroskopischen Fruchtkörpern – ein aus einzelnen, getrennten Hyphen bestehendes Pseudoparenchym oder Plektenchym. Im Boden können mehrere Hyphen zu stärkeren, teilweise differenzierten Hyphensträngen, den Rhizomorphen zusammengelagert sein. Neben diesen Substrathyphen bilden die Pilze ein Luftmycel, das als watteartiger Überzug in den Luftraum reicht (Plus 3.2).

3.4 Einteilung der Pilze Die Pilze gehören neben den zwei großen Gruppen der Pflanzen und Tiere und einer Reihe kleinerer, einzelliger Lebensformen (▶ Abb. 3.3) zu den Eukarya. Dass die Pilze tatsächlich einen eigenen, selbständigen Rang einneh-

Hydrophobine zeichnen sich durch 8 konservierte Cysteinreste aus, die für die Umfaltung von einer löslichen Monomerform in die Aggregatform notwendig sind. Das Monomer wird ausgeschieden und verteilt sich im Medium (▶ Abb. 5.52). An einer hydrophob/hydrophilen Grenzschicht wie zwischen Wasser und Luft falten sich die Proteine um und bilden in ihrer aggregierten Form Multimere. Dabei entsteht eine Auflagerung mit einer hydrophilen, zur Zelle hin weisenden Seite und einer hydrophoben Außenseite. Das Protein kann auch zur Anheftung von Hyphen an hydrophobe Oberflächen wie an die Cuticula von Pflanzenzellen dienen, womit phytopathogene Pilze eine Anheftung an den Wirt erreichen. Hydrophobine tragen auch dazu bei, Hyphen – beispielsweise in einem Fruchtkörper – miteinander zu verbinden, damit ein Plektenchym entstehen kann.

Abb. 3.2 Das Protein Hydrophobin wird als Monomer ausgeschieden. a An einer hydrophil/hydrophoben Grenzschicht lagert es sich spontan um, was zur Aggregation führt. b Die stäbchenförmigen Auflagerungen auf der Zellwand der Lufthyphen des Pilzes können elektronenmikroskopisch sichtbar gemacht werden. (Aufnahme Han Wösten, Utrecht, Niederlande)

men, wurde durch phylogenetische Analysen mit molekularbiologischen Methoden bestätigt. Innerhalb der Pilze gibt es Organismen, die als Einzelzellen leben und sich durch hefeartige Sprossung vermehren. Weiterhin können viele Pilze filamentös wachsen und so ein zusammenhängendes, durch Septen gegliedertes Mycel bilden. Die Pilze enthalten in ihrer Zellwand neben Proteinen und anderen Polysacchariden als wichtigen Strukturbestandteil Chitin (S. 359). Innerhalb der Pilze werden nach neueren Analysen, die auf über 100 Genen beruhen, folgende Hauptgruppen unterschieden: ● das Unterreich der Dikarya mit den Abteilungen Basidiomycota und Ascomycota, ● die Zygomycota mit den drei Gruppen Entomophtoromyceten, Glomeromyceten sowie Mucormyceten und ● die als Chytridien zusammengefassten Gruppen der Blastocladiomyceten, Neocallimastigomyceten und Chytridiomyceten.

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Pilze

Dikarya

Ascomyceten Basidiomyceten Mucormyceten

Zygomyceten

Glomeromyceten Entomophtoromyceten

Pilze Blastocladiomyceten Chytridien

Neocallimastigomyceten Chytridiomyceten

Ophistokonta Mikrosporidien

Archaea

Tiere Viridiplanta Eukarya Heterokonta Bacteria

Oomyceten Braunalgen

Ciliaten Myxamöben

Myxomyceten Acrasiomyceten

Flagellaten Diplomonaden Abb. 3.3 Stammbaum zur Einordnung der Pilze. Die Abgrenzung der Eukarya von den Archaea und den Bacteria ist mithilfe von Sequenzvergleichen der 16S- bzw. 18S-rDNA ersichtlich. Innerhalb der Eukarya sind die Pilze als Schwestergruppe der Tiere ausgewiesen (zusammengefasst zu den Ophistokonta). Weitere mycelbildende Formen zeigen mehr Ähnlichkeiten mit den Braunalgen, wie die Oomyceten in den Heterokonta. Andere gehören zu den Protisten wie die Myxomyceten und die Acrasiomyceten. Innerhalb der Pilze lassen sich folgende Untergruppen unterscheiden: Die Basidiomyceten und Ascomyceten bilden die Dikarya. Die Mucormyceten, Entomophoromyceten und Glomeromyceten können als Zygomyceten bezeichnet werden. Die Chytridiomyceten, Neocallimastigomyceten und Blastocladiomyceten können als Chytridien zusammengefasst werden.

Neben den Pilzen gibt es bei den niederen Eukarya einige Vertreter, die aufgrund ihrer fädigen Wachstumsformen oder der Morphologie der Fruchtkörper als Pilze angesprochen wurden. So gehören die mycelbildenden Oomyceten nicht zu den Pilzen, sondern sind mit den Algen verwandt. Bei den verschiedenen Schleimpilzen (Myxomyceten) handelt es sich um Protisten, die näher mit den Amöben als mit Pilzen verwandt sind (▶ Abb. 3.3). Die Stellung der Mikrosporidien ist noch nicht abschließend geklärt.

3.4.1 Vermehrungsformen der Pilze als Einteilungskriterien Pilze können sich sexuell und asexuell vermehren. Im Gegensatz zu den Bacteria und Archaea treten bei Pilzen als Eukaryonten dabei mehrere Vermehrungsformen nebeneinander auf. Einige Pilze vermehren sich durch Zweiteilung, wie z. B. die Spalthefe Schizosaccharomyces pombe, die wie Bakterien durch Teilung zwei neue Einzelzellen hervorbringt. Andere vermehren sich durch Knospung. Dabei entsteht an einem Zellpol eine Knospe, die sich vergrößert und nach Erreichen der Größe der Mutterzelle von dieser abgetrennt wird. Ein Beispiel dafür ist

76

die Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae. Die typische fädige Wuchsform der Hyphen dagegen führt zur Bildung eines Mycels, eines verzweigten Hyphengeflechts, das dann häufig in der Lage ist, Sporen abzuschnüren, die asexuell entstehen und der Verbreitung dienen. Die Einteilung der Pilze in ein systematisches Konzept erfolgt wie bei den Pflanzen anhand ihrer sexuellen Vermehrungsstrukturen. Hier werden nicht die Blütenformen, sondern die sexuell gebildeten Sporen und die Organe, in denen diese Sporen gebildet werden, für die phylogenetische Gliederung genutzt (▶ Abb. 3.4). Damit sind solche Strukturen gemeint, in denen die Meiose oder Reduktionsteilung erfolgt, wobei haploide Kerne entstehen. Diese werden in normalerweise haploiden Sporen verbreitet. Im Gegensatz zu den Keimzellen von Tieren und höheren Pflanzen können diese haploiden Sporen auskeimen und sich asexuell weiter vermehren. Durch eine Paarung (bei Pilzen Kreuzung genannt) kann schließlich wieder ein diploides Stadium entstehen, das für die sexuelle Vermehrung essenziell ist. Wie bereits erwähnt, kann eine Ausbreitung auch direkt durch vegetative Vermehrung oder die Bildung von Dauersporen erfolgen, die ohne vorherige Kreuzung am haploiden oder mehrkernigen Mycel entstehen. Insbeson-

3.4 Einteilung der Pilze

a Hymenomyceten z. B. Schizophyllum commune

b Phragmobasidiomyceten z. B. Ustilago maydis

c Ascomyceten z. B. Sordaria macrospora

Sporidie Spore Basidie

ca. 3 μm

vierzellige Phragmobasidie Teliospore

Ascus mit 8 Ascosporen

dere bei Schimmelpilzen überwiegt die asexuelle Vermehrung, sodass einige Pilze entstanden sind, die keine sexuellen Stadien mehr bilden. Dies erschwert die systematische Zuordnung. Die sexuellen und asexuellen Stadien sind in der Regel morphologisch unterschiedlich, manchmal so unterschiedlich, dass die beiden Formen einer Art systematisch als zwei verschiedene Arten eingeordnet wurden. Sind die sexuellen Strukturen bekannt, folgt die Nomenklatur diesem Stadium, dem sogenannten Teleomorph. Die Namen der asexuellen Vermehrungsformen (Anamorph) werden höchstens als Synonyme geführt. Allerdings hat sich insbesondere unter Molekularbiologen häufig der Gebrauch des gewohnten Anamorphs so stark eingebürgert, dass sich die eigentlich korrekte Bezeichnung nicht durchsetzen konnte. In diesem Kapitel werden daher auch die in der Praxis bewährten Bezeichnungen verwendet. Daher wird beispielsweise von Aspergillus nidulans gesprochen, obwohl das Teleomorph Emericella nidulans durchaus bekannt ist. E. nidulans bildet geschlossene Cleistothecien mit den in Asci enthaltenen Ascosporen (s. auch ▶ Abb. 3.4); ein Lebenszyklus mit beiden Vermehrungsformen für Neurospora crassa ist in ▶ Abb. 3.7 zu finden. Die asexuelle Vermehrung von A. nidulans ist in Plus 3.3 (S. 80) dargestellt. Neben den Pilzen mit bekannten sexuellen Stadien gibt es eine ganze Reihe, für die bisher entweder kein sexuelles Stadium gefunden wurde, oder die sich tatsächlich nur vegetativ vermehren. Solche Pilze werden Formklassen zugeordnet, die ursprünglich eingerichtet wurden, um der Flut an isolierten und identifizierten Stämmen ohne bekannte sexuelle Vermehrungsform Herr zu werden. Eines dieser künstlichen Konstrukte umfasst solche Pilze, die asexuelle Vermehrungsstadien (wie Conidien) durchlaufen. Diese imperfekten Pilze oder Deuteromyceten sind häufig tatsächlich Ascomyceten, wie sich aufgrund der Ähnlichkeit der Conidien mit denen bekannter Ascomyceten vermuten ließ. Vergleiche der konservierten rDNA-Sequenz haben diese Annahme bestätigt. Für Pilze, von denen lediglich Hyphenstadien bekannt sind, wurde die Formenklasse der Hyphomyceten geschaffen.

d Zygomyceten z. B. Phycomyces blakesleeanus Zygospore

Abb. 3.4 Sporenbildung in der sexuellen Vermehrung der Pilze. a Hymenomyceten bilden unseptierte Basidien mit in der Regel vier haploiden Sporen. b Rost- und Brandpilze produzieren ihre sexuell gebildeten Sporen an Phragmobasidien. c Ascomyceten bilden meist schlauchförmige Asci mit vier oder – durch postmeiotische Mitose(n) – auch acht oder mehr Ascosporen. d Die Zygosporen der Zygomyceten sind zumeist vielkernig und häufig von geweihförmigen Hyphen umgeben.

3.4.2 Basidiomyceten Basidiomyceten bilden ihre Sporen an Basidien (oder Ständern, ▶ Abb. 3.4a). Typische Vertreter dieser Gruppe sind die Hutpilze, zu denen auch die meisten unserer Speise- und Giftpilze gehören. Die Hutgröße kann zwischen 1 cm (bei einigen Helmlingen) und 35 cm beim Riesenschirmling (Macrolepiota procera) betragen. Sie bilden ihre sexuellen Sporen an unseptierten Basidien im Hymenium, sodass diese Pilze zu den Hymenomyceten zusammengefasst werden. Das Hymenium ist bei den Hutpilzen in Form von Röhren wie beim Steinpilz (Boletus edulis) oder Lamellen wie beim Champignon (Agaricus bisporus) oder dem Spaltblättling (Schizophyllum commune) angeordnet. Das Hymenium kann aber auch die Form von Leisten wie beim Pfifferling (Cantharellus cibarius) oder Stacheln (bei Hydnum-Arten) haben. Für die Bestimmung der Speise- und Giftpilze sind die Merkmale der Hutform und -farbe sowie die Sporenfarbe und -struktur wegen ihrer einfachen Ansprechbarkeit besonders wichtig. Die meisten Hymenomyceten sind bodenbewohnend und häufig Streu- oder Holzzersetzer. Mit Waldbäumen sind Basidiomyceten in der Mykorrhizasymbiose (S. 89) vergesellschaftet; sie wachsen aber auch auf lebendem oder totem Holz oder auf anderen organischen Substraten. Eine weitere Untergruppe der Basidiomyceten sind die Phragmobasidiomyceten. Zu ihnen gehören u. a. die phytopathogenen Rostpilze (Urediniomyceten) (S. 101) und Brandpilze (Ustiolaginomyceten) wie der Maisbeulenbrand (Ustilago maydis) (S. 100). Sie bilden ihre meiotischen Sporen (Sporidien) an septierten Phragmobasidien (▶ Abb. 3.4b). Häufig kommen weitere, asexuelle Sporen vor, die sich teilweise auch durch hefeartige Sprossung direkt vermehren können. Verwandtschaftsuntersuchungen zeigen, dass an der Basis der Basidiomyceten Pilze stehen, deren Basidien nicht in Hymenien entstehen, aber auch nicht fragmentiert sind. Dazu gehört beispielsweise der humanpathogene Erreger Cryptococcus neoformans (S. 92), der insbesondere bei immunkompromittierten Patienten tödliche Infektionen des Zentralnervensystems auslösen kann.

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Pilze

3.4.3 Ascomyceten Die Ascomyceten produzieren ihre sexuellen Sporen im sackoder schlauchförmigen Ascus (Schlauch, ▶ Abb. 3.4c). Die Asci können exponiert vorliegen oder in Fruchtkörpern gebildet werden. Freie Asci werden von den Echten Hefen gebildet, die sich durch Sprossung vermehren wie die Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae. Aufgrund ihres einzelligen Wachstums und der einfachen Handhabbarkeit im Labor dient die Bäckerhefe als Modellorganismus für viele grundlegende Untersuchungen zur Funktion von Proteinen in der eukaryontischen Zelle. Die Spalthefe Schizosaccharomyces pombe ist ebenfalls ein einzelliger Vertreter der Ascomyceten, der sich aber durch äquale Teilung vermehrt. Zu den Fruchtkörper bildenden Ascomyceten gehören eine Reihe von Schimmelpilzen, aber auch Ascomyceten mit makroskopischen Fruchtkörpern wie die Trüffel (Tuber). Die Asci der höheren Ascomyceten eignen sich sehr gut für genetische Untersuchungen, beispielsweise zur Analyse der Rekombination (S. 93) (z. B. bei Sordaria macrospora oder Podospora anserina). Verschiedene Arten der Gattungen Aspergillus und Neurospora dienen der Forschung als Modellorganismen für molekularbiologische Entwicklungsprozesse, während weitere Ascomyceten, beispielsweise Penicillium oder Acremonium, als Produzenten für Antibiotika wichtig sind.

3.4.4 Die Verwandtschaftsgruppe der Zygomyceten Die Zygomyceten haben ihren Namen nach ihren sexuell gebildeten Zygosporen erhalten (▶ Abb. 3.4d). Diese entstehen durch Verschmelzung zweier haploider Gametangien. Neben diesen Zygosporen gibt es auch asexuelle Sporangien, die wie bei der Gattung Pilobolus zur Verbreitung sogar aktiv und zielgerichtet zum Licht hin abgeschossen werden können. Die saprophytischen Mucormyceten sind uns als Schimmel auf Brot, Tomaten oder Gurken vertraut. Ein Beispiel ist Rhizopus stolonifer. Die Hyphen sind nicht regelmäßig septiert, bei der Ausbildung von Vermehrungsorganen werden aber stets Septen eingezogen. Die Glomeromyceten können mit Wurzeln der meisten Landpflanzen eine mutualistische Symbiose eingehen, die als Endomykorrhiza (S. 89) bezeichnet wird. Die Endomykorrhiza-Symbiose ist sehr alt, sodass sich hier ein besonders guter Einblick in die Evolution der Pilze und gleichzeitig in die über ca. 460 Mio. Jahre dauernde Coevolution von Pilz und Pflanze gewinnen lässt. Die Entomophtoromyceten umfassen Pilze, die pathogen für Insekten sind. Daher können Arten dieser Gruppe als Biokontrollorganismen, z. B. im Pflanzenbau eingesetzt werden. Für diese drei Pilzgruppen ist die monophyletische Abstammung umstritten, sie können aber als

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Gruppe zwischen den Chytridiomyceten und Dikarya zusammengefasst werden.

3.4.5 Die Chytridien Die Chytridiomyceten vermehren sich asexuell durch bewegliche Zoosporen und sexuell durch ebenfalls bewegliche Gameten, die in Töpfchen gebildet werden. Damit unterscheiden sie sich von den bisher behandelten Pilzen. Sie sind häufig einzellig und selten mit querwandlosen Hyphen ausgestattet, die als kurze Anhänge auch als Rhizoide bezeichnet werden. Die Chytridiomyceten sind meist an feuchte Standorte gebunden und ernähren sich saprophytisch, als Destruenten oft von Chitin oder Keratin. Unter den Chytridiomyceten sind auch Phytopathogene, Tierpathogene oder Pathogene auf anderen Pilzen zu finden. Ein phytopathogener Vertreter ist Synchytrium endobioticum, ein wichtiger und mit Quarantäne belegter Parasit der Kartoffel. Die infektöse Chytridiomykose der Amphibien, die 1993 in Australien entdeckt wurde, führt weltweit zum Rückgang der Amphibien. Die Neocallimastigomyceten sind – im Gegensatz zu den meist mehr oder minder strikt aeroben anderen Pilzen – an anaerobe Habitate gebunden und können im Pansen von Wiederkäuern nachgewiesen werden. Die Blastocladiomyceten sind nach neuesten Untersuchungen ein weiteres eigenständiges Phylum. Damit ist auch für die Chytridien eine monophyletische Abstammung nicht eindeutig, neuere Verwandtschaftsanalysen, für die alle verfügbaren Genomsequenz- und Gensequenzdaten herangezogen wurden, legen dies aber nahe.

3.5 Asexuelle Vermehrung Einzellige Hefen vermehren sich durch Zellteilung, doch auch durch Fragmentierung des Mycels ist eine Ausbreitung möglich. Daneben existieren bei den filamentösen Pilzen aber auch verschiedene Möglichkeiten der asexuellen Verbreitung durch Sporen. Besondere Bedeutung haben die Sporenträger, die Conidiophoren, an denen einzellige, asexuelle Sporen abgeschnürt werden, die für eine schnelle Ausbreitung sorgen. Dies betrifft insbesondere die Schimmelpilze oder Pflanzenschädlinge. Diese asexuell gebildeten Sporen keimen und etablieren ein neues Mycel, das zur Eroberung eines neuen Habitats führen kann.

3.5.1 Mitose und Zellzyklus Mitose Die Mitose beschreibt eine Kernteilung, bei der zwei mit der Ausgangszelle identische Tochterkerne entstehen. Bei höheren Eukaryonten wird dabei die Kernhülle aufgelöst. Viele Pilze dagegen durchlaufen eine sogenannte ge-

Pilze

3.4.3 Ascomyceten Die Ascomyceten produzieren ihre sexuellen Sporen im sackoder schlauchförmigen Ascus (Schlauch, ▶ Abb. 3.4c). Die Asci können exponiert vorliegen oder in Fruchtkörpern gebildet werden. Freie Asci werden von den Echten Hefen gebildet, die sich durch Sprossung vermehren wie die Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae. Aufgrund ihres einzelligen Wachstums und der einfachen Handhabbarkeit im Labor dient die Bäckerhefe als Modellorganismus für viele grundlegende Untersuchungen zur Funktion von Proteinen in der eukaryontischen Zelle. Die Spalthefe Schizosaccharomyces pombe ist ebenfalls ein einzelliger Vertreter der Ascomyceten, der sich aber durch äquale Teilung vermehrt. Zu den Fruchtkörper bildenden Ascomyceten gehören eine Reihe von Schimmelpilzen, aber auch Ascomyceten mit makroskopischen Fruchtkörpern wie die Trüffel (Tuber). Die Asci der höheren Ascomyceten eignen sich sehr gut für genetische Untersuchungen, beispielsweise zur Analyse der Rekombination (S. 93) (z. B. bei Sordaria macrospora oder Podospora anserina). Verschiedene Arten der Gattungen Aspergillus und Neurospora dienen der Forschung als Modellorganismen für molekularbiologische Entwicklungsprozesse, während weitere Ascomyceten, beispielsweise Penicillium oder Acremonium, als Produzenten für Antibiotika wichtig sind.

3.4.4 Die Verwandtschaftsgruppe der Zygomyceten Die Zygomyceten haben ihren Namen nach ihren sexuell gebildeten Zygosporen erhalten (▶ Abb. 3.4d). Diese entstehen durch Verschmelzung zweier haploider Gametangien. Neben diesen Zygosporen gibt es auch asexuelle Sporangien, die wie bei der Gattung Pilobolus zur Verbreitung sogar aktiv und zielgerichtet zum Licht hin abgeschossen werden können. Die saprophytischen Mucormyceten sind uns als Schimmel auf Brot, Tomaten oder Gurken vertraut. Ein Beispiel ist Rhizopus stolonifer. Die Hyphen sind nicht regelmäßig septiert, bei der Ausbildung von Vermehrungsorganen werden aber stets Septen eingezogen. Die Glomeromyceten können mit Wurzeln der meisten Landpflanzen eine mutualistische Symbiose eingehen, die als Endomykorrhiza (S. 89) bezeichnet wird. Die Endomykorrhiza-Symbiose ist sehr alt, sodass sich hier ein besonders guter Einblick in die Evolution der Pilze und gleichzeitig in die über ca. 460 Mio. Jahre dauernde Coevolution von Pilz und Pflanze gewinnen lässt. Die Entomophtoromyceten umfassen Pilze, die pathogen für Insekten sind. Daher können Arten dieser Gruppe als Biokontrollorganismen, z. B. im Pflanzenbau eingesetzt werden. Für diese drei Pilzgruppen ist die monophyletische Abstammung umstritten, sie können aber als

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Gruppe zwischen den Chytridiomyceten und Dikarya zusammengefasst werden.

3.4.5 Die Chytridien Die Chytridiomyceten vermehren sich asexuell durch bewegliche Zoosporen und sexuell durch ebenfalls bewegliche Gameten, die in Töpfchen gebildet werden. Damit unterscheiden sie sich von den bisher behandelten Pilzen. Sie sind häufig einzellig und selten mit querwandlosen Hyphen ausgestattet, die als kurze Anhänge auch als Rhizoide bezeichnet werden. Die Chytridiomyceten sind meist an feuchte Standorte gebunden und ernähren sich saprophytisch, als Destruenten oft von Chitin oder Keratin. Unter den Chytridiomyceten sind auch Phytopathogene, Tierpathogene oder Pathogene auf anderen Pilzen zu finden. Ein phytopathogener Vertreter ist Synchytrium endobioticum, ein wichtiger und mit Quarantäne belegter Parasit der Kartoffel. Die infektöse Chytridiomykose der Amphibien, die 1993 in Australien entdeckt wurde, führt weltweit zum Rückgang der Amphibien. Die Neocallimastigomyceten sind – im Gegensatz zu den meist mehr oder minder strikt aeroben anderen Pilzen – an anaerobe Habitate gebunden und können im Pansen von Wiederkäuern nachgewiesen werden. Die Blastocladiomyceten sind nach neuesten Untersuchungen ein weiteres eigenständiges Phylum. Damit ist auch für die Chytridien eine monophyletische Abstammung nicht eindeutig, neuere Verwandtschaftsanalysen, für die alle verfügbaren Genomsequenz- und Gensequenzdaten herangezogen wurden, legen dies aber nahe.

3.5 Asexuelle Vermehrung Einzellige Hefen vermehren sich durch Zellteilung, doch auch durch Fragmentierung des Mycels ist eine Ausbreitung möglich. Daneben existieren bei den filamentösen Pilzen aber auch verschiedene Möglichkeiten der asexuellen Verbreitung durch Sporen. Besondere Bedeutung haben die Sporenträger, die Conidiophoren, an denen einzellige, asexuelle Sporen abgeschnürt werden, die für eine schnelle Ausbreitung sorgen. Dies betrifft insbesondere die Schimmelpilze oder Pflanzenschädlinge. Diese asexuell gebildeten Sporen keimen und etablieren ein neues Mycel, das zur Eroberung eines neuen Habitats führen kann.

3.5.1 Mitose und Zellzyklus Mitose Die Mitose beschreibt eine Kernteilung, bei der zwei mit der Ausgangszelle identische Tochterkerne entstehen. Bei höheren Eukaryonten wird dabei die Kernhülle aufgelöst. Viele Pilze dagegen durchlaufen eine sogenannte ge-

3.5 Asexuelle Vermehrung schlossene Mitose, bei der die Kernhülle auch während der Kernteilung erhalten bleibt. Zunächst erfolgt die Replikation der Chromosomen. Erst wenn diese abgeschlossen ist, kann die Kernteilung stattfinden. Parallel dazu teilt sich der Spindelpolkörper. Ausgehend von den Spindelpolkörpern bilden Mikrotubuli dann die Kernspindel. Gleichzeitig entstehen Mikrotubuli, welche die Spindel in der Zelle positionieren (astrale Mikrotubuli). Die Mikrotubuli der Spindel greifen an den Centromeren der Chromosomen an und trennen die Chromatiden. Da bei Pilzen eine Kernteilung nicht notwendigerweise an eine Zellteilung gebunden ist, gibt es häufig vielkernige Zellen. In diesen Zellen ist es durch eine geschlossene Mitose ohne Auflösung der Kernhülle möglich, mehrere Kerne gleichzeitig zu verdoppeln, ohne dass es zu Fehlverteilungen der Chromosomen kommt. Bei filamentösen Pilzen ist die Septenbildung zwischen den Tochterzellen der Abschluss der Mitose. Allerdings erfolgt keine vollständige Cytokinese, sondern über eine Pore im Septum bleibt eine Verbindung erhalten.

Zellzyklus Der Zellzyklus beschreibt die Vorgänge von einer Zellteilung zur nächsten. Aufgeklärt wurde der Zellzyklus mithilfe der einzelligen Hefen Saccharomyces cerevisiae und Schizosaccharomyces pombe, sodass diese beiden Organismen heute als Modellorganismen für den eukaryontischen Zellzyklus und viele andere eukaryontischen Mechanismen herangezogen werden. Der Zellzyklus wird in vier Phasen eingeteilt. Die Mitose mit der Kernteilung findet in der M-Phase statt. Auf die M-Phase folgt die sogenannte G1-Phase. G steht für Gap (Lücke), denn diese Phase trennt die M-Phase von der folgenden S-Phase (S steht für Synthese), in der die DNA repliziert wird. Beim Übergang von der M-Phase in die G1-Phase erfolgt bei einzelligen Stadien die Cytokinese (Zellteilung) bzw. bei Hyphenpilzen eine Septenbildung, die verzögert sein kann. In der S-Phase wird die DNA verdoppelt (Synthese, Replikation). An die S-Phase schließt sich die G2-Phase an. G1-, S- und G2-Phase werden auch als Interphase zusammengefasst. Es gibt einen Punkt im Zellzyklus, an dem die Entscheidung für eine Zellteilung getroffen wird. Ist dieser als START bezeichnete Kontrollpunkt einmal überwunden, wird der Zellzyklus durchlaufen. Durch Analyse von temperatursensitiven Mutanten von Saccharomyces cerevisiae, die bei erhöhter (nicht-permissiver) Temperatur den Zellzyklus abbrechen, konnten die Funktionen von mehr als 50 Genprodukten (meist CDC genannt, für engl. cell division cycle) im Zellzyklus beschrieben werden. Eine wichtige Gruppe sind dabei die Cycline. Diese Proteine werden nur zu einem bestimmten Zeitpunkt im Zellzyklus synthetisiert und aktiviert, bevor sie nach Erfüllen ihrer Funktion wieder abgebaut werden. Sie haben damit

eine regulatorische Funktion für die Einleitung der jeweils nächsten Schritte des Zellzyklus. Die einzelnen Cycline sind spezifisch für die verschiedenen Zellzyklusphasen, beispielsweise die G1- oder G2-Cycline. Da sie aktiviert und sehr schnell wieder abgebaut werden können, erlauben diese Proteine einen schnellen Wechsel der Stadien des Zellzyklus.

3.5.2 Asexuelle Vermehrungsformen bei Ascomyceten Die Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae vermehrt sich durch Knospung, auch Sprossung genannt. Dabei kommt es nach der Kernteilung zur Positionierung eines der Tochterkerne in der Knospe. Diese wird anschließend durch Bildung eines Septums von der Mutterzelle abgeschnürt. Die Trennung der beiden Zellen, der Cytokinese, ist bei Hefen das Ende des Zellzyklus. Es ist allerdings auch möglich, das Wachstum von Pseudohyphen zu induzieren, bei dem die Zellen sich nicht vollständig voneinander lösen und ein zusammenhängendes Zellknäuel bilden. Bei der humanpathogenen Hefe Candida, die z. B. Vaginalinfektionen auslöst, wird auch ein echtes Hyphenwachstum beobachtet. Dies zeigt, dass manche Pilze zwischen verschiedenen Wachstumsformen umschalten können. Filamentöse Ascomyceten schalten bei der asexuellen Vermehrung auf die einzellige Wachstumsform um – ähnlich wie Hefen auf Hyphenwachstum umstellen können – und bilden sogenannte Conidiosporen (oder kurz Conidien). Conidiosporen sind einkernige, abgerundete und gegen Umwelteinflüsse relativ resistente Sporen, die in langen Ketten gebildet werden, bei filamentösen Pilzen geschieht dies an Conidiophoren (Plus 3.3). Bekannte Beispiele sind die Köpfchen- und Gießkannenschimmel der Gattungen Penicillium und Aspergillus oder auch Neurospora crassa (S. 104). Die Conidien entstehen an den Lufthyphen, wo sich zunächst dickere Conidiophoren entwickeln. Auf einem Köpfchen werden dann viele Sporenketten gebildet. Dabei erfolgt eine Form der Zellteilung, die stark an das knospende Wachstum der Hefen erinnert. Diese Vermehrungsform macht die asexuelle Verbreitung sehr erfolgreich, da innerhalb kürzester Zeit große Mengen Conidiosporen produziert werden. Die Sporen sind häufig allergen, weshalb Schimmel in Gebäuden auch zu einer starken gesundheitlichen Belastung werden kann. Die Sporen sind über lange Zeiträume lebensfähig, wie sich an geöffneten Pharaonengräbern gezeigt hat.

3.5.3 Asexuelle Vermehrungsformen bei anderen Pilzen Asexuelle Vermehrung bei Basidiomyceten ist insbesondere bei den Rostpilzen (S. 101) und Brandpilzen (S. 100), die zu den Phragmobasidiomyceten zählen, zu beobach-

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Pilze

●V

Plus 3.3 Molekularbiologie der Conidienentwicklung bei Aspergillus nidulans (Teleomorph: Emericella nidulans) Durch die Analyse von Mutanten konnte gezeigt werden, dass eine regulatorische Kaskade zur Bildung von Conidiosporen benötigt wird, deren drei zentrale Regulatorgene brlA, abaA und wetA sind (▶ Abb. 3.5). Die Transkriptionsfaktoren BrlA und AbaA werden benötigt, um im Entwicklungsprogramm von der Hyphenentwicklung auf die Bil-

Conidiosporen

wetA: Conidiosporenreifung

Phialiden

abaA: Phialidenentwicklung

dung der Köpfchen und an den Köpfchen zur Bildung der verschiedenen Zellgenerationen umzuschalten, die schließlich die einkernigen, haploiden Sporen hervorbringen. Diese Sporen sind im Wildtyp grün gefärbt und damit der Grund für die grüne Farbe der bekannten Schimmelkolonien auf Lebensmitteln. Die Conidienbildung wird im Licht induziert, während sich der Pilz im Dunkeln sexuell vermehrt und Mykotoxine bildet. Die Abbildung zeigt drei Kolonien mit grünen Conidiosporen.

wA: Conidiosporenfärbung yA: Conidiosporenfärbung

Metulae Vesikel

Hydrophobinauflagerung brlA: Bildung von Metulae Induktion der Conidiophorenentwicklung

Hyphe

grüne Conidiosporen

Abb. 3.5 Molekularbiologie der Conidienentwicklung bei Aspergillus nidulans (Teleomorph: Emericella nidulans). Erklärung siehe Text.

ten. Dort kommt auch die Vermehrung durch Knospung in sogenannten Hefestadien im Lebenszyklus vor, die zu einer starken Ausbreitung im Bestand beitragen kann. Bei den Hymenomyceten sind ebenfalls Chlamydosporen (Dauersporen) oder als Oidien bezeichnete, einzellige Stadien bekannt. Die Sporangien der Zygomyceten (S. 78), die Sporen der Glomeromyceten (S. 89) und die Dauersporen sowie Zoosporen der Chytridiomyceten (S. 78) wurden bereits besprochen.

3.6 Sexuelle Vermehrung Neben den asexuellen Sporen sind für die Verbreitung der Pilze die sexuell gebildeten Sporen verantwortlich. Sie werden zumeist in Fruchtkörpern nach der Kreuzung zweier haploider Elternstämme gebildet. Bei den Hymenomyceten ist die sexuelle Vermehrung besonders wichtig, da asexuelle Vermehrungsorgane häufig fehlen. Gerade holzbewohnende Pilze sind auf die Ausbreitung durch sexuell gebildete Sporen angewiesen. Das Mycel befindet sich bei diesen Pilzen in der Regel innerhalb eines Baumstammes, und ohne Fruchtkörperbildung und Sporenfreisetzung an der Luft wäre keine Ausbreitung möglich.

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3.6.1 Homothallie und Heterothallie Fruchtkörper können bei einigen Pilzen auch durch Selbstbefruchtung ohne vorherige Kreuzung entstehen. Diese Fruchtkörper- und Sporenbildung wird als homothallisch bezeichnet. Bei heterothallischen Pilzen, die nicht zur Selbstbefruchtung fähig sind, muss der sexuellen Entwicklung eine Kreuzung von zwei Pilzen mit unterschiedlichen Paarungs- oder Kreuzungstypen vorausgehen. Die Kreuzungstypen entsprechen daher den Geschlechtern der Tiere. Allerdings unterscheidet man keine männlichen und weiblichen Paarungstypen. Vielmehr gibt es bei den Basidiomyceten bis über 20 000 solcher verschiedener Kreuzungstypen. Die Vielzahl möglicher Kreuzungstypen bedeutet, dass zwei aufeinandertreffende Mycelien in der Natur fast immer unterschiedliche Kreuzungstypen besitzen und somit kompatibel sind. Dadurch wird auf genetischem Wege die Inzucht vermieden und die sinnvolle Neukombination des Erbguts in der sexuellen Vermehrung gefördert. In den Fruchtkörpern entwickeln sich dann die haploiden Sporen, die auskeimen und ein Mycel bilden, das sich zwar ausbreiten kann, aber keine Fruchtkörper bildet. Erst durch eine erneute Kreuzung entsteht wieder ein fertiles Mycel. Die Kreuzungstypgene kontrollieren also die gesamten Vorgänge der sexuellen Entwicklung. Daneben existieren auch sekundär homothallische Pilze wie der Champignon (Agaricus bisporus). Bei ihnen

Pilze

●V

Plus 3.3 Molekularbiologie der Conidienentwicklung bei Aspergillus nidulans (Teleomorph: Emericella nidulans) Durch die Analyse von Mutanten konnte gezeigt werden, dass eine regulatorische Kaskade zur Bildung von Conidiosporen benötigt wird, deren drei zentrale Regulatorgene brlA, abaA und wetA sind (▶ Abb. 3.5). Die Transkriptionsfaktoren BrlA und AbaA werden benötigt, um im Entwicklungsprogramm von der Hyphenentwicklung auf die Bil-

Conidiosporen

wetA: Conidiosporenreifung

Phialiden

abaA: Phialidenentwicklung

dung der Köpfchen und an den Köpfchen zur Bildung der verschiedenen Zellgenerationen umzuschalten, die schließlich die einkernigen, haploiden Sporen hervorbringen. Diese Sporen sind im Wildtyp grün gefärbt und damit der Grund für die grüne Farbe der bekannten Schimmelkolonien auf Lebensmitteln. Die Conidienbildung wird im Licht induziert, während sich der Pilz im Dunkeln sexuell vermehrt und Mykotoxine bildet. Die Abbildung zeigt drei Kolonien mit grünen Conidiosporen.

wA: Conidiosporenfärbung yA: Conidiosporenfärbung

Metulae Vesikel

Hydrophobinauflagerung brlA: Bildung von Metulae Induktion der Conidiophorenentwicklung

Hyphe

grüne Conidiosporen

Abb. 3.5 Molekularbiologie der Conidienentwicklung bei Aspergillus nidulans (Teleomorph: Emericella nidulans). Erklärung siehe Text.

ten. Dort kommt auch die Vermehrung durch Knospung in sogenannten Hefestadien im Lebenszyklus vor, die zu einer starken Ausbreitung im Bestand beitragen kann. Bei den Hymenomyceten sind ebenfalls Chlamydosporen (Dauersporen) oder als Oidien bezeichnete, einzellige Stadien bekannt. Die Sporangien der Zygomyceten (S. 78), die Sporen der Glomeromyceten (S. 89) und die Dauersporen sowie Zoosporen der Chytridiomyceten (S. 78) wurden bereits besprochen.

3.6 Sexuelle Vermehrung Neben den asexuellen Sporen sind für die Verbreitung der Pilze die sexuell gebildeten Sporen verantwortlich. Sie werden zumeist in Fruchtkörpern nach der Kreuzung zweier haploider Elternstämme gebildet. Bei den Hymenomyceten ist die sexuelle Vermehrung besonders wichtig, da asexuelle Vermehrungsorgane häufig fehlen. Gerade holzbewohnende Pilze sind auf die Ausbreitung durch sexuell gebildete Sporen angewiesen. Das Mycel befindet sich bei diesen Pilzen in der Regel innerhalb eines Baumstammes, und ohne Fruchtkörperbildung und Sporenfreisetzung an der Luft wäre keine Ausbreitung möglich.

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3.6.1 Homothallie und Heterothallie Fruchtkörper können bei einigen Pilzen auch durch Selbstbefruchtung ohne vorherige Kreuzung entstehen. Diese Fruchtkörper- und Sporenbildung wird als homothallisch bezeichnet. Bei heterothallischen Pilzen, die nicht zur Selbstbefruchtung fähig sind, muss der sexuellen Entwicklung eine Kreuzung von zwei Pilzen mit unterschiedlichen Paarungs- oder Kreuzungstypen vorausgehen. Die Kreuzungstypen entsprechen daher den Geschlechtern der Tiere. Allerdings unterscheidet man keine männlichen und weiblichen Paarungstypen. Vielmehr gibt es bei den Basidiomyceten bis über 20 000 solcher verschiedener Kreuzungstypen. Die Vielzahl möglicher Kreuzungstypen bedeutet, dass zwei aufeinandertreffende Mycelien in der Natur fast immer unterschiedliche Kreuzungstypen besitzen und somit kompatibel sind. Dadurch wird auf genetischem Wege die Inzucht vermieden und die sinnvolle Neukombination des Erbguts in der sexuellen Vermehrung gefördert. In den Fruchtkörpern entwickeln sich dann die haploiden Sporen, die auskeimen und ein Mycel bilden, das sich zwar ausbreiten kann, aber keine Fruchtkörper bildet. Erst durch eine erneute Kreuzung entsteht wieder ein fertiles Mycel. Die Kreuzungstypgene kontrollieren also die gesamten Vorgänge der sexuellen Entwicklung. Daneben existieren auch sekundär homothallische Pilze wie der Champignon (Agaricus bisporus). Bei ihnen

3.6 Sexuelle Vermehrung haploide Monokaryen

a

Kreuzung

haploide Sporen

A-Gene B-Gene

Basidie Fruchtkörper

dikaryotisches Schnallenmycel

Abb. 3.6 Lebenszyklus von Schizophyllum commune. a Kreuzung zweier haploider Monokaryen mit unterschiedlichen Paarungstypen sowohl in den A- als auch den B-Genen führt zur Bildung des Dikaryons, das dann Fruchtkörper und haploide Sporen an den Basidien bilden kann. Dabei regeln die A-Gene die Schnallenbildung, während B-Gene den Kernaustausch zwischen den beiden Partnern steuern. Die ca. 2 cm großen, konsolförmigen Fruchtkörper werden an totem Holz gebildet und zeigen auf der Unterseite die typischen, gespaltenen Lamellen. (Aufnahme Erika Kothe, Jena) b Mechanismus der Schnallenbildung.

b

gibt es zwar noch die Kreuzungstypgene, aber durch die zweikernigen Sporen ist die Information zweier verschiedener Kreuzungstypen im neu auskeimenden Mycel bereits vollständig vorhanden. Dieses ist dann ohne weitere Kreuzung zur Fruchtkörperbildung befähigt. Während so zwar die Fruchtkörper- und Sporenbildung auch ohne Kreuzungspartner möglich ist, wird allerdings die genetische Neukombination von Merkmalen in der Kreuzung umgangen.

3.6.2 Sexuelle Entwicklung bei Basidiomyceten Das primäre, haploide Mycel, das sich aus der gekeimten Basidiospore entwickelt, enthält in jeder Zelle einen einzelnen Kern. Es wird daher auch als Monokaryon bezeichnet. Das sekundäre Mycel entsteht, wenn zwei solcher Monokaryen aufeinandertreffen: Dann bildet sich ein Dikaryon, das in jeder Zelle Kerne beider Elternstämme trägt. Ein solches Mycel zeichnet sich bei einigen Arten durch typische morphologische Strukturen, sogenannte Schnallen, aus. Die Schnallen tragen wesentlich zur Aufrechterhaltung des dikaryontischen Zustands bei (▶ Abb. 3.6). Sie entstehen während der Kern- und Zellteilung an der wachsenden Hyphenspitze zunächst als Ausstülpung der Zelle. Die Ausstülpung krümmt sich nach hinten und die beiden Kerne des Dikaryons teilen sich mit leicht versetzten Achsen der Spindeln. Dadurch liegt die Teilungsebene des einen Kerns parallel zur Hyphenachse, die des zweiten Kerns zwischen Schnalle und Hyphe. Nach der Kernteilung werden zwei Septen eingezogen, die jeweils in der Mitte der ehemaligen Spindel liegen. Dadurch erhält die Hyphenspitze automatisch zwei unterschiedliche Tochterkerne und kann bereits weiterwachsen, während der hintere Hyphenabschnitt sowie die Schnalle zunächst noch einkernig sind. Erst durch weiteres, rückwärts gerichtetes Wachstum der Schnallenzelle und die Fusion der Schnalle mit dem hinteren Hyphenabschnitt werden auch diese beiden Toch-

terkerne in der subapikalen Hyphenzelle vereint. Damit ist die typische Schnalle als Strukturmerkmal dikaryontischer Basidiomyceten fertiggestellt. Das Dikaryon ist in der Lage, Fruchtkörper zu bilden. Dort entstehen die Basidien durch Vergrößerung einer endständigen Zelle im Hymenium, einer bestimmten Zellschicht. In der sich bildenden Basidie findet die Kernverschmelzung statt, bei der für kurze Zeit ein diploider Kern entsteht. Dieser tritt direkt in die Meiose ein und bildet vier haploide Basidiosporen, die dann wieder zu einem primären, monokaryontischen Mycel auskeimen können (s. ▶ Abb. 3.6). Neben dem Spaltblättling Schizophyllum commune (Plus 3.4) ist die sexuelle Entwicklung auch für den Tintling Coprinopsis cinerea (S. 100) gut untersucht. Nicht alle Basidiomyceten bilden allerdings Schnallen, können ihren dikaryontischen Zustand aber dennoch aufrechterhalten. Hier sind die Mechanismen noch nicht verstanden.

3.6.3 Sexuelle Entwicklung bei Ascomyceten Die Ascomyceten zeichnen sich durch die Bildung der Asci als sexuelle Entwicklungsstruktur aus. Bei den Protoascomyceten liegen die Asci frei vor – bei der Hefe Saccharomyces cerevisiae sind sie beispielsweise sackförmig ausgebildet – und enthalten meist vier Sporen. Die Euascomyceten haben in der Regel ausdifferenzierte, schlauchförmige Asci, die in Fruchtkörpern gebildet werden und die 4, 8, aber auch mehr Ascosporen enthalten. Eine höhere Anzahl von Sporen als die 4 Meioseprodukte entsteht durch postmeiotische Mitosen, sodass sich hier besonders gut Einzelereignisse wie die Rekombination während der Meiose analysieren lassen (S. 94). Bei Ascomyceten reicht eine einzige Zelle, beispielsweise eine Conidiospore, eines anderen Kreuzungstyps – auch als als Spermatium bezeichnet – für eine Befruchtung aus. Die Befruchtung kann hier leichter erfolgen, als es bei der Fusion zweier Mycelien der Fall ist, denn die

1

Pilze

●V

Plus 3.4 Kreuzungstypgene bei Basidiomyceten Für den Spaltblättling Schizophyllum commune ist die multiallelische Kreuzungsspezifität besonders gut untersucht. Die Kreuzungstypgene steuern zwei unterschiedliche Entwicklungswege, die als A- und B-regulierte Entwicklung bezeichnet werden. Nur wenn beide Wege angeschaltet werden, ist die Kreuzung vollständig kompatibel. Dabei codieren die A-Gene Transkriptionsfaktoren. Als solche können sie die Expression weiterer Gene aktivieren, um die Entwicklung einzuleiten. Allerdings darf dies nicht im Monokaryon geschehen, sondern erst nach der Kreuzung, wenn verschiedene A-Gene in einer Zelle gemeinsam vorhanden sind. Das wird dadurch sichergestellt, dass nur aus zwei verschiedenen Proteinuntereinheiten zusammengesetzte Heterodimere die nachgeschalteten Gene aktivieren. Nur solche Heterodimere, die von A-Genorten unterschiedlicher Spezifität codiert werden, sind als Regulatoren aktiv. Durch die B-Gene wird ein Pheromon-Rezeptor-System exprimiert. Mehrere B-Genorte können vorliegen, wobei jeder Genort ein Rezeptorgen und normalerweise mehrere Gene für Pheromone redundant codiert. Wird ein Pheromon eines kompatiblen Kreuzungspartners erkannt, wird die B-regulierte Entwicklung angeschaltet. Dabei reicht es

postmeiotische Mitose

aus, wenn einer der B-Genorte aktiviert wird. Durch die Redundanz ist es möglich, sehr viele Kreuzungspartner als fremd und damit kompatibel zu erkennen. Erst in einer vollkommen kompatiblen Kreuzung mit unterschiedlichen Genorten sowohl in A als auch in B kann die Schnalle fusionieren. Bei S. commune gibt es zwei A-Genorte, Aα mit neun und Aβ mit 32 verschiedenen Spezifitäten, und zwei B-Genorte, Bα und Bβ mit je neun Spezifitäten. Aus Genomdaten lassen sich sogar noch mehr Genorte ableiten. Durch Multiplikation ergibt sich damit die mögliche Zahl von mindestens 23 328 natürlichen Kreuzungstypspezifitäten. Dies stellt sicher, dass zwei nicht verwandte Mycelien in über 98 % der Fälle kompatibel sind, während „Geschwister“, also Sporen aus demselben Fruchtkörper, nur in 25 % der Fälle fertile Nachkommen haben. Damit ist die Inzucht gegenüber der Auskreuzung genetisch stark reduziert. Bei den Phragmobasidioymceten ist vor allem Ustilago maydis gut untersucht. Hier gibt es nur jeweils einen Genort für die heterodimeren Transkriptionsfaktoren und das Pheromonsystem. Während die Genorte für Transkriptionsfaktoren multiallelisch sind, ist die Pheromonerkennung bei Ustilago auf zwei Spezifitäten beschränkt.

Ascosporen Mycel

Ascus

asexuelle Conidiosporen

Microconidien

Perithecium

Macroconidien 1. und 2. mitotische Teilung

Karyogamie

Hakenbildung im Protoperithecium

Protoperithecium mit Trichogyne

Befruchtung durch Conidien Abb. 3.7 Lebenszyklus von Neurospora crassa. Durch Befruchtung über die Trichogyne entsteht ein Heterokaryon, das nach Hakenbildung die Asci produzieren kann, in denen die Meiose erfolgt. Die Meioseprodukte werden im Ascus zusammengehalten und sind so einer genetischen Analyse besonders gut zugänglich. Eine Verbreitung im Lebensraum ist auch durch asexuell gebildete Microoder Macroconidien möglich, die gleichzeitig auch der Befruchtung der Trichogyne dienen können.

Wahrscheinlichkeit einer sexuellen Fortpflanzung wird erhöht. Die Befruchtung findet an der Trichogyne statt, einer langen spezialisierten Hyphe, die an einer vielkernigen weiblichen Struktur, dem Protoperithecium inse-

82

riert. Der haploide Kern des Spermatiums wandert durch die Trichogyne bis in das Protoperithecium (▶ Abb. 3.7). Durch mitotische Kernteilungen bilden sich mehrkernige Heterokaryen, an denen dikaryontische Scheitelzellen

3.6 Sexuelle Vermehrung

Abb. 3.8 Fruchtkörperformen bei Ascomyceten. Geschlossene Cleistothecien, Perithecien mit einer kleinen Öffnung und offene Apothecien können die Asci enthalten. Die Größen solcher Fruchtkörper – unter 1 mm bis über 1 cm – sind sehr variabel.

Cleistothecium

Perithecium

entstehen. An diesen erfolgt die Hakenbildung, die der Schnallenbildung der Basidiomyceten ähnelt. Nach der Kernverschmelzung finden die Meiose, die Ascusbildung und eventuell folgende postmeiotische Mitosen statt. Jeder Kreuzungstyp kann sowohl Spermatien wie Trichogynen ausbilden. Die Fruchtkörperformen bei den Ascomyceten (▶ Abb. 3.8) umfassen birnenförmige Perithecien wie bei Neurospora crassa, Sordaria macrospora oder Podospora anserina, während der Gießkannenschimmel Aspergillus nidulans geschlossene Cleistothecien bildet. Bei anderen Arten wie Aleuria aurantia kommen becherförmige makroskopische Fruchtkörper mit offenen Apothecien vor. Geschlossene, unterirdische Fruchtköper sind bei der Trüffel (Tuber macrosporum) zu finden. Aber auch Großpilze mit zusammengefassten Fruchtkörpern wie die Lorchel (Helvella crispa) sind bei den Ascomyceten anzutreffen. Die sexuelle Entwicklung wird bei den Ascomyceten ebenfalls von den Genen der Kreuzungstypgenorte gesteuert, deren Funktion zumindest teilweise der in den Basidiomyceten entspricht. Die Ascomyceten haben ein bipolares Kreuzungssystem, das mit nur zwei Kreuzungstypen auskommt. Die Genorte der Kreuzungsspezifität sind bei den heterothallischen, filamentösen Ascomyceten aber nicht homolog und sollten deshalb nicht als Allele bezeichnet werden, die durch Mutation auseinander hervorgegangen sind. Sie enthalten unterschiedliche Informationen und werden als Idiomorphe bezeichnet. Bei einigen weiteren Ascomyceten wie auch Saccharomyces cerevisiae existiert eine weitere Besonderheit: Sie sind in der Lage, ihren Kreuzungstyp zwischen den beiden Paarungstypen zu wechseln. Dieses als Mating Type Switching bezeichnete Phänomen beruht darauf, dass jede Zelle die genetischen Informationen für beide Kreu-

Apothecium

zungstypen trägt. Von diesen Informationen kann aber zu einer gegebenen Zeit immer nur eine abgelesen werden, die anderen Gene sind durch Silencing stillgelegt. Das wird dadurch erreicht, dass drei Genorte mit Informationen zur Kreuzungstypspezifität existieren. Zwei davon tragen die stillen Informationen für je einen Paarungstyp. Der dritte Genort ist derjenige, der transkribiert wird. Die Information, die also zu einer bestimmten Zeit in diesem aktiven Genort vorhanden ist, legt damit den Paarungstyp fest. Durch Austausch dieser Information in einem der rekombinativen Transposition ähnlichen Prozess kann die bisher stillgelegte Information an den aktiven Genort gelangen. Dort wird dann die neue Information abgelesen und der Paarungstyp ändert sich.

3.6.4 Sexuelle Entwicklung der Zygomyceten Im sexuellen Vermehrungszyklus der Zygomyceten wird zwischen den Kreuzungspartnern eine chemische Substanz ausgetauscht. Auch bei den Zygomyceten ist die sexuelle Vermehrung gut reguliert, um durch heterothallische Vermehrung möglichst viele sexuelle Reproduktionszyklen zu ermöglichen. Der Auslöser für die Bildung der vielkernigen Zygosporen, in denen Karyogamie und Meiose ablaufen (▶ Abb. 3.9), ist die Trisporsäure und ihre Derivate. Diese Verbindungen leiten sich vom β-Carotin ab. Auch bei den Zygomyceten müssen für die sexuelle Vermehrung zwei unterschiedliche Kreuzungstypen vorliegen. Demgegenüber stellt die asexuelle Vermehrung durch Sporangiosporen sicher, dass sich der Pilz auch beim Fehlen eines Kreuzungspartners im Substrat ausbreiten und neue Habitate besiedeln kann. In diesem Fall ist allerdings keine Neukombination des genetischen Ma-

3

Pilze Viele saprophytische Pilze leben im Bereich der Pflanzenwurzeln und sind somit der Rhizosphäre zuzuordnen. Dabei können symbiontische oder parasitische Interaktionen entstehen. Eine Trennung in saprophytische und symbiontische oder parasitische Formen ist häufig schwer zu treffen. Saprophyten können sich im Boden ohne direkte Assoziationen ausbreiten. Daneben existieren seltenere aquatische und marine Pilze. Das filamentöse Wachstum ermöglicht ein Eindringen in die Nahrungsquelle, sodass diese von innen heraus aufgeschlossen werden kann. Bodenpilze sind oft Bewohner von Rohhumus mit Holzanteilen und abgestorbenen Pflanzenmaterialien, Tierexkrementen und Kadavern. Auf unterschiedlichen Substraten finden sich angepasste, spezielle Mikrofloren.

asexuelles Sporangium

reife Zygospore

unreife Zygospore

Abb. 3.9 Sexuelle Vermehrung bei Zygomyceten. Zygomyceten, hier Phycomyces blakesleeanus, bilden neben den asexuellen Sporangien (oben) sexuelle Vermehrungsstadien, die Zygosporen (unten), die in unreifem und von Hyphengeflechten umgebenem, reifem Zustand gezeigt sind. (Aufnahmen Hans W. Kothe, Jena)

terials durch Meiose möglich. Dass diese Doppelstrategie erfolgreich ist, zeigen nicht nur die Ascomyceten-Schimmelpilze, sondern gerade auch die Schimmel unter den Zygomyceten, die beispielsweise auf Tomaten vorkommen und in jedem Haushalt bekannt sind.

3.7 Saprophytisches Wachstum Die Ernährung der Pilze ist chemoorganotroph und meist saprophytisch; es gibt aber auch symbiontische und parasitäre Formen. Die Substrataufnahme erfolgt nicht über Pinocytose oder Phagocytose, sondern die Nährstoffe werden durch extrazelluläre Enzyme zu Monomeren oder kurzen Oligomeren abgebaut, die dann direkt in die Zelle aufgenommen werden. Terrestrische Saprophyten sind häufig eng mit symbiontischen oder parasitischen Pilzen vergesellschaftet. Die Zusammensetzung der Gemeinschaften lässt sich auch für ein Biomonitoring nutzen. Dabei sind besonders die Pilze wichtig, die im Rohhumus zur Mineralisierung beitragen. Unter ihnen sind solche, die auf tierischen Exkrementen leben, aber auch Braun- und Weißfäulepilze, die Kompost und Holz umsetzen. Auch beim Abbau von Fremdstoffen (S. 367) spielen Pilze eine große Rolle.

84

3.7.1 Schimmelpilze Schimmelpilze haben für die Ausbreitung spezielle Strategien entwickelt, wie die Bildung asexueller Sporen bei vielen Pilzen der Agrarböden. Dazu zählen viele Ascomyceten (z. B. Penicillium, Aspergillus, Fusarium, Cladosporium) und Zygomyceten (Mucor, Mortierella). Durch die saprotrophe Ernährungsweise können Pilze auch Nahrungsmittel befallen. Bei dem typischen grünen Brotschimmel oder den Schimmelbelägen auf Marmelade handelt es sich beispielsweise um Penicillium- und Aspergillus-Arten. Durch asexuelle Vermehrung mittels Conidiosporen (▶ Abb. 3.10) ist eine schnelle Ausbreitung möglich. Dadurch können in kurzer Zeit auch ganze Getreidelager verderben, wobei eine feuchte Umgebung den Befall fördert. Die Gesundheitsbelastung mit einem allergisch geprägten Krankheitsbild, das bis zum Pilzasthma führen kann, wird oft unterschätzt. Daneben sind insbesondere die von einigen Arten gebildeten Mykotoxine in Nahrungsmitteln oder Getreiden für den Menschen, aber auch in der Tierhaltung schädlich. Der Mykotoxingehalt des Getreides wird deshalb mit Schnelltests überprüft.

3.7.2 Weißfäule und Braunfäule Der vollständige Abbau von Lignin erfolgt in erster Linie durch Weißfäulepilze. Der in der Natur häufige und nachwachsende Rohstoff fixiert einen Großteil des gebundenen Kohlenstoffs, der dem Stoffkreislauf wieder verfügbar gemacht werden muss. Die Pilze können das heterogene Ligningerüst mittels radikalischer Reaktionen abbauen. Erst durch den Abbau des Lignins (S. 362) aus Holz, Streu oder Stroh wird auch der Celluloseanteil bioverfügbar. Während des Ligninabbaus durch Weißfäulepilze bleicht das Holz aus und es entsteht ein weißes, lockeres Gefüge. Es besteht im Wesentlichen aus der Cellulose der Pflanzenzellwände. Bei der Braunfäule wird dagegen nicht das Lignin, sondern der Cellulose- und Hemicelluloseanteil des Holzes zuerst zersetzt. Dadurch bleibt das modifizierte, braune Lignin zurück.

Pilze Viele saprophytische Pilze leben im Bereich der Pflanzenwurzeln und sind somit der Rhizosphäre zuzuordnen. Dabei können symbiontische oder parasitische Interaktionen entstehen. Eine Trennung in saprophytische und symbiontische oder parasitische Formen ist häufig schwer zu treffen. Saprophyten können sich im Boden ohne direkte Assoziationen ausbreiten. Daneben existieren seltenere aquatische und marine Pilze. Das filamentöse Wachstum ermöglicht ein Eindringen in die Nahrungsquelle, sodass diese von innen heraus aufgeschlossen werden kann. Bodenpilze sind oft Bewohner von Rohhumus mit Holzanteilen und abgestorbenen Pflanzenmaterialien, Tierexkrementen und Kadavern. Auf unterschiedlichen Substraten finden sich angepasste, spezielle Mikrofloren.

asexuelles Sporangium

reife Zygospore

unreife Zygospore

Abb. 3.9 Sexuelle Vermehrung bei Zygomyceten. Zygomyceten, hier Phycomyces blakesleeanus, bilden neben den asexuellen Sporangien (oben) sexuelle Vermehrungsstadien, die Zygosporen (unten), die in unreifem und von Hyphengeflechten umgebenem, reifem Zustand gezeigt sind. (Aufnahmen Hans W. Kothe, Jena)

terials durch Meiose möglich. Dass diese Doppelstrategie erfolgreich ist, zeigen nicht nur die Ascomyceten-Schimmelpilze, sondern gerade auch die Schimmel unter den Zygomyceten, die beispielsweise auf Tomaten vorkommen und in jedem Haushalt bekannt sind.

3.7 Saprophytisches Wachstum Die Ernährung der Pilze ist chemoorganotroph und meist saprophytisch; es gibt aber auch symbiontische und parasitäre Formen. Die Substrataufnahme erfolgt nicht über Pinocytose oder Phagocytose, sondern die Nährstoffe werden durch extrazelluläre Enzyme zu Monomeren oder kurzen Oligomeren abgebaut, die dann direkt in die Zelle aufgenommen werden. Terrestrische Saprophyten sind häufig eng mit symbiontischen oder parasitischen Pilzen vergesellschaftet. Die Zusammensetzung der Gemeinschaften lässt sich auch für ein Biomonitoring nutzen. Dabei sind besonders die Pilze wichtig, die im Rohhumus zur Mineralisierung beitragen. Unter ihnen sind solche, die auf tierischen Exkrementen leben, aber auch Braun- und Weißfäulepilze, die Kompost und Holz umsetzen. Auch beim Abbau von Fremdstoffen (S. 367) spielen Pilze eine große Rolle.

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3.7.1 Schimmelpilze Schimmelpilze haben für die Ausbreitung spezielle Strategien entwickelt, wie die Bildung asexueller Sporen bei vielen Pilzen der Agrarböden. Dazu zählen viele Ascomyceten (z. B. Penicillium, Aspergillus, Fusarium, Cladosporium) und Zygomyceten (Mucor, Mortierella). Durch die saprotrophe Ernährungsweise können Pilze auch Nahrungsmittel befallen. Bei dem typischen grünen Brotschimmel oder den Schimmelbelägen auf Marmelade handelt es sich beispielsweise um Penicillium- und Aspergillus-Arten. Durch asexuelle Vermehrung mittels Conidiosporen (▶ Abb. 3.10) ist eine schnelle Ausbreitung möglich. Dadurch können in kurzer Zeit auch ganze Getreidelager verderben, wobei eine feuchte Umgebung den Befall fördert. Die Gesundheitsbelastung mit einem allergisch geprägten Krankheitsbild, das bis zum Pilzasthma führen kann, wird oft unterschätzt. Daneben sind insbesondere die von einigen Arten gebildeten Mykotoxine in Nahrungsmitteln oder Getreiden für den Menschen, aber auch in der Tierhaltung schädlich. Der Mykotoxingehalt des Getreides wird deshalb mit Schnelltests überprüft.

3.7.2 Weißfäule und Braunfäule Der vollständige Abbau von Lignin erfolgt in erster Linie durch Weißfäulepilze. Der in der Natur häufige und nachwachsende Rohstoff fixiert einen Großteil des gebundenen Kohlenstoffs, der dem Stoffkreislauf wieder verfügbar gemacht werden muss. Die Pilze können das heterogene Ligningerüst mittels radikalischer Reaktionen abbauen. Erst durch den Abbau des Lignins (S. 362) aus Holz, Streu oder Stroh wird auch der Celluloseanteil bioverfügbar. Während des Ligninabbaus durch Weißfäulepilze bleicht das Holz aus und es entsteht ein weißes, lockeres Gefüge. Es besteht im Wesentlichen aus der Cellulose der Pflanzenzellwände. Bei der Braunfäule wird dagegen nicht das Lignin, sondern der Cellulose- und Hemicelluloseanteil des Holzes zuerst zersetzt. Dadurch bleibt das modifizierte, braune Lignin zurück.

3.8 Interaktionen mit Pflanzen – von Phytopathogenen zu Symbionten

Penicillium

Trichoderma

Aspergillus

ca. 10 μm

Alternaria

Botrytis

Fusarium

Abb. 3.10 Verschiedene Conidienformen bei saprophytischen und phytopathogenen Arten.

te in Form von Parasitismus oder in einer mutualistischen Symbiose geschehen. Beide Formen der Interaktion (S. 638) haben sich auch zwischen Pilzen und Pflanzen etabliert und sind für die Landwirtschaft von großer Bedeutung. Während phytopathogene Pilze für Ernteausfälle verantwortlich sind, wird durch die Symbiose in der Mykorrhiza das Pflanzenwachstum unterstützt. Flechten repräsentieren eine weitere Symbiose von Pilzen mit photosynthetisch aktiven Organismen. Die phytopathogenen Pilze können noch weiter unterteilt werden in solche, die biotroph leben und auf lebende Wirtszellen angewiesen sind, und solche, die nekrotroph (oder perthotroph) leben und die Pflanzenzellen zunächst abtöten und dann auf dem abgestorbenen Pflanzengewebe wachsen. Pilze sind durch ihr filamentöses Wachstum besonders gut in der Lage, in Pflanzenzellen einzudringen und als Phytopathogene auf Kosten der Wirtspflanze zu leben. Mehrere Sporengenerationen – bei Rostpilzen sind es bis zu 70 unterschiedliche Sporenund Conidientypen – ermöglichen eine starke Ausbreitung im Bestand.

3.8.1 Phytopathogene Die zum Abbau des Lignins notwendigen Laccasen und Peroxidasen können aus dem Kulturüberstand der Pilze gereinigt werden, da es sich um sekretierte Proteine handelt. Die Enzyme können dann beispielsweise in der Nutzung von Lignocellulose für die Bioethanolherstellung eingesetzt werden. Die Genomsequenzen von Weiß- und Braunfäulepilzen haben gezeigt, dass sich die Pilze in der Anzahl verschiedener Laccasen und Peroxidasen nicht unterscheiden. Allerdings ist der Anteil der verschiedenen Enzymklassen in beiden Gruppen verschieden. Weißfäulepilze besiedeln in der Regel totes Holz; es gibt allerdings auch pathogene Arten, die lebende Bäume schädigen. Aber auch der Abbau von totem Holz durch Weiß- und Braunfäulepilze kann unerwünscht sein. Besonders gefürchtet ist der Befall von Bauholz, z. B. in Fachwerkhäusern, durch den Hausschwamm (Serpula lacrymans). Hat sich der Pilz erst einmal in einem Haus ausgebreitet, ist die Bekämpfung fast unmöglich. Besonders fatal ist, dass der Pilz zur Infektion des Holzes zwar Feuchtigkeit benötigt, dann aber nicht mehr auf Wasser angewiesen ist. Das beim Ligninabbau entstehende metabolische Wasser reicht dann für das Wachstum aus.

3.8 Interaktionen mit Pflanzen – von Phytopathogenen zu Symbionten Pilze sind bereits vor ca. 1 Mrd. Jahren als eigenständige Gruppe entstanden. In dieser langen Zeit haben sie verschiedene Lebensräume, vor allem an Land, erobert und konnten sich an andere Organismen anpassen. Das konn-

Phytopathogene Viren und Viroide (S. 138) infizieren über Wunden im pflanzlichen Gewebe und werden somit häufig von Vektoren mit stechend-saugenden Mundwerkzeugen wie Blattläusen übertragen. Bakterien können auch durch natürliche Öffnungen wie die Stomata in Pflanzengewebe eindringen. Im Gegensatz dazu sind filamentöse phytopathogene Pilze in der Lage, aktiv in eine intakte Pflanzenzelle einzudringen und sogar die Cuticula eines Blattes und die Zellwand der Pflanzenzelle zu überwinden.

Infektion durch phytopathogene Pilze Die Infektion erfolgt enzymatisch oder durch physikalischen Druck, oft auch in Kombination beider Mechanismen. So werden Enzyme wie Lipasen, Cutinasen, Cellulasen und Xylanasen genutzt, um die Pflanzengewebe anzugreifen (Kap. 11). Alternativ oder zusätzlich werden für das Eindringen spezialisierte Strukturen, sogenannte Appressorien, auf der Pflanzenoberfläche gebildet. An der Kontaktstelle von Appressorium und Pflanze wächst anschließend eine Infektionshyphe aus und dringt in das Pflanzengewebe ein. Dieser Vorgang wird unterstützt, indem im Appressorium durch Einlagerung aktiver Substanzen wie Glycerin ein Druck von bis zu 80 bar erzeugt wird (zum Vergleich: In einem Autoreifen herrschen 2 bar). Um diesem Druck selbst standhalten zu können, besitzt das Appressorium eine verstärkte und melanisierte Zellwand (▶ Abb. 3.11). Die Anpassung an den Wirt betrifft bereits die Sporenkeimung. Diese ist bei phytopathogenen Pilzen so reguliert, dass Sporenkeimung und die Appressorienbildung

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3.8 Interaktionen mit Pflanzen – von Phytopathogenen zu Symbionten

Penicillium

Trichoderma

Aspergillus

ca. 10 μm

Alternaria

Botrytis

Fusarium

Abb. 3.10 Verschiedene Conidienformen bei saprophytischen und phytopathogenen Arten.

te in Form von Parasitismus oder in einer mutualistischen Symbiose geschehen. Beide Formen der Interaktion (S. 638) haben sich auch zwischen Pilzen und Pflanzen etabliert und sind für die Landwirtschaft von großer Bedeutung. Während phytopathogene Pilze für Ernteausfälle verantwortlich sind, wird durch die Symbiose in der Mykorrhiza das Pflanzenwachstum unterstützt. Flechten repräsentieren eine weitere Symbiose von Pilzen mit photosynthetisch aktiven Organismen. Die phytopathogenen Pilze können noch weiter unterteilt werden in solche, die biotroph leben und auf lebende Wirtszellen angewiesen sind, und solche, die nekrotroph (oder perthotroph) leben und die Pflanzenzellen zunächst abtöten und dann auf dem abgestorbenen Pflanzengewebe wachsen. Pilze sind durch ihr filamentöses Wachstum besonders gut in der Lage, in Pflanzenzellen einzudringen und als Phytopathogene auf Kosten der Wirtspflanze zu leben. Mehrere Sporengenerationen – bei Rostpilzen sind es bis zu 70 unterschiedliche Sporenund Conidientypen – ermöglichen eine starke Ausbreitung im Bestand.

3.8.1 Phytopathogene Die zum Abbau des Lignins notwendigen Laccasen und Peroxidasen können aus dem Kulturüberstand der Pilze gereinigt werden, da es sich um sekretierte Proteine handelt. Die Enzyme können dann beispielsweise in der Nutzung von Lignocellulose für die Bioethanolherstellung eingesetzt werden. Die Genomsequenzen von Weiß- und Braunfäulepilzen haben gezeigt, dass sich die Pilze in der Anzahl verschiedener Laccasen und Peroxidasen nicht unterscheiden. Allerdings ist der Anteil der verschiedenen Enzymklassen in beiden Gruppen verschieden. Weißfäulepilze besiedeln in der Regel totes Holz; es gibt allerdings auch pathogene Arten, die lebende Bäume schädigen. Aber auch der Abbau von totem Holz durch Weiß- und Braunfäulepilze kann unerwünscht sein. Besonders gefürchtet ist der Befall von Bauholz, z. B. in Fachwerkhäusern, durch den Hausschwamm (Serpula lacrymans). Hat sich der Pilz erst einmal in einem Haus ausgebreitet, ist die Bekämpfung fast unmöglich. Besonders fatal ist, dass der Pilz zur Infektion des Holzes zwar Feuchtigkeit benötigt, dann aber nicht mehr auf Wasser angewiesen ist. Das beim Ligninabbau entstehende metabolische Wasser reicht dann für das Wachstum aus.

3.8 Interaktionen mit Pflanzen – von Phytopathogenen zu Symbionten Pilze sind bereits vor ca. 1 Mrd. Jahren als eigenständige Gruppe entstanden. In dieser langen Zeit haben sie verschiedene Lebensräume, vor allem an Land, erobert und konnten sich an andere Organismen anpassen. Das konn-

Phytopathogene Viren und Viroide (S. 138) infizieren über Wunden im pflanzlichen Gewebe und werden somit häufig von Vektoren mit stechend-saugenden Mundwerkzeugen wie Blattläusen übertragen. Bakterien können auch durch natürliche Öffnungen wie die Stomata in Pflanzengewebe eindringen. Im Gegensatz dazu sind filamentöse phytopathogene Pilze in der Lage, aktiv in eine intakte Pflanzenzelle einzudringen und sogar die Cuticula eines Blattes und die Zellwand der Pflanzenzelle zu überwinden.

Infektion durch phytopathogene Pilze Die Infektion erfolgt enzymatisch oder durch physikalischen Druck, oft auch in Kombination beider Mechanismen. So werden Enzyme wie Lipasen, Cutinasen, Cellulasen und Xylanasen genutzt, um die Pflanzengewebe anzugreifen (Kap. 11). Alternativ oder zusätzlich werden für das Eindringen spezialisierte Strukturen, sogenannte Appressorien, auf der Pflanzenoberfläche gebildet. An der Kontaktstelle von Appressorium und Pflanze wächst anschließend eine Infektionshyphe aus und dringt in das Pflanzengewebe ein. Dieser Vorgang wird unterstützt, indem im Appressorium durch Einlagerung aktiver Substanzen wie Glycerin ein Druck von bis zu 80 bar erzeugt wird (zum Vergleich: In einem Autoreifen herrschen 2 bar). Um diesem Druck selbst standhalten zu können, besitzt das Appressorium eine verstärkte und melanisierte Zellwand (▶ Abb. 3.11). Die Anpassung an den Wirt betrifft bereits die Sporenkeimung. Diese ist bei phytopathogenen Pilzen so reguliert, dass Sporenkeimung und die Appressorienbildung

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Pilze

a

b

10 μm

c

Conidie Keimschlauch melanisiertes Appressorium Haftpolster Cuticula

*

Infektionshyphe

*

Wirtsgewebe

Abb. 3.11 Bildung von Appressorien. Nach der Keimung der Conidie, hier von Colletotrichum graminicola, wird am Keimschlauch ein Appressorium ausgebildet, das mit einer Infektionshyphe durch die Cuticula der Pflanze dringt. Im Pflanzengewebe kann sich dann der Pilz etablieren. *, melanisiertes Appressorium. a Schematische Darstellung b elektronenmikroskopische Aufnahme (Richard Guggenheim, Basel) c lichtmikroskopische Aufnahme (Holger Deising, Halle)

Spore Keimschlauch Appressorium Infektionskeil substomatäres Vesikel Haustorienmutterzelle Infektionshyphe Haustorium Abb. 3.12 Haustorienbildung bei Uromyces. Die Spore keimt mit einem Keimschlauch aus, der sich über einer Spaltöffnung zu einem Appressorium differenziert. Mithilfe eines Infektionskeils dringt der Pilz in die Atemhöhle unter der Spaltöffnung ein und bildet dort ein substomatäres Vesikel. Dieses wächst mit einer sich verzweigenden Infektionshyphe aus, die sich zu einer Haustorienmutterzelle differenziert. Ausgehend von der Haustorienmutterzelle durchdringt der Pilz die pflanzliche Zellwand und bildet innerhalb der Pflanzenzelle ein Haustorium, wobei die Plasmamembran der Zelle vollständig erhalten bleibt.

nur auf einem Wirt erfolgen. Entscheidend sind chemische Signale wie die Zusammensetzung des Wachses der Cuticula und die Hydrophobizität der Oberfläche, die von dem Pilz erkannt werden. Auch physikalische Reize werden verarbeitet, um die Wirtsoberfläche zu erkennen. So können Rostpilze leichte, regelmäßige Erhöhungen wie die Schließzellen an den Spaltöffnungen als thigmotropen Reiz wahrnehmen. An diesen Stellen wird dann die Appressorienbildung induziert und der Pilz dringt durch die Stomata in das Blatt ein. Im Interzellularraum

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entwickelt sich zunächst das substomatäre Vesikel, das eine Infektionshyphe bildet, welche sich schließlich zu einer Haustorienmutterzelle differenziert, von der ausgehend die Zellwand penetriert wird und in den pflanzlichen Zellen Haustorien gebildet werden (▶ Abb. 3.12). Um den Stoffaustausch durch die Plasmamembran der pflanzlichen Zelle, die Pilzzellwand und die Plasmamembran des Pilzes zu ermöglichen, wird die zwischen beiden Membranen liegende extrahaustoriale Matrix angesäuert. Die Pflanzenzelle gibt Photosyntheseprodukte in diese Matrix ab. Der Pilz nimmt diese Produkte mithilfe von Transportern auf, die den Protonengradienten über der Plasmamembran nutzen. Auch Stickstoffquellen wie Aminosäuren werden von der Pflanze zur Verfügung gestellt. Voraussetzung ist allerdings, dass die Pflanze das Pathogen nicht erkennt und keine Abwehrmechanismen in Gang gesetzt werden. Nach der Penetration kann sich der Pilz im Pflanzengewebe des Wirts etablieren. Obligat biotrophe Pathogene ernähren sich mithilfe der Haustorien von der lebenden Wirtszelle, die Nährstoffe liefert. Dabei greifen biotrophe Pathogene in den Stoffwechsel des Wirtes ein und halten ihn durch Beeinflussung des Phytohormonhaushalts lange am Leben. Makroskopisch sichtbar wird das beispielsweise durch grüne Inseln auf herbstlich gefärbten Laub, besonders bei Ahornblättern. Aber auch von vielen weiteren Interaktionen zwischen Pathogenen und ihrem Wirtsorganismus wie vom Mutterkornpilz (S. 104) Claviceps purpurea, der Getreide befällt, ist ein solcher Mechanismus (S. 104) bekannt. Ein für die Landwirtschaft relevantes Beispiel ist der Echte Mehltau (Blumeria graminis) der Gerste. Nekrotrophe oder perthotrophe Pathogene ernähren sich dagegen von abgestorbenen Pflanzenzellen. Sie bilden dazu nicht-wirtsspezifische Toxine, sodass der patho-

3.8 Interaktionen mit Pflanzen – von Phytopathogenen zu Symbionten

●V

Plus 3.5 Chemische Verbindungen in der präformierten Abwehr Präformierte pflanzliche Abwehrmoleküle könnten auch die pflanzliche Zelle schädigen. Daher werden sie in der Vakuole kompartimentiert und damit ihre schädliche Wirkung in der produzierenden Pflanzenzelle eingegrenzt. Erleichtert wird die Kompartimentierung durch eine Glykosylierung oder eine anderweitige Modifizierung der Moleküle, die gleichzeitig auch ihre toxische Wirkung aufhebt. Wird diese Kompartimentierung zerstört, indem die glykosylierte Verbindung aus der Vakuole freigesetzt wird und mit deglykosylierenden Enzymen des Cytosols in Kontakt tritt, wird der Zuckerrest abgespalten und die toxische Verbindung freigesetzt. Eine solche Zerstörung kann direkt sein, wie es bei Fraßschäden der Fall ist, oder auch indirekt durch andere Toxine ausgelöst werden. Eine Schädigung der pflanzlichen Membransysteme hat jedoch eine gleichzeitige Aktivierung der pflanzlichen Schutzsubstanzen zur Folge. Ein Beispiel für ein antibakteriell und antifungal wirkendes Molekül ist das Allicin der Zwiebel (▶ Abb. 3.13), das beim Zwiebelschneiden freigesetzt wird. Es entsteht aus der kompartimentierten Aminosäure Alliin. Nach einer Verletzung des pflanzlichen Gewebes tritt das Alliin in Kontakt mit Enzymen des Cytosols wie der Alliinase. Vom Alliin wird

gene Pilz über ein breites Wirtsspektrum verfügt. Wirtsspezifische Toxine sind dagegen häufig so spezifisch, dass ein Pilzstamm nur bei einer bestimmten Pflanzensorte eine Reaktion auslöst. Die typischen Symptome der Pflanzenkrankheiten, die Ätiologie, sind Zeichen einer spezifischen pflanzlichen Reaktion, die von der Aktivitäten des pathogenen Organismus ausgelöst wird.

Pflanzliche Abwehr und Entgiftung von Pflanzenmetaboliten durch den Pilze Trotz des hohen Infektionsdrucks – pro Tag und Hektar können 109–1013 Sporen durch den Wind verbreitet werden – sind Pflanzen in der Lage, sich gegen pathogene Pilze zu schützen. So sorgt die Basisresistenz dafür, dass nur spezifisch an den Wirt angepasste Pathogene überhaupt das Potenzial besitzen, eine Pflanze auch tatsächlich infizieren zu können. Diese Basisresistenz wird durch eine präformierte Abwehr – die Synthese einer Vielzahl von antibakteriellen und antifungalen Verbindungen – vermittelt. Lactone und Phenole sind antimikrobiell wirksam, cyanogene Verbindungen setzen bei ihrer Aktivierung Cyanid frei und Schwefelverbindungen können durch Thiolgruppen Proteine vernetzen. Als Glykoside werden niedermolekulare Wirkstoffe in der Vakuole gelagert (Plus 3.5), sodass sie erst nach Kontakt mit dem cytosolischen Enzym durch Abspalten der Zuckerreste akti-

CH2 Alliin

CH CH2 O

S

CH2

CH

COOH

NH2 Alliinase

Allicin O

CH2 CH2

CH2 CH2

CH CH

CH CH

CH2 CH2

CH2 CH2

S

S

S

Diallyldisulfid

S

Abb. 3.13 Allicin der Zwiebelgewächse (Allium sp.). Allicin ist ein Beispiel für einen präformierten pflanzlichen Abwehrstoff. Das Molekül wirkt gegen zahlreiche Bakterien und Pilze, während die reduzierte Schwefelverbindung Diallyldisulfid gegen den Oomyceten Phytophthora infestans, den Erreger der Kraut- und Knollenfäule der Kartoffel, aktiv ist.

jedoch nicht wie bei Glykosiden ein Zucker, sondern ein schützender Alaninrest abgespalten, und es entsteht Allylsulfensäure. Zwei Moleküle der Säure verbinden sich anschließend über eine Disulfidbrücke zu Allicin.

viert werden. Saponine sind dagegen in ihrer Grundstruktur Glykoside von Steroiden. Das pilzliche Steroid Ergosterol wird als Membransteroid von Pilzen synthetisiert. Das Saponin Avenacin des Hafers oder das α-Tomatin der Tomate wird, ebenso wie Ergosterol, spezifisch in die Zellmembran des Pilzes eingebaut, die dadurch an Flexibilität verliert. Es bilden sich Aggregate, sogenannte Lipid Rafts. Durch zu hohen Steroidanteil in der äußeren Membranschicht entstehen außerdem Poren und die Pilzzelle wird zerstört. Aber auch Enzyme wie Chitinasen und β-1,3-Glucanasen werden von Pflanzen gebildet. Durch Coevolution haben sich jedoch wiederum Schutzmechanismen bei den Pilzen herausgebildet, die die präformierte Pflanzenabwehr deaktivieren können. Es handelt sich dabei um spezifische Enzymsysteme, die bei wirtsspezifischen Pilzen verbreitet sind. So kann z. B. der Grauschimmel Botrytis cinerea α-Tomatin entgiften (▶ Abb. 3.14). Erkennt die Pflanze ein Pathogen und kann es erfolgreich abwehren, spricht man von einer inkompatiblen Interaktion. Eine erfolgreiche Abwehr ist für die Pflanze eine wichtige und in der Evolution begünstigte Eigenschaft. Pflanzen sind gegen wirtsspezifische, angepasste Pathogene gewappnet, wenn sie Signalmoleküle des Pathogens, sogenannte Elicitoren, erkennen. Dabei werden exogene (vom Pilz gebildete) Elicitoren, und endogene (von der Pflanze gebildete) Elicitoren unterschieden. Bei

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Pilze

O Botrytis cinerea β-D-Xyl (1→3) β-D-Glu (1→4)

β-D-Gal (1→) O

β-D-Glu (1→2) Septoria lycopersici

Fusarium oxysporum f.sp. lycopersici

Abb. 3.14 Tomatinasen zur Entgiftung von α-Tomatin. Die Pilze Botrytis cinerea, Septoria lycopersici und Fusarium oxysporum f.sp. lycopersici können das Saponin Tomatin durch glykolytische Spaltung deaktivieren. Die Pfeile kennzeichnen die Stellen im Molekül, an denen die Enzyme der einzelnen Pathogene angreifen.

Plus 3.6 Gen-für-Gen-Hypothese Die Gen-für-Gen-Hypothese wurde aufgestellt, um phytopathogene Interaktionen auf molekularer Ebene über die Wechselwirkung von Genprodukten beschreiben zu können. Besonders gut untersucht ist die Interaktion zwischen dem Pilz Cladosporium fulvum und der Tomate. Der Pilz besitzt Avirulenzgene, die Elicitoren codieren, während die Pflanze Resistenzgene trägt, bei deren Genprodukten es sich um Rezeptorsysteme handelt. Diese interagieren mit den Avirulenzgenprodukten des Pilzes und lösen in der Pflanzenzelle als Abwehrreaktion die sogenannte hypersensitive Reaktion aus. Bei den Avirulenzgenprodukten handelt es sich um verschiedene extrazelluläre Proteine; an ihnen erkennt die Pflanze das Pathogen entweder direkt oder erst, wenn die Proteine enzymatisch aktiv geworden sind.

endogenen Elicitoren kann es sich beispielsweise um Abbauprodukte der pflanzlichen Zellwand handeln, die in ihrer monomeren Form nur nach einem Angriff durch pilzliche Enzyme in größerer Menge vorliegen. Sie zeigen der Pflanze – wie die exogenen Elicitoren – einen Befall durch Pathogene (S. 675) an. Zur Erkennung von Elicitoren synthetisiert die Pflanze eine große Zahl von Proteinen, die von Resistenzgenen der Pflanze codiert werden. Anders als beim Immunsystem der Tiere, wird diese Vielfalt aber nicht für das Individuum spezifisch durch alternatives Spleißen erzeugt. Vielmehr entsteht durch Rekombination innerhalb einer Familie von Genen ein populationsgenetisch wirksamer Mechanismus. Auf Pflanzenseite werden immer wieder neue Rezeptoren gebildet, die vom Pilz durch Mutationen des auslösenden Liganden unterlaufen werden. Am Ende einer solchen Coevolution stehen die Elicitoren, die für das Pathogen essenziell sind. Oft sind die Moleküle als Virulenzfaktoren direkt an der Pathogenese beteiligt, sodass eine Mutation einer strengen Selektion unterliegt und die Moleküle nicht einfach verändert werden können.

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●V

Bei den Avirulenzgenprodukten kann es sich um völlig verschiedene Proteinklassen handeln, z. B. auch um Enzyme, die der Pilz in den Interzellularraum der Pflanze abgibt. Beim Kontakt zwischen Tomatenpflanze und Pilz reagiert die Pflanze immer dann mit einer hypersensitiven Reaktion, wenn der entsprechende Rezeptor, also das Resistenzgenprodukt der Pflanze, und der passende Elicitor des Pathogens, der von einem Avirulenzgen codiert wird, zusammentreffen. In diesem Fall, und nur in diesem Fall, ist die Interaktion inkompatibel und sichert das Überleben der Pflanze. In allen anderen Kombinationen, in denen entweder Avirulenzgene des Pilzes oder entsprechende Resistenzgene der Pflanze oder beide fehlen, ist die Interaktion kompatibel und die Tomate erkrankt. Daher wird eine Pflanze mit vielen Resistenzgenen gegen mehr Pathogene resistent sein. Der Pilz ist virulent, wenn er keines der erkannten Avirulenzgene exprimiert.

Die direkte Interaktion zweier Genprodukte der beiden Kontrahenten – von Elicitoren und Resistenzfaktoren – wurde als Gen-für-Gen-Hypothese beschrieben (Plus 3.6). Durch die Erkennung des Elicitors wird die postinfektionelle Abwehr der Pflanze induziert. Weitere Beispiele für phytopathogene Pilze und Bakterien sind in den Kapiteln 3.12 und Kap. 19.7 zu finden. Ein Beispiel für eine weitere Entwicklung, mit der ein Pilz den Pflanzenmetabolismus beeinflussen kann, wird weiter unten am Beispiel der Brandpilze (S. 100) vorgestellt. Der Pilz sezerniert Proteine, deren Gesamtheit als Sekretom bezeichnet wird. Aus dem Sekretom des Pilzes werden einige, Effektoren genannte, Proteine in die Pflanzenzelle und sogar in den Zellkern der Pflanze aufgenommen, wo sie beispielsweise als Transkriptionsfaktoren wirken. Auf diese Weise beeinflusst der Pilz die Genexpression in der Pflanzenzelle und vermag so Abwehrreaktionen zu unterdrücken oder auch Entwicklungsvorgänge zu induzieren.

3.8 Interaktionen mit Pflanzen – von Phytopathogenen zu Symbionten a

b

3.8.2 Mykorrhiza Das Wort Mykorrhiza bedeutet „Pilzwurzel“, was die Interaktion sehr gut beschreibt. Je nachdem, ob der Pilz dabei in die Zellen der Wirtspflanze eindringt oder im Gewebe zwischen den Pflanzenzellen wächst, unterscheidet man Endomykorrhiza und Ektomykorrhiza. Zusätzlich kann man einige weitere, spezielle Mykorrhizaformen unterscheiden, wie die der Orchideen oder der Ericaceen. Die evolutionsgeschichtlich ältere Symbioseform ist die Endomykorrhiza, deren Alter auf ca. 400 bis 480 Mio. Jahre geschätzt wird. Sie hat entscheidend zur Eroberung des Landes durch die Pflanzen beigetragen. Alle Mykorrhizen fördern das Wachstum der Pflanze. Insbesondere unter Stress führt die Symbiose zu einer besseren Versorgung der Pflanze mit Wasser und Nährstoffen. Über 90 % aller Landpflanzen sind in der Lage, mit geeigneten Pilzpartnern Mykorrhiza auszubilden. Die Pilze profitieren von den Photosyntheseprodukten der Pflanze, wobei bis zu 30 % des netto fixierten Kohlenstoffs an die Wurzelsymbionten abgegeben werden können.

Arbuskuläre Endomykorrhiza Die meisten krautigen Pflanzen bilden EndomykorrhizaSymbiosen mit Pilzen aus der Gruppe der Glomeromycota aus. In dieser Gruppe sind ca. 130 Arten zusammengefasst, die mit etwa 80 % aller Landpflanzen eine Symbiose eingehen. Eine wesentliche Ausnahme sind die Brassicaceen, die kaum zur Bildung einer Symbiose befähigt sind. Die Pilze sind obligate Symbionten und damit für ihr Überleben auf einen Wirt angewiesen. Eine saprophytische Lebensweise ohne Wirt ist für sie nicht möglich. Für die Entwicklung der Symbiose muss zunächst eine Spore des Pilzes keimen. Anschließend bildet sich ein verzweigtes, aber relativ kleines Mycel, das zur weiteren Entwicklung eine geeignete Pflanzenwurzel benötigt. Findet der Pilz keinen infrage kommenden Wirt, zieht sich das Protoplasma zum Großteil wieder in die ursprüngliche Spore zurück und legt eine Ruhephase ein, bevor die Spore er-

Abb. 3.15 Arbuskelbildung in der Endomykorrhiza. (Aufnahmen Philipp Franken, Großbeeren) a Durch die Symbiose erhalten die Pflanzen insbesondere unter Nährstoffmangel einen Wachstumsvorteil: Petersilie ohne (links) und mit Mykorrhiza (rechts). b Arbuskelbildung durch Endomykorrhizapilze (Funneliformis mossae) im Gewebe der Pflanzenwurzel.

neut auskeimen kann. Trifft der Pilz auf eine geeignete Pflanzenwurzel, verstärkt sich das Wachstum des Mycels und es bildet mehr Verzweigungen. Das Mycel wächst auf die Pflanzenwurzel zu, auf deren Oberfläche sich dann ein Appressorium ausbildet, von dem aus eine Infektionshyphe in das Wirtsgewebe eindringt. Dort wächst der Pilz zunächst zwischen den Zellen, wobei sich Vesikel bilden können. Nach diesem anfänglichen interzellularen Wachstum beginnt der Pilz, in die Pflanzenzellen einzudringen und intrazellulär zu wachsen, und er bildet Strukturen, die an kleine Bäumchen (Arbuskel) erinnern (▶ Abb. 3.15). An dieser, stark vergrößerten Oberfläche erfolgt der Stoffaustausch zwischen Pilz und Pflanze. Der heterotrophe Pilz erhält von der Pflanze insbesondere die Photosyntheseprodukte (bis zu 30 % der Nettophotosyntheseprodukte!), während der Pilz über ein ausgedehntes Bodenmycel außerhalb der Pflanzenwurzel Mineralstoffe, Stickstoff, Phosphor und Wasser aufnimmt und an den Wirt weitergibt. Ähnliche Strukturen, die in der Pflanzenwurzel in Form der Vesikel und Arbuskel sichtbar sind, wurden bereits in Versteinerungen aus dem Ordovicium bzw. Devon gefunden. Dies belegt, dass es die Symbiose bereits vor 400– 460 Mio. Jahren gegeben hat. Zu dieser Zeit erfolgte die Entwicklung der Landpflanzen. Möglicherweise hat die arbuskuläre Mykorrhiza für die Weiterentwicklung vaskulärer Pflanzen eine wichtige Rolle gespielt, z. B. beim Ausgleich der Wasserversorgung und der Zuführung von Mineralstoffen in den zunächst schlecht ausgeprägten Wurzelsystemen.

Ektomykorrhiza Die Pilze, die Ektomykorrhiza bilden, sind keine obligaten Symbionten, sondern Saprophyten, die auch leicht ohne Wirt zu kultivieren sind. Es handelt sich vor allem um Basidiomyceten. Aber auch einige andere Pilze wie Ascomyceten, beispielsweise die Trüffel, bilden mit verholzenden Pflanzen eine ektotrophe Mykorrhiza. Besonders wichtig ist diese Mykorrhizaform für das Ökosystem des

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Pilze Waldes. Ein Baum kann mit mehreren Pilzen gleichzeitig Mykorrhiza bilden und jeder Pilz verbindet über sein Mycel im Boden mehrere Baumpartner miteinander. Dadurch bilden viele Bäume in einem Wald ein großes Netzwerk, das die relative Stabilität des Ökosystems Wald mit begründet. Wird die Mykorrhiza geschädigt, stirbt zumeist nicht nur ein einzelner Baum, sondern ganze Schläge zeigen Baumschäden. Dies ist beim „Baumsterben“ infolge von saurem Regen und hoher Schadstoffbelastung zu beobachten. Die Ektomykorrhizapilze bilden ein ausgedehntes Mycel im Waldboden. Während die Pilze oft auf wenige Baumarten spezialisiert sind, zeigen Bäume keine Präferenz für bestimmte Pilze. Treffen die Hyphen auf einen möglichen Wirt, bildet sich zunächst ein Hyphenmantel um die Kurzwurzeln des Baumes. Die Hyphen wachsen dann zwischen den Zellen der Baumwurzelrinde ein und verzweigen sich so stark, dass ein Netzwerk aus Hyphen den Raum zwischen den Zellen ausfüllt. Diese Struktur wird als Hartig’sches Netz bezeichnet (▶ Abb. 3.16). Dieses Netz ist auch der Ort des aktiven Nährstoffaustauschs. Die Pilzhyphen können die gesamte Rindenschicht bis zur Endodermis besiedeln, wachsen aber nicht in die Endo-

a Pilzmantel

dermis oder das Leitgewebe ein. Mit ihrem großflächigen Bodenmycel übernehmen die Pilzhyphen dann die Aufgaben der Wurzelhaare, die in der Mykorrhiza nicht mehr gebildet werden. Während ein Wurzelhaar in der Regel nur Tage lebt und dann von neu gebildeten Wurzelhaaren an der wachsenden Wurzelspitze ersetzt werden muss, behält das Bodenmycel seine Fähigkeit zur Stoffaufnahme über einen längeren Zeitraum. Die Hyphen sind zudem feiner als die Feinwurzeln des Baumes, sodass auch kleinere Poren im Boden erschlossen werden können. Für den Baum führt die Symbiose zu einer Verbesserung der Wachstumsbedingungen. Besonders unter Stress, beispielsweise durch Trockenheit oder Schadstoffbelastung, kann die Mykorrhiza für den Baum lebenswichtig sein. Darüber hinaus reduziert die Mykorrhiza auch die Anfälligkeit gegenüber parasitischen Mikroorganismen. Der Pilz benötigt die Symbiose besonders für seine Vermehrung, denn Ektomykorrhizapilze sind nicht in der Lage, ohne ihren Baumpartner Fruchtkörper oder Sporen zu bilden. Ein Beispiel stellt der Steinpilz (Boletus edulis) dar, der daher auch nicht kultiviert werden kann. Die Wirtsspezifität einzelner Mykorrhizapilze kann man daran erkennen, dass ihre Fruchtkörper immer nur unter bestimmten Baumarten zu finden sind. Dies spiegelt sich auch im Namen einiger Pilze wider, beispielsweise beim Gemeinen Birkenpilz (Leccinum scabrum) oder dem Lärchenröhrling (Suillus viscidus). Der zur Ausbildung der Symbiose notwendige Signalaustausch ist erst unvollständig verstanden. Ihre Bedeutung für die Physiologie der Pflanzen steht dagegen außer Frage. Die Pflanzenernährung – auch die der meisten Nutzpflanzen – kann praktisch nie ohne den Beitrag von Pilzpartnern betrachtet werden.

3.8.3 Flechten Hartig'sches Netz b

Rindenzellen der Pflanze

Abb. 3.16 Pilzliche Strukturen in der Ektomykorrhiza. Der Ektomykorrhizapilz Tricholoma terreum bildet spezifisch mit seinem Wirtsbaum, der Kiefer (Pinus sylvestris), eine Mykorrhiza. (Aufnahmen Katrin Krause, Jena) a Zunächst bildet sich ein Hyphenmantel um die Kurzwurzeln (Querschnitt). b Im Raum zwischen den Zellen der Baumwurzelrinde entwickelt sich ein Hartig’sches Netz. Maßstab, ca. 50 μm.

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Eine andere Form der Symbiose gehen Pilze mit photosynthetisch aktiven Mikroorganismen ein. Dabei entstehen Flechten. Ascomyceten, aber auch einige Basidiomyceten und wenige Zygomyceten, bilden mit Algen (vor allem Grünalgen) oder Cyanobakterien einen Thallus. Seine Gestalt kann von krustigen Überzügen auf Felsen oder Baumrinde über blattartige Formen bis zu stark ausdifferenzierten Strauchund Bartflechten reichen (▶ Abb. 3.17). Da der photosynthetisch aktive Partner Zucker zur Verfügung stellt, erlaubt die Lebensgemeinschaft mit der Alge oder dem Cyanobakterium (Photobiont) dem Pilz (Mykobiont) das Wachstum an Standorten, an denen ein saprophytisches Wachstum nicht möglich wäre. Die Photobionten erhalten als Gegenleistung eine gleichmäßige Wasserversorgung, Schutz vor Austrocknung und vor Pathogenen. Besonders deutlich wird der Vorteil an Extremstandorten wie sonnenbeschienen Felsen in der Wüste oder in der Antarktis, wo Flechten noch vorkommen können, während Pflanzen nicht in der Lage sind, bei den starken Temperaturschwankungen und dem Trockenstress zu überleben.

3.9 Tier- und humanpathogene Pilze

a

b

c

Rinde photobiontische Alge

Mark

Abb. 3.17 Einige Pilze bilden mit photosynthetisch aktiven Algen oder Cyanobakterien Flechten. (Aufnahmen Erika Kothe, Jena) a Eine Rindenschicht vermittelt einen Schutz und erlaubt das Wachstum an Extremstandorten, die von anderen Organismen nicht erobert werden können. b Rote Apothecien des Pilzes bei Cladonia. c Wachstum einer Flechte auf einem Stein, der sich in der Sonne stark aufheizen kann.

3.8.4 Endophytische Pilze Interaktionen zwischen Pflanzen und Pilzen müssen nicht zu sichtbaren Symptomen einer Infektion führen, sondern es kann sich auch um eine kommensale Interaktion mit endophytischem Wachstum des Pilzes handeln. So lassen sich sowohl Bakterien als auch Pilze regelmäßig von oberflächensterilisierten Pflanzenteilen isolieren. Um eine solche Interaktion zu belegen, ist es allerdings notwendig, den Koch’schen Postulaten folgend, nach der Isolierung eine Re-Infektion durchzuführen, die ebenfalls zu keinen Symptomen führen sollte. Ein endophytischer Mikroorganismus lebt zumindest einen Teil seines Lebenszyklus in der Pflanze, ohne Krankheitssymptome auszulösen. Der asexuelle Endophyt Neotyphodium (verwandt mit Epichloë) wird durch die Samen übertragen, die der Pilz noch an der Mutterpflanze infiziert. Während in der Natur also eine obligate Symbiose mit dem Wirtsgras vorliegt, ist der Pilz im Labor auch in der Lage, auf Komplexmedien zu wachsen. Der Vorteil einer solchen Interaktion für die Pflanze besteht in den Sekundärmetaboliten des Pilzes, die sie vor Herbivorenfraß oder Pathogenbefall schützen. Der Pilz zeigt eine interessante Anpassung an sein (wachsendes) Umfeld, indem er zwischen bestehenden Hyphenzellen neue, interkalierende Zellen anlegen und so mit der Pflanze mitwachsen kann, was bei anderen Pilzen nicht zu beobachten ist.

3.9 Tier- und humanpathogene Pilze Nicht nur Pflanzen, sondern auch andere Pilze (Mykoparasitismus), Tiere (Tierpathogene) und der Mensch (Humanpathogene) (S. 102) können durch pathogene Pilze befallen werden. Allerdings sind nur wenige Pilze in der Lage, sich auf oder in Warmblütern zu vermehren und Krankheitssymptome hervorzurufen. Bei einer solchen Mykose dringt der Pilze aktiv in das Wirtsgewebe ein. Mykotoxikosen werden dagegen von Mykotoxinen ausgelöst, die vom Pilz produziert wurden; der Pilz muss nicht unbedingt in den Wirt gelangen. Daneben gibt es noch mykogene Allergien, die insbesondere durch Conidien der Pilze hervorgerufen werden. Nematodenfangende Pilze stellen beweglichen Fadenwürmen mit selbst hergestellten Fallen nach. Dabei kann es sich um Klebefallen an spezialisierten Hyphen oder auch um Schlingen handeln. Solche Schlingen ziehen sich nach Berührung um den Wirt zusammen, sodass der Pilz die Beute durch Einwachsen besiedeln kann.

3.9.1 Mykosen Die relative Bedeutung von Pilzerkrankungen des Menschen im Vergleich zu bakteriellen Infektionskrankheiten nimmt derzeit weltweit drastisch zu. Dies ist nicht zuletzt eine Folge der guten Behandlungsmöglichkeiten von bakteriellen Krankheiten mit Antibiotika. Man unterscheidet Hautmykosen, die oberflächlich auftreten, und systemi-

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3.9 Tier- und humanpathogene Pilze

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Rinde photobiontische Alge

Mark

Abb. 3.17 Einige Pilze bilden mit photosynthetisch aktiven Algen oder Cyanobakterien Flechten. (Aufnahmen Erika Kothe, Jena) a Eine Rindenschicht vermittelt einen Schutz und erlaubt das Wachstum an Extremstandorten, die von anderen Organismen nicht erobert werden können. b Rote Apothecien des Pilzes bei Cladonia. c Wachstum einer Flechte auf einem Stein, der sich in der Sonne stark aufheizen kann.

3.8.4 Endophytische Pilze Interaktionen zwischen Pflanzen und Pilzen müssen nicht zu sichtbaren Symptomen einer Infektion führen, sondern es kann sich auch um eine kommensale Interaktion mit endophytischem Wachstum des Pilzes handeln. So lassen sich sowohl Bakterien als auch Pilze regelmäßig von oberflächensterilisierten Pflanzenteilen isolieren. Um eine solche Interaktion zu belegen, ist es allerdings notwendig, den Koch’schen Postulaten folgend, nach der Isolierung eine Re-Infektion durchzuführen, die ebenfalls zu keinen Symptomen führen sollte. Ein endophytischer Mikroorganismus lebt zumindest einen Teil seines Lebenszyklus in der Pflanze, ohne Krankheitssymptome auszulösen. Der asexuelle Endophyt Neotyphodium (verwandt mit Epichloë) wird durch die Samen übertragen, die der Pilz noch an der Mutterpflanze infiziert. Während in der Natur also eine obligate Symbiose mit dem Wirtsgras vorliegt, ist der Pilz im Labor auch in der Lage, auf Komplexmedien zu wachsen. Der Vorteil einer solchen Interaktion für die Pflanze besteht in den Sekundärmetaboliten des Pilzes, die sie vor Herbivorenfraß oder Pathogenbefall schützen. Der Pilz zeigt eine interessante Anpassung an sein (wachsendes) Umfeld, indem er zwischen bestehenden Hyphenzellen neue, interkalierende Zellen anlegen und so mit der Pflanze mitwachsen kann, was bei anderen Pilzen nicht zu beobachten ist.

3.9 Tier- und humanpathogene Pilze Nicht nur Pflanzen, sondern auch andere Pilze (Mykoparasitismus), Tiere (Tierpathogene) und der Mensch (Humanpathogene) (S. 102) können durch pathogene Pilze befallen werden. Allerdings sind nur wenige Pilze in der Lage, sich auf oder in Warmblütern zu vermehren und Krankheitssymptome hervorzurufen. Bei einer solchen Mykose dringt der Pilze aktiv in das Wirtsgewebe ein. Mykotoxikosen werden dagegen von Mykotoxinen ausgelöst, die vom Pilz produziert wurden; der Pilz muss nicht unbedingt in den Wirt gelangen. Daneben gibt es noch mykogene Allergien, die insbesondere durch Conidien der Pilze hervorgerufen werden. Nematodenfangende Pilze stellen beweglichen Fadenwürmen mit selbst hergestellten Fallen nach. Dabei kann es sich um Klebefallen an spezialisierten Hyphen oder auch um Schlingen handeln. Solche Schlingen ziehen sich nach Berührung um den Wirt zusammen, sodass der Pilz die Beute durch Einwachsen besiedeln kann.

3.9.1 Mykosen Die relative Bedeutung von Pilzerkrankungen des Menschen im Vergleich zu bakteriellen Infektionskrankheiten nimmt derzeit weltweit drastisch zu. Dies ist nicht zuletzt eine Folge der guten Behandlungsmöglichkeiten von bakteriellen Krankheiten mit Antibiotika. Man unterscheidet Hautmykosen, die oberflächlich auftreten, und systemi-

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Pilze

●V

Plus 3.7 Signaltransduktion Nicht nur für den Wachstumsdimorphismus der Hefe Candida sind Signaltransduktionswege bekannt. Viele Regulationsprozesse nutzen für die Signalweiterleitung innerhalb einer Zelle ähnliche Module in analoger Weise. Signaltransduktionswege haben in allen Eukaryonten eine zentrale Bedeutung für die Einleitung von Differenzierungsvorgängen. Sie beruhen auf der aufeinanderfolgenden Aktivierung von Kinasen durch Phosphorylierung. Die am besten untersuchte Kaskade, an der mitogenaktivierte Proteinkinasen (MAPK) beteiligt sind, ist Teil der Pheromonantwort, die bei der sexuellen Entwicklung der Hefe Saccharomyces cerevisiae von Bedeutung ist (▶ Abb. 3.18). In diesem Signaltransduktionsweg wird ein Pheromon durch einen Rezeptor erkannt. Der Rezeptor gehört zur Klasse der G-Protein-gekoppelten Rezeptoren. Die Bindung eines Pheromons als spezifischem Liganden führt dazu, dass im gebundenen G-Protein GDP durch GTP ersetzt wird. Dadurch dissoziiert das G-Protein vom Rezeptor und die α-Untereinheit wird von der βγ-Untereinheit freigesetzt. Damit sind beide Untereinheiten frei, Wechselwirkungen mit anderen Molekülen einzugehen und z. B. eine MAPKKaskade zu aktivieren. Durch aufeinanderfolgende Phosphorylierungsschritte erfolgt schließlich die Aktivierung eines Transkriptionsfaktors, der die pheromonspezifische Entwicklung einleitet. Ganz ähnliche MAPK-Module wirken in der Signaltransduktion des invasiven Wachstums, der Pseudohyphenbildung oder beispielsweise der Osmotoleranz. Bei Säugern sind analoge MAP-Kinase-Module vorhanden, deren Deregulation u. a. zur Krebsentstehung beitragen kann.

sche Infektionen, die sich im ganzen Körper ausbreiten. Zu den oberflächlichen Mykosen zählt z. B. die Windeldermatitis. Diese kann entstehen, da das Immunsystem bei Säuglingen noch nicht voll ausgereift ist und die feuchtwarme Umgebung in der Windel dem Pilz gute Wachstumsbedingungen bietet. Der wichtigste humanpathogene Pilz, der systemische Infektionen verursachen kann, ist die dimorphe Hefe Candida albicans. Sie lebt normalerweise als unschädlicher Kommensale im Darm, auf der Haut und auf Schleimhäuten. Allerdings kann der Pilz auch Vaginalmykosen verursachen. Candida kann unter gewissen Umständen invasiv in Gewebe eindringen und insbesondere bei immunkompromittierten Menschen eine systemische Infektion mit der Besiedlung innerer Organe wie der Niere erreichen, die häufig tödlich verläuft. Mit der Pathogenese eng verknüpft ist bei Candida ein Wachstumsdimorphismus. Während die knospende Hefeform apathogen ist, dringen die Hyphen invasiv in das

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Ligand (Pheromon) extrazellulär Rezeptor Gαβγ

intrazellulär

heterotrimeres G-Protein Ste20 MAPKKK (Ste11) MAPKK (Ste7)

Scaffoldingprotein Ste5

MAPK (Fus3) Transkriptionsfaktor Ste12 Genaktivierung

Abb. 3.18 Die Pheromonantwort bei S. cerevisiae. Nach Pheromonbindung an einen Rezeptor wird das Signal intrazellulär durch die βγ-Untereinheit eines heterotrimeren GProteins weitergeleitet, die eine Kinase aktiviert. Dabei wird zunächst das Protein Ste20p phosphoryliert, das seinerseits die MAP-Kinase-Kinase-Kinase Ste11p phosphoryliert. Ste11p ist in der Lage, die MAP-Kinase-Kinase Ste7p zu aktivieren, die ihrerseits die MAP-Kinase Fus3p phosphoryliert. Die drei Proteine des MAP-Kinase-Moduls werden dabei vom Scaffoldprotein Ste5p zusammengehalten. Dadurch wird sichergestellt, dass das Signal nur innerhalb der Pheromonantwortkaskade weitergegeben wird, da die einzelnen Kinasen auch an anderen Signaltransduktionswegen beteiligt sind. Die MAP-Kinase aktiviert schließlich den Transkriptionsfaktor Ste12p durch Phosphorylierung, der dann die Expression von Genen in der Pheromonantwort steuert.

Gewebe ein und verursachen eine Mykose. Um die Mycelbildung zu unterdrücken und so die Pathogenität von Candida zu beeinflussen, sind die Signale und die intrazellulären Wege der Signaltransduktion Gegenstand intensiver Forschung (Plus 3.7). Als Zielmoleküle zur Behandlung einer Infektion mit Candida bieten sich insbesondere die Genprodukte an, die an der Regulation der Morphogenese beteiligt sind. Signaltransduktionskaskaden, die den Dimorphismus regulieren, werden analog auch bei der Bäckerhefe Saccharomyces cerevisiae untersucht. Hier kann unter geeigneten Bedingungen eine Pseudofilamentbildung beobachtet werden. Ein weiterer humanpathogener Pilz ist der Basidiomycet Cryptococcus neoformans (▶ Abb. 3.19). Er löst besonders bei immunkompromittierten Menschen eine Hirnhautentzündung aus und kann das Zentralnervensystem schädigen. Der Pilz wird meist mit Staub eingeatmet, der Partikel aus Vogelkot enthält. Der Pilz besiedelt zunächst

3.10 Pilzgenetik

Abb. 3.19 Cryptococcus neoformans. Die Polysaccharidkapsel, die für die Virulenz von C. neoformans essenziell ist, umgibt die Zellen und kann mit Tusche sichtbar gemacht werden. Die Kapsel von bis zu 80 μm Dicke inhibiert die Phagozytose durch Immunzellen und sichert das Überleben der Hefezellen im Wirtsorganismus. Maßstab, 10 µm. (Aufnahme Guanggan Hu, Vancouver, Canada)

die Lunge, bevor er auf das Zentralnervensystem übergreift.

3.9.2 Insektenpathogene Entomopathogene Pilze sind in der Lage, Insekten anzugreifen und werden daher für die biologische Schädlingsbekämpfung eingesetzt. So kann die Weiße Fliege mithilfe von Verticillium lecanii bekämpft werden, während andere Pilze zur Bekämpfung des Maiszünslers oder des Dickmaulrüsslers eingesetzt werden. Auch nematodenfangende Pilze können zum Schutz von Pflanzenkulturen ausgebracht werden.

3.10 Pilzgenetik Der einfache genetische Satz, das haploide Genom, ist bei Pilzen in der Regel 1–3 × 107 bp groß und auf unterschiedlich viele Chromosomen verteilt. Die Spalthefe Schizosaccharomyces pombe hat 3, der Brandpilz Ustilago maydis 20 Chromosomen. Darüber hinaus können Plasmide als extrachromosomale DNA-Elemente vorliegen, die sowohl linear wie zirkulär sein können. Bei der Bäckerhefe werden diese Plasmide auch für die gentechnische Manipulation genutzt. Neben der DNA im Kern enthalten auch die Mitochondrien DNA, das mitochondriale Genom. Die Größe des mitochondrialen Genoms ist sehr unterschiedlich, wobei zwischen 19 kb (Schizosaccharomyces pombe) und über 100 kb (bei Agaricus bitorquis) gefunden wurden. Ein Plasmid der Mitochondrien wurde als Seneszenzplasmid des Ascomyceten Podospora anserina beschrieben. Es ist

zunächst Teil der mitochondrialen DNA, aus der es dann während der Alterung der Stämme als 2539 bp großes, zirkuläres Plasmid freigesetzt wird. Mit dem Ausschneiden des Plasmids geht dann eine Alterung der Stämme einher, die schließlich nicht mehr vermehrungsfähig sind. Bei filamentösen Pilzen erfolgt eine Transformation mit fremden Genen, indem die eingebrachten Kopien in der Regel ektopisch, also an nicht homologen Stellen im Genom (S. 191) integriert werden. Die homologe Rekombination ist oft nur mit geringer Effizienz zu erreichen. Die Deletion der Gene ku70 und ku80, die für die nicht homologe Rekombination erforderlich sind, steigert die homologe Integration deutlich. Allerdings ist eine Erkennung homologer Sequenzen auch bei einigen Pilzen hoch entwickelt. So wurde bei Ascomyceten gezeigt, dass durch Einbringen eines funktionellen Gens ein Mechanismus in Gang gesetzt wird, der zur Inaktivierung nicht nur der neu eingebrachten Kopie, sondern auch zur Inaktivierung der genomischen Kopie führt. Dieser Vorgang wird RIP (engl. repeat induced point mutation) genannt. Er kann genutzt werden, um gezielt Gene auszuschalten. Bei diesem Mechanismus kommt es prämeiotisch zur Einführung von Punktmutationen. Dadurch werden zufällig Stoppcodons erzeugt, durch die dann beide Genkopien inaktiviert werden.

3.10.1 Ascusanalyse Da Pilze eine ausgeprägte Haplophase besitzen, sind sie besonders gut für genetische Analysen geeignet, da auch rezessive Mutationen direkt sichtbar werden. So konnte die von G. Beadle und E. Tatum entwickelte Ein-Gen-EinEnzym-Hypothese erst experimentell bestätigt werden, nachdem sie den Testorganismus gewechselt hatten und von Drosophila auf den Ascomyceten Neurospora crassa umgestiegen waren. Die Pilzgenetik bedient sich der achtsporigen Asci, um Aussagen über Rekombinationsereignisse zu liefern, die auch in anderen Eukaryonten gültig sind. Aus den ursprünglich 2 Chromosomen mit jeweils 2 Chromatiden und damit insgesamt 8 DNA-Einzelsträngen eines diploiden Chromosomensatzes werden in der ersten meiotischen Teilung die Chromosomen verteilt. In der zweiten meiotischen Teilung trennen sich die Chromatiden. In einer anschließenden postmeiotischen Mitose führt eine identische Replikation dazu, dass die ehemaligen Schwesterstränge in der DNA-Doppelhelix eines einzelnen Chromatids auf 2 Sporen verteilt werden. Daher repräsentieren die 8 einzelnen Sporen eines achtsporigen Ascus die acht DNA-Einzelstränge, die vor der ersten meiotischen Teilung im entstehenden Ascus vorlagen. Als Marker lassen sich besonders gut Sporenfarben verwenden, denn diese werden direkt an den Sporen sichtbar, die im Ascus untereinander angeordnet sind. Die Sporen sind haploid, sodass rezessive Mutationen direkt beobachtet werden können. Diploide Tiere oder Pflanzen

3

3.10 Pilzgenetik

Abb. 3.19 Cryptococcus neoformans. Die Polysaccharidkapsel, die für die Virulenz von C. neoformans essenziell ist, umgibt die Zellen und kann mit Tusche sichtbar gemacht werden. Die Kapsel von bis zu 80 μm Dicke inhibiert die Phagozytose durch Immunzellen und sichert das Überleben der Hefezellen im Wirtsorganismus. Maßstab, 10 µm. (Aufnahme Guanggan Hu, Vancouver, Canada)

die Lunge, bevor er auf das Zentralnervensystem übergreift.

3.9.2 Insektenpathogene Entomopathogene Pilze sind in der Lage, Insekten anzugreifen und werden daher für die biologische Schädlingsbekämpfung eingesetzt. So kann die Weiße Fliege mithilfe von Verticillium lecanii bekämpft werden, während andere Pilze zur Bekämpfung des Maiszünslers oder des Dickmaulrüsslers eingesetzt werden. Auch nematodenfangende Pilze können zum Schutz von Pflanzenkulturen ausgebracht werden.

3.10 Pilzgenetik Der einfache genetische Satz, das haploide Genom, ist bei Pilzen in der Regel 1–3 × 107 bp groß und auf unterschiedlich viele Chromosomen verteilt. Die Spalthefe Schizosaccharomyces pombe hat 3, der Brandpilz Ustilago maydis 20 Chromosomen. Darüber hinaus können Plasmide als extrachromosomale DNA-Elemente vorliegen, die sowohl linear wie zirkulär sein können. Bei der Bäckerhefe werden diese Plasmide auch für die gentechnische Manipulation genutzt. Neben der DNA im Kern enthalten auch die Mitochondrien DNA, das mitochondriale Genom. Die Größe des mitochondrialen Genoms ist sehr unterschiedlich, wobei zwischen 19 kb (Schizosaccharomyces pombe) und über 100 kb (bei Agaricus bitorquis) gefunden wurden. Ein Plasmid der Mitochondrien wurde als Seneszenzplasmid des Ascomyceten Podospora anserina beschrieben. Es ist

zunächst Teil der mitochondrialen DNA, aus der es dann während der Alterung der Stämme als 2539 bp großes, zirkuläres Plasmid freigesetzt wird. Mit dem Ausschneiden des Plasmids geht dann eine Alterung der Stämme einher, die schließlich nicht mehr vermehrungsfähig sind. Bei filamentösen Pilzen erfolgt eine Transformation mit fremden Genen, indem die eingebrachten Kopien in der Regel ektopisch, also an nicht homologen Stellen im Genom (S. 191) integriert werden. Die homologe Rekombination ist oft nur mit geringer Effizienz zu erreichen. Die Deletion der Gene ku70 und ku80, die für die nicht homologe Rekombination erforderlich sind, steigert die homologe Integration deutlich. Allerdings ist eine Erkennung homologer Sequenzen auch bei einigen Pilzen hoch entwickelt. So wurde bei Ascomyceten gezeigt, dass durch Einbringen eines funktionellen Gens ein Mechanismus in Gang gesetzt wird, der zur Inaktivierung nicht nur der neu eingebrachten Kopie, sondern auch zur Inaktivierung der genomischen Kopie führt. Dieser Vorgang wird RIP (engl. repeat induced point mutation) genannt. Er kann genutzt werden, um gezielt Gene auszuschalten. Bei diesem Mechanismus kommt es prämeiotisch zur Einführung von Punktmutationen. Dadurch werden zufällig Stoppcodons erzeugt, durch die dann beide Genkopien inaktiviert werden.

3.10.1 Ascusanalyse Da Pilze eine ausgeprägte Haplophase besitzen, sind sie besonders gut für genetische Analysen geeignet, da auch rezessive Mutationen direkt sichtbar werden. So konnte die von G. Beadle und E. Tatum entwickelte Ein-Gen-EinEnzym-Hypothese erst experimentell bestätigt werden, nachdem sie den Testorganismus gewechselt hatten und von Drosophila auf den Ascomyceten Neurospora crassa umgestiegen waren. Die Pilzgenetik bedient sich der achtsporigen Asci, um Aussagen über Rekombinationsereignisse zu liefern, die auch in anderen Eukaryonten gültig sind. Aus den ursprünglich 2 Chromosomen mit jeweils 2 Chromatiden und damit insgesamt 8 DNA-Einzelsträngen eines diploiden Chromosomensatzes werden in der ersten meiotischen Teilung die Chromosomen verteilt. In der zweiten meiotischen Teilung trennen sich die Chromatiden. In einer anschließenden postmeiotischen Mitose führt eine identische Replikation dazu, dass die ehemaligen Schwesterstränge in der DNA-Doppelhelix eines einzelnen Chromatids auf 2 Sporen verteilt werden. Daher repräsentieren die 8 einzelnen Sporen eines achtsporigen Ascus die acht DNA-Einzelstränge, die vor der ersten meiotischen Teilung im entstehenden Ascus vorlagen. Als Marker lassen sich besonders gut Sporenfarben verwenden, denn diese werden direkt an den Sporen sichtbar, die im Ascus untereinander angeordnet sind. Die Sporen sind haploid, sodass rezessive Mutationen direkt beobachtet werden können. Diploide Tiere oder Pflanzen

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Pilze dagegen müssen bei heterozygoten Merkmalen erst mit einem rezessiven Elternteil rückgekreuzt werden, damit in der F2-Generation die Auswirkungen rezessiver Mutationen sichtbar werden. Bei achtsporigen Ascomyceten wird eine 4:4-Verteilung der Sporenfarben direkt sichtbar (Methode 3.1). Rekombination mit anschließenden Reparaturereignissen führen zu abweichenden Verteilungen

wie einer 5:3- oder 6:2-Verteilung der farbigen Sporen im Ascus. Hier liegt eine Genkonversion vor, bei der zu Beginn der Meiose die Information eines Einzelstrangs (5:3) oder eines Doppelstrangs (6:2) entfernt wurde und die anschließende Reparatur anhand des Schwesterchromosoms erfolgte.

d ●

Methode 3.1 Sporenfarbe als Marker bei der Ascusanalyse Durch die schlauchförmige Morphologie des Ascus ist bei den Zellteilungen der Meiose (und der nachfolgenden postmeiotischen Mitose) kein „Platztausch“ der entstehenden 8 Zellen möglich. An der Stelle, an der sie entstanden sind, liegen die Sporen im Ascus. Da in den sich teilenden Kernen die Chromosomen durch die Spindel verteilt werden und die Spindeln an den Centromeren der Chromosomen ansetzen, wird die Lage der Sporen im Ascus durch die Lage der Centromere bei der ersten meiotischen Teilung bestimmt. Ist die Chromosomenverteilung also zufällig so, dass das Chromosom, das die wildtypfarbenen, schwarzen Sporen codiert, oben liegt und das Chromosom, das die gelbe Farbmutation codiert, unten, dann entstehen im Ascus oben 4 schwarze und unten 4 gelbe Sporen. Dies wäre eine reguläre 4:4-Verteilung, wie sie immer dann zu erwarten ist, wenn keine weiteren Prozesse wie eine Rekombination stattgefunden haben. Durch Rekombination zwischen dem Farbmarker und dem Centromer entsteht dagegen eine abweichende Verteilung (▶ Abb. 3.20). Bei der Rekombination wurde ein

Chromosomenarm vertauscht. Damit wird das Chromosommit der ursprünglich auf beiden Chromatiden liegenden Wildtypsequenz so verändert, dass ein Chromatid jetzt die „gelbe“ Mutation trägt. Dementsprechend trägt das entsprechende Chromatid des Schwesterchromosoms jetzt das Wildtypallel. Die Anzahl der mutierten und nicht mutierten Chromatiden bleibt aber insgesamt gleich. Dadurch werden jetzt 2 schwarze und 2 gelbe Sporen oben und 2 schwarze und 2 gelbe Sporen unten gebildet, es kommt damit zu einer aberranten 4:4-Verteilung (2:2:2:2). Durch Auszählen der Asci mit aberranter Sporenverteilung kann man bestimmen, wie oft eine Rekombination stattgefunden hat. Die Rekombinationshäufigkeit ist damit ein direktes Maß für den genetischen Abstand des Markers vom Centromer. Der Abstand zweier Gene, der so bestimmt wurde, wird in der Genetik in der Einheit Morgan angegeben (nach Thomas Hunt Morgan, der diese Einheit definiert hat). Bei den haploiden Ascomyceten entspricht die Rekombinationsfrequenz zwischen zwei Markern (hier Centromer und Farbmutation) direkt der Angabe in centiMorgan.

a Normale 4: 4-Verteilung ohne Rekombination wt wt wt wt g g g g

wt wt wt wt

wt wt

wt

wt wt

wt

g g g g

g g

g

g g

g

wt wt g g

wt wt

wt

g g

g

wt wt g g

wt wt

wt

g g

g

1. meiotische Kernteilung

2. meiotische Kernteilung

Abb. 3.20 Ascusanalyse zum Nachweis der Rekombination während der Meiose in achtsporigen Asci. a Eine Mutation (g), die die Sporenfarbe betrifft und für gelbe statt der schwarzen Wildtypsporen (wt) sorgt, wird bei einer Kreuzung nach den Mendel-Regeln verteilt. Die Hälfte der Sporen ist also gelb gefärbt (4:4-Verteilung, 4 schwarze, 4 gelbe Sporen untereinander). Die Lage der gelben Sporen im Ascus ist durch die Lage der Centromere (rot) der einzelnen Chromosomen bestimmt. b Bei einer Rekombination, die zwischen dem Farbmarker und dem Centromer lokalisiert ist, entsteht eine aberrante 4:4-Verteilung (2:2:2:2). Weitere Erklärung siehe Text.

wt wt g g

b Aberrante 4 : 4-Verteilung durch Rekombination wt wt wt wt g g g g Chromosomen im diploiden Kern

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wt g wt g postmeiotische Mitose

Sporenfarbe im Ascus

3.10 Pilzgenetik

3.10.2 Molekulargenetik mit eukaryontischen Systemen Als besonders gut handhabbares System zur Expression von Fremdgenen haben sich die einzelligen Hefen bewährt, die als eukaryontische Modellsysteme auch in der Biotechnologie weite Verbreitung gefunden haben. Bei der Bäckerhefe können Plasmide als frei replizierende Vektoren eingesetzt werden, wie das auch bei Escherichia coli möglich ist. Dazu müssen die Plasmide einen Replikationsursprung tragen, der z. B. aus einem natürlichen Plasmid stammen kann. Ein solches, frei replizierendes Plasmid ist das 2 μm große 2 μ-Plasmid der Hefe. Es enthält das sogenannte 2 μ-Element, das häufig als Replikationsursprung eingesetzt wird. Es können aber auch andere Sequenzen benutzt werden, die den Replikationsursprüngen auf den Chromosomen entsprechen. Diese Sequenzen ermöglichen die Replikation von extrachromosomalen Sequenzen und werden daher als autonom replizierende Sequenzen oder ARS-Elemente bezeichnet. Bei der Knospung kann die Verteilung von Plasmiden, insbesondere wenn sie in geringer Kopienzahl vorliegen, instabil sein. Es ist möglich, dass eine Tochterzelle kein Plasmid erhält, da die Plasmide zufällig auf die beiden Tochterzellen verteilt werden. Um eine stabile Weitergabe zu erreichen, können solche Plasmide mit Centromersequenzen, auch CEN-Regionen genannt, ausgestattet werden. Die CENRegion garantiert, dass die Plasmide mithilfe der Teilungsspindel an beide Tochterzellen weitergegeben und so gleichmäßig verteilt werden. Als Selektionsmarker für die Anwesenheit eines Plasmids eignen sich neben Resistenzgenen auch Gene für die Biosynthese von Aminosäuren oder Uracil. So können Stämme, die beispielsweise Tryptophan nicht mehr selbst synthetisieren können, mit dem entsprechenden Synthesegen komplementiert werden und sind dann wieder in der Lage, auf einem Medium ohne Tryptophan zu wachsen.

Neben solch frei replizierenden Plasmiden sind aber auch Integrationsvektoren gebräuchlich (▶ Abb. 3.21). Diese tragen lediglich den Selektionsmarker und werden durch Integration ins Wirtsgenom stabil weitergegeben. Solche Vektoren sind insbesondere für filamentöse Pilze gebräuchlich, für die in der Regel keine Plasmide als Vektoren zur Verfügung stehen. Die Integration erfolgt meist ektopisch, also an nicht homologen Stellen im Genom des Pilzes. Um die homologe Integration zu fördern, die insbesondere für die Erzeugung von Deletionsmutanten essenziell ist, kann das System der nicht homologen Rekombination ausgeschaltet werden. Die Genprodukte der Gene ku70 und ku80 sind – als Heterodimer – an der Integration durch nicht homologe Rekombination beteiligt. Mutierte Stämme, die eines der beiden Gene nicht mehr tragen, zeigen eine geringere Transformationseffizienz, da die normalerweise häufigere nicht homologe Integration ausfällt. Dafür zeigen die resultierenden Transformanten aber sehr viel häufiger die gewünschte Integration am Zielort, da lediglich die homologe Rekombination für die Integration zur Verfügung steht. Weitere Anforderungen an die transformierende DNA müssen kaum gestellt werden, weil sowohl zirkuläre als auch lineare Fragmente gute Transformationsergebnisse erzielen. In Abhängigkeit vom betrachteten Pilz ist der Erfolg von linearen Fragmenten in der Transformation (s. u.) aber bis zu 100fach höher.

3.10.3 Genomforschung und Transformation Die Methoden der modernen Genomforschung erlauben heute auch das molekularbiologische Arbeiten mit schwer handhabbaren, häufig langsam wachsenden Pilzen. So können die Genomsequenzen beispielsweise nicht nur aus Reinkulturen ermittelt werden, sondern auch direkt aus Fruchtkörpern oder Flechten. Dabei ist für Pilze

ori EcoRI

EcoRI HindIII

bla

zu integrierende DNA

HindIII trp1 + chromosomale DNA im Pilz

chromosomale DNA im Pilz

bla

ori

integrierte DNA EcoRI

trp1

Abb. 3.21 Vektoren für die Transformation von Pilzen. Integrationsvektoren werden meist in Escherichia coli hergestellt. Sie enthalten alle notwendigen Anteile zur Verwendung in E. coli (ori für die Replikation des Plasmids und ein Resistenzgen, z. B. bla). Darüber hinaus sind der Selektionsmarker für die Selektion im Pilz (hier trp1) und die Klonierungsstellen zum Einbringen der gewünschten Sequenzen (z. B. EcoRI und HindIII) enthalten. Die Integration erfolgt unspezifisch, wobei der ganze Vektor integriert werden kann. Es sind aber auch Mehrfachintegrationen oder teilweise Integration möglich.

chromosomale DNA im Pilz

HindIII

5

Pilze zu bedenken, dass Heterokaryen unterschiedliche genetische Information in den verschiedenen Kernen besitzen. Die Annotation des Genoms, also die funktionelle Zuordnung der Funktionen einzelner Genprodukte, geht daher auf allelische Informationen zurück, welche aus dem diploiden Organismus stammen. Dadurch wird die Identifizierung der Funktionen erschwert. Ein Beispiel für einen diploiden Pilz, dessen Genomsequenz verfügbar ist, ist die humanpathogene Hefe Candida albicans. Aber auch bei Dikaryen erhält man allelische Informationen. Die Annotation der Gene im Genom des Ektomykorrhizapilzes Laccaria bicolor war ein Beispiel für eine solche erschwerte Identifizierung von Genabfolgen. In diesem Fall erwies sich die Annotation als kompliziert, da sich noch zusätzlich viele transponierbare Elemente im Genom befinden. Ein weiterer Fall erschwerter Genomannotation liegt bei Pilzen vor, die vielkernige Heterokaryen bilden. Beispiel ist der Glomeromycet und Endomykorrhizapilz Funneliformis mossae. Seine Genomsequenz ist bereits seit einigen Jahren teilweise entschlüsselt, die Annotation ist aber noch nicht abgeschlossen, da bei Zygomyceten bis zu 5 000 unterschiedliche Kerne vorliegen können. Transkriptomanalysen geben Auskunft darüber, welche Gene zu einem bestimmten Zeitpunkt und unter bestimmten Bedingungen transkribiert werden. Transkriptome lassen sich auf diese Weise auch miteinander vergleichen. Beispielsweise ermöglicht diese Untersuchung den Vergleich der in einem Monokaryon exprimierten Gene mit denen in einem Dikayon, oder den im Fruchtkörper aktiven Gene mit solchen, die in vegetativem Mycel exprimiert werden. Es können so Gene identifiziert werden, die beispielsweise für die Fruchtkörperbildung notwendig sind. Für die Zucht von Speisepilzen ergeben sich damit völlig neue Anwendungen. Die Untersuchung des Proteoms ist eine Möglichkeit, die zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhandenen Proteine zu ermitteln. Außerdem können hier Modifikationen wie Phosphorylierung oder Glykosylierung erkannt werden und auch Membranproteine, sekretierte Proteine usw. lassen sich unterscheiden. Die Muster der Proteinzusammensetzung beinhalten wichtige Informationen für die Funktionsanalyse. Die Analyse des Metaboloms kann dagegen ein Produkt, beispielsweise ein Antibiotikum, nachweisen. Allerdings wird unter Laborbedingungen nicht die Synthese aller potenziell zu bildenden Sekundärmetabolite induziert. Diese „schlafenden Gene“ werden im Genom aber erkannt, wenn eine bestimmte Klasse von Enzymen bekannt ist, die für die Herstellung von Antibiotika notwendig ist. Beispiele sind Polyketid-Synthasen oder nicht ribosomale Peptid-Synthetasen (S. 326). Daher kann es sinnvoll sein, im Genom nach Sequenzen für die Synthese potenziell interessanter Metaboliten zu suchen und die entsprechenden Gene dann gezielt zu exprimieren (S. 98). Für eine Expression der klonierten Sequenzen müssen pilzliche Promotoren vorhanden sein. Diese sind nicht

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immer leicht aus der Sequenz abzuleiten, da die für Eukaryonten typischen Elemente – CAAT- und TATA-Box – oft fehlen. Für Hymenomyceten konnte außerdem gezeigt werden, dass Introns für eine Expression essenziell sein können. Das Intron muss nicht notwendigerweise in der codierenden Sequenz liegen, sondern kann auch im nicht translatierten Bereich der mRNA angeordnet sein. Die heterologe Expression z. B. eines Ascomycetengens in einem Basidiomyceten, aber auch von Genen verschiedener Basidiomyceten, kann dadurch erschwert sein, dass die Promotoren des heterologen Spenderorganismus nicht erkannt werden. Daher müssen häufig homologe Promotoren kloniert werden. Ein regulierbarer Promotor, beispielsweise induzierbar durch Alkohol, erleichtert die gezielte Expression. Für die Zellbiologie hat sich die Verwendung eines Reportergens und seiner Varianten durchgesetzt, die eine Lokalisierung des Genprodukts in der Zelle erlaubt. Hierzu werden das grün fluoreszierende Protein (GFP) oder auch die in anderen Farben fluoreszierenden Abwandlungen wie RFG, YPF oder CFP oder von anderen fluoreszierenden Proteinen abstammende Varianten exprimiert. Man stellt ein Fusionsprotein her, indem man zunächst das Gen für das fluoreszierende Protein im Leserahmen an das Gen des Proteins, dessen Lokalisierung untersucht werden soll, anfügt. Das entstehende Protein ist dann in der Zelle durch Fluoreszenzmikroskopie sichtbar. Auch Protein-Protein-Wechselwirkungen (Methode 3.2) lassen sich so nachweisen, wenn nur durch räumliche Nähe zweier Proteine ein vollständiges fluoreszierendes Protein entstehen kann. Dazu werden Teile des fluoreszierenden Proteins an jedes der beiden Zielproteine fusioniert. Nur durch die Bildung eines Heterodimers der Zielproteine nähern sich die beiden Abschnitte des fluoreszierenden Proteins ausreichend an, dass sich die notwendige Sekundärstruktur des fluoreszierenden Teils ausbilden kann. Die Transformation von Pilzzellen mit dem gewünschten DNA-Fragment setzt die Aufnahme der Fremd-DNA voraus. In der Regel werden zur Transformation Protoplasten (Zellen, deren die Zellwand entfernt wurde) verwendet, die in Gegenwart von Polyethylenglykol fusionieren und dabei leichter DNA aufnehmen. Damit der Transformationserfolg besser zu sehen ist, sollten die Empfängerzellen vorzugsweise haploid und einkernig sein, wie dies bei Hefestadien, Conidiosporen oder anderen asexuell oder sexuell gebildeten Sporen häufig der Fall ist. Eine alternative Transformationsmethode nutzt das auch für Pflanzen häufig verwendete, natürliche System der Agrobacterium tumefaciens-vermittelten Transformation (Methode 3.3).

3.10 Pilzgenetik

Methode 3.2 Untersuchung von Protein-Protein-Wechselwirkungen Das Modellsystem der Hefe Saccharomyces cerevisiae hat sich auch für die Untersuchung von Wechselwirkungen zwischen Proteinen bewährt. Mit dem sogenannten Yeasttwo-Hybrid-System macht man sich zunutze, dass der Transkriptionsfaktor der Gene für die Galactoseverwertung aus zwei unterschiedlichen Domänen besteht. Die DNAbindende Domäne erlaubt die Bindung an eine Erkennungssequenz der DNA, die stromaufwärts vom basalen Promotor der gal-Gene lokalisiert ist. Die zweite Domäne des Transkriptionsfaktors ist die Aktivierungsdomäne, die sich für den effizienten Start der Transkription in der Nähe des Promotors befinden muss. Beide Teile sind im Transkriptionsfaktor für die gal-Gene der Hefe fest miteinander gekoppelt, doch sind sie auch funktionell, wenn sie nur indirekt über weitere Proteine, die miteinander in Wechselwirkung treten, in eine räumliche Nähe gelangen. Diese Eigenschaft macht man sich zunutze, um herauszufinden, ob zwei Proteine mögliche Bindungspartner sind. Dazu stellt man zwei Fusionsproteine her, die auf zwei unterschiedlichen Plasmiden codiert sind. Das Genkonstrukt für das erste Fusionsprotein codiert die DNA-bindende Domäne des Transkriptionsfaktors zusammen mit dem sogenannten Köderprotein, dessen Bindungspartner gesucht wird. Das zweite Konstrukt codiert die Aktivierungsdomäne des Transkriptionsfaktors und einen potenziellen Kandidaten für den Bindungspartner. Hefezellen werden mit beiden

Methode 3.3 Agrobacterium tumefaciens-vermittelte Transformation von Pilzen Das phytopathogene Bakterium Agrobacterium tumefaciens (S. 677) kann in der Gentechnik zur Transformation von Pilzen genutzt werden. Diese Methode ist besonders bei langsam wachsenden Basidiomyceten, die aus Protoplasten nur selten Mycelien regenerieren, eine sehr gute Möglichkeit der gezielten genetischen Manipulation. Für die Transformation wird zunächst die T-DNA-Sequenz des Ti-Plasmids gegen die zu integrierende DNA-Sequenz aus Pilzpromotor und gewünschtem Gen ausgetauscht. Die Übertragung muss durch Acetosyringon induziert werden. Dazu werden Zellen des Pilzes mit Acetosyringon und dem genetisch veränderten Agrobacterium inkubiert. Ist die TDNA übertragen, gelangt sie durch eine Kernlokalisierungssequenz der an den T-DNA-Einzelstrang gebundenen Proteine in den Kern der Pilzzelle, wo sie in das Pilzgenom integriert wird. Die Selektion der transformierten Pilze erfolgt beispielsweise durch eine Hygromycinresistenz, die in der integrierten DNA codiert sein kann. Die Transforman-

d ●

Plasmiden transformiert und beide Konstrukte werden anschließend in der Hefe coexprimiert. Interagiert das Köderprotein mit dem potenziellen Bindungspartner, gibt es also eine stabile Protein-Protein-Wechselwirkung zwischen beiden, nähern sich DNA-bindende Domäne und Aktivierungsdomäne des Transkriptionsfaktors an und das Reportergen wird transkribiert. Als Reportergene werden dabei in der Regel Gene zur Synthese von Aminosäuren wie Histidin oder anderen essenziellen Bausteinen wie Uracil verwendet. Der jeweilige Hefestamm kann daher nur dann wachsen, wenn das Reportergen durch eine direkte Interaktion der beiden fusionierten Proteine transkribiert und das entsprechende Genprodukt synthetisiert wird. Dadurch entsteht ein starker Selektionsdruck. Mithilfe des Yeast-two-Hybrid-Systems lassen sich aber auch unbekannte Interaktionspartner eines bekannten Proteins suchen. Der Köder ist das bekannte Protein, das mit der DNA-bindenden Domäne fusioniert wurde. Die Aktivierungsdomäne wird jedoch mit unterschiedlichen unbekannten Proteinen oder Peptiden fusioniert, deren Gene aus einer Genbank stammen. Nur wenn in dem verwendeten Expressionsvektor ein Protein synthetisiert wird, das mit dem Köder interagiert, können die Hefezellen wachsen und das Gen für das Interaktionsprotein lässt sich indentifizieren. Da durch den starken Selektionsdruck allerdings leicht falsch positive Kandidaten identifiziert werden, ist es unabdingbar, diese durch eine unabhängige Methode wie z. B. Coimmunopräzipitation zu verifizieren.

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ten werden auf hygromycinhaltigem Medium kultiviert, wobei nur die tatsächlich transformierten und daher resistenten Individuen überleben. Anschließend werden die Bakteriendurch Antibiotika abgetötet, sodass wieder eine Reinkultur des Pilzes gewonnen werden kann. Durch die Nutzung des natürlichen Systems zur Übertragung von DNA können nicht nur Einzelzellen transformiert werden, sondern auch ganze Mycelien. Dazu wird ein entsprechendes, meist einige Quadratmillimeter großes Mycelstückchen verwendet. In diesem sind natürlich nur einige Kerne transformiert, sodass eine Selektion erfolgen muss, die transformierte Kerne im Mycel anreichert, bevor man einen Phänotyp analysieren kann. Das Vorgehen erlaubt auch die Transformation von Dikaryen, wobei nur eine Überexpression und keine Deletion von Genen möglich wird. Da aber die meisten Mykorrhizapilze nicht als Monokaryon stabil sind, ist hier eine Möglichkeit gegeben, genetische Untersuchungen durchzuführen, die anders nicht möglich wären.

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Pilze

3.11 Pilze in Biotechnologie und Produktion Pilze werden seit Urzeiten benutzt, um Produkte des täglichen Bedarfs herzustellen. So sind in Grabmalereien der Ägypter bereits die Wein- und Bierherstellung sowie das Brotbacken dargestellt. Und Speisepilze werden ebenfalls schon immer verzehrt und zumindest in China seit Jahrtausenden für den Verzehr angebaut. Daneben werden spezielle Stoffwechselleistungen des Sekundärmetabolismus, beispielsweise für die Gewinnung von Antibiotika oder die Herstellung und Veredelung von Speisen wie Camembert eingesetzt. Durch die Entwicklung in der Gentechnik ist die Bedeutung der Pilze erneut gewachsen. So ist es möglich, Hefen oder auch filamentös wachsende Pilze für die Produktion von gentechnisch erzeugten Produkten gezielt zu modifizieren. Die Pilze sind wie alle Eukaryonten in der Lage, Genprodukte posttranslational zu modifizieren, beispielsweise durch Glykosylierung. Dadurch sind Anwendungen möglich, die mithilfe der bakteriellen Produktion nicht erfolgen können. Der Fortschritt in der Technologie der Festbettfermentation erlaubt auch die Anzucht von filamentösen Pilzen auf einem festen Substrat. Damit lassen sich Braun- und insbesondere Weißfäulepilze für die Verwertung von Pflanzenresten zur Herstellung von Bioethanol einsetzen. Die Herstellung von Brot und Wein erfolgt noch immer mit der Hefe Saccharomyces cerevisiae. Für die Brotherstellung werden die aerobe Atmung und die anaerobe ethanolische Gärung des Pilzes genutzt. Dabei entsteht CO2, das den Teig auflockert. Für die Alkoholproduktion in Bier oder Wein wird die Hefe unter Luftabschluss zur ethanolischen Gärung veranlasst. Deshalb wird z. B. bei der Weinherstellung ein Gärröhrchen eingesetzt, sodass das gebildete Gas entweichen, aber kein Sauerstoff eintreten kann.

Methode 3.4 Mutagenese zur Stammverbesserung bei Produzentenstämmen Conidiosporen sind haploid und einkernig und eignen sich daher besonders gut zur Durchführung einer Mutagenese. Dieser Umstand kann genutzt werden, um für die Biotechnologie neue Stämme herzustellen. Besonders Conidiosporen werden durch Mutagenese verändert, um verbesserte Stämme für die Produktion in der pharmazeutischen Industrie zu erzeugen. So konnte die Antibiotikaproduktion durch Penicillium chrysogenum von 1 mg l–1 auf 50 g l–1 gesteigert werden. Mutationen können durch physikalische (z. B. UV-Bestrahlung) oder chemische (z. B. alkylierende Agenzien) Behandlungen ausgelöst werden. Je nach angestrebtem Ziel werden die Überlebensraten der Conidien von 0,1–40 % eingestellt und anschließend nach mutierten Stämmen mit verbesserten Eigenschaften gesucht.

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3.11.1 Biotechnologie Ein Stoffwechselprodukt von Pilzen, das biotechnologisch hergestellt wird, ist die Zitronensäure, die für die Lebensmittelindustrie in großem Maßstab mithilfe von Aspergillus niger produziert wird. Dazu wird der Pilz nicht in Flüssigkultur angezogen, sondern in Oberflächenkulturen, da die Produktion und Exkretion bei Pilzen häufig besser ist, wenn ein Luftmycel gebildet werden kann. Auch ist die kontinuierliche Kultur oft schwierig, da die Bildung der Mycelaggregationen in Flüssigkultur den notwendigen Durchfluss erschwert. Für die Oberflächenkultivierung von Pilzen wurden daher Festbettreaktoren entwickelt. So kann der Pilz ein Substrat, oft Stroh oder Rohkompost, durchwachen und gleichzeitig ein Luftmycel bilden. Für die Zitronensäureproduktion wird Aspergillus bereits seit Jahrzehnten auf großen Blechen gezogen, die es erlauben, unter der Mycelmatte aus miteinander verflochtenen Hyphen Medium zuzugegeben und Produkt abzuführen. Aber auch Antibiotika (S. 326) werden von Pilzen erzeugt. Das erste auf diese Weise hergestellte Antibiotikum war Penicillin, das von Penicillium notatum gebildet wird und 1929 von Alexander Fleming als antibiotisch wirksam erkannt wurde. Seinerzeit wurden die Produzentenstämme mit guter Ausbeute noch nicht durch Mutagenese erzeugt. Vielmehr wurde ein neuer Produzentenstamm durch Testen und physiologische Optimierung aus vielen Isolaten ausgewählt. Heute werden die Produzenenstämme durch Mutagenese und Selektion verbessert oder durch gentechnische Veränderungen im Metabolic Engineering gezielt konstruiert. Dadurch sind optimale Ausbeuten zu erreichen und gleichzeitig eine leichte Reinigung der produzierten Pharmaka möglich (Methode 3.4). Bei der Produktion von Vitamin B2 (Riboflavin) wird der Ascomycet Ashbya gossypii eingesetzt, der bereits als

d ●

Ein Beispiel aus der Lebensmittelherstellung für eine Optimierung durch Veränderung von Regulationssystemen ist die Brauereihefe. Sie wurde durch eine Derepression der Maltoseverwertung dazu gebracht, auch in Gegenwart von Glucose die angebotene Maltose zu nutzen. Da es sich hier um züchterische Veränderungen handelt und keine Gentechnik eingesetzt wurde, unterliegen diese verbesserten Stämme auch nicht dem Gentechnikgesetz und seinen Bestimmungen und können in der Produktion ohne weitere Auflagen verwendet werden. Im Metabolic Engineering wird der Stoffumsatz in erwünschte Endprodukte dadurch gesteigert, dass beispielsweise eine Feedback-Hemmung aufgehoben oder die limitierende Umsatzrate bestimmter Enzyme durch deren Überexpression gesteigert wird.

3.11 Pilze in Biotechnologie und Produktion Wildtypstamm ein natürlicher Überproduzent des Vitamins ist. Um die Produktion noch weiter zu verbessern, können Gene aus dem Biosyntheseweg des Vitamins mit einem starken Promotor versehen in den Pilz eingebracht werden. Durch eine kontrollierte Expression ist die Überproduktion des Genprodukts möglich. Codiert das eingebrachte Gen ein Enzym, dessen Aktivität die Biosynthese ursprünglich limitiert hat, können mit dem gentechnisch veränderten Organismus größere Mengen des Produkts hergestellt werden.

3.11.2 Speisepilze und Pilzgifte Auch Speisepilze werden bereits seit Jahrhunderten vom Menschen für den Verzehr nicht nur gesammelt, sondern auch gezielt produziert. Der Ertrag von kultivierten Champignons (Agaricus bisporus) beträgt weltweit jährlich mehrere Millionen Tonnen. Auch Shiitake (Lentinus edodes), Austernseitling (Pleurotus ostreatus) sowie einige weitere saprophytische Pilze werden ganzjährig produziert und geerntet. Die ersten Pilzzuchten sind aus Asien überliefert, wo bereits lange vor unserer Zeitrechnung Speisepilze produziert wurden. In Paris kultivierte man Champignons bereits um 1700 in Kellern; inzwischen sind die Niederlande aber der wichtigste Produzent dieser Speisepilze. Für die Produktion werden vorzugsweise Stämme genutzt, die eine gezielte und zeitlich definierte Fruchtkörperbildung garantieren. Für die private Anzucht bekommt man in Gartencentern Pakete, die das Substrat – für Champignons beispielsweise einen reichhaltigen Kompost – bereits enthalten. Einige Wochen nach Beimpfen und Wässern dieses Substrats können die Pilze geerntet werden. Für Pilze, die an Baumstämmen wachsen, etwa Austernseitlinge, werden Löcher oder Einschnitte in Baumstammabschnitten angebracht, die mit dem vorgezogenen Pilzmycel beimpft werden. Der Pilz breitet sich im Holz aus und nach etwa einem halben Jahr können regelmäßig die Fruchtkörper geerntet werden. Das vom Pilz zersetzte Holz kann später als Zusatz zum Kompost verwertet werden, wobei die enthaltene pilzliche Biomasse den Nährstoffgehalt des Komposts verbessert.

H3C HN

HO H H C C CH

CH2OH CO

NH

OC H HO

CH

CO

NH

CH2

H2C

CH

SO

N OC

Viele Pilzarten können allerdings nicht angebaut werden, weil sie beispielsweise als Ektomykorrhizapilze für die Fruchtkörperbildung auf eine Symbiose mit Bäumen angewiesen sind. Steinpilze oder Trüffel sind Beispiele dafür. Trüffel werden dennoch kommerziell in Trüffelgärten gezogen. Dazu taucht man die Wurzeln junger Eichen in eine Suspension, die das Pilzinokulum enthält. Die so beimpften Bäume werden ausgepflanzt und unter den herangewachsenen Bäumen können nach ca. 10 Jahren die ersten Trüffel geerntet werden. Wären die notwendigen Induktoren der Fruchtköperproduktion identifiziert und charakterisiert, wäre eine Fruchtkörperproduktion durch gentechnisch veränderte Organismen denkbar. Da allerdings der Markt für gentechnisch veränderte Nahrungsmittel in Europa stark beschränkt ist, ist es sinnvoller, mit Gensonden nach natürlichen oder induzierten Mutanten zu suchen. Diese ließen sich dann für die Selektion einsetzen und durch konventionelle Zuchtwahl könnten neue Sorten für den Markt gewonnenen werden. Neben den Speisepilzen sind auch viele Pilze mit giftigen Inhaltsstoffen bekannt. Der tödlich giftige Grüne Knollenblätterpilz (Amanita phalloides) oder der Fliegenpilz (A. muscaria) sind Beispiele dafür. Die Pilzgifte gehören zu verschiedenen Wirkstoffklassen und sind Produkte des Sekundärstoffwechsels, der bei Pilzen besonders vielfältig sein kann. Ein Beispiel für ein Pilzgift ist α-Amanitin, das die Transkription zum Erliegen bringt, indem es die eukaryontische RNA-Polymerase II bereits in sehr geringer Konzentration effektiv hemmt (▶ Abb. 3.22). Insbesondere auf die sehr stoffwechselaktiven Leberzellen wirkt das Gift damit so schädlich, dass ein Leberversagen schließlich zum Tode führt. Die Giftmenge kann je nach Stoffwechselaktivität und Nährstoffversorgung während des Fruchtkörperwachstums von Pilz zu Pilz variieren. Auch andere Pilze bilden giftige Inhaltsstoffe. Schimmelpilze sind dafür bekannt, dass sie als Vorratsschädlinge auch die Nahrungsreserven des Menschen angreifen und beispielsweise eingelagertes Getreide verderben. Sie bilden als Sekundärstoffwechselprodukte Mykotoxine und scheiden diese aus, sodass nicht nur der verschimmelte Anteil, sondern der gesamte Vorrat unbrauchbar wird. Daraus ergeben sich enorme wirtschaftliche Schäden. Ein solches Mykotoxin ist das Aflatoxin (S. 699) aus

N H

OH

CH2 CH

H2C

NH

CO

CH

CO NH

NH

CO

CH2

CH3 CH CO C2H5

Abb. 3.22 Das Pilzgift α-Amanitin, das unter anderem auch im Fliegenpilz vorkommt. Dieses Gift hemmt die Transkription, indem es die eukaryontische RNAPolymerase II inhibiert. (Aufnahme Erika Kothe, Jena)

HC

NH

CONH2

α-Amanitin

9

Pilze Aspergillus flavus, das Leberkrebs hervorrufen kann, da es in der Leber durch Oxygenasen zu besonders carcinogenen Verbindungen umgebaut wird. Das als Carcinogen sehr wirksame Mykotoxin Desoxynivalenol (DON), das von Fusarium gebildet wird, ist selbst bei sehr geringem, nicht sichtbarem Pilzbefall nachweisbar. Der Mykotoxingehalt kann durch vorbeugenden Fungizideinsatz deutlich reduziert werden.

3.12 Vielfalt pilzlicher Lebensformen Hier sollen Pilze vorgestellt werden, die einen Einblick in die Biologie dieser eukaryontischen Mikroorganismen erlauben. Zusätzlich sind ein Oomycet (S. 106) und ein Myxomycet (S. 107) aufgenommen, die nicht zu den Pilzen gehören, aber ebenfalls mikrobielle Eukaryonten darstellen.

3.12.1 Synchrone Meiose beim Tintling Bei Tintlingen werden die Sporen durch Autolyse der Fruchtkörperkappe freigesetzt. Die schwarz gefärbten Tropfen, die durch die autolytischen Prozesse entstehen, enthalten die meiotisch gebildeten Basidiosporen, die alle zu derselben Zeit reif sein müssen, nämlich dann, wenn die Autolyse des Hymeniums einsetzt. Daher findet sich in diesem System eine natürliche Synchronizität in der Meiose, die dazu führt, dass sich bis zu 85 % aller 107–108 Basidien in der Pilzkappe im gleichen Stadium der Meiose befinden. Die Synchronizität wird dabei durch Licht gesteuert. Die Fruchtkörper reifen immer in den frühen

Morgenstunden, sodass bis zum Abend alle Sporen der Kappe freigesetzt sind (▶ Abb. 3.23). Zur Fruchtkörperbildung sind nur die nach einer Kreuzung gebildeten Dikaryen (S. 81) der sexuellen Entwicklung in der Lage.

3.12.2 Effektoren und Umwandlung von Pflanzenorganen durch Brandpilze Der Maisbeulenbrand, Ustilago maydis, ist ein Beispiel für ein gut untersuchtes Pflanzenpathogen. Die Ausbildung spezieller Infektionsstrukturen ist – wie jede differenzielle Entwicklung – abhängig von speziellen Signaltransduktionswegen, die durch exogene Signale ausgelöst werden. Auch beim Maisbeulenbrand ist die Pathogenität direkt an eine Kreuzung gekoppelt; die haploiden Sporidien sind nicht pathogen. Die Sporidien wachsen hefeartig durch Sprossung und können auch saprophytisch ohne einen pflanzlichen Wirt leben. Vor einer Infektion der Pflanze, die der Pilz für seine weitere Entwicklung benötigt, müssen jedoch zwei kompatible Sporidien unterschiedlichen Kreuzungstyps fusionieren (vgl. ▶ Abb. 3.4b). Nach der Kernverschmelzung entstehen in den Tumoren (s. ▶ Abb. 3.24) die diploiden Brandsporen, die mit einer Phragmobasidie auskeimen und nach einer Meiose wieder haploide Sporidien bilden können. Voraussetzung für eine erfolgreiche Infektion der Pflanze und die Entwicklung des Mycels ist allerdings, dass der Pilz eine Abwehrreaktion der Pflanze verhindern konnte. Dies geschieht – neben weiteren Mechanismen – durch sekretierte Proteine, unter denen sich Effektoren befinden. Dabei handelt es sich um Proteine, die in die Pflanzenzelle gelangen und dort in den Stoffwechsel bzw. in Regulationskaskaden eingreifen können. Mit den Effek-

Abb. 3.23 Synchrone Meiose beim Tintling (hier Coprinopsis cinerea). Beim Tintling durchlaufen alle Basidiosporen gleichzeitig die Phasen der meiotischen Zellteilungen. Die reifen Fruchtkörper geben dann in ihrer „Tinte“ die haploiden, nach einer weiteren Mitose zweikernigen und schwarz gefärbten Basidiosporen ab.

Fruchtkörperentwicklung

2 - 6 mm

6 - 10 mm

1,5 - 4,5 cm

4 - 7 cm

Sporenentwicklung

Dikaryon

100

Karyogamie

1. 2. meiotische Teilung

Sporeninitiation

Sporenreifung

postmeiotische Mitose

Pilze Aspergillus flavus, das Leberkrebs hervorrufen kann, da es in der Leber durch Oxygenasen zu besonders carcinogenen Verbindungen umgebaut wird. Das als Carcinogen sehr wirksame Mykotoxin Desoxynivalenol (DON), das von Fusarium gebildet wird, ist selbst bei sehr geringem, nicht sichtbarem Pilzbefall nachweisbar. Der Mykotoxingehalt kann durch vorbeugenden Fungizideinsatz deutlich reduziert werden.

3.12 Vielfalt pilzlicher Lebensformen Hier sollen Pilze vorgestellt werden, die einen Einblick in die Biologie dieser eukaryontischen Mikroorganismen erlauben. Zusätzlich sind ein Oomycet (S. 106) und ein Myxomycet (S. 107) aufgenommen, die nicht zu den Pilzen gehören, aber ebenfalls mikrobielle Eukaryonten darstellen.

3.12.1 Synchrone Meiose beim Tintling Bei Tintlingen werden die Sporen durch Autolyse der Fruchtkörperkappe freigesetzt. Die schwarz gefärbten Tropfen, die durch die autolytischen Prozesse entstehen, enthalten die meiotisch gebildeten Basidiosporen, die alle zu derselben Zeit reif sein müssen, nämlich dann, wenn die Autolyse des Hymeniums einsetzt. Daher findet sich in diesem System eine natürliche Synchronizität in der Meiose, die dazu führt, dass sich bis zu 85 % aller 107–108 Basidien in der Pilzkappe im gleichen Stadium der Meiose befinden. Die Synchronizität wird dabei durch Licht gesteuert. Die Fruchtkörper reifen immer in den frühen

Morgenstunden, sodass bis zum Abend alle Sporen der Kappe freigesetzt sind (▶ Abb. 3.23). Zur Fruchtkörperbildung sind nur die nach einer Kreuzung gebildeten Dikaryen (S. 81) der sexuellen Entwicklung in der Lage.

3.12.2 Effektoren und Umwandlung von Pflanzenorganen durch Brandpilze Der Maisbeulenbrand, Ustilago maydis, ist ein Beispiel für ein gut untersuchtes Pflanzenpathogen. Die Ausbildung spezieller Infektionsstrukturen ist – wie jede differenzielle Entwicklung – abhängig von speziellen Signaltransduktionswegen, die durch exogene Signale ausgelöst werden. Auch beim Maisbeulenbrand ist die Pathogenität direkt an eine Kreuzung gekoppelt; die haploiden Sporidien sind nicht pathogen. Die Sporidien wachsen hefeartig durch Sprossung und können auch saprophytisch ohne einen pflanzlichen Wirt leben. Vor einer Infektion der Pflanze, die der Pilz für seine weitere Entwicklung benötigt, müssen jedoch zwei kompatible Sporidien unterschiedlichen Kreuzungstyps fusionieren (vgl. ▶ Abb. 3.4b). Nach der Kernverschmelzung entstehen in den Tumoren (s. ▶ Abb. 3.24) die diploiden Brandsporen, die mit einer Phragmobasidie auskeimen und nach einer Meiose wieder haploide Sporidien bilden können. Voraussetzung für eine erfolgreiche Infektion der Pflanze und die Entwicklung des Mycels ist allerdings, dass der Pilz eine Abwehrreaktion der Pflanze verhindern konnte. Dies geschieht – neben weiteren Mechanismen – durch sekretierte Proteine, unter denen sich Effektoren befinden. Dabei handelt es sich um Proteine, die in die Pflanzenzelle gelangen und dort in den Stoffwechsel bzw. in Regulationskaskaden eingreifen können. Mit den Effek-

Abb. 3.23 Synchrone Meiose beim Tintling (hier Coprinopsis cinerea). Beim Tintling durchlaufen alle Basidiosporen gleichzeitig die Phasen der meiotischen Zellteilungen. Die reifen Fruchtkörper geben dann in ihrer „Tinte“ die haploiden, nach einer weiteren Mitose zweikernigen und schwarz gefärbten Basidiosporen ab.

Fruchtkörperentwicklung

2 - 6 mm

6 - 10 mm

1,5 - 4,5 cm

4 - 7 cm

Sporenentwicklung

Dikaryon

100

Karyogamie

1. 2. meiotische Teilung

Sporeninitiation

Sporenreifung

postmeiotische Mitose

3.12 Vielfalt pilzlicher Lebensformen a

b

c

a

Abb. 3.24 Der Maisbeulenbrand (Ustilago maydis). (Aufnahmen Michael Bölker, Marburg) a Tumorbildung in Maiskolben, wobei die dikaryontische, filamentös wachsende Form in der Pflanze anzutreffen ist. b Das Dikaryon kann durch Kernfärbung sichtbar gemacht werden (lichtmikroskopische Aufnahme [rechts] und Kernfärbung [links]). c Paarung zweier haploider Sporidien mit unterschiedlichen Kreuzungstypen.

fehlender Staubgefäße eigentlich nicht befallen werden können. Der Pilz stimuliert jedoch die auch hier vorhandenen Anlagen für die Staubgefäße durch pilzliche Hormone und schafft so eine Grundlage für seine Ausbreitung.

3.12.3 Komplizierte Lebenszyklen bei Rostpilzen b

Abb. 3.25 Der Antherenbrand der Nelkengewächse (Microbotryum violaceum). Bei Befall mit M. violaceum wandeln sich die Staubgefäße der Roten Lichtnelke (a) in Brandsporenlager (b) um. (Aufnahmen Hans W. Kothe, Jena)

toren besitzen die Pilze damit eine Möglichkeit, die Pflanze gezielt zu beeinflussen. In unseren Breiten treten als Schädlinge allerdings eher der Weizenflugbrand (Ustilago nuda) oder der Weizensteinbrand (Tilletia caries) auf, die ohne Bekämpfung zu hohen Ernteausfällen führen würden. Ein weiteres Mitglied der Familie ist der Antherenbrand der Nelkengewächse (Microbotryum violaceum) (▶ Abb. 3.25). Seine Sporidien infizieren die die gesamte Pflanze. Die Anlagen für die Staubgefäße werden durch den Einfluss des Pilzes zu Sporenlagern umgebildet. Erst in diesem Stadium ist eine Infektion äußerlich erkennbar. Lichtnelken sind zweihäusige Pflanzen, sodass weibliche Pflanzen wegen

Die Rostpilze besitzen noch kompliziertere Lebenszyklen, wie am Beispiel des Getreideschwarzrosts Puccinia graminis gut nachzuvollziehen ist (▶ Abb. 3.26). Dieser Pilz besitzt fünf verschiedene Sporenformen und ist in seinem Lebenszyklus auf einen Wirtswechsel angewiesen. Der Wirtswechsel und die fünf Sporengenerationen sind jeweils eine sinnvolle Anpassung an die unterschiedlichen Anforderungen der Jahreszeiten. Aus den diploiden Teleutosporen, die im Herbst als Überdauerungsform entstanden sind, bilden sich im Frühjahr auf sexuellem Weg die haploiden Basidiosporen, welche dann schnell einen Wirt finden müssen. Sie befallen deshalb die immergrüne Berberitze (Berberis vulgaris) oder die Mahonie und keimen auf deren Blattoberseiten aus. Dort bilden sie die flaschenförmige Spermogonien, in denen die erste Sporengeneration des Jahres entsteht, die Spermatien. Diese stellen die Kreuzung mit einem anderen Paarungstyp sicher, indem sie eine kompatible Empfängnishyphe befruchten, die ebenfalls von den auskeimenden Basidiosporen auf der Blattoberseite gebildet werden. Bei der Befruchtung entsteht ein dikaryontisches Mycel, das zur Blattunterseite wächst und dort die becherförmigen Aecidien ausbildet. In den Aecidien entwickelt sich die zweite Sporengeneration, die Aecidiosporen. Diese entstehen in großer Zahl und infizieren einen zweiten Wirt (Getreidepflanzen), damit sie nicht mit der haploiden Wuchsform auf der Berberitze konkurrieren müssen. Gleichzeitig bilden die Stadien auf der Berberitze aber auch während des gesamten Sommers ein Rückzugsgebiet für das Pathogen, das damit selbst ohne den Zwischenwirt Getreide – zumindest in milden Win-

1

Pilze

Winter

Basidiosporen

Nebenwirt: Berberitze

keimende Teleutospore

Abb. 3.26 Der Lebenszyklus des Getreideschwarzrosts Puccinia graminis. Erklärung siehe Text.

Infektion durch Basidiospore

Infektion durch Uredospore

Spermatogonium

Kreuzung kompatibler Stämme durch Hyphenfusion oder Spermatien Infektion durch Aecidiospore Hauptwirt: Weizen

Aecidium

tern – in das nächste Jahr kommen kann. Das Stadium auf dem Zwischenwirt dient zur schnellen und effektiven Verbreitung des Pilzes: Auf der Getreidepflanze entstehen zunächst Sommersporenlager, aus denen Uredosporen freigesetzt werden. Diese tragen erheblich zur Ausbreitung der Infektion in Monokulturen bei, da sich innerhalb von 7–12 Tagen mehr als 400 000 Sporen entwickeln können. Schließlich entstehen im Herbst Lager für die überwinterungsfähigen, schwarz gefärbten Teleutosporen. Die Teleutosporen sind dikaryontisch. Sie haben damit die größte genetische Kapazität. Aus ihren zwei Chromosomensätzen kann durch Neukombination und Rekombination die größte Vielfalt für das nächste Jahr mit vielleicht veränderten Lebensbedingungen entstehen. Im Frühjahr keinem die Teleutosporen mit einer Phragmobasidie aus, in der die sexuellen Basidiosporen entstehen. Diese wiederum infizieren die Berberitze, womit der Kreis geschlossen ist. Viele Rostpilze zeigen reduzierte Lebenszyklen, in denen nicht mehr alle fünf Sporenarten gebildet werden. In diesen Fällen könnte man auf eine Reduktion der Anforderungen schließen, die beispielsweise durch Ausfall des Selektionsdrucks bei breiterem Wirtsspektrum vorliegen, sodass kein Ausweichen der sexuellen Stadien auf einen anderen Wirt mehr erforderlich ist. Allerdings kann sich der Pilz ein breites Wirtsspektrum nur dadurch erkaufen, dass er sich an die vielen unterschiedlichen Abwehrmechanismen der verschiedenen Pflanzen anpasst. Auch der Birnengitterrost (Gymnosporangium sabinae) gehört zu den Urediniomyceten. Die Birne ist dabei eigentlich der Zwischenwirt, während der Hauptwirt der Sadebaum oder der Wacholder ist. Eine Bekämpfung des

102

Pilzes wäre durch Roden der Wacholder im Umkreis von 1,5 km um Birnbäume möglich.

3.12.4 Humanpathogene Pilze Lebensbedrohende invasive Mykosen haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen, zum großen Teil wegen der zunehmenden Anzahl an immunkompromittierten Patienten, eine Patientengruppe, die für diese Infektionen besonders empfänglich ist. Der Basidiomycet Cryptococcus neoformans (im perfekten Stadium Filobasidiella neoformans) kann beim Menschen tödliche Erkrankungen (S. 91) hervorrufen. Er besitzt in seinem Lebenszyklus neben der dikaryontischen Hyphenform auch eine monokaryontische Hefeform, die sich besonders leicht genetisch und zellbiologisch handhaben lässt. Die Umschaltung vom Hefewachstum zum filamentösen Wachstum erfolgt durch Umweltsignale. Die Wachstumsform der Dikaryen ist von der Temperatur abhängig. Bei Candida albicans wird die virulente Hyphenform bei 37 °C induziert, bei Cryptococcus findet man die Hefeform bei 37 °C, während bei 24 °C das Wachstum in der Hyphenform erfolgt. Für die Virulenz und das Wachstum im Wirt scheint die Hyphenform bei C. neoformans keine Rolle zu spielen, während die Fähigkeit des dimorphen Wechsels von Hefe- zu Hyphenform für die Pathogenität von C. albcians entscheidend ist. Wichtige Virulenzfaktoren von Cryptococcus sind dagegen die Bildung von Kapseln aus Polysacchariden und die Melaninbildung bei der Hefeform. Das Melanin wird bei C. neoformans nicht wie bei den meisten Pilzen aus L-Tryptophan gebildet, sondern es sind biphenolische

3.12 Vielfalt pilzlicher Lebensformen

Abb. 3.27 Neutrophile extrazelluläre Fallen (NETs) gegen Aspergillus fumigatus. Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme von Aspergillus fumigatus-Hyphen, die in extrazellulären Netzen (NETs) durch menschliche Neutrophile gefangen sind. Die Bilder entstanden nach 3 Stunden Co-Inkubation. (Aufnahme EMZ/HKI, Jena)

Vorstufen wie L-3,4-Dihydroxyphenylalanin (L-DOPA) dazu nötig, was als diagnostisches Merkmal genutzt werden kann. Der filamentöse pathogene Ascomycet Aspergillus fumigatus erzeugt durch seine Ausbreitung in der Lunge schwerwiegende und schwer zu behandelnde, lebensbedrohliche Infektionen, aber über das Blut können auch weitere Organe wie das Gehirn befallen werden. Die nur 2 µm großen Conidiosporen erreichen die Lungenalveolen, wo sie bei Gesunden durch Makrophagen abgewehrt werden. Allerdings verfügt der Pilz über Mechanismen der Immunevasion, die auf das Melanin (Dihydroxynaphtholmelanin) der Conidien zurückgehen. Die Conidien können in Makrophagen überleben und auch die Apoptose von Immunzellen inhibieren. Das Abtöten des Pilzes, insbesondere durch neutrophile Granulocyten, erfolgt vermutlich – ähnlich wie bei der pflanzlichen Abwehr von Pathogenen – über reaktive Sauerstoffspezies, antimikrobielle Peptide und die Verarmung an Eisen. Als Besonderheit produzieren neutrophile Granulocyten sogenannte neutrophile extrazelluläre Fallen (engl. neutrophil extracellular traps, NETs; ▶ Abb. 3.27) gegen A. fumigatus, die zwar wenig zum Abtöten des Pilzes beitragen, aber vermutlich der Begrenzung der Infektion und damit besseren Bekämpfung durch Immunzellen dienen.

3.12.5 Saccharomyces cerevisiae als Klonierungssystem Wie bereits beschrieben, eignet sich die Hefe aufgrund ihrer leichten Handhabbarkeit als Modellsystem für Klonierungen in einem Eukaryonten. Das Genom der Bäckerhefe wurde bereit 1996/97 als erstes Eukaryontengenom sequenziert. Die 12 Mio. Basenpaare sind in Chromosomen angeordnet und codieren fast 6 000 Gene. Allerdings war

die Hefe zu dieser Zeit schon lange als molekularbiologisches Modellsystem gut etabliert. Die leichte Anzucht des Einzellers auf bekannten Medien und das Vorhandensein natürlicher Plasmide, aus denen Transformationsvektoren zusammengestellt werden konnten, trugen zur Etablierung als Modellsystem bei. Auch die Möglichkeit der Erzeugung transformationskompetenter Zellen und der Transformation durch Elektroporation sowie das Vorhandensein vieler bekannter Selektionsmarker (sowohl Resistenzen als auch Auxotrophien können genutzt werden) lassen das System kaum komplizierter erscheinen als Escherichia coli. Gegenüber E. coli hat die Hefe allerdings den Vorteil, die für Eukaryoneten typischen posttranslationen Proteinmodifikationen wie die Einführung von Glykosylierungsmustern durchführen zu können. Für die Biotechnologie war wichtig, dass es sich um einen unbedenklichen, sogenannten GRAS-Organismus (GRAS, für engl. generally regarded as safe) handelt. Dies war durch die lange Erfahrung mit Saccharomyes in der Brot-, Bierund Weinherstellung sichergestellt. Die Nutzung für die Untersuchung von Protein-ProteinWechselwirkungen im Yeast-two-Hybrid-System wurde bereits besprochen. Abwandlungen zur Untersuchung von Protein-DNA-Wechselwirkungen (Yeast-one-HybridSystem) oder solchen Interaktionen, die über ein drittes Molekül vermittelt werden (Yeast-tri-Hybrid-System) wurden etabliert. Auch die Nutzung vieler Reportersysteme, darunter verschiedene fluoreszierende Proteine wie GFP zur Lokalisierung, sind für Hefen verfügbar. Diese Vorteile des Modellsystems können auch in der heterologen Expression von Genen aus anderen Pilzen genutzt werden. Die Shuttle-Vektoren für die Vermehrung in zwei Organismen haben Replikationsursprung und Selektionsmarker sowohl für die Hefe als auch für E. coli. Dadurch kann eine Klonierung im Bakterium und nachfolgend die Produktion eines Proteins in S. cerevisiae erfolgen. Eine Besonderheit macht die Hefe auch als Klonierungssystem geeignet. In Saccharomyces ist die homologe Rekombination vorherrschend. Es werden bereits 20–40 bp lange Sequenzen durch homologe Integration effizient an der richtigen Stelle eingebaut. Durch Transformation von mehreren PCR-Produkten sowie einen Klonierungsvektor durch Elektroporation ist es möglich, komplizierte Klonierungen in einem einzigen Schritt durchzuführen. Dabei müssen die Fragmente jeweils überlappende homologe Sequenzen tragen, die dann von der Zelle erkannt und zusammengefügt werden. Verschiedene Anteile des erwünschten Produkts können so mithilfe von PCR-Kassetten amplifiziert werden (▶ Abb. 3.28). So können die beiden flankierenden Regionen für eine Deletionskassette und der ebenfalls einzufügende Selektionsmarker als PCR-Produkte zusammen mit dem Vektor in die Hefe eingebracht werden. Die Hefezelle übernimmt den Zusammenbau, der durch die entsprechenden Überlappungen in den PCR-Primern zielgerichtet erfolgt.

3

Pilze zu deletierendes Gen

Primer

Primer

Primer

Primer

Selektionsmarker

PCR der Fragmente Transformation in S. cerevisiae (mit Vektor)

Abb. 3.28 Erstellen einer Deletionskassette zur in vivo-Klonierung in Saccharomyces cerevisiae. Die flankierenden Sequenzen des zu deletierenden Gens (blau) werden ebenso wie der Selektionsmarker (grün) durch PCR amplifiziert. Dabei werden Primer benutzt, die jeweils aus zwei Teilen bestehen. Ein Teil des Primers ist komplementär zur Sequenz des Zielgens, der andere Abschnitt (gelb, rot, schwarz) ist komplementär zur Sequenz, die fusioniert werden soll. Zusammen mit einem Vektor werden die Fragmente in S. cerevisiae eingebracht. Durch homologe Rekombination setzt die Hefe die Fragmente in der vorher festgelegten Reihenfolge zusammen. Der Vektor kann dann aus der Hefe isoliert und für eine heterologe Transformation in einem anderen Pilz genutzt werden, ohne dass eine langwierige Klonierung notwendig ist.

3.12.6 Die Innere Uhr: Zeitgeber bei Neurospora crassa Circadiane Rhythmen bestimmen den Tag-Nacht-Rhythmus beim Menschen ebenso wie die Sporenbildung bei Pilzen oder das Leben von Pflanzen und phototrophen Bakterien (Kap. 15.3). Der Ascomyceten-Schimmel Neurospora crassa bildet nach einem Inneren Zeitgeber ase-

xuelle Conidiosporen. Dabei ist Licht immer ein wichtiges Signal für die Zeitmessung, sowohl beim Pilz als auch beim Menschen. Wird eine Pilzkultur im Dauerdunkel gehalten, zeigt sich der Innere Zeitgeber, der eine ungefähre Tageslänge beibehält, auch ohne dass ein Lichtsignal das Nachstellen der Inneren Uhr erlaubt. Lässt man Neurospora in länglichen Röhrchen wachsen, führt das dazu, dass das Mycel mit konstanter Geschwindigkeit wächst, aber nur einmal in ca. 24 Stunden die Conidienbildung induziert wird. Dadurch entstehen Streifen orangeroter Conidiosporen, unterbrochen von undifferenzierten, unauffälligen Substrathyphen ohne Sporenbildung. In Neurospora konnten Gene identifiziert werden, deren Mutation zur Veränderung der subjektiven Tageslänge führen (▶ Abb. 3.29). Diese Gene wurden mit frq (engl. frequency) bezeichnet. Die Genprodukte werden im Tagesverlauf spezifisch gebildet und die Expression lässt sich mit Lichtimpulsen steuern. Das zeigt auf molekularer Ebene den Einfluss des Lichts auf die Innere Uhr. Weitere Gene codieren Kontrollfunktionen dieser spezifischen Genexpression und sind an der Lichtperzeption beteiligt. Dadurch ist es dem Pilz möglich, seine Innere Uhr durch Licht am frühen Morgen bzw. am späten Abend jeden Tag wieder genau zu stellen. Überträgt man dies auf den Menschen, so kann man nach einem Langstreckenflug durch einen Spaziergang am Morgen und einen am Abend (es ist mehr Licht erforderlich, als durch künstliche Beleuchtung erreicht werden kann) dem Jetlag entgegenwirken.

3.12.7 Die phytopathogenen Ascomyceten Ashbya und Claviceps Das auf lebende Pflanzen angewiesene, biotrophe Pathogen Claviceps purpurea ist der Erreger des Mutterkorns, das an Getreide und Wildgräsern leicht beobachtet werden kann. Die Infektion durch Ascosporen erfolgt über

a

Seitenansicht Inokulum

1 circadianer Zyklus Aufsicht 24 Stunden

b frq +

22 h

frq 2

19 h

frq 7

29 h

frq 9

104

Abb. 3.29 Conidienbildung bei Neurospora crassa. a Im Dauerdunkel wird die Conidienbildung durch die Innere Uhr reguliert, sodass Streifen von vegetativem Wachstum mit solchen abwechseln, die orangerote Conidiosporen tragen (schematisch). b Durch Mutationen kann dieser Innere Zeitgeber in der Tageslänge verstellt werden, sodass neben dem Wildtyp (wt) Kurztagmutanten (Allel frq2), Langtagmutanten (Allel frq7) oder unregulierte Coniosporenbildung (Allel frq9) auftreten. (Aufnahme J. Loros, Hanover, New Hampshire, USA)

3.12 Vielfalt pilzlicher Lebensformen die ungeschützte Narbe. Die Narbe muss in ihren Abwehrreaktionen weniger aktiv sein als andere Pflanzengewebe, da sie bei der Befruchtung mit Fremdem in Kontakt kommt. Von der Infektionsstelle aus wächst ein Keimschlauch – vergleichbar zum Pollenschlauch bei der Befruchtung – bis zu den Ovarien, der dann in die Leitbündel der Pflanze eindringt. Die Hyphen bilden im Fruchtknoten ein Sklerotium, das als schwarzes Gebilde, das „Mutterkorn“, aus den Spelzen der Ähre ragt. Die Sklerotien dienen der Überwinterung. Im Frühjahr keimen sie mit Fruchtkörpern aus, in deren Perithecien die Ascosporen entstehen. Die im Sklerotium eingelagerten Mutterkornalkaloide können – wie andere Mykotoxine – das Nervensystem schädigen. Auch der zu den Saccharomyceten gehörende, aber ausschließlich filamentös wachsende Pilz Ashbya gossypii ist ein Phytopathogen; er wurde von Baumwolle isoliert. Wie die Hefe Saccharomyces cerevisiae ist er leicht hand-

a

b

c

d

Abb. 3.30 Septenbildung bei Ashbya gossypii. Zunächst wird ein Ring des Proteins Cyk1p an der zukünftigen Septierungsstelle niedergelegt (a, b). An diesem Ring lagert sich dann Aktin an, das als strukturelle Grundlage für die Zellwandneubildung dient (Pfeile in c). An den Aktinringen lagert sich dann Chitin ein und die neuen Septen werden sichtbar (d). (Aufnahmen: Jürgen Wendland, Copenhagen)

habbar und daher als Modell für die Untersuchung molekularer Vorgänge gut geeignet, sodass man an diesem Pilz die Zellteilung bei filamentösen Ascomyceten untersucht hat. Die Zellteilung ist bei den Ascomyceten von der Kernteilung zeitlich und räumlich abgesetzt, sodass mehrkernige Hyphenkompartimente entstehen. Dazu muss die Information für die Lokalisierung der Septen in molekularer Form niedergelegt werden. An der Stelle, an der das Septum gebildet werden soll, wird die Bildung eines Aktinrings induziert. Dadurch kann dann Zellwandmaterial zwischen den beiden, sich zur Septenmitte hin zusammenziehenden Membranen eingelagert werden (▶ Abb. 3.30).

3.12.8 Eine Symbiose zwischen Zygomyceten und Bakterien Der Zygomycet Rhizopus oryzae ist der Erreger der Schwarzbeinigkeit von Reis. Da Reis in ein weltweit sehr bedeutendes Nahrungsmittel ist, ist dieser Pilz ein für die Ernährung der Weltbevölkerung bedeutendes Pathogen. Der Pilz Rhizopus gibt das Toxin Rhizotoxin ab, das die Pflanzenzellen abtötet. Bei der Suche nach den entsprechenden Genen für das Toxin konnten diese aber im Pilzgenom nicht nachgewiesen werden. Daraufhin wurden in Rhizopus intrazellulär lebende, parasitische Bakterien entdeckt, die in der Tat die entsprechenden Gene für die Polyketid-Synthase besitzen. Es handelt sich um eine neue Art der Gattung Burkholderia, B. rhizoctonia (Betaproteobacteria). Um zu prüfen, ob die Bakterien mit der Pilzinfektion in Zusammenhang stehen, applizierte man Antibiotika, wodurch die Bakterien im Pilz beseitigt wurden. Das bakterienfreie Pilzisolat war nicht mehr in der Lage, das Toxin zu bilden. Interessanterweise kann sich der Pilz aber auch nicht mehr durch asexuelle Sporen vermehren, die in Sporangien gebildet werden. Es war aber möglich, den Pilz wieder mit dem Bakterium zu infizieren, wodurch er wieder sowohl Toxin produzieren als auch Sporen bilden konnte. Allerdings können auch viele Pilze antibiotisch wirkende Sekundärmetabolite herstellen. Dabei stellen Polyketide sowie nicht ribosomal gebildete Peptide (S. 326) einen großen Anteil der Naturstoffe, die aus Pilzen gewonnen werden können. Bei Pilzen existieren auch hybride Synthesewege, in denen Anteile von Polyketid-Synthasen und nichtribosomalen Peptid-Synthetasen kombiniert sind, sodass eine Vielzahl an möglichen Verbindungen hergestellt werden kann. Aus den entsprechenden Genen kann durch Vergleich mit bekannten Kassetten von Polyketid-Synthasen bzw. nichtribosomalen Peptid-Synthetasen das Produkt – zumindest das erzeugte Zwischenprodukt, falls nachfolgend noch weitere Modifikationen vorgenommen werden – vorhergesagt werden. Beispiel für Polyketide sind die Aflatoxine. Das Enzym AflC aus Aspergillus flavus stellt aus einer C6-Fettsäure als Startereinheit und sieben C2-Verlängerungseinheiten das

5

Pilze Enzyme

Produkte OH O

OH O

HO

OH Norsolorinsäureanthron O

a

H O

H

O

O

O SAT

KS

Aspergillus flavus

AT

PT

ACP

TF

AflC aus Aspergillus flavus

OCH3 Aflatoxin B1

b

O N S S N CH 3 OH A Aspergillus fumigatus

PCP

C

A

PCP

C

O

PCP

GliP aus Aspergillus fumigatus

HO Gliotoxin

O

OH

N

HO H

c

KS

AT

DH

MT

KR

ACP

C

EqiS aus Fusarium heterosporum

A

PCP

C

O

H Equisetin

Abb. 3.31 Sekundärmetabolite von Pilzen. Polyketide sowie kleine, nichtribosomal hergestellte Peptide bilden wichtige pilzliche Sekundärmetabolite. Bei Pilzen sind neben den reinen Polyketid-Synthasen (hier als Bespiel AflC aus Aspergillus flavus, a) und nichtribosomalen Peptid-Synthetasen (hier GliP aus A. fumigatus, b) auch kombinierte Synthesen durch zusammengesetzte Hybride aus beiden Enzymen möglich (hier EqiS aus Fusarium heterosporum, c). Weitere Erklärungen siehe Text. PKS, Polyketid-Synthase; NRPS, nichtribosomale Peptid-Synthetase; A, Adenylierungsdomäne; ACP, Acyl-Carrier-Protein; AT, Acyltransferase; C, Kondensationsdomäne; DH, Dehydratase; KR, Ketoreduktase; KS, Ketosynthase; MT, Methyltransferase; PCP, Peptidyl-Carrier-Protein; PT, product template; R, Reduktase; SAT, Startereinheit-ACP-Transacylase; TE, Thioesterase. (Aufnahmen Dirk Hoffmeister, Jena)

Norsolorinsäureanthron her. Dieses wird durch weitere Enzyme zu den Aflatoxinen umgebaut (▶ Abb. 3.31a). Gliotoxin wird beispielsweise in Aspergillus fumigatus durch die nichtribosomale Peptid-Synthetase GliP gebildet. Durch eine Zyklisierung ist es schwer abbaubar (▶ Abb. 3.31b). In Pilzen existieren auch hybride Strukturen aus Polyketid- und Peptideinheiten. Ein solches Hybridenzym ist EqiS. Es katalysiert in Fusarium heterosporum die Biosynthese von Equisetin (▶ Abb. 3.31c).

106

3.12.9 Oomyceten: pflanzen- und tierpathogene Vertreter Die Oomyceten sind mit Algen verwandt und keine Pilze. Allerdings bilden sie Hyphen und Mycelien. Sie besitzen Zellwände aus Cellulose und Glucan und bilden ein vielkerniges, unseptiertes Mycel, an dem asexuell biflagellate Zoosporen entstehen. Diese benötigen Wasser zur Fortbewegung und infizieren Pflanzen durch ihre Spaltöffnungen. Nach der Kreuzung entwickeln sich am diploiden Thallus sexuell gebildete Oosporen. Die Kraut- und Knollenfäule der Kartoffel (Phytophthora infestans) trat in Europa ca. 50 Jahre nach Einführung der Kartoffel auf und führte insbesondere in den

3.12 Vielfalt pilzlicher Lebensformen

sekundäre Zoospore primäre Zoosporen

4

5

3 6 Oogonium 2

Antheridium

7

8 10 9

Abb. 3.32 Lebenszyklus von Saprolegnia. Oomyceten wie Saprolegnia sp. bilden an vielkernigen vegetativen Hyphen (①) die Zoosporangien (②), aus denen mitotische Zoosporen (③) schlüpfen. Diese können sich einkapseln (④) und erneut als Zoospore keimen (⑤, ⑥). Erst nach einer zweiten Encystierung (⑦) keimen sie mit einem Keimschlauch (⑧), der wieder zum vegetativen Mycel auswächst. Im sexuellen Zyklus bilden sich auf den vielkernigen Mycelien Oogonien mit einkernigen Eizellen, die von jeweils einem Kern aus einem vielkernigen Antheridium eines Kreuzungspartners (⑨, ⑩ im Querschnitt) befruchtet werden. Es erfolgt eine Meiose, aus der haploide Oosporen hervorgehen, die wiederum zum haploiden, vegetativen Mycel auskeimen (⑪).

11

1 Mycel

feuchten Jahren 1845/46 zu großen Hungersnöten in Irland. Nachdem zunächst nur ein Kreuzungstyp in Europa anzutreffen war und nur asexuelle Ausbreitung erfolgen konnte, ist seit einiger Zeit auch hier der zweite Kreuzungstyp vorhanden, sodass nun auch wieder sexuelle Vermehrung und damit auch eine schnellere Ausbreitung von Resistenzen gegen Pflanzenschutzmittel beobachtet wird. Der wichtigste Schadorganismus im Weinbau, der Falsche Mehltau (Plasmopara viticola, häufig Peronospora genannt), ist ebenfalls ein Oomycet. Ein anderer Oomycet, der allerdings Tiere befällt, ist der Wasserschimmel Saprolegnia. Diese Pilzgattung tritt bei Aquarienfischen als weißer Belag auf (hoffentlich schon toten) Tieren auf (▶ Abb. 3.32). Die Oogonien und Zoosporangien sind mikroskopisch sehr gut zu erkennen. Die Organismen bilden zunächst zwei aufeinanderfolgende haploide Schwärmerstadien, bevor ein Mycel ausgebildet wird. Dieses ist homothallisch und bildet weibliche (Oogonien) und männliche (Antheridien) Strukturen. Aus den Antheridien wachsen Befruchtungsschläuche, durch die ein Kern in die Oosphäre wandert und mit dem dortigen Kern verschmilzt. Es folgt die Meiose, in der wieder haploide Kerne entstehen, die wiederum auskeimen können.

3.12.10 Mycetozoa: cAMP als Lockstoff Eine weitere Gruppe, die pilzförmige Fruchtkörper bildet, aber nicht zu den Pilzen zu zählen ist, sind die Myxomyceten. Diese Gruppe gehört zu den Protisten und umfasst die zellulären Acrasiomyceten wie Dictyostelium und die syncytialen Schleimpilze. Die Myxomyceten werden mit den phytopathogen Plasmodiophorales auch als Mycetozoa zusammengefasst. Die vegetativen Vermehrungsformen der Mycetozoa können sich wie Amöben durch Ausstülpen von Pseudopodien fortbewegen und Nahrung durch Umfließen und Endocytose aufnehmen. Diese Hinweise deuten auf eine Verwandtschaft zu Protisten hin. Zelluläre Acrasiomyceten leben als einzelne Amöben und können so auch in Kultur genommen werden. Sind die Nahrungsressourcen verbraucht, wird ein Entwicklungsweg induziert, der zunächst zur Abgabe eines Lockstoffs durch hungernde Zellen führt. Bei Dictyostelium discoideum handelt es sich hierbei um cAMP. Dieser Lockstoff veranlasst umliegende Zellen dazu, sich zueinander zu bewegen, um anschließend als Aggregat so lange umherzuwandern, bis eine exponierte Stelle zur Fruchtkörperbildung gefunden ist. Dort werden einige Zellen zum Stiel, andere sondern das Stützgewebe des Huts ab, in dem sich wieder andere Zellen als Sporen encystieren und so eine Hungerperiode überleben können (▶ Abb. 3.33).

7

Pilze

Sporenkeimung

Abb. 3.33 Entwicklung der Mycetomyceten. Die Fruchtkörper der zellulären Acrasiomyceten, hier Dictyostelium discoideum, werden aus vielen Einzelzellen gebildet, die auf ein Signal hin zusammenkriechen, um sich schließlich gemeinsam an einem geeigneten Ort festzusetzen und einen Fruchtkörper auszudifferenzieren.

Culmination

Amöbe

Fruchtkörper

Migrationsphase

Vermehrungsphase

Pseudoplasmodium

Aggregation

Zusammenfassung ●





108

Pilze stabilisieren terrestrische Ökosysteme und sind wichtig für die Landwirtschaft. Aber auch pathogene Pilze auf Pflanzen und bei Tier und Mensch spielen eine große Rolle. Eine Reihe leicht zu kultivierender Pilze dienen als Modellsysteme für Zellbiologie und Molekularbiologie der Eukaryonten. Die pilzliche Zelle zeigt den typischen Aufbau einer eukaryontischen Zelle. Sie enthält Organellen und wird von einer Zellwand umgeben. Der Zellkern beherbergt die Chromosomen. Die Kernhülle selbst ist doppelt angelegt und hat eine Verbindung zum endoplasmatischen Retikulum, den Lysosomen, Peroxisomen, Vakuolen und Mitochondrien. Pilze können sich als knospende Hefe, aber insbesondere auch durch an der Spitze wachsende Hyphen und verzweigte Mycelien vermehren. Die Zellen sind durch Poren in den Septen verbunden. Die Phylogenie der Pilze unterscheidet die Dikarya (mit den Basidiomyceten und Ascomyceten), die Zygomyceten (mit Entomophtoromyceten, Glomeromyceten sowie Mucormyceten) und die Chytridien, die Blastocladiomyceten, Neocallimastigomyceten und Chytridiomyceten zusammenfassen. Mycelbildende Oomyceten sind mit den Algen verwandt; bei den verschiedenen Schleimpilzen (Myxomyceten) handelt es sich um Protisten.







M ●

Pilze können sich sexuell und asexuell vermehren. In der asexuellen Vermehrung spielen Conidiosporen insbesondere bei Schimmelpilzen oder Phytopathogenen eine große Rolle. Bei Pilzen, die nicht zur Selbstbefruchtung fähig sind, muss der sexuellen Entwicklung eine Kreuzung von zwei Pilzen mit unterschiedlichen Kreuzungstypen vorausgehen. Das primäre, haploide Mycel, das sich aus der gekeimten Spore entwickelt, enthält in jeder Zelle einen einzelnen Kern. Es wird daher auch als Monokaryon bezeichnet. Durch Kreuzung entsteht ein Heterokaryon, das Kerne beider Elternstämme trägt. In den Fruchtkörpern erfolgt die Kernverschmelzung der unterschiedlichen Kerne zum diploiden Stadium; durch Meiose entstehen wieder haploide Sporen. Die Ernährung der Pilze ist chemoorganotroph und meist saprophytisch. Viele saprophytische Pilze leben im Bereich der Pflanzenwurzeln und sind somit der Rhizosphäre zuzuordnen. Der vollständige Abbau von Lignin erfolgt in der Natur durch Pilze. Weißfäulepilze zersetzen das Lignin vollständig. Bei der Braunfäule wird dagegen nicht das Lignin, sondern der Cellulose- und Hemicelluloseanteil des Holzes zuerst zersetzt. Dadurch bleibt das modifizierte, braune Lignin zurück.

3.12 Vielfalt pilzlicher Lebensformen











Phytopathogene Pilze infizieren ihre Wirtspflanze enzymatisch und/oder durch physikalischen Druck mithilfe spezialisierter Strukturen, der Appressorien. Nach der Penetration kann sich der Pilz im Pflanzengewebe des Wirts etablieren. Obligat biotrophe Pathogene ernähren sich mithilfe der Haustorien von der lebenden Wirtszelle. Nekrotrophe Pathogene ernähren sich dagegen von abgestorbenen Pflanzenzellen. Sie bilden dazu Toxine. Pflanzen schützen sich gegen pathogene Pilze durch präformierte Abwehrsubstanzen, eine Vielzahl strukturell unterschiedlicher antibakterieller und antifungaler Verbindungen. Im Laufe der Coevolution haben einige Pilze Mechanismen entwickelt, um diese Pflanzenabwehr zu deaktivieren. Die Erkennung eines Pathogens durch die Pflanze führt zu einer inkompatiblen Interaktion, wenn Signalmoleküle des Pathogens, die Elicitoren, durch Produkte der pflanzlichen Resistenzgene, Rezeptoren, erkannt werden. Durch die Elicitorerkennung wird die postinfektionelle Abwehr der Pflanze induziert. Die mutualistische Symbiose der Mykorrhizapilze ist von großer Bedeutung für die Land- und Forstwirtschaft. Je nachdem, ob der Pilz dabei in die Zellen der Wirtspflanze eindringt oder im Gewebe zwischen den Pflanzenzellen wächst, unterscheidet man Endomykorrhiza und Ektomykorrhiza. Interaktionen zwischen Pflanzen und Pilzen müssen nicht zu sichtbaren Symptomen führen. Eine solche kommensale Interaktion ist das endophytische Wachstum. Nicht nur Pflanzen, sondern auch andere Pilze (Mykoparasitismus), Tiere (Tierpathogene) und der Mensch (Humanpathogene) können durch pathogene Pilze befallen werden. Eine Mykose ist dabei durch ein aktives Eindringen des Pilzes in das Wirtsgewebe gekennzeichnet. Mykotoxikosen werden dagegen von Mykotoxinen hervorgerufen. Daneben gibt es noch mykogene Allergien, die insbesondere durch Conidien der Pilze ausgelöst werden. Entomopathogene Pilze sind in der Lage, Insekten anzugreifen und werden daher für die biologische Schädlingsbekämpfung eingesetzt. In der Molekularbiologie ist die Transformation von Organismen mit fremden Genen wichtig. Dabei werden die eingebrachten Gensequenzen in filamentösen Pilzen meist ektopisch, also an nicht homologen Stellen im Genom, integriert. Die homologe Rekombination ist oft nur mit geringer Effizienz zu erreichen.











Da Pilze eine ausgeprägte Haplophase besitzen, sind sie besonders gut für genetische Analysen geeignet, denn rezessivie Mutationen werden direkt sichtbar. Die Pilzgenetik bedient sich der achtsporigen Asci, um mithilfe der Ascusanalyse Aussagen über Rekombinationsereignisse zu liefern, die auch in anderen Eukaryonten gültig sind. Als besonders gut handhabbares System zur Expression von Fremdgenen haben sich die einzelligen Hefen bewährt, die als eukaryontische Modellsysteme auch in der Biotechnologie weite Verbreitung gefunden haben. Bei der Bäckerhefe können Plasmide als frei replizierende Vektoren eingesetzt werden, Neben solch frei replizierenden Plasmiden sind aber auch Integrationsvektoren gebräuchlich. Die Methoden der modernen Genomforschung erlauben heute auch das molekularbiologische Arbeiten mit schwer handhabbaren, häufig langsam wachsenden Pilzen. Genomsequenzen können aus Reinkulturen und auch direkt aus Fruchtkörpern oder Flechten ermittelt werden. Transkriptomanalysen geben Aufschluss über die zu einem bestimmten Zeitpunkt exprimierten Gene. Bei Untersuchungen des Proteoms werden auch Proteinmodifikationen wie Phosphorylierung oder Glykosylierung erkannt. Die Analyse des Metaboloms gibt Hinweise auf die Stoffwechselprodukte in einer Zelle. Für eine Expression klonierter Sequenzen müssen pilzliche Promotoren vorhanden sein. Für die Zellbiologie hat sich die Verwendung eines Reportergens durchgesetzt, das eine Lokalisierung des Genprodukts in der Zelle erlaubt. Auch Protein-Protein-Wechselwirkungen lassen sich so nachweisen, wenn nur durch räumliche Nähe zweier Proteine ein vollständiges fluoreszierendes Protein entstehen kann. Die Herstellung von Brot und Wein erfolgt noch immer mit der Hefe Saccharomyces cerevisiae. Auch Speisepilze werden gezielt produziert. Ein Stoffwechselprodukt von Pilzen, das biotechnologisch hergestellt wird, ist die in der Lebensmittelindustrie wichtige Zitronensäure. Heute werden die Produktionsstämme durch Mutagenese und Selektion verbessert oder durch gentechnische Veränderungen im Metabolic Engineering gezielt konstruiert.

Literatur zum Weiterlesen unter: www.thieme.de/literatur-fuchs

9

© Sebastian Kaulitzki – Fotolia

Kapitel 4 Viren

4.1

Überblick

112

4.2

Vorkommen und Entdeckung

112

4.3

Der technische Umgang mit Viren

115

4.4

Entwicklung

116

4.5

Aufbau

121

4.6

Mechanismen der Verbreitung

123

4.7

Klassifizierung der Viren

124

4.8

Beispiele

124

4.9

Viroide

138

Viren

4 Viren Börries Kemper

4.1 Überblick

die Krankheitserreger von Mikroorganismen, die mit den Fressfeinden zusammen die Ausbreitung von Mikroorganismen begrenzen. In der Biotechnologie spielen virale Enzyme und Viren als Vektoren eine große Rolle. Viren tragen entscheidend zum horizontalen Gentransfer und damit zur Evolution bei. Schließlich wurden wesentliche Erkenntnisse der Molekularbiologie an Viren erarbeitet.

Viren sind sehr kleine infektiöse Partikel mit Durchmessern von 20–300 nm. Sie bestehen lediglich aus einem Genom, das durch Proteinhüllen, manchmal zusätzlich durch Lipidmembranen, gegen die Außenwelt geschützt ist. Der Begriff Virus (das Virus) stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Gift. Bis Ende des 19. Jahrhunderts bezeichnete man alle durch Flüssigkeit übertragbaren Krankheitserreger als Virus. Erst nach der Entdeckung durch den russischen Botaniker Dimitri Iossifowitsch Iwanowski, dass die Mosaikerkrankung des Tabaks durch ein ultrafiltrierbares, selbst die kleinsten Poren bakteriendichter Keramikfilter passierendes Agens ausgelöst wird, begann man, zwischen Bakterien und den eigentlichen Viren zu unterscheiden. Die Ultrafiltrierbarkeit gehört heute noch mit zur Definition eines jeden Virus. Die eigentliche Entdeckung von Viren geht auf die Zeit der Wende zum 20. Jahrhundert zurück. In freier Form sind Viren nicht lebendig. Sie sind jedoch biologisch aktiv und können sich in stoffwechselaktiven Wirtszellen vermehren. Viren wurden daher treffend als „obligatorische Parasiten auf molekularem Niveau“ (S. Luria) beschrieben. Während die Zellen sich durch Zunahme von Masse und anschließender Teilung vermehren, vermehren sich die Viren lediglich durch Kopieren ihrer Genome und deren Verpackung in neue Hüllen im Inneren der Zellen. Jedes Virus steuert hierzu sein eigenes, auf die Verhältnisse der Wirtszelle zugeschnittenes Entwicklungsprogramm bei und vermehrt sich dort unter Einbeziehung der Zellressourcen mit ungewöhnlich hoher Geschwindigkeit. Viren haben für die Biologie vielfache Bedeutung; deshalb sind Grundkenntnisse über ihre Biologie unverzichtbar. Viren sind heutzutage die bedeutendsten Krankheitserreger von Mensch, Tieren und Pflanzen. Sie sind auch

4.2 Vorkommen und Entdeckung Viren treten in allen Bereichen des Lebens auf und sie befallen die Zellen von Prokaryonten und Eukaryonten gleichermaßen. Phagen und Viren sind ubiquitär verbreitet. Sie machen einen erheblichen Anteil der Biomasse auf der Erde aus. Man schätzt die Anzahl von Bakterien in den Weltmeeren, in den Süßgewässern und in der Erde auf etwa 5 × 1032, die Anzahl der Viren auf 1030–1032. In einem Milliliter Meereswasser findet man bis zu 107 Phagenpartikel. Viren sind heutzutage die Krankheitserreger Nummer 1 (▶ Tab. 4.1). Die Entdeckung der Viren geht auf Dimitri Iossifowitsch Iwanowski (1864–1920) zurück (▶ Abb. 4.1, Plus 4.1). Den Viren der Prokaryonten, den Bakteriophagen („Bakterienfresser“, abgekürzt Phagen) kommt eine besondere Bedeutung zu. Sie wurden 1915 zuerst von Frederick Twort (1877–1950, ▶ Abb. 4.2) und dann 1917 von Felix D’Herelle (1873–1949, ▶ Abb. 4.3) unabhängig voneinander entdeckt und beschrieben. Ihre sehr einfache Handhabung und die vermeintliche Simplizität ihres Lebenszyklus machte sie später für Max Delbrück (1906–1981), Salvador Luria (1912–1991), Alfred Hershey (1908– 1987) und die sich um diese Forscher scharende „Phagengruppe“ zu den wichtigsten Untersuchungsobjekten auf

Tab. 4.1 Beispiele wichtiger Viren des Menschen, Pflanzen und Tieren einschließlich der von ihnen bedingten Krankheiten.

112

Virus

Genom

Wird

Krankheit

Influenzavirus

ssRNA

Mensch

Grippe

Humanes Immunschwächevirus (HIV)

ssRNA

Mensch

AIDS

Humanes Papillomavirus (HPV)

dsDNA

Mensch

Warzen, Gebärmutterhalskrebs

Rabiesvirus

ssRNA

Tier

Tollwut

Maul-und-Klauen-Seuche-Virus (MDV)

ssRNA

Tier

Maul-und-Klauen-Seuche

Baculovirus (BV)

dsDNA

Tier/Insekten

lethal

Tabakmosaikvirus (TMV)

ssRNA

Pflanze/Tabak

Tabakmosaikkrankheit; Nekrosen

Cauliflowermosaikvirus (CaMV)

dsDNA

Pflanze/Blumenkohl

Nekrosen der Blätter

Kartoffelspindelviroid

ssRNA

Pflanze/Kartoffel

Spindelknollensucht

Viren

4 Viren Börries Kemper

4.1 Überblick

die Krankheitserreger von Mikroorganismen, die mit den Fressfeinden zusammen die Ausbreitung von Mikroorganismen begrenzen. In der Biotechnologie spielen virale Enzyme und Viren als Vektoren eine große Rolle. Viren tragen entscheidend zum horizontalen Gentransfer und damit zur Evolution bei. Schließlich wurden wesentliche Erkenntnisse der Molekularbiologie an Viren erarbeitet.

Viren sind sehr kleine infektiöse Partikel mit Durchmessern von 20–300 nm. Sie bestehen lediglich aus einem Genom, das durch Proteinhüllen, manchmal zusätzlich durch Lipidmembranen, gegen die Außenwelt geschützt ist. Der Begriff Virus (das Virus) stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Gift. Bis Ende des 19. Jahrhunderts bezeichnete man alle durch Flüssigkeit übertragbaren Krankheitserreger als Virus. Erst nach der Entdeckung durch den russischen Botaniker Dimitri Iossifowitsch Iwanowski, dass die Mosaikerkrankung des Tabaks durch ein ultrafiltrierbares, selbst die kleinsten Poren bakteriendichter Keramikfilter passierendes Agens ausgelöst wird, begann man, zwischen Bakterien und den eigentlichen Viren zu unterscheiden. Die Ultrafiltrierbarkeit gehört heute noch mit zur Definition eines jeden Virus. Die eigentliche Entdeckung von Viren geht auf die Zeit der Wende zum 20. Jahrhundert zurück. In freier Form sind Viren nicht lebendig. Sie sind jedoch biologisch aktiv und können sich in stoffwechselaktiven Wirtszellen vermehren. Viren wurden daher treffend als „obligatorische Parasiten auf molekularem Niveau“ (S. Luria) beschrieben. Während die Zellen sich durch Zunahme von Masse und anschließender Teilung vermehren, vermehren sich die Viren lediglich durch Kopieren ihrer Genome und deren Verpackung in neue Hüllen im Inneren der Zellen. Jedes Virus steuert hierzu sein eigenes, auf die Verhältnisse der Wirtszelle zugeschnittenes Entwicklungsprogramm bei und vermehrt sich dort unter Einbeziehung der Zellressourcen mit ungewöhnlich hoher Geschwindigkeit. Viren haben für die Biologie vielfache Bedeutung; deshalb sind Grundkenntnisse über ihre Biologie unverzichtbar. Viren sind heutzutage die bedeutendsten Krankheitserreger von Mensch, Tieren und Pflanzen. Sie sind auch

4.2 Vorkommen und Entdeckung Viren treten in allen Bereichen des Lebens auf und sie befallen die Zellen von Prokaryonten und Eukaryonten gleichermaßen. Phagen und Viren sind ubiquitär verbreitet. Sie machen einen erheblichen Anteil der Biomasse auf der Erde aus. Man schätzt die Anzahl von Bakterien in den Weltmeeren, in den Süßgewässern und in der Erde auf etwa 5 × 1032, die Anzahl der Viren auf 1030–1032. In einem Milliliter Meereswasser findet man bis zu 107 Phagenpartikel. Viren sind heutzutage die Krankheitserreger Nummer 1 (▶ Tab. 4.1). Die Entdeckung der Viren geht auf Dimitri Iossifowitsch Iwanowski (1864–1920) zurück (▶ Abb. 4.1, Plus 4.1). Den Viren der Prokaryonten, den Bakteriophagen („Bakterienfresser“, abgekürzt Phagen) kommt eine besondere Bedeutung zu. Sie wurden 1915 zuerst von Frederick Twort (1877–1950, ▶ Abb. 4.2) und dann 1917 von Felix D’Herelle (1873–1949, ▶ Abb. 4.3) unabhängig voneinander entdeckt und beschrieben. Ihre sehr einfache Handhabung und die vermeintliche Simplizität ihres Lebenszyklus machte sie später für Max Delbrück (1906–1981), Salvador Luria (1912–1991), Alfred Hershey (1908– 1987) und die sich um diese Forscher scharende „Phagengruppe“ zu den wichtigsten Untersuchungsobjekten auf

Tab. 4.1 Beispiele wichtiger Viren des Menschen, Pflanzen und Tieren einschließlich der von ihnen bedingten Krankheiten.

112

Virus

Genom

Wird

Krankheit

Influenzavirus

ssRNA

Mensch

Grippe

Humanes Immunschwächevirus (HIV)

ssRNA

Mensch

AIDS

Humanes Papillomavirus (HPV)

dsDNA

Mensch

Warzen, Gebärmutterhalskrebs

Rabiesvirus

ssRNA

Tier

Tollwut

Maul-und-Klauen-Seuche-Virus (MDV)

ssRNA

Tier

Maul-und-Klauen-Seuche

Baculovirus (BV)

dsDNA

Tier/Insekten

lethal

Tabakmosaikvirus (TMV)

ssRNA

Pflanze/Tabak

Tabakmosaikkrankheit; Nekrosen

Cauliflowermosaikvirus (CaMV)

dsDNA

Pflanze/Blumenkohl

Nekrosen der Blätter

Kartoffelspindelviroid

ssRNA

Pflanze/Kartoffel

Spindelknollensucht

4.2 Vorkommen und Entdeckung

Plus 4.1 Entdeckung der Viren

Abb. 4.1 Dimitri Iwanowski (1864–1920). (copyright science photo library)

Abb. 4.2 Frederick Twort (1877–1950). (copyright science photo library)

Abb. 4.3 Felix d’Herelle (1873–1949). (copyright science photo library)

●V

Die Entdeckung der Viren lässt sich bereits auf 1000 v. Chr. zurückdatieren. Aus dem damaligen China wird von einer Praxis berichtet, die man heute als Impfung gegen Pocken beschreiben könnte. Dabei immunisierten chinesische Ärzte Patienten, indem sie getrockneten Pockenschorf von Überlebenden der Seuche inhalieren ließen oder mithilfe von Ritzungen an den Unterarmen in den Körper einbrachten. Nach Iwanowskis erster Beschreibung der Ultrafiltrierbarkeit pflanzlicher Tabakmosaikviren griff Martinus Beijerinck 1898 die Beobachtungen wieder auf; er führte diese Studien fort und war der Erste, der die Idee der Viren konsequent anwandte. Er beschrieb die Viren als „contagium vivum fluidum“ („lebende lösliche Krankheitserreger“). Friedrich Loeffler und Paul Frosch entdeckten 1898 dann in Greifswald das erste animalische Virus der Maul-und-Klauen-Seuche und zwei Jahre später konnte Walter Reed zeigen, dass Gelbfieber von einem durch Mücken übertragbaren Virus ausgelöst wird. Aus den an die Phagen gestellten, zunächst sehr speziellen Fragen, entstanden in rascher Folge Ergebnisse, die das Denken in der Biologie und Medizin revolutionierten. Es begann ein bis heute anhaltender Siegeszug der molekularen Biologie, dessen Folgen immer noch nicht abzusehen sind. Zahlreiche, aus dem Studium der Phagen gewonnene Erkenntnisse konnten anschließend auf die Viren der Eukaryonten übertragen werden. Als schließlich die Techniken der Zellkultur ausgearbeitet waren und einem breiteren Kreis von Forschern zur Verfügung standen, konnten auch bei den krankheitserregenden Viren rasche Fortschritte im Verständnis ihrer Angriffsstrategien erzielt werden. Da Bakteriophagen gezielt und sehr spezifisch Bakterien abtöten, sind sie als Pathogene für Bakterien zu betrachten. Die mit der lytischen Vermehrung von Bakteriophagen unwiderruflich einhergehende Zerstörung der Bakterienzellen machte sie schon bei ihrer Entdeckung zu hoch interessanten Kandidaten im Kampf gegen bakterielle Infektionen. D’Herelle selbst schuf unter dem Begriff „Phagentherapie“ die Voraussetzungen für phagenbasierte Therapien bei bakteriellen Infektionen. Durch die Entdeckung des Penicillins durch Alexander Fleming (1928) verschwanden die vielversprechenden Ansätze jedoch wieder aus dem Blick der Öffentlichkeit. Heute, in Zeiten rapider Zunahme multipler Antibiotikaresistenzen, gerade auch bei Krankenhauskeimen, könnte die Phagentherapie wieder an Bedeutung gewinnen (Plus 4.2).

ihrer Suche nach dem „Atom der Biologen“, dem Gen. Für ihre grundlegenden Untersuchungen an den Bakteriophagen erhielten Delbrück, Luria und Hershey 1969 den Nobelpreis.

3

Viren

Plus 4.2 Phagentherapie Die augenfällige Zerstörung von Bakterien durch Phagen (nachweisbar durch Plaquebildung in einem Bakterienrasen) brachte D’Herelle schon 1921 auf die Idee, Phagen als antibakterielles Agens zu nutzen. Auf ihn geht der Begriff der Phagentherapie zurück. Zusammen mit George Eliava arbeiteten beide gemeinsam von 1933–1937 intensiv am Institut für Bakteriologie in Tiflis (Georgien). Er verließ es, nachdem Eliava einer Säuberungsaktion Stalins zum Opfer gefallen war. Die Entdeckung des Penicillins 1928 durch Alexander Fleming mit dem weltweit einsetzenden Siegeszug der Antibiotika tat ein Übriges, das Interesse an der Phagentherapie zum Erliegen zu bringen. Vor dem Hintergrund einer weltweit rapiden Zunahme multipler Antibiotikaresistenzen bekommt die Phagentherapie nun neuen Auftrieb. In der Phagentherapie lassen sich methodisch zwei grundsätzlich verschieden Ansätze unterscheiden: 1. Einsatz vollständiger virulenter („lebender“) Phagen 2. Einsatz gereinigter, lyseaktiver Komponenten virulenter Phagen. Phagentherapie mittels virulenter Phagen Die Anzahl natürlich vorkommender Phagen wird auf ca. 1031 geschätzt. Bakterien ohne „passende“ Phagen gibt es vermutlich nicht. Vielmehr ist es realistisch anzunehmen, dass zu jedem pathogenen Bakterium mindestens ein Phage existiert, wahrscheinlich erheblich mehr. In der Regel sind Phagen hoch spezifisch für ihre Wirte und befallen nur bestimmte Spezies oder gar Subspezies. Das liegt an der sehr langen Evolution der Proteine ihrer Kontaktorgane (den Schwanzfasern) im Zusammenspiel mit den Andockproteinen auf der Bakterienoberfläche. Um Phagen gegen einen bestimmten Krankheitskeim zu finden, muss der Keim zunächst isoliert und dann im Labor kultiviert werden. Dann erst lässt sich empirisch ein passender Phage (z. B. aus Abwasser) isolieren, erkennbar an ihren Plaques auf einem Rasen dieses Bakteriums. Alternativ hilft eine genaue Beschreibung dieser Keime (Diagnostik), um in einer Phagenbank nach einem bereits bekannten Phagen zu suchen. Die identifizierten Phagen werden anschließend isoliert, durch Lebendkultur im Labor angereichert und unter sterilen Bedingungen zu gereinigten Lysaten verarbeitet. Diese Lysate halten sich unter sterilen Bedingungen „ewig“, ein Umstand, der das Anlegen einer Phagenbank geradezu herausfordert. Die hohe Selektivität der Phagen für ihre Wirtszellen macht sie für andere Zellen (Darmflora, körpereigene Zellen), im Gegensatz zu Antibiotika, ungefährlich. Ein grundsätzliches Problem jeder Phagentherapie besteht darin, dass die Phagen aktiv („lebend“) in direkten Kontakt mit den abzutötenden Bakterien gebracht werden müssen. Bei äußerlich zugänglichen Infektionsherden stellt

114

●V dies in der Regel kein Problem dar. Auch Anwendungen in offenen Operationsbereichen sind denkbar. Innere Infektionsherde sind dagegen peroral weitaus schlechter zu erreichen und die intravenöse Gabe ist wegen der Immunabwehr kritisch. Weiter ist zu berücksichtigen, dass Bakterien häufig schädliche Toxine (z. B. Lipopolysaccharide der Zellwand) enthalten. Dieser Gefahr könnte jedoch durch Gewinnung lysedefekter Phagenmutanten begegnet werden, die Bakterienzellen zwar abtöten, aber nicht mehr lysieren. Dem Auftreten von Resistenzmutationen in der Bakterienpopulation könnten Phagen mit sogenannten HostRange-Mutationen (S. 117) begegnen, die diese Resistenzen umgehen. Bei der Phagentherapie gilt es jedoch auch, Vorsicht walten zu lassen: Die pathogene Wirkung von Phagen auf Bakterien wird dann eingeschränkt, wenn der Phage Gene für Toxine in seinem Genom trägt (Phage β das Diphtherietoxin oder der mit dem λ-Phagen verwandte XPhage das Choleratoxin), die erst in infizierten Bakterienzellen produziert und wirksam werden. Phagentherapie mittels isolierter Komponenten Statt eine Phagentherapie mit intakten Phagen durchzuführen, kann das Ziel des Zerstörens pathogener Bakterien auch durch isolierte, vom Phagen (in vivo) selbst eingesetzte Werkzeuge erreicht werden. Die Auflösung (Lyse) der bakteriellen Zellwand am Ende des Infektionszyklus des Phagen wird durch nacheinander wirkende Proteine zweier Proteinklassen bewerkstelligt: einem Holin und einem Endolysin. Endolysine spalten die verschiedenen Bindungstypen des Peptidoglykans: Glykosid-, Amid- und Peptidbindungen. Holine sind kleine, phagencodierte Membranproteine, die im späten Infektionszyklus nach Erreichen einer kritischen Konzentration schlagartig die Permeabilität der Cytoplasmamembran erhöhen. Dadurch wird der Weg für das Lysozym und andere Endolysine frei, welche verschiedene Bindungen im Peptidoglykangerüst der Zellwand (▶ Abb. 5.9), angreifen. Die bakterielle Zellwand und ihre Synthese werden in den Kapiteln 5.5 und Kap. 9.11.1 besprochen. Es ist tatsächlich gelungen, Bakterien mit den unter den in vivo herrschenden Bedingungen nur von Innen wirkenden Holinen, Lysozymen oder einer Mischung aus beiden, zu zerstören. Die Wirkung des Lysozyms tritt so rasch ein, dass die Immunantwort zu langsam ist und eine Inaktivierung des therapeutischen Agens daher keine Rolle spielt. Die Phagentherapie bietet sich in der Humanmedizin als Alternative für zahlreiche Behandlungen mit Antibiotika an. Darüber hinaus gibt es vielversprechende Anwendungen in der Lebensmittelindustrie, z. B. die Bekämpfung von Listerien bei der Herstellung von Milchprodukten.

4.3 Der technische Umgang mit Viren

4.3 Der technische Umgang mit Viren Einer der Gründe, warum Phagen mit zu den am besten untersuchten „Organismen“ in der Molekularbiologie gehören, liegt an dem unkomplizierten Umgang mit ihnen und ihren Wirten, den Bakterien, im Labor. Bakterien lassen jederzeit unter kontrollierten Bedingungen auf Agarplatten oder in Flüssigkulturen mit Phagen infizieren (▶ Abb. 4.4). Werden infizierte Zellen mit einem Überschuss an nichtinfizierten Zellen in Weichagar auf Agar ausplattiert, so entstehen nach Inkubation für ein paar Stunden bei 37 °C klare Flecken (Plaques) im umgebenden Bakterienrasen. Diese Plaques bilden sich durch wiederholte Zyklen aus Infektion einer Bakterienzelle durch einen Phagen, Synthese neuer Phagenpartikel, deren Freisetzung durch Lyse der Bakterienzelle und erneuter Infektion von benachbarten Zellen. Die Viskosität des Agars verlangsamt die Diffusion der freigesetzten Phagen vom Ort ihrer Entstehung. Wenn man diese Methode unter kontrollierten Bedingungen durchführt, kann man deutliche Unterschiede im Aussehen der Plaques feststellen (Plaquemorphologie; ▶ Abb. 4.4). Mithilfe dieser Oberagartechnik lässt sich die Anzahl lebender Phagen in einer Lösung bestimmen (▶ Abb. 4.5). Da alle Phagennachkommen in einem Plaque von nur einem infizierenden Phagen abstammen, sind sie genetisch identisch und bilden einen Klon. Die Phagen eines Klons können durch Ausschneiden des Plaques und Übertragen in Flüssigmedium oder durch Picken mit einem sterilen Zahnstocher oder Glasstab, gewonnen werden (▶ Abb. 4.6). Mit Phagen infizierte Zellen können für biochemische Analysen in großen Mengen durch Anzucht im Erlenmey-

erkolben oder in Fermentern gewonnen werden. Der Lebenszyklus der meisten Phagen ist sehr kurz, die Zeitspanne zwischen Infektion und Lyse (Latenzzeit) kann lediglich 25 Minuten betragen. Die durchschnittliche Zahl freigesetzter Phagen in einem einzelnen Plaque (engl.: burst size) kann zwischen Spezies variieren, beträgt normalerweise aber mehrere Hundert. Bei der Lyse der infizierten Zelle werden durchschnittlich ebenso viele unfertige Phagen mit freigesetzt. Die Zahl infizierter Zellen in einer Kultur hängt von der Zahl der bei der Infektion zugegebenen Phagen ab (engl.: multiplicity of infection, m.o.i.). Da die Infektion von einem zufälligen Aufeinandertreffen von Phage und Zelle abhängt, können einige Zellen von mehr als einem Phagen infiziert werden, andere Zellen dagegen von keinem. Ist das Ziel, möglichst viele Zellen zu erhalten, die nur von einem Phagen infizierte sind, dann sollte die m.o.i. < 1 sein. Nach der Poisson-Verteilung ergibt eine m.o.i von 1 etwa 36 % nichtinfizierte Zellen, 36 % mit nur einem Phagen infizierte Zellen und die übrigen 28 % sind schließlich Zellen, die mit mehr als einem Phagen infiziert wurden. Diese am Beispiel der Phagen beschriebenen Verhältnisse lassen sich ebenso auf die Viren der Eukaryonten übertragen, deren Titer man ganz entsprechend auf einem Rasen passender Eukaryontenzellen bestimmen kann. Beim Umgang mit Viren der Eukaryonten sind jedoch, abhängig von ihrer Pathogenität für Mensch oder Tier, unter Umständen erhebliche Sicherheitsvorkehrungen notwendig. Bakteriophagen sind dagegen für den Menschen generell harmlos.

Abb. 4.4 Plaquemorphologie. Die Plaquemorphologie ist für jeden Phagen charakteristisch. Hier sind die Beispiele der Phagen T 4, T 3 und T 7 gezeigt. Beachte, dass an den Rändern der klaren Plaques trübe Übergänge zum Rasen der Bakterien zu beobachten sind. Hierbei handelt es sich um resistente Wirtszellen, die keine Phagen produzieren. (aus Lengeler et al., Biology of the Prokaryotes, Thieme, 1999)

5

Viren a

Verdünnungsschritte

1:100

1:100

1:100

1:100

1:10 Bakterien 37° C

Phagen b

Verdünnung 10–6

Verdünnung 10–7

Verdünnung 10–8

ein Phage bildet einen Klon

die Phagen können aus einem Plaque extrahiert werden

nach erneutem Ausplattieren bilden sich viele Plaques alle Phagen aus einem Plaque sind genetisch identisch: Sie bilden einen Klon Abb. 4.6 Alle Phagen eines Plaques bilden einen Klon. Ein Phage verursacht für gewöhnlich viele Nachkommen, die sich in einem Plaque ansammeln. Deshalb sind die Nachkommen in einem Plaque genetisch identisch und bilden einen Klon. Die Phagen eines einzelnen Plaques lassen sich durch Extraktion aus diesem Plaque isolieren und dann auf einem geeigneten Wirt weiter vermehren.

4.4 Entwicklung Alle Viren durchlaufen während ihrer Entwicklung dieselben vier Stadien: 1. Einschleusen des genetischen Materials in die Wirtszelle, bzw. in deren Zellkern, 2. Steuerung der intrazellulären Entwicklung, 3. Vermehrung und Morphogenese, 4. Freisetzung der Nachkommen.

116

Abb. 4.5 Titerbestimmung. (aus Lengeler et al., Biology of the Prokaryotes, Thieme, 1999) a Das Diagramm zeigt das Prinzip serieller Verdünnungen in Schritten von 1:100 und 1:10. Ein Aliquot von jeder Verdünnung ist mit einer kleinen Menge frisch kultivierter Bakterien versetzt und dann in Oberagar auf der Oberfläche einer Agarplatte verteilt worden. Nach einer angemessenen Inkubationszeit der Platten bei 37 °C werden die im Bakterienrasen entstandenen Plaques sichtbar. b Platten, die mit Aliquots seriell verdünnter Phagen (10–6, 10–7 und 10–8) aus einer Lösung mit ca. 10–9 Phagenpartikeln pro 1 ml nach Zusatz frischer Bakterien und 12 Stunden Inkubation bei 37 °C erhalten wurden. Nach Auszählen der Plaques und Multiplikation mit dem Verdünnungsfaktor kann der Titer einer Phagenlösung (Anzahl der Phagen ml–1) bestimmt werden.

Im ersten Schritt dockt das Virus an die Oberfläche der Wirtszelle an (Adsorption). Danach dringt das Genom durch die Zellbegrenzungen hindurch in das Innere der Zelle ein. Dies geschieht entweder unter Zuhilfenahme spezifischer Enzyme (Lysozym) durch direkte Injektion, wie bei vielen Bakteriophagen, oder durch Verschmelzen lipidhaltiger Umhüllungen des Virus mit der Cytoplasmamembran. Im Inneren von Eukaryontenzellen wird das Genom entpackt (Uncoating) und das genetische Material (DNA oder RNA) in den Zellkern transportiert. Die weitere Entwicklung ist sehr variantenreich und verläuft nach individuellen Programmen. Die Viren beeinflussen dabei den Zellstoffwechsel unterschiedlich stark. Das Ziel ist aber immer eine Vermehrung der viruseigenen Komponenten. Im Zentrum dieses Geschehens steht die Vermehrung der Nukleinsäuren (Replikation) und die Reifung der strukturellen viralen Komponenten. Anschließend werden diese zu den Nachkommen zusammengebaut (Morphogenese) und durch Ausschleusen durch die Cytoplasmamembran oder durch Zerstörung der Zelle (Lyse) freigesetzt. Die Freisetzung der Nachkommen beendet den Zyklus. Manche Phagen und Viren können den Zeitpunkt ihrer Vermehrung dadurch verzögern, dass sie ihr Genom durch einen mehr oder weniger spezifischen Rekombinationsprozess in das Genom der Wirtszelle integrieren und über viele Generationen passiv zusammen mit dem Wirtsgenom replizieren (s. u. lysogener Zyklus). Dadurch enthalten alle Nachkommen einer Zelle mit integriertem Genom eine exakte Kopie desselben Virusgenoms. Ein solch „schlafendes“ Genom kann durch verschiedene Auslöser wie Stoffwechselveränderungen oder auch äußere Reize aktiviert werden, sodass die Virennachkommen

Viren a

Verdünnungsschritte

1:100

1:100

1:100

1:100

1:10 Bakterien 37° C

Phagen b

Verdünnung 10–6

Verdünnung 10–7

Verdünnung 10–8

ein Phage bildet einen Klon

die Phagen können aus einem Plaque extrahiert werden

nach erneutem Ausplattieren bilden sich viele Plaques alle Phagen aus einem Plaque sind genetisch identisch: Sie bilden einen Klon Abb. 4.6 Alle Phagen eines Plaques bilden einen Klon. Ein Phage verursacht für gewöhnlich viele Nachkommen, die sich in einem Plaque ansammeln. Deshalb sind die Nachkommen in einem Plaque genetisch identisch und bilden einen Klon. Die Phagen eines einzelnen Plaques lassen sich durch Extraktion aus diesem Plaque isolieren und dann auf einem geeigneten Wirt weiter vermehren.

4.4 Entwicklung Alle Viren durchlaufen während ihrer Entwicklung dieselben vier Stadien: 1. Einschleusen des genetischen Materials in die Wirtszelle, bzw. in deren Zellkern, 2. Steuerung der intrazellulären Entwicklung, 3. Vermehrung und Morphogenese, 4. Freisetzung der Nachkommen.

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Abb. 4.5 Titerbestimmung. (aus Lengeler et al., Biology of the Prokaryotes, Thieme, 1999) a Das Diagramm zeigt das Prinzip serieller Verdünnungen in Schritten von 1:100 und 1:10. Ein Aliquot von jeder Verdünnung ist mit einer kleinen Menge frisch kultivierter Bakterien versetzt und dann in Oberagar auf der Oberfläche einer Agarplatte verteilt worden. Nach einer angemessenen Inkubationszeit der Platten bei 37 °C werden die im Bakterienrasen entstandenen Plaques sichtbar. b Platten, die mit Aliquots seriell verdünnter Phagen (10–6, 10–7 und 10–8) aus einer Lösung mit ca. 10–9 Phagenpartikeln pro 1 ml nach Zusatz frischer Bakterien und 12 Stunden Inkubation bei 37 °C erhalten wurden. Nach Auszählen der Plaques und Multiplikation mit dem Verdünnungsfaktor kann der Titer einer Phagenlösung (Anzahl der Phagen ml–1) bestimmt werden.

Im ersten Schritt dockt das Virus an die Oberfläche der Wirtszelle an (Adsorption). Danach dringt das Genom durch die Zellbegrenzungen hindurch in das Innere der Zelle ein. Dies geschieht entweder unter Zuhilfenahme spezifischer Enzyme (Lysozym) durch direkte Injektion, wie bei vielen Bakteriophagen, oder durch Verschmelzen lipidhaltiger Umhüllungen des Virus mit der Cytoplasmamembran. Im Inneren von Eukaryontenzellen wird das Genom entpackt (Uncoating) und das genetische Material (DNA oder RNA) in den Zellkern transportiert. Die weitere Entwicklung ist sehr variantenreich und verläuft nach individuellen Programmen. Die Viren beeinflussen dabei den Zellstoffwechsel unterschiedlich stark. Das Ziel ist aber immer eine Vermehrung der viruseigenen Komponenten. Im Zentrum dieses Geschehens steht die Vermehrung der Nukleinsäuren (Replikation) und die Reifung der strukturellen viralen Komponenten. Anschließend werden diese zu den Nachkommen zusammengebaut (Morphogenese) und durch Ausschleusen durch die Cytoplasmamembran oder durch Zerstörung der Zelle (Lyse) freigesetzt. Die Freisetzung der Nachkommen beendet den Zyklus. Manche Phagen und Viren können den Zeitpunkt ihrer Vermehrung dadurch verzögern, dass sie ihr Genom durch einen mehr oder weniger spezifischen Rekombinationsprozess in das Genom der Wirtszelle integrieren und über viele Generationen passiv zusammen mit dem Wirtsgenom replizieren (s. u. lysogener Zyklus). Dadurch enthalten alle Nachkommen einer Zelle mit integriertem Genom eine exakte Kopie desselben Virusgenoms. Ein solch „schlafendes“ Genom kann durch verschiedene Auslöser wie Stoffwechselveränderungen oder auch äußere Reize aktiviert werden, sodass die Virennachkommen

4.4 Entwicklung erst zu einem sehr viel späteren Zeitpunkt nach der Erstinfektion freigesetzt werden. Viren sind auf die Oberflächen bestimmter Zellen spezialisiert. So befallen Bakteriophagen ausschließlich Bakterien, während Viren von Säugern vor allem auf Zellen von Schleimhäuten des Verdauungstrakts, der Atmungsorgane und des Urogenitaltrakts spezialisiert sind. Die Viren der Pflanzen sind auf Pflanzenzellen spezialisiert, die Viren der Archaebakterien und Hefen auf diese Zellen. Die Spezifität der Virusbindung an die Wirtszelle wird durch ihre Adsorptionswerkzeuge und die dazu passenden, auf den Zelloberflächen lokalisierten Rezeptoren bewerkstelligt.

4.4.1 Vermehrung von Phagen Die Vermehrung von Phagen beginnt nach ihrer Adsorption an die Zelloberfläche, gefolgt von der Injektion ihrer DNA durch die Zellwand (▶ Abb. 4.7). Der erste Kontakt zwischen einem Phagen und seinem Wirt folgt den Gesetzen des Zufalls. Eine Adsorption des Phagen kann stattfinden, wenn auf der Zelloberfläche spezifische Rezeptoren vorhanden sind. Die Bindung an die Rezeptoren erfolgt in der Regel über spezifische Adsorptionsproteine an der Spitze ihrer Schwanzfasern oder (bei filamentösen Phagen) an den Phagenenden. T 4 erkennt seinen Rezeptor über Protein gp37 (gp ist eine Abkürzung für Genprodukt). Ein Dimer dieses Polypeptids ist am äußersten Ende seiner langen Schwanzfasern lokalisiert. Bei einigen Phagen wie λ und T 4 ist die Adsorption zunächst reversibel, geht dann aber in eine stabile, irreversible Bindung über. Viele Komponenten der Bakterienhülle können als Phagenrezeptoren dienen. Dies können Bestandteile der äußeren oder inneren Membran oder der Zellwand sein. T 4 heftet sich an Lipopolysaccharide (LPS) der äußeren Membran. Der λ-Phage bindet über das Membranprotein LamB, das Maltodextrinporin in der äußeren Membran von E. coli (Porine, ▶ Abb. 5.21). Die filamentösen DNA-Phagen heften sich

an die Spitze der F-Pili, während die filamentösen RNAPhagen seitlich an die Pili binden. Mutiert ein Rezeptorprotein, kann der Wirt resistent gegen eine Infektion durch seine spezifischen Phagen werden. Diese Resistenz wiederum kann durch Mutationen in den Genen für die rezeptorerkennenden Proteine der Phagen überwunden werden. Solche Mutationen nennt man Host-Range-Mutationen. Die Phagen Mu und P1 haben ein ausgeklügeltes genetisches System (S. 192) entwickelt, mit dessen Hilfe sie zwischen verschiedenen Wirten differenzieren können. Ein Abschnitt des Gens, das ein Adsorptionsprotein der Schwanzfaser codiert, wird durch ein ortsspezifisches Rekombinationssystem zur Transkription in beide Richtungen verfügbar gemacht. Das Umdrehen des Genabschnitts ist relativ häufig und erfolgt in die eine und ebenso häufig in die andere Richtung. Dadurch entstehen Proteine mit verschiedenen C-terminalen Bereichen, die unterschiedliche Rezeptoren auf ihren Wirten erkennen. Einige Phagen benötigen Cofaktoren zur wirkungsvollen Adsorption. So benötigt T 4 z. B. die Aminosäure LTryptophan, um seine Schwanzfasern vor der Adsorption vollständig zu entfalten. Andere Phagen wie λ und P1 benötigen dazu Ca2+- und Mg2+-Ionen. Die Injektion der DNA erfolgt unmittelbar nach der festen Adsorption an die Oberfläche der Wirtszelle. Es ist nicht vollständig geklärt, wie der Injektionsvorgang abläuft. Man nimmt an, dass die negativen Ladungen der sehr hoch konzentrierten DNA im Inneren des Phagenkopfes die zur Übertragung der DNA ins Zellinnere erforderliche Energie beisteuern. Der Phage T 4 trägt an seiner Basalplatte einige wenige Moleküle Lysozym, die wahrscheinlich zur Öffnung der Zellwand (des Peptidoglykans) erforderlich sind. Der λ-Phage dagegen braucht für die Injektion der DNA das mannosespezifische Phosphotransferasesystem (S. 340) (Genprodukte der Gene manXYZ), ein Zuckertransportsystem. Mit Ausnahme des Phagen T 5 ist die Injektion der DNA ein sehr schneller Prozess.

Vorstufe des Kopfes

Replikation frühe Phagen-DNA mRNAs frühe Proteine

späte mRNAs

DNAVorstufen

späte Proteine

Nucleasen Wirtschromosom 0

5

Membranbestandteile 10 15 20 Zeit nach der Infektion [min]

25

Abb. 4.7 Überblick über den Infektionszyklus des Phagen T 4. Die lytische Entwicklung des Phagen T 4 ist über die Zeit von links nach rechts dargestellt. Durch die Translation von frühen mRNAs entstehen Proteine, die die Synthese von DNA-Vorläuferproteinen und die Replikation der Phagen-DNA initiieren. Die Translation von späten mRNAs beginnt erst 10 Minuten nach der Infektion und dauert bis zur Lyse. Sie bilden Bestandteile von Kopf und Schwanz. Strukturelle Komponenten des Phagen wie Kopf und Schwanz werden an der inneren Zellmembran angeheftet, bevor aus ihnen neue Virionen aufgebaut werden.

7

Viren

4.4.2 Vermehrung der Viren von Eukaryonten Beim ersten Schritt, der Adsorption, wird ein enger Kontakt zwischen dem Virus und den Rezeptoren auf der Zelloberfläche hergestellt. Man spricht auch von Andocken eines Virus an seinen Rezeptor. Rezeptoren können im Prinzip alle Oberflächenstrukturen der Zelle sein. Diese sind entweder sehr spezifisch, wie beim Kontakt des Humanen Immunschwächevirus HIV über das virale Protein p120 und den zellulären CD4-Rezeptor, der fast ausschließlich auf T-Helferzellen vorkommt. Oder es werden Proteine benutzt, die es in vielen verschiedenen Zellen gibt. Ein gutes Beispiel ist die Bindung des Hämagglutinins der Influenzaviren an die endständigen N-Acetylneuraminsäurereste komplexer Oligosachcharide, die als Protein- und Lipidmodifikationen auf der Oberfläche vieler Zellen vorkommen. Die membranfreien Viren tragen ihre Rezeptoren in den Strukturen ihrer Hüllproteine (Kapside) (S. 121). So binden Adenoviren über die Proteine an den Enden von Fortsätzen (Fiber), die sich an den Pentameren befinden, welche die Ecken des Kapsids bilden. Die Rezeptoren auf Seiten der Wirtszelle sind noch unbekannt. Das Eindringen (Penetration) der membranfreien Viren ins Innere der Zelle erfolgt durch rezeptorvermittelte Endocytose. Dabei stülpt sich die Zellmembran um das gebundene Viruspartikel und schnürt das Vesikel nach innen ab. Viruseigene Proteine setzen das Virus dann im Inneren frei, wozu das Adenovirus eines seiner Kapsidproteine benötigt. Die membranumhüllten Viren werden ebenfalls durch Endocytose in Membranvesikeln nach innen transportiert. Ein virales Hämagglutinin löst dabei die Hüllmembran und die umgebende Zellmembran durch Verschmelzen auf. Beim nachfolgenden Uncoating werden die Genome der DNA-Viren freigesetzt und gleichzeitig durch die Kernporen ins Innere des Zellkerns transportiert. Nur die Genome der Pockenviren verbleiben als einzige Genome von DNA-Viren im Cytoplasma und replizieren sich dort. Die Genome der RNA-Viren gelangen dagegen fast nie in den Zellkern. Hier sind es nur die Genome der Influenza- und Bornaviren, die in den Kern transportiert werden. Die Replikation der Virusgenome setzt eine mehr oder weniger komplexe Genexpression voraus, wobei die Ressourcen der Wirtszelle ebenfalls in mehr oder weniger großem Umfang beansprucht werden. Die Ressourcen wiederum werden durch viruscodierte Proteine mobilisiert. Ist ein Virus hierin defekt, so kommt es zu einer Teilinfektion, bei der die weitere Entwicklung auf der Strecke bleibt (abortive Infektion). Die Replikationsstrategien richten sich nach dem Typ des Virus. Bei (plus)Strang-RNA-Viren, deren RNA die Polarität einer mRNA hat, werden die Gene direkt von dem wirtseigenen Translationsapparat in Protein übersetzt. Die dabei syntheti-

118

sierten, häufig überlangen Peptide werden anschließend durch gezielte Proteolyse in funktionale Fragmente zerlegt. Dabei wird auch die RNA-abhängige RNA-Polymerase gebildet, die (minus)-Strang-RNA in (plus)-StrangRNA umwandelt. Wichtige Vertreter dieses Typs sind die Picornaviren, Flaviviren und Togaviren. Ein Weg zur Freisetzung der Nachkommenviren ist die Knospung (Budding). Hierbei werden die vorgebildeten Kapside mit einer Membran und den darin abgelagerten viralen Glykoproteinen umgeben. Je nach dem Ort, an dem der Zusammenbau (Assembly) in der Zelle abläuft, entstammt die virale Membran der Cytoplasma- oder der Kernmembran oder der Membran des endoplasmatischen Retikulums. Die membranumhüllten Kapside werden direkt in die Umgebung abgegeben. Bei einem Zusammenbau an der Kernmembran oder am endoplasmatischen Retikulum erfolgt die Freisetzung über den Transport durch den Golgi-Apparat an die Zelloberfläche. Bei einigen Viren, z. B. HIV, kann das von der Zelle abgegebene Partikel noch weitere Reifungsvorgänge mit strukturellen Umlagerungen durchlaufen. Die Freisetzung von Viren, die nicht von einer Membranhülle umgeben sind, erfolgt überwiegend durch Auflösung (Lyse) der Zellwand.

4.4.3 Lytischer und lysogener Zyklus Viele Viren können in zwei verschiedenen Zustandsformen vorkommen. Entweder infizieren sie ihre Wirtszellen und setzen die Nachkommen durch Lyse der Zelle frei (lytischer Zyklus) oder sie integrieren ihr Genom in das Genom des Wirtes und werden mit jeder Replikationsrunde passiv mit vermehrt (lysogener Zyklus) (▶ Abb. 4.8).

Der lytische Zyklus Der lytische Zyklus läuft bei allen Viren nach demselben Grundmuster ab. Nach der Infektion werden die frühen Gene des Virus aktiviert. Dieses geschieht bei Phagen im Cytoplasma der Prokaryonten, bei Viren der Eukaryonten im Zellkern. Die Produkte der frühen Gene übernehmen die Kontrolle der Wirtsaktivitäten und leiten in vielen Fällen auch die Zerstörung des Wirtsgenoms ein. Sie blockieren die Translation der wirtseigenen mRNA und schaffen die Voraussetzungen zur Replikation der viruseigenen DNA bzw. RNA. Später werden die frühen Funktionen nicht mehr benötigt, und das Virusprogramm aktiviert die späten Gene. Diese spielen im Wesentlichen bei der Morphogenese der Virushüllen und der Prozessierung und Verpackung von Nukleinsäuren in die neu synthetisierten Köpfe eine Rolle. Die späten Proteine werden ungebremst bis zur Lyse der Zellen synthetisiert. Manche Viren vermehren sich mit Hochgeschwindigkeit und lysieren ihre Wirte bereits nach weniger als einer halben

4.4 Entwicklung

2

BakterienChromosom

Phagen-DNA Prophage Zellteilung lytischer Zyklus

1 4

lysogener Zyklus lysogenes Bakterium

3

Abb. 4.8 Alternative Vermehrungszyklen von Bakteriophagen. ① Adsorptionsphase: Der Phage absorbiert an der Oberfläche der Wirtszelle. ② Injektionsphase: Anschließend wird das lineare Genom durch die Zellwand ins Innere injiziert. Jetzt erfolgt die Entscheidung, ob die Entwicklung über den lytischen oder lysogenen Zyklus erfolgt. Im lysogenen Zyklus wird das injizierte Phagengenom zu einem Ring geschlossen und über eine ortsspezifische Rekombination in das Genom des Wirts integriert. Die Wirtszellen mit dem integrierten Phagengenom teilen sich „beliebig“ oft. Durch Signale von außen kann ein Prozess eingeleitet werden, der zum Ausschneiden des Phagengenoms und damit zum lytischen Zyklus führt. ③ Latenzphase: In dieser Phase beginnt die gesteuerte Aktivierung von Phagengenen und Transkription und Translation finden statt. ④ Lytische Phase: Der lytische Zyklus führt über die Vermehrung der DNA durch Replikation und anschließende Verpackung der neu synthetisierten Chromosomen in die vorgefertigten Köpfe. Im anschließenden Schritt werden die Phagenstrukturen durch Anheftung der Schwänze an die gefüllten Köpfe komplettiert. Die reifen Phagen werden nach Lyse der Zellen von Innen freigesetzt.

Stunde (Phage T 4). Andere Viren schleusen ihre Nachkommen über sehr lange Zeit durch die Zellhüllen aus (Phage M13), wobei die Zelle nicht stirbt, sondern lediglich durch die anhaltende Syntheselast geschwächt wird.

Der lysogene Zyklus Beim lysogenen Zyklus integriert das Virus sein Genom in das Genom der Wirtszelle (Provirus). Es verbeibt dort als „blinder Passagier“, bis es – durch äußere Faktoren induziert – neue Nachkommen produziert. Manche Viren können sich im Zellinneren auch in ein Plasmid verwandeln, das sich dann synchron mit dem Wirtsgenom und unter Kontrolle des Wirtes vermehrt. In beiden Fällen wird kein aktives Virus gebildet und die Zellen werden nicht lysiert. Durch die stille Präsenz des Virus werden die Zellen im Falle z. B. des λ-Phagen immun gegen eine Überinfektion

mit einem zweiten Virus desselben Typs. Lysogene Phagen werden auch temperente Phagen genannt. Die Entscheidung, ob eine lytische oder eine lysogene Entwicklung eingeschlagen wird, erfolgt durch eine durch Umweltfaktoren balancierte Genregulation. Das in das Genom der Wirtszelle integrierte komplette Genom eines Virus oder das als Plasmid kontrollierte Virus kann aus dem passiven Zustand wieder befreit und zur Vermehrung angeregt werden (Induktion). Dann entwickeln sie sich gemäß ihrem lytischen Programm. Die Induktion z. B. von Phagen wird durch Stressfaktoren wie Hunger oder starke Schädigung der DNA ausgelöst. Die Vermehrung erfolgt in diesem Fall, bevor die Zelle abstirbt. Die Nachkommen verlassen die geschwächte Zelle „wie Ratten ein sinkendes Schiff“. Eine tückische Variante dieses Versteckspiels beherrschen die Tumorviren. Sie hinterlassen häufig einen Teil ihres Genoms im Genom der Wirtszelle und transformieren diese dadurch in eine Tumorzelle. Bisher gibt es keinen Weg, die Tumorzelle wieder in eine normale Zelle zurückzuführen (z. B. durch Entfernen der eingebauten Virus-DNA).

4.4.4 Regulation von Infektionsabläufen Sobald die Phagen oder Viren Eingang in ihre Wirtszelle gefunden haben, unterliegen sowohl der lytische als auch der lysogene Entwicklungszyklus einer hoch komplexen Regulation. Allgemein lassen sich sehr frühe Gene (engl. pre early) von frühen Genen (engl. early) und späten Genen (engl. late) unterscheiden. Die Gene jeder Gruppe sind in Clustern auf dem Genom der jeweiligen Viren lokalisiert. So werden die Funktionen der sehr frühen Gene aus der sehr frühen Region des Genoms des Phagen T 4 für den Abbau des Wirtsgenoms bis herunter zu den einzelnen Nukleotiden benötigt, die dann für den Aufbau der Phagennachkommen wieder verwendet werden. Indem der Phage die Nukleotide aus dem Wirtsgenom wiederverwendet, spart er sich einen Großteil der eigenen Syntheselast. Die frühen Gene dagegen werden für die Bereitstellung von zusätzlichen Nukleotiden und schließlich für die eigentliche Synthese (Replikation) der Phagengenome eingesetzt. Den Abschluss bilden die späten Gene, die Proteine der morphologischen Strukturen wie Kopfhüllen, Schwänze, Schwanzfasern und die Einzelteile der komplexen DNA-Verpackungsmaschinerie (Plus 4.3) codieren.

9

Viren

●V

Plus 4.3 Das Hershey-Chase-Experiment

In einem 1952 von A. D. Hershey und M. Chase durchgeführten historischen Experiment wurde gezeigt, dass nur Phagen-DNA in die Zelle injiziert wird, aber keine Proteine. Die beiden Forscher führten Experimente durch, in denen sie in einem Ansatz die Proteine des Phagen T 2 radioaktiv mit 35S und in einem anderen Ansatz seine DNA mit 32P markierten. Nach Infektion von Bakterien mit den jeweils unterschiedlich markierten Phagen konnten sie 32P, also DNA, im Inneren der Bakterienzellen nachweisen, aber kein 35S, also kein Protein. Heute kennen wir nach genauerem Hinsehen ein paar interessante Ausnahmen. So injiziert z. B. der Phage T 4 zusammen mit seinem Chromosom ein paar Kopien des Proteins gp2. Dieses 25kDa-Protein ist fest an die beiden Enden des DNA-Moleküls gebunden. Dadurch wird die DNA wirksam gegen einen frühzeitigen Abbau durch die Exonukleasefunktion des RecBCD-Rekombinations- und Reparaturkomplexes geschützt. Phagen mit Mutationen im Gen 2 können sich deshalb nur in Wirtszellen vermehren, wenn diesen die RecBCD-Exonukleasefunktion fehlt. Das Experiment von Hershey und Chase hätte nicht funktioniert, wenn sie einen der filamentösen Phagen benutzt hätten. So wird der Phage M13 vollständig, zusammen mit seinem gesamten Hüllprotein, ins Zellinnere aufgenommen. Direkt nach der Infektion wird die DNA vom Protein befreit und dieses für den Aufbau der Nachkommen wiederverwertet.

interne Kopfproteine: · IP I, II, III, alt · Peptide II, VII · DNA

a 24 soc hoc 23 30 13, 14

b

15 18 interne Schwanzproteine: · 3, 19, 29

wac 34 35 36 37

Temperente Phagen wie λ, P22, P1, P2 und Mu haben die Wahl zwischen lytischem und lysogenem Zyklus. Die Entscheidung der temperenten Phagen, sich lytisch oder lysogen zu vermehren, unterliegt ausgeklügelten Regulationsmechanismen. Mit Abstand am besten untersucht wurde ein solches Regulationsprogramm beim Bakteriophagen λ. Beim λ-Phagen findet man einen molekularen Schalter, der bereits kurze Zeit nach Eindringen des Phagen in die Zelle den Weg zur lytischen bzw. lysogenen Entwicklung freigibt oder blockiert. Der Schalter besteht aus mehreren Sequenzen einer Kontrollregion mit mehreren unabhängigen Promotor- und Operatorfunktionen. Dazu gehören u. a. die Repressorproteine CI und CII, die Proteine CIII und Cro und die RNA-Polymerase des Wirtes. Findet die Zelle gute Nahrungsbedingungen vor, so wird die Entwicklung in Richtung des lysogenen Zyklus gelenkt, hungern die Zellen, dann tritt die entgegengesetzte Wirkung ein und der lytische Zyklus wird eingeschlagen. Die für den lytischen Zyklus benötigte Induktion des Ausschneideproteins wird durch Mutagene (Strahlen, Chemikalien) ausgelöst. Durch ungenaues Ausschneiden des Phagengenoms aus dem Genom der Wirtszelle können Fehler passieren, die dazu führen, dass der Phage ein Stück des Wirtsgenoms aus der Nachbarschaft seiner Integrationsstelle mitnimmt und bei der nächsten Infektion in die Rezipientenzelle überträgt. Man nennt diesen horizontalen Gentransfer spezifische Transduktion. Dem gegenüber steht die allgemeine Transduktion, bei der ein beliebiges Stück der Wirts-DNA, verpackt in infektiöse Phagenpartikel, in eine neue Zelle übertragen wird. Auf diesem Weg übertragene

10 11 12

6, 25, 5 (im Zentrum)

8 7 9

Proteine der Basalplatte Mitte: · 5, 27, 29, 26, 28, 48, 54 Abb. 4.9 T 4-Phage. a Der Phage T 4 hat einen gestreckt ikosaedrischen Kopf mit komplexen Schwanzanhängen. Die am Aufbau beteiligten Gene sind meist nummeriert, wenige tragen Bezeichnungen aus Buchstaben (z. B. hoc, soc, wac). b Elektronenmikroskopische Aufnahme zweier T 4-Phagen. Neben einem intakten Virus ein T 4-Phage mit kontrahiertem Schwanz, der seine DNA ausgestoßen hat. (aus Hirsch-Kaufmann et al., Biologie und molekulare Medizin, Thieme, 2009, Aufnahme M. Wurtz, Biozentrum Basel)

120

4.5 Aufbau

●V

Plus 4.4 Headful-Verpackung von DNA: molekulare Details am Beispiel des Phagen T 4 Der Kopf des Phagen T 4 ist ein gestrecktes Ikosaeder von 120 nm Länge und 86 nm Durchmesser. Er besteht im Wesentlichen aus den Proteinen gp23* als Bestandteil der Flächen (gp steht für Genprodukt; * symbolisiert einen Reifungszustand des Proteins), mit gp24* an 11 der 12 Ecken und 12 Molekülen gp20, die den Eingang der DNA an einem Ende des Kapsids bilden. Hier ist auch die DNA-Verpackungsmaschine lokalisiert. Diese besteht aus den Proteinen gp16 und gp17, die die DNA unter ATP-Verbrauch mit einer Geschwindigkeit von 2000 bp s–1 in den vorgefertigten Kopf transportieren (Translokase) und im Inneren verdichten. Die Translokase besteht aus fünf ringförmig angeordneten Molekülen gp17; diese liegen der aus 12 Molekülen gp20 (Dodekamer) bestehenden Basis auf. Der Transport der DNA erfolgt im Griff-Transport-Griff-Modus, vergleichbar dem Überhandeinholen eines Seiles. Nach Erreichen der maximalen Kopffüllung wird die DNA durch die Nukleasefunktion von gp16 (Terminase) von der restlichen DNA abgeschnitten. Die DNA besteht aus einer viele Genomlängen enthaltenden (concatenaten) linearen Vorläufer-DNA. Da der Kopf ca. 5 % mehr Fassungsvermögen hat, als für ein komplettes Genom benötigt wird,, gelangen bei jeder Füllung 5 % zusätzliche DNA mit in den Kopf. Für den einzelnen T 4-Phagen bedeutet dies eine 5 %ige Redundanz seiner genetischen Information, also eine partielle Diploidie für Gene in dem redundanten Teil. Interessanterweise ist der Füllmechanismus des Phagen T 4 nicht spezifisch und DNA jeglicher Herkunft könnte eingefüllt werden, ein Umstand, der das System für Gentechniker attraktiv macht.

DNA-Fragmente können in der Rezipientenzelle dann über homologe Rekombination (S. 190) integriert werden.

4.5 Aufbau Individuelle Viruspartikel, in freier Form auch Virionen genannt, zeigen im Elektronenmikroskop gut erkennbare Oberflächenstrukturen und Anhängsel (▶ Abb. 4.9). Das Genom, bestehend aus DNA oder RNA, wird von einem Kopf (bei Phagen) oder einem Nukleokapsid (bei Viren der Eukaryonten) eingeschlossen. Sphärisch geformte Kapside (Umhüllungen) bestehen aus einer bestimmten

3 4 2

Phagenkopf

gp20 1

C-Terminus N-Terminus

gp16

Abb. 4.10 Aufbau und Struktur der T 4 DNA-Verpackungsmaschine. Die Skizze illustriert den Zusammenbau der Verpackungsmaschine aus gp16, gp17 und gp20. Hierzu wird gp17 zunächst durch ein Oligomer gp16 in einen aktiven Zustand versetzt (① und ②). Die N-Domäne von gp17 ist in Orange, die C-Domäne in Blau gezeichnet. Nach der Freisetzung von gp16 (③) wird gp17 an einen am Eingang zum Kopf lokalisierten Ring von 12 Molekülen gp20 (Dodecamer, in Grün) angedockt (④). gp17 greift nun unter ATP-Verbrauch (ATPase-Funktion) ein Ende der doppelsträngigen DNA und platziert dieses in umgekehrter Richtung am Eingang des Kopfes (der Einbau von DNA ist hier nicht gezeigt). Dieses Ende wird später bei einer neuen Infektion als erstes wieder ausgestoßen. Das Chromosom wird nun in großen, die volle Länge und Breite des Kopfes einnehmenden Schleifen Schicht für Schicht von außen nach innen aufgespult (TranslokaseFunktion). Nach vollständig erfolgter Füllung des Kopfes schneidet gp17 schließlich die verpackte DNA vom Rest der freien DNA ab (Nuklease-Funktion). Die dem Verdichtungsprozess der DNA im Innern des Kopfes entgegen wirkenden negativen Ladungen der DNA werden durch Kationen (Ca2+. Mg2+) und basische Polyamine wie Cadaverin oder Putrescin ausgeglichen. (Kanamaru S, Kondabagil K, Rossmann MG, Rao VB. The functional domains of bacteriophage t4 terminase. J Biol Chem. 2004 Sep 24;279(39):40795-801)

Anzahl an Proteinmolekülen derselben oder verschiedener Art, den Kapsomeren. Sphärische Kapside zeigen einen ikosaedrischen Aufbau mit Rotationssymmetrie. Ein Ikosaeder (griech. 20-Flächer) hat 20 dreieckige Flächen, die in 12 Ecken zusammenstoßen. Die Flächen werden von Proteinen mit 6er-Symmetrie (Hexons), die Ecken von Proteinen mit 5er-Symmetrie (Pentons) gebildet. Die Verpackungseinrichtungen bestehen meist aus einer Mehrzahl von Proteinen, die in komplexer Weise miteinander in Wechselwirkung treten und die langen Nukleinsäuremoleküle in das Innere der vorgeformten Köpfe einfädeln (Headful-Verpackung). Das Volumen des Hohlraums ist begrenzt und kann in der Regel nicht mehr

1

4.5 Aufbau

●V

Plus 4.4 Headful-Verpackung von DNA: molekulare Details am Beispiel des Phagen T 4 Der Kopf des Phagen T 4 ist ein gestrecktes Ikosaeder von 120 nm Länge und 86 nm Durchmesser. Er besteht im Wesentlichen aus den Proteinen gp23* als Bestandteil der Flächen (gp steht für Genprodukt; * symbolisiert einen Reifungszustand des Proteins), mit gp24* an 11 der 12 Ecken und 12 Molekülen gp20, die den Eingang der DNA an einem Ende des Kapsids bilden. Hier ist auch die DNA-Verpackungsmaschine lokalisiert. Diese besteht aus den Proteinen gp16 und gp17, die die DNA unter ATP-Verbrauch mit einer Geschwindigkeit von 2000 bp s–1 in den vorgefertigten Kopf transportieren (Translokase) und im Inneren verdichten. Die Translokase besteht aus fünf ringförmig angeordneten Molekülen gp17; diese liegen der aus 12 Molekülen gp20 (Dodekamer) bestehenden Basis auf. Der Transport der DNA erfolgt im Griff-Transport-Griff-Modus, vergleichbar dem Überhandeinholen eines Seiles. Nach Erreichen der maximalen Kopffüllung wird die DNA durch die Nukleasefunktion von gp16 (Terminase) von der restlichen DNA abgeschnitten. Die DNA besteht aus einer viele Genomlängen enthaltenden (concatenaten) linearen Vorläufer-DNA. Da der Kopf ca. 5 % mehr Fassungsvermögen hat, als für ein komplettes Genom benötigt wird,, gelangen bei jeder Füllung 5 % zusätzliche DNA mit in den Kopf. Für den einzelnen T 4-Phagen bedeutet dies eine 5 %ige Redundanz seiner genetischen Information, also eine partielle Diploidie für Gene in dem redundanten Teil. Interessanterweise ist der Füllmechanismus des Phagen T 4 nicht spezifisch und DNA jeglicher Herkunft könnte eingefüllt werden, ein Umstand, der das System für Gentechniker attraktiv macht.

DNA-Fragmente können in der Rezipientenzelle dann über homologe Rekombination (S. 190) integriert werden.

4.5 Aufbau Individuelle Viruspartikel, in freier Form auch Virionen genannt, zeigen im Elektronenmikroskop gut erkennbare Oberflächenstrukturen und Anhängsel (▶ Abb. 4.9). Das Genom, bestehend aus DNA oder RNA, wird von einem Kopf (bei Phagen) oder einem Nukleokapsid (bei Viren der Eukaryonten) eingeschlossen. Sphärisch geformte Kapside (Umhüllungen) bestehen aus einer bestimmten

3 4 2

Phagenkopf

gp20 1

C-Terminus N-Terminus

gp16

Abb. 4.10 Aufbau und Struktur der T 4 DNA-Verpackungsmaschine. Die Skizze illustriert den Zusammenbau der Verpackungsmaschine aus gp16, gp17 und gp20. Hierzu wird gp17 zunächst durch ein Oligomer gp16 in einen aktiven Zustand versetzt (① und ②). Die N-Domäne von gp17 ist in Orange, die C-Domäne in Blau gezeichnet. Nach der Freisetzung von gp16 (③) wird gp17 an einen am Eingang zum Kopf lokalisierten Ring von 12 Molekülen gp20 (Dodecamer, in Grün) angedockt (④). gp17 greift nun unter ATP-Verbrauch (ATPase-Funktion) ein Ende der doppelsträngigen DNA und platziert dieses in umgekehrter Richtung am Eingang des Kopfes (der Einbau von DNA ist hier nicht gezeigt). Dieses Ende wird später bei einer neuen Infektion als erstes wieder ausgestoßen. Das Chromosom wird nun in großen, die volle Länge und Breite des Kopfes einnehmenden Schleifen Schicht für Schicht von außen nach innen aufgespult (TranslokaseFunktion). Nach vollständig erfolgter Füllung des Kopfes schneidet gp17 schließlich die verpackte DNA vom Rest der freien DNA ab (Nuklease-Funktion). Die dem Verdichtungsprozess der DNA im Innern des Kopfes entgegen wirkenden negativen Ladungen der DNA werden durch Kationen (Ca2+. Mg2+) und basische Polyamine wie Cadaverin oder Putrescin ausgeglichen. (Kanamaru S, Kondabagil K, Rossmann MG, Rao VB. The functional domains of bacteriophage t4 terminase. J Biol Chem. 2004 Sep 24;279(39):40795-801)

Anzahl an Proteinmolekülen derselben oder verschiedener Art, den Kapsomeren. Sphärische Kapside zeigen einen ikosaedrischen Aufbau mit Rotationssymmetrie. Ein Ikosaeder (griech. 20-Flächer) hat 20 dreieckige Flächen, die in 12 Ecken zusammenstoßen. Die Flächen werden von Proteinen mit 6er-Symmetrie (Hexons), die Ecken von Proteinen mit 5er-Symmetrie (Pentons) gebildet. Die Verpackungseinrichtungen bestehen meist aus einer Mehrzahl von Proteinen, die in komplexer Weise miteinander in Wechselwirkung treten und die langen Nukleinsäuremoleküle in das Innere der vorgeformten Köpfe einfädeln (Headful-Verpackung). Das Volumen des Hohlraums ist begrenzt und kann in der Regel nicht mehr

1

Viren

b

a gp3

3

gp8

6

8

9 7

5

2

IG

4

gp7 gp9

gp6

Abb. 4.11 M13-Phage. a Der Phage M13 ist filamentös mit dachziegelförmig angeordneten Hüllproteinen und die Enden dekorierenden speziellen Proteinen für die Adsorption bzw. das Ausschleusen des Phagen aus der Zelle. Der im Inneren ausgestreckte, einzelsträngige DNA-Ring ist exakt platziert und weist mit den Sequenzen von Gen 3 zur einen Seite des Phagen und mit der intergenen Region (IG) zum anderen Ende, das durch die Proteine 7 und 9 markiert ist. Protein 8 bildet Dachziegeln gleich die äußere Hülle. b Elektronenmikroskopische Aufnahme von M13-Phagen (aus Kornberg und Baker, DNA Replication, Freeman, New York, 1992)

a

RNA (Genom)

Abb. 4.12 Tabakmosaikvirus (TMV). a Das Tabakmosaikvirus (TMV) zeigt einen helikalen Aufbau seines Hüllproteins, dessen Windungen die helikale Anordnung der einzelsträngigen RNA (ssRNA) im Inneren erzwingen. b Elektronenmikroskopische Aufnahme von TMV-Partikeln (aus Hirsch-Kaufmann et al., Biologie und molekulare Medizin, Thieme, 2009, Aufnahme M. Wurtz, Biozentrum Basel)

b

Hüllprotein

a

b Hülle reverse Transkription/ RNAse H/Protease/ Integrase Nukleokapsidprotein gp120 gp41 RNA Kapsidprotein (CA) Matrixprotein

Abb. 4.13 Aufbau von HIV. a Das Humane Immunschwächevirus (HIV) besteht aus einem Nukleokapsid, das zwei RNA-Chromosomen umschließt, und einer, dieses Kapsid umgebenden äußeren Membranschicht. b Elektronenmikroskopische Aufnahme von HIV-Partikeln, die aus einem T-Lymphocyten knospen. Der dunkle Punkt innerhalb der Partikel ist das Nukleokapsid. (copyright NIBSC/science photo library)

als ein Genom aufnehmen. Die Kapside werden als Hohlformen vorgefertigt und dann erst mit dem Genom gefüllt (Beispiel Phage T 4, Plus 4.4). Stäbchenförmige Umhüllungen, wie die des Phagen M13 (▶ Abb. 4.11) oder des Tabakmosaikvirus (TMV), ▶ Abb. 4.12) zeigen einen dachziegelförmigen oder heli-

122

kalen Aufbau. Es werden so viele Proteineinheiten um die Nukleinsäure herum gelegt, bis diese ganz bedeckt ist. Auf diese Weise hat die Größe des Genoms auch direkt einen Einfluss auf die Größe des Partikels. Der Aufbau von HIV ist in ▶ Abb. 4.13 gezeigt.

4.6 Mechanismen der Verbreitung Die Kapside aus Proteinen sind vielfach von Membranen umgeben, die aus den Membransystemen der Wirtszelle stammen. Der Wiedereintritt in eine Wirtszelle desselben Typs erfolgt in diesen Fällen durch Verschmelzen der Virusmembran mit der Zellmembran. Bei den Viren ohne Membran findet man zur Adsorption an die Oberfläche der Zellen mehr oder weniger kompliziert gestaltete Vorrichtungen, die zu Molekülen (Rezeptoren) auf der Oberfläche des Wirtes „passen“. Bei den großen DNAPhagen befinden sich die Adsorptionsproteine an den Spitzen der Schwanzanhänge, bei den filamentösen Phagen liegen sie asymmetrisch nur an einem Ende des Virions, und bei den mit Membranen umgebenen Viren sind sie über die gesamte Oberfläche der äußeren Umhüllung verteilt. Nach der Adsorption werden die Genome der Phagen und Viren weitgehend proteinfrei in das Zellinnere geschleust. In manchen Fällen werden aber auch für die frühe Entwicklung essenzielle Proteine mit ins Innere übertragen. So ist ein Protein des Phagen T 4 unverzichtbar für den Schutz der offenen Enden der linearen DNA gegen Abbau durch die wirtseigene Exonuklease V. Die Retroviren (S. 132) nehmen mehrere Proteine wie die Reverse Transkriptase mit ins Zellinnere, welche die Vermehrung des Virus einleiten. Das zentrale Ziel der Viren bei ihrer Vermehrung ist, das genetische Material, DNA oder RNA, so schnell und so oft wie möglich zu replizieren. Doppelsträngige Genome werden nach der Infektion häufig direkt repliziert, während einzelsträngige Genome zunächst in eine replikative doppelsträngige Form (RF-Form) umgewandelt werden. Hiervon werden dann die einzelsträngigen Genome der Nachkommen kopiert. Ringförmige Genome werden häufig nach dem Prinzip des Rolling Circle (▶ Abb. 4.14) im Endlosmodus synthetisiert; die entstandenen, vielfach aneinanderhängenden Kopien (Concatenate) werden erst später in Genome einer Einheitslänge aufgelöst. Eine wei-

(+)

Gen-AProtein

(–)

tere besondere Form der Replikation haben die RNA-Retroviren entwickelt. Sie schreiben zunächst mithilfe des speziellen Enzyms Reverse Transkriptase ihr RNA-Genom in eine DNA um, integrieren diese dann in das Wirtsgenom und lassen sie dann mit jeder zellgesteuerten Replikationsrunde zusammen kopieren.

4.6 Mechanismen der Verbreitung Die meisten Viren der Pflanzen, Tiere und Bakterien verbreiten sich durch horizontalen Transfer, d. h. sie gelangen durch Diffusion von einer Zelle zur nächsten. In seltenen Fällen wird auch vertikaler Transfer beobachtet, d. h. Weitergabe bei der Zellteilung der Wirtszelle. Dies geschieht jedoch als Teil des Lebenszyklus nach Integration des viralen Genoms in das Wirtsgenom. Einige animalische Viren werden über direkte Zellkontakte weitergegeben, wie das Humane Immunschwächevirus HIV-1, ein Retrovirus (S. 132). Die Viren von Pilzen werden ausnahmslos durch direkten Zellkontakt im Verlauf der häufig erfolgenden Fusionen von Hyphen und bei Zellpaarungen verbreitet. Ähnliches gilt für die den Retroviren in vieler Hinsicht sehr ähnlichen Transposons der Hefe. Sie werden intrazellulär durch Retrotransposition während der Paarung zwischen Hefezellen weitergegeben. Hierzu nehmen sie zuvor eine virusähnliche Gestalt an, die außerhalb der Zellen jedoch nicht von Dauer ist. Beim Transfer des viralen Genoms von einer Zelle zur nächsten kann selten, doch messbar häufig genetisches Material der Donorzelle in die Rezipientenzelle übertragen werden (Transduktion). Der horizontale Transfer genetischer Information führt zur Durchmischung von Genomen und wird als eine treibende Kraft der Evolution angesehen. Aufnahme von DNA oder RNA unmittelbar aus dem umgebenden Medium (Transformation) und

3'

Einzelstrangbruch 5'

doppelsträngige RF-Form

neu synthetisierte DNA

3' 5'

3' 5'

Abb. 4.14 Rolling-Circle-Mechanismus der Virusvermehrung. Nachdem das einzelsträngige minus-DNA-Genom des Phagen in der Zelle in eine doppelsträngige RF-Form transkribiert wurde, führt das Gen-A-Protein (bei ΦX174) in den plus-Strang einen Einzelstrangbruch ein. Am 3’-Ende des aufgebrochenen plus-Stranges beginnt dann die Neusynthese der DNA. Dabei wird das 5’-Ende verdrängt. Beim Phagen ΦX174 wird der neue plus-Strang direkt in die bereits assemblierten neuen Phagenköpfe hineinsynthetisiert. Sobald der neue Strang Genomlänge erreicht hat, wird er durch das Gen-A-Protein gespalten und zu einer ringförmigen EinzelstrangDNA ligiert. Die elektronenoptische Aufnahme zeigt ein sich als Rolling Circle replizierendes Genom von ΦX174 mit einem angehefteten Phagenkopf (Pfeil). (aus Kornberg und Baker, DNA Replication, Freeman, New York, 1992)

3

4.6 Mechanismen der Verbreitung Die Kapside aus Proteinen sind vielfach von Membranen umgeben, die aus den Membransystemen der Wirtszelle stammen. Der Wiedereintritt in eine Wirtszelle desselben Typs erfolgt in diesen Fällen durch Verschmelzen der Virusmembran mit der Zellmembran. Bei den Viren ohne Membran findet man zur Adsorption an die Oberfläche der Zellen mehr oder weniger kompliziert gestaltete Vorrichtungen, die zu Molekülen (Rezeptoren) auf der Oberfläche des Wirtes „passen“. Bei den großen DNAPhagen befinden sich die Adsorptionsproteine an den Spitzen der Schwanzanhänge, bei den filamentösen Phagen liegen sie asymmetrisch nur an einem Ende des Virions, und bei den mit Membranen umgebenen Viren sind sie über die gesamte Oberfläche der äußeren Umhüllung verteilt. Nach der Adsorption werden die Genome der Phagen und Viren weitgehend proteinfrei in das Zellinnere geschleust. In manchen Fällen werden aber auch für die frühe Entwicklung essenzielle Proteine mit ins Innere übertragen. So ist ein Protein des Phagen T 4 unverzichtbar für den Schutz der offenen Enden der linearen DNA gegen Abbau durch die wirtseigene Exonuklease V. Die Retroviren (S. 132) nehmen mehrere Proteine wie die Reverse Transkriptase mit ins Zellinnere, welche die Vermehrung des Virus einleiten. Das zentrale Ziel der Viren bei ihrer Vermehrung ist, das genetische Material, DNA oder RNA, so schnell und so oft wie möglich zu replizieren. Doppelsträngige Genome werden nach der Infektion häufig direkt repliziert, während einzelsträngige Genome zunächst in eine replikative doppelsträngige Form (RF-Form) umgewandelt werden. Hiervon werden dann die einzelsträngigen Genome der Nachkommen kopiert. Ringförmige Genome werden häufig nach dem Prinzip des Rolling Circle (▶ Abb. 4.14) im Endlosmodus synthetisiert; die entstandenen, vielfach aneinanderhängenden Kopien (Concatenate) werden erst später in Genome einer Einheitslänge aufgelöst. Eine wei-

(+)

Gen-AProtein

(–)

tere besondere Form der Replikation haben die RNA-Retroviren entwickelt. Sie schreiben zunächst mithilfe des speziellen Enzyms Reverse Transkriptase ihr RNA-Genom in eine DNA um, integrieren diese dann in das Wirtsgenom und lassen sie dann mit jeder zellgesteuerten Replikationsrunde zusammen kopieren.

4.6 Mechanismen der Verbreitung Die meisten Viren der Pflanzen, Tiere und Bakterien verbreiten sich durch horizontalen Transfer, d. h. sie gelangen durch Diffusion von einer Zelle zur nächsten. In seltenen Fällen wird auch vertikaler Transfer beobachtet, d. h. Weitergabe bei der Zellteilung der Wirtszelle. Dies geschieht jedoch als Teil des Lebenszyklus nach Integration des viralen Genoms in das Wirtsgenom. Einige animalische Viren werden über direkte Zellkontakte weitergegeben, wie das Humane Immunschwächevirus HIV-1, ein Retrovirus (S. 132). Die Viren von Pilzen werden ausnahmslos durch direkten Zellkontakt im Verlauf der häufig erfolgenden Fusionen von Hyphen und bei Zellpaarungen verbreitet. Ähnliches gilt für die den Retroviren in vieler Hinsicht sehr ähnlichen Transposons der Hefe. Sie werden intrazellulär durch Retrotransposition während der Paarung zwischen Hefezellen weitergegeben. Hierzu nehmen sie zuvor eine virusähnliche Gestalt an, die außerhalb der Zellen jedoch nicht von Dauer ist. Beim Transfer des viralen Genoms von einer Zelle zur nächsten kann selten, doch messbar häufig genetisches Material der Donorzelle in die Rezipientenzelle übertragen werden (Transduktion). Der horizontale Transfer genetischer Information führt zur Durchmischung von Genomen und wird als eine treibende Kraft der Evolution angesehen. Aufnahme von DNA oder RNA unmittelbar aus dem umgebenden Medium (Transformation) und

3'

Einzelstrangbruch 5'

doppelsträngige RF-Form

neu synthetisierte DNA

3' 5'

3' 5'

Abb. 4.14 Rolling-Circle-Mechanismus der Virusvermehrung. Nachdem das einzelsträngige minus-DNA-Genom des Phagen in der Zelle in eine doppelsträngige RF-Form transkribiert wurde, führt das Gen-A-Protein (bei ΦX174) in den plus-Strang einen Einzelstrangbruch ein. Am 3’-Ende des aufgebrochenen plus-Stranges beginnt dann die Neusynthese der DNA. Dabei wird das 5’-Ende verdrängt. Beim Phagen ΦX174 wird der neue plus-Strang direkt in die bereits assemblierten neuen Phagenköpfe hineinsynthetisiert. Sobald der neue Strang Genomlänge erreicht hat, wird er durch das Gen-A-Protein gespalten und zu einer ringförmigen EinzelstrangDNA ligiert. Die elektronenoptische Aufnahme zeigt ein sich als Rolling Circle replizierendes Genom von ΦX174 mit einem angehefteten Phagenkopf (Pfeil). (aus Kornberg und Baker, DNA Replication, Freeman, New York, 1992)

3

Viren Austausch von Genen über zellulären Kontakt zwischen geschlechtlich differenzierten Zellen (Konjugation) gelten ebenso als Kräfte der Evolution.

4.7 Klassifizierung der Viren Ursprünglich wurden Viren nach den von ihnen verursachten Krankheiten benannt. Das führte aber zu viel Konfusion, weil verschiedene Viren dieselben Krankheitssymptome verursachen können. Mangels eines genetischen Stammbaums wird die „Verwandtschaft“ der Viren deshalb unter Berücksichtigung einer Vielzahl von Kriterien durch Ermittlung von Ähnlichkeiten bestimmt. Hierzu zählen die Organisation der Genome in lineare, ringförmige, doppelsträngige oder einzelsträngige Nukleinsäuren, morphologische Merkmale, Kreuzreaktionen mit Antikörpern, Sequenzvergleiche der Genome, die Zahl der Chromosomen pro Partikel, sowie der Verwandtschaftsgrad der Wirtszellen. Daraus ergeben sich sehr komplexe Verwandtschaftsbeziehungen, die häufig eher verwirren als Klarheit schaffen. Für eine logische Einteilung der Viren bot sich daher eine allen Viren gleichermaßen gegebene, zentrale Eigenschaft, die Strategie der molekularen Vermehrung, an. Jedes Virus ist darauf angewiesen, seine genetische Information aus dem eigenen Genom abzurufen und von der jeweiligen Proteinsynthesemaschinerie der Wirtszelle in Protein umsetzen zu lassen. Getreu dem ursprünglichen Konzept von Francis Crick, nach dem ausgehend von der DNA zunächst die mRNA und danach das Protein entsteht, produzieren auch alle Viren zunächst eine mRNA. Später gab man den RNA-Molekülen, die als

mRNA fungieren, den Zusatz „ + “ (plus), um anzudeuten, dass die in der Nukleotidsequenz dieser RNA codierte Information ohne weitere Umwege für die Proteinsynthese genutzt werden kann. Konsequenterweise erhält dann der Strang eines Genoms (DNA oder RNA), von dem die mRNA abgelesen wird, ein „–“ (minus). Wenn man diese Eingruppierung konsequent durchführt und auf die Viren anwendet, ergibt sich ein sehr einfaches, leicht verständliches und vor allem ein sehr nützliches Einteilungsprinzip. Dieses schlug sich in dem von David Baltimore entwickelten „Baltimore-Schema“ (▶ Abb. 4.15) nieder. Dabei werden die Organisation der Genome und ihre Vermehrungsstrategien in den Mittelpunkt gestellt. Die beiden großen Klassen der DNA- und RNA-Viren werden in solche mit einzelsträngigen (ss) oder doppelsträngigen (ds) Genomen unterteilt. Dann wird die mRNA, die in Protein übersetzt werden kann, als plus-Strang und der komplementäre Strang (DNA- oder RNA-Matrize), der nicht als mRNA funktioniert, als minus-Strang bezeichnet. Dasselbe lässt sich auch auf DNA anwenden; eine DNA, die komplementär zur mRNA ist, wird ebenfalls als minus-Strang-DNA bezeichnet. So erfordert also die Synthese einer mRNA immer minus-Stränge von DNA oder RNA als Matrize. Auf diese Weise lassen sich sechs eindeutige Klassen der Viren unterscheiden.

4.8 Beispiele In ▶ Tab. 4.2 sind einige Beispiele für Viren zusammengestellt. Vorstellung und Beschreibung der Viren in diesem Kapitel folgen dem Baltimore-Schema. Die klassischen Familienbezeichnungen der Viren sind zur Orien-

Tab. 4.2 Beispiele von DNA- und RNA-Viren nach Genomstruktur geordnet. Virus

Genom Nukleinsäure

Struktur

Polarität

Nukleotide (kb)

T4

DNA

ds linear



168

SIRV

DNA

ds linear*



32–35

Adenovirus

DNA

ds linear



30–40

Herpesvirus

DNA

ds linear



80–140

Papillomavirus

DNA

ds ringförmig



4,5–7,5

SV40

DNA

ds ringförmig



5,2

AAV

DNA

ss linear



ΦX174

DNA

ss ringförmig

plus

5,4

Parvovirus

DNA

ss linear*

minus

1,8–2,7

M13 (fd, f1)

DNA

ss ringförmig

plus

6,4

Hepatitis B

DNA

ds/ss ringförmig



3,4

Φ6

RNA

ds linear



15

Rotavirus

RNA

ds linear fragmentiert



18, 55

TMV

RNA

ss linear

plus

6,2

PSTV (Viroid)

RNA

ss linear

plus

0,2–0,4

Influenza

RNA

ss linear

minus

0,9–2,3 (8 Chr.)

HIV

RNA

ss linear

plus

Retrovirus

RNA

ss linear

plus

* Die Enden der DNA sind zurückgefaltet

124

8,5

Viren Austausch von Genen über zellulären Kontakt zwischen geschlechtlich differenzierten Zellen (Konjugation) gelten ebenso als Kräfte der Evolution.

4.7 Klassifizierung der Viren Ursprünglich wurden Viren nach den von ihnen verursachten Krankheiten benannt. Das führte aber zu viel Konfusion, weil verschiedene Viren dieselben Krankheitssymptome verursachen können. Mangels eines genetischen Stammbaums wird die „Verwandtschaft“ der Viren deshalb unter Berücksichtigung einer Vielzahl von Kriterien durch Ermittlung von Ähnlichkeiten bestimmt. Hierzu zählen die Organisation der Genome in lineare, ringförmige, doppelsträngige oder einzelsträngige Nukleinsäuren, morphologische Merkmale, Kreuzreaktionen mit Antikörpern, Sequenzvergleiche der Genome, die Zahl der Chromosomen pro Partikel, sowie der Verwandtschaftsgrad der Wirtszellen. Daraus ergeben sich sehr komplexe Verwandtschaftsbeziehungen, die häufig eher verwirren als Klarheit schaffen. Für eine logische Einteilung der Viren bot sich daher eine allen Viren gleichermaßen gegebene, zentrale Eigenschaft, die Strategie der molekularen Vermehrung, an. Jedes Virus ist darauf angewiesen, seine genetische Information aus dem eigenen Genom abzurufen und von der jeweiligen Proteinsynthesemaschinerie der Wirtszelle in Protein umsetzen zu lassen. Getreu dem ursprünglichen Konzept von Francis Crick, nach dem ausgehend von der DNA zunächst die mRNA und danach das Protein entsteht, produzieren auch alle Viren zunächst eine mRNA. Später gab man den RNA-Molekülen, die als

mRNA fungieren, den Zusatz „ + “ (plus), um anzudeuten, dass die in der Nukleotidsequenz dieser RNA codierte Information ohne weitere Umwege für die Proteinsynthese genutzt werden kann. Konsequenterweise erhält dann der Strang eines Genoms (DNA oder RNA), von dem die mRNA abgelesen wird, ein „–“ (minus). Wenn man diese Eingruppierung konsequent durchführt und auf die Viren anwendet, ergibt sich ein sehr einfaches, leicht verständliches und vor allem ein sehr nützliches Einteilungsprinzip. Dieses schlug sich in dem von David Baltimore entwickelten „Baltimore-Schema“ (▶ Abb. 4.15) nieder. Dabei werden die Organisation der Genome und ihre Vermehrungsstrategien in den Mittelpunkt gestellt. Die beiden großen Klassen der DNA- und RNA-Viren werden in solche mit einzelsträngigen (ss) oder doppelsträngigen (ds) Genomen unterteilt. Dann wird die mRNA, die in Protein übersetzt werden kann, als plus-Strang und der komplementäre Strang (DNA- oder RNA-Matrize), der nicht als mRNA funktioniert, als minus-Strang bezeichnet. Dasselbe lässt sich auch auf DNA anwenden; eine DNA, die komplementär zur mRNA ist, wird ebenfalls als minus-Strang-DNA bezeichnet. So erfordert also die Synthese einer mRNA immer minus-Stränge von DNA oder RNA als Matrize. Auf diese Weise lassen sich sechs eindeutige Klassen der Viren unterscheiden.

4.8 Beispiele In ▶ Tab. 4.2 sind einige Beispiele für Viren zusammengestellt. Vorstellung und Beschreibung der Viren in diesem Kapitel folgen dem Baltimore-Schema. Die klassischen Familienbezeichnungen der Viren sind zur Orien-

Tab. 4.2 Beispiele von DNA- und RNA-Viren nach Genomstruktur geordnet. Virus

Genom Nukleinsäure

Struktur

Polarität

Nukleotide (kb)

T4

DNA

ds linear



168

SIRV

DNA

ds linear*



32–35

Adenovirus

DNA

ds linear



30–40

Herpesvirus

DNA

ds linear



80–140

Papillomavirus

DNA

ds ringförmig



4,5–7,5

SV40

DNA

ds ringförmig



5,2

AAV

DNA

ss linear



ΦX174

DNA

ss ringförmig

plus

5,4

Parvovirus

DNA

ss linear*

minus

1,8–2,7

M13 (fd, f1)

DNA

ss ringförmig

plus

6,4

Hepatitis B

DNA

ds/ss ringförmig



3,4

Φ6

RNA

ds linear



15

Rotavirus

RNA

ds linear fragmentiert



18, 55

TMV

RNA

ss linear

plus

6,2

PSTV (Viroid)

RNA

ss linear

plus

0,2–0,4

Influenza

RNA

ss linear

minus

0,9–2,3 (8 Chr.)

HIV

RNA

ss linear

plus

Retrovirus

RNA

ss linear

plus

* Die Enden der DNA sind zurückgefaltet

124

8,5

4.8 Beispiele

DNA-Viren I + –

RNA-Viren II

+ –

oder

+

III + –

IV +

V –



VI +

Abb. 4.15 Klassifizierung der Viren nach David Baltimore. Erklärung siehe Text. (nach Lodisch et al., Molekulare Zellbiologie, Walter de Gruyter, Berlin, New York, 2001)





+ –

+

mRNA

d ●

Methode 4.1 Phagenvektoren Die Tatsache, dass Phagen ihre DNA in kurzer Zeit nach der Infektion in Proteinhüllen verpacken, hat man sich zur Konstruktion von Phagenvektoren zunutze gemacht. Die großen ikosaedrischen Phagen, wie der Phage λ, verpacken ihre neu synthetisierte DNA in vorgeformte Kopfhüllen und verschließen diese dann durch Anheftung von Schwanzkomponenten, wodurch die Köpfe zu neuen infektiösen Partikeln komplettiert werden (vergleichbar dem Phagen T 4; s. Plus 4.3). Bei diesem Vorgang kann man den Phagen dazu bewegen, auch fremde DNA in den Kopf zu packen (S. 212). Die Menge der DNA, die in einen Kopf verpackt werden kann, ist jedoch nur unbedeutend größer als das Genom des Phagen λ. Deshalb entfernt man zuvor ein Stück DNA aus dem Phagengenom, das für die normale Infektion des Bakteriums E. coli nicht benötigt wird (b2-Region) und ersetzt es durch fremde DNA. Diese wird dann von

tierung jedoch in Klammern mit angegeben, sobald diese zum ersten Mal genannt werden. Weiterhin wurden die Viren einer Klasse jeweils in Viren der Prokaryonten oder Viren der Eukaryonten untergliedert. Das ist nützlich, da sich die Welt der Prokaryonten (ohne Zellkern) sehr von der der Eukaryonten (mit Zellkern) unterscheidet. Die Zugehörigkeit zu der einen oder anderen Klasse signalisiert dem Kenner unmittelbare Gemeinsamkeiten der betroffenen Viren. Im Folgenden besprechen wir exemplarisch eine Auswahl von Phagen und Viren.

dem Phagensystem ganz unspektakulär mit verpackt. Jeder auf diese Weise zusammengebaute Phage enthält nun ein Stück fremder DNA und bildet einen Klon. Der gesamte Verpackungsvorgang lässt sich heute unter Einsatz gereinigter Komponenten im Reagenzglas (in vitro) durchführen. Nach Infektion von Bakterien wird das klonierte Stück DNA beliebig oft durch den Vektorphagen mit vermehrt und kann schließlich in reiner Form wiedergewonnen werden. Wegen der begrenzten Länge des nichtessenziellen Genomabschnitts lassen sich auf diese Weise DNA-Stücke bis zu einer Länge von 20 kb klonieren. Um auch noch größere DNA-Fragmente wirkungsvoll zu klonieren, bedient man sich eines auf der Grundlage des Phagen M13 entwickelten Vektors, der wegen seiner filamentösen Konstruktion kaum Platzprobleme hat und nahezu jedes DNA-Molekül mit Hüllprotein bedeckt.

4.8.1 Doppelsträngige DNA-Viren (Klasse-I-Viren) Doppelsträngige DNA-Viren der Bakterien Bakteriophagen kommen überall dort vor, wo man auch ihre Wirte, die Bakterien, findet: im Boden, im Wasser, selbst in der Tiefsee und in heißen Quellen. Heute kennt man weit über 4 000 unabhängige Isolate von Phagen und über 100 verschiedene Bakterien als Wirte. Nur wenige wurden jedoch bisher gut untersucht. Beispiele sind der Phage T 4 und der Phage λ. Die Phagen λ und M13 (ein ssDNA-Phage) werden als Vektoren zum Klonieren von DNA verwendet (Methode 4.1). Das Einschleusen der Phagen in die jeweiligen Wirtszellen erfolgt durch Adsorption an Empfängerproteine (Rezeptoren) auf der äußeren Zelloberfläche. Mutationen

5

Viren in diesen Rezeptoren machen die Zelle resistent gegen Phagenbefall. Die Phagen können allerdings mit Gegenmutationen reagieren und so die Resistenz umgehen (Host-Range-Mutationen). Der eigentliche Schritt des Eintritts (Penetration) des Genoms in die Zelle erfordert eine lokale Öffnung der Zellbegrenzung. Dieses geschieht durch spezialisierte Enzyme, z. B. Lysozym.

durch das Schwanzrohr des Phagen in das Zellinnere injiziert. Das 169 kb große Genom des Phagen T 4 ist doppelsträngig linear. Es wird zunächst ausgehend von einem Hauptreplikationsursprung bidirektional repliziert. Danach werden weitere Replikationsstartstellen durch homologe Rekombination geschaffen, wodurch die Nettosynthese der DNA drastisch erhöht wird; bereits 25 Minuten nach der Infektion wurden ca. 300 fertige, neue Phagen synthetisiert. Weiteres Material für nochmals dieselbe Menge unfertiger Phagenpartikel wurden ebenfalls bereitgestellt. Von den 120 Genen sind rund die Hälfte frühe Gene, die mit der Inaktivierung des Wirtsgenoms und der Neusynthese von Nukleinsäure zu tun haben. Die späten Gene spielen vornehmlich beim Zusammenbau der Strukturen des reifen Phagen eine Rolle. Diese Strukturen sind der Kopf, der aus einer Kopfvorform (Prohead) entsteht, der Schwanz, die Schwanzfasern, die Basalplatte mit Anhängseln und der Kragen (▶ Abb. 4.9). Alle Komponenten werden für sich getrennt über unabhängige Synthesewege zusammengebaut und dann erst nach einer festgelegten Reihenfolge zusammengefügt. In der Cytoplasmamembran entstehen Löcher, die mit angereichertem Porin ausgekleidet werden. Durch diese Löcher dringt das in der Zelle gebildete Lysozym zur

▶ Der Phage T 4 (Myoviridae). Der Phage T 4 gehört zu den am besten untersuchten, sich lytisch vermehrenden bakteriellen Viren. Er besteht aus zwei deutlich voneinander abgesetzten morphologischen Einheiten, dem Kopf und dem Schwanz. Hinzu kommen spezielle Anhänge (▶ Abb. 4.9). Die Köpfe bestehen aus nur vier Proteinen, von denen drei hexagonale Flächen bilden. Die Ecken werden von einem Pentamer gebildet. Mutationen in den Genen dieser Proteine können zu Kopfvarianten führen, die besonders lang (Giants) oder besonders kurz (Petits) sind. Sensoren an den Enden der Schwanzfasern docken an die Porinproteine auf der äußeren Membran von Escherichia coli an. Die Zellwand wird dann lokal mithilfe eines Schwanzstachels und des mitgebrachten Lysozyms mechanisch und enzymatisch durchbrochen und die DNA

TP

dCTP pTP

1

5'

5'

Ad Protease

5

5'

NF III NF I Ad pol

Ad DBP dNTPs

5' Ad DBP

mehrere Replikationsrunden

Typ-I-Form

4

Typ-II-Form

2

pTP Ad pol NF I, III 3 Ad DBP

Abb. 4.16 Semikonservative Replikation der linearen Genome der Adenoviren. Die Replikation verläuft unidirektional. Sie startet von den beiden 3’-Enden der Matrizen-DNA und endet an deren 5’-Enden. Um eine verlustfreie DNA-Synthese der linearen DNA zu gewährleisten, wird jeweils ein Molekül eines 55-kDa-Proteins (TP) kovalent an die 5’-Enden der DNA gebunden (①), während sich die Replikationsproteine am Gegenstrang unter Faltung des 5’-Stranges für den Synthesestart anlagern (Typ-I-Form, [②]). Hierzu gehören das terminale Vorläuferprotein (pTP), die DNA-Polymerase (Ad pol), das einzelstrangbindende Protein (Ad DBP), die nukleären Faktoren NFI und NFIII und ein Molekül Desoxycytidintriphosphat (dCTP), das über einen Serinrest kovalent an pTP gebunden ist. Die erste Replikationsrunde endet mit der vollständigen Abtrennung (Displacement) des 5’→3’-Einzelstrangs, dessen Enden über terminale palindromische Sequenzen hybridisieren (③). Dadurch bildet sich eine große Schleifenstruktur, an deren 5’-Ende immer noch das terminale Protein (TP) gebunden ist. Letzteres startet in einem neuen Replikationsmodus (Typ-II-Form) die Replikation dieser Schleifenstruktur (④). Nach Vervollständigung der Replikation wird pTP durch eine Protease (Ad Protease) in TP gespalten (⑤). Dieses leitet die nächste Runde der Replikation ein.

126

4.8 Beispiele Zellwand vor und zerstört diese, wonach die fertigen Phagen freigesetzt werden.

a

Doppelsträngige DNA-Viren der Eukaryonten

▶ SV40 (Simian Virus, Polyomaviridae). Das SV40-Virus (▶ Abb. 4.17a) hat eine ringförmige, doppelsträngige DNA mit mehreren Genen (▶ Abb. 4.17b). Sein 5 243 bp umfassendes Genom ist zusammen mit Nukleosomen der Wirtszelle in eine Proteinhülle (Core) eingeschlossen. Mithilfe eines Hüllproteins nimmt das Virus Kontakt zur

b

egion te R spä

EcoRI

SV40 5243 Bp

Poly A

ori 43

0 52

Die komplexeren DNA-Viren wie Adenovirus und Herpesvirus zeigen – wie die Phagen – eine frühe und späte Phase der Genexpression. Der minus-Strang des Genoms wird nach dem Transfer in den Zellkern mithilfe zellulärer Enzyme in plus-mRNA transkribiert und diese in Struktur- und Nichtstrukturproteine translatiert. Dazu benutzen auch diese Viren die zelluläre Transkriptions- und Translationsmaschinerie. Die linearen Genome der Adenoviren werden semikonservativ repliziert (▶ Abb. 4.16). Die Replikationsursprünge (engl. origins) befinden sich an den Enden der linearen Moleküle. Die Initiation der Replikation erfolgt über ein am 5’-Ende gebundenes Protein mit kovalent gebundenem Desoxycytidintriphosphat (dCTP), das seine 3’-OH-Gruppen als Primer für die virusinduzierte DNAPolymerase zur Verfügung stellt. Dadurch wird eine verlustfreie Vermehrung der beiden Stränge der linearen DNA gewährleistet; ganz anders als dies bei der Verdopplung der linearen DNA aus Chromosomen in den Zellen der Eukaryonten geschieht: Dort müssen die am Rückwärts- oder Lagging-Strang auftretenden Verluste von Zeit zu Zeit durch Telomerasen ersetzt werden. Die linearen DNA-Genome der Herpesviren, die beim Menschen Bläschenausschläge hervorrufen, werden in der Zelle zirkularisiert. Die Viren lysieren dann entweder die Zellen oder etablieren einen latenten Zustand, in dem die virale DNA plasmidähnlich als Episom vorliegt und von der zellulären DNA-Polymerase repliziert wird. Ein bekanntes Beispiel dafür ist das Epstein-Barr-Virus (EBV), das mit hoher Rate menschliche B-Lymphocyten zum Burkitt’s Lymphom transformiert. Zu den doppelsträngigen DNA-Viren zählen viele Tumorviren, die kultivierte Zellen in Tumorzellen mit unbegrenztem Teilungswachstum transformieren können. In den Zellen der Tumoren sind keine Viren mehr nachweisbar, stattdessen haben alle Zellen ein Stück des Virusgenoms oft an exakt derselben Stelle im Genom integriert. Das ist ein Hinweis darauf, dass alle Zellen eines Tumors auf eine einzige Ursprungszelle mit nur einem Integrationsereignis zurückzuführen sind. Die Integrationsorte können jedoch von Tumor zu Tumor verschieden sein. Die integrierten Gene (Onkogene) werden von der Wirtszelle abgelesen und produzieren eine viruseigene mRNA und die Onkoproteine.

R fr ü h e

eg

ion

Abb. 4.17 SV40. a Elektronenmikroskopische Aufnahme von SV-40-Virus befallenen Zellen (aus Hirsch-Kaufmann et al., Biologie und molekulare Medizin, Thieme, 2009, Aufnahme W. Hecker, Basel) b EcoRI-Restriktionsgenkarte des SV40-Virus. Der Replikationsursprung ori teilt das Genom in die in entgegengesetzte Richtungen codierten frühen und späten Funktionen. Die braunen Pfeile repräsentieren die Proteine. Das große TAntigen wird nach Entfernen einer intervenierenden Sequenz translatiert. Eine Verschiebung des Leserasters ergibt die Sequenz für das kleine T-Antigen, das ebenfalls von dieser mRNA ausgehend translatiert wird. Die viralen Kapselproteine VP1, VP2 und VP3 werden von einer späten mRNA translatiert.

Wirtszelle auf und wird dann durch Endocytose in die Zelle aufgenommen. Es wird in den Kern transportiert, wo das Genom mithilfe von Wirtsproteinen repliziert wird. Die Regulatorregion des Virusgenoms hat Ähnlichkeit mit den Transkriptionsstartstellen des Wirtsgenoms und wird deshalb von zellulären Transkriptionsfaktoren

7

Viren

●V

Plus 4.5 Funktionelle Domänen des großen T-Antigens von SV40 Das große T-Antigen ist ein frühes Genprodukt von SV40. Es ist ein multifunktionales 90 kDa großes Protein, das vorwiegend im Kern aktiv ist (▶ Abb. 4.18). Es wird im Cytoplasma synthetisiert und dann mithilfe einer Kernlokalisierungssequenz in den Kern transportiert. Dort bindet es mit seiner DNA-Bindedomäne, einem Zn-Finger-Motiv, an den Replikationsursprung von SV40 und ermöglicht dadurch dessen Replikation. Mithilfe seiner Helikase- und ATPase-Aktivitäten entwindet es den DNA-Strang am Replikationsursprung und tritt über zwei gesonderte Domänen mit der DNA-Polymerase und der α-Primase des Wirtes direkt in Kontakt.

Bindung an RB107 132 1

Zn-Finger

NLS

302 320

Weiterhin ist das große T-Antigen an der Regulation der Transkription der frühen Gene beteiligt, indem es an die Promotoren der frühen Gene bindet, diese stilllegt und die Transkription der späten Gene aktiviert. Dadurch reguliert es auch als frühes Protein seine eigene Synthese. Das große T-Antigen besitzt außerdem eine Bindestelle für das Tumorsuppressorprotein p53 und spielt damit eine Rolle bei der Tumorentstehung. Ebenso kann es das Protein RB107 binden, ein Regulatorprotein für verschiedene zelluläre Gene. RB107 wird dadurch inaktiviert und die Zellteilung nachhaltig gestört. Fraktionen des großen T-Antigens können in unterschiedlichem Ausmaß an verschiedenen Serin- und Threoninresten phosphoryliert und durch diese Modifikationen in ihrer Wirkung verändert werden.

Bindung an p53 Helikase

102

82

P

P 708

131

259

DNA-Bindung

Abb. 4.18 Die Struktur des großen TAntigens von SV40. Die Zahlen von 1– 708 geben die Positionen der entsprechenden Aminosäuren an. NLS, Kernlokalisierungssequenz; P, Phosphoserin/ Phosphothreonin.

517

ATPase

Interaktion mit DNA-Polymerase/α-Primase

erkannt und abgelesen. Das Virus bringt für die Replikation keine eigene DNA-Polymerase mit, sondern steuert nur Polypeptide bei, die mit den zellulären DNA-Polymerasen in Wechselwirkung treten und ihre Funktionen so modifizieren, dass die viralen Nukleotidsequenzen bevorzugt repliziert werden. Dieser Prozess beginnt am Replikationsursprung und verläuft bidirektional und semikonservativ. Ungefähr die Hälfte des viralen Genoms codiert zwei frühe Proteine, die Tumorantigene (T-Antigene, Plus 4.5). Die entsprechende Vorläufer-mRNA wird kurz nach der Infektion entgegen dem Uhrzeigersinn mit dem minusStrang des Ringchromosoms als Matrize transkribiert. Diese mRNA wird in Fragmente zerlegt und im Cytoplasma in die beiden T-Antigene translatiert. Die späten Proteine werden in die Gegenrichtung transkribiert. Das größere der beiden T-Antigene kehrt zurück in den Zellkern und bindet an zwei vorgegebene Stellen in der Regulatorregion des SV40-Genoms. Die Bindung an die eine Stelle unterbricht die Transkription des SV40-Genoms, die Bindung an die zweite Stelle leitet die Replikation des Wirtsgenoms ein. Die neu synthetisierten Chromosomen werden mithilfe von Nukleosomen kondensiert und in Proteinkapseln verpackt. Nach Expression der späten Gene erfolgt die wei-

128

tere Verpackung in Kapsomere. Die Nachkommen bleiben im Zellkern, bis die Zelle abstirbt, auseinanderfällt und ihre Virusfracht freigibt. Nicht immer verläuft eine SV40-Infektion nach diesem Muster. Es kommt vor, dass in manchen Zellen keine Nachkommen produziert werden, sondern das Genom des Virus in das Genom der Wirtszelle integriert wird, vergleichbar der Lysogenie bei Bakteriophagen oder der Integration des Adenovirus. Dadurch entwickelt sich die Zelle zu einer Tumorzelle. ▶ Papillomviren (Papillomaviridae). Diese Viren gleichen dem SV40-Virus. Eine Untergruppe dieser Viren löst Hauttumore aus, oft nach Sonnenlichteinstrahlung. Letzteres wird als Hinweis auf die Beteiligung von Wirtsfaktoren bei der Tumorentstehung angesehen. In den meisten der isolierten Tumorzellen werden von den 8 frühen und 2 späten Proteinen die beiden späten Virusproteine in nachweisbaren Mengen produziert. Die zugehörigen Gene gehören deshalb zu den Onkogenen, und Mutationen in diesen Genen können ihre transformierende Wirkung aufheben. Umgekehrt kann man durch Injektion dieser beiden Proteine in eine empfängliche Zelle erreichen, dass sie zur Tumorzelle transformiert wird. Die heute in der experimentellen Biologie und Medizin weit ver-

4.8 Beispiele

a

lineares DNA-Genom

b

Fiberprotein (IV)

Pentonbasisprotein (III) Hexonprotein (II)

Protein VI

Core-Protein (V)

Protein VIII

Protein IIIa

terminales Protein

Core-Protein (VII) Protein IX

Abb. 4.19 Adenovirus. a Das Virus bildet ein einfaches Ikosaeder mit 12 aus seinen Ecken ragenden Spikes. Im Inneren liegt die mit Proteinen assoziierte doppelsträngige DNA (dsDNA). Die das Kapsid aufbauenden Proteine sind mit römischen Zahlen bezeichnet. b Elektronenmikroskopische Aufnahme von Adenoviren (aus Hirsch-Kaufmann et al., Biologie und molekulare Medizin, Thieme, 2009, Aufnahme M. Wurtz, Biozentrum Basel)

breitete Zelllinie HeLa stammt von einem durch Papillomviren ausgelösten Gebärmutterhals(Cervix)-Tumor ab. Sie wurden ursprünglich der Patientin Henrietta Lacks (HeLa) ohne ihr Wissen zu wissenschaftlichen Zwecken entnommen. ▶ Adenoviren (Adenoviridae). Adenoviren wurden zum ersten Mal aus Rachenmandeln isoliert. Darunter sind Vertreter, die Zellen zu Tumorzellen transformieren können. Das Adenovirus hat ein ca. 36 kb großes, doppelsträngiges, lineares DNA-Genom, das in einem ikosaedrischen Kapsid kondensiert ist (▶ Abb. 4.19). Aus jeder der 12 Ecken des Ikosaeders ragt ein Spike (Fortsatz) nach außen, der für die Anheftung an die Wirtszelle erforderlich ist. Das Virus wird durch Endocytose ins Innere der Zelle aufgenommen und weiter zum Zellkern transportiert. Auf diesem Weg wird das Genom des Virus ausgepackt. Im Kern werden zunächst die frühen Gene transkribiert, dann die verzögert-frühen Gene. Die Proteine der frühen Gene regulieren die Transkription der verzögert-frühen Gene in der Wirtszelle sowie die Replikation des Virusgenoms. Dann werden die späten Gene aktiviert und produzieren überlange, mit Introns und Exons versehene mRNAs, die anschließend in passende Fragmente gespleißt werden. Für die Transformation von empfänglichen Zellen werden eines der frühen und zwei der verzögert-frühen Proteine gebraucht. Das Adenovirus kann aufgrund langsamer Vermehrung in den menschlichen Tonsillen persistieren, ohne erkennbare Schäden anzurichten. Es löst in Hamsterzellen, nicht aber in menschlichen Zellen, Tumore aus, indem es an vielen Stellen im Genom integriert.

▶ Doppelsträngige DNA-Viren der Archaebakterien. In Archaebakterien wurden morphologisch auffällige Phagen, aber auch extrachromosomale Elemente beschrieben. Während die meisten euryarchaealen Viren an den Kopf-Schwanz-Typ der Bakteriophagen erinnern, gibt es noch eine Reihe spindel- und stäbchenförmiger Viren, die meist Vertreter der extrem thermophilen Gattung Sulfolobus (Crenarchaeota) befallen. Zur Evolution dieser Viren haben Mechanismen wie Rekombination, Genduplikation, horizontaler Gentransfer und Gensubstitution von viralen Genen durch homologe Wirtsgene beigetragen.

4.8.2 Partiell doppelsträngige DNA-Viren Viren mit einem gleichzeitig aus partiell doppel- und einzelsträngiger DNA bestehenden Genom wurden bisher nur für Eukaryonten beschrieben. Ihre Eigenschaften werden exemplarisch am Beispiel des Hepatitis-B-Virus beschrieben (▶ Abb. 4.20). ▶ Hepatitis B (Hepadnaviridae). Hepatitis ist eine Leberentzündung, die durch die Viren Hepatitis A (Picornaviridae), Hepatitis B (Hepadnaviridae) oder Hepatitis C (Flaviviridae) ausgelöst werden kann. Hepatitis A und C werden am häufigsten durch verschmutze Nahrung und Wasser übertragen. Hepatitis B wird durch kontaminiertes Blut und Blutprodukte übertragen. Viele Hepatitis-AInfektionen verlaufen ohne Symptome und ihre Träger entwickeln Antikörper gegen das Virus, die lebenslang gegen weitere Infektionen schützen. Andere Patienten entwickeln eine durch Gelbsucht erkennbare Leberentzündung. Seit Blutkonserven auf Hepatitis B getestet wer-

9

Viren

–/+ DNA

ER/Golgi-Apparat

– DNA reverse Transkription ccc-DNA

RNA

mRNA Cap Cap

Leberzelle

Cap

Polymerase/ RT

An An An

L-, M-, S-, PräCund X-Protein

CoreProtein

ε

An

cap

Prägenom

den, verringerte sich die Rate der nach Bluttransfusionen an Hepatitis B Erkrankten um 90 %. Manche Patienten tragen das Virus ein Leben lang in sich, wobei dieses fortwährend Nachkommen produziert. Dadurch erwerben diese Menschen ein hohes Risiko, Leberkrebs zu entwickeln. Tatsächlich ist Hepatitis B weltweit die häufigste Ursache für Leberkrebs, vor allem in den Ländern Asiens und Afrikas. Hepatitis C verursacht chronische Lebererkrankungen, möglicherweise auch Leberkrebs. Das Hepatitis-B-Virusgenom besteht aus nur vier Genen und ist eng mit einer DNA-Polymerase assoziiert, die als erstes nach Infektion den einzelsträngigen Anteil der viralen DNA zum Doppelstrang vervollständigt. Das Genom ist von einer Proteinhülle (Core-Antigen) und diese von einer Membran umgeben, aus deren Oberfläche die zur Adsorption erforderlichen Lipoproteine herausragen. Die Entwicklung gleicht in vieler Hinsicht der eines Retrovirus (S. 132), wobei das Genom jedoch aus DNA und nicht aus RNA besteht. Das Virus benutzt Abschnitte des Polymerasegens (P) zur Synthese der anderen drei Proteine (ein Antigen S, ein Core-Protein C und ein Protein X unbekannter Funktion), indem es einen Teil der Sequenzen in einem der beiden anderen Leseraster abliest und translatiert. Das PGen codiert eine große RNA für die Polymerase und ein kleines Protein, das zum Start der DNA-Synthese erforderlich ist. Das X-Protein stimuliert die mRNA-Synthese in noch unbekannter Weise. Nach Herstellung des kompletten Doppelstrangs wird der minus-Strang der DNA im Zellkern in eine lange und mehrere kürzere RNA-Moleküle transkribiert. Die lange RNA codiert eine Reverse Transkriptase, die gleichzeitig als DNA-Polymerase fungiert. Die kürzeren RNAs dienen als Matrize für das S-, C- und X-Protein. Die DNA-Polymerase kopiert nun die mRNA in eine komplementäre minus-Strang-DNA, die nach Abbau der RNA-Matrize als einzelsträngiges DNA-Genom zurückbleibt und zu einer

130

Abb. 4.20 Entwicklung des Hepatitis-B-Virus (HBV). Nach Eindringen in die Zelle und Entpacken wird das teilweise einzelsträngige virale Genom in den Zellkern transportiert, wo es durch zelluläre Reparaturfunktionen in ein kovalent geschlossenes, ringförmiges, superspiralisiertes Molekül umgewandelt wird (ccc-DNA). Dieses Molekül wird dann in ungespleißte, am 5’-OH-Ende mit einer Cap-Struktur versehene und polyadenylierte (An) mRNA-Moleküle transkribiert, die im weiteren Verlauf in virale Proteine translatiert werden. Weiterhin dient die redundante 3,5 kb große RNA als ein RNAProgenom, das in virale Cores verpackt, zurücktranskribiert und dann durch Knospung durch das endoplasmatische Retikulum (ER) ausgeschleust wird.

doppelsträngigen plus-Strang-DNA komplettiert wird. Der letzte Syntheseschritt läuft merkwürdigerweise nicht im Kern, sondern im Cytoplasma ab. Hier wird die fertige DNA dann auch in die neuen Viruspartikel kondensiert, wobei diese beim Ausschleusen aus der Zelle mit zwei in den Membranen des endoplasmatischen Retikulums eingelagerten Proteinen umhüllt werden.

4.8.3 Einzelsträngige DNA-Viren (Klasse-II-Viren) Bei den einzelsträngigen DNA-Viren wird zwischen plusund minus-Strang-DNA-Viren unterschieden.

Einzelsträngige DNA-Viren der Prokaryonten Alle bisher bekannten, mit einzelsträngigem DNA-Genom ausgestatten Phagen sind vom plus-Strang-Typ. ▶ Ff-Phagen (Inoviridae). Die Ff-Phagen sind 895 nm lang, haben einen Durchmesser von 6 nm und enthalten ein ringförmiges einzelsträngiges plus-Strang-DNA-Genom, das von einer Proteinhülle umschlossen wird. Beispiele sind die eng verwandten Phagen f1, fd und M13 (▶ Abb. 4.11). Sie haben nur 11 Gene, die aufgrund des Platzmangels auf dem Genom zum Teil überlappend angeordnet sind; sie werden in unterschiedlichen Richtungen abgelesen. Damit gehören sie zu den kleinsten bekannten Phagen. Innerhalb der Proteinhülle ist die DNA exakt orientiert und ein haarnadelförmig gefaltetes Verpackungssignal liegt an dem einen Ende des Partikels, das als erstes ausgeschleust wird. Das andere Ende wird von 5 Molekülen 2 verschiedener Proteine markiert und dient der Adsorption bei Neuinfektion von Wirtszellen. Die Virionen heften sich zur Adsorption an die Spitze von F-Pili,

4.8 Beispiele

7

6

Rolling Circle

1 F-Pilus

gp5

5

E.-coli-Zelle (–)

M13-Phage Hüllprotein

2

(+) 3

Rep

Zellmembran Zellwand

RF-Form

4

Abb. 4.21 Entwicklung des Bakteriophagen M13. Der Phage M13 bindet mit seinem endständigen Adsorptionsprotein an die Spitze eines F-Pilus von Escherichia coli (①). Die Aufnahme der ssDNA erfolgt jedoch durch die Zellwand. Dabei wird das Hüllprotein abgestreift und zur Wiederverwendung in der Cytoplasmamembran gelagert (②). Die ssDNA wird im Inneren durch Wirtsproteine zum dsDNARing aufgefüllt (replikative DNA, RF-Form (③). Nach Vermehrung der RF-DNA unter Zuhilfenahme zweier Replikationsproteine (Rep, [④]) werden einzelsträngige plus-Strang-Ringmoleküle nach dem Rolling-Circle-Mechanismus synthetisiert (⑤) und diese mit dem DNA-bindenden Protein gp5 abgedeckt (⑥). Beim Austritt aus der Zelle wird letzteres abgestreift und gegen das in der Membran eingelagerte Hüllprotein ausgetauscht (⑦). Die Verpackung der DNA erfolgt von dem in der intergenen Region (IG) liegenden Verpackungssignal aus (vgl. ▶ Abb. 4.11).

die von F+-Bakterien gebildet werden, und gelangen dann durch die Zellwand ins Innere der Zelle (Escherichia coli). Die Replikation verläuft in drei Abschnitten (▶ Abb. 4.21). Zuerst wird das virale einzelsträngige plusStrang-Genom durch minus-Strang-Synthese in eine doppelsträngige replikative Form (RF-Form) umgewandelt. Dann wird die RF-Form der DNA durch eine weitere RFSynthese vermehrt. Dadurch entstehen ausreichend Matrizen für eine wirkungsvolle Transkription und Translation. Erst danach wird die Replikation auf die Produktion ringförmiger ssDNA umgestellt. Die Replikation verläuft kontinuierlich über viele Runden entlang des ringförmigen Matrizenstranges nach dem Rolling Circle-Mechanismus. Ff-Phagen werden erst an der Membran der Wirtszelle zusammengebaut, wobei die Verpackung der ssDNA von einem Ende her erfolgt, bis der gesamte DNA-Ring bedeckt ist. Die DNA wird dann beim Durchtritt durch die Cytoplasmamembran von dem dort eingelagerten Hüllprotein umgeben (Recycling). Dieser Prozess erlaubt es, die Ff-Phagen zu wirkungsvollen Klonierungsvehikeln umzubauen, die große Stücke fremder DNA enthalten und bei einer Infektion an neue Wirtszellen weitergeben (vgl. Methode 4.1) (S. 125). Die Ff-Phagen töten ihre Wirtszellen nicht ab, sondern schleusen ihre Nachkommen kontinuierlich aus den sich verlangsamt weiter vermehrenden Wirtszellen. ▶ Der Phage ΦX174 (Microviridae). Der Phage ΦX174 besitzt wie die Ff-Phagen ein einzelsträngiges, ringförmiges plus-Strang-Genom (vgl. ▶ Abb. 4.14). Im Gegensatz zu den Ff-Phagen hat ΦX174 jedoch einen ikosaedrischen Kopf und keinen Raum für zusätzliche DNA. Das Genom

wurde als erstes in den 1990er-Jahren vollständig sequenziert. Die 11 Gene sind wegen des geringen Platzes auf der DNA ineinandergeschoben und überlappen sich teilweise (vgl. Hepatitis-B-Virus) (S. 129). Der Phage ΦX174 adsorbiert irreversibel über die Knopfstrukturen an Lipopolysaccharide in der äußeren Membran von E. coli oder Salmonella enterica ser. Typhimurium, vorzugsweise an Stellen, an denen die äußere Membran mit der Cytoplasmamembran in Kontakt steht. Die DNA wird durch den angehefteten Fortsatz in das Innere der Zelle transferiert, bleibt aber mit der äußeren Membran assoziiert. Im Cytoplasma erfolgt die Synthese des viralen plusStranges zur replikativen RF-Form. Nach ungefähr 20– 30 Minuten wird die DNA-Synthese der Wirtszelle eingestellt. Ungefähr 20 Minuten nach der Infektion liegen rund 30 Rolling Circle des Phagen ΦX174 vor, die den gesamten Vorrat der DNA-Polymerase III der Wirtszelle absorbieren. Die Wirtszellen hören auf sich zu teilen und wachsen filamentös aus, bis sie langsam absterben.

Einzelsträngige DNA-Viren der Eukaryonten Die Genome einzelsträngiger DNA-Viren können bei einund derselben Art vom plus-Strang- oder vom minusStrang-Typ sein. ▶ Parvoviren (Parvoviridae). Die Parvoviren gehören zu den kleinsten bekannten Viren (lat. parvus, klein). Sie sind unter den human- und tierpathogenen Viren die einzigen mit einem einzelsträngigen DNA-Genom. Zu ihnen gehören die Erreger der Katzenseuche bei Katzen und der Ringelröteln beim Menschen. Die Parvoviren haben keine

1

Viren Information für eine eigene DNA-Polymerase. Ähnlich den Polyomaviren verwenden sie zur Genomreplikation zelluläre Enzyme, die in ihrer Funktion modifiziert werden. Auf diese Weise entstehen komplementäre, zirkuläre doppelsträngige DNA-Intermediate, die anschließend wieder in Einzelstranggenome umgeschrieben werden. An den 5’- und 3’-Enden des Genoms befinden sich terminale invertierte Sequenzwiederholungen (engl. inverted terminal repeats, ITR), die zu terminalen doppelsträn-

3'

d A c b a

A B C a D

5'

1 B

A 3' a D

C

5' a d A

b c

5' a d A

b c

2 B

A d a D

C

3'

3 B

A d a D

C

D a C B A d A c b a

3' 5'

D a C B A d A c b a

3' 5'

4 5' 3'

A B C a d a b c A D

4.8.4 Die plus-Strang-RNA-Viren (Klasse-IV- und Klasse-VI-Viren)

C

B

3'

a

d

a

D

A

5'

d

A

Die plus-Strang-RNA-Viren der Prokaryonten

A

a d A D

B

a

c

b c

6 C B

D a 3' A

a d A 5' b c

a d A D

C B

7

D 3' d A c b a

5'

Abb. 4.22 Replikation von Parvoviren. Vorgeschlagenes Modell der Replikation eines Parvovirus (z. B. adenoassoziierte Viren, AAV). Die DNA der Parvoviren faltet sich an den Enden zu Haarnadelschleifen (①), von denen die linke als Primer für DNASynthese nach rechts benutzt wird (②). Dadurch wird die rechte Haarnadel „ausgestreckt“ (③). Durch Einführung eines Einzelstrangbruchs an der linken Haarnadel im unteren Strang (Pfeil) wird ein Primer für die nach links gerichtete DNASynthese geschaffen (④). Durch Rückfaltung der neu synthetisierten Haarnadelsequenz entsteht auf der linken Seite ein neuer Primer zur weiteren Synthese nach rechts (⑤). Dadurch wird der obere Strang als neues fertiges Nachkommengenom verdrängt (⑥), während der untere Strang für die nächste Kopierrunde bereitsteht (⑦).

132

▶ Adenoassoziierte Viren (Parvoviridae). In dieselbe Gruppe wie die Parvoviren gehören auch die adenoassoziierten Viren (AAV), die beim Menschen verschiedene Epithelzellen infizieren können. Trotz einer hohen Durchseuchungsrate von mehr als 90 % der Population konnten bisher keine Krankheitsbilder mit den Infektionen in Verbindung gebracht werden. Die Replikation dieser Viren erfordert eine gleichzeitige Infektion der Zellen mit Adenoviren oder Herpesviren. Nur wenn die sehr frühen Genprodukte der Helferviren vorhanden sind, können sich die adenoassoziierten Viren vermehren. Helferviren machen es den adenoassoziierten Viren möglich, in ihrem Wirt eine lebenslange latente Infektion zu etablieren. Aus Versuchen in vitro weiß man, dass das adenoassoziierte Virusgenom spezifisch über eine nichthomologe Rekombination in das Chromosom 19 des Menschen integriert wird. Dort verbleiben zwei Genomeinheiten in Tandemanordnung. Das integrierte Genom kann aus dieser Latenzphase jedoch durch Überinfektion der Zellen mit einem geeigneten Helfervirus wieder reaktiviert werden.

5

C

b

gigen Rückfaltungen des Genoms führen. Für den Start der DNA-Synthese werden keine Primer-RNAs (S. 181) benötigt, es sind vielmehr die rückgefalteten 3’-OH-Enden, die zum Replikationsstart benutzt werden (▶ Abb. 4.22). Als Zwischenprodukt entsteht so ein dimeres doppelsträngiges DNA-Molekül, das aufgrund seiner ITR-Sekundärstrukturen Haarnadelschleifen ausbildet, die von spezifischen Endonukleasen erkannt und in Moleküle von Genomlänge geschnitten werden.

Zu den plus-Strang-RNA-Phagen gehören z. B. die E.-coliPhagen Qβ, MS 2, R17 und f2 (Leviviridae). Das Genom codiert nur wenige Proteine, eine Replikase, zwei Hüllproteine und ein Lysozym zur Lyse der Zellwand. Sobald das Genom in die Zelle gelangt, wird die RNA als mRNA von der wirtseigenen RNA-Polymerase abgelesen. Als erstes wird die Replikase synthetisiert, welche die plusStrang-RNA zur Synthese komplementärer minus-Stränge benutzt. Diese wiederum werden zur Synthese weiterer plus-Stränge eingesetzt, die verpackt in Hüllprotein die Nachkommen der Phagen bilden. Die Replikase besteht aus nur einer phagencodierten Einheit und benötigt mehrere Transkriptionsfaktoren und ein ribosomales Protein der Wirtszelle.

4.8 Beispiele

Die plus-Strang-RNA-Viren der Eukaryonten Zu diesen zählen das Poliovirus, das Coxsackievirus B3, das Hepatitis-A-Virus, das Rhinovirus Typ 14 und das Virus der Maul-und-Klauen-Seuche (Picornaviridae), weiterhin das Flavivirus, das Pestivirus, das Hepatitis-C-Virus (Flaviviridae) oder das Alphavirus, die Rubiviren (Togaviridae), das Coronavirus, das Arterivirus, das Torovirus (Coronaviridae) und schließlich das Calcivirus und Hepatitis-E-Virus (Calciviridae). Zu den plus-Strang-Viren gehören auch die Retroviren (Klasse VI), deren Replikationsmechanismus sich grundsätzlich von allen anderen Viren unterscheidet (s. u.). Retroviren bestehen aus einem ikosaedrischen Nukleokapsid, das aus mehreren Proteinen aufgebaut und von einer Lipidmembran umhüllt ist (vgl. ▶ Abb. 4.13). Die Lipidmembran stammt von der Wirtszelle und enthält zwei virale Glykoproteine, die vom viralen Gen env codiert werden (▶ Abb. 4.23). Die Proteine des Nukleokapsids werden vom gag-Gen codiert. Innerhalb des Nukleokapsids liegt das Genom des Virus, zusammen mit einer RNaseH, der Reversen Transkriptase, einer Integrase (die alle vom pol-Gen codiert werden) und dem Gag-Protein. Das virale Genom besteht aus zwei linearen plusStrang-RNAs, die am 5’-Ende eine Cap-Struktur tragen und am 3’-Ende polyadenyliert sind (▶ Abb. 4.23a). Im zentralen Teil des Genoms befinden sich die codierenden Sequenzen gag, pol und env. Diese sind von Sequenzen flankiert, die für die Integration in das Wirtsgenom wichtig sind. Dabei handelt es sich um die Sequenzen U3 und U5, die jeweils einmalig sind, und um die redundante Sequenz R. Außerdem befindet sich am 5’-Ende eine Primerbindungsstelle, an der eine tRNA fest gebunden ist. Die Replikation des Virus beginnt mit der Anheftung an Glykoproteine der Wirtszelle, die als Rezeptoren fungieren (▶ Abb. 4.24). Das Virus kann dann über zwei ver-

schiedene Mechanismen in die Zelle gelangen. Entweder fusioniert die Lipidmembran mit der Zellmembran des Wirtes und das Nukleokapsid gelangt direkt ins Cytoplasma (wie z. B. beim Humanen Immunschwächevirus HIV). Oder das an den Rezeptor gebundene Virus wird über Endocytose in die Zelle aufgenommen, wo es anschließend mit einem Endosom fusioniert, in dessen saurem Milieu das Virus entpackt wird. Die viralen Komponenten einschließlich des Genoms werden dann ans Cytoplasma abgegeben (z. B. beim murinen Leukämievirus MLV). Vier bis acht Stunden nach der Infektion beginnt die Replikation der RNA mit dem Umschreiben in ein RNADNA-Hybrid durch die vom Virus in die Zelle geschleuste Reverse Transkriptase. Dabei dient die an virale RNA gebundene tRNA als Primer. Danach integriert die ebenfalls vom Virus mitgebrachte Integrase das virale dsDNA-Genom über die flankierenden Sequenzen in das Wirtsgenom. Es entstehen lange terminale Sequenzwiederholungen (engl. long terminal repeats, LTRs), die das virale Genom im Wirtsgenom flankieren (▶ Abb. 4.23b). Das integrierte Genom des Virus wird auch als Provirus bezeichnet. Die Integration ist nach allgemeinen Vorstellungen ein zufälliges Ereignis, das jedoch durch lokale Aktivitäts- und Packungszustände des Chromatins beeinflusst wird. Nach der Integration wird die Transkription durch die wirtseigene RNA-Polymerase vom LTR aus gestartet und ein langes plus-Strang-RNA-Transkript synthetisiert, das dann in kürzere funktionale Abschnitte gespleißt wird. Die Produkte des env-Gens werden in die Zellmembran eingelagert. Die pol-mRNA wird in ein langes Vorläuferprotein translatiert, aus dem sich die Protease selbst herausschneidet. Diese zerlegt anschließend das gag-Vorläuferprotein in die Nukleokapsidproteine. Aus dem polVorläuferprotein werden außerdem die Integrase und die Reverse Transkriptase freigesetzt. Die Reverse Transkriptase wandert zusammen mit anderen Virusenzymen und zwei ungespleißten Kopien der Retrovirus-RNA in das Cytoplasma und von hier aus zur Membran, wo das Virus-

a RNA-Genom des infektiösen Virus tRNA 5' Cap

5'

3'

R

U5

PB

ψ

gag

pol

env

gag

pol

env

PP

U3

R

PP

U3

LTR R

AAAA 3'

b Integrierte Provirus-DNA U3

LTR R U5

PB

ψ

U5

Abb. 4.23 Anordnung der Sequenzelemente und der offenen Leserahmen im Retroviralen Genom. a RNA-Genom des infektiösen Retrovirus. Am 5’-Ende befindet sich eine Cap-Struktur, am 3’-Ende eine Poly(A)-Sequenz. R ist eine redundante Region, während U3 und U5 einmalige Sequenzen an beiden Enden sind. Die Sequenz Ψ tritt bei der Verpackung mit den Nukleokapsidproteinen in Wechselwirkung. An der Primerbindestelle (PB) befindet sich eine gebundene tRNA. Die codierenden Sequenzen für die Proteine Gag, Pol und Env befinden sich im zentralen Teil des Genoms. b Provirus nach der Integration des RNA-Genoms in das Wirtsgenom. Die viralen Sequenzen werden von langen terminalen Sequenzwiederholungen (engl. long terminal repeats, LTRs) flankiert.

3

Viren Hüllprotein Reverse Transkriptase 9

virales RNA-Genom Nukleokapsid 1

Plasmamembran 8 Hüllprotein Translation

Zellkern

Transkription

RNA reverse Transkription

Integration

2

4

7 6

7

Kapsidprotein

5 6

RNA DNA

3

DNA DNA

Translation

Methode 4.2 Virale Vektoren Als virale Vektoren verwendet man gerne Varianten der Leukämieviren der Maus (MLV). Sie haben die für die Integration in das Genom der Wirtszelle erforderlichen LTR-Sequenzen und die für die Verpackung verantwortliche Ψ-Sequenz (▶ Abb. 4.23). Die Sequenzen, die Virusproteine codieren, sind durch die Fremdgene und deren Kontrollsequenzen ersetzt, die man in die Zellen übertragen möchte. Die Vektorsequenzen werden in normale Virushüllen verpackt und finden damit ungehindert über Adsorption an Oberflächenproteine ihren Weg in die Zielzellen. Dort werden sie entpackt, das RNA-Genom wird in DNA umgeschrieben und diese dann stabil in eine der zur Verfügung stehenden Stellen im Genom integriert. Dieser Vorgang garantiert eine permanente Präsenz des übertragenen Gen

partikel zusammengebaut wird. Das fertige Virus verlässt die Zelle durch Knospung. Dadurch erhält das endgültige Partikel eine Lipidmembranhülle aus Wirtszelllipiden (▶ Abb. 4.24). In manchen Fällen kann ein Retrovirus auch zelluläre Gene (Onkogene) in seinem Genom mitnehmen und sich dadurch unter Umständen in ein tumorinduzierendes Virus verwandeln, so z. B. beim Rous-Sarkom-Virus. Der Wirtsbereich eines Retrovirus wird durch die Eigenschaften der Rezeptoren auf der Oberfläche der Wirtszelle und den Glykoproteinen in der viralen Lipidhülle bestimmt. Einige Retroviren vermehren sich ausschließlich in einem Wirt, andere in mehreren Wirten sogar auch verschiedener Arten. So kann sich das Leu-

134

7

Reverse Transkriptase

Abb. 4.24 Entwicklung und Infektionszyklus von Retroviren. Entweder verschmilzt die Membran der Retroviren beim Eindringen in die Zelle mit der Cytoplasmamembran (①) oder das Viruspartikel wird über Endocytose in die Zelle aufgenommen. Die im Inneren des Nukleinsäure-Cores gelegene RNA wird durch die gleichzeitig transportierte Reverse Transkriptase (②) in dsDNA umgewandelt (③). Diese wird nach Transport in den Kern freigegeben und mithilfe der ebenfalls mittransportierten Integrase über die langen invertierten Sequenzwiederholungen (engl. long terminal repeats, LTRs) an ihren Enden in das Genom des Wirtes integriert (Provirus [④]). In diesem Zustand wird die virale DNA transkribiert und die RNA entweder als mRNA in Proteine translatiert (⑤ ⑥) oder durch Verpacken in Kapside (⑦) und Ausschleusen durch die Zellmembran (⑧) als Genom für neue Viruspartikel (⑨) verwendet. grün, RNA; rot, DNA; blau, Protein.

d ● materials. Da der Vektor keinerlei Information zur Bildungvon viralen Komponenten mehr enthält, scheint dies ein recht sicherer Weg für die gewünschte Therapie zu sein. Nachteilig ist es jedoch, dass der Integrationsort der umgeschriebenen DNA nicht vorausbestimmt werden kann und es folglich auch zur Zerstörung wichtiger Genabschnitte kommen kann. Weiterhin kann es durch Rekombination mit den im menschlichen Genom bereits vorhandenen Überbleibseln retroviraler Elemente zur Mobilisierung der Fremdgene kommen. Eine zweite Variante gentherapeutischer Vektoren leitet sich von den adenoassoziierten Viren (S. 132) ab. Hierbei handelt es sich um ssDNA-Viren, die sich ortsspezifisch in das Wirtsgenom integrieren. Dadurch wird die Gefahr der Zerstörung wichtiger Wirtsgene reduziert.

kämievirus der Katze auch sehr gut in menschlichen Zellen vermehren. Zur Übertragung von Genen im Menschen oder im Tiermodell verwendet man gerne virale Vektoren, weil diese aufgrund ihrer Natur den schnellsten Weg zum Ziel im Zellinneren selbst finden (Methode 4.2). Oft nutzt man für diesen Zweck Abkömmlinge von Retroviren (S. 132), Adenoviren (S. 127) oder adenoassoziierten Viren (S. 132), die mit zusätzlichen Plasmidbausteinen zu Vektoren kombiniert werden. Diese Vektoren können für die Gentherapie verwendet werden (Plus 4.6). Da die Retroviren leicht zur Tumorbildung führen, müssen sie zuvor so manipuliert werden, dass diese Gefahr bei der Anwendung im Menschen ausgeschlossen werden kann.

●V

Plus 4.6 Gentherapie

Unter Gentherapie versteht man die Korrektur eines defekten Gens in Zellen. Prinzipiell kann dieses auf zweierlei Weise unter Zuhilfenahme von Viren geschehen: 1. den physikalischen Austausch eines defekten Gens bzw. des defekten Teils eines Gens oder den 2. Ersatz des defekten Genprodukts durch Expression eines intakten Genprodukts. Der erste Ansatz setzt voraus, dass es gelingt, eine Kopie eines intakten Gens in die zu therapierenden Zellen einzubringen und durch die zelleigenen Funktionen der genetischen Rekombination gegen das defekte Gen auszutauschen. Die Übertragung der intakten Kopie eines Gens von außen in die geschädigte Zelle ist mithilfe von Vektoren vergleichsweise leicht möglich. Der dann erforderliche Austausch des eingeschleusten intakten Gens gegen das ganze Gen oder Teile davon ist dann jedoch der Zelle selbst überlassen, und seine Wirksamkeit hängt maßgeblich von den für die genetische Rekombination zuständigen zelleigenen Faktoren ab. Der zweite Ansatz klingt zunächst attraktiv, ist insofern aber problematisch, als das defekte Genprodukt nicht entfernt wird und folglich mit dem eingeschleusten funktionellen Genprodukt konkurriert. Inwieweit dieses zu unerwünschten Effekten führt, ist nicht voraussagbar. Um diese Unwägbarkeit auszuschalten, kann man versuchen, das defekte Gen zuvor mittels RNAi abzuschalten (Silencing; Antisense-Therapie). Eine Gentherapie kann in somatischen Zellen oder in der Keimbahn erfolgen. Eingriffe in die Keimbahn sind beim Menschen zurzeit jedoch in vielen Ländern verboten. Die somatische Gentherapie beschränkt sich auf die Korrektur einzelner Gewebe oder Organe des behandelten Patienten. Ihr Erfolg wird demnach nicht an die Nachkommen weitergegeben.

4.8 Beispiele

4.8.5 Die minus-Strang-RNA-Viren der Eukaryonten (Klasse-V-Viren) Die zahlreichen Vertreter der minus-Strang-Viren sind etwa zur Hälfte pflanzenpathogen. Charakteristische Vertreter dieser Familie sind das Vesiculovirus, das Lyssavirus, das Ephemerovirus, das Nucleorhabdovirus und das Cytorhabdovirus. Sie verursachen sehr verschiedene Erkrankungen wie Entzündungen im Maulbereich von Vieh und Pferden, Tollwut (Rabies) beim Menschen, Dreitagekrankheit beim Rind, Fleckenkrankheit bei Auberginen bzw. Blattflecken bei der als Gemüse verwendbaren Kohl-Gänsedistel. Die tierischen Rhabdoviren (Rhabdoviridae) besitzen ein sehr weites Wirtsspektrum. Sie werden durch Insektenstiche oder Bisse infizierter Tiere übertragen. Die Infektion mit Tollwutviren (Lyssavirus) kann beim Menschen tödlich verlaufen. Deutschland gilt nach den Kriterien der Weltorganisation für Tiergesundheit (OIE) derzeit als tollwutfrei. ▶ Rhabdoviren. Die Virionen der tierischen Rhabdoviren sind kegelförmig aufgebaut (▶ Abb. 4.25). Die infektiösen Partikel bestehen aus einem Nukleokapsid und einer Membranhülle. Das Genom ist in der Virushülle helikal gewunden. Es ist mit mehreren viralen Proteinen assoziiert, von denen eines die RNA-abhängige RNA-Polymerase ist. Die Länge der Viren wird, vergleichbar den einzelsträngigen DNA-Phagen (M13), durch die Länge des Genoms bestimmt. Rhabdoviren adsorbieren über die Proteine auf der Partikeloberfläche an Rezeptoren der Zelle. Die Aufnahme erfolgt vermutlich durch Endocytose. Die minus-Strang-RNA-Viren können ihre RNA nicht direkt als mRNA einsetzen, sondern müssen zunächst eine plus-Strang-RNA-Kopie erstellen. Dies geschieht durch eine RNA-abhängige RNA-Polymerase. Dieselbe Polymerase synthetisiert auch die minus-Strang-RNANachkommen der plus-Strang-RNA. Das einzelsträngige RNA-Genom der meisten Rhabdoviren enthält 5 offene Leserahmen. An beiden Enden sind nichtcodierende Sequenzen vor- bzw. nachgeschaltet. Zwischen den Genen

Lipiddoppelschicht membranspannendes Glykoprotein Matrixprotein einsträngiges minusStrang-RNA-Genom Nukleokapsidprotein Large-Protein Phosphoprotein a

b

Abb. 4.25 Lyssavirus (Rhabdoviridae). a Elektronenmikroskopische Aufnahme des Virus. Die kegelförmige Struktur, die Lipiddoppelschicht und ein Teil des Nukleokapsids sind deutlich zu erkennen. Das Virus hat eine kegelförmige Struktur. (Aufnahme: Friedrich-Loeffler-Institut, IMB, Greifswald – Insel-Riems). b Das Virus wird von einer Lipiddoppelschicht umhüllt, in die Glykoproteine eingebettet sind. Im Inneren befindet sich ein Nukleokapsid, das von Matrixproteinen umgeben ist; es enthält das einzelsträngige minus-Strang-RNA-Genom des Virus. Das Large-Protein und das Phosphoprotein komplettieren das reife Virus.

5

Viren Neuraminidase (NA) Hämagglutinin (HA) Matrixprotein (M1) M2-Protein Lipidhülle Nukleoprotein (NP) Polymerasekomplex

Abb. 4.26 Transmissionselektronenoptische Aufnahme von Influenza-A-Viren. (aus Hirsch-Kaufmann et al., Biologie und molekulare Medizin, Thieme, 2009, Institut für Virologie, Gießen)

befinden sich kurze, nichtcodierende intergenische Abschnitte variabler Länge. Ein spezielles Protein schaltet vom Transkriptionsmodus zum Replikationsmodus um. Im Replikationsmodus wird ein durchgehendes RNA-Molekül gebildet, welches als Zwischenprodukt für die Bildung neuer Virusgenome in negativer Orientierung dient. ▶ Influenzaviren. Typische minus-Strang-RNA-Viren sind die Influenzaviren (Orthomyxoviridae), von denen man die drei Typen Influenza A, B und C unterscheidet, die alle die Atemwege befallen. Auf das Influenza-A-Virus soll hier näher eingegangen werden (▶ Abb. 4.26). Das Influenza-A-Virus gehört zu den klinisch wichtigsten Viren, da es besonders häufig Epidemien verursacht und seinen Wirt mehr als einmal heimsuchen kann. Wenn Influenza A seinen Weg um die Welt nimmt, ersetzt es auf der Wanderung manche seiner Gene durch andere Gene. Dadurch wird ein einmal immunisierter Organismus mit einem neuen Protein konfrontiert, sodass dieselbe Krankheit wieder ausbricht. Man vermutet, dass die Influenza-A-Viren vor allem in China ein hohes Potenzial an neuen, noch nicht über die Welt verbreiteten Genvarianten vorfinden. Das Influenza-A-Virus ist ein minus-Strang-RNA-Virus. Jedes Virion enthält 8 RNA-Moleküle variabler Länge, wovon jedes 1–6 Gene beherbergt (▶ Abb. 4.27). Die RNAMoleküle liegen im Zentrum des Virus als kompakte helikale Strukturen fest mit Nukleoproteinen (NP) assoziiert vor. Um den Ribonukleoprotein-Core herum befindet sich eine Hülle aus Matrixproteinen. Auf der Matrix wiederum liegt eine Lipidschicht, die von der Membran der ursprünglich infizierten Zelle herrührt und während der Knospung (Exocytose), ähnlich wie bei den Retroviren, erworben wird. In diese Membran sind Virusproteine ein-

136

PB2

(–)–RNASegmente

PB1 PA

Abb. 4.27 Schematischer Aufbau des Influenza-A-Virus. Das einzelsträngige RNA-Genom besteht aus 8 Molekülen, die mit NP-Proteinen komplexiert sind. Die Proteine des Polymerasekomplexes PB1, PB2 und PA sind mit den 3’-Enden verbunden. Die Nukleokapsidsegmente sind von einer Hüllmembran umgeben, in welche die Oberflächenproteine HA, NA und N2 eingelagert sind. Das M1-Protein befindet sich an der Innenseite der Membran, wo es eine Proteinschicht ausbildet.

gelagert, so z. B. das Hämagglutinin-A-Protein (HA) und das Enzym Neuraminidase (NA). Das Hämagglutinin bewirkt die Verklumpung (Agglutinierung) von Erythrocyten, indem es an Neuraminsäure der Membran bindet. Die Neuraminidase spaltet Neuraminsäure und Derivate (Sialinsäuren) von Glykoproteinen der Glykokalyx ab (▶ Abb. 4.27). Die wiederholte Infektion desselben Patienten wird im Wesentlichen auf die Veränderlichkeit zweier Epitope (H und N) desselben HA zurückgeführt. Durch Neukombination dieser zwei Epitope können immer neue Varianten gebildet werden. Jede neue weltweite Epidemie (Pandemie) geht auf eine erneute Veränderung des HA-Proteins auf der Oberfläche des Influenza-A-Partikels zurück. Die Kombinationen entstehen im Verlauf von Mehrfachinfektionen empfänglicher Wirtszellen mit verschiedenen Subtypen desselben Virus. Die Durchmischung erfolgt durch zufällige Neusortierung und Verteilung der 8 Chromosomen in die neu gereiften Partikel. Das Influenza-A-Virus wird von einer Wirtszelle durch Endocytose aufgenommen und in das saure Milieu der Endosomen transportiert (▶ Abb. 4.28). Bei niedrigem pH-Wert verändert sich die Struktur des HA und macht dieses empfänglich für eine Fusion der viralen Membranhülle mit der Membran des Lysosoms. Die virale RNA gelangt in den Kern. Dort wird sie zunächst in eine plusStrang-RNA umgeschrieben. Eine viruscodierte Endonuklease spaltet von neu entstehenden, wirtseigenen mRNAs die 5’-Enden ab, die dann vom Virus als Primer für die Synthese der eigenen mRNAs benutzt werden, wobei die 8 chromosomalen RNAs als Matrize dienen. Mithilfe dieses Tricks erhalten die RNA-Moleküle des Virus immer neue Transkriptionsstartstellen, die von dem zelleigenen System erkannt werden.

4.8 Beispiele

Influenza-AVirus

1 · Fusion mit Endosom · Auspacken

Translation

4 6

7

Zusammenbau

Eine Transkriptase produziert so riesige Mengen viraler mRNA. Nach der Synthese wird der Anteil der Wirts-RNA noch im Kern abgespalten, sodass nur die viralen Anteile ihren Weg zur Translation an die Ribosomen finden. Dann beginnt die Virusproduktion. Die plus-Strang-RNA-Moleküle werden in minus-Strang-RNA-Moleküle als zukünftige Chromosomen neuer Viren umgeschrieben. Diese werden dann in Nukleoproteinpartikel verpackt und von einem Matrixprotein umhüllt. Diese Partikel wandern schließlich vom Kern zur Plasmamembran, wo sie die bereits eingelagerten Proteine NA und HA vorfinden. Bei der Knospung werden die Partikel dann mit der letzten Hülle, der Plasmamembran der Wirtszelle, versehen. Dieser Prozess kann sich über Stunden hinziehen, bis die infizierte Zelle schließlich abstirbt.

4.8.6 Doppelsträngige RNA-Viren (Klasse-III-Viren) Doppelsträngige RNA-Viren der Prokaryonten ▶ Phage Φ6 (Cystoviridae). Der Pseudomonas-Phage Φ6 gehört zu einer kleinen Gruppe von eng verwandten Phagen mit einem ca. 15 kb umfassenden segmentierten, linearen doppelsträngigen RNA-Genom. Die Umhüllung besteht aus einer um ein Proteinkapsid gelegten Membran, die vom Wirt stammt und in die die meisten der insgesamt 17 Strukturproteine des Phagen eingelagert sind. Jedes der drei Chromosomen trägt ein terminales Protein und weist eine spezifische Verpackungssequenz (Pac-Site) am 5’-Ende des jeweiligen plus-Stranges auf. Die Pac-Sites sind für eine wirkungsvolle Verpackung eines kompletten Satzes einzelsträngiger plus-Strang-Kopien in die vorgefertigten leeren Kopfvorstufen verantwortlich. Erst nach Verpacken eines kompletten Satzes von plus-Strängen werden die fehlenden minus-Stränge von einer RNA-Polymerase synthetisiert (Replikation). Die RNA-Polymerase bildet zusammen mit vier Proteinen

2

Replikation 3

5 Zellkern

Abb. 4.28 Infektions- und Entwicklungsweg des Influenza A-Virus. Das InfluenzaA-Virus gelangt durch Endocytose in die Wirtszelle (①). Nach Fusion mit einem Endosom wird das Virus entpackt und die RNA gelangt in den Zellkern (②). Dort werden große Mengen an Virus-RNA repliziert (③), die dann entweder zur Translation der viralen Proteine (④) oder zur Herstellung neuer Viruspartikel (⑤) verwendet wird. Die neuen Viruspartikel werden noch im Kern zusammengebaut (⑥), gelangen dann ins Cytosol und werden durch Knospung aus der Zelle freigesetzt (⑦).

und den drei RNA-Molekülen einen Kernkomplex im Inneren des Φ6-Virions.

Doppelsträngige RNA-Viren der Eukaryonten ▶ Rotavirus A (Reoviridae). Die Reoviren (Reo für engl. respiratory enteric orphan) aus der Gruppe der Rotaviren (lat. rota, das Rad; wegen der radähnlichen Struktur) besitzen ein doppelsträngiges fragmentiertes RNA-Genom aus 11 Chromosomen in einem dreischichtigen, ikosaedrischen Proteinkapsid. Wie Retroviren schleusen sie bei der Infektion eine RNA-abhängige RNA-Polymerase mit in die infizierte Zelle. Diese kopiert den minus-Strang der RNA einerseits in eine als mRNA genutzte, translatierbare plus-Strang-RNA und andererseits in eine Matrize für die minus-Strang-Synthese und die Gewinnung neuer Doppelstränge. Das bedeutet, dass in die neuen Doppelstränge keiner der ursprünglichen Elternstränge mit einbezogen wird. Auf den 11 Chromosomen sind 13 Proteine codiert. Darunter sind 6 Strukturproteine im gereiften Virion, z. B. Core-Partikel mit den RNA-Chromosomen, eine RNA-abhängige RNA-Polymerase und ein Capping-Protein für das Anheften einer 5’-Cap-Struktur an die RNAs. Andere bilden die mittlere Hülle, die äußere Hülle und darin die Spikes. Beim Austritt aus der Zelle werden die Partikel von einer Membran des endoplasmatischen Retikulums umgeben.

Doppelsträngige RNA-Viren der Hefe Saccharomyces cerevisiae Die meisten Stämme von Saccharomyces cerevisiae enthalten ein oder mehrere doppelsträngige RNA-Viren, die drei Familien zugeordnet werden. Sie wurden in toxinproduzierenden Killerstämmen der Hefen nachgewiesen, die Nichtkillerstämme in ihrer Umgebung abtöten. Die Hefeviren werden ausschließlich durch direkten Zell-Zell-

7

Viren Kontakt übertragen und gleichen damit den dsRNA-Viren höherer Eukaryonten (▶ Tab. 4.2). Die lineare dsRNA der Hefeviren ist nur 1,9–4,7 kb lang, die intrazellulären virusähnlichen Partikel sind sehr klein (ca. 40 nm Durchmesser, ▶ Abb. 4.29). Das Partikel wird von einem Hauptprotein von ca. 75 kDa und wahrscheinlich von noch zwei kleineren Proteinen gebildet. Weiter fand man in den Partikeln RNA-Polymerase-Aktivität, die den minus-Strang der dsRNA in plus-Strang-RNA kopiert, die zum einen als mRNA in Protein translatiert wird und zum anderen als Matrize für die minus-Stränge der Nachkommen dient. Der Replikationsmodus ist nicht völlig geklärt, er scheint jedoch, obwohl semikonservativ, für beide Stränge der RNA unabhängig voneinander abzulaufen. Man spricht von Headful-Replikation, da teilweise gefüllte Partikel mit nur einem ssRNA-Molekül auftreten können, das in einer zweiten Replikationsrunde zur dsRNA ergänzt wird. Diese Headful-Replikation ist von der Headful-Verpackung zu unterscheiden, da sie im Kapsid stattfindet. a

b

Abb. 4.29 Hefevirus L-A. a Computerprozessierte Ansicht der Außenseite des Kapsids. b Hypothetische Ansicht des Innenraums eines L-A-Virus mit dsRNA als Genom, ssRNA als Transkript und einer mit dem Gag-Protein assoziierten RNAPolymerase (Pol). Die Pfeile deuten die Transportrichtung der genomischen RNA bzw. des Transkripts an. Es wird angenommen, dass die Transkripte durch die Poren der Kapsidwand ausgeschleust werden. (©1997 Rockefeller University Press. Originally published in The Journal of Cell Biology (138): 975985)

138

4.9 Viroide Bei Viroiden handelt es sich um reduzierte, „nackte“ RNA-Viren, die lediglich aus Nukleinsäure ohne jegliche Umhüllung bestehen. Das ringförmige Genom eines Viroids besteht aus etwa 250–400 Ribonukleotiden, die keine Proteine codieren. Viroide infizieren Pflanzen, gelangen in deren Zellen und werden dort vermehrt. Die Nachkommen verlassen die Zellen wieder, häufig ohne jeglichen Schaden zu hinterlassen. Viroide können trotzdem auf noch unbekannte Weise bei verschiedenen Pflanzen komplexe Krankheiten auslösen. Bekannt ist das Kartoffelspindelknollenviroid (engl. Potato-Spindle-Tuber Viroid (PSTV) (Pospiviroidae). Sie können aber auch Kokosnusspalmen, Hopfen, Pfirsiche, Gurken und Avocados befallen. Es ist nicht klar, wie die Krankheiten ausgelöst werden, zumal die Viroide in manchen Pflanzen sehr pathogen wirken, während andere Pflanzen, selbst wenn sie verwandt sind, keine Schäden zeigen. Man unterscheidet zwei Viroidgruppen: Gruppe A, die sich in den Plastiden der Pflanzen vermehren, und Gruppe B, die sich im Kern der Pflanzen replizieren. Bei Gruppe B läuft die Replikation über Rolling-Circle-Mechanismen mithilfe einer RNA-abhängigen RNA-Polymerase ab. Dabei entsteht von der infizierenden RNA ein überlanges, multimeres minus-Strang-Molekül. Dieser Strang wird dann in ringförmige Einheiten aufgelöst. Diese wiederum werden als Matrize für die Synthese der plus-Stränge benutzt. Man nennt dieses den symmetrischen Replikationsmodus. Die Viroide der A-Gruppe replizieren sich dagegen in einem asymmetrischen Modus. Hierbei wird der minus-Strang direkt als Matrize für concatenate, multimere plus-Stränge eingesetzt, die dann durch Autokatalyse mithilfe von Hammerheadribozymen (enzymatisch wirksame RNAs) in geschlossene Ringe überführt werden. Bei den Viroiden handelt es sich um die kleinsten, sich selbst vermehrenden Moleküle, die in der Biologie bekannt sind. Man diskutiert, ob es sich um lebende Fossilien handelt, die eine vorzelluläre Evolution durchlaufen haben und einer hypothetischen RNA-Welt entstammen. Die RNA-Sequenzen der Viroide codieren keine Proteine und man spekuliert, dass die Sequenzen an irgendwelche Stellen in der Wirtszelle binden und dadurch regulatorische Abläufe durcheinanderbringen. So findet man kurze Sequenzen in der Viroid-RNA, die mit Introns übereinstimmen. Weiterhin enthalten sie Sequenzen, die man bei Transposons und Retroviren wiederfindet. Wahrscheinlich beruht die pathogene Wirkung der Viroide auf interferierenden RNAs (RNAi).

Viren Kontakt übertragen und gleichen damit den dsRNA-Viren höherer Eukaryonten (▶ Tab. 4.2). Die lineare dsRNA der Hefeviren ist nur 1,9–4,7 kb lang, die intrazellulären virusähnlichen Partikel sind sehr klein (ca. 40 nm Durchmesser, ▶ Abb. 4.29). Das Partikel wird von einem Hauptprotein von ca. 75 kDa und wahrscheinlich von noch zwei kleineren Proteinen gebildet. Weiter fand man in den Partikeln RNA-Polymerase-Aktivität, die den minus-Strang der dsRNA in plus-Strang-RNA kopiert, die zum einen als mRNA in Protein translatiert wird und zum anderen als Matrize für die minus-Stränge der Nachkommen dient. Der Replikationsmodus ist nicht völlig geklärt, er scheint jedoch, obwohl semikonservativ, für beide Stränge der RNA unabhängig voneinander abzulaufen. Man spricht von Headful-Replikation, da teilweise gefüllte Partikel mit nur einem ssRNA-Molekül auftreten können, das in einer zweiten Replikationsrunde zur dsRNA ergänzt wird. Diese Headful-Replikation ist von der Headful-Verpackung zu unterscheiden, da sie im Kapsid stattfindet. a

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Abb. 4.29 Hefevirus L-A. a Computerprozessierte Ansicht der Außenseite des Kapsids. b Hypothetische Ansicht des Innenraums eines L-A-Virus mit dsRNA als Genom, ssRNA als Transkript und einer mit dem Gag-Protein assoziierten RNAPolymerase (Pol). Die Pfeile deuten die Transportrichtung der genomischen RNA bzw. des Transkripts an. Es wird angenommen, dass die Transkripte durch die Poren der Kapsidwand ausgeschleust werden. (©1997 Rockefeller University Press. Originally published in The Journal of Cell Biology (138): 975985)

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4.9 Viroide Bei Viroiden handelt es sich um reduzierte, „nackte“ RNA-Viren, die lediglich aus Nukleinsäure ohne jegliche Umhüllung bestehen. Das ringförmige Genom eines Viroids besteht aus etwa 250–400 Ribonukleotiden, die keine Proteine codieren. Viroide infizieren Pflanzen, gelangen in deren Zellen und werden dort vermehrt. Die Nachkommen verlassen die Zellen wieder, häufig ohne jeglichen Schaden zu hinterlassen. Viroide können trotzdem auf noch unbekannte Weise bei verschiedenen Pflanzen komplexe Krankheiten auslösen. Bekannt ist das Kartoffelspindelknollenviroid (engl. Potato-Spindle-Tuber Viroid (PSTV) (Pospiviroidae). Sie können aber auch Kokosnusspalmen, Hopfen, Pfirsiche, Gurken und Avocados befallen. Es ist nicht klar, wie die Krankheiten ausgelöst werden, zumal die Viroide in manchen Pflanzen sehr pathogen wirken, während andere Pflanzen, selbst wenn sie verwandt sind, keine Schäden zeigen. Man unterscheidet zwei Viroidgruppen: Gruppe A, die sich in den Plastiden der Pflanzen vermehren, und Gruppe B, die sich im Kern der Pflanzen replizieren. Bei Gruppe B läuft die Replikation über Rolling-Circle-Mechanismen mithilfe einer RNA-abhängigen RNA-Polymerase ab. Dabei entsteht von der infizierenden RNA ein überlanges, multimeres minus-Strang-Molekül. Dieser Strang wird dann in ringförmige Einheiten aufgelöst. Diese wiederum werden als Matrize für die Synthese der plus-Stränge benutzt. Man nennt dieses den symmetrischen Replikationsmodus. Die Viroide der A-Gruppe replizieren sich dagegen in einem asymmetrischen Modus. Hierbei wird der minus-Strang direkt als Matrize für concatenate, multimere plus-Stränge eingesetzt, die dann durch Autokatalyse mithilfe von Hammerheadribozymen (enzymatisch wirksame RNAs) in geschlossene Ringe überführt werden. Bei den Viroiden handelt es sich um die kleinsten, sich selbst vermehrenden Moleküle, die in der Biologie bekannt sind. Man diskutiert, ob es sich um lebende Fossilien handelt, die eine vorzelluläre Evolution durchlaufen haben und einer hypothetischen RNA-Welt entstammen. Die RNA-Sequenzen der Viroide codieren keine Proteine und man spekuliert, dass die Sequenzen an irgendwelche Stellen in der Wirtszelle binden und dadurch regulatorische Abläufe durcheinanderbringen. So findet man kurze Sequenzen in der Viroid-RNA, die mit Introns übereinstimmen. Weiterhin enthalten sie Sequenzen, die man bei Transposons und Retroviren wiederfindet. Wahrscheinlich beruht die pathogene Wirkung der Viroide auf interferierenden RNAs (RNAi).

4.9 Viroide

Zusammenfassung ●





Die Virologie (von lat. virus, Schleim, Saft, Gift und griech. logos, Lehre) beschäftigt sich mit den Viren (singular: das Virus, außerhalb der Fachsprache laut Duden auch: der Virus; plural: Viren). Viren treten in allen Bereichen des Lebens auf und sie befallen die Zellen von Prokaryonten und Eukaryonten gleichermaßen. Phagen und Viren sind ubiquitär verbreitet. Sie machen einen erheblichen Anteil der Biomasse auf der Erde aus. Als Virus bezeichnet man in der Biologie genetische Elemente in Form von Nukleinsäuren, die als Fremdbestandteile in Zellen von Lebewesen („Wirtszellen“) unabhängig von deren eigenen Nukleinsäuren mithilfe der Replikationseinrichtungen dieser Zellen repliziert werden. Virale Nukleinsäuren sind entweder Desoxyribonukleinsäuren (DNA) oder Ribonukleinsäuren (RNA) und kommen entweder als Nukleinsäure in den Wirtszellen oder als freie Partikel außerhalb von Zellen vor. Ein Viruspartikel außerhalb von Zellen bezeichnet man als Virion (plural: Viria, Virionen oder Virions). Virionen bestehen aus einem Nukleinsäuremolekül, das von einer Proteinhülle (Kapsid) umgeben ist. Bei einigen Viren besitzen die Virionen außer einer Proteinhülle noch weitere äußere Bestandteile, z. B. eine Lipoproteinhülle. Es gibt aber auch hüllenlose Viren.









M ●

Viren haben keinen eigenen Stoffwechsel und können sich nicht selbst replizieren. Im Wesentlichen ist ein Virus eine Nukleinsäure, die die Informationen zur Steuerung des Stoffwechsels einer Wirtszelle und zur Replikation der Virusnukleinsäure bzw. zur Ausstattung der Viruspartikel (Virionen) trägt. Viren sind somit Parasiten, die den Stoffwechsel der infizierten Zellen für ihre eigene Vermehrung nutzen. Im Laufe der Evolution haben sie sich ihren Wirten so angepasst, dass sie ihn nicht durch die Krankheitsfolgen vorzeitig und zum eigenen Nachteil zerstören. Viren sind deutlich kleiner als Bakterien, jedoch etwas größer als Viroide. Viren sind vermutlich später als andere Lebewesen (falls man Viren zu den Lebewesen zählen möchte) entstanden, da sie auf letztere angewiesen sind. Entstehungsmechanismen lassen sich im Zusammenhang mit Plasmiden oder Transposons verstehen. Für eine späte Entstehung spricht auch, dass die Viren der Eukaryonten das alternative Spleißen bei der Proteinsynthese nutzen und ihr Erbgut Introns und Exons aufweist.

Literatur zum Weiterlesen unter: www.thieme.de/literatur-fuchs

9

© Foto: W. R. Harding

Kapitel 5 Die Besonderheiten prokaryontischer Zellen

5.1

Überblick

142

5.2

Abbildung von Mikroorganismen

143

5.3

Chromosom und Plasmide

145

5.4

Ribosomen

146

5.5

Zellwand

147

5.6

Kapseln und Schleime

149

5.7

Zellmembranen

150

5.8

Das prokaryontische Cytoskelett 155

5.9

Organellähnliche Kompartimente

159

5.10

Speicherstoffe

162

5.11

Zellanhänge

164

5.12

Spezielle Zelldifferenzierung

171

5.13

Prokaryontische und eukaryontische Zellen im Vergleich

173

5.14

Angriffsorte und Wirkungsweise wichtiger Antibiotika 173

Die Besonderheiten prokaryontischer Zellen

5 Die Besonderheiten prokaryontischer Zellen Erwin Schneider

5.1 Überblick Prokaryonten sind mehrheitlich einzellige Organismen, die zu klein sind, als dass sie mit dem bloßen Auge sichtbar wären. Deshalb sind für die Betrachtung ihrer Zellstrukturen experimentelle Werkzeuge in Form von Mikroskopen erforderlich. Angefangen beim einfachen Lichtmikroskop bis zu hochauflösenden Elektronenmikroskopen, mit denen man in den Bereich von Molekülen (Nanometerbereich, 10–9 m) vordringen kann, lassen sich so Einblicke in die Strukturierung des Zellinneren sowie der Zelloberfläche gewinnen. Wie bei jeder lebenden Zelle ist auch bei Prokaryonten das Cytoplasma von einer Lipiddoppelschicht (Einheitsmembran) umgeben, die eine Permeabilitätsbarriere für gelöste Stoffe darstellt. Diese Membran erfüllt neben dem Transport auch andere Aufgaben wie Energiegewinnung, Biosynthesen, Reizaufnahme und Bewegung. Dafür sind Proteine verantwortlich, welche etwa die Hälfte der Membran ausmachen. Cytoskelettproteine sind an Prozessen wie Zellteilung und Chromosomensegregation beteiligt. Mit wenigen Ausnahmen sind alle prokaryontischen Zellen von einer Zellwand umgeben, die jedoch bei Bacteria und Archaea unterschiedlich aufgebaut ist. Die bakterielle Zellwand, das Peptidoglykan, kann ein- oder vielschichtig sein, was sich durch die Gram-Färbung nachweisen lässt. Die Zellwand verleiht mechanische Stabilität gegenüber dem Turgor-

druck der Zelle, der durch die im Cytoplasma gelösten Stoffe entsteht. Sie bestimmt auch die Form der Zelle. Eubakterien mit einschichtiger Zellwand (gramnegativ) sind zusätzlich von einer äußeren Membran umgeben. Obwohl Prokaryonten generell keine den Eukaryonten vergleichbare Differenzierung in Form von membranumhüllten Organellen aufweisen, sind doch organellähnliche, funktionelle Kompartimente innerhalb der Zelle sowie extrazelluläre Zellanhängsel zu beobachten. So verleihen Flagellen und Pili der Zelle die Fähigkeit zu einer Schwimmbewegung in flüssigem Milieu oder zur Fortbewegung auf einer festen Oberfläche. Damit verbunden sind oftmals auch Richtungsänderungen als Reaktion auf Umweltreize wie Nährstoffe oder Licht. In einigen Fällen kommt es zur Ausbildung von Dauerformen (Sporen) und spezialisierten Zellen, was als Form der Zelldifferenzierung anzusehen ist. Neben der bei Pro- und Eukaryonten strukturell verschiedenen Organisation der genetischen Information lassen sich Organismen der drei Reiche (Bacteria, Archaea, Eukarya) aufgrund unterschiedlicher Sensitivität gegenüber Antibiotika voneinander unterscheiden. Dafür bilden sowohl die einzigartige Chemie der Zellwand als auch die Unterschiede bei Transkription und Translation die Grundlage.

Abb. 5.1 Aufbau eines Lichtmikroskops mit Phasenkontrasteinrichtung (Zeiss).

Binokulartubus Okulare

Objektivrevolver

Stativ

Objektive Objekttisch

Koaxialtrieb zur Präparatverschiebung

Netzschalter und Lichtregler

Leuchtfeldblende Koaxialtrieb zur Scharfeinstellung

142

5.2 Abbildung von Mikroorganismen

5.2.1 Lichtmikroskopie

5.2 Abbildung von Mikroorganismen Die Beobachtung einzelner Zellen von Mikroorganismen ist mit dem bloßen Auge nur in wenigen Ausnahmefällen möglich. Das menschliche Auge kann Objekte, die kleiner als 0,2 mm sind, nicht mehr erkennen. Daher müssen diese mithilfe von Mikroskopen vergrößert werden. Für Routineuntersuchungen verwendet man Lichtmikroskope, für die Unterscheidung zellulärer Strukturen das Elektronenmikroskop.

a

b

d c

e

Ein Lichtmikroskop besteht aus einer Kombination zweier optischer Linsensysteme, den Objektiv- und den Okularlinsen (▶ Abb. 5.1). Das Produkt aus dem Vergrößerungsvermögen beider Linsen ergibt die mit dem Mikroskop erreichbare Vergrößerung. Da herkömmlich verwendete Okulare 10–15fach und Objektive 10–100fach vergrößern, kann die maximale Vergrößerung bis zu 1500fach betragen. Die durch die Linsen erreichbare Vergrößerung wird durch ihr Auflösungsvermögen bestimmt. Lichtmikroskope erlauben eine Auflösung von 0,2 μm, was bedeutet, dass zwei Objekte, deren Abstand zueinander geringer als 0,2 μm ist, nicht mehr als getrennt wahrgenom-

Abb. 5.2 Darstellung von Mikroorganismen mithilfe verschiedener mikroskopischer Techniken. a Lichtmikroskop (Phasenkontrast): Chromatium okenii, Zelle enthält Schwefelkörnchen. Maßstab, 10 μm. (aus Trüper et al. (1981). The prokaryotes, vol. 1. Berlin, Heidelberg, New York: Springer 299) b Fluoreszenzmikroskop (Anregung bei 420 nm): Methanospirillum hungatei. Maßstab, 10 μm. (aus Doddema et al., Appl. Environ. Microbiol. 36 (1978):752) c Elektronenmikroskop: Aquaspirillum serpens (polar polytrich begeißelt), 11 000fach nach Metallbedampfung. (Aufnahme W. van Iterson) d Elektronenmikroskopische Aufnahme eines nach Gefrierätztechnik hergestellten Präparates: Nitrosococcus oceanus, 22 000fach (aus Remsenet al., J. Bacteriol. 94 (1967):422) e Elektronen-Tomographie: Links: Projektion einer nativen, gefrorenen (vitrifizierten) hungernden E.-coli-Zelle im Transmissions-Elektronenmikroskop (Aufnahme bei ca. -190 °C und bei 300 keV). Mitte: Einzelschicht („Schnitt“) aus der Mitte des Tomogramms (der 3Drekonstruierten Zelle) mit deutlich sichtbaren (kontrastreichen) Komplexen (Ribosomen bzw. Ribosomenpaaren) im Inneren der Zelle. Rechts: 3D-Visualisierung der Zellhülle (hellbraun: äußere Membran, braun: Cytoplasmamembran) und der Verteilung der inaktiven („hibernating“) Ribosomenpaare (Pfeile). Die übrigen Zellbestandteile sind ausgeblendet. Pili sind grün eingefärbt. Maßstab, 100 nm. (Aufnahme Julio Ortiz, Max-Planck-Institut für Biochemie, Martinsried)

3

Die Besonderheiten prokaryontischer Zellen men werden können. Mit speziellen Linsen, bei denen ein Tropfen Öl zwischen Objektivlinse und Objekt gebracht wird, kann die Auflösung verbessert werden (Ölimmersion). Man unterscheidet zwischen Hellfeld-, Dunkelfeld-, Phasenkontrast- und Fluoreszenzmikroskopen. Im Hellfeld können Objekte aufgrund ihres Farbenkontrasts zum umgebenden Medium betrachtet werden. Da dieser Kontrast jedoch bei den meisten (farblosen) mikrobiologischen Objekten nur gering ist, bedient man sich häufig spezieller Mikroskope zur Kontrastverbesserung. Das Phasenkontrastmikroskop (▶ Abb. 5.2a) nutzt den Unterschied im Brechungsindex des Objektes zum Medium, den es mit besonderen Zusatzeinrichtungen in Kondensor und Objektiv sichtbar macht. Dies führt zu einem dunklen Abbild auf hellem Hintergrund. Phasenkontrastmikroskopie ist besonders zur Untersuchung lebender Zellen gut geeignet.

Im Dunkelfeldmikroskop trifft Licht lediglich von den Seiten auf das Objekt. Nur von diesem gestreutes Licht erreicht das Objektiv, wodurch ein helles Abbild auf dunklem Grund entsteht. Die Fluoreszenzmikroskopie nutzt zur Kontrastierung die Eigenschaften des Untersuchungsmaterials zu fluoreszieren, also bei Bestrahlung mit Licht einer bestimmten Wellenlänge Licht einer anderen Wellenlänge zu emittieren. Dies kann durch zelleigene Verbindungen (z. B. Chlorophyll) oder nach Anfärben mit fluoreszierenden Farbstoffen hervorgerufen werden (▶ Abb. 5.2b). Eine Kontrastverbesserung in der Lichtmikroskopie lässt sich auch durch das Anfärben von Zellen oder Zellkomponenten erreichen. Häufig verwendete Farbstoffe sind positiv geladene organische Verbindungen, die an die negativ geladenen Zelloberflächen binden. Dabei ist allerdings eine vorangehende Fixierung und somit Abtötung der Zellen notwendig. Die am häufigsten verwendete Färbemethode ist die Gram-Färbung (Methode 5.1).

d ●

Methode 5.1 Gram-Färbung Bei der sogenannten Gram-Färbung (benannt nach dem dänischen Pharmakologen H. C. Gram) werden die unterschiedlichen Zellwandstrukturen von Bakterien zur Differenzierung genutzt. Die Prozedur der Gram-Färbung beginnt mit dem Anfärben der fixierten Bakterienzellen mit dem basischen Farbstoff Kristallviolett, einem Vertreter der wichtigen Klasse der Triphenylmethanfarbstoffe. Anschließend wird mit einer Jodlösung behandelt. Jod bildet mit Kristallviolett Lacke, die in Wasser unlöslich und in Alkohol oder Aceton nur mäßig löslich sind. Die Zellen werden anschließend mit Alkohol behandelt oder „differenziert“: Grampositive Zellen (dicke Zellwand) halten den Farbstoff-Jod-

1

2

3

Komplex zurück und bleiben violett; der Alkohol entzieht der dicken Zellwand das Hydratwasser – sie wird schlecht durchlässig für wasserlösliche Farbstoffe. Gramnegative Zellen (dünne Zellwand) werden dagegen durch Alkohol entfärbt und müssen dann durch eine Gegenfärbung mit einem rötlichen Kontrastfarbstoff (z. B. Safranin oder Fuchsin) sichtbar gemacht werden; sie erscheinen dann rötlich (▶ Abb. 5.3). Diese Unterschiede lassen sich besonders gut mit Ölimmersion beobachten. Das Verhalten bei der GramFärbung ist ein wichtiges taxonomisches Merkmal, mit dem auch andere Eigenschaften der Bakterien korreliert sind.

Abb. 5.3 Durchführung der Gram-Färbung. Erklärung siehe Text.

4

G– G+

144

hitzefixierten Ausstrich mit Kristallviolett 1 min lang färben

Jodlösung 3 min einwirken lassen

kurz mit Alkohol entfärben (etwa 20 sec)

1–2 min mit Safranin gegenfärben

alle Zellen sind violett

alle Zellen bleiben violett

grampositive Zellen sind violett; gramnegative farblos

grampositive Zellen (G+) sind violett; gramnegative Zellen (G–) sind rosa bis rot

5.3 Chromosom und Plasmide Eine Erweiterung der Möglichkeiten der Lichtmikroskopie stellt das konfokale Laser-Scanning-Mikroskop dar. Hier wird anstelle herkömmlicher Lichtquellen ein extrem genau fokussierter Laserstrahl verwendet. Dieser tastet die Oberfläche des Objektes ab und die so erhaltenen Daten ergeben nach computergestützter Auswertung ein dreidimensionales Abbild. Das Prinzip der Rasterkraftmikroskopie (engl. atomic force microscopy) beruht darauf, dass sich Kräfte, die zwischen einzelnen Atomen oder Molekülen wirken, mit einer Miniaturfederwaage messen lassen. Die Federwaage besteht aus einem Federbalken, an dessen Ende sich eine aus wenigen Atomen bestehende Pyramide befindet, die über das Objekt geführt wird. Wirken auf die Spitze der Pyramide atomare Kräfte, so verbiegt sich der Federbalken, was mittels Laserstrahltechnik gemessen werden kann. Somit erhält man ein Abbild der Oberfläche des Objektes, z. B. eine lebende Zelle oder Proteine in einer Zellmembran, mit einer Auflösung im Subnanometerbereich (< 10–9 m).

5.2.2 Elektronenmikroskopie Subzelluläre Strukturen können mit dem Lichtmikroskop nicht unterschieden werden. So ist die Plasmamembran etwa 8 nm dick, die Ribosomen haben einen Durchmesser von 20 nm, die DNA-Doppelhelix ist 2 nm dick, ein durchschnittliches Protein von 40 kDa hat 4 nm im Durchmesser und ein Baustein wie Glucose oder Glutamat sind kleiner gleich 1 nm. Zur Sichtbarmachung subzellulärer Strukturen dient das Transmissionselektronenmikroskop. Hierbei wird anstelle von Licht ein Elektronenstrahl verwendet, der mithilfe von Elektromagneten als Elektronenlinse gebündelt wird. Dazu muss die Probe im Hochvakuum gehalten werden. Dies ermöglicht eine bis zu 1000fach höhere Auflösung im Vergleich zum Lichtmikroskop. Allerdings bedarf es einer speziellen Aufbereitung der Probe. Da Elektronen das Zellmaterial nur schlecht durchdringen, werden Ultradünnschnitte von Zellen, eingebettet in harzartige Polymere, angefertigt. Zur besseren Kontrastierung ist danach eine Behandlung mit elektronendichten Schwermetallsalzen (z. B. Uranylacetat, Osmiumtetroxid) erforderlich, die unterschiedlich an Zellstrukturen binden (s. ▶ Abb. 2.3). Vergleichbar den Färbetechniken in der Lichtmikroskopie können im Elektronenmikroskop Strukturen gezielt durch spezifische Antikörper sichtbar gemacht werden, die an diese Strukturen binden und zum Nachweis an Schwermetalle, z. B. kolloides Gold, gekoppelt sind (Immunogoldmarkierung). Im Gegensatz zur Transmissionselektronenmikroskopie können mit einem Rasterelektronenmikroskop ganze Zellen, allerdings nur deren Oberflächen, im Detail sichtbar gemacht werden. Dazu wird das Objekt mit einem dünnen Schwermetallfilm (z. B. Gold) bedampft, der sich

der Oberflächenkontur anpasst, und dann mit dem Elektronenstrahl abgetastet. Durch Streuung der Elektronen an den Metallatomen entsteht ein Abbild der Oberfläche des Objektes (▶ Abb. 5.2c). Eine weitere Möglichkeit, intakte Zellen für elektronenmikroskopische Untersuchungen zu präparieren, ist die Gefrierätzung oder der Gefrierbruch. Dazu werden die Zellen eingefroren, im Vakuum mit einem Messer geschnitten oder mit einem speziellen Präparathalter gebrochen und die Oberflächen anschließend durch Sublimation des Eises freigelegt. Nach Bedampfung mit einem dünnen Metallfilm, gefolgt von Kohle, können die daran anhaftenden Zellbestandteile entfernt und der verbleibende Abdruck betrachtet werden (▶ Abb. 5.2d). Einblicke in die dreidimensionale Struktur ganzer Zellen, subzellulärer Strukturen oder Viren erhält man mit der Elektronentomografie. Ähnlich wie bei der in der Medizin eingesetzten Magnetresonanztomografie werden die dünnen Objekte (Dicke ≤ 0,5 µm) rechtwinklig zum Elektronenstrahl schrittweise um eine Achse gedreht und jeweils Projektionsbilder aufgenommen. Aus einer Serie solcher Aufnahmen kann ein dreidimensionales Bild errechnet werden. In Kombination mit speziellen Gefriertechniken, mit deren Hilfe man das Objekt einfrieren kann, ohne dass sich Eiskristalle bilden (engl. electron cryotomography), lässt sich das Objekt in nahezu natürlichem Zustand mit hoher Auflösung (bis zu 4 nm) untersuchen (▶ Abb. 5.2e).

5.3 Chromosom und Plasmide Das prokaryontische Chromosom enthält den überwiegenden Teil der DNA der Zelle. Es ist typischerweise ein kovalent geschlossenes, ringförmiges Molekül, dessen Größe sehr verschieden sein kann (z. B. 580 kb bei Mycoplasma genitalium, einem Bakterium, das Harnwegsentzündungen beim Menschen verursacht, 4 700 kb bei dem Darmbakterium Escherichia coli und über 10 000 kb bei dem Cyanobakterium Nostoc punctiforme). Kleine Chromosomen sind offensichtlich typisch für sehr angepasste Spezialisten wie pathogene Vertreter und Prokaryonten mit hoch spezialisiertem Stoffwechsel. In einigen Bakterien, die besonders vielfältige Stoffwechselleistungen vollbringen oder komplizierte Entwicklungszyklen durchlaufen, hat man komplexe Genome gefunden. Darunter befinden sich Bakterien mit mehreren, unterschiedlich großen Chromosomen und mit großen Plasmiden, sogenannten Megaplasmiden. Abgesehen von der Größenvariabilität kommen bei Bakterien, z. B. bei den Gattungen Borrelia, Streptomyces und Rhodococcus, auch lineare Formen von Chromosomen vor. Das prokaryontische Chromosom ist mit Proteinen (HU, H-NS, IHF und FIS) und RNA-Molekülen assoziiert, die für die Stabilität erforderlich sind. Darüber hinaus ist das Molekül in zahlreichen Schleifen organisiert, die um die Längsachse verdrillt sind. Durch diese Supercoil

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5.3 Chromosom und Plasmide Eine Erweiterung der Möglichkeiten der Lichtmikroskopie stellt das konfokale Laser-Scanning-Mikroskop dar. Hier wird anstelle herkömmlicher Lichtquellen ein extrem genau fokussierter Laserstrahl verwendet. Dieser tastet die Oberfläche des Objektes ab und die so erhaltenen Daten ergeben nach computergestützter Auswertung ein dreidimensionales Abbild. Das Prinzip der Rasterkraftmikroskopie (engl. atomic force microscopy) beruht darauf, dass sich Kräfte, die zwischen einzelnen Atomen oder Molekülen wirken, mit einer Miniaturfederwaage messen lassen. Die Federwaage besteht aus einem Federbalken, an dessen Ende sich eine aus wenigen Atomen bestehende Pyramide befindet, die über das Objekt geführt wird. Wirken auf die Spitze der Pyramide atomare Kräfte, so verbiegt sich der Federbalken, was mittels Laserstrahltechnik gemessen werden kann. Somit erhält man ein Abbild der Oberfläche des Objektes, z. B. eine lebende Zelle oder Proteine in einer Zellmembran, mit einer Auflösung im Subnanometerbereich (< 10–9 m).

5.2.2 Elektronenmikroskopie Subzelluläre Strukturen können mit dem Lichtmikroskop nicht unterschieden werden. So ist die Plasmamembran etwa 8 nm dick, die Ribosomen haben einen Durchmesser von 20 nm, die DNA-Doppelhelix ist 2 nm dick, ein durchschnittliches Protein von 40 kDa hat 4 nm im Durchmesser und ein Baustein wie Glucose oder Glutamat sind kleiner gleich 1 nm. Zur Sichtbarmachung subzellulärer Strukturen dient das Transmissionselektronenmikroskop. Hierbei wird anstelle von Licht ein Elektronenstrahl verwendet, der mithilfe von Elektromagneten als Elektronenlinse gebündelt wird. Dazu muss die Probe im Hochvakuum gehalten werden. Dies ermöglicht eine bis zu 1000fach höhere Auflösung im Vergleich zum Lichtmikroskop. Allerdings bedarf es einer speziellen Aufbereitung der Probe. Da Elektronen das Zellmaterial nur schlecht durchdringen, werden Ultradünnschnitte von Zellen, eingebettet in harzartige Polymere, angefertigt. Zur besseren Kontrastierung ist danach eine Behandlung mit elektronendichten Schwermetallsalzen (z. B. Uranylacetat, Osmiumtetroxid) erforderlich, die unterschiedlich an Zellstrukturen binden (s. ▶ Abb. 2.3). Vergleichbar den Färbetechniken in der Lichtmikroskopie können im Elektronenmikroskop Strukturen gezielt durch spezifische Antikörper sichtbar gemacht werden, die an diese Strukturen binden und zum Nachweis an Schwermetalle, z. B. kolloides Gold, gekoppelt sind (Immunogoldmarkierung). Im Gegensatz zur Transmissionselektronenmikroskopie können mit einem Rasterelektronenmikroskop ganze Zellen, allerdings nur deren Oberflächen, im Detail sichtbar gemacht werden. Dazu wird das Objekt mit einem dünnen Schwermetallfilm (z. B. Gold) bedampft, der sich

der Oberflächenkontur anpasst, und dann mit dem Elektronenstrahl abgetastet. Durch Streuung der Elektronen an den Metallatomen entsteht ein Abbild der Oberfläche des Objektes (▶ Abb. 5.2c). Eine weitere Möglichkeit, intakte Zellen für elektronenmikroskopische Untersuchungen zu präparieren, ist die Gefrierätzung oder der Gefrierbruch. Dazu werden die Zellen eingefroren, im Vakuum mit einem Messer geschnitten oder mit einem speziellen Präparathalter gebrochen und die Oberflächen anschließend durch Sublimation des Eises freigelegt. Nach Bedampfung mit einem dünnen Metallfilm, gefolgt von Kohle, können die daran anhaftenden Zellbestandteile entfernt und der verbleibende Abdruck betrachtet werden (▶ Abb. 5.2d). Einblicke in die dreidimensionale Struktur ganzer Zellen, subzellulärer Strukturen oder Viren erhält man mit der Elektronentomografie. Ähnlich wie bei der in der Medizin eingesetzten Magnetresonanztomografie werden die dünnen Objekte (Dicke ≤ 0,5 µm) rechtwinklig zum Elektronenstrahl schrittweise um eine Achse gedreht und jeweils Projektionsbilder aufgenommen. Aus einer Serie solcher Aufnahmen kann ein dreidimensionales Bild errechnet werden. In Kombination mit speziellen Gefriertechniken, mit deren Hilfe man das Objekt einfrieren kann, ohne dass sich Eiskristalle bilden (engl. electron cryotomography), lässt sich das Objekt in nahezu natürlichem Zustand mit hoher Auflösung (bis zu 4 nm) untersuchen (▶ Abb. 5.2e).

5.3 Chromosom und Plasmide Das prokaryontische Chromosom enthält den überwiegenden Teil der DNA der Zelle. Es ist typischerweise ein kovalent geschlossenes, ringförmiges Molekül, dessen Größe sehr verschieden sein kann (z. B. 580 kb bei Mycoplasma genitalium, einem Bakterium, das Harnwegsentzündungen beim Menschen verursacht, 4 700 kb bei dem Darmbakterium Escherichia coli und über 10 000 kb bei dem Cyanobakterium Nostoc punctiforme). Kleine Chromosomen sind offensichtlich typisch für sehr angepasste Spezialisten wie pathogene Vertreter und Prokaryonten mit hoch spezialisiertem Stoffwechsel. In einigen Bakterien, die besonders vielfältige Stoffwechselleistungen vollbringen oder komplizierte Entwicklungszyklen durchlaufen, hat man komplexe Genome gefunden. Darunter befinden sich Bakterien mit mehreren, unterschiedlich großen Chromosomen und mit großen Plasmiden, sogenannten Megaplasmiden. Abgesehen von der Größenvariabilität kommen bei Bakterien, z. B. bei den Gattungen Borrelia, Streptomyces und Rhodococcus, auch lineare Formen von Chromosomen vor. Das prokaryontische Chromosom ist mit Proteinen (HU, H-NS, IHF und FIS) und RNA-Molekülen assoziiert, die für die Stabilität erforderlich sind. Darüber hinaus ist das Molekül in zahlreichen Schleifen organisiert, die um die Längsachse verdrillt sind. Durch diese Supercoil

5

Die Besonderheiten prokaryontischer Zellen

a

b

Abb. 5.4 Das bakterielle Chromosom und Supercoiling. a Offenes, ringförmiges Chromosom. b Überdrehte DNA (Supercoils). c Das Chromosom besteht tatsächlich aus zahlreichen Supercoils, die durch spezifische Proteine stabilisiert werden.

c

Proteine

supercoilDomäne

(Überdrehungs)-Bereiche wird eine extrem dichte Verpackung der DNA in der Zelle erreicht (▶ Abb. 5.4). Das Chromosom ist zwar im Gegensatz zum eukaryontischen Chromosom nicht von einer Kernmembran umgeben, jedoch lässt sich im Elektronenmikroskop aggregierte DNA in der Zelle als eine distinkte Struktur erkennen, die als Nukleoid (S. 51) bezeichnet wird. Dieses füllt etwa 50 % des Lumens der Zelle aus. Außer Chromosomen enthalten prokaryontische Zellen häufig kleinere extrachromosomale DNA-Moleküle, die als Plasmide (S. 180) bezeichnet werden. Es handelt sich in der Regel um ringförmige, kovalent geschlossene Moleküle; jedoch sind, wiederum bei den Gattungen Streptomyces und Borrelia, auch lineare Plasmide bekannt. Auch bei E. coli wurde ein lineares Plasmid (N15) identifiziert. Die Größe von Plasmiden kann zwischen ca. 1 kb bis mehrere Hundert kb (Megaplasmide) variieren. Große Plasmide liegen meist nur in ein bis zwei Kopien, kleine in bis zu 100 Kopien pro Zelle vor. Plasmide werden autonom, d. h. unabhängig vom Chromosom, repliziert. Sie

sind für das Überleben der Zelle normalerweise nicht erforderlich. Da sie jedoch häufig Gene tragen, die Proteine spezieller Stoffwechselwege, für Resistenzen gegenüber Antibiotika und Schwermetallen oder Virulenzfaktoren codieren, können sie dem Wirt unter bestimmten Umweltbedingungen einen Selektionsvorteil verschaffen.

5.4 Ribosomen Die Ribosomen sind die Orte der Proteinbiosynthese. Hier wird die genetische Information der Boten-RNA (mRNA) in eine Polypeptidkette umgesetzt (Translation) (S. 205). Ribosomen sind daher essenziell für jede Zelle und kommen folgerichtig bei allen Organismen vor. Sie bestehen aus zwei Untereinheiten, die gemeinsam das aktive Ribosom bilden. Bei den Prokaryonten werden die kleine Untereinheit als 30S und die große Untereinheit als 50S bezeichnet. Die beiden Untereinheiten lagern sich zum 70SRibosom zusammen (▶ Abb. 5.5). Jede Untereinheit be-

Abb. 5.5 Modell des bakteriellen Ribosoms. Das bakterielle Ribosom ist aus zwei Untereinheiten zusammengesetzt. Die große 50S-Untereinheit besteht aus 5S-rRNA, 23S-rRNA und 33 Proteinen, die kleine 30SUntereinheit enthält die 16S-rRNA und 21 Proteine.

70S

50S

30S

M 1 600 000

23S rRNA

M 900 000

(2904 Nukleotide)

5S rRNA

(121 Nukleotide)

33 Proteine große Untereinheit

146

16S rRNA

(1542 Nukleotide)

21 Proteine kleine Untereinheit

Die Besonderheiten prokaryontischer Zellen

a

b

Abb. 5.4 Das bakterielle Chromosom und Supercoiling. a Offenes, ringförmiges Chromosom. b Überdrehte DNA (Supercoils). c Das Chromosom besteht tatsächlich aus zahlreichen Supercoils, die durch spezifische Proteine stabilisiert werden.

c

Proteine

supercoilDomäne

(Überdrehungs)-Bereiche wird eine extrem dichte Verpackung der DNA in der Zelle erreicht (▶ Abb. 5.4). Das Chromosom ist zwar im Gegensatz zum eukaryontischen Chromosom nicht von einer Kernmembran umgeben, jedoch lässt sich im Elektronenmikroskop aggregierte DNA in der Zelle als eine distinkte Struktur erkennen, die als Nukleoid (S. 51) bezeichnet wird. Dieses füllt etwa 50 % des Lumens der Zelle aus. Außer Chromosomen enthalten prokaryontische Zellen häufig kleinere extrachromosomale DNA-Moleküle, die als Plasmide (S. 180) bezeichnet werden. Es handelt sich in der Regel um ringförmige, kovalent geschlossene Moleküle; jedoch sind, wiederum bei den Gattungen Streptomyces und Borrelia, auch lineare Plasmide bekannt. Auch bei E. coli wurde ein lineares Plasmid (N15) identifiziert. Die Größe von Plasmiden kann zwischen ca. 1 kb bis mehrere Hundert kb (Megaplasmide) variieren. Große Plasmide liegen meist nur in ein bis zwei Kopien, kleine in bis zu 100 Kopien pro Zelle vor. Plasmide werden autonom, d. h. unabhängig vom Chromosom, repliziert. Sie

sind für das Überleben der Zelle normalerweise nicht erforderlich. Da sie jedoch häufig Gene tragen, die Proteine spezieller Stoffwechselwege, für Resistenzen gegenüber Antibiotika und Schwermetallen oder Virulenzfaktoren codieren, können sie dem Wirt unter bestimmten Umweltbedingungen einen Selektionsvorteil verschaffen.

5.4 Ribosomen Die Ribosomen sind die Orte der Proteinbiosynthese. Hier wird die genetische Information der Boten-RNA (mRNA) in eine Polypeptidkette umgesetzt (Translation) (S. 205). Ribosomen sind daher essenziell für jede Zelle und kommen folgerichtig bei allen Organismen vor. Sie bestehen aus zwei Untereinheiten, die gemeinsam das aktive Ribosom bilden. Bei den Prokaryonten werden die kleine Untereinheit als 30S und die große Untereinheit als 50S bezeichnet. Die beiden Untereinheiten lagern sich zum 70SRibosom zusammen (▶ Abb. 5.5). Jede Untereinheit be-

Abb. 5.5 Modell des bakteriellen Ribosoms. Das bakterielle Ribosom ist aus zwei Untereinheiten zusammengesetzt. Die große 50S-Untereinheit besteht aus 5S-rRNA, 23S-rRNA und 33 Proteinen, die kleine 30SUntereinheit enthält die 16S-rRNA und 21 Proteine.

70S

50S

30S

M 1 600 000

23S rRNA

M 900 000

(2904 Nukleotide)

5S rRNA

(121 Nukleotide)

33 Proteine große Untereinheit

146

16S rRNA

(1542 Nukleotide)

21 Proteine kleine Untereinheit

5.5 Zellwand steht ihrerseits aus charakteristischen Proteinen und Ribonukleinsäuren (rRNA), die gemeinsam einen Ribonukleoproteinkomplex bilden. Die 30S-Untereinheit enthält die 16S-rRNA und 21 verschiedene Proteine, die 50SUntereinheit besteht aus 5S-rRNA, 23S-rRNA und 33 verschiedenen Proteinen. Die Anzahl der Proteine gilt für E. coli, sie variiert geringfügig bei anderen Bakterien. Jede Zelle enthält 2–10 × 104 Ribosomen, die als einzelne Partikel oder als Polysomen vorliegen können. Polysomen bestehen aus einzelnen Ribosomen, die zur Kette aufgereiht an mRNA gebunden sind.

5.5 Zellwand 5.5.1 Zellwand der Bacteria Durch die im Cytoplasma gelösten Stoffe entsteht ein Zellturgor (ein Druck in der Zelle), der, je nach Bakterium, zwischen 0,2–0,5 MPa (bei gramnegativen) und 2,5 MPa (bei grampositiven) betragen kann (1 MPa = 9,869 atm). Um diesem Druck standhalten zu können, sind Eubakterien, mit Ausnahme der Gruppe der Mykoplasmen, von einer Zellwand umgeben. Bei den meisten Bakterien besteht diese aus Peptidoglykan, auch Murein oder Mureinsacculus (lat. sacculus, Säckchen) genannt (▶ Abb. 5.6). Murein ist ein Heteropolymer, aufgebaut aus einer Polysaccharidkomponente und einem Peptidanteil. Der Mureinsacculus bestimmt auch die Form der Zelle. Die Anzahl der Mureinschichten, aus denen sich die Zellwand zusammensetzt, ist ein wichtiges Charakteristikum zur Unterscheidung von Bakterien mithilfe der GramFärbung (vgl. Methode 5.1) (S. 144). Grampositive Bakterien haben bis zu 25 Schichten, während gramnegative Bakterien nur ein ein- bis zweischichtiges Peptidoglykan

besitzen. Je tiefer Bakteriengruppen im Stammbaum der Bakterien abzweigen, desto stärker weichen ihre Zellwandstrukturen von der hier beschriebenen Struktur ab. Das typische Zellwandpolysaccharid der Bakterien setzt sich aus zwei (Amino)Zuckern, N-Acetylglucosamin (GlcNAc) und N-Acetylmuraminsäure (MurNAc), zusammen, die alternierend über 1,4-β-glykosidische Bindungen miteinander verknüpft sind (▶ Abb. 5.7). Die so entstandenen Zuckerketten werden über Tetrapeptide, die mit einem Lactylrest der N-Acetylmuraminsäure verbunden sind, vernetzt. Die Peptide der Zellwand zeichnen sich durch zum Teil ungewöhnliche Aminosäuren aus, welche in Proteinen sonst nicht vorkommen. So findet man neben L-Alanin die D-Formen der Aminosäuren Alanin und Glutaminsäure, sowie Diaminopimelinsäure. Diese besitzt zwei Aminogruppen und kann daher die Vernetzung mit dem D-Alanin der Nachbarkette über eine Peptidbindung bewerkstelligen. Bei grampositiven Bakterien wie Staphylococcus aureus ist Diaminopimelinsäure meist durch L-Lysin ersetzt und die Brücke wird durch ein zusätzliches Pentapeptid aus Glycinresten gebildet. Die Zahl der Quervernetzungen variiert und ist für die unterschiedlichen Bakteriengruppen typisch.

GlcNAc

MurNAc

H2COH O O

OH

1

O H3C

CH3

O

NH

CH

C

C

L-Ala O

O

OH

4

NH O

C

O CH3

NH HC

H2COH O

β

3

NH C

GlcNAc

H2COH O

Lactylrest CH3

C NH HC

GlcNAc COO– MurNAc

CH2

D-Glu

O

CH3

CH2 C

O

NH HC

m-DAP

C

NH2 (CH2)3 O

CH COO–

NH D-Ala

H3C

CH C

O

NH D-Ala Abb. 5.6 Mureinsacculus aus Bacillus megaterium (luftgetrocknete Präparation). Indikatorpartikel haben Durchmesser von 0,25 mm. (aus Salton and Williams, Biochim. Biophys. Acta 14 (1954):455-458.)

H3C O

H2N

D-Ala D-Ala m-DAP D-Glu L-Ala

CH C

O–

Abb. 5.7 Aufbau von Murein. Das endständige D-Alanin wird bei der Quervernetzung abgespalten. Erklärung siehe Text.

7

5.5 Zellwand steht ihrerseits aus charakteristischen Proteinen und Ribonukleinsäuren (rRNA), die gemeinsam einen Ribonukleoproteinkomplex bilden. Die 30S-Untereinheit enthält die 16S-rRNA und 21 verschiedene Proteine, die 50SUntereinheit besteht aus 5S-rRNA, 23S-rRNA und 33 verschiedenen Proteinen. Die Anzahl der Proteine gilt für E. coli, sie variiert geringfügig bei anderen Bakterien. Jede Zelle enthält 2–10 × 104 Ribosomen, die als einzelne Partikel oder als Polysomen vorliegen können. Polysomen bestehen aus einzelnen Ribosomen, die zur Kette aufgereiht an mRNA gebunden sind.

5.5 Zellwand 5.5.1 Zellwand der Bacteria Durch die im Cytoplasma gelösten Stoffe entsteht ein Zellturgor (ein Druck in der Zelle), der, je nach Bakterium, zwischen 0,2–0,5 MPa (bei gramnegativen) und 2,5 MPa (bei grampositiven) betragen kann (1 MPa = 9,869 atm). Um diesem Druck standhalten zu können, sind Eubakterien, mit Ausnahme der Gruppe der Mykoplasmen, von einer Zellwand umgeben. Bei den meisten Bakterien besteht diese aus Peptidoglykan, auch Murein oder Mureinsacculus (lat. sacculus, Säckchen) genannt (▶ Abb. 5.6). Murein ist ein Heteropolymer, aufgebaut aus einer Polysaccharidkomponente und einem Peptidanteil. Der Mureinsacculus bestimmt auch die Form der Zelle. Die Anzahl der Mureinschichten, aus denen sich die Zellwand zusammensetzt, ist ein wichtiges Charakteristikum zur Unterscheidung von Bakterien mithilfe der GramFärbung (vgl. Methode 5.1) (S. 144). Grampositive Bakterien haben bis zu 25 Schichten, während gramnegative Bakterien nur ein ein- bis zweischichtiges Peptidoglykan

besitzen. Je tiefer Bakteriengruppen im Stammbaum der Bakterien abzweigen, desto stärker weichen ihre Zellwandstrukturen von der hier beschriebenen Struktur ab. Das typische Zellwandpolysaccharid der Bakterien setzt sich aus zwei (Amino)Zuckern, N-Acetylglucosamin (GlcNAc) und N-Acetylmuraminsäure (MurNAc), zusammen, die alternierend über 1,4-β-glykosidische Bindungen miteinander verknüpft sind (▶ Abb. 5.7). Die so entstandenen Zuckerketten werden über Tetrapeptide, die mit einem Lactylrest der N-Acetylmuraminsäure verbunden sind, vernetzt. Die Peptide der Zellwand zeichnen sich durch zum Teil ungewöhnliche Aminosäuren aus, welche in Proteinen sonst nicht vorkommen. So findet man neben L-Alanin die D-Formen der Aminosäuren Alanin und Glutaminsäure, sowie Diaminopimelinsäure. Diese besitzt zwei Aminogruppen und kann daher die Vernetzung mit dem D-Alanin der Nachbarkette über eine Peptidbindung bewerkstelligen. Bei grampositiven Bakterien wie Staphylococcus aureus ist Diaminopimelinsäure meist durch L-Lysin ersetzt und die Brücke wird durch ein zusätzliches Pentapeptid aus Glycinresten gebildet. Die Zahl der Quervernetzungen variiert und ist für die unterschiedlichen Bakteriengruppen typisch.

GlcNAc

MurNAc

H2COH O O

OH

1

O H3C

CH3

O

NH

CH

C

C

L-Ala O

O

OH

4

NH O

C

O CH3

NH HC

H2COH O

β

3

NH C

GlcNAc

H2COH O

Lactylrest CH3

C NH HC

GlcNAc COO– MurNAc

CH2

D-Glu

O

CH3

CH2 C

O

NH HC

m-DAP

C

NH2 (CH2)3 O

CH COO–

NH D-Ala

H3C

CH C

O

NH D-Ala Abb. 5.6 Mureinsacculus aus Bacillus megaterium (luftgetrocknete Präparation). Indikatorpartikel haben Durchmesser von 0,25 mm. (aus Salton and Williams, Biochim. Biophys. Acta 14 (1954):455-458.)

H3C O

H2N

D-Ala D-Ala m-DAP D-Glu L-Ala

CH C

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Abb. 5.7 Aufbau von Murein. Das endständige D-Alanin wird bei der Quervernetzung abgespalten. Erklärung siehe Text.

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Die Besonderheiten prokaryontischer Zellen

Protoplast

Bakterium 0,5 mg Lysozym/ml

Lysozym in hypotonischem Medium

in iso- oder schwach hypertonischem Medium

„osmotischer Schock“ durch Verdünnen in destiliertem Wasser

Ghosts, bestehend aus Membranfetzen und Vesikeln Abb. 5.8 Herstellung von Protoplasten und Membranvesikeln durch Behandlung mit Lysozym.

Bei der Biosynthese des Peptidoglykans (S. 327) werden im Cytoplasma zunächst Vorläufermoleküle gebildet. Diese bestehen aus einem GlcNAc-MurNAc-Disaccharid, das an MurNAc ein Pentapeptid trägt. Gegenüber der Struktur in der fertigen Kette befindet sich am freien Ende des Peptids ein weiteres D-Alanin-Molekül. Dieser Vorläufer wird mit einem Trägermolekül (C55-Lipid oder Undecaprenol) verknüpft, durch spezielle Transportproteine auf die Außenseite der Membran verbracht und dort in die vorhandene Kette eingebaut. Dabei erfolgt die Quervernetzung von Peptidketten durch Reaktion mit D-Alanin an Position 4 (Transpeptidierung), bei gleichzeitiger Abspaltung des endständigen D-Alanins. Somit wird die energieverbrauchende Bildung der Peptidbindung zwischen den Peptidketten an die energieliefernde Spaltung des D-Alanyl-D-Alanin-Dipeptids gekoppelt. Dieser Schritt wird spezifisch durch das Antibiotikum Penicillin gehemmt (Plus 5.11) (S. 174). Neben dem Schutz gegen Zerstörung aufgrund des Zellturgors spielt das Murein eine entscheidende Rolle bei

zellwandassoziierte Proteine

der Formgebung der Bakterienzellen. Spaltet man die 1,4β-glykosidische Bindung zwischen N-Acetylglucosamin und N-Acetylmuraminsäure mit dem Enzym Lysozym, so wird die Stabilität der Zellwand geschwächt. Wasser tritt ein, die Zelle schwillt und platzt schließlich, ein Vorgang den man als Lyse der Zelle bezeichnet. Da Lysozym in Körpersekreten des Menschen (Tränenflüssigkeit, Speichel) vorkommt, wird dem Enzym eine Bedeutung bei der primären Abwehr gegen unerwünschte Bakterienbesiedlung zugesprochen. Wird die Lysozymbehandlung dagegen in einer isotonischen Saccharoselösung durchgeführt, deren osmotischer Druck dem des Cytoplasmas entspricht, unterbleibt die Lyse. Stattdessen entsteht ein Protoplast von kugelförmiger Gestalt. Dabei ist die urprüngliche Gestalt der Zelle, ob Stäbchen-, Spirillen- oder Kokkenform, ohne Bedeutung (▶ Abb. 5.8). Durch einen osmotischen Schock (Verdünnen der Protoplastensuspension in destilliertem Wasser) platzen die Protoplasten und werden zu Ghosts, die aus Membranfetzen und Vesikeln bestehen. Dies macht deutlich, dass die Zellwand eine für die meisten Bakterien lebensnotwendige Struktur darstellt. Lediglich die Vertreter der Gruppe der Mykoplasmen (z. B. die Gattungen Mycoplasma, Spiroplasma, Acholeplasma) leben als zellwandfreie Organismen. Ihr bevorzugter Lebensraum innerhalb eines tierischen Wirts stellt eine isotone Umgebung dar; auch das Vorhandensein von Cholesterin in deren Zellmembran, die aus verzuckerten Lipiden (Lipoglykan) besteht, wird für die Entbehrlichkeit der Zellwand verantwortlich gemacht. Über die erwähnten Grundstrukturen hinaus befinden sich in den Zellwänden grampositiver Bakterien weitere Komponenten (▶ Abb. 5.9). Einige enthalten Teichonsäuren – saure Polysaccharide mit Glycero- oder Ribitolphosphaten als charakteristischen Bestandteilen (▶ Abb. 5.10). Die Lipoteichonsäuren sind dabei direkt

Membran-Lipoteichonsäure Zellwand-Teichonsäure zellwandspezifisches Polysaccharid

Murein (Peptidoglykan)

Cytoplasmamembran Membranproteine

148

Abb. 5.9 Schematische Darstellung der Zellwand grampositiver Bakterien (Gruppe mit niedrigem GC-Gehalt). GlcNAc, N-Acetylglucosamin, MurNAc, N-Acetylmuraminsäure. (nach Kayser et al., Taschenlehrbuch Medizinische Mikrobiologie, Thieme, 2010)

5.6 Kapseln und Schleime mit Lipiden der Zellmembran oder mit der Zellwand verbunden. Über eine besondere Zellwand verfügen Eubakterien der Gattung Mycobacteria. Sie enthält Mykolsäuren, die über Arabinogalaktan kovalent mit dem Murein

O

O P



O

CH2

D-Glucose

O

CH

D-Alanin

O

CH

D-Alanin

O

CH

O

H 2C

O– O

Ribitol

P

O

O

Abb. 5.10 Struktur der sich wiederholenden Einheit der Ribitol-Teichonsäure aus Bacillus subtilis.

a

komplexe Lipide

5.5.2 Zellwand der Archaea

saure Glycolipide

Porin

≈ 10 nm Mykolsäuren (60–90 C-Atome) Arabinogalaktan

Murein (Peptidoglykan)

≈ 5 nm Cytoplasmamembran

b R2

H

H

C

C

HO

COO–

R1 OH

c R1 R2

verbunden sind und der Zelloberfläche hydrophobe Eigenschaften verleihen (▶ Abb. 5.11). Aufgrund dieser lipidreichen Zellwand lassen sich Mykobakterien mit der Gram-Färbung (Methode 5.1) (S. 144) nicht anfärben, können jedoch mit der Ziehl-Neelsen-Färbung nachgewiesen werden. Dabei wird der Farbstoff Carbolfuchsin unter Erhitzen in die Zellwand eingelagert und kann anschließend auch durch Spülen mit HCl nicht ausgewaschen werden. Man bezeichnet Mykobakterien daher auch als säurefeste Stäbchen. Bakterien der Gattung Planctomyces besitzen kein Peptidoglykan, sondern sind von einer Proteinhülle umgeben.

O OH

Abb. 5.11 Zellhülle von Mycobacterium tuberculosis. a Die Mykolsäuren sind über Arabinogalaktan kovalent mit dem Murein verknüpft. b Grundstruktur der Mykolsäuren. R1 sind lineare Alkane mit bis zu 24 C-Atomen. Bei R2 handelt es sich um modifizierte Alkane mit bis zu 60 C-Atomen. c Struktur von α-Mykolsäure. Das Molekül ist eine von fünf verschiedenen Mykolsäuren, die in der Zellwand von Mycobacterium tuberculosis vorkommen. R2 enthält zwei charakteristische Cyclopropanringe.

Archaea besitzen kein Peptidoglykan. Nur bei einigen methanbildenden Vertretern kommt eine ähnliche, aber unabhängig entstandene Zellwandstruktur vor, das Pseudomurein. Im Unterschied zum Murein der Bakterien ist hier N-Acetyltalosaminuronsäure anstelle von N-Acetylmuraminsäure in einer 1,3-β-glykosidischen Bindung mit N-Acetylglucosamin verknüpft. Dadurch sind diese Archaebakterien resistent gegenüber Lysozym. Die der Quervernetzung dienenden Peptide enthalten darüber hinaus auch keine D-Aminosäuren. Die Zellwände anderer Archaebakterien bestehen aus Heteropolysacchariden, Glykoproteinen oder gänzlich aus Proteinen. Besonders häufig anzutreffen sind parakristalline Schichten aus Glykoproteinen oder Proteinen, sogenannte S(urface)-Layer (▶ Abb. 5.12). Bei Methanosarcina acetivorans und anderen Archaea übernimmt der S-Layer die Funktion eines negativ geladenen molekularen Siebes, das durch die Anordnung zahlreicher Moleküle des S-Layer-Proteins zu einer β-Faltblatt-Struktur gebildet wird. Dadurch wird der Zutritt gelöster Stoffe in die Zelle abhängig von ihrer Ladung wie auch von ihrer Größe beschränkt. Solche Proteinschichten sind auch bei manchen Eubakterien als dem Murein zusätzlich aufgelagerte Strukturen zu finden. Auch bei Archaebakterien sind zellwandlose, formvariable Vertreter bekannt (Gattungen Thermoplasma und Ferroplasma), die von einer Membran aus Tetraetherlipiden (▶ Abb. 2.20), verknüpft mit Zuckern wie Glucose und Mannose, umhüllt sind. Die Synthese der Zellwand ist hoch komplex und deshalb stark konserviert, sodass diese Strukturen stabile taxonomische Marker für die Systematik (S. 535) abgeben.

5.6 Kapseln und Schleime Viele Bakterien sezernieren bestimmte Polysaccharide (manchmal auch Proteine), die sich als weitere Schutzschicht um die Zellen herumlagern. Diese werden als Kapseln und Schleime bezeichnet. Unter Kapseln versteht man feste, geordnete Strukturen, die eine Diffusion gelöster Verbindungen zur Zellmembran erschweren und

9

5.6 Kapseln und Schleime mit Lipiden der Zellmembran oder mit der Zellwand verbunden. Über eine besondere Zellwand verfügen Eubakterien der Gattung Mycobacteria. Sie enthält Mykolsäuren, die über Arabinogalaktan kovalent mit dem Murein

O

O P



O

CH2

D-Glucose

O

CH

D-Alanin

O

CH

D-Alanin

O

CH

O

H 2C

O– O

Ribitol

P

O

O

Abb. 5.10 Struktur der sich wiederholenden Einheit der Ribitol-Teichonsäure aus Bacillus subtilis.

a

komplexe Lipide

5.5.2 Zellwand der Archaea

saure Glycolipide

Porin

≈ 10 nm Mykolsäuren (60–90 C-Atome) Arabinogalaktan

Murein (Peptidoglykan)

≈ 5 nm Cytoplasmamembran

b R2

H

H

C

C

HO

COO–

R1 OH

c R1 R2

verbunden sind und der Zelloberfläche hydrophobe Eigenschaften verleihen (▶ Abb. 5.11). Aufgrund dieser lipidreichen Zellwand lassen sich Mykobakterien mit der Gram-Färbung (Methode 5.1) (S. 144) nicht anfärben, können jedoch mit der Ziehl-Neelsen-Färbung nachgewiesen werden. Dabei wird der Farbstoff Carbolfuchsin unter Erhitzen in die Zellwand eingelagert und kann anschließend auch durch Spülen mit HCl nicht ausgewaschen werden. Man bezeichnet Mykobakterien daher auch als säurefeste Stäbchen. Bakterien der Gattung Planctomyces besitzen kein Peptidoglykan, sondern sind von einer Proteinhülle umgeben.

O OH

Abb. 5.11 Zellhülle von Mycobacterium tuberculosis. a Die Mykolsäuren sind über Arabinogalaktan kovalent mit dem Murein verknüpft. b Grundstruktur der Mykolsäuren. R1 sind lineare Alkane mit bis zu 24 C-Atomen. Bei R2 handelt es sich um modifizierte Alkane mit bis zu 60 C-Atomen. c Struktur von α-Mykolsäure. Das Molekül ist eine von fünf verschiedenen Mykolsäuren, die in der Zellwand von Mycobacterium tuberculosis vorkommen. R2 enthält zwei charakteristische Cyclopropanringe.

Archaea besitzen kein Peptidoglykan. Nur bei einigen methanbildenden Vertretern kommt eine ähnliche, aber unabhängig entstandene Zellwandstruktur vor, das Pseudomurein. Im Unterschied zum Murein der Bakterien ist hier N-Acetyltalosaminuronsäure anstelle von N-Acetylmuraminsäure in einer 1,3-β-glykosidischen Bindung mit N-Acetylglucosamin verknüpft. Dadurch sind diese Archaebakterien resistent gegenüber Lysozym. Die der Quervernetzung dienenden Peptide enthalten darüber hinaus auch keine D-Aminosäuren. Die Zellwände anderer Archaebakterien bestehen aus Heteropolysacchariden, Glykoproteinen oder gänzlich aus Proteinen. Besonders häufig anzutreffen sind parakristalline Schichten aus Glykoproteinen oder Proteinen, sogenannte S(urface)-Layer (▶ Abb. 5.12). Bei Methanosarcina acetivorans und anderen Archaea übernimmt der S-Layer die Funktion eines negativ geladenen molekularen Siebes, das durch die Anordnung zahlreicher Moleküle des S-Layer-Proteins zu einer β-Faltblatt-Struktur gebildet wird. Dadurch wird der Zutritt gelöster Stoffe in die Zelle abhängig von ihrer Ladung wie auch von ihrer Größe beschränkt. Solche Proteinschichten sind auch bei manchen Eubakterien als dem Murein zusätzlich aufgelagerte Strukturen zu finden. Auch bei Archaebakterien sind zellwandlose, formvariable Vertreter bekannt (Gattungen Thermoplasma und Ferroplasma), die von einer Membran aus Tetraetherlipiden (▶ Abb. 2.20), verknüpft mit Zuckern wie Glucose und Mannose, umhüllt sind. Die Synthese der Zellwand ist hoch komplex und deshalb stark konserviert, sodass diese Strukturen stabile taxonomische Marker für die Systematik (S. 535) abgeben.

5.6 Kapseln und Schleime Viele Bakterien sezernieren bestimmte Polysaccharide (manchmal auch Proteine), die sich als weitere Schutzschicht um die Zellen herumlagern. Diese werden als Kapseln und Schleime bezeichnet. Unter Kapseln versteht man feste, geordnete Strukturen, die eine Diffusion gelöster Verbindungen zur Zellmembran erschweren und

9

Die Besonderheiten prokaryontischer Zellen b

a

Abb. 5.12 Verschiedene Strukturen von S-Layern. (aus Kandler, Naturwissenschaften 66 (1979):95) a Trichome aus Methanospirillum hungatei. Anordnung in Reihen. Maßstab, 0,1 μm. b Hexagonale Gitter bei Methanogenium marisnigri

Resistenz solcher Bakterien gegenüber Abwehrmechanismen des Wirtes (S. 653). Auch die Anheftung an Oberflächen und die Bildung von Biofilmen erfordern extrazelluläre Substanzen, meist Polysaccharide. Während die Zellwände an sich nur schwach immunogen sind, wirken zusätzliche Strukturen wie Flagellen, Proteine der Zellwand, Kapseln, S-Layer und Lipopolysaccharide stark immunogen. So werden Kapselpolysaccharide (K-Antigen) in der Serologie zur Typisierung von Enterobakterien der Gattungen Escherichia, Klebsiella und Shigella mithilfe spezifischer Antikörper herangezogen.

Abb. 5.13 Bakterienkapseln. Dargestellt an dem Schwefelpurpurbakterium Amoebobacter roseus. Tuschepräparat. 1200fach. (Aufnahme Norbert Pfennig)

einen Stofftransport durch Konvektion verhindern. Rußpartikel von Tusche können in Kapseln nicht eindringen (Tuschepräparat, ▶ Abb. 5.13). Schleimschichten dagegen sind weniger geordnet, stellen keine Diffusionsbarriere dar und sind im Mikroskop deutlich schlechter zu erkennen. Beide Strukturen spielen eine Rolle bei der Anheftung pathogener Bakterien an ihre Zielzelle, sowie bei der

a

modifizierte Phosphatgruppe

b

5.7 Zellmembranen 5.7.1 Cytoplasmamembran Das Cytoplasma der Zelle ist von einer dünnen Membran umgeben, die nicht nur die konstante Zusammensetzung und Konzentrationen der Zellinhaltsstoffe gegenüber dem umgebenden Milieu gewährleistet; sie ermöglicht als Permeabilitätsbarriere auch die gezielte Aufnahme und Abgabe von Verbindungen und dient zur Speicherung von Zellenergie (Kap. 8 und 10). Die Cytoplasmamembran besteht aus einer ca. 8 nm dicken Doppel-

Phospholipide

hydrophile Region hydrophobe Region

Fettsäure

Glycerin

integrale Membranproteine peripheres Membranprotein Abb. 5.14 Cytoplasmamembran der Bacteria und Eukarya. a Grundstruktur einer Phospholipiddoppelschicht. b Modell der Struktur der Cytoplasmamembran (Einheitsmembran). Die Matrix besteht aus Phospholipiden, deren hydrophobe Gruppen nach innen weisen, während die hydrophilen Gruppen nach außen gerichtet sind, wo sie mit Wassermolekülen assoziieren. In die Phospholipidschicht eingebettet sind integrale Membranproteine, an die periphere Membranproteine angelagert sein können. Gemäß dem Fluid Mosaic Model ähnelt die Konsistenz der Einheitsmembran einer leicht viskosen Flüssigkeit.

150

Die Besonderheiten prokaryontischer Zellen b

a

Abb. 5.12 Verschiedene Strukturen von S-Layern. (aus Kandler, Naturwissenschaften 66 (1979):95) a Trichome aus Methanospirillum hungatei. Anordnung in Reihen. Maßstab, 0,1 μm. b Hexagonale Gitter bei Methanogenium marisnigri

Resistenz solcher Bakterien gegenüber Abwehrmechanismen des Wirtes (S. 653). Auch die Anheftung an Oberflächen und die Bildung von Biofilmen erfordern extrazelluläre Substanzen, meist Polysaccharide. Während die Zellwände an sich nur schwach immunogen sind, wirken zusätzliche Strukturen wie Flagellen, Proteine der Zellwand, Kapseln, S-Layer und Lipopolysaccharide stark immunogen. So werden Kapselpolysaccharide (K-Antigen) in der Serologie zur Typisierung von Enterobakterien der Gattungen Escherichia, Klebsiella und Shigella mithilfe spezifischer Antikörper herangezogen.

Abb. 5.13 Bakterienkapseln. Dargestellt an dem Schwefelpurpurbakterium Amoebobacter roseus. Tuschepräparat. 1200fach. (Aufnahme Norbert Pfennig)

einen Stofftransport durch Konvektion verhindern. Rußpartikel von Tusche können in Kapseln nicht eindringen (Tuschepräparat, ▶ Abb. 5.13). Schleimschichten dagegen sind weniger geordnet, stellen keine Diffusionsbarriere dar und sind im Mikroskop deutlich schlechter zu erkennen. Beide Strukturen spielen eine Rolle bei der Anheftung pathogener Bakterien an ihre Zielzelle, sowie bei der

a

modifizierte Phosphatgruppe

b

5.7 Zellmembranen 5.7.1 Cytoplasmamembran Das Cytoplasma der Zelle ist von einer dünnen Membran umgeben, die nicht nur die konstante Zusammensetzung und Konzentrationen der Zellinhaltsstoffe gegenüber dem umgebenden Milieu gewährleistet; sie ermöglicht als Permeabilitätsbarriere auch die gezielte Aufnahme und Abgabe von Verbindungen und dient zur Speicherung von Zellenergie (Kap. 8 und 10). Die Cytoplasmamembran besteht aus einer ca. 8 nm dicken Doppel-

Phospholipide

hydrophile Region hydrophobe Region

Fettsäure

Glycerin

integrale Membranproteine peripheres Membranprotein Abb. 5.14 Cytoplasmamembran der Bacteria und Eukarya. a Grundstruktur einer Phospholipiddoppelschicht. b Modell der Struktur der Cytoplasmamembran (Einheitsmembran). Die Matrix besteht aus Phospholipiden, deren hydrophobe Gruppen nach innen weisen, während die hydrophilen Gruppen nach außen gerichtet sind, wo sie mit Wassermolekülen assoziieren. In die Phospholipidschicht eingebettet sind integrale Membranproteine, an die periphere Membranproteine angelagert sein können. Gemäß dem Fluid Mosaic Model ähnelt die Konsistenz der Einheitsmembran einer leicht viskosen Flüssigkeit.

150

5.7 Zellmembranen a Steroidgrundgerüst

b Cholesterin 3

CH3

4 H3 C

1

2

CH3

H2C

H2C

CH3 1

2 CH3

H2C

H

3 CH3

CH3

CH

CH3 3

CH3

c Diplopten

H3C

C

Abb. 5.15 Steroide und Hopanoide. a Steroidgrundgerüst. b Struktur von Cholesterin. c Struktur des Hopanoids Diplopten.

1

4

2

HO hydrophile Region

schicht aus Phospholipiden (seltener Glykolipiden), in die Proteine eingelagert sind. Phospholipide sind Ester aus dem dreiwertigen Alkohol Glycerin und zwei Fettsäuren, die sowohl gesättigt als auch ungesättigt sein und Kettenlängen zwischen 14 und 18 Kohlenstoffatomen besitzen können. Die verbleibende OH-Gruppe des Glycerins ist mit Phosphorsäurederivaten verestert. Bei Glykolipiden ist diese Position dagegen glykosidisch mit Zuckerresten verbunden (▶ Abb. 2.20). Diese chemische Zusammensetzung verleiht dem Molekül sowohl hydrophile als auch lipophile Eigenschaften. Der amphipathische Charakter führt in wässriger Umgebung zur spontanen Ausbildung einer Doppelschicht, in der die Fettsäurereste nach innen, die polaren Glycerophosphat- bzw. Zuckergruppen nach außen gerichtet sind (▶ Abb. 5.14a). Diese Struktur wird auch als Einheitsmembran bezeichnet, da ihr Aufbau für fast alle Zellmembranen und auch für viele Membranen eukaryontischer Zellorganellen prinzipiell gleich ist. Die Cytoplasmamembran stellt eine Permeabilitätsbarriere für wasserlösliche, besonders für ionische Substanzen dar. Lediglich Wasser selbst, einige Gase (z. B. CO2, H2, O2) und wenige kleine organische Moleküle wie Glycerin oder lipophile Substanzen, wie undissoziierte Fettsäuren und aromatische Verbindungen, können die Membran durch Diffusion frei passieren. In die Membran eingelagert sind spezielle Proteine, welche die Hälfte der Membranmasse ausmachen. Sie dienen u. a. der Kommunikation und dem Stoffaustausch mit der Umgebung, der Konservierung von Energie und der Biosynthese der Membran- und Wandbestandteile (Kap. 10). Im Gegensatz zu den wasserlöslichen Proteinen des Cytoplasmas exponieren Membranproteine die Seitenketten hydrophober Aminosäuren auf ihrer Oberfläche, wodurch sie in Kontakt mit den Fettsäuren der Lipide treten können. Um die Membran einmal durchspannen zu können, sind zwischen 18 und 22 aufeinander folgende hydrophobe Aminosäuren erforderlich, die in Form einer α-Helix gefaltet sind. Solchen integralen Membranproteinen stellt man periphere Membranproteine gegenüber, die über Kontakte mit integralen Membranproteinen mit der Membran assoziiert sind (▶ Abb. 5.14b). Integrale Membranproteine lassen sich nur mit Detergen-

hydrophobe Region

zien (auch Tenside genannt) in Lösung bringen, periphere Membranproteine können bereits durch hohe Salzkonzentrationen abgelöst werden. Die Cytoplasmamembran ist keine starre Struktur, sondern flüssig, wobei man sich die Proteine als in den Phospholipiden „schwimmend“ vorstellt (engl. fluid mosaic model, ▶ Abb. 5.14b). Zur Stabilisierung dieser Struktur können zusätzliche hydrophobe Verbindungen in die Membran eingelagert sein. So enthalten eukaryontische Membranen, anders als fast alle bakteriellen Membranen (Ausnahmen: methanotrophe Bakterien, Mykoplasmen und einige Planctomyceten) das Steroid Cholesterin. Bei zahlreichen Bakterien wurden jedoch ähnliche Verbindungen, sogenannte Hopanoide, gefunden (▶ Abb. 5.15). Eine chemisch grundsätzlich andere Membranzusammensetzung findet man bei den Archaea, aber auch bei einigen Eubakterien (z. B. Anammoxbakterien) (S. 575). Anstelle von Esterbindungen ist hier ein Glycerinmolekül über Etherbindungen mit den hydrophoben Komponenten verbunden. Dabei handelt es sich nicht um Fettsäuren, sondern um reduzierte Isoprenoidalkohole (▶ Abb. 2.20d). Sowohl Di- als auch Tetraetherverbindungen mit Glycerin kommen vor. Letztere führen zur Bildung einer Einzelschicht in einer Membran (▶ Abb. 5.16). Diese Strukturen, sowie die größere Stabilität von Etherbindungen im Vergleich zu Esterbindungen, gewährleisten die Integrität der Membran auch unter den häufig extremen Lebensbedingungen der Archaea. Einige Gruppen von Bakterien besitzen zusätzliche, intracytoplasmatische Membranen, bei denen es sich um

a

b Glycerin Phytanyl Biphytanyl Membranprotein

Abb. 5.16 Cytoplasmamembranen der Archaea. a Lipiddoppelschicht. b Lipideinzelschicht.

1

Die Besonderheiten prokaryontischer Zellen

a

b

c

d

e

f

a Ps S

Chr Zw

S

S c

b T

T

LS

Abb. 5.18 Elektronenmikroskopische Aufnahmen von Einzelbeispielen phototropher Bakterien mit intracytoplasmatischen Membransystemen. a Chromatium okenii enthält bläschenförmige Strukturen, die Vesikel oder Chromatophoren genannt werden. Chr, Chromatophoren; Ps, Polysaccharidgrana; S, Schwefeltropfen; Zw, Zellwand. (Aufnahme G. Kran) b Thiocapsa pfennigii hat tubuläre photosynthetische Membranen (T). (Aufnahme K. Eimhjellen) c Bei Ectothiorhodospira mobilis sind die Membranen mehrfach gefaltet und liegen als Lamellenstapel (LS) vor. (aus Remsen et al., J. Bacteriol. 96 (1968):2374)

Einstülpungen der Cytoplasmamembran handelt. Sie dienen der Vergrößerung der Membranoberfläche und enthalten spezielle Enzymsysteme, die für besondere Energiestoffwechselwege benötigt werden und zwingend in geschlossenen Membransystemen eingelagert sein müssen.

152

Abb. 5.17 Schematische Übersicht über intracytoplasmatische Membranen. a Vesikeltyp bei Rhodospirillum rubrum, Rhodobacter capsulatus, Chromatium vinosum, Thiocapsa roseopersicina u. a. b Tubuläre Strukturen bei Thiocapsa pfennigii u. a. c Flache, thylakoidartige Strukturen bei Rhodospirillum molischianum, Ectothiorhodospira mobilis u. a. d Große, teilweise gestapelte Thylakoide bei Rhodopseudomonas palustris und Rps. viridis. e Intracytoplasmatische Membranen bei Nitrosococcus oceanus. f Intracytoplasmatische Membranen vom Typ II aus Methylosinus.

Bei phototrophen Bakterien, die zur Gruppe der Purpurbakterien gehören, findet man lamellenartige, schlauchförmige und vesikuläre Strukturen (letztere werden auch als Chromatophoren bezeichnet); diese tragen die Lichtsammelkomplexe, Reaktionszentren und Elektronentransportketten des Photosyntheseapparates (▶ Abb. 5.17 und ▶ Abb. 5.18). Bei dem Bakterium Rhodobacter sphaeroides wurden Vesikel identifiziert, die über keine Verbindung zur Cytoplasmamembran mehr verfügen, also frei im Cytoplasma liegen. Ähnliche interne Membransysteme besitzen Organismen, die zur Gruppe der methanotrophen Bakterien gehören. Ihr Energie- und Baustoffwechsel basiert auf der Oxidation von Methan (CH4) (Plus 11.16) (S. 380). Von ihrer Struktur her können Typ-I- und Typ-II-Membranen unterschieden werden. Beide enthalten die zur Methanoxidation notwendigen Enzymsysteme und sind darüber hinaus durch den Gehalt an Steroiden gekennzeichnet, was eine Besonderheit für Bakterien darstellt. Ebenfalls über zusätzliche intracytoplasmatische Membranen verfügen viele nitrifizierende Bakterien, die ihre Zellenergie durch Oxidation von Ammoniak (NH3) zu Nitrit (NO2–) bzw. von NO2– zu Nitrat (NO3–) mit Sauerstoff gewinnen. Die Ammoniak-Monooxygenase ist wie die Methan-Monooxygenase (S. 377) ein Membranenzym.

5.7.2 Die äußere Membran gramnegativer Bakterien Gramnegative Bakterien haben als Besonderheit eine der Zellwand aufgelagerte zweite (äußere) Membran (▶ Abb. 5.19). Hierbei handelt es sich um eine asymmetrische Lipiddoppelschicht, bestehend aus einer äußeren Lage aus Lipopolysacchariden (LPS) und einer inneren Lage aus Phospholipiden, wie man sie auch in der Cytoplasmamembran findet. Bei den Lipopolysacchariden unterscheidet man drei strukturelle Komponenten: das Lipid A, die Kern-Polysaccharidregion und die O-spezifische Seitenkette (▶ Abb. 5.20). Lipid A besteht aus einem Di-

5.7 Zellmembranen O-Kette

Core

Lipid A Lipopolysaccharid (LPS)

Abb. 5.19 Schematische Darstellung der Zellwand gramnegativer Bakterien. (nach Kayser et al., Taschenlehrbuch Medizinische Mikrobiologie, Thieme, 2010)

äußere Membran

Porine (z. B. OmpF) OmpA

MureinLipoprotein

periplasmatischer Raum Murein

Cytoplasmamembran

O-spezifische Polysaccharidkette

Man Abe Rha Gal Glc

n ≥ 10

GlcNAc

Gal Glc

Gal

KernPolysaccharid

Hep Hep KDO KDO

KDO

O O

OCH2CH2NH3

P O–

O

O –O

P HO

O O

O O O O

NH

O

O

HO O O O

O O

HN O

O P OOH

O–

OH

OH

Lipid A 14 14

14 12

14

14

Abb. 5.20 Struktur der Lipopolysaccharide (LPS). Die Ospezifischen Polysaccharide besteht aus vielfach sich wiederholenden Einheiten, die folgende Zucker enthalten: Abequose (Abe), Mannose (Man), Rhamnose (Rha) und Galactose (Gal); das Kern-Polysaccharid enthält typischerweise N-Acetylglucosamin (GlcNAc), Glucose (Glc), Galactose (Gal), L-Glycero-DMannoheptose (Hep) und 2-Keto-3-Desoxyoctonsäure (KDO); Lipid A besteht aus sich wiederholenden Einheiten von phosphoryliertem Glucosamin, welche mit Fettsäuren (C12, C14; einige β-Hydroxyfettsäuren) verestert sind.

saccharid aus Glucosaminphosphat, an dessen ZuckerOH-Gruppen über Esterbindungen Fettsäuren gebunden sind. Eine spezielle Zuckersäure, 2-Keto-3-desoxyoctonsäure (KDO), verbindet das Lipid A mit der Kernregion, die aus definierten Zuckern, darunter Heptosen, Galactose, Glucose und N-Acetylglucosamin besteht. An diese schließt sich die O-spezifische Polysaccharidkette an. Vier bis fünf Zucker bilden hier, teilweise verzweigte, Grundstrukturen, die mehrfach wiederholt werden können und somit eine Variabilität in der Kettenlänge ermöglichen. Außerdem findet man auch ungewöhnliche Didesoxyzucker wie Abequose oder Colitose. Diese Struktur stellt ein sehr wirksames Antigen (O-Antigen) für die Produktion von Antikörpern durch das Immunsystem von Säugern dar (▶ Tab. 19.4). Werden LPS, insbesondere die Lipid-A-Komponente, von pathogenen Bakterien der Gattungen Salmonella, Shigella oder Escherichia im menschlichen Organismus freigesetzt, so kann dies zu einem septischen Schock führen. Das Lipid A des LPS wird daher auch als Endotoxin (S. 651) bezeichnet. Die äußere Membran ist über spezielle Lipoproteine (Mureinlipoprotein oder Braun’sches Lipoprotein) an das Peptidoglykan gebunden (▶ Abb. 5.19). Dabei sorgen drei am N-terminalen Cysteinrest kovalent verknüpfte Fettsäuren für die Verankerung des Lipoproteins in der inneren (Phospholipid-)Schicht der äußeren Membran. Das Protein selbst ist kovalent an das Peptidoglykan geknüpft. O-spezifische Polysaccharidketten, KDO und Phosphorsäurereste des Lipid A verleihen der Zelloberfläche einen stark hydrophilen Charakter. Dabei werden die negativen Ladungen der Säuren durch eingelagerte zweiwertige Kationen wie Ca2 + und Mg2 + teilweise kompensiert, was

3

Die Besonderheiten prokaryontischer Zellen erheblich zur Stabilisierung beiträgt. Gramnegative Bakterien besitzen deshalb eine natürliche Resistenz gegenüber lipophilen Verbindungen, zu denen neben den Gallensäuren von Säugern auch viele Antibiotika gehören. Im Gegensatz zur Cytoplasmamembran ist die äußere Membran gramnegativer Bakterien für kleinere Substratmoleküle relativ durchlässig. Dies ist auf spezielle Kanalproteine (Porine) zurückzuführen, die in großer Zahl in die äußere Membran eingelagert sind. Porine bilden als wassergefüllte Homotrimere definierte Poren und ermöglichen den Transport hydrophiler Substanzen bis zu einer Molekülmasse von etwa 600–700 Dalton entlang eines Konzentrationsgefälles. Porine besitzen eine charakteristische Fassstruktur (engl. β-barrel), aufgebaut aus Aminosäureketten, die sich in Form eines β-Faltblatts anordnen (▶ Abb. 5.21, Plus 5.1). Solche unspezifischen Kanalproteine sind in zahlreichen Bakteriengattungen nachgewiesen worden. Sogar einige grampositive Bakterien mit stark hydrophober Zelloberfläche aufgrund von Mykolsäuren, wie Mykobakterien und verwandte Organismen (▶ Abb. 5.11), besitzen Porine, um die Aufnahme wasserlöslicher Nährstoffe zu gewährleisten. Einige Porine mit Substratspezifität werden nur unter bestimmten Bedingungen gebildet. So synthetisiert E. coli bei Phosphatmangel das PhoE-Protein, die Anwesenheit von Maltodextrinen im Medium führt zur Bildung von Maltoporin (bei E. coli dient das Protein auch als Rezeptor für den Bakteriophagen λ und wird daher auch als LamBProtein bezeichnet) und bei einigen E.-coli-Stämmen, die Saccharose als Kohlenstoff- und Energiequelle nutzen können, ist die Aufnahme des Zuckers mit der Synthese des spezifischen Kanalproteins ScrY verbunden. Weiterhin wird für den Transport langkettiger Fettsäuren bei E. coli das FadL-Protein benötigt. All diesen Substraten gemeinsam ist, dass sie durch die unspezifischen Porine entweder gar nicht oder nur unzureichend transportiert werden können. Einen Sonderfall stellen porinähnliche Rezeptorproteine für Eisen-Siderophor-Komplexe (S. 304) und andere große organische Moleküle wie Vitamin B12 dar, die ihr Substrat energieabhängig (gekoppelt an den elektrochemischen Protonengradienten über der Cytoplasmamembran) in das Periplasma transportieren. Von dort gelangen sie über ABC-Transporter (S. 337) in das Cytoplasma. Zur Energetisierung des Vorgangs ist ein Proteinkomplex, bestehend aus TonB, ExbB und ExbD, der in der Cytoplasmamembran verankert ist, erforderlich. Die Öffnung dieser Rezeptoren und damit der Transport der Substrate durch die äußere Membran erfordert die Energetisierung der Cytoplasmamembran, wobei der genaue Mechanismus noch unklar ist. Ein TonB-abhängiger Transport über die äußere Membran wurde auch für andere Metallionen wie Nickel und Cobalt sowie für Oligosaccharide nachgewiesen. Durch die Auflagerung einer nur für relativ kleine Moleküle durchlässigen zweiten Membran entsteht ein wei-

154

Abb. 5.21 Grundstruktur der Porine in der äußeren Membran. Die Proteine (gezeigt ist OmpF von E. coli, s. Plus 5.1) enthalten ausschließlich β-Faltblatt-Elemente, die fassartig angeordnet und durch ungeordnete Peptidschleifen verbunden sind. Drei Monomere vereinigen sich zu einem funktionellen Porin. a Ansicht von der Membranseite. b Aufsicht von der periplasmatischen Seite.

teres, außerhalb der eigentlichen Zelle befindliches Kompartiment, das Periplasma (▶ Abb. 5.19). Hier sind Proteine und Enzyme eingeschlossen, die für den Abbau von Substanzen vor Aufnahme in das Cytoplasma sorgen (z. B. Phosphatasen, Amylasen) oder direkt am Transport beteiligt sind (diverse Substratbindeproteine) (S. 337). Da diese Proteine in hohen Konzentrationen vorliegen, verleihen sie dem Periplasma eine gelartige Konsistenz. Ein dem Periplasma ähnliches, durch zwei Membranen begrenztes Kompartiment wurde auch in dem Archaeon Ignicoccus hospitalis nachgewiesen. Allerdings enthält die

5.8 Das prokaryontische Cytoskelett

●V

Plus 5.1 OmpF und OmpC Vorherrschend bei E. coli sind die konstitutiv gebildeten Porine OmpF (▶ Abb. 5.21) und OmpC, deren Anteil am gesamten Zellprotein bis zu 2 % betragen kann (Omp steht für outer membrane protein). Die Proteine weisen keine Substratspezifität auf, obgleich kationische oder neutrale Substanzen bevorzugt werden. Hydrophobe Verbindungen werden nicht akzeptiert. Der Porendurchmesser jedes Monomers beträgt 1,16 nm im Fall von OmpF bzw. 1,08 nm bei OmpC. Obwohl diese Unterschiede gering erscheinen, reguliert die E.-coli-Zelle die Kopienzahl des jeweiligen Proteins in Abhängigkeit von der Osmolarität des umgebenden Milieus. So wird bei hyperosmotischen Bedingungen und höherer Temperatur die Transkription des ompF-Gens reprimiert mit der Konsequenz, dass die äußere Membran dann

äußere Membran kein LPS, sondern besteht aus Dietherlipiden. Auch typische eubakterielle Porine fehlen, dafür kommt jedoch ein spezieller Proteinkomplex, der eine Pore ausbildet, vor. In der äußeren Membran finden sich überraschenderweise die Enzyme zur Energiegewinnung, darunter auch die ATP-Synthase, die ATP aus einem elektrochemischen Ionengradienten generiert und bei Prokaryonten üblicherweise in der Cytoplasmamembran lokalisiert ist. Viele gramnegative Bakterien bilden äußere Membranvesikel (bläschenartige Strukturen), die in die Umgebung entlassen werden. Sie haben einen Durchmesser zwischen 20 und 500 nm (10–9 m) und bestehen aus einer Lipiddoppelschicht. Diese ist, wie bei der äußeren Membran, aus LPS in der äußeren Lage und Phospholipiden in der inneren Lage aufgebaut. Auch sind in die Membran Proteine eingelagert und das Lumen der Vesikel enthält ursprünglich periplasmatische Verbindungen. Äußere Membranvesikel dienen dem Transport von Signalmolekülen zur Kommunikation zwischen Bakterienzellen oder bei pathogenen Bakterien dem Transport von toxischen Verbindungen zu eukaryontischen Wirtszellen. Bei dem Bakterium Pseudomonas aeruginosa konnte gezeigt werden, dass die Entstehung der Vesikel durch die Einlagerung eines kleinen Signalmoleküls (ein Chinolonderivat) in die LPS-Schicht ausgelöst wird.

5.8 Das prokaryontische Cytoskelett Jede eukaryontische Zelle besitzt eine interne Stützstruktur, aufgebaut aus Aktin-, Tubulin- und Intermediärfilamenten, die als Cytoskelett bezeichnet wird. Das Cytoskelett hat Einfluss auf die Zellwandsynthese und damit auf Form, Wachstum und Teilung der Zelle. Aktin, das einer dynamischen Polymerisation und Depolymerisation un-

überwiegend OmpC-Kanäle enthält. Solche Bedingungen herrschen z. B. im Dickdarm von Säugetieren, einem bevorzugten Lebensraum von E. coli. So kann die Diffusion von schädlichen Stoffen wie Antibiotika oder Gallensäuren über die äußere Membran herabgesetzt werden. Entsprechend wird bei niedriger Osmolarität und niedriger Temperatur, also z. B. in einem See nach Verlassen des Wirtes, die Bildung von OmpF gefördert. Dadurch kann die Aufnahme von Nährstoffen, die nur in geringer Konzentration vorliegen, verbessert werden. An der Regulation der OmpF/ OmpC-Synthese ist ein Sensor-Regulator-System (S. 342) (vgl. auch ▶ Abb. 16.4), bestehend aus den Proteinen EnvZ (Histidin-Kinase) und OmpR (Transkriptionsregulator), sowie eine kleine Antisense-RNA (micF) (S. 500) beteiligt.

terliegt, bildet Mikrofilamente aus, die am Erhalt der Zellform während des Wachstums und der Zellteilung beteiligt sind. Tubulin bildet polymere Strukturen, Mikrotubuli, aus, die für intrazellulären Transport von Bedeutung sind, z. B. für die Trennung (Segregation) von Chromosomen bei der Mitose. Intermediärfilamente, die sich zu fibrillenartigen Strukturen zusammenlagern, haben dagegen strukturelle Funktionen in der Zelle. Anders als die Aktin- und Tubulinpolymere bilden sie sich spontan ohne Verbrauch von Energie, bereitgestellt beispielsweise in Form von Nukleotiden (s. a. Lehrbücher der Zellbiologie). Prokaryontische Zellen besitzen Proteine, die eine Homologie zu den Komponenten des eukaryontischen Cytoskeletts aufweisen. Am besten untersucht sind das tubulinähnliche Protein FtsZ, das aktinähnliche Protein MreB sowie Crescentin (CreS), das Pendant zum Intermediärfilament. Darüber hinaus wurden weitere Proteine des Cytoskeletts entdeckt, für die keine Entsprechungen in eukaryontischen Zellen bekannt sind (Plus 5.2).

5.8.1 FtsZ und die Zellteilung Die meisten Prokaryonten vermehren sich durch binäre Zellteilung, bei der aus einer Zelle zwei, in der Regel gleich große Tochterzellen entstehen (▶ Abb. 5.22). Daneben sind andere Formen der Zellteilung wie die asymmetrische Zellteilung bei Caulobacter crescentus (S. 527) bekannt. Die Zellteilung beginnt mit der Replikation des Chromosoms und der darauf folgenden Trennung in zwei Nukleoide. Im Anschluss bildet sich an der Stelle der Cytoplasmamembran, wo die spätere Trennung in zwei Tochterzellen einsetzt, eine komplexe Proteinstruktur, das Divisom (oder Septumring, von lat. dividere, teilen). Zentraler Bestandteil des Divisoms ist das FtsZ-Protein, das in nahezu allen Prokaryonten vorkommt. Der Name leitet sich von der Beobachtung ab, dass temperatursensitive

5

5.8 Das prokaryontische Cytoskelett

●V

Plus 5.1 OmpF und OmpC Vorherrschend bei E. coli sind die konstitutiv gebildeten Porine OmpF (▶ Abb. 5.21) und OmpC, deren Anteil am gesamten Zellprotein bis zu 2 % betragen kann (Omp steht für outer membrane protein). Die Proteine weisen keine Substratspezifität auf, obgleich kationische oder neutrale Substanzen bevorzugt werden. Hydrophobe Verbindungen werden nicht akzeptiert. Der Porendurchmesser jedes Monomers beträgt 1,16 nm im Fall von OmpF bzw. 1,08 nm bei OmpC. Obwohl diese Unterschiede gering erscheinen, reguliert die E.-coli-Zelle die Kopienzahl des jeweiligen Proteins in Abhängigkeit von der Osmolarität des umgebenden Milieus. So wird bei hyperosmotischen Bedingungen und höherer Temperatur die Transkription des ompF-Gens reprimiert mit der Konsequenz, dass die äußere Membran dann

äußere Membran kein LPS, sondern besteht aus Dietherlipiden. Auch typische eubakterielle Porine fehlen, dafür kommt jedoch ein spezieller Proteinkomplex, der eine Pore ausbildet, vor. In der äußeren Membran finden sich überraschenderweise die Enzyme zur Energiegewinnung, darunter auch die ATP-Synthase, die ATP aus einem elektrochemischen Ionengradienten generiert und bei Prokaryonten üblicherweise in der Cytoplasmamembran lokalisiert ist. Viele gramnegative Bakterien bilden äußere Membranvesikel (bläschenartige Strukturen), die in die Umgebung entlassen werden. Sie haben einen Durchmesser zwischen 20 und 500 nm (10–9 m) und bestehen aus einer Lipiddoppelschicht. Diese ist, wie bei der äußeren Membran, aus LPS in der äußeren Lage und Phospholipiden in der inneren Lage aufgebaut. Auch sind in die Membran Proteine eingelagert und das Lumen der Vesikel enthält ursprünglich periplasmatische Verbindungen. Äußere Membranvesikel dienen dem Transport von Signalmolekülen zur Kommunikation zwischen Bakterienzellen oder bei pathogenen Bakterien dem Transport von toxischen Verbindungen zu eukaryontischen Wirtszellen. Bei dem Bakterium Pseudomonas aeruginosa konnte gezeigt werden, dass die Entstehung der Vesikel durch die Einlagerung eines kleinen Signalmoleküls (ein Chinolonderivat) in die LPS-Schicht ausgelöst wird.

5.8 Das prokaryontische Cytoskelett Jede eukaryontische Zelle besitzt eine interne Stützstruktur, aufgebaut aus Aktin-, Tubulin- und Intermediärfilamenten, die als Cytoskelett bezeichnet wird. Das Cytoskelett hat Einfluss auf die Zellwandsynthese und damit auf Form, Wachstum und Teilung der Zelle. Aktin, das einer dynamischen Polymerisation und Depolymerisation un-

überwiegend OmpC-Kanäle enthält. Solche Bedingungen herrschen z. B. im Dickdarm von Säugetieren, einem bevorzugten Lebensraum von E. coli. So kann die Diffusion von schädlichen Stoffen wie Antibiotika oder Gallensäuren über die äußere Membran herabgesetzt werden. Entsprechend wird bei niedriger Osmolarität und niedriger Temperatur, also z. B. in einem See nach Verlassen des Wirtes, die Bildung von OmpF gefördert. Dadurch kann die Aufnahme von Nährstoffen, die nur in geringer Konzentration vorliegen, verbessert werden. An der Regulation der OmpF/ OmpC-Synthese ist ein Sensor-Regulator-System (S. 342) (vgl. auch ▶ Abb. 16.4), bestehend aus den Proteinen EnvZ (Histidin-Kinase) und OmpR (Transkriptionsregulator), sowie eine kleine Antisense-RNA (micF) (S. 500) beteiligt.

terliegt, bildet Mikrofilamente aus, die am Erhalt der Zellform während des Wachstums und der Zellteilung beteiligt sind. Tubulin bildet polymere Strukturen, Mikrotubuli, aus, die für intrazellulären Transport von Bedeutung sind, z. B. für die Trennung (Segregation) von Chromosomen bei der Mitose. Intermediärfilamente, die sich zu fibrillenartigen Strukturen zusammenlagern, haben dagegen strukturelle Funktionen in der Zelle. Anders als die Aktin- und Tubulinpolymere bilden sie sich spontan ohne Verbrauch von Energie, bereitgestellt beispielsweise in Form von Nukleotiden (s. a. Lehrbücher der Zellbiologie). Prokaryontische Zellen besitzen Proteine, die eine Homologie zu den Komponenten des eukaryontischen Cytoskeletts aufweisen. Am besten untersucht sind das tubulinähnliche Protein FtsZ, das aktinähnliche Protein MreB sowie Crescentin (CreS), das Pendant zum Intermediärfilament. Darüber hinaus wurden weitere Proteine des Cytoskeletts entdeckt, für die keine Entsprechungen in eukaryontischen Zellen bekannt sind (Plus 5.2).

5.8.1 FtsZ und die Zellteilung Die meisten Prokaryonten vermehren sich durch binäre Zellteilung, bei der aus einer Zelle zwei, in der Regel gleich große Tochterzellen entstehen (▶ Abb. 5.22). Daneben sind andere Formen der Zellteilung wie die asymmetrische Zellteilung bei Caulobacter crescentus (S. 527) bekannt. Die Zellteilung beginnt mit der Replikation des Chromosoms und der darauf folgenden Trennung in zwei Nukleoide. Im Anschluss bildet sich an der Stelle der Cytoplasmamembran, wo die spätere Trennung in zwei Tochterzellen einsetzt, eine komplexe Proteinstruktur, das Divisom (oder Septumring, von lat. dividere, teilen). Zentraler Bestandteil des Divisoms ist das FtsZ-Protein, das in nahezu allen Prokaryonten vorkommt. Der Name leitet sich von der Beobachtung ab, dass temperatursensitive

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Die Besonderheiten prokaryontischer Zellen

Plus 5.2 Spezielle Proteine des prokaryontischen Cytoskeletts ParA. Das ParA-Protein gehört zu einer Familie filamentbildender Proteine, die in eukaryontischen Zellen nicht vorkommen und als gemeinsames Merkmal ein Sequenzmotiv besitzen, an das ATP binden kann. Das Protein wird nach dem Entdecker des Motivs auch als Walker-A-CytoskelettATPase bezeichnet. Die Proteine MinD und MipZ (s. u.) sind weitere prominente Mitglieder der Familie. ParA ist meist auf dem Chromosom codiert, kommt jedoch auch auf Plasmiden vor. Das Protein bewirkt Chromosomen- und Plasmidsegregation ähnlich dem ParM-Protein (S. 183), das allerdings nur auf Plasmiden codiert ist. ESCRT. In Archaea ist das Zellteilungsprotein FtsZ im Phylum Euryarchaeota, jedoch nicht bei den Crenarchaeota vertreten. Letztere besitzen stattdessen das filamentbildende Protein ESCRT (engl. endosomal sorting complex required for transport). In eukaryontischen Zellen sind ESCRTProteine an endocytotischen Prozessen, aber auch an der Zellteilung beteiligt. In Sulfolobus (eine Gattung der Crenarchaeota) befinden sich ESCRT-Proteine ringförmig an der Teilungsstelle. Interessanterweise wurden ESCRT-Proteine auch in Eubakterien gefunden, die kein FtsZ-Homolog besitzen, wie in der Gattung Chlamydia. Bactofilin. Eine relativ neue Gruppe filamentbildender Proteine stellen die Bactofiline dar, die innerhalb der Eubakterien weit verbreitet sind. Im Bakterium Caulobacter crescentus, das sich von einer Schwärmerzelle (S. 527) zu

Mutanten des Proteins bei hoher Temperatur Filamente bilden (Filamentbildung temperatursensitiv). FtsZ bildet eine polymere Struktur aus, den Z-Ring, wofür GTP benötigt wird (▶ Abb. 5.23). Der Z-Ring wird über die Proteine FtsA und ZipA an der Membran verankert (▶ Abb. 5.24) und dient als Anheftungsstelle für weitere Proteine. Die Kontraktion des Divisoms führt zur Halbierung der Zelle: Gleichzeitig werden neue Zellwandkomponenten synthetisiert, wodurch letztlich zwei Tochterzellen entstehen. In einem gramnegativen Bakterium wie Escherichia coli ist die Ausbildung des Divisoms mit einer Einschnürung der äußeren Membran verbunden. An diesem Vorgang sind spezielle Proteine der äußeren Membran, der sogenannte Tol-Pal-Komplex beteiligt. Bei Bacillus subtilis, einem grampositiven Bakterium, werden die beiden Tochterzellen zunächst durch neugebildetes Peptidoglykan gekennzeichnet. Bei stäbchenförmigen Bakterien wie E. coli oder B. subtilis erfordert die exakte Spaltung in zwei gleich große Tochterzellen eine genau kontrollierte Positionierung des Divisoms in der Zellmitte. Dies wird durch negative Regulation über Nukleoidausschluss (NO) und das Min-System erreicht (▶ Abb. 5.25). Nukleoidausschluss bedeutet, dass

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●V einer gestielten Zelle entwickelt, wurden zwei Proteine dieser Klasse entdeckt, BacA und BacB, die spontan zu Filamenten polymerisieren können. Man vermutet, dass diese Proteine die Positionierung eines peptidoglykansynthetisierenden Enzyms am gestielten Zellpol vermitteln. In dem stäbchenförmigen Bakterium Myxococcus xanthus wurde für eines von vier Bactofilinproteinen eine Rolle bei der Aufrechterhaltung der Zellform nachgewiesen. CtpS. Eine besonders interessante Beobachtung stellt der Befund dar, dass einige Enzyme neben ihrer Funktion bei metabolischen Prozessen auch als als Cytoskelettproteine fungieren, da sie spontan Filamente bilden können. Ein gut untersuchtes Beispiel stellt das Enzym Cytidintriphosphat-Synthase (CtpS) dar, das den primären Schritt bei der Synthese von CTP aus Glutamin, UTP und ATP katalysiert. Bei C. crescentus wurde gezeigt, dass sich Filamente von CtpS mit dem oben erwähnten Crescentin zusammenlagern und so zur Zellkrümmung beitragen. Für diese Funktion ist die enzymatische Aktivität nicht erforderlich. Nach einer interessanten Hypothese könnten Cytoskelettproteine im Verlauf der Evolution aus Enzymen, die zur Filamentbildung befähigt sind, entstanden sein. EF-Tu. Der für die Translation am Ribosom wichtige Elongationsfaktor EF-Tu ist ebenfalls ein Cytoskelettelement. Er ist eines der häufigsten Proteine der Zelle und kommt, zusammen mit MreB, in helikalen Strukturen unterhalb der Zellmembran vor. Seine genaue Funktion ist nicht bekannt.

die Bildung des Divisoms in der Nähe der Nukleoide während der Replikation vorübergehend verhindert wird. Hieran sind spezielle DNA-Bindeproteine (SlmA bei E. coli und Noc bei B. subtilis) beteiligt. Beide unterbinden die Polymerisation von FtsZ, wobei der genaue Mechanismus noch ungeklärt ist. Erst nach Trennung der Nukleoide ist der Bereich in der Zellmitte frei von inhibitorischen Proteinen und das Divisom kann sich bilden. Das Min-System verhindert dagegen die Positionierung des Divisoms an den Zellpolen. Mutanten, denen das Min-System fehlt, schnüren kleine, nukleoidfreie Zellen, sogenannte Minizellen ab, von denen sich der Name des Systems ableitet. Das Min-System besteht bei E. coli und vielen anderen gramnegativen Bakterien aus den Proteinen MinC, MinD und MinE. Bei B. subtilis und anderen grampositiven Bakterien ist MinE durch das Protein DivIVA ersetzt. Bei Archaea wurden nur zu MinD homologe Proteine gefunden. Bei kokkoidal geformten Bakterien fehlen die Min-Proteine, da eine Regulation der Positionierung des Divisoms nicht erforderlich ist. Wie das MinSystem das Divisom dirigiert, wird in Plus 5.3 besprochen.

5.8 Das prokaryontische Cytoskelett

äußere Membran 1

Cytoplasmamembran oriC Nukleoid

2

3

4

5

verdoppelter oriC replizierendes Nukleoid FtsZ (Z-Ring) repliziertes und getrenntes Nukleoid Divisom

kontrahiertes Divisom eingeschnürte Septumwand

6

Abb. 5.22 Binäre Zellteilung bei Escherichia coli. ① Junge Zellen enthalten ein einziges, nichtreplizierendes Chromosom in Form des Nukleoids. ② Wenn die Replikation des Chromosoms einsetzt, bewegen sich die Startpunkte der Replikation (engl. origin of replication, oriC) zu den Zellpolen, bis beide Tochterchromosomen getrennt sind. ③ Gegen Ende dieses Prozesses bildet das FtsZ-Protein den Z-Ring an der Innenseite der Cytoplasmamembran im Zentrum der Zelle, wodurch die Stelle der nächsten Zellteilung markiert wird. ④ Anschließend lagern sich weitere Proteine an den Z-Ring, wodurch das Divisom entsteht. ⑤ Der Z-Ring kontrahiert sich und die äußere Membran wird eingeschnürt, sodass schließlich zwei getrennte Tochterzellen entstehen (⑥). Weitere Erklärung siehe Text. (nach Margolin, Nature Rev. Mol. Cell. Biol. 6 (2005):862)

Plus 5.3

● V

Rolle der Min-Proteine bei der Divisombildung Die Min-Proteine unterliegen in E. coli einer Oszillation, d. h. sie bilden an einem Pol einen Komplex, der rasch zerlegt und am anderen Zellpol wieder aufgebaut wird (▶ Abb. 5.25). Dazu lagern sich zunächst MinC und MinD, an das ein Molekül ATP gebunden ist, an der Cytoplasmamembran zu einem multiplen Komplex zusammen, der bis zur Zellmitte wächst. Dieser Komplex bildet die strukturelle Grundlage für die Polymerisation von MinE zu einer Ringstruktur. Einzelne MinE-Moleküle können jedoch MinC verdrängen und die Hydrolyse von ATP an MinD auslösen. Dadurch wird die Struktur destabilisiert, zerfällt und wird am anderen Pol erneut aufgebaut. Der Komplex aus MinC und MinD bindet an FtsZ und insbesondere durch die Aktivität von MinC wird die Polymerisation von FtsZ gehemmt. Die Oszillation der MinProteine erlaubt somit die Divisombildung nur dort, wo die Menge an MinCD gering ist, also in der Zellmitte. In Bakterien, denen Min-Proteine fehlen, wie Caulobacter crescentus, wird die Ausbildung des FtsZ-Rings durch MipZ gehemmt, das zu einer anderen Familie von Cytoskelettproteinen gehört (s. auch Plus 5.2).

Abb. 5.23 Lokalisierung des FtsZ-Proteins in lebenden Zellen von Bacillus subtilis. Das FtsZ-Protein (grün), das mit einem fluoreszierenden Protein fusioniert ist, wurde mittels Fluoreszenzmikroskopie sichtbar gemacht. Die Aufnahme zeigt die Lokalisierung von FtsZ im Zentrum einer Zelle; außen ist die Cytoplasmamembran (rot) zu sehen. (Aufnahme P. Graumann, Marburg)

äußere Membran

FtsI ZipA

FtsA

Periplasma

FtsN

Cytoplasmamembran

GTP

FtsZ

Wechselwirkung zwischen FtsZ-Polymeren

GTP

GDP + Pi

Abb. 5.24 Schematische Darstellung der Bildung des FtsZRings. Sowohl ZipA als auch FtsA können FtsZ binden und das Protein dadurch an der Cytoplasmamembran verankern. Das FtsZ-Protein bildet anschließend Polymere aus, ein Vorgang, der durch Bindung von GTP energetisiert wird. FtsN und FtsI (eine periplasmatische Murein-Synthase) sind an späteren Phasen der Zellteilung beteiligt. GTP-Hydrolyse führt zur Depolymerisation.

7

Die Besonderheiten prokaryontischer Zellen

a Nukleoidausschluss Nukleoid

b Min-System MinC

a

MinE

Enzymkomplexe zur Neusynthese von Peptidoglykan MreB

MinD

Initiation der Replikation

SlmA

SlmA DNATrennung

Beendigung der Replikation

Freisetzung von MinCD

Aufbau eines neuen Komplexes am anderen Pol

MreB

Beginn des nächsten Zyklus

c Zusammenwirken von Nukleoidausschluss und Min-System

Abb. 5.25 Nukleoidausschluss und das Min-System bei E. coli. (nach Thanbichler, Cold Spring Harb. Perspect. Biol. 2010; 2(1): a000331) a Das SlmA-Protein bindet an Bereiche des Nukleoids, die zu den Zellpolen weisen und sich zu Beginn der Replikation noch in der Nähe des Zentrums der Zelle befinden. Auf diese Weise verhindert SlmA dort die Bildung des FtsZ-Rings. Mit fortschreitender Trennung der Tochterchromosomen entfernt sich SlmA von der Zellmitte, sodass die FtsZ-Polymerisation einsetzen kann. b MinD-Proteine lagern sich im Komplex mit MinC an der Cytoplasmamembran zu einer polymeren Struktur zusammen, welche die Bildung des FtsZ-Rings am Zellpol verhindert. Das ringförmige MinE-Polymer verdrängt zunehmend MinCD von der Membran, was die Bindung freier MinC-und MinD-Proteine am gegenüberliegenden Zellpol und die Bildung einer neuen Polymerstruktur zur Folge hat. c Als Folge der Aktivitäten von SlmA und des Min-Systems wird der FtsZ-Ring zur Zellmitte dirigiert. Dies wird zeitlich solange verzögert, bis die Replikation abgeschlossen ist.

5.8.2 MreB und die Zellform MreB ist das am häufigsten verbreitete Cytoskelettprotein, das in nahezu allen stäbchenförmigen Eubakterien und einigen Archaea als einziges oder eines von mehreren aktinähnlichen Proteinen vorkommt. MreB ist an der

158

b

Abb. 5.26 Modelle zur Organisation von MreB-Filamenten in der Zelle. (nach White & Gober, Trends Microbiol. 10 (2012):123) a Lange, helikale MreB-Filamente winden sich um die Zelle. b Kurze Stücke von MreB-Filamenten wandern über die Zelloberfläche. Beide Modelle beruhen auf fluoreszenzmikroskopischen Aufnahmen lebender Zellen, die MreB synthetisieren, das mit einem fluoreszierenden Protein fusioniert ist. Für die Aufnahmen wurden unterschiedliche Techniken verwendet. Während das Modell in a auf der Analyse von Schichtaufnahmen durch die gesamte Zelle basiert (engl. deconvolution fluorescence microscopy), geht das Modell in b auf die Aufnahme der Oberfläche auf einer Zellseite zurück (engl. total internal fluorescence microscopy).

Aufrechterhaltung der Zellform beteiligt, da Mutanten, die kein MreB enthalten, die Stäbchenform verlieren und sich abrunden. Ähnlich wie Aktin bildet MreB lineare Filamente, wobei für die Polymerisation der Monomere ATP oder GTP benötigt werden. In intakten Zellen beobachtet man – abhängig von den experimentellen Bedingungen – eine helikale Windung der Filamente. Neueste Daten zeigen jedoch, dass ein Filament die Zelle nicht vollständig umgibt, sondern stattdessen kleine Filamentstücke um die Zelle herumwandern (▶ Abb. 5.26). Dabei bewegen sich die MreB-Filamente gemeinsam mit dem Peptidoglykansynthesekomplex. MreB bestimmt die Zellform durch Bindung an zellwandassoziierte Proteine, wodurch die Position vorgegeben wird, an der neues Zellwandmaterial eingebaut wird. Der genaue Mechanismus, durch den MreB die Zellwandsynthese reguliert, ist noch unbekannt. Neues Zellwandmaterial wird sowohl während des Längenwachstums der Zelle als auch bei der

5.9 Organellähnliche Kompartimente Zellteilung in die neu gebildeten Zellpole der Tochterzellen eingebaut (▶ Abb. 5.22).

Das Cytoskelett als Bewegungsapparat

●V

Spiroplasma melliferum gehört zur Gruppe der Mollicutes, zu der auch noch die Gattungen Mycoplasma und Acholeplasma zählen. Diese Organismen stellen die kleinsten freilebenden und selbstständig vermehrungsfähigen Zellen dar. Sie besitzen keine Zellwand und sind nur von einer cholesterinhaltigen Membran umgeben. Bei S. melliferum wurde ein Cytoskelett aus zwei verschiedenen Filamenten entdeckt, die in drei bänderartig unterhalb der Zellmembran verlaufenden Strukturen angeordnet sind. Die Filamente bestehen aus dem sogenannten Fibrillenprotein und wahrscheinlich auch aus dem MreB-Protein. Die Zellen zeigen eine Chemotaxis, besitzen jedoch keine Flagellen. Man vermutet daher, dass die Bewegung durch eine koordinierte Längenveränderung der Filamente zustande kommt und spricht in diesem Zusammenhang auch von einem linearen Motor.

5.8.3 Crescentin Ein zu den Intermediärfilamenten eukaryontischer Zellen homologes Protein, Crescentin (CreS), wurde bei dem Bakterium Caulobacter crescentus (S. 527) gefunden. Caulobacter-Zellen sind halbmondartig geformt, nehmen jedoch eine Stäbchenform an, wenn CreS fehlt. Crescentin bildet lineare Filamente, wofür keine Nukleotide erforderlich sind, die über das MreB in der Cytoplasmamembran verankert sind. Der genaue Mechanismus, nach dem CreS die Zellkrümmung ermöglicht, ist noch unbekannt.

S

Plus 5.4

b

C re

▶ MreB-homologe Proteine. Zur Familie der MreB-Proteine gehören zahlreiche Mitglieder mit spezieller Funktion. So findet man Bakterien der Gattung Magnetospirillum, die sich mithilfe von eisenenthaltenden Kompartimenten, den Magnetosomen (S. 159), am Magnetfeld der Erde orientieren, das Protein MamK, welches Filamente bildet und die lineare Organisation der Magnetosomen reguliert. Gut untersucht ist auch das Protein ParM, das nicht auf dem Chromosom, sondern auf Plasmiden codiert ist und abhängig von Nukleotiden Filamente bildet. Die Filamente sind instabil, werden jedoch durch ein plasmidassoziiertes Protein, ParR, stabilisiert. Verlängern sich die zwischen den Plasmiden erstreckenden Filamente, werden die Plasmide voneinander separiert (S. 183). Das System stellt einen einfachen Mechanismus der DNA-Segregation dar und erinnert an die Mitose in eukaryontischen Zellen. MreB ist auch an einer besonderen Form der Zellbewegung beteiligt (Plus 5.4).

a

mit CreS

ohne CreS

Abb. 5.27 Funktion von Crescentin bei Caulobacter crescentus. a Crescentin (CreS) verringert die Syntheserate von Peptidoglykan an einer Seite der Zelle, wodurch diese eine gekrümmte Form erhält. b Fehlt CreS, wächst die Zelle als gerades Stäbchen.

Nach einer Hypothese bildet Crescentin eine elastische Struktur, die in der Nähe der Zellpole verankert ist und einer Ausdehnung während des Zellwachstums widersteht. Dadurch wird ein Einbau von neuem Zellwandmaterial an einer gegenüberliegenden Stelle gefördert (▶ Abb. 5.27). An diesem Prozess ist auch das Enzym CtpS beteiligt (s. Plus 5.2) (S. 156).

5.9 Organellähnliche Kompartimente Organellen sind in prokaryontischen Zellen, anders als bei eukaryontischen, kein grundsätzlicher Bestandteil. Allerdings enthalten zahlreiche Bakterien organellähnliche Kompartimente, die von Lipidmembranen oder Proteinhüllen umschlossen sind. Im Nachfolgenden werden einige prominente Beispiele vorgestellt. Erwähnt wurde bereits das Vorkommen vollständig von der Cytoplasmamembran abgetrennter Chromatophore bei phototrophen Purpurbakterien (S. 152). Weitere membranumschlossene Kompartimente werden weiter unten (S. 164) besprochen.

5.9.1 Von einer Lipidmembran umschlossene Kompartimente ▶ Magnetosomen. Bei Magnetosomen handelt es sich um kristalline Ablagerungen von Magnetit (F3O4) oder Greigit (Fe3S4), die sich zu Ketten zusammenlagern. Diese verleihen den Bakterien ein magnetisches Dipolmoment, welches gerade groß genug ist, um die Zellen passiv am Erdmagnetfeld auszurichten. Dadurch werden sie in die Lage versetzt, sich entsprechend dem Magnetfeld der Erde zu bewegen – bezeichnet auch als Magnetotaxis. Bei der Magnetotaxis handelt es sich allerdings, anders als Chemo- und Phototaxis, um einen passiven Vorgang. Die Bewegung entlang der Erdmagnetfeldlinien führt diese Bakterien in ihre bevorzugten mikroaeroben Lebens-

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5.9 Organellähnliche Kompartimente Zellteilung in die neu gebildeten Zellpole der Tochterzellen eingebaut (▶ Abb. 5.22).

Das Cytoskelett als Bewegungsapparat

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Spiroplasma melliferum gehört zur Gruppe der Mollicutes, zu der auch noch die Gattungen Mycoplasma und Acholeplasma zählen. Diese Organismen stellen die kleinsten freilebenden und selbstständig vermehrungsfähigen Zellen dar. Sie besitzen keine Zellwand und sind nur von einer cholesterinhaltigen Membran umgeben. Bei S. melliferum wurde ein Cytoskelett aus zwei verschiedenen Filamenten entdeckt, die in drei bänderartig unterhalb der Zellmembran verlaufenden Strukturen angeordnet sind. Die Filamente bestehen aus dem sogenannten Fibrillenprotein und wahrscheinlich auch aus dem MreB-Protein. Die Zellen zeigen eine Chemotaxis, besitzen jedoch keine Flagellen. Man vermutet daher, dass die Bewegung durch eine koordinierte Längenveränderung der Filamente zustande kommt und spricht in diesem Zusammenhang auch von einem linearen Motor.

5.8.3 Crescentin Ein zu den Intermediärfilamenten eukaryontischer Zellen homologes Protein, Crescentin (CreS), wurde bei dem Bakterium Caulobacter crescentus (S. 527) gefunden. Caulobacter-Zellen sind halbmondartig geformt, nehmen jedoch eine Stäbchenform an, wenn CreS fehlt. Crescentin bildet lineare Filamente, wofür keine Nukleotide erforderlich sind, die über das MreB in der Cytoplasmamembran verankert sind. Der genaue Mechanismus, nach dem CreS die Zellkrümmung ermöglicht, ist noch unbekannt.

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▶ MreB-homologe Proteine. Zur Familie der MreB-Proteine gehören zahlreiche Mitglieder mit spezieller Funktion. So findet man Bakterien der Gattung Magnetospirillum, die sich mithilfe von eisenenthaltenden Kompartimenten, den Magnetosomen (S. 159), am Magnetfeld der Erde orientieren, das Protein MamK, welches Filamente bildet und die lineare Organisation der Magnetosomen reguliert. Gut untersucht ist auch das Protein ParM, das nicht auf dem Chromosom, sondern auf Plasmiden codiert ist und abhängig von Nukleotiden Filamente bildet. Die Filamente sind instabil, werden jedoch durch ein plasmidassoziiertes Protein, ParR, stabilisiert. Verlängern sich die zwischen den Plasmiden erstreckenden Filamente, werden die Plasmide voneinander separiert (S. 183). Das System stellt einen einfachen Mechanismus der DNA-Segregation dar und erinnert an die Mitose in eukaryontischen Zellen. MreB ist auch an einer besonderen Form der Zellbewegung beteiligt (Plus 5.4).

a

mit CreS

ohne CreS

Abb. 5.27 Funktion von Crescentin bei Caulobacter crescentus. a Crescentin (CreS) verringert die Syntheserate von Peptidoglykan an einer Seite der Zelle, wodurch diese eine gekrümmte Form erhält. b Fehlt CreS, wächst die Zelle als gerades Stäbchen.

Nach einer Hypothese bildet Crescentin eine elastische Struktur, die in der Nähe der Zellpole verankert ist und einer Ausdehnung während des Zellwachstums widersteht. Dadurch wird ein Einbau von neuem Zellwandmaterial an einer gegenüberliegenden Stelle gefördert (▶ Abb. 5.27). An diesem Prozess ist auch das Enzym CtpS beteiligt (s. Plus 5.2) (S. 156).

5.9 Organellähnliche Kompartimente Organellen sind in prokaryontischen Zellen, anders als bei eukaryontischen, kein grundsätzlicher Bestandteil. Allerdings enthalten zahlreiche Bakterien organellähnliche Kompartimente, die von Lipidmembranen oder Proteinhüllen umschlossen sind. Im Nachfolgenden werden einige prominente Beispiele vorgestellt. Erwähnt wurde bereits das Vorkommen vollständig von der Cytoplasmamembran abgetrennter Chromatophore bei phototrophen Purpurbakterien (S. 152). Weitere membranumschlossene Kompartimente werden weiter unten (S. 164) besprochen.

5.9.1 Von einer Lipidmembran umschlossene Kompartimente ▶ Magnetosomen. Bei Magnetosomen handelt es sich um kristalline Ablagerungen von Magnetit (F3O4) oder Greigit (Fe3S4), die sich zu Ketten zusammenlagern. Diese verleihen den Bakterien ein magnetisches Dipolmoment, welches gerade groß genug ist, um die Zellen passiv am Erdmagnetfeld auszurichten. Dadurch werden sie in die Lage versetzt, sich entsprechend dem Magnetfeld der Erde zu bewegen – bezeichnet auch als Magnetotaxis. Bei der Magnetotaxis handelt es sich allerdings, anders als Chemo- und Phototaxis, um einen passiven Vorgang. Die Bewegung entlang der Erdmagnetfeldlinien führt diese Bakterien in ihre bevorzugten mikroaeroben Lebens-

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Die Besonderheiten prokaryontischer Zellen Paryphoplasma Pirellulosom

intracytoplasmatische Membran

Ribosom

Paryphoplasma

Pirellulosom

Nukleoid

Cytoplasmamembran Paryphoplasma Zellwand

Abb. 5.28 Magnetosomen bei Magnetospirillum gryphiswaldense. Die Pfeile weisen auf einzelne Magnetosomen hin, die in einer Kette angeordnet sind. (Aufnahme Dirk Schüler, LMU, München)

Abb. 5.29 Schematische Darstellung einer idealisierten Planctomyceten-Zelle. Der Aufbau der Zellhülle und der intracytoplasmatischen Membran, die das Pirellulosom umschließt, ist hervorgehoben.

a

bereiche in Sedimenten. Magnetosomen sind von einer Membran umgeben, die aus einer Phospholipiddoppelschicht ähnlich der Cytoplasmamembran und ca. 20 verschiedenen spezifischen Proteinen aufgebaut ist, darunter Transportsysteme für Eisenionen. Magnetosomen können in ihrer äußeren Form stark variieren und kommen bei zahlreichen aquatisch lebenden, in der Regel aeroben Bakterien vor (▶ Abb. 5.28). Die Biosynthese der Magnetosomen wurde weitgehend aufgeklärt. Danach wird zunächst in einem durch Ausstülpung aus der Cytoplasmamembran entstandenen Vesikel aus aufgenommenen Eisenionen Magnetit gebildet. Aus diesem Vesikel bildet sich dann das reife Organell, in dem der Magnetitkristall zu seiner endgültigen Größe heranwächst. Wie bereits weiter oben (S. 159) erwähnt, wird die anschließende Ausbildung der Magnetosomketten u. a. durch das filamentbildende Protein MamK, ein dem Tubulin homologes Protein, reguliert. ▶ Organellen bei Planctomycetes. Bakterien des Phylums Planctomycetes (S. 573) besitzen ungewöhnliche intrazelluläre Kompartimente. So enthalten die Zellen ein Pirellulosom (benannt nach der Gattung Pirellula, in deren Vertretern das Organell entdeckt wurde), das von einer intracytoplasmatischen Membran umgeben ist und sowohl Ribosomen als auch das Nukleoid einschließt. Zwischen Pirellulosom und Cytoplasmamembran befindet sich das ribosomenfreie Parychoplasma, das funktionell dem Cytoplasma anderer Prokaryonten gleicht (▶ Abb. 5.29). Bei Gemmata obscuriglobus ist auch das Nukleoid von einer Lipiddoppelschicht umgeben, wodurch ein dem eukaryontischen Zellkern ähnliches Kompartiment entsteht. Im Gegensatz zum Nukleus enthält die Struktur jedoch auch Ribosomen. Weitere Abweichungen von der Grundstruktur einer Planctomyceten-Zelle findet man bei den sogenannten Anammoxbakterien, die ihre Zellenergie durch anaerobe Oxidation von Ammonium zu

160

O HO

Cyclobutankette OH

b O

Cyclohexanring + Cyclobutankette

OH Etherbindungen OH c O O O Esterbindung

Abb. 5.30 Ladderanlipide bei Anammoxbakterien. a Ladderanfettsäure mit Cyclobutankette. b Ladderan-Monoalkylglycerinether mit Cyclohexanring und Cyclobutankette. c Ladderanlipide aus a und b, die über eine Esterbindung verknüpft sind.

molekularem Stickstoff mithilfe von Nitrit gewinnen (S. 446). Die hierzu erforderlichen Enzyme befinden sich im Anammoxosom, einem membranumschlossenen Kompartiment innerhalb des Pirellulosoms. Die Anammoxosom-Membran enthält einzigartige Lipide, die als Ladderane („Leiterartige“) bezeichnet werden. Sie sind u. a. gekennzeichnet durch das Vorhandensein von Cyclobutanringen sowie Ester- und Etherbindungen zwischen den Komponenten (▶ Abb. 5.30). ▶ Chlorosomen. Phototrophe Bakterien, die zur Gruppe der „Grünen Bakterien“ gehören, haben einen Teil ihres Photosyntheseapparates in spezielle Zellstrukturen, sog.

5.9 Organellähnliche Kompartimente

Abb. 5.31 Modell eines Chlorosoms mit assoziierter Cytoplasmamembran. BChl, Bakteriochlorophyll.

Lipidmonolayer BChl-c-Aggregate

BChl a

Reaktionszentrum

ATP-Synthase

BChl a

Lichtsammelkomplex

Chlorosomen, verlagert (▶ Abb. 5.31). Dabei handelt es sich um zylindrische Strukturen mit Lichtsammelpigmenten (darunter mehrere Hunderttausend Chlorophyll-c-, -b- oder -e-Moleküle), die mit der Cytoplasmamembran über eine aus Proteinen bestehende Basalplatte assoziiert und von einem Lipidmonolayer umgeben sind. Einzelheiten werden weiter unten (S. 483) besprochen. Chlorosomen wurden auch in einigen Vertretern der Gruppe Chloroflexi und neuerdings auch bei Acidobakterien gefunden.

5.9.2 Proteinumhüllte Kompartimente ▶ Gasvesikel. Viele Prokaryonten, die in aquatischen Habitaten wie Seen und Ozeanen leben, enthalten Gasvakuolen, die sie in die Lage versetzen, ihre Position innerhalb der Wassersäule nach oben oder unten zu verändern. Gasvakuolen findet man bei vielen phototrophen Bakterien, insbesondere den Cyanobakterien, aber auch bei farblosen Bakterien (Pelonema, Peloploca), Haloarchaea (Halobacterium salinarum) und einigen Clostridien. Das Auftreten von „Blaualgenblüten“ ist auf den durch Gasvesikel ermöglichten Auftrieb von Cyanobakterien an die Wasseroberfläche zurückzuführen, wo sie dann von Wind und Wellen zu Matten zusammengeschoben werden (s. ▶ Abb. 15.3). Jede Gasvakuole besteht aus mehreren oder vielen Gasvesikeln. Gasvesikel sind spindelförmige, hohle Strukturen, die in ihrer Größe und Anzahl variieren können. Die Membran der Gasvesikel hat eine Dicke von ca. 2 nm und besteht ausschließlich aus Protein. In der Membran sind Rippen zu erkennen, die an den zylinderförmigen Vesikeln wie die Reifen an einem Fass orientiert sind. Die Rippen bestehen aus vielen Kopien eines hydrophoben Proteins (GvpA) mit Faltblattstruktur, die durch wenige Kopien des GvpC-Proteins stabilisiert werden. In den Zellen sind viele Gasvesikel parallel zueinander ausgerichtet. Lichtmikroskopisch erscheinen diese Ansammlungen von Gasvesikeln, also die Gasvakuolen, als stark lichtbrechende, optisch leere Räume. Die Vesikel sind angefüllt mit den sie umgebenden Gasen, im Falle von luftgesättigtem Wasser also mit 80 % N2 und 20 % O2. Gasvesikel sind nicht nur äußerst stabil, sondern auch selektiv durchlässig für Gase, jedoch nicht für Wasser. Da-

Abb. 5.32 Gasvesikel. Gruppe von Gasvesikeln bei Microcystis aeruginosa (Gefrierbruchpräparat). Maßstab, 1 μm. (aus Lehmann, Biologie in unserer Zeit 9 (1979):129)

durch verringern gasgefüllte Vesikel die Dichte der Zellen, wodurch die Zellen im wässrigen Milieu einen Auftrieb erfahren. Phototrophe Bakterien können durch Auf- und Abbau dieser Vesikel ihre Position in der Wassersäule an eine optimale Lichtintensität anpassen und zwar auch ohne aktive Bewegung mittels Flagellen. (▶ Abb. 5.32). Interessanterweise wurden Gene für Gasvesikelproteine auch in Bodenbakterien nachgewiesen, die zur Gruppe der Actinomyceten gehören. Ihre Funktion ist jedoch unbekannt. ▶ Carboxysomen. Chemolithotrophe Bakterien (S. 388), die ihre Zellenergie durch Oxidation anorganischer Substrate gewinnen, sowie Cyanobakterien, sind autotroph und fixieren CO2. In aeroben und fakultativ aeroben Bakterien erfolgt die CO2-Fixierung über den Calvin-Zyklus, wie er auch in grünen Pflanzen anzutreffen ist. Das Schlüsselenzym für die CO2-Fixierung ist die Ribulose-1,5-bisphosphat-Carboxylase/Oxygenase (Rubisco) (S. 310). Große Mengen dieses Enzyms liegen häufig kristallin und von einer Proteinhülle umgeben als Carboxysomen im Cytoplasma der Bakterien vor. Die einschichtige Proteinhülle verleiht den Carboxysomen eine polyedrische Struktur (▶ Abb. 5.33). Im Carboxysom ist die lokale Konzentration von CO2 in der Nähe des katalytischen Zentrums der Rubisco erhöht, wodurch deren niedrige Affinität für CO2 kompensiert und somit eine effizientere

1

Die Besonderheiten prokaryontischer Zellen a

5.10 Speicherstoffe

Proteinhülle Lumen Carboanhydrase (CA) Rubisco

Transporter für HCO3–

10 nm

b

CO2

HCO3–

HCO3– Transporter

D-Ribulose-1,5-bisphosphat (RBP) RBP HCO3–

Rubisco

CA Carboxysom

2x 3-Phosphoglycerat

CO2

Abb. 5.33 Struktur und Funktion eines Carboxysoms. (nach Bonacci et al., PNAS 109 (2012):478) a Dreidimensionales Modell eines Carboxysoms. b CO2-Konzentrierung und -Fixierung im Carboxysom.

Fixierung ermöglicht wird. Weiterhin enthalten Carboxysomen das Enzym Carboanhydrase, das für die schnelle Einstellung des HCO3–/CO2-Gleichgewichts sorgt. Carboxysomen sind in Nitrosomonas, Thiobacillus und vielen Cyanobakterien gefunden worden. Carboxysomähnliche Kompartimente wurden auch in Enterobakterien gefunden, wo sie Enzyme für bestimmte Stoffwechselwege enthalten (Plus 5.5)

Plus 5.5 Carboxysomenähnliche Kompartimente in Salmonella

●V

Den Carboxysomen strukturell ähnliche Kompartimente wurden in Salmonella enterica serovar Typhimurium und einigen anderen Bakterien bei Wachstum mit 1,2-Propandiol (Pdu-Kompartiment) oder Ethanolamin (EutKompartiment) als Kohlenstoff- und Energiequelle gefunden. 1,2-Propandiol entsteht beim anaeroben Abbau von Bestandteilen der pflanzlichen Zellwand wie den Zuckern Fucose und Rhamnose, während Ethanolamin im Verdauungstrakt von Säugern bei der Spaltung von Lipiden gebildet wird. Beide Kompartimente enthalten jeweils für den Abbau der Substrate erforderliche Enzyme. Der Vorteil dieser Kompartimentierung ist noch unklar. Diskutiert werden jedoch eine günstige Konzentrierung von Substraten an den Enzymen sowie die Fixierung wertvoller, jedoch flüchtiger Abbauprodukte.

162

Bei vielen Mikroorganismen werden unter bestimmten Milieubedingungen intrazellulär Polysaccharide, Fette und fettähnliche Stoffe, Polyphosphate oder Schwefel abgelagert. Diese Substanzen können als Speicher- oder Reservestoffe (S. 323) angesehen werden. Sie werden angehäuft, wenn die entsprechenden Ausgangssubstanzen in der Nährlösung vorhanden sind und Energieüberschuss herrscht, das Wachstum aber mangels einzelner Nährstoffkomponenten oder in Gegenwart von Wachstumshemmstoffen eingeschränkt oder unterbunden wird. Die genannten Reservestoffe liegen in der Zelle in osmotisch inerter Form vor, sie sind wasserunlöslich. Bei Bedarf, unter günstigen Wachstumsbedingungen, werden sie wieder in den Stoffwechsel einbezogen. Die Reservepolysaccharide, Neutralfette und Poly-β-Hydroxybuttersäure können als Kohlenstoff- und Energiequelle dienen. Sie verlängern dadurch bei Abwesenheit äußerer Energiequellen die Lebensdauer der Zellen oder ermöglichen bei Sporenbildnern die Bildung von Sporen auch in Abwesenheit äußerer Substrate. Polyphosphate können als Phosphatspeicherstoff und als kurzzeitiger Energiespeicher, abgelagerter Schwefel als potenzieller Elektronendonator und Cyanophycin als Stickstoff- und Energiespeicher dienen.

5.10.1 Polysaccharide Die Speicherkohlenhydrate der Mikroorganismen bestehen aus Stärke oder Glykogen und leiten sich im Gegensatz zu den Zellwandpolysacchariden von der α-D-Glucose ab. Die bei Pflanzen in Form von Körnern gespeicherte Stärke besteht zu ca. 30 % aus Amylose und zu ca. 70 % aus Amylopectin. Amylose ist ausschließlich aus α-1,4verknüpften Glucosemolekülen aufgebaut, wodurch die Ketten nicht langgestreckt, sondern schraubig gewunden angeordnet sind. Amylopektin enthält an ca. jedem 25. Glucosemonomer zusätzlich α-1,6-glykosidisch verbundene Glucoseketten, sodass sich verzweigte Strukturen ergeben. Das als tierische Stärke bekannte Glykogen ist dem Amylopectin ähnlich, doch ist es noch stärker verzweigt (ebenfalls α-1,6-glykosidisch) und scheint auch bei Bakterien häufiger vorzukommen als Stärke (Plus 5.6).

Plus 5.6

●V

Stärkeähnliche Verbindungen in Mikroorganismen

Eine stärkeähnliche Substanz – als Granulose oder Jogen bezeichnet – ist bei Clostridien beschrieben worden. Die Zellen von Clostridium butyricum sind mit kleinen Granula angefüllt; nur der sporenbildende Pol bleibt von der Granulose frei. Ferner enthalten Acetobacter pasteurianus und viele Neisseria-Arten Stärke. Glykogen ist in Hefe und anderen Pilzen, in Bacilli (Bacillus polymyxa), Salmonella, Escherichia coli und anderen Enterobacteriaceae, Micrococcus luteus und Arthrobacter nachgewiesen worden.

Die Besonderheiten prokaryontischer Zellen a

5.10 Speicherstoffe

Proteinhülle Lumen Carboanhydrase (CA) Rubisco

Transporter für HCO3–

10 nm

b

CO2

HCO3–

HCO3– Transporter

D-Ribulose-1,5-bisphosphat (RBP) RBP HCO3–

Rubisco

CA Carboxysom

2x 3-Phosphoglycerat

CO2

Abb. 5.33 Struktur und Funktion eines Carboxysoms. (nach Bonacci et al., PNAS 109 (2012):478) a Dreidimensionales Modell eines Carboxysoms. b CO2-Konzentrierung und -Fixierung im Carboxysom.

Fixierung ermöglicht wird. Weiterhin enthalten Carboxysomen das Enzym Carboanhydrase, das für die schnelle Einstellung des HCO3–/CO2-Gleichgewichts sorgt. Carboxysomen sind in Nitrosomonas, Thiobacillus und vielen Cyanobakterien gefunden worden. Carboxysomähnliche Kompartimente wurden auch in Enterobakterien gefunden, wo sie Enzyme für bestimmte Stoffwechselwege enthalten (Plus 5.5)

Plus 5.5 Carboxysomenähnliche Kompartimente in Salmonella

●V

Den Carboxysomen strukturell ähnliche Kompartimente wurden in Salmonella enterica serovar Typhimurium und einigen anderen Bakterien bei Wachstum mit 1,2-Propandiol (Pdu-Kompartiment) oder Ethanolamin (EutKompartiment) als Kohlenstoff- und Energiequelle gefunden. 1,2-Propandiol entsteht beim anaeroben Abbau von Bestandteilen der pflanzlichen Zellwand wie den Zuckern Fucose und Rhamnose, während Ethanolamin im Verdauungstrakt von Säugern bei der Spaltung von Lipiden gebildet wird. Beide Kompartimente enthalten jeweils für den Abbau der Substrate erforderliche Enzyme. Der Vorteil dieser Kompartimentierung ist noch unklar. Diskutiert werden jedoch eine günstige Konzentrierung von Substraten an den Enzymen sowie die Fixierung wertvoller, jedoch flüchtiger Abbauprodukte.

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Bei vielen Mikroorganismen werden unter bestimmten Milieubedingungen intrazellulär Polysaccharide, Fette und fettähnliche Stoffe, Polyphosphate oder Schwefel abgelagert. Diese Substanzen können als Speicher- oder Reservestoffe (S. 323) angesehen werden. Sie werden angehäuft, wenn die entsprechenden Ausgangssubstanzen in der Nährlösung vorhanden sind und Energieüberschuss herrscht, das Wachstum aber mangels einzelner Nährstoffkomponenten oder in Gegenwart von Wachstumshemmstoffen eingeschränkt oder unterbunden wird. Die genannten Reservestoffe liegen in der Zelle in osmotisch inerter Form vor, sie sind wasserunlöslich. Bei Bedarf, unter günstigen Wachstumsbedingungen, werden sie wieder in den Stoffwechsel einbezogen. Die Reservepolysaccharide, Neutralfette und Poly-β-Hydroxybuttersäure können als Kohlenstoff- und Energiequelle dienen. Sie verlängern dadurch bei Abwesenheit äußerer Energiequellen die Lebensdauer der Zellen oder ermöglichen bei Sporenbildnern die Bildung von Sporen auch in Abwesenheit äußerer Substrate. Polyphosphate können als Phosphatspeicherstoff und als kurzzeitiger Energiespeicher, abgelagerter Schwefel als potenzieller Elektronendonator und Cyanophycin als Stickstoff- und Energiespeicher dienen.

5.10.1 Polysaccharide Die Speicherkohlenhydrate der Mikroorganismen bestehen aus Stärke oder Glykogen und leiten sich im Gegensatz zu den Zellwandpolysacchariden von der α-D-Glucose ab. Die bei Pflanzen in Form von Körnern gespeicherte Stärke besteht zu ca. 30 % aus Amylose und zu ca. 70 % aus Amylopectin. Amylose ist ausschließlich aus α-1,4verknüpften Glucosemolekülen aufgebaut, wodurch die Ketten nicht langgestreckt, sondern schraubig gewunden angeordnet sind. Amylopektin enthält an ca. jedem 25. Glucosemonomer zusätzlich α-1,6-glykosidisch verbundene Glucoseketten, sodass sich verzweigte Strukturen ergeben. Das als tierische Stärke bekannte Glykogen ist dem Amylopectin ähnlich, doch ist es noch stärker verzweigt (ebenfalls α-1,6-glykosidisch) und scheint auch bei Bakterien häufiger vorzukommen als Stärke (Plus 5.6).

Plus 5.6

●V

Stärkeähnliche Verbindungen in Mikroorganismen

Eine stärkeähnliche Substanz – als Granulose oder Jogen bezeichnet – ist bei Clostridien beschrieben worden. Die Zellen von Clostridium butyricum sind mit kleinen Granula angefüllt; nur der sporenbildende Pol bleibt von der Granulose frei. Ferner enthalten Acetobacter pasteurianus und viele Neisseria-Arten Stärke. Glykogen ist in Hefe und anderen Pilzen, in Bacilli (Bacillus polymyxa), Salmonella, Escherichia coli und anderen Enterobacteriaceae, Micrococcus luteus und Arthrobacter nachgewiesen worden.

5.10 Speicherstoffe

●V

Plus 5.7 Weitere fettartige Substanzen Werden Propionsäure oder β-Hydroxyvaleriansäure als Substrat angeboten, so wird ein Polymer gebildet, das aus βHydroxybuttersäure und β-Hydroxyvaleriansäure besteht. Da auch γ-Hydroxyfettsäuren und langkettige Hydroxysäuren (C8, C10, C12) auftreten können, spricht man von den Speicherpolymeren insgesamt als Polyhydroxyfettsäuren oder Polyhydroxyalkanoaten (PHA). Diese PHA sind thermoplastisch verformbar und können als neuartige Plastikmaterialien eingesetzt werden, die, anders als Polypropylen und Polyethylen, biologisch abbaubar sind. PHA-Granula sind auf ihrer Oberfläche mit zahlreichen Enzymen assoziiert, die am Wachstum und Abbau der Granula beteiligt sind. Mykobakterien, Nocardien und Actinomyceten reichern andere fettähnliche Substanzen in Vakuolen an oder schei-

den sie sogar ins Medium aus. Mykobakterien können bis zu 40 % Wachse (Ester langkettiger Fettsäuren und Alkohole) enthalten. Die von eukaryontischen Mikroorganismen, insbesondere von Hefen und anderen Pilzen, in Vakuolen gespeicherten Neutralfette (Triglyceride) sind ähnlich aufgebaut wie die Fette höherer Organismen. Bei Hefen (Candida, Rhodotorula) kann die Masse an angereicherten Fetten bis zu 80 % ihrer Trockenmasse ausmachen. Auch Vertreter einiger zu den Actinomyceten zählenden Bakteriengattungen wie Mycobacterium, Nocardia, Rhodococcus und Streptomyces akkumulieren große Mengen an Triglyceriden in kugelförmigen Lipidkörpern, die von einer Schicht aus Proteinen und Phospholipiden umgeben sind. Bei R. opacus PD630 können die darin gespeicherten Lipide mehr als 70 % der Trockenmasse erreichen.

5.10.2 Fettartige Substanzen

5.10.3 Polyphosphate

Fettgranula und -tröpfchen sind als Zelleinschlüsse bei Mikroorganismen weit verbreitet. Sie geben sich lichtmikroskopisch durch ihre starke Lichtbrechung zu erkennen und lassen sich mit lipophilen Farbstoffen (Sudan 111 oder Sudanschwarz B) anfärben. Neutralfette kommen bei Bakterien nur in Ausnahmefällen vor. Die sudanophilen Granula vieler Bakterien bestehen aus Poly-β-Hydroxybuttersäure (PHB). Dabei handelt es sich um einen chloroformlöslichen, etherunlöslichen Polyester, der aus Ketten von etwa 60 β-Hydroxybuttersäure-Resten (S. 323) besteht und zu den Polyhydroxyalkanoaten gehört. Die Verbindung kann angereichert werden, bis sie über 90 % der Zelltrockenmasse ausmacht. Poly-β-Hydroxybuttersäure wird von vielen aeroben Bakterien, von Cyanobakterien und von anaeroben phototrophen Bakterien gebildet. In fakultativ und strikt aeroben Bakterien wird PHB angehäuft, wenn die Zellen unter O2-Mangel leiden und einen Gärungsstoffwechsel betreiben. PHB kann also auch als ein polymeres, intrazelluläres Gärungsprodukt angesehen werden. Unter aeroben Bedingungen kann es als Energie- und Kohlenstoffquelle wieder in den Stoffwechsel einbezogen und veratmet werden. Von einigen Bakterien werden neben PHB auch Copolymere gebildet (Plus 5.7). Während der Gehalt an Speicherfetten von den Ernährungsbedingungen abhängt (hohes C/N-Verhältnis) und sich Speicherfette aus den Zellen direkt isolieren lassen, ist der Gehalt an anderen Lipidfraktionen von den Milieubedingungen nahezu unabhängig. Diese Lipide werden erst nach Hydrolyse von Proteinen und Polysacchariden frei und sind Bestandteile der Lipoproteine (in der Cytoplasmamembran und in anderen inneren Membranen) und der Lipopolysaccharide.

Viele Bakterien und Grünalgen vermögen Phosphorsäure in Form von Polyphosphatgranula zu speichern. Wegen der Erstbeschreibung bei Spirillum volutans und der charakteristischen Farbänderung (Metachromasie), die die Granula an einigen Farbstoffen (Methylenblau, Toluidinblau) herbeiführen, werden sie auch Volutingranula oder metachromatische Granula genannt. Sie haben Ähnlichkeit zu den Acidocalcisomen eukaryontischer Mikroorganismen (Plus 5.8).

Plus 5.8 Metachromatische Granula

●V

Diese Granula bestehen zum überwiegenden Teil aus langkettigen Polyphosphaten vom Typ des Graham-Salzes. Die Volutingranula haben die Funktion eines Phosphatspeichers, mit dessen Hilfe die Zelle auch bei Phosphatmangel noch einige Teilungen zu durchlaufen vermag. Der „Energiereichtum“ des Polyphosphats ist von untergeordneter Bedeutung. Bei einigen Bakterien wie Agrobacterium tumefaciens und Rhodospirillum rubrum und neuerdings auch bei Archaea, wurden Volutingranula nachgewiesen, die von einer Membran umgeben sind, Ca2 + -Ionen enthalten und ein saures Milieu besitzen. In der Membran wurde eine vakuoläre, protonentranslozierende Pyrophosphatase gefunden, die für die Ansäuerung verantwortlich gemacht wird. Damit entsprechen diese Volutingranula den Acidocalcisomen – calciumund polyphosphatreiche Organellen einzelliger eukaryontischer Organismen, wie Trypanosomen.

3

Die Besonderheiten prokaryontischer Zellen

Abb. 5.34 Beggiatoa gigantea (Schwefelwasserstoffoxidierer) mit Schwefeleinschlüssen. (Aufnahme K. Schmidt)

5.10.4 Schwefel Viele Bakterien, die Sulfid zu Sulfat oxidieren, speichern Schwefel vorübergehend in Form stark lichtbrechender Kugeln. Sowohl der intrazellulär gespeicherte als auch der aus der Zelle ausgeschiedene Schwefel liegt in flüssiger Form vor und geht allmählich in die orthorhombische Modifikation über. Das Ausmaß der Schwefelspeicherung ist vom Schwefelwasserstoffgehalt des Milieus abhängig. Bei Abwesenheit von Schwefelwasserstoff wird der Schwefel zu Sulfat oxidiert. Der Schwefel dient den aeroben schwefelwasserstoffoxidierenden Bakterien (Beggiatoa, Thiothrix, Achromatium, Thiovulum; ▶ Abb. 5.34) als Energiequelle und den anaeroben phototrophen Schwefelpurpurbakterien (Chromatium) als Elektronendonator für die CO2-Fixierung. Die in Cyanobakterien und Sphaerotilus natans mitunter enthaltenen Schwefeleinschlüsse sind Produkte, die bei der Entgiftung des am Standort dieser Organismen häufig vorhandenen Schwefelwasserstoffs gebildet werden. Die chemotrophen Riesenbakterien Thioploca spp. und Thiomargarita namibiensis lagern Schwefel in großen Vakuolen ab (s. ▶ Abb. 2.7e), der als Elektronendonator zusammen mit Sauerstoff und/oder Nitrat die Energieversorgung der Zellen sicherstellt (Kap. 18).

5.10.5 Cyanophycin Viele Cyanobakterien bilden Cyanophycin, ein einfaches Polymer aus Asparaginsäure, das an jeder Asparaginsäure noch ein Molekül Arginin trägt. Diese Verbindung dient als Reservestoff für Stickstoff. Darüber hinaus kann Cyanophycin durch Abbau des Argininanteils (S. 324) auch zur Produktion von Zellenergie in Form von ATP genutzt werden.

5.10.6 Andere Zelleinschlüsse Cyanobakterien enthalten Phycobiliproteine; dabei handelt es sich um wesentliche Lichtsammelpigmente, die an Proteine gebunden sind. Diese Proteine liegen in der Zelle als Aggregate, sogenannte Phycobilisomen, vor, die an das photosynthetische Reaktionszentrum in der Thylakoidmembran (S. 482) angelagert sind.

164

Bei Bodenbakterien wie Bacillus thuringiensis und verwandten Arten (B. laterosporus, B. medusa) finden sich neben den Sporen kristallförmige Einschlusskörper (▶ Abb. 5.46b). Diese parasporalen Kristalle bestehen aus einem Protoxin. Dieses Protein wird im Darmsaft empfindlicher Insekten (Raupenstadien von Schmetterlingen) aufgelöst. Das freigesetzte Toxin zerstört das Darmepithel und führt zum Tod der Raupen. Die für nur wenige Gruppen von Insekten toxischen Präparate aus Bacilli werden zur biologischen Schädlingsbekämpfung bereits mit Erfolg eingesetzt, besonders im Weinbau. Es gibt auch gentechnisch veränderte Kulturpflanzen wie Mais, die das Gen für dieses Toxin exprimieren und dadurch resistent gegen gefürchtete Insektenschädlinge sind. In den USA wurden jedoch bereits Insekten beobachtet, die gegen das Bt-Toxin (von B. thuringiensis) resistent sind.

5.11 Zellanhänge 5.11.1 Flagellen und Chemotaxis Mithilfe von Flagellen (auch Bakteriengeißeln genannt) können sich Eubakterien frei bewegen. Flagellen sind dünne filamentöse Zellanhänge, deren Länge (5–20 μm) meist ein Vielfaches der Zelllänge beträgt. Aufgrund der geringen Dicke (Durchmesser ca. 20 nm) sind Flagellen ohne spezielle Färbemethoden im Lichtmikroskop nicht sichtbar. Eubakterien können vielfältig begeißelt sein (▶ Abb. 5.35). Sind eine oder mehrere Flagellen vorhanden, spricht man von monotricher bzw. polytricher Begeißelung (▶ Abb. 5.2c). Flagellen können sich dabei an einem (monopolar) (▶ Abb. 5.2c) oder an beiden Polen (bipolar) einer stäbchenförmigen Zelle befinden. Dagegen tragen peritrich begeißelte Eubakterien mehrere Flagellen, die über die Zelloberfläche verteilt sind. Pathogene Bakterien wie die Gattungen Proteus und Salmonella lassen sich mithilfe von Antiseren (S. 657) gegen Flagellenproteine (H-Antigen) identifizieren. Eine typische eubakterielle Flagelle (oder das Flagellum) besteht aus dem Filament, dem Haken und dem Basalkörper. Das Filament ist aus einem einzigen Protein, dem Flagellin, aufgebaut, von dem sich viele Kopien zu einer helikalen Struktur zusammenlagern. Der ebenfalls aus einem speziellen Protein aufgebaute Haken verbindet das Filament mit dem Basalkörper. Dieser besteht aus einem zentralen Stift, der über mehrere, im Elektronenmikroskop sichtbare Ringstrukturen in die Zellhülle eingebettet ist (▶ Abb. 5.36): Der MS-Ring verankert den Stift (und somit die Flagelle) in der Cytoplasmamembran, während die P- und L-Ringe in der Peptidoglykanschicht bzw. der äußeren Membran gramnegativer Bakterien als Führung dienen. Bei grampositiven Bakterien, die über keine äußere Membran verfügen, fehlen diese. Der MSRing ist umgeben von den sogenannten Motor-Proteinen (MotA, MotB), die als Stator fungieren und zusammen mit einem Ring aus FliG-Proteinen (Rotor) das Filament

Die Besonderheiten prokaryontischer Zellen

Abb. 5.34 Beggiatoa gigantea (Schwefelwasserstoffoxidierer) mit Schwefeleinschlüssen. (Aufnahme K. Schmidt)

5.10.4 Schwefel Viele Bakterien, die Sulfid zu Sulfat oxidieren, speichern Schwefel vorübergehend in Form stark lichtbrechender Kugeln. Sowohl der intrazellulär gespeicherte als auch der aus der Zelle ausgeschiedene Schwefel liegt in flüssiger Form vor und geht allmählich in die orthorhombische Modifikation über. Das Ausmaß der Schwefelspeicherung ist vom Schwefelwasserstoffgehalt des Milieus abhängig. Bei Abwesenheit von Schwefelwasserstoff wird der Schwefel zu Sulfat oxidiert. Der Schwefel dient den aeroben schwefelwasserstoffoxidierenden Bakterien (Beggiatoa, Thiothrix, Achromatium, Thiovulum; ▶ Abb. 5.34) als Energiequelle und den anaeroben phototrophen Schwefelpurpurbakterien (Chromatium) als Elektronendonator für die CO2-Fixierung. Die in Cyanobakterien und Sphaerotilus natans mitunter enthaltenen Schwefeleinschlüsse sind Produkte, die bei der Entgiftung des am Standort dieser Organismen häufig vorhandenen Schwefelwasserstoffs gebildet werden. Die chemotrophen Riesenbakterien Thioploca spp. und Thiomargarita namibiensis lagern Schwefel in großen Vakuolen ab (s. ▶ Abb. 2.7e), der als Elektronendonator zusammen mit Sauerstoff und/oder Nitrat die Energieversorgung der Zellen sicherstellt (Kap. 18).

5.10.5 Cyanophycin Viele Cyanobakterien bilden Cyanophycin, ein einfaches Polymer aus Asparaginsäure, das an jeder Asparaginsäure noch ein Molekül Arginin trägt. Diese Verbindung dient als Reservestoff für Stickstoff. Darüber hinaus kann Cyanophycin durch Abbau des Argininanteils (S. 324) auch zur Produktion von Zellenergie in Form von ATP genutzt werden.

5.10.6 Andere Zelleinschlüsse Cyanobakterien enthalten Phycobiliproteine; dabei handelt es sich um wesentliche Lichtsammelpigmente, die an Proteine gebunden sind. Diese Proteine liegen in der Zelle als Aggregate, sogenannte Phycobilisomen, vor, die an das photosynthetische Reaktionszentrum in der Thylakoidmembran (S. 482) angelagert sind.

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Bei Bodenbakterien wie Bacillus thuringiensis und verwandten Arten (B. laterosporus, B. medusa) finden sich neben den Sporen kristallförmige Einschlusskörper (▶ Abb. 5.46b). Diese parasporalen Kristalle bestehen aus einem Protoxin. Dieses Protein wird im Darmsaft empfindlicher Insekten (Raupenstadien von Schmetterlingen) aufgelöst. Das freigesetzte Toxin zerstört das Darmepithel und führt zum Tod der Raupen. Die für nur wenige Gruppen von Insekten toxischen Präparate aus Bacilli werden zur biologischen Schädlingsbekämpfung bereits mit Erfolg eingesetzt, besonders im Weinbau. Es gibt auch gentechnisch veränderte Kulturpflanzen wie Mais, die das Gen für dieses Toxin exprimieren und dadurch resistent gegen gefürchtete Insektenschädlinge sind. In den USA wurden jedoch bereits Insekten beobachtet, die gegen das Bt-Toxin (von B. thuringiensis) resistent sind.

5.11 Zellanhänge 5.11.1 Flagellen und Chemotaxis Mithilfe von Flagellen (auch Bakteriengeißeln genannt) können sich Eubakterien frei bewegen. Flagellen sind dünne filamentöse Zellanhänge, deren Länge (5–20 μm) meist ein Vielfaches der Zelllänge beträgt. Aufgrund der geringen Dicke (Durchmesser ca. 20 nm) sind Flagellen ohne spezielle Färbemethoden im Lichtmikroskop nicht sichtbar. Eubakterien können vielfältig begeißelt sein (▶ Abb. 5.35). Sind eine oder mehrere Flagellen vorhanden, spricht man von monotricher bzw. polytricher Begeißelung (▶ Abb. 5.2c). Flagellen können sich dabei an einem (monopolar) (▶ Abb. 5.2c) oder an beiden Polen (bipolar) einer stäbchenförmigen Zelle befinden. Dagegen tragen peritrich begeißelte Eubakterien mehrere Flagellen, die über die Zelloberfläche verteilt sind. Pathogene Bakterien wie die Gattungen Proteus und Salmonella lassen sich mithilfe von Antiseren (S. 657) gegen Flagellenproteine (H-Antigen) identifizieren. Eine typische eubakterielle Flagelle (oder das Flagellum) besteht aus dem Filament, dem Haken und dem Basalkörper. Das Filament ist aus einem einzigen Protein, dem Flagellin, aufgebaut, von dem sich viele Kopien zu einer helikalen Struktur zusammenlagern. Der ebenfalls aus einem speziellen Protein aufgebaute Haken verbindet das Filament mit dem Basalkörper. Dieser besteht aus einem zentralen Stift, der über mehrere, im Elektronenmikroskop sichtbare Ringstrukturen in die Zellhülle eingebettet ist (▶ Abb. 5.36): Der MS-Ring verankert den Stift (und somit die Flagelle) in der Cytoplasmamembran, während die P- und L-Ringe in der Peptidoglykanschicht bzw. der äußeren Membran gramnegativer Bakterien als Führung dienen. Bei grampositiven Bakterien, die über keine äußere Membran verfügen, fehlen diese. Der MSRing ist umgeben von den sogenannten Motor-Proteinen (MotA, MotB), die als Stator fungieren und zusammen mit einem Ring aus FliG-Proteinen (Rotor) das Filament

5.11 Zellanhänge

monopolar polytrich

monopolar monotrich

Vibrio

Pseudomonas

Chromatium

bipolar polytrich (amphitrich)

Thiospirillum

peritrich

Spirillum

Proteus

Abb. 5.36 Modell der Flagelle gramnegativer Bakterien. Die Flagelle besteht aus dem helikal gewundenen Filament, dem Haken und dem Basalkörper. Über die L-, Pund MS-Ringe ist sie in die Zellhülle eingelagert. Der MotAB-Komplex koppelt als Stator die Flagellenbewegung an den elektrochemischen Protonengradienten. Die FliG-Proteine bilden den Rotor, dessen Rotationsrichtung durch die am C-Ring assoziierten FliM-Proteine verändert werden kann. Unter dem C-Ring verborgen befinden sich die Komponenten eines Typ-IIISekretionssystems (siehe Text).

Filament hakenassoziierte Proteine

Haken

L-Ring äußere Membran MotB (Stator)

P-Ring

MotA (Stator)

Abb. 5.35 Die wichtigsten Begeißelungsund Bewegungstypen von Prokaryonten.

Peptidoglykanschicht

innere Membran MS-Ring

Basalkörper

FliG (Rotor) FliM (Schalter)

Typ-III-Sekretionssystem C-Ring

in eine Rotationsbewegung versetzen. Dabei dient die protonenmotorische Kraft der Zelle, bei einigen marinen Eubakterien auch eine natriummotorische Kraft, als Energiequelle. Für den Antrieb einer Flagellenumdrehung werden etwa 1000 Protonen benötigt. Ein weiterer, mit der cytoplasmatischen Seite der Membran assoziierter Ring (C-Ring) enthält die Fli-Proteine, von denen FliM die Rotationsrichtung der Flagelle kontrolliert. Darüber hi-

naus befindet sich im MS-Ring noch ein spezielles Sekretionssystem (Typ III) (S. 349), das zunächst neu an den Ribosomen synthetisierte Stift- und Hakenproteine transportiert und anschließend Flagellinmoleküle in den hohlen Stift leitet, von wo sie bis zur Spitze des Filaments weitergereicht und dort in die Struktur eingebaut werden. Einzelheiten des Zusammenbaus der Flagelle werden in Kapitel 9.11.2 besprochen.

5

Die Besonderheiten prokaryontischer Zellen ▶ Bewegung mit Flagellen und Chemotaxis. Die Rotationsgeschwindigkeit der Flagellen kann bis zu 300 Umdrehungen pro Sekunde betragen. Dadurch können sich Eubakterien mit einer Geschwindigkeit von bis zu 60 Zelllängen pro Sekunde fortbewegen. Zum Vergleich: Ein Gepard, das schnellste Landtier, erreicht bei einer Geschwindigkeit von 110 km pro Stunde gerade etwa 25 Körperlängen pro Sekunde. Flagellen können ihren Drehsinn spontan oder beeinflusst durch äußere Reize (s. u.) umkehren. Peritrich angeordnete Flagellen funktionieren als geordnetes helikales Bündel, wenn die Drehrichtung der Flagelle und die Windungsrichtung des helikalen Flagellenfilaments übereinstimmen. Damit drückt das Flagellenbündel die Zelle wie eine Schiffsschraube durch das Medium. Durch die Umkehrung des Drehsinns nach etwa einer Sekunde lockert sich das Flagellenbündel und die parallele Anordnung der Flagellen geht verloren, wodurch die Zelle für etwa eine zehntel Sekunde auf der Stelle taumelt. Danach führt die erneute Veränderung der Drehrichtung wieder zu einer Vorwärtsbewegung in eine neue, zufällige Richtung (▶ Abb. 5.37). Bei polar begeißelten Bakterien dagegen hat die Veränderung des Drehsinns eine Umkehr der Bewegungsrichtung zur Folge. Dabei kann, wie bei Thiospirillum jenense, das Flagellenbündel beim Rückwärtsschwimmen ähnlich einem Regenschirm über die Zelle gestülpt sein (▶ Abb. 5.35). Prokaryonten können auf äußere Reize wie chemische Verbindungen (Lock- oder Schreckstoffe) oder Licht (bei phototrophen Bakterien) mit einer Veränderung ihres

Schwimmverhaltens reagieren (Chemotaxis, Phototaxis, Aerotaxis) (S. 523). So bewegen sich E.-coli-Zellen auf eine Nährstoffquelle wie Glucose hin, in dem die Zeitdauer einer zufälligen Bewegung in Richtung auf den Reiz verlängert wird. Dies wird durch seltener auftretende Taumelbewegungen erreicht. Bewegt sich das Bakterium jedoch vom Reiz weg, so wird die Taumelfrequenz erhöht, wodurch die Wahrscheinlichkeit, zufällig wieder in die bevorzugte Richtung zu schwimmen, zunimmt (▶ Abb. 5.38). Im Fall von Schreckstoffen werden entsprechend entgegengesetzte Reaktionen beobachtet. Dieses Verhalten wird durch das Erkennen eines zeitlichen Konzentrationsgradienten der Substanz mithilfe von Chemorezeptoren in der Cytoplasmamembran (S. 343) und das Weiterleiten des Reizes durch Phosphorylierungsreaktionen in einer Signaltransduktionskette (Che-Proteine) an die Fli-Proteine (S. 524) erreicht. Zahlreiche begeißelte Bakterien, darunter Proteus mirabilis und Bacillus subtilis, nutzen Flagellen auch für eine gemeinsame Schwärmbewegung auf einer Oberfläche mit dem Ziel, ihre Umgebung breitflächig zu besiedeln. Dafür wird die Zahl der Flagellen pro Zelle erhöht. ▶ Bewegung mit Endoflagellen. Die helixförmigen Zellen der Spirochaeten bestehen aus einem Protoplasmazylinder, der nach außen durch die Cytoplasmamembran und die Zellwand abgeschlossen wird. Die korkenzieherartige Bewegung, die bei diesen Zellen auch in sehr viskosen Flüssigkeiten beobachtet wird, geht auf die Aktivität weniger bis zahlreicher Flagellen zurück, die jeweils an einem Pol inseriert sind, sich jedoch über den Protoplas-

Bakterium schwimmt vorwärts Bakterium taumelt

Bakterium schwimmt in veränderter Richtung weiter

a

Abb. 5.38 Schematische Darstellung der Bewegung einer E.-coli-Zelle. a Ohne Lockstoffgradient. b Mit Lockstoffgradient.

b

steigender Gradient Lauf Taumelbewegung

166

Abb. 5.37 Bewegung peritrich begeißelter Bakterien durch Flagellenrotation. Mit gebündelten Flagellen, die z. B. im Fall von Escherichia coli gegen den Uhrzeigersinn rotieren, schwimmt das Bakterium vorwärts. Durch eine Umkehr der Drehrichtung der Flagellen geht ihre parallele Anordnung verloren und das Bakterium beginnt zu taumeln. Nach ca. einer zehntel Sekunde rotieren die Flagellen erneut in der ursprünglichen Drehrichtung, wodurch sie sich wieder bündeln und die Zelle in einer anderen Richtung geradeaus weiterschwimmt.

5.11 Zellanhänge

a Hüllmembran

c Endoflagelle Insertionspore

Plasmazylinder Endoflagelle

b

Hüllmembran Zellwand Cytoplasmamembran Cytoplasma

Abb. 5.39 Aufbau einer Spirochaetenzelle. a Der Protoplasmazylinder ist von Endoflagellen umwunden (hier: zwei Stück), von denen jede an einem Ende im Protoplasmazylinder inseriert ist (Insertionspore). Endoflagellen und Protoplasmazylinder sind von einer Hüllmembran umgeben. b Elektronenmikroskopisches Bild vom Querschnitt einer Mundspirochaete. (aus Listgarten, J. Bacteriol. 88 (1964:1087) c Modell der Bewegung mithilfe von Endoflagellen: Drehen sich die beiden Flagellen, von einem Ende der Zelle aus betrachtet, in dieselbe Richtung, dreht sich die flexible Hüllmembran, an der die Flagellen befestigt sind, mit und die Zelle rotiert. Sie schwimmt geradeaus. Drehen sich die Flagellen in entgegengesetzter Richtung, krümmt sich die Zelle.

mazylinder zurückfalten. Da sie sich innerhalb einer flexiblen äußeren Hüllmembran befinden, die die Zelle begrenzt, werden sie als Endoflagellen bezeichnet (▶ Abb. 5.39). Sie bestehen aus zwei Typen von Proteinen (FlaA, FlaB), wobei FlaB Ähnlichkeit zu Flagellin aufweist. Die Zelle schwimmt vorwärts, wenn sich beide Flagellen, von einem Ende der Zelle aus betrachtet, in derselben Drehrichtung bewegen. Rotieren die Flagellen dagegen in entgegengesetzen Richtungen, so heben sich die Kräfte auf und die Zelle krümmt sich. Auf diese Weise lässt sich die Schwimmrichtung verändern. Auch bei Endoflagellen ist die Rotationsbewegung von der protonenmotorischen Kraft über der Cytoplasmamembran abhängig. ▶ Flagellen und Bewegung bei Archaea. Auch bei Archaebakterien sind Flagellen, die durch Rotation eine gerichtete Bewegung der Zellen ermöglichen, verbreitet. Der Aufbau der archaeellen Flagelle (auch als Archaellum bezeichnet) ähnelt dem von Typ-IV-Pili gramnegativer Bakterien und unterscheidet sich somit grundlegend von dem der eubakteriellen Flagelle. Die Flagellen der Archaebakterien sind wesentlich einfacher aufgebaut. Die strukturelle Untereinheit der archaeellen Flagelle, das Archaellin, wird durch einen Sekretionsapparat, bestehend aus dem Membranprotein FlaJ und der ATPase FlaI, exportiert (▶ Abb. 5.40). Die archaeelle Flagelle ist in der Regel dünner (10–14 nm) als die eubakterielle Flagelle, aber breiter als ein Typ-IV-Pilus. Anders als die eubakteriellen Flagelle und in Übereinstimmung mit einem Typ-IV-Pilus ist die Struktur nicht hohl. Daher nimmt man an, dass der Einbau der Archaellinmonomere an der Basis und nicht an der Spitze erfolgt. Untersuchungen an dem extrem halophilen Archaeon Halobacterium salinarum zeigen, dass die Rotationsbewegung durch ATP-Hydrolyse und nicht,

a

Archaeelle Flagelle (Archaellum)

b

Typ-IV-Pilus

Archaellin

Pilin äußere Membran

Secretin (PilQ) PilC

FlaJ

FlaI

PilT/B

Cytoplasmamembran ATP

ADP + Pi

ATP

ADP + Pi

Abb. 5.40 Aufbau der Flagelle bei Archaea im Vergleich zum bakteriellen Typ-IV-Pilus. (nach Jarell & Albers, Trends Microbiol. 20 (2012):307) a Die Flagelle der Archaea (Archaellum) besteht aus Polymeren des Archaellinproteins, die über das FlaJ-Protein mit der Cytoplasmamembran verankert sind. FlaJ bildet zusammen mit dem FlaI-Protein, einer ATPase, einen Sekretionsapparat für Archaellinmonomere, die so in die bestehende Struktur eingebaut werden. b Bei Typ-IV-Pili von Bakterien besteht der Sekretionsapparat für die Pilinmonomere aus einem FlaJ-homologen Protein (PilC) sowie zwei ATPasen (PilT, PilB). Darüber hinaus wird der Pilus in der äußeren Membran durch eine ringförmige polymere Proteinstruktur, das Sekretin (PilQ), verankert. Bei Organismen der Gattung Neisseria werden die Proteine PilC und PilB als PilG und PilF bezeichnet (s. ▶ Abb. 6.11).

7

Die Besonderheiten prokaryontischer Zellen wie bei eubakteriellen Flagellen, durch einen elektrochemischen Ionengradient angetrieben wird. Neueste Untersuchungen haben zudem gezeigt, dass einige Organismen aus der Gruppe der methanogenen Archaea mit bis zu 500 Körperlängen pro Sekunde wesentlich schneller sind als Eubakterien. Die flagellenvermittelte Bewegung wird auch bei Archaea zu einer Reaktion auf chemische Reize (Chemotaxis) verwendet, wobei archaeaspezifische signalübertragende Proteine beteiligt sind.

5.11.2 Fimbrien und Pili Andere, häufig zu findende Zellanhängsel unterscheiden sich in Länge, Durchmesser und Zahl von Flagellen und dienen nur in Ausnahmefällen der Fortbewegung. Fimbrien (Typ-I-Pili) sind generell dünner und kürzer als Flagellen (2–5 μm), jedoch in wesentlich größerer Anzahl (bis zu mehreren Tausend) vorhanden. Sie bestehen aus Protein und dienen der Anheftung (Adhäsion) von Bakterienzellen an feste Oberflächen oder andere Zellen, darunter eukaryontische Wirtszellen im Fall pathogener Bakterien (▶ Abb. 5.41). Pili sind meist länger als Fimbrien (bis 10 μm), allerdings nur in einer oder zwei Kopien pro Zelle vorhanden. Der sogenannte F- (Fertilitäts oder Sexpilus ist eine notwendige Struktur zur Herstellung von Zell-Zell-Kontakten bei der Konjugation (S. 196), einem Prozess zum Austausch genetischer Information. Da der F-Pilus bestimmten Bakteriophagen als Rezeptor dient, kann er mit diesen markiert und so im Elektronenmikroskop sichtbar gemacht werden (▶ Abb. 5.42). Es sind zahlreiche Klassen von Pili mit verschiedenen Funktionen bekannt. So tragen Typ-IV-Pili z. B. bei einigen pathogenen Bakterien, darunter Vertreter der Gattung Neisseria, als Adhäsine (S. 649) zur Besiedlung des Wirtes bei. Darüber hinaus spielen sie eine Rolle bei der Kompetenz zur Aufnahme von DNA (S. 195) sowie bei flagellenunabhängiger Bewegung (s. u.). ▶ Zuck- und Gleitbewegungen. Typ-IV-Pili ermöglichen es einigen Eubakterien, sich auf einer festen Oberfläche zu bewegen. Die Pilusfaser besteht aus multiplen Kopien des PilA-Proteins, hat einen Durchmesser von 5–8 nm und ist, anders als eine Flagelle (S. 164), innen nicht hohl. Die Länge kann bis 5 μm oder mehr betragen. Sogenannte Zuckbewegungen, ruckartige Vorwärts- und Rückwärtsbewegungen einzelner Zellen (engl. twitching motility), lassen sich bei der Ausdehnung von Kolonien von Pseudomonas aeruginosa oder Neisseria gonorrhoeae auf Agarplatten beobachten. Auch die Gleitbewegung von Myxobakterien, die sich bei Nährstoffmangel auf einer Oberfläche zu Fruchtkörpern zusammenschließen (engl. social gliding, S-Motilität), wird durch Typ-IV-Pili ermöglicht. Die dadurch erreichten Geschwindigkeiten von 2–4 µm pro Minute sind etwa 1000mal geringer als bei Bakterien, die sich mit Flagellen bewegen. Die Bewegung kommt durch Expandieren und Zusammenziehen der Typ-IV-Pili zustande. Dazu bilden die Zellen zunächst an einem Pol Pili, die durch Polymerisation des PilA-Proteins wachsen.

168

Abb. 5.41 E.-coli-Zelle mit Fimbrien (auch als Typ-I-Pili bezeichnet). Elektronenmikroskopische Aufnahme nach Negativkontrastierung. Maßstab, 0,2 μm. F, Fimbrie (Aufnahme B. Vogt)

Abb. 5.42 Durch F-Pili verbundene Zellen von E. coli. Die beiden F-Pili sind mit den donorspezifischen RNA-Phagen MS-2 markiert. Elektronenmikroskopische Aufnahme nach Negativkontrastierung mit Phosphorwolframsäure. Maßstab, 1 μm. (aus Curtiss et al., J. Bacteriol. 100 (1969):1091)

Bei P. aeruginosa wurde gezeigt, dass das Cytoskelettprotein MreB (S. 158) die Positionierung der Pili reguliert. Die Spitze eines Pilus bindet dann entweder an eine feste Oberfläche oder an eine Nachbarzelle. Durch Depolymerisation wird der Pilus verkürzt, wodurch die Zelle auf der Oberfläche vorwärts gezogen wird (▶ Abb. 5.43). Die Bewegungsrichtung kehrt sich nach einigen Minuten um, ein Vorgang, der durch ein spezielles Chemotaxissystem (Frz) reguliert wird.

5.11 Zellanhänge a

Proteinkomplexe Ausstülpung

b

PilA 2

PilA

Gli123

Cytoplasma

P42

Cytoplasmamembran

PilT PilC PilQ PilB

Tgl

Gli521

1

Sialylgalactose

Gli349

EPS ATP ADP + Pi Abb. 5.43 Modell der durch Typ-IV-Pili vermittelten S-Motilität bei Myxococcus xanthus. a Eine pilitragende Zelle (links) bindet über die Pilispitzen an die feste Oberfläche oder eine Nachbarzelle (rechts). Durch Kontraktion der Pili (in Pfeilrichtung) wird die Zelle vorwärts (nach rechts) gezogen. b ① Ein Pilus entsteht durch Polymerisation des PilA-Proteins an einem Proteinkomplex in der Cytoplasmamembran, der aus PilC und den beiden ATPasen PilB und PilT besteht. Über eine aus PilQ-Proteinen gebildete Pore, auch Sekretin genannt, deren Stabilität von dem Lipoprotein Tgl beeinflusst wird, wird der wachsende Pilus durch die äußere Membran nach außen dirigiert. Die Polymerisation von PilA wird durch die ATPase PilB gefördert. Die Pilusspitze bindet an die die Nachbarzelle umgebenden extrazellulären Polysaccharide (EPS). ② Dadurch wird die Retraktion (Depolymerisation) des Pilus an der Basis und somit die S-Motilität ausgelöst. Für diesen Vorgang wird die ATPase PilT benötigt.

Andere Formen der Gleitbewegung, die nicht auf die Aktivität von Pili zurückzuführen sind, werden darüber hinaus bei Cyanobakterien, Vertretern der Cytophaga-Flavobakterien-Gruppe, Mycoplasmen und Myxobakterien (A-Motilität) beobachtet. Die zugrundeliegenden Mechanismen sind unterschiedlich und noch wenig verstanden, da mit Ausnahme von Mycoplasmen (s. u.) keine morphologischen Veränderungen mit der Bewegung verbunden sind. Cyanobakterien sekretieren wie aus einer Düse Schleim aus Polysacchariden, der an der Oberfläche der Unterlage haftet und so die Zelle auf ihr vorwärts schiebt. Bei Mycoplasma mobile beobachtet man eine Ausstülpung der Membran an einem Zellpol, die an die feste Unterlage bindet. In dieser Struktur befinden sich große Proteinkomplexe, die wie Beine herausragen und auf einer sekretierten Oligosaccharidschicht (Sialylgalactose) unter Verbrauch von ATP wandern (▶ Abb. 5.44). An der A-Motilität (von engl. adventurous, abenteuerlich) der Myxobakterien, die nur bei einzelnen Zellen beobachtet wird, sind Multiproteinkomplexe beteiligt, die in Kontakt mit dem filamentbildenden Cytoskelettprotein MreB (S. 158) stehen. Zu den Komponenten der Komplexe gehören Motorproteine, die Ähnlichkeit mit dem MotA-

Abb. 5.44 Gleitbewegung bei Mycoplasma mobile. Der Bewegungsapparat besteht aus dem cytoplasmatischen P42-Protein, das mit dem in der Cytoplasmamembran lokalisierten Ankerprotein Gli123 Gli-Proteineverbunden ist. Gli123 wiederum ist an Gli521 gekoppelt, welches mit dem „Bein-Protein“ Gli349 verbunden ist. Dieses hat Kontakt zur sezernierten Sialylgalactoseschicht. Gezeigt ist ein vereinfachtes Modell der Gleitbewegung. Die Bewegung wird durch ATP-Hydrolyse am P42Protein initiiert und über das Gli123 zu Gli521 weitergeleitet, welches die Geschwindigkeit bestimmt, mit der das Gli349 über eine Oberfläche gleitet. Gli349 bindet dabei an die auf der Oberfläche fixierte Sialylgalactose und löst sich wieder. Insgesamt sind an der Bewegung etwa 400 Gli349-Proteine beteiligt. Vereinfachtes Modell der Gleitbewegung. Die Bewegung wird durch ATP-Hydrolyse am P42-Protein initiiert und über das Gli123 zu Gli521 weitergeleitet, welches die Geschwindigkeit bestimmt, mit der das Gli349 über eine Oberfläche gleitet. Gli349 bindet dabei an die auf der Oberfläche fixierte Sialylgalactose und löst sich wieder. Insgesamt sind an der Bewegung etwa 400 Gli349-Proteine beteiligt.

Protein des eubakteriellen Flagellenapparates (S. 164) (▶ Abb. 5.36) aufweisen. Diese Erkenntnis unterstützt die Beobachtung, dass, wie bei der Flagellenbewegung, der elektrochemische Protonengradient über der Cytoplasmamembran und nicht ATP als Energiequelle notwendig ist. Die Bewegungsrichtung wird regelmäßig nach ca. 7–8 Minuten umgekehrt, ein Vorgang, der wie bei der S-Moti-

9

Die Besonderheiten prokaryontischer Zellen lität, durch das spezielle Chemotaxissystem (Frz) reguliert wird. Derzeit werden mehrere Modelle diskutiert, jedoch ist der Mechanismus der A-Motilität insgesamt noch wenig verstanden.

5.11.3 Cellulosomen Zahlreiche Bodenbakterien, aber auch kommensale Besiedler des Verdauungstraktes von Tieren, können pflanzliches Zellwandmaterial wie Cellulose und Hemicellulosen (Xylane) (S. 357) als einzige Kohlenstoff- und Energiequelle nutzen. Da diese Biopolymere aufgrund ihrer Größe nicht direkt in die Zelle transportiert werden können, sekretieren die Bakterien Exoenzyme (Hydrolasen), die Cellulose und Hemicellulosen in kleinere Bausteine zerlegen. Anaerobe Organismen, vorwiegend der Gattung Clostridium, aber auch der Gattungen Ruminococcus und

Bacteroides, entlassen diese Enzyme nicht frei in das Medium, sondern sie nutzen spezielle Zellanhänge, die Cellulosomen (▶ Abb. 5.45). Diese enthalten zahlreiche Moleküle der zum Abbau erforderlichen Enzyme, die modulartig zusammengesetzt und durch Bindung an Anheftungsproteine nach dem Schlüssel-Schloss-Prinzip an der Zelloberfläche verankert sind. Über spezielle Proteine, die Kohlenhydratstrukturen erkennen, bindet das Cellulosom an die pflanzliche Zellwand. Insgesamt umfasst ein Cellulosom mehr als 200 Proteine. Der Vorteil einer solchen Struktur liegt in der Konzentrierung der abbauenden Enzyme in unmittelbarer Nähe des Substrats, wodurch die Effizienz des Abbaus gesteigert wird. Es sind weitere Zellanhänge bekannt, die der Kommunikation zwischen Zellen dienen oder eine Rolle beim Energiestoffwechsel einiger Bakterien spielen (Plus 5.9).

●V

Plus 5.9 Nanokabel und Nanoröhren Gramnegative Bakterien der Gattungen Geobacter und Shewanella, die einen respiratorischen Energiestoffwechsel betreiben, können bei Sauerstofflimitierung oder Mangel an löslichen Elektronenakzeptoren auch unlösliche Oxide von Eisen(III) oder Mn(III/IV) zur Übertragung von Elektronen nutzen. Dazu bilden sie im Elektronenmikroskop sichtbare, kabelähnliche Zellanhänge (engl. nanowires; Nanokabel), die für die Elektronenleitung von der Cytoplasmamembran über die äußere Membran zu den extrazellulären Metalloxiden benötigt werden. Bei S. oneidensis sind daran in der äußeren Membran verankerte Porin-Cytochrom-Komplexe mit jeweils zehn Hämgruppen beteiligt. Diese Strukturen sind mit Typ-IV-ähnlichen Pili assoziiert, über deren Funktion jedoch noch kontrovers diskutiert wird. Interessanterweise wurden ähnliche Strukturen auch bei einem sauer-

Verankerungsdomäne (Dockerin)

Cellulosebindeprotein

Bakterienoberfläche

170

Enzyme (Cellulasen, Xylanasen u.a.)

stoffbildenden phototrophen Cyanobakterium und einem fermentativen thermophilen Bakterium nachgewiesen, sodass eine weite Verbreitung solcher Elektronentransfermechanismen vermutet wird. Zellanhänge, die der Kommunikation zwischen einzelnen Zellen dienen, wurden bei Bacillus subtilis nachgewiesen und als Nanoröhren (engl. nanotubes) bezeichnet. Es konnte gezeigt werden, dass über diese Röhren sowohl Proteine als auch Plasmide zwischen benachbarten Zellen ausgetauscht werden können. Außerdem wurde auch eine Übertragung zwischen Zellen unterschiedlicher Arten von Staphylococcus aureus und Escherichia coli beobachtet. Man nimmt an, dass diese Art der Kommunikation insbesondere zwischen Bakterien innerhalb eines Biofilms stattfindet. Über den Molekülaufbau der Nanoröhren und den Übertragungsmechanismus ist derzeit noch nichts bekannt.

pflanzliche Zellwand

Verbindungsdomäne (Kohäsin)

hydrophile Domäne

S-Layer-ähnliche Domäne

Abb. 5.45 Aufbau des Cellulosoms bei Clostridium cellulovorans. Das Cellulosebindeprotein bildet zusammen mit Verbindungs- und Verankerungsdomänen ein Gerüst (engl. scaffolding) für die celluloseabbauenden Enzyme. (nach Doi & Kosugi, Nature Microbiol. Rev. 2 (2004):541)

5.12 Spezielle Zelldifferenzierung Ende der exponentiellen Wachstumsphase bei Nährstoffmangel gebildet werden (▶ Abb. 5.47). Sie enthalten eine Kopie des Genoms, umgeben von der Cytoplasmamembran und einer Keimzellwand, der weitere Schichten aus Peptidoglykan und Protein aufgelagert sind. Sie sind durch den Gehalt an Dipicolinsäure, welche Ca2 + -Ionen bindet, den Gehalt an kleinen säurelöslichen Proteinen sowie einen geringen Wasseranteil (nur 10–30 % der Mutterzelle) gekennzeichnet (▶ Abb. 5.48). Dies zusammen verleiht den Sporen ihre hohe Resistenz gegenüber Hitze, UV-Strahlung und Chemikalien. Manche Sporen können Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte überdauern. Andere Dauerformen, die jedoch nicht die Resistenz der Endosporen aufweisen, sind ebenfalls bekannt (Plus 5.10).

5.12 Spezielle Zelldifferenzierung 5.12.1 Endosporen und andere Dauerformen Einige grampositive Bakterien, beispielsweise der Gattungen Bacillus und Clostridium, sowie gramnegative Bakterien der Gattung Sporomusa bilden Strukturen aus, die sich aufgrund einer auffälligen Lichtbrechung deutlich von der eigentlichen Zelle abheben und als Endosporen bezeichnet werden. Diese können in den Zellen zentral, terminal oder subterminal angeordnet sein (▶ Abb. 5.46). Endosporen sind hitzeresistente Dauerformen, die am

a

b

c

d

e

▶ Endosporenbildung und -keimung. Bei Bacillus subtilis sind an der Endosporenbildung die Produkte von mehr als 300 Genen beteiligt. Da jede Phase die Synthese spezieller Enzyme erfordert, muss die Transkription der entsprechenden Gene streng reguliert werden, was u. a. durch spezifische Sigmafaktoren der RNA-Polymerase (S. 496) gewährleistet wird. Auf Nährstoffmangel reagieren die Bakterien zunächst mit der Synthese und dem Export von Hydrolasen (für den Abbau von Biopolymeren) und Antibiotika sowie mit einem Auftreten von Kompetenz (S. 195), d. h. der Fähigkeit, freie DNA aufzunehmen; innerhalb einer Kultur von B. subtilis hat man sogar kannibalisches Verhalten beobachtet. Die letzte Maßnahme der Bakterien, dem akuten Nährstoffmangel zu begegnen, ist die Endosporenbildung, die nach Eintritt der Zellen in die stationäre Wachstumsphase erfolgt. Zellen, die sich in der Anfangsphase der Sporulation befinden, sekretieren toxische Substanzen, die zur Lyse noch nicht sporulierender Schwesterzellen führen. Die von diesen Zellen freigeset-

f

Abb. 5.46 Schematische Darstellung typischer Formen sporenbildender Zellen. a Spore zentral ohne Auftreibung der Mutterzelle (Bacillus megaterium). b Spore terminal ohne Auftreibung der Mutterzelle (Bacillus thuringiensis mit Proteineinschlusskörper). c Spore terminal, Mutterzelle aufgetrieben (Paenibacillus macerans). d Spore zentral, Mutterzelle spindelförmig aufgetrieben = Clostridiumform (Paenibacillus polymyxa). e Spore terminal, rund, Mutterzelle trommelschlegelförmig aufgetrieben = Plectridiumform (Bacillus sphaericus). f Spore lateral, Mutterzelle spindelförmig aufgetrieben (Brevibacillus laterosporus).

I

II

III

IV

V

VI

VII

Stadien pH 8 7 pH

6 5 Restglucose

Dipicolinsäure

relative Einheiten

optische Dichte

hitzeresistente Sporen

Ca2+ lichtbrechende Vorsporen

–3

–2

–1

0

1

2 3 Stunden

4

5

6

Abb. 5.47 Morphologische und physiologische Veränderungen während der Sporenbildung in aeroben sporenbildenden Bakterien. Die Vorgänge werden durch den Verbrauch der Glucose ausgelöst (Zeit Null). Die Bildung der Sporen lässt sich an der Zunahme des Calcium- und Dipicolinsäuregehalts sowie am Ansteigen der Zahl hitzeresistenter Sporen und der Lichtbrechung verfolgen. Den biochemischen Veränderungen lassen sich morphologische Veränderungen zuordnen; die Stadien I–VII sind oben schematisch dargestellt (s. auch ▶ Abb. 16.40).

7

1

Die Besonderheiten prokaryontischer Zellen a

Exosporium äußere Sporenhülle innere Sporenhülle Sporenrinde (Cortex) Keimzellwand Cytoplasmamembran Cytoplasma

b

Dipicolinsäure –

OOC

Ca+ –OOC

+

N

N

5.12.2 Heterocysten

COO–

COO– +Ca+ –OOC

N

werden in der ersten Phase Ca2 + -Dipicolinat und Kationen freigesetzt und durch Wasser ersetzt. Dadurch wird die Hydrolyse des Cortex eingeleitet. Dessen vollständiger Abbau und die gleichzeitige Ausdehnung der Zellwand führen zum Wiedereinsetzen des Metabolismus, zum Abbau der kleinen säurelöslichen Proteine und schließlich zur Neusynthese von RNA, Proteinen und DNA. Die Zelle befreit sich aus der Sporenhülle und beginnt sich zu teilen.

COO– +Ca+

Carboxylgruppen Abb. 5.48 Reife Spore. a Schema des Aufbaus. b Struktur von Dipicolinsäure und Komplexbildung mit Ca2 + Ionen.

zen Nährstoffe werden von den Toxinproduzenten aufgenommen, die daraufhin den Sporulationsvorgang unterbrechen. Ziel dieser Aktivitäten ist, andere Nährstoffquellen zu erschließen, Standortkonkurrenten auszuschalten und defekte DNA zu reparieren, um die Sporulation doch noch zu verhindern. Denn nach Beginn der inäqualen Zellteilung (s.u) ließe sich die Sporulation nicht mehr unterbrechen und erwiese sich als Nachteil gegenüber Nahrungskonkurrenten, sollte der aufgetretene Nährstoffmangel nur von kurzer Dauer sein. Die Keimung der Sporen und ihre Umwandlung in vegetative Zellen werden durch Hitze aktiviert und kann in Gegenwart von Nährstoffen in wenigen Minuten vollzogen werden. Dabei

Einige filamentös wachsende Cyanobakterien wie Anabaena formen bei Stickstoffmangel ca. jede zehnte vegetative Zelle entlang des Filaments oder eine endständige Zelle in eine Heterocyste (▶ Abb. 15.7) um. Diese zeichnet sich durch eine verdickte Zellwand mit hohem Gehalt an Glykolipiden aus, wodurch sie im Lichtmikroskop aufgrund stärkerer Lichtbrechung von vegetativen Zellen leicht zu unterscheiden ist. Heterocysten enthalten das zur Stickstofffixierung notwendige Enzym Nitrogenase (S. 299) und besitzen, anders als die vegetativen Zellen, kein Photosystem II. In diesen Zellen entsteht bei der Photosynthese also kein Sauerstoff, der die Nitrogenase inaktivieren würde. Die verdickte Zellwand vermindert darüber hinaus die Diffusion von O2 in die Heterocyste. Durch interzelluläre Verbindungen wird der notwendige Stoffaustausch zwischen Heterocysten und vegetativen Zellen gewährleistet (▶ Abb. 5.50). Bei den unter dem Mikroskop sichtbaren polaren Granula handelt es sich um Cyanophycin (S. 164).

●V

Plus 5.10 Weitere Dauerformen Bei den Myxosporen der fruchtkörperbildenden Myxobakterien handelt es sich um intakte Zellen, die sich in einem Ruhestadium befinden. Sie besitzen zwar eine verdickte Zellwand und dadurch eine gewisse Resistenz gegen Austrocknung und Hitze. Diese ist jedoch wesentlich geringer als im Falle der Endosporen. Sporen, die von Actinomyceten, darunter Organismen der Gattung Streptomyces, gebildet werden, sind ebenfalls nicht mit Endosporen vergleichbar. Sie entstehen lediglich durch Einfügen von Trennwänden in Lufthyphen (Sporophyten) und anschließendes Abtrennen der einzelnen Zellen als Sporen. Sie sind nicht hitzeresistent, halten aber Austrocknung aus. Weitere Dauerformen sind die sogenannten Cysten, die z. B. bei freilebenden stickstofffixierenden Bakterien der Gattung Azotobacter vorkommen (▶ Abb. 5.49).

172

Exine Polyhydroxybutyrat vesikuläre Intine

Abb. 5.49 Struktur einer Cyste bei Azotobacter vinelandii (Ultradünnschnitt). Maßstab, 0,2 μm.(nach Lin et al., J. Bacteriol. 135 (1978):641)

5.14 Angriffsorte und Wirkungsweise wichtiger Antibiotika O2

O2

O2

CO2

O2

CO2 N2

NH3

(CH2O)n

(CH2O)n Glutamin

vegetative Zelle

Heterocyste

vegetative Zelle

Abb. 5.50 Funktion von Heterocysten. In den Heterocysten wird molekularer Stickstoff durch die Nitrogenase zu Ammonium reduziert, woraus anschließend die Aminosäure Glutamin gebildet wird. Diese wird in die vegetativen Zellen transportiert. Heterocysten enthalten kein Photosystem II, weshalb sie keinen für die Nitrogenase schädlichen Sauerstoff bilden. Im Gegenzug erhalten sie die für die Stickstofffixierung erforderlichen Reduktionsäquivalente von den vegetativen Zellen, die die Reduktionsäquivalente durch Photosynthese erzeugen.

5.13 Prokaryontische und eukaryontische Zellen im Vergleich Als wesentliches Merkmal zur Unterscheidung von Organismen dient die strukturelle Organisation der genetischen Information der Zelle, des Chromosoms. In der eukaryontischen Zelle sind die Chromosomen von einer Membran umgeben; die Zelle enthält also einen Zellkern. Dagegen liegt bei prokaryontischen Organismen das Chromosom frei im Cytoplasma vor (Ausnahme: Gemmata obscuriglobus) (S. 575). Darüber hinaus gibt es jedoch eine Vielzahl weiterer Merkmale, die zur Differenzierung der Organismengruppen herangezogen werden können wie subzelluläre Organellen, Zellteilung, Bewegungsformen und Größe (▶ Tab. 2.1). Herausgehobene Kriterien sind die einzigartige chemische Struktur der Zellwände sowie der Aufbau der Ri-

Zellwandsynthese Penicilline Cephalosporine Bacitracin Cycloserine Vancomycin Fosfomycin Carbapenems Folsäurestoffwechsel Trimethoprim Sulfonamide p-AminoBenzoesäure Zellmembran Polymyxine

DNA Nitroimidazole

DNA-Gyrase Quinolone

DNA

THF A

mRNA

DHF A 50 30

50 30

50 30

Ribosomen

Zellwand

bosomen, da hier die Angriffsorte vieler auch in der Medizin zur Bekämpfung pathogener Bakterien eingesetzter Antibiotika liegen. Dabei handelt es sich nach einer erweiterten Definition von U. Gräfe um „strukturell verschiedene chemische Verbindungen, die inhibitorische Aktivität gegen Mikroorganismen, Viren und eukaryontische Zellen aufweisen und die, von Ausnahmen abgesehen, dem Sekundärstoffwechsel lebender Organismen entstammen." Zu den antibiotikaproduzierenden Organismen gehören vorwiegend mycelbildende Pilze und manche Bakterien (hauptsächlich die Gattungen Streptomyces und Bacillus). Antibiotika (S. 694) wirken auf die Zielorganismen, in erster Linie Bakterien und Pilze, meist wachstumshemmend (bakteriostatisch, fungistatisch) oder abtötend (bakteriozid, fungizid).

5.14 Angriffsorte und Wirkungsweise wichtiger Antibiotika ▶ Abb. 5.51 fasst die Angriffsorte gebräuchlicher Antibiotika zusammen. ▶ Zellwände. Die weitaus meisten Bacteria und Archaea besitzen, wie auch Pflanzen, Algen und Pilze, Zellwände; Tieren und den meisten Protozoen fehlen sie dagegen. Der chemische Aufbau pro- und eukaryontischer Zellwände ist jedoch grundverschieden. Murein kommt ausschließlich bei Bakterien vor; Pseudomurein, Glykoprotein- und Proteinhüllen als alleinige Zellwandkomponenten sind nur bei Archaea zu finden. Dagegen bestehen eukaryontische Zellwände gewöhnlich aus Polysacchariden wie Heteropolysacchariden (Hefen), Chitin (Pilze), Hemicellulose und Cellulose (Pflanzen); letztere ist bei Landpflanzen mit Lignin inkrustiert. Enzyme, die bei der Biosynthese des Mureins mitwirken, stellen Angriffsorte für zahlreiche Antibiotika dar. Dazu gehören Penicillin und

DNA-abhängige RNA-Polymerase Rifampin

Abb. 5.51 Angriffsorte gebräuchlicher Antibiotika in der Bakterienzelle.

Proteinsynthese (50S-Inhibitoren) Erythromycin Chloramphenicol Clindamycin Proteinsynthese (30S-Inhibitoren) Tetracykline Spectinomycin Streptomycin Gentamycin Amikacin

3

5.14 Angriffsorte und Wirkungsweise wichtiger Antibiotika O2

O2

O2

CO2

O2

CO2 N2

NH3

(CH2O)n

(CH2O)n Glutamin

vegetative Zelle

Heterocyste

vegetative Zelle

Abb. 5.50 Funktion von Heterocysten. In den Heterocysten wird molekularer Stickstoff durch die Nitrogenase zu Ammonium reduziert, woraus anschließend die Aminosäure Glutamin gebildet wird. Diese wird in die vegetativen Zellen transportiert. Heterocysten enthalten kein Photosystem II, weshalb sie keinen für die Nitrogenase schädlichen Sauerstoff bilden. Im Gegenzug erhalten sie die für die Stickstofffixierung erforderlichen Reduktionsäquivalente von den vegetativen Zellen, die die Reduktionsäquivalente durch Photosynthese erzeugen.

5.13 Prokaryontische und eukaryontische Zellen im Vergleich Als wesentliches Merkmal zur Unterscheidung von Organismen dient die strukturelle Organisation der genetischen Information der Zelle, des Chromosoms. In der eukaryontischen Zelle sind die Chromosomen von einer Membran umgeben; die Zelle enthält also einen Zellkern. Dagegen liegt bei prokaryontischen Organismen das Chromosom frei im Cytoplasma vor (Ausnahme: Gemmata obscuriglobus) (S. 575). Darüber hinaus gibt es jedoch eine Vielzahl weiterer Merkmale, die zur Differenzierung der Organismengruppen herangezogen werden können wie subzelluläre Organellen, Zellteilung, Bewegungsformen und Größe (▶ Tab. 2.1). Herausgehobene Kriterien sind die einzigartige chemische Struktur der Zellwände sowie der Aufbau der Ri-

Zellwandsynthese Penicilline Cephalosporine Bacitracin Cycloserine Vancomycin Fosfomycin Carbapenems Folsäurestoffwechsel Trimethoprim Sulfonamide p-AminoBenzoesäure Zellmembran Polymyxine

DNA Nitroimidazole

DNA-Gyrase Quinolone

DNA

THF A

mRNA

DHF A 50 30

50 30

50 30

Ribosomen

Zellwand

bosomen, da hier die Angriffsorte vieler auch in der Medizin zur Bekämpfung pathogener Bakterien eingesetzter Antibiotika liegen. Dabei handelt es sich nach einer erweiterten Definition von U. Gräfe um „strukturell verschiedene chemische Verbindungen, die inhibitorische Aktivität gegen Mikroorganismen, Viren und eukaryontische Zellen aufweisen und die, von Ausnahmen abgesehen, dem Sekundärstoffwechsel lebender Organismen entstammen." Zu den antibiotikaproduzierenden Organismen gehören vorwiegend mycelbildende Pilze und manche Bakterien (hauptsächlich die Gattungen Streptomyces und Bacillus). Antibiotika (S. 694) wirken auf die Zielorganismen, in erster Linie Bakterien und Pilze, meist wachstumshemmend (bakteriostatisch, fungistatisch) oder abtötend (bakteriozid, fungizid).

5.14 Angriffsorte und Wirkungsweise wichtiger Antibiotika ▶ Abb. 5.51 fasst die Angriffsorte gebräuchlicher Antibiotika zusammen. ▶ Zellwände. Die weitaus meisten Bacteria und Archaea besitzen, wie auch Pflanzen, Algen und Pilze, Zellwände; Tieren und den meisten Protozoen fehlen sie dagegen. Der chemische Aufbau pro- und eukaryontischer Zellwände ist jedoch grundverschieden. Murein kommt ausschließlich bei Bakterien vor; Pseudomurein, Glykoprotein- und Proteinhüllen als alleinige Zellwandkomponenten sind nur bei Archaea zu finden. Dagegen bestehen eukaryontische Zellwände gewöhnlich aus Polysacchariden wie Heteropolysacchariden (Hefen), Chitin (Pilze), Hemicellulose und Cellulose (Pflanzen); letztere ist bei Landpflanzen mit Lignin inkrustiert. Enzyme, die bei der Biosynthese des Mureins mitwirken, stellen Angriffsorte für zahlreiche Antibiotika dar. Dazu gehören Penicillin und

DNA-abhängige RNA-Polymerase Rifampin

Abb. 5.51 Angriffsorte gebräuchlicher Antibiotika in der Bakterienzelle.

Proteinsynthese (50S-Inhibitoren) Erythromycin Chloramphenicol Clindamycin Proteinsynthese (30S-Inhibitoren) Tetracykline Spectinomycin Streptomycin Gentamycin Amikacin

3

Die Besonderheiten prokaryontischer Zellen dessen Derivate, Cephalosporine, Vancomycin, Cycloserin und Bacitracin (Plus 5.11). Allgemein sind diese Verbindungen wegen ihrer nur bei Bakterien vorkommenden Angriffsziele hoch spezifisch und für eukaryontische Organismen (z. B. Tier und Mensch) nicht toxisch. Ihre

Wirksamkeit ist jedoch meist nur gegenüber grampositiven Bakterien ausgeprägt, da die äußere Membran der gramnegativen Organismen einen natürlichen Schutz gegen diese Antibiotika darstellt. Man spricht daher auch von Antibiotika mit schmalem Wirkungsspektrum.

●V

Plus 5.11 Wirkungsweise wichtiger zellwandaktiver Antibiotika

nicht mehr standhalten und die Zelle platzt. Dieser Prozess wird dadurch verstärkt, dass eine verminderte Quervernetzung die Aktivität autolytischer Enzyme (Autolysine) induziert. Vancomycin galt lange als letzte Hoffnung (sogenanntes Reserveantibiotikum) bei der Bekämpfung multiresistenter pathogener grampositiver Bakterien wie Staphylococcus aureus, Enterokokken und Streptococcus pneumoniae. Inzwischen werden jedoch zunehmend vancomycinresistente Enterokokken in Kliniken nachgewiesen. Cephalosporine enthalten wie Penicilline einen βLactamring und binden daher ebenfalls an die Transpeptidase (▶ Abb. 5.52a). Cycloserin, ein Aminosäurederivat, verhindert die Isomerisierung von L-Alanin zu D-Alanin und die Synthese des D-Ala-D-Ala-Dipeptids. Bacitracin, ein Peptidantibiotikum, das nicht an Ribosomen synthetisiert wird, unterbindet die Rezyklisierung des C55-Lipids (S. 148).

Penicilline, die chemisch zur Gruppe der β-Lactame gehören (▶ Abb. 5.52a), hemmen die Quervernetzung zweier Polysaccharidketten des Mureins über Peptidbrücken durch Bindung an das Enzym (eine Transpeptidase) (S. 327), das die Reaktion katalysiert. Diese Wirkung ist auf die strukturelle Ähnlichkeit von Penicillin mit dem D-Alanyl-D-AlaninPeptid-Abschnitt des zu verknüpfenden Vorläufermoleküls zurückzuführen (▶ Abb. 5.52b). Dagegen lagert sich Vancomycin, ein Glykopeptid, direkt an das endständige D-Alanyl-D-Alanin-Peptid an und verhindert so die Transpeptidasereaktion. Dadurch wird in beiden Fällen bei wachsenden Zellen die Stabilität der Zellwand entscheidend geschwächt, die Zellwand kann der osmotischen Druckdifferenz zwischen Cytoplasma und Medium a Penicilline: R

C

H N

S

O N

CH3 CH3

H

O

H

β-Lactamring

COOH

6-Aminopenicillinsäure

Thiazolidinring b

R:

CH

H

Ampicillin

CH2

R:

H

H

NH2

H Benzylpenicillin (Penicillin G)

H H C

C

O Cephalosporine: R1CONH O

R3 H

N R

N

R2 CO2H

C

O H C

C O

O O

N H

C

C S H

H

C H

C

N R

H H

C C

O

Penicillin

O

H

Abb. 5.52 Zellwandaktive Antibiotika. a Strukturen von β-Lactam-Antibiotika. Grundgerüst, Penicilline und Cephalosporine. b Strukturähnlichkeit zwischen Penicillin und dem D-Alanyl-D-Alanin-Dipeptid des Mureingrundbausteins.

174

H

H

N

H S

H

C

H

C

O

H

D-AlanylD-Alanin

5.14 Angriffsorte und Wirkungsweise wichtiger Antibiotika ▶ Ribosomen. Die Ribosomen (S. 146) sind universelle Zellstrukturen; sie kommen sowohl bei pro- als auch bei eukaryontischen Organismen vor. Sie unterscheiden sich jedoch hinsichtlich ihrer Größe und der Struktur der beteiligten RNAs und Proteinmoleküle. Diese strukturellen Unterschiede als auch Abweichungen in Details der Proteinbiosynthese sind hinreichend dafür, dass Antibiotika, die in die bakterielle Proteinbiosynthese durch Bindung an die Ribosomen (S. 207) eingreifen, für eukaryontische Zellen unwirksam sind. Diese Antibiotika haben in der Regel ein breites Wirkungsspektrum. Beipiele sind Erythromycin, Tetrazykline und Streptomycin. Linezolid, zur Gruppe der Oxazoladinone gehörig, das an die 50SUntereinheit der Ribosomen bindet, ist derzeit als ein-

ziges Reserveantibiotikum (neben Vancomycin) gegen methicillinresistente Staphylococcus aureus (MRSA)-Bakterien (S. 673) wirksam. ▶ Andere Wirkorte. Weitere bakterielle Strukturen und auch Stoffwechselreaktionen, an denen Antibiotika angreifen, sind die Cytoplasmamembran (Polymyxine), spezielle Enzyme wie die DNA-Gyrase (4-Chinolone) und die RNA-Polymerase (Rifamycin), sowie die Folsäuresynthese (Trimethoprim, Sulfonamide; diese Verbindungen werden nicht von Mikroorganismen, sondern chemisch hergestellt und zählen somit zur Gruppe der antibakteriellen Chemotherapeutika).

M ●

Zusammenfassung ●











Zur Beobachtung von Mikroorganismen muss man ein Lichtmikroskop (Auflösung von ca. 0,2 μm) verwenden. Zelluläre Strukturen können dagegen nur mit einem Elektronenmikroskop (Auflösung von ca. 0,2 nm) sichtbar gemacht werden. Die Gram-Färbung ist eine wichtige Methode zur Unterscheidung von Bakterien aufgrund des unterschiedlichen Aufbaus der Zellwand. Das prokaryontische Chromosom ist meist ringförmig geschlossen, kommt in nur einer oder wenigen Kopien pro Zelle vor und ist durch Verdrillung (Supercoiling) in der Zelle hochkondensiert verpackt. Die Größe des Chromosoms kann zwischen mehreren Hundert und zehntausend Kilobasenpaaren variieren. Voll entfaltet beträgt seine Länge typischerweise wenige Millimeter. Die Ribosomen sind die Orte der Proteinbiosynthese und bestehen aus rRNA und Proteinen. Prokaryontische Ribosomen (70S) setzen sich aus einer 30S- und einer 50SUntereinheit zusammen. Die 30S-Untereinheit enthält 16S-rRNA, die 50S-Untereinheit dagegen 5S- und 23SrRNA. Die eubakterielle Zellwand, das Murein oder Peptidoglykan, besteht aus N-Acetylglucosamin und N-Acetylmuraminsäure, die 1,4-β-glykosidisch miteinander zu langen Ketten verknüpft sind. Diese Ketten werden über Peptidbrücken quervernetzt, wodurch eine sackähnliche Struktur entsteht, die die Zelle umgibt. Das Murein verleiht der Zelle Stabilität gegenüber dem Turgordruck. Grampositive Bakterien besitzen eine bis zu 25 Schichten dicke Zellwand, während gramnegative Bakterien nur ein einbis zweischichtiges Peptidoglykan aufweisen. Die Cytoplasmamembran ist eine Phospholipiddoppelschicht, die auch als Einheitsmembran bezeichnet wird. Sie besitzt eine flüssigkeitsähnliche Konsistenz. Aufgrund dieser Eigenschaften stellt die Cytoplasmamembran eine Permeabilitätsbarriere für wasserlösliche Verbindungen dar. Die Hälfte der Membran besteht aus Proteinen, die u. a. der Kommunikation und dem Stoffaustausch mit











der Umgebung, der Bewegung, der Konservierung von Energie und der Biosynthese der Membran- und Wandbestandteile dienen. Etwa ein Viertel der Proteine einer Zelle sind Membranproteine. Einige Gruppen von Bakterien, darunter die phototrophen Purpurbakterien, enthalten intracytoplasmatische Membranen, bei denen es sich um Einstülpungen der Cytoplasmamembran handelt. Die intracytoplasmatischen Membranen können jedoch auch vollständig von der Plasmamembran gelöst vorliegen. Durch die Einstülpungen wird die Membranoberfläche vergrößert, was die Einlagerung zusätzlicher Proteine, z. B. des Photosyntheseapparates, erlaubt. Gramnegative Bakterien verfügen über eine äußere Membran. Sie setzt sich aus Lipopolysacchariden (LPS), die nach außen orientiert sind, und aus Phospholipiden, die zum Peptidoglykan gerichtet sind, zusammen. Die LPS bestehen aus Lipid A, einer Kern-Polysaccharidregion und der langen O-spezifischen Seitenkette aus sich wiederholenden Zuckereinheiten. Die äußere Membran ist über eingelagerte Lipoproteine kovalent mit dem Peptidoglykan verbunden. Ebenfalls integrierte Kanalproteine (Porine) erlauben die Diffusion gelöster Substanzen bis zur Größe von ca. 600–700 Dalton. Von der äußeren Membran abgeschnürte Vesikel dienen dem Transport von Signalmolekülen zu anderen Zellen. Die äußere Membran und die Cytoplasmamembran begrenzen den periplasmatischen Raum, der zahlreiche Proteine enthält. Prokaryonten besitzen eine dem eukaryontischen Cytoskelett ähnliche innere Stützstruktur. Die filamentbildenden Proteine FtsZ und MreB, die als Vorläufer der eukaryontischen Cytoskelettproteine Aktin und Tubulin betrachtet werden können, sind an der Zellteilung sowie der Chromosomen- und Plasmidsegregation beteiligt und tragen zur Aufrechterhaltung der Zellform bei. Anders als eukaryontische Zellen enthalten Prokaryonten nicht grundsätzlich Organellen. Es gibt jedoch zahlreiche

5

Die Besonderheiten prokaryontischer Zellen







Eubakterien, bei denen organellähnliche Kompartimente vorhanden sind, die spezielle Funktionen in der Zelle übernehmen. Diese Kompartimente können von einer Lipidmembran oder einer Proteinhülle umgeben sein. Zu ihnen zählen Magnetosomen, Chlorosomen, Gasvesikel, und Carboxysomen. Bei Bakterien des Phylums Planctomycetes wurden generell organellähnliche Kompartimente gefunden. Zahlreiche Bakterien akkumulieren Speicherstoffe wie Stärke, Glykogen, Polyphosphate, Polyhydroxyalkanoate oder Schwefel in ihrem Cytoplasma. Einige Gruppen von Prokaryonten können sich mithilfe von einer oder mehreren Flagellen frei bewegen. Die Flagellen führen Rotationsbewegungen aus. Erfolgen zielgerichtete Bewegungen aufgrund äußerer Reize (z. B. chemische Verbindungen, Licht), spricht man von Chemotaxis, Aerotaxis oder Phototaxis. Die Flagellen der Archaea ähneln in ihrem Aufbau den Typ-IV-Pili der Eubakterien und unterscheiden sich somit grundsätzlich von den Flagellen der Eubakterien. Fimbrien und Pili sind Zellanhängsel, die der Anheftung an andere Zellen oder Oberflächen dienen aber auch Gleitbewegungen ermöglichen können.

Literatur zum Weiterlesen unter: www.thieme.de/literatur-fuchs

176







Endosporen sind Dauerformen, die sich durch extreme Beständigkeit gegenüber Hitze, Strahlung und Chemikalien auszeichnen. Sie werden von grampositiven Bakterien der Linie der Endosporenbildner (Bacillus, Clostridium) und von dem gramnegativen Sporomusa unter Nährstoffmangel aus der vegetativen Zelle gebildet. Endosporen zeichnen sich durch geringen Wassergehalt, hohe Konzentration an Ca2 + -Dipicolinat und mehrere Peptidoglykan- und Proteinschichten aus, wodurch die im Lichtmikroskop zu beobachtende starke Lichtbrechung verursacht wird. Die erneute Umwandlung der Spore in eine vegetative Zelle (Auskeimung) wird u. a. durch Hitze eingeleitet. Heterocysten findet man bei filamentös wachsenden Cyanobakterien. Sie sind Orte der Stickstofffixierung. Sie besitzen kein sauerstoffentwickelndes Photosystem II und haben eine für Gase schwer durchlässige, verdickte Zellwand. Dadurch wird die sauerstoffempfindliche Nitrogenase vor Inaktivierung geschützt. Die Besonderheiten der prokaryontischen Zelle, insbesondere der Aufbau der Zellwand und der Ribosomen, spiegeln sich in der Empfindlichkeit gegenüber Antibiotika wider.

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Kapitel 6 Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie

6.1

Einführung

178

6.2

Organisation prokaryontischer DNA

178

6.3

Weitergabe genetischer Information: DNA-Replikation

181

6.4

Mutationen und DNA-Reparatur

184

6.5

Genetische Rekombination

190

6.6

Mobile genetische Elemente

191

6.7

Mechanismen der Genübertragung

194

6.8

Restriktion, Modifikation und prokaryontische Immunsysteme 202

6.9

Expression genetischer Information: Transkription und Translation 203

6.10

DNA-Klonierung

210

6.11

DNA-Sequenzierung und Genomsequenzen

216

6.12

Postgenomik, Metagenomik und synthetische Biologie

221

Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie

6 Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie Thomas Eitinger

6.1 Einführung Voraussetzung für die Erhaltung spezifischer Eigenschaften von Organismen über Generationen hinweg ist die identische Vervielfachung der Erbinformation (Replikation) und ihre gleichmäßige Verteilung bei der Zellteilung. Dieses Kapitel widmet sich zunächst der Struktur und Replikation der Desoxyribonukleinsäure (DNA), der Trägerin der genetischen Information in allen Lebewesen. Die Replikation der DNA ist ein weitgehend fehlerfreier Prozess, doch können verschiedene chemische Reaktionen an der DNA, die spontan auftreten oder durch äußere Einflüsse induziert werden, zu Mutationen führen. Die Anzahl dauerhafter Veränderungen in der Nukleotidsequenz wird jedoch durch eine Vielzahl von Reparaturmechanismen minimiert. Genetische Information kann durch einen natürlichen Prozess (Rekombination) neu kombiniert werden. Dies findet entweder innerhalb eines Genoms oder – nach Aufnahme von Fremd-DNA – zwischen den Genomen verschiedener Organismen statt. Prokaryonten sind in der Lage, freie DNA aus der Umgebung aufzunehmen, Bakteriophagen als DNA-Vehikel zu nutzen und DNA durch direkten Zell-Zell-Kontakt zu übertragen. Der Mensch macht sich diese natürlichen Transferprozesse in der Gentechnologie zu Nutze. Die Expression genetischer Information erfolgt durch Transkription und Translation. Durch Transkription wird die in der Basenfolge der DNA gespeicherte Information in Messenger-RNA umgeschrieben, die bei der Translation an Ribosomen als Vorlage für die Proteinsynthese dient. Die Kenntnis der vollständigen Genomsequenzen vieler Mikroorganismen dient als Ausgangspunkt für neue biotechnologische Produktionsver-

Plus 6.1 DNA als Träger der Erbinformation Seit Anfang der 1950er-Jahre ist erwiesen, dass die Desoxyribonukleinsäure (DNS, oder gebräuchlicher: DNA, für engl. deoxyribonucleic acid) der Träger der genetischen Information ist. Der Nachweis wurde in den klassischen Experimenten von O. Avery, C. MacLeod und M. McCarty (1944) mit Pneumokokken (Streptococcus pneumoniae) und von A. Hershey und M. Chase (1952) mit Bakteriophagen erbracht. Ein avirulenter Stamm von S. pneumoniae wurde mit dem zellfreien Extrakt eines virulenten Stamms gemischt. Es traten vereinzelt Zellen auf, die nach Infektion von Mäusen das Krankheitsbild hervorrufen konnten. Als transformierendes Prinzip im zellfreien Extrakt wurde DNA und nicht etwa Protein identifiziert.

178

fahren. Die synthetische Biologie versucht, ganze Zellen mit neuen Eigenschaften zu konstruieren.

6.2 Organisation prokaryontischer DNA 6.2.1 Struktur der DNA Die Grundbausteine der DNA wurden bereits in Kapitel 2 beschrieben. Es handelt sich um die vier 2’-Desoxynukleosid-5’-monophosphate dAMP, dCMP, dGMP und dTMP (s. ▶ Abb. 2.14). Diese Grundbausteine sind durch Esterbindungen zwischen der jeweiligen 5’-Phosphatgruppe eines Nukleotids und der 3’-OH-Gruppe des nächsten Nukleotids zu einer langen Kette verknüpft. In manchen Viren, einschließlich bestimmter Bakteriophagen, liegt die DNA als einzelsträngiges Makromolekül vor. Andere Viren haben RNA-Genome (S. 132). Viele Viren und alle Organismen besitzen hingegen doppelsträngige DNA als Träger ihrer Erbinformation (Plus 6.1). Der weitaus größte Teil der zellulären DNA liegt als Doppelhelix in der sogenannten B-Form vor. Es handelt sich um eine rechtsgängige Doppelhelix, bei der eine vollständige Windung (Ganghöhe) über etwa 3,4 nm verläuft und 10,5 Basenpaare (bp) umfasst. Die Einzelstränge werden durch Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den Basen zusammengehalten, wobei Adenin immer mit Thymin und Cytosin immer mit Guanin gepaart ist. Die Basenpaare sind senkrecht zur Helixachse angeordnet. Adenin und Thymin sind durch zwei, Cytosin und Guanin durch drei Wasserstoffbrückenbindungen verknüpft. Hydrophobe Wechselwirkungen zwischen aufeinanderfolgenden Basenpaaren tragen zur Stabilität der Doppelhelix

●V

Wurden in einem anderen Experiment Escherichia coli-Zellen mit T 2-Phagen infiziert, bei denen zuvor entweder die Proteinhülle oder die DNA radioaktiv markiert worden war, dann führte nur die DNA-Markierung zu signifikanter Radioaktivität in den Bakterien und den Phagennachkommen. Demnach musste die DNA die Information zur Produktion neuer Viruspartikel enthalten. Die Sekundär- und Tertiärstruktur der DNA wurde 1953 aufgeklärt. Basierend auf den Beobachtungen von E. Chargaff, dass in der DNA aus unterschiedlichsten Organismen der Anteil von Adenin dem von Thymin und der von Cytosin dem von Guanin entspricht, und den Röntgenbeugungsexperimenten von R. Franklin und M. Wilkins, die eine helikale Struktur der DNA ergaben, entwickelten J. Watson und F. Crick das Doppelhelixmodell (▶ Abb. 2.17).

Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie

6 Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie Thomas Eitinger

6.1 Einführung Voraussetzung für die Erhaltung spezifischer Eigenschaften von Organismen über Generationen hinweg ist die identische Vervielfachung der Erbinformation (Replikation) und ihre gleichmäßige Verteilung bei der Zellteilung. Dieses Kapitel widmet sich zunächst der Struktur und Replikation der Desoxyribonukleinsäure (DNA), der Trägerin der genetischen Information in allen Lebewesen. Die Replikation der DNA ist ein weitgehend fehlerfreier Prozess, doch können verschiedene chemische Reaktionen an der DNA, die spontan auftreten oder durch äußere Einflüsse induziert werden, zu Mutationen führen. Die Anzahl dauerhafter Veränderungen in der Nukleotidsequenz wird jedoch durch eine Vielzahl von Reparaturmechanismen minimiert. Genetische Information kann durch einen natürlichen Prozess (Rekombination) neu kombiniert werden. Dies findet entweder innerhalb eines Genoms oder – nach Aufnahme von Fremd-DNA – zwischen den Genomen verschiedener Organismen statt. Prokaryonten sind in der Lage, freie DNA aus der Umgebung aufzunehmen, Bakteriophagen als DNA-Vehikel zu nutzen und DNA durch direkten Zell-Zell-Kontakt zu übertragen. Der Mensch macht sich diese natürlichen Transferprozesse in der Gentechnologie zu Nutze. Die Expression genetischer Information erfolgt durch Transkription und Translation. Durch Transkription wird die in der Basenfolge der DNA gespeicherte Information in Messenger-RNA umgeschrieben, die bei der Translation an Ribosomen als Vorlage für die Proteinsynthese dient. Die Kenntnis der vollständigen Genomsequenzen vieler Mikroorganismen dient als Ausgangspunkt für neue biotechnologische Produktionsver-

Plus 6.1 DNA als Träger der Erbinformation Seit Anfang der 1950er-Jahre ist erwiesen, dass die Desoxyribonukleinsäure (DNS, oder gebräuchlicher: DNA, für engl. deoxyribonucleic acid) der Träger der genetischen Information ist. Der Nachweis wurde in den klassischen Experimenten von O. Avery, C. MacLeod und M. McCarty (1944) mit Pneumokokken (Streptococcus pneumoniae) und von A. Hershey und M. Chase (1952) mit Bakteriophagen erbracht. Ein avirulenter Stamm von S. pneumoniae wurde mit dem zellfreien Extrakt eines virulenten Stamms gemischt. Es traten vereinzelt Zellen auf, die nach Infektion von Mäusen das Krankheitsbild hervorrufen konnten. Als transformierendes Prinzip im zellfreien Extrakt wurde DNA und nicht etwa Protein identifiziert.

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fahren. Die synthetische Biologie versucht, ganze Zellen mit neuen Eigenschaften zu konstruieren.

6.2 Organisation prokaryontischer DNA 6.2.1 Struktur der DNA Die Grundbausteine der DNA wurden bereits in Kapitel 2 beschrieben. Es handelt sich um die vier 2’-Desoxynukleosid-5’-monophosphate dAMP, dCMP, dGMP und dTMP (s. ▶ Abb. 2.14). Diese Grundbausteine sind durch Esterbindungen zwischen der jeweiligen 5’-Phosphatgruppe eines Nukleotids und der 3’-OH-Gruppe des nächsten Nukleotids zu einer langen Kette verknüpft. In manchen Viren, einschließlich bestimmter Bakteriophagen, liegt die DNA als einzelsträngiges Makromolekül vor. Andere Viren haben RNA-Genome (S. 132). Viele Viren und alle Organismen besitzen hingegen doppelsträngige DNA als Träger ihrer Erbinformation (Plus 6.1). Der weitaus größte Teil der zellulären DNA liegt als Doppelhelix in der sogenannten B-Form vor. Es handelt sich um eine rechtsgängige Doppelhelix, bei der eine vollständige Windung (Ganghöhe) über etwa 3,4 nm verläuft und 10,5 Basenpaare (bp) umfasst. Die Einzelstränge werden durch Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den Basen zusammengehalten, wobei Adenin immer mit Thymin und Cytosin immer mit Guanin gepaart ist. Die Basenpaare sind senkrecht zur Helixachse angeordnet. Adenin und Thymin sind durch zwei, Cytosin und Guanin durch drei Wasserstoffbrückenbindungen verknüpft. Hydrophobe Wechselwirkungen zwischen aufeinanderfolgenden Basenpaaren tragen zur Stabilität der Doppelhelix

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Wurden in einem anderen Experiment Escherichia coli-Zellen mit T 2-Phagen infiziert, bei denen zuvor entweder die Proteinhülle oder die DNA radioaktiv markiert worden war, dann führte nur die DNA-Markierung zu signifikanter Radioaktivität in den Bakterien und den Phagennachkommen. Demnach musste die DNA die Information zur Produktion neuer Viruspartikel enthalten. Die Sekundär- und Tertiärstruktur der DNA wurde 1953 aufgeklärt. Basierend auf den Beobachtungen von E. Chargaff, dass in der DNA aus unterschiedlichsten Organismen der Anteil von Adenin dem von Thymin und der von Cytosin dem von Guanin entspricht, und den Röntgenbeugungsexperimenten von R. Franklin und M. Wilkins, die eine helikale Struktur der DNA ergaben, entwickelten J. Watson und F. Crick das Doppelhelixmodell (▶ Abb. 2.17).

6.2 Organisation prokaryontischer DNA bei. Innerhalb gewisser Grenzen ist die Geometrie der BDNA flexibel. Zu den Abweichungen von der idealen BForm zählen die Kippung der Ebenen der beiden Basen gegeneinander (engl. propeller twist) und die Neigung der von den Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den Basen gebildeten Ebenen gegen die Längsachse der Doppelhelix (Basenrollwinkel). Doppelsträngige Nukleinsäuren können auch andere Geometrien als die B-DNA aufweisen. DNA-RNA-Hybride und doppelsträngige RNA kommen üblicherweise in der A-Form vor, einer rechtsgängigen Doppelhelix mit etwa 11 bp pro Windung. Die Basenpaare in der A-DNA sind gegen die Längsachse geneigt, sodass beim Blick entlang dieser Achse ein zentraler Kanal sichtbar ist. Alternierende Purin-/Pyrimidinfolgen können zur Ausbildung der linksgängigen Z-DNA mit 12 bp pro Windung führen. Während in rechtsgängigen Doppelhelices alle Zucker in der sogenannten anti-Konformation in Bezug auf ihre Basen orientiert sind, führt eine Drehbewegung der Bindung zwischen Zucker und Base bei allen Purinen der Z-DNA zur syn-Konfiguration. Die syn-/anti-Folgen verleihen der Z-DNA ein namensgebendes Zickzackmuster. ▶ Schmelzpunkt. Wie bereits in Kapitel 2 (▶ Abb. 2.16) besprochen wurde, lösen sich durch Erhitzen die Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den komplementären Basen; man spricht vom Schmelzen der DNA. Es gilt: Je höher der molare GC-Gehalt (S. 60) eines DNA-Moleküls ist, desto höher die Schmelztemperatur. Schmelzpunktanalysen können als ein taxonomisches Kriterium für die grobe Eingruppierung von Prokaryonten (S. 538) herangezogen werden, da der Anteil an Guanin und Cytosin in der DNA eines Organismus eine feste Größe darstellt.

den geöffneten Doppelstrang und verschließt die Öffnung anschließend wieder. Das Ergebnis ist eine negative Überspiralisierung der DNA, d. h. eine Verdrillung entgegen der rechtsgängigen Helixdrehrichtung. Zur Veranschaulichung stelle man sich zwei Fäden vor, die an einem Ende fixiert sind und am anderen Ende immer weiter in einer Richtung gegeneinander verdreht werden. Bei einer bestimmten Torsionsspannung bildet sich ein Knäuel. Eine besondere Form von DNA-Gyrase – die Reverse Gyrase – wurde bisher in allen hyperthermophilen Eubakterien und Archaebakterien gefunden. Die Reverse Gyrase produziert positiv überspiralisierte DNA, die eine erhöhte Hitzestabilität besitzt. Topoisomerasen sind für die Replikation der DNA, die Transkription von Genen und für Rekombinationsvorgänge essenziell. Bei diesen Prozessen müssen die Superhelixstrukturen entwunden und anschließend wieder erzeugt werden. Bakterielle Typ-II-Topoisomerasen sind der Angriffsort zahlreicher Antibiotika und Chemotherapeutika (Plus 6.2). Eine weitere Topoisomerase, die Topoisomerase I, entspannt negativ superhelikale DNA. Diese Auflockerung der superhelikalen Struktur ist eine Voraussetzung für die Transkription (S. 203) durch die RNAPolymerase und die DNA-Replikation (S. 181). Nach der schonenden Isolierung des Nukleoids sind geordnete Domänen der Superhelix erkennbar (▶ Abb. 6.1). In lebenden Zellen sind Chromosomen hoch geordnete Strukturen, die zum einen durch histonähnliche Proteine stabilisiert werden. In E. coli sind dies hauptsächlich die Proteine HU (engl. heat-unstable nucleoid protein), IHF (engl. integration host factor), FIS (engl. factor of inversion stimulation), H-NS (engl. histone-like nucleoid

●V

6.2.2 Chromosomen

Plus 6.2

Die meisten Prokaryonten besitzen nur ein Chromosom, das zirkulär und kovalent geschlossen ist. Das Chromosm kann – je nach Organismus – in einer oder wenigen Kopien, bis hin zu vielen Kopien pro Zelle vorliegen. Seltener sind lineare Chromosomen oder auch mehrere unterschiedliche Chromosomen. Die prokaryontische DNA ist nicht von einer Kernmembran umgeben; dennoch bildet sie eine räumlich begrenzte Struktur im Cytoplasma, die als Nukleoid bezeichnet wird (▶ Abb. 6.1). Es handelt sich dabei um ein dichtes Knäuel, in dem die DNA als überspiralisierte Superhelix vorliegt. Ohne diese Überspiralisierung könnten Chromosomen mit einer Länge im Millimeterbereich nicht in prokaryontischen Zellen mit einer Größe im Mikrometerbereich verpackt werden. Eine wesentliche Rolle bei der Bildung superhelikaler Strukturen spielt das Enzym DNA-Gyrase, eine Typ-II-Topoisomerase. Die DNA-Gyrase verdrillt DNA-Moleküle. Sie bindet an zwei doppelsträngige Bereiche eines DNAMoleküls und legt diese übereinander, führt einen Doppelstrangbruch an einer Stelle ein, an der die beiden Doppelstränge zusammentreffen, zieht den intakten durch

Typ-II-DNA-Topoisomerasen als Angriffsort in der antibakteriellen Therapie

Die Wirkung zahlreicher antibakterieller Therapeutika beruht auf der Hemmung der beiden Typ-II-Topoisomerasen DNA-Gyrase und Topoisomerase IV. Beide Enzyme erzeugen einen Doppelstrangbruch in einem von zwei durch Verdrillen benachbarten DNA-Strängen, ziehen den intakten durch den geöffneten Strang und verschließen den offenen Strang anschließend wieder. Dieser Prozess ist abhängig von ATP. Während die Gyrase für viele Reaktionen an der DNA erforderlich ist, spielt die Topoisomerase IV eine besondere Rolle bei der Decatenierung, d. h. der Trennung der Tochterchromosomen nach der DNA-Replikation. Verschiedene Wirkstoffe verhindern, dass die Doppelstrangbrüche wieder verschlossen werden. Chinolone (z. B. Nalidixinsäure) und Fluorochinolone (z. B. Ciprofloxacin) binden an die DNA-Topoisomerase-Komplexe, während Coumarine (z. B. Novobiocin) die ATP spaltende Aktivität der Topoisomerasen hemmen. In der Folge werden die Bakterien abgetötet.

9

Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie

Abb. 6.1 Struktur des Nukleoids in situ und nach Spreitung. dsDNA, doppelsträngige DNA.

ds-DNA

Proteine Ribosomen Spreitung

structuring protein) und StpA (engl. suppressor of the td phenotype). Zum anderen sorgen – wie in Eukaryonten – SMC-Proteine (engl. für structural maintenance of chromosomes) für die Kondensation des Chromosoms. In Prokaryonten unterscheidet man aufgrund von Sequenzähnlichkeit drei Typen solcher Kondensine: Smc-ScpAB, MukBEF und MksBEF. SMC, MukB und MksB enthalten ABC-ATPase-Domänen und dimerisieren in Gegenwart von ATP. Im Zusammenspiel mit ihren jeweiligen Partnern entstehen DNA-bindende Komplexe, die vermutlich räumlich voneinander getrennte Chromosomenabschnitte verbinden und so die kompakte Struktur erzeugen. Mutationen in den entsprechenden Genen beeinträchtigen nicht nur die räumliche Anordnung des Chromosoms, sondern auch die Segregation der Chromosomen (S. 183) nach der DNA-Replikation, wodurch die Anzahl „kernloser“ (Muk von jap. mukaku für kernlos) Zellen erhöht wird. Histonähnliche Proteine, deren Struktur derjenigen der eukaryontischen H3/H4-Dimere ähnelt, sind unter den Archaebakterien verbreitet. Manche DNA-bindende Proteine aus hyperthermophilen Crenarchaeota-Arten erhöhen den Schmelzpunkt der DNA um etwa 30 °C.

6.2.3 Plasmide Plasmide sind extrachromosomale, zirkuläre oder lineare, fast immer doppelsträngige DNA-Moleküle, die in superspiralisierter Form in der Zelle vorliegen. Die Größe natürlicher Plasmide liegt zwischen etwa 1 und weit mehr als 1000 kb. Auch die Kopienzahl in der Zelle variiert plasmidspezifisch stark und kann zwischen 1 und 100 Kopien liegen. Die Unterscheidung sehr großer Plasmide von Chromosomen ist manchmal schwierig. Üblicherweise werden derartige DNA-Moleküle als Plasmide bezeichnet, wenn sie keine Gene enthalten, die für das Überleben des Organismus notwendig sind. Trotz essenzieller Gene werden große Replikons (replizierende DNA-Moleküle) manchmal als Plasmide klassifiziert, wenn die Initiation ihrer Replikation auf spezielle, plasmidcodierte Replikationsproteine angewiesen ist. Plasmide, die in geringer Kopienzahl in der Zelle vorliegen, steuern durch plasmidco-

180

dierte Proteine die Initiation ihrer Replikation; sie sorgen aber auch für ihre gleichmäßige Verteilung während der Zellteilung, sodass sie stabil in einer Zellpopulation erhalten bleiben. Es gibt Plasmide, die nicht gleichzeitig mit anderen Plasmiden in einer Zelle coexistieren können. Diese Inkompatibilität beruht auf Plasmidgenen (inc, für engl. incompatible), die an der Kontrolle der Kopienzahl beteiligt sind. Plasmide, die sich gegenseitig ausschließen, sind verwandt und zählen zu derselben Inkompatibilitätsgruppe. Plasmide können ihren Wirtszellen sehr unterschiedliche Eigenschaften verleihen. Konjugative Plasmide veranlassen ihren Wirt, die Plasmid-DNA durch direkten Zell-zu-Zell-Kontakt auf eine Empfängerzelle zu übertragen. Dieser mit dem Begriff Konjugation (S. 196) bezeichnete DNA-Transfer ist replikativ, d. h. beide Zellen besitzen am Ende eine Kopie desselben Plasmids. In Prokaryonten sind fakultative Stoffwechselleistungen häufig plasmidcodiert. Dazu zählen die Nutzung anorganischer Substanzen (Lithotrophie) als alternative Energiequellen oder der Abbau schwer verdaulicher organischer Metabolite, wie aliphatische Kohlenwasserstoffe oder aromatische Verbindungen. Der Verlust des entsprechenden Plasmids bedeutet demnach für den Wirt den Verlust der Fähigkeit, lithotroph zu wachsen oder – im Falle der organischen Metabolite – die jeweiligen Verbindungen als Kohlenstoff- und Energiequelle zu nutzen. Viele Plasmide enthalten Resistenzgene, die Resistenz gegen Antibiotika oder Schwermetalle vermitteln. Die von diesen Genen codierten Resistenzproteine können Antibiotika chemisch modifizieren (z. B. durch Acetylierung, Adenylylierung, Phosphorylierung von Aminoglykosiden oder Spaltung des β-Lactamrings von Penicillinen) oder antibiotisch oder toxisch wirkende Substanzen (z. B. Tetrazyklin, Schwermetalle) exportieren. Plasmide spielen eine wesentliche Rolle bei symbiontischen und pathogenen Interaktionen zwischen Bakterien und Eukaryonten. Dazu zählen die symbiontische Stickstofffixierung, an der Rhizobien und Leguminosen beteiligt sind, die Induktion von Tumoren in Pflanzen durch Agrobacterium-Arten und zahlreiche virulente Interaktionen zwischen Bakterien und Säugetieren. Viele

6.3 Weitergabe genetischer Information: DNA-Replikation human- und tierpathogene Bakterien produzieren plasmidcodierte Toxine, z. B. Adhäsine zur Anheftung an Gewebe, oder Hämolysine, die Erythrocyten auflösen. Yersinia-Arten, zu denen auch der Erreger der Pest (Y. pestis) (S. 668) zählt, synthetisieren ein plasmidcodiertes Proteinexportsystem, das zur Injektion von Proteinen in Phagocyten und deren Inaktivierung bzw. Abtötung dient. Bacteriocine sind von Bakterien ribosomal produzierte, antibiotisch wirksame Peptide, deren Biosynthese häufig plasmidcodiert ist. Die Col-Plasmide von E. coli codieren verschiedene Bacteriocine (Colicine), die verwandte Bakterien durch unterschiedliche Mechanismen abtöten. Manche Colicine bilden Kanäle in der Zellmembran, andere spalten DNA oder ribosomale RNA. Nisin A, ein Baceriocin aus der Gruppe der Lantibiotika, wird von Milchsäurebakterien synthetisiert. Es tötet andere Bakterien ab, indem es deren Zellwandsynthese inhibiert und Poren in der Cytoplasmamembran bildet. Resistenz gegen Nisin A ist häufig plasmidcodiert.

6.3 Weitergabe genetischer Information: DNA-Replikation Die Aufgabe der DNA-Replikation besteht darin, die Reihenfolge der Nukleotidbausteine in DNA-Molekülen nach dem Prinzip der komplementären Basenpaarung exakt zu kopieren. Diese Aufgabe erledigen spezielle Enzyme, die DNA-Polymerasen. Der Mechanismus der DNA-Replikation ist semikonservativ, d. h. die Elternstränge eines DNAMoleküls werden voneinander getrennt und jeweils wieder zum Doppelstrang vervollständigt. Jedes der beiden doppelsträngigen Tochtermoleküle enthält je einen Strang der Eltern-DNA und einen neusynthetisierten Strang. Diesen semikonservativen Replikationsmechanismus haben 1957 M. Meselson und F. Stahl durch Isotopenmarkierungsexperimente bewiesen.

plikation linearer, prokaryontischer DNA-Moleküle entstehen Doppelstränge mit überhängenden 3’-Enden. Die Synthese der fehlenden Sequenz an den Enden der Gegenstränge wird durch Proteinprimer initiert, die kovalent an die 5’-Enden der DNA gebunden werden.

6.3.2 Reaktionen an der Replikationsgabel Die Replikation des zirkulären Chromosoms von E. coli beginnt mit der Bindung eines Initiatorproteins (DnaA) an einen spezifischen Ort auf dem DNA-Molekül, dem Replikationsursprung (engl. origin of replication, oriC). Der oriC umfasst einen Bereich von etwa 250 bp. Mithilfe des Proteins DnaC wird eine spezifische Helikase (DnaB) angelagert, die unter ATP-Verbrauch die Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den beiden Strängen löst. Als nächstes wird der RNA-Primer synthetisiert. Mit fortschreitender Replikation wandert die sogenannte Replikationsgabel am Chromosom entlang. Man spricht von θ-förmiger Replikation, da die Replikation ausgehend vom oriC in beide Richtungen erfolgt und die Struktur an den griechischen Buchstaben Theta erinnert. Sie endet gegenüberliegend am Terminator. Deshalb gibt es 2 Replikationsgabeln. Die Terminatorregion enthält 10 etwa 21 bp lange Abschnitte (ter), die auf etwa 2,8 kb verteilt sind und die Bindestellen für das Tus-Protein (engl. für terminator-utilization substance) darstellen. Je nach Orientierung der 10 ter-Sequenzen, 5 in der einen und 5 in der gegenläufigen Orientierung, werden die 2 aufeinander zu wandernden Replikationskomplexe hier gestoppt. Die einzelnen Reaktionen an einer Replikationsgabel sind in ▶ Abb. 6.2 schematisch gezeigt. Nach der Entwindung der DNA durch die Helikase werden die einzelsträngigen Bereiche durch einzelstrangbindende Proteine

5' 3'

6.3.1 DNA-Polymerasen In E. coli existieren mindestens fünf DNA-Polymerasen, von denen unter normalen Bedingungen jedoch hauptsächlich die DNA-Polymerase III, und in geringerem Maß die DNA-Polymerase I, an der Replikation beteiligt sind. Die DNA-Polymerasen II, IV und V (S. 188) werden für die Reparatur beschädigter DNA benötigt. Alle bisher bekannten DNA-Polymerasen arbeiten ausschließlich in einer Richtung. Sie knüpfen Esterbindungen zwischen dem α-Phosphatrest eines 2’-Desoxynukleosid-5’-triphosphats und der 3’-OH-Gruppe des vorigen Nukleotids, wobei Pyrophosphat abgespalten wird. DNA-Polymerasen verlängern DNA-Stränge demnach immer in 5’–3’Richtung und sind auf einen Primer angewiesen, an den das erste Nukleotid angeheftet werden kann. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um ein kurzes Stück RNA, das im späteren Verlauf wieder entfernt wird. Bei der Re-

β2-Ringklemme

Primase Helikase

SSB

POL III Beladungskomplex Rückwärtsstrang RNA-Primer

3' 5'

Vorwärtsstrang

5' 3' Abb. 6.2 Reaktionen an der Replikationsgabel. SSB, einzelstrangbindendes Protein. Die gestrichelte Linie deutet an, das ein und derselbe Beladungskomplex die Ringklemmen an beiden Strängen anbringt.

1

6.3 Weitergabe genetischer Information: DNA-Replikation human- und tierpathogene Bakterien produzieren plasmidcodierte Toxine, z. B. Adhäsine zur Anheftung an Gewebe, oder Hämolysine, die Erythrocyten auflösen. Yersinia-Arten, zu denen auch der Erreger der Pest (Y. pestis) (S. 668) zählt, synthetisieren ein plasmidcodiertes Proteinexportsystem, das zur Injektion von Proteinen in Phagocyten und deren Inaktivierung bzw. Abtötung dient. Bacteriocine sind von Bakterien ribosomal produzierte, antibiotisch wirksame Peptide, deren Biosynthese häufig plasmidcodiert ist. Die Col-Plasmide von E. coli codieren verschiedene Bacteriocine (Colicine), die verwandte Bakterien durch unterschiedliche Mechanismen abtöten. Manche Colicine bilden Kanäle in der Zellmembran, andere spalten DNA oder ribosomale RNA. Nisin A, ein Baceriocin aus der Gruppe der Lantibiotika, wird von Milchsäurebakterien synthetisiert. Es tötet andere Bakterien ab, indem es deren Zellwandsynthese inhibiert und Poren in der Cytoplasmamembran bildet. Resistenz gegen Nisin A ist häufig plasmidcodiert.

6.3 Weitergabe genetischer Information: DNA-Replikation Die Aufgabe der DNA-Replikation besteht darin, die Reihenfolge der Nukleotidbausteine in DNA-Molekülen nach dem Prinzip der komplementären Basenpaarung exakt zu kopieren. Diese Aufgabe erledigen spezielle Enzyme, die DNA-Polymerasen. Der Mechanismus der DNA-Replikation ist semikonservativ, d. h. die Elternstränge eines DNAMoleküls werden voneinander getrennt und jeweils wieder zum Doppelstrang vervollständigt. Jedes der beiden doppelsträngigen Tochtermoleküle enthält je einen Strang der Eltern-DNA und einen neusynthetisierten Strang. Diesen semikonservativen Replikationsmechanismus haben 1957 M. Meselson und F. Stahl durch Isotopenmarkierungsexperimente bewiesen.

plikation linearer, prokaryontischer DNA-Moleküle entstehen Doppelstränge mit überhängenden 3’-Enden. Die Synthese der fehlenden Sequenz an den Enden der Gegenstränge wird durch Proteinprimer initiert, die kovalent an die 5’-Enden der DNA gebunden werden.

6.3.2 Reaktionen an der Replikationsgabel Die Replikation des zirkulären Chromosoms von E. coli beginnt mit der Bindung eines Initiatorproteins (DnaA) an einen spezifischen Ort auf dem DNA-Molekül, dem Replikationsursprung (engl. origin of replication, oriC). Der oriC umfasst einen Bereich von etwa 250 bp. Mithilfe des Proteins DnaC wird eine spezifische Helikase (DnaB) angelagert, die unter ATP-Verbrauch die Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den beiden Strängen löst. Als nächstes wird der RNA-Primer synthetisiert. Mit fortschreitender Replikation wandert die sogenannte Replikationsgabel am Chromosom entlang. Man spricht von θ-förmiger Replikation, da die Replikation ausgehend vom oriC in beide Richtungen erfolgt und die Struktur an den griechischen Buchstaben Theta erinnert. Sie endet gegenüberliegend am Terminator. Deshalb gibt es 2 Replikationsgabeln. Die Terminatorregion enthält 10 etwa 21 bp lange Abschnitte (ter), die auf etwa 2,8 kb verteilt sind und die Bindestellen für das Tus-Protein (engl. für terminator-utilization substance) darstellen. Je nach Orientierung der 10 ter-Sequenzen, 5 in der einen und 5 in der gegenläufigen Orientierung, werden die 2 aufeinander zu wandernden Replikationskomplexe hier gestoppt. Die einzelnen Reaktionen an einer Replikationsgabel sind in ▶ Abb. 6.2 schematisch gezeigt. Nach der Entwindung der DNA durch die Helikase werden die einzelsträngigen Bereiche durch einzelstrangbindende Proteine

5' 3'

6.3.1 DNA-Polymerasen In E. coli existieren mindestens fünf DNA-Polymerasen, von denen unter normalen Bedingungen jedoch hauptsächlich die DNA-Polymerase III, und in geringerem Maß die DNA-Polymerase I, an der Replikation beteiligt sind. Die DNA-Polymerasen II, IV und V (S. 188) werden für die Reparatur beschädigter DNA benötigt. Alle bisher bekannten DNA-Polymerasen arbeiten ausschließlich in einer Richtung. Sie knüpfen Esterbindungen zwischen dem α-Phosphatrest eines 2’-Desoxynukleosid-5’-triphosphats und der 3’-OH-Gruppe des vorigen Nukleotids, wobei Pyrophosphat abgespalten wird. DNA-Polymerasen verlängern DNA-Stränge demnach immer in 5’–3’Richtung und sind auf einen Primer angewiesen, an den das erste Nukleotid angeheftet werden kann. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um ein kurzes Stück RNA, das im späteren Verlauf wieder entfernt wird. Bei der Re-

β2-Ringklemme

Primase Helikase

SSB

POL III Beladungskomplex Rückwärtsstrang RNA-Primer

3' 5'

Vorwärtsstrang

5' 3' Abb. 6.2 Reaktionen an der Replikationsgabel. SSB, einzelstrangbindendes Protein. Die gestrichelte Linie deutet an, das ein und derselbe Beladungskomplex die Ringklemmen an beiden Strängen anbringt.

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Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie (SSBs; engl. single strand binding proteins) stabilisiert. Die Primase (DnaG) synthetisiert die RNA-Primer, die meist kürzer als 10 Nukleotide sind. Diese Primer werden durch die DNA-Polymerase III verlängert; das Enzym verrichtet die Hauptarbeit bei der Replikation und wird deshalb auch als Replikase bezeichnet. Die RNA-Primer werden schließlich durch RNaseH oder die DNA-Polymerase I entfernt und die entstehenden Lücken durch letztere aufgefüllt. Die DNA-Ligase schließt das Zuckerphosphatrückgrat der DNA. Die wandernde Replikase erzeugt voraus eine erhebliche Torsionsspannung durch positive Überspiralisierung. Diese wird durch die Gyrase kontinuierlich vermindert. Die Replikation des gesamten Chromosoms dauert in E. coli etwa 40 min; jede der beiden Replikationsgabeln muss 1000 Nukleotide pro Sekunde einbauen. Noch bevor die Replikation eines Chromosoms vollständig ist, beginnt bei schnell wachsenden Zellen bereits die nächste Replikationsrunde. Dieser Befund erklärt, warum sich E.-coli-Zellen unter optimalen Bedingungen alle 20– 30 Minuten teilen können, obwohl eine Replikationsrunde der chromosomalen DNA fast doppelt so lange dauert.

Ein wesentliches Problem der DNA-Replikation ist in ▶ Abb. 6.2 angedeutet. Beim Fortschreiten der Replikationsgabel kann die DNA-Polymerase III nur einen der beiden Stränge kontinuierlich replizieren, nämlich den Strang, bei dem die Neusynthese von 5’ nach 3’ erfolgen kann. Dieser kontinuierlich neusynthetisierte Strang wird als Vorwärts- oder Leading-Strang bezeichnet. Die Replikation des zweiten, gegenläufigen Stranges wird von demselben Replikasekomplex katalysiert. Da die Polymerisation nur in 5’–3’-Richtung erfolgen kann, muss der Rückwärts- oder Lagging-Strang diskontinuierlich synthetisiert werden. Die dabei entstehenden Stücke werden nach ihrem Entdecker als Okazaki-Fragmente bezeichnet und bestehen bei Bakterien aus 1000–2000 Nukleotiden. Die einzelnen Okazaki-Fragmente werden dann durch die DNA-Ligase zu einer langen Kette verknüpft. Aufbau und Funktionsweise der DNA-Polymerase III werden in Plus 6.3 näher erläutert. Wesentlich einfacher aufgebaut ist die DNA-Polymerase I. Sie besteht aus einer einzelnen Untereinheit, die drei funktionelle Domänen enthält: die DNA-Polymerase, die 5’–3’-Exonuklease und 3’–5’-Exonuklease. Die 5’–3’Exonukleaseaktivität entfernt die RNA-Primer während

●V

Plus 6.3 Replikation durch DNA-Polymerase III Wie alle zellulären DNA-Replikasen ist die DNA-Polymerase III aus den drei Komponenten DNA-Polymerase, β-Ringklemme und einem Beladungskomplex für die Klemme (engl. clamp loader complex) zusammengesetzt (▶ Abb. 6.3). Der Polymeraseanteil (Pol III) besteht aus je einer Kopie der Untereinheiten α, ε, und θ und ist im Holoenzym in 2 Exemplaren enthalten, eines für die Synthese des Vorwärtsund eines für die Synthese des Rückwärtsstrangs. Homodimere β-Ringklemmen werden vom Beladungskomplex am 3’-Ende der Primer aufgeladen und stehen dann in direktem räumlichen Kontakt mit dem Pol-III-Anteil. Die Ringklemme ist für die hohe Prozessivität der DNA-Polymerase III verantwortlich. Damit ist die Eigenschaft des Replikasekomplexes gemeint, die Kettenverlängerung kontinuierlich fortzusetzen, ohne von der Matrize abzufallen. Der Beladungskomplex besteht aus den Untereinheiten γτ2δδ’χΨ. Interessanterweise sind γ und τ in E. coli die Produkte eines einzigen Gens (dnaX). Das kleinere Protein (γ) entsteht durch vorzeitigen Abbruch der Translation. Auch ohne γ-Protein werden funktionelle Beladungskomplexe gebildet. τ ist jedoch essenziell, da es den Kontakt zur Pol III und der DnaB-Helikase herstellt. Für die Synthese des Vorwärtsstrangs ist nur ein RNA-Primer und die einmalige Beladung der DNA mit einer Ringklemme erforderlich. Die Ringklemme bewegt sich mit der Pol III in die gleiche Richtung wie die Replikationsgabel. Die Synthese des Rückwärtsstrangs verläuft komplizierter. Die

182

RNA-Primer

DnaG Primase

SSB χ ψ

DnaB Helikase

αεθ

δ' δ τ γ αεθ

τ

RNA-Primer β

Abb. 6.3 Struktur der DNA-Polymerase III und Aktivität der beiden Pol-III-Enzyme. Die DNA-Polymerase III synthetisiert zugleich am Vorwärts- und am Rückwärtsstrang der DNA. Erklärung siehe Text.

Matrize legt sich schleifenförmig so um das Enzym, dass das zu verlängernde Ende der DNA in das aktive Zentrum der zweiten Pol III gelangt. Nach Synthese des jeweiligen Okazaki-Fragments verlassen Pol III und Ringklemme die DNA und die Pol III nimmt Kontakt mit der nächsten Ringklemme auf. An diesem Strang müssen ständig neue Primer synthetisiert und Ringklemmen aufgeladen werden.

6.3 Weitergabe genetischer Information: DNA-Replikation der DNA-Replikation. Die 3’–5’-Exonukleaseaktivität besitzt eine Korrekturlesefunktion (engl. proofreading); sie entfernt sofort wieder falsch eingebaute, also nichtkomplementäre Nukleotide. ▶ Fehlerkorrektur.. Die Fehlerkorrektur, das Proofreading, ist ein Kennzeichen vieler DNA-Polymerasen und ein entscheidender Grund für die außerordentlich niedrige Fehlerhäufigkeit bei der DNA-Replikation. In E. coli beträgt die Fehlerhäufigkeit etwa 5 × 10–10 pro Basenpaar und Replikationsrunde. Im DNA-Polymerase-III-Komplex sind die ε-Untereinheiten für das Korrekturlesen verantwortlich.

6.3.3 Segregation von Chromosomen und Plasmiden Chromosomen und Plasmide, die in niedriger Kopienzahl in der Zelle vorkommen, müssen durch spezielle Mechanismen während der Zellteilung auf die Tochterzellen verteilt werden. Entsprechende Segregationsmechanismen sorgen beispielsweise in E. coli dafür, dass bei weniger als 0,06 % der Zellteilungen eine „kernlose“ und damit nicht lebensfähige Zelle entsteht. Die molekularen Details der Segregation von Chromosomen sind nicht völlig verstanden; es werden unterschiedliche passive und aktive Mechanismen diskutiert. Zu den passiven Mechanismen zählt die elektrostatische Abstoßung zwischen hochgradig geladenen DNA-Molekülen nach der Replikation, die zu einer Verteilung der Tochterchromosomen in unterschiedlichen Bereichen der Zelle führt. Nach einem anderen Modell sind die Replikationsgabeln und die zu replizierende DNA im Zentrum in der Zelle angeordnet und die replizierte DNA wird in Richtung der Pole gedrückt. Aktive Segregation wurde zunächst für Plasmide mit niedriger Kopienzahl beschrieben. Hier sorgen die dreiteiligen Partitionierungssyteme ParABS bzw. ParMRC für die gleichmäßige Verteilung; diese Systeme bestehen aus einer ATPase (ParA, ParM), einem DNA-bindenden Protein (ParB, ParR) und einer kurzen Nukleotidfolge auf dem Plasmid (parS, parC). Die parS/C-Regionen sind vergleichbar mit dem Centromer eukaryontischer Chromosomen. Daran binden ParB bzw. ParR. ParM ist ein aktinähnliches Protein, das an die ParR-parC-Nukleoproteinkomplexe bindet und in Gegenwart von ATP zu Filamenten polymerisiert, die der Mitosespindel ähneln. Plasmidkopien werden dadurch miteinander verbunden und durch die Polymerisation von ParM zu den Zellpolen gedrückt. Die Hydrolyse von ATP führt schließlich zur Depolymerisation der Filamente. Wie die Bindung von ParA an ParB-parS die Segregation vermittelt, ist weniger gut verstanden. Bei manchen Plasmiden grampositiver Bakterien wurde ein neuartiges Partitionierungssystem gefunden, das aus der tubulinartigen GTPase TubZ und dem DNA-bindenden Protein TubR besteht.

Viele bakterielle Chromosomen enthalten die Gene für ein ParABS-System. Enterobakterien inklusive E. coli stellen hier eine Ausnahme dar, da ihnen diese Komponente fehlt. Möglicherweise ist in Enterobakterien ein alternativer aktiver Partitionierungsmechanismus verwirklicht. Offensichtlich ist der ParABS-Apparat gerade in Organismen mit einem komplexen Zellzyklus wichtig für die Segregation von Chromosomen. Hierzu zählen der endosporenbildende Bacillus subtilis, der dimorphe Caulobacter crescentus und das hyphenbildende Bakterium Streptomyces coelicolor. Vibrio cholerae vermehrt sich durch normale Querteilung, besitzt also einen einfachen Zellzyklus. Dieser Organismus enthält zwei unterschiedliche Chromosomen mit je einem Satz von parABS. Die Segregation des größeren Chromosoms funktioniert auch ohne dessen ParABS-System, die des kleineren jedoch nicht. MreB-Proteine in stäbchenförmigen Prokaryonten sind homolog zu Aktin. Diese Proteine bilden unter bestimmten Laborbedingungen einem Cytoskelett ähnelnde Filamente, die ebenfalls mit der Segregation von Chromosomen in Zusammenhang gebracht worden sind. Aktuelle Befunde deuten jedoch darauf hin, dass MreB unter natürlichen Bedingungen nur sehr kurze Filamente bildet. Seine hauptsächliche Funktion scheint zu sein, an der Peripherie der Zellen senkrecht zur Längsachse entlangzuwandern und die Zellwandsynthesemaschinerie räumlich zu dirigieren. Diese Funktion bei der Verlängerung der Peptidoglykanketten erklärt, warum MreB-Mutanten keine regulären Stäbchen ausbilden. Einige Plasmide, die in geringer Kopienzahl in der Zelle vorkommen, aber auch manche Chromosomen, sichern ihren Verbleib in der bakteriellen Population zusätzlich durch Toxin-Antitoxin-Systeme (S. 516) geradezu heimtückisch ab. Ein Beispiel stellen die parD-parE-Gene des Plasmids RP4 (Plus 6.13) (S. 200) dar. ParE ist ein langlebiges Protein, das die Aktivität der Gyrase blockiert und somit zum Zelltod führt. ParD komplexiert ParE und verhindert dessen toxische Wirkung. Da ParD kurzlebig ist, kann es seine schützende Funktion nur bei ständiger Neusynthese ausüben. Sofern nun Segregationsfehler zu plasmidfreien Zellen führen, werden diese durch die verbliebenen ParE-Moleküle abgetötet, weil ParD nicht mehr nachgebildet werden kann. Der Mechanismus sorgt dafür, dass plasmidfreie Zellen geringe Überlebenschancen haben und das Plasmid deshalb in der Population erhalten bleibt. Das mit 1,1 Mb kleinere der beiden oben genannten Chromosomen von Vibrio cholerae, auf dem viel weniger essenzielle Gene lokalisiert sind als auf dem ca. 3 Mb großen Chromosom, enthält gleich 13 solcher Toxin-Antitoxin-Systeme.

3

Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie den Nukleotidaustausch eines der drei Stoppcodons TAA, TAG oder TGA, spricht man von Nonsense-Mutationen. Bei einer stummen Mutation wurde eine Base verändert, aber es wird weiterhin dieselbe Aminosäure codiert. Durch Insertionen und Deletionen kann das Leseraster verändert werden (engl. frame shift), wenn dabei eine nicht durch drei teilbare Anzahl von Nukleotiden eingefügt oder entfernt wird. Insertionen mobiler genetischer Elemente (S. 191) verursachen einen weiteren, kleinen Anteil spontaner Mutationen.

6.4 Mutationen und DNAReparatur 6.4.1 Arten von Mutationen Mutationen sind erbliche Veränderungen in der Basensequenz des Genoms. Zellen, bei denen Veränderungen der DNA-Sequenz aufgetreten sind, werden als Mutanten bezeichnet. Sie unterscheiden sich in ihrem Genotyp von den Elternzellen. Mutationen können die äußeren Eigenschaften, den Phänotyp, von Mutanten verändern. Phänotypisch nicht erkennbare Mutationen werden als stumme Mutationen bezeichnet. Bei der überwiegenden Mehrzahl spontaner Mutationen (Plus 6.4) handelt es sich um den Austausch einzelner Nukleotide, der mit einer Häufigkeit von 10–9–10–10 pro Basenpaar und Generation auftreten kann. Ursachen hierfür sind nichtreparierte Replikationsfehler und chemische oder photochemische Reaktionen an Basen, die Fehlpaarungen erleichtern oder erzwingen. Ein geringerer Anteil von Mutationen, die ebenfalls bei der DNA-Replikation entstehen, beruht auf der Deletion oder Insertion mehrerer Nukleotide. Ein einzelner Nukleotidaustausch kann den „Sinn“ (engl. sense) eines Codons in „Unsinn“ (engl. missense) umwandeln, d. h. dazu führen, dass bei der Translation (S. 205) eine falsche Aminosäure in die wachsende Peptidkette eingebaut wird. Folge ist eine Missense-Mutation. Entsteht durch

c

a NH2

O

NH4+

H2O



N O

Die meisten Mutationen entstehen durch chemische Veränderungen von Basen. Beispiele für Reaktionen, die unter natürlichen Bedingungen stattfinden und zu Mutationen führen können, sind in ▶ Abb. 6.4 gezeigt. Cytosin kann spontan hydrolytisch zu Uracil desaminieren. Da Uracil, wie Thymin, mit Adenin eine Basenpaarung eingeht, wird bei der übernächsten Replikationsrunde das ursprüngliche Cytosin durch Thymin ersetzt. Ein derartiger Austausch einer Pyrimidinbase gegen eine andere Pyrimidinbase wird, genauso wie der Austausch Purin gegen Purin, als Transition bezeichnet. Dagegen wird bei einer Transversion ein Purin gegen ein Pyrimidin ausgetauscht oder umgekehrt.

5'

5'

O

O

P

HN N

O

O

6.4.2 Entstehung von Mutationen



O

CH2

N



H2N

HN 1 2

H 2N

6

H N

5

7

3 4

9

N

8

N

8-Oxoguanin

O

P

H N H

O N

H

O 8-Oxoguanin

N

H

N N

Adenin

O

H

N

O H

H

N

H O



O

CH3 O

N

P

H N

N

H

H

O

H H3C

N H Cyclobutanring



O

P

O OH N

O

CH2

N O

H

H

H

H O

–O

O

P

O

O

3'

3'

H O

TT(6-4)-Produkt, ein Pyrimidin(6-4)Pyrimidon (Dewar-Isomer)

Abb. 6.4 Beispiele für natürlich auftretende Basenveränderungen. a Hydrolytische Desaminierung von Cytosin. b Durch Oxidation von Guanin entsteht 8-Oxoguanin, das mit Adenin paaren kann. c UV-induzierte Verknüpfung von Pyrimidinbasen am Beispiel benachbarter Thymine. Cyclobutanringe (75 % der Dimere) und 6–4-Photoprodukte (25 %) sind typische UV-Schäden.

184

CH3

O

H O

H O

O

H O CH3

O

CH2 O

H N

N

H

O

N N

O

O

CH2

H

O

O

H

O

H

Uracil

b

P O

H Cytosin

O

O

6.4 Mutationen und DNA-Reparatur

●V

Plus 6.4 Zufällige oder adaptive Mutationen? Die Frage, ob Mutationen in Bakterien zufällig im Genom auftreten oder als Folge des Anpassungsprozesses an veränderte Umweltbedingungen bestimmte Gene betreffen, wird seit Mitte des letzten Jahrhunderts experimentell untersucht. Dabei zeigte sich, dass bakterielle Resistenzmutanten, die resistent gegen das Antibiotikum Streptomycin (Luria und Delbrück, 1943) oder gegen Bakteriophagen (Lederberg und Lederberg, 1952) sind, unabhängig von der Anwesenheit des selektierenden Agens auftreten und demnach also zufällig und ungerichtet sind. Populationsdynamische Untersuchungen belegen dagegen adaptive Mutationen in bestimmten Genen, die unter Selektionsdruck überproportional häufiger auftreten als ohne Selektion, und die den Mutanten einen Wachstumsvorteil verleihen. Ursache hierfür kann stressinduzierte Hypermutabilität sein, die

beispielsweise durch den mutationsbedingten Ausfall der Fehlpaarungsreparatur (S. 188) oder durch die Überproduktion fehleranfälliger DNA-Polymerasen (Plus 6.6) (S. 188) entstehen kann. Ausgelöst durch die Umweltbedingungen wird die Mutationsrate dadurch zunächst allgemein erhöht. Mutanten mit adaptiven Mutationen, die in der Folge auftreten, setzen sich in der Population durch. Die Fragestellung wurde mit E. coli-Zellen untersucht, die Lactose aufgrund einer definierten Mutation im lac-Operon nicht verwerten können (Lac–). In Gegenwart von Lactose als einziger Kohlenstoff- und Energiequelle war eine deutlich höhere relative Häufigkeit von Lac+-Revertanten zu beobachten als bei Vergleichskulturen, die entweder ohne Zucker inkubiert wurden (und sich deshalb ebenfalls nicht vermehren konnten) oder auf dem verwertbaren Zucker Glucose wuchsen.

●V

Plus 6.5 Hot Spots für Punkt- und Leserastermutationen Man nimmt an, dass die Gefahr von Mutationen durch Desaminierung von Cytosin der Grund ist, warum in der DNA – im Gegensatz zur RNA – Thymin und nicht Uracil verwendet wird. Wäre Uracil ein DNA-Baustein, könnten Reparaturmechanismen kaum zwischen richtigen Uracilbasen und solchen, die durch Desaminierung von Cytosin entstanden sind, unterscheiden. Problematisch ist deshalb die Desaminierung von 5-Methylcytosin, die drei- bis vierfach häufiger als die von Cytosin erfolgt, und in deren Folge Thymin entsteht. Thymin ist ein normaler DNA-Baustein und wird deshalb nicht als falsche Base erkannt. In Prokaryonten existieren verschiedene Mechanismen, die zur Methylierung bestimmter Cytosinbasen führen. Beispiele sind die Methyltransferasen von Restriktions- und Modifikationssystemen (S. 202) und die DcmMethyltransferase in E. coli, die den zweiten Cytosinrest in CC(A oder T)GG-Folgen methyliert. Tatsächlich hat man

gefunden, dass an solchen Positionen, die als Hot Spots bezeichnet werden, überproportional häufig C→T-Transitionen auftreten. Hot Spots für spontane Leseraster-(FrameShift-)Mutationen sind Bereiche mit Sequenzwiederholungen. ▶ Abb. 6.5 zeigt einen kurzen Abschnitt doppelsträngiger DNA, der die Aminosäuresequenz Met-Arg-Ala-Arg-ValThr-Asp codiert und fünf direkte Wiederholungen der Basen C und G enthält. Weist einer der beiden DNA-Stränge in einem solchen Abschnitt Lücken auf, beispielsweise im Bereich der Replikationsgabel oder bei Reparaturprozessen, dann können nach einem Modell von Streisinger und anderen (1966) einzelne Nukleotide verrutschen und kurze, extrahelikale Bereiche entstehen. Bei der Replikation und durch Auffüllen von Lücken kann das zur Deletion oder Insertion von Nukleotiden führen, wodurch Missense- und Nonsense-Mutationen entstehen.

Abb. 6.5 Leserastermutationen in der Nähe von Sequenzwiederholungen. Durch kurze, extrahelikale, doppelsträngige Bereiche werden bei der Replikation einzelne Basen inseriert oder auch deletiert.

Met Arg Ala Arg Val Thr Asp A T G CGC GCG CGC G T A A C T GA C T A C GCG CGC GCG C A T T GA C T G

C G G C A T G C GC GCG T AA C T G A C T AC G C G CGC A T T GA C T G

Deletion von 4 Nukleotiden

A T G CGC GCG CGC G T A A C T A T C T A C GCG CGC GCG CA T T GA C T G C G

Replikation des unteren Stranges führt zu

Insertion von 2 Nukleotiden

Met Arg Ala Stopp

Met Arg Ala Arg Ala Stopp

A T G CGC GCG T AA C T G A C

A T G CGC GCG CGC GCG T A A C T G A C

T A C GCG CGC A T T GA C T G

T A C GCG CGC GCG CGC A T T GA C T G

5

Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie Die Rate der Desaminierung von Cytosin in DNA wurde experimentell bei verschiedenen pH-Werten und Temperaturen untersucht. Die Halbwertszeit einer Cytosinbase unter physiologischen Bedingungen beträgt 30 000 Jahre in doppelsträngiger DNA bzw. 200 Jahre in einzelsträngiger DNA. Diese Zeitspannen mögen lang erscheinen. Berücksichtigt man jedoch, dass die Zahl der Cytosinbasen im Genom einer einzelnen Zelle in den Millionenbereich geht, dann wird offensichtlich, dass in der spontanen Desaminierung von Cytosin ein beträchtliches mutagenes Potenzial liegt (Plus 6.5). Prokaryonten und Eukaryonten besitzen jedoch einen wirkungsvollen Reparaturmechanismus. Uracil wird als falscher Baustein erkannt und durch die Uracil-DNA-Glykosylase aus der DNA entfernt, wobei eine sogenannte AP-Stelle entsteht. Mit „AP“ ist in diesem Fall Apyrimidin gemeint, „AP“ wird aber auch für Apurin benutzt. Anschließend wird der Desoxyribosephosphatrest entfernt, sodass eine Lücke von einem Nukleotid entsteht. Diese Lücke wird durch die DNA-Polymerase I und die DNA-Ligase wieder geschlossen. Oxidative Schäden an der DNA werden hauptsächlich durch Hydroxylradikale hervorgerufen. Der wichtigste oxidative Schaden ist die Umwandlung von Guanin in 8Oxoguanin (genauer: 8-Oxo-7,8-dihydroguanin, 8-OxoG). Davon betroffen sind Guaninbasen in der DNA, aber auch im zellulären Nukleotidpool. 8-Oxoguanin kann mit Adenin Basenpaarung eingehen (▶ Abb. 6.4) und verursacht deshalb G→T-Transversionen. Wir werden später (S. 189) Reparaturmechanismen besprechen, die 8-OxoG aus der DNA herausschneiden oder bereits im Vorfeld 8-OxodGTP aus dem Nukleotidpool entfernen. So kann das beschädigte Nukleotid nicht in die DNA eingebaut werden. Ultraviolettes Licht kann eine Reihe von Veränderungen an der DNA verursachen. Am häufigsten sind kovalente Verknüpfungen zwischen direkt benachbarten Pyrimidinen (▶ Abb. 6.4). Charakteristische UV-Schäden sind Cyclobutanringe zwischen zwei Pyrimidinen und, seltener, die Bildung von Pyrimidin-(6–4)-Pyrimidon-Photoprodukten. Insbesondere die 6–4-Photoprodukte verzerren die DNA-Struktur und verhindern die Replikation. Auch für Pyrimidindimere gibt es Reparaturmechanismen, um die Schäden zu beheben. Durch fehlerhafte Replikation an solchen Stellen können allerdings auch Mutationen entstehen (Plus 6.6) (S. 188).

Tab. 6.1 Beispiele für Mutagene und ihre Wirkung. Mutagen

Struktur

Wirkung

Basenanaloga 5-Bromuracil (5-BU)

Thyminanalogon paart mit Guanin Transitionen

O Br

HN O

N H

2-Aminopurin (2-AP)

N H

N

H2N

Adeninanalogon paart mit Cytosin Transitionen

N

N

Basenveränderung salpetrige Säure

HNO2

Desaminierung von Cytosin und Adenin Transitionen

Hydroxylamin

NH2OH

Hydroxylierung von Cytosin Transitionen

Ethylmethansulfonat (EMS)

CH3SO3CH2CH3

Alkylierung von Basen Transitionen

N-Methyl-N’nitro-N-nitrosoguanidin (MNNG)

Alkylierung von Basen Transitionen

NH O N

N

C

N H

CH3

NO2

interkalierende Agenzien Akridinorange

CH3 H 3C

N

CH3 N

N

CH3

Fehler bei der Replikation Insertion oder Deletion einzelner Nukleotide Leserastermutationen

Ethidiumbromid H2N

NH2 Br –

N CH2

CH3

Strahlung ultraviolette(UV-)Strahlung Röntgen-/γStrahlung

UV-B (280–320 nm) UV-C (100–280 nm)

Pyrimidindimere Fehler bei der Reparatur Fehler bei der Reparatur von Einzelstrangbrüchen Doppelstrangbrüche

Mutagene Verbindungen Die Häufigkeit von Mutationsereignissen kann durch die Behandlung der Zellen mit mutagenen Agenzien erhöht werden. Als Mutagene können chemische und physikalische Mittel eingesetzt werden. Einige Beispiele für solche Mittel sind in ▶ Tab. 6.1 zusammengefasst und werden nachfolgend kurz erläutert. Ein klassisches Verfahren zur Prüfung von Chemikalien auf ihre Mutagenität ist der von B. Ames entwickelte Test (Methode 6.1).

186

Basenanaloga sind strukturell mit normalen Purinund Pyrimidinbasen verwandte Verbindungen, die von den Zellen aufgenommen und bei der Replikation in die DNA eingebaut werden. 5-Bromuracil (5-BU) ist ein Thyminanalogon. Das Bromatom anstelle einer Methylgruppe verschiebt das Keto-Enol-Tautomerie-Gleichgewicht, weshalb 5-BU häufiger als Thymin zur Enolform tautomerisiert. Die Enolform paart mit Guanin, sodass bei

6.4 Mutationen und DNA-Reparatur

d ●

Methode 6.1 Ames-Test Diesen Mutagenitätstest entwickelte Bruce Ames. Histidinbedürftige Mutanten von Salmonella Typhimurium, die Punkt- oder Leserastermutationen tragen, werden mit der zu prüfenden Substanz gemischt und auf Mineralagar ausplattiert, der nur Spuren der Aminosäure Histidin enthält (▶ Abb. 6.6). Mutagene Agenzien können Rückmutationen in den Histidin-Biosynthesegenen und damit Prototrophie bewirken. Die Anzahl der Revertanten in Abhängigkeit von der Konzentration der Testverbindung gibt Aufschluss über deren mutagene Wirkung. Viele für Säuger mutagene Verbindungen entstehen erst im Organismus (häufig in der Leber) durch oxidative Umwandlungen von sogenannten Promutagenen, die selbst kein oder nur geringes mutagenes Potenzial besitzen. Durch Vorbehandlung der zu testenden Substanzen mit der Mikrosomenfraktion aus Rattenleber oder Hefezellen, in der oxidierende Enzyme enthalten sind, werden viele promutagene Substanzen zu Mutagenen oxidiert. Erst durch die

der DNA-Replikation A→G-Transitionen entstehen. Der Einbau des Adeninanalogons 2-Aminopurin in die DNA bewirkt T→C-Transitionen. Die chemische Modifikation von Basen in der DNA kann ebenfalls zu veränderten Paarungseigenschaften und damit zum Nukleotidaustausch führen. A→G- und C→T-Transitionen entstehen als Folge der Desaminierung von Adenin und Cytosin durch Nitrit in saurem Milieu. Die Hydroxylierung von Cytosin durch Hydroxylamin führt ebenfalls zu Transitionen (G→A). Alkylierende Agenzien wie Ethylmethansulfonat (EMS) und N-Methyl-N’-nitro-N-nitrosoguanidin (MNNG, ein Diazomethanvorläufer) können Ethyl- oder Methylgruppen an unterschiedlichen Positionen in Nukleotiden anheften und deren Basenpaarungseigenschaften ändern. Beispielsweise paaren O6-Methylguanin und Thymin, sowie O4-Methylthymin und Guanin. In beiden Fällen entstehen bei der DNA-Replikation Transitionen. Akridinorange, Ethidiumbromid und Actinomycin D sind makrozyklische Verbindungen, die sich zwischen einzelne Basenpaare in den DNA-Doppelstrang schieben (interkalieren) und Prozesse wie die Replikation und die Transkription behindern.

6.4.3 Selektion von Mutanten Mutanten mit definierten Genveränderungen waren und sind ein wichtiges Werkzeug der Genetik, um beispielsweise die Funktion von Genprodukten im Stoffwechsel aufzuklären. Die Erzeugung von Mutanten und die Charakterisierung dieser Mutanten sind selbst bei einem so gut untersuchten Bakterium wie Escherichia coli weiter-

Rattenleberhomogenat oder Hefemikrosomen Testverbindung

Testplatte

Indikatorbakterien

Kontrollplatte (ohne Testverbindung)

Abb. 6.6 Ames-Test. Nach einer Inkubationszeit sind auf der Testplatte mehr Kolonien der Indikatorbakterien gewachsen, als auf der Kontrollplatte. Das weist auf mutagene Eigenschaften der Testsubstanz hin, die zu Rückmutationen geführt haben.

Vorbehandlung gibt sich das mutagene Potenzial von Promutagenen im Ames-Test zu erkennen.

hin erforderlich, da die Funktion von etwa einem Viertel seiner Gene nach wie vor unbekannt ist. Prinzipiell können alle Eigenschaften eines Bakteriums durch Mutationen geändert werden. Die Veränderungen können für die Mutanten von Vorteil, nachteilig oder sogar letal sein. In der Praxis werden mutagene Agenzien in einer Dosis eingesetzt, die ca. 90 % aller Zellen abtötet. So ist gewährleistet, dass viele der überlebenden Zellen auch eine Mutation tragen. Vorteilhaft können beispielsweise Mutationen sein, die zu Resistenzen gegenüber Antibiotika oder Phagen führen. Solche Mutanten können durch positive Selektion isoliert werden. In Gegenwart des Antibiotikums oder Bakteriophagen können sich innerhalb der Population nur die resistenten Mutanten vermehren, während die Wildtypzellen inhibiert oder abgetötet werden. Die Selektion auxotropher Mutanten, die bedürftig für bestimmte Nährstoffe geworden sind, ist schwieriger. Für die Anreicherung derartiger Mutanten werden häufig negative Selektionsverfahren eingesetzt. Diese beruhen darauf, dass viele Antibiotika (z. B. Penicilline) zwar wachsende Zellen abtöten, ruhende Zellen aber nur wenig oder überhaupt nicht beeinträchtigen. Unter Bedingungen, die dem Wildtyp, aber nicht den Auxotrophen, Wachstum ermöglichen, führt das Antibiotikum zur Anreicherung der auxotrophen Mutanten, da viele Wildtypzellen abgetötet werden. Nach mehrmaliger Wiederholung dieses Verfahrens wird das Antibiotikum aus der Zellsuspension ausgewaschen und geeignete Verdünnungen werden auf Vollmedium ausplattiert. Nach Übertragung einzelner Kolonien auf Voll- und Mineralmedium (Replica Plating) können auxotrophe Mutanten identifiziert werden.

7

Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie Mutationen in essenziellen Genen lassen sich nicht ohne weiteres gewinnen, da sie letal sind. Oft ist es jedoch möglich, Mutationen zu erzeugen, die nur unter bestimmten Bedingungen zum Ausfall eines unerlässlichen Genprodukts führen; man spricht von konditional letalen Mutationen. Meistens handelt es sich dabei um Mutationen, die zu einem temperatursensitiven Genprodukt führen, das z. B. bei niedriger Temperatur aktiv, bei höherer Temperatur jedoch instabil und damit inaktiv ist. Ortsspezifische Mutagenese ist ein Verfahren, durch das einzelne Mutationen an definierten chromosomalen Positionen erzeugt werden können (vgl. auch KnockoutMutanten (S. 223).

6.4.4 DNA-Reparatur Im vorherigen Abschnitt haben wir verschiedene Mechanismen kennengelernt, die zur Entstehung von Mutationen führen können. Einerseits sind Mutationen die Grundlage der Evolution, andererseits würden unkontrollierte Veränderungen in genomischer DNA die Weitergabe von Merkmalen über Generationen hinweg nahezu unmöglich machen. In ▶ Tab. 6.2 sind am Beispiel von E. coli einige wichtige DNA-Reparaturmechanismen zusammengefasst, die wesentlich zur Genomstabilität beitragen. Für viele dieser Enzyme gibt es entsprechende Gegenstücke in anderen Prokaryonten und auch in Eukaryonten.

Plus 6.6 SOS-Antwort

●V

Die sogenannte SOS-Antwort stellt eine besondere Reaktion von Bakterien auf Strahlenschäden und unförmige Basenaddukte dar, die die DNA-Replikation behindern und dadurch längere Einzelstrangbereiche entstehen lassen. Einzelsträngige Bereiche sind das Substrat für das RecA-Protein, das eine wesentliche Rolle bei der homologen Rekombination spielt. RecA besitzt jedoch mehrere weitere Funktionen: In Gegenwart von einzelsträngiger DNA aktiviert es die proteolytische Spaltung mehrerer Proteine, wozu auch der LexA-Repressor zählt. In E. coli wird dadurch die durch LexA vermittelte Repression von mindestens 43 Genen aufgehoben, darunter sind Gene für die DNA-Polymerasen II, IV und V. Die Kopienzahl der drei Polymerasen steigt hierdurch jeweils etwa um das Zehnfache an. Diese drei DNA-Polymerasen replizieren auch beschädigte DNA, im Falle der DNA-Polymerasen IV und V allerdings um den Preis häufiger Fehlpaarungen (engl. error-prone repair). RecA ist zudem direkt verantwortlich für die Aktivierung der DNA-Polymerase V.

188

Reparatur von Fehlpaarungen Obwohl DNA-Polymerasen eine Korrekturlesefunktion zur Vermeidung von Fehlern bei der Replikation besitzen, ist dieser Prozess nicht völlig fehlerfrei; er hinterlässt einzelne Fehlpaarungen (engl. mismatches) und erfordert deshalb eine postreplikative Korrektur. In prokaryontischen und eukaryontischen Zellen existieren MismatchReparatursysteme, die MutS und MutL als die wesentlichen Komponenten enthalten. Prokaryontische MutSProteine sind Homodimere, die eine ATP-Bindekassette enthalten. Nach Erkennung einer Fehlpaarung bindet MutS ATP und lagert sich als eine Art Klemme um die fehlerhafte DNA-Region. An diesen Komplex wird das MutLProtein gebunden, das Endonukleaseaktivität besitzt. Ein kurzer einzelsträngiger Bereich, der das fehlgepaarte Nukleotid enthält, wird unter Beteiligung von Exonukleasen entfernt und durch Reparatursynthese ersetzt. Durch die DNA-Ligase wird der Strang wieder kovalent geschlossen. Ein wesentliches Problem der Fehlpaarungsreparatur besteht in der Unterscheidung zwischen dem Matrizenstrang, der das richtige Nukleotid enthält, und dem gerade neu synthetisierten Strang mit dem Fehleinbau. Die βRingklemme der DNA-Polymerase, mit der MutL in Kontakt steht, spielt bei der Strangselektion eine wichtige Rolle. In Enterobakterien (zu denen E. coli zählt) und einigen anderen Bakterien aus der Gruppe der Gammaproteobakterien enthält das Mismatch-Reparatursystem zusätzlich zu MutS und MutL die Proteine MutH und Dam (DNAAdenin-Methyltransferase), welche die Auswahl des zu reparierenden Stranges erleichtern. Dam methyliert in GATC-Folgen in der DNA die 6-Aminogruppe der Adeninreste. Man beachte, dass die zu GATC komplementäre Sequenz in umgekehrter Orientierung ebenfalls GATC lautet. Unmittelbar nach der Replikation liegen GATC-Sequenzen hemimethyliert vor, d. h. der Ausgangsstrang ist methyliert, der neu synthetisierte Strang jedoch noch nicht. Bei Fehlpaarungen in der Nachbarschaft erkennt das MutHLS-System den nichtmethylierten als den neuen und damit fehlerhaften Strang. MutS bindet an den Mismatch und im Zusammenspiel mit MutL spaltet die MutH-Endonuklease das Zuckerphosphatrückgrat des nichtmethylierten Stranges. Durch verschiedene Exonukleasen und anschließende Neusynthese wird der Fehler repariert. Wie bereits weiter oben erwähnt, werden in E. coli die beiden inneren Cytosinreste in CC(A/T)GG-Folgen durch die Dcm-Methyltransferase zu 5-Methylcytosin alkyliert, wodurch Hot Spots (Orte erhöhter Mutationshäufigkeit) für C→T-Transitionen entstehen. Im Zusammenspiel mit MutS und MutL entfernt die Endonuklease Vsr (engl. very short patch repair) das fehlgepaarte T. Ung und MutY sind DNA-Glykosylasen, die Uracil- und Adeninnukleotide aus G/U- bzw. G/A- und C/A-Paarungen abspalten.

6.4 Mutationen und DNA-Reparatur Tab. 6.2 Reparaturenzyme für beschädigte DNA in Escherichia coli. Enzym

Typ/Funktion

Reaktion an der DNA

DnaQ

ε-Untereinheit der DNA-Polymerase III

entfernt fehlgepaarte Nukleotide während der Replikation durch 3’–5’-Exonuklease-(Proofreading-)Aktivität

MutH, MutS, MutL

Mismatch-Reparatur

erkennt und entfernt bei der Replikation entstandene Fehlpaarungen

Dam

DNA-Adenin-Methyltransferase

methyliert nach der Replikation Adenin in GATC-Folgen an der N6-Position

Vsr

Endonuklease

entfernt T aus G/T-Paaren, die durch spontane Desaminierung von 5-Methylcytosin in CC(A/T)GG-Folgen entstehen

Ung

Uracil-DNA-Glykosylase

entfernt Uracil aus G/U-Paaren, die durch spontane Desaminierung von Cytosin entstehen

MutY

Adenin-DNA-Glykosylase

entfernt Adenin aus A/G- und A/C-Paarungen

Ada

O6-Methylguanin-/O4-MethylthyminDNA-Methyltransferase

entfernt Methylgruppen von alkylierten Guanin- und Thyminbasen

AlkA

3-Methyladenin-DNA-Glykosylase

entfernt 3-Methyladenin und andere methylierte Basen aus der DNA

AlkB

1-Methyladenin-/3-Methylcytosin-Demethylase

demethyliert oxidativ zu Adenin bzw. Cytosin

MutT

Nukleosidtriphosphatase

entfernt 8-Oxo-dGTP aus dem Nukleotidpool

MutM

DNA-Glykosylase, Lyase

entfernt 8-Oxo-dGMP aus der DNA

Behebung von Fehlpaarungen

Entfernung alkylierter Basen

Beseitigung oxidativer Schäden

Reparatur von Strahlenschäden und unförmigen Basenmodifikationen PhrB

DNA-Photolyase

spaltet den Cyclobutanring in Thymindimeren

UvrA, UvrB, UvrC, UvrD

Exzisionsreparatur

entfernt beschädigtes Nukleotid sowie 8 Nukleotide 5’-wärts und 5 Nukleotide 3’-wärts

Pol II DinB UmuC, UmuD

DNA-Polymerase II DNA-Polymerase IV DNA-Polymerase V

SOS-Antwort (Plus 6.6)

Reparatur alkylierter Nukleotide

Reparatur von Schäden durch UV-Licht

Alkylierte Nukleotide werden durch Herausschneiden der veränderten Base durch Glykosylaseaktivität (AlkA) oder durch die Abspaltung der Alkylgruppen durch unterschiedliche enzymatische Mechanismen (Ada, AlkB) repariert. MutT und MutM verhindern das Auftreten von Punktmutationen als Ergebnis der Oxidation von Guanin zu 8Oxoguanin. MutT spaltet Pyrophosphat von 8-Oxo-dGTP ab und entfernt damit das modifizierte Nukleotid aus dem Pool. MutM und ähnliche Proteine in Prokaryonten und in Eukaryonten entfernen 8-OxoG aus der DNA. Im ersten Schritt wird die modifizierte Base beseitigt, sodass eine AP-Stelle (S. 186) entsteht. Anschließend wird die Zuckerphosphatbindung geöffnet und das 2’-Desoxy-5’monophosphat entfernt. Durch Reparatursynthese wird die Lücke schließlich wieder aufgefüllt.

UV-lichtinduzierte Schäden (▶ Abb. 6.4, ▶ Tab. 6.1) können durch Photolyaseaktivität („Lichtreparatur“) und durch Exzision („Dunkelreparatur“) korrigiert werden. DNA-Photolyasen katalysieren die lichtabhängige Spaltung von Pyrimidindimeren, wofür UV-A-Licht (320– 400 nm) oder Blaulicht (400–500 nm) zur Aktivierung erforderlich ist. Diese Enzyme haben einen komplizierten radikalischen Mechanismus und besitzen zwei Cofaktoren: reduziertes Flavinadenindinukleotid (FADH–) und entweder 5,10-Methenyltetrahydrofolat (MTHF) oder 8-Hydroxy-7,8-dimethyl-5-desazariboflavin (8-HDF). FADH– ist für die reduktive Erzeugung des Radikalzustands im Pyrimidindimer essenziell. MTHF bzw. 8HDF dienen der Lichtabsorption und Aktivierung des Flavinadenindinukleotids. Bei der Nukleotid-Exzisionsreparatur werden die durch Strahlung modifizierten sowie benachbarte Nukleotide aus der DNA entfernt und durch Neusynthese ersetzt. Dieser Mechanismus greift auch bei der Beseitigung von Schäden, die durch unförmige Basen-

9

Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie modifikationen (z. B. durch polyzyklische Kohlenwasserstoffe) entstehen.

vorangegangene Replikation des Chromosoms abgeschlossen ist. Rekombination zwischen homologen chromosomalen Abschnitten ist ein Mechanismus der Reparatur von DNA-Schäden (z. B. Doppelstrangbrüche oder Einzelstranglücken), die mit den bereits beschriebenen Mechanismen (S. 184) nicht repariert werden können. Homologe Rekombination mit exogener DNA spielt eine wesentliche Rolle für den horizontalen Gentransfer, d. h. den stabilen Einbau von DNA, die durch Transformation, Transduktion oder Konjugation von der Zelle aufgenommen worden ist. In E. coli existieren mehrere Wege (z. B. RecBCD-Weg, RecF-Weg) der homologen Rekombination, die allerdings nicht völlig unabhängig voneinander sind. Für viele der daran beteiligten Enzyme gibt es homologe oder funktionell analoge Proteine in anderen Eubakterien, in Archaebakterien und in Eukaryonten. Zur Einleitung der Rekombination wird im Regelfall einzelsträngige DNA benötigt. Im Folgenden wird der Hauptweg der allgemeinen Rekombination in E. coli betrachtet, der auf die Aktivität des RecBCD-Multienzymkomplexes angewiesen ist (▶ Abb. 6.7a).

6.5 Genetische Rekombination Unter dem Begriff Rekombination versteht man im weitesten Sinne die Verknüpfung von DNA-Molekülen. Dazu zählen die homologe Rekombination, die nichthomologe oder ortsspezifische Rekombination und die Transposition. Im Folgenden werden wir homologe und nichthomologe Rekombinationsmechanismen betrachten. Transpositionsereignisse (S. 191) werden bei der Beschreibung mobiler genetischer Elemente (S. 191) erläutert.

6.5.1 Homologe Rekombination Homologe Rekombination ist ein natürlicher, komplexer Prozess in Prokaryonten und Eukaryonten, bei dem DNAAbschnitte gegen weitgehend ähnliche oder identische Abschnitte ausgetauscht werden (vgl. Kap. 3.10). Diese homologe DNA kann endogenen oder exogenen Ursprungs sein. In Prokaryonten entsteht homologe endogene DNA beispielsweise bei der Replikation (S. 181), wenn neue Replikationsrunden bereits starten, bevor die

5'–GCTGGTGG–3'

a

3' 5'

b

Abb. 6.7 Modell der homologen Rekombination. a Die Funktionen des RecBCD-Multienzymkomplexes. b Branch Migration, Holliday-Struktur und Spaltung der gekreuzten Stränge. Weitere Erklärungen siehe Text.

Chi

1

+ SSB-Protein

5' 3'

C 3' 5' B D RecBCD

5' 3'

3' 5'

Bindung an das Ende

RuvAB

5' 3' Chi

2

5' 3'

B

C D

3' 5'

5'

3'

5' 3'

3'

5'

· Entwindung · bevorzugter Abbau des oberen Stranges durch 3'→5'-Nuklease-Aktivität 3'

Chi

3

5' 3'

B

C D

5'

5'

+ RecA-Protein

5'

3'

5' 3'

3' N

Chi 3' 3'

4

5' 3'

B

C D

W

O

5' S

· Erkennen von Chi · Blockade der 3' → 5'-Nuklease · Aktivierung der 5' → 3'-Nuklease · Aufladen von RecA-Proteinen

5

5' 3'

3' 5'

Chi

5' 3'

3' B

5'

W/O-Trennung

3'

5'

5' 3' 5' 3'

3' 5'

N/S-Trennung

C D 5'

Paarung auf homologer DNA

190

3'

3' 5'

5' 3'

3' 5'

5' 3'

Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie modifikationen (z. B. durch polyzyklische Kohlenwasserstoffe) entstehen.

vorangegangene Replikation des Chromosoms abgeschlossen ist. Rekombination zwischen homologen chromosomalen Abschnitten ist ein Mechanismus der Reparatur von DNA-Schäden (z. B. Doppelstrangbrüche oder Einzelstranglücken), die mit den bereits beschriebenen Mechanismen (S. 184) nicht repariert werden können. Homologe Rekombination mit exogener DNA spielt eine wesentliche Rolle für den horizontalen Gentransfer, d. h. den stabilen Einbau von DNA, die durch Transformation, Transduktion oder Konjugation von der Zelle aufgenommen worden ist. In E. coli existieren mehrere Wege (z. B. RecBCD-Weg, RecF-Weg) der homologen Rekombination, die allerdings nicht völlig unabhängig voneinander sind. Für viele der daran beteiligten Enzyme gibt es homologe oder funktionell analoge Proteine in anderen Eubakterien, in Archaebakterien und in Eukaryonten. Zur Einleitung der Rekombination wird im Regelfall einzelsträngige DNA benötigt. Im Folgenden wird der Hauptweg der allgemeinen Rekombination in E. coli betrachtet, der auf die Aktivität des RecBCD-Multienzymkomplexes angewiesen ist (▶ Abb. 6.7a).

6.5 Genetische Rekombination Unter dem Begriff Rekombination versteht man im weitesten Sinne die Verknüpfung von DNA-Molekülen. Dazu zählen die homologe Rekombination, die nichthomologe oder ortsspezifische Rekombination und die Transposition. Im Folgenden werden wir homologe und nichthomologe Rekombinationsmechanismen betrachten. Transpositionsereignisse (S. 191) werden bei der Beschreibung mobiler genetischer Elemente (S. 191) erläutert.

6.5.1 Homologe Rekombination Homologe Rekombination ist ein natürlicher, komplexer Prozess in Prokaryonten und Eukaryonten, bei dem DNAAbschnitte gegen weitgehend ähnliche oder identische Abschnitte ausgetauscht werden (vgl. Kap. 3.10). Diese homologe DNA kann endogenen oder exogenen Ursprungs sein. In Prokaryonten entsteht homologe endogene DNA beispielsweise bei der Replikation (S. 181), wenn neue Replikationsrunden bereits starten, bevor die

5'–GCTGGTGG–3'

a

3' 5'

b

Abb. 6.7 Modell der homologen Rekombination. a Die Funktionen des RecBCD-Multienzymkomplexes. b Branch Migration, Holliday-Struktur und Spaltung der gekreuzten Stränge. Weitere Erklärungen siehe Text.

Chi

1

+ SSB-Protein

5' 3'

C 3' 5' B D RecBCD

5' 3'

3' 5'

Bindung an das Ende

RuvAB

5' 3' Chi

2

5' 3'

B

C D

3' 5'

5'

3'

5' 3'

3'

5'

· Entwindung · bevorzugter Abbau des oberen Stranges durch 3'→5'-Nuklease-Aktivität 3'

Chi

3

5' 3'

B

C D

5'

5'

+ RecA-Protein

5'

3'

5' 3'

3' N

Chi 3' 3'

4

5' 3'

B

C D

W

O

5' S

· Erkennen von Chi · Blockade der 3' → 5'-Nuklease · Aktivierung der 5' → 3'-Nuklease · Aufladen von RecA-Proteinen

5

5' 3'

3' 5'

Chi

5' 3'

3' B

5'

W/O-Trennung

3'

5'

5' 3' 5' 3'

3' 5'

N/S-Trennung

C D 5'

Paarung auf homologer DNA

190

3'

3' 5'

5' 3'

3' 5'

5' 3'

6.6 Mobile genetische Elemente Der RecBCD-Komplex hat mehrere Aktivitäten: Er bindet an die Enden doppelsträngiger DNA (①), wandert an doppelsträngiger DNA entlang und entwindet den Doppelstrang unter ATP-Verbrauch durch Helikaseaktivität. Der entstehende obere Einzelstrang wird abgebaut, der untere Einzelstrang wird durch einzelstrangbindende Proteine (SSB) besetzt (② und ③). Immer wenn der Komplex auf eine sogenannte Chi-Sequenz (Chi, für engl. cross over hot spot instigator) trifft (④), spaltet er den oberen Einzelstrang kurz vor der Chi-Sequenz und wandert als Helikase weiter. Dabei wird der untere Einzelstang abgebaut (④). Chi-Sequenzen haben die Basenfolge 5’GCTGGTGG-3’ und sind in etwa 1000 Kopien auf den Chromosomen von E. coli und verwandten Bakterien vorhanden. Der nun entstehende Einzelstrang wird durch RecA-Proteine besetzt. Es entsteht ein Nukleoproteinfilament, das Kontakt mit einem homologen Doppelstrang aufnimmt (⑤). Dabei entstehen durch Überkreuzungen die nach ihrem Entdecker benannten Holliday-Strukturen. Der Überkreuzungspunkt wandert nun an der DNA entlang (Branch Migration) (▶ Abb. 6.7b). Dieser Vorgang wird durch die Proteine RuvA und RuvB vorangetrieben. Die Holliday-Strukturen werden schließlich durch die RuvC-Endonuklease aufgelöst. Je nachdem in welcher Richtung die Trennung erfolgt, sind in den beiden DNAMolekülen Einzelstrangabschnitte ausgetauscht oder es entstehen reziprok verknüpfte DNA-Moleküle.

6.5.2 Nichthomologe Rekombination Nichthomologe Rekombination wird auch als integrative oder ortsspezifische Rekombination bezeichnet. Im Gegensatz zur homologen Rekombination ist diese Art der Rekombination nicht auf längere Sequenzübereinstimmungen zwischen zwei DNA-Molekülen angewiesen und verläuft nach anderen Mechanismen. Mithilfe von Integrasen werden DNA-Moleküle an definierten Positionen miteinander verknüpft. Ein gut untersuchtes Beispiel ist die Integration der DNA des temperenten Bakteriophagen λ in das Chromosom von E. coli (Plus 6.7). Nichthomologe Rekombination spielt jedoch nicht nur bei der Integration lambdoider Phagen, sondern auch bei anderen Prozessen eine wesentliche Rolle. Dazu zählen: 1. die Eigenschaft von Salmonella, zwei unterschiedliche Typen von Flagellen produzieren zu können (Phasenvariation) (S. 496), 2. die Inversion des G-Segments in der DNA des Bakteriophagen Mu, sodass unterschiedliche Schwanzproteine gebildet werden, welche die Wirtsspezifität beeinflussen, 3. die Umorganisation der Gene für das stickstofffixierende System in Heterocysten des fädigen Cyanobakteriums Anabaena,

4. die Zusammensetzung des Gens für einen für die Mutterzellen spezifischen σ-Faktor, der an der Steuerung der Sporulation in Bacillus (S. 525) beteiligt ist, 5. die Aufnahme zusätzlicher Genkassetten durch Integrons. Integrons sind häufig auf mobilen genetischen Elementen lokalisiert. Sie enthalten u. a. das Gen für eine Integrase und eine Attachment Site, über die sie durch Rekombination neue Genkassetten integrieren können. Da es sich bei solchen Kassetten oft um Resistenzgene gegen Antibiotika handelt, spielen Integrons eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von Resistenzen.

6.6 Mobile genetische Elemente Mobile genetische Elemente sind DNA-Abschnitte, die durch eine besondere Form der Rekombination innerhalb eines Replicons (z. B. einem Chromosom) oder von einem auf ein anderes Replicon (z. B. vom Chromosom auf ein Plasmid) übertragen werden können. Solche transponierbaren Elemente sind in allen Lebewesen verbreitet und tragen zur Umorganisation von Genomen durch Insertionen, Deletionen und Inversionen bei. Durch Insertionen können Mutationen entstehen, wenn der Leserahmen eines Gens durch die Insertion verändert wird. In ▶ Tab. 6.3 sind verschiedene prokaryontische mobile genetische Elemente zusammengefasst. Insertionselemente und Transposons sind unter Prokaryonten weit verbreitet. Der Aufbau dieser transponierbaren Elemente ist in ▶ Abb. 6.9 schematisch dargestellt.

6.6.1 Insertions-(IS-)Elemente Insertions-(IS-)Elemente bestehen meist aus weniger als 2000 bp und enthalten nur die für die Transposition notwendige genetische Information. Charakteristisch sind gegenläufige Wiederholungen sehr ähnlicher, aber nicht identischer Nukleotidfolgen an beiden Enden (engl. inverted repeats, ca. 9–40 bp). Der zentrale Bereich codiert die Transposase, die für die Mobilität des IS-Elements verantwortlich ist, und oft für mindestens ein weiteres Protein, das die Transpositionsfrequenz reguliert.

6.6.2 Transposons Transposons besitzen eine komplexere Struktur und werden in verschiedene Klassen eingeteilt. Klasse-I-Transposons (zusammengesetzte Transposons) enthalten je eine vollständige Kopie weitgehend identischer IS-Elemente an beiden Enden. Der zentrale Bereich enthält ein oder mehrere Gene, die Resistenz gegen Antibiotika oder Schwermetalle vermitteln oder spezielle Stoffwechselprozesse – z. B. den Abbau von Xenobiotika – codieren. Klasse-II-Transposons werden von Inverted Repeats an ihren

1

6.6 Mobile genetische Elemente Der RecBCD-Komplex hat mehrere Aktivitäten: Er bindet an die Enden doppelsträngiger DNA (①), wandert an doppelsträngiger DNA entlang und entwindet den Doppelstrang unter ATP-Verbrauch durch Helikaseaktivität. Der entstehende obere Einzelstrang wird abgebaut, der untere Einzelstrang wird durch einzelstrangbindende Proteine (SSB) besetzt (② und ③). Immer wenn der Komplex auf eine sogenannte Chi-Sequenz (Chi, für engl. cross over hot spot instigator) trifft (④), spaltet er den oberen Einzelstrang kurz vor der Chi-Sequenz und wandert als Helikase weiter. Dabei wird der untere Einzelstang abgebaut (④). Chi-Sequenzen haben die Basenfolge 5’GCTGGTGG-3’ und sind in etwa 1000 Kopien auf den Chromosomen von E. coli und verwandten Bakterien vorhanden. Der nun entstehende Einzelstrang wird durch RecA-Proteine besetzt. Es entsteht ein Nukleoproteinfilament, das Kontakt mit einem homologen Doppelstrang aufnimmt (⑤). Dabei entstehen durch Überkreuzungen die nach ihrem Entdecker benannten Holliday-Strukturen. Der Überkreuzungspunkt wandert nun an der DNA entlang (Branch Migration) (▶ Abb. 6.7b). Dieser Vorgang wird durch die Proteine RuvA und RuvB vorangetrieben. Die Holliday-Strukturen werden schließlich durch die RuvC-Endonuklease aufgelöst. Je nachdem in welcher Richtung die Trennung erfolgt, sind in den beiden DNAMolekülen Einzelstrangabschnitte ausgetauscht oder es entstehen reziprok verknüpfte DNA-Moleküle.

6.5.2 Nichthomologe Rekombination Nichthomologe Rekombination wird auch als integrative oder ortsspezifische Rekombination bezeichnet. Im Gegensatz zur homologen Rekombination ist diese Art der Rekombination nicht auf längere Sequenzübereinstimmungen zwischen zwei DNA-Molekülen angewiesen und verläuft nach anderen Mechanismen. Mithilfe von Integrasen werden DNA-Moleküle an definierten Positionen miteinander verknüpft. Ein gut untersuchtes Beispiel ist die Integration der DNA des temperenten Bakteriophagen λ in das Chromosom von E. coli (Plus 6.7). Nichthomologe Rekombination spielt jedoch nicht nur bei der Integration lambdoider Phagen, sondern auch bei anderen Prozessen eine wesentliche Rolle. Dazu zählen: 1. die Eigenschaft von Salmonella, zwei unterschiedliche Typen von Flagellen produzieren zu können (Phasenvariation) (S. 496), 2. die Inversion des G-Segments in der DNA des Bakteriophagen Mu, sodass unterschiedliche Schwanzproteine gebildet werden, welche die Wirtsspezifität beeinflussen, 3. die Umorganisation der Gene für das stickstofffixierende System in Heterocysten des fädigen Cyanobakteriums Anabaena,

4. die Zusammensetzung des Gens für einen für die Mutterzellen spezifischen σ-Faktor, der an der Steuerung der Sporulation in Bacillus (S. 525) beteiligt ist, 5. die Aufnahme zusätzlicher Genkassetten durch Integrons. Integrons sind häufig auf mobilen genetischen Elementen lokalisiert. Sie enthalten u. a. das Gen für eine Integrase und eine Attachment Site, über die sie durch Rekombination neue Genkassetten integrieren können. Da es sich bei solchen Kassetten oft um Resistenzgene gegen Antibiotika handelt, spielen Integrons eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von Resistenzen.

6.6 Mobile genetische Elemente Mobile genetische Elemente sind DNA-Abschnitte, die durch eine besondere Form der Rekombination innerhalb eines Replicons (z. B. einem Chromosom) oder von einem auf ein anderes Replicon (z. B. vom Chromosom auf ein Plasmid) übertragen werden können. Solche transponierbaren Elemente sind in allen Lebewesen verbreitet und tragen zur Umorganisation von Genomen durch Insertionen, Deletionen und Inversionen bei. Durch Insertionen können Mutationen entstehen, wenn der Leserahmen eines Gens durch die Insertion verändert wird. In ▶ Tab. 6.3 sind verschiedene prokaryontische mobile genetische Elemente zusammengefasst. Insertionselemente und Transposons sind unter Prokaryonten weit verbreitet. Der Aufbau dieser transponierbaren Elemente ist in ▶ Abb. 6.9 schematisch dargestellt.

6.6.1 Insertions-(IS-)Elemente Insertions-(IS-)Elemente bestehen meist aus weniger als 2000 bp und enthalten nur die für die Transposition notwendige genetische Information. Charakteristisch sind gegenläufige Wiederholungen sehr ähnlicher, aber nicht identischer Nukleotidfolgen an beiden Enden (engl. inverted repeats, ca. 9–40 bp). Der zentrale Bereich codiert die Transposase, die für die Mobilität des IS-Elements verantwortlich ist, und oft für mindestens ein weiteres Protein, das die Transpositionsfrequenz reguliert.

6.6.2 Transposons Transposons besitzen eine komplexere Struktur und werden in verschiedene Klassen eingeteilt. Klasse-I-Transposons (zusammengesetzte Transposons) enthalten je eine vollständige Kopie weitgehend identischer IS-Elemente an beiden Enden. Der zentrale Bereich enthält ein oder mehrere Gene, die Resistenz gegen Antibiotika oder Schwermetalle vermitteln oder spezielle Stoffwechselprozesse – z. B. den Abbau von Xenobiotika – codieren. Klasse-II-Transposons werden von Inverted Repeats an ihren

1

Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie

●V

Plus 6.7 Nichthomologe Rekombination und der λ-Phage Nach der Injektion der linearen λ-DNA in eine E.-coli-Zelle wird die DNA zirkularisiert und kann in das bakterielle Chromosom integriert werden (▶ Abb. 6.8). In diesem Zustand – man spricht von einem Prophagen – wird die λ-DNA als Bestandteil des Chromosoms bei der Replikation kopiert. Die Integration ist unabhängig vom zellulären Rekombinationssystem und erfolgt im Regelfall an einer definierten Position, der Attachment Site (attB). attB umfasst etwa 30 bp und liegt in einer Region zwischen dem Galactose(galETKM-)Operon und den Biotin-(bioABFCD-)Biosynthesegenen etwa 600 bp von bioA und etwa 15 kb von galE entfernt. attB besteht aus den Teilbereichen BOB’, wobei O (15 bp) in identischer Kopie auch in attP, der auf der λ-DNA

lokalisierten Attachment Site, vorhanden ist. Die Struktur von attP, das aus den Bereichen POP’ besteht, ist komplexer als die von attB. Der P-Arm umfasst etwa 150 bp, der P’-Arm etwa 90 bp. Mithilfe einer phagencodierten Integrase und des bakteriellen Proteins IHF (engl. integration host factor) integriert die λ-DNA durch Rekombination zwischen attB und attP in das Chromosom. In E.-coli-Mutanten, denen attB fehlt, kann die λ-DNA auch an anderen Stellen integrieren, allerdings mit geringerer Effizienz. Beim Übergang in den lytischen Vermehrungszyklus, der zur Phagenproduktion und Zelllyse führt, wird der Prophage aus dem bakteriellen Chromosom ausgeschnitten. Dafür wird neben der Integrase auch eine phagencodierte Excisionase benötigt.

att P

Abb. 6.8 Schema der Integration von λ-DNA in das E.-coli-Genom. Die Integration erfolgt an einer Attachment Site (att). int und xis bezeichnen Gene des λ-Phagen und codieren die Integrase und die Excisionase.

P O P' int xis

cos

cos λ-DNA DNA-Ligase

cos xis P O P'

λ-DNA

int

gal

bio E.coli-DNA B O B' att B Integrase Integrase Excisionase IHF IHF

xis

P O B'

bio

λ-Prophage in E.coli-DNA

int B O P'

gal

int B O P'

bio

xis P O B'

Enden begrenzt. Der zentrale Teil trägt das Transposaseund ein Resolvasegen sowie Resistenzgene oder Gene für katabole Enzyme. Resolvaseaktivität ist für den replikativen Transpositionsmechanismus (s. u.) erforderlich. Der temperente Bakteriophage Mu (für Mutator) ist ein Beispiel für ein Riesentransposon. Nach der Infektion von Bakterienzellen kann die Mu-DNA durch die Mu-co-

192

λ-Prophage in E.coli-DNA

dierte Transposase weitgehend zufällig in beliebige Orte des E.-coli-Chromosoms inserieren, wodurch Mutationen entstehen. Der Prophage wird dann bei der Replikation des bakteriellen Chromosoms mitrepliziert. Beim Übergang in den lytischen Zyklus transponiert die PhagenDNA zunächst mehrfach innerhalb des Chromosoms, bevor die Expression des Phagengenoms beginnt.

6.6 Mobile genetische Elemente

●V

Plus 6.8 Introns in Prokaryonten Introns unterbrechen codierende Abschnitte in Genen und werden nach der Transkription in RNA aus den Transkripten entfernt. Diesen Vorgang, der in Eukaryonten im Zellkern stattfindet, bezeichnet man als Spleißen. Im Gegensatz zu Eukaryonten, in denen Gene häufig sogar durch mehrere Introns unterbrochen werden, sind Introns in Prokaryonten eher selten. Spezielle Introns (Gruppe-I- und Gruppe-II-Introns) sind in den Genomen von Pilz- und Pflanzenorganellen vorhanden. Gruppe-I-Introns finden sich ebenfalls in nukleären eukaryontischen Genen für ribosomale RNAs. Seit Mitte der 1980er-Jahre wurden Introns auch in vielen Eubakterien (Gruppe I; Gruppe II), in Archaebakterien (Introns, die ohne Endonuklease nicht selbst spleißen können; Gruppe II) und in Phagengenomen (Gruppe I) gefunden. Unter diesen Introns gibt es Vertreter, die sich wie mobile genetische Elemente verhalten. Die Beweglichkeit von Gruppe-I-Introns wird durch introncodierte Endonukleasen

gesteuert. Diese Enzyme erkennen definierte kurze DNASequenzen in intronfreien Allelen und führen im Regelfall einen Doppelstrangbruch ein. Bei dessen Reparatur wird eine Kopie der Intron-DNA in die zuvor intronfreie Stelle eingefügt. Diesen Vorgang bezeichnet man als Homing. Homing mithilfe eines introncodierteren Proteins ist auch eine Eigenschaft mobiler Gruppe-II-Introns. Hier ist der Homing-Mechanismus jedoch ein anderer und benötigt die gespleißte Intron-RNA. Das introncodierte Protein besitzt Reverse-Transkriptase-Aktivität und stellt eine DNAKopie (cDNA) der Intron-RNA her. Die cDNA wird im Regelfall in eine intronfreie Basenfolge im Genom inseriert, die identisch mit der Sequenz des ursprünglichen Insertionsorts ist. Diese Form des Homing wird als Retrohoming bezeichnet. Weichen die Sequenzen des ursprünglichen und des neuen Insertionsorts voneinander ab, spricht man von Retrotransposition.

Tab. 6.3 Mobile genetische Elemente in Prokaryonten. Typen

Eigenschaften

Beispiel

Insertions-(IS-) Elemente

Transposasegen

IS10 (1329 bp)

Klasse I

zusammengesetzt aus IS-Elementen, Transposition durch Cut-and-Paste-Mechanismus

Tn5 (5 818 bp, Kanamycinresistenzgen)

Klasse II

replikative Transposition

Tn3 (4 957 bp; β-LactamaseGen)

konjugative

konjugativ übertragbar, Transposition mithilfe einer transposoncodierten Integrase

Tn916 (18 032 bp, Tetrazyklinresistenzgen)

Transposasegen, Erzeugung von Insertionsmutationen

Bakteriophage Mu (36 717 bp)

Transposons

BakteriophagenDNA Introns

Gruppe I

sequenzspezifische Insertion (Homing) mithilfe einer introncodierten Endonuklease

Gruppe II

Retrohoming und Retrotransposition mithilfe eines multifunktionalen, introncodierten Proteins

archaebakterielle

Mobilität vergleichbar mit Gruppe-I-Introns

Replikative Transposition oder Cut and Paste? Die Transposition von IS-Elementen, Klasse-I- und Klasse-IITransposons erfolgt durch einen dieser beiden Wege. Ein Cut-and-Paste-Mechanismus (▶ Abb. 6.10) ist für die meisten IS-Elemente und Klasse-I-Transposons charakteristisch. Dabei werden die Inverted Repeats des mobilen Elements durch dessen eigene Transposase erkannt; das mobile Element wird durch vier Schnitte aus der DonorDNA herausgeschnitten. Die Zielsequenz wird ebenfalls durch die Transposase durch zwei, um wenige Nukleotide versetzte Schnitte geöffnet und das mobile Element dort eingefügt. Hinsichtlich der Präferenz für bestimmte Nukleotidfolgen in der Zielsequenz gibt es große Unterschiede zwischen verschiedenen Transposasen. Das Klasse-ITransposon Tn5 zeigt beispielsweise geringe Spezifität

s. Plus 6.8

und transponiert in unterschiedlichste chromosomale Regionen. Tn7 dagegen, ein Transposon, das keiner der zuvor genannten Gruppen zugerechnet werden kann, besitzt ausgeprägte Spezifität und transponiert mit hoher Frequenz nur in einen einzigen Ort auf dem E.-coli-Chromosom. Mobile Elemente der Tn3-Familie und der Phage Mu transponieren über den replikativen Weg (▶ Abb. 6.10). Die Transposase setzt hier nur zwei Schnitte im Donormolekül. Die Zielsequenzen werden wie beim Cut-andPaste-Weg durch versetzte Schnitte geöffnet. Im Unterschied zum Cut-and-Paste-Mechanismus entsteht bei der replikativen Transposition ein Cointegrat zwischen Donor- und Ziel-DNA. Nach Replikation des mobilen Elements wird das Cointegrat durch eine vom Element co-

3

Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie

Abb. 6.9 Aufbau von Insertionselementen und Transposons. IR, Inverted Repeat.

Insertions(IS-)Elemente IRL Transpositions- IRR gene Klasse-ITransposons

IRL

Klasse-IITransposons

IRL Transposase Resolvase

IS-Element

IRR

Resistenzgen

IRL

Resistenzgen

IS-Element

IRR

IRR

b

a 5'

3'

5'

3'

3'

5'

5'

3'

3'

5'

Donor-DNA 3'

5'

5'

3' Empfänger-DNA

3'

5'

3'

5'

5'

3'

5'

3'

3'

5'

3'

5'

3'

5'

3'

5'

3' 5'

3'

5'

3' 5'

3' 5'

3'

5'

Abb. 6.10 Mechanismen der Transposition bei Bakterien. a Beim Cut-and-Paste-Mechanismus ist das Schicksal der Donor-DNA ungewiss, nachdem das mobile Element durch vier Schnitte aus der Donor-DNA gelöst wurde. b Beim replikativen Mechanismus erfolgen nur zwei Schnitte. Das mobile Element bleibt an seiner ursprünglichen Position in der Donor-DNA erhalten. Die freien 3’-OH-Enden dienen als Primer für die Replikation an der Zielstelle. Dabei entsteht ein sogenanntes Cointegrat, das durch eine Resolvase wieder aufgelöst wird.

Replikation an der Zielstelle 5'

3'

5'

3'

3'

5'

3'

5'

5'

3'

5'

3'

5'

3'

3'

5'

3'

5'

5'

3'

3'

5'

5'

3'

3'

5'

dierte Resolvase aufgelöst. Das Resultat ist eine Verdopplung des IS-Elements oder Transposons. Als Konsequenz des versetzten Öffnens der Ziel-DNA wird bei beiden Transpositionsmechanismen eine kurze Sequenzwiederholung (Direct Repeats) an den Enden des mobilen Elements erzeugt.

194

3'

5'

Genoms transponieren, aber auch ihren eigenen Transfer in eine Empfängerzelle durch Zell-zu-Zell-Kontakt auslösen (Konjugation) (S. 196) und dort durch eine ICE-codierte Integrase in das Genom inserieren.

6.6.3 Konjugative Transposons

6.7 Mechanismen der Genübertragung

Konjugative Transposons grampositiver und gramnegativer Bakterien besitzen Eigenschaften von Transposons, konjugativen Plasmiden und integrierenden Bakteriophagen und werden auch als ICEs (engl. für integrative and conjugative elements) bezeichnet. Sie enthalten Resistenzgene gegen Antibiotika oder Gene für spezielle katabole Stoffwechselleistungen. Sie können innerhalb eines

Die Übertragung von DNA zwischen Organismen, die nicht Eltern und Nachkommen sind, bezeichnet man als horizontalen Gentransfer. Dieser Austausch von Erbinformation ist in der Natur weit verbreitet und findet zwischen nahe und entfernt verwandten Prokaryonten, und (seltener) selbst zwischen Prokaryonten und Eukaryonten statt. Horizontaler Gentransfer spielt eine wichtige

Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie

Abb. 6.9 Aufbau von Insertionselementen und Transposons. IR, Inverted Repeat.

Insertions(IS-)Elemente IRL Transpositions- IRR gene Klasse-ITransposons

IRL

Klasse-IITransposons

IRL Transposase Resolvase

IS-Element

IRR

Resistenzgen

IRL

Resistenzgen

IS-Element

IRR

IRR

b

a 5'

3'

5'

3'

3'

5'

5'

3'

3'

5'

Donor-DNA 3'

5'

5'

3' Empfänger-DNA

3'

5'

3'

5'

5'

3'

5'

3'

3'

5'

3'

5'

3'

5'

3'

5'

3' 5'

3'

5'

3' 5'

3' 5'

3'

5'

Abb. 6.10 Mechanismen der Transposition bei Bakterien. a Beim Cut-and-Paste-Mechanismus ist das Schicksal der Donor-DNA ungewiss, nachdem das mobile Element durch vier Schnitte aus der Donor-DNA gelöst wurde. b Beim replikativen Mechanismus erfolgen nur zwei Schnitte. Das mobile Element bleibt an seiner ursprünglichen Position in der Donor-DNA erhalten. Die freien 3’-OH-Enden dienen als Primer für die Replikation an der Zielstelle. Dabei entsteht ein sogenanntes Cointegrat, das durch eine Resolvase wieder aufgelöst wird.

Replikation an der Zielstelle 5'

3'

5'

3'

3'

5'

3'

5'

5'

3'

5'

3'

5'

3'

3'

5'

3'

5'

5'

3'

3'

5'

5'

3'

3'

5'

dierte Resolvase aufgelöst. Das Resultat ist eine Verdopplung des IS-Elements oder Transposons. Als Konsequenz des versetzten Öffnens der Ziel-DNA wird bei beiden Transpositionsmechanismen eine kurze Sequenzwiederholung (Direct Repeats) an den Enden des mobilen Elements erzeugt.

194

3'

5'

Genoms transponieren, aber auch ihren eigenen Transfer in eine Empfängerzelle durch Zell-zu-Zell-Kontakt auslösen (Konjugation) (S. 196) und dort durch eine ICE-codierte Integrase in das Genom inserieren.

6.6.3 Konjugative Transposons

6.7 Mechanismen der Genübertragung

Konjugative Transposons grampositiver und gramnegativer Bakterien besitzen Eigenschaften von Transposons, konjugativen Plasmiden und integrierenden Bakteriophagen und werden auch als ICEs (engl. für integrative and conjugative elements) bezeichnet. Sie enthalten Resistenzgene gegen Antibiotika oder Gene für spezielle katabole Stoffwechselleistungen. Sie können innerhalb eines

Die Übertragung von DNA zwischen Organismen, die nicht Eltern und Nachkommen sind, bezeichnet man als horizontalen Gentransfer. Dieser Austausch von Erbinformation ist in der Natur weit verbreitet und findet zwischen nahe und entfernt verwandten Prokaryonten, und (seltener) selbst zwischen Prokaryonten und Eukaryonten statt. Horizontaler Gentransfer spielt eine wichtige

6.7 Mechanismen der Genübertragung Rolle für die Dynamik prokaryontischer Genome, da häufig auch DNA-Abschnitte zwischen wenig verwandten, aber am selben Standort angesiedelten Organismen ausgetauscht werden. Zu den Mechanismen des Genaustauschs zählen die Aufnahme von freier DNA aus der Umgebung und ihre Integration in das Genom (Transformation), die Übertragung von DNA von einer Donor- in eine Empfängerzelle durch einen komplexen Prozess, der direkten Zellkontakt erfordert (Konjugation), und der Transfer von DNA durch Phagen (Transduktion). Darüber hinaus gibt es weitere Möglichkeiten des horizontalen Gentransfers. Hierzu zählt die temporäre Fusion von Zellen, an die sich eine chromosomale Rekombination oder ein Plasmidaustausch anschließen können. Die Verbindung von Zellen über sogenannte Nanotubes kann ebenfalls zum Plasmidtransfer genutzt werden. Schließlich können abgeschnürte Membranvesikel, die chromosomale, Plasmid- oder Phagen-DNA enthalten, mit benachbarten Zellen verschmelzen. Diese letztgenannten Mechanismen werden hier nicht näher besprochen.

Methode 6.2 Künstlich induzierte Kompetenz

d ●

Nicht alle Prokaryonten – das gilt auch für E. coli – werden auf natürliche Weise kompetent. Durch geeignete Labormethoden kann Kompetenz jedoch künstlich erzwungen werden. E.-coli-Zellen werden beispielsweise kompetent, wenn sie in der exponentiellen Wachstumsphase geerntet und anschließend für einige Zeit in eiskalter CaCl2-Lösung inkubiert werden. Diese Zellen sind anschließend in der Lage, nach einem kurzen Hitzeschock zirkuläre, doppelsträngige DNA aufzunehmen. Die molekulare Grundlage für die Wirkung von CaCl2 oder alternativer Salzlösungen ist weitgehend unverstanden. Ein alternatives Verfahren, das ursprünglich für die Transformation eukaryontischer Zellen entwickelt wurde, ist die Elektroporation. Die Zellen werden für Sekundenbruchteile einer hohen elektrischen Gleichspannung ausgesetzt, die die Lipidanordnung in der Membran verändert, sodass DNA in das Cytoplasma gelangen kann.

6.7.1 Transformation Diese natürliche Form der DNA-Aufnahme wurde ursprünglich bei Streptococcus pneumoniae entdeckt und mittlerweile bei verschiedenen grampositiven und gramnegativen Bakterien beobachtet. Voraussetzung ist ein physiologischer Zustand, der als Kompetenz bezeichnet wird. Die für die Transformation verantwortlichen Gene werden deshalb com-Gene genannt. Natürlich kompetente Organismen wie das grampositive Bakterium Bacillus subtilis erreichen diesen Zustand bei Nährstofflimitierung. In einer Population werden dann etwa 10 % der Zellen kompetent und können beliebige, doppelsträngige DNA-Moleküle aus der Umgebung an der Zelloberfläche binden. Bei gramnegativen Bakterien kann der Anteil kompetenter Zellen erheblich höher sein und bei Haemophilus influenzae in der stationären Phase fast 100 % erreichen. H. influenzae und Neisseria gonorrhoeae, ebenfalls ein gramnegatives Bakterium, diskriminieren zwischen homologer und heterologer DNA. Sie nehmen nur homologe DNA auf und erkennen diese an bestimmten Nukleotidfolgen. Im Falle von H. influenzae handelt es sich dabei um eine Sequenz von etwa 29 Nukleotiden, die im Genom erheblich häufiger auftritt als statistisch zu erwarten ist. Ein weiteres gramnegatives Bakterium, Acinetobacter baylyi, kann jedwede Fremd-DNA aufnehmen. Im Labor lassen sich Organismen auch durch Chemikalien oder das Anlegen einer Spannung kompetent machen (Methode 6.2). Natürlich kompetente Bakterien produzieren verschiedene Kompetenzproteine, die an der Bindung der DNA und dem anschließenden Transport durch die Zellhülle beteiligt sind. In grampositiven Bakterien spielt die Dichte der Zellpopulation eine wichtige Rolle bei der Regulation von Kompetenzgenen. Die Zellen produzieren und expor-

tieren Peptide (Pheromone), für die sie selbst spezifische Rezeptoren besitzen. Überschreiten die Pheromone eine Schwellenkonzentration, wird die Expression von Kompetenzoperons aktiviert. Derartige zelldichteabhängige Regulationsprozesse bezeichnet man als Quorum Sensing (S. 521). Der Prozess der Transformation beginnt mit der Bindung der DNA an die Zelloberfläche, wobei es notwendigerweise Unterschiede zwischen gramnegativen und grampositiven Bakterien gibt. Gegenwärtige Modelle der wesentlichen Schritte der DNA-Aufnahme werden in Plus 6.9 besprochen. In grampositiven Bakterien bindet DNA an ein Kompetenzprotein, das in der Zellhülle verankert ist. Sie wird anschließend durch Endonukleaseaktivität in doppelsträngige Fragmente mit einer mittleren Länge von (in B. subtilis) etwa 18 kb gespalten. Nach einer kurzen Verzögerung ist die fragmentierte DNA geschützt vor dem Angriff nukleolytischer Enzyme. Weitere essenzielle und in der Zellwand verankerte Kompetenzproteine zeigen auffällige Ähnlichkeit zu Proteinen gramnegativer Bakterien, die dort für die Assemblierung und für kontraktile Bewegungen von Typ-IV-Pili (S. 168) notwendig sind. Nach Bindung und Fragmentierung folgt der DNA-Transport in die Zelle. Bei der natürlichen Transformation wird nur einer der beiden DNA-Stränge durch die Cytoplasmamembran transportiert. Der zweite Strang wird durch Nukleaseaktivität abgebaut. In gramnegativen Bakterien gelangt die DNA durch ein Sekretin durch die äußere Membran. Dieser Kanal wird auch für den Export von Typ-IV-Pilinuntereinheiten bei der Pilussynthese genutzt. Hinzu kommen Proteine des Typ-IV-Pilussynthesesystems, eine Nuklease, die einen der beiden DNA-Stränge abbaut, und ein DNA-Transpor-

5

Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie

●V

Plus 6.9 Ähnlichkeit zwischen Pilus-Polymerisations- und DNA-Aufnahme-Systemen Typ-IV-Pili dienen gramnegativen Bakterien der Anheftung an Oberflächen und einer als Twitching („Krabbeln“) (S. 168) bezeichneten Form der Beweglichkeit. Zur Pilussynthese werden in Neisseria gonorrhoeae (gramnegativ) das Hauptpilin (PilE) und das Nebenpilin (PilV) durch die Präpilin-Peptidase (PilD) prozessiert und mithilfe des Membranproteins PilG und der Nukleosidtriphosphatase PilF polymerisiert (▶ Abb. 6.11a). Durch das Sekretin PilQ und unter Beteiligung des Hilfsproteins PilP kann der Pilus die äußere Membran durchdringen. Das an die äußere Membran gebundene Protein PilC stabilisiert das Filament. Die Nukleosidtriphosphatase PilT depolymerisiert den Pilus in die Pilinuntereinheiten, was zum Einziehen des Pilus führt.

a

Neisseria gonorrhoeae Typ-IV-Pilus

PilC PilP

Assemblierung PilD

Abb. 6.11 Vergleich zwischen Typ-IVPili und DNA-Aufnahmesystemen in zwei verschiedenen natürlich kompetenten Bakterienarten. a Neisseria gonorrhoeae (gramnegativ). b Bacillus subtilis (grampositiv).

äußere Membran Zellwand

ComEA ComE ComC

PilF

PilT ComP

Com GB

Com A

Cytoplasmamembran

ComGC

ter, der den verbleibenden Strang in das Cytoplasma transportiert. In den gramnegativen Bakterien Helicobacter pylori und Campylobacter jejuni wird ein anderes System zur DNA-Aufnahme genutzt – ein Komplex von Proteinen, die Ähnlichkeit zu Typ-IV-Sekretionssystemen (S. 349) zeigen. Derartige Systeme vermitteln auch den Transport der DNA bei der Konjugation (S. 196). Die Rekombination stellt den letzten Schritt der Transformation dar. Die einzelsträngige DNA paart sich mit homologen DNA-Abschnitten in der Zelle unter Ausbildung einer Tripelhelix. Unter Beteiligung des RecA-Proteins (S. 191) können DNA-Stränge ausgetauscht werden. Voraussetzung hierfür ist, dass Abschnitte mit weitgehend identischer Sequenz vorhanden sind. Zwischen diesen Abschnitten können sich die beiden Stränge jedoch unterscheiden, sodass durch den Austausch auch veränderte

196

Bacillus subtilis Kompetenz

DR

Deassemblierung PilG

PilV PilE

b

Kompetenz

Derselbe Assemblierungsapparat ist an der Aufnahme von DNA beteiligt und wird zur Synthese des Kompetenzpseudopilus aus dem Hauptpilin PilE und dem Nebenpilin ComP benutzt. Die DNA bindet an einen postulierten Rezeptor (DR) und gelangt durch das Sekretin PilQ in das Periplasma. Unter Beteiligung von ComE wird einzelsträngige DNA durch den Transporter ComA in das Cytoplasma transportiert. Der zweite Strang wird abgebaut. In Bacillus subtilis (grampositiv) besteht der Pseudopilus aus dem Hauptpseudopilin ComGC und Nebenpseudopilinen (ComGD, GE und GG), die durch ComC prozessiert und mithilfe von ComGB und ComGA assembliert werden (▶ Abb. 6.11b). Der membrangebundene Rezeptor ComEA leitet die DNA zum Transporter ComEC. Am Transport einzelsträngiger DNA in das Cytoplasma ist das ATP-bindende Protein ComFA beteiligt.

Com EC

ComFA ComGA

Sequenzen, Deletionen und Insertionen eingeführt werden können. Bei der Replikation der DNA entstehen dann Doppelstränge, die sich in ihrer Basenfolge unterscheiden. Die Aufnahme von DNA-Fragmenten ohne homologe Abschnitte ist in den meisten Fällen nicht produktiv, da ohne stabile Integration in das Genom keine Vererbung erfolgt.

6.7.2 Konjugation Konjugation ist die gerichtete Übertragung von DNA durch Zellkontakt zwischen einer Donor- und einer Rezipientenzelle. Sie ist ein sehr komplexer Prozess, sodass hier nur einige mechanistische Prinzipien anhand gut charakterisierter Beispiele betrachtet werden können. Die bakterielle Konjugation wurde in den 1940er-Jahren

6.7 Mechanismen der Genübertragung durch J. Lederberg und E. Tatum bei E. coli entdeckt. Der Vorgang leistet einen wesentlichen Beitrag zum horizontalen Gentransfer innerhalb der gramnegativen und grampositiven Bakterien; er ist selbst zwischen diesen beiden Gruppen möglich. Konjugativ übertragbare Plasmide wurden auch in Archaebakterien entdeckt. Die Übertragung von DNA durch Zellkontakt ist nicht auf Prokaryonten beschränkt, sie findet auch zwischen prokaryontischen Zellen als Spendern und eukaryontischen Zellen als Empfängern statt. Agrobacterium-Stämme besitzen z. B. konjugative Plasmide und injizieren unter natürlichen Bedingungen einen Teil davon, die T-DNA, in verwundetes Gewebe zweikeimblättriger Pflanzen (Plus

6.12) (S. 199) und und induzieren dadurch Tumore. Bestimmte Plasmide können durch Konjugation aus E.-coliDonorzellen in die Hefe Saccharomyces cerevisiae und sogar in Ovarienzellen von Hamstern übertragen werden. Ein enger Zellkontakt ist eine Voraussetzung für die Konjugation. Beim konjugativen Transfer zwischen gramnegativen Bakterien produzieren die Donorzellen spezielle Pili (Sexpili oder F-Pili, wenn ein F-Plasmid vorhanden ist (Plus 6.10, vgl. ▶ Abb. 5.42), die sich mit ihrer Spitze an die Oberfläche der Rezipienten heften. Die F-Pili, von denen eine Zelle 1–3 Stück synthetisiert, bestehen aus vielen Einheiten eines einzigen Proteins, dem Pilin. Das traA-Gen (tra für Transfer, nicht Transformation) codiert

●V

Plus 6.10 F-Plasmid Ursprünglich wurde Konjugation als Übertragung eines als Fertilitätsfaktor (F-Faktor, F-Plasmid) bezeichneten Plasmids zwischen E.-coli-Zellen beschrieben (▶ Abb. 6.12). Dieser Transfer erfolgt gerichtet, von Donorzellen (F+) in Rezipientenzellen (F–). Nach der Übertragung enthalten sowohl Donor als auch Rezipient das F-Plasmid, es handelt sich demnach um einen replikativen Vorgang. Das F-Plasmid besteht aus ca. 100 kb. Es trägt zwei benachbarte, funktionelle Replikationsursprünge (oriS, oriV) zur vegetativen Replikation, die in der RepFIA-Region lokalisiert sind. Die Kopienzahl von F (1–2 im Verhältnis zu Chromosomen) und die gleichmäßige Verteilung bei der Zellteilung werden durch F-codierte Proteine gesteuert. Das

F-Plasmid trägt mehrere mobile genetische Elemente (IS2, IS3, Tn1000 = γδ). Etwa 35 Proteine, deren Gene in der traRegion enthalten sind, sind am konjugativen Transfer beteiligt. Diese Genprodukte werden in zwei Klassen eingeteilt: Mpf-Proteine (Mpf, für engl. mating pair formation) vermitteln den Zellkontakt und den DNA-Transport durch die Zellhülle. Die anderen Funktionen (Dtr, für engl. DNA transfer and replication) haben u. a. die Aufgabe, einen Einzelstrangbruch im Bereich des konjugativen Replikationsursprungs (oriT) zu erzeugen und anschließend die DNA zum Exportsystem in der Membran zu geleiten. Die Leading Region wird beim Transfer zuerst in die Empfängerzelle übertragen.

A DN

Abb. 6.12 Physikalische Karte des F-Plasmids. Nur ein kleiner Teil der Gene ist eingezeichnet.

000 Tn 1

IS3

(γ δ )

n tio ica pl re nd ra ) fe tr ns (D tra

100 /0 kb 90

tra

10

80

20

mating pair formation (Mpf)

F-Plasmid 70

ori

30

T 60

40 50 oriV oriS

lea din gr eg ion

er nsf tra f o gin ori

IS3 IS2

Re p FI A

7

Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie einen Pilinvorläufer, der posttranslational beträchtlich verkürzt wird. Nach der Kontaktaufnahme durch den Pilus bildet sich ein stabiles Aggregat aus Donor und Rezipient, falls der Rezipient die für E. coli typische Struktur der Lipopolysaccharidschicht und das OmpA-Protein in der äußeren Membran besitzt. Der Pilus wird depolymerisiert und die Zellen werden dadurch zueinander gezogen. Zellen, die bereits ein F-Plasmid (F+) besitzen, verhindern durch zwei Tra-Proteine die Ausbildung stabiler

Relaxosom Sexpilus 1

oriT nick 3'

5'

2

Aggregate und den DNA-Transfer, sodass kein zweites FPlasmid aufgenommen werden kann. Dieses Phänomen wird als Surface Exclusion bezeichnet. Ähnliche Ausschlussmechanismen existieren auch bei anderen konjugativen Plasmiden. Die weiteren Schritte der konjugativen DNA-Übertragung sind in ▶ Abb. 6.13 schematisch dargestellt. Zunächst werden mehrere Tra-Proteine am oriT, der Stelle auf dem F-Plasmid, an welcher der Transfer eingeleitet wird, gebunden. Der entstehende Nukleoproteinkomplex wird als Relaxosom bezeichnet. Eines dieser Proteine, die Relaxase, führt einen Einzelstrangbruch am oriT ein. Es wird dabei selbst über einen Tyrosinrest mit dem freien 5’-Phosphatende der DNA kovalent verknüpft. Dieser Nukleoproteinkomplex wird zum Exportsystem in der Membran geleitet, einem aus Mpf-Proteinen bestehenden, sogenannten Typ-IV-Sekretionssystem (Plus 6.11), und durch die Zellhülle in den Empfänger transportiert. Die genaue Anordnung und Funktion der einzelnen MpfProteine bei diesem Prozess sind nicht bekannt. Der nächste Schritt während der konjugativen Übertragung ist die DNA-Replikation. Im Donor beginnt am 3’Ende der einzelsträngigen DNA oder in dessen Nähe die Verlängerung zum Doppelstrang. Wegen der Drehbewegung, die durch den Transfer des einen Stranges in die Empfängerzelle und die Neusynthese in entgegengesetzter Richtung entsteht, bezeichnet man diese Art der Replikation auch als Rolling-Circle-Replikation. Im Rezi-

3

Plus 6.11 Typ-IV-Sekretionssysteme

4

5

Abb. 6.13 Teilreaktionen beim konjugativen DNA-Transfer. ① Anheften des Pilus und anschließende Depolymerisation. ② Anlagern verschiedener Tra-Proteine und Einzelstrangbruch (engl. nick) im Bereich des oriT. ③ Transfer des Relaxase/ssDNAKomlexes, Rolling-Circle-Replikation im Donor, diskontinuierliche Replikation im Rezipienten. ④ Rezirkularisieren der dsDNA. ⑤ Überspiralisieren der DNA und Trennen der Zellen. ssDNA, einzelsträngige DNA; dsDNA, doppelsträngige DNA.

198

●V

Gene der Mpf-(mating pair formation-)Region codieren Produkte, die ähnlich zu den Produkten von Pathogenitätsinseln in humanpathogenen Krankheitserregern sind. Dies sind die Produkte der dot/icm-Genregion von Legionella pneumophila (dem Erreger der Legionärskrankheit), der ptl-Gene von Bordetella pertussis (dem Keuchhustenerreger) und der cag-Region von Helicobacter pylori (dem Erreger von Magengeschwüren). Ptl-Proteine sorgen für den Export des aus mehreren Untereinheiten bestehenden Pertussistoxins durch die äußere Membran. Das Dot/ Icm-System transportiert inhibitorische Effektorproteine in Makrophagen. Cag-Proteine bilden ein Proteinexportsystem für das Toxin CagA, das die Funktion von vielen regulatorischen Proteinen in der eukaryontischen Wirtszelle beeinflusst. Bereits bei der Betrachtung des Transfers der Ti-DNA von Agrobacterium tumefaciens in die Pflanzenzelle (Plus 6.12) wird offensichtlich, dass MpfProteine nicht nur den Nukleoproteinkomplex, sondern auch bestimmte Proteine exportieren können. Die konjugativen Exporter und die genannten Proteinexporter werden deshalb als eine verwandte Klasse von Membrantransportern zusammengefasst und als Typ-IV-Sekretionssysteme (S. 349) bezeichnet.

6.7 Mechanismen der Genübertragung pienten erfolgt die Replikation diskontinuierlich. An der Termination des Transfers ist wiederum die Relaxase entscheidend beteiligt, da sie die oriT-Region in der übertragenen DNA erkennt und die Lücke im Zuckerphosphatrückgrat verschließt.

a

traGene

Hfr-Stämme

b

IS3

c

d

IS3

oriT

Eine besondere Form des konjugativen DNA-Transfers wird in ▶ Abb. 6.14 am Beispiel des F-Plasmids beleuchtet. Wie bereits erwähnt, sind auf dem F-Plasmid mobile genetische Elemente lokalisiert, die auch im E.-coli-Chromosom vorhanden sind. Durch Rekombination kann das F-Plasmid deshalb in das bakterielle Chromosom integrieren. Das Resultat ist ein Bakterienstamm, der bei der

a b IS3

IS3 c d oriT tra-Gene

Abb. 6.14 Schema der Integration eines F-Plasmids.

●V

Plus 6.12 Modell der Interaktionen zwischen Pflanze und Agrobacterium tumefaciens Ti-Plasmide von Agrobacterium tumefaciens stellen besondere konjugative Plasmide dar. Sie besitzen die genetische Ausstattung für zwei vollständige DNA-Transfersysteme, eines für den Transfer innerhalb gramnegativer Bakterien, das zweite für die Transkingdom-Übertragung der Transfer(T-)DNA in Zellen zweikeimblättriger Pflanzen. Das Bakterium nimmt Wundausscheidungen der Pflanze (z. B. Acetosyringon) mithilfe des membranständigen Sensors VirA wahr. Das führt zur Phosphorylierung des Regulators VirG und aktiviert in der Folge die Expression der vir-Gene. Nach Einführung eines Einzelstrangbruchs am Ende der T-DNA wird die Relaxase VirD2 kovalent mit dem 5’-Ende verknüpft (▶ Abb. 6.15). Das Typ-IV-Exportsystem aus VirB-Proteinen transportiert den T-Komplex und parallel VirE2 in die Pflanze. Dort bindet VirE2 an die T-DNA. Nach Transport in den

PhytohormonSynthasen

Zellkern (unter Beteiligung pflanzlicher Proteine) integriert die T-DNA in chromosomale DNA des Wirtes und wird exprimiert. Phytohormon-Synthasen werden synthetisiert und sorgen durch Produktion der Hormone Indolessigsäure und Cytokinin für Kalluswachstum. Opin-Synthasen vermitteln die Produktion von Opinen (Plus 19.9) (S. 677). Opine sind modifizierte Aminosäuren. Sie werden von A. tumefaciens durch spezielle Transporter aufgenommen, durch Hydrolasen in verwertbare Produkte gespalten und diese als C-, Energie- und N-Quellen verwertet. Agrobakterien spielen auch eine wichtige Rolle in der Grünen Gentechnik. Zur stabilen Verankerung von Fremdgenen in Pflanzengenomen werden rekombinante Stämme mit modifizierten Ti-Plasmiden verwendet, in denen die tumorinduzierenden Funktionen in der T-DNA durch Fremdgene ersetzt sind.

OpinSynthasen

T-DNA

Abb. 6.15 Gentransfer zwischen Agrobakterien und Pflanzen.

Nukleus Kernpore VirD2

T-Komplex

5'

3'

Pflanzenzelle VirB-Pore

Agrobacterium 3' Ti-Plasmid

5'

VirE2

VirD2

vir-Gene OpinHydrolasen

VirG P Wundausscheidungen (Phenole, Zucker)

VirA

Opintransporter Opine

9

Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie Konjugation das gesamte Chromosom in Empfängerzellen übertragen kann. Derartige Stämme werden als HfrStämme (für engl. high frequency of recombination) bezeichnet. Je nach Insertionsort und Orientierung des Plasmids, übertragen unterschiedliche Hfr-Stämme chromosomale Gene in unterschiedlicher Reihenfolge. Einzelne Fragmente können mit homologen Abschnitten des Chromosoms der Empfängerzelle rekombinieren. Die Übertragung des gesamten Chromosoms dauert etwa 100 Minuten. Dabei kann das einzelsträngige DNA-Molekül zerbrechen. Mithilfe verschiedener Hfr-Stämme und vieler Konjugationsexperimente, bei denen der DNA-Transfer durch starkes Schütteln der Zellen zu verschiedenen Zeitpunkten unterbrochen wurde, konnte die Reihenfolge vieler Gene auf dem E.-coli-Chromosom lange vor der Bestimmung der Basensequenz in der DNA ermittelt werden. Die grobe Genkarte verzeichnete die Position der Gene auf einem „Zifferblatt von 0–100 Minuten", je nach der Zeitspanne, die benötigt wurde, bis die betreffenden Gene bei der Konjugation übertragen wurden. Dabei wurde als 0/100 willkürlich die Position des Threonin-Biosynthese-Operons (thrABC) festgelegt.

Mobilisierbare Plasmide Konjugative Plasmide, wie der F-Faktor (Plus 6.10) (S. 197), das Ti-Plasmid von Agrobacterium tumefaciens (Plus 6.12) oder viele Resistenzplasmide (Plus 6.13) (S. 200), tragen selbst alle für die Konjugation notwendigen Gene. Im Gegensatz dazu sind manche natürliche, kleine Plasmide nicht selbsttransmissibel, können aber in Gegenwart eines konjugativen Helferplasmids mobilisiert

werden. Mobilisierbare Plasmide besitzen einen oriT und codieren die Proteine, die das Relaxosom bilden. Die MpfFunktionen werden durch das Helferplasmid bereitgestellt.

Konjugation zwischen grampositiven Bakterien und zwischen Archaebakterien Anders als bei den gramnegativen Bakterien ist der Konjugationsprozess bei den grampositiven Bakterien und den Archaebakterien weniger gut verstanden. Im Regelfall produzieren auch grampositive Donorzellen ein Typ-IVSekretionssystem. Eine interessante Variante stellt die pheromonabhängige konjugative Plasmidübertragung zwischen Zellen von Enterococcus-Arten (S. 559) dar. Plasmidfreie Zellen scheiden kurze Peptide, sogenannte Sexpheromone aus, die plasmidhaltige Donorzellen zur Produktion einer „Aggregationsssubstanz“ veranlassen. Dadurch wird die Zellaggregation als Grundlage für die anschließende DNA-Übertragung ausgelöst. Auch für einige Archaebakterien wurde eine konjugative Plasmidübertragung nachgewiesen. Während in dem hyperthermophilen Sulfolobus solfataricus spezielle Pili für die Zellaggregation erforderlich sind, spielen vergleichbare Pili bei der Konjugation zwischen Zellen des extrem halophilen Haloferax volcanii offensichtlich keine wesentliche Rolle.

6.7.3 Transduktion Diese Form der DNA-Übertragung zwischen Bakterien wird durch temperente Bakteriophagen (S. 119) vermit-

●V

Plus 6.13

200

60/ 0

or iT 50

Tn1 10

tra1

40

hA ap

RP4 (60 099 bp)

IS21 par

RP4 zählt zu einer Gruppe konjugativer Plasmide, die als Resistenztransferfaktoren oder R-Plasmide bezeichnet werden und für die schnelle Verbreitung von Antibiotikaresistenzgenen unter gramnegativen Bakterien verantwortlich sind. An RP4, einem Vertreter der IncP-1α-Gruppe, wurden viele molekulare Details der Konjugation aufgeklärt. RP4codierte Sexpili unterscheiden sich von F-Pili. Im Gegensatz zu diesen langen, flexiblen Strukturen sind RP4-codierte Pili kurz und starr. RP4 enthält Gene für Resistenzen gegen drei Klassen von Antibiotika (▶ Abb. 6.16): β-Lactame, zu denen die Penicilline zählen (bla-Gen auf dem Transposon Tn1), Aminoglykoside vom Kanamycintyp (aphA-Gen, direkt benachbart zu IS21) und Tetrazykline (tetRA-Gene). Die 20 essenziellen Transfergene sind in den Regionen Tra1 und Tra2 angeordnet. Die vegetative Replikation beginnt am oriV unter Beteiligung des Proteins TrfA. Die Produkte des par-Locus sorgen für die gleichmäßige Verteilung der Plasmidkopien während der Zellteilung. Die konjugative Übertragung startet am oriT.

bla

Das Resistenzplasmid RP4

tra2 30

Abb. 6.16 Physikalische Karte von RP4.

oriV tetR tetA

trfA 20

6.7 Mechanismen der Genübertragung

1. Infektionszyklus

durch Rekombination gegen die transduzierte DNA ausgetauscht werden.

Spezifische Transduktion

2. Infektionszyklus

Abb. 6.17 Transduktion. Im 1. Infektionszyklus infiziert ein transduzierender Phage eine Bakterienkultur. Im Anschluss wird die bakterielle DNA zerstückelt. Bei der Verpackung der DNA in neue Viruspartikel entstehen auch solche Phagen, die WirtsDNA (mit Marker X) anstelle von Phagen-DNA enthalten. Im 2. Infektionszyklus kann Wirts-DNA mit dem Marker X in befallene Zellen übertragen und durch homologe Rekombination integriert werden. Dadurch kann z. B. ein defektes Gen (0) durch das intakte Allel ersetzt werden.

telt (▶ Abb. 6.17). Transduktion durch Phagen wurde auch in Archaebakterien beschrieben. Grundsätzlich unterscheidet man eine allgemeine (generelle) und eine (orts-) spezifische Transduktion.

Allgemeine Transduktion Der E.-coli-Phage P1 ist ein temperenter, allgemein transduzierender Phage. Im Prophagenzustand liegt sein etwa 100 kb umfassendes Genom in Form eines doppelsträngigen, zirkulären DNA-Moleküls in der Zelle vor, das sich wie ein Plasmid mit niedriger Kopienzahl verhält. Nach Eintritt in den lytischen Zyklus wird die P1-DNA nach einem Rolling-Circle-Mechanismus repliziert, sodass linear aneinandergereihte Kopien entstehen, sogenannte Concatemere. Die Verpackungsmaschinerie schneidet Stücke von etwas mehr als 100 kb Länge von diesen Concatemeren ab, welche die Phagenköpfe vollständig ausfüllen (Headful-Mechanismus) (S. 121). In Ausnahmefällen werden anstelle der concatemeren Phagen-DNA Bruchstücke des bakteriellen Chromosoms zur Verpackung verwendet. Da die Länge des eingepackten Stücks Bakteriengenom der Länge der Virus-DNA entspricht, entstehen Phagenpartikel, die ausschließlich bakterielle DNA mit einer Länge von etwa 100 kb enthalten. Innerhalb einer Population transduzierender Phagen können prinzipiell alle Gene des Wirtes enthalten sein. Nach Injektion in eine Bakterienzelle kann der homologe DNA-Bereich

Der λ-Phage ist im Gegensatz zum Phagen P1 ein Beispiel für einen ortsspezifisch transduzierenden Phagen. Im Prophagenzustand ist die λ-DNA im E.-coli-Chromosom integriert. Dem Insertionsort benachbart sind auf einer Seite ein Gen unbekannter Funktion und fünf Biotinsynthesegene (bio) lokalisiert. Auf der anderen Seite liegen sieben Gene unbekannter Funktion, fünf Gene (mod), die ein ABC-Transportsystem für Molybdat codieren, und anschließend das Operon für die Galactoseverwertung (gal). Beim Übergang in den lytischen Zyklus schert die DNA aus dem Chromosom aus. Fehlerhaftes Ausschneiden führt zu spezifisch transduzierenden Phagen. Solchen Phagen fehlen an einem Ende λ-spezifische Gene. Dafür enthalten sie an ihrem anderen Ende bakterielle DNA. Man kennt seit langem λbio+- und λgal+-transduzierende Phagen, die in entsprechenden E.-coli-Mutanten Biotinauxotrophie oder die Unfähigkeit zur Galactoseverwertung durch Rekombination aufheben können. Der λ-Phage zählt zu einer ganzen Familie von ortsspezifisch transduzierenden lambdoiden Phagen. Viele natürliche E.-coliStämme enthalten lambdoide Prophagen, die wesentlich zur Pathogenität mancher Stämme beitragen (Plus 6.20) (S. 222).

Andere Transduktionsformen Besondere Formen der Transduktion wurden in Rhodobacter capsulatus, Desulfovibrio desulfuricans, dem Spirochäten Brachyspira hyodysenteriae und in dem methanogenen Archaebakterium Methanococcus voltae beobachtet. Diese Organismen produzieren ein sogenanntes Gentransfer-Agens (GTA). Dabei handelt es sich um Phagenpartikel, durch die chromosomale DNA von einer Donorin eine Empfängerzelle übertragen werden kann. Durch vergleichende Genomanalysen wurden GTA nicht nur in R. capsulatus, sondern auch in vielen anderen Vertretern der Alphaproteobakterien nachgewiesen. Allen GTA gemeinsam sind die willkürliche Auswahl der zu verpackenden DNA und die Tatsache, dass generell deutlich kleinere DNA-Abschnitte in die transduzierenden Partikel verpackt werden als die eigene Bauanleitung benötigen würde. In dem gut untersuchten GTA aus dem phototrophen Bakterium R. capsulatus werden beliebige chromosomale Abschnitte mit einer Länge von etwa 4,4 kb verpackt und in Empfängerzellen übertragen. Das GTA wird von 15–17 Genen codiert, die etwa 15 kb umfassen. Es ist anzunehmen, dass GTA aus temperenten Phagen entstanden sind, die die Fähigkeit zur spezifischen Verpackung ihres eigenen Genoms verloren haben.

1

Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie

6.8 Restriktion, Modifikation und prokaryontische Immunsysteme Die Aufnahme exogener DNA ist eine unter Prokaryonten verbreitete Eigenschaft. Die Zellen schützen sich vor den möglichen fatalen Folgen des Eindringens von fremder DNA, z. B. bei einer Phageninfektion, indem sie zwischen DNA ihrer Art und fremder DNA unterscheiden und letztere abbauen. Diesen Prozess bezeichnet man als Restriktion, die abbauenden Enzyme als Restriktionsendonukleasen. Für die Entdeckung dieser Enzyme wurden Werner Arber, Daniel Nathans und Hamilton O. Smith 1978 mit dem Nobelpreis für Physiologie oder Medizin ausgezeichnet. Der Schutz ist allerdings nicht absolut, da Phagen und konjugative Plasmide auch Gene für Antirestriktionsenzyme enthalten können. Prokaryonten schützen ihre eigene DNA durch Methylierung bestimmter Cytosin- oder Adeninreste vor dem Abbau. Der Methylgruppendonator für diese Methyltransferasen ist S-Adenosylmethionin (S. 306). Die Kombination aus einer Restriktionsendonuklease und einer Methyltransferase nennt man Restriktions-/Modifikations-(R/M-)System. R/M-Systeme werden anhand verschiedener Kriterien in Gruppen eingeteilt (▶ Abb. 6.18). Viele Prokaryonten besitzen neben einem R/M-System ein RNA-basiertes Immunsystem zum Schutz vor Fremd-DNA.

6.8.1 Typ-I-R/M-Systeme Diese Systeme sind heterooligomere Enzyme, die eine Endonuklease- und eine Methyltransferaseaktivität in einem Komplex enthalten. Die enzymatische Aktivität ist abhängig von ATP und S-Adenosylmethionin. Typ-I-R/MSysteme erkennen zweiteilige, asymmetrische Nukleotidfolgen in der DNA, zwei spezifische Folgen von 3–4 und 4–5 Nukleotiden, die durch 6–8 bp voneinander getrennt

Typ I

HsdR (Endonuklease)

Typ II

HsdM HsdS (Methy- (Spezifität) lase)

Heterooligomer

HsdR (Endonuklease)

HsdM (Methylase)

Homodimer

Monomer

sind. Fremd-DNA, die aufgenommen wird und die Erkennungssequenz enthält, wird durch die Endonukleaseaktivität gespalten, da die Erkennungssequenz in nichtmethylierter Form vorliegt. Die Spaltstelle ist nicht exakt definiert und kann mehr als 1000 bp von der Erkennungssequenz entfernt liegen. Hemimethylierte Erkennungssequenzen, die unmittelbar nach der Replikation vorliegen, sind das Substrat für die Methyltransferaseaktivität.

6.8.2 Typ-II-R/M-Systeme Typ-II-R/M-Systeme sind seit den 1970er-Jahren bekannt. Die Entdeckung solcher Systeme mit unterschiedlichen Erkennungssequenzen in vielen Prokaryonten hatte großen Einfluss auf die Entwicklung der Gentechnologie. Bei den Typ-II-R/M-Systemen sind die Endonuklease (Mg2 + abhängig) und die Methyltransferase getrennte, nicht miteinander verwandte Enzyme, die jedoch identische Erkennungssequenzen nutzen. Die Erkennungssequenzen bestehen aus 4–8 bp und sind häufig gegenläufig gleich aufgebaut, man spricht von palindromischen Strukturen. Je nach der Struktur der Enzyme, der Anzahl und Struktur der Erkennungsstellen sowie der Anzahl und Struktur der Schnittstellen werden Typ-II-R/M-Systeme in 11 Subgruppen (A–C, E–H, M, P, S, T) eingeteilt. Die Spaltstellen der Typ-II-Restriktionsendonukleasen liegen meistens innerhalb der Erkennungssequenz. Viele Typ-II-Restriktionsenzyme spalten die beiden Stränge versetzt und erzeugen deshalb DNA-Fragmente mit überhängenden Einzelstrangenden. Solche DNA-Fragmente können sich mit den komplementären Enden von Vektormolekülen, die mit demselben Restriktionsenzym behandelt wurden, zusammenlagern. Durch die DNA-Ligase können Vektor und Fragment kovalent miteinander verknüpft werden.

Typ III

HsdM (Methylase)

HsdR (Endonuklease)

Heterooligomer

Beispiel (Erkennungssequenz) EcoKI (AAC(N6)GTGC)

EcoRI (GAATTC)

EcoPI (AGACC)

Schnittstelle > 1000 bp von der Erkennungssequenz entfernt

202

innerhalb der Erkennungssequenz oder direkt benachbart

25–27 bp von der Erkennungssequenz entfernt

Abb. 6.18 Eigenschaften prokaryontischer Restriktions-/Modifikationssysteme. Typ-IRestriktionsendonukleasen sind Heterooligomere aus drei Untereinheiten (HsdR, HsdM und HsdS). Typ-II-Restriktionsendonukleasen sind Homodimere und wirken unabhängig von den zugehörigen Methylasen. Typ-III-Restriktionsendonukleasen sind Heterooligomere aus zwei Untereinheiten, einer Methylase und einer Endonuklease. Hsd steht für engl. host specificity for DNA. N in der Erkennungssequenz steht für ein beliebiges Nukleotid.

6.9 Expression genetischer Information: Transkription und Translation

6.8.3 Typ-III-R/M-Systeme Typ-III-R/M-Systeme sind ebenfalls heterooligomere Enzymkomplexe mit Endonuklease- und Methyltransferaseaktivität; sie benötigen MgATP wie die Typ-I-Systeme. Definierte asymmetrische Folgen von 5–7 bp dienen als Erkennungssequenzen. Im Gegensatz zu den Typ-I-Systemen spalten Typ-III-R/M-Systeme die DNA an definierten Positionen, die 25–27 bp von der Erkennungssequenz entfernt liegen.

6.8.4 Typ-IV-Restriktionsendonukleasen Restriktionsendonukleasen vom Typ IV sind methylierungsabhängig. In E. coli sind das die Enzyme McrA, McrBC und Mrr. Sie spalten nur methylierte DNA, im Gegensatz zu den R/M-Systemen, deren Nukleaseaktivität durch Methylierung von Basen innerhalb der Erkennungssequenz gehemmt wird. Im Falle von McrBC dienen zwei RmC-Folgen in variablem Abstand (40 bis mehrere Hundert Nukleotide) als Erkennungssequenzen. R steht dabei für Purin und mC für 4- oder 5-Methylcytosin.

6.8.5 Immunsystem in Eubakterien und Archaebakterien Seit ihrer Entdeckung Ende der 1980er-Jahre wurden bis heute in etwa der Hälfte aller eubakteriellen und etwa 90 % der archaebakteriellen Genome auffällige Abschnitte gefunden, die aus vielen direkten Sequenzwiederholungen von 20–50 bp (Repeats) bestehen, welche durch etwa ebenso lange Spacer mit völlig unterschiedlichen Sequenzen voneinander getrennt sind. Diese genomischen Abschnitte werden als CRISPR (für engl. clustered regularly interspaced short palindromic repeats) bezeichnet. Die unterschiedlichen Spacer repräsentieren Sequenzen von Phagengenomen oder Plasmiden. Verschiedene CRISPRTypen sind mit einer unterschiedlichen Anzahl von casGenen (für engl. CRISPR-associated) verknüpft. Obwohl viele mechanistische Details noch unverstanden sind, wurde die Funktion der CRISPR-Sequenzen und cas-Gene aufgeklärt: Beide bilden zusammen ein funktionelles Immunsystem. Phagen- oder Plasmid-DNA, die in die Zellen gelangt, wird teilweise gespalten. Kleine Spaltprodukte werden dann als Spacer in den CRISPR-Locus integriert, der mehrere Hundert verschiedene Spacer enthalten kann. Art und Anzahl der Spacer geben daher Auskunft über die Fremd-DNA, der ein Bakterienstamm in der Vergangenheit ausgesetzt war. Der CRISPR-Locus wird in eine RNASequenz transkribiert, welche in kleine, als crRNAs bezeichnete Moleküle gespalten wird. Diese crRNAs entsprechen den einzelnen Spacern und enthalten zusätzlich Teile der Sequenzwiederholungen. Die crRNAs binden an ein oder mehrere Cas-Proteine, wodurch Nukleoprotein-

komplexe entstehen, die eine Wächterfunktion innehaben. Bei einer erneuten Phageninfektion oder nach konjugativer Plasmidaufnahme binden Wächterkomplexe mithilfe der crRNA je nach CRISPR-Typ entweder an komplementäre Sequenzen der Fremd-DNA oder an deren Transkripte. Anschließend werden die Fremd-DNA bzw. die davon abgeleiteten mRNAs enzymatisch abgebaut. Dadurch wird bei beiden Varianten die eingedrungene und potenziell schädliche genetische Information eliminiert. CRISPR-Systeme, die fremde Nukleinsäuren auf der Ebene der mRNA attackieren, erlauben auch den Schutz gegenüber Bakteriophagen, deren Genom aus RNA besteht.

6.9 Expression genetischer Information: Transkription und Translation Die Expression der genetischen Information erfolgt durch die Prozesse Transkription und Translation. Beide Vorgänge unterliegen Kontrollmechanismen, welche die Genexpression regulieren (S. 495). Im vorliegenden Abschnitt werden die grundlegenden Mechanismen der prokaryontischen Genexpression besprochen.

6.9.1 Transkription Der Fluss der genetischen Information ist im Normalfall unidirektional: von der DNA über RNA zum Protein. Ausnahmen von dieser Regel kommen u. a. bei RNA-Viren (S. 132) vor, die ihr RNA-Genom replizieren oder revers in DNA transkribieren. Weitere Ausnahmen finden sich bei – auch unter Bakterien verbreiteten – Retroelementen, bei denen durch reverse Transkription RNA in cDNA (c für engl. copy oder complementary) umgeschrieben wird. Im Regelfall ist jedoch doppelsträngige DNA der Ausgangspunkt für die Genexpression. Durch die Transkription wird eine einzelsträngige RNA-Kopie hergestellt. Die RNA kann entweder als Vorlage bei der Proteinbiosynthese (mRNA) dienen oder selbst das Endprodukt sein (als rRNA, tRNA sowie als kleine, stabile RNA-Moleküle mit unterschiedlichen Funktionen). So können RNA-Moleküle katalytische Funktionen besitzen. Beispiele sind die 23SrRNA prokaryontischer Ribosomen bzw. die 28S-rRNA der eukaryontischen Pendants, welche die Peptidyltransferasereaktion (S. 207) bei der Translation katalysieren. Andere Beispiele sind die Hammerhead-Ribozyme. Hierbei handelt es sich um 50–150 Nukleotide lange RNAs, die sich autokatalytisch selbst spalten. Der Name leitet sich von einem Bereich ab, dessen zweidimensionale Struktur einem Hammerkopf ähnelt. Bei RNA-Viroiden (S. 138) sorgen solche Ribozyme für die Spaltung aneinandergereihter Genomkopien. In Prokaryonten wurden Hammerhead-Ribozyme in intergenischen Regionen gefunden. Ob diese Ribozyme eine physiologische Funktion

3

6.9 Expression genetischer Information: Transkription und Translation

6.8.3 Typ-III-R/M-Systeme Typ-III-R/M-Systeme sind ebenfalls heterooligomere Enzymkomplexe mit Endonuklease- und Methyltransferaseaktivität; sie benötigen MgATP wie die Typ-I-Systeme. Definierte asymmetrische Folgen von 5–7 bp dienen als Erkennungssequenzen. Im Gegensatz zu den Typ-I-Systemen spalten Typ-III-R/M-Systeme die DNA an definierten Positionen, die 25–27 bp von der Erkennungssequenz entfernt liegen.

6.8.4 Typ-IV-Restriktionsendonukleasen Restriktionsendonukleasen vom Typ IV sind methylierungsabhängig. In E. coli sind das die Enzyme McrA, McrBC und Mrr. Sie spalten nur methylierte DNA, im Gegensatz zu den R/M-Systemen, deren Nukleaseaktivität durch Methylierung von Basen innerhalb der Erkennungssequenz gehemmt wird. Im Falle von McrBC dienen zwei RmC-Folgen in variablem Abstand (40 bis mehrere Hundert Nukleotide) als Erkennungssequenzen. R steht dabei für Purin und mC für 4- oder 5-Methylcytosin.

6.8.5 Immunsystem in Eubakterien und Archaebakterien Seit ihrer Entdeckung Ende der 1980er-Jahre wurden bis heute in etwa der Hälfte aller eubakteriellen und etwa 90 % der archaebakteriellen Genome auffällige Abschnitte gefunden, die aus vielen direkten Sequenzwiederholungen von 20–50 bp (Repeats) bestehen, welche durch etwa ebenso lange Spacer mit völlig unterschiedlichen Sequenzen voneinander getrennt sind. Diese genomischen Abschnitte werden als CRISPR (für engl. clustered regularly interspaced short palindromic repeats) bezeichnet. Die unterschiedlichen Spacer repräsentieren Sequenzen von Phagengenomen oder Plasmiden. Verschiedene CRISPRTypen sind mit einer unterschiedlichen Anzahl von casGenen (für engl. CRISPR-associated) verknüpft. Obwohl viele mechanistische Details noch unverstanden sind, wurde die Funktion der CRISPR-Sequenzen und cas-Gene aufgeklärt: Beide bilden zusammen ein funktionelles Immunsystem. Phagen- oder Plasmid-DNA, die in die Zellen gelangt, wird teilweise gespalten. Kleine Spaltprodukte werden dann als Spacer in den CRISPR-Locus integriert, der mehrere Hundert verschiedene Spacer enthalten kann. Art und Anzahl der Spacer geben daher Auskunft über die Fremd-DNA, der ein Bakterienstamm in der Vergangenheit ausgesetzt war. Der CRISPR-Locus wird in eine RNASequenz transkribiert, welche in kleine, als crRNAs bezeichnete Moleküle gespalten wird. Diese crRNAs entsprechen den einzelnen Spacern und enthalten zusätzlich Teile der Sequenzwiederholungen. Die crRNAs binden an ein oder mehrere Cas-Proteine, wodurch Nukleoprotein-

komplexe entstehen, die eine Wächterfunktion innehaben. Bei einer erneuten Phageninfektion oder nach konjugativer Plasmidaufnahme binden Wächterkomplexe mithilfe der crRNA je nach CRISPR-Typ entweder an komplementäre Sequenzen der Fremd-DNA oder an deren Transkripte. Anschließend werden die Fremd-DNA bzw. die davon abgeleiteten mRNAs enzymatisch abgebaut. Dadurch wird bei beiden Varianten die eingedrungene und potenziell schädliche genetische Information eliminiert. CRISPR-Systeme, die fremde Nukleinsäuren auf der Ebene der mRNA attackieren, erlauben auch den Schutz gegenüber Bakteriophagen, deren Genom aus RNA besteht.

6.9 Expression genetischer Information: Transkription und Translation Die Expression der genetischen Information erfolgt durch die Prozesse Transkription und Translation. Beide Vorgänge unterliegen Kontrollmechanismen, welche die Genexpression regulieren (S. 495). Im vorliegenden Abschnitt werden die grundlegenden Mechanismen der prokaryontischen Genexpression besprochen.

6.9.1 Transkription Der Fluss der genetischen Information ist im Normalfall unidirektional: von der DNA über RNA zum Protein. Ausnahmen von dieser Regel kommen u. a. bei RNA-Viren (S. 132) vor, die ihr RNA-Genom replizieren oder revers in DNA transkribieren. Weitere Ausnahmen finden sich bei – auch unter Bakterien verbreiteten – Retroelementen, bei denen durch reverse Transkription RNA in cDNA (c für engl. copy oder complementary) umgeschrieben wird. Im Regelfall ist jedoch doppelsträngige DNA der Ausgangspunkt für die Genexpression. Durch die Transkription wird eine einzelsträngige RNA-Kopie hergestellt. Die RNA kann entweder als Vorlage bei der Proteinbiosynthese (mRNA) dienen oder selbst das Endprodukt sein (als rRNA, tRNA sowie als kleine, stabile RNA-Moleküle mit unterschiedlichen Funktionen). So können RNA-Moleküle katalytische Funktionen besitzen. Beispiele sind die 23SrRNA prokaryontischer Ribosomen bzw. die 28S-rRNA der eukaryontischen Pendants, welche die Peptidyltransferasereaktion (S. 207) bei der Translation katalysieren. Andere Beispiele sind die Hammerhead-Ribozyme. Hierbei handelt es sich um 50–150 Nukleotide lange RNAs, die sich autokatalytisch selbst spalten. Der Name leitet sich von einem Bereich ab, dessen zweidimensionale Struktur einem Hammerkopf ähnelt. Bei RNA-Viroiden (S. 138) sorgen solche Ribozyme für die Spaltung aneinandergereihter Genomkopien. In Prokaryonten wurden Hammerhead-Ribozyme in intergenischen Regionen gefunden. Ob diese Ribozyme eine physiologische Funktion

3

Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie –10

– 35 5' 3'

T C T T GA C A AGAA C T G T

+1

TATAAT ATATTA 17± 1 bp

CAT GTA

3' 5'

5-7 bp entwunden im offenen Promotorkomplex RNA

besitzen oder genomische Relikte darstellen, ist noch unklar. Die spezielle Funktion der sogenannten TransferMessenger-RNA (tmRNA) bei der Kontrolle der Translation wird weiter unten kurz besprochen. Die Funktion kleiner, nichtcodierender RNAs bei der Kontrolle der Genexpression wird in Kapitel 16 behandelt. Im Gegensatz zu Eukaryonten werden in Prokaryonten häufig mehrere benachbarte Gene in eine mRNA transkribiert; man spricht dann von einem Operon, das in eine polycistronische mRNA umgeschrieben wird.

RNA-Polymerasen Zentrale Enzyme der Transkription sind die RNA-Polymerasen, die spezifische Startpunkte (Promotoren) auf der DNA erkennen und die Polymerisation der Ribonukleotidkette katalysieren. Beim Vergleich des Transkriptionsapparats von Archaebakterien und Eubakterien fallen Gemeinsamkeiten, aber auch wesentliche Unterschiede auf. Beide Gruppen besitzen nur eine RNA-Polymerase, im Gegensatz zu Eukaryonten, die drei unterschiedliche RNA-Polymerasen in ihrem Zellkern enthalten. Die eubakterielle RNA-Polymerase besteht aus den Untereinheiten α2ββ’ω. Zur Erkennung spezifischer Promotoren, also zur Initiation der Transkription, muss diese sogenannte Core-RNA-Polymerase eine weitere Untereinheit, den σ-Faktor enthalten. Diese vollständige Form des Enzyms wird als Holo-RNA-Polymerase bezeichnet. In einer Bakterienzelle gibt es mehrere verschiedene σ-Faktoren (S. 496), die jeweils spezifisch bestimmte Promotorsequenzen erkennen. Archaebakterielle RNA-Polymerasen enthalten Untereinheiten, die homolog zu denen der bakteriellen Enzyme sind, aber zusätzlich 7 weitere Untereinheiten. Die Transkriptionsmaschinerie in Archaebakterien ähnelt insgesamt eher dem eukaryontischen RNA-Polymerase-II-Apparat, der für die Transkription von proteincodierenden Genen zuständig ist. Archaebakterielle RNA-Polymerasen sind wie die eukaryontischen Enzyme nicht in der Lage, Promotorsequenzen effektiv zu erkennen. Dazu werden mindestens zwei weitere Komponenten benötigt, das TATA-Box-Bindeprotein (TBP) und der Transkriptionsfaktor B (TFB). Diese binden an die TATA-Box und an ein stromaufwärts benachbartes TFBRecognition-Element in archaebakteriellen Promotoren.

204

3'

5' ppp A

Abb. 6.19 Struktur eines Musterpromotors in E. coli. Die –35- und die –10Region werden von der σ70-Untereinheit der RNA-Polymerase erkannt. Zur Initiation der Transkription entwindet die RNA-Polymerase etwa 10 bp im Bereich des Startpunkts (+ 1). Die RNA-Kette beginnt in den meisten Fällen mit 5’-pppA oder 5’-pppG. Der obere der beiden DNA-Stränge ist der Sinnstrang, der untere ist der transkribierte (codogene) Strang.

Initiation und Elongation Die Struktur eines typischen bakteriellen Promotors ist in ▶ Abb. 6.19 gezeigt. Charakteristisch sind konservierte Nukleotidfolgen um die Positionen –35 und –10 (Pribnow-Box) und eine meist AT-reiche Region um –43 relativ zu dem als + 1 bezeichneten Startpunkt der Transkription. Die –35- und die –10-Region werden von der σ70-beladenen Holo-RNA-Polymerase erkannt. σ70 (das Gen heißt in der Nomenklatur bei E. coli rpoD) ist der Standard-σ-Faktor. Die beiden α-Untereinheiten der RNAPolymerase kommen in Kontakt mit der –43-Region. Die spezifische Erkennung von Promotoren stellt den ersten Schritt während der Initiation der Transkription dar. Der zweite Schritt beinhaltet eine Isomerisierung zum sogenannten offenen Komplex. Dabei werden etwa 10 bp der DNA um den Startpunkt herum entwunden und die erste Phosphodiesterbindung zwischen zwei Ribonukleotiden geknüpft. Der dritte, als Promoter Clearance bezeichnete Schritt stellt den Übergang zur Elongation (▶ Abb. 6.20) dar. In dieser Phase dissoziiert der σ-Faktor ab und das Core-Enzym setzt die Polymerisation mit einer Ge-

∼35 bp ∼12 –14 bp ∼ 8 bp

entwundene DNA DNA-RNA-Hybrid

RNA-Polymerase

5' 3'

5'

Bewegung

DNA 3' RNA NTP

Abb. 6.20 Elongation der RNA-Kette. Gezeigt ist der stabile Dreierkomplex aus DNA, RNA und RNA-Polymerase. Das Enzym gleitet an der DNA entlang und entwindet den Doppelstrang. Die RNA-Kette wird am 3’-Ende durch Anheften von Nukleosidtriphosphaten (NTP) verlängert, wobei Pyrophosphat abgespalten wird.

6.9 Expression genetischer Information: Transkription und Translation schwindigkeit von etwa 50–100 Nukleotiden pro Sekunde fort. Allerdings können Haarnadelschleifen in der entstehenden RNA-Kette oder an die DNA gebundene Proteine zu Verzögerungen oder sogar zum zwischenzeitlichen Anhalten der RNA-Polymerase führen.

Termination Zur Termination der Transkription existieren in den meisten Bakterien zwei unterschiedliche Mechanismen. Intrinsische Terminatoren sind GC-reiche Abschnitte auf der mRNA, die als umgekehrte Wiederholungen nach Stoppcodons (s. u.) angeordnet sind; sie können Haarnadelschleifen mit einem Stamm aus etwa 4–10 GC-Paaren und einer Schleife aus 3–8 Nukleotiden ausbilden, gefolgt von mehreren Uracilnukleotiden. Der doppelsträngige RNA-Abschnitt führt zum Zerfall des stabilen Dreierkomplexes aus Enzym, DNA und RNA und somit zum Abbruch der Transkription. Diese Terminatoren benötigen keine weiteren Faktoren. Rho-abhängige Terminatoren sind nicht an Signaturen der DNA-Sequenz oder an RNAStrukturen zu erkennen. Zur Termination ist das hexamere Protein Rho erforderlich. Rho ist ein RNA-bindendes Protein, das die Transkription durch Kontakt mit pausierenden RNA-Polymerasen terminiert. Wie bereits erwähnt, haben RNA-Moleküle sehr unterschiedliche Funktionen. Ribosomale RNA (rRNA) bildet den Hauptteil der zellulären RNA (etwa 80 %); sie erfüllt als Bestandteil der Ribosomen wesentliche katalytische Aufgaben bei der Proteinbiosynthese. Transfer-RNA-Moleküle (tRNAs) machen etwa 10–15 % der Gesamt-RNA aus. Nur etwa 5–10 % der RNA sind Transkripte, die als Messenger-RNA (mRNA) als Matrize für die Translation dienen. Ein Kennzeichen von bakteriellen mRNA-Molekülen ist die geringe Halbwertszeit, die typischerweise im Minutenbereich liegt. Es gibt allerdings auch bakterielle mRNA mit Halbwertszeiten von mehr als einer Stunde. Die Mechanismen der Stabilisierung dieser Transkripte sind nicht völlig geklärt. Der Abbau erfolgt durch endonukleolytischen und anschließend exonukleolytischen Angriff durch verschiedene RNasen, die in Bakterien in einem als RNA-Degradosom bezeichneten Multienzymkomplex lokalisiert sind. Die geringen Halbwertszeiten erlauben flexible Reaktionen auf geänderte Umweltbedingungen durch Regulation der Transkription (S. 496). Ob in Archaebakterien ebenfalls Multienzymkomplexe für den RNA-Abbau existieren, ist gegenwärtig unklar.

6.9.2 Translation Anders als bei Eukaryonten, bei denen Transkription und Translation räumlich und zeitlich voneinander getrennt sind, sind die Prozesse bei Prokaryonten miteinander gekoppelt. Das 5’-Ende der mRNA dient dem Ribosom bereits als Matrize für die Translation, noch bevor die Transkription beendet ist. An die noch wachsende mRNA kön-

nen gleichzeitig mehrere Ribosomen gebunden haben, die die mRNA translatieren (Polysom).

Aminoacyl-tRNA-Synthese Transfer-RNAs spielen eine wesentliche Rolle bei der Übersetzung des in der mRNA gespeicherten Codes in die Aminosäuresequenz des Proteins. tRNAs bestehen aus 70–93 Nukleotiden und besitzen gemeinsame Strukturmerkmale (▶ Abb. 2.18). Die Sekundärstruktur von tRNAs hat die Form eines Kleeblatts, räumlich betrachtet ist dieses Molekül L-förmig. Das aus drei Nukleotiden bestehende Anticodon bindet am Ribosom an das komplementäre Codon der mRNA. tRNAs sind weiterhin durch das zahlreiche Vorkommen von modifizierten Nukleotiden und die CCA-Folge am 3’-Ende charakterisiert. An diesem Ende, genauer gesagt an der Ribose des letzten Adeninnukleotids, werden die tRNAs durch Aminoacyl-tRNASynthetasen mit Aminosäuren verknüpft. Die Reaktion erfordert ATP, Produkte sind AMP und PPi wobei PPi letztlich in 2 Pi gespalten wird (S. 304). Diese Enzyme sind wesentlich für die Genauigkeit der Translation verantwortlich; sie müssen eine Aminosäure und die passende tRNA erkennen und verknüpfen. Aminoacyl-tRNA-Synthetasen werden in zwei Klassen eingeteilt, die sich strukturell voneinander unterscheiden. Klasse-I-Enzyme knüpfen eine Esterbindung zwischen der Carboxylgruppe der Aminosäure und der 2’OH-Position der Ribose des letzten Adeninnukleotids der tRNA, während die meisten Klasse-II-Enzyme diese Bindung an der 3’-OH-Gruppe herstellen. Nicht alle Prokaryonten enthalten die gleiche Anzahl von tRNA-Spezies. Die Zahlen liegen zwischen etwa 30 und 100 tRNAs pro Organismus. Da der genetische Code aus Folgen von je drei Nukleotiden (Tripletts) besteht und vier verschiedene Nukleotide vorkommen, ergeben sich 43, also 64 Codons. Abzüglich der drei Stoppcodons UAA, UAG und UGA, die das Ende der Translation signalisieren, bleiben 61 Sinncodons übrig; man könnte also erwarten, dass 61 tRNAs mit jeweils komplementärem Anticodon benötigt werden. Können 61 Codons translatiert werden, wenn weniger als 61 tRNAs vorhanden sind? Die Antwort ist „ja“! Eine Erklärung liefern die sogenannten Wobble-Paarungen zwischen Codon und Anticodon. Damit ist gemeint, dass die Paarung der dritten Base des Codons mit der ersten Base des Anticodons nicht unbedingt den Watson-Crick-Regeln entsprechen muss. Neben Standardbasenpaarungen sind hier auch GU-, UG-, AI-, CI- und UI-Paare möglich. I steht für das Purinnukleosid Inosin, das in manchen Anticodons vorkommt. Eine tRNA mit Inosin an der WobblePosition des Anticodons kann demzufolge bis zu drei Codons ablesen. ▶ Abb. 6.21 gibt einen Überblick über die Translation am Beispiel des Einbaus der Aminosäure Tryptophan. Wie bereits erläutert, besteht der genetische Code aus 64

5

Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie Pro Ser Val Met Lys Trp Cys Ala ATP Thr Val

Trp AMP + PPi

Trp GTP

GDP + Pi

CCA TryptophanylElongationstRNAfaktor Tu Trp Trp-tRNA Synthetase

3'

CCA GGU 5' A-Stelle Ribosom mRNA

Abb. 6.21 Spezifität der Translation. Aminoacyl-tRNA-Synthetasen beladen spezifisch tRNAs mit der zugehörigen Aminosäure. Im gezeigten Beispiel wird durch die Tryptophanyl-tRNA-Synthetase die tryptophanspezifische tRNA aminoacyliert. Mithilfe des Elongationsfaktors EF-Tu wird die beladene tRNA unter GTP-Verbrauch zum Ribosom transferiert und bindet dort mit ihrem Anticodon (5’-CCA-3’) an das Trp-Codon (5’-UGG-3’) auf der mRNA.

CCA

tRNA-Pool

Basentripletts, die den Einbau der 20 proteinogenen Aminosäuren codieren.

Phe

Ala

Leu

Der genetische Code

Initiation Ähnlich wie bei der Transkription sind Initiation, Elongation und Termination auch Teilprozesse bei der Translation. Für die Initiation werden die drei Initiationsfaktoren IF1, IF2 und IF3, eine mRNA, die 30S-Untereinheit des Ribosoms und eine mit N-Formylmethionin (fMet) beladene Initiator-tRNA benötigt, die als fMet-tRNAfMet oder fMet-tRNAi bezeichnet wird. Die tRNAi ist eine von zwei tRNAs, die von der Methionyl-tRNA-Synthetase mit einem Methionylrest beladen werden. Im Gegensatz zur

206

Trp

▶ Abb. 6.22 zeigt den Zusammenhang zwischen Codon und Aminosäure. Es wird deutlich, dass bis zu sechs Codons für dieselbe Aminosäure spezifizieren können. Mittlerweile sind in manchen niederen Eukaryonten, in eukaryontischen Organellen und in wenigen Prokaryonten allerdings Abweichungen von diesem universellen Code bekannt. In Mykoplasmen fungiert das Triplett UGA beispielsweise nicht als Stoppcodon, sondern spezifiziert Tryptophan. Abweichungen von der üblichen Übersetzung des genetischen Codes können auch durch Mutationen entstehen, welche die Sequenz des Anticodons einer tRNA verändern. Eine solche tRNA wird zwar mit der korrekten Aminosäure beladen, bindet aber am Ribosom an ein anderes Codon als die Wildtyp-tRNA. Veränderte tRNAs, die mit Stoppcodons paaren und dadurch in der Lage sind, Nonsense-Mutationen zu komplementieren, werden als Suppressor-tRNAs bezeichnet. Eine Besonderheit in den meisten Prokaryonten ist der Einbau der Aminosäuren Asparagin und Glutamin. Die tRNAAsn und die tRNAGln werden zunächst mit Asparaginsäure bzw. Glutaminsäure beladen, die dann zu Asparagin- bzw. Glutaminresten amidiert werden. Zwei weitere Sonderfälle, den cotranslationalen Einbau der seltenen Aminosäuren Selenocystein und Pyrrolysin, werden weiter unten besprochen.

Pro U AGC AG C UA G C G A U A Val Thr U G C C G U G C C A U A Ile CU G A G C Ser A U C A U Met G U U A A G Glu G A G C C G A C A Asp U A U C G U U G C Arg Lys G C A U U Asn A G C CU G Gln UC G U A Gly AAGC His Tyr Cys Stopp CU

Ala Arg Asp Asn Cys Glu Gln Gly His Ile

(A) Alanin (R) Arginin (D) Asparaginsäure (N) Asparagin (C) Cystein (E) Glutaminsäure (Q) Glutamin (G) Glycin (H) Histidin (I) Isoleucin

Leu (L) Leucin Lys (K) Lysin Met (M) Methionin Phe (F) Phenylalanin Pro (P) Prolin Ser (S) Serin Thr (T) Threonin Trp (W) Tryptophan Tyr (Y) Tyrosin Val (V) Valin

Abb. 6.22 Der genetische Code. Die Darstellung folgt einer Idee von Roland Pohlmeyer (http://www.laborjournal.de/rubric/ tricks/tricks/trick117.lasso) und stellt die zweite Position der Codons (innerer Ring) in den Mittelpunkt. Der rote Ring zeigt die erste Position und der mattgrüne Ring die dritte Position. Die Codons sind also in der Folge rot-gold-mattgrün (5’–3’) zu lesen. Bei dieser Form der Darstellung liegen alle Codons für eine bestimmte Aminosäure jeweils benachbart. Ein Zusammenhang zwischen der mittleren Position des Codons und den chemischen Eigenschaften der spezifizierten Aminosäuren ist erkennbar. Die farbigen Unterlegungen im äußeren Ring kennzeichnen unpolare (grün), polare (ocker), ionisierbar negativ geladene (rot) und ionisierbar positiv geladene (blau) Aminosäuren. Darunter sind die 20 Standard-Aminosäuren jeweils im Dreibuchstaben- und Einbuchstabencode sowie mit vollem Namen aufgelistet.

6.9 Expression genetischer Information: Transkription und Translation Met-tRNAMet wird die Met-tRNAi in Bakterien anschließend durch Methionyl-tRNA-Formyltransferase zu fMettRNAi formyliert. Das weitere Schicksal der fMet-tRNAi unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von allen anderen beladenen tRNAs, die während der Elongation am Ribosom angeliefert werden. Die beladene Initiator-tRNA wird von IF2 gebunden und unter GTP-Verbrauch zum Peptidyl-Ort (P-Ort) des Ribosoms geleitet. Dort bindet sie mit ihrem CAU-Anticodon an ein Startcodon auf der mRNA. Als Startcodon wird im Regelfall AUG erkannt, in selteneren Fällen GUG und noch seltener UUG. Die Erkennung des Startcodons wird in Bakterien durch Basenpaarungen zwischen dem 5’-Nichtcodierungsbereich der mRNA und dem konservierten 3’-Ende der 16S-rRNA stark beeinflusst. Dieser Abschnitt der mRNA, der in E. coli im Optimalfall die Sequenz 5’-AAGGAGG-3’ besitzt und auf den im Abstand von 4–14 Nukleotiden das Startcodon folgt, wird als Ribosomenbindungsstelle oder nach den Erstbeschreibern als Shine-Dalgarno-Sequenz bezeichnet. Shine-Dalgarno-Sequenzen kommen auch in Archaebakterien vor, jedoch gibt es dort auch viele mRNAs ohne 5’Nichtcodierungsbereich. Die Rollen von IF1 und IF3 bei der Bildung des Initiationskomplexes bestehen darin, die vorzeitige Anlagerung der 50S-Untereinheit des Ribosoms zu verhindern (IF1) und die Anlagerung von Nichtinitiator-tRNAs zu vermeiden (IF3). Nach Ausbildung eines stabilen Komplexes zwischen dem Anticodon der fMet-tRNAi und dem Startcodon dissoziieren die Initia-

tionsfaktoren ab und die 50S-ribosomale Untereinheit lagert sich an.

Elongation Die einzelnen Schritte während der Elongation sind in ▶ Abb. 6.23 zusammengefasst. Die zweite und die folgenden beladenen tRNAs werden als ternärer Komplex aus der aminoacylierten tRNA, dem Elongationsfaktor EF-Tu und GTP an das Ribosom geliefert (①); das Anticodon der tRNA paart mit dem Codon der mRNA, das sich im Aminoacyl-Ort (A-Ort) des Ribosoms befindet. Nach GTP-Hydrolyse verlässt EF-TU/GDP das Ribosom (②) und wird anschließend durch ein weiteres Protein (EF-Ts) wieder in die aktive Form (EF-Tu/GTP) überführt (nicht dargestellt). Die Peptidyltransferaseaktivität des Ribosoms überträgt nun die Aminosäure(kette) aus dem P-Ort auf die neu hinzugekommene beladene tRNA im A-Ort (③). Für den folgenden Translokationsschritt, die Bewegung des Ribosoms an der mRNA um die Länge eines Tripletts werden der Elongationsfaktor EF-G und GTP benötigt (④). Die entladene tRNA wird aus dem P-Ort verdrängt und verlässt über einen Ausgangskanal (E für engl. exit) das Ribosom. Der A-Ort ist jetzt in der Lage, die nächste beladene tRNA aufzunehmen. Die Wirkung zahlreicher Antibiotika beruht auf der Hemmung der Translation an 70S-Ribosomen. Tetrazykline blockieren den A-Ort des Ribosoms durch Bin-

AminoacyltRNA EF-Tu/ GTP 5'

E

PTC P A 1

5'

E

PTC P A

2

5'

E

PTC P A

3

5'

E

PTC P A

EF-Tu/ GDP GTP

Abb. 6.23 Elongationszyklus. Ein Komplex aus aminoacylierter tRNA, Elongationsfaktor Tu (EF-Tu) und GTP bindet an das Ribosom (① und ②). Die mit der Aminosäure (blau) beladene tRNA (grün) gelangt in den Aminoacyl-Ort (A) der kleinen Untereinheit (hellblau). Das Peptidyltransferasezentrum der großen Untereinheit (grau) (PTC) überträgt die an die tRNA gebundene Peptidkette aus dem Peptidyl-Ort (P) auf die Aminogruppe der neuen Aminosäure (③). Die Translokation der um eine Aminosäure verlängerten Peptidkette wird durch den Elongationsfaktor G (EF-G) unter GTP-Hydrolyse gesteuert (④). Die entladene tRNA verlässt über den Ausgangskanal E das Ribosom.

EF-G/ GTP 4

EF-G/ GDP GTP 5'

E

PTC P A

7

Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie

E

PTC P A

E

3'

PTC P A

E

3'

PTC P A

3'

3' RRF

RF1/ RF2

GTP RF3/ GTP freigesetzte Polypeptidkette

Abb. 6.24 Termination der Translation. Ein Stoppcodon auf der mRNA führt zur Bindung eines der beiden Terminationsfaktoren RF1 oder RF2 im Aminoacyl-Ort (A) des Ribosoms. Mithilfe von RF3 wird unter GTP-Verbrauch das fertige Protein freigesetzt. Ein RibosomenRecycling-Faktor (RRF) sorgt für die Trennung der ribosomalen Untereinheiten und die Freisetzung der leeren tRNA und der mRNA.

dung an die 30S-Untereinheit und verhindern die Anlagerung der beladenen tRNAs. Aminoglykoside (z. B. Streptomycin) binden an die 16S-rRNA in der 30S-Untereinheit und beeiflussen die Genauigkeit der Codon/Anticodon-Paarung. Chloramphenicol und Makrolide (z. B. Erythromycin) dagegen hemmen die Peptidyltransferaseaktivität des Ribosoms durch Bindung an die 23S-rRNA in der 50S-Untereinheit im Bereich des Ausgangsorts.

Termination Termination der Translation (▶ Abb. 6.24) tritt im Regelfall ein, wenn sich eines der drei Stoppcodons UAA, UAG oder UGA im A-Ort befindet. Mithilfe der Terminationsfaktoren RF1 und RF2 (RF, für engl. releasing factor), die UAA und UAG bzw. UAA und UGA erkennen, sowie RF3 und des Ribosomen-Recycling-Faktors werden die Untereinheiten des Ribosoms voneinander getrennt und die Peptidkette wird freigesetzt. Auf polycistronischen mRNAs können das Stoppcodon eines Gens und das Startcodon des nächsten Gens direkt benachbart sein oder sogar überlappen. In diesem Fall kann die Translation erneut initiieren, ohne dass der Komplex aus 30S- und 50SUntereinheit sowie der mRNA zerfällt. Die Knüpfung einer Peptidbindung kostet die Energie von vier Phosphorsäureanhydridbindungen: je ein GTP wird von den Elongationsfaktoren EF-Tu und EF-G verbraucht. Zusätzlich werden zwei energiereiche Bindungen bei der Beladung der tRNA verbraucht.

Plus 6.14 Translationsgeschwindigkeit in schnell wachsenden Zellen Die zur schnellen Vermehrung und gleichzeitigen Aufrechterhaltung der normalen Proteinkonzentration erforderliche Translationsgeschwindigkeit lässt sich unter Annahme weniger Parameter abschätzen. Nehmen wir an, dass eine E.coli-Zelle ein Volumen von 1 μm3 besitzt und die Zellmasse eine Dichte von ca. 1 g cm–3 hat. Das Trockengewicht beträgt 20 % der Zellmasse und davon wiederum ist 50 %

208

Die Geschwindigkeit der Translation an einzelnen Ribosomen kann auf der Basis weniger Zellparameter abgeschätzt werden (Plus 6.14). Die Translation wird durch verschiedene Mechanismen reguliert, die in Kapitel 16 besprochen werden. Ein allgemeiner Kontrollmechanismus, der die Blockade von Ribosomen durch beschädigte mRNA verhindert, wird in Plus 6.15 erläutert.

Faltungshelfer Die an den Ribosomen entstehenden, linearen Peptidketten müssen spezifische dreidimensionale Konformationen annehmen. Selbst bei einem kleinen Protein aus 100 Aminosäuren gibt es durch Kombination aller theoretischen Torsionswinkel eine astronomisch große Anzahl möglicher Konformationen; die zufällige Suche nach der energetisch günstigsten, richtigen Konformation würde länger dauern als die Zeit, die unser Universum existiert. Da Proteine in der Zelle in Sekunden oder Sekundenbruchteilen gefaltet werden, scheidet ein Zufallsmechanismus also aus. Die Information für die korrekte Faltung ist bereits in der linearen Aminosäurekette enthalten. Die Aminosäuresequenz begünstigt durch schwache chemische Bindungen, hauptsächlich zwischen den Aminosäureseitenketten, die Ausbildung bestimmter Sekundärstrukturelemente. Die Tertiärstruktur entsteht durch die räumliche Anordnung dieser Sekundärstrukturelemente. Faltungshelferproteine, die auch als molekulare Chape-

●V Protein. Die Anzahl der Ribosomen betrage 30 000 (experimentell bestimmte Werte liegen je nach Wachstumsgeschwindigkeit der Zellen zwischen etwa 7 000 und 70 000 Ribosomen pro Zelle) und für eine einzelne Aminosäure nehmen wir eine mittlere Molekülmasse von 110 Dalton an. Damit sich die Zelle alle 20 min teilen kann, ist eine Translationsgeschwindigkeit von etwa 15 Aminosäuren pro Ribosom und Sekunde erforderlich.

6.9 Expression genetischer Information: Transkription und Translation

●V

Plus 6.15 Mechanismen zur Entfernung beschädigter mRNA von Ribosomen Beschädigte mRNA, die nicht weiter translatiert werden kann und deshalb ein Ribosom blockiert, kann durch drei Mechanismen entfernt werden. Der am weitesten verbreitete Mechanismus basiert auf der Transfer-Messenger-RNA (tmRNA). Diese RNA ist einzigartig, da sie die Eigenschaften einer tRNA und einer mRNA in einem Molekül vereinigt. Die zweidimensionale Struktur der tmRNA enthält Bereiche, die dem Akzeptorstamm und dem TΨC-Stamm (Ψ steht für Pseudouridin, ein modifiziertes Uridinnukleosid) der tRNAAla ähneln. Tatsächlich wird tmRNA mit Alanin beladen. Eine der Aufgaben dieses Systems besteht darin, pausierende Ribosomen und mRNA zu trennen, wenn die Translation durch Schäden an der mRNA nicht fortgesetzt werden kann. In diesem Fall gelangt Ala-tmRNA unter Be-

rone bezeichnet werden, sind für die Proteinfaltung unerlässlich. Ribosomengebundene Chaperone verhindern die Fehlfaltung naszierender Polypeptidketten, in denen noch nicht alle Sekundärstrukturen ausgebildet sein können. Bisher wurde in Bakterien nur ein einziges ribosomengebundenes Chaperon identifiziert, der Trigger-Faktor. Dieses Protein ist in beträchtlicher Konzentration (etwa zwei- bis dreimal so viele Moleküle wie Ribosomen) in den Zellen enthalten und besteht aus drei Domänen. Die N-terminale Domäne ist für die Bindung an die Ribosomen und zusammen mit der C-terminalen Domäne für die Funktion als Faltungshelfer verantwortlich. Diese beiden Domänen bilden im dimeren Trigger-Faktor einen Hohlraum, in dem die Peptidkette nach dem Austritt aus dem Ribosom gebunden wird. Die mittlere Domäne besitzt Peptidyl-Prolyl-cis,trans-Isomerase-(PPIase-)Aktivität. PPIasen überführen die Konformation der starren Peptidbindungen, die durch die Iminogruppe der Aminosäure Prolin gebildet werden, reversibel von cis nach trans. Die PPIase-Aktivität ist für die Funktion des Trigger-Faktors als Faltungshelfer jedoch nicht entscheidend. Typische Chaperone, die nicht an die Ribosomen binden, sind die Proteine GroEL und DnaK. Sie assistieren nicht nur zu einem späteren Zeitpunkt bei der Ausbildung der richtigen Proteinstrukturen, sie renaturieren auch Proteine, die beispielsweise nach einem Hitzeschock denaturiert sind. Deshalb ist es nicht verwunderlich, dass Chaperone insbesondere unter Stressbedingungen unerlässlich sind (z. B. Hitzeschockproteine) (S. 519). GroEL und DnaK benötigen Cochaperone und ATP. GroEL bindet als Heptamer hydrophobe Bereiche in ungefalteten Peptiden; die anschließende Bindung von einem ATP pro Monomer führt zu einer Konformationsänderung, welche die Bindung des ebenfalls heptameren Cochaperons GroES stimuliert. Ein interner Hohlraum in dem oligomeren Cha-

teiligung von EF-Tu und dem kleinen Protein SmpB in den A-Ort des Ribosoms. Der Alaninrest wird mit der Peptidkette verknüpft und gleichzeitig wird die ursprüngliche mRNA verdrängt. Die Funktion der Matrize übernimmt nun die tmRNA. Durch diese Trans-Translation werden einige weitere (organismusspezifisch etwa 10–25) Aminosäurereste an die wachsende Peptidkette angehängt, bevor die Kettenverlängerung an einem Stoppcodon auf der tmRNA endet. Interessanterweise enthalten diese C-terminalen Anhängsel Erkennungsstellen für zelluläre Proteasen. Zwei weitere verbreitete Mechanismen zur Entfernung beschädigter mRNA von Ribosomen beruhen auf den Proteinen ArfA bzw. ArfB (für engl. alternative ribosome rescue factor). Nach heutigem Kenntnisstand hydrolysieren beide Proteine die Peptidyl-tRNA-Bindung im P-Ort pausierender Ribosomen.

peron wird vergrößert und nach außen hin abgeschirmt. Darin nehmen Polypeptide ihre natürliche Konformation entsprechend der in ihrer Aminosäuresequenz enthaltenen Strukturinformation ein. Das Chaperon DnaK bindet ebenfalls an kurze hydrophobe Abschnitte aus etwa acht Aminosäureresten in Polypeptiden. Die Hydrolyse von ATP führt zur Ausbildung eines abgeschlossenen Hohlraums in DnaK, in dem die Peptidfaltung stattfindet. Das Cochaperon DnaJ moduliert die ATPase-Aktivität von DnaK. Der anschließende Austausch von ADP gegen ATP mithilfe des Nukleotidaustauschfaktors GrpE bewirkt die Öffnung des Hohlraums und die Freisetzung des gefalteten Polypeptids. Homologe von GroEL, Hsp60-Proteine, die acht- bis neungliedrige Ringe bilden (Hsp, für Hitzeschockprotein und 60 für die ungefähre molare Masse in kDa) kommen auch in Archaebakterien und Mitochondrien vor. Die Homologe von DnaK in allen Organismen werden auch als Hsp70-Proteine bezeichnet.

Co- und posttranslationale Modifikationen Bereits während der Translation werden Proteine am Aminoterminus prozessiert. Das Enzym Peptid-Deformylase spaltet die Formylgruppe von dem N-terminalen Formylmethionylrest ab. Wie in Archaebakterien und Eukaryonten auch, wird das Methionin häufig durch eine Methionin-Aminopeptidase entfernt. In Prokaryonten finden ebenfalls posttranslationale Modifikationen statt, wenn auch seltener als in Eukaryonten. Ein typisches Beispiel ist die Glykosylierung bei der Synthese von Glykoproteinen der S-Schicht (engl. surface-layer, S-layer). Man kennt zwei modifizierte Aminosäuren, die cotranslational in einige wenige Proteine eingebaut werden und in diesen wichtige katalytische Funktionen übernehmen, Selenocystein und Pyrrolysin, die auch als 21. bzw.

9

Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie

●V

Plus 6.16 Selenocystein, die 21. Aminosäure Der Einbau von Selenocystein während der Translation ist ein Sonderfall. Selenocystein wird auch als die 21. Aminosäure bezeichnet und ist in allen drei Reichen von Organismen vorhanden. In dieser Aminosäure ist das Schwefelatom des Cysteins durch ein Selenatom ersetzt. Im Gegensatz zur Thiolgruppe des Cysteins ist die Selenolgruppe des Selenocysteins bereits bei neutralem pH-Wert deprotoniert, wodurch eine höhere Reaktivität der entsprechenden Enzyme erzielt wird. Der Einbau von Selenocystein erfolgt mithilfe einer speziellen tRNA (tRNASec), die zunächst mit Serin beladen wird. Der Serinrest wird dann zum Selenocysteinrest (Sec) umgewandelt. Sec-tRNASec wird mithilfe des speziellen Elongationsfaktors SelB zum Ribosom geleitet.

ATP tRNAsec

Das Anticodon der tRNASec (UCA) paart mit UGA. Zur Unterscheidung zwischen UGA als Stopp- bzw. Selenocysteincodon bedarf es weiterer Information, die sich in der Struktur der mRNA verbirgt. In Bakterien folgt unmittelbar hinter dem Selenocysteincodon eine Sequenz der mRNA, die eine Haarnadelschleife ausbildet und als Selenocysteininsertionssequenz (SECIS) bezeichnet wird. Diese wird von SelB erkannt. Derartige Sequenzen dirigieren auch in Archaebakterien und Eukaryonten den ribosomalen Einbau von Selenocystein. Im Gegensatz zu Eubakterien folgen sie dort allerdings nicht unmittelbar auf das UGA-Codon, sondern sind im Nichttranslationsbereich, im Regelfall in Richtung 3’-OH-Ende hinter dem echten Stoppcodon auf der mRNA angeordnet. Abb. 6.25 Einbau von Selenocystein in die wachsende Peptidkette.

Seleno–PP

AMP + PPi

Pi Ser-tRNAsec

NH+3 O HSe H2C

C

C

O

tRNAsec

H

L-Serin

ACU

5'

RNA

UGA ACU

3' SECIS + Elongationsfaktor SelB SelB

22. Aminosäure bezeichnet werden. In beiden Fällen spezifiziert ein Stoppcodon auf der mRNA den Einbau (UGA für Selenocystein, UAG für Pyrrolysin), das jeweils von einer spezifischen tRNA translatiert wird. Der Mechanismus, durch den zwischen Stopp- und Selenocysteincodon unterschieden wird, wird in Plus 6.16 erläutert. Die Mechanismen für den Einbau von Pyrrolysin müssen noch aufgeklärt werden. Pyrrolysin wird aus Lysin gebildet und mithilfe einer speziellen Aminoacyl-tRNA-Synthetase mit der für Pyrrolysin spezifischen tRNA verknüpft. Die entsprechenden Gene wurden in wenigen Archaebakterien und Eubakterien gefunden. Der Pyrrolysinrest ist ein zentraler Bestandteil des aktiven Zentrums in manchen Methyltransferasen von methanogenen Archaebakterien.

Archaebakterielle Translation Die archaebakterielle Translation erinnert an die eukaryontische Proteinbiosynthese: Die Methionyl-tRNAi wird

210

nicht formyliert. Initiationsfaktoren, Elongationsfaktoren und verschiedene Terminationsfaktoren ähneln den eukaryontischen Pendants. Erst kürzlich wurde die Rolle des Proteins ABCE1 als essenzieller Ribosomen-RecyclingFaktor in Eukaryonten und Archaebakterien entdeckt. Dieses Protein enthält zwei ATP-Bindekassetten und zwei 4Fe-4S-Zentren, wobei die Funktion der Metallzentren bisher nicht bekannt ist. Eher an Bakterien erinnert die Tatsache, dass viele archaebakterielle Gene in polycistronische mRNAs transkribiert werden und viele mRNAs in einigen Archaebakterien Ribosomenbindungsstellen vor dem Startcodon enthalten.

6.10 DNA-Klonierung Seit Mitte der 1970er-Jahre stehen molekularbiologische Arbeitsmethoden zur Verfügung, die es erlauben, spezifische DNA-Fragmente zu klonieren. Darunter versteht

Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie

●V

Plus 6.16 Selenocystein, die 21. Aminosäure Der Einbau von Selenocystein während der Translation ist ein Sonderfall. Selenocystein wird auch als die 21. Aminosäure bezeichnet und ist in allen drei Reichen von Organismen vorhanden. In dieser Aminosäure ist das Schwefelatom des Cysteins durch ein Selenatom ersetzt. Im Gegensatz zur Thiolgruppe des Cysteins ist die Selenolgruppe des Selenocysteins bereits bei neutralem pH-Wert deprotoniert, wodurch eine höhere Reaktivität der entsprechenden Enzyme erzielt wird. Der Einbau von Selenocystein erfolgt mithilfe einer speziellen tRNA (tRNASec), die zunächst mit Serin beladen wird. Der Serinrest wird dann zum Selenocysteinrest (Sec) umgewandelt. Sec-tRNASec wird mithilfe des speziellen Elongationsfaktors SelB zum Ribosom geleitet.

ATP tRNAsec

Das Anticodon der tRNASec (UCA) paart mit UGA. Zur Unterscheidung zwischen UGA als Stopp- bzw. Selenocysteincodon bedarf es weiterer Information, die sich in der Struktur der mRNA verbirgt. In Bakterien folgt unmittelbar hinter dem Selenocysteincodon eine Sequenz der mRNA, die eine Haarnadelschleife ausbildet und als Selenocysteininsertionssequenz (SECIS) bezeichnet wird. Diese wird von SelB erkannt. Derartige Sequenzen dirigieren auch in Archaebakterien und Eukaryonten den ribosomalen Einbau von Selenocystein. Im Gegensatz zu Eubakterien folgen sie dort allerdings nicht unmittelbar auf das UGA-Codon, sondern sind im Nichttranslationsbereich, im Regelfall in Richtung 3’-OH-Ende hinter dem echten Stoppcodon auf der mRNA angeordnet. Abb. 6.25 Einbau von Selenocystein in die wachsende Peptidkette.

Seleno–PP

AMP + PPi

Pi Ser-tRNAsec

NH+3 O HSe H2C

C

C

O

tRNAsec

H

L-Serin

ACU

5'

RNA

UGA ACU

3' SECIS + Elongationsfaktor SelB SelB

22. Aminosäure bezeichnet werden. In beiden Fällen spezifiziert ein Stoppcodon auf der mRNA den Einbau (UGA für Selenocystein, UAG für Pyrrolysin), das jeweils von einer spezifischen tRNA translatiert wird. Der Mechanismus, durch den zwischen Stopp- und Selenocysteincodon unterschieden wird, wird in Plus 6.16 erläutert. Die Mechanismen für den Einbau von Pyrrolysin müssen noch aufgeklärt werden. Pyrrolysin wird aus Lysin gebildet und mithilfe einer speziellen Aminoacyl-tRNA-Synthetase mit der für Pyrrolysin spezifischen tRNA verknüpft. Die entsprechenden Gene wurden in wenigen Archaebakterien und Eubakterien gefunden. Der Pyrrolysinrest ist ein zentraler Bestandteil des aktiven Zentrums in manchen Methyltransferasen von methanogenen Archaebakterien.

Archaebakterielle Translation Die archaebakterielle Translation erinnert an die eukaryontische Proteinbiosynthese: Die Methionyl-tRNAi wird

210

nicht formyliert. Initiationsfaktoren, Elongationsfaktoren und verschiedene Terminationsfaktoren ähneln den eukaryontischen Pendants. Erst kürzlich wurde die Rolle des Proteins ABCE1 als essenzieller Ribosomen-RecyclingFaktor in Eukaryonten und Archaebakterien entdeckt. Dieses Protein enthält zwei ATP-Bindekassetten und zwei 4Fe-4S-Zentren, wobei die Funktion der Metallzentren bisher nicht bekannt ist. Eher an Bakterien erinnert die Tatsache, dass viele archaebakterielle Gene in polycistronische mRNAs transkribiert werden und viele mRNAs in einigen Archaebakterien Ribosomenbindungsstellen vor dem Startcodon enthalten.

6.10 DNA-Klonierung Seit Mitte der 1970er-Jahre stehen molekularbiologische Arbeitsmethoden zur Verfügung, die es erlauben, spezifische DNA-Fragmente zu klonieren. Darunter versteht

6.10 DNA-Klonierung man die Verknüpfung gewonnener Fragmente mit einem Vektor (ein genetisches Element, das fremde DNA aufnehmen kann und die Replikation gewährleistet) und die Vermehrung der Konstrukte in einem geeigneten Wirt. Klonieren ist eine der wesentlichen Methoden der Gentechnik. Die Grundlagen dieses Verfahrens sind in ▶ Abb. 6.26 und Methode 6.3 dargestellt. In Kapitel 6.8 wurde die Bedeutung von Typ-II-Restriktionsendonukleasen für die Entwicklung der Gentechnik bereits angesprochen. Mithilfe dieser Enzyme kann genomische DNA in Fragmente gespaltet werden, die alle die gleichen En-

Vektor

Fremd-DNA

BamH I

Resistenzgen BamHI-Restriktion 5'– G G A T C C –3' 3'– C C T A GG –5'

5'– G G A T C C –3' 3'– C C T A GG –5'

5'– G G A T C C –3' 3'– C C T A G G –5'

5'– G G A T C C –3' 3'– C C T A G G –5'

Ligase 5'– G G A T C C –3' 3'– C C T A GG –5'

Transformation

P

P

P P

P P resistente E.coli-Zelle

Abb. 6.26 Prinzip der DNA-Klonierung. Vektor und zu klonierende Fremd-DNA werden mit einer Restriktionsendonuklease (z. B. BamHI) behandelt und anschließend gemischt. Passende Enden lagern sich zusammen und werden durch die DNA-Ligase kovalent verknüpft. Nach der Transformation werden resistente, also plasmidtragende E.-coli-Kolonien selektiert. P, Plasmid.

den besitzen. Im folgenden Abschnitt werden Verfahren behandelt, mit deren Hilfe Gemische von DNA-Fragmenten getrennt werden können. Einige gebräuchliche Vektoren zur Klonierung werden vorgestellt. Am Ende wird besprochen, wie aus einer Vielzahl von Klonen in einer Genombibliothek diejenigen Klone selektiert werden können, die ein spezifisches DNA-Fragment tragen.

6.10.1 Plasmide als Vektoren Je nach Zielsetzung des Klonierungsexperiments und der Größe der zu klonierenden DNA kommen unterschiedliche Vektoren zum Einsatz. Plasmide werden häufig als Vektoren verwendet, besonders dann, wenn kleinere DNA-Fragmente (etwa 2 kb) kloniert werden sollen. Generell können in Plasmide auch erheblich größere FremdDNA-Abschnitte eingebaut werden. Es gibt allerdings effizientere Methoden, um größere DNA-Moleküle zu klonieren. Wie wir weiter unten sehen werden, eignen sich für die Konstruktion von Genombibliotheken u. a. Vektoren, die von Phagen abgeleitet sind (s. auch Methode 4.1) (S. 125). Plasmidvektoren sind Abkömmlinge von natürlichen Resistenzplasmiden. Natürliche Plasmide sind für die Gentechnik aus mehreren Gründen ungeeignet: Sie kommen meist nur in geringer Kopienzahl in der Zelle vor, sind wegen ihrer Größe von z. T. mehr als 100 kb zerbrechlich und sind häufig konjugativ, d. h. sie können durch Zellkontakt von Zelle zu Zelle übertragen werden. Letzteres ist auch aus Sicherheitsgründen in vielen Fällen unerwünscht. In ▶ Abb. 6.28 ist ein Beispiel für einen etwa 3 kb großen Plasmidvektor gezeigt, der in ~100 Kopien in einer E.-coli-Zelle vorkommen kann und ein einfaches Verfahren zum Nachweis von eingebauter DNA erlaubt. Dieses Plasmid enthält den Replikationsursprung (oriV) des natürlichen Plasmids ColE1, ein Resistenzgen (bla), das Resistenz gegen Ampicillin vermittelt, und eine multiple Klonierungsstelle (engl. multiple clonig site, MCS). Dabei handelt es sich um einen etwa 100 bp langen DNA-Bereich, der in einem Abschnitt des lacZ-Gens (lacZα) angeordnet ist und mehrere Erkennungsstellen für verschiedene Typ-II-Restriktionsendonukleasen enthält. Der Vektor wird in dem Bereich der MCS geöffnet und mit der Fremd-DNA verknüpft. Anschließend wird der Ansatz in E.-coli-Zellen transformiert. Die Zellen werden auf Nähragar mit Ampicillin und der chromogenen (d. h. noch farblosen) Substanz XGal ausplattiert. Nur diejenigen Zellen überleben und bilden Kolonien, die das Plasmid aufgenommen haben. Um zu prüfen, welche Vektoren auch tatsächlich die Fremd-DNA in der MCS tragen, ist das Genprodukt des lacZ-Gens, die β-Galactosidase behilflich. Leere Vektoren haben intaktes lacZα, da keine Fremd-DNA eingebaut wurde. Die β-Galactosidase ist deshalb aktiv, spaltet XGal und die Kolonien färben sich blau. Eingebaute Fremd-DNA dagegen zerstört das lacZαGen, das Genprodukt ist nicht aktiv und kann XGal nicht

1

Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie

d ●

Methode 6.3 Auftrennung von DNA-Fragmenten in Agarosegelen Nach der Präparation der genomischen DNA und Spaltung mit einer Restriktionsendonuklease ist es oft sinnvoll, das Fragmentgemisch nach Größe aufzutrennen und Fragmente eines bestimmten Größenbereichs zu isolieren. Dafür gibt es mehrere Methoden. Häufig werden die Fragmentgemische durch Agarosegelelektrophorese getrennt. Agarose, ein Bestandteil des aus Rotalgen gewonnenen Agars, ist ein lineares Polysaccharid aus D-Galactose und 3,6-Anhydro-LGalactose. Agarose wird durch Kochen gelöst und bildet beim Abkühlen eine Gelmatrix, deren Porengröße je nach Konzentration der Agarose variiert. Da es sich bei DNA-Molekülen um Polyanionen handelt, wandern sie im elektrischen Feld zum Pluspol. Die Wanderungsgeschwindigkeit nimmt dabei mit zunehmender Größe ab. In Standardgelen können Fragmente bis zu einer Größe von etwa 20 kb aufgetrennt werden. Für größere Fragmente müssen Pulsfeldgelelektrophoreseverfahren angewendet werden. Nach der Elektrophorese werden Agaroseblöckchen ausgeschnitten und die DNA-Fragmente daraus isoliert. ▶ Abb. 6.27a zeigt das Standardverfahren. Agarosegele (0,5–2 %ig) werden in Kunststoffkammern vollständig in Puffer eingetaucht. Gemische der zu trennenden DNA-Stücke (100 bp bis ca. 20 kb) werden in Vertiefungen des Gels aufgetragen und im elektrischen Feld getrennt. Als Polyanion wandert DNA zum Pluspol. DNA-Banden werden durch anschließende Markierung mit Ethidiumbromid oder alternativen interkalierenden Farbstoffen und Bestrahlung mit UV-Licht sichtbar.

lacZ' Plac bla

lac l

pUC19 (2,7 kb)

ori V

MCS EcoRI(396) SacI KpnI SmaI BamHI XbaI SalI BspM I PstI SphI HindIII(447)

MCS-Sequenz 396

410

EcoRI

KpnI

420 BamHI

440 Hinc II SalI Acc I PstI

450 Hind III

GAATTCGAGCTCGGTACCCGGGGATCCTCTAGAGTCGACCTGCAGGCATGCAAGCTTGG

Sac I

212

Xma I SmaI

XbaI

BspM I Sph I

Abb. 6.28 Plasmidvektor pUC 19 zur Blau/Weiß-Selektion. Die MCS-Sequenz mit den verschiedenen Restriktionsschnittstellen ist unten genauer dargestellt. Die Ziffern geben die Nukleotidpositionen innerhalb des Vektors an. lacZI, Gen für das α-Peptid der β-Galactosidase; Plac, Promotor des lacZ-Gens; oriV, Replikationsursprung; bla, Gen für die β-Lactamase (Resistenz gegen Penicilline); lacI, Gen für den Repressor des lac-Operons; MCS, multiple Klonierungsstelle.

a

b CHEF A-

B-

B+

A+

Abb. 6.27 Methoden zur Auftrennung von DNA in Agarosegelen. a Standardverfahren. b Pulsfeldgelelektrophorese. Über die punktförmig angeordneten Elektroden A–, B–, A + und B + werden der „Winkel“ der Spannung und die Pulsdauer gesteuert.

▶ Abb. 6.27b zeigt die Pulsfeldgelelektrophorese. Bedingt durch die Porengröße des Gels werden Fragmente mit Größen oberhalb von 20 kb im Standardverfahren nicht aufgetrennt. Duch eine Pulsfeldgelelektrophorese lassen sich jedoch DNA-Stücke mit mehreren Megabasen separieren. Beim CHEF-Verfahren (CHEF, für engl. contour-clamped homogenous electric field) wird ein Elektrodenarray so gesteuert, dass sich die Richtung des elektrischen Feldes (Pfeile) in zeitlichen Abständen ändert.

spalten. Die Kolonien sind daher farblos. Das Selektionsverfahren wird aus diesem Grund auch als Blau/Weiß-Selektion bezeichnet.

6.10.2 Phagen als Vektoren Populäre Vektoren zur Klonierung größerer Fragmente leiten sich von dem Bakteriophagen λ ab (s. auch Methode 4.1) (S. 125). Diese Vektoren eignen sich zur Klonierung von Fragmenten zwischen etwa 9 und 23 kb (λ-Vektoren) bzw. bis zu mehr als 40 kb (Cosmide). Ein Beispiel für einen λ-Vektor ist EMBL 4. EMBL 4 ist einer von vielen sogenannten Replacement-Vektoren. Damit diese Bezeichnung verständlich wird, müssen wir zunächst die stark vereinfachte Genkarte des λ-Phagen (▶ Abb. 6.29) betrachten. Die DNA liegt im Phagenkopf als lineares Molekül vor. Nach der Infektion einer E.-coli-Zelle lagern sich die cos-Enden (überhängende Einzelstrangbereiche aus 12 Nukleotiden) zusammen und das Molekül wird kovalent geschlossen. Im linken Teil der linearen λ-DNA befinden sich Gene, deren Produkte den Phagenkopf und -schwanz bilden. Gene des rechten Teils sind für Replika-

Phagenkopf Phagenschwanz

Rekombination Replikation Regulation

„stumm“

Abb. 6.29 λ-DNA als Vektor.

cos

cos

6.10 DNA-Klonierung

λ (48,5kb)

cos

BamHI

BamHI

cos

ersetzbare Region

EMBL4 (42,4kb)

tion und Rekombination und die Regulation dieser Prozesse notwendig. Ganz rechts liegen die Gene für ein Holin und ein Endolysin, die für die Zelllyse verantwortlich sind. Etwa ein Drittel der λ-DNA ist für die lytische Vermehrung unter Laborbedingungen entbehrlich; diese Tatsache wird für die Konstruktion von Vektoren für gentechnische Zwecke ausgenutzt. In Replacement-Vektoren wurden geeignete Schnittstellen für Typ-II-Restriktionsendonukleasen eingeführt. Anschließend wurde die ersetzbare Region herausgeschnitten und durch ein Stuffer-

Fragment (grün in ▶ Abb. 6.29) ersetzt. Diese Vektoren enthalten die notwendige genetische Information zur Produktion neuer λ-Partikel. Der Stuffer (in EMBL 4 etwa 14 kb) ist erforderlich, weil die Verpackung der DNA in Viruspartikel zwei cos-Stellen im Abstand von etwa 38– 52 kb erfordert. Die Effizienz der Verpackung nimmt bei kleinerem oder größerem Abstand stark ab. Methode 6.4 erläutert die Vorgehensweise bei einem Klonierungsexperiment mit einem Replacement-Vektor.

d ●

Methode 6.4 Klonierungsstrategie am Beispiel von EMBL 4

Fremd-DNA

BamH I

cos

cos cos

DNA-Ligase

cos cos

BamH I

EMBL4 rechter Arm

cos

EMBL4 linker Arm

cos

Sau3AI

Sau3AI

partielle Spaltung mit Restriktionsendonuklease Sau3AI

cos

Genomische DNA wird mit der Restriktionsendonuklease Sau3AI partiell gespalten. Dieses Enzym hat die Erkennungssequenz 5’-GATC-3’ und spaltet DNA-Stränge vor dem G. Die Erkennungssequenz ist palindromisch, sodass bei der Spaltung DNA-Fragmente mit 5’-überhängenden GATC-Enden entstehen. Gereinigte EMBL 4-DNA wird mit dem Enzym BamHI verdaut, und anschließend werden die beiden Vektorarme isoliert. BamHI hat eine hexamere Erkennungssequenz (5’-GGATCC-3’) und spaltet zwischen den beiden Guaninnukleotiden. Die EMBL 4-Arme besitzen demnach zwei einzelsträngige Überhänge: 12 Nukleotide (cos) auf der einen Seite und 4 Nukleotide (GATC) auf der anderen Seite. Vektorarme und Fremd-DNA werden nun gemischt. Die Fragmentenden können sich durch Basenpaarungen der Überhänge zusammenlagern, was die Effizienz der Verknüpfung durch DNA-Ligase erhöht. Man beachte, dass Sau3AI und BamHI identische und daher kompatible Überhänge produzieren, obwohl sich die Erkennungssequenzen unterscheiden. Anschließend werden unreife λ-Hüllen und Verpackungsenzyme zugegeben, die mithilfe von λ-Mutanten gewonnen wurden. In vitro entstehen nun rekombinante λ-Partikel, die sich als infektiöse Phagen verhalten. Wichtig ist auch hier, dass nur solche Abschnitte verpackt werden, die cos-Stellen im Abstand von 38–52 kb besitzen. Nach Infektion von E.-coli-Zellen werden die rekombinanten Zellen durch die Phagen lysiert und es bilden sich Plaques auf dem Zellrasen. Jeder Plaque enthält mehr als 106 Kopien eines Phagen und ein anderes Stück der genomischen DNA des Spenderorganismus. Man spricht bei einer solchen Phagenpopulation von einer genomischen DNA-Bank. Sie kann die gesamte genomische DNA des Spenderorganismus in kleinen Stücken enthalten.

+ Phagenhüllen und Verpackungsenzyme

Infektion von E.coli

Plaque Bakterienrasen

Abb. 6.30 Klonierungsstrategie mit dem λ-Vektor EMBL 4. Erklärung siehe Text.

3

Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie

6.10.3 Cosmide Cosmide sind Plasmide, die eine cos-Stelle aus dem λPhagen enthalten. Diese Vektoren erlauben die Klonierung von Fragmenten > 40 kb. Geschnittene Cosmid-DNA wird mit der ebenfalls geschnittenen Fremd-DNA zu langen Concatemeren verknüpft, ähnlich wie bei der Verwendung von λ-Vektoren. Da für die Verpackung in λPartikel nur der Abstand zwischen zwei cos-Stellen, nicht aber die Herkunft der DNA wichtig ist, können im Reagenzglas infektiöse Phagenpartikel erzeugt werden. Nach Infektion von E. coli entstehen nun aber keine Plaques, da die Phagenpartikel zwar rekombinante Cosmide, aber keine λ-Gene enthalten. Rekombinante Klone besitzen eine plasmidcodierte Resistenz und können daher leicht als Kolonien auf Agarplatten selektiert werden, die das entsprechende Antibiotikum enthalten. Ein Beispiel für ein sogenanntes Shuttle-Cosmid ist in ▶ Abb. 6.31 gezeigt. Dieses Cosmid kann sowohl in E. coli als auch in Säugerzellen repliziert werden. Ein Variante von Cosmiden sind die Fosmide. Hierbei handelt es sich um Cosmide mit dem Replikationsursprung des F-Plasmids, der für eine sehr niedrige Kopienzahl (etwa eine pro Chromosom) sorgt.

6.10.4 YACs, BACs und PACs: Vektoren für sehr große DNA-Fragmente Zur Aufklärung der Struktur großer Genome ist es hilfreich, noch erheblich größere DNA-Bereiche zu klonieren als das mit Phagen- oder Cosmidvektoren möglich ist. Für diese Zwecke werden YACs (engl. yeast artificial chromosomes), PACs (P1-derived artificial chromosomes) oder BACs (bacterial artificial chromosomes) als Vektoren ver-

bla

ColEI ori BamH I

MCS

SuperCos 1 7,9 kb

cos neo cos SV40 ori

XbaI

Abb. 6.31 SuperCos1, ein Beispiel für einen Cosmid-Vektor. Nach Einbau von Fremd-DNA werden rekombinante SuperCos1Vektoren in λ-Partikel verpackt und in E.-coli-Zellen transduziert. Sie werden mithilfe des ColE1-Replikationsursprungs (ColE1 ori) repliziert. Zur Selektion dient das bla-Gen, das Resistenz gegen Penicilline vermittelt. Durch den viralen Replikationsursprung (SV40 ori) kann SuperCos1 auch in Säugerzellen repliziert werden. Zur Selektion dient dann das Neomycinresistenzgen (neo). MCS, multiple Klonierungsstelle.

214

wendet. In diesen Vektoren können Fragmente mit ca. 200 kb (PACs), > 300 kb (BACs) und sogar 1000 kb (YACs) kloniert werden. YACs enthalten die wesentlichen Bereiche eines eukaryontischen Chromosoms, nämlich einen Replikationsstartpunkt ARS (engl. autonomous replication sequence), ein Centromer und Telomerbereiche. YACs erlauben die Klonierung sehr großer genomischer Abschnitte; sie haben aber den Nachteil, dass in Hefezellen häufig Rekombinationsereignisse stattfinden, die zu Inversionen, Duplikationen und Deletionen in der klonierten DNA führen. PACs basieren auf dem temperenten Bakteriophagen P1 und enthalten den Replikationsursprung für die plasmidartige Replikation der PhagenDNA. BACs sind Abkömmlinge des F-Plasmids von E. coli (Plus 6.10) (S. 197). Zur stabilen Replikation in E. coli enthalten BACs den Replikationsursprung oriS sowie Gene für Replikationsproteine. In BACs klonierte DNA ist im Vergleich zum YAC-System erheblich stabiler, weshalb sich die künstlichen Bakterienchromosomen großer Beliebtheit erfreuen. PAC- und BAC-Vektoren können einen zweiten, regulierbaren Replikationsursprung besitzen und sind daher zusätzlich mit einem regulierbaren Gen für ein essenzielles Replikationsprotein versehen. Zur Vermeidung toxischer Effekte wird die Kopienzahl der rekombinanten Vektoren während der Vermehrungsphase der Wirtszellen gedrosselt. Unmittelbar vor der Zellernte kann die Anzahl der Vektorkopien durch Induktion des Gens für das Replikationsprotein deutlich erhöht werden.

6.10.5 cDNA-Banken und Ligationsverfahren Neben den genomischen DNA-Banken existieren auch sogenannte cDNA-Banken. Ausgangsmaterial für die Klonierung muss nicht notwendigerweise DNA sein, sondern es kann sich auch um RNA handeln, beispielsweise die gesamte mRNA einer Zelle (Transkriptom). Die isolierte mRNA wird zunächst durch die Reverse Transkriptase in eine einzelsträngige cDNA umgeschrieben, sodass RNA/ cDNA-Hybride entstehen. Es gibt mehrere Methoden, um daraus doppelsträngige cDNA zu gewinnen. cDNA-Banken geben Aufschluss über die Expression von Genen unter bestimmten Wachstumsbedingungen, da nur solche Gene kloniert werden, von denen Transkripte (mRNA) in der Zelle vorhanden sind. Das Verfahren lässt sich semiquantitativ auswerten und gibt dann Auskunft über die vorhandene Menge der betreffenden mRNA. Bei allen hier vorgestellten Klonierungstechniken ist es nötig, Vektormoleküle mit Fremd-DNA kovalent zu verknüpfen. Dazu wird im Regelfall eine DNA-Ligase verwendet (Plus 6.17). Ein alternatives Verfahren zur Verknüpfung von Vektor und Fremd-DNA ist das von der Firma Invitrogen entwickelte Topo-Cloning. Anstelle der DNA-Ligase wird hier die Typ-I-DNA-Topoisomerase verwendet, die kovalent an die 5’-Enden des linearisierten Vektors gebunden ist. In Gegenwart von linearer FremdDNA wird diese mit dem Vektor verknüpft; die Topoisomerase löst sich anschließend von der DNA.

6.10 DNA-Klonierung

●V

Plus 6.17 DNA-Ligase

DNA-Ligase des Bakteriophagen T 4 verwenden ATP. Der Adenylatrest wird anschließend auf ein freies 5’-Phosphatende eines DNA-Moleküls übertragen (▶ Abb. 6.32b). Im letzten Schritt wird das Zuckerphosphatrückgrat durch Knüpfung einer Esterbindung geschlossen und AMP wird freigesetzt.

Der Reaktionsmechanismus von DNA-Ligasen startet mit der Bildung eines kovalenten Intermediats des Enzyms mit AMP (▶ Abb. 6.32a). Die bakterielle DNA-Ligase braucht für diese Aktivierung NAD+ als AMP-(Adenylat-)Donator, eukaryontische Enzyme und die in der Gentechnik benutzte a

DNA-Ligase + NAD (oder ATP)

DNA-Ligase + NMN (oder PPi)

Lysin

Lysin

NH2

NH2 O –

O

P

Abb. 6.32 Reaktionsmechanismus der DNA-Ligase. a Bildung eines kovalenten Intermediats aus Enzym und AMP. b Freisetzug des AMP.

O

O Ribose b 5' 3'

Ligase 3' 5' OH HO

Ligase

AMP O P O–

O

3' 5'

5' 3'

3' 5' OH HO

Adenin

Ligase

AMP O P O–

AMP O

O

3' 5'

6.10.6 Identifizierung rekombinanter Klone Ein häufiges Ziel der Klonierung genomischer DNA ist das Aufspüren von Klonen, die ein definiertes DNA-Fragment enthalten. Wenn bestimmte Nukleotidsequenzen als Oligonukleotide zur Verfügung stehen, können die entsprechenden Klone in einer Genombank (auch Genombibliothek genannt) (Plus 6.18) identifiziert werden. Die Vorgehensweise ist in ▶ Abb. 6.33 illustriert. Zunächst wird die geschnittene genomische DNA mit einem Cosmidoder Phagenvektor verknüpft. Anschließend werden die Ansätze durch Transduktion in E. coli eingebracht und die Zellen ausplattiert. Abdrücke der Bakterienkolonien oder Plaques auf Membranfiltern werden mit markierten Sonden untersucht. Bei der Sonde kann es sich um ein einzelsträngiges Oligonukleotid handeln, dessen Sequenz aus der Aminosäuresequenz des relevanten Proteins abgeleitet worden ist. Da der genetische Code degeneriert ist, d. h. den meisten Aminosäuren mehr als ein Codon zugeordnet werden kann, werden meistens Gemische von Oligonukleotiden eingesetzt. Zum Nachweis der Sonden werden diese mit einem Fluoreszenzfarbstoff oder mit radioaktivem Phosphor markiert. Die Sonde bindet an komplementäre DNA positiver Klone, man spricht von Hybridisierung, und wird anschließend sichtbar gemacht. Die Bedeutung von genomischen Bibliotheken hat in den letzten Jahren durch die revolutionären Entwicklungen bei Sequenzierungsverfahren (Kap. 6.11) abgenommen. Es ist jetzt möglich, die Sequenz großer Bereiche von ganzen Genomen oder von genomischen Abschnitten

5' 3'

O

P

O

O–

3' 5'

Plus 6.18 Genombibliotheken

●V

Wie groß muss eine Genombibliothek sein oder, anschaulicher, wie viele Einzelklone muss sie enthalten, damit jedes Gen des zu untersuchenden Organismus wenigstens einmal darin enthalten ist? Bei dieser Frage handelt es sich um ein statistisches Problem, das mit folgender Beziehung gelöst werden kann: N = ln (1 – p) / ln (1 – f) p ist die Wahrscheinlichkeit, mit der ein Gen in der Genbank vorkommt, f ist das Verhältnis zwischen der durchschnittlichen Größe der Fremd-DNA im Vektor zur Größe des Genoms des Spenderorganismus, und N ist die Anzahl der notwendigen Klone. Betrachten wir ein konkretes Beispiel, eine λ-Genbank von E.-coli K-12 mit einer durchschnittlichen Fragmentgröße von 20 kb. Das Chromosom von E.-coli K-12 hat eine Größe von 4,63 Mb. Wenn eine Wahrscheinlichkeit von 99 % für das Vorkommen eines bestimmten Gens erwünscht ist, dann muss die Bibliothek statistisch mindestens 1064 Klone umfassen.

komplexer mikrobieller Gemeinschaften in kurzer Zeit preiswert zu ermitteln. Anschließend können spezifische Gene von Interesse im Reaktionsgefäß amplifiziert (z. B. durch Polymerasekettenreaktion, s. Methode 6.7) und kloniert werden.

5

Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie

6.11 DNA-Sequenzierung und Genomsequenzen 6.11.1 Genomsequenzierung Seit der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre ist es möglich, die Nukleotidsequenz von DNA-Molekülen experimentell zu bestimmen. 1995 wurde mit der Sequenz des Chromosoms von Haemophilus influenzae die erste vollständige Genomsequenz eines Bakteriums veröffentlicht. Seitdem wurden die Genomsequenzen Tausender verschiedener Prokaryonten und mittlerweile auch zahlreicher Eukaryonten einschließlich des Menschen aufgeklärt und diese Entwicklung geht rasant weiter. Bis etwa 2005 wurden ausschließlich Weiterentwicklungen des nach Frederick Sanger benannten Sanger-Verfahrens angewendet. Die Genomsequenzierung mithilfe dieses Verfahrens wird im Folgenden kurz besprochen. Zunächst wird genomische DNA isoliert und mechanisch oder enzymatisch in Bruchstücke gespaltet. Nach einer Größenselektion werden wenige-Kilobasen große Fragmente mit einem Vektor verknüpft und in E.-coli-Zellen transformiert. Die Anzahl rekombinanter Klone muss so groß sein, dass alle überlappenden Fragmente das komplette Genom abdecken (s. Plus 6.18). Anschließend wird Plasmid-DNA aus den einzelnen E.-coli-Klonen isoliert und sequenziert. Das Prinzip des Sanger-Verfahrens beruht auf einer enzymatischen Neusynthese des jeweiligen DNA-Fragments in Gegenwart sogenannter Kettenabbruchnukleotide. Bei den modernen Varianten der Methode handelt es sich hierbei um Didesoxynukleosidtriphosphate (ddNTP), die mit je einem unterschiedlichen Fluoreszenzfarbstoff verknüpft sind. Der Einbau eines ddNTP führt bei der Synthese von DNA im Reaktionsgefäß zum Kettenabbruch, da diesen Nukleotiden die essenzielle 3’-OH-Gruppe an der 2’-Desoxyribose fehlt. Die DNA-Synthese erfolgt ausgehend von einem Primer, der an der Grenzstelle zwischen Vektor und Insert an die Plasmid-DNA bindet. Das Reaktionsgemisch enthält u. a. die vier normalen dNTPs in hoher Konzentration und die vier ddNTPs in geringer Konzentration, wobei die verschiedenen ddNTPs mit unterschiedlichen Fluoreszenzfarbstoffen markiert sind. In jedem Ansatz, der viele identische Kopien des zu sequenzierenden DNA-Abschnitts enthält, baut die DNA-Polymerase an einer definierten Position also viel häufiger das zum jeweiligen Nukleotid komplementäre dNTP ein als das komplementäre ddNTP. Es entsteht daher ein Gemisch von Produkten mit unterschiedlicher Länge. Von diesen Produkten weisen jeweils einige Moleküle an derselben Position einen Kettenabbruch auf, der durch das entsprechende fluoreszenzmarkierte ddNTP entstanden ist. Das Produktgemisch wird in einer gelgefüllten Kapillare elektrophoretisch nach Größe aufgetrennt und die entstehenden Banden werden in einer Messzelle mit einem Laser bestrahlt. Da jedes eingebaute ddNTP ein anderes Fluorszenzsignal er-

216

gibt, lässt sich auf diese Weise die Art des eingebauten ddNTPs feststellen und aus der Abfolge der Signale die Nukleotidsequenz bestimmen. Das Verfahren ist genau und es liefert im optimalen Fall pro Reaktionsansatz (Read genannt) die Sequenz von bis zu 1000 Nukleotiden. Es wird in automatisierten Systemen mit 96 Parallelansätzen durchgeführt, die in Mikrotiterplatten prozessiert werden. Ein erheblicher Nachteil des Sanger-Verfahrens liegt in der zeitaufwendigen und oft problematischen Klonierung von DNA-Fragmenten in vivo. Weiterhin ist die Zahl der parallel durchführbaren Analysen nicht mehr erheblich zu steigern. Seit etwa 2005 werden sogenannte Sequenzierverfahren der nächsten Generation (engl. next generation sequencing) angewendet, die die mikrobielle Genomforschung revolutioniert haben. Ein Ende dieser Entwicklung ist derzeit nicht absehbar. Eine Auswahl dieser Ver-

Originalplatte Filterabdruck

Kolonien wachsen auf dem Filter

Isolierung

Lyse der Bakterien und Denaturierung der DNA

Hybridisierung Inkubation mit markierter DNA-Sonde

ein „positiver“ Klon

Abb. 6.33 Identifizierung klonierter DNA-Fragmente durch Koloniehybridisierung. Bakterien werden zunächst mit Vektoren transformiert, die unterschiedliche Fragmente des Genoms enthalten. Die Bakterien werden dann auf Agarplatten dünn ausplattiert, sodass sie zu einzelnen Kolonien wachsen. Von einer solchen Originalplatte wird dann mit einem sterilen Nitrocellulosefilter ein Abdruck genommen, die am Filter haftenden Bakterien lysiert, die DNA auf dem Filter fixiert und der Filter dann mit einer markierten Sonde hybridisiert. Überschüssige Sonde wird dann unter stringenten Bedingungen abgewaschen, sodass nur komplementär gebundene Sondenmoleküle haften bleiben. Diese können dann auf dem Filter sichtbar gemacht werden. Die positiven Kolonien werden von der Originalplatte isoliert.

6.11 DNA-Sequenzierung und Genomsequenzen

Methode 6.5 Hochdurchsatz-DNA-Sequenzierung ▶ Abb. 6.34 zeigt aktuelle Methoden der Hochdurchsatzsequenzierung, die auf einer Neusynthese von DNA beruhen. Anders als bei der klassischen Sanger-Technik verzichten alle Verfahren auf die in vivo-Klonierung von DNA-Fragmenten. Genomische DNA wird mechanisch oder enzymatisch in Bruchstücke gespalten. Bei den mechanischen Methoden kommen hydrodynamische Scherkräfte, Zerstäubung und Ultraschall zum Einsatz. Fragmente eines gewünschten Größenbereichs werden beispielsweise aus Agarosegelen (Methode 6.3) (S. 212) isoliert. Bei der Einzelmolekülsequenzierung von Pacific Biosciences (①) werden diese Fragmente in riesiger Anzahl mit einem Adapter verknüpft, und so markiert, in winzige nanooptische Messzellen (ein Molekül pro Kammer) überführt und einzeln analysiert. Alle anderen Verfahren erfordern zunächst die Amplifikation der mit Adaptern versehenen Fragmente (z. B. durch PCR, s. Methode 6.7) (S. 224). Für die PCR im Öltröpfchenreaktor (②) wird jedes DNA-Fragment mit einem winzigen Polystyrolkügelchen versehen. Die Oberfläche der Kügelchen ist in hoher Dichte mit einem Oligonukleotid beladen, das komplementär zu einem der Adapter ist und deshalb die Bindung ermöglicht. Einzelne beladene Kügelchen werden zusammen mit den PCR-Reagenzien in Öltröpfchen verpackt. Durch die PCR entstehen millionenfache Kopien des Fragments, die an dem jeweiligen Kügelchen gebunden bleiben. Alternativ können DNA-Fragmente mit zwei unterschiedlichen Adaptern auf einer Festphase amplifiziert werden (③). Hierfür wird eine Durchflusszelle benutzt, auf der in hoher Dichte Oligonukleotide kovalent gebunden sind, die zu den beiden Adaptern komplementär sind und als Primer für die Amplifikation dienen. Da die jeweils entstehenden Amplifikate mit einem Ende kovalent an der Matrix gebunden bleiben, kommt es zu einer exponentiellen Vermehrung des ursprünglichen Fragments in unmittelbarer räumlicher Nähe, wodurch Nanokolonien entstehen. Mit „Tagmentation“ wird die kombinierte Fragmentierung/AdapterVerknüpfung in einem Schritt bezeichnet (⑤). Das gelingt mithilfe einer hyperaktiven Transposase und zwei Adaptern, die die Sequenz der Enden des natürlichen Transposons enthalten. Daran schließt sich Festphasenamplifikation an. Die verschiedenen Verfahren unterscheiden sich auch durch die Art der Sequenzierung selbst. Bei der der Einzelmolekülanalyse im PacBio RS-Sequenzer (①) werden Derivate von dATP, dCTP, dGTP und dTTP verwendet, die unterschiedliche Fluoreszenzfarbstoffe an ihrem terminalen Phosphat tragen. Während der spezifischen Kettenverlängerung verweilt das jeweils passende Nukleotid für Millisekunden im Komplex aus DNA und DNA-Polymerase und fluoresziert. Alle anderen Nukleotide diffundieren dagegen

d ●

schnell und fluoreszieren im Mikrosekundenbereich. In der nanooptischen Messzelle wird die länger andauernde Fluoreszenz detektiert, die während der Kettenverlängerung auftritt. Die Sequenz wird als Folge der vier unterschiedlichen Signale aufgezeichnet. Auch bei der Illumina-Technologie (④) gelangen vier fluorophormarkierte Nukleotide gleichzeitig in die mit Nanokolonien beladene Durchflusszelle. Ähnlich wie bei dem klassischen Sanger-Verfahren enthalten die dNTP-Varianten ein modifiziertes 3’-OH-Ende, sodass die DNA-Polymerase nur jeweils ein einziges Nukleotid einbauen kann. Nach der Einbauphase werden die Reagenzien ausgewaschen. Mit einem Laser werden die gerade eingebauten Fluorophore angeregt und die Fluoreszenzsignale der mehreren Millionen Nanokolonien detektiert. Im letzten Schritt jedes Zyklus werden sowohl die Schutzgruppe am 3’-OH-Ende als auch das Fluorophor am zuletzt eingebauten Nukleotid aller Ketten chemisch abgespaltet, bevor ein neuer Zyklus beginnt. Die Pyrosequenzierung (⑥) beruht auf einem vollkommen anderen Prinzip. Nach der Öltröpfchen-PCR werden ca. 1 Mio. beladene Kügelchen einzeln in Picotiterplatten verteilt, die bereits die drei Enzyme DNA-Polymerase, ATPSulfurylase und Luciferase sowie Adenosinphosphosulfat enthalten. Die Picotiterplatten werden nacheinander mit dATP, dCTP, dGTP bzw. dTTP überspült. Beim Einbau einer Nukleotidspezies wird jeweils Pyrophosphat freigesetzt. Die ATP-Sulfurylase setzt dieses mit Adenosinphosphosulfat zu ATP und Sulfat um. Das ATP wird durch die Luciferase unter Aussendung eines Lichtblitzes gespalten. Licht wird nur dann emittiert, wenn das passende Nukleotid in den synthetisierten DNA-Strang eingebaut wurde. Bei Wiederholungen desselben Nukleotids in der Sequenz ist die Lichtintensität entsprechend erhöht. Überall dort, wo das Nukleotid nicht passt, bleibt es dunkel. Die Platte wird mit Puffer gespült und anschließend mit dem nächsten Nukleotid überspült. Die Ion PGM- und Ion Proton-Maschinen von Life Technologies arbeiten lichtunabhängig (⑦). Millionen paralleler Sequenzreaktionen erfolgen auf Halbleiterplatten, die sequenziell mit Sequenzierreagenzien plus jeweils einem der vier dNTP gespült werden. Der Einbau eines Nukleotids wird durch eine temporäre Änderung des pH-Werts in der Nanokammer gemessen. Die Grundlage für diese Methode liegt im Reaktionsmechanismus von DNA-Polymerasen. Bei der Kettenverlängerung wird im ersten Schritt ein Proton von der 3’-OH-Gruppe des vorangegangenen Nukleotids entfernt, das sehr schnell diffundiert. Nach Einbau des neuen Nukleotids werden Pyrophosphat und ein Mg2 + -Ion freigesetzt, die aber eine geringere Diffusionsgeschwindigkeit besitzen. Die temporäre pH-Änderung durch die Deprotonierung wird als Stromsignal erfasst.

7

Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie

DNA-Probe

genomische DNA

Fragmentierung

enzymatische hydrodynamisches Fragmentierung Scheren

Zerstäuben

Scheren durch Ultraschall „Tagmentation“ Transposase + Adapter +

Größenselektion

genomische DNA Endreparatur 5

„Tagging“

Fragmentierung und Anknüpfung der Adapter

Adapter

+

2

3

PCR in Öltröpfchenreaktoren

Brückenamplifikation auf Festphase

Amplifikation

1

6 454 GS Junior

7 Ion PGM

4 454 GS FLX+ Sequenzierung

Ion Proton

MiSeq

HiSeq 2000/2500

PacBioRS

(© Pacific Biosciences)

(© 2012 Life Technologies Corporation, (© Roche, www.454.com) Used under permission)

(© 2012 Illumina, Inc. All rights reserved)

Abb. 6.34 Verschiedene Methoden der Hochdurchsatz-Sequenzierung. Erklärungen siehe Text.

fahren, die auf Neusynthese beruhen, wird in Methode 6.5 ausführlicher erläutert. Darüber hinaus gibt es Verfahren (z. B. SOLiD), bei dem das Lesen der Sequenzen durch Hybridisierung und Ligation von fluorophormarkierten Oligonukleotiden erfolgt. Im Vergleich zur Sanger-Methode handelt es sich bei allen Techniken ausschließlich um in vitro-Verfahren und die Anzahl parallel prozessierbarer Proben ist millionenfach höher. Je nach Gerätetyp und Technologie liefert jeder Durchlauf (Run) innerhalb weni-

218

ger Stunden bis zu wenigen Tagen Sequenzinformation im niedrigen bis hohen Giganukleotidbereich. Die Anzahl der Nukleotide, die pro Read gelesen werden kann, wie auch die Fehlerhäufigkeit unterscheiden sich abhängig von dem verwendeten Verfahren. Auf dem Markt existieren Sequenziergeräte für den Laborbereich sowie „HighEnd“-Geräte, die die Sequenzanalyse vieler mikrobieller Genome gleichzeitig zulassen, in der Anschaffung aber bis zu 750 000 US$ kosten.

6.11 DNA-Sequenzierung und Genomsequenzen Bei Einzelmolekülsequenzierung (①) spricht man von einem Sequenzierverfahren der dritten Generation (engl. third generation sequencing). Hier wird in einem fortlaufenden Prozess die Sequenzinformation in Echtzeit ermittelt, d. h. der Einbau der Nukleotide durch eine spezielle und als Einzelmolekül immobilisierte DNA-Polymerase wird direkt und kontinuierlich registriert. Ein Nachteil dieses Verfahrens ist die gegenwärtig noch hohe Fehlerhäufigkeit. Aspekte wie Fehlerhäufigkeit und Leseweite müssen berücksichtigt werden, wenn eine bestimmte Technologie für eine genombiologische Fragestellung angewendet wird. Soll beispielsweise die Genomstruktur eines Bakteriums mit der eines vollständig sequenzierten sehr nahen Verwandten verglichen werden, sind kurze Leseweiten und auch Fehler tolerabel, da die bekannte Sequenz als Matrize die Anordnung der Sequenzbruchstücke des neuen Organismus ermöglicht. Anders verhält es sich bei de novo-Sequenzierungen. Je kürzer die einzelnen Reads sind und je mehr Fehler sie enthalten, desto größer wird der anschließende bioinformatische Aufwand, die einzelnen Stücke zu assemblieren und Fehler durch wiederholte Betrachtung einzelner Nukleotide zu eliminieren. Dass die Entwicklung der Sequenziertechnologie noch nicht am Ende ist, zeigt ein Einwegsequenziergerät im Format eines USB-Sticks. Das Verfahren verwendet eine Polymermembran, in die Nanoporen aus Protein eingebettet sind. Je nach Variante schiebt ein Enzym einzelsträngige DNA durch die Poren oder spaltet als Exonuklease einzelne Nukleotide schrittweise vom Ende ab. In beiden Fällen verändert der Durchtritt des Stranges bzw. eines einzelnen Nukleotids basenspezifisch die Leit-

Plus 6.19 Reduktion der Genomgröße bei symbiontischen und parasitären Bakterien Bis vor Kurzem hat man angenommen, dass die kleinsten Genome aus 0,5 Mb bis 0,6 Mb bestehen und dass dieser Wert der minimalen Ausstattung einer lebenden Zelle recht nahe kommt. Tatsächlich fehlen dem humanpathogenen Krankheitserreger Mycoplasma genitalium (0,58 Mb) viele Eigenschaften, die unter Prokaryonten verbreitet sind. Mykoplasmen bilden keinerlei Zellwand und sind nicht in der Lage, Aminosäuren, Fettsäuren und Purine/Pyrimidine herzustellen. Diese Substanzen müssen in parasitischer Lebensweise vom Wirt aufgenommen werden. Noch etwas kleiner (491 kb) ist das Genom des hyperthermophilen Archaebakteriums Nanoarchaeum equitans. Auch dieser Organismus ist zum Wachstum auf einen Partner angewiesen. In einer sehr ungewöhnlichen Symbiose heftet er sich an die Oberfläche des Crenarchaeons Ignicoccus hospitalis an. Überraschenderweise wurden mittlerweile mehrere symbiontische Bakterien mit noch viel kleineren Genomen identifiziert. Diese Bakterien leben in Bakteriomen von pflanzen-

fähigkeit der Pore, die gemessen wird. Das 900 US$ teure Gerät wird softwaregesteuert direkt am Laptop betrieben und soll mithilfe von 512 Nanoporen 150 Megabasen Sequenzinformation pro Stunde liefern. Aus den vorangegangenen Ausführungen wird deutlich, dass der Umgang mit der bereits jetzt vorhandenen und kontinuierlich wachsenden Fülle von Genomdaten immense Anforderungen an die Bioinformatik stellt. Wissenschaftler aus den Bereichen Informatik und Biologie sind damit beschäftigt, Algorithmen zur Vorhersage der Lage von Genen in Genomsequenzen und ihrer codierenden Funktion (Annotierung) weiterzuentwickeln, aus vergleichenden Genomanalysen Stoffwechselwege zu rekonstruieren und die hierfür benötigten umfangreichen Datenbanken zu pflegen.

6.11.2 Genomgrößen und Genomorganisation In ▶ Tab. 6.4 sind Informationen über Organisation und Größe einiger prokaryontischer Genome aufgelistet und zum Vergleich ist die Genomorganisation der vier Pilze Ashbya gossypii, Neurospora crassa, Saccharomyces cerevisiae (Backhefe) und Schizosaccharomyces pombe (Spalthefe) sowie des Malariaerregers Plasmodium falciparum angegeben. Die kleinsten Genome findet man bei hochgradig angepassten Symbionten oder Parasiten, die ohne ihren Wirt nicht mehr lebensfähig sind. Deren Genome sind durch Reduktion größerer Genome zustandegekommen (Plus 6.19). Die kleinsten Genome freilebender (d. h. nichtsym-

●V

saftsaugenden Insekten. Bakteriome sind Organe im Abdomen der Insekten, in denen die symbiontischen Bakterien Aminosäuren produzieren, welche die Tiere nicht selbst herstellen können und die im zuckerhaltigen Pflanzensaft fehlen. Der Rekordhalter hinsichtlich der Reduktion der Genomgröße ist das Betaproteobakterium Tremblaya princeps, dessen Chromosom aus nur 139 kb besteht und dem zahlreiche als essenziell angesehene Funktionen fehlen. Der Organismus besiedelt die Bakteriome der überwiegend tropischen Zitrusschmierlaus Planococcus citri. Kurioserweise enthält T. princeps selbst einen Endosymbionten, nämlich das Gammaproteobakterium Moranella endobia, dessen Genom mit 538 kb ebenfalls im unteren Größenbereich angesiedelt ist. Die genauen Reaktionsabläufe, durch die alle drei Partner zusammen Aminosäurebiosynthese betreiben, sind nicht geklärt. Den Endosymbionten, insbesondere T. princeps, kann kein günstiges Schicksal prophezeit werden, da sie auf dem Weg sind, sich zu einem unselbstständigen Organell zu entwickeln.

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Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie Tab. 6.4 Organisation einiger mikrobieller Genome. Organismen

Chromosomenanzahl

Cromosomengröße

Plasmidanzahl

Plasmidgröße

Agrobacterium tumefaciens C 58

2

2,84 Mb, zirkulär 2,07 Mb, linear

2

542 kb, zirkulär 214 kb, zirkulär (Ti-Plasmid)

Aquifex aeolicus VF5

1

1,55 Mb, zirkulär

1

39 kb

Bacillus subtilis 168

1

4,21 Mb, zirkulär

Borrelia burgdorferi B31

1

910 kb, linear

21

9 zirkulär, 30–9 kb 12 linear, 53–5 kb

Escherichia coli K-12

1

4,63 Mb, zirkulär

Escherichia coli O157:H7

1

5,49 Mb, zirkulär

2

92 kb, zirkulär 3 kb, zirkulär

Moranella endobia

1

583 kb, zirkulär

Mycoplasma genitalium G-37

1

580 kb, zirkulär

Myxococcus xanthus DK

1

9,14 Mb

Ralstonia solanacearum GMI1000

1

3,71 Mb, zirkulär

1

2,09 Mb, zirkulär

Sorangium cellulosum So ce56

1

13,02 Mb

Sinorhizobium meliloti 1021

1

3,65 Mb, zirkulär

2

1,68 Mb, zirkulär 1,35 Mb, zirkulär

Streptomyces avermitilis MA-4 680

1

9,02 Mb, linear

1

94 kb, linear

Streptomyces coelicolor A3(2)

1

8,66 Mb, linear

2

365 kb, linear 31 kb, zirkulär

Tremblaya princeps

1

139 kb, zirkulär

Vibrio cholerae El Tor

2

2,96 Mb, zirkulär 1,07 Mb, zirkulär

Archaeoglobus fulgidus

1

2,17 Mb, zirkulär

Halobacterium sp. NRC-1

3

2,01 Mb, 365 kb, 191 kb, alle zirkulär

Methanocaldococcus jannaschii

1

1,66 Mb, zirkulär

2

58 kb, zirkulär 16 kb, zirkulär

Nanoarchaeum equitans Kin4-M

1

491 kb, zirkulär

Pyrococcus horikoshii OT 3

1

1,73 Mb, zirkulär

Sulfolobus solfataricus P2

1

2,99 Mb, zirkulär

Thermoplasma acidophilum

1

1,56 Mb, zirkulär

Ashbya gossypii

7

2 Mb–670 kb, insgesamt 9,2 Mb

Neurospora crassa OR74A

7

10,9 Mb–4 Mb, insgesamt ca. 40 Mb

Plasmodium falciparum 3D 7

14

3,29 Mb–643 kb, insgesamt 22,9 Mb

Saccharomyces cerevisiae

16

1,52 Mb–230 kb; insgesamt 13,47 Mb

Schizosaccharomyces pombe

3

5,8 Mb, 4,6 Mb, 3,5 Mb

Eubakterien

Archaebakterien

mehrere

Eukaryonten (haploides Stadium)

biontischer und nichtparasitärer) Bakterien enthalten etwa 1,3 Mb. Die größten prokaryontischen Genome wurden in Streptomyceten und Myxobakterien gefunden. Das Genom des Myxobakteriums Sorangium cellulosum hat eine Größe von etwa 13 Mb, die Genomgrößen von Streptomyceten liegen bei etwa 9 Mb. Diese Genomgrö-

220

ßen korrelieren mit der Produktion vielfältiger Sekundärmetabolite (z. B. Antibiotika und Cytostatika) und mit der Fähigkeit zu komplexen Zelldifferenzierungen. Nicht alle Bakterien besitzen ein einzelnes, zirkuläres Chromosom. Sowohl lineare wie auch multiple Chromosomen sind verbreitet. Auffällig ist die Genomstruktur von Borrelia

6.12 Postgenomik, Metagenomik und synthetische Biologie burgdorferi, dem Erreger der durch Zeckenbiss übertragbaren Lyme-Krankheit. Dieses Bakterium enthält ein einzelnes, lineares Chromosom von 910 kb, aber zusätzlich 21 Plasmide, die zusammen mehr als 610 kb umfassen. Entgegen der früheren Auffassung, dass Prokaryonten monoploid seien, d. h. nur eine einzelne Kopie ihres Chromosoms besitzen, zeigen neuere Untersuchungen, dass viele Organismen oligo- oder polyploid sind. Bei den Crenarchaeota der Archaebakterien scheint Monoploidie vorzuherrschen, während unter den Euryarchaeota mehrfache Kopien des Chromosoms die Regel sind. In manchen Cyanobakterien wurden mehr als 50 Kopien des Chromosoms pro Zelle gefunden, bei schnell wachsenden Zellen im Extremfall sogar über 200. Auch in E. coli korreliert die Kopienzahl des Chromosoms mit der Wachstumsgeschwindigkeit, allerdings auf deutlich niedrigerem Niveau. Die Generationszeit bei schnellem Wachstum (20 min) ist etwa halb so lang wie die Dauer der Replikation des Chromosoms. Gelöst wird dieses Problem durch rasch aufeinanderfolgende Initiationen der Replikation an noch nicht vollständig replizierten Chromosomen. Folge ist, dass verschiedene Genomabschnitte in unterschiedlicher Kopienzahl vorliegen. Die Region nahe dem Replikationsursprung ist fast siebenmal pro Zelle vorhanden, die Terminatorregion dagegen nur zweimal.

6.11.3 Genomvergleiche Der Vergleich von Gensequenzen für ähnliche, funktionsgleiche Proteine zwischen phylogenetisch nur entfernt verwandten Organismen bestätigt, dass horizontaler Gentransfer unter Prokaryonten weit verbreitet ist. Als Beispiele können das Crenarchaeon Sulfolobus solfataricus und das Euryarchaeon Thermoplasma acidophilum dienen. Beide sind thermoacidophile Archaebakterien, die in heißen, schwefelreichen Umgebungen (Solfataren) vorkommen. Ein gut untersuchtes Beispiel ist auch die Entstehung der verschiedenen E.-coli-Stämme, so wie es die Auswertung der Genomsequenzen nahelegt (Plus 6.20). Mithilfe moderner molekularbiologischer Methoden ist es möglich, durch Genomvergleiche auf Eigenschaften von Erregern zu schließen, die lange zurückliegende Grippe- oder Pestpandemien ausgelöst haben. Aus dem Lungengewebe eines im Permafrost gefrorenen Grippeopfers und durch Vergleiche mit Gewebeproben, die von der amerikanischen Armee aufbewahrt worden waren, ließ sich die Sequenz des segmentierten RNA-Genoms des viralen Erregers rekonstruieren, der 1918 Auslöser der Spanischen Grippe war. Noch weiter in die Vergangenheit konnte man blicken, nachdem man DNA aus Knochen- und Zahnproben sequenziert hatte, die Toten aus Massengräbern der Zeit der Pestpandemie (um 1350) entnommen worden waren. Es gelang, die Genomsequenz des damaligen Erregers (Yersinia pestis) weitgehend zu rekonstruieren. Im Vergleich zu heutigen Refe-

renzstämmen von Y. pestis wurden nur etwa 100 Punktmutationen nachgewiesen.

6.12 Postgenomik, Metagenomik und synthetische Biologie Tausende prokaryontische Genomsequenzen sind mittlerweile bekannt und öffentlich in Datenbanken verfügbar und die Zahl vollständig oder fast vollständig bestimmter Genomsequenzen nimmt rapide zu. Welcher Nutzen kann aus den Daten prokaryontischer Genomprojekte gezogen werden? Wir haben bereits weiter oben gesehen, dass durch Vergleiche der DNA- und abgeleiteten Aminosäuresequenzen grundlegende Erkenntnisse über Verwandtschaft und Gentransferprozesse gezogen werden können. Weiterhin erlaubt die Analyse der postulierten Genprodukte eines Organismus Vorhersagen über Stoffwechselwege und spezielle Stoffwechselleistungen mit biotechnologischem Potenzial. Mögliche Pathogenitätsfaktoren und damit Angriffspunkte für die antimikrobielle Therapie können durch vergleichende Genomanalyse pathogener Bakterien und nah verwandter Nichtpathogener identifiziert werden. Trotz dieser vielfältigen Möglichkeiten handelt es sich dabei allerdings immer um statische Betrachtungen, die keine Aussagen über die Expression von Genen in bestimmten Umweltsituationen zulassen. Solche Untersuchungen können aber mit Methoden der Transkriptomik und Proteomik durchgeführt werden. Unter Transkriptom versteht man die Gesamtheit aller Transkripte (mRNAs), die zu einem definierten Zeitpunkt und unter bestimmten Umweltbedingungen in einer Zelle vorhanden sind. Gleichermaßen repräsentiert das Proteom alle unter diesen Bedingungen vorhandenen Proteine. Ein Verfahren, mit dem die Transkriptome von Zellen verglichen werden können, die unter verschiedenen Umweltbedingungen kultiviert worden sind, ist in Methode 6.6 gezeigt. Diese Vorgehensweise beruht auf der DNA-Chip-Technologie (Synonym: DNA-MicroarrayTechnologie). Neuerdings werden auch für Analysen des Transkriptoms Sequenzierverfahren der nächsten Generation angewendet. Bei der RNA-Seq-Technik wird Gesamt-RNA aus Zellpopulationen isoliert, die man vergleichen möchte. Anschließend wird die rRNA, die den weit überwiegenden Anteil der RNA ausmacht, abgereichert, die verbliebene mRNA revers in cDNA transkribiert und diese sequenziert. Aufgrund der Häufigkeit bestimmter cDNAs, deren Nukleotidsequenzen durch Hochdurchsatzsequenzierung ermittelt werden, kann auf die relativen Transkriptmengen in den Proben geschlossen werden. ▶ Proteom. Das Transkriptom spiegelt nicht unbedingt das endgültige Bild über die Expression von Genen und den Gehalt und Zustand der Proteine einer Zelle wider, da

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6.12 Postgenomik, Metagenomik und synthetische Biologie burgdorferi, dem Erreger der durch Zeckenbiss übertragbaren Lyme-Krankheit. Dieses Bakterium enthält ein einzelnes, lineares Chromosom von 910 kb, aber zusätzlich 21 Plasmide, die zusammen mehr als 610 kb umfassen. Entgegen der früheren Auffassung, dass Prokaryonten monoploid seien, d. h. nur eine einzelne Kopie ihres Chromosoms besitzen, zeigen neuere Untersuchungen, dass viele Organismen oligo- oder polyploid sind. Bei den Crenarchaeota der Archaebakterien scheint Monoploidie vorzuherrschen, während unter den Euryarchaeota mehrfache Kopien des Chromosoms die Regel sind. In manchen Cyanobakterien wurden mehr als 50 Kopien des Chromosoms pro Zelle gefunden, bei schnell wachsenden Zellen im Extremfall sogar über 200. Auch in E. coli korreliert die Kopienzahl des Chromosoms mit der Wachstumsgeschwindigkeit, allerdings auf deutlich niedrigerem Niveau. Die Generationszeit bei schnellem Wachstum (20 min) ist etwa halb so lang wie die Dauer der Replikation des Chromosoms. Gelöst wird dieses Problem durch rasch aufeinanderfolgende Initiationen der Replikation an noch nicht vollständig replizierten Chromosomen. Folge ist, dass verschiedene Genomabschnitte in unterschiedlicher Kopienzahl vorliegen. Die Region nahe dem Replikationsursprung ist fast siebenmal pro Zelle vorhanden, die Terminatorregion dagegen nur zweimal.

6.11.3 Genomvergleiche Der Vergleich von Gensequenzen für ähnliche, funktionsgleiche Proteine zwischen phylogenetisch nur entfernt verwandten Organismen bestätigt, dass horizontaler Gentransfer unter Prokaryonten weit verbreitet ist. Als Beispiele können das Crenarchaeon Sulfolobus solfataricus und das Euryarchaeon Thermoplasma acidophilum dienen. Beide sind thermoacidophile Archaebakterien, die in heißen, schwefelreichen Umgebungen (Solfataren) vorkommen. Ein gut untersuchtes Beispiel ist auch die Entstehung der verschiedenen E.-coli-Stämme, so wie es die Auswertung der Genomsequenzen nahelegt (Plus 6.20). Mithilfe moderner molekularbiologischer Methoden ist es möglich, durch Genomvergleiche auf Eigenschaften von Erregern zu schließen, die lange zurückliegende Grippe- oder Pestpandemien ausgelöst haben. Aus dem Lungengewebe eines im Permafrost gefrorenen Grippeopfers und durch Vergleiche mit Gewebeproben, die von der amerikanischen Armee aufbewahrt worden waren, ließ sich die Sequenz des segmentierten RNA-Genoms des viralen Erregers rekonstruieren, der 1918 Auslöser der Spanischen Grippe war. Noch weiter in die Vergangenheit konnte man blicken, nachdem man DNA aus Knochen- und Zahnproben sequenziert hatte, die Toten aus Massengräbern der Zeit der Pestpandemie (um 1350) entnommen worden waren. Es gelang, die Genomsequenz des damaligen Erregers (Yersinia pestis) weitgehend zu rekonstruieren. Im Vergleich zu heutigen Refe-

renzstämmen von Y. pestis wurden nur etwa 100 Punktmutationen nachgewiesen.

6.12 Postgenomik, Metagenomik und synthetische Biologie Tausende prokaryontische Genomsequenzen sind mittlerweile bekannt und öffentlich in Datenbanken verfügbar und die Zahl vollständig oder fast vollständig bestimmter Genomsequenzen nimmt rapide zu. Welcher Nutzen kann aus den Daten prokaryontischer Genomprojekte gezogen werden? Wir haben bereits weiter oben gesehen, dass durch Vergleiche der DNA- und abgeleiteten Aminosäuresequenzen grundlegende Erkenntnisse über Verwandtschaft und Gentransferprozesse gezogen werden können. Weiterhin erlaubt die Analyse der postulierten Genprodukte eines Organismus Vorhersagen über Stoffwechselwege und spezielle Stoffwechselleistungen mit biotechnologischem Potenzial. Mögliche Pathogenitätsfaktoren und damit Angriffspunkte für die antimikrobielle Therapie können durch vergleichende Genomanalyse pathogener Bakterien und nah verwandter Nichtpathogener identifiziert werden. Trotz dieser vielfältigen Möglichkeiten handelt es sich dabei allerdings immer um statische Betrachtungen, die keine Aussagen über die Expression von Genen in bestimmten Umweltsituationen zulassen. Solche Untersuchungen können aber mit Methoden der Transkriptomik und Proteomik durchgeführt werden. Unter Transkriptom versteht man die Gesamtheit aller Transkripte (mRNAs), die zu einem definierten Zeitpunkt und unter bestimmten Umweltbedingungen in einer Zelle vorhanden sind. Gleichermaßen repräsentiert das Proteom alle unter diesen Bedingungen vorhandenen Proteine. Ein Verfahren, mit dem die Transkriptome von Zellen verglichen werden können, die unter verschiedenen Umweltbedingungen kultiviert worden sind, ist in Methode 6.6 gezeigt. Diese Vorgehensweise beruht auf der DNA-Chip-Technologie (Synonym: DNA-MicroarrayTechnologie). Neuerdings werden auch für Analysen des Transkriptoms Sequenzierverfahren der nächsten Generation angewendet. Bei der RNA-Seq-Technik wird Gesamt-RNA aus Zellpopulationen isoliert, die man vergleichen möchte. Anschließend wird die rRNA, die den weit überwiegenden Anteil der RNA ausmacht, abgereichert, die verbliebene mRNA revers in cDNA transkribiert und diese sequenziert. Aufgrund der Häufigkeit bestimmter cDNAs, deren Nukleotidsequenzen durch Hochdurchsatzsequenzierung ermittelt werden, kann auf die relativen Transkriptmengen in den Proben geschlossen werden. ▶ Proteom. Das Transkriptom spiegelt nicht unbedingt das endgültige Bild über die Expression von Genen und den Gehalt und Zustand der Proteine einer Zelle wider, da

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Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie

Plus 6.20 Horizontale Genübertragung Fast ein Fünftel der vorhergesagten Proteine von Thermoplasma acidophilum zeigt größte Ähnlichkeit nicht zu Proteinen phylogenetischer Nachbarn, sondern zu Proteinen von Sulfolobus solfataricus. Da die entsprechenden Gene nicht zufällig im Chromosom verteilt sind, sondern in Gruppen vorkommen, geht man davon aus, dass wenige Gentransferereignisse zur Integration von S.-solfataricus-DNA in das Genom von T. acidophilum stattgefunden haben. Generell weichen bei knapp 20 % der Gene eines prokaryontischen Genoms der molare GC-Gehalt und die Codon-Usage vom Rest des Genoms ab. Man nimmt an, dass diese Gene durch Transfer erworben wurden. Der Vergleich der beiden E.-coli-Stämme K-12 und O157:H7 zeigt jedoch umgekehrt, dass sich die Genome phylogenetisch eng verwandter Organismen auch erheblich unterscheiden können. K-12 ist ein nichtpathogener Stamm, der in vielen Labors für biochemische und molekularbiologische Untersuchungen benutzt wird und dessen zahlreiche Abkömmlinge für die Gentechnik unersetzlich sind. O157:H7 dagegen zählt zu den enterohämorrhagischen E.-coli-Stämmen (EHEC) und ist einer von vielen humanpathogenen Stämmen dieser Spezies. „O157“ steht für einen bestimmten Serotyp der oberflächenspezifischen Seitenketten der äußeren Membran und „H7“ für einen Serotyp der Geißeln. Der Stamm produziert Shiga-Toxine und andere Virulenzfaktoren (S. 663). Die Folgen einer Infektion reichen von einer Diarrhö bis zu schwerwiegenden Krankheitsformen, wie dem hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS), die vor allem bei Kleinkindern u. a. durch akutes Nierenversagen tödlich enden können. Die Genome von K-12 (4,63 Mb) und O157:H7 (5,58 Mb) haben deutlich unterschiedliche Größen. Die zirkulären Chromosomen beider Stämme besitzen ein gemeinsames Rückgrat (4,1 Mb) mit sehr ähnlicher Sequenz. Dieses Rückgrat ist durch viele stammspezifische Sequenzen unterbrochen. Im pathogenen Stamm O157:H7 handelt es sich dabei um 177 Inseln mit einer Größe von bis zu 88 kb (insgesamt etwa 1,34 Mb), in denen bekannte oder vermutete

die Translationseffizienz verschiedener mRNAs unterschiedlich ist und Proteine posttranslationalen Modifikationen und proteolytischem Abbau unterworfen sind. Deshalb gibt das Proteom noch besseren Aufschluss über globale Veränderungen in einer Zelle als Antwort auf veränderte Umweltbedingungen. Viele Proteomanalysen basieren auf der zweidimensionalen Trennung der gesamten Proteine einer Zelle in Polyacrylamidgelen. Anschließend werden die Proteine durch eine Protease in kürzere Peptide gespaltet. Die einzelnen Peptide werden aufgetrennt und mit sensitiven massenspektrometrischen

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●V

Pathogenitätsfaktoren codiert sind. Im nichtpathogenen Stamm K-12 sind es 234 Inseln (insgesamt etwa 0,53 Mb). Bisher ist nur ein einziger Pathogenitätsfaktor, ein Hämolysin, in K-12 bekannt. Unter normalen Umständen wird das entsprechende Gen jedoch nicht exprimiert. Es wird vermutet, dass der horizontale Gentransfer eine wesentliche Rolle für die unterschiedliche Entwicklung der beiden E.-coli-Stämme aus einem gemeinsamen Vorfahren gespielt hat, die nach Schätzungen vor etwa 4,5 Mio. Jahren begonnen hat. Dafür spricht u. a. die große Anzahl von Prophagen und Prophagenrelikten in beiden Genomen (mindestens 18 in O157:H7 und 8 in K-12). Zwei dieser Prophagen in O157:H7 tragen die Gene für die Shiga-Toxine. Hohe Aktualität hat horizontaler Gentransfer zwischen E.-coli-Stämmen im Sommer 2011 erfahren, als eine vermutlich durch kontaminierte Sprossen ausgelöste Epidemie überwiegend in Deutschland mindestens 50 Todesopfer gefordert hat. Auslöser war ein Stamm des Serotyps O104:H4. Dieser Stamm zählt zu den enteroaggregativen E.-coli-Stämmen (EAEC), die sich durch Adhäsine besonders effizient an das Darmepithel heften. Durch die Ausscheidung von Shiga-Toxin 2 (Stx2) zeigte der Stamm aber auch Eigenschaften von EHEC, wodurch seine hohe Aggressivität erklärbar war. Mithilfe von Hochdurchsatzsequenzierverfahren (Methode 6.5) (S. 217) wurden in kürzester Zeit die Genomsequenzen mehrerer Isolate ermittelt, die man aus Patienten gewonnen hatte, und auf der Basis der gewonnenen Erkenntnisse wurde ein molekularbiologisches Diagnosesystems entwickelt. Der Stamm O104:H4 ähnelt EAEC am stärksten und enthält, wie bei diesen Stämmen nicht ungewöhnlich, zwei Plasmide. Ein Plasmid codiert Aggregationsfaktoren, das zweite eine Breitspektrum-β-Lactamase (engl. extended-spectrum β-lactamase; ESBL). Dieses Enzym vermittelt Resistenz gegen alle β-Lactamantibiotika, ausgenommen Carbapeneme. Das stx2-Gen ist innerhalb eines lamdoiden Prophagen lokalisiert und wurde vermutlich durch Transduktion von einem EHEC ausgehend übertragen. Dieses Beispiel zeigt deutlich, dass Genaustausch unter Prokaryonten auch zur Entstehung neuer Pathovare beitragen kann.

Methoden analysiert; Beispiele dafür sind die MALDITOF-Massenspektrometrie (MALDI-TOF, engl. matrix-assisted laser desorption/ionization time-of-flight) oder – ebenfalls mit einem Massendetektor gekoppelte – ESI (engl. electrospray ionization). Alternativ werden gelfreie Methoden angewendet. Beim MudPIT-Verfahren (für engl. multidimensional protein identification technology) werden Proteine zunächst in Peptide gespalten und diese nach zwei flüssigkeitschromatografischen Trennungen im Massenspektrometer analysiert. Moderne massenspektrometrische Verfahren (MS/MS) erlauben die direkte Se-

6.12 Postgenomik, Metagenomik und synthetische Biologie

d ●

Methode 6.6 DNA-Microarrays Ein DNA-Chip ist ein speziell beschichtetes Trägermaterial (Quartz Wafer) in der Größe eines mikroskopischen Objektträgers oder etwas größer. Durch festphasenchemische Methoden werden auf dem Chip spezifische Oligonukleotide synthetisiert, die in geordneter Reihung gebunden sind und alle Gene des relevanten Organismus repräsentieren. Alternativ werden PCR-Produkte (vgl. Methode 6.7), die das gesamte Genom repräsentieren, immobilisiert. Um das Transkriptom des Organismus in bestimmten physiologischen Situationen zu untersuchen, wird mRNA aus Zellen, die unter entsprechenden Bedingungen kultiviert wurden, isoliert (▶ Abb. 6.35). Unter Verwendung der Reversen Transkriptase, einem Gemisch aus zufällig generierten kurzen Oligonukleotiden als Primern und in Gegenwart eines fluoreszenzmarkierten Nukleosidtriphosphats (grün für Situation 1, rot für Situation 2 in der Abb.) wird die mRNA in cDNA umgeschrieben. Die cDNAs werden gemischt und mit den auf dem Chip immobilisierten Oligonukleotiden hymRNA aus Zellen in unterschiedlichen physiologischen Zuständen

bridisiert. Gebundene cDNA wird anschließend mit einem Laserscanner durch Fluoreszenz sichtbar gemacht. Mithilfe des Computers wird die Fluoreszenzintensität der beiden Fluoreszenzfarbstoffe an den verschiedenen Positionen des Trägers detektiert. Durch Überlagerung der Signale kann dann ermittelt werden, welche Gene unter den gegebenen physiologischen Bedingungen verstärkt exprimert (grün bzw. rot), welche unter beiden Bedingungen (orange) oder überhaupt nicht bzw. unterhalb der Nachweisgrenze (grau) exprimiert werden. Die cDNA wird anschließend von dem Chip abgewaschen, sodass er wiederverwendet werden kann. Durch diese Vorgehensweise können globale Veränderungen des Transkriptoms einer Zelle erkannt werden. So kann man die Antwort auf osmotischen, Temperaturoder Hitzestress analysieren. Im Fall von pathogenen oder symbiontischen Bakterien erhält man Anhaltspunkte für die Bedeutung bestimmter bakterieller Gene für pathogene oder symbiontische Interaktionen mit ihren Wirten.

Abb. 6.35 DNA-Chip- oder MicroarrayTechnologie.

reverse Transkription in Gegenwart je eines fluoreszenzmarkierten (rot bzw. grün) Nukleosidtriphosphats

fluoreszenzmarkierte cDNA Hybridisierung Objektträger mit gebundenen Oligonukleotiden

Laser-Scanning

Überlagerung der Signale

quenzierung der Peptide, wodurch die Zuordnung zu einem aus der Genomsequenz bekannten Protein erheblich erleichtert wird. Über Massendifferenzen lassen sich sogar posttranslationale Modifikationen erkennen. ▶ Knockout-Mutanten. Ein wichtiges Forschungsziel ist die Aufklärung der Funktion der vielen Gene, über deren Bedeutung nur vage oder gar keine Vorstellungen bestehen. Eine geeignete Vorgehensweise ist die Konstruktion von Knockout-Mutanten von Organismen, die für Gen-

austauschexperimente im Labor leicht zugänglich sind. Durch Analyse der Phänotypen derartiger Mutanten, in denen definierte Gene durch Entfernung eines Segments oder durch Insertion von Fremd-DNA inaktiviert worden sind, können Rückschlüsse auf die Funktionen der entsprechenden Proteine gezogen werden. Ein wichtiges Werkzeug für solche und viele andere molekularbiologische Experimente ist die Polymerasekettenreaktion (engl. polymerase chain reaction, PCR) (Methode 6.7). Mit dieser Methode können im Reaktions-

3

Prokaryontische Genetik und Molekularbiologie

d ●

Methode 6.7 Polymerasekettenreaktion Die zu amplifizierende DNA wird durch Erhitzen auf 94– 98 °C in die Einzelstränge aufgeschmolzen (denaturiert) (▶ Abb. 6.36). Die beiden Primer (Pfeile) hybridisieren durch Abkühlen – je nach Länge und molarem GC-Gehalt bei Temperaturen zwischen etwa 42 und 65 °C mit der DNA (Annealing). Die Primer werden dann durch eine ther5' 3'

5' 5'

5' 5' 5' 5'

Abb. 6.36 Die ersten drei Zyklen der PCR.

3' 5'

5' 3'

5'

5'

5'

3'

5' 3’

3'

5'

5' 5'

5'

5'

5' 5'

1. Zyklus 5'

5'

5'

3'

3'

5'

5' 5'

2. Zyklus

5' 5'

3. Zyklus

5'

gefäß beliebige Abschnitte genomischer DNA in kurzer Zeit zu großen Kopienzahlen vervielfältigt werden. Die amplifizierte DNA wird kloniert, Deletionen oder Insertionen werden eingeführt und anschließend wird das modifizierte Allel durch geeignete Methoden an Stelle des Wildtypallels in den zu untersuchenden Organismus eingebracht. ▶ Metagenomik. Bei metagenomischen Verfahren wird die Gesamtheit der genomischen DNA aus einer Umweltprobe als Ausgangspunkt für die Sequenzierung verwendet. Die Vorgehensweise verfolgt das Ziel, ein Biotop soweit wie möglich hinsichtlich der darin vorhandenen Mikroorganismen sowie deren Stoffwechselleistungen und Interaktionen zu charakterisieren. Allerdings ist dieses Ziel auch in Zeiten der modernsten Sequenzierverfahren ambitioniert. Um beispielsweise die gesamte genomische DNA der Mikroorganismen in 1 g Boden nur einmal vollständig zu sequenzieren, wären auch mit den heutigen Sequenziergeräten einige Tausend Läufe erforderlich, die Kosten im Millionen-US$-Maßstab verursachen würden. Metagenomische Analysen können deshalb, realistisch betrachtet, nur Bruchteile der Gesamtheit der genomischen DNA in komplexen Umweltproben zutage fördern; dennoch liefern sie wertvolle Informationen über deren Zusammensetzung.

224

mostabile DNA-Polymerase bei 68–72 °C verlängert (Extension). Diese Schritte werden 25- bis 40-mal wiederholt. Während die Menge der zu amplifizierenden DNA (rot) gleich bleibt, nimmt die Menge des sogenannten langen Produkts (orange) linear zu. Dagegen steigt die Menge des kurzen Produkts, die Region zwischen den beiden Primern (blau), exponentiell an.

5'

▶ Synthetische Biologie. Unter synthetischer Biologie versteht man eine Erweiterung der rekombinanten Gentechnologie, die das Ziel verfolgt, für Produktions- oder Abbauzwecke Zellen mit maßgeschneiderten Eigenschaften zu konstruieren. In einem Pilotexperiment haben C. Venter und Mitarbeiter ein vollständig im Reagenzglas nachgebautes Chromosom des Bakteriums Mycoplasma mycoides in DNA-freie Zellen des verwandten M. capricolum transplantiert. Die synthetische Bauanleitung übernahm die Kontrolle von Stoffwechsel und Vermehrung unter Nutzung der ursprünglichen Zellbestandteile. Wichtige Hilfsmittel für die synthetische Biologie sind die sogenannten BioBricks. Dabei handelt es sich um Genkassetten für unterschiedlichste Eigenschaften, deren standardisierte Enden Erkennungssequenzen für definierte Restriktionsendonukleasen enthalten. Diese Bausteine lassen sich durch rekombinante Gentechnologie beliebig miteinander kombinieren. Andere Ansätze zielen darauf ab, den genetischen Code zu modifizieren, um auch unnatürliche Aminosäuren durch Translation in Peptidketten einzubauen. Da solche Eingriffe die normale Translation schwer schädigen, waren sie bisher nur in vitro anwendbar. Es gibt mittlerweile aber Ansätze, Bakterienzellen mit zwei Ribosomensätzen zu konstruieren, einen für die normale und den zweiten für die artifizielle Translation.

6.12 Postgenomik, Metagenomik und synthetische Biologie

M ●

Zusammenfassung ●











Die Desoxyribonukleinsäure ist in allen Lebewesen der Träger der genetischen Information. Prokaryonten besitzen in der Regel 1–2 Chromosomen, die meist zirkulär geschlossen, in manchen Fällen aber linear vorliegen. Weitere genetische Information ist auf extrachromosomalen Elementen, den Plasmiden, lokalisiert. Die Replikation der DNA erfolgt nach einem semikonservativen Mechanismus. Einer der beiden Stränge wird kontinuierlich, der andere diskontinuierlich repliziert. Der gesamte Prozess verläuft mit einer außerordentlich geringen Fehlerhäufigkeit. Mutationen sind erbliche Veränderungen in der DNA, die natürlichen Ursprungs oder von außen induziert sein können. Vielfältige zelluläre Reparaturprozesse sorgen dafür, dass nur wenige der chemischen Veränderungen in der DNA zu stabilen Mutationen führen. Unter genetischer Rekombination versteht man die Neukombination von Nukleinsäureabschnitten. Homologe Rekombination setzt Bereiche mit Sequenzidentität in den rekombinierenden DNA-Strängen voraus. Nichthomologe Rekombination ist unabhängig von identischen Sequenzen in den Ausgangsmolekülen. Durch spezielle Rekombinationsenzyme können dabei Insertionen, Deletionen oder Inversionen an spezifischen genomischen Positionen entstehen. Transformation, Transduktion und Konjugation sind natürliche Mechanismen des Gentransfers zwischen Prokaryonten. Konjugativer DNA-Transfer ist auch von prokaryontischen in eukaryontische Zellen möglich. Viele bakterielle Restriktionsendonukleasen sind Bestandteil von Restriktions-/Modifikationssystemen, die eingedrungene Fremd-DNA abbauen. Vor allem











die Typ-II-Restriktionsenzyme sind ein unerlässliches Werkzeug in der Gentechnologie. Transkription und Translation sind Teilprozesse der Expression genetischer Information und in Prokaryonten räumlich und zeitlich gekoppelt. Bei beiden Teilprozessen existieren signifikante Unterschiede zwischen Eubakterien und Archaebakterien. Unter DNA-Klonierung versteht man die Verknüpfung von DNA aus einem Spenderorganismus mit einem geeigneten Vektor und die anschließende Vermehrung in einem geeigneten Wirt. Es stehen verschiedene Vektoren zur Verfügung. Sie unterscheiden sich im Wirtsbereich, in der Kopienzahl, in der Größenpräferenz für Fremd-DNA und hinsichtlich der Möglichkeit, die Expression von Fremdgenen zu dirigieren. Seit Mitte der 1990er-Jahre wurden die Genomsequenzen Tausender prokaryontischer und später auch eukaryontischer Organismen entschlüsselt. Die Anzahl identifizierter Sequenzen nimmt – durch neuartige Sequenziermethoden bedingt – rasant zu. Diese Datenvielfalt bildet eine Grundlage für neue biotechnologische Produktionsverfahren sowie für die Identifizierung antimikrobieller Angriffsorte. Unterschiedliche Verfahren der Postgenomik nutzen die Genomsequenz eines Organismus als Basis, um globale Veränderungen der Genexpression (Transkriptomik) oder des Proteingehalts (Proteomik) in der Zelle als Reaktion auf veränderte Umweltbedingungen zu analysieren. Die synthetische Biologie versucht, ganze Zellen mit maßgeschneiderten Stoffwechsel- oder Produktionsleistungen zu entwickeln.

Literatur zum Weiterlesen unter: www.thieme.de/literatur-fuchs

5

© Foto: Thomas Stephan

Kapitel 7 Wachstum und Ernährung der Mikroorganismen

7.1

Überblick

228

7.2

Chemische Zusammensetzung der Zelle und Nahrungsbedarf

228

7.3

Ernährungstypen und Lebensstrategien

229

7.4

Substrate für Mikroorganismen

230

7.5

Anpassung an unterschiedliche Umweltbedingungen

231

7.6

Zusammensetzung von Nährmedien und Kultivierungstechniken

232

7.7

Selektive Kulturmethoden

235

7.8

Wachstum und Zellteilung

238

7.9

Physiologie des Wachstums

240

7.10

Hemmung des Wachstums und Abtötung

246

7.11

Sterilisation und Desinfektion

248

7.12

Konservierungsverfahren

251

7.13

Kulturerhaltung

252

7.14

Mikrobiologische Diagnostik

253

Wachstum und Ernährung der Mikroorganismen

7 Wachstum und Ernährung der Mikroorganismen Bernhard Schink

7.1 Überblick Die Befähigung zu schnellem Wachstum auf zumeist recht einfach zu komponierenden Nährmedien hat die Mikroorganismen, insbesondere die Bakterien, zu bevorzugten Untersuchungsobjekten der allgemeinen Biologie, der Genetik, der Molekularbiologie und der Biochemie gemacht. Da das Wachstum zudem in den meisten Fällen einfachen mathematischen Gesetzmäßigkeiten folgt, sind quantitative Aussagen über das mikrobielle Wachstum und die damit verbundenen Stoffumsetzungen leicht möglich und bilden z. B. die Grundlage der technischen Anwendung mikrobieller Stoffwechselleistungen in der Biotechnologie. Voraussetzung des kontrollierten Umgangs mit Mikroorganismen ist die Abtötung unerwünschter Fremdorganismen. Auch bei der Konservierung von Lebensmitteln und anderen Naturstoffen, vor allem aber im Umgang mit mikrobiellen Krankheitserregern, ist man an einer Begrenzung des Wachstums bzw. an einer Abtötung der Mikroben interessiert. Hierfür bieten sich zahlreiche physikalische und chemische Behandlungsverfahren an. Schließlich müssen Kulturen von Mikroorganismen für vergleichende Untersuchungen konserviert und über lange Zeit lebensfähig gehalten werden.

Tab. 7.1 Chemische Zusammensetzung der prokaryontischen Zelle. Element

prozentualer Anteil an der Trockenmasse

7.2 Chemische Zusammensetzung der Zelle und Nahrungsbedarf

Kohlenstoff

50

Sauerstoff

21

Stickstoff

14

Wasserstoff

8

Phosphor

3

Das Wachstum von Mikroorganismen ist an das Vorhandensein von Wasser gebunden. Die im Wasser gelösten Substanzen, aus denen die Mikroorganismen ihr Zellmaterial aufbauen und Energie gewinnen, sind die Nährstoffe. Die Ansprüche verschiedener Mikroorganismen an die Zusammensetzung der Nährlösung und an sonstige Milieubedingungen hängen von der Art des Energiestoffwechsels des jeweils betrachteten Organismus und seinen biosynthetischen Leistungen ab.

Schwefel

1

Kalium

1

Calcium

0,5

Magnesium

0,5

Chlor

0,5

Eisen

0,2

alle anderen

0,3

7.2.1 Elementare Nährstoffansprüche Alle Organismen enthalten die zehn Makroelemente, Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Schwefel, Phosphor, Kalium, Natrium, Calcium, Magnesium, Eisen (C, O, H, N, S, P, Mg, K, Ca, Fe; ▶ Tab. 7.1). In einfacher Näherung kann man die Zusammensetzung der Zelle auch durch die Summenformel < C4H8O1,5N > wiedergeben; diese Formel bewährt sich bei der Bilanzierung des in einem Umsatzprozess assimilierten Substrats. Neben diesen Ma-

228

kroelementen finden sich die Mikro- oder Spurenelemente, darunter die Übergangsmetalle Mangan, Kobalt, Nickel, Kupfer, Zink, Molybdän, Vanadium und Wolfram, sowie die Hauptgruppenelemente Selen, Silicium, Bor und Chlor. Diese werden nicht von allen Organismen benötigt. Die Schwermetalle sind häufig Bestandteile von Enzymen, die an der Umsetzung anorganischer Verbindungen (O2, N2, H2, S0, SO42–, SO32–, NO3–, NO2–, NH4+) beteiligt sind. Häufig sind diese nur in Spuren benötigten Elemente im Wasser und in den Salzen der Makroelemente als Verunreinigungen enthalten oder an Glasoberflächen usw. adsorbiert und gelangen auf diese Weise in die Nährlösungen. Der Nachweis eines spezifischen Bedürfnisses für bestimmte Spurenelemente ist daher oft nur mit besonderem Aufwand möglich. Fast alle Schwermetalle sind in erhöhter Konzentration toxisch (Hg, Cu, Zn, Ni, Co, Cd, Ag, Cr, Se und auch Fe!). Die meisten Elemente werden den Nährlösungen in Form ihrer Salze zugesetzt. Die Zusammensetzung einer einfachen syntheti-

Tab. 7.2 Beispiel einer einfachen synthetischen Nährlösung. Substanz

Menge

KH2PO4

0,5 g

NH4Cl

1,0 g

MgSO4 · 7 H2O

0,2 g

FeSO4 · 7 H2O

0,01g

CaCl2 · 2 H2O

0,01 g

Glucose

5,0 g

Wasser

1000 ml

Spurenelemente-Stammlösung (▶ Tab. 7.3)

1 ml

Wachstum und Ernährung der Mikroorganismen

7 Wachstum und Ernährung der Mikroorganismen Bernhard Schink

7.1 Überblick Die Befähigung zu schnellem Wachstum auf zumeist recht einfach zu komponierenden Nährmedien hat die Mikroorganismen, insbesondere die Bakterien, zu bevorzugten Untersuchungsobjekten der allgemeinen Biologie, der Genetik, der Molekularbiologie und der Biochemie gemacht. Da das Wachstum zudem in den meisten Fällen einfachen mathematischen Gesetzmäßigkeiten folgt, sind quantitative Aussagen über das mikrobielle Wachstum und die damit verbundenen Stoffumsetzungen leicht möglich und bilden z. B. die Grundlage der technischen Anwendung mikrobieller Stoffwechselleistungen in der Biotechnologie. Voraussetzung des kontrollierten Umgangs mit Mikroorganismen ist die Abtötung unerwünschter Fremdorganismen. Auch bei der Konservierung von Lebensmitteln und anderen Naturstoffen, vor allem aber im Umgang mit mikrobiellen Krankheitserregern, ist man an einer Begrenzung des Wachstums bzw. an einer Abtötung der Mikroben interessiert. Hierfür bieten sich zahlreiche physikalische und chemische Behandlungsverfahren an. Schließlich müssen Kulturen von Mikroorganismen für vergleichende Untersuchungen konserviert und über lange Zeit lebensfähig gehalten werden.

Tab. 7.1 Chemische Zusammensetzung der prokaryontischen Zelle. Element

prozentualer Anteil an der Trockenmasse

7.2 Chemische Zusammensetzung der Zelle und Nahrungsbedarf

Kohlenstoff

50

Sauerstoff

21

Stickstoff

14

Wasserstoff

8

Phosphor

3

Das Wachstum von Mikroorganismen ist an das Vorhandensein von Wasser gebunden. Die im Wasser gelösten Substanzen, aus denen die Mikroorganismen ihr Zellmaterial aufbauen und Energie gewinnen, sind die Nährstoffe. Die Ansprüche verschiedener Mikroorganismen an die Zusammensetzung der Nährlösung und an sonstige Milieubedingungen hängen von der Art des Energiestoffwechsels des jeweils betrachteten Organismus und seinen biosynthetischen Leistungen ab.

Schwefel

1

Kalium

1

Calcium

0,5

Magnesium

0,5

Chlor

0,5

Eisen

0,2

alle anderen

0,3

7.2.1 Elementare Nährstoffansprüche Alle Organismen enthalten die zehn Makroelemente, Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Schwefel, Phosphor, Kalium, Natrium, Calcium, Magnesium, Eisen (C, O, H, N, S, P, Mg, K, Ca, Fe; ▶ Tab. 7.1). In einfacher Näherung kann man die Zusammensetzung der Zelle auch durch die Summenformel < C4H8O1,5N > wiedergeben; diese Formel bewährt sich bei der Bilanzierung des in einem Umsatzprozess assimilierten Substrats. Neben diesen Ma-

228

kroelementen finden sich die Mikro- oder Spurenelemente, darunter die Übergangsmetalle Mangan, Kobalt, Nickel, Kupfer, Zink, Molybdän, Vanadium und Wolfram, sowie die Hauptgruppenelemente Selen, Silicium, Bor und Chlor. Diese werden nicht von allen Organismen benötigt. Die Schwermetalle sind häufig Bestandteile von Enzymen, die an der Umsetzung anorganischer Verbindungen (O2, N2, H2, S0, SO42–, SO32–, NO3–, NO2–, NH4+) beteiligt sind. Häufig sind diese nur in Spuren benötigten Elemente im Wasser und in den Salzen der Makroelemente als Verunreinigungen enthalten oder an Glasoberflächen usw. adsorbiert und gelangen auf diese Weise in die Nährlösungen. Der Nachweis eines spezifischen Bedürfnisses für bestimmte Spurenelemente ist daher oft nur mit besonderem Aufwand möglich. Fast alle Schwermetalle sind in erhöhter Konzentration toxisch (Hg, Cu, Zn, Ni, Co, Cd, Ag, Cr, Se und auch Fe!). Die meisten Elemente werden den Nährlösungen in Form ihrer Salze zugesetzt. Die Zusammensetzung einer einfachen syntheti-

Tab. 7.2 Beispiel einer einfachen synthetischen Nährlösung. Substanz

Menge

KH2PO4

0,5 g

NH4Cl

1,0 g

MgSO4 · 7 H2O

0,2 g

FeSO4 · 7 H2O

0,01g

CaCl2 · 2 H2O

0,01 g

Glucose

5,0 g

Wasser

1000 ml

Spurenelemente-Stammlösung (▶ Tab. 7.3)

1 ml

7.3 Ernährungstypen und Lebensstrategien Tab. 7.3 Spurenelemente-Stammlösung. Substanz

Menge

HCl (25 %)

1 ml

MnCl2 · 4 H2O

100 mg

CoCl2 · 6 H2O

200 mg

NiCl2 · 6 H2O

25 mg

CuCl2 · 2 H2O

2 mg

ZnCl2

70 mg

NaMoO4 · 2 H2O

50 mg

Na2SeO3 · 5 H2O

3 mg

[NaVO3 · H2O

10 mg]

[Na2WO4 · 2 H2O

3 mg]

[H3BO3

6 mg]

dest. Wasser

1000 ml

[ ], nur für wenige Organismen erforderlich. 1 ml Spurenelementlösung wird zu 1000 ml Nährlösung zugesetzt (▶ Tab. 7.2).

schen Nährlösung und einer Spurenelement-Stammlösung ist in ▶ Tab. 7.2 bzw. ▶ Tab. 7.3 angegeben.

7.2.2 Ergänzungsstoffe Viele Organismen benötigen zum Aufbau ihrer Zellsubstanz zusätzlich zu den Mineralien, den Kohlenstoff- und Energiequellen noch einige Ergänzungsstoffe, die auch Suppline oder Wachstumsfaktoren genannt werden. Zu diesen gehören Aminosäuren, Purine und Pyrimidine, sowie Vitamine, soweit diese nicht von dem jeweiligen Organismus selbst synthetisiert werden können. Die Suppline sind Bestandteile der Proteine und Nukleinsäuren und werden daher in relativ großen Mengen von der Zelle benötigt. Vitamine hingegen sind Bestandteile von Coenzymen oder prosthetischen Gruppen. Sie werden deshalb nur in sehr kleinen Mengen gebraucht (▶ Tab. 7.4). Supplinbedürftige Organismen werden auch als auxotroph bezeichnet, während nicht auf Suppline angewiesene Organismen prototroph genannt werden. Tab. 7.4 Bewährte Vitaminlösung für Boden- und Wasserbakterien. Vitamin

Menge

Biotin

0,2 mg

Nicotinsäure

2,0 mg

Thiamin

1,0 mg

4-Aminobenzoat

1,0 mg

Pantothenat

0,5 mg

Pyridoxamin

5,0 mg

Cyanocobalamin

2,0 mg

dest. Wasser

100 ml

2–3 ml Vitaminlösung wird zu 1000 ml Nährlösung zugesetzt.

7.3 Ernährungstypen und Lebensstrategien Die zur Kennzeichnung der Ernährungsweise von Tier und Pflanze geprägten Begriffe heterotroph und autotroph reichen nicht aus, um die Fülle der Ernährungstypen unter den Mikroorganismen zu charakterisieren. Zur schlagwortartigen Beschreibung der Ernährungsweisen haben sich Begriffe eingebürgert, die auf die Kennzeichnung der Energiequelle, des Wasserstoffdonators und der Kohlenstoffquelle gerichtet sind.

7.3.1 Energiequellen Die Energie, die für die Synthese der zellulären Energiewährung ATP erforderlich ist, können Bakterien entweder aus elektromagnetischer Strahlung (Licht) oder aus der freien Energieänderung chemischer Reaktionen beziehen. Entsprechend spricht man von einem phototrophen bzw. einem chemotrophen Stoffwechsel. Zu den phototrophen Organismen gehören die grünen Pflanzen, die Algen und Cyanobakterien, sowie die anoxygenen phototrophen Bakterien, die keinen Sauerstoff produzieren. Der chemotrophe Stoffwechsel liefert Energie im Dunkeln, unabhängig davon, ob es sich um sauerstoffabhängige (aerobe) Oxidationen, sauerstoffunabhängige (anaerobe) Oxidationen mithilfe anderer Elektronenakzeptoren oder um Gärungen handelt.

7.3.2 Elektronendonatoren und Kohlenstoffquellen Organismen, die organische Verbindungen als Elektronendonatoren (Reduktionsmittel) im Energiestoffwechsel verwenden, werden als organotroph bezeichnet. Im Gegensatz hierzu bezeichnet der Begriff lithotroph einen Stoffwechsel, der anorganische Verbindungen (H2, NH3, NO2–, H2S, S0, CO, Fe(II) usw.) als Elektronendonator verwertet. Hinsichtlich der Herkunft des Zellkohlenstoffs unterscheidet man zwischen autotrophen Organismen, die ihren Zellkohlenstoff ausschließlich aus der Fixierung von Kohlendioxid gewinnen, und heterotrophenOrganismen, die ihre Zellsubstanz überwiegend aus organischen Verbindungen aufbauen. Im Prinzip sind alle drei Kategorien hinsichtlich der Kennzeichnung des Stoffwechsels voneinander unabhängig, und tatsächlich lassen sich für alle denkbaren Kombinationen Vertreter unter den Prokaryonten benennen. Grüne Pflanzen sind photolithoautotroph, aerobe Ammoniumoxidierer chemolithoautotroph, und unter den methanogenen Wasserstoffverwertern gibt es viele, die zwar ihren Energiestoffwechsel mithilfe von Wasserstoff und CO2 decken, für die Zellsubstanzsynthese jedoch auf Acetat angewiesen sind, d. h. einen chemolithoheterotrophen Stoffwechsel betreiben.

9

7.3 Ernährungstypen und Lebensstrategien Tab. 7.3 Spurenelemente-Stammlösung. Substanz

Menge

HCl (25 %)

1 ml

MnCl2 · 4 H2O

100 mg

CoCl2 · 6 H2O

200 mg

NiCl2 · 6 H2O

25 mg

CuCl2 · 2 H2O

2 mg

ZnCl2

70 mg

NaMoO4 · 2 H2O

50 mg

Na2SeO3 · 5 H2O

3 mg

[NaVO3 · H2O

10 mg]

[Na2WO4 · 2 H2O

3 mg]

[H3BO3

6 mg]

dest. Wasser

1000 ml

[ ], nur für wenige Organismen erforderlich. 1 ml Spurenelementlösung wird zu 1000 ml Nährlösung zugesetzt (▶ Tab. 7.2).

schen Nährlösung und einer Spurenelement-Stammlösung ist in ▶ Tab. 7.2 bzw. ▶ Tab. 7.3 angegeben.

7.2.2 Ergänzungsstoffe Viele Organismen benötigen zum Aufbau ihrer Zellsubstanz zusätzlich zu den Mineralien, den Kohlenstoff- und Energiequellen noch einige Ergänzungsstoffe, die auch Suppline oder Wachstumsfaktoren genannt werden. Zu diesen gehören Aminosäuren, Purine und Pyrimidine, sowie Vitamine, soweit diese nicht von dem jeweiligen Organismus selbst synthetisiert werden können. Die Suppline sind Bestandteile der Proteine und Nukleinsäuren und werden daher in relativ großen Mengen von der Zelle benötigt. Vitamine hingegen sind Bestandteile von Coenzymen oder prosthetischen Gruppen. Sie werden deshalb nur in sehr kleinen Mengen gebraucht (▶ Tab. 7.4). Supplinbedürftige Organismen werden auch als auxotroph bezeichnet, während nicht auf Suppline angewiesene Organismen prototroph genannt werden. Tab. 7.4 Bewährte Vitaminlösung für Boden- und Wasserbakterien. Vitamin

Menge

Biotin

0,2 mg

Nicotinsäure

2,0 mg

Thiamin

1,0 mg

4-Aminobenzoat

1,0 mg

Pantothenat

0,5 mg

Pyridoxamin

5,0 mg

Cyanocobalamin

2,0 mg

dest. Wasser

100 ml

2–3 ml Vitaminlösung wird zu 1000 ml Nährlösung zugesetzt.

7.3 Ernährungstypen und Lebensstrategien Die zur Kennzeichnung der Ernährungsweise von Tier und Pflanze geprägten Begriffe heterotroph und autotroph reichen nicht aus, um die Fülle der Ernährungstypen unter den Mikroorganismen zu charakterisieren. Zur schlagwortartigen Beschreibung der Ernährungsweisen haben sich Begriffe eingebürgert, die auf die Kennzeichnung der Energiequelle, des Wasserstoffdonators und der Kohlenstoffquelle gerichtet sind.

7.3.1 Energiequellen Die Energie, die für die Synthese der zellulären Energiewährung ATP erforderlich ist, können Bakterien entweder aus elektromagnetischer Strahlung (Licht) oder aus der freien Energieänderung chemischer Reaktionen beziehen. Entsprechend spricht man von einem phototrophen bzw. einem chemotrophen Stoffwechsel. Zu den phototrophen Organismen gehören die grünen Pflanzen, die Algen und Cyanobakterien, sowie die anoxygenen phototrophen Bakterien, die keinen Sauerstoff produzieren. Der chemotrophe Stoffwechsel liefert Energie im Dunkeln, unabhängig davon, ob es sich um sauerstoffabhängige (aerobe) Oxidationen, sauerstoffunabhängige (anaerobe) Oxidationen mithilfe anderer Elektronenakzeptoren oder um Gärungen handelt.

7.3.2 Elektronendonatoren und Kohlenstoffquellen Organismen, die organische Verbindungen als Elektronendonatoren (Reduktionsmittel) im Energiestoffwechsel verwenden, werden als organotroph bezeichnet. Im Gegensatz hierzu bezeichnet der Begriff lithotroph einen Stoffwechsel, der anorganische Verbindungen (H2, NH3, NO2–, H2S, S0, CO, Fe(II) usw.) als Elektronendonator verwertet. Hinsichtlich der Herkunft des Zellkohlenstoffs unterscheidet man zwischen autotrophen Organismen, die ihren Zellkohlenstoff ausschließlich aus der Fixierung von Kohlendioxid gewinnen, und heterotrophenOrganismen, die ihre Zellsubstanz überwiegend aus organischen Verbindungen aufbauen. Im Prinzip sind alle drei Kategorien hinsichtlich der Kennzeichnung des Stoffwechsels voneinander unabhängig, und tatsächlich lassen sich für alle denkbaren Kombinationen Vertreter unter den Prokaryonten benennen. Grüne Pflanzen sind photolithoautotroph, aerobe Ammoniumoxidierer chemolithoautotroph, und unter den methanogenen Wasserstoffverwertern gibt es viele, die zwar ihren Energiestoffwechsel mithilfe von Wasserstoff und CO2 decken, für die Zellsubstanzsynthese jedoch auf Acetat angewiesen sind, d. h. einen chemolithoheterotrophen Stoffwechsel betreiben.

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Wachstum und Ernährung der Mikroorganismen

7.4 Substrate für Mikroorganismen Die Vielfalt der genutzten Substrate lässt sich überschaubar gliedern, wenn man zwischen organischen und anorganischen Substraten unterscheidet. Manche anorganische Nährstoffe müssen nach der Aufnahme in die Zelle zunächst noch reduziert werden, bevor sie in Biomoleküle eingebaut werden können.

7.4.1 Kohlenstoffquellen Für die meisten Mikroorganismen sind organische Verbindungen die wichtigste Quelle (S. 355) des Zellkohlenstoffs. In der Natur wird organische Substanz zumeist in Form von pflanzlichen und tierischen Polymeren angeboten, die für die Verwertung durch Mikroorganismen zunächst außerhalb der Zelle durch extrazelluläre Enzyme zerlegt werden müssen. Deren Bausteine, z. B. Zucker, Aminosäuren, Fettsäuren, Glycerin und auch Gärprodukte von anderen Bakterien, können in die Zelle aufgenommen und dort vollständig zu CO2 oxidiert werden. Bei gärenden Bakterien und einigen anderen Anaerobiern, aber auch bei den aeroben sogenannten unvollständigen Oxidierern (z. B. Acetobacter sp.) kommt es nicht zu einer vollständigen Oxidation. Organische Kohlenstoffquellen sind zugleich fast immer auch Elektronenquellen für die Konservierung chemischer Energie in Redoxreaktionen. Autotrophe Organismen nutzen CO2 als ausschließliche Quelle des Zellkohlenstoffs. Einige Spezialisten können aerob oder anaerob auch Kohlenmonoxid (CO) als Quelle für Kohlenstoff und Elektronen verwerten. Nur wenige spezialisierte Prokaryonten nutzen andere C1-Verbindungen (Formiat, Formaldehyd, Methanol und Methan).

7.4.2 Schwefel und Stickstoff Diese beiden Elemente liegen in der Zelle fast ausschließlich in reduzierter Form als Sulfhydryl- bzw. als Aminogruppen vor. Die meisten Mikroorganismen vermögen diese Elemente in oxidierter Form als Sulfat oder Nitrat aufzunehmen und anschließend zu reduzieren (assimilatorische Sulfat- bzw. Nitrat-Reduktase-Systeme) (S. 298). Die verbreitetste Stickstoffquelle für Mikroorganismen im Labor ist Ammoniumsalz. Einige Prokaryonten vermögen molekularen Stickstoff (N2) zu Ammonium zu reduzieren. Andere Mikroorganismen ebenso wie Tiere benötigen Aminosäuren, also reduzierte organische N-Quellen. Auch zur Reduktion von Sulfat sind nicht alle Mikroorganismen befähigt; einige strikt anaerobe Prokaryonten benötigen Schwefelwasserstoff oder Cystein als S-Quelle.

230

7.4.3 Phosphor Der Phosphorbedarf der Zellen ist gering, da dieses Element nur ca. 2–3 % der Zelltrockenmasse ausmacht. In der Zelle liegt der Phosphor fast ausschließlich in der Oxidationsstufe + V als Phosphat vor. Nur in wenigen Sekundärmetaboliten gibt es Phosphor in stärker reduzierter Form in direkter Bindung an Kohlenstoff (in C-P-Bindungen). Nährlösungen enthalten häufig Phosphat in hohen Konzentrationen, da man das Phosphatsystem (HPO42–/ H2PO4–, pK 6,8) gerne zur Pufferung der Nährlösung nutzt. Da Phosphat in der Natur aber zumeist nur in winzigen (mikromolaren) Konzentrationen verfügbar ist, kann Phosphat in hoher Konzentration toxisch wirken. Für viele Bakterien ist bekannt, dass sie durch Phosphat in höherer Konzentration gehemmt werden.

7.4.4 Sauerstoff Sauerstoff steht den Zellen in Form von Wasser zur Verfügung. Ferner ist er im Kohlendioxid und in vielen organischen Verbindungen enthalten. Viele Organismen sind darüber hinaus auf molekularen Sauerstoff (O2) angewiesen, der als terminaler Elektronenakzeptor der aeroben Atmung dient (Oxidase-Reaktionen); O2 wird dabei zu Wasser reduziert. In die Zellsubstanz werden aus O2 stammende Sauerstoffmoleküle nur dann eingebaut, wenn Methan oder langkettige und aromatische Kohlenwasserstoffe als Kohlenstoffquellen dienen; diese Verbindungen werden durch Oxygenase-Reaktionen (S. 372) angegriffen. Bezüglich des Verhältnisses zum Sauerstoff lassen sich mindestens drei Gruppen von Organismen unterscheiden: Obligat aerobe Organismen vermögen Energie nur durch aerobe Atmung zu gewinnen und sind auf O2 angewiesen. Obligat anaerobe Organismen können nur in einem sauerstofffreien Milieu wachsen; für sie ist O2 toxisch (Kapitel 13 und 14). Fakultativ anaerobe Mikroorganismen wachsen sowohl in Gegenwart als auch in Abwesenheit von O2. Unter ihnen muss man zwei Typen unterscheiden: Milchsäurebakterien vermögen zwar in Gegenwart von Luftsauerstoff zu wachsen, sie sind aerotolerant; sie können ihn aber zumeist nicht nutzen, sondern gewinnen Energie lediglich durch Gärung. Andere fakultativ anaerobe Bakterien (Enterobacteriaceae) und viele Hefen können zur Energiekonservierung von Atmung (in O2-Gegenwart) auf Gärung (bei O2-Abwesenheit) umschalten. Viele – wenn nicht die meisten – aeroben Bakterien sind mikroaerob (mikroaerophil), d. h. sie benötigen zwar O2 zur Energiekonservierung, können aber den Sauerstoffpartialdruck der Luft (0,21 atm) nicht tolerieren, sondern sind auf deutlich geringere Partialdrücke angewiesen.

7.5 Anpassung an unterschiedliche Umweltbedingungen

7.5 Anpassung an unterschiedliche Umweltbedingungen Während höhere Organismen nur unter vergleichsweise milden Bedingungen leben und sich vermehren können, nutzen die Mikroorganismen, vor allem die Prokaryonten, ein sehr breites Spektrum von Umweltbedingungen für ihre Entwicklung. An Standorten großer Hitze oder Kälte, hoher Salzkonzentration, hoher Säure- oder Basenkonzentration, d. h. an sogenannten Extremstandorten, findet man ausschließlich prokaryontische Lebensformen. Diese Organismen tolerieren nicht nur extreme Verhältnisse; sie haben sich im Laufe der Evolution an sie sogar optimal angepasst. Innerhalb dieser breitgefächerten Möglichkeiten kann der einzelne Organismus aber jeweils nur eng abgesteckte Rahmenbedingungen akzeptieren, z. B. eine Temperaturspanne von 20–30 °C, einen pH-Bereich von 2–3 Einheiten usw.

ten Wachstumsraten unterhalb von 20 °C. Wenige Bakterien können sogar bei Temperaturen unterhalb von 0 °C noch wachsen, solange das Medium z. B. infolge erhöhten Salzgehalts noch flüssig bleibt.

7.5.2 Wasserstoffionenkonzentration Die H+- und OH–-Ionen entfalten im Neutralbereich schon durch kleine Änderungen in ihrer Konzentration große Wirkungen. Deshalb ist es von großer Bedeutung, den Anfangs-pH-Wert optimal einzustellen und den pH während des Wachstums zu erhalten (Methode 7.1).

7.5.1 Temperatur Hinsichtlich ihrer Ansprüche an die Bebrütungstemperatur verhalten sich die Mikroorganismen sehr verschieden (▶ Abb. 7.1). Die meisten bekannten Boden- und Wasserbakterien sind mesophil; sie erreichen ihre maximale Wachstumsrate zwischen 20 °C und 42 °C. Thermotolerant sind Organismen, die bis zu 50 °C noch zu wachsen vermögen (Methylococcus capsulatus). Thermophile Organismen wachsen bei Temperaturen oberhalb 40 °C mit maximaler Rate und erreichen ihre Grenze bei 70 °C (Alicyclobacillus stearothermophilus, Thermoactinomyces vulgaris). Als extrem thermophile Organismen bezeichnet man diejenigen, deren Wachstumsoptimum oberhalb von 65 °C liegt (Thermus aquaticus, Sulfolobus); einige von ihnen vermögen noch bei Temperaturen oberhalb von 70 °C (mehrere Arten der Gattungen Bacillus und Clostridium), von 80 °C (Sulfolobus acidocaldarius) oder gar bei 105 °C (Pyrodictium occultum) zu wachsen. Die oberhalb 80 °C wachsenden Organismen nennt man hyperthermophil. Am anderen Ende der Temperaturskala des Wachstums stehen die psychrophilen (oder kryophilen) Organismen, darunter einige marine Bakterien (Leuchtbakterien) und die Eisenbakterien (Gallionella); sie erreichen ihre höchs-

0

10

20

30

Psychrophile

40

50

Pufferung von Nährlösungen

Die Erhaltung eines bestimmten pH-Wertes während des Wachstums ist vor allem bei denjenigen Mikroorganismen wichtig, die Säuren produzieren oder verbrauchen. Damit sich die Mikroorganismen nicht selbst durch gebildete Säuren hemmen oder abtöten, verwendet man entweder (für Dauerkulturen) nicht vergärbare Substrate oder man puffert den Nährboden. Die meisten Mineralmedien werden durch Phosphate gepuffert, doch können diese auch toxisch werden (vgl. Text). Alternativ kann man im Labor organische Puffer einsetzen (MOPS, HEPES). Bei stärkerer Säureausscheidung gibt man Calciumcarbonat oder, wenn unlösliche Nährbodenbestandteile unerwünscht sind, Natriumhydrogencarbonat hinzu. Dabei muss man beachten, dass die Hydrogencarbonationen mit dem gelösten CO2 und folglich mit dem Kohlendioxidgehalt der Gasatmosphäre (z. B. Luft) im Gleichgewicht stehen: CO2 gasförmig ⇌ CO2 gelöst ⇌ CO2 + H2O ⇌ [H2CO3] ⇌ H+ + HCO3– Eine gute Pufferung durch das Hydrogencarbonat/CO2System setzt daher einen erhöhten CO2-Partialdruck in der Gasphase voraus, wie er z. B. bei der Kultivierung von Anaerobiern leicht zu realisieren ist. Bei der Kultivierung von Aerobiern hat sich dieses Puffersystem bisher noch nicht durchgesetzt.

60

70

80

Thermophile Mesophile

· Gallionella · Leptothrix · Bacillus · Flavobacterium islandicum

· Escherichia coli · Alcaligenes · Pseudomonas · Staphylococcus

d ●

Methode 7.1

90

100

110

°C

Hyperthermophile extrem Thermophile

· Alicyclobacillus stearothermophilus · Thermoactinomyces vulgaris

· Thermococcus · Thermotoga · Sulfolobus · Thermoproteus · Desulfurolobus · Acidianus · Thermus aquaticus

· Pyrodictium occultum · Pyrodictium brockii · Methanopyrus · Pyrobaculum

Abb. 7.1 Temperaturbereiche des Wachstums verschiedener Bakterien.

1

Wachstum und Ernährung der Mikroorganismen

zahlreiche Pilze pH

2

3

4

überwiegend Bakterien 5

6

Acidophile

7

8

Neutrophile · Alcaligenes · Pseudomonas

· Thiobacillus thiooxidans · Sulfolobus acidocaldarius · Pyrodictium occultum

9

10

11

Alkaliphile · Rhizobium · Nitrifikanten · Actinomyceten

· Acetobacter

· Natronobacterium · Ectothiorhodospira · Bacillus-Arten · Harnstoffspalter

· Lactobacillus

Abb. 7.2 Von Pilzen und verschiedenen Bakterien bevorzugte oder tolerierte pH-Bereiche.

Die meisten Organismen gedeihen am besten, wenn H+und OH–-Ionen in der gleichen Konzentration vorliegen (pH = 7,0). Viele Bakterien bevorzugen höhere pH-Werte, also ein leicht alkalisches Milieu, z. B. die Nitrifizierer, Rhizobien, Actinomyceten oder harnstoffzersetzende Bakterien (▶ Abb. 7.2). Von deutlich alkalischen Standorten (pH > 10) werden bevorzugt alkaliphile BacillusStämme isoliert. Zahlreiche Bakterien sind säuretolerant (Lactobacilli, Acetobacter, Sarcina ventriculi) oder acidophil (Thiobacillus, Sulfolobus acidocaldarius). Pilze bevorzugen niedrige pH-Werte. Beimpft man komplexe Nährböden verschiedener pH-Werte mit Boden, so entwickeln sich bei pH = 5,0 vorwiegend Pilze, bei pH = 8,0 vorwiegend Bakterien. Trotz gelegentlich stark alkalischer oder saurer Verhältnisse im Medium ist der pH-Wert im Inneren prokaryontischer Zellen zumeist nahe dem Neutralpunkt. Die bei ungünstigen pH-Werten auftretenden Schäden gehen nicht unbedingt primär auf die H+- und OH–-Ionen zurück. Diese erhöhen jedoch den nichtdissoziierten Anteil von schwachen Säuren oder Basen, die im ungeladenen Zustand leichter in die Zellen eindringen als ihre Dissoziations- bzw. Protonierungsprodukte. Eine erhöhte Anreicherung schwacher Säuren oder Basen (z. B. Essigsäure, Ammoniak) in der Zelle kann dann zu einer partiellen Depolarisierung der Cytoplasmamembran führen. Im übrigen sind viele Bakterien gegen kleine pHSchwankungen im Bereich von pH = 6 bis 9 ziemlich unempfindlich. Bei raschen Veränderungen kommt es zwar kurzzeitig zu einer geringen Veränderung des intrazellulären pH-Wertes, jedoch wird innerhalb von ca. 30 min der ursprüngliche interne pH-Wert wiederhergestellt.

7.5.3 Wassergehalt und osmotischer Wert Das verfügbare Wasser in einer Nährlösung oder in festem Material wird durch die Wasseraktivität (aw) oder relative Feuchtigkeit angegeben. Diese Parameter beziehen sich auf die Dampfphase, die sich mit der Nährlösung oder dem festem Material im Gleichgewicht befindet. Sie geben den Quotienten aus der Konzentration an Wasser in der Dampfphase im Luftraum über dem Material (oder

232

der Nährlösung) und der Wasserkonzentration im Luftraum über reinem Wasser bei einer bestimmten Temperatur an. Reines Wasser hat also einen aw-Wert von 1,0. Für menschliches Blut beträgt er 0,995, für Meerwasser 0,980, für gesalzenen Fisch 0,750 und für Trockenfutter wie Getreide oder Haferflocken 0,70. Mikroorganismen unterscheiden sich stark hinsichtlich ihrer Ansprüche an den Wassergehalt ihrer Nährböden. Sie vermögen bei Wasseraktivitäten von 0,998 bis 0,6 zu wachsen. Am bescheidensten ist die osmotolerante Hefe Saccharomyces rouxii, die noch bei aw = 0,6 wächst. Aspergillus glaucus und andere Schimmelpilze wachsen ab aw = 0,8. Die meisten Bakterien benötigen Wasseraktivitäten von mehr als 0,98. Davon machen nur die extrem halophilen Archaebakterien mit aw = 0,75 eine Ausnahme.

7.6 Zusammensetzung von Nährmedien und Kultivierungstechniken Die Zusammensetzung eines Nährmediums bestimmt, welcher Organismus darin kultiviert werden kann. Jedes Medium ist selektiv, auch wenn es scheinbar alles anbietet, was Mikroorganismen brauchen. Darüber hinaus bestimmen die Inkubationsbedingungen, welcher Organismus sich jeweils vermehren kann. Eine Fülle von anspruchslosen Mikroorganismen, beispielsweise viele Pseudomonaden des Bodens und Wassers, aber auch Escherichia coli, wachsen in einer Nährlösung von der in ▶ Tab. 7.2 angegebenen Zusammensetzung. Viele Mikroorganismen benötigen darüber hinaus verschiedene Spurenelemente, Vitamine oder andere Zusätze. Lässt sich eine Nährlösung aus definierten chemischen Verbindungen zusammensetzen, so spricht man von synthetischen oder definierten Nährlösungen. Wenn man den Stoffwechsel eines Mikroorganismus verstehen will, ist man bestrebt, seine minimalen Nährstoffansprüche zu ermitteln und ein Minimalmedium zu entwickeln, das nicht mehr Bestandteile enthält, als zum Wachstum notwendig sind. Anspruchsvolle Arten benötigen eine Vielzahl von Ergänzungsstoffen. Für das Milchsäurebakterium Leuconostoc mesenteroides ist ein synthetisches Me-

Wachstum und Ernährung der Mikroorganismen

zahlreiche Pilze pH

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überwiegend Bakterien 5

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Acidophile

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Neutrophile · Alcaligenes · Pseudomonas

· Thiobacillus thiooxidans · Sulfolobus acidocaldarius · Pyrodictium occultum

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Alkaliphile · Rhizobium · Nitrifikanten · Actinomyceten

· Acetobacter

· Natronobacterium · Ectothiorhodospira · Bacillus-Arten · Harnstoffspalter

· Lactobacillus

Abb. 7.2 Von Pilzen und verschiedenen Bakterien bevorzugte oder tolerierte pH-Bereiche.

Die meisten Organismen gedeihen am besten, wenn H+und OH–-Ionen in der gleichen Konzentration vorliegen (pH = 7,0). Viele Bakterien bevorzugen höhere pH-Werte, also ein leicht alkalisches Milieu, z. B. die Nitrifizierer, Rhizobien, Actinomyceten oder harnstoffzersetzende Bakterien (▶ Abb. 7.2). Von deutlich alkalischen Standorten (pH > 10) werden bevorzugt alkaliphile BacillusStämme isoliert. Zahlreiche Bakterien sind säuretolerant (Lactobacilli, Acetobacter, Sarcina ventriculi) oder acidophil (Thiobacillus, Sulfolobus acidocaldarius). Pilze bevorzugen niedrige pH-Werte. Beimpft man komplexe Nährböden verschiedener pH-Werte mit Boden, so entwickeln sich bei pH = 5,0 vorwiegend Pilze, bei pH = 8,0 vorwiegend Bakterien. Trotz gelegentlich stark alkalischer oder saurer Verhältnisse im Medium ist der pH-Wert im Inneren prokaryontischer Zellen zumeist nahe dem Neutralpunkt. Die bei ungünstigen pH-Werten auftretenden Schäden gehen nicht unbedingt primär auf die H+- und OH–-Ionen zurück. Diese erhöhen jedoch den nichtdissoziierten Anteil von schwachen Säuren oder Basen, die im ungeladenen Zustand leichter in die Zellen eindringen als ihre Dissoziations- bzw. Protonierungsprodukte. Eine erhöhte Anreicherung schwacher Säuren oder Basen (z. B. Essigsäure, Ammoniak) in der Zelle kann dann zu einer partiellen Depolarisierung der Cytoplasmamembran führen. Im übrigen sind viele Bakterien gegen kleine pHSchwankungen im Bereich von pH = 6 bis 9 ziemlich unempfindlich. Bei raschen Veränderungen kommt es zwar kurzzeitig zu einer geringen Veränderung des intrazellulären pH-Wertes, jedoch wird innerhalb von ca. 30 min der ursprüngliche interne pH-Wert wiederhergestellt.

7.5.3 Wassergehalt und osmotischer Wert Das verfügbare Wasser in einer Nährlösung oder in festem Material wird durch die Wasseraktivität (aw) oder relative Feuchtigkeit angegeben. Diese Parameter beziehen sich auf die Dampfphase, die sich mit der Nährlösung oder dem festem Material im Gleichgewicht befindet. Sie geben den Quotienten aus der Konzentration an Wasser in der Dampfphase im Luftraum über dem Material (oder

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der Nährlösung) und der Wasserkonzentration im Luftraum über reinem Wasser bei einer bestimmten Temperatur an. Reines Wasser hat also einen aw-Wert von 1,0. Für menschliches Blut beträgt er 0,995, für Meerwasser 0,980, für gesalzenen Fisch 0,750 und für Trockenfutter wie Getreide oder Haferflocken 0,70. Mikroorganismen unterscheiden sich stark hinsichtlich ihrer Ansprüche an den Wassergehalt ihrer Nährböden. Sie vermögen bei Wasseraktivitäten von 0,998 bis 0,6 zu wachsen. Am bescheidensten ist die osmotolerante Hefe Saccharomyces rouxii, die noch bei aw = 0,6 wächst. Aspergillus glaucus und andere Schimmelpilze wachsen ab aw = 0,8. Die meisten Bakterien benötigen Wasseraktivitäten von mehr als 0,98. Davon machen nur die extrem halophilen Archaebakterien mit aw = 0,75 eine Ausnahme.

7.6 Zusammensetzung von Nährmedien und Kultivierungstechniken Die Zusammensetzung eines Nährmediums bestimmt, welcher Organismus darin kultiviert werden kann. Jedes Medium ist selektiv, auch wenn es scheinbar alles anbietet, was Mikroorganismen brauchen. Darüber hinaus bestimmen die Inkubationsbedingungen, welcher Organismus sich jeweils vermehren kann. Eine Fülle von anspruchslosen Mikroorganismen, beispielsweise viele Pseudomonaden des Bodens und Wassers, aber auch Escherichia coli, wachsen in einer Nährlösung von der in ▶ Tab. 7.2 angegebenen Zusammensetzung. Viele Mikroorganismen benötigen darüber hinaus verschiedene Spurenelemente, Vitamine oder andere Zusätze. Lässt sich eine Nährlösung aus definierten chemischen Verbindungen zusammensetzen, so spricht man von synthetischen oder definierten Nährlösungen. Wenn man den Stoffwechsel eines Mikroorganismus verstehen will, ist man bestrebt, seine minimalen Nährstoffansprüche zu ermitteln und ein Minimalmedium zu entwickeln, das nicht mehr Bestandteile enthält, als zum Wachstum notwendig sind. Anspruchsvolle Arten benötigen eine Vielzahl von Ergänzungsstoffen. Für das Milchsäurebakterium Leuconostoc mesenteroides ist ein synthetisches Me-

7.6 Zusammensetzung von Nährmedien und Kultivierungstechniken dium entwickelt worden, das mehr als 40 Bestandteile enthält.

7.6.1 Nährböden Komplexe oder undefinierte Nährböden Für viele anspruchsvolle Mikroorganismen sind die Nährstoffbedürfnisse noch nicht genügend bekannt. Man kultiviert sie deshalb in sogenannten komplexen oder undefinierten Nährlösungen, die Hefeextrakt, Hefeautolysat, Pepton oder Fleischextrakt enthalten (Plus 7.1). Für einige Organismengruppen sind auch Würze (Brauereimalzextrakt), Heudekokt, Pflaumensaft, Möhrensaft oder Kokosnussmilch gebräuchlich, für manche strikten Anaerobier Pansenflüssigkeit oder Schweinejauche und für koprophile Pilze Pferdeäpfelpresssaft. Auch aus Kostengründen setzt man den Nährlösungen anstelle reiner Verbindungen gern komplexe Stoffe zu, wie Molke, Melasse, Maisquellwasser oder Sojabohnenextrakt, die als billige Abfallprodukte zur Verfügung stehen.

Plus 7.1 Komplexe Nährlösungszusätze

●V

Pepton und Trypton werden aus Fleischabfällen durch peptische oder tryptische enzymatische Hydrolyse hergestellt; sie enthalten im Wesentlichen Oligopeptide und Aminosäuren. Besser definiert sind Casein-Pepton und Casein-Trypton, die immerhin von einer definierten Proteinfraktion, nämlich dem ausgefällten Milcheiweiß ausgehen. Casaminosäuren werden durch saure Hydrolyse von Casein gewonnen; so entsteht ein vollständiges Angebot an freien Aminosäuren. Hefeextrakt ist der wasserlösliche Anteil eines Autolysats von Brauereihefe; er enthält Oligopeptide, Aminosäuren, Zucker, einige Fettsäuren, Cholin und alle Vitamine außer Vitamin B12, da letzteres bei der Präparation an der Luft zerstört wird.

Feste Nährböden Feste Nährböden sind vor allem für die Reinigung von Kulturen von großer Bedeutung, jedoch ist nicht jeder Mikroorganismus bereit, auf festen Medien zu wachsen. Zur Herstellung setzt man den flüssigen Nährlösungen Verfestigungsmittel zu, die der wässrigen Lösung eine geleeartige Konsistenz verleihen. Gelatine verwendet man dabei nur noch in Einzelfällen, da sie bereits bei 26–30 °C schmilzt und von vielen Mikroorganismen gespalten wird. Ein nahezu ideales Verfestigungsmittel ist der 1883 im Labor von R. Kochs Mitarbeiter W. Hesse in die bakteriologische Technik eingeführte Agar, ein stark vernetztes, komplex zusammengesetztes Polysaccharid aus Meeresalgen. Er wird den wässrigen Lösungen in einer Konzentration von 15–20 g l–1 zugesetzt. Agar schmilzt erst

bei 100 °C, bleibt jedoch beim Abkühlen bis zu einer Temperatur von ca. 45 °C flüssig. Er wird nur von wenigen Bakterien angegriffen. Agar ist jedoch für einige Bakterien toxisch. Agarose, ein gereinigtes Produkt aus Agar, wird von einigen Bakterien besser vertragen. Eine weitere Alternative zur Nährbodenverfestigung ist Gelrit, ein Heteropolysaccharid, das von bestimmten Pseudomonaden produziert wird. Wenn organische Komponenten stören, verwendet man Silicagel als Verfestigungsmittel.

7.6.2 Kultivierungstechniken Kohlendioxidversorgung Einer für das Wachstum von autotrophen CO2-fixierenden Mikroorganismen bestimmten Nährlösung setzt man gewöhnlich Natriumhydrogencarbonat zu und inkubiert unter einer Kohlendioxid enthaltenden Atmosphäre in geschlossenen Gefäßen. Man kann die Nährlösung auch mit CO2-angereicherter Luft durchströmen. Dabei muss aber stets die oben erwähnte Beziehung zwischen pH, Hydrogencarbonatkonzentration und CO2-Partialdruck der Gasatmosphäre berücksichtigt werden. Aber auch heterotrophe, also organische Kohlenstoffquellen assimilierende Mikroorganismen, benötigen Kohlendioxid, z. B. in der Gluconeogenese (Pyruvat-Carboxylase, Pyruvat-Synthase). Viele parasitisch im Blut, in Geweben, im Darmkanal oder in Gewässern und Gewässersedimenten lebende Bakterien sind an einen höheren Kohlendioxidgehalt als den der Luft angepasst. Man inkubiert diese Bakterien daher in einem Gas- oder Luftgemisch mit einem Volumengehalt von mindestens 10 % Kohlendioxid. Die Entziehung von Kohlendioxid, beispielsweise durch Absorption mit Kaliumhydroxid, hemmt das Wachstum vieler Bakterien.

Belüftung Für alle obligat aeroben Mikroorganismen ist Sauerstoff der notwendige Elektronenakzeptor. Für die auf Agarplatten und in dünnen Flüssigkeitsschichten an der Luft wachsenden Bakterien ist meist genügend Sauerstoff vorhanden. Aber auch innerhalb und unterhalb einer Bakterienkolonie kann der Sauerstoffpartialdruck auf Null sinken. ▶ Abb. 7.3 zeigt, wie sich so als Folge der Stoffwechselaktivität der Bakterien innerhalb einer Kolonie völlig verschiedenartige Lebensräume entwickeln können. In flüssigen Nährböden von hoher Schichtdicke wachsen aerobe Bakterien nur an der Oberfläche. Darunter werden die Bedingungen sehr schnell anoxisch. Um auch in tieferen Schichten einer Flüssigkeitskultur Wachstum aerober Mikroorganismen zu ermöglichen, bedarf es einer Belüftung (Plus 7.2). Mikroorganismen vermögen nur gelösten Sauerstoff zu verwerten. Mineralsalze und organische Nährstoffe können den Nährlösungen in solchen Konzentrationen zugesetzt werden, dass sie ein stunden- oder tagelang anhaltendes Bakterienwachstum

3

Wachstum und Ernährung der Mikroorganismen

0,1

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Nährboden

Anaerobenkultur

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Tiefe oder Höhe [mm]

Kolonie 0

ermöglichen. Sauerstoff muss der Nährlösung kontinuierlich zugeführt werden, da seine Löslichkeit sehr gering ist: Unter Luftsättigung bei 20 °C beträgt die Sauerstoffkonzentration nur 280 μmol pro Liter. Diese Konzentration reicht gerade aus, um 46 μmol oder 8,3 mg Glucose pro Liter (etwa den tausendsten Teil der in vielen Nährlösungen enthaltenen Glucose) zu oxidieren.

0

5

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[mm] Abb. 7.3 Verteilung des Sauerstoffs in und unter einer Kolonie von Bacillus cereus, die auf Komplexagar wächst. Die Sauerstoffpartialdrücke wurden nach dreitägiger Inkubation bei 30 °C mit einer O2-Mikroelektrode gemessen und sind als Linien gleichen Sauerstoffpartialdrucks grafisch dargestellt. Die Werte sind in Prozenten der in luftgesättigtem Agar gemessenen Partialdrücke angegeben.

Für das Wachstum von streng anaeroben Prokaryonten ist Voraussetzung, dass Luftsauerstoff absolut ausgeschlossen wird. Die Anaerobentechnik arbeitet mit entlüfteten, ausgekochten Nährlösungen, luftblasenfrei verschlossenen Flaschen, sauerstofffreien Gasatmosphären in Anaerobentöpfen, Sauerstoffabsorptionsmitteln (alkalisches Pyrogallol, Dithionit, Kupfer-I-chlorid) und anderen Hilfsmitteln. Die toxischen Effekte von verbliebenen Spuren von Luftsauerstoff lassen sich durch Reduktionsmittel (Ascorbinsäure, Thioglykolat, Cystein, Sulfid, Dithionit oder Titan(III)-NTA) in den Nährlösungen erfolgreich ausschalten. Auch Wasserstoff in Gegenwart eines

●V

Plus 7.2 Gefäße zur aeroben Kultivierung Für eine Optimierung der Sauerstoffversorgung haben sich verschiedene Methoden bewährt: 1. Kultur in flacher Schicht, 2. Bewegen der Flüssigkeit durch Schütteln, 3. Rotation von liegenden Flaschen um ihre Längsachse, 4. Durchströmen der Flüssigkeitssäule mit Luft unter Druck durch Gasverteiler (Fritten, Kluyver-Kolben), 5. Perkolation, 6. mechanisches Rühren.

Aerobe Mikroorganismen werden häufig submers mit einer Kombination von forcierter Belüftung mit Gasverteilern (Fritten, Düsen) und mechanischer Rührung kultiviert. Im verteilerlosen Fermenter und im Waldhofsystem werden durch starke Rührung Strudel gebildet. ▶ Abb. 7.4 zeigt einige Kulturgefäße, für deren Formgebung eine maximale Flüssigkeitsoberfläche maßgebend war, und einige Submerskulturgefäße. Allerdings ist selbst in einem gut belüfteten Fermenter oder in einem natürlichen Gewässer die Verteilung des Sauerstoffs selten homogen. Schon innerhalb kleiner Aggregate von Bakterien entstehen schnell vollkommen anoxische Mikrostandorte (s. auch ▶ Abb. 7.3).

Luftzuführung

Luftauslass

Petrischale Fernbach-Kolben

Prallplatten

ErlenmeyerKolben

Kluyver-Kolben

234

P-Kolben

ErlenmeyerKolben mit Kerben

Kolle-Schale

Fermenter

Abb. 7.4 Gefäße zur Oberflächen- und Submerskultur von aeroben Mikroorganismen.

7.7 Selektive Kulturmethoden Mikroaerobe Bakterien entwickeln sich bevorzugt in einem gewissen Abstand vom luftgesättigten Medium (▶ Abb. 7.5).

Wattestopfen

7.7 Selektive Kulturmethoden

aerob

mikroaerob

anaerob

Abb. 7.5 Wachstum aerober, mikroaerober und anaerober Bakterien in einem homogen beimpften Agarmedium.

Palladiumkatalysators hat sich zur schonenden Reduktion von Nährlösungen bewährt. Äußerst sauerstoffempfindliche Mikroorganismen kann man ebenfalls an der Luft überimpfen, wenn durch einen kontinuierlichen Strom von sauerstofffreiem Stickstoff in die Kulturgefäße dafür gesorgt wird, dass der Nährboden nicht mit der Luft in Berührung kommt (Hungate-Technik). Alternativ kann man in einer Anaerobenbank (Glove-Box) arbeiten, die mit einem sauerstofffreien Stickstoff/Wasserstoff-Gemisch oder Argon gefüllt ist. Als Farbindikator für anoxische Bedingungen setzt man dem Nährboden selbstoxidierende Farbstoffe wie Resazurin zu (in Gegenwart von Sauerstoff: blau, reduziert: farblos, nach Reoxidation: rot) oder gibt den Anaerobeninkubationstöpfen ein Gefäß mit einer alkalischen Glucose-Methylenblau-Lösung bei (reduziert: farblos).

Plus 7.3 Strategien der Anreicherung von Mikroorganismen Die Anreicherungskultur erlaubt, Mikroorganismen mit jedweder Kombination von Nährstoffbedürfnissen anzureichern, vorausgesetzt natürlich, dass der gewünschte Typ überhaupt in der Natur vorkommt. Für extrem spezialisierte Mikroorganismen lassen sich besonders selektive Anreicherungsbedingungen herstellen. Ein von gebundenem Stickstoff freies Mineralmedium, dem Licht ausgesetzt, selektiert für stickstofffixierende Cyanobakterien. Wird dieselbe Nährlösung durch eine organische Energie- und Kohlenstoffquelle ergänzt, so setzen sich im Dunkeln unter Luft das N2-fixierende aerobe Bodenbakterium Azotobacter, unter Luftausschluss anaerobe N2-fixierende Bodenbakterien, z. B. Clostridien, durch. Damit die Anreicherung erfolgreich ist, dürfen nicht mehr als die minimalen Bedürfnisse des anzureichernden Stoffwechseltyps erfüllt werden. Werden beispielsweise Organismen gesucht, die Wasserstoff mit Nitrat

Für die Anreicherung von Prokaryonten mit spezifischen metabolischen Fähigkeiten macht man sich die selektierenden Eigenschaften ausgewählter Nährlösungen zunutze. Durch ein spezifisch zugeschnittenes Angebot von Elektronen-, Kohlenstoff-, Stickstoff-, Schwefel- und anderen Quellen, sowie durch die Inkubationsbedingungen werden einzelne Organismen gegenüber anderen bevorzugt zur Vermehrung gebracht, sodass sie schließlich in der flüssigen Nährlösung dominieren und leicht isoliert werden können. Einige Mikroorganismen haben durch Koloniebildung, auffallende Ansammlungen oder Veränderungen im Milieu unsere Aufmerksamkeit erregt. Viele dieser augenfällig in Erscheinung tretenden Mikroorganismen können direkt isoliert werden. Viele verschiedene physiologische Typen von Mikroorganismen konnten aber erst untersucht werden, nachdem S. Winogradsky und W. Beijerinck die Technik der Anreicherungskultur entwickelt hatten.

7.7.1 Anreicherungskultur Die Methode der Anreicherungskultur ist sehr einfach. Als Anreicherungsbedingungen wählt man die Bedingungen, unter denen sich ein Organismus gegen alle anderen im eingesetzten Impfmaterial durchsetzt (Plus 7.3). Man stellt in einer Nährlösung die entsprechenden Umweltbedingungen her, indem man eine Anzahl von Faktoren (Energie-, Kohlenstoff- und Stickstoffquelle, Elektronen-

●V

oder Sulfat als Elektronenakzeptor oxidieren, muss Sauerstoff ausgeschlossen werden; andernfalls würden aerobe Wasserstoffoxidierer dominieren. Auch Resistenz oder Toleranz gegenüber Säure oder Alkali, Hitze- oder Strahleneinwirkung können zur Selektion herangezogen werden. Eine Selektion kann auch eine Gegenselektion unter Verwendung von selektiven Hemmstoffen einschließen. Auf einem azidhaltigen Nährboden wachsen unter Luft beispielsweise Milchsäurebakterien, während andere aerob wachsende Mikroorganismen unterdrückt werden; Azid und Cyanid selektieren gegen aerobe Organismen, da sie die Cytochrom-Oxidase blockieren. Zur Unterdrückung grampositiver Bakterien setzt man dem Nährboden Penicillin zu. Das Wachstum von Pilzen, Hefen, Protozoen und anderen Eukaryonten unterdrückt man durch Zusatz von Cycloheximid, einem spezifischen Hemmstoff der eukaryontischen Proteinbiosynthese.

5

7.7 Selektive Kulturmethoden Mikroaerobe Bakterien entwickeln sich bevorzugt in einem gewissen Abstand vom luftgesättigten Medium (▶ Abb. 7.5).

Wattestopfen

7.7 Selektive Kulturmethoden

aerob

mikroaerob

anaerob

Abb. 7.5 Wachstum aerober, mikroaerober und anaerober Bakterien in einem homogen beimpften Agarmedium.

Palladiumkatalysators hat sich zur schonenden Reduktion von Nährlösungen bewährt. Äußerst sauerstoffempfindliche Mikroorganismen kann man ebenfalls an der Luft überimpfen, wenn durch einen kontinuierlichen Strom von sauerstofffreiem Stickstoff in die Kulturgefäße dafür gesorgt wird, dass der Nährboden nicht mit der Luft in Berührung kommt (Hungate-Technik). Alternativ kann man in einer Anaerobenbank (Glove-Box) arbeiten, die mit einem sauerstofffreien Stickstoff/Wasserstoff-Gemisch oder Argon gefüllt ist. Als Farbindikator für anoxische Bedingungen setzt man dem Nährboden selbstoxidierende Farbstoffe wie Resazurin zu (in Gegenwart von Sauerstoff: blau, reduziert: farblos, nach Reoxidation: rot) oder gibt den Anaerobeninkubationstöpfen ein Gefäß mit einer alkalischen Glucose-Methylenblau-Lösung bei (reduziert: farblos).

Plus 7.3 Strategien der Anreicherung von Mikroorganismen Die Anreicherungskultur erlaubt, Mikroorganismen mit jedweder Kombination von Nährstoffbedürfnissen anzureichern, vorausgesetzt natürlich, dass der gewünschte Typ überhaupt in der Natur vorkommt. Für extrem spezialisierte Mikroorganismen lassen sich besonders selektive Anreicherungsbedingungen herstellen. Ein von gebundenem Stickstoff freies Mineralmedium, dem Licht ausgesetzt, selektiert für stickstofffixierende Cyanobakterien. Wird dieselbe Nährlösung durch eine organische Energie- und Kohlenstoffquelle ergänzt, so setzen sich im Dunkeln unter Luft das N2-fixierende aerobe Bodenbakterium Azotobacter, unter Luftausschluss anaerobe N2-fixierende Bodenbakterien, z. B. Clostridien, durch. Damit die Anreicherung erfolgreich ist, dürfen nicht mehr als die minimalen Bedürfnisse des anzureichernden Stoffwechseltyps erfüllt werden. Werden beispielsweise Organismen gesucht, die Wasserstoff mit Nitrat

Für die Anreicherung von Prokaryonten mit spezifischen metabolischen Fähigkeiten macht man sich die selektierenden Eigenschaften ausgewählter Nährlösungen zunutze. Durch ein spezifisch zugeschnittenes Angebot von Elektronen-, Kohlenstoff-, Stickstoff-, Schwefel- und anderen Quellen, sowie durch die Inkubationsbedingungen werden einzelne Organismen gegenüber anderen bevorzugt zur Vermehrung gebracht, sodass sie schließlich in der flüssigen Nährlösung dominieren und leicht isoliert werden können. Einige Mikroorganismen haben durch Koloniebildung, auffallende Ansammlungen oder Veränderungen im Milieu unsere Aufmerksamkeit erregt. Viele dieser augenfällig in Erscheinung tretenden Mikroorganismen können direkt isoliert werden. Viele verschiedene physiologische Typen von Mikroorganismen konnten aber erst untersucht werden, nachdem S. Winogradsky und W. Beijerinck die Technik der Anreicherungskultur entwickelt hatten.

7.7.1 Anreicherungskultur Die Methode der Anreicherungskultur ist sehr einfach. Als Anreicherungsbedingungen wählt man die Bedingungen, unter denen sich ein Organismus gegen alle anderen im eingesetzten Impfmaterial durchsetzt (Plus 7.3). Man stellt in einer Nährlösung die entsprechenden Umweltbedingungen her, indem man eine Anzahl von Faktoren (Energie-, Kohlenstoff- und Stickstoffquelle, Elektronen-

●V

oder Sulfat als Elektronenakzeptor oxidieren, muss Sauerstoff ausgeschlossen werden; andernfalls würden aerobe Wasserstoffoxidierer dominieren. Auch Resistenz oder Toleranz gegenüber Säure oder Alkali, Hitze- oder Strahleneinwirkung können zur Selektion herangezogen werden. Eine Selektion kann auch eine Gegenselektion unter Verwendung von selektiven Hemmstoffen einschließen. Auf einem azidhaltigen Nährboden wachsen unter Luft beispielsweise Milchsäurebakterien, während andere aerob wachsende Mikroorganismen unterdrückt werden; Azid und Cyanid selektieren gegen aerobe Organismen, da sie die Cytochrom-Oxidase blockieren. Zur Unterdrückung grampositiver Bakterien setzt man dem Nährboden Penicillin zu. Das Wachstum von Pilzen, Hefen, Protozoen und anderen Eukaryonten unterdrückt man durch Zusatz von Cycloheximid, einem spezifischen Hemmstoff der eukaryontischen Proteinbiosynthese.

5

Wachstum und Ernährung der Mikroorganismen akzeptor, Gasatmosphäre, Licht, Temperatur, pH-Wert usw.) festlegt und diese Nährlösung mit einem Organismengemisch, wie es z. B. in einer Bodenprobe vorliegt, beimpft. In einer solchen Anreicherungskultur setzt sich derjenige Organismus durch, der am schnellsten wachsen kann und alle Begleitorganismen überwächst. Nach mehrfacher Übertragung auf die gleiche Nährlösung und Verteilen auf einem festen Nährboden derselben Zusammensetzung lässt sich der angereicherte Stamm leicht isolieren. Eine häufige, nach kurzen Intervallen erfolgen-

de flüssig-flüssig-Überimpfung beugt dem Wachstum von Begleitorganismen vor, die die Ausscheidungs- oder gar Autolyseprodukte der primär begünstigten Zellen nutzen würden. Vorteilhaftes Impfmaterial bieten Proben von Standorten, an denen bereits eine natürliche Anreicherung eingetreten ist: Kohlenmonoxidverwertende Mikroorganismen in Gaswerksabwässern, hämoglobinverwertende in Schlachthofabwässern, kohlenwasserstoffoxidierende in Erdölfeldern und an Ölwannen, celluloseverwertende Gärer im Kuhpansen.

Tab. 7.5 Anreicherungsbedingungen für ausgewählte Bakterien. Bedingungen

Bakterien

Phototrophe Mikroorganismen (Haupt-C-Quelle: CO2) Im Licht

anaerob

aerob

H2 organ. Säuren

photoassimiliert

H2S

als H-Donator

H2S

als H-Donator

λ > 715 nm

Chlorobiaceae

NH4Cl

oder KNO3

als N-Quelle

Grünalgen

als N-Quelle

Cyanobakterien

N2

λ > 800 nm

Nicht-Schwefel-Purpurbakterien Chromatiaceae

Chemolithotrophe (autotrophe) Bakterien (Haupt-C-Quelle: CO2) ohne organische Verbindungen im Dunkeln

aerob

anaerob

H-Donator

H-Akzeptor

NH4+

O2

Nitrosomonas

NO2–

O2

Nitrobacter

H2

O2

H2-(„Knallgas“)Bakterien

H2S, S, S2O32–

O2

Thiobacillus

Fe2 +

O2

Acidithiobacillus ferrooxidans

S, S2O32–

NO3–

Acidithiobacillus denitrificans

H2

NO3–

Paracoccus denitrificans

H2

CO2

Methanbildner, Homoacetatgärer

Chemoorganotrophe (heterotrophe) Bakterien anaerob, mit externem Elektronenakzeptor

KNO3 2 % + organ. Säuren

Pseudomonaden

KNO3 10 % + HE*

Sporenbildner

Sulfat + organ. Säuren

Desulfovibrio

anaerob, ohne externen Elektronenakzeptor

Glutamat, Histidin

C. tetanomorphum

Lactat + HE

Veillonella

aerob

Stärke + NH4+*

Clostridium

Stärke + N2*

C. pasteurianum

Denitrifizierer

Glucose + NH4+

Enterobacter und andere Gärer

Glucose + 1 % HE; pH = 5

Milchsäurebakterien

Lactat + 1 % HE

Propionsäurebakterien

Lactat + NH4+

Pseudomonas fluorescens

Benzoat + NH4+ Mannit, Benzoat + N2

Azotobacter

Stärke + NH4+*

Bacillus polymyxa u. a.

4 % Ethanol + 1 % HE; pH = 6,0

Acetobacter, Gluconobacter

5 % Harnstoff + 1 % HE

Sporosarcina ureae

Petroleum + NH4 Cellulose + NH4+ * Impfmaterial pasteurisiert. HE, Hefeextrakt

236

+

Mycobacterium, Nocardia Sporocytophaga

7.7 Selektive Kulturmethoden In dem eingesetzten Impfmaterial können verschiedene Stämme und Varianten desselben Stoffwechseltyps enthalten sein, die sich dennoch geringfügig unterscheiden. Wird ein Anreicherungsmedium mit diesem Material beimpft, so setzt sich der am schnellsten wachsende Stamm durch, und die übrigen Stämme werden überwachsen und entgehen der Isolierung. Sollen möglichst viele verschiedenartige Stämme unter selektiven Wachstumsbedingungen isoliert werden, bietet sich eine direkte Ausplattierung ohne vorherige Anreicherung in Flüssigkultur an. Wird das Impfmaterial auf oder in einem verfestigten Selektivnährmedium verteilt, so wachsen die begünstigten Stoffwechseltypen zu Kolonien heran. Bei hinreichend weitem Kolonieabstand entgehen sie der Konkurrenz um Nährstoffe; die langsamer wachsenden Stämme werden von schneller wachsenden nicht verdrängt und lassen sich somit getrennt isolieren. In ▶ Tab. 7.5 sind wesentliche selektive Wachstumsbedingungen für eine Auswahl repräsentativer Stoffwechseltypen angegeben.

Abb. 7.6 Verdünnungsausstrich zur Isolierung einer Reinkultur eines aeroben Bakteriums. Auf dem Agarnährboden wurde mit einer Platinöse eine Bakteriensuspension ausgestrichen. Nacheinanderfolgende Ausstriche führten zu abnehmender Zelldichte. Die letzten einzeln liegenden Kolonien sind mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Einzelzellen hervorgegangen. (Aufnahme Bernhard Schink, Konstanz)

7.7.2 Reinkultur Unter einer Reinkultur versteht man die Nachkommenschaft einer einzelnen Zelle (Klon). Eine Reinkultur herzustellen, die Reinheit zweifelsfrei zu beweisen und die Reinkultur von Kontaminanten freizuhalten, ist eine der wichtigsten Aufgaben des Mikrobiologen. Die Isolierung einer Reinkultur von Mikroorganismen erfolgt immer durch Vereinzelung, fast immer auf oder in festen Nährböden. Sie beginnt mit der Abtrennung einer einzelnen Zelle aus einer heterogenen Gemeinschaft und erfordert, dass die aus der Zelle hervorgehende Kolonie von anderen Zellen oder Kolonien getrennt bleibt. Aerobe Bakterien werden nach dem Koch’schen Plattengussverfahren (s. u.) oder – unter geringerem Arbeitsaufwand – durch Ausstreichen mit einer Platindrahtöse auf einem Agarnährboden vereinzelt (▶ Abb. 7.6). Anaerobe Bakterien werden in geschmolzenem, 40 °C warmem, 1 %igem Agar suspendiert und unter Luftabschluss inkubiert (▶ Abb. 7.7). Durch sorgfältiges Abtrennen einer Kolonie, erneutes Suspendieren in Flüssigkeit und wiederholtes Ausstreichen bzw. Verdünnen in Agar lassen sich die meisten bekannten Mikroorganismen in Reinkultur bringen. Die Isolierung einer Reinkultur kann auch in flüssigen Nährmedien erfolgen, allerdings nur, wenn der gewünschte Organismus im Ausgangsmaterial zahlenmäßig weit überwiegt. Durch serielle Verdünnung einer mehrfach übertragenen flüssigen Anreicherungskultur in der Nährlösung lässt es sich schließlich erreichen, dass sich in der letzten Verdünnungsstufe statistisch nur noch eine Zelle befindet, aus der dann eine Reinkultur hervorgeht. Zur Überprüfung der Reinheit einer Kultur setzt man – im Gegensatz zur Anreicherung – ein möglichst wenig selektives, komplexes Nährmedium ein, um eventuellen

Abb. 7.7 Verdünnungsreihe von Schwefelpurpurbakterien in Weichagar (0,8 %) nach einwöchiger Bebrütung im Licht. Die Abbildung demonstriert die Isolierung einer Reinkultur von anaeroben Bakterien nach der Verdünnungs-SchüttelkulturMethode. (Aufnahme Bernhard Schink, Konstanz)

Kontaminanten das Wachstum zu erleichtern und sie so leicht sichtbar zu machen.

7.7.3 Mischkultur Natürliche Mikrobengemeinschaften bestehen in der Regel aus vielen verschiedenen Mikroorganismen. Unter ihnen bestehen Wechselbeziehungen verschiedener Art, z. B. Konkurrenz um das gemeinsame Substrat, Kommensalismus oder Mutualismus (S. 638). Zum Studium solcher und anderer Wechselbeziehungen nutzt man häufig Mischkulturen. Sowohl in statischen (S. 241) als auch in kontinuierlichen (S. 243) Kulturen lassen sich definierte Bedingungen herstellen, und es lassen sich Suk-

7

Wachstum und Ernährung der Mikroorganismen zessionen von einzelnen Organismen und angehäuften Stoffwechselprodukten feststellen. Daraus kann man Schlüsse auf synergistische oder antagonistische Wechselbeziehungen zwischen den Organismen ziehen. Mischkulturen lassen sich auch durch Vereinigung von Reinkulturen herstellen. Untersuchungen an solchen definierten Mischkulturen führen zum Verständnis der komplexen Wechselbeziehungen am natürlichen Standort der Mikroorganismen. Einige Bakterien, vor allem einige strikte Anaerobier, sind obligat auf eine Kooperation mit Partnerorganismen angewiesen und können daher nicht ohne Weiteres in Reinkulturen gezüchtet werden. In Haushalt und Industrie verwendet man durchaus nicht nur Reinkulturen, sondern weit überwiegend stabile Mischkulturen, von denen einige auch als natürliche Reinzuchten bezeichnet worden sind. Beispiele dafür sind Sauerteig, Kefir, der Teepilz oder die Reinzuchthefe. Insbesondere bei der Wasseraufbereitung und beim Abbau von Abfällen werden vielfältig zusammengesetzte, undefinierte Mischzönosen genutzt.

7.8 Wachstum und Zellteilung Unter Wachstum versteht man die Zunahme der lebenden Substanz, in der Regel der Zahl und der Masse der Zellen. Bei einzelligen Organismen besteht das Wachstum in einer Zunahme der Zellzahl. Die prokaryontische Zelle vermehrt sich zumeist durch Zweiteilung. Im Zuge der Massenzunahme verlängert sich die Zelle annähernd zweifach, während die Zellbreite (Dicke) weitgehend unverändert bleibt. Sie teilt sich anschließend in zwei Tochterzellen, die die gleiche Größe wie die ursprüngliche Mutterzelle haben. Die einzelnen Phasen der Zellmassezunahme und der Veränderung der Zellform während des Wachstums vollziehen sich in einem festgelegten Zyklus, der durch ein komplexes, auf mehreren Schaltebenen organisiertes Regelsystem kontrolliert wird (Kap. 16).

7.8.1 Methoden zur Bestimmung der Zellzahl und der Bakterienmasse Während des Wachstums einer Population von Bakterien in einer statischen Kultur, also beispielsweise einer Bakteriensuspension in einem Erlenmeyerkolben, besteht zwischen der Zunahme der Zellzahl und der Masse nicht unbedingt eine feste Beziehung. Nach Einimpfung in die Nährlösung teilen sich manche Bakterien rascher als die Masse zunimmt; die Zellen werden zunächst kleiner. In einer späteren Phase des Wachstums kann dann die Rate der Zunahme der Masse die der Zellzahl übersteigen. Aus diesem Grunde ist es notwendig, zunächst zwischen Zellzahl und Zellmasse zu unterscheiden. Bei der Betrachtung von Wachstumsphasen, in denen die Zunahme der Zahl und der Masse nachgewiesenermaßen gleich ist, braucht zwischen beiden Größen nicht unterschieden zu werden.

238

Man spricht dann von Standardzellen und ausgeglichenem Wachstum. In diesem Fall kann man also statt der Zellzahl auch die Zellmasse oder eine ihr proportionale Größe wie die Trübung (optische Dichte) bestimmen. Die auf das Einheitsvolumen (Liter oder Milliliter) bezogene Zellmasse bezeichnet man auch als Zelldichte oder Bakteriendichte (g·l–1; mg·ml–1).

Bestimmung der Zellzahl Die Gesamtzellzahl gibt an, wieviele Zellen insgesamt in einer Bakterienpopulation vorhanden sind. Dabei werden alle sichtbaren oder andersartig nachweisbaren Zellen, also auch tote oder geschädigte Zellen, mitgezählt. Lebende Zellen werden dadurch erkennbar, dass sie auf oder im Nähragar Kolonien bilden oder in Nährlösungen zu wachsen vermögen. Diese lebensfähigen Zellen werden anhand der Lebendzellzahl angegeben. ▶ Gesamtzellzahl. Zur Bestimmung der Gesamtzellzahl gibt es verschiedene Methoden: 1. Das am weitesten verbreitete Verfahren bedient sich der mikroskopischen Auszählung der in einer Zählkammer (z. B. nach Neubauer, Thoma oder PetroffHauser) in einer exakt bemessenen dünnen Schicht ausgebreiteten Zellen. 2. Elektronische Zählgeräte (z. B. Coulter-Counter) bieten eine bedeutende Erleichterung; sie machen sich den Leitfähigkeitsverlust einer Elektrolytlösung zunutze, der beim Durchtritt einer Bakterienzelle durch eine enge Kapillare auftritt. Solche Geräte können heute auch mit optischen Detektoren zur Erkennung spezifisch markierter Zellen und anschließenden Sortierung ausgerüstet werden. 3. Bei Zellzahlen unter 106 Zellen ml–1 lässt sich eine Membranfiltermethode anwenden. Meer-, Teich- oder Trinkwasser wird durch einen Membranfilter filtriert, letzterer wird getrocknet, mit z. B. fluoreszierenden Farbstoffen angefärbt, transparent gemacht und die fluoreszierenden Zellen mikroskopisch ausgezählt. ▶ Lebendzellzahl. Üblicherweise werden für die Lebendzellzahl die aus lebensfähigen Zellen unter günstigen Wachstumsbedingungen hervorgehenden Kolonien ausgezählt. Nach dem Koch’schen Plattengussverfahren wird ein aliquoter Teil einer in geeigneter Weise verdünnten homogenen Zellsuspension mit flüssigem Nähragar bei 40–45 °C vermengt und in Petrischalen ausgegossen. Die Suspension kann auch auf der Agaroberfläche einer Petrischale mit einem Drigalski-(Dreieck-)Spatel ausgespatelt werden, oder die Zellen können durch Filtration auf einem Filter (Göttinger Membranfilter, Nuclepore-Filter) niedergeschlagen werden, welcher anschließend auf Nähragar oder Nährkartonscheiben aufgelegt wird. In allen Fällen werden nach Bebrüten die Kolonien gezählt. Die Anwendung des Koch’schen Platten-

Wachstum und Ernährung der Mikroorganismen zessionen von einzelnen Organismen und angehäuften Stoffwechselprodukten feststellen. Daraus kann man Schlüsse auf synergistische oder antagonistische Wechselbeziehungen zwischen den Organismen ziehen. Mischkulturen lassen sich auch durch Vereinigung von Reinkulturen herstellen. Untersuchungen an solchen definierten Mischkulturen führen zum Verständnis der komplexen Wechselbeziehungen am natürlichen Standort der Mikroorganismen. Einige Bakterien, vor allem einige strikte Anaerobier, sind obligat auf eine Kooperation mit Partnerorganismen angewiesen und können daher nicht ohne Weiteres in Reinkulturen gezüchtet werden. In Haushalt und Industrie verwendet man durchaus nicht nur Reinkulturen, sondern weit überwiegend stabile Mischkulturen, von denen einige auch als natürliche Reinzuchten bezeichnet worden sind. Beispiele dafür sind Sauerteig, Kefir, der Teepilz oder die Reinzuchthefe. Insbesondere bei der Wasseraufbereitung und beim Abbau von Abfällen werden vielfältig zusammengesetzte, undefinierte Mischzönosen genutzt.

7.8 Wachstum und Zellteilung Unter Wachstum versteht man die Zunahme der lebenden Substanz, in der Regel der Zahl und der Masse der Zellen. Bei einzelligen Organismen besteht das Wachstum in einer Zunahme der Zellzahl. Die prokaryontische Zelle vermehrt sich zumeist durch Zweiteilung. Im Zuge der Massenzunahme verlängert sich die Zelle annähernd zweifach, während die Zellbreite (Dicke) weitgehend unverändert bleibt. Sie teilt sich anschließend in zwei Tochterzellen, die die gleiche Größe wie die ursprüngliche Mutterzelle haben. Die einzelnen Phasen der Zellmassezunahme und der Veränderung der Zellform während des Wachstums vollziehen sich in einem festgelegten Zyklus, der durch ein komplexes, auf mehreren Schaltebenen organisiertes Regelsystem kontrolliert wird (Kap. 16).

7.8.1 Methoden zur Bestimmung der Zellzahl und der Bakterienmasse Während des Wachstums einer Population von Bakterien in einer statischen Kultur, also beispielsweise einer Bakteriensuspension in einem Erlenmeyerkolben, besteht zwischen der Zunahme der Zellzahl und der Masse nicht unbedingt eine feste Beziehung. Nach Einimpfung in die Nährlösung teilen sich manche Bakterien rascher als die Masse zunimmt; die Zellen werden zunächst kleiner. In einer späteren Phase des Wachstums kann dann die Rate der Zunahme der Masse die der Zellzahl übersteigen. Aus diesem Grunde ist es notwendig, zunächst zwischen Zellzahl und Zellmasse zu unterscheiden. Bei der Betrachtung von Wachstumsphasen, in denen die Zunahme der Zahl und der Masse nachgewiesenermaßen gleich ist, braucht zwischen beiden Größen nicht unterschieden zu werden.

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Man spricht dann von Standardzellen und ausgeglichenem Wachstum. In diesem Fall kann man also statt der Zellzahl auch die Zellmasse oder eine ihr proportionale Größe wie die Trübung (optische Dichte) bestimmen. Die auf das Einheitsvolumen (Liter oder Milliliter) bezogene Zellmasse bezeichnet man auch als Zelldichte oder Bakteriendichte (g·l–1; mg·ml–1).

Bestimmung der Zellzahl Die Gesamtzellzahl gibt an, wieviele Zellen insgesamt in einer Bakterienpopulation vorhanden sind. Dabei werden alle sichtbaren oder andersartig nachweisbaren Zellen, also auch tote oder geschädigte Zellen, mitgezählt. Lebende Zellen werden dadurch erkennbar, dass sie auf oder im Nähragar Kolonien bilden oder in Nährlösungen zu wachsen vermögen. Diese lebensfähigen Zellen werden anhand der Lebendzellzahl angegeben. ▶ Gesamtzellzahl. Zur Bestimmung der Gesamtzellzahl gibt es verschiedene Methoden: 1. Das am weitesten verbreitete Verfahren bedient sich der mikroskopischen Auszählung der in einer Zählkammer (z. B. nach Neubauer, Thoma oder PetroffHauser) in einer exakt bemessenen dünnen Schicht ausgebreiteten Zellen. 2. Elektronische Zählgeräte (z. B. Coulter-Counter) bieten eine bedeutende Erleichterung; sie machen sich den Leitfähigkeitsverlust einer Elektrolytlösung zunutze, der beim Durchtritt einer Bakterienzelle durch eine enge Kapillare auftritt. Solche Geräte können heute auch mit optischen Detektoren zur Erkennung spezifisch markierter Zellen und anschließenden Sortierung ausgerüstet werden. 3. Bei Zellzahlen unter 106 Zellen ml–1 lässt sich eine Membranfiltermethode anwenden. Meer-, Teich- oder Trinkwasser wird durch einen Membranfilter filtriert, letzterer wird getrocknet, mit z. B. fluoreszierenden Farbstoffen angefärbt, transparent gemacht und die fluoreszierenden Zellen mikroskopisch ausgezählt. ▶ Lebendzellzahl. Üblicherweise werden für die Lebendzellzahl die aus lebensfähigen Zellen unter günstigen Wachstumsbedingungen hervorgehenden Kolonien ausgezählt. Nach dem Koch’schen Plattengussverfahren wird ein aliquoter Teil einer in geeigneter Weise verdünnten homogenen Zellsuspension mit flüssigem Nähragar bei 40–45 °C vermengt und in Petrischalen ausgegossen. Die Suspension kann auch auf der Agaroberfläche einer Petrischale mit einem Drigalski-(Dreieck-)Spatel ausgespatelt werden, oder die Zellen können durch Filtration auf einem Filter (Göttinger Membranfilter, Nuclepore-Filter) niedergeschlagen werden, welcher anschließend auf Nähragar oder Nährkartonscheiben aufgelegt wird. In allen Fällen werden nach Bebrüten die Kolonien gezählt. Die Anwendung des Koch’schen Platten-

7.8 Wachstum und Zellteilung gussverfahrens und abgeleiteter Methoden ist auf die Zählung artgleicher Zellen aus homogenen Suspensionen ausgerichtet und lässt sich nicht ohne Weiteres auf die Zählung artverschiedener Individuen aus heterogenen Gemeinschaften übertragen. Auch ist nicht jede lebende Zelle unmittelbar vermehrungsfähig: An ihrem natürlichen Standort leben viele Mikroorganismen in einem Schlafzustand (engl. dormant state), aus dem sie nicht ohne Weiteres wieder zum Wachsen angeregt werden können.

Bestimmung der Zellmasse Die Wahl des anzuwendenden Verfahrens hängt davon ab, in welchem Zusammenhang auf die Zellmasse Bezug genommen werden soll. Bei der Bestimmung von Zellerträgen (Ausbeuten) wird häufig die Frisch- oder die Trockenmasse ermittelt. Als Bezugsgrößen für Stoffwechselund Enzymaktivitäten dienen der Protein- oder der Stickstoffgehalt. Direkte Methoden: 1. Die Frischmasse wird nach Abzentrifugieren der Zellen bestimmt. Nachdem die Zellen gewaschen und getrocknet wurden, lässt sich die Trockenmasse ermitteln. Beide Methoden sind mit beträchtlichen systematischen Fehlern behaftet. 2. Erheblich genauer lässt sich der Gesamtstickstoffgehalt (Mikro-Kjeldahl-Verfahren und Mikrodiffusion des Ammoniums) und der Gesamtkohlenstoffgehalt (nach Van Slyke-Folch) ermitteln. 3. Routinemäßig wird häufig das Zellprotein nach alkalischer Hydrolyse der Zellen bestimmt. Modifikationen der Biuretmethode und andere colorimetrisch erfassbare Farbreaktionen leisten dabei gute Dienste. Mit Mikroverfahren werden repräsentative Proteinbausteine (Tyrosin, Tryptophan, nach Lowry oder Folin-Ciocalteu), oder die spezifische Bindung von Protein an einen Farbstoff und eine damit einhergehende Farbveränderung (nach Bradford) gemessen.

Routinebetrieb wird die optische Dichte einer Suspension als Extinktion gemessen (Extinktionsmessung, Turbidimetrie). Diese Methode ist sehr genau und bequem. Für manche Zwecke ist die Messung des gestreuten Lichtes (Nephelometrie) genauer (▶ Abb. 7.8). Eine lineare Abhängigkeit zwischen den Messwerten und der Zellmasse besteht bei beiden Verfahren nur im Bereich geringer Zelldichten (OD < 0,3). Da die Lichtstreuung von der Größe, der Gestalt und dem Brechungsindex der streuenden Teilchen, von Inhaltsstoffen der Zellen und auch von der Geometrie der Anordnung von Lichtquelle, Messküvette und Photozelle im Photometer abhängt, müssen die Beziehungen der gewonnenen Messwerte zu direkt erhaltenen Größen (Trockenmasse, Stickstoff- oder Kohlenstoffgehalt) jeweils neu ermittelt werden. 2. Stoffwechselgrößen, die direkt mit dem Wachstum zusammenhängen (O2-Aufnahme, Produktion von CO2 oder Säure) können nur bedingt als adäquates Maß für die Mikroorganismenmasse herangezogen werden. Ihre bequeme Messung ist in Fällen angezeigt, in denen andere Methoden versagen, z. B. bei sehr geringen Zelldichten oder in trüben Nährmedien. Zur Messung werden titrimetrische, manometrische, elektrochemische u. a. Verfahren angewandt.

7.8.2 Kinetik des Wachstums Bakterien vermehren sich typischerweise durch Zweiteilung. Ihre Vermehrung entspricht einer geometrischen Progression 20 → 21 → 22 → 23… → 2n. Die Zellzahl nimmt also während jedes Zeitabschnittes um einen konstanten Faktor zu; man spricht von exponentiellem Wachstum (oft fälschlich logarithmisches Wachstum genannt). Enthält das Einheitsvolumen einer wachsenden statischen Kultur N0 Zellen, so beträgt die Zellzahl N nach n Teilungen also N0 · 2n. Durch Logarithmierung erhält man lgN = lgN0 + n · lg2 und für die Anzahl der Zellteilungen n¼

Indirekte Methoden: 1. Eine gute Methode der Bestimmung der Zellmasse ist die Ermittlung der Trübung einer Zellsuspension. Im

lgN–lgN 0 lg2

ð7:1Þ

Für die Anzahl der Zellteilungen pro Zeit, die auch Teilungsrate ν genannt wird, ergibt sich also

Detektor B

Detektor A

Lichtquelle

Abb. 7.8 Messung der Zelldichte durch optische Verfahren. Bei der Extinktionsmessung wird die Intensitätsminderung des von der Lichtquelle ausgestrahlten Lichtes durch streuende Bakterienzellen in der Küvette im durchfallenden Licht gemessen (Detektor A; Turbidimetrie). Alternativ kann man die Intensität des gestreuten Lichtes messen (Detektor B; Nephelometrie).

Kuvette

9

Wachstum und Ernährung der Mikroorganismen

ð7:2Þ

9



2

log10  log10 6 1  ¼ 2h 0; 303  10 3

ð7:3Þ

und die Generationszeit 0,5 Stunden. Trägt man die Zellzahl einer exponentiell wachsenden Population auf der Ordinate und die Zeit auf der Abszisse auf, beide Größen in arithmetischem Maßstab, so erhält man eine Exponentialkurve (▶ Abb. 7.9). Alternativ kann eine halblogarithmische Darstellung gewählt werden, in der auf der Ordinate die Logarithmen der Zellzahlen aufgetragen werden. Dabei wird exponentielles Wachstum durch eine Gerade dargestellt (▶ Abb. 7.9). Die Steilheit dieser Geraden entspricht der Teilungsrate. Man kann eine wachsende Bakterienpopulation auch als ein sich autokatalytisch vermehrendes System betrachten. Die Geschwindigkeit der Veränderung der Zellmasse x ist dann zu jedem Zeitpunkt der Größe x proportional und folgt somit der Kinetik einer Reaktion erster Ordnung. Während des exponentiellen Wachstums ist dann dx ¼ μx dt

ð7:4Þ

wobei μ die Wachstumsrate(nkonstante) ist. Durch Integration ergibt sich daraus x ¼ x0  eμ t

ð7:5Þ

und für eine Verdopplung von x0 zu 2x0 2x0 ¼ x0  eμ  t d

ð7:6Þ

Daraus folgt 2 ¼ eμtd

ð7:7Þ

oder ln 2 ¼ μ  td

ð7:8Þ

oder μ¼

ln2 0; 693 ¼ td td

ð7:9Þ

Die Wachstumsrate μ ist also mit dem reziproken Wert der Verdopplungs- oder Generationszeit, der Teilungsrate ν, verknüpft durch v¼

240

1 μ ¼ t d 0; 693

ð7:10Þ

1000

9 8 7 6 5 4 3

halblogarithmische Auftragung

2

500 1

2

250

arithmetische Auftragung

1 0

750 Zellzahl

Das Zeitintervall für die Verdopplung der Zellzahl bezeichnet man als Generationszeit, die der Verdopplung der Zellmasse als Verdopplungszeit. Wenn Zellzahl und Zellmasse in gleichem Maß zunehmen, sind Generationszeit (g) und Verdopplungszeit (td) einander gleich. Vermehrt sich eine Zellsuspension in 10 Stunden von 103 auf 109 Zellen, so beträgt die Teilungsrate

exponentielles Wachstum Nt = N 0 · 2 n

3

10

lg10 der Zellzahlen

n lgN  lgN 0 ¼ lg2ðtt 0 Þ t

log2 der Zellzahlen



0 0

2

4 6 Stunden

8

0 10

Abb. 7.9 Exponentielles Wachstum von Einzellern. Arithmetische (blau) und halblogarithmische (rot) Auftragung der Zellzahl gegen die Zeit.

Die beiden Parameter μ und ν beziehen sich dabei auf den gleichen Prozess einer sich exponentiell vermehrenden Bakterienpopulation. Wenn die Masse der Einzelzellen konstant ist (sogenannte Standardzellen), wird td = g und μ = ln 2 · ν. In Wirklichkeit enthält jede reale Kultur einen gewissen Anteil defekter, nicht teilungsfähiger Zellen, weshalb die Generationszeit der sich aktiv teilenden Zellen immer geringfügig kürzer sein muss als die Verdopplungszeit der gesamten Kultur.

7.9 Physiologie des Wachstums Das Wachstum von Zellen in einer statischen Kultur hängt von vielen Faktoren ab. Die Zellen durchlaufen eine Folge von Veränderungen, die durch die Verfügbarkeit des Wachstumssubstrats, der Anpassung an ein evtl. neu angebotenes Substrat, sowie die Limitierung des Wachstums durch eine oder mehrere Nährlösungskomponente(n) oder andere Wachstumsfaktoren bestimmt werden. Solange alle Wachstumsfaktoren reichlich zur Verfügung stehen, wachsen die Zellen mit maximaler Rate. Wenn das energieliefernde Substrat das Wachstum begrenzt, lässt der erreichte Wachstumsertrag Schlüsse auf die Effizienz der Energiekonservierung (ATP-Bildung) zu. In einer kontinuierlichen Kultur wird über beliebige Dauer ein Wachstumsfaktor limitierend gehalten und die Zellen wachsen ständig bei submaximaler Rate, jedoch unter langfristig stabilen und leicht kontrollierbaren Bedingungen.

Wachstum und Ernährung der Mikroorganismen

ð7:2Þ

9



2

log10  log10 6 1  ¼ 2h 0; 303  10 3

ð7:3Þ

und die Generationszeit 0,5 Stunden. Trägt man die Zellzahl einer exponentiell wachsenden Population auf der Ordinate und die Zeit auf der Abszisse auf, beide Größen in arithmetischem Maßstab, so erhält man eine Exponentialkurve (▶ Abb. 7.9). Alternativ kann eine halblogarithmische Darstellung gewählt werden, in der auf der Ordinate die Logarithmen der Zellzahlen aufgetragen werden. Dabei wird exponentielles Wachstum durch eine Gerade dargestellt (▶ Abb. 7.9). Die Steilheit dieser Geraden entspricht der Teilungsrate. Man kann eine wachsende Bakterienpopulation auch als ein sich autokatalytisch vermehrendes System betrachten. Die Geschwindigkeit der Veränderung der Zellmasse x ist dann zu jedem Zeitpunkt der Größe x proportional und folgt somit der Kinetik einer Reaktion erster Ordnung. Während des exponentiellen Wachstums ist dann dx ¼ μx dt

ð7:4Þ

wobei μ die Wachstumsrate(nkonstante) ist. Durch Integration ergibt sich daraus x ¼ x0  eμ t

ð7:5Þ

und für eine Verdopplung von x0 zu 2x0 2x0 ¼ x0  eμ  t d

ð7:6Þ

Daraus folgt 2 ¼ eμtd

ð7:7Þ

oder ln 2 ¼ μ  td

ð7:8Þ

oder μ¼

ln2 0; 693 ¼ td td

ð7:9Þ

Die Wachstumsrate μ ist also mit dem reziproken Wert der Verdopplungs- oder Generationszeit, der Teilungsrate ν, verknüpft durch v¼

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1 μ ¼ t d 0; 693

ð7:10Þ

1000

9 8 7 6 5 4 3

halblogarithmische Auftragung

2

500 1

2

250

arithmetische Auftragung

1 0

750 Zellzahl

Das Zeitintervall für die Verdopplung der Zellzahl bezeichnet man als Generationszeit, die der Verdopplung der Zellmasse als Verdopplungszeit. Wenn Zellzahl und Zellmasse in gleichem Maß zunehmen, sind Generationszeit (g) und Verdopplungszeit (td) einander gleich. Vermehrt sich eine Zellsuspension in 10 Stunden von 103 auf 109 Zellen, so beträgt die Teilungsrate

exponentielles Wachstum Nt = N 0 · 2 n

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lg10 der Zellzahlen

n lgN  lgN 0 ¼ lg2ðtt 0 Þ t

log2 der Zellzahlen



0 0

2

4 6 Stunden

8

0 10

Abb. 7.9 Exponentielles Wachstum von Einzellern. Arithmetische (blau) und halblogarithmische (rot) Auftragung der Zellzahl gegen die Zeit.

Die beiden Parameter μ und ν beziehen sich dabei auf den gleichen Prozess einer sich exponentiell vermehrenden Bakterienpopulation. Wenn die Masse der Einzelzellen konstant ist (sogenannte Standardzellen), wird td = g und μ = ln 2 · ν. In Wirklichkeit enthält jede reale Kultur einen gewissen Anteil defekter, nicht teilungsfähiger Zellen, weshalb die Generationszeit der sich aktiv teilenden Zellen immer geringfügig kürzer sein muss als die Verdopplungszeit der gesamten Kultur.

7.9 Physiologie des Wachstums Das Wachstum von Zellen in einer statischen Kultur hängt von vielen Faktoren ab. Die Zellen durchlaufen eine Folge von Veränderungen, die durch die Verfügbarkeit des Wachstumssubstrats, der Anpassung an ein evtl. neu angebotenes Substrat, sowie die Limitierung des Wachstums durch eine oder mehrere Nährlösungskomponente(n) oder andere Wachstumsfaktoren bestimmt werden. Solange alle Wachstumsfaktoren reichlich zur Verfügung stehen, wachsen die Zellen mit maximaler Rate. Wenn das energieliefernde Substrat das Wachstum begrenzt, lässt der erreichte Wachstumsertrag Schlüsse auf die Effizienz der Energiekonservierung (ATP-Bildung) zu. In einer kontinuierlichen Kultur wird über beliebige Dauer ein Wachstumsfaktor limitierend gehalten und die Zellen wachsen ständig bei submaximaler Rate, jedoch unter langfristig stabilen und leicht kontrollierbaren Bedingungen.

7.9.1 Bakterienwachstum in statischer Kultur Werden Bakterien in eine Nährlösung eingeimpft, so wachsen sie im Allgemeinen so lange, bis ein Faktor der Nährlösung ins Minimum gerät und das Wachstum begrenzt. Werden während dieses Vorgangs keine Nährstoffe zu- oder Stoffwechselprodukte abgeführt, so bezeichnet man das Wachstum in diesem vorgegebenen Lebensraum als statische Kultur. Das Wachstum in einem derartigen geschlossenen System gehorcht Gesetzmäßigkeiten, denen nicht nur Einzeller, sondern auch vielzellige Organismen unterliegen. Eine statische Kultur verhält sich wie ein vielzelliger Organismus mit genetisch begrenztem Wachstum. Das Wachstum einer Bakterienkultur wird in graphischer Darstellung anschaulich, wenn man die Logarithmen der Lebendzellzahl gegen die Zeit aufträgt. Eine typische Wachstumskurve (▶ Abb. 7.10) lässt mehrere Wachstumsphasen unterscheiden: Anlauf- (oder lag-) Phase, exponentielle Phase, stationäre Phase und Absterbephase. ▶ Anlaufphase. Die Anlaufphase umfasst das Zeitintervall zwischen der Beimpfung und dem Erreichen der maximalen Teilungsrate. Die Dauer der Anlaufphase ist insbesondere von der Vorkultur und vom Alter des Impfmaterials sowie von der Eignung der Nährlösung abhängig. Stammt das Impfmaterial aus einer alten Vorkultur (stationäre Wachstumsphase), so hat sich die Zelle durch RNA-, Ribosomen- und Enzymsynthese erst auf die neuen Wachstumsbedingungen einzustellen. Unterscheidet sich

Logarithmus der Lebendzellzahl

7.9 Physiologie des Wachstums

stationäre Phase

Anlauf (lag)Phase

Zeit Abb. 7.10 Idealisierte Wachstumskurve einer Bakterienkultur.

die Energie- und Kohlenstoffquelle in der neuen Nährlösung von derjenigen der Vorkultur, so ist die Anpassung (Adaptation) an die neuen Bedingungen häufig mit einer Neusynthese von Enzymen verbunden, die in der Vorkultur nicht benötigt und auch nicht gebildet worden waren. Die Bildung der neuen Enzyme wird zumeist durch das neue Substrat induziert (Plus 7.4). Die Veränderungen in der quantitativen Zusammensetzung der Bakterienzelle während der Anlaufphase spiegeln sich im Gehalt an Ribonukleinsäure am stärksten wider: Der RNA-Gehalt steigt auf das 8–12fache. Dabei handelt es sich um überwiegend ribosomale RNA, die mit der Zahl der Ribosomen stark ansteigt.

●V

Plus 7.4 Diauxie Ein Beispiel für die Wirkung der Substrate auf die Enzymbildung bietet das Phänomen der sogenannten Diauxie (▶ Abb. 7.11). Diese Erscheinung des zweiphasigen Wachstums findet man in Nährlösungen, in denen Gemische von Nährstoffen vorliegen. Von einem Gemisch aus z. B. Gluco70 Glucose 60 Fructose optische Dichte

Absterbephase

exponentielle (log)-Phase

Glucose Sorbit

a

se und Sorbit (ein Zuckeralkohol) wird durch Escherichia coli zuerst Glucose genutzt. Glucose induziert zunächst die zu seiner Verwertung notwendigen Enzyme und unterdrückt (reprimiert) gleichzeitig die Synthese der zur Sorbitverwertung notwendigen Enzyme. Diese werden erst nach Verbrauch der Glucose produziert.

b

c

d

50 40 30 20 10

Abb. 7.11 Zweiphasiges Wachstum von Escherichia coli in Minimalmedium mit Zuckern als Substraten (Diauxie). a Mit einem Gemisch von Glucose und Fructose erhält man eine typische Wachstumskurve. Mit Gemischen aus Glucose und Sorbit im Verhältnis 1:3 (b), 1:1 (c) und 3:1 (d) ergeben sich zweiphasige (diauxische) Wachstumskurven.

0 0

1

2 3 4 Stunden

5

6

0

1

0

1

0 1 2 Stunden

3

4

5

6

1

Wachstum und Ernährung der Mikroorganismen ▶ Exponentielle Phase. Die exponentielle Wachstumsphase ist durch eine konstante minimale Generationszeit charakterisiert. Die minimale Generationszeit während dieser Phase ist eine für jede Bakterienart spezifische, milieuabhängige Größe. Viele Enterobakterien teilen sich alle 15–30 min, Escherichia coli bei 37 °C in Komplexmedium etwa alle 20 min. Bei anderen Bakterien ist die Generationszeit erheblich länger und beträgt bei vielen Bodenbakterien 60–150 min, bei Nitrosomonas und Nitrobacter 5–10 Stunden, bei Mycobacterium sp. 12–20 Stunden und bei alkanverwertenden Sulfatreduzierern mehrere Tage bis Wochen. Bei vielen Bakterien sind Zellgröße und Zellproteingehalt während der exponentiellen Wachstumsphase konstant; die Kultur besteht im Wesentlichen aus Standardzellen. Wenn dies eindeutig nachgewiesen ist und Zellzahl, Protein und Trockenmasse mit gleicher Rate zunehmen, so kann man das Wachstum durch Messung einer dieser Größen verfolgen. In vielen Fällen verändern sich in einer statischen Kultur die Zellen jedoch auch während des exponentiellen Wachstums, da sich auch das Milieu fortwährend ändert: Die Substratkonzentration nimmt ab, die Zelldichte steigt und Stoffwechselprodukte, z. B. saure Gärprodukte, häufen sich an. ▶ Stationäre Phase. Wenn die Zellen nicht mehr wachsen, hat die Kultur die stationäre Phase erreicht. Die Wachstumsrate ist von der Substratkonzentration abhängig; infolgedessen nimmt bei abnehmender Substratkonzentration bereits vor dem völligen Verbrauch des Substrats die Wachstumsrate ab. Der Übergang von der exponentiellen zur stationären Phase erfolgt daher allmählich. Außer der Substratbegrenzung können auch die hohe Populationsdichte, niedriger O2-Partialdruck und die Ansammlung hemmender oder toxischer Stoffwechselprodukte die Wachstumsrate herabsetzen und die stationäre Phase einleiten. In der stationären Phase können noch Speicherstoffe genutzt, ein Teil der Ribosomen abgebaut und Enzyme gebildet werden (Plus 7.5). Die einzelnen Vorgänge sind von dem Faktor abhängig, der das Wachstum begrenzt. Nur sehr empfindliche Zellen sterben rasch ab. Sofern die zur Zellerhaltung notwendige Energie

Plus 7.5 Die Idiophase

●V

Bei vielen mikrobiellen Produktionsprozessen, die auf die Bildung von sekundären Metaboliten (z. B. Penicillin) (S. 697) abzielen, ist die stationäre Phase die eigentliche Produktionsphase. In der Biotechnologie unterscheidet man daher eine Trophophase (Ernährungs- oder Wachstumsphase) von der Idiophase (Produktionsphase). Obwohl die Zellen in der Idiophase nicht mehr wachsen, werden oft noch zugesetzte Substrate genutzt und z. B. Produktvorstufen in Produkte eingebaut.

242

durch Veratmung von Speicherstoffen oder Proteinen gewonnen werden kann, bleiben Bakterien lange Zeit lebensfähig. ▶ Absterbephase. Die Absterbephase und die Ursachen des Absterbens von Bakterienzellen in normalen Nährlösungen sind noch wenig untersucht. Die Lebendzellzahl kann exponentiell abnehmen. Unter Umständen lösen sich die Zellen durch Wirkung von zelleigenen Enzymen auf (Autolyse).

7.9.2 Parameter der Wachstumskurve Verfolgt man das Wachstum einer statischen Kultur an der Vermehrung der Masse (Trockenmasse), so interessieren in erster Linie drei Größen, die das Wachstum kennzeichnen: die Wachstumsparameter Ertrag, Wachstumsrate und Anlaufzeit. ▶ Ertrag. Der Ertrag (▶ Abb. 7.12a) ist die Differenz zwischen der anfänglichen und der maximal erreichten Bakterienmasse: x = xmax – x0. Er wird in Gramm Trockenmasse angegeben. Von besonderer Bedeutung ist das Verhältnis des Ertrags zum Substratverbrauch (x/S). Werden beide Größen in Gewichtseinheiten angegeben, so bezeichnet man den Quotienten als Ertragskoeffizienten oder Wachstumsertrag (engl. growth yield) Y. Häufig bezieht man den Ertrag auf die Stoffmenge des Substrats und berechnet den molaren Ertragskoeffizienten Ym (g Zellen pro mol Substrat). Der molare Ertragskoeffizient macht es möglich, den Ertrag mit der aus einer Energiequelle (Substrat) gewinnbaren Menge an ATP in Verbindung zu setzen. Man gelangt zum Energieertragskoeffizienten (g Zellen pro mol ATP). Er lässt sich berechnen, wenn für die Verwertung eines Substrats der Abbauweg und die dabei zu erzielende ATP-Ausbeute bekannt sind (Plus 7.6). ▶ Exponentielle Wachstumsrate. Die exponentielle Wachstumsrate μ ist ein Maß für die Geschwindigkeit des Zellwachstums in der exponentiellen Wachstumsphase (7.5). Sie errechnet sich nach Gleichung (8) aus den zu den Zeiten t0 und t gemessenen Bakteriendichten x0 und xt nach μ¼

lnxt  lnx0 lnxt  lnx0 ¼ t  t0 lgeðt  t 0 Þ

ð7:11Þ

wobei lge = 0,43 429 ist. Die Verdopplungszeit ist td ¼

ln2 μ

ð7:12Þ

▶ Anlaufzeit. Die Anlaufzeit (▶ Abb. 7.12c) ist ein für die Beurteilung der Eigenschaften eines Bakteriums oder der Eignung eines Nährbodens sehr wichtiger Parameter. Die Anlaufzeit Tl ist das Zeitintervall zwischen dem Zeitpunkt

7.9 Physiologie des Wachstums

lgXmax

lgX lgX0

t

c lgxt lgxt – lgx0 Anstieg = =µ lge · (t–t0) lgx0 t0

t

ideale

lg Bakterienzahl

b lg Bakteriendichte

lg Bakterienmasse

a

t

reale Wachstumskurve L = TI · v TI = tr – ti lnxr – lnx0 = tr – µ

ti

tr

t

Abb. 7.12 Wachstumsparameter. a Ertrag. b Wachstumsrate. c Anlaufzeit. X, Ertrag; x, Bakteriendichte; Tl, Anlaufzeit; μ, Wachstumsrate; weitere Erklärung siehe Text.

tr, zu dem die Kultur eine bestimmte Dichte xr erreicht hat, und dem Zeitpunkt ti, zu dem sie dieselbe Dichte erreicht haben würde, wenn sie vom Zeitpunkt der Impfung an exponentiell gewachsen wäre (als Index stehen l für lag-Phase, r für reales Wachstum und i für ideales Wachstum). T l ¼ tr  ti ¼ tr 

lnxr  lnx0 μ

ð7:13Þ

Da der Parameter Ti nur brauchbar ist, wenn zwei Kulturen mit gleichen exponentiellen Wachstumsraten ver-

Plus 7.6 Der Energieertragskoeffizient

●V

Für anaerobe Kulturen von Escherichia coli und Klebsiella pneumoniae, deren Wachstumsrate durch die Zufütterung von Glucose begrenzt war, wurden YATP-Werte von 12,4 g bzw. 14 g Zellmasse/mol ATP ermittelt. Natürlich hängt dieser Wert von der Art des Substrats ab, d. h. von dem biochemischen Aufwand, der für die Bildung von Zellsubstanz aus diesem Substrat erforderlich ist. Die Bildung von Zellsubstanz aus Zuckern ist vergleichsweise einfach. Sehr viel mehr Aufwand muss für die Zellsubstanzsynthese aus Acetat oder gar aus CO2 betrieben werden; entsprechend fallen YATP-Werte mit solchen Substraten deutlich geringer aus (5–2 g/mol ATP). Auch die Art der Stickstoffquelle kann sich im Energieertragskoeffizienten niederschlagen. Wenn man diese Aspekte berücksichtigt und den Energieertragskoeffizienten konsequent nur auf die Menge des dissimilierten (nicht des assimilierten!) Substrats bezieht, lassen sich die erhaltenen YATP-Werte sehr gut vergleichen, unabhängig davon, ob man mit atmenden oder gärenden Organismen umgeht. Bestimmt man für ein neues Bakterium einen erheblich größeren Wert als erwartet, so kann man auf „Nebeneinnahmen“, z. B. Assimilation aus zugesetztem Hefeextrakt oder Energie aus einem zusätzlichen energieliefernden Stoffwechselweg schließen.

glichen werden, empfiehlt sich die Angabe der Anlaufzeit nicht in absoluter, sondern in physiologischer Zeit (Generationszeit g). Die Differenz zwischen beobachtetem realem und idealem Wachstum, ausgedrückt durch das Vielfache der Generationszeit, ist L = Ti · ν. Der L-Wert gibt also an, um wie viele Verdopplungen eine reale gegenüber einer idealen Kultur im Rückstand ist, die von Anfang an exponentiell gewachsen wäre.

7.9.3 Lineares Wachstum Das oben beschriebene exponentielle Wachstum wird immer dann beobachtet, wenn der Zellzuwachs pro Zeiteinheit ausschließlich von der Wachstumsrate und der vorhandenen Zelldichte bestimmt wird. In der Realität kann dies immer nur für begrenzte Zeit sichergestellt werden, da insbesondere in dichten Zellsuspensionen bald andere Faktoren begrenzend werden. In dichten Suspensionen phototropher Bakterien wird als Folge der zunehmenden gegenseitigen Verschattung die Lichtausbeute pro Zelle immer geringer. Ähnliches gilt für die Sauerstoffversorgung in dichten aerob wachsenden Suspensionen. In beiden Fällen wird der Zellzuwachs dann durch eine Konstante, nämlich den Lichteintrag oder den Sauerstoffeintrag, bestimmt, und es resultiert ein lineares Wachstum. Lineares Wachstum beobachtet man auch in Bakterienkulturen, in denen z. B. die Verfügbarkeit von Vitaminen das Wachstum begrenzt. Der vorhandene Bestand an Coenzymen in der Zelle reicht zur Sicherung einer linearen Zellmassenzunahme aus; die Zellen werden häufig ungewöhnlich lang und teilen sich nicht mehr. Auch manche filamentös wachsende Pilze vermehren ihre Zellmasse nur durch apikales Wachstum, was ebenfalls eine weitgehend lineare Zellmassezunahme zur Folge hat.

7.9.4 Bakterienwachstum in kontinuierlicher Kultur In einer statischen Kultur ändern sich die Kulturbedingungen fortwährend; die Bakteriendichte nimmt zu, und

3

Wachstum und Ernährung der Mikroorganismen die Substratkonzentration sinkt ab. Für viele physiologische Untersuchungen erscheint es jedoch wünschenswert, die Zellen über lange Zeit bei gleichbleibender Substratkonzentration und bei auch sonst gleichen Milieubedingungen zu halten und exponentiell wachsen zu lassen. Durch kurzfristig wiederholte Übertragung der Zellen in neue Nährlösung lassen sich solche Bedingungen angenähert herstellen. Das Ziel wird auf einfacherem Wege erreicht, wenn einer wachsenden Bakterienpopulation laufend neue Nährlösung zugeführt und in gleichem Maß Bakteriensuspension abgeführt wird. Dieses Verfahren liegt der kontinuierlichen Kultur zugrunde, wie sie im Chemostaten und im Turbidostaten betrieben wird.

x ¼ x0  eDt

abnehmen. Das Wachstum der Bakterien in dem Kulturgefäß erfolgt exponentiell. Die Zuwachsrate ist gegeben durch den Ausdruck μx ¼ dx=dt

ð7:16Þ

die Bakteriendichte nimmt exponentiell nach x ¼ xo  eμt

ð7:17Þ

zu. Die Rate der Veränderung der Bakteriendichte dx/dt in dem Kulturgefäß setzt sich also aus den beiden genannten Geschwindigkeiten zusammen

Wachstum im Chemostaten

dx=dt ¼ μx  Dx ¼ xðμ  DÞ

Der Chemostat (▶ Abb. 7.13) besteht aus einem Kulturgefäß mit Ablauf, in das aus einem Vorratsgefäß Nährlösung mit konstanter Rate einfließt. Durch intensives Rühren und gegebenenfalls Belüftung wird im Kulturgefäß für eine möglichst sofortige gleichmäßige Verteilung der zufließenden Nährlösung gesorgt. Mit gleicher Rate, mit der dem Kulturgefäß Nährlösung zugeführt wird, wird Bakteriensuspension abgeführt. Beträgt das Volumen des Kulturgefäßes V (Liter) und fließt die Nährlösung mit der Zuflussrate f (l·h–1) zu, so ist die Verdünnungsrate D = f/V. D gibt also den Volumenwechsel pro Stunde an. Würden die bei Inbetriebsetzung des Chemostaten im Kulturgefäß befindlichen Bakterien (x [g·l–1]) nicht wachsen, so würden sie aus dem Gefäß mit der Auswaschrate

Ist die Wachstumsrate μ gleich der Verdünnungsrate D, so gleichen sich Auswaschverlust und Bakterienzuwachs aus, d. h., die Änderung dx/dt ist Null, und die Bakteriendichte x bleibt konstant. Unter diesen Bedingungen befindet sich die Kultur im Fließgleichgewicht; die exponentielle Vermehrung der Zellen wird durch einen negativ exponentiellen Auswaschvorgang kompensiert. Dieses Fließgleichgewicht wird sich immer einstellen, solange die Verdünnungsrate D die maximale Wachstumsrate μmax der Bakterien unter den jeweiligen Kulturbedingungen nicht übersteigt. Der Chemostat erlaubt die Aufrechterhaltung eines substratbegrenzten Wachstums über beliebig lange Zeiträume, und lässt so die Untersuchung von Limitationszuständen unter strikt kontrollierten Verhältnissen zu. Auf der Begrenzung der Wachstumsrate durch die Zulieferung eines beliebigen für das Wachstum notwendigen Substrats (H-Donator, C-, N-, S- oder P-Quelle) beruht die Stabilität des Systems. Wenn dafür gesorgt wird, dass die wirkliche Wachstumsrate μ kleiner ist als die bei Substratsättigung erreichbare maximale Wachstumsrate

Dx¼

dx dt

ð7:14Þ

ausgewaschen. Die Bakteriendichte im Gefäß würde also exponentiell nach

Zuluftfilter

Füllstutzen NLZufluss

Probennehmer

Abluftfilter

Vorratsgefäß

Peristaltikpumpe

Chemostat

ð7:18Þ

Abb. 7.13 Prinzip der kontinuierlichen Kultur im Chemostaten. NL, Nährlösung.

Rührer

Ausgleichsfilter

244

ð7:15Þ

gekühltes Auffanggefäß

●V

Das Konzept der Substrataffinität

Das Konzept der Abhängigkeit der Wachstumsrate von der Substratkonzentration wurde durch Jacques Monod in Analogie zum Konzept von L. Michaelis und M. Menten zur Enzymkinetik entwickelt. Die formale Gleichsetzung einer ganzen Bakterienzelle mit einem Enzymmolekül erscheint gewagt; der Ansatz hat sich jedoch durchaus bewährt. Die Halbsättigungskonstante KS mag der Affinitätskonstante KM des bindenden Proteins bei der Substrataufnahme oder der des Enzyms entsprechen, das das Substrat als erstes bindet. Man muss jedoch berücksichtigen, dass der KS -Wert eines Bakteriums für ein bestimmtes Substrat nicht unbedingt eine Konstante ist; abhängig von der Substratversorgungslage können die Anzahl von Substrattransportmolekülen verändert oder alternative, z. B. hoch affine Transporter gebildet werden.

μmax, so lässt sich die Verdünnungsrate D in einem weiten Bereich variieren, ohne dass die Bakterien ausgewaschen werden. Die Abhängigkeit der Wachstumsrate μ von der Substratkonzentration cs folgt einer Sättigungskurve (▶ Abb. 7.14). Im Allgemeinen wachsen Bakterien schon bei geringen Substratkonzentrationen (z. B. 10 mg Glucose/l Nährlösung = 50 μM Glucose) mit maximaler Rate. Erst bei niedrigeren Substratkonzentrationen wird μ konzentrationsabhängig. KS ist dann die Substratkonzentration, bei der die Wachstumsrate μ ihren halben maximalen Wert erreicht (μ = μmax/2). KS ist neben Y und μmax einer der fundamentalen Wachstumsparameter der Bakterien im Chemostaten (Plus 7.7). In ▶ Abb. 7.15 sind die Bakteriendichte, die Substratkonzentration, die Verdopplungszeit und die Bakterienausbeute gegen die Verdünnungsrate D aufgetragen. Wird die Verdünnungsrate D zwischen Null und dem Auswaschpunkt Dc variiert, so ändert sich die Bakteriendichte in einem weiten Bereich nur wenig. In diesem Bereich

Bakteriendichte

4

Verdopplungszeit

5 4 3 2

1

1

Substratkonzentration 0

0,5

1,0 Dm

Dc

cS KS + cS

cS

reagieren die Bakterien auf eine Steigerung von D mit einem Anstieg ihrer Wachstumsrate. Die gesteigerte Wachstumsrate wirkt sich in einem zunehmenden Bakterienausstoß aus. Dieser erreicht bei Dm sein Maximum; oberhalb Dm geht er rasch zurück. Die Substratkonzentration im Kulturgefäß und in der das Gefäß verlassenden Suspension ist bei niedrigen Verdünnungsraten über einen weiten Bereich gering. Bei der Verdünnungsrate, die der halbmaximalen Wachstumsrate entspricht, ist die Substratkonzentration im Kulturgefäß definitionsgemäß identisch mit der Halbsättigungskonzentration KS. Auf diese Weise lässt sich KS experimentell bestimmen. Wenn sich die Verdünnungsrate der maximalen Wachstumsrate nähert, wird ein immer größer werdender Anteil des Substrats mit ausgewaschen; und bei D > μmax erreicht die Substratkonzentration im Auslauf diejenige der zufließenden Nährlösung. Die Stabilität des Fließgleichgewichts im Chemostaten beruht auf der Begrenzung der Wachstumsrate durch ein Substrat. Die Wachstumskonstante μ wird auf einem niedrigen Wert gehalten. Der Chemostat ist als selbstregulierendes System leicht zu betreiben. Er stellt u. a. ein gutes Modellsystem für die Wachstumsverhältnisse an einem natürlichen Standort bei stabilem limitierendem Substratnachschub dar und erlaubt die Untersuchung der

6

Bakterienertrag h–1

µ = µmax ·

Abb. 7.14 Abhängigkeit der Wachstumsrate μ von der Substratkonzentration cS.

7

2

µmax 2

KS

b

3

0

µmax

Wachstumsrate µ

Plus 7.7

a 5

7.9 Physiologie des Wachstums

0

c 10 8 6 4 2 0

Abb. 7.15 Beziehungen zwischen Bakteriendichte, Substratkonzentration, Verdopplungszeit und Bakterienertrag im Fließgleichgewicht bei verschiedenen Verdünnungsraten D im Chemostaten. Die Werte sind für ein Bakterium mit den Parametern μmax = 1,0 h–1, K = 0,5, KS = 0,2 g·l–1 und einer Substratkonzentration in der zufließenden Nährlösung von SR = 10 g · l–1 berechnet. Ordinaten: a Bakterienertrag Dx (g · l–1 · h–1). b Verdopplungszeit td (h); c Substratkonzentration im Versuchsgefäß cS (g · l–1). Abszisse: Verdünnungsrate D (h–1); Dm Verdünnungsrate mit maximalem Bakterienausstoß; Dc Auswaschpunkt.

5

Wachstum und Ernährung der Mikroorganismen Regulation des Wachstums bei geringen Wachstumsraten. Fließgewässer und Verdauungssysteme höherer Organismen sind komplexe kontinuierliche Kulturen; sie werden aber nicht homogen durchmischt und sind daher mit dem Chemostaten nur begrenzt vergleichbar. Da im Chemostaten bei geringer Verdünnungsrate eine Selektierung auf hohe Substrataffinität erfolgt, kann man ihn auch für die Anreicherung von Bakterien mit hoher Substrataffinität aus natürlichem Standortmaterial einsetzen.

Wachstum im Turbidostaten Der kontinuierlichen Kultur im Chemostaten steht die im Turbidostaten gegenüber. Wie der Name sagt, beruht sein Betrieb auf der Konstanthaltung einer bestimmten Bakteriendichte oder Trübung. Ein Trübungsmesser regelt über ein Schaltsystem die Nährlösungszufuhr. Im Kulturgefäß sind alle Nährstoffe im Überschuss vorhanden, und die Bakterien wachsen mit annähernd maximaler Wachstumsrate. Der Betrieb des Turbidostaten ist technisch aufwendiger als der des Chemostaten.

7.9.5 Unterschiede zwischen statischer und kontinuierlicher Kultur Zwischen der klassischen statischen Kultur und der kontinuierlichen Kultur im Chemostaten bestehen grundlegende Unterschiede, die abschließend noch einmal betont werden sollen: Die statische Kultur ist als geschlossenes System anzusehen, das in seiner Entwicklung eine Anlaufphase, eine exponentielle Phase, stationäre Phase und Absterbephase durchmacht (Jugend, Blüte, Altern und Tod). Zu jedem Zeitpunkt herrschen andere Kulturbedingungen. Eine Automatisierung ist in einer statischen Kultur kaum möglich. Die kontinuierliche Kultur stellt ein offenes System dar, das einem Fließgleichgewicht zustrebt. Der Zeitfaktor ist gewissermaßen ausgeschaltet. Für die Organismen herrschen immer die gleichen Milieubedingungen. Die Anlage lässt sich leicht automatisieren.

7.10 Hemmung des Wachstums und Abtötung Durch eine Reihe von chemischen Substanzen wird das Wachstum von Mikroorganismen verlangsamt oder völlig unterdrückt. Wird das Wachstum unter dem Einfluss einer Substanz gestoppt und nach deren Entfernung wieder aufgenommen, so handelt es sich bei der Substanz um ein Bakteriostatikum mit einer bakteriostatischen Wirkung. Bakterizide Agenzien töten Bakterien ab. Beide Effekte sind von der Konzentration der Agenzien abhängig. Bemerkenswerterweise gibt es aber gerade unter den

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Bakterien einige, die generelle Zell- und Stoffwechselgifte (Schwefelwasserstoff, Phenol, Kohlenmonoxid) zu tolerieren oder sogar als Energiequelle zu nutzen vermögen. Für eine große Zahl antimikrobieller Agenzien sind der Angriffsort in der Zelle und der Wirkungsmechanismus bekannt.

7.10.1 Schädigung der Zellgrenzschichten Ethanol führt in höherer Konzentration (70 %) zur Koagulation der Proteine und wirkt bakterizid. Alkohole, Phenole, Kresole, Neutralseifen und andere oberflächenaktive Agenzien (Detergenzien) greifen an den Zellgrenzschichten an und schädigen die Cytoplasmamembran. Detergenzien sind amphiphil und bestehen aus lipophilen Gruppen (Alkylresten oder aromatischen Ringen) und hydrophilen, häufig ionisierten Gruppen. Aufgrund ihrer mikrobiziden Breitenwirkung werden Detergenzien generell als Desinfektionsmittel von Oberflächen und von Kleidung benutzt. Den Detergenzien ähneln in ihrer Wirkung einige Polypeptidantibiotika (Polymyxin, Colistin, Bacitracin, Subtilin) und antimikrobielle Pflanzenstoffe, die sich ebenfalls in der Cytoplasmamembran anreichern und diese durchlässig machen.

7.10.2 Hemmung des Stoffwechsels ▶ Schädigung der Enzyme und des Grundstoffwechsels. Einige Schwermetalle (Kupfer, Silber, Quecksilber u. a.) wirken als starke Enzymgifte bereits in geringer Konzentration (oligodynamische Wirkung). Sowohl als Salze (HgCl2, CuCl, AgNO3) als auch in Form organischer Verbindungen (4-Hydroxymercuribenzoat) binden sie an die SH-Gruppen von Enzymen. Auch die funktionelle Thiolgruppe von Coenzym A wird blockiert. Cyanid blockiert durch Bindung von Eisen die Funktion des terminalen Enzyms der aeroben Atmung, der Cytochrom-Oxidase. Kohlenmonoxid hemmt die Atmung durch Konkurrenz mit dem freien Sauerstoff an der Cytochrom-Oxidase, wirkt also durch kompetitive Hemmung. Antimycin A hemmt den Elektronentransport in der Atmungskette durch Blockierung des Cytochrom-bc1-Komplexes. 2,4-Dinitrophenol entkoppelt die Atmungskettenphosphorylierung, Arsenat hemmt die Substratkettenphosphorylierung. Fluoracetat blockiert den Citratzyklus, indem es zunächst wie Acetat aktiviert und in Citrat eingebaut wird (letale Synthese), dann aber als Fluorcitrat die Aconitase und damit die weitere Umsetzung des Citrats hemmt. ▶ Kompetitive Hemmung. Die kompetitive Hemmung oder Konkurrenzhemmung beruht auf der Strukturverwandtschaft eines Hemmstoffs zum physiologischen Substrat. Ein Modellbeispiel der kompetitiven Hemmung ist die Hemmung der Umsetzung von Succinat zu Fumarat durch Malonat (vgl. ▶ Abb. 7.16). Der normale Metabolit

Wachstum und Ernährung der Mikroorganismen Regulation des Wachstums bei geringen Wachstumsraten. Fließgewässer und Verdauungssysteme höherer Organismen sind komplexe kontinuierliche Kulturen; sie werden aber nicht homogen durchmischt und sind daher mit dem Chemostaten nur begrenzt vergleichbar. Da im Chemostaten bei geringer Verdünnungsrate eine Selektierung auf hohe Substrataffinität erfolgt, kann man ihn auch für die Anreicherung von Bakterien mit hoher Substrataffinität aus natürlichem Standortmaterial einsetzen.

Wachstum im Turbidostaten Der kontinuierlichen Kultur im Chemostaten steht die im Turbidostaten gegenüber. Wie der Name sagt, beruht sein Betrieb auf der Konstanthaltung einer bestimmten Bakteriendichte oder Trübung. Ein Trübungsmesser regelt über ein Schaltsystem die Nährlösungszufuhr. Im Kulturgefäß sind alle Nährstoffe im Überschuss vorhanden, und die Bakterien wachsen mit annähernd maximaler Wachstumsrate. Der Betrieb des Turbidostaten ist technisch aufwendiger als der des Chemostaten.

7.9.5 Unterschiede zwischen statischer und kontinuierlicher Kultur Zwischen der klassischen statischen Kultur und der kontinuierlichen Kultur im Chemostaten bestehen grundlegende Unterschiede, die abschließend noch einmal betont werden sollen: Die statische Kultur ist als geschlossenes System anzusehen, das in seiner Entwicklung eine Anlaufphase, eine exponentielle Phase, stationäre Phase und Absterbephase durchmacht (Jugend, Blüte, Altern und Tod). Zu jedem Zeitpunkt herrschen andere Kulturbedingungen. Eine Automatisierung ist in einer statischen Kultur kaum möglich. Die kontinuierliche Kultur stellt ein offenes System dar, das einem Fließgleichgewicht zustrebt. Der Zeitfaktor ist gewissermaßen ausgeschaltet. Für die Organismen herrschen immer die gleichen Milieubedingungen. Die Anlage lässt sich leicht automatisieren.

7.10 Hemmung des Wachstums und Abtötung Durch eine Reihe von chemischen Substanzen wird das Wachstum von Mikroorganismen verlangsamt oder völlig unterdrückt. Wird das Wachstum unter dem Einfluss einer Substanz gestoppt und nach deren Entfernung wieder aufgenommen, so handelt es sich bei der Substanz um ein Bakteriostatikum mit einer bakteriostatischen Wirkung. Bakterizide Agenzien töten Bakterien ab. Beide Effekte sind von der Konzentration der Agenzien abhängig. Bemerkenswerterweise gibt es aber gerade unter den

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Bakterien einige, die generelle Zell- und Stoffwechselgifte (Schwefelwasserstoff, Phenol, Kohlenmonoxid) zu tolerieren oder sogar als Energiequelle zu nutzen vermögen. Für eine große Zahl antimikrobieller Agenzien sind der Angriffsort in der Zelle und der Wirkungsmechanismus bekannt.

7.10.1 Schädigung der Zellgrenzschichten Ethanol führt in höherer Konzentration (70 %) zur Koagulation der Proteine und wirkt bakterizid. Alkohole, Phenole, Kresole, Neutralseifen und andere oberflächenaktive Agenzien (Detergenzien) greifen an den Zellgrenzschichten an und schädigen die Cytoplasmamembran. Detergenzien sind amphiphil und bestehen aus lipophilen Gruppen (Alkylresten oder aromatischen Ringen) und hydrophilen, häufig ionisierten Gruppen. Aufgrund ihrer mikrobiziden Breitenwirkung werden Detergenzien generell als Desinfektionsmittel von Oberflächen und von Kleidung benutzt. Den Detergenzien ähneln in ihrer Wirkung einige Polypeptidantibiotika (Polymyxin, Colistin, Bacitracin, Subtilin) und antimikrobielle Pflanzenstoffe, die sich ebenfalls in der Cytoplasmamembran anreichern und diese durchlässig machen.

7.10.2 Hemmung des Stoffwechsels ▶ Schädigung der Enzyme und des Grundstoffwechsels. Einige Schwermetalle (Kupfer, Silber, Quecksilber u. a.) wirken als starke Enzymgifte bereits in geringer Konzentration (oligodynamische Wirkung). Sowohl als Salze (HgCl2, CuCl, AgNO3) als auch in Form organischer Verbindungen (4-Hydroxymercuribenzoat) binden sie an die SH-Gruppen von Enzymen. Auch die funktionelle Thiolgruppe von Coenzym A wird blockiert. Cyanid blockiert durch Bindung von Eisen die Funktion des terminalen Enzyms der aeroben Atmung, der Cytochrom-Oxidase. Kohlenmonoxid hemmt die Atmung durch Konkurrenz mit dem freien Sauerstoff an der Cytochrom-Oxidase, wirkt also durch kompetitive Hemmung. Antimycin A hemmt den Elektronentransport in der Atmungskette durch Blockierung des Cytochrom-bc1-Komplexes. 2,4-Dinitrophenol entkoppelt die Atmungskettenphosphorylierung, Arsenat hemmt die Substratkettenphosphorylierung. Fluoracetat blockiert den Citratzyklus, indem es zunächst wie Acetat aktiviert und in Citrat eingebaut wird (letale Synthese), dann aber als Fluorcitrat die Aconitase und damit die weitere Umsetzung des Citrats hemmt. ▶ Kompetitive Hemmung. Die kompetitive Hemmung oder Konkurrenzhemmung beruht auf der Strukturverwandtschaft eines Hemmstoffs zum physiologischen Substrat. Ein Modellbeispiel der kompetitiven Hemmung ist die Hemmung der Umsetzung von Succinat zu Fumarat durch Malonat (vgl. ▶ Abb. 7.16). Der normale Metabolit

Plus 7.8 Das Antimetabolitenkonzept

●V

Die Hemmung der Succinat-Dehydrogenase durch Malonat und die Wachstumshemmung durch Sulfanilsäurederivate sind Beispiele antagonistischer Beziehungen zwischen den physiologischen Metaboliten der Zelle und strukturverwandten Verbindungen. Der Antagonismus zwischen den Metaboliten und den Antimetaboliten (Strukturanalogon) kann sich auf verschiedenen Ebenen auswirken. Strukturanaloga können den Einbau des normalen Metaboliten verhindern und dadurch die Synthese von Zellbestandteilen unterbinden; sie können auch in Polymere eingebaut werden und eine Minderung oder einen Verlust der Aktivität eines Enzyms oder einer Nukleinsäure zur Folge haben.

Succinat konkurriert mit dem Strukturanalogon oder Antimetaboliten Malonat um das katalytische Zentrum der Succinat-Dehydrogenase. Die Wirkung ist außerordentlich spezifisch und erfolgt schon bei niedrigen Konzentrationen von Malonat. Die Hemmung kann durch Steigerung der Succinatkonzentration teilweise oder vollständig rückgängig gemacht werden. Die Aufnahme eines Antimetaboliten in die Zelle kann sich insbesondere auf Biosynthesen in verschiedener Weise auswirken (vgl. Plus 7.8). In ▶ Abb. 7.16 sind drei Metabolite und drei Antimetabolite dargestellt. ▶ Beeinträchtigung der Synthese von Zellbestandteilen. Das bekannteste Beispiel einer Wachstumshemmung durch Einbau eines Strukturanalogons in eine Zellkomponente ist die Wirkung der Sulfanilsäurederivate. Die antibakterielle Wirkung der Sulfonamide ist empirisch gefunden worden (G. Domagk); erst später erkannte man in der Strukturähnlichkeit mit 4-Aminobenzoat den Schlüssel zum Verständnis des Wirkungsmechanismus. 4-Aminobenzoat ist Bestandteil des Coenzyms Tetrahydrofolat, das von den meisten Bakterien aus einfachen Bausteinen synthetisiert wird. Auch dem Nährboden zugesetztes 4-Aminobenzoat oder zugesetzte Sulfanilamide (▶ Abb. 7.16) werden in die Zelle aufgenommen und in Folat eingebaut; letztere führen allerdings zur Synthese eines nicht funktionierenden Coenzyms oder erlauben gar keine Synthese. Der tierische Organismus vermag Folat weder de novo noch aus den Bausteinen aufzubauen; er nimmt das komplette Coenzym mit der Nahrung auf und wird daher nicht geschädigt. Die selektive Toxizität der Sulfonamide und die Möglichkeit, sie als Chemotherapeutika einzusetzen, ist somit der hohen Synthesefähigkeit der Bakterien und der beschränkten Synthesefähigkeit des tierischen Organismus zuzuschreiben.

7.10 Hemmung des Wachstums und Abtötung

COO– CH2

COO–

CH2

CH2

COO–

COO–

Succinat

Malonat

COO–

O2S NH2

NH2 4-Aminobenzoat

H3N

H3N

C

NH

NH2 Sulfanilamid

H3N

C

NH

NH

NH

CH2

O

CH2

CH2

CH2

CH2

CH

COO–

Arginin

H3N

CH

COO–

Canavanin

Abb. 7.16 Strukturformeln von kompetitiv wirksamen Hemmstoffen und den zugehörigen physiologischen Metaboliten.

7.10.3 Einfluss von Antibiotika ▶ Hemmung der Proteinsynthese durch Antibiotika. Die Proteinsynthese bei Prokaryonten wird durch mehrere Antibiotika spezifisch gehemmt. Der Angriffspunkt ist die Funktion der 70S-Ribosomen. Streptomycin und Neomycin hemmen den Vorgang der Verknüpfung der Aminosäuren. Erythromycin beeinträchtigt die Funktion der 50S-Untereinheiten. Tetrazykline hemmen die Anlagerung der Aminoacyl-tRNA an die Ribosomen. Chloramphenicol verhindert den Einbau von Aminosäuren in Proteine, indem es die Aminosäureverknüpfung durch die Peptidyltransferase verhindert. Chloramphenicol dient in der Chemotherapie als hoch wirksames Bakteriostatikum und in der biochemischen Forschung als selektiver Hemmstoff der Proteinsynthese ohne Beeinträchtigung anderer Stoffwechselleistungen. Die genannten Antibiotika wirken natürlich auch auf die Ribosomen der Mitochondrien und Chloroplasten der Eukaryonten. Da aber die äußere Membran beispielsweise der Mitochondrien für Streptomycin sehr wenig durchlässig ist, hat Streptomycin in den niedrigen Konzentrationen, in denen es gegen Prokaryonten eingesetzt wird, auf Eukaryonten nahezu keine Wirkung. Die Teilung der Organellen wird erst bei Anwendung der 1000fachen Konzentration unterbunden.

7

Wachstum und Ernährung der Mikroorganismen ▶ Hemmung der Nukleinsäuresynthese durch Antibiotika. Die Nukleinsäuresynthese wird ebenfalls durch mehrere Antibiotika gehemmt. Mitomycin C verhindert selektiv die DNA-Synthese, ohne zunächst die RNA- und Proteinsynthese zu beeinträchtigen. Die Wirkung wird auf eine Vernetzung des DNA-Doppelstrangs und auf Strangbrüche zurückgeführt. Actinomycin D bildet mit dem DNA-Doppelstrang Komplexe, indem es sich an Guanin anlagert; es verhindert die Synthese aller drei Typen an Ribonukleinsäuren, nicht aber die Reduplikation der DNA. Rifampicin wirkt auf die DNA-abhängige RNA-Polymerase und verhindert somit u. a. die Synthese der mRNA in Bakterien. ▶ Hemmung der Zellwandsynthese. Auf die Hemmung der Peptidoglykansynthese bei Prokaryonten durch Penicillin, Cephalosporin und andere zellwandwirksame Agenzien wurde bereits eingegangen (S. 173).

7.10.4 Absterben und Abtötung von Mikroorganismen Unter Zelltod versteht man bei Mikroorganismen den irreversiblen Verlust der Fähigkeit zu wachsen und sich zu vermehren, oder – auf die experimentelle Praxis bezogen – den Verlust des Koloniebildungsvermögens. Viele Zellschädigungen, die zum Zelltod führen, sind unter bestimmten Bedingungen reparabel. Gut bekannt sind Reaktivierungen nach UV-Strahlen- und Hitzeeinwirkung. Quantitative Angaben über das Absterben und die Abtötung lassen sich bei Mikroorganismen nur für Populationen machen, nicht für einzelne Zellen. In einigen Fällen ist die Rate der Abnahme der Lebendzellzahl zu jedem Zeitpunkt der vorhandenen Zahl lebender Zellen proportional; die Abtötung folgt der Kinetik einer Reaktion 1. Ordnung: N = N0 · e–kt (k = exponentielle Absterberate). Das trifft beispielsweise auf die Sterilisation durch Strahlung zu.

7.11 Sterilisation und Desinfektion Die Abtötung von Mikroorganismen ist die Grundlage der mikrobiologischen Arbeit und der Nahrungsmittelkonservierung. Die Befreiung eines Materials von lebenden Mikroorganismen oder deren Ruhestadien bezeichnet man als Entkeimung oder Sterilisation (Methode 7.2). Davon unterscheiden sich die Teilentkeimung (Pasteurisieren) und auch die Konservierung. Wird eine sterile oder definiert bewachsene Nährlösung durch andere, unwillentlich eingeführte Mikroorganismen verunreinigt, so spricht man von Kontamination oder Verunreinigung. In der medizinischen Mikrobiologie werden die Begriffe Desinfektion (Abtöten aller pathogenen Mikroorganismen) und Infektion verwendet. Die exponentiellen Absterbe- bzw. Abtötungsraten sind außer von der Organismenart noch von verschiedenen Bedingungen, wie z. B. dem Wassergehalt und pH-Wert des Milieus, dem Alter der Zellen oder Sporen, abhängig. Anstelle der Raten gibt man zur Kennzeichnung des unter bestimmten Bedingungen bei einer bestimmten Population eintretenden Abtötungserfolgs den D-Wert an, auch dezimale Reduktionszeit (D10) genannt (▶ Tab. 7.6). Dieser Wert gibt an, welche Zeit zur Abtötung von 90 % der Zellen notwendig ist.

d ●

Methode 7.2 Sterilisation oder Entkeimung

Eine Entkeimung oder Teilentkeimung erreicht man durch feuchte Hitze, trockene Hitze, Filtration, Bestrahlung oder chemische Mittel.

7.11.1 Feuchte Hitze Die vegetativen Zellen von Bakterien und Pilzen werden schon bei Temperaturen um 60 °C innerhalb von 5– 10 min abgetötet, Hefe und Pilzsporen erst oberhalb 80 °C und die Sporen von Bakterien oberhalb 120 °C (15 min). Die zur Abtötung der Sporen einiger repräsentativer, äußerst hitzeresistenter Bakterienarten notwendigen Ein-

Tab. 7.6 D10-Werte (dezimale Reduktionszeiten) von Sporensuspensionen von vier sporenbildenden Bakterienarten bei unterschiedlichen Temperaturen. Sporen von

Dezimale Reduktionzeit in Sekunden 105 °C

120 °C

130 °C

140 °C

150 °C

160 °C

Bacillus cereus

12,1

4,2

2,6

1,3

1,0

0,7

Bacillus subtilis

27,8

4,5

3,1

2,1

1,1

0,5

Alicyclobacillus stearothermophilus

2857,0

38,6

8,8

3,9

2,4

1,4

Clostridium thermohydrosulfuricum*

660,0

Nach Miller und Kandler (1967) und *Hyun et al. (1983).

248

Wachstum und Ernährung der Mikroorganismen ▶ Hemmung der Nukleinsäuresynthese durch Antibiotika. Die Nukleinsäuresynthese wird ebenfalls durch mehrere Antibiotika gehemmt. Mitomycin C verhindert selektiv die DNA-Synthese, ohne zunächst die RNA- und Proteinsynthese zu beeinträchtigen. Die Wirkung wird auf eine Vernetzung des DNA-Doppelstrangs und auf Strangbrüche zurückgeführt. Actinomycin D bildet mit dem DNA-Doppelstrang Komplexe, indem es sich an Guanin anlagert; es verhindert die Synthese aller drei Typen an Ribonukleinsäuren, nicht aber die Reduplikation der DNA. Rifampicin wirkt auf die DNA-abhängige RNA-Polymerase und verhindert somit u. a. die Synthese der mRNA in Bakterien. ▶ Hemmung der Zellwandsynthese. Auf die Hemmung der Peptidoglykansynthese bei Prokaryonten durch Penicillin, Cephalosporin und andere zellwandwirksame Agenzien wurde bereits eingegangen (S. 173).

7.10.4 Absterben und Abtötung von Mikroorganismen Unter Zelltod versteht man bei Mikroorganismen den irreversiblen Verlust der Fähigkeit zu wachsen und sich zu vermehren, oder – auf die experimentelle Praxis bezogen – den Verlust des Koloniebildungsvermögens. Viele Zellschädigungen, die zum Zelltod führen, sind unter bestimmten Bedingungen reparabel. Gut bekannt sind Reaktivierungen nach UV-Strahlen- und Hitzeeinwirkung. Quantitative Angaben über das Absterben und die Abtötung lassen sich bei Mikroorganismen nur für Populationen machen, nicht für einzelne Zellen. In einigen Fällen ist die Rate der Abnahme der Lebendzellzahl zu jedem Zeitpunkt der vorhandenen Zahl lebender Zellen proportional; die Abtötung folgt der Kinetik einer Reaktion 1. Ordnung: N = N0 · e–kt (k = exponentielle Absterberate). Das trifft beispielsweise auf die Sterilisation durch Strahlung zu.

7.11 Sterilisation und Desinfektion Die Abtötung von Mikroorganismen ist die Grundlage der mikrobiologischen Arbeit und der Nahrungsmittelkonservierung. Die Befreiung eines Materials von lebenden Mikroorganismen oder deren Ruhestadien bezeichnet man als Entkeimung oder Sterilisation (Methode 7.2). Davon unterscheiden sich die Teilentkeimung (Pasteurisieren) und auch die Konservierung. Wird eine sterile oder definiert bewachsene Nährlösung durch andere, unwillentlich eingeführte Mikroorganismen verunreinigt, so spricht man von Kontamination oder Verunreinigung. In der medizinischen Mikrobiologie werden die Begriffe Desinfektion (Abtöten aller pathogenen Mikroorganismen) und Infektion verwendet. Die exponentiellen Absterbe- bzw. Abtötungsraten sind außer von der Organismenart noch von verschiedenen Bedingungen, wie z. B. dem Wassergehalt und pH-Wert des Milieus, dem Alter der Zellen oder Sporen, abhängig. Anstelle der Raten gibt man zur Kennzeichnung des unter bestimmten Bedingungen bei einer bestimmten Population eintretenden Abtötungserfolgs den D-Wert an, auch dezimale Reduktionszeit (D10) genannt (▶ Tab. 7.6). Dieser Wert gibt an, welche Zeit zur Abtötung von 90 % der Zellen notwendig ist.

d ●

Methode 7.2 Sterilisation oder Entkeimung

Eine Entkeimung oder Teilentkeimung erreicht man durch feuchte Hitze, trockene Hitze, Filtration, Bestrahlung oder chemische Mittel.

7.11.1 Feuchte Hitze Die vegetativen Zellen von Bakterien und Pilzen werden schon bei Temperaturen um 60 °C innerhalb von 5– 10 min abgetötet, Hefe und Pilzsporen erst oberhalb 80 °C und die Sporen von Bakterien oberhalb 120 °C (15 min). Die zur Abtötung der Sporen einiger repräsentativer, äußerst hitzeresistenter Bakterienarten notwendigen Ein-

Tab. 7.6 D10-Werte (dezimale Reduktionszeiten) von Sporensuspensionen von vier sporenbildenden Bakterienarten bei unterschiedlichen Temperaturen. Sporen von

Dezimale Reduktionzeit in Sekunden 105 °C

120 °C

130 °C

140 °C

150 °C

160 °C

Bacillus cereus

12,1

4,2

2,6

1,3

1,0

0,7

Bacillus subtilis

27,8

4,5

3,1

2,1

1,1

0,5

Alicyclobacillus stearothermophilus

2857,0

38,6

8,8

3,9

2,4

1,4

Clostridium thermohydrosulfuricum*

660,0

Nach Miller und Kandler (1967) und *Hyun et al. (1983).

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7.11 Sterilisation und Desinfektion Tab. 7.7 Sterilisationszeiten für Flüssigkeiten in verschiedenen Gefäßen im Autoklaven (121–123 °C). Gefäße

Volumen

Sterilisationszeit (min)

Reagenzgläser

20 ml

12–14

Erlenmeyerkolben

50 ml

12–14

Erlenmeyerkolben

200 ml

12–15

Erlenmeyerkolben

1000 ml

20–25

Erlenmeyerkolben

2000 ml

30–35

Flasche

9 000 ml

50–55

wirkungszeiten von feuchter Hitze lassen sich aus den in ▶ Tab. 7.7 angegebenen dezimalen Reduktionszeiten errechnen. Die Sporen thermophiler Bakterien sind besonders hitzeresistent. Man beachte: Je höher der Grad der Kontamination, also beispielsweise die Zahl thermoresistenter Sporen ist, desto länger muss erhitzt werden! Temperaturen über dem Siedepunkt des Wassers erreicht man im Autoklaven, der zumeist über Druckmessung geregelt wird. Im Autoklaven herrscht eine Atmosphäre aus gespanntem Dampf, dessen Temperatur vom Druck abhängig ist (▶ Abb. 7.17). Die Abtötung durch feuchte Hitze hängt von der Temperatur und nicht vom Druck ab. Deshalb muss die Luft vor dem Schließen des Autoklaven durch Ausströmenlassen mit dem entstehenden Dampf entfernt werden. Die Sterilisationsdauer ist natürlich von der Größe (Wärmekapazität) der zu sterilisierenden Geräte oder Behältnisse abhängig (▶ Tab. 7.7). Häufig erreicht man den gleichen Sterilisationserfolg durch fraktionierte Sterilisation im strömenden Dampf bei 100 °C (Tyndallisation). Dazu werden die Lösungen an drei aufeinanderfolgenden Tagen je 30 min auf 100 °C erhitzt und zwischenzeitlich bei Brutschranktemperatur aufbewahrt, um Sporen auskeimen zu lassen und die entstandenen vegetativen Zellen bei der nächsten Erhitzung abzutöten. Für viele Zwecke begnügt man sich auch mit einer Teilentkeimung, also der Abtötung der vegetativen Formen von Mikroorganismen (Plus 7.9). Diese Teilentkeimung wird im Allgemeinen durch Pasteurisieren erreicht. Da-

3,0

[bar]

[atm]

1,96

2,0

0,98

0

Dampfdruck

2,94

bei werden die Lösungen 5–10 min lang auf 75 °C oder 80 °C erhitzt. Auch Milch wird durch Pasteurisieren teilentkeimt; jedoch wird diese, um den Geschmackswert nicht zu beeinträchtigen, kürzer erhitzt. Es sind zwei Pasteurisierungsverfahren im Gebrauch: Die Kurzzeiterhitzung (20 s auf 71,5–74 °C) und die Hocherhitzung (2–5 s auf 85–87 °C). Eine Sterilisation der Milch wird durch Ultrahocherhitzung erreicht. Dabei wird überhitzter Wasserdampf in die Milch injiziert, wobei eine Mischtemperatur von 135–150 °C erreicht wird, der die Milch nur 1–2 s ausgesetzt bleibt. Anschließend wird die Milch über eine Düse entspannt und gleichzeitig abgekühlt, wobei das durch die Dampfinjektion zugesetzte Wasser wieder entweicht.

Einwecken

Auch die Konservierung von Beeren und Steinobst (Einwecken) beruht auf einer Teilentkeimung. Bei der üblichen Erhitzung der Weckgläser für 20 min auf 80 °C werden nur vegetative Zellen und viele Pilzsporen abgetötet, während Bakteriensporen lebensfähig bleiben. Trotzdem bleiben Früchte, die durch Einwecken konserviert wurden, jahrelang unverdorben, da der niedrige pH-Wert der Fruchtsäuren die Keimung von Bakteriensporen unterbindet. Erfreulicherweise gibt es keine hitzeresistenten Bakteriensporen, die unterhalb pH = 4,5 entwicklungsfähig sind. Man kann auch säurearmes Gemüse (Bohnen, Erbsen, Möhren, Pilze u. a.) durch Pasteurisieren konservieren, wenn man durch Zusatz von z. B. Essig für eine hinreichende Ansäuerung sorgt. Auf pasteurisierten Erdbeeren tritt häufig der „Erdbeerpilz“ Byssochlamys nivea auf. Seine Ascosporen halten 86 °C aus; bei dieser Temperatur beträgt der D10-Wert 14 min.

7.11.2 Trockene Hitze Durch trockene Hitze werden Bakteriensporen erst bei höheren Temperaturen und bei länger anhaltender Ein-

Temperatur [°C] 0 20 30 40 80 100 110 120 130

1,0

●V

Plus 7.9

p in bar

Abb. 7.17 Dampfdruck des Wassers im Sättigungszustand.

0,0061 0,0235 0,0427 0,0742 0,4766 1,0198 1,4419 1,9982 2,7190

0 0

20

40

60

80

100 120

Temperatur [°C]

9

Wachstum und Ernährung der Mikroorganismen wirkung abgetötet als durch feuchte Hitze. Gegen Hitze unempfindliche Glasgeräte, Pulver, Öle und dergleichen werden daher 120 min bei 160 °C in einem Trockensterilisator entkeimt. Bei Materialien mit hoher Wärmekapazität oder mit thermischen Isoliereigenschaften muss man dabei die Aufheizzeiten berücksichtigen. In jedem Falle sollte eine Temperaturkontrolle (mit Indikatoren) und eine Sterilitätskontrolle mit versporter Erde oder Papierstreifen, die Sporen von Alicyclobacillus acidocaldarius enthalten, stattfinden. Wenn es das zu sterilisierende Material erlaubt, erhitzt man heute 30 min auf 180 °C. Erfahrungsgemäß werden dabei alle Sporen abgetötet. Die Abtötung durch Hitze beruht auf der Koagulation der Zellproteine.

7.11.3 Filtration Lösungen, die thermolabile Substanzen enthalten (Vitamine, einige Aminosäuren, Zucker und andere Substrate, Plus 7.10), entkeimt man am einfachsten durch Filtration. Unglasierte Porzellanzylinder (Chamberland-Kerzen) wurden dazu bereits in Pasteurs Labor verwandt. Im Labor und zur Trinkwasserentkeimung werden üblicherweise Filter aus gepresstem Kieselgur eingesetzt. Ebenso eignen sich Glassinterfilter und Membranfilter. Membranfilter aus Nitrocellulose (Sartorius oder Millipore) gibt es mit verschiedenen Porendurchmessern. Zur routinemäßigen Entkeimung von Lösungen, die Hitzesterilisation nicht vertragen, gibt es Einwegfilter, die sich an Injektionsspritzen anschließen lassen. Mithilfe der Membranfilter kann man sogar Organismen verschiedener Gestalt und Größe voneinander trennen. Viruspartikel werden durch Filter nicht zurückgehalten.

Plus 7.10 Thermische Veränderung von Zuckern

●V

Beim Kochen oder Autoklavieren können Zucker wie Glucose und Fructose ineinander umgewandelt und verändert werden. Glucose ist bei einem pH-Wert zwischen pH = 3 und 5 am stabilsten und lässt sich, gelöst in destilliertem Wasser, auch durch Autoklavieren entkeimen. Wird Glucose aber bei pH = 8, z. B. in einer gepufferten Nährlösung, 30 min gekocht, so werden 40 % der Glucose zu Fructose umgesetzt. Metallsalze (Fe, Mn, Mo u. a.) und Phosphate beschleunigen diesen Vorgang. Da Fructose unter diesen Bedingungen zu Furfurolen umgewandelt wird (Karamellisierung), nehmen unsachgemäß sterilisierte Nährlösungen häufig eine braune oder schwarze Farbe an.

7.11.4 Bestrahlung ▶ UV-Strahlung. Von den zur Entkeimung bzw. Teilentkeimung gebräuchlichen Strahlungen (Ultraviolett-, Röntgen-, γ-Strahlung) kommt der UV-Strahlung im Labor die größte Bedeutung zu. Die Strahlung der meisten UV-Lampen ist reich an Strahlen der Wellenlänge um 260 nm, die vorzugsweise von Nukleinsäuren absorbiert werden und bei längerer Einwirkung zur Abtötung aller Bakterien führen. Die UV-Strahlung eignet sich zur Teilentkeimung von Räumen, wobei Bakterien rasch, die erheblich weniger strahlungsempfindlichen Pilzsporen jedoch wesentlich langsamer abgetötet werden. ▶ Ionisierende Strahlen. Röntgenstrahlen, Höhenstrahlen und γ-Strahlen, z. B. von 60Co, wirken durch die Bildung von Hydroxylradikalen, die Makromoleküle zerstören. Zur Abtötung von Zellen genügen bereits sehr geringe Strahlendosen (Energiemengen). Das ist verständlich, da von dem Makromolekül DNA in einer Zelle nur eine einzige Kopie vorliegt, während von Proteinen und Polysacchariden viele Exemplare vorhanden sind. Ein „Treffer“ in der DNA kann zum Zelltod führen, ohne dass an anderen Molekülen Veränderungen nachweisbar sind. Ionisierende Strahlen können daher zur Entkeimung von Lebensmitteln und anderen kompakten Materialien eingesetzt werden. Bakterien der Gattung Deinococcus besitzen außergewöhnlich wirksame DNA-Reparaturmechanismen und sind daher extrem resistent gegenüber ionisierender Strahlung.

7.11.5 Chemische Mittel Zur Sterilisation von Nahrungsmitteln, Pharmaka, Geräten und Apparaten sowie in der Laborpraxis hat sich Ethylenoxid (Oxiran, ▶ Abb. 7.18) bewährt. Es tötet sowohl vegetative Zellen als auch Sporen ab, wirkt jedoch nur in Gegenwart von Wasser (5–15 % Wassergehalt). Es wird im Gemisch mit Stickstoff oder Kohlendioxid in Gasform (2–50 % Ethylenoxid) angewandt. Zur Schonung thermolabiler Substanzen in Nährlösungen ist die Sterilisation mit β-Propiolacton (Propan-3olid; ▶ Abb. 7.18) eingeführt worden. Es ist viel wirksamer als Ethylenoxid, soll aber beträchtliche carcinogene und andere Nebenwirkungen haben. Es wird der fertigen Nährlösung zu 0,2 % zugesetzt und dann für 120 min bei 37 °C inkubiert. Lässt man die Nährlösung über Nacht stehen, so wird das Propiolacton vollständig zersetzt. Koh-

O O O Ethylenoxid

O β-Propiolacton

H5C2O

O O

OC2H5

Diethyldicarbonat

Abb. 7.18 Strukturformeln einiger chemischer Sterilisationsmittel.

250

7.12 Konservierungsverfahren lenhydrate werden nicht angegriffen. Alternativ kann zur Sterilisation Wasserstoffperoxid zugesetzt werden, das man nach hinreichender Einwirkungszeit durch (filtersterilisierte) Katalase wieder abbaut. Getränke lassen sich auch mit Diethyldicarbonat (0,003–0,02 %; ▶ Abb. 7.18) sterilisieren. Zum Reinigen und zur Entkeimung von Glasgefäßen genügt meistens schon das Waschen mit in warmem Wasser gelösten Detergenzien, darunter SDS (Natriumdodecylsulfat) und andere im Haushalt gebräuchliche Spülmittel. Arbeitsflächen im Labor werden am einfachsten mit 70 %igem Ethanol abgewischt. Für eine gründliche Oberflächensterilisation, wie sie vor allem in Kliniken gefordert wird, werden handelsübliche Präparate benutzt, die neben Alkoholen Detergenzien und Phenole als Wirksubstanzen enthalten. Zur sterilen Aufzucht von Pflanzen müssen die Samen vor dem Keimen sterilisiert werden (Methode 7.3).

Methode 7.3 Sterile Aufzucht von Pflanzen

d ●

Samen, die zur Aufzucht von sterilen Pflanzen eingesetzt werden sollen, werden am besten mit herkömmlichen mikrobiziden Agenzien wie Bromwasser (1 %), Sublimat (HgCl2, 1 % in Ethanol), AgNO3 (0,05 %), Calciumhypochlorit (1 % Cl2-Äquivalent), Uspulun (ein organisches Quecksilberpräparat) u. a. bei Einwirkungszeiten von 5–30 min äußerlich sterilisiert. Damit die Samenoberfläche von diesen Mitteln vollständig benetzt wird, muss sie vorher mit Seifen oder anderen oberflächenaktiven Agenzien behandelt werden.

7.12 Konservierungsverfahren Organische Materialien unterliegen dem mikrobiellen Abbau, wenn sie nicht durch geeignete Mittel oder Bedingungen vor der Vermehrung und Einwirkung von Mikroorganismen geschützt werden. Zur Erhaltung oder Konservierung der organischen Stoffe sind verschiedene Maßnahmen geeignet. Die größte Bedeutung haben Konservierungsverfahren zum Schutz von Lebens- und Nahrungsmitteln (Plus 7.11). Mit diesbezüglichen Fragen beschäftigt sich die Lebensmittelmikrobiologie.

7.12.1 Physikalische Konservierungsverfahren Über die Vollentkeimung oder Sterilisation durch Hitze wurde oben schon berichtet. Konservendosen sind in den meisten Fällen autoklaviert. Saure Obstsäfte sind auch haltbar, wenn man sie nur pasteurisiert und lediglich die vegetativen Zellen abgetötet hat, die Sporen aber noch

Plus 7.11 Mikrobielle Toxine

●V

Nahrungsmittel werden für den menschlichen Genuss nicht nur dadurch verdorben, dass sie von Mikroorganismen zersetzt und abgebaut werden (aerobe Verwesung oder anaerobe Fäulnis), sondern auch durch die Bildung von Toxinen durch Bakterien und Pilze. Die wichtigsten Toxinproduzenten in Nahrungsmitteln sind Clostridium botulinum und Staphylococcus-Arten. Ersteres bildet ein auch in geringen Mengen hoch toxisches Exotoxin, das auf das Nervensystem wirkt und Lähmungen verursacht. Botulinumtoxin ist tatsächlich das wirksamste Gift, das uns bekannt ist (letale Dosis 30 pg kg–1; vgl. KCN 200 μg kg–1!). Staphylokokken bilden ein Enterotoxin, das für die Nahrungsmittelvergiftung verantwortlich ist. Es wirkt hauptsächlich auf das Darmepithel und führt zu Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und kolikartigen Bauchschmerzen. Einige Pilze produzieren Mykotoxine, von denen das Aflatoxin (von Aspergillus flavus gebildet) am bekanntesten ist. Sie haben eine kanzerogene Wirkung.

keimfähig sind; die Endosporen der Bakterien vermögen im sauren Milieu nicht zu keimen. Eine Entkeimungsfiltration durch feinporige Schichtenfilter auf Cellulosebasis wendet man zur Sterilisation von Obstsäften, Mineralwasser und Therapeutika (Infusionslösungen usw.) an. Das weitverbreitete Verfahren der Trocknung von Lebensmitteln macht von der Tatsache Gebrauch, dass das Wachstum der Mikroorganismen einen gewissen Wassergehalt (im Allgemeinen über 10 % Wasser) erfordert. Haferflocken, Dörrobst, Heu und Silogetreide verdanken ihre Haltbarkeit nur ihrem Trockenzustand und werden rasch von Pilzen und Bakterien verdorben, wenn sie Wasser aufgenommen haben. Die Möglichkeit der Strahlenbehandlung von Lebensmitteln ist noch beschränkt. Ultraviolettbestrahlung wird vorwiegend zur Raumluftentkeimung in Molkereien, Kühlhäusern, Großbäckereien und auf sterilen Laborbänken benutzt. Selten werden Lebensmittel mit ionisierenden Strahlen behandelt, obwohl die Unbedenklichkeit der Behandlung mit γ-Strahlen vielfach überprüft und nachgewiesen worden ist. Bei den geringen Strahlendosen, die zur Abtötung von Mikroorganismen führen, treten keine merklichen Veränderungen im Sterilisationsgut auf. Ein sicheres und auch im Privathaushalt dem Einwecktopf längst überlegenes Verfahren ist die Lagerung bei tiefen Temperaturen. In Tiefkühltruhen und Kühlhäusern wird das Gefriergut bei Temperaturen von ca. –20 °C gehalten. Die Lagerung von Lebensmitteln bei diesen Temperaturen führt weder zu einer nennenswerten Verminderung der Lebensfähigkeit der Mikroorganismen noch zur Zerstörung ihrer Toxine; das Wachstum wird aber

1

7.12 Konservierungsverfahren lenhydrate werden nicht angegriffen. Alternativ kann zur Sterilisation Wasserstoffperoxid zugesetzt werden, das man nach hinreichender Einwirkungszeit durch (filtersterilisierte) Katalase wieder abbaut. Getränke lassen sich auch mit Diethyldicarbonat (0,003–0,02 %; ▶ Abb. 7.18) sterilisieren. Zum Reinigen und zur Entkeimung von Glasgefäßen genügt meistens schon das Waschen mit in warmem Wasser gelösten Detergenzien, darunter SDS (Natriumdodecylsulfat) und andere im Haushalt gebräuchliche Spülmittel. Arbeitsflächen im Labor werden am einfachsten mit 70 %igem Ethanol abgewischt. Für eine gründliche Oberflächensterilisation, wie sie vor allem in Kliniken gefordert wird, werden handelsübliche Präparate benutzt, die neben Alkoholen Detergenzien und Phenole als Wirksubstanzen enthalten. Zur sterilen Aufzucht von Pflanzen müssen die Samen vor dem Keimen sterilisiert werden (Methode 7.3).

Methode 7.3 Sterile Aufzucht von Pflanzen

d ●

Samen, die zur Aufzucht von sterilen Pflanzen eingesetzt werden sollen, werden am besten mit herkömmlichen mikrobiziden Agenzien wie Bromwasser (1 %), Sublimat (HgCl2, 1 % in Ethanol), AgNO3 (0,05 %), Calciumhypochlorit (1 % Cl2-Äquivalent), Uspulun (ein organisches Quecksilberpräparat) u. a. bei Einwirkungszeiten von 5–30 min äußerlich sterilisiert. Damit die Samenoberfläche von diesen Mitteln vollständig benetzt wird, muss sie vorher mit Seifen oder anderen oberflächenaktiven Agenzien behandelt werden.

7.12 Konservierungsverfahren Organische Materialien unterliegen dem mikrobiellen Abbau, wenn sie nicht durch geeignete Mittel oder Bedingungen vor der Vermehrung und Einwirkung von Mikroorganismen geschützt werden. Zur Erhaltung oder Konservierung der organischen Stoffe sind verschiedene Maßnahmen geeignet. Die größte Bedeutung haben Konservierungsverfahren zum Schutz von Lebens- und Nahrungsmitteln (Plus 7.11). Mit diesbezüglichen Fragen beschäftigt sich die Lebensmittelmikrobiologie.

7.12.1 Physikalische Konservierungsverfahren Über die Vollentkeimung oder Sterilisation durch Hitze wurde oben schon berichtet. Konservendosen sind in den meisten Fällen autoklaviert. Saure Obstsäfte sind auch haltbar, wenn man sie nur pasteurisiert und lediglich die vegetativen Zellen abgetötet hat, die Sporen aber noch

Plus 7.11 Mikrobielle Toxine

●V

Nahrungsmittel werden für den menschlichen Genuss nicht nur dadurch verdorben, dass sie von Mikroorganismen zersetzt und abgebaut werden (aerobe Verwesung oder anaerobe Fäulnis), sondern auch durch die Bildung von Toxinen durch Bakterien und Pilze. Die wichtigsten Toxinproduzenten in Nahrungsmitteln sind Clostridium botulinum und Staphylococcus-Arten. Ersteres bildet ein auch in geringen Mengen hoch toxisches Exotoxin, das auf das Nervensystem wirkt und Lähmungen verursacht. Botulinumtoxin ist tatsächlich das wirksamste Gift, das uns bekannt ist (letale Dosis 30 pg kg–1; vgl. KCN 200 μg kg–1!). Staphylokokken bilden ein Enterotoxin, das für die Nahrungsmittelvergiftung verantwortlich ist. Es wirkt hauptsächlich auf das Darmepithel und führt zu Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und kolikartigen Bauchschmerzen. Einige Pilze produzieren Mykotoxine, von denen das Aflatoxin (von Aspergillus flavus gebildet) am bekanntesten ist. Sie haben eine kanzerogene Wirkung.

keimfähig sind; die Endosporen der Bakterien vermögen im sauren Milieu nicht zu keimen. Eine Entkeimungsfiltration durch feinporige Schichtenfilter auf Cellulosebasis wendet man zur Sterilisation von Obstsäften, Mineralwasser und Therapeutika (Infusionslösungen usw.) an. Das weitverbreitete Verfahren der Trocknung von Lebensmitteln macht von der Tatsache Gebrauch, dass das Wachstum der Mikroorganismen einen gewissen Wassergehalt (im Allgemeinen über 10 % Wasser) erfordert. Haferflocken, Dörrobst, Heu und Silogetreide verdanken ihre Haltbarkeit nur ihrem Trockenzustand und werden rasch von Pilzen und Bakterien verdorben, wenn sie Wasser aufgenommen haben. Die Möglichkeit der Strahlenbehandlung von Lebensmitteln ist noch beschränkt. Ultraviolettbestrahlung wird vorwiegend zur Raumluftentkeimung in Molkereien, Kühlhäusern, Großbäckereien und auf sterilen Laborbänken benutzt. Selten werden Lebensmittel mit ionisierenden Strahlen behandelt, obwohl die Unbedenklichkeit der Behandlung mit γ-Strahlen vielfach überprüft und nachgewiesen worden ist. Bei den geringen Strahlendosen, die zur Abtötung von Mikroorganismen führen, treten keine merklichen Veränderungen im Sterilisationsgut auf. Ein sicheres und auch im Privathaushalt dem Einwecktopf längst überlegenes Verfahren ist die Lagerung bei tiefen Temperaturen. In Tiefkühltruhen und Kühlhäusern wird das Gefriergut bei Temperaturen von ca. –20 °C gehalten. Die Lagerung von Lebensmitteln bei diesen Temperaturen führt weder zu einer nennenswerten Verminderung der Lebensfähigkeit der Mikroorganismen noch zur Zerstörung ihrer Toxine; das Wachstum wird aber

1

Wachstum und Ernährung der Mikroorganismen völlig unterbunden. Auch psychrophile Bakterien vermögen unterhalb von –12 °C nicht mehr zu wachsen.

7.12.2 Chemische Konservierungsverfahren Die Konservierung durch Säuerung nutzt den Umstand, dass bei niederem pH unter Luftabschluss nur wenige Mikroorganismen zu wachsen vermögen. Zu ihrer Abtötung ist das Pasteurisieren ausreichend; hitzeresistente Sporen keimen bei pH-Werten unter pH = 4,0 nicht aus. Sauerkraut, Silage, sauren Gurken und Rohwurst (Salami, Cervelatwurst) werden durch natürliche Ansäuerung im Zuge einer Milchsäuregärung haltbar gemacht. In vielen Fällen werden Essigsäure, Milchsäure, Weinsäure oder Zitronensäure zugesetzt. Gesäuerte, nichtpasteurisierte Lebensmittel werden bei Luftzutritt durch Hefen und andere Pilze zersetzt. Der Zusatz von Propionsäure zu Brot wirkt ebenfalls unspezifisch bakteriostatisch; überdies kann die Propionsäure spezifisch den Energiestoffwechsel von Pilzen hemmen. Auch Sorbinsäure, Benzoesäure oder Ameisensäure dienen der Lebensmittelkonservierung (▶ Abb. 7.19). Zitrusfrüchte werden oberflächlich mit Biphenyl oder o-Phenylphenol behandelt. Schließlich sucht man das Mikrobenwachstum auch durch Applikation von Antibiotika einzuschränken, was jedoch wegen der Gefahr vermehrter Resistenzbildungen nicht ratsam ist. Fleisch- und Fischprodukte werden durch Räuchern haltbar gemacht. Dabei wird der Wassergehalt des Räucherguts vermindert und es können antimikrobiell wirkende Substanzen wie Phenole, Kresole, Aldehyde, Essigsäure und Ameisensäure eindringen. Beim Salzen legt man die Lebensmittel in 14–25 %ige Kochsalzlösungen ein. Dadurch wird ihnen das Wasser entzogen und das Wachstum verderbniserregender Mikroorganismen unterdrückt; nur einige hygienisch unbedenkliche halophile Bakterien können sich dabei vermehren. Zucker wirkt in hohen Konzentrationen (etwa 50 % Saccharose) wachstumshemmend. Die Haltbarkeit von Marmeladen und Siruparten beruht in erster Linie auf ihrem Säure- und Zuckergehalt. Früchte können durch Kandierung in Zuckersirup vor dem mikrobiellen Abbau geschützt werden.

O

Eine Reihe von Lebensmitteln kann nur durch chemische Konservierungsstoffe haltbar gemacht werden. Wein verdankte seine Haltbarkeit seinem Säure- und Alkoholgehalt (2–3,5 M Ethanol!); gelegentlich setzt man zur Stabilisierung schweflige Säure oder Kaliumdisulfit (K2S2O5) zu (Schwefelung). Wein und Obstsäfte kann man, wenn überhaupt notwendig, auch durch Zusatz von Diethyldicarbonat (▶ Abb. 7.18) konservieren. Zur Stabilisierung des Bieres tragen neben dem Säure- und Alkoholgehalt die Extraktivstoffe des Hopfens bei.

7.13 Kulturerhaltung Der Erhalt von neuisolierten Reinkulturen ist nicht nur für das jeweils mit ihnen befasste Labor notwendig. Nach ihrer Beschreibung in einer diesbezüglich anerkannten wissenschaftlichen Zeitschrift müssen Reinkulturen von Mikroorganismen in öffentlich zugänglichen Mikroorganismensammlungen (Mikrobenbanken) hinterlegt werden, um beobachtete Leistungen durch andere Labors verifizieren lassen zu können. Auch Stämme, deren Eigenschaften und Leistungen einem Patentschutz unterliegen, müssen aus nahe liegenden Gründen langfristig zugänglich bleiben.

7.13.1 Dauerkulturen Die regelmäßige Übertragung wachsender Kulturen auf Folgekulturen ist mühselig und birgt das ständige Risiko von Kontaminationen in sich. Außerdem führen mutative Veränderungen und Selektionierung durch die Kulturbedingungen sukzessive auch zu einer Veränderung der Kultur. Deshalb werden Mikroorganismen in Dauerkulturen konserviert. Am einfachsten ist die Dauerkonservierung bei sporenbildenden Bakterien. Die Sporenbildung kann durch Mangansalze oder Bodenextrakt gefördert werden. Auch Zusatz von sterilisiertem Erdboden zu wachsenden Zellen von Sporenbildnern fördert die Sporenbildung. Ein solches Präparat kann in trockenem Zustand über viele Jahrzehnte gelagert werden. Nichtsporenbildende Mikroorganismen können durch Einfrieren konserviert werden. Da Makromoleküle wie die DNA beim Einfrieren durch strukturelle Veränderung der sie umgebenden Wasserhülle geschädigt werden, setzt man dem Einfriermedium Substanzen zu, die die

OH

O

OH

CH3

OH Sorbinsäure

Benzoesäure

Biphenyl

Abb. 7.19 Strukturformeln von einigen chemischen Konservierungsmitteln.

252

OH

o-Phenylphenol

Kresol

Wachstum und Ernährung der Mikroorganismen völlig unterbunden. Auch psychrophile Bakterien vermögen unterhalb von –12 °C nicht mehr zu wachsen.

7.12.2 Chemische Konservierungsverfahren Die Konservierung durch Säuerung nutzt den Umstand, dass bei niederem pH unter Luftabschluss nur wenige Mikroorganismen zu wachsen vermögen. Zu ihrer Abtötung ist das Pasteurisieren ausreichend; hitzeresistente Sporen keimen bei pH-Werten unter pH = 4,0 nicht aus. Sauerkraut, Silage, sauren Gurken und Rohwurst (Salami, Cervelatwurst) werden durch natürliche Ansäuerung im Zuge einer Milchsäuregärung haltbar gemacht. In vielen Fällen werden Essigsäure, Milchsäure, Weinsäure oder Zitronensäure zugesetzt. Gesäuerte, nichtpasteurisierte Lebensmittel werden bei Luftzutritt durch Hefen und andere Pilze zersetzt. Der Zusatz von Propionsäure zu Brot wirkt ebenfalls unspezifisch bakteriostatisch; überdies kann die Propionsäure spezifisch den Energiestoffwechsel von Pilzen hemmen. Auch Sorbinsäure, Benzoesäure oder Ameisensäure dienen der Lebensmittelkonservierung (▶ Abb. 7.19). Zitrusfrüchte werden oberflächlich mit Biphenyl oder o-Phenylphenol behandelt. Schließlich sucht man das Mikrobenwachstum auch durch Applikation von Antibiotika einzuschränken, was jedoch wegen der Gefahr vermehrter Resistenzbildungen nicht ratsam ist. Fleisch- und Fischprodukte werden durch Räuchern haltbar gemacht. Dabei wird der Wassergehalt des Räucherguts vermindert und es können antimikrobiell wirkende Substanzen wie Phenole, Kresole, Aldehyde, Essigsäure und Ameisensäure eindringen. Beim Salzen legt man die Lebensmittel in 14–25 %ige Kochsalzlösungen ein. Dadurch wird ihnen das Wasser entzogen und das Wachstum verderbniserregender Mikroorganismen unterdrückt; nur einige hygienisch unbedenkliche halophile Bakterien können sich dabei vermehren. Zucker wirkt in hohen Konzentrationen (etwa 50 % Saccharose) wachstumshemmend. Die Haltbarkeit von Marmeladen und Siruparten beruht in erster Linie auf ihrem Säure- und Zuckergehalt. Früchte können durch Kandierung in Zuckersirup vor dem mikrobiellen Abbau geschützt werden.

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Eine Reihe von Lebensmitteln kann nur durch chemische Konservierungsstoffe haltbar gemacht werden. Wein verdankte seine Haltbarkeit seinem Säure- und Alkoholgehalt (2–3,5 M Ethanol!); gelegentlich setzt man zur Stabilisierung schweflige Säure oder Kaliumdisulfit (K2S2O5) zu (Schwefelung). Wein und Obstsäfte kann man, wenn überhaupt notwendig, auch durch Zusatz von Diethyldicarbonat (▶ Abb. 7.18) konservieren. Zur Stabilisierung des Bieres tragen neben dem Säure- und Alkoholgehalt die Extraktivstoffe des Hopfens bei.

7.13 Kulturerhaltung Der Erhalt von neuisolierten Reinkulturen ist nicht nur für das jeweils mit ihnen befasste Labor notwendig. Nach ihrer Beschreibung in einer diesbezüglich anerkannten wissenschaftlichen Zeitschrift müssen Reinkulturen von Mikroorganismen in öffentlich zugänglichen Mikroorganismensammlungen (Mikrobenbanken) hinterlegt werden, um beobachtete Leistungen durch andere Labors verifizieren lassen zu können. Auch Stämme, deren Eigenschaften und Leistungen einem Patentschutz unterliegen, müssen aus nahe liegenden Gründen langfristig zugänglich bleiben.

7.13.1 Dauerkulturen Die regelmäßige Übertragung wachsender Kulturen auf Folgekulturen ist mühselig und birgt das ständige Risiko von Kontaminationen in sich. Außerdem führen mutative Veränderungen und Selektionierung durch die Kulturbedingungen sukzessive auch zu einer Veränderung der Kultur. Deshalb werden Mikroorganismen in Dauerkulturen konserviert. Am einfachsten ist die Dauerkonservierung bei sporenbildenden Bakterien. Die Sporenbildung kann durch Mangansalze oder Bodenextrakt gefördert werden. Auch Zusatz von sterilisiertem Erdboden zu wachsenden Zellen von Sporenbildnern fördert die Sporenbildung. Ein solches Präparat kann in trockenem Zustand über viele Jahrzehnte gelagert werden. Nichtsporenbildende Mikroorganismen können durch Einfrieren konserviert werden. Da Makromoleküle wie die DNA beim Einfrieren durch strukturelle Veränderung der sie umgebenden Wasserhülle geschädigt werden, setzt man dem Einfriermedium Substanzen zu, die die

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OH Sorbinsäure

Benzoesäure

Biphenyl

Abb. 7.19 Strukturformeln von einigen chemischen Konservierungsmitteln.

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o-Phenylphenol

Kresol

7.14 Mikrobiologische Diagnostik Wasserstruktur stabilisieren, z. B. 10–20 % Glycerin, 5–10 % Dimethylsulfoxid oder 20–30 % Zucker. Anschließend kann man die Kultur im Tiefgefrierschrank bei –80 ° C oder in flüssigem Stickstoff bei –196 °C einfrieren. Auch eine Gefriertrocknung ist möglich; in diesem Fall nimmt man die Zellen zuvor in Magermilch oder Pferdeserum (bei medizinisch bedeutsamen Stämmen) auf. Bei der Gefrierkonservierung ist besonders das Einfrieren und Auftauen der Mikroorganismen kritisch. Große Teile der Kultur verlieren hierdurch ihre Lebensfähigkeit. Deshalb friert man jeweils dichte Suspensionen ein, damit genügend Zellen überleben, die zu einer Folgekultur anwachsen können.

7.13.2 Lebendkulturen Nicht alle Mikroorganismen lassen sich in der genannten Weise auf Dauer konservieren; vor allem Bakterien, die ein kompliziertes Gefüge zellinterner Membranen aufweisen (z. B. phototrophe Bakterien), überleben diesen Vorgang schlecht. In solchen Fällen bleibt nur die regelmäßige Übertragung von Lebendkulturen und die Lagerung im Kühlschrank. Hyperthermophile Bakterien und Archaebakterien können bei Zimmertemperatur gelagert werden. Es empfiehlt sich, die Kulturen vorher bei suboptimaler Temperatur anwachsen zu lassen und sie das angebotene Substrat nicht vollständig verwerten zu lassen. Zellen auf und in Agarkulturen (sog. Stichkulturen) bleiben länger lebensfähig als in Flüssigkulturen, weil sie sich dort auch nach dem Auswachsen noch über längere Zeit von langsam zudiffundierendem Substrat ernähren können. Außerdem werden auf Festmedien lytische Enzyme aus einzelnen lysierenden Zellen nicht gleich für die gesamte Kultur, sondern nur für einzelne Kolonien zum Verhängnis.

7.14 Mikrobiologische Diagnostik Eine wichtige Aufgabe des Mikrobiologen ist die Identifizierung von Mikroorganismen aus der Natur oder aus klinischem Material; sie wird vor allem in klinisch-diagnostischen Labors in großem Umfang betrieben. Zur Identifizierung sind zahlreiche Tests erforderlich, die nur in ihrer Gesamtheit eine eindeutige Einordnung eines Neuisolats bzw. eines klinisch relevanten Keims erlauben. Naturgemäß ist der Aufwand für die Identifizierung eines Neuisolats mit neuen, ungewöhnlichen Eigenschaften und seine Einordnung in das bestehende taxonomische System wesentlich größer als die Identifizierung eines prinzipiell bekannten Bakteriums im klinischen Routinelabor. Dafür müssen zumeist nur wenige Eigenschaften geprüft werden.

7.14.1 Klassische Techniken Für die Identifizierung nach klassichen Techniken muss eine Reinkultur vorliegen. Hierzu werden Wachstumstests auf nichtselektiven Nährböden durchgeführt. Die gewachsenen Kolonien werden sowohl visuell geprüft als auch hinsichtlich der Zellform, Sporenbildung usw. mikroskopisch kontrolliert. Zellformen variieren gelegentlich abhängig vom jeweils verwerteten Substrat und von der Wachstumsphase; hierbei ist die Zellbreite typischerweise wenig beeinflusst, während die Zelllänge durchaus veränderlich ist (vgl. Methode 7.4).

Methode 7.4 Die klassische Bakteriendiagnostik

d ●

Die klassische, kultivierungsbasierte Identifizierung von Mikroorganismen hat den Vorteil, dass sie den jeweilig angezüchteten Keim auch für weitere Untersuchungen zur näheren Spezifizierung verfügbar macht. Nachteil dieser amtlich vorgeschriebenen Techniken ist die vergleichsweise lange Zeitdauer von mehreren Tagen, die mit dem Anwachsen der Bakterien und der Durchführung der Differenzierungstests verbunden ist. Die Zuordnung zum Gram-Typ geschieht über die klassische Gram-Färbung (S. 144), die immer im unmittelbaren Vergleich mit einem gramnegativen und einem grampositiven Kontrollorganismus durchgeführt werden muss. Sie kann aber auch durch Behandlung einer Kolonie mit 3 % KOH-Lösung erfolgen. Bei gramnegativen Zellen tritt nach dieser Behandlung die DNA aus und lässt sich mit einer Impföse als fädig-viskoser Schleim sichtbar machen, während bei grampositiven keine solche Schleimbildung zu beobachten ist. Die endgültige Zuordnung zu den gramnegativen oder grampositiven Bakterien ist gelegentlich erst nach der elektronenoptischen Untersuchung eines Ultradünnschnitts der Zellwand möglich. Weitere morphologische Kriterien sind eventuelle Sporenbildung oder Geißeln, die durch Präzipitation von Tanninen oder Schwermetallen (Silber- oder Quecksilbersalze) angefärbt werden können. In der Routinediagnostik im medizinisch-klinischen Labor richtet sich das Interesse auf einen relativ kleinen Kreis klinisch relevanter Organismen, die zumeist mithilfe weniger Tests hinreichend sicher identifiziert werden können. Hierzu zählen vor allem diverse Färbetechniken sowie die Analyse des Spektrums der genutzten Substrate, die heute auf Standardnährböden weitgehend automatisiert durchgeführt werden kann (z. B. BIOLOG-System). Die Verwertung verschiedener Substrate wird durch sogenannte chromogene Substrate einfach nachgewiesen. Dies sind z. B. Zucker, die an einen o-Nitrophenylrest gekoppelt sind. Bei der Hydrolyse wird das farbige Nitrophenol freigesetzt und liefert damit einen Indikator für die Substratverwertung.

3

7.14 Mikrobiologische Diagnostik Wasserstruktur stabilisieren, z. B. 10–20 % Glycerin, 5–10 % Dimethylsulfoxid oder 20–30 % Zucker. Anschließend kann man die Kultur im Tiefgefrierschrank bei –80 ° C oder in flüssigem Stickstoff bei –196 °C einfrieren. Auch eine Gefriertrocknung ist möglich; in diesem Fall nimmt man die Zellen zuvor in Magermilch oder Pferdeserum (bei medizinisch bedeutsamen Stämmen) auf. Bei der Gefrierkonservierung ist besonders das Einfrieren und Auftauen der Mikroorganismen kritisch. Große Teile der Kultur verlieren hierdurch ihre Lebensfähigkeit. Deshalb friert man jeweils dichte Suspensionen ein, damit genügend Zellen überleben, die zu einer Folgekultur anwachsen können.

7.13.2 Lebendkulturen Nicht alle Mikroorganismen lassen sich in der genannten Weise auf Dauer konservieren; vor allem Bakterien, die ein kompliziertes Gefüge zellinterner Membranen aufweisen (z. B. phototrophe Bakterien), überleben diesen Vorgang schlecht. In solchen Fällen bleibt nur die regelmäßige Übertragung von Lebendkulturen und die Lagerung im Kühlschrank. Hyperthermophile Bakterien und Archaebakterien können bei Zimmertemperatur gelagert werden. Es empfiehlt sich, die Kulturen vorher bei suboptimaler Temperatur anwachsen zu lassen und sie das angebotene Substrat nicht vollständig verwerten zu lassen. Zellen auf und in Agarkulturen (sog. Stichkulturen) bleiben länger lebensfähig als in Flüssigkulturen, weil sie sich dort auch nach dem Auswachsen noch über längere Zeit von langsam zudiffundierendem Substrat ernähren können. Außerdem werden auf Festmedien lytische Enzyme aus einzelnen lysierenden Zellen nicht gleich für die gesamte Kultur, sondern nur für einzelne Kolonien zum Verhängnis.

7.14 Mikrobiologische Diagnostik Eine wichtige Aufgabe des Mikrobiologen ist die Identifizierung von Mikroorganismen aus der Natur oder aus klinischem Material; sie wird vor allem in klinisch-diagnostischen Labors in großem Umfang betrieben. Zur Identifizierung sind zahlreiche Tests erforderlich, die nur in ihrer Gesamtheit eine eindeutige Einordnung eines Neuisolats bzw. eines klinisch relevanten Keims erlauben. Naturgemäß ist der Aufwand für die Identifizierung eines Neuisolats mit neuen, ungewöhnlichen Eigenschaften und seine Einordnung in das bestehende taxonomische System wesentlich größer als die Identifizierung eines prinzipiell bekannten Bakteriums im klinischen Routinelabor. Dafür müssen zumeist nur wenige Eigenschaften geprüft werden.

7.14.1 Klassische Techniken Für die Identifizierung nach klassichen Techniken muss eine Reinkultur vorliegen. Hierzu werden Wachstumstests auf nichtselektiven Nährböden durchgeführt. Die gewachsenen Kolonien werden sowohl visuell geprüft als auch hinsichtlich der Zellform, Sporenbildung usw. mikroskopisch kontrolliert. Zellformen variieren gelegentlich abhängig vom jeweils verwerteten Substrat und von der Wachstumsphase; hierbei ist die Zellbreite typischerweise wenig beeinflusst, während die Zelllänge durchaus veränderlich ist (vgl. Methode 7.4).

Methode 7.4 Die klassische Bakteriendiagnostik

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Die klassische, kultivierungsbasierte Identifizierung von Mikroorganismen hat den Vorteil, dass sie den jeweilig angezüchteten Keim auch für weitere Untersuchungen zur näheren Spezifizierung verfügbar macht. Nachteil dieser amtlich vorgeschriebenen Techniken ist die vergleichsweise lange Zeitdauer von mehreren Tagen, die mit dem Anwachsen der Bakterien und der Durchführung der Differenzierungstests verbunden ist. Die Zuordnung zum Gram-Typ geschieht über die klassische Gram-Färbung (S. 144), die immer im unmittelbaren Vergleich mit einem gramnegativen und einem grampositiven Kontrollorganismus durchgeführt werden muss. Sie kann aber auch durch Behandlung einer Kolonie mit 3 % KOH-Lösung erfolgen. Bei gramnegativen Zellen tritt nach dieser Behandlung die DNA aus und lässt sich mit einer Impföse als fädig-viskoser Schleim sichtbar machen, während bei grampositiven keine solche Schleimbildung zu beobachten ist. Die endgültige Zuordnung zu den gramnegativen oder grampositiven Bakterien ist gelegentlich erst nach der elektronenoptischen Untersuchung eines Ultradünnschnitts der Zellwand möglich. Weitere morphologische Kriterien sind eventuelle Sporenbildung oder Geißeln, die durch Präzipitation von Tanninen oder Schwermetallen (Silber- oder Quecksilbersalze) angefärbt werden können. In der Routinediagnostik im medizinisch-klinischen Labor richtet sich das Interesse auf einen relativ kleinen Kreis klinisch relevanter Organismen, die zumeist mithilfe weniger Tests hinreichend sicher identifiziert werden können. Hierzu zählen vor allem diverse Färbetechniken sowie die Analyse des Spektrums der genutzten Substrate, die heute auf Standardnährböden weitgehend automatisiert durchgeführt werden kann (z. B. BIOLOG-System). Die Verwertung verschiedener Substrate wird durch sogenannte chromogene Substrate einfach nachgewiesen. Dies sind z. B. Zucker, die an einen o-Nitrophenylrest gekoppelt sind. Bei der Hydrolyse wird das farbige Nitrophenol freigesetzt und liefert damit einen Indikator für die Substratverwertung.

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Wachstum und Ernährung der Mikroorganismen Einzelne Bakterien können gegenüber anderen mit spezifischen Indikatornährmedien differenziert werden; dies wird am Beispiel der Differenzierung von E. coli als Fäkalindikator gegenüber anderen Enterobakterien ausführlich in Kapitel 13 dargestellt. Diese Techniken setzen voraus, dass die jeweiligen Zielorganismen problemlos anwachsen und nicht z. B. durch vorhergehende Aushungerung oder zugesetzte Selektionssubstanzen beeinträchtigt sind. Im Einzelfall kann man sich auch das Verhalten gegenüber spezifischen Hemmstoffen zunutze machen. Viele Darmbakterien zeigen eine erhöhte Resistenz gegenüber Gallensäuren. Zum gezielten Nachweis solcher Bakterien werden daher den Medien Cholsäure, Deoxycholsäure oder andere Detergenzien (Brij 58, Tween usw.) zugesetzt. Corynebacterium diphtheriae weist man durch eine selektive Unterdrückung nach. Es wächst z. B. nicht auf Nährböden, die Tellurit enthalten. Als Kontrolle lässt man dieselbe Probe auf einem Nährboden ohne Tellurit wachsen. Auf dieselbe Weise kann man Enterobacteriaceae nachweisen, die auf Wismut-Agar nicht wachsen können. Immunologische Verfahren können im Einzelfall über die Oberflächenantigene (O- und H-Antigene) (S. 152) eine Identifizierung von möglichen Krankheitserregern über die Ebene der Arten hinaus möglich machen. Vor allem für klinisch relevante Stämme (Serovaren) der Gattung Salmonella wurde ein immunologisches System zur Identifizierung aufgebaut (Kaufmann-White-Schema), das in kurzer Zeit eine Differenzierung zwischen mehr als 2000 verschiedenen Stämmen und damit auch eine evtl. Identifizierung der Infektionsquelle möglich macht. Ein weiteres System zur Identifizierung stützt sich auf die unterschiedlichen Muster von Lipidfettsäuren, die von verschiedenen Organismen gebildet werden. Dieses System wird routinemäßig von Firmen angeboten (FAME – engl. fatty acid methyl ester analysis), ist jedoch nicht für jede Organismengruppe geeignet und verlangt einen recht großen chemisch-analytischen Apparateaufwand. Überdies variiert die Zusammensetzung der Membranlipide mit den Wachstumsbedingungen, weshalb diese Technik sich am besten für die Identifizierung nach kontrollierter Laborkultivierung eignet. Die Charakterisierung des Stoffwechsels ist vor allem bei Neuisolaten mit ungewöhnlichen Eigenschaften von Interesse. Tests auf aerobes bzw. anaerobes Wachstum, die Reduktion von Nitrat, Sulfat, Thiosulfat, S0, Fumarat oder Eisen(III)salzen bzw. die Bildung von Gärprodukten erlauben eine erste Charakterisierung des Energiestoffwechsels. Bei aeroben Organismen ist in erster Linie das Muster der genutzten Substrate kennzeichnend; bei Anaerobiern, insbesondere bei Gärern, lässt das Muster der gebildeten Produkte Schlüsse auf die Wege des Substratabbaus zu. Das Muster der genutzten Substrate muss von Fall zu Fall im Vergleich mit anderen Organismen analysiert werden. Die physiologische Charakterisierung kann durch die Identifizierung spezifischer Elektronen-

254

carrier (Cytochrome, Chinone) vervollständigt werden. Eine gültige Beschreibung von phototrophen Bakterien erfordert die Charakterisierung der Bakteriochlorophylle und Carotinoide. Für die Beschreibung eines Neuisolats als neue Gattung oder Art muss auch der Guanin/Cytosin-(GC-)Gehalt der DNA angegeben werden. Überdies muss das Isolat in wenigstens zwei international zugänglichen Mikroorganismensammlungen hinterlegt werden.

7.14.2 Molekularbiologische Techniken Zu den etablierten klassischen Methoden sind in den letzten Jahren molekularbiologisch basierte Techniken (S. 607) getreten, die eine Identifizierung von Mikroorganismen aufgrund der DNA-Nukleotidsequenzen erlauben, die die 16S-ribosomale RNA codieren. Das auf diesen Sequenzen basierende Identifizierungssystem dient primär der Zuweisung von Neuisolaten zum System der bekannten taxonomischen Gruppierungen. Durch gezielten Vergleich jeweils hochvariabler Sequenzen der 16S-rRNA ist im Einzelfall eine Identifizierung bis auf die Ebene der Art möglich. Da diese Methoden eine sehr viel schnellere Identifizierung erlauben als die sich über mehrere Tage hinziehenden Wachstumstests (v. a. bei langsamwüchsigen Stämmen, z. B. Mycobacterium), haben sie sich schnell einen wichtigen Platz sowohl in der Grundlagenforschung als auch in der medizinischen Diagnostik erobert. Da auf Sequenzähnlichkeiten basierende Identifizierungen jedoch auch auf Zufallsidentitäten einzelner Sequenzbereiche beruhen können, müssen die Resultate jeweils durch andere Untersuchungstechniken abgesichert werden. Die Polymerasekettenreaktion (PCR) bietet die Möglichkeit, bestimmte DNA- oder RNA-Abschnitte spezifisch sogar aus einzelnen Zellen zu amplifizieren und nach einer Gelelektrophorese sichtbar zu machen. Die Identifizierung anhand der Sequenz ist hochsensitiv und hochspezifisch und deutlich schneller als die herkömmliche Kultivierung. Bei der Fluoreszenz-in situ-Hybridisierung (FISH) (S. 607) werden durch Hybridisierung mit fluoreszenzmarkierten DNA-Sonden ribosomale RNAs nachgewiesen. Allerdings ist diese Methode für den Nachweis von Pathogenen in Umweltproben nur begrenzt geeignet, da die Sensitivität in hohem Maße von der verfügbaren ribosomalen RNA abhängt, die ihrerseits nur in aktiv wachsenden Zellen in höherem Ausmaß vorhanden ist. Die Technik der Zukunft dürfte auch hier die DNA-Chip-Technologie sein, bei der PCR-vermehrte DNA mit einer trägergebundenen Ziel-DNA hybridisiert wird. Die Technik kann innerhalb weniger Stunden Resultate liefern, ist aber für die Anwendung auf breiter Ebene noch nicht ausgereift.

7.14 Mikrobiologische Diagnostik

Zusammenfassung ●







Die meisten bekannten Bakterienstämme wachsen schnell, mit Verdopplungszeiten von wenigen Stunden bis Tagen, und können oft auf einfachen, leicht zusammenzusetzenden Nährlösungen kultiviert werden. Nährlösungen für Bakterien enthalten neben den wesentlichen Makroelementen der Zellsubstanz (C, O, H, N, S, P, Mg, K, Ca, Fe) Spurenelemente, häufig auch Vitamine. Gelegentlich sind auch komplexe Nährlösungzusätze (Hefeextrakt, Pepton usw.) erforderlich. Durch gezielte Festlegung von Wachstumsbedingungen können bestimmte Bakterien selektiv aus Impfmaterialien aus der Natur angereichert und isoliert werden. Bakterien repräsentieren eine enorme Vielfalt verschiedener Stoffwechseltypen und können unter sehr vielen verschiedenen Bedingungen gezielt kultiviert werden, z. B. bei sehr niedrigen bis sehr hohen Temperaturen, in stark sauren, neutralen und alkalischen Medien, bei hoher und geringer Wasserverfügbarkeit, in Gegenwart oder Abwesenheit von Sauerstoff usw. Die Herstellung von Reinkulturen besteht in der Vereinzelung einzelner Zellen, aus denen dann eine genetisch homogene Population (ein Klon) hervorgehen kann.











M ●

Das Wachstum von Mikroorganismen lässt sich mithilfe einfacher mathematischer Gesetzmäßigkeiten exakt beschreiben. Zellertrag und Wachstumsgeschwindigkeit sind jeweils organismenspezifisch vom genutzten Substrat abhängig. Der Zellertrag gibt Auskunft über die im jeweiligen Umsatzprozess genutzte Menge ATP. Bei Wachstum im Chemostaten kann eine Bakterienkultur über lange Frist in einem stabilen Fließgleichgewicht bei limitierendem Substrat kultiviert werden. Zur Abtötung von Mikroorganismen können physikalische (feuchte Hitze, trockene Hitze, Bestrahlung) und chemische Methoden (Alkohol, Kresole, Phenole, Formaldehyd) eingesetzt werden. Zur Sterilisation von Nährlösungen werden feuchte Hitze und Sterilfiltration genutzt. Die meisten Mikroorganismen können als Trockenkultur oder durch Einfrieren auf lange Frist konserviert werden. Die mikrobiologische Diagnostik schließt neben klassischen Techniken der Zytologie, der Stoffwechselphysiologie und der DNA-Analyse heute vermehrt auch molekularbiologische Techniken (Sequenzierung der 16S-rRNA) ein.

Literatur zum Weiterlesen unter: www.thieme.de/literatur-fuchs

5

© beawolf – Fotolia

Kapitel 8 Zentrale Stoffwechselwege

8.1

Überblick

258

8.2

Grundmechanismen des Stoffwechsels und der Energieumwandlung

258

8.3

Allgemeines Prinzip des Stoffwechsels

263

8.4

Umwandlung von Energie

264

8.5

Wege des Hexoseabbaus

265

8.6

Oxidation von Pyruvat

271

8.7

Citratzyklus und alternative Wege

272

8.8

Elektronentransportphosphorylierung der Atmungskette

274

8.9

Eigenschaften und Funktionen von Sauerstoff

285

8.10

Verbindung zwischen Energiestoffwechsel und Biosynthese

287

Zentrale Stoffwechselwege

8 Zentrale Stoffwechselwege Georg Fuchs

8.1 Überblick In diesem Kapitel geht es darum, wie Mikroorganismen aus der Umwandlung der organischen Nährstoffe Energie gewinnen und dabei gleichzeitig die wichtigsten Vorstufen für die Biosynthese ihrer Zellbausteine bereitstellen. Diese beiden Prozesse sind untrennbar miteinander vernetzt und werden Zentralstoffwechsel genannt. Dieses Thema ist allen Organismen gemeinsam. Freilich sind Mikroorganismen „chemische Weltmeister“, die in ihrer Gesamtheit einen schier unerschöpflichen Schatz an biochemischen Reaktionen bieten. Sie können Energie auch aus anorganischen Verbindungen oder Licht gewinnen und Zellbausteine aus anorganischer Substanz aufbauen. Diese Aspekte sind Thema späterer Kapitel. Die Zelle gleicht einer Fabrik („Zellfabrik“), in deren Wareneingangsbereich nur wenige Rohstoffe (die Elemente in den einfachen Nährstoffen, oft in anorganischer Form) eintreffen. Aus diesen Rohstoffen wird nicht nur die Energie gewonnen, sondern von ihnen leitet sich auch die ganze Vielfalt der Biosyntheseprodukte ab. Nur wenige zentrale Stoffwechselwege verbinden den Abbau von Nährstoffen mit der Neusynthese von Bausteinen. Zuerst werden die Grundmechanismen des Energiestoffwechsels besprochen. Die Prinzipien, wie Bakterien bei der Atmung Energie konservieren, ähneln sehr den Mechanismen, die in den Mitochondrien der Eukaryonten ablaufen. Dies ist nicht verwunderlich, denn diese Organellen gehen auf endosymbiontisch lebende Bakterien zurück. Bei Prokaryonten gibt es allerdings zahlreiche Variationen des Abbaus der häufigsten Nährstoffe, der Zucker, bis zum CO2. Anschließend wird die Rolle des Sauerstoffs dargestellt, der nicht nur bei der Atmung eine wichtige Rolle spielt. Er ist auch ein wichtiges Signalmolekül und kann Zellbestandteile schädigen. Die Reaktionen auf Sauerstoff sind vielfältig, auch deshalb, weil viele Bakterien und Hefen auch ohne ihn zu leben vermögen. Zum Schluss wird die Verbindung zwischen Energiestoffwechsel und Biosynthese vorgestellt, also die zen-

Sonne

C6H12O6 + 6 H2O und andere organ. Verbindungen

[H]

Strahlungsenergie 12 H2O

O2-produzierende phototrophe Organismen

258

8.2 Grundmechanismen des Stoffwechsels und der Energieumwandlung Bei der Besprechung des Kohlenstoffkreislaufs (S. 39) wurden zwei gegenläufige Prozesse einander gegenübergestellt: Die Photosynthese, bei der Kohlendioxid fixiert und Sauerstoff freigesetzt wird, und die Mineralisation der organischen Substanz, bei der Sauerstoff verbraucht wird und Kohlendioxid entsteht. Bereits Julius Mayer (1848) formulierte: „Die Pflanzen nehmen eine Kraft, das Licht, auf und bringen eine Kraft hervor, die chemische Differenz“ („Kraft“ steht im Sinne von „Energie“). Durch Photosynthese wird die Strahlungsenergie der Sonne in chemische Energie umgewandelt. Dabei wird Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff gespalten und letzterer durch Bindung an Kohlenstoff (aus dem Kohlendioxid) überwiegend in Form von Kohlenhydraten stabilisiert (▶ Abb. 8.1). Pflanzen fixieren so die geschaffene Potenzialdifferenz zwischen Wasserstoff und Sauerstoff, die die Energiequelle für alle aerob atmenden, organotrophen Lebewesen ist. Diese lösen den Wasserstoff wieder aus seiner Kohlenstoffbindung und setzen ihn mit Sauerstoff in einer biochemischen Knallgasreaktion um. Bei dieser Oxidation des Wasserstoffs wird die freiwerdende Energie portionsweise in biochemische Energie umgewandelt. Zellen sind auf laufende Energiezufuhr angewiesen und nutzen die Nährstoffe ihrer Umgebung oder, in Notzeiten, die eigenen Speicherstoffe als Energiequellen. In der Zelle werden die Nährstoffe durch eine Reihe hintereinander geschalteter Enzymreaktionen über spezifische

Wärme

[H]

nutzbare biochemische Energie

6 CO2

6 O2

tralen Wege, die Abbau und Neusynthese miteinander verbinden. Diese gegenläufigen Prozesse müssen kunstvoll reguliert werden, sodass es nicht zum Leerlauf kommt. Die vielfältige Regulation des zentralen Stoffwechsels wird in Kapitel 16.5 und Kapitel 16.7 besprochen.

6 O2 organotrophe aerob atmende Organismen

12 H2O

Abb. 8.1 Photosynthese und Atmung sind gegenläufige Prozesse. Bei der Atmung wird die in der Photosynthese fixierte Energie in biochemisch nutzbare Energie umgewandelt.

Zentrale Stoffwechselwege

8 Zentrale Stoffwechselwege Georg Fuchs

8.1 Überblick In diesem Kapitel geht es darum, wie Mikroorganismen aus der Umwandlung der organischen Nährstoffe Energie gewinnen und dabei gleichzeitig die wichtigsten Vorstufen für die Biosynthese ihrer Zellbausteine bereitstellen. Diese beiden Prozesse sind untrennbar miteinander vernetzt und werden Zentralstoffwechsel genannt. Dieses Thema ist allen Organismen gemeinsam. Freilich sind Mikroorganismen „chemische Weltmeister“, die in ihrer Gesamtheit einen schier unerschöpflichen Schatz an biochemischen Reaktionen bieten. Sie können Energie auch aus anorganischen Verbindungen oder Licht gewinnen und Zellbausteine aus anorganischer Substanz aufbauen. Diese Aspekte sind Thema späterer Kapitel. Die Zelle gleicht einer Fabrik („Zellfabrik“), in deren Wareneingangsbereich nur wenige Rohstoffe (die Elemente in den einfachen Nährstoffen, oft in anorganischer Form) eintreffen. Aus diesen Rohstoffen wird nicht nur die Energie gewonnen, sondern von ihnen leitet sich auch die ganze Vielfalt der Biosyntheseprodukte ab. Nur wenige zentrale Stoffwechselwege verbinden den Abbau von Nährstoffen mit der Neusynthese von Bausteinen. Zuerst werden die Grundmechanismen des Energiestoffwechsels besprochen. Die Prinzipien, wie Bakterien bei der Atmung Energie konservieren, ähneln sehr den Mechanismen, die in den Mitochondrien der Eukaryonten ablaufen. Dies ist nicht verwunderlich, denn diese Organellen gehen auf endosymbiontisch lebende Bakterien zurück. Bei Prokaryonten gibt es allerdings zahlreiche Variationen des Abbaus der häufigsten Nährstoffe, der Zucker, bis zum CO2. Anschließend wird die Rolle des Sauerstoffs dargestellt, der nicht nur bei der Atmung eine wichtige Rolle spielt. Er ist auch ein wichtiges Signalmolekül und kann Zellbestandteile schädigen. Die Reaktionen auf Sauerstoff sind vielfältig, auch deshalb, weil viele Bakterien und Hefen auch ohne ihn zu leben vermögen. Zum Schluss wird die Verbindung zwischen Energiestoffwechsel und Biosynthese vorgestellt, also die zen-

Sonne

C6H12O6 + 6 H2O und andere organ. Verbindungen

[H]

Strahlungsenergie 12 H2O

O2-produzierende phototrophe Organismen

258

8.2 Grundmechanismen des Stoffwechsels und der Energieumwandlung Bei der Besprechung des Kohlenstoffkreislaufs (S. 39) wurden zwei gegenläufige Prozesse einander gegenübergestellt: Die Photosynthese, bei der Kohlendioxid fixiert und Sauerstoff freigesetzt wird, und die Mineralisation der organischen Substanz, bei der Sauerstoff verbraucht wird und Kohlendioxid entsteht. Bereits Julius Mayer (1848) formulierte: „Die Pflanzen nehmen eine Kraft, das Licht, auf und bringen eine Kraft hervor, die chemische Differenz“ („Kraft“ steht im Sinne von „Energie“). Durch Photosynthese wird die Strahlungsenergie der Sonne in chemische Energie umgewandelt. Dabei wird Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff gespalten und letzterer durch Bindung an Kohlenstoff (aus dem Kohlendioxid) überwiegend in Form von Kohlenhydraten stabilisiert (▶ Abb. 8.1). Pflanzen fixieren so die geschaffene Potenzialdifferenz zwischen Wasserstoff und Sauerstoff, die die Energiequelle für alle aerob atmenden, organotrophen Lebewesen ist. Diese lösen den Wasserstoff wieder aus seiner Kohlenstoffbindung und setzen ihn mit Sauerstoff in einer biochemischen Knallgasreaktion um. Bei dieser Oxidation des Wasserstoffs wird die freiwerdende Energie portionsweise in biochemische Energie umgewandelt. Zellen sind auf laufende Energiezufuhr angewiesen und nutzen die Nährstoffe ihrer Umgebung oder, in Notzeiten, die eigenen Speicherstoffe als Energiequellen. In der Zelle werden die Nährstoffe durch eine Reihe hintereinander geschalteter Enzymreaktionen über spezifische

Wärme

[H]

nutzbare biochemische Energie

6 CO2

6 O2

tralen Wege, die Abbau und Neusynthese miteinander verbinden. Diese gegenläufigen Prozesse müssen kunstvoll reguliert werden, sodass es nicht zum Leerlauf kommt. Die vielfältige Regulation des zentralen Stoffwechsels wird in Kapitel 16.5 und Kapitel 16.7 besprochen.

6 O2 organotrophe aerob atmende Organismen

12 H2O

Abb. 8.1 Photosynthese und Atmung sind gegenläufige Prozesse. Bei der Atmung wird die in der Photosynthese fixierte Energie in biochemisch nutzbare Energie umgewandelt.

8.2 Grundmechanismen des Stoffwechsels und der Energieumwandlung Stoffwechselwege umgesetzt. Diese Stoffwechselwege erfüllen eine weitere Funktion: Sie stellen die Vorstufen für die Zellbestandteile zur Verfügung. Man unterteilt den Stoffwechsel (Metabolismus) in drei Abschnitte: Katabolismus (Abbau), Amphibolismus (Intermediärstoffwechsel) und Anabolismus (Synthese von Bausteinen und Polymeren). Die drei Prozesse gehen nahtlos ineinander über. Die zentralen Stoffwechselwege sind in allen Organismen ähnlich (Plus 8.1).

Plus 8.1 Einheit in der Biochemie

●V

Das Prinzip der „Einheit in der Biochemie“ ist einer der Lehrsätze der modernen Biologie. Es bringt die Annahme zum Ausdruck, dass die Biochemie der Lebewesen prinzipiell gleich ist und sich auf ein Schema zurückführen lässt. Das Prinzip betrifft beispielsweise die Universalität ● der Zellbausteine einschließlich ihrer Stereochemie, ● von Adenosintriphosphat (ATP) als universeller Energieträger, ● des genetischen Codes, ● der Hauptstoffwechselwege. Es gibt nur wenige Bakteriengruppen, bei denen die Grundschemata modifiziert sind, einzelne Routen überwiegen und andere in verkürzter Form vorliegen oder verkümmert sind. Man kann annehmen, dass die Stoffwechselwege im Zuge der Evolution entstanden sind und dass sich der für die aeroben Organismen typische chemische Apparat erst ziemlich spät entwickelt hat, als Luftsauerstoff zur Verfügung stand.

8.2.1 Funktion der Enzyme Die Zwischenverbindungen des Stoffwechsels nennt man Metabolite (Plus 8.2). Für die Umwandlung eines jeden Metaboliten in einen anderen ist ein spezielles Enzym verantwortlich. Bei den Enzymen handelt es sich um Proteine, die die Funktion von Katalysatoren haben. Die wesentlichen Funktionseigenschaften eines Enzymproteins sind das Erkennen des betreffenden Metaboliten, die Katalyse und die Regulierbarkeit der katalytischen Aktivität.

●V

Plus 8.2 Negativ geladene Metabolite

Viele Zwischenverbindungen der Stoffwechselwege liegen im phosphorylierten Zustand, meist als Phosphorsäureester, vor. Die nichtphosphorylierten Zwischenverbindungen enthalten Carboxylgruppen oder ionisierbare basische Gruppen. Es scheint, als könnten nur diejenigen Metabolite von Enzymen umgesetzt werden, die eine ionisierte, fast immer negativ geladene Gruppe tragen. Daraus hat man abgeleitet, dass die Bindung von negativ geladenen Metaboliten an positiv geladene Oberflächen wie Pyrit kennzeichnend für die Chemoevolution ist. Diese Bindung erzeugt eine lokal hohe Konzentration der Reaktanden und räumliche Nähe als Voraussetzung für die Reaktivität und verhindert den Verlust der gebildeten Metabolite. Ungeladene Moleküle oder Gruppen sind immer an Coenzyme oder an prosthetische Gruppen von Enzymen gebunden. Nichtionisiert sind nur am Anfang und Ende der Stoffwechselwege stehende Verbindungen, also viele Substrate (wie Zucker) und manche Ausscheidungsprodukte (wie viele Gärprodukte).

Wirkungsspezifität – es katalysiert nur einen unter vielen möglichen Umwandlungsprozessen. Man kennt allerdings Beispiele dafür, dass ein Enzym durchaus verschiedene Reaktionen katalysieren oder gar eine Strukturfunktion übernehmen kann. Dieses Phänomen nennt man scherzhaft „moonlighting“, „Schwarzarbeit“. Das Erkennen des Substrats und dessen Bindung erfolgt an einer ganz bestimmten Stelle des Enzymproteins, dem katalytischen (oder aktiven) Zentrum (▶ Abb. 8.2). Das Enzym erkennt das Substrat an seinen sterischen (räumlichen) Eigenschaften und seiner Ladung. Es passt zum Enzym wie der Schlüssel zum Schloss. In manchen Fällen entsteht erst nach der Bindung des Substrats das „richtige Schloss“ (engl. induced fit). Enzyme fungieren als Biokatalysatoren und erniedrigen die Aktivierungsenergie. Das Enzym macht da-

P

S S

Wirkungsweise der Enzyme Die enzymkatalysierte Umwandlung eines Metaboliten wird durch seine Bindung an das Enzymprotein eingeleitet. Das Enzym reagiert im Allgemeinen nur mit einem Metaboliten, seinem Substrat, und katalysiert dessen Umwandlung in einen zweiten Metaboliten, bis sich ein Gleichgewicht eingestellt hat. Jedes Enzym zeichnet sich also aus durch eine bestimmte Substratspezifität – es setzt nur einen Metaboliten um – und eine bestimmte

E

E

E

Abb. 8.2 Substraterkennung und Katalyse durch Enzyme. Das Enzym bindet das Substrat am katalytischen Zentrum, setzt es um und die Produkte lösen sich vom Enzymmolekül. Das Enzym selbst geht unverändert aus der Reaktion hervor. E, Enzym; S, Substrat; P, Produkt.

9

Zentrale Stoffwechselwege durch Stoffumwandlungen möglich, die sonst nur bei starker Erhitzung oder unter unphysiologischen, der Zelle nicht zuträglichen Bedingungen ablaufen würden. Die Geschwindigkeit einer enzymkatalysierten Reaktion kann um einen Faktor 1010 höher sein als die einer nichtenzymatischen Reaktion. Dadurch verkürzt sich die Halbwertszeit einer Reaktion von 300 Jahren auf eine Sekunde.

Regulation der katalytischen Aktivität Eine ganz wesentliche Eigenschaft der Enzyme ist die steuerbare Veränderlichkeit ihrer katalytischen Aktivität – eine Voraussetzung für die Harmonie des Stoffwechselgeschehens. Die einfachste Regulation ist die Produkthemmung. Enzyme katalysieren Hin- und Rückreaktion; sie binden deshalb im aktiven Zentrum auch das Produkt, das bei hoher Konzentration das Substrat verdrängt. Die Aktivität der meisten Enzyme, die eine praktisch irreversible (nicht umkehrbare) Reaktion katalysieren, wird zusätzlich, nämlich allosterisch reguliert (das gilt in der Regel nicht für Enzyme, die frei umkehrbare Schritte katalysieren). Im Baustoffwechsel sind es häufig die ersten Enzymreaktionen, welche vom Zentralstoffwechsel wegführen, die irreversibel verlaufen und allosterisch reguliert werden. Diese Enzyme erkennen nicht nur den Substratmetaboliten am katalytischen Zentrum, sondern auch den sogenannten Effektor oder Modulator, der an ein anderes Zentrum des Enzyms bindet. Solche Effektoren haben hinsichtlich ihrer Struktur nichts mit den Substraten der Enzyme gemeinsam. Sie sind räumlich (sterisch) anders strukturiert („allosterisch“): man spricht daher von allosterischen Effektoren und nennt die regulatorisch empfindlichen Bindungszentren auch allosterische Zentren der Enzyme. Die Bindung der Effektoren an das regulatorische Zentrum bewirkt eine geringfügige Änderung der Gestalt des Enzyms. Diese Änderung teilt sich dem katalytischen Zentrum mit und verändert dadurch dessen katalytische Aktivität (▶ Abb. 8.3). Ein Effektor kann das entsprechende Endprodukt einer Synthesekette oder eine andere niedermolekulare Verbindung wie AMP sein, deren Einflussnahme auf die Enzymaktivität sinnvoll ist. Ein hoher AMP-Spiegel signalisiert beispielsweise, dass die Zelle Energiemangel leidet und sich Biosynthesen gerade nicht leisten kann. Endprodukte von Biosynthesewegen wirken als negative Effektoren und verhindern das sinnlose Anhäufen eines Bausteins. Positive Effektoren führen zu einer Steigerung der Enzymaktivität. So entscheidet die Konzentration der als Effektoren wirksamen Metabolite über die Aktivität des Enzyms und damit über die Geschwindigkeit des Stoffflusses, der von ihm katalysiert wird. Weitere Regulationsprinzipien werden in Kapitel 16 besprochen.

260

a allosterische Hemmung (negativer Effektor) P

E S S

Eff E

E

Eff Eff b allosterische Aktivierung (positiver Effektor) P

S S E

E

E

Eff

Eff

Eff Abb. 8.3 Regulation der katalytischen Aktivität durch allosterische Effektoren. a Ein allosterisches Effektormolekül kann die Gestalt des aktiven Zentrums indirekt verändern und dabei das Enzym inaktivieren. b Die Bindung des allosterischen Effektors kann das aktive Zentrum des Enzyms aber auch sterisch aktivieren. E, Enzym; S, Substrat; Eff, Effektor; P, Produkt.

Coenzyme und prosthetische Gruppen Viele Enzyme bestehen aus einem Proteinanteil und einem Cofaktor, der an der Katalyse beteiligt ist. Man unterteilt die Cofaktoren in Coenzyme und prosthetische Gruppen. Dabei handelt es sich um niedermolekulare Verbindungen, die Bruchstücke der Substrate, beispielsweise Wasserstoff, Methylgruppen, Aminogruppen usw. aufnehmen und weiterreichen. Ein Coenzym, auch Cosubstrat oder Transportmetabolit genannt, wird am Enzym mit einem Substratbruchstück beladen, dissoziiert ab und überträgt das Bruchstück an einem anderen Enzymprotein auf eine zweite Verbindung. Das Coenzym ist nichtkovalent an das Enzym gebunden. Prosthetische Gruppen sind dagegen meist kovalent mit dem Enzym verbunden und übernehmen bzw. übergeben ein Bruchstück, ohne sich vom Protein zu lösen (▶ Abb. 8.4). Cofaktoren leiten sich oft von Vitaminen oder Nukleotiden ab. Ihre Vorstufen können von vielen Organismen nicht synthetisiert werden und müssen mit der Nahrung als Vitamine aufgenommen werden. Viele Mikroorganismen benötigen zum Teil die in ▶ Tab. 8.1 aufgeführten Vi-

8.2 Grundmechanismen des Stoffwechsels und der Energieumwandlung Tab. 8.1 Funktion von Coenzymen und prosthetischen Gruppen. Sie dienen als Wasserstoff-, Gruppen- oder Elektronenüberträger und stammen zum Teil von Vitaminen ab. Coenzym oder prosthetische Gruppe

Übertragung von:

Zugehöriges Vitamin

NAD(P)

Wasserstoff, Elektronen

Nicotinsäure, Nicotinamid

FMN

Wasserstoff, Elektronen

Riboflavin (B2)

FAD

Wasserstoff, Elektronen

Riboflavin (B2)

Ubichinon (UQ)

Wasserstoff, Elektronen



Pyrrolochinolinchinon (PQQ)

Wasserstoff, Elektronen

PQQ

Oxidoreduktasen

F420

Wasserstoff, Elektronen



Liponat

Acylgruppen, Wasserstoff

Liponat

Cytochrome

Elektronen

Häm-Derivate

Pyridoxalphosphat (PLP)

Aminogruppen

Pyridoxin (B6)

Tetrahydrofolat (THF, H4-Folat), Methanopterin

Formyl-, Methenyl-, Methylgruppen

Folat, 4-Aminobenzoat

Biotin

Carboxylgruppen

Biotin (H)

Thiaminpyrophosphat (TPP)

Aldehydgruppen

Thiamin (B1)

Coenzym A

Acetyl-, Acylgruppen

Pantothenat

Coenzym M

Methylgruppen



Pyridoxalphosphat (PLP)

Decarboxylierung

Pyridoxin (B6)

Thiaminpyrophosphat

Decarboxylierung

Thiamin (B1)

Coenzym B12, Vitamin B12

Methylgruppen

Cobalamin (B12)

Methanofuran

Carboxyl-, Formylgruppe



Transferasen

Isomerasen

O

O H3 C

N

H3C

HS

NH

N

N

O

O O

O–

P

O

H3C

N

N

NH2 S

CH2

O–

O

S S

H N

HN H2N

5

N

N H

10

CO

P

P

P O–

CH

CH2

CH2

H H H

CH2

O–

P

O

CH2

O–

–O

N

O

N N

P

OH O

O– O

Biotin

NH COO–

S

N

N

H

O

H2NOC

–O

CONH2

P

O

C

O

CH2

OH

O– N

NH

Pyridoxalphosphat

CH3

N H

O O

COO–

Tetrahydrofolat

N

CONH2

O

NH

O

O–

OH CH3

CONH2

N CN N Co+

O O

CH2 O

HN

OH

COO– N

C

O

Liponat CONH2

Thiaminpyrophosphat (TPP)

H

C

H2NOC HO

O–

O

O

O

O

O

(CH2)2

CH3

COO–

H

CH3

H

Coenzym A (CoA oder CoA-SH)

N

N

Flavinadenindinukleotid (FAD) N

C

N

N

P

NH

NH

NH2

HC OH CH2 O

CH2

CH2

O

CH2

HC OH

CH2

CH2

O

HC OH

CH2

NH2 C

P

COO–

N

O–



OOC

Pyrrolochinolinchinon

O OH

H HO

HN

O

H

–OOC

Vitamin B12

N

O O

Abb. 8.4 Strukturformeln einiger Coenzyme und prosthetischer Gruppen. Die reagierenden Gruppen sind rot hervorgehoben.

1

Zentrale Stoffwechselwege

H

H CO

NH2

H CO

Alkohol-Dehydrogenase

+

N

NH2

N

R

R H H3C

C H

NAD+

+

Ethanol

O OH

H3C

C

+

H+

+

NADH

H Acetaldehyd

tamine oder deren Vorstufen als Zusatzstoffe (Suppline) zum Wachstum.

H+

+

H– NH2 CO

8.2.2 Dehydrogenierung und Pyridinnukleotide Bei der Oxidation organischer Verbindungen werden Elektronen vom Elektronendonator auf einen Elektronenakzeptor übertragen. Bei biologischen Redoxreaktionen, an denen Kohlenstoffverbindungen beteiligt sind, werden in der Regel zwei Elektronen gleichzeitig übertragen. Dabei werden außerdem zwei Protonen (H+) vom Substrat abgespalten (▶ Abb. 8.5). Diese formal unter Abspaltung von zwei H-Atomen (abgekürzt 2 [H]) erfolgende Oxidation wird als Dehydrogenierung bezeichnet. Man gebraucht die folgenden Termini als Synonyme: Elektronendonator = Wasserstoffdonator = Reduktans (Reduktionsmittel) Elektronenakzeptor = Wasserstoffakzeptor = Oxidans (Oxidationsvmittel) Oxidation = Dehydrogenierung Reduktion = Hydrogenierung. Enzyme, die Wasserstoffatome von den Substraten abspalten (oder in Umkehrrichtung Wasserstoffatome auf sie übertragen), bezeichnet man als Dehydrogenasen oder allgemeiner als Oxidoreduktasen. Die Namensgebung bezieht sich auf den H-Donator, z. B. die LactatDehydrogenase. Die Bezeichnung Lactat-Dehydrogenase ist gleichbedeutend mit der Bezeichnung Lactat: NAD+Oxidoreduktase; das Enzym oxidiert Lactat und reduziert dabei NAD+. Der Name „Dehydrogenase“ wird beibehalten, auch wenn das Enzym die umgekehrte Reaktion katalysiert, also als Reduktase fungiert. Viele Dehydrogenasen übertragen den abgespaltenen Wasserstoff reversibel auf eines der beiden Coenzyme Nicotinamidadenindinukleotid (NAD+) oder Nicotinamidadenindinukleotidphosphat (NADP+) (▶ Abb. 8.6). Die Aktivität von Dehydrogenasen lässt sich leicht messen (Methode 8.1).

262

Abb. 8.5 Reaktion der Alkohol-Dehydrogenase. Das Hydridanion wird stereospezifisch an den Pyridinring angelagert (hier nach „vorne“ zeigend die A-Seite).

NH2 O

+

N CH2 O OH HO

N

N

P O

O –

P

N

N

O O

CH2



O

O

O HO

O R

Abb. 8.6 Struktur von NAD+ und NADP+. Der Pfeil zeigt auf das Kohlenstoffatom des Pyridinrings, an das eine NAD(P)+-abhängige Dehydrogenase bei der Dehydrogenierung eines Substrats ein Hydridanion (H–) anlagert. NAD+: R = H; NADP+: R = H2PO3.

Methode 8.1 Bestimmung der Enzymaktivität

d ●

Die reduzierten Formen der Coenzyme NADH und NADPH haben im Gegensatz zu den oxidierten Formen NAD+ und NADP+ bei 340 nm ein Absorptionsmaximum. Reduktion und Oxidation der Coenzyme lassen sich folglich an der Veränderung der Lichtabsorption bei dieser Wellenlänge verfolgen. Das ist die Grundlage vieler optischer Testmethoden zur Bestimmung von Enzymaktivitäten. Man formuliert eine solche reversible Dehydrogenierung wie folgt: CH3–CH2OH + NAD+ → CH3–CHO + NADH + H+ Die für die Funktion der Coenzyme maßgebende Gruppe ist das Nicotinamid (= Nicotinsäureamid). Ein Wasserstoff wird mit seinem Bindungselektronenpaar als Hydridanion (also H–) vom Substrat auf den protonierten und deshalb positiv geladenen Pyridinring übertragen. Dabei geht ein Proton des Substrats in Lösung. Diese Wasserstoffübertragung ist stereospezifisch. Manche Enzyme (Alkohol-Dehydrogenase, Lactat-Dehydrogenase) übertragen auf die eine (A-)Seite, andere Dehydrogenasen

8.3 Allgemeines Prinzip des Stoffwechsels (Glycerinaldehydphosphat-Dehydrogenase) bedienen die andere (B-)Seite des Pyridinrings (▶ Abb. 8.5). Die beiden Coenzyme sind frei dissoziierbar. Sie verlassen also das Dehydrogenaseprotein und übertragen den Wasserstoff nach Bindung an eine andere Dehydrogenase auf einen H-Akzeptor, also ein reduzierbares weiteres Molekül. NADH überträgt den Wasserstoff vorzugsweise bei Gärungen auf Substrate oder schleust ihn in die Atmungskette ein. NAD+ ist also das Oxidationsmittel der Zelle. NADPH ist dagegen vorwiegend an reduktiven Vorgängen der Biosyntheseprozesse beteiligt und ist das Reduktionsmittel der Zelle (S. 308).

H2O

extrazellulärer Abbau von Polymeren (z.B. Polysaccharide) durch Exoenzyme (Hydrolasen) Monomere, Dimere, oligomere Bruchstücke

H2O Transport

C6H12O6 (Glucose)

8.3 Allgemeines Prinzip des Stoffwechsels Kohlenhydrate sind die mengenmäßig vorherrschenden Produkte der pflanzlichen Photosynthese und werden von der überwiegenden Zahl von Mikroorganismen als Nährstoffe genutzt (S. 39). Daher basieren die weiteren Betrachtungen in erster Linie auf Glucose als Wachstumssubstrat. Besonders wichtige Substrate sind die Makromoleküle. Sie werden außerhalb der Zelle durch ausgeschiedene Enzyme (Exoenzyme) zu den mono- oder dimeren Bausteinen abgebaut und in dieser Form aufgenommen. Die Verwendung dieser und anderer organischer Nährstoffe werden in Kapitel 11 vorgestellt. Der zentrale Stoffwechsel lässt sich in einen oxidativen und einen reduktiven Teilprozess untergliedern (▶ Abb. 8.7). Im oxidativen Teil des Stoffwechsels werden die Substrate unter Beteiligung von Wasser vollständig zu CO2 und H2O oxidiert. Die anderen Elemente werden als NH3, H3PO4 und H2S freigesetzt. Diese Oxidation ist gekoppelt an die Reduktion von elektronenübertragenden Coenzymen, hauptsächlich lösliches NAD(P)+ und membrangebundene Chinone; sie fangen die Energie des gebundenen Wasserstoffs auf. Wann immer es energetisch möglich ist, wird im oxidativen Teil des Stoffwechsels eine geringe Menge an ATP durch Substratphosphorylierung (S. 411) gebildet. Aus dem zentralen Abbauweg werden auch die Vorstufen für die Bausteinsynthese (S. 287) entnommen. Die Prozesse laufen im Cytoplasma an löslichen Enzymen ab. Hexosen (C6) werden nach einleitenden Umwandlungsschritten zunächst in zwei C3-Verbindungen gespalten. Die Spaltprodukte werden zu Pyruvat (Brenztraubensäure) oxidiert. Bei der oxidativen Decarboxylierung des Pyruvats entsteht Acetyl-CoA (C2), das zunächst mit einem geeigneten Akzeptormolekül (Oxalacetat) verknüpft und dann im Citratzyklus schrittweise zu Kohlendioxid oxidiert wird. Im reduktiven Teil des Stoffwechsels werden die reduzierten Elektronenüberträger an der Membran wieder oxidiert. Die Elektronen werden in einer Elektronentransportkette auf Sauerstoff oder einen anderen terminalen Elektronenakzeptor übertragen; dieser wird dabei redu-

6 O2

6 H2O n ADP + n Pi

24 H gebunden an Coenzyme 6 CO2 oxidativer Teil wenig ATP durch Substratphosphorylierung

n( ATP + H2O) 12 H2O reduktiver Teil viel ATP durch Elektronentransporphosphorylierung an der Membran (Atmung)

Abb. 8.7 Stoffwechselschema mit oxidativem und reduktivem Teil. Beide Teile sind durch elektronenübertragende Coenzyme miteinander verbunden. Vorgeschaltet sind der extrazelluläre Abbau der Substrate und der Transport der löslichen Bruchstücke in die Zelle.

ziert (z. B. O2 zu H2O). Der Prozess findet an der Cytoplasmamembran statt und erfordert eine Dehydrogenase (z. B. die NADH-Dehydrogenase), Elektronenüberträger und eine terminale Reduktase. Dabei wird ein elektrochemischer Protonengradient über der Membran aufgebaut, der die Synthese eines Großteils des ATP durch Elektronentransportphosphorylierung (S. 274) antreibt. Katalysiert wird diese Reaktion durch eine H+-ATP-Synthase. Die meisten Komponenten sind membrangebunden. Nach diesem Prinzip können exergone (energieliefernde) Reaktionen an endergone Reaktionen, die Energie benötigen, gekoppelt werden. Ein Teil der Hexose (C6) wird zur Pentose (C5) als Synthesebaustein und CO2 oxidiert, wobei gleichzeitig auch die Reduktionsmittel für Biosynthesen gebildet werden (Pentosephosphatweg). Die Metabolite der zentralen Stoffwechselwege Glykolyse, Citratzyklus und Pentosephosphatweg dienen als Ausgangsverbindungen für sämtliche Biosynthesen (s. ▶ Abb. 8.32). In Kapitel 12 und 14 werden Beispiele vorgestellt, wie dieses Stoffwechselprinzip auf anorganische Substrate (Chemolithotrophie, veränderter oxidativer Teil) und auf andere Elektronenakzeptoren (anaerobe Atmung, veränderter reduktiver Teil) übertragen wird. Anaerobier nutzen oft weitere Mechanismen, mit denen sie endergone Reaktionen durch exergone Reaktionen antreiben (s. Elektronenbifurkation u. a.)

3

8.3 Allgemeines Prinzip des Stoffwechsels (Glycerinaldehydphosphat-Dehydrogenase) bedienen die andere (B-)Seite des Pyridinrings (▶ Abb. 8.5). Die beiden Coenzyme sind frei dissoziierbar. Sie verlassen also das Dehydrogenaseprotein und übertragen den Wasserstoff nach Bindung an eine andere Dehydrogenase auf einen H-Akzeptor, also ein reduzierbares weiteres Molekül. NADH überträgt den Wasserstoff vorzugsweise bei Gärungen auf Substrate oder schleust ihn in die Atmungskette ein. NAD+ ist also das Oxidationsmittel der Zelle. NADPH ist dagegen vorwiegend an reduktiven Vorgängen der Biosyntheseprozesse beteiligt und ist das Reduktionsmittel der Zelle (S. 308).

H2O

extrazellulärer Abbau von Polymeren (z.B. Polysaccharide) durch Exoenzyme (Hydrolasen) Monomere, Dimere, oligomere Bruchstücke

H2O Transport

C6H12O6 (Glucose)

8.3 Allgemeines Prinzip des Stoffwechsels Kohlenhydrate sind die mengenmäßig vorherrschenden Produkte der pflanzlichen Photosynthese und werden von der überwiegenden Zahl von Mikroorganismen als Nährstoffe genutzt (S. 39). Daher basieren die weiteren Betrachtungen in erster Linie auf Glucose als Wachstumssubstrat. Besonders wichtige Substrate sind die Makromoleküle. Sie werden außerhalb der Zelle durch ausgeschiedene Enzyme (Exoenzyme) zu den mono- oder dimeren Bausteinen abgebaut und in dieser Form aufgenommen. Die Verwendung dieser und anderer organischer Nährstoffe werden in Kapitel 11 vorgestellt. Der zentrale Stoffwechsel lässt sich in einen oxidativen und einen reduktiven Teilprozess untergliedern (▶ Abb. 8.7). Im oxidativen Teil des Stoffwechsels werden die Substrate unter Beteiligung von Wasser vollständig zu CO2 und H2O oxidiert. Die anderen Elemente werden als NH3, H3PO4 und H2S freigesetzt. Diese Oxidation ist gekoppelt an die Reduktion von elektronenübertragenden Coenzymen, hauptsächlich lösliches NAD(P)+ und membrangebundene Chinone; sie fangen die Energie des gebundenen Wasserstoffs auf. Wann immer es energetisch möglich ist, wird im oxidativen Teil des Stoffwechsels eine geringe Menge an ATP durch Substratphosphorylierung (S. 411) gebildet. Aus dem zentralen Abbauweg werden auch die Vorstufen für die Bausteinsynthese (S. 287) entnommen. Die Prozesse laufen im Cytoplasma an löslichen Enzymen ab. Hexosen (C6) werden nach einleitenden Umwandlungsschritten zunächst in zwei C3-Verbindungen gespalten. Die Spaltprodukte werden zu Pyruvat (Brenztraubensäure) oxidiert. Bei der oxidativen Decarboxylierung des Pyruvats entsteht Acetyl-CoA (C2), das zunächst mit einem geeigneten Akzeptormolekül (Oxalacetat) verknüpft und dann im Citratzyklus schrittweise zu Kohlendioxid oxidiert wird. Im reduktiven Teil des Stoffwechsels werden die reduzierten Elektronenüberträger an der Membran wieder oxidiert. Die Elektronen werden in einer Elektronentransportkette auf Sauerstoff oder einen anderen terminalen Elektronenakzeptor übertragen; dieser wird dabei redu-

6 O2

6 H2O n ADP + n Pi

24 H gebunden an Coenzyme 6 CO2 oxidativer Teil wenig ATP durch Substratphosphorylierung

n( ATP + H2O) 12 H2O reduktiver Teil viel ATP durch Elektronentransporphosphorylierung an der Membran (Atmung)

Abb. 8.7 Stoffwechselschema mit oxidativem und reduktivem Teil. Beide Teile sind durch elektronenübertragende Coenzyme miteinander verbunden. Vorgeschaltet sind der extrazelluläre Abbau der Substrate und der Transport der löslichen Bruchstücke in die Zelle.

ziert (z. B. O2 zu H2O). Der Prozess findet an der Cytoplasmamembran statt und erfordert eine Dehydrogenase (z. B. die NADH-Dehydrogenase), Elektronenüberträger und eine terminale Reduktase. Dabei wird ein elektrochemischer Protonengradient über der Membran aufgebaut, der die Synthese eines Großteils des ATP durch Elektronentransportphosphorylierung (S. 274) antreibt. Katalysiert wird diese Reaktion durch eine H+-ATP-Synthase. Die meisten Komponenten sind membrangebunden. Nach diesem Prinzip können exergone (energieliefernde) Reaktionen an endergone Reaktionen, die Energie benötigen, gekoppelt werden. Ein Teil der Hexose (C6) wird zur Pentose (C5) als Synthesebaustein und CO2 oxidiert, wobei gleichzeitig auch die Reduktionsmittel für Biosynthesen gebildet werden (Pentosephosphatweg). Die Metabolite der zentralen Stoffwechselwege Glykolyse, Citratzyklus und Pentosephosphatweg dienen als Ausgangsverbindungen für sämtliche Biosynthesen (s. ▶ Abb. 8.32). In Kapitel 12 und 14 werden Beispiele vorgestellt, wie dieses Stoffwechselprinzip auf anorganische Substrate (Chemolithotrophie, veränderter oxidativer Teil) und auf andere Elektronenakzeptoren (anaerobe Atmung, veränderter reduktiver Teil) übertragen wird. Anaerobier nutzen oft weitere Mechanismen, mit denen sie endergone Reaktionen durch exergone Reaktionen antreiben (s. Elektronenbifurkation u. a.)

3

Zentrale Stoffwechselwege

8.4 Umwandlung von Energie Beim Hexoseabbau, im Citratzyklus und in der Atmungskette wird Zucker zu Kohlendioxid und Wasser oxidiert. Die dabei freigesetzte Energie hat denselben Betrag, der auch bei der Verbrennung des Zuckers frei würde. Die Unterteilung der Glucoseoxidation in zahlreiche enzymkatalysierte, theoretisch reversible Reaktionen bietet die Möglichkeit, die freigesetzte Energie schrittweise in biochemisch verwertbare Energie zu überführen. Eine Besprechung der energetischen Grundlagen findet sich im Anhang. Bei Stoffumwandlungen gehen kleine Energiebeträge in Form von Wärme verloren. Dieser Verlust ist der Grund dafür, dass der Stoffwechsel zügig und unumkehrbar abläuft. Die Zelle schafft es wie kein technisches System, energieliefernde Prozesse als Motor für energieverbrauchende Prozesse einzusetzen, ohne allzu große Wärmeverluste in Kauf nehmen zu müssen. Als Kopplungsglied dienen energiereiche Zwischenverbindungen (Substratphosphorylierung) oder eine energetisierte Membran, die ähnlich einer Batterie geladen ist (Elektronentransportphosphorylierung). Aus beiden gespeicherten Energieformen lässt sich ATP synthetisieren.

264

NH2

Pyrophosphorylrest N

Phosphorylrest O –

O

P

O O

O–

P

O O

O–

P

N

N O

Adenin

N

CH2 O

O–

Ribose

HO

OH Adenosin

Adenosinmonophosphat (AMP) Adenosindiphosphat (ADP) Adenosintriphosphat (ATP) Abb. 8.8 Struktur von ATP. Die Phosphate sind über energiereiche Säureanhydridbindungen miteinander verbunden, bei deren Hydrolyse Energie frei wird.

Tab. 8.2 Energiereiche und energiearme Verbindungen von biochemischer Bedeutung. Angegeben ist die freie Energie –ΔG0’ der Hydrolyse bei pH = 7,0 unter Standardbedingungen. Substrat

–ΔG0’ (kJ)

Acyl-AMP

55,7

8.4.1 ATP und andere energiereiche Verbindungen

Phosphoenolpyruvat

54,4

Acylphosphat

40–52

Acetoacetyl-CoA

44,0

ATP ist die chemische Form, in der die durch Photosynthese, Atmung oder Gärung gewonnene Energie der Zelle verfügbar gemacht und verwertet wird. Es ist der universelle Überträger chemischer Energie zwischen energieerzeugenden und energieverbrauchenden Reaktionen und bedient so unterschiedliche Prozesse wie die Synthesen von Bausteinen und Makromolekülen (chemische Energie), Bewegungen (mechanische Energie) und den Transport von ungeladenen und geladenen Teilchen (osmotische Energie, elektrische Energie). Die Säureanhydridbindungen zwischen den Phosphatgruppen (▶ Abb. 8.8) sind „energiereich“, d. h., sie haben ein hohes Gruppenübertragungspotenzial. Das bedeutet, dass ihre Phosphorylgruppen PO3H– auf viele andere Verbindungen mit einem freien Elektronenpaar (z. B. eine OH-Gruppe von ADP oder die eines Zuckers) übertragen werden können. Zu beachten ist, dass bei dieser sogenannten Phosphorylierung keine Phosphatgruppe (Phosphat mit vier O-Atomen), sondern eine elektrophile Phosphorylgruppe (mit nur drei O-Atomen) auf eine Verbindung mit einem freien Elektronenpaar übertragen wird. Für die Bildung einer Anhydridbindung ist mehr Energie notwendig als zur Knüpfung einer Esterbindung. Wird eine Anhydridbindung gespalten, wird umgekehrt viel Energie frei oder in den Reaktionsprodukten konserviert (▶ Tab. 8.2). Unter Standardbedingungen setzt die Hydrolyse von ATP zu Adenosindiphosphat (ADP) und Phosphat etwa –32 kJ mol–1 (ΔG0’) frei. Bei zellulären Konzentratio-

Phosphokreatin

37,7

ATP (→ AMP + PPi)

31,8

UDP-Glucose

31,8

ATP (→ ADP + Pi)

31,0

Saccharose

27,6

Aldose-1-phosphat

20,9

Glykoside

12,6

einfache Phosphatester

12,6

nen der Reaktanden ATP, ADP und Phosphat beträgt der Wert ca. –50 kJ mol–1 (ΔG’) (s. Anhang). Entsprechend hoch ist der Energiebetrag, der für die Synthese von einem Mol ATP aufgewendet werden muss (Plus 8.9) (S. 284). Man muss aber berücksichtigen, dass der Energiestoffwechsel einen Wirkungsgrad von ca. 60 % hat – dieser Energieanteil ist im ATP konserviert. Etwa 40 % der Reaktionsenergie gehen als Wärme verloren. Dadurch erhöht sich die Energiemenge, die für die ATP-Synthese benötigt wird, auf insgesamt etwa + 70 bis + 80 kJ mol–1. Die verschiedenen Stoffwechselpläne müssen unter dem Gesichtspunkt betrachtet werden, dass die Zelle bestrebt ist, die verfügbaren Nährstoffe möglichst rasch umzusetzen und dabei ein Maximum an ATP zu gewinnen.

8.5 Wege des Hexoseabbaus

8.4.2 Regeneration von ATP ATP wird durch zwei Prozesse regeneriert. Der überwiegende Anteil der bei der Oxidation von Nährstoffen frei werdenden Energie wird in der Atmung durch Elektronentransportphosphorylierung (S. 274) in biochemisch verwertbare Energie überführt. Dabei wird ATP an einer energetisierten Membran durch die ATP-Synthase gebildet. Die Substratphosphorylierung, auch Substratkettenoder Substratstufenphosphorylierung genannt, erfolgt im Intermediärstoffwechsel. Bei der Umsetzung einiger Zwischenverbindungen wird ein größerer Betrag an Energie frei (ΔG0 = –40 bis –60 kJ mol–1). Dabei wird fast immer eine Aldehydgruppe (z. B. Glycerinaldehyd-3-phosphat) oder eine Ketogruppe (z. B. Pyruvat, unter Decarboxylierung) zu einer Carbonsäure (3-Phosphoglycerat bzw. Acetat) oxidiert. Die bei der Reaktion frei werdende Energie wird vorübergehend in Form von energiereichen Derivaten gespeichert (▶ Tab. 8.2). Meist entsteht ATP dadurch, dass die Phosphorylgruppe von PhosphorsäureCarbonsäure-Anhydriden auf ADP übertragen wird. Die im Kohlenhydratstoffwechsel wichtigsten Reaktionen der ATP-Regeneration werden katalysiert durch: ● die Phosphoglycerat-Kinase (Phosphorylgruppendonator: energiereiches 1,3-Bisphosphoglycerat) ● die Pyruvat-Kinase (Phosphorylgruppendonator: energiereiches Phosphoenolpyruvat) ● die Acetat-Kinase (Phosphorylgruppendonator: energiereiches Acetylphosphat). Die zuckervergärenden Bakterien und Hefen sind auf das durch diese Enzyme regenerierte ATP angewiesen (Kap. 13).

8.5 Wege des Hexoseabbaus Im Folgenden werden der oxidative Teil des Stoffwechsels mit den vier wichtigsten Reaktionsfolgen des Glucoseabbaus und ihre Funktionen vorgestellt: die einleitende Spaltung zu C3-Verbindungen, die Oxidation des Pyruvats, der Citratzyklus und die Atmungskette. Mehrere Wege führen von Glucose zu C3-Körpern, darunter Pyruvat, eine der wichtigsten Intermediärverbindungen des Stoffwechsels. Der am weitesten verbreitete Abbauweg verläuft über Fructose-1,6-bisphosphat (FBP); er wird als FBP-Weg, Glykolyse oder nach den maßgeblich beteiligten Forschern als Embden-Meyerhof-(Parnas-)Weg bezeichnet (s. ▶ Abb. 8.9 bis ▶ Abb. 8.12). Eine Reihe von Reaktionen, zu deren Katalyse die überwiegende Zahl der Lebewesen befähigt ist, führt zu Pentosephosphaten und wird als Pentosephosphatweg bezeichnet. Dieser Stoffwechselweg wird durch zwei zusätzliche Enzyme (Transaldolase, Transketolase) zu einem Zyklus geschlossen, der als oxidativer Pentosephosphatzyklus oder Warburg-Dickens-Horecker-Schema bekannt ist (s. ▶ Abb. 8.13). Die rückläufige Reaktionsfolge um-

fasst die wesentlichen Reaktionen zur Regeneration des CO2-Akzeptors der autotrophen CO2-Fixierung (S. 308). Auf Bakterien beschränkt ist der nach seinen Entdeckern benannte Entner-Doudoroff-Abbauweg oder KDPG-Weg, nach dem charakteristischen Zwischenprodukt 2-Keto-3-desoxy-6-phosphogluconat (KDPG) (s. ▶ Abb. 8.14).

8.5.1 Glykolyse Eine Übersicht über die Glykolyse, in der Glucose zu Pyruvat abgebaut wird, zeigt ▶ Abb. 8.9. Zunächst wird die Glucose zu Fructose-1,6-bisphosphat aktiviert, dann in zwei Triosephosphate gespalten und diese weiter zu Pyruvat oxidiert. Im ersten Schritt der Glykolyse (▶ Abb. 8.10) wird die Glucose durch das Enzym Hexokinase am C-Atom 6 phosphoryliert und damit aktiviert (①). Dabei ist ATP der Phosphorylgruppendonator. Glucose-6-phosphat ist die stoffwechselaktive Form der Glucose und Ausgangspunkt der drei oben genannten Abbauwege. In der Glykolyse wird Glucose-6-phosphat zur Vorbereitung der Spaltung durch eine Glucosephosphat-Isomerase zu Fructose-6phosphat isomerisiert (②) und anschließend durch Phosphofructokinase mit ATP an C 1 phosphoryliert (③). Das entstandene Fructose-1,6-bisphosphat wird durch die Fructosebisphosphat-Aldolase zu Dihydroxyacetonphosphat und Glycerinaldehyd-3-phosphat gespalten (④). Beide Triosephosphate stehen miteinander im Gleichgewicht, das stark auf der Seite des Dihydroxyacetonphosphats liegt. Die Triosephosphat-Isomerase katalysiert die Einstellung des Gleichgewichts (⑤). Die nun folgende Dehydrogenierung von Glycerinaldehyd-3-phosphat zu 3-Phosphoglycerat ist unter dem Aspekt der Energiegewinnung der wichtigste Schritt dieses Abbauwegs und anderer zu Glycerinaldehyd-3-phosphat führenden Reaktionen. Die bei dieser Oxidation frei werdende Energie (ΔG0’ = –67 kJ) wird in Form einer energiereichen Phosphatbindung (Phosphorsäure-CarbonsäureAnhydrid) konserviert. Wie ▶ Abb. 8.11 zeigt, wird zunächst die Aldehydgruppe an eine SH-Gruppe der Glycerinaldehydphosphat-Dehydrogenase gebunden (①). Dann wird ein Hydridanion (H–) abgespalten und auf NAD+ übertragen und gleichzeitig ein Proton entfernt; es entsteht NADH + H+ (②). Die entstandene Acyl-S-Enzym-Verbindung ist ein energiereicher Thioester. Durch Phosphorolyse, einen Austausch der S-Enzym-Gruppe gegen Phosphat (③), bleibt diese Energie im 1,3-Bisphosphoglycerat erhalten. Durch die 3-Phosphoglycerat-Kinase wird die energiereiche C 1Phosphorylgruppe auf ADP übertragen und es entstehen 3-Phosphoglycerat und ATP (④). Der Gesamtprozess ist reversibel! Da diese Phosphorylierung am Substrat erfolgt, bezeichnet man sie als Substratphosphorylierung. Fehlen die Enzymproteine, das Phosphat oder das Adenosindiphosphat, kommt der Glucoseabbau hier zum Still-

5

8.5 Wege des Hexoseabbaus

8.4.2 Regeneration von ATP ATP wird durch zwei Prozesse regeneriert. Der überwiegende Anteil der bei der Oxidation von Nährstoffen frei werdenden Energie wird in der Atmung durch Elektronentransportphosphorylierung (S. 274) in biochemisch verwertbare Energie überführt. Dabei wird ATP an einer energetisierten Membran durch die ATP-Synthase gebildet. Die Substratphosphorylierung, auch Substratkettenoder Substratstufenphosphorylierung genannt, erfolgt im Intermediärstoffwechsel. Bei der Umsetzung einiger Zwischenverbindungen wird ein größerer Betrag an Energie frei (ΔG0 = –40 bis –60 kJ mol–1). Dabei wird fast immer eine Aldehydgruppe (z. B. Glycerinaldehyd-3-phosphat) oder eine Ketogruppe (z. B. Pyruvat, unter Decarboxylierung) zu einer Carbonsäure (3-Phosphoglycerat bzw. Acetat) oxidiert. Die bei der Reaktion frei werdende Energie wird vorübergehend in Form von energiereichen Derivaten gespeichert (▶ Tab. 8.2). Meist entsteht ATP dadurch, dass die Phosphorylgruppe von PhosphorsäureCarbonsäure-Anhydriden auf ADP übertragen wird. Die im Kohlenhydratstoffwechsel wichtigsten Reaktionen der ATP-Regeneration werden katalysiert durch: ● die Phosphoglycerat-Kinase (Phosphorylgruppendonator: energiereiches 1,3-Bisphosphoglycerat) ● die Pyruvat-Kinase (Phosphorylgruppendonator: energiereiches Phosphoenolpyruvat) ● die Acetat-Kinase (Phosphorylgruppendonator: energiereiches Acetylphosphat). Die zuckervergärenden Bakterien und Hefen sind auf das durch diese Enzyme regenerierte ATP angewiesen (Kap. 13).

8.5 Wege des Hexoseabbaus Im Folgenden werden der oxidative Teil des Stoffwechsels mit den vier wichtigsten Reaktionsfolgen des Glucoseabbaus und ihre Funktionen vorgestellt: die einleitende Spaltung zu C3-Verbindungen, die Oxidation des Pyruvats, der Citratzyklus und die Atmungskette. Mehrere Wege führen von Glucose zu C3-Körpern, darunter Pyruvat, eine der wichtigsten Intermediärverbindungen des Stoffwechsels. Der am weitesten verbreitete Abbauweg verläuft über Fructose-1,6-bisphosphat (FBP); er wird als FBP-Weg, Glykolyse oder nach den maßgeblich beteiligten Forschern als Embden-Meyerhof-(Parnas-)Weg bezeichnet (s. ▶ Abb. 8.9 bis ▶ Abb. 8.12). Eine Reihe von Reaktionen, zu deren Katalyse die überwiegende Zahl der Lebewesen befähigt ist, führt zu Pentosephosphaten und wird als Pentosephosphatweg bezeichnet. Dieser Stoffwechselweg wird durch zwei zusätzliche Enzyme (Transaldolase, Transketolase) zu einem Zyklus geschlossen, der als oxidativer Pentosephosphatzyklus oder Warburg-Dickens-Horecker-Schema bekannt ist (s. ▶ Abb. 8.13). Die rückläufige Reaktionsfolge um-

fasst die wesentlichen Reaktionen zur Regeneration des CO2-Akzeptors der autotrophen CO2-Fixierung (S. 308). Auf Bakterien beschränkt ist der nach seinen Entdeckern benannte Entner-Doudoroff-Abbauweg oder KDPG-Weg, nach dem charakteristischen Zwischenprodukt 2-Keto-3-desoxy-6-phosphogluconat (KDPG) (s. ▶ Abb. 8.14).

8.5.1 Glykolyse Eine Übersicht über die Glykolyse, in der Glucose zu Pyruvat abgebaut wird, zeigt ▶ Abb. 8.9. Zunächst wird die Glucose zu Fructose-1,6-bisphosphat aktiviert, dann in zwei Triosephosphate gespalten und diese weiter zu Pyruvat oxidiert. Im ersten Schritt der Glykolyse (▶ Abb. 8.10) wird die Glucose durch das Enzym Hexokinase am C-Atom 6 phosphoryliert und damit aktiviert (①). Dabei ist ATP der Phosphorylgruppendonator. Glucose-6-phosphat ist die stoffwechselaktive Form der Glucose und Ausgangspunkt der drei oben genannten Abbauwege. In der Glykolyse wird Glucose-6-phosphat zur Vorbereitung der Spaltung durch eine Glucosephosphat-Isomerase zu Fructose-6phosphat isomerisiert (②) und anschließend durch Phosphofructokinase mit ATP an C 1 phosphoryliert (③). Das entstandene Fructose-1,6-bisphosphat wird durch die Fructosebisphosphat-Aldolase zu Dihydroxyacetonphosphat und Glycerinaldehyd-3-phosphat gespalten (④). Beide Triosephosphate stehen miteinander im Gleichgewicht, das stark auf der Seite des Dihydroxyacetonphosphats liegt. Die Triosephosphat-Isomerase katalysiert die Einstellung des Gleichgewichts (⑤). Die nun folgende Dehydrogenierung von Glycerinaldehyd-3-phosphat zu 3-Phosphoglycerat ist unter dem Aspekt der Energiegewinnung der wichtigste Schritt dieses Abbauwegs und anderer zu Glycerinaldehyd-3-phosphat führenden Reaktionen. Die bei dieser Oxidation frei werdende Energie (ΔG0’ = –67 kJ) wird in Form einer energiereichen Phosphatbindung (Phosphorsäure-CarbonsäureAnhydrid) konserviert. Wie ▶ Abb. 8.11 zeigt, wird zunächst die Aldehydgruppe an eine SH-Gruppe der Glycerinaldehydphosphat-Dehydrogenase gebunden (①). Dann wird ein Hydridanion (H–) abgespalten und auf NAD+ übertragen und gleichzeitig ein Proton entfernt; es entsteht NADH + H+ (②). Die entstandene Acyl-S-Enzym-Verbindung ist ein energiereicher Thioester. Durch Phosphorolyse, einen Austausch der S-Enzym-Gruppe gegen Phosphat (③), bleibt diese Energie im 1,3-Bisphosphoglycerat erhalten. Durch die 3-Phosphoglycerat-Kinase wird die energiereiche C 1Phosphorylgruppe auf ADP übertragen und es entstehen 3-Phosphoglycerat und ATP (④). Der Gesamtprozess ist reversibel! Da diese Phosphorylierung am Substrat erfolgt, bezeichnet man sie als Substratphosphorylierung. Fehlen die Enzymproteine, das Phosphat oder das Adenosindiphosphat, kommt der Glucoseabbau hier zum Still-

5

Zentrale Stoffwechselwege H

Glucose ATP Hexokinase ADP KDPGWeg

Glucose-6-phosphat

C

O

H

C

OH

HO

C

H

H

C

OH

H

C

OH

Pentosephosphatweg

H2C OH Glucose

Glucose-6-phosphat-Isomerase ATP

Fructose-6-phosphat

1

Hexokinase

ADP

ATP Phosphofructokinase ADP

H

Fructose-1,6-bisphosphat Aldolase

Glycerinaldehyd3-phosphat

Dihydroxyacetonphosphat

Pi

O

H

C

HO

C

H

H

C

OH

H

OH

C

OH P

H 2C O

Glucose-6-phosphat Glucose-6-phosphatIsomerase

2

NAD+

NADH + H+

C

GlycerinaldehydphosphatDehydrogenase

CH2OH C

1,3-Bisphosphoglycerat ADP Phosphoglycerat-Kinase

O

HO

C

H

H

C

OH

H

C

OH P

H 2C O

ATP

Fructose-6-phosphat 3-Phosphoglycerat Phosphoglycerat-Mutase

Pi Fructose1,6-bisphosphat-Phosphatase

ADP

Enolase

P

CH2 O C

Phosphoenolpyruvat ADP Pyruvat-Kinase ATP

O

HO

C

H

H

C

OH

H

C

OH

H 2C O

Pyruvat

P

Fructose-1,6-bisphosphat

Abb. 8.9 Die Glykolyse im Überblick. (nach Doenecke et al., Karlsons Biochemie, Thieme, 2005)

Aldolase

4

H2C O

266

Phosphofructokinase

3

H2O

2-Phosphoglycerat

stand. Diese Faktoren sind für die Regulation von Bedeutung (Pasteur-Effekt) (S. 423). Durch die Phosphoglycerat-Mutase wird 3-Phosphoglycerat in 2-Phosphoglycerat umgewandelt (① in ▶ Abb. 8.12), aus dem unter Wasserabspaltung durch die Enolase Phosphoenolpyruvat entsteht (②). Dabei handelt es sich um einen Enolester, dessen energiereiche Phos-

ATP

HO

C

O

C

H

P

H Dihydroxyacetonphosphat

H 5 TriosephosphatIsomerase

H

C C

O OH

H 2C O

P

Glycerinaldehyd3-phosphat

Abb. 8.10 Erste Schritte der Glykolyse. Erklärung siehe Text. (nach Doenecke et al., Karlsons Biochemie, Thieme, 2005)

8.5 Wege des Hexoseabbaus

Glycerinaldehydphosphat-Dehydrogenase HS Enzym H H

C

OH

O

C

OH

H2C O

P

1

H

C

S Enzym

H

C

OH

H2C O

P

NAD

+

2

O

S Enzym C∼

H

C

NADH + H+

Glycerinaldehyd3-phosphat

OH

H2C O

P

3 Pi

O

O C∼

H

C

P

3-PhosphoglyceratKinase

OH

H2C O

O H

4

P

1,3-Bisphosphoglycerat

ADP

ATP

C C

O– OH

H2C O

P

3-Phosphoglycerat

Abb. 8.11 Substratphosphorylierung. Glycerinaldehyd-3-phosphat wird zu 3-Phosphoglycerat dehydriert. Alle Reaktionen sind reversibel. Erklärung siehe Text. (nach Doenecke et al., Karlsons Biochemie, Thieme, 2005)

O H

C

O–

C

OH

3-Phosphoglycerat P

H2C O

Phosphoglycerat-Mutase

1

8.5.2 Pentosephosphatweg und oxidativer Pentosephosphatzyklus

O H

C

O–

C

O

P

2-Phosphoglycerat

H2C OH

Enolase

2

H2O O C

O–

C

O

P

Phosphoenolpyruvat

CH2 ADP Pyruvat-Kinase

3 ATP O

O C

O–

C

O–

C

O

C

OH

CH3

gesetzt, ist die Bilanz des Glucoseabbaus in der Glykolyse: 2 Pyruvat, 2 (4 – 2) ATP und 2 NADH. Die beiden energieliefernden Reaktionen, die bei der Umsetzung von Glycerinaldehyd-3-phosphat zu Pyruvat ablaufen, sind für anaerobe gärende Organismen die wichtigsten Reaktionen der Energieumwandlung.

Pyruvat

CH2

Abb. 8.12 Bildung von Pyruvat aus 3-Phosphoglycerat. Die Phosphorylgruppe des PEP wird auf ADP übertragen. Erklärung siehe Text.

phorylgruppe durch die Pyruvat-Kinase auf ADP übertragen wird (③). Das Pyruvat ist die Vorstufe weiterer Abbau-, Umwandlungs- und Syntheseprozesse. Mit Ausnahme der Hexokinase-, der Phosphofructokinase- und der Pyruvat-KinaseReaktion sind alle Reaktionen der Glykolyse reversibel. Wird das gesamte, durch die Spaltung von Fructose1,6-bisphosphat gebildete Triosephosphat zu Pyruvat um-

Der Pentosephosphatweg (▶ Abb. 8.13 rechts) dient dazu, eine Hexose in eine Pentose umzuwandeln, die als Baustein für die Biosynthese von Nukleinsäuren und Coenzymen benötigt wird. Außerdem dient der Prozess der Bildung von 2 NADPH. Dazu wird Glucose-6-phosphat durch zwei Dehydrogenierungsschritte zu Ribulose-5phosphat oxidiert. Glucose-6-phosphat wird zunächst durch Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase dehydrogeniert (①), wobei der Wasserstoff auf NADP+ übertragen und das labile 6-Phosphogluconolacton gebildet wird. Das 6-Phosphogluconolacton wird durch die Gluconolactonase zu 6-Phosphogluconat hydrolysiert (②), aus dem durch die 6-Phosphogluconat-Dehydrogenase mit NADP+ 3-Keto-6-phosphogluconat entsteht (③). Solche β-Ketosäuren decarboxylieren leicht und man erhält Ribulose-5-phosphat. Damit ist der eigentliche Oxidationsprozess abgeschlossen. Ribulose-5-phosphat steht mit Ribose-5-phosphat und Xylulose-5-phosphat im enzymkatalysierten Gleichgewicht. Die folgenden Reaktionen ergeben einen zyklischen Prozess, den oxidativen Pentosephosphatzyklus (▶ Abb. 8.13 links). Die Transketolase und die Transaldolase übertragen C3- bzw. C2-Fragmente von Donatorketosen, die zu verkürzten Aldosen werden, auf Akzeptoraldosen, die zu entsprechend verlängerten Ketosen werden. Dadurch wandeln die Enzyme drei Pentosephosphate in zwei Fructose-6-phosphate und ein Glycerinaldehyd-3phosphat um. Durch Isomerisierung von Fructose-6phosphat zu Glucose-6-phosphat und Kondensation von zwei Triosephosphaten zu einem Hexosephosphat schließt sich der oxidative Pentosephosphatzyklus. Der geschilderte Zyklus ist ein Nebenweg, der für die Bereitstellung von wichtigen Ausgangssubstanzen (Pen-

7

Zentrale Stoffwechselwege

H2C C H H

C C

O OH

H2 C O

OH

HO

C

H

H

C

OH

H

C

OH

H2C O

P

Glycerinaldehyd3-phosphat

H2C

O

C

OH H

C

HO

C

H

H

C

OH

H

C

OH

HO

C

H

H

C

OH

H

C

OH

P

H2C O

Fructose6-phosphat

CHO

O

P

Glucose6-phosphat

NADP+ Glucose-6-phosphatDehydrogenase H

C C

OH

H

C

OH

O H

C

HO

C

H

Erythrose-4phosphat

H

C

OH

H

C

H2C

O

HO

C

H

H

C

OH

H

C

OH

H

C

OH

H2 C O

H2O Gluconolactonase

H H P

C

O H OH

H2 C O Xylulose-5phosphat

H

H

C

OH

H

C

OH

P

C

O

H

C

OH

H

C

OH

H

C

OH

Ribulose-5-phosphatEpimerase

Ribose-5phosphat

OH

H2C O

3 CO2

+

NADPH + H

H2C

P

P

6-Phosphogluconsäure

Phospho- H riboseIsomerase H

tosephosphate, Erythrose-4-phosphat, Glycerinaldehyd3-phosphat) und Reduktionsäquivalenten (NADPH) für Syntheseprozesse sorgt. In einigen Bakterien, die einen unvollständigen Citratzyklus besitzen, dient er auch der vollständigen Oxidation von Glucose zu CO2 und damit der Energiegewinnung. Die Umwandlung der Zucker ineinander ist vollkommen reversibel und in der rückläufigen Richtung in den Calvin-Benson-Zyklus der Kohlendioxid-

268

C

NADP+ 6-PhosphogluconatDehydrogenase

H 2C O P

C

OH

H2C O

OH

C

H

Glycerinaldehyd3-phosphat

H

C

2

HO

O C

C2 TK

H

P

COO–

Sedoheptulose-7 -phosphat

HO

O

6-Phosphogluconolacton

OH

C

OH

H2C O

C3 TA

C

C

P

H2C O

H2 C

1

Abb. 8.13 Pentosephosphatweg des oxidativen Abbaus von Glucose-6-phosphat. Die rechte Spalte beschreibt den irreversiblen oxidativen Abbau von Glucose-6phosphat über 6-Phosphogluconolacton. Mit der Bildung von Ribulose-5-phosphat enden die Oxidationsschritte. Der linke Teil beschreibt die reversible Bildung von Hexosen aus Pentosen mithilfe von Transaldolasen (TA) und Transketolasen (TK), die C3bzw. C2-Fragmente übertragen. Erklärung siehe Text. (nach Doenecke et al., Karlsons Biochemie, Thieme, 2005)

NADPH + H+

O

H

P

H2C O

Fructose6-phosphat

C2 TK

OH

OH

C

O

C

OH

C

OH

H2C O

P

Ribulose-5phosphat

fixierung, in den Ribulosemonophosphatzyklus der Formaldehydfixierung und in andere Zyklen eingeschaltet. Bei einem einmaligen Umlauf des Pentosephosphatzyklus entstehen aus 3 Molekülen Glucose-6-phosphat 2 Moleküle Fructose-6-phosphat, 1 Molekül Glycerinaldehyd-3-phosphat, 3 CO2 und 6 (3 × 2) NADPH.

8.5 Wege des Hexoseabbaus

8.5.3 KDPG-(2-Keto-3-desoxy-6phosphogluconat-)Weg Glucose-6-phosphat wird zunächst, wie oben für den Pentosephosphatweg geschildert, zu 6-Phosphogluconat dehydrogeniert (① in ▶ Abb. 8.14). Durch eine 6-Phos-

H

C

phogluconat-Dehydratase wird unter Abspaltung von Wasser 2-Keto-3-desoxy-6-phosphogluconat (KDPG) gebildet (②). KDPG wird durch die KDPG-Aldolase zu Pyruvat und Glycerinaldehyd-3-phosphat gespalten (③). Letzteres wird wie in der Glykolyse zu Pyruvat oxidiert.

8.5.4 Wege des Zuckerstoffwechsels in Archaea

O

H

C

HO

C

H

H

C

OH

H

C

OH

In Archaea gibt es verschiedene Varianten der Glykolyse und des KDPG-Wegs, die auf dem Weg bis zum Pyruvat nur ein oder auch gar kein ATP liefern (▶ Abb. 8.15 und ▶ Abb. 8.16). Das Phosphotransferasesystem (S. 340) zum

OH Glucose-6-phosphat

P

H2 C O

Gluconeogenese

NAD(P)+

Glykolyse Glucose

Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase

1 NAD(P)H + H+

GK

H2O

Glucose-6-phosphat

O

C

O– PGI

H

C

OH

HO

C

H

H

C

OH

H

C

OH

2

FBP-A/P

C C

FBP-A/P

Phosphogluconat-Dehydratase

O–

Dihydroxyacetonphosphat

O

H2 C

KDPG (2-Keto-3-desoxy-6-phosphogluconat)

H

C

OH

H

C

OH

PFK

Fructose-1,6-bisphosphat

P

H2O

O

Fructose-6-phosphat

6-Phosphogluconat

H2 C O

PGI

FBP-Aldolase

Glycerinaldehydphosphat GAP-DH

GAPOR

PGK 3-Phosphoglycerat P

H2 C O

PGM

PGM

KDPG-Aldolase

3

H

2-Phosphoglycerat

O

2 ADP + 2 Pi

C H

C

2 ATP ENO

H 2C O

P

NAD+

NADH + H+

Glycerinaldehyd3-phosphat O

ENO

OH Phosphoenolpyruvat PEPS

PEPS/PPDK/PK

Pyruvat

O C

O–

C

O–

C

O

C

O

CH3

CH3

Pyruvat

Pyruvat

Abb. 8.14 Der KDPG-Weg des oxidativen Abbaus von Glucose. Das bei der Dehydrogenierung von Glucose-6-phosphat als Zwischenprodukt auftretende 6-Phosphogluconolacton ist nicht eingezeichnet. Erklärung siehe Text.

Abb. 8.15 Zuckerstoffwechsel in Archaea mithilfe einer modifizierten Glykolyse. Blau dargestellt sind charakteristische archaebakterielle Enzyme. GK, Glucokinase; PGI, Phosphoglucose-Isomerase; PFK, Phosphofructokinase; FBP-A/P, Fructose1,6-bisphosphat-Aldolase/Phosphatase; GAPDH, GAP-Dehydrogenase; PGK, Phosphoglycerat-Kinase; GAPOR, GAP:FerredoxinOxidoreduktase; PGM, Phosphoglycerat-Mutase; ENO, Enolase; PEPS, PEP-Synthase; PPDK, Pyruvat:Phosphat-Dikinase; PK, Pyruvat-Kinase.

9

Zentrale Stoffwechselwege Transport der Zucker fehlt. Die ungewöhnlichen Varianten setzen Zucker möglichst rasch zu Pyruvat um, ohne von der Substratphosphorylierung bei der Oxidation von Glycerinaldehyd(-3-phosphat) Gebrauch zu machen. Viele Enzyme, auch solche, die konventionelle Reaktionen katalysieren, sind nicht homolog zu den Enzymen in Bacteria; sie sind also parallel entstanden. Die modifizierte Glykolyse kommt vor allem bei anaeroben, der modifizierte KDPG-Weg meist bei aeroben Archaea vor. Ausnahmen gibt es bei Halobakterien. ▶ Modifizierte Glykolyse. Die Glucokinasen und die Phosphofructokinasen verwenden ATP, ADP oder Pyrophosphat als Phosphorylgruppendonator, wobei ADP, AMP bzw. Pi als Produkte entstehen. Die Glycerinaldehyd-3-phosphat-Dehydrogenase (GAPDH) wird durch eine ferredoxinabhängige Oxidoreduktase (GAPOR) ersetzt, die kein energiereiches Zwischenprodukt bildet und Glycerinaldehyd-3-phosphat direkt zu 3-Phosphoglycerat oxidiert (▶ Abb. 8.15). Die Pyruvat-Kinase kann ersetzt sein durch eine Pyruvat:Phosphat-Dikinase (PEP + AMP + Pyrophosphat → Pyruvat + ATP + Phosphat) oder eine Pyruvat:Wasser-Dikinase (PEP-Synthase; PEP + AMP + Phosphat → Pyruvat + ATP + H2O); PEP steht für Phosphoenolpyruvat Die Pyruvat-Dehydrogenase wird in der Regel ersetzt durch die Pyruvat:FerredoxinOxidoreduktase. Die Glykolyse ist also ganz auf die rasche Bildung von Pyruvat und von reduziertem Ferredoxin mit niedrigem Redoxpotenzial angelegt, das im Energiestoffwechsel dieser Archaea eine zentrale Rolle spielt. Die Gluconeogenese verläuft wie in anderen Organismen. Jedoch wird in der Regel die Fructose-1,6bisphosphat-Aldolase ersetzt durch ein bifunktionelles Enzym, das zusätzlich Fructose-1,6-bisphosphat hydrolysiert. Diese Fructose-1,6-bisphosphat-Aldolase/Phosphatase sorgt dafür, dass in thermophilen, ursprünglichen Organismen die hitzelabilen Triosephosphate rasch zu stabilem Fructose-6-phosphat und Phosphat umgesetzt werden. Erwähnt sei noch der ungewöhnliche Syntheseweg von Ribulose-5-phosphat aus Glucose-6-phosphat via Hexulose-6-phosphat, bei dem das C 1 als Formaldehyd (S. 314) abgespalten wird. ▶ Modifizierter KDPG-Weg. Der KDPG-Weg zum Abbau von Glucose und Galactose existiert in einer nicht-phosphorylierten und einer semi-phosphorylierten Form (▶ Abb. 8.16). In der nicht-phosphorylierten Variante wird 2-Keto-3-desoxygluconat bzw. -galactonat (KDG bzw. KDGal) gebildet, die durch eine KDG-Aldolase in Glycerinaldehyd und Pyruvat gespalten werden. Glycerinaldehyd wird direkt zu Glycerat oxidiert, Cofaktoren sind NAD(P)+ (GADH) oder Ferredoxin (GAOR). Glycerat wird dann mit ATP zu 2-Phosphoglycerat phosphoryliert. In der semi-phosphorylierten Variante wird ebenfalls KDG (bzw. KDGal) gebildet, die dann aber zu KDPG (bzw. KDPGal) phosphoryliert und durch die KD(P)G-Aldolase

270

KDPG-Weg nicht phosphoryliert Glucose/Galactose

semiphosphoryliert

GDH Gluconat/Galactonat GAD 2-Keto-3-desoxygluconat/-galactonat KDGA

KDGK

2-Keto-3-desoxy6-phosphogluconat/-galactonat

KD(P)GA KD(P)GA

Pyruvat

Pyruvat Pyruvat

Glycerinaldehyd GADH Glycerat GLK

Glycerinaldehyd GAOR Glycerat GLK

Glycerinaldehydphosphat GAPN 3-Phosphoglycerat PGM

2-Phosphoglycerat ENO Phosphoenolpyruvat PK Pyruvat Abb. 8.16 Zuckerstoffwechsel in Archaea mithilfe eines modifizierten KDPG-Wegs. Blau dargestellt sind charakteristische archaebakterielle Enzyme. KDG, 2-Keto-3-desoxygluconat; KDPG, 2-Keto-3-desoxy-6-phosphogluconat; GDH, GlucoseDehydrogenase; GAD, Gluconat-Dehydratase; KDGA, KDGAldolase; KD(P)GA, KDG/KDPG-Aldolase; GADH, Glycerinaldehyd-Dehydrogenase; GAOR, Glycerinaldehyd:Ferredoxin-Oxidoreduktase; GAPN, nicht-phosphorylierende GlycerinaldehydDehydrogenase; GLK, Glycerat-Kinase; die übrigen Abkürzungen siehe Legende zu ▶ Abb. 8.15.

in Glycerinaldehyd-3-phosphat und Pyruvat gespalten werden. Glycerinaldehyd-3-phosphat wird direkt zu 3-Phosphoglycerat oxidiert, Cofaktor ist NAD(P)+ (GAPN). Schließlich gibt es noch besondere Abbauwege für Pentosen, die in 2-Oxoglutarat (= α-Ketoglutarat) oder Glykolaldehyd und Pyruvat münden.

8.5.5 Energiebilanzen und Verbreitung der Zuckerabbauwege Die Bilanzen der Zuckerabbauwege unterscheiden sich. In der Glykolyse werden pro Glucose bei der Oxidation zu Pyruvat 2 ATP und 2 NADH erzeugt. Der KDPG-Weg pro-

8.6 Oxidation von Pyruvat Tab. 8.3 Beteiligung verschiedener Wege am Hexoseabbau. Art

Glykolyse

Pentosephosphatweg

KDPG-Weg

Candida utilis

70–80 %

30–20 %



Streptomyces griseus

97 %

3%



Penicillium chrysogenum

77 %

23 %



Escherichia coli

72 %

28 %



Bacillus subtilis

74 %

26 %



Pseudomonas aeruginosa



29 %

71 %

Gluconobacter oxydans



100 %



Pseudomonas saccharophila





100 %

Ralstonia eutropha





100 %

duziert pro Glucose je 1 ATP, NADH und NADPH. In diesem Fall tritt also in der Bilanz ein NADPH an die Stelle von einem ATP und einem NADH. Diese Äquivalenz stimmt mit der Erkenntnis überein, dass die Übertragung des Wasserstoffs von NADH auf NADP+ durch Transhydrogenasen (S. 308) Energie erfordert. Mikroorganismen unterscheiden sich beträchtlich in dem Ausmaß, in dem sie von dem einen oder anderen Weg Gebrauch machen (▶ Tab. 8.3). Die Enzyme der Glykolyse gehören in der Regel zur Grundausstattung der Zelle, wenngleich dieser Weg bei vielen Bakterien nur in umgekehrter Richtung abläuft (unter Überbrückung der irreversiblen Schritte durch andere Enzyme, s. Gluconeogenese) (S. 287). Der Pentosephosphatweg ist ebenfalls von universeller Bedeutung und auch der KDPG-Weg ist bei strikt aeroben Bacteria sehr weit verbreitet und dient außerdem der Verwertung von Gluconat. Während z. B. Escherichia coli und Clostridium-Arten Glucose über die Glykolyse abbauen, schleusen sie Gluconat über den KDPG-Weg in den Intermediärstoffwechsel ein.

COO– C

R

SH S

H

CH3

HS

CH3

N

O

8.6 Oxidation von Pyruvat Pyruvat steht im Zentrum des Intermediärstoffwechsels und kann zur Bildung zahlreicher Syntheseprodukte führen. Von vielen Organismen wird der überwiegende Teil des während des Katabolismus gebildeten Pyruvats zu Acetyl-Coenzym A (Acetyl-CoA) oxidiert. Coenzym A wird gelegentlich mit HS-CoA abgekürzt, um die Rolle der Thiolgruppe bei der Reaktion zu verdeutlichen. Im Stoffwechsel der Bakterien spielen die Reaktionen 1–3 eine überragende Rolle, Reaktion 4 ist seltener: 1) Pyruvat + HS-CoA + NAD+ → Acetyl-CoA + NADH + H+ + CO2 2) Pyruvat + HS-CoA + 2 Ferredoxinox → Acetyl-CoA + 2 Ferredoxinred + CO2 3) Pyruvat + HS-CoA → Acetyl-CoA + Formiat 4) Pyruvat → Acetaldehyd + CO2 Reaktion 1 wird auch oxidative Decarboxylierung bzw. dehydrierende Decarboxylierung genannt. Die Reaktion ist irreversibel und wird vom Pyruvat-DehydrogenaseMultienzymkomplex (kurz Pyruvat-Dehydrogenase) katalysiert. Das Enzym ist bei aeroben Organismen vorhanden und bildet Acetyl-CoA, das in den Citratzyklus eingeschleust wird. Pyruvat wird unter Beteiligung von mehreren Cofaktoren zu Acetyl-CoA, Kohlendioxid und NADH umgesetzt (▶ Abb. 8.17). CH3

CoA

C O

S

E2

Pyruvat

H3C

N

S

COO

–S

CO2

HO H3C

SH

N

E3

C H

CoA

S

R

E1

S

Abb. 8.17 Die Reaktionsschritte der Dehydrogenierung von Pyruvat. Erklärung siehe Text.

SH

E2

C

O

AcetylCoA

R HO

C

S

Hydroxyethyl-TPP

Liponat

NADH + H+

NAD

+

Dihydroliponat

1

8.6 Oxidation von Pyruvat Tab. 8.3 Beteiligung verschiedener Wege am Hexoseabbau. Art

Glykolyse

Pentosephosphatweg

KDPG-Weg

Candida utilis

70–80 %

30–20 %



Streptomyces griseus

97 %

3%



Penicillium chrysogenum

77 %

23 %



Escherichia coli

72 %

28 %



Bacillus subtilis

74 %

26 %



Pseudomonas aeruginosa



29 %

71 %

Gluconobacter oxydans



100 %



Pseudomonas saccharophila





100 %

Ralstonia eutropha





100 %

duziert pro Glucose je 1 ATP, NADH und NADPH. In diesem Fall tritt also in der Bilanz ein NADPH an die Stelle von einem ATP und einem NADH. Diese Äquivalenz stimmt mit der Erkenntnis überein, dass die Übertragung des Wasserstoffs von NADH auf NADP+ durch Transhydrogenasen (S. 308) Energie erfordert. Mikroorganismen unterscheiden sich beträchtlich in dem Ausmaß, in dem sie von dem einen oder anderen Weg Gebrauch machen (▶ Tab. 8.3). Die Enzyme der Glykolyse gehören in der Regel zur Grundausstattung der Zelle, wenngleich dieser Weg bei vielen Bakterien nur in umgekehrter Richtung abläuft (unter Überbrückung der irreversiblen Schritte durch andere Enzyme, s. Gluconeogenese) (S. 287). Der Pentosephosphatweg ist ebenfalls von universeller Bedeutung und auch der KDPG-Weg ist bei strikt aeroben Bacteria sehr weit verbreitet und dient außerdem der Verwertung von Gluconat. Während z. B. Escherichia coli und Clostridium-Arten Glucose über die Glykolyse abbauen, schleusen sie Gluconat über den KDPG-Weg in den Intermediärstoffwechsel ein.

COO– C

R

SH S

H

CH3

HS

CH3

N

O

8.6 Oxidation von Pyruvat Pyruvat steht im Zentrum des Intermediärstoffwechsels und kann zur Bildung zahlreicher Syntheseprodukte führen. Von vielen Organismen wird der überwiegende Teil des während des Katabolismus gebildeten Pyruvats zu Acetyl-Coenzym A (Acetyl-CoA) oxidiert. Coenzym A wird gelegentlich mit HS-CoA abgekürzt, um die Rolle der Thiolgruppe bei der Reaktion zu verdeutlichen. Im Stoffwechsel der Bakterien spielen die Reaktionen 1–3 eine überragende Rolle, Reaktion 4 ist seltener: 1) Pyruvat + HS-CoA + NAD+ → Acetyl-CoA + NADH + H+ + CO2 2) Pyruvat + HS-CoA + 2 Ferredoxinox → Acetyl-CoA + 2 Ferredoxinred + CO2 3) Pyruvat + HS-CoA → Acetyl-CoA + Formiat 4) Pyruvat → Acetaldehyd + CO2 Reaktion 1 wird auch oxidative Decarboxylierung bzw. dehydrierende Decarboxylierung genannt. Die Reaktion ist irreversibel und wird vom Pyruvat-DehydrogenaseMultienzymkomplex (kurz Pyruvat-Dehydrogenase) katalysiert. Das Enzym ist bei aeroben Organismen vorhanden und bildet Acetyl-CoA, das in den Citratzyklus eingeschleust wird. Pyruvat wird unter Beteiligung von mehreren Cofaktoren zu Acetyl-CoA, Kohlendioxid und NADH umgesetzt (▶ Abb. 8.17). CH3

CoA

C O

S

E2

Pyruvat

H3C

N

S

COO

–S

CO2

HO H3C

SH

N

E3

C H

CoA

S

R

E1

S

Abb. 8.17 Die Reaktionsschritte der Dehydrogenierung von Pyruvat. Erklärung siehe Text.

SH

E2

C

O

AcetylCoA

R HO

C

S

Hydroxyethyl-TPP

Liponat

NADH + H+

NAD

+

Dihydroliponat

1

Zentrale Stoffwechselwege Der Multienzymkomplex lässt sich in drei Proteine zerlegen: die Pyruvat-Dehydrogenase (E1), die Dihydroliponamid-Transacetylase (E2) und die DihydroliponamidDehydrogenase (E3). Bei der einleitenden Umsetzung an E1 wird Pyruvat an die C 2-Position des Thiazolrings des Thiaminpyrophosphats (TPP, auch Thiamindiphosphat genannt) angelagert und CO2 abgespalten. Das dabei entstandene Hydroxyethyl-TPP reagiert mit der Disulfidbrücke des an E2 gebundenen, oxidierten Liponats, es entsteht S-Acetyldihydroliponat. Die gebundene Acetylgruppe wird von der Thiolgruppe des Coenzym A übernommen (es entsteht Acetyl-CoA), wobei das Liponat zum Dithiol (Dihydroliponat) reduziert wird. Die beiden Thiolgruppen des Dihydroliponats werden durch E3 unter Reduktion von NAD+ wieder zum Disulfid des Liponats oxidiert. Reaktion 2 kommt in strikt anaeroben Bakterien vor, die den Pyruvat-Dehydrogenase-Multienzymkomplex nicht enthalten. Die reversible Reaktion wird von der Pyruvat:Ferredoxin-Oxidoreduktase katalysiert. Elektronenüberträger ist hier Ferredoxin. Das Enzym kann auch umgekehrt Acetyl-CoA reduktiv zu Pyruvat carboxylieren und wird deshalb oft Pyruvat-Synthase genannt (▶ Abb. 9.20). Reaktion 3 ist ebenfalls umkehrbar und wird von der Pyruvat-Formiat-Lyase katalysiert. Das Enzym spaltet Pyruvat homolytisch (radikalisch) in ein C2-Fragment (Acetyl-CoA) und ein C1-Fragment (Ameisensäure, Formiat). Es ersetzt bei anaerobem Wachstum von fakultativ anaeroben Bakterien die Pyruvat-Dehydrogenase. Besonders Enterobacteriaceae, aber auch phototrophe Bakterien, scheiden dann Ameisensäure aus. Das Enzym arbeitet mit einem Formiatkanal zusammen. Reaktion 4 wird durch die Pyruvat-Decarboxylase katalysiert. Das Enzym ist in anaeroben Hefen und einigen Bakterien, die Ethanol als Gärprodukt ausscheiden, vorhanden. Es oxidiert Pyruvat nicht, sondern decarboxyliert es irreversibel zu Acetaldehyd (der anschließend durch die Alkohol-Dehydrogenase zu Ethanol reduziert wird).

8.7 Citratzyklus und alternative Wege Der Citratzyklus wird auch Zitronensäurezyklus, Tricarbonsäurezyklus (engl. tricarboxylic acid cycle, TCA-Zyklus), oder, nach seinem Entdecker Hans Krebs, Krebs-Zyklus genannt (▶ Abb. 8.18). Er dient der Oxidation von Acetyl-CoA zu Kohlendioxid unter Abspaltung von Wasserstoff. Die Gesamtbilanz, für Essigsäure formuliert, lautet: CH3–COOH + 2 H2O → 2 CO2 + 8 [H] Durch drei der beteiligten Dehydrogenasen wird der Wasserstoff auf NAD(P)+, durch die Succinat-Dehydrogenase (s. Atmungskette, Komplex II, Kapitel 8.7) dagegen direkt auf ein Chinon in der Membran übertragen. Die

272

Coenzyme transportieren den Wasserstoff in der Regel zur Atmungskette. Außerdem wird 1 ATP regeneriert (wenn man den Prozess mit Acetyl-CoA statt der freien Essigsäure formuliert). Die Citrat-Synthase kondensiert Acetyl-CoA in einer Aldoladdition zunächst mit Oxalacetat zu Citrat (① in ▶ Abb. 8.18), wobei Coenzym A (HS-CoA) irreversibel abgespalten wird. Citrat ist zwar ein spiegelbildlich symmetrisches Molekül, wird aber asymmetrisch abgebaut. Gewöhnlich werden in der ersten Runde des Zyklus 2 CAtome, die aus dem Oxalacetat stammen, zu 2 CO2 oxidiert! Die Aconitat-Hydratase (Aconitase) katalysiert die reversible Umwandlung der drei Tricarbonsäuren Citrat, cis-Aconitat und Isocitrat ineinander (②). Die IsocitratDehydrogenase katalysiert die Reaktionen, die von Isocitrat zu 2-Oxoglutarat führen (③). In Bakterien wird dabei häufig NADP+ reduziert und somit weitere Reduktionsmittel für Biosynthesen bereitstellt. Das zwischenzeitlich gebildete Oxalsuccinat, eine β-Ketosäure, wird sofort decarboxyliert. Die 2-Oxoglutarat-Dehydrogenase katalysiert eine der Pyruvat-Dehydrogenase-Reaktion völlig analoge, irreversible oxidative Decarboxylierung einer αKetosäure (④). Das entstandene Succinyl-CoA wird durch die Succinat-Thiokinase (auch Succinyl-CoA-Synthetase genannt) in einer gekoppelten Reaktion unter Phosphorylierung von GDP gespalten (⑤): Succinyl-CoA + GDP + Pi → Succinat + HS-CoA + GTP GTP + ADP ↔ GDP + ATP Die Succinat-Dehydrogenase ist ein Membranproteinkomplex. Er oxidiert Succinat zu Fumarat und überträgt die Elektronen auf Ubichinon (E0’ + 0,11 V) in der Membran (⑥). Das Redoxpotenzial (E0’) des Fumarat/SuccinatPaares ist ca. 0 V, sodass NAD+ mit einem Redoxpotenzial von –0,32 V nicht reduziert werden kann. Die Fumarase (Fumarat-Hydratase) lagert in einer stereospezifischen Hydratisierung, die zu L-Malat führt, Wasser an Fumarat an (⑦). Die Malat-Dehydrogenase dehydrogeniert das Malat anschließend zu Oxalacetat und der Acetatakzeptor ist damit regeneriert (⑧). Die Synthese von Citrat und die Oxidation von 2-Oxoglutarat sind irreversibel, alle anderen Reaktionen sind reversibel. Bei strikten Anaerobiern gibt es einige Enzymvarianten, das Prinzip ist aber das Gleiche. Vor allem wird die Oxidation von 2-Oxoglutarat durch ein ferredoxinabhängiges Enzym katalysiert, analog zur Pyruvat-Synthase. Nicht alle Bakterien nutzen den Citratzyklus zur Oxidation von Acetyl-CoA. Alternative Wege der Oxidation organischer Verbindungen sind in Plus 8.3 aufgeführt.

Zentrale Stoffwechselwege Der Multienzymkomplex lässt sich in drei Proteine zerlegen: die Pyruvat-Dehydrogenase (E1), die Dihydroliponamid-Transacetylase (E2) und die DihydroliponamidDehydrogenase (E3). Bei der einleitenden Umsetzung an E1 wird Pyruvat an die C 2-Position des Thiazolrings des Thiaminpyrophosphats (TPP, auch Thiamindiphosphat genannt) angelagert und CO2 abgespalten. Das dabei entstandene Hydroxyethyl-TPP reagiert mit der Disulfidbrücke des an E2 gebundenen, oxidierten Liponats, es entsteht S-Acetyldihydroliponat. Die gebundene Acetylgruppe wird von der Thiolgruppe des Coenzym A übernommen (es entsteht Acetyl-CoA), wobei das Liponat zum Dithiol (Dihydroliponat) reduziert wird. Die beiden Thiolgruppen des Dihydroliponats werden durch E3 unter Reduktion von NAD+ wieder zum Disulfid des Liponats oxidiert. Reaktion 2 kommt in strikt anaeroben Bakterien vor, die den Pyruvat-Dehydrogenase-Multienzymkomplex nicht enthalten. Die reversible Reaktion wird von der Pyruvat:Ferredoxin-Oxidoreduktase katalysiert. Elektronenüberträger ist hier Ferredoxin. Das Enzym kann auch umgekehrt Acetyl-CoA reduktiv zu Pyruvat carboxylieren und wird deshalb oft Pyruvat-Synthase genannt (▶ Abb. 9.20). Reaktion 3 ist ebenfalls umkehrbar und wird von der Pyruvat-Formiat-Lyase katalysiert. Das Enzym spaltet Pyruvat homolytisch (radikalisch) in ein C2-Fragment (Acetyl-CoA) und ein C1-Fragment (Ameisensäure, Formiat). Es ersetzt bei anaerobem Wachstum von fakultativ anaeroben Bakterien die Pyruvat-Dehydrogenase. Besonders Enterobacteriaceae, aber auch phototrophe Bakterien, scheiden dann Ameisensäure aus. Das Enzym arbeitet mit einem Formiatkanal zusammen. Reaktion 4 wird durch die Pyruvat-Decarboxylase katalysiert. Das Enzym ist in anaeroben Hefen und einigen Bakterien, die Ethanol als Gärprodukt ausscheiden, vorhanden. Es oxidiert Pyruvat nicht, sondern decarboxyliert es irreversibel zu Acetaldehyd (der anschließend durch die Alkohol-Dehydrogenase zu Ethanol reduziert wird).

8.7 Citratzyklus und alternative Wege Der Citratzyklus wird auch Zitronensäurezyklus, Tricarbonsäurezyklus (engl. tricarboxylic acid cycle, TCA-Zyklus), oder, nach seinem Entdecker Hans Krebs, Krebs-Zyklus genannt (▶ Abb. 8.18). Er dient der Oxidation von Acetyl-CoA zu Kohlendioxid unter Abspaltung von Wasserstoff. Die Gesamtbilanz, für Essigsäure formuliert, lautet: CH3–COOH + 2 H2O → 2 CO2 + 8 [H] Durch drei der beteiligten Dehydrogenasen wird der Wasserstoff auf NAD(P)+, durch die Succinat-Dehydrogenase (s. Atmungskette, Komplex II, Kapitel 8.7) dagegen direkt auf ein Chinon in der Membran übertragen. Die

272

Coenzyme transportieren den Wasserstoff in der Regel zur Atmungskette. Außerdem wird 1 ATP regeneriert (wenn man den Prozess mit Acetyl-CoA statt der freien Essigsäure formuliert). Die Citrat-Synthase kondensiert Acetyl-CoA in einer Aldoladdition zunächst mit Oxalacetat zu Citrat (① in ▶ Abb. 8.18), wobei Coenzym A (HS-CoA) irreversibel abgespalten wird. Citrat ist zwar ein spiegelbildlich symmetrisches Molekül, wird aber asymmetrisch abgebaut. Gewöhnlich werden in der ersten Runde des Zyklus 2 CAtome, die aus dem Oxalacetat stammen, zu 2 CO2 oxidiert! Die Aconitat-Hydratase (Aconitase) katalysiert die reversible Umwandlung der drei Tricarbonsäuren Citrat, cis-Aconitat und Isocitrat ineinander (②). Die IsocitratDehydrogenase katalysiert die Reaktionen, die von Isocitrat zu 2-Oxoglutarat führen (③). In Bakterien wird dabei häufig NADP+ reduziert und somit weitere Reduktionsmittel für Biosynthesen bereitstellt. Das zwischenzeitlich gebildete Oxalsuccinat, eine β-Ketosäure, wird sofort decarboxyliert. Die 2-Oxoglutarat-Dehydrogenase katalysiert eine der Pyruvat-Dehydrogenase-Reaktion völlig analoge, irreversible oxidative Decarboxylierung einer αKetosäure (④). Das entstandene Succinyl-CoA wird durch die Succinat-Thiokinase (auch Succinyl-CoA-Synthetase genannt) in einer gekoppelten Reaktion unter Phosphorylierung von GDP gespalten (⑤): Succinyl-CoA + GDP + Pi → Succinat + HS-CoA + GTP GTP + ADP ↔ GDP + ATP Die Succinat-Dehydrogenase ist ein Membranproteinkomplex. Er oxidiert Succinat zu Fumarat und überträgt die Elektronen auf Ubichinon (E0’ + 0,11 V) in der Membran (⑥). Das Redoxpotenzial (E0’) des Fumarat/SuccinatPaares ist ca. 0 V, sodass NAD+ mit einem Redoxpotenzial von –0,32 V nicht reduziert werden kann. Die Fumarase (Fumarat-Hydratase) lagert in einer stereospezifischen Hydratisierung, die zu L-Malat führt, Wasser an Fumarat an (⑦). Die Malat-Dehydrogenase dehydrogeniert das Malat anschließend zu Oxalacetat und der Acetatakzeptor ist damit regeneriert (⑧). Die Synthese von Citrat und die Oxidation von 2-Oxoglutarat sind irreversibel, alle anderen Reaktionen sind reversibel. Bei strikten Anaerobiern gibt es einige Enzymvarianten, das Prinzip ist aber das Gleiche. Vor allem wird die Oxidation von 2-Oxoglutarat durch ein ferredoxinabhängiges Enzym katalysiert, analog zur Pyruvat-Synthase. Nicht alle Bakterien nutzen den Citratzyklus zur Oxidation von Acetyl-CoA. Alternative Wege der Oxidation organischer Verbindungen sind in Plus 8.3 aufgeführt.

8.7 Citratzyklus und alternative Wege

O CH3

O

H2O

C

C

H2C

COO

COO–

H2C

COO–

Citrat

CitratSynthase

COO–

2

Malat-Synthase 10

COO–

COO–

HC

COO–

AconitatHydratase 2 (Aconitase) COO –

CHO

7 Fumarase HC

C

NAD+

L-Malat

H2O

COO–

cis-Aconitat

CH

H2 C

H2C

NADH + H+

COO– HO

H2O Aconitathydratase (Aconitase)

Oxalacetat MalatDehydrogenase 8

COO–

C

HO 1



H2 C

CoA

SCoA

COO–

H2C

COO–

H2 C

COO–



H2C

COO–

HC

COO–

C

COO–

HO

9 Isocitrat-Lyase

H Isocitrat

OOC CH Fumarat

SuccinatDehydro6 genase

H2O

NAD(P)+ QH2

NAD(P)H + H+

Q COO –

H2C

COO–

H2C COO – Succinat

HC

COO–

C

COO–

H2 C

ATP HS-CoA

O Succinat5 Thiokinase

ADP CH2

COO–

CH2

2-OxoglutaratDehydrogenase NADH + H+

CO SCoA Succinyl-CoA

NAD+

IsocitratDehydrogenase

Oxalsuccinat IsocitratDehydrogenase 3 CO2 H 2C

COO–

H2C O C COO– 2-Oxoglutarat

4 CO2

3

HS-CoA

Abb. 8.18 Der Citratzyklus. ① Citratbildung, ② Isomerisierung, ③ und ④ oxidative Decarboxylierung, ⑤ Substratphosphorylierung, ⑥–⑧ Regeneration des Oxalacetats durch Dehydrierung. Die reduzierten Coenzyme müssen in der Atmungskette wieder oxidiert werden, damit der Zykus kontinuierlich ablaufen kann. Zur Verdeutlichung des asymmetrischen Abbaus des Citrats sind die aus dem Acetat stammenden C-Atome bis zu Reaktion ⑥ rot markiert. Succinat ist die erste symmetrische Verbindung. Die punktierten Pfeile markieren den Glyoxylatzyklus (vgl. ▶ Abb. 8.34). Bis auf die Schritte ① und ④ sind die Reaktionen reversibel.

Plus 8.3 Alternative Wege der Oxidation von organischen Verbindungen Verschiedene Bakterien besitzen nur einen unvollständigen Citratzyklus, in dem meist das Enzym, das 2-Oxoglutarat oxidiert, fehlt (man spricht von Hufeisenform des unvollständigen Zyklus). Der Zyklus erfüllt noch seine biosynthetische Funktion, aber Acetyl-CoA kann auf diesem Weg nicht mehr oxidiert werden. Es gibt Alternativen, um organische Verbindungen dennoch vollständig zu CO2 zu oxidieren. Eine Möglichkeit ist der oxidative Pentosephosphatzyklus (S. 267), der z. B. in Chloroplasten im Dunkeln betrieben wird. Eine andere Möglichkeit ist der oxidative Acetyl-CoA-

●V

Weg. Dabei handelt es sich um eine Umkehrung des reduktiven Acetyl-CoA-Wegs (S. 312) der autotrophen CO2-Fixierung. Dieser Weg ist günstig für anaerobe Bakterien, die fakultativ autotroph sind und in ihrer Umwelt Acetat und verschiedene C1-Verbindungen antreffen, die ebenfalls über diesen Weg assimiliert oder oxidiert werden. Einige Bakteriengruppen (viele Cyanobakterien, Mycobacterium) ersetzen die 2-Oxoglutarat-Dehydrogenase durch zwei andere Enzyme, eine 2-Oxoglutarat-Decarboxylase, die Succinatsemialdehyd und CO2 bildet, und eine Succinatsemialdehyd-Dehydrogenase, die Succinat bildet.

3

Zentrale Stoffwechselwege

8.8 Elektronentransportphosphorylierung der Atmungskette Im vorherigen Abschnitt wurde besprochen, wie im oxidativen Teil des Stoffwechsels die Substrate zu CO2 oxidiert und dabei Coenzyme reduziert werden. Nun geht es im reduktiven Teil des Stoffwechsels um die Reduktion des externen Elektronenakzeptor O2 durch die reduzierten Coenzyme. Während die meisten anaerob lebenden Organismen ATP nur durch Substratphosphorylierung zu regenerieren vermögen, synthetisieren atmende und photosynthesetreibende Organismen ATP auf eine ungleich wirksamere Art. Sie verfügen über einen besonderen Apparat: die Elektronentransportkette und das Enzym ATP-Synthase. Beide Systeme sind bei den Prokaryonten in der Cytoplasmamembran und bei den Eukaryonten in der inneren Membran der Mitochondrien bzw. in der Thylakoidmembran der Chloroplasten lokalisiert. Sowohl Mitochondrien als auch Chloroplasten, die beiden der Energiegewinnung dienenden Organellen der Eukaryonten, leiten sich von Bakterien ab (Endosymbiose). Die Prinzipien ihrer Energietransformation sind deshalb mit denen der Prokaryonten vergleichbar. In Mitochondrien findet man ganz ähnliche Verhältnisse wie bei Alphaproteobakterien. Für Chloroplasten dienen Cyanobakterien als Vorbild. In der Atmungskette werden die Reduktionsäquivalente über Membranproteinkomplexe auf Sauerstoff übertragen. An der Membran findet also eine biochemische Knallgasreaktion, die Reaktion von H2 mit O2 zu H2O, statt. Sie unterscheidet sich von der chemischen Wasserstoffverbrennung energetisch dadurch, dass der größte Teil der freien Energie (ca. 60 %) als biologisch verwertbare Energie in Form von ATP gespeichert wird. Nur ein geringerer Teil (ca. 40 %) geht als Wärme verloren (energetische Grundlagen, s. Anhang). Die Prinzipien des Elektronentransports und der Elektronentransportphosphorylierung der Atmung gelten auch für die Photosynthese (S. 484). Wenn statt Sauerstoff andere terminale Elektronenakzeptoren in einer Atmungskette verwendet werden, spricht man von anaerober Atmung (S. 442).

8.8.1 Energetische Grundlagen und das Prinzip der Atmungskette Die Reduktionsäquivalente (Elektronen, e–, plus Protonen, H+) werden von den Substraten unter Vermittlung der elektronenübertragenden Coenzyme (NADH, Chinol) an der Cytoplasmamembran der Prokaryonten oder an der inneren Mitochondrienmembran der Eukaryonten abgenommen. Die Elektronen werden so durch die Membran geleitet, dass dabei Protonen, also positiv geladene Ionen, von der Cytoplasmaseite gegen das Konzentrations- und

274

Ladungsgefälle nach außen transportiert werden. Dadurch baut sich über der Membran ein elektrochemisches Potenzial auf, das durch den H+-Konzentrationsgradienten und das Ladungsungleichgewicht bestimmt wird. Die beim Elektronenfluss frei werdende Energie wird also in einem elektrochemischen Potenzial über der Membran konserviert, bevor sie zur ATP-Synthese benutzt wird. Dieses elektronen- und protonentransportierende System nennt man Atmungskette oder Elektronentransportkette. Die Kette setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen, über die kaskadenartig Elektronen bzw. Wasserstoff zum Sauerstoff geleitet werden. Einige der Komponenten übertragen nur Elektronen, andere übertragen Elektronen zusammen mit Protonen, also Wasserstoff. Redoxprozesse können auf dreierlei Art zum Aufbau eines Protonengradienten an der Membran verwendet werden. ● Proteinkomplexe „pumpen“ beim Durchgang von Elektronen eine bestimmte Anzahl von Protonen von der Membraninnenseite nach außen, wie bei Komplex I und IV der Atmungskette (▶ Abb. 8.19a). ● Elektronen und Protonen werden an der Innenseite der Membran aufgenommen und an der Außenseite abgegeben, wie beim Komplex III der Atmungskette (▶ Abb. 8.19b). So entsteht ein Protonengradient. ● Bei den Umsetzungen von anorganischen Substraten erfolgt häufig die Oxidation des anorganischen Substrats an der Außenseite der Membran. H+-Ionen werden außen freigesetzt und die Elektronen über ein Membranprotein auf die Innenseite geleitet. Dort verwendet die terminale Reduktase sie zur Reduktion des Elektronenakzeptors, ebenfalls unter Verbrauch von H+ (▶ Abb. 8.19c). Man nennt das einen skalaren Mechanismus, im Unterschied zum vektoriellen Mechanismus, bei dem Protonen von innen nach außen gepumpt werden. Spezialfälle, die nicht diesen Prinzipien entsprechen, werden später besprochen.

a

b

nH+

e e–

c DH2

(2x) 2 H+

Q

e– QH2

nH+

D + 2 H+



2 H+ (2x)

Q–

NADH NAD+ + H+

2 e–

A + 2 H+ AH2

Abb. 8.19 Mechanismen zur Erzeugung eines Protonenpotenzials. a Protonenpumpe. b Chinonzyklus, der Oxidation von NADH nachgeschaltet. c Redoxschleife.

8.8 Elektronentransportphosphorylierung der Atmungskette

Redoxpotenzial Entscheidend für die Atmungskette ist der Fluss von Elektronen von einem Redoxsystem mit negativerem zu einem mit positiverem Potenzial. Bei dem Elektronenfluss verhalten sich die Komponenten der Atmungskette wie typische Redoxkatalysatoren – sie pendeln zwischen ihrer oxidierten und ihrer reduzierten Form hin und her. Ihnen lässt sich ein Redoxpotenzial zuordnen. Das Redoxpotenzial E ist ein quantitatives Maß für die Tendenz von Verbindungen oder Elementen, Elektronen abzugeben. Die Tendenz zur Elektronenabgabe wird relativ zu der des molekularen Wasserstoffs angegeben. Definitionsgemäß ist dessen Redoxpotenzial unter Standardbedingungen (1 M H+, pH = 0, 25 °C) E0 = 0 V, bei pH = 7 ist es E0’ = –414 mV. Werden die Redoxpotenziale E0 auf pH = 7 bezogen, kennzeichnet man dies durch E0’, bezeichnet als Standardpotenzial. Die energetischen Grundlagen werden im Anhang besprochen. Zum Verständnis des Folgenden sind nur einige wenige Informationen nötig. Eine Redoxreaktion DH2 + A → D + AH2 (z. B. NADH + H+ + 1/2 O2 → NAD+ + H2O) entspricht einer elektrochemischen Zelle, die aus zwei Redoxhalbzellen besteht. In der ersten Halbzelle liefert ein Substrat, das Reduktionsmittel oder der Elektronendonator DH2, Elektronen; er wird dabei zu D oxidiert. In der zweiten Halbzelle werden die Elektronen auf ein anderes Substrat, das Oxidationsmittel oder der Elektronenakzeptor A, übertragen; er wird dabei zu AH2 reduziert. Bei Redoxreaktionen von organischen Molekülen wird mit den Elektronen die gleiche Anzahl an Protonen übertragen. Die beiden Halbpaare haben jeweils ein bestimmtes Redoxpotenzial E. Elektronen fließen vom Reaktionspaar mit dem negativeren Potenzial zu dem mit dem positiveren Potenzial. Die Potenzialdifferenz zwischen diesen beiden Paaren ist ein Maß für die Änderung der freien Energie. Die freigesetzte Energie ΔG0 ist um so größer, je größer die Potenzialdifferenz ΔE0 zwischen den beiden Paaren ist und je mehr Elektronen übertragen werden. Dies ist in einfachen Worten gesagt die Aussage der Nernst-Gleichung ΔG0 = –n F ΔE0 Dabei ist n die Anzahl der übertragenen Elektronen in mol, F die Faraday-Konstante, T die Temperatur in K. ΔE0 ist die Potenzialdifferenz (unter Standardbedingungen) zwischen dem Potenzial des Elektronenakzeptors E0 (Akzeptor) und dem des Elektronendonators E0 (Donator): ΔE0 = E0 (Akzeptor) – E0 (Donator) Die aerobe Atmung lässt sich mit zwei Teilreaktionen (Halbzellen einer elektrochemischen Zelle) beschreiben: NADH → NAD+ + H+ + 2 e– (Donator, E0’ bei pH = 7 = –320 mV) 1/2 O2 + 2 e– + 2 H+ → H2O

(Akzeptor, E0’ = + 818 mV).

Ein ΔE0’ von + 1138 mV ist einer freien Energie ΔG0’ von –218 kJ mol–1 äquivalent. Für die Umrechnung der Potenzialdifferenz ΔE0’ in Energiedifferenz ΔG0’ gilt: Bei einem Redoxprozess, bei dem 2 Elektronen übertragen werden, entspricht ein ΔE0’ von + 260 mV einem ΔG0’ von –50 kJ mol–1. Ein ΔE0’ von + 415 mV entspricht –80 kJ mol–1. Diese beiden Werte sind wichtige Eckdaten. Sie entsprechen den Energiebeträgen, die für die ATP-Synthese unter reversiblen bzw. irreversiblen Bedingungen benötigt werden. Bei der Atmung wird der Gesamtprozess mit ΔE0’ = + 1138 mV in drei etwa gleich große Redoxschritte von ΔE0’ ca. + 0,4 V unterteilt, die jeweils Protonen über die Membran befördern. Jeder dieser Schritte erlaubt somit die Synthese von ATP. Die ATP-Menge und die Energiebilanz werden später besprochen.

8.8.2 Komponenten der Atmungskette Die Atmungskette besteht aus einer Reihe von integralen Membranproteinkomplexen (I–IV), die als Oxidoreduktasen wirken und die man mit Detergenzien herauslösen und isolieren kann. Sie besitzen Reaktionszentren mit Flavinnukleotiden, Eisen-Schwefel-Zentren und Hämen als redoxaktive prosthetische Gruppen. Hinzu kommen zwei kleinere Komponenten, ein membranlösliches Chinon und Cytochrom c, ein kleines, nur locker an die Außenseite der Membran gebundenes Protein mit einem kovalent gebundenen Häm. In der Atmungskette fließen Elektronen von Redoxsystemen mit negativerem zu solchen mit positiverem Potenzial. Daher ist die Anordnung der Proteinkomplexe und der anderen am Elektronenfluss beteiligten Komponenten in der Membran vorgegeben. Innerhalb der Membranproteinkomplexe I, III und IV finden die Elektronenübergänge über eine sehr hohe Redoxpotenzialdifferenz statt. Die dabei frei werdende Energie wird zum Transport von Protonen durch die Membran genutzt und so der Protonengradient über der Membran aufgebaut. Komplex II wirkt als Dehydrogenase und ist nicht am Protonentransport durch die Membran beteiligt (vgl. ▶ Abb. 8.26).

Flavoproteine Flavoproteine sind Enzyme, die FMN (Flavinmononukleotid) oder FAD (Flavinadenindinukleotid) als prosthetische Gruppe enthalten und Wasserstoff übertragen. Die Wirkgruppe ist das Isoalloxazinsystem (▶ Abb. 8.20), das als reversibles Redoxsystem wirkt. Die reagierenden Zentren sind zwei N-Atome, an die je ein [H] angelagert werden kann. Flavoproteine sind in der Lage, als „Schalter“ zwischen Prozessen der Wasserstoffübertragung zu vermitteln, bei denen ein bzw. zwei H-Atome übertragen werden, da sie selbst entweder ein H-Atom (Semichinonzustand) oder zwei H-Atome übertragen können.

5

Zentrale Stoffwechselwege

O HN O

N

O

e–, H+ N

CH3

N

CH3

HN O

R oxidierte Form, Chinon FAD (FMN)

N

O

e–, H +

H N

CH3

N

CH3

HN O

R halbreduzierte Form, Semichinon FADH• (FMNH•)

N H

H N

CH3

N

CH3

R reduzierte Form, Hydrochinon FADH2 (FMNH2)

Abb. 8.20 Das Isoalloxazinsystem der Flavinnukleotide FMN und FAD. Die schrittweise Reduktion erfolgt bei verschiedenen Redoxpotenzialen. FADH2/FAD –200 mV, FADH•/FAD –430 mV; FADH•/FADH• –10 mV.

a

Cys (Peptidkette) Cys S

S

Fe

S

S

O

S

H3CO

S

H3CO

Cys (Peptidkette) Cys b Cys

Cys S S S Fe Fe S Fe S S S Fe

H n

O – 2[H]

Cys

+ 2[H] H O

H3CO

CH3

Protein

S Cys

Abb. 8.21 Struktur eines Eisen-Schwefel-Proteins der Atmungskette. Es gibt zwei hauptsächliche Klassen von FeSProteinen. a Klasse mit Fe2S2-Zentrum. b Klasse mit Fe4S4Zentrum. (nach Doenecke et al., Karlsons Biochemie, Thieme, 2005)

Eisen-Schwefel-Proteine Eisen-Schwefel-(FeS)Proteine sind Redoxsysteme, die nur Elektronen übertragen. Sie enthalten Eisenatome, die einerseits an den Schwefel der Aminosäure Cystein und andererseits an anorganischen Sulfidschwefel gebunden sind (▶ Abb. 8.21). Letzterer lässt sich durch Ansäuern als Schwefelwasserstoff freisetzen. Die Cysteinreste sind Teil der Polypeptidkette, die FeS-Zentren kann man als prosthetische Gruppe des Polypeptids ansehen. Sie sind in mehreren Enzymkomplexen der Atmungskette enthalten. Von dem in der Cytoplasmamembran lokalisierten Eisen sind 80 % in den FeS-Proteinen und nur 20 % in den Hämgruppen der Cytochrome enthalten. FeS-Proteine spielen aber auch bei anderen Stoffwechselprozessen eine entscheidende Rolle (Plus 8.4) (S. 277).

Chinone Als weitere Redoxsysteme sind Chinone an der Atmungskette beteiligt. In der inneren Mitochondrienmembran und bei aeroben gramnegativen Bakterien ist Ubichinon (Coenzym Q, ein Benzochinon; ▶ Abb. 8.22), in anaeroben

276

CH3

Fe

H3CO O H

H n

Abb. 8.22 Die Reduktion von Ubichinon zu Ubichinol.

gramnegativen und grampositiven Bakterien ist Menachinon (ein Naphthochinon) und in Chloroplasten Plastochinon (ein Benzochinon) enthalten. Die Chinone sind lipophil und daher ausschließlich in der Lipidphase der Membran lokalisiert. Sie können Wasserstoff und/oder Elektronen übertragen. Die Übertragung kann sich in zwei Schritten vollziehen, wobei das Semichinon als Zwischenstufe auftritt. Im Vergleich zu den übrigen Komponenten der Atmungskette liegen die Chinone in zehn- bis vierzehnfachem Überschuss vor. Sie dienen als Sammelbecken (Pool) für Wasserstoff, der durch verschiedene Coenzyme und prosthetische Gruppen in die Atmungskette eingeschleust wird. Die reduzierten Chinone geben den Wasserstoff an die Cytochrome weiter.

Cytochrome Cytochrome sind Redoxsysteme, die nur dem Transport von Elektronen dienen, welche sie aus dem Sammelbecken der Chinone erhalten. Da sie keinen Wasserstoff übertragen, geht eine der Zahl der Elektronen äquivalente Anzahl von Protonen aus dem Chinonpool an der Außenseite der Membran in Lösung. Die Cytochrome sind – wie der Name andeutet – farbig und unterscheiden sich durch ihre Absorptionsspektren

8.8 Elektronentransportphosphorylierung der Atmungskette

●V

Plus 8.4 Eisen-Schwefel-Proteine Die Eisen-Schwefel-Proteine, auch FeS-Cluster genannt, sind die ältesten und vielseitigsten anorganischen Cofaktoren. Sie sind hauptsächlich am Elektronentransfer, aber auch an der Katalyse und der Regulation beteiligt sind. Sie sind häufig sehr sauerstoffempfindlich. Die einfachsten Cluster sind rhombische [2Fe-2S]- oder kubische [4S-4Fe]Zentren. Sie enthalten Fe2 + /3 + und S2–. In Proteine integriert werden die FeS-Cluster durch die Koordination der Fe-Ionen mit Cystein- oder – wie es selten der Fall ist – Histidinresten des Proteins (noch seltener sind Aspartat-, Serin- und Argininreste). Diese Aminosäureliganden haben eine typische Anordnung und können häufig anhand der Aminosäuresequenz eines Proteins vorhergesagt werden. Komplexe FeS-Zentren, wie man sie in Nitrogenasen und Hydrogenasen findet, enthalten zusätzliche Metallionen wie Mo oder Ni oder sogar zusätzliche Liganden wie Homocitrat (z. B. bei Nitrogenasen), CO oder CN– (bei Hydrogenasen). Die Reifung dieser Proteine wird in Kapitel 9 (Plus 9.15) (S. 329) besprochen. FeS-Proteine sind möglicherweise Überbleibsel einer frühen anaeroben Eisen-Schwefel-Welt während der Entstehung des Lebens. Sie sind eine charakteristisches Merkmal von Prokaryonten. In Eukaryonten kommen FeS-Proteine praktisch nur in Mitochondrien und Chloroplasten vor, ein Zeugnis der bakteriellen Herkunft dieser Organellen. Nur sehr selten gelangen FeS-Proteine via Mitochondrien auch ins Cytoplasma oder in den Zellkern.

His Cys Pep tidk ett e

S H 3C

CH H C N

HC Cys

S

H C

COO– N

Fe N

CH N

C H

CH3

COO– CH3

Met Abb. 8.23 Häm des Cytochrom c in der Atmungskette.

und Redoxpotenziale. Man unterscheidet u. a. zwischen Cytochromen a, a3, b, c, d und o. Cytochrome enthalten verschiedene Arten von Häm als prosthetische Gruppe (▶ Abb. 8.23). Das zentrale Eisenatom des Häminrings nimmt durch Valenzwechsel (Fe3 + /Fe2 + ) an der Elektro-

Die Neigung von Fe-Ionen, zwischen den Oxidationsstufen Fe2 + und Fe3 + wechseln zu können und auf diese Weise Elektronen zu übertragen, prädestiniert die Eisen-SchwefelProteine für Elektronentransferreaktionen. Die Proteinumgebung bestimmt das tatsächliche Redoxpotenzial der Zentren, das zwischen –500 mV und + 300 mV variiert. FeSCluster sind also ausgezeichnete Elektronendonatoren bzw. -akzeptoren. Beispiele sind die Komplexe I–III der Atmungskette, das Photosystem I, Ferredoxine, Nitrogenase und Hydrogenasen. Einige elektronenübertragende kleine FeSProteine werden nach ihrem Vorkommen oder ihrer Funktion als Ferredoxin, Putidaredoxin, Rubredoxin oder Adrenodoxin bezeichnet. FeS-Proteine haben aber auch katalytische Funktionen. So kann das Eisen an der nicht von Cystein koordinierten Stelle des Clusters als Lewis-Säure wirken und bei der Dehydratisierung von Hydroxysäuren (Citrat, Malat) helfen, wie es bei den Enzymen Aconitase und Fumarase der Fall ist. Bei der Biosynthese der schwefelhaltigen Coenzyme Biotin und Liponsäure dienen FeS-Zentren als S-Donator. Außerdem nimmt man an, dass FeS-Cluster dem jeweiligen Enzym in manchen Fällen nur eine Struktur geben. Eine dritte Funktion übernehmen FeS-Zentren bei der Regulation der Genexpression. Die Zentren registrieren die Gegenwart von O2 (FNR), FeS-Clustern (IscR), O2- oder NO (SoxR), wobei der FeS-Cluster zerfällt (FNR, IscR) oder oxidiert wird (SoxR). Dieser veränderte Zustand der Regulatorproteine dient dann als Signal für die Transkription (Kap. 16).

nenübertragung teil. Cytochrom c besitzt eine Hämgruppe, die kovalent an zwei Cystein-Aminosäuren des Apoproteins gebunden ist (▶ Abb. 8.23); es kann mit Salzlösungen aus der Membran gelöst werden. Cytochrome spielen im Stoffwechsel des Sauerstoffs und beim Elektronentransport eine große Rolle. In ▶ Abb. 8.24a sind die strukturellen Zusammenhänge dargestellt. Die acht Reste an den vier Pyrrolringen sind ursprünglich vier Acetyl- und vier Propionyl-Gruppen. Diese werden teilweise stark verändert und sind mitverantwortlich für verschiedene Redoxpotenziale, Spektren und Bindungsverhalten der Häme. In ▶ Abb. 8.24b sind die unterschiedlichen Substituenten der Häme a, b und c summarisch mit R2-R8 bezeichnet. In ▶ Abb. 8.24c sind idealisiert die Spektren von oxidiertem und reduziertem Häm dargestellt. Das Differenzspektrum reduziert/oxidiert ist charakteristisch für die einzelnen Häme und Cytochrome. Das Absorptionsmaximum α wird für die Unterscheidung der Cytochrome verwendet, z. B. absorbiert cyt c553 bei 553 nm. Das zweite Absorptionsmaximum wird mit β bezeichnet, während die starke γ-Bande als Soretbande bezeichnet wird. In ▶ Abb. 8.24d ist die Reaktion mit Hemmstoffen und Substraten gezeigt. Bei den

7

Zentrale Stoffwechselwege a

Uroporphyrinogen III

b

COO– COO–

COO– A

B

R2

COO–

H 3C

CH3 N

Fe D

R4

N Fe

C

COO–

R8

COO–

COO–

N

N

COO–

COO–

R5

COO–

c 0,9 0,8 0,7

γ

reduziert

Absorption

0,6 0,5 0,4 0,3 0,2

oxidiert

α

β

0,1 0 375 400 425 450 475 500 525 550 575 600 Wellenlänge [nm] d

Ligand

Substrat/Inhibitor CN–, CO, N3–

Fe2+/3+

Fe

Ligand

Ligand

Elektronenüberträger

Häm-Enzym Oxidasen, Katalase ...

Abb. 8.24 Cytochrome und Häm-Enzyme. a Synthese der Häme aus Uroporphyrinogen III. Rot bedeutet konjugiertes planares Doppelbingungssystem, A–D die vier Pyrrolringe. b Struktur der Häme a, b und c. Die verschiedenen Substituenten werden mit R2,4,5,8 bezeichnet. c Spektrale Eigenschaften. Gezeigt ist idealisiert das Spektrum des oxidierten (rot) und reduzierten Häm (blau). d Die Bindestellen des Eisens bei elektronenübertragenden Cytochromen und bei Häm-Enzymen und die Reaktion mit verschiedenen Liganden oder Substraten. Der planare Tetrapyrrolring ist schematisch als Raute dargestellt.

278

elektronenübertragenden Cytochromen sind alle sechs Bindestellen des Häm-Eisens durch Liganden besetzt (oktaedrischer Komplex). Sie reagieren deshalb nicht mit anderen Metallliganden wie Cyanid oder Kohlenmonoxid oder mit Sauerstoff und können daher auch nicht mit diesen Verbindungen gehemmt werden. Bei Häm-Enzymen wie den Endoxidasen, Cytochrom P450-Monooxygenasen, Katalasen und Peroxidasen ist dagegen eine Koordinationsstelle frei und erlaubt die Reaktion mit den Substraten O2, H2O2 bzw. Peroxiden ROOH, aber auch mit den genannten Hemmstoffen. Dabei liegt Fe2 + oder Fe3 + vor. Die Atmungskette wird durch verschiedene Zellgifte gehemmt oder blockiert. Die Endoxidasen sind, wie besprochen, durch Metallliganden wie Cyanid (CN–), Azid (N3–) und Kohlenmonoxid (CO) hemmbar (▶ Abb. 8.24d). Amytal, Rotenon und Piericidin A hemmen die NADH-Dehydrogenase. Antimycin A blockiert den Elektronentransport zwischen Cytochrom b und c. Mithilfe der spezifischen Wirkung dieser Gifte und der Veränderungen der charakteristischen Absorptionsspektren der Atmungskettenkomponenten konnte die Atmungskette aufgeklärt werden. Cytochrome galten lange Zeit als Merkmale für aerobe und phototrophe Organismen. Inzwischen gibt es zahlreiche Beispiele für anaerobe Atmungsketten, die den Prinzipien der aeroben Atmungskette entsprechend aufgebaut sind. Selbst aerotolerante Milchsäurebakterien wie Streptococcus lactis und Leuconostoc mesenteroides sowie das anaerobe Bifidobacterium bilden Cytochrome, wenn sie auf Hämin oder blutenthaltenden Nährböden wachsen. Cytochrome sind auch an der Übertragung der Elektronen auf Sauerstoff beteiligt. Cytochrom-Oxidasen reagieren als Endoxidasen mit Sauerstoff und beladen ihn mit vier Elektronen: O2 + 4 Fe2 + → 2 O2– + 4 Fe3 +

8.8.3 Atmungskette bei der Veratmung von Sauerstoff Bei der Zellatmung wird in erster Linie NADH mit Sauerstoff oxidiert. Dabei entstehen NAD+ und Wasser. Die freie Energie dieser Reaktion ergibt sich aus der Differenz der Redoxpotenziale von NADH und O2. Diese Differenz beträgt + 1138 mV und entspricht einer freien Energie von –218 kJ (s. Anhang). Für eine biochemische Reaktion ist dieser Energiebetrag ungewöhnlich hoch und in dieser Form für die Zelle nicht nutzbar. In der Atmungskette wird er in „Pakete“ zerlegt, indem der Wasserstoff bzw. die Elektronen kaskadenartig über die Hilfssubstrate, Chinone und Cytochrom c, zum Sauerstoff geleitet werden. Die Komponenten der Atmungskette lassen sich aufgrund ihrer Redoxpotenziale in einer Reihe anordnen, die mit NADH (negativstes Potenzial) beginnt und mit der terminalen Oxidase und Sauerstoff endet. Die Kette, die in ▶ Abb. 8.25 dargestellt ist, lässt sich mit einem Wasser-

8.8 Elektronentransportphosphorylierung der Atmungskette

E°’ [mV]

NADHPool

–320

FMN 5 FeS

H+

e– QPool

±0

e–

+ 250

Pyruvat Isocitrat 2-Oxoglutarat Malat 3-Hydroxybutyrat 3-Hydroxyacyl-CoA

Cyt b FeS Cyt c1

H+

Komplex I FAD e 3 FeS Häm b –

2 FAD FeS

Komplex II Succinat ETF Glycerin-1- P Acyl-CoA

Komplex III

e– Cyt c

+ 300

e– H+

Cyt aa3 3 Cu2+

Komplex IV

e– + 820

O2

Abb. 8.25 Anordnung der Redoxsysteme der Atmungskette nach Redoxpotenzialen mit den wichtigsten Lieferanten von Reduktionsäquivalenten. Die Elektronen fließen vom NADHPool zum Sauerstoff. Einige Substrate, z. B. das Succinat, lassen den ersten Schritt (Komplex I) aus und liefern ihre Reduktionsäquivalente direkt an den Chinonpool. Die Succinat-Dehydrogenase ist selbst ein Membranprotein und Teil der Atmungskette (Komplex II). ETF, elektronentransportierendes Flavoprotein; FeS, Sammelbezeichnung für FeS-Cluster unterschiedlicher Struktur. (aus Dönnecke et al., Karlsons Biochemie, Thieme 2005)

lauf mit Staustufen und Gefällstrecken vergleichen. Während die Staustufen für Moleküle gleichen Potenzials stehen, sind die Gefällstrecken mit den Potenzialdifferenzen zwischen Molekülen unterschiedlichen Potenzials vergleichbar. Analog zu zahlreichen Staustufen ist bei der Atmungskette die große Menge frei werdender Energie auf mehrere einzelne Redoxreaktionen mit kleinerer freier Energie verteilt. Das ermöglicht eine effiziente Kopplung mit endergonen Reaktionen. Die terminale Reaktion mit Sauerstoff ist irreversibel und bewirkt daher einen stetigen Fluss von Elektronen durch das System. Bei aller Gemeinsamkeit des Prinzips gibt es verschiedene Formen der Atmungskette.

Oxidasepositive Bakterien An dieser Stelle sollen zunächst die Verhältnisse in den sogenannten oxidasepositiven Bakterien besprochen werden. Diese enthalten Cytochrom c, was durch den Oxidasetest nachweisbar ist (Methode 8.2).

Methode 8.2 Oxidasetest

d ●

Das Cytochrom c an der Membranaußenseite ist für Farbstoffe zugänglich und kann spontan reduzierte Farbstoffe (z. B. die farblose “Leukoform“ von Tetramethylparaphenylendiamin, TMPD) zur farbigen (blauen) Form oxidieren; die Elektronen fließen dann zum Sauerstoff. Durch diesen Oxidasetest lässt sich die Anwesenheit von Cytochrom c leicht feststellen; Kolonien von oxidasepositiven Bakterien reagieren blau. Dies gilt sinngemäß auch für die Mitochondrien. Vom NADH werden die Elektronen durch hintereinander geschaltete große Membranproteinkomplexe auf Sauerstoff übertragen (▶ Abb. 8.26). Diese Komplexe sind: Komplex I: NADH-Dehydrogenase (NADH:UbichinonOxidoreduktase) Komplex II: Succinat-Dehydrogenase (Succinat:Ubichinon-Oxidoreduktase) Komplex III: Cytochrom-bc1-Komplex (Ubichinol:Cytochrom-c-Oxidoreduktase) Komplex IV: Cytochrom-Oxidase (Cytochrom-c:O2-Oxidoreduktase) Die Komplexe durchspannen die Cytoplasmamembran und fixieren die prosthetischen Gruppen – Flavine, Cytochrome, FeS- und Cu-Zentren – in einer bestimmten Position. Mithilfe von Hemmstoffen hat man schon früh die Reihenfolge der Komponenten der Atmungskette (S. 276) festlegen können. Komplex I, die NADH-Dehydrogenase (I), oxidiert NADH auf der Cytoplasmaseite und überträgt die Elektronen auf Ubichinon (Q), welches in großem Überschuss in der Plasmamembran vorhanden ist. Komplex I ist eine Protonenpumpe und pumpt pro Reaktionsumsatz 4 H+ nach außen. Der L-förmige Komplex aus über einem Dutzend Untereinheiten besteht aus drei Modulen, einem NADH-Dehydrogenasemodul, einem Hydrogenasemodul und einem membranintegrierten H+-Transportermodul. In manchen marinen und pathogenen Bakterien kommt eine anders aufgebaute Na+-pumpende NADH:Ubichinon-Oxidoreduktase vor; das Enzym ähnelt dem RNFKomplex (S. 414), der eine energiegetriebene Übertragung von Elektronen von NADH auf Ferredoxin katalysiert. In seltenen Fällen findet man eine einfach aufgebaute, nicht-koppelnde NADH-Dehydrogenase (II), die keine H+ nach außen transportiert. Die ebenfalls membrangebundene Succinat-Dehydrogenase (Succinat:Ubichinon-Oxidoreduktase, Komplex II) überträgt die Elektronen aus der Oxidation von Succinat gleichfalls auf Ubichinon, ohne dass sie Protonen nach außen befördert. Das Ubichinon nimmt gleichzeitig mit 2 Elektronen auch 2 Protonen aus dem Cytoplasma auf. Es wird dabei zu Ubichinol (QH2) reduziert und transportiert so den Wasserstoff innerhalb der Lipiddoppel-

9

Zentrale Stoffwechselwege NADHDehydrogenase

Ubichinol:Cytochrom-cOxidoreduktase

4 H+

2 H+

Cyt cox

+

2H I

Cyt cred

III [Fe2S2] Q

2 e– FMN

QH2

[Fe4S4]

2 e–

Cytochrom-cOxidase

H+-ATP-Synthase

2 H+

3-4 H+

2 e–

IV

½ O2

F0

2 e– Cyt b

Cyt c1

[FexSx]

Δψ Cyt a/a3

ΔpH

[Cu] F1

2 H+

4 H+ NADH + H+

ADP + Pi 2 H+

+

NAD

außen

2 H+ 2 H+ H2O

ATP

innen

3-4 H+

2 e– 2 H+

Abb. 8.26 Anordnung der Redoxsysteme der Atmungskette und der Elektronentransport von NADH zu Sauerstoff. Der Prozess ist an die Translokation von Protonen aus der Zelle heraus in den Außenraum gekoppelt. Das erzeugt ein elektrochemisches Protonenpotenzial, welches die Synthese von ATP durch die H+-ATP-Synthase antreibt. Dabei folgen die Protonen dem Membranpotenzial (innen negativ) und dem H+-Konzentrationsgefälle (innen alkalisch, also weniger Protonen). Zwar erscheint die Lipiddoppelschicht symmetrisch, doch die Orientierung der Funktionsproteine (Elektronentransportkomponenten, ATP-Synthase, u. a.) verleiht ihr einen asymmetrischen Charakter. Beim Durchfluss von 2 Elektronen durch die Transportkette werden ca. 10 H+ nach außen transportiert. Der Elektronenfluss und die einzelnen Komponenten sind im Text erklärt. Cyt, Cytochrom; Cu, Kupfer, FAD, Flavinadenindinukleotid; FMN, Flavinmononukleotid; FeS, Eisen-Schwefel-Protein; NADH, Nicotinamidadenindinukleotid; Q, Ubichinon; QH2, Ubichinol; ΔΨ, elektrisches Membranpotenzial; ΔpH, pH-Differenz zwischen Außen- und Innenseite. (nach Doenecke et al., Karlsons Biochemie, Thieme, 2005)

schicht. Die Reaktion der Succinat-Dehydrogenase ist reversibel, denn die Potenziale von Chinon und Succinat sind etwa gleich groß. Ubichinol (QH2) wird dann an der Membranaußenseite wieder zu Ubichinon oxidiert. Es setzt dabei 2 H+ nach außen frei und gibt die Elektronen an das oxidierende Enzym Cytochrom-bc1-Komplex (Ubichinol:Cytochrom-c-Oxidoreduktase, Komplex III) weiter. Dieser Komplex enthält zwei b-Typ-Cytochrome mit etwas unterschiedlichem Redoxpotenzial und ein Cytochrom c1 sowie ein relativ redoxpositives FeS-Zentrum (Rieske-FeS-Zentrum, nach seinem Entdecker benannt). Der Komplex überträgt die Elektronen auf Cytochrom c. Cytochrom c ist ein kleines peripheres Membranprotein, das sich an der Membranaußenseite befindet. Bei der Reduktion von Cytochrom c werden vom Cytochrom-bc1Komplex zusätzlich 2 H+ nach außen abgegeben. Diese zusätzliche H+-Freisetzung geschieht durch einen zyklischen Prozess, der als Q-Zyklus bekannt ist (Plus 8.5). Die Cytochrom-Oxidase (Komplex IV) überträgt die Elektronen von reduziertem Cytochrom c von der Membranaußenseite auf O2 auf der Membraninnenseite. Die Reduktion von Sauerstoff zu Wasser verbraucht Protonen aus dem Cytoplasma. Diese terminale Oxidase enthält Cytochrom a, Cytochrom a3 und drei Cu-Atome und bewirkt, dass pro Sauerstoffatom, das zu Wasser reduziert wird, 2 H+ nach außen abgegeben werden (▶ Abb. 8.26). Außer Succinat gibt es noch andere Metabolite, deren Oxidation nicht mit NAD+ erfolgen kann, da das Potenzial

280

der Metabolite viel positiver ist als das der Pyridinnukleotide (s. ▶ Abb. 8.25). Beispiele sind Glycerin-1phosphat, manchmal auch Lactat, sowie Coenzym-A-aktivierte Fettsäuren (Acyl-CoA-Moleküle, s. Fettsäureoxidation) (S. 379). Dabei nimmt das FAD eines löslichen elektronentransportierenden Flavoproteins (ETF) zwei [H] von der Dehydrogenase auf, die das Substrat oxidiert (z. B. Acyl-CoA-Dehydrogenase). Das reduzierte Flavoprotein wird durch eine membrangebundene ETF:Chinon-Oxidoreduktase wieder oxidiert und die Reduktionsäquivalente werden auf Chinon übertragen. Der Cytochrom-bc1-Komplex ist entscheidend für den Aufbau eines elektrochemischen Potenzials über der Membran auch bei der Photosynthese, wie in Kapitel 15 deutlich wird.

Oxidasenegative Bakterien und verzweigte Atmungsketten Die aus den Redoxpotenzialen erschlossene Reihenfolge der Redoxsysteme ist experimentell durch spektrophotometrische und hemmstoffanalytische Untersuchungen bestätigt worden. Dieses für Mitochondrien und oxidasepositive Bakterien gültige System ist bei aeroben Prokaryonten jedoch oft abgewandelt. Viele Bakterien haben kein Cytochrom c. Sie sind oxidasenegativ. Ebenso fehlt der Cytochrom-bc1-Komplex. Solche Bakterien oxidieren das reduzierte Ubichinol direkt mithilfe von anderen Endoxidasen, den Chinol-Oxidasen (▶ Abb. 8.28). Das Chinol wird

8.8 Elektronentransportphosphorylierung der Atmungskette

●V

Plus 8.5 Der Chinonzyklus Der Chinonzyklus ist ein genialer Mechanismus, um bei der Oxidation von einem Chinol (QH2) zu Chinon (Q) insgesamt 4 H+ auf die Außenseite der Membran zu transportieren (▶ Abb. 8.27). Reduziertes Chinol (QH2) wird an der Außenseite des bc1-Komplexes zu Chinon oxidiert und gibt dabei die 2 H+ nach außen ab. Die übertragenen 2 Elektronen werden aufgeteilt. Eines wird über das Rieske-FeS-Zentrum und Cytochrom c1 nach außen auf Cytochrom c übertragen. Das andere fließt über die beiden Häm-b-Gruppen zur Innenseite zurück, wo es ein anderes Q zum Semichinonradikalanion Q∙– reduziert. Das Chinon (Q) gelangt in den Chinonpool und es tritt ein zweites QH2 hinzu. Dieses gibt wiederum 2 H+ nach außen ab und ein Elektron wird zum Cytochrom c geleitet, während das andere zum Q∙– gelangt. Das Q∙– nimmt das zweite Elektron sowie zwei H+ aus dem Cytoplasma auf, sodass QH2 entsteht (Q∙– + e– + 2 H+ → QH2).

Plus 8.6 Warum verzweigte Atmungsketten?

●V

Bakterien mit einer Cytochrom-o-Endoxidase übertragen theoretisch 8 H+ nach außen (4 + 2 + 2), wenn 2 e– von NADH zum Sauerstoff fließen; solche mit Cytochrom-dEndoxidase nur 6 H+ (4 + 2). Im Extremfall (bei starkem Sauerstoffmangel) wird statt der gewöhnlichen NADHDehydrogenase I die NADH-Dehydrogenase II gebildet, die keine H+ nach außen pumpt. Dann setzt nur noch die Oxidation von Ubichinol an der Außenseite der Membran 2 H+ nach außen frei. Verzweigte Elektronentransportketten erlauben also eine Feinanpassung der Atmungskette an die Sauerstoffverhältnisse (Oxidasen mit unterschiedlich hoher Affinität zu O2), zu dem Preis, dass bei geringer Sauerstoffkonzentration auch weniger Energie konserviert werden kann. So kann Bradyrhizobium japonicum mit abnehmender Sauerstoffkonzentration zwischen folgenden Endoxidasen wählen: Cytochrom-c-Oxidasen mit Cytochrom aa3 oder Cytochrom cbb3 oder ChinolOxidase mit Cytochrom bb3 (Reihenfolge nach zunehmender Affinität zu O2).

dabei an der Außenseite des Proteinkomplexes oxidiert, sodass die bei der Chinol-Oxidation freigesetzten 2 H+ außen bleiben. Die häufigste Endoxidase bei oxidasenegativen Bakterien ist eine Chinol-Oxidase, die der Cytochrom-c-Oxidase sehr ähnelt und auch ein Kupferatom gebunden hat, aber statt Häm a ein Häm o enthält. Dieser Komplex wird bei hoher Sauerstoffkonzentration gebildet. Er pumpt bei der Oxidation von QH2 zusätzlich 2 H+ nach außen. Bei

2 H+ Cyt c e–

2 H+ Cyt c e–

Q

e– Cyt b1

QPool

Cyt bH QH2

Q

Q

e– Cyt b1

QPool

Cyt bH Q· –

QH2

Q· –

QH2 2 H+

Abb. 8.27 Chinonzyklus. Erklärung siehe Text.

Ein neuer Zyklus kann beginnen. In der Summe wird ein QH2 zu Q oxidiert, 2 Cytochrom c werden reduziert und 4 H+ nach außen abgegeben.

Sauerstoffmangel wird eine andere Chinol-Oxidase mit Häm d gebildet, welche keine H+ nach außen abgibt, aber eine wesentlich höhere Affinität für O2 hat. Man spricht von einer verzweigten Atmungskette, wenn Bakterien – je nach den äußeren Bedingungen – verschiedene Endoxidasen synthetisieren (Plus 8.6). Bakterien, die in sauerstoffarmer Umgebung leben, haben meist mehrere Varianten der Endoxidase, die unterschiedliche Affinität für Sauerstoff haben. Ein Beispiel dafür sind die symbiontischen Knöllchenbakterien der Leguminosen. Frei lebend verwenden sie die gewöhnliche Cytochrom-Oxidase, als Knöllchensymbionten unter Sauerstoffmangel dagegen die zu O2 hoch affine alternative Endoxidase.

8.8.4 Elektronentransportphosphorylierung Elektrochemisches Potenzial Sowohl bei der Atmung als auch bei der Photosynthese wird ATP an Membranen gebildet. Die Außenseite intakter Mitochondrien oder Bakterien ist elektrisch positiv, die Innenseite ist negativ geladen, und das Zellmilieu ist meist schwach alkalisch. Die Wasserstoff- und Elektronenübertragungsprozesse sind mit einer Translokation von Protonen (H+, also positiv geladene Teilchen) nach außen verknüpft. Protonen werden folglich gegen ihren Konzentrationsgradienten und gegen den Ladungsgradienten transportiert. Dadurch wird ein elektrochemisches Potenzial aufgebaut und die freigesetzte Energie auf diese Weise ganz ähnlich wie in einer Batterie gespeichert.

1

Zentrale Stoffwechselwege

NADH + H+ a

b

c NAD+ NADH-Dehydrogenase FMN FeS

4 H+

4 H+

4 H+ Q

Q

Ubichinol:Cytochrom-c-Oxidoreduktase Cyt bc1 FeS

Q

Ubichinol:Cytochrom-c-Oxidoreduktase Cyt bc1 FeS

4 H+

Chinoloxidase

Chinoloxidase

Chinoloxidase

Cyt b

Cyt b Cu Cyt o

Cyt b

4 H+

Cyt c

Cyt c

Cyt o Cytochrom-c-Oxidase Cyt aa3 Cu

Cytochrom-c-Oxidase Cyt cbb3 Cu

2 H+ O2

2 H+ O2

Cyt d

Cytochrom-c-Oxidase Cyt aa3 Cu

O2

2 H+ O2

2 H+ O2

0 H+ O2

Abb. 8.28 Grundschemata der Elektronentransportkette in den Membranen der Mitochondrien und vieler Bakterien. a Am Elektronentransport in der Atmungskette der Mitochondrien und vieler Bakterien sind die drei Proteinkomplexe mit den charakteristischen prosthetischen Gruppen beteiligt (vgl. ▶ Abb. 8.26). Bei vielen Bakterien ist die Atmungskette modifiziert und verzweigt. b In Paracoccus denitrificans können die Elektronen entweder über die Ubichinol:Cytochrom-c-Oxidoreduktase, Cyt c und die CytochromOxidasen oder direkt vom Ubichinon über Cyt o als Endoxidase auf Sauerstoff übertragen werden. c In Escherichia coli werden die Elektronen über Cyt b entweder auf Cyt o (geringe Affinität für O2, KM ca. 3 μM, bei viel Sauerstoff) oder auf Cyt d (hohe Affinität für O2, KM ca. 0,1 μM) auf Sauerstoff übertragen. Bei O2-Mangel wird hauptsächlich Cyt d gebildet. Cyt, Cytochrom; Q, Ubichinon.

Beide Gradienten, der des pH-Wertes und der des elektrischen Membranpotenzials, üben auf die ausgestoßenen Protonen eine Kraft in Richtung zurück in das Zellinnere aus. Sie addieren sich in ihrer Wirkung und können von der ATP-Synthase genutzt werden. Diese elektrochemische Potenzialdifferenz für Protonen Δp (auch Protonenpotenzial, protonenmotorische Kraft (ΔμH+ oder ΔH+) oder engl. proton motive force genannt) setzt sich folglich aus zwei Größen zusammen: ● aus dem elektrischen Membranpotenzial ΔΨ (sprich Psi; in mV) und ● aus dem Protonendiffusionspotenzial, welches proportional zur pH-Differenz zwischen Außen- und Innenseite (ΔpH) ist, gemäß: Δp = ΔΨ – Z ΔpH (V), wobei Z = 2,3 RT/F, also 60 mV bei 30 °C ist. Das Protonenpotenzial kann in Ausnahmefällen ausschließlich von der pH-Differenz oder ausschließlich vom Membranpotenzial bestimmt werden; in der Regel beruht es auf beiden zusammen. Die ungleiche Ladungsverteilung an der Membran, also der elektrochemische Gradient, ist die treibende Kraft für die Regeneration von ATP. Die Membran enthält die H+ATP-Synthase, ein Enzymkomplex, der von diesem elek-

282

trochemischen Gradienten angetrieben wird (chemiosmotische Theorie nach Mitchell). Strömen die Protonen durch die ATP-Synthase zurück in das Zellinnere, treiben sie die ATP-Synthase an. Die experimentellen Befunde (Plus 8.7) stehen mit dieser Theorie im Einklang. Das biologische Energiequant ist also ein Proton (oder gelegentlich ein Na+-Ion), das im Zuge des Elektronentransports durch die Membran transloziert wird. Es ermöglicht die Synthese eines Bruchteils eines ATP-Moleküls. Wir werden bei der anaeroben Atmung (S. 442) Fälle kennenlernen, wo ein gesamter Energiestoffwechselweg zur Translokation von nur einem oder wenigen Protonen führt und nur ein Bruchteil eines ATP-Moleküls pro Reaktion synthetisiert wird.

ATP-Synthese Das Protonenpotenzial wird von der ATP-Synthase zur Synthese von ATP aus ADP und Pi genutzt. Wie die Komponenten der Atmungskette ist auch die H+-ATP-Synthase ein Bestandteil der Membranen von Mitochondrien, Chloroplasten und Bakterien. Das Enzym setzt das durch die Elektronentransportkette geschaffene Protonenpotenzial in die energiereiche Phosphatanhydridbindung von ATP um (▶ Abb. 8.26).

8.8 Elektronentransportphosphorylierung der Atmungskette

●V

Plus 8.7 Experimente zur Mitchell-Theorie Die nur ca. 10 nm dünne Cytoplasmamembran der Bakterien und die innere Mitochondrienmembran sind undurchlässig für Ionen, einschließlich der H+- und OH–-Ionen; die elektrische Leitfähigkeit der Membranen ist gering, oder anders gesagt, Membranen sind gute Isolatoren. Das an lebenden Zellen gemessene Membranpotenzial liegt häufig in der Größenordnung 0,1–0,2 V (außen positiv). Dieser scheinbar geringe Betrag entspricht immerhin einer elektrischen Feldstärke von 100 000 bis 200 000 V cm–1! Zusammen mit dem pH-Gradienten und dem damit geschaffenen Protonendiffusionspotenzial liegt das Protonenpotenzial in der Größenordnung von 0,2 V und reicht damit aus, um ATP zu synthetisieren. Experimentelle Befunde bestätigen den Aufbau eines Protonenpotenzials über der Membran. Setzt man einer anaerob gehaltenen Suspension von aeroben Bakterien oder Mitochondrien Sauerstoff zu, so stellt man im Suspensionsmedium eine Erniedrigung des pH-Wertes fest. Daraus ist zu schließen, dass aus Bakterienzellen und Mitochondrien während der Atmung Protonen austreten (▶ Abb. 8.29). Der Elektronentransport läuft ab, ohne dass ATP gebildet wird; die beiden Prozesse sind entkoppelt. Ebenso kann man Experimente mit Entkopplern durchführen. Entkoppler sind schwache organische Säuren oder

Die 350 kDa große H+-ATP-Synthase (▶ Abb. 8.30) besitzt einen statischen Kopf, der in das Zellinnere ragt. Dieser ist über einen drehbaren Stiel mit einer Basis verbunden, die in die Lipidschicht der Cytoplasmamembran eingebettet ist. Eine Proteinbrücke (Stator) hält den Kopfteil fest. Der Protoneneinstrom führt zur Rotation der Basis und des Stiels und bewirkt dadurch eine Konformationsänderung im Kopf. Dieser enthält drei Bindestellen für die Substrate ADP und Pi. Mit jeder vollständigen Umdrehung werden 3 ATP erzeugt, dabei strömen dreimal 3–4 H+ in die Zelle. In Ausnahmefällen kann die ATP-Synthase auch durch einen Na+-Gradienten angetrieben werden; der Aufbau eines Na+-Gradienten an der Membran ist besonders bei extrem thermophilen Bakterien sinnvoll, denn die Membranen sind für Na+-Ionen weniger durchlässig als für H+-Ionen. Wie viele H+ tatsächlich für 1 ATP benötigt werden, ist schwer zu ermitteln und mag bei verschiedenen Organismen zwischen 3 und 4 H+ variieren. Wir gehen hier von 4 H+ aus, eine Zahl, die für Bakterien für wahrscheinlich gehalten wird. Das Struktur- und Funktionsprinzip der ATP-Synthase ist in der Evolution sehr früh etabliert worden. Es ist in höchstem Maße konserviert. Allerdings unterscheidet sich die ATP-Synthase der Archaea deutlich von dem Enzym der Bacteria; sie ähnelt mehr der ATP-Synthase von Vakuolen. Die Umkehrbarkeit der ATP-Synthase-Reaktion hat wichtige biologische Folgen (Plus 8.8).

O2-Puls

pH 7 anaerob 6 5 4

FCCP 0

1

2

3

4

5 min

Abb. 8.29 Nachweis der Protonenextrusion bei der Atmung von Bakterien.

Basen, die in der protonierten wie nichtprotonierten Form durch Membranen diffundieren. Sie geben dort ein Proton ab, wo der pH-Wert alkalischer ist. Wird FCCP (eine schwache, lipidlösliche Säure) als Entkoppler hinzugegeben, bricht der Protonengradient über der Membran zusammen und der pH-Wert des Mediums steigt an (▶ Abb. 8.29). Stellt man aus Bakterien oder Mitochondrien Vesikel her, bei denen die ursprüngliche Innenseite nach außen gekehrt ist (inside-out-Vesikel), so beobachtet man bei der Atmung einen umgekehrten Protonentransport, der zur Alkalisierung des Suspensionsmediums führt.

ADP δ

Pi

ATP H2O β

b b

F1

α

γ

ε

a F0 c 4 H+ Abb. 8.30 Schematische Darstellung der H+-ATP-Synthase und des Reaktionsablaufs. Die katalytische Domäne (F1) besteht aus fünf verschiedenen Proteinen (α–ε). Der ionenleitende membranintegrierte Teil (F0) besteht aus drei verschiedenen Untereinheiten. Das Rotorelement besteht aus einigen c-Untereinheiten und der γε-Untereinheit. Das Statorelement aus a, b, α, β und δ sorgt dafür, dass sich nur der asymmetrisch aufgebaute Rotor gegen den fixierten Rest des Moleküls dreht.

3

Zentrale Stoffwechselwege

Plus 8.8 Umkehrbarkeit der ATP-Synthase-Reaktion

●V

Die Umkehrbarkeit der Reaktion der ATP-Synthase ist für die Zelle von außerordentlicher Bedeutung. Steht ATP, beispielsweise durch Substratphosphorylierung, zur Verfügung, lässt sich mithilfe der ATP-Synthase ein Protonenpotenzial aufbauen. Dieser Vorgang ist besonders für anaerobe Bakterien wichtig, die keine Atmung oder Photosynthese betreiben. Das Enzym funktioniert in diesem Fall also als Protonenpumpe oder elektrogene Pumpe. Die Reversibilität der in der Cytoplasmamembran ablaufenden Prozesse hat zur Folge, dass das Protonenpotenzial und ATP ineinander umwandelbar sind. Diese Umwandelbarkeit ist für die angeschlossenen Prozesse (Transportvorgänge, Flagellenbewegung, Biosyntheseprozesse) entscheidend. ▶ Wirkungsgrad. Die Energie der biologischen Knallgasreaktion, ca. –240 kJ, wird also als elektrochemischer Gradient über der Membran gespeichert. Unter zellulären Bedingungen beträgt der Wirkungsgrad der biologischen Energieumwandlung in ATP-Energie etwa 60 %. Damit kostet die Synthese von ATP etwa 80 kJ, von denen ca. 50 kJ in die Synthesereaktion eingehen und ca. 30 kJ als Wärme verloren gehen. Anders ausgedrückt setzen 2 Elektronen, die in einer Elektronentransportkette eine Potenzialdifferenz von 0,41 V durchlaufen, ca. 80 kJ frei, womit 1 ATP synthetisiert werden kann. Wenn in der ATP-Synthasereaktion 4 H+ pro ATP verbraucht werden, muss ein Membranpotenzial von 0,13 V oder eine pH-Differenz von 2,2 aufgebaut werden. Dieses erforderliche Membranpotenzial

Plus 8.9 Geschätzte Energiebilanz der Glucoseveratmung Auf der Grundlage einer näherungsweise experimentell bestimmten Stöchiometrie lässt sich eine Energiebilanz der Glucoseveratmung abschätzen. Nehmen wir an, dass 1 Mol Glucose über die Glykolyse und den Citratzyklus abgebaut wird, so erhalten wir: a) Glykolyse: 2 NADH b) Pyruvatdehydrogenierung: 2 NADH c) Citratzyklus: 6 NADH und 2 QH2 Insgesamt sind es also 10 NADH und 2 QH2. Wenn in der Atmungskette 2 Elektronen von 1 NADH zum Sauerstoff fließen, übertragen oxidasepositive Organismen (und Mitochondrien) theoretisch 10 H+ nach außen (4 + 2 + 2 + 2): NADH + H+ + 1/2 O2 + 10 H+innen → NAD+ + H2O + 10 H+außen Zwei Elektronen, die von reduziertem Ubichinon (QH2) aus dem Citratzyklus (Reaktion der Succinat-Dehydrogen-

284

ΔE von 0,13 V errechnet sich aus ΔG = –nFΔE, wobei ΔG’ = + 50 kJ für die ATP-Synthese und n die Zahl 4 für vier Ladungen der 4 H+ eingesetzt werden. F ist die FaradayKonstante (s. Anhang). Die pH-Differenz von 2,2 liefert 50 kJ Energie, wenn 4 H+ von außen nach innen strömen. In Wirklichkeit sind die einzelnen Beträge meist kleiner, denn beide, Membranpotenzial und pH-Differenz zusammen, ergeben das Protonenpotenzial. Dies sind jedoch nur Mindestwerte, die eine hundertprozentige Energieumwandlung voraussetzen (entsprechend 50 kJ für die ATP-Synthese). Die realistischen Werte (Wärmeenergie ist biologisch nicht nutzbar) sind höher, mit einem Membranpotenzial von ca. 0,2 V entsprechend 80 kJ für die ATP-Synthese. Mit gewisser Vorsicht lassen sich die Energiebilanzen verschiedener Bakterien voraussagen (Plus 8.9 und Anhang).

8.8.5 Rückläufiger Elektronentransport Besondere Probleme haben solche Bakterien, die Wasserstoffdonatoren wie Sulfid, Thiosulfat, Schwefel, Nitrit oder Fe2 + verwenden, deren Redoxpotenzial positiver ist als das der Pyridinnukleotide. Reduzierte Pyridinnukleotide werden für Syntheseprozesse, insbesondere zur Reduktion des 3-Phosphoglycerats im Zuge der autotrophen CO2-Fixierung benötigt. Da jedoch eine direkte Reduktion von NAD+ durch diese Wasserstoffdonatoren aus thermodynamischen Gründen nicht möglich ist, wird NAD+ durch einen rückläufigen, energieabhängigen Elektronentransport (S. 390) reduziert. Der Prozess wird entweder durch ATP oder durch das Protonenpotenzial getrieben.

●V

ase) zum Sauerstoff fließen, transduzieren 6 H+. Rechnerisch führt die Oxidation der reduzierten Elektronenüberträger mit O2 bei oxidasepositiven Bakterien (und Mitochondrien) also zur Translokation von 112 H+ (10 × 10 + 2 × 6). Daraus lassen sich bei einem angenommenen Verhältnis von 4 H+ pro ATP 28 ATP gewinnen. Zuzüglich der 2 in der Glykolyse und der 2 im Citratzyklus gewonnenen ATP erhält man aus 1 Molekül Glucose 32 ATP. Die Oxidation von 1 Mol Glucose (C6H12O6 + 6 O2 → 6 CO2 + 6 H2O) setzt 2870 kJ frei. Damit kostet die Synthese von 1 Mol ATP unter Zellbedingungen ca. 90 kJ. Für oxidasenegative Bakterien, denen der Cytochrombc1-Komplex fehlt, sind die errechneten Werte entsprechend geringer; deren aerobe Glucoseveratmung ergibt nur 26 ATP. Dies sind nur Schätzungen, da die tatsächliche Anzahl H+, die in der Elektronentransportkette nach außen transportiert und bei der ATP-Synthese nach innen strömen, nicht genau bekannt ist.

8.9 Eigenschaften und Funktionen von Sauerstoff

8.8.6 Elektronentransportprozesse bei anaeroben Bakterien Viele Bakterien machen auch unter anaeroben Bedingungen von einer Elektronentransportphosphorylierung Gebrauch. Sie übertragen die beim Substratabbau auftretenden Elektronen über eine (verkürzte) Elektronentransportkette auf äußere (dem Nährmedium zugesetzte) oder innere (beim Substratabbau gebildete) Elektronenakzeptoren. Als Ersatz für O2 können Nitrat-, Sulfat-, Fe3 + - oder Fumarat-Ionen sowie Schwefel und CO2 als Elektronenakzeptoren fungieren. Man fasst die betreffenden Bakterien zu den physiologischen Gruppen der Nitratreduzenten und Denitrifikanten, den Desulfurikanten, den Eisenreduzenten, den Schwefelreduzenten und den methanogenen sowie acetogenen Bakterien zusammen. Diese Bakterien spielen im Haushalt der Natur eine eminente Rolle. Da die Prozesse unter anaeroben Bedingungen stattfinden, spricht man von anaerober Atmung (S. 442).

8.9 Eigenschaften und Funktionen von Sauerstoff Sauerstoff ist für die meisten Organismen lebenswichtig. Luft enthält ca. 21 Volumenprozent Sauerstoff. Wasser, das bei 20 °C mit Luft gesättigt ist, enthält 0,276 mM gelöstes O2. Die Löslichkeit nimmt mit steigender Temperatur ab und beträgt bei 35 °C nur noch 0,22 mM. Sauerstoff diffundiert zwar rasch durch Membranen, doch Mikroorganismen sind regelmäßig mit Sauerstoffmangel (Anaerobiose) konfrontiert, da die Sauerstoffzehrung die Lösung von neuem O2 aus der Luft in Wasser übertrifft. Um durch eine Wasser- oder Gewebeschicht von 1 mm Dicke zu diffundieren, braucht Sauerstoff mehrere Minuten. Die Diffusionslimitierung ist ein Grund für die begrenzte Schichtdicke von Biofilmen. Man unterteilt Mikroorganismen nach ihrem Verhalten gegenüber Sauerstoff in: ● obligat aerobe (auf Sauerstoff angewiesen), ● fakultativ aerobe (bevorzugen Atmung mit Sauerstoff, können aber auch anaerob leben), ● mikroaerobe (benötigen geringe Sauerstoffkonzentrationen, hohe Konzentrationen sind toxisch), ● aerotolerante (können Sauerstoff zwar nicht für die Atmung verwenden (anaerob), sind aber gegen schädigende Wirkung von Sauerstoff gewappnet) und ● strikt anaerobe Mikroorganismen (können nur in Abwesenheit von Sauerstoff wachsen, Sauerstoff ist für sie Gift).

8.9.1 Regulation durch Sauerstoff Sauerstoff ist eines der wichtigsten Regelsignale für Mikroorganismen. Besonders bei fakultativ aeroben Mikroorganismen und phototrophen Bakterien steuert er große

Bereiche des Energiestoffwechsels. Die aerobe Lebensweise wird bevorzugt, da die Atmung am meisten Energie liefert. Bei den verzweigten Atmungsketten (S. 280) wurde bereits ein Beispiel vorgestellt, wo Stoffwechselwege je nach Konzentration des verfügbaren Sauerstoffs gewählt werden. Noch komplexer wird die sauerstoffabhängige Regulation, wenn die Wahl zwischen aerober und anaerober Atmung getroffen werden muss, sofern ein Elektronenakzeptor als Ersatz für Sauerstoff vorhanden ist. Die Regelmechanismen werden in Kapitel 14 und 16 besprochen. Nach einer Hierarchie der Elektronenakzeptoren (S. 442) werden diejenigen Stoffwechselwege bevorzugt, die jeweils die höchsten Energieausbeuten haben, also aerobe Atmung > mikroaerobe Lebensweise mit angepasster aerober Atmung > anaerobe Atmungsformen > Gärung. Fakultativ aerobe Bakterien wie Escherichia coli können auch Energie durch Gärung gewinnen, wenn kein Elektronenakzeptor zur Verfügung steht. Hier sind es über 150 Gene (oder 5 % des Genoms), deren Expression durch Sauerstoff reguliert wird. Im Fall von E. coli oder Klebsiella reprimiert Sauerstoff die Transkription der Gene für folgende Stoffwechselwege: anaerobe Atmung, Gärung, Pyruvat-Formiat-Lyase, Nitrogenase. Durch Sauerstoff induziert werden: aerobe Atmung, Citratzyklus, Pyruvat-Dehydrogenase, Oxygenasen und sauerstoffabhängige Synthese- und Abbauwege (S. 509). Viele Mikroorganismen zeigen auch eine taktische Bewegung hin zu oder weg von Sauerstoff (Aerotaxis), um den geeigneten Lebensbereich zu finden.

8.9.2 Toxische Wirkung des Sauerstoffs und Entgiftungsreaktionen Sauerstoff ist der terminale Elektronenakzeptor der aeroben Atmung und somit für alle aeroben Organismen essenziell. Vom Sauerstoff leiten sich aber auch hochreaktive Verbindungen ab, die auf aerobe Organismen, und noch mehr auf anaerobe Organismen, als Zellgift wirken. Die meisten Organismen besitzen deshalb Enzyme, die sie gegen die toxischen und sehr reaktiven Intermediate des Sauerstoffs (reaktive Sauerstoffspezies; engl. reactive oxygen species, ROS) schützen (zur Regulation siehe Oxidativer Stress) (S. 518). Diese reaktiven Sauerstoffderivate sind vor allem O•2– (Superoxidradikalanion), organische Peroxide ROOH, H2O2 und das OH-Radikal (Plus 8.10). Verschiedene Enzyme beseitigen diese Zellgifte (▶ Abb. 8.31); das OH-Radikal ist jedoch so reaktiv, dass es nicht entgiftet werden kann. Eine besondere Form von reaktivem Sauerstoff ist Singulettsauerstoff. Seine Entstehung durch lichtangeregte Pigmente und seine Entgiftung durch Carotinoide wird in Kapitel 15 besprochen (Plus 15.6) (S. 481). Katalase und Peroxidase machen Wasserstoffperoxid unschädlich und haben dadurch eine Schutzwirkung. Die meisten aeroben Organismen verfügen über eine Katala-

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8.9 Eigenschaften und Funktionen von Sauerstoff

8.8.6 Elektronentransportprozesse bei anaeroben Bakterien Viele Bakterien machen auch unter anaeroben Bedingungen von einer Elektronentransportphosphorylierung Gebrauch. Sie übertragen die beim Substratabbau auftretenden Elektronen über eine (verkürzte) Elektronentransportkette auf äußere (dem Nährmedium zugesetzte) oder innere (beim Substratabbau gebildete) Elektronenakzeptoren. Als Ersatz für O2 können Nitrat-, Sulfat-, Fe3 + - oder Fumarat-Ionen sowie Schwefel und CO2 als Elektronenakzeptoren fungieren. Man fasst die betreffenden Bakterien zu den physiologischen Gruppen der Nitratreduzenten und Denitrifikanten, den Desulfurikanten, den Eisenreduzenten, den Schwefelreduzenten und den methanogenen sowie acetogenen Bakterien zusammen. Diese Bakterien spielen im Haushalt der Natur eine eminente Rolle. Da die Prozesse unter anaeroben Bedingungen stattfinden, spricht man von anaerober Atmung (S. 442).

8.9 Eigenschaften und Funktionen von Sauerstoff Sauerstoff ist für die meisten Organismen lebenswichtig. Luft enthält ca. 21 Volumenprozent Sauerstoff. Wasser, das bei 20 °C mit Luft gesättigt ist, enthält 0,276 mM gelöstes O2. Die Löslichkeit nimmt mit steigender Temperatur ab und beträgt bei 35 °C nur noch 0,22 mM. Sauerstoff diffundiert zwar rasch durch Membranen, doch Mikroorganismen sind regelmäßig mit Sauerstoffmangel (Anaerobiose) konfrontiert, da die Sauerstoffzehrung die Lösung von neuem O2 aus der Luft in Wasser übertrifft. Um durch eine Wasser- oder Gewebeschicht von 1 mm Dicke zu diffundieren, braucht Sauerstoff mehrere Minuten. Die Diffusionslimitierung ist ein Grund für die begrenzte Schichtdicke von Biofilmen. Man unterteilt Mikroorganismen nach ihrem Verhalten gegenüber Sauerstoff in: ● obligat aerobe (auf Sauerstoff angewiesen), ● fakultativ aerobe (bevorzugen Atmung mit Sauerstoff, können aber auch anaerob leben), ● mikroaerobe (benötigen geringe Sauerstoffkonzentrationen, hohe Konzentrationen sind toxisch), ● aerotolerante (können Sauerstoff zwar nicht für die Atmung verwenden (anaerob), sind aber gegen schädigende Wirkung von Sauerstoff gewappnet) und ● strikt anaerobe Mikroorganismen (können nur in Abwesenheit von Sauerstoff wachsen, Sauerstoff ist für sie Gift).

8.9.1 Regulation durch Sauerstoff Sauerstoff ist eines der wichtigsten Regelsignale für Mikroorganismen. Besonders bei fakultativ aeroben Mikroorganismen und phototrophen Bakterien steuert er große

Bereiche des Energiestoffwechsels. Die aerobe Lebensweise wird bevorzugt, da die Atmung am meisten Energie liefert. Bei den verzweigten Atmungsketten (S. 280) wurde bereits ein Beispiel vorgestellt, wo Stoffwechselwege je nach Konzentration des verfügbaren Sauerstoffs gewählt werden. Noch komplexer wird die sauerstoffabhängige Regulation, wenn die Wahl zwischen aerober und anaerober Atmung getroffen werden muss, sofern ein Elektronenakzeptor als Ersatz für Sauerstoff vorhanden ist. Die Regelmechanismen werden in Kapitel 14 und 16 besprochen. Nach einer Hierarchie der Elektronenakzeptoren (S. 442) werden diejenigen Stoffwechselwege bevorzugt, die jeweils die höchsten Energieausbeuten haben, also aerobe Atmung > mikroaerobe Lebensweise mit angepasster aerober Atmung > anaerobe Atmungsformen > Gärung. Fakultativ aerobe Bakterien wie Escherichia coli können auch Energie durch Gärung gewinnen, wenn kein Elektronenakzeptor zur Verfügung steht. Hier sind es über 150 Gene (oder 5 % des Genoms), deren Expression durch Sauerstoff reguliert wird. Im Fall von E. coli oder Klebsiella reprimiert Sauerstoff die Transkription der Gene für folgende Stoffwechselwege: anaerobe Atmung, Gärung, Pyruvat-Formiat-Lyase, Nitrogenase. Durch Sauerstoff induziert werden: aerobe Atmung, Citratzyklus, Pyruvat-Dehydrogenase, Oxygenasen und sauerstoffabhängige Synthese- und Abbauwege (S. 509). Viele Mikroorganismen zeigen auch eine taktische Bewegung hin zu oder weg von Sauerstoff (Aerotaxis), um den geeigneten Lebensbereich zu finden.

8.9.2 Toxische Wirkung des Sauerstoffs und Entgiftungsreaktionen Sauerstoff ist der terminale Elektronenakzeptor der aeroben Atmung und somit für alle aeroben Organismen essenziell. Vom Sauerstoff leiten sich aber auch hochreaktive Verbindungen ab, die auf aerobe Organismen, und noch mehr auf anaerobe Organismen, als Zellgift wirken. Die meisten Organismen besitzen deshalb Enzyme, die sie gegen die toxischen und sehr reaktiven Intermediate des Sauerstoffs (reaktive Sauerstoffspezies; engl. reactive oxygen species, ROS) schützen (zur Regulation siehe Oxidativer Stress) (S. 518). Diese reaktiven Sauerstoffderivate sind vor allem O•2– (Superoxidradikalanion), organische Peroxide ROOH, H2O2 und das OH-Radikal (Plus 8.10). Verschiedene Enzyme beseitigen diese Zellgifte (▶ Abb. 8.31); das OH-Radikal ist jedoch so reaktiv, dass es nicht entgiftet werden kann. Eine besondere Form von reaktivem Sauerstoff ist Singulettsauerstoff. Seine Entstehung durch lichtangeregte Pigmente und seine Entgiftung durch Carotinoide wird in Kapitel 15 besprochen (Plus 15.6) (S. 481). Katalase und Peroxidase machen Wasserstoffperoxid unschädlich und haben dadurch eine Schutzwirkung. Die meisten aeroben Organismen verfügen über eine Katala-

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Zentrale Stoffwechselwege

●V

Plus 8.10 Reaktive Sauerstoffspezies Im biologischen Bereich gibt es drei Arten der Aktivierung des Sauerstoffs, die sich durch die Anzahl der Elektronen, die gleichzeitig auf das Sauerstoffmolekül übertragen werden, unterscheiden: 1) O2 + 4 e– → O2– + O2– 2) O2 + 2 e– → O22– 3) O2 + 1 e– → O•2– Reaktion (1) wird von der Cytochrom-Oxidase (oder der Chinol-Oxidase) katalysiert, dem terminalen Enzym der Elektronentransportkette. Auch einige andere blaue, kupferenthaltende Enzyme (Tyrosinase, Laccase) übertragen 4 Elektronen auf O2. Die zwei dabei entstehenden O2–-Ionen (Oxidionen) reagieren mit je 2 H+ zusammen unter Bildung von 2 H2O und werden dadurch inaktiviert. Reaktion

2 H2O + O2

a

2 H2O2

b

H2O2 + 2 GSH

c

R

d

GSSG + 2 H2O

OOH + 2 H

2 O2



ROH +

+ 2H

+ H 2O

2 H2O2 + O2

Abb. 8.31 Reaktionen zur Inaktivierung von reaktiven Sauerstoffspezies a Katalasereaktion. b Glutathion(GSH)-Peroxidase. c Zersetzung von Peroxid durch die Peroxidase. d SuperoxidDismutase-Reaktion.

se, da sie Flavoenzyme enthalten, die zur Peroxidbildung beitragen. Peroxidasen benötigen zur Reduktion der Peroxide ein reduziertes Cosubstrat. Am häufigsten wird das Tripeptid Glutathion (GSH) verwendet; es enthält eine Cystein-SH-Gruppe und wird zum Dimer (GSSG) oxidiert. Die SH-Gruppe von Cystein in Proteinen kann direkt durch O2 oxidiert werden. Es entstehen intra- oder intermolekulare Disulfidbrücken und Sulfonsäuren; auch dagegen schützt Glutathion. Eine Schutzwirkung gegenüber den Superoxidradikalen vermittelt die Superoxid-Dismutase (Dismutation = Reaktion zwischen zwei Molekülen mittlerer Oxidationsstufe; ein Teil wird oxidiert, der andere gleichzeitig reduziert). Gemeinsam mit der Katalase überführt die Superoxid-Dismutase die Superoxidradikale in harmlosen Sauerstoff (im Grundzustand). Nur diejenigen Organismen vermögen Sauerstoff zu tolerieren, die eine Superoxid-Dismutase besitzen.

8.9.3 Sauerstoff als Cosubstrat Sauerstoff dient als Cosubstrat für Enzyme (Mono- und Dioxygenasen) (S. 372). Diese machen reaktionsträge Substrate für weitere Reaktionen reaktiver, indem sie ein oder zwei Atome des Sauerstoffmoleküls in das Substrat

286

(2) ist für einige flavinhaltige Oxidasen (Glucose-Oxidase, Aminosäure-Oxidasen, Xanthin-Oxidase) charakteristisch. Diese Enzyme übertragen 2 Elektronen gleichzeitig und reduzieren O2 zum Peroxidanion, das mit Protonen zu Wasserstoffperoxid, H2O2, zusammentritt. H2O2 ist für die Zelle toxisch, es oxidiert beispielsweise SH-Gruppen. Reaktion (3) wird von einer großen Zahl von Oxidasen (Xanthin-Oxidase, Aldehyd-Oxidase, NADPH-Oxidase u. a.) katalysiert. Es wird nur ein Elektron übertragen, wobei das Superoxidradikalanion O•2– entsteht, das sehr reaktionsfähig ist. Es handelt sich hierbei zwar nur um eine Nebenreaktion der genannten Enzyme. Das Superoxidradikalanion und vor allem das Folgeprodukt seiner Umsetzung mit H2O• (O•2– + H2O2 + H+ → O2 + H2O + OH-Radikal), das Hydroxylradikal, ist jedoch äußerst reaktionsfähig und führen in der Zelle zu sehr reaktiven Verbindungen.

einbauen (z. B. in Methan, Ammoniak, Aromaten oder Kohlenwasserstoffe). Auf diese Weise werden sogar Kohlenstoff-Kohlenstoff-Bindungen gespalten. Solche Oxygenasen (S. 372) spielen vor allem beim Abbau der Aromaten und Kohlenwasserstoffe eine Rolle. Es gibt aber auch einige Biosyntheseschritte, bei denen Sauerstoffatome mithilfe von Oxygenasen in Substrate eingebaut werden. Der klassische Fall ist die O2-abhängige Synthese von Cholesterin. Da Hefen in ihren Membranen Cholesterinderivate besitzen, sind sie auch bei der Gärung auf geringe Mengen Sauerstoff angewiesen. Anaerobier oder fakultativ anaerobe Bakterien müssen deshalb unter anoxischen Bedingungen andere Enzyme und Strategien wählen, um Sauerstoff erfordernde Reaktionen zu ersetzen.

8.9.4 Sauerstoff und Biolumineszenz Eine besonders faszinierende Rolle spielt Sauerstoff bei der Biolumineszenz, bei der Organismen sichtbares Licht emittieren. Dahinter verbergen sich viele verschiedene biochemische Prinzipien, die aber alle auf der enzymatischen Oxidation einer organischen Verbindung mit Sauerstoff beruhen. Die Reaktion erzeugt ein angeregtes, energiereiches Zwischenprodukt, das unter Lichtemission zerfällt. Bei Bakterien erfordert die Biolumineszenz zwei Enzyme. Die Luciferase, eine Monooxygenase mit FMN im aktiven Zentrum, katalysiert die lichtemittierende Reaktion durch die Oxidation eines langkettigen Aldehyds (Dekanal): NAD(P)H + H+ + R–CHO + O2 → NAD(P)+ + H2O + R–COOH + hν (490 nm, grün-blau)

8.10 Verbindung zwischen Energiestoffwechsel und Biosynthese Ein Aldehyd-Reduktase-Komplex sorgt für die Rückbildung des Aldehyds aus der Säure, die zur Vorbereitung auf die Reduktion zuerst unter ATP-Verbrauch aktiviert werden muss: R–COOH + ATP → R–CO–AMP + PPi R–CO–AMP + NADPH + H+ → NADP+ + AMP + R–CHO Insgesamt wird in einer ATP-, NADPH- und O2-verbrauchenden Reaktion Licht erzeugt. Die biologische Rolle dieses Phänomens bleibt rätselhaft. Man findet Biolumineszenz z. B. bei den marinen Bakteriengattungen Vibrio und Photobacterium. Dieses Enzymsystem wird nur bei hohen Zelldichten gebildet (Quorum Sensing) (S. 521).

8.10 Verbindung zwischen Energiestoffwechsel und Biosynthese Die zentralen Stoffwechselwege sind nicht nur für die Oxidation der Substrate zuständig, sondern sie müssen gleichzeitig die Vorstufen für alle Biosynthesewege bereitstellen. Ein Modell des Zellstoffwechsels muss also neben den Stoffflüssen mit dem Ziel der Energiegewinnung auch die abzweigenden Stoffflüsse in Richtung Bausteinsynthese berücksichtigen.

8.10.1 Bereitstellung des Kohlenstoffs für die Biosynthese Der Kohlenstoff der Zellbausteine stammt aus einem Dutzend Zwischenverbindungen der drei zentralen Stoffwechselwege: Glykolyse/Gluconeogenese (S. 265), Pentosephosphatweg (S. 267) und Citratzyklus (S. 272) (Intermediärstoffwechsel; ▶ Abb. 8.32). Die ersten Biosyntheseschritte zweigen von einer begrenzten Zahl an zentralen Intermediaten ab. Jegliches organische Substrat, das als Energie- und Kohlenstoffquelle dient, muss also gleichzeitig auch eine der Zwischenverbindungen der drei zentralen Stoffwechselwege liefern, aus denen alle anderen Vorläufermoleküle synthetisiert werden können. Diese Regel gilt für alle Lebewesen und verdeutlicht das Prinzip der Einheit in der Biochemie (vgl. Plus 8.1) (S. 259). Bisher sind wir vom Substrat Glucose ausgegangen, weil es das häufigste Substrat der Natur ist. Im Folgenden werden einige Sonderfälle von organischen Substraten vorgestellt, die zusätzliche Reaktionen erfordern.

8.10.2 Gluconeogenese, Hilfszyklen und Sonderwege Gluconeogenese Wenn Naturstoffe wie Proteine, Nukleinsäuren, Fette oder Aromaten abgebaut werden, entstehen daraus keine He-

xosen, sondern andere Verbindungen wie Acetyl-CoA, Pyruvat oder Zwischenprodukte des Citratzyklus. Über den Prozess der Gluconeogenese werden aus solchen Verbindungen Hexosephosphate gebildet. Bei der Oxidation der Hexosephosphate zu Acetyl-CoA sind drei Schritte irreversibel: die Reaktionen der Phosphofructokinase (▶ Abb. 8.10), der Pyruvat-Kinase (▶ Abb. 8.12), und der Pyruvat-Dehydrogenase (▶ Abb. 8.17). Die Aktivität dieser Schrittmacherenzyme wird streng reguliert (▶ Abb. 8.36). Um Zucker aus kleinen Molekülen aufbauen zu können, müssen diese Enzyme durch andere ersetzt oder umgangen werden. Die Umkehr des Weges in Syntheserichtung erfordert zusätzliche Energie. Deshalb werden auch die Schrittmacherenzyme der Gluconeogenese streng reguliert, und zwar gegensinnig zur Glykolyse. Einige Sonderformen anaplerotischer Reaktionen sind in Plus 8.11 erläutert.

Plus 8.11 Sonderfälle anaplerotischer Reaktionen

●V

Ein Sonderfall ist Glyoxylat, das bei der Oxidation von Glycolsäure (CH2OH–COOH) (Calvin-Benson-Zyklus) (S. 310) oder beim Abbau von Harnsäure entsteht. Zwei Moleküle Glyoxylsäure (O = CH–COOH) können unter CO2-Verlust zu Tartronatsemialdehyd (O = CH–CHOH–COOH) kondensiert werden. Dessen Reduktion liefert D-Glycerinsäure (CH2OH–CHOH–COOH), die nur noch ATP-abhängig zu 3-Phosphoglycerat umgesetzt werden muss. Propionat (CH3–CH2–COOH), das beim Abbau von Fettsäuren mit ungeradzahligen C-Atomen entsteht, wird unter Carboxylierung über MethylmalonylCoA zu Succinat (HOOC–CH2–CH2–COOH) aufgebaut.

Anaplerotische Reaktionen und Gluconeogenese aus C3-Verbindungen Dadurch, dass aus den Stoffwechselkreisläufen ständig Intermediate für Synthesen abfließen, entstehen Defizite an Verbindungen, die für die Aufrechterhaltung der Kreisläufe gebraucht werden. Abhilfe schaffen hier Hilfszyklen und Sonderwege mit auffüllenden, anaplerotischen Reaktionen. Der Citratzyklus stellt einen großen Verteilerkreis dar, dem ständig Verbindungen entzogen werden. Allein die Hälfte der Aminosäuren und damit ein Viertel des Zellkohlenstoffs stammt aus 2-Oxoglutarat und Oxalacetat. Dadurch steht Oxalacetat für die Kondensation mit Acetyl-CoA nicht mehr zur Verfügung. Der Zyklus würde augenblicklich zum Stillstand kommen, würde nicht Oxalacetat (C4) aus Phosphoenolpyruvat oder Pyruvat (C3) nachgeliefert. Das erfordert den Einbau von CO2. Dieser CO2-Einbau wird als heterotrophe CO2-Fixierung bezeichnet, da diese Art der CO2-Fixierung selbst bei Heterotrophen vorkommt (▶ Abb. 8.33).

7

8.10 Verbindung zwischen Energiestoffwechsel und Biosynthese Ein Aldehyd-Reduktase-Komplex sorgt für die Rückbildung des Aldehyds aus der Säure, die zur Vorbereitung auf die Reduktion zuerst unter ATP-Verbrauch aktiviert werden muss: R–COOH + ATP → R–CO–AMP + PPi R–CO–AMP + NADPH + H+ → NADP+ + AMP + R–CHO Insgesamt wird in einer ATP-, NADPH- und O2-verbrauchenden Reaktion Licht erzeugt. Die biologische Rolle dieses Phänomens bleibt rätselhaft. Man findet Biolumineszenz z. B. bei den marinen Bakteriengattungen Vibrio und Photobacterium. Dieses Enzymsystem wird nur bei hohen Zelldichten gebildet (Quorum Sensing) (S. 521).

8.10 Verbindung zwischen Energiestoffwechsel und Biosynthese Die zentralen Stoffwechselwege sind nicht nur für die Oxidation der Substrate zuständig, sondern sie müssen gleichzeitig die Vorstufen für alle Biosynthesewege bereitstellen. Ein Modell des Zellstoffwechsels muss also neben den Stoffflüssen mit dem Ziel der Energiegewinnung auch die abzweigenden Stoffflüsse in Richtung Bausteinsynthese berücksichtigen.

8.10.1 Bereitstellung des Kohlenstoffs für die Biosynthese Der Kohlenstoff der Zellbausteine stammt aus einem Dutzend Zwischenverbindungen der drei zentralen Stoffwechselwege: Glykolyse/Gluconeogenese (S. 265), Pentosephosphatweg (S. 267) und Citratzyklus (S. 272) (Intermediärstoffwechsel; ▶ Abb. 8.32). Die ersten Biosyntheseschritte zweigen von einer begrenzten Zahl an zentralen Intermediaten ab. Jegliches organische Substrat, das als Energie- und Kohlenstoffquelle dient, muss also gleichzeitig auch eine der Zwischenverbindungen der drei zentralen Stoffwechselwege liefern, aus denen alle anderen Vorläufermoleküle synthetisiert werden können. Diese Regel gilt für alle Lebewesen und verdeutlicht das Prinzip der Einheit in der Biochemie (vgl. Plus 8.1) (S. 259). Bisher sind wir vom Substrat Glucose ausgegangen, weil es das häufigste Substrat der Natur ist. Im Folgenden werden einige Sonderfälle von organischen Substraten vorgestellt, die zusätzliche Reaktionen erfordern.

8.10.2 Gluconeogenese, Hilfszyklen und Sonderwege Gluconeogenese Wenn Naturstoffe wie Proteine, Nukleinsäuren, Fette oder Aromaten abgebaut werden, entstehen daraus keine He-

xosen, sondern andere Verbindungen wie Acetyl-CoA, Pyruvat oder Zwischenprodukte des Citratzyklus. Über den Prozess der Gluconeogenese werden aus solchen Verbindungen Hexosephosphate gebildet. Bei der Oxidation der Hexosephosphate zu Acetyl-CoA sind drei Schritte irreversibel: die Reaktionen der Phosphofructokinase (▶ Abb. 8.10), der Pyruvat-Kinase (▶ Abb. 8.12), und der Pyruvat-Dehydrogenase (▶ Abb. 8.17). Die Aktivität dieser Schrittmacherenzyme wird streng reguliert (▶ Abb. 8.36). Um Zucker aus kleinen Molekülen aufbauen zu können, müssen diese Enzyme durch andere ersetzt oder umgangen werden. Die Umkehr des Weges in Syntheserichtung erfordert zusätzliche Energie. Deshalb werden auch die Schrittmacherenzyme der Gluconeogenese streng reguliert, und zwar gegensinnig zur Glykolyse. Einige Sonderformen anaplerotischer Reaktionen sind in Plus 8.11 erläutert.

Plus 8.11 Sonderfälle anaplerotischer Reaktionen

●V

Ein Sonderfall ist Glyoxylat, das bei der Oxidation von Glycolsäure (CH2OH–COOH) (Calvin-Benson-Zyklus) (S. 310) oder beim Abbau von Harnsäure entsteht. Zwei Moleküle Glyoxylsäure (O = CH–COOH) können unter CO2-Verlust zu Tartronatsemialdehyd (O = CH–CHOH–COOH) kondensiert werden. Dessen Reduktion liefert D-Glycerinsäure (CH2OH–CHOH–COOH), die nur noch ATP-abhängig zu 3-Phosphoglycerat umgesetzt werden muss. Propionat (CH3–CH2–COOH), das beim Abbau von Fettsäuren mit ungeradzahligen C-Atomen entsteht, wird unter Carboxylierung über MethylmalonylCoA zu Succinat (HOOC–CH2–CH2–COOH) aufgebaut.

Anaplerotische Reaktionen und Gluconeogenese aus C3-Verbindungen Dadurch, dass aus den Stoffwechselkreisläufen ständig Intermediate für Synthesen abfließen, entstehen Defizite an Verbindungen, die für die Aufrechterhaltung der Kreisläufe gebraucht werden. Abhilfe schaffen hier Hilfszyklen und Sonderwege mit auffüllenden, anaplerotischen Reaktionen. Der Citratzyklus stellt einen großen Verteilerkreis dar, dem ständig Verbindungen entzogen werden. Allein die Hälfte der Aminosäuren und damit ein Viertel des Zellkohlenstoffs stammt aus 2-Oxoglutarat und Oxalacetat. Dadurch steht Oxalacetat für die Kondensation mit Acetyl-CoA nicht mehr zur Verfügung. Der Zyklus würde augenblicklich zum Stillstand kommen, würde nicht Oxalacetat (C4) aus Phosphoenolpyruvat oder Pyruvat (C3) nachgeliefert. Das erfordert den Einbau von CO2. Dieser CO2-Einbau wird als heterotrophe CO2-Fixierung bezeichnet, da diese Art der CO2-Fixierung selbst bei Heterotrophen vorkommt (▶ Abb. 8.33).

7

Zentrale Stoffwechselwege

ATP His Trp

0,9

Pentosen (d) Nukleotide

Ribose-5phosphat

Pentosephosphatweg

Glucose-6- 0,2 phosphat

ADP-Glucose, aktivierte Zucker, Myo-Inositol

Fructose-6- 0,1 phosphat

UDP-N-Acetylglucosamin, UDP-Glucosamin

aktivierte Pentose Phe Tyr Trp

0,4

Erythrose4-phosphat

0,2

Triosephosphat

Glycerin-3-phosphat Ethanolamin, Cholin

Glykolyse

Trp

1,5 3-Phosphoglycerat Phe Tyr Trp

Ser C1

Phosphoenolpyruvat 2,8 Pyruvat

3,8 Fettsäuren, Isoprenoide, Acetylgruppen Lys

Pyruvat C1

Met Ile

Asn

1,8

Pyrimidine

Diaminopimelat

Carbamoylphosphat

1,1

Citratzyklus

Oxalacetat

Asp

Thr

Pyruvat

Acetyl-CoA

2-Oxoglutarat

Cys Gly

C1

Purine

Ile, Lys Ala Val Leu (+ Acetyl-CoA)

Gln Glu

Pro

Ornithin Succinyl-CoA Arg

Carbamoylphosphat

Abb. 8.32 Bereitstellung von Kohlenstoffverbindungen aus den drei zentralen Stoffwechselwegen. Die wenigen gezeigten Verbindungen dienen für die Synthese aller Zellbausteine. Die Zahlen geben an, wieviel mmol des Vorläufermoleküls für die Synthese von 1 g Zelltrockenmasse benötigt werden. Entsprechend dick sind die Pfeile, welche die abzweigenden Stoffflüsse für Biosynthesen andeuten. Bei aeroben Mikroorganismen wird etwa die Hälfte des Substrats zur Energiegewinnung zu CO2 oxidiert, die andere Hälfte dient als C-Quelle für Biosynthesen. C1, C1-Verbindungen (insbesondere an Tetrahydrofolsäure gebundene).

PEP-Carboxykinase ATP

2 [H] L-Malat NAD(P)+ Malatenzym CO2 NAD(P)H + H+

ADP + CO2

Oxalacetat Pi

ADP + Pi Pyruvat-Carboxylase ATP +

Phosphoenolpyruvat HCO3–

PEP-Carboxylase

HCO32–

Pyruvat:Phosphat-Dikinase AMP

Pyruvat

AMP + Pi

AMP + PPi

PP + Pi

Pyruvat:Wasser-Dikinase AMP

PPi +H2O

Abb. 8.33 Anaplerotische Reaktionen und heterotrophe CO2-Fixierung Pyruvat dient als Ausgangsprodukt für verschiedene Reaktionen, die dazu dienen, Intermediärprodukte nachzuliefern, die aus dem Citratzyklus entzogen wurden. Die Pyruvat:WasserDikinase überträgt das zweite Phosphat von ATP auf Wasser, es entsteht anorganisches Phosphat. Die Pyruvat:Phosphat-Dikinase überträgt das zweite Phosphat von ATP auf Phosphat, es entsteht Pyrophosphat. Die Pyruvat-Carboxylase und die PhosphoenolpyruvatCarboxylase (PEP-Carboxylase) fixieren HCO3-, indem sie Pyruvat bzw. Phosphoenolpyruvat zu Oxalacetat carboxylieren. Die Kombination von Pyruvat:Phosphat-Dikinase und PEP-Carboxylase wird übrigens auch von den C4-Pflanzen genutzt, um primär HCO3– in C4-Verbindungen zu fixieren.

288

8.10 Verbindung zwischen Energiestoffwechsel und Biosynthese Bei aerobem Wachstum auf C3-Verbindungen wie der Milchsäure (Abbau durch die Lactat-Dehydrogenase) entsteht Pyruvat. In diesem Fall muss für die Synthese von Phosphoenolpyruvat (PEP) aus Pyruvat die irreversible Pyruvat-Kinase-Reaktion umgangen werden, bei der 1 ATP gebildet wird. Die Synthese von PEP erfordert die Spaltung von zwei energiereichen Bindungen und kann auf zwei Wegen erreicht werden (▶ Abb. 8.33). 1. Pyruvat kann durch die Pyruvat:Wasser-Dikinase oder die Pyruvat:Phosphat-Dikinase direkt zu PEP umgesetzt werden. Dabei wird ATP zu AMP gespalten und eine Phosphorylgruppe in PEP eingebaut; die andere wird auf Wasser übertragen (d. h. als Phosphat freigesetzt) oder auf ein Phosphat übertragen (unter Bildung von Pyrophosphat). 2. Alternativ wird Pyruvat unter ATP-Verbrauch durch die Pyruvat-Carboxylase zu Oxalacetat carboxyliert. Aus Oxalacetat kann unter Verbrauch eines weiteren ATP und unter Decarboxylierung PEP synthetisiert werden. Diese Reaktion wird katalysiert von der PEPCarboxykinase, einem Schlüsselenzym der Gluconeogenese. Vom Phosphoenolpyruvat werden nun die reversiblen Schritte der Glykolyse rückwärts bis zum Fructose-1,6bisphosphat durchlaufen. Die Reaktion der Phosphofructokinase ist irreversibel. Deshalb wird die Phosphofructokinase durch ein weiteres Schlüsselenzym der Gluconeogenese, die Fructose-1,6-bisphosphatase ersetzt. Diese hydrolysiert Fructose-1,6-bisphosphat an C 1 irreversibel zu Fructose-6-phosphat, wobei anorganisches Phosphat freigesetzt wird. Fructose-6-phosphat kann dann als Baustein für Synthesen dienen (▶ Abb. 8.36).

Gluconeogenese aus Fettsäuren und anderen Substraten Noch schwieriger wird es, Zucker und andere Vorläufermoleküle aus Verbindungen zu bilden, die über AcetylCoA abgebaut werden; denn dann muss auch noch die irreversible Pyruvat-Dehydrogenase-Reaktion (▶ Abb. 8.17) umgangen werden. Zu diesen Substraten zählen Essigsäure und andere Fettsäuren; Alkohole und Alkane, die über Fettsäuren abgebaut werden, Ester, die in Fettsäure und Alkohol gespalten werden, oder der bakterielle Speicherstoff Polyhydroxybuttersäure. Auch der Aromatenabbau führt zu Acetyl-CoA. Um die Synthese zu bewerkstelligen, haben Pflanzen, Pilze und Bakterien den sogenannten Glyoxylatzyklus der Acetyl-CoA-Assimilation entwickelt, der neben den Enzymen der zentralen Stoffwechselwege nur zwei zusätzliche Enzyme benötigt (▶ Abb. 8.34). Ein Molekül Acetyl-CoA wird über die bekannten Reaktionen des Citratzyklus mit Oxalacetat über Citrat in Isocitrat eingebaut. Die beiden folgenden Schritte IsocitratDehydrogenase und 2-Oxoglutarat-Dehydrogenase, bei denen 2 CO2 freigesetzt werden, werden umgangen. Sie würden die Assimilation (Einbau in Zellkohlenstoff) von Acetat verhindern. Isocitrat wird durch das erste Schlüsselenzym des Glyoxylatzyklus, Isocitrat-Lyase, in Succinat und Glyoxylat gespalten. Succinat wird weiter zu Oxalacetat oxidiert. Glyoxylat wird mit einem zweiten Molekül Acetyl-CoA zu Malat kondensiert, katalysiert durch das zweite Schlüsselenzym, die Malat-Synthase. Der Mensch dagegen kann Acetyl-CoA nur veratmen oder zu Fetten aufbauen. In der Summe wird aus 2 Acetyl-CoA die C4-Verbindung Malat synthetisiert. Aus Malat lassen sich Pyruvat und PEP und damit alle anderen Vorläufermoleküle herstellen (▶ Abb. 8.33).

Abb. 8.34 Reaktionen des Glyoxylatzyklus der Acetyl-CoA-Assimilation. Erklärung siehe Text.

Isoprene, Alkane, Fettsäuren, Alkohole, Ester, Polyhydroxyalkanoat

1 Oxalacetat für Biosynthese

Acetyl-CoA Citrat

CitratSynthase

Aconitase

2 Oxalacetat

H2C

COO–

HC

COO–

C

COO–

HO

H Malat-Dehydrogenase

Isocitrat Isocitrat-Lyase

COO– HO

CH CH2

COO– 2 Malat

Fumarase

SuccinatDehydrogenase

Fumarat

H 2C

COO–

H2C

COO–

COOH

CH3

C

CO SCoA Acetyl-CoA

O H Glyoxylat

Succinat MalatSynthase HS

CoA

H2O

9

Zentrale Stoffwechselwege

3 CH3

CO

SCoA –

CH3

CO

CH2

CO

OOC

SCoA

CH2

COO–

CHOH

Malat –OOC

CH2

CH2

CO

SCoA

Succinyl-CoA CH3

H C

COO–

C CO SCoA H Crotonyl-CoA

NADPH + H+

CHO Glyoxylat

HCO3–

CO2

CH3

NADP+

CH2

CO

SCoA

Propionyl-CoA CH3

CH2

CH

CO



SCoA



COO Ethylmalonyl-CoA

OOC

CHOH

CH

CO

SCoA

CH3 Methylmalyl-CoA

Abb. 8.35 Schema des Ethylmalonyl-CoA-Wegs: Über diesen Weg werden Acetyl-CoA, CO2, Propionat und Glyoxylat assimiliert. Die Schritte von zwei Acetyl-CoA zu Crotonyl-CoA sind in ▶ Abb. 13.27 dargestellt.

Glycogen ADP- Glucose Glucose-1-P

AMP Fructose-6-P Fructose-1,6-bisphosphat

NADPH Glucose-6-PDehydrogenase 6-P-Gluconolacton

Abb. 8.36 Allosterische Kontrolle von zentralen Stoffwechselwegen. Es werden nur irreversible enzymatische Reaktionen reguliert. Das Schema gilt für Escherichia coli und Verwandte. + , Aktivierung; –, Hemmung.

Glucose-6-P

PEP Phosphofructokinase ADP

Fructose-6-P Fructose-1,6-bisphosphatPhosphatase AMP

Fructose-1,6-bis-P

Phosphoenolpyruvat Pyruvat-Kinase Fructose-1,6-bisphosphat Pyruvat Aspartat

Acetyl-CoA, NADH Pyruvat-Dehydrogenase PEP, AMP

Acetyl-CoA

Acetyl-CoA NADH, 2-Oxoglutarat Citrat-Synthase Oxalacetat

Citrat

In vielen Bakterien wird der Glyoxylatzyklus ersetzt durch den Ethylmalonyl-CoA-Weg (▶ Abb. 8.35). Dieser Weg führt zur Assimilation von 3 Acetyl-CoA und 2 CO2 in 2 C4-Moleküle (Succinyl-CoA, Malat). Der Stoffwechselweg erlaubt auch die Assimilation des Speicherstoffes Polyhydroxybuttersäure, von Propionat und von Glyoxylat. Die CO2-fixierenden Schritte werden katalysiert durch

290

die Crotonyl-CoA-Carboxylase/Reduktase und die Propionyl-CoA-Carboxylase. Anaerobe Bakterien können dagegen Acetyl-CoA direkt reduktiv zu Pyruvat carboxylieren. Die Pyruvat-Synthase benötigt nicht NADH als Reduktionsmittel, sondern das viel stärker reduzierende Ferredoxin. Dieses FeS-Protein hat ein sehr negatives Redoxpotenzial und ermöglicht die energetisch ungünstige Reaktion (E0’ = –500 mV!).

8.10 Verbindung zwischen Energiestoffwechsel und Biosynthese

8.10.3 Regulation von Enzymaktivität und Genexpression Die Enzyme der drei zentralen Stoffwechselwege (Glykolyse, Pentosephosphatweg, Citratzyklus) sind in der Regel konstitutiv vorhanden. Allerdings wird beispielsweise bei Wachstum auf Acetat die Synthese der Schlüsselenzyme der Glykolyse reprimiert. Die Schlüsselenzyme der genannten Sonderwege werden dagegen erst bei Bedarf in Gegenwart der betreffenden Substrate gebildet. Bei fakultativ anaeroben Bakterien wird die Synthese aller Enzyme, die an der Oxidation von Pyruvat zu CO2 beteiligt sind, bei Sauerstoffmangel reprimiert. Diese Umstellungsprozesse dauern viele Minuten und laufen auf der Ebene der Transkription ab (Kap. 16). Der ambivalente Charakter der zentralen Stoffwechselwege, für Abbau und Synthesen gleichzeitig zu sorgen (Amphibolismus), erfordert aber auch eine rasche Regulation der Enzymaktivitäten innerhalb von Sekunden. Damit Glykolyse und Gluconeogenese nicht gleichzeitig ablaufen und damit Energie verschwenden (Leerlauf oder engl. futile cycle), wird die Aktivität aller Schlüsselenzyme strikt reguliert, meist durch allosterische Regulation (▶ Abb. 8.36). Schritte, die reversibel sind, werden nicht reguliert.

Das Regulationsprinzip soll am Beispiel der PyruvatDehydrogenase von Escherichia coli exemplarisch besprochen werden. Jedoch lassen sich die Regelungseigenschaften nicht von einem Organismus auf einen weit entfernt verwandten Organismus übertragen, da dessen Lebensumstände ganz andere sind. Die Pyruvat-Dehydrogenase wird durch ihr Produkt Acetyl-CoA gehemmt, das somit signalisiert, dass es gerade im Überfluss vorhanden ist. Unabhängig davon hemmt NADH das Enzym ebenfalls und signalisiert, dass der NADH-Verbrauch mit der Zufuhr von Acetyl-CoA in den Citratzyklus nicht Schritt halten kann. Umgekehrt signalisiert AMP einen akuten Mangel an ATP, also Energiehunger, und erhöht die Aktivität des Enzyms. Aktivierend wirkt auch PEP, das signalisiert, dass die Glykolyse rascher verläuft als der PEP-Verbrauch.

1

Zentrale Stoffwechselwege

M ●

Zusammenfassung ●













Die Umsetzung der Stoffe in der Zelle (Stoffwechsel = Metabolismus), die von den Nährstoffen zur Neusynthese von Zellmaterial führt, lässt sich in drei Hauptabschnitte gliedern: Abbau (Katabolismus), Intermediärstoffwechsel (Amphibolismus), Synthesestoffwechsel (Anabolismus). Dem Stoffwechsel liegt ein einheitliches Schema zugrunde. Die Substrate werden in einem oxidativen Teil des Stoffwechsels oxidiert. Dabei spielt Sauerstoff keine Rolle und die Prozesse laufen im Cytoplasma an löslichen Enzymen ab. Bei diesen Schritten wird eine geringe Menge ATP durch Substratphosphorylierung gewonnen. Die bei den Dehydrogenierungsschritten abgespaltenen Reduktionsäquivalente werden auf Coenzyme übertragen. Im folgenden reduktiven Teil des Stoffwechsels werden die reduzierten Coenzyme (NADH, reduzierte Chinole) in der Atmungskette mithilfe eines äußeren Elektronenakzeptors wie O2 reoxidiert. Der Elektronenakzeptor wird dabei reduziert. Dieser Prozess findet an der Cytoplasmamembran statt und erfordert membrangebundene Enzyme und Elektronenüberträger. Dabei wird viel ATP durch Elektronentransportphosphorylierung gewonnen. Kohlenhydrate sind die wichtigsten Nährstoffe für Mikroorganismen. Der am weitesten verbreitete Abbauweg ist die Glykolyse. Der Pentosephosphatweg spielt für die Synthese von Pentosen und NADPH eine Rolle. Er lässt sich leicht zum oxidativen Pentosephosphatzyklus erweitern. Auf Bakterien beschränkt ist der KDPG-Weg (Entner-Doudoroff-Abbauweg). Archaea haben überraschende Varianten dieser Abbauwege. Der überwiegende Teil des gebildeten Pyruvats wird zu Acetyl-Coenzym A oxidiert. Acetyl-CoA wird dann im Citratzyklus schrittweise zu Kohlendioxid oxidiert. Substratphosphorylierungen erfolgen im Intermediärstoffwechsel. Die Energie der Reaktion wird durch zwischenzeitlich gebildete, energiereiche Phosphorsäurederivate gespeichert. Die ATP-Bildung vollzieht sich bei Atmung und Photosynthese an Membranen. Die Wasserstoff- und Elektronenübertragungsprozesse sind verknüpft mit einer Trans-

Literatur zum Weiterlesen unter: www.thieme.de/literatur-fuchs

292











lokation von Protonen nach außen, die freigesetzte Energie wird ähnlich wie in einer Batterie gespeichert. Die H+-ATP-Synthase setzt das Protonenpotenzial in die energiereiche Phosphatanhydridbindung von ATP um. Die Elektronentransportkette und ATP-Synthase sind bei den Prokaryonten in der Cytoplasmamembran und bei den Eukaryonten in der inneren Membran der Mitochondrien bzw. in der Thylakoidmembran der Chloroplasten lokalisiert (Endosymbiose!). Die Komponenten der Atmungskette lassen sich aufgrund ihrer Redoxpotenziale in einer Reihe anordnen. Sie beginnt mit NADH und der NADH-Dehydrogenase und endet mit Sauerstoff und der terminalen Cytochrom-cOxidase. Der Chinonpool nimmt die Elektronen aus der Oxidation der meisten Substrate auf. Vielen Bakterien fehlt Cytochrom c. Sie oxidieren das reduzierte Chinon direkt mit terminalen Chinol-Oxidasen. Man spricht von einer verzweigten Atmungskette, wenn Bakterien je nach Bedingung verschiedene Endoxidasen synthetisieren. Bakterien, die einen Wasserstoffdonator als Substrat nutzen, dessen Redoxpotenzial positiver ist als das der Pyridinnukleotide, verwenden für die NAD+-Reduktion einen rückläufigen, energieabhängigen Elektronentransport. Sauerstoff ist wichtigster Elektronenakzeptor und deshalb Regelsignal für Mikroorganismen. Die meisten Organismen enthalten Enzyme, die eine Schutzwirkung gegenüber den toxischen Produkten des Sauerstoffs entfalten. Sauerstoff dient als Cosubstrat für Enzyme, welche schwierige Substrate angreifen. Sauerstoff wird auch bei der Biolumineszenz benötigt. Der Kohlenstoff der Zellbausteine stammt aus einem Dutzend Zwischenverbindungen der drei zentralen Stoffwechselwege, der Glykolyse/Gluconeogenese, dem Pentosephosphatweg und dem Citratzyklus. Hilfszyklen und Sonderwege werden benötigt, um Acetyl-CoA oder Pyruvat in Zellmaterial zu assimilieren und um diejenigen Verbindungen aufzufüllen, die dem Citratzyklus für Biosynthesezwecke entzogen werden.

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Kapitel 9 Biosynthesen

9.1

Überblick

294

9.2

Organisation der „Zellfabrik“

294

9.3

Syntheseleistung der Zelle

296

9.4

Metabolite und ihre Konzentrationen in der Zelle

296

9.5

Makromoleküle und ihre Bausteine

297

9.6

Assimilation der Elemente N, S, P und der Spurenelemente

298

9.7

Bereitstellung von C1-Einheiten, Energie, Reduktions- und Oxidationsmitteln 306

9.8

Synthese von Zellmaterial aus CO2

308

9.9

Biosynthesen der Bausteine

316

9.10

Sekundärmetabolite

325

9.11

Synthesen von komplexen Zellstrukturen

327

Biosynthesen

9 Biosynthesen Georg Fuchs

9.1 Überblick Mikroorganismen sind prototroph und können, wie Pflanzen und anders als Tiere, in der Regel alle Bausteine für Makromoleküle und auch die Coenzyme und Cofaktoren selbst herstellen. Sind jedoch fertige Bausteine oder Vitamine im Medium vorhanden, werden diese von den meisten Mikroorganismen in die Zelle transportiert. Dort reprimieren sie dann die Transkription der Gene für ihre Synthese. Allerdings haben Bakterien, die an komplexe Nahrungsquellen angepasst sind (z. B. Milch, Blut, Darmtrakt, zersetzendes Pflanzenmaterial), häufig die Gene für einige Biosynthesewege verloren und sind auf die Zugabe von Bausteinen (Wachstumsfaktoren) oder Vorstufen für Cofaktoren (Vitamine) angewiesen. Sie sind auxotroph. Diese Reduktion des Genoms auf Zentralfunktionen (teilweise auf nur ca. 500 Gene) trifft besonders auf Parasiten und Symbionten unter den Mikroorganismen zu. Am weitesten fortgeschritten ist sie bei der Endosymbiose. Extremfälle stellen das Chloroplasten- und das Mitochondriengenom dar. In diesem Kapitel wird der Weg der Stoffe beim Wachstum verfolgt, ausgehend von den Substraten bis zu den Zellstrukturen. Ein wachsender Mikroorganismus erscheint wie eine geordnete Zellfabrik mit wenigen zentralen Ressorts und Wareneingangsstellen. Von wenigen Zwischenverbindungen des Stoffwechsels leitet sich die ganze Stoffvielfalt ab. Ein wachsender Mikroorganismus benötigt die Zellelemente in geeigneter Form und Menge. Der Kohlenstoff für die Zellbausteine stammt aus einem Dutzend Zwischenverbindungen des Zentralstoffwechsels. Zusätzlich

benötigt die Zelle C1-Einheiten. Die Makroelemente Stickstoff (N), Schwefel (S) und Phosphor (P) werden von wenigen Verbindungen übertragen. Hinzukommen verschiedene Mikroelemente. Energie in Form von ATP, Reduktionsmittel in Form von NADPH und Oxidationsmittel in Form von NAD+ vervollständigen das Spektrum der notwendigen Verbindungen an der Wareneingangsstelle. Eine Besonderheit ist der Aufbau von organischen Molekülen aus CO2 oder CH4. Die vielfältige Regulation des Baustoffwechsels wird in Kapiteln 16.6 und 16.7 besprochen. Zuerst werden alle Grundbausteine der Polymere gebildet. Daneben synthetisieren Mikroorganismen Sekundärmetabolite, die für ein Überleben unter Laborbedingungen nicht lebensnotwendig sind, wohl aber in der Natur. Neben den wichtigsten Makromolekülen, den Proteinen und Nukleinsäuren, deren Synthese in Kapitel 6 besprochen wurde, synthetisiert die Zelle auch andere komplexe Makromoleküle wie das Murein. Und schließlich sorgt sie für den Zusammenbau komplexer Proteine aus ihren Bestandteilen und den geordneten Aufbau komplexer Strukturen wie Flagellen oder Pili, die aus sehr vielen Proteinen aufgebaut sind.

9.2 Organisation der „Zellfabrik“ Die Produktionsprozesse in der „Zellfabrik“ lassen sich einfach untergliedern. In ▶ Abb. 9.1 sind die Stufen bei der Synthese einer neuen Bakterien- oder Pilzzelle dargestellt. Als günstig hat es sich erwiesen, bei der Betrach-

Reduktant (NADPH) Energie (ATP) Stufen

Substrat

Beispiele Glucose C6H12O6 Ammoniak NH4+ Phosphat HPO42– Sulfat SO42–

Quelle C N P S

zentrale Vorläufermetabolite

Bausteine L-Aminosäuren · · ·

Acetyl-CoA, Pyruvat ...

aktivierte Bausteine Aminoacylt-RNA ...

Polymere

Zelle

Proteine · · ·

zentrale N, P, S und C1 Träger Glu/Gln, ATP, Cys, H4F Prozess

Transport Abbau Beladung der Träger

Biosynthese von Bausteinen

Aktivierung von Bausteinen

Polymerisation der aktivierten Bausteine

Zusammenfügen zu Zellstrukturen

Abb. 9.1 Verschiedene Stufen bei der Synthese von neuem Zellmaterial. Das Schema geht von einfachen Substraten wie Glucose, Ammonium, Phosphat und Sulfat aus, die zunächst in Biosynthesebausteinen gebunden werden. Die Bausteine werden dann aktiviert, zu Makromolekülen polymerisiert und die Makromoleküle schließlich zu Zellstrukturen zusammengefügt. Der Proteinsyntheseapparat, bestehend aus den Makromolekülen Protein und RNA, kann die Hälfte der Trockenmasse einer schnell wachsenden Zelle ausmachen; deshalb ist es verständlich, dass seine Synthese besonders streng und bedarfsgerecht reguliert wird.

294

Biosynthesen

9 Biosynthesen Georg Fuchs

9.1 Überblick Mikroorganismen sind prototroph und können, wie Pflanzen und anders als Tiere, in der Regel alle Bausteine für Makromoleküle und auch die Coenzyme und Cofaktoren selbst herstellen. Sind jedoch fertige Bausteine oder Vitamine im Medium vorhanden, werden diese von den meisten Mikroorganismen in die Zelle transportiert. Dort reprimieren sie dann die Transkription der Gene für ihre Synthese. Allerdings haben Bakterien, die an komplexe Nahrungsquellen angepasst sind (z. B. Milch, Blut, Darmtrakt, zersetzendes Pflanzenmaterial), häufig die Gene für einige Biosynthesewege verloren und sind auf die Zugabe von Bausteinen (Wachstumsfaktoren) oder Vorstufen für Cofaktoren (Vitamine) angewiesen. Sie sind auxotroph. Diese Reduktion des Genoms auf Zentralfunktionen (teilweise auf nur ca. 500 Gene) trifft besonders auf Parasiten und Symbionten unter den Mikroorganismen zu. Am weitesten fortgeschritten ist sie bei der Endosymbiose. Extremfälle stellen das Chloroplasten- und das Mitochondriengenom dar. In diesem Kapitel wird der Weg der Stoffe beim Wachstum verfolgt, ausgehend von den Substraten bis zu den Zellstrukturen. Ein wachsender Mikroorganismus erscheint wie eine geordnete Zellfabrik mit wenigen zentralen Ressorts und Wareneingangsstellen. Von wenigen Zwischenverbindungen des Stoffwechsels leitet sich die ganze Stoffvielfalt ab. Ein wachsender Mikroorganismus benötigt die Zellelemente in geeigneter Form und Menge. Der Kohlenstoff für die Zellbausteine stammt aus einem Dutzend Zwischenverbindungen des Zentralstoffwechsels. Zusätzlich

benötigt die Zelle C1-Einheiten. Die Makroelemente Stickstoff (N), Schwefel (S) und Phosphor (P) werden von wenigen Verbindungen übertragen. Hinzukommen verschiedene Mikroelemente. Energie in Form von ATP, Reduktionsmittel in Form von NADPH und Oxidationsmittel in Form von NAD+ vervollständigen das Spektrum der notwendigen Verbindungen an der Wareneingangsstelle. Eine Besonderheit ist der Aufbau von organischen Molekülen aus CO2 oder CH4. Die vielfältige Regulation des Baustoffwechsels wird in Kapiteln 16.6 und 16.7 besprochen. Zuerst werden alle Grundbausteine der Polymere gebildet. Daneben synthetisieren Mikroorganismen Sekundärmetabolite, die für ein Überleben unter Laborbedingungen nicht lebensnotwendig sind, wohl aber in der Natur. Neben den wichtigsten Makromolekülen, den Proteinen und Nukleinsäuren, deren Synthese in Kapitel 6 besprochen wurde, synthetisiert die Zelle auch andere komplexe Makromoleküle wie das Murein. Und schließlich sorgt sie für den Zusammenbau komplexer Proteine aus ihren Bestandteilen und den geordneten Aufbau komplexer Strukturen wie Flagellen oder Pili, die aus sehr vielen Proteinen aufgebaut sind.

9.2 Organisation der „Zellfabrik“ Die Produktionsprozesse in der „Zellfabrik“ lassen sich einfach untergliedern. In ▶ Abb. 9.1 sind die Stufen bei der Synthese einer neuen Bakterien- oder Pilzzelle dargestellt. Als günstig hat es sich erwiesen, bei der Betrach-

Reduktant (NADPH) Energie (ATP) Stufen

Substrat

Beispiele Glucose C6H12O6 Ammoniak NH4+ Phosphat HPO42– Sulfat SO42–

Quelle C N P S

zentrale Vorläufermetabolite

Bausteine L-Aminosäuren · · ·

Acetyl-CoA, Pyruvat ...

aktivierte Bausteine Aminoacylt-RNA ...

Polymere

Zelle

Proteine · · ·

zentrale N, P, S und C1 Träger Glu/Gln, ATP, Cys, H4F Prozess

Transport Abbau Beladung der Träger

Biosynthese von Bausteinen

Aktivierung von Bausteinen

Polymerisation der aktivierten Bausteine

Zusammenfügen zu Zellstrukturen

Abb. 9.1 Verschiedene Stufen bei der Synthese von neuem Zellmaterial. Das Schema geht von einfachen Substraten wie Glucose, Ammonium, Phosphat und Sulfat aus, die zunächst in Biosynthesebausteinen gebunden werden. Die Bausteine werden dann aktiviert, zu Makromolekülen polymerisiert und die Makromoleküle schließlich zu Zellstrukturen zusammengefügt. Der Proteinsyntheseapparat, bestehend aus den Makromolekülen Protein und RNA, kann die Hälfte der Trockenmasse einer schnell wachsenden Zelle ausmachen; deshalb ist es verständlich, dass seine Synthese besonders streng und bedarfsgerecht reguliert wird.

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9.2 Organisation der „Zellfabrik“ tung der Vorgänge von einfachen Bestandteilen der Nahrung auszugehen, beispielsweise von Glucose als Kohlenstoff- (und Energie-)quelle, Ammoniak (oder ein Ammoniumsalz) als Stickstoffquelle, Phosphat als Phosphorquelle und Sulfat als Schwefelquelle. Die Elemente Sauerstoff und Wasserstoff braucht man nicht zu berücksichtigen, da sie aus dem Substrat oder aus dem Wasser stammen und in ihrer Menge nicht begrenzt sind. ▶ Tab. 9.1 fasst den Bedarf an Material und Energie für die Synthese von 1 g Zelltrockenmasse zusammen. Diese Tabelle dient als Leitfaden. Die Zelle benötigt diese Elemente nämlich in genau der angegebenen Menge und in geeigneter Form als Nährstoffe, und nur wenige Ausgangsverbindungen genügen, um ihren Bedarf zu decken. Schnell wachsende Zellen benötigen einen großen Proteinsyntheseapparat, langsam wachsende dagegen einen kleinen. Bei Hunger und Stress muss die Zelle sich an den langsamen Nachschub der wesentlichen Bausteine und der Energie einstellen. Diese wichtigen Anpassungsmechanismen werden in Kapiteln 16.5 und 16.7 besprochen. ▶ Kohlenstoff. Zunächst wird die Herkunft des wichtigsten Elements, des Kohlenstoffs, besprochen. Der Kohlenstoff der Bausteine stammt aus lediglich einem Dutzend Zwischenverbindungen der drei zentralen Stoffwechselwege, der Glykolyse/Gluconeogenese, dem Pentosephosphatweg und dem Citratzyklus. Von dieser begrenzten Zahl an zentralen Intermediaten (S. 287) zweigen die ersten Biosyntheseschritte ab. Diese Intermediate werden in den folgenden Abschnitten häufig erwähnt. Neben den zentralen Zwischenverbindungen werden sogenannte C1-Einheiten benötigt. Es handelt sich um Formyl(CHO)-, Hydroxymethyl(CH2OH)- oder Methyl (CH3)-Gruppen und Derivate, die durch ein Heteroatom (O, N, S) vom Kohlenstoffgerüst getrennt sind. Beispiele dafür sind Methionin und das Puringerüst. Solche C1-

Gruppen kommen in keiner Zwischenverbindung des Zentralstoffwechsels vor und müssen deshalb eigens produziert werden. Die C1-Einheiten stammen aus Serin oder Glycin und werden an den C1-Träger, das Coenzym Tetrahydrofolsäure, gebunden; dann werden sie je nach Bedarf oxidiert oder reduziert und übertragen. Einige Syntheseschritte erfordern CO2 für Carboxylierungen, bei denen häufig enzymgebundenes Biotin als CO2-Träger fungiert. Beispiele sind anaplerotische Reaktionen wie die der Pyruvat-Carboxylase (S. 287). ▶ Stickstoff. In den N-haltigen Zellbausteinen liegt der Stickstoff auf der Oxidationsstufe des Ammoniaks vor. Der NH3-Stickstoff wird zuerst in den N-Trägermolekülen Glutamin und Glutamat (sowie Carbamoylphosphat und wenig Aspartat) gebunden und von dort in die Bausteine wie Aminosäuren, (Desoxy)Nukleotide oder Aminozucker eingebaut. ▶ Schwefel. Der meiste Schwefel liegt in der Zelle auf der Oxidationsstufe des Sulfids vor; deshalb muss Sulfat zuerst zu Schwefelwasserstoff reduziert werden. Dann erfolgt die Bindung des H2S-Schwefels an den S-Träger Cystein, von wo er in schwefelhaltige Bausteine wie Methionin, einige Coenzyme oder Eisen-Schwefel-Zentren übertragen wird. ▶ Phosphor. Der Phosphor der Zelle liegt auf der Phosphatstufe vor und stammt auch aus Phosphat. Der universelle P-Träger ist ATP. Phosphor wird für die Synthese von (Desoxy)Nukleotiden, Phospholipiden, Lipopolysacchariden, Teichonsäuren und vielen Coenzymen und Cofaktoren benötigt. Die Biosynthesewege beinhalten viele Reduktionsschritte, für die NADPH als Reduktionsmittel benötigt wird. Gelegentlich sind auch Oxidationsschritte erforderlich, in denen NAD+ als Oxidationsmittel dient. Die Zelle

Tab. 9.1 Bedarf an Material und Energie für die Synthese von 1 g Zelltrockenmasse. Element/Gruppe

Bedarf (mmol)

Hauptsächliche Vorläufer und Trägermoleküle für die Elemente

C

42

Ein Dutzend zentrale Vorläufermoleküle aus Glykolyse, Pentosephosphatweg, Citratzyklus

N

10

Glutamin, Glutamat (wenig Carbamoylphosphat, Aspartat)

P

1

ATP

S

0,1–0,2

Cystein

C1-Einheiten

1,2

Tetrahydrofolsäure, S-Adenosylmethionin

Reduktionsmittel (Reduktans)

19

NADPH

Oxidationsmittel (Oxidans)

3,5

NAD+

für Synthese der Bausteine

19

ATP (wenig GTP)

für Aktivierung und Verknüpfung der Bausteine

32

für Transport der Nährstoffe

6

für Turnover, Reparatur, Anpassung und sonstiges

15

Energiebedarf (ATP-Äquivalente)

5

Biosynthesen

Plus 9.1 Biosyntheseleistungen Man kann die Biosyntheseleistung einer Kultur leicht errechnen. Der Stoffumsatz ist umso höher, je mehr Zellmasse eine Kultur enthält und je schneller sie wächst. Er ist umgekehrt proportional dazu, wie viel Zellmasse eine Kultur aus ihrem Substrat aufbauen kann; ein guter Futterverwerter verbraucht eben weniger Futter. Der Substratverbrauch dS pro Zeiteinheit dt und pro X g Zellmasse (Trockenmasse) folgt der Gleichung dS/dt = (µ Y–1) X. Die spezifische Wachstumsrate wird mit μ bezeichnet. Sie errechnet sich nach der Gleichung µ = ln 2/Generationszeit (min–1). Y ist der Wachstumsertrag der gebildeten Zellmasse in g pro g verbrauchten Substrats. Bei aerobem Wachstum ist dieser Wert etwa 0,5, denn nur die Hälfte des Substrats wird in die Zelle eingebaut, die andere Hälfte wird zu CO2 oxidiert, um Energie zu gewinnen. Bei anaerobem Wachstum ist Y kleiner, denn es wird mehr Substrat für die Energiegewinnung verbraucht. Beispiel: Bei einer Generationszeit von 60 min und Y = 0,5 ist dS/dt = [0,69:60:0,5] 1 = 23 (mg Substratverbraucht pro min pro g Zellen). Da 1 g Zellen etwa 500 mg Protein enthalten, kann man den Umsatz auch auf mg Protein beziehen, in-

muss für die Bereitstellung beider Coenzyme im richtigen „Beladungszustand“ sorgen. Schließlich kostet die Biosynthese der Bausteine Energie in Form von ATP. Man beachte, dass viel mehr ATP für die Aktivierung der Bausteine und die Makromolekülsynthese nötig ist als für die Synthese der monomeren Bausteine.

9.3 Syntheseleistung der Zelle Die erforderliche Syntheseleistung einer Zelle lässt sich errechnen, wenn man den Anteil der Elemente an der Zelltrockenmasse und die Wachstumsrate kennt. Die mittlere Elementzusammensetzung einer Zelle in Gewichtsprozenten ist: ● Kohlenstoff: 48–50 % ● Sauerstoff: 21–24 % ● Stickstoff: 14 % ● Wasserstoff: 8 % ● Phosphor: 3 % ● Schwefel: 0,3–0,6 % ● Kalium: 1 % ● Natrium: 1 % ● Calcium: 0,5 % ● Magnesium: 0,5 % ● Chlor: 0,2 % ● Eisen: 0,2 % Der Rest sind Spurenelemente. Die Zelle kann man sich vereinfacht als eine Verbindung der Zusammensetzung

296

●V

dem man durch 500 dividiert; dann erhält man 46 µg Substratverbraucht pro min pro mg Protein. Solche Abschätzungen sind wichtig für Biotechnologen, die bei hohen Zelldichten die Substrate kontinuierlich nachfüttern müssen. Diese Berechnung lässt sich übertragen auf die Assimilation der Elemente. Man muss nur berücksichtigen, dass für den Kohlenstoff gilt: Y = 1 g Zellengebildet pro 0,5 g Cassimiliert; für den Stickstoff 1 g Zellengebildet pro 0,14 g N assimiliert usw. Nimmt man eine Generationszeit von einer Stunde an, dann verhalten sich die spezifischen Assimilationsraten wie 1000 (C) zu 200 (N) zu 20 (P) zu 2–4 (S) (in nmol des eingebauten Elements pro min pro mg Protein). Diese Mengenverhältnisse bestimmen die benötigte Menge an Enzymen für den Einbau der Elemente. Bedenkt man, dass aus einer winzigen Zelle im Laufe von wenigen Tagen Tonnen von Biomasse gebildet werden können, versteht man das Stoßgebet eines unbekannten Chemikers: Oh Lord, I fall upon my knees And pray that all my syntheses, May no longer be inferior To those conducted by bacteria.

C4H8O1,5N mit einer „formalen Molekülmasse“ von etwa 100 g mol–1 vorstellen; in der „Zellformel“ sind die mengenmäßig weniger wichtigen Elemente vernachlässigt. Anhand dieser Formel lassen sich einfache Überlegungen zu den Stoffflüssen und Assimilationsleistungen anstellen (Plus 9.1). In einem komplexen Medium sind alle Bausteine vorhanden und können aufgenommen werden. Dies spart NADPH und das meiste ATP, die für die Bausteinsynthese benötigt werden (▶ Tab. 9.1). Im Unterschied zur großen Vielfalt im Energiestoffwechsel ist der Baustoffwechsel vergleichsweise einheitlich und die betreffenden Biosynthesegene sind Bestandteil der meisten Bakteriengenome (Plus 9.2).

9.4 Metabolite und ihre Konzentrationen in der Zelle Die gelösten niedermolekularen Verbindungen der Bakterien- und Pilzzelle umfassen alle Zwischenverbindungen der zentralen Stoffwechselwege, aber auch alle monomeren Bausteine für die Synthese von Makromolekülen. Ihre Konzentrationen variieren um mehr als Zehntausend, von wenigen µM bis zu 100 mM. Erwartungsgemäß sind Moleküle, die Energie- und Baustoffwechsel verbinden, besonders häufig. Wir betrachten exemplarisch eine E.-coli-Kultur, die exponentiell mit Glucose in einem Minimalmedium wächst (Plus 9.2); die Verhältnisse sind

Biosynthesen

Plus 9.1 Biosyntheseleistungen Man kann die Biosyntheseleistung einer Kultur leicht errechnen. Der Stoffumsatz ist umso höher, je mehr Zellmasse eine Kultur enthält und je schneller sie wächst. Er ist umgekehrt proportional dazu, wie viel Zellmasse eine Kultur aus ihrem Substrat aufbauen kann; ein guter Futterverwerter verbraucht eben weniger Futter. Der Substratverbrauch dS pro Zeiteinheit dt und pro X g Zellmasse (Trockenmasse) folgt der Gleichung dS/dt = (µ Y–1) X. Die spezifische Wachstumsrate wird mit μ bezeichnet. Sie errechnet sich nach der Gleichung µ = ln 2/Generationszeit (min–1). Y ist der Wachstumsertrag der gebildeten Zellmasse in g pro g verbrauchten Substrats. Bei aerobem Wachstum ist dieser Wert etwa 0,5, denn nur die Hälfte des Substrats wird in die Zelle eingebaut, die andere Hälfte wird zu CO2 oxidiert, um Energie zu gewinnen. Bei anaerobem Wachstum ist Y kleiner, denn es wird mehr Substrat für die Energiegewinnung verbraucht. Beispiel: Bei einer Generationszeit von 60 min und Y = 0,5 ist dS/dt = [0,69:60:0,5] 1 = 23 (mg Substratverbraucht pro min pro g Zellen). Da 1 g Zellen etwa 500 mg Protein enthalten, kann man den Umsatz auch auf mg Protein beziehen, in-

muss für die Bereitstellung beider Coenzyme im richtigen „Beladungszustand“ sorgen. Schließlich kostet die Biosynthese der Bausteine Energie in Form von ATP. Man beachte, dass viel mehr ATP für die Aktivierung der Bausteine und die Makromolekülsynthese nötig ist als für die Synthese der monomeren Bausteine.

9.3 Syntheseleistung der Zelle Die erforderliche Syntheseleistung einer Zelle lässt sich errechnen, wenn man den Anteil der Elemente an der Zelltrockenmasse und die Wachstumsrate kennt. Die mittlere Elementzusammensetzung einer Zelle in Gewichtsprozenten ist: ● Kohlenstoff: 48–50 % ● Sauerstoff: 21–24 % ● Stickstoff: 14 % ● Wasserstoff: 8 % ● Phosphor: 3 % ● Schwefel: 0,3–0,6 % ● Kalium: 1 % ● Natrium: 1 % ● Calcium: 0,5 % ● Magnesium: 0,5 % ● Chlor: 0,2 % ● Eisen: 0,2 % Der Rest sind Spurenelemente. Die Zelle kann man sich vereinfacht als eine Verbindung der Zusammensetzung

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dem man durch 500 dividiert; dann erhält man 46 µg Substratverbraucht pro min pro mg Protein. Solche Abschätzungen sind wichtig für Biotechnologen, die bei hohen Zelldichten die Substrate kontinuierlich nachfüttern müssen. Diese Berechnung lässt sich übertragen auf die Assimilation der Elemente. Man muss nur berücksichtigen, dass für den Kohlenstoff gilt: Y = 1 g Zellengebildet pro 0,5 g Cassimiliert; für den Stickstoff 1 g Zellengebildet pro 0,14 g N assimiliert usw. Nimmt man eine Generationszeit von einer Stunde an, dann verhalten sich die spezifischen Assimilationsraten wie 1000 (C) zu 200 (N) zu 20 (P) zu 2–4 (S) (in nmol des eingebauten Elements pro min pro mg Protein). Diese Mengenverhältnisse bestimmen die benötigte Menge an Enzymen für den Einbau der Elemente. Bedenkt man, dass aus einer winzigen Zelle im Laufe von wenigen Tagen Tonnen von Biomasse gebildet werden können, versteht man das Stoßgebet eines unbekannten Chemikers: Oh Lord, I fall upon my knees And pray that all my syntheses, May no longer be inferior To those conducted by bacteria.

C4H8O1,5N mit einer „formalen Molekülmasse“ von etwa 100 g mol–1 vorstellen; in der „Zellformel“ sind die mengenmäßig weniger wichtigen Elemente vernachlässigt. Anhand dieser Formel lassen sich einfache Überlegungen zu den Stoffflüssen und Assimilationsleistungen anstellen (Plus 9.1). In einem komplexen Medium sind alle Bausteine vorhanden und können aufgenommen werden. Dies spart NADPH und das meiste ATP, die für die Bausteinsynthese benötigt werden (▶ Tab. 9.1). Im Unterschied zur großen Vielfalt im Energiestoffwechsel ist der Baustoffwechsel vergleichsweise einheitlich und die betreffenden Biosynthesegene sind Bestandteil der meisten Bakteriengenome (Plus 9.2).

9.4 Metabolite und ihre Konzentrationen in der Zelle Die gelösten niedermolekularen Verbindungen der Bakterien- und Pilzzelle umfassen alle Zwischenverbindungen der zentralen Stoffwechselwege, aber auch alle monomeren Bausteine für die Synthese von Makromolekülen. Ihre Konzentrationen variieren um mehr als Zehntausend, von wenigen µM bis zu 100 mM. Erwartungsgemäß sind Moleküle, die Energie- und Baustoffwechsel verbinden, besonders häufig. Wir betrachten exemplarisch eine E.-coli-Kultur, die exponentiell mit Glucose in einem Minimalmedium wächst (Plus 9.2); die Verhältnisse sind

9.5 Makromoleküle und ihre Bausteine

●V

Plus 9.2 Gene des Baustoffwechsels im Genom und Metabolite in der Zelle Bis zu 1200 Synthesereaktionen (anabole Reaktionen) werden benötigt, um alle Makromoleküle einer Mikroorganismenzelle zu synthetisieren. Das Rückgrat dieses komplexen Netzwerks bilden jedoch nur ca. 100 Reaktionen der zentralen Stoffwechselwege. In ▶ Abb. 9.2 ist die prozentuale Verteilung der Metabolite für einen typischen Fall gezeigt (Escherichia coli, aerobes Wachstum mit Glucose). Es ist bemerkenswert, dass sich Bacteria und Archaea hinsichtlich der Biosynthese- und Abbauwege ähnlich sind, die Archaea aber hinsichtlich der Molekularbiologie der Zelle größere Gemeinsamkeiten mit Eukaryonten haben. Um die typischen 70–100 Bausteine herzustellen, werden in Escherichia coli etwa 7 % der ca. 4 000 Gene und der etwa 1000 Operons benötigt. Weitere 10 % der Gene sind für den Stoffwechsel der Makromoleküle (Protein, RNA, DNA, Polysaccharide usw.) von Bedeutung, 4 % der Gene werden benötigt für den Zusammenbau der Makromoleküle zu komplexen Zellstrukturen wie Flagellen. Wegen ihrer universellen Bedeutung findet man die meisten Biosynthesegene in allen Mikroorganismen, ausgenommen „metabolischen Krüppeln“, die als Parasiten oder stark angepasste Symbionten von den Bausteinen des Wirtes zehren.

aber abhängig vom Medium, dem Substrat und der Bakterienart. Die Gesamtkonzentration der Metabolite beträgt 100– 200 mM; es handelt sich ausschließlich um Ionen. Deren Konzentrationen, ihre „Poolgröße“, wird teilweise streng reguliert, ansonsten spiegelt die Metabolitkonzentration vor allem die Eigenschaften der Enzyme (KM-Wert, VmaxWert) wider, welche die betreffende Verbindung bilden oder verbrauchen. Die zehn häufigsten Metabolite machen drei Viertel der kleinen Moleküle aus. Die 20 Aminosäuren bestreiten allein die Hälfte der Moleküle; am häufigsten sind Aminosäuren, die direkt mit dem N-Stoffwechsel zu tun haben: Glutamat (bis 100 mM!) und – wesentlich weniger – Glutamin, sowie Aspartat und Alanin (2–4 mM). Nukleotide und die zentralen Zwischenverbindungen des Stoffwechsels machen jeweils 15 % aus. Die Nukleosidtriphosphate haben eine Konzentration von insgesamt 30 mM! Bei den zentralen Zwischenverbindungen des Stoffwechsels fallen die Mengen an Hexosephosphaten (u. a. Fructose-1,6-bisphosphat) und UDP-aktivierten Zuckern auf. Die restlichen 20 % teilen sich in Redoxcofaktoren (9 %) und Sonstige (11 %). Redoxcofaktoren, vor allem Glutathion (20 mM), schützen die Zelle vor unerwünschter Oxidation. Glutathion ist das Tripeptid Glu–Cys–Gly (GSH), wobei die γ-Carboxylgruppe des Glutamats mit der α-Aminogruppe des Cysteins eine Peptidbindung eingeht. Es ist das wichtigste Antioxidans; es bildet bei seiner Oxi-

andere UDP-Glucose UDP-N-Acetylglucosamin anderer zentraler Stoffwechsel 6-P-Gluconat Hexosephosphat

Glutamat

FBP Glutathiondisulfid Glutathion andere Redoxreagenzien NAD+ andere Nucleotide CTP dTTP GTP UTP ATP

Aspartat Valin Glutamin Alanin andere Aminosäuren

Aminosäuren

Glutathion

zentraler Stoffwechsel

Nucleotide

NAD(P)(H)

andere

Abb. 9.2 Prozentuale Verteilung von Metaboliten in der Zelle.

dation ein Disulfid (Cys-S–S-Cys-Bindung, GSSG). Zu diesen Metaboliten kommen anorganische Ionen hinzu (K+ > Na+ > Mg2 + > Ca2 + ; Cl–, HCO3–, HPO42–). Aus der Menge der gelösten Stoffe resultiert ein Zellturgor von 2–4 bar. Wir haben nun geklärt, aus welchen Stoffwechselwegen und Zwischenverbindungen die zentralen Vorläufermetabolite stammen, aus denen die Bausteine der Makromoleküle entstehen. Wenden wir uns nun den nächsten Schritten im Biosyntheseprozess der Zellfabrik zu. Insgesamt sind es etwa 100 Bausteine, die es herzustellen gilt.

9.5 Makromoleküle und ihre Bausteine Das Ziel der Biosynthese ist es, Makromoleküle herzustellen, die als Katalysatoren, Regulatoren, Träger der Erbinformation oder Strukturelemente dienen (▶ Tab. 9.2). Die endgültigen Zellstrukturen sind oft aus mehreren Makromolekülen zusammengesetzt. Die meisten Synthesen finden im Cytoplasma oder auf der cytoplasmatischen Seite der Membran statt. Ausgenommen ist die nicht unbeträchtliche Zahl von letzten Syntheseschritten für die Bausteine der Zellhüllen. Diese Bausteine müssen oft in aktivierter Form durch die Cytoplasmamembran gelangen, damit sie sich außerhalb der Zelle (ohne ATP!)

7

9.5 Makromoleküle und ihre Bausteine

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Plus 9.2 Gene des Baustoffwechsels im Genom und Metabolite in der Zelle Bis zu 1200 Synthesereaktionen (anabole Reaktionen) werden benötigt, um alle Makromoleküle einer Mikroorganismenzelle zu synthetisieren. Das Rückgrat dieses komplexen Netzwerks bilden jedoch nur ca. 100 Reaktionen der zentralen Stoffwechselwege. In ▶ Abb. 9.2 ist die prozentuale Verteilung der Metabolite für einen typischen Fall gezeigt (Escherichia coli, aerobes Wachstum mit Glucose). Es ist bemerkenswert, dass sich Bacteria und Archaea hinsichtlich der Biosynthese- und Abbauwege ähnlich sind, die Archaea aber hinsichtlich der Molekularbiologie der Zelle größere Gemeinsamkeiten mit Eukaryonten haben. Um die typischen 70–100 Bausteine herzustellen, werden in Escherichia coli etwa 7 % der ca. 4 000 Gene und der etwa 1000 Operons benötigt. Weitere 10 % der Gene sind für den Stoffwechsel der Makromoleküle (Protein, RNA, DNA, Polysaccharide usw.) von Bedeutung, 4 % der Gene werden benötigt für den Zusammenbau der Makromoleküle zu komplexen Zellstrukturen wie Flagellen. Wegen ihrer universellen Bedeutung findet man die meisten Biosynthesegene in allen Mikroorganismen, ausgenommen „metabolischen Krüppeln“, die als Parasiten oder stark angepasste Symbionten von den Bausteinen des Wirtes zehren.

aber abhängig vom Medium, dem Substrat und der Bakterienart. Die Gesamtkonzentration der Metabolite beträgt 100– 200 mM; es handelt sich ausschließlich um Ionen. Deren Konzentrationen, ihre „Poolgröße“, wird teilweise streng reguliert, ansonsten spiegelt die Metabolitkonzentration vor allem die Eigenschaften der Enzyme (KM-Wert, VmaxWert) wider, welche die betreffende Verbindung bilden oder verbrauchen. Die zehn häufigsten Metabolite machen drei Viertel der kleinen Moleküle aus. Die 20 Aminosäuren bestreiten allein die Hälfte der Moleküle; am häufigsten sind Aminosäuren, die direkt mit dem N-Stoffwechsel zu tun haben: Glutamat (bis 100 mM!) und – wesentlich weniger – Glutamin, sowie Aspartat und Alanin (2–4 mM). Nukleotide und die zentralen Zwischenverbindungen des Stoffwechsels machen jeweils 15 % aus. Die Nukleosidtriphosphate haben eine Konzentration von insgesamt 30 mM! Bei den zentralen Zwischenverbindungen des Stoffwechsels fallen die Mengen an Hexosephosphaten (u. a. Fructose-1,6-bisphosphat) und UDP-aktivierten Zuckern auf. Die restlichen 20 % teilen sich in Redoxcofaktoren (9 %) und Sonstige (11 %). Redoxcofaktoren, vor allem Glutathion (20 mM), schützen die Zelle vor unerwünschter Oxidation. Glutathion ist das Tripeptid Glu–Cys–Gly (GSH), wobei die γ-Carboxylgruppe des Glutamats mit der α-Aminogruppe des Cysteins eine Peptidbindung eingeht. Es ist das wichtigste Antioxidans; es bildet bei seiner Oxi-

andere UDP-Glucose UDP-N-Acetylglucosamin anderer zentraler Stoffwechsel 6-P-Gluconat Hexosephosphat

Glutamat

FBP Glutathiondisulfid Glutathion andere Redoxreagenzien NAD+ andere Nucleotide CTP dTTP GTP UTP ATP

Aspartat Valin Glutamin Alanin andere Aminosäuren

Aminosäuren

Glutathion

zentraler Stoffwechsel

Nucleotide

NAD(P)(H)

andere

Abb. 9.2 Prozentuale Verteilung von Metaboliten in der Zelle.

dation ein Disulfid (Cys-S–S-Cys-Bindung, GSSG). Zu diesen Metaboliten kommen anorganische Ionen hinzu (K+ > Na+ > Mg2 + > Ca2 + ; Cl–, HCO3–, HPO42–). Aus der Menge der gelösten Stoffe resultiert ein Zellturgor von 2–4 bar. Wir haben nun geklärt, aus welchen Stoffwechselwegen und Zwischenverbindungen die zentralen Vorläufermetabolite stammen, aus denen die Bausteine der Makromoleküle entstehen. Wenden wir uns nun den nächsten Schritten im Biosyntheseprozess der Zellfabrik zu. Insgesamt sind es etwa 100 Bausteine, die es herzustellen gilt.

9.5 Makromoleküle und ihre Bausteine Das Ziel der Biosynthese ist es, Makromoleküle herzustellen, die als Katalysatoren, Regulatoren, Träger der Erbinformation oder Strukturelemente dienen (▶ Tab. 9.2). Die endgültigen Zellstrukturen sind oft aus mehreren Makromolekülen zusammengesetzt. Die meisten Synthesen finden im Cytoplasma oder auf der cytoplasmatischen Seite der Membran statt. Ausgenommen ist die nicht unbeträchtliche Zahl von letzten Syntheseschritten für die Bausteine der Zellhüllen. Diese Bausteine müssen oft in aktivierter Form durch die Cytoplasmamembran gelangen, damit sie sich außerhalb der Zelle (ohne ATP!)

7

Biosynthesen zu Polymeren verbinden können. Das bekannteste Beispiel dafür ist die Synthese des Mureins (S. 327). Im Folgenden besprechen wir, wie die Elemente aus den Substraten in die Zelle und in die Bausteine gelangen.

9.6 Assimilation der Elemente N, S, P und der Spurenelemente Unter Assimilation versteht man in diesem Zusammenhang die Aneignung eines Elements aus einer äußeren Quelle, meist einer anorganischen Verbindung. Die wichtigsten natürlichen Quellen für die Elemente N, S, P und die Spurenelemente wären eigentlich die organischen Bausteine, die bei der Zersetzung von organischem Material wieder frei werden. Da der größte Teil des organischen Materials im Stoffkreislauf aber zur Energiegewinnung oxidiert oder vergoren wird, werden diese Elemente meist als oxidierte Ionen (Nitrat, Phosphat, Sulfat, Fe (III)) in anorganischer Form frei. Solche Ionen müssen in die Zelle transportiert werden. Bei Mangel an diesen Ionen wird dafür häufig ein hoch affines, ATP-getriebenes Transportsystem verwendet. Sind sie in größerer Konzentration vorhanden, wird ein Symport mit H+ oder Na+ bevorzugt. Er kostet weniger Energie, kann aber auch nur gegen ein geringeres Konzentrationsgefälle zwischen innen und außen arbeiten.

9.6.1 Stickstoff Ammoniak bzw. Nitrat als N-Quelle Beim Abbau von organischen Verbindungen wird der Zellstickstoff wieder als Ammoniak NH3 frei. Ammoniak ist auch die Form des Stickstoffs, die beim Einbau in Nhaltige Verbindungen benötigt wird. Die ausreichende Bereitstellung von Ammoniak für das Wachstum erfordert komplizierte Regelmechanismen (S. 512). Ammoniak ist auch die bevorzugte N-Quelle für das Wachstum. Es ist flüchtig, giftig und eine schwache Base (NH4+, pKa = 9,3); es liegt bei neutralem pH als NH4+-Ion vor, das aktiv aufgenommen wird. Wegen seiner Giftigkeit binden Landtiere das Ammoniak sofort und scheiden Stickstoff in unschädlicher, gut wasserlöslicher Form als Harnstoff (Plus 9.3) oder Harnsäure (ein Purin) aus; beides sind ebenfalls wichtige N-Quellen für Mikroorganismen.

●V

Plus 9.3 Urease

Harnstoff wird durch das Nickelenzym Urease hydrolytisch zersetzt: NH2–CO–NH2 + 2 H2O → 2 NH3 + H2CO3 (→ CO2 + H2O). Die Urease ist das erste Enzym, das kristallisiert wurde. Manche Bakterien, die hohe Harnstoffkonzentrationen in ihrer Umgebung vorfinden, bilden konstitutiv Urease. Beispiele sind das Magenbakterium Helicobacter pylori, das die Base NH3 bildet und dadurch in der sauren Magenschleimhaut überlebt, und Bacillus pasteurii und Sporosarcina ureae, die in Jauche vorkommen und an pHWerte von 9–10 angepasst sind.

Tab. 9.2 Mittlere Zusammensetzung einer Prokaryontenzelle (Escherichia coli). Die Makromoleküle machen 96 % des Trockengewichts aus. Der Anteil des Mureins beträgt bei grampositiven Bakterien ein Mehrfaches des Wertes, der hier für E. coli angegeben ist. Makromolekül (% des Trockengewichts)

Bedarf an Bausteinen für 1 g Zelltrockenmasse (μmol)

Bausteine

Aktivierung

Protein (50 %)

5 000

20 L-Aminosäuren

als Aminoacyl-tRNA

RNA (10–20 %)

300–600

4 Nukleosidmonophosphate

als Nukleosidtriphosphate

DNA (3 %)

100

4 Desoxyribonukleosidmonophosphate

als Desoxynukleosidtriphosphate

Lipide (10 %)

Murein (3 %)

Lipopolysaccharide (10 %)

298

130

Glycerin

als Glycerin-3-phosphat

260

3–4 Fettsäuren (16:0, 16:1Δ9, 18:1Δ11)

mit Acyl-Carrier-Protein

130

3–4 polare Kopfgruppen (Ethanolamin, Glycerin, L-Serin)

mit CDP

30

N-Acetylglucosamin

mit UDP

30

N-Acetylmuraminsäure

mit UDP

90

3 D-, L-Aminosäuren

mit ATP

30

D-Ala-D-Ala

mit ATP

16

N-Acetylglucosamin

mit UDP

48

3–4 Fettsäuren

mit Acyl-Carrier-Protein

24

Ethanolamin

mit CDP

100–200

mehrere Zucker

mit NDP

Biosynthesen zu Polymeren verbinden können. Das bekannteste Beispiel dafür ist die Synthese des Mureins (S. 327). Im Folgenden besprechen wir, wie die Elemente aus den Substraten in die Zelle und in die Bausteine gelangen.

9.6 Assimilation der Elemente N, S, P und der Spurenelemente Unter Assimilation versteht man in diesem Zusammenhang die Aneignung eines Elements aus einer äußeren Quelle, meist einer anorganischen Verbindung. Die wichtigsten natürlichen Quellen für die Elemente N, S, P und die Spurenelemente wären eigentlich die organischen Bausteine, die bei der Zersetzung von organischem Material wieder frei werden. Da der größte Teil des organischen Materials im Stoffkreislauf aber zur Energiegewinnung oxidiert oder vergoren wird, werden diese Elemente meist als oxidierte Ionen (Nitrat, Phosphat, Sulfat, Fe (III)) in anorganischer Form frei. Solche Ionen müssen in die Zelle transportiert werden. Bei Mangel an diesen Ionen wird dafür häufig ein hoch affines, ATP-getriebenes Transportsystem verwendet. Sind sie in größerer Konzentration vorhanden, wird ein Symport mit H+ oder Na+ bevorzugt. Er kostet weniger Energie, kann aber auch nur gegen ein geringeres Konzentrationsgefälle zwischen innen und außen arbeiten.

9.6.1 Stickstoff Ammoniak bzw. Nitrat als N-Quelle Beim Abbau von organischen Verbindungen wird der Zellstickstoff wieder als Ammoniak NH3 frei. Ammoniak ist auch die Form des Stickstoffs, die beim Einbau in Nhaltige Verbindungen benötigt wird. Die ausreichende Bereitstellung von Ammoniak für das Wachstum erfordert komplizierte Regelmechanismen (S. 512). Ammoniak ist auch die bevorzugte N-Quelle für das Wachstum. Es ist flüchtig, giftig und eine schwache Base (NH4+, pKa = 9,3); es liegt bei neutralem pH als NH4+-Ion vor, das aktiv aufgenommen wird. Wegen seiner Giftigkeit binden Landtiere das Ammoniak sofort und scheiden Stickstoff in unschädlicher, gut wasserlöslicher Form als Harnstoff (Plus 9.3) oder Harnsäure (ein Purin) aus; beides sind ebenfalls wichtige N-Quellen für Mikroorganismen.

●V

Plus 9.3 Urease

Harnstoff wird durch das Nickelenzym Urease hydrolytisch zersetzt: NH2–CO–NH2 + 2 H2O → 2 NH3 + H2CO3 (→ CO2 + H2O). Die Urease ist das erste Enzym, das kristallisiert wurde. Manche Bakterien, die hohe Harnstoffkonzentrationen in ihrer Umgebung vorfinden, bilden konstitutiv Urease. Beispiele sind das Magenbakterium Helicobacter pylori, das die Base NH3 bildet und dadurch in der sauren Magenschleimhaut überlebt, und Bacillus pasteurii und Sporosarcina ureae, die in Jauche vorkommen und an pHWerte von 9–10 angepasst sind.

Tab. 9.2 Mittlere Zusammensetzung einer Prokaryontenzelle (Escherichia coli). Die Makromoleküle machen 96 % des Trockengewichts aus. Der Anteil des Mureins beträgt bei grampositiven Bakterien ein Mehrfaches des Wertes, der hier für E. coli angegeben ist. Makromolekül (% des Trockengewichts)

Bedarf an Bausteinen für 1 g Zelltrockenmasse (μmol)

Bausteine

Aktivierung

Protein (50 %)

5 000

20 L-Aminosäuren

als Aminoacyl-tRNA

RNA (10–20 %)

300–600

4 Nukleosidmonophosphate

als Nukleosidtriphosphate

DNA (3 %)

100

4 Desoxyribonukleosidmonophosphate

als Desoxynukleosidtriphosphate

Lipide (10 %)

Murein (3 %)

Lipopolysaccharide (10 %)

298

130

Glycerin

als Glycerin-3-phosphat

260

3–4 Fettsäuren (16:0, 16:1Δ9, 18:1Δ11)

mit Acyl-Carrier-Protein

130

3–4 polare Kopfgruppen (Ethanolamin, Glycerin, L-Serin)

mit CDP

30

N-Acetylglucosamin

mit UDP

30

N-Acetylmuraminsäure

mit UDP

90

3 D-, L-Aminosäuren

mit ATP

30

D-Ala-D-Ala

mit ATP

16

N-Acetylglucosamin

mit UDP

48

3–4 Fettsäuren

mit Acyl-Carrier-Protein

24

Ethanolamin

mit CDP

100–200

mehrere Zucker

mit NDP

9.6 Assimilation der Elemente N, S, P und der Spurenelemente Ammonium bleibt nur unter anaeroben Bedingungen erhalten und ist für chemolithotrophe Bakterien (Nitrifizierer) an der anaerob/aeroben Grenzschicht ein begehrtes Substrat. Mit Sauerstoff wird es über Nitrit zu Nitrat oxidiert (S. 393); Nitrat ist unter aeroben Bedingungen die häufigste N-Quelle. Das Nitrat wird in die Zelle aufgenommen und durch zwei lösliche Enzyme zu Ammoniak reduziert: durch das Molybdänenzym Nitrat-Reduktase und durch das Sirohämenzym Nitrit-Reduktase. HNO3 + 2[H] Nitrat-Reduktase > HNO2 + H2O HNO2 + 6[H] Nitrit-Reduktase > NH3 + 2 H2O Man spricht hierbei von assimilatorischer Nitratreduktion; Ammonium reprimiert die Synthese dieser Enzyme. Wir werden bei der anaeroben Atmung eine dissimilatorische, membrangebundene Nitratreduktion (S. 444) kennenlernen, die der Energiegewinnung dient und die durch Sauerstoff reprimiert wird. ▶ Abb. 9.3 gibt einen Überblick über die assimilatorische Nitratreduktion und den weiteren Einbau des Stickstoffs in organische Moleküle. NH3 wird dabei in zwei Stufen in Zellmaterial eingebaut. In einem ersten Schritt wird NH3 in Trägermoleküle fixiert. Glutamat dient dabei als Träger für 80 % des N, der für die α-Aminogruppen der Aminosäuren bestimmt ist. Die Glutamatkonzentration kann bis 100 mM betragen, was auch damit zusammenhängt, dass Glutamat für die Osmoregulation (S. 520) wichtig ist. Glutamin dient als Träger für das restliche N, das für Aminozucker oder die Basen der Nukleotide bestimmt ist. Die wichtigste NH3-assimilierende Reaktion wird durch die Glutamin-Synthetase katalysiert und kostet 1 ATP pro assimiliertem N-Atom (▶ Abb. 9.4a). Das Enzym hat eine hohe Affinität für NH4+. Glutamin dient dann der Synthese von Glutamat aus 2-Oxoglutarat durch das Enzym Glutamat-Synthase (auch als Glutamin-2-Oxoglutarat-Aminotransferase GOGAT bezeichnet, ▶ Abb. 9.4b). Letztlich kostet so die Assimilation jedes NH3-Moleküls in Glutamin oder Glutamat jeweils 1 ATP. Wegen des hohen

äußere Membran

Aspartat–NH2

Cytoplasmamembran

7 Glutamat–NH2 5

H+ NH4+

3 NO3–

1

NO3



2

NO2–

Glutamin–NH2 4

8

Molekularer Stickstoff als N-Quelle Dem hohen Stickstoffbedarf wachsender Zellen steht oft eine zu geringe Menge an Stickstoffquellen gegenüber, sodass Stickstoffmangel eintritt. Viele Prokaryonten, aber kein einziger Eukaryont, können dann den Luftstickstoff zu Ammoniak reduzieren. Diese Fähigkeit findet sich in fast allen Verwandtschaftsgruppen; die Gene für Stickstofffixierung wurden häufig durch lateralen Gentransfer erworben. Besondere Bedeutung hat die symbiontische Stickstofffixierung in den Wurzelknöllchen der Schmetterlingsblütler (S. 638). Der biologische Katalysator der N2-Reduktion zu Ammoniak ist das Enzym Nitrogenase, welches das bioche-

12

wenige N-enthaltende Verbindungen ( Sulfat bevorzugen und entsprechend die Synthese der Enzyme der Schwefelassimilation regulieren.

9.6.3 Phosphor Phosphor ist oft das wachstumsbegrenzende Element in der Natur. Anders als bei den Elementen N und S, liegt P praktisch ausschließlich in der höchsten oxidierten Stufe des Phosphats vor, entweder frei oder als organisches Phosphat, wie in der Zelle. Das freie, anorganische Phosphat wird zur Unterscheidung von dem gebundenen organischen oft als Pi (von engl. inorganic) bezeichnet. Phosphat (H2PO4–; pKa2 = 7,0) liegt bei neutralem pHWert je zur Hälfte als H2PO4– und HPO42– vor und wird meist ATP-abhängig aufgenommen. Organische Phosphate werden in der Regel nicht direkt aufgenommen, sondern im Periplasma oder an der Zelloberfläche durch unspezifische Phosphatasen hydrolysiert. Das freigesetzte kostbare Phosphat wird dann in die Zelle transportiert.

PPi

NH2 N

O –

O

S O

N

O O

P

O

CH2

O–

O

N

N

HO OH Adenosinphosphosulfat (APS) 2[H] APS-Reduktase AMP O S –

O

OH

Abb. 9.9 Reduktion von Sulfat zu Sulfit. Die Reduktion von Sulfat zu Sulfit erfolgt in zwei Stufen. Die ATP-Sulfurylase aktiviert das Sulfat mithilfe von ATP zu Adenosinphosphosulfat (APS, ΔG0’ = + 46 kJ), aus dem die APS-Reduktase Sulfit freisetzt (ΔG0’ = –68 kJ). Die Hydrolyse von Pyrophosphat durch die Pyrophosphatase (ΔG0’ = –22 kJ) fördert die Sulfataktivierung durch die ATP-Sulfurylase.

Phosphat wird im Energiestoffwechsel durch Substratphosphorylierung oder Elektronentransportphosphorylierung an ADP gebunden und es entsteht energiereiches ATP. Dieses ist nicht nur Energieträger, sondern gleichzeitig der universelle P-Donator, von dem sich die Phosphatgruppen der Bausteine herleiten. So entstehen durch Übertragung von Phosphoryl- oder Pyrophosphorylgruppen Polyphosphate, Phosphate oder Pyrophosphate. Aus ATP und AMP synthetisiert die Adenylat-Kinase zwei ADP (▶ Abb. 9.11). Die wenigen Phosphonatverbindungen, in denen eine C–PO3H2-Bindung vorliegt, werden durch C–P-Lyasen gespalten und das ent-

3

Biosynthesen a

COO–

H3 N

C

H

COO–

HS-CoA H3N

Ac-SCoA

CH2

C

O-Acetyl-SerylSulfhydrylase

CH3

O

H

H3N

Acyl-O-R

AcetylPhosphorylCystein Succinylcysteinadduktbildendes Enzym (z.B. Cystathionin-Synthase)

COO– H2O

H

S

H3N

R

CysteinadduktLyase

HS

C

H

CH2

R+

P X

P

1

2

1

X + Pi

Pi

P

Polyphosphat

OH

P γ

ADP

Phosphat

5

3 Pi + ADP

4 A

P Pi äußere Membran

X

ATP

6

P P P α β γ

7 AMP

standene Phosphit P(OH)3 wird unter H2-Freisetzung zu H3PO4 oxidiert. Bei der Aktivierung von Säuren (Sulfat, Aminosäuren, Fettsäuren) wird ATP in AMP und Pyrophosphat gespalten. Pyrophosphat kann in fast allen Bakterien von einer membrangebundenen Pyrophosphatase zum Aufbau einer protonmotorischen Kraft genutzt werden; alternativ wird es von einem löslichen Enzym hydrolysiert. Die Entfernung des Pyrophosphats „zieht“ die vorhergehenden Syntheseschritte.

9.6.4 Spurenelemente Alkalimetalle (Na, K) und Erdalkalimetalle (Mg, Ca) sind Makroelemente und kommen in der Zelle frei oder teilweise gebunden in sehr großer Menge vor. Sie zählen somit nicht zu den Spurenelementen. Die betreffenden Kationen werden direkt in die Zelle transportiert und dienen vor allem als Elektrolyte. Sie sind aber auch für viele Zellfunktionen essenziell. Im Gegensatz dazu sind die Spurenelemente besonders katalytisch wirksam. Beispiele für metallische Spurenelemente sind die Übergangsmetalle V, Mn, Fe, Co, Ni, Cu, Zn, Mo, und W. Sie sind als Bestandteile von Cofaktoren

Abb. 9.10 Reaktionen, die an der Assimilation von Sulfid und an der Weitergabe von Schwefel aus Cystein (Sulfhydryltransfer) beteiligt sind. a Der Einbau des Sulfidschwefels erfolgt mithilfe der beiden Enzyme Serin-Transacetylase und Acetylserin-Sulfhydrylase. b Von Cystein ausgehend wird der Schwefel dann in verschiedene Vorläufermoleküle für Zellbausteine eingebaut. Die daran beteiligten Enzyme sind Enzyme, die Cysteinaddukte bilden, und Cysteinaddukt-Lyasen.

Serin, (oder Pyruvat + NH3)

Cytoplasmamembran

organische P-Ester

304

H

Cystein

CH2

SH

P

C

C SH

COO–

Acylat

CH2

X

H3N

Acetat

O-Acetylserin

COO–

H 3N

HS

CH2

O C

Serin b

H

C

CH2 SerinTransacetylase

OH

COO– –

5

P γ

Abb. 9.11 Assimilation von Phosphor in Zellmaterial. ① und ③ Aufnahmesysteme für Phosphat bzw. organische Phosphate; ② organische Phosphatasen; ④ ATP-Bildung durch Substratphosphorylierung oder Elektronentransportphosphorylierung; ⑤ Übertragung von Phosphoryl- oder Pyrophosphorylgruppen; ⑥ Pyrophosphatase; ⑦ Adenylat-Kinase.

X

P P β γ Pyrophosphat

oder Enzymen fest gebunden und kommen nur in geringen bis geringsten Spuren vor. Das mengenmäßig Wichtigste unter ihnen ist Eisen (Fe), das deshalb häufig auch als Makroelement behandelt und hier stellvertretend besprochen wird. Beispiele für nichtmetallische Spurenelemente sind F, Cl, Br, J, B, Se und Si. Auf Selen wird in Kapitel 6.9 eingegangen (Selenocystein, Plus 6.16) (S. 210). In der Natur ist Eisen wegen der geringen Löslichkeit seiner Verbindungen oft wachstumslimitierend (Plus 9.6). Deshalb werden lösliche, niedermolekulare Eisenkomplexbildner (rel. Molekülmasse < 1500), sogenannte Siderophore (Eisenträger) gebildet und ausgeschieden. Diese haben mit 1030–1050 l mol–1 bei pH = 7,0 eine noch höhere Stabilitätskonstante als die natürlichen, unlöslichen Eisenkomplexe! Der im Labor verwendete Komplexbildner EDTA hat im Vergleich dazu nur eine Stabilitätskonstante von 1025 l mol–1. Man unterscheidet je nach Komplexbildungstyp mehrere Klassen dieser Verbindungen (▶ Abb. 9.12). Auch die gelb-grün fluoreszierenden Pigmente, die von Pseudomonas putida und Pseudomonas aeruginosa ausgeschieden werden, haben die Funktion von Siderophoren, ebenso die Ferrioxamine der Aktinobakterien und die Mycobactine und Exocheline der Mykobakterien. Inte-

9.6 Assimilation der Elemente N, S, P und der Spurenelemente

●V

Plus 9.6 Verfügbarkeit von Eisen Eisen ist zwar das vierthäufigste Element in der Erdkruste, dennoch ist seine biologische Verfügbarkeit äußerst gering. Es ist oft das wachstumslimitierende Element. Dies trifft auch für große Bereiche der sehr tiefen tropischen Ozeane zu, wo die Nachdiffusion von gelöstem Eisen aus dem Sediment sehr gering ist. Der Grund für Eisenmangel ist die bei neutralem pH-Wert äußerst geringe Löslichkeit der stabilen Fe(III)-Komplexe wie Oxidhydrat FeO(OH), Carbonat Fe2(CO3)3 oder Magnetit Fe3O4. Die Stabilitätskonstante K (K = [Ligand-Metall-Komplex] [Ligand]–1[Metall]–1) beträgt 1038 l mol–1 für Fe(OH)3, was einer Fe(III)-Konzentration von etwa 10–18 mol l–1 entspricht. Zum Vergleich: Ein einziges Molekül Eisen in einer Bakterienzelle entspräche etwa einer Konzentration von 10–9 mol l–1! Nur im Sauren liegen Fe(III)-Ionen und unter anaeroben Bedingungen Fe(II)-Ionen in ausreichender Konzentration gelöst vor. Für viele Bakterien sind die Eisenaufnahmesysteme auch wichtige Faktoren, die ihnen Pathogenität verleihen. Die Freihaltung des Milieus von Eisen gehört zu den natürlichen Abwehrmechanismen höherer Organismen. Sie besitzen ei-

a Catecholtyp H R

O

N

H O

O

H

H

N C CH O C OH O O C

OH

Fe3+

O NH

Enterobactin

R b Hydroxamattyp N

C O–

R1

O

N

C

R2



C

Fe3+

O

O–

O O

O– N

Fe3+

O

N c Carboxylattyp

C

Ferrioxamin

OH

COO– COO–

senbindende Proteine, die das vorhandene Eisen so fest binden, dass es für das Wachstum von Mikroorganismen nicht verfügbar ist. Man nennt dieses Phänomen ernährungsbedingte Immunität (engl. nutritional immunity). Auf diese Weise verhindert das Conalbumin das Wachstum von Mikroorganismen in Hühnereiklar, Lactoferrin ist in Milch, Tränen- und Speichelflüssigkeit vorhanden und Transferrin wirkt im Blutserum. In Hühnereiklar eingeimpfte Bakterien wachsen erst, wenn man gleichzeitig Eisenionen in Form von Eisenammoniumcitrat injiziert. Mit anderen Worten: Eisen spielt bei der Auseinandersetzung zwischen höheren Organismen und Bakterien eine große Rolle. Den Kampf gewinnt der Partner, der einen Chelatbildner mit der höchsten Bindungsstärke für Eisen produziert. Manche Pathogene lysieren Erythrocyten (Hämolyse), um das im Hämoglobin gebundene Eisen als FeQuelle zu nutzen. Spezielle Rezeptoren können aus eisenhaltigen Proteinen (z. B. Lactoferrin oder Hämoglobin), die sie an der Oberfläche binden, sogar Fe-Ionen oder Häm herauslösen!

ressanterweise können viele Bakterien Komplexbildner von anderen Bakterien und Pilzen aufnehmen und verwerten, wie das Ferrichrom der Pilze. Das zeigt, wie hart der Kampf um Eisen ausgetragen wird. Was für Eisen gesagt wird, gilt entsprechend auch für Zink. Die Siderophore binden das Eisen und werden als Eisen (III)-Komplexe über spezifische Kanäle und unter Verbrauch von Energie aufgenommen (▶ Abb. 9.13, Plus 9.7). In der Zelle werden sie entweder durch Hydrolyse zerstört und damit wird das Fe(III) freigesetzt (Enterobactin), oder das gebundene Fe(III) wird zu löslichem Fe(II) reduziert (Ferrichrom). Das Eisen wird sofort in Fe-Speicherproteine oder in Zielmoleküle (Häm, FeS-Zentren) eingebaut. Es darf nur in winzigen Mengen in freier Form vorkommen, da freies Fe(II) mit H2O2 als sogenanntes Fenton-Reagens reagiert und das OH-Radikal bildet (Plus 11.7) (S. 364). Dies ist das potenteste unselektive Oxidationsmittel (E0’ = + 2,2 V!), das sofort mit allen Biomolekülen reagiert. Schon aus diesem Grund, aber auch wegen der Kostspieligkeit der Fe-Aufnahme, reprimiert Fe(III) als Corepressor, zusammen mit einem Repressorprotein, die Transkription der Gene der Eisenaufnahmesysteme (▶ Abb. 9.13).

COO– Fe3+

Citrat

Abb. 9.12 Allgemeine Strukturen von eisenkomplexierenden Verbindungen (Siderophore). a Enterobactin als Beispiel für den Catecholtyp mit 2,3-Dihydroxybenzoesäure. b Ferrioxamin vom Hydroxamattyp mit R1–NOH–CO–R2 (auch das Ferrichrom der Pilze gehört zu diesem Typ). c Citrat als Beispiel für den Carboxylattyp.

5

Biosynthesen

Siderophor

Abb. 9.13 Schema des Eisentransports in Escherichia coli. Erklärung siehe Text.

Fe(III) Rezeptor (spezifischer Kanal) äußere Membran Bindeprotein

Ton-Komplex

ATP-abh. Transporter Cytoplasmamembran ATP

ADP + Pi e–

Ferrichrom Fe(II) Einbau Fe(III) Enterobactin

freies Fe Repressor DNA

Plus 9.7

Gene für Fe-Transport

●V

Besonderheiten der Aufnahmesysteme für große Moleküle

Die Eisenaufnahmesysteme weisen Besonderheiten auf. Große und begehrte Moleküle mit niedriger Konzentration wie die Siderophore oder auch Vitamin B12, die über ATP-abhängige Transportsysteme aufgenommen werden, benötigen neben einem spezifischen Kanal (Rezeptor) in der äußeren Membran auch periplasmatische Bindeproteine (bei grampositiven Bakterien sind die Aufnahmesysteme an der Zellhülle verankert). Die Freisetzung des Siderophors aus dem Kanal ist energieabhängig und erfolgt mithilfe eines verlängerten transmembranen Proteinkomplexes, der von der Cytoplasmamembran bis zum Kanal reicht und die Energie transferiert (▶ Abb. 9.13). Nur eine energetisierte Membran erlaubt die Freisetzung des Siderophors aus dem Kanal. Da das Eisenaufnahmesystem auch für die Aufnahme des T 1Phagen (engl. T-one) „missbraucht“ wird (so wurde es ursprünglich entdeckt), nennt man dieses Membranprotein auch Ton-Komplex. Dieser Komplex besteht aus TonB und zwei weiteren Proteinen und bedient eine ganze TonB-abhängige Rezeptorfamilie.

306

9.7 Bereitstellung von C1Einheiten, Energie, Reduktionsund Oxidationsmitteln 9.7.1 C1-Einheiten In den Zellbausteinen treten verschiedene C1-Einheiten wie Methylgruppen (–CH3), Hydroxymethylgruppen (–CH2OH), Formylgruppen (–CHO) und Carboxylgruppen (–COOH) auf. Verschiedene Coenzyme wie Tetrahydrofolsäure (H4-Folat, FH4 oder auch THF abgekürzt), S-Adenosylmethionin (SAM) oder Biotin dienen dem Transfer dieser Einheiten. Der Bedarf an C1-Einheiten wird aus Serin und Glycin gedeckt (▶ Abb. 9.14). Die Hydroxymethylgruppe des Serins (–CH2OH) entspricht Formaldehyd (HCHO, bzw. Formalhydrat, H2C(OH)2) gebunden an Glycin. Diese Gruppe wird durch das Enzym Serin-Hydroxymethyl-Transferase reversibel abgelöst und auf das Coenzym Tetrahydrofolsäure übertragen. Die C1-Bindung an Tetrahydrofolsäure entspricht der spontanen Reaktion von Formalhydrat (H2C(OH)2) mit den N5- und N10-Stickstoffatomen des Coenzyms unter Austritt von zwei Wassermolekülen zu N5, N10-Methylentetrahydrofolsäure (N5, N10-Methylen-FH4); es entstehen Glycin und Wasser. Die Methylengruppe (Formaldehydstufe) wird über N5, N10-Methenyltetrahydrofolat zu N10-Formyltetrahydrofolat (Formiatstufe) oxidiert oder zu N5-Methyltetrahydrofolat (Methanolstufe) reduziert. Die C1-Gruppen der verschiedenen Stufen werden auf entsprechende Akzeptoren übertragen. Sie werden hauptsächlich für die Synthese von Methionin, Purinen, Thymin (hier ausnahmsweise eine C–CH3 Gruppe!) und N-Formylmethionin benötigt. Ein Teil des Glycins wird unter Decarboxylierung verwendet, um auf ähnliche Weise C1-Einheiten aus seiner Aminomethylgruppe be-

Biosynthesen

Siderophor

Abb. 9.13 Schema des Eisentransports in Escherichia coli. Erklärung siehe Text.

Fe(III) Rezeptor (spezifischer Kanal) äußere Membran Bindeprotein

Ton-Komplex

ATP-abh. Transporter Cytoplasmamembran ATP

ADP + Pi e–

Ferrichrom Fe(II) Einbau Fe(III) Enterobactin

freies Fe Repressor DNA

Plus 9.7

Gene für Fe-Transport

●V

Besonderheiten der Aufnahmesysteme für große Moleküle

Die Eisenaufnahmesysteme weisen Besonderheiten auf. Große und begehrte Moleküle mit niedriger Konzentration wie die Siderophore oder auch Vitamin B12, die über ATP-abhängige Transportsysteme aufgenommen werden, benötigen neben einem spezifischen Kanal (Rezeptor) in der äußeren Membran auch periplasmatische Bindeproteine (bei grampositiven Bakterien sind die Aufnahmesysteme an der Zellhülle verankert). Die Freisetzung des Siderophors aus dem Kanal ist energieabhängig und erfolgt mithilfe eines verlängerten transmembranen Proteinkomplexes, der von der Cytoplasmamembran bis zum Kanal reicht und die Energie transferiert (▶ Abb. 9.13). Nur eine energetisierte Membran erlaubt die Freisetzung des Siderophors aus dem Kanal. Da das Eisenaufnahmesystem auch für die Aufnahme des T 1Phagen (engl. T-one) „missbraucht“ wird (so wurde es ursprünglich entdeckt), nennt man dieses Membranprotein auch Ton-Komplex. Dieser Komplex besteht aus TonB und zwei weiteren Proteinen und bedient eine ganze TonB-abhängige Rezeptorfamilie.

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9.7 Bereitstellung von C1Einheiten, Energie, Reduktionsund Oxidationsmitteln 9.7.1 C1-Einheiten In den Zellbausteinen treten verschiedene C1-Einheiten wie Methylgruppen (–CH3), Hydroxymethylgruppen (–CH2OH), Formylgruppen (–CHO) und Carboxylgruppen (–COOH) auf. Verschiedene Coenzyme wie Tetrahydrofolsäure (H4-Folat, FH4 oder auch THF abgekürzt), S-Adenosylmethionin (SAM) oder Biotin dienen dem Transfer dieser Einheiten. Der Bedarf an C1-Einheiten wird aus Serin und Glycin gedeckt (▶ Abb. 9.14). Die Hydroxymethylgruppe des Serins (–CH2OH) entspricht Formaldehyd (HCHO, bzw. Formalhydrat, H2C(OH)2) gebunden an Glycin. Diese Gruppe wird durch das Enzym Serin-Hydroxymethyl-Transferase reversibel abgelöst und auf das Coenzym Tetrahydrofolsäure übertragen. Die C1-Bindung an Tetrahydrofolsäure entspricht der spontanen Reaktion von Formalhydrat (H2C(OH)2) mit den N5- und N10-Stickstoffatomen des Coenzyms unter Austritt von zwei Wassermolekülen zu N5, N10-Methylentetrahydrofolsäure (N5, N10-Methylen-FH4); es entstehen Glycin und Wasser. Die Methylengruppe (Formaldehydstufe) wird über N5, N10-Methenyltetrahydrofolat zu N10-Formyltetrahydrofolat (Formiatstufe) oxidiert oder zu N5-Methyltetrahydrofolat (Methanolstufe) reduziert. Die C1-Gruppen der verschiedenen Stufen werden auf entsprechende Akzeptoren übertragen. Sie werden hauptsächlich für die Synthese von Methionin, Purinen, Thymin (hier ausnahmsweise eine C–CH3 Gruppe!) und N-Formylmethionin benötigt. Ein Teil des Glycins wird unter Decarboxylierung verwendet, um auf ähnliche Weise C1-Einheiten aus seiner Aminomethylgruppe be-

9.7 Bereitstellung von C1-Einheiten, Energie, Reduktions- und Oxidationsmitteln COO– HN N

6

H N

CH NADPH + H+

HN

H3N

CH2

CH2

NADP+

CH2

FH2

S

FH4 Ade

Serin

P 5

ADP + Pi

H3N

O

10

C

N

HC

HN H+

4

N10-FormylFH4

PPPi 7

1 COO–

Glycin

H

CH CH2OH

HCOOH H3N

N5 H2O

H2O

Methionin

10

H2C

N 3

N5,N10-MethenylFH4

ATP

CH2

NADP+

NADPH

CH3

Rib

SAM (S-Adenosylmethionin)

COO– ADP

CH

NADPH + H+

NADP+

N5

10

CH3 NH

N 2

N5,N10-MethylenFH4

N5

N5-MethylFH4

Abb. 9.14 Schema des C1-Stoffwechsels. Es wird nur der C1-bindende Teil der Tetrahydrofolsäure (FH4) gezeigt. FH2 steht für Dihydrofolsäure. ① Serin-Hydroxymethyl-Transferase; die C1-Bildung aus Glycin ist hier nicht gezeigt; ② MethylentetrahydrofolatReduktase; ③ Methylentetrahydrofolat-Dehydrogenase; ④ Methenyltetrahydrofolat-Cyclohydrolase; ⑤ Formyltetrahydrofolat-Synthetase; ⑥ Dihydrofolat-Reduktase; ⑦ S-Adenosylmethionin-Synthetase.

reitzustellen. Der unmittelbare Methylgruppendonator ist häufig S-Adenosylmethionin, der aus ATP und Methionin entsteht (die -S–CH3-Gruppe des Methionins stammt wiederum aus CH3-Tetrahydrofolat). Dabei wird eine Triphosphatgruppe von ATP abgespalten!

9.7.2 Energie ATP als Energiequelle und gleichzeitiger Phosphordonator wird hauptsächlich durch Atmung und Photosynthese gebildet. Es dient auch als Coenzym für die Aktivierung von Zwischenstufen bei der Synthese. Der ATP-Spiegel in der Zelle wird sorgfältig kontrolliert. Der Wert für die sog. Energieladung wird auf etwa 0,9 konstant gehalten (Plus 9.8)! Viele Intermediärverbindungen bedürfen zur Herstellung ihrer Reaktionsbereitschaft einer Aktivierung durch Gruppenübertragung. Dabei wird von drei Möglichkeiten der ATP-Spaltung Gebrauch gemacht. Hier einige Beispiele: Zucker werden durch Umwandlung zu Zuckerphosphaten aktiviert: Glucose + ATP → Glucose-6-phosphat + ADP Ribose-5-phosphat wird durch Übertragung von Diphosphat (Pyrophosphat) aktiviert: Ribose-5-phosphat + ATP → 5-Phosphoribosyl-1-diphosphat + AMP

Plus 9.8 Energieladung

●V

Man hat den Begriff Energieladung eingeführt, um das Phosphorylierungspotenzial der Adeninnukleotide in einer Zelle zu beschreiben. Mit dem Phosphorylierungspotenzial wird die Fähigkeit eines Adeninnukleotids bezeichnet, eine Phosphorylgruppe auf ein Akzeptormolekül zu übertragen. Nach der Adenylat-Kinase-Gleichung AMP + ATP = ADP + ADP hat ATP volles, ADP halbes Phosphorylierungspotenzial (man braucht 2 ADP, um 1 ATP zu generieren). AMP kann keine Phosphorylgruppe übertragen (es hat kein Phosphorylierungspotenzial). Das Enzym Adenylat-Kinase sorgt im System der Adeninnukleotide für ein Gleichgewicht zwischen den Nukleotiden und eine Rückführung des AMP. Die Energieladung der Zelle wird als das intrazelluläre Konzentrationsverhältnis beschrieben: Energieladung = [ATP] + 0,5 [ADP] / [ATP] + [ADP] + [AMP] Viele organische Säuren, alle Aminosäuren und anorganisches Sulfat werden durch Übertragung der AMP-Gruppe unter Abspaltung von Diphosphat aktiviert. Die Aktivierung dieser Metabolite lässt sich die Zelle also zwei energiereiche Bindungen kosten. Fettsäure + ATP → Acyl-AMP + Diphosphat

7

Biosynthesen Aminosäure + ATP → Aminoacyl-AMP + Diphosphat Sulfat + ATP → Sulfat-AMP (APS) + Diphosphat AMP (die „Austrittsgruppe“) wird dann im nächsten Schritt ersetzt. Dies erfolgt bei aktivierten Fettsäuren durch Coenzym A oder Acylcarrierprotein, bei aktivierten Aminosäuren durch tRNA und beim aktivierten Sulfat durch Reduktion der Säure zu Sulfit. Um die Reaktionen zu Ende laufen zu lassen und die vollständige Umsetzung zu gewährleisten, wird das entstehende Diphosphat durch eine Pyrophosphatase gespalten und somit dem Gleichgewicht entzogen. Pyrophosphat kann auch durch ein H+-transportierendes Membranenzym hydrolysiert werden. Somit ist ein Teil seiner Energie im Protonenpotenzial konserviert.

9.7.3 Reduktions- und Oxidationsmittel Wenn bei Biosynthesen ein Reduktionsmittel benötigt wird, ist dies meist NADPH. NADPH muss also in einem der Oxidationsschritte des zentralen Stoffwechsels gebildet werden. Das Konzentrationsverhältnis [NADPH]/ [NADP+] gibt das Reduktionspotenzial an und wird ≥ 10 gehalten. NADPH wird hauptsächlich im oxidativen Pentosephosphatweg (S. 267) gebildet. Dabei entstehen nicht nur zwei NADPH (Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase, 6-Phosphogluconat-Dehydrogenase), sondern auch ein Pentosephosphat als Baustein. Auch der KDPG-Weg (Entner-Doudoroff-Weg) (S. 269) für den Zuckerabbau verwendet Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase. Überschüssiges NADPH hemmt das erste Enzym, die Glucose-6phosphat-Dehydrogenase. Da der oxidative Pentosephosphatweg als NADPHQuelle meist nicht ausreicht (besonders wenn Zucker fehlen), dienen auch andere (exergone) Oxidationsschritte des Stoffwechsels wie die Reaktion der Isocitrat-Dehydrogenase oder das Malatenzym der Reduktion von NADP+: Die β-Hydroxysäuren 6-Phosphogluconat, Isocitrat und Malat werden zu den labilen β-Ketosäuren oxidiert, die decarboxylieren. Sie eignen sich deshalb besonders gut, um das Gleichgewicht ganz auf die NADPH-Seite zu treiben. Bei NADPH-Mangel sorgt eine energiegetriebene (H+translozierende), membrangebundene Transhydrogenase für die Reduktion von NADP+ mit NADH (NADH + NADP+ + ∆µH+ → NAD+ + NADPH). Die Reaktion erfordert Energie, da in der Zelle [NAD+][NADPH]/[NADH][NADP+] größer als 100 ist. Bei NADPH-Überschuss erfolgt die energieneutrale Oxidation mit NAD+ durch eine lösliche Transhydrogenase („Überdruckventil“) (NAD+ + NADPH → NADH + NADP+). In vielen Fällen können die NADPH-liefernden Enzyme aber auch mit NAD+ arbeiten (unspezifisches Enzym oder zweite Isoenzymform) und so die erforderlichen NADPH-Mengen regulieren. Wird bei Biosyntheseschritten ein Oxidationsmittel benötigt, so handelt es sich fast immer um NAD+. NADH

308

wird in der Atmungskette durch den NADH-Dehydrogenase-Komplex zu NAD+ oxidiert. Das Konzentrationsverhältnis [NAD+]/[NADH] gibt das Oxidationspotenzial an und wird ebenfalls ≥ 10 gehalten. Aus dem Gesagten folgt, dass das Redoxpotenzial des NAD+/NADH-Paares in der Zelle positiver ist als das Standardpotenzial von –320 mV, dasjenige des NADP+/NADPH-Paares dagegen negativer. Auswirkungen dieses Unterschieds werden an verschiedenen Stellen deutlich.

9.8 Synthese von Zellmaterial aus CO2 Die CO2-Fixierung ist der mengenmäßig wichtigste Syntheseprozess auf der Erde; alle organischen Moleküle stammen letztlich daraus. Jährlich werden 2 × 1011 Tonnen CO2 fixiert. Das entspricht etwa 10 % des Luft-CO2. Deshalb ist die Carboxylase, die hauptsächlich die CO2-Bindung katalysiert (Rubisco, s. u.), das mengenmäßig häufigste Protein in der Natur. Die Synthese von allen Zellverbindungen allein aus CO2 nennt man Autotrophie; sie stellt eine besondere Herausforderung an den Zellstoffwechsel dar. Der CO2-Gehalt der Luft beträgt nämlich nur 0,039 Volumenprozent. Das entspricht nur 13 μM an gelöstem CO2 bei pH = 7. Die autotrophe Lebensweise ist in vielen Prokaryontengruppen verbreitet und eine ursprüngliche Eigenschaft (Plus 9.9), die fakultativ oder obligat sein kann. Fakultativ autotrophe Bakterien bevorzugen organische C-Quellen und schalten die CO2-Fixierung ab, wenn organische Substrate vorhanden sind. Eine obligat autotrophe Lebensweise zeigen dagegen Spezialisten, die sich an eine rein anorganische Umgebung angepasst haben (Chemolithotrophe). Allerdings können diese Bakterien auch organische Moleküle assimilieren (aber meist nicht oxidieren), die sie in ihrer oligotrophen Umgebung vorfinden. Während der längsten Zeit der Erdgeschichte waren ausschließlich Prokaryonten für die Synthese von organischem Material aus CO2 verantwortlich. Heute übernehmen hauptsächlich die Pflanzen diese Rolle. Sie haben sich die Fähigkeit zur Assimilation von Kohlenstoff aus CO2 durch Endosymbiose mit autotrophen photosynthetisierenden Cyanobakterien (die Vorläufer der Chloroplasten!) vor etwa 1,2 Mrd. Jahren angeeignet. Der Prozess der Assimilation von CO2 in Zellmaterial erfordert Reduktionsäquivalente und Energie, um CO2 auf die Stufe der Kohlenhydrate (CH2O), also die Formaldehydstufe CH2O, zu reduzieren: CO2 + 4 [H] + n ATP → (CH2O) + H2O + n ADP + n Phosphat. Dabei müssen C–C-Bindungen geknüpft werden, sodass die zentralen Stoffwechselzwischenprodukte (S. 287) gebildet werden können, aus denen alle anderen Bausteine entstehen. Bisher kennt man sechs autotrophe CO2-Fixierungswege, die in ▶ Tab. 9.3 miteinander verglichen werden.

Biosynthesen Aminosäure + ATP → Aminoacyl-AMP + Diphosphat Sulfat + ATP → Sulfat-AMP (APS) + Diphosphat AMP (die „Austrittsgruppe“) wird dann im nächsten Schritt ersetzt. Dies erfolgt bei aktivierten Fettsäuren durch Coenzym A oder Acylcarrierprotein, bei aktivierten Aminosäuren durch tRNA und beim aktivierten Sulfat durch Reduktion der Säure zu Sulfit. Um die Reaktionen zu Ende laufen zu lassen und die vollständige Umsetzung zu gewährleisten, wird das entstehende Diphosphat durch eine Pyrophosphatase gespalten und somit dem Gleichgewicht entzogen. Pyrophosphat kann auch durch ein H+-transportierendes Membranenzym hydrolysiert werden. Somit ist ein Teil seiner Energie im Protonenpotenzial konserviert.

9.7.3 Reduktions- und Oxidationsmittel Wenn bei Biosynthesen ein Reduktionsmittel benötigt wird, ist dies meist NADPH. NADPH muss also in einem der Oxidationsschritte des zentralen Stoffwechsels gebildet werden. Das Konzentrationsverhältnis [NADPH]/ [NADP+] gibt das Reduktionspotenzial an und wird ≥ 10 gehalten. NADPH wird hauptsächlich im oxidativen Pentosephosphatweg (S. 267) gebildet. Dabei entstehen nicht nur zwei NADPH (Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase, 6-Phosphogluconat-Dehydrogenase), sondern auch ein Pentosephosphat als Baustein. Auch der KDPG-Weg (Entner-Doudoroff-Weg) (S. 269) für den Zuckerabbau verwendet Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase. Überschüssiges NADPH hemmt das erste Enzym, die Glucose-6phosphat-Dehydrogenase. Da der oxidative Pentosephosphatweg als NADPHQuelle meist nicht ausreicht (besonders wenn Zucker fehlen), dienen auch andere (exergone) Oxidationsschritte des Stoffwechsels wie die Reaktion der Isocitrat-Dehydrogenase oder das Malatenzym der Reduktion von NADP+: Die β-Hydroxysäuren 6-Phosphogluconat, Isocitrat und Malat werden zu den labilen β-Ketosäuren oxidiert, die decarboxylieren. Sie eignen sich deshalb besonders gut, um das Gleichgewicht ganz auf die NADPH-Seite zu treiben. Bei NADPH-Mangel sorgt eine energiegetriebene (H+translozierende), membrangebundene Transhydrogenase für die Reduktion von NADP+ mit NADH (NADH + NADP+ + ∆µH+ → NAD+ + NADPH). Die Reaktion erfordert Energie, da in der Zelle [NAD+][NADPH]/[NADH][NADP+] größer als 100 ist. Bei NADPH-Überschuss erfolgt die energieneutrale Oxidation mit NAD+ durch eine lösliche Transhydrogenase („Überdruckventil“) (NAD+ + NADPH → NADH + NADP+). In vielen Fällen können die NADPH-liefernden Enzyme aber auch mit NAD+ arbeiten (unspezifisches Enzym oder zweite Isoenzymform) und so die erforderlichen NADPH-Mengen regulieren. Wird bei Biosyntheseschritten ein Oxidationsmittel benötigt, so handelt es sich fast immer um NAD+. NADH

308

wird in der Atmungskette durch den NADH-Dehydrogenase-Komplex zu NAD+ oxidiert. Das Konzentrationsverhältnis [NAD+]/[NADH] gibt das Oxidationspotenzial an und wird ebenfalls ≥ 10 gehalten. Aus dem Gesagten folgt, dass das Redoxpotenzial des NAD+/NADH-Paares in der Zelle positiver ist als das Standardpotenzial von –320 mV, dasjenige des NADP+/NADPH-Paares dagegen negativer. Auswirkungen dieses Unterschieds werden an verschiedenen Stellen deutlich.

9.8 Synthese von Zellmaterial aus CO2 Die CO2-Fixierung ist der mengenmäßig wichtigste Syntheseprozess auf der Erde; alle organischen Moleküle stammen letztlich daraus. Jährlich werden 2 × 1011 Tonnen CO2 fixiert. Das entspricht etwa 10 % des Luft-CO2. Deshalb ist die Carboxylase, die hauptsächlich die CO2-Bindung katalysiert (Rubisco, s. u.), das mengenmäßig häufigste Protein in der Natur. Die Synthese von allen Zellverbindungen allein aus CO2 nennt man Autotrophie; sie stellt eine besondere Herausforderung an den Zellstoffwechsel dar. Der CO2-Gehalt der Luft beträgt nämlich nur 0,039 Volumenprozent. Das entspricht nur 13 μM an gelöstem CO2 bei pH = 7. Die autotrophe Lebensweise ist in vielen Prokaryontengruppen verbreitet und eine ursprüngliche Eigenschaft (Plus 9.9), die fakultativ oder obligat sein kann. Fakultativ autotrophe Bakterien bevorzugen organische C-Quellen und schalten die CO2-Fixierung ab, wenn organische Substrate vorhanden sind. Eine obligat autotrophe Lebensweise zeigen dagegen Spezialisten, die sich an eine rein anorganische Umgebung angepasst haben (Chemolithotrophe). Allerdings können diese Bakterien auch organische Moleküle assimilieren (aber meist nicht oxidieren), die sie in ihrer oligotrophen Umgebung vorfinden. Während der längsten Zeit der Erdgeschichte waren ausschließlich Prokaryonten für die Synthese von organischem Material aus CO2 verantwortlich. Heute übernehmen hauptsächlich die Pflanzen diese Rolle. Sie haben sich die Fähigkeit zur Assimilation von Kohlenstoff aus CO2 durch Endosymbiose mit autotrophen photosynthetisierenden Cyanobakterien (die Vorläufer der Chloroplasten!) vor etwa 1,2 Mrd. Jahren angeeignet. Der Prozess der Assimilation von CO2 in Zellmaterial erfordert Reduktionsäquivalente und Energie, um CO2 auf die Stufe der Kohlenhydrate (CH2O), also die Formaldehydstufe CH2O, zu reduzieren: CO2 + 4 [H] + n ATP → (CH2O) + H2O + n ADP + n Phosphat. Dabei müssen C–C-Bindungen geknüpft werden, sodass die zentralen Stoffwechselzwischenprodukte (S. 287) gebildet werden können, aus denen alle anderen Bausteine entstehen. Bisher kennt man sechs autotrophe CO2-Fixierungswege, die in ▶ Tab. 9.3 miteinander verglichen werden.

9.8 Synthese von Zellmaterial aus CO2

●V

Plus 9.9 Autotrophie und der Ursprung des Lebens In der frühen Evolution (Chemoevolution) muss es eine Nettosynthese von organischen Verbindungen aus anorganischem CO2 gegeben haben. Am einfachsten stellt man sich einen zyklischen Prozess mit einer reaktiven Mineraloberfläche als Katalysator vor. An diese Oberfläche bindet ein reaktionsfreudiges Ausgangsmolekül (der Akzeptor) und geht eine Bindung mit CO2 ein; auch reaktivere anorganische Moleküle wie CO, HCN oder Formaldehyd, die in vulkanischen Gasen vorkommen, sind als Reaktionspartner denkbar. Das Produkt der Reaktion geht weitere Reaktionen mit sich selbst und anderen abgeleiteten Molekülen

ein. Dadurch kann die Ausgangsverbindung, der CO2-Akzeptor, rückgebildet werden. Ein Stoffwechselzyklus ist entstanden. Einem solchen Kreisprozess können dann netto organische Moleküle entzogen werden, die ein „Wachstum“ ermöglichen. Die wahrscheinlich ursprüngliche Fähigkeit, das gesamte Zellmaterial aus anorganischem CO2 aufzubauen, nennt man Autotrophie (Selbsternährung). Sie ist auch heute die Quelle für organisches Material, verwendet aber nun die Maschinerie der hoch entwickelten Zelle. Die Rolle des Katalysators haben CO2-bindende Enzyme, sogenannte Carboxylasen, übernommen.

Tab. 9.3 Vergleich der autotrophen CO2-Fixierungswege. Die anaeroben Wege verwenden reduziertes Ferredoxin, um Schritte mit negativem Redoxpotenzial (E0’ meist –500 bis –550 mV, z. B. Pyruvat-Synthase) zu katalysieren. Um Ferredoxin reduziert zu halten, bedarf es Energie in Form einer energetisierten Membran (1–2 H+ oder 1–2 Na+ pro Ferredoxin). Diese meist nicht genau bekannte zusätzliche Energie ist in der ATP-Bilanz nicht berücksichtigt. CO2-Fixierungsweg

Vorkommen

Carboxylasen

O2-Empfindlichkeit

Energiebedarf (ATP bezogen auf Pyruvat)

Zusätzliche Enzyme für autotrophes Wachstum

Coassimilation organischer Substrate und anderes

Calvin-BensonZyklus

aerobe und fakultativ aerobe Bacteria

Ribulose-1,5bisphosphatCarboxylase



+++++ > > 7 ATP wegen Oxygenase

++

Zucker. Stoffwechsel robust und weitgehend getrennt von anderen Stoffwechselwegen

reduktiver AcetylCoA-Weg

strikt anaerobe Bacteria (Acetogene usw.) und Euryarchaeota (Methanogene)

Formiat-Dehydrogenase CO-Dehydrogenase

+++

+ 1–2 ATP

(+ +)

Alle C1-Verbindungen, Acetat, Pyruvat. Umkehrbar zur Oxidation. Kopplung von Energieund Baustoffwechsel

reduktiver Citratzyklus

strikt anaerobe und mikroaerobe Bacteria

Pyruvat-Synthase C3-Carboxylase, 2-OxoglutaratSynthase Isocitrat-Dehydrogenase

++

++ 2–3 ATP

+++

Acetat, Pyruvat, C4–C6Dicarboxylate und –Tricarboxylate. Geeignet für mikroaerobe Bedingungen Umkehrbar zur Oxidation

Dicarboxylat/4-Hydroxybutyratzyklus

anaerobe Crenarchaeota

Pyruvat-Synthase C3-Carboxylase

++

+++ 5 ATP

+++

Acetat, Pyruvat, C4-Dicarboxylate

3-Hydroxypropionat/4-Hydroxybutyrat-Zyklus

aerobe Crenarchaeota, aerobe „Thaumarchaeota“

Acetyl-CoACarboxylase Propionyl-CoACarboxylase



++++ 7–9 ATP

++++

Acetat, 3-Hydroxypropionat, Propionat, C4-Dicarboxylate. Geeignet für oligotrophe Bedingungen.

3-HydroxybutyratBizyklus

Chloroflexus und Verwandte

Acetyl-CoACarboxylase Propionyl-CoACarboxylase



++++ 7 ATP

+++++

Acetat, 3-Hydroxypropionat, Propionat, C4–C5-Dicarboxylate, Glycolat, Glyoxylat, Pyruvat. Geeignet für oligotrophe Bedingungen.

9

Biosynthesen

H 2C

O

C

O

H2C

P

OH

O

C

HC

OH

C

OH

HC

OH

HC

OH

H2C

P

O

P

H2C

O

P

Ketoform Enolform Ribulose-1,5-bisphosphat CO2

1 H2 C

O C –

O

C C HC H2C

P

O OH O OH

P

O

hypothetische 3-Oxosäure + H 2O

2

COO–

H2C

HC OH

HC

H 2C

O

P

O OH

COO–

P

3-Phosphoglycerat ATP 3 ADP H2C HC

P

O OH

C O

P

O

1,3-Bisphosphoglycerat NADPH + H+

4

NADP+

Pi H2C HC

O

P

OH

C O H Glycerinaldehyd-3-phosphat Abb. 9.15 Reaktionen des Calvin-Benson-Zyklus. Die Carboxylierungsreaktion der Ribulose-1,5-bisphosphat-Carboxylase/Oxygenase (Rubisco) (①) mit der anschließenden Spaltung der 3-Oxosäure in 2 Moleküle 3-Phosphoglycerat ist irreversibel (②). Die Phosphorylierung durch die 3-Phosphoglycerat-Kinase (③) und die Reduktion, katalysiert durch die Glycerinaldehyd-3-phosphat-Dehydrogenase (④), sind reversibel.

310

9.8.1 Calvin-Benson-Zyklus Der wichtigste CO2-Fixierungsweg wurde von M. Calvin, A. A. Benson und Mitarbeitern in den 1950er-Jahren an der einzelligen Grünalge Chlorella aufgeklärt. Diesen Weg nutzen neben den grünen Pflanzen auch Cyanobakterien, anoxygene phototrophe Purpurbakterien und chemolithotrophe aerobe Bacteria und damit die meisten autotrophen aeroben Bakterien. Er wird auch reduktiver Pentosephosphatzyklus genannt. Der zyklische Prozess verwendet Ribulose-1,5-bisphosphat als Ausgangsverbindung und CO2-Akzeptormolekül und lässt sich in drei Stufen unterteilen. 1. CO2-Fixierung. Die Ribulose-1,5-bisphosphat-Carboxylase/Oxygenase (Rubisco, s. u.) bindet CO2 an das C2 der reaktiven Endiolatform von Ribulose-1,5bisphosphat (① in ▶ Abb. 9.15) und die zwischenzeitlich gebildete C6-Verbindung (3-Oxosäure) wird zu 2 Molekülen 3-Phosphoglycerat hydrolysiert (②). (▶ Abb. 9.15, ▶ Abb. 9.16). 2. Reduktion. Das fixierte CO2 findet sich in der Carboxylgruppe eines der beiden 3-Phosphoglyceratmoleküle. Die folgenden Schritte entsprechen der Gluconeogenese. 3-Phosphoglycerat wird aktiviert (③), bevor die Carboxylgruppe zur Aldehydstufe des Glycerinaldehyd-3-phosphats reduziert werden kann (④). Zur Reduktion der beiden Moleküle 3-Phosphoglycerat werden 2 NAD(P)H und 2 ATP benötigt (▶ Abb. 9.15, ▶ Abb. 9.16). Das NAD(P)H stammt aus der Photosynthese oxygener phototropher Bakterien (also aus dem Wasser) oder aus der Oxidation anorganischer Verbindungen durch anoxygene phototrophe oder chemotrophe Bakterien. Die beiden Triosephosphatmoleküle werden zu Fructose-6-phosphat aufgebaut (s. Gluconeogenese) (S. 287). 3. Regeneration. Aus Fructose-6-phosphat wird durch Zuckerumwandlungsreaktionen, an denen hauptsächlich die (Trans)Aldolase und die Transketolase beteiligt sind, Ribulose-5-phosphat zurückgebildet. Dieser Stoffwechselteil wird als Pentosephosphatzyklus (S. 267) bezeichnet. Er dient in vielen Organismen für die Umwandlung von verschiedenen C3- bis C7-Zuckern. Die Umsetzung von Ribulose-5-phosphat zum CO2-Akzeptor Ribulose-1,5-bisphosphat erfordert ein drittes ATP und wird von Ribulose-5-phosphat-Kinase katalysiert (▶ Abb. 9.16). Führt man diesen Zyklus dreimal aus, so entsteht netto ein Molekül Triosephosphat, das für Biosynthesezwecke abgezweigt werden kann. Der Calvin-Benson-Zyklus benötigt im Prinzip nur zwei zusätzliche Enzyme, Ribulose1,5-bisphosphat-Carboxylase/Oxygenase und Ribulose5-phosphat-Kinase, die man als dessen Schlüsselenzyme bezeichnet. Ihr Nachweis legt nahe, dass das betreffende Bakterium den Calvin-Benson-Zyklus verwendet. Die Ribulose-1,5-bisphosphat-Carboxylase hat eine Oxygenase-Nebenaktivität (▶ Abb. 9.17). Deshalb wird

9.8 Synthese von Zellmaterial aus CO2

6 NADP+ + 6 P

6 C3

Glycerinaldehyd3-phosphat

6 NADPH + H+

6 C3

P

P 1 C3 5 C3

2

P

P

1,3-Bisphosphoglycerat Gluconeogenese

6 ADP 6 ATP 6 C3

3 C3

P

3-Phosphoglycerat

1 C6

P

C6

P

Hexosephosphat

Transketolase, Aldolase

3 CO2

Stärke 3 C5

P

3 C5

2

P

Ribulose5-phosphat

Ribulose-1,5bisphosphat 3 ADP

3 ATP

H 2C H2C

O

C

O

H

C

OH

H

C

OH

H2C

O

P

H 2C HO H

P

P

Abb. 9.16 Schema des vollständigen Calvin-Benson-Zyklus. Das Schema zeigt die Fixierung des CO2 durch die Ribulose-1,5bisphosphat-Carboxylase/Oxygenase (Rubisco) und die anschließende Reduktion zu 2 Molekülen Glycerinaldehyd-3-phosphat. Aus Triosephosphaten werden in der Gluconeogenese Hexosephosphate aufgebaut. Transketolase- und (Trans)Aldolasereaktionen sowie die Ribulose-5-phosphat-Kinase regenerieren den CO2-Akzeptor Ribulose1,5-bisphosphat. Bei drei Umläufen kann aus 3 CO2 ein Triosephosphat für die Biosynthese entzogen werden. (aus Doenecke et al., Karlsons Biochemie, Thieme, 2005)

O

O2

C

OH

C

OH

H2C

H2C

P

C

O

HO H

P

O

P

C

O O H

C

O

C

OH

H2C

O

O

P

COO– 2-Phosphoglycolat

OH–

COO– –

P

Ribulose-1,5bisphosphat

OH

H

C

H2C

OH O

Abb. 9.17 Oxygenasereaktion der Ribulose-1,5-bisphosphat-Carboxylase/Oxygenase (Rubisco). Die Rubisco kann statt CO2 auch O2 an Ribulose-1,5-bisphosphat anlagern. Diese Reaktion findet in Gegenwart von Sauerstoff statt. (aus Doenecke et al., Karlsons Biochemie, Thieme, 2005)

P

3-Phosphoglycerat

●V

Plus 9.10 Seitenaspekte der autotrophen CO2-Fixierung durch die Rubisco Das Verhältnis Carboxylase-/Oxygenaseaktivität wird bestimmt durch die Konzentrationen der beiden gelösten Gase und ist abhängig vom Enzymtyp. Es liegt unter natürlichen aeroben Bedingungen zwischen 2 und 4. 2-Phosphoglycolat wird in der Regel zu Glycolat dephosphoryliert und dann verwertet. In Pflanzen wird es in der Photorespiration unter Verbrauch von O2, ATP und NADPH zu 3-Phosphoglycerat zurückgebildet. Rubisco hat eine sehr geringe Wechselzahl, sodass sie in großen Mengen vorkommen muss. Ihre Konzentration ist ähnlich der des Substrats CO2 und sie macht bis zu 20 % des Proteingehalts autotropher Zellen aus. In manchen Bakte-

das Enzym auch Ribulose-1,5-bisphosphat-Carboxylase/ Oxygenase (Rubisco) genannt. Das C 2-Atom des reaktiven Endiolat-Übergangszustands reagiert nämlich auch schwach mit Sauerstoff unter Bildung eines Peroxids, das zu Phosphoglycolat und 3-Phosphoglycerat zerfällt. Sau-

rien liegt sie, zusammen mit anderen Enzymen wie Carboanhydrase, in phagenähnlichen Partikeln kristallin verpackt vor (Carboxysomen). Carboanhydrase stellt folgendes Gleichgewicht ein: H2CO3 ↔ CO2 + H2O. Es sorgt für die Nachlieferung von gelöstem CO2 aus gelöstem Hydrogencarbonat, das im Gleichgewicht mit Kohlensäure steht CO2 + H2O ↔ H2CO3 ↔ HCO3– + H+. Scheinbarer pKa der Kohlensäure ist 6,3; bei diesem pH liegen gleich viel CO2 und HCO3- vor. Etwa 99 % des H2CO3 zersetzt sich im Gleichgewicht zu CO2 und Wasser.

erstoff liegt mit ca. 20 Volumenprozent der Luft in viel höherer Konzentration gelöst vor (ca. 200 μM) als CO2 (ca. 13 μM) (Plus 9.10).

1

Biosynthesen und H2O (CO-Dehydrogenase). Und es überträgt dann die Methylgruppe vom Methyl-Vitamin-B12 auf die Carbonylgruppe, wobei ein gebundener Acetatrest entsteht. Dieser löst sich mit Coenzym A unter Bildung von AcetylCoA ab (Acetyl-CoA-Synthase). Die Umsetzung von Acetyl-CoA zu Triosephosphat erfolgt wie bei anderen Anaerobiern (s. u.). Die Synthese von einem Triosephosphat kostet nur höchstens 4 ATP. Hinzu kommt, dass der Prozess sogar umkehrbar ist und für die Oxidation von Acetyl-CoA (S. 271) verwendet werden kann. Die zahlreichen Varianten dieses Wegs unterscheiden sich in den C1-übertragenden Coenzymen und den Elektronenüberträgern. Dieser Prozess kommt dem vermuteten ursprünglichen präbiotischen CO2-Fixierungsprozess wahrscheinlich am nächsten. Im Labor lässt sich sogar in vitro die Bildung von Essigsäure und von weiteren biologischen Schlüsselverbindungen aus CO2, CO, H2 und H2S in Gegenwart von Ni- und Fe-Sulfiden simulieren. Während der Wood-Ljungdahl-Weg nichtzyklisch ist, sind die folgenden Wege alle zyklisch.

9.8.2 Alternative Wege der CO2-Fixierung Der eben besprochene Calvin-Benson-Zyklus dreht sich ganz um Zuckerphosphate. Es gibt aber noch alternative CO2-Fixierungswege, denen gemeinsam ist, dass sie Acetyl-CoA bilden und daraus die Metabolite aufbauen: Aus 2 CO2 und 8 [H] wird ein Molekül Acetyl-CoA aufgebaut und dieses assimiliert. Zunächst wird ein besonders ursprünglicher, strikt anaerober Weg vorgestellt.

Reduktiver Acetyl-CoA-Weg Dieser Weg wird nach den Entdeckern auch Wood-Ljungdahl-Weg genannt. Strikt anaerobe Bakterien, die neben CO2 auch reduzierte C1-Verbindungen in ihrem Lebensraum vorfinden (CO, Formiat, Methanol, Methylamin, Methylether), assimilieren CO2 und diese C1-Verbindungen über einen ungewöhnlichen Weg (▶ Abb. 9.18). Diesen Weg verwenden strikt anaerobe methanogene Archaea, acetogene und einige sulfatreduzierende und eisenreduzierende Bacteria. Bei methanogenen und acetogenen Bakterien ist der Weg Bestandteil des Energiestoffwechsels. Von diesem Weg gibt es viele Varianten; wir besprechen hier die Variante der Bacteria. Ein Molekül CO2 wird mit 6 [H] über gebundene Zwischenstufen zu N5-Methyltetrahydrofolat (N5-MethylFH4) reduziert (▶ Abb. 9.14). Solche Umsetzungen wurden beim C1-Stoffwechsel besprochen. Die Methylgruppe wird anschließend auf das Cobaltatom in einem VitaminB12-enthaltenden Protein übertragen. Das Schlüsselenzym des Stoffwechselwegs ist ein oxidationsempfindliches Ni-Fe-Enzym, das entsprechend seiner mehrfachen Funktion Acetyl-CoA-Synthase/CO-Dehydrogenase genannt wird. Es katalysiert eine komplexe Reaktion, nämlich die Reduktion von CO2 mit reduziertem Ferredoxin (2 [H]) zu einer metallgebundenen Carbonylgruppe (CO)

Reduktiver Citratzyklus Verschiedene mikroaerobe und anaerobe Bacteria bauen 1 Molekül Acetyl-CoA über einen rückläufigen, d. h. reduktiven Citratzyklus aus 2 CO2 und 8 [H] auf (▶ Abb. 9.19). Er wird nach seinen Entdeckern auch ArnonBuchanan-Zyklus genannt. In der bekannten, oxidativen Richtung des Citratzyklus wird 1 Molekül Acetyl-CoA zu 2 CO2 und 8 [H] unter Bildung von 1 ATP abgebaut. Um den oxidativen Citratzyklus umzukehren, sind 2 ATP und drei neue Enzyme nötig, um die irreversiblen Schritte des oxidativen Zyklus zu umgehen (▶ Abb. 9.19). Die Succinat-Dehydrogenase wird durch die Fumarat-Reduktase ersetzt (③), die 2-Oxoglutarat-Dehydrogenase durch die 2-Oxoglutarat-Synthase (⑤). Das oxidationsempfindli-

H

CO2

H



1

O

ADP + Pi

ATP

2[H] HCOO

C

5

H 4

H2O

N10-FormylFH4

FH4

N

N

3

H

2[H]

C

10

N

2

H

H+

N

N5,N10-MethenylFH4

C

2[H] N

CH3 HN

N

H+

5

N5,N10-MethylenFH4

N

N5-MethylFH4

CH3 COIII

2[H] CO2

CO

6 H2O

Ni-Fe-Enzym

COI 6

HS Ni-Fe-Enzym

C O

CH3

O

CoA H3C 6

C

SCoA Acetyl-CoA

Abb. 9.18 Reaktionen des reduktiven Acetyl-CoA-Weges, wie er in Bacteria abläuft. ① Formiat-Dehydrogenase; ② Formyltetrahydrofolat-Synthetase; ③ bis ⑤, Enzyme, welche die an Tetrahydrofolsäure (FH4) gebundene Formylgruppe zur Methylgruppe reduktiv umsetzen; ⑥ Acetyl-CoA-Synthase-Komplex, bestehend aus einer Methyltransferase, einem Corrinoid (Vitamin-B12)-Protein, und einer CO-Dehydrogenase/Acetyl-CoA-Synthase (S. 461). Erklärung siehe Text.

312

9.8 Synthese von Zellmaterial aus CO2

NADH + H+

CH3

Oxalacetat

NAD+

C

SCoA

O

Acetyl-CoA

1

ADP + Pi

Malat H2O

7

3

Isocitrat

Succinat ATP

CO2

4

HS-CoA 6 ADP + Pi

HS-CoA

Succinyl-SCoA

CO2

CO2 C

2-Oxoglutarat

5

Ferredoxinred

H3C

HS

CoA

CoA H3C

O 2 Ferredoxinred + 2H+

NAD(P)+ NAD(P)H + H+

Ferredoxinox

SCoA

Acetyl-CoA

ATP

Citrat

Fumarat 2[H]

HS-CoA

8

2

Abb. 9.19 Reaktionen des reduktiven Citratzyklus. ①, ②, ④, ⑥ und ⑦ sind die bekannten Reaktionen des (oxidativen) Citratzyklus (▶ Abb. 8.7). Reaktionen ③, ⑤ und ⑧ werden durch drei andere Enzyme, die Fumarat-Reduktase (③), die 2-Oxoglutarat-Synthase (⑤) und die ATPCitrat-Lyase (⑧) katalysiert.

2 Ferredoxinox

C

COO–

O Pyruvat

Abb. 9.20 Umsatz von Acetyl-CoA zu Pyruvat. Die reversible Reaktion wird durch die Pyruvat-Synthase katalysiert.

che Enzym verwendet reduziertes Ferredoxin als Elektronendonator, das ein viel negativeres Redoxpotenzial hat als NADH und so die reduktive Carboxylierung von Succinyl-CoA zu 2-Oxoglutarat (E0’ = –500 mV) ermöglicht. Schließlich wird die irreversible Citrat-Synthase durch die reversible ATP-Citrat-Lyase ersetzt (⑧). Das Enzym setzt unter ATP-Spaltung Citrat zu Citryl-CoA um und spaltet es in Acetyl-CoA und Oxalacetat, die Ausgangsverbindung des Zyklus. Die beiden alternativen autotrophen Wege bilden Acetyl-CoA als CO2-Fixierungsprodukt. Die anschließende Assimilation von Acetyl-CoA verläuft, wie bei den meisten Anaerobiern, ohne den Glyoxylatzyklus. Acetyl-CoA wird durch das ferredoxinabhängige Enzym Pyruvat-Synthase zu Pyruvat umgesetzt, ähnlich wie zuvor SuccinylCoA zu 2-Oxoglutarat (▶ Abb. 9.20). Durch eine weitere Carboxylierung gelangt man zur Ausgangsverbindung Oxalacetat (▶ Abb. 9.21). Die Umsetzung von Pyruvat zu Triosephosphat kostet drei weitere ATP, sodass für die Synthese eines Triosephosphats über den reduktiven Citrat-Zyklus nur 5 ATP benötigt werden. Der Weg ist also energetisch günstiger als der Calvin-Benson-Zyklus. Hinzu kommt, dass manche Anaerobier den modifizierten Citratzyklus zur Oxidation von Acetyl-CoA verwenden kön-

nen, wenn organisches Material zur Verfügung steht. Dabei wird in der Reaktion der ATP-Citrat-Lyase ein zusätzliches ATP gewonnen.

Besondere Wege der CO2-Fixierung Es gibt drei weitere autotrophe Zyklen der CO2-Fixierung, die nur in wenigen phylogenetischen Gruppen vorkommen. Ihnen ist gemeinsam, dass sie aus Acetyl-CoA, 6 [H] und 2 CO2 bzw. HCO3– ein Molekül Succinyl-CoA aufbauen. Aus Succinyl-CoA wird in einem zyklischen Prozess auf unterschiedlichen Wegen die Startverbindung AcetylCoA zurückgebildet und dabei ein organisches Molekül als CO2-Fixierungsprodukt freigesetzt. Dieses Produkt ist entweder Acetyl-CoA oder Glyoxylat; es dient als Ausgangsverbindung für Biosynthesen. Diese Zyklen findet man nur in den anaeroben Crenarchaeota (Dicarboxylat/ 4-Hydroxybutyratzyklus), den aeroben Crenarchaeota und Thaumarchaeota (3-Hydroxypropionat/4-Hydroxybutyratzyklus) und den phototrophen Grünen NichtSchwefelbakterien (3-Hydroxypropionat-Bizyklus) (▶ Tab. 9.3).

9.8.3 Ökologische, ökonomische und evolutionäre Aspekte Die autotrophen Wege unterscheiden sich in vielem (▶ Tab. 9.3): in der Empfindlichkeit ihrer Enzyme gegen Sauerstoff, im ATP-Bedarf für die Synthese der Vorläufermoleküle aus CO2 oder in der benötigten Menge zusätzlicher Enzyme, die bei autotrophem Wachstum synthetisiert werden müssen. Sie bieten in unterschiedlichem Maße die Möglichkeit, organische Moleküle (z. B. ausgeschiedene Gärprodukte anderer Bakterien) gleichzeitig mit CO2 assimilieren zu können und damit Energie, Re-

3

Biosynthesen

12

C4-C6-Zucker 12

2

Triosephosphat 14

10

3-Phosphoglycerat

13

+ HCO3–

24

22

Phosphoenolpyruvat

Oxalacetat 9 Succinyl-CoA

50

2-Oxoglutarat

21

Pyruvat

9 + CO2 9

4

71

+ CO2 29

Acetyl-CoA 100

Abb. 9.21 Stoffflüsse in anaeroben autotrophen Bakterien. Die gelben Pfeile geben die Reaktionen des Zentralstoffwechsels wieder, die roten Pfeile die Syntheseschritte, die zentrale Intermediate für Biosynthesen abziehen. Die Zahlen geben die relativen Stoffflüsse in % an, wobei die Neusynthese von Acetyl-CoA aus 2 CO2 100 % entspricht. So werden 29 % des Acetyl-CoA für Biosynthesen entzogen, 71 % werden weiter umgesetzt, usw.

duktionsäquivalente und zusätzliche Enzyme einzusparen. Keiner dieser Wege ist aber besser oder schlechter als der andere. Alle haben den Test der Zeit bestanden und sie haben ihre spezifischen Vorteile im natürlichen Lebensraum. Neben diesen ökologischen Gesichtspunkten gibt es ökonomische und evolutionäre Gründe dafür, dass Acetyl-CoA, die Drehscheibe des Stoffwechsels, eine günstige Ausgangsverbindung für Biosynthesen ist (▶ Abb. 9.21). Immerhin ist bemerkenswert, dass alle Wege, ausgenommen der Calvin-Benson-Zyklus, von Acetyl-CoA ausgehen. Sie stellen diese Verbindung direkt aus 2 CO2 her (WoodLjungdahl-Weg) oder führen zu ihr im Kreisprozess zurück. Von Acetyl-CoA gehen die meisten Biosynthesewege in Bakterien aus. Es ist deshalb sinnvoll, diese Verbindung zuerst herzustellen. Anaerobe Bakterien synthetisieren aus Acetyl-CoA und CO2 mithilfe von reduziertem Ferredoxin direkt Pyruvat (Pyruvat-Synthase). Pyruvat ist der zweitwichtigste Lieferant von Bausteinen; Acetyl-CoA

H 2C C

O

H

C

OH

H

C

OH

H 2C

CH2O Formaldehyd

OH

O

HexulosephosphatSynthase P

Ribulose-5phosphat

314

H 2C HO

H

C

O

H

C

OH

H

C

OH

H2C

O

9.8.4 Synthese von Zellmaterial aus Formaldehyd Fossiler Kohlenstoff ist eine schier unerschöpfliche Energie- und Kohlenstoffquelle, die sich Mikroorganismen erschlossen haben. Darunter ist Methan, ein Produkt der bakteriellen Methanbildung. Es kommt als Gashydrat in bisher nur abschätzbar riesigen Mengen in manchen Ozeansedimenten ab einer Wassertiefe von 400 m vor. Daneben gibt es Methanol, Methylamin und viele pflanzliche Methyletherverbindungen. Bakterien und Hefen aus den verschiedensten Gruppen, die mit solchen C1-Verbindungen wachsen können, werden als methylotroph (S. 379) bezeichnet. Die Oxidation dieser C1-Verbindungen zu CO2 verläuft über freien oder an ein Trägermolekül (Tetrahydrofolsäure oder Tetrahydromethanopterin) gebundenen Formaldehyd, welcher sehr reaktionsfähig ist. Die Assimilation von Formaldehyd in eine der zentralen Vorläufermoleküle des Zentralstoffwechsels kann auf mehreren Wegen geschehen.

Hexulosephosphatzyklus Dieser Zyklus wird von Methanotrophen (Methan oxidierenden Bakterien) vom Typ I (S. 379) verwendet und er erfordert keine Reduktionsmittel. Freier Formaldehyd wird durch das Enzym Hexulose-6-phosphat-Synthase direkt auf C 1 von Ribulose-5-phosphat übertragen (▶ Abb. 9.22). Das entstandene Hexulose-6-phosphat wird zu Fructose-6-phosphat isomerisiert. Durch Zucker-

H2C

OH

C

und Pyruvat zusammen genommen liefern die Hälfte der Vorläufermoleküle für Biosynthesen. Dann erfolgt die Synthese der anderen zentralen Vorläufermoleküle, die in geringeren Mengen benötigt werden. Diese Reihenfolge spiegelt die Größe der Stoffflüsse wider, wie man sie in anaeroben autotrophen Bakterien vorfindet. Mengenmäßig wichtige Vorläufermoleküle werden zuerst gebildet. Für die Synthese der anderen Vorläufermoleküle werden die Enzyme in kleinerer Menge benötigt. Der anaerobe Stoffwechsel folgt also der ökonomischsten Reihenfolge der Syntheseschritte und es ist wahrscheinlich, dass ursprüngliche CO2-Fixierungswege zur Bildung von „aktivierter Essigsäure“ geführt haben.

HexulosephosphatIsomerase P

D-Erythro-L-glycero3-hexulose-6-phosphat

OH

C

O

HO

C

H

H

C

OH

H

C

OH

H2C

O

Fructose-6phosphat

Abb. 9.22 Assimilation von Formaldehyd über den Hexulosephosphatweg. Formaldehyd wird an Ribulose-5-phosphat angelagert und die entstandene C6-Verbindung zu Fructose-6-phosphat isomerisiert.

P

9.8 Synthese von Zellmaterial aus CO2

3 Formaldehyd 3 Ribulose5-phosphat

HexulosephosphatIsomerase 3 Hexulose6-phosphat

Hexulosephosphatsynthase

2 Fructose-6-phosphat Phosphofructokinase

1 Fructose6-phosphat

2 ATP 2 ADP

2 Fructose1,6-bisphosphat Fructose1,6-bisphosphatAldolase Zuckerumwandlung durch Transketolase, Transaldolase

3 Triosephosphate

a COO– H 3N

COO–

1

CH2

FH4 H2 C O

Glycin

H3N

C

COO–

2

H

H2C OH Serin

[-NH2]

C

HO

C

O

O

H

CH3

SCoA

O

C

HC

OH

H2C OH Glycerat

Abb. 9.24 Schlüsselreaktionen bei der Assimilation von Formaldehyd über den Serinweg. a Die Schlüsselreaktionen werden durch die Serin-Hydroxymethyl-Transferase (①), eine Transaminase (②) und die Hydroxypyruvat-Reduktase (③) katalysiert. b Spaltung von Malyl-CoA in Glyoxylat und Acetyl-CoA durch die Malyl-CoA-Lyase.

Acetyl-CoA

SCoA

Hydroxypyruvat

Abb. 9.25 Regeneration des Formaldehydakzeptors Glycin und Fixierung von CO2 im Serinweg. Im vollständigen Zyklus fixiert die PEP-Carboxylase CO2. Pro Zyklus kann ein Acetyl-CoA für Synthesen entzogen werden.

NADH + H+

Serin

NAD+

CH2O Glycin

COO–

Glyoxylat

HC O

Malyl-CoA

NAD+

3

COO–

CH2 C

NADH + H+

H2C OH Hydroxypyruvat

COO–

b

1 Triosephosphat

Abb. 9.23 Regeneration des Formaldehydakzeptors Ribulose-5-phosphat. Die Reaktionen zur Regeneration des Ribulose-5phosphats aus Fructose-6-phosphat entsprechen im Wesentlichen den Reaktionen des Calvin-Benson-Zyklus (▶ Abb. 9.16). Pro drei Zyklen kann ein Triosephosphat für Synthesen entzogen werden. Es gibt jedoch Varianten der Rückbildung von Ribulose-5phosphat aus Fructose-6-phosphat, z. B. über die KDPG-Variante des Hexosephosphatabbaus anstelle der hier gezeigten Glykolysevariante.

Glycerat [–NH2]

ATP ADP

Glyoxylat 3-Phosphoglycerat Acetyl-CoA Malyl-CoA

H2O Phosphoenolpyruvat

ADP + Pi

CO2

HS-CoA ATP

Malat

Oxalacetat NAD+

Pi

NADH + H+

5

Biosynthesen umlagerung im Pentosephosphatzyklus (S. 267) (vgl. ▶ Abb. 9.16 und Calvin-Benson-Zyklus) (S. 310) wird der Formaldehydakzeptor Ribulose-5-phosphat regeneriert (▶ Abb. 9.23). Die Nettogleichung nach drei Runden dieses Zyklus lautet: 3 CH2O + 2 ATP → 1 Triosephosphat + 2 ADP + Pi Aus drei Formaldehydmolekülen ist ein Triosephosphat entstanden, das assimiliert wird. Dieser Zyklus hat also Ähnlichkeit mit dem Calvin-Benson-Zyklus. Interessant ist, dass Archaea diesen Prozess in umgekehrter Richtung für die Synthese von Ribose-5-phosphat aus Fructose-6phosphat verwenden; sie besitzen nicht die Enzyme des Pentosephosphatwegs und refixieren den freigesetzten Formaldehyd in C1-Verbindungen.

Serinweg Der Serinweg erfordert zusätzliche Reduktionäquivalente zur Reduktion von CO2 und ermöglicht deshalb geringere Zellerträge. Er wird von Typ-I-Methanotrophen (S. 379) verwendet. Bei der Synthese von C1-Einheiten (S. 306) wurde die reversible Umsetzung von Serin zu Glycin und gebundenem Formaldehyd (N5, N10-Methylentetrahydrofolat) durch die Serin-Hydroxymethyl-Transferase vorgestellt. In Umkehrung wird so Formaldehyd gebunden (▶ Abb. 9.24a), wobei einige Arten Tetrahydromethanopterin als C1-Träger verwenden. Die Bindung des reaktiven Formaldehyds an Tetrahydromethanopterin (in Methylobacterium sp.) wird durch ein formaldehydaktivierendes Enzym beschleunigt. Serin wird in mehreren Schritten zu Phosphoenolpyruvat (PEP) umgewandelt. Die PEP-Carboxylase bildet daraus unter Aufnahme von Hydrogencarbonat Oxalacetat, das zu Malat reduziert wird. Malat wird ATP-abhängig zu Malyl-CoA aktiviert (Malyl-CoA-Synthase) und dieses zu Acetyl-CoA und Glyoxalat gespalten (Malyl-CoA-Lyase) (▶ Abb. 9.24b). Glyoxylat erhält die Aminogruppe des Serins und der Formaldehydakzeptor Glycin ist zurückgebildet (▶ Abb. 9.25). Acetyl-CoA, das aus einem Formaldehydund einem Hydrogencarbonatmolekül entstanden ist, wird über den Glyoxylatzyklus oder über den Ethylmalonyl-CoA-Weg (S. 290) assimiliert.

Dihydroxyacetonzyklus Hefen verwenden dagegen den Dihydroxyacetonzyklus, bei dem Formaldehyd in einer Transketolasereaktion an das C 1 von Xylulose-5-phosphat addiert wird. Das entstandene enzymgebundene Hexulose-6-phosphat wird in Dihydroxyaceton und Glycerinaldehyd-3-phosphat gespalten. Dihydroxyaceton wird zu Dihydroxyacetonphosphat phosphoryliert. Die Ausgangsverbindung Xylulose-5-phosphat wird, wie beim Hexulosephosphatzyklus beschrieben, regeneriert.

316

Anaerober Weg Anaerobier verwenden für die Assimilation von Formaldehyd und anderen C1-Verbindungen den Acetyl-CoAWeg (▶ Abb. 9.18). Er kann gleichzeitig der Oxidation von C1-Verbindungen zu CO2 und deren Assimilation über Acetyl-CoA (S. 312) in Zellmaterial dienen.

9.9 Biosynthesen der Bausteine Im Folgenden wird die biosynthetische Herkunft der wichtigsten Bausteine für Makromoleküle besprochen.

9.9.1 Aminosäuren Die Stoffflüsse des Kohlenstoffs, die von den zentralen Stoffwechselwegen ausgehen, sind in ▶ Abb. 8.32 aufgeführt. Die Hälfte des Kohlenstoffs und mehr als die Hälfte des Stickstoffs gehen ein in die 20 L-Aminosäuren der Proteine (Strukturen, s. ▶ Abb. 2.9). Ihre Synthese verläuft in der Regel über 2-Oxosäuren, die durch Transaminierung die Aminogruppe aus Glutamat erhalten. Wichtiges Coenzym des Aminosäurestoffwechsels ist Pyridoxalphosphat. Die meisten Aminosäuren leiten sich von einer gemeinsamen Aminosäurevorstufe ab; man ordnet sie nach ihrer Herkunft in fünf Familien: ● Glutamatfamilie mit Glutamat, Glutamin, Prolin und Arginin, ● Aspartatfamilie mit Aspartat, Asparagin, Threonin, Methionin, Lysin und Isoleucin, ● Pyruvatfamilie mit Alanin, Valin und Leucin, ● Serinfamilie mit Serin, Cystein und Glycin, ● Aromatenfamilie mit Phenylalanin, Tyrosin und Tryptophan. Histidin steht mit einem besonders komplexen Syntheseweg abseits; möglicherweise diente es ursprünglich als Coenzym. An dieser Stelle werden Synthesestrategien und Regulationsprinzipien am Beispiel der Glutamatfamilie behandelt (Plus 9.11, ▶ Abb. 9.26). Die Synthese von Serin, Glycin und Cystein wurde bereits beim S- und C1-Stoffwechsel besprochen. Die Synthese von Aspartat und Asparagin entspricht der Synthese von Glutamat und Glutamin. Damit Aminosäuren eine Peptidbindung eingehen können, wird die Carboxylgruppe mithilfe von ATP zu Aminoacyl-AMP umgesetzt. Die aktivierte Carboxylgruppe wird dann mit der 3-OH-Gruppe der Ribose eines AMPRestes am 3’-Ende einer tRNA verestert. Diese Reaktionen werden durch Aminoacyl-tRNA-Synthetasen (S. 205) katalysiert; man erhält so die beladene tRNA, die Aminoacyl-tRNA, welche die aktivierte Form der Aminosäure darstellt.

Biosynthesen umlagerung im Pentosephosphatzyklus (S. 267) (vgl. ▶ Abb. 9.16 und Calvin-Benson-Zyklus) (S. 310) wird der Formaldehydakzeptor Ribulose-5-phosphat regeneriert (▶ Abb. 9.23). Die Nettogleichung nach drei Runden dieses Zyklus lautet: 3 CH2O + 2 ATP → 1 Triosephosphat + 2 ADP + Pi Aus drei Formaldehydmolekülen ist ein Triosephosphat entstanden, das assimiliert wird. Dieser Zyklus hat also Ähnlichkeit mit dem Calvin-Benson-Zyklus. Interessant ist, dass Archaea diesen Prozess in umgekehrter Richtung für die Synthese von Ribose-5-phosphat aus Fructose-6phosphat verwenden; sie besitzen nicht die Enzyme des Pentosephosphatwegs und refixieren den freigesetzten Formaldehyd in C1-Verbindungen.

Serinweg Der Serinweg erfordert zusätzliche Reduktionäquivalente zur Reduktion von CO2 und ermöglicht deshalb geringere Zellerträge. Er wird von Typ-I-Methanotrophen (S. 379) verwendet. Bei der Synthese von C1-Einheiten (S. 306) wurde die reversible Umsetzung von Serin zu Glycin und gebundenem Formaldehyd (N5, N10-Methylentetrahydrofolat) durch die Serin-Hydroxymethyl-Transferase vorgestellt. In Umkehrung wird so Formaldehyd gebunden (▶ Abb. 9.24a), wobei einige Arten Tetrahydromethanopterin als C1-Träger verwenden. Die Bindung des reaktiven Formaldehyds an Tetrahydromethanopterin (in Methylobacterium sp.) wird durch ein formaldehydaktivierendes Enzym beschleunigt. Serin wird in mehreren Schritten zu Phosphoenolpyruvat (PEP) umgewandelt. Die PEP-Carboxylase bildet daraus unter Aufnahme von Hydrogencarbonat Oxalacetat, das zu Malat reduziert wird. Malat wird ATP-abhängig zu Malyl-CoA aktiviert (Malyl-CoA-Synthase) und dieses zu Acetyl-CoA und Glyoxalat gespalten (Malyl-CoA-Lyase) (▶ Abb. 9.24b). Glyoxylat erhält die Aminogruppe des Serins und der Formaldehydakzeptor Glycin ist zurückgebildet (▶ Abb. 9.25). Acetyl-CoA, das aus einem Formaldehydund einem Hydrogencarbonatmolekül entstanden ist, wird über den Glyoxylatzyklus oder über den Ethylmalonyl-CoA-Weg (S. 290) assimiliert.

Dihydroxyacetonzyklus Hefen verwenden dagegen den Dihydroxyacetonzyklus, bei dem Formaldehyd in einer Transketolasereaktion an das C 1 von Xylulose-5-phosphat addiert wird. Das entstandene enzymgebundene Hexulose-6-phosphat wird in Dihydroxyaceton und Glycerinaldehyd-3-phosphat gespalten. Dihydroxyaceton wird zu Dihydroxyacetonphosphat phosphoryliert. Die Ausgangsverbindung Xylulose-5-phosphat wird, wie beim Hexulosephosphatzyklus beschrieben, regeneriert.

316

Anaerober Weg Anaerobier verwenden für die Assimilation von Formaldehyd und anderen C1-Verbindungen den Acetyl-CoAWeg (▶ Abb. 9.18). Er kann gleichzeitig der Oxidation von C1-Verbindungen zu CO2 und deren Assimilation über Acetyl-CoA (S. 312) in Zellmaterial dienen.

9.9 Biosynthesen der Bausteine Im Folgenden wird die biosynthetische Herkunft der wichtigsten Bausteine für Makromoleküle besprochen.

9.9.1 Aminosäuren Die Stoffflüsse des Kohlenstoffs, die von den zentralen Stoffwechselwegen ausgehen, sind in ▶ Abb. 8.32 aufgeführt. Die Hälfte des Kohlenstoffs und mehr als die Hälfte des Stickstoffs gehen ein in die 20 L-Aminosäuren der Proteine (Strukturen, s. ▶ Abb. 2.9). Ihre Synthese verläuft in der Regel über 2-Oxosäuren, die durch Transaminierung die Aminogruppe aus Glutamat erhalten. Wichtiges Coenzym des Aminosäurestoffwechsels ist Pyridoxalphosphat. Die meisten Aminosäuren leiten sich von einer gemeinsamen Aminosäurevorstufe ab; man ordnet sie nach ihrer Herkunft in fünf Familien: ● Glutamatfamilie mit Glutamat, Glutamin, Prolin und Arginin, ● Aspartatfamilie mit Aspartat, Asparagin, Threonin, Methionin, Lysin und Isoleucin, ● Pyruvatfamilie mit Alanin, Valin und Leucin, ● Serinfamilie mit Serin, Cystein und Glycin, ● Aromatenfamilie mit Phenylalanin, Tyrosin und Tryptophan. Histidin steht mit einem besonders komplexen Syntheseweg abseits; möglicherweise diente es ursprünglich als Coenzym. An dieser Stelle werden Synthesestrategien und Regulationsprinzipien am Beispiel der Glutamatfamilie behandelt (Plus 9.11, ▶ Abb. 9.26). Die Synthese von Serin, Glycin und Cystein wurde bereits beim S- und C1-Stoffwechsel besprochen. Die Synthese von Aspartat und Asparagin entspricht der Synthese von Glutamat und Glutamin. Damit Aminosäuren eine Peptidbindung eingehen können, wird die Carboxylgruppe mithilfe von ATP zu Aminoacyl-AMP umgesetzt. Die aktivierte Carboxylgruppe wird dann mit der 3-OH-Gruppe der Ribose eines AMPRestes am 3’-Ende einer tRNA verestert. Diese Reaktionen werden durch Aminoacyl-tRNA-Synthetasen (S. 205) katalysiert; man erhält so die beladene tRNA, die Aminoacyl-tRNA, welche die aktivierte Form der Aminosäure darstellt.

9.9 Biosynthesen der Bausteine

●V

Plus 9.11

Beispiel für die Biosynthese einer Aminosäurefamilie. tion ergibt Prolin. Bei der Argininsynthese wird auf dem Die Synthese von Glutamat aus 2-Oxoglutarat und Ammoniak haben wir bei der N-Assimilation (S. 298) besprochen. Alle weiteren Reaktionen finden an der Carboxyl-Seitengruppe des Glutamats statt, die dazu mithilfe von ATP zu einem reaktionsfreudigen Carboxylat-Phosphat-Anhydrid aktiviert wird (▶ Abb. 9.26). Die Phosphatgruppe dient bei der Synthese von Glutamin als Austrittsgruppe, um dem NH3 Platz zu machen. Bei der Synthese von Prolin erleichtert die Phosphatgruppe die Reduktion zur Aldehydgruppe. Die Aldehydgruppe bildet mit der α-Aminogruppe unter Austritt von Wasser spontan eine Schiff-Base; ihre Reduk-

Weg zum Ornithin ebenfalls die Aldehydstufe durchlaufen. Hier ist die Ringbildung durch Ausbildung einer Schiff-Base unerwünscht und die Aminogruppe wird deshalb vorübergehend durch Verknüpfung mit einer Acetylschutzgruppe aus Acetyl-CoA blockiert. Die Synthese von Arginin aus Ornithin entspricht der Harnstoffsynthese der Leber. Dies ist ein Beispiel für die Verwendung von Carbamoylphosphat als C- und N-Baustein. Irreversible Reaktionsschritte von Kinasen, die am Anfang der Abzweigungen stehen, werden durch allosterische Regulation durch die jeweiligen Endprodukte Glutamin, Prolin und Arginin gehemmt.

COO– H3N

CH CH2 CH2

C O O– Glutamat

NH3 O

C O NH2 Glutamin

P

Gln

Pro

C

O

P

2[H]

HS–CoA

H3C

C

H

COO–

N

CH

O

CH2 CH2

Pi O

COO– H3N

C

O

Pi

Acetyl–CoA

ATP

O

ATP

Abb. 9.26 Synthese der Aminosäuren der Glutamatfamilie. Glutamat steht im Zentrum dieses Synthesewegs. Diese Abbildung soll das Prinzip eines verzweigten Biosynthesewegs und seine Regulation verdeutlichen.

C

O– ATP

Arg

CH CH2

H2C

CH2 C O H Semialdehyd

O

C

P

C

NH2

NH2

Arginin

2[H] Pi

spontan H2O COO–

O

NH

[-NH2]

C O H Semialdehyd

N C H

Gln-NH2

H2C

NH

C

NH2

O Citrullin

2[H] H2 C COO–

Pi

NH2

Carbamoylphosphat

H2O Acetat

H2N Prolin

H2C

NH2

Ornithin

7

Biosynthesen

9.9.2 Zucker Bakterien und Pilze benötigen vor allem Aminozucker für die Synthese der Zellwände. Glykopolymere dominieren die Oberfläche. Die wichtigsten Zuckerbausteine sind die Aldohexosen D-Glucose, D-Mannose und D-Galactose und deren Aminoderivate. Sie unterscheiden sich von DGlucose nur durch die Stellung der OH-Gruppe am C2Atom (Mannose) bzw. an C4 (Galactose) (sog. epimere Zucker). D-Ribose wird für die Synthese der Nukleinsäuren benötigt. Erythrose-4-phosphat geht mit Phosphoenolpyruvat in die Aromatensynthese ein. Die Bildung der primären Zuckerphosphate aus Fructose-6-phosphat, das aus der Glykolyse bzw. der Gluconeogenese stammt, und deren Aktivierung zu Nukleosiddiphosphatbausteinen ist in ▶ Abb. 9.27 gezeigt. Zuckerphosphate lassen sich durch die Enzyme Transaldolase und Transketolase auf einfache Weise reversibel ineinander umwandeln (▶ Abb. 8.13). Diese Reaktionen sind weitere Quellen für Pentosen und Lieferanten für Erythrose-4-phosphat. ▶ Aktivierung von Hexosephosphat. Die betreffenden Zucker-1-phosphate werden für die Bildung von glykosidischen Bindungen mit Nukleosidtriphosphaten NTP (z. B. ATP oder UTP) aktiviert (▶ Abb. 9.28). Unter Abspaltung von PPi wird dabei ein AMP- oder UMP-Rest vom NTP auf das C1-Phosphat übertragen. Es entsteht der aktivierte Hexosebaustein, ein Nukleosiddiphosphat(NDP)-aktivierter Zucker (z. B. UDP-Glucose).

▶ Aktivierung von Pentosephosphat. Ribose-5-phosphat entsteht durch Isomerisierung von Ribulose-5-phosphat, das im Pentosephosphatweg aus Glucose-6-phosphat gebildet wird. Die Aktivierung des glykosidischen C1-OH erfordert ATP, aber im Gegensatz zu den Hexosen wird hier die Pyrophosphorylgruppe übertragen und AMP wird frei. Es entsteht der aktivierte Pentosebaustein, 5-Phosphoribosyl-1-pyrophosphat (PRPP) (▶ Abb. 9.28). ▶ Übertragung der Zucker auf ein weiteres Molekül. Durch Bindung des glykosidischen C1-Atoms des Zuckers an Phosphat kann die C1-Sauerstoffbindung leicht gelöst (Phosphat ist eine gute „Austrittsgruppe“) und die Glucose auf andere Hydroxy- oder Aminoverbindungen mit freiem Elektronenpaar übertragen werden (▶ Abb. 9.28). Im Fall einer Hydroxyverbindung, die häufig von einem anderen Zucker stammt, wird eine O-glykosidische Bindung geknüpft und man erhält ein O-Glykosid, z. B. ein Disaccharid. Der Prozess kann mit weiteren aktivierten Zuckern fortgesetzt werden und es entstehen Oligo- und Polysaccharide. Reagiert das aktivierte C1 des Zuckers mit dem freien Elektronenpaar des Stickstoffs einer Aminoverbindung, so ergibt sich ein N-Glykosid (Nukleotide, s. u.).

Abb. 9.27 Bildung von primären Zucker-1phosphaten und deren Aktivierung zu Nukleosiddiphosphat(NDP)-aktivierten Bausteinen. In der Regel erfolgt die Umwandlung von Zuckerbausteinen auf der Stufe der Nukleosiddiphosphat-aktivierten Zucker. Verschiedene Nukleosidtriphosphate (ATP, UTP, GTP, CTP) dienen der Aktivierung. Die verschiedenen Nukleotide signalisieren auch, für welchen Zweck (Zellwand, Speicherstoff, Glykolipid, Glykoprotein) die Zucker verwendet werden sollen.

NDP-Glucose PPi NTP Glucose-1-phosphat

Glucose-6-phosphat

Fructose-6-phosphat

Gln–NH2 Glucosamine-6-phosphat

Mannose-6-phosphat

Acetyl~SCoA N-Acetylglucosamin-1-phosphat NTP

NTP

PPi

PPi

NDP-N-Acetylglucosamin

318

Mannose-1-phosphat

NDP-Mannose

9.9 Biosynthesen der Bausteine Hexose HO

CH2

HO UMP

O α O

1

OH HO

PP

O

P

O

HO

X

O

HO

O– OH α-D-Glucose-1-phosphat

P

O

P

O–

OH

Uracil

O O

CH2

UDP

UMP

α O

OH

1

OH

R

CH2

PPi

+ HX

R

OH

2

Ribose

O

α

HO

O–

β

X

R

OH Hexose-1-X-R (Glykosid)

UDP-Glucose

Pentose R

5

P

O

CH2

AMP

O

P

PP

CH2

O

AMP

PPi O–

O

1

α OH

P

X

O

3

+ HX

O P O P O– α O– O HO OH 5-Phosphoribosyl-1-pyrophosphat (PRPP)

HO OH Ribose-5-phosphat

R

4

O

CH2 O

β α

X

R

HO OH Pentose-1-X-R (Glykosid)

Abb. 9.28 Aktivierung von Zuckern und Übertragung des Zuckers auf die Hydroxy- bzw. Aminogruppe eines anderen Moleküls (Glykosidbildung). Handelt es sich bei HX–R um HO–R, wird eine O-glykosidische Bindung geknüpft, handelt es sich um H2N–R, entsteht eine N-glykosidische Bindung. ① Hexoseaktivierung durch Nukleotidyltransfer, katalysiert durch die Nukleosidtriphosphat (NTP)-Hexose-1-phosphat-Nukleotidyl-Transferase; ② Bildung eines Hexoseglykosids aus NDP-Zucker (hier UDP-Glucose); ③ Pentoseaktivierung durch Pyrophosphatübertragung, katalysiert durch die 5-Phosphoribosyl-1-pyrophosphat(PRPP)-Synthetase; ④ Bildung eines Pentoseglykosids aus PRPP. α und β zeigen die Richtung an, die –X–R in α- bzw. β-Glykosiden weist.

9.9.3 Nukleotide und Desoxynukleotide Die Bausteine von RNA und DNA, Nukleotide und Desoxynukleotide, sind aus aktivierter Pentose (PRPP) und der N-glykosidisch gebundenen Base aufgebaut (Strukturen, s. ▶ Abb. 2.14). ▶ Synthese der Purinnukleotide. Die Synthese der Purinbase erfolgt in vielen Einzelschritten am Zuckermolekül PRPP. Aus kleinen Bausteinen (1 Molekül Glycin, 3 N aus 2 Glutamat und 1 Aspartat, 1 CO2, und 2 C1-Einheiten) entsteht die Purinbase Hypoxanthin in der gemeinsamen Vorstufe Inosin-5-monophosphat (IMP) (▶ Abb. 9.29). Aus IMP werden Adenosin-5-monophosphat (AMP) und Guanosin-5-monophosphat (GMP) gebildet. ▶ Synthese der Pyrimidinnukleotide. Die Base wird getrennt aus den beiden großen Bausteinen Aspartat und Carbamoylphosphat synthetisiert. Es entsteht in wenigen

OH

CO2 Asp

OHC

NH2

FH4

5

2

4

N

Aspartat

6

9

CH

FH4

Gln

NH2

Ribose 5' Gln

OH

N 8

N3

▶ Synthese von DNA-Bausteinen. Diese Synthese erfordert zwei zusätzliche Maßnahmen. Erstens muss die Ribose der Nukleotide zu 2-Desoxyribose reduziert werden (▶ Abb. 9.30a). Dies geschieht auf der Stufe der Nukleosiddiphosphate oder -triphosphate durch das Schlüsselenzym Ribonukleotid-Reduktase. Die scheinbar einfache Reaktion erfordert einen komplizierten radikalischen Mechanismus, der von drei völlig unterschiedlichen Enzymen genutzt wird. Zweitens muss dUMP am C 5 des Pyrimidinrings zu dTMP methyliert werden (▶ Abb. 9.30b). Der Donator der C1-Einheit ist Methylentetrahydrofolat. Die Methylengruppe wird während der Übertragung zur Methylgruppe reduziert. Die zwei [H] für die Reduktion

Glycin

7

6 1N

Schritten die Pyrimidinbase Orotat, die N-glykosidisch mit 5-Phosphoribosyl-1-pyrophosphat (PRPP) zu Orotidin-5-monophosphat verknüpft wird. Daraus entsteht durch Decarboxylierung Uridin-5-monophosphat (UMP). Aus UMP wird Cytosin-5-monophosphat (CMP) synthetisiert.

NH2 IMP

P

Carbamoylphosphat

1N

5 4

O

2

N3 Ribose 5'

Abb. 9.29 Herkunft der Atome von Purinund Pyrimidinnukleotiden. Inosinmonophosphat (IMP) ist der gemeinsame Vorläufer von Purinnukleotiden, Uridinmonophosphat (UMP) der gemeinsame Vorläufer von Pyrimidinnukleotiden.

P

UMP

9

Biosynthesen

a P

P

O

CH2

O

H

P

Base

O

CH2

H

H H

3'

HO

Base

O

1

H 2'

OH

NADP+

H 3’

2’

HO

Thioredoxinox

+ H2O

H

H

2[H] Thioredoxinred

NDP

H

2'-Desoxy-NDP

Abb. 9.30 Synthese von Desoxyribonukleotiden. a Reduktion der Ribose durch die Ribonukleotid-Reduktase (①); das reduzierte Thioredoxin wird durch die ThioredoxinReduktase (②) wieder regeneriert. b Methylierung des Desoxyuridin-5’-phosphats (dUMP); FH2, Dihydrofolat; FH4, Tetrahydrofolat.

NADPH + H+

2 FH4

b O

N dRibose 5

4

[CH2=] FH4

5

HN O

P

dUMP

O

2[H]

FH2 3

dTMP

Angriffspunkt Dihydrofolat-Reduktase

O

CH3

N dRibose 5

P

Plus 9.12

5

HN

●V

Die Dihydrofolat-Reduktase ist Angriffspunkt vieler Wirkstoffe, die der Folsäure ähneln. Sie hemmen das Enzym und damit selektiv das Wachstum von Krebszellen und Bakterienzellen – beide haben eine hohe Wachstumsund damit DNA-Syntheserate gemeinsam. Nur bei der Synthese von dTTP entsteht Dihydrofolat!

stammen aus dem Träger Tetrahydrofolsäure selbst, der dabei zur Dihydroform oxidiert wird. Das Enzym Dihydrofolat-Reduktase stellt wieder die Tetrahydroform des Coenzyms her (Plus 9.12).

P

Tab. 9.4 Typische Lipidzusammensetzung der Cytoplasmamembran eines gramnegativen Proteobakteriums (Escherichia coli) und eines grampositiven Bakteriums der niedrigen GCGruppe (Bacillus subtilis). Die erste Ziffer im Index der Fettsäure gibt die Kettenlänge (Anzahl C-Atome) an, der Wert nach dem Doppelpunkt die Anzahl cis-Doppelbindungen. Wenn ein Δ-Symbol folgt (z. B. C16:1Δ9), so gibt die Ziffer dahinter die Position der Doppelbindung an (also z. B. zwischen C9 und C10). (Strukturen von Fettsäuren s. ▶ Abb. 2.20). Typ

Escherichia coli

Bacillus subtilis

Fettsäure

C16:0 C16:1Δ9 C18:1Δ11

ante-iso C15:0 iso C17:0 iso C15:0

polare Gruppen

– P-Ethanolamin – P-Glycerin – P-Serin

– – – –

Glucose Glucose-O-Glucose P-Ethanolamin P-Glycerin

9.9.4 Lipide Die Lipide der Cytoplasmamembran sind eigentlich keine Makromoleküle, sie sind aber aus mehreren Bausteinen zusammengesetzt und aggregieren spontan zu Doppelmembranstrukturen. Die Lipide der Bacteria und der Archaea sowie die der Hefen und Pilze sind sehr verschiedenartig, sodass hier nur auf ausgewählte Beispiele eingegangen werden kann (Plus 9.13). Als Beispiele dienen die Lipide von Escherichia coli (gramnegativ) und Bacillus subtilis (grampositiv) (▶ Tab. 9.4). Hinzu kommen die Lipopolysaccharide der äußeren Membran der gramnegativen Bakterien, deren Synthese hier nicht behandelt wird. Der Einbau der Lipopolysaccharide (S. 152) in die Membran wird in Plus 10.6 (S. 347) besprochen.

Ein typisches Membranlipid besteht aus zwei Fettsäuremolekülen, einem Molekül Glycerin und einem polaren Rest. Die Biosynthese der langkettigen Fettsäuren erfolgt an einem kleinen Acyl-Carrier-Protein (ACP, ▶ Abb. 9.31), das Phosphopantethein als prosthetische Gruppe enthält. Diese Gruppe besitzt wie das Coenzym A eine reaktive SH-Gruppe. Die Biosynthese beginnt mit einer Kondensation von C2-Einheiten aus Acetyl-CoA (▶ Abb. 9.32a). Um aber die Reaktivität von Acetyl-CoA bei der Knüpfung der C–C-Bindung zu erhöhen, wird die Methylgruppe des Acetyl-CoA vorher in einer biotinabhängigen Reaktion durch die Acetyl-CoA-Carboxylase carboxyliert: CH3–CO–SCoA + HCO3– + ATP → HOOC–CH2–CO–SCoA + ADP + Pi Dabei entsteht Malonyl-CoA.

320

9.9 Biosynthesen der Bausteine

4'-Phosphopantethein Pantothenat

HS

CH2

CH2

NH

CO

CH2

CH2

NH

CO

CHOH

C

Ser

O–

CH3 CH2

O

CH3

P

ACP

O

O

P

Abb. 9.31 Struktur des Acyl-Carrier-Proteins ACP und von Coenzym A. Im ACP ist das Phosphat des Phosphopantetheins an einen Serinrest der Fettsäure-Synthase gebunden. Im Coenzym A ist der 4’-Phosphopantetheinrest an AMP gebunden, das zusätzlich am C3-OH der Ribose mit Phosphat verestert ist.

Ribose-Adenin P

a

CO2

O



OOC

CH2

C

S

O

ACP

H3C O

Malonyl-ACP H3C

C

CoA

O CH2

C

S

ACP

Acetoacetyl-ACP

C

S

ACP

Acetyl-ACP b

O (CH2)x C S Acyl-ACP

H3C

ACP

O

Reduktion –

OOC

2 [H]

Kondensation

CH2 C S Malonyl-ACP

ACP HS–ACP + CO2

(CH2)x

C

C

C

S

H3C

ACP

(CH2)x

C

CH2

C

S

ACP

3-Oxoacyl-ACP

H Enoyl-ACP

O

O

H O H3C

Abb. 9.32 Biosynthese von Fettsäuren. a Initiation: Acetyl-ACP und Malonyl-ACP reagieren unter CO2-Abspaltung zu Acetoacetyl-ACP. b Elongation: Die Verlängerung erfolgt durch Kondensation von Malonyl-ACP mit der bereits bestehenden Fettsäure, ebenfalls unter Abspaltung von CO2. Es folgen zwei Reduktionen und eine Dehydratisierung, sodass die Fettsäure pro Umlauf um eine C2-Einheit verlängert wird.

trans

H 2O

2 [H]

Dehydratisierung

H H3C

(CH2)x

C

Reduktion

O CH2

C

S

ACP

OH 3-Hydroxyacyl-ACP

Plus 9.13 Typen von Membranlipiden Membranlipide bestehen aus einem Alkohol, der in der Regel mit Fettsäuren (C14–C18) verestert ist. Ein Teil der Fettsäuren besitzt in der Mitte der Kette eine cis-Doppelbindung. Nur in wenigen Bakteriengruppen wie den Cyanobakterien findet man Fettsäuren mit mehreren Doppelbindungen. Grampositive Bakterien enthalten dagegen oft methylverzweigte Fettsäuren: iso-Fettsäuren tragen die Methylgruppe am vorletzten C-Atom, ante-iso-Fettsäuren am vorvorletzten C-Atom. Ungesättigte und methylverzweigte Fettsäuren verringern den Schmelzpunkt der Membran und werden in höheren Mengen bei Kälte eingebaut (▶ Tab. 9.4). Einige Schmelzpunkte von Fettsäuren zum Vergleich: C12:0 40 °C, C18:0 + 70 °C, C18:1 + 13 °C, C18:2 –5 °C. Die Alkoholkomponente in den Glycerinlipiden ist Glycerin-3-phosphat; es wird durch Reduktion aus Dihydroxyacetonphosphat gewonnen. Eukaryontische Mikroorganismen

●V

besitzen teilweise Sphingolipide, in denen statt Glycerin ein langkettiger, ungesättigter Aminoalkohol, das Sphingosin, als Grundgerüst dient. Eine Besonderheit der Glycerinlipide der Archaea ist, dass sie statt Fettsäuren reduzierte C20-Polyisoprenalkohole (Isopranalkohole) enthalten; diese Alkohole sind in Etherbindung an die OH-Gruppen des Glycerins gebunden. Die Lipidbausteine müssen neben einem hydrophoben Kohlenwasserstoffteil (die Ketten der Fettsäuren, der Isopraneinheiten und des Sphingosins) einen hydrophilen (polaren) Teil enthalten. Dieser polare Rest ist an eine Alkoholgruppe der Gerüstalkohole Glycerin oder Sphingosin gebunden. In Phospholipiden ist dieser polare Rest ein verestertes Phosphat, das weitere polare Moleküle gebunden enthält (Serin, Ethanolamin oder Glycerin). In Glykolipiden ist es ein glykosidisch gebundener Zucker, meist Glucose, der zum Teil weitere polare Gruppen gebunden enthält.

1

Biosynthesen 3-Hydroxydecanoyl-ACP (OH – 10:0)

Methylerythritolphosphatweg

3 Acetyl-CoA

Glycerinaldehyd-3-phosphat + Pyruvat

cis-3-Decenoyl-ACP (10 : 1 ∆ 3)

trans-2-Decenoyl-ACP (10 :1 ∆ 2) Elongation

CO2 –

Palmitoyl-ACP (16 : 0)

Palmitoleyl-ACP (16 : 1 ∆ 9)

ohne Doppelbindung (gesättigt)

cis-Doppelbindung (ungesättigt)

Abb. 9.33 Synthese ungesättigter Fettsäuren (Beispiel Palmitoleylsäure). Die Doppelbindung des trans-2-Decenoyl-ACP wird umgelagert und es entsteht cis-Decenoyl-ACP, das durch weitere Elongation zum Palmitoleyl-ACP verlängert wird (rechts). Wird die Doppelbindung des trans-2-Decenoyl-ACP nicht umgelagert, entsteht die gesättigte Fettsäure Palmitinsäure (links).

Die aus CO2 eingebaute Carboxylgruppe wird dann in den nachfolgenden Kondensationsreaktionen wieder als Kohlendioxid abgespalten (▶ Abb. 9.32b); man erhält eine β-Ketosäure. In drei Schritten erfolgt dann die Reduktion der β-C = O-Gruppe über die 3-Hydroxyacyl- und die Enoylstufe zur Acyl(CH2)-Gruppe, was 2 NADPH erfordert. Diese Schritte der Fettsäuresynthese laufen an einem multifunktionellen großen Protein (Eukaryonten) oder an einzelnen Proteinen (Prokaryonten) ab. Die wachsende Fettsäure bleibt dabei als reaktiver Thioester an die Thiolgruppe des ACP gebunden. Die Umsatzgleichung für die Synthese von PalmitoylACP (C16) ist: CH3–CO–CoA + 7 Malonyl-CoA + 14 NADPH + 14 → Palmitoyl-ACP + 14 NADP+ + 7 CO2 + 8 CoA + 7 H2O. H+ + ACP

Die cis-ungesättigten Fettsäuren werden auf der Stufe der C10-Fettsäuren abgezweigt, indem die trans-Doppelbindung der Enoylverbindung zur cis-Doppelbindung umgelagert wird (▶ Abb. 9.33). Es wird kein Wasserstoff angelagert, vielmehr wird die Kettenverlängerung unmittelbar fortgesetzt. Dabei sorgt die unterschiedliche Temperaturabhängigkeit der beteiligten Enzyme dafür, dass bei Kälte eher der Weg zur ungesättigten Fettsäure eingeschlagen wird. Außerdem gibt es die Möglichkeit, Doppelbindungen nachträglich mithilfe von Sauerstoff über einen sogenannten aeroben Weg einzuführen. Entsprechendes gilt für die gesteigerte Synthese von methylverzweigten Fettsäuren (Plus 9.13) (S. 321) der grampositiven Bakterien. Die Starteinheit bei der Synthese von methylverzweigten iso- und ante-iso-Fettsäuren sind methylverzweigte Acyl-CoA-Moleküle, die sich von den verzweigtkettigen α-Aminosäuren ableiten. Sie werden zu 2-Oxosäuren oxidiert und dann oxidativ zu ver-

322

Mevalonatweg

H3C OOC

OH O C

O SCoA

O

3-Hydroxy-3-methylglutaryl-CoA (HMG-CoA)

–OOC

H3C

OH P

OH 4-Desoxy-D-Xylulose-5-phosphat

2 NADPH + H+

NADPH + H+

2 NADP+

NADP+

OH

HO CH2OH

HO

Mevalonat

O

P

OH 2-C-Methyl-D-Erythritol4-phosphat

3 ATP

CTP

3 ADP + 1 Pi

CMP + PPi

OH– CO2

ATP ADP Kopf

Schwanz CH2 O

P P

Isopentenyldiphosphat (aktiviertes Isopren) Abb. 9.34 Neutrallipide. Neutrallipide sind aus Isopreneinheiten aufgebaut. Diese entstehen aus Isopentenyldiphosphat (aktiviertes Isopren) über zwei verschiedene Wege. Der Mevalonatweg (links) geht von drei Acetyl-CoA-Molekülen aus. Der verbreitete Methylerythritolweg geht von Glycerinaldehyd3-phosphat und Pyruvat aus.

zweigten Acyl-CoA-Molekülen decarboxyliert, ähnlich wie Pyruvat zu Acetyl-CoA und CO2 oxidiert wird. So entsteht beispielsweise aus Valin (C5) Isobutyryl-CoA (C4). Bei Hitze und Lösungsmittelstress erfolgt eine umgekehrte Reaktion wie bei der Kälteanpassung: Es werden bevorzugt gesättigte (bzw. bei Grampositiven unverzweigte) Fettsäuren gebildet, die den Schmelzpunkt der Membran erhöhen. Daneben gibt es in jeder Cytoplasmamembran Neutrallipide, die aus mehreren Isopreneinheiten aufgebaut sind und verschiedene Funktionen erfüllen (▶ Tab. 9.5). Für die Synthese der Isoprengrundeinheit, eine C5-Verbindung, gibt es zwei Wege, die zur gemeinsamen Vorstufe Isopentenyldiphosphat (oft Isopentenylpyrophosphat, IPP, genannt) führen (▶ Abb. 9.34). Einer geht von

9.9 Biosynthesen der Bausteine Tab. 9.5 Beispiele für verschiedene Isoprene. Verbindung

Anzahl Isopreneinheiten

Vorkommen

Funktion

Isopranalkohol, Glycerinether

4

Lipide der Archaea

Membranaufbau

Chinone

6 und mehr

Coenzyme

Elektronentransport

Carotinoide

8

akzessorische Pigmente

Lichtabsorption

Steroide

6

Cholesterin, Eukaryonten

Membranstabilisierung

Squalen

6

Eukaryonten, Prokaryonten

Membranstabilisierung

Hopanoide

6

Prokaryonten

Membranstabilisierung

Bactoprenol

11

Prokaryonten

Zuckertransport über Membranen

sonstige

variabel

Isoprenseitenketten, Pigmente, Cytokine

oft Membrananker

OH

OH

OH

OH

Hopanoid (Bacteriohopantetrol)

höheren Isoprenverbindungen bis C55 (▶ Tab. 9.5 und ▶ Abb. 9.35). Die Synthese dieser Moleküle erfordert weitere Reaktionen wie Zyklisierung, Reduktion oder Hydroxylierung.

9.9.5 Speicherstoffe

Squalen H 3C O O CH3

Carotinoid (Spirilloxanthin) Abb. 9.35 Struktur des Triterpens Squalen (Mitte), das aus sechs Isopreneinheiten aufgebaut ist, und davon abgeleitet ein Hopanoid (oben). Unten ist ein Carotinoid dargestellt, das aus acht Isopreneinheiten besteht. Die roten Trennstriche in der Squalenstruktur markieren die sechs Isopreneinheiten.

drei Molekülen Acetyl-CoA aus. Zwischenprodukt ist 3Hydroxy-3-methylglutaryl-CoA (HMG-CoA). Dieser sogenannte Mevalonatweg kommt in Archaea, in wenigen Bacteria, in Pilzen und Tieren und im Cytosol von Pflanzen vor. Das HMG-CoA wird zu Mevalonat reduziert. Aus Mevalonat entsteht durch Phosphorylierung und Decarboxylierung Isopentenyldiphosphat, das aktive Isopren (C5). Ein anderer Weg kommt in den meisten Bacteria und in den Plastiden vor (Methylerythritolphosphatweg). Er geht von Pyruvat und Glycerinaldehyd-3-phosphat aus; deren Kondensation bildet 1-Desoxy-D-xylulose-5-phosphat, und schließlich führt der Weg über Methylerythritolphosphat ebenfalls zum Isopentenyldiphosphat. Durch Verknüpfung von zwei C5-Isopreneinheiten wird ein C10-Molekül (Terpen) gebildet. Das Terpen ist die Basis für die Synthese von C15-(Sesquiterpene, „Anderthalbterpene“), C20-(Diterpene), C30-(Triterpene) und

Mikroorganismen legen Speicherstoffe in Zeiten an, in denen eine C- und Energiequelle im Überschuss vorhanden, das Wachstum aber durch N-, P-, S- oder Eisenmangel begrenzt ist. In diesem Fall fließt der Hauptteil des Kohlenstoffs in die Synthese von Bausteinen für Speicherstoffe. Speicherstoffe sind wasserunlöslich und bilden Einschlusskörper; sie sind damit osmotisch unwirksam und können bis 90 % der Zelltrockenmasse ausmachen. Speicherstoffe werden in Notzeiten wieder mobilisiert, indem sie in ihre Bausteine zerlegt werden; sie dienen dann als Kohlenstoff- und Energiequelle. Mit den Polymerasen sind auch die Depolymerasen Bestandteile der Speicherstoffkörperchen. ▶ Polyglucose. Die Polyglucose ähnelt der Stärke der Pflanzen und dem Glykogen der Tiere. Sie entsteht durch α-1,4-glykosidische Verknüpfung von D-Glucose-Einheiten, die als ADP-Glucose aktiviert sind (▶ Abb. 9.36a). Die Reaktion wird von der Glykogen-Synthase katalysiert. Es entsteht eine schraubenförmige Struktur. Daneben kommen α-1,6-glykosidische Bindungen vor, sogenannte Verzweigungsstellen der Zuckerketten, die von der Transglykosylase geknüpft werden. Man beachte, dass Strukturpolysaccharide der Zellwände wie Cellulose, Chitin oder Murein die Zuckereinheiten in β-1,4-glykosidischer Form enthalten. Diese Bindung führt zu einem zugstabilen, strickähnlichen Makromolekül. ▶ Polyhydroxyfettsäuren. Diese „Fettspeicher“ der Bakterien werden meist aus 3-Hydroxybuttersäure-Einheiten gebildet, indem die Carboxylgruppe eines Bausteins eine Esterbindung mit der C 3-Alkoholgruppe eines anderen Bausteins eingeht (Polyester). Die Kondensation von zwei Acetyl-CoA-Molekülen liefert Acetoacetyl-CoA, das zu 3Hydroxybutyryl-CoA reduziert wird. Die CoA-aktivierte

3

Biosynthesen Säuregruppe kann leicht die Esterbindung eingehen und es entsteht eine Polyhydroxyfettsäure, auch Polyhydroxyalkanoat (PHA) genannt (▶ Abb. 9.36b). Hefen und Pilze legen Triacylglycerinspeicher (Fette) in Vakuolen an. Triacylglycerine entstehen aus Glycerin-3-phosphat und drei Acyl-Carrier-Protein(ACP)-aktivierten Fettsäuren (S. 320).

Phosphat- und in geringerem Ausmaß als Energiespeicher dient (▶ Abb. 9.36c). ▶ Proteinspeicher. Schließlich können Cyanobakterien bei N-, C- und Energieüberschuss einen Proteinspeicher (Cyanophycin) generieren, der nur aus einer sauren (Aspartat–) und einer basischen Aminosäure (Arginin+) besteht und nicht an Ribosomen synthetisiert wird (▶ Abb. 9.36d).

▶ Polyphosphate. Einige Bakterien können bei Überschuss an Energie und Phosphat einen Polyphosphatspeicher anlegen. Dabei werden Phosphateinheiten von ATP zu einem Phosphorsäureanhydrid kondensiert, das als

Transglycosylase

a

Abb. 9.36 Synthese von Speicherstoffen. a Glykogen. b Polyhydroxyfettsäure (PHA). c Polyphosphat. d Reserveprotein Cyanophycin.

6

HOCH2

HOCH2 O

OH

4

1

HOCH2 O

α

4

OH

O

OH

ADP

O

1

OH

O

OH

HOCH2 O

OH

O

HO

HOCH2 O

OH O

OH

O

OH

OH

Glycogen-Synthase

HOCH2 O OH O

HO

P

P

OH

Adenosin AMP

ADP-Glucose

Glykogen

SCoA

b 2 H3 C

C

O Acetyl-CoA

O

CH3

O

C

CH

C

H

c

O

CH2

H H3 C

O

C

CH2

C

SCoA

OH 3-Hydroxybutyryl-CoA

ADP O P

H O PolyphosphatKinase

P O

Mg2+

O O –

P

O

Ca2+



O

Polyphosphat d L-Asp + L-Arg ATP

Asp

Asp

Arg

Arg Cyanophycin

324

O

HS-CoA 2[H]

O

CH2

HydroxybutyrylCoA-Polymerase

C CH2 C SCoA Acetoacetyl-CoA

ADP

O

C

β -Ketothiolase

HS–CoA

CH3

HO

CH3

PHA

9.10 Sekundärmetabolite

9.10 Sekundärmetabolite Es gibt eine Vielzahl von Stoffen unterschiedlichster Struktur, die sich aus dem Primärstoffwechsel ableiten. Diese sogenannten Sekundärmetabolite werden in einem Sekundärstoffwechsel gebildet und nicht für die Synthese von Zellbausteinen benötigt. Sie sind für das Leben unter Laborbedingungen zwar entbehrlich, spielen aber eine wichtige Rolle für das Leben und Überleben der Organismen in der Natur.

9.10.1 Funktion von Sekundärmetaboliten Die Bedeutung vieler Sekundärmetabolite für ihre Produzenten ist unbekannt. In vielen Fällen gilt es jedoch als erwiesen, dass sie als Verteidigungswaffen gegen Konkurrenten oder Fressfeinde dienen. Dabei muss der Produzent dafür Sorge tragen, dass er gegen sein eigenes Produkt immun ist (Selbstresistenz, Autoimmunität). Gepaart mit den Genen für die Synthese der Sekundärmetabolite findet man daher entsprechende Resistenzgene; diese sind die Hauptquelle für die Resistenzgene anderer Bakterien und werden durch lateralen Gentransfer rasch verbreitet. Die Zahl an Sekundärmetaboliten steigt mit der Genomgröße. So enthalten manche Streptomyceten bis zu 25 Gencluster für Sekundärmetabolite, von denen aber nur ein Teil aktiv ist. Die bedeutendsten Gruppen der Sekundärmetabolite sind Polyketide, nichtribosomal hergestellte Peptide und Isoprenoide. Trotz ihrer komplexen Strukturen wer-

Beladen

Modul 2

Modul 1

Modul 3

Modul 4

den Polyketide und Peptide auf eine ähnliche und verblüffend einfache Weise synthetisiert. Produziert werden sie durch große Enzyme mit Molekülmassen über 2 Mio. Dalton und ihre Herstellung ähnelt einer Fließbandabfertigung („molekulare Fertigungsstraße“) (▶ Abb. 9.37, ▶ Abb. 9.38). Diese Megaenzyme sind modular aufgebaut: Sie enthalten hintereinander gereiht alle Enzymfunktionen, die für die Teilschritte der Biosynthese der Metaboliten benötigt werden. Dabei werden all jene Enzymfunktionen zu einem „Modul“ zusammengefasst, die für den Einbau eines Grundbausteins verantwortlich sind. Die Bausteine der komplexen Sekundärmetabolite werden an bewegliche Trägerdomänen gebunden, mit denen die Bausteine von einem aktiven Zentrum zum anderen dirigiert werden können. Ketosynthaseenzyme (Polyketidsynthese) beziehungsweise Kondensationsenzyme (Peptidsynthese) verknüpfen die trägergebundenen Bausteine dann miteinander. Weitere Enzyme, die ebenfalls Teile der Polypeptidkette des Megaenzyms sind, verändern sie. Nach der Synthese des Grundgerüsts werden die Vorläufermoleküle durch weitere Enzymreaktionen vervollständigt. Beispiele für Modifikationsreaktionen sind Oxidation, Reduktion, Zyklisierung, Epimerisierung, Glykosylierung, Halogenierung, Methylierung, Prenylierung, oxidative Aromatenkopplung oder Hydroxylierung mittels Monooxygenasen. Die meisten Wirkstoffe der Medizin leiten sich immer noch von natürlichen, pharmakologisch hoch wirksamen Sekundärmetaboliten der Mikroorganismen, Pflanzen oder Tiere ab.

Modul 6

Modul 5

TE

ER DH KR KR AT ACP KS AT ACP KS AT ACP KS AT ACP KS AT S O

S

S

S

KR ACP KS AT

KR KR ACP KS AT ACP TE

S O

S

O

S

O

O

O

O

O

HO

HO

O

HO

HO

HO

HO

O

HO

HO

O

mMCoA

HO

HO

O

HO

HO

OH O

mMCoA

mMCoA

HO

O

OH OH

DEBS

mMCoA

mMCoA

HO mMCoA

Abb. 9.37 Die ersten Schritte der Erythromycinbiosynthese durch eine modular aufgebaute Typ-I-Polyketid-Synthase. Das Zwischenprodukt ist Desoxyerythronolid B (DEBS). ACP, Acyl-Carrier-Protein, mMCoA, Methylmalonyl-CoA. AT, Acyl-Transferase, KS, beta-Ketoacyl-Synthase, KR, Ketoreduktase, DH, Dehydratase, EH, Enoyl-Hydratase, TE Thioesterase. (modifiziert nach Hertweck, Angewandte Chemie International Edition 48 (2009):4688)

5

Biosynthesen

9.10.2 Beispiele für Sekundärmetabolite ▶ Polyketide. Als Polyketide bezeichnet man eine große Gruppe von Naturstoffen, die hauptsächlich von Bakterien und Pilzen aber auch von Pflanzen und einigen Tieren synthetisiert werden. Zahlreiche wichtige Medikamente sind Polyketide, darunter Antibiotika wie die Tetrazykline, Erythromycin (Macrolid) und Amphotericin (Polyen), aber auch Toxine wie die Aflatoxine (S. 699) sowie Krebsmedikamente und Antiparasitenmittel. Ihre chemischen Strukturen und pharmakologischen Eigenschaften sind so vielfältig und verschiedenartig, dass man hinter ihrer Biosynthese nicht ohne weiteres ein gemeinsames Prinzip vermuten würde. Ihre Biosynthese über den sogenannten Polyketidweg ist verblüffend einfach (▶ Abb. 9.37). Ausgangsverbindungen für die Synthese sind Coenzym-A-aktivierte Säuren, zumeist Acetyl-CoA oder aktivierte Dicarbonsäuren wie Malonyl-CoA oder Methylmalonyl-CoA (Starter- und Verlängerungseinheiten). Sie werden durch Polyketid-Synthasen schrittweise zu β-Ketoacyl-CoA-Verbindungen aufgebaut und dann weiter modifiziert. Für jede Verlängerung wird eine aktivierte Dicarbonsäure gebraucht; deren Decarboxylierung treibt die C-C-Verknüpfung vorwärts. Dabei dient ein Acyl-Carrier-Protein (ACP) mit seinem 4’-Phosphopantetheinrest als Trägerdomäne. Acyltransferasen übertragen die Acyleinheiten auf die ACP-Moleküle. Je nach Anzahl der Verlängerungsschritte, die während der Synthese durchlaufen werden, werden Tetraketide (vier), Pentaketide (fünf) usw. gebildet. Diese schrittweise Kettenverlängerung ähnelt der Fettsäuresynthese. Allerdings findet nur selten eine Reduktion zu einer aliphatischen Kette statt. Vielmehr kann die β-Position (–C = O-Gruppe) jedes Acylbausteins nach seiner Verknüpfung durch die Ketosynthasen in einer der Reduktionsstufen verharren, die sonst zur Fettsäure führen würden: Polyketide können daher an diesen Positionen Ketogruppen (–C = O–; keine weitere Reaktion), Hydroxylgruppen (–CHOH–; entstehen durch eine Ketoreduktase), Doppelbindungen (–CH = CH–; entstehen durch eine Dehydratase) oder Einfachbindungen (–CH2–CH2–; Umwandlung der Doppel- in Einfachbindung durch die Enoylreduktase) enthalten. Die Termination erfolgt zumeist durch Abspaltung des fertigen Produkts mithilfe einer Thioesterase. Die Katalyse durch TypI-Polyketid-Synthasen entspricht dem Modell einer Fertigungsstraße (s. o.). Bei Typ-II-Polyketid-Synthasen handelt es sich um Komplexe aus mehreren monofunktionalen Enzymen, die große Ähnlichkeit mit den Fettsäuresynthasen von Bakterien und Pflanzen aufweisen. ▶ Nichtribosomal synthetisierte Peptide. Eine große Zahl von Sekundärmetaboliten sind Polypeptidderivate, die als Toxine (Microcystine), Pigmente (Indigoidin), Siderophore (Enterobactin), Antibiotika (Bacitracin, Vanco-

326

mycin), Zytostatika (Bleomycin) und Immunsuppressiva (Cyclosporin A) große Bedeutung haben. Sie werden mithilfe von Proteinmatrizen und nicht durch Ribosomen (also nicht mit einer mRNA-Matrize) synthetisiert. Typisch für diese Verbindungen sind modifizierte Aminosäuren oder auch D-Aminosäuren, an denen man ihren nichtribosomalen Ursprung erkennt. Nichtribosomale PeptidSynthasen katalysieren nicht nur die Verknüpfung der Aminosäureneinheiten, sondern auch deren vielfältige Modifikation (▶ Abb. 9.38). Die Aminosäuren werden mithilfe von ATP über sogenannte Adenylierungsdomänen als Aminoacylphosphorsäureanhydrid aktiviert und

Cl

OH H2 N

H2N

H 2N

O

O S

CepA

H 2N OH S

A PCP K

S

A PCP E

Leu

O

O

K

Tyr

A PCP Asn Cl

H2N

H2N

H2 N

OH

OH

O

K

O

O S

CepB

OH

S

A PCP E

K

Hpg

S

A PCP E

K

A PCP

Hpg Cl

OH

Tyr

OH

H 2N O

OH S

CepC

K

A PCP TE Tyr Cl

OH

HO

OH

Cl

HO HO O

O

H N O

N H

O

H N O

N H

OH O

H N O

N H

H N

O HO

NH2

OH OH

Vancomycin (lineares Heptapeptid) Abb. 9.38 Die Verlängerung des Vancomycinheptapeptids durch eine nichtribosomale Peptid-Synthase. Der Enzymkomplex enthält sieben Module für die Peptidverlängerung. A, Adenylierung; K, Kondensation; E, Epimerisierung (zwischen L- und D-Isomer); PCP, Peptid-Carrier-Protein; TE, terminale Thioesterase. CepABC sind die drei Untereinheiten der Synthase. Hpg ist ein gebundener Hydroxyphenylglycinrest. (modifiziert nach Walsh, 2003. Antibiotics: Actions, Origins, Resistance. ASM Press)

9.11 Synthesen von komplexen Zellstrukturen analog zur den Vorgängen bei der Polyketidsynthese auf einen 4’-Phosphopantetheinarm eines Peptidyl-CarrierProteins übertragen. Es entsteht der Thioester der Aminosäure an dem Trägerarm. Jedes Modul lädt auf diese Art seine spezifische Aminosäure. Dann erfolgt die schrittweise Verknüpfung (Peptidbindung) durch sogenannte Kondensationsdomänen und eventuell eine Modifikation des Zwischenprodukts. Eine Thioesterase setzt das Produkt frei und beendet den Prozess. Die Synthese von β-Lactamen ist ein Beispiel für eine nichtribosomale Peptidsynthese im kleinen Maßstab. Alle natürlichen Penicilline und Cephalosporine werden ausgehend von den drei Aminosäuren L-α-Aminoadipinsäure (A), L-Cystein (C) und L-Valin (V) synthetisiert. Die Grundbausteine werden in dieser Reihenfolge von einer einzigen Synthetase zum linearen ACV-Tripeptid verknüpft und dann zum bizyklischen Isopenicillin zyklisiert. Von hier zweigen die Biosynthesewege zum Penicillin und Cephalosporin ab. ▶ Isoprenoide. Ihre Biosynthese ist grundverschieden von derjenigen der Polyketide und nichtribosomalen Peptide. Vom Isopren lassen sich formal viele Naturstoffe ableiten, die zu den isoprenoiden Naturstoffen zusammengefasst werden (biogenetische Isoprenregel). Ein Beispiel für diese Naturstoffe sind die Steroide, Carotinoide, Terpene und Terpenoide (Terpene mit funktionellen Gruppen). Der direkte Vorläufer und Ausgangspunkt der Biosynthese ist jedoch nicht wie in der Chemie das Isopren, sondern das aktivierte Isopentenyldiphosphat (S. 322) und dessen Isomer Dimethylallyldiphosphat. Je nachdem, wie viele Isopreneinheiten (C5) verknüpft werden, erhält man C10- (Terpene), C15- (Sesquiterpene), C20- (Diterpene) bis zu C55-Verbindungen (Bactoprenol). Durch teilweise oder vollständige Reduktion der Doppelbindungen, Zyklisierung bis zum Aromaten und andere Schritte erhält man eine ungeheuer große Zahl von biosynthetisch verwandten Naturstoffen mit unterschiedlichsten Strukturen und biologischen Eigenschaften. ▶ Sonstige. Weitere Sekundärmetabolite entstehen durch Kondensation (glykosidische Bindung) von Kohlehydrateinheiten (häufig Aminozucker und Aminocyclitoleinheiten; Aminoglykoside, z. B. Streptomycin). Sie können aber auch durch Modifikation eines Moleküls aus dem Primärstoffwechsel (Chloramphenicol aus dem Aromatenstoffwechsel) oder eventuell durch Kondensation solcher Moleküle gebildet werden. Eine kleine Gruppe von Antibiotika (z. B. der Konservierungsstoff Nisin) wird über die ribosomale Peptidsynthese gebildet und anschließend stark modifiziert; dabei entsteht auch die charakteristische Aminosäure Lanthionin (Lantibiotika).

9.11 Synthesen von komplexen Zellstrukturen 9.11.1 Synthese von Zellwandkomponenten an der Membran Verschiedene extrazelluläre komplexe Verbindungen werden aus aktivierten Bausteinen an der Cytoplasmamembran synthetisiert. Dazu zählen die Zellwände der Pilze, Hefen, Bacteria und Archaea, aber auch die Kapselsubstanzen von Bakterien. An dieser Stelle wird nur die Synthese des Mureins (ein Peptidoglykan) aus der Zellwand der Bacteria besprochen (Struktur s. ▶ Abb. 5.7). Ein Problem bei dieser Synthese ist das Fehlen von ATP außerhalb der Zelle, wo die neuen Bindungen geknüpft werden. Die Zuckerbausteine werden als lösliche, UDPaktivierte Zucker auf der Cytoplasmaseite angeliefert. Anschließend werden sie von dem Trägermolekül Undecaprenolphosphat in einer aktivierten Form als Disaccharid durch die Membran geschleust, sodass sie an der Membranaußenseite durch Transglykosylierung neue Bindungen mit der wachsenden Zellwand eingehen können (▶ Abb. 9.39). Dabei wird die glykosidische Bindung zum Trägermolekül gelöst und gleichzeitig mit der freien OH-Gruppe eines anderen trägergebundenen Zuckers eine neue glykosidische Bindung hergestellt. Auf diese Weise wird ein Strang um zwei Zuckereinheiten verlängert. Bei der Verknüpfung von Aminosäuren der Seitenketten des Mureins wird die Peptidbindung im D-Ala-D-AlaTeil eines Peptidrests aufgegeben und durch Transpeptidierung gleichzeitig eine neue Peptidbindung mit der freien Aminogruppe eines benachbarten Peptidoglykanstranges eingegangen. So kommt es zur Vernetzung der Stränge. Die Transpeptidasen nennt man „Penicillinbindeproteine“. Sie binden kovalent radioaktiv markiertes Penicillin, woran man sie erkennen kann. Die Biosynthese des Mureins ist komplex und Einzelheiten werden in Plus 9.14 besprochen.

1 55

9 C55 Undekaprenylphosphat

O

P

2

UDP-Zucker UMP

O 55

P

P

Zucker

9

Abb. 9.39 Beladung von Undecaprenol mit einem UDPZucker. Bei Dolicholphosphat, das die Rolle bei der Synthese von extrazellulären Glykoproteinen übernimmt, ist die rot gezeichnete Doppelbindung reduziert.

7

9.11 Synthesen von komplexen Zellstrukturen analog zur den Vorgängen bei der Polyketidsynthese auf einen 4’-Phosphopantetheinarm eines Peptidyl-CarrierProteins übertragen. Es entsteht der Thioester der Aminosäure an dem Trägerarm. Jedes Modul lädt auf diese Art seine spezifische Aminosäure. Dann erfolgt die schrittweise Verknüpfung (Peptidbindung) durch sogenannte Kondensationsdomänen und eventuell eine Modifikation des Zwischenprodukts. Eine Thioesterase setzt das Produkt frei und beendet den Prozess. Die Synthese von β-Lactamen ist ein Beispiel für eine nichtribosomale Peptidsynthese im kleinen Maßstab. Alle natürlichen Penicilline und Cephalosporine werden ausgehend von den drei Aminosäuren L-α-Aminoadipinsäure (A), L-Cystein (C) und L-Valin (V) synthetisiert. Die Grundbausteine werden in dieser Reihenfolge von einer einzigen Synthetase zum linearen ACV-Tripeptid verknüpft und dann zum bizyklischen Isopenicillin zyklisiert. Von hier zweigen die Biosynthesewege zum Penicillin und Cephalosporin ab. ▶ Isoprenoide. Ihre Biosynthese ist grundverschieden von derjenigen der Polyketide und nichtribosomalen Peptide. Vom Isopren lassen sich formal viele Naturstoffe ableiten, die zu den isoprenoiden Naturstoffen zusammengefasst werden (biogenetische Isoprenregel). Ein Beispiel für diese Naturstoffe sind die Steroide, Carotinoide, Terpene und Terpenoide (Terpene mit funktionellen Gruppen). Der direkte Vorläufer und Ausgangspunkt der Biosynthese ist jedoch nicht wie in der Chemie das Isopren, sondern das aktivierte Isopentenyldiphosphat (S. 322) und dessen Isomer Dimethylallyldiphosphat. Je nachdem, wie viele Isopreneinheiten (C5) verknüpft werden, erhält man C10- (Terpene), C15- (Sesquiterpene), C20- (Diterpene) bis zu C55-Verbindungen (Bactoprenol). Durch teilweise oder vollständige Reduktion der Doppelbindungen, Zyklisierung bis zum Aromaten und andere Schritte erhält man eine ungeheuer große Zahl von biosynthetisch verwandten Naturstoffen mit unterschiedlichsten Strukturen und biologischen Eigenschaften. ▶ Sonstige. Weitere Sekundärmetabolite entstehen durch Kondensation (glykosidische Bindung) von Kohlehydrateinheiten (häufig Aminozucker und Aminocyclitoleinheiten; Aminoglykoside, z. B. Streptomycin). Sie können aber auch durch Modifikation eines Moleküls aus dem Primärstoffwechsel (Chloramphenicol aus dem Aromatenstoffwechsel) oder eventuell durch Kondensation solcher Moleküle gebildet werden. Eine kleine Gruppe von Antibiotika (z. B. der Konservierungsstoff Nisin) wird über die ribosomale Peptidsynthese gebildet und anschließend stark modifiziert; dabei entsteht auch die charakteristische Aminosäure Lanthionin (Lantibiotika).

9.11 Synthesen von komplexen Zellstrukturen 9.11.1 Synthese von Zellwandkomponenten an der Membran Verschiedene extrazelluläre komplexe Verbindungen werden aus aktivierten Bausteinen an der Cytoplasmamembran synthetisiert. Dazu zählen die Zellwände der Pilze, Hefen, Bacteria und Archaea, aber auch die Kapselsubstanzen von Bakterien. An dieser Stelle wird nur die Synthese des Mureins (ein Peptidoglykan) aus der Zellwand der Bacteria besprochen (Struktur s. ▶ Abb. 5.7). Ein Problem bei dieser Synthese ist das Fehlen von ATP außerhalb der Zelle, wo die neuen Bindungen geknüpft werden. Die Zuckerbausteine werden als lösliche, UDPaktivierte Zucker auf der Cytoplasmaseite angeliefert. Anschließend werden sie von dem Trägermolekül Undecaprenolphosphat in einer aktivierten Form als Disaccharid durch die Membran geschleust, sodass sie an der Membranaußenseite durch Transglykosylierung neue Bindungen mit der wachsenden Zellwand eingehen können (▶ Abb. 9.39). Dabei wird die glykosidische Bindung zum Trägermolekül gelöst und gleichzeitig mit der freien OH-Gruppe eines anderen trägergebundenen Zuckers eine neue glykosidische Bindung hergestellt. Auf diese Weise wird ein Strang um zwei Zuckereinheiten verlängert. Bei der Verknüpfung von Aminosäuren der Seitenketten des Mureins wird die Peptidbindung im D-Ala-D-AlaTeil eines Peptidrests aufgegeben und durch Transpeptidierung gleichzeitig eine neue Peptidbindung mit der freien Aminogruppe eines benachbarten Peptidoglykanstranges eingegangen. So kommt es zur Vernetzung der Stränge. Die Transpeptidasen nennt man „Penicillinbindeproteine“. Sie binden kovalent radioaktiv markiertes Penicillin, woran man sie erkennen kann. Die Biosynthese des Mureins ist komplex und Einzelheiten werden in Plus 9.14 besprochen.

1 55

9 C55 Undekaprenylphosphat

O

P

2

UDP-Zucker UMP

O 55

P

P

Zucker

9

Abb. 9.39 Beladung von Undecaprenol mit einem UDPZucker. Bei Dolicholphosphat, das die Rolle bei der Synthese von extrazellulären Glykoproteinen übernimmt, ist die rot gezeichnete Doppelbindung reduziert.

7

Biosynthesen

●V

Plus 9.14 Die Biosynthese des Mureins Die aktivierten cytoplasmatischen Bausteine des Mureins sind UDP-N-Acetylglucosamin und UDP-N-Acetylmuraminsäurepentapeptid. Bei der Übertragung auf den Träger Undecaprenol(Bactoprenol)phosphat bleibt die C 1-Phosphatbindung erhalten, da vom UDP-Rest UMP abgespalten wird. Das UDP-N-Acetylmuraminsäurepentapeptid besteht aus UDP-N-Acetylglucosamin, dessen C 3-OH-Gruppe mit der aktivierten OH-Gruppe des Phosphoenolpyruvats eine Etherbindung eingeht. Nach Reduktion der Doppelbindung entsteht der UDP-aktivierte Milchsäureether N-Acetylmuraminsäure (die charakteristische Verbindung der eubakteriellen Zellwände). Anschließend werden mit der freien Carboxylgruppe der Milchsäure schrittweise und in ATP-abhängigen Schritten D- und L-Aminosäuren verknüpft. Die letzten beiden Aminosäuren der Pentapeptidseitenkette sind D-Ala-D-Ala, die als Dipeptid eingebaut werden (▶ Abb. 9.40 unten Mitte). Es erfolgt die Übertragung auf das Trägermolekül Undecaprenolphosphat (Lipid I) und die N-Acetylglucosamineinheit wird glykosidisch an das C 4 gebunden (Lipid II). Die beiden Zuckerbausteine werden durch enzymkatalysiertes Umklappen des Trägers (Lipid II) über die Cytoplasmamembran nach außen geschleust. Dort wird die neu ankommenG

Akzeptor

M

2

de Disaccharideinheit durch eine Transglykosidase mit einem vorhandenen Mureinstrang verknüpft, wodurch der Strang verlängert wird (Transglykosylierung). Die Mureinstränge werden dann durch Transpeptidasen miteinander quervernetzt. Dabei wird der letzte D-Ala-Rest von einer Pentapeptidkette eines Mureinstranges (Donatorpeptid) abgespalten und gleichzeitig mit der freien Aminogruppe der Diaminosäure in der Pentapeptidkette eines anderen Stranges (Akzeptorpeptid) eine neue Bindung geknüpft (Transpeptidierung) (s. Peptidoglykanstruktur ▶ Abb. 5.7). Die Wirkungsweise von zellwandaktiven Antibiotika wurde in Plus 5.11 (S. 174) besprochen. Außerdem werden die Peptide durch Peptidasen verkürzt, die Brücken können mithilfe von Endopeptidasen gespalten und die glykosidischen Bindungen durch Glykosidasen auch wieder gelöst werden. Diese und andere lytische Enzyme des Periplasmas (Peptidoglykan-Hydrolasen = Autolysine) sind wichtig für das Wachstum, denn die Zellwand wirkt wie ein starrer Panzer. Die Aktivität der Autolysine wird entsprechend reguliert, um die Lyse der Zelle zu verhindern. Cytoskelettproteine (S. 155) und Enzyme der Zellwandsynthese bilden große Komplexe, die die Ausbildung der spezifischen Zellform bestimmen

Abb. 9.40 Synthese von Murein. ① Transglykosylierung (Glykanverlängerung); ② Transpeptidierung (Quervernetzung). Die Aminosäuren der Pentapeptidketten sind als grüne Kreise dargestellt. M, N-Acetylmuraminsäure; G, N-Acetylglucosamin.

G M G

G

M

M

P P

1

P

Peptidoglykan

P

P

P

UDP

P Undecaprenol– PP

P

G

M UDP

UDP

328

M

P M

G

P

P

UMP

9.11 Synthesen von komplexen Zellstrukturen

●V

Plus 9.15 Biosynthese von FeS-Proteinen und Reifung von anderen komplexen Proteinen Der Aufbau von FeS-Proteinen erfolgt nicht spontan aus den Elementen, sondern erfordert komplexe Reifungsproteine. Entsprechendes gilt für den Aufbau anderer Proteine, die Cofaktoren (z. B. Häm) enthalten, wie periplasmatisches Cytochrom c. Es gibt mehrere Systeme (NIF = nitrogen fixation, SUF = sulfur mobilization, ISC = iron-sulfur cluster) für die Reifung von FeS-Proteinen, die gemeinsamen Prinzipien folgen. Zuerst wird der FeS-Cluster an einem Gerüstprotein aufgebaut und dann auf das eigentliche Apoprotein übertragen (▶ Abb. 9.41). Der Schwefeldonator ist Cystein. Eine Desulfurase entfernt den Schwefel und es entsteht Alanin (①). Der Schwefel wird auf eine SH-Gruppe der Desulfurase übertragen und bildet ein reaktives Persulfid. Der Schwefel im Persulfid wird mit Elektronen, die durch Ferredoxin(-domänen) über-

tragen werden, auf die Stufe von S2– reduziert (②). Gerüstproteine dienen als Syntheseplattform des FeS-Clusters. Das Fe2 + dazu wird von einem Eisendonator geliefert (③) und die Desulfurase gibt den reduzierten Schwefel an das Gerüst ab (④). Schließlich sorgen Clustertransferproteine für die Übertragung des vorgefertigten Clusters auf das Zielprotein (Apoprotein) und den Einbau (⑤). In vitro gelingt der Einbau sogar ohne diese Proteine! Komplexe FeS-Zentren, wie man sie in Nitrogenasen und Hydrogenasen findet, enthalten zusätzliche Metallionen wie Mo oder Ni und sogar zusätzliche Liganden wie Homocitrat (Nitrogenasen), CO oder CN– (Hydrogenasen). CO wird in der Regel aus dem C 1 von Tyrosin gebildet, Cyanid aus dem C 2 von Tyrosin oder aus Carbamoylphosphat. Ihre Bereitstellung und ihr Einbau erfordern weitere Hilfsenzyme.

Fe2+ 1

4 3

Desulfurase Cys

Ala

Gerüst

SSH e–

2

Abb. 9.41 Biosynthese von FeS-Proteinen. Erklärung siehe Text.

5 Transferprotein

Apo

Die neuen Bindungen außerhalb der Zelle können auch wieder gelöst werden; die Reaktionen sind vollkommen reversibel, da die neuen Glykosid- und Peptidbindungen energetisch gleichwertig mit den aufgegebenen Bindungen sind. Was treibt dann die Synthese an? Nach der Übertragung der Zuckerkette vom Trägermolekül bleibt Undecaprenolpyrophosphat übrig. Von diesem Moleküle wird ein Phosphatrest abgespalten, das entstandene Undecaprenolphosphat klappt wieder auf die cytoplasmatische Seite der Membran zurück und ein neuer Synthesezyklus beginnt (▶ Abb. 9.40, Plus 9.14). Die irreversible Phosphatabspaltung treibt also den ganzen Prozess in die Vorwärtsrichtung. Das Wachstum der Zellwand erfordert ein Wechselspiel zwischen Enzymen, welche neue Bindungen herstellen, bevor andere Enzyme bestehende Verbindungen zwischen den alten Strängen lösen. Für das Recycling der Zellwandkomponenten sorgen verschiedene Enzyme. Da die Zellwandsynthese eine typische bakterielle Stoffwechselleistung ist, ist deren Hemmung von großer medizinischer Bedeutung (Plus 5.11) (S. 174). Für alle Schritte der Mureinbiosynthese kennt man spezifische Hemmstoffe, die als Antibiotika wertvoll sind. Da die bakterielle Zellwand einzigartig ist, wirken die Antibiotika gezielt auf Vertreter der Bacteria (nicht der Archaea!). Weniger komplex ist die Synthese von Lipopolysacchariden, Teichonsäuren und extrazellulären Polysacchariden, deren Synthese hier nicht besprochen wird.

Holo FeS-Proteine

9.11.2 Zusammenbau komplexer Strukturen Mit der Biosynthese der Makromoleküle ist die Zellfabrik noch nicht am Ziel. Viele Proteine werden posttranslational verändert; komplexe Metallzentren mit ihren Liganden müssen eingebaut werden (Plus 9.15). Als Beispiel soll hier der Zusammenbau der Flagelle besprochen werden (▶ Abb. 9.42). Der ganze Prozess ist so wunderbar effizient, dass Kreationisten ihn als Argument für ihre Weltanschauung des intelligenten Designs anführen. Die Flagelle ist eine komplexe, supramolekulare Nanomaschine, deren Synthese und Funktion mehr als 50 Gene benötigt. Die drei Bauelemente – Basalapparat mit Motor und Schaft (ähnlich dem Typ-III-Injektisom), der flexible Haken und das starre Filament – werden in dieser Reihenfolge Schritt für Schritt von innen nach außen synthetisiert. Der Zusammenbau jeder Komponente beruht auf der Synthese des vorher synthetisierten Bestandteils. Die zeitliche Reihenfolge der Expression der beteiligten Gene ist auf die Reihenfolge der Biosyntheseschritte abgestimmt. Die Exportmaschinerie für die äußeren Hakenund Filamentkomponenten ist ein flagellenspezifischer, schnell arbeitender Typ-III-Proteinexportapparat; er wird in den basalen MS-Ring eingelagert und bleibt dort bestehen. Die cytoplasmatischen Flagellenproteine werden

9

Biosynthesen

FliD FlgKL FlgDE

FlgH

FliC

L-Ring äußere Membran

FliF

FlgG FlgBCF

MS-Ring

FlgI

Peptidoglykanschicht

P-Ring

innere Membran

C-Ring FliGMN

FlgJ FlhAB FliEJOPQR

FlgBCFG

FlgA SecYEG

FlgDEKL

FliCD

+ Motorproteine MotAB

Abb. 9.42 Vereinfachte Darstellung des Zusammenbaus einer Flagelle von E. coli. Ähnlich komplexe Prozesse sind für die Synthese der Pili und Sekretionssysteme notwendig. FliF wird über den Sec-Weg (S. 344) mithilfe von ATP und Chaperonen in die Cytoplasmamembran eingefügt und bildet den MS-Ring. Das Zufügen von einem Dutzend weiterer Proteine bildet den Typ III-Sekretionsapparat. Die bisher erreichte Struktur wird als Basalkörper bezeichnet. Dieser ermöglicht zuerst den Transport der Proteine, welche den zentralen Schaft bilden. Zwei weitere Proteine folgen über den Sec-Weg und bilden den P- und den L-Ring. Darauf gelangen die Hakenproteine über den komplexen Basalkörper mit Schaft nach außen und bilden den Haken, der schließlich von zwei Proteinen eine Kappe erhält. Dann folgt das Protein, an das sich die Filamentproteine FliC jeweils am Ende zu einem wendelförmigen Faden anlagern können; dieser wird nach Erreichen der gewünschten Länge von einer Kappe verschlossen. Basalkörper, Schaft, Haken und Filament bilden vermutlich einen Kanal. Die komplexen Regelprozesse sind nicht dargestellt. (nach Lee & Schneewind, Genes & Dev. 15 (2001):1725)

mithilfe von Chaperonen zum Exportapparat geleitet und durch eine ATPase in den Kanal hinein geschoben. Sie diffundieren dann über den engen Kanal der wachsenden Struktur hindurch und fügen sich an ihrem äußeren Ende unterstützt von Kappenproteinen von selbst zusammen.

330

Die energetische Kopplung der einzelnen Schritte, und die Art und Weise, wie der Exportapparat die Reihenfolge und Menge der benötigten Proteine erkennt, ist noch unklar.

9.11 Synthesen von komplexen Zellstrukturen

Zusammenfassung ●





Mikroorganismen können meist alle Bausteine für Makromoleküle und auch die Coenzyme und Cofaktoren selbst herstellen (prototroph). Sind fertige Bausteine oder Vitamine im Medium vorhanden, werden sie in die Zelle transportiert und reprimieren die Transkription der Gene für ihre Synthese. Bakterien, die an komplexe Nahrungsquellen angepasst sind, haben häufig die Gene für einige Biosynthesewege verloren, sie sind auxotroph. Die meisten Bakterien können die Elemente N, S, P und die Spurenelemente aus anorganischen Quellen assimilieren. Deren wichtigste natürliche Quellen sind Nitrat, Sulfat, Phosphat und Fe(III). Solche Ionen müssen in die Zelle transportiert werden. Nitrat und Sulfat werden zu NH3 bzw. H2S reduziert. Die Überträger des Stickstoffs bei der Biosynthese von Zellbausteinen sind vor allem Glutamat und Glutamin, der Überträger des Phosphors ist ATP, der Überträger des Schwefels ist Cystein. Nur Prokaryonten können mithilfe des Enzyms Nitrogenase den molekularen Stickstoff der Luft zu NH3 reduzieren. Für Synthesen muss die Zelle auch C1-Einheiten, Energie, Reduktionsmittel und Oxidationsmittel bereitstellen. C1Einheiten stammen aus Serin und werden über Tetrahydrofolsäure übertragen. Die Energiequelle ist ATP. Das Reduktionsmittel ist NADPH, das in wenigen Reaktionen des Intermediärstoffwechsels regeneriert wird. Das Oxidationsmittel ist NAD+, das in der Atmung regeneriert wird.











M ●

Bakterien verwenden verschiedene Mechanismen, um autotroph CO2 zu fixieren. Der wichtigste autotrophe CO2-Fixierungsweg ist der Calvin-Benson-Zyklus. Methylotrophe Bakterien und Hefen können mit C1-Verbindungen wie Methan oder Methanol wachsen. Sie assimilieren Formaldehyd in Zellmaterial. Die Hälfte des assimilierten Kohlenstoffs und mehr als die Hälfte des Stickstoffs geht ein in die 20 L-Aminosäuren der Proteine. Die meisten Aminosäuren leiten sich von einer gemeinsamen Aminosäurevorstufe ab; man ordnet sie nach ihrer Herkunft in fünf Familien: Glutamatfamilie, Aspartatfamilie, Pyruvatfamilie, Serinfamilie und die Aromatenfamilie. Die wichtigsten Bausteine für Lipide, Nukleinsäuren, Zellwände und Speicherstoffe stammen ebenfalls aus etwa einem Dutzend zentralen Stoffwechselintermediaten. Speicherstoffe werden in Zeiten des Überflusses angelegt und in Notzeiten wieder mobilisiert. Sekundärmetabolite benötigen spezielle Biosynthesewege. Sie sind in Laborkultur nicht lebenswichtig, wohl aber für das Leben und Überleben in der Natur. Darunter befinden sich viele pharmazeutische Wirkstoffe und Toxine. Sekundärmetabolite werden aus einfachen Metaboliten oder Bausteinen meist in einer Art molekularer Fertigungsstraße in Modulbauweise aufgebaut. Für den Zusammenbau komplexer Strukturen wie Murein und andere bakterielle Polymere, die komplex aufgebauten Proteine und die Strukturen aus mehreren Proteinen wie die Flagelle benötigt die Zelle zusätzliche hoch komplexe Syntheseapparate.

Literatur zum Weiterlesen unter: www.thieme.de/literatur-fuchs

1

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Kapitel 10 Transport durch die Cytoplasmamembran

10.1

Überblick

334

10.2

Grundlagen des Transports

334

10.3

Transportmechanismen und Transportsysteme

335

10.4

Weitere Aspekte der Transportsysteme

341

10.5

Resistenz durch proteinvermittelten Export

343

10.6

Translokationssysteme für den Proteinexport

344

10.7

Aufnahme von DNA

350

Transport durch die Cytoplasmamembran

10 Transport durch die Cytoplasmamembran Erwin Schneider

10.1 Überblick Die Cytoplasmamembran grenzt das Cytoplasma vom umgebenden, wässrigen Milieu ab und sorgt so im Zellinneren für konstante Bedingungen. Es entsteht ein abgeschlossenes Kompartiment, welches den enzymkatalysierten Ablauf chemischer Reaktionen unter definierten Bedingungen erlaubt. Somit fungiert die Membran als Permeabilitätsbarriere für gelöste chemische Verbindungen. Der Stoffaustausch mit der Umwelt wird durch spezielle, in die Membran integrierte Transportproteine vermittelt. Diese Proteine koppeln den Transport ihrer Substrate an den Verbrauch von Zellenergie, wodurch ein Import oder Export auch gegen ein Konzentrationsgefälle möglich wird. Man unterscheidet primär und sekundär aktive Transportproteine, je nachdem ob ATP oder ein elektrochemischer Ionengradient über der Membran als Energiequelle dienen. Daneben gibt es Gruppentranslokation, wobei das Substrat während des Transports chemisch modifiziert wird. Diffusionskontrollierte Transporter sind in der Cytoplasmamembran, anders als in der äußeren Membran gramnegativer Bakterien, die Ausnahme. Hoch spezifische Transportsysteme wurden für die Aufnahme von Nährstoffen entwickelt, während spezielle Exportproteine der Zelle Resistenz gegenüber Antibiotika und antibakteriell wirksamen Chemikalien verleihen. Die Cytoplasmamembran muss auch von zahlreichen Proteinen überwunden werden, deren Wirkort das Periplasma, die äußere Membran oder das umgebende Medium ist. Hierfür stehen zwei Proteintransportkomplexe zur Verfügung, die ihre Substrate entweder ungefaltet (Sec-System) oder in gefaltetem Zustand (Tat-System) auf die Außenseite der Membran geleiten. Pathogene gramnegative Bakterien verfügen darüber hinaus über spezielle Sekretionssysteme, mit deren Hilfe sie Effektorproteine zur Manipulation ihrer Wirtszellen ausscheiden. Einige dieser Proteinkomplexe zeigen Ähnlichkeiten zu Aufnahmesystemen für DNA in den Prozessen der Konjugation und Transformation sowie zur bakteriellen Flagelle. Schließlich nimmt die Cytoplasmamembran aufgrund der Aktivitäten der in ihr verankerten Proteine vielfältige Stoffwechselfunktionen wahr: Sie dient als Ort der Energiegewinnung in den Prozessen der Atmung (S. 258) und Photosynthese (S. 466), der Synthese von Zellwandbestandteilen (S. 294), der Verankerung von Flagellen (S. 164), der Rezeption von Reizen, die Taxis und Differenzierung auslösen, und der Genregulation (S. 495).

334

10.2 Grundlagen des Transports 10.2.1 Passiver Transport durch Diffusion Neben apolaren Verbindungen (z. B. undissoziierte Fettsäuren) können nur wenige kleine, polare Substanzen, darunter vor allem Wasser, aber auch Ethanol, Glycerin und Harnstoff sowie die meisten Gase (z. B. O2, NH3, H2, CO2) das hydrophobe Innere einer biologischen Membran durch Diffusion frei passieren. Die Membran ist für größere polare Substanzen wie Glucose sowie Ionen praktisch impermeabel. Die Transportrate einer Verbindung wird dabei von der Konzentrationsdifferenz der Substanz über der Membran bestimmt (▶ Tab. 10.1, Plus 10.1). Die Substanz wird allerdings nur langsam aufgenommen und nicht in der Zelle angereichert. Solche Prozesse werden auch als passiver Transport bezeichnet.

10.2.2 Passiver Transport durch Kanalproteine Der Transport von gelösten Stoffen durch die unspezifischen (Kanal-)Porine der äußeren Membran in das Periplasma gramnegativer Bakterien erfolgt ebenfalls durch Diffusion in Richtung des Konzentrationsgefälles. Darüber hinaus enthält die Cytoplasmamembran zahlreicher Bakterien sogenannte Kanalproteine, die zur Aufrechterhaltung des Turgordrucks der Zelle (S. 520) Wasser transportieren (Aquaporine) oder, bei hypoosmotischem Schock, im Cytoplasma gelöste Stoffe wie Kaliumionen, einige Aminosäuren oder Zucker (engl. compatible solutes) (S. 521) entlang des Konzentrationsgradienten aus der Zelle entlassen (mechanosensitive Kanäle, Msc). Tab. 10.1 Vergleich der Transportraten für gelöste Stoffe durch die Cytoplasmamembran nach dem Prinzip der Diffusion oder mithilfe von Transportproteinen. Substanz

Transportrate [μmol min–1 (g Trockengewicht Zellen)–1] durch Diffusion bei einer Konzentrationsdifferenz von

durch Transportproteine

10 μM

10 mM

(Vmax)

K+

0,00 002

0,02

100

Glucose

0,001

1

50

Phenylalanin

0,08

80

1

Harnstoff

0,04

40

5

Transport durch die Cytoplasmamembran

10 Transport durch die Cytoplasmamembran Erwin Schneider

10.1 Überblick Die Cytoplasmamembran grenzt das Cytoplasma vom umgebenden, wässrigen Milieu ab und sorgt so im Zellinneren für konstante Bedingungen. Es entsteht ein abgeschlossenes Kompartiment, welches den enzymkatalysierten Ablauf chemischer Reaktionen unter definierten Bedingungen erlaubt. Somit fungiert die Membran als Permeabilitätsbarriere für gelöste chemische Verbindungen. Der Stoffaustausch mit der Umwelt wird durch spezielle, in die Membran integrierte Transportproteine vermittelt. Diese Proteine koppeln den Transport ihrer Substrate an den Verbrauch von Zellenergie, wodurch ein Import oder Export auch gegen ein Konzentrationsgefälle möglich wird. Man unterscheidet primär und sekundär aktive Transportproteine, je nachdem ob ATP oder ein elektrochemischer Ionengradient über der Membran als Energiequelle dienen. Daneben gibt es Gruppentranslokation, wobei das Substrat während des Transports chemisch modifiziert wird. Diffusionskontrollierte Transporter sind in der Cytoplasmamembran, anders als in der äußeren Membran gramnegativer Bakterien, die Ausnahme. Hoch spezifische Transportsysteme wurden für die Aufnahme von Nährstoffen entwickelt, während spezielle Exportproteine der Zelle Resistenz gegenüber Antibiotika und antibakteriell wirksamen Chemikalien verleihen. Die Cytoplasmamembran muss auch von zahlreichen Proteinen überwunden werden, deren Wirkort das Periplasma, die äußere Membran oder das umgebende Medium ist. Hierfür stehen zwei Proteintransportkomplexe zur Verfügung, die ihre Substrate entweder ungefaltet (Sec-System) oder in gefaltetem Zustand (Tat-System) auf die Außenseite der Membran geleiten. Pathogene gramnegative Bakterien verfügen darüber hinaus über spezielle Sekretionssysteme, mit deren Hilfe sie Effektorproteine zur Manipulation ihrer Wirtszellen ausscheiden. Einige dieser Proteinkomplexe zeigen Ähnlichkeiten zu Aufnahmesystemen für DNA in den Prozessen der Konjugation und Transformation sowie zur bakteriellen Flagelle. Schließlich nimmt die Cytoplasmamembran aufgrund der Aktivitäten der in ihr verankerten Proteine vielfältige Stoffwechselfunktionen wahr: Sie dient als Ort der Energiegewinnung in den Prozessen der Atmung (S. 258) und Photosynthese (S. 466), der Synthese von Zellwandbestandteilen (S. 294), der Verankerung von Flagellen (S. 164), der Rezeption von Reizen, die Taxis und Differenzierung auslösen, und der Genregulation (S. 495).

334

10.2 Grundlagen des Transports 10.2.1 Passiver Transport durch Diffusion Neben apolaren Verbindungen (z. B. undissoziierte Fettsäuren) können nur wenige kleine, polare Substanzen, darunter vor allem Wasser, aber auch Ethanol, Glycerin und Harnstoff sowie die meisten Gase (z. B. O2, NH3, H2, CO2) das hydrophobe Innere einer biologischen Membran durch Diffusion frei passieren. Die Membran ist für größere polare Substanzen wie Glucose sowie Ionen praktisch impermeabel. Die Transportrate einer Verbindung wird dabei von der Konzentrationsdifferenz der Substanz über der Membran bestimmt (▶ Tab. 10.1, Plus 10.1). Die Substanz wird allerdings nur langsam aufgenommen und nicht in der Zelle angereichert. Solche Prozesse werden auch als passiver Transport bezeichnet.

10.2.2 Passiver Transport durch Kanalproteine Der Transport von gelösten Stoffen durch die unspezifischen (Kanal-)Porine der äußeren Membran in das Periplasma gramnegativer Bakterien erfolgt ebenfalls durch Diffusion in Richtung des Konzentrationsgefälles. Darüber hinaus enthält die Cytoplasmamembran zahlreicher Bakterien sogenannte Kanalproteine, die zur Aufrechterhaltung des Turgordrucks der Zelle (S. 520) Wasser transportieren (Aquaporine) oder, bei hypoosmotischem Schock, im Cytoplasma gelöste Stoffe wie Kaliumionen, einige Aminosäuren oder Zucker (engl. compatible solutes) (S. 521) entlang des Konzentrationsgradienten aus der Zelle entlassen (mechanosensitive Kanäle, Msc). Tab. 10.1 Vergleich der Transportraten für gelöste Stoffe durch die Cytoplasmamembran nach dem Prinzip der Diffusion oder mithilfe von Transportproteinen. Substanz

Transportrate [μmol min–1 (g Trockengewicht Zellen)–1] durch Diffusion bei einer Konzentrationsdifferenz von

durch Transportproteine

10 μM

10 mM

(Vmax)

K+

0,00 002

0,02

100

Glucose

0,001

1

50

Phenylalanin

0,08

80

1

Harnstoff

0,04

40

5

10.3 Transportmechanismen und Transportsysteme

●V

Plus 10.1 Diffusion in Lösung und durch biologische Membranen Unter Diffusion versteht man allgemein einen Materietransport, der durch einen Konzentrationsunterschied hervorgerufen wird und letztlich zum Konzentrationsausgleich führt. Für ungeladene Verbindungen lässt sich der Diffusionsprozess in Lösung gemäß dem 1. Fickschen Gesetz beschreiben: c1  c2 V¼DA (10.1) d V = Diffusionsrate [mol s–1] D = Diffusionskoeffizient [cm2 s–1] A = Fläche, die zur Diffusion zur Verfügung steht [cm2] c1–c2 = Konzentrationsdifferenz [M] d = Schichtdicke [cm] Dabei gibt der Diffusionskoeffizient D an, wie viele Teilchen pro Zeiteinheit die Fläche A passieren. Die Diffusion von Nährstoffen aus wässriger Umgebung hin zu Bakterienzellen kann limitierend für das Wachstum sowohl einzelner Zellen als auch in Zellverbünden wie Biofilmen (S. 609) sein. Im Unterschied zur Situation in Lösung ist bei der Diffusion durch eine biologische Membran noch die Verteilung des Stoffes zwischen Membran und angrenzenden wässrigen Phasen zu berücksichtigen. Dabei unterscheiden sich die Konzentrationen innerhalb der Membran (c1′, c2′) von denen in der Wasserphase (c1, c2). Die treibende Kraft für den Transport ist der Gradient innerhalb der Membran: c1' – c2' d

Die jeweiligen Konzentrationen (c, c′) stehen über den Verteilungskoeffizienten K in Verbindung: c' K¼ (10.3) c

Unter Verwendung des Fickschen Gesetzes ergibt sich so für die Diffusion durch Membranen folgende Beziehung: c1 –c2 (10.4) d Aus praktischen Gründen wurde der Permeabilitätskoeffizient P eingeführt: D P ¼  K½cms–1  (10.5) d V ¼DAK 

Der Permeabilitätskoeffizient ist somit ein Maß dafür, mit welcher Geschwindigkeit ein Stoff durch eine Membran diffundieren kann. In Abhängigkeit von der betrachteten Membran ist P für verschiedene Stoffe unterschiedlich. So beträgt P in synthetischen, proteinfreien Membranen für Wasser ca. 2,5 × 10–3 cm s–1. Für Glucose liegt P dagegen nur noch bei bei 10–7 cm s–1, für Kaliumionen lediglich bei 10–12 cm s–1. Einige sich daraus ergebende Transport(Diffusions)raten sind in ▶ Tab. 10.1 zusammengefasst. Gleichung (10.4) lässt sich dann umformen und die Diffusionsrate V ist: V ¼ P  Aðc1 –c2 Þ

(10.6)

(10.2)

10.2.3 Aktiver Transport durch Carrier Die weitaus meisten wasserlöslichen Stoffe (z. B. Zucker, Aminosäuren, Carbonsäuren, anorganische Ionen, Vitamine) können dagegen nur mithilfe spezieller Transportproteine (auch als Carrier oder Permeasen bezeichnet) in die Zelle aufgenommen werden. Transportproteine gewährleisten die für das Zellwachstum erforderlichen hohen Aufnahmeraten. Um bei niedriger Substratkonzentration im Medium zu signifikanter Akkumulation der Substrate im Cytoplasma zu gelangen, die Verbindungen also gegen den Konzentrationsgradienten anzureichern, wird Energie aufgewendet. Aufgrund dieser Eigenschaften finden sich in der Zelle auch spezielle Transporter für solche Substrate, die prinzipiell durch Diffusion die Membran passieren können (z. B. Phenylalanin, Harnstoff oder Glycerin) (▶ Tab. 10.1). Die Wirkungsweise der meisten Transportproteine ähnelt der von Enzymen. Zu den Wechselwirkungen mit dem zu transportierenden Substrat gehören die Schritte

der Substratbindung, der Translokation und der Freisetzung des Substrats (▶ Abb. 10.1). Transportproteine setzen die Aktivierungsenergie für die transmembrane Diffusion des gelösten Substrats herab, indem sie dessen Wasserhülle durch nichtkovalente Wechselwirkungen ersetzen und eine hydrophile Pore zur Passage durch die Membran bilden. Auf solche Transportvorgänge sind die Gesetze der Enzymkinetik anwendbar. Durch Proteine vermittelte Transportprozesse folgen einer Sättigungskinetik, weisen Substratspezifität auf und sind sensitiv gegenüber Inhibitoren. Diese Kriterien gelten nicht für passiven Transport (▶ Abb. 10.2).

10.3 Transportmechanismen und Transportsysteme Im Gegensatz zu diffusionskontrollierten Prozessen erfordert der Transport von Substraten gegen ein Konzentrationsgefälle die Bereitstellung von Zellenergie. Man spricht daher auch von aktivem Transport (Plus 10.2).

5

10.3 Transportmechanismen und Transportsysteme

●V

Plus 10.1 Diffusion in Lösung und durch biologische Membranen Unter Diffusion versteht man allgemein einen Materietransport, der durch einen Konzentrationsunterschied hervorgerufen wird und letztlich zum Konzentrationsausgleich führt. Für ungeladene Verbindungen lässt sich der Diffusionsprozess in Lösung gemäß dem 1. Fickschen Gesetz beschreiben: c1  c2 V¼DA (10.1) d V = Diffusionsrate [mol s–1] D = Diffusionskoeffizient [cm2 s–1] A = Fläche, die zur Diffusion zur Verfügung steht [cm2] c1–c2 = Konzentrationsdifferenz [M] d = Schichtdicke [cm] Dabei gibt der Diffusionskoeffizient D an, wie viele Teilchen pro Zeiteinheit die Fläche A passieren. Die Diffusion von Nährstoffen aus wässriger Umgebung hin zu Bakterienzellen kann limitierend für das Wachstum sowohl einzelner Zellen als auch in Zellverbünden wie Biofilmen (S. 609) sein. Im Unterschied zur Situation in Lösung ist bei der Diffusion durch eine biologische Membran noch die Verteilung des Stoffes zwischen Membran und angrenzenden wässrigen Phasen zu berücksichtigen. Dabei unterscheiden sich die Konzentrationen innerhalb der Membran (c1′, c2′) von denen in der Wasserphase (c1, c2). Die treibende Kraft für den Transport ist der Gradient innerhalb der Membran: c1' – c2' d

Die jeweiligen Konzentrationen (c, c′) stehen über den Verteilungskoeffizienten K in Verbindung: c' K¼ (10.3) c

Unter Verwendung des Fickschen Gesetzes ergibt sich so für die Diffusion durch Membranen folgende Beziehung: c1 –c2 (10.4) d Aus praktischen Gründen wurde der Permeabilitätskoeffizient P eingeführt: D P ¼  K½cms–1  (10.5) d V ¼DAK 

Der Permeabilitätskoeffizient ist somit ein Maß dafür, mit welcher Geschwindigkeit ein Stoff durch eine Membran diffundieren kann. In Abhängigkeit von der betrachteten Membran ist P für verschiedene Stoffe unterschiedlich. So beträgt P in synthetischen, proteinfreien Membranen für Wasser ca. 2,5 × 10–3 cm s–1. Für Glucose liegt P dagegen nur noch bei bei 10–7 cm s–1, für Kaliumionen lediglich bei 10–12 cm s–1. Einige sich daraus ergebende Transport(Diffusions)raten sind in ▶ Tab. 10.1 zusammengefasst. Gleichung (10.4) lässt sich dann umformen und die Diffusionsrate V ist: V ¼ P  Aðc1 –c2 Þ

(10.6)

(10.2)

10.2.3 Aktiver Transport durch Carrier Die weitaus meisten wasserlöslichen Stoffe (z. B. Zucker, Aminosäuren, Carbonsäuren, anorganische Ionen, Vitamine) können dagegen nur mithilfe spezieller Transportproteine (auch als Carrier oder Permeasen bezeichnet) in die Zelle aufgenommen werden. Transportproteine gewährleisten die für das Zellwachstum erforderlichen hohen Aufnahmeraten. Um bei niedriger Substratkonzentration im Medium zu signifikanter Akkumulation der Substrate im Cytoplasma zu gelangen, die Verbindungen also gegen den Konzentrationsgradienten anzureichern, wird Energie aufgewendet. Aufgrund dieser Eigenschaften finden sich in der Zelle auch spezielle Transporter für solche Substrate, die prinzipiell durch Diffusion die Membran passieren können (z. B. Phenylalanin, Harnstoff oder Glycerin) (▶ Tab. 10.1). Die Wirkungsweise der meisten Transportproteine ähnelt der von Enzymen. Zu den Wechselwirkungen mit dem zu transportierenden Substrat gehören die Schritte

der Substratbindung, der Translokation und der Freisetzung des Substrats (▶ Abb. 10.1). Transportproteine setzen die Aktivierungsenergie für die transmembrane Diffusion des gelösten Substrats herab, indem sie dessen Wasserhülle durch nichtkovalente Wechselwirkungen ersetzen und eine hydrophile Pore zur Passage durch die Membran bilden. Auf solche Transportvorgänge sind die Gesetze der Enzymkinetik anwendbar. Durch Proteine vermittelte Transportprozesse folgen einer Sättigungskinetik, weisen Substratspezifität auf und sind sensitiv gegenüber Inhibitoren. Diese Kriterien gelten nicht für passiven Transport (▶ Abb. 10.2).

10.3 Transportmechanismen und Transportsysteme Im Gegensatz zu diffusionskontrollierten Prozessen erfordert der Transport von Substraten gegen ein Konzentrationsgefälle die Bereitstellung von Zellenergie. Man spricht daher auch von aktivem Transport (Plus 10.2).

5

Transport durch die Cytoplasmamembran

1. Substratbindung

2. Translokation

3. Substratfreisetzung

4. Reorientierung des Transporters

b Diffusionsrate

Transportrate V

a

Substratkonzentration [S]

Vmax Vmax 2 KM Substratkonzentration [S]

Abb. 10.1 Modell eines proteinvermittelten Transportvorgangs. Der Transporter durchläuft beim Transport eines Substrats prinzipiell vier Schritte. Dabei nimmt er mindestens zwei unterschiedliche Konformationszustände an. Die damit jeweils verbundene Veränderung der Raumstruktur der Proteine ist energieabhängig, wobei jedoch noch zahlreiche molekulare Details der Klärung bedürfen.

Abb. 10.2 Kinetiken diffusionskontrollierter und proteinvermittelter Transportprozesse. a Abhängigkeit der Diffusionsrate von der Substratkonzentration [S] bei passiver Diffusion. Man beobachtet keine Sättigungskinetik. b Abhängigkeit der Transportrate (V) von der Substratkonzentration bei einem durch Transportproteine vermittelten Vorgang; Michaelis-Menten-Diagramm: Vmax, maximale Transportrate; KM, Substratkonzentration bei halbmaximaler Transportrate (Vmax/2).

Plus 10.2 Energetik des aktiven Transports In der natürlichen Umgebung der weitaus meisten Prokaryonten stehen die für das Zellwachstum erforderlichen Nährstoffe oft nur in nanomolaren (10–9 M) bis mikromolaren (10–6 M) Konzentrationen zur Verfügung. Dieser Konzentrationsbereich lässt sich durch folgende Überlegung veranschaulichen: Wird ein Stück Würfelzucker in einem Schwimmbecken mit 1000 m3 Wasser aufgelöst, dann erhält man eine Glucosekonzentration von 10–7 M. Würde eine Bakterienzelle ihre Substrate nach dem Prinzip des passiven Transports in das Cytoplasma aufnehmen, wäre lediglich ein Konzentrationsausgleich möglich. Eine Glucosekonzentration von 10–7 M bedeutet, dass nur etwa 100 Moleküle pro Zelle vorhanden sind. Die so erreichbaren intrazellulären Konzentrationen sind jedoch für metabolische Reaktionen zu gering, ein Zellwachstum wäre nicht möglich. Daher müssen Nährstoffe im Cytoplasma angereichert und somit gegen den Konzentrationsgradienten transportiert werden. Da beim Übergang einer verdünnten in eine konzentriertere Lösung die freie Energie zunimmt, ist ein solcher (aktiver) Transportvorgang mit Energieverbrauch verbunden. Betrachtet man ein ungeladenes, gelöstes Molekül, das von einer Seite der Membran, wo es in der Konzentration c1 vorliegt, zur anderen Seite, wo seine Konzentration c2 beträgt, transportiert wird, lässt sich die Änderung der freien Energie wie folgt beschreiben:

336

ΔG = R T ln c2/c1 = 2,303 R T log c2/ c1 = 5,7 log c2/c1 (bei 25 °C)

●V

Ein Transportvorgang muss aktiv sein, erfordert somit die gleichzeitige Aufnahme von Energie, wenn ΔG positiv ist, während er passiv sein kann, also spontan erfolgen kann, wenn ΔG einen negativen Wert hat (s. Anhang). Zur Veranschaulichung folgendes Beispiel: Eine Substanz wird von 10–7 M (c1) im Medium nach 10–5 M (c2) im Cytoplasma transportiert. Dann folgt für die Änderung der freien Energie (s. Anhang): ΔG = 5,7 log 10–5/10–7 = 5,7 × 2 = + 11,4 kJ mol–1. Der ΔG-Wert von + 11,4 kJ mol–1 zeigt an, dass der Transportvorgang energiegekoppelt sein muss, also die Zufuhr von chemischer (ATP, PEP) oder elektrochemischer Energie erfordert. Beim Transport geladener Moleküle muss auch das Membranpotenzial berücksichtigt werden. Als Änderung der freien Energie ergibt sich dann: ΔG = 5,7 log c2/c1 + ZFΔΨ Z = Anzahl der transportierten Ladungen F = Faraday-Konstante (96,49 kJ V–1 mol–1); ΔΨ, Membranpotenzial (V)

10.3 Transportmechanismen und Transportsysteme PTS

primäre Transporter ATPSynthase H+

S

S H2 ATP

H+

ABC-Transporter

Ionen-ATPasen

Elektronentransportketten

S

S

Decarboxylasen S

ECF

S ATP

ATP

ATP

ATP

ATP

S

RCOOH S

P

RH + CO2

Na+

PE P

Pyr

S+

S

H+

S+

TRAP-Transporter Uniport

S

H+

Symport

H+ Antiport

sekundäre Transporter Abb. 10.3 Transportsysteme in der bakteriellen Cytoplasmamembran. Die energetisierte Cytoplasmamembran ist an der Außenseite positiv, an der Innenseite negativ geladen. ABC, engl. ATP-binding-cassette; ECF, engl. energy-coupling factor; TRAP, engl. tripartite ATPindependent periplasmic; PTS, Phosphotransferasesystem; Pyr, Pyruvat; PEP, Phosphoenolpyruvat; R–COOH, Carbonsäure; S, Substrat.

Grundsätzlich können nach den nachfolgend genannten Mechanismen Substanzen nicht nur in die Zelle aufgenommen, sondern auch aus der Zelle ausgeschleust (sekretiert) werden (z. B. Multiresistenzproteine) (S. 343). Je nach der verwendeten Energieform unterscheidet man primäre und sekundäre Transportprozesse sowie Gruppentranslokation (▶ Abb. 10.3; ▶ Tab. 10.2).

10.3.1 Primäre Transportsysteme Primäre Transporter verwenden chemische Energie, indem sie den Substrattransport über die Membran an die Hydrolyse von Verbindungen mit hohem Phosphorylgruppenübertragungspotenzial wie Adenosintriphosphat (ATP) koppeln. Darüber hinaus werden auch Transportproteine, die photochemische Reaktionen oder Redoxenergie nutzen, in diese Gruppe eingegliedert. Meist handelt es sich um Systeme, die aus mehreren Proteinuntereinheiten oder funktionellen Domänen bestehen. Typische Vertreter der ATP-verbrauchenden Transportsysteme sind diverse Ionen-ATPasen, welche Anionen oder Kationen transportieren, sowie die Familie der ABC-(ATPbinding-cassette-)Transporter.

ABC-Transporter ABC-Transporter bestehen typischerweise aus zwei Proteindomänen, die in die Membran integriert sind und mit zwei ATP-hydrolysierenden Domänen einen Komplex bilden. Letztere sind durch typische Sequenzmotive (Walker-Boxen A und B und Signatursequenz) charakterisiert, die zur Bindung und Hydrolyse von ATP benötigt werden. ABC-Transporter kommen in den Zellen aller Organismen

einschließlich des Menschen vor und sind an einer Vielzahl von Prozessen beteiligt wie der Signaltransduktion, Proteinsekretion (S. 349), Resistenzen gegenüber Antibiotika und Chemotherapeutika, Antigenpräsentation, Pathogenese und Sporulation. Defekte ABC-Transporter können darüber hinaus beim Menschen Erbkrankheiten wie Mukoviszidose (auch Cystische Fibrose genannt) oder Stargardtsche Makuladegeneration (eine Augenerkrankung) verursachen. Zu den ABC-Transportern gehört auch die auf Prokaryonten beschränkte, wichtige Klasse der bindeproteinabhängigen Transportsysteme, die die Aufnahme diverser Substrate wie verschiedene Zucker (z. B. Maltose, Cellobiose, Ribose), Aminosäuren (z. B. Histidin, Arginin, Glutamin), Peptide und anorganische Ionen (z. B. Phosphat, Sulfat) ermöglichen. Das Maltosebindeprotein wird auch in der Biotechnologie verwendet, um Fusionsproteine an einer Amyloseaffinitätsmatrix, die Maltoseeinheiten enthält, leicht reinigen zu können. Charakteristisch ist ein extrazelluläres, spezifisches Substratbindeprotein, das sich bei gramnegativen Bakterien im Periplasma befindet und bei grampositiven Bakterien sowie einigen Archaea über eine aminoterminale Fettsäuremodifikation in der Cytoplasmamembran verankert ist. Die Anbindung an die Membran über eine transmembrane Proteinhelix oder eine Fusion mit einer Untereinheit des Transportkomplexes kommen ebenfalls vor. Bindeproteine besitzen ähnliche Raumstrukturen und funktionieren nach dem Prinzip der Venusfliegenfalle. Nach Bindung des Substratmoleküls ändert das Protein seine Raumstruktur derart, dass das Substrat eingeschlossen wird. Nur in dieser Form kann das Substrat von den eigentlichen Transportkomponenten erkannt und anschließend unter ATP-Ver-

7

Transport durch die Cytoplasmamembran Tab. 10.2 Beispiele prokaryontischer Transportsysteme und ihrer Substrate. Typ

Substrate

Organismen/Gruppen

K+, Cd2 + , Arsenat

viele

bindeproteinabhängige Importer

Zucker (Maltose, Ribose, Arabinose u. a.) Aminosäuren (diverse) Peptide (Oligo-, Dipeptide) anorganische Ionen (Phosphat, Sulfat, Fe3 + , Ni2 + ) Vitamine (B12)

viele

ECF-Importer

Ni2 + , Co2 + Vitamine (Biotin, Riboflavin, Thiamin u. a.)

Firmicutes, Aktinobakterien, Proteobakterien, Euryarchaeota

Exporter

Toxine (Hämolysin, Colicin V) Kapselkomponenten Komponenten der äußeren Membran (Lipid A) Antibiotika (Streptomycin) diverse bakteriozid/bakteriolytisch wirkende Chemikalien

viele

Decarboxylasen

Carbonsäuren/Na+

Klebsiella pneumoniae Oxalobacter formigenes Propionigenium modestum u. a.

Uniporter

Glucose

Zymomonas mobilis

Symporter

Zucker (Lactose, Arabinose, Galactose u. a.) Aminosäuren (diverse) anorganische Ionen (Phosphat, K+) organische Säuren (Citrat)

viele

Antiporter

Malat/Lactat Tetracyclin/H+, Na+/H+

viele

TRAP-Transporter

C4-Dicarboxylate Taurin Ectoin

Rhodobacter capsulatus, Wolinella succinogenes Rhodobacter sphaeroides Halomonas elongate u. a.

Hexosen (Glucose, Fructose, Mannose, Sucrose u. a.) Zuckeralkohole (Mannitol, Glucitol u. a.)

viele Bacteria, Haloarchaea

Primäre Transporter Ionen-ATPasen ABC-Transporter

Sekundäre Transporter

Gruppentranslokation (PTS)

brauch in das Cytoplasma transportiert werden. Bindeproteinabhängige Transportsysteme zeichnen sich durch hohe Affinität zum Substrat und relativ niedrige Transportraten aus (▶ Abb. 10.4). Eine weitere Klasse prokaryontischer ABC-Importsysteme stellen die ECF-Transporter (ECF von engl. energy coupling factor) dar. Sie verfügen über kein extrazelluläres Substratbindeprotein, sondern verwenden zur Substratbindung eine transmembrane Untereinheit, die SKomponente. Diese bildet mit einem weiteren integralen Membranprotein (T-Komponente) sowie zwei ATP-hydrolysierenden Untereinheiten einen Komplex. Substrate von ECF-Transportern sind Übergangsmetallionen wie Ni2 + und Co2 + sowie zahlreiche wasserlösliche Vitamine (z. B. Biotin, Riboflavin und Thiamin) und deren Vorstufen. ECF-ABC-Transporter sind in Prokaryonten weit ver-

338

breitet, besonders zahlreich in den Phyla Firmicutes und Actinobacteria.

Na+-abhängige Decarboxylasen Eine besondere Klasse von primären Transportsystemen stellen Na+-abhängige Decarboxylasen dar (▶ Abb. 10.3). Diese Transporter koppeln die biotinabhängige Decarboxylierung von Carbonsäuren wie Oxalat oder Methylmalonyl-CoA mit dem Export von Na+-Ionen und wurden z. B. im Gärungsstoffwechsel bei Klebsiella pneumoniae, Salmonella enterica serovar Typhimurium und Propionigenium modestum gefunden.

10.3 Transportmechanismen und Transportsysteme

MalE

2

1

Periplasma

3

Maltose

4

Cytoplasmamembran Cytoplasma

MalF

5

MalG MalK

ATP

ADP Pi

10.3.2 Sekundäre Transportsysteme Sekundäre Transportsysteme nutzen als Energiequelle vorhandene elektrochemische Ionengradienten (z. B. H+, Na+ oder geladene organische Verbindungen), wie sie durch Aktivitäten primärer Transporter entstehen. Die Systeme bestehen im Regelfall aus nur einer Polypeptidkette, die die Membran meist zwölffach überspannt. Transportiert werden diverse Zucker, Zuckerphosphate, Aminosäuren, Peptide, Carbonsäuren und anorganische Ionen. Sekundäre Transportsysteme verbrauchen weniger Energie als primäre Transporter. Im Unterschied zu bindeproteinabhängigen Transportern sind sekundäre Systeme meist durch eine relativ geringe Affinität zum Substrat und eine hohe Transportrate charakterisiert. Verfügt ein Bakterium somit über mehrere Transportsysteme für ein Substrat, wird der weniger energieaufwendige sekundäre Transporter in der Regel konstitutiv exprimiert. Die hoch affinen, bindeproteinabhängigen Transporter werden dagegen erst bei niedrigen Substrat-

Lactose

H+

LacY

konzentrationen oder Anwesenheit eines bestimmten Substrats induziert. Sekundäre Transporter lassen sich in drei Klassen unterteilen (▶ Abb. 10.3, ▶ Tab. 10.2). ▶ Symport. Proteine, die nach einem Symportmechanismus funktionieren, transportieren Substrat und Kopplungsion in dieselbe Richtung. Nach diesem Prinzip arbeitet das bislang am besten charakterisierte Transportprotein, der Lactosetransporter (Lactose-Permease oder LacY) von E. coli. Der Transport eines Moleküls Lactose (Milchzucker, Disaccharid aus Glucose und Galactose) ist dabei an die Aufnahme eines Protons gekoppelt (▶ Abb. 10.5). ▶ Antiport. Werden dagegen zwei Substrate in entgegengesetzte Richtungen transportiert, so spricht man von einem Antiportmechanismus. Auf diese Weise wird z. B. bei dem Milchsäurebakterium Lactococcus lactis die Sekretion eines Stoffwechselendprodukts (Lactat) an die

H+

Lactose

Abb. 10.4 Modell des bindeproteinabhängigen ABC-Transporters zur Aufnahme des Disaccharids Maltose bei E. coli. Maltose gelangt über ein spezifisches Porin der äußeren Membran (Maltoporin oder LamB) (S. 154) in das Periplasma (nicht gezeigt). Dort wird Maltose vom spezifischen Bindeprotein MalE gebunden (①), wodurch ein geschlossener MalE-Maltose-Komplex entsteht (②). In dieser Form wird Maltose dem Transportkomplex in der Cytoplasmamembran, bestehend aus MalF, MalG und MalK2, zugeführt (③). Gleichzeitig bindet ATP an die MalK-Untereinheiten, wodurch sich diese schließen und die Transportpore aus MalF und MalG zur periplasmatischen Seite geöffnet wird. Maltose wird in die Pore entlassen und MalE in die offene Konformation zurückgeführt (④). Die anschließende ATP-Hydrolyse trennt die MalKUntereinheiten, wodurch sich die Pore zur cytoplasmatischen Seite öffnet, Maltose freigesetzt wird und das System in den Ausgangszustand zurückkehrt (⑤).

SH2 + ½ O2 S + H 2O H+ H+ Elektronentransportkette

Periplasma

Cytoplasma

Abb. 10.5 Kopplung der Lactoseaufnahme an den elektrochemischen Protonengradienten über der Membran. In E. coli dient das LacY-Protein der Aufnahme von Lactose. Proteine der Atmungskette pumpen Protonen nach außen, wodurch ein elektrochemischer Protonengradient aufgebaut wird. Dieser wird vom LacY-Protein zum Transport von Lactose ins Cytoplasma genutzt. Das Protein wechselt dabei zwischen zwei Konformationen. SH2, Energiesubstrat (z. B. NADH2).

9

Transport durch die Cytoplasmamembran Aufnahme des Substrats (Malat) gekoppelt. Ein wichtiger Antiporter ist der Na+/H+-Antiporter (S. 458), der bei der Methanbildung besprochen wird. Ein Antiporter mit pHSensor-Domäne auf der cytoplasmatischen Seite korrigiert einen alkalischen pH-Wert, indem er für 1 Na+ nach außen 2 H+ in das Cytoplasma pumpt. ▶ Uniport. Nach dem Uniportmechanismus arbeiten Proteine, die positiv geladene Substratmoleküle (z. B. K+Ionen bei Halobacterium salinarum) über die Membran transportieren und dabei durch das Membranpotenzial (innen negativ) angetrieben werden. Auch neutrale Substrate können nach diesem Mechanismus in das Cytoplasma gelangen, wobei der Gradient des zu transportierenden Substrats die treibende Kraft ist. Dieser Fall ist beim Glucosetransport in dem strikt gärenden Bakterium Zymomonas mobilis verwirklicht. Einen Sonderfall stellen die TRAP-Transporter (TRAP von engl. tripartite ATP-independent periplasmic) dar. Hier ist ein sekundäres Transportprotein mit einem weiteren integralen Membranprotein verbunden und benötigt für den Transport ein periplasmatisches Substratbindeprotein wie die bindeproteinabhängigen ABC-Transporter. TRAP-Transporter sind in Prokaryonten weit verbreitet, kommen jedoch nicht in eukaryontischen Zellen vor. Substrate sind u. a. Kohlenstoffquellen wie C4-Dicarbonsäuren und α-Ketosäuren oder Verbindungen, die der Osmoregulation (S. 520) dienen, wie Ectoin und Taurin.

10.3.3 Gruppentranslokation Die bisher nur bei Bakterien und Haloarchaea nachgewiesenen Phosphoenolpyruvat-(PEP-)Phosphotransferasesysteme (PTS) transportieren Hexosen (z. B. Glucose, Mannose, Fructose) und Zuckeralkohole (z. B. Glucitol, Mannitol). Dabei wird die Phosphorylgruppe von PEP, die

Mannitol-1- P P

über ein hohes Gruppenübertragungspotenzial (S. 264) verfügt, über mehrere Proteinkinasen letztlich auf das Substrat übertragen, sodass dieses im Cytoplasma in modifizierter (phosphorylierter) Form vorliegt. Man spricht daher auch von Gruppentranslokation (▶ Abb. 10.6). Neben den unspezifischen, cytoplasmatischen Komponenten Enzym I (EI) und Histidinprotein (HPr) bestehen die Systeme aus der substratspezifischen Komponente Enzym II (EII). Letztere ist aus mindestens drei funktionellen Domänen (A–C) aufgebaut, von denen die EIIC-Komponente das eigentliche, integral in der Membran verankerte Transportprotein darstellt. Abhängig vom System können die EIIA- und EIIB-Domänen mit dem EIIC-Protein fusioniert sein oder als separate Proteine im Cytoplasma vorkommen. Während die EIIB-Komponente an einem speziellen Cysteinrest phosphoryliert wird, wird der Phosphatrest bei den anderen Komponenten jeweils auf einen Histidinrest übertragen. Das Transportsystem für Glycerin in E. coli ist ein Beispiel für ein sehr einfaches System (Plus 10.3).

Plus 10.3 Das Transportsystem für Glycerin

Als primitives Phosphotransferasesystem kann auch das Transportsystem für Glycerin bei E. coli betrachtet werden. Hier ist ein integrales diffusionskontrolliertes Membranprotein (GlpF) mit einer cytoplasmatischen Glycerin-Kinase (GlpK) gekoppelt, sodass Glycerin in der Zelle direkt als 3-Phosphoglycerin vorliegt. Das GlpF-Protein gehört zur Proteinfamilie der Aquaporine. Das sind Kanalproteine, die sowohl bei pro- als auch bei eukaryontischen Organismen für die schnelle Aufnahme oder Abgabe von Wasser sorgen.

Cytoplasma- Medium membran

P

E II E II A B

E IIMtl C

Mannitol

E IIGlc C

Glucose

Glucose-6- P P PE P

EI

HPr

P

P

E II A

E II B

P Pyruvat

EI

HPr

Mannose-6- P P

P

EII E II A B

EIIMan C EIIMan D

Mannose Cytoplasma

340

●V

Abb. 10.6 Komponenten der Phosphotransferasesysteme für verschiedene Zucker und Zuckeralkohole. EI und HPr sind die allen gemeinsamen Komponenten, während die EII-Proteine substratspezifisch sind. EII besteht aus mindestens drei funktionellen Modulen (A–C), die fusioniert an einem Protein (EII-Mannitol) oder getrennt voneinander (EII-Glucose) vorkommen können. Die EIIC-Domäne kann auch in zwei Subdomänen (C und D) auftreten. Der Phosphatrest von Phosphoenolpyruvat wird über die einzelnen Komponenten auf das zu transportierende Substrat übertragen. S, Substrat; Pyr, Pyruvat; PEP, Phosphoenolpyruvat; HPr, Histidinprotein.

10.4 Weitere Aspekte der Transportsysteme

Chromosom

p

A

Gen für Amylase

Stärke

Amylase

B

C

D

E

Gene für Maltose(Maltodextrin-) ABC-Transporter

Maltose, Maltodextrine

Cytoplasmamembran

Anabolismus, Katabolismus

Abb. 10.7 Koordination der Synthese von Exoenzymen und Transportsystemen. Die Gene für ein stärkeabbauendes Enzym (Amylase) und ein ABC-Transportsystem, das die entstehenden Produkte (Maltodextrine, aus bis zu sieben α-1,4-glykosidisch verknüpften Glucoseeinheiten) in das Cytoplasma aufnimmt, sind in einem Operon organisiert und werden gemeinsam transkribiert. P, Promotor; TP, Transporter.

Maltose, Maltodextrine TP

10.3.4 Zusammenwirken von Exoenzymen und Transport Transportsysteme sind nicht in der Lage, Biopolymere wie Polysaccharide, Proteine, Nukleinsäuren oder komplexe Lipide in die Zelle zu transportieren. Deren Verwendung als Nährstoffe setzt deshalb die extrazelluläre, hydrolytische Zerlegung in kleinere Bausteine voraus. Hydrolytische Exoenzyme zum Abbau komplexer Biopolymere werden von zahlreichen, häufig grampositiven Bakterien (u. a. der Gattungen Bacillus, Clostridium, Streptomyces), aber auch von Archaea gebildet. Um eine konzertierte Aktion dieser Enzyme mit der Aufnahme der Hydrolyseprodukte zu gewährleisten, sind in diesen Bakterien die Gene für Exoenzyme und Transportproteine häufig in einer transkriptionellen Einheit organisiert. So spalten verschiedene Amylasen Stärke in Maltodextrine, meist Maltotriose, aber auch in Maltose, welche von einem bindeproteinabhängigen ABC-Transporter in die Zelle transportiert werden (▶ Abb. 10.7). Ähnliche Zusammenhänge bestehen für die Verwertung anderer Zuckerpolymere wie Cellulose, Hemicellulose (Xylan) oder Chitin.

10.4 Weitere Aspekte der Transportsysteme 10.4.1 Beteiligung von Transportsystemen an der Gen- und Proteinregulation Transportproteine spielen auch eine wichtige Rolle bei der Erkennung von Substraten im Medium sowie bei der Regulation verschiedener Stoffwechselwege. Viele chemoheterotrophe Bakterien verwenden Glucose als bevorzugte Kohlenstoff- und Energiequelle. Bei Verfügbarkeit von Glucose werden deshalb Stoffwechselwege zur Verwertung alternativer Zucker auf der Transkriptionsebene abgeschaltet (Katabolitrepression).

Medium

An dieser Regulation sind Komponenten des Phosphotransferasesystems für Glucose beteiligt. Bei E. coli und anderen Enterobacteriaceae handelt es sich dabei um das EIIAGlc-Protein. In seiner phosphorylierten Form (EIIAGlc-P) ist das Protein an der Aktivierung des Enzyms Adenylat-Cyclase beteiligt, das den Botenstoff cAMP synthetisiert. In einem Komplex mit dem cAMP-Rezeptorprotein (CRP) wirkt cAMP als Transkriptionsaktivator für die Expression von Genen, deren Produkte den Zellen die Aufnahme und Verwertung anderer Kohlenstoffquellen ermöglichen. EIIAGlc-P liegt jedoch nur in Abwesenheit von Glucose in ausreichender Konzentration vor, da dann das Substrat für die Übertragung des Phosphatrestes fehlt. In seiner dephosphorylierten Form, die bei Anwesenheit von Glucose vorherrscht, wirkt EIIAGlc darüber hinaus als Inhibitor für Transportsysteme zur Aufnahme alternativer Zucker, so z. B. der Lactose-Permease und dem bindeproteinabhängigen ABC-Transporter für Maltose (Induktorausschluss, ▶ Abb. 10.8). Bei grampositiven Bakterien wie B. subtilis oder Lactobacillus casei übernimmt die HPr-Komponente des Phosphotransferasesystems eine regulatorische Funktion. In Gegenwart von Glucose unterliegt das Protein einer vom Transportprozess unabhängigen, zusätzlichen Phosphorylierung an einem speziellen Serinrest. Das dafür verantwortliche Enzym, eine Kinase, wird dabei durch Fructose1,6-bisphosphat, ein Zwischenprodukt des Glucoseabbaus, aktiviert. In phosphorylierter Form wirkt HPr zusammen mit dem CcpA-Protein als Repressor von Genen für alternative Zuckerverwertung. Bei L. casei wurde auch ein inhibierender Einfluss des phosphorylierten HPr auf die Aktivität des Maltodextrin-ABC-Transporters im Sinne eines Induktorausschlusses nachgewiesen. Bei E. coli und anderen Vertretern der Enterobacteriaceae können Transportsysteme die Genexpression auch dadurch beeinflussen, dass sie Regulatorproteine direkt binden und somit die Aktivierung oder Hemmung der Transkription der von ihnen kontrollierten Gene verhindern. So bindet der Maltose-ABC-Transporter bei Abwesenheit von Substrat den positiven Regulator des Maltoseregulons, MalT. Liegt dagegen Substrat vor, geht der

1

10.4 Weitere Aspekte der Transportsysteme

Chromosom

p

A

Gen für Amylase

Stärke

Amylase

B

C

D

E

Gene für Maltose(Maltodextrin-) ABC-Transporter

Maltose, Maltodextrine

Cytoplasmamembran

Anabolismus, Katabolismus

Abb. 10.7 Koordination der Synthese von Exoenzymen und Transportsystemen. Die Gene für ein stärkeabbauendes Enzym (Amylase) und ein ABC-Transportsystem, das die entstehenden Produkte (Maltodextrine, aus bis zu sieben α-1,4-glykosidisch verknüpften Glucoseeinheiten) in das Cytoplasma aufnimmt, sind in einem Operon organisiert und werden gemeinsam transkribiert. P, Promotor; TP, Transporter.

Maltose, Maltodextrine TP

10.3.4 Zusammenwirken von Exoenzymen und Transport Transportsysteme sind nicht in der Lage, Biopolymere wie Polysaccharide, Proteine, Nukleinsäuren oder komplexe Lipide in die Zelle zu transportieren. Deren Verwendung als Nährstoffe setzt deshalb die extrazelluläre, hydrolytische Zerlegung in kleinere Bausteine voraus. Hydrolytische Exoenzyme zum Abbau komplexer Biopolymere werden von zahlreichen, häufig grampositiven Bakterien (u. a. der Gattungen Bacillus, Clostridium, Streptomyces), aber auch von Archaea gebildet. Um eine konzertierte Aktion dieser Enzyme mit der Aufnahme der Hydrolyseprodukte zu gewährleisten, sind in diesen Bakterien die Gene für Exoenzyme und Transportproteine häufig in einer transkriptionellen Einheit organisiert. So spalten verschiedene Amylasen Stärke in Maltodextrine, meist Maltotriose, aber auch in Maltose, welche von einem bindeproteinabhängigen ABC-Transporter in die Zelle transportiert werden (▶ Abb. 10.7). Ähnliche Zusammenhänge bestehen für die Verwertung anderer Zuckerpolymere wie Cellulose, Hemicellulose (Xylan) oder Chitin.

10.4 Weitere Aspekte der Transportsysteme 10.4.1 Beteiligung von Transportsystemen an der Gen- und Proteinregulation Transportproteine spielen auch eine wichtige Rolle bei der Erkennung von Substraten im Medium sowie bei der Regulation verschiedener Stoffwechselwege. Viele chemoheterotrophe Bakterien verwenden Glucose als bevorzugte Kohlenstoff- und Energiequelle. Bei Verfügbarkeit von Glucose werden deshalb Stoffwechselwege zur Verwertung alternativer Zucker auf der Transkriptionsebene abgeschaltet (Katabolitrepression).

Medium

An dieser Regulation sind Komponenten des Phosphotransferasesystems für Glucose beteiligt. Bei E. coli und anderen Enterobacteriaceae handelt es sich dabei um das EIIAGlc-Protein. In seiner phosphorylierten Form (EIIAGlc-P) ist das Protein an der Aktivierung des Enzyms Adenylat-Cyclase beteiligt, das den Botenstoff cAMP synthetisiert. In einem Komplex mit dem cAMP-Rezeptorprotein (CRP) wirkt cAMP als Transkriptionsaktivator für die Expression von Genen, deren Produkte den Zellen die Aufnahme und Verwertung anderer Kohlenstoffquellen ermöglichen. EIIAGlc-P liegt jedoch nur in Abwesenheit von Glucose in ausreichender Konzentration vor, da dann das Substrat für die Übertragung des Phosphatrestes fehlt. In seiner dephosphorylierten Form, die bei Anwesenheit von Glucose vorherrscht, wirkt EIIAGlc darüber hinaus als Inhibitor für Transportsysteme zur Aufnahme alternativer Zucker, so z. B. der Lactose-Permease und dem bindeproteinabhängigen ABC-Transporter für Maltose (Induktorausschluss, ▶ Abb. 10.8). Bei grampositiven Bakterien wie B. subtilis oder Lactobacillus casei übernimmt die HPr-Komponente des Phosphotransferasesystems eine regulatorische Funktion. In Gegenwart von Glucose unterliegt das Protein einer vom Transportprozess unabhängigen, zusätzlichen Phosphorylierung an einem speziellen Serinrest. Das dafür verantwortliche Enzym, eine Kinase, wird dabei durch Fructose1,6-bisphosphat, ein Zwischenprodukt des Glucoseabbaus, aktiviert. In phosphorylierter Form wirkt HPr zusammen mit dem CcpA-Protein als Repressor von Genen für alternative Zuckerverwertung. Bei L. casei wurde auch ein inhibierender Einfluss des phosphorylierten HPr auf die Aktivität des Maltodextrin-ABC-Transporters im Sinne eines Induktorausschlusses nachgewiesen. Bei E. coli und anderen Vertretern der Enterobacteriaceae können Transportsysteme die Genexpression auch dadurch beeinflussen, dass sie Regulatorproteine direkt binden und somit die Aktivierung oder Hemmung der Transkription der von ihnen kontrollierten Gene verhindern. So bindet der Maltose-ABC-Transporter bei Abwesenheit von Substrat den positiven Regulator des Maltoseregulons, MalT. Liegt dagegen Substrat vor, geht der

1

Transport durch die Cytoplasmamembran

Cytoplasma

P PE P

EI

HPr

E II A

P Pyruvat

Cytoplasmamembran K

F

K

G

P

EI

HPr

Medium

Maltose

E

LacY

Lactose

EIIGlc C

Glucose

E II A P E II B

Glucose-6- P

Stimulus, Reiz Sensorprotein

Cytoplasmamembran

1 His

His ATP

Asp

4

P

Regulatorprotein

Asp

Asp 3 Transkription

Pi P

Asp

DNA

Transporter in die aktive Form über, wodurch MalT freigesetzt wird, Oligomere bildet und somit die Expression der zum Regulon gehörenden Gene stimuliert. Ein ähnlicher Mechanismus liegt im Fall des Phosphotransferasesystems für β-Glucoside vor. Die membranständige Transportkomponente BglF phosphoryliert und bindet im inaktiven Ruhezustand das Regulatorprotein BglG, wobei es sich um einen Antiterminator handelt. Wird dagegen Substrat von BglF transportiert, führt dies zur Dephosphorylierung und Freisetzung von BglG, welches sodann dimerisiert und die Transkription des bgl-Operons aktiviert. Dagegen wird das Mlc-Protein, ein übergeordneter, negativer Regulator von Genen des Kohlenstoffmetabolismus, durch Bindung an den aktiven Glucose-PTS-Transporter inaktiviert. Auch sekundäre Transporter sind an der Substraterkennung und Beeinflussung der Aktivität von Regulatorproteinen beteiligt. So bindet beispielsweise der Lysintransporter LysP von E. coli in Abwesenheit von Lysin das membranintegrale Regulatorprotein CadC, was zu dessen Inaktivierung führt. Wird Lysin jedoch durch LysP transportiert, führt dies zur Freigabe von CadC und nachfol-

342

P

ADP

2 Phosphorylgruppentransfer

Dephosphorylierung

His

Autophosphorylierung

Abb. 10.8 Modell für den Induktorausschluss bei E. coli, der durch das Phosphotransferasesystem für Glucose vermittelt wird. Bei Anwesenheit von Glucose im Medium wird der vom PEP übertragene Phosphorylrest zügig von der EIIAKomponente auf EIIBC und schließlich auf das Substrat übertragen. Somit liegt EIIA vorwiegend nichtphosphoryliert vor. In dieser Form hemmt das Protein die Aktivitäten anderer Transportsysteme, z. B. des Maltose-ABC-Transporters (EFGK2) oder der Lactose-Permease (LacY). Dadurch wird verhindert, dass Induktormoleküle für die Verwertung alternativer Zucker in die Zelle gelangen.

Abb. 10.9 Sensor-Regulator-(Zweikomponenten-)System. Spezifische Sensorproteine in der Cytoplasmamembran erkennen (meist chemische) Reize an ihrer extrazellulären Domäne. Das führt zur Autophosphorylierung der cytoplasmatischen Domäne an einem spezifischen Histidinrest (His) (①). Die Phosphorylgruppe (P) wird auf einen Aspartatrest (Asp) des zugehörigen Regulatorproteins übertragen (②), das dadurch aktiviert wird und die Transkription bestimmter Gene initiiert (③). Fällt der Reiz weg, wird der phosphorylierte Regulator durch Phosphataseaktivität des Sensorproteins wieder inaktiviert (④). Sensor- und Regulatorproteine liegen jeweils als Homodimere vor (nicht dargestellt).

gender Transkription der kontrollierten Gene. Auch der Ammoniumtransporter AmtB bindet in Gegenwart hoher Substratkonzentrationen das Regulatorprotein GlnK, wodurch die Expression von Genen des Stickstoffstoffwechsels, z. B. für die Verwertung alternativer Stickstoffquellen oder der Glutamin-Synthetase (S. 512), unterbleibt oder reduziert wird. Weiterhin sind Transportsysteme bekannt, die mit Sensor-Regulator-Systemen (auch Zweikomponentensysteme genannt) (S. 505), kommunizieren. Diese bestehen aus einem meist membranständigen Sensorprotein, welches in der Regel äußere chemische Reize erkennt und über Phosphorylgruppentransfer in eine Zellantwort umgesetzt (▶ Abb. 10.9). Im Fall des sekundären E.-coli-Transporters DctA für C4-Dicarboxylate (Fumarat, Malat, Succinat) wird die zugehörige Sensorkinase DcuS in Abwesenheit von Substrat an der Aktivierung durch Autophosphorylierung gehindert. Bei Bakterien aus der Gruppe der Firmicutes wie Bacillus subtilis oder Staphylococcus aureus wurden ABCTransporter nachgewiesen, die durch Export von Antibiotika, z. B. Bacitracin oder Nisin, den Bakterien eine Resis-

10.5 Resistenz durch proteinvermittelten Export tenz gegenüber diesen Verbindungen (S. 343) vermitteln. Darüber hinaus tragen die Transporter jedoch auch zur Erkennung der Substrate bei und regulieren ihre eigene Synthese durch Wechselwirkung mit der Sensorkomponente eines zugehörigen Sensor-Regulator-Systems.

zulösen. Ähnliche Mechanismen sind auch für die Phototaxis halophiler Archaea wie Halobacterium salinarum beschrieben. Die chemotaktische Reizverarbeitung stellt einen Spezialfall von Sensor-Regulator-Systemen (S. 342) dar.

10.4.2 Transportsysteme als chemotaktische Rezeptoren

10.4.3 Transportsysteme als Mediatoren der Differenzierung

Die vielfältigen Reaktionen, mit denen Mikroorganismen auf die Verfügbarkeit verschiedener Substrate reagieren, setzen voraus, dass deren Anwesenheit im Medium erkannt wird. Daran sind neben speziellen, in der Membran inserierten Rezeptorproteinen auch Transportproteine beteiligt. Bei E. coli und anderen Enterobacteriaceae erfolgt die Erkennung chemischer Reizstoffe, die eine Bewegungsänderung zur Folge haben (Chemotaxis) (S. 523), hauptsächlich über vier verschiedenene Rezeptorproteine (Tar, Trg, Tsr, Tap), mit Spezifitäten für Zucker (wie Maltose oder Ribose), Aminosäuren (wie Aspartat), Dipeptide oder Kationen, wie Ni2 + und Co2 + . Die Grundeinheit der Rezeptoren ist ein Polypeptiddimer, von dem sich jeweils drei Moleküle zu einem funktionellen Rezeptor zusammenlagern. Die Bindung der Substrate kann entweder direkt erfolgen (z. B. bei Aspartat) oder im Komplex mit der entsprechenden periplasmatischen Bindeproteinkomponente eines ABC-Transporters (z. B. bei Maltose) (▶ Abb. 10.10). Im Fall von Glucose wird eine chemotaktische Reaktion darüber hinaus auch durch Bindung des Substrates an die EIIC-Komponente des Phosphotransferasesystems und Weiterleitung des Signals über EI ausgelöst (s. auch ▶ Abb. 10.6). Die Reizerkennung an der extrazellulären Seite der Membran hat Veränderungen an den cytoplasmatischen Abschnitten der Rezeptorproteine zur Folge. Dadurch wird eine Signaltransduktionskette mit dem Ergebnis einer Umkehrung der Flagellenrotation in Gang gesetzt. Die Reizleitung erfolgt dabei über eine Phosphorylierungskaskade. Die Aufnahme der Substrate in das Cytoplasma ist aber nicht erforderlich, um eine chemotaktische Antwort (S. 523) nach diesem Mechanismus aus-

ABC-Transporter spielen ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Erkennung von Signalen, die zu Differenzierungsprozessen wie die Sporulation bei Bacillus subtilis, Fruchtkörperbildung bei Myxobakterien (S. 528) oder die Biolumineszenz einiger Arten der Gattung Vibrio (s. a. Quorum Sensing) (S. 521), führen. In jedem Fall werden niedermolekulare Signalmoleküle (z. B. Peptide, Oligosaccharide, Acylhomoserinlactone), die im Cytoplasma zur Induktion bestimmter Gene führen, von speziellen Transportern entweder exportiert oder aus der Umgebung aufgenommen.

Maltose

10.5 Resistenz durch proteinvermittelten Export Ein bei Mikroorganismen weit verbreiteter Mechanismus zur Entfernung toxischer Stoffe aus dem Cytoplasma besteht in der aktiven, also energieabhängigen Exkretion der Substanzen in das Medium. Auf diese Weise kann die intrazelluläre Konzentration der Verbindungen unter einem für die Zelle letalen Schwellenwert gehalten werden. Sekretionssysteme dieser Art benötigen als Energiequelle entweder das elektrochemische Protonenpotenzial über der Membran oder ATP. Zum Beispiel verleiht der Tetrazyklin/H+-Antiporter, der auf dem Transposon Tn10 codiert ist, Resistenz gegen bestimmte Antibiotika. Arsenat- und Cadmium-ATPasen oder Co2 + /Zn2 + /Cd2 + -H+-Antiporter sind für die Schwermetallentgiftung verantwortlich. Exportsysteme aus der Familie der ABC-Transporter sind ebenfalls an der Entfernung von Antibiotika aus dem Cytoplasma beteiligt. Bei gramnegativen Bakterien vermittelt eine besondere Gruppe von Multiresistenzprotei-

BP

Aspartat

Tar

Ni2+, Co2+ Serin, Alanin, Glycin Ribose

BP

Galactose, Glucose

BP

Dipeptide

BP

Periplasma

Tsr Trg

Signalübertragung (Che-Proteine)

Tap

Cytoplasmamembran

äußere Membran

Motor

Flagelle

Abb. 10.10 Chemotaktische Rezeptoren in E. coli. Substanzen, die bei E. coli eine chemotaktische Reaktion auslösen, werden durch vier Rezeptoren in der Cytoplasmamembran (Tar, Tsr, Trg, Tap) entweder direkt oder vermittelt durch die Bindeproteinkomponente (BP) eines ABC-Transporters erkannt. Die Bindung der Effektormoleküle an die periplasmatische Domäne der Rezeptoren aktiviert – vermittelt durch die cytoplasmatischen Proteinbereiche – eine Signalübertragungskaskade (Che-Proteine). Dadurch ändert sich die Drehrichtung der Geißeln.

3

10.5 Resistenz durch proteinvermittelten Export tenz gegenüber diesen Verbindungen (S. 343) vermitteln. Darüber hinaus tragen die Transporter jedoch auch zur Erkennung der Substrate bei und regulieren ihre eigene Synthese durch Wechselwirkung mit der Sensorkomponente eines zugehörigen Sensor-Regulator-Systems.

zulösen. Ähnliche Mechanismen sind auch für die Phototaxis halophiler Archaea wie Halobacterium salinarum beschrieben. Die chemotaktische Reizverarbeitung stellt einen Spezialfall von Sensor-Regulator-Systemen (S. 342) dar.

10.4.2 Transportsysteme als chemotaktische Rezeptoren

10.4.3 Transportsysteme als Mediatoren der Differenzierung

Die vielfältigen Reaktionen, mit denen Mikroorganismen auf die Verfügbarkeit verschiedener Substrate reagieren, setzen voraus, dass deren Anwesenheit im Medium erkannt wird. Daran sind neben speziellen, in der Membran inserierten Rezeptorproteinen auch Transportproteine beteiligt. Bei E. coli und anderen Enterobacteriaceae erfolgt die Erkennung chemischer Reizstoffe, die eine Bewegungsänderung zur Folge haben (Chemotaxis) (S. 523), hauptsächlich über vier verschiedenene Rezeptorproteine (Tar, Trg, Tsr, Tap), mit Spezifitäten für Zucker (wie Maltose oder Ribose), Aminosäuren (wie Aspartat), Dipeptide oder Kationen, wie Ni2 + und Co2 + . Die Grundeinheit der Rezeptoren ist ein Polypeptiddimer, von dem sich jeweils drei Moleküle zu einem funktionellen Rezeptor zusammenlagern. Die Bindung der Substrate kann entweder direkt erfolgen (z. B. bei Aspartat) oder im Komplex mit der entsprechenden periplasmatischen Bindeproteinkomponente eines ABC-Transporters (z. B. bei Maltose) (▶ Abb. 10.10). Im Fall von Glucose wird eine chemotaktische Reaktion darüber hinaus auch durch Bindung des Substrates an die EIIC-Komponente des Phosphotransferasesystems und Weiterleitung des Signals über EI ausgelöst (s. auch ▶ Abb. 10.6). Die Reizerkennung an der extrazellulären Seite der Membran hat Veränderungen an den cytoplasmatischen Abschnitten der Rezeptorproteine zur Folge. Dadurch wird eine Signaltransduktionskette mit dem Ergebnis einer Umkehrung der Flagellenrotation in Gang gesetzt. Die Reizleitung erfolgt dabei über eine Phosphorylierungskaskade. Die Aufnahme der Substrate in das Cytoplasma ist aber nicht erforderlich, um eine chemotaktische Antwort (S. 523) nach diesem Mechanismus aus-

ABC-Transporter spielen ebenfalls eine wichtige Rolle bei der Erkennung von Signalen, die zu Differenzierungsprozessen wie die Sporulation bei Bacillus subtilis, Fruchtkörperbildung bei Myxobakterien (S. 528) oder die Biolumineszenz einiger Arten der Gattung Vibrio (s. a. Quorum Sensing) (S. 521), führen. In jedem Fall werden niedermolekulare Signalmoleküle (z. B. Peptide, Oligosaccharide, Acylhomoserinlactone), die im Cytoplasma zur Induktion bestimmter Gene führen, von speziellen Transportern entweder exportiert oder aus der Umgebung aufgenommen.

Maltose

10.5 Resistenz durch proteinvermittelten Export Ein bei Mikroorganismen weit verbreiteter Mechanismus zur Entfernung toxischer Stoffe aus dem Cytoplasma besteht in der aktiven, also energieabhängigen Exkretion der Substanzen in das Medium. Auf diese Weise kann die intrazelluläre Konzentration der Verbindungen unter einem für die Zelle letalen Schwellenwert gehalten werden. Sekretionssysteme dieser Art benötigen als Energiequelle entweder das elektrochemische Protonenpotenzial über der Membran oder ATP. Zum Beispiel verleiht der Tetrazyklin/H+-Antiporter, der auf dem Transposon Tn10 codiert ist, Resistenz gegen bestimmte Antibiotika. Arsenat- und Cadmium-ATPasen oder Co2 + /Zn2 + /Cd2 + -H+-Antiporter sind für die Schwermetallentgiftung verantwortlich. Exportsysteme aus der Familie der ABC-Transporter sind ebenfalls an der Entfernung von Antibiotika aus dem Cytoplasma beteiligt. Bei gramnegativen Bakterien vermittelt eine besondere Gruppe von Multiresistenzprotei-

BP

Aspartat

Tar

Ni2+, Co2+ Serin, Alanin, Glycin Ribose

BP

Galactose, Glucose

BP

Dipeptide

BP

Periplasma

Tsr Trg

Signalübertragung (Che-Proteine)

Tap

Cytoplasmamembran

äußere Membran

Motor

Flagelle

Abb. 10.10 Chemotaktische Rezeptoren in E. coli. Substanzen, die bei E. coli eine chemotaktische Reaktion auslösen, werden durch vier Rezeptoren in der Cytoplasmamembran (Tar, Tsr, Trg, Tap) entweder direkt oder vermittelt durch die Bindeproteinkomponente (BP) eines ABC-Transporters erkannt. Die Bindung der Effektormoleküle an die periplasmatische Domäne der Rezeptoren aktiviert – vermittelt durch die cytoplasmatischen Proteinbereiche – eine Signalübertragungskaskade (Che-Proteine). Dadurch ändert sich die Drehrichtung der Geißeln.

3

Transport durch die Cytoplasmamembran

●V

Plus 10.4 Das AcrBA-TolC-Exportsystem von E. coli Dieses Exportsystem besteht aus dem integralen cytoplasmatischen Membranprotein AcrB, welches durch das periplasmatische Protein AcrA mit dem Kanalprotein TolC in der äußeren Membran verbunden wird. Auf diese Weise entsteht eine die Zellhülle überspannende Pore, durch die zahlreiche toxische Verbindungen wie Antibiotika und mem-

branzerstörende Chemikalien aus der Zelle entfernt werden. Dabei haben nicht nur Substrate aus dem Cytoplasma, sondern auch solche aus dem Periplasma Zutritt zu AcrB. Drei Kopien von AcrB, die jeweils über Substratbindestellen verfügen, lagern sich zu einem funktionellen Transporter zusammen. Der elektrochemische Protonengradient wird als Energiequelle benötigt (▶ Abb. 10.11). Abb. 10.11 Das AcrBA-TolC-Exportsystem von E. coli. Erklärung siehe Text.

antibakterielle Substanz

Medium TolC

äußere Membran Porin

Periplasma

H+

AcrA Cytoplasmamembran

Cytoplasma

AcrB

nen den Export von Antibiotika sowie membranzerstörenden Substanzen wie Gallensäuren und Detergenzien. Die Proteine bestehen aus einem Transportprotein in der Cytoplasmamembran und einem Kanalprotein, TolC, in der äußeren Membran, die über ein Membranfusionsprotein miteinander verbunden sind. Ein besonders gut untersuchtes Beispiel stellt das AcrBA-TolC-System bei E. coli dar (Plus 10.4).

10.6 Translokationssysteme für den Proteinexport Prokaryonten besitzen zahlreiche Proteine, die ihre Funktion außerhalb der Zelle ausüben. Dazu zählen Exoenzyme, die auf der Außenseite der Cytoplasmamembran verankert sind oder ins Medium abgegeben werden und den Abbau polymerer Verbindungen katalysieren. Andere Beispiele sind Virulenzproteine, die Wirtszellen attackieren, oder Enzyme und Proteine des Periplasmas und der äußeren Membran bei gramnegativen Bakterien. Da alle

344

größeren Polypeptide an den Ribosomen im Cytoplasma synthetisiert werden, müssen sie durch spezielle Transportsysteme über die Cytoplasmamembran transportiert werden.

10.6.1 Sec-Translokationssystem Die weitaus meisten extrazellulären Proteine werden mithilfe des generellen Sekretionssystems (Sec) (▶ Abb. 10.12) exportiert. Das Sec-System besteht aus einem Membranproteinkomplex (SecEYGDF) sowie einer peripheren Komponente, dem SecA-Protein. Proteine, die für den Export bestimmt sind, werden als Vorstufen (Präproteine) synthetisiert, die zur Erkennung am aminoterminalen Ende eine Signalsequenz besitzen. Diese ist durch positiv geladene Aminosäuren, einen hydrophoben, helikalen Teil sowie durch eine Spaltstelle für eine Protease (Signalpeptidase I) gekennzeichnet (▶ Abb. 10.13). Das Sec-System transportiert nur ungefaltete Proteine. Lösliche Hilfsproteine, sogenannte Chaperone, sorgen dafür, dass die Proteinkette nach Verlassen

Transport durch die Cytoplasmamembran

●V

Plus 10.4 Das AcrBA-TolC-Exportsystem von E. coli Dieses Exportsystem besteht aus dem integralen cytoplasmatischen Membranprotein AcrB, welches durch das periplasmatische Protein AcrA mit dem Kanalprotein TolC in der äußeren Membran verbunden wird. Auf diese Weise entsteht eine die Zellhülle überspannende Pore, durch die zahlreiche toxische Verbindungen wie Antibiotika und mem-

branzerstörende Chemikalien aus der Zelle entfernt werden. Dabei haben nicht nur Substrate aus dem Cytoplasma, sondern auch solche aus dem Periplasma Zutritt zu AcrB. Drei Kopien von AcrB, die jeweils über Substratbindestellen verfügen, lagern sich zu einem funktionellen Transporter zusammen. Der elektrochemische Protonengradient wird als Energiequelle benötigt (▶ Abb. 10.11). Abb. 10.11 Das AcrBA-TolC-Exportsystem von E. coli. Erklärung siehe Text.

antibakterielle Substanz

Medium TolC

äußere Membran Porin

Periplasma

H+

AcrA Cytoplasmamembran

Cytoplasma

AcrB

nen den Export von Antibiotika sowie membranzerstörenden Substanzen wie Gallensäuren und Detergenzien. Die Proteine bestehen aus einem Transportprotein in der Cytoplasmamembran und einem Kanalprotein, TolC, in der äußeren Membran, die über ein Membranfusionsprotein miteinander verbunden sind. Ein besonders gut untersuchtes Beispiel stellt das AcrBA-TolC-System bei E. coli dar (Plus 10.4).

10.6 Translokationssysteme für den Proteinexport Prokaryonten besitzen zahlreiche Proteine, die ihre Funktion außerhalb der Zelle ausüben. Dazu zählen Exoenzyme, die auf der Außenseite der Cytoplasmamembran verankert sind oder ins Medium abgegeben werden und den Abbau polymerer Verbindungen katalysieren. Andere Beispiele sind Virulenzproteine, die Wirtszellen attackieren, oder Enzyme und Proteine des Periplasmas und der äußeren Membran bei gramnegativen Bakterien. Da alle

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größeren Polypeptide an den Ribosomen im Cytoplasma synthetisiert werden, müssen sie durch spezielle Transportsysteme über die Cytoplasmamembran transportiert werden.

10.6.1 Sec-Translokationssystem Die weitaus meisten extrazellulären Proteine werden mithilfe des generellen Sekretionssystems (Sec) (▶ Abb. 10.12) exportiert. Das Sec-System besteht aus einem Membranproteinkomplex (SecEYGDF) sowie einer peripheren Komponente, dem SecA-Protein. Proteine, die für den Export bestimmt sind, werden als Vorstufen (Präproteine) synthetisiert, die zur Erkennung am aminoterminalen Ende eine Signalsequenz besitzen. Diese ist durch positiv geladene Aminosäuren, einen hydrophoben, helikalen Teil sowie durch eine Spaltstelle für eine Protease (Signalpeptidase I) gekennzeichnet (▶ Abb. 10.13). Das Sec-System transportiert nur ungefaltete Proteine. Lösliche Hilfsproteine, sogenannte Chaperone, sorgen dafür, dass die Proteinkette nach Verlassen

10.6 Translokationssysteme für den Proteinexport

Signalpeptidase I SecDF

TatB

SecYEG

TatA

TatC

ATP ADP + Pi

SecADimer

pmf

Vorstufenprotein (ungefaltet)

Signalpeptid

pmf

Vorstufenprotein (gefaltet)

Signalpeptid SecB

Sec-System

Tat-System

Sec-abhängige Proteine ++ N H C

Propeptid (selten)

reifes Protein

gramnegativ

Propeptid (häufig)

reifes Protein

grampositiv

24 AS +++ N

H

C

30 AS Tat-abhängige Proteine ++ RR

+ H R/K

reifes Protein

26 - 58 AS

des Ribosoms entfaltet bleibt. Zunächst bindet der Trigger-Faktor (S. 208) am Austrittsort der 50S-Untereinheit des Ribosoms an die Signalsequenz. Später gewährleisten

Abb. 10.12 1 Sec- und Tat-Translokationssystem für den Proteinexport. Das SecTranslokationssystem (links) besteht aus SecA (ATPase) und dem eigentlichen Translokationskomplex SecYEG. Die ebenfalls beteiligten Proteine SecD und SecF sind nicht essenziell. Das Chaperon SecB kann durch andere Proteine gleicher Funktion ersetzt werden. Das mit N-terminalem Signalpeptid synthetisierte Vorstufenprotein wird von SecB gebunden und so an einer vorzeitigen Faltung gehindert. Mithilfe von SecA wird die Proteinkette zum Translokationsapparat dirigiert, wobei ATP verbraucht wird. Die effiziente Translokation ins Periplasma erfordert die protonenmotorische Kraft (pmf, proton motive force) über der Membran. Nachdem die Signalpeptidase I das Signalpeptid abgespalten hat, faltet sich das Protein spontan in seine native Form. Das Tat-Translokationssystem (rechts) besteht bei E. coli aus den Komponenten TatA, TatB und TatC und transloziert bereits vollständig gefaltete Proteine unter Beteiligung der protonenmotorischen Kraft. Die entsprechenden Proteine werden an einem speziellen Signalpeptid erkannt (▶ Abb. 10.13). Weitere Erläuterungen im Text.

Abb. 10.13 Aufbau von Signalpeptiden. Signalpeptide von Sec-abhängig transportierten Proteinen bestehen aus einer N-terminalen (N), hydrophoben (H) und C-terminalen (C) Domäne. Die N-terminale Domäne ist positiv geladen (+), die C-terminale Domäne enthält die Erkennungssequenz für die Signalpeptidase I (↓). Die Signalpeptide gramnegativer Bakterien sind in der Regel deutlich kürzer (durchschnittlich 24 AS) und haben eine niedrigere Nettoladung in der N-Region (durchschnittlich + 2) als die Signalpeptide grampositiver Bakterien (durchschnittlich 30 AS und + 3). Außerdem enthalten die Vorstufen von Exportproteinen grampositiver Bakterien häufig ein Propeptid. Signalpeptide von Proteinen für das Tat-System besitzen stets zwei aufeinanderfolgende Argininreste (RR) in der N-terminalen Domäne. Vor der Spaltstelle für die Signalpeptidase (↓) befindet sich eine weitere positiv geladene Aminosäure (R, Arginin, oder K, Lysin), die verhindert, dass das Präprotein vom SecSystem als Substrat erkannt wird („SecVermeidungssignal“).

weitere Chaperone wie SecB bei Proteobakterien die Stabilität des entfalteten Proteins und präsentieren das Protein der löslichen Form des SecA-Proteins. SecA liegt als

5

Transport durch die Cytoplasmamembran Dimer vor, hat eine ATP-Hydrolyseaktivität und integriert sich unter ATP-Verbrauch in die Membran, wobei die zu transportierende Polypeptidkette auf den Transportkomplex übertragen wird. Die eigentliche Transportpore, die aus den Proteinen SecYEG gebildet wird, hat einen Durchmesser von ca. 15–20 Å (1 Ångström = 10–10 m). In einem ersten Schritt wird etwa ein 5 kDa großer Abschnitt der Polypeptidkette transloziert. SecA wird dann freigesetzt, kann an den nächsten Abschnitt des Proteins binden und diesen unter erneuter ATP-Hydrolyse der Transportpore zuführen. Unter Beteiligung der protonenmotorischen Kraft (engl. „proton motive force“, pmf) (S. 281) und der Proteine SecD und SecF, über deren spezielle Funktion jedoch noch wenig bekannt ist, wird die Kette auf diese Weise nach und nach auf die Außenseite der Membran verbracht. Dort trennt eine spezifische Protease (Signalpeptidase I) das Signalpeptid ab und setzt das reife Protein frei, das dann seine funktionelle Raumstruktur annimmt. Dieser Prozess, der auch als posttranslationale Translokation bezeichnet wird, da Proteinsynthese und

Transport durch die Membran zeitlich getrennt verlaufen, wurde auch für die Archaea vorgeschlagen. Allerdings fehlt diesen das SecA-Protein, sodass der Mechanismus noch unklar ist. Ein entsprechendes System kommt auch in der Membran des endoplasmatischen Retikulums eukaryontischer Zellen vor. Die Substratproteine werden hier jedoch nach einem cotranslationalen Mechanismus transportiert, d. h. der Kontakt mit dem Porenprotein (hier Sec61 genannt) erfolgt bereits während der Synthese der Proteinkette am Ribosom. Auch Archaea könnten nach diesem Prinzip Proteine durch die Cytoplasmamembran translozieren. Eine cotranslationale Wechselwirkung mit dem Sec-System findet bei Bakterien beim Einbau von Proteinen in die Cytoplasmamembran statt (Plus 10.5). Das SecSystem ist darüber hinaus an der Biogenese der äußeren Membran (Plus 10.6) und der Sekretion von Effektorproteinen bei gramnegativen Bakterien (S. 348) beteiligt.

●V

Plus 10.5 Einbau von Proteinen in die Cytoplasmamembran

protein in der Membran, FtsY, das in Kontakt mit einem Sec-Apparat steht (②). Die Wechselwirkung von SRP und FtsY erhöht die Bindungsaffinität beider Proteine für GTP, wodurch der Proteinaustrittskanal des Ribosoms in enge Nachbarschaft zum Eingang des Sec-Apparates gerät (③). Die nun einsetzende Elongation der Proteinkette am Ribosom liefert die Energie für den Einbau des Proteins in die Membran (daher wird das SecA-Protein nicht benötigt). Die Hydrolyse von GTP führt zum Zerfall des SRP-FtsYKomplexes, sodass SRP für einen neuen Zyklus im Cytosol wieder zur Verfügung steht (④). Eine kleine Gruppe von Membranproteinen benötigt zum Einbau zusätzlich oder, wie im Fall einiger kleiner Membranproteine, ausschließlich das Protein YidC. Der genaue Mechanismus ist derzeit noch unbekannt.

Proteine, deren Zielort die Cytoplasmamembran ist, werden nach einem cotranslationalen Mechanismus eingebaut, wofür die SecYEG-Transportpore, jedoch nicht SecA benötigt wird (▶ Abb. 10.14). Membranproteine besitzen ein sehr hydrophobes N-terminales Signalpeptid, das nach Austritt aus dem Ribosom vom SRP-Komplex gebunden wird (①). SRP (engl. signal recognition particle) besteht aus einem Protein (Ffh) und einer 4,5S-RNA. (Dagegen haben lösliche Proteine, die durch die Cytoplasmamembran transloziert werden sollen, ein hydrophiles Signalpeptid, an das ein spezielles Chaperon, der Trigger-Faktor (S. 208), bindet und so die Erkennung durch SRP verhindert.) Der SRP-Komplex verlangsamt oder stoppt zunächst die Translation des Proteins und führt das Ribosom zu einem Rezeptor-

Ribosom 5'

5'

3’

1

3’

GD

P

naszierendes Protein

SRP N

5'

2

5'

3’

3’

Signalsequenz

4

GTP FtsY

SecYEG

346

3

GTP

GDP

Abb. 10.14 Einbau von Proteinen in die Cytoplasmamembran. Erklärung im Text.

10.6 Translokationssysteme für den Proteinexport

●V

Plus 10.6 Einbau von Proteinen und Lipopolysaccharid in die äußere Membran gramnegativer Bakterien

mamembran transportiert und danach durch Bindung an periplasmatische Chaperone wie SurA bzw. Skp/DegP zur äußeren Membran dirigiert. Dabei verhindern die Chaperone auch die vorzeitige Faltung des Proteins. Durch Bindung der Polypeptidkette an spezielle Domänen von BamA wird die Faltung initiiert und das Protein unter Beteiligung anderer Bam-Komponenten in die Membran eingeführt. Der genaue Mechanismus ist noch unbekannt. Den Einbau von Lipopolysacchariden (LPS) in die äußere Hälfte der äußeren Membran bewerkstelligen spezielle Proteine sowohl in der Cytoplasmamembran als auch in der äußeren Membran (▶ Abb. 10.15c). Zunächst werden der Grundbaustein (Kern-Lipid A), bestehend aus Lipid A, 2-Keto-3-Desoxyoctonsäure (KDO) und Kernpolysacchariden, sowie die O-spezifische Polysaccharidkette (O-PS) (S. 152) unabhängig voneinander an der Innenseite der Cytoplasmamembran synthetisiert und über ABC-Transporter (MsbA für Kern-Lipid A) und Wzm/Wzt (für O-PS) auf die Außenseite verbracht. Anschließend werden beide Vorstufen durch eine Ligase (Waal) kovalent verknüpft und über das Lpt-System (engl. lipopolysaccharide transport) zur äußeren Membran gebracht und dort integriert. Zum Lpt-System gehören ein ABC-Transporter (LptFGB), ein cytoplasmatisches Lipoprotein (LptC), ein Chaperon (LptA) sowie ein Lipoprotein (LptE) und ein β-Fassprotein (LptD) in der äußeren Membran. Das Chaperonprotein LptA nimmt dabei eine zentrale Stellung ein. Nach einem aktuellen Modell dirigiert der LptFGB-Komplex das LPS-Molekül unter ATPVerbrauch zu LptC, von wo es durch erneute ATP-Hydrolyse auf LptA übertragen wird. Das LptD-Protein übernimmt schließlich den Transfer des LPS-Moleküls von der inneren zur äußeren Seite der äußeren Membran.

Die Proteine der äußeren Membran gramnegativer Bakterien, wie Porine und Lipoproteine (S. 153), werden wie alle Polypeptidketten an den Ribosomen im Cytoplasma synthetisiert und müssen danach zu ihrem Zielort geführt werden. Im Fall von Lipoproteinen erfolgt dies über das Lol-System (engl. localization of lipoproteins) (▶ Abb. 10.15a). Dabei handelt es sich um einen ABC-Transporter (LolCDE) sowie zwei lipoproteinbindende Proteine im Periplasma, LolA und LolB. Lipoproteine werden über den Sec-Translokationsapparat auf die Außenseite der Cytoplasmamembran verbracht. Dort wird das Signalpeptid durch eine spezielle Protease, die Signalpeptidase II, abgespalten und das N-terminale Cystein mit drei Fettsäuremolekülen kovalent verknüpft. Befindet sich an der Position 2 des Proteins die Aminosäure Asparaginsäure, dann verbleibt das Lipoprotein in der Cytoplasmamembran. Alle anderen Lipoproteine werden vom LolCDE-Komplex gebunden, aus der Membran gelöst und an das LolA-Protein übergeben, angetrieben durch eine ATP-Hydrolyse. Durch Bindung des Fettsäureanteils im Inneren von LolA wird das Protein löslich gehalten. An der äußeren Membran wird das Lipoprotein auf das LolB-Protein übertragen und von diesem über die Fettsäuren in die Membran inseriert. Integrale Proteine, die eine β-Fassstruktur besitzen (s. ▶ Abb. 5.21), benötigen den Bam-Komplex (engl. βbarrel assembly machine) zum Einbau in die äußere Membran (▶ Abb. 10.15b). Der Bam-Komplex besteht aus BamA (auch als Omp85 bezeichnet), selbst ein äußeres Membranprotein, sowie vier Lipoproteinen (BamBCDE), von denen BamD, neben BamA, essenziell ist. Auch hier werden die Proteine zunächst durch das Sec-System über die Cytoplas-

a

Lipoproteine

b

β-Fass-Proteine

β-FassOMP

c

äußere Membran

BamA D

B

LolB

LptDE OM-Komplex

LPS

D

E

E

C Periplasma

Skp

LolA SurA

N

DegP

N

MsbA

A LptBFGC IM-Komplex F

Sec

Sec

C G

innere Membran B B

LolCDE C

LPS C

ATP

ATP

ADP + Pi

ATP

ADP + Pi

ADP + Pi

Abb. 10.15 Einbau von Proteinen und Lipopolysaccharid in die äußere Membran gramnegativer Bakterien. Ausführliche Erklärungen siehe Text. a Einbau von Lipoproteinen über das Lol-System. (nach Tokuda, Biosci. Biotechnol, Biochem. 73 (2009):465) b β-Fassproteine werden über das Bam-System eingebaut. (nach Narita, Biosci. Biotechnol, Biochem. 75 (2011):1044) c Einbau von Lipopolysacchariden über das Lpt-System. LPS, Lipopolysaccharid. (nach Okuda et al, Science 338 (2012):1214)

7

Transport durch die Cytoplasmamembran

10.6.2 Tat-Translokationssystem Ein Sec-unabhängiges Proteinexportsystem stellt das TatSystem dar, welches seine Substrate an zwei charakteristischen Argininresten im Signalpeptid erkennt (engl. twin arginine transporter, Tat) (▶ Abb. 10.13). Anders als beim Sec-System werden hier vollständig gefaltete Proteine, die Metall-Schwefel-Zentren (S. 276) oder nukleotidbasierte Cofaktoren (z. B. NAD+ oder Flavinnukleotide) (S. 275) enthalten, deren Einbau im Cytoplasma erfolgt, ins Periplasma exportiert. Auch Proteinkomplexe, die im Cytoplasma aus verschiedenen Untereinheiten zusammengesetzt werden, sind Substrate des Tat-Transporters. Das System besteht aus den Komponenten TatABC, wobei der eigentliche Transportkanal aus einem Komplex aus multiplen TatA-Untereinheiten besteht. Diese lagern sich allerdings nach derzeitigen Modellen erst nach Erkennung des zu transportierenden Proteins durch TatBC zu einer aktiven Pore mit einem Durchmesser von bis zu 70 Å zusammen. Dieser Schritt ist vom elektrochemischen Protonengradienten (protonenmotorische Kraft) über der Cytoplasmamembran abhängig. Die Zahl der vom Tat-System transportierten Proteine variiert zwischen den Organismen. So werden in Bacillus subtilis ca. 5–7 Proteine Tat-abhängig exportiert, bei E. coli hingegen etwa 20–30. Mehr als 100 Substrate für Tat wurden bei Bakterien der Gattung Streptomyces gefunden, was etwa einem Sechstel aller exportierten Proteine entspricht. Schließlich scheinen Organismen aus der Gruppe der extrem halophilen Archaea 50 % und mehr der zu exportierenden Proteine über das Tat-System auszuschleusen. Außer bei Prokaryonten kommt das Tat-System auch in der Thylakoidmembran pflanzlicher Chloroplasten vor, wo es ursprünglich entdeckt wurde.

10.6.3 Spezielle Sekretionssysteme Gramnegative Bakterien benötigen darüberhinaus spezielle Sekretionssysteme (Typ I–VI), die den Transport von Proteinen wie Exoenzyme oder Virulenzfaktoren (S. 648) durch die äußere Membran vermitteln. Dabei kann der Transport über die Cytoplasmamembran sowohl Sec-abhängig (Typ II, V, ▶ Abb. 10.16) als auch Sec-unabhängig (Typ I, III, IV, VI) verlaufen (▶ Abb. 10.17). Ein weiteres Sekretionssystem – Typ VII – wurde bei Mykobakterien gefunden.

Sec-abhängige Systeme ▶ Typ-II-Sekretionssystem. Sekretionssysteme vom Typ II benutzen das Sec-System (in Ausnahmefällen auch das Tat-System) zur Translokation der Proteine ins Periplasma. Am Transport durch die äußere Membran ist danach meist ein Multiproteinkomplex (ca. 12–16 Proteine) beteiligt, wobei einige der Komponenten, darunter ein ATP-bindendes Protein, in der Cytoplasmamembran verankert sind. Das System zeigt Ähnlichkeit zum Synthese-

348

Typ V

Typ II

TpsA

äußere Membran

TpsB

innere Membran

SecYEG

NalP GspDS

GspLCMF SecYEG GspE TpsA

TpsB ATP

ADP + Pi

Abb. 10.16 Sec-abhängige Sekretionssysteme gramnegativer Bakterien. Erläuterungen im Text. (nach Fronzes et al., Nature Rev. Microbiol. 7 (2009):703)

apparat von Typ-IV-Pili (S. 168). Nach diesem Mechanismus wird beispielsweise von Klebsiella oxytoca das Enzym Pullulanase sekretiert, das von Pullulan, einem von Pilzen produzierten Polysaccharid, Maltotrioseeinheiten abspaltet. Das pathogene Bakterium Vibrio cholerae verwendet ein Typ-II-Sekretionssystem (Gsp, engl. general secretion pathway) zum Export des Choleratoxins, das die lebensgefährliche Durchfallerkrankung Cholera (S. 664) auslöst: ▶ Typ-V-Sekretionssystem. Ebenfalls abhängig vom SecSystem sind Typ-V-Sekretionssysteme. Man unterscheidet Autotransporter und Zwei-Partner-Sekretionssysteme (engl. two-partner secretion, TpsAB). Bei Autotransportern ist die Information zur Translokation über die äußere Membran vollständig in der Polypeptidkette selbst enthalten. Der carboxyterminale Teil des Proteins bildet eine Pore in der äußeren Membran, durch die der biologisch aktive (aminoterminale) Anteil des Proteins hindurchtritt und anschließend durch Autoproteolyse freigesetzt wird. Eine Protease von Neisseria gonorrhoeae (IgA1-Protease), aber auch zahlreiche andere Proteine, werden auf diese Weise ins Medium abgegeben (NalP). Bei der Zwei-Partner-Sekretion wird die Pore von einem separat codierten Protein gebildet (TpsB). Mehrere hundert Proteine mit unterschiedlichen Funktionen bei der Besiedlung eukaryontischer Wirte werden so von pathogenen Bakterien durch die Zellmembranen exportiert.

Sec-unabhängige Systeme Transporter vom Typ I, III und VI funktionieren vollkommen und Typ-IV-Systeme meist unabhängig vom SecSystem (▶ Abb. 10.17).

10.6 Translokationssysteme für den Proteinexport Typ IV

Typ III

Typ I

Typ VI

VgrG

VirB5

Hcp

VirB5

VirB2 äußere Membran

VirB7/9

PrgI

VCA0109 TolC

InvGH

SciN

PrgJ VirB10 innere Membran

VirB6/8

HlyD PrgH/K

VlpA/B

HlyB ClpV

VirB11 und VirD

ATP

ADP + Pi

ATP

InvC ADP + Pi

ATP

DotU IcmF Effektoren

ADP + Pi ATP

ADP + Pi

Abb. 10.17 Sec-unabhängige Sekretionssysteme gramnegativer Bakterien. Erläuterungen im Text. (nach Fronzes et al., Nature Rev. Microbiol. 7 (2009):703 und Ma et al., Mol. Plant-Microbe Interactona 24 (2011):751)

▶ Typ-I-Sekretionssystem. Diese Transporter sind im Prinzip ABC-Exportsysteme. Der ABC-Transporter in der Cytoplasmamembran wird über ein ins Periplasma ragendes Membranprotein (Membranfusionsprotein) mit einer Komponente in der äußeren Membran (z. B. TolC, s. auch ▶ Abb. 10.11) verbunden. Es bildet sich eine Translokationspore. Nach dem Typ-I-Mechanismus werden zahlreiche Toxine, darunter das erythrozytenlysierende α-Hämolysin bei bestimmten E.-coli-Stämmen (HlyBD-TolC) (s. ▶ Abb. 10.17) oder die Adenylat-Cyclase bei Bordetella pertussis (Erreger des Keuchhustens) sekretiert. ▶ Typ-III-Sekretionssystem. Dieses System hat eine herausragende Bedeutung bei der Attacke pathogener Bakterien auf die Zellen des Wirts, indem es zellschädigende Enzyme (Effektorproteine) in die Wirte einführt. Für solche Sekretionsproteine wird ein erheblicher Teil der für die Pathogenität erforderlichen genetischen Information bereitgestellt. Die Komponenten dieser Systeme (ca. 20 verschiedene Proteine) bilden Poren aus, welche die Cytoplasmamembran und die äußere Membran überspannen. Die Poren sind mit einer nadelförmigen Struktur verbunden, die Kontakt zur Plasmamembran der Wirtszelle herstellt. Auf diese Weise werden die jeweiligen Substratmoleküle direkt in die Wirtszelle „injiziert“, weshalb Typ-III-Sekretionssystem auch als Injektisom bezeichnet werden (▶ Abb. 10.18). Dabei wird ATP als

Energiequelle benötigt. Die ATP-bindenden Proteine haben Ähnlichkeit mit den entsprechenden Untereinheiten von ABC-Transportern. Beispiele für Typ-III-Sekretionssysteme sind Transporter für Virulenzproteine bei Yersinia enterocolitica (Yops) und Salmonella enterica serovar Typhimurium (bestehend aus Inv- und Prg-Proteinen, ▶ Abb. 10.17). Interessanterweise ähneln diese komplexen Strukturen Ähnlichkeit dem Basalkörper von Flagellen und auch das Flagellin wird durch einen ähnlichen Mechanismus durch den Basalkörper exportiert. ▶ Typ-IV-Sekretionssystem. Diese Transporter sind ebenfalls Multikomponentensysteme (ca. 11 Proteine), die sich wahrscheinlich von dem DNA-Translokationsapparat zur Konjugation befähigter Bakterien (S. 194) ableiten (S. 350). Sekretionssysteme vom Typ IV spielen beispielsweise eine Rolle bei der Übertragung eines DNAProtein-Komplexes in Pflanzenzellen durch das Bodenbakterium Agrobacterium tumefaciens (S. 677) (Vir-Proteine) (S. 199) (s. ▶ Abb. 10.17). Auch das Virulenzprotein CagA bei Helicobacter pylori (S. 665), einem Besiedler der Magenschleimhaut, wird von einem Typ-IV-Sekretionssystem abgegeben. ▶ Typ-VI-Sekretionssystem. Dieses aus mindestens 13 Proteinen bestehende Transportsystem ist in gramnegativen Bakterien weit verbreitet. Es wurde insbesondere

9

Transport durch die Cytoplasmamembran

hydrophobe Translokatorproteine Wirtszellmembran hydrophiles Translokatorprotein Nadel Stift Secretinring äußere Membran Peptidoglykanschicht MS-Ring Cytoplasmamembran Exportapparat

ATPase C-Ring

Abb. 10.18 Modell eines Typ-III-Sekretionssystems (Injektisom). Die Abbildung macht die Ähnlichkeit zum Aufbau einer bakteriellen Flagelle deutlich (s. ▶ Abb. 5.36). (nach Diepold et al. Mol.Microbiol. 85 (2012):878)

auch in solchen Bakterien nachgewiesen, die mit Pflanzen in Kontakt stehen, darunter sowohl Symbionten als auch pathogene Vertreter. Einige Bakterien wie Vibrio cholerae und Pseudomonas aeruginosa verwenden das Typ-VI-System auch zur Injektion von Effektorproteinen in andere Bakterienzellen, wodurch diese abgetötet werden. Bei V. cholerae besteht das System aus den integralen Membranproteinen DotU/IcmF, die den Membrankanal (VipA/B) umschliessen, der über die „Basalplatte“ (VCA0109) mit der Nadelstruktur aus polymerisierten Hcp-Proteinen verbunden ist. Die Nadelspitze wird durch das Vgr-Protein gebildet. Die ClpV-ATPase liefert die zum Transport erforderliche Energie (s. ▶ Abb. 10.17). Das System zeigt Ähnlichkeit zum Injektionsapparat von Bakteriophagen, mit dem diese ihre DNA in die bakterielle Zielzelle einschleusen (s. Kapitel 4 und 6). ▶ Typ-VII-Sekretionssystem. Diese bislang nur wenig bekannten Transporter wurden ursprünglich in (grampositiven) Aktinobakterien, inbesondere in Mykobakterien wie Mycobacterium tuberculosis, dem Erreger der Tuberkulose, gefunden, wo sie zum Export von Toxinen über die spezielle mykolsäurehaltige Zellwand (S. 147) benötigt werden. Inzwischen gibt es jedoch Hinweise, dass sie auch in gramnegativen Bakterien vorkommen. In Mykobakterien können bis zu fünf Typ-VII-Sekretionssysteme in einem Organismus vorhanden sein. Das bislang am besten untersuchte System besteht aus vier konservierten Membranproteinen, darunter eine ATPase.

350

10.7 Aufnahme von DNA Eine Reihe von Bakterien, darunter grampositive Bodenbakterien der Gattung Bacillus, aber auch pathogene Organismen wie Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae und Neisseria gonorrhoeae, können freie DNA aus der Umgebung in das Cytoplasma aufnehmen. Diese Eigenschaft wird als natürliche Kompetenz bezeichnet. Da sich die genetische Ausstattung der Zellen durch die DNA-Aufnahme verändert, spricht man von Transformation (S. 195). Bei der DNA kann es sich um Plasmide handeln oder um DNA-Fragmente, die durch Endonukleasen (DNasen, Restriktionsendonukleasen) produziert werden. Die Zellen versetzen sich auf diese Weise nicht nur in die Lage, defekte Chromosomenabschnitte zu reparieren, sondern können auch Gene für neue Stoffwechselwege oder Virulenzgene aufnehmen. Wie am Beispiel von B. subtilis untersucht, erfolgt die Aufnahme der DNA in mehreren Stufen. Zunächst wird doppelsträngige DNA bevorzugt an speziellen Stellen der Zelloberfläche gebunden, wodurch ein anschließender Abbau durch DNasen zu Fragmenten von ca. 19 kb erleichtert wird. Die nachfolgende Aufnahme erfolgt sehr wahrscheinlich als DNA-Einzelstrang mit einer Geschwindigkeit von 50–200 Basen pro Sekunde. Bei dem Transportsystem handelt es sich meist um einen Proteinkomplex mit Ähnlichkeit zu Typ-III-Sekretionssystemen und Proteinen, die beim Export von Typ-IVPilinmolekülen beteiligt sind. Bei den nahe verwandten Bakterien Helicobacter pylori und Campylobacter jejuni wird dagegen ein zu Typ-IV-Sekretionssystemen ähnlicher Transportkomplex zur DNA-Aufnahme verwendet. Daneben kann DNA auch über den Vorgang der Konjugation (S. 196) direkt zwischen Zellen ausgetauscht werden. Der Transfer eines Einzelstrangs der Donorzelle erfolgt dabei ebenfalls über ein Typ-IV-Sekretionssystem. Die hierfür notwendigen Gene sind auf dem F-Plasmid der Donorzelle lokalisiert. Sowohl ATP als auch die protonenmotorische Kraft werden für den Transport der DNA benötigt. Phagen-DNA wird durch partiell lysierte Zellmembranen ohne direkte Beteiligung von Proteinkanälen injiziert (Kap. 4). Allerdings erfordert die Anheftung der Phagen spezielle Rezeptormoleküle auf der Oberfläche der Rezipientenzelle, wie Proteine (darunter Porine und EisenSiderophor-Rezeptoren), Polysaccharide oder Lipopolysaccharide. Diese Proteine üben im allgemeinen normale Zellfunktionen aus. So dient bei E. coli der Rezeptor für den Phagen λ, das LamB-Protein oder Maltoporin (S. 154), der Aufnahme von Maltodextrinen in das Periplasma.

Transport durch die Cytoplasmamembran

hydrophobe Translokatorproteine Wirtszellmembran hydrophiles Translokatorprotein Nadel Stift Secretinring äußere Membran Peptidoglykanschicht MS-Ring Cytoplasmamembran Exportapparat

ATPase C-Ring

Abb. 10.18 Modell eines Typ-III-Sekretionssystems (Injektisom). Die Abbildung macht die Ähnlichkeit zum Aufbau einer bakteriellen Flagelle deutlich (s. ▶ Abb. 5.36). (nach Diepold et al. Mol.Microbiol. 85 (2012):878)

auch in solchen Bakterien nachgewiesen, die mit Pflanzen in Kontakt stehen, darunter sowohl Symbionten als auch pathogene Vertreter. Einige Bakterien wie Vibrio cholerae und Pseudomonas aeruginosa verwenden das Typ-VI-System auch zur Injektion von Effektorproteinen in andere Bakterienzellen, wodurch diese abgetötet werden. Bei V. cholerae besteht das System aus den integralen Membranproteinen DotU/IcmF, die den Membrankanal (VipA/B) umschliessen, der über die „Basalplatte“ (VCA0109) mit der Nadelstruktur aus polymerisierten Hcp-Proteinen verbunden ist. Die Nadelspitze wird durch das Vgr-Protein gebildet. Die ClpV-ATPase liefert die zum Transport erforderliche Energie (s. ▶ Abb. 10.17). Das System zeigt Ähnlichkeit zum Injektionsapparat von Bakteriophagen, mit dem diese ihre DNA in die bakterielle Zielzelle einschleusen (s. Kapitel 4 und 6). ▶ Typ-VII-Sekretionssystem. Diese bislang nur wenig bekannten Transporter wurden ursprünglich in (grampositiven) Aktinobakterien, inbesondere in Mykobakterien wie Mycobacterium tuberculosis, dem Erreger der Tuberkulose, gefunden, wo sie zum Export von Toxinen über die spezielle mykolsäurehaltige Zellwand (S. 147) benötigt werden. Inzwischen gibt es jedoch Hinweise, dass sie auch in gramnegativen Bakterien vorkommen. In Mykobakterien können bis zu fünf Typ-VII-Sekretionssysteme in einem Organismus vorhanden sein. Das bislang am besten untersuchte System besteht aus vier konservierten Membranproteinen, darunter eine ATPase.

350

10.7 Aufnahme von DNA Eine Reihe von Bakterien, darunter grampositive Bodenbakterien der Gattung Bacillus, aber auch pathogene Organismen wie Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae und Neisseria gonorrhoeae, können freie DNA aus der Umgebung in das Cytoplasma aufnehmen. Diese Eigenschaft wird als natürliche Kompetenz bezeichnet. Da sich die genetische Ausstattung der Zellen durch die DNA-Aufnahme verändert, spricht man von Transformation (S. 195). Bei der DNA kann es sich um Plasmide handeln oder um DNA-Fragmente, die durch Endonukleasen (DNasen, Restriktionsendonukleasen) produziert werden. Die Zellen versetzen sich auf diese Weise nicht nur in die Lage, defekte Chromosomenabschnitte zu reparieren, sondern können auch Gene für neue Stoffwechselwege oder Virulenzgene aufnehmen. Wie am Beispiel von B. subtilis untersucht, erfolgt die Aufnahme der DNA in mehreren Stufen. Zunächst wird doppelsträngige DNA bevorzugt an speziellen Stellen der Zelloberfläche gebunden, wodurch ein anschließender Abbau durch DNasen zu Fragmenten von ca. 19 kb erleichtert wird. Die nachfolgende Aufnahme erfolgt sehr wahrscheinlich als DNA-Einzelstrang mit einer Geschwindigkeit von 50–200 Basen pro Sekunde. Bei dem Transportsystem handelt es sich meist um einen Proteinkomplex mit Ähnlichkeit zu Typ-III-Sekretionssystemen und Proteinen, die beim Export von Typ-IVPilinmolekülen beteiligt sind. Bei den nahe verwandten Bakterien Helicobacter pylori und Campylobacter jejuni wird dagegen ein zu Typ-IV-Sekretionssystemen ähnlicher Transportkomplex zur DNA-Aufnahme verwendet. Daneben kann DNA auch über den Vorgang der Konjugation (S. 196) direkt zwischen Zellen ausgetauscht werden. Der Transfer eines Einzelstrangs der Donorzelle erfolgt dabei ebenfalls über ein Typ-IV-Sekretionssystem. Die hierfür notwendigen Gene sind auf dem F-Plasmid der Donorzelle lokalisiert. Sowohl ATP als auch die protonenmotorische Kraft werden für den Transport der DNA benötigt. Phagen-DNA wird durch partiell lysierte Zellmembranen ohne direkte Beteiligung von Proteinkanälen injiziert (Kap. 4). Allerdings erfordert die Anheftung der Phagen spezielle Rezeptormoleküle auf der Oberfläche der Rezipientenzelle, wie Proteine (darunter Porine und EisenSiderophor-Rezeptoren), Polysaccharide oder Lipopolysaccharide. Diese Proteine üben im allgemeinen normale Zellfunktionen aus. So dient bei E. coli der Rezeptor für den Phagen λ, das LamB-Protein oder Maltoporin (S. 154), der Aufnahme von Maltodextrinen in das Periplasma.

10.7 Aufnahme von DNA

Zusammenfassung ●















Die Cytoplasmamembran ist eine lebenswichtige Struktur aller Zellen. Sie hält die Zellkonsistenz aufrecht, dient der Konservierung von Energie und ermöglicht den Stoffaustausch mit der Umwelt. Transportvorgänge über die Membran können sowohl passiv durch Diffusion als auch aktiv, d. h. energieabhängig, verlaufen und werden mit wenigen Ausnahmen durch spezielle Proteine (Transportproteine) bewerkstelligt. Transportproteine des aktiven Transports ermöglichen die Aufnahme oder Abgabe von Substanzen gegen ein Konzentrationsgefälle. Bei aktivem Transport unterscheidet man primäre und sekundäre Transporter als auch Gruppentranslokation. Primäre Transporter nutzen chemische Energie (meist ATP) als Energiequelle und umfassen ABC-Transporter, Ionen-ATPasen, Decarboxylasen sowie licht- oder redoxgetriebene Systeme. Sekundäre Transporter koppeln die Aufnahme von Substraten oder Abgabe von Produkten an Ionengradienten über der Membran. Man unterscheidet Uniport, Symport und Antiport. Nach dem Prinzip der Gruppentranslokation arbeitet das Phosphotransferasesystem, das von Phosphoenolpyruvat (PEP) abhängig ist. Es dient der Aufnahme von Zuckern und Zuckeralkoholen und kommt nur bei Bacteria und Haloarchaea vor. Hier wird der hoch energetische Phosphatrest des PEP auf das zu transportierende Substrat übertragen. Transportproteine sind an zahlreichen Zellprozessen beteiligt wie der Energiegewinnung, der Aufnahme von Nährstoffen, der Regulation, der Reizerkennung und der Zelldifferenzierung.









M ●

Transportsysteme, die den Export von Substraten in das umgebende Medium ermöglichen, spielen eine wesentliche Rolle bei der Resistenz gegenüber Antibiotika und bei der Besiedlung von Wirtsorganismen durch pathogene Bakterien. Der generelle Export von Proteinen durch die Cytoplasmamembran erfolgt durch zwei Translokationssysteme. Das Sec-System transportiert ungefaltete Proteine unter Verwendung sowohl von ATP als auch des elektrochemischen Protonengradienten als Energiequelle. Zu transportierende Proteine werden an einer aminoterminalen Signalsequenz erkannt, die am Ende des Prozesses durch spezifische Signalpeptidasen abgespalten wird. Das SecSystem ist darüber hinaus an der Biogenese der äußeren Membran und der Sekretion von Effektorproteinen bei gramnegativen Bakterien beteiligt. Das Tat-System transportiert gefaltete, meist cofaktorenthaltende Proteine und benötigt nur den elektrochemischen Protonengradienten als Energiequelle. Die Signalsequenz ist durch ein Motiv aus zwei Argininmolekülen gekennzeichnet. Pathogene gramnegative Bakterien verwenden verschiedene Sekretionssysteme (Typ I–VI) zur Ausschleusung von Effektorproteinen in das umgebende Milieu oder zur direkten Injektion in die Wirtszelle. Die Translokation über die Cytoplasmamembran kann dabei Sec-abhängig oder -unabhängig erfolgen. Ein weiteres Sekretionssystem (Typ VII) wurde bei Mykobakterien zur Überwindung der speziellen Zellwand gefunden. Transportsysteme mit Ähnlichkeiten zu Typ-II- oder TypIV-Sekretionssystemen sind an der Aufnahme von DNA durch Transformation oder Konjugation beteiligt.

Literatur zum Weiterlesen unter: www.thieme.de/literatur-fuchs

1

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Kapitel 11 Abbau organischer Verbindungen

11.1

Überblick

354

11.2

Aerobe und anaerobe Mineralisierung

354

11.3

Gemeinsame Aspekte des Polymerabbaus

355

11.4

Abbau von Polysacchariden

356

11.5

Abbau von Lignin

362

11.6

Abbau von Proteinen, Nukleinsäuren und Lipiden

364

11.7

Abbau niedermolekularer Substanzen

367

11.8

Abbau und Cometabolismus von Xenobiotika 382

11.9

Unvollständige Oxidationen

384

Abbau organischer Verbindungen

11 Abbau organischer Verbindungen Georg Fuchs

11.1 Überblick Mikroorganismen können als Destruenten im Kreislauf des Kohlenstoffs im Prinzip alle natürlichen organischen Verbindungen nutzen. Sie sind nicht nur unter aeroben, sondern auch unter anaeroben Bedingungen an der Mineralisierung der Stoffe wesentlich beteiligt. Die hauptsächlichen Substrate in der Natur sind wasserunlösliche, hochmolekulare Polymere wie beispielsweise die festen Bestandteile des Holzes oder der Blätter. Polymere müssen außerhalb der Zelle der Mikroorganismen abgebaut werden, da sie nicht aufgenommen werden können. Die Abbauwege der verschiedenen Polymere mithilfe ausgeschiedener Enzyme (Exoenzyme) haben viele Gemeinsamkeiten. Exoenzyme haben eine große wirtschaftliche Bedeutung bei der Verwertung von nachwachsenden Rohstoffen und in der Lebensmittelindustrie. Auch sind sie wichtige Pathogenitätsfaktoren von Krankheitserregern. Die freigesetzten Bruchstücke, meist die Bausteine der Polymere, werden in die Zelle transportiert und dort als Nährstoffe genutzt. Die niedermolekularen Verbindungen werden letztlich zu CO2 oxidiert. Hier findet sich eine Vielfalt von biochemischen Prozessen ohnegleichen, sodass nur auf die wichtigsten Stoffwechselwege und Prinzipien eingegangen werden kann. Die Kontrolle der Abbauwege und die übergeordneten Kontrollmechanismen, welche Abbau und Biosynthesen koordinieren, werden in Kap. 16.5 und Kap. 16.7 besprochen. Die Grenzen des Abbaus werden erreicht, wenn chemisch inerte, vom Menschen produzierte Fremdstoffe, sogenannte Xenobiotika, als Nahrungsquelle dienen. Hier erfolgt häufig ein Cometabolismus mit ähnlichen, natürlichen Nährstoffen. Schließlich bauen manche Mikroorganismen bei hohem Nährstoffangebot die organischen Moleküle nicht mehr vollständig ab, sondern begnügen sich mit einer unvollständigen Oxidation. Die Produkte dieser Umsetzung sind wiederum wirtschaftlich interessant.

11.2 Aerobe und anaerobe Mineralisierung Pilze und Bakterien können im Prinzip alle organischen Verbindungen, die von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen jemals gebildet wurden, als Energie- und Kohlenstoffquelle nutzen. Andernfalls würden sich nicht verwertbare Stoffe anhäufen, was nicht geschieht (seltene Ausnahmen, s. u.). Diese Aussagen fasst man als „Prinzip der biologischen Unfehlbarkeit“ zusammen. In diesem Abschnitt wird zunächst allgemein die Mineralisierung

354

a Biomasse

CO2, H2O, NH3, H2S O2 O2 O2

H2O

NO3–, SO42– viel Energie freigesetzt

b Biomasse

CO2, H2O, NH3, H2S NO3– SO42– Fe3+

c Biomasse

N2 H2S Fe2+

weniger Energie freigesetzt

Gärprodukte, NH3, H2S CO2 + CH4 wenig Energie freigesetzt

Abb. 11.1 Mineralisierung von organischem Material. a Abbau durch aerobe Mikroorganismen mithilfe von Sauerstoff. b Abbau durch anaerob atmende Mikroorganismen mithilfe eines alternativen Elektronenakzeptors für eine anaerobe Atmung. c Abbau durch anaerobe Mikroorganismen in Abwesenheit eines Elektronenakzeptors.

der Stoffe, die unter aeroben und anaeroben Bedingungen erfolgen kann, besprochen. Diese beiden Bedingungen führen zu völlig unterschiedlichen Endprodukten und erfordern ganz verschiedene Mikroorganismen (▶ Abb. 11.1). Die Abbaumechanismen werden aber nicht durch diese Bedingungen bestimmt, sondern sind recht einheitlich. Ausnahmen kommen vor, wenn der Angriff auf reaktionsträge Substrate wie Aromaten oder Kohlenwasserstoffe gewöhnlich nur mithilfe von Sauerstoff erfolgt. In diesen Fällen gibt es anaerobe Sonderwege.

11.2.1 Aerobe Mineralisierung Der vollständige aerobe Abbau von organischen Verbindungen ist für ca. 90–95 % des Stoffumsatzes verantwortlich. Er führt zur Mineralisierung, d. h. zu den anorganischen Produkten CO2, H2O, Nitrat, Phosphat und Sulfat (s. ▶ Abb. 12.2, ▶ Abb. 11.1a). Dabei werden Stickstoff und Schwefel erst als Ammoniak (NH3) und Schwefelwasserstoff (H2S) freigesetzt und dann durch Bakterien zu Nitrat und Sulfat oxidiert (s. Kap. 12). Die Mineralisierung ist das Ergebnis eines komplexen Wechselspiels zwischen Pilzen, Hefen und Bakterien mit Protozoen, sowie mit kleinen Tieren wie Nematoden, Würmern und Insekten und ihren Larvenstadien. Zudem findet im Darmtrakt von Tieren ein Teil des Nahrungsaufschlusses, besonders

Abbau organischer Verbindungen

11 Abbau organischer Verbindungen Georg Fuchs

11.1 Überblick Mikroorganismen können als Destruenten im Kreislauf des Kohlenstoffs im Prinzip alle natürlichen organischen Verbindungen nutzen. Sie sind nicht nur unter aeroben, sondern auch unter anaeroben Bedingungen an der Mineralisierung der Stoffe wesentlich beteiligt. Die hauptsächlichen Substrate in der Natur sind wasserunlösliche, hochmolekulare Polymere wie beispielsweise die festen Bestandteile des Holzes oder der Blätter. Polymere müssen außerhalb der Zelle der Mikroorganismen abgebaut werden, da sie nicht aufgenommen werden können. Die Abbauwege der verschiedenen Polymere mithilfe ausgeschiedener Enzyme (Exoenzyme) haben viele Gemeinsamkeiten. Exoenzyme haben eine große wirtschaftliche Bedeutung bei der Verwertung von nachwachsenden Rohstoffen und in der Lebensmittelindustrie. Auch sind sie wichtige Pathogenitätsfaktoren von Krankheitserregern. Die freigesetzten Bruchstücke, meist die Bausteine der Polymere, werden in die Zelle transportiert und dort als Nährstoffe genutzt. Die niedermolekularen Verbindungen werden letztlich zu CO2 oxidiert. Hier findet sich eine Vielfalt von biochemischen Prozessen ohnegleichen, sodass nur auf die wichtigsten Stoffwechselwege und Prinzipien eingegangen werden kann. Die Kontrolle der Abbauwege und die übergeordneten Kontrollmechanismen, welche Abbau und Biosynthesen koordinieren, werden in Kap. 16.5 und Kap. 16.7 besprochen. Die Grenzen des Abbaus werden erreicht, wenn chemisch inerte, vom Menschen produzierte Fremdstoffe, sogenannte Xenobiotika, als Nahrungsquelle dienen. Hier erfolgt häufig ein Cometabolismus mit ähnlichen, natürlichen Nährstoffen. Schließlich bauen manche Mikroorganismen bei hohem Nährstoffangebot die organischen Moleküle nicht mehr vollständig ab, sondern begnügen sich mit einer unvollständigen Oxidation. Die Produkte dieser Umsetzung sind wiederum wirtschaftlich interessant.

11.2 Aerobe und anaerobe Mineralisierung Pilze und Bakterien können im Prinzip alle organischen Verbindungen, die von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen jemals gebildet wurden, als Energie- und Kohlenstoffquelle nutzen. Andernfalls würden sich nicht verwertbare Stoffe anhäufen, was nicht geschieht (seltene Ausnahmen, s. u.). Diese Aussagen fasst man als „Prinzip der biologischen Unfehlbarkeit“ zusammen. In diesem Abschnitt wird zunächst allgemein die Mineralisierung

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a Biomasse

CO2, H2O, NH3, H2S O2 O2 O2

H2O

NO3–, SO42– viel Energie freigesetzt

b Biomasse

CO2, H2O, NH3, H2S NO3– SO42– Fe3+

c Biomasse

N2 H2S Fe2+

weniger Energie freigesetzt

Gärprodukte, NH3, H2S CO2 + CH4 wenig Energie freigesetzt

Abb. 11.1 Mineralisierung von organischem Material. a Abbau durch aerobe Mikroorganismen mithilfe von Sauerstoff. b Abbau durch anaerob atmende Mikroorganismen mithilfe eines alternativen Elektronenakzeptors für eine anaerobe Atmung. c Abbau durch anaerobe Mikroorganismen in Abwesenheit eines Elektronenakzeptors.

der Stoffe, die unter aeroben und anaeroben Bedingungen erfolgen kann, besprochen. Diese beiden Bedingungen führen zu völlig unterschiedlichen Endprodukten und erfordern ganz verschiedene Mikroorganismen (▶ Abb. 11.1). Die Abbaumechanismen werden aber nicht durch diese Bedingungen bestimmt, sondern sind recht einheitlich. Ausnahmen kommen vor, wenn der Angriff auf reaktionsträge Substrate wie Aromaten oder Kohlenwasserstoffe gewöhnlich nur mithilfe von Sauerstoff erfolgt. In diesen Fällen gibt es anaerobe Sonderwege.

11.2.1 Aerobe Mineralisierung Der vollständige aerobe Abbau von organischen Verbindungen ist für ca. 90–95 % des Stoffumsatzes verantwortlich. Er führt zur Mineralisierung, d. h. zu den anorganischen Produkten CO2, H2O, Nitrat, Phosphat und Sulfat (s. ▶ Abb. 12.2, ▶ Abb. 11.1a). Dabei werden Stickstoff und Schwefel erst als Ammoniak (NH3) und Schwefelwasserstoff (H2S) freigesetzt und dann durch Bakterien zu Nitrat und Sulfat oxidiert (s. Kap. 12). Die Mineralisierung ist das Ergebnis eines komplexen Wechselspiels zwischen Pilzen, Hefen und Bakterien mit Protozoen, sowie mit kleinen Tieren wie Nematoden, Würmern und Insekten und ihren Larvenstadien. Zudem findet im Darmtrakt von Tieren ein Teil des Nahrungsaufschlusses, besonders

11.3 Gemeinsame Aspekte des Polymerabbaus von Fasermaterial, mithilfe von anaeroben Mikroorganismen statt. Die vollständige Oxidation von Glucose zu CO2 mithilfe von Sauerstoff nach der Gleichung C6H12O6 + 6 O2 → 6 CO2 + 6 H2O setzt –2870 kJ (ΔG0’) frei. Aerobe Mikroorganismen verwenden etwa die Hälfte der Glucose zur Energiegewinnung, die andere Hälfte für die Synthese von Bausteinen. Auch niedermolekulare Fremdstoffe (Xenobiotika) (S. 382), die in der Natur nicht vorkommen, werden zumindest teilweise umgesetzt. Allerdings sind hier natürliche Grenzen gesetzt: Chemisch resistente Moleküle wie Kohlenwasserstoffe mit mehreren Halogenatomen (wie polychlorierte Biphenyle oder Dioxine), aber auch völlig wasserunlösliche polymere Feststoffe ohne jegliche reaktionsfähige funktionelle Gruppen (Teflon, Polyethylen usw.). Diese Substrate haben kein Gegenstück unter den Naturstoffen, für deren Umsetzung Mikroorganismen Enzyme hätten entwickeln können. Sie sind aus physikalischen oder chemischen Gründen für Enzyme nicht zugänglich. Pilze sind an der aeroben Zersetzung von komplexen Strukturen wie Holz maßgeblich beteiligt. Der Angriff würde von der Oberfläche her zu langsam vor sich gehen. Pilze können dagegen mit ihren Mycelfäden in diese Strukturen eindringen und schaffen so eine große Oberfläche und einen direkten räumlichen Kontakt der Zelle mit ihrem polymeren Substrat. Die mycelbildenden grampositiven Bakterien, die Actinomyceten und Streptomyceten, spielen in dieser Hinsicht im Boden eine ähnliche Rolle wie die Pilze. Die Nährstoffe für das Wachstum können weit entfernt von den Hyphenspitzen bereitgestellt werden, sodass die Hyphen auch ein vorläufig noch wenig ergiebiges Substrat erschließen können. Pilze bevorzugen leicht saures Milieu (die Zerstörung der Vakuole der Pflanzen führt zu lokal saurem pH!) und tolerieren Wassermangel. In wässriger Umgebung dominieren dagegen Bakterien, häufig gramnegative Bakterien. Grampositive Corynebacterium-, Nocardia- und Mykobakterienarten haben wasserabstoßende Oberflächen, die sie für den Abbau von lipophilen Stoffen prädestinieren.

11.2.2 Anaerobe Mineralisierung Unter anaeroben Bedingungen, wenn die Sauerstoffzehrung die Nachdiffusion von Sauerstoff übertrifft, findet ebenfalls eine vollständige Mineralisierung statt, sofern ein anderer Elektronenakzeptor wie Nitrat, Sulfat oder Fe (III) anstelle von Sauerstoff zur Verfügung steht (anaerobe Atmung) (S. 442) (▶ Abb. 11.1b). In anaeroben Meeressedimenten stellt Sulfat einen solchen, fast unerschöpflichen Elektronenakzeptor dar (ca. 28 mM im Meerwasser). Im Fall der Sulfatatmung sieht die Bilanz der vollständigen Mineralisierung zu CO2 wie folgt aus: C6H12O6 + 3 H2SO4 → 6 CO2 + 3 H2S + 6 H2O,

Fehlt jeglicher Elektronenakzeptor, findet eine unvollständige anaerobe Mineralisierung zu Gärprodukten und letztlich zu Biogas (Methan und CO2) statt (▶ Abb. 11.1c). Sie erfolgt in mehreren Stufen, an denen eine Kette von gärenden Bakterien, teilweise auch Hefen und ganz selten anaerobe Pilze beteiligt sind. In dieser Nährstoffkette (S. 612) hat jeder Teilnehmer seinen Platz. Glucose wird zunächst von verschiedenen Gärern gemeinsam nach folgender Bilanz zu Acetat umgesetzt: C6H12O6 + 2 H2O → 2 CH3COOH + 2 CO2 + 4 H2 (ΔG0 = –216 kJ). Methanbildende Archaea setzen dann in einer letzten Stufe die Gärprodukte Acetat, Wasserstoff und CO2 zu Methan und CO2 um, nach der Umsatzgleichung: 2 CH3COOH + 2 CO2 + 4 H2 → 3 CO2 + 3 CH4 + 2 H2O (ΔG0’ = –202 kJ). Die Umsetzung von Glucose zu Biogas erfolgt nach der Summengleichung: C6H12O6 → 3 CO2 + 3 CH4 Sie entspricht einer vollständigen Disproportionierung des Kohlenhydratkohlenstoffs (CH2O)n (Oxidationsstufe 0) zum höchst oxidierten (Oxidationsstufe + 4, CO2) und höchst reduzierten Zustand (Oxidationsstufe –4, CH4). Dieser unter anaeroben Bedingungen bestmögliche Prozess setzt aber nur –418 kJ (ΔG0’) frei. Der geringe Energiebetrag muss für den Lebensunterhalt und das Wachstum von mehreren verschiedenen Bakterien in der Nährstoffkette ausreichen. Der Großteil der potenziellen Energie der Glucose steckt noch im Methan. Vom anaeroben Abbau ausgenommen sind Lignin und ein Großteil der Kohlenwasserstoffe. Deren Anhäufung in Sedimenten und die Biogasbildung haben zur Entstehung von fossilen Kohle- und Öllagerstätten und von Methanhydraten in den urzeitlichen Sümpfen und Sedimenten der Gewässer geführt.

11.3 Gemeinsame Aspekte des Polymerabbaus Die eigentlichen organischen Substrate der Mikroorganismen sind meist wasserunlösliche komplexe Verbundstoffe aus mehreren großen Biopolymeren, von denen keines in die Zelle aufgenommen werden kann. Sie müssen zuerst durch Exoenzyme in ihre monomeren Bausteine oder in oligomere Bruchstücke zerlegt werden. Dabei werden die Bindungen, die bei der Polymersynthese unter Wasseraustritt mit aktivierten Bausteinen geknüpft wurden (Glykosid-, Peptid-, Esterbindung), wieder irreversibel mit Wasser gespalten (Plus 11.1). Die entstehenden wasserlöslichen, niedermolekularen Verbindungen werden dann in die Zelle transportiert und dienen als Nährstoffe.

wobei die freigesetzte Energie mit –480 kJ (ΔG0’) viel geringer ist als bei der aeroben Mineralisierung.

5

11.3 Gemeinsame Aspekte des Polymerabbaus von Fasermaterial, mithilfe von anaeroben Mikroorganismen statt. Die vollständige Oxidation von Glucose zu CO2 mithilfe von Sauerstoff nach der Gleichung C6H12O6 + 6 O2 → 6 CO2 + 6 H2O setzt –2870 kJ (ΔG0’) frei. Aerobe Mikroorganismen verwenden etwa die Hälfte der Glucose zur Energiegewinnung, die andere Hälfte für die Synthese von Bausteinen. Auch niedermolekulare Fremdstoffe (Xenobiotika) (S. 382), die in der Natur nicht vorkommen, werden zumindest teilweise umgesetzt. Allerdings sind hier natürliche Grenzen gesetzt: Chemisch resistente Moleküle wie Kohlenwasserstoffe mit mehreren Halogenatomen (wie polychlorierte Biphenyle oder Dioxine), aber auch völlig wasserunlösliche polymere Feststoffe ohne jegliche reaktionsfähige funktionelle Gruppen (Teflon, Polyethylen usw.). Diese Substrate haben kein Gegenstück unter den Naturstoffen, für deren Umsetzung Mikroorganismen Enzyme hätten entwickeln können. Sie sind aus physikalischen oder chemischen Gründen für Enzyme nicht zugänglich. Pilze sind an der aeroben Zersetzung von komplexen Strukturen wie Holz maßgeblich beteiligt. Der Angriff würde von der Oberfläche her zu langsam vor sich gehen. Pilze können dagegen mit ihren Mycelfäden in diese Strukturen eindringen und schaffen so eine große Oberfläche und einen direkten räumlichen Kontakt der Zelle mit ihrem polymeren Substrat. Die mycelbildenden grampositiven Bakterien, die Actinomyceten und Streptomyceten, spielen in dieser Hinsicht im Boden eine ähnliche Rolle wie die Pilze. Die Nährstoffe für das Wachstum können weit entfernt von den Hyphenspitzen bereitgestellt werden, sodass die Hyphen auch ein vorläufig noch wenig ergiebiges Substrat erschließen können. Pilze bevorzugen leicht saures Milieu (die Zerstörung der Vakuole der Pflanzen führt zu lokal saurem pH!) und tolerieren Wassermangel. In wässriger Umgebung dominieren dagegen Bakterien, häufig gramnegative Bakterien. Grampositive Corynebacterium-, Nocardia- und Mykobakterienarten haben wasserabstoßende Oberflächen, die sie für den Abbau von lipophilen Stoffen prädestinieren.

11.2.2 Anaerobe Mineralisierung Unter anaeroben Bedingungen, wenn die Sauerstoffzehrung die Nachdiffusion von Sauerstoff übertrifft, findet ebenfalls eine vollständige Mineralisierung statt, sofern ein anderer Elektronenakzeptor wie Nitrat, Sulfat oder Fe (III) anstelle von Sauerstoff zur Verfügung steht (anaerobe Atmung) (S. 442) (▶ Abb. 11.1b). In anaeroben Meeressedimenten stellt Sulfat einen solchen, fast unerschöpflichen Elektronenakzeptor dar (ca. 28 mM im Meerwasser). Im Fall der Sulfatatmung sieht die Bilanz der vollständigen Mineralisierung zu CO2 wie folgt aus: C6H12O6 + 3 H2SO4 → 6 CO2 + 3 H2S + 6 H2O,

Fehlt jeglicher Elektronenakzeptor, findet eine unvollständige anaerobe Mineralisierung zu Gärprodukten und letztlich zu Biogas (Methan und CO2) statt (▶ Abb. 11.1c). Sie erfolgt in mehreren Stufen, an denen eine Kette von gärenden Bakterien, teilweise auch Hefen und ganz selten anaerobe Pilze beteiligt sind. In dieser Nährstoffkette (S. 612) hat jeder Teilnehmer seinen Platz. Glucose wird zunächst von verschiedenen Gärern gemeinsam nach folgender Bilanz zu Acetat umgesetzt: C6H12O6 + 2 H2O → 2 CH3COOH + 2 CO2 + 4 H2 (ΔG0 = –216 kJ). Methanbildende Archaea setzen dann in einer letzten Stufe die Gärprodukte Acetat, Wasserstoff und CO2 zu Methan und CO2 um, nach der Umsatzgleichung: 2 CH3COOH + 2 CO2 + 4 H2 → 3 CO2 + 3 CH4 + 2 H2O (ΔG0’ = –202 kJ). Die Umsetzung von Glucose zu Biogas erfolgt nach der Summengleichung: C6H12O6 → 3 CO2 + 3 CH4 Sie entspricht einer vollständigen Disproportionierung des Kohlenhydratkohlenstoffs (CH2O)n (Oxidationsstufe 0) zum höchst oxidierten (Oxidationsstufe + 4, CO2) und höchst reduzierten Zustand (Oxidationsstufe –4, CH4). Dieser unter anaeroben Bedingungen bestmögliche Prozess setzt aber nur –418 kJ (ΔG0’) frei. Der geringe Energiebetrag muss für den Lebensunterhalt und das Wachstum von mehreren verschiedenen Bakterien in der Nährstoffkette ausreichen. Der Großteil der potenziellen Energie der Glucose steckt noch im Methan. Vom anaeroben Abbau ausgenommen sind Lignin und ein Großteil der Kohlenwasserstoffe. Deren Anhäufung in Sedimenten und die Biogasbildung haben zur Entstehung von fossilen Kohle- und Öllagerstätten und von Methanhydraten in den urzeitlichen Sümpfen und Sedimenten der Gewässer geführt.

11.3 Gemeinsame Aspekte des Polymerabbaus Die eigentlichen organischen Substrate der Mikroorganismen sind meist wasserunlösliche komplexe Verbundstoffe aus mehreren großen Biopolymeren, von denen keines in die Zelle aufgenommen werden kann. Sie müssen zuerst durch Exoenzyme in ihre monomeren Bausteine oder in oligomere Bruchstücke zerlegt werden. Dabei werden die Bindungen, die bei der Polymersynthese unter Wasseraustritt mit aktivierten Bausteinen geknüpft wurden (Glykosid-, Peptid-, Esterbindung), wieder irreversibel mit Wasser gespalten (Plus 11.1). Die entstehenden wasserlöslichen, niedermolekularen Verbindungen werden dann in die Zelle transportiert und dienen als Nährstoffe.

wobei die freigesetzte Energie mit –480 kJ (ΔG0’) viel geringer ist als bei der aeroben Mineralisierung.

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Abbau organischer Verbindungen

Plus 11.1 Endo- und Exospaltung

●V

Im Prinzip unterscheidet man zwei Typen von Exoenzymen: Es gibt solche, die ihr polymeres Substrat dort in der Bausteinkette spalten, wo das Substrat leicht zugänglich ist (endospaltend). Und es gibt andere, die von einem Ende der Bausteinkette einzeln oder paarweise Bausteine abspalten (exospaltend). Exospaltende Enzyme spalten nur von einem Ende her, z. B. vom nichtreduzierenden Ende einer Polysaccharidkette oder vom N-terminalen oder C-terminalen Ende eines Proteins. Das Lignin der Pflanzen ist ein besonders schwieriger Fall, da seine Bindungen für Hydrolyse nicht zugänglich sind, sondern Sauerstoff als Reagens erfordern. Der Abbau der Biopolymere erfolgt außerhalb der Zelle durch hydrolytische Exoenzyme und ist der geschwindigkeitsbestimmende Schritt bei der Mineralisation der Stoffe. Er wird dadurch behindert, dass die Substrate meist nicht wasserlöslich sind. Sie sind aufgrund ihrer Verbindung mit anderen Polymeren von chemisch inerter Struktur für Enzyme sozusagen verdeckt (z. B. Lignocellulose der Pflanzen oder der gehärtete Chitinpanzer der Arthropoden), sodass ein Abbau nur durch Kooperation von mehreren Enzymen erfolgreich ist. Auch machen teilweise kristalline Bereiche (Cellulose) die Polymere für die Mikroorganismen, ihre Enzyme und sogar für Wasser schlecht zugänglich. Manche Exoenzyme werden ins Medium ausgeschieden, andere werden an der Außenseite der Zelle, teilweise zusammen mit anderen Enzymen, in Form großer Enzymkomplexe gebunden. Das erlaubt eine Konzentrierung der Enzyme an einer Stelle und den schrittweisen Abbau der angegriffenen Strukturen. Exoenzyme haben daher neben dem katalytisch aktiven Zentrum oft auch

Plus 11.2 Regulation der Sekretion von Exoenzymen Die Sekretion der Exoenzyme erfordert einen Proteinsekretionsapparat und die Synthese wird strikt reguliert. Der Proteinexport wird an anderer Stelle (S. 344) besprochen. Wie erkennt eine Zelle, dass außen ein polymeres Substrat wie Cellulose vorhanden ist? Exoenzyme werden immer in kleinen Mengen gebildet. Die von ihnen freigesetzten charakteristischen oligomeren Bruchstücke der Polymere (z. B. das Disaccharid Cellobiose bzw. ein davon abgeleitetes Isomer) wirken bereits in niedrigen Konzentrationen als Signal für das Vorhandensein des polymeren Substrats (z. B. Cellulose), aus dem sie stammen. Die Bruchstücke werden aufgenommen und induzieren die verstärkte Synthese des Exoenzyms, z. B. durch ein Zweikomponentensystem. Da-

356

Bindestellen für die Anheftung an die eigene Zelloberfläche, an das polymere Substrat und eventuell auch an Oberflächenstrukturen bestimmter Zellen eines Wirtsorganismus. Der Mensch setzt die vielfältigen Exoenzyme für die biotechnologische Nutzung nachwachsender Rohstoffe und ihre Veredelung ein. Sie sind deshalb die bestuntersuchten Enzyme und die gesuchtesten in der Industrie. Für pathogene Mikroorganismen sind Exoenzyme entscheidende Pathogenitätsfaktoren, welche die Strukturen des Wirtes angreifen. Die Sekretion von Exoenzymen und die Regulation ihrer Biosynthese sind spannende biologische Fragen, an denen intensiv gearbeitet wird (Plus 11.2).

11.4 Abbau von Polysacchariden Die Hauptprodukte der pflanzlichen Photosynthese sind letztlich die sichtbaren faserigen oder verholzten Strukturen der Pflanzen, welche hauptsächlich aus Zuckern entstanden sind. Die wichtigsten sind die Strukturpolysaccharide der Pflanzenzellwand: Cellulose (30– 50 %), Hemicellulosen (20–30 %) und Pectin (3–5 %). Die Zucker der Strukturpolysaccharide liegen in der D-Pyranoseform und β-glykosidisch gebunden vor. Die Polysaccharidfasern sind häufig mit Lignin inkrustiert (20– 30 %), das aus aromatischen Verbindungen entstanden ist. Hinzu kommen Speicherpolysaccharide, wie die transient gebildete Stärke in den Chloroplasten und die Stärke in Speichergeweben (2–3 %), welche die Hauptnahrungsquelle des Menschen darstellt. Der Abbau dieser polymeren Kohlenhydrate führt zu Di- und Monosacchariden.

●V

gegen signalisieren monomere Bruchstücke (z. B. Glucose), dass leicht abbaubare Substrate vorhanden sind; sie reprimieren die Exoenzymsynthese (Katabolitrepression, Glucoseeffekt) (S. 506). Sinnvollerweise beginnt die Synthese von Exoenzymen häufig erst beim Übergang in die stationäre Wachstumsphase oder in die Sporulationsphase. Die gut erschließbaren Wachstumssubstrate sind dann aufgezehrt, die Zelle stellt sich auf das Überleben unter Mangelbedingungen und auf Stress ein. Diese Mangelsituation ist eher der Normalzustand im Leben von Mikroorganismen. Diese Regeln zum Abbau von äußeren polymeren Substraten gelten natürlich nicht für die intrazellulären Speicherpolymere (S. 323) und deren Abbau durch intrazelluläre Enzyme.

Abbau organischer Verbindungen

Plus 11.1 Endo- und Exospaltung

●V

Im Prinzip unterscheidet man zwei Typen von Exoenzymen: Es gibt solche, die ihr polymeres Substrat dort in der Bausteinkette spalten, wo das Substrat leicht zugänglich ist (endospaltend). Und es gibt andere, die von einem Ende der Bausteinkette einzeln oder paarweise Bausteine abspalten (exospaltend). Exospaltende Enzyme spalten nur von einem Ende her, z. B. vom nichtreduzierenden Ende einer Polysaccharidkette oder vom N-terminalen oder C-terminalen Ende eines Proteins. Das Lignin der Pflanzen ist ein besonders schwieriger Fall, da seine Bindungen für Hydrolyse nicht zugänglich sind, sondern Sauerstoff als Reagens erfordern. Der Abbau der Biopolymere erfolgt außerhalb der Zelle durch hydrolytische Exoenzyme und ist der geschwindigkeitsbestimmende Schritt bei der Mineralisation der Stoffe. Er wird dadurch behindert, dass die Substrate meist nicht wasserlöslich sind. Sie sind aufgrund ihrer Verbindung mit anderen Polymeren von chemisch inerter Struktur für Enzyme sozusagen verdeckt (z. B. Lignocellulose der Pflanzen oder der gehärtete Chitinpanzer der Arthropoden), sodass ein Abbau nur durch Kooperation von mehreren Enzymen erfolgreich ist. Auch machen teilweise kristalline Bereiche (Cellulose) die Polymere für die Mikroorganismen, ihre Enzyme und sogar für Wasser schlecht zugänglich. Manche Exoenzyme werden ins Medium ausgeschieden, andere werden an der Außenseite der Zelle, teilweise zusammen mit anderen Enzymen, in Form großer Enzymkomplexe gebunden. Das erlaubt eine Konzentrierung der Enzyme an einer Stelle und den schrittweisen Abbau der angegriffenen Strukturen. Exoenzyme haben daher neben dem katalytisch aktiven Zentrum oft auch

Plus 11.2 Regulation der Sekretion von Exoenzymen Die Sekretion der Exoenzyme erfordert einen Proteinsekretionsapparat und die Synthese wird strikt reguliert. Der Proteinexport wird an anderer Stelle (S. 344) besprochen. Wie erkennt eine Zelle, dass außen ein polymeres Substrat wie Cellulose vorhanden ist? Exoenzyme werden immer in kleinen Mengen gebildet. Die von ihnen freigesetzten charakteristischen oligomeren Bruchstücke der Polymere (z. B. das Disaccharid Cellobiose bzw. ein davon abgeleitetes Isomer) wirken bereits in niedrigen Konzentrationen als Signal für das Vorhandensein des polymeren Substrats (z. B. Cellulose), aus dem sie stammen. Die Bruchstücke werden aufgenommen und induzieren die verstärkte Synthese des Exoenzyms, z. B. durch ein Zweikomponentensystem. Da-

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Bindestellen für die Anheftung an die eigene Zelloberfläche, an das polymere Substrat und eventuell auch an Oberflächenstrukturen bestimmter Zellen eines Wirtsorganismus. Der Mensch setzt die vielfältigen Exoenzyme für die biotechnologische Nutzung nachwachsender Rohstoffe und ihre Veredelung ein. Sie sind deshalb die bestuntersuchten Enzyme und die gesuchtesten in der Industrie. Für pathogene Mikroorganismen sind Exoenzyme entscheidende Pathogenitätsfaktoren, welche die Strukturen des Wirtes angreifen. Die Sekretion von Exoenzymen und die Regulation ihrer Biosynthese sind spannende biologische Fragen, an denen intensiv gearbeitet wird (Plus 11.2).

11.4 Abbau von Polysacchariden Die Hauptprodukte der pflanzlichen Photosynthese sind letztlich die sichtbaren faserigen oder verholzten Strukturen der Pflanzen, welche hauptsächlich aus Zuckern entstanden sind. Die wichtigsten sind die Strukturpolysaccharide der Pflanzenzellwand: Cellulose (30– 50 %), Hemicellulosen (20–30 %) und Pectin (3–5 %). Die Zucker der Strukturpolysaccharide liegen in der D-Pyranoseform und β-glykosidisch gebunden vor. Die Polysaccharidfasern sind häufig mit Lignin inkrustiert (20– 30 %), das aus aromatischen Verbindungen entstanden ist. Hinzu kommen Speicherpolysaccharide, wie die transient gebildete Stärke in den Chloroplasten und die Stärke in Speichergeweben (2–3 %), welche die Hauptnahrungsquelle des Menschen darstellt. Der Abbau dieser polymeren Kohlenhydrate führt zu Di- und Monosacchariden.

●V

gegen signalisieren monomere Bruchstücke (z. B. Glucose), dass leicht abbaubare Substrate vorhanden sind; sie reprimieren die Exoenzymsynthese (Katabolitrepression, Glucoseeffekt) (S. 506). Sinnvollerweise beginnt die Synthese von Exoenzymen häufig erst beim Übergang in die stationäre Wachstumsphase oder in die Sporulationsphase. Die gut erschließbaren Wachstumssubstrate sind dann aufgezehrt, die Zelle stellt sich auf das Überleben unter Mangelbedingungen und auf Stress ein. Diese Mangelsituation ist eher der Normalzustand im Leben von Mikroorganismen. Diese Regeln zum Abbau von äußeren polymeren Substraten gelten natürlich nicht für die intrazellulären Speicherpolymere (S. 323) und deren Abbau durch intrazelluläre Enzyme.

11.4 Abbau von Polysacchariden

11.4.1 Cellulose Die Cellulosefibrillen sind in eine Matrix von Hemicellulosen, Pectin und Lignin eingebettet. Eine einzelne Cellulosefibrille besteht aus vielen Mikrofibrillen und diese wiederum aus Elementarfibrillen, die sich aus vielen linearen Cellulosemakromolekülen zusammensetzen. Aufgrund von Wasserstoffbrückenbindungen zwischen benachbarten Zuckerketten bilden sich in den Elementarfibrillen neben den amorphen Bereichen teilweise kristalline Bereiche aus und sie bestimmen die Festigkeit der Cellulose (▶ Abb. 11.2a). Eine Cellulosefaser ist so zugfest wie ein gleich dickes Stück Stahldraht! Die Cellulosemoleküle bestehen aus mehreren Tausend Glucosemolekülen, die β-1,4-glykosidisch gebunden sind. Die Grundeinheit ist das Disaccharid Cellobiose (▶ Abb. 11.2b). In dem fadenförmigen Molekül sind die Zuckereinheiten zickzackförmig jeweils um 180° gegeneinander verdreht. Cellulasen hydrolysieren diese glykosidischen Bindungen. Sie sind an die Oberfläche der Pilze und Bakterien gebunden, stellen auf diese Weise einen engen Kontakt mit dem Substrat her und gewährleisten somit eine rasche Aufnahme der löslichen Spaltprodukte. Die Mikroorganismen legen sich dazu mit ihrer Längsachse parallel zur Faserrichtung eng an die Fibrille. Organismen, die Cellulose abbauen, findet man häufig unter den Actinobacteria, Bacteroidetes, Thermotogae, Chloroflexi und Clostria. Cellulasen bilden eine große Enzymfamilie. Endoglucanasen spalten zuerst die amorphen wasserzugänglichen Bereiche der Cellulose (▶ Abb. 11.2c). Die so freigelegten freien Enden werden vom nichtreduzierenden Ende her von Exoglucanasen (Cellobiohydrolasen) zu Tri- und Disaccharideinheiten (Cellobiose) gespalten. Cellobiose wird durch die Cellobiase (eine β-1,4-Glucosidase) in Glucoseeinheiten gespalten. Glucose und Cellobiose werden dann in die Zelle transportiert (S. 368). Die CellobiosePhosphorylase kann intrazellulär die glykosidische Bindung phosphorolytisch spalten und spart ATP zur Aktivierung von Glucose: Cellobiose + Phosphat → Glucose-1-phosphat + Glucose Einige besondere Aspekte des Celluloseabbaus werden in Plus 11.3 besprochen.

11.4.2 Hemicellulosen Der Begriff Hemicellulosen ist ein Sammelbegriff für alkalilösliche verzweigte Polysaccharide der sekundären Pflanzenzellwand, ausgenommen Cellulose und Pectin. Sie sind die zweithäufigste Zuckerquelle. Das glykosidische C 1-Atom der Zucker (D-Pyranosen) ist mit der OH-Gruppe am C 4-Atom, selten auch an C 3 oder C 6 eines anderen Zuckers β-glykosidisch verknüpft. Nach der Hauptzuckerkomponente unterscheidet man Xylane (aus Xylose), Mannane (aus Mannose) und Galactane (aus Galactose). Hemicellulosen enthalten im Unterschied zur Cellulose noch andere Zucker sowie zahlreiche Sei-

Cellulosemikrofibrille

a

Lignin

Hemicellulosen, vor allem Xylan

b H2COH O OH 1

H2COH O O 4 OH 1

H2COH O O 4 OH 1

β OH Cellobiose

OH

c

H2COH O O 4 OH 1

OH

OH

Cellulose

kristallin

amorph

kristallin Endocellulase

Exocellulase

Cellobiosen und Oligosaccaride

β -Glucosidase

Cellobiose

Glucose

Abb. 11.2 Abbau der pflanzlichen Zellwand. a Aufbau einer Cellulosemikrofibrille aus Cellulose, Hemicellulosen und Lignin. Die Cellulose enthält kristalline und amorphe Bereiche; an letzteren setzt der Abbau ein. b Cellulose besteht aus einer Kette von β-1,4-glykosidisch verknüpften Glucosemolekülen. Das Dissaccharid Cellobiose ist rot gezeichnet, die Pfeile geben die Angriffsstellen der Enzyme an. c Abbau einer Cellulosefibrille. Der Angriff beginnt im amorphen Bereich durch Endocellulase (Endo-β-1,4-Glucanase). Die Exocellulase spaltet von freigesetzten nichtreduzierenden Kettenenden Di- und Oligosaccharide ab. Eine βGlucosidase spaltet ebenfalls die glykosidische Bindung und es entsteht Glucose.

7

Abbau organischer Verbindungen

●V

Plus 11.3 Celluloseabbau Beim Celluloseabbau spielen neben Pilzen auch Bakterien eine große Rolle. Sie sind auf den Abbau komplexer Strukturen spezialisiert und manche Bakterienarten bilden Mycelien. Aerobe celluloseabbauende Organismen findet man in den Myxobakterien, Actinomyceten, Streptomyceten, Cellulomonas- und Bacillus-Arten und anaerobe unter den Clostridium-Arten. Pilze sind besonders effektiv in der Zerstörung von Holz und im Abbau von Cellulose, die stark mit Lignin inkrustiert ist. Braunfäulepilze wie der Hausschwamm greifen Cellulose an und lassen das rotbraune (nicht mehr tragfähige!) Lignin zurück. Bei Clostridien sind insgesamt über

tengruppen wie Acetylester, Methylether und Uronsäuren. Sie bilden kürzere Ketten, sind verzweigt und nicht kristallin, und somit besser wasserlöslich und relativ gut abbaubar. Deshalb ist der Hemicelluloseabbau viel weiter verbreitet als der Celluloseabbau. Xylane stellen den Hauptteil der Hemicellulosen. Im Vergleich zur Cellulose tritt an die Stelle der Hexose β-DGlucose die Pentose β-D-Xylose; diese Pentose unterscheidet sich formal von der Pyranoseform der D-Glucose nur dadurch, dass die C 6-Gruppe (CH2OH) durch ein HAtom ersetzt ist (▶ Abb. 11.3). Xylane enthalten auch Glucuronsäure und Arabinose und sind mit aromatischen (phenolischen) Säuren verestert. Die letzteren sind über Etherbrücken mit dem Lignin verbunden. Für Xylanasen gilt, entsprechend abgewandelt, was über Cellulasen gesagt wurde. Für die hydrolytische Abspaltung der Seiten-

O

O O

OH

1

O

OH 4-O-MethylD-Glucuronsäure H3CO

OH

4

ein Dutzend cellulose- und xylanspaltende Enzyme an derZelloberfläche als Multienzymkomplex organisiert. Dieser ist als Cellulosompartikel elektronenmikroskopisch sichtbar. Vom anaeroben Celluloseabbau im Pansen der Wiederkäuer (Rind, Schaf, Ziege) lebt indirekt der Mensch. Am Abbau beteiligt sind eine eigene anaerobe Bakterien- und Protozoenfauna und in geringem Umfang anaerobe Pilze. Die Gärprodukte Essigsäure, Propionsäure und Buttersäure werden vom Tier resorbiert und die Einzeller werden teilweise im Darm verdaut. Aus den Produkten werden Fett und Eiweiß (Milch, Fleisch) aufgebaut.

gruppen sind zusätzliche Enzyme nötig, die Acetat, Methanol oder Uronsäuren freisetzen. Das Hauptprodukt des Abbaus ist neben Xylose das Disaccharid Xylobiose. Organismen, die Xylan abbauen, verwerten Pentosen meist über den Pentosephosphatzyklus (S. 267).

11.4.3 Pectine Pectine sind Polysaccharide der Mittellamellen der pflanzlichen Zellwand. Sie kommen in löslicher Form auch in Früchten vor (Geliermittel). Es sind polyanionische lineare Polymere aus α-1,4-verbundenen Zuckersäuren wie Galacturonsäure; in diesem Molekül ist die C 6-Gruppe zur Carboxylgruppe oxidiert. Die α-glykosidische Bindung ist leichter einer Spaltung zugänglich als eine β-glykosidische Bindung, weshalb Pectine rasch ab-

O

O β O

1

O

OH

4

COO– OH Xylobiose O O 1 α -Glucuronidase OH

OH O

CO

CH3

Acetylesterase Endo-β -1,4-Xylanase

OH Xylan Xylanasesystem Xylanoligosaccharide Cytoplasmamembran Permease

β -Xylosidase

O OH

O OH 1

HO

β O

4

OH

OH Xylobiose

358

OH

Abb. 11.3 Struktur von Xylan und am Abbau beteiligte Enzyme. Die Pfeile zeigen die Angriffspunkte der entsprechenden Enzyme. Die Xylobioseeinheit ist rot hervorgehoben.

11.4 Abbau von Polysacchariden a COO– O OH

COO CH3 O 1

O

4 OH

COO CH3 O O

1

4

OH

COO CH3 O O

1

4 OH

α OH

OH

OH

OH

Pectin (Polygalacturonsäure) H2O Pectinasen

HO

Pectin-Methylesterasen

COO– O HO OH

Abb. 11.4 Struktur und Abbau von Pectin. a Pectin besteht aus einer Kette von α-1,4glykosidisch verknüpften Galacturonsäuren, die durch die Pectinase, die PectinMethylesterase und die Oligogalacturonase abgebaut werden. Die Pfeile zeigen die Angriffspunkte der entsprechenden Enzyme. b Spaltung durch Polysaccharid-Lyasen.

CH3OH Methanol OH Galacturonsäure

Oligogalacturonide Oligogalacturonase b O O R

COO– O

COO– O O

OH

R

OH

OH OH OH

R'

OH O

OH

COO– O

PolysaccharidLyasen

+ H

COO– O R'

OH O OH

gebaut werden. Die C 6-Säuregruppe ist teilweise mit Methanol verestert (▶ Abb. 11.4a). Pectinasen sind eine komplexe Mischung aus endo- und exospaltenden Enzymen. Neben Hydrolasen gibt es Lyasen, welche eine Hexose-1,4-Uronsäuresequenz durch β-Eliminierung spalten (▶ Abb. 11.4b). Hinzu kommen Methylesterasen, die Methanol freisetzen. Pectine sind die wichtigste Methanolquelle in der Natur. So entsteht Methanol auch bei Gärungen (wird beim Schnapsbrennen jedoch abgetrennt) und man findet methanolverwertende (sog. methylotrophe) Bakterien auf der Blattoberfläche von Pflanzen. Pectinasen aus Pilzen werden genutzt, um Fruchtsäfte zu klären und Früchte enzymatisch zu mazerieren, um die Saftausbeute beim Pressen zu erhöhen. Pectinolytische Fähigkeit ist bei phytopathogenen Bakterien und Pilzen weit verbreitet und ein wichtiger Pathogenitätsfaktor, kommt aber auch bei Bacillen und anaeroben Clostridien vor. Früher machte man sich deren Fähigkeit bei der Flachsröste zunutze. Dabei wird das Pectin der Mittellamelle durch Bakterien verdaut und die Cellulosefasern des Flachsstängels werden somit freigesetzt.

11.4.4 Andere Polysaccharide Neben den Polysacchariden der Pflanzen gibt es eine Vielzahl weiterer Polysaccharide. Von Bedeutung ist Agar, der in marinen Algen teilweise in großen Mengen vorkommt. Agar besteht aus D-Galactose und 3,6-Anhydrogalactose, die alternierend durch β-1,4- und β-1,3-Bindungen verknüpft sind. Bakterien und Pilze produzieren eine Vielzahl von Exopolysacchariden. Auf alle diese Verbindun-

gen einzugehen würde den Rahmen dieses Lehrbuchs sprengen.

11.4.5 Chitin und Murein Aus Chitin bestehen die Zellwandfasern von Pilzen und einigen Algen, aber auch das Exoskelett von Arthropoden (Insekten, Spinnen und Krebstieren). Im Exoskelett werden die Polysaccharide nach der Häutung mit Phenolen quervernetzt („gegerbt“) oder es wird Kalk eingelagert („Calcifizierung“). Diese Prozesse haben ähnliche Auswirkungen wie die Lignifizierung von Cellulose, sowohl was die Stabilität der Struktur als auch was die erschwerte Abbaubarkeit betrifft. Der Abbau des Chitins durch Chitinasen kann deshalb mit dem Lignocelluloseabbau durch Bakterien und Pilze verglichen werden. Dieses wichtige Polysaccharid besteht aus β-1,4-glykosidisch verbundenen Einheiten von N-Acetyl-D-Glucosamin (▶ Abb. 11.5a). Das Produkt des Abbaus ist das Disaccharid Chitobiose, das durch die Chitobiase in seine monomeren Zuckerbausteine N-Acetylglucosamin gespalten wird (▶ Abb. 11.5b). Chitobiose und N-Acetylglucosamin werden dann in die Zelle transportiert. Bei Bakterien geschieht dies oft über das Phosphotransferasesystem (S. 340). N-Acetylglucosamin wird dabei zu N-Acetylglucosamin-6-phosphat aktiviert. Durch Hydrolyse wird die Acetylgruppe abgespalten und das entstandene Glucosamin-6-phosphat wird zu Fructose-6-phosphat desaminiert, aus dem es ursprünglich auch biosynthetisch entstanden ist.

9

Abbau organischer Verbindungen a H2COH

H2COH

β

O OH

1

O O

C

4

OH

NH

O

C

CH3

b

O O

OH

NH

NH O

C

CH3 Chitobiose

O

CH3

nicht-

reduzierendes

reduzierendes Ende (C4)

Die typische Zellwandsubstanz der Bacteria, das Murein, ist ein Peptidoglykan mit alternierend β-1,4-glykosidisch verbundenen Einheiten aus N-Acetylglucosamin und N-Acetylmuraminsäurepentapeptid. Das bekannteste zellwandlytische Enzym ist Lysozym, welches die glykosidische Bindung zwischen dem C 1 der N-Acetylmuraminsäure und dem C 4 des N-Acetylglucosamins spaltet. Dabei entsteht ein Disaccharid mit einem Lactylether und Peptidrest an einem der Aminozucker (▶ Abb. 11.6).

H2COH

Ende (C1) Exochitinase

11.4.6 Stärke

Endochitinase

Chitobiose Chitobiase N-Acetylglucosamin

Abb. 11.5 Struktur und Abbau von Chitin. a Chitin besteht aus einer Kette von β-1,4-glykosidisch verknüpften N-Acetylglucosamineinheiten. Zwei solcher NAcetylglucosamine bilden das Disaccharid Chitobiose (rot dargestellt). b Der Abbau des Chitins erfolgt durch Exo- und Endochitinasen. Die Chitobiase spaltet die entstandene Chitobiose in das Monosaccharid N-Acetylglucosamin. Die Pfeile zeigen die Angriffspunkte der jeweiligen Enzyme.

Chitin kann von Pilzen und Bakterien, darunter insektenpathogene Arten, abgebaut werden. Beispiele sind Bakterien der Cytophagagruppe, Actinomyceten und Streptomyceten. In Sonderfällen wird Chitin zu dem klebrigen Chitosan deacetyliert, für das es technische Anwendungen gibt.

MurNAc

GlcNAc

H2COH O 4

O HC C

MurNAc

O 4 OH

O

NH

O 1

NH

CH3 C O CH3 O

C

4

O

HC

CH3

C

1

NH

O O

Pentapeptid

CH3 C O CH3 O

Pentapeptid Lysozym

H2COH

H2COH O

O OH O

OH HO NH C

O O

CH3

HC C

NH CH3 C O CH3 O

Pentapeptid

360

GlcNAc H2COH O

H2COH 1

Die Stärke, der häufigste Speicherstoff der Pflanzen, besteht aus Hunderten bis Tausenden α-1,4-glykosidisch verknüpften D-Glucoseeinheiten (Amylose). Sie bilden eine Wendel, in die sich Jod einlagern kann (Stärkeblau zum Nachweis von Stärke bzw. von Jod). Amylose ist in heißem Wasser leicht löslich. Häufiger ist das verzweigte Amylopectin, bei dem Zucker in größeren Abständen am C 6-Atom eine α-1,6-verknüpfte Zuckerseitenkette tragen (▶ Abb. 11.7a). Es bildet in heißem Wasser Stärkekleister. Noch stärker verzweigt ist das Glykogen der Tiere, das mit Jod braun reagiert. Endospaltung durch α-Amylasen verflüssigt die Stärke rasch (▶ Abb. 11.7b). Letztlich entstehen, neben Oligosacchariden mit 3–10 Glucoseeinheiten, das Disaccharid Maltose und das Monosaccharid Glucose. Exoabspaltung vom nichtreduzierenden Ende her durch die Glucoamylase liefert Glucose (rasche Verzuckerung). Durch Einwirkung dieser beiden Enzyme allein kommt man schließlich zu einem sogenannten Grenzdextrin, eine Reststärke mit vielen Verzweigungen. Die α-1,6-Bindung an den Verzweigungsstellen wird durch ein drittes, endospaltendes

O

4 OH

1

NH C

O

CH3

Abb. 11.6 Struktur und Abbau von Murein. Murein besteht aus alternierenden β1,4-glykosidisch verknüpften Einheiten aus N-Acetylglucosamin (GlcNAc) und N-Acetylmuraminsäure (MurNAc). Die MurNAc trägt über eine Etherbindung ein Pentapeptid (vgl. ▶ Abb. 5.7); die β-1,4-glykosidische Bindung, welche durch Lysozym gespalten wird, ist mit einem Pfeil gekennzeichnet.

11.4 Abbau von Polysacchariden a

H2COH

H2COH O

OH

OH

HO

nichtreduzierendes Ende

H2COH O

O

4

O OH

H2COH

OH

H2COH O O

α

6 CH2

H2COH

OH

O 4

OH

O OH Amylopectin

OH

1

HO O

O

OH

OH

O H2COH O 1

4

OH

1

O OH

H2COH O

α

4

OH

O α

1

O

4

OH

O

OH

OH

reduzierendes Ende

1

OH OH

Maltose

b Maltose nichtreduzierendes Ende (C4)

CyclodextrinGlycosyltransferase

β -Amylase (α1,4) (in Pflanzen) α -Amylase (α 1,4)

Maltose

Maltotriose

Cyclodextrin

reduzierendes Ende (C1)

Pullulanase (α 1,6) Glucoamylase (α1,4)

α-D-Glucose Abb. 11.7 Struktur und Abbau von Amylopectin. a Amylopectin besteht aus einer Kette von α-1,4-glykosidisch verknüpften Glucoseeinheiten. Etwa bei jedem 25. Glucosemolekül verzweigt sich diese Kette über eine α-1,6-glykosidische Verknüpfung. Die Pfeile geben die Angriffsstellen der abbauenden Enzyme an. b Die verschiedenen Bindungen innerhalb des Amylopectins werden jeweils von spezifischen Enzymen gespalten (beachte, dass sich die Bezeichnung α- und β-Amylase auf die α- bzw. β-Stereokonfiguration der glykosidischen C 1-OH-Gruppe des freigesetzten reduzierenden Endes des Zuckers beziehen; beide Enzyme spalten nur α-glykosidische Bindungen). β-Amylase kommt in Pflanzen, aber selten in Bakterien vor und bildet Maltose.

●V

Plus 11.4 Biotechnologische Aspekte des Stärkeabbaus Stärkehydrolysierende Enzyme haben naturgemäß eine große wirtschaftliche Bedeutung. Die Verwertung von Stärke ist bei Bakterien und Pilzen weit verbreitet, die wichtigsten Enzymproduzenten sind Aspergillus-Arten. Das entzweigende Enzym, welches die α-1,6-Bindung spaltet, wird oft als Pullulanase bezeichnet und ist nach dem Rußtaupilz Aureobasidium pullulans benannt. Dieser Pilz bildet ein lineares Speicherpolymer (Pullulan) aus Maltotrioseeinheiten, welche miteinander α-1,6-verknüpft sind. Aber auch extremophile Bakterien können Stärke mithilfe einer Vielzahl von thermostabilen oder bei Kälte aktiven Glucosidasen abbauen. Hefen bilden dagegen keine Amylasen. Deshalb ist man bei der alkoholischen Vergärung von

Enzym, die Pullulanase, gespalten. Glucose und Maltose sowie niedere Oligomere werden in die Zelle transportiert. Auf die biotechnologischen Aspekte des Stärkeabbaus wird in Plus 11.4 eingegangen.

Stärke enthaltendem Material auf die Amylasen des Keimlings (z. B. beim Bierbrauen und Whiskybrennen) oder auf Pilze wie Aspergillus oryzae (z. B. bei der Herstellung von Reiswein) angewiesen. Eine besondere Reaktion katalysieren Cyclodextrin-Glucosyltransferasen (▶ Abb. 11.7b). Sie haben endo-1,4-spaltende α-Amylaseaktivität, aber die glykosidische Bindung wird vom Enzym übernommen und nicht hydrolysiert. Somit können sie zusätzlich eine glykosidische Bindung zwischen C 1 des reduzierenden Endes und C 4 des nichtreduzierenden Endes kurzer Glucoseketten (6, 7 oder 8 Glucoseeinheiten) ausbilden (Transglykosylierung). Die entstehenden ringförmigen Oligosaccharide, die α-, β-, und γ-Cyclodextrine, sind wegen ihrer Fähigkeit, Einschlusskomplexe zu bilden, technisch vielseitig einsetzbar.

11.4.7 Fructane In vielen Pflanzenfamilien kommen lösliche Fructane (Polyfructosane) als rasch zugängliche Energiespeicher in Vakuolen vor. Fructane bestehen aus einer Saccharoseeinheit, an deren Glucose- oder Fructoseteil weitere Fructosemoleküle gebunden sind. Fructane werden auch von Mikroorganismen rasch verwertet.

1

Abbau organischer Verbindungen

11.5 Abbau von Lignin

Plus 11.5

Der Abbau von Lignin und Kohlenwasserstoffen, die beide nicht durch einfache hydrolytische Spaltung von Bindungen zerlegt werden können, benötigt molekularen Sauerstoff. Lignin ist nach den Kohlenhydraten der mengenmäßig zweitwichtigste Naturstoff, der 10–30 % der Masse der Gefäßpflanzen ausmacht. Dieser persistente Naturstoff wird von Pilzen abgebaut. Der Beitrag von Bakterien, vor allem Actinomyceten und Streptomyceten, zum Ligninabbau ist begrenzt und betrifft eher die letzten Stufen. Lösliche Ligninfragmente dürften dagegen von vielen Bakterien verwertet werden (vgl. Plus 11.14) (S. 377). Lignin findet sich besonders im Holz (18–30 %). Es ist aus aromatischen Phenylpropaneinheiten (C6-C3-Körper) aufgebaut, die aus einem phenolischen Aromaten (C6) mit mindestens einer freien phenolischen OH-Gruppe und einem C3-Alkoholrest mit Doppelbindung entstanden sind. Bei diesen Bausteinen handelt es sich um die Monolignole p-Cumaryl-, Coniferyl- und Sinapinalkohol, die in verschiedenen Pflanzen in unterschiedlichen Mengenverhältnissen vorkommen (▶ Abb. 11.8). Um Struktur und Probleme beim Abbau von Lignin zu verstehen, macht man sich am besten mit der ungewöhnlichen Synthese von Lignin durch die Pflanzen bekannt (Plus 11.5). Pilze bauen Lignin ab, um die Cellulose und Hemicellulosen, die ihre eigentlichen Wachstumssubstrate darstellen, verwerten zu können. Lignin allein kann nicht als einzige C- und Energiequelle dienen. Daneben erschließt der Ligninabbau auch Stickstoff, der in einpolymerisierten Proteinen gebunden ist. Pilze bilden im Gegensatz zu Bakterien Hyphen aus, mit denen sie komplexe Struktu-

a

Bei der Synthese des Lignins in Pflanzen werden die Phenylpropaneinheiten mithilfe von Sauerstoff radikalisch zu einem dreidimensionalen Riesenmolekül mit undefinierter Struktur polymerisiert. Die Synthese folgt der oxidativen Phenolkopplung der Chemie. Durch Entzug eines HAtoms reagiert das entstehende Substratradikal entsprechend seinen mesomeren Grenzstrukturen vor allem mit der Doppelbindung und der phenolischen OH-Gruppe wahllos und spontan mit dem nächstgelegenen Baustein unter Ausbildung einer Bindung. Die in Gang gesetzte Kettenreaktion setzt sich in alle Raumrichtungen fort, bis kein geeignetes Substrat mehr in der Nähe ist. Wie dieser scheinbar willkürlich ablaufende Prozess dennoch gesteuert wird, ist nicht genau bekannt. Die entstehenden Bindungen (β-O-4-Ether-, C-C- und Biarylbindungen) sind chemisch enorm stabil. Lignin ist eng mit Cellulose und Hemicellulosen der sekundären Pflanzenzellwand verknüpft (inkrustiert, Lignocellulose). Diese Verholzung bedingt die Widerstandsfähigkeit, Elastizität und Druckfestigkeit von Holz.

ren netzartig durchdringen können. Das Wachstumssubstrat kann dabei erst einmal weit entfernt von den Hyphenspitzen liegen, denn die Hyphenzellen tauschen untereinander Nährstoffe aus. Weißfäulepilze bauen bevorzugt Hemicellulosen und Lignin ab und lassen die weißen Cellulosefasern zurück. Braunfäulepilzen gelingt es, He-

b

H2COH

OH

2

3

OCH3

CH3O

H2COH

3 R2 1

Radikalische Polymerisation bei der Ligninsynthese

R1

H2C

OH

O

HC HC

R1 = R2 = H : Cumarylalkohol

O

O

H2COH HC

R1 = R2 = –OCH3 : Sinapinalkohol

2

H2COH CH CHOH

CH CH2 H2COH HC

R1 = –OCH3 ConiferylR2 = H alkohol

CH HC

CH

OCH3

OCH3 O

OCH3 H2C O

CHOH

CH2

O

CO

CO OCH3 OH

OCH3

H2COH

CH3O O

1

O

CH CHOH

OCH3 OH

362

●V

Abb. 11.8 Struktur des Lignins. a Struktur der Monolignole. Die Pfeile geben die Positionen an, die bei der Ligninsynthese durch radikalische Polymerisation bevorzugt eine Bindung eingehen. Die Ziffern beziehen sich auf die Bindungen in (b). b Ausschnitt aus einem Ligninkörper aus Coniferylalkohol. ① β-O-4-Etherbindung; ② C-C-Bindung zwischen den Seitenketten; ③ Biarylbindung zwischen zwei Aromatenringen.

11.5 Abbau von Lignin micellulosen und auch Cellulose weitgehend abzubauen. Sie lassen die rotbraune Ligninmasse zurück (Plus 11.3) (S. 358). Der Ligninabbau ist hauptsächlich verantwortlich für die Bildung von Humusstoffen und damit für die Bodenfruchtbarkeit (Plus 11.6). Wegen der Komplexität der wasserunlöslichen Ligninstruktur studiert man den Ligninabbau mit niedermolekularen wasserlöslichen Modellverbindungen. Modellorganismen dafür sind Weißfäulepilze wie Phanerochaete chrysosporium. Der Ligninabbau erfolgt durch extrazelluläre Enzyme, die an den Hyphenspitzen in Membranvesikeln durch Exocytose freigesetzt werden (▶ Abb. 11.9). Die Enzyme haben gemeinsam, dass sie dem Substrat abhängig von Wasserstoffperoxid (H2O2) ein Elektron entziehen. In ▶ Abb. 11.9 ist der Abbau einer löslichen Modellverbindung gezeigt. Die entstehenden Radikalkationen zerfallen spontan in Bruchstücke oder sie knüpfen mit anderen Bruchstücken erneut Bindungen. Der Ligninabbau erfordert neben diesen Exoenzymen also auch Sauerstoff, Hilfsenzyme, eine organische Elektronenquelle für die Bildung von H2O2, sowie Metalle und Komplexbildner. Die organischen Cofaktoren entstehen sinnvoller Weise als Nebenprodukte beim Abbau des Lignins. Beim Abbau wird Lignin in mehrere Bruchstücke gespalten. Die Seitenkette des C6-C3-Körpers ergibt Glykolaldehyd, der Rest der C6-C3-Verbindung liefert ein Benzaldehydderivat, und der phenolische Rest wird aus der Etherbindung freigesetzt. Beide Aldehyde werden mit O2 durch Oxidasen (z. B. Glyoxal-Oxidase) unter Bildung

Plus 11.6 Humusbildung Lignin ist das pflanzliche Massenprodukt, welches biologisch am langsamsten abgebaut wird. Beim Abbau von Pflanzenmaterial bleiben ein großer Teil des Lignins und dessen unvollständige aromatische Abbauprodukte übrig. Sie bilden die Humusstoffe, die für die Bodenfruchtbarkeit entscheidend sind. Unter Luftausschluss, z. B. in Mooren, bleibt Lignin liegen und bildet Torf. Daraus entstehen in geologischen Zeiträumen unter Druck und höherer Temperatur zuerst Lignit, dann Braunkohle und zuletzt Steinkohle. Die Humusbildung aus Lignin ist ein komplexer Vorgang. Es sind auch andere schwer abbaubare Stoffe wie Wachse, Kohlenwasserstoffe, Kohlenhydrate und abbauresistente Proteine daran beteiligt. Während das C : N-Verhältnis im Pflanzenmaterial etwa 40 : 1 ist, ist es im Humus 10 : 1. Freilich liegt der Stickstoff hier nicht in löslichen Verbindungen, sondern in Form von einpolymerisierten N-haltigen Verbindungen (meist Proteine) vor, aus denen er durch Bodenmikroorganismen erst langsam wieder in verwertbarer Form freigesetzt wird. Beim Ligninabbau zu klei-

von H2O2 zu Säuren oxidiert. H2O2 entsteht auch durch Glucose-Oxidase, welche die aus Cellulose freigesetzte Glucose nutzt. Aus dem C2-Bruchstück entsteht letztlich Oxalsäure, ein guter Komplexbildner. Dieser wird benötigt, um Mn-Kationen zu binden. H2O2 ist das Cosubstrat der Peroxidasen; es dient u. a. dazu, Mn2 + zu Mn3 + zu oxidieren. Die ligninspaltenden Enzyme sind vor allem Häm-Enzyme, die Lignin-Peroxidase und die Mn-abhängige Peroxidase. Sie verwenden H2O2 als Oxidationsmittel. Ihre Wirkung kann im Labor durch Fenton-Reagens nachgeahmt werden (Plus 11.7). Daneben spielen die Cu-enthaltenden Laccasen als unspezifische Polyphenol-Oxidasen eine Rolle. Die Mn-abhängige Peroxidase greift vor allem die häufigen β-O-4-Etherbindungen der Phenole an. Mn3 + ist ein unspezifisches starkes Oxidationsmittel (Mn2 + /Mn3 + ; in aquatisierter Form E0’ = + 1,5 V!). Es diffundiert in komplexierter Form von der Peroxidase weg und wird entfernt von der lebenden Hyphe beim Ligninabbau wirksam. Es entzieht dem Lignin ein Elektron und erzeugt so das reaktive Radikalkation. Dabei entsteht Mn2 + , das durch die Peroxidase mithilfe von H2O2 wieder zu Mn3 + oxidiert wird. Möglicherweise spielen noch andere niedermolekulare Mediatoren ein Rolle, die reaktive Radikale erzeugen. Da das Mn3 + -Reagens unspezifisch ist, reagiert es auch mit Fremdstoffen. Ligninabbauende Pilze sind deshalb maßgeblich an der aeroben Beseitigung von Xenobiotika (S. 382) im Boden beteiligt.

●V

neren Bruchstücken und vor allem bei der Spaltung von aromatischen Ringen mit Sauerstoff (S. 372) entstehen viele Carbonsäuregruppen (Huminsäuren). Diese wirken als Kationenaustauscher und bilden zusammen mit basischen Bodenbestandteilen und Tonkolloiden ein günstiges Ionengleichgewicht. Sie binden vor allem Alkali- und Erdalkali-Ionen und puffern den pH-Wert. Wo diese basischen Mineralien fehlen, z. B. in der Heide, in Nadelwald und Torf, reagiert Rohhumus deshalb sauer. Je dicker die Humusschicht, desto größer ist das Wasserrückhaltevermögen des Bodens. In den warmfeuchten Tropengebieten erfolgt die Humuszersetzung durch Bodenmikroorganismen und -tiere so rasch, dass sich keine nennenswerte Bodenschicht ausbilden kann. Die Entwaldung führt zu einer raschen Bodenverarmung und zur Austrocknung. In dem großen euroasiatischen Steppengürtel zwischen Karpaten und Mongolei verhindern dagegen kalte Winter und trockene Sommer die Humusmineralisierung; es bilden sich humusreiche, fruchtbare Schwarzerdeböden.

3

Abbau organischer Verbindungen

Hyphe

H

H2O

H C

H

O O Glyoxal

O2

H2O2

H2O

OH C

C

HO

C

OH C

O O Glyoxylsäure

O2

C

O O Oxalsäure

H2O2

H+ + ½ H2O2 + Mn2+ H2O + Mn3+ Mangan-Peroxidase HO HO α

γ

HO

1

β O

4

OCH3 OCH3 Ausschnitt aus dem Ligninmolekül

Mn3+

Mn2+

HO

HO O

H+ + ½ H2O2 H2O Lingin-Peroxidase

Abb. 11.9 Ligninolytisches System eines Weißfäulepilzes. Um Lignin abbauen zu können, scheidet der Pilz sowohl Enzyme als auch solche Moleküle aus, bei deren Oxidation H2O2 entsteht; H2O2 wird wiederum für den Abbau von Lignin benötigt. Der Abbau verläuft über Radikalkationen, die spontan zerfallen. Die entstehenden Produkte (Alkohole und Aldehyde) werden zum Teil vom Pilz aufgenommen oder dienen den extrazellulären Oxidasen als Substrat, wie z. B. Glykolaldehyd (s. auch Text).

O

H2O

OCH3 OCH3 Radikalkation

spontan

H 2C

OH

C

O Glykolaldehyd

H

HC OH

H+

HO Phenol

OCH3 OCH3

Hyphe

H+, e– andere Produkte Aldehyd

Plus 11.7 Fenton-Reagens

●V

Das Fenton-Reagens (Fe2 + + H2O2) ist ein anorganisches Modell für die Peroxidasen. Gibt man H2O2 mit einer Elektronenquelle wie Fe2 + oder reduziertem Cytochrom c (Fe(II)-Form) zusammen, entsteht ein Hydroxylradikal (Fe2 + + H2O2 → Fe3 + + OH– + OH-Radikal). Das Hydroxylradikal ist das stärkste Oxidationsmittel in biologischen Systemen (OH-Radikal + H+ + e– → H2O; E0’ = + 2,18 V). Es oxidiert wahllos alle möglichen Verbindungen.

364

11.6 Abbau von Proteinen, Nukleinsäuren und Lipiden 11.6.1 Proteine Proteine sind der Hauptbestandteil des Cytoplasmas. Sie bestehen aus den 20 L-Aminosäuren, die linear durch Peptidbindungen verbunden sind. Die Peptidbindungen dieser Makromoleküle werden durch extrazelluläre Enzyme hydrolytisch gespalten. Man unterscheidet endospaltende Proteinasen (oder auch Proteasen genannt) und exospaltende Peptidasen. Peptidasen hydrolysieren entweder vom N-terminalen Ende her einzelne Aminosäuren ab (Aminopeptidasen) oder sie entfernen sie vom C-terminalen Ende her (Carboxypeptidasen) (▶ Abb. 11.10a). Die entstehenden Oligopeptide und Aminosäuren werden in die Zelle transportiert und die Oligopeptide dort durch intrazelluläre Peptidasen zerlegt (▶ Abb. 11.10b). Man unterteilt Proteinasen nach der Natur ihrer katalytisch wirksamen Gruppen in Serin-, Cystein-, Aspartat-

Abbau organischer Verbindungen

Hyphe

H

H2O

H C

H

O O Glyoxal

O2

H2O2

H2O

OH C

C

HO

C

OH C

O O Glyoxylsäure

O2

C

O O Oxalsäure

H2O2

H+ + ½ H2O2 + Mn2+ H2O + Mn3+ Mangan-Peroxidase HO HO α

γ

HO

1

β O

4

OCH3 OCH3 Ausschnitt aus dem Ligninmolekül

Mn3+

Mn2+

HO

HO O

H+ + ½ H2O2 H2O Lingin-Peroxidase

Abb. 11.9 Ligninolytisches System eines Weißfäulepilzes. Um Lignin abbauen zu können, scheidet der Pilz sowohl Enzyme als auch solche Moleküle aus, bei deren Oxidation H2O2 entsteht; H2O2 wird wiederum für den Abbau von Lignin benötigt. Der Abbau verläuft über Radikalkationen, die spontan zerfallen. Die entstehenden Produkte (Alkohole und Aldehyde) werden zum Teil vom Pilz aufgenommen oder dienen den extrazellulären Oxidasen als Substrat, wie z. B. Glykolaldehyd (s. auch Text).

O

H2O

OCH3 OCH3 Radikalkation

spontan

H 2C

OH

C

O Glykolaldehyd

H

HC OH

H+

HO Phenol

OCH3 OCH3

Hyphe

H+, e– andere Produkte Aldehyd

Plus 11.7 Fenton-Reagens

●V

Das Fenton-Reagens (Fe2 + + H2O2) ist ein anorganisches Modell für die Peroxidasen. Gibt man H2O2 mit einer Elektronenquelle wie Fe2 + oder reduziertem Cytochrom c (Fe(II)-Form) zusammen, entsteht ein Hydroxylradikal (Fe2 + + H2O2 → Fe3 + + OH– + OH-Radikal). Das Hydroxylradikal ist das stärkste Oxidationsmittel in biologischen Systemen (OH-Radikal + H+ + e– → H2O; E0’ = + 2,18 V). Es oxidiert wahllos alle möglichen Verbindungen.

364

11.6 Abbau von Proteinen, Nukleinsäuren und Lipiden 11.6.1 Proteine Proteine sind der Hauptbestandteil des Cytoplasmas. Sie bestehen aus den 20 L-Aminosäuren, die linear durch Peptidbindungen verbunden sind. Die Peptidbindungen dieser Makromoleküle werden durch extrazelluläre Enzyme hydrolytisch gespalten. Man unterscheidet endospaltende Proteinasen (oder auch Proteasen genannt) und exospaltende Peptidasen. Peptidasen hydrolysieren entweder vom N-terminalen Ende her einzelne Aminosäuren ab (Aminopeptidasen) oder sie entfernen sie vom C-terminalen Ende her (Carboxypeptidasen) (▶ Abb. 11.10a). Die entstehenden Oligopeptide und Aminosäuren werden in die Zelle transportiert und die Oligopeptide dort durch intrazelluläre Peptidasen zerlegt (▶ Abb. 11.10b). Man unterteilt Proteinasen nach der Natur ihrer katalytisch wirksamen Gruppen in Serin-, Cystein-, Aspartat-

11.6 Abbau von Proteinen, Nukleinsäuren und Lipiden a

C

N

Endoproteinase

Carboxypeptidase (Exopeptidase)

Aminopeptidase (Exopeptidase) b

CH R1

O

R2

C

CH

N H

H2O

O CH

C O–

R1

+ H

●V

Plus 11.8

R2

H N H

CH

+

Abb. 11.10 Abbau von Proteinen. a Spaltstellen der verschiedenen Enzyme. b Hydrolyse der Peptidbindung.

und Metalloproteinasen. Diese Gruppen im aktiven Zentrum lassen sich gezielt hemmen. Für die Praxis ist die Seitenkettenspezifität wichtig, d. h. die Aminosäure, deren Peptidbindung gespalten wird. Ebenso von Bedeutung sind die Temperatur, der pH-Wert oder die Salzkonzentration, bei denen die Enzyme aktiv und stabil sind. Proteinasen werden oft in einer inaktiven längeren PräForm synthetisiert. Durch Eigenverdau oder mithilfe einer aktivierenden anderen Proteinase wird die aktive Form durch Abspaltung eines Peptidrests gebildet. Proteasen, die für den Proteinturnover in der Zelle wichtig sind, werden in Kapitel 16 besprochen. Schwieriger als bei den wasserlöslichen Proteinen ist der Abbau von wasserunlöslichen Strukturproteinen wie Keratin, Elastin oder Collagen und ähnlichen Proteinen, die Bindegewebe, Sehnen, Haare, Hautoberfläche, Horn oder Federn aufbauen. Solche Proteine sind oft durch Disulfidbrücken quervernetzt. Auf die biotechnologische Verwendung der Proteinasen und ihre Rolle als Pathogenitätsfaktoren wird gesondert eingegangen (Plus 11.8). Proteolytische Aktivität testet man z. B. mit einem Gelatinenährboden, den man zum Nachweis von Gelatine mit Säure (HCl) besprüht. Unverbrauchte Gelatine (hauptsächlich Kollagenprotein) fällt weiß aus. Man erkennt eine Proteolyse an dem klaren Hof, der die proteolytischen Kolonien umgibt.

11.6.2 Nukleinsäuren Die Nukleinsäuren RNA und DNA bestehen aus vier (Desoxy)Nukleotiden mit unterschiedlichen Basen, die durch Phosphatesterbindung linear verknüpft sind. Sie bestehen aus Ribose bzw. Desoxyribose, N-glykosidisch gebundener Purin- oder Pyrimidinbase und Phosphat, das die Zuckereinheiten über Diesterbindung verbindet. RNA und DNA werden durch sequenzunabhängige Exoenzyme (Phosphodiesterasen) in Oligonukleotide und schließlich in (Desoxy)Nukleosid-3’-phosphate oder (Desoxy)Nukleosid-5’-phosphate gespalten (▶ Abb. 11.11). Diese

Proteinasen

Die praktische Anwendung von Proteasen reicht von der Milchwirtschaft, Gerberei, Waschmittelherstellung, biologischen Forschung bis zur medizinischen Praxis. Bei pathogenen Bakterien zählen spezifische Proteinasen zu den wichtigsten Pathogenitätsfaktoren. Sie können Bindegewebe auflösen, Hämolysine lysieren Blutzellen. Auch einige hochwirksame Toxine fungieren als Proteinasen, die gezielt Schlüsselproteine der Zelle proteolytisch inaktivieren. Proteolytische Aktivität ist weit verbreitet. Die Aminosäuren dienen als wertvolle C-, N-, S- und Energiequelle. Die meisten Biosynthesewege für Aminosäuren werden nicht benötigt, wenn diese als Bausteine zur Verfügung stehen. Deshalb sind Peptone oder Tryptone häufig Bestandteil von Wachstumsmedien. Dabei handelt es sich um wasserlösliche, durch Hitze nicht mehr fällbare Gemische von Oligopeptiden und Aminosäuren, die durch Pepsin- bzw. Trypsinverdau billiger Eiweißquellen (Milcheiweiß, Sojaeiweiß) erhalten werden. Prokaryonten haben im Unterschied zu höheren Eukaryonten keinen ausgeprägten Proteinturnover. Dennoch spielen intrazelluläre, für ihre Proteinsubstrate hochspezifische Proteinasen auch bei Bakterien eine zentrale Rolle bei der Regulation des Zellstoffwechsels. Hierauf wird in diesem Zusammenhang nicht eingegangen.

5'-Ende O–

O P

O

O CH2

Base

O

3'

3'-Phosphodiesterase O–

O

OH

P O

O 5'

CH2

O–

O

5'-Phosphodiesterase

O

Base

OH

P O

O 3'-Ende

Abb. 11.11 Angriffspunkte für Phosphodiesterasen in einem RNA-Molekül.

werden häufig durch periplasmatische unspezifische Phosphatasen in die (Desoxy)Nukleoside und Phosphat gespalten. Die Bruchstücke werden dann in die Zelle transportiert.

5

Abbau organischer Verbindungen O

O

O

C O

R3

HC O

C O

H2C O

C

H2 C

O

C O

R3

R2

HC O

C

R2

R1

H2C OH

H2O

H2C

H2O

H2O

O C

+ –

Glycerin + 3 Fettsäuren

R1

Abb. 11.12 Natürliche Hydrolyse eines Triacylglycerins durch Lipasen. Die Angriffsstelle der Lipase ist mit einem Pfeil gekennzeichnet. Die Endprodukte der Hydrolyse eines Triacylglycerins sind das Glycerin und die 3 Fettsäuren.

O

Nukleasen teilt man in endo- oder exospaltende Enzyme ein und danach, ob sie RNA, DNA oder RNA-DNA-Hybride, einzelsträngige oder doppelsträngige Nukleinsäuren umsetzen. Intrazelluläre Nukleasen (S. 202) erkennen spezifische Spaltstellen und spielen bei der Regulation des Zellstoffwechsels und im Nukleinsäurestoffwechsel eine entscheidende Rolle. Beim Turnover der Nukleinsäuren in der Zelle werden (Desoxy)Nukleotide frei. Diese, sowie ihre Bestandteile – Basen, (Desoxy)Nukleoside, (Desoxy)Ribosephosphate – werden durch vielerlei Reaktionen für die Biosynthesen von Nukleinsäuren wiederverwertet. Diese Wiederverwertungsreaktionen nennt man Salvage Pathways.

11.6.3 Lipide Lipide sind wichtige Zellbestandteile, die als Phosphooder Glykolipide wesentlich am Aufbau biologischer Membranen beteiligt sind und in Form von Triacylglycerinen als Energiespeicher dienen. Es sind zwar keine Makromoleküle, sie können aber wegen der geringen Wasserlöslichkeit in intakter Form nicht aufgenommen werden und ihr Abbau durch Exoenzyme ähnelt in dieser Hinsicht dem von Makromolekülen. Triacylglycerine (Fette und Öle) enthalten drei Fettsäuren, die mit Glycerin verestert sind (▶ Abb. 11.12). Sie

kommen als Fettspeicher in Samen und Früchten sowie bei Tieren, aber auch bei Hefen vor. Triacylglycerine werden durch Lipasen schrittweise in ihre Bestandteile hydrolysiert. Lipasen sind Esterasen (Acylhydrolasen), die häufig Serin im aktiven Zentrum haben und erst an der Lipid-Wasser-Grenzschicht aktiv werden. Sie werden ins Medium ausgeschieden oder an der Zelloberfläche gebunden. Lipasen sind wichtige Biokatalysatoren, die industriell verwendet werden (Plus 11.9). Die Organismen selbst sind meist an der Oberfläche der Lipidtröpfchen angesiedelt. Unter Phospholipasen fasst man mehrere Enzyme mit unterschiedlichen Spezifitäten zusammen, welche am Abbau von Phospholipiden beteiligt sind. Nur das Enzym, welches Phosphat von Glycerin abspaltet (Phospholipase C), wird als Exoenzym ausgeschieden. Es produziert Diacylglycerin, das leicht durch die Membran diffundiert. Beim Abbau von Membranlipiden können zwischenzeitlich sogenannte Lysophospholipide wie das 1-Acylglycerin-3-phosphat entstehen, die intrazelluläre Signalmoleküle in Eukaryonten darstellen. Sie sind außerdem exzellente Detergenzien, die Membranen schädigen. Manche pathogene Bakterien scheiden daher Phospholipasen aus, um Membranen der Wirtszellen durchlässig zu machen und das Wirtsgewebe zu schädigen.

●V

Plus 11.9 Biotechnologische Aspekte des Lipidabbaus Von biotechnologischer Bedeutung ist die Tatsache, dass Lipasen als nützliche Biokatalysatoren oft in nichtwässrigen Lösungsmitteln noch aktiv sind und dann die Rückreaktion, d. h. die Veresterung von Fettsäuren mit Glycerin oder einem anderen Alkohol, katalysieren. Sie können auch den Alkohol oder die Fettsäure in Estern gegen angebotene andere Verbindungen via Umesterung austauschen (▶ Abb. 11.13). Lipasen spielen als Waschmittelzusatz (Entfernung von Fett) und in der Nahrungsmittelindustrie eine wirtschaftliche Rolle.

a

O

O

H2C OH + C O– R1

R2

H2C O H2O

O

b H2C O

C

H2C O

R4

C

O R4

H2C O R3

Abb. 11.13 Weitere Reaktionen von Lipasen. a Estersynthese. b Umesterung.

366

C

R1 O

R3

R2

O R2

R1

H2C O

C

R1

C

R2

11.7 Abbau niedermolekularer Substanzen

11.7 Abbau niedermolekularer Substanzen Nachdem wir die – meist hydrolytische – Freisetzung der Bausteine aus den wichtigsten organischen Substraten, den biologischen polymeren Makromolekülen, besprochen haben, wenden wir uns dem vollständigen Abbau der niedermolekularen Verbindungen zu. Die meisten von ihnen stammen aus dem Polymerabbau. Die Mineralisierung der Substrate in einem Organismus, d. h. ihr vollständiger Abbau zu CO2, H2O, NH3, H3PO4 und H2S lässt sich bei aller Vielfalt der Stoffwechselwege grundsätzlich in zwei Prozesse einteilen: einen oxidativen und einen reduktiven Teilprozess (S. 263)

Plus 11.10 Untersuchung von Stoffwechselleistungen

(▶ Abb. 8.7). Auf diese Weise lassen sich die biologische Vielfalt und die vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten der Stoffwechselmodule ordnen. In Plus 11.10 werden einige Methoden, die zur Aufklärung von Stoffwechselwegen dienen, vorgestellt. Wenn organische Substrate als Kohlenstoff- und Energiequelle dienen sollen, müssen sie zu wenigstens einem Intermediat der zentralen Stoffwechselwege umgesetzt werden wie z. B. Glucose-6-phosphat oder Acetyl-CoA. Diese sorgen dann für die Endoxidation bis zu CO2 sowie für die Bereitstellung von Baumaterial für die Synthesen. Während die zentralen Stoffwechselwege in der Regel konstitutiv aktiv sind, werden die zuführenden Stoffwechselwege durch die betreffenden Substrate induziert.

●V

Gen wird anhand der Transposonsequenz identifiziert. Der Stoffwechsel ist ein altes, aber keineswegs altmoKomplementiert man das mutierte Gen (Plasmid), so wird disches Thema, beruht doch die Vielfalt der Mikroorganisder Wildtyp wiederhergestellt. Mit DNA-Microarrays (Memen hauptsächlich auf der Vielfalt ihrer Stoffwechselleistunthode 6.6) (S. 223) lassen sich substratinduzierte Gene digen. Der Großteil der Gene, von denen mehr als die Hälfte rekt nachweisen (Transkriptomvergleich). noch unbekannt sind, codiert Produkte, die am Stoffwech- 5. Anschließend werden Zwischenprodukte identifiziert. sel beteiligt sind. Moderne Methoden haben diese Vielfalt Mutanten im Stoffwechsel von A scheiden oft Zwischenleichter zugänglich gemacht. Vor allem die spektroskopiprodukte aus, die wegen der Störung des betreffenden sche Analytik, die hoch auflösende Proteintrennung, die Stoffwechselwegs nicht mehr umgesetzt werden können. Massenspektrometrie und die Genomsequenzierung haben Dazu müssen die Mutanten mit einem anderen Wachsdie Analyse revolutioniert. Die Vorgehensweise bei einer tumssubstrat in Gegenwart von A kultiviert werden. Auch Untersuchung von Stoffwechselleistungen könnte wie folgt unspezifische Hemmstoffe wie Cyanid oder Jodacetamid aussehen: blockieren vielleicht einen Schritt, was zur Ausscheidung 1. Das Praktischste im Leben ist eine gute Theorie: Ein des nicht mehr umsetzbaren Zwischenprodukts führen gründliches Literaturstudium und die Analyse der Genokann. Die Maldi-TOF-Massenspektrometrie (engl. matrixme führen zunächst zu theoretischen Überlegungen, assisted laser desorption ionization-time of flight) erlaubt einer Arbeitshypothese. die Identifizierung und Mengenbestimmung von Hunder2. Wachstumsstudien können erste Hinweise auf Zwiten von Metaboliten (Metabolomvergleich). schenprodukte geben. Das Substratspektrum zeigt, ob 6. Es folgt der Nachweis von Enzymaktivitäten. Der direkte neben Verbindung A auch das vermutete ZwischenproEnzymnachweis in Zellextrakten ist unumgänglich, auch dukt B abgebaut werden. Wenn Zellen, die auf A gewenn alle anderen Daten vorliegen. Er kann je nach Arwachsen sind, sofort B abbauen, könnte dies ein Hinweis beitshypothese auch gleich am Anfang stehen. Dieses Verauf B als Zwischenprodukt sein (simultane Adaptation). fahren erlaubt die Produktion größerer Mengen von (nichtWenn umgekehrt Zellen, die auf B gewachsen sind, A käuflichen) Zwischenprodukten für weitere Enzymnachnicht mehr abbauen, kann das für Regulation des Weges weise. Man kann die Umsetzung von 14C- oder 13C-marA → B sprechen; A → B wird durch A induziert. kiertem A mit Zellextrakten oder Zellsuspensionen verfol3. Ist diese Regulation gegeben, analysiert man mithilfe gen. Die Auftrennung der Produkte erfolgt durch chromader Massenspektrometrie diejenigen Proteine, die durch tographische Verfahren wie HochdruckflüssigkeitschroA, aber nicht durch B induziert werden, und führt einen matographie (HPLC), Dünnschichtchromatographie oder Proteomvergleich durch. Die Peptidsequenzen führen Gaschromatographie. Durch Radiodetektion identifiziert zu den Genen, die oft sogar ein zusammenhängendes man radioaktive Produkte, mit 13C-NMR-Spektroskopie Cluster bilden. und/oder Massenspektrometrie klärt man ihre Struktur 4. In einer Transposonmutagenese werden nach dem Zuund das Einbaumuster des 13C-Kohlenstoffs auf. Oft gelingt fallsprinzip Mutanten hergestellt, aus denen die selekauch die heterologe Produktion von Proteinen, die dann tiert werden, welche im Stoffwechsel von A betroffen auf ihre vermutete enzymatische Funktion getestet wersind und auf A nicht mehr wachsen. Die Mutanten werden. den identifiziert (Stempeltechnik) und das betroffene

7

Abbau organischer Verbindungen

●V

Plus 11.11 Namen der wichtigsten Mono- und Dicarbonsäuren Monocarbonsäuren mit n C-Atomen Name der Säure Name des Salzes Anzahl C-Atome Ameisensäure Formiat C1 Essigsäure Acetat C2 Propionsäure Propionat C3 Buttersäure Butyrat C4 Valeriansäure Valerat, Valerianat C5 Capronsäure Capronat C6 Laurinsäure Laurat C12 Palmitinsäure Palmitat C16 Stearinsäure Stearat C18

Dicarbonsäuren mit n C-Atomen

Formel

Name der Säure Name des Salzes Anzahl C-Atome Oxalsäure Oxalat C2

O H

C OH

Malonsäure Malonat C3

O CH3

C OH

Bernsteinsäure Succinat C4

O CH3

CH2

C OH O

CH3

(CH2)2

C OH O

CH3

(CH2)3

C OH O

CH3

(CH2)4

C

Adipinsäure Adipat C6 Pimelinsäure Pimelat C7

HO

O C

C

O

OH

HO

O C

CH2

C OH

O

HO

O C

(CH2)2

C

O

OH

HO

O C

(CH2)3

C

O

OH

HO

O C

(CH2)4

C OH

O HO

O C

O

(CH2)5

C OH

OH O CH3

(CH2)10

C OH O

CH3

(CH2)14

C OH O

CH3

(CH2)16

C OH

Wir werden im Folgenden diejenigen Abbauprozesse genauer besprechen, die nicht im tierischen Organismus (und damit selten in Lehrbüchern der Biochemie) vorkommen. Die Namen der wichtigsten Mono- und Dicarbonsäuren finden sich in Plus 11.11.

11.7.1 Zucker Zucker sind die Abbauprodukte von Polysacchariden. Daneben spielen lösliche Di- oder Oligosaccharide sowie verschiedene Glykoside, in denen ein Zucker glykosidisch an einen Alkohol gebunden ist, eine große Rolle als Transportzucker, osmotische Schutzsubstanz (engl. compatible solute), Frost- oder Fraßschutzmittel besonders von Pflanzen. Beispiele sind Saccharose, Lactose, Trehalose,

368

Glutarsäure Glutarat C5

Formel

Raffinose und eine Reihe von Bitterstoffen (Tannine). Diese Verbindungen enthalten hauptsächlich Glucose, Galactose, Fructose oder Glucosamin in verschiedenen glykosidischen Verknüpfungen. Die Zuckerabbauwege im Allgemeinen und die besonderen Wege der Archaea wurden bereits besprochen (S. 265). Oligosaccharide, Disaccharide, Glykoside und monomere Zucker werden entweder durch das Phosphotransferasesystem (bei vielen gramnegativen Bakterien) oder durch Permeasen in die Zelle transportiert (▶ Abb. 11.14). Beim Transport durch das Phosphotransferasesystem wird bereits eine Phosphorylgruppe auf das Substrat übertragen (Kap. 10.2.3). Oligosaccharide, Disaccharide und Glykoside können durch Hydrolyse oder Phosphorolyse (Spaltung mit Phosphat) gespalten wer-

11.7 Abbau niedermolekularer Substanzen

ATP

n H+

ADP

Monosaccharid

Monosaccharid

Zuckerphosphat

Abb. 11.14 Aufnahme von Zuckern, Disacchariden und Glykosiden in die Zelle. PEP, Phosphoenolpyruvat.

Permease Pi

n H+ Disaccharid

Zucker I -phosphat + Zucker II

Disaccharid H 2O

Zucker I + Zucker II PEP Zucker-6-phosphat

Monosaccharid Pyruvat Phosphotransferasesystem

H2O

PEP Disaccharid6-phosphat

Disaccharid Pyruvat

Zucker I -6-phosphat + Zucker II H 2O

PEP Glykosid6-phosphat

Glykosid Pyruvat

Glucose-6-phosphat + Alkohol

Pentose

Hexose 1

Abb. 11.15 Strukturen verschiedener Zucker und ihrer Derivate.

1

CHO

H2COH C

1

C

HO

C

H

HO

C

H

H

C

OH

H

C

OH

H

C

OH

HO

C

H

H

C

OH

H

C

OH

H

C

OH

OH

6

O

CHO

H

6

5

1

H2COH C

O

HO

C

H

H

C

OH

5

H2COH

H2COH

H2COH

H2COH

D-Glucose (Aldose)

D-Fructose (Ketose)

D-Xylose (Aldose)

D-Xylulose (Ketose)

Hexuronat

Hexuronid

Hexonat 1

CHO COO– β O O 1 OH

R

H

C

OH

HO

C

H

H

C C

H

HO

COO–

H

C

HO

C

H

OH

H

C

OH

OH

H

C

OH

6

OH

OH β-D-Glucuronide

COO– D-Glucuronat

H2COH D-Gluconat

Glucosid

Aminozucker

Hexitol H2COH

H2COH O OH

1

HO OH

O R α

α-D-Glucosid

H2COH β O OH OH 2 HO NH2 β-D-Glucosamin

H

C

HO

C

OH H

H

C

OH

H

C

OH

H2COH D-Glucitol

9

Abbau organischer Verbindungen den. Man erhält verschiedene Zucker, Zucker-1-phosphate und Zucker-6-phosphate. Kinasen setzen die freien Zucker zu Zucker-1-phosphaten oder Zucker-6-phosphaten um, die dann über Glucose-1-phosphat oder Glucose-6phosphat weiter abgebaut werden (S. 265). Verschiedene Zucker und Derivate sind in ▶ Abb. 11.15 gezeigt. Einige charakteristische Reaktionen des Zuckerabbaus sind in ▶ Abb. 11.16 zusammengefasst. Die Umwandlung von verschiedenen Hexosen zu Glucose- oder Fructosephosphaten erfordert die Induktion von wenigen zusätzlichen Enzymen. Zu den Reaktionen gehören Phosphorylierung mit ATP, Phosphorolyse von Glykosiden, KetoEnol-Isomerisierung, Oxidation und Reduktion, sowie zusätzliche Reaktionen zur Entfernung von Substituenten wie Acetylester, Methylether oder Aminogruppen. So wird N-Acetylglucosamin nach Aufnahme durch das Phosphotransferasesystem zu N-Acetylglucosamin-6phosphat. Dieses wird zunächst deacetyliert und dann desaminiert zu Fructose-6-phosphat. Zuckeralkohole werden zu Ketosen oxidiert. Speicherglykogen wird phosphorolytisch abgebaut zu Glucose-1-phosphat, welches zu Glucose-6-phosphat isomerisiert wird. Einige Bakterien, die auf den Abbau von Hexonaten (z. B. Gluconsäure) spezialisiert sind, oxidieren Glucose durch eine periplasmatische Glucose-Dehydrogenase zu Gluconsäure. Gluconsäure wird aufgenommen, zu 6-Phosphogluconat umgesetzt und über den KDPG-Weg (S. 269) abgebaut. Pentosen, die vor allem aus dem Abbau von Hemicellulosen stammen, werden zu D-Xylulose-5-phosphat umgewandelt. Dieses kann mit Ribose-5-phosphat über den Pentosephosphatzyklus (S. 267) in Fructose-6-phosphat und Glycerinaldehyd-3-phosphat umgewandelt werden.

Der weitere Abbau erfolgt dann über die Glykolyse (S. 265). Ein besonderer Abbauweg der Pentosen, der Phosphoketolaseweg, wird bei der heterofermentativen Milchsäuregärung (S. 417) beschrieben. Desoxyribose-5phosphat aus dem DNA-Abbau wird durch eine spezielle Aldolase in Acetaldehyd und Glycerinaldehyd-3-phosphat gespalten.

11.7.2 Aminosäuren Die Abbauprodukte der Proteine, Oligopeptide und LAminosäuren, werden durch verschiedenartige Transportsysteme in die Zelle aufgenommen. Die Oligopeptide werden intrazellulär durch unspezifische Peptidasen zu Aminosäuren hydrolysiert. D-Aminosäuren werden durch Racemasen in die L-Form umgewandelt. Der erste Schritt im Abbau von Aminosäuren ist die Entfernung der αAminogruppe. Dafür gibt es drei Möglichkeiten: ▶ Oxidative Desaminierung. Die α-Aminogruppe wird unter Entzug von 2 H zur 2-Iminogruppe oxidiert und daraus wird hydrolytisch NH3 abgespalten. Es entsteht die 2-Oxogruppe. Diese Reaktionen katalysieren NAD+-abhängige Dehydrogenasen wie die Glutamat- und die Alanin-Dehydrogenase. Alternativ werden die Aminosäuren durch relativ substratunspezifische Aminosäure-Oxidasen oxidiert und desaminiert. Es sind Flavoenzyme, welche die zwei Elektronen direkt auf die Cytochrome der Atmungskette übertragen (▶ Abb. 11.17a). ▶ Transaminierung. Die α-Aminogruppe wird auf die Ketogruppe einer 2-Oxosäure übertragen. Der N-Empfän-

Glucose Galactose

Glykogen

Galactose-1-phosphat

Glucose-1-phosphat

Glucose-6-phosphat

Gluconat

6-Phosphogluconolacton

N-Acetylglucosamin-6-phosphat Mannose-6-phosphat

Fructose

Fructose-1-Phosphat

6-Phosphogluconat CO2

Fructose-6-phosphat

Fructose-1,6-bisphosphat

Dihydroxyacetonphosphat

Ribose-5-phosphat

Ribulose-5-phosphat

Xylulose-5-phosphat TA TK Glycerinaldehyd3-phosphat

2-Keto-3-desoxy6-phosphogluconat

Phosphoenolpyruvat

Pyruvat

Abb. 11.16 Charakteristische Reaktionen des Abbaus und der Umwandlung von Zuckern, Aminozuckern und Gluconsäure. TA, Transaldolase; TK, Transketolase.

370

11.7 Abbau niedermolekularer Substanzen a Dehydrogenasen oder Oxidasen –

H2N



COO

COO α C H

COO



HN

R

H2O

αC

R

2 [H]



O

+

NH3

R

b Transaminasen COO– H2N

C

H

COO– +

R1

C

COO– αC

O

R2

O

COO– +

H2N

C

H

Abb. 11.17 Entfernung der α-Aminogruppe der Aminosäuren. Weitere Erklärungen siehe Text. a Oxidative Desaminierung. b Transaminierung. c liminierung bei Serin, Cystein und Threonin. d Eliminierung bei Aspartat, Histidin und Phenylalanin. e Eliminierung bei Tyrosin und Tryptophan.

R2

R1

c Dehydratasen oder Desulfhydrasen

H2 N H

COO– α C H C OH β (SH) R

COO–

COO– H2N



NH

β CH H2O (H2S)

R

H2O

COO–

C

C

CH2

CH2

O

R

R

+ NH3

d Aminosäure-Ammoniak-Lyase H2N H

COO– α C H C β R

COO– CH H

H

C

+

NH3

R

e C-C-Lyasen COO–

COO–

H2N

C

H



H

C β R

H

H2 N

β CH2

COO– NH

H 2O

COO–

C

C

CH3

CH3

R–H

ger ist in der Regel 2-Oxoglutarat oder Pyruvat aus dem Zentralstoffwechsel. Diese Reaktionen katalysieren Transaminasen. Das entstandene Glutamat bzw. Alanin wird dann durch Glutamat-Dehydrogenase bzw. Alanin-Dehydrogenase wieder desaminiert (▶ Abb. 11.17b). ▶ Desaminierung durch Eliminierung. Diese Reaktion setzt voraus, dass die Eliminierung von Ammoniak vom α-C-Atom durch geeignete Substituenten am β-C-Atom erleichtert wird. Folgende Möglichkeiten der Eliminierung von Ammoniak vom α-C-Atom gibt es: 1. Die Aminosäuren Serin, Cystein und Threonin enthalten in β-Stellung zur Carboxylgruppe eine elektronenanziehende Hydroxyl- oder Thiolgruppe, die unter Austritt von H2O bzw. H2S leicht eliminiert werden können. Die entstandene Zwischenverbindung trägt eine α-β-C = C-Doppelbindung. Es ist ein Enamin (analog zu einem Enol), das im tautomeren Gleichgewicht bevorzugt in der 2-Ketiminform (analog zu einem Keton) vorliegt (analog der Keto-Enol-Tautomerie). Das Imin wird hydrolytisch gespalten zur 2-Oxosäure (Pyruvat, 2-Oxobutyrat) und NH3. Diese Reaktionen katalysieren Dehydratasen und Desulfhydrasen (▶ Abb. 11.17c).

O

+ NH3

Pyruvat

2. Die Aminosäuren Aspartat, Histidin und Phenylalanin tragen Substituenten am β-C-Atom, welche ein delokalisiertes π-Elektronensystem aufweisen (Carboxylat-, Imidazol- bzw. Benzolgruppe). Solche Substituenten stabilisieren die α-β-C = C-Doppelbindung, die entsteht, wenn aus jenen Aminosäuren direkt NH3 eliminiert wird. Solche Eliminierungsreaktionen werden von Aminosäure-Ammoniak-Lyasen katalysiert (▶ Abb. 11.17d). 3. Einen Sonderfall stellen die Aminosäuren Tyrosin und Tryptophan dar. Sie enthalten am β-C-Atom einen aromatischen oder heterozyklischen Substituenten, der leicht als Phenol bzw. Indol eliminiert werden kann (die Indolbildung aus Tryptophan wird auch als diagnostisches Merkmal genutzt). Die verbliebene C3-Seitenkette dieser Aminosäuren enthält dann eine α-βC = C-Doppelbindung. Die Enaminverbindung wird, wie oben beschrieben, leicht hydrolytisch desaminiert, man erhält Pyruvat und NH3. Diese Reaktionen werden von C-C-Lyasen katalysiert (▶ Abb. 11.17e). Basische Aminosäuren können (meist unter anaeroben Bedingungen) auch zuerst durch Aminosäure-Decarboxylasen decarboxyliert werden. Es entstehen die entsprechenden, übelriechenden primären Amine (früher als Lei-

1

Abbau organischer Verbindungen chengifte bezeichnet). Es sind Basen, die bei neutralem pH-Wert als Kationen vorliegen; aus Lysin entsteht so Cadaverin, aus Arginin Agmatin. Die Decarboxylierung dient zur Neutralisation von sauren Gärprodukten und zur Kontrolle des intrazellulären pH-Wertes. Diese biogenen Amine sind auch die Bausteine der löslichen Polyamine, die in verschiedenen Prokaryonten in größerer Konzentration vorkommen und deren Funktion man nicht genau kennt. Vermutlich dienen sie als positiv geladene Gegenionen für die negativ geladenen Nukleinsäuren. Die Amine können auch desaminiert und über die entsprechenden Fettsäuren abgebaut werden. Die Abbauwege der stickstoffreien Derivate der Aminosäuren führen schließlich zu Intermediaten des Zentralstoffwechsels. Der Abbau der meisten Aminosäuren mündet in die zentralen Intermediate, aus denen sie gebildet wurden. Freilich sind Synthese- und Abbauwege nicht identisch. So entsteht beim Abbau von Aminosäuren der Glutamatfamilie 2-Oxoglutarat, während die meisten Aminosäuren der Aspartatfamilie Oxalacetat ergeben, die der Pyruvatfamilie Pyruvat und die der Serinfamilie 3-Phosphoglycerat. Die aromatischen Aminosäuren und Histidin bilden Ausnahmen.

11.7.3 Aromatische Verbindungen Der Abbau von aromatischen Verbindungen ist eine Domäne der Mikroorganismen. Aromaten wie die Benzolderivate bilden nach den Kohlenhydraten die zweithäufigste organische Substanzklasse und sind deshalb verbreitete und wichtige Wachstumssubstrate. Hauptquellen sind das pflanzliche polymere Lignin und zellwandgebundene einfache phenolische Säuren; aber auch viele niedermolekulare Produkte des pflanzlichen Sekundärstoffwechsels (Flavonoide, Chinone usw.), und drei der 20 LAminosäuren enthalten aromatische Ringe. Die Reaktionen im oxidativen Teil des Stoffwechsels (S. 263) (▶ Abb. 8.7), durch die die Substrate vollständig zu CO2 oxidiert werden, führen die Reaktionsschritte ohne Beteiligung von O2 durch; die Reduktionsäquivalente werden auf NAD+ oder, selten, auf Chinone übertragen. Es gibt jedoch eine Ausnahme: Um die zyklischen Strukturen mit ihrer hohen Resonanzenergie aufzubrechen, ist im aeroben Stoffwechsel molekularer Sauerstoff als Cosubstrat notwendig (Plus 11.12). Wir werden einen zweiten Fall kennenlernen, die Kohlenwasserstoffe, deren C-C- und C-H-Bindungen chemisch ebenfalls so reaktionsträge (paraffin) sind, dass sie aerob mithilfe von molekularem Sauerstoff angegriffen werden. Daher werden die Oxygenasen, die solche Reaktionen katalysieren, hier genauer besprochen. Unter anoxischen Bedingungen bedarf es besonderer Anstrengung, Sauerstoff als Mittel zur Aktivierung dieser reaktionsträgen Verbindungen zu ersetzen.

372

Plus 11.12 Resonanzenergie

●V

Aromaten sind durch eine hohe Resonanzenergie stabilisiert. Diese theoretische Größe spiegelt die Energiedifferenz zwischen dem energieärmeren delokalisierten πElektronensystem und den energiereicheren, lokalisiert gedachten drei Doppelbindungen wieder. Bei Benzol beträgt die Resonanzenergie + 150 kJ! Aromaten möchten deshalb ihre elektronische und konformationale Struktur beibehalten und gehen Substitutionsreaktionen ein, aber nicht elektrophile Additionsreaktionen. Die Resonanzenergie stabilisiert also die aromatische Struktur und behindert Schritte, die den aromatischen Charakter schwächen oder aufheben. Allerdings lassen sich Aromaten und Kohlenwasserstoffe mithilfe von Sauerstoff angreifen. Da molekularer Sauerstoff in einem Tripletzustand (3O2) mit zwei ungepaarten Elektronen vorliegt, ist er kinetisch stabil und nicht reaktiv (sonst würde alles spontan an Luft verbrennen). Er reagiert aber rasch mit einfach besetzten Elektronenorbitalen von Ionen der Übergangsmetalle (vor allem Fe) sowie mit Radikalen wie Flavinen. Deshalb enthalten die meisten Oxygenasen ein Übergangsmetall oder einen FAD-Cofaktor.

Aerober Abbau von Aromaten ▶ Oxygenasen. Oxygenasen können den aromatischen Ring angreifen. Es sind Oxidoreduktasen, die Sauerstoffatome aus O2 in ihre Substrate einbauen. Monoxygenasen (Hydroxylasen) bauen nur ein O-Atom ein, das andere O-Atom wird zu H2O reduziert (▶ Abb. 11.18). Sie hydroxylieren Aromaten oder Kohlenwasserstoffe und benötigen dazu einen reduzierten Cofaktor. Dieser Elektronendonator kann NAD(P)H, ein reduziertes Flavin (oder Flavoprotein) oder ein reduziertes Pteridin sein; seltener ist es ein zweites organisches Cosubstrat (wie 2Oxoglutarat, das zu Succinat und CO2 oxidiert wird). Cytochrom-P450-abhängige Monooxygenasen sind die häufigsten Oxygenasen bei Biosynthesen und Abbauschritten in Eukaryonten; bei Prokaryonten spielen sie eine untergeordnete Rolle. Monooxygenasen benötigen den reduzierten Cofaktor für die Aktivierung des Sauerstoffs zu einem im aktiven Zentrum gebundenen Peroxid (R-O-OH). Das Peroxid kann ein Sauerstoffatom auf das Substrat übertragen, das andere Sauerstoffatom wird als H2O abgespalten. Dioxygenasen bauen beide O-Atome in das Substrat ein. Sie können ebenfalls Aromaten dihydroxylieren und dabei zum Dihydrodiol reduzieren, und auch die Dioxygenasen benötigen dazu einen reduzierten Cofaktor. Ihre wichtigste Funktion ist aber die Spaltung des aromatischen Ringes, eine Reaktion, für die kein reduzierter Cofaktor erforderlich ist.

11.7 Abbau niedermolekularer Substanzen a O2

H

H2O

H

H2O

NADH + H+

NAD+

OH

OH H

O R

2[H]

R

R

H Arenoxid

OH

R

OH trans-Dihydrodiol

Brenzcatechin

b H

O2

2[H]

OH

OH OH R

NADH + H+

NAD+

O2

H2O

NADH + H+

NAD+

R H cis-Dihydrodiol

OH

R

Brenzcatechin

c

R

d O

O2

R

OH

NADH + H+

H2O

OH

Brenzcatechin

O C

S

CoA O2

O C

H2O

OH

R

NAD+

Abb. 11.18 Oxygenasereaktionen, die an der aeroben Umsetzung von aromatischen Verbindungen im peripheren Stoffwechsel beteiligt sind. a Umsetzung über ein Epoxid und transDihydrodiol. b Umsetzung mit einer Dioxygenase/Reduktase über das cis-Dihydrodiol. c Umsetzung über zwei Monooxygenasen, falls der Aromat schon eine funktionelle Gruppe enthält. d Epoxidbildung am Beispiel von Phenylacetyl-CoA. Anders als in a wird das Epoxid nicht zum Dihydrodiol umgesetzt, sondern der Ring wird hydrolytisch gespalten.

O

S

CoA

C H2O

S

CoA

O O

NADPH + H+

NADP+

Vor der Ringspaltung durch ringspaltende Dioxygenasen muss der aromatische Ring zweifach hydroxyliert werden, sodass eine „catecholische“ Verbindung (ein dihydroxylierter aromatischer Ring) entsteht. Die wichtigsten dihydroxylierten Substrate der ringspaltenden Dioxygenasen sind Brenzcatechin (engl. catechol; 1,2-Dihydroxybenzol), Protocatechuat (3,4-Dihydroxybenzoat) und Gentisat (2,5-Dihydroxybenzoat). Nach der Art der Ringspaltung unterscheidet man zwei Klassen: IntradiolDioxygenasen benötigen Fe3 + , um den Ring ortho zu (= zwischen) den Hydroxylsubstituenten zu spalten. Extradiol-Dioxygenasen benötigen Fe2 + oder andere divalente Metallionen, um den Ring meta zu (= neben) den Hydroxylsubstituenten zu spalten; sie sind vielseitiger als die Intradiol-Dioxygenasen. Oxygenasen sind nicht zu verwechseln mit Oxidasen, welche ein Substrat dehydrogenieren und die Elektronen letztlich auf Sauerstoff übertragen, unter Bildung von H2O oder H2O2. ▶ Peripherer und zentraler Stoffwechselweg. Die meisten Aromaten werden von Pflanzen synthetisert, können von diesen aber nicht abgebaut werden. Auch Tiere können nur wenige Aromaten vollständig oxidieren. Der Aromatenstoffwechsel ist also weitgehend den Pilzen und Bakterien vorbehalten! Anhand weniger Prinzipien lässt sich die zugrunde liegende biologische Strategie des aeroben Aromatenabbaus gut verstehen. Wegen der Vielfalt der Aromaten kann aus ökonomischen Gründen nicht für jede Einzelverbindung ein eigener Weg eingeschlagen

werden. Daher erfolgt der Abbau der vielen verschiedenen Substrate, die in der Natur immer in Substratgemischen vorliegen, in zwei Stufen. In einem ersten Schritt werden ganze Gruppen von Substraten in einige wenige zentrale Verbindungen überführt, deren aromatischer Ring durch die Einführung von Hydroxylgruppen in 1,2- oder 1,4-Stellung verändert ist. Diese konvergierenden oder kanalisierenden Reaktionen nennt man periphere Stoffwechselwege (engl. upper pathways). An ihnen sind verschiedene, mehr oder weniger substratspezifische Oxygenasen beteiligt, die durch die betreffenden Substrate induziert werden. Die wenigen zentralen Intermediate sind hauptsächlich Brenzcatechin, Protocatechusäure (▶ Abb. 11.19a) sowie Gentisinsäure (2,5-Dihydroxybenzoesäure) und Homogentisinsäure (2,5-Dihydroxyphenylessigsäure). Die Möglichkeiten, Hydroxylgruppen oder Epoxidgruppen mithilfe von Oxygenasen in den aromatischen Ring einzuführen, sind in ▶ Abb. 11.18 gezeigt. ▶ Abb. 11.19a zeigt stellvertretend, wie eine Gruppe von aromatischen Verbindungen in die zentralen Intermediate Brenzcatechin und Protocatechuat überführt werden; viele der einfachsubstituierten und die 1,2-disubstituierten aromatischen Ringe werden zu Brenzkatechin abgebaut. Die Substituenten des aromatischen Ringes, ausgenommen OHGruppen, werden häufig vor der Ringspaltung entfernt, aliphatische Seitenketten werden verkürzt. Chlor-, Nitround Sulfonatgruppen von Xenobiotika werden meist durch Oxygenasen abgespalten. An ihre Stelle tritt dann die OH-Gruppe.

3

Abbau organischer Verbindungen COO–

a COO– R

COO



COO–

Anthranilat (R=NH2) Salicylat (R=OH) Benzol (R=H) Phenol (R=OH) Toluol (R=CH3 Benzoat (R=COO–)

OH OH Caffeat

Cinnamat

OH

COO–

OH 3-OH-Benzoat

R

COO–

OH 4-OH-Benzoat

OH OH Protocatechuat

OH Brenzcatechin CH3

b

COO–

COO– OH Kresole

R OH 4-OH-Benzoat Benzol (R=H) Phenol (R=OH) Toluol (R=CH3 Benzoat (R=COO–)

Phenylacetat

O C S CoA

Benzoyl-CoA

CH3

Ethylbenzol

Abb. 11.19 Zentrale Intermediate des Aromatenabbaus. a Unter aeroben Bedingungen hauptsächlich gebildete Intermediate sind Brenzcatechin und Protocatechuat. b Unter anaeroben Bedingungen wird hauptsächlich Benzoyl-CoA gebildet.

Im zweiten Schritt werden die Intermediate im zentralen Stoffwechselweg (engl. lower pathway) weiter abgebaut. Aufgrund der 1,2- bzw. 1,4-Dihydroxygruppierung können die aromatischen C-C-Bindungen des Ringes durch wenige ringspaltende Dioxygenasen mithilfe von Sauerstoff gespalten werden; die entstehenden nichtzyklischen Verbindungen werden dann zu zentralen Stoffwechselprodukten abgebaut. Der zentrale Stoffwechselweg wird meist durch das Substrat des ringspaltenden Enzyms induziert. Es handelt sich also um eine sequenzielle Induktion. Der weitere Abbau soll am Beispiel von Brenzcatechin besprochen werden (▶ Abb. 11.20). Die ringspaltenden Dioxygenasen, die ortho oder intradiol spalten, bilden eine ungesättigte Dicarbonsäure. Dieser Weg wird nach dem späteren Intermediat 3-Oxoadipat (β-Ketoadipat) auch β-Ketoadipatweg genannt. Die Extradiol-Dioxygenasen bilden den ungesättigten Semialdehyd einer 2-Hydroxydicarbonsäure. Der weitere Abbau führt zu Acetaldehyd und Pyruvat. Für Protocatechusäure gilt sinngemäß das Gleiche. Die Verbindung trägt lediglich eine Carboxylgruppe in paraStellung zu einer der OH-Gruppen. Gentisinsäure und Homogentisinsäure werden durch Dioxygenasen zwischen dem OH-tragenden C-Atom und dem benachbarten C-Atom mit der COOH- oder CH2-COOH-Seitengruppe in einer Art ortho-Spaltung gespalten. Die Abbauwege füh-

374

ren zu Succinat und Pyruvat (im Fall von Gentisat) bzw. zu Succinat und Acetoacetat (im Fall von Homogentisat). Phenylessigsäure, die vor allem aus Phenylalanin entsteht, und teilweise auch Benzoesäure werden in Bakterien auf ungewöhnliche Art abgebaut. Zuerst erfolgt die ATP-verbrauchende Aktivierung zum Coenzym-A-Thioester; alle folgenden Zwischenverbindungen sind an Coenzym A gebunden. Anschließend wird der Ring zu einem nichtaromatischen Epoxid hydroxyliert (Abb. 11.18d) und hydrolytisch gespalten. Neben den besprochenen Beispielen gibt es noch einige weniger verbreitete Aromatenabbauwege. Die Enzyme dieser Stoffwechselwege werden nur bei Bedarf gebildet. Die Wahl des verwendeten Abbauwegs (d. h. die Art der Kombination von peripherem und zentralem Stoffwechselweg) hängt von verschiedenen Faktoren ab. Allein für den Angriff auf Toluol gibt es fünf verschiedene Oxygenasen. Unter anderem sind einige Zwischenprodukte reaktiv (z. B. Aldehyde) und können in Gegenwart von Sauerstoff toxische, oft braune Nebenprodukte bilden, vor allem bei meta-Spaltung.

Anaerober Abbau von Aromaten Aus dem Bedarf des aeroben Aromatenstoffwechsels für Sauerstoff als Cosubstrat für Oxygenasen könnte man folgern, dass ein anaerober Stoffwechsel von Aromaten nicht möglich ist. Dies trifft für das polymere Substrat Li-

11.7 Abbau niedermolekularer Substanzen

OH 1 3 2

orthoSpaltung O2

OH Brenzcatechin

1 Catechol-1,2Dioxygenase COO– COO

COO– C

Catechol-2,3- 1 Dioxygenase

CHO COO– OH

2-Hydroxymuconsäuresemialdehyd H2 O

Hydrolase 7

HCOO– Ameisensäure

O

Muconolacton Muconolacton3 Isomerase COO–

O

O2



cis-,cis-Muconat Muconat lactoni2 sierendes Enzym

O

metaSpaltung

C

O

CH2

COO–

Abb. 11.20 Aerober ortho- und metaSpaltungsweg von Brenzcatechin (Catechol). Dioxygenasen führen Sauerstoff ein und spalten den Ring (①). Beim orthoSpaltungsweg (links) wird zunächst ein Lacton gebildet (②), gefolgt von einer Umlagerung der Doppelbindung zu einem labilen Enollacton (③), das irreversibel zu 3Oxoadipat geöffnet wird (④). Dieses wird durch Übertragung des Coenzym-A-Restes von Succinyl-CoA zum CoA-Thioester aktiviert (⑤) und dann zu Acetyl-CoA und Succinyl-CoA (welches gleich zur Aktivierung verwendet wird) thiolytisch gespalten (⑥). Beim meta-Spaltungsweg (rechts) wird vom Semialdehyd Ameisensäure abgespalten (⑦) und man gelangt nach Wasseranlagerung an die Doppelbindung (⑧) und Aldolspaltung (⑨) der C5-Verbindung zu Acetaldehyd und Pyruvat.

HC

CO C H2 2-Oxo-penta-4-enoat H2O

Hydratase 8

4-Oxoadipatenollacton 4

Lactonase

O

COO– CO

COO–

CH2

COO– HO

β-Ketoadipat Succinyl-CoA 5

C

H

CH3

Coenzym-A-Transferase Succinat

4-Hydroxy-2-oxo-valeriat Aldolase

9

O

O

SCoA COO– 6

Acetaldehyd + Pyruvat

HSCoA β -Ketoadipyl-CoA-Thiolase O



OOC

CH2

CH2

Succinyl-CoA

C

O + CH3 C SCoA SCoA Acetyl-CoA

gnin tatsächlich zu. Niedermolekulare Verbindungen sind dagegen vollständig von Bakterien (nicht aber von Pilzen) mineralisierbar, aber die Ringstruktur muss durch ein völlig anderes Prinzip gebrochen werden. Dies geschieht, wie aus der Chemie bekannt, durch Reduktion mit einem besonders starken Reduktionsmittel. Auch die Vorbereitung der Substrate für die Ringreduktion, d. h. die Reaktionen der peripheren Stoffwechselwege, verläuft anders und liefert andere zentrale Intermediate als im aeroben Stoffwechsel. Diese anaeroben Intermediate sind für einen reduktiven Angriff geeignet. Sie enthalten elektronenziehende Substituenten, die die Übertragung von Elektronen auf den Ring erleichtern. Die Umsetzung ver-

schiedener Aromaten im peripheren Stoffwechsel konvergiert beim Benzoyl-CoA, dem wichtigsten (aber nicht einzigen) zentralen Intermediat des anaeroben Aromatenabbaus (▶ Abb. 11.19b). ▶ Abb. 11.21 zeigt das Prinzip des zentralen anaeroben Stoffwechselwegs, auch Benzoyl-CoA-Weg genannt, am Beispiel von Benzoesäure. Er beginnt mit der Aktivierung der Benzoesäure zu Benzoyl-CoA. Der entscheidende Schritt ist die Reduktion von Benzoyl-CoA durch die Benzoyl-CoA-Reduktase, einem Schlüsselenzym des anaeroben Aromatenstoffwechsels. In fakultativ anaeroben Bakterien benötigt das Enzym dafür zwei ATP. Aus energetischen Überlegungen lässt sich ableiten, dass strikt anae-

5

Abbau organischer Verbindungen

COO–

CO

1

2 Benzoyl-CoA-Reduktase

Benzoat

Benzoyl-CoA

CO

SCoA O

2 H 2O

HO β

SCoA

2 ADP + 2 Pi

2 ATP

2 [H]

HS CoA

CO

CO

SCoA

AMP + PPi

ATP

CO H2O

H H

SCoA OH

3

2 [H] 3

H

H CyclohexadienCarboxy-CoA

SCoA COO–

3

6 [H] 3 Acetyl-CoA + 1 CO2

4 3-Hydroxypimelyl-CoA

Abb. 11.21 Anaerober zentraler Stoffwechsel von Benzoyl-CoA. Der Abbau besteht aus folgenden vier Teilprozessen. ① Aktivierung der Carboxylgruppe von Benzoat mit Coenzym A zu Benzoyl-CoA. Die Carboxythioestergruppe direkt am Ring wirkt stark elektronenanziehend und erleichtert die Ringreduktion. ② Reduktion des Rings in Teilschritten, bei denen abwechselnd Elektronen und Protonen übertragen werden. Dabei dient Ferredoxin mit negativem Redoxpotenzial als Elektronendonator. Bei der Übertragung des ersten Elektrons auf den Ring muss eine hohe Potenzialdifferenz überwunden werden. Dies gelingt auf zweierlei Art. Das ringreduzierende Enzym Benzoyl-CoA-Reduktase in fakultativ anaeroben und in phototrophen Bakterien spaltet 2 ATP pro Reaktion. Das Gegenstück der strikt anaeroben Bakterien benötigt kein ATP. Es erreicht auf bisher unbekannte Weise, dass ein Redoxpotenzial von wenigstens –620 mV am Enzym entsteht. Dieser Wert entspricht dem Redoxpotenzial des Reduktionsschritts ③ Das entstehende, zyklische Dien wird in einer Art β-Oxidation umgesetzt; der Kohlenstoffring wird hydrolytisch geöffnet. ④ Das Produkt, eine C7Dicarbonsäure, wird weiter durch β-Oxidation zu Acetyl-CoA umgesetzt.

robe Bakterien Benzoyl-CoA in einer ATP-unabhängigen Weise dearomatisieren müssen, sonst würde nicht genügend ATP im Gesamtstoffwechsel gebildet werden. Die Benzoyl-CoA-Reduktase der strikten Anaerobier ist tatsächlich ein völlig anderes Enzym und benötigt kein ATP. Der weitere Abbau führt zu 3 Acetyl-CoA, 1 CO2 und 6 [H]. Die zuvor investierten ATP werden im späteren Stoffwechsel zurückgewonnen, sodass netto ATP übrig bleibt. Anaerob atmende sowie anaerobe, photosynthetisierende Bakterien gewinnen ihre Energie aus der angeschlossenen anaeroben Atmung, in der Acetyl-CoA oxidiert wird, oder aus der Photosynthese. Auch im anaeroben Aromatenstoffwechsel gibt es eine faszinierende Vielfalt (Plus 11.13).

Plus 11.13

●V

Varianten des anaeroben Aromatenstoffwechsels Resorcin (1,3-Dihydroxybenzol) und Phloroglucin (1,3,5Trihydroxybenzol), zwei andere zentrale Intermediate, haben im Unterschied zu Benzoesäure zwei oder drei zueinander metaständige Hydroxylgruppen, welche den aromatischen Charakter schwächen. Man kann sich die beiden Moleküle als zyklische Ketone vorstellen. Folgerichtig lässt sich Resorcin ohne ATP allein durch zwei Elektronen aus dem Ferredoxin und Phloroglucin bereits mit NADPH zu einem nichtaromatischen zyklischen Produkt (Diketon) reduzieren. Der Abbau durch eine Art β-Oxidation ergibt drei Acetyl-CoA.

11.7.4 Kohlenwasserstoffe Aerober Abbau von Kohlenwasserstoffen Wie der Stoffwechsel der Aromaten ist auch der Stoffwechsel der reaktionsträgen Kohlenwasserstoffe eine Domäne der Pilze und Bakterien. Beide Aufgaben stellen eine mechanistische und teilweise auch energetische Herausforderung dar. Kohlenwasserstoffe (Alkane, Paraffine) sind Bestandteile von Paraffinen und Erdöl, sie kommen aber auch in der Wachsschicht von Blättern und Früchten vor. Verzweigte Alkane und Alkene befinden sich in der großen Gruppe der Terpene sowie in Kautschuk und kautschukähnlichen Pflanzensäften. Diese wasserunlöslichen niedermolekularen Verbindungen bereiten besondere Probleme. Kohlenwasserstoffe werden mit zunehmender Kettenlänge immer weniger wasserlöslich. Deshalb scheiden Mikroorganismen Emulgatoren aus oder haben eine wachsartige Oberfläche, die die Anheftung an lipophiles Substrat und dessen Aufnahme erlaubt (Plus 11.14). Kohlenwasserstoffe mit ihren stabilen C-C- und C-HBindungen sind so wenig reaktiv (paraffin), dass sie aerob nur mithilfe von Oxygenasen und molekularem Sauerstoff angegriffen werden können. Es gibt mehrere Möglichkeiten des Angriffs, bei denen letzten Endes ein primärer Alkohol entsteht (▶ Abb. 11.22). Am häufigsten ist der terminale Angriff durch eine Alkan-Monooxygenase am Ende des Moleküls (▶ Abb. 11.22 ①). Es entsteht der entsprechende primäre Alkohol: R-CH3 + O2 + NAD(P)H + H+ → R-CH2-OH + H2O + NAD(P)+

376

11.7 Abbau niedermolekularer Substanzen

Plus 11.14 Das Problem wasserunlöslicher Substrate Kohlenwasserstoffe werden mit zunehmender Kettenlänge immer weniger wasserlöslich. Gesättigte lineare Kohlenwasserstoffe sind bei 20 °C entweder gasförmig (C1 bis C4), flüssig (C5 bis C16) oder fest (ab C17). Der Abbau der flüssigen oder festen Alkane ist langsam und erfordert Emulgatoren (engl. surfactants). Es handelt sich um eine sehr verschiedenartige Substanzklasse von amphiphilen Molekülen, z. B. Glykolipiden. Bei den Glykolipiden bilden Zucker den polaren Teil, der mit dem Wasser in Kontakt tritt, während die unpolaren Fettsäurenseitenketten an den Kohlenwasserstoff binden. Die Emulgatoren werden ausgeschieden oder an die Zelloberfläche der Organismen gebunden, um eine große Kohlenwasserstoff-Wasser-Grenzschicht zu schaffen. Es entstehen winzige Alkantröpfchen (Micellen), die die Zugänglichkeit für Sauerstoff verbessern und die Aufnahme in die Zelle erleichtern. Diese Aufnahme setzt einen direkten Kontakt der hydrophoben (= lipophilen) Oberfläche der Mikroorganismen mit den emulgierten Substrattröpfchen voraus.

Der Alkohol wird über die entsprechende Fettsäure abgebaut. Seltener ist die diterminale Oxidation, welche zu Dicarbonsäuren führt. Der terminale Angriff durch eine Dioxygenase liefert ein Alkanperoxid (▶ Abb. 11.22 ②), aus welchem durch Reduktion Wasser abgespalten wird und so der primäre Alkohol entsteht: R-CH3 + O2 → R-CH2-O-O-H → R-CH2-OH Die seltene subterminale Oxidation an C 2 durch eine Monooyxgenase liefert einen sekundären Alkohol mit einer 2-Hydroxygruppe (▶ Abb. 11.22 ③). Diese wird zur 2-Ketogruppe oxidiert. Chemisch lässt sich in die C-CBindung neben einer Ketogruppe leicht ein Sauerstoffatom einschieben, man erhält dann einen Ester. Diese sogenannte Baeyer-Villiger-Oxidation wird durch spezielle Monooxygenasen „nachgeahmt“. Aus dem 2-Keton des nAlkans resultiert ein Acetylester, der zu Essigsäure und den um zwei C-Atome kürzeren primären Alkohol hydrolysiert wird. Der primäre Alkohol wird anschließend zur Fettsäure oxidiert. Die bakteriellen Alkan-Monooxygenasen sind membrangebundene Metalloenzyme. Der Elektronendonator ist oft Rubredoxin, ein kleines, eisenenthaltendes Protein, das wiederum durch eine NADH-abhängige Reduktase reduziert wird. Diese Enzyme oxidieren meist den Alkohol unter Verbrauch von zusätzlichen 3 NADH und 3 O2 weiter zur Säure. Bei Pilzen und Hefen gehören die Alkan-Monooxygenasen zur großen Familie der Cytochrom-P450-Monooxygenasen. Diese Hämproteine sind Monooxygenasen und werden direkt durch NADH-abhängige Reduktasen reduziert.

●V

Die Aufnahme der Substrate ist der geschwindigkeitsbestimmende Schritt. Sie erfolgt durch Diffusion durch die Membran oder eine Aufnahme in Form von Mikrotröpfchen mihilfe eines nicht genau bekannten Mechanismus. Am aeroben Abbau langkettiger Kohlenwasserstoffe sind hauptsächlich Pilze und Hefen beteiligt, aber auch verschiedene Bakteriengruppen sind darauf spezialisiert. Einige der grampositiven Bakterien der Hoch-(GC)-Aktinobakterienlinie (Arthrobacter, Corynebakterien, Mykobakterien, Nocardien, Actinomyceten, Streptomyceten) haben an ihrer Oberfläche hydrophobe Substanzen, z. B. wachsartige Mykolsäuren, welche die Anheftung an das Substrat möglich machen. Aber auch gramnegative Bakterien (Pseudomonas, Acinetobacter) sind unter den Alkanverwertern vertreten. Kurzkettige Kohlenwasserstoffe, ausgenommen Methan, spielen in der Natur eine untergeordnete Rolle. Sie werden von wenigen Spezialisten verwertet.

Die Ausführungen gelten abgewandelt auch für Alkene, deren C = C-Doppelbindung das Molekül reaktiver macht, sodass hier eine Epoxidbildung die Regel ist. Das Epoxid wird hydrolytisch gespalten und man erhält das Dihydroxyalkan. Verzweigte Alkane werden durch Hydroxylierung an beiden Enden noch langsamer abgebaut – je verzweigter die Moleküle, desto schlechter der Abbau. Der weitere Abbau von Alkoholen und Fettsäuren wird weiter unten (S. 379) besprochen. ▶ Oxidation von Methan. Methan ist der häufigste natürliche Kohlenwasserstoff und wohl das häufigste organische Molekül auf diesem Planeten, wie die sensationelle Entdeckung der riesigen Methanhydratlager in Meeressedimenten ab 400 m Wassertiefe und in Permafrostböden zeigt. Methangas ist in Wasser hinreichend löslich und damit für Mikroorganismen ein gut zugängliches Substrat. Allerdings ist es am schwierigsten von allen Kohlenwasserstoffen angreifbar (die C-H-Bindung hat eine Bindungsenergie von + 440 kJ!) und Substrat von Spezialisten unter den Bakterien. Methan wird durch eine komplex aufgebaute, kupferenthaltende, membrangebundene Methan-Monooxygenase zu Methanol oxidiert (▶ Abb. 11.23a). Die Methan-Monooxygenase-Reaktion verbraucht NADH und Sauerstoff und liefert keinen Beitrag zur Energiegewinnung. Das Enzym hat eine geringe Wechselzahl und hydroxyliert auch andere relativ inerte Verbindungen wie NH3 oder Toluol. Die Weiteroxidation von Methanol zu CO2 über die Formaldehyd- und Ameisensäurestufe erfolgt in drei Dehydrogenierungsschritten und liefert 6 [H], von denen 2 [H] für die Reaktion der Methan-Monooxy-

7

Abbau organischer Verbindungen

1

2

3

terminal

terminal

subterminal

H3C

CH2

CH3

(CH2)n

H3C

CH2

CH2 (CH2)n

n-Alkan O2 2 [H] H3 C

CH2

CH2OH

H3C

CH2 (CH2)n

primärer Alkohol

CH2

O O H

Aldehyd-Dehydrogenase

H2O H3 C

CH2 (CH2)n

CH2

CH2

sekundäre Alkohol-Dehydrogenase

CH2OH

H3 C

CH2

CH2

CH3

(CH2)n

primärer Alkohol

C

O 2-Keton O2 2 [H]

H2O COO

CH2

CH3 CH

OH sekundärer Alkohol

ω -OxidationMonooxygenase

CH3

CH2

(CH2)n

H2O

(CH2)n

2[H]

COO–

Monooxygenase

H3 C

Alkan-Peroxid

Fettsäure

HOH2C

O2 2 [H]

CH2

Alkohol-Dehydrogenase

CH2

CH3 CH2

n-Alkan

Dioxygenase

CH2

O2 2 [H]

CH2 (CH2)n

O2

H2O

(CH2)n

H3C

n-Alkan

n-Alkan-Monooxygenase

(CH2)n

H3 C

CH3 CH2

Monooxygenase H2O CH2

O

(CH2)n

CH3 C O

Acetylester H2O

β-Oxidation

Dicarbonsäure

CH3

CH2

Acetylesterase

OH

(CH2)n

+

primärer Alkohol

–OOC

CH3

Essigsäure

Abb. 11.22 Aerober Abbau von Alkanen durch verschiedene Monooxygenasen. Es entsteht als Zwischenprodukt immer ein primärer Alkohol. Der Alkohol wird dann zur Fettsäure oxidiert und diese über β-Oxidation abgebaut. Am häufigsten ist der terminale Angriff durch eine Alkan-Monooxygenase (①). Seltener ist die diterminale Oxidation, welche zu Dicarbonsäuren führt. Der terminale Angriff durch eine Dioxygenase (②) liefert ein Alkanperoxid, welches zum primären Alkohol und Wasser reduziert wird. Selten greifen Monooxygenasen Alkane subterminal (③) an. Letztendlich entsteht auch hier über ein 2-Keton und einen Acetylester ein primärer Alkohol.

Methan-Monooxygenase

a

NADH + H CH4 Methan

+

O2

NAD

1

Methanol-Dehydrogenase

+

H2O

CH3OH Methanol

HO C

PQQH2

PQQ 2

b

CH2O Formaldehyd

–OOC

O H N

N

COO–

O

2[H]

O NADH + H+

NAD+

H2 O

3

NADH + H+

NAD+ HCOO– Ameisensäure

4

PPQ O C O Kohlendioxid

Abb. 11.23 Aerober Stoffwechsel von Methan. a Schematische Darstellung des Reaktionswegs. Methan wird über Methanol, Formaldehyd und Formiat zu CO2 oxidiert. (Zur Reaktionsabfolge siehe Text.) b Struktur der oxidierten und reduzierten Form des Coenzyms PQQ.

378

OH OH

11.7 Abbau niedermolekularer Substanzen genase benötigt werden, 4 [H] (nämlich in Form von 1 NADH und 1 PQQH2, s. u.) werden in der Atmungskette oxidiert. Methanol wird durch eine periplasmatische MethanolDehydrogenase, welche Pyrrolochinolinchinon (PQQ, Methoxatin) als prosthetische Gruppe enthält (▶ Abb. 11.23b), weiter zu Formaldehyd oxidiert. Das positive Redoxpotenzial von PQQ (E0’ = + 120 mV) erleichtert die Oxidation. Die Elektronen werden auf Cytochrom c übertragen. PQQ ist auch Cofaktor ähnlicher periplasmatischer Dehydrogenasen wie Polyol-, Alkohol- oder Glucose-Dehydrogenase (S. 385). Die weitere Oxidation des Formaldehyds über die Stufe der Ameisensäure ist biochemisch sehr vielfältig gelöst. Der Aldehyd ist zu reaktiv; er wird deshalb in Form eines Addukts an Glutathion oder an ein Tetrahydropterin gebunden (Tetrahydrofolsäure oder Tetrahydromethanopterin). Formaldehyd ist auch das Zwischenprodukt, das zur Bausteinsynthese (S. 314) abgezogen wird. Eine Ausnahme vom Prinzip der Formaldehydbindung an ein Coenzym machen einige fakultativ methylotrophe Bakterien, welche Formaldehyd mit einem Metaboliten, nämlich Ribulose-5-phosphat (S. 310), kondensieren. Der in dem entstehenden Hexulose-6-phosphat gebundene Formaldehyd wird über Fructose-6-phosphat und Glucose-6-phosphat zu Ribulose-5-phosphat und CO2 oxidiert. Viele methanoxidierende Bakterien enthalten intracytoplasmatische Membranen, um die Membranfläche für die Bindung der benötigten großen Mengen an MethanMonooxygenase zu vergrößern. Bei Kupfermangel wird ersatzweise ein lösliches Eisenenzym gebildet, das ein hydroxoüberbrücktes Di-Eisen-Zentrum enthält. Reduziertes Cytochrom c bzw. NADH dienen als Elektronendonatoren. Methan wird durch wenige spezialisierte, methanotrophe Bakterien oxidiert, die andere Alkane und die meisten anderen organischen Verbindungen nicht verwerten können. Sie besitzen zur Aufnahme der großen Menge an Methan-Monooxygenase intrazelluläre Membranen: Typ I-methanotrophe Bakterien (Gammaproteobakterien) intrazelluläre Doppelmembranen, die zwiebelschalenartig angeordnet sind; Typ-II-methanotrophe Bakterien (Alphaproteobakterien) scheibenförmig angeordnete intrazelluläre. Dagegen kann Methanol außer von den Methanoxidierern auch von verschiedenen anderen Bakterien und von Hefen oxidiert werden. Methanol stammt vor allem aus dem Pectinabbau. Methan und Methanol verwertende Mikroorganismen sowie Mikroorganismen, die andere C1-Verbindungen (Methylamin, Methylmercaptan, Dimethylether, Formaldehyd, Ameisensäure usw.) als Substrate verwenden können, fasst man als methylotrophe Organismen zusammen. Darunter gibt es auf wenige Substrate festgelegte Spezialisten wie auch Generalisten, die Methanol verwerten, wenn keine günstigeren Substrate zugegen sind. Der Stoffwechsel mancher methylotropher Bakterien ist ein Beispiel dafür, wie Gene für ganze Stoffwechselwege über weite verwandtschaftliche Distanzen übertragen werden können (Plus 11.15).

Plus 11.15 Lateraler Gentransfer

●V

In dem methylotrophen Eubakterium (Betaproteobakterium) Methylobacterium extorquens wurde der Enzymund Cofaktorapparat gefunden, der bei methanolverwertenden, methanbildenden Archaea zur Oxidation von Formaldehyd zu CO2 dient. Er wurde offenbar durch lateralen Gentransfer von den Archaea erworben. Diese beiden methanbildenden und methanoxidierenden Bakteriengruppen coexistieren wahrscheinlich seit mehr als einer Milliarde Jahre an der dünnen, nur Millimeter dicken Grenzschicht von Sedimenten, wo Biogas aus der anaeroben Zone auf Sauerstoff trifft. Diese räumliche Nähe fördert offensichtlich den lateralen Genaustausch selbst zwischen nur weitläufig miteinander verwandten Mikroorganismen. Methanol kann leicht und billig großtechnisch durch chemische Katalyse aus Methan (Erdgas) gewonnen werden. Deshalb ist mikrobielles Wachstum auf Methanol ein biotechnologisch interessanter Prozess, um Biomasse und daraus Einzellerprotein (engl. single cell protein) und andere Produkte zu gewinnen.

Anaerober Abbau von Kohlenwasserstoffen Unter anoxischen Bedingungen galten Kohlenwasserstoffe (z. B. Alkane wie Hexadecan, aber auch aromatische Kohlenwasserstoffe wie Benzol) lange Zeit als nicht biologisch abbaubar. Anaerob atmende Bakterien können aliphatische und aromatische Kohlenwasserstoffe jedoch radikalisch angreifen (▶ Abb. 11.24). Dazu verwenden sie Enzyme, die im aktiven Zentrum ein Glycylradikal enthalten. Daneben gibt es Molybdoenzyme (S. 382), die Kohlenwasserstoffe zu Alkohol oxidieren, z. B. Ethylbenzol zu 1-Phenylethanol. Selbst eine Carboxylierung von aromatischen Kohlenwasserstoffen wurde beschrieben. Über den Abbau kurzkettiger Kohlenwasserstoffe ist wenig bekannt. Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe – ausgenommen Naphthalin – werden anaerob kaum abgebaut. Ein faszinierendes Kapitel ist die kürzlich entdeckte anaerobe Oxidation von Methan, ein Prozess, der aus thermodynamischen und mechanistischen Gründen für unwahrscheinlich gehalten wurde (Plus 11.16).

11.7.5 Fettsäuren Fettsäuren entstehen hauptsächlich bei der Hydrolyse von Fetten und Ölen (Triacylglycerine) und Membranlipiden. Die K+- und Na+-Salze der Fettsäuren sind Seifen. Deshalb wird der alkalische Hydrolyseprozess auch Verseifung genannt. Der Abbau von anderen Estern und Wachsen (Ester langkettiger Alkohole und Fettsäuren) liefert ebenfalls Fettsäuren. Kurzkettige Fettsäuren und Al-

9

Abbau organischer Verbindungen

CH3

CH2

Toluol

Substratradikal

Aktivase

Enzym



Enzym (Glycylradikal)

H

H H 2C



Enzym–H (Glycin)

H

C

COO

OOC

C

C

COO–

H Fumarat

COO– C

H

H



H2C

H

COO– C

C

COO–

H

Succinyladdukt (Dicarbonsäure) Abb. 11.24 Anaerober Angriff von Alkanen durch radikalische Addition von Fumarat. Als Beispiel ist der aromatische Kohlenwasserstoff Toluol gewählt. Das aktive Enzym, Benzylsuccinat-Synthase, gleicht der Pruvat-Formiat-Lyase. Es muss zunächst aus der inaktiven Enzymvorstufe durch ein Hilfsenzym gebildet werden. Das Glycylradikal des Enzyms, das nur unter Ausschluss von O2 stabil ist, entzieht dem Kohlenwasserstoff ein H-Atom und wird zu Glycin, der Kohlenwasserstoff wird zum Substratradikal. Dieses Radikal addiert sich dann an die Doppelbindung von Fumarat (Cosubstrat) und entzieht anschließend dem Glycin wieder das zuvor übertragene HAtom. Es entsteht ein Succinyladdukt des Kohlenwasserstoffs, Benzylsuccinat. Das zuvor inerte Molekül hat sozusagen eine angreifbare Stelle erhalten, mit deren Hilfe es als Dicarbonsäure prinzipiell leicht abbaubar ist. Dazu ist nur eine modifizierte β-Oxidation nötig und man erhält Benzoyl-CoA und Succinyl-CoA. Entsprechendes gilt in Abwandlung für aliphatische Kohlenwasserstoffe. Hier erfolgt die Addition von Fumarat bevorzugt am vorletzten C-Atom der Kohlenwasserstoffkette.

Plus 11.16

●V

Anaerobe Oxidation von Methan – ein Leben nahe am thermodynamischen Gleichgewicht

Eine Sensation stellt die Entdeckung dar, dass es in anaeroben Bereichen der Meeressedimente, wo Methan unter hohem Druck und damit in hoher Konzentration gelöst vorkommt, zu einer anaeroben Oxidation von Methan kommt. Der langsame Prozess ermöglicht dicken Bakterienmatten am Boden des Schwarzen Meeres zu wachsen. Der Gesamtprozess (CH4 + H2SO4 → CO2 + H2S + 2 H2O; ΔG0’ = –22 kJ) wird von zwei Bakterien durchgeführt. Anaerob methanoxidierende Archaea (ANME) sind mit sulfatreduzierenden Bacteria (Deltaproteobakterien) räumlich eng vergesellschaftet (vgl. ▶ Abb. 18.20). Die Archaea oxidieren Methan zu CO2 in Umkehrung der Bildung von Methan aus CO2 und 4 H2. Sie verwenden dabei Sulfat als Elektronenakzeptor und reduzieren es zu elementarem Schwefel. Dieser reagiert mit H2S zu einem Disulfid, das vom Proteobakterium aufgenommen und zu SO42- und H2S disproportioniert wird. Der vermutete Sulfatreduzierer ist also ein Schwefel-Disproportionierer. Der Prozess bedeutet ein Leben nahe am thermodynamischen Gleichgewicht, ein weiteres Beispiel für extreme Lebensweisen bei Prokaryonten. Er hat große globale Bedeutung, da Methan ein Treibhausgas ist und zur Erderwärmung beiträgt.

380

O Fettsäure

R

C

O–

äußere Membran Cytoplasmamembran O R

C

ATP PPi + AMP

O–

HS-CoA Fettsäure-CoenzymA-Ligase

Pyrophosphatase O Pi + Pi

R

C

SCoA

β-Oxidation Abb. 11.25 Transport von Fettsäuren. Fettsäuren werden durch Permeasen transportiert und nach Aktivierung mit Coenzym A im Cytosol über die Reaktionen der β-Oxidation abgebaut.

11.7 Abbau niedermolekularer Substanzen β CH3

O CH3

(CH2)x

C

SCoA Acetyl-CoA

CH2 CH2 Acyl-CoA

O C

FAD SCoA

1

Acyl-CoADehydrogenase

H

O C SCoA C

O

O

C

C C

H

trans-2,3-Enoyl-CoA SCoA

H L-3-Hydroxy-Acyl-CoADehydrogenase

NADH + H+ 3 NAD+

Enoyl-CoA-Hydratase

CH3

(CH2)x

H

H

O

C

C

C

SCoA

cis-2,3-Enoyl-CoA

CH3 (CH2)x C

HS–CoA

(CH2)x

FADH2

β -Ketothiolase 4

CH3

CH3

Isomerase 5

H H 2O

2

Isomerase O HO H O HO H (Epimerase) C SCoA C SCoA CH3 (CH2)x C (CH2)x C 6 C C H H H H L-3-Hydroxy-Acyl-CoA D-3-Hydroxy-Acyl-CoA

Abb. 11.26 Abbau von Fettsäuren durch β-Oxidation. Es werden pro Reaktionszyklus vier Reaktionen benötigt. Die Reaktionen ① und ② sowie die zwei Nebenreaktionen ⑤ und ⑥ werden häufig von einem einzigen Enzym katalysiert („Vier-Enzym-Protein“). (Weitere Erklärungen siehe Text.)

kohole (C2 bis C6) entstehen auch als Gärprodukte. Alkane, Alkohole und Aldehyde werden zu Fettsäuren oxidiert. Wachstum auf Fettsäuren ist also nicht nur bei fettabbauenden Mikroorganismen verbreitet. Langkettige Fettsäuren werden durch Permeasen transportiert; kurzkettige Fettsäuren können in der ungeladenen protonierten Form passiv durch die Membran diffundieren, benötigen aber dennoch Transportsysteme. Der Abbau erfolgt in mehreren Schritten. Der erste Abbauschritt ist die ATP-abhängige Aktivierung der Säure durch die Fettsäure-Coenzym-A-Ligase (▶ Abb. 11.25). ATP wird dabei in AMP und Pyrophosphat (PPi) gespalten. Die anschließende Spaltung von PPi durch eine Pyrophosphatase macht die Reaktion irreversibel. Die Oxidation der Fettsäuren unter Abspaltung von Acetyleinheiten ist als β-Oxidation bekannt, da dabei das β-C-Atom (–CH2–) der Fettsäure zur Ketostufe (–CO–)oxidiert wird. Die β-Oxidation ist im Prinzip eine Umkehr der Reaktionen der Fettsäuresynthese (S. 321), unterscheidet sich aber in einigen Punkten. Zum Beispiel erfolgt der Abbau der Fettsäuren in Coenzym-A-gebundener Form, während die Synthese an einem Acyl-CarrierProtein (ACP) stattfindet. Die erste Oxidation beim Abbau der Fettsäure durch die Acyl-CoA-Dehydrogenase ergibt eine trans-Doppelbindung (① in ▶ Abb. 11.26); der Schritt erfordert wegen des positiven Redoxpotenzials (ca. 0 V) den positiven Elektronenakzeptor FAD (bei der Synthese ist der Umkehrschritt NADPH-abhängig). Die Elektronen werden von einem elektronenübertragenden Flavoprotein (S. 280) übernommen und an der Membran auf Chinon übertragen. Eine Enoyl-CoA-Hydratase addiert dann Wasser an die Doppelbindung und liefert die L-3-Hydroxyverbindung (bei der Synthese entsteht die D-Form) (②). Die Oxidation der OH-Gruppe erfolgt mit NAD+ (bei

der Synthese ist der Umkehrschritt NADPH-abhängig) (③, L-3-Hydroxyacyl-CoA-Dehydrogenase). Diese Schritte erfolgen bei Bakterien an drei Einzelenzymen. Diese können auch die cis-Form von ungesättigten Fettsäuren in die trans-Form umlagern und D- und L-Hydroxyformen ineinander umwandeln. Bei Eukaryonten sind alle Enzymfunktionen zu einem großen Multienzymkomplex vereinigt. Nach dem zweiten Oxidationsschritt erfolgt die thiolytische Abspaltung einer Acetyleinheit mit Coenzym A zu Acetyl-CoA durch die β-Ketothiolase (④) und das um C2 verkürzte Acyl-CoA geht weitere β-Oxidationszyklen ein. Bei der Oxidation ungeradzahliger Fettsäuren bleibt zuletzt ein Propionyl-CoA übrig. Propionyl-CoA wird durch das Biotinenzym Propionyl-CoA-Carboxylase am α-CAtom zu (S)-Methylmalonyl-CoA carboxyliert. Biotinenzyme wie die Propionyl-CoA-Carboxylase, die AcetylCoA-Carboxylase oder die Pyruvat-Carboxylase benötigen ATP, um Hydrogencarbonat zu Carboxybiotin zu aktivieren. Das (S)-Stereoisomer von Methylmalonyl-CoA wird durch eine Isomerase in die (R)-Form umgewandelt, gefolgt von einer Kohlenstoffumlagerung zu Succinyl-CoA durch eine Coenzym-B12-abhängige Mutase (S. 432). Beim Abbau von geradzahligen Dicarbonsäuren bleibt Succinyl-CoA übrig, und bei ungeradzahligen Dicarbonsäuren Glutaryl-CoA. Die aktivierte C5-Dicarbonsäure Glutaryl-CoA wird zu Glutaconyl-CoA dehydrogeniert, dieses wird zu Crotonyl-CoA decarboxyliert. CrotonylCoA wird durch β-Oxidation zu zwei Acetyl-CoA umgesetzt.

1

Abbau organischer Verbindungen In ▶ Abb. 11.27 ist stellvertretend der Abbau von Purinen gezeigt. Er erfolgt über Harnsäure und ergibt Glyoxylat und Harnstoff (s. Glyoxylatstoffwechsel) (S. 289). Der Pyrimidinabbau ergibt β-Alanin, das oxidativ zu Malonatsemialdehyd desaminiert wird. Weiteroxidation zu Malonyl-CoA und dessen Decarboxylierung ergibt Acetyl-CoA.

11.7.6 Purine, Pyrimidine und andere heterozyklische Verbindungen Weit verbreitet sind N-, O- und S-heterozyklische Verbindungen; ein Drittel aller organischen Verbindungen enthalten Heterozyklen. Darunter befinden sich die Purinund Pyrimidinbasen der Nukleinsäuren und vieler Cofaktoren, die Heterozyklen der Aminosäuren Histidin, Prolin und Tryptophan sowie ein wichtiges tierisches Ausscheidungsprodukt, die Harnsäure. Für den Abbau werden in vielen Fällen eine oder mehrere Hydroxylgruppen in das Substrat eingeführt. Häufig wird die Hydroxylierung von Dehydrogenasen, die einen Molybdän-Cofaktor enthalten, ohne Beteiligung von molekularem Sauerstoff katalysiert. Der eingeführte Sauerstoff stammt aus Wasser:

11.8 Abbau und Cometabolismus von Xenobiotika Die Abbauleistungen der Mikroorganismen sind so vielfältig, dass unter aeroben Bedingungen praktisch alle Naturstoffe mineralisiert werden können. Man spricht vom „Prinzip der biologischen Unfehlbarkeit“. Der Mensch hat willentlich oder unbeabsichtigt synthetische Verbindungen (Fremdstoffe, Xenobiotika) in den Naturkreislauf gebracht, die nicht natürlich vorkommen. Manche davon sind im Zeitraum eines Menschenlebens schwer oder kaum abbaubar (recalcitrant, widerspenstig). Von anderen weiß man, dass sie aus dem Boden verschwinden, kennt aber ihre Abbauprodukte nicht. Ungünstige Bedingungen für den Abbau herrschen besonders im kalten, nährstoffarmen und anoxischen Grundwasser, dem wichtigsten Trinkwasserreservoir. Zu den

Substrat-H + H2O + oxidierter Elektronenakzeptor → Substrat-OH + reduzierter Elektronenakzeptor [2 H]. In anderen Fällen können Monooxygenasen beteiligt sein: Substrat-H + O2 + reduzierter Elektronendonator [2 H] → Substrat-OH + H2O + oxidierter Elektronendonator.

NH2

O H2O

N

N

N

HN

Adenin-Desaminase

N H

N

NH3

N H Hypoxanthin N

Adenin

H2O 2 [H] O

O H 2O

N

HN H2N

Xanthin-Oxidase

N

HN

Guanin-Desaminase

N H

N

NH3 O

C

Guanin

N H

N H Xanthin

H 2O 2 [H]

Xanthin-Oxidase

O O

H2N

O

H2O H2N

382

CO2 + H2O2

N N H H Allantoin

O

O

H N

H N

O 2 + H 2O HN

Uricase

O

O

N N H H Harnsäure

Allantoinase COO– NH2

N N H H Allantoat

O

H2N 2 O

C

COO– + NH2

Harnstoff

H

C

O

Glyoxylat

Abb. 11.27 Abbau von Purinen. Die Purine werden zunächst zu Hypoxanthin (bzw. Xanthin) desaminiert. Hypoxanthin wird weiter zu Xanthin oxidiert. Durch eine weitere Oxidation durch die Xanthin-Oxidase entsteht Harnsäure. Mikroorganismen und die meisten Säugetiere bauen die Harnsäure weiter zu Allantoin und Allantoat ab. Letztlich entstehen daraus Harnstoff und Glyoxylat.

Abbau organischer Verbindungen In ▶ Abb. 11.27 ist stellvertretend der Abbau von Purinen gezeigt. Er erfolgt über Harnsäure und ergibt Glyoxylat und Harnstoff (s. Glyoxylatstoffwechsel) (S. 289). Der Pyrimidinabbau ergibt β-Alanin, das oxidativ zu Malonatsemialdehyd desaminiert wird. Weiteroxidation zu Malonyl-CoA und dessen Decarboxylierung ergibt Acetyl-CoA.

11.7.6 Purine, Pyrimidine und andere heterozyklische Verbindungen Weit verbreitet sind N-, O- und S-heterozyklische Verbindungen; ein Drittel aller organischen Verbindungen enthalten Heterozyklen. Darunter befinden sich die Purinund Pyrimidinbasen der Nukleinsäuren und vieler Cofaktoren, die Heterozyklen der Aminosäuren Histidin, Prolin und Tryptophan sowie ein wichtiges tierisches Ausscheidungsprodukt, die Harnsäure. Für den Abbau werden in vielen Fällen eine oder mehrere Hydroxylgruppen in das Substrat eingeführt. Häufig wird die Hydroxylierung von Dehydrogenasen, die einen Molybdän-Cofaktor enthalten, ohne Beteiligung von molekularem Sauerstoff katalysiert. Der eingeführte Sauerstoff stammt aus Wasser:

11.8 Abbau und Cometabolismus von Xenobiotika Die Abbauleistungen der Mikroorganismen sind so vielfältig, dass unter aeroben Bedingungen praktisch alle Naturstoffe mineralisiert werden können. Man spricht vom „Prinzip der biologischen Unfehlbarkeit“. Der Mensch hat willentlich oder unbeabsichtigt synthetische Verbindungen (Fremdstoffe, Xenobiotika) in den Naturkreislauf gebracht, die nicht natürlich vorkommen. Manche davon sind im Zeitraum eines Menschenlebens schwer oder kaum abbaubar (recalcitrant, widerspenstig). Von anderen weiß man, dass sie aus dem Boden verschwinden, kennt aber ihre Abbauprodukte nicht. Ungünstige Bedingungen für den Abbau herrschen besonders im kalten, nährstoffarmen und anoxischen Grundwasser, dem wichtigsten Trinkwasserreservoir. Zu den

Substrat-H + H2O + oxidierter Elektronenakzeptor → Substrat-OH + reduzierter Elektronenakzeptor [2 H]. In anderen Fällen können Monooxygenasen beteiligt sein: Substrat-H + O2 + reduzierter Elektronendonator [2 H] → Substrat-OH + H2O + oxidierter Elektronendonator.

NH2

O H2O

N

N

N

HN

Adenin-Desaminase

N H

N

NH3

N H Hypoxanthin N

Adenin

H2O 2 [H] O

O H 2O

N

HN H2N

Xanthin-Oxidase

N

HN

Guanin-Desaminase

N H

N

NH3 O

C

Guanin

N H

N H Xanthin

H 2O 2 [H]

Xanthin-Oxidase

O O

H2N

O

H2O H2N

382

CO2 + H2O2

N N H H Allantoin

O

O

H N

H N

O 2 + H 2O HN

Uricase

O

O

N N H H Harnsäure

Allantoinase COO– NH2

N N H H Allantoat

O

H2N 2 O

C

COO– + NH2

Harnstoff

H

C

O

Glyoxylat

Abb. 11.27 Abbau von Purinen. Die Purine werden zunächst zu Hypoxanthin (bzw. Xanthin) desaminiert. Hypoxanthin wird weiter zu Xanthin oxidiert. Durch eine weitere Oxidation durch die Xanthin-Oxidase entsteht Harnsäure. Mikroorganismen und die meisten Säugetiere bauen die Harnsäure weiter zu Allantoin und Allantoat ab. Letztlich entstehen daraus Harnstoff und Glyoxylat.

11.8 Abbau und Cometabolismus von Xenobiotika

a

OH Cl

Cl

Cl

Cl

Cl

Cl Cl

Cl

Cl

O

Cl

Cl

PCB (Pentachlorbiphenyl) O

CCl3 CH

CH2 Cl

Cl

DDT

Dioxin (2,3,7,8-TCDD)

2,4-D (Dichlorphenoxyessigsäure)

Cl

Abb. 11.28 Einige Xenobiotika. a Toxische, niedermolekulare, schwer abbaubare Xenobiotika. b Nichttoxische, schwer abbaubare Polymere.

COOH

Cl

Cl

O

Cl

Cl PCP (Pentachlorphenol)

Cl

Cl

NO2

Cl Cl Cl

N Cl

Cl

Cl C

C

Cl

Cl/H Tetra-/ Trichlorethylen

Cl Lindan

N

O

N CH CH H3C CH3 H3C CH3 Atrazin

C2H5

P

S C2H5

E605 (Parathion)

b [CH2

CH2]n

Polyethylen (PE, n>1000!)

[CF2

CF2]n

Teflon

[CH2

CH]n

Polyvinylchlorid (PVC)

[CH2

CH]n

Polypropylen (PP)

Cl

CH3

schwer abbaubaren Xenobiotika zählen unlösliche polymere Feststoffe wie Teflon oder Polyethylen, die unschädlich sind. Dagegen sind die Weichmacher der Plastikstoffe langsam wasserlöslich und deshalb problematisch. Mehrfach halogenierte niedermolekulare Substanzen oder polyzyklische Aromaten sind dagegen gering wasserlöslich und toxisch (▶ Abb. 11.28). Die meisten Xenobiotika sind – sofern ihre Substituenten ihnen nicht eine zu hohe Stabilität verleihen – durch Enzyme angreifbar, die im Naturhaushalt ähnliche Verbindungen umsetzen. So gibt es vor allem im marinen Bereich eine unerwartete Vielzahl von halogenierten natürlichen Verbindungen, die Mikroorganismen als Nahrungsquelle dienen können. Dehalogenierende Enzyme sind also natürlich vorhanden. Wir haben Oxygenasen und Peroxidasen als potente Enzyme kennengelernt, welche inerte Substrate hydroxylieren, aromatische Ringe spalten oder unspezifisch Radikalkationen erzeugen, die spontan zerfallen. Diese und andere Enzyme können Xenobiotika gemeinsam mit ihren natürlichen Substraten umsetzen (Cometabolismus, Cooxidation) (Plus 11.17). Die Naturstoffe oder auch gut abbaubare Fremdstoffe (Hilfssubstrate) dienen dabei als Wachstumssubstrat und als Quelle für benötigte Cosubstrate (z. B. NADPH, ATP, H2O2). Außerdem sind sie nötig, um die Synthese der abbauenden Enzyme zu induzieren. Xenobiotika liegen nämlich häufig in geringer Konzentration in einem Substanzgemisch vor, was den Transport, die enzymatische Umsatzgeschwindigkeit und die Induktion der Abbauwege beeinträchtigt. Kurz, es liegt kein Se-

Plus 11.17

●V

Ligninabbau, Aromatenabbau und Cometabolismus

Der Ligninabbau durch Pilze stellt einen Fall von Cometabolismus dar, bei dem die Zucker aus Cellulose und Hemicellulosen als Hilfssubstrate dienen. Die am Ligninabbau beteiligten Peroxidasen transformieren unspezifisch eine ganze Reihe von Fremdstoffen, die in Huminstoffe eingebunden und somit wasserunlöslich gemacht werden. Ein anderes Beispiel ist der aerobe Aromatenstoffwechsel. Die Oxygenasen im peripheren Stoffwechsel haben eine geringe Substratspezifität, da sie eine Reihe von ähnlichen Verbindungen in ein gemeinsames zentrales Intermediat umsetzen sollen. Sie setzen deshalb oft auch Fremdstoffe um, deren vollständiger Abbau aber durch die höhere Spezifität der Enzyme des zentralen Stoffwechsels verhindert wird. Diese Cooxidation ist also häufig der Schlüssel zum Fremdstoffabbau.

lektionsdruck zugunsten der Nutzung von Xenobiotika vor. Der Abbau muss nicht vollständig sein. Es genügt, wenn der toxische Fremdstoff in ein weniger toxisches oder unproblematisches Produkt umgewandelt wird. Freilich kann auch das Gegenteil eintreten und es entsteht ein noch toxischeres Abbauprodukt (Suizidmetabolit). Verschiedene Organismen können bei der Umset-

3

Abbau organischer Verbindungen zung des Fremdstoffs zusammenwirken oder ihn gleichzeitig zu verschiedenen Produkten umsetzen. Ein Wechsel von aeroben und anaeroben Verhältnissen kann sich günstig auf die Abbaubarkeit auswirken, wie das folgende Beispiel zeigt. Mehrfach halogenierte Kohlenwasserstoffe wie polychlorierte Biphenyle (technisch vielseitig verwendete Flüssigkeit), Pentachlorphenol (Holzschutzmittel) oder DDT (Insektizid) sind durch die vielen elektronenanziehenden Halogenatome Elektronenmangelverbindungen. Sie sind für den elektrophilen Angriff von Oyxgenasen schwer zugänglich und deshalb aerob schwer abbaubar. Unter anaeroben Bedingungen werden Oxygenasereaktionen zum Angriff von inerten Substraten häufig durch Reduktasereaktionen oder Radikalreaktionen ersetzt. Wir haben solche Beispiele beim anaeroben Stoffwechsel von Aromaten (S. 372) und Kohlenwasserstoffen (S. 376) kennengelernt. Elektronenmangelverbindungen nehmen leicht Elektronen auf. Sie können anaerob teilweise durch Coreduktion mithilfe von Reduktasen umgesetzt werden. Auf diese Weise lassen sich polychlorierte Verbindungen dehalogenieren: R-Cl + 2 e– + H+ → R-H + Cl–. Interessanterweise können halogenierte Verbindungen sogar als Elektronenakzeptoren einer anaeroben Atmung dienen (Plus 11.18). Die zweifach oder einfach halogenierten Produkte der anaeroben Umsetzung sind wiederum schwerer reduktiv zu dehalogenieren. Sie sind jedoch bessere Substrate für Oxygenasen. Schaltet man den anaeroben und den aeroben Prozess hintereinander, ist der Abbau der mehrfach halogenierten Kohlenwasserstoffe effektiver. Anaerobe

Prozesse sind besonders für die Sanierung von Grundwasser von Bedeutung, da hier der Eintrag von Sauerstoff technisch aufwendig ist. Man hat heute genügend Erfahrungen über die Möglichkeiten und Grenzen der biologischen Abbaubarkeit von Fremdstoffen gesammelt, um in Zukunft Fehler, die man in der Vergangenheit beim Einsatz von Fremdstoffen gemacht hat, weitgehend zu vermeiden.

11.9 Unvollständige Oxidationen In manchen Bereichen treten vorübergehend Substrate in sehr hohen Konzentrationen auf. Pflanzensäfte und Früchte enthalten neben Säuren auch viel Zucker, die von säuretoleranten Hefen zu Alkohol vergoren werden. Säuretolerante Acetobacter-Arten (Essigsäurebakterien) sind mit Hefen vergesellschaftet und oxidieren aerob Ethanol unvollständig zu Essigsäure. Sie lassen sich auf Kreideagar anhand der Hofbildung leicht nachweisen, denn das weiße CaCO3 der Kreide wird durch die gebildete Essigsäure aufgelöst. Die Alkohol-Dehydrogenase ist hier ein periplasmatisches PQQ-Enzym (▶ Abb. 11.23). Die Elektronen werden von PQQ (Pyrrolochinolinchinon) auf Ubichinon übertragen. Die Zwischenstufe, Acetaldehyd, wird durch ein Molybdo-Häm-Enzym zu Essigsäure oxidiert. Unter diesen Bedingungen wird die Bildung der Succinat-Dehydrogenase reprimiert, der Citratzyklus ist unvollständig. Erst wenn Ethanol als Substrat verbraucht ist, wird die Succinat-Dehydrogenase induziert. Die Oxidation der Essigsäure erlaubt unter den nun sehr sauren Bedingungen ein langsames Wachstum. Mit dieser Le-

●V

Plus 11.18 Dehalorespiration Verschiedene anaerobe Bakterien können aus der reduktiven Dehalogenierung von chlorierten Verbindungen (S. 464) sogar Energie gewinnen. Das bekannteste Beispiel ist Tetrachlorethylen (Cl2C = CCl2), das in großem Maßstab bei der chemischen Reinigung eingesetzt wird (▶ Abb. 11.29). Tetrachlorethylenreduzierende Bakterien oxidieren Wasserstoff, Ameisensäure oder auch Essigsäure und übertragen zwei Elektronen auf die membrangebundene Tetrachlorethylen-Reduktase, ein Vitamin-B12-Enzym. Aus der Tetrachlorverbindung entsteht unter Abspaltung von zwei Cl– das cis-Dichlorethylen. Im Zuge des Elektronentransports wird ein elektrochemischer Protonengradient aufgebaut, der von der ATP-Synthase zur Synthese von ATP genutzt wird. Diese sogenannte Dehalorespiration ist ein Sonderfall einer anaeroben Atmung. Alkylchloride und Arylchloride haben ein Redoxpotenzial im Bereich von + 250 bis + 580 mV, sind also gute Elektronenakzeptoren.

384

2 H2

4 H+

4 H+

Hydrogenase 4 e–

Membran

TetrachlorethylenReduktase Co I/II Cl

Cl C

Cl

C

Cl

Cl C

Cl + 2H+

ATPSynthase

C

H

H

ADP + Pi

ATP + H2O

+ 2Cl–

Abb. 11.29 Dehalorespiration, eine Form der anaeroben Atmung, am Beispiel von Tetrachlorethylen.

Abbau organischer Verbindungen zung des Fremdstoffs zusammenwirken oder ihn gleichzeitig zu verschiedenen Produkten umsetzen. Ein Wechsel von aeroben und anaeroben Verhältnissen kann sich günstig auf die Abbaubarkeit auswirken, wie das folgende Beispiel zeigt. Mehrfach halogenierte Kohlenwasserstoffe wie polychlorierte Biphenyle (technisch vielseitig verwendete Flüssigkeit), Pentachlorphenol (Holzschutzmittel) oder DDT (Insektizid) sind durch die vielen elektronenanziehenden Halogenatome Elektronenmangelverbindungen. Sie sind für den elektrophilen Angriff von Oyxgenasen schwer zugänglich und deshalb aerob schwer abbaubar. Unter anaeroben Bedingungen werden Oxygenasereaktionen zum Angriff von inerten Substraten häufig durch Reduktasereaktionen oder Radikalreaktionen ersetzt. Wir haben solche Beispiele beim anaeroben Stoffwechsel von Aromaten (S. 372) und Kohlenwasserstoffen (S. 376) kennengelernt. Elektronenmangelverbindungen nehmen leicht Elektronen auf. Sie können anaerob teilweise durch Coreduktion mithilfe von Reduktasen umgesetzt werden. Auf diese Weise lassen sich polychlorierte Verbindungen dehalogenieren: R-Cl + 2 e– + H+ → R-H + Cl–. Interessanterweise können halogenierte Verbindungen sogar als Elektronenakzeptoren einer anaeroben Atmung dienen (Plus 11.18). Die zweifach oder einfach halogenierten Produkte der anaeroben Umsetzung sind wiederum schwerer reduktiv zu dehalogenieren. Sie sind jedoch bessere Substrate für Oxygenasen. Schaltet man den anaeroben und den aeroben Prozess hintereinander, ist der Abbau der mehrfach halogenierten Kohlenwasserstoffe effektiver. Anaerobe

Prozesse sind besonders für die Sanierung von Grundwasser von Bedeutung, da hier der Eintrag von Sauerstoff technisch aufwendig ist. Man hat heute genügend Erfahrungen über die Möglichkeiten und Grenzen der biologischen Abbaubarkeit von Fremdstoffen gesammelt, um in Zukunft Fehler, die man in der Vergangenheit beim Einsatz von Fremdstoffen gemacht hat, weitgehend zu vermeiden.

11.9 Unvollständige Oxidationen In manchen Bereichen treten vorübergehend Substrate in sehr hohen Konzentrationen auf. Pflanzensäfte und Früchte enthalten neben Säuren auch viel Zucker, die von säuretoleranten Hefen zu Alkohol vergoren werden. Säuretolerante Acetobacter-Arten (Essigsäurebakterien) sind mit Hefen vergesellschaftet und oxidieren aerob Ethanol unvollständig zu Essigsäure. Sie lassen sich auf Kreideagar anhand der Hofbildung leicht nachweisen, denn das weiße CaCO3 der Kreide wird durch die gebildete Essigsäure aufgelöst. Die Alkohol-Dehydrogenase ist hier ein periplasmatisches PQQ-Enzym (▶ Abb. 11.23). Die Elektronen werden von PQQ (Pyrrolochinolinchinon) auf Ubichinon übertragen. Die Zwischenstufe, Acetaldehyd, wird durch ein Molybdo-Häm-Enzym zu Essigsäure oxidiert. Unter diesen Bedingungen wird die Bildung der Succinat-Dehydrogenase reprimiert, der Citratzyklus ist unvollständig. Erst wenn Ethanol als Substrat verbraucht ist, wird die Succinat-Dehydrogenase induziert. Die Oxidation der Essigsäure erlaubt unter den nun sehr sauren Bedingungen ein langsames Wachstum. Mit dieser Le-

●V

Plus 11.18 Dehalorespiration Verschiedene anaerobe Bakterien können aus der reduktiven Dehalogenierung von chlorierten Verbindungen (S. 464) sogar Energie gewinnen. Das bekannteste Beispiel ist Tetrachlorethylen (Cl2C = CCl2), das in großem Maßstab bei der chemischen Reinigung eingesetzt wird (▶ Abb. 11.29). Tetrachlorethylenreduzierende Bakterien oxidieren Wasserstoff, Ameisensäure oder auch Essigsäure und übertragen zwei Elektronen auf die membrangebundene Tetrachlorethylen-Reduktase, ein Vitamin-B12-Enzym. Aus der Tetrachlorverbindung entsteht unter Abspaltung von zwei Cl– das cis-Dichlorethylen. Im Zuge des Elektronentransports wird ein elektrochemischer Protonengradient aufgebaut, der von der ATP-Synthase zur Synthese von ATP genutzt wird. Diese sogenannte Dehalorespiration ist ein Sonderfall einer anaeroben Atmung. Alkylchloride und Arylchloride haben ein Redoxpotenzial im Bereich von + 250 bis + 580 mV, sind also gute Elektronenakzeptoren.

384

2 H2

4 H+

4 H+

Hydrogenase 4 e–

Membran

TetrachlorethylenReduktase Co I/II Cl

Cl C

Cl

C

Cl

Cl C

Cl + 2H+

ATPSynthase

C

H

H

ADP + Pi

ATP + H2O

+ 2Cl–

Abb. 11.29 Dehalorespiration, eine Form der anaeroben Atmung, am Beispiel von Tetrachlorethylen.

11.9 Unvollständige Oxidationen Ethanol AlkoholDehydrogenase PQQ

Acetaldehyd

AcetaldehydDehydrogenase Q

Acetat Glucose

GlucoseDehydrogenase PQQ

Gluconat

Gluconat-2Dehydrogenase Q

2-Ketogluconat D-Sorbitol, Gluconat, Glycerin

Glycerin/SorbitolDehydrogenase L-Sorbose, 5-Ketogluconat, Dihydroxyaceton Abb. 11.30 Unvollständige Oxidationen am Beispiel von Gluconobacter oxydans. Die Membranenzyme werden ergänzt durch cytoplasmatische Dehydrogenasen. PQQ, Pyrrolochinolinchinon; Q, Ubichinon.

bensstrategie werden konkurrierende aerobe Mikroorganismen, welche die hohe Ethanol- und Zuckerkonzentration vielleicht toleriert hätten, durch rasche Ansäuerung ferngehalten. Ein hoher Stoffumsatz kann also auch bei geringer Energieausbeute sinnvoll sein.

Entsprechendes gilt für die unvollständige Oxidation von Glucose zu Gluconsäure durch Gluconobacter-Arten (▶ Abb. 11.30). Glucose wird durch das periplasmatische PQQ-Enzym Glucose-Dehydrogenase zu Gluconat oxidiert. Nur ein Teil des Gluconats wird aufgenommen und über den oxidativen Pentosephosphatzyklus zu Glycerinaldehyd-3-phosphat oxidiert. Dieses wird über Pyruvat und Acetaldehyd zu Essigsäure oxidiert. Die periplasmatischen, PQQ-enthaltenden Alkohol-Dehydrogenasen sind relativ unspezifisch und oxidieren auch sekundäre Alkohole unter Bildung von Ketonen oder Zuckeralkohole zu Aldosen oder Ketosen. Beispiele sind Ethanol, Glucose, Glycerin, Mannitol oder Sorbitol. Durch die periplasmatische Lage der Dehydrogenasen gelangen die Reaktanden selbst bei hoher Konzentration nicht in die Zelle. Vielmehr werden die Produkte ausgeschieden. Diese Prozesse werden biotechnologisch bei der Herstellung von Speiseessig, von Gluconsäure, sowie für die Oxidation von D-Sorbitol (= D-Glucitol) zu L-Sorbose, eine Zwischenstufe der industriellen Synthese von Vitamin C (Ascorbinsäure), genutzt. Aspergillus-Arten und andere Pilze scheiden dagegen Glucose-Oxidase (S. 689) aus, die Elektronen werden unter Bildung von H2O2 auf Sauerstoff übertragen. Das gebildete Gluconolacton wird spontan oder enzymatisch zu Gluconat hydrolysiert. H2O2 wird durch Katalase zerstört oder aber für den Ligninabau genutzt.

M ●

Zusammenfassung ●







Mikroorganismen können als Destruenten im Kreislauf des Kohlenstoffs alle natürlichen organischen Verbindungen als Energie- und Kohlenstoffquelle nutzen. Man spricht vom „Prinzip der biologischen Unfehlbarkeit“. Vom anaeroben Abbau ausgenommen sind Lignin und ein Großteil der Kohlenwasserstoffe. Deren Anhäufung in Sedimenten hat zur Bildung von fossilen Kohlenstoffverbindungen geführt. Die eigentlichen organischen Substrate der Mikroorganismen sind meist komplexe Verbundstoffe aus mehreren großen Biopolymeren. Sie müssen zuerst durch Exoenzyme in ihre monomeren Bausteine oder in oligomere Bruchstücke durch Hydrolyse zerlegt werden. Exoenzyme erlauben pathogenen Mikroorganismen, Strukturen lebender Zellen anzugreifen. Die praktische Anwendung von Exoenzymen (Hydrolasen) ist vielfältig. Die mengenmäßig bedeutendsten Polymere sind die Polysaccharide Cellulose, Hemicellulosen, Pectin, Chitin und Stärke. Diese sind nachwachsende Rohstoffe bzw. wichtige Nahrungsmittel des Menschen. Enzyme, welche die glykosidischen Bindungen dieser Polysaccharide spal-







ten, sind deshalb von besonderem biotechnologischem Interesse. Lignin und Kohlenwasserstoffe können aerob mit molekularem Sauerstoff abgebaut werden. Beim Abbau bleiben ein großer Teil des Lignins und dessen aromatische Abbauprodukte übrig. Sie bilden die Humusstoffe, die für die Bodenfruchtbarkeit entscheidend sind. Die Peptidbindungen der Proteine werden durch endospaltende Proteinasen und exospaltende Peptidasen gespalten. Nukleasen spalten die Phosphodiesterbindungen von Nukleinsäuren. Lipide enthalten Esterbindungen, die durch Lipasen gespalten werden, die erst an der Lipid-Wasser-Grenzschicht aktiv werden. Lipolytische Organismen scheiden zur Emulgierung der Fette Emulgatoren aus. Die Mineralisierung der niedermolekularen Substrate kann man in zwei Prozesse einteilen: einen oxidativen Teil im Cytoplasma und einen reduktiven Teil an der Cytoplasmamembran. Diese Teilprozesse sind durch elektronenübertragende Coenzyme miteinander verbunden. Im reduktiven Teil kann ATP durch Elektronentransportphosphorylierung gewonnen werden.

5

Abbau organischer Verbindungen











Die Umwandlung von verschiedenen Hexosen zu Glucose- oder Fructosephosphaten erfordert die Induktion von wenigen zusätzlichen Enzymen als Ergänzung der zentralen Stoffwechselwege. Einige Bakterien oxidieren Glucose periplasmatisch zu Gluconsäure. Gluconsäure wird meist über den KDPG-Weg abgebaut. Pentosen werden zu D-Xylulose-5-phosphat umgewandelt. Dieses kann über den Pentosephosphatzyklus in Fructose-6-phosphat und Glycerinaldehyd-3-phosphat umgewandelt werden. Der weitere Abbau erfolgt dann über die Glykolyse. Es gibt aber auch gesonderte Abbauwege für Pentosen. Der erste Schritt im Abbau von Aminosäuren ist die Entfernung der α-Aminogruppe. Dafür gibt es drei Möglichkeiten: oxidative Desaminierung, Transaminierung und Eliminierung. Das Kohlenstoffgerüst der Aminosäuren wird über verschiedene Wege zu den zentralen Stoffwechselintermediaten abgebaut. Aromaten sind durch Resonanzenergie stabilisiert. Um diese zyklischen Kohlenstoffverbindungen aufzubrechen, wird im aeroben Stoffwechsel molekularer Sauerstoff als Cosubstrat benötigt. Der Angriff wird durch Oxygenasen katalysiert. Periphere Stoffwechselwege (engl. upper pathway) führen zu wenigen zentralen Intermediaten. Diese Verbindungen werden mithilfe von Sauerstoff durch wenige ringspaltende Dioxygenasen in einem zentralen Stoffwechselweg (engl. lower pathway) gespalten. Niedermolekulare aromatische Verbindungen sind auch unter anaeroben Bedingungen vollständig mineralisierbar. Der aromatische Ring wird reduziert, die Zwischenverbindungen sind meist Coenzym-A-Ester.

Literatur zum Weiterlesen unter: www.thieme.de/literatur-fuchs

386











Auch der aerobe Stoffwechsel von Kohlenwasserstoffen erfordert molekularen Sauerstoff und Oxygenasen. Dabei werden Carbonsäuren oder Dicarbonsäuren gebildet, die durch β-Oxidation abgebaut werden. Die aerobe Oxidation von Methan führt über Methanol, Formaldehyd und Formiat zu CO2, wobei der reaktive Formaldehyd an ein Trägermolekül gebunden wird. Der anaerobe Abbau von Kohlenwasserstoffen beginnt meist mit der radikalischen Addition von Fumarat an das Substratmolekül. Die anaerobe Oxidation von Methan mit Sulfat als Elektronenakzeptor erfolgt durch spezialisierte Archaea. Fettsäuren werden zu Coenzym-A-Estern aktiviert und durch die β-Oxidation zu Acetyl-CoA abgebaut. Ungeradzahlige Fettsäuren ergeben neben Acetyl-CoA ein Molekül Propionyl-CoA. Der Abbau von Purinen, Pyrimidinen und anderen heterozyklischen Verbindungen erfordert den Einbau von Hydroxylgruppen in das Substrat ohne Beteiligung von molekularem Sauerstoff. Diese Hydroxylierungen werden von Molybdoenzymen katalysiert. Auch niedermolekulare Fremdstoffe (Xenobiotika), die in der Natur nicht vorkommen, werden zumindest teilweise umgesetzt. Oxygenasen, Peroxidasen und andere Enzyme können Xenobiotika gemeinsam mit ihren natürlichen Substraten umsetzen (Cometabolismus). In Pflanzensäften und Früchten treten Säuren und Zucker in sehr hohen Konzentrationen auf. Säuretolerante Essigsäurebakterien sind mit Hefen vergesellschaftet und oxidieren aerob Ethanol unvollständig zu Essigsäure. Entsprechendes gilt für die unvollständige Oxidation von Glucose zu Gluconsäure durch Gluconobacter-Arten. Diese Prozesse werden biotechnologisch genutzt.

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Kapitel 12 Oxidation anorganischer Verbindungen: chemolithotrophe Lebensweise

12.1

Überblick

388

12.2

Habitate und Lebensweise von chemolithotrophen Bakterien

388

12.3

Prinzipien der Lithotrophie

392

12.4

Reduzierte Stickstoffverbindungen als Elektronendonatoren

393

12.5

Reduzierte Schwefelverbindungen als Elektronendonatoren

397

12.6

Reduzierte Metallionen als Elektronendonatoren

403

12.7

Wasserstoff als Elektronendonator

405

12.8

Kohlenmonoxid als Elektronendonator

407

Oxidation anorganischer Verbindungen: chemolithotrophe Lebensweise

12 Oxidation anorganischer Verbindungen: chemolithotrophe Lebensweise Johann Heider

12.1 Überblick Die lithotrophe Lebensweise ist ein Merkmal, das man ausschließlich bei Prokaryonten (inklusive der Plastiden der Pflanzen und Algen) antrifft. Lithotrophe Organismen oxidieren reduzierte anorganische Verbindungen und wachsen in Mineralsalzmedien ohne organische Substanzen. Je nach Art des Energiestoffwechsels werden sie in photo- und chemolithotrophe Organismen eingeteilt. Die Chemolithotrophen gewinnen die Energie für ihr Wachstum aus der Oxidation von anorganischen Verbindungen mit geeigneten Elektronenakzeptoren (oft O2). Die meisten chemolithotrophen Organismen sind zugleich autotroph und verwenden CO2 als C-Quelle. In solchen Fällen dient die anorganische Oxidationsreaktion auch als Quelle für Reduktionsmittel (NAD(P)H), die für die CO2-Fixierung und für andere Syntheseschritte (Chemosynthese) benötigt werden. Die Chemosynthese ermöglicht ein Leben im Dunkeln allein auf Kosten von anorganischer Substanz. Dagegen verwenden photolithotrophe Organismen Licht als Energiequelle und die anorganischen Verbindungen dienen lediglich als Elektronendonatoren für Biosynthesen (Kap. 15). In der Natur gibt es zahlreiche Beispiele für Symbiosen zwischen Tieren und lithotrophen Bakterien; außerdem sind auch die Plastiden der Pflanzen und Algen ursprünglich prokaryontische Endosymbionten. Erst solche Symbiosen vermitteln den eukaryontischen Wirten die Fähigkeit zur photooder chemolithotrophen Lebensweise.

12.2 Habitate und Lebensweise von chemolithotrophen Bakterien

388

anorganischer Elektronendonator DH2 O2 (selten NO3–) ElektronenADP + Pi transportphosphoryATP lierung

n[H] QH2 oder Cyt cred oxidiertes Produkt D

H2O (N2)

Abb. 12.1 Stoffwechselschema der Chemolithotrophie.

ganische Substrate. Deshalb müssen sie ihr Zellmaterial häufig aus CO2 aufbauen, sie sind chemolithoautotroph. Die Chemosynthese aus CO2 mithilfe einer anorganischen Redoxreaktion hat 1887 erstmals Sergej Winogradsky als neuartige Lebensgrundlage erkannt (Plus 12.1). Die reduzierten anorganischen Verbindungen stammen aus dem Stoffwechsel von Bakterien, die unter anoxischen Bedingungen eine anaerobe Atmung (S. 442) betreiben. In anoxische Regionen gelangtes, schwer abbaubares organisches Material (z. B. Lignocellulose) wird langsam zu Gärprodukten wie Alkohol, Essigsäure, Wasserstoff und CO2 umgesetzt (▶ Abb. 12.2). Bakterien oxidieren diese Gärprodukte mittels einer anaeroben Atmung vollständig zu CO2 und bilden dabei reduzierte anorganische Verbindungen (NH3, H2S, Fe(II) u. a.) und Methan. Diese Verbindungen diffundieren in den oxischen Bereich und werden in schmalen Grenzschichten durch chemolithotrophe Bakterien oxidiert. Die oxidierten Produkte (NO3-, SO42-, CO2, Fe (III) u. a.) diffundieren wieder in die anoxische Zone und stehen erneut für die anaerobe Atmung zur Verfügung. Chemolithotrophe Bakterien wirken so entscheidend am Stoffkreislauf mit.

12.2.1 Art und Herkunft der Substrate

12.2.2 Habitate

Chemolithotrophe Bakterien leben von der Oxidation anorganischer Substrate (lithos, griech. Stein). Reduzierte anorganische Verbindungen werden dabei zu oxidierten Produkten umgesetzt, die ausgeschieden werden (▶ Abb. 12.1). Die bei der Oxidation freigesetzten Reduktionsäquivalente werden für die Energiekonservierung über Atmung und für Biosynthesen benötigt. In der Natur lohnt sich der Abbau reduzierter anorganischer Verbindungen an Standorten mit gut abbaubaren organischen Verbindungen meist nicht. In den Bereichen, wo chemolithotrophe Bakterien gedeihen, gibt es dagegen kaum or-

Chemolithotrophe Mikroorganismen benötigen gleichzeitig reduzierte Elektronendonatoren, die vor allem durch anaerobe Atmung in anoxischen Zonen gebildet werden, und Sauerstoff oder andere oxidierte Elektronenakzeptoren, die nur in oxischen Zonen vorhanden sind. Daraus ergibt sich als primäres chemolithotrophes Habitat die Schichtgrenze zwischen anoxischer und oxischer Zone von Sedimenten oder Bodenschichten. Denn dort trifft der notwendige Elektronendonator von unten auf einen geeigneten Elektronenakzeptor von oben. Diese Stoffgradienten sind bereits für die Einnischung der verschiedenen Gruppen chemolithotropher und anaerob atmender

Oxidation anorganischer Verbindungen: chemolithotrophe Lebensweise

12 Oxidation anorganischer Verbindungen: chemolithotrophe Lebensweise Johann Heider

12.1 Überblick Die lithotrophe Lebensweise ist ein Merkmal, das man ausschließlich bei Prokaryonten (inklusive der Plastiden der Pflanzen und Algen) antrifft. Lithotrophe Organismen oxidieren reduzierte anorganische Verbindungen und wachsen in Mineralsalzmedien ohne organische Substanzen. Je nach Art des Energiestoffwechsels werden sie in photo- und chemolithotrophe Organismen eingeteilt. Die Chemolithotrophen gewinnen die Energie für ihr Wachstum aus der Oxidation von anorganischen Verbindungen mit geeigneten Elektronenakzeptoren (oft O2). Die meisten chemolithotrophen Organismen sind zugleich autotroph und verwenden CO2 als C-Quelle. In solchen Fällen dient die anorganische Oxidationsreaktion auch als Quelle für Reduktionsmittel (NAD(P)H), die für die CO2-Fixierung und für andere Syntheseschritte (Chemosynthese) benötigt werden. Die Chemosynthese ermöglicht ein Leben im Dunkeln allein auf Kosten von anorganischer Substanz. Dagegen verwenden photolithotrophe Organismen Licht als Energiequelle und die anorganischen Verbindungen dienen lediglich als Elektronendonatoren für Biosynthesen (Kap. 15). In der Natur gibt es zahlreiche Beispiele für Symbiosen zwischen Tieren und lithotrophen Bakterien; außerdem sind auch die Plastiden der Pflanzen und Algen ursprünglich prokaryontische Endosymbionten. Erst solche Symbiosen vermitteln den eukaryontischen Wirten die Fähigkeit zur photooder chemolithotrophen Lebensweise.

12.2 Habitate und Lebensweise von chemolithotrophen Bakterien

388

anorganischer Elektronendonator DH2 O2 (selten NO3–) ElektronenADP + Pi transportphosphoryATP lierung

n[H] QH2 oder Cyt cred oxidiertes Produkt D

H2O (N2)

Abb. 12.1 Stoffwechselschema der Chemolithotrophie.

ganische Substrate. Deshalb müssen sie ihr Zellmaterial häufig aus CO2 aufbauen, sie sind chemolithoautotroph. Die Chemosynthese aus CO2 mithilfe einer anorganischen Redoxreaktion hat 1887 erstmals Sergej Winogradsky als neuartige Lebensgrundlage erkannt (Plus 12.1). Die reduzierten anorganischen Verbindungen stammen aus dem Stoffwechsel von Bakterien, die unter anoxischen Bedingungen eine anaerobe Atmung (S. 442) betreiben. In anoxische Regionen gelangtes, schwer abbaubares organisches Material (z. B. Lignocellulose) wird langsam zu Gärprodukten wie Alkohol, Essigsäure, Wasserstoff und CO2 umgesetzt (▶ Abb. 12.2). Bakterien oxidieren diese Gärprodukte mittels einer anaeroben Atmung vollständig zu CO2 und bilden dabei reduzierte anorganische Verbindungen (NH3, H2S, Fe(II) u. a.) und Methan. Diese Verbindungen diffundieren in den oxischen Bereich und werden in schmalen Grenzschichten durch chemolithotrophe Bakterien oxidiert. Die oxidierten Produkte (NO3-, SO42-, CO2, Fe (III) u. a.) diffundieren wieder in die anoxische Zone und stehen erneut für die anaerobe Atmung zur Verfügung. Chemolithotrophe Bakterien wirken so entscheidend am Stoffkreislauf mit.

12.2.1 Art und Herkunft der Substrate

12.2.2 Habitate

Chemolithotrophe Bakterien leben von der Oxidation anorganischer Substrate (lithos, griech. Stein). Reduzierte anorganische Verbindungen werden dabei zu oxidierten Produkten umgesetzt, die ausgeschieden werden (▶ Abb. 12.1). Die bei der Oxidation freigesetzten Reduktionsäquivalente werden für die Energiekonservierung über Atmung und für Biosynthesen benötigt. In der Natur lohnt sich der Abbau reduzierter anorganischer Verbindungen an Standorten mit gut abbaubaren organischen Verbindungen meist nicht. In den Bereichen, wo chemolithotrophe Bakterien gedeihen, gibt es dagegen kaum or-

Chemolithotrophe Mikroorganismen benötigen gleichzeitig reduzierte Elektronendonatoren, die vor allem durch anaerobe Atmung in anoxischen Zonen gebildet werden, und Sauerstoff oder andere oxidierte Elektronenakzeptoren, die nur in oxischen Zonen vorhanden sind. Daraus ergibt sich als primäres chemolithotrophes Habitat die Schichtgrenze zwischen anoxischer und oxischer Zone von Sedimenten oder Bodenschichten. Denn dort trifft der notwendige Elektronendonator von unten auf einen geeigneten Elektronenakzeptor von oben. Diese Stoffgradienten sind bereits für die Einnischung der verschiedenen Gruppen chemolithotropher und anaerob atmender

12.2 Habitate und Lebensweise von chemolithotrophen Bakterien

●V

Plus 12.1 Winogradsky’s Chemosynthese

Beggiatoa veratmete also offenbar Schwefel anstelle organischer Substanz. Winogradsky schloss daraus: „Durch einen rein anorganischen Prozess, den der Schwefeloxidation, werden alle ihre Lebensbewegungen im Gange erhalten. Darum habe ich diese Organismen Schwefelorganismen oder Schwefelbakterien genannt.“ Seine Kollegen gratulierten ihm mit den Worten: „Sie haben einen neuen modus vivendi gefunden.“ (in H. G. Schlegel, Geschichte der Mikrobiologie, 1999, Deutsche Akadamie der Naturforscher, Leopoldina). Die Herkunft des Zellkohlenstoffs aus CO2 entdeckte Winogradsky später an nitrifizierenden Bakterien. Seine Arbeiten sind ein Muster an genauer Beobachtung, scharfsinniger Überlegung, vorsichtiger Schlussfolgerung und weitsichtiger Betrachtung, die bis heute ihren Wert als Lektüre behalten haben.

Winogradsky führte 1887 im Straßburger Botanischen Institut von Anton de Bary seine Versuche mit dem wegen seiner Größe schon länger bekannten farblosen fädigen Riesenbakterium Beggiatoa durch, das er in Form von weißen Bakterienmatten am Grund der Gewässer in der Umgebung beobachtet hatte. Solche Matten entwickelten sich in Ansätzen mit Brunnenwasser, Schlamm und Pflanzenteilen besonders gut mit zugesetztem Gips (CaSO4), der als Substrat für H2S-bildendende Sulfatreduzierer diente. Nach einigen Wochen hatten sich viele Beggiatoa-Netze an den Gefäßwänden nahe der Wasseroberfläche gebildet. In einer feuchten Kammer in Gegenwart von Schwefelwasserstoff und Luft und ohne organische Verbindungen lagerten sich in den Beggiatoa-Zellen Schwefelkügelchen ab, die bei H2SMangel wieder verschwanden; stattdessen bildete sich Schwefelsäure.

Oxidation

Reduktion

H2S

2 O2

+ O2 4 H2O

Elektronentransportphosphorylierung

8 [H] Membran

– O2

ATP

H2SO4

4 H2O

CH3–COOH

H2SO4

2 H2O 8 [H]

anaerobe Atmung

Abb. 12.2 Verschiedene Typen des bakteriellen Energiestoffwechsels und ihre Rolle im Stoffkreislauf der Natur. Oben ist die chemolithotrophe Lebensweise am Beispiel der Oxidation von H2S dargestellt, darunter ist die anaerobe Atmung am Beispiel der Sulfatatmung und ganz unten die Gärung gezeigt. Die anaerobe Atmung sorgt für den Nachschub an reduzierten anorganischen Elektronendonatoren und schließt so den Kreislauf der Stoffe. Dieser Kreislauf beruht auf einem Wechsel von aerober und anaerober Lebensweise in oxisch-anoxischen Gradienten im natürlichen Habitat. (nach Doenecke et al., Karlsons Biochemie, Thieme, 2005)

Elektronentransportphosphorylierung

Membran

ATP H2S + 4 H2O

2 CO2

Glucose Substratkettenphosphorylierung ATP

aerobe Atmung (chemolithotroph)

2 Pyruvat

Gärung

4 [H] löslich

2 Pyruvat

2 Ethanol + 2 CO2 oder 2 Lactat oder Acetat, H2, CO2...

9

Oxidation anorganischer Verbindungen: chemolithotrophe Lebensweise Bakterien wichtig, werden aber zugleich durch die Stoffwechselaktivitäten der entsprechenden Mikroorganismen erst erzeugt und stabilisiert. Die Grenzschicht, in der eine chemolithotrophe Lebensweise stattfinden kann, ist sehr eng begrenzt, da die notwendigen Substrate nur durch Diffusion in diese Schicht gelangen und durch die Bakterien abgebaut werden, sobald die jeweiligen Konzentrationen dafür ausreichen. Dementsprechend sind die meisten chemolithotrophen Bakterien mikrooxisch und damit besonders gut an ein Leben an der oxisch-anoxischen Grenzschicht angepasst, wo nur noch geringe Sauerstoffkonzentrationen vorkommen. Die Mischzeit eines Moleküls durch Diffusion ist proportional zum Quadrat der zurückgelegten Strecke, d. h. ein kleines Substratmolekül braucht nur Millisekunden, um einen Mikrometer weit zu diffundieren, bei 0,1 mm Strecke ist die Mischzeit schon 10 Sekunden, und bei 1 mm gar 15 Minuten. Die Grenzschichthabitate der chemolithotrophen Mikroorganismen zwischen oxischer und anoxischer Zone sind deshalb meist nur 0,1– 1 mm dick. Die Diffusion der reduzierten anorganischen Verbindungen zur Sauerstoffgrenzschicht (Substratnachschub) erfolgt langsam und ist meist wachstumsbegrenzend. Aus dem Gleichgewicht zwischen Nachdiffusion und Verbrauch der Substrate resultieren winzige Substratkonzentrationen, mit denen die Bakterien zurechtkommen müssen.

12.2.3 Lebensweise Chemolithotrophe Bakterien sind typische Gradientenorganismen. Diese Organismen sind häufig obligat chemolithoautotroph und oft Spezialisten. Viele fixieren CO2. Da in der oxisch-anoxischen Grenzschicht nur geringe Substratkonzentrationen auftreten und kaum organische Substrate vorhanden sind, tolerieren diese Bakterien meist auch nur solche geringen Substratkonzentrationen. Organische Verbindungen haben sogar oft eine toxische Wirkung. Die Standardredoxpotenziale der meisten anorganischen Redoxreaktionen sind relativ hoch, sodass NAD+ (E0’ = –0,32 V) bei der Oxidation anorganischer Substrate nicht als Elektronenakzeptor dienen kann. Vielmehr werden dabei meist zunächst Chinone (E0’ ca. 0 V) oder Cytochrome vom c-Typ (E0’ = + 0,3 bis + 0,35 V) reduziert. In der Atmungskette hin zu Sauerstoff (S. 278) entfallen also bis zu zwei Kopplungsstellen: die NADH-Dehydrogenase (NADH:Ubichinon-Oxidoreduktase, Komplex I) und der Cytochrom-bc1-Komplex (Ubichinol:Cytochrom-c-Oxidoreduktase, Komplex III). Die ATP-Ausbeute ist entsprechend gering, was zu langsamem Wachstum mit geringen Zelldichten führt. Allerdings gleichen viele chemolithotrophe Organismen diese geringe Energieausbeute durch einen hohen Stoffumsatz wieder aus. Einige Substrate wie Methan oder Ammoniak sind darüber hinaus chemisch schwer angreifbar, sodass zunächst einige Re-

390

duktionsäquivalente in eine Monooxygenasereaktion investiert werden müssen, um diese Substrate für die Chemolithotrophie verfügbar zu machen. Die biologischen Reaktionen in den Zellen stehen häufig in Konkurrenz zu spontan ablaufenden chemischen Oxidationen. Zum Beispiel oxidiert Luftsauerstoff H2S spontan zu Schwefel, Thiosulfat und Sulfat, oder Fe2 + zu Fe3 + . Der hohe Stoffumsatz der Bakterien als Folge der geringen Energieausbeute konkurriert erfolgreich mit dem spontanen chemischen Prozess, vor allem sorgt er für den raschen und fast vollständigen Verbrauch von Sauerstoff. Für Biosynthesen, besonders für die autotrophe CO2-Fixierung, benötigen Chemolithotrophe NAD(P)H, das sie nur über einen energiegetriebenen rückläufigen Elektronentransport aus reduzierten Chinonen oder Cytochromen unter Beteiligung der (die Rückreaktion katalysierenden) NADH-Dehydrogenase und des Cytochrombc1-Komplexes gewinnen können. Dieser energieaufwendige Prozess ist zusätzlich verantwortlich für die geringen Zellzahlen und das langsame Wachstum. Hinzu kommt, dass die CO2-Fixierung pro CO2 nicht nur 2 NAD(P)H, sondern zusätzlich 3 ATP benötigt (s. Calvin-Benson-Zyklus) (S. 310).

Kultivierung Chemolithotrophe Bakterien sind bis heute schwer im Labor zu züchten (Methode 12.1). Dies hat mehrere Gründe: 1. Trotz hoher Stoffumsatzraten erzielen sie nur geringe Zellausbeuten und wachsen langsam. Dies liegt an den relativ hohen Redoxpotenzialen der meisten anorganischen Substrate, die nur wenig Energiekonservierung erlauben, und dem Energiebedarf der NAD(P)H-Bildung durch rückläufigen Elektronentransport. 2. Die Stoffgradienten, die von den verschiedenen Mikroorganismen in der Natur aufgebaut werden, sind im Labor nur schwer nachzustellen. 3. Sowohl die anorganischen Elektronendonatoren als auch der Sauerstoff werden nur in geringen Konzentrationen toleriert. Ebenso wirken organische Substanzen oft toxisch.

12.2.4 Stoffwechseltypen und ihre Nischen Chemolithotrophe Bakterien nutzen in der Natur Nischen, in denen Gradienten von Sauerstoff, reduzierten anorganischen Verbindungen und organischen Verbindungen herrschen (▶ Abb. 12.4). In Gegenwart von organischen Verbindungen werden anorganische Verbindungen häufig nur cometabolisiert. Fakultativ chemolithotrophe Bakterien können sowohl anorganische als auch organische Stoffe oxidieren. Bei Wachstum mit anorganischen Verbindungen reprimieren sie die Synthese der 2Oxoglutarat-Dehydrogenase, eines Schlüsselenzyms des

12.2 Habitate und Lebensweise von chemolithotrophen Bakterien

d ●

Methode 12.1 Vorkommen und Kultivierung von Chemolithotrophen Obwohl lithotrophe Organismen oxische bis anoxische Gradientenhabitate brauchen, kommen die meisten ubiquitär vor. Dies ist vor allem darauf zurückzuführen, dass bereits winzige Partikel, auf denen sich Mikroorganismen überall in der Umwelt ansiedeln, für die Ausbildung von Gradienten im Mikromaßstab (S. 388) ausreichen und vielen lithotrophen Organismen die Einnischung erlauben. Bekannte Beispiele sind Belebtschlammflocken im Abwasser, Bodenkrumen oder „mariner Schnee“. Hohe Zahlen chemolithotropher Mikroorganismen sind an oligotrophen Standorten im Dunkeln zu erwarten, wo wenig Konkurrenz durch schneller wachsende Chemoorganotrophe oder Photolithotrophe herrscht. Die meisten Lithotrophen sind autotroph und benötigen CO2 als C-Quelle. Für die Anreicherung und Isolierung chemolithotropher Mikroorganismen benutzt man deshalb Minimalmedien, die den gewünschten Elektronendonator als einzige reduzierbare Verbindung enthalten, und die dunkel und mit CO2 als einziger C-Quelle inkubiert werden (▶ Abb. 12.3). Je nach den anzureichernden Organismen wählt man den Elektronenakzeptor. Bei Anreicherungen lithotropher Mikroorganismen muss man mit langsamem Wachstum (Generationszeiten im Bereich von Tagen) und geringer Zellausbeute rechnen. So müssen Acidithiobacillus ferrooxidans etwa 150 g Fe2 + und Nitrosomonas 30 g Ammoniak oxidieren, um jeweils 1 g Zelltrockenmasse zu bilden.

Citratzyklus. Ihr Citratzyklus ist also unvollständig und sie benötigen dessen Reaktionen nur noch für Biosynthesen.Obligat chemolithoautotrophe Bakterien sind Spezialisten, die sich in Nischen unter mikrooxischen Bedingungen ohne Licht durchsetzen können, wenn nur anorganische Substrate verfügbar sind. Diese Nischen haben sich verschiedene Bakteriengruppen erobert, die nicht miteinander verwandt sind. Vielmehr findet man zu jedem Stoffwechseltyp Vertreter verschiedener Verwandtschaftsgruppen. Die Stoffwechseltypen teilt man nach den verwendeten anorganischen Substraten ein, also nach Bakterien, die z. B. Methan, reduzierte Stickstoffverbindungen, reduzierte Schwefelverbindungen oder reduzierte Metallionen oxidieren (▶ Abb. 12.5). So oxidieren Nitrifikanten in der

Gradient

Luft

Beggiatoa-„Platte“ Mineralmedium: 0,2% Agar 2,5 mM HCO3–

Mineralmedium: 1,5% Agar 1- 8 mM Na2S

Abb. 12.3 Marines Gradientenmedium für die Anzucht von schwefelwasserstoffoxidierenden Bakterien. Wie im natürlichen Lebensraum bildet sich ein Gradient zwischem dem Elektronendonator H2S aus der unteren anoxischen Zone und dem Elektronenakzeptor Sauerstoff aus dem Luftraum oben. HCO3– dient als einzige C-Quelle. Schwefelwasserstoffoxidierende Bakterien (z. B. Beggiatoa sp.) siedeln sich als „Platte“ an der Stelle an, wo optimale H2S- und Sauerstoffkonzentrationen für das Wachstum herrschen.

obersten, oxischen Schicht der Sedimente Ammonium aus Abbauprozessen und anaerober Atmung zu Nitrat. Nitrat dient wiederum anderen chemolithotrophen oder chemoorganotrophen Nitratatmern in tieferen Schichten der Sedimente als Elektronenakzeptor. Aerobe oder nitratreduzierende Mikroorganismen oxidieren Sulfid (Sulfurikanten), das durch anaerobe Sulfatatmung entstanden ist. Auch die methanogenen Archaea und die acetogenen Bacteria, die sich ganz unten in anaeroben Sedimenten ansiedeln, gehören zu den Chemolithotrophen, zugleich aber auch zu den anaeroben Atmern. Beide Gruppen verwerten Wasserstoff als Elektronendonator und reduzieren damit CO2 als Elektronenakzeptor in einer anaeroben Atmung zu Methan (S. 456) oder Acetat (S. 461). Ein Groß-

Stoffwechseltypen O2

organische Verbindungen

anorganische Elektronendonatoren DH2

Cometabolismus von organischen Elektronendonatoren

Abb. 12.4 Chemolithotropher Stoffwechsel in natürlichen Gradientenhabitaten.

fakultativ chemolithotrophe Generalisten (mixotroph) Citratzyklus reprimiert obligat chemolithoautotrophe Spezialisten (mikrooxisch) Citratzyklus unvollständig

1

Oxidation anorganischer Verbindungen: chemolithotrophe Lebensweise teil des Methans diffundiert in oxische Zonen und wird dort von aeroben methanotrophen Bakterien als Elektronendonator verwendet – nur ein geringer Teil entweicht in die Atmosphäre. Der methanotrophe Stoffwechsel ist in seinen Prinzipien als eine Art chemolithotrophe Lebensweise zu betrachten. Da Methan ein organisches Molekül ist, wird dieser Stoffwechseltyp beim Abbau von Kohlenwasserstoffen (S. 377) näher behandelt. Je nach Gehalt des Standorts an biologisch verfügbaren Eisenmineralien oder anderen schwerlöslichen Metallsalzen findet man auch chemolithotrophe Mikroorganismen, die reduzierte Metallionen oder sogar elementares Eisen als Elektronendonatoren oxidieren. Weitere besondere Gruppen anaerober Chemolithotropher sind die anaeroben Anammoxbakterien (S. 446), die Ammonium mit Nitrit als Elektronenakzeptor oxidieren und im Meer an der Stickstofffreisetzung aus Nitrat beteiligt sind, und die anaeroben methanoxidierenden Konsortien (S. 620), die sich vor allem an Lagerstätten von Methaneis ansiedeln.

12.2.5 Symbiosen Die Gase CH4 und H2S kommen in der Natur in großen Mengen als vulkanische Ausgasungen oder als Produkte der anaeroben Methanogenese bzw. Sulfatatmung vor. Am Meeresgrund, zu dem kein Licht vordringt, existieren viele Symbiosen zwischen Tieren und chemolithoautotrophen Bakterien. Diese Bakterien oxidieren Methan zu CO2 bzw. H2S zu H2SO4. Sie fixieren den Kohlenstoff aus Methan oder aus CO2 in Zellmaterial und in Form organischer Verbindungen und ernähren so ihre Wirtsorganismen wie Muscheln, darmlose Röhrenwürmer (Pogonophoren) und einige Oligochaeten. Die Wirte leben dabei

CO

im Dunkeln allein von der Chemosynthese der Bakterien. Diese Symbiosen sind eine Alternative zu Symbiosen mit Algen und Cyanobakterien, die eukaryontische Wirte wie z. B. Korallen durch Photosynthese ernähren und Licht benötigen. Letztlich kann man Lithotrophie als ausschließlich prokaryontisches Merkmal ansehen, denn selbst die Pflanzen verdanken ihr Dasein den Plastiden als photolithoautotrophen Endosymbionten.

12.3 Prinzipien der Lithotrophie 12.3.1 Stoffwechselprinzip Das Wachstum chemolithotropher Organismen beruht auf energieliefernden Redoxreaktionen zwischen anorganischen Elektronendonatoren und Elektronenakzeptoren, die eine ATP-Synthese erlauben. Diese Reaktionen laufen an der Cytoplasmamembran oder an intracytoplasmatischen Membranen ab. Im Fall der Oxidation von reduzierten Metallionen findet der Prozess jedoch an der Zelloberfläche statt. Spezifische Dehydrogenasen oxidieren den Elektronendonator, und die Elektronen werden über transmembrane Elektronentransportsysteme der aeroben oder anaeroben Atmungskette zu einer terminalen Reduktase geleitet, die in der Regel Sauerstoff (oder andere Elektronenakzeptoren) reduziert. Die freigesetzte Energie wird in Form eines Protonengradienten (ΔH+) über der Membran gespeichert, und dieser wird von der ATP-Synthase zur Phosphorylierung von ADP zu ATP genutzt (Elektronentransportphosphorylierung, ETP). Das generelle Schema des Energiestoffwechsels der Chemolithotrophen ist damit identisch mit dem der aeroben (S. 274) oder anaeroben Atmung (S. 442). Die Standard-

CO/ CO2

H2

H2/ 2 H+ NADH

H2S Fe2+

Eo' – 0,4 V

H2S/ SO42– ∆H+ 0V Succ./ Fum.

Chinol NH4+ NO3–

NO2–

∆H+ Cyt c

∆H+

O2

392

NH4+/ NO2– NO2–/ NO3– Fe2+/ Fe3+ (pH 1)

+ 0,4 V

H2O/O2

+ 0,8 V

1 ATP

Abb. 12.5 Redoxskala der wichtigsten chemolithotrophen Elektronendonatoren. Die Skala gibt die Standardredoxpotenziale verschiedener Redoxreaktionen an. Die schwarzen Pfeile zeigen die Redoxspannen im chemolithotrophen Stoffwechsel mit Sauerstoff als Elektronenakzeptor. Die roten Pfeile zeigen Beispiele anaerober chemolithotropher Systeme. Das Redoxpotenzial von Fe(II) schwankt je nach Löslichkeit der Fe(II)- bzw. Fe(III)-Mineralien stark (gestrichelter Teil des Pfeils bei Fe(II), s. ▶ Abb. 12.17). Der durchgezogene Teil des Pfeils zeigt das Potenzial bei pH-Werten von 4–5 an, das für acidophile Fe(II)Oxidierer relevant ist (lokale Werte im Cytoplasma bzw. Periplasma; pH im Medium bei 1–2). Am Beispiel der Nitritoxidation ist die Thermodynamik der Energiekonservierung (blau) und des rückläufigen Elektronentransports (rot) gezeigt. ΔH+ zeigt an, dass Energie in Form eines Protonengradienten konserviert bzw. investiert wird.

Oxidation anorganischer Verbindungen: chemolithotrophe Lebensweise teil des Methans diffundiert in oxische Zonen und wird dort von aeroben methanotrophen Bakterien als Elektronendonator verwendet – nur ein geringer Teil entweicht in die Atmosphäre. Der methanotrophe Stoffwechsel ist in seinen Prinzipien als eine Art chemolithotrophe Lebensweise zu betrachten. Da Methan ein organisches Molekül ist, wird dieser Stoffwechseltyp beim Abbau von Kohlenwasserstoffen (S. 377) näher behandelt. Je nach Gehalt des Standorts an biologisch verfügbaren Eisenmineralien oder anderen schwerlöslichen Metallsalzen findet man auch chemolithotrophe Mikroorganismen, die reduzierte Metallionen oder sogar elementares Eisen als Elektronendonatoren oxidieren. Weitere besondere Gruppen anaerober Chemolithotropher sind die anaeroben Anammoxbakterien (S. 446), die Ammonium mit Nitrit als Elektronenakzeptor oxidieren und im Meer an der Stickstofffreisetzung aus Nitrat beteiligt sind, und die anaeroben methanoxidierenden Konsortien (S. 620), die sich vor allem an Lagerstätten von Methaneis ansiedeln.

12.2.5 Symbiosen Die Gase CH4 und H2S kommen in der Natur in großen Mengen als vulkanische Ausgasungen oder als Produkte der anaeroben Methanogenese bzw. Sulfatatmung vor. Am Meeresgrund, zu dem kein Licht vordringt, existieren viele Symbiosen zwischen Tieren und chemolithoautotrophen Bakterien. Diese Bakterien oxidieren Methan zu CO2 bzw. H2S zu H2SO4. Sie fixieren den Kohlenstoff aus Methan oder aus CO2 in Zellmaterial und in Form organischer Verbindungen und ernähren so ihre Wirtsorganismen wie Muscheln, darmlose Röhrenwürmer (Pogonophoren) und einige Oligochaeten. Die Wirte leben dabei

CO

im Dunkeln allein von der Chemosynthese der Bakterien. Diese Symbiosen sind eine Alternative zu Symbiosen mit Algen und Cyanobakterien, die eukaryontische Wirte wie z. B. Korallen durch Photosynthese ernähren und Licht benötigen. Letztlich kann man Lithotrophie als ausschließlich prokaryontisches Merkmal ansehen, denn selbst die Pflanzen verdanken ihr Dasein den Plastiden als photolithoautotrophen Endosymbionten.

12.3 Prinzipien der Lithotrophie 12.3.1 Stoffwechselprinzip Das Wachstum chemolithotropher Organismen beruht auf energieliefernden Redoxreaktionen zwischen anorganischen Elektronendonatoren und Elektronenakzeptoren, die eine ATP-Synthese erlauben. Diese Reaktionen laufen an der Cytoplasmamembran oder an intracytoplasmatischen Membranen ab. Im Fall der Oxidation von reduzierten Metallionen findet der Prozess jedoch an der Zelloberfläche statt. Spezifische Dehydrogenasen oxidieren den Elektronendonator, und die Elektronen werden über transmembrane Elektronentransportsysteme der aeroben oder anaeroben Atmungskette zu einer terminalen Reduktase geleitet, die in der Regel Sauerstoff (oder andere Elektronenakzeptoren) reduziert. Die freigesetzte Energie wird in Form eines Protonengradienten (ΔH+) über der Membran gespeichert, und dieser wird von der ATP-Synthase zur Phosphorylierung von ADP zu ATP genutzt (Elektronentransportphosphorylierung, ETP). Das generelle Schema des Energiestoffwechsels der Chemolithotrophen ist damit identisch mit dem der aeroben (S. 274) oder anaeroben Atmung (S. 442). Die Standard-

CO/ CO2

H2

H2/ 2 H+ NADH

H2S Fe2+

Eo' – 0,4 V

H2S/ SO42– ∆H+ 0V Succ./ Fum.

Chinol NH4+ NO3–

NO2–

∆H+ Cyt c

∆H+

O2

392

NH4+/ NO2– NO2–/ NO3– Fe2+/ Fe3+ (pH 1)

+ 0,4 V

H2O/O2

+ 0,8 V

1 ATP

Abb. 12.5 Redoxskala der wichtigsten chemolithotrophen Elektronendonatoren. Die Skala gibt die Standardredoxpotenziale verschiedener Redoxreaktionen an. Die schwarzen Pfeile zeigen die Redoxspannen im chemolithotrophen Stoffwechsel mit Sauerstoff als Elektronenakzeptor. Die roten Pfeile zeigen Beispiele anaerober chemolithotropher Systeme. Das Redoxpotenzial von Fe(II) schwankt je nach Löslichkeit der Fe(II)- bzw. Fe(III)-Mineralien stark (gestrichelter Teil des Pfeils bei Fe(II), s. ▶ Abb. 12.17). Der durchgezogene Teil des Pfeils zeigt das Potenzial bei pH-Werten von 4–5 an, das für acidophile Fe(II)Oxidierer relevant ist (lokale Werte im Cytoplasma bzw. Periplasma; pH im Medium bei 1–2). Am Beispiel der Nitritoxidation ist die Thermodynamik der Energiekonservierung (blau) und des rückläufigen Elektronentransports (rot) gezeigt. ΔH+ zeigt an, dass Energie in Form eines Protonengradienten konserviert bzw. investiert wird.

12.4 Reduzierte Stickstoffverbindungen als Elektronendonatoren redoxpotenziale (E0’) der möglichen Elektronendonatoren zwischen –0,5 V und + 0,4 V (▶ Abb. 12.5) zeigen die jeweils verfügbare freie Energie aus der Oxidation der betreffenden Verbindung an. Welche Paare von Elektronendonatoren und -akzeptoren für Chemolithotrophe infrage kommen, hängt von den Redoxpotenzialen der jeweiligen Reaktionspartner ab. Für exergone Reaktionen sind nur Kombinationen zwischen Elektronendonatoren mit niedrigerem Redoxpotenzial und Elektronenakzeptoren mit höherem Redoxpotenzial möglich (▶ Abb. 12.5). Sauerstoff (E0’ = + 0,81 V) bringt als Elektronenakzeptor der aeroben Atmung die größte Energieausbeute; mit alternativen Elektronenakzeptoren ist die Energieausbeute geringer. Nach der Gleichung ΔG = –nFΔE entspricht eine elektrochemische Potenzialdifferenz von etwa 0,1 V zwischen einem Elektronendonator und einem Akzeptor einer Energie von ca. –20 kJ mol–1, wenn 2 Elektronen übertragen werden. Dieser Energiebetrag reicht aus, um 1 Proton (das biologische Energiequant) durch die Membran zu transportieren (s. Anhang).

12.3.2 Rückläufiger Elektronentransport Aus den Redoxpotenzialen der anorganischen Elektronendonatoren (▶ Abb. 12.5) kann man ablesen, dass nur die CO- oder H2-verwertenden Chemolithotrophen unmittelbar NAD(P)+ zu NAD(P)H für den Baustoffwechsel reduzieren können (wobei dies nicht alle tun). Die Potenziale der übrigen anorganischen Elektronendonatoren, wie die von Ammonium, Nitrit oder Sulfid, sind viel positiver als das von NAD(P)H. Deshalb werden die Elektronen aus diesen Verbindungen erst auf der Ebene der Chinone oder des Cytochrom c in die Atmungskette eingeschleust. Die Versorgung mit NAD(P)H für Biosynthesen stellt bei diesen Organismen ein energetisches Problem dar, das durch den Prozess des rückläufigen Elektronentransports gelöst wird. Damit bezeichnet man die Umkehrung (das „Rückwärtslaufen“) der Reaktionen der Atmungskettenkomplexe. Diese katalysieren die energiegetriebene Elektronenübertragung von Cytochrom c auf den Chinonpool (Komplex III), bzw. von den Chinolen auf NAD(P)+ (Komplex I). Der Prozess wird durch das Einströmen von Protonen über die Membran angetrieben. Der dafür notwendige Protonengradient stammt aus der energieliefernden Oxidation des anorganischen Elektronendonators. Bei einigen Chemolithotrophen, z. B. bei nitrifizierenden Bakterien, wird pro oxidiertem Substratmolekül weniger Energie konserviert als für den rückläufigen Elektronentransport benötigt wird, sodass pro gebildetem NAD(P)H mehrere Substratmoleküle oxidiert werden müssen. Diese Bakterien haben deshalb einen hohen Substratumsatz, der das notwendige Membranpotenzial aufrechterhält, wachsen aber wegen des hohen Energieaufwands für den rückläufigen Elektronentransport nur langsam und zu geringer Dichte heran.

12.4 Reduzierte Stickstoffverbindungen als Elektronendonatoren Bei der Zersetzung von Biomasse wird der organisch gebundene Stickstoff als Ammoniak freigesetzt. Bei der anaeroben Atmung gibt es zudem einen Prozess, bei dem Nitrat über Nitrit zu Ammoniak reduziert wird (Nitratammonifikation) (S. 446). Ammoniak stammt ausschließlich aus biologischen Quellen, da Ammoniumsalze wegen ihrer guten Löslichkeit als Mineralien praktisch nicht vorkommen. Ammoniak bzw. Ammonium-Ionen werden von nitrifizierenden Mikroorganismen (Nitrifikanten) zu Nitrit und weiter zu Nitrat oxidiert (Plus 12.2). Diese Nitrifikation hat große ökologische Bedeutung. Sie überführt das flüchtige Stoffwechselprodukt Ammoniak zurück in das nichtflüchtige Nitrat, das die bevorzugte Stickstoffquelle von Pflanzen und aeroben Mikroorganismen darstellt. Der Prozess der Nitrifikation, also die aerobe Oxidation von Ammonium-Ionen zu Nitrat, wird nie von einer Bakterienart allein geleistet, sondern von syntrophen Assoziationen aus zwei physiologischen Typen von Bakterien. Man findet stets getrennte Arten ammoniumoxidierender Bakterien, die Nitrit als Endprodukt ausscheiden, und ni-

Plus 12.2 Salpeter

●V

Nitrat ist wichtiger Bestandteil von Schießpulver (= Schwarzpulver), das sich aus 75 % Kaliumnitrat, 10 % Schwefel und 15 % Holzkohle zusammensetzt. Der Zugang zu Nitrat war deshalb verständlicherweise ein wichtiges Ziel der Mächtigen. Die Gewinnung von Nitrat war ein strikt reguliertes Recht, das nur den Königen zustand (Regalie = Königsrecht). Lange Zeit kannte man Nitratvorkommen nur in Ägypten und Indien (Bengalen; das berühmte Taj Mahal wurde durch den Salpeterhandel finanziert, und die ägyptischen Nitratvorkommen waren ein weiterer Grund für den Ägyptenfeldzug Napoleons). Der lange Seeweg über Venedig und die Zölle machte das Handelsgut teuer. Deshalb wurde Nitrat in Europa hauptsächlich biologisch durch die Aktivität von nitrifizierenden Bakterien aus dem Harn von Tier und Mensch erzeugt. Salpeter (CaNO3, „Mauersalz“), der an den Wänden von eigens angelegten Salpetergruben, Dunggruben und Viehställen auskristallisierte (ausblühte), wurde von einem besonderen Berufsstand gewonnen, den Salpeterern. Zur Zeit Napoleons überstieg die Salpeterproduktion in Frankreichs die seiner Gegner um das Mehrfache, eine Voraussetzung für seine militärische Überlegenheit. Erst durch die Entdeckung ergiebiger Nitratlagerstätten in Chile und die Erfindung von Dynamit durch Alfred Nobel verlor Salpeter seine Aura.

3

12.4 Reduzierte Stickstoffverbindungen als Elektronendonatoren redoxpotenziale (E0’) der möglichen Elektronendonatoren zwischen –0,5 V und + 0,4 V (▶ Abb. 12.5) zeigen die jeweils verfügbare freie Energie aus der Oxidation der betreffenden Verbindung an. Welche Paare von Elektronendonatoren und -akzeptoren für Chemolithotrophe infrage kommen, hängt von den Redoxpotenzialen der jeweiligen Reaktionspartner ab. Für exergone Reaktionen sind nur Kombinationen zwischen Elektronendonatoren mit niedrigerem Redoxpotenzial und Elektronenakzeptoren mit höherem Redoxpotenzial möglich (▶ Abb. 12.5). Sauerstoff (E0’ = + 0,81 V) bringt als Elektronenakzeptor der aeroben Atmung die größte Energieausbeute; mit alternativen Elektronenakzeptoren ist die Energieausbeute geringer. Nach der Gleichung ΔG = –nFΔE entspricht eine elektrochemische Potenzialdifferenz von etwa 0,1 V zwischen einem Elektronendonator und einem Akzeptor einer Energie von ca. –20 kJ mol–1, wenn 2 Elektronen übertragen werden. Dieser Energiebetrag reicht aus, um 1 Proton (das biologische Energiequant) durch die Membran zu transportieren (s. Anhang).

12.3.2 Rückläufiger Elektronentransport Aus den Redoxpotenzialen der anorganischen Elektronendonatoren (▶ Abb. 12.5) kann man ablesen, dass nur die CO- oder H2-verwertenden Chemolithotrophen unmittelbar NAD(P)+ zu NAD(P)H für den Baustoffwechsel reduzieren können (wobei dies nicht alle tun). Die Potenziale der übrigen anorganischen Elektronendonatoren, wie die von Ammonium, Nitrit oder Sulfid, sind viel positiver als das von NAD(P)H. Deshalb werden die Elektronen aus diesen Verbindungen erst auf der Ebene der Chinone oder des Cytochrom c in die Atmungskette eingeschleust. Die Versorgung mit NAD(P)H für Biosynthesen stellt bei diesen Organismen ein energetisches Problem dar, das durch den Prozess des rückläufigen Elektronentransports gelöst wird. Damit bezeichnet man die Umkehrung (das „Rückwärtslaufen“) der Reaktionen der Atmungskettenkomplexe. Diese katalysieren die energiegetriebene Elektronenübertragung von Cytochrom c auf den Chinonpool (Komplex III), bzw. von den Chinolen auf NAD(P)+ (Komplex I). Der Prozess wird durch das Einströmen von Protonen über die Membran angetrieben. Der dafür notwendige Protonengradient stammt aus der energieliefernden Oxidation des anorganischen Elektronendonators. Bei einigen Chemolithotrophen, z. B. bei nitrifizierenden Bakterien, wird pro oxidiertem Substratmolekül weniger Energie konserviert als für den rückläufigen Elektronentransport benötigt wird, sodass pro gebildetem NAD(P)H mehrere Substratmoleküle oxidiert werden müssen. Diese Bakterien haben deshalb einen hohen Substratumsatz, der das notwendige Membranpotenzial aufrechterhält, wachsen aber wegen des hohen Energieaufwands für den rückläufigen Elektronentransport nur langsam und zu geringer Dichte heran.

12.4 Reduzierte Stickstoffverbindungen als Elektronendonatoren Bei der Zersetzung von Biomasse wird der organisch gebundene Stickstoff als Ammoniak freigesetzt. Bei der anaeroben Atmung gibt es zudem einen Prozess, bei dem Nitrat über Nitrit zu Ammoniak reduziert wird (Nitratammonifikation) (S. 446). Ammoniak stammt ausschließlich aus biologischen Quellen, da Ammoniumsalze wegen ihrer guten Löslichkeit als Mineralien praktisch nicht vorkommen. Ammoniak bzw. Ammonium-Ionen werden von nitrifizierenden Mikroorganismen (Nitrifikanten) zu Nitrit und weiter zu Nitrat oxidiert (Plus 12.2). Diese Nitrifikation hat große ökologische Bedeutung. Sie überführt das flüchtige Stoffwechselprodukt Ammoniak zurück in das nichtflüchtige Nitrat, das die bevorzugte Stickstoffquelle von Pflanzen und aeroben Mikroorganismen darstellt. Der Prozess der Nitrifikation, also die aerobe Oxidation von Ammonium-Ionen zu Nitrat, wird nie von einer Bakterienart allein geleistet, sondern von syntrophen Assoziationen aus zwei physiologischen Typen von Bakterien. Man findet stets getrennte Arten ammoniumoxidierender Bakterien, die Nitrit als Endprodukt ausscheiden, und ni-

Plus 12.2 Salpeter

●V

Nitrat ist wichtiger Bestandteil von Schießpulver (= Schwarzpulver), das sich aus 75 % Kaliumnitrat, 10 % Schwefel und 15 % Holzkohle zusammensetzt. Der Zugang zu Nitrat war deshalb verständlicherweise ein wichtiges Ziel der Mächtigen. Die Gewinnung von Nitrat war ein strikt reguliertes Recht, das nur den Königen zustand (Regalie = Königsrecht). Lange Zeit kannte man Nitratvorkommen nur in Ägypten und Indien (Bengalen; das berühmte Taj Mahal wurde durch den Salpeterhandel finanziert, und die ägyptischen Nitratvorkommen waren ein weiterer Grund für den Ägyptenfeldzug Napoleons). Der lange Seeweg über Venedig und die Zölle machte das Handelsgut teuer. Deshalb wurde Nitrat in Europa hauptsächlich biologisch durch die Aktivität von nitrifizierenden Bakterien aus dem Harn von Tier und Mensch erzeugt. Salpeter (CaNO3, „Mauersalz“), der an den Wänden von eigens angelegten Salpetergruben, Dunggruben und Viehställen auskristallisierte (ausblühte), wurde von einem besonderen Berufsstand gewonnen, den Salpeterern. Zur Zeit Napoleons überstieg die Salpeterproduktion in Frankreichs die seiner Gegner um das Mehrfache, eine Voraussetzung für seine militärische Überlegenheit. Erst durch die Entdeckung ergiebiger Nitratlagerstätten in Chile und die Erfindung von Dynamit durch Alfred Nobel verlor Salpeter seine Aura.

3

Oxidation anorganischer Verbindungen: chemolithotrophe Lebensweise tritoxidierender Bakterien, die das Nitrit weiter zu Nitrat oxidieren. Es sind neutrophile Organismen mit einem pH-Optimum zwischen 7 und 8. In diesem Bereich wirken Ammoniak und Nitrit am wenigsten toxisch. Die Ammoniumoxidierer versorgen die Nitritoxidierer mit Substrat und diese verhindern durch ihre Stoffwechselaktivität, dass sich toxisches Nitrit anhäuft. Dementsprechend sind Vertreter beider Gruppen in der Natur stets eng vergesellschaftet (vgl. ▶ Abb. 18.6). Es ist ein Rätsel, warum der Gesamtprozess nicht in einem einzigen Organismus abläuft.

Nitrosomonas europaea

Nitrobacter vulgaris

12.4.1 Ammonium- und nitritoxidierende Nitrifikanten Sowohl die ammonium- als auch die nitritoxidierenden Mikroorganismen sind polyphyletisch, d. h. sie haben sich mehrfach unabhängig voneinander entwickelt. Alle Gattungsnamen der ammoniumoxidierenden Arten beginnen mit der Vorsilbe Nitroso-, die der nitritoxidierenden Arten mit der Vorsilbe Nitro-. Mischkulturen nitrifizierender Mikroorganismen können relativ leicht angereichert werden, während die Isolierung einzelner Stämme bzw. die Trennung der Nitroso- und Nitrobakterien wegen ihres langsamen Wachstums, der geringen Biomasseausbeute und der Toxizität von Nitrit schwierig ist. Nitrosobakterien gehören vor allem in die Gruppe der Beta- oder Gammaproteobakterien (▶ Tab. 12.1); die bekannteste Art ist Nitrosomonas europaea (▶ Abb. 12.6). Zusätzlich sind seit Kurzem auch Ammonium-oxidierende Archaea bekannt. Nitrobakterien finden sich unter den Alpha-, Gamma- und Deltaproteobakterien, wie auch unter den Nitrospirae, einem separaten Phylum gramnegativer Bakterien, das nach der Gattung Nitrospira benannt ist. Die bekannteste Gattung ist das Alphaproteobakterium Nitrobacter (z. B. N. vulgaris; ▶ Abb. 12.6). Allerdings scheinen Nitrospira-Arten in der Natur wesentlich häufiger zu sein und die Hauptrolle bei der Nitritoxidation zu spielen. Die meisten nitrifizierenden Bakterien enthalten ausgedehnte intrazelluläre Membranstrukturen, in denen die membrangebundenen Enzyme der Ammoniumoxidation (Ammonium-Monooxygenase) bzw. der Nitritoxidation (Nitrit/Nitrat-Oxidoreduktase) sowie der aeroben Atmungskette lokalisiert sind (▶ Abb. 12.6). Vor Kurzem wurden darüber hinaus mesophile ammoniumoxidierende Archaea isoliert, z. B. Nitrosopumilus maritimus. Dieser Organismus gehört mit weiteren verwandten Arten und Gattungen zum neu eingerichteten Phylum der Thaumarchaeota, deren Existenz trotz ihrer weiten Verbreitung in verschiedensten Lebensräumen zuvor nur aus Metagenomanalysen von Umweltproben bekannt war. Der nitrifizierende Stoffwechsel könnte durchaus auch in weiteren bisher noch unbekannten Mikroorganismen vorkommen. Die nitrifizierenden Thaumarchaeota können im Meer oder im Boden noch bei viel niedrigeren

394

Abb. 12.6 Intracytoplasmatische Membransysteme in Nitrifizierern. Die sechseckigen Strukturen im Cytoplasma sind Carboxysomen, in denen bei diesen Organismen die Ribulose1,5-bisphosphat-Carboxylase/Oxygenase der CO2-Fixierung verpackt ist. Maßstab, oben 5 µm, unten 0,25 µm. (Bergey’s Manual Trust, 2005)

Tab. 12.1 Nitrifizierende Prokaryonten. Die Arten der Proteobakterien sind mit der jeweiligen Klasse (alpha–delta) bezeichnet. Arten

Klasse

Ammoniumoxidierer Nitrosomonas europaea

beta

Nitrosospira briensis

beta

Nitrosolobus multiformis

beta

Nitrosococcus oceanus

gamma

Nitrosopumilus maritimus

Thaumarchaeota

Nitritoxidierer Nitrobacter hamburgensis

alpha

Nitrococcus mobilis

gamma

Nitrospina gracilis

delta

Nitrospira marina

Nitrospirae

Ammoniumkonzentrationen wachsen als die bakteriellen Ammoniumoxidierer. Die Nitrosobakterien sind in der Regel obligat chemolithoautotroph, während einige Arten von Nitrobakterien mixotroph sind und neben CO2 auch einige organische Substrate für Biosynthesen verwenden. Die CO2-Assimilation aller bekannten bakteriellen Nitrifizierer läuft über den Calvin-Benson-Zyklus. Die Thaumarchaeota verwenden dagegen einen 3-Hydroxypropionat/ 4-Hydroxybutyratzyklus (S. 313).

12.4 Reduzierte Stickstoffverbindungen als Elektronendonatoren

12.4.2 Biochemie der Ammoniumoxidation Ammonium wird durch die Nitrosobakterien nach folgender Gleichung zu Nitrit oxidiert: NH4+ + 1,5 O2 → NO2– + H2O + 2 H+

(ΔG0’ = –275 kJ mol–1).

An der Umsetzung sind drei Enzyme beteiligt (▶ Abb. 12.7). Der erste Schritt ist die Oxidation von Ammonium zu Hydroxylamin (①). Diese Reaktion ist chemisch schwierig und erfordert molekularen Sauerstoff als Cosubstrat für eine membrangebundene AmmoniumMonooxygenase. Für die Reaktion dieses Enzyms werden 2 Reduktionsäquivalente ([H]) benötigt, die aus der darauffolgenden Oxidation des Hydroxylamins abgezweigt werden. Die Gesamtreaktion des Enzyms verläuft nach folgender Gleichung: NH4+ + 2 [H] + O2 → H2NOH + H2O + H+ (ΔG0’ = –80 kJ mol–1) (berechnet für [H] = reduziertes Cytochrom c; Berechnung siehe Anhang). Der direkte Elektronendonator für die Ammonium-Monooxygenase ist wahrscheinlich ein membranständiges Cytochrom c (▶ Abb. 12.7), da man entsprechende Gene in nitrifizierenden Bakterien gefunden hat und die später freigesetzten Elektronen ungefähr das Redoxpotenzial von Cytochrom c besitzen. Die Reaktion hätte mit Wasserstoff als Reduktionsmittel (2[H] = H2) einen ΔG0’-Wert von –221 kJ mol–1. Da dem Enzym aber nur Cytochrom c (E0’ ca. + 0,32 V) anstelle von Wasserstoff (E0’ = –0,41 V) zur Verfügung steht, verringert sich die freigesetzte Energie entsprechend des Potenzialunterschieds von 0,73 V. Mit ΔG = –nFΔE erhält man so mit Cytochrom c als Reduktionsmittel ([H]) ein ΔG0’ von –80 kJ mol–1. Hydroxylamin-Oxidoreduktase + 0,1 V

–1

NH2OH + H2O

–3

NH3 + O2 + 2 H+

2

Cytochrom

1 außen

+3

NO2–

4 e–

4 H+

c554

2 e– cm552

3 AmmoniumMonooxygenase + 0,74 V

NH4+ + 2 [H] + N2O4 → H2NOH + H2O + H+ + 2 NO (ΔG0’ = –6 kJ mol–1) (berechnet für [H] = reduziertes Cytochrom c). Die zweite Reaktion der Ammoniumoxidation wird durch die Hydroxylamin-Dehydrogenase katalysiert (②), ein periplasmatisches Enzym, das die 4-Elektronen-Oxidation von Hydroxylamin zu Nitrit katalysiert: H2NOH + H2O → NO2– + 4 [H] + H+

(ΔG0’ = –98 kJ mol–1)

(berechnet für [H] = reduziertes Cytochrom c). Die Hydroxylamin-Dehydrogenase ist ein komplexes Multihämenzym, das die Elektronen vermutlich über ein lösliches auf ein membranständiges Cytochrom c überträgt. Von dieser Stufe aus werden die Reduktionsäquivalente in zwei Richtungen verteilt: 2 Elektronen laufen zurück zur Ammonium-Monooxygenase und nur 2 Elektronen werden zur terminalen Oxidase weitergeleitet und dort auf Sauerstoff übertragen (▶ Abb. 12.7, ③). Vermutlich werden erst bei dieser letzten Reaktion Protonen durch die Membran gepumpt. Der erzeugte Protonengradient dient dann zur ATP-Bildung über ATP-Synthase und wird für den rückläufigen Elektronentransport sowie für andere energieverbrauchende Prozesse benötigt. Letztlich stehen also bei der Ammoniumoxidation nur 2 von 6 möglichen Elektronen für die Energiekonservierung zur Verfügung. Die Ammonium-Monooxygenase setzt neben Ammonium auch einige andere Substrate wie Methan und andere kleine Kohlenwasserstoffe oder aromatische Verbindungen unspezifisch um (Cometabolismus). Diese Substrate werden in der Regel nicht durch die Ammoniumoxidierer selbst genutzt, sondern in leichter verwertbare Produkte für andere Bakterien umgewandelt.

12.4.3 Biochemie der Nitritoxidation

2 e–

Cytochrom

innen

Die Ammonium-Monooxygenase ist ein komplexes Kupfer-Eisen-Zink-Enzym, das große Ähnlichkeit mit der (partikulären) Methan-Monooxygenase (S. 377) zeigt und wie diese eine nur geringe Wechselzahl hat. Die Ammonium-Monooxygenase katalysiert auch eine alternative Reaktion mit N2O4 anstelle von Sauerstoff:

terminale H2O Oxidase ½ O2 4 H+ + 0,81 V

Abb. 12.7 Mechanismus der Ammoniumoxidation. Die jeweiligen Redoxpotenziale der Teilreaktionen sind angegeben, ebenso die Oxidationsstufe des N-Atoms in den jeweiligen Intermediaten. Die genaue Ausrichtung der Ammonium-Monooxygenase-Reaktion in der Membran ist noch unbekannt. Acetylen bindet nach Reduktion irreversibel an das Enzym (Suizidinhibitor). Weitere Erklärung siehe Text.

Nitrit wird durch die Nitrobakterien nach folgender Gleichung zu Nitrat oxidiert: NO2– + 0,5 O2 → NO3– + H2O (ΔG0’ = –74 kJ mol–1). Die Umsetzung wird von zwei membrangebundenen Enzymen katalysiert (▶ Abb. 12.8). Die Nitrit/Nitrat-Oxidoreduktase, ein Molybdän-Enzym, katalysiert die Oxidation von Nitrit zu Nitrat: NO2– + H2O → NO3– + 2 [H] (ΔG0’ = + 22 kJ mol–1) (berechnet für [H] = reduziertes Cytochrom c). Die Reaktion wird erst exergon, wenn ein Elektronenakzeptor mit einem Standardredoxpotenzial von mehr

5

Oxidation anorganischer Verbindungen: chemolithotrophe Lebensweise 4 H+



2e

außen

innen +3



+5



+

NO2 NO3 Nitrit-Oxidoreduktase

½ O2 4 H H2O terminale Oxidase

+ 0,43 V

+ 0,81 V

Abb. 12.8 Mechanismus der Nitritoxidation. Die jeweiligen Redoxpotenziale der Teilreaktionen und die Oxidationsstufen der N-Atome sind angegeben. Erklärung siehe Text.

als + 0,43 V verwendet wird, allerdings ist der physiologische Elektronenakzeptor bisher nicht bekannt. Die Elektronen werden wahrscheinlich direkt zur terminalen Oxidase weitergeleitet, wo die Energiekonservierung wie bei der Ammoniumoxidation erfolgt. Neben den Nitrifikanten und den Anammoxbakterien (S. 446) kennt man auch einige heterotrophe Bakterien und Pilze, die Ammonium oder organische Amino- oder Nitroverbindungen zu Nitrit und Nitrat umsetzen (heterotrophe Nitrifikation). Im Gegensatz zu den vorgestellten Chemolithotrophen wachsen diese Organismen jedoch nicht in Minimalmedien mit Ammonium bzw. Nitrit als einzigen Elektronendonatoren, sondern benötigen organische Substrate. Die biochemischen Prozesse der Ammoniumoxidation bei diesen Organismen sind bisher nicht aufgeklärt. Sie scheinen jedoch nicht über spezifische Reaktionen, sondern cometabolisch über andere katabole Wege abzulaufen. Für die Ammoniumoxidation wird vermutet, dass hier eine unspezifische Co-Oxidation über die Methan-Monooxygenase (S. 377) methanotro-

pher Bakterien stattfindet. Die Rolle der heterotrophen Mikroorganismen bei der Nitratbildung ist eher bescheiden und wirkt sich nur bei schlechten Wachstumsbedingungen der autotrophen Nitrifikanten aus (z. B. in sauren Böden).

12.4.4 Ökologische und praktische Bedeutung der Nitrifikation Die weite Verbreitung der nitrifizierenden Bakterien belegt, dass diese Mikroorganismen eine wichtige Rolle im Stoffkreislauf spielen. In der modernen Abwasserbehandlung hat sich die Stickstoffeliminierung über eine Kombination von nitrifizierenden und denitrifizierenden Stufen als Standardverfahren durchgesetzt. Dabei wird das Ammonium aus dem Abbau von Biomasse zunächst unter oxischen Bedingungen von den Nitrifizierern zu Nitrat oxidiert und anschließend unter anoxischen Bedingungen durch Denitrifikanten zu Stickstoff reduziert, der in die Atmosphäre entweicht. Die Nitrifikation läuft bei geringer Konzentration von verwertbaren organischen Verbindungen am effizientesten, während für eine effiziente Denitrifikation organische Substanz in größerer Menge vorhanden sein muss. Effektive Stickstoffeliminierung in Kläranlagen ist deshalb abhängig von der Prozessführung und kann auf verschiedene Weise erreicht werden. Beispielsweise wird das Abwasser erst durch belüftete (aerobe) und dann durch unbelüftete (anaerobe) Strecken geleitet. Oder es wird durch eine spezielle aerobe Nitrifikationsstufe geführt, aus der es wieder in das vorgeschaltete Denitrifikationsbecken zurückläuft. Je nach Bedarf werden leicht abbaubare Kohlenstoffverbindungen (z. B. Ethanol oder Methanol) für die anaerobe Atmung zugegeben (▶ Abb. 12.9). In der Landwirtschaft ist die Nitrifikation unerwünscht, da das Ammoniumkation aus Düngemitteln viel

Nitrifikation aerob

vom Belebtschlammbecken Denitrifikation anaerob [CH2O] + 0,8 NO3– + 0,8 H+ CO2 + 0,4 N2 + 0,4 H2O

396

Vorfluter NH4+ + 2 O2 NO3– + H2O + 2 H+

Abb. 12.9 Abwasserbehandlung mit Nitrifikation. Das Abwasser durchläuft die Nitrifikation (oft im aeroben Tropfkörperverfahren) meist nach der Denitrifikationsstufe, muss aber im Kreislauf wieder zurückgeführt werden, um den Stickstoff zu eliminieren. Der Prozess wird dadurch erschwert, dass für die Denitrifikation abbaubares organisches Substrat vorhanden sein muss (z. B. Methanol, das zugegeben wird), während dies für die Nitrifikation unerwünscht ist. Eine effiziente Stickstoffeliminierung erfordert deshalb eine aufwendige Regeltechnik. In vielen Kläranlagen wird deshalb das Abwasser zur Eliminierung des Ammoniumstickstoffs als einfachere, aber weniger effektive Variante abwechselnd über belüftete und unbelüftete Strecken geleitet, die die Nitrifikation bzw. Denitrifikation stimulieren.

12.5 Reduzierte Schwefelverbindungen als Elektronendonatoren

12.5 Reduzierte Schwefelverbindungen als Elektronendonatoren Oxidierbare Schwefelverbindungen kommen hauptsächlich in zwei Formen vor: als Metallsulfide im Boden und Gestein (S. 403) und als Schwefelwasserstoff (Produkt der anaeroben Atmung von Sulfatreduzierern) in Gewässern und Sedimenten. Für Biologen sind zudem besonders die seltenen Schwefelquellen interessant. Durch die chemische Reaktion von Sauerstoff mit Schwefelwasserstoff entstehen neben S0 auch Thiosulfat und andere Schwefelverbindungen, die meist im Gemisch vorliegen. Viele Arten der Bacteria und Archaea nutzen eine Vielzahl reduzierter Schwefelverbindungen als Elektronendonatoren (▶ Tab. 12.2, Plus 12.3). Zu diesen Organismen zählen u. a. auch viele photolithotrophe Bakterien, die zu den physiologischen Gruppen der Schwefelpurpurbakterien (Chromatiaceae) (S. 477) und der Grünen Schwefelbakterien (Chlorobiaceae) (S. 477) gehören.

Plus 12.3

Abb. 12.10 Zerstörung von steinernen Skulpturen und Bauwerken. Tuffstein-Pestkreuz aus dem 17. Jahrhundert mit typischen Verwitterungsmerkmalen durch die Aktivität nitrifizierender Bakterien und Flechten. (Aufnahme Bernhard Heider, Bobingen)

Substratvielfalt der Sulfurikanten

langsamer aus dem Boden ausgewaschen wird als das Nitratanion, in das es durch die Aktivität der Nitrifikanten umgesetzt wird (vgl. Humusstoffe, Plus 11.6) (S. 363). Als Gegenmaßnahme steht zur Diskussion, Düngemitteln Zusatzstoffe beizumischen, welche die Aktivität der Nitrifizierer unterdrücken und so den Stickstoffverlust hinauszögern. Schließlich spielen die Nitrifizierer auch eine bedeutende Rolle bei der Zerstörung von Gebäuden und Denkmälern (▶ Abb. 12.10). Ammoniak oder Stickoxide aus der Luft werden dabei von nitrifizierenden Bakterien, die sich als Biofilm auf oder unter der Oberfläche des porösen Gesteins ansiedeln, zu Salpetersäure oxidiert. Da heutzutage in den Abgasen große Mengen Stickoxide freigesetzt werden, führt dies zu erheblichen Korrosionserscheinungen und Instandhaltungskosten.

●V

Verschiedene Arten von Sulfurikanten nutzen oft ganz unterschiedliche reduzierte Schwefelverbindungen als Elektronendonatoren. Neben Schwefelwasserstoff (H2S) und elementarem Schwefel (S0) sind hier besonders Thiosulfat (S2O32–) und Tetrathionat (S4O62–) sowie andere Polythionate (–O3S–(S)n–SO3–) wichtig. Polythionate werden dabei durch chemische oder enzymatische Reaktionen zu Sulfat, Sulfit, Thiosulfat und elementarem Schwefel disproportioniert. Manche Arten oxidieren auch das Sulfid aus mineralischen Erzen wie Eisensulfid (FeS), Pyrit (FeS2) oder sogar Bleiglanz (PbS). Da alle diese Verbindungen ein ähnlich niedriges Redoxpotenzial wie Schwefelwasserstoff haben, ist ihre Oxidation entweder mit Sauerstoff oder Nitrat als Elektronenakzeptor möglich (▶ Abb. 12.5). ▶ Tab. 12.2 zeigt einige der bekannten Umsetzungen durch Sulfurikanten.

Tab. 12.2 Summengleichungen der Umsetzung verschiedener reduzierter Schwefelverbindungen. Schwefelverbindung

Summenformel

Schwefelwasserstoff

HS– + 2

O2 → SO4

HS– + 4



Schwefel Thiosulfat Tetrathionat

freie Energie (ΔG0’) –797 kJ mol–1

2– + H+

NO3 → SO4

2– + 4

NO2

– + H+

–500 kJ mol–1

HS– + H+ + 0,5 O2 → S0 + H2O

–209 kJ mol–1

HS– + NO3- + H+ → S0 + NO2– + H2O

–135 kJ mol–1 –587 kJ mol–1

S0 + 1,5 O2 + H2O → SO42– + 2 H+ O2 + H2O → 2 SO4

S2 O 3

2– + 2

S4 O 6

2– + 3,5

2– + 2

O2 + 3 H2O → 4 SO4

–818 kJ mol–1

H+

2– + 6

H+

–1484 kJ mol–1

7

12.5 Reduzierte Schwefelverbindungen als Elektronendonatoren

12.5 Reduzierte Schwefelverbindungen als Elektronendonatoren Oxidierbare Schwefelverbindungen kommen hauptsächlich in zwei Formen vor: als Metallsulfide im Boden und Gestein (S. 403) und als Schwefelwasserstoff (Produkt der anaeroben Atmung von Sulfatreduzierern) in Gewässern und Sedimenten. Für Biologen sind zudem besonders die seltenen Schwefelquellen interessant. Durch die chemische Reaktion von Sauerstoff mit Schwefelwasserstoff entstehen neben S0 auch Thiosulfat und andere Schwefelverbindungen, die meist im Gemisch vorliegen. Viele Arten der Bacteria und Archaea nutzen eine Vielzahl reduzierter Schwefelverbindungen als Elektronendonatoren (▶ Tab. 12.2, Plus 12.3). Zu diesen Organismen zählen u. a. auch viele photolithotrophe Bakterien, die zu den physiologischen Gruppen der Schwefelpurpurbakterien (Chromatiaceae) (S. 477) und der Grünen Schwefelbakterien (Chlorobiaceae) (S. 477) gehören.

Plus 12.3

Abb. 12.10 Zerstörung von steinernen Skulpturen und Bauwerken. Tuffstein-Pestkreuz aus dem 17. Jahrhundert mit typischen Verwitterungsmerkmalen durch die Aktivität nitrifizierender Bakterien und Flechten. (Aufnahme Bernhard Heider, Bobingen)

Substratvielfalt der Sulfurikanten

langsamer aus dem Boden ausgewaschen wird als das Nitratanion, in das es durch die Aktivität der Nitrifikanten umgesetzt wird (vgl. Humusstoffe, Plus 11.6) (S. 363). Als Gegenmaßnahme steht zur Diskussion, Düngemitteln Zusatzstoffe beizumischen, welche die Aktivität der Nitrifizierer unterdrücken und so den Stickstoffverlust hinauszögern. Schließlich spielen die Nitrifizierer auch eine bedeutende Rolle bei der Zerstörung von Gebäuden und Denkmälern (▶ Abb. 12.10). Ammoniak oder Stickoxide aus der Luft werden dabei von nitrifizierenden Bakterien, die sich als Biofilm auf oder unter der Oberfläche des porösen Gesteins ansiedeln, zu Salpetersäure oxidiert. Da heutzutage in den Abgasen große Mengen Stickoxide freigesetzt werden, führt dies zu erheblichen Korrosionserscheinungen und Instandhaltungskosten.

●V

Verschiedene Arten von Sulfurikanten nutzen oft ganz unterschiedliche reduzierte Schwefelverbindungen als Elektronendonatoren. Neben Schwefelwasserstoff (H2S) und elementarem Schwefel (S0) sind hier besonders Thiosulfat (S2O32–) und Tetrathionat (S4O62–) sowie andere Polythionate (–O3S–(S)n–SO3–) wichtig. Polythionate werden dabei durch chemische oder enzymatische Reaktionen zu Sulfat, Sulfit, Thiosulfat und elementarem Schwefel disproportioniert. Manche Arten oxidieren auch das Sulfid aus mineralischen Erzen wie Eisensulfid (FeS), Pyrit (FeS2) oder sogar Bleiglanz (PbS). Da alle diese Verbindungen ein ähnlich niedriges Redoxpotenzial wie Schwefelwasserstoff haben, ist ihre Oxidation entweder mit Sauerstoff oder Nitrat als Elektronenakzeptor möglich (▶ Abb. 12.5). ▶ Tab. 12.2 zeigt einige der bekannten Umsetzungen durch Sulfurikanten.

Tab. 12.2 Summengleichungen der Umsetzung verschiedener reduzierter Schwefelverbindungen. Schwefelverbindung

Summenformel

Schwefelwasserstoff

HS– + 2

O2 → SO4

HS– + 4



Schwefel Thiosulfat Tetrathionat

freie Energie (ΔG0’) –797 kJ mol–1

2– + H+

NO3 → SO4

2– + 4

NO2

– + H+

–500 kJ mol–1

HS– + H+ + 0,5 O2 → S0 + H2O

–209 kJ mol–1

HS– + NO3- + H+ → S0 + NO2– + H2O

–135 kJ mol–1 –587 kJ mol–1

S0 + 1,5 O2 + H2O → SO42– + 2 H+ O2 + H2O → 2 SO4

S2 O 3

2– + 2

S4 O 6

2– + 3,5

2– + 2

O2 + 3 H2O → 4 SO4

–818 kJ mol–1

H+

2– + 6

H+

–1484 kJ mol–1

7

Oxidation anorganischer Verbindungen: chemolithotrophe Lebensweise Tab. 12.3 Schwefeloxidierende Prokaryonten. Als optimale Temperaturen der bisher im Labor nicht kultivierbaren Gattungen wurden die üblichen Standorttemperaturen angenommen. phylogenetische Gruppe

Art

Elektronendonatoren

pH-Optimum

Temperaturoptimum

Archaea

Sulfolobus metallicus

FeS2, S0

2–3

65 °C

Acidianus ambivalens

HS–,

S0

2–3

80 °C

Metallosphaera sedula

FeS2, S0

2–3

75 °C

Alphaproteobakterien

Paracoccus denitrificans

S2O32–

8

30 °C

Betaproteobakterien

Thiobacillus denitrificans*

HS–, S0, S2O32–, S4O62–

7

30 °C

Gammaproteobakterien

Acidithiobacillus thiooxidans*

HS–, S0, S2O32–, S4O62–

1–3

30 °C

Acidithiobacillus ferrooxidans

HS–, S0, S2O32–, S4O62–

1–3

30 °C

Beggiatoa sp.

HS–, S0

7

< 20 °C

Thioploca sp.

HS–,

S0

7

< 20 °C

Thiomargarita namibiensis

HS–, S0

7

< 20 °C

Epsilonproteobakterien

Sulfurimonas denitrificans

HS–, S0, S2O32–

7

30 °C

Aquificales

Aquifex pyrophilus

S0, S2O32–

7

85 °C

Hydrogenobacter acidophilus

S0, S2O32–

3–4

65 °C

Bacillus schlegelii

S2O32–

7

65 °C

Firmicutes

* obligat chemolithotrophe Arten

In diesem Kapitel werden die chemolithotrophen schwefel- und sulfidoxidierenden Mikroorganismen (Sulfurikanten) näher beschrieben. Diese werden auch als farblose Schwefelbakterien bezeichnet und umfassen viele phylogenetisch sehr unterschiedliche Gattungen, die in ▶ Tab. 12.3 zusammengefasst sind. Bei den photolithotrophen Bakterien dient die Schwefeloxidation lediglich zur Versorgung des Baustoffwechsels mit Reduktionsäquivalenten, während die chemolithotrophen Schwefeloxidierer damit zusätzlich auch ihren Energiestoffwechsel betreiben. Dennoch verlaufen die Schlüsselreaktionen der Schwefeloxidation dieser Organismen oft über sehr ähnliche biochemische Reaktionen. Die meisten Arten der farblosen Schwefelbakterien gehören zu den Proteobakterien. In der alpha-Gruppe finden sich dabei einige fakultativ chemolithoautotrophe Arten, z. B. in den Gattungen Paracoccus oder Starkeya. Diese wachsen aerob in neutralen Medien mit Thiosulfat als Elektronendonator, allerdings nicht mit Sulfid oder elementarem Schwefel. Acidiphilium acidophilum (pH-Optimum bei 3,0) ist zurzeit das einzige bekannte Alphaproteobakterium, das neben Thiosulfat auch Schwefel als Elektronendonator verwendet. Die Gattung Thiobacillus repräsentiert neutrophile Sulfurikanten der Betaproteobakterien. Die Arten dieser Gattung sind entweder obligat oder fakultativ chemolithotroph und verwerten eine Vielzahl von reduzierten Schwefelverbindungen. Neben aeroben Sulfurikanten findet man mit Thiobacillus denitrificans auch eine Art, bei der die Sulfid- oder Thiosulfatoxidation über die Denitrifikation mit der anaeroben Atmung gekoppelt ist (Name!). Die meisten bekannten Gattungen der Sulfurikanten gehören zu den Gammaproteobakterien. Die bekanntesten sind die extrem acidophilen Arten der Gattung Acidithiobacillus (früher Thiobacil-

398

lus), besonders A. thiooxidans und A. ferrooxidans, aber es gibt auch viele neutrophile Arten. Viele dieser Bakterien sind obligat chemolithotroph und nutzen verschiedene Schwefelverbindungen. Die Acidithiobacillus-Arten produzieren als Endprodukt große Mengen Schwefelsäure und sind an pH-Werte von 1–3 angepasst. Sie sind in Minimalmedien mit zugesetztem Schwefel einfach anzureichern und spielen in der Gewinnung von Metallen durch biologische Laugung (S. 710) eine große Rolle. Die Bakterien verursachen schwere Korrosionsschäden, wo Schwefelwasserstoff mit Luft in Kontakt kommt, z. B. in Abwasserkanälen. Unter den neutrophilen Sulfurikanten sind einige Gattungen besonders auffallend, da sie große Einzelzellen bilden. Dazu gehören z. B. die Gammaproteobakterien Beggiatoa, Thioploca oder Thiomargarita (Plus 12.4). Bei diesen Gattungen wird Schwefel, der bei der Oxidation von Schwefelwasserstoff als Zwischenprodukt anfällt, in Form von Kügelchen im Periplasma abgelagert. Zugleich enthalten die Zellen große Vakuolen, in denen sie Nitrat als anaeroben Elektronenakzeptor speichern. All diese Arten mit einer großen Nitratspeichervakuole sind obligat chemolithotroph und oxidieren Schwefelwasserstoff durch anaerobe Atmung über Nitratammonifikation. Sie sind neben den obligat aeroben Schwefeloxidierern wichtig für das biogeochemische Gleichgewicht des Schwefelkreislaufs.

12.5 Reduzierte Schwefelverbindungen als Elektronendonatoren

●V

Plus 12.4

schaffenen Röhren nach oben und unten wandern und je nach Bedarf in den unteren Sedimentschichten Schwefelwasserstoff bzw. an der Oberfläche Nitrat aufnehmen und speichern (▶ Abb. 12.11d). Thiomargarita namibiensis bildet kugelförmige Zellen mit bis zu 500 μm Durchmesser und ist damit das bisher größte bekannte Bakterium. Seine Größe ist vor allem auf das Volumen einer zentralen nitratspeichernden Vakuole zurückzuführen. Zusätzlich werden im Periplasma auch Schwefelkügelchen als Elektronendonatorvorrat eingelagert (▶ Abb. 12.11c). Dadurch kann das Bakterium lange in lockerem, anaerobem Sediment überleben und seltene Gelegenheiten zur Nitrataufnahme nutzen, wenn Stürme das Sediment aufwirbeln.

Biologie großer Schwefelbakterien Beggiatoa-Arten (benannt nach dem italienischen Botaniker Francesco Secondo Beggiato) siedeln sich als Matten an der Oberfläche von marinen und Süßwassersedimenten an, in denen sulfatreduzierende Bakterien H2S produzieren (Plus 12.1) (S. 389). Die Matten oxidieren den aufsteigenden Schwefelwasserstoff mit Nitrat und wachsen dadurch. Ihre weiße Farbe weist auf eingelagerte Schwefelkügelchen in den Zellen hin (▶ Abb. 12.11a). Nahe verwandt sind weitere marine Gattungen wie die riesenzellenbildenden Gattungen Thioploca (▶ Abb. 12.11b) oder Thiomargarita (▶ Abb. 12.11c). Thioploca-Arten bilden dabei fädige Zellen, die in relativ festen marinen Sedimenten in selbst gea

d

NO3–

Abb. 12.11 Marine denitrifizierende Sulfurikanten. a Beggiatoa-Matten in der Tiefsee. (Aufnahme H.W. Jannasch, WHOI) b Thioploca-Fäden in einem ausgestochenen Sedimentkern. (Aufnahme Markus Hüttel) c Zelle von Thiomargarita namibiensis. Die Einschlüsse sind Schwefelkügelchen, die als gespeichertes Reduktionsmittel dienen. (Aufnahme Heide Schulz-Vogt, Rostock) d Lebensweise von Thioploca-Arten.

c

b

Strömungsrichtung

NO3– 20 μM Wasser Sediment

H2S

Auch die meisten symbiontischen Sulfurikanten, die sich z. B. mit marinen Tieren wie Muscheln oder Röhrenwürmern assoziiert haben und diesen das Wachstum auf Kosten der Oxidation von Schwefelwasserstoff mit Sauerstoff ermöglichen, zählen zu den Gammaproteobakterien. Alle diese aeroben, autotrophen bakteriellen Sulfurikanten nutzen den Calvin-Benson-Zyklus zur CO2-Assimilation. Weitere bakterielle Gruppen von chemolithotrophen Schwefeloxidierern finden sich bei den Epsilonproteobakterien sowie bei den extrem thermophilen Aquificales, von denen einige Arten elementaren Schwefel oder Thiosulfat als möglichen Elektronendonator nutzen und CO2 über den reduktiven Citratzyklus fixieren. Schließlich fin-

500 μM H 2S

det man auch bei den grampositiven Bakterien einige fakultative Chemolithotrophe mit Thiosulfat als Elektronendonator, z. B. Bacillus schlegelii; und auch von einigen photolithotrophen schwefeloxidierenden Chromatiaceae ist bekannt, dass sie im Dunkeln auf einen chemolithotrophen Stoffwechsel umschalten können. Es gibt auffallend viele Archaea, die chemolithotroph mit reduzierten Schwefelverbindungen leben. Diese gehören z. B. zu den Gattungen Sulfolobus, Acidianus und Metallosphaera. Es handelt sich ausnahmslos um Vertreter der extrem thermoacidophilen Ordnung der Sulfolobales (Crenarchaeota), die bei pH-Werten von 1–3 und Temperaturen bis 80 °C optimal wachsen. Wie bei Acidi-

9

Oxidation anorganischer Verbindungen: chemolithotrophe Lebensweise thiobacillus führt die Schwefeloxidation durch diese Organismen zur Produktion von großen Mengen Schwefelsäure. Die Bakterien sind an die von ihnen selbst geschaffenen, durch Hydrogensulfat gepufferten (HSO4– → SO42– + H+, pKa = 2) sauren pH-Wert optimal angepasst. Einige Arten wie S. metallicus oder M. sedula wachsen sogar direkt auf sulfidischen Erzen wie Pyrit. A. ambivalens (Name!) wechselt zwischen Schwefeloxidation mit O2 unter oxischen und Schwefelatmung mit H2 oder organischen Verbindungen unter anoxischen Bedingungen.

12.5.1 Biochemie der Sulfid- und Schwefeloxidation Je nach Verwandtschaftsgruppe haben sich bei den Sulfurikanten verschiedene Stoffwechselwege für die Oxidation reduzierter Schwefelverbindungen entwickelt, die bei vielen Arten noch nicht vollständig entschlüsselt sind. Die hohe Reaktivität vieler Schwefelverbindungen und die Instabilität vieler Enzyme des Schwefelstoffwechsels erschweren die biochemischen Untersuchungen an diesem System. Dies gilt besonders für die mikrobielle Verwertung von Schwefelwasserstoff bzw. Sulfiden, die oft bereits durch chemische Oxidationsprozesse und Disproportionierungsreaktionen zu elementarem Schwefel, Polysulfiden oder anderen höher oxidierten Schwefelverbindungen umgesetzt werden. Die verschiedenen Arten sulfidoxidierender Sulfurikanten enthalten Enzyme, die Sulfid oxidieren und die freigesetzten Elektronen entweder auf Chinone (mithilfe einer Sulfid:Chinon-Oxidoreduktase) oder auf Cytochrom c übertragen (mithilfe von Flavocytochrom c, einer Sulfid:Cytochrom-c-Oxidoreduktase). Es ist zurzeit nicht klar, ob die Sulfidoxidation hauptsächlich durch eines dieser enzymatischen Systeme oder durch nichtenzymatische Umsetzung erfolgt. Allerdings scheinen alle sulfidoxidierenden chemolithotrophen Mikroorganismen zunächst als Zwischenprodukt elemen-

außen

+ Chinol- 4 H Oxidase 4

Sulfit:ChinonOxidoreduktase

innen SO42–

taren Schwefel bzw. Polysulfide (z. B. Pentasulfid, HS–S– S–S–S–) zu produzieren. Dies steht im Gegensatz zur Sulfatreduktion (S. 449), bei der das erste Intermediat, Sulfit, in einem Reduktionsschritt, bei dem 6 Elektronen übertragen werden, direkt zu Sulfid reduziert wird, ohne dass dabei elementarer Schwefel als Zwischenprodukt anfällt. Zwischen verschiedenen Gruppen von Sulfurikanten unterscheiden sich besonders die Stoffwechselwege der weiteren Oxidation von elementarem Schwefel oder Thiosulfat. Am besten verstanden sind diese beim extrem thermophilen Archaebakterium Acidianus ambivalens, bei der alphaproteobakteriellen Gattung Paracoccus und dem photolithotrophen Gammaproteobakterium Allochromatium.

Schwefelstoffwechsel in Acidianus ambivalens Der Schwefelstoffwechsel von Acidianus ambivalens ist in ▶ Abb. 12.12 dargestellt. Das Schlüsselenzym der Schwefeloxidation bei A. ambivalens ist die cytoplasmatische Schwefel-Oxygenase/Reduktase, die eine Disproportionierung von Schwefel zu Sulfid, Sulfit und Thiosulfat bei gleichzeitiger Umsetzung mit Sauerstoff katalysiert: 4 S0 + 1,5 O2 + 3 H2O → HS– + SO32- + S2O32- + 5 H+ (ΔG0’ = –477 kJ mol–1) (①). Das gebildete Sulfit wird dann entweder direkt durch eine Sulfit:Chinon-Oxidoreduktase zu Sulfat oxidiert (②), das Thiosulfat wird über eine Thiosulfat:ChinonOxidoreduktase weiter zu Tetrathionat oxidiert (③). Beide Oxidoreduktasen sind membranständig und nutzen ein archaebakterielles Chinon, das Caldariella-Chinon, als Elektronenakzeptor. Die Energiekonservierung erfolgt dabei erst bei der Reoxidation des reduzierten CaldariellaChinols mit Sauerstoff durch eine Chinol-Oxidase (④). Diese pumpt während der Reaktion Protonen durch die Membran nach außen, die anschließend von der ATP-Synthase zur ATP-Synthese genutzt werden. Alternativ dazu

Thiosulfat:ChinonOxidoreduktase

CQH2

CQH2

CQ

CQ 3

2 ½ O2

S2O32–

H2O 4 H+

Schwefel-Oxygenase/ Reduktase 2 S + ½ O2 + 2 H2O HSO3– + HS– 1 0

chemische Umsetzung

2 [H] AMP

5 APS-Reduktase

400

SO42–

Pi APS

6 APS:Pi -Adenyltransferase

ADP

S4O62–

Abb. 12.12 Mechanismus der Schwefeloxidation bei Acidianus. Bei Acidianus findet die Schwefeloxidation durch eine cytoplasmatische Schwefel-Oxygenase/Reduktase und zwei membrangebundene Oxidoreduktasen statt. In der Membran dient ein archaebakterielles Chinon (Caldariella-Chinon, CQ) als Elektronenakzeptor und Protonen werden über die Membran gepumpt. Außerdem ist eine Substratkettenphosphorylierung möglich, die ADP aus AMP (über APS) regeneriert.

12.5 Reduzierte Schwefelverbindungen als Elektronendonatoren ist bei der Oxidation von Sulfit auch die ATP-Bildung durch Substratkettenphosphorylierung möglich. A. ambivalens besitzt wie die meisten anderen Schwefeloxidierer eine bidirektionelle Adenosinphosphosulfat-(APS-)Reduktase (⑤) und eine APS:Phosphat-Adenyltransferase (⑥); mit deren Hilfe kann bei der Oxidation von Sulfit zu Sulfat das AMP via APS zu ADP phosphoryliert werden. Aus 2 ADP kann mithilfe der Adenylat-Kinase 1 ATP und 1 AMP gebildet werden (▶ Abb. 9.11).

Sulfonatgruppe wird durch die manganhaltige Sulfatase SoxB hydrolysiert und Sulfat wird freigesetzt, wobei an SoxZY ein Persulfid zurückbleibt (②). Der endständige Sulfanschwefel dieses Intermediats wird dann durch das Molybdoenzym Sulfan-Dehydrogenase (SoxCD) durch Abzug von 6 Elektronen zu einer Sulfonatgruppe oxidiert (③), die wiederum durch SoxB hydrolytisch als Sulfat abgespalten wird (②). Danach liegt SoxZY wieder in der Ausgangsform vor. Neben Thiosulfat werden in diesen Oxidationszyklus auch andere Schwefelverbindungen eingespeist, z. B. Sulfid oder elementarer Schwefel (▶ Abb. 12.13). Die freigesetzten Redoxäquivalente [H] werden über Cytochrom c in die aerobe (oder anaerobe) Atmungskette eingeschleust und erlauben so Energiekonservierung. Bei Allochromatium, einem photolithotrophen Schwefelpurpurbakterium (S. 475), gibt es einige Abweichungen des Schwefeloxidationswegs (▶ Abb. 12.13). Es nutzt zwar das SoxZY-System für die initiale Oxidation von Thiosulfat bis zur Stufe des proteingebundenen Persulfids (① und ②) und erhält dabei zwei Reduktionsäquivalente für die Atmungskette und ein Sulfat. Allerdings hat Allochromatium keine Sulfan-Dehydrogenase (③) für die nachfolgende Oxidation des Sulfanschwefels. Stattdessen wird der Sulfanschwefel vom SoxZY-Protein auf ein periplasmatisches Schwefelkügelchen übertragen, um das Trägerprotein zu regenerieren. In einer zweiten Phase werden

Schwefelstoffwechsel in neutrophilen Bakterien Der Schwefelstoffwechsel von neutrophilen Schwefeloxidierern ist vor allem an Paracoccus und Allochromatium sp. gut bekannt und ist in ▶ Abb. 12.13 dargestellt (rote Pfeile für Paracoccus-spezifische Reaktionen, grüne für Allochromatium-spezifische). Bei schwefeloxidierenden Paracoccus-Arten wurde ein lösliches periplasmatisches Schwefeloxidationssystem (Sox) charakterisiert, das die Reaktionen an proteingebundenen Intermediaten katalysiert und auch als SoxZY-System bezeichnet wird. Zunächst wird in einer oxidativen Reaktion ein Thiosulfat kovalent an die Thiolgruppe eines C-terminalen exponierten Cysteins eines Trägerproteins (SoxZY-Dimer) gebunden. Die Reaktion wird durch die hämhaltige Thiosulfat-Dehydrogenase SoxXA katalysiert (①). Die terminale

Thiosulfat-Dehydrogenase SoxXA S2O32–

Atmung

2 [H] 1

SoxZY –S–S–SO3–

SoxZY –SH S0

SO42– Sulfatase SoxB H2O

Schwefelkügelchen S0

Sulfatase SoxB SO42–

SoxZY –S–S–

3

[S0]

RSH

2

2 [H] SoxZY –S–SO3–

Atmung

RSSH

H2O

HS– SoxXA

2

Dsr

6 [H] 3 H2O Sulfan-Dehydrogenase SoxCD Qmo 8

7



6e

n H+ außen

MQ

MQ

MQH2

MQH2

Atmung

innen RSSH

RSH

S

SH

S HS–

4 NADH

+

NAD

APS:Pi -Adenyltransferase

SH –

6e 5

SulfitReduktase

n H+

Pi

2e

SO32–

6

2– 10 SO4

Abb. 12.13 Mechanismen der Schwefeloxidation bei Paracoccus und Allochromatium. Bei Paracoccus findet die Schwefeloxidation vollständig über ein lösliches periplasmatisches Schwefeloxidationssystem (Sox) statt. Neben Thiosulfat werden in den Oxidationszyklus auch andere Schwefelverbindungen eingespeist, z. B. Sulfid oder elementarer Schwefel. Allochromatium nutzt ebenfalls das Sox-System für die Thiosulfatoxidation, hat aber keine Sulfan-Dehydrogenase (roter Pfeil), sondern überträgt stattdessen den Sulfan-Schwefel auf die periplasmatischen Schwefelkügelchen. Aus diesen wird der Schwefel dann wieder gelöst, ins Cytoplasma aufgenommen und dort durch eine rückwärtslaufende Sulfit-Reduktase und APS-Reduktase (s. Sulfatreduktion) (S. 454) oxidiert. Die freigesetzten Elektronen werden bei beiden Varianten zur Energiekonservierung in die Atmungskette eingespeist. Rote Pfeile zeigen spezifische Reaktionen für Paracoccus, grüne für Allochromatium. RSH, niedermolekularer Thiolüberträger; Dsr und Qmo, Membrankomplexe analog zu denen der Sulfatreduzierer (▶ Abb. 14.12).

ADP

APS 9

SO42–

AMP

PPi

APS-Reduktase

ATP-Sulfurylase

ATP

1

Oxidation anorganischer Verbindungen: chemolithotrophe Lebensweise dann einzelne Atome der Schwefelkügelchen über niedermolekulare Thiolüberträger (RSH) herausgelöst und ins Cytoplasma transportiert. Dort wird der Schwefel zu Sulfid reduziert (④), anschließend über die Sulfit-Reduktase unter Abzug von 6 Elektronen zu Sulfit (⑤) und über APS-Reduktase unter Abgabe von weiteren 2 Elektronen zu Adenosinphosphosulfat (APS) oxidiert (⑥). Die beiden letztgenannten Enzyme übertragen die Elektronen auf Membrankomplexe (Dsr bzw. Qmo, ⑦ und ⑧), die sie dann an die Elektronenträger der Atmungskette (Chinone oder Cytochrom c) abgeben. Diese zwei Enzymsysteme sind analog zu denen der Sulfatreduktion (S. 451), die katalysierten Reaktionen verlaufen jedoch energiegetrieben in die entgegengesetzte Richtung. Die Energiekonservierung geschieht dann sowohl durch weitere Veratmung der Chinole und des reduzierten Cytochrom c als auch durch Substratstufenphosphorylierung aus APS – entweder über die ATP-Sulfurylase (⑨) oder die APS-PhosphatAdenyltransferase (⑩). Vermutlich nutzen großzellige Beggiatoa-ähnliche chemolithotrophe Schwefelbakterien (Plus 12.5) einen ähnlichen Prozess, da alle diese Arten große periplasmatische Schwefelkügelchen als Intermediate bilden. Da die beschriebenen Sox-abhängigen Stoffwechselwege keine sauerstoffabhängigen Oxygenaseschritte enthalten, können sie auch problemlos von denitrifizierenden Schwefeloxidierern verwendet werden, wie z. B. Thiobacillus denitrificans, aber auch Thioploca oder Thiomargarita. Die Gesamtbilanz verläuft dabei nach folgender Gleichung: HS– + 1,6 NO3– + 0,6 H+ → SO42– + 0,8 N2 + 0,8 H2O (ΔG0’ = –744 kJ mol–1).

12.5.2 Schwefelwasserstoffoxidierende Symbionten Neben freilebenden schwefeloxidierenden Chemolithotrophen sind auch einige Arten bekannt, die als Symbionten mariner Tiere leben. Besonders beeindruckende Bei-

Plus 12.5 Varianten der Schwefeloxidation Aus Genomdaten ist zu entnehmen, dass ähnliche Systeme wie bei Paracoccus und Allochromatium sp. bei den meisten anderen eubakteriellen Sulfurikanten und photolithotrophen Schwefelbakterien, nicht jedoch bei Archaea vorkommen. Bei einigen weiteren Bakterien, besonders bei den extrem acidophilen Acidithiobacillus-Arten, wird jedoch ein anderer Stoffwechselweg für die Sulfid- und Schwefeloxidation eingeschlagen. Aufgrund des stark sauren Mediums ist zu erwarten, dass bei diesen Arten die enzymatischen Reaktionen nicht im Periplasma ablaufen können und deshalb ins Cytoplasma verlagert sind. Da alle Acidithiobacillus-Arten Tetrathionat als Elektronendonator verwerten, wird ein Stoffwechselweg der Thiosulfatoxidation über Tetrathio-

402

Tentakelkrone („Kiemen“)

Vestimentum Rumpf

Dorsalgefäß Trophosom Blutsinus Ventralgefäß Nervenstrang Bakteriocytenepithel Opisthosoma

Abb. 12.14 Schema des Längs- und Querschnitts eines Pogonophoren (Riftia pachyptila). Diese darmlosen Tiere leben in Röhren, die den gesamten Körper bis auf die Tentakelkrone bedecken und von der gürtelähnlichen Struktur des Vestimentums synthetisiert werden. Bis zu 50 % der Körpermasse nimmt ein besonderes Organ im Rumpf der Tiere ein, das Trophosom. In besonderen Zellen (Bakteriocyten) des inneren Epithels des Trophosoms befinden sich symbiontische schwefelwasserstoffoxidierende Bakterien, die durch das Blutgefäßsystem des Wurms mit H2S, O2 und CO2 versorgt werden. Der Gasaustausch erfolgt durch die Tentakel am Vorderende der Würmer, die stark durchblutet werden und die Funktion von Kiemen übernehmen. Mit dem Hinterende (Opisthosoma) verankern sich die Tiere am Grund der Röhren im Sediment.

spiele für solche Symbiosen kennt man von den mittelozeanischen Spreizungszonen oder Grabenbrüchen am

●V

nat (-O3S-S-S-SO3-) als erstem Intermediat vermutet. Eine Thiosulfat-Dehydrogenase dieser Bakterien oxidiert dabei zunächst 2 Thiosulfatmoleküle zu einem Tetrathionat. Der Stoffwechsel verläuft dann weiter über Sulfatabspaltung durch eine Tetrathionat-Hydrolase und anschließende Oxidation des endständigen Persulfids zu Trithionat (-O3S-SSO3-). Nach hydrolytischer Abspaltung eines weiteren Sulfats wird wieder Thiosulfat freigesetzt, das in eine neue Runde des Reaktionszyklus eingespeist wird. Der Prozess verläuft also völlig analog zur Thiosulfatoxidation bei Paracoccus (▶ Abb. 12.13), nur dass die Reaktionen auf der Ebene kleiner Schwefelmetabolite und unabhängig von einem SoxZY-analogen Trägerprotein verlaufen.

12.6 Reduzierte Metallionen als Elektronendonatoren Meeresboden. Dort treten heiße Quellen mit vielen gelösten Mineralien und hohen Konzentrationen von H2S aus, die über geothermische Prozesse im Erdmantel angetrieben werden. Bei Kontakt mit dem kalten Wasser der Tiefsee fallen die Mineralien aus und bilden oft kaminartige Strukturen, sogenannte Schwarze Raucher. In der Nähe solcher heißen Quellen findet man reiche Lebensgemeinschaften von Tieren, die alle von schwefeloxidierenden chemolithoautotrophen Mikroorganismen als Primärproduzenten abhängen. Einige Tiere haben sich an diese Lebensräume durch Symbiose mit H2S-oxidierenden Bakterien angepasst. So findet man spezielle Arten von Gammaproteobakterien bei Riesenröhrenwürmern aus der Gruppe der Pogonophoren (▶ Abb. 12.14). Letztere sind hochgradig an die symbiontische Lebensweise angepasst. Sie haben ihren kompletten Verdauungstrakt zurückgebildet und verfügen stattdessen über ein spezielles Organ (Trophosom), in dem die endosymbiontischen H2Soxidierenden Bakterien wachsen. Deren Versorgung mit H2S, Sauerstoff und CO2 läuft über das Blut des Wirtes, das ein spezielles Hämoglobin mit separaten Bindestellen für H2S und O2 enthält. Symbiosen mit H2S-oxidierenden autotrophen Bakterien kennt man auch von marinen Muscheln, Schwämmen und den Wattwürmern Arenicola und Olavius, u.v. a.

und Komplexbildnern abhängt, welche die Löslichkeit der Eisenionen beeinflussen (z. B. schwerlösliche Salze FeCO3, FeS). Von vielen chemolithotrophen Mikroorganismen werden insbesonders Fe(II)- und Mn(II)-Ionen als Elektronendonatoren genutzt. Einige metallionenoxidierende Mikroorganismen leben in extrem sauren Lebensräumen um pH = 2, was einen einfachen Zugang zu Metallionen bietet, da unter diesen Bedingungen relativ große löslich sind Mengen von Fe2 + -Verbindungen (▶ Abb. 12.17). Das Standardredoxpotenzial von Fe2 + / Fe3 + (+ 0,77 V) liegt aber bereits nahe an dem von Sauerstoff (+ 1,1 V bei pH = 2), sodass nur wenig Energie konserviert werden kann. Viele der acidophilen Fe2 + -oxidierenden Arten oxidieren neben den reduzierten Metallionen zugleich Sulfid bzw. Schwefel als Elektronendonator zu Schwefelsäure und schaffen sich ihr saures Lebensmilieu somit selbst. Bekannte acidophile Fe2 + -oxidierende Bakterien sind die Gattungen Acidithiobacillus (▶ Abb. 12.15) und Leptospirillum, zusätzlich sind auch einige thermoacidophile Archaea bekannt, die Fe(II) in löslicher Form oder aus sulfidischen Erzen oxidieren (▶ Tab. 12.4). Typische Standorte sind saure Abwässer aus Erzbergwerken oder Abraumhalden, bzw. vulkanische Standorte mit Eisensulfiderzen. Außer Fe(II)- und Mn(II)-Salzen werden von spezialisierten Mikroorganismen eine Vielzahl weiterer reduzierter Metalle und Halbmetalle als Elektronendonatoren für chemolithotrophes Wachstum verwendet. Beispielsweise sind aus arsen- bzw. antimonkontaminierten Standorten chemolithotrophe Bakterien isoliert worden, die Arsenit zu Arsenat bzw. Antimonit zu Antimonat oxidieren. Ebenso wurden erst vor Kurzem die ersten Bakterien beschrieben, die chemolithotroph mit elementarem Eisen als Elektronendonator (E0’(Fe/Fe2 +) = –0,44 V) und Sulfat als Elektronenakzeptor (S. 449) von einer anaeroben Atmung leben.

12.6 Reduzierte Metallionen als Elektronendonatoren Reduzierte Metallverbindungen, besonders Eisenmineralien, gibt es in Böden und Gestein, die Pyrit (FeS2, „Katzengold“, ▶ Abb. 12.15) und andere sulfidische Mineralien enthalten. Unter Ansäuerung des Mediums erlauben die Mineralien die gleichzeitige Oxidation des reduzierten Metalls und des Sulfids. Freie oder komplexierte Fe2 + -Ionen kommen auch in Gewässern vor (Plus 12.6). Die grafische Darstellung von unterschiedlichen Zuständen des Eisens (▶ Abb. 12.17) zeigt die Komplexität der möglichen Verbindungen, deren Stabilität im mikrobiellen Habitat von Redoxpotenzial und pH-Wert, aber auch wesentlich von den lokalen Konzentrationen an Anionen a

b

c

Abb. 12.15 Acidithiobacillus ferrooxidans und sein Substrat, Pyrit. a Kultur von A. ferrooxidans. (Aufnahme Jim Horan, Colorado) b Mikroskopische Aufnahme von A. ferrooxidans (Aufnahme D. G. Lundgren, Republished with permission of Tayler and Francis Group LLC Books, from Geomicrobiology, Dekker, M., Ehrlich, H. L., 2nd Edition 1990; permission conveyed through Copyright Clearance Center, Inc.) c Pyrit („Katzengold“, FeS2). (Aufnahme Jim Horan, Colorado)

3

12.6 Reduzierte Metallionen als Elektronendonatoren Meeresboden. Dort treten heiße Quellen mit vielen gelösten Mineralien und hohen Konzentrationen von H2S aus, die über geothermische Prozesse im Erdmantel angetrieben werden. Bei Kontakt mit dem kalten Wasser der Tiefsee fallen die Mineralien aus und bilden oft kaminartige Strukturen, sogenannte Schwarze Raucher. In der Nähe solcher heißen Quellen findet man reiche Lebensgemeinschaften von Tieren, die alle von schwefeloxidierenden chemolithoautotrophen Mikroorganismen als Primärproduzenten abhängen. Einige Tiere haben sich an diese Lebensräume durch Symbiose mit H2S-oxidierenden Bakterien angepasst. So findet man spezielle Arten von Gammaproteobakterien bei Riesenröhrenwürmern aus der Gruppe der Pogonophoren (▶ Abb. 12.14). Letztere sind hochgradig an die symbiontische Lebensweise angepasst. Sie haben ihren kompletten Verdauungstrakt zurückgebildet und verfügen stattdessen über ein spezielles Organ (Trophosom), in dem die endosymbiontischen H2Soxidierenden Bakterien wachsen. Deren Versorgung mit H2S, Sauerstoff und CO2 läuft über das Blut des Wirtes, das ein spezielles Hämoglobin mit separaten Bindestellen für H2S und O2 enthält. Symbiosen mit H2S-oxidierenden autotrophen Bakterien kennt man auch von marinen Muscheln, Schwämmen und den Wattwürmern Arenicola und Olavius, u.v. a.

und Komplexbildnern abhängt, welche die Löslichkeit der Eisenionen beeinflussen (z. B. schwerlösliche Salze FeCO3, FeS). Von vielen chemolithotrophen Mikroorganismen werden insbesonders Fe(II)- und Mn(II)-Ionen als Elektronendonatoren genutzt. Einige metallionenoxidierende Mikroorganismen leben in extrem sauren Lebensräumen um pH = 2, was einen einfachen Zugang zu Metallionen bietet, da unter diesen Bedingungen relativ große löslich sind Mengen von Fe2 + -Verbindungen (▶ Abb. 12.17). Das Standardredoxpotenzial von Fe2 + / Fe3 + (+ 0,77 V) liegt aber bereits nahe an dem von Sauerstoff (+ 1,1 V bei pH = 2), sodass nur wenig Energie konserviert werden kann. Viele der acidophilen Fe2 + -oxidierenden Arten oxidieren neben den reduzierten Metallionen zugleich Sulfid bzw. Schwefel als Elektronendonator zu Schwefelsäure und schaffen sich ihr saures Lebensmilieu somit selbst. Bekannte acidophile Fe2 + -oxidierende Bakterien sind die Gattungen Acidithiobacillus (▶ Abb. 12.15) und Leptospirillum, zusätzlich sind auch einige thermoacidophile Archaea bekannt, die Fe(II) in löslicher Form oder aus sulfidischen Erzen oxidieren (▶ Tab. 12.4). Typische Standorte sind saure Abwässer aus Erzbergwerken oder Abraumhalden, bzw. vulkanische Standorte mit Eisensulfiderzen. Außer Fe(II)- und Mn(II)-Salzen werden von spezialisierten Mikroorganismen eine Vielzahl weiterer reduzierter Metalle und Halbmetalle als Elektronendonatoren für chemolithotrophes Wachstum verwendet. Beispielsweise sind aus arsen- bzw. antimonkontaminierten Standorten chemolithotrophe Bakterien isoliert worden, die Arsenit zu Arsenat bzw. Antimonit zu Antimonat oxidieren. Ebenso wurden erst vor Kurzem die ersten Bakterien beschrieben, die chemolithotroph mit elementarem Eisen als Elektronendonator (E0’(Fe/Fe2 +) = –0,44 V) und Sulfat als Elektronenakzeptor (S. 449) von einer anaeroben Atmung leben.

12.6 Reduzierte Metallionen als Elektronendonatoren Reduzierte Metallverbindungen, besonders Eisenmineralien, gibt es in Böden und Gestein, die Pyrit (FeS2, „Katzengold“, ▶ Abb. 12.15) und andere sulfidische Mineralien enthalten. Unter Ansäuerung des Mediums erlauben die Mineralien die gleichzeitige Oxidation des reduzierten Metalls und des Sulfids. Freie oder komplexierte Fe2 + -Ionen kommen auch in Gewässern vor (Plus 12.6). Die grafische Darstellung von unterschiedlichen Zuständen des Eisens (▶ Abb. 12.17) zeigt die Komplexität der möglichen Verbindungen, deren Stabilität im mikrobiellen Habitat von Redoxpotenzial und pH-Wert, aber auch wesentlich von den lokalen Konzentrationen an Anionen a

b

c

Abb. 12.15 Acidithiobacillus ferrooxidans und sein Substrat, Pyrit. a Kultur von A. ferrooxidans. (Aufnahme Jim Horan, Colorado) b Mikroskopische Aufnahme von A. ferrooxidans (Aufnahme D. G. Lundgren, Republished with permission of Tayler and Francis Group LLC Books, from Geomicrobiology, Dekker, M., Ehrlich, H. L., 2nd Edition 1990; permission conveyed through Copyright Clearance Center, Inc.) c Pyrit („Katzengold“, FeS2). (Aufnahme Jim Horan, Colorado)

3

Oxidation anorganischer Verbindungen: chemolithotrophe Lebensweise

●V

Plus 12.6 Neutrophile metallionenoxidierende Mikroorganismen Neben den acidophilen gibt es auch neutrophile Bakterien, die Metallionen oxidieren und damit offensichtlich andere Strategien für die Mobilisierung der reduzierten Metallionen entwickelt haben. Das hohe Standardredoxpotenzial des Fe2 + /Fe3 + -Redoxpaars (E0’ = + 0,77 V) lässt keinen großen Energiegewinn zu, da die Differenz zum Elektronenakzeptor Sauerstoff sehr gering ist. Außerdem ist Fe(II) als FeCO3 schwer löslich. Da aber bei pH 7 Eisen(III)-Mineralien (oder Fe(II, III)-Mineralien wie Magnetit, Fe3O4) noch schlechter löslich sind als Fe(II)-Mineralien, verschiebt sich das chemische Gleichgewicht zugunsten der Fe(II)-Oxidation (▶ Abb. 12.17). Das reale Redoxpotenzial sinkt dadurch auf wesentlich niedrigere Werte, die einen Elektronentransport zur terminalen Oxidase zulassen (▶ Abb. 12.5). Bekannte neutrophile Fe(II)-oxidierende Arten sind die Betaproteobakterien Gallionella ferruginea oder Leptothrix discophora. Die nierenförmigen Zellen von Gallionella sitzen auf einer charakteristischen stielartigen Struktur, in die präzipitiertes Eisen(III)-oxid eingelagert ist, welches sich bei der Fe2 + -Oxidation spontan bildet. Es wird vermutet, dass die Enzyme der Fe(II)-Oxidation nur an der Stielseite der Zelle ausgebildet werden, um die Zellen vor dem Einschließen durch die immer dicker werdenden Eisenoxidschichten zu bewahren und zugleich vor reaktiven Sauerstoffmetaboliten (Fenton-Reaktion) zu schützen. Rostfarbene Kolonien von Gallionella oder anderen Fe(II)-oxidierenden Bakterien kann man an vielen pH-neutralen Standorten mit reduzierten Metallionen beobachten, z. B. am Ende von Drainageröhren, in Moorgräben oder in Gebirgsbächen (▶ Abb. 12.16). Für das scheidenbildende filamentöse Bakterium Leptothrix discophora ist neben der Fe2 + -Oxidation auch die Oxidation von Mn2 + zu Braunstein (MnO2) nachgewiesen. Einige Bakterien sowie das extrem thermophile

Abb. 12.16 Neutrophile Metalloxidierer a Typischer Standort in klaren Wasserläufen. Die Anwesenheit metallionenoxidierender Bakterien erkennt man an der rötlichen Farbe der Sedimente und den irisierenden dünnen Häutchen von Mangan- und Eisenoxiden an der Wasseroberfläche; diese werden häufig als „Ölfilm“ angesehen. (Aufnahme Georg Fuchs, Freiburg) b Bohnenförmige Zellen von Gallionella ferruginea mit charakteristischen, mit Eisenoxiden inkrustierten Stielen nach Doppelfärbung mit Berliner Blau und nach Ziehl-Neelsen. (Aufnahme H. Hanert, Braunschweig)

Archaeum Ferroglobus placidus koppeln die Oxidation von Fe2 + sogar mit anaerober Atmung mit Nitrat als Elektronenakzeptor.

Tab. 12.4 Fe(II)-oxidierende Prokaryonten. phylogenetische Gruppe

Art

Elektronendonatoren

pH-Optimum

Temperaturoptimum

Archaea

Ferroplasma acidarmanus

Fe2 +

2–3

60 °C

Sulfolobus metallicus

FeS2

2–3

65 °C

Acidianus brierleyi

FeS2

2–3

80 °C

Metallosphaera sedula

FeS2

2–3

75 °C

Ferroglobus placidus

Fe2 +

7

80 °C

Leptothrix discophora

Fe2 + , Mn2 +

7

30 °C

Betaproteobakterien

404

Gallionella ferruginea

FeCO3

7

30 °C

Gammaproteobakterien

Acidithiobacillus ferrooxidans

Fe2 +

2–3

30 °C

Nitrospirae

Leptospirillum ferrooxidans

FeS2, Fe2 +

2–3

30 °C

12.7 Wasserstoff als Elektronendonator takt der Zellen mit Eisenmineralien zur terminalen Oxidase ab. Damit die Bakterien sich nicht durch ihre unlöslichen oxidierten Fe-Produkte vom Substratnachschub abschneiden, findet die Metalloxidation oft nur an bestimmten Stellen der Zelloberfläche statt, oder die Zellen lokalisieren die Metalloxid-Inkrustierung in Hüllen, aus denen sie entkommen können. Im stark sauren pH-Bereich, der bei der Oxidation von Metallsulfiden entsteht, sind die oxidierten Metallprodukte dagegen löslich.

E° 1,2 V Fe3+

FeO42–

Fe2O3

0,8 V Fe2+

0,4 V 0V

FeS FeCO3 Fe(OH)2

–0,4 V

Fe3O4

Fe

–0,8 V 0

2

4

6

8

10

12

14

pH

12.6.2 Erzlaugung

Abb. 12.17 Zustandsdiagramm des Eisens. Gezeigt sind die jeweils thermodynamisch stabilsten Verbindungen des Eisens bei unterschiedlichen Redoxpotenzial- und pH-Werten. Reichen die Konzentrationen der jeweiligen Anionen aus, dann ist für die meisten natürlichen Standorte die Bildung von Fe-Carbonaten und -Sulfiden relevant.

12.6.1 Biochemie der Oxidation von Metallionen Zu den biochemischen Vorgängen bei der chemolithotrophen Fe(II)-Oxidation sind nur bei Acidithiobacillus ferrooxidans Einzelheiten bekannt. In dieser Art werden gelöste Fe2 + -Ionen im Periplasma durch ein cytochromhaltiges Enzymsystem zu Fe3 + oxidiert. Die freigesetzten Elektronen werden über Cytochrome und das Cu-Protein Rusticyanin zur terminalen Oxidase an die Cytoplasmamembran transportiert. Diese Oxidase pumpt während der Reduktion von Sauerstoff Protonen nach außen und konserviert so Energie aus der Fe(II)-Oxidation. Energie wird also nur über den letzten Atmungskettenkomplex konserviert (s. auch rückläufiger Elektronentransport, ▶ Abb. 12.5). Die biochemischen Mechanismen der Metallionenoxidierer sind jedoch nicht universell. Besonders bei neutrophilen Metallionenoxidierern müssen andere biochemische Mechanismen angenommen werden, da Eisenmineralien um pH = 7 extrem schwer löslich sind und deshalb kaum Fe2 + -Ionen in das Periplasma gelangen können. Die Fe(II)-oxidierenden Enzyme dieser Organismen sind vermutlich an der Zelloberfläche lokalisiert und leiten Elektronen aus den Metallionen bei direktem Kon-

Die acidophilen Fe(II)- und schwefeloxidierenden Bakterien werden im Metallbergbau eingesetzt, um Edelmetalle wie Kupfer, Zink, Nickel, Molybdän, Gold oder Uran aus niederwertigen sulfidischen Erzen zu gewinnen. Diese Erzlaugung (S. 710) wird im großen Stil in Tagebauen betrieben, indem man Wasser im Kreislaufverfahren durch Halden mit erzhaltigem Gestein sickern lässt. Durch die Aktivität von Acidithiobacillus-Arten werden die schwerlöslichen Metallsulfide in lösliche Metallsulfate überführt, die dann in Auffangteichen gesammelt und aufkonzentriert werden. Die bakterielle Oxidation der Sulfidionen zu Schwefelsäure sorgt für die nötige Ansäuerung. Gleichzeitig agieren die produzierten Fe3 + -Ionen als starkes Oxidationsmittel, das auch die schwerlöslichen Sulfide anderer Metallionen oxidiert. Edle Metalle lassen sich aus den aufkonzentrierten sauren Metallsulfaten in den Sammelteichen einfach durch Zugabe von Eisenschrott gewinnen, der sich dann unter Ausfällung von metallischem Kupfer oder anderer edlerer Metalle auflöst (▶ Abb. 12.18). Die dabei gebildeten Fe2 + -Ionen werden durch die Aktivität eisenoxidierender Bakterien in gut belüfteten Becken wieder zu Fe3 + -Ionen oxidiert, bevor die Lösung wieder über die Halde geleitet wird.

12.7 Wasserstoff als Elektronendonator Wasserstoff wird beim anaeroben biologischen Abbau von organischer Materie in großen Mengen gebildet. Geringere Mengen werden auch bei geochemischen Prozes-

Abb. 12.18 Schema der Erzlaugung mit acidophilen sulfid- und Fe(II)-oxidierenden Bakterien.

Sprinklersystem CuS + 2 O2 CuS + 8 Fe3+ + 4 H2O

Cu2+ + SO42– Cu2+ + SO42– + 8 H++ 8 Fe2+ Eisenschrott

Erzhalde: FeS2 + CuS

2+

Cu -Lösung Cu2+ + Fe0

Auffangteich

Cu0 + Fe2+ Cu0

Fe2+ + ¼ O2

Fe3+ + ½ H2O

5

12.7 Wasserstoff als Elektronendonator takt der Zellen mit Eisenmineralien zur terminalen Oxidase ab. Damit die Bakterien sich nicht durch ihre unlöslichen oxidierten Fe-Produkte vom Substratnachschub abschneiden, findet die Metalloxidation oft nur an bestimmten Stellen der Zelloberfläche statt, oder die Zellen lokalisieren die Metalloxid-Inkrustierung in Hüllen, aus denen sie entkommen können. Im stark sauren pH-Bereich, der bei der Oxidation von Metallsulfiden entsteht, sind die oxidierten Metallprodukte dagegen löslich.

E° 1,2 V Fe3+

FeO42–

Fe2O3

0,8 V Fe2+

0,4 V 0V

FeS FeCO3 Fe(OH)2

–0,4 V

Fe3O4

Fe

–0,8 V 0

2

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6

8

10

12

14

pH

12.6.2 Erzlaugung

Abb. 12.17 Zustandsdiagramm des Eisens. Gezeigt sind die jeweils thermodynamisch stabilsten Verbindungen des Eisens bei unterschiedlichen Redoxpotenzial- und pH-Werten. Reichen die Konzentrationen der jeweiligen Anionen aus, dann ist für die meisten natürlichen Standorte die Bildung von Fe-Carbonaten und -Sulfiden relevant.

12.6.1 Biochemie der Oxidation von Metallionen Zu den biochemischen Vorgängen bei der chemolithotrophen Fe(II)-Oxidation sind nur bei Acidithiobacillus ferrooxidans Einzelheiten bekannt. In dieser Art werden gelöste Fe2 + -Ionen im Periplasma durch ein cytochromhaltiges Enzymsystem zu Fe3 + oxidiert. Die freigesetzten Elektronen werden über Cytochrome und das Cu-Protein Rusticyanin zur terminalen Oxidase an die Cytoplasmamembran transportiert. Diese Oxidase pumpt während der Reduktion von Sauerstoff Protonen nach außen und konserviert so Energie aus der Fe(II)-Oxidation. Energie wird also nur über den letzten Atmungskettenkomplex konserviert (s. auch rückläufiger Elektronentransport, ▶ Abb. 12.5). Die biochemischen Mechanismen der Metallionenoxidierer sind jedoch nicht universell. Besonders bei neutrophilen Metallionenoxidierern müssen andere biochemische Mechanismen angenommen werden, da Eisenmineralien um pH = 7 extrem schwer löslich sind und deshalb kaum Fe2 + -Ionen in das Periplasma gelangen können. Die Fe(II)-oxidierenden Enzyme dieser Organismen sind vermutlich an der Zelloberfläche lokalisiert und leiten Elektronen aus den Metallionen bei direktem Kon-

Die acidophilen Fe(II)- und schwefeloxidierenden Bakterien werden im Metallbergbau eingesetzt, um Edelmetalle wie Kupfer, Zink, Nickel, Molybdän, Gold oder Uran aus niederwertigen sulfidischen Erzen zu gewinnen. Diese Erzlaugung (S. 710) wird im großen Stil in Tagebauen betrieben, indem man Wasser im Kreislaufverfahren durch Halden mit erzhaltigem Gestein sickern lässt. Durch die Aktivität von Acidithiobacillus-Arten werden die schwerlöslichen Metallsulfide in lösliche Metallsulfate überführt, die dann in Auffangteichen gesammelt und aufkonzentriert werden. Die bakterielle Oxidation der Sulfidionen zu Schwefelsäure sorgt für die nötige Ansäuerung. Gleichzeitig agieren die produzierten Fe3 + -Ionen als starkes Oxidationsmittel, das auch die schwerlöslichen Sulfide anderer Metallionen oxidiert. Edle Metalle lassen sich aus den aufkonzentrierten sauren Metallsulfaten in den Sammelteichen einfach durch Zugabe von Eisenschrott gewinnen, der sich dann unter Ausfällung von metallischem Kupfer oder anderer edlerer Metalle auflöst (▶ Abb. 12.18). Die dabei gebildeten Fe2 + -Ionen werden durch die Aktivität eisenoxidierender Bakterien in gut belüfteten Becken wieder zu Fe3 + -Ionen oxidiert, bevor die Lösung wieder über die Halde geleitet wird.

12.7 Wasserstoff als Elektronendonator Wasserstoff wird beim anaeroben biologischen Abbau von organischer Materie in großen Mengen gebildet. Geringere Mengen werden auch bei geochemischen Prozes-

Abb. 12.18 Schema der Erzlaugung mit acidophilen sulfid- und Fe(II)-oxidierenden Bakterien.

Sprinklersystem CuS + 2 O2 CuS + 8 Fe3+ + 4 H2O

Cu2+ + SO42– Cu2+ + SO42– + 8 H++ 8 Fe2+ Eisenschrott

Erzhalde: FeS2 + CuS

2+

Cu -Lösung Cu2+ + Fe0

Auffangteich

Cu0 + Fe2+ Cu0

Fe2+ + ¼ O2

Fe3+ + ½ H2O

5

Oxidation anorganischer Verbindungen: chemolithotrophe Lebensweise Tab. 12.5 Wasserstoffverwertende Bakterien aus verschiedenen physiologischen Gruppen. Für die chemolithotrophen Arten wird jeweils die relevante Redoxreaktion des Energiestoffwechsels gezeigt, für die phototrophe Wasserstoffverwertung die Synthese von Zellmasse durch CO2-Fixierung. Weitere Einzelheiten zu den Gruppen der anaeroben Atmer in Kapitel 14. physiologische Gruppe

repräsentative Art

Reaktion

freie Energie ΔG0’

aerobe Atmer

Cupriavidus necator (= Ralstonia eutropha)

2 H2 + O2 → 2 H2O

–474 kJ mol–1

Mikroaerophile

Metallosphaera sedula

2 H2 + O2 → 2 H2O

–474 kJ mol–1 –1121 kJ mol

Denitrifizierer

Paracoccus denitrificans

5 H2 + 2 NO3– + 2 H+ → N2 + 6 H2O

Fumaratreduzierer

Wolinella succinogenes

H2 + Fumarat → Succinat

–86 kJ mol–1

Sulfatreduzierer

Desulfovibrio vulgaris

4 H2 + SO42– + H+ → HS– + 4 H2O

–152 kJ mol–1

Schwefelreduzierer

Wolinella succinogenes

H2 + S → HS– + H+

–28 kJ mol–1 –112 kJ mol–1

Acetogene

Acetobacterium woodii

4 H2 + 2 CO2 → H3

Methanogene

Methanobacterium thermoautotrophicum

4 H2 + CO2 → CH4 + 2 H2O

–139 kJ mol–1

Phototrophe

Chloroflexus aurantiacus

2 H2 + CO2 → < CH2O > + H2O

–4 kJ mol–1

sen freigesetzt und finden sich in vulkanischen Gasen. Wegen des sehr niedrigen Redoxpotenzials von molekularem Wasserstoff (H2/2 H+, E0’ = –0,41 V) kommen für die biologische Oxidation alle biologischen Elektronenakzeptoren infrage. Dementsprechend sind viele physiologisch sehr unterschiedliche Bacteria und Archaea in der Lage, Wasserstoff chemolithotroph oder photolithotroph zu verwerten. Viele dieser Wasserstoffverwerter sind bereits in den anaeroben Standorten vorhanden, teilweise sogar eng mit den wasserstoffproduzierenden Organismen vergesellschaftet. Diese Organismen sind oft strikt anaerob und koppeln die Wasserstoffoxidation entweder an Sulfatreduktion, Acetogenese oder Methanogenese (▶ Tab. 12.5). Darüber hinaus gibt es bei fast allen Gruppen von Prokaryonten, die durch anaerobe oder aerobe Atmung Energie konservieren, fakultativ oder obligat chemolithotrophe Vertreter mit Wasserstoff als Elektronendonator (▶ Tab. 12.5). Einige dieser Organismen sind zugleich autotroph, wobei für die CO2-Fixierung verschiedene Wege (S. 308) genutzt werden. Einige Arten der wasserstoffverwertenden Chemolithotrophen verwenden auch organische Verbindungen als Elektonenakzeptoren (z. B. Fumaratatmung bei Wolinella succinogenes). Diese Organismen sind in der Regel chemolithoheterotroph, d. h. sie bestreiten zwar ihren Energiestoffwechsel über Chemolithotrophie, synthetisieren Biomasse aber aus den vorhandenen organischen Verbindungen.

12.7.1 Biochemische Grundlagen Die Schlüsselenzyme des Wasserstoffstoffwechsels sind die Hydrogenasen. In chemolithotrophen Mikoorganismen sind typischerweise „Aufnahme“-Hydrogenasen zu finden, die Wasserstoff in Protonen und Elektronen spalten und die Elektronen z. B. auf der Stufe von NAD(P)H oder der Chinole in die Atmungskette einschleusen. Sehr ähnliche wasserstoffentwickelnde Enzyme, welche die rückläufige Reaktion katalysieren, sind z. B. bei Gärern zu finden (Kap. 13). Die Katalyse findet an ungewöhnlichen

406

C–COO– + H+ + 2

H2O

Metallcofaktoren im aktiven Zentrum der Hydrogenasen statt. In Eisen/Eisen-Hydrogenasen handelt es sich dabei um ein Fe-Fe-Zentrum mit ungewöhnlichen Liganden, das mit einem benachbarten Fe4S4-Zentrum verbrückt ist. Nickel/Eisen-Hydrogenasen haben ein Ni-Fe-Zentrum. An die Fe-Atome beider Typen von Hydrogenasezentren sind dabei jeweils zusätzliche CO- oder CN–-Liganden gebunden. Durch die besonderen Eigenschaften dieser Liganden verändert sich der chemische Charakter der Eisenatome der aktiven Zentren grundlegend, sodass sie Wasserstoff in ähnlicher Weise wie die chemietechnisch eingesetzten Platin- oder Palladiumkatalysatoren aktivieren können. Hydrogenasen kommen als membrangebundene, cytoplasmatische oder periplasmatische Enzyme vor. Cytoplasmatische Hydrogenasen reduzieren oft unmittelbar NAD(P)+, membrangebundene Hydrogenasen übertragen die Elektronen auf den Chinonpool der Membran und die periplasmatischen Hydrogenasen reduzieren Cytochrome (z. B. Cytochrom c3 der sulfatreduzierenden Bakterien).

12.7.2 Aerobe wasserstoffoxidierende Mikroorganismen Die Vertreter der anaeroben wasserstoffoxidierenden Mikroorganismen werden in Kapitel 14 näher vorgestellt. Deshalb sollen hier nur die sogenannten Knallgasbakterien näher beschrieben werden, die Wasserstoff mit Sauerstoff als terminalem Elektronenakzeptor oxidieren. Die meisten Vertreter dieser physiologischen Gruppe sind fakultativ chemolithoautotroph, können also außer H2 und CO2 auch organische Substrate verwerten (Plus 12.7). Die bekannten Arten der aeroben wasserstoffoxidierenden Mikroorganismen finden sich in mehreren Verwandtschaftsgruppen bei den Bacteria und Archaea. In vielen Fällen gibt es nah verwandte Arten, die nicht chemolithotroph sind. Einige der am besten untersuchten aeroben Wasserstoffoxidierer gehören zu den gramnegativen Proteobakterien, wie z. B. die Gattungen Paracoccus, Bradyrhizobium und Oligotropha aus der alpha-Gruppe, oder Cupriavidus (früher Ralstonia), Acidovorax und Hy-

12.8 Kohlenmonoxid als Elektronendonator

Plus 12.7

●V

Knallgasbakterien

6 H2 + 2 O2 + CO2 → [CH2O] + 5 H2O.

Aerobe wasserstoffoxidierende Bakterien lassen sich aus Boden- und Wasserproben leicht anreichern und isolieren. Sie wachsen in Mineralsalzmedien ohne organische Komponenten, die unter einer Atmosphäre mit H2, O2 und CO2 gehalten werden. Die bekannten Arten wachsen zum Teil relativ schnell mit Verdopplungszeiten von 1–3 Stunden. Obwohl bei der Knallgasreaktion relativ viel Energie freigesetzt wird, wird ein relativ geringer Anteil der Redoxäquivalente aus H2 für den Baustoffwechsel eingesetzt. Man kann aus den Umsätzen der Gaskomponenten und dem erhaltenen Zellertrag ermitteln, dass aerobe Knallgasbakterien etwa ein Drittel des H2 zur Synthese von Zellmasse [CH2O] nutzen. Die Bilanz ist ungefähr wie folgt:

Dies ist im Vergleich zu den meisten aeroben chemoorganotrophen Bakterien, die normalerweise ca. 50 % des Substrats zu Zellmasse umsetzen, ein relativ schlechter Ertrag. Eine mögliche Erklärung ist, dass Knallgasbakterien meist keine cytoplasmatische NAD(P)H-bildende Hydrogenase besitzen, sondern die Elektronen aus der Wasserstoffoxidation in den Chinonpool einspeisen. Deshalb geht ein Teil der Energie bei der Synthese von NAD(P)H über rückläufigen Elektronentransport verloren.

drogenophaga aus der beta-Gruppe. Es gibt aber einige bekannte Vertreter auch unter den grampositiven Bakterien, wie z. B. Bacillus schlegelii bei den Firmicutes, Rhodococcus opacus oder Streptomyces thermoautotrophicus bei den Actinobacteria, unter hyperthermophilen Bacteria (z. B. Aquifex pyrophilus) und hyperthermophilen Archaea (z. B. Metallosphaera sedula).

12.8 Kohlenmonoxid als Elektronendonator Man kennt inzwischen mehrere biologische Prozesse, bei denen sowohl unter oxischen als auch anoxischen Bedingungen CO gebildet wird. Kohlenmonoxid dient jedoch nur selten als natürliches Substrat, obwohl es aufgrund seines sehr negativen Redoxpotenzials (CO/CO2, E0’ = –0,54 V) sehr gut als Elektronendonator für chemolithotrophe Mikroorganismen geeignet ist und sowohl von aeroben als auch von anaeroben Bakterien genutzt wird. Diese sogenannten Carboxidobakterien sind fakultativ chemolithoautotroph; viele verwerten alternativ auch Wasserstoff als Elektronendonator. Ein grundsätzlicher Unterschied besteht zwischen den schon lange bekannten aeroben bzw. denitrifizierenden Carboxidobakterien und einigen strikt anaeroben kohlenmonoxidoxidierenden Chemolithotrophen, deren Fähigkeit zur Verwertung von CO erst vor Kurzem entdeckt wurde. Das am besten untersuchte aerobe Carboxidobakterium ist das Alphaproteobakterium Oligotropha carboxidovorans. Daneben gibt es aber noch viele weitere Arten der Alpha-, Beta- und Gammaproteobakterien und grampositiver Bakterien. Mittels einer speziellen „aeroben“ CO-Dehydrogenase, die im aktiven Zentrum einen Molybdäncofaktor trägt, dessen Molybdänatom über einen Sulfidliganden mit einem Kupferatom verbunden ist, oxidieren diese Bakterien im Cytoplasma CO zu CO2. Das En-

zym oxidiert CO an diesem ungewöhnlichen bimetallischen Zentrum und leitet die freigesetzten Elektronen auf ein Cytochrom b weiter, das sie dann auf die Atmungskette überträgt. Damit ergibt sich folgende Gesamtreaktion: CO + 0,5 O2 → CO2

(ΔG0’ = –249 kJ mol–1).

Einige aerobe Carboxidobakterien sind in der Lage, auf anaerobe Atmung durch Denitrifikation umzuschalten und auch unter diesen Bedingungen chemolithotroph mit CO zu wachsen. Strikt anaerobe Chemolithotrophie mit Kohlenmonoxid wurde erst vor einigen Jahren eindeutig nachgewiesen. Der am besten bekannte Modellorganismus dieser Gruppe ist das grampositive Bakterium Carboxydothermus hydrogenoformans sowie einige weitere nahe verwandte Arten. Seitdem wurde ein ähnlich ablaufender Stoffwechselweg auch bei dem anoxygenen phototrophen Alphaproteobakterium Rhodospirillum rubrum gefunden. Die „anaerobe“ CO-Dehydrogenase dieser Bakterien unterscheidet sich grundsätzlich von dem Enzym der aeroben Carboxidobakterien und wird z. B. durch Sauerstoff inaktiviert. Sie bildet vermutlich einen Komplex mit einer membranständigen protonenpumpenden Hydrogenase. Die CO-Oxidation zu CO2 wird durch ein Nickel-Eisen-Schwefel-Zentrum im aktiven Zentrum des Enzyms katalysiert, während die freigesetzten Elektronen zur Hydrogenasekomponente des Komplexes geleitet und dort zur Reduktion von Protonen zu Wasserstoff verwendet werden. Wegen des stark negativen Potenzials von Kohlenmonoxid ist die Entwicklung von Wasserstoff aus CO bereits unter Standardbedingungen exergon. Bei niedrigem Wasserstoffpartialdruck im Lebensraum steht ausreichend Energie für die Translokation von bis zu 2 Protonen zur Verfügung. Damit ergibt sich folgende Gesamtreaktion: CO + H2O → CO2 + H2 (ΔG0’ = –12 kJ mol–1 und ΔG’ = –35 kJ mol–1 bei 10–5 bar H2).

7

12.8 Kohlenmonoxid als Elektronendonator

Plus 12.7

●V

Knallgasbakterien

6 H2 + 2 O2 + CO2 → [CH2O] + 5 H2O.

Aerobe wasserstoffoxidierende Bakterien lassen sich aus Boden- und Wasserproben leicht anreichern und isolieren. Sie wachsen in Mineralsalzmedien ohne organische Komponenten, die unter einer Atmosphäre mit H2, O2 und CO2 gehalten werden. Die bekannten Arten wachsen zum Teil relativ schnell mit Verdopplungszeiten von 1–3 Stunden. Obwohl bei der Knallgasreaktion relativ viel Energie freigesetzt wird, wird ein relativ geringer Anteil der Redoxäquivalente aus H2 für den Baustoffwechsel eingesetzt. Man kann aus den Umsätzen der Gaskomponenten und dem erhaltenen Zellertrag ermitteln, dass aerobe Knallgasbakterien etwa ein Drittel des H2 zur Synthese von Zellmasse [CH2O] nutzen. Die Bilanz ist ungefähr wie folgt:

Dies ist im Vergleich zu den meisten aeroben chemoorganotrophen Bakterien, die normalerweise ca. 50 % des Substrats zu Zellmasse umsetzen, ein relativ schlechter Ertrag. Eine mögliche Erklärung ist, dass Knallgasbakterien meist keine cytoplasmatische NAD(P)H-bildende Hydrogenase besitzen, sondern die Elektronen aus der Wasserstoffoxidation in den Chinonpool einspeisen. Deshalb geht ein Teil der Energie bei der Synthese von NAD(P)H über rückläufigen Elektronentransport verloren.

drogenophaga aus der beta-Gruppe. Es gibt aber einige bekannte Vertreter auch unter den grampositiven Bakterien, wie z. B. Bacillus schlegelii bei den Firmicutes, Rhodococcus opacus oder Streptomyces thermoautotrophicus bei den Actinobacteria, unter hyperthermophilen Bacteria (z. B. Aquifex pyrophilus) und hyperthermophilen Archaea (z. B. Metallosphaera sedula).

12.8 Kohlenmonoxid als Elektronendonator Man kennt inzwischen mehrere biologische Prozesse, bei denen sowohl unter oxischen als auch anoxischen Bedingungen CO gebildet wird. Kohlenmonoxid dient jedoch nur selten als natürliches Substrat, obwohl es aufgrund seines sehr negativen Redoxpotenzials (CO/CO2, E0’ = –0,54 V) sehr gut als Elektronendonator für chemolithotrophe Mikroorganismen geeignet ist und sowohl von aeroben als auch von anaeroben Bakterien genutzt wird. Diese sogenannten Carboxidobakterien sind fakultativ chemolithoautotroph; viele verwerten alternativ auch Wasserstoff als Elektronendonator. Ein grundsätzlicher Unterschied besteht zwischen den schon lange bekannten aeroben bzw. denitrifizierenden Carboxidobakterien und einigen strikt anaeroben kohlenmonoxidoxidierenden Chemolithotrophen, deren Fähigkeit zur Verwertung von CO erst vor Kurzem entdeckt wurde. Das am besten untersuchte aerobe Carboxidobakterium ist das Alphaproteobakterium Oligotropha carboxidovorans. Daneben gibt es aber noch viele weitere Arten der Alpha-, Beta- und Gammaproteobakterien und grampositiver Bakterien. Mittels einer speziellen „aeroben“ CO-Dehydrogenase, die im aktiven Zentrum einen Molybdäncofaktor trägt, dessen Molybdänatom über einen Sulfidliganden mit einem Kupferatom verbunden ist, oxidieren diese Bakterien im Cytoplasma CO zu CO2. Das En-

zym oxidiert CO an diesem ungewöhnlichen bimetallischen Zentrum und leitet die freigesetzten Elektronen auf ein Cytochrom b weiter, das sie dann auf die Atmungskette überträgt. Damit ergibt sich folgende Gesamtreaktion: CO + 0,5 O2 → CO2

(ΔG0’ = –249 kJ mol–1).

Einige aerobe Carboxidobakterien sind in der Lage, auf anaerobe Atmung durch Denitrifikation umzuschalten und auch unter diesen Bedingungen chemolithotroph mit CO zu wachsen. Strikt anaerobe Chemolithotrophie mit Kohlenmonoxid wurde erst vor einigen Jahren eindeutig nachgewiesen. Der am besten bekannte Modellorganismus dieser Gruppe ist das grampositive Bakterium Carboxydothermus hydrogenoformans sowie einige weitere nahe verwandte Arten. Seitdem wurde ein ähnlich ablaufender Stoffwechselweg auch bei dem anoxygenen phototrophen Alphaproteobakterium Rhodospirillum rubrum gefunden. Die „anaerobe“ CO-Dehydrogenase dieser Bakterien unterscheidet sich grundsätzlich von dem Enzym der aeroben Carboxidobakterien und wird z. B. durch Sauerstoff inaktiviert. Sie bildet vermutlich einen Komplex mit einer membranständigen protonenpumpenden Hydrogenase. Die CO-Oxidation zu CO2 wird durch ein Nickel-Eisen-Schwefel-Zentrum im aktiven Zentrum des Enzyms katalysiert, während die freigesetzten Elektronen zur Hydrogenasekomponente des Komplexes geleitet und dort zur Reduktion von Protonen zu Wasserstoff verwendet werden. Wegen des stark negativen Potenzials von Kohlenmonoxid ist die Entwicklung von Wasserstoff aus CO bereits unter Standardbedingungen exergon. Bei niedrigem Wasserstoffpartialdruck im Lebensraum steht ausreichend Energie für die Translokation von bis zu 2 Protonen zur Verfügung. Damit ergibt sich folgende Gesamtreaktion: CO + H2O → CO2 + H2 (ΔG0’ = –12 kJ mol–1 und ΔG’ = –35 kJ mol–1 bei 10–5 bar H2).

7

Oxidation anorganischer Verbindungen: chemolithotrophe Lebensweise

Zusammenfassung ●









Chemolithotrophe Mikroorganismen oxidieren reduzierte anorganische Verbindungen. Es sind typische Gradientenorganismen, die hohe Stoffumsatzraten haben, aber nur geringe Zellausbeuten und langsames Wachstum zeigen. Im Labor sind sie oft schwer kultivierbar. Viele von ihnen benötigen keine organischen Moleküle und sind strikt autotroph. Der chemolithotrophe Energiestoffwechsel beruht auf der Oxidation anorganischer Verbindungen und der Einspeisung der freigesetzten Elektronen in die aerobe Atmungskette. Je nach verwendetem Elektronendonator können auch anaerobe Atmungsketten mit alternativen Elektronenakzeptoren zur Energiekonservierung dienen. Die Energiegewinnung erfolgt durch Elektronentransportphosphorylierung. Bei den meisten anorganischen Elektronendonatoren werden die Elektronen erst auf der Stufe der Chinone oder des Cytochrom c in die Atmungskette eingespeist, was dann die Synthese von NAD(P)H für den Baustoffwechsel über rückläufigen Elektronentransport erfordert. Die physiologischen Gruppen der Chemolithotrophen werden nach den verwendeten Elektronendonatoren wie Methan, reduzierten Stickstoff- und Schwefelverbindungen, Metallionen, sowie Wasserstoff und Kohlenmonoxid unterschieden. Diese Substrate sind Produkte der anaeroben Atmung anderer Bakterien. Chemolithotrophe Bakterien spielen deshalb eine wichtige Rolle im Stoffkreislauf. Nitrifizierende Mikroorganismen nutzen Ammoniumoder Nitritionen als Elektronendonatoren. Die ammoniumoxidierenden Nitrosobakterien unterscheiden sich dabei von den nitritoxidierenden Nitrobakterien. In der Natur sind Vertreter beider Gruppen stets vergesellschaftet. Die Nitrifikanten sind technisch wichtig bei der Stickstoffelimination in Kläranlagen, verursachen aber auch Schäden durch die Stickstofffreisetzung aus Dünger und durch die zerstörende Wirkung der gebildeten Salpetersäure. Salpeter wurde in früheren Zeiten als ein Bestandteil des Schwarzpulvers mikrobiologisch erzeugt. Die Nitrifikation ist in der Regel ein strikt aerober Prozess und erfordert Sauerstoff als Elektronenakzeptor und Cosubstrat der Ammoniumoxidation.

Literatur zum Weiterlesen unter: www.thieme.de/literatur-fuchs

408









M ●

Aerobe und anaerobe chemolithotrophe Sulfurikanten nutzen reduzierte Schwefelverbindungen als Elektronendonatoren. Unter diesen Organismen findet man einige extrem acidophile bzw. thermoacidophile Bakterien und Archaeen. Sie säuern ihr Habitat oft durch die bei der Schwefeloxidation gebildete Schwefelsäure auf pH-Werte von 1–3 an. Daneben gibt es viele neutrophile schwefeloxidierende chemolithotrophe Bakterien. Zu ihnen gehören u. a. einige Paracoccus-Arten sowie die marinen Gattungen Beggiatoa, Thioploca und Thiomargarita, die Riesenzellen mit periplasmatisch abgelagerten Schwefelkügelchen bilden. Sie oxidieren Schwefelwasserstoff, Thiosulfat und Schwefel über anaerobe Atmung mit Nitrat als Elektronenakzeptor, der von den Zellen in großen Vakuolen gespeichert wird. Reduzierte Metallionen, besonders Fe2 + oder Mn2 + , werden von einigen chemolithotrophen Mikroorganismen als Elektronendonatoren genutzt. Einige dieser Arten, z. B. Acidithiobacillus ferroooxidans oder Metallosphaera sedula, sind extrem acidophil und nutzen diese Metalle alternativ oder zusätzlich zu reduzierten Schwefelverbindungen. Zusammen mit weiteren acidophilen Schwefeloxidierern sind diese Arten am Prozess der Erzlaugung beteiligt, über den Edelmetalle aus niederwertigen Erzen gewonnen werden. Darüber hinaus gibt es spezialisierte Metallionenoxidierer, z. B. die Gattungen Gallionella und Leptothrix, die auch bei neutralen pH-Werten schwerlösliche Eisenmineralien oxidieren. Wasserstoff wird als Elektronendonator von vielen aeroben Chemolithotrophen, sogenannten Knallgasbakterien genutzt, die zu verschiedenen phylogenetischen Gruppen der Bakterien und Archaeen gehören. Daneben gibt es in fast jeder physiologischen Gruppe anaerob atmender Bakterien wasserstoffverwertende Chemolithotrophe. Kohlenmonoxid stellt einen weiteren Elektronendonator dar, der sowohl von aeroben wie von anaeroben Mikroorganismen genutzt wird. Aerobe carboxidotrophe Bakterien, z. B. Oligotropha, veratmen CO mit Sauerstoff als Elektronenakzeptor. Strikt anaerobe CO-oxidierende Bakterien, z. B. Carboxydothermus, verwenden Protonen als Elektronenakzeptor für die CO-Oxidation und bilden Wasserstoff.

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Kapitel 13 Mikrobielle Gärungen

13.1

Überblick

410

13.2

Prinzipien der Gärung

410

13.3

Milchsäuregärung

415

13.4

Ethanolgärung

421

13.5

Gemischte Säuregärung

425

13.6

Buttersäure- und Lösungsmittelgärung 429

13.7

Propionsäuregärung

431

13.8

Vergärung von Aminosäuren

433

13.9

Sekundäre Gärungen und Homoacetatgärung

435

Mikrobielle Gärungen

13 Mikrobielle Gärungen Johann Heider

13.1 Überblick Gärung ist eine Form des Energiestoffwechsels, die eingeschlagen wird, wenn kein externer Elektronenakzeptor für die Oxidation von organischem Substrat zur Verfügung steht. Dementsprechend finden Gärungen in der Abwesenheit von Sauerstoff statt. Die Energiekonservierung in Form von ATP ist dabei meist an die Oxidation eines Substrats gekoppelt und erfolgt durch Substratphosphorylierung mit energiereichen Zwischenverbindungen (oxidativer Teil des Gärungswegs). Die hierbei freigesetzten Reduktionsäquivalente werden auf eine oxidierte Zwischenverbindung oder ein zweites Substrat übertragen (reduktiver Teil des Gärungswegs), sodass die Elektronenbilanz ausgeglichen wird. Die Gärungsenzyme sind in der Regel löslich. Die entstehenden reduzierten Verbindungen sind die charakteristischen Gärungsprodukte, nach denen die Gärungen in der Regel benannt sind (z. B. Milchsäure, Ethanol, organische Säuren). An einigen Gärungen ist darüber hinaus auch eine Energiekonservierung über Elektronentransportphosphorylierung beteiligt.

13.2 Prinzipien der Gärung 13.2.1 Habitate von gärenden Mikroorganismen Gärende Mikroorganismen sind in der Natur überall dort zu finden, wo es zwar abbaubare organische Verbindungen gibt, aber Sauerstoff oder ein Elektronenakzeptor für eine anaerobe Atmung fehlen („Leben ohne Sauerstoff“; L. Pasteur). Sie sind entweder obligat oder fakultativ anaerob. Fakultative Anaerobier schalten dabei ihren Energiestoffwechsel je nach verfügbaren Elektronenakzeptoren zwischen aerober oder anaerober Atmung und Gärung um. Viele Gärer sekretieren Exoenzyme, die Biopolymere aus der Natur zunächst zu vergärbaren Monomeren hydrolysieren. Ein wichtiges natürliches Substrat für gärende Mikroorganismen ist Cellulose. Da Cellulose (oder Lignocellulose) (S. 357) durch aerobe Mikroorganismen nur langsam abgebaut wird, gelangen große Mengen davon in anoxische Bereiche, z. B. in Sedimente von Gewässern. Auch der anoxische Magen-Darm-Trakt von pflanzenfressenden Tieren beherbergt Celluloseabbauer, die für die Verwertung des Futters wichtig sind. Der Abbau von Naturstoffen unter Gärungsbedingungen erfordert ein komplexes Wechselspiel von mehreren Mikroorganismen. Gärende Bakterien leiten die anaerobe Nährstoffkette (▶ Abb. 13.1) ein, indem sie z. B. Cellulose hydrolysieren und zu Alkoholen, organischen Säuren,

410

Biomasse Polysaccharide Proteine Fette

primäre Gärer Lactat Ethanol Succinat Butyrat Propionat

H2 CO2 Acetat

Methanogene

CH4 CO2 Biogas

sekundäre Gärer

Abb. 13.1 Schema der anaeroben Nährstoffkette.

Kohlendioxid und Wasserstoff umsetzen. Diese primären Gärungsprodukte stehen dann weiteren spezialisierten anaeroben Bakterien zur Verfügung, die diese Verbindungen in einer sekundären Gärung im Wesentlichen zu Essigsäure, Kohlendioxid und Wasserstoff weitervergären. Diese Produkte dienen schließlich als Substrate für methanogene Archaea, die daraus als Endprodukt der anaeroben Nährstoffkette Biogas (Methan und CO2) bilden (Methanogenese) (S. 456).

13.2.2 Regeneration der RedoxCarrier Bei der Gärung wird Energie für die Stoffwechselvorgänge der Bakterien freigesetzt, indem energiereiche zu energiearmen Verbindungen umgesetzt werden. Die Substrate werden dabei zu oxidierten Zwischenprodukten umgesetzt, die dann mit den freigesetzten Reduktionsäquivalenten (meist NADH) zu den Gärungsprodukten reduziert werden. Die Gärungsprodukte werden ausgeschieden. Die Redoxbilanz zwischen Substraten und Gärungsprodukten (Gärungsbilanz) muss dabei ausgeglichen sein, da sonst die Gärung zum Erliegen kommt. Typische oxidierte Zwischenprodukte, die bei verschiedenen Gärungen für die Reoxidation von NADH genutzt werden, sind Pyruvat, Acetaldehyd, Acetyl-CoA, Fumarat oder Acetoacetyl-CoA. ATP wird in der Regel über Substratphosphorylierung während der oxidativen Reaktionen gebildet (▶ Abb. 13.2). Nur in einigen Gärungswegen ist auch bei den reduktiven Reaktionen des Gärungsstoffwechsels Energiekonservierung beteiligt (z. B. Elektronentransportphosphorylierung [ETP] während der Fumaratreduktion) (S. 447). Die Vielgestaltigkeit der mikrobiellen Gärungen ist im Wesentlichen durch die charakteristischen Gärungsprodukte bedingt, die durch die reduktiven Reaktionen gebildet und ins Medium ausgeschieden werden. Typische Gärungsprodukte sind Wasserstoff, Kohlendioxid, Ethanol, Milchsäure, Ameisensäure, Essigsäure, Propionsäure, Buttersäure, Capronsäure, Bernsteinsäure, n-Butanol, 2,3-Butandiol, Aceton und Isopropanol.

Mikrobielle Gärungen

13 Mikrobielle Gärungen Johann Heider

13.1 Überblick Gärung ist eine Form des Energiestoffwechsels, die eingeschlagen wird, wenn kein externer Elektronenakzeptor für die Oxidation von organischem Substrat zur Verfügung steht. Dementsprechend finden Gärungen in der Abwesenheit von Sauerstoff statt. Die Energiekonservierung in Form von ATP ist dabei meist an die Oxidation eines Substrats gekoppelt und erfolgt durch Substratphosphorylierung mit energiereichen Zwischenverbindungen (oxidativer Teil des Gärungswegs). Die hierbei freigesetzten Reduktionsäquivalente werden auf eine oxidierte Zwischenverbindung oder ein zweites Substrat übertragen (reduktiver Teil des Gärungswegs), sodass die Elektronenbilanz ausgeglichen wird. Die Gärungsenzyme sind in der Regel löslich. Die entstehenden reduzierten Verbindungen sind die charakteristischen Gärungsprodukte, nach denen die Gärungen in der Regel benannt sind (z. B. Milchsäure, Ethanol, organische Säuren). An einigen Gärungen ist darüber hinaus auch eine Energiekonservierung über Elektronentransportphosphorylierung beteiligt.

13.2 Prinzipien der Gärung 13.2.1 Habitate von gärenden Mikroorganismen Gärende Mikroorganismen sind in der Natur überall dort zu finden, wo es zwar abbaubare organische Verbindungen gibt, aber Sauerstoff oder ein Elektronenakzeptor für eine anaerobe Atmung fehlen („Leben ohne Sauerstoff“; L. Pasteur). Sie sind entweder obligat oder fakultativ anaerob. Fakultative Anaerobier schalten dabei ihren Energiestoffwechsel je nach verfügbaren Elektronenakzeptoren zwischen aerober oder anaerober Atmung und Gärung um. Viele Gärer sekretieren Exoenzyme, die Biopolymere aus der Natur zunächst zu vergärbaren Monomeren hydrolysieren. Ein wichtiges natürliches Substrat für gärende Mikroorganismen ist Cellulose. Da Cellulose (oder Lignocellulose) (S. 357) durch aerobe Mikroorganismen nur langsam abgebaut wird, gelangen große Mengen davon in anoxische Bereiche, z. B. in Sedimente von Gewässern. Auch der anoxische Magen-Darm-Trakt von pflanzenfressenden Tieren beherbergt Celluloseabbauer, die für die Verwertung des Futters wichtig sind. Der Abbau von Naturstoffen unter Gärungsbedingungen erfordert ein komplexes Wechselspiel von mehreren Mikroorganismen. Gärende Bakterien leiten die anaerobe Nährstoffkette (▶ Abb. 13.1) ein, indem sie z. B. Cellulose hydrolysieren und zu Alkoholen, organischen Säuren,

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Biomasse Polysaccharide Proteine Fette

primäre Gärer Lactat Ethanol Succinat Butyrat Propionat

H2 CO2 Acetat

Methanogene

CH4 CO2 Biogas

sekundäre Gärer

Abb. 13.1 Schema der anaeroben Nährstoffkette.

Kohlendioxid und Wasserstoff umsetzen. Diese primären Gärungsprodukte stehen dann weiteren spezialisierten anaeroben Bakterien zur Verfügung, die diese Verbindungen in einer sekundären Gärung im Wesentlichen zu Essigsäure, Kohlendioxid und Wasserstoff weitervergären. Diese Produkte dienen schließlich als Substrate für methanogene Archaea, die daraus als Endprodukt der anaeroben Nährstoffkette Biogas (Methan und CO2) bilden (Methanogenese) (S. 456).

13.2.2 Regeneration der RedoxCarrier Bei der Gärung wird Energie für die Stoffwechselvorgänge der Bakterien freigesetzt, indem energiereiche zu energiearmen Verbindungen umgesetzt werden. Die Substrate werden dabei zu oxidierten Zwischenprodukten umgesetzt, die dann mit den freigesetzten Reduktionsäquivalenten (meist NADH) zu den Gärungsprodukten reduziert werden. Die Gärungsprodukte werden ausgeschieden. Die Redoxbilanz zwischen Substraten und Gärungsprodukten (Gärungsbilanz) muss dabei ausgeglichen sein, da sonst die Gärung zum Erliegen kommt. Typische oxidierte Zwischenprodukte, die bei verschiedenen Gärungen für die Reoxidation von NADH genutzt werden, sind Pyruvat, Acetaldehyd, Acetyl-CoA, Fumarat oder Acetoacetyl-CoA. ATP wird in der Regel über Substratphosphorylierung während der oxidativen Reaktionen gebildet (▶ Abb. 13.2). Nur in einigen Gärungswegen ist auch bei den reduktiven Reaktionen des Gärungsstoffwechsels Energiekonservierung beteiligt (z. B. Elektronentransportphosphorylierung [ETP] während der Fumaratreduktion) (S. 447). Die Vielgestaltigkeit der mikrobiellen Gärungen ist im Wesentlichen durch die charakteristischen Gärungsprodukte bedingt, die durch die reduktiven Reaktionen gebildet und ins Medium ausgeschieden werden. Typische Gärungsprodukte sind Wasserstoff, Kohlendioxid, Ethanol, Milchsäure, Ameisensäure, Essigsäure, Propionsäure, Buttersäure, Capronsäure, Bernsteinsäure, n-Butanol, 2,3-Butandiol, Aceton und Isopropanol.

13.2 Prinzipien der Gärung

organisches Substrat ADP + Pi

ATP E

Gärprodukte [H]

oxidierte Intermediate

Abb. 13.2 Allgemeines Prinzip eines Gärungsstoffwechselwegs. Links der oxidative Teil des Stoffwechsels mit Substratphosphorylierung. Rechts der reduktive Teil des Gärungsstoffwechsels mit Bildung der Gärungsprodukte. E, Energie.

13.2.3 Gärungstypen Die wichtigsten mikrobiellen Gärungen, die dem oben beschriebenen Schema folgen, werden nach den typischen Gärungsprodukten benannt: Milchsäuregärung, ethanolische Gärung, gemischte Säuregärung, Buttersäuregärung, Lösungsmittelgärung oder Propionsäuregärung (primäre Gärungen). Die primären Gärungsprodukte werden in nachgeschalteten sekundären Gärungswegen zu Essigsäure vergoren. Die elektronenübertragenden Coenzyme werden dabei durch Bildung von Wasserstoff regeneriert. Dies ist aus thermodynamischen Gründen nur in syntrophen Cokulturen möglich, in denen wasserstoffzehrende anaerobe Mikroorganismen wie methanogene Archaea oder sulfatreduzierende Bakterien für eine äußerst geringe Wasserstoffkonzentration sorgen. Einen Sonderfall stellen Gärungen ohne Redoxreaktionen dar, z. B. die Decarboxylierung von Oxalat zu CO2 und Formiat durch Oxalobacter formigenes oder die Decarboxylierung von Succinat zu CO2 und Propionat durch Propionigenium modestum. Die Energiekonservierung erfolgt in diesen Fällen dadurch, dass das zweifach negativ geladene Substrat (z. B. Oxalat2–) durch elektrogenen Antiport aufgenommen wird, im Austausch gegen das einfach negativ geladene Produkt (Formiat–), das ausgeschieden wird. Das dabei gebildete Membranpotenzial (außen positiv) wird zur ATP-Synthese (S. 282) genutzt.

13.2.4 Substratphosphorylierung Für die eigentliche Energieumwandlung stehen bei den vielen verschiedenen Gärungstypen nur einige wenige Reaktionen zur Verfügung. ATP wird gebildet, indem die Phosphorylgruppe einer phosphorylierten Zwischenverbindung enzymatisch auf ADP übertragen wird. Dafür kommen nur wenige hoch energetische Zwischenprodukte infrage, deren freie Hydrolyseenergie mindestens so hoch ist wie diejenige von ATP (ΔG0’ = –32 kJ mol–1; bei den Konzentrationen von Substraten und Produkten in der Zelle erhöht sich der Betrag auf ca. ΔG’ = –50 kJ mol–1) (Plus 13.1) (s. Anhang). Diese Art von Energiekonservie-

rung wird als Substratphosphorylierung bezeichnet. Die Gärungswege dienen letztlich dazu, das Substrat zu solchen energiereichen Zwischenverbindungen umzusetzen. Die wichtigsten Enzyme der bakteriellen Substratphosphorylierung sind 3-Phosphoglycerat-Kinase, Pyruvat-Kinase und Acetat-Kinase. Dabei ist zu beachten, dass alle diese Kinasen nach der nichtphysiologischen Rückreaktion benannt werden (Plus 13.1). Die energiereichen Zwischenprodukte der Glykolyse sind 1,3Bisphosphoglycerat und Phosphoenolpyruvat; sie werden von den meisten kohlenhydratvergärenden Mikroorganismen für die Substratphosphorylierung genutzt (Plus 13.1, Reaktion 1 und 2). Allerdings werden allein damit nur 2 Mol ATP pro Mol Glucose gebildet. Einige Mikroorganismen nutzen darüber hinaus auch Acetylphosphat als weiteres energiereiches Zwischenprodukt, was die Bildung von mehr ATP pro Mol Glucose erlaubt (Plus 13.1, Reaktion 3). Acetylphosphat wird dabei entweder durch die Phosphotransacetylase aus Acetyl-CoA gebildet oder durch Phosphoketolasen aus Xylulose-5phosphat oder Fructose-6-phosphat (S. 370). Da bei den meisten Gärungen keine Elektronentransportphosphorylierung stattfindet, wird das notwendige Membranpotenzial für die Funktionsfähigkeit der Cytoplasmamembran durch eine rückwärtslaufende ATP-Synthase aufgebaut, die Protonen unter ATP-Hydrolyse aus dem Cytoplasma hinauspumpt.

13.2.5 Energiekonservierung durch Elektronenbifurkation Ein erst vor Kurzem neuentdecktes Prinzip zur Energiekonservierung ist die Elektronenbifurkation. Dieses Prinzip spielt in einigen Gärungswegen, z. B. der Buttersäuregärung oder der Ethanol-Acetat-Gärung, aber auch in weiteren anaeroben Stoffwechselwegen wie der Methanogenese und Acetogenese eine wichtige Rolle. Es handelt es sich dabei um den gekoppelten Transfer von je zwei Elektronen von einem Elektronendonatormolekül auf zwei verschiedene Elektronenakzeptoren, vermittelt durch ein Flavincoenzym eines bifurkierenden Enzymkomplexes. Einer der beiden Elektronenakzeptoren hat dabei ein geringeres Redoxpotenzial als der Elektronendonator, d. h. dieser Elektronenübergang ist endergon und geschieht nicht spontan. Die Gesamtreaktion wird erst dadurch möglich, dass der Elektronenübergang auf den zweiten Elektronenakzeptor entsprechend exergon ist (mit einem Elektronenakzeptor, der ein höheres Redoxpotenzial besitzt als der Elektronendonator) und somit eine gekoppelte Reaktion ermöglicht. Diese Bifurkation der Elektronen von einem Träger mit mittlerem auf solche mit höherem und geringerem Redoxpotenzial wird von löslichen Enzymkomplexen im Cytoplasma katalysiert. Das erste bekannte Beispiel betrifft die Reduktion von Crotonyl-CoA zu Butyryl-CoA im Zuge der Buttersäuregärung. Bei dieser Reduktion übernimmt ein spezieller

1

Mikrobielle Gärungen

●V

Plus 13.1 ATP-Ausbeute von Gärungen Eine Abschätzung der maximalen Menge an gebildetem ATP bei einer gegebenen Gärung erhält man, indem man die freie Energie des gesamten Stoffwechselwegs (z. B. Milchsäuregärung, –198 kJ mol–1) durch –80 kJ mol–1 teilt. In der Tabelle sind für einige Gärungen die ΔG0’-Werte und die tatsächlichen ATP-Ausbeuten gezeigt. Der Betrag von 80 kJ mol–1 entspricht etwa der Energie, die zur Synthese von einem ATP gebraucht wird. Bei besonders effektiven Gärungswegen reichen auch bereits Energiebeträge von knapp über 70 kJ mol–1 für die Synthese von 1 ATP aus (siehe Anhang). Wie unten gezeigt, liegen die Beträge der Energieinhalte einiger Substrate der Substratphosphorylierung nahe bei 50 kJ mol–1, d. h. die betreffenden Enzymreaktionen für die ATP-Synthese sind reversibel. Da Lebensprozesse durch die ständige Aufrechterhaltung eines thermodynamischen Unleichgewichts definiert sind, müssen diese Reaktionen in einen Gesamtstoffwechselweg einge-

bettet sein, der bei anderen Reaktionen so viel Energie als Wärme verliert, dass er insgesamt irreversibel vorwärts läuft. Reaktionen der Substratphosphorylierung 1. 3-Phosphoglycerat-Kinase 1,3-Bisphosphoglycerat + ADP ⇆ 3-Phosphoglycerat + ATP (ΔG0’ der 1,3-Bisphosphoglycerathydrolyse: –51,9 kJ mol–1) 2. Pyruvat-Kinase Phosphoenolpyruvat + ADP → Pyruvat + ATP (ΔG0’ der Phosphoenolpyruvathydrolyse: –66,3 kJ mol–1) 3. Acetat-Kinase Acetylphosphat + ADP ⇆ Acetat + ATP (ΔG0’ der Acetylphosphathydrolyse: –44,8 kJ mol–1)

Gärungsbilanzen, ΔG0’-Werte und ATP-Ausbeuten einiger bakterieller Gärungswege. Gärungsweg

ΔG0’ (kJ mol–1)

Mol ATP/Reaktion

Milchsäuregärung (homofermentativ) Glucose → 2 Lactat– + 2 H+

–198

2

Milchsäuregärung (heterofermentativ) Glucose → Lactat– + Ethanol + CO2 + H+ Ribose → Lactat– + Acetat– + 2 H+

–208 –210

1 2

Bifidobacterium-Gärung 2 Glucose → 2 Lactat– + 3 Acetat– + 5 H+

–509

5

alkoholische Gärung Glucose → 2 Ethanol + 2 CO2

–218

2

gemischte Säuregärung Glucose → gemischte Säuren, Ethanol, H2, CO2

–208

2,4

Buttersäuregärung Glucose → Butyrat– + H+ + 2 CO2 + 2 H2

–247

3*

Propionsäuregärung 3 Lactat– → 2 Propionat– + Acetat– + CO2 + H2O

–162

2

Crotonatvergärung 2 Crotonat– + 2 H2O → 2 Acetat– + Butyrat– + H+

–102

1*

Homoacetatgärung Glucose → 3 Acetat– + 3 H+

–311

4

Ruminococcus-Gärung (ΔG’ bei 10–5 bar Wasserstoff) Glucose → 2 Acetat– + 2 H+ + 4 H2 + 2 CO2

–312

4

* ohne zusätzliche Energiekonservierung über Elektronen-Bifurkation.

FAD-Cofaktor des Enzymkomplexes jeweils zwei Elektronen von NADH (bei E’ –0,3 V) und überträgt dann jeweils eines davon auf ein Ferredoxin (bei E’ –0,5 V) bzw. über weitere Redoxcofaktoren auf ein Crotonyl-CoA (bei E’ –0,1 V) (Einzelheiten s. Plus 13.2). Während bei einer nichtgekoppelten Reaktion zwischen NADH und Croto-

412

nyl-CoA eine Energiemenge von ca. 40 kJ mol–1 (entsprechend der Potenzialdifferenz) als Wärme verlorenginge, erlaubt die Elektronenbifurkation diese Reaktion fast ohne Energieverluste. Die Elektronenbifurkation führt zwar nicht direkt zur ATP-Synthese oder zum Aufbau eines Membranpotenzials, doch können die in den Trä-

13.2 Prinzipien der Gärung

●V

Plus 13.2 Elektronenbifurkation Die „energetische Disproportionierung“ bei der Elektronenbifurkation ist unabhängig von Membransystemen und wird durch lösliche Enzymkomplexe innerhalb des Cytoplasmas katalysiert. Bei der Gesamtreaktion geht kaum Energie als Wärme verloren und die Reaktionen mit Elektronenbifurkation sind prinzipiell reversibel. Beispiele für Elektronenbifurkation sind die Reduktion von Crotonyl-CoA zu Butyryl-CoA in der Buttersäuregärung (▶ Abb. 13.3a) oder die Heterodisulfidreduktion bei der Methanogenese (▶ Abb. 13.3b) (s. anaerobe Atmung) (S. 456), die jeweils durch große Enzymkomplexe katalysiert werden. In beiden Komplexen befindet sich jeweils ein spezieller FAD-Cofaktor, dem eine ausschlaggebende Rolle zukommt. Man nimmt an, dass dieses FAD von einem Elektronendonatormolekül (NADH bzw. H2) mit zwei Elektronen zu einem energiereichen Intermediat reduziert wird und anschließend eines der Elektronen für die endergone Reduktion von Ferredoxin nutzen kann. Das verbliebene Elektron des FAD-Cofaktors wird auf weitere Redoxcofaktoren mit passenden Potenzialen übertragen und dort „zwischengelagert“. Anschließend wiederholt sich die Reduktion des FADCofaktors, ein zweites Elektron wird auf Ferredoxin übertragen und ein weiteres „niederenergetisches“ Elektron wird abgegeben und führt zusammen mit dem vorhergehenden zur Reduktion des Substrats (Crotonyl-CoA bzw. des Heterodisulfids der Methanogenen-Coenzyme CoB und CoM). Die thermodynamische Reversibilität der Elektronenbifurkation wird besonders dadurch deutlich, dass die physiologische Funktion einiger Reaktionen in die Richtung „energetischer Symproportionierung“ läuft. Dies ist der Fall bei der Ferredoxin:NADP-Oxidoreduktase vieler Clostridien (▶ Abb. 13.3c) und der Hydrogenase der hyperthermophilen gärenden Bakteriengattung Thermotoga (▶ Abb. 13.3d). Auch in diesen Enzymkomplexen sind charakteristische FAD- bzw. FMN-Cofaktoren enthalten. Deren Funktion besteht darin, die Elektronenanlieferung von einem Donator mit relativ hohem Potenzial (NADH; endergone Reaktion) und einem Donator mit niedrigem Potenzial (Ferredoxin; exergone Reaktion) zu integrieren und die Elektronen dann paarweise an einen Akzeptor mit mittlerem Redoxpotenzial abzugeben (NADP+ bzw. Protonen). Man beachte, dass in der Zelle das Redoxpotenzial von NAD+/NADH positiver ist als das von NADP+/NADPH (S. 308), obwohl sie unter Standardbedingungen identisch sind.

a

– 0,50 V 2 NADH

4 e–

2 NAD+

– 0,28 V

2 e– FAD

2 e– – 0,01 V

b

– 0,50 V 2 H2

4 e–

4 H+

– 0,30 V

2 e– FAD

2 e– – 0,14 V

c

2 Fdred 2 Fdox

2 Fdred

Crotonyl-CoA Butyryl-CoA 2 Fdox 2 Fdred

CoMS-SCoB CoMSH + HSCoB

– 0,50 V 2 e– –

NADH

2 Fdox

FAD

2e

4 e–

2 NADP+

– 0,38 V

2 NADPH

– 0,28 V

NAD+ d

2 Fdred 2 Fdox

NADH

– 0,50 V 2 e– 2 e–

FMN

4 e–

4 H+

– 0,40 V

2 H2

– 0,28 V

NAD+

Abb. 13.3 Grundschemata bekannter elektronenbifurkierender Systeme. a Der Elektronentransfer-Flavoprotein (ETF)/Crotonyl-CoAReduktase Komplex der Buttersäuregärer. b Der Heterodisulfid-Reduktase Komplex der wasserstoffoxidierenden Methanogenen. c Die Ferredoxin:NADP-Oxidoreduktase vieler ClostridienArten. d Die bifurkierende Hydrogenase aus Thermotoga maritima. Die angegebenen Redoxpotenziale der beteiligten Substrate und Produkte berücksichtigen physiologische Bedingungen im Cytoplasma (E’ –0,28 V für NADH, aber E’ –0,38 V für NADPH, s. Anhang) und physikalische Parameter für das Wachstum der jeweiligen Organismen (E’ –0,3 V für Wasserstoff bei Methanogenen, aber E’ –0,4 V bei wasserstoffproduzierenden Gärern). Fd, Ferredoxin, CoB, CoM, Coenzyme B und M der Methanogenen.

gern mit geringem Redoxpotenzial „konservierten“ energiereichen Elektronen wieder zur Energieumwandlung in biochemisch nutzbare Energie eingesetzt werden.

3

Mikrobielle Gärungen

13.2.6 Ferredoxingetriebene Protonen- bzw. Na+-Pumpen Das neue Konzept der Energiekonservierung durch Elektronenbifurkation verlangt nach einem zusätzlichen neuen Mechanismus, mit dem die konservierte Energie in reduzierten Redoxträgern mit niedrigem Redoxpotenzial (wie Ferredoxin) in biochemisch nutzbare Energieformen umgewandelt wird. Diese Aufgabe leistet ein neuentdeckter Membranenzymkomplex, der Rnf-Komplex (Rnf von Rhodobacter N2-Fixierung; reduziert in Rhodobacter die nötigen Ferredoxine). Der Rnf-Komplex katalysiert die Elektronenübertragung von reduzierten Ferredoxinen (E’ –0,50 V) auf NAD (E’ –0,28 V) im Cytoplasma. Er nutzt die dabei freigesetzte Energie von ca. 42 kJ mol–1, um je nach Bakterienart Protonen oder Na+-Ionen nach außen zu pumpen (Stöchiometrie vermutlich 2 Na+ oder 2 H+ pro NAD), die wiederum durch ATP-Synthasen für die ATP-Bildung genutzt werden. Rnf-Komplexe sind in vielen Bakterien- und Archaeenarten zu finden, wobei sie offenbar nur bei einigen Gärern und Acetogenen für den Energiestoffwechsel essenziell sind. Aufgrund der katalysierten Reaktion und der Potenziale der beteiligten Redoxcofaktoren kann man den Rnf-Komplex als eine Art „Komplex 0“ der Atmungskette betrachten, der die Reihe der möglichen beteiligten Elektronenüberträger in Richtung niedriger Redoxpotenziale erweitert. Einen weiteren neuentdeckten Membrankomplex anaerober Mikroorganismen mit ähnlicher Funktion stellen energiekonservierende Hydrogenasen dar. Sie nutzen die Potenzialdifferenz zwischen reduziertem Ferredoxin (E’ –0,5 V, unter zellulären Bedingungen) und Wasserstoff (E’ –0,4 V), um Protonen oder Na+-Ionen über die Membran zu pumpen (s. Kap. 13.6 und 13.7).

13.2.7 Wasserstoff als Gärungsprodukt Bei vielen Gärungen wird Wasserstoff als Gärungsprodukt gebildet. Die Bildung von Wasserstoff wird von Hydrogenasen katalysiert, die Reduktionsäquivalente (Elektronen) auf Protonen des Wassers übertragen. Hydrogenasen tragen im aktiven Zentrum einen Ni-Fe- oder Fe-FeCofaktor mit zusätzlichen Cyanid- und Kohlenstoffmonoxidliganden. Durch die Freisetzung von einigen Reduktionsäquivalenten in Form von molekularem Wasserstoff können Gärer mehr Substrat oxidieren und dabei mehr energiereiche Zwischenprodukte bilden. Dies steigert die ATP-Ausbeute von Gärungen. So ist z. B. bei der Vergärung von C6-Zuckern eine zusätzliche Energiekonservierung aus Acetyl-CoA (via Acetylphosphat) möglich; dagegen muss ohne Wasserstofffreisetzung zum Ausgleich der Redoxbilanz alles gebildete Acetyl-CoA zu Ethanol reduziert werden. Die Bildung von Wasserstoff als Gärungsprodukt ist wegen des niedrigen Redoxpotenzials (E0’ = –414 mV) thermodynamisch ungünstig; insbesondere ist

414

Plus 13.3 NAD(P)H-abhängige Hydrogenasen

●V

Einige anaerobe Mikroorganismen können Wasserstoff tatsächlich auch mit NAD(P)H als Elektronendonator bilden. Diese Reaktion ist unter Standardbedingungen endergon und läuft deshalb nur unter Nichtstandardbedingungen, nämlich bei extrem niedrigen Wasserstoffkonzentrationen ab. An vielen anoxischen Standorten trifft man solche Bedingungen aber tatsächlich an (bis 10–5 bar Partialdruck), was auf die Aktivität von Wasserstoff zehrenden Mikroorganismen wie Methanogene oder Sulfat reduzierende Bakterien zurückzuführen ist. Unter diesen Bedingungen wird die Entwicklung von Wasserstoff mit NADH oder NADPH als Elektronendonatoren möglich. Man spricht von Interspecies-Wasserstoff-Transfer, da der freigesetzte Wasserstoff der Gärer sofort von den Wasserstoff zehrenden Mikroorganismen wiederverwertet wird. Diese beiden Typen von Mikroorganismen bilden eine Art von Symbiose, die als syntrophe Assoziation (S. 612) bezeichnet wird.

NADH (E0’ = –320 mV) kein guter Elektronendonator für die Wasserstoffbildung (s. aber Plus 13.3). Deshalb verwenden gärende Mikroorganismen für die Wasserstoffentwicklung in der Regel Elektronendonatoren mit ähnlich niedrigem Redoxpotenzial, z. B. Formiat oder reduziertes Ferredoxin. Diese zwei Varianten der fermentativen Wasserstoffbildung setzen jeweils bei Pyruvat an. Anstelle des typischen NAD+-abhängigen Pyruvat-Dehydrogenase-Komplexes aerober Organismen übernimmt unter anoxischen Verhältnissen jeweils ein anderes Enzym die Pyruvatumsetzung zu Acetyl-CoA. Bei den Enterobacteriaceae und einigen anderen Bakteriengruppen wird Pyruvat durch Pyruvat-Formiat-Lyase zu Ameisensäure (Formiat) und Acetyl-CoA gespalten. Das niedrige Redoxpotenzial des Formiats (E0’ = –432 mV) erlaubt die anschließende Spaltung zu Kohlendioxid und Wasserstoff durch den Formiat-Hydrogen-Lyase-Komplex. Pyruvat-Formiat-Lyase: Pyruvat + CoA-SH → Acetyl-S-CoA + Formiat (ΔG0’ = –17,5 kJ mol–1) Formiat + H+ → H2 + CO2 (ΔG0’ = + 4,9 kJ mol–1) Clostridien und einige anderen Gruppen von anaeroben Bacteria und Archaea oxidieren Pyruvat über eine Pyruvat:Ferredoxin-Oxidoreduktase. Dieses Enzym überträgt die Elektronen vom Pyruvat auf ein Ferredoxin (Fd) mit niedrigem Redoxpotenzial (E0’ < –420 mV), das ebenfalls als thermodynamisch günstiger Elektonendonator für Hydrogenasen dient.

13.3 Milchsäuregärung Pyruvat:Ferredoxin-Oxidoreduktase: Pyruvat + 2 Fdox + CoA-SH → Acetyl-S-CoA + CO2 + 2 Fdred + H+ (ΔG0’ = –12,6 kJ mol–1) 2 Fdred + 2 H+ → H2 + 2 Fdox

(ΔG0’ ≈ 0 kJ mol–1)

13.2.8 Biotechnologische Bedeutung von Gärungen Gärende Mikroorganismen werden seit Jahrtausenden von Menschen zur Veredlung und Konservierung von Nahrungsmitteln genutzt. Einige Beispiele dafür sind die Herstellung von Bier und Wein, Joghurt, Käse und anderen Milchprodukten, Brot, Sauerkraut oder Silagefutter. Die meisten klassischen Prozesse in der Lebensmitteltechnologie werden durch gärende Mikroorganismen durchgeführt. Die wichtigsten Organismen sind dabei insbesondere Hefen und Milchsäurebakterien. Allerdings werden heute auch aerobe mikrobielle Verfahren in zunehmendem Maß biotechnologisch genutzt. Unabhängig davon, wie die mikrobiellen Umsetzungen ablaufen, hat sich dafür in der industriellen Mikrobiologie der Begriff „Fermentation“ durchgesetzt, der eigentlich gleichbedeutend mit Gärung ist. Ebenso werden die Rührgefäße, in denen über mikrobielle Verfahren Produkte hergestellt werden, allgemein als Fermenter bezeichnet.

13.3 Milchsäuregärung Als Milchsäurebakterien werden Bakterien bezeichnet, die verschiedene Zucker zu Milchsäure (Lactat) als Hauptprodukt vergären. Der wichtigste Prozess für die Praxis ist die Vergärung von Milchzucker (Lactose), der zu 100–250 mM (4–8 %) in der Milch von Säugern vorkommt. Die enzymatische Spaltung dieses Disaccharids in die zwei Zuckerbestandteile D-Glucose und D-Galactose wird durch die β-Galactosidase katalysiert, die charakteristisch für lactoseverwertende Mikroorganismen ist. Lactose + H2O → D-Glucose + D-Galactose (ΔG0’ = –33 kJ mol–1) Die Galactose wird zunächst über Galactose-1-phosphat und UDP-Galactose zu den entsprechenden Glucosederivaten umgewandelt (am C 4-Atom epimerisiert). Glucose-6-phosphat wird dann zu Milchsäure vergoren.

13.3.1 Milchsäurebakterien Die Milchsäurebakterien gehören entweder zur Ordnung Lactobacillales (Firmicutes) oder zur Gattung Bifidobacterium (Actinobacteria). Die Phylogenie der wichtigsten Gattungen ist in ▶ Abb. 13.4 dargestellt. Die Lactobacillales umfassen stäbchenförmige Lactobacillus-Arten und kokkenförmige Gattungen wie Enterococcus, Streptococcus und Leuconostoc. Milchsäurebakterien sind grampositiv, bilden keine Sporen und sind meist unbeweglich. Bakterien, die Lactat nur als begleitendes Gärungsneben-

Streptococcus Lactococcus Enterococcus Carnobacterium

Firmicutes

Lactobacillus Leuconostoc Oenococcus Bifidobacterium (Actinobacteria) Abb. 13.4 Stammbaum der Lactobacillales.

produkt ausscheiden (z. B. Enterobacteriaceae), werden nicht zu den Milchsäurebakterien gezählt. Milchsäurebakterien sind obligate Gärer und auf Zucker als Substrate angewiesen (Plus 13.4). Sie enthalten in der Regel keine Hämine (damit auch keine Cytochrome) und mit wenigen Ausnahmen keine Katalasen (Hämoder Mn-Typ), aber mit Häm im Medium werden oft Peroxidasen gebildet. Die meisten Arten sind aerotolerant, d. h. sie wachsen in Gegenwart von Luftsauerstoff, können aber keine Atmung betreiben. Diese Fähigkeit zum Wachstum auf Zuckern unter oxischen Bedingungen bei gleichzeitiger Abwesenheit von Katalase ist ein gutes diagnostisches Kriterium. Milchsäurebakterien vergären Zucker rasch und säuern das Medium dabei stark an (pKa der Milchsäure = 3,7). Der entstehende geringe pH-Wert verhindert das Wachstum schädlicher Bakterien, die mit den Milchsäurebakterien um die Zucker konkurrieren könnten. Die Milchsäurebakterien werden nach ihren Gärungsprodukten in zwei Gruppen eingeteilt: Die homofermentativen vergären Glucose zu zwei Molekülen Milchsäure als einzigem Produkt, während die heterofermentativen je ein Molekül Milchsäure, Ethanol und CO2 pro Glucose produzieren. Diese althergebrachte Gruppierung spiegelt physiologische Unterschiede in der Biochemie der Gärungswege bei den beiden Gruppen wider, korreliert aber nicht mit der Phylogenie. ▶ Vorkommen der Milchsäurebakterien. Wegen ihrer hohen Nährstoffansprüche und der Energiegewinnung durch Gärung findet man Milchsäurebakterien bevorzugt an Standorten mit reichem Substratangebot bei gleichzeitigem Mangel an Sauerstoff. Sie kommen üblicherweise nicht frei im Boden oder Wasser vor. Die Wachstumsbedürfnisse von Milchsäurebakterien und ihre Kultivierungsbedingungen ergeben sich aus ihren natürlichen Standorten. Typische Standorte sind Milch und Milchprodukte mit Lactose als C-Quelle (Lactobacillus lactis, L. acidophilus, L. bulgaricus, L. helveticus, L. casei, L. fermentum, Lactococcus lactis, Streptococcus thermophilus). Die Milch der Säugetiere wird im Körper zunächst steril gebildet und erst sekundär von Bakterien besiedelt, die z. B. bei Kühen an den Drüsengängen der Euter vorkommen. Milchsäurebakterien wachsen auch in mazeriertem

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13.3 Milchsäuregärung Pyruvat:Ferredoxin-Oxidoreduktase: Pyruvat + 2 Fdox + CoA-SH → Acetyl-S-CoA + CO2 + 2 Fdred + H+ (ΔG0’ = –12,6 kJ mol–1) 2 Fdred + 2 H+ → H2 + 2 Fdox

(ΔG0’ ≈ 0 kJ mol–1)

13.2.8 Biotechnologische Bedeutung von Gärungen Gärende Mikroorganismen werden seit Jahrtausenden von Menschen zur Veredlung und Konservierung von Nahrungsmitteln genutzt. Einige Beispiele dafür sind die Herstellung von Bier und Wein, Joghurt, Käse und anderen Milchprodukten, Brot, Sauerkraut oder Silagefutter. Die meisten klassischen Prozesse in der Lebensmitteltechnologie werden durch gärende Mikroorganismen durchgeführt. Die wichtigsten Organismen sind dabei insbesondere Hefen und Milchsäurebakterien. Allerdings werden heute auch aerobe mikrobielle Verfahren in zunehmendem Maß biotechnologisch genutzt. Unabhängig davon, wie die mikrobiellen Umsetzungen ablaufen, hat sich dafür in der industriellen Mikrobiologie der Begriff „Fermentation“ durchgesetzt, der eigentlich gleichbedeutend mit Gärung ist. Ebenso werden die Rührgefäße, in denen über mikrobielle Verfahren Produkte hergestellt werden, allgemein als Fermenter bezeichnet.

13.3 Milchsäuregärung Als Milchsäurebakterien werden Bakterien bezeichnet, die verschiedene Zucker zu Milchsäure (Lactat) als Hauptprodukt vergären. Der wichtigste Prozess für die Praxis ist die Vergärung von Milchzucker (Lactose), der zu 100–250 mM (4–8 %) in der Milch von Säugern vorkommt. Die enzymatische Spaltung dieses Disaccharids in die zwei Zuckerbestandteile D-Glucose und D-Galactose wird durch die β-Galactosidase katalysiert, die charakteristisch für lactoseverwertende Mikroorganismen ist. Lactose + H2O → D-Glucose + D-Galactose (ΔG0’ = –33 kJ mol–1) Die Galactose wird zunächst über Galactose-1-phosphat und UDP-Galactose zu den entsprechenden Glucosederivaten umgewandelt (am C 4-Atom epimerisiert). Glucose-6-phosphat wird dann zu Milchsäure vergoren.

13.3.1 Milchsäurebakterien Die Milchsäurebakterien gehören entweder zur Ordnung Lactobacillales (Firmicutes) oder zur Gattung Bifidobacterium (Actinobacteria). Die Phylogenie der wichtigsten Gattungen ist in ▶ Abb. 13.4 dargestellt. Die Lactobacillales umfassen stäbchenförmige Lactobacillus-Arten und kokkenförmige Gattungen wie Enterococcus, Streptococcus und Leuconostoc. Milchsäurebakterien sind grampositiv, bilden keine Sporen und sind meist unbeweglich. Bakterien, die Lactat nur als begleitendes Gärungsneben-

Streptococcus Lactococcus Enterococcus Carnobacterium

Firmicutes

Lactobacillus Leuconostoc Oenococcus Bifidobacterium (Actinobacteria) Abb. 13.4 Stammbaum der Lactobacillales.

produkt ausscheiden (z. B. Enterobacteriaceae), werden nicht zu den Milchsäurebakterien gezählt. Milchsäurebakterien sind obligate Gärer und auf Zucker als Substrate angewiesen (Plus 13.4). Sie enthalten in der Regel keine Hämine (damit auch keine Cytochrome) und mit wenigen Ausnahmen keine Katalasen (Hämoder Mn-Typ), aber mit Häm im Medium werden oft Peroxidasen gebildet. Die meisten Arten sind aerotolerant, d. h. sie wachsen in Gegenwart von Luftsauerstoff, können aber keine Atmung betreiben. Diese Fähigkeit zum Wachstum auf Zuckern unter oxischen Bedingungen bei gleichzeitiger Abwesenheit von Katalase ist ein gutes diagnostisches Kriterium. Milchsäurebakterien vergären Zucker rasch und säuern das Medium dabei stark an (pKa der Milchsäure = 3,7). Der entstehende geringe pH-Wert verhindert das Wachstum schädlicher Bakterien, die mit den Milchsäurebakterien um die Zucker konkurrieren könnten. Die Milchsäurebakterien werden nach ihren Gärungsprodukten in zwei Gruppen eingeteilt: Die homofermentativen vergären Glucose zu zwei Molekülen Milchsäure als einzigem Produkt, während die heterofermentativen je ein Molekül Milchsäure, Ethanol und CO2 pro Glucose produzieren. Diese althergebrachte Gruppierung spiegelt physiologische Unterschiede in der Biochemie der Gärungswege bei den beiden Gruppen wider, korreliert aber nicht mit der Phylogenie. ▶ Vorkommen der Milchsäurebakterien. Wegen ihrer hohen Nährstoffansprüche und der Energiegewinnung durch Gärung findet man Milchsäurebakterien bevorzugt an Standorten mit reichem Substratangebot bei gleichzeitigem Mangel an Sauerstoff. Sie kommen üblicherweise nicht frei im Boden oder Wasser vor. Die Wachstumsbedürfnisse von Milchsäurebakterien und ihre Kultivierungsbedingungen ergeben sich aus ihren natürlichen Standorten. Typische Standorte sind Milch und Milchprodukte mit Lactose als C-Quelle (Lactobacillus lactis, L. acidophilus, L. bulgaricus, L. helveticus, L. casei, L. fermentum, Lactococcus lactis, Streptococcus thermophilus). Die Milch der Säugetiere wird im Körper zunächst steril gebildet und erst sekundär von Bakterien besiedelt, die z. B. bei Kühen an den Drüsengängen der Euter vorkommen. Milchsäurebakterien wachsen auch in mazeriertem

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Mikrobielle Gärungen

Plus 13.4 Wachstumsbedürfnisse und Kultivierung von Milchsäurebakterien Im Gegensatz zu vielen anderen freilebenden Mikroorganismen wachsen Milchsäurebakterien nicht auf reinen Mineralsalzmedien mit Glucose oder anderen Zuckern als Kohlenstoff- und Energiequelle. Die Anzuchtmedien für ihre Vermehrung müssen wegen der starken Säureproduktion gut gepuffert sein. Eine gebräuchliche Methode ist der Zusatz von aufgeschlämmtem Kalk (Calciumcarbonat) zum Nähragar („Kreideagar“): Neben seiner Pufferwirkung dient das Calciumcarbonat dabei auch als Indikator für säurebildende Bakterien; diese erkennt man an der Bildung durchsichtiger Höfe um die Kolonien infolge der Auflösung des Calciumcarbonats. Die meisten Arten benötigen zusätzlich Vitamine, einige auch Aminosäuren oder Nukleotidbasen als Supplemente. Man kultiviert sie deshalb meist auf komplexen Nährböden, denen Hefeextrakt, Molke, Fruchtsäfte oder sogar Blut zugesetzt wird. In Gegenwart von Häminen (z. B. aus dem Hämoglobin des Bluts) bilden viele Milchsäurebakterien Cytochrome und Peroxidasen, die in eingeschränktem Maß Reaktionen mit Sauerstoff erlauben. Eine de novo-Porphyrinsynthese ist jedoch von keiner Art bekannt.

Plus 13.5 Besiedlung des Menschen durch Milchsäurebakterien Milchsäurebakterien gehören auch als meist harmlose Kommensalen zur normalen Flora von Darm, Haut und Schleimhäuten von Mensch und Tier (Lactobacillus acidophilus, Bifidobacterium, Enterococcus faecalis, Streptococcus salivarius, S. bovis, S. pyogenes, S. pneumoniae). Ihre Anwesenheit auf den Schleimhäuten des Mundes oder der Geschlechtsorgane verhindert die Ansiedlung oder übermäßige Zunahme von anderen, eventuell pathogenen Mikro-

Pflanzenmaterial, z. B. Sauerkraut oder Silage (Lactobacillus plantarum, L. delbrückii, L. fermentum, L. brevis, Leuconostoc mesenteroides). Dieses Substrat ist reich an verschiedenen Zuckern (auch vielen Pentosen) und hat wegen der Zerstörung der sauren Vakuolen der Pflanzenzellen bereits einen sauren pH-Wert. Schließlich sind die Schleimhäute von Mensch und Tier von Milchsäurebakterien besiedelt (Plus 13.5).

13.3.2 Homofermentative Milchsäuregärung Bei der homofermentativen Milchsäuregärung wird aus Glucose und anderen C6-Zuckern reines Lactat (> 90 %)

416

●V

Der Supplementbedarf der Milchsäurebakterien ist vermutlich die Folge ihrer Anpassung an nährstoff- und vitaminreiche Standorte wie Milch, Darm oder Pflanzenmaterial. Milchsäurebakterien haben im Lauf der Evolution die Fähigkeit verloren, bestimmte Zellbausteine selbst zu synthetisieren. Einige Stämme setzt man sogar zur biologischen Bestimmung von Vitaminkonzentrationen ein. Viele Milchsäurebakterien haben breite Zuckerabbauspektren, verfügen also über mehrere Gensätze für die jeweiligen Transportsysteme und katabolen Enzyme. Da die meisten praxisrelevanten Arten aus Milchprodukten stammen, ist die Fähigkeit zur Vergärung von Milchzucker (Lactose) dabei besonders wichtig. Die Anreicherung von Milchsäurebakterien ist leicht, da sie sich in geeigneten Medien durch die Bildung von hohen Milchsäurekonzentrationen (bis 100 mM) und ihrer Säuretoleranz (bis pH = 3–4) rasch durchsetzen. Sie dominieren in der Regel in den primären Bakterienpopulationen nach Einsetzen von Gärungsprozessen in nährstoffreichen Habitaten. Natürliche Anreicherungen finden sich in Sauermilch und anderen Milchprodukten, Sauerteig, Sauerkraut, Silage und an vielen ähnlichen Standorten.

●V organismen. Die Ansäuerung durch Milchsäurebildung hemmt das Wachstum der meisten Pathogene. Wird dieser natürliche bakterielle „Schutzschild“ der Haut gestört, z. B. durch eine Antibiotikabehandlung, so besteht eine erhöhte Infektionsgefahr durch pathogene Mikroorganismen, die sonst in Schach gehalten werden (z. B. Soor durch die Hefe Candida albicans, Fußpilz). Die Verwertung von Lactose durch einige Arten (z. B. Enterococcus faecalis) ist als spezifische Anpassung an die Standortbedingungen des Säugerdarms zu sehen.

produziert. Glucose wird über die Glykolyse abgebaut, das entstehende NADH aus der Reaktion der Glycerinaldehyd-3-phosphat-Dehydrogenase wird durch Reduktion von Pyruvat zu Lactat reoxidiert (katalysiert von LactatDehydrogenase; ▶ Abb. 13.5). Hexosen werden unter Bildung von 2 ATP zu 2 Lactat vergoren. Je nach Stereospezifität der Lactat-Dehydrogenase(n) bzw. der Anwesenheit einer Lactat-Racemase wird entweder L(+)- oder D(–)Milchsäure oder eine Mischung von beiden Stereoisomeren (DL-Lactat) produziert. Neben Lactat werden durch homofermentative Milchsäurebakterien kleine Mengen an Acetat, Acetoin und Diacetyl (Butteraroma) gebildet.

13.3 Milchsäuregärung Glucose

2 ADP + 2 Pi 2 ATP

2 Lactat +

2 NAD

Lactat-Dehydrogenase

2 NADH 2 Pyruvat

Abb. 13.5 Homofermentative Milchsäuregärung. Pyruvat als Endprodukt der Glykolyse wird durch die Lactat-Dehydrogenase vollständig zu D- oder L-Lactat reduziert. Energieausbeute: 2 ATP/Glucose.

13.3.3 Heterofermentative Milchsäuregärung Bei den heterofermentativen Milchsäuregärern verläuft der Zuckerstoffwechsel nicht über die Glykolyse; die Schlüsselenzyme Fructose-1,6-bisphosphat-Aldolase und Triosephosphat-Isomerase fehlen. Die heterofermentative Vergärung von Glucose stellt eine Anpassung an die Verwertung von Hexosen für solche Milchsäurebakterien dar, die eher auf Pentosen als Substrate spezialisiert sind (z. B. Xylose, Ribose, Arabinose). Diese stammen aus dem Abbau der Zwischenzellwände von Pflanzen (Hemicellulosen). Die heterofermentative Milchsäuregärung wird deshalb auch in vielen ansonsten homofermentativen

Pentose

Glucose ATP

ATP

ADP

ADP Glucose-6–PP

Pentose-1–PP

Glucose-6-phosphatDehydrogenase

Ethanol

NADP+

NAD+

NADPH

NADH

6– P –Gluconat 6-PhosphogluconatDehydrogenase CO2

NADP+

NAD+

NADPH

NADH

Epimerase

O2

NAD+

NADH H2O2

HSCoA Pi H2O

Xylulose-5–PP

AlkoholDehydrogenase

Acetaldehyd

Ribulose-5–PP

Isomerase

NADH

Milchsäurebakterien (z. B. Lactobacillus plantarum oder L. casei) bei Vergärung von Pentosen induziert, wobei Glucose homofermentativ vergoren wird. Pentosen werden über Xylulose-5-phosphat vergoren. Dieses wird durch Phosphoketolase, das Schlüsselenzym der heterofermentativen Milchsäuregärung, mit Phosphat (phosphorolytisch) zu Acetylphosphat und Glycerinaldehyd-3-phosphat gespalten (▶ Abb. 13.6). Die Reaktion der Phosphoketolase erfolgt dabei über ein kovalentes Addukt an einem Thiamindiphosphatcofaktor im aktiven Zentrum (▶ Abb. 13.7). Glycerinaldehyd-3-phosphat wird wie in der Glykolyse weiter zu Pyruvat oxidiert (unter Bildung von 1 ATP), das anschließend zu Lactat reduziert wird. Acetylphosphat wird durch die Acetat-Kinase zu Acetat umgesetzt, wobei ebenfalls ATP gebildet wird. Pentosen werden also unter Bildung von 2 ATP zu 1 Lactat und 1 Acetat vergoren (▶ Abb. 13.6). Hexosen werden über die Reaktionen des Pentosephosphatwegs (S. 267) zuerst zu Ribulose-5-phosphat und CO2 oxidiert, wobei zwei NADPH gebildet werden. Ribulose-5-phosphat wird durch eine Epimerase in Xylulose-5-phosphat überführt. Dieser C5-Zucker wird dann wieder, wie bereits beschrieben, von der Phosphoketolase umgesetzt. Das gebildete Acetylphosphat muss jedoch hier über Acetyl-CoA und Acetaldehyd zu Ethanol reduziert werden, um die 2 NAD(P)H zu reoxidieren, die bei der Oxidation der Hexosen zu Pentosephosphat angefallen sind. Deshalb steht Acetylphosphat nicht für die ATPSynthese zur Verfügung und die Energieausbeute der Vergärung von Hexosen zu Milchsäure, Ethanol und CO2 be-

Abb. 13.6 Heterofermentative Milchsäuregärung. Bei der heterofermentativen Milchsäuregärung entstehen Lactat, Acetat, Ethanol und CO2. Rote Pfeile zeigen spezifische Reaktionen des Pentose-, grüne Pfeile des Hexoseabbaus. Gezeigt ist auch die Option vieler Arten zum Abbau geringer Mengen NADH durch Oxidasen und Peroxidasen. Energieausbeute: 1 ATP/Glucose, aber 2 ATP/Pentose.

Acetyl-CoAReduktase HSCoA

Pi

Acetyl–PP

Acetyl

SCoA

Acetat Phosphoketolase

ADP

ATP Lactat

NAD+

LactatDehydrogenase

+

NAD 2 H2O

NADH

Glycerinaldehyd-3–PP 2 ADP + 2 Pi

Pyruvat 2 ATP

7

Mikrobielle Gärungen

TPP H2C C HO

OH

S

O

CH HC H2C

N R

R'

CH 3

OH O

P

Glycerinaldehyd3-phosphat

H2C

OH

H2C

HC

OH

C

N R

S R'

CH 3

S H2O

R'

Dihydroxyethyl-TPP

H3C H3C OH

C

N R R'

Hydroxyvinyl-TPP

O

O

C

Acetylphosphat

N R

S

CH 3

P

Pi

TPP N R

S

CH 3 Acetyl-TPP

R'

CH 3

Abb. 13.7 Reaktion der Phosphoketolase. TPP Thiamindiphosphat (häufig auch als Thiaminpyrophosphat bezeichnet).

trägt nur 1 ATP. Einige Arten nutzen allerdings auch andere Möglichkeiten der NAD+-Regeneration und verbessern dadurch ihre Energiebilanz (Plus 13.6).

●V

Plus 13.6

Alternative NAD+-regenerierende Reaktionen

Einige Arten heterofermentativer Milchsäurebakterien oxidieren einen Teil des NADH durch Reduktion von Glucose oder Fructose zu Mannit, das als weiteres Gärungsprodukt ausgeschieden wird, oder durch Oxidation von NADH mit Sauerstoff über Peroxidasen. Diese alternativen NAD+-regenerierenden Reaktionen erlauben die Konservierung von mehr Energie (bezogen auf vergorenen Zucker), da pro zwei oxidierten NADH ein Acetylphosphat eingespart wird, mit dem durch die Acetat-KinaseReaktion ein ATP gebildet werden kann.

13.3.4 Bifidobacterium-Gärung Bifidobacterium, das nach seiner ungewöhnlichen Y-förmigen Zellform benannt ist (lat. bifidus, zweigespalten), nimmt auch phylogenetisch eine Sonderstellung unter den Milchsäurebakterien ein. Es ist nicht näher verwandt mit den anderen Milchsäurebakterien, sondern gehört zum zweiten großen Phylum grampositiver Bakterien, den Actinobakterien. Bifidobacterium bifidum ist im Gegensatz zu den sonstigen aerotoleranten Arten strikt anaerob und wächst nur mit CO2-angereichertem Medium. Bifidobacterium gehört zu den Erstbesiedlern des Darms von Säuglingen und trägt so zum Schutz vor Infektionen bei. Die Zellen besitzen weder eine FructosebisphosphatAldolase als Schlüsselenzym der Glykolyse, noch die Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase, welche die heterofermentative Milchsäuregärung einleitet. Stattdessen verläuft die Gärung dieser Bakterien über einen eigenständigen Stoffwechselweg, der Lactat und Acetat als Endprodukte liefert (Plus 13.7).

●V

Plus 13.7 Biochemie der Bifidobacterium-Gärung Das Schlüsselenzym der Bifidobacterium-Gärung ist eine Phosphoketolase, die im Gegensatz zum analogen Enzym der heterofermentativen Milchsäuregärung nicht nur Xylulose-5-phosphat, sondern auch Fructose-6-phosphat umsetzt. Aus letzterem entstehen dabei Acetylphosphat und Erythrose-4-phosphat (C4). Der C4-Zucker wird dann durch die Enzyme des Pentosephosphatzyklus, Transketolase und

Transaldolase, mit einem weiteren Molekül Fructose-6phosphat (C6) zu zwei C5-Zuckern (Xylulose-5-phosphat) umgesetzt. Xylulose-5-phosphat wird durch die Phosphoketolase zu Acetylphosphat und Glycerinaldehyd-3-phosphat gespalten, wie bei der heterofermentativen Milchsäuregärung (▶ Abb. 13.8). Insgesamt setzt Bifidobacterium 2 Glucose zu 2 Milchsäure und 3 Acetat um und bildet dabei 5 ATP.

2 Glucose

4 ADP + 2 Pi

2 ATP 2 ADP 2 Fructose-6– P (C6) Pi Phosphoketolase

H2O Acetyl– P

2 Glycerinaldehyd-3– P Transaldolase

Phosphoketolase

2 NAD+

Transketolase

C4

ATP

Abb. 13.8 Bifidobacterium-Gärung. Energieausbeute: 2,5 ATP/Glucose.

418

2 NADH

Pi

C3 2 Xylulose-5– P (C5)

C7

2 Pyruvat

H2O

ADP Acetat

4 ATP

2 Lactat

2 Acetyl– P 2 ADP 2 ATP

LactatDehydrogenase

Acetat-Kinase 2 Acetat

13.3 Milchsäuregärung

13.3.5 Praktische Bedeutung der Milchsäurebakterien Milchsäurebakterien setzen sich in der Natur als Erstbesiedler von zuckerhaltigen Substraten mit komplexen Stickstoffquellen und Supplementen unter Luftabschluss durch. Die rasche Ansäuerung durch Milchsäure (pH < 5) hemmt das Wachstum vieler anderer anaerober Bakterien und wird für die Konservierung verderblicher Lebensmittel genutzt. Zudem ist die Geschmacksveränderung durch die Gärung erwünscht. Die Art der Milchsäurebakterien, die sich jeweils durchsetzt, ist u. a. von der Ausgangsflora im Substrat und der Umgebungstemperatur (ca. 10–45 °C) abhängig. Die Milchsäuregärung wird auch zur industriellen Herstellung von enantiomerenreiner D- oder L-Milchsäure aus zuckerhaltigen Substraten (Melasse, Glucosesirup, Sulfitablauge) eingesetzt; die Wahl des Organismus bestimmt dabei das erhaltene Enantiomer.

Milchprodukte Hier spielen Milchsäurebakterien als Säure- und Geschmacksstoffbildner für eine Vielzahl von wichtigen Lebensmitteln eine entscheidende Rolle (▶ Abb. 13.9). Es ist heute gängige Praxis, sterilisierte oder teilentkeimte (pasteurisierte) Milch mit definierten Starterkulturen zu versetzen. Über verschiedene Milchprodukte gibt Plus 13.8 Auskunft.

Plus 13.8 Starterkulturen in der Milchwirtschaft

●V

Eine typische Starterkultur für Dickmilch oder Sauerrahmbutter enthält z. B. Stämme von Lactococcus lactis und Leuconostoc cremoris, die für die Säuerung und die Bildung des Butteraromas (Diacetyl) sorgen. Dickmilch, Sauerrahm oder Buttermilch werden mit Kulturen der oben genannten mesophilen Milchsäurebakterien hergestellt. Dagegen besteht die „klassische“ Joghurtkultur aus den thermophilen Arten Lactobacillus bulgaricus und Streptococcus thermophilus, die Milchzucker bei 43–45 °C bereits nach wenigen Stunden vergären. Daneben wird heute eine Vielzahl weiterer verwandter Produkte angeboten, wie verschiedene Arten von leicht bekömmlichen Joghurten und ähnlichen Sauermilcherzeugnissen, die meist mit Kulturen von Lactobacillus acidophilus, Lactobacillus casei oder Bifidobakterien gesäuert sind. Da alle diese Arten zur normalen menschlichen Darmflora gehören, schreibt man diesen Produkten eine gesundheitsfördernde, „probiotische“ Wirkung zu. Weitere Sauermilchspezialitäten sind Kefir und Koumiss, die aus Milch von verschiedenen Nutztieren durch eine gemischte Milchsäureund alkoholische Gärung hergestellt werden. Typische Kefirkulturen bestehen aus Hefen und diversen Milchsäurebakterien-Arten der Gattungen Lactobacillus, Streptococcus und Leuconostoc, Koumisskulturen enthalten normalerweise Lactobacillus bulgaricus und Torula-Hefen.

Abb. 13.9 Vergorene Milchprodukte, Butter und Frischkäsesorten. (fotolia/tycoon101)

Käse Bei der Herstellung von Quark bzw. Sauermilchkäse koaguliert infolge der Ansäuerung durch Milchsäuregärung das Milcheiweiß Casein zum festen Käsebruch (Dicklegung der Milch). Zusätzlich wird für viele Schnittund Hartkäsearten beim Start der Milchsäuregärung noch Labferment (Chymosin, Rennin) zugesetzt, das durch proteolytische Abspaltung eines hydrophilen Fragments des Caseins zur besseren Proteinausfällung beiträgt. Je nach Käsesorte wird mit mesophilen (20–30 °C) oder thermophilen Milchsäurebakterienkulturen (32–45 °C) gearbeitet. Erstere enthalten z. B. Lactococcus lactis oder Leuconostoc cremoris, letztere Streptococcus thermophilus, Lactobacillus bulgaricus oder Lactobacillus helveticus. Der Käsebruch wird mit einer Käseharfe in verschieden große Stücke geschnitten, dann wird die Masse gerührt, erhitzt und entwässert. Je nach Aufbereitungsmethode und den Mengen der dabei austretenden Molke bekommt man zunächst Frischkäse verschiedener Konsistenz (z. B. Quark oder Hüttenkäse), dann auch reife Käsesorten mit unterschiedlichem Charakter. Zur Käseherstellung wird Frischkäse in Formen gepresst, gesalzen und zur weiteren Reifung gelagert (▶ Abb. 13.10). Dabei sind je nach Sorte weitere Mikroorganismen beteiligt, z. B. Propionsäurebakterien (Schweizer Käse), Brevibacterium-Arten und Hefen („Rotschmierekulturen“, z. B. beim Limburger) oder Schimmelpilze (Camembert oder Roquefort), die für die großen Unterschiede der Käsesorten verantwortlich sind (▶ Abb. 13.11).

Weitere Lebensmittel Sauerteig wird als Triebmittel und Quellungsmittel beim Backen von Brot (besonders Roggenteig) verwendet. Die Sauerteiggärung ist entscheidend an der Ausprägung vieler Geschmacksstoffe des Brotes beteiligt. Die typische Sauerteigflora besteht aus verschiedenen Milchsäurebakterien (Lactobacillus plantarum, L. brevis, L. fermentum) zusammen mit Hefen (Gattungen Saccharomyces, Torulopsis, Candida).

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Mikrobielle Gärungen durch Vergärung des Glykogens des Fleisches gebildet. Neben Milchsäurebakterien (Lactobacillus-Arten) sind hier auch Micrococcus- und Staphylococcus-Arten und in einigen Fällen Schimmelpilze der Gattung Penicillium (weißer Belag der Außenseite) beteiligt. Fermentierte Gemüse wie Sauerkraut, Salzgurken, Oliven und vieles mehr werden durch Milchsäuregärung haltbar gemacht. Die Gärung erfolgt in der Regel durch die Bakterienflora, die bereits auf dem geernteten Pflanzenmaterial vorhanden ist. Um die Entwicklung von Milchsäurebakterien zu begünstigen, wird zum Gemüse Salz (meist 2–3 % NaCl) zugesetzt, das die Entwicklung von Fäulnisbakterien hemmt. In der Anfangsphase werden die Gärungsprozesse hierbei meist von heterofermentativen Leuconostoc-Arten dominiert, danach übernehmen säureresistentere homofermentative Arten wie Lactobacillus plantarum. Genussmittel wie Kaffee- und Kakaobohnen oder die asiatische Sojasauce werden durch komplexe Fermentationsprozesse hergestellt. Milchsäurebakterien tragen hier zur erwünschten Reifung der Produkte bei, wobei allerdings andere Bakterien und Pilze die Hauptrolle spielen.

Silage

Abb. 13.10 Käseherstellung. Käselaibe werden in Salzlake getaucht und während der Reifung in Regalen zur Konservierung immer wieder mit Salz eingerieben. (fotolia/contrastwerkstatt)

Silage ist durch natürliche Milchsäuregärung haltbar gemachtes Viehfutter. Frisches oder angewelktes Pflanzenmaterial wie Gras, Klee, Mais, Getreide oder Rübenblätter wird gehäckselt und in Silobehälter oder Foliensilos fest eingepresst, dann wird der Behälter verschlossen und die Gärung beginnt. Um Fehlgärungen zu vermeiden, z. B. übermäßige Entwicklung von Buttersäure durch Clostridien, werden oft Zusätze beigemengt, welche die Entwicklung von säuretoleranten Milchsäurebakterien begünstigen (organische oder anorganische Säuren oder leicht vergärbare Melasse). Nachdem die obligat und fakultativ aeroben Keime den Sauerstoff im Silagegut verbraucht haben, entstehen optimale Wachstumsbedingungen für die Milchsäurebakterien, obwohl diese zunächst nur einen sehr kleinen Anteil der epiphytischen (auf der Futterpflanze natürlich vorkommenden) Mikroflora ausmachen. In der Silage finden sich nebeneinander homound heterofermentative Arten der Gattungen Lactobacillus, Streptococcus und Leuconostoc.

13.3.6 Medizinische Bedeutung von Milchsäurebakterien

Abb. 13.11 Verschiedene Käsesorten. (fotolia/fotocrew)

Rohwurst in verschiedenen Sorten (z. B. Salami) wird durch Milchsäuregärung und die dadurch erzielte Ansäuerung haltbar gemacht. Die Milchsäure wird dabei

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Milchsäurebakterien sind ein wesentlicher Teil der normalen Bakterienflora von Mensch und Tier (S. 643), die für die Gesunderhaltung wichtig ist. Die Ansäuerung nach Besiedlung der Schleimhäute schützt vor Invasion durch pathogene Bakterien. Beispiele dafür sind die Besiedlung des Säuglingsdarms durch Bifidobacterium oder der Vagina der Frau durch Lactobacillus acidophilus. Einige Milchsäurebakterien, z. B. Streptococcus mutans oder

13.4 Ethanolgärung Streptococcus salivarius, besiedeln als Teil eines komplexen Biofilms die Zähne und verursachen Karies durch die Bildung von Milchsäure aus Zuckern (▶ Abb. 13.12). Auslöser ist der übermäßige Verzehr von Saccharose (Rohroder Rübenzucker). Die Kariesstreptokokken vergären jeweils nur einen der beiden Zuckerbausteine des Disaccharids Saccharose (Glucose oder Fructose); den anderen setzen sie zu polymeren Dextranen (Polyglucosen) bzw. Laevanen (Polyfructosen) um. Diese extrazellulären Polysaccharide vermitteln eine besonders gute Haftung der Zellen an den Zahnoberflächen (Plaque). Weitere Pathogene unter den Milchsäurebakterien sind die hämolytischen Vertreter der Gattung Streptococcus, z. B. Sc. pyogenes, die u. a. Rachenentzündungen und Scharlach auslösen können (▶ Abb. 13.13). Diese Arten kommen aber in der Natur wesentlich seltener vor als die verwandten nichtpathogenen Milchsäurebakterien und wur-

den durch die seit fast 100 Jahren verpflichtende Milchpasteurisierung weit zurückgedrängt.

13.4 Ethanolgärung Ethanol ist ein Gärungsprodukt vieler Mikroorganismen. Viele Hefen und einige Bakterien produzieren Ethanol sogar als einziges Endprodukt der Zuckervergärung (zusammen mit CO2). Für die Praxis sind die Stämme der Hefe Saccharomyces cerevisiae („Zuckerpilz des Bieres“) am wichtigsten. Die alkoholgärenden Hefen sind fakultativ anaerob, bestreiten also ihren Energiestoffwechsel über aerobe Atmung, solange Sauerstoff vorhanden ist, und wechseln bei Luftabschluss zur Vergärung von Zuckern. Unter den Bakterien sind nur wenige Arten als reine Alkoholgärer bekannt, die dann in der Regel strikt anaerob sind (z. B. Zymomonas mobilis). Studien zur alkoholischen Gärung haben wesentlich zum Verständnis des Stoffwechsels und der Begründung der Biochemie als Wissenschaft beigetragen (Plus 13.9).

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Plus 13.9

Ethanolgärung und Wissenschaftsgeschichte

Abb. 13.12 Krankheitsbild der Karies. Milchsäuregärung durch Zahnbelagbakterien (z. B. Streptococcus mutans; S. salivarius) führt zur Bildung von Löchern im Zahnschmelz. (aus Gängler et al., Konservierende Zahnheilkunde und Parodontologie, Thieme, 2010.)

Am Beispiel der alkoholischen Gärung wies L. Pasteur um 1860 nach, dass Hefen für die Alkoholbildung aus Zucker verantwortlich sind, und erkannte, dass Zucker bei der Gärung schneller umgesetzt wird als unter aeroben Bedingungen. Dieser Befund zeigte die Regulation des Energiestoffwechsels durch Sauerstoff als terminalem Elektronenakzeptor auf und wurde als Pasteur-Effekt zu einem mikrobiologischen Grundprinzip (Plus 13.10). 1896 beobachteten E. Buchner und M. Hahn, dass Zucker auch im zellfreien Extrakt von zerriebenen Bierhefen noch zu Alkohol und CO2 vergoren wird; dies wird heute als Geburtsstunde der Biochemie angesehen. Ebenfalls an Hefepresssaft entdeckten A. Harden und W. Young (1906), dass für die ersten Schritte der Glucosevergärung anorganisches Phosphat notwendig ist und identifizierten Fructose-1,6-bisphosphat als frühes Zwischenprodukt der Glykolyse.

13.4.1 Biochemie der Ethanolbildung Die Vergärung von Glucose zu Ethanol folgt der Gleichung: C6H12O6 → 2 CO2 + 2 C2H5OH Abb. 13.13 Krankheitsbild von Scharlach. Charakteristische „Erdbeerzunge“ als Symptom einer Infektion mit Streptococcus pyogenes. (aus Gortner et al., Duale Reihe Pädiatrie, Thieme, 2012)

(ΔG0’ = –218 kJ mol–1)

Hefen oxidieren Glucose zunächst über die Glykolyse zu 2 Pyruvat. Dabei werden pro Glucose 2 ATP gebildet und 2 NAD+ zu NADH reduziert. Ethanol wird in zwei enzymatischen Schritten aus Pyruvat gebildet: die zwei Moleküle Pyruvat werden zunächst durch die Pyruvat-De-

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13.4 Ethanolgärung Streptococcus salivarius, besiedeln als Teil eines komplexen Biofilms die Zähne und verursachen Karies durch die Bildung von Milchsäure aus Zuckern (▶ Abb. 13.12). Auslöser ist der übermäßige Verzehr von Saccharose (Rohroder Rübenzucker). Die Kariesstreptokokken vergären jeweils nur einen der beiden Zuckerbausteine des Disaccharids Saccharose (Glucose oder Fructose); den anderen setzen sie zu polymeren Dextranen (Polyglucosen) bzw. Laevanen (Polyfructosen) um. Diese extrazellulären Polysaccharide vermitteln eine besonders gute Haftung der Zellen an den Zahnoberflächen (Plaque). Weitere Pathogene unter den Milchsäurebakterien sind die hämolytischen Vertreter der Gattung Streptococcus, z. B. Sc. pyogenes, die u. a. Rachenentzündungen und Scharlach auslösen können (▶ Abb. 13.13). Diese Arten kommen aber in der Natur wesentlich seltener vor als die verwandten nichtpathogenen Milchsäurebakterien und wur-

den durch die seit fast 100 Jahren verpflichtende Milchpasteurisierung weit zurückgedrängt.

13.4 Ethanolgärung Ethanol ist ein Gärungsprodukt vieler Mikroorganismen. Viele Hefen und einige Bakterien produzieren Ethanol sogar als einziges Endprodukt der Zuckervergärung (zusammen mit CO2). Für die Praxis sind die Stämme der Hefe Saccharomyces cerevisiae („Zuckerpilz des Bieres“) am wichtigsten. Die alkoholgärenden Hefen sind fakultativ anaerob, bestreiten also ihren Energiestoffwechsel über aerobe Atmung, solange Sauerstoff vorhanden ist, und wechseln bei Luftabschluss zur Vergärung von Zuckern. Unter den Bakterien sind nur wenige Arten als reine Alkoholgärer bekannt, die dann in der Regel strikt anaerob sind (z. B. Zymomonas mobilis). Studien zur alkoholischen Gärung haben wesentlich zum Verständnis des Stoffwechsels und der Begründung der Biochemie als Wissenschaft beigetragen (Plus 13.9).

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Plus 13.9

Ethanolgärung und Wissenschaftsgeschichte

Abb. 13.12 Krankheitsbild der Karies. Milchsäuregärung durch Zahnbelagbakterien (z. B. Streptococcus mutans; S. salivarius) führt zur Bildung von Löchern im Zahnschmelz. (aus Gängler et al., Konservierende Zahnheilkunde und Parodontologie, Thieme, 2010.)

Am Beispiel der alkoholischen Gärung wies L. Pasteur um 1860 nach, dass Hefen für die Alkoholbildung aus Zucker verantwortlich sind, und erkannte, dass Zucker bei der Gärung schneller umgesetzt wird als unter aeroben Bedingungen. Dieser Befund zeigte die Regulation des Energiestoffwechsels durch Sauerstoff als terminalem Elektronenakzeptor auf und wurde als Pasteur-Effekt zu einem mikrobiologischen Grundprinzip (Plus 13.10). 1896 beobachteten E. Buchner und M. Hahn, dass Zucker auch im zellfreien Extrakt von zerriebenen Bierhefen noch zu Alkohol und CO2 vergoren wird; dies wird heute als Geburtsstunde der Biochemie angesehen. Ebenfalls an Hefepresssaft entdeckten A. Harden und W. Young (1906), dass für die ersten Schritte der Glucosevergärung anorganisches Phosphat notwendig ist und identifizierten Fructose-1,6-bisphosphat als frühes Zwischenprodukt der Glykolyse.

13.4.1 Biochemie der Ethanolbildung Die Vergärung von Glucose zu Ethanol folgt der Gleichung: C6H12O6 → 2 CO2 + 2 C2H5OH Abb. 13.13 Krankheitsbild von Scharlach. Charakteristische „Erdbeerzunge“ als Symptom einer Infektion mit Streptococcus pyogenes. (aus Gortner et al., Duale Reihe Pädiatrie, Thieme, 2012)

(ΔG0’ = –218 kJ mol–1)

Hefen oxidieren Glucose zunächst über die Glykolyse zu 2 Pyruvat. Dabei werden pro Glucose 2 ATP gebildet und 2 NAD+ zu NADH reduziert. Ethanol wird in zwei enzymatischen Schritten aus Pyruvat gebildet: die zwei Moleküle Pyruvat werden zunächst durch die Pyruvat-De-

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Mikrobielle Gärungen fermentativen Milchsäuregärung (S. 417) von Hexosen entsteht Alkohol wiederum über einen anderen Weg. Auf einige praktische und geschichtliche Aspekte der Alkoholgärung wird gesondert eingegangen (Plus 13.10).

Glucose

2 ADP +2 Pi 2 ATP 2 Ethanol +

2 NAD

2 NADH

2 Pyruvat

PyruvatDecarboxylase

AlkoholDehydrogenase

2 Acetaldehyd

2 CO2 Abb. 13.14 Alkoholische Gärung bei Saccharomyces cerevisiae. Bei der alkoholischen Gärung entsteht Ethanol als Endprodukt. Glucose wird über die Glykolyse und anschließend durch die beiden Enzyme Pyruvat-Decarboxylase und AlkoholDehydrogenase zu je 2 Molekülen Ethanol und CO2 umgesetzt. Energieausbeute: 2 ATP/Glucose.

carboxylase zu Acetaldehyd decarboxyliert. Das katalytische Zentrum dieses Enzyms ist ein Thiamindiphosphatcofaktor. Die zwei Moleküle Acetaldehyd werden dann durch die Alkohol-Dehydrogenase zu zwei Molekülen Ethanol reduziert. Dabei werden die zwei gebildeten NADH aus der Glykolyse reoxidiert und die Redoxbilanz ist ausgeglichen (▶ Abb. 13.14). Bakterien, die Ethanol als Gärungsprodukt bilden, benutzen meist andere Stoffwechselwege. Ein bekanntes anaerobes Bakterium, das wie die Hefen Zucker komplett zu CO2 und Ethanol vergärt, ist Zymomonas mobilis. Dieses polar begeißelte stäbchenförmige Bakterium wurde in Mexiko aus Pulque (vergorener Agavensaft, Grundlage von Tequila) isoliert und gehört zu den Alphaproteobakterien. Die alkoholische Gärung durch Zymomonas unterscheidet sich von der Hefegärung dadurch, dass die Glykolyse bis zum Pyruvat über den KDPG-Weg (S. 269) abläuft. Die Folgeschritte über die Pyruvat-Decarboxylase und die Alkohol-Dehydrogenase sind identisch zur Hefegärung. Da bis zum Zwischenprodukt 2-Keto-3-desoxy-6phosphogluconat (KDPG) netto kein ATP gebildet wird, erzielt Zymomonas durch die alkoholische Gärung nur eine Ausbeute von 1 ATP pro Glucose. Dieser Nachteil gegenüber den Hefen wird durch einen schnelleren Zuckerumsatz und Resistenz gegen hohe Alkoholkonzentrationen ausgeglichen. Zymomonas produziert wegen des geringeren ATP-Ertrags weniger Zellmasse und mehr Ethanol aus der verbrauchten Glucose, was beim technischen Einsatz erwünscht ist. Ethanol ist auch ein typisches Nebenprodukt der Gärung bei Enterobakterien und Clostridien. In diesen Fällen läuft der Abbau der Glucose über die Glykolyse. Das gebildete Pyruvat wird aber nicht direkt zu Acetaldehyd decarboxyliert, sondern zu Acetyl-CoA und CO2 oxidiert. Acetyl-CoA wird dann mit 2 NADH über Acetaldehyd zu Ethanol reduziert. Bei der bereits beschriebenen hetero-

422

13.4.2 Praktische Bedeutung der alkoholischen Gärung Der Mensch benutzt Hefen seit Jahrtausenden in der Lebensmittelherstellung. Aus der langen praktischen Erfahrung ergab sich die Selektion vieler verschiedener Hefestämme für unterschiedliche Produkte, die jeweils optimal die erwünschten Eigenschaften zur Geltung bringen. Die meisten heute verwendeten Reinzuchthefen gehören zur Gattung Saccharomyces. Die besonderen geschmacksbildenden Eigenschaften der Hefen beruhen auf der Produktion von kleinen Mengen an Nebenprodukten, die z. B. bei der Umsetzung von Aminosäuren entstehen. Typischerweise sind im vergorenen Produkt deshalb neben Ethanol auch sogenannte Fuselalkohole wie Propanol, Isobutanol, 2-Butanol, Amylalkohol oder Isoamylalkohol enthalten, die in niedriger Konzentration als Geschmacksträger wirken.

Wein Früher bereitete man Wein durch spontane Vergärung des Mosts durch Wildhefen, die sich schon im Weinberg auf den Trauben ansiedeln. Heute werden in der Regel Reinzuchthefen verwendet. Der Charakter eines Weins wird in erster Linie von der Rebensorte bestimmt (z. B. Riesling), aber auch vom Standort des Weinbergs und den klimatischen Faktoren der Saison; er wird aber auch durch die Art der Vergärung und Lagerung nachhaltig beeinflusst (▶ Abb. 13.16). Weißweintrauben werden vor der Gärung gepresst, während Rotweintrauben direkt vergoren (Maischegärung) und erst danach gepresst werden. Alkohol wirkt dabei als Lösungsmittel der Farb-, Duft- und Gerbstoffe aus der Beerenhaut. Am Ende der Gärung wird Schweflige Säure (bzw. SO2, das mit Wasser zu Schwefliger Säure reagiert) zugegeben. Sie sorgt für reduzierende Bedingungen (sie wird zu Schwefelsäure oxidiert), entfernt Restmengen von Acetaldehyd und verhindert die Oxidation von Geschmacksstoffen und die Ansiedlung von aeroben Essigsäurebakterien. Durch biologischen Säureabbau wird Rotwein oft geschmacklich abgerundet; dieser Prozess erfordert eine erhöhte Temperatur, wie sie früher erst bei Sommerbeginn im Keller erreicht wurde. Dabei wird durch Arten des Milchsäurebakteriums Oenococcus die in großen Mengen „unreif“ schmeckende Äpfelsäure (eine zweiwertige Säure) zu Milchsäure (eine schwächere einwertige Säure) decarboxyliert. Dieser Prozess ist an die Bildung eines Protonengradienten über der Membran gekoppelt, der zur ATP-Synthese genutzt wird. Durch die mit dem biologischen Säureabbau verbundene CO2-Bildung scheint der Wein „nachzugären“.

13.4 Ethanolgärung

Plus 13.10 Analyse der Gärungswege und Eingriffe in den Gärungsverlauf Die eingeschlagenen Stoffwechselwege der alkoholischen Gärung können experimentell überprüft werden, indem asymmetrisch markierte Glucose (z. B. 13C 1-Glucose) vergoren und die Verteilung der markierten C-Atome in den Produkten analysiert wird. Die erwarteten Ergebnisse aus der Hefegärung, der Zymomonas-Gärung und der heterofermentativen Milchsäuregärung sind in ▶ Abb. 13.15 dargestellt. 1 1

CHO

2

HC OH

CH3

2 H2C 3

3

OH

CO2

1

CO2

2 H2C 3

OH

CH3

1 2

CO2 CH3

3

H2C OH

HO CH 5

HC OH 6

H2C OH

4

CO2

5 H2C 6

OH

CH3 Hefe

4

CO2

5 H2C 6

OH

CH3 Zymomonas

4

stellung von Glycerin angewandt, bis er von billigeren petrochemischen Verfahren abgelöst wurde. Die Gesamtreaktion erfolgt nach folgender Gleichung: C6H12O6 + HSO3– → HOH2C–CHOH–CH2OH + CO2 + H3C–CHOH–SO3– Der Gärverlauf der Hefen verschiebt sich auch bei Zusatz alkalischer Salze zum Gäransatz (z. B. NaHCO3 oder Na2HPO4). Unter diesen Bedingungen kommt es zur teilweisen Dismutation des Acetaldehyds zu Acetat und Ethanol. Da Acetat unter den gegebenen Bedingungen nicht reduziert werden kann, wird auch hier die Gärungsbilanz durch Bildung von Glycerin ausgeglichen. Die Gärungsbilanz dieser 3. Neuberg’schen Vergärungsform ist: 2 C6H12O6 + H2O → 2 HOH2C–CHOH–CH2OH + 2CO2 + H3C–COOH + H3C–CH2OH

4

HC OH

●V

COO–

5

HC OH 6

CH3 Leuconostoc

Abb. 13.15 Herkunft der C-Atome von Produkten der Glucosevergärung durch verschiedene Organismen.

Für viele Anwendungen sind gezielte Eingriffe in den Gärverlauf notwendig. Ein wichtiges Verfahren bei der Weinherstellung ist das Schwefeln, d. h. der Zusatz von Hydrogensulfit (schweflige Säure, HSO3–) zum Gäransatz. Die Kenntnis der mit dem Schwefeln verbundenen Reaktionen geht auf die Untersuchungen von C. Neuberg zurück, der durch Abfangen des Acetaldehyds mit schwefliger Säure den Weg der Ethanolbildung aus Pyruvat nachwies. Hydrogensulfit, das auf Hefen weit weniger toxisch wirkt als auf viele andere Mikroorganismen, reagiert mit Acetaldehyd spontan und reversibel zu einer Additionsverbindung (Hydroxysulfonsäure), die nicht weiter umgesetzt wird. H3C–CHO + HSO3– → H3C–CHOH–SO3– Das Abfangen des reaktiven Acetaldehyds verhindert unerwünschte Nebenreaktionen, die den Geschmack des Weins beeinträchtigen. Der Wein wird so stabilisiert und für längere Zeit lagerungsfähig. Neuberg’sche Vergärungsformen Da die Hefen in Gegenwart von Hydrogensulfit kein Acetaldehyd mehr als Elektronenakzeptor für NADH verwenden können, reduzieren sie stattdessen das Dihydroxyacetonphosphat der Glykolyse zu Glycerinphosphat und scheiden letztlich Glycerin als Gärungsprodukt aus. Die Bilanz der Hefegärung verschiebt sich damit von der normalen alkoholischen Gärung (1. Neuberg’sche Vergärungsform) zu einer Glyceringärung (2. Neuberg’sche Vergärungsform). Dieser Prozess wurde zur technischen Her-

Bei beiden alternativen Formen der Hefegärung wird nur 1 ATP pro Glucose gebildet, da in der Glykolyse das Dihydroxyacetonphosphat verlorengeht, das normalerweise über Glycerinaldehyd-3-phosphat zum 1,3-Bisphosphoglycerat oxidiert wird. Pasteur-Effekt Da bei der alkoholischen Gärung pro umgesetzter Glucose nur 2 ATP, bei der Atmung aber eine bis zu 20-fache Menge ATP (S. 282) gebildet werden, ist es verständlich, dass Mikroorganismen die Aktivitäten ihrer katabolen Enzyme strikt dem Bedarf anpassen. Pasteur entdeckte, dass Hefen unter anoxischen Bedingungen Zucker wesentlich schneller umsetzen als in aeroben Kulturen, obwohl die Wachstumsraten ähnlich waren. Diese Unterdrückung des Gärungsstoffwechsels durch Belüftung, die darüber hinaus allgemein bei fakultativ anaeroben Mikroorganismen und sogar bei Zellen von Tieren und Pflanzen vorkommt, ist als Pasteur-Effekt bekannt. Wenn die Elektronentransportphosphorylierung gehemmt wird (durch Entkoppler oder in Mutanten), werden auch unter aeroben Wachstumsbedingungen ähnlich hohe Zuckerumsatzraten wie bei der Gärung beobachtet. Die Erklärung des Pasteur-Effekts auf molekularer Ebene ist einleuchtend. Das wichtigste Zielenzym der Glykolyse, die Phosphofructokinase, wird durch hohe ATP-Konzentrationen allosterisch gehemmt, während hohe AMP-Konzentrationen das Enzym aktivieren. Außerdem wird auch die Pyruvat-Kinase durch hohe ATP-Konzentrationen gehemmt. Eine hohe ATP-Regenerationsrate über Elektronentransportphosphorylierung führt somit in direkter Rückkopplung zur Reduktion des Substratflusses durch die Glykolyse (die Phosphofructokinase wird gehemmt), während die Akkumulation von AMP als „Hungersignal“ die Glykolyse beschleunigt.

3

Mikrobielle Gärungen

Abb. 13.16 Weinherstellung. Fasskeller einer Winzerei. (fotolia/ RobertoC)

Sekt Sekt wird aus sorgfältig gemischten Weinen („Bukets“) hergestellt, die nach Zusatz von Zucker und besonders alkoholtoleranten Sekthefen ein zweites Mal vergoren werden, wobei die entstehende Kohlensäure in drucksicheren Sektflaschen zurückgehalten wird (Champagner-Verfahren). Die Hefezellen werden schließlich entfernt und der kleine Volumenverlust wird meist durch Zusatz einer Dosage aus Süßweinen oder Likören ausgeglichen, die den Geschmack abrundet.

Bier Als Ausgangsstoffe für Bier dienen Gerste, Hopfen und Wasser. Die verwendeten Braugersten enthalten bei viel Stärke nur wenig Eiweiß. Da Hefen keine Amylasen produzieren und deshalb Stärke nicht direkt vergären, muss diese zunächst zu Zuckern umgesetzt werden. Dazu lässt man die Gerstenkörner unter kontrollierten Bedingungen quellen und keimen, um die Synthese gersteneigener Amylase zu induzieren. Das entstandene Grünmalz wird zum Stoppen der Keimung getrocknet (gedarrt). Dabei entstehen Farb- und Aromastoffe des späteren Bieres; durch Variation der Temperatur und Dauer der Darre wird z. B. Malz für helle oder dunkle Biere erhalten. Das Malz wird geschrotet, mit Wasser zur Maische aufgeschlämmt und bei Temperaturen von 40–60 °C gerührt, bis die Gerstenamylase die Stärke zu Maltose umgesetzt hat. Nach Abfiltern (Läutern) der unlöslichen Bestandteile, des Trebers, erhält man die zuckerhaltige Würze. Diese wird dann zusammen mit dem Hopfen gekocht, um die Bitterstoffe des Hopfens zu extrahieren und die Amylase zu inaktivieren. Nachdem die Würze wieder abgekühlt wurde, wird sie mit zugesetzter Hefe vergoren und zur weiteren Reifung einige Wochen bei tiefen Temperaturen gelagert. Man unterscheidet je nach Biertyp zwischen untergärigen (z. B. Lager, Pilsener Biere) und obergärigen Hefen (z. B. Weißbier, Ale, Porter), deren Zellen sich am Ende der Gärung entweder am Boden absetzen oder mit den Kohlensäurebläschen nach oben steigen. Nach der

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Abb. 13.17 Traditionelle Kupferbraukessel zum Bierbrauen. (fotolia/Alexander Maxomov)

Reifung und Lagerung wird die Hefe abfiltriert und das Bier abgefüllt (▶ Abb. 13.17).

Backhefe Brot und Hefeteig werden unter Zusatz von Backhefe (Saccharomyces cerevisae) hergestellt. Die Hefen vergären dabei Maltose, die durch α-Amylase aus der Stärke des Teigs freigesetzt wird, oder zum Teig zugesetzten Zucker. Das freigesetzte CO2 lockert dabei den Teig auf (Aufgehen des Hefeteigs); als Nebenprodukt entsteht immer auch Ethanol. Die Backhefe wird industriell im großen Maßstab in aeroben Kulturen hergestellt. Damit werden große Zellmengen erhalten, in denen die Enzyme des Gärungsstoffwechsels noch immer in ausreichender Menge vorhanden sind. Als Substrat dient meist Melasse, die kontinuierlich in wachstumslimitierender Menge zugefüttert wird. Damit wird sichergestellt, dass der gesamte Zucker in Biomasse umgesetzt wird und keine Gärungsprodukte akkumulieren. Ammoniak dient gleichzeitig als Stickstoffquelle und zur pH-Regulation.

Ethanol Die technische Ethanolherstellung wird zurzeit im großen Umfang für die Herstellung von Biobrennstoffen erforscht. Typische Ausgangssubstrate sind Melasse, Kartoffel- oder Maisstärke, Sulfitablaugen der Papierfabriken oder hydrolysierte Holzabfälle. Polymere Kohlenhydrate, vor allem Cellulose, müssen allerdings zunächst chemisch oder enzymatisch in vergärbare Zucker gespalten werden. Ziel ist, durch geeignete Verfahrensführung möglichst hohe Ausbeuten bei wenigen Nebenprodukten (insbesondere Fuselalkohole und Methanol) zu erhalten. Der Alkohol wird durch Destillation aus dem Gäransatz gewonnen, die zurückbleibende Schlempe wird als Viehfutter verwendet.

13.5 Gemischte Säuregärung

13.5 Gemischte Säuregärung Die gemischte Säuregärung ist typisch für die Familie der Enterobacteriaceae, darunter auch viele Krankheitserreger. Ein charakteristisches Gärungsprodukt ist Ameisensäure (Formiat), hauptsächlich werden aber andere Säuren (Essigsäure, Bernsteinsäure, Milchsäure), Alkohole (Ethanol, Butandiol) und Gase (H2, CO2) gebildet. Die Enterobacteriaceae sind fakultativ anaerobe, meist peritrich begeißelte, gramnegative Stäbchen. Sie enthalten Katalase und Cytochrome, allerdings keine Cytochrom-c-Oxidase in ihrer Atmungskette. Die Tests auf negative Cytochrom-c-Oxidase (Oxidase-Test) und auf Vergärung von Glucose zu Säuren dienen als wichtige diagnostische Merkmale zur klinischen Differenzierung der Entero-

Methode 13.1 Differenzialdiagnostik von coliformen Bakterien Die Differenzierung von E. coli und coliformen Keimen von anderen Umweltisolaten beruht vor allem auf ihrer Fähigkeit zur Lactosevergärung. Die Verwertung der Lactose beginnt mit der Spaltung des Disaccharids durch die β-Galactosidase, die vielen normalen Boden- und Wasserbakterien fehlt. Eine Lactosevergärung wird z. B. nachgewiesen durch Bebrüten einer Probe in einer Lactose-Pepton-Nährlösung mit Gärröhrchen zum Auffangen von gebildetem Gas. In der Regel wird auch ein pH-Indikator zum Medium zugesetzt, sodass die Produktion von sauren Gärungsprodukten sichtbar wird. Beimpft man solche Röhrchen mit Escherichia coli oder dem lactosevergärenden Umweltkeim Enterobacter aerogenes, so ist zunächst bei beiden Gasbildung zu erkennen. Allerdings bildet E. coli Wasserstoff und Kohlendioxid in etwa gleichen Mengen, während E. aerogenes bei wesentlich größerer Gasentwicklung fast nur Kohlendioxid produziert. Weitere einfache Verfahren zur Differenzierung von Coliformen von anderen lactosevergärenden Umweltkeimen sind Ausstriche von Kulturen auf speziellen Nachweisagarmedien, z. B. Eosin-MethylenblauAgar (Lactose-Pepton-Eosin-Methylenblau) oder Endoagar

bacteriaceae von anderen gramnegativen Bakterien. Unterschiede des Gärungsstoffwechsels der einzelnen Gattungen und Arten werden in der Praxis für die schnelle weitere Identifizierung ausgenutzt. Als coliforme Enterobakterien werden neben E. coli einige Boden- oder Wasserbakterien zusammengefasst, die Lactose zu Säuren vergären. Zu dieser Gruppe gehören z. B. der eher harmlose Enterobacter aerogenes, der sehr ähnliche Stoffwechseleigenschaften wie E. coli aufweist, oder opportunistisch pathogene Arten wie Klebsiella pneumoniae (Lungenentzündung). Die Gattungen Shigella und Salmonella stehen phylogenetisch nahe bei E. coli, werden aber wegen fehlender Lactoseverwertung nicht zu den Coliformen gerechnet. (Methode 13.1).

d ● (Lactose-Pepton-Fuchsin-Sulfit). Wegen der starken Produktion von Säuren bzw. Acetaldehyd zeigen Kolonien von E. coli auf beiden Nachweismedien eine dunkelrote Färbung mit metallischem Glanz auf ihrer Oberfläche, der durch Lichtreflexion an ausgefallenen Farbstoffmolekülen hervorgerufen wird (Aldehyde entziehen dem Sulfitaddukt des Fuchsins das Sulfit, der Farbstoff fällt aus); die weniger Säure produzierenden Enterobacter-Arten bilden dagegen jeweils hellrote Kolonien ohne metallischen Glanz. Eine weitergehende Differenzierung der Enterobacteriaceae wird durch die Analyse von physiologischen Parametern und vergärbaren Zuckern („Bunte Reihe“) erreicht (▶ Abb. 13.18); verschiedene Testkombinationen für routinemäßige Analysen werden von mehreren Firmen angeboten. Einige wichtige Tests aus diesen Reihen sind bekannt unter dem Kürzel IMViC. Es steht für die Bildung von Indol aus Tryptophan, die Produktion von großen Mengen Säure aus Glucose, die mit dem Indikator Methylrot nachgewiesen wird (pKa = 5,1), die Bildung von Acetoin aus Glucose (Voges-Proskauer-Test) und die Verwertung von Citrat als einziger C-Quelle.

Abb. 13.18 Bunte Reihe zur Identifizierung von Enterobacteriaceae. Die Säurebildung aus den jeweils vorgelegten Substraten wird durch Umschlagen eines pH-Indikators nachgewiesen.

5

Mikrobielle Gärungen im Gärungsstoffwechsel durch Reduktion eines energiereichen Zwischenprodukts wieder oxidiert werden müsste. Deshalb kann bei der gemischten Säuregärung mehr ATP pro Glucose gebildet werden als bei einfacheren Gärungsformen. Das produzierte Formiat wird zunächst als Ameisensäure ins Medium ausgeschieden. Solange eine anaerobe Atmung betrieben werden kann, wird es als Elektronendonator für die Elektronentransportphosphorylierung genutzt. Das Formiat wird dabei durch respiratorische Formiat-Dehydrogenasen oxidiert, welche die Reduktionsäquivalente in den Chinonpool der Membran einspeisen. Erst wenn alle möglichen Elektronenakzeptoren verbraucht sind und der pH-Wert des Mediums durch die ausgeschiedene Ameisensäure absinkt, wird die Synthese der Formiat-Hydrogen-Lyase induziert. Dieses komplexe Enzym enthält ein Formiat-Dehydrogenaseund ein Hydrogenasemodul und katalysiert die Spaltung von Formiat zu Wasserstoff und Kohlendioxid, die beide als gasförmige Gärungsprodukte abgegeben werden. Dies wirkt der fortschreitenden Ansäuerung des Mediums entgegen und erlaubt weiteres Wachstum der Zellen, bis der pH-Wert durch die Bildung anderer Säuren weiter absinkt.

13.5.1 Biochemie der gemischten Säuregärung Bei der Gärung der fakultativ anaeroben Enterobacteriaceae, einiger verwandter Familien der Gammaproteobakterien und der fakultativ anaeroben Bacillus-Arten wird ein Gemisch von verschiedenen Gärungsprodukten gebildet, darunter viele organische Säuren. Typischerweise findet man Ameisensäure, Essigsäure, Bernsteinsäure, Milchsäure, Ethanol, Glycerin, Kohlendioxid und Wasserstoff in variablen Mengenverhältnissen (▶ Abb. 13.19). Hexosen werden überwiegend über die Glykolyse, zum kleinen Teil aber auch über den Pentosephosphatweg abgebaut, während die Anzucht auf Gluconsäure bei Escherichia coli die Synthese der Enzyme des KDPG-Wegs induziert. Das Schlüsselenzym der gemischten Säuregärung ist die Pyruvat-Formiat-Lyase, welche die Spaltung von Pyruvat zu Acetyl-CoA und Formiat katalysiert (▶ Abb. 13.19). Das Enzym enthält ein für die Katalyse essenzielles Glycylradikal im aktiven Zentrum und wird durch Sauerstoff irreversibel inaktiviert. Das Glycylradikal wird unter anoxischen Bedingungen durch ein aktivierendes Enzym gebildet, das für diese Reaktion reduziertes Flavodoxin und S-Adenosylmethionin benötigt. Die Pyruvat-Formiat-Lyase ersetzt bei der Gärung, aber auch bei anaeroben Atmungswegen die Pyruvat-Dehydrogenase. Dadurch entsteht beim Pyruvatabbau kein NADH, das

Glucose

NADH

CO2 PEP

Oxalacetat PEPCarboxylase

2 ADP + 2 Pi 2 ATP

Gemischte Säuregärung Da es bei der gemischten Säuregärung viele alternative Möglichkeiten gibt, die Redoxbilanz auszugleichen, ist die

NAD+

NADH Malat

MDH

Fumarase

Fumarat

Ethanol 2 NAD+ AdhE

2 NADH

2 CO2 + 2 H2

NAD+

FumaratReduktase

Succinat ΔH+ ATP

Formiat-Hydrogen-Lyase Pyruvat-Formiat-Lyase 2 Pyruvat NADH NAD+

LDH

2 Acetyl-CoA + HS-CoA

Pi

2 Formiat

Phosphotransacetylase HS-CoA Acetyl- P

Lactat ADP ATP

Acetat-Kinase

Acetat Abb. 13.19 Gemischte Säuregärung (z. B. Escherichia coli). Acetyl-CoA wird von der bifunktionellen Acetyl-CoA-Reduktase/AlkoholDehydrogenase (AdhE) in zwei Schritten zu Ethanol reduziert. Die Bildung von Succinat läuft über den reduktiven Ast des Citratzyklus und erfordert die Carboxylierung von PEP. Bei der Fumaratreduktion wird 1 ATP-Äquivalent an Energie konserviert (s. Fumaratatmung). Saure Gärprodukte sind grau unterlegt. Wegen der Vielzahl an möglichen Verzweigungen kommt der Gärungsweg mit vielen möglichen Produktstöchiometrien ins Redoxgleichgewicht (s. Text). Energieausbeute: ca. 2,5 ATP/Glucose. LDH, Lactat-Dehydrogenase; MDH, Malat-Dehydrogenase; AdhE, bifunktionelle Aldehyd- und Alkohol-Dehydrogenase.

426

13.5 Gemischte Säuregärung

●V

Plus 13.11 Tatsächliche Gärungsbilanz der gemischten Säuregärung In der Tabelle sind typische reale Gärungsbilanzen der Vergärung von Glucose durch Escherichia coli und Enterobacter aerogenes gezeigt. Für E. coli berechnet sich bei der gezeigten Produktstöchiometrie eine Energiedifferenz von

ΔG0’ = –208 kJ mol–1. Wenn man als ATP-Ausbeute aus der Glykolyse 2 mol ATP und aus der Acetat-Kinase-Reaktion weitere 0,44 mol (Acetatmenge) ansetzt, kommt man damit auf 2,44 ATP pro Glucose und auf etwa 85 kJ mol–1 aufgewendete Energie für die Synthese eines ATP.

Bilanzen der produzierten Gärungsprodukte pro mol vergorener Glucose bei Escherichia coli und Enterobacter aerogenes (aus K. V. Thimann; The life of bacteria, Macmillan, New York 1955). Die geringen Abweichungen vom erwarteten Wert (6 mol Kohlenstoff aus 1 mol Glucose) sind durch Mess- und Rundungsfehler zu erklären. Gärungsprodukte

E. coli

E. aerogenes mol Kohlenstoff

mol Kohlenstoff

Essigsäure

H3C–COOH

0,44 mol

0,88

0,01 mol

0,02

Milchsäure

H3C–CO–COOH

0,84 mol

2,52

0,03 mol

0,09

Ameisensäure

HCOOH

0,02 mol

0,02

0,18 mol

0,18

Bernsteinsäure

HOOC–(CH2)2–COOH

0,29 mol

1,16

0 mol



Kohlendioxid

CO2

0,44 mol

0,44

1,72 mol

1,72

Wasserstoff

H2

0,43 mol



0,36 mol



Ethanol

H3C–CH2OH

0,42 mol

0,84

0,70 mol

1,40

2,3-Butandiol

H3C–(CHOH)2–CH3

0 mol



0,66 mol

2,64

Summe der Kohlenstoffe

konkrete Zusammensetzung der Gärungsprodukte stark von der gegebenen Bakterienart und den Umweltbedingungen abhängig (Plus 13.11). Die wichtigsten reduktiven Teilreaktionen der gemischten Säuregärung, deren relativer Anteil an der Gesamtgärungsbilanz stark variiert, sind: ● Lactat wird wie bei der Milchsäuregärung durch Reduktion von Pyruvat durch die Lactat-Dehydrogenase gebildet. ● Ethanol wird über einen anderen Weg gebildet als bei Hefen: Acetyl-CoA aus der Pyruvat-Formiat-Lyase-Reaktion wird durch eine bifunktionelle Aldehyd- und Alkohol-Dehydrogenase (AdhE) in zwei Schritten über Acetaldehyd zu Ethanol reduziert. ● Die Bildung von Succinat geht vom Glykolysezwischenprodukt Phosphoenolpyruvat (PEP) aus. Dieses wird zunächst durch die PEP-Carboxylase zu Oxalacetat carboxyliert, das durch den reduktiven Ast des Citratzyklus über Malat zu Fumarat umgewandelt wird. Dieses wird schließlich wie bei der Fumaratatmung durch die membranständige Fumarat-Reduktase zu Succinat reduziert (▶ Abb. 13.19). Bei der Fumaratreduktion (S. 447) wird über Elektronentransportphosphorylierung etwa 1 ATP gebildet. Im Unterschied zur Fumaratatmung wird hier aber keine zusätzliche Energie konserviert, denn das Fumarat stammt von Phosphoenolpyruvat, aus dem ansonsten ATP gebildet wird. Pro gebildetem Succinat werden jedoch wie bei

5,86 mol

6,05 mol

der Bildung von Ethanol beide NADH reoxidiert, die während der Glykolyse aus Glucose entstehen. Deshalb kann pro gebildetem Ethanol oder Succinat ein Acetyl-CoA für die Energiekonservierung verwendet werden. Dabei wird zunächst von der Phosphotransacetylase Acetylphosphat gebildet; dessen Phosphorylgruppe wird dann von der Acetat-Kinase auf ADP übertragen, sodass Acetat als weiteres Gärungsprodukt entsteht. Pro vergorener Glucose wird auf diese Weise maximal ein zusätzliches ATP gebildet.

Butandiolgärung bei Enterobacter Organische Säuren treten bei einigen Enterobacteriaceae als Gärungsprodukte gegenüber der Bildung von Acetoin und 2,3-Butandiol in den Hintergrund (s. auch Plus 13.12). Diese Gärungsprodukte werden durch Arten von Enterobacter, Serratia, Aeromonas, Bacillus und weiteren Gattungen ausgehend von je 2 Molekülen Pyruvat gebildet. Dabei wird zunächst 2-Acetolactat durch das Thiamindiphosphat-(TPP)-Enzym 2-Acetolactat-Synthase wie folgt gebildet: Das erste Pyruvat bindet kovalent an den TPP-Cofaktor und wird zu einer gebundenen Hydroxyethylgruppe („aktivierter Acetaldehyd“) decarboxyliert, die mit einem zweiten Pyruvat zu 2-Acetolactat reagiert. Ein zweites Enzym, die 2-Acetolactat-Decarboxylase, spaltet dann ein weiteres CO2 ab und setzt Acetoin als Produkt frei. Schließlich wird Acetoin durch die Butandiol-Dehydrogenase mit NADH zu 2,3-Butandiol redu-

7

Mikrobielle Gärungen

O 1 OH H3C C COO– [MgTPP] H C C COO– 3 H3C C COO– O

CO2

2 Pyruvat

H3C C

OH 2

H3C CH

CO2

O

OH 3

2-Acetolactat

H3C C O

H3C CH NAD+

NADH

Acetoin

H3C CH OH

Abb. 13.20 Butandiolbildung als weitere Modifikation der gemischten Säuregärung (z. B. bei Enterobacter). Enzyme: ① Acetolactat-Synthase; ② Acetolactat-Decarboxylase; ③ Butandiol-Dehydrogenase.

2,3-Butandiol

Tab. 13.1 Typische Unterscheidungsmerkmale zur Diagnose einiger Gattungen der Enterobacteriaceae. Alle Arten vergären Glucose (Positivkontrolle). Merkmale mit „ + “ oder „–“ sind bei den meisten Arten und Stämmen einer Gattung zu finden, solche mit (+) sind variabel. Gattung

Lactosevergärung

Motilität/ Flagellen

H2-Bildung

Indolbildung

Methylrottest

Citratverwertung

Proteolyse

Harrnstoffverwertung

Escherichia

+

+

+

+

+









Shigella







+

+







– –

Salmonella



+

+



+



+



Klebsiella

+



+





+

(+)



+

Enterobacter

+

+

+





+

+

(+)

(+)

Serratia



+







+

+

+

– –

Erwinia

+

+







(+)

+

(+)

Proteus



+

+

(+)

+



+

+

+

Yersinia







(+)

+







(+)

ziert (▶ Abb. 13.20). Da bei der Butandiolgärung nur ein NADH pro vergorener Glucose reoxidiert wird, wird die Redoxbilanz durch Bildung von Ethanol ausgeglichen. In der Gärungsbilanz finden sich deswegen wesentlich weniger saure Gärungsprodukte als bei der E.-coli-Gärung. Wegen der zwei Decarboxylierungen bei der Acetoinbildung ist die Butandiolgärung mit starker Produktion von Kohlendioxidgas verbunden, der Enterobacter aerogenes seinen Artnamen verdankt (lat. aerogenes, luftbildend). Eine typische Gärungsbilanz einer E.-aerogenes-Gärung ist in der Tabelle in Plus 13.11 gezeigt. Die Bildung von Acetoin ist auch ein wichtiger Prozess in der Lebensmitteltechnologie, da durch Oxidation daraus Diacetyl gebildet wird, die Hauptaromakomponente der Butter. Die Acetoin- und Diacetylbildung in Milchprodukten läuft dabei als Nebenweg der Gärung bei einigen Milchsäurebakterien ab.

Plus 13.12 Gärungstypen und ihr Nachweis Bezüglich der Gärungsprodukte können zwei Gärungstypen unterschieden werden: 1. der Escherichia-Typ, bei dem große Mengen an Säuren, jedoch kein 2,3-Butandiol produziert werden; 2. der Enterobacter-Typ, bei dem vor allem Acetoin, 2,3-Butandiol und weitere neutrale Produkte gebildet werden (▶ Abb. 13.20), aber kaum Säuren.

428

Acetoinbildung

13.5.2 Bedeutung der gemischten Säuregärung für Trinkwasser- und Labordiagnostik Die unterschiedlichen Gärungseigenschaften der verschiedenen Bakterienarten werden in der Praxis zur schnellen Identifizierung von potenziell pathogenen Arten der Enterobacteriaceae und verwandter Familien eingesetzt (Methode 13.1) (S. 425). So ist E. coli normalerweise ein harmloser Bewohner des menschlichen Darms, obwohl es auch einige entero- und uropathogene Stämme (z. B. EHEC-Stämme für enterohämorhagische E. coli) gibt, die teilweise ernsthafte Erkrankungen hervorrufen. Daneben können im Darm aber eine Reihe von gefährlichen Seuchenerregern vorkommen, die von kranken, aber auch von augenscheinlich gesunden Personen ausgeschieden werden (Dauerausscheider nach überstande-

●V Diese Unterschiede werden zur Differenzierung der Gattungen genutzt. Die Methylrotprobe zeigt die starke Säureproduktion durch Arten des Escherichia-Typs an, während der pH-Indikator bei Arten des Enterobacter-Typs noch nicht umschlägt. Komplementär dazu wird durch den VogesProskauer-Test die Bildung von Acetoin als Zwischenprodukt der Butandiolbildung durch Arten des EnterobacterTyps nachgewiesen.

13.6 Buttersäure- und Lösungsmittelgärung ner Infektion) und meist nur mit speziellen Verfahren nachzuweisen sind. Für routinemäßige Kontrollen der Wasserqualität verwendet man deshalb E. coli als leicht nachzuweisenden Indikatorkeim für fäkale Verschmutzung. So darf in Deutschland pro 100 ml Trinkwasser keine Zelle von E. coli nachweisbar sein und der Gehalt an sonstigen Keimen muss unter 100 Zellen ml–1 liegen.

13.6 Buttersäure- und Lösungsmittelgärung Die Buttersäuregärung ist der charakteristische Gärungstyp der grampositiven anaeroben Endosporenbildner, die zu den Firmicutes gehören. Diese Bakterien wurden bis vor Kurzem unter dem Gattungsnamen Clostridium zusammengefasst, in den letzten Jahren aber wegen ihrer phylogenetischen Heterogenität zu einer Vielzahl neuer Gattungen zugeordnet. Die Gattung Clostridium umfasst jedoch nach wie vor die wichtigsten Buttersäuregärer, die je nach Art entweder Kohlehydrate oder Aminosäuren vergären (saccharolytische bzw. peptolytische Arten). Die Zellen sind stäbchenförmig und peritrich begeißelt. Neben den Arten von Clostridium gibt es auch Verwandte mit sehr ähnlichen Gärungswegen, z. B. die Gattungen Eubacterium, Sarcina, Ruminococcus, Peptococcus, Acidaminococcus oder Sporomusa. Die letzten beiden Gattungen haben zwar eine typisch gramnegative Zellhülle, werden aber aufgrund ihrer molekularer Phylogenie dennoch zu den Firmicutes gezählt.

13.6.1 Buttersäuregärende Clostridien Die Bakterien wachsen als obligate Gärer nur unter anoxischen Bedingungen. Sie sind in der Regel strikt anaerob, können häufig auf reinem Mineralsalzmedium wachsen, und einige Arten (z. B. Clostridium pasteurianum) fixieren sogar Stickstoff. Einige Arten ertragen eine kurze Exposition an Luft, werden aber noch nicht als aerotolerant eingestuft (z. B. Clostridium acetobutylicum). Wie die Milchsäurebakterien synthetisieren Clostridien keine Hämoproteine (Cytochrome, Katalase), enthalten aber anders als diese viele Nicht-Häm-Metalloproteine. Die meisten Arten der Gattung Clostridium sind mesophil (optimales Wachstum bei 30–40 °C), es gibt aber auch einige thermophile Arten und verwandte Gattungen, die bei Temperaturen bis zu 75 °C optimal wachsen (z. B. Clostridium ljungdahlii, Moorella, Thermoanaerobacter). Buttersäuregärer sind neutrophil bis alkaliphil und wachsen nicht in saurem Milieu. Deshalb kann man durch Ansäuerung über Milchsäuregärung ihr unerwünschtes Wachstum als Lebensmittelverderber und Fäulniskeime unterdrücken. Man unterscheidet zwischen Arten, die Kohlenhydrate (Stärke, Cellulose, Pectine, Zucker), Aminosäuren und Peptide oder auch Nukleinsäurebasen vergären. Für die

Anreicherung von Clostridien macht man sich ihre Eigenschaften zunutze. So kann man wegen der Thermoresistenz der Sporen das Impfgut pasteurisieren. Das Medium sollte anaerob gemacht werden und gut gepuffert sein, um die Entwicklung von aeroben bzw. von säuretoleranten Bakterien zu unterdrücken.

13.6.2 Biochemische Grundlagen der Buttersäuregärung Bei der Gärung der saccharolytischen Buttersäuregärer werden Säuren (Buttersäure, Essigsäure, Milchsäure), Alkohole (Butanol, Ethanol, Isopropanol), Aceton und gasförmige Gärungsprodukte (Wasserstoff und Kohlendioxid) in wechselnden Konzentrationen gebildet. Der Abbau der Zucker erfolgt über die Glykolyse bis zum Pyruvat. Die Schlüsselreaktion der Buttersäuregärung ist die daran anschließende Pyruvatoxidation zu Acetyl-CoA und CO2 durch die Pyruvat:Ferredoxin-Oxidoreduktase (S. 272). Anders als bei der Pyruvat-Dehydrogenase werden die freigesetzten Elektronen hier nicht auf NAD+, sondern auf Ferredoxine übertragen. Diese elektronenübertragenden Eisen-Schwefel-Proteine (S. 276) haben ein wesentlich niedrigeres Redoxpotenzial (E0’ < –400 mV) als NADH (E0’ = –320 mV). Ferredoxine dienen deshalb – im Gegensatz zu NADH – als Elektronendonatoren für Hydrogenasen; sie werden unter Entwicklung von Wasserstoff reoxidiert. Wie bei der gemischten Säuregärung erlaubt dies die Konservierung von zusätzlicher Energie aus energiereichen Gärungsintermediaten (z. B. Acetyl-CoA, Butyryl-CoA). Die Bildung von Buttersäure aus 2 Molekülen AcetylCoA ist bei Clostridien der hauptsächliche Weg für die Reoxidation des NADH aus der Glykolyse. Die Kondensation der 2 Acetyl-CoA zu Acetoacetyl-CoA und die folgende Reduktion zu Butyryl-CoA verläuft dabei analog zur βOxidation der Fettsäuren (S. 379), allerdings in umgekehrter Richtung. Wegen der Ähnlichkeit der beteiligten Enzyme mit den Gegenstücken der β-Oxidation wurde die Biochemie des Fettsäureabbaus zunächst sogar am Modell der Buttersäuregärung aufgeklärt. Die Synthese von Butyryl-CoA beginnt mit der Kondensation von 2 Acetyl-CoA durch eine Thiolase zu Acetoacetyl-CoA (▶ Abb. 13.21). Dieses wird mit NADH durch eine 3-Hydroxybutyryl-CoA-Dehydrogenase zu (S)-3-Hydroxybutyryl-CoA reduziert. Nach Wassereliminierung durch die Crotonase (Crotonyl-CoA-Hydratase) erhält man Crotonyl-CoA, das mit NADH (E’ –0,28 V) zu Butyryl-CoA (E’ –0,01 V) reduziert wird. Diese Reaktion ist stark exergon (ΔG0’ = –52 kJ mol–1) und wurde vor Kurzem als zusätzliche Option zur Energiekonservierung im Stoffwechselweg erkannt. Die Reduktion von CrotonylCoA wird von einem elektronenbifurkierenden Enzymkomplex katalysiert (s. Plus 13.2) (S. 413). Dieser reduziert mit 2 NADH sowohl Crotonyl-CoA als auch Ferredoxin, wodurch die Produktion von zusätzlichem Wasser-

9

13.6 Buttersäure- und Lösungsmittelgärung ner Infektion) und meist nur mit speziellen Verfahren nachzuweisen sind. Für routinemäßige Kontrollen der Wasserqualität verwendet man deshalb E. coli als leicht nachzuweisenden Indikatorkeim für fäkale Verschmutzung. So darf in Deutschland pro 100 ml Trinkwasser keine Zelle von E. coli nachweisbar sein und der Gehalt an sonstigen Keimen muss unter 100 Zellen ml–1 liegen.

13.6 Buttersäure- und Lösungsmittelgärung Die Buttersäuregärung ist der charakteristische Gärungstyp der grampositiven anaeroben Endosporenbildner, die zu den Firmicutes gehören. Diese Bakterien wurden bis vor Kurzem unter dem Gattungsnamen Clostridium zusammengefasst, in den letzten Jahren aber wegen ihrer phylogenetischen Heterogenität zu einer Vielzahl neuer Gattungen zugeordnet. Die Gattung Clostridium umfasst jedoch nach wie vor die wichtigsten Buttersäuregärer, die je nach Art entweder Kohlehydrate oder Aminosäuren vergären (saccharolytische bzw. peptolytische Arten). Die Zellen sind stäbchenförmig und peritrich begeißelt. Neben den Arten von Clostridium gibt es auch Verwandte mit sehr ähnlichen Gärungswegen, z. B. die Gattungen Eubacterium, Sarcina, Ruminococcus, Peptococcus, Acidaminococcus oder Sporomusa. Die letzten beiden Gattungen haben zwar eine typisch gramnegative Zellhülle, werden aber aufgrund ihrer molekularer Phylogenie dennoch zu den Firmicutes gezählt.

13.6.1 Buttersäuregärende Clostridien Die Bakterien wachsen als obligate Gärer nur unter anoxischen Bedingungen. Sie sind in der Regel strikt anaerob, können häufig auf reinem Mineralsalzmedium wachsen, und einige Arten (z. B. Clostridium pasteurianum) fixieren sogar Stickstoff. Einige Arten ertragen eine kurze Exposition an Luft, werden aber noch nicht als aerotolerant eingestuft (z. B. Clostridium acetobutylicum). Wie die Milchsäurebakterien synthetisieren Clostridien keine Hämoproteine (Cytochrome, Katalase), enthalten aber anders als diese viele Nicht-Häm-Metalloproteine. Die meisten Arten der Gattung Clostridium sind mesophil (optimales Wachstum bei 30–40 °C), es gibt aber auch einige thermophile Arten und verwandte Gattungen, die bei Temperaturen bis zu 75 °C optimal wachsen (z. B. Clostridium ljungdahlii, Moorella, Thermoanaerobacter). Buttersäuregärer sind neutrophil bis alkaliphil und wachsen nicht in saurem Milieu. Deshalb kann man durch Ansäuerung über Milchsäuregärung ihr unerwünschtes Wachstum als Lebensmittelverderber und Fäulniskeime unterdrücken. Man unterscheidet zwischen Arten, die Kohlenhydrate (Stärke, Cellulose, Pectine, Zucker), Aminosäuren und Peptide oder auch Nukleinsäurebasen vergären. Für die

Anreicherung von Clostridien macht man sich ihre Eigenschaften zunutze. So kann man wegen der Thermoresistenz der Sporen das Impfgut pasteurisieren. Das Medium sollte anaerob gemacht werden und gut gepuffert sein, um die Entwicklung von aeroben bzw. von säuretoleranten Bakterien zu unterdrücken.

13.6.2 Biochemische Grundlagen der Buttersäuregärung Bei der Gärung der saccharolytischen Buttersäuregärer werden Säuren (Buttersäure, Essigsäure, Milchsäure), Alkohole (Butanol, Ethanol, Isopropanol), Aceton und gasförmige Gärungsprodukte (Wasserstoff und Kohlendioxid) in wechselnden Konzentrationen gebildet. Der Abbau der Zucker erfolgt über die Glykolyse bis zum Pyruvat. Die Schlüsselreaktion der Buttersäuregärung ist die daran anschließende Pyruvatoxidation zu Acetyl-CoA und CO2 durch die Pyruvat:Ferredoxin-Oxidoreduktase (S. 272). Anders als bei der Pyruvat-Dehydrogenase werden die freigesetzten Elektronen hier nicht auf NAD+, sondern auf Ferredoxine übertragen. Diese elektronenübertragenden Eisen-Schwefel-Proteine (S. 276) haben ein wesentlich niedrigeres Redoxpotenzial (E0’ < –400 mV) als NADH (E0’ = –320 mV). Ferredoxine dienen deshalb – im Gegensatz zu NADH – als Elektronendonatoren für Hydrogenasen; sie werden unter Entwicklung von Wasserstoff reoxidiert. Wie bei der gemischten Säuregärung erlaubt dies die Konservierung von zusätzlicher Energie aus energiereichen Gärungsintermediaten (z. B. Acetyl-CoA, Butyryl-CoA). Die Bildung von Buttersäure aus 2 Molekülen AcetylCoA ist bei Clostridien der hauptsächliche Weg für die Reoxidation des NADH aus der Glykolyse. Die Kondensation der 2 Acetyl-CoA zu Acetoacetyl-CoA und die folgende Reduktion zu Butyryl-CoA verläuft dabei analog zur βOxidation der Fettsäuren (S. 379), allerdings in umgekehrter Richtung. Wegen der Ähnlichkeit der beteiligten Enzyme mit den Gegenstücken der β-Oxidation wurde die Biochemie des Fettsäureabbaus zunächst sogar am Modell der Buttersäuregärung aufgeklärt. Die Synthese von Butyryl-CoA beginnt mit der Kondensation von 2 Acetyl-CoA durch eine Thiolase zu Acetoacetyl-CoA (▶ Abb. 13.21). Dieses wird mit NADH durch eine 3-Hydroxybutyryl-CoA-Dehydrogenase zu (S)-3-Hydroxybutyryl-CoA reduziert. Nach Wassereliminierung durch die Crotonase (Crotonyl-CoA-Hydratase) erhält man Crotonyl-CoA, das mit NADH (E’ –0,28 V) zu Butyryl-CoA (E’ –0,01 V) reduziert wird. Diese Reaktion ist stark exergon (ΔG0’ = –52 kJ mol–1) und wurde vor Kurzem als zusätzliche Option zur Energiekonservierung im Stoffwechselweg erkannt. Die Reduktion von CrotonylCoA wird von einem elektronenbifurkierenden Enzymkomplex katalysiert (s. Plus 13.2) (S. 413). Dieser reduziert mit 2 NADH sowohl Crotonyl-CoA als auch Ferredoxin, wodurch die Produktion von zusätzlichem Wasser-

9

Mikrobielle Gärungen stoff und letztlich die zusätzliche Synthese von ca. 0,25 ATP pro vergorener Glucose möglich wird (für Details s. Plus 13.2) (S. 413). Schließlich wird die energiereiche CoA-Thioesterbindung von Butyryl-CoA durch eine CoATransferase auf Acetat übertragen und Butyrat wird als Gärungsprodukt ausgeschieden. Das entstandene AcetylCoA wird über die Phosphotransacetylase und die AcetatKinase zur ATP-Bildung genutzt. Ohne Berücksichtigung der neuentdeckten Elektronenbifurkation ergibt sich für die Buttersäuregärung Summengleichung (13.1), während die Einbeziehung dieser Reaktion zu der leicht geänderten Summengleichung (13.2) führt (s. a. ▶ Abb. 13.21). Das neue Modell der Gärung erlaubt die Synthese von mehr ATP pro Glucose als das alte (3,25 statt 3,0) und erklärt die bis dahin unver-

Glucose

2 HS-CoA

Glykolyse

2 Pyruvat

2 ADP

2 ATP

2 NAD+

2 NADH

1

4 Fdox

standene Entstehung von relativ großen Mengen Essigsäure als Nebenprodukt der Buttersäuregärung. Ausgehend von 3,25 ATP pro Glucose ergibt sich eine verfügbare Energie von –72 kJ mol–1 pro ATP. Das bedeutet eine extrem effektive Energieumwandlung durch diesen Stoffwechselweg. ohne Bifurkation: Glucose → Butyrat + H+ + 2H2 + 2 CO2 (ΔG0’ = 247 kJ mol–1) (13.1) mit Bifurkation: Glucose + 0,5 H2O → 0,75 Butyrat + 0,5 Acetat + 1,25 H+ + 2,5 H2 + 2 CO2 (ΔG0’ = – 235 kJ mol–1) (13.2)

0,5 Pi

2 CO2

2 CH3 CO SCoA Acetyl-CoA

4 Fdred

9

10

0,5 HS-CoA

0,5 ADP

0,5 CH3 COO– Acetat 0,5 ATP

3 2 H2

2

0,75 HS-CoA

4 H+

Acetat

0,75 CH3 2 NADH

CO CH2 CO SCoA Acetoacetyl-CoA

Acetyl CoA CH3

8

CO CH2 COOH Acetoacetat

0,75 NADH 12

2 NAD+ CH3 CH2OH Ethanol

13

4

0,75 NAD+

CH3

0,75 CH3 CHOH CH2 CO SCoA (S)-3-Hydroxybutyryl-CoA

CO2

CO CH3 Aceton NADH

5

0,75 H2O CH3

CH2 CH2 Butanol

0,75 CH3

CH2OH

CH

CO

NADH CH2 CH2 CHO Butyraldehyd

0,25 NADH 7

1,5 Fdox

1,5 NADH 12

SCoA

Crotonyl-CoA

NAD+

CH3

CH

12

NAD+

CHOH CH3 2-Propanol

CH3

ΔH+ 0,25 NAD+

6 NAD+

HS-CoA

NADH 11

1,5 NAD+ 0,75 CH3

1,5 Fdred

CH2 CH2 CO Butyryl-CoA

2 0,5 H2 H+

SCoA 0,75 Acetat 0,75 ATP

8

10

0,75 CH3 0,75 Acetyl SCoA

CH2 CH2 Butyrat

COO–

9 0,75 Pi 0,75 HS-CoA

0,75 ADP Abb. 13.21 Buttersäure- bzw. Lösungsmittelgärung. Glucose wird über die Glykolyse zu Pyruvat abgebaut, dieses wird über eine Pyruvat:Ferredoxin-Oxidoreduktase zu Acetyl-CoA und CO2 oxidiert. Die reduzierten Ferredoxine werden über eine Hydrogenase durch H2-Bildung reoxidiert, sodass pro Glucose nur die 2 NADH aus der Glykolyse regeneriert werden müssen. Bei der Crotonyl-CoAReduktion werden durch Elektronenbifurkation weitere Ferredoxine produziert, die entweder ebenfalls zu H2 umgesetzt (67 %) oder über den Rnf-Komplex für eine zusätzliche Energiekonservierung durch translozierte Protonen (oder Na+) verwendet werden (33 %). Die angegebene Stöchiometrie bezieht sich auf die Bildung von Butyrat, Acetat und H2/CO2 aus Glucose unter Einbeziehung der Elektronen-Bifurkation (siehe Text). Die zusätzlichen Reaktionen bei der Lösungsmittelgärung sind durch grüne Pfeile gekennzeichnet. Unter diesen Bedingungen gelten die stöchiometrischen Angaben nicht, stattdessen variieren hier die Konzentrationen der verschiedenen Endprodukte je nach den Anzuchtsbedingungen. Enzyme: ① Pyruvat:Ferredoxin-Oxidoreduktase; ② Hydrogenase; ③Thiolase; ④ 3-Hydroxybutyryl-CoA-Dehydrogenase; ⑤ Crotonase; ⑥ bifurkierender Elektonentransfer-Flavoprotein/Crotonyl-CoA Reduktase-Komplex; ⑦ Rnf-Komplex; ⑧ CoA-Transferase; ⑨ Phosphotransacetylase; ⑩ Acetat-Kinase; ⑪ Aldehyd-Dehydrogenase; ⑫ Alkohol-Dehydrogenase, ⑬ Acetoacetat-Decarboxylase

430

13.7 Propionsäuregärung

13.6.3 Lösungsmittelgärung (Butanolgärung) Einige Clostridien, darunter C. acetobutylicum, schalten von einer reinen Buttersäuregärung auf die Produktion der neutralen Gärungsprodukte n-Butanol, Isopropanol und Aceton um. Dies geschieht, wenn der pH-Wert des Mediums durch die ausgeschiedene Säure zu sehr abfällt und/oder wenn der H2-Partialdruck zu hoch wird. Dabei wird weniger ATP gebildet als bei der reinen Buttersäuregärung. Die Bildung von n-Butanol geht von der angehäuften Buttersäure aus, die zunächst durch eine CoATransferase wieder zu Butyryl-CoA aktiviert wird; dieses wird dann mit 2 NADH über die Aldehydstufe zum n-Butanol reduziert (▶ Abb. 13.21). Aceton entsteht durch Decarboxylierung von Acetoacetat, das über eine CoA-Transferase aus Acetoacetyl-CoA freigesetzt wird. Isopropanol wird von einigen Stämmen dann durch eine NADH-abhängige Reduktion des Acetons gebildet und ebenfalls als Gärungsprodukt ausgeschieden. Durch die Decarboxylierung von Acetoacetat zu Aceton geht allerdings ein Wasserstoffakzeptor verloren, der sonst bei der Reduktion zu Butyrat 2 NAD+ regeneriert. Die Gärungsbilanz muss deshalb ausgeglichen werden, indem pro gebildetem Aceton ein Butyryl-CoA weiter zu Butanol reduziert wird und nicht mehr für die Energiekonservierung genutzt werden kann. Die Lösungsmittelgärung hatte bis 1960 große Bedeutung für die Herstellung von Aceton und Butanol und diente als erstes Modell für die großtechnische Umsetzung bakterieller Kulturtechnik.

13.7 Propionsäuregärung Gärungstypen, bei denen Propionsäure als Hauptprodukt gebildet wird, findet man bei den Propionibakterien, einigen Clostridienverwandten und weiteren anaeroben Bakterien. Substrate der Propionsäuregärer sind diverse Zucker, einige Aminosäuren, insbesonders aber auch Gärungsprodukte anderer Bakterien wie Lactat, Succinat oder Glycerin.

13.7.1 Propionibacterium Die Gattung Propionibacterium gehört zum Phylum Actinobacteria. Es sind unbewegliche Stäbchen, die keine Sporen bilden und bei schlechten Wachstumsbedingungen oft unregelmäßige Zellformen bilden. Sie wachsen nur unter Sauerstoffausschluss, ertragen aber Luftkontakt. Propionibakterien kommen im Pansen und Darm von Wiederkäuern vor, wo sie eine wichtige Rolle bei der mikrobiellen Umsetzung von Cellulose zu Acetat und Propionat spielen; diese kurzkettigen Fettsäuren dienen den Tieren als hauptsächliche Kohlenstoff- und Energiequellen. Propionibakterien kommen nicht im Boden oder Wasser vor und gelangen auch nur selten in die Milch von Wiederkäuern. In der Käserei geschieht die Beimp-

fung deshalb vornehmlich über das Labferment, einem wässrigen Extrakt aus Kälbermägen, der zahlreiche lebensfähige Propionibakterien enthält (bzw. über Starterkulturen). Einige Propionibakterien sind allerdings auch Teil der normalen Hautflora des Menschen. Die Art P. acnes ist als Pathogen an der Ausbildung von Akne beteiligt, einer Entzündung der Haarfollikel der Haut. Propionibakterien werden unter anoxischen Bedingungen in Nährlösungen mit Lactat und Hefeextrakt angereichert, die z. B. mit Schweizer Käse oder natürlichem Labferment beimpft werden.

13.7.2 Biochemische Grundlagen der Propionsäuregärung Propionsäure wird hauptsächlich aus Lactat gebildet, wobei je nach Bakterienart zwei unterschiedliche Wege ablaufen: der Methylmalonyl-CoA- oder der Acryloyl-CoAWeg. Ein Teil des Lactats wird dabei zu Acetat und Kohlendioxid oxidiert, während zwei Teile zu Propionat reduziert werden (Disproportionierung). Die Gärung folgt der Umsatzgleichung: 3 H3C–CHOH–COOH → 2 H3C–CH2–COOH + H3C–COOH + CO2 + H2O (ΔG0’ = –162 kJ mol–1)

Methylmalonyl-CoA-Weg Lactat wird zunächst durch die Lactat-Dehydrogenase zu Pyruvat oxidiert, wobei jeweils 1 NADH pro Lactat entsteht. Pyruvat dient dann als Substrat sowohl für den oxidativen als auch den reduktiven Ast der Gärung. Die weitere Oxidation von Pyruvat zu Acetyl-CoA und CO2 wird in Propionibacterium-Arten anscheinend von einem Pyruvat-Oxidase-ähnlichen Isoenzym katalysiert, das die Elektronen nicht auf NAD+, sondern direkt oder indirekt auf Menachinon überträgt. Die energiereiche Thioesterbindung des Acetyl-CoA wird durch die Phosphotransacetylase und die Acetat-Kinase zur ATP-Bildung genutzt. Pro oxidiertem Lactat werden 4 Reduktionsäquivalente freigesetzt (1 NADH und 1 Menachinol), für deren Regeneration 2 weitere Moleküle Lactat zu 2 Propionat reduziert werden müssen. Die Reduktion von Lactat zu Propionat verläuft bei Propionibacterium-Arten über den Methylmalonyl-CoAWeg (▶ Abb. 13.22). Dabei werden 2 weitere Moleküle Lactat zunächst zu 2 Pyruvat oxidiert, unter Freisetzung von 4 weiteren Reduktionäquivalenten in Form von 2 NADH. Pyruvat wird dann durch eine biotinenthaltende Transcarboxylase zu Oxalacetat carboxyliert. Das charakteristische Zwischenprodukt dieses Stoffwechselwegs, Methylmalonyl-CoA, dient dabei als Carboxygruppendonator. Oxalacetat wird durch Enzyme des reduktiven Citratzyklus über Malat und Fumarat zu Succinat reduziert; die Fumaratreduktion kann dabei mit einer Elektronentransportphosphorylierung verknüpft werden, allerdings nur mit NADH als Elektronendonator (s. u.).

1

13.7 Propionsäuregärung

13.6.3 Lösungsmittelgärung (Butanolgärung) Einige Clostridien, darunter C. acetobutylicum, schalten von einer reinen Buttersäuregärung auf die Produktion der neutralen Gärungsprodukte n-Butanol, Isopropanol und Aceton um. Dies geschieht, wenn der pH-Wert des Mediums durch die ausgeschiedene Säure zu sehr abfällt und/oder wenn der H2-Partialdruck zu hoch wird. Dabei wird weniger ATP gebildet als bei der reinen Buttersäuregärung. Die Bildung von n-Butanol geht von der angehäuften Buttersäure aus, die zunächst durch eine CoATransferase wieder zu Butyryl-CoA aktiviert wird; dieses wird dann mit 2 NADH über die Aldehydstufe zum n-Butanol reduziert (▶ Abb. 13.21). Aceton entsteht durch Decarboxylierung von Acetoacetat, das über eine CoA-Transferase aus Acetoacetyl-CoA freigesetzt wird. Isopropanol wird von einigen Stämmen dann durch eine NADH-abhängige Reduktion des Acetons gebildet und ebenfalls als Gärungsprodukt ausgeschieden. Durch die Decarboxylierung von Acetoacetat zu Aceton geht allerdings ein Wasserstoffakzeptor verloren, der sonst bei der Reduktion zu Butyrat 2 NAD+ regeneriert. Die Gärungsbilanz muss deshalb ausgeglichen werden, indem pro gebildetem Aceton ein Butyryl-CoA weiter zu Butanol reduziert wird und nicht mehr für die Energiekonservierung genutzt werden kann. Die Lösungsmittelgärung hatte bis 1960 große Bedeutung für die Herstellung von Aceton und Butanol und diente als erstes Modell für die großtechnische Umsetzung bakterieller Kulturtechnik.

13.7 Propionsäuregärung Gärungstypen, bei denen Propionsäure als Hauptprodukt gebildet wird, findet man bei den Propionibakterien, einigen Clostridienverwandten und weiteren anaeroben Bakterien. Substrate der Propionsäuregärer sind diverse Zucker, einige Aminosäuren, insbesonders aber auch Gärungsprodukte anderer Bakterien wie Lactat, Succinat oder Glycerin.

13.7.1 Propionibacterium Die Gattung Propionibacterium gehört zum Phylum Actinobacteria. Es sind unbewegliche Stäbchen, die keine Sporen bilden und bei schlechten Wachstumsbedingungen oft unregelmäßige Zellformen bilden. Sie wachsen nur unter Sauerstoffausschluss, ertragen aber Luftkontakt. Propionibakterien kommen im Pansen und Darm von Wiederkäuern vor, wo sie eine wichtige Rolle bei der mikrobiellen Umsetzung von Cellulose zu Acetat und Propionat spielen; diese kurzkettigen Fettsäuren dienen den Tieren als hauptsächliche Kohlenstoff- und Energiequellen. Propionibakterien kommen nicht im Boden oder Wasser vor und gelangen auch nur selten in die Milch von Wiederkäuern. In der Käserei geschieht die Beimp-

fung deshalb vornehmlich über das Labferment, einem wässrigen Extrakt aus Kälbermägen, der zahlreiche lebensfähige Propionibakterien enthält (bzw. über Starterkulturen). Einige Propionibakterien sind allerdings auch Teil der normalen Hautflora des Menschen. Die Art P. acnes ist als Pathogen an der Ausbildung von Akne beteiligt, einer Entzündung der Haarfollikel der Haut. Propionibakterien werden unter anoxischen Bedingungen in Nährlösungen mit Lactat und Hefeextrakt angereichert, die z. B. mit Schweizer Käse oder natürlichem Labferment beimpft werden.

13.7.2 Biochemische Grundlagen der Propionsäuregärung Propionsäure wird hauptsächlich aus Lactat gebildet, wobei je nach Bakterienart zwei unterschiedliche Wege ablaufen: der Methylmalonyl-CoA- oder der Acryloyl-CoAWeg. Ein Teil des Lactats wird dabei zu Acetat und Kohlendioxid oxidiert, während zwei Teile zu Propionat reduziert werden (Disproportionierung). Die Gärung folgt der Umsatzgleichung: 3 H3C–CHOH–COOH → 2 H3C–CH2–COOH + H3C–COOH + CO2 + H2O (ΔG0’ = –162 kJ mol–1)

Methylmalonyl-CoA-Weg Lactat wird zunächst durch die Lactat-Dehydrogenase zu Pyruvat oxidiert, wobei jeweils 1 NADH pro Lactat entsteht. Pyruvat dient dann als Substrat sowohl für den oxidativen als auch den reduktiven Ast der Gärung. Die weitere Oxidation von Pyruvat zu Acetyl-CoA und CO2 wird in Propionibacterium-Arten anscheinend von einem Pyruvat-Oxidase-ähnlichen Isoenzym katalysiert, das die Elektronen nicht auf NAD+, sondern direkt oder indirekt auf Menachinon überträgt. Die energiereiche Thioesterbindung des Acetyl-CoA wird durch die Phosphotransacetylase und die Acetat-Kinase zur ATP-Bildung genutzt. Pro oxidiertem Lactat werden 4 Reduktionsäquivalente freigesetzt (1 NADH und 1 Menachinol), für deren Regeneration 2 weitere Moleküle Lactat zu 2 Propionat reduziert werden müssen. Die Reduktion von Lactat zu Propionat verläuft bei Propionibacterium-Arten über den Methylmalonyl-CoAWeg (▶ Abb. 13.22). Dabei werden 2 weitere Moleküle Lactat zunächst zu 2 Pyruvat oxidiert, unter Freisetzung von 4 weiteren Reduktionäquivalenten in Form von 2 NADH. Pyruvat wird dann durch eine biotinenthaltende Transcarboxylase zu Oxalacetat carboxyliert. Das charakteristische Zwischenprodukt dieses Stoffwechselwegs, Methylmalonyl-CoA, dient dabei als Carboxygruppendonator. Oxalacetat wird durch Enzyme des reduktiven Citratzyklus über Malat und Fumarat zu Succinat reduziert; die Fumaratreduktion kann dabei mit einer Elektronentransportphosphorylierung verknüpft werden, allerdings nur mit NADH als Elektronendonator (s. u.).

1

Mikrobielle Gärungen Das Succinat wird über eine CoA-Transferase mit Propionyl-CoA als Donator zu Succinyl-CoA aktiviert. Dieses wird dann durch die Methylmalonyl-CoA-Mutase in einer Coenzym-B12(Adenosylcobalamin)-abhängigen Reaktion zu Methylmalonyl-CoA umgelagert, dessen freie Carboxygruppe durch die bereits erwähnte Transcarboxylase auf Pyruvat übertragen wird. Das decarboxylierte Produkt Propionyl-CoA dient als CoA-Donator für die ebenfalls erwähnte CoA-Transferase und wird als Propionat freigesetzt. Dieser Prozess wird zweimal durchlaufen, um insgesamt 8 Reduktionsäquivalente (3 NADH und 1 Menachinol) zu „entsorgen“. Aus der Summengleichung der Reaktion ergibt sich eine verfügbare Energie von – 162 kJ mol–1, die für die Synthese von 2 ATP ausreicht (s. Anhang). Eines davon wird im oxidativen Ast über die Acetat-Kinase produziert, während die Bildung des zweiten ATP an die Reaktion der Fumarat-Reduktase im reduktiven Ast gekoppelt sein muss. Diese Stöchiometrie ergibt sich tatsächlich, wenn man annimmt, dass dafür je ein NADH und ein Menachinol als Elektronendonatoren dienen (▶ Abb. 13.22). Die Methylmalonyl-CoA-Mutase ist auch an vielen anderen Stoffwechselwegen beteiligt, bei denen Umlagerungen von verzweigten Kohlenstoff-

3 CH3

CHOH Lactat

3 NAD+

LactatDehydrogenase

3 NADH 3 CH3

2 –OOC

COO– Transcarboxylase

2 –OOC

HS-CoA

Acrylyl-CoA-Weg Der Acrylyl-CoA-Weg der Propionsäuregärung wird von anaeroben Firmcutes-Arten, z. B. Clostridium propionicum oder Megasphaera elsdenii, benutzt. Auch hier wird Lactat zu 1 Acetat und CO2 und gleichzeitig zu 2 Propionat disproportioniert, allerdings mit abweichender Biochemie. Die Oxidation des Lactats zu Pyruvat ist hier ebenfalls an NAD+ gekoppelt, aber die weitere Oxidation wird durch eine Pyruvat:Ferredoxin-Oxidoreduktase katalysiert, welche die Elektronen auf Ferredoxin überträgt. Im reduktiven Ast wird Lactat zunächst durch eine CoATransferase mit Propionyl-CoA zu Lactyl-CoA aktiviert. Daran schließt sich eine mechanistisch schwierige Wassereliminierung zu Acryloyl-CoA an, die von einem extrem sauerstoffsensitiven Enzym über einen radikalischen Mechanismus katalysiert wird. Durch Reduktion der Doppelbindung des Acryloyl-CoA entsteht dann Propionyl-CoA, das als CoA-Donator für die Aktivierung des Lactats dient. Vermutlich ist bei dieser Reduktion eine

CH2 CO Oxalacetat

MalatDehydrogenase

CO COO– Pyruvat

gerüsten vorkommen, z. B. den Abbauwegen von Propionat oder verzweigten Aminosäuren.

COO–

2 NADH 2 NAD+ COO–

CH2 CHOH Malat

Fumarase

2 H2O

MQ 2 –OOC

CO2

CH CH Fumarat

MQH2

NADH

CH3

ΔH+ NAD+

CO

SCoA

Acetyl-CoA ADP + Pi

FumaratReduktase CO2

Biotin

Biotin

HS-CoA 2 –OOC

CH2 CH2 Succinat



CH3 COO Acetat 2 CH3

CH2

COO–

2 –OOC

Propionsäure

CH2

CO

Propionyl-CoA

SCoA

Transcarboxylase CoA-Transferase

COO–

CH2 CH2 CO Succinyl-CoA

MethylmalonylCoA-Mutase 2 CH3

MQH2 MQ

ATP

432

COO–

2 –OOC

CH

SCoA

Coenzym B12 CO

SCoA

CH3 Methylmalonyl-CoA

Abb. 13.22 Methylmalonyl-CoA-Weg der Propionsäuregärung. Dieser Stoffwechselweg ist durch zwei Transferasen gekennzeichnet, die jeweils eine funktionelle Gruppe (Carboxygruppe bzw. CoA-Thioestergruppe) von einem späten auf ein frühes Zwischenprodukt übertragen. Auf diese elegante Weise wird die jeweilige Bindungsenergie konserviert und für die Knüpfung einer neuen Bindung eingesetzt, die sonst nur unter Energieverbrauch möglich wäre. Zwei der drei anfallenden NADH der Lactatoxidation werden für die Reduktion von Oxalacetat gebraucht, sodass für die Fumarat-Reduktase nur noch 1 NADH und 1 Menachinol als Elektronendonatoren verfügbar sind. Anstelle von 2 möglichen ATP (via Elektronentransportphosphorylierung aus 2 NADH) kann deshalb nur eines gebildet werden, was genau zur Thermodynamik der Gesamtreaktion passt. MQ, Menachinon; MQH2, Menachinol

13.8 Vergärung von Aminosäuren

7 6 Na+

6 Fdred 3 Lactat

6 Fdox 1

3 NAD+

[CoA] 4

NAD+

3 NADH

2 Lactyl-CoA

NADH

5

Pyruvat 2 Fdox

H2O

2 Acryloyl-CoA

2 2 Fdred

CO2

+

6 Na

8

ADP + Pi

1,5 ADP

4 Fdred

2 Propionyl-CoA

3

+ Pi

4 Fdox 6

4 NAD

Acetyl-CoA

+

4 NADH

4 ATP

1,5 ATP

2 Propionat

Acetat

Abb. 13.23 Postulierter Verlauf des Acryloyl-CoA-Wegs der Propionsäuregärung. Eine Elektronenbifurkation bei der Reduktion von Acryloyl-CoA würde die Konservierung von so viel zusätzlicher Energie erlauben, dass eine ähnlich effektive Energiebilanz wie bei anderen anaeroben Gärungen erreicht wird: 1 ATP wird über die Acetat-Kinase gebildet und bis zu 1,5 zusätzliche ATP könnten über den RnfKomplex aus den reduzierten Ferredoxinen der Pyruvatoxidation und der Elektronenbifurkation gewonnen werden. ① LactatDehydrogenase; ② Pyruvat:Ferredoxin-Oxidoreduktase; ③ Phosphotransacetylase und Acetat-Kinase, ④ CoA-Transferase; ⑤ Lactyl-CoA-Dehydratase; ⑥ Acryloyl-CoAReduktase (eventuell bifurkierend), ⑦ RnfKomplex; ⑧ ATP-Synthase.

Elektronenbifurkation beteiligt, die zu einer wesentlich effektiven Energieausnutzung des Prozesses beitragen würde (▶ Abb. 13.23).

lendioxid, Formiat, Acetat und Ammoniak vergoren, wobei daran oft ähnliche Enzyme wie bei der Aminosäuregärung beteiligt sind.

13.8 Vergärung von Aminosäuren

13.8.1 Stickland-Gärung

Die Vergärung von Aminosäuren, Purinen oder Pyrimidinen findet man bei den peptolytischen Clostridien und einigen anderen strikt anaeroben Bacteria und Archaea. Der wichtigste Typ der Aminosäurevergärung ist nach L. H. Stickland benannt, der bereits 1934 erkannte, dass Clostridium sporogenes die Aminosäuren Alanin und Glycin nur vergärt, wenn sie als Gemisch vorliegen, sie aber einzeln nicht umsetzt. Von den Nukleotidbasen werden von einigen spezialisierten Clostridien (C. purinolyticum, C. acidiurici) vor allem die Purine oder Harnsäure zu Koh-

Die Gärung der meisten peptolytischen Clostridien (z. B. Clostridium sporogenes, Clostridium sticklandii) verläuft über die Stickland-Gärung. Dabei werden jeweils Paare von Aminosäuren vergoren. Eine geeignete Aminosäure wird unter ATP-Bildung oxidiert, während eine andere zur Reoxidation der reduzierten Cofaktoren reduziert wird. So wird z. B. Alanin durch eine NAD+-abhängige Dehydrogenase zu Pyruvat und weiter durch eine ferredoxingekoppelte Oxidoreduktase zu Acetyl-CoA und Kohlendioxid oxidiert. Die Energie der Thioesterbindung des Acetyl-CoA wird (via Acetylphosphat) zur Substratphosphorylierung eingesetzt. Im reduktiven Ast der

Alanin

2 Glycin

Alanin-Dehydrogenase NH3

+

NAD

NADH

NADH

NAD+ GlycinReduktase

Pyruvat 2 Fdox

Pyruvat:Ferredoxin- HSCoA Oxidoreduktase CO

2 Fdred

2

Acetyl SCoA Phosphotransacetylase

Acetat

Ferredoxin:NAD+Oxidoreduktase

NAD+

Pi

2 Pi 2 NH3

HSCoA

Acetyl– P Acetat-Kinase

NADH

Abb. 13.24 Stickland-Gärung mit Alanin und Glycin. Die Reaktion der Ferredoxin: NAD+-Oxidoreduktase ist wahrscheinlich mit einer Elektronenbifurkation gekoppelt und trägt so zusätzlich zur Energiekonservierung bei.

2 Acetyl– P ADP ATP

Acetat-Kinase

2 ADP 2 ATP

2 Acetat

3

13.8 Vergärung von Aminosäuren

7 6 Na+

6 Fdred 3 Lactat

6 Fdox 1

3 NAD+

[CoA] 4

NAD+

3 NADH

2 Lactyl-CoA

NADH

5

Pyruvat 2 Fdox

H2O

2 Acryloyl-CoA

2 2 Fdred

CO2

+

6 Na

8

ADP + Pi

1,5 ADP

4 Fdred

2 Propionyl-CoA

3

+ Pi

4 Fdox 6

4 NAD

Acetyl-CoA

+

4 NADH

4 ATP

1,5 ATP

2 Propionat

Acetat

Abb. 13.23 Postulierter Verlauf des Acryloyl-CoA-Wegs der Propionsäuregärung. Eine Elektronenbifurkation bei der Reduktion von Acryloyl-CoA würde die Konservierung von so viel zusätzlicher Energie erlauben, dass eine ähnlich effektive Energiebilanz wie bei anderen anaeroben Gärungen erreicht wird: 1 ATP wird über die Acetat-Kinase gebildet und bis zu 1,5 zusätzliche ATP könnten über den RnfKomplex aus den reduzierten Ferredoxinen der Pyruvatoxidation und der Elektronenbifurkation gewonnen werden. ① LactatDehydrogenase; ② Pyruvat:Ferredoxin-Oxidoreduktase; ③ Phosphotransacetylase und Acetat-Kinase, ④ CoA-Transferase; ⑤ Lactyl-CoA-Dehydratase; ⑥ Acryloyl-CoAReduktase (eventuell bifurkierend), ⑦ RnfKomplex; ⑧ ATP-Synthase.

Elektronenbifurkation beteiligt, die zu einer wesentlich effektiven Energieausnutzung des Prozesses beitragen würde (▶ Abb. 13.23).

lendioxid, Formiat, Acetat und Ammoniak vergoren, wobei daran oft ähnliche Enzyme wie bei der Aminosäuregärung beteiligt sind.

13.8 Vergärung von Aminosäuren

13.8.1 Stickland-Gärung

Die Vergärung von Aminosäuren, Purinen oder Pyrimidinen findet man bei den peptolytischen Clostridien und einigen anderen strikt anaeroben Bacteria und Archaea. Der wichtigste Typ der Aminosäurevergärung ist nach L. H. Stickland benannt, der bereits 1934 erkannte, dass Clostridium sporogenes die Aminosäuren Alanin und Glycin nur vergärt, wenn sie als Gemisch vorliegen, sie aber einzeln nicht umsetzt. Von den Nukleotidbasen werden von einigen spezialisierten Clostridien (C. purinolyticum, C. acidiurici) vor allem die Purine oder Harnsäure zu Koh-

Die Gärung der meisten peptolytischen Clostridien (z. B. Clostridium sporogenes, Clostridium sticklandii) verläuft über die Stickland-Gärung. Dabei werden jeweils Paare von Aminosäuren vergoren. Eine geeignete Aminosäure wird unter ATP-Bildung oxidiert, während eine andere zur Reoxidation der reduzierten Cofaktoren reduziert wird. So wird z. B. Alanin durch eine NAD+-abhängige Dehydrogenase zu Pyruvat und weiter durch eine ferredoxingekoppelte Oxidoreduktase zu Acetyl-CoA und Kohlendioxid oxidiert. Die Energie der Thioesterbindung des Acetyl-CoA wird (via Acetylphosphat) zur Substratphosphorylierung eingesetzt. Im reduktiven Ast der

Alanin

2 Glycin

Alanin-Dehydrogenase NH3

+

NAD

NADH

NADH

NAD+ GlycinReduktase

Pyruvat 2 Fdox

Pyruvat:Ferredoxin- HSCoA Oxidoreduktase CO

2 Fdred

2

Acetyl SCoA Phosphotransacetylase

Acetat

Ferredoxin:NAD+Oxidoreduktase

NAD+

Pi

2 Pi 2 NH3

HSCoA

Acetyl– P Acetat-Kinase

NADH

Abb. 13.24 Stickland-Gärung mit Alanin und Glycin. Die Reaktion der Ferredoxin: NAD+-Oxidoreduktase ist wahrscheinlich mit einer Elektronenbifurkation gekoppelt und trägt so zusätzlich zur Energiekonservierung bei.

2 Acetyl– P ADP ATP

Acetat-Kinase

2 ADP 2 ATP

2 Acetat

3

Mikrobielle Gärungen Stickland-Gärungen wird häufig Glycin als zweites Substrat umgesetzt. Glycin wird durch den Glycin-Reduktase-Komplex, der zwei katalytisch wichtige Selenoproteinkomponenten enthält, zu Ammoniak und Acetylphosphat reduziert. Dies erlaubt in diesem Fall auch im reduktiven Teil des Gärungsstoffwechsels eine ATP-Bildung durch die Acetat-Kinase (▶ Abb. 13.24). Die Gesamtreaktion folgt der Gleichung:

Gärungen eingespeist. Neben Glycin sind auch andere reduzierbare Aminosäuren bekannt, z. B. D-Prolin, Leucin oder die aromatischen Aminosäuren. Während bei der Oxidation von Aminosäuren das entsprechende decarboxylierte Acyl-CoA-Derivat stets zur ATP-Bildung durch Substratphosphorylierung verwendet wird, ist jedoch in den reduktiven Teilreaktionen ausschließlich bei der Glycinreduktion eine Energiekonservierung bekannt.

Alanin + 2 Glycin + 2 H2O → 3 Acetat + 3 NH4+ + CO2 (ΔG°’ = –257 kJ/mol).

13.8.2 Vergärung von Glutamat

Außer Alanin werden oft auch die verzweigten Aminosäuren Leucin, Valin und Isoleucin, daneben auch Serin, Methionin u. a. in den oxidativen Zweig von Stickland-

Einige peptolytische Clostridien und andere anaerobe Bakterienarten vergären auch einzelne Aminosäuren zu

●V

Plus 13.13 Drei Wege der Vergärung von Glutamat Glutamat wird je nach Organismus über einen von drei Gärungswegen abgebaut (▶ Abb. 13.25): 1. den Methylaspartatweg, 2. den 2-Hydroxyglutaratweg und 3. den 4-Aminobutyratweg. Methylaspartatweg Der Methylaspartatweg (▶ Abb. 13.25, links) wird initiiert durch die Umlagerung des Kohlenstoffgerüsts des Glutamats zu Methylaspartat über eine Coenzym-B12-haltige Glutamat-Mutase (①). Das gebildete Methylaspartat wird durch Eliminierung von Ammonium und Wasseraddition zu (S)-Citramalat umgesetzt, das dann zu Acetat und Pyruvat gespalten wird. Für die weiteren Reaktionen wird lediglich das gebildete Pyruvat als Ausgangssubstrat benötigt. Es wird über Pyruvat:Ferredoxin-Oxidoreduktase zu CO2 und AcetylCoA oxidiert, und die Acetyl-CoA-Intermediate werden dann entweder zur Bildung von ATP (Substratphosphorylierung via Acetylphosphat) eingesetzt oder zum Ausgleich der Redoxbilanz zu Butyrat fermentiert. Der Stoffwechsel folgt ab dieser Stelle dem Verlauf der Buttersäuregärung (S. 429) und erlaubt wahrscheinlich ebenfalls die Konservierung zusätzlicher Energie durch eine elektronenbifurkierende Crotonyl-CoA-Reduktase (s. Plus 13.2) (S. 413). Mit der unten angegebenen Stöchiometrie des Stoffwechselwegs errechnet sich eine Energieausbeute von 64 kJ pro mol vergorenes Glutamat, während sich allein durch Substratphosphorylierung die Bildung von 0,6 ATP pro Glutamat ergeben. Unter Einbeziehung zusätzlich konservierter Energie aus der Elektronenbifurkation erhält man bis zu 0,9 ATP pro Glutamat, was einer aufgewendeten Energie von 71 kJ mol–1 pro ATP entspricht. 5 Glutamat + 6 H2O + 2 H+ → 5 NH4+ + 5 CO2 + 6 Acetat + 2 Butyrat + H2 (ΔG0’ = –317,5 kJ mol–1) 2-Hydroxyglutaratweg Der 2-Hydroxyglutaratweg (▶ Abb. 13.25, Mitte) wird initiiert durch die Oxidation von Glutamat zu 2-Oxoglutarat und dessen anschließende Reduktion zu (R)-2-Hydroxy-

434

glutarat durch die Glutamat- bzw. 2-Hydroxyglutarat-Dehydrogenase (② und ③). Das 2-Hydroxyglutarat wird durch eine CoA-Transferase (④) zum CoA-Thioester aktiviert, um die folgende mechanistisch schwierige Reaktion der Wassereliminierung aus einer 2-Hydroxysäure zu ermöglichen. Diese Reaktion wird über einen radikalischen Mechanismus von der 2-Hydroxyglutaryl-CoA-Dehydratase katalysiert (⑤), die dementsprechend komplex aufgebaut und aufgrund von katalytisch aktiven Fe-S-Zentren extrem sauerstoffsensitiv ist. Das dabei gebildete Glutaconyl-CoA wird dann zu Crotonyl-CoA decarboxyliert (⑥), das jeweils zum Teil zu Acetyl-CoA oxidiert oder zu Butyryl-CoA reduziert wird. Wie bereits beim Methylaspartatweg beschrieben, erfolgt die Energiekonservierung dabei über eine Kombination aus Substratphosphorylierung und Elektronenbifurkation (bei der Crotonyl-CoA-Reduktion). Dieser Weg wird z. B. von Acidaminococcus fermentans oder Clostridium symbiosum genutzt. 4-Aminobutyratweg Der 4-Aminobutyratweg (▶ Abb. 13.25, rechts) wird initiiert durch die Decarboxylierung von Glutamat zu 4-Aminobutyrat durch die Glutamat-Decarboxylase (⑦). Das 4-Aminobutyrat wird von den entsprechenden Gärern (z. B. Clostridium sporogenes) direkt als Substrat verwertet und zunächst durch Transaminierung mit 2-Oxoglutarat und eine darauffolgende Reduktion zu 4-Hydroxybutyrat konvertiert. Wie das 2-Hydroxyglutarat des vorher dargestellten Wegs wird auch dieses Intermediat durch eine (ButyrylCoA-abhängige) CoA-Transferase (⑧) zum CoA-Thioester aktiviert. Erst damit kann wiederum eine Wassereliminierung stattfinden, die durch die 4-Hydroxybutyryl-CoA-Dehydratase katalysiert wird (⑨). Diese Dehydratase gehört zwar zu einer völlig anderen Enzymfamilie als die 2-Hydroxyglutaryl-CoA-Dehydratase, ist aber ebenfalls extrem sauerstoffsensitiv und arbeitet mit einem ähnlichen radikalischen Mechanismus. Als Produkt der Wasserabspaltung entsteht Crotonyl-CoA, das genau wie beim 2-Hydroxyglutaratweg weiter abgebaut wird.

13.9 Sekundäre Gärungen und Homoacetatgärung typischen Gärungsprodukten wie Kohlendioxid, Acetat, Butyrat und Ammoniak. Im Vergleich zur Stickland-Gärung werden bei diesen Stoffwechselwegen sowohl oxidierte als auch reduzierte Gärungsprodukte aus demselben Substrat gebildet. Hier wird exemplarisch die Vergärung von Glutamat besprochen. Dafür sind in verschiedenen Bakterienarten mindestens drei völlig unterschiedliche Gärungswege bekannt (Plus 13.13). Der erste dieser Wege, der Methylaspartatweg, wird beispielsweise von Clostridium tetani oder C. tetanomorphum genutzt (▶ Abb. 13.25). Er wird initiiert durch eine Coenzym-B12-haltige Mutase, die Glutamat zu der verzweigten Aminosäure Methylaspartat rearrangiert; deren Aminogruppe kann – im Gegensatz zu der des Glutamats – leicht eliminiert werden. Im weiteren Verlauf des Gärungswegs wird Methylaspartat dann zu Acetat, Ammonium und Pyruvat umgesetzt. Der weitere Abbau des Pyruvats erfolgt über die Pyruvat:FerredoxinOxidoreduktase zu CO2 und Acetyl-CoA, welches schließlich analog zur Buttersäuregärung zu Acetat und Butyrat umgesetzt wird. Erst dieser letzte Teil des Abbauwegs erlaubt eine Energiekonservierung über Substratphosphorylierung aus den CoA-Thioestern und wahrscheinlich zusätzlich auch über Elektronenbifurkation (s. Plus 13.2)

Methylaspartatweg

(S. 413). Zwei weitere Wege der Vergärung von Glutamat sind der 2-Hydroxyglutarat- und der 4-Aminobutyratweg, die von anderen anaeroben Bakterienarten genutzt und in Plus 13.13 näher erklärt werden.

13.9 Sekundäre Gärungen und Homoacetatgärung 13.9.1 Sekundäre Gärungen In anoxischen Lebensräumen wird organischer Kohlenstoff in der Regel vollständig zu Kohlendioxid und Methan mineralisiert. Der Prozess verläuft in drei Stufen, an denen jeweils andere Typen von Mikroorganismen beteiligt sind. In der ersten Stufe hydrolysieren die bisher vorgestellten gärenden Mikroorganismen die Biopolymere und bauen die gewonnenen Bausteine zu den diversen Gärungsprodukten ab. In einer zweiten Gärungsstufe werden diese primären Gärungsprodukte von spezialisierten Mikroorganismen weiter zu Acetat, Wasserstoff und Kohlendioxid umgesetzt. Diese sekundären Gärungsprodukte werden schließlich in der dritten Stufe als einzige Substrate von den methanogenen Archaea ver-

Hydroxyglutaratweg 1

Glutamat

B12

NH4+

NADH

3

H2O Acetat

NADH

NADH

2-Oxoglutarat

NAD+

NAD+

L-Glutamat

Acetat

H2O Pyruvat

NADH

4

NAD+

8

Glutaconyl SCoA

HS–CoA CO2

9 Crotonyl SCoA

H2O

NAD+

Acetyl SCoA

Acetat

Butyrat

4-Hydroxybutyryl SCoA 6

2 Fdred

NADH HS–CoA

4-Hydroxybutyrat

5

2 Fdox

ATP

Succinatsemialdehyd

(R)-2-Hydroxyglutaryl SCoA

(S)-Citramalat

ADP

4-Aminobutyrat

(R)-2-Hydroxyglutarat

Mesaconat

Pi

NH4+

2-Oxoglutarat

NH4+

CO2

CO2

NAD+

2

Methylaspartat

4-Aminobutyratweg 7

NAD+

0,5 Butyrat (Buttersäuregärung)

NADH 2 Acetyl SCoA ADP + Pi

Butyryl SCoA ADP + Pi

HS–CoA

ATP Acetat

HS–CoA

ATP Butyrat

Abb. 13.25 Wege der Vergärung von Glutamat. Erklärung siehe Text.

5

13.9 Sekundäre Gärungen und Homoacetatgärung typischen Gärungsprodukten wie Kohlendioxid, Acetat, Butyrat und Ammoniak. Im Vergleich zur Stickland-Gärung werden bei diesen Stoffwechselwegen sowohl oxidierte als auch reduzierte Gärungsprodukte aus demselben Substrat gebildet. Hier wird exemplarisch die Vergärung von Glutamat besprochen. Dafür sind in verschiedenen Bakterienarten mindestens drei völlig unterschiedliche Gärungswege bekannt (Plus 13.13). Der erste dieser Wege, der Methylaspartatweg, wird beispielsweise von Clostridium tetani oder C. tetanomorphum genutzt (▶ Abb. 13.25). Er wird initiiert durch eine Coenzym-B12-haltige Mutase, die Glutamat zu der verzweigten Aminosäure Methylaspartat rearrangiert; deren Aminogruppe kann – im Gegensatz zu der des Glutamats – leicht eliminiert werden. Im weiteren Verlauf des Gärungswegs wird Methylaspartat dann zu Acetat, Ammonium und Pyruvat umgesetzt. Der weitere Abbau des Pyruvats erfolgt über die Pyruvat:FerredoxinOxidoreduktase zu CO2 und Acetyl-CoA, welches schließlich analog zur Buttersäuregärung zu Acetat und Butyrat umgesetzt wird. Erst dieser letzte Teil des Abbauwegs erlaubt eine Energiekonservierung über Substratphosphorylierung aus den CoA-Thioestern und wahrscheinlich zusätzlich auch über Elektronenbifurkation (s. Plus 13.2)

Methylaspartatweg

(S. 413). Zwei weitere Wege der Vergärung von Glutamat sind der 2-Hydroxyglutarat- und der 4-Aminobutyratweg, die von anderen anaeroben Bakterienarten genutzt und in Plus 13.13 näher erklärt werden.

13.9 Sekundäre Gärungen und Homoacetatgärung 13.9.1 Sekundäre Gärungen In anoxischen Lebensräumen wird organischer Kohlenstoff in der Regel vollständig zu Kohlendioxid und Methan mineralisiert. Der Prozess verläuft in drei Stufen, an denen jeweils andere Typen von Mikroorganismen beteiligt sind. In der ersten Stufe hydrolysieren die bisher vorgestellten gärenden Mikroorganismen die Biopolymere und bauen die gewonnenen Bausteine zu den diversen Gärungsprodukten ab. In einer zweiten Gärungsstufe werden diese primären Gärungsprodukte von spezialisierten Mikroorganismen weiter zu Acetat, Wasserstoff und Kohlendioxid umgesetzt. Diese sekundären Gärungsprodukte werden schließlich in der dritten Stufe als einzige Substrate von den methanogenen Archaea ver-

Hydroxyglutaratweg 1

Glutamat

B12

NH4+

NADH

3

H2O Acetat

NADH

NADH

2-Oxoglutarat

NAD+

NAD+

L-Glutamat

Acetat

H2O Pyruvat

NADH

4

NAD+

8

Glutaconyl SCoA

HS–CoA CO2

9 Crotonyl SCoA

H2O

NAD+

Acetyl SCoA

Acetat

Butyrat

4-Hydroxybutyryl SCoA 6

2 Fdred

NADH HS–CoA

4-Hydroxybutyrat

5

2 Fdox

ATP

Succinatsemialdehyd

(R)-2-Hydroxyglutaryl SCoA

(S)-Citramalat

ADP

4-Aminobutyrat

(R)-2-Hydroxyglutarat

Mesaconat

Pi

NH4+

2-Oxoglutarat

NH4+

CO2

CO2

NAD+

2

Methylaspartat

4-Aminobutyratweg 7

NAD+

0,5 Butyrat (Buttersäuregärung)

NADH 2 Acetyl SCoA ADP + Pi

Butyryl SCoA ADP + Pi

HS–CoA

ATP Acetat

HS–CoA

ATP Butyrat

Abb. 13.25 Wege der Vergärung von Glutamat. Erklärung siehe Text.

5

Mikrobielle Gärungen

Abb. 13.26 Sekundäre Vergärung von Butyrat durch Syntrophomonas-Arten in Cokultur mit methanogenen Archaea. Man muss erwarten, dass bei den syntrophen Mikroorganismen ein Großteil der Energie aus der Acetat-Kinase-Reaktion für den rückläufigen Elektronentransport verwendet wird, der mit der Butyryl-CoA-Oxidation gekoppelt ist. Die genauen Mechanismen hinter diesen Prozessen sind bisher nicht bekannt.

Butyrat Acetyl SCoA CoA-Transferase

Acetat

Butyryl SCoA

β-Oxidation

FAD

2 Fdred

2 H+

FADH2

2 Fdox

H2

½ CO2

rückläufiger Elektronentransport 2 H2 +

NAD

2 Fdred

2H

NADH

2 Fdox

H2

HSCoA

+

2 Acetyl SCoA Phosphotransacetylase

H+ (pmf) ½ CH4 + H2O

Pi

Methanococcus

HSCoA

Acetyl– P Acetat-Kinase

ADP ATP

Acetat Syntrophomonas

wertet (▶ Abb. 13.1). Die bei der sekundären Gärung freigesetzten Reduktionsäquivalente werden als Wasserstoff abgegeben, allerdings kann dabei unter Normalbedingungen keine Energie konserviert werden. Nur bei extrem niedrigen Wasserstoffkonzentrationen werden die katabolen Reaktionen der sekundären Gärer exergon und erlauben Wachstum (s. Anhang). Deshalb sind die Organismen der sekundären Gärungsstufe typischerweise auf eine enge syntrophe Assoziation mit wasserstoffverbrauchenden Mikroorganismen angewiesen, die für die Absenkung der Wasserstoffkonzentration sorgen (▶ Abb. 13.26). Eine typische Gärungsbilanz der sekundären Vergärung von Buttersäure zu Essigsäure ist: H3C–CH2–CH2–COOH + 2 H2O → 2 H3C–COOH + 2 H2. Diese Reaktion ist unter Standardbedingungen stark endergon (ΔG0’ = + 48 kJ mol–1). Unter realen Standortbedingungen ist Wachstum der sekundären Gärer nur möglich, weil die methanogenen oder sulfatreduzierenden Partnerorganismen die Konzentrationen beider Gärungsprodukte, Wasserstoff und Essigsäure, so weit absenken, dass die Reaktion exergon wird (z. B. ΔG’ = –26 kJ mol–1 bei 1 mM Butyrat, 0,1 mM Acetat und 10–4 bar Wasserstoff).

Eigenschaften und Isolierung der sekundären Gärer Da sie schwierig als Reinkulturen zu isolieren sind, kennt man erst seit Kurzem einige Arten der sekundären Gärer

436

(Plus 13.14). Typische Vertreter dieser Gruppe sind z. B. die Gattungen Syntrophus und Syntrophomonas, deren Namen von der typischen syntrophen Vergesellschaftung mit wasserstoffzehrenden Mikroorganismen abgeleitet sind. Die Gattung Syntrophus gehört zu den gramnegativen Deltaproteobakterien und umfasst Arten, die Fettsäuren oder aromatische Verbindungen (einschließlich aromatischer Kohlenwasserstoffe) vergären, während die bekannten Arten der Gattung Syntrophomonas zu den grampositiven Firmicutes gehören und meist Fettsäuren vergären.

Plus 13.14

●V

Trick bei der Isolierung von sekundären Gärern: Vergärung von Crotonsäure

Obwohl die obligat syntrophen Gärer auf ihren üblichen Substraten nicht in Reinkultur isoliert werden können, wurden durch geschickte Wahl von alternativen Substraten einige Arten isoliert und charakterisiert. So können fettsäureabbauende sekundäre Gärer mit Crotonsäure als Substrat in Reinkultur gebracht werden. Dabei wird ein Teil der Crotonsäure zu Essigsäure oxidiert, während der andere Teil unter Verbrauch der freigesetzten Reduktionsäquivalente zu Buttersäure reduziert wird: 2 H3C-CH = CH–COOH + 2 H2O → 2 H3C–COOH + H3C–CH2–CH2–COOH (ΔG0’ = –102 kJ mol–1)

13.9 Sekundäre Gärungen und Homoacetatgärung

●V

Plus 13.15 Ethanol-Acetat-Gärung von Clostridium kluyveri Clostridium kluyveri ist seit 1942 wegen seines eigenartigen Ethanol-Acetat-Gärungswegs bekannt. Dieses Bakterium setzt während seines fermentativen Wachstums eine Mischung von Ethanol und Acetat zu Wasserstoff, Butyrat und etwas Caproat (C6-Carbonsäure) um. Die genaue Funktionsweise des dabei verwendeten Gärungswegs wurde erst in den letzten Jahren verstanden und benötigt als Schlüsselenzym eine elektronenbifurkierende Crotonyl-CoA-Reduktase (s. ▶ Abb. 13.21 und Plus 13.2) (S. 413). In ▶ Abb. 13.27 ist eine stöchiometrische Darstellung des Ethanol-Acetat-Gärungswegs gezeigt. Man kann die Ethanol-Acetat-Gärung als Abwandlung der Buttersäuregärung betrachten, bei der es keine der konventionellen Möglichkeiten zur Energiekonservierung gibt und allein die Energie genutzt wird, die bei der Reduktion von Crotonyl-CoA freigesetzt und durch Elektronenbifurkation nutzbar gemacht wird. Dieser äußerst komplizierte Stoffwechsel wird hier besprochen, nicht weil er weit verbreitet ist, sondern weil er die energetische Komplexität und wundersamen Anpassungsmechanismen mancher anaerober Stoffwechselprozesse verdeutlicht. Der Stoffwechselweg startet mit der Oxidation von 6 Ethanol (via Acetaldehyd) zu 6 Acetyl-CoA, die durch eine Alkohol- (①) und eine besondere CoA-koppelnde AldehydDehydrogenase (②) katalysiert wird. Dabei werden 12 NADH erhalten, die in den reduktiven Ast der Buttersäuregärung eingespeist werden. Parallel dazu werden 5 Acetat über eine CoA-Transferase zu Acetyl-CoA aktiviert, wobei Butyryl-CoA als CoA-Donator dient (⑦). Zehn der insgesamt 11 Acetyl-CoA werden durch die Thiolase (③) zu 5 Acetoacetyl-CoA kondensiert, die dann durch die 3-Hydroxybutyryl-CoA-Dehydrogenase (④) mit 5 NADH reduziert

6 NAD+ 6 Ethanol

6 NAD+

6 NADH

5 Acetyl SCoA

6 Ethanol + 4 Acetat → 5 Butyrat + H+ + 4 H2O + 2 H2 (ΔG0’ = –180 kJ mol–1).

6 CoASH

2

5 Acetyl SCoA

Acetyl SCoA

3 5 Butyrat

5 HS–CoA 7

5 Acetat

Abb. 13.27 Ethanol-Acetat-Gärung von Clostridium kluyveri. Erklärung siehe Text.

6 NADH

6 Acetaldehyd

1

und durch die Crotonase (⑤) zu 5 Crotonyl-CoA dehydriert werden. Die weitere Reduktion zu Butyryl-CoA wird von dem in Plus 13.2 (S. 413) beschriebenen bifurkierenden Crotonyl-CoA-Reduktase/ETF-Komplex katalysiert, der dafür 10 NADH oxidiert und die Elektronen auf 5 CrotonylCoA und 10 Ferredoxine überträgt (⑥). Die dabei entstandenen 5 Butyryl-CoA werden über die bereits erwähnte CoA-Transferase (⑦) zum Endprodukt Butyrat umgesetzt und zugleich zur Acetataktivierung genutzt. Da den 15 NADH, die für die Buttersäurebildung gebraucht werden, nur 12 NADH aus der Ethanoloxidation gegenüberstehen, müssen mittels der entstandenen reduzierten Ferredoxine weitere 3 NADH gebildet werden. Dies geschieht über den membrangebundenen Rnf-Komplex (S. 414), der pro übertragenem Elektron vermutlich ein Proton durch die Membran pumpt (⑩). Der entstehende Protonengradient wird dann von der ATP-Synthase (⑪) zur ATP-Bildung genutzt, wobei die 6 translozierten Protonen ca. 1,5 ATP-Äquivalenten entsprechen. Die restlichen reduzierten Ferredoxine werden über eine Hydrogenase ⑫ zur Bildung von 2 Wasserstoffen genutzt. Schließlich wird auch das „übriggebliebene“ elfte Acetyl-CoA noch energetisch verwertet, indem es über die Phosphotransacetylase (⑧) und die Acetat-Kinase (⑨) zur Bildung eines weiteren ATP verwendet wird. Die gesamte Energieausbeute des Gärungswegs beträgt also 2,5 ATP pro 5 gebildeten Butyrat oder 0,5 ATP pro Butyrat. Für jedes gebildete ATP ergibt sich eine aufgewendete Energie von 72 kJ mol–1, genau wie bei der Buttersäuregärung mit einberechneter Elektronenbifurkation. Die Summengleichung der Ethanol-Acetat-Gärung ist

P

8

CoASH

5 Acetoacetyl-CoA Acetyl- P 5 NADH 4

9

5 NAD+

ATP Acetat

5 3-OH-Butyryl SCoA 5

1,5 ATP

5 H2O

5 Crotonyl SCoA

6 H+

3 NADH

10 NAD+ 2 H2 10 Fdox

11

1,5 ADP + Pi

10 NADH 6

ADP

4 e–

12

3 NAD+ 10

6 H+

6 e–

10 Fdred 5 Butyryl SCoA

4 H+

7

Mikrobielle Gärungen Neben den oben aufgeführten Spezialisten gehören zu den sekundären Gärern noch weitere Arten von Bakterien, die zum Teil auch andere, thermodynamisch günstigere Substrate verwerten. So vergärt das Pansenbakterium Ruminococcus albus Glucose komplett zu zwei Acetat, zwei CO2 und vier H2 und kann damit bis zu 4 ATP pro Glucose bilden. Die dafür nötige Übertragung aller gebildeten Reduktionsäquivalente auf Protonen und die Freisetzung als Wasserstoff bedingt allerdings, dass unter Normalbedingungen nicht genügend Energie für diese Menge produzierten ATPs zur Verfügung steht. Deshalb muss auch hier durch Syntrophie mit wasserstoffzehrenden Mikroorganismen die Wasserstoffkonzentration in der Umgebung ausreichend abgesenkt werden: C6H12O6 + 2 H2O → 2 H3C–COOH + 2 CO2 + 4 H2 (ΔG0’ = –199 kJ mol–1; ΔG’ = –313 kJ mol–1 bei 10–5 bar H2). Auch Ethanol kann in Reinkulturen bis auf den Spezialfall bei Clostridium kluyveri, das dazu zusätzlich Acetat braucht (Plus 13.15), nicht vergoren werden, wohl aber in syntrophen Assoziationen aus sekundären Gärern und Methanogenen. Ein bekanntes Beispiel ist „Methanobacterium omelianskii“, der als vermeintliche Reinkultur

(1) C6H12O6 + 2 H2O (2)

2 CO2

Summe:

438

+

4 H2

C6H12O6

2 H3C–COOH + 2 CO2 + 4 H2 H3C–COOH + 2 H2O 3 H3C–COOH

eines ethanoloxidierenden Methanogenen angesehen wurde, sich aber als Mischkultur eines ethanoloxidierenden sekundären Gärers mit einem methanogenen Archaebakterium herausstellte.

13.9.2 Homoacetatgärung Eine weitere Art der Vergärung von Glucose, bei der Acetat als einziges Produkt erzeugt wird (Homoacetatgärung), kann man verstehen als Kombination einer H2/ CO2-entwickelnden Gärung nach Gleichung (1) in ▶ Abb. 13.28 mit einer sofort anschließenden Wiederverwertung der gasförmigen Reaktionsprodukte H2 und CO2 zu einem weiteren Molekül Acetat (Acetogenese). Die Homoacetatgärung wird von einigen acetogenen Bakterien (z. B. Moorella thermoacetica) genutzt, wenn Zucker als Substrate zur Verfügung stehen. Vereinfacht kann man den Ablauf des Prozesses als „Syntrophie innerhalb einer einzigen Zelle“ betrachten; der acetogene Teil des Stoffwechselwegs (S. 461) übernimmt dabei die Funktion des wasserstoffzehrenden Partnerorganismus.

(∆G0' –199 kJ mol–1) (∆G0' –111 kJ mol–1) (∆G0' –310 kJ mol–1)

Abb. 13.28 Summengleichung der Homoacetatgärung.

13.9 Sekundäre Gärungen und Homoacetatgärung

M ●

Zusammenfassung ●













Der Energiestoffwechsel von Mikroorganismen wird über Gärung bestritten, wenn keine externen Elektronenakzeptoren für aerobe oder anaerobe Atmung zur Verfügung stehen. ATP wird dabei meist durch Substratphosphorylierung aus wenigen energiereichen Zwischenverbindungen gebildet. Zusätzlich spielen bei vielen Gärungen Prozesse mit Elektronenbifurkation und ferredoxingetriebenen Ionenpumpen in der Cytoplasmamembran eine wichtige Rolle für die Energiekonservierung. Bei den verschiedenen Gärungsformen werden aus den Substraten jeweils charakteristische Gärungsprodukte gebildet. Dabei stellt sich stets eine ausgewogene Gärungsbilanz zwischen oxidierten und reduzierten Produkten ein. Man unterscheidet die Gärungsformen nach den gebildeten Gärungsprodukten. Bei der Milchsäuregärung werden Zucker zu Milchsäure (Lactat) als Hauptprodukt vergoren; dabei wird je nach Art des Mikroorganismus D- oder L-Lactat gebildet. Man unterscheidet zwischen der homo- und heterofermentativen Milchsäuregärung. Bei ersterer wird Lactat als einziges Gärungsprodukt gebildet, während bei der letzteren gleiche Mengen Alkohol und CO2 zusätzlich zum Lactat gebildet werden. Die wichtigsten Milchsäurebakterien gehören zu den grampositiven Bakterien mit niedrigen GC-Gehalt (Firmicutes), z. B. die Gattungen Lactobacillus und Streptococcus. Eine Ausnahme stellt die Gattung Bifidobacterium dar, die zu den grampositiven Bakterien mit hohem GCGehalt (Actinobacteria) gehört und die Milchsäuregärung über einen besonderen Stoffwechselweg betreibt. In der alkoholischen Gärung werden Zucker zu Ethanol und CO2 als Gärungsprodukten umgesetzt. Die wichtigsten beteiligten Mikroorganismen sind hier vor allem Hefen; es gibt aber auch einige alkoholgärende Bakterien, z. B. Zymomonas mobilis. Die gemischte Säuregärung ist die typische Gärungsform der Enterobacteriaceae und einiger weiterer Gruppen von Bakterien. Die Hauptprodukte sind dabei organische Säuren (Milchsäure, Essigsäure, Ameisensäure, Bernsteinsäure), Ethanol, H2 und CO2 in unterschiedlichen molaren Verhältnissen. Als Spezialform gibt es bei einigen Arten darüber hinaus auch einen abzweigenden Stoffwechselweg zu 2,3-Butandiol. Die Buttersäuregärung ist typisch für die Gruppe der Clostridien, obligat anaerobe grampositive Bakterien der Gruppe Firmicutes. Viele Clostridien produzieren auch polymerspaltende Enzyme und machen in anoxischen Lebensräumen Biopolymere (z. B. Stärke, Cellulose) verfügbar. Als Buttersäuregärung bezeichnet









man insbesondere die Vergärung von Zuckern durch saccharolytische Clostridien. Neben Buttersäure produzieren diese Organismen als weitere Gärungsprodukte Ethanol, Essigsäure, H2 und CO2 (z. B. Clostridium butyricum). Einige Arten (z. B. C. acetobutylicum) benutzen einen modifizierten Gärungsweg zur Produktion zusätzlicher Gärungsprodukte, v. a. Butanol, Isopropanol und Aceton. Dieser Gärungsweg wird als Butanol- oder Lösungsmittelgärung bezeichnet. Die Propionsäuregärung ist ein Gärungsweg, der üblicherweise einer Milchsäuregärung nachgeschaltet ist. Lactat wird dabei als Substrat verwendet und zu Propionat bzw. Acetat und CO2 disproportioniert. Eine wichtige Gattung ist Propionibacterium, das zu den Actinobacteria gehört. Aminosäuren und Nukleotide werden vor allem von Clostridium-Arten (peptolytische Clostridien) und verwandten Gattungen vergoren; Gärungsprodukte sind dabei organische Säuren, Alkohole, H2, CO2 und NH3. Ein wichtiger Stoffwechselweg ist die Vergärung von Aminosäurepaaren, von denen je eine zu oxidierten, die andere zu reduzierten Gärungsprodukten umgesetzt wird (SticklandGärung). Es gibt aber auch Gärungswege, bei denen einzelne Aminosäuren bzw. Nukleotidbasen zu oxidierten und reduzierten Gärungsprodukten umgesetzt werden. Schließlich gibt es noch sogenannte sekundäre Gärungen, die meist nur in syntrophen Cokulturen gärender Bakterien mit anderen Arten von stark wasserstoffzehrenden Mikroorganismen (z. B. methanogene Archaea) durchgeführt werden. In diesen Gärungswegen werden die reduzierten Produkte anderer gärender Mikroorganismen (z. B. Alkohole, Propionsäure, Buttersäure) zu Acetat, CO2 und H2 umgesetzt. Diese Gärungsprodukte dienen wiederum den syntrophen Partnerorganismen als Substrate, z. B. für die Methanbildung durch methanogene Archaea. Der kritische Punkt bei diesen sekundären Gärungswegen ist, dass durch die Aktivität der wasserstoffzehrenden Partnerorganismen die Wasserstoffkonzentration auf sehr niedrige Werte abgesenkt werden muss, damit auch die gärenden wasserstofffreisetzenden Organismen aus diesem Stoffwechselweg Energie für das Wachstum der Zellen konservieren können. Einen Spezialfall stellt die Homoacetatgärung dar, die es einigen anaeroben Bakterien (z. B. Moorella thermoacetica) erlaubt, Glucose zu Acetat als einzigem Gärungsprodukt umzusetzen. Diese Bakterien gehören zu den acetogenen Bakterien und sind ähnlich wie die methanogenen Archaea in der Lage, die Wasserstoffkonzentration weit abzusenken.

Literatur zum Weiterlesen unter: www.thieme.de/literatur-fuchs

9

© gradt – Fotolia

Kapitel 14 Anaerobe Atmung

14.1

Überblick

442

14.2

Energetisches Prinzip

442

14.3

Nitrat, Nitrit, N2O als Elektronenakzeptoren

444

14.4

Fumarat als Elektronenakzeptor

447

14.5

Oxidierte Metallionen als Elektronenakzeptoren

448

14.6

Sulfat als Elektronenakzeptor

449

14.7

Schwefel als Elektronenakzeptor 454

14.8

Methanogenese: CO2 als Elektronenakzeptor

456

14.9

Acetogenese: CO2 als Elektronenakzeptor

461

14.10 Reduktion weiterer Elektronenakzeptoren

463

Anaerobe Atmung

14 Anaerobe Atmung Johann Heider

14.1 Überblick Mikroorganismen oxidieren organische Verbindungen vollständig zu CO2 auch dann, wenn kein molekularer Sauerstoff als Elektronenakzeptor zur Verfügung steht. Anstelle von Sauerstoff nutzen und reduzieren sie dabei andere oxidierte anorganische oder organische Verbindungen als alternative terminale Elektronenakzeptoren. Diese Prozesse werden „anaerobe Atmung“ genannt. Wie bei der aeroben Atmung wird dabei Energie freigesetzt, die zunächst als Membranpotenzial gespeichert wird, meist durch den Aufbau eines Protonengradienten. Dieses Membranpotenzial wird dann über eine Elektronentransportphosphorylierung zur Synthese von ATP genutzt. Beispiele sind die anaerobe Atmung mit Nitrat, Fe(III), Mn(IV), Fumarat, Sulfat, Schwefel oder CO2, die zu N2 oder NH4+, Fe(II), Mn(II), Succinat, H2S oder CH4 bzw. zu Acetat reduziert werden. Viele der reduzierten anorganischen Produkte aus anaeroben Atmungsprozessen dienen wieder als Elektronendonatoren für chemo- oder photolithotrophe Mikroorganismen. Die anaeroben Atmungsprozesse haben eine eminente Bedeutung für die natürlichen Stoffkreisläufe und den Erhalt des chemischen Gleichgewichts in der Biosphäre. Die anaerobe Atmung ist weitgehend die Domäne der Prokaryonten. In Eukaryonten findet man nur in wenigen Ausnahmefällen ähnliche Systeme, wie beispielsweise die Fumaratatmung bei Tieren, die vorübergehend oder dauernd in sauerstofffreien Bereichen leben.

14.2 Energetisches Prinzip Die aerobe Atmung bedeutet Oxidation von Substraten mithilfe von Sauerstoff (Verbrennung), mit dem Ziel der Energiegewinnung. Die anaerobe Atmung folgt dem gleichen Grundprinzip wie die aerobe Atmung: Reduktionsäquivalente aus der Oxidation geeigneter Elektronendonatoren werden über eine membrangebundene Elektronentransportkette zu einer terminalen Reduktase geleitet, die aber anstatt Sauerstoff einen alternativen Elektronenakzeptor reduziert. Die Trennung der elektrischen Ladungen beim Elektronentransport über die Membran führt zum Aufbau eines elektrochemischen Potenzials (z. B. Protonengradient), das durch die membranständige ATP-Synthase zur Regeneration von ATP genutzt wird (▶ Abb. 14.1). Atmungsprozesse mit alternativen Elektronenakzeptoren findet man bei vielen fakultativ oder strikt anaeroben Mikroorganismen. Bei der anaeroben Atmung wird weniger Energie konserviert als bei der aeroben Atmung, aber mehr als bei Gärungsprozessen (S. 410). Die verfügbare Energie aus dem jeweiligen Atmungsprozess ist proportional zur Re-

442

1

DH2 2

[e–]

A+2H+ 3 4

+

D+2H

AH2 pmf

5

ATP

Abb. 14.1 Prinzip der anaeroben Atmung. Benötigte Komponenten: ① Membran; ② membrangebundene Dehydrogenase; ③ membrangebundene Elektronentransportkette; ④ membrangebundene terminale Reduktase; ⑤ ATP-Synthase; pmf, proton motive force.

doxpotenzialdifferenz zwischen dem Elektronendonator (z. B. NADH) und dem jeweiligen Elektronenakzeptor (▶ Abb. 14.2). Man findet in anaeroben Habitaten wie z. B. in Sedimenten von Seen und Meeren oder in kontaminierten Grundwasserleitern eine strikte Schichtung der vorherrschenden Mikroorganismenpopulationen, je nach der Stellung der verwendeten Elektronenakzeptoren in der Redoxpotenzialskala (▶ Abb. 14.3). In Sedimenten findet sich zuoberst eine dünne Schicht von wenigen Millimeter, in der aerobe Atmer vorherrschen. Diese werden nach dem Verbrauch des Sauerstoffs mit zunehmender Tiefe von anaeroben Organismen abgelöst, die mit Nitrat, Metallionen, Sulfat oder Kohlendioxid als anaeroben Elektronenakzeptoren „atmen“. Außerdem beobachtet man auch bei Reinkulturen vieler fakultativer Mikroorganismen ein Umschalten des Stoffwechsels nach der thermodynamischen Hierarchie der möglichen Elektronenakzeptoren (S. 509). Beispielweise bestreitet Escherichia coli seinen Energiestoffwechsel wahlweise mit folgender Präferenz. Bevorzugt wird die aerobe Atmung; erst nach vollständigem Verbrauch des Sauerstoffs schaltet die Zelle um auf anaerobe Atmung mit Nitrat, Fumarat oder einigen weiteren oxidierten Verbindungen, z. B. Dimethylsulfoxid (DMSO) oder Trimethylaminoxid (TMAO). Fehlen auch diese alternativen Elektronenakzeptoren, stellt die Zelle schließlich auf einen Gärungsstoffwechsel um. Die anaerobe Atmung mit Sulfat, Schwefel oder CO2 als Elektronenakzeptoren liefert weniger Energie als viele Gärungsstoffwechselwege (▶ Abb. 14.2). Diese Elektronenakzeptoren können nicht mehr von fakultativ anaeroben Mikroorganismen verwertet werden. Vielmehr setzt ihre Nutzung besondere Anpassungen voraus, die nur obligat anaerobe Mikroorganismen erfüllen können. Diese erschließen sich so Nährstoffquellen, die ohne Sauerstoff nicht anders genutzt werden können.

Anaerobe Atmung

14 Anaerobe Atmung Johann Heider

14.1 Überblick Mikroorganismen oxidieren organische Verbindungen vollständig zu CO2 auch dann, wenn kein molekularer Sauerstoff als Elektronenakzeptor zur Verfügung steht. Anstelle von Sauerstoff nutzen und reduzieren sie dabei andere oxidierte anorganische oder organische Verbindungen als alternative terminale Elektronenakzeptoren. Diese Prozesse werden „anaerobe Atmung“ genannt. Wie bei der aeroben Atmung wird dabei Energie freigesetzt, die zunächst als Membranpotenzial gespeichert wird, meist durch den Aufbau eines Protonengradienten. Dieses Membranpotenzial wird dann über eine Elektronentransportphosphorylierung zur Synthese von ATP genutzt. Beispiele sind die anaerobe Atmung mit Nitrat, Fe(III), Mn(IV), Fumarat, Sulfat, Schwefel oder CO2, die zu N2 oder NH4+, Fe(II), Mn(II), Succinat, H2S oder CH4 bzw. zu Acetat reduziert werden. Viele der reduzierten anorganischen Produkte aus anaeroben Atmungsprozessen dienen wieder als Elektronendonatoren für chemo- oder photolithotrophe Mikroorganismen. Die anaeroben Atmungsprozesse haben eine eminente Bedeutung für die natürlichen Stoffkreisläufe und den Erhalt des chemischen Gleichgewichts in der Biosphäre. Die anaerobe Atmung ist weitgehend die Domäne der Prokaryonten. In Eukaryonten findet man nur in wenigen Ausnahmefällen ähnliche Systeme, wie beispielsweise die Fumaratatmung bei Tieren, die vorübergehend oder dauernd in sauerstofffreien Bereichen leben.

14.2 Energetisches Prinzip Die aerobe Atmung bedeutet Oxidation von Substraten mithilfe von Sauerstoff (Verbrennung), mit dem Ziel der Energiegewinnung. Die anaerobe Atmung folgt dem gleichen Grundprinzip wie die aerobe Atmung: Reduktionsäquivalente aus der Oxidation geeigneter Elektronendonatoren werden über eine membrangebundene Elektronentransportkette zu einer terminalen Reduktase geleitet, die aber anstatt Sauerstoff einen alternativen Elektronenakzeptor reduziert. Die Trennung der elektrischen Ladungen beim Elektronentransport über die Membran führt zum Aufbau eines elektrochemischen Potenzials (z. B. Protonengradient), das durch die membranständige ATP-Synthase zur Regeneration von ATP genutzt wird (▶ Abb. 14.1). Atmungsprozesse mit alternativen Elektronenakzeptoren findet man bei vielen fakultativ oder strikt anaeroben Mikroorganismen. Bei der anaeroben Atmung wird weniger Energie konserviert als bei der aeroben Atmung, aber mehr als bei Gärungsprozessen (S. 410). Die verfügbare Energie aus dem jeweiligen Atmungsprozess ist proportional zur Re-

442

1

DH2 2

[e–]

A+2H+ 3 4

+

D+2H

AH2 pmf

5

ATP

Abb. 14.1 Prinzip der anaeroben Atmung. Benötigte Komponenten: ① Membran; ② membrangebundene Dehydrogenase; ③ membrangebundene Elektronentransportkette; ④ membrangebundene terminale Reduktase; ⑤ ATP-Synthase; pmf, proton motive force.

doxpotenzialdifferenz zwischen dem Elektronendonator (z. B. NADH) und dem jeweiligen Elektronenakzeptor (▶ Abb. 14.2). Man findet in anaeroben Habitaten wie z. B. in Sedimenten von Seen und Meeren oder in kontaminierten Grundwasserleitern eine strikte Schichtung der vorherrschenden Mikroorganismenpopulationen, je nach der Stellung der verwendeten Elektronenakzeptoren in der Redoxpotenzialskala (▶ Abb. 14.3). In Sedimenten findet sich zuoberst eine dünne Schicht von wenigen Millimeter, in der aerobe Atmer vorherrschen. Diese werden nach dem Verbrauch des Sauerstoffs mit zunehmender Tiefe von anaeroben Organismen abgelöst, die mit Nitrat, Metallionen, Sulfat oder Kohlendioxid als anaeroben Elektronenakzeptoren „atmen“. Außerdem beobachtet man auch bei Reinkulturen vieler fakultativer Mikroorganismen ein Umschalten des Stoffwechsels nach der thermodynamischen Hierarchie der möglichen Elektronenakzeptoren (S. 509). Beispielweise bestreitet Escherichia coli seinen Energiestoffwechsel wahlweise mit folgender Präferenz. Bevorzugt wird die aerobe Atmung; erst nach vollständigem Verbrauch des Sauerstoffs schaltet die Zelle um auf anaerobe Atmung mit Nitrat, Fumarat oder einigen weiteren oxidierten Verbindungen, z. B. Dimethylsulfoxid (DMSO) oder Trimethylaminoxid (TMAO). Fehlen auch diese alternativen Elektronenakzeptoren, stellt die Zelle schließlich auf einen Gärungsstoffwechsel um. Die anaerobe Atmung mit Sulfat, Schwefel oder CO2 als Elektronenakzeptoren liefert weniger Energie als viele Gärungsstoffwechselwege (▶ Abb. 14.2). Diese Elektronenakzeptoren können nicht mehr von fakultativ anaeroben Mikroorganismen verwertet werden. Vielmehr setzt ihre Nutzung besondere Anpassungen voraus, die nur obligat anaerobe Mikroorganismen erfüllen können. Diese erschließen sich so Nährstoffquellen, die ohne Sauerstoff nicht anders genutzt werden können.

14.2 Energetisches Prinzip

E0' (mV)

H2

+/

H H2

–400

NADH

0

NADH

S /H2S CO2/CH4

I

SO42–/H2S

SO42–

CO2 H2S

MQ Fumarat/ Succinat

Chinone

0

Fumarat

Succinat

UQ III Cyt c

NO2–/NH4+ +400 NO3–/NO2–

NO3–

NO2–

IV

S0 CH4

H2S

Abb. 14.2 Thermodynamische Hierarchie und Normalpotenziale einiger biologisch relevanter Elektronendonatoren und Elektronenakzeptoren. Links der Skala stehen Redoxpaare von extrazellulären Molekülen, rechts von intrazellulären Elektronenüberträgern. Die Anordnung der Elektronenakzeptoren nach ihrem Potenzial entspricht der Reihenfolge, in der sie in anaeroben Sedimenten oder bei Reinkulturen der meisten anaeroben Atmer genutzt werden (Hierarchie der Elektronenakzeptoren). Mit I, III und IV sind die entsprechenden Atmungskettenkomplexe (S. 278) bezeichnet. Die verfügbaren Redoxspannen bei der Oxidation von NADH oder H2 mit verschiedenen Elektronenakzeptoren (ganz rechts) sind direkt proportional zur nutzbaren freien Energie (bei einem Zwei-ElektronenÜbergang: ΔE0’ = 400 mV entspricht ΔG0’ = –77 kJ mol–1, ungefähr der nötigen Energie für die Regeneration von 1 ATP). MQ, Menachinon; UQ, Ubichinon.

+800 O2/H2O

O2

H2O

2 NO2–/N2

Abb. 14.3 Ausbildung von Zonen mit Bakterien unterschiedlicher Stoffwechseltypen in kontaminierten Grundwasserleitern. Je nach Menge der verfügbaren Elektronenakzeptoren bilden sich unterschiedlich große Zonen aus, deren hierarchische Abfolge sich nach der verfügbaren Energie aus der jeweiligen Form der Atmung richtet.

oxisches unkontaminiertes Grundwasser

Grundwasserhorizont

Kontaminationsfahne Methanogenese

Fließrichtung

oxische anoxische Randzone Kernzone

Sulfatreduktion Fe(III)-Reduktion Mn(IV)-Reduktion Nitratreduktion wassergesättigte Bodenschicht

aerobe Atmung

Im Folgenden werden die einzelnen anaeroben Atmungstypen in der Reihenfolge der thermodynamischen Hierachie besprochen. Die Redoxpotenziale unter Standardbedingungen bei neutralem pH-Wert bei den Reaktionsgleichungen beziehen sich auf die Halbpaare der Elek-

tronenakzeptoren, also E0’ (oxidierte/reduzierte Verbindung) wie z. B. NO3–/NO2– (s. Anhang).

3

Anaerobe Atmung

14.3 Nitrat, Nitrit, N2O als Elektronenakzeptoren Nitrat wird von Mikroorganismen für zwei Zwecke genutzt, nämlich 1. als Stickstoffquelle für die Synthese stickstoffhaltiger Zellbestandteile (assimilatorische Nitratreduktion) (S. 299) (Plus 14.1), 2. als alternativer Elektronenakzeptor für die sogenannte „Nitratatmung“ (dissimilatorische Nitratreduktion).

Plus 14.1

●V

Vergleich assimilatorische und dissimilatorische Nitratreduktion

Man muss die Nitratatmung (dissimilatorische Nitratreduktion) strikt von der verwandten cytoplasmatischen assimilatorischen Nitratreduktion (S. 299) unterscheiden. Letztere erfolgt in zwei Stufen und dient der Stickstoffversorgung. Zuerst wird Nitrat durch eine cytoplasmatische assimilatorische Nitrat-Reduktase zu Nitrit reduziert. Dieses Enzym konserviert keine Energie. Das gebildete Nitrit wird dann durch eine ebenfalls cytoplasmatische assimilatorische Nitrit-Reduktase, die einen Sirohämcofaktor im aktiven Zentrum enthält, in einem Sechs-Elektronen-Reduktionsschritt zu Ammonium reduziert (▶ Tab. 14.1). Elektronendonator für beide Enzyme der assimilatorischen Nitratreduktion ist je nach Organismus entweder NAD(P)H oder reduziertes Ferredoxin. Die Synthese der assimilatorischen Enzyme wird nur bei Stickstoffmangel induziert, sie ist aber unabhängig von der Sauerstoffversorgung der Zellen. Dagegen werden die Enzyme der dissimilatorischen Nitratreduktion nur gebildet, wenn anaerobe Bedingungen herrschen und Nitrat zur Verfügung steht. Diese Enzyme dienen ausschließlich der Energiekonservierung und sind in der Regel membrangebunden. Die Nitratatmung verläuft dabei in verschiedenen Organismen unterschiedlich. Man unterscheidet zwei Formen: die Denitrifikation, bei der Nitrat zu molekularem Stickstoff reduziert wird, und die Nitratammonifikation, bei der Nitrat zu Ammoniak reduziert wird. Darüber hinaus gibt es einige Mikroorganismen, die Nitrat nur bis zur Stufe des Nitrits reduzieren, und die kürzlich erst entdeckte Gruppe der Anammoxbakterien, die AmmoniumIonen mit Nitrit als Elektronenakzeptor zu molekularem Stickstoff umsetzen.

14.3.1 Denitrifikation Nitratatmung über Denitrifikation ist bei vielen Pseudomonas-Arten und anderen Proteobakteriengruppen, sowie bei einigen Bacillus-Arten bekannt. Der Prozess hat große praktische Bedeutung (Plus 14.2). Der Elektronen-

444

donator muss nicht immer organischer Natur sein. Zum Beispiel werden im Energiestoffwechsel des chemolithotrophen Bakteriums Thiobacillus denitrificans die Enzyme der Denitrifikation zur Oxidation von reduzierten Schwefelverbindungen genutzt. In Plus 14.3 sind repräsentative Vertreter von nitrat- und nitritumsetzenden Bakterien aufgeführt.

Plus 14.2 Bedeutung der Denitrifikation

●V

Die Denitrifikation ist der wichtigste Prozess in der Natur, bei dem gebundener Stickstoff (in Form von Nitrat) zu gasförmigem molekularem Stickstoff überführt wird. Diesem Prozess kommt deshalb große ökologische und praktische Bedeutung zu, sowohl im globalen Stickstoffkreislauf als auch im kleineren Maßstab. Auf der einen Seite sind denitrifizierende Bakterien verantwortlich für die Stickstoffentfernung bei der Abwasserbehandlung, auf der anderen Seite setzen diese Organismen aber auch ungewollt Stickstoff aus landwirtschaftlich genutzten Böden frei. Nach Nitratdüngung kann es so zu großen Stickstoffverlusten kommen, besonders wenn der Boden durch stehende Nässe anaerob wird.

Reduktion von Nitrat zu Nitrit Bei der Nitratatmung wird Nitrat im ersten Schritt meist durch eine membranständige dissimilatorische NitratReduktase an der Membraninnenseite zu Nitrit reduziert (① in ▶ Abb. 14.4). Dieses Enzym nutzt dafür Elektronen aus dem Chinonpool der Membran, die über eine intramolekulare Elektronentransportkette aus Häm-Cofaktoren und Fe-S-Zentren auf einen gebundenen Molybdäncofaktor übertragen werden. Dabei wird ein Protonengradient über der Cytoplasmamembran aufgebaut, der für die ATP-Regeneration via ATP-Synthase genutzt werden kann. Das Substrat Nitrat wird über einen NitratNitrit-Antiporter (②) ins Cytoplasma transportiert, der zugleich das gebildete Produkt Nitrit nach außen transportiert. In einigen nitratatmenden Bakterien kommt auch ein zweiter Typ einer dissimilatorischen Nitrat-Reduktase vor. Diese enthält ebenfalls einen Molybdäncofaktor, liegt aber löslich im Periplasma vor und verwendet als Elektronendonator entweder Cytochrome vom c-Typ oder die reduzierten Chinole der Membran. Das Enzym wird dabei über ein separates elektronenübertragendes Membranprotein an den Chinolpool gekoppelt. Die Reaktionsschritte für die anschließende weitere Reduktion des Nitrits sind bei der Denitrifikation und der Nitratammonifikation grundlegend verschieden (s. u.).

14.3 Nitrat, Nitrit, N2O als Elektronenakzeptoren

●V

Plus 14.3 Repräsentative Arten von denitrifizierenden, nitratammonifizierenden und Anammoxbakterien und ihre phylogenetische Zuordnung phylogenetische Zuordnung

Art

Denitrifikation Alphaproteobakterium

Paracoccus denitrificans

Betaproteobakterium

Thauera aromatica

Gammaproteobakterium

Pseudomonas aeruginosa

Firmicutes

Bacillus azotoformans

Nitratammonifikation Gammaproteobakterium

Escherichia coli

Deltaproteobakterium

Geobacter metallireducens

Firmicutes

Staphylococcus aureus

Anammoxbakterien Planctomycetes

Brocadia anammoxidans Kuenenia stuttgartensis

Außenseite der Membran). Zuerst wird Nitrit von einer löslichen periplasmatischen Nitrit-Reduktase in einer Ein-Elektronen-Reaktion zu Stickstoffmonoxid (NO) reduziert (▶ Abb. 14.4, ③). Es gibt zwei unterschiedliche und nicht verwandte Isoenzyme dieser Nitrit-Reduktase: eines enthält Cytochrom-cd1-Cofaktoren (NirS), das andere Kupfer im aktiven Zentrum (NirK). Beide Enzymtypen verwenden Cytochrom c als Elektronendonator. Die nächste Reaktion wird durch eine membranständige Stickstoffmonoxid(NO)-Reduktase katalysiert, die 2 Mo-

Reduktion von Nitrit zu molekularem Stickstoff Das Intermediat Nitrit wird bei der Denitrifikation durch drei nacheinander folgende Enzyme zu molekularem Stickstoff reduziert (▶ Abb. 14.4, ▶ Tab. 14.1). Die Intermediate jeder Enzymreaktion werden freigesetzt und vom jeweiligen Folgeenzym wieder gebunden. Die aktiven Zentren aller drei Enzyme der Nitritreduktion liegen im Periplasma (bzw. bei grampositiven Bakterien auf der

e– NO

NIR 3

2Cyt cred 4H+

1 2H+

4H+

NO2–

2Cyt cox

2 QH2

III

I

Q

QH2

AP

Q

2NO 4

NO3–

4H+

NAD+

4H+

NO3– + 2H+

N 2O

5

N2OR

( QH2 ) (Q )

NOR

4H+

( QH2 ) (Q ) NosR

NO2–

N2 außen

NAR

NADH

(2e–)

(2e–)

NO3–

innen

ADP + Pi

ATP 4H+

Abb. 14.4 Schema der Denitrifikation. Bis zur Bildung von Nitrit verläuft auch die Nitratammonifikation nach diesem Schema. Enzyme: Atmungskettenkomplex I (I, NADH-Dehydrogenase); Komplex III (III, Cytochrom-bc1-Komplex); Nitrat-Reduktase (NAR); Nitrat-NitritAntiporter (AP); Nitrit-Reduktase (NIR); NO-Reduktase (NOR); N2O-Reduktase (N2OR) mit elektronenübertragendem Membranprotein (NosR); Cytochrom c (Cyt c). Erklärung siehe Text.

5

Anaerobe Atmung Tab. 14.1 Vergleich zwischen assimilatorischer Nitratreduktion und den Systemen der Nitrat- bzw. Nitritatmung (dissimilatorische Nitratreduktion). assimilatorische Nitratreduktion

Denitrifikation

Nitratammonifikation

Anammox

Endprodukt

Ammonium

Stickstoff, N2O

Ammonium

Stickstoff

Enzyme und Lokalisation

Nitrat-Reduktase im Cytoplasma (NasA)

Nitrat-Reduktase in der Membran (NarGHI)

Nitrat-Reduktase in der Membran (NarGHI)





periplasmatische Nitrat-Reduktase (NapAB)

periplasmatische Nitrat-Reduktase (NapAB)



Nitrit-Reduktase (Sirohämtyp) im Cytoplasma

Nitrit-Reduktase (Cu- oder Cyt-bd1-Typ) im Periplasma

Nitrit-Reduktase (Sirohämtyp, NirB) im Cytoplasma oder NitritReduktase (Cyt-c-Typ, Nrf) in der Membran

Nitrit-Reduktase im Anammoxosom

NO-Reduktase in der Membran (qNOR oder cNOR)

Hydrazin-Synthase im Anammoxosom

N2O-Reduktase im Periplasma

Hydrazin-Dehydrogenase im Anammoxosom

Regulation

N-Mangel induziert

anaerob induziert bei Anwesenheit von Nitrat

anaerob induziert bei Anwesenheit von Nitrat

unbekannt

typische Art

weit verbreitet

Paracoccus denitrificans

Escherichia coli

Brocadia anammoxidans

leküle NO zu Distickstoffmonoxid (N2O) reduziert und Eisen und Cytochrome als Cofaktoren enthält (④). Dieses Enzym verwendet entweder reduziertes Ubichinol oder Menachinol (qNor-Typ) oder reduziertes Cytochrom c (cNor-Typ) als Elektronendonatoren und konserviert (soweit bekannt) keine Energie in Form eines Protonengradienten. Schließlich wird das letzte Intermediat, N2O, durch das periplasmatische kupferhaltige Enzym N2O-Reduktase weiter zu N2 reduziert (⑤); Elektronendonator für dieses Enzym ist entweder reduziertes Cytochrom c oder der Chinolpool, auf den die lösliche periplasmatische N2O-Reduktase durch Bindung an ein getrenntes elektronenübertragendes Membranprotein zugreifen kann (▶ Abb. 14.4, Reaktionsschema der Denitrifikation s. ▶ Abb. 14.5). Die meisten denitrifizierenden Bakterien veratmen auch die Intermediate Nitrit und N2O, wenn diese allein angeboten werden, und konservieren die freigesetzte Energie als Protonengradient. In diesen Fällen wird Energie aber nur bei der Oxidation von NADH in Komplex I und III der Atmungskette konserviert. In denitrifizierenden Kulturen mit Nitrat kommt es oft zu einer zwischenzeitlichen Anhäufung der Zwischenprodukte Nitrit oder N2O, aber nicht von NO, welches ein Radikal (Molekül mit ungepaartem Elektron) darstellt. Offensichtlich ist die Toxizität dieses Zwischenprodukts zu groß. NO wird auch als bakterizide Verbindung in den Phagolysosomen der Makrophagen gebildet. Bisher sind zwei unterschiedliche NO-entgiftende bakterielle Enzyme bekannt: ein Flavohämoglobin (NO-Dioxygenase), das NO zu Nitrat oxidiert, dafür allerdings Sauerstoff benötigt, und ein Flavorubredoxin, das NO im Cytoplasma mit

446

NADH zu N2O reduziert und auch unter strikt anoxischen Bedingungen aktiv ist.

14.3.2 Nitratammonifikation Nitratammonifikation bezeichnet die Reduktion von Nitrat zu Ammonium und kommt u. a. bei vielen Arten der Enterobacteriaceae und bei einigen grampositiven Bakterien (z. B. Staphylococcus aureus) vor. Nitrat wird zunächst auch hier durch eine membranständige Nitrat-Reduktase zu Nitrit reduziert, wobei Energie wie oben geschildert in Form eines Protonengradienten konserviert wird (▶ Abb. 14.4). Die anschließende Nitritreduktion geschieht in einem Schritt durch eine Sechs-Elektronen-Reduktion von Nitrit zum Ammonium-Ion, ohne dass reduzierte Intermediate freigesetzt werden. Diese Reaktion wird durch eines von zwei verschiedenen Nitrit-Reduktase-Enzymsystemen katalysiert (▶ Tab. 14.1 und Plus 14.4). Nur eines dieser beiden Enzyme (Cytochrom c-Typ) koppelt die Reaktion an eine Energiekonservierung, während das andere lediglich das in hohen Konzentrationen toxische Nitrit entgiftet. Reaktionsschema der Nitritammonfikation s. ▶ Abb. 14.6.

14.3.3 Anammoxreaktion Der Begriff Anammox bezeichnet die anaerobe Ammoniumoxidation mit Nitrit als Elektronenakzeptor. Diese Stoffwechselleistung wurde erst vor Kurzem bei einigen Arten des bisher wenig erforschten Bakterienphylums der Planctomyceten entdeckt und bietet ein Beispiel für anaerobe Atmung bei chemolithotrophen Mikroorganis-

14.4 Fumarat als Elektronenakzeptor

Nitrat-Reduktase:

NO3– + 2 e– + 2 H+

NO2– +

H2O

(E°’ +433 mV)

Nitrit-Reduktase:

NO2–

NO

+

H2O

(E°’ +350 mV)

e

+ 2H

+

+ 2 e – + 2 H+

N2O +

H 2O

(E°’ +1175 mV)

N2O-Reduktase:

N2O + 2 e– + 2 H+

N2

H2O

(E°’ +1355 mV)

Summe:

NO3– + 5 e– + 6 H+

½ N2

+ 3 H2O

(E°’ +753 mV)

Nitrat-Reduktase:

NO3– + 2 e– + 2 H+

NO2– +

Nitrit-Reduktase:

NO2–

NH4+

NO-Reduktase:

Plus 14.4

2 NO

+





+ 6e

+ 8H

+

+

H2O

(E°’ +433 mV)

+ 2 H2O

(E°’ +340 mV)

●V

Nitritreduktion bei der Nitratammonifikation

Man unterscheidet zwei Enzymtypen für diese Reaktion: 1. Der erste Nitrit-Reduktase-Typ ist ein cytoplasmatisches sirohämhaltiges Enzym, das Nitrit mit 3 NADH als Elektronendonator reduziert. Bei dieser Reaktion werden zwar 6 Reduktionsäquivalente übertragen, aber keine Energie aus der Redoxreaktion konserviert; das Nitrit wird dabei nur effizient detoxifiziert. Dieses Enzym ist sehr ähnlich zur assimilatorischen NitritReduktase, wird aber anders reguliert (Plus 14.1) (S. 444). 2. Der zweite Enzymtyp ist ein Cytochrom-c-haltiger, membranständiger Enzymkomplex, dessen aktives Zentrum im Periplasma liegt. Dieses Enzym benutzt Elektronen aus dem Chinonpool für die Nitritreduktion und konserviert die freigesetzte Energie als Protonengradient. Escherichia coli und andere Arten verfügen über beide Enzymsysteme und können so das toxische Nitrit als Elektronenakzeptor nutzen und entfernen. E. coli hat darüber hinaus keine Enzyme für die assimilatorische Nitratreduktion und kann Nitrat deshalb nur unter anaeroben Wachstumsbedingungen als Stickstoffquelle nutzen, wenn die Enzyme der Nitratatmung induziert werden.

men. Der Prozess führt zur Bildung von molekularem Stickstoff mit Ammonium als Elektronendonator und Nitrit als Elektronenakzeptor. Im Gegensatz zur kombinierten Nitrifikation/Denitrifikation wird dabei Ammonium direkt in molekularen Stickstoff überführt. Deshalb ist der Prozess von großem Interesse für die Abwasserwirtschaft; er wurde bereits kurz nach seiner Entdeckung kommerziell genutzt. Beim Anammoxprozess finden grundsätzlich andere Reaktionen statt als die bisher für die Nitratatmung beschriebenen. Außerdem scheint es essenziell zu sein, dass die Reaktionen in verschiedenen membranumhüllten Zellkompartimenten ablaufen, die es nur bei den Planctomyceten (S. 573) gibt. So wurde z. B.

Abb. 14.5 Reaktionsschema der Denitrifikation.

Abb. 14.6 Reaktionsschema der Nitratammonifikation.

für die Anammoxbakterien ein spezielles intrazelluläres Organell, das Anammoxosom beschrieben, in dem alle beteiligten Enzymreaktionen ablaufen. Man nimmt an, dass bei der Anammoxreaktion zunächst der Elektronenakzeptor Nitrit mit einem Elektron zu Stickstoffoxid (NO) reduziert wird, das anschließend mit Ammonium (NH4+) und weiteren 3 Elektronen zu Hydrazin (N2H4) und Wasser umgesetzt wird. Die Elektronen stammen aus dem Chinolpool der Anammoxosommembran. Das gebildete Hydrazin wird zu N2 oxidiert und die dabei freiwerdenden 4 Elektronen werden auf Chinone in der Anammoxosommembran übertragen (▶ Abb. 14.7). Die Nitritreduktion verläuft vermutlich wie bei den Denitrifizierern mit einem zwischengeschaltenen Cytochrom-c-ähnlichen Trägerprotein, während die Redoxpotenziale der Hydrazinsynthese und der Hydrazinoxidation eher auf eine direkte Kopplung an Chinone hindeuten (▶ Tab. 14.1). Der Redoxzyklus der Chinone erlaubt, mittels eines Cytochrom-bc1-Komplexes einen Protonengradienten über der Membran des Anammoxosommembran aufzubauen, der dann durch eine ATP-Synthase zur Bildung von ATP genutzt wird (▶ Abb. 14.7a). Die Membran des Anammoxosoms besteht zum Großteil aus Lipiden mit speziellen Fettsäuren, die charakteristische benachbarte Cyklobutylringe enthalten, die Ladderane (von engl. ladder, Leiter, ▶ Abb. 14.7b); diese machen die Membran sehr rigide und schützen dadurch vor der Schädigung durch das reaktive Intermediat Hydrazin. Reaktionsschema der Anammoxreaktion s. ▶ Abb. 14.8.

14.4 Fumarat als Elektronenakzeptor Fumarat ist eine wichtige organische Verbindung, die als Elektronenakzeptor für eine anaerobe Atmung dient. Die Fumaratatmung kommt in vielen Arten von Proteobacteria vor, z. B. bei E. coli oder Wolinella succinogenes (Name!), daneben aber auch in grampositiven Bakterien und Vertretern anderer Phyla. Fumarat wird in der Regel über einen unter geeigneten Bedingungen induzierten Fumarat-Succinat-Antiporter aufgenommen, aber auch ein Symport mit Protonen ist bekannt.

7

14.4 Fumarat als Elektronenakzeptor

Nitrat-Reduktase:

NO3– + 2 e– + 2 H+

NO2– +

H2O

(E°’ +433 mV)

Nitrit-Reduktase:

NO2–

NO

+

H2O

(E°’ +350 mV)

e

+ 2H

+

+ 2 e – + 2 H+

N2O +

H 2O

(E°’ +1175 mV)

N2O-Reduktase:

N2O + 2 e– + 2 H+

N2

H2O

(E°’ +1355 mV)

Summe:

NO3– + 5 e– + 6 H+

½ N2

+ 3 H2O

(E°’ +753 mV)

Nitrat-Reduktase:

NO3– + 2 e– + 2 H+

NO2– +

Nitrit-Reduktase:

NO2–

NH4+

NO-Reduktase:

Plus 14.4

2 NO

+





+ 6e

+ 8H

+

+

H2O

(E°’ +433 mV)

+ 2 H2O

(E°’ +340 mV)

●V

Nitritreduktion bei der Nitratammonifikation

Man unterscheidet zwei Enzymtypen für diese Reaktion: 1. Der erste Nitrit-Reduktase-Typ ist ein cytoplasmatisches sirohämhaltiges Enzym, das Nitrit mit 3 NADH als Elektronendonator reduziert. Bei dieser Reaktion werden zwar 6 Reduktionsäquivalente übertragen, aber keine Energie aus der Redoxreaktion konserviert; das Nitrit wird dabei nur effizient detoxifiziert. Dieses Enzym ist sehr ähnlich zur assimilatorischen NitritReduktase, wird aber anders reguliert (Plus 14.1) (S. 444). 2. Der zweite Enzymtyp ist ein Cytochrom-c-haltiger, membranständiger Enzymkomplex, dessen aktives Zentrum im Periplasma liegt. Dieses Enzym benutzt Elektronen aus dem Chinonpool für die Nitritreduktion und konserviert die freigesetzte Energie als Protonengradient. Escherichia coli und andere Arten verfügen über beide Enzymsysteme und können so das toxische Nitrit als Elektronenakzeptor nutzen und entfernen. E. coli hat darüber hinaus keine Enzyme für die assimilatorische Nitratreduktion und kann Nitrat deshalb nur unter anaeroben Wachstumsbedingungen als Stickstoffquelle nutzen, wenn die Enzyme der Nitratatmung induziert werden.

men. Der Prozess führt zur Bildung von molekularem Stickstoff mit Ammonium als Elektronendonator und Nitrit als Elektronenakzeptor. Im Gegensatz zur kombinierten Nitrifikation/Denitrifikation wird dabei Ammonium direkt in molekularen Stickstoff überführt. Deshalb ist der Prozess von großem Interesse für die Abwasserwirtschaft; er wurde bereits kurz nach seiner Entdeckung kommerziell genutzt. Beim Anammoxprozess finden grundsätzlich andere Reaktionen statt als die bisher für die Nitratatmung beschriebenen. Außerdem scheint es essenziell zu sein, dass die Reaktionen in verschiedenen membranumhüllten Zellkompartimenten ablaufen, die es nur bei den Planctomyceten (S. 573) gibt. So wurde z. B.

Abb. 14.5 Reaktionsschema der Denitrifikation.

Abb. 14.6 Reaktionsschema der Nitratammonifikation.

für die Anammoxbakterien ein spezielles intrazelluläres Organell, das Anammoxosom beschrieben, in dem alle beteiligten Enzymreaktionen ablaufen. Man nimmt an, dass bei der Anammoxreaktion zunächst der Elektronenakzeptor Nitrit mit einem Elektron zu Stickstoffoxid (NO) reduziert wird, das anschließend mit Ammonium (NH4+) und weiteren 3 Elektronen zu Hydrazin (N2H4) und Wasser umgesetzt wird. Die Elektronen stammen aus dem Chinolpool der Anammoxosommembran. Das gebildete Hydrazin wird zu N2 oxidiert und die dabei freiwerdenden 4 Elektronen werden auf Chinone in der Anammoxosommembran übertragen (▶ Abb. 14.7). Die Nitritreduktion verläuft vermutlich wie bei den Denitrifizierern mit einem zwischengeschaltenen Cytochrom-c-ähnlichen Trägerprotein, während die Redoxpotenziale der Hydrazinsynthese und der Hydrazinoxidation eher auf eine direkte Kopplung an Chinone hindeuten (▶ Tab. 14.1). Der Redoxzyklus der Chinone erlaubt, mittels eines Cytochrom-bc1-Komplexes einen Protonengradienten über der Membran des Anammoxosommembran aufzubauen, der dann durch eine ATP-Synthase zur Bildung von ATP genutzt wird (▶ Abb. 14.7a). Die Membran des Anammoxosoms besteht zum Großteil aus Lipiden mit speziellen Fettsäuren, die charakteristische benachbarte Cyklobutylringe enthalten, die Ladderane (von engl. ladder, Leiter, ▶ Abb. 14.7b); diese machen die Membran sehr rigide und schützen dadurch vor der Schädigung durch das reaktive Intermediat Hydrazin. Reaktionsschema der Anammoxreaktion s. ▶ Abb. 14.8.

14.4 Fumarat als Elektronenakzeptor Fumarat ist eine wichtige organische Verbindung, die als Elektronenakzeptor für eine anaerobe Atmung dient. Die Fumaratatmung kommt in vielen Arten von Proteobacteria vor, z. B. bei E. coli oder Wolinella succinogenes (Name!), daneben aber auch in grampositiven Bakterien und Vertretern anderer Phyla. Fumarat wird in der Regel über einen unter geeigneten Bedingungen induzierten Fumarat-Succinat-Antiporter aufgenommen, aber auch ein Symport mit Protonen ist bekannt.

7

Anaerobe Atmung a

Anammoxosom O

O N Nitrit

bc1-Komplex

H2O + 2H+ 1e–

NitritReduktase

N O Stickstoffmonoxid NH4+ + 2H+

3 e– QH2

2H+

HydrazinSynthase

N molekularer Stickstoff N + 4H+

Q

H2O

4 e–

2H+

NH 2

ADP + Pi

HydrazinDehydrogenase

4H+

H 2N Hydrazin

ATP

b



OOC



Abb. 14.7 Anaerobe Ammoniumoxidation (Anammox). a Die Reaktionen finden in einem intrazellulären Organell (dem Anammoxosom) statt; dabei wird mittels eines Cytochrom-bc1-Komplexes über einen Chinol/Chinon-Redoxzyklus ein Protonengradient über die Anammoxosommembran aufgebaut, der von der ATPSynthase zur ATP-Regeneration genutzt wird. Zunächst wird Nitrit mit 1 Elektron zu NO reduziert, das mit Ammonium und 3 weiteren Elektronen zu Hydrazin und Wasser umgesetzt wird. Das Hydrazin wird dann zu N2 oxidiert und die dabei freiwerdenden 4 Elektronen werden in den Chinonpool eingespeist. b Strukturen typischer Ladderan-Fettsäuren der Anammoxosommembran.

OOC

Hydrazinbildung:

NO + NO4+ + 3 e– + 2 H+

N2H4

+

H2O

(ΔG°’ –24 kJ mol–1 mit e– = Ubichinol; E°’ –128 mV)

Nitritreduktion:

NO2–

NO

+ 2 H2O

(ΔG°’ –0,2 kJ mol–1 mit e– = Cyt c; E°’ +352 mV)

+



e + 2H

+

Hydrazinoxidation: N2H4 Summe:

NO2– + NO4+

N2

+ 4 e– + 4 H+

N2

+ 2 H2O

(ΔG°’ –304 kJ mol–1 mit e– = Ubichinol; E°’ –746 mV) (ΔG°’ –358 kJ mol–1)

Abb. 14.8 Reaktionsschema der Anammoxreaktion.

Das Schlüsselenzym der Fumaratatmung ist die membranständige Fumarat-Reduktase, welche die Reduktion von Fumarat zu Succinat (E0’ = + 33 mV) katalysiert und dabei einen Protonengradienten über der Membran bildet. Das aktive Zentrum des Enzyms liegt auf der Innenseite der Cytoplasmamembran, sodass die beiden bei der Bildung von Succinat verbrauchten Protonen zum Aufbau des Protonengradienten beitragen (▶ Abb. 14.9). Die Fumarat-Reduktase verwendet aufgrund des niedrigeren Redoxpotenzials Menachinol (E0’ = –100 mV) anstelle von Ubichinol (E0’ = + 45 mV) als Elektronendonator. Deshalb tauscht E. coli ebenso wie andere fakultative Arten beim Umschalten auf Fumaratatmung auch den Chinonpool von Ubichinon zu Menachinon aus. Die beiden Elektronen, die die Fumarat-Reduktase zur Reduktion des Succinats benötigt, stammen z. B. aus Formiat, das durch eine Formiat-Dehydrogenase zu CO2, 2 H+ und 2 e– gespalten wird. Die Formiat-Dehydrogenase hat ihr aktives Zentrum im Periplasma, sodass die entstehenden Protonen direkt zum Protonengradienten beitragen (skalarer Mechanismus – im Gegensatz zum vektoriellen Mechanismus, bei dem die Protonen durch die Membran verschoben werden, wie z. B. beim Komplex I der Atmungskette). Fumarat kann aus äußeren Quellen stammen, entsteht aber auch in geringeren Mengen endogen bei diversen

448

Gärungsstoffwechselwegen. Die Fumarat-Reduktase ist u. a. an der gemischten Säuregärung (S. 426) der Enterobakterien oder der Propionsäuregärung (S. 431) beteiligt. Darüber hinaus nutzen sogar einige (fakultativ) anaerobe Tiere wie darmbewohnende Band- oder Spulwürmer, der Wattwurm Arenicola marina oder einige Muschel- oder Schneckenarten bei Sauerstoffmangel die Fumaratatmung zur Energiekonservierung. Gelegentlich dienen auch andere ungesättigte organische Verbindungen als Elektronenakzeptoren einer anaeroben Atmung, z. B. Crotonsäure (Crotonat), Zimtsäure (Cinnamat) oder Kaffeesäure (Caffeat). Reaktionsschema der Fumaratatmung: Fumarat + 2 e– + 2 H+ → Succinat (E0’ = + 33 mV)

14.5 Oxidierte Metallionen als Elektronenakzeptoren Oxidierte Metallionen wie Fe3 + oder Mn4 + werden von vielen Bakterien als terminale Elektronenakzeptoren genutzt; sie kommen in unlöslichen Salzen bzw. Metalloxidmineralien vor und können deshalb nicht in die Zelle aufgenommen werden. Besonders bekannte Vertreter dieses Stoffwechseltyps sind die Proteobakteriengattun-

Anaerobe Atmung a

Anammoxosom O

O N Nitrit

bc1-Komplex

H2O + 2H+ 1e–

NitritReduktase

N O Stickstoffmonoxid NH4+ + 2H+

3 e– QH2

2H+

HydrazinSynthase

N molekularer Stickstoff N + 4H+

Q

H2O

4 e–

2H+

NH 2

ADP + Pi

HydrazinDehydrogenase

4H+

H 2N Hydrazin

ATP

b



OOC



Abb. 14.7 Anaerobe Ammoniumoxidation (Anammox). a Die Reaktionen finden in einem intrazellulären Organell (dem Anammoxosom) statt; dabei wird mittels eines Cytochrom-bc1-Komplexes über einen Chinol/Chinon-Redoxzyklus ein Protonengradient über die Anammoxosommembran aufgebaut, der von der ATPSynthase zur ATP-Regeneration genutzt wird. Zunächst wird Nitrit mit 1 Elektron zu NO reduziert, das mit Ammonium und 3 weiteren Elektronen zu Hydrazin und Wasser umgesetzt wird. Das Hydrazin wird dann zu N2 oxidiert und die dabei freiwerdenden 4 Elektronen werden in den Chinonpool eingespeist. b Strukturen typischer Ladderan-Fettsäuren der Anammoxosommembran.

OOC

Hydrazinbildung:

NO + NO4+ + 3 e– + 2 H+

N2H4

+

H2O

(ΔG°’ –24 kJ mol–1 mit e– = Ubichinol; E°’ –128 mV)

Nitritreduktion:

NO2–

NO

+ 2 H2O

(ΔG°’ –0,2 kJ mol–1 mit e– = Cyt c; E°’ +352 mV)

+



e + 2H

+

Hydrazinoxidation: N2H4 Summe:

NO2– + NO4+

N2

+ 4 e– + 4 H+

N2

+ 2 H2O

(ΔG°’ –304 kJ mol–1 mit e– = Ubichinol; E°’ –746 mV) (ΔG°’ –358 kJ mol–1)

Abb. 14.8 Reaktionsschema der Anammoxreaktion.

Das Schlüsselenzym der Fumaratatmung ist die membranständige Fumarat-Reduktase, welche die Reduktion von Fumarat zu Succinat (E0’ = + 33 mV) katalysiert und dabei einen Protonengradienten über der Membran bildet. Das aktive Zentrum des Enzyms liegt auf der Innenseite der Cytoplasmamembran, sodass die beiden bei der Bildung von Succinat verbrauchten Protonen zum Aufbau des Protonengradienten beitragen (▶ Abb. 14.9). Die Fumarat-Reduktase verwendet aufgrund des niedrigeren Redoxpotenzials Menachinol (E0’ = –100 mV) anstelle von Ubichinol (E0’ = + 45 mV) als Elektronendonator. Deshalb tauscht E. coli ebenso wie andere fakultative Arten beim Umschalten auf Fumaratatmung auch den Chinonpool von Ubichinon zu Menachinon aus. Die beiden Elektronen, die die Fumarat-Reduktase zur Reduktion des Succinats benötigt, stammen z. B. aus Formiat, das durch eine Formiat-Dehydrogenase zu CO2, 2 H+ und 2 e– gespalten wird. Die Formiat-Dehydrogenase hat ihr aktives Zentrum im Periplasma, sodass die entstehenden Protonen direkt zum Protonengradienten beitragen (skalarer Mechanismus – im Gegensatz zum vektoriellen Mechanismus, bei dem die Protonen durch die Membran verschoben werden, wie z. B. beim Komplex I der Atmungskette). Fumarat kann aus äußeren Quellen stammen, entsteht aber auch in geringeren Mengen endogen bei diversen

448

Gärungsstoffwechselwegen. Die Fumarat-Reduktase ist u. a. an der gemischten Säuregärung (S. 426) der Enterobakterien oder der Propionsäuregärung (S. 431) beteiligt. Darüber hinaus nutzen sogar einige (fakultativ) anaerobe Tiere wie darmbewohnende Band- oder Spulwürmer, der Wattwurm Arenicola marina oder einige Muschel- oder Schneckenarten bei Sauerstoffmangel die Fumaratatmung zur Energiekonservierung. Gelegentlich dienen auch andere ungesättigte organische Verbindungen als Elektronenakzeptoren einer anaeroben Atmung, z. B. Crotonsäure (Crotonat), Zimtsäure (Cinnamat) oder Kaffeesäure (Caffeat). Reaktionsschema der Fumaratatmung: Fumarat + 2 e– + 2 H+ → Succinat (E0’ = + 33 mV)

14.5 Oxidierte Metallionen als Elektronenakzeptoren Oxidierte Metallionen wie Fe3 + oder Mn4 + werden von vielen Bakterien als terminale Elektronenakzeptoren genutzt; sie kommen in unlöslichen Salzen bzw. Metalloxidmineralien vor und können deshalb nicht in die Zelle aufgenommen werden. Besonders bekannte Vertreter dieses Stoffwechseltyps sind die Proteobakteriengattun-

14.6 Sulfat als Elektronenakzeptor HCOOH

2H+

CO2

+

+

2H

2H

4H

+

Abb. 14.9 Schema der Fumaratatmung. Durch Kopplung der Fumarat-ReduktaseReaktion mit membranständigen Dehydrogenasen wird ein Protonengradient aufgebaut, der von der ATP-Synthase (ATPase) zur Regeneration von ATP genutzt wird. ① Formiat-Dehydrogenase; ②Fumarat-Reduktase; ③ Atmungskettenkomplex I (NADHDehydrogenase); ④ ATP-Synthase.

+

4H außen



2e

MQH2 1

2

MQ 2H+

MQH2

3

MQ



innen

2H+

2e–

NADH

2H+ Fumarat

2e

4

NAD+ + H+

Succinat

ADP + Pi 4H+

gen Geobacter und Shewanella (▶ Abb. 14.10). Das Standardredoxpotenzial von gelöstem Fe3 + (E0’ = + 772 mV) ist fast so hoch wie das von Sauerstoff, jedoch liegen die realen Potenziale in den meisten Bakterienhabitaten wegen der Schwerlöslichkeit der Metallverbindungen wesentlich niedriger und variieren je nach den lokalen Gegebenheiten (▶ Abb. 12.17). Metallionenreduzierende Bakterien reduzieren Fe3 + aus extrazellulären, schwerlöslichen Mineralien zu Fe2 + bzw. Mn4 + in Form von MnO2 in Braunsteinmineralien zu Mn2 + . Sie müssen also Reduktionsäquivalente aus dem Cytoplasma auf diese extrazellulären Elektronenakzeptoren weiterleiten. Bei Shewanella-Arten ist bekannt, dass spezifische Cytochrome in der Cytoplasmamembran und im Periplasma für die Weiterleitung von Elektronen an einen Metallionen-Reduktase-Komplex in der äußeren Membran sorgen. Dessen aktives Zentrum ist nach außen orientiert und erlaubt deshalb selbst die Reduktion von Fe(III)oder Mn(IV)-Ionen in schwerlöslichen Präzipitaten (▶ Abb. 14.11). Es spricht aber einiges dafür, dass es auch andere Mechanismen gibt. Beispielsweise sind bei einigen Fe(III)-reduzierenden Bakterien spezielle leitfähige pilusähnliche Oberflächenstrukturen entdeckt worden, die als hypothetische „Nanowires“ („Nanodrähte“) eventuell direkt Elektronen von der Zelle zum Eisenmineral leiten könnten (▶ Abb. 14.10). Alternativ könnten auch Thiole oder Phenole bzw. Huminstoffe als lösliche und diffusible Redoxmediatoren dienen. Deren oxidierte Form (z. B. Cystin, Cys–S–S–Cys) wird durch eine membranständige Reduktase zum Thiol bzw. Chinol reduziert. Letzteres diffundiert dann zum Eisenmineral, reduziert chemisch das Fe(III) zu Fe(II) und wird dabei selbst wieder oxidiert, sodass der Kreislauf von neuem beginnen kann. Als Stoffwechselendprodukt der Eisen(III) reduzierenden Bakterien wird meist das gemischte Eisen(II,III)-Oxid Magnetit (Fe3O4) gebildet, das wegen seiner geringen Wasserlöslichkeit und seines starken Ferromagnetismus leicht mit einem Magneten nachgewiesen werden kann. Jedes umgesetzte Fe3 + -Ion nimmt jeweils nur 1 Elektron auf; zudem bleiben bei Bildung von Magnetit ⅔ des verfügbaren Fe3 + oxidiert. Deshalb müssen große Mengen

ATP 4H+

Abb. 14.10 Zellen von Geobacter sulfurreducens mit ausgefallenen Eisenmineralien. Neue Erkenntnisse lassen vermuten, dass die Zellen pilusähnliche Oberflächenstrukturen als elektrische Leiter („Nanodrähte“) benutzen, um Elektronen aus dem Zellstoffwechsel auf die unlöslichen Eisenminerale zu übertragen (Pfeile). (Aufnahme Gemma Reguera)

des schwerlöslichen Elektronenakzeptors umgesetzt werden, um Energie für das Zellwachstum zu konservieren. Dies erklärt das sehr langsame und geringe Wachstum dieser Organismen. Im Labor ist es oft möglich, durch den Einsatz von Fe3 + in Form löslicher Chelate (Fe(III)-Citrat oder Fe(III)-EDTA) wesentlich bessere Wachstumsraten und -erträge zu erzielen. Reaktionsschema der dissimilatorischen Eisen(III)-Reduktion: 3 Fe(OH)3 + e– + H+ → Fe3O4 + 5 H2O (E0’ = + 856 mV; für Fe3 + + e– → Fe2 + E0’ = + 772 mV)

14.6 Sulfat als Elektronenakzeptor Die sulfatreduzierenden Mikroorganismen (auch Desulfurikanten oder Sulfidogene genannt) verwenden Sulfat als Elektronenakzeptor ihrer anaeroben Atmung. Das Sulfat

9

14.6 Sulfat als Elektronenakzeptor HCOOH

2H+

CO2

+

+

2H

2H

4H

+

Abb. 14.9 Schema der Fumaratatmung. Durch Kopplung der Fumarat-ReduktaseReaktion mit membranständigen Dehydrogenasen wird ein Protonengradient aufgebaut, der von der ATP-Synthase (ATPase) zur Regeneration von ATP genutzt wird. ① Formiat-Dehydrogenase; ②Fumarat-Reduktase; ③ Atmungskettenkomplex I (NADHDehydrogenase); ④ ATP-Synthase.

+

4H außen



2e

MQH2 1

2

MQ 2H+

MQH2

3

MQ



innen

2H+

2e–

NADH

2H+ Fumarat

2e

4

NAD+ + H+

Succinat

ADP + Pi 4H+

gen Geobacter und Shewanella (▶ Abb. 14.10). Das Standardredoxpotenzial von gelöstem Fe3 + (E0’ = + 772 mV) ist fast so hoch wie das von Sauerstoff, jedoch liegen die realen Potenziale in den meisten Bakterienhabitaten wegen der Schwerlöslichkeit der Metallverbindungen wesentlich niedriger und variieren je nach den lokalen Gegebenheiten (▶ Abb. 12.17). Metallionenreduzierende Bakterien reduzieren Fe3 + aus extrazellulären, schwerlöslichen Mineralien zu Fe2 + bzw. Mn4 + in Form von MnO2 in Braunsteinmineralien zu Mn2 + . Sie müssen also Reduktionsäquivalente aus dem Cytoplasma auf diese extrazellulären Elektronenakzeptoren weiterleiten. Bei Shewanella-Arten ist bekannt, dass spezifische Cytochrome in der Cytoplasmamembran und im Periplasma für die Weiterleitung von Elektronen an einen Metallionen-Reduktase-Komplex in der äußeren Membran sorgen. Dessen aktives Zentrum ist nach außen orientiert und erlaubt deshalb selbst die Reduktion von Fe(III)oder Mn(IV)-Ionen in schwerlöslichen Präzipitaten (▶ Abb. 14.11). Es spricht aber einiges dafür, dass es auch andere Mechanismen gibt. Beispielsweise sind bei einigen Fe(III)-reduzierenden Bakterien spezielle leitfähige pilusähnliche Oberflächenstrukturen entdeckt worden, die als hypothetische „Nanowires“ („Nanodrähte“) eventuell direkt Elektronen von der Zelle zum Eisenmineral leiten könnten (▶ Abb. 14.10). Alternativ könnten auch Thiole oder Phenole bzw. Huminstoffe als lösliche und diffusible Redoxmediatoren dienen. Deren oxidierte Form (z. B. Cystin, Cys–S–S–Cys) wird durch eine membranständige Reduktase zum Thiol bzw. Chinol reduziert. Letzteres diffundiert dann zum Eisenmineral, reduziert chemisch das Fe(III) zu Fe(II) und wird dabei selbst wieder oxidiert, sodass der Kreislauf von neuem beginnen kann. Als Stoffwechselendprodukt der Eisen(III) reduzierenden Bakterien wird meist das gemischte Eisen(II,III)-Oxid Magnetit (Fe3O4) gebildet, das wegen seiner geringen Wasserlöslichkeit und seines starken Ferromagnetismus leicht mit einem Magneten nachgewiesen werden kann. Jedes umgesetzte Fe3 + -Ion nimmt jeweils nur 1 Elektron auf; zudem bleiben bei Bildung von Magnetit ⅔ des verfügbaren Fe3 + oxidiert. Deshalb müssen große Mengen

ATP 4H+

Abb. 14.10 Zellen von Geobacter sulfurreducens mit ausgefallenen Eisenmineralien. Neue Erkenntnisse lassen vermuten, dass die Zellen pilusähnliche Oberflächenstrukturen als elektrische Leiter („Nanodrähte“) benutzen, um Elektronen aus dem Zellstoffwechsel auf die unlöslichen Eisenminerale zu übertragen (Pfeile). (Aufnahme Gemma Reguera)

des schwerlöslichen Elektronenakzeptors umgesetzt werden, um Energie für das Zellwachstum zu konservieren. Dies erklärt das sehr langsame und geringe Wachstum dieser Organismen. Im Labor ist es oft möglich, durch den Einsatz von Fe3 + in Form löslicher Chelate (Fe(III)-Citrat oder Fe(III)-EDTA) wesentlich bessere Wachstumsraten und -erträge zu erzielen. Reaktionsschema der dissimilatorischen Eisen(III)-Reduktion: 3 Fe(OH)3 + e– + H+ → Fe3O4 + 5 H2O (E0’ = + 856 mV; für Fe3 + + e– → Fe2 + E0’ = + 772 mV)

14.6 Sulfat als Elektronenakzeptor Die sulfatreduzierenden Mikroorganismen (auch Desulfurikanten oder Sulfidogene genannt) verwenden Sulfat als Elektronenakzeptor ihrer anaeroben Atmung. Das Sulfat

9

Anaerobe Atmung

Fe2O3 (unlöslich) MtrC

e– OmcA

Fe2+ äußere Membran

MtrB MtrA

(löslich) 3+

Fe Oxidoreduktase

Periplasma

MtrA

Fe2+

2H+ QH2 Q

DH2

D

e– CymA Cytoplasmamembran

2H+

Abb. 14.11 Schema der Fe(III)-Reduktion in Shewanella. Ein Enzymkomplex in der äußeren Membran aus den Proteinen OmcA und MtrC (nach außen orientierte Dekahäm c-Cytochrome), MtrB (integrales äußeres Membranprotein) und MtrA (periplasmatisches Dekahäm c-Cytochrom) ist die terminale Fe (III)-Reduktase (Mtr: Metallreduktase; Omc: AußenmembranCytochrom). MtrA ist an der Assemblierung des Komplexes beteiligt, übernimmt aber zugleich auch den Transfer der Elektronen durch das Periplasma und wird an der Cytoplasmamembran von dem Tetrahäm c –Cytochrom CymA (Cytoplasmamembran-Protein) beladen. CymA wiederum übernimmt Elektronen aus dem Chinonpool der Zelle und trägt damit zur Erzeugung eines Protonengradienten über der Cytoplasmamembran bei. Falls lösliches Fe3 + verfügbar ist, kann dieses bereits direkt von MtrA im Periplasma reduziert werden, während für die Nutzung unlöslicher Eisenoxid-Minerale der Enzymkomplex in der äußeren Membran essenziell ist.

wird dabei zu H2S reduziert. Alle bekannten Arten sind obligat anaerob und verfügen nicht über aerobe Atmung (s. aber Plus 14.5). Sie besetzen eine wichtige ökologische Nische und sind überall in anaeroben Sedimentschichten zu finden. Wegen der hohen Sulfatkonzentration des Meerwassers (28 mM) spielt die Sulfatreduktion in marinen Sedimenten eine wesentlich größere Rolle als im Süßwasser. An manchen Standorten, wie im Schwarzen

Plus 14.5

●V

Sulfatreduzierer und ihr Verhältnis zu Sauerstoff

In einigen Desulfovibrio-Arten ist ein primitives Sauerstoffschutzsystem identifiziert worden. In diesem System reduziert eine Rubredoxin-Oxidoreduktase das toxische Superoxidradikal zu Wasserstoffperoxid, welches dann mithilfe eines Ruberythrins mit NADH weiter zu Wasser reduziert wird. Diese Enzyme erlauben diesen Organismen, geringe Konzentrationen von Sauerstoff zu tolerieren, während andere Arten wesentlich sensitiver auf die Anwesenheit von Sauerstoff reagieren. Ähnliche Sauerstoffschutz-Mechanismen sind auch bei strikt anaeroben gärenden Bakterien oder Archaea bekannt.

450

Meer, reicht der anaerobe Bereich sogar bis in die Wassersäule und die Sulfatreduktionszone ist nicht auf die tieferen Schichten des Sediments beschränkt. Sulfatreduktion findet sich als physiologische Eigenschaft bei mehreren phylogenetischen Gruppen von anaeroben Mikroorganismen: Die meisten bekannten Arten sulfatreduzierender Bakterien gehören zu den Deltaproteobakterien (z. B. die Gattungen Desulfovibrio, Desulfococcus, Desulfobacterium oder Desulfonema). Daneben gibt es aber auch grampositive Bakterien (Gattung Desulfotomaculum), einige thermophile, phylogenetisch tief abzweigende eubakterielle Gattungen (z. B. Thermodesulfobacterium) und sogar eine Gattung der Archaea (Archaeoglobus), die Sulfat als Elektronenakzeptor nutzen (Plus 14.6). Sulfatreduzierende Mikoorganismen bevorzugen als Substrate Gärungsprodukte anderer Mikroorganismen, z. B. Milchsäure, Essigsäure, Propionsäure, Buttersäure und weitere Fettsäuren, Methanol, Ethanol, Ameisensäure oder H2/CO2. Einige Arten bauen auch exotischere Substanzen ab, z. B. aromatische Verbindungen oder Kohlenwasserstoffe. Bei vielen Arten findet man dabei eine „Spezialisierung“ auf wenige Substrate, die dann sehr effektiv genutzt werden können. Nach dem Typ des Kohlenstoffstoffwechsels kann man die Sulfatreduzierer dabei in mehrere physiologische Untergruppen einteilen.

●V

Plus 14.6

Repräsentative Gattungen von sulfat- bzw. schwefelreduzierenden Mikroorganismen und ihre phylogenetische Zuordnung phylogenetische Zuordnung

Gattung

Sulfatreduktion Deltaproteobakterien

Desulfovibrio Desulfobacterium Desulfococcus Desulfonema

Firmicutes

Desulfotomaculum

Thermodesulfobakterien

Thermodesulfobacterium

Euryarchaeota

Archaeoglobus

Schwefelreduktion Deltaproteobakterien

Desulfuromonas Geobacter

Epsilonproteobakterien

Wolinella

Crenarcheaota

Desulfurococcus Acidianus Thermoproteus

Euryarcheaota

Pyrococcus Thermococcus

14.6 Sulfat als Elektronenakzeptor ▶ Unvollständige Oxidierer. Hierzu gehört insbesonders die Gattung Desulfovibrio. Bevorzugte Substrate der Arten dieser Gruppe sind Lactat und andere organische Säuren, die sich zu Pyruvat transformieren lassen. Die unvollständig oxidierenden Sulfatreduzierer oxidieren diese Substrate bis zur Stufe des Acetyl-CoA, können dieses aber nicht weiter abbauen und scheiden Acetat als Endprodukt aus. Einige Arten verwerten Wasserstoff als Elektronendonator, brauchen dann aber zugesetztes Acetat für die Biosynthese der Zellbestandteile. ▶ Vollständige Oxidierer. Zu dieser Gruppe gehören viele Gattungen der Familie Desulfobacteriaceae, einige Arten von Desulfotomaculum und viele andere. Diese Organismen zeichnen sich dadurch aus, dass sie auch Acetat, bzw. Acetyl-CoA-Einheiten aus dem Abbau anderer Verbindungen vollständig zu CO2 und Wasser oxidieren. Deshalb findet man nur in dieser Gruppe (S. 454) Vertreter, die Fettsäuren, Kohlenwasserstoffe oder Aromaten als Substrate nutzen, bei deren Abbau Acetyl-CoA-Einheiten entstehen. Der Abbau von Acetyl-CoA erfolgt dabei je nach Art über den oxidativen Citratzyklus oder den oxidativen Acetyl-CoA-Weg. ▶ Autotrophe. Einige Sulfatreduzierer können unter autotrophen Bedingungen mit H2 und CO2 als Substraten wachsen. Diese Eigenschaft ist in allen phylogenetischen Gruppen der Sulfatreduzierer weit verbreitet und findet sich bei verschiedenen Arten und Stämmen der Familie Desulfobacteriaceae (z. B. Desulfobacterium autotrophicum) oder der Gattungen Desulfotomaculum (grampositive Bakterien) und Archaeoglobus (Archaea). Die CO2-Fixierung erfolgt bei den meisten dieser Organismen über den reduktiven Acetyl-CoA-Weg, der bei den acetogenen (S. 454) und methanogenen Mikroorganismen (S. 456) näher erläutert wird. Alternativ verwenden einige autotro-

H+

H

MQH2

7

MQ

8

innen

2

PPi

SH

3

2 Pi

SH 3 13

11 ATP

6 e–

2 e–

S S

H2S

SO32– AMP

HS– 7 H+ 4

12

2 ADP

2 ATP 8H+

H+

APS 2 H+ 3

8H+ außen

9

2H+

H+

SO42–

H2 S

2H+

10 2 e–

1

6 e–

6

c3

2 Pi

Die Sulfatreduktion beginnt mit dem notwendigen Transport von Sulfat ins Cytoplasma unter Aufwendung von Energie über protonen- oder Na+-abhängige Sulfatsymporter (① in ▶ Abb. 14.12). Die Anzahl der transportierten Protonen pro Sulfat variiert je nach Bakterienart. Die Reduktion von Sulfat zu Sulfit erfolgt wie bei der assimilatorischen Sulfatreduktion (S. 302) beschrieben. Dabei reagiert das Sulfat mit dem AMP-Anteil von ATP zu Adenosinphosphosulfat (APS), wobei Pyrophosphat abgespalten wird (②). Die schnelle Hydrolyse von Pyrophosphat zu 2 Phosphatmolekülen begünstigt die APS-Bildung. Viele Sulfatreduzierer haben neben der üblichen cytoplasmatischen Pyrophosphatase ein membranständiges Isoenzym. Dieses konserviert einen Teil der Energie aus der Hydrolyse des Pyrophosphats wieder in Form eines Protonengradienten (⑩). Trotzdem kostet die Aktivierung pro Sulfat weit über ein ATP-Äquivalent, und die hier investierten ATP-Moleküle müssen im Verlauf der weiteren Reaktionen wieder regeneriert werden. Das gebildete APS wird zunächst durch eine dissimilatorische APS-Reduktase zu Sulfit und AMP reduziert (③ in ▶ Abb. 14.12), anschließend wird das Sulfit durch eine sirohämhaltige dissimilatorische Sulfit-Reduktase (auch Desulfoviridin, Desulforubidin oder Desulfofuscidin genannt) zu Sulfid reduziert (④). Beide Enzyme sind lösliche cytoplasmatische Proteine und können somit nicht direkt Energie in Form eines Membranpotenzials konservieren. Die Reduktionsäquivalente für beide Reduktasen werden allerdings durch spezielle Membranenzymkomplexe bereitgestellt, die zum Teil die jeweilige Potenzialdifferenz für die Translokation von Protonen (bzw. Na+)

5

8 e– 2– +

14.6.1 Biochemie der Sulfatreduktion

8H+

4 H2

SO4

phe Stämme für die CO2-Fixierung den reduktiven Citratzyklus (S. 312).

Abb. 14.12 Schema der Sulfatreduktion. ① Sulfattransport; ② ATP-Sulfurylase; ③ APS Reduktase; ④ Sulfit-Reduktase; ⑤ Hydrogenase; ⑥ Cytochrom c3; ⑦ QrcKomplex (Cyt-c3:Menachinon-Oxidoreduktase bzw. „Chinon-reduzierender Komplex“); ⑧ Qmo-Komplex (Menachinolabhängige membranständige Oxidoreduktase); ⑨ Dsr-Komplex (mit dissimilatorischer Sulfitreduktion gekoppelt); ⑩ energiekonservierende Pyrophosphatase; ⑪ Pyrophosphatase; ⑫ ATP-Synthase; ⑬ Dithiol-/Disulfid-Protein DsrC. Erklärungen siehe Text.

1 ATP 1 ATP

1

Anaerobe Atmung ausnutzen (z. B. der Qmo-Komplex, der Elektronen von Menachinol auf die APS-Reduktase überträgt; ⑦). Der Menachinonpool wird von weiteren Membranenzymkomplexen reduziert, die Elektronen aus verschiedenen Quellen (z. B. NADH oder Cytochrom c3) einspeisen. Sulfatreduzierer enthalten eine Vielzahl solcher membrangebundener Elektronentransferkomplexe, die ihnen die effiziente Ausnutzung der geringen Energiedifferenzen zwischen den abgebauten Substraten und dem Elektronenakzeptor Sulfat ermöglichen.

14.6.2 Energetik der Sulfatatmung Die APS-Reduktase und die Sulfit-Reduktase liegen löslich im Cytoplasma vor und pumpen keine Protonen über die Membran. Um im Stoffwechselweg etwas mehr Energie zu konservieren als beim Transport und bei der Aktivierung von Sulfat verbraucht wird, müssen allerdings beide Reduktionsschritte letztlich mit der Bildung eines Protonen-(bzw. Na+)Gradienten gekoppelt sein. Nach dem aktuellen Modell für die Sulfatatmung werden die Elektronen für die APS- und die Sulfitreduktion über membranständige Elektronentransportkomplexe angeliefert, die in Kopplung mit den beiden cytoplasmatischen Reduktasen einen Protonengradienten aufbauen. In ▶ Abb. 14.12 ist als Beispiel eine periplasmatische Hydrogenase (⑤) gezeigt, die durch ihre Reaktion auf der Außenseite der Membran (also im Periplasma bei gramnegativen Bakterien) bereits viele Protonen freisetzt. Die meisten bekannten Sulfatreduzierer verfügen neben mehreren Nickel-Eisen-Hydrogenasen über periplasmatische Eisen-Eisen-Hydrogenasen, denen diese Funktion zugeschrieben wird. Elektronenakzeptor für diese Hydrogenasen und für weitere periplasmatische Dehydrogenasen ist zunächst ein spezielles periplasmatisches Multihämcytochrom (z. B. Cyt c3, ⑥), dessen Redoxpotenzial so niedrig ist (E0’ = –205 mV), dass es als Elektronendonator für die exergone Reduktion von Menachinon (E0’ = –74 mV) dient. Diese Reaktion wird von einem Membranproteinkomplex (Cyt-c3:Menachinon-Oxidoreduktase bzw. Qrc-Komplex; ⑦) katalysiert, der die Energiedifferenz in Form gepumpter Protonen konserviert. Weitere Membranproteinkomplexe übertragen die Elektronen von Menachinol auf die cytoplasmatischen terminalen Reduktasen, insbesonders der Qmo-Komplex (⑧), der an die APS-Reduktase koppelt, und der Dsr-Komplex (⑨), der über ein Dithiol-/Disulfid-Protein an die Sulfitreduktase koppelt (⑫, vgl. ▶ Abb. 12.13). Neben den in

ATP-Sulfurylase:

ATP + Sulfat [PPi + H2O

APS-Reduktase:

Adenosin-5'-Phosphosulfat (APS) + 2 e– + H+ (E°’ –60 mV)

Acetat– + SO42– + 2 H+ → 2 CO2 + HS– + 2 H2O (ΔG0’ = –41 kJ mol–1) Reaktionschema der Sulfatatmung s. ▶ Abb. 14.13

14.6.3 Unterschiede zwischen assimilatorischer und dissimilatorischer Sulfatreduktion Die meisten Bakterien, Pilze und Pflanzen nutzen Sulfat als Schwefelquelle für die Synthese der schwefelhaltigen Zellbestandteile und reduzieren es dabei zu Sulfid (assimilatorische Sulfatreduktion) (S. 302). Die dabei ablaufenden Reaktionen sind ähnlich zu denen der Sulfatatmung, allerdings wird dabei keine Energie konserviert, sondern im Gegenteil: Energie wird verbraucht. Die Sulfataufnahme erfolgt bei der Sulfatassimilation meist über einen ATP-abhängigen sogenannten ABC-Transporter (S. 337). Damit können bereits geringe Sulfatkonzentrationen ausgenutzt werden, allerdings mit größerem Energieaufwand als beim Sulfat-Protonen-Symport der Sulfatatmer. Die Sulfataktivierung mit ATP zum APS und Reduktion von APS zu Sulfit ist in beiden Stoffwechselwegen analog, die assimilatorische APS-Reduktase unterscheidet sich aber in Struktur und Biochemie völlig vom dissimilatorischen Enzym. Auch die assimilatorische Sulfit-Reduktase unterscheidet sich von der dissimilatorischen, obwohl die beiden Enzyme strukturell ähnlich sind.

Adenosin-5'-Phosphosulfat (APS) + PPi 2 Pi]

Sulfit-Reduktase: HSO3– + 2 e– + 6 H+ (E°’ –116 mV)

452

▶ Abb. 14.12 gezeigten Komplexen gibt es in der Membran der Sulfatreduzierer üblicherweise noch viele weitere. Die verschiedenen Gruppen der Sulfatreduzierer verwenden unterschiedliche Mechanismen und Membranproteinkomplexe. Durch die Zwischenschaltung menachinongekoppelter und protonenpumpender Membranproteinkomplexe werden auch geringe Potenzialdifferenzen noch zur Energiekonservierung ausgenutzt bzw. auch endergone Elektronentransferreaktionen über reversen Elektronentransfer ermöglicht. So wird praktisch die gesamte verfügbare Energie aus der Veratmung beliebiger Substrate mit Sulfat zunächst in einen Protonengradienten umgewandelt, der dann über die membranständige ATP-Synthase zur ATPRegeneration genutzt wird (⑪). Pro reduziertem Sulfat ergibt sich dabei oft eine Energieausbeute von weniger als einem ATP-Äquivalent, wie aus der folgenden Gleichung für den Acetatabbau ersichtlich wird.

HS– + 3 H2O

HSO3– + AMP

Abb. 14.13 Reaktionsschema der Sulfatatmung.

14.6 Sulfat als Elektronenakzeptor

14.6.4 Rolle der sulfatreduzierenden Mikroorganismen im Naturhaushalt Sulfatreduzierer kommen in allen anaeroben Habitaten vor, die hinlängliche Mengen an Sulfat enthalten. In Abwesenheit anderer Elektronenakzeptoren haben sie einen Wachstumsvorteil gegenüber gärenden Bakterien und reichern sich deshalb an. Typische Habitate sind Sedimente von Seen und Meeren, Faulschlamm oder durch organische Kontaminanten verunreinigtes Grundwasser. Die typische schwarze Farbe (ausgefallenes FeS) und der Schwefelwasserstoffgeruch insbesonders mariner Sedimente (▶ Abb. 14.14) ist auf die Stoffwechseltätigkeit dieser Bakteriengruppe zurückzuführen. Im Meer findet eine vollständige Mineralisierung organischer Moleküle unter sulfatreduzierenden Bedingungen statt, ausgenommen sind Lignin und einige Kohlenwasserstoffe (Plus 14.7). Methoden zur Isolierung dieser Organismen sind in Methode 14.1 gezeigt.

Abb. 14.14 Schwarzfärbung mariner Sedimente durch Sulfatreduktion. Meist beginnt der Bereich der Sulfatreduktion bereits knapp unter der Oberfläche des Sediments, die aufgrund des Vorherrschens aerober Mikroorganismen in den obersten Schichten noch hell gefärbt ist. (NIWA, National Institute of Water & Atmospheric Research Ltd.)

●V

Plus 14.7 Ökologische und wirtschaftliche Bedeutung der Sulfatreduzierer Aufgrund ihres großen Abbauspektrums tragen Sulfatreduzierer wesentlich zur biologischen Sanierung von Böden und Sedimenten bei, die mit Chemikalien kontaminiert wurden. Sie bauen z. B. toxische aromatische Verbindungen und sogar Erdölbestandteile ab. Vor Kurzem sind sogar methanabbauende Lebensgemeinschaften von sulfatreduzierenden Bakterien und methanoxidierenden Archaeen gefunden worden, die als syntrophe Gemeinschaft unter Sauerstoffausschluss Methan zu CO2 oxidieren. Sulfatreduzierer sind allerdings auch verantwortlich für Schäden in erheblichem Ausmaß, die durch ihre Stoffwechselaktivität an unerwünschter Stelle entstehen, z. B. bei der Erdölförderung. Einige Bestandteile des Erdöls werden von Sulfatreduzierern abgebaut, sodass es oft zu erheblichen Störungen des Förderbetriebs kommt, besonders wenn das Öl bei der sogenannten sekundären Förderung in Kontakt mit Meerwasser gelangt. Der dabei gebildete Schwefelwasserstoff stellt ein ernstes Gesundheitsrisiko für die Arbeiter an den Förderanlagen dar (besonders auf Bohrinseln), und die entstehenden Schwermetallsulfide können die Leitungen verstopfen. Weiterhin bewirken Sulfatreduzierer auch die anaerobe Korrosion des Eisens und zerstören so z. B. Metallgeräte bei der Erdölförderung, aber auch Pipelines und Aufbewah-

SO42– Sulfatreduzierer 8 e–

H2S

FeS

3 HCO3–

3 FeCO3

4 Fe metallisches Eisen

Abb. 14.15 Korrosion von Eisen durch sulfatreduzierende Bakterien.

rungstanks. Man meint heute, dass dies zum großen Teil durch direkte Verwertung von metallischem Eisen als Elektronendonator durch einige besondere sulfatreduzierende Bakterien geschieht; eines der dabei freigesetzten Fe2 + -Ionen reagiert mit dem gebildeten H2S zu unlöslichem FeS, der Rest präzipitiert mit gelöstem Hydrogencarbonat als schwerlösliches FeCO3 (▶ Abb. 14.15). Reaktionsschema der mikrobiellen Eisenkorrosion: 4 Fe + SO42– + 3 HCO3– + 5 H+ → FeS + 3 FeCO3 + 4 H2O (ΔG0’ = –347 kJ mol–1; ΔE0’ = 448 mV)

3

Anaerobe Atmung

d ●

Methode 14.1 Anreicherung und Isolierung sulfatreduzierender Bakterien

ßend wird das Medium mit Sediment oder Faulschlamm beimpft und einige Tage bei geeigneten Temperaturen im Dunkeln unter anaeroben Bedingungen inkubiert (▶ Abb. 14.16). Während des Wachstums der Sulfatreduzierer stellt sich ein Redoxpotenzial von ca. –200 mV ein. Kolonien erkennt man an der schwarzen Färbung (FeS).

Zur Anreicherung sulfatreduzierender Bakterien braucht man ein Mineralsalzmedium mit zugesetztem Sulfat, dem je nach Typ der gewünschten physiologischen Gruppe ein Wasserstoffdonator und eine geeignete C-Quelle (H2/CO2 oder organisches Substrat) zugesetzt werden. Anschliea

b

c

d

H2

I

II

H2

Abb. 14.16 Isolierung von Sulfatreduzierern. a Nährlösung mit Lactat und Sulfat. Um die notwendigen reduzierenden Bedingungen (tiefes Redoxpotenzial) zu schaffen, befindet sich in dem Röhrchen ein Eisennagel, der auch das gebildete H2S als FeS abfängt. b Bakterien, die molekularen Wasserstoff verwerten, werden mittels eines DURHAMRöhrchens versorgt. Das DURHAM-Röhrchen ist mit H2 gefüllt und schwimmt vor Beginn der Bebrütung oben. Nach der Bebrütung befindet es sich am Boden. c Bakterienwachstum mit Spuren organischer Substanz unter Sulfatreduktion und Eisenkorrosion. d In der SÖHNGENschen Doppelflasche werden sulfatreduzierende Bakterien folgendermaßen angereichert. Flasche II wird zunächst mit Nährlösung, die Lactat und Sulfat enthält, gefüllt, dann wird diese Nährlösung durch Einleiten von H2 in Flasche I hinübergedrückt (gestrichelte Linie zeigt Flüssigkeitsniveau). Während der Bebrütung wird der Wasserstoff in Flasche II verbraucht und das Nährmedium zusammen mit den wachsenden Bakterien wieder in Flasche I zurückgezogen.

14.7 Schwefel als Elektronenakzeptor Elementarer Schwefel wird von verschiedenen anaeroben Mikroorganismen als terminaler Elektronenakzeptor genutzt und dabei zu Schwefelwasserstoff reduziert (Schwefelatmung). Viele der bekannten schwefelreduzierenden Mikroorganismen gehören zu den hyperthermophilen Archaea mit Wachstumsoptima von 90–113 °C (z. B. Gattungen Thermoproteus, Pyrodictium; Plus 14.8), von denen viele auf diesen Stoffwechseltyp als einzige Energiequelle angewiesen sind (S-abhängige Archaea). Darüber hinaus ist Schwefelatmung auch bei einigen Eubakterien bekannt; am bekanntesten sind hier die Proteo-

454

bakterien Desulfuromonas acetoxidans und Wolinella succinogenes. Diese schwefelatmenden Bakterien haben in der Regel auch andere alternative Energiestoffwechselwege und induzieren die Enzyme der Schwefelatmung je nach den Umweltgegebenheiten.

14.7.1 Polysulfidatmung in Wolinella succinogenes Für das anaerobe Pansenbakterium Wolinella succinogenes wurde nachgewiesen, dass das eigentliche Substrat der anaeroben Atmung nicht elementarer Schwefel ist, sondern kurze Polysulfidketten. Diese bilden sich aus elementarem Schwefel (ein ringförmiges Molekül mit 8

Anaerobe Atmung

d ●

Methode 14.1 Anreicherung und Isolierung sulfatreduzierender Bakterien

ßend wird das Medium mit Sediment oder Faulschlamm beimpft und einige Tage bei geeigneten Temperaturen im Dunkeln unter anaeroben Bedingungen inkubiert (▶ Abb. 14.16). Während des Wachstums der Sulfatreduzierer stellt sich ein Redoxpotenzial von ca. –200 mV ein. Kolonien erkennt man an der schwarzen Färbung (FeS).

Zur Anreicherung sulfatreduzierender Bakterien braucht man ein Mineralsalzmedium mit zugesetztem Sulfat, dem je nach Typ der gewünschten physiologischen Gruppe ein Wasserstoffdonator und eine geeignete C-Quelle (H2/CO2 oder organisches Substrat) zugesetzt werden. Anschliea

b

c

d

H2

I

II

H2

Abb. 14.16 Isolierung von Sulfatreduzierern. a Nährlösung mit Lactat und Sulfat. Um die notwendigen reduzierenden Bedingungen (tiefes Redoxpotenzial) zu schaffen, befindet sich in dem Röhrchen ein Eisennagel, der auch das gebildete H2S als FeS abfängt. b Bakterien, die molekularen Wasserstoff verwerten, werden mittels eines DURHAMRöhrchens versorgt. Das DURHAM-Röhrchen ist mit H2 gefüllt und schwimmt vor Beginn der Bebrütung oben. Nach der Bebrütung befindet es sich am Boden. c Bakterienwachstum mit Spuren organischer Substanz unter Sulfatreduktion und Eisenkorrosion. d In der SÖHNGENschen Doppelflasche werden sulfatreduzierende Bakterien folgendermaßen angereichert. Flasche II wird zunächst mit Nährlösung, die Lactat und Sulfat enthält, gefüllt, dann wird diese Nährlösung durch Einleiten von H2 in Flasche I hinübergedrückt (gestrichelte Linie zeigt Flüssigkeitsniveau). Während der Bebrütung wird der Wasserstoff in Flasche II verbraucht und das Nährmedium zusammen mit den wachsenden Bakterien wieder in Flasche I zurückgezogen.

14.7 Schwefel als Elektronenakzeptor Elementarer Schwefel wird von verschiedenen anaeroben Mikroorganismen als terminaler Elektronenakzeptor genutzt und dabei zu Schwefelwasserstoff reduziert (Schwefelatmung). Viele der bekannten schwefelreduzierenden Mikroorganismen gehören zu den hyperthermophilen Archaea mit Wachstumsoptima von 90–113 °C (z. B. Gattungen Thermoproteus, Pyrodictium; Plus 14.8), von denen viele auf diesen Stoffwechseltyp als einzige Energiequelle angewiesen sind (S-abhängige Archaea). Darüber hinaus ist Schwefelatmung auch bei einigen Eubakterien bekannt; am bekanntesten sind hier die Proteo-

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bakterien Desulfuromonas acetoxidans und Wolinella succinogenes. Diese schwefelatmenden Bakterien haben in der Regel auch andere alternative Energiestoffwechselwege und induzieren die Enzyme der Schwefelatmung je nach den Umweltgegebenheiten.

14.7.1 Polysulfidatmung in Wolinella succinogenes Für das anaerobe Pansenbakterium Wolinella succinogenes wurde nachgewiesen, dass das eigentliche Substrat der anaeroben Atmung nicht elementarer Schwefel ist, sondern kurze Polysulfidketten. Diese bilden sich aus elementarem Schwefel (ein ringförmiges Molekül mit 8

Plus 14.8 Schwefelreduktion bei Archaea

●V

Einige der schwefelabhängigen hyperthermophilen Archaea scheinen die Schwefelreduktion nicht über die Polysulfid-Reduktase, sondern über ein anderes Enzymsystem zu katalysieren. Dies trifft besonders auf die thermoacidophilen Organismen der Gattung Acidianus zu, die autotroph unter aeroben oder anaeroben Bedingungen wachsen. Unter Sauerstoffausschluss betreiben sie Schwefelatmung mit H2 als Elektronendonator, während sie unter aeroben Bedingungen Schwefel mit Sauerstoff zu Schwefelsäure oxidieren. Zum Wachstum benötigen sie nicht nur hohe Temperaturen von > 80 °C, sondern auch extrem niedrige pH-Werte von 1–2, bei denen Polysulfid nicht mehr stabil ist und zu Sulfid und elementarem Schwefel zerfällt. Die Enzyme der Schwefelreduktion bei diesen Organismen haben keine Ähnlichkeit mit der Polysulfid-Reduktase, vielmehr scheint ein sehr großer und komplex aufgebauter Membranenzymkomplex daran beteiligt zu sein.

Schwefelatomen, S8) und Sulfid in wässriger Lösung spontan: S8 + 2 S2– → 2 S52–. Die Schwefelatmung in W. succinogenes wird durch die Polysulfid-Reduktase katalysiert, einem membranständigen Molybdänenzym, das einen ungewöhnlichen fest gebundenen Methylmenachinoncofaktor (MK) enthält. Eine Polysulfidkette (z. B. S52–) wird von diesem Enzym zu Schwefelwasserstoff und einem verkürzten Polysulfid (z. B. S42–) umgesetzt (in ▶ Abb. 14.17). Der Prozess wird so lange wiederholt, bis das Polysulfid vollständig zu Sulfid reduziert ist. Als Elektronendonatoren für die Polysulfidatmung verwendet W. succinogenes entweder Formiat oder Wasserstoff, die jeweils durch eine membranständige Oxidoreduktase oxidiert werden (①). Die aktiven Zentren all dieser Redoxenzyme liegen auf der periplasmatischen (äußeren) Seite der Membran. Hier wird also der Protonengradient nicht wie bei der Fumaratatmung durch Freisetzung von Protonen außen und Verbrauch von Protonen auf der Innenseite aufgebaut. Stattdessen wird beim Transfer der Reduktionsäquivalente von der Formiat-Dehydrogenase bzw. der Hydrogenase zur Polysulfid-Reduktase, der über den gebundenen Methylmenachinoncofaktor dieses Enzyms erfolgt, je ein Proton nach außen transportiert (▶ Abb. 14.17). Reaktionsschema der Schwefel-/Polysulfidatmung s. ▶ Abb. 14.18

14.7 Schwefel als Elektronenakzeptor

HCOOH

CO2

2H+ S52–

1 2e–

H2S + S42–

2 2e–

H+

außen

MK MKH– innen H+

3

¼ ( ADP + Pi )

¼ ATP H+

Abb. 14.17 Schema der Polysulfidatmung von Wolinella succinogenes. ① Formiat-Dehydrogenase; ② Polysulfid-Reduktase; ③ ATP-Synthase. MK, Methylmenachinoncofaktor der Polysulfidreduktase; MKH–, reduzierte Methylmenachinolanionform des Cofaktors. Erklärung siehe Text.

14.7.2 Syntrophe Assoziation von Desulfuromonas acetoxidans mit Grünen Schwefelbakterien Das marine schwefelreduzierende Bakterium Desulfuromonas acetoxidans, das mit den sulfatreduzierenden Bakterien aus der delta-Gruppe der Proteobakterien verwandt ist, koppelt sogar die thermodynamisch wesentlich ineffizientere Oxidation von Acetat oder Ethanol an die Schwefelreduktion. Der Acetatabbau erfolgt dabei wie bei einigen Sulfatreduzierern über einen modifizierten oxidativen Citratzyklus. Dabei wird Succinyl-CoA verwendet, um durch CoA-Transfer Acetat zu Acetyl-CoA zu aktivieren. Zusätzlich wird ATP durch die ATP-Citrat-Lyase gebildet (Acetyl-CoA + Oxalacetat + ADP + Pi → Citrat + CoA + ATP, ΔG0’ = 0 kJ mol–1). Allerdings ist bei diesem Organismus noch unbekannt, wie eine Protonentranslokation über die Membran mit der Acetatoxidation und der Schwefelreduktion gekoppelt ist. D. acetoxidans kann syntrophe Assoziationen mit phototrophen Grünen Schwefelbakterien (Chlorobium-Arten) bilden. Das schwefelreduzierende Bakterium versorgt dabei die Chlorobien mit H2S als Elektronendonator für die phototrophe CO2-Assimilation, während der phototrophe Partner seinerseits wieder den Schwefel als Elektronenakzeptor für die anaerobe Atmung von Desulfuromonas produziert. Das syntrophe Konsortium ist damit unabhängig von der Verfügbarkeit von Schwefel oder Sulfid, es katalysiert einen lichtgetriebenen kleinen Schwefelkreislauf (▶ Abb. 14.19).

5

Anaerobe Atmung Sn2–

+ 2 [H]

HCOO– + H+ Summe: HCOO– + H+ + Sn2–

H2S + Sn-12– (E°’ –270 mV; berechnet für S + H2 → H2S) CO2 + 2 [H]

(E°’ –432 mV)

CO2 + H2S + Sn-12–

(ΔG°’ –31 kJ mol–1)

Licht S

Desulfuromonas acetoxidans

Chlorobium

Zellsubstanz

Zellsubstanz H2S

Acetat

Abb. 14.18 Reaktionsschema der Schwefel-/Polysulfidatmung.

CO2

CO2

Abb. 14.19 Mischkultur eines schwefelreduzierenden Bakteriums (Desulfuromonas acetoxidans) und eines grünen phototrophen Bakteriums (Chlorobium sp.) auf einem Agarnährboden. In der großen zentralen Kolonie von Desulfuromonas acetoxidans wird Acetat oxidiert und Schwefel reduziert. Der Schwefelwasserstoff diffundiert in die Umgebung und dient den Zellen von Chlorobium als Wasserstoffdonator für die CO2-Fixierung. Der ausgeschiedene Schwefel diffundiert zur zentralen Kolonie zurück (vermutlich in Form von Polysulfid) und wird wieder als Elektronenakzeptor verwendet.

14.8 Methanogenese: CO2 als Elektronenakzeptor Die strikt anaeroben acetogenen und methanogenen Mikroorganismen stehen am Ende der Kette des anaeroben Stoffabbaus. Durch die Stoffwechselaktivität anaerober Mikroorganismen (primärer und sekundärer Gärer) (S. 411) wird organische Substanz über mehrere Zwischenstufen zu Essigsäure, Wasserstoff und CO2 vergoren. Diese Produkte werden letztlich von den Methanogenen für ihren Energie- und Baustoffwechsel genutzt. Das natürlich gebildete Methan stammt zu etwa 70 % aus Acetat, der Rest aus H2 und CO2. Man schätzt, dass bei der Mineralisation organischer Substanz bis 1,5 % des Kohlenstoffs zunächst als Methan freigesetzt und erst später zu CO2 oxidiert wird, vor allem durch abiotische Prozesse in der Atmosphäre. Große Mengen Methan stammen aus Tundren, Süßwassersedimenten und Sumpfgebieten (daher der Name „Sumpfgas“; ▶ Abb. 14.20), aber auch aus Reisfeldern, Faultürmen der Kläranlagen (Biogasanlagen) und den Mägen der Wiederkäuer (Pansen) und tragen zur globalen Methanbilanz bei. Schließlich lagern riesige Mengen des Gases (auch abiogenes Methan vulkanischer Herkunft) in der Tiefsee als sogenannte Methanhydrate („Methaneis“), die sich mit Wasser unter hohem Druck und niedrigen Temperaturen bilden (▶ Abb. 14.21). Da Methan ein ca. 20-fach stärkeres Treibhausgas ist als CO2, wird seit Kurzem versucht, die globale Ausstoßrate des Methans aufgrund menschlicher Tätigkeit zu begrenzen.

456

Abb. 14.20 Nachweis der Bildung von Methan in Sümpfen. Das brennbare Sumpfgas wird in einem Trichter gesammelt und kann dann abgefackelt werden. (Aufnahme Johannes Gescher, Karlsruhe)

14.8.1 Methanogene Organismen Eigenschaften Alle methanogenen Mikroorganismen sind miteinander verwandt und gehören zu den Archaea. Zusammen mit den Halobakterien und einigen hyperthermophilen Gärern bilden sie den Zweig der Euryarchaeota. Man teilt die Methanogenen aufgrund einiger physiologischer Eigenschaften und der 16S-rRNA-Sequenzen in 5 Klassen ein, die jeweils nach einer typischen Gattung benannt sind: die Methanopyrales, Methanococcales, Methanobacteriales, Methanomicrobiales und Methanosarcinales.

Anaerobe Atmung Sn2–

+ 2 [H]

HCOO– + H+ Summe: HCOO– + H+ + Sn2–

H2S + Sn-12– (E°’ –270 mV; berechnet für S + H2 → H2S) CO2 + 2 [H]

(E°’ –432 mV)

CO2 + H2S + Sn-12–

(ΔG°’ –31 kJ mol–1)

Licht S

Desulfuromonas acetoxidans

Chlorobium

Zellsubstanz

Zellsubstanz H2S

Acetat

Abb. 14.18 Reaktionsschema der Schwefel-/Polysulfidatmung.

CO2

CO2

Abb. 14.19 Mischkultur eines schwefelreduzierenden Bakteriums (Desulfuromonas acetoxidans) und eines grünen phototrophen Bakteriums (Chlorobium sp.) auf einem Agarnährboden. In der großen zentralen Kolonie von Desulfuromonas acetoxidans wird Acetat oxidiert und Schwefel reduziert. Der Schwefelwasserstoff diffundiert in die Umgebung und dient den Zellen von Chlorobium als Wasserstoffdonator für die CO2-Fixierung. Der ausgeschiedene Schwefel diffundiert zur zentralen Kolonie zurück (vermutlich in Form von Polysulfid) und wird wieder als Elektronenakzeptor verwendet.

14.8 Methanogenese: CO2 als Elektronenakzeptor Die strikt anaeroben acetogenen und methanogenen Mikroorganismen stehen am Ende der Kette des anaeroben Stoffabbaus. Durch die Stoffwechselaktivität anaerober Mikroorganismen (primärer und sekundärer Gärer) (S. 411) wird organische Substanz über mehrere Zwischenstufen zu Essigsäure, Wasserstoff und CO2 vergoren. Diese Produkte werden letztlich von den Methanogenen für ihren Energie- und Baustoffwechsel genutzt. Das natürlich gebildete Methan stammt zu etwa 70 % aus Acetat, der Rest aus H2 und CO2. Man schätzt, dass bei der Mineralisation organischer Substanz bis 1,5 % des Kohlenstoffs zunächst als Methan freigesetzt und erst später zu CO2 oxidiert wird, vor allem durch abiotische Prozesse in der Atmosphäre. Große Mengen Methan stammen aus Tundren, Süßwassersedimenten und Sumpfgebieten (daher der Name „Sumpfgas“; ▶ Abb. 14.20), aber auch aus Reisfeldern, Faultürmen der Kläranlagen (Biogasanlagen) und den Mägen der Wiederkäuer (Pansen) und tragen zur globalen Methanbilanz bei. Schließlich lagern riesige Mengen des Gases (auch abiogenes Methan vulkanischer Herkunft) in der Tiefsee als sogenannte Methanhydrate („Methaneis“), die sich mit Wasser unter hohem Druck und niedrigen Temperaturen bilden (▶ Abb. 14.21). Da Methan ein ca. 20-fach stärkeres Treibhausgas ist als CO2, wird seit Kurzem versucht, die globale Ausstoßrate des Methans aufgrund menschlicher Tätigkeit zu begrenzen.

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Abb. 14.20 Nachweis der Bildung von Methan in Sümpfen. Das brennbare Sumpfgas wird in einem Trichter gesammelt und kann dann abgefackelt werden. (Aufnahme Johannes Gescher, Karlsruhe)

14.8.1 Methanogene Organismen Eigenschaften Alle methanogenen Mikroorganismen sind miteinander verwandt und gehören zu den Archaea. Zusammen mit den Halobakterien und einigen hyperthermophilen Gärern bilden sie den Zweig der Euryarchaeota. Man teilt die Methanogenen aufgrund einiger physiologischer Eigenschaften und der 16S-rRNA-Sequenzen in 5 Klassen ein, die jeweils nach einer typischen Gattung benannt sind: die Methanopyrales, Methanococcales, Methanobacteriales, Methanomicrobiales und Methanosarcinales.

14.8 Methanogenese: CO2 als Elektronenakzeptor Alle Methanogene sind strikt anaerob; sie enthalten weder Katalase noch Superoxid-Dismutase als Schutzenzyme gegen toxische Sauerstoffmetabolite (S. 285). Einige Arten tolerieren dennoch einen kurzen Kontakt mit Sauerstoff, da sie in Form der Rubredoxin-Oxidoreduktase (einer Superoxid-Reduktase) ein alternatives Sauerstoffschutzsystem enthalten, das bereits bei den sulfatreduzierenden Bakterien vorgestellt wurde. Das Substratspektrum der Methanogenen ist eng begrenzt; es beschränkt sich auf C1-Verbindungen (z. B. Formiat, Methanol, Methylamine) und Acetat als einzige abbaubare C2-Verbindung (bei den Methanosarcinales). Viele Arten wachsen darüber hinaus auch autotroph mit H2 und CO2; das CO2 wird dabei über den reduktiven AcetylCoA-Weg fixiert, der bei den acetogenen Bakterien näher dargestellt ist. Die meisten bekannten Arten verwerten H2 als Wasserstoffdonator. Eine Sonderstellung unter allen Lebewesen nehmen die Methanogenen insbesondere aufgrund des Vorkommens von ungewöhnlichen Coenzymen ein. Bisher sind sieben solcher Coenzyme bekannt, die ohne Ausnahme an wichtigen Reaktionen der Methanbildung beteiligt sind. Ihre Namen und Strukturen sind in ▶ Abb. 14.22 gezeigt. Vereinzelt wurden einige dieser Coenzyme in letzter Zeit auch bei besonderen Stoffwechselwegen anderer Mikroorganismen entdeckt.

Abb. 14.21 Methanhydrat („Methaneis“) aus der Tiefsee. Unter hohem Druck und den tiefen Temperaturen am Meeresboden bildet sich eine Einschlussverbindung aus Wasser und Methan („Methaneis“), die bei 4 °C bereits bei 35 bar (unterhalb 350 m Wassertiefe) stabil ist. Das feste Methanhydrat zersetzt sich an der Oberfläche und dabei wird Wasser und brennbares Methan freigesetzt. (GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel)

Ökologie Am natürlichen Standort sind die Methanogenen meist vergesellschaftet mit gärenden Bakterien, die sie mit Gärungsendprodukten wie H2 („Interspecies-Wasserstoff-

a

b HS

CH2 CH2

O

SO3H

HS

CH2 CH2 CH2 CH2 CH2 CH2 C

O

H

O +2[H]

HN O

N

N

OH

-2[H]

H

HOOC

Rc

N H

CH

f

H

HN O

CH

N

OH

H2NOC

CH2 CH2

CH2 CH2 COO – N

N Ni

O HN

H 2N

N

H N N H

C H N H

N

e

CH3

Re

HOOC

Rd

Tetrahydromethanopterin

g

+

N CH2 COO –

CH2

CH2 NH 2 O Methanofuran

CH3

CH3

HN

CH3

Dezaflavinadenosindinukleotid (F420) d

PO 3H 2

O

CH3

R

O

COO –

Coenzym B

Coenzym M c

CH3 NH

O

CH2 CH2 COO –

Faktor F430 H

N

O

+2[H] 4

N Methanophenazin

-2[H]

N

O R

N H

Abb. 14.22 Coenzyme und prosthetische Gruppen der methanogenen Archaea. Rc-e, unterschiedliche Seitenketten.

7

Anaerobe Atmung Transfer“) oder Acetat versorgen. Sie bilden dabei zusammen mit den Acetogenen die wichtigsten wasserstoffzehrenden Mitglieder der Bakterienflora außerhalb des Meeres. Am Standort stellt sich aufgrund der Aktivität der Methanogenen eine extrem niedrige Wasserstoffkonzentration ein, bis zu einem Partialdruck um 10–5 bar. Einerseits ist bei dieser niedrigen Wasserstoffkonzentration eine Energiekonservierung bei der Methanbildung aus H2 und CO2 gerade noch thermodynamisch möglich (s. Anhang). Andererseits erlaubt erst eine solch niedrige Wasserstoffkonzentration den sekundären Gärern, Wasserstoff als Gärungsendprodukt von Reaktionen freizusetzen, die ansonsten thermodynamisch unmöglich wären (z. B. Oxidation von Fettsäuren zu Acetat und H2) (S. 435). Nur in der engen Vergesellschaftung von wasserstoffbildenden sekundären Gärern und wasserstoffverbrauchenden Methanogenen können also die Gärungsprodukte, die durch die anaerobe Nahrungskette angeliefert werden, überhaupt verwertet werden.

14.8.2 Methanbildung aus H2 und CO2 Die Methanogenen lassen sich in zwei physiologische Untergruppen unterteilen, bei denen sich die Stoffwechselwege und die Enzyme der Methanbildung etwas unterscheiden. Die erste Gruppe umfasst die wasserstoffoxidierenden Methanogenen, die im Wesentlichen auf H2/ CO2 bzw. Formiat als Substrate beschränkt sind; sie können weder Acetat noch andere Verbindungen mit Methylgruppen abbauen und enthalten keine Cytochrome. Gut untersuchte Vertreter dieser Gruppe sind Arten der Gattungen Methanococcus, Methanobacterium oder Methanopyrus. Von den ungewöhnlichen Coenzymen, die in Methanogenen gefunden werden, fehlt diesen Organismen das Methanophenazin. Die zweite Gruppe sind die acetatverwertenden Methanogenen, zu denen vor allem die Gattung Methanosarcina gehört. Auch diese Organismen wachsen üblicherweise auf H2/CO2, weisen jedoch einen etwas abweichenden Stoffwechselweg auf und sie enthalten Cytochrome und Methanophenazin. Die Gesamtreaktion der Methanbildung aus H2/CO2 lautet jeweils: Reaktionsschema Methanbildung aus CO2: 4 H2 + CO2 → CH4 + 2 H2O E0’ = –244 mV; ΔG0’ = –131 kJ mol–1 CO2, aber nur ΔG’ = –17 kJ mol–1 CO2 bei 10–5 bar H2) Bei den Methanogenen lassen sich also zwei Typen des Elektronentransports unterscheiden. Methanogene mit Cytochromen haben wesentlich höhere Wachstumserträge, aber auch eine 10fach höhere Schwellenkonzentration für H2 (die H2-Konzentration, bei der sie gerade noch zu wachsen vermögen) als Methanogene ohne Cytochrome.

458

Der Stoffwechselweg der Methanbildung aus H2/CO2 ist in ▶ Abb. 14.23 gezeigt. Der Wasserstoff wird von verschiedenen Hydrogenasen verwendet, um Coenzyme zu reduzieren (①, ⑤, ⑥, ⑦). Zuerst wird CO2 durch eine membranständige Formylmethanofuran-Dehydrogenase an das erste der methanogenen Coenzyme, Methanofuran, gebunden und zur Formylgruppe reduziert (②). Diese Reaktion ist mit Wasserstoff endergon und benötigt ein Ferredoxin mit sehr niedrigem Redoxpotenzial als Elektronendonator, das bei verschiedenen methanogenen Gruppen auf unterschiedliche Weise bereitgestellt wird. Bei den wasserstoffoxidierenden Arten (Methanogene ohne Cytochrome) geschieht dies vor allem durch eine Kopplung mit der exergonen letzten Reaktion der Methanogenese, der Heterodisulfidreduktion. Nachgewiesen ist eine Elektronenbifurkation (Plus 13.2) (S. 413) von zwei Wasserstoffmolekülen auf Ferredoxin und das Heterodisulfid aus CoB und CoM, die von einem Enzymkomplex aus einer Hydrogenase und der Heterodisulfid-Reduktase (⑤) katalysiert wird. Die acetatverwertenden Methanogenen (Methanogene mit Cytochromen) benutzen zum Wachstum auf H2/ CO2 stattdessen eine membranständige „energiekonservierende Hydrogenase“ (Ech, ⑥) für die Ferredoxinreduktion, die auch bei den wasserstoffoxidierenden Arten als zusätzliches unterstützendes Enzym zu finden ist. Die notwendige Energie für die Ferredoxinreduktion mit Wasserstoff stellt diese Hydrogenase durch Protonenoder Na+-Ionen-Translokation über die Membran bereit. Die Formylgruppe des Methanofurans wird durch eine Transferase (⑩) auf das nächste Coenzym Tetrahydromethanopterin übertragen (N5-Formyl-Tetrahydromethanopterin), anschließend über eine Cyclohydrolase (⑪) zu einer N5-N10-Methenylgruppe dehydriert und in zwei Schritten mittels reduziertem Coenzym F420 (ein Deazaflavin mit ähnlichen Redoxeigenschaften wie NADH; E0’ = –360 mV) auf die Stufe von N5-Methyl-Tetrahydromethanopterin reduziert. Die Methylgruppe wird anschließend durch ein weiteres Membranenzym auf die Thiolgruppe von Coenzym M (CoM-SH) übertragen (③); bei dieser exergonen Reaktion wird Energie in Form eines Na+-Gradienten konserviert. Das Methyl-CoM wird schließlich mithilfe eines weiteren spezifischen Coenzyms (CoB-SH, ebenfalls mit Thiolgruppe) als Reduktionsmittel durch die Methyl-CoM-Reduktase zu Methan und einem Heterodisulfid aus CoM und CoB (CoM–S–S–CoB) umgesetzt (④). Die Methyl-CoM-Reduktase enthält einen fest gebundenen Nickel-Tetrapyrrol-Cofaktor, das Coenzym F430 (Absorptionsmaximum bei 430 nm). Im letzten Schritt reduziert die Heterodisulfid-Reduktase das Heterodisulfid (CoM–S–S–CoB) wieder zu den Coenzymen M und B. Dieses Enzym unterscheidet sich in den wasserstoffoxidierenden und acetatverwertenden Arten grundlegend. Diese unterscheiden sich vor allem darin, wie sie den ersten, endergonen, und den letzten, exergonen, Schritt bei der Methanbildung aus H2 und CO2

14.8 Methanogenese: CO2 als Elektronenakzeptor

CO2

2H+ 2H+/2Na+

2 Fdred

Ni

[Mo]

2 Fdox

6 H2

Methanofuran–NH2 2

Formyl-Methanofuran + H2O Tetrahydromethanopterin 10

Methanofuran–NH2

Formyl-Tetrahydromethanopterin 11

H2O

Methenyl-Tetrahydromethanopterin F420H2

12

F420

9

2H+ 1

1Na+ 2H+

[Ni] H2

1Na+ 2H+

Methylen-Tetrahydromethanopterin 2 Fdred 2 Fdox

F420

1

2H+ [Ni] H2

Methyl-Tetrahydromethanopterin

B12

2Na+ CoM-S–CH3 + Tetrahydromethanopterin

2H2 4H+

F420H2

13

5 [Ni]

2Na+

3

CoM-SH

2H+

CoB-SH 2H+

2H+ H2

7

[F430]

ADP + Pi

4 4Na+

CoM-S-S-CoB CH4

8

4Na+

ATP

Abb. 14.23 Methanbildung aus H2 und CO2. Reaktionen mit grünen Pfeilen sind spezifisch für wasserstoffoxidierende, solche mit roten Pfeilen für acetatabbauende Methanogene. Man beachte dabei, dass viele wasserstoffoxidierende Methanogene eine energiekonservierende Hydrogenase (⑥) haben, obwohl diese dort nicht essenziell ist. Einige Methanogene nutzen zudem für die Reduktion von Methenyl-Tetrahydromethanopterin zu Methylen-Tetrahydromethanopterin anstelle der F420H2 -abhängigen Reduktase (⑫) eine spezielle Hydrogenase, die nur ein Fe gebunden an einen organischen Guanylpyridinol-Cofaktor enthält (nicht dargestellt). Wichtige Enzyme: ① F420-reduzierende Hydrogenase (Ni-Cofaktor); ② Formylmethanofuran-Dehydrogenase (Molybdäncofaktor); ③ Methyltransferase (B12-Cofaktor); ④ Methyl-CoM-Reduktase (F430-Cofaktor); ⑤ lösliche elektronenbifurkierende Heterodisulfid-Reduktase; ⑥ energiekonservierende Hydrogenase (Ech); ⑦ membranständiger protonenpumpender Heterodisulfid-Reduktase/Hydrogenase Komplex (vermutlich mit Beteiligung von Methanophenazin); ⑧ ATP-Synthase; ⑨ Na+/Protonen-Antiporter. Weitere Enzyme: ⑩ Formyltransferase; ⑪ Cyclohydrolase; ⑫ Methenyl-Tetrahydromethanopterin-Reduktase; ⑬ Methylen-TetrahydromethanopterinReduktase; Erklärungen siehe Text.

miteinander verbinden. Die Wasserstoffoxidierer haben eine lösliche Heterodisulfid-Reduktase (⑤) und koppeln die exergone Heterodisulfid-Reduktion über eine Elektronenbifurkation an die endergone Reduktion von Ferredoxin, beides mit Wasserstoff als Elektronendonator. Acetatverwerter nutzen für die Methanbildung aus Wasserstoff und CO2 einen membrangebundenen Hydrogenase/Heterodisulfid-Reduktase-Komplex, der die freiwerdende Energie in Form von gepumpten Protonen oder Na+-Ionen konserviert (⑦). Diese treiben wiederum die Ferredoxinreduktion über die energiekonservierende Hydrogenase Ech an (⑥) (chemiosmotische Kopplung). Die Energiekonservierung verläuft in beiden physiologischen Gruppen über eine Na+-abhängige ATP-Synthase, die im Wesentlichen den Na+-Gradienten nutzt, der über

die Methyltransferasereaktion aufgebaut wurde. Darüber hinaus können die jeweiligen Ionengradienten über Na+/ Protonen-Antiporter (⑨) auch gegenseitig ineinander umgewandelt werden. Daher wird die Methanogenese auch als anaerobe CO2-Atmung angesehen. Vermutlich werden pro gebildetem Methan nur ein bis zwei Na+ transloziert, sodass die Reaktion bis zu drei- oder viermal ablaufen muss (je nach „Stöchiometrie“ der ATP-Synthase), um ein ATP zu regenerieren.

14.8.3 Methanbildung aus Acetat Unter den Methanogenen verwerten nur die mit Methanosarcina verwandten Arten (Ordnung Methanosarcinales) Acetat als Substrat. Darüber hinaus wachsen viele

9

Anaerobe Atmung dieser Arten auch mit Methanol oder anderen methylgruppenhaltigen Substraten. Außer den bereits vorgestellten methanogenen Coenzymen findet man bei diesen Mikroorganismen zusätzlich Methanophenazin (▶ Abb. 14.22), das als membraninterner Elektronenüberträger dient; außerdem enthalten die Zellen im Gegensatz zu den wasserstoffoxidierenden Arten Cytochrome. Die Gesamtreaktion der methanogenen Acetatspaltung lautet: Reaktionsschema Methanbildung aus Acetat:

trum (CODH) bzw. ein Nickel-Nickel-Eisen-Schwefel-Zentrum (ACS) enthält. Das ACS-Modul dieses Enzyms spaltet Acetyl-CoA zu CoA und enzymgebundenen CO- und Methyleinheiten. Das gebundene CO wird auf das CODH-Modul übertragen und dort unter Beteiligung von Wasser mit Ferredoxin zu CO2 oxidiert (③; s. a. ▶ Abb. 14.25); die Elektronen werden weiter über eine Na+-pumpende Ferredoxin:Methanophenazin-Oxidoreduktase (Rnf-Komplex) (S. 414) auf den Methanophenazinpool in der Membran übertragen, wobei die Energie in Form eines Na+Gradienten konserviert wird (④). Die gebundene Methylgruppe des ACS-Moduls wird an einen Tetrahydrosarcinapterincofaktor abgegeben und durch eine membranständige B12-haltige Methyltransferase weiter auf CoM übertragen (⑤). Bei dieser Reaktion wird Energie in Form eines Na+ -Gradienten konserviert. Die weiteren Schritte (Reaktionen der Methyl-CoM-Reduktase ⑥ und der Heterodisulfid-Reduktase ⑦) sind identisch mit den Reaktionen der Methanbildung aus H2 und CO2, wobei es sich bei der Heterodisulfid-Reduktase um ein spezifisches Isoenzym handelt, das reduziertes Methanophenazin als Elektronendonator akzeptiert. Bei der Reaktion der Heterodisulfid-Reduktase werden Protonen durch die Membran gepumpt, die zur Energiekonservierung beitragen. Obwohl in diesem Stoffwechselweg an insgesamt drei Stellen Protonen bzw. Na+-Ionen gepumpt werden, muss ein großer Teil der konservierten Energie bereits für die anfängliche Aktivierung und den Transport des Acetats auf-

H3C-COO– + H+ → CH4 + CO2 (ΔG0’ = –27,5 kJ mol–1 pro Acetat) Bei der Reaktion wird Acetat zu Methan und CO2 disproportioniert, d. h. die Methylgruppe des Acetats wird zu Methan reduziert, während die Carboxygruppe zu CO2 oxidiert wird. Das Gas aus Biogasanlagen besteht je fast zur Hälfte aus CO2 und Methan, was von der großen Bedeutung der Acetatspaltung für die Methanbildung in der Natur zeugt. Der Stoffwechselweg der Methanbildung aus Acetat in Methanosarcina ist in ▶ Abb. 14.24 gezeigt. Acetat wird in die Zelle aufgenommen und zunächst unter ATP-Hydrolyse zu Acetyl-CoA aktiviert (① und ②). Das Schlüsselenzym der acetatspaltenden Methanogenen ist eine bifunktionelle Kohlenmonoxid-Dehydrogenase/AcetylCoA-Synthase (CODH/ACS) (③), die in den jeweiligen funktionellen Modulen ein Nickel-Eisen-Schwefel-Zen-

2 H+ –



OOC–CH3 Acetat

OOC–CH3

4

ATP

1

4Na+

ADP + Pi

2 Fdred

PP–O–CO–CH3 MPred

MPox CO2

[CH3]

3

3

Ni

Ni

Ni

2 Fdox Ni

2

CoA-S–CO–CH3 CoA-SH

Tetrahydrosarcinapterin 5 2 Na+ B12

Methyl-Tetrahydrosarcinapterin–[CH3] + CoM-SH CoM-S–CH3 + Tetrahydrosarcinapterin

MPox

MPred 7

2H+

6

CoB-SH CH4

CoM-S-S-CoB CoM-SH + CoB-SH

8

ADP + Pi

4Na+

4Na+ ATP

460

F430

CoA–SH Pi

Abb. 14.24 Methanbildung aus Acetat. Na+- und Protonengradienten werden je nach Bedarf über Na+-Protonen-Antiporter ineinander umgewandelt. ① Acetat-Kinase; ② Phosphotransacetylase; ③ Kohlenmonoxid-Dehydrogenase/Acetyl-CoA-SynthaseKomplex (zwei Ni-haltige Cofaktoren); ④ Ferredoxin:Methanophenazin-Oxidoreduktase (Rnf-Komplex); ⑤ Methyltransferase (B12-Cofaktor); ⑥ Methyl-CoMReduktase; ⑦ methanophenazinabhängige Heterodisulfid-Reduktase; ⑧ ATP-Synthase. MP Methanophenazinpool. Erläuterungen siehe Text.

14.9 Acetogenese: CO2 als Elektronenakzeptor gewendet werden, sodass auch bei der Acetatspaltung netto nur wenig Energie konserviert wird, vermutlich lediglich ein bis zwei translozierte Na+ bzw. Protonen pro Acetat.

14.9 Acetogenese: CO2 als Elektronenakzeptor Die strikt anaeroben acetogenen Bakterien stehen zusammen mit den methanogenen Archaea am Ende der Kette des anaeroben Stoffabbaus. Durch die Stoffwechselaktivität gärender Mikroorganismen werden in anaeroben Habitaten große Mengen von Wasserstoff und CO2 produziert. Diese Gase werden von acetogenen Bakterien als Elektronendonator und -akzeptor einer anaeroben Atmung benutzt, bei der Acetat als Endprodukt entsteht. Alle bekannten Arten gehören entweder zu den grampositiven Bakterien der Firmicutes (z. B. Clostridium aceticum, Moorella thermoacetica, Acetobacterium woodii) oder zu einer erst vor Kurzem entdeckten Gruppe anaerober Spirochaeten, die u. a. als Symbionten im Darm von Termiten leben.

14.9.1 Biochemie der Acetogenese Die acetogenen Bakterien betreiben wie die Methanogenen eine Art „CO2-Atmung“ mit Wasserstoff als Elektronendonator, bilden dabei aber nach folgender Gleichung nicht Methan, sondern Acetat als Endprodukt. Reaktionsschema der Acetogenese: 4 H2 + 2 CO2 → H3C–COO– + H+ + 2 H2O (ΔG°’ = –111 kJ/mol; E0’ = –270 mV) Der Stoffwechselweg der Acetogenese (▶ Abb. 14.25 für Acetobacterium woodii) hat große Ähnlichkeit mit dem Weg der Acetatspaltung durch die Methanosarcinales (▶ Abb. 14.24), der eine Art Umkehrung der Acetogenese darstellt. Obwohl besonders das Schlüsselenzym der Acetogenese sehr ähnlich zum Acetyl-CoA-spaltenden CODH/ ACS-Komplex ist, gibt es auch bedeutsame Unterschiede zwischen den beiden Wegen, zudem fehlen bei den Acetogenen die weiteren typischen Enzyme der Methanogenese. Anstelle der methanogenen C1-Gruppen-Überträger Tetrahydromethanopterin bzw. Tetrahydrosarcinapterin finden wir bei den acetogenen Bakterien Tetrahydrofolat (THF) in dieser Funktion; dieses wird unter ATP-Hydrolyse mit Formiat beladen (②), das zuvor durch eine reversible Formiat-Dehydrogenase (①) aus CO2 gebildet wurde. Weiterhin findet die Reduktion der gebundenen Formylgruppe (N10-Formyl-THF) zur gebundenen Methylgruppe (N5-Methyl-THF) am THF-Cofaktor statt (④, ⑤). Das Schlüsselenzym des Acetyl-CoA-Wegs ist der Kohlenmonoxid-Dehydrogenase/Acetyl-CoA-SynthaseKomplex (CODH/ACS, ⑥). Das Enzym besteht aus zwei unabhängigen Modulen: Das CO-Dehydrogenasemodul reduziert mit Ferredoxin als Elektronendonator an einem

Ni-FeS-Zentrum CO2 zu CO, das Acetyl-CoA-SynthaseModul katalysiert die Synthese von Acetyl-CoA an einen Ni-Ni-FeS Zentrum (▶ Abb. 14.25). Für die Acetyl-CoASynthese werden dabei folgende Bausteine verwendet: 1. ein Molekül CO, das vom CODH-Modul desselben Enzyms bereitgestellt wird, 2. eine gebundene Methylgruppe, die von Methyltetrahydrofolat auf das ACS-Modul übertragen wird, und 3. Coenzym A. Das gebildete Acetyl-CoA wird über Phosphotransacetylase und Acetat-Kinase (⑦) zu Acetat umgesetzt. Das dabei gewonnene ATP liefert die Energie für die Synthese von Formyltetrahydrofolat, doch war bisher unklar, über welchen Mechanismus hier die notwendige Konservierung zusätzlicher Energie stattfindet, die erst das Wachstum der Bakterien ermöglicht. Erst vor Kurzem stellte sich heraus, dass Reaktionen mit Elektronenbifurkation essenziell für den acetogenen Energiestoffwechsel sind, wobei sich die Details bei verschiedenen acetogenen Arten unterscheiden. Von Acetobacterium woodii ist bekannt, dass eine bifurkierende Methylen-THF-Reduktase (⑤) die Elektronen von NADH nur zur Hälfte auf das Substrat überträgt, während die andere Hälfte zugleich zur (endergonen) Reduktion von Ferredoxin genutzt wird. Dies stellt den Bedarf an Redoxäquivalenten für die CO2-Reduktion zu CO sicher (▶ Abb. 14.25), während zur Gewährleistung einer Netto-Energiekonservierung zwei weitere Enzyme notwendig sind: erstens, eine Elektronen-bifurkierende Hydrogenase, die mit Wasserstoff als Elektronendonator gleichzeitig NAD und Ferredoxin reduziert (⑧), und zweitens ein Rnf-Komplex in der Membran, der den Elektronentransfer vom reduzierten Ferredoxin auf NAD mit dem Aufbau eines Na+-Gradienten über der Membran verbindet (⑨). Auf diese Weise sind schließlich einige translozierte Na+-Ionen für die Synthese von ATP durch die ATP-Synthase (⑩) vorhanden. Zugleich werden die notwendigen 3 NADH gebildet, die für die Reduktion von Formyl-THF zu Methyl-THF über den geschilderten Mechanismus nötig sind (④, ⑤). Die Acetogenen nutzen also wie die Methanogenen die gasförmigen Gärungsendprodukte anderer anaerober Mikroorganismen für ihren Energiestoffwechsel. Einige Acetogene, z. B. Moorella-Arten, vergären auch Zucker zu Acetat als einzigem Gärungsendprodukt (Homoacetatgärung). Pro Glucose werden dabei drei Acetat gebildet. Zwei davon entstehen über den konventionellen Gärungsweg (S. 438), das dritte Acetat wird durch Acetogenese aus den anfallenden 2 CO2 und 8 Reduktionsäquivalenten (8 [H] entsprechen 4 H2) aus der Glucosevergärung synthetisiert. Aus dem etwas geringeren ΔG0’-Wert der Acetogenese im Vergleich zur Methanbildung kann man berechnen, dass die acetogenen Bakterien im natürlichen Lebensraum auf etwa 10fach höhere Wasserstoffkonzentrationen angewiesen sind als die Methanogenen. Die größere Stoffwechselvielfalt der Acetogenen verschafft ih-

1

14.9 Acetogenese: CO2 als Elektronenakzeptor gewendet werden, sodass auch bei der Acetatspaltung netto nur wenig Energie konserviert wird, vermutlich lediglich ein bis zwei translozierte Na+ bzw. Protonen pro Acetat.

14.9 Acetogenese: CO2 als Elektronenakzeptor Die strikt anaeroben acetogenen Bakterien stehen zusammen mit den methanogenen Archaea am Ende der Kette des anaeroben Stoffabbaus. Durch die Stoffwechselaktivität gärender Mikroorganismen werden in anaeroben Habitaten große Mengen von Wasserstoff und CO2 produziert. Diese Gase werden von acetogenen Bakterien als Elektronendonator und -akzeptor einer anaeroben Atmung benutzt, bei der Acetat als Endprodukt entsteht. Alle bekannten Arten gehören entweder zu den grampositiven Bakterien der Firmicutes (z. B. Clostridium aceticum, Moorella thermoacetica, Acetobacterium woodii) oder zu einer erst vor Kurzem entdeckten Gruppe anaerober Spirochaeten, die u. a. als Symbionten im Darm von Termiten leben.

14.9.1 Biochemie der Acetogenese Die acetogenen Bakterien betreiben wie die Methanogenen eine Art „CO2-Atmung“ mit Wasserstoff als Elektronendonator, bilden dabei aber nach folgender Gleichung nicht Methan, sondern Acetat als Endprodukt. Reaktionsschema der Acetogenese: 4 H2 + 2 CO2 → H3C–COO– + H+ + 2 H2O (ΔG°’ = –111 kJ/mol; E0’ = –270 mV) Der Stoffwechselweg der Acetogenese (▶ Abb. 14.25 für Acetobacterium woodii) hat große Ähnlichkeit mit dem Weg der Acetatspaltung durch die Methanosarcinales (▶ Abb. 14.24), der eine Art Umkehrung der Acetogenese darstellt. Obwohl besonders das Schlüsselenzym der Acetogenese sehr ähnlich zum Acetyl-CoA-spaltenden CODH/ ACS-Komplex ist, gibt es auch bedeutsame Unterschiede zwischen den beiden Wegen, zudem fehlen bei den Acetogenen die weiteren typischen Enzyme der Methanogenese. Anstelle der methanogenen C1-Gruppen-Überträger Tetrahydromethanopterin bzw. Tetrahydrosarcinapterin finden wir bei den acetogenen Bakterien Tetrahydrofolat (THF) in dieser Funktion; dieses wird unter ATP-Hydrolyse mit Formiat beladen (②), das zuvor durch eine reversible Formiat-Dehydrogenase (①) aus CO2 gebildet wurde. Weiterhin findet die Reduktion der gebundenen Formylgruppe (N10-Formyl-THF) zur gebundenen Methylgruppe (N5-Methyl-THF) am THF-Cofaktor statt (④, ⑤). Das Schlüsselenzym des Acetyl-CoA-Wegs ist der Kohlenmonoxid-Dehydrogenase/Acetyl-CoA-SynthaseKomplex (CODH/ACS, ⑥). Das Enzym besteht aus zwei unabhängigen Modulen: Das CO-Dehydrogenasemodul reduziert mit Ferredoxin als Elektronendonator an einem

Ni-FeS-Zentrum CO2 zu CO, das Acetyl-CoA-SynthaseModul katalysiert die Synthese von Acetyl-CoA an einen Ni-Ni-FeS Zentrum (▶ Abb. 14.25). Für die Acetyl-CoASynthese werden dabei folgende Bausteine verwendet: 1. ein Molekül CO, das vom CODH-Modul desselben Enzyms bereitgestellt wird, 2. eine gebundene Methylgruppe, die von Methyltetrahydrofolat auf das ACS-Modul übertragen wird, und 3. Coenzym A. Das gebildete Acetyl-CoA wird über Phosphotransacetylase und Acetat-Kinase (⑦) zu Acetat umgesetzt. Das dabei gewonnene ATP liefert die Energie für die Synthese von Formyltetrahydrofolat, doch war bisher unklar, über welchen Mechanismus hier die notwendige Konservierung zusätzlicher Energie stattfindet, die erst das Wachstum der Bakterien ermöglicht. Erst vor Kurzem stellte sich heraus, dass Reaktionen mit Elektronenbifurkation essenziell für den acetogenen Energiestoffwechsel sind, wobei sich die Details bei verschiedenen acetogenen Arten unterscheiden. Von Acetobacterium woodii ist bekannt, dass eine bifurkierende Methylen-THF-Reduktase (⑤) die Elektronen von NADH nur zur Hälfte auf das Substrat überträgt, während die andere Hälfte zugleich zur (endergonen) Reduktion von Ferredoxin genutzt wird. Dies stellt den Bedarf an Redoxäquivalenten für die CO2-Reduktion zu CO sicher (▶ Abb. 14.25), während zur Gewährleistung einer Netto-Energiekonservierung zwei weitere Enzyme notwendig sind: erstens, eine Elektronen-bifurkierende Hydrogenase, die mit Wasserstoff als Elektronendonator gleichzeitig NAD und Ferredoxin reduziert (⑧), und zweitens ein Rnf-Komplex in der Membran, der den Elektronentransfer vom reduzierten Ferredoxin auf NAD mit dem Aufbau eines Na+-Gradienten über der Membran verbindet (⑨). Auf diese Weise sind schließlich einige translozierte Na+-Ionen für die Synthese von ATP durch die ATP-Synthase (⑩) vorhanden. Zugleich werden die notwendigen 3 NADH gebildet, die für die Reduktion von Formyl-THF zu Methyl-THF über den geschilderten Mechanismus nötig sind (④, ⑤). Die Acetogenen nutzen also wie die Methanogenen die gasförmigen Gärungsendprodukte anderer anaerober Mikroorganismen für ihren Energiestoffwechsel. Einige Acetogene, z. B. Moorella-Arten, vergären auch Zucker zu Acetat als einzigem Gärungsendprodukt (Homoacetatgärung). Pro Glucose werden dabei drei Acetat gebildet. Zwei davon entstehen über den konventionellen Gärungsweg (S. 438), das dritte Acetat wird durch Acetogenese aus den anfallenden 2 CO2 und 8 Reduktionsäquivalenten (8 [H] entsprechen 4 H2) aus der Glucosevergärung synthetisiert. Aus dem etwas geringeren ΔG0’-Wert der Acetogenese im Vergleich zur Methanbildung kann man berechnen, dass die acetogenen Bakterien im natürlichen Lebensraum auf etwa 10fach höhere Wasserstoffkonzentrationen angewiesen sind als die Methanogenen. Die größere Stoffwechselvielfalt der Acetogenen verschafft ih-

1

Anaerobe Atmung

H2

CO2 1

Formiat

H2O

THF

ATP 2

ADP + Pi

Formyl-THF 3

H2O

2 NAD+

2 NADH

Methenyl-THF NADH

4

5

2 Fdred

2 e– 2 e–

2 Fdox

NAD+

CO2

CO

Methylen-THF

H2O CO Ni

Methyl-THF H C 3 [CH3]

Ni FeS

Ni FeS

CO

Ni Ni FeS

ACS

Abb. 14.25 Schema der Acetatbildung aus H2 und CO2 bei Acetobacterium woodii. Am Ni-Ni-FeS-Cofaktor der Acetyl-CoA-Synthase ist der vermutete Reaktionszyklus der Acetyl-CoA-Synthese dargestellt. ① Hydrogenase/Formiat-Dehydrogenase-Komplex; ② Formyl-THF; ③ Dehydrierung von Formyl-THF; ④ Reduktion von MethenylTHF zu Methylen-THF; ⑤ Elektronenbifurkierende Methylen-THF-Reduktase; ⑥ Kohlenmonoxid-Dehydrogenase/AcetylCoA-Synthase(CODH/ACS)-Komplex; ⑦ Phosphotransacetylase und AcetatKinase; ⑧ Elektronenbifurkierende Hydrogenase; ⑨ Ferredoxin: NAD-Oxidoreduktase (Rnf-Komplex) (S. 414); ⑩ ATP-Synthase. THF, Tetrahydrofolat. Erläuterungen siehe Text.

CODH 6

Ni Ni FeS CO 9 3Na+

1,5 NAD+

1,5 NAD+ 3H2

3 NADH

COSCoA CH3

HS-CoA Pi

3 Fdred

HS-CoA

3 Fdox

4Na+

CH3

10

8

6H+

7 ADP ATP

ADP + Pi 4Na+ ATP

H3C–COOH Acetat

Tab. 14.2 Unterschiede zwischen wasserstoffoxidierenden und acetatspaltenden methanogenen Archaea und acetogenen Bacteria. H2-oxidierende Methanogene

acetatspaltende Methanogene

acetogene Bakterien

typische Gattungen

Methanococcus, Methanobacterium

Methanosarcina, Methanosaeta

Moorella, Acetobacterium

Urreich

Archaea

Archaea

Bacteria

Reaktion

4 H2 + CO2 → CH4 + 2 H2O

Acetat → CH4 + CO2

4 H2 + 2 CO2 → Acetat + 2 H2O

spezifische analoge Cofaktoren/Enzyme



Methanophenazin

Chinone

Tetrahydromethanopterin

Tetrahydrosarcinapterin

Tetrahydrofolat B12-haltige Methyltransferase

B12-haltige Methyltransferas

B12-haltige Methyltransferase

Methyl-CoM-Reduktase

Methyl-CoM-Reduktase



H2-gekoppelte bifurkierende Heterodisulfid-Reduktase

methanophenazingekoppelte Heterodisulfid-Reduktase



Autotrophie

Acetyl-CoA-Biosynthese über CO-Dehydrogenase/Acetyl-CoA-Synthase (CODH/ACS)

weitere Funktion der CODH/ACS



Acetyl-CoA-Spaltung

nen jedoch Vorteile gegenüber den hoch spezialisierten Methanogenen. Das durch die Acetogenese produzierte Acetat kann wiederum von Methanogenen (z. B. Methanosarcina-Arten) als Substrat genutzt werden (vgl. ▶ Tab. 14.2). Zugleich sind die acetogenen Bakterien in der Lage, autotroph mit CO2 als einziger C-Quelle zu wachsen. Die CO2-

462

Acetogenese

Fixierung erfolgt dabei – wie in leicht abgewandelter Form auch bei den autotrophen methanogenen Archaea – über die Bildung von Acetyl-CoA aus H2 und CO2 (reduktiver Acetyl-CoA-Weg) (S. 312).

14.10 Reduktion weiterer Elektronenakzeptoren

14.10 Reduktion weiterer Elektronenakzeptoren Außer den bisher genannten Elektronenakzeptoren für anaerobe Atmungsprozesse verwenden Mikroorganismen eine Vielzahl weiterer Verbindungen, oft wahlweise zu mehreren anderen. Hier kann nur eine kleine Auswahl weiterer anaerober Atmungsprozesse mit solchen Verbindungen vorgestellt werden. Die anaerobe Reduktion der Elektronenakzeptoren führt zu Produkten, die häufig von aeroben Bakterien wieder als Substrate genutzt und oxidiert werden können. So ergeben sich einzelne Stoffkreisläufe.

14.10.1 Sulfoxide und Aminoxide Diese Verbindungen kommen in der Natur vor, vor allem im marinen Habitat, wo sie aus Ausscheidungsprodukten diverser Organismen durch biotische oder abiotische Abbauprozesse entstehen. Am bedeutendsten sind das Dimethylsulfoxid (DMSO) und das Trimethylaminoxid (TMAO). DMSO und TMAO werden von vielen Bakterien,

u. a. auch Escherichia coli, durch induzierbare und substratspezifische DMSO- bzw. TMAO-Reduktasen reduziert; dabei entsteht Dimethylsulfid bzw. Trimethylamin. Beide Enzyme sind meist in der Cytoplasmamembran lokalisiert und verwenden Menachinol als Elektronendonator. Das aktive Zentrum enthält jeweils einen Molybdäncofaktor und ist zum Periplasma hin ausgerichtet. Zusammen mit einer geeigneten Dehydrogenase, z. B. einer Formiat-Dehydrogenase oder der NADH-Dehydrogenase, tragen sie zum Aufbau eines Protonengradienten während der Reaktion bei. Die Redoxpotenziale beider Reaktionen liegen zwischen denen der Paare Fumarat/Succinat und Nitrat/Nitrit; damit dienen beide Verbindungen als effiziente Elektronenakzeptoren. Reaktionsschemata der DMSO- und TMAO-Atmung s. ▶ Abb. 14.26.

14.10.2 Anorganische Oxyanionen Außer Nitrat und Sulfat werden die Oxyanionen vieler anderer Elemente als Elektronenakzeptoren für anaerobe Atmungsprozesse genutzt. Hier sind insbesonders Arsenat, Selenat, Perchlorat und Chlorat reduzierende Mi-

DMSO-Reduktase: H3C—SO—CH3 + 2 [H]

H3C—S—CH3 + H2O

(E°’ +160 mV)

TMAO-Reduktase: (H3C)3N—O

(H3C)3N

+ H2O

(E°’ +130 mV)

+ 2 [H]

Selenat-Reduktase:

SeO42–

Arsenat-Reduktase:

H2AsO4– + 2 [H]

Perchlorat-Reduktase: ClO4– Chlorat-Reduktase:

ClO3–

SeO32– +

H2O

(E°’ +445 mV)

AsO2–

+ 2 H2O

(E°’ +140 mV)

+ 2 [H]

ClO3–

+

H2O

(E°’ +780 mV)

+ 2 [H]

ClO2–

+

H2O

(E°’ +716 mV)

+ 2 [H]

Plus 14.9 Anorganische Oxyanionen als anaerobe Elektronenakzeptoren Die hier aufgeführten anorganischen Oxyanionen werden nur vereinzelt bei wenigen Vertretern verschiedener phylogentischer Gruppen als Elektronenakzeptoren genutzt. So gibt es Selenatreduzierer unter den Proteobakterien (z. B. Thauera selenatis), aber auch unter den grampositiven Bakterien (z. B. Bacillus arsenoselenatis). Während die nahen Verwandten dieser Organismen in aller Regel diese Fähigkeiten nicht haben, findet man oft angereicherte Populationen von nicht näher verwandten Stämmen an natürlichen Standorten, die mit hohen Konzentrationen von Selenat oder Arsenat kontaminiert sind. Es ist also wahrscheinlich, dass die Gene der Enzyme für diese Stoffwechseleigenschaften lateral zwischen nicht näher verwandten Organismen transferiert werden.

Abb. 14.26 Reaktionsschemata der DMSOund TMAO-Atmung.

Abb. 14.27 Reaktionsschemata einiger Oxyanionatmungen.

●V Obwohl die aufgeführten Oxyanionen in der Natur nur selten in nutzbaren Konzentrationen vorkommen, stellen sie in Hinblick auf ihre Redoxpotenziale günstige Elektronenakzeptoren dar, die ähnliche Energieausbeuten zulassen wie die Nitratatmung. Das durch die Perchloratreduktase erzeugte Chlorat wird weiter reduziert zu Chlorit. Chlorit dismutiert spontan zu Chlorid und molekularem Sauerstoff, sodass sich perchlorat- und chloratatmende Bakterien auch in anaeroben Habitaten eine Quelle für molekularen Sauerstoff erschließen können (z. B. als Cosubstrat für den Aromatenstoffwechsel). Eine besondere Spezialität einiger weiterer Mikroorganismen ist darüber hinaus die Reduktion des Uranylkations (UO22 + ) als anaerobem Elektronenakzeptor (UO22 + + 2 OH– + 2 [H] → U(OH)4). Da die meist gut löslichen Uranylsalze nach der mikrobiellen Reduktion des U(VI)-Atoms als schwerlösliche U(IV)-Salze ausfallen, werden diese Mikroorganismen bereits zur biologischen Sanierung urankontaminierter Standorte verwendet.

3

Anaerobe Atmung kroorganismen zu nennen, die in den letzten Jahren intensiv erforscht wurden. Alle diese Prozesse liefern wegen der hohen Redoxpotenziale der Elektronenakzeptoren relativ viel nutzbare Energie. Die anaerobe Atmung mit diesen Verbindungen wird ebenfalls durch molybdopterinhaltige Reduktasen eingeleitet, welche die Redoxreaktion zum Aufbau eines Membranpotenzials nutzen (Plus 14.9). Reaktionschemata s. ▶ Abb. 14.27

Einige Mikoorganismen (z. B. Arten der Gattungen Desulfitobacterium und Dehalospirillum) induzieren diese Stoffwechseleigenschaft bei Anwesenheit von Perchlorethylen im Medium; man findet aber auch spezialisierte Arten, die nur durch Dehalorespiration mit Perchlorethylen leben können (z. B. Dehalobacter restrictus oder Dehalococcoides ethenogenes). Es ist noch unbekannt, wie eine solche strikte Anpassung auf ein „unnatürliches“ Substrat entstanden ist, das erst der Mensch in die Umwelt gebracht hat. Die Chlorsubstituenten werden sequenziell durch spezielle B12-abhängige Reduktasen aus den Molekülen entfernt. Meist stoppt die reduktive Dehalogenierung auf der Stufe von cis-Dichlorethylen, aber es gibt auch einige Bakterien, die Perchlorethylen oder andere bereits dechlorierte Intermediate voll bis zur Stufe von Ethylen reduzieren (daher der Name D. ethenogenes). Reaktionsschemata der Perchlorethylenatmung s. ▶ Abb. 14.28 Weitere chlororganische Verbindungen, die durch mikrobielle Dehalorespiration umgesetzt werden, sind Tetrachlorkohlenstoff, 3-Chlorbenzoesäure oder mehrfach chlorierte Phenole und Benzole.

14.10.3 Chlororganische Verbindungen Schließlich können auch einige halogenierte organische Verbindungen als Elektronenakzeptoren anaerober Atmungsketten dienen; diese Prozesse werden auch Dehalorespiration genannt (Plus 11.18) (S. 384). Hier sind insbesonders polychlorierte aromatische und aliphatische Verbindungen zu nennen, die in großem Umfang technisch eingesetzt werden und unter aeroben Bedingungen schwer abgebaut werden. Eine solche Verbindung ist z. B. Tetrachlorethylen (synonym Perchlorethylen), die mit H2 als Elektronendonator über Trichlorethylen, cis-Dichlorethylen und Vinylchlorid zu Ethylen reduziert wird.

Perchlorethylen-Reduktase: Cl2C CCl2 + H2 Trichlorethylen-Reduktase: ClHC CCl2 + H2

ClHC CCl2 + Cl– + H2 (E°’ +476 mV) –

ClHC CHCl + Cl + H2 (E°’ +438 mV)

Zusammenfassung ●









Anaerobe Atmung ist im Energiestoffwechsel vieler Mikroorganismen zu finden, die immer oder zeitweise in sauerstofffreien Habitaten leben. Anaerobe Atmungsprozesse erlauben die vollständige Mineralisierung organischer Verbindungen auch ohne Sauerstoff. Wie bei der aeroben Atmung ist dabei die Übertragung der anfallenden Reduktionsäquivalente auf den alternativen Elektronenakzeptor an die Ausschleusung von Protonen (oder Na+-Ionen) gekoppelt. Der entstandene Protonengradient wird dann durch die ATP-Synthase zur Energiekonservierung genutzt. Je nach verfügbarem Elektronenakzeptor können unterschiedliche Mengen Energie konserviert werden. Deshalb findet man in der Natur eine hierarchisch geordnete Abfolge der verschiedenen Typen von anaerober Atmung. Energetisch am günstigsten ist die Nitratatmung, die entweder zu molekularem Stickstoff (Denitrifikation) oder zu Ammonium (Nitratammonifikation) als Endprodukten führt. Andere weit verbreitete Formen der anaeroben Atmung bei fakultativen Mikroorganismen sind die Fumarat-, DMSO- oder TMAO-Atmung.

Literatur zum Weiterlesen unter: www.thieme.de/literatur-fuchs

464







Abb. 14.28 Reaktionsschemata der Perchlorethylenatmung.

M ●

Anaerobe Atmung mit oxidierten Metallionen als Elektronenakzeptor setzt voraus, dass die terminale Reduktase Zugang zu den meist unlöslichen Metall-Erzen außerhalb der Zelle erhält. Hierfür wurden mehrere unabhängige Systeme entdeckt, die die Ausschleusung von Elektronen über die Zellhülle zur Oberfläche der Bakterienzelle erlauben. Die anaerobe Atmung mit Sulfat oder Schwefel als Elektronenakzeptoren erlaubt die Konservierung von sehr wenig Energie und wird nur von speziell angepassten obligat anaeroben Mikroorganismen betrieben. Am Ende der Hierarchie der Elektronenakzeptoren befindet sich CO2. Acetogene und methanogene Mikroorganismen bestreiten ihren Energiestoffwechsel durch anaerobe Atmung mit CO2 als Elektronenakzeptor und katalysieren so die letzten Schritte der anaeroben Mineralisierung. Sie bilden Acetat bzw. Methan.

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Kapitel 15 Phototrophe Lebensweise

15.1

Überblick

466

15.2

Bedeutung und Prinzipien der Photosynthese

466

15.3

Oxygene phototrophe Bakterien (Cyanobakterien) 468

15.4

Anoxygene phototrophe Bakterien

472

15.5

Photosynthetische Pigmente und Thylakoide

478

15.6

Antennenkomplexe

482

15.7

Oxygene Photosynthese

484

15.8

Anoxygene Photosynthese

489

15.9

Bakteriorhodopsin- und proteorhodopsinabhängige Photosynthese

491

Phototrophe Lebensweise

15 Phototrophe Lebensweise Georg Fuchs

15.1 Überblick Unter Phototrophie versteht man die Nutzung von Licht als Energiequelle. Die Energie des eingefangenen Sonnenlichts wird zum Aufbau eines Protonengradienten über der Membran eingesetzt, der anschließend der ATP-Synthase zur ATP-Bildung dient (Elektronentransportphosphorylierung). Man nennt diesen Prozess auch Photophosphorylierung. Die phototrophen Bakterien gliedern sich in eine Gruppe von oxygenen Phototrophen, die Cyanobakterien, und mehrere Gruppen anoxygener Phototropher. Cyanobakterien verwenden als einzige Bakterien Wasser als Elektronendonator für ihre Biosynthesen und entwickeln Sauerstoff als Produkt der Wasserspaltung. Die Phototrophie ist eine ursprüngliche Entwicklung von Bakterien. Die Plastiden der verschiedenen Algengruppen und der Pflanzen stellen die endosymbiontisch lebenden Abkömmlinge cyanobakterieller Vorläufer mit stark reduzierten Genomen dar. Die photosynthetischen Systeme all dieser Organismen enthalten Chlorophylle bzw. Bakteriochlorophylle als wesentliche Pigmente, die für die Energiekonservierung notwendig sind. Diese Pigmente finden sich dabei sowohl in lichteinfangenden Antennenkomplexen als auch in den energiekonservierenden Reaktionszentren der Photosynthese. Photosynthetische Reaktionszentren gibt es in zwei unterschiedlichen Typen, die als Photosystem I bzw. II bezeichnet werden. Der wesentliche Unterschied zwischen anoxygenen und oxygenen Phototrophen besteht darin, dass erstere jeweils nur einen Typ von Photosystem haben, während Cyanobakterien und Plastiden beide Photosysteme benötigen. Viele Phototrophe sind darüber hinaus auch autotroph und nutzen CO2 als einzige C-Quelle; dabei werden unterschiedliche Stoffwechselwege zur CO2-Fixierung genutzt. Parallel zur (bakterio-)chlorophyll-basierten Phototrophie gibt es bei einigen prokaryontischen Gruppen auch unabhängig evolvierte Systeme mit Retinal als Pigment; Bakteriorhodopsin und Proteorhodopsin nutzen die Lichtenergie als lichtgetriebene Protonenpumpen.

15.2 Bedeutung und Prinzipien der Photosynthese Das Licht der Sonne stellt die wichtigste Energiequelle für das Leben auf der Erde dar. Mehrere Gruppen von Organismen haben sich an die Nutzung von Licht als einziger Energiequelle angepasst, die Phototrophen. Sie stehen an der Basis der Nahrungsketten auf der Erde. Selbst die Mitglieder der wenigen sonnenlichtunabhängigen Lebensgemeinschaften, z. B. der erdwärmeabhängigen Schwar-

466

zen Raucher der Tiefsee (S. 403), benötigen photosynthetisch erzeugten Sauerstoff für ihre Atmung. Diese Bezüge wurden bereits in Kapitel 1.7 dargestellt.

15.2.1 Licht als Energiequelle und phototrophes Wachstum Die Umwandlung der Lichtenergie in chemische Energie ist einer der bedeutsamsten biologischen Prozesse, der früh in der Evolution entstanden ist. Bei allen photosynthetisch aktiven Organismen sind dabei die gleichen Grundprinzipien zu finden. Auch die beteiligten Pigmente und Membranproteinkomplexe, die für die Energiekonversion notwendig sind, sind in ihrem Grundaufbau ähnlich. Eine Unterscheidung der phototrophen Organismen wird danach getroffen, ob sie bei der Photosynthese Sauerstoff aus Wasser freisetzen (oxygene Photosynthese) oder nicht (anoxygene Photosynthese). Alle phototrophen Eukaryonten (Pflanzen und Algen) sowie die Cyanobakterien betreiben oxygene Photosynthese. Die restlichen bakteriellen Gruppen von Phototrophen sind anoxygen und stellen Relikte aus der sauerstofffreien Urzeit dar. Das spätere Zusammenführen der beiden Photosysteme und die Erfindung der Wasserspaltung gekoppelt an ein Photosystem ist eines der folgenreichsten Ereignisse der Evolution. Dieser „Erfindung“ verdanken wir den Sauer-

Plus 15.1

●V

Wasserspaltung: Segen und Fluch der Evolution

Die Erfindung der Wasserspaltung zur Gewinnung von Reduktionsäquivalenten für die CO2-Fixierung hatte zwei gewaltige Auswirkungen auf die Evolution. 1. Die oxygene Photosynthese ermöglichte die Verwendung eines universellen und in unbegrenzten Mengen vorkommenden Elektronendonators (H2O) und entwickelte sich zum hauptsächlichen primären Produktionsprozess. 2. Gleichzeitig schuf sie Sauerstoff, Gift für die bis dahin anoxisch lebenden Bakterien. An diese „Umweltkatastrophe“ mussten sie sich anpassen oder sie starben aus – eine Herausforderung! Die oxygene Photosynthese hat sich vor etwa 2,7 Mrd. Jahren entwickelt. Der dabei entstehende Sauerstoff reicherte sich allmählich in der Atmosphäre und dann auch in den Gewässern an. Vor etwa 550 Mio. Jahren wurde dann die heutige Konzentration von 20 % erreicht, die eine explosionsartige Zunahme eukaryontischer Lebewesen und die Landbesiedlung der Pflanzen ermöglichte.

Phototrophe Lebensweise

15 Phototrophe Lebensweise Georg Fuchs

15.1 Überblick Unter Phototrophie versteht man die Nutzung von Licht als Energiequelle. Die Energie des eingefangenen Sonnenlichts wird zum Aufbau eines Protonengradienten über der Membran eingesetzt, der anschließend der ATP-Synthase zur ATP-Bildung dient (Elektronentransportphosphorylierung). Man nennt diesen Prozess auch Photophosphorylierung. Die phototrophen Bakterien gliedern sich in eine Gruppe von oxygenen Phototrophen, die Cyanobakterien, und mehrere Gruppen anoxygener Phototropher. Cyanobakterien verwenden als einzige Bakterien Wasser als Elektronendonator für ihre Biosynthesen und entwickeln Sauerstoff als Produkt der Wasserspaltung. Die Phototrophie ist eine ursprüngliche Entwicklung von Bakterien. Die Plastiden der verschiedenen Algengruppen und der Pflanzen stellen die endosymbiontisch lebenden Abkömmlinge cyanobakterieller Vorläufer mit stark reduzierten Genomen dar. Die photosynthetischen Systeme all dieser Organismen enthalten Chlorophylle bzw. Bakteriochlorophylle als wesentliche Pigmente, die für die Energiekonservierung notwendig sind. Diese Pigmente finden sich dabei sowohl in lichteinfangenden Antennenkomplexen als auch in den energiekonservierenden Reaktionszentren der Photosynthese. Photosynthetische Reaktionszentren gibt es in zwei unterschiedlichen Typen, die als Photosystem I bzw. II bezeichnet werden. Der wesentliche Unterschied zwischen anoxygenen und oxygenen Phototrophen besteht darin, dass erstere jeweils nur einen Typ von Photosystem haben, während Cyanobakterien und Plastiden beide Photosysteme benötigen. Viele Phototrophe sind darüber hinaus auch autotroph und nutzen CO2 als einzige C-Quelle; dabei werden unterschiedliche Stoffwechselwege zur CO2-Fixierung genutzt. Parallel zur (bakterio-)chlorophyll-basierten Phototrophie gibt es bei einigen prokaryontischen Gruppen auch unabhängig evolvierte Systeme mit Retinal als Pigment; Bakteriorhodopsin und Proteorhodopsin nutzen die Lichtenergie als lichtgetriebene Protonenpumpen.

15.2 Bedeutung und Prinzipien der Photosynthese Das Licht der Sonne stellt die wichtigste Energiequelle für das Leben auf der Erde dar. Mehrere Gruppen von Organismen haben sich an die Nutzung von Licht als einziger Energiequelle angepasst, die Phototrophen. Sie stehen an der Basis der Nahrungsketten auf der Erde. Selbst die Mitglieder der wenigen sonnenlichtunabhängigen Lebensgemeinschaften, z. B. der erdwärmeabhängigen Schwar-

466

zen Raucher der Tiefsee (S. 403), benötigen photosynthetisch erzeugten Sauerstoff für ihre Atmung. Diese Bezüge wurden bereits in Kapitel 1.7 dargestellt.

15.2.1 Licht als Energiequelle und phototrophes Wachstum Die Umwandlung der Lichtenergie in chemische Energie ist einer der bedeutsamsten biologischen Prozesse, der früh in der Evolution entstanden ist. Bei allen photosynthetisch aktiven Organismen sind dabei die gleichen Grundprinzipien zu finden. Auch die beteiligten Pigmente und Membranproteinkomplexe, die für die Energiekonversion notwendig sind, sind in ihrem Grundaufbau ähnlich. Eine Unterscheidung der phototrophen Organismen wird danach getroffen, ob sie bei der Photosynthese Sauerstoff aus Wasser freisetzen (oxygene Photosynthese) oder nicht (anoxygene Photosynthese). Alle phototrophen Eukaryonten (Pflanzen und Algen) sowie die Cyanobakterien betreiben oxygene Photosynthese. Die restlichen bakteriellen Gruppen von Phototrophen sind anoxygen und stellen Relikte aus der sauerstofffreien Urzeit dar. Das spätere Zusammenführen der beiden Photosysteme und die Erfindung der Wasserspaltung gekoppelt an ein Photosystem ist eines der folgenreichsten Ereignisse der Evolution. Dieser „Erfindung“ verdanken wir den Sauer-

Plus 15.1

●V

Wasserspaltung: Segen und Fluch der Evolution

Die Erfindung der Wasserspaltung zur Gewinnung von Reduktionsäquivalenten für die CO2-Fixierung hatte zwei gewaltige Auswirkungen auf die Evolution. 1. Die oxygene Photosynthese ermöglichte die Verwendung eines universellen und in unbegrenzten Mengen vorkommenden Elektronendonators (H2O) und entwickelte sich zum hauptsächlichen primären Produktionsprozess. 2. Gleichzeitig schuf sie Sauerstoff, Gift für die bis dahin anoxisch lebenden Bakterien. An diese „Umweltkatastrophe“ mussten sie sich anpassen oder sie starben aus – eine Herausforderung! Die oxygene Photosynthese hat sich vor etwa 2,7 Mrd. Jahren entwickelt. Der dabei entstehende Sauerstoff reicherte sich allmählich in der Atmosphäre und dann auch in den Gewässern an. Vor etwa 550 Mio. Jahren wurde dann die heutige Konzentration von 20 % erreicht, die eine explosionsartige Zunahme eukaryontischer Lebewesen und die Landbesiedlung der Pflanzen ermöglichte.

15.2 Bedeutung und Prinzipien der Photosynthese stoff der Atmosphäre und den Ozonschild als UV-Schutz (Plus 15.1). Die oxygene Photosynthese der Cyanobakterien war Grundlage der erfolgreichen Endosymbiose mit dem Vorläufer der Pflanzen. Die Symbiose von Grünalgen oder Cyanobakterien mit Pilzen hat zur Lebensform der photosynthetisierenden Flechten geführt. Phototrophe Bakterien gibt es in sechs Linien der Bacteria, den Cyanobakterien, den Proteobakterien, den Chlorobi, den Chloroflexi, den grampositiven Heliobakterien und im Phylum Acidobacteria.

15.2.2 Prinzipien der Photosynthese Die Chloroplasten, die Organellen der Photosynthese in Algen und Pflanzen, haben ihren Ursprung in den Cyanobakterien. In der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) stammen ca. 18 % der Gene aus Cyanobakterien. Deshalb ist der Photosyntheseprozess in diesen Organellen und in Cyanobakterien sehr ähnlich und vergleichbar (Plus 15.2). Photosynthese war ursprünglich definiert als lichtabhängige CO2-Fixierung (Assimilation in Stärke), die gekoppelt ist mit der Entwicklung von Sauerstoff. Man hat später erkannt, dass hierfür zwei getrennte Prozesse verantwortlich sind (▶ Abb. 15.1): In einer Lichtreaktion wird Wasser gespalten, der Sauerstoff wird freigesetzt und der Wasserstoff auf NADP+ übertragen. Gleichzeitig wird ATP aus ADP und Pi gebildet. Diese Lichtreaktion wird heute als Photosynthese bezeichnet. In einer Dunkelreaktion wird CO2 gebunden und mit NADPH unter ATP-Verbrauch zu Kohlenhydrat reduziert. Sie ist mit der Lichtreaktion durch den Bedarf an ATP und NADPH verbunden. Wir besprechen hier zunächst die Lichtreaktion (energetische Aspekte s. Anhang). Der Photosyntheseapparat ist membrangebunden und besteht aus vier Komponenten: aus Lichtsammelkomplexen (Antennenkomplexen), dem oder den Reaktionszentren, einer protonentransduzierenden Elektronentransportkette und einer H+-ATP-Synthase. In den Antennenkomplexen wird Lichtenergie absorbiert. Die entstehenden kurzlebigen angeregten Molekülzustände wandern zum Reaktionszentrum. Dort bewirkt die Anregungsenergie einen photochemischen Prozess; die angeregten Zustände werden durch Sternchen (*) gekennzeichnet. Bei dieser Photoreaktion wird ein Pigment oxidiert, was sich an der kurzfristigen Änderung seiner Farbe bemerkbar macht; d. h. sein Absorptionsmaximum ändert sich, was experimentell gemessen werden kann (es wird „gebleicht“). Gleichzeitig kommt es zu einer Ladungstrennung über der Membran: Pigment P + hν + Akzeptor A → oxidiertes Pigment P+ + reduzierter Akzeptor A– Das Donatorsystem (P/P+) hat ein positives, das Akzeptorsystem (A/A–) ein negatives Potenzial. Das dem Pigment P im Reaktionszentrum („primärer Donator“) entzogene Elektron wird durch die Lichtenergie sehr rasch (in ps, 10–12 s) auf einen „primären Akzeptor A“ mit sehr

Lichtreaktion



2 H2O

Dunkelreaktion

Triosephosphat + 3 H2O

O2 2 NADP+

2 NADPH + H+

3 ADP + 3 Pi

3 ATP

9 ADP + 8 Pi

9 ATP

6 NADP+

6 NADPH + H+ 3 CO2

Abb. 15.1 Licht- und Dunkelreaktion der Photosynthese. (aus Doenecke et al., Karlsons Biochemie, Thieme, 2005)

negativem Redoxpotenzial übertragen. Diese Ladungstrennung wird stabilisiert, indem das Elektron von dort gleich zu weiteren Elektronenakzeptoren mit positiverem Redoxpotenzial gelangt. Die Rückreaktion, d. h. die Ladungsrekombination, verläuft um Größenordnungen langsamer. Die Chloroplasten der grünen Pflanzen und Algen verwenden wie deren Vorläufer, die Cyanobakterien, zwei Photosysteme, die durch eine Elektronentransportkette miteinander verbunden sind. Hier dient die Wasserspaltung der Reduktion des ersten der beiden Photoysteme, Photosystems II, das durch Licht oxidiert wurde; dabei entsteht Sauerstoff (oxygene Photosynthese). Die Elektronen fließen vom reduzierten Elektronenüberträger des Photosystems II zu einem weiteren Photosystem, das Photosystem I. Von dort werden die Elektronen durch eine zweite Lichtreaktion schließlich auf NADP+ übertragen. Das Hintereinanderschalten der beiden Photosysteme sorgt also dafür, dass am System II ein sehr starkes Oxidationsmittel zur Oxidation des Wassers und am System I ein sehr starkes Reduktionsmittel zur Reduktion von NADP+ erzeugt wird. Bei der anoxygenen Photosynthese wird nur ein Photosystem vom Typ II oder I verwendet. Die Elektronen fließen vom reduzierten Elektronenüberträger in einem zyklischen Elektronentransport wieder zurück zum oxidierten Pigment im Reaktionszentrum, das in den Ausgangszustand zurückversetzt wird. Der lichtgetriebene Elektronentransport dient nur der Energiegewinnung. Wenn Reduktionsäquivalente für die CO2-Fixierung benötigt werden, müssen sie durch die Oxidation von anorganischen oder organischen Verbindungen bereitgestellt werden. Bei beiden Photosynthesetypen ist die Elektronentransportkette mit einem Protonentransport durch die Membran gekoppelt. Der so erzeugte Protonengradient dient der ATP-Synthese. Die Vorgänge, die in der Redox-

7

Phototrophe Lebensweise

●V

Plus 15.2 Chloroplasten Chloroplasten sind die Organellen der Photosynthese grüner Pflanzen. Die Chloroplasten sind von einer doppelten äußeren Membran umhüllt, die sie gegen das Cytoplasma der Pflanzen- bzw. Algenzelle abgrenzt (▶ Abb. 15.2). Die innere Membran entspricht der Membran des endosymbiontischen Cyanobakteriums. Der Innenraum wird Stroma genannt; hier finden wir typisch bakterielle Bestandteile und Stoffwechselleistungen: plastidäre DNA, den plastidären Proteinsyntheseapparat, die Enzyme der CO2-Fixierung, der Stärkesynthese und der Fettsäuresynthese sowie der Sulfat- und Nitratassimilation (ausgenommen die Nitrat-Reduktase). Das Stroma ist durchzogen von in sich geschlosChloroplast

senen sackartigen Thylakoidmembranen. In diesen sind die Multienzymkomplexe der Lichtreaktionen und der ATPSynthase-Komplex lokalisiert, zu denen ADP, Phosphat sowie NAD(P)+ freien Zugang haben. Die Membranen lagern sich oft zu Stapeln zusammen, die sich nach Aufschluss der Chloroplasten als Grana isolieren lassen. Die Thylakoidmembranen umschließen einen Innenraum, der Lumen genannt wird. Dieser proteinfreie Raum entspricht dem Außenraum und in ihm finden keine Synthesen statt. Zwischen Lumen und Stroma bildet sich im Fließgleichgewicht der Photosynthese ein pH-Gradient aus (sauer im Lumen, also „außen“), der die ATP-Synthese treibt.

äußere Membran innere Membran

Cytoplasma

H+ Stroma

H+ H+

H+ hν

PS

ADP

H+ H+

2H2O H+ O2

H+ ATP

Thylakoidlumen Thylakoidmembran

kette, beim Protonentransport und während der ATPSynthese ablaufen, haben große Ähnlichkeiten mit denen der Atmungskette.

universelles Vorkommen in der aeroben Welt. Außerdem hat ein Viertel des Genpools der Pflanzen einen cyanobakteriellen Ursprung.

15.3 Oxygene phototrophe Bakterien (Cyanobakterien)

15.3.1 Vorkommen und Rolle von Cyanobakterien

Cyanobakterien repräsentieren die größte, formenreichste und am weitesten verbreitete Gruppe von phototrophen Bakterien. Sie werden fälschlicherweise auch Blaualgen genannt, doch es sind typische Prokaryonten und keine Algen. Wie ihr Name sagt, sind sie meist blaugrün (durch Phycocyanine), einige sind rotbraun (durch Phycoerythrine) oder schwarzgrün (S. 469). Ihre Pigmentausstattung ist nicht für Leben in tiefem Wasser oder in Sedimenten geeignet und sie benötigen, bis auf seltene Ausnahmen, Sauerstoff, um im Dunkeln eine Atmung zu betreiben. Die Lebensprozesse werden im Tag-NachtRhythmus gesteuert (circadiane Rhythmen, z. B. bei Neurospora crassa) (S. 104). Cyanobakterien betreiben als einzige Bakteriengruppe eine oxygene Photosynthese und sind damit nicht an begrenzt verfügbare Elektronendonatoren für die Kohlenstoffassimilation aus CO2 angewiesen. Diese Tatsache sowie ihre in einer langen Evolution erlangte Anpassungsfähigkeit erklären ihr praktisch

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Abb. 15.2 Aufbau eines Chloroplasten grüner Pflanzen und Algen. Während der Evolution entwickelte sich die äußere Membran aus einer Membran der Eukaryonten, die innere aus einer Membran des endosymbiontischen Cyanobakteriums, sie entspricht dessen Cytoplasmamembran. Von ihr leiten sich die Thylakoide von Chloroplasten und Cyanobakterien ab, wie im Schema angegeben. PS, Photosystem.

Ihre Befähigung, an extremen Standorten zu wachsen und oft auch N2 fixieren zu können, gibt Cyanobakterien eine große Bedeutung im Naturhaushalt. Sie übernehmen an nährstoffarmen oder extremen Standorten die Rolle von Pionieren. Man kann sie im Fluoreszenzmikroskop leicht als rot fluoreszierende Bakterien (Chlorophyll-aFluoreszenz) von anderen Bakterien unterscheiden, neben den ebenfalls rot fluoreszierenden, aber meist größeren Algen. Unter günstigen Entwicklungsbedingungen können sie ganze Matten bilden (z. B. Stromatolithen, ▶ Abb. 1.7a, s. auch ▶ Abb. 18.17). In aeroben Bereichen des Süßwassers und in den Ozeanen sind sie, neben den Algen, die wesentlichen Primärproduzenten. Da viele Cyanobakterien Stickstoff fixieren können, gewinnen sie unter Stickstofflimitierung, wenn Nitrat oder Ammoniak nur in kleinsten Konzentrationen vorhanden sind und deshalb das Wachstum begrenzen, im Licht sogar die Überhand. Unter diesen Bedingungen können sich

Phototrophe Lebensweise

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Plus 15.2 Chloroplasten Chloroplasten sind die Organellen der Photosynthese grüner Pflanzen. Die Chloroplasten sind von einer doppelten äußeren Membran umhüllt, die sie gegen das Cytoplasma der Pflanzen- bzw. Algenzelle abgrenzt (▶ Abb. 15.2). Die innere Membran entspricht der Membran des endosymbiontischen Cyanobakteriums. Der Innenraum wird Stroma genannt; hier finden wir typisch bakterielle Bestandteile und Stoffwechselleistungen: plastidäre DNA, den plastidären Proteinsyntheseapparat, die Enzyme der CO2-Fixierung, der Stärkesynthese und der Fettsäuresynthese sowie der Sulfat- und Nitratassimilation (ausgenommen die Nitrat-Reduktase). Das Stroma ist durchzogen von in sich geschlosChloroplast

senen sackartigen Thylakoidmembranen. In diesen sind die Multienzymkomplexe der Lichtreaktionen und der ATPSynthase-Komplex lokalisiert, zu denen ADP, Phosphat sowie NAD(P)+ freien Zugang haben. Die Membranen lagern sich oft zu Stapeln zusammen, die sich nach Aufschluss der Chloroplasten als Grana isolieren lassen. Die Thylakoidmembranen umschließen einen Innenraum, der Lumen genannt wird. Dieser proteinfreie Raum entspricht dem Außenraum und in ihm finden keine Synthesen statt. Zwischen Lumen und Stroma bildet sich im Fließgleichgewicht der Photosynthese ein pH-Gradient aus (sauer im Lumen, also „außen“), der die ATP-Synthese treibt.

äußere Membran innere Membran

Cytoplasma

H+ Stroma

H+ H+

H+ hν

PS

ADP

H+ H+

2H2O H+ O2

H+ ATP

Thylakoidlumen Thylakoidmembran

kette, beim Protonentransport und während der ATPSynthese ablaufen, haben große Ähnlichkeiten mit denen der Atmungskette.

universelles Vorkommen in der aeroben Welt. Außerdem hat ein Viertel des Genpools der Pflanzen einen cyanobakteriellen Ursprung.

15.3 Oxygene phototrophe Bakterien (Cyanobakterien)

15.3.1 Vorkommen und Rolle von Cyanobakterien

Cyanobakterien repräsentieren die größte, formenreichste und am weitesten verbreitete Gruppe von phototrophen Bakterien. Sie werden fälschlicherweise auch Blaualgen genannt, doch es sind typische Prokaryonten und keine Algen. Wie ihr Name sagt, sind sie meist blaugrün (durch Phycocyanine), einige sind rotbraun (durch Phycoerythrine) oder schwarzgrün (S. 469). Ihre Pigmentausstattung ist nicht für Leben in tiefem Wasser oder in Sedimenten geeignet und sie benötigen, bis auf seltene Ausnahmen, Sauerstoff, um im Dunkeln eine Atmung zu betreiben. Die Lebensprozesse werden im Tag-NachtRhythmus gesteuert (circadiane Rhythmen, z. B. bei Neurospora crassa) (S. 104). Cyanobakterien betreiben als einzige Bakteriengruppe eine oxygene Photosynthese und sind damit nicht an begrenzt verfügbare Elektronendonatoren für die Kohlenstoffassimilation aus CO2 angewiesen. Diese Tatsache sowie ihre in einer langen Evolution erlangte Anpassungsfähigkeit erklären ihr praktisch

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Abb. 15.2 Aufbau eines Chloroplasten grüner Pflanzen und Algen. Während der Evolution entwickelte sich die äußere Membran aus einer Membran der Eukaryonten, die innere aus einer Membran des endosymbiontischen Cyanobakteriums, sie entspricht dessen Cytoplasmamembran. Von ihr leiten sich die Thylakoide von Chloroplasten und Cyanobakterien ab, wie im Schema angegeben. PS, Photosystem.

Ihre Befähigung, an extremen Standorten zu wachsen und oft auch N2 fixieren zu können, gibt Cyanobakterien eine große Bedeutung im Naturhaushalt. Sie übernehmen an nährstoffarmen oder extremen Standorten die Rolle von Pionieren. Man kann sie im Fluoreszenzmikroskop leicht als rot fluoreszierende Bakterien (Chlorophyll-aFluoreszenz) von anderen Bakterien unterscheiden, neben den ebenfalls rot fluoreszierenden, aber meist größeren Algen. Unter günstigen Entwicklungsbedingungen können sie ganze Matten bilden (z. B. Stromatolithen, ▶ Abb. 1.7a, s. auch ▶ Abb. 18.17). In aeroben Bereichen des Süßwassers und in den Ozeanen sind sie, neben den Algen, die wesentlichen Primärproduzenten. Da viele Cyanobakterien Stickstoff fixieren können, gewinnen sie unter Stickstofflimitierung, wenn Nitrat oder Ammoniak nur in kleinsten Konzentrationen vorhanden sind und deshalb das Wachstum begrenzen, im Licht sogar die Überhand. Unter diesen Bedingungen können sich

15.3 Oxygene phototrophe Bakterien (Cyanobakterien) a

b

c

Cyanobakterien massenhaft vermehren und blaugrüne Teppiche an der Wasseroberfläche bilden („Wasserblüte“). Dies geschieht, wenn das sonst wachstumsbegrenzende Element Phosphor in Gewässer eingetragen wird oder zu bestimmten Jahreszeiten mit dem nährstoffreichen Tiefenwasser nach oben gelangt (▶ Abb. 15.3a) (s. auch Freiwasser) (S. 615). In den Tropen lässt sich Spirulina maxima zur Gewinnung von Tierfutter und Eiweiß züchten. Auch in der Teichwirtschaft ist eine solche Massenentwicklung erwünscht. Bei der Trinkwassergewinnung ist eine Wasserblüte dagegen gefürchtet, da einige Gattungen wie Microcystis sp. („Netzblaualge“) Toxine (gegen die Fressfeinde gerichtet) und andere, erdig schmeckende Stoffe (Geosmin) bilden. Neben den toxischen zyklischen Peptiden scheiden Cyanobakterien eine Vielzahl von Alkaloiden aber auch antivirale Substanzen (Lectine) aus. Man findet Cyanobakterien auch an extremen Standorten: auf und in feuchtem Boden (▶ Abb. 15.4a), sie bilden Krusten auf Gestein (z. B. sog. „Tintenstriche“ an feuchten Felswänden, ▶ Abb. 15.4b) und sie leben selbst wenige Millimeter unter der Oberfläche von feuchten porösen Gesteinen (endolithisch, der Tau in Wüstengegenden genügt zum Leben!). Einige einzellige Cyanobakterien wie Synechococcus lividus sind so säure- und hitzetolerant, dass sie in sauren heißen Quellen (pH = 4, 70 °C) wachsen (s. ▶ Abb. 15.13, ▶ Abb. 18.24 und Methode 15.1) (S. 475). Manche Cyanobakterien gehen Symbiosen ein (▶ Abb. 15.5). Sie versorgen den Wirt mit organischen Verbindungen (einige tropische Blattflechten) oder mit gebundenem Stickstoff, wie im Fall der Hornmoose, der Palmenfarne (Cycadaceae) und der Blütenpflanze Gunnera, sowie des tropischen Wasserfarns Azolla. Letzterer dient der Gründüngung von Reisfeldern.

Abb. 15.3 Cyanobakterien. a Wasserblüte in einem eutrophierten See, die im Wesentlichen aus Cyanobakterien (Microcystis sp.) besteht. (Aufnahme Jürgen Weckesser, Freiburg) b Mikroskopisches Bild einer Probe aus einer Wasserblüte. Man erkennt mindestens drei koloniebildende Arten. (Aufnahme Rolf Albert, Lübeck) c Cyanobakterien in Laborkulturen. Die Farben können je nach Chromophoren von grün bis blau über rot bis gelb variieren. (www.labor-spiez.ch)

15.3.2 Stoffwechsel und Zellstruktur Cyanobakterien sind photolithoautotroph und ihr Stoffwechsel folgt einem Tag-Nacht-Rhythmus (circadiane Rhythmik). Sie besitzen Photosystem I und II und verwenden Wasser als Elektronendonator für die autotrophe CO2-Fixierung über den Calvin-Benson-Zyklus (▶ Tab. 15.1). Einige Arten (Leptolyngbya spp.) können aber auch mit H2S als Elektronendonator eine anoxygene Photosynthese (nur Photosystem I) betreiben, und nur wenige sind fakultativ chemotroph. Die mehrschichtige Zellwand enthält Murein, Polysaccharide (sogar Cellulose), Lipopolysaccharide und Proteine und ist oft von Schleim oder einer Kapsel überlagert. Ihre Membranlipide enthalten mehrfach ungesättigte Fettsäuren (vgl. Chloroplasten!), eine Besonderheit unter den Bakterien. Auffallend sind die umfangreichen Thylakoidmembranen mit Phycobilisomen als Lichtantennen (S. 482). Die lamellaren Thylakoidmembranen bilden ein Netzwerk, das auf den peripheren Teil der Zelle begrenzt ist. Sie sind wahrscheinlich nicht mit der Cytoplasmamembran verbunden, obwohl sie aus ihr ursprünglich entstanden sind. Beide Membransysteme enthalten den Photosyntheseapparat und die Atmungskette. Man findet bei Cyanobakterien häufig Carboxysomen (S. 161), phagenkopfähnliche Einschlusskörperchen, in denen die Enzyme der CO2-Fixierung kristallin vorliegen. Cyanobakterien besitzen keine Flagellen, aber viele fadenbildende Arten können sich auf festen Oberflächen oder in Bakterienmatten gleitend fortbewegen und zeigen phototaktisches Verhalten. Gasvakuolen erlauben ihnen, sich an der Oberfläche oder in geeigneten Wassertiefen zu halten. Sie bilden neben Stärke und Polyphosphat häufig in großen Mengen Cyanophycin (Poly-(Asp-Arg)) (S. 164) als Speicherstoffe. Der Proteinspeicher dient als Stickstoffspeicher, aber auch als bescheidener Energiespeicher: Arginin kann nämlich in Ornithin und Carbamoylphosphat gespalten werden, und letzteres ermöglicht selbst unter anoxischen Bedingungen eine ATP-Bil-

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Phototrophe Lebensweise

15.3.3 Morphologische Gruppen Cyanobakterien sind zwar hinsichtlich ihres Stoffwechsels recht einheitlich und bilden eine natürliche Gruppe; dafür ist ihre Biologie und Morphologie umso vielseitiger (▶ Abb. 15.6). Ihre Einteilung in fünf morphologische Gruppen deckt sich nur bedingt mit ihrem Stammbaum. 1. Einzellige Formen (Stäbchen oder Kokken) mit gewöhnlicher Zellteilung sind phylogenetisch sehr divers. Man findet sie in den Gattungen Synechococcus (= „Anacystis“), Gloeocapsa („Hüllenblaualge“; gloios, griech.: klebrige Masse) oder Synechocystis. Die Zellen bilden meist Kolonien oder tafelförmige Platten, die teilweise mit bloßem Auge sichtbar sind; sie werden durch Kapseln oder Schleimsubstanzen („Gallerte“) zusammengehalten (▶ Abb. 15.4a, ▶ Abb. 15.6). 2. Cyanobakterien mit multipler Teilung innerhalb einer Zelle findet man in den Gattungen Pleurocapsa („Krustenalge“) und Dermocapsa. Es entstehen viele kleine Zellen innerhalb einer Hülle.

Abb. 15.4 Auffällige Cyanobakterienkolonien. (Aufnahmen Georg Fuchs, Freiburg) a Am Wegrand findet man häufig Kolonien von Nostoc commune, die wegen ihres unerklärlichen Auftretens vom Volksmund „Engelsschnäuze“ genannt werden. b An Felswänden der Kalkalpen findet man die Kolonien der Tintenstrichalge Scytonema sp.

dung durch Substratphosphorylierung (Carbamoylphosphat + ADP → CO2 + NH3 + ATP).

470

Die folgenden Gruppen bilden Zellfäden, Trichome. Die Einzelzellen sind durch Plasmabrücken (Plasmodesmen) miteinander verbunden. Die Zellteilung erfolgt innerhalb des Fadens und die Trichome können sich gleitend auf Oberflächen bewegen oder schwingende Bewegungen ausführen. Die Vermehrung erfolgt durch Zerbrechen der Fäden in sogenannte Hormogonien. 3. Recht stattliche Cyanobakterein mit teilweise auffallendem Aussehen, die Scheiden ausbilden und keine Heterocysten haben, finden sich in den Gattungen Oscillatoria („Schwingalge“), Trichodesmium, Phormidium („Häutchenblaualge“) und Spirulina („Schraubenzieheralge“). Oscillatoria princeps misst bis zu 60 μm im Durchmesser. 4. Eine große Gruppe bilden die fädigen Cyanobakterien ohne Scheiden. Sie bilden Heterocysten aus und fixieren N2, darunter die Gattungen Nostoc („Zitter- oder Gallertalge“), Nostoc commune („Engelsschnäuze“; ▶ Abb. 15.4a), Anabaena („Ringelalge“), Lyngbia („Scheidenblaualge“) und Scytonema („Tintenstrichalge“; ▶ Abb. 15.4b). 5. Verzweigte, filamentbildende Vertreter, teilweise mit Heterocysten, sind Stigonema („Lagerblaualge“) und Fischerella sp. Eine Besonderheit sind die „Prochlorophyten“, mit den fädigen Prochlorothrix und den kugelförmigen Prochlorococcus als typischen Vertretern. Prochlorococcus sp. stellen in den Ozeanen bis 200 m Wassertiefe einen wichtigen Anteil am Phytoplankton (104–105 Zellen ml–1). Es handelt sich um phototrophe Bakterien, die wie die Chloroplasten der Pflanzen Thylakoidstapel ausbilden und (ein modifiziertes) Chlorophyll a und Chlorophyll b besitzen, während verwandte Cyanobakterien nur Chlorophyll a besitzen. Sie enthalten auch keine Phycobilisomen. Wegen des Vorkommens von Chlorophyll b hat man

15.3 Oxygene phototrophe Bakterien (Cyanobakterien) Tab. 15.1 Eigenschaften phototropher Bakterien. Alle Bakterien, die Cyanobakterien ausgenommen, betreiben unter anaeroben Bedingungen eine anoxygene Photosynthese (aerobe anoxygene phototrophe Bakterien) (S. 478).

PS-Typ

Cyanobakterien

Purpurbakterien

Grüne Schwefelbakterien

Grüne NichtSchwefelbakterien

Heliobakterien

PS I + II

PS II ohne Wasserspaltung

PS I

PS II ohne Wasserspaltung

PS I

Pigmente

Chl a (b)

BChl a,b

BChl a,c (d,e)

BChl a,c

BChl g

Antennen

Phycobilisomen Thylakoide

LH I + LH II intracytoplasmatische Membranen

Chlorosomen

Chlorosomen

??

autotroph

+

(+)

+

+ /–



Ernährungsweise

photoautotroph lithoautotroph

photoautotroph lithoautotroph organoheterotroph

photoautotroph lithoautotroph

photoautotroph lithoautotroph organoheterotroph

photoheterotroph organoheterotroph (anaerob)

CO2-Fixierung

Calvin- BensonZyklus

Calvin- BensonZyklus

reduktiver TCAZyklus

3-Hydroxypropionat-Bizyklus

keine

Elektronendonator

H 2O

H2S/organische Verbindungen

H 2S

H2/organische Verbindungen

organische Verbindungen

fakultativ chemotroph

(+)

+ /–



+

+

a

b

c

d

Plus 15.3 Prochloron und Cyanophora paradoxa Prochloron sp. wurde als erster Vertreter der Prochlorophyten als Symbiont von marinen Seescheiden entdeckt. Es ist ein recht großes phototrophes, derzeit noch nicht kultivierbares Bakterium mit ausgeprägten intracytoplasmatischen Membranen.

Abb. 15.5 Beispiele für Symbiosen von Cyanobakterien (Gattung Nostoc). a Im Thallus von Hornmoosen (extrazellulär). (Aufnahme C. Lobban, Guam, USA) b In den Korallenwurzeln des Palmfarns Cycas (extrazellulär). (Aufnahme Georg Fuchs, Freiburg) c In den Blättern des Wasserfarns Azolla (extrazellulär). (Aufnahme Georg Fuchs, Freiburg) d In der Blattbasis am Rhizom der Blütenpflanze Gunnera (intrazellulär). (Aufnahme Georg Fuchs, Freiburg)

●V

Cyanophora paradoxa ist eine Süßwasseralge (Glaucocystophyt), die sogenannte Cyanellen enthält und von deren Photosyntheseprodukten lebt. Die Cyanellen haben noch viele Eigenschaften von Cyanobakterien erhalten, wie cyanobakterienähnliche Thylakoide und Photosyntheseapparat, Reste der Peptidoglykanschicht und ein kleines Genom (etwa 10 % des Genoms verwandter Cyanobakterien). Es sind obligate Endosymbionten, die aber eine gemeinsame Wurzel mit den Chloroplasten haben.

1

Phototrophe Lebensweise 1

Gloeobacter

Synechococcus

2

Gloeothece

Gloeocapsa

4 Anabaena

Dermocarpa

Abb. 15.6 Einige Cyanobakterien aus verschiedenen Verwandtschaftsgruppen und mit verschiedener Morphologie. Symbole: dick gezeichnete Zellwände und polare Granula kennzeichnen Heterocysten; ausgefüllte Zellen markieren Akineten (Dauerzellen); dünne Linien außerhalb der Trichome kennzeichnen Scheiden. 1 bis 5, siehe Text.

Nostoc

3 Cylindrospermum Spirulina Calothrix Oscillatoria

5

Lyngbya

Fischerella

anfangs in ihnen das „missing link“ zwischen den Cyanobakterien und den Chloroplasten gesehen; es handelt sich aber nicht um die direkten Vorläufer der Chloroplasten (Plus 15.3). Vielmehr haben Cyanobakterien einschließlich der Prochlorophyten und der Chloroplasten einen gemeinsamen Vorläufer. Ein lebender naher Cyanobakterienverwandter der Chloroplasten wurde bisher nicht gefunden.

15.3.4 Zelldifferenzierungen In dieser großen Bakteriengruppe beobachtet man auch besondere Zelldifferenzierungen und Strukturen (▶ Abb. 15.7). Akineten sind dickwandige, große und stark gefärbte Dauerzellen in einem Zellfaden, die der Überdauerung dienen. Heterocysten sind ebenfalls dickwandige, aber farblose oder gelbliche Zellen in einem ansonsten blaugrünen Zellfaden. Sie fixieren N2 (S. 298) und versorgen die Nachbarzellen mit gebundenem Stickstoff (Glutamin) im Gegentausch mit Disacchariden. Sie besitzen kein Photosytem II und entwickeln deshalb auch keinen Sauerstoff. Hormogonien sind Bruckstücke von Zellfäden, die der Verbreitung dienen. Baeocyten nennt man Zellpakete, die nach vielfacher Zellteilung in einer Ursprungszelle entstehen (Pleurocapsales).

15.4 Anoxygene phototrophe Bakterien Es gibt mehrere nicht näher verwandte Bakteriengruppen, welche die Fähigkeit zur anoxygenen Photosynthese entwickelt haben (▶ Abb. 15.8). Die Vertreter der verschiedenen Gruppen unterscheiden sich dabei in einigen

472

Abb. 15.7 Akineten und Heterocysten von Cyanobakterien. a Zellfaden von Anabaena baltica mit zwei Akineten und einer Heterocyste dazwischen. (Aufnahme Seija Hällfors, the Finish Institute of Marine Research) b Zellfaden von Anabaena sp. mit einer kleineren, runden Heterocyste (oben) und einem länglich-ovalen Akineten. (Aufnahme Dr. W. R. Harding, DH Environmental Consulting, Südafrika)

grundlegenden Eigenschaften. Zum Beispiel kommen u. a. zwei verschiedene Typen von photosynthetischen Reaktionszentren vor (Photosystem-I- bzw. -II-Typ, ▶ Tab. 15.1). Deshalb geht man davon aus, dass die Photosynthese sich früh in getrennten Linien weiterentwickelt hat und darüber hinaus durch lateralen Gentransfer in weitere Bakteriengruppen gelangt ist.

Phototrophe Lebensweise 1

Gloeobacter

Synechococcus

2

Gloeothece

Gloeocapsa

4 Anabaena

Dermocarpa

Abb. 15.6 Einige Cyanobakterien aus verschiedenen Verwandtschaftsgruppen und mit verschiedener Morphologie. Symbole: dick gezeichnete Zellwände und polare Granula kennzeichnen Heterocysten; ausgefüllte Zellen markieren Akineten (Dauerzellen); dünne Linien außerhalb der Trichome kennzeichnen Scheiden. 1 bis 5, siehe Text.

Nostoc

3 Cylindrospermum Spirulina Calothrix Oscillatoria

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Lyngbya

Fischerella

anfangs in ihnen das „missing link“ zwischen den Cyanobakterien und den Chloroplasten gesehen; es handelt sich aber nicht um die direkten Vorläufer der Chloroplasten (Plus 15.3). Vielmehr haben Cyanobakterien einschließlich der Prochlorophyten und der Chloroplasten einen gemeinsamen Vorläufer. Ein lebender naher Cyanobakterienverwandter der Chloroplasten wurde bisher nicht gefunden.

15.3.4 Zelldifferenzierungen In dieser großen Bakteriengruppe beobachtet man auch besondere Zelldifferenzierungen und Strukturen (▶ Abb. 15.7). Akineten sind dickwandige, große und stark gefärbte Dauerzellen in einem Zellfaden, die der Überdauerung dienen. Heterocysten sind ebenfalls dickwandige, aber farblose oder gelbliche Zellen in einem ansonsten blaugrünen Zellfaden. Sie fixieren N2 (S. 298) und versorgen die Nachbarzellen mit gebundenem Stickstoff (Glutamin) im Gegentausch mit Disacchariden. Sie besitzen kein Photosytem II und entwickeln deshalb auch keinen Sauerstoff. Hormogonien sind Bruckstücke von Zellfäden, die der Verbreitung dienen. Baeocyten nennt man Zellpakete, die nach vielfacher Zellteilung in einer Ursprungszelle entstehen (Pleurocapsales).

15.4 Anoxygene phototrophe Bakterien Es gibt mehrere nicht näher verwandte Bakteriengruppen, welche die Fähigkeit zur anoxygenen Photosynthese entwickelt haben (▶ Abb. 15.8). Die Vertreter der verschiedenen Gruppen unterscheiden sich dabei in einigen

472

Abb. 15.7 Akineten und Heterocysten von Cyanobakterien. a Zellfaden von Anabaena baltica mit zwei Akineten und einer Heterocyste dazwischen. (Aufnahme Seija Hällfors, the Finish Institute of Marine Research) b Zellfaden von Anabaena sp. mit einer kleineren, runden Heterocyste (oben) und einem länglich-ovalen Akineten. (Aufnahme Dr. W. R. Harding, DH Environmental Consulting, Südafrika)

grundlegenden Eigenschaften. Zum Beispiel kommen u. a. zwei verschiedene Typen von photosynthetischen Reaktionszentren vor (Photosystem-I- bzw. -II-Typ, ▶ Tab. 15.1). Deshalb geht man davon aus, dass die Photosynthese sich früh in getrennten Linien weiterentwickelt hat und darüber hinaus durch lateralen Gentransfer in weitere Bakteriengruppen gelangt ist.

15.4 Anoxygene phototrophe Bakterien

Deferribacter Flavobakterien

Cytophaga Planctomyces/Pirella

Spirochäten Deinococci Grüne Nicht-Schwefelbakterien Thermotoga Thermodesulfobacterium Aquifex

Grüne Schwefelbakterien

Verrucomikrobien

Abb. 15.8 Stammbaum der Bacteria mit Gruppen, die phototrophe Bakterien beherbergen. Die Acidobacteria sind nicht gezeigt.

Chlamydien Cyanobakterien Actinobakterien Heliobakterien Nitrospira Purpurbakterien α Nicht-Schwefelβ purpurbakterien γ Schwefelpurpurbakterien

Die anoxygenen phototrophen Bakterien sind auf einen externen Wasserstoffdonator angewiesen. Sie vermögen anorganische Verbindungen wie H2, H2S, S, H2S2O3 (Thiosulfat) oder Fe2 + sowie organische Verbindungen wie Gärprodukte und sogar Aromaten zu verwerten. Diese Verbindungen stehen nur in begrenzter Menge und bevorzugt unter anoxischen Bedingungen zur Verfügung (deshalb auch das begrenze Vorkommen dieser Organismen). Nur unter anoxischen Bedingungen betreiben sie Photosynthese mithilfe von Bakteriochlorophyllen. Eine Ausnahme von der anaeroben Lebensweise machen aerobe anoxygene phototrophe Bakterien (S. 472).

15.4.1 Vorkommen und Rolle von anoxygenen phototrophen Bakterien Anoxygene phototrophe Bakterien kommen in der anoxischen Zone vieler Gewässer vor; sie bilden oft lachsfarbene bis dunkelweinrote Beläge über dem Schlamm oder faulendem Pflanzenmaterial (▶ Abb. 15.9). In solchen manchmal dezimeterdicken Schichten über dem Schlammhorizont findet man Schwefelpurpurbakterien (Chromatiaceae), darunter riesengroße Arten wie Chromatium okenii oder Thiospirillum jenense (s. ▶ Abb. 15.10). Diese auffallend purpurfarbenen Chromatien oxidieren im Licht rasch H2S zu Schwefel, den sie intrazellulär in großen Mengen als stark lichtbrechende Kügelchen ablagern. Der Schwefel dient als gespeichertes Reduktionsmittel (Weiteroxidation: S + 4 H2O → H2SO4 + 6 H) und ermöglicht die Assimilation von CO2 im Licht auch ohne äußeren Elektronendonator. Die Oxidation der reduzierten Schwefelverbindungen H2S, H2S2O3 (Thiosulfat) und Schwefel wird in Kapitel 12 besprochen. Licht und hohe Sulfidkonzentration findet man auch in flachen Meerwassertümpeln, in denen starke Sulfatre-

duktion stattfindet, sowie in Schwefelquellen. Die Grünen Schwefelbakterien, aber auch verschiedene Schwefelpurpurbakterien, kommen in der Natur meist streng geschichtet vor, dort wo H2S vorhanden ist und noch ausreichend Licht zur Verfügung steht (▶ Abb. 18.18). Dagegen sind die fakultativ photoorganotrophen Purpurbakterien ubiquitär in oxischen und anoxischen Bereichen von Gewässern und Böden mit organischen Stoffen. Man findet anoxygene phototrophe Bakterien auch unter Wasserlinsendecken, die sozusagen als optische Filter denjenigen Lichtanteil bereits herausgefiltert haben, der für das Algenwachstum nützlich ist (s. ▶ Abb. 18.14). Jahreszeitlich bedingt kommt es zur Massenentwicklung von Schwefelpurpurbakterien in der anoxischen Zone von Seen unterhalb der Temperatur-Sprungschicht (oder Chemokline, Plus 18.9) (S. 614). Dort stehen H2S, CO2 und organische Verbindungen aus dem anaeroben Stoffwechsel anderer Bakterien zur Verfügung. In Tiefen von 10–30 m dringt kaum Infrarotlicht durch, sondern nur noch etwas Blau- und Blaugrünlicht (450–500 nm) (s. ▶ Abb. 15.15). Gerade in diesem Wellenlängenbereich absorbieren die tiefrotgefärbten Carotinoide der Purpurbakterien, die ihnen ihre charakteristische Farbe verleihen. Einige Arten können an solchen ihnen zusagenden Standorten nahezu in Reinkulturen vorliegen. Unter den Grünen Schwefelbakterien findet man dort entsprechend die carotinoidreichen, braungefärbten Arten. Weitere ökologische Zusammenhänge werden in Kapitel 18.2 besprochen. Für eine Anreicherung der Purpurbakterien werden deren verschiedene Absorptionsspektren ausgenutzt (Methode 15.1). Viele anoxygene phototrophe Bakterien zeigen auch im Dunkel der Nacht bescheidenes Wachstum und überleben, wenn ihnen organische Substrate zur Verfügung stehen. Sie greifen dazu auch auf die im Licht angelegten Speicherpolymere zurück.

3

Phototrophe Lebensweise Abb. 15.9 Rand eines flachen Gewässers, in dem Schwefelpurpurbakterien zur Massenentwicklung kommen. Erklärung siehe Text.

Purpurbakterien

Faulschlamm Zucker

Purpurbakterien, Algen, Cyanobakterien

H2S

Sulfatreduktion, Eiweißzersetzung

H2S

organische Säuren (Acetat, Propionat, Butyrat, CH4, H2)

a

Allochromatium vinosum

Thiocystis violacea

Thiospirillum jenense

Chromatium okenii

Allochromatium warmingii

Thiocystis gelatinosa

Lamprocystis

Thiodictyon

Thiopedia

Amoebobacter

b

Rhodospirillum rubrum

474

Rhodobacter sphaeroides

Abb. 15.10 Einige anoxygene phototrophe Bakterien. a Schwefelpurpurbakterien (Chromatiaceae). b Nicht-Schwefelpurpurbakterien (Rhodospirillaceae).

15.4 Anoxygene phototrophe Bakterien

d ●

Methode 15.1 Anreicherungskultur Die unterschiedlichen Absorptionseigenschaften der verschiedenen anaeroben phototrophen Bakterien ist die Voraussetzung dafür, dass sie verschiedene spektrale Anteile des Lichts zur Photosynthese zu nutzen vermögen. Bei der Anreicherung nutzt man die Anpassung dieser Organismen an bestimmte Lichtverhältnisse (Intensität, Wellenlänge) aus. Hinzu kommen andere Faktoren wie der H2S-Gehalt, andere Wasserstoffdonatoren, pH-Wert, Temperatur, organische C-Quellen oder CO2, sowie das Vorhandensein einiger Vitamine, insbesondere Vitamin B12, aber auch Biotin, Thiamin oder 4-Aminobenzoat. Als Inokulum verwendet man Teichschlamm oder Teichwasser (▶ Abb. 15.11). Wird ein mit Eiweiß, Erde und Sand beschichteter Zylinder mit Wasser gefüllt und mit Standortmaterial beimpft, so kommen im nahen Infrarotlicht Nicht-Schwefelbakterien zum Wachstum. Das Eiweiß wird von anderen Bakterien vergoren und von den Gärprodukten und Licht leben die Purpurbakterien.

800– 900 nm

900– 1100 nm

Ein Zusatz von Calciumsulfat (Gips) sorgt dafür, dass Sulfatreduzierer H2S in hohen Konzentrationen bilden. Dadurch wird das Wachstum der Nicht-Schwefelpurpurbakterien unterdrückt (sie tolerieren nur geringe H2S-Konzentrationen < 0,01 %) und photolithoautotrophe Schwefelpurpurbakterien dominieren (sie benötigen H2S und tolerieren hohe H2S-Konzentrationen). In synthetischen, Vitamin B12 und andere Vitamine enthaltenden Nährlösungen mit verschiedenen Wasserstoffdonatoren lassen sich durch feine Abstufungen der H2Sund Nährsalzkonzentration, des pH-Wertes, der Temperatur und der Lichtintensität viele verschiedene Arten der Purpurbakterien sowie Arten der strikt anaeroben grünen Bakterien anreichern. Phototrophe, die am Grund tiefer Gewässer leben, haben häufig Gasvakuolen und verlangen niedrige H2S-Konzentrationen, Kälte und Schwachlicht. Im Extremfall genügt so wenig Licht, wie ein Teelicht in 60 m Entfernung spendet. Chlorobium phaeobacteroides kann noch ein Photon verwerten, das in 7 Stunden auf ein Chlorophyll-b-Molekül fällt.

800 –900 nm

720– 770 nm

Bakterienplatte organische Verbindungen

H 2S

Abb. 15.11 Anreicherungskulturen („Winogradsky-Säulen“) von phototrophen Bakterien. Oben ist der spektrale Durchlässigkeitsbereich von Lichtfiltern angegeben, hinter denen sich die benannten Bakterienarten und -gruppen bevorzugt entwickeln. Einige Tage nach dem Ansetzen der Kultur und Beimpfung mit Teichschlamm und -wasser bilden sich rote bzw. grüne „Bakterienplatten“ in der Wassersäule.

Sand Faulschlamm, Gips, Erde

Erde Eiweiß Nicht-Schwefelpurpurbakterien Rhodospirillum rubrum

Rhodopseudomonas viridis

Schwefelpurpurbakterien

15.4.2 Purpurbakterien und Grüne Nicht-Schwefelbakterien (Photosysteme vom Typ II) Man kennt zwei natürliche Gruppen anoxygener phototropher Bakterien, deren Vertreter ein Photosystem II – allerdings ohne Wasserspaltungsenzym – besitzen, die Proteobakterien (Purpurbakterien) und die Grünen Nicht-Schwefelbakterien (auch Grüne schwefelfreie Bakterien genannt).

Grüne Schwefelbakterien

Purpurbakterien Die photosynthetisierenden Proteobakterien nennt man auch Purpurbakterien. Ihre Bezeichnung geht auf die purpurrote (aber auch bräunliche bis gelbliche) Färbung dichter Kulturen (▶ Abb. 15.12) zurück, die durch den hohen Gehalt an Carotinoiden bedingt ist. Nach ihrem Stoffwechsel teilt man sie in zwei Gruppen ein, die Schwefelpurpurbakterien und die Nicht-Schwefelpurpurbakterien (▶ Tab. 15.1). Der Photosyntheseapparat (S. 478) ist auf intracytoplasmatischen Membranen lokalisiert, nur bei wenigen Arten ist er auf die Cytoplasmamembran be-

5

Phototrophe Lebensweise

Plus 15.4

●V

Warum CO2-Fixierung, wenn organische Substrate vorhanden sind? Wenn phototrophe Bakterien beispielsweise eine Fettsäure als Energiequelle oxidieren oder als Kohlenstoffquelle verwenden, so ist dieser Prozess mit der Freisetzung von Reduktionsäquivalenten verbunden. Im Fall der Verwertung des Gärprodukts Buttersäure C4H8O2, die Zellkohlenstoff auf der Oxidationsstufe von Kohlenhydraten [CH2O] liefern soll, gilt die Gleichung: C4H8O2 + 2 H2O → 4 [CH2O] + 4 H.

Die Reduktionsäquivalente müssen verbraucht werden, was unter anoxischen Bedingungen ohne eine anaerobe Atmung nicht gelingt. Dagegen kann man damit CO2 fixieren, nach der Gleichung: 4 H + 1 CO2 → 1 [CH2O] + 1 H2O. Die CO2-Fixierung dient hier als „Elektronenabfluss“ bei der Verwertung von organischen Verbindungen, deren Reduktionszustand höher ist als derjenige des Zellkohlenstoffs. Abb. 15.12 Purpurbakterien. (Aufnahmen Georg Fuchs, Freiburg) a Rand einer warmen Quelle, in der verschiedene phototrophe Bakterien zur Massenentwicklung kommen und dünne Schichten ausbilden. b Laborkulturen von Purpurbakterien.

schränkt. Alle Vertreter besitzen das Reaktionszentrum vom Typ II (aber ohne Wasserspaltungsenzym!), das von dem zylindrisch geformten Antennenkomplex LH I (LH, für engl. light harvesting; auch als Kernkomplex oder Core-Komplex bezeichnet) umgeben ist. Ein zweiter variabler Antennenkomplex LH II (S. 483) kann in Abhängigkeit von der Lichtintensität in variablen Mengen vorhanden sein. Alle Vertreter besitzen Bakteriochlorophyll a oder b und können N2 fixieren. Autotrophe Vertreter fixieren CO2 über den Calvin-Benson-Zyklus. Die Purpurbakterien stehen im natürlichen Stammbaum neben nichtphototrophen Vertretern der Proteobakterien. Ob die Photosynthese eine ursprüngliche Eigenschaft des gemeinsamen Vorfahren aller Proteobakterien war, ist unentschieden. Die Schwefelpurpurbakterien sind obligat phototroph und benötigen reduzierte Schwefelverbindungen als Elektronendonatoren für ihren photolithotrophen Stoffwechsel. Schwefelwasserstoff wird intermediär zu Schwefel oxidiert und dieser wird gespeichert. Sie gehören zur gamma-Subklasse der Proteobakterien. Typische Gattungen sind Chromatium mit intrazellulärer Schwefelspeicherung und Ectothiorhodospira mit extrazellulärer Schwefelablagerung.

476

Die Nicht-Schwefelpurpurbakterien (auch schwefelfreie Purpurbakterien genannt) gehören zu den alphaund beta-Subklassen der Proteobakterien. Sie benötigen organische Verbindungen anstelle von reduzierten Schwefelverbindungen als Elektronendonatoren für die Photosynthese, sie sind also photoorganotroph. Dennoch besitzen die meisten Arten ebenfalls die Enzyme des Calvin-Benson-Zyklus, nutzen die CO2-Fixierung aber nur in Ausnahmefällen. Oft wachsen sie mixotroph, d. h. sie beziehen ihren Zellkohlenstoff sowohl aus der CO2-Fixierung als auch aus organischen Verbindungen, wenn solche vorhandenen sind. Bevorzugt werden Gärprodukte anderer Bakterien assimiliert (Plus 15.4). Wichtige Gattungen sind Rhodospirillum, Rhodobacter, Rhodopseudomonas (alpha-Unterklasse) und Rhodocyclus (beta-Unterklasse). Die meisten Arten der Nicht-Schwefelpurpurbakterien sind metabolisch sehr vielseitig. Man findet bei ihnen Photosynthese, aerobe Atmung und Gärung.

Die Grünen Nicht-Schwefelbakterien Diese Bakterien repräsentieren einen weiteren eigenen Stamm im Bakterienstammbaum. Eine typische Gattung ist Chloroflexus (S. 554) . Chloroflexus-Arten sind fakultativ phototroph und wachsen auch chemotroph im Dunkeln. Sie sind meist photoorganotroph und verwenden organische Verbindungen als Elektronendonatoren, können aber auch auf photolithotrophe Bedingungen mit Wasserstoff als Elektronendonator umschalten. Sie fixieren dann CO2 über den 3-Hydroxypropionat-Bizyklus, verwandte Gattungen dagegen über den Calvin-BensonZyklus. Die Photosynthese der Chloroflexaceae läuft wie

15.4 Anoxygene phototrophe Bakterien wandte den Photosyntheseapparat sekundär aus verschiedenen Quellen durch lateralen Gentransfer erworben haben; sie sind eine Art Chimäre. Das Leben in Mikrobenmatten, wo sie bevorzugt leben, erleichtert den Gentransfer.

15.4.3 Grüne Schwefelbakterien und Heliobakterien (Photosysteme vom Typ I)

Abb. 15.13 Entwicklung von verschiedenen phototrophen Bakterien am Rande einer heißen vulkanischen Quelle. Das Foto zeigt eine Aufnahme des Morning Glory Pool im Yellowstone Nationalpark. Im blauen heißen Bereich wachsen keine Phototrophen. Im etwas kälteren grünen Randbereich gedeihen thermophile Cyanobakterien. Die kälteren (55 °C), orangefarbenen Randbereiche der Quelle sind dominiert von Matten von Chloroflexus aurantiacus. (fotolia/Madeleine Openshaw)

bei den Purpurbakterien über ein photosynthetisches Reaktionszentrum vom Photosystem-II-Typ. Die Lichtsammlung erfolgt wie bei den Chlorobiaceae über Chlorosomen, die auch hier Bakteriochlorophyll c als charakteristisches Pigment enthalten (dagegen enthält die verwandte Gattung Heliothrix Bakteriochlorophyll a) (▶ Abb. 15.13). Es scheint so, dass Chloroflexus und Ver-

Man kennt drei natürliche Bakteriengruppen, von denen einige Vertreter ein Photosystem I besitzen: die Grünen Schwefelbakterien (▶ Abb. 15.14) und die grampositiven Heliobakterien. Im Phylum der Acidobacteria gibt es photoheterotrophe aerobe Vertreter (BChl a und b) mit Chlorosomen, die nicht in Reinkulturen vorliegen.

Grüne Schwefelbakterien Die Grünen Schwefelbakterien bilden eine eigene Entwicklungslinie im Bakterienstammbaum, die Chlorobiaceae (s. ▶ Abb. 15.8). Diese Bakterien sind obligat photolithoautotroph; sie benötigen Schwefelwasserstoff als Elektronendonator und fixieren CO2 über den reduktiven Citratzyklus. Darüber hinaus zeichnen sich die Chlorobiaceae durch ein photosynthetisches Reaktionszentrum vom Typ I und Chlorosomen (S. 483) als Lichtsammelkomplexe aus. Typische Pigmente für diese Gruppe der anoxygenen Phototrophen sind Bakteriochlorophyll c und d, die in großen Mengen in den Chlorosomen angereichert sind. Chlorobium-Arten sind auch die phototro-

Abb. 15.14 Einige Grüne Schwefelbakterien (Chlorobiaceae).

Chlorobium limicola

Chlorobium vibrioforme

Chlorobium phaeobacteroides

Chlorochromatium (consortium)

Pelodictyon clathratiforme

Pelochromatium (consortium)

7

Phototrophe Lebensweise

Heliobakterien Die Heliobakterien wurden als bisher vorletzte Gruppe anoxygener phototropher Bakterien erst 1983 identifiziert. Sie gehören phylogenetisch zu den grampositiven endosporenbildenden Bakterien, obwohl sie eine echte gramnegative Zellwandstruktur aufweisen. Diese Bakterien sind obligat anaerob und wechseln je nach Umweltbedingungen zwischen photoorganotropher Lebensweise und chemoorganotrophem Gärungsstoffwechsel. Sie zeichnen sich wie die Chlorobiaceae durch ein Reaktionszentrum vom Typ I aus. Ihr Bakteriochlorophyll g absorbiert besonders Licht im nahen Infrarotbereich um 800 nm. Typische Gattungen sind Heliobacterium und Heliorestis.

sorbieren Grünlicht, das von den Algen und Cyanobakterien wenig genutzt wird (Grünlücke).

15.5 Photosynthetische Pigmente und Thylakoide Phototrophe Bakterien fallen sofort durch ihre Färbung auf, die fast alle Farben umfasst, von purpurn über rot, lachsfarben, orange, ocker und braun zu grün und blaugrün (▶ Abb. 15.12). Für die Absorption im blauen (< 450 nm) und im roten sowie infraroten Spektralbereich (650–1100 nm) sind die Chlorophylle verantwortlich. Im Bereich von 400–550 nm absorbieren hauptsächlich die

a

Spektrum des Sonnenlichts Absorption bzw. Intensität (Pigmente) (Sonnenlicht)

phen Partner in der symbiontischen Assoziation Chlorochromatium aggregatum und Pelochromatium roseum (Plus 18.8) (S. 613). Die phototrophen Bakterien (Epibionten) umgeben ein chemotrophes, bewegliches, zentrales Betaproteobakterium. Die Art der Wechselwirkung zwischen den Partnern ist noch nicht voll verstanden.

15.4.4 Aerobe anoxygene phototrophe Bakterien (Photosysteme vom Typ II oder Bakteriorhodopsin)

478

Chl b Lutein

400

b

Eindringtiefe in denWasserkörper [m]

Diese weit verbreiteten, aeroben Bakterien bilden selbst bei Sauerstoffsättigung konstitutiv einen anoxygenen Photosyntheseapparat aus. Sie gehören als Photoheterotrophe hauptsächlich zu den Alpha- und Gammaproteobakterien. Sie können zwar nicht phototroph wachsen, dennoch unterstützt Licht ihren Stoffwechsel, besonders wenn organische Substrate fehlen und die Zelle Energiemangel leidet. Die photosynthetischen Apparate sind lichtgetriebene H+-Pumpen. Sie energetisieren die Membran und fördern damit den Transport von allerlei organischen Stoffen bei niedrigster Konzentration (oligotrophe Lebensweise). Photosynthese dient hier als „Notstromaggregat“ zum Überleben in Wassertiefen, in denen noch etwas Licht vorhanden ist. Ein messbarer Beitrag der Photosynthese zum Zellwachstum ist im Labor kaum feststellbar, wohl aber zum Energiezustand der Zelle und damit zum Überleben. Diese Bakterien spielen eine wichtige Rolle bei der Mineralisierung von gelöstem organischem Material im Meer und sind häufige Vertreter des Bakterioplanktons. Einige haben extrem kleine Genome, was sie als Spezialisten ausweist. Sowohl bakteriochlorophyllabhängige Photosysteme vom Typ II (Alphaproteobakterien wie Roseobacter- und Erythrobacter-Arten) als auch bakteriorhodopsinabhängige Photosysteme (S. 491) (Gammaproteobakteria wie Pelagibacter ubique und die „SAR11Gruppe“) kommen vor. Beide Systeme scheinen durch lateralen Gentransfer verbreitet zu werden und beide ab-

Chl a

500 600 Wellenlänge [nm]

700

Farbskala des sichtbaren Lichts

0

50

100

150

200 400

500 600 Wellenlänge [nm]

700

Abb. 15.15 Absorptionsspektrum von Pigmenten und Eindringtiefe unterschiedlicher Wellenlängen in Wasserkörper. a Die obere Kurve zeigt das Spektrum des Sonnenlichtes, darunter die Absorptionsspektren der Pigmente (gelöst in Aceton). Man beachte die sogenannte Grünlücke der Chlorophylle im Bereich des grünen Lichts (480–550 nm). b Die Abhängigkeit der Verteilung von Licht verschiedener Wellenlängen von der Wassertiefe.

Phototrophe Lebensweise

Heliobakterien Die Heliobakterien wurden als bisher vorletzte Gruppe anoxygener phototropher Bakterien erst 1983 identifiziert. Sie gehören phylogenetisch zu den grampositiven endosporenbildenden Bakterien, obwohl sie eine echte gramnegative Zellwandstruktur aufweisen. Diese Bakterien sind obligat anaerob und wechseln je nach Umweltbedingungen zwischen photoorganotropher Lebensweise und chemoorganotrophem Gärungsstoffwechsel. Sie zeichnen sich wie die Chlorobiaceae durch ein Reaktionszentrum vom Typ I aus. Ihr Bakteriochlorophyll g absorbiert besonders Licht im nahen Infrarotbereich um 800 nm. Typische Gattungen sind Heliobacterium und Heliorestis.

sorbieren Grünlicht, das von den Algen und Cyanobakterien wenig genutzt wird (Grünlücke).

15.5 Photosynthetische Pigmente und Thylakoide Phototrophe Bakterien fallen sofort durch ihre Färbung auf, die fast alle Farben umfasst, von purpurn über rot, lachsfarben, orange, ocker und braun zu grün und blaugrün (▶ Abb. 15.12). Für die Absorption im blauen (< 450 nm) und im roten sowie infraroten Spektralbereich (650–1100 nm) sind die Chlorophylle verantwortlich. Im Bereich von 400–550 nm absorbieren hauptsächlich die

a

Spektrum des Sonnenlichts Absorption bzw. Intensität (Pigmente) (Sonnenlicht)

phen Partner in der symbiontischen Assoziation Chlorochromatium aggregatum und Pelochromatium roseum (Plus 18.8) (S. 613). Die phototrophen Bakterien (Epibionten) umgeben ein chemotrophes, bewegliches, zentrales Betaproteobakterium. Die Art der Wechselwirkung zwischen den Partnern ist noch nicht voll verstanden.

15.4.4 Aerobe anoxygene phototrophe Bakterien (Photosysteme vom Typ II oder Bakteriorhodopsin)

478

Chl b Lutein

400

b

Eindringtiefe in denWasserkörper [m]

Diese weit verbreiteten, aeroben Bakterien bilden selbst bei Sauerstoffsättigung konstitutiv einen anoxygenen Photosyntheseapparat aus. Sie gehören als Photoheterotrophe hauptsächlich zu den Alpha- und Gammaproteobakterien. Sie können zwar nicht phototroph wachsen, dennoch unterstützt Licht ihren Stoffwechsel, besonders wenn organische Substrate fehlen und die Zelle Energiemangel leidet. Die photosynthetischen Apparate sind lichtgetriebene H+-Pumpen. Sie energetisieren die Membran und fördern damit den Transport von allerlei organischen Stoffen bei niedrigster Konzentration (oligotrophe Lebensweise). Photosynthese dient hier als „Notstromaggregat“ zum Überleben in Wassertiefen, in denen noch etwas Licht vorhanden ist. Ein messbarer Beitrag der Photosynthese zum Zellwachstum ist im Labor kaum feststellbar, wohl aber zum Energiezustand der Zelle und damit zum Überleben. Diese Bakterien spielen eine wichtige Rolle bei der Mineralisierung von gelöstem organischem Material im Meer und sind häufige Vertreter des Bakterioplanktons. Einige haben extrem kleine Genome, was sie als Spezialisten ausweist. Sowohl bakteriochlorophyllabhängige Photosysteme vom Typ II (Alphaproteobakterien wie Roseobacter- und Erythrobacter-Arten) als auch bakteriorhodopsinabhängige Photosysteme (S. 491) (Gammaproteobakteria wie Pelagibacter ubique und die „SAR11Gruppe“) kommen vor. Beide Systeme scheinen durch lateralen Gentransfer verbreitet zu werden und beide ab-

Chl a

500 600 Wellenlänge [nm]

700

Farbskala des sichtbaren Lichts

0

50

100

150

200 400

500 600 Wellenlänge [nm]

700

Abb. 15.15 Absorptionsspektrum von Pigmenten und Eindringtiefe unterschiedlicher Wellenlängen in Wasserkörper. a Die obere Kurve zeigt das Spektrum des Sonnenlichtes, darunter die Absorptionsspektren der Pigmente (gelöst in Aceton). Man beachte die sogenannte Grünlücke der Chlorophylle im Bereich des grünen Lichts (480–550 nm). b Die Abhängigkeit der Verteilung von Licht verschiedener Wellenlängen von der Wassertiefe.

15.5 Photosynthetische Pigmente und Thylakoide Carotinoide und bei Cyanobakterien im Bereich 550– 650 nm die Phycobiline (▶ Abb. 15.15). Alle Pigmente zeichnen sich durch ausgeprägte konjugierte Doppelbindungssysteme aus.

15.5.1 Chlorophylle und Bakteriochlorophylle Die wichtigsten photosynthetischen Pigmente sind die Chlorophylle (Chl) der oxygenen Phototrophen bzw. die Bakteriochlorophylle (BChl) der anoxygenen Phototrophen. Sie sind Lichtabsorber mit hohem Absorptionsquerschnitt. (Bakterio)Chlorophylle sind sowohl in den Proteinkomplexen der photosynthetischen Reaktionszentren als auch in den Proteinen der Antennenkomplexe enthalten. Diese Farbstoffe stammen von Protoporphyrin IX ab und enthalten in einem Tetrapyrrolring ein Mg2 + gebunden (▶ Abb. 15.16). Protoporphyrin IX ist der Vorläufer von Hämen und (Bakterio)Chlorophyllen. Die Mg-Chelatase, welche den ersten Syntheseschritt in Richtung (Bakterio)Chlorophylle katalysiert, wird durch Sauerstoff im Licht inaktiviert. (Bakterio)Chlorophylle unterscheiden sich hauptsächlich durch das Vorhandensein oder das Fehlen der Doppelbindung zwischen den C-Atomen 7 und 8 von Ring B (▶ Abb. 15.16) und durch die Substituenten am Porphyringerüst voneinander (s. ▶ Abb. 15.17). Diese Unterschiede sind verantwortlich für die unterschiedlichen Absorptionsspektren, die für eine optimale Anpassung an die Lichtverhältnisse am Standort wichtig sind. Die Spektren der isolierten, in Methanol-Aceton gelösten Pigmente sind um ca. 30 nm zum Kürzerwelligen verschoben. Das zeigt, dass die Absorptionseigenschaften nicht nur durch die chemische Struktur des Pigments, sondern auch durch die Wechselwirkung mit dem Trägerprotein bedingt sind. Die spektralen Eigenschaften verschiedener Bakterien und ihre ökologische Anpassung (S. 613) sind in ▶ Abb. 18.15 dargestellt. Die Unterschiede lassen sich auch zur selektiven Anreicherung und zur Kultur einzelner phototropher Bakterien nutzen (Methode 15.1) (S. 475).

A

N

H3C

CH3

CH3

B

Bakteriochlorophylle Bei den wichtigsten Bakteriochlorophyllen (BChl a, b und g) ist im Vergleich zu den Chlorophyllen Ring B des Tetrapyrrolsystems reduziert, ansonsten unterscheiden sich die verschiedenen bekannten Pigmente lediglich in den Substituenten des Tetrapyrrolgerüsts (▶ Abb. 15.17). Die Absorptionsmaxima der Proteinkomplexe mit Chlorophyllen liegen bei 680–685 nm, derer mit Bakteriochlorophyll c, d und e (mit ungesättigtem Ring B) bei 715– 755 nm. Die Absorptionsmaxima der Proteinkomplexe mit Bakteriochlorophyll a liegen bei 800–890 nm und mit Bakteriochlorophyll b gar bei 1020–1035 nm, also im Infrarotbereich. Der Bakteriochlorophyll-g-Proteinkomplex absorbiert bei 788 nm. Für die Übertragung der Anregungsenergie von den Carotinoiden auf die Bakteriochlorophylle ist die Absorptionsbande bei 590 nm (BChl a) bzw. 600 nm (BChl b) wichtig (Plus 15.5).

C

O

CH2 CH3

Mg

Phytylrest CH3

N

Chlorophyll absorbiert hauptsächlich Rotlicht zwischen 550 und 700 nm und Blaulicht unterhalb 480 nm (▶ Abb. 15.15). Das nicht absorbierte Grünlicht bedingt die grüne Farbe der Pflanzenblätter, Grünalgen und Cyanobakterien. Hauptmerkmale sind der teilreduzierte Ring D, ein fünfter isozyklischer Cyclopentanonring neben Ring C, der aus einer der Propionylseitenketten des Protoporphyrins hervorgeht, sowie der hydrophobe Phytolalkohol (oder ein ähnlicher Terpenalkohol), der über eine Esterbindung mit dem Tetrapyrrolring verbunden ist und das Molekül in den Proteinen verankert. In höheren Pflanzen kommen zwei nah verwandte Pigmente – Chlorophyll a und b – vor, in Cyanobakterien fehlt jedoch Chlorophyll b (Ausnahme: Prochlorophyten). Die beiden Chlorophylle unterscheiden sich zwar nur geringfügig in der Seitenkette des Ringes B, aber deutlich in der Lichtabsorption. Ihre Spektren sowie das Spektrum eines typischen Carotinoids (Lutein) als Hilfspigment sind in ▶ Abb. 15.15 dargestellt. Nur Chlorophyll a ist Bestandteil des Reaktionszentrums, die Anwesenheit von Chlorophyll b in den Antennen des Photosystems (s. u.) ermöglicht eine effizientere Nutzung der Sonnenenergie.

H

CH3

HC CH2 H3C

Chlorophyll

CH3

O O

Chlorophyll a

H

N D

A N

N

7

D N Mg N B N

N Mg N 8

C

H3C CH2 CH2 H O O C O CH3

N C

CH3

Chlorophyll b

N

Chl a

Abb. 15.16 Chlorophyll a und b. Der elektronenanziehende Formylrest von Chl b verändert die π-Elektronenwolke und somit das Spektrum. Darunter sind zwei Resonanzstrukturen der delokalisierten π-Elektronen der konjugierten Doppelbindungen (rot) dargestellt. (aus Doenecke et al., Karlsons Biochemie, Thieme, 2005)

9

Phototrophe Lebensweise a

3

A

1

6

N

N

8

B

9

Mg

20

N

19

O

c

7

5

4

2

N

D 18

17

16

15

CH2OH

10

14

Phytol

11

C

12

13

CH2OH b

R1 CH2 HC H3C

A

R2 CH3

N

N

B

Geranylgeraniol CH2CH3 R3

CH2OH

Mg

Farnesol

R7 N N H C D CH3 H3C R4 O CH2 CH2 H O O C Phytyl R5 O CH3 R6 O

10

CH2OH

2,10-Phytadienol

Pigment

R1

R2

R3

R4

R5

R6

R7

Absorption [nm]

BChl a

–CO–CH3

–CH3

–CH2–CH3

–CH3

–CO–OCH3

Phytyl oder Geranylgeraniol

–H

800 –880

BChl b

–CO–CH3

–CH3

=CH–CH3

–CH3

–CO–OCH3

Phytyl oder Phytadienyl

–H

1020

BChl c

–CHOH –CH3

–CH3*

–C2H5 bis –C4H9

–CH3 bis –C2H5

–H

Farnesyl oder Stearyl

–CH3

750

BChl d

–CHOH –CH3

–CHO*

–C2H5 bis –C5H11

–CH3 bis –C2H5

–H

Farnesyl

–H

725 –745

BChl e

–CHOH –CH3

–CHO*

–C2H5 bis –C4H9

–C2H5

–H

Farnesyl

–CH3

715 –725

BChl g

–CH=CH2

–CH3

=CH–CH3

–CH3

–CO–OCH3

Farnesyl oder Geranylgeraniol

–H

788

Plus 15.5 Lichtantennen

●V

Das effiziente Einfangen des Lichts und die Übertragung der Energie durch sogenannte Excitonen von einem Pigment zum anderen bis ins Reaktionszentrum (sog. Forster-Mechanismus) erfordert eine bestimmte Raumstruktur: einen geringen Abstand und eine präzise und fixierte parallele Ausrichtung der Chromophoren in den Proteinen. Außerdem müssen die Emissionsbanden der Donatormoleküle mit den Absorptionsbanden der Akzeptormoleküle überlappen. Damit wird auch bei niedrigen Lichtintensitäten eine maximale Sammlung von Energie (bis zu 95 %) ermöglicht; andererseits wird überschüssige Energie, die nicht durch die Reaktionszentren aufgenommen werden kann, als sehr langwelliges Fluoreszenzlicht oder als Wärme wieder abgestrahlt.

480

2

Abb. 15.17 Beziehungen zwischen Chlorophyll a und den Bakteriochlorophyllen a, b, c, d, e und g. a Nummerierung der C-Atome und Pyrrolringe des Tetrapyrrolgerüsts. b Chlorophyll a und davon abgeleitete Verbindungen. Die Unterschiede zwischen Chlorophyll a und Bakteriochlorophyll a sind rot markiert. Man beachte, dass die rot markierte Doppelbindung im Fall der Bakteriochlorophylle a und b reduziert (gesättigt) ist; bei den Chlorophyllen a und b sowie bei den Bakteriochlorophyllen c, d und e ist die Doppelbindung vorhanden. Dies ist durch * in Spalte R2 angedeutet. c Seitenketten, die als R6-Rest an das Tetrapyrrolgerüst gebunden sein können.

15.5.2 Akzessorische Pigmente Außer den Chlorophyllen sind noch weitere, akzessorische Pigmente am Einfangen der Lichtenergie für die Photosynthese beteiligt. Sie füllen die Lücken im Absorptionsspektrum der (Bakterio)Chlorophylle und tragen so zur besseren Nutzung des Lichts bei. Oft handelt es sich um mehrere Pigmente, die sich gegenseitig in dieser Funktion ergänzen. Die Pigmente sind an Proteine gebunden (Plus 15.5)

Carotinoide Carotinoide, z. B. Lutein, sind isoprenoide Polyenchromophore (C40-Verbindungen, Tetraterpenoide) mit konjugierten Doppelbindungen; sie haben variable Strukturen, und durch Oxo- und Aldehydgruppen können sie eine tiefrote Farbe annehmen (▶ Abb. 15.18). Sie kommen in großen Mengen in den Membranen phototropher Organismen vor und erfüllen zwei Aufgaben. Sie absorbieren als Hilfspigmente Licht im Bereich von 400–550 nm und sind am Energietransfer beteiligt. Ihre Färbung verrät, dass sie violettes, blaues und blaugrünes Licht absor-

15.5 Photosynthetische Pigmente und Thylakoide OCH3

Abb. 15.18 Strukturen einiger Carotinoide. Die konjugierten Doppelbindungen sind farblich markiert.

Spheroiden OCH3 O

OH OH-Spheroidenon

OCH3 CH3O Spirilloxanthin O

Okenon

CH3O

β-Carotin

Chlorobacten

β-Isorenieraten

●V

Plus 15.6 Singulettsauerstoff Im elektronischen Grundzustand ist molekularer Sauerstoff ein stabiles Biradikal, wobei die Spins der beiden Radikalelektronen parallel ausgerichtet sind (Triplettzustand 3O2). Sauerstoff besitzt jedoch elektronisch angeregte Zustände, bei denen die Elektronenspins antiparallel ausgerichtet sind und sich kompensieren (Singulettzustände). Die Anregung von Triplett- in Singulettsauerstoff benötigt 92 kJ pro mol Energie und geschieht als Nebenreaktion bei der Belichtung von Pigmenten. Pigmente wie das Chlorophyll wirken als Sensibilisatoren, die Lichtenergie aufnehmen (1Chl + hν → 1Chl* → 3Chl*) und an andere Moleküle wie Sauerstoff weitergeben können; es entsteht Singulettsauerstoff 1O2. Dieser ist sehr reaktionsfähig und reagiert mit organischen Verbindungen unter Bildung von Hydroperoxiden und Per-

oxiden. Die Phototoxizität von Sauerstoff beruht auf folgenden Reaktionen: 3Chl* + 3O

2→

1Chl* + 1O * 2

1O * + Zellsubstanzen → oxidierte 2

Produkte

Carotinoide bieten Schutz vor photooxidativen Schäden vor allem am Photosyntheseapparat selbst, indem sie als Quencher („Löscher“) von Singulettsauerstoff fungieren. Sie absorbieren Strahlungsenergie über den Triplettzustand und geben sie als Wärme ab. Die Fähigkeit zum Quenching steigt mit der Anzahl der Doppelbindungen. 3Chl* + 1Car → 3Car* + 1Chl 1O * + 1Car → 3Car* + 3O 2 2 3Car* → 1Car + Wärme

1

Phototrophe Lebensweise bieren, sie nutzen die sogenannte „Grünlücke“, die bei den Absorptionsspektren der Chorophylle und Bakteriochlorophylle zu finden ist. Carotinoide dienen auch als Schutzpigmente und können die höheren, schädlichen Anregungszustände des Chlorophylls und des Sauerstoffs (Singulettsauerstoff) „löschen“, die bei der Photosynthese auftreten (Schutz vor Photooxidation durch Singulettsauerstoff) (Plus 15.6). Carotinoidfreie blau-grüne Mutanten von Purpurbakterien wachsen nur im Schwachlicht und werden durch hohe Lichtintensitäten, besonders in Gegenwart von Sauerstoff, rasch abgetötet.

a

15.5.3 Thylakoide Cyanobakterien besitzen abgeflachte, allseitig geschlossene Membranvesikel, die den Thylakoiden von Chloroplasten gleichzusetzen sind und den Photosyntheseapparat beherbergen. Das Lumen dieser Vesikel entspricht funktionell dem Außenraum der Bakterien. Dies wird deutlich, wenn man die vermutete Entstehung der Thylakoide aus der Cytoplasmamembran nachvollzieht (▶ Abb. 15.2). Das Cytoplasma der Bakterien entspricht dem Stroma der Chloroplasten. Auch die meisten Purpurbakterien haben den Photosyntheseapparat auf intracytoplasmatischen Membranen lokalisiert, die durch Einstülpungen der Cytoplasmamembran entstanden sind. Diese können artspezifisch verschiedene Formen annehmen, vesikulär, tubulär oder lamellär (▶ Abb. 5.17). Auch findet man konzentrisch angeordnete Lamellenstrukturen. Sie alle dienen der Membranvergrößerung, um Platz zu schaffen für den Photosyntheseapparat, und oft füllen sie fast das ganze Cytoplasma aus. Nach dem Aufbrechen der Zellen entstehen aus ihnen Membranfragmente, die man als Chro-

482



OOC COO–

HS H3C H

H3C

O

N H

reduziert im Phycocyanobilin

H3C CH3 N

N H

N H

O

Phycocyanobilin reduziert in Phycoerythrobilin

Cys H3C H

Phycobiline

H3C

O

b

S H

N H Phycoerythrin

β-Carotin

Phycocyanin Absorption

Bei Rotalgen und Cyanobakterien findet man zusätzlich offenkettige, lineare Tetrapyrrolfarbstoffe, Phycobiline (griech. phycos, Seetang), ähnlich den Gallenfarbstoffen (lat. bilis, Galle), die Phycoerythrobiline (rot, 6 konjugierte Doppelbindungen) und Phycocyanobiline (blau-grün, 8 konjugierte Doppelbindungen). Sie entstehen aus dem zyklischen Tetrapyrrol Porphyrin, das durch Entfernen der Methinbrücke (in Form von CO!) zwischen Ring A und Ring B gespalten wird (▶ Abb. 15.19a). Die genannten Farbstoffe sind an Chromoproteine (Phycoerythrine, Phycocyanine) gebunden, die hoch geordnete Strukturen auf der Thylakoidmembran bilden, sogenannte. Phycobilisomen. Sie dienen als Lichtsammelkomplexe der Cyanobakterien und der Chloroplasten der Rotalgen. Die Phycobiline sind über Thioetherbindungen kovalent an Cysteinreste der Phycobiliproteine gebunden und absorbieren Licht im Wellenlängenbereich 480–650 nm (▶ Abb. 15.19b). Die rotgefärbten (= grünlichtabsorbierenden) Phycoerythrine erlauben Cyanobakterien einen Lichtstoffwechsel selbst noch in großer Wassertiefe (s. ▶ Abb. 15.15b).

Apoprotein Cys

Chl-a 400

500 600 Wellenlänge [nm]

700

Abb. 15.19 Phycobiline. a Strukturen von Phycocyanobilin und Phycoerythrobilin. Die Phycobiline sind mit einer C2-Seitengruppe kovalent an die Thiolgruppe eines Cysteinrestes der Chromoproteine geknüpft. b Absorptionspektren von Pigmentproteinen von Cyanobakterien.

matophoren bezeichnet. Die Anpassung der Art und Menge der Pigmente und deren Trägerproteine an die Lichtverhältnisse nennt man Chromatische Adaptation. Im Grünlicht gewachsene Zellen sind rot und umgekehrt.

15.6 Antennenkomplexe Für ein möglichst vollständiges Einfangen des Lichts ist eine Antenne erforderlich. Antennen- oder Lichtsammelkomplexe umgeben die photosynthetischen Reaktionszentren. Sie bestehen aus vielen Proteinmolekülen, die Pigmente in großer Überzahl, aber in einem stöchiometrischen Verhältnis gebunden enthalten (Plus 15.5) (S. 480). Ihre Pigmente gehen durch Absorption eines Lichtquants in einen angeregten Zustand über. Ein Elektron des konjugierten Doppelbindungssystems (s. Schema

Phototrophe Lebensweise bieren, sie nutzen die sogenannte „Grünlücke“, die bei den Absorptionsspektren der Chorophylle und Bakteriochlorophylle zu finden ist. Carotinoide dienen auch als Schutzpigmente und können die höheren, schädlichen Anregungszustände des Chlorophylls und des Sauerstoffs (Singulettsauerstoff) „löschen“, die bei der Photosynthese auftreten (Schutz vor Photooxidation durch Singulettsauerstoff) (Plus 15.6). Carotinoidfreie blau-grüne Mutanten von Purpurbakterien wachsen nur im Schwachlicht und werden durch hohe Lichtintensitäten, besonders in Gegenwart von Sauerstoff, rasch abgetötet.

a

15.5.3 Thylakoide Cyanobakterien besitzen abgeflachte, allseitig geschlossene Membranvesikel, die den Thylakoiden von Chloroplasten gleichzusetzen sind und den Photosyntheseapparat beherbergen. Das Lumen dieser Vesikel entspricht funktionell dem Außenraum der Bakterien. Dies wird deutlich, wenn man die vermutete Entstehung der Thylakoide aus der Cytoplasmamembran nachvollzieht (▶ Abb. 15.2). Das Cytoplasma der Bakterien entspricht dem Stroma der Chloroplasten. Auch die meisten Purpurbakterien haben den Photosyntheseapparat auf intracytoplasmatischen Membranen lokalisiert, die durch Einstülpungen der Cytoplasmamembran entstanden sind. Diese können artspezifisch verschiedene Formen annehmen, vesikulär, tubulär oder lamellär (▶ Abb. 5.17). Auch findet man konzentrisch angeordnete Lamellenstrukturen. Sie alle dienen der Membranvergrößerung, um Platz zu schaffen für den Photosyntheseapparat, und oft füllen sie fast das ganze Cytoplasma aus. Nach dem Aufbrechen der Zellen entstehen aus ihnen Membranfragmente, die man als Chro-

482



OOC COO–

HS H3C H

H3C

O

N H

reduziert im Phycocyanobilin

H3C CH3 N

N H

N H

O

Phycocyanobilin reduziert in Phycoerythrobilin

Cys H3C H

Phycobiline

H3C

O

b

S H

N H Phycoerythrin

β-Carotin

Phycocyanin Absorption

Bei Rotalgen und Cyanobakterien findet man zusätzlich offenkettige, lineare Tetrapyrrolfarbstoffe, Phycobiline (griech. phycos, Seetang), ähnlich den Gallenfarbstoffen (lat. bilis, Galle), die Phycoerythrobiline (rot, 6 konjugierte Doppelbindungen) und Phycocyanobiline (blau-grün, 8 konjugierte Doppelbindungen). Sie entstehen aus dem zyklischen Tetrapyrrol Porphyrin, das durch Entfernen der Methinbrücke (in Form von CO!) zwischen Ring A und Ring B gespalten wird (▶ Abb. 15.19a). Die genannten Farbstoffe sind an Chromoproteine (Phycoerythrine, Phycocyanine) gebunden, die hoch geordnete Strukturen auf der Thylakoidmembran bilden, sogenannte. Phycobilisomen. Sie dienen als Lichtsammelkomplexe der Cyanobakterien und der Chloroplasten der Rotalgen. Die Phycobiline sind über Thioetherbindungen kovalent an Cysteinreste der Phycobiliproteine gebunden und absorbieren Licht im Wellenlängenbereich 480–650 nm (▶ Abb. 15.19b). Die rotgefärbten (= grünlichtabsorbierenden) Phycoerythrine erlauben Cyanobakterien einen Lichtstoffwechsel selbst noch in großer Wassertiefe (s. ▶ Abb. 15.15b).

Apoprotein Cys

Chl-a 400

500 600 Wellenlänge [nm]

700

Abb. 15.19 Phycobiline. a Strukturen von Phycocyanobilin und Phycoerythrobilin. Die Phycobiline sind mit einer C2-Seitengruppe kovalent an die Thiolgruppe eines Cysteinrestes der Chromoproteine geknüpft. b Absorptionspektren von Pigmentproteinen von Cyanobakterien.

matophoren bezeichnet. Die Anpassung der Art und Menge der Pigmente und deren Trägerproteine an die Lichtverhältnisse nennt man Chromatische Adaptation. Im Grünlicht gewachsene Zellen sind rot und umgekehrt.

15.6 Antennenkomplexe Für ein möglichst vollständiges Einfangen des Lichts ist eine Antenne erforderlich. Antennen- oder Lichtsammelkomplexe umgeben die photosynthetischen Reaktionszentren. Sie bestehen aus vielen Proteinmolekülen, die Pigmente in großer Überzahl, aber in einem stöchiometrischen Verhältnis gebunden enthalten (Plus 15.5) (S. 480). Ihre Pigmente gehen durch Absorption eines Lichtquants in einen angeregten Zustand über. Ein Elektron des konjugierten Doppelbindungssystems (s. Schema

15.6 Antennenkomplexe der Resonanzstrukturen in ▶ Abb. 15.16) wird in ein höheres Orbital angehoben. Dessen Anregungsenergie pflanzt sich als sogenanntes Exciton in Picosekunden (10–12 s) vom primär angeregten Pigment über andere Pigmente zum Photoreaktionszentrum fort. Die Übertragung von Excitonen von den Antennen zum Reaktionszentrum ist mit Energieverlust verbunden, was den Excitonenfluss zum Zentrum leitet.

15.6.1 LH I und LH II Während der Evolution haben sich nur zwei Typen von Reaktionszentren entwickelt. Im Gegensatz dazu besteht bei den Antennensystemen eine große Mannigfaltigkeit in der Zusammensetzung und Architektur. Die Reaktionszentren selber können Antennenpigmente anlagern (Beispiel Heliobacterium). Bei den Purpurbakterien umgibt das Reaktionszentrum eine zylindrische, ringförmige Lichtsammelkomplex II hν

15.6.2 Chlorosomen Grüne Schwefel- und Nicht-Schwefelbakterien enthalten keine intracytoplasmatischen Membranen. Obwohl sie phylogenetisch weit voneinander entfernt sind und verschiedene Photosysteme verwenden, besitzen beide Gruppen ähnliche, längliche, lipidreiche Vesikel (▶ Abb. 2.24e, ▶ Abb. 15.21). Diese sogenannten Chlorosomen sind mit stäbchenförmigen (Bakterio)Chlorophyllc(d, e)-Aggregaten gefüllt; Proteine fehlen (Ausnahme zur Regel, dass Pigmente proteingebunden vorliegen). Auf ein (Bakterio)Chlorophyll im Reaktionszentrum kommen etwa 1000 Pigmentmoleküle in diesen Superantennen. Die Hülle der Vesikel ist eine Lipidhalbschicht, in die Proteine eingelagert sind. Die Chlorosomen befinden sich auf der cytoplasmatischen Seite der Membran und stehen über eine kristallin erscheinende Basisplatte mit dem Reaktionszentrum in Verbindung. Diese enthält BChl a und vermittelt die Übertragung des angeregten Zustandes von den Chlorosomen in das Reaktionszentrum.

15.6.3 Phycobilisomen

Reaktionszentrum

Lichtsammelkomplex I

Struktur (Kernantenne, zentrale Antenne oder Core-Antenne), LH-System I (LH, für engl. light harvesting), aus etwa 30 Proteinen, die 15 BChl- und 15 Carotinoidmoleküle binden (▶ Abb. 15.20). Die periphere LH-II-Antenne ist ebenfalls zylindrisch in die Membran eingelagert. Viele LH-II-Antennen bilden Gruppen, deren Größe mit der Lichtintensität variiert (bei Schwachlicht groß) und die sich mit den Reaktionszentren im Energieaustausch befinden.

Abb. 15.20 Lichterntekomplexe (LH I und LH II). Struktur von LH I mit Reaktionszentrum und die sie umgebenden LH-IIKomplexe. (Looking to INCITE for Insight into Photosynthesis, Science Beat 10/04, Berkeley Lab)

Phycobilisomen in Cyanobacterien und in den Chloroplasten der Rotalgen wirken ähnlich als Superantennen (▶ Abb. 15.22); ihre Synthese erfordert ca. 40 Gene! Sie sind dem Reaktionszentrum II auf der Membraninnenseite (cytoplasmatische Seite bzw. Stromaseite) aufgesetzt. Phycobilisomen absorbieren besonders gut das von den

Licht

Abb. 15.21 Chlorosomen.

Monolipidschicht

Chlorosom

BChlorophyll

Cytoplasma Basisplatte

FMO-Protein mit BChl a Cytoplasmamembran

photosynthetisches Reaktionszentrum

Periplasma

3

Phototrophe Lebensweise

a

15.7 Oxygene Photosynthese

Phycoerythrin

Die oxygene Photosynthese der Cyanobakterien einschließlich der Prochlorophyten entspricht weitgehend derjenigen der Chloroplasten. Deshalb wird hier gelegentlich darauf verwiesen. Beide erfordern neben den Antennenkomplexen vier Membranproteinkomplexe: Photosystem II mit Wasserspaltungsenzym, Cytochrom b6f, Photosystem I und H+-ATP-Synthase. Die wesentlichen Unterschiede zu den Chloroplasten sind folgende: Der Photosyntheseapparat in Cyanobakterien ist auf den Thylakoidmembranen lokalisiert. Diese Membranen sind zwiebelschalenartig angeordnet und bilden keine Membranstapel wie in den Grana der Chloroplasten. Als Superantennen fungieren Phycobilisomen (S. 483); die LH-Komplexe sind kleiner. Cyanobakterien enthalten nur Chlorophyll a, mit Ausnahme der Prochlorophyta, die auch Chlorophyll b in den Antennen enthalten. Schließlich dienen die Membransysteme auch der Atmung und sie enthalten die dafür erforderlichen Proteine. Der Elektronentransport bei Photosynthese und Atmung verwendet sogar die gleichen Elemente und Atmung und Photosynthese stehen in Konkurrenz zu einander. Im Licht dominiert die Photosynthese.

Phycocyanin Allophycocyanin terminales Pigment PS I PS II H2O

½ O2

b

Abb. 15.22 Aufbau eines Phycobilisoms. a Schema. b Elektronenmikroskopische Aufnahme der Thylakoide von Rotalgen, die ebenfalls Phycobilisomen besitzen. Maßstab, 0,05 µm. (Republished with permission of Tayler and Francis Group LLC Books from Algae: anatomy, biochemistry and biotechnology, Barsanti, L., Gualtieri, 2006; permission conveyed through Copyright Clearance Center, Inc.)

15.7.1 Die photosynthetische Redoxkette im Überblick

Grünalgen übrig gelassene Grünlicht. Sie bestehen aus mehreren zentralen Proteinzylindern und darauf radial angelegten Proteinstäben aus einzelnen multimeren Proteinscheiben. Diese enthalten jeweils mehrere Moleküle Phycobiline. Die Lichtenergie wird von den kürzer- zu den längerwelligen Absorptionsbanden der Phycobiline und von dort über den Chlorophylle enthaltenden LHKomplex zum Reaktionszentrum von Photosystem II geleitet. Die Antennenstäbe werden bei Schwachlicht verlängert und die Anzahl der Phycobilisomen vergrößert; sie können bis zu 40 % des Zellproteins ausmachen. Zudem kann der Phycobilintyp an das Lichtspektrum angepasst werden.

-1,5

Photosystem II

Die Reaktionskette wird meist in Form eines liegenden Z dargestellt (▶ Abb. 15.23). Sie beginnt mit der Absorption der Energie eines Lichtquants aus den Antennen durch ein spezielles Chlorophyllpaar (Chl a) im Photosystem II, Pigment P680 (der Index gibt das Absorptionsmaximum in vivo an). Das elektronisch angeregte Pigment P680* ist ein starkes Reduktionsmittel (Redoxpotenzial wenigstens –0,7 V!). Es gibt ein Elektron aus dem Chlorophyll an ein Phäophytin ab, ein Mg-freies Chlorophyll. Das Chlorophyll wird dadurch in wenigen Picosekunden (ps) zu P680+ oxidiert und ausgebleicht. P680+ hat ein Redoxpotenzial

Photosystem I P700*

-1,0

Chl Q

P680*

E°’ [V]

-0,5

Ph

Q•

PQA

0

Fe HCO3–

PQB

Q

b6 b6 FeS

+0,5 hν YZ

+1,0 P680

484

Fe–SX Fe–SA Fe–SB Fd

zyklischer Elektronenfluss Cyt b6/f

4Mn, H2O Ca2+, Cl–

hν f

PC

P700

NADP+

Abb. 15.23 Die photosynthetische Elektronentransportkette als Z-Schema. Nach oben zeigende Linien bedeuten endergone lichtgetriebene Reaktionen, nach unten zeigende Linien exergone Reaktionen. Die Redoxpotenziale sind folgende: P680/P680+ + 1,15 V; P680*/P680+ –0,7 V; Ph–/Ph –0,45 V; QA–/QA 0 V; P700/P700+ + 0,45 V; P700*/P700+ –1,3 V; Phyllochinon–/Phyllochinon –0,8 V; Fe4S4-Zentrum x –0,73 V; weitere FeS-Zentren –0,55 V. Das Zeichen * symbolisiert einen durch Excitonen angeregten Zustand, die farbigen Flächen deuten die Proteinkomplexe an. Ph, Phäophytin; Fd, Ferredoxin; PC, Plastocyanin; PQA und PQB, gebundene Plastochinonmoleküle (PQ) von Photosystem II; Y, Tyrosinrest; Q, Phyllochinon. (aus Doenecke et al., Karlsons Biochemie, Thieme, 2005)

Phototrophe Lebensweise

a

15.7 Oxygene Photosynthese

Phycoerythrin

Die oxygene Photosynthese der Cyanobakterien einschließlich der Prochlorophyten entspricht weitgehend derjenigen der Chloroplasten. Deshalb wird hier gelegentlich darauf verwiesen. Beide erfordern neben den Antennenkomplexen vier Membranproteinkomplexe: Photosystem II mit Wasserspaltungsenzym, Cytochrom b6f, Photosystem I und H+-ATP-Synthase. Die wesentlichen Unterschiede zu den Chloroplasten sind folgende: Der Photosyntheseapparat in Cyanobakterien ist auf den Thylakoidmembranen lokalisiert. Diese Membranen sind zwiebelschalenartig angeordnet und bilden keine Membranstapel wie in den Grana der Chloroplasten. Als Superantennen fungieren Phycobilisomen (S. 483); die LH-Komplexe sind kleiner. Cyanobakterien enthalten nur Chlorophyll a, mit Ausnahme der Prochlorophyta, die auch Chlorophyll b in den Antennen enthalten. Schließlich dienen die Membransysteme auch der Atmung und sie enthalten die dafür erforderlichen Proteine. Der Elektronentransport bei Photosynthese und Atmung verwendet sogar die gleichen Elemente und Atmung und Photosynthese stehen in Konkurrenz zu einander. Im Licht dominiert die Photosynthese.

Phycocyanin Allophycocyanin terminales Pigment PS I PS II H2O

½ O2

b

Abb. 15.22 Aufbau eines Phycobilisoms. a Schema. b Elektronenmikroskopische Aufnahme der Thylakoide von Rotalgen, die ebenfalls Phycobilisomen besitzen. Maßstab, 0,05 µm. (Republished with permission of Tayler and Francis Group LLC Books from Algae: anatomy, biochemistry and biotechnology, Barsanti, L., Gualtieri, 2006; permission conveyed through Copyright Clearance Center, Inc.)

15.7.1 Die photosynthetische Redoxkette im Überblick

Grünalgen übrig gelassene Grünlicht. Sie bestehen aus mehreren zentralen Proteinzylindern und darauf radial angelegten Proteinstäben aus einzelnen multimeren Proteinscheiben. Diese enthalten jeweils mehrere Moleküle Phycobiline. Die Lichtenergie wird von den kürzer- zu den längerwelligen Absorptionsbanden der Phycobiline und von dort über den Chlorophylle enthaltenden LHKomplex zum Reaktionszentrum von Photosystem II geleitet. Die Antennenstäbe werden bei Schwachlicht verlängert und die Anzahl der Phycobilisomen vergrößert; sie können bis zu 40 % des Zellproteins ausmachen. Zudem kann der Phycobilintyp an das Lichtspektrum angepasst werden.

-1,5

Photosystem II

Die Reaktionskette wird meist in Form eines liegenden Z dargestellt (▶ Abb. 15.23). Sie beginnt mit der Absorption der Energie eines Lichtquants aus den Antennen durch ein spezielles Chlorophyllpaar (Chl a) im Photosystem II, Pigment P680 (der Index gibt das Absorptionsmaximum in vivo an). Das elektronisch angeregte Pigment P680* ist ein starkes Reduktionsmittel (Redoxpotenzial wenigstens –0,7 V!). Es gibt ein Elektron aus dem Chlorophyll an ein Phäophytin ab, ein Mg-freies Chlorophyll. Das Chlorophyll wird dadurch in wenigen Picosekunden (ps) zu P680+ oxidiert und ausgebleicht. P680+ hat ein Redoxpotenzial

Photosystem I P700*

-1,0

Chl Q

P680*

E°’ [V]

-0,5

Ph

Q•

PQA

0

Fe HCO3–

PQB

Q

b6 b6 FeS

+0,5 hν YZ

+1,0 P680

484

Fe–SX Fe–SA Fe–SB Fd

zyklischer Elektronenfluss Cyt b6/f

4Mn, H2O Ca2+, Cl–

hν f

PC

P700

NADP+

Abb. 15.23 Die photosynthetische Elektronentransportkette als Z-Schema. Nach oben zeigende Linien bedeuten endergone lichtgetriebene Reaktionen, nach unten zeigende Linien exergone Reaktionen. Die Redoxpotenziale sind folgende: P680/P680+ + 1,15 V; P680*/P680+ –0,7 V; Ph–/Ph –0,45 V; QA–/QA 0 V; P700/P700+ + 0,45 V; P700*/P700+ –1,3 V; Phyllochinon–/Phyllochinon –0,8 V; Fe4S4-Zentrum x –0,73 V; weitere FeS-Zentren –0,55 V. Das Zeichen * symbolisiert einen durch Excitonen angeregten Zustand, die farbigen Flächen deuten die Proteinkomplexe an. Ph, Phäophytin; Fd, Ferredoxin; PC, Plastocyanin; PQA und PQB, gebundene Plastochinonmoleküle (PQ) von Photosystem II; Y, Tyrosinrest; Q, Phyllochinon. (aus Doenecke et al., Karlsons Biochemie, Thieme, 2005)

15.7 Oxygene Photosynthese E°’ von + 1,15 V! Die Primärreaktion der Photosynthese ist also eine Ladungstrennung. Wichtig ist das Verständnis der räumlichen Anordnung der Systembestandteile. Das oxidierte Zentrum P680+ füllt seinen Elektronenbestand aus der Wasserspaltung auf der Lumenseite (die ursprünglich dem Außenraum entspricht) auf (▶ Abb. 15.2). Dies wird durch das extrem positive Redoxpotenzial des Photosystems II ermöglicht. Vom Phäophytin gelangt das energiereiche Elektron zu einem proteingebundenen Chinon QA mit positiverem Redoxpotenzial. Von dort erreicht es über ein Fe-Atom ein lose gebundenes Plastochinon QB, den ersten stabilen Zustand auf seinem Weg („Elektronenfalle“). Bis hierher wurde über die Hälfte der Anregungsenergie als Wärme verloren, der Prozess dauert ca. 0,1 ms. QB nimmt hintereinander 2 e– sowie 2 H+ vom Stroma (das dem ursprünglichen Innenraum entspricht) auf und wird dadurch zu QBH2 reduziert; die vollständige Reduktion von QB erfordert also eine zweite Lichtreaktion. Photosystem II plus Wasserspaltung kann man deshalb formal als Wasser: Plastochinon-Oxidoreduktase verstehen. Der reduzierte Akzeptor QBH2 tauscht mit dem Pool an oxidiertem Chinon in der Membran aus. Das Elektron durchläuft nun eine transmembrane Elektronentransportkette vom Chinonpool zum b6f-Komplex, der ähnlich wie der mitochondriale und bakterielle bc1-Komplex (S. 278) aufgebaut ist. Es wird dann vom löslichen Plastocyanin (PC) oder von Cytochrom c553 auf der Lumenseite aufgenommen. Plastocyanin überträgt das Elektron auf das Chlorophyllpigmentpaar P700 (Absorptionsmaximum bei 700 nm) von Photosystem I. Dieses transportiert das Elektron in der zweiten Lichtreaktion erneut über mehrere Chinon- und Eisen-Schwefel-Zentren in der Membran auf Ferredoxin im Cytoplasma. Photosystem I kann formal als Plastocyanin:Ferredoxin-Oxidoreduktase verstanden werden. Vom reduzierten Ferredoxin verläuft der Elektronenfluss über das Flavinsystem der Ferredoxin: NADP+-Reduktase zu NADP+, das zu NADPH reduziert wird. Da für die Reduktion von NADP+ zwei Elektronen benötigt werden, muss dieser Prozess zweimal durchlaufen werden. Die an Photosystem II gekoppelte Wasserspaltung liefert molekularen Sauerstoff O2 und muss deshalb als 4-Elektronen-Übertragung formuliert werden: 2 H2O → 4 e– + O2 + 4 H+ (Plus 15.7). Sie führt aufgrund der Orientierung von Photosystem II in der Membran zu einer Protonenfreisetzung im Lumen der Thylakoide (was dem ursprünglichen Außenraum entspricht, vgl. ▶ Abb. 15.2). Wie unten besprochen, wird im Zuge des Elektronentransports ein Protonengradient aufgebaut, der für die ATP-Synthese am H+-ATP-Synthase-Komplex genutzt werden kann.

Plus 15.7 Woher stammt der Sauerstoff?

●V

Bereits van Niel hatte in den 1930er-Jahren erkannt, dass die Photosynthese der allgemeinen Gleichung genügt: CO2 + 2 H2A → [CH2O = Kohlenhydrat] + 2 A + H2O. In dieser Gleichung ist H2A ein beliebiger Elektronendonator. Im Fall der oxygenen Photosynthese der Pflanzen, Algen und Cyanobakterien ist H2A = H2O. Im Fall der anoxygenen Photosynthese der Bakterien ist H2A = H2S. Das Produkt A ist dann folgerichtig O bzw. S. Daraus folgt, dass der Sauerstoff (O2 = 2 A) bei der Photosynthese aus H2O (= H2A) stammt, nicht aus CO2, wie zuvor vermutet worden war. Siehe auch Methode 15.2 (S. 488).

15.7.2 Photosystem II (Chinon-Typ) und Wasserspaltung Der Gesamtkomplex (gelb in ▶ Abb. 15.24) besteht aus verschiedenen Untereinheiten, von denen zwei (D1D2) das eigentliche Reaktionszentrum darstellen. Diese beiden Proteine sind einander sehr ähnlich und enthalten je fünf Transmembranhelices. Sie binden ein spezielles reaktives Chlorophyll-a-Paar, das Pigment P680. Darüber hinaus sind jeweils zwei Moleküle weiteres Chlorophyll a, Phäophytin, β-Carotin (zum Quenchen des Singulettsauerstoffs, Plus 15.6) (S. 481), Plastochinon sowie ein gemeinsames Fe-Atom gebunden. Interessanterweise wird nur einer der zwei möglichen Elektronenübergangswege genutzt. D1 ist instabil und muss ständig abgebaut und neu gebildet werden; als Grund vermutet man Schädigung durch Sauerstoffradikale, die bei der Elektronenabgabe durch das wasserspaltende System nicht ganz vermieden werden können. Ein zentraler Lichtsammelkomplex (Core-Antennen-Komplex) aus chlorophyllbindenden Proteinen (CP) und zwei kleine Cytochrome b559 gehören zum Gesamtkomplex. Letztere sorgen dafür, dass bei Überladung des Elektronentransportsystems Elektronen von den Chinonen zum Reaktionszentrum zurückfließen können. Auf der Lumenseite der Thylakoide (die dem Außenraum entspricht) ist dem Reaktionszentrum das Wasserspaltungsenzym aufgelagert. ▶ Wasserspaltungsenzym. Der Primärprozess hinterlässt im Reaktionszentrum durch Photooxidation von P680 eine Elektronenlücke. Sie wird mit Elektronen (über ein Tyrosinradikal) aufgefüllt, die das Wasserspaltungsenzym (braun in ▶ Abb. 15.24) den gebundenen zwei Molekülen Wasser entzieht (Plus 15.8).

5

Phototrophe Lebensweise 4 hν

Stromaseite (entspricht Innenraum)

8H+ D2

D1 Fe

Q•

QB

Ph

2 QH2

4e–

2 H2O

CF1

FNR

FeS b6

2Q

AK

b6 FeS

Y

Mn

2 NADPH

Thylakoidmembran

4e– P700

CF0

QH2

P680

Mn

2 NADP+

4 hν

Fd

CP47

CP43 b559

QA

Pi + ADP 4H+ ATP

Mn Mn O2 + 4H+

f

PC

PS-I

8H+

4H+ Lumenseite (entspricht Außennraum)

Abb. 15.24 Organisation der Komponenten des photosynthetischen Elektronentransports in der Thylakoidmembran. Das Schema zeigt den lichtgetriebenen Weg von 4 e– aus 2 H2O zu 2 NADP+. Die Photosysteme I und II sind gelb bzw. orange dargestellt, der Cytochrom-b6f-Komplex grün. Protonen werden nur durch den Q-Zyklus transportiert bzw. durch die Wasserspaltung im Lumen freigesetzt; sie gelangen über die ATP-Synthase (rot) zurück ins Stroma. Die Standard-Potenzialdifferenz des Elektronentransports durch Photosystem I beträgt etwa + 1 V. Ferredoxin mit einem E°’ von –0,45 V reduziert das NADP+-System (E°’ –0,32 V). Die Ferredoxin: NADP+-Reduktase (FNR) ist ein Flavoprotein. D1 und D2 sind die beiden Hauptproteine, die von zwei Chl a enthaltenden Antennenproteinen umgeben sind. An der Stromaseite der Thylakoidmembran sind dem Reaktionszentrum von Photosystem II die Phycobilisomen aufgelagert. Die Stöchiometrie am Manganenzym ist für 1 O2 gezeigt. AK, Antennenkomplexe; CP, chlorophyllbindende Proteine; Ph, Phäophytin; Fd, Ferredoxin; PC, Plastocyanin; b559, Cytochrom b559; CF, ATP-Synthase (CF, für engl. coupling factor).

●V

Plus 15.8 Wasserspaltungsapparat Das Wasserspaltungsenzym enthält einen Cluster mit 4 MnAtomen, welche vermutlich zwischen den Oxidationszuständen III und IV wechseln. Deren Oxidation erfolgt schrittweise und erfordert die Energieaufnahme von 4 Lichtquanten. Es folgt die Abgabe von 4 e– an das Reaktionszentrum und von 4 H+ in das Lumen (welches dem ursprünglichen Außenraum entspricht), vermutlich nach dem in ▶ Abb. 15.25 gezeigten Schema. Die fünf Oxidationszustände des Wasserspaltungssystems werden als S0 bis S4 bezeichnet. Erst der voll oxidierte S4-Zustand ist instabil und fällt unter Abgabe von O2 und Aufnahme von 2 H2O in den Grundzustand S0 zurück.

Exciton

Exciton

Exciton

Exciton

4 e–

P680 Tyrosin e–

2 H2O

Lumen

e–

M+ (S1)

M (S0)

H+

e–

M2+ (S2)

H+

e–

M3+ (S3)

H+

M4+ (S4)

O2

H+

Abb. 15.25 Oxidationszustände des wasserspaltenden Enzyms. Während des gesamten Zyklus der photosynthetischen Wasserspaltung übernimmt das Photosystem II nacheinander alle 4 Elektronen vom Mn-Enzym. Die Einzelschritte verlaufen sehr rasch, mit Halbwertszeiten im Bereich von 20–300 ns. S0 bis S4 kennzeichnet die verschiedenen Oxidationszustände. M, 4 Mn mit n positiven Ladungen, M+, mit n + 1 positiven Ladungen usw.

486

15.7 Oxygene Photosynthese

15.7.3 Elektronentransportkette Eines der im Reaktionszentrum gebundenen Plastochinone ist stabiler Elektronenakzeptor für das Photosystem II (siehe photosynthetische Redoxkette). Dieses reduzierte Chinon tauscht gegen ein oxidiertes Chinon aus dem Plastochinonpool aus (in ▶ Abb. 15.23 und ▶ Abb. 15.24 als Q/QH2 bezeichnet). Das System Plastochinon – Plastosemichinon – Plastohydrochinon führt in Verbindung mit dem b6f-Komplex einen Q-Zyklus (s. u. und Plus 8.5) (S. 281) zum Protonentransport durch die Membran aus.

Der Cytochrom-b6f-Komplex Der Cytochrom-b6f-Komplex ist ein integrales Membranprotein und besteht aus mehreren Untereinheiten, mit folgenden Hauptkomponenten: Cytochrom b6 trägt zwei Hämgruppen mit etwas unterschiedlichem Redoxpotenzial. Es hat mehrere, die Membran durchziehende α-Helices. Zwischen zweien dieser Helices sind die Hämgruppen in analoger Weise wie im mitochondrialen Cytochrom b angeordnet. Cytochrom f (f, für lat. folium, Blatt) ist ein peripheres Membranprotein auf der Außenseite (Lumenseite) der Membran, welches wie Cytochrom c ein kovalent gebundenes Häm c trägt (▶ Abb. 8.23). Der b6fKomplex hat zwei Plastochinonbindestellen und überträgt 1 Elektron über ein 2Fe-2S-Protein (Rieske-Protein) mit positivem Potenzial auf das Kupferprotein Plastocyanin. Das andere Elektron wird über die beiden Häm-b6Gruppen auf ein Chinon Q zurückübertragen unter Bildung von Q- (Q-Zyklus, Plus 8.5) (S. 281). Die Funktion des b6f-Komplexes ist also analog zu der des bc1-Komplexes von Bakterien und Mitochondrien, wobei Cytochrom c durch Plastocyanin ersetzt ist.

Plastocyanin Plastocyanin ist ein kleines peripheres Membranprotein, das ein Cu-Atom enthält und sozusagen die Rolle von Cytochrom c in der Atmungskette einnimmt (bei der anoxygenen Photosynthese übernimmt tatsächlich ein Cytochrom c die Aufgabe von Plastocyanin!). Es nimmt im Elektronenfluss ein Elektron vom b6f-Komplex auf und übergibt es an das Reaktionszentrum P700. In Cyanobakterien konkurriert Cytochrom c553 der Atmungskette im Dunkeln um die Elektronen.

15.7.4 Photosystem I (FeS-Typ) und NADPH-Bildung Photosystem I (orange in ▶ Abb. 15.24) enthält das Reaktionszentrum P700 mit einem Redoxpotenzial von + 0,45 V, also viel weniger positiv als das von Photosystem II, was wichtige Folgen hat. Es wird in ähnlicher Weise wie Photosystem II photooxidiert, das Elektron wird über die Membran letztlich auf ein FeS-Zentrum übertragen. Das Photosystem I enthält ebenfalls ein reaktives Chlorophylla-Paar im Reaktionszentrum; es wird nach dem Absorptionsmaximum in vivo auch P700 genannt. Daneben enthält

es weiteres Chl a, ein Phyllochinon, ein spezielles Fe4S4Zentrum mit sehr negativem Redoxpotenzial als Primärakzeptor des Elektrons, sowie zwei weitere FeS-Zentren. Ähnlich wie Photosystem II besteht es aus einem heterodimeren großen Protein (AB) und mehreren kleinen Untereinheiten. A und B sind nahe verwandt und als natürliche Fusionsproteine aus den eigentlichen Reaktionszentrumproteinen (analog zu Protein D1D2) und den CP-Proteinen des Core-Antennen-Komplexes hervorgegangen (s. ▶ Abb. 15.24). A und B haben entsprechende Doppelfunktion als Antenne und Reaktionszentrum. Die reduzierten FeS-Zentren übertragen das Elektron auf Ferredoxin. Dessen Redoxpotenzial ist negativ genug, um NADP+ im Cytoplasma (Stroma) reduzieren zu können. Auf die Methoden zur Aufklärung der Photosynthese wird in Methode 15.2 eingegangen.

15.7.5 Zyklische Photophosphorylierung Die Fixierung von 1 CO2 und seine Reduktion auf die Stufe der Triosephosphate erfordern 3 ATP und 2 NADPH. Deshalb müssen ATP und NADPH für diesen Prozess in ungefähr diesen Mengen bei der Photosynthese bereitgestellt werden (Plus 15.9). Wenn die CO2-Fixierung nicht in ausreichendem Maße stattfindet, weil ATP für die anderen Zellprozesse benötigt wird und der CO2-Fixierung entzogen wird, steht zu wenig NADP+ als Elektronenakzeptor für Photosystem I zur Verfügung. In diesem Fall werden die Elektronen von Photosystem I auf den Cytochrom-b6fKomplex zurückübertragen und fließen auf einem niedrigeren Energieniveau wieder auf Photosystem I zurück (zyklischer Elektronenfluss in ▶ Abb. 15.23). Möglicherweise ist für die NADPH-Oxidation der NADH-Dehydrogenase-Komplex verantwortlich, den man in Thylakoidmembranen findet. Dieser Kreisprozess schließt die Funktion eines Q-Zyklus ein und wirkt als Protonenpumpe, sodass auch ohne Netto-NADP+-Reduktion Lichtenergie direkt in chemische Energie in Form von ATP umgewandelt werden kann. Diesen zyklischen Prozess nennt man zyklische Photophosphorylierung. Man nimmt an, dass auf diese Weise Cyanobakterien und Chloroplasten – dem jeweiligen Bedarf entsprechend – die Synthese von ATP und NADPH steuern.

15.7.6 Bilanz, Quantenbedarf und Wirkungsgrad der Lichtreaktion Wie eingangs erwähnt, bewirkt die Lichtabsorption neben der Reduktion von NADP+ auch die Speicherung von Energie als ATP. Intermediär wird die Energie wie in der Zellatmung durch das elektrochemische Potenzial eines H+-Gradienten über der Thylakoidmembran gespeichert. Die Phosphorylierung von ADP wird durch einen vierten Proteinkomplex in der Membran, die ATP-Synthase, katalysiert. Die Aktivität dieses Enzyms wird in phototrophen Organismen in der Regel im Licht aktiviert. Zur Bilanz der Photosynthese siehe Plus 15.9.

7

Phototrophe Lebensweise

d ●

Methode 15.2 Methoden zur Aufklärung der Photosynthese O

Aktionsspektrum Die Summe der vorhandenen Pigmente erklärt das photochemische Aktionsspektrum der Photosynthese. Beispielsweise kann man zeigen, dass in Cyanobakterien die Menge an gebildetem Sauerstoff oder angehäufter Stärke (= Aktion) in Abhängigkeit von der Wellenlänge des eingestrahlten Lichtes dem Absorptionsspektrum der Zellen entspricht. Elektrochrome Änderungen des Carotinoidspektrums (bedingt durch Änderung der Ladungsverteilung in der Umgebung) können experimentell genutzt werden, um die Änderungen des Membranpotenzials von Thylakoidmembranen im μs-Bereich direkt zu messen. Hill-Reaktion Durch Zusatz von künstlichen Elektronendonatoren und -akzeptoren kann man die photochemische Redoxkette modifizieren. Bei der nach ihrem Entdecker benannten HillReaktion werden unphysiologische Elektronenakzeptoren (Hill-Oxidantien) wie das Ferricyanid-Ion oder Benzochinon zugesetzt. Man beobachtet dann die Entwicklung von Sauerstoff unter Reduktion des zugesetzten Stoffes, ohne dass CO2 fixiert wird: Dies ist ein Beweis dafür, dass der Sauerstoff nicht aus CO2 stammt, wie zuerst vermutet wurde (s. auch van Niel’s Theorie, Plus 15.7) (S. 485). Hemmstoffe Wie für die Atmungskette kennt man auch einige Hemmstoffe des photosynthetischen Elektronentransports (▶ Abb. 15.26). Manche dieser Verbindungen sind als solche oder in chemisch derivatisierter Form als Herbizide im Gebrauch. Ihr Angriffsort ist unterschiedlich. Meist ist das Photosystem II betroffen: es handelt sich oft um Plastochinonanaloga, welche die PQB-Bindestelle am D1-Protein besetzen. Andere Herbizide hemmen den Elektronenfluss zwischen PS II und dem Plastochinonpool; so z. B. DCMU [N1(3,4-Dichlorphenyl)-N2-dimethylharnstoff] und S-Triazine. Andere hemmen den b6f-Komplex direkt, wie DBMIB [2,5-Dibrom-3-methyl-5-isopropyl-1,4-benzochinon], ein Plastochinonanalogon. Methylviologen (Paraquat) wirkt als künstlicher Elektronenakzeptor in Photosystem I und ist selbstoxidierend. Andere Reagenzien führen zu einer Art Kurzschluss im wasserspaltenden Enzym und stören die Abfolge der S0–S3-Zustände.

488

Cl

N H

CH3

C

N CH3

Cl DCMU (Diuron)

S N R2

N H

CH3

R1

S-Triazin

Br

H3C

N N

O

N H

R3

Br

CH3 O DBMIB

Abb. 15.26 Hemmstoffe der Photosynthese.

Außer den bekannten Entkopplern der Elektronentransportphosphorylierung (Plus 8.7) (S. 283) wirken auch schwache Ammoniumbasen entkoppelnd, wie z. B. Methylamin. Blitzlichtspektroskopie Belichtung im Bereich von Femtosekunden (10–15 s) und zeitlich hoch auflösende Absorptionsmessung gestatten Rückschlüsse auf die Redoxpotenziale der Pigmente und Elektronenüberträger und auf die Reihenfolge der Ereignisse. Schnelle Wiederholung der Lichtblitze und Signalmittelung führt zu einem guten Signal-Rausch-Verhältnis. Antikörper gegen einzelne gereinigte Proteinkomponenten Mit Antikörpern gegen gereinigte Proteine kann man elektronenmikroskopisch deren Zellort lokalisieren. Reinigung von Komplexen mit Detergenzien und Röntgenstrukturanalyse Entscheidende Einsichten in die Proteinkomplexe hat man erhalten, als diese mithilfe von Detergenzien aus ihrer Membranumgebung gelöst und gereinigt wurden. Die Kristallisation des Reaktionszentrums und die Aufklärung seiner Struktur wurden mit dem Nobelpreis gewürdigt. Mutanten. Nicht zuletzt haben Mutanten entscheidend zur Aufklärung der Photosynthese beigetragen.

15.8 Anoxygene Photosynthese

Plus 15.9 Bilanz der Lichtreaktion Die Bilanz der Lichtreaktion pro 4 Elektronen sieht im Idealfall folgendermaßen aus (vgl. ▶ Abb. 15.24): Vier H+ werden bei der Spaltung zweier Wassermoleküle nach außen (bzw. ins Lumen der Thylakoide) abgegeben, 8 H+ werden durch den Cytochrom-b6f-Komplex mit Q-Zyklus ebenfalls nach außen (bzw. ins Lumen) gepumpt. Wenn die ATPSynthase (S. 282) 4 H+/ATP benötigt, ergibt sich als Ausbeute 3 ATP und 2 NADPH. Pro Mol O2 werden also 3 ATP und 2 NADPH gebildet. Zwischen den Redoxpartnern Wasser und NADP+ liegt eine Potenzialdifferenz von 1,14 V. Allein für die Reduktion von 1 mol NADP+ sind bei einem (nicht erreichbaren) Wirkungsgrad von 100 % schon 220 kJ erforderlich. Das energetische Äquivalent von 1 mol Photonen der Wellenlänge 680 nm ist aber nur 175 kJ (Energie eines Mol Lichtquanten = N h ν). Da NADP+-Reduktion und ATPSynthese gleichzeitig ablaufen, bedarf der Gesamtvorgang zahlreicher Lichtquanten.

15.8 Anoxygene Photosynthese Die Photosysteme der anoxygenen phototrophen Bakterien funktionieren nur bei niedrigem Partialdruck von Sauerstoff und ihre Bildung erfordert Licht und ebenfalls niedrigen Sauerstoffpartialdruck (vgl. aber aerobe anoxygene phototrophe Bakterien) (S. 478). Die Wasserspaltung, welche Elektronen aus einem unerschöpflichen Molekül bezieht und die ein Hintereinanderschalten der beiden Photosysteme und damit die Reduktion von NAD(P)+ ermöglicht, fehlt. Im Übrigen sind die Unterschiede zum bisher Besprochenen gering.

15.8.1 Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei den anoxygenen Photosystemen Die anoxygene Photosynthese findet nur mit jeweils einem Photosystem statt, welches Bakteriochlorophyll statt Chlorophyll enthält. Die Reaktionszentren vom Typ I und II sind einfacher gebaut als die bei Pflanzen, sie sind aber evolutionär gesehen deren Vorläufer. Nach der lichtgetriebenen Ladungstrennung führt ein zyklischer Elektronentransport das Elektron zurück in das oxidierte Reaktionszentrum. Die Elektronentransportkette ist vergleichbar mit derjenigen der oxygenen Photosynthese; ihr Herzstück ist ein Cytochrom-bc1-Komplex – analog zum Cytochrom-b6f-Komplex der Chloroplasten und Cyanobakterien. Er koppelt den Durchgang eines Elektrons an das Ausschleusen von 2 H+ nach außen (Plus 8.5) (S. 281). Das so erzeugte Protonenpotenzial wird von der H+-ATP-Synthase für die Synthese von ATP genutzt. Plastocyanin wird durch ein kleines lösliches Cytochrom c (z. B. Cyt c2) im periplasmatischen Raum ersetzt (▶ Abb. 15.27).

●V

Quantenbedarf und Wirkungsgrad der Photosynthese Als Quantenbedarf bezeichnet man die Anzahl von Photonen des Lichts (Quanten), die benötigt werden, um 1 Molekül O2 zu entwickeln. Zur Photolyse des Wassers werden 4 Photonen für 1 O2 benötigt. Die Reduktion von 2 NADP+ im Photosystem I erfordert nochmals 4 Photonen. Daraus ergibt sich ein Quantenbedarf von 8. Im Experiment werden Werte von 8–10 Quanten gefunden. Die Abschätzung von 8 Quanten ist ein Minimalwert; der wahre Wert wird immer höher ausfallen, je nach Ausmaß der zyklischen Photophosphorylierung und der Dichtigkeit der Membran. Nimmt man einen Quantenbedarf von 8, die Bildung von 2 NADPH (2 H2O + 2 NADP+ → O2 + 2 NADPH + 2 H+; 2 × 220 kJ) und von 3 ATP (3 ADP + 3 Pi → 3 ATP + 3 H2O; 3 × 50 kJ) pro 1 O2 an, so wird von der eingestrahlten Energie (8 × 175 kJ) etwa 40 % in Form von chemischer Energie (NADPH und ATP) gespeichert.

Die zwei Photosysteme unterschieden sich – energetisch betrachtet – hauptsächlich darin, dass ihre Komponenten in verschiedenen Bereichen der Redoxpotenzialskala angesiedelt sind (▶ Abb. 15.28). Die Redoxpotenziale der Reaktionszentren, BChl/oxidiertes BChl+, sind bei Photosystem II nach der positiven Seite (aber nicht so positiv wie bei Cyanobakterien und Chloroplasten), bei Photosystem I nach der negativen Seite hin verschoben. Das Gleiche gilt sinngemäß für die Elektronenakzeptoren nach der Ladungstrennung. Diese sind ein Chinon bei Photosystem II, das mit dem Chinonpool der Membran austauscht, und ein FeS-Protein bei Photosystem I, das in Verbindung mit Ferredoxin steht. Auch andere Glieder der Elektronentransportkette wie die Chinone und die periplasmatischen Cytochrome werden diesem unterschiedlichen Redoxpotenzialbereich angepasst. Um bei einem zyklischen Elektronentransport netto NAD(P)H als Reduktionsmittel für die CO2-Fixierung zu bilden, müssen externe Elektronendonatoren verwendet werden. Hier besteht ein wesentlicher Unterschied zur oxygenen Photosynthese der Cyanobakterien. Anoxygene phototrophe Bakterien sind abhängig von reduzierten (meist anorganischen) Verbindungen. Die Verbindungen werden von gewöhnlichen Enzymen – Dehydrogenasen, wie man sie z. B. vom Stoffwechsel von chemolithotrophen Bakterien her kennt – oxidiert und die Elektronen werden in der Regel auf der Stufe der Chinone, in manchen Fällen auf der Stufe von Cytochrom c in die Elektronentransportkette eingeschleust. Beispielsweise leitet das Enzym, das H2S oxidiert, die Reduktionsäquivalente in den Chinonpool. Wie NAD(P)+ mit reduziertem Chinon reduziert wird, hängt vom Photosystem ab. Bakterien mit Photosystem II nutzen den lichtgetriebenen Protonengradienten, um NAD(P)+ mit reduziertem Chinon zu reduzieren. Das viel negativere Redoxpotenzial der Pyridinnukleotide erfordert einen rückläufigen (revertierten) Elektronentransport, bei dem die Reaktion

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15.8 Anoxygene Photosynthese

Plus 15.9 Bilanz der Lichtreaktion Die Bilanz der Lichtreaktion pro 4 Elektronen sieht im Idealfall folgendermaßen aus (vgl. ▶ Abb. 15.24): Vier H+ werden bei der Spaltung zweier Wassermoleküle nach außen (bzw. ins Lumen der Thylakoide) abgegeben, 8 H+ werden durch den Cytochrom-b6f-Komplex mit Q-Zyklus ebenfalls nach außen (bzw. ins Lumen) gepumpt. Wenn die ATPSynthase (S. 282) 4 H+/ATP benötigt, ergibt sich als Ausbeute 3 ATP und 2 NADPH. Pro Mol O2 werden also 3 ATP und 2 NADPH gebildet. Zwischen den Redoxpartnern Wasser und NADP+ liegt eine Potenzialdifferenz von 1,14 V. Allein für die Reduktion von 1 mol NADP+ sind bei einem (nicht erreichbaren) Wirkungsgrad von 100 % schon 220 kJ erforderlich. Das energetische Äquivalent von 1 mol Photonen der Wellenlänge 680 nm ist aber nur 175 kJ (Energie eines Mol Lichtquanten = N h ν). Da NADP+-Reduktion und ATPSynthese gleichzeitig ablaufen, bedarf der Gesamtvorgang zahlreicher Lichtquanten.

15.8 Anoxygene Photosynthese Die Photosysteme der anoxygenen phototrophen Bakterien funktionieren nur bei niedrigem Partialdruck von Sauerstoff und ihre Bildung erfordert Licht und ebenfalls niedrigen Sauerstoffpartialdruck (vgl. aber aerobe anoxygene phototrophe Bakterien) (S. 478). Die Wasserspaltung, welche Elektronen aus einem unerschöpflichen Molekül bezieht und die ein Hintereinanderschalten der beiden Photosysteme und damit die Reduktion von NAD(P)+ ermöglicht, fehlt. Im Übrigen sind die Unterschiede zum bisher Besprochenen gering.

15.8.1 Gemeinsamkeiten und Unterschiede bei den anoxygenen Photosystemen Die anoxygene Photosynthese findet nur mit jeweils einem Photosystem statt, welches Bakteriochlorophyll statt Chlorophyll enthält. Die Reaktionszentren vom Typ I und II sind einfacher gebaut als die bei Pflanzen, sie sind aber evolutionär gesehen deren Vorläufer. Nach der lichtgetriebenen Ladungstrennung führt ein zyklischer Elektronentransport das Elektron zurück in das oxidierte Reaktionszentrum. Die Elektronentransportkette ist vergleichbar mit derjenigen der oxygenen Photosynthese; ihr Herzstück ist ein Cytochrom-bc1-Komplex – analog zum Cytochrom-b6f-Komplex der Chloroplasten und Cyanobakterien. Er koppelt den Durchgang eines Elektrons an das Ausschleusen von 2 H+ nach außen (Plus 8.5) (S. 281). Das so erzeugte Protonenpotenzial wird von der H+-ATP-Synthase für die Synthese von ATP genutzt. Plastocyanin wird durch ein kleines lösliches Cytochrom c (z. B. Cyt c2) im periplasmatischen Raum ersetzt (▶ Abb. 15.27).

●V

Quantenbedarf und Wirkungsgrad der Photosynthese Als Quantenbedarf bezeichnet man die Anzahl von Photonen des Lichts (Quanten), die benötigt werden, um 1 Molekül O2 zu entwickeln. Zur Photolyse des Wassers werden 4 Photonen für 1 O2 benötigt. Die Reduktion von 2 NADP+ im Photosystem I erfordert nochmals 4 Photonen. Daraus ergibt sich ein Quantenbedarf von 8. Im Experiment werden Werte von 8–10 Quanten gefunden. Die Abschätzung von 8 Quanten ist ein Minimalwert; der wahre Wert wird immer höher ausfallen, je nach Ausmaß der zyklischen Photophosphorylierung und der Dichtigkeit der Membran. Nimmt man einen Quantenbedarf von 8, die Bildung von 2 NADPH (2 H2O + 2 NADP+ → O2 + 2 NADPH + 2 H+; 2 × 220 kJ) und von 3 ATP (3 ADP + 3 Pi → 3 ATP + 3 H2O; 3 × 50 kJ) pro 1 O2 an, so wird von der eingestrahlten Energie (8 × 175 kJ) etwa 40 % in Form von chemischer Energie (NADPH und ATP) gespeichert.

Die zwei Photosysteme unterschieden sich – energetisch betrachtet – hauptsächlich darin, dass ihre Komponenten in verschiedenen Bereichen der Redoxpotenzialskala angesiedelt sind (▶ Abb. 15.28). Die Redoxpotenziale der Reaktionszentren, BChl/oxidiertes BChl+, sind bei Photosystem II nach der positiven Seite (aber nicht so positiv wie bei Cyanobakterien und Chloroplasten), bei Photosystem I nach der negativen Seite hin verschoben. Das Gleiche gilt sinngemäß für die Elektronenakzeptoren nach der Ladungstrennung. Diese sind ein Chinon bei Photosystem II, das mit dem Chinonpool der Membran austauscht, und ein FeS-Protein bei Photosystem I, das in Verbindung mit Ferredoxin steht. Auch andere Glieder der Elektronentransportkette wie die Chinone und die periplasmatischen Cytochrome werden diesem unterschiedlichen Redoxpotenzialbereich angepasst. Um bei einem zyklischen Elektronentransport netto NAD(P)H als Reduktionsmittel für die CO2-Fixierung zu bilden, müssen externe Elektronendonatoren verwendet werden. Hier besteht ein wesentlicher Unterschied zur oxygenen Photosynthese der Cyanobakterien. Anoxygene phototrophe Bakterien sind abhängig von reduzierten (meist anorganischen) Verbindungen. Die Verbindungen werden von gewöhnlichen Enzymen – Dehydrogenasen, wie man sie z. B. vom Stoffwechsel von chemolithotrophen Bakterien her kennt – oxidiert und die Elektronen werden in der Regel auf der Stufe der Chinone, in manchen Fällen auf der Stufe von Cytochrom c in die Elektronentransportkette eingeschleust. Beispielsweise leitet das Enzym, das H2S oxidiert, die Reduktionsäquivalente in den Chinonpool. Wie NAD(P)+ mit reduziertem Chinon reduziert wird, hängt vom Photosystem ab. Bakterien mit Photosystem II nutzen den lichtgetriebenen Protonengradienten, um NAD(P)+ mit reduziertem Chinon zu reduzieren. Das viel negativere Redoxpotenzial der Pyridinnukleotide erfordert einen rückläufigen (revertierten) Elektronentransport, bei dem die Reaktion

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Phototrophe Lebensweise bc1-Komplex

PSII

ATP-Synthase +

Pi + ADP 4H 2H+

ATP

2H+

2 hν

CF1 Innenraum QA

AK

Fe

QB

QH2 Cyt b

Bph CF0

FeS BChl e– (BChl)2 = P870 2x

Cyt c1

Q Außenraum Cyt c2 4H+

-1200

-800

E°’ [mV]

4H+

Photosystem II

Photosystem I e–

P870*

Fe/S e–

Ferredoxin

NADH

NADH 0

Chinon

Chinon H2S Cytbc1 Cytc553

H2S

Cytbc1 400 P870 O2/H2O 800

P840

Cytc2

Purpurbakterien, Chloroflexus

Chlorobium, Heliobacterium

der NADH:Ubichinon-Oxidoreduktase (Komplex I der Atmungskette) (S. 279) unter Verwendung des Protonengradienten umgekehrt wird. Auch Bakterien mit Photosystem I müssen NAD(P)+ mit reduzierten Chinonen oder mit Cytochrom c reduzieren. Hier gibt es aber einen wesentlichen Unterschied. Elektronen fließen von diesen Elektronenüberträgern zum Reaktionszentrum und werden dann lichtabhängig auf die Stufe von Ferredoxin angehoben. Von dort aus kann leicht NAD(P)+ direkt reduziert werden, es braucht keinen rückläufigen Elektronentransport.

15.8.2 Photosysteme vom Typ II (Chinon-Typ) und vom Typ I (FeS-Typ) Photosystem II Das Photosystem II der anoxygen phototrophen Bakterien entspricht im Aufbau dem pflanzlichen und cyanobakteriellen System II. Die zentralen Proteine D 1 und D 2 werden hier L und M genannt (▶ Abb. 15.27). Das Absorptionsmaximum von Bakteriochlorophyll ist gegen 870 nm in den Infrarotbereich verschoben. Das spezielle Chlorophyllpaar im Reaktionszentrum besteht aus BChl a oder

490

Abb. 15.28 Schematische Gegenüberstellung der Photosysteme II und I der anoxygen phototrophen Bakterien. Als externer Elektronendonator ist in diesem Beispiel H2S gewählt; es liefert Elektronen auf der Stufe der Chinone an.

P840*

H2/2 H+ -400

Abb. 15.27 Prinzip eines anoxygenen bakteriellen Photosystems. Die Abbildung zeigt die Anordnung der Pigmente und Redoxkomponenten im photosynthetischen Reaktionszentrum von Rhodopseudomonas viridis (Photoystem II). Die Protonenstöchiometrie ist für 2 Lichtquanten und 2 Elektronen gezeichnet. BChl, Bakteriochlorophyll; BPh, Bakteriophäophytin. Chloroflexus besitzt statt des Cytochrom-bc1Komplexes einen alternativen Komplex III (Menachinol:Auracyanin-Oxidoreduktase) und ein kleines blaues Kupferprotein (Auracyanin), das dem Plastocyanin der Cyanobakterien entspricht. AK, Antennenkomplex; Q, Chinon; Cyt c2, Cytochrom c2; CF, ATP-Synthase.

b. Die Energie eines Lichtquants der Wellenlänge 870 nm kann immerhin noch ein Elektron um maximal 1,4 V auf ein negativeres Potenzial anheben. Auch hier wird trotz nahezu symmetrischer Anordnung der Proteine und der gebundenen Pigmente und Elektronenüberträger nur die eine Seite (L-Seite) verwendet. Der zyklische, lichtgetriebene Elektronentransport konkurriert mit dem respiratorischen Elektronentransport, jedoch findet Photosynthese in der Regel nur in Abwesenheit von Sauerstoff statt.

Photosystem I Das bakterielle Photosystem I entspricht prinzipiell dem pflanzlichen Photosystem I. Das spezielle Chlorophyllpaar der Grünen Schwefelbakterien [BChl a]2, P840 (E0 = + 1,2 V) liefert das Elektron über ein weiteres Bakteriochlorophyll, Menachinon und Eisen-Schwefel-Zentrum Fx an die Eisen-Schwefel-Zentren FA/FB (E0 = –0,54 V); von dort gelangt es über Ferredoxin (E0 = –0,41 V) auf NAD(P)+ (▶ Abb. 15.29). NADH wird durch die NADH:Menachinon-Oxidoreduktase oxidiert und Menachinon (ein Naphthochinon) übernimmt die Rolle der Benzochinone in der Elektronentransportkette. Direkter Elektronendonator für das Reaktionszentrum ist Cytochrom c553. Eine Abwandlung des Prinzips findet man bei den Heliobakterien. Hier ist BChl g als Antenne dem Reaktions-

15.9 Bakteriorhodopsin- und proteorhodopsinabhängige Photosynthese

Abb. 15.29 Aufbau von Photosystem I in Grünen Schwefelbakterien. AK, Antennenkomplex; A0, primärer Akzeptor (ein Bakteriochlorophyll); MQ, Menachinon; F. EisenSchwefel-Komplex; Fd, Ferredoxin; FNR, Ferredoxin:NADP+-Reduktase; [Cyt c]4, Tetracytochromeinheit; ATP-Synthase (CF, für engl. coupling factor).

Pi + ADP 4H+ ATP NADP+

NADPH

2 hν

FNR 2 H+

CF1

2H+

Innenraum



FX

AK

FA/FB

Fd

2e

MQH2

MQ

Cyt bc1Komplex

PSI A0

CF0

e– (BChl a)2=P840 2x

Außenraum [Cyt c]4 4H+

zentrum angegliedert. Die Anregungsenergie gelangt über verschiedene Bakteriochlorophyllderivate zum speziellen Paar [BChl g]2, P798, und von dort über ein anderes Chlorophyll auf ein Eisen-Schwefel-Zentrum. NADH-Bildung und Elektronentransport zurück zum Reaktionszentrum sind vergleichbar mit dem System in Grünen Schwefelbakterien.

15.9 Bakteriorhodopsin- und proteorhodopsinabhängige Photosynthese Es ist bemerkenswert, dass in Archaea keine echte Photosynthese gefunden wurde. Jedoch nutzen die zu den Archaea zählenden Halobakterien das Licht auf vielfältige Weise. Diese hoch angepassten, heterotroph lebenden Bakterien kommen in extrem salzhaltigen Gewässern wie z. B. Salinen vor, in denen Meersalz gewonnen wird. Sie tolerieren nicht nur, sondern benötigen 3,5–5 M NaCl zum Wachstum. Ihr Cytoplasma hat eine ähnlich hohe Ionenkonzentration, jedoch überwiegt hier K+. Auch ihre Proteine benötigen 2 M Salz zur Aufrechterhaltung ihrer Struktur. Halobakterien lassen sich leicht aus frischem Meersalz isolieren. Sie verfügen über Pigmente, die mit dem Rhodopsin des Sehpurpurs verwandt sind und die Lichtenergie in dreierlei Weise umwandeln. Einerseits wird durch Bakteriorhodopsin in einer lichtabhängigen Reaktion ein Protonengradient erzeugt. Bakteriorhodopsin besteht aus einem Membranprotein mit sieben transmembranen α-Helices, an das in der Mitte ein Pigment kovalent gebunden ist. Es wird bei niedriger Sauerstoffkonzentration gebildet und ist in der Plasmamembran in schollenartigen Arealen als sogenannte Purpurmembran organisiert. Es handelt sich um dunkelrote Flecken von ca. 0,5 μm Durchmesser, welche die Hälfte der Cytoplasmamembran bedecken. Deren rote Farbe und der hohe Carotinoidgehalt sind auch verantwortlich für die oftmals sichtbare Rotfärbung der Standorte (▶ Abb. 1.8b), an denen Halobakterien sich massenhaft vermehren.

4H+

H+



Purpurmembran

Pi + ADP

H+

ATP

H+ Außenseite

N Purpurmembran

Lys

13-cis-Retinal ms

hν ps

13 15 14

N H+

Lys

all-trans-Retinal Innenseite

H+

Abb. 15.30 Nutzung von Lichtenergie durch Halobakterien. In den purpurnen Membranflecken befindet sich das Bakteriorhodopsin. Das Pigment ist Retinal, das durch Licht isomerisiert wird. ps, Picosekunden; ms, Millisekunden. (aus Doenecke et al., Karlsons Biochemie, Thieme, 2005)

Der Photorezeptor ist Retinal (ein Aldehyd), das als Schiff-Base an die ε-Aminogruppe eines Lysins des Proteins gebunden ist. Der Stickstoff des Lysinrestes ist vom Zellinneren her für Protonen zugänglich und liegt protoniert vor. Das Retinal erfährt durch Absorption von Lichtquanten eine all-trans-13-cis-Umlagerung (▶ Abb. 15.30). Der Prozess entspricht demjenigen des Sehvorgangs, bei dem aber durch Licht das 11-cis-Isomer des Retinals in das all-trans-Isomer umgelagert wird.

1

15.9 Bakteriorhodopsin- und proteorhodopsinabhängige Photosynthese

Abb. 15.29 Aufbau von Photosystem I in Grünen Schwefelbakterien. AK, Antennenkomplex; A0, primärer Akzeptor (ein Bakteriochlorophyll); MQ, Menachinon; F. EisenSchwefel-Komplex; Fd, Ferredoxin; FNR, Ferredoxin:NADP+-Reduktase; [Cyt c]4, Tetracytochromeinheit; ATP-Synthase (CF, für engl. coupling factor).

Pi + ADP 4H+ ATP NADP+

NADPH

2 hν

FNR 2 H+

CF1

2H+

Innenraum



FX

AK

FA/FB

Fd

2e

MQH2

MQ

Cyt bc1Komplex

PSI A0

CF0

e– (BChl a)2=P840 2x

Außenraum [Cyt c]4 4H+

zentrum angegliedert. Die Anregungsenergie gelangt über verschiedene Bakteriochlorophyllderivate zum speziellen Paar [BChl g]2, P798, und von dort über ein anderes Chlorophyll auf ein Eisen-Schwefel-Zentrum. NADH-Bildung und Elektronentransport zurück zum Reaktionszentrum sind vergleichbar mit dem System in Grünen Schwefelbakterien.

15.9 Bakteriorhodopsin- und proteorhodopsinabhängige Photosynthese Es ist bemerkenswert, dass in Archaea keine echte Photosynthese gefunden wurde. Jedoch nutzen die zu den Archaea zählenden Halobakterien das Licht auf vielfältige Weise. Diese hoch angepassten, heterotroph lebenden Bakterien kommen in extrem salzhaltigen Gewässern wie z. B. Salinen vor, in denen Meersalz gewonnen wird. Sie tolerieren nicht nur, sondern benötigen 3,5–5 M NaCl zum Wachstum. Ihr Cytoplasma hat eine ähnlich hohe Ionenkonzentration, jedoch überwiegt hier K+. Auch ihre Proteine benötigen 2 M Salz zur Aufrechterhaltung ihrer Struktur. Halobakterien lassen sich leicht aus frischem Meersalz isolieren. Sie verfügen über Pigmente, die mit dem Rhodopsin des Sehpurpurs verwandt sind und die Lichtenergie in dreierlei Weise umwandeln. Einerseits wird durch Bakteriorhodopsin in einer lichtabhängigen Reaktion ein Protonengradient erzeugt. Bakteriorhodopsin besteht aus einem Membranprotein mit sieben transmembranen α-Helices, an das in der Mitte ein Pigment kovalent gebunden ist. Es wird bei niedriger Sauerstoffkonzentration gebildet und ist in der Plasmamembran in schollenartigen Arealen als sogenannte Purpurmembran organisiert. Es handelt sich um dunkelrote Flecken von ca. 0,5 μm Durchmesser, welche die Hälfte der Cytoplasmamembran bedecken. Deren rote Farbe und der hohe Carotinoidgehalt sind auch verantwortlich für die oftmals sichtbare Rotfärbung der Standorte (▶ Abb. 1.8b), an denen Halobakterien sich massenhaft vermehren.

4H+

H+



Purpurmembran

Pi + ADP

H+

ATP

H+ Außenseite

N Purpurmembran

Lys

13-cis-Retinal ms

hν ps

13 15 14

N H+

Lys

all-trans-Retinal Innenseite

H+

Abb. 15.30 Nutzung von Lichtenergie durch Halobakterien. In den purpurnen Membranflecken befindet sich das Bakteriorhodopsin. Das Pigment ist Retinal, das durch Licht isomerisiert wird. ps, Picosekunden; ms, Millisekunden. (aus Doenecke et al., Karlsons Biochemie, Thieme, 2005)

Der Photorezeptor ist Retinal (ein Aldehyd), das als Schiff-Base an die ε-Aminogruppe eines Lysins des Proteins gebunden ist. Der Stickstoff des Lysinrestes ist vom Zellinneren her für Protonen zugänglich und liegt protoniert vor. Das Retinal erfährt durch Absorption von Lichtquanten eine all-trans-13-cis-Umlagerung (▶ Abb. 15.30). Der Prozess entspricht demjenigen des Sehvorgangs, bei dem aber durch Licht das 11-cis-Isomer des Retinals in das all-trans-Isomer umgelagert wird.

1

Phototrophe Lebensweise Die lichtgetriebene Umlagerung in die energiereichere cis-Konfiguration führt im Protein zu Konformationsänderungen, bei denen die Seitenkette des Lysinrestes Zugang zur Außenseite bekommt. Gleichzeitig wird der pKa-Wert des Lysinrestes erhöht, sodass dessen protonierte Form das Proton nach außen abgibt. Beide Effekte zusammen bewirken, dass eine Protonentranslokation über die Plasmamembran von innen nach außen erfolgt. Die Rückkehr in den Ausgangszustand erfolgt langsamer und spontan und die Schiff-Base nimmt von der Cytoplasmaseite erneut ein Proton auf. Ein neuer Zyklus kann beginnen. Der Protonengradient wird von der ATP-Synthase zur Synthese von ATP genutzt. Er kann aber auch für den Export von Na+-Ionen via Na+/H+-Antiport in die salzreiche Umgebung genutzt werden. Ein bemerkenswerter Unterschied zu anderen Photosystemen besteht darin, dass hier eine lichtgetriebene Protonenpumpe ohne Beteiligung eines Redoxprozesses funktioniert. Andererseits ist an die Funktion von Halorhodopsin eine Anionenpumpe gekoppelt, die Chlorid-Ionen durch die Plasmamembran nach innen pumpt; Cl– wirkt als ein

Gegenanion für die K+- und Na+-Kationen, die in hohen Konzentrationen vorliegen. Darüber hinaus kann ein weiteres sensorisches Bakteriorhodopsin Lichtenergie in ein Signal umsetzen, das die Bewegungsrichtung steuert. Auch der Flagellenmotor wird durch den lichtgetriebenen Protonengradienten angetrieben. Dies ermöglicht den Bakterien das phototaktische Auffinden der Regionen optimaler Lichtbedingungen. Hierzu verhelfen auch linsenförmige Gasvesikel, mit deren Hilfe sie die Schwebdichte der Zelle einstellen können. Proteorhodopsin ist ein dem Bakteriorhodopsin ähnliches retinalbindendes Membranprotein, das ebenfalls als lichtgetriebene Protonenpumpe funktioniert. Es wurde in verschiedenen planktonischen Proteobakterien im Oberflächenwasser der Ozeane gefunden. Man schätzt, dass mehrere Prozent des Bakterienplanktons diese Energiequelle nutzen. Der bekannteste Vertreter ist Pelagibacter ubique, das betreffende Proteorhodopsingen wurde aber auch auf Vertreter der Archaea (Thermoproteales) übertragen. Es gibt verwandte Proteorhodopsine mit unterschiedlichem Absorptionsmaximum.

M ●

Zusammenfassung ●











492

Die Photosynthese ist ein lichtgetriebener Redoxprozess und nutzt Lichtenergie, um an Membranen primär einen Protonengradienten aufzubauen. Durch Lichtenergie angeregtes Chlorophyll im Reaktionszentrum spaltet ein Elektron ab, das auf ein Akzeptormolekül mit negativerem Redoxpotenzial angehoben wird. Nach der Ladungstrennung kehrt das Elektron über eine Elektronentransportkette unter Beteiligung des Cytochrom-bc1-Komplexes oder des homologen Cytochromb6f-Komplexes in das oxidierte Reaktionszentrum zurück. Dabei wird – wie bei der Atmung – ein Protonengradient aufgebaut. Dieser wird für die Synthese von ATP genutzt. Phototrophe Bakterien findet man in sechs verschiedenen Bakterienstämmen. Unter oxischen Bedingungen überwiegen die Cyanobakterien. Sie betreiben eine oxygene Photosynthese und beziehen die Elektronen für die CO2-Fixierung aus dem Wasser. Unter anoxischen Bedingungen leben Vertreter der Proteobakterien (Purpurbakterien), der Grünen Schwefelbakterien, der Grünen Nicht-Schwefelbakterien, der grampositiven Heliobakterien und der Acidobacteria. Sie betreiben eine anoxygene Photosynthese und verwenden reduzierte anorganische oder organische Verbindungen als Elektronendonatoren für die CO2-Fixierung. Die photosynthetischen Pigmente sind Chlorophyll (Cyanobakterien) und verschiedene Bakteriochlorophylle. Hinzu kommen Carotinoide und (bei Cyanobakterien) Phycobiline als akzessorische Pigmente. Der Photosyntheseapparat besteht aus Antennen, Reaktionszentrum, Elektronentransportkomponenten und H+-ATP-Synthase. Er ist in vielen Fällen auf intracytoplasmatischen Membranen lokalisiert. Die Lichtenergie wird durch Antennen gesammelt und den (Bakterio)Chlorophyllmolekülen der Reaktionszentren als Excitonen zugeleitet. Häufig übernehmen ring-

Lite







förmige Lichterntekomplexe in der Membran die Form von Antennen. Grüne Schwefel- und Grüne Nicht-Schwefelbakterien besitzen Chlorosomen, Cyanobakterien besitzen Phycobilisomen als Antennen. In Cyanobakterien, wie in grünen Pflanzen und Algen, ist der Photosyntheseapparat in der Thylakoidmembran lokalisiert. Ihre oxygene Photosynthese verwendet zwei Photosysteme. Bei Photosystem II wird das abgeführte Elektron durch Oxidation von Wasser unter O2-Freisetzung ersetzt. Wasserspaltung und Elektronentransport zwischen Photosystem II und I werden zur Erzeugung eines Protonengradienten benutzt. Photosystem I hebt das Elektron dann auf ein noch negativeres Potenzial und ermöglicht die NADP+-Reduktion. Die anoxygene Photosynthese verwendet nur ein Photosystem. Es arbeitet ohne Wasserspaltung und benutzt einen zyklischen Elektronenfluss, um das für die Energiekonservierung notwendige Protonenpotenzial zu erzeugen. Zur Reduktion von NAD(P)+ werden anorganische oder organische Substrate oxidiert. Vertreter mit Typ II (Chinon-Typ) sind die photosynthetisierenden Proteobakterien (Purpurbakterien) sowie die Grünen Nicht-Schwefelbakterien. Sie verwenden einen rückläufigen (revertierten) Elektronentransport, um NAD(P)H zu bilden. Daneben gibt es Photosysteme vom Typ I (FeS-Typ) bei Grünen Schwefelbakterien und Heliobakterien. Photosysteme I reduzieren direkt NAD(P)+, sie benötigen für die NADPH-Bildung keinen revertierten Elektronentransport. Ein besonders einfaches, chlorophyllfreies Photosystem stellt das Bakteriorhodopsin der Halobakterien dar. Ein ähnliches System, Proteorhodopsin, findet sich in marinen Proteobakterien. Diese einfachen Systeme mit Retinal als Pigment wirken als lichtgetriebene Protonenpumpen, der erzeugte Protonengradient kann zur ATP-Synthese genutzt werden.

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Kapitel 16 Regulation des Stoffwechsels und des Zellaufbaus von Bakterien

16.1

Überblick

494

16.2

Aufrechterhaltung des Zellmilieus und Antwort auf Änderungen

494

16.3

Mechanismen zur Anpassung und Änderung des Zellaufbaus

495

16.4

Reizaufnahme und Reizverarbeitung 504

16.5

Regulation von Katabolismus und Energiestoffwechsel

506

16.6

Regulation der Stickstoffassimilierung

512

16.7

Stringente Kontrolle und generelle Stressantwort

514

16.8

Spezifische Stressreaktionen

517

16.9

Interzelluläre Kommunikation und Zelldichteregulation (Quorum Sensing)

521

16.10 Chemotaxis

523

16.11 Differenzierung bei Bakterien

524

Regulation von Stoffwechsel und Zellaufbau

16 Regulation des Stoffwechsels und des Zellaufbaus von Bakterien Gottfried Unden

16.1 Überblick Bezogen auf ihr Zellvolumen haben Bakterien eine große Oberfläche. Sie sind damit ihrer Umwelt intensiv ausgesetzt. Außerdem ist es ihnen kaum möglich, das extrazelluläre Milieu konstant zu halten; sie müssen deshalb Zellaufbau und -funktionen schnell an veränderte Verhältnisse anpassen. Die Fähigkeit zur Regulation des Stoffwechsels, der Aufrechterhaltung des inneren Milieus (Homöostase) und der Zellzusammensetzung ist eine wichtige Voraussetzung für Überleben und optimales Wachstum. In vielen Kapiteln wurde auf die Wichtigkeit der Regulation der Stoffwechselprozesse hingewiesen. Die Zelle betreibt für diese Regulation einen beträchtlichen Aufwand; so besitzt E. coli mehrere Hundert Gene – das sind 5–10 % aller Gene –, deren Produkte regulatorische oder sensorische Funktion haben. Für das Verständnis der Biologie der Mikroorganismen ist deshalb die Regulation ein wichtiges Thema. Wir können in diesem Kapitel auf viele Grundlagen der Molekularbiologie (S. 178) zurückgreifen. Auch in den Stoffwechselkapiteln haben wir wiederholt Bezug auf die Regulation genommen. Viele Bakterien besitzen einen vielseitigen Stoffwechsel. Fakultativ anaerobe Bakterien können durch aerobe Respiration, anaerobe Respiration oder Gärung Energie für das Wachstum gewinnen und stellen sich so auf das Sauerstoff- und Nährstoffangebot ein. Änderungen der Temperatur, des pH-Wertes, der Osmolarität, der Art der Stickstoffquelle und anderer Parameter erfordern weitere Anpassungen. Bakterien registrieren diese Parameter und adaptieren an neue Bedingungen. Dazu ist eine aufwendige Ausstattung an sensorischen und regulatorischen Proteinen notwendig. Enzyme des Bau- und Energiestoffwechsels werden meist nur bei Bedarf gebildet. Dies ist nicht nur ökonomisch, sondern stellt auch sicher, dass keine konkurrierenden und sich gegenseitig schädigenden Reaktionen ablaufen. Außerdem können Bakterien aus Platzgründen nicht die Proteine für alle alternativen Wege gleichzeitig in optimaler Konzentration enthalten. Nur wenige Gene werden nicht über ihre Expression reguliert, wie z. B. die Gene der Glykolyse, die konstitutiv exprimiert werden (Haushaltsgene). Neben klassischen Mechanismen der posttranslationalen Regulation von Enzymaktivitäten werden Transkriptions- und Translationskontrolle und viele weitere Mechanismen zur Steuerung von Genfunktionen eingesetzt. Um die Aktivität von Genen und Proteinen zu regulieren, wird die DNA-Struktur durch Rekombination oder chemische Modifikation verändert, regulatorische RNA syn-

494

thetisiert und Proteine gezielt abgebaut. Die Regulationsmechanismen der verschiedenen Organismen sind umso unterschiedlicher, je weiter die betreffenden Organismen systematisch voneinander entfernt sind.

16.2 Aufrechterhaltung des Zellmilieus und Antwort auf Änderungen Die bakterielle Zelle benötigt für ihre Funktion eine Vielzahl unterschiedlicher Leistungen, die von einer Vielzahl von Komponenten wie Proteinen, Cofaktoren, Nukleinsäuren, Lipiden und äußeren Zellhüllen erbracht werden. Alle diese Komponenten sind auf bestimmte Reaktionsund Umgebungsparameter optimiert; diese dürfen in der Zelle nur in eingeschränktem Maße verändert werden, um einen Funktionsverlust oder Störungen zu vermeiden. Die wichtigsten dieser allgemeinen Reaktionsparameter, die in der Zelle konstant gehalten werden müssen, sind der pH-Wert, die Osmolarität und der Redoxstatus; hinzu kommt die Anpassung an die Temperatur. Die Zellen besitzen einen bestimmten Spielraum, innerhalb dessen sich diese Parameter ohne großen Funktionsverlust ändern dürfen. Der optimale Bereich (S. 231) kann in Grenzen variieren. Bei Überschreiten eines Toleranzbereichs wird die Zelle versuchen, den optimalen Bereich wieder einzustellen (Homöostase). Dazu dienen Vorrichtungen, um diese Parameter zu messen, und Mechanismen, um den optimalen Bereich wieder einzustellen. Umfang und Art der sensorischen und der korrigierenden Mechanismen können in verschiedenen Bakterien in recht unterschiedlicher Art und unterschiedlichem Ausmaß vorhanden sein (Plus 16.1). Bakterien müssen sich auch auf ein wechselndes Nährstoffangebot einstellen, um ihren Energie- und Baustoffwechsel zu regulieren und alternative Stoffwechselwege zu koordinieren. Dies gilt auch für die Koordination des Energie- und Baustoffwechsels. Prokaryonten sind im Wesentlichen Einzeller. Trotzdem stehen viele Mikroorganismen im Austausch mit anderen Mikroben und anderen Zellen der Umgebung und koordinieren Wachstum und verschiedene Reaktionen durch eine Zell-Zell-Kommunikation. Diese erfolgt zwischen frei lebenden Einzelzellen, aber auch zwischen Zellen in Zellverbänden, Kolonien und Biofilmen. Darüber hinaus ist eine Reihe von Prokaryonten in der Lage, eine ausgeprägte Differenzie-

Regulation von Stoffwechsel und Zellaufbau

16 Regulation des Stoffwechsels und des Zellaufbaus von Bakterien Gottfried Unden

16.1 Überblick Bezogen auf ihr Zellvolumen haben Bakterien eine große Oberfläche. Sie sind damit ihrer Umwelt intensiv ausgesetzt. Außerdem ist es ihnen kaum möglich, das extrazelluläre Milieu konstant zu halten; sie müssen deshalb Zellaufbau und -funktionen schnell an veränderte Verhältnisse anpassen. Die Fähigkeit zur Regulation des Stoffwechsels, der Aufrechterhaltung des inneren Milieus (Homöostase) und der Zellzusammensetzung ist eine wichtige Voraussetzung für Überleben und optimales Wachstum. In vielen Kapiteln wurde auf die Wichtigkeit der Regulation der Stoffwechselprozesse hingewiesen. Die Zelle betreibt für diese Regulation einen beträchtlichen Aufwand; so besitzt E. coli mehrere Hundert Gene – das sind 5–10 % aller Gene –, deren Produkte regulatorische oder sensorische Funktion haben. Für das Verständnis der Biologie der Mikroorganismen ist deshalb die Regulation ein wichtiges Thema. Wir können in diesem Kapitel auf viele Grundlagen der Molekularbiologie (S. 178) zurückgreifen. Auch in den Stoffwechselkapiteln haben wir wiederholt Bezug auf die Regulation genommen. Viele Bakterien besitzen einen vielseitigen Stoffwechsel. Fakultativ anaerobe Bakterien können durch aerobe Respiration, anaerobe Respiration oder Gärung Energie für das Wachstum gewinnen und stellen sich so auf das Sauerstoff- und Nährstoffangebot ein. Änderungen der Temperatur, des pH-Wertes, der Osmolarität, der Art der Stickstoffquelle und anderer Parameter erfordern weitere Anpassungen. Bakterien registrieren diese Parameter und adaptieren an neue Bedingungen. Dazu ist eine aufwendige Ausstattung an sensorischen und regulatorischen Proteinen notwendig. Enzyme des Bau- und Energiestoffwechsels werden meist nur bei Bedarf gebildet. Dies ist nicht nur ökonomisch, sondern stellt auch sicher, dass keine konkurrierenden und sich gegenseitig schädigenden Reaktionen ablaufen. Außerdem können Bakterien aus Platzgründen nicht die Proteine für alle alternativen Wege gleichzeitig in optimaler Konzentration enthalten. Nur wenige Gene werden nicht über ihre Expression reguliert, wie z. B. die Gene der Glykolyse, die konstitutiv exprimiert werden (Haushaltsgene). Neben klassischen Mechanismen der posttranslationalen Regulation von Enzymaktivitäten werden Transkriptions- und Translationskontrolle und viele weitere Mechanismen zur Steuerung von Genfunktionen eingesetzt. Um die Aktivität von Genen und Proteinen zu regulieren, wird die DNA-Struktur durch Rekombination oder chemische Modifikation verändert, regulatorische RNA syn-

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thetisiert und Proteine gezielt abgebaut. Die Regulationsmechanismen der verschiedenen Organismen sind umso unterschiedlicher, je weiter die betreffenden Organismen systematisch voneinander entfernt sind.

16.2 Aufrechterhaltung des Zellmilieus und Antwort auf Änderungen Die bakterielle Zelle benötigt für ihre Funktion eine Vielzahl unterschiedlicher Leistungen, die von einer Vielzahl von Komponenten wie Proteinen, Cofaktoren, Nukleinsäuren, Lipiden und äußeren Zellhüllen erbracht werden. Alle diese Komponenten sind auf bestimmte Reaktionsund Umgebungsparameter optimiert; diese dürfen in der Zelle nur in eingeschränktem Maße verändert werden, um einen Funktionsverlust oder Störungen zu vermeiden. Die wichtigsten dieser allgemeinen Reaktionsparameter, die in der Zelle konstant gehalten werden müssen, sind der pH-Wert, die Osmolarität und der Redoxstatus; hinzu kommt die Anpassung an die Temperatur. Die Zellen besitzen einen bestimmten Spielraum, innerhalb dessen sich diese Parameter ohne großen Funktionsverlust ändern dürfen. Der optimale Bereich (S. 231) kann in Grenzen variieren. Bei Überschreiten eines Toleranzbereichs wird die Zelle versuchen, den optimalen Bereich wieder einzustellen (Homöostase). Dazu dienen Vorrichtungen, um diese Parameter zu messen, und Mechanismen, um den optimalen Bereich wieder einzustellen. Umfang und Art der sensorischen und der korrigierenden Mechanismen können in verschiedenen Bakterien in recht unterschiedlicher Art und unterschiedlichem Ausmaß vorhanden sein (Plus 16.1). Bakterien müssen sich auch auf ein wechselndes Nährstoffangebot einstellen, um ihren Energie- und Baustoffwechsel zu regulieren und alternative Stoffwechselwege zu koordinieren. Dies gilt auch für die Koordination des Energie- und Baustoffwechsels. Prokaryonten sind im Wesentlichen Einzeller. Trotzdem stehen viele Mikroorganismen im Austausch mit anderen Mikroben und anderen Zellen der Umgebung und koordinieren Wachstum und verschiedene Reaktionen durch eine Zell-Zell-Kommunikation. Diese erfolgt zwischen frei lebenden Einzelzellen, aber auch zwischen Zellen in Zellverbänden, Kolonien und Biofilmen. Darüber hinaus ist eine Reihe von Prokaryonten in der Lage, eine ausgeprägte Differenzie-

16.3 Mechanismen zur Anpassung und Änderung des Zellaufbaus

●V

Plus 16.1

Bedeutung der Regulation in vielseitigen Bakterien und in Spezialisten

In vielzelligen Organismen befinden sich Zellen in einer weitgehend konstanten Umgebung. Es gibt daher wenig Regulationsbedarf. Auch unter den Bakterien gibt es Spezialisten, die in speziellen Biotopen unter ziemlich konstanten Bedingungen wachsen. Sie zeigen eine geringere Stoffwechselvielfalt, sind auf diese Biotope begrenzt und haben nur wenige Gene, von denen ein großer Teil konstitutiv exprimiert wird. Beispiele für solche Spezialisten sind endosymbiontische Bakterien, die unter definierten Bedingungen in Wirtszellen wachsen. Endosymbionten, wie Buchnera, oder parasitische Bakterien, wie Mycoplasma genitalium, besitzen nur wenige (oft < 10) regulatorische Gene. Ein anderer Spezialist ist das autotrophe methanogene Archaebakterium Methanococcus jannaschii, das in heißen Quellen im Meer lebt. Es nutzt CO2 und H2, das aus diesen Quellen austritt, für den Energie- und Baustoffwechsel. Dagegen besitzen vielseitige Bakterien eine Vielzahl regulatorischer und sensorischer Proteine, die bis zu 10 % aller Proteine in der Zelle ausmachen können.

Wir haben in Kap. 8 die Regulation der Enzymaktivität durch Produkthemmung und durch allosterische Kontrolle kennengelernt. Diese Mechanismen greifen augenblicklich und sind reversibel; sie sind für die Steuerung der Stoffflüsse in einem statischen System ausreichend. Veränderungen der Umwelt erfordern aber systemische Änderungen der Zelle. Die Zelle kann die Bildung von aktiven Enzymen und allen anderen Zellkomponenten auf verschiedenen Ebenen steuern. Dies kann auf der Ebene der DNA-Struktur, der Transkription, der Stabilität der mRNA, der Translation und nicht zuletzt auf der Ebene der Proteine selbst erfolgen. Die grundlegenden genetischen Mechanismen wurden bereits in Kap.6.8 besprochen. ▶ Abb. 16.1 gibt eine Übersicht über wichtige Mechanismen und die verschiedenen Ebenen der Expressionskontrolle von Genen.

16.3.1 Veränderung der DNAStruktur

rung innerhalb einzelner Zellen oder in definierten Zellverbänden durchzuführen. In diesem Kapitel besprechen wir, wie Bakterien veränderte Umweltverhältnisse durch Sensoren erkennen, welche Mechanismen sie besitzen, um vor allem die Genexpression an veränderte Verhältnisse anzupassen, und wie Zellaufbau, Physiologie und Stoffwechsel für veränderte Verhältnisse optimiert werden können.

Regulationsebene DNA

Mechanismus Strukturänderung · Kopienzahl Gene · Methylierung · Rekombination · Superhelikalität Transkription · positiv/negativ

16.3 Mechanismen zur Anpassung und Änderung des Zellaufbaus

Bereits auf der DNA-Ebene kann die Genexpression durch Veränderung der DNA-Struktur grundlegend beeinflusst werden. Dieses Mittel wird bei langfristigen Prozessen eingesetzt. Durch Vergrößerung der Kopienzahl von Genen kann ihre Expression auf Dauer erhöht werden. Ein Beispiel sind die rRNA-(rrn-)Gene, die in E. coli in 7 Kopien vorliegen. Methylierung von DNA wird in Bakterien, anders als bei Eukaryonten, selten zur Regulation eingesetzt. Ein wichtiges Beispiel dafür (auch wenn es sich nicht um eine Expressionskontrolle handelt) ist die Regu-

Beispiel

Abb. 16.1 Mechanismen und Ebenen der Expressionskontrolle in Bakterien.

rrn-(rRNA-)Gene, DNA-Replikation (oriC), Phasenvariation, Entwicklungsgene, Genexpression

Regulatorproteine, σ-Faktoren

Stabilität

Halbwertszeit

Translation

Attenuation, RNA-Bindeproteine, regulatorische sRNA

posttranslational

kovalente Modifikation, allosterische Regulation, Proteinabbau

mRNA

Protein

5

16.3 Mechanismen zur Anpassung und Änderung des Zellaufbaus

●V

Plus 16.1

Bedeutung der Regulation in vielseitigen Bakterien und in Spezialisten

In vielzelligen Organismen befinden sich Zellen in einer weitgehend konstanten Umgebung. Es gibt daher wenig Regulationsbedarf. Auch unter den Bakterien gibt es Spezialisten, die in speziellen Biotopen unter ziemlich konstanten Bedingungen wachsen. Sie zeigen eine geringere Stoffwechselvielfalt, sind auf diese Biotope begrenzt und haben nur wenige Gene, von denen ein großer Teil konstitutiv exprimiert wird. Beispiele für solche Spezialisten sind endosymbiontische Bakterien, die unter definierten Bedingungen in Wirtszellen wachsen. Endosymbionten, wie Buchnera, oder parasitische Bakterien, wie Mycoplasma genitalium, besitzen nur wenige (oft < 10) regulatorische Gene. Ein anderer Spezialist ist das autotrophe methanogene Archaebakterium Methanococcus jannaschii, das in heißen Quellen im Meer lebt. Es nutzt CO2 und H2, das aus diesen Quellen austritt, für den Energie- und Baustoffwechsel. Dagegen besitzen vielseitige Bakterien eine Vielzahl regulatorischer und sensorischer Proteine, die bis zu 10 % aller Proteine in der Zelle ausmachen können.

Wir haben in Kap. 8 die Regulation der Enzymaktivität durch Produkthemmung und durch allosterische Kontrolle kennengelernt. Diese Mechanismen greifen augenblicklich und sind reversibel; sie sind für die Steuerung der Stoffflüsse in einem statischen System ausreichend. Veränderungen der Umwelt erfordern aber systemische Änderungen der Zelle. Die Zelle kann die Bildung von aktiven Enzymen und allen anderen Zellkomponenten auf verschiedenen Ebenen steuern. Dies kann auf der Ebene der DNA-Struktur, der Transkription, der Stabilität der mRNA, der Translation und nicht zuletzt auf der Ebene der Proteine selbst erfolgen. Die grundlegenden genetischen Mechanismen wurden bereits in Kap.6.8 besprochen. ▶ Abb. 16.1 gibt eine Übersicht über wichtige Mechanismen und die verschiedenen Ebenen der Expressionskontrolle von Genen.

16.3.1 Veränderung der DNAStruktur

rung innerhalb einzelner Zellen oder in definierten Zellverbänden durchzuführen. In diesem Kapitel besprechen wir, wie Bakterien veränderte Umweltverhältnisse durch Sensoren erkennen, welche Mechanismen sie besitzen, um vor allem die Genexpression an veränderte Verhältnisse anzupassen, und wie Zellaufbau, Physiologie und Stoffwechsel für veränderte Verhältnisse optimiert werden können.

Regulationsebene DNA

Mechanismus Strukturänderung · Kopienzahl Gene · Methylierung · Rekombination · Superhelikalität Transkription · positiv/negativ

16.3 Mechanismen zur Anpassung und Änderung des Zellaufbaus

Bereits auf der DNA-Ebene kann die Genexpression durch Veränderung der DNA-Struktur grundlegend beeinflusst werden. Dieses Mittel wird bei langfristigen Prozessen eingesetzt. Durch Vergrößerung der Kopienzahl von Genen kann ihre Expression auf Dauer erhöht werden. Ein Beispiel sind die rRNA-(rrn-)Gene, die in E. coli in 7 Kopien vorliegen. Methylierung von DNA wird in Bakterien, anders als bei Eukaryonten, selten zur Regulation eingesetzt. Ein wichtiges Beispiel dafür (auch wenn es sich nicht um eine Expressionskontrolle handelt) ist die Regu-

Beispiel

Abb. 16.1 Mechanismen und Ebenen der Expressionskontrolle in Bakterien.

rrn-(rRNA-)Gene, DNA-Replikation (oriC), Phasenvariation, Entwicklungsgene, Genexpression

Regulatorproteine, σ-Faktoren

Stabilität

Halbwertszeit

Translation

Attenuation, RNA-Bindeproteine, regulatorische sRNA

posttranslational

kovalente Modifikation, allosterische Regulation, Proteinabbau

mRNA

Protein

5

Regulation von Stoffwechsel und Zellaufbau

Plus 16.2 Initiation der DNA-Replikation Die DNA-Replikation ist an die Zellteilung gekoppelt und hängt damit von der Wachstumsgeschwindigkeit ab. Eine neue Replikationsrunde wird erst initiiert, wenn nach der letzten Zellteilung wieder eine bestimmte Zellgröße oder -masse erreicht ist. Diese Regulation erfolgt in E. coli und anderen Bakterien über die zelluläre Konzentration des DnaA-Proteins. Dieser Initiator der Replikation liegt erst eine gewisse Zeit nach der letzten Replikation wieder in ausreichender Konzentration vor. DnaA bindet, assoziiert mit ATP (DnaA-ATP), spezifisch an sogenannte DnaA-Boxen, von denen 5 im Replikationsstartpunkt oriC des Chromosoms vorkommen. Danach wird weiteres DnaA-Protein in

lation der DNA-Replikation durch Methylierung des Replikationsursprungs oriC (Plus 16.2). Durch ortsspezifische Rekombination kann die Orientierung eines Promotors vor einem regulierten Gen invertiert werden; dadurch wird die Transkription des nachfolgenden Gens an- oder abgeschaltet. Dieser Mechanismus steuert z. B. die Expression von alternativen Flagellen (Phasenvariation) oder von bestimmten Oberflächenproteinen. Durch den Wechsel ihrer Oberflächenstrukturen können Enterobakterien der Immunantwort des Wirtes oder einer Phageninfektion entkommen (S. 653). Die Verdrillung oder Superhelikalität der DNA beeinflusst dagegen die Zugänglichkeit einzelner Promotoren und damit die Expression von Genen.

16.3.2 Kontrolle der Transkription und Translation Die Transkriptionskontrolle stellt die wichtigste Form der Expressionskontrolle zur Anpassung an Umweltbedingungen dar. Die DNA-Bindung von vielen Genregulatoren oder von DNA-bindenden Proteinen wird durch niedermolekulare Effektoren gesteuert. Andere Genregulatoren werden durch Signaltransduktionsketten oder durch Sensoren, die auf Umwelt-, Stoffwechsel- oder zelluläre Signale ansprechen, modifiziert und in ihrer Funktion verändert. Ebenso kann die Funktion von Regulatoren durch die Kontrolle ihrer Synthese oder ihrer Stabilität, z. B. ihren Abbau, reguliert werden. Durch die Verwendung alternativer σ-Faktoren kann die RNA-Polymerase bestimmte Promotorklassen und damit Operons zur Transkription erkennen und auswählen. Die Verfügbarkeit oder Stabilität der alternativen σ-Faktoren wird durch Umweltfaktoren gesteuert. Die Stabilität oder Lebensdauer von mRNA oder regulatorischen Proteinen kann durch Abbau der Moleküle kontrolliert werden. Translationsregulation erfolgt oft durch RNA-bindende Proteine, kleine regulatorische RNAs (small oder sRNA) oder Sekundärstrukturen der mRNA, die sich unter

496

●V

der Nachbarregion gebunden und die DNA in oriC entwunden. Zur Einleitung der bidirektionalen Replikation wird die einzelsträngige DNA dann mit einer Helikase, der DNAPolymerase III und weiteren Enzymen beladen. Zur zeitlichen Regulation der Replikation trägt auch die Methylierung der DNA in der oriC-Region bei. Die DNA-Methylase Dam methyliert eine Sequenz (GATC/CTAG), die in oriC mehrfach vorkommt. Nach der Replikation ist zunächst nur der alte DNA-Strang methyliert. Die halbmethylierte oriC-Region wird über ein Protein an die Cytoplasmamembran gebunden. Dadurch wird die schnelle Methylierung des neuen Stranges und ein neuer Replikationsstart (S. 181) an oriC verzögert.

bestimmten Bedingungen ausbilden und so die Translation verhindern. Umweltfaktoren regulieren auf der Transkriptionsebene, um eine grundlegende Änderung des Stoffwechsels zu erreichen. Die ersten neu synthetisierten Enzyme sind unter Umständen bereits wenige Minuten nach Eintreten einer Veränderung von Umweltbedingungen nachweisbar. Die Etablierung des neuen Stoffwechselwegs dauert aber wesentlich länger, da größere Mengen an Enzym gebildet werden müssen. Die alten Enzyme werden teilweise abgebaut oder häufig bei der Zellvermehrung verdünnt. Bei der posttranslationalen Regulation dagegen kann der Stoffwechsel in Millisekunden (allosterische Regulation) bzw. Sekunden bis wenigen Minuten (Proteinmodifikation) umgestellt werden.

16.3.3 Regulation der Transkription durch DNA-bindende Proteine Die Initiation der Transkription umfasst die Bindung der RNA-Polymerase an den Promotor, die Bildung des offenen Transkriptionskomplexes und das Freisetzen des Promotors, d. h. den Start der Elongation (S. 204). Die Transkriptionskontrolle setzt meist an einem der beiden ersten Schritte an. Die Bindung der RNA-Polymerase an den Promotor kann durch DNA-bindende Proteine verstärkt oder geschwächt werden. Sehr viele bakterielle DNA-bindende Proteine besitzen eine sequenzspezifische DNAbindende Domäne mit einem Helix-Turn(„Kehre“)-Helix-Motiv (HTH) (▶ Abb. 16.2). Die erste Helix bindet als Erkennungshelix sequenzspezifisch in der großen Furche der DNA. Die zweite Helix stabilisiert die Bindung durch Wechselwirkung mit dem Rückgrat der DNA. DNA-bindende Proteine dieser Art sind Homodimere oder Tetramere mit spiegelbildlich symmetrischer Anordnung der DNA-bindenden Domäne. Bei Homodimeren besitzen die Zentren der beiden DNA-bindenden Domänen einen Abstand von 3,4 nm. Diese Länge entspricht der Ganghöhe der DNA, sodass die beiden Erkennungssequenzen in zwei aufeinanderfolgende Bereiche der großen Furche

16.3 Mechanismen zur Anpassung und Änderung des Zellaufbaus

a ohne Tryptophan Dimerisierungsdomäne

Polymerase

Polymerase trp LEDCBA

DNABindedomäne (HTH)

mRNA

Promotor H

Operator

T

trpR

H

mRNA

Repressor(dimer) TrpR

b mit Tryptophan 3,4 nm 5' 3'

A G T G A – – – – – T C A C T T C A C T – – – – – A G T G A

P 3' 5'

11 bp

O trp LEDCBA

trpR mRNA

Corepressor Trp TrpR

Abb. 16.2 DNA-Bindung durch Transkriptionsregulatoren. Transkriptionregulatoren haben in Bakterien oft ein Helix-TurnHelix-(HTH-)Motiv und sind dimere oder tetramere Proteine. Die beiden Monomere binden mit der großen Helix des HTHMotivs sequenzspezifisch an zwei aufeinanderfolgende Bereiche der großen Furche der DNA. Diese Bindungsstelle auf der DNA besteht aus invertierten (palindromen) Sequenzen.

Abb. 16.3 Negative Regulation eines Biosyntheseoperons. Das trp-Operon codiert die Enzyme der Tryptophanbiosynthese aus Chorismat. a Wenn Tryptophan fehlt, werden die Strukturgene abgelesen und die Enzyme synthetisiert. b Ist genügend Tryptophan vorhanden, bindet dieses an den Trp-Repressor TrpR, der dann den Promotor und damit die Synthese der Enzyme blockiert.

der DNA passen. Das Konstruktionsprinzip spiegelt sich auch in der Nukleotidsequenz der DNA wider. Die Bindungssequenzen sind im typischen Fall Palindrome, d. h. sie sind aus zwei invertierten, spiegelbild-symmetrisch angeordneten Sequenzen mit einem Abstand von 11 bp aufgebaut, der ebenfalls der Ganghöhe der DNA entspricht. Dadurch liegen die beiden Erkennungssequenzen passgenau in aufeinanderfolgenden Furchen der DNA und werden so von den beiden Erkennungshelices eines dimeren Bindeproteins erkannt.

Leitpeptid TrpL codiert, der Angriffspunkt für die Regulation durch Attenuation ist.

Negative Regulation durch Repressorproteine Bei der negativen Kontrolle verhindert die Bindung eines Repressorproteins am Promotor die Transkription des Operons. Zwei Fälle lassen sich unterscheiden: Repression und Induktion. ▶ Repression. Die Expression der Enzyme für Biosynthesewege wird oft reprimiert, wenn das Endprodukt des Stoffwechsels vorliegt. So wird die Expression des trpLEDCBA-Operons, das die Enzyme der Tryptophansynthese codiert, in Anwesenheit von Tryptophan durch den Trp-Repressor (TrpR) reprimiert (▶ Abb. 16.3). TrpR ist ein allosterischer Repressor, der nach Bindung des Corepressors Tryptophan (Endprodukt des Synthesewegs) die aktive Konformation annimmt und an den Operator bindet. Der Operator überlappt mit dem Promotor und blockiert so Zutritt und Bindung der RNA-Polymerase. Dieser Transkriptionsregulation ist eine Feinregulation durch Attenuation (S. 501) überlagert, bei der das trpL-Gen, das das

▶ Induktion. Negative Regulation ist auch bei vielen katabolen Operons zu finden, deren Gene für Abbauwege codieren. Das lac-Operon wird erst in Anwesenheit des Substrats Lactose induziert (▶ Abb. 16.4). Der tetramere Lac-Repressor LacI bindet an den Operator und verhindert die Bindung der RNA-Polymerase. Im Unterschied zur negativen Regulation von Biosynthesewegen ist hier der Repressor zunächst aktiv und inhibiert die Expression der Strukturgene. Der Induktor Allolactose (S. 508), der aus Lactose gebildet wird, inaktiviert den Repressor. Der Promotor ist nicht länger blockiert und die Transkription wird möglich.

Positive Regulation durch Aktivatorproteine Bei der positiven Kontrolle stimuliert ein Genaktivatorprotein am oder nahe am Promotor die Transkription des Operons. Die positive Kontrolle unterscheidet sich von der repressorabhängigen Induktion, wie sie für das lacOperon dargestellt wurde. Bei der Induktion wird die verstärkte Expression durch Inaktivierung des Repressorproteins erreicht. Bei der Genaktivierung dagegen verursacht die Bindung des Aktivatorproteins an den Promotor die verstärkte Expression. Die beiden Mechanismen kann man experimentell unterscheiden: Der Verlust eines Genaktivators, z. B. durch Deletion, führt dazu, dass seine Zielgene selbst unter induzierenden Bedingungen nicht mehr exprimiert werden. Wird dagegen das Gen für

7

Regulation von Stoffwechsel und Zellaufbau a ohne Lactose lac I

Pol

Promotor Operator lac ZYA

P

mRNA

LacI-Repressor (monomer)

(tetramer)

b mit Lactose lac I

Pol

PPol

O

lac ZYA

mRNA

mRNA

LacIRepressor

β-Galactosidase Permease Transacetylase

Lactose (Gal-β1,4-Glc)

Allolactose Induktor

β-Galactosidase

Allolactose (Gal-β1,6-Glc)

Abb. 16.4 Induktion eines katabolen Operons. Das lac-Operon codiert die Gene des Lactosestoffwechsels von E. coli, die βGalactosidase (lacZ), die Lactose-Permease (lacY) und eine Thiogalactosid-Acetyltransferase (lacA). Pol, RNA-Polymerase. a Der Lac-Repressor LacI blockiert am mehrteiligen Operator O (vergleiche ▶ Abb. 16.6) die Initiation der Transkription. b Allolactose (Gal-β1,6-Glc) inaktiviert den Repressor LacI und induziert die Genexpression (Induktion).

cAMP

RNA-Polymerase

lle P te ss AM ng Pc du CR 5 Bin 1, – 6 CRP

β

β'

α2 σ lac Z – 35

–10 Promotor

mRNA

Abb. 16.5 Aktivierung der Transkription durch ein Genaktivatorprotein. Jedes Monomer des dimeren Proteins CRP bindet ein Molekül cAMP. CRP/cAMP interagiert über spezifische Kontaktstellen (schwarze Punkte) mit der RNA-Polymerase und stimuliert deren Bindung an die DNA. Dadurch wird die DNA gebogen und es bildet sich ein offener Transkriptionskomplex.

den Repressor eines induzierbaren Promotors deletiert, werden die Gene permanent exprimiert. Bei der Genaktivierung bindet das Aktivatorprotein am Promotorbereich (▶ Abb. 16.5). Promotoren von aktivierbaren Genen sind oft schwache Promotoren mit niedriger Affinität für die RNA-Polymerase. Die Wechselwirkung mit dem Genaktivator verbessert die Bindung oder Posi-

498

tionierung der RNA-Polymerase und damit die Transkription (S. 203). In anderen Fällen wird durch diese Wechselwirkung auch der Übergang in den offenen Transkriptionskomplex erleichtert, oder eine zu stabile Bindung der RNA-Polymerase am Promotor aufgehoben. Alle diese Effekte haben eine erhöhte Transkription zur Folge. Für die Wirkung des Aktivators ist eine spezifische Wechselwirkung mit der RNA-Polymerase nötig. Ein gut untersuchter Genaktivator ist das CRP (engl. cAMP receptor protein), auch CAP (engl. catabolite gene activator protein) genannt. CRP ist, ebenso wie viele Repressoren, ein Dimer, das über eine Helix-Turn-Helix-Domäne an die DNA bindet. CRP wird erst durch seinen Coaktivator cAMP (zyklisches AMP) in eine bindungskompetente Form gebracht: Die Bindung von cAMP induziert in CRP und in der Helix-Turn-Helix-Domäne eine Konformationsänderung, die eine Bindung an die DNA erlaubt. Viele Genregulatoren mit Helix-Turn-Helix-Bindedomänen werden durch ihre Effektoren in vergleichbarer Weise aktiviert; in einigen Fällen ist dagegen die inaktive Form des Genregulators ein Monomer, das erst im aktiven Zustand dimerisiert und dann in der Lage ist, an die DNA zu binden. Ein Beispiel dafür ist der Sauerstoffsensor FNR (S. 505). Die Bindungsstelle von CRP oder von anderen Genaktivatorproteinen liegt meist stromaufwärts des Promotors (S. 204). In vielen Fällen krümmt der Genaktivator die DNA, wodurch die Bildung des offenen Komplexes gefördert wird.

Verwendung komplexer Promotoren Die Expression vieler Gene wird durch mehrere Reize und Regulatoren kontrolliert. So exprimiert ein Bakterium wie E. coli die Gene für den Nitratstoffwechsel nur, wenn Nitrat vorhanden ist und der bevorzugte Elektronenakzeptor Sauerstoff fehlt. Entsprechend werden die Gene des Lactosestoffwechsels nur induziert, wenn Lactose vorliegt, nicht aber das bevorzugte Substrat Glucose. Die Promotoren müssen dementsprechend Bindungsstellen für verschiedene Regulatorproteine besitzen und werden durch diese einzeln oder in Kombination reguliert. Aktivatoren können an Positionen binden, die sogar bis zu 200 bp stromaufwärts vom Promotor liegen; damit erhöht sich die Anzahl der Regulationsmöglichkeiten. Zur Wechselwirkung mit der RNA-Polymerase, die am Promotor bindet, bildet dann der dazwischenliegende DNABereich eine Schleife aus. Damit können mehrere und entfernt an die DNA-bindende Regulatoren die RNA-Polymerase am Promotor beeinflussen (▶ Abb. 16.6a). Die Schleifenbildung wird durch DNA-strukturierende Proteine unterstützt. Eines dieser Proteine ist IHF (engl. integration host factor), das an viele komplex aufgebaute Promotoren bindet. Viele Promotoren besitzen auch mehrfache Bindungsstellen für Repressoren der gleichen Art. Beispiele hierfür sind das lac-Operon, das drei Bindungsstellen für den Lac-Repressor trägt (▶ Abb. 16.6b),

16.3 Mechanismen zur Anpassung und Änderung des Zellaufbaus a

Tab. 16.1 σ-Faktoren von E. coli.

NtrC- Bindestellen –140

– 108

DNA

σ-Faktor

Gen

Mr kDa

Funktion

σ70

rpoD

70

Standard-σ-Faktor

σ32

NtrCDimere

IHF -Polymeras NA 54

σ

Gen

σ -Promotor 54

+1

b O3

P

O1

–82

–35 –10

+11

rpoH

32

Hitzeschock

σ54

rpoN

54

N-Mangel, Fermentation

σ38 (σS)

rpoS

38

genereller Stress, Stationärphase

σ24 (σE)

rpoE

24

Hüllstress

σ28

flaL

28

Flagellensynthese

σ18

fecI

18

Fe-Aufnahme

e

R

IHF- Bindestelle

(σH)

O2 + 401

Lac I- Repressor O1 Lac I

Lac Z

Lac I

Lac I

Lac I

P

O3 Abb. 16.6 Schleifenbildung in der Promotor-DNA. Genregulatoren können Schleifen in der DNA induzieren und so die Transkription beeinflussen. a Bindung von Genregulatoren an einem Gen, das durch den Stickstoffregulator NtrC (▶ Abb. 16.25) und den alternativen σ-Faktor σ54 reguliert wird. Das IHF-Protein führt eine DNAKrümmung ein. b Der lac-Promotor enthält drei Operatoren (O1, O2, O3), von denen einer (O2) innerhalb der Codierungssequenz für die βGalactosidase liegt. Die kooperative Bindung des Repressors LacI an mehrere Operatoren (z. B. O1 und O3) verstärkt die Repression.

oder das ara-Operon mit dem Regulator AraC für den Arabinosestoffwechsel von E. coli. AraC wirkt in Abwesenheit von Arabinose als Repressor. Unter stark reprimierenden Bedingungen sind mehrere der Operatoren besetzt. Der Lac-Repressor ist bevorzugt ein Tetramer. Die Dimere, die das Tetramer aufbauen, binden an zwei räumlich getrennte Operatoren. Dadurch kommt es zur Ausbildung einer DNA-Schleife; durch Bindung an zwei Stellen wird die Bindung stabilisiert und die Repression wird kooperativ verstärkt. Der Promotor liegt dann innerhalb der Schleife und kann nicht abgelesen werden.

16.3.4 Alternative σ-Faktoren Eubakterien besitzen – im Gegensatz zu Eukaryonten – nur eine RNA-Polymerase (S. 204). Diese ist aus fünf Untereinheiten aufgebaut (α2ββ’ω, auch Core-Enzym genannt). Das Core-Enzym benötigt zum Transkriptionsstart, nicht aber zur Elongation, die σ-Untereinheit, die zusammen mit den anderen Untereinheiten das Holoenzym bildet. Die σ-Untereinheit ist für die Erkennung des

Promotors und die spezifische Bindung der RNA-Polymerase erforderlich. Durch Verwendung alternativer σ-Faktoren unterscheiden RNA-Polymerasen verschiedene Promotorklassen. Die Bakterien haben so die Möglichkeit, je nach Umweltbedingungen und Wachstums- und Differenzierungsphase einzelne Promotorklassen auszuwählen und entsprechende Gene zu transkribieren. E. coli besitzt z. B. neben dem Standard-σ-Faktor σ70, der für die Transkription der Gene des allgemeinen Stoffwechsels nötig ist, 6 alternative σ-Faktoren (▶ Tab. 16.1). Diese sind für die Expression von Genen bestimmter Funktionen, oft eine Stressantwort, nötig. Beispiele sind Operons der Stickstoffassimilierung (σ54), der generellen Stressantwort (σ38, auch σS genannt), des Hitzeschocks (σ32), des Hüllstresses (σ24), der Flagellensynthese (σ28) und einiger Gene der Eisenaufnahme (σ19). Die Benennung der σ-Faktoren folgt der relativen Molmasse; σ70 hat z. B. eine Masse von 70 kDa. B. subtilis verwendet σ-Faktoren ebenfalls zur Regulation der Stressantwort und zur Kontrolle der Reihenfolge der Differenzierungsschritte bei der Endosporenbildung. Die Funktion der σ-Faktoren wird oft durch eine Regulation ihrer eigenen Konzentration oder ihres Funktionszustandes kontrolliert. Dabei spielen Syntheseregulation, kontrollierte Proteolyse oder Hemmung durch Anti-σ-Faktoren oder andere Moleküle eine Rolle. Beispiele dafür stellen wir bei der Besprechung der Regulationssysteme vor.

16.3.5 Funktionskontrolle durch Synthese und Proteolyse Die Funktion von Regulatoren wird nicht nur durch das Zusammenspiel mit Effektormolekülen gesteuert, sondern auch durch die gezielte Kontrolle ihrer Konzentration, d. h. durch regulierte Synthese und proteolytischen Abbau. Manche Regulatoren werden erst gebildet, wenn sie benötigt werden; ein wichtiger Schritt der Regulation findet dann bei ihrer Synthese statt. So werden einige Regulatoren der Stickstofffixierung (S. 512) in Gammaproteobakterien in einer zweistufigen Kaskade erst bei NMangel gebildet. Ebenso spielt der geordnete Abbau von Regulatoren und σ-Faktoren durch Proteasen eine wichtige Rolle bei der Kontrolle der Stressantwort (z. B. Hitze-

9

Regulation von Stoffwechsel und Zellaufbau a

b 5'

Transkription mRNA

mRNA

RBS AUG

Hfq

sRNA

RBS-AUG 5' Hfq

unvollständige Basenpaarung

Blockierung der Translation

RNase E baut mRNA ab

RBS AUG

Translation inhibiert

schock), des Zellzyklus und der Differenzierung. Durch die Proteolyse können Regulatoren oder inhibierende Proteine entfernt werden, wenn sie, bzw. ihre Funktion, nicht mehr benötigt werden. Die Proteolyse erfolgt durch komplexe ATP-hydrolysierende Proteasen, z. B. die Proteasen Lon oder Clp in E. coli. Die Proteolyse kann auch zu einer sequenzspezifischen Spaltung oder Reifung eines Regulators führen, der erst nach der Spaltung in der funktionellen Form vorliegt.

16.3.6 Kontrolle durch regulatorische RNA und Attenuation Eine Regulation ist auch auf der Ebene der RNA möglich. Die große Bedeutung dieser Regulation wurde erst in den letzten Jahren erkannt. Bakterien besitzen neben der codierenden mRNA und den nichtcodierenden RNAs (tRNA, rRNA) eine beträchtliche Zahl von Genen für regulatorische (nichtcodierende) RNAs, die eine Größe von 50–300 Nukleotiden aufweisen. Sie werden als kleine regulatorische RNA oder sRNA (small RNA) bezeichnet. Regulatorische RNAs können die Genfunktion oder Expression auf vielfältige Weise beeinflussen.

Trans-codierte sRNA Eine erste Klasse von (trans-codierten) sRNAs greift in die Regulation der Translation ein (▶ Abb. 16.7). Diese sRNAs binden nahe der Ribosomenbindungsstelle (RBS) der mRNA. Sie hemmen die Translation, indem sie die Bindung der Ribosomen und den Translationsstart verhindern. In anderen Fällen fördert die Bindung der sRNAs die Translation, indem sie die Ausbildung von hemmenden Sekundärstrukturen verhindern, die sonst die Ribosomenbindung und Translation hemmen. Oder die Bindung der sRNA führt zur Erkennung des Komplexes durch die RNAse E und zum Abbau des Transkripts. Dazu gehö-

500

oxyS-sRNA

RNAse E

Ribosom

Abb. 16.7 Trans-aktive kleine regulatorische RNAs (sRNA). a Ein Gen (grün), dessen Expression durch eine unabhängig auf dem Genom lokalisierte sRNA (orange) reguliert wird. Die sRNA geht eine unvollständige Basenpaarung mit der mRNA ein und benötigt das RNA-bindende Protein Hfq zur Bindung. Die sRNA bindet die mRNA häufig im Bereich der Ribosomenbindestelle (RBS) und des Startcodons AUG und blockiert so die Translation. In anderen Fällen dient das sRNA-mRNA-Hybrid als Bindestelle für die RNAse E, die die mRNA abbaut. b OxyS-sRNA bindet mithilfe des Hfq-Proteins durch unvollständige Basenpaarung an den Translationsstartbereich einer mRNA.

ren die oxyS- und die micF-RNA, die bei oxidativem Stress (S. 518) eingreifen. Die sRNAs, die durch Basenpaarung in trans an die mRNA binden, benötigen dazu in der Regel das mRNA-Chaperonprotein Hfq. So bildet auch die oxySRNA mit Hfq einen Komplex, der an die Ribosomenbindungsstelle des σ38-codierenden rpoS-Gens (S. 516) bindet und dessen Translation behindert (▶ Abb. 16.7b). Die micF-RNA blockiert als antisense-RNA die Ribosomenbindung und die Translation des ompF-Gens, das ein Porin codiert. Eine zweite Klasse von sRNA beeinflusst die Funktion von Proteinen. Diese sRNAs binden an Proteine und beeinflussen deren Aktivität. So akkumuliert in der Stationärphase von E. coli die 6S-RNA, die an den σ70-RNA-Polymerasekomplex bindet. Dadurch wird die Transkription der Standardpromotoren behindert und σ38-abhängige Promotoren mit den zugehörigen Genen der stationären Phase und der generellen Stressantwort (S. 514) werden verstärkt exprimiert. Eine dritte Gruppe kleiner antisense-RNAs weist eine Sequenz auf, die zum sense-Strang des Gens komplementär ist. Dadurch sind sie der mRNA des Gens komplementär, paaren mit dieser und hemmen die Translation oder beeinflussen die Stabilität der mRNA. In einigen Fällen findet die Basenpaarung bereits auf der DNA-Ebene statt und führt zur Hemmung der Transkription.

Cis-codierte regulatorische RNA Zu den cis-codierten RNA-Molekülen gehören mRNAMoleküle, die von selbst am 5’-Ende Strukturen ausbilden, welche die Translation behindern. Diese Strukturen sprechen auf Umweltsignale an. So wird die Faltung des 5’-Endes der rpoH-mRNA, die den Hitzeschockregulator σ32 von E. coli codiert, thermisch kontrolliert (S. 519). Eine Sekundärstruktur des 5’-Bereichs schmilzt bei 42 °C und kann dann translatiert werden (▶ Abb. 16.8a). In anderen Fällen, z. B. bei einigen Genen der Vitamin-(Vitamin B12,

16.3 Mechanismen zur Anpassung und Änderung des Zellaufbaus Thiamin) oder Flavinmononukleotid-(FMN-) Biosynthese, wird die Struktur der mRNA direkt durch die Bindung der Effektoren Vitamin B12, Thiamin bzw. FMN im 5’-Bereich der mRNA verändert, ohne dass Proteine beteiligt sind (▶ Abb. 16.8b). Dies ändert die Translation oder die mRNA-Stabilität. Domänen der mRNA, die ein Signalmolekül direkt erkennen und die Translation der eigenen mRNA kontrollieren, werden als Riboswitch oder RNASchalter bezeichnet.

a rpoH-mRNA (E. coli) 42°C

3'

RB S

AU G

RBS AUG

30°C

3'

5'

5'

b cob-Gene (S. typhimurium)

Attenuation

+ Vitamin B12

– Vitamin B12

Die Attenuation („Abschwächung“) besitzt Merkmale der transkriptionellen, aber auch der posttranskriptionellen Regulation. Sie erfordert die direkte Kopplung zwischen Transkription und Translation, wie sie in Bakterien zu finden ist. Gene, die einer Attenuation unterliegen, enthalten eine Leitsequenz, deren mRNA sich in zwei alternativen Sekundärstrukturen falten kann. Eine dieser Strukturen erlaubt Transkription, die andere führt zu vorzeitiger Termination (▶ Abb. 16.9). Attenuation ist häufig bei der Regulation von Genen der Aminosäurebiosynthese zu finden. Im Fall der Tryptophanbiosynthese überlagert Attenuation die Regulation des trp-Operons durch den Trp-Repressor (▶ Abb. 16.9a). Die Leitsequenz des trp-Operons enthält vier Abschnitte (1–4), deren mRNA alternative Sekundärstrukturen ausbildet (▶ Abb. 16.9b). Ohne äußere Beeinflussung paaren die Abschnitte 1/2 und 3/4. Dadurch entstehen zwei haarnadelförmige Strukturen, wobei der zweiten eine PolyUUU-Sequenz folgt. Die zweite Haarnadel stört die Elongation und wirkt als Terminator der Transkription, weil

RB S

RBS AUG

5'

3'

AUG 3'

5'

Adenosylcobalamin Abb. 16.8 Zwei Beispiele für cis-aktive regulatorische sRNAs (Riboswitch). a Der 5’-Bereich des rpoH-Gens (codiert σ32) bildet bei 30 °C eine Sekundärstruktur aus, welche die Ribosomenbindungsstelle RBS und das Startcodon AUG einschließt. Dadurch werden die Bindung des Ribosoms (50S-Untereinheit) und die Translation behindert. Bei höheren Temperaturen schmilzt die Sekundärstruktur und gibt die Bindungsstelle frei. b Die cob-Gene codieren in Salmonella enterica serovar Typhimurium die Enzyme der Cobalaminbiosynthese. Wenn das Endprodukt der Synthese (Adenosylcobalamin) in der Zelle vorliegt, bindet es (ohne Protein) im 5’-Bereich der cobmRNA und verursacht eine neue Faltung der 5’-Region. Dadurch werden RBS und AUG vor Zutritt der Ribosomen geschützt, und die Translation wird inhibiert.

Leitsequenz

a

1

5' mRNA

b

2

3

4

UUU 3'

codierende Sequenz für das Leitpeptid TrpL

Termination

Fortfahren der Transkription Terminator

1

2

Protein

3 4

5'

UUU 3'

5'

2 3

1

4

UUU 3'

mRNA ohne Tryptophan (Fortfahren der Transkription)

c

mit Tryptophan (Termination) Terminator

Ribosom 5'

1

2 3

3 4 4

UUU 3'

5'

1

2

UUU 3' TrpL

Abb. 16.9 Regulation des Tryptophan(trp-)Operons durch Attenuation. a Die Leitsequenz (5’-Ende des trpLEDCBAOperons) enthält die Abschnitte 1–4, die Basenpaarungen eingehen können. Die codierende Sequenz für das TrpL-Leitpeptid überlappt mit Abschnitt 1. b Alternative Sekundär-(Haarnadel-)Strukturen der Leitsequenz, die in Abwesenheit (links) und in Gegenwart (rechts) eines RNA-bindenden Proteins (z. B. Ribosomen) ausgebildet werden. Das RNA-bindende Protein besetzt den Abschnitt 1. c Attenuation des trp-Operons. Unter Tryptophanmangel (die Trp-tRNA ist nicht mit Trp beladen) stoppt das Ribosom an Abschnitt 1 und das Leitpeptid wird nicht vollständig synthetisiert. Abschnitt 2 und 3 bilden eine Haarnadelstruktur und die Strukturgene für die Synthese von Tryptophan werden abgelesen (links). In Anwesenheit von Trp wird das Leitpeptid fertiggestellt, das Ribosom wandert zu Abschnitt 2, und Abschnitt 3 und 4 bilden eine Haarnadelstruktur, die die Termination der Transkription verursacht.

1

Regulation von Stoffwechsel und Zellaufbau die Poly(U)-Sequenz die Auflösung des Transkriptionskomplexes fördert. Wird jedoch Abschnitt 1 durch ein Protein besetzt, erfolgt die alternative Paarung zwischen 2 und 3, deren Haarnadelstruktur nicht als Terminator wirkt. Die Leitsequenz des trp-Operons codiert ein Leitpeptid von 14 Aminosäuren, das zwei aufeinanderfolgende Codons für Tryptophan enthält. Ist Tryptophan und daher auch beladene Trp-tRNA vorhanden, wird die Leitsequenz, die mit Abschnitt 1 und 2 der Attenuatorregion überlappt, vollständig translatiert (▶ Abb. 16.9c). Dadurch bildet sich die Haarnadelstruktur zwischen 3 und 4 aus und die Transkription bricht ab. Fehlt dagegen Trp und ist entsprechend beladene tRNA nicht in ausreichender Menge vorhanden, verzögert sich die Translation bereits bei den trp-Codons in Abschnitt 1. Als Folge bildet sich die Haarnadel zwischen Abschnitt 2 und 3 und die Transkription wird nicht terminiert. Die Strukturgene werden also nur bei niedriger Tryptophankonzentration abgelesen. In ähnlicher Weise wird die Transkription der Operons für die Histidin-, Phenylalanin- und Threoninbiosynthese reguliert. Alle diese Operons codieren kurze Leitpeptide mit bis zu 21 Aminosäuren, die 7 His-, 7 Phe- bzw. 11 Aminosäure-Reste aus der Threoninfamilie enthalten.

Protein (Enzym)

Substrat Produkt

Effektor

Kontrollenzym

Protease X Substrat

Substrat

Produkt

Produkt

allosterische Regulation

Proteinabbau

kovalente Modifikation

Regulation der Enzymaktivität

regulatorische Proteine

Regulation der Enzymaktivität

Abb. 16.10 Posttranslationale Regulation von Enzymen oder Regulatoren durch allosterische Regulation, kovalente Modifikation oder Proteinabbau. Die inaktive Form ist durch die Hemmung (Doppelstrich) gekennzeichnet.

D

E4

E

E3

16.3.7 Posttranslationale Regulation Die posttranslationale Regulation spielt eine große Rolle bei der Kontrolle der Aktivität von Enzymen des Stoffwechsels. Sie kann auf allosterischer Regulation, kovalenter Modifikation oder gezieltem Abbau von Proteinen beruhen (▶ Abb. 16.10). Die Etablierung eines Stoffwechselwegs dauert bei Regulation auf der Transkriptionsebene mehrere bis viele Minuten. Die Steuerung des Stoffwechsels erfordert jedoch auch Kontrollmechanismen, die augenblicklich greifen und eine schnelle Anpassung an aktuelle Stoffwechselsituationen in der Zelle ermöglichen. Manche Wege des Zentralstoffwechsels wie die Glykolyse werden bevorzugt durch allosterische Regulation (S. 260) kontrolliert. Auf diese Weise werden Einzelschritte aus linearen oder verzweigten Stoffwechselwegen koordiniert und Engpässe oder überschießende Reaktionen vermieden. Bei der allosterischen Regulation fungiert ein Metabolit, meist aus dem gleichen oder einem assoziierten Stoffwechselweg, als Signalstoff; er zeigt einen bestimmten Stoffwechselzustand an. Hohe ATP-Konzentration signalisiert, dass die Zelle sich Synthesen leisten kann; AMP signalisiert dagegen Hunger usw. (vgl. ▶ Abb. 8.36). Der Metabolit bindet an eine Stelle des Enzyms, dem allosterischen Zentrum, das vom aktiven Zentrum verschieden ist. Dadurch verändert sich der KMWert des Enzyms für sein Substrat, während die maximale Reaktionsgeschwindigkeit Vmax gleich bleibt (▶ Tab. 16.2). Als Folge ändern sich Enzymaktivität und

502

A

E1

B

E2

C E5 F

E6

G

Abb. 16.11 Endprodukthemmung von Biosynthesewegen. In mehrstufigen Synthesewegen können Endprodukte (E, G) den gesamten Weg oder einzelne Abschnitte durch allosterische Hemmung der Enzyme (E1–E6) hemmen. Betroffen sind meist der erste Schritt eines Synthesewegs und Verzweigungsstellen. Die regulierten Enzyme katalysieren oft irreversible Schritte.

Stofffluss durch den Stoffwechselweg. Der Regulationsmechanismus ist sozusagen im Enzym selbst eingebaut. Die allosterische Hemmung oder Aktivierung ist bei veränderter Stoffwechselsituation schnell wieder aufgehoben. Die allosterische Regulation ist in katabolen und anabolen Stoffwechselwegen weit verbreitet. In Biosynthesewegen, meist an Verzweigungen, hemmen die Endprodukte irreversible frühe Schritte (Endprodukthemmung, ▶ Abb. 16.11). Ein Beispiel ist die Biosynthese der Glutamatfamilie (Plus 9.11) (S. 317). Bei der kovalenten Modifikation von Enzymen wird die Seitengruppe einer spezifischen Aminosäure, die sich in der Regel nicht im aktiven Zentrum befindet, durch ein Kontrollenzym modifiziert. Dadurch ändert sich die Konformation und das Enzym wird stark oder auch vollständig inaktiviert. Durch ein weiteres Kontrollenzym, das die modifizierende Gruppe wieder abspaltet, wird das Enzym

16.3 Mechanismen zur Anpassung und Änderung des Zellaufbaus Tab. 16.2 Vergleich der allosterischen Regulation und der Proteinmodifikation bei der Aktivitätsregulation von Enzymen. allosterische Regulation

kovalente Modifikation

Änderung der Enzymaktivität

+ bis + + +

+++

regulatorisches Agens

Stoffwechselmetabolit

Kontrollenzym Donator für aktive Gruppe

Kontrollenzym

-–

z. B. Proteinkinase und Phosphatase

reversibel geänderter Parameter des Enzyms

KM (Affinität)

Vmax

Tab. 16.3 Kovalente Modifikation von Enzymen oder Regulatoren. Mit diesem Mechanismus wird die Funktion der Proteine, z. B. die Enzymaktivität oder regulatorische Aktivität, kontrolliert. Die Beispiele sind im Text erläutert. HPK-P, phosphorylierte Histidin-Proteinkinase aus Zweikomponentensystem; S-Ade-Met, S-Adenosylmethionin. modifizierende Gruppe

modifizierbare Aminosäure

Donator

Beispiel

Phosphat

Ser, Thr, Tyr

ATP

Isocitrat-Dehydrogenase E. coli (▶ Abb. 16.12) HPr (Glucoserepression B. subtilis; ▶ Abb. 16.19)

Asp

HPK-P

Response-Regulator aus Zweikomponentensystem (▶ Abb. 16.15)

His

ATP, PEP, Acetyl-P

Histidin-Proteinkinasen (HPK) u. a. (▶ Abb. 16.15)

Adenylat (AMP)

Tyr

ATP

Glutamin-Synthetase (▶ Abb. 16.24)

Methyl

Glu

S-Ade-Met

Chemorezeptoren der Chemotaxis (▶ Abb. 16.39)

Acetat

Lys

Acetyl-CoA

RNA-Polymerase, Kohlenstoffmetabolismus

●V

Plus 16.3 Regulation durch kovalente Modifikation Die Isocitrat-Dehydrogenase von E. coli steht an einem wichtigen Verzweigungspunkt des Stoffwechsels. Bei Wachstum auf Glucose ist Isocitrat ein Zwischenprodukt des Citratzyklus und wird durch die Isocitrat-Dehydrogenase oxidativ decarboxyliert. Mit Acetat als Substrat ist dagegen der Glyoxylatzyklus (S. 289) aktiv und Isocitrat wird hauptsächlich durch die Isocitrat-Lyase zu Succinat und Glyoxylat gespalten. In diesem Fall wird die Isocitrat-Dehydrogenase an einem Serinrest phosphoryliert und inaktiviert (▶ Abb. 16.12a). Bei Acetatmangel spaltet eine Phosphatase den Phosphatrest ab und sowohl die Isocitrat-Dehydrogenase als auch Citratzyklus werden reaktiviert. Ein Beispiel für eine Regulation durch Adenylierung ist die Kontrolle der Glutamin-Synthetase (▶ Abb. 16.12b). Das Enzym spielt eine Schlüsselrolle bei der Stickstoffassimilierung (S. 512). Die Adenylierung wird durch die Stickstoffversorgung der Zelle gesteuert. Bei guter Versorgung wird das Enzym durch eine Adenyltransferase an einem Tyrosinrest adenyliert und inaktiviert, bei Mangel an fixiertem Stickstoff durch Deadenylierung wieder aktiviert (▶ Abb. 16.12b).

a

IDH Pi

ATP Phosphatase

Kinase

Acetat

H2O

ADP IDH–PP (Serylphosphat) inaktiv b

GlnS

ATP NÜberschuss PPi

Adenyl- adenylabtrans- spaltendes Enzym ferase

AMP N-Mangel H2O

AMP GlnS–AMP (Tyrosyl-AMP) inaktiv

Abb. 16.12 Regulation der Enzymaktivität durch kovalente Modifizierung in E. coli. a Die Isocitrat-Dehydrogenase (IDH) wird bei Wachstum auf Acetat phosphoryliert und dadurch inaktiviert. b Die Glutamin-Synthetase (GlnS) wird bei Stickstoffüberschuss adenyliert und dadurch inaktiviert. Beide Modifikationen sind unter entsprechenden Bedingungen reversibel.

3

Regulation von Stoffwechsel und Zellaufbau reaktiviert. Man schätzt, dass der Funktionszustand eines beträchtlichen Teils der Enzyme durch chemische Modifikation, insbesondere durch Acetylierung und Phosphorylierung, gesteuert wird. Beispiele finden sich in ▶ Tab. 16.3. Der Funktionszustand regulatorischer Proteine wird dagegen häufig durch Adenylierung (Übertragung eines AMP-Restes), Uridylierung (Übertragung eines UMP-Restes) oder Phosphorylierung kontrolliert. Bei der Phosphorylierung dienen meist ATP oder Phosphoenolpyruvat als Phosphoryldonatoren. Dabei werden in der Regel Serin-, Threonin- oder Tyrosinreste phosphoryliert; das Produkt ist ein energiearmer Phosphatester. Die Phosphorylierung erfolgt durch Proteinkinasen, die Abspaltung des Phosphatrests durch Phosphatasen (▶ Tab. 16.3). Die Kontrollenzyme (Proteinkinasen und -phosphatasen) wiederum werden in ihrer Aktivität allosterisch durch Metabolite reguliert (Plus 16.3). Von dieser Regulation ist die Phosphorylierung von Proteinen in Transferketten zu unterscheiden, bei der ein Phosphatrest in energiereicher Form kovalent gebunden wird, um ihn dann auf weitere Proteine zu übertragen. Hier erfolgt die Phosphorylierung häufig an Histidin-, Aspartat- oder Cysteinresten. Enzyme, die Proteine in Transferketten (auto-)phosphorylieren, sind z. B. die Proteinkinasen der Zweikomponentensysteme (S. 505) oder des Phosphotransferasesystems (S. 340).

16.4 Reizaufnahme und Reizverarbeitung 16.4.1 Membranständige und cytoplasmatische Sensoren Bakterien können auf fast alle denkbaren Umweltreize reagieren. Sie besitzen dazu spezifische Sensoren (oder Rezeptoren), die das Reizmolekül binden oder mit chemischen oder physikalischen Reizen reagieren. Sensoren für äußere chemische Reize erkennen das Reizmolekül in der Regel auf der Außenseite der Cytoplasmamembran. Sie übermitteln daraufhin ein Signal über die Membran (ohne das Reizmolekül aufzunehmen) und generieren ein intrazelluläres Signal (▶ Abb. 16.13). Solche Reizmoleküle, die nicht durch Diffusion in das Zellinnere gelangen, sind häufig kohlenstoff- und stickstoffhaltige Substrate, Elektronenakzeptoren wie Nitrat, oder andere ionische Nährstoffe. Viele der membranständigen Sensoren kommen aus den Familien der Zweikomponentensysteme (S. 505) oder sind Chemorezeptoren für die Chemotaxis (S. 523). Bei einigen Wachstumssubstraten, wie z. B. Glucose, besitzt dagegen der Transporter für die Aufnahme des Substrats eine zusätzliche sensorische Funktion und liefert das Signal. Die Kopplung des Transports mit einer Signalbildung ist naheliegend, weil der Carrier den ersten spezifischen Kontakt mit dem Substrat eingeht. Das intrazellu-

504

diffusible Reizmoleküle (O2, H2, Pheromone Substrat, oder chemischer Reiz physikalischer Reiz (Temperatur)

Substrat

Carrier

Sensor

Substrat Stoffwechsel

Signal

Differenzierungszustand

Regulator

Enzymaktivität

Genexpression

Flagellenmotor

Abb. 16.13 Reizerkennung durch Bakterienzellen. Die Reizerkennung erfolgt meist durch spezifische membrangebundene Sensoren oder Carrier (z. B. Glucosetransporter). Diffusible Reizmoleküle oder physikalische Reize (Temperatur) werden in der Regel im Cytoplasma registriert. Intrazelluläre Signale können den Stoffwechsel- oder den Differenzierungszustand der Zelle wiedergeben.

läre Signal wird dann in Form eines kleinen Moleküls oder einer Proteinphosphorylierung gebildet. Reizmoleküle, die leicht in die Zelle diffundieren, sowie physikalische Reize wie Licht und Temperatur, werden oft erst im Cytoplasma von cytoplasmatischen Sensoren registriert. Zu den diffusiblen membrangängigen Reizmolekülen gehören Gase (O2, H2, NO), aber auch bakterielle Botenstoffe (Pheromone). Das zelluläre Signal kann auch in der chemischen Modifikation eines Signalproteins bestehen. Häufig sind es Phosphorylierungskaskaden, die nur aus zwei Proteinen, dem Sensor und dem Response-Regulator, bestehen. Der Response-Regulator (Antwortregulator) steuert dann die Genexpression, in einigen Fällen auch die Aktivität von Enzymen oder den Flagellenmotor. Wichtiges Beispiel für eine solche Regulation sind die Zweikomponentensysteme (S. 505).

16.4.2 Regulons, Stimulons und Netzwerke Die Expression von Genen ist in Bakterien hierarchisch reguliert und koordiniert. Einzelne Gene, die in Operons, einer Transkriptionseinheit von Genen, organisiert sind, werden in einem Transkript gemeinsam abgelesen. Operons codieren oft Gene spezifischer Stoffwechselwege (z. B. der Histidinbiosynthese) oder von Untereinheiten von Enzymkomplexen (z. B. der ATP-Synthase oder der

Regulation von Stoffwechsel und Zellaufbau reaktiviert. Man schätzt, dass der Funktionszustand eines beträchtlichen Teils der Enzyme durch chemische Modifikation, insbesondere durch Acetylierung und Phosphorylierung, gesteuert wird. Beispiele finden sich in ▶ Tab. 16.3. Der Funktionszustand regulatorischer Proteine wird dagegen häufig durch Adenylierung (Übertragung eines AMP-Restes), Uridylierung (Übertragung eines UMP-Restes) oder Phosphorylierung kontrolliert. Bei der Phosphorylierung dienen meist ATP oder Phosphoenolpyruvat als Phosphoryldonatoren. Dabei werden in der Regel Serin-, Threonin- oder Tyrosinreste phosphoryliert; das Produkt ist ein energiearmer Phosphatester. Die Phosphorylierung erfolgt durch Proteinkinasen, die Abspaltung des Phosphatrests durch Phosphatasen (▶ Tab. 16.3). Die Kontrollenzyme (Proteinkinasen und -phosphatasen) wiederum werden in ihrer Aktivität allosterisch durch Metabolite reguliert (Plus 16.3). Von dieser Regulation ist die Phosphorylierung von Proteinen in Transferketten zu unterscheiden, bei der ein Phosphatrest in energiereicher Form kovalent gebunden wird, um ihn dann auf weitere Proteine zu übertragen. Hier erfolgt die Phosphorylierung häufig an Histidin-, Aspartat- oder Cysteinresten. Enzyme, die Proteine in Transferketten (auto-)phosphorylieren, sind z. B. die Proteinkinasen der Zweikomponentensysteme (S. 505) oder des Phosphotransferasesystems (S. 340).

16.4 Reizaufnahme und Reizverarbeitung 16.4.1 Membranständige und cytoplasmatische Sensoren Bakterien können auf fast alle denkbaren Umweltreize reagieren. Sie besitzen dazu spezifische Sensoren (oder Rezeptoren), die das Reizmolekül binden oder mit chemischen oder physikalischen Reizen reagieren. Sensoren für äußere chemische Reize erkennen das Reizmolekül in der Regel auf der Außenseite der Cytoplasmamembran. Sie übermitteln daraufhin ein Signal über die Membran (ohne das Reizmolekül aufzunehmen) und generieren ein intrazelluläres Signal (▶ Abb. 16.13). Solche Reizmoleküle, die nicht durch Diffusion in das Zellinnere gelangen, sind häufig kohlenstoff- und stickstoffhaltige Substrate, Elektronenakzeptoren wie Nitrat, oder andere ionische Nährstoffe. Viele der membranständigen Sensoren kommen aus den Familien der Zweikomponentensysteme (S. 505) oder sind Chemorezeptoren für die Chemotaxis (S. 523). Bei einigen Wachstumssubstraten, wie z. B. Glucose, besitzt dagegen der Transporter für die Aufnahme des Substrats eine zusätzliche sensorische Funktion und liefert das Signal. Die Kopplung des Transports mit einer Signalbildung ist naheliegend, weil der Carrier den ersten spezifischen Kontakt mit dem Substrat eingeht. Das intrazellu-

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diffusible Reizmoleküle (O2, H2, Pheromone Substrat, oder chemischer Reiz physikalischer Reiz (Temperatur)

Substrat

Carrier

Sensor

Substrat Stoffwechsel

Signal

Differenzierungszustand

Regulator

Enzymaktivität

Genexpression

Flagellenmotor

Abb. 16.13 Reizerkennung durch Bakterienzellen. Die Reizerkennung erfolgt meist durch spezifische membrangebundene Sensoren oder Carrier (z. B. Glucosetransporter). Diffusible Reizmoleküle oder physikalische Reize (Temperatur) werden in der Regel im Cytoplasma registriert. Intrazelluläre Signale können den Stoffwechsel- oder den Differenzierungszustand der Zelle wiedergeben.

läre Signal wird dann in Form eines kleinen Moleküls oder einer Proteinphosphorylierung gebildet. Reizmoleküle, die leicht in die Zelle diffundieren, sowie physikalische Reize wie Licht und Temperatur, werden oft erst im Cytoplasma von cytoplasmatischen Sensoren registriert. Zu den diffusiblen membrangängigen Reizmolekülen gehören Gase (O2, H2, NO), aber auch bakterielle Botenstoffe (Pheromone). Das zelluläre Signal kann auch in der chemischen Modifikation eines Signalproteins bestehen. Häufig sind es Phosphorylierungskaskaden, die nur aus zwei Proteinen, dem Sensor und dem Response-Regulator, bestehen. Der Response-Regulator (Antwortregulator) steuert dann die Genexpression, in einigen Fällen auch die Aktivität von Enzymen oder den Flagellenmotor. Wichtiges Beispiel für eine solche Regulation sind die Zweikomponentensysteme (S. 505).

16.4.2 Regulons, Stimulons und Netzwerke Die Expression von Genen ist in Bakterien hierarchisch reguliert und koordiniert. Einzelne Gene, die in Operons, einer Transkriptionseinheit von Genen, organisiert sind, werden in einem Transkript gemeinsam abgelesen. Operons codieren oft Gene spezifischer Stoffwechselwege (z. B. der Histidinbiosynthese) oder von Untereinheiten von Enzymkomplexen (z. B. der ATP-Synthase oder der

16.4 Reizaufnahme und Reizverarbeitung

– O2

– O2

FNR

Reizmolekül

Reiz

O2

ArcBA

außen

Sensor/ Regulator

Sensor

Transmitter (Kinase)

His

His ATP

innen frdABCD

narGHJI nirB

FNR-Regulon

P

ADP

cyoABCDE cydAB sdhCDAB ArcBA-Regulon

Sauerstoffstimulon

Empfänger

Asp

Asp

P

Regulator HTH Abb. 16.14 Sauerstoffstimulon in E. coli. Das Stimulon umfasst zwei Regulons. Die Gene eines Regulons werden jeweils von einem gemeinsamen Regulator (hier den Sauerstoffsensoren FNR bzw. ArcBA) kontrolliert. FNR aktiviert unter Anaerobiose die Expression vieler Gene des anaeroben Stoffwechsels, vor allem des anaeroben Elektronentransports. Dazu gehören die Strukturgene der Fumarat-Reduktase frdABCD, der NitratReduktase narGHJI und der löslichen Nitrit-Reduktase nirB. Das Zweikomponentensystem ArcBA reprimiert unter Anaerobiose viele Gene des aeroben Stoffwechsels, z. B. aus dem Citratzyklus und der aeroben Atmung, wie die Strukturgene der ChinolOxidasen cyoABCD und cydAB und der Succinat-Dehydrogenase sdhCDAB.

Nitrat-Reduktase). Gene oder Operons, die von einem übergeordneten Regulator kontrolliert werden, werden in einem Regulon zusammengefasst. So kontrolliert Sauerstoff in dem fakultativ anaeroben Bakterium E. coli die Expression mehrerer Hundert Gene, die über das Genom verstreut sind. Diese Gene oder Operons besitzen Promotoren, die von einem Regulatorprotein kontrolliert werden. Dadurch können alle Gene, die für eine bestimmte Stoffwechselsituation, wie O2-Mangel, benötigt werden, gemeinsam reguliert werden. Wichtige Umweltreize, z. B. Sauerstoff, werden oft durch mehrere unabhängige Sensoren erkannt, die eigene Regulons kontrollieren. Operons, die durch den gleichen Reiz (z. B. Sauerstoff) reguliert werden, werden als Stimulon bezeichnet. In einem Stimulon können verschiedene Regulons vorliegen, die über denselben Reiz (aber unterschiedliche Regulatoren) kontrolliert werden (▶ Abb. 16.14). Auf diese Weise kontrolliert die Verfügbarkeit von Sauerstoff in E. coli nicht nur den aeroben und anaeroben Energiestoffwechsel, sondern auch die Synthese der zugehörigen Cofaktoren, z. B. der Chinone oder Häm-Moleküle. In ▶ Tab. 16.4 sind einige übergeordnete Regelkreise von Bakterien zusammengestellt. Sie steuern übergeordnete Funktionen verschiedener Systeme wie Stoffwechsel, Stressantwort, Differenzierung und Interaktion mit anderen Bakterien.

Phosphatase

H2O

Pi

Zielgen Abb. 16.15 Aufbau und Funktion eines Zweikomponentensystems zur Regulation. Der Sensor (Histidin-Proteinkinase) ist ein Homodimer und besteht aus einer Sensor- und einer Kinase(oder Transmitter-)domäne. Der Phosphatrest wird von ATP auf die Kinasedomäne übertragen, energiereich als Histidinphosphat gebunden und auf den Aspartatrest des korrespondierenden Response-Regulators transferiert. Der ResponseRegulator besteht aus einer Empfängerdomäne für das Phosphat und einer regulatorischen DNA-bindenden Domäne (HelixTurn-Helix, HTH). Der Regulator wird ständig auch wieder dephosphoryliert. Dies geschieht entweder durch seine eigene Phosphataseaktivität, durch eine Aktivität der Sensorkinase bei Fehlen des Reizes oder durch eine unabhängige Phosphatase.

16.4.3 Aufbau und Funktion von Zweikomponentensystemen Zweikomponentensysteme sind die wichtigsten Systeme, mit denen Bakterien Umweltreize erkennen und verarbeiten. In den meisten Bakterien sind zahlreiche Zweikomponentensysteme zu finden; E. coli besitzt 30 davon. In geringer Zahl kommen sie auch in Pflanzen und Pilzen vor, nicht aber in Tieren. Wie der Name andeutet, bestehen diese Regelsysteme aus zwei Proteinen, der Sensorkinase und dem Response-Regulator (▶ Abb. 16.15). Die Sensorkinase ist im typischen Fall in der Cytoplasmamembran lokalisiert und erkennt mit einer Sensordomäne den Umweltreiz auf der Außenseite (bei gramnegativen Bakterien im Periplasma). Daraufhin wird die Kinase(oder Transmitter-)domäne auf der cytoplasmatischen Seite aktiviert, die sich an einem Histidinrest mit ATP autophosphoryliert. Der energiereiche Phosphatrest wird auf einen Aspartatrest des zugehörigen Response-Regulators (Antwortregulator) übertragen, der dadurch aktiviert wird. Der Regulator bindet an den Zielpromotor und steuert die Transkription der Zielgene. Die Reaktion der Zelle kann in einer veränderten Stoffwechselaktivität, einer Stressantwort oder einer Differenzierungsreaktion bestehen. Nach Abklingen des Reizes wird der Antwort-

5

Regulation von Stoffwechsel und Zellaufbau Tab. 16.4 Wichtige übergeordnete Regelkreise von Bakterien. Soweit nicht anders angegeben, stammen die Beispiele aus E. coli. System

Reiz

Sensor/Regulator

Stoffwechsel Glucoserepression

Glucose im Medium

Glucosetransport/CRP mit cAMP

stringente Kontrolle

Aminosäuremangel, unbeladene tRNA

Ribosom/RNA-Polymerasen mit ppGpp

aerober Stoffwechsel

Verfügbarkeit von O2

Zweikomponentensystem ArcB/ArcA

anaerobe Atmung, Gärung

Fehlen von O2

FNR (Sauerstoffsensor und Regulator)

N-Assimilierung

Mangel an NH3

Zweikomponentensystem NtrB/NtrC mit σ54

Osmoregulation

osmotischer Druck, K+-Konzentration

Zweikomponentensysteme EnvZ/OmpR und KdpD/KdpE

oxidativer Stress

reaktive O2-Produkte (H2O2, O2–)

OxyR und SoxRS

genereller Stress

Wachstumsrate, C-Mangel, T, u. a.

Regulatoren: RssB, σ38 (σS) und Proteasen

Hitzeschock

Temperatur, Proteindenaturierung

Regulatoren: rpoH-mRNA, σ32 und Proteasen

Stressantwort

Differenzierung Sporulation (Bacillus)

Umweltreize, Stoffwechsel, Zellzyklus

Zweikomponentensysteme und σ-Faktoren

asymmetrische Zellteilung (Caulobacter, Myxococcus)

Differenzierung

Zweikomponentensysteme Ser/Thr-Proteinkinasen, Proteasen

Interaktion mit Wirt, anderen Bakterien oder Umwelt Chemotaxis

Lock- und Schreckstoffe (Aminosäuren, Zucker, O2)

methylakzeptierende Chemotaxisproteine CheAY-Zweikomponentensystem

Quorum Sensing

Pheromone (Homoserinlactone, Peptide)

Zweikomponentensysteme und Lux-Proteine

regulator durch eine Phosphatase dephosphoryliert (inaktiviert). Die Phosphatase kann ein weiteres Protein sein, doch in vielen Fällen besitzen Antwortregulator oder der (reizfreie) Sensor diese Phosphataseaktivität. Diese Sensoren sind aus verschiedenen Domänen aufgebaut. Sie werden als Histidin-Proteinkinase bezeichnet, weil sie ATP-abhängig an einem Histidinrest in einer konservierten Kinasedomäne phosphoryliert werden. Die Sensordomäne des Proteins ist spezifisch für den Reiz und kann deshalb sehr unterschiedlich aufgebaut sein. Auch der Response-Regulator ist aus unterschiedlichen Domänen aufgebaut. Die regulatorische Domäne ist in vielen Fällen eine DNA-bindende Domäne mit einem Helix-Turn-Helix-Motiv. Ihre Fähigkeit, DNA zu binden, wird durch die Phosphorylierung verändert. Einige ResponseRegulatoren kontrollieren die Funktion von Enzymen oder die Drehrichtung des Flagellenmotors. Weitere bakterielle Sensoren zur Erkennung extrazellulärer Reize gehören zu den methylakzeptierenden Chemotaxisproteinen (MCPs) (S. 523) und alternativen σFaktoren mit extracytoplasmatischer Funktion (ECF-Familie der σ-Faktoren) (S. 520). Beim Signaltransfer mithilfe dieser σ-Faktoren spielt Proteolyse eine entscheidende Rolle. Diese Form des Signaltransfers ist an verschiedenen Formen der Stressregulation und an der Differenzierung von Zellen und der Koordination zwischen verschiedenen Kompartimenten beteiligt.

506

16.4.4 Intrazelluläre Signalmoleküle In einigen Fällen bilden Bakterien intrazelluläre (niedermolekulare) Signalmoleküle als Teil einer Signalkaskade oder als Funktion eines bestimmten Stoffwechselzustands. Diese Signalmoleküle oder Alarmone werden dann von Proteinen der Signalkaskade erkannt, die ihrerseits eine Vielzahl verschiedener Funktionen (z. B. die Genexpression) regulieren. Alarmone werden häufig als Teil einer Stressantwort gebildet oder spiegeln den Entwicklungs- oder Versorgungszustand der Zelle wider. Zu diesen Signalmolekülen gehören cAMP (zyklisches AMP), c-di-GMP (zyklisches di-GMP) oder ppGpp (Guanosintetraphosphat) (▶ Abb. 16.16). Sie besitzen nur regulatorische Funktion und werden eigens zu diesem Zweck von der Zelle synthetisiert.

16.5 Regulation von Katabolismus und Energiestoffwechsel Bakterien nutzen ein breites Spektrum an Energiesubstraten. Die Stoffwechselwege, die dafür erforderlich sind, werden meist nur bei Bedarf induziert. So wird in E. coli der Lactose- oder der Glycerinstoffwechsel durch Lactose und den Lac-Repressor bzw. Glycerin und den Regulator GlpR induziert. Viele Bakterien bevorzugen bestimmte Substrate, während andere Substrate mit niedrigerer Präferenz umgesetzt werden. Solche bevorzugten Substrate wie Glucose stehen oft dem Zentralstoffwechsel sehr na-

Regulation von Stoffwechsel und Zellaufbau Tab. 16.4 Wichtige übergeordnete Regelkreise von Bakterien. Soweit nicht anders angegeben, stammen die Beispiele aus E. coli. System

Reiz

Sensor/Regulator

Stoffwechsel Glucoserepression

Glucose im Medium

Glucosetransport/CRP mit cAMP

stringente Kontrolle

Aminosäuremangel, unbeladene tRNA

Ribosom/RNA-Polymerasen mit ppGpp

aerober Stoffwechsel

Verfügbarkeit von O2

Zweikomponentensystem ArcB/ArcA

anaerobe Atmung, Gärung

Fehlen von O2

FNR (Sauerstoffsensor und Regulator)

N-Assimilierung

Mangel an NH3

Zweikomponentensystem NtrB/NtrC mit σ54

Osmoregulation

osmotischer Druck, K+-Konzentration

Zweikomponentensysteme EnvZ/OmpR und KdpD/KdpE

oxidativer Stress

reaktive O2-Produkte (H2O2, O2–)

OxyR und SoxRS

genereller Stress

Wachstumsrate, C-Mangel, T, u. a.

Regulatoren: RssB, σ38 (σS) und Proteasen

Hitzeschock

Temperatur, Proteindenaturierung

Regulatoren: rpoH-mRNA, σ32 und Proteasen

Stressantwort

Differenzierung Sporulation (Bacillus)

Umweltreize, Stoffwechsel, Zellzyklus

Zweikomponentensysteme und σ-Faktoren

asymmetrische Zellteilung (Caulobacter, Myxococcus)

Differenzierung

Zweikomponentensysteme Ser/Thr-Proteinkinasen, Proteasen

Interaktion mit Wirt, anderen Bakterien oder Umwelt Chemotaxis

Lock- und Schreckstoffe (Aminosäuren, Zucker, O2)

methylakzeptierende Chemotaxisproteine CheAY-Zweikomponentensystem

Quorum Sensing

Pheromone (Homoserinlactone, Peptide)

Zweikomponentensysteme und Lux-Proteine

regulator durch eine Phosphatase dephosphoryliert (inaktiviert). Die Phosphatase kann ein weiteres Protein sein, doch in vielen Fällen besitzen Antwortregulator oder der (reizfreie) Sensor diese Phosphataseaktivität. Diese Sensoren sind aus verschiedenen Domänen aufgebaut. Sie werden als Histidin-Proteinkinase bezeichnet, weil sie ATP-abhängig an einem Histidinrest in einer konservierten Kinasedomäne phosphoryliert werden. Die Sensordomäne des Proteins ist spezifisch für den Reiz und kann deshalb sehr unterschiedlich aufgebaut sein. Auch der Response-Regulator ist aus unterschiedlichen Domänen aufgebaut. Die regulatorische Domäne ist in vielen Fällen eine DNA-bindende Domäne mit einem Helix-Turn-Helix-Motiv. Ihre Fähigkeit, DNA zu binden, wird durch die Phosphorylierung verändert. Einige ResponseRegulatoren kontrollieren die Funktion von Enzymen oder die Drehrichtung des Flagellenmotors. Weitere bakterielle Sensoren zur Erkennung extrazellulärer Reize gehören zu den methylakzeptierenden Chemotaxisproteinen (MCPs) (S. 523) und alternativen σFaktoren mit extracytoplasmatischer Funktion (ECF-Familie der σ-Faktoren) (S. 520). Beim Signaltransfer mithilfe dieser σ-Faktoren spielt Proteolyse eine entscheidende Rolle. Diese Form des Signaltransfers ist an verschiedenen Formen der Stressregulation und an der Differenzierung von Zellen und der Koordination zwischen verschiedenen Kompartimenten beteiligt.

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16.4.4 Intrazelluläre Signalmoleküle In einigen Fällen bilden Bakterien intrazelluläre (niedermolekulare) Signalmoleküle als Teil einer Signalkaskade oder als Funktion eines bestimmten Stoffwechselzustands. Diese Signalmoleküle oder Alarmone werden dann von Proteinen der Signalkaskade erkannt, die ihrerseits eine Vielzahl verschiedener Funktionen (z. B. die Genexpression) regulieren. Alarmone werden häufig als Teil einer Stressantwort gebildet oder spiegeln den Entwicklungs- oder Versorgungszustand der Zelle wider. Zu diesen Signalmolekülen gehören cAMP (zyklisches AMP), c-di-GMP (zyklisches di-GMP) oder ppGpp (Guanosintetraphosphat) (▶ Abb. 16.16). Sie besitzen nur regulatorische Funktion und werden eigens zu diesem Zweck von der Zelle synthetisiert.

16.5 Regulation von Katabolismus und Energiestoffwechsel Bakterien nutzen ein breites Spektrum an Energiesubstraten. Die Stoffwechselwege, die dafür erforderlich sind, werden meist nur bei Bedarf induziert. So wird in E. coli der Lactose- oder der Glycerinstoffwechsel durch Lactose und den Lac-Repressor bzw. Glycerin und den Regulator GlpR induziert. Viele Bakterien bevorzugen bestimmte Substrate, während andere Substrate mit niedrigerer Präferenz umgesetzt werden. Solche bevorzugten Substrate wie Glucose stehen oft dem Zentralstoffwechsel sehr na-

16.5 Regulation von Katabolismus und Energiestoffwechsel a

CH2 O

5'

O –O

Nutzung von Kohlenwasserstoffen, Fettsäuren oder Succinat durch Pseudomonas-Arten. Die Regulation des Kohlenstoffkatabolismus durch übergeordnete oder bevorzugte Substrate wird als Kohlenstoff-Katabolitregulation oder Glucoserepression bezeichnet. Transkriptionsregulatoren stellen sicher, dass z. B. bei gleichzeitiger Anwesenheit von Glucose und Lactose zunächst Glucose umgesetzt wird. Daher ist bei Anwesenheit von zwei Substraten ein zweiphasiges Wachstum zu beobachten, das durch die sequenzielle Verwertung der Substrate verursacht wird (Diauxie). Die Glucose-Lactose-Diauxie wurde von Jacques Monod bereits im Jahre 1942 beschrieben. Von ähnlicher Bedeutung ist die Wahl der Elektronenakzeptoren und der zugehörigen Stoffwechselwege bei fakultativ anaeroben Bakterien. Viele dieser Bakterien können durch aerobe oder anaerobe Atmung oder Gärung wachsen und nutzen die Elektronenakzeptoren gemäß einer Hierarchie (S. 442). Hier soll die übergeordnete katabole Regulation durch Glucose in gramnegativen (E. coli) und grampositiven (B. subtilis) Bakterien und die Regulation des Energiestoffwechsels von fakultativ anaeroben Bakterien durch Sauerstoff besprochen werden.

Adenin

3'

P

O

OH

O Adenosin-3',5'-monophosphat (cAMP) b

O –O

P

O O

P

O–

O CH2

Guanin

O

O–

O –

O

P

O O

OH

P

O

O– O– Guanosin-5'-diphosphat-3'-diphosphat (ppGpp) O c

N

NH

OH OH O O

P

O

N

O

N

NH2

O O H2N

N

N

O

O

P

O

OH

16.5.1 Übergeordnete Regulation des Kohlenstoffkatabolismus

OH

HN

N O

Bis-(3',5')-di-Guanosinmonophosphat (zyklisches di-GMP oder c-di-GMP)

In vielen Bakterien, besonders den glykolytischen, ist Glucose das bevorzugte Kohlenstoff- und Energiesubstrat. Glucose verhindert die gleichzeitige Verwertung „minderwertiger“ alternativer Substrate. In E. coli ist CRP (engl. cAMP receptor protein) für diese Glucoserepression verantwortlich. Dieser Regulator steuert die Expression einer Vielzahl von Genen, die für die Verwertung alternativer Substrate benötigt werden. Als Sensor für Glucose dient der Glucosetransport, der die Bildung des intrazellulären Signals oder Alarmons cAMP (Abb. 16.16) steuert. Die Glucoseaufnahme erfolgt durch das Phosphotransferasesystem (PTS) (S. 340). Dabei wird über eine Enzymkaskade der Phosphorylrest des Phosphoenolpyruvats (PEP) in energiereicher Form auf das Enzym EIIA übertra-

Abb. 16.16 Einige wichtige Alarmone und Signalstoffe aus Bakterien. a Zyklisches AMP, (cAMP), beteiligt an der Glucoserepression der Enterobakterien. b Guanosintetraphosphat (ppGpp), beteiligt an der stringenten Kontrolle in E. coli. c c-di-GMP, ein Regulator der Differenzierung in Caulobacter und vieler weiterer Prozesse in anderen Bakterien.

he. Jedoch können auch andere Substrate, die am Standort des Bakteriums eine besondere Bedeutung haben, bevorzugt genutzt werden; die Bakterien sind an die Verwendung dieser Substrate adaptiert. Dies gilt z. B. für die

innen

außen Glp P

P PE P

Pyruvat

HPr

E II A

P

P

EI

HPr

E II A

EI

Glycerin

PPi + cAMP AdenylatCyclase ATP

Glucose-6- P

P

E II

B

C

Glucose

Abb. 16.17 Glucoserepression in E. coli. Das Phosphotransferasesystem (PTS) für Glucose ist gleichzeitig ein Glucosesensor. Der Glucose-Carrier EIIBC wird über die Proteine EI, HPr und EIIA phosphoryliert. Der Phosphorylierungsgrad von EIIA hängt vom Glucosetransport ab. Bei Glucosemangel (EIIA~P-Gehalt hoch) wird die AdenylatCyclase stimuliert. In Anwesenheit von Glucose hemmt nichtphosphoryliertes EIIA die Carrier für alternative Substrate, z. B. Glycerin (Induktorausschluss). EI, HPr, EIIA werden an Histidinresten phosphoryliert, EIIBC an einem Cysteinrest.

7

Regulation von Stoffwechsel und Zellaufbau Glucosemangel

innen

außen

cAMP CRP CRP/cAMP

lac I mRNA

A

P

O

lac ZYA mRNA

β -Galactosidase (LacZ) Allolactose Lactose

Abb. 16.18 Transkriptionelle Regulation des lac-Operons durch Glucoserepression und Lactoseinduktion. Die lactosespezifische Induktion (Derepression) erfolgt durch den Repressor LacI und Allolactose als Induktor, die Glucoserepression (Katabolitregulation) durch CRP. Der CRP/cAMPKomplex bindet an die Aktivatorbindestelle A und stimuliert den Transkriptionsstart. Eine effektive Transkription findet nur in Anwesenheit von Lactose und bei fehlender Glucose statt.

Lactose Permease (LacY) H+

LacI Repressor

gen, das dann den Glucose-Carrier (EIIBC) phosphoryliert (▶ Abb. 16.17). Die Glucose wird bei der Aufnahme phosphoryliert. Dabei wird der Phosphatrest verbraucht und das Enzym EIIA liegt in der dephosphorylierten Form vor. Ist dagegen keine Glucose im Medium vorhanden, bleibt EIIA zum größten Teil phosphoryliert. Das Verhältnis EIIA zu EIIA~Phosphat stellt also das zelluläre Signal für die Verfügbarkeit von Glucose im Medium dar. EIIA~Phosphat interagiert mit der Adenylat-Cyclase, stimuliert deren Aktivität und es entsteht cAMP. Der cAMPSpiegel ist also ein Maß für die Verfügbarkeit von Glucose – ist er niedrig, ist viel Glucose vorhanden, ist er hoch, herrscht ein Mangel. Die Wirkung von cAMP und die Glucoserepression sollen am Beispiel der Lactoseverwertung erläutert werden (Abb. 16.18). Das lac-Operon codiert drei Proteine des Lactoseabbaus, darunter eine β-Galactosidase (LacZ), die das Disaccharid Lactose (Glc-β-1,4-Gal) spaltet. Der LacRepressor LacI bindet bei Lactosemangel an den Operator und verhindert die Bindung der RNA-Polymerase. Ändern sich die Bedingungen und Lactose ist vorhanden, bildet die β-Galactosidase als Nebenreaktion durch Transglykosylierung aus Lactose Allolactose (Glc-β-1,6-Gal), die Induktor des LacI-Repressors ist. Der LacI/Allolactose-Komplex fällt vom Operator ab und gibt den Promotor frei (▶ Abb. 16.4 und ▶ Abb. 16.18). Eine effektive Transkription des lac-Operons erfordert zusätzlich jedoch eine Genaktivierung durch den CRP/cAMP-Komplex. Bei Glucosemangel ist der Gehalt an cAMP hoch. CRP/cAMP bindet stromaufwärts des Promotors und stimuliert die Expression des lac-Operons durch Bildung eines Transkriptionskomplexes mit der RNA-Polymerase. Damit sind erst in Anwesenheit von Lactose (Lactoseinduktion) und bei gleichzeitigem Fehlen von Glucose (Wegfall der Glucoserepression und Genaktivierung durch CRP/cAMP) die Bedingungen für die effektive Expression des lac-Operons erfüllt.

508

In vielen Bakterien ist Glucose ein bevorzugtes Substrat und die Glucoserepression ist in ähnlicher Form wie in E. coli zu finden. So stellt die Katabolitregulation in grampositiven Bakterien wie B. subtilis oder Staphylococcus eine Variation der von E. coli bekannten Regulation dar (Plus 16.4), während in anderen Bakterien ein Cometabolismus von Glucose mit anderen Kohlenstoffquellen möglich ist. In vielen Bakterien, auch in E. coli und B. subtilis, ist die Glucoserepression von weiteren Regulationssystemen überlagert, welche die Transkription oder Translation von Genen alternativer (Nicht-Glucose) Substrate steuern. Viele Bakterien, z. B. Pseudomonaden oder Acinetobacter, verwenden aliphatische oder aromatische Kohlenwasserstoffe oder Carbonsäuren als wichtige Kohlenstoffquelle; sie bauen Zucker nicht über die Glykolyse ab und verwenden kein Glucose-Phosphotransferasesystem. In diesen Bakterien wird die Nutzung von weniger bevorzugten Substraten besonders durch Succinat und weniger durch Glucose reprimiert. Es scheint, dass die katabolen Operons hauptsächlich durch operonspezifische Regulation und weniger durch eine generelle Katabolitrepression reguliert werden. An dieser Expressionskontrolle sind sRNAs beteiligt, die die Funktion von spezifischen Genregulatoren steuern. Man kann deshalb festhalten, dass viele Bakterien die Nutzung der Kohlenstoffquelle in besonderer Weise regulieren und die C-Substrate in einer festgelegten Abfolge umsetzen. Dazu wird häufig eine Katabolitrepression eingesetzt, die den von einem Phosphotransferasesystem vermittelten Transport von Glucose als wichtiges sensorisches und regulatorisches Prinzip beinhaltet. Vor allem nichtglykolytische Bakterien scheinen aber andere Regulationssysteme für eine übergeordnete Regulation des Kohlenstoffmetabolismus zu nutzen.

16.5 Regulation von Katabolismus und Energiestoffwechsel

●V

Plus 16.4 Katabolitregulation in grampositiven Bakterien Grampositive Bakterien wie B. subtilis oder Staphylococcus sp. reprimieren die Verwertung anderer Kohlenstoffquellen, wenn Glucose oder Fructose als leicht verwertbare Kohlenstoffquellen vorliegen. Diese Bakterien besitzen ein Phosphotransferasesystem (PTS) (S. 340) für Glucose, das dem von E. coli ähnlich ist (▶ Abb. 10.6). Das EIIA-Protein ist jedoch Teil des membranständigen EII-Carriers (▶ Abb. 16.19). Die Bakterien verwenden anstelle des CRPProteins den Repressor CcpA (engl. catabolite control protein A), dessen Funktionszustand durch das HPr-Protein, ein

Histidinprotein, kontrolliert wird. Das HPr-Protein wird dazu zusätzlich durch die Kinase PtsK an einem Serinrest phosphoryliert (regulatorische Phosphorylierung) und reprimiert dann im Komplex mit CcpA die Expression von Genen alternativer Stoffwechselwege, z. B. das Amylasegen amyE. Das Schlüsselsignal ist Fructose-1,6-bisphosphat (FBP), dessen Konzentration bei hoher glykolytischer Aktivität steigt und die Aktivität der HPr-Kinase/Phosphorylase reguliert. FBP ist ein Indikator für die Anwesenheit der leicht verwertbaren glykolytischen Substrate Glucose und Fructose.

CcpA H HPr S P

amyE Reguationssystem

CcpA H HPr S P

Pi

ADP

HPr-Phosphatase PPi PE P

GlucosePTS (Sensor)

EI P

Pyruvat

EI

HPr-Kinase ATP H HPr S P H HPr S

Fructose-1,6bisphosphat P P

A B

Abb. 16.19 Glucose-Phosphotransferasesystem und Glucoserepression in grampositiven Bakterien. In grampositiven Bakterien ist EIIA eine Domäne des Glucose-Carriers. Der Repressor CcpA (catabolite control protein A) reprimiert zusammen mit HPr die Gene alternativer Abbauwege (z. B. amyE für eine α-Amylase). HPr wird durch die Kinase PtsK in Anwesenheit von Fructose-1,6-bisphosphat an einem Serinrest phosphoryliert (regulatorische Phosphorylierung).

Glucose-6phosphat innen

C EII außen Glucose

16.5.2 Regulation des Stoffwechsels durch Elektronenakzeptoren In fakultativ anaeroben Bakterien wie E. coli hat molekularer Sauerstoff Auswirkungen auf viele Zell- und Stoffwechselfunktionen. Dazu gehören der aerobe und anaerobe Energiestoffwechsel, Schutzmechanismen gegen toxische O2-Produkte und die Regulation der Aerotaxis. Wir besprechen hier die Regulation des Energiestoffwechsels durch O2. Die Reaktion auf den O2-Stress wird weiter unten (S. 518) behandelt. E. coli nutzt verschiedene Wege des Energiestoffwechsels in Abhängigkeit vom O2-Angebot: aerobe Atmung, anaerobe Atmung sowie Gärung (▶ Abb. 16.20). Die Reihenfolge entspricht der abnehmenden ATP-Ausbeute (Plus 16.5). Es wird stets der Stoffwechselweg gewählt, der unter den gegebenen Bedingungen die höchste ATP-Ausbeute ermöglicht. Das Umschalten zwischen den Stoffwechselwegen erfolgt auf der Transkriptionsebene durch Regulatoren, die Elektronenakzeptoren (O2, Nitrat, Nitrit, Fumarat) erkennen. Beim Übergang vom aeroben zum anaeroben Wachstum wird die Expression sehr vieler (in E. coli mehrerer Hundert)

Plus 16.5

●V

Glucosestoffwechsel in E. coli unter Aerobiose und Anaerobiose (vgl. ▶ Abb. 16.20)

Glucose wird unter allen Bedingungen zu Pyruvat abgebaut. Bei aerobem Wachstum (≥ 0,5 % Luftsättigung) und Glucoselimitierung wird Pyruvat zu CO2 oxidiert. Die Reduktionsäquivalente werden in der aeroben Atmung verbraucht. Wenn kein O2 sondern andere Elektronenakzeptoren (Nitrat, Nitrit, Fumarat, Trimethylamin-N-oxid [TMAO], oder Dimethylsulfoxid [DMSO]) vorliegen, wird Pyruvat unter Beteiligung von Pyruvat-Dehydrogenase und Pyruvat-Formiat-Lyase nur bis zum Acetat oxidiert und dieses wird ausgeschieden (S. 271). Der Citratzyklus ist unter Anaerobiose reprimiert, da die 2-Oxoglutarat-Dehydrogenase nicht mehr gebildet wird. Die überschüssigen Reduktionsäquivalente (8[H]), die bei der Oxidation der Glucose zu 2 Acetat und 2 CO2 freigesetzt werden, werden in der anaeroben Respiration zur ATP-Bildung genutzt. Liegt kein externer Elektronenakzeptor vor, wird Pyruvat in einer gemischten Säuregärung (S. 425) fermentiert, wobei Pyruvat durch die Pyruvat-Formiat-Lyase gespalten wird.

9

Regulation von Stoffwechsel und Zellaufbau

●V

Plus 16.6 Nutzung alternativer Atmungsenzyme Viele Bakterien besitzen verzweigte Atmungsketten (S. 280), die alternative Redoxenzyme für das gleiche Substrat verwenden. So sind in E. coli zwei NADH-Dehydrogenasen (NADH:Ubichinon-Oxidoreduktasen) zu finden. Die NADH-Dehydrogenase I, nicht aber die NADH-Dehydrogenase II, koppelt die Oxidation von NADH an die Translokation von H+ über die Membran und damit an den Aufbau eines Potenzials (S. 281). Das Enzym katalysiert in der NADH-Fumarat-Atmung den einzigen energiekonservierenden Schritt und ist deshalb unter diesen Bedingungen essenziell. In der aeroben Atmung gibt es dagegen weitere Schritte, bei denen Energie konserviert wird. Deshalb spielt dort die NADH-Dehydrogenase II wegen ihrer höheren Ak-

Gene verändert. Deshalb stellt O2 in fakultativ anaeroben Bakterien einen der wichtigsten regulatorischen Reize dar. In dieser hierarchischen Regulation unterdrückt O2 den anaeroben Energiestoffwechsel und induziert den Citratzyklus und den aeroben Elektronentransport. Unter Anaerobiose reprimiert Nitrat alle anderen Atmungssysteme (z. B. Fumarat- und Dimethylsulfoxid-(DMSO)-Respiration) und die Gärung. Freie Energie und ATP-Ausbeute nehmen beim Übergang vom aeroben Stoffwechsel zur anaeroben Nitrat- und Fumaratatmung oder Gärung jeweils deutlich ab. Durch diese Regulation wird immer

tivität, trotz der fehlenden Kopplung der NADH-Oxidation an die Translokation von Protonen, die größere Rolle. Sie erlaubt hohe Atmungsraten. In ähnlicher Weise besitzt E. coli, wie viele andere Bakterien, mehr als eine terminale Oxidase. So nutzt E. coli bei aerobem Wachstum die Chinol-Oxidase Cyt o (S. 280), die insgesamt 4 H+ pro 1/2 O2 transloziert. Bei Sauerstofflimitierung (mikroaerobe Verhältnisse) wird diese durch die Oxidase Cyt d ersetzt, die eine höhere Affinität für Sauerstoff aufweist, aber nur 2 H+ pro 1/2 O2 transloziert. Auf diese Weise können Bakterien die Stoffwechseleigenschaften durch Verwendung geeigneter Isoenzyme an ihre Bedürfnisse anpassen.

der Stoffwechsel mit der höchsten ATP-Ausbeute genutzt (Plus 16.5, ▶ Abb. 16.20).

Regulatorsysteme Drei Regulatorsysteme sind für die Ausbildung dieser Hierarchie der Stoffwechselsysteme verantwortlich, die Sauerstoffregulatoren ArcBA und FNR, und der Nitratregulator NarXL. Das Zweikomponentensystem ArcBA (engl. aerobic respiratory control) ist der hauptsächliche Regulator der Gene des aeroben Stoffwechsels; reguliert werden Gene der Chinol-Oxidase Cyt bo3, des Citratzyklus,

Glucose

Abb. 16.20 Aerobes und anaerobes Wachstum fakultativ anaerober Bakterien mit Glucose. a Aerober Stoffwechsel. b In der anaeroben Atmung mit Nitrat, Nitrit, Fumarat, Trimethylamin-N-oxid (TMAO) oder Dimethylsulfoxid (DMSO) ist der Citratzyklus reprimiert, Pyruvat wird nur zu Acetat oxidiert und dieses wird ausgeschieden. c Gemischte Säuregärung. Die Werte für die freie Energie ΔG0’ gelten für die Stoffwechselreaktionen von a, b und c.

2 ADP + 2 P

Glykolyse

2 ATP Pyruvat Pyruvat-Dehydrogenase Citratzyklus

2 Acetat 2 CO2 + 8 [H]

24 [H] + 6 O2

8 [H] + NO3– + 2 H+

ADP + P n ATP 12 H2O

a aerobe Atmung Glucose + 6 O2 6 CO2 + 12 H2O

freie Energie ∆G0' = –2830 kJ mol–1

510

Acetat-Kinase

6 CO2 24 [H]

Elektronentransport

Gesamtreaktion

Pyruvat-Formiat-Lyase

1 Acetat + 1 Ethanol + 2Formiat

ADP + P n ATP NH4+ + 3 H2O b anaerobe Atmung Glucose + HNO3 2 Acetat + 2 CO2 + NH3 ∆G0' = –806 kJ mol–1

c gemischte Säuregärung Glucose

1 Acetat

+ 1 Ethanol + 1 Formiat ∆G0' = –218 kJ mol–1

16.5 Regulation von Katabolismus und Energiestoffwechsel

a aerob O2 Oxidase

½ O2

QH2 Q

HS H2O HS

S

SH SH

Arc B

SH SH

Arc B

S

S S

Arc B inaktiv

b anaerob

Oxidase QH2 HS HS

Arc A

P P

pfl

cyo ABCDE

Abb. 16.21 Der Sauerstoffsensor ArcBA von E. coli. a Die Histidin-Proteinkinase ArcB erkennt O2 indirekt über den aeroben Elektronentransport. In Anwesenheit von O2 liegt oxidiertes Ubichinon (Q) vor, das zwei Cysteinpaare des dimeren ArcB zum Disulfid oxidiert und ArcB inaktiviert. Die Disulfidbildung erfolgt jeweils zwischen zwei verschiedenen ArcB-Molekülen des Dimers (intermolekulares Disulfid). b Bei anaeroben Verhältnissen liegen die Cysteinreste als Dithiol vor. Reduziertes ArcB ist aktiv und phosphoryliert ArcA. Arc~P inhibiert die Expression von Genen des aeroben Stoffwechsels, während es gleichzeitig einige Gene des anaeroben Stoffwechsels aktiviert. cyoABCDE, Strukturgene Chinol-Oxidase Cyt o; pfl, Strukturgen der Pyruvat-FormiatLyase.

der Pyruvat-Dehydrogenase und viele weitere (S. 285). ArcB, die membrangebundene Sensorkinase, registriert die Anwesenheit von O2 indirekt: In Anwesenheit von O2 oxidieren die Chinol-Oxidasen Cyt bo3 und Cyt bd3 das Ubichinol (▶ Abb. 16.21). Oxidiertes Ubichinon oxidiert seinerseits ein reaktives Paar von Cysteinresten in der dimeren Sensorkinase ArcB und es entsteht ein intermole-

Gene

P ArcB

kulares Disulfid zwischen zwei ArcB-Monomeren (inaktives ArcB). Fehlt Sauerstoff, sind die Chinone reduziert und die beiden Cysteinreste liegen als Dithiol vor. In dieser Form ist ArcB aktiv und phosphoryliert den Response-Regulator ArcA, der die Expression von Genen des aeroben Stoffwechsels reprimiert und die Expression einiger Gene des anaeroben Stoffwechsels aktiviert (▶ Abb. 16.21, ▶ Abb. 16.22). FNR (Fumarat-Nitrat-Reduktase-Regulator), ein cytoplasmatischer Genaktivator und dimeres DNA-bindendes Protein, ist der hauptsächliche Regulator der Gene des anaeroben Stoffwechsels (▶ Abb. 16.23). FNR besitzt eine Sensordomäne mit einem Fe4S4-Zentrum, das in Anwesenheit von O2 erst in ein Fe2S2-Zentrum zerfällt (▶ Abb. 16.23) und dann ganz verloren geht. Dabei monomerisiert FNR und verliert seine Fähigkeit zur DNA-Bindung und zur Genregulation, die in vielen Fällen (wie bei dem verwandten CRP-Protein) in einer Genaktivierung besteht. Im intakten Zustand (unter anaeroben Verhältnissen) stimuliert FNR die Expression von Genen des anaeroben Elektronentransports und der Gärung. Außerdem wird die Expression einer sRNA (FnrS) stimuliert, die an die mRNA verschiedener Gene des aeroben Stoffwechsels (u. a. sodA und cydDC) bindet und deren Expression hemmt (▶ Abb. 16.23). Bereits wenig O2 (0,5 % Luftsättigung oder 1 μM gelöstes O2) reicht aus, damit genügend O2 in die Zelle diffundiert und FNR inaktiviert wird. Nitrat und Nitrit werden unabhängig von Sauerstoff durch ein Nitrat/Nitrit-Zweikomponentensystem detektiert. Das System besteht aus der membrangebundenen Nitratsensorkinase NarX, die Nitrat und Nitrit erkennt, und dem Response-Regulator NarL. Phosphoryliertes NarL aktiviert die Gene der Nitratatmung wie die Nitratund Nitrit-Reduktase, die Formiat-Dehydrogenase und den Nitrat-Carrier. Dagegen werden die Gene der anderen anaeroben Atmungssysteme und der Fermentation reprimiert (▶ Abb. 16.22). Diese Regulatoren wirken häufig gemeinsam auf die Expression von Operons. Entsprechend sind deren Promotoren komplex aufgebaut und enthalten Bindungsstellen für mehrere Genregulatoren. Durch das Zusammenwirken verschiedener Regulatoren wird mit wenigen Elementen eine komplexe Antwort generiert.

ArcA

P

Citratzyklus

(aktiv)

–O2

Fe4S4

Dehydrogenase, aerobe Atmung

FNR (aktiv)

P

NO3–

NarL

NarX



NO2

außen

innen

P

Dehydrogenase, anaerobe Atmung Fumarat-Reduktase, DMSO-Reduktase Gärung

Abb. 16.22 Regulation des Energiestoffwechsels von E. coli durch O2 und Nitrat. Die Übersicht zeigt wichtige Stoffwechselsysteme und die Expressionskontrolle der zugehörigen Strukturgene durch die Sauerstoffregulatoren FNR und ArcBA und den Nitratregulator NarXL. Unterschiedliche Kombinationen und positive oder negative Effekte der Regulatoren führen zur Expression der Gene entsprechend einer Hierarchie der Elektronenakzeptoren.

Nitrat-Reduktase

1

Regulation von Stoffwechsel und Zellaufbau

O2

außen

1 – 4 μM O2 Fe4S4

Fe2S2

FNR

fnrS

FNR

2 Fe2+ 2 S2–

Hfq cyd AB

innen

frd ABCD

Abb. 16.23 Der Sauerstoffsensor FNR in E. coli. Der Sauerstoffpartialdruck wird im Cytoplasma und an der Cytoplasmamembran gemessen. O2 diffundiert bereits bei geringer Konzentration in die Zelle und reagiert mit den Fe4S4-Zentren des dimeren FNRs. FNR monomerisiert und ist nicht mehr in der Lage, an die Promotoren der regulierten Gene zu binden. Einige Gene (z. B. das Chinol-Oxidase-Operon cydAB) werden indirekt durch FNR reguliert: FNR stimuliert unter anaeroben Bedingungen die Synthese einer sRNA (fnrS), die mithilfe des HfqProteins die Transkription von Genen inhibiert.

16.6 Regulation der Stickstoffassimilierung Stickstoff macht etwa 14 % des Trockengewichts von Bakterien aus. Wie in bereits früher (S. 299) dargelegt, kostet die Bindung jedes NH3-Moleküls an seine Trägermoleküle (Glutamat, Glutamin) jeweils 1 ATP. Schlüsselenzym für die Assimilierung ist die Glutamin-Synthetase. Die Glutamin-Synthetase katalysiert die folgende Reaktion: Glutamat + NH3 + ATP → Glutamin + ADP + Pi. Sie wird auf der Ebene der Enzymaktivität reguliert, um die Stickstoffassimilierung schnell an den aktuellen Bedarf anzupassen. Zusätzlich wird die Expression transkriptionell reguliert, um die Aktivität an eine längerfris-

Glutamin-Synthetase

tige Situation anzupassen. Durch die komplexe Regulation wird einerseits die Versorgung mit einem wichtigen Element sichergestellt und andererseits eine aufwendige Synthese auf das notwendige Maß beschränkt. Die Regulation des Stickstoffmetabolismus zeigt in Prokaryonten eine erstaunliche Vielfalt. Auch wenn die Strategie der Regulation in vielen Fällen ähnlich ist, so gibt es doch beträchtliche Unterschiede bei den verwendeten Regulatoren und den regulierten Genen. Im Folgenden wird die Regulation der Ammoniumassimilierung und der N2-Fixierung von E. coli und verwandten Bakterien beschrieben, die sehr gut untersucht ist. ▶ Regulation der Glutamin-Synthetase auf der Ebene der Enzymaktivität.. Die Aktivität der Glutamin-Synthetase wird allosterisch und durch kovalente Modifikation kontrolliert. AMP als Signalmolekül für Energiehunger sowie verschiedene N-haltige Verbindungen, die aus Glutamin gebildet werden, wie die Endprodukte CTP, Tryptophan, Histidin und Carbamoylphosphat und andere Aminosäuren, hemmen die Glutamin-Synthetase allosterisch. Bei längerfristiger guter Versorgung mit fixiertem Stickstoff wird das Enzym zusätzlich durch kovalente Modifikation inaktiviert (▶ Abb. 16.24). Die Glutamin-Synthetase besteht aus 12 identischen Untereinheiten, von denen jede an einem Tyrosinrest adenyliert werden kann. Adenylierung (= Übertragung einer AMP-Gruppe) und Deadenylierung (= Entfernung einer AMP-Gruppe) werden durch die Versorgung der Zelle mit fixiertem Stickstoff (N-Status) und ATP (Energiestatus) kontrolliert. An der Reaktion sind zwei Enzyme und ein regulatorisches Protein (PII) beteiligt. Die Uridyltransferase (UTase, überträgt eine UMP-Gruppe) ist der primäre Sensor des N-Status. Bei niedrigem N-Gehalt (d. h. niedriger Glutaminund hoher 2-Oxoglutarat-Konzentration) uridyliert das Enzym den Regulator PII. Bei guter N-Versorgung ist das

12

Oxoglu, ATP Gln UTP

PPi

12 ATP Adenyltransferase PII 12 PPi

Uridyltransferase uridylabspaltendes Enzym UMP

12 ADP AdenylPII transferase UMP

H2O

Glu Oxoglu Glutamin-Synthetase– AMP (inaktiv)

512

12

12 Pi

Abb. 16.24 Regulation der Glutamin-Synthetase durch kovalente Modifikation. Die 12 Untereinheiten der Glutamin-Synthetase können an einem Tyrosinrest adenyliert werden. Die kovalente Modifikation wird durch das Angebot an assimiliertem Stickstoff (Verhältnis von [Glutamin + Glutamat]/ 2-Oxoglutarat) (S. 299) und dem Energiestatus (ATP-Gehalt) reguliert (allosterische Regulation). Sensor ist die Uridyltransferase, die einen Uridylrest übertragen und auch abspalten kann (uridylabspaltendes Enzym). Das PII-Protein (PII-Form oder PII-UMP) kontrolliert die Aktivität der Adenyltransferase.

Regulation von Stoffwechsel und Zellaufbau

O2

außen

1 – 4 μM O2 Fe4S4

Fe2S2

FNR

fnrS

FNR

2 Fe2+ 2 S2–

Hfq cyd AB

innen

frd ABCD

Abb. 16.23 Der Sauerstoffsensor FNR in E. coli. Der Sauerstoffpartialdruck wird im Cytoplasma und an der Cytoplasmamembran gemessen. O2 diffundiert bereits bei geringer Konzentration in die Zelle und reagiert mit den Fe4S4-Zentren des dimeren FNRs. FNR monomerisiert und ist nicht mehr in der Lage, an die Promotoren der regulierten Gene zu binden. Einige Gene (z. B. das Chinol-Oxidase-Operon cydAB) werden indirekt durch FNR reguliert: FNR stimuliert unter anaeroben Bedingungen die Synthese einer sRNA (fnrS), die mithilfe des HfqProteins die Transkription von Genen inhibiert.

16.6 Regulation der Stickstoffassimilierung Stickstoff macht etwa 14 % des Trockengewichts von Bakterien aus. Wie in bereits früher (S. 299) dargelegt, kostet die Bindung jedes NH3-Moleküls an seine Trägermoleküle (Glutamat, Glutamin) jeweils 1 ATP. Schlüsselenzym für die Assimilierung ist die Glutamin-Synthetase. Die Glutamin-Synthetase katalysiert die folgende Reaktion: Glutamat + NH3 + ATP → Glutamin + ADP + Pi. Sie wird auf der Ebene der Enzymaktivität reguliert, um die Stickstoffassimilierung schnell an den aktuellen Bedarf anzupassen. Zusätzlich wird die Expression transkriptionell reguliert, um die Aktivität an eine längerfris-

Glutamin-Synthetase

tige Situation anzupassen. Durch die komplexe Regulation wird einerseits die Versorgung mit einem wichtigen Element sichergestellt und andererseits eine aufwendige Synthese auf das notwendige Maß beschränkt. Die Regulation des Stickstoffmetabolismus zeigt in Prokaryonten eine erstaunliche Vielfalt. Auch wenn die Strategie der Regulation in vielen Fällen ähnlich ist, so gibt es doch beträchtliche Unterschiede bei den verwendeten Regulatoren und den regulierten Genen. Im Folgenden wird die Regulation der Ammoniumassimilierung und der N2-Fixierung von E. coli und verwandten Bakterien beschrieben, die sehr gut untersucht ist. ▶ Regulation der Glutamin-Synthetase auf der Ebene der Enzymaktivität.. Die Aktivität der Glutamin-Synthetase wird allosterisch und durch kovalente Modifikation kontrolliert. AMP als Signalmolekül für Energiehunger sowie verschiedene N-haltige Verbindungen, die aus Glutamin gebildet werden, wie die Endprodukte CTP, Tryptophan, Histidin und Carbamoylphosphat und andere Aminosäuren, hemmen die Glutamin-Synthetase allosterisch. Bei längerfristiger guter Versorgung mit fixiertem Stickstoff wird das Enzym zusätzlich durch kovalente Modifikation inaktiviert (▶ Abb. 16.24). Die Glutamin-Synthetase besteht aus 12 identischen Untereinheiten, von denen jede an einem Tyrosinrest adenyliert werden kann. Adenylierung (= Übertragung einer AMP-Gruppe) und Deadenylierung (= Entfernung einer AMP-Gruppe) werden durch die Versorgung der Zelle mit fixiertem Stickstoff (N-Status) und ATP (Energiestatus) kontrolliert. An der Reaktion sind zwei Enzyme und ein regulatorisches Protein (PII) beteiligt. Die Uridyltransferase (UTase, überträgt eine UMP-Gruppe) ist der primäre Sensor des N-Status. Bei niedrigem N-Gehalt (d. h. niedriger Glutaminund hoher 2-Oxoglutarat-Konzentration) uridyliert das Enzym den Regulator PII. Bei guter N-Versorgung ist das

12

Oxoglu, ATP Gln UTP

PPi

12 ATP Adenyltransferase PII 12 PPi

Uridyltransferase uridylabspaltendes Enzym UMP

12 ADP AdenylPII transferase UMP

H2O

Glu Oxoglu Glutamin-Synthetase– AMP (inaktiv)

512

12

12 Pi

Abb. 16.24 Regulation der Glutamin-Synthetase durch kovalente Modifikation. Die 12 Untereinheiten der Glutamin-Synthetase können an einem Tyrosinrest adenyliert werden. Die kovalente Modifikation wird durch das Angebot an assimiliertem Stickstoff (Verhältnis von [Glutamin + Glutamat]/ 2-Oxoglutarat) (S. 299) und dem Energiestatus (ATP-Gehalt) reguliert (allosterische Regulation). Sensor ist die Uridyltransferase, die einen Uridylrest übertragen und auch abspalten kann (uridylabspaltendes Enzym). Das PII-Protein (PII-Form oder PII-UMP) kontrolliert die Aktivität der Adenyltransferase.

16.6 Regulation der Stickstoffassimilierung

AmtB

NH4+

UTP

NtrC Pi

ATP NtrB

H2O

PII

P

-Polymeras NA 54

σ

PII uridylabspaltendes Enzym UMP

e

R

NtrC

PPi

Uridyltransferase NtrB

ADP

Oxoglutarat↑ Glutamin↓

H2O

Oxoglutarat↓ Glutamin↑

glnA glnL glnG

UMP

Abb. 16.25 Transkriptionelle Kontrolle des Glutamin-Synthetase-Operons (glnALG) von E. coli durch das NtrBC-Zweikomponentensystem. Das glnALG-Operon codiert die Glutamin-Synthetase (GlnS) und das Zweikomponentensystem NtrBC mit der Sensorkinase NtrB und dem ResponseRegulator NtrC. Die Uridyltransferase (▶ Abb. 16.24) erkennt den N- und Energiestatus und kontrolliert die Uridylierung von PII. Das PII-Protein interagiert mit dem NH4+-Transporter AmtB und hemmt bei guter N-Versorgung die Aufnahme von NH4+.

P54 mRNA GlnS NtrB NtrC

gleiche Enzym dagegen als uridylabspaltendes Enzym aktiv und bildet freies PII-Protein. Das PII-Protein bindet an die Adenyltransferase, die im Komplex mit PII als Adenyltransferase, mit PII-UMP dagegen als adenylabspaltendes Enzym fungiert. Die Adenyltransferaseform adenyliert die Glutamin-Synthetase und inaktiviert sie dadurch, während die adenylabspaltende Enzymform wieder aktive Glutamin-Synthetase bildet. Durch diese Regulationskaskade ist die Glutamin-Synthetase bei Mangel an fixiertem Stickstoff und hohem ATP-Gehalt im aktiven Zustand, während sie bei ausreichender N-Versorgung und/oder ATP-Mangel adenyliert und inaktiv ist. Eine Besonderheit der regulatorischen Kaskade ist somit die Beteiligung von allosterisch kontrollierten Kontrollenzymen, die in Abhängigkeit vom Reizmolekül unterschiedliche Reaktionen katalysieren. ▶ Expressionskontrolle der Glutamin-Synthetase. Durch die Expressionskontrolle des Gens für die Glutamin-Synthetase glnA wird eine tiefgreifende Änderung der Stickstoffassimilierung erreicht. Das glnALG-Operon wird durch das NtrBC-Zweikomponentensystem (Ntr für engl. nitrogen regulator) reguliert (▶ Abb. 16.25). Der Response-Regulator NtrC stimuliert in der phosphorylierten Form die Expression des glnALG Operons. Bei Mangel an fixiertem Stickstoff wird NtrC durch die Sensorkinase NtrB phosphoryliert. NtrB erkennt, wie die GlutaminSynthetase (▶ Abb. 16.24), die Anwesenheit von fixiertem Stickstoff über das PII-Protein. Das Protein arbeitet auch hier mit der Uridyltransferase zusammen, die auf den NStatus anspricht. Liegt PII bei guter N-Versorgung deuridyliert vor, bindet es an die Sensorkinase NtrB, die dadurch in eine Phosphatase transformiert wird und NtrCPhosphat dephosphoryliert. Damit wird die Transkription des glnALG-Operons nicht länger stimuliert und die Assimilierung von NH4+ stark gedrosselt. Das PII-Protein bindet zusätzlich an den NH4+-Transporter AmtB und hemmt seine Aktivität. Dadurch wird bei guter Stickstoffversor-

gung der Zelle die Aufnahme von Ammoniak in die Zelle reduziert. Vor dem glnALG-Operon befindet sich zusätzlich ein schwacher Promotor (σ70). Dieser stellt eine geringe konstitutive Expression des glnALG-Operons sicher, um eine Grundversorgung der Zelle mit dem Sensor-Regulator-System NtrBC und der Glutamin-Synthetase zu gewährleisten. Eine ähnliche Expressionskontrolle durch NtrBC ist auch bei einigen Genen zu finden, die Enzyme der Mineralisierung von Aminosäuren und der damit verbundenen NH4+-Bildung codieren. Die Verwendung von molekularem Stickstoff N2 als NQuelle ist noch energieaufwendiger und besonders streng reguliert. Die Regulation ist in Rhizobium, Cyanobakterien und Klebsiella unterschiedlich und berücksichtigt den Energiezustand, die Versorgung mit N-haltigen Verbindungen und die Gegenwart von Sauerstoff. So ist in dem nahen E.-coli-Verwandten Klebsiella pneumoniae, der in

NtrBC

Oxoglutarat↑ Glutamin↓ (N-Status) nifL

nifA

NifL

NifA

O2 nif-Gene Abb. 16.26 Regulation der Stickstofffixierung (nif-Gene) in Gammaproteobakterien (z. B. Klebsiella, Azoarcus) durch den N-Status und Sauerstoff. Die nif-Gene werden oft in einer regulatorischen Kaskade durch den N-Status (Zweikomponentensystem NtrBC) und das Sauerstoffangebot reguliert. Bei N-Mangel induziert NtrBC die Synthese von NifL und NifA. In Anwesenheit von Sauerstoff inaktiviert NifL die Funktion des Aktivators NifA. So werden die nif-Gene nur bei N-Mangel und unter anaeroben Verhältnissen exprimiert.

3

Regulation von Stoffwechsel und Zellaufbau AS-Mangel: unbeladene tRNA Stress und Hunger A

5' mRNA

3’ GTP + ATP

AS

SpoT

RelA 5'pppGpp 5'ppGpp

GDP + PPi

RNA-Polymerase

Synthese stabiler RNA und ribosomaler Proteine, DNA-Replikation

σS

Synthese allgemeiner Stressproteine, Aminosäurebiosynthese, Aktivierung von Proteasen

generelle Stressreaktion Abb. 16.27 Bildung von Guanosintetraphosphat (ppGpp) als Alarmon der stringenten Kontrolle. Aminosäure-(AS-)Mangel und unbeladene tRNAs am Ribosom stimulieren das RelAProtein (pppGpp-Synthetase), der Mangel einer C-Quelle und Stress aktivieren eine zweite pppGpp-Synthetase, SpoT. RelA oder SpoT synthetisieren pppGpp, das zu dem Alarmon ppGpp hydrolysiert wird. ppGpp signalisiert den Mangel an Bausteinen und Stress. Es bindet an die RNA-Polymerase und wirkt einerseits inhibierend auf die Replikation und die Proteinsynthese, andererseits aktivierend auf die Transkription von Stressgenen und die Bildung von Aminosäuren.

Gegensatz zu diesem auch N2 fixieren kann, die Expression der Nitrogenasegene (nif-Gene) zusätzlich einer anaeroben Induktion unterworfen (▶ Abb. 16.26). Das NtrBCSystem aktiviert dann bei mangelhafter N-Versorgung die Synthese des Genaktivators NifA. Dieser aktiviert die Expression der nif-Gene, wird aber in Anwesenheit von Sauerstoff durch den Sauerstoffsensor NifL inaktiviert. Durch diese regulatorische Kaskade wird sichergestellt, dass die sauerstoffempfindliche Nitrogenase nur unter O2-Mangel und bei niedrigem N-Status gebildet wird. In Symbionten, z. B. Bradyrhizobium (Knöllchenbakterien), wird die Regulation durch den Wirt beeinflusst und ist besonders komplex.

16.7 Stringente Kontrolle und generelle Stressantwort Für Bakterien sind Mangelsituationen und schnelle Änderungen der Lebensbedingungen alltäglich. Unter Mangel adaptieren die Organismen Katabolismus, Anabolismus und den umfangreichen Proteinsyntheseapparat koordiniert an ein langsames Wachstum. Gleichzeitig bilden sie Schutz- und Resistenzmechanismen aus, die ein Überleben unter Mangelbedingungen ermöglichen. Zwei

514

wichtige Mechanismen regulieren die komplexen Veränderungen – die stringente Kontrolle und die generelle Stressantwort. Beide Mechanismen funktionieren bei Mangel einzelner Substrate (z. B. Aminosäuren), aber auch bei anderen wachstumshemmenden Situationen, wie der Erschöpfung der Kohlenstoff- oder Energiequelle und der Anhäufung von Endprodukten.

16.7.1 Stringente Kontrolle und Kopplung von Anabolismus und Katabolismus In schnell wachsenden Zellen machen Ribosomen bis zu einem Drittel der Zellmasse aus. Bei langsamem Wachstum wird der umfangreiche Translations- und Transkriptionsapparat durch stringente Kontrolle verkleinert. Das Effektormolekül der stringenten Kontrolle ist ein kleines Nukleotid, Guanosintetraphosphat ppGpp. In E. coli wird die Synthese dieses Alarmons durch fehlende Bausteine, besonders Aminosäuren (RelA-Weg), generellen Stress und Fehlen einer C-Quelle (SpoT-Weg) ausgelöst (▶ Abb. 16.27). Unter diesen Bedingungen wird die Synthese von ribosomaler RNA und Transfer-RNA (stabile RNA) verringert und in der Folge die Synthese des Proteinsyntheseapparats gedrosselt. Fehlt eine Aminosäure, kann die zugehörige tRNA nicht beladen werden und häuft sich an (▶ Abb. 16.27). Unbeladene tRNA bindet codonspezifisch an der Eingangsstelle der Ribosomen (A-Position). Ribosomen, die eine unbeladene tRNA gebunden haben, synthetisieren zusammen mit dem RelA-Protein (Rel steht für relaxierte Kontrolle) an der 50S-Untereinheit das Alarmon ppGpp: RelA (pppGpp-Synthetase) überträgt eine Diphosphatgruppe von ATP auf die 3’-OH-Gruppe der Ribose im GTP. Dadurch entsteht Guanosinpentaphosphat (pppGpp), das durch eine Phosphohydrolase schnell zu Guanosintetraphosphat (ppGpp; ▶ Abb. 16.16) dephosphoryliert wird. Dieses Alarmon stellt das zelluläre Signal für Bausteinmangel dar. ppGpp kann noch auf einem zweiten Weg gebildet werden, durch das SpoT-Protein. SpoT synthetisiert ppGpp bei generellen Mangel(Hunger)- und Stress-Situationen. Im Gegensatz zu anderen Effektor- oder Reizmolekülen, die die Transkription regulieren, greift ppGpp direkt am aktiven Zentrum der RNA-Polymerase an, das aus den Untereinheiten ββ’ gebildet wird. Dadurch werden der Zutritt der Nukleosidtriphosphate zum aktiven Zentrum und die Katalyse behindert. Außerdem stört das gebundene ppGpp die Wechselwirkung der Polymerase mit der DNA und schwächt damit die Polymeraseaktivität und die Transkription. Diese Effekte wirken sich vor allem auf Promotoren besonders stark transkribierter Gene, wie die rrn-Gene, aus (rrn für ribosomale RNA). Wegen der großen Menge an erforderlicher rRNA besitzen viele Bakterien mehrere rrn-Gene; bei E. coli sind es sieben. Die rrn-

Regulation von Stoffwechsel und Zellaufbau AS-Mangel: unbeladene tRNA Stress und Hunger A

5' mRNA

3’ GTP + ATP

AS

SpoT

RelA 5'pppGpp 5'ppGpp

GDP + PPi

RNA-Polymerase

Synthese stabiler RNA und ribosomaler Proteine, DNA-Replikation

σS

Synthese allgemeiner Stressproteine, Aminosäurebiosynthese, Aktivierung von Proteasen

generelle Stressreaktion Abb. 16.27 Bildung von Guanosintetraphosphat (ppGpp) als Alarmon der stringenten Kontrolle. Aminosäure-(AS-)Mangel und unbeladene tRNAs am Ribosom stimulieren das RelAProtein (pppGpp-Synthetase), der Mangel einer C-Quelle und Stress aktivieren eine zweite pppGpp-Synthetase, SpoT. RelA oder SpoT synthetisieren pppGpp, das zu dem Alarmon ppGpp hydrolysiert wird. ppGpp signalisiert den Mangel an Bausteinen und Stress. Es bindet an die RNA-Polymerase und wirkt einerseits inhibierend auf die Replikation und die Proteinsynthese, andererseits aktivierend auf die Transkription von Stressgenen und die Bildung von Aminosäuren.

Gegensatz zu diesem auch N2 fixieren kann, die Expression der Nitrogenasegene (nif-Gene) zusätzlich einer anaeroben Induktion unterworfen (▶ Abb. 16.26). Das NtrBCSystem aktiviert dann bei mangelhafter N-Versorgung die Synthese des Genaktivators NifA. Dieser aktiviert die Expression der nif-Gene, wird aber in Anwesenheit von Sauerstoff durch den Sauerstoffsensor NifL inaktiviert. Durch diese regulatorische Kaskade wird sichergestellt, dass die sauerstoffempfindliche Nitrogenase nur unter O2-Mangel und bei niedrigem N-Status gebildet wird. In Symbionten, z. B. Bradyrhizobium (Knöllchenbakterien), wird die Regulation durch den Wirt beeinflusst und ist besonders komplex.

16.7 Stringente Kontrolle und generelle Stressantwort Für Bakterien sind Mangelsituationen und schnelle Änderungen der Lebensbedingungen alltäglich. Unter Mangel adaptieren die Organismen Katabolismus, Anabolismus und den umfangreichen Proteinsyntheseapparat koordiniert an ein langsames Wachstum. Gleichzeitig bilden sie Schutz- und Resistenzmechanismen aus, die ein Überleben unter Mangelbedingungen ermöglichen. Zwei

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wichtige Mechanismen regulieren die komplexen Veränderungen – die stringente Kontrolle und die generelle Stressantwort. Beide Mechanismen funktionieren bei Mangel einzelner Substrate (z. B. Aminosäuren), aber auch bei anderen wachstumshemmenden Situationen, wie der Erschöpfung der Kohlenstoff- oder Energiequelle und der Anhäufung von Endprodukten.

16.7.1 Stringente Kontrolle und Kopplung von Anabolismus und Katabolismus In schnell wachsenden Zellen machen Ribosomen bis zu einem Drittel der Zellmasse aus. Bei langsamem Wachstum wird der umfangreiche Translations- und Transkriptionsapparat durch stringente Kontrolle verkleinert. Das Effektormolekül der stringenten Kontrolle ist ein kleines Nukleotid, Guanosintetraphosphat ppGpp. In E. coli wird die Synthese dieses Alarmons durch fehlende Bausteine, besonders Aminosäuren (RelA-Weg), generellen Stress und Fehlen einer C-Quelle (SpoT-Weg) ausgelöst (▶ Abb. 16.27). Unter diesen Bedingungen wird die Synthese von ribosomaler RNA und Transfer-RNA (stabile RNA) verringert und in der Folge die Synthese des Proteinsyntheseapparats gedrosselt. Fehlt eine Aminosäure, kann die zugehörige tRNA nicht beladen werden und häuft sich an (▶ Abb. 16.27). Unbeladene tRNA bindet codonspezifisch an der Eingangsstelle der Ribosomen (A-Position). Ribosomen, die eine unbeladene tRNA gebunden haben, synthetisieren zusammen mit dem RelA-Protein (Rel steht für relaxierte Kontrolle) an der 50S-Untereinheit das Alarmon ppGpp: RelA (pppGpp-Synthetase) überträgt eine Diphosphatgruppe von ATP auf die 3’-OH-Gruppe der Ribose im GTP. Dadurch entsteht Guanosinpentaphosphat (pppGpp), das durch eine Phosphohydrolase schnell zu Guanosintetraphosphat (ppGpp; ▶ Abb. 16.16) dephosphoryliert wird. Dieses Alarmon stellt das zelluläre Signal für Bausteinmangel dar. ppGpp kann noch auf einem zweiten Weg gebildet werden, durch das SpoT-Protein. SpoT synthetisiert ppGpp bei generellen Mangel(Hunger)- und Stress-Situationen. Im Gegensatz zu anderen Effektor- oder Reizmolekülen, die die Transkription regulieren, greift ppGpp direkt am aktiven Zentrum der RNA-Polymerase an, das aus den Untereinheiten ββ’ gebildet wird. Dadurch werden der Zutritt der Nukleosidtriphosphate zum aktiven Zentrum und die Katalyse behindert. Außerdem stört das gebundene ppGpp die Wechselwirkung der Polymerase mit der DNA und schwächt damit die Polymeraseaktivität und die Transkription. Diese Effekte wirken sich vor allem auf Promotoren besonders stark transkribierter Gene, wie die rrn-Gene, aus (rrn für ribosomale RNA). Wegen der großen Menge an erforderlicher rRNA besitzen viele Bakterien mehrere rrn-Gene; bei E. coli sind es sieben. Die rrn-

16.7 Stringente Kontrolle und generelle Stressantwort

●V

Plus 16.7 Kopplung zwischen der Synthese von rRNA und ribosomalen Proteinen Die überschüssigen ribosomalen Proteine, die nach Einsetzen der stringenten Kontrolle nicht mehr für die Synthese von Ribosomen gebraucht werden, wie das Protein S 8 der kleinen ribosomalen Untereinheit, binden teilweise an eine spezielle Struktur der eigenen mRNA. Diese Struktur hat Ähnlichkeit zu genau der Struktur der rRNA, an die das Protein im Ribosom bindet. Durch diese Interaktion stoppt die Translation der mRNA des spc-Operons (▶ Abb. 16.28). Die Operons für die ribosomalen Proteine codieren auch Untereinheiten der RNA-Polymerase und für Translationsfaktoren. Durch die Autoregulation wird gleichzeitig auch die Synthese dieser Proteine reprimiert. Die Folge ist die verminderte Synthese des gesamten Transkriptions- und Translationsapparates. Im Gegenzug werden Operons für die Biosynthese von Aminosäuren und für Proteasen stärker exprimiert. Die Proteasen verstärken den Abbau vorhandener Proteine und erleichtern so die Umorganisation des Zellaufbaus und die Bereitstellung von Aminosäuren.

Transkripte werden durch RNA-Prozessierung in die 16S-, 23S- und 5S-rRNA, sowie in zwei tRNAs gespalten. Wegen der fehlenden rRNA ist auch die Biogenese von Ribosomen (S. 146) (Plus 16.7) und Translationsfaktoren gedrosselt. Außerdem werden die DNA-Replikation und die Lipid- und Zellwandsynthese reduziert, sodass das Wachstum generell gehemmt wird. Andere Gene, deren Produkte der Mangel- und Stresssituation entgegen wirken, werden dagegen von dem RNA-Polymerase-ppGppKomplex verstärkt exprimiert. Dazu gehören Gene der Aminosäurebiosynthese, Stressproteine, und rpoS, das den σ-Faktor des generellen Stresses (S. 515) codiert. ppGpp wird durch eine 3’-Phosphataseaktivität abgebaut, die in SpoT lokalisiert ist (▶ Abb. 16.27). Auf diese Weise werden die Reaktionen der stringenten Kontrolle bei Wegfall der induzierenden Bedingungen (und Wegfall der ppGpp-Neusynthese) aufgehoben.

16.7.2 Generelle Stressantwort und Regulation der stationären Phase in E. coli Verbrauchen Bakterien beim Übergang in die stationäre Phase ihr Substrat und häufen sich Endprodukte an, herrschen ebenfalls ungünstige Wachstumsbedingungen. Die Zelle muss diese Situation bis zum Eintritt günstigerer Verhältnisse überdauern und durchläuft beim Übergang in die stationäre Phase gewaltige Änderungen. Ihre Gestalt ist betroffen – die Zellen werden kleiner, der Wassergehalt nimmt ab und der periplasmatische Raum vergrößert sich. Die Oberflächen ändern sich – neue Fettsäuren werden synthetisiert, Fimbrien werden gebildet, die

ppGpp RNA-Polymerase

RNA-Polymerase ppGpp

rrn-Gen

RNase III tRNA, 23S-rRNA 5S-rRNA, 16S-rRNA

spc-Operon

RNA S5

S8 S14

30SRibosom

Abb. 16.28 Kontrolle des Proteinsyntheseapparates durch ppGpp am spc-Operon. Das spc-Operon codiert u. a. die Proteine S 5, S 8 und S 16 der 30S-Ribosomenuntereinheit. Durch die reduzierte Transkription der rrn-Gene in der stringenten Kontrolle wird weniger 16S-rRNA gebildet. Fehlt 16S-rRNA, bindet das S 8-Protein an eine Erkennungssequenz der spc-mRNA, die eine Ähnlichkeit zur 16S-rRNA besitzt (negative Autoregulation).

Hydrophobizität und das Adhäsionsvermögen an Oberflächen nehmen zu – und auch der Aufbau der Zellwand ändert sich. Das Chromosom wird kondensiert, die Superhelikalität der DNA nimmt zu. Der Gesamtstoffwechsel wird heruntergefahren. Der Proteinsyntheseapparat wird verkleinert, es findet ein kontrollierter Proteinabbau (Ribosomen!) statt. Die Resistenz gegen Hitze, oxidativen Stress und Salz nimmt zu. Und schließlich erhöht sich die spontane Mutationsrate. Diese Effekte sind verknüpft mit der Neusynthese zahlreicher Proteine. Diese Reaktion wird als generelle Stressantwort oder Regulation der stationären Phase bezeichnet. Die Gene der generellen Stressantwort spielen eine Rolle im Energiestoffwechsel, bei der Verwertung alternativer Substrate, der Abwehr von Stressfaktoren und der Regulation der Zellteilung. In E. coli und B. subtilis wird die generelle Stressantwort auf unterschiedliche Weise umgesetzt. In B. subtilis hängt sie von der Konzentration des alternativen σB-Faktors ab, der durch eine Kaskade von Anti- und Anti-Antiσ-Faktoren kontrolliert wird. In E. coli hängt sie von der Konzentration des alternativen σ-Faktors σS (auch RpoS oder σ38 genannt) ab, der vom rpoS-Gen codiert wird.

Regulation durch den alternativen σ-Faktor σS in E. coli Durch alternative σ-Faktoren hat die Zelle die Möglichkeit, auf verschiedenste Reize und Umweltbedingen gezielt und angemessen zu reagieren. Die Faktoren sind jeweils an der Expression unterschiedlicher Gruppen von Genen beteiligt.

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Regulation von Stoffwechsel und Zellaufbau CRP/cAMP ppGpp

ArcBA rpoS-Gen

niedrige Temperatur oxyS

rpoS-mRNA 3' 5'

Hfq

ArcB Acetyl̴ P

Stress

RssB

σ

S

P

P

RssB

RssB

σ

S

σS

ClpXP

σ S-RNA-Polymerase-Komplex Abb. 16.29 Regulation der Synthese und Stabilität von σS (oder σ38) in E. coli. Die Konzentration von σS wird durch das Nährstoffangebot und durch Stressfaktoren bestimmt und auf der Transkriptions-, Translations- und Proteinebene geregelt. Die Expression des σS-codierenden rpoS-Gens wird reguliert, die rpoS-RNA kann Sekundärstrukturen ausbilden und die Halbwertszeit des σS-Proteins wird kontrolliert. Der ResponseRegulator RssB steuert die Proteolyse von σS. RssB wird durch die Sensorkinase ArcB (vgl. ▶ Abb. 16.21) phosphoryliert. Der Komplex aus phosphoryliertem RssB und σS destabilisiert σS, der dann von der ATP-abhängigen ClpXP-Protease erkannt und abgebaut wird.

Die Synthese von σS wird auf der Ebene der Transkription, Translation und der Proteinstabilität durch eine Vielzahl von Faktoren reguliert. Damit kann die Zelle eine Vielzahl verschiedener Reize zur Kontrolle einer Zellantwort einsetzen. Es besteht eine enge wechselseitige Beziehung zwischen der stringenten Kontrolle durch ppGpp und der Regulation der stationären Phase. Beide Systeme beeinflussen sich gegenseitig und sprechen teilweise auf die gleichen Reize und Regulatoren an. Bei schnellem Wachstum in Vollmedium ist der Gehalt an σS sehr niedrig, steigt jedoch bei Wachstum in Mineralmedium deutlich an. Der Versorgungszustand der Zelle mit Aminosäuren, Kohlenstoffsubstraten oder Sauerstoff reguliert die Transkription des σS-codierenden rpoS-Gens durch ppGpp, CRP/cAMP und ArcBA (▶ Abb. 16.29). Zusätzlich erfolgt eine Expressionskontrolle auf der Translationsebene. Die mRNA des rpoS-Gens bildet eine Sekundärstruktur aus, die auch die Ribosomenbindungsstelle der rpoS-RNA umfasst. Stressfaktoren stabilisieren diese Sekundärstruktur. Dadurch wird die Bindung der Ribosomen und die Translation behindert. Als Folge steigt unter Stress, z. B. plötzlichem Hunger, hoher Osmolarität oder saurem pH-Wert, der Gehalt an σS auf das bis zu 20fache. Entsprechend transkribiert die RNA-Polymerase häufiger σS-abhängige Gene. Unter manchen Stressbedingungen werden auch kleine RNA-Moleküle (sRNAs) (S. 500) gebildet, welche diese Sekundärstruktur zusam-

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men mit dem RNA-bindenden Protein Hfq stören und so die Translation ermöglichen. Das ist z. B. bei niedriger Temperatur der Fall. Der proteolytische Abbau von σS ist ein weiterer Kontrollpunkt. Bei exponentiellem Wachstum bildet σS mit einem Protein (Adapter RssB) einen Komplex, der dadurch von der Protease ClpXP erkannt und unter ATP-Verbrauch abgebaut wird. Der Funktionszustand von RssB wird durch Phosphorylierung gesteuert, die bei Mangel an Sauerstoff und Kohlenstoffquellen gehemmt wird. Zusätzlich werden unter Stressbedingungen Proteine gebildet, welche die Funktion von RssB behindern. Durch diese Faktoren wird σS bei Stress und Mangel vor dem Abbau geschützt, während in exponentiell wachsenden Zellen die Halbwertszeit von σS nur wenige Minuten beträgt. In der stationären Phase und unter Stress bindet σS an freie RNA-Polymerase, und der σS-RNA-Polymerase-Komplex transkribiert σS-abhängige Gene. Einige Faktoren, z. B. die regulatorische 6S-RNA, führen zusätzlich zu einer bevorzugten Bindung von σS an die RNA-Polymerase.

Regulation durch den alternativen σ-Faktor σB in Bacillus Im grampositiven Bacillus subtilis werden die Gene der generellen Stressantwort mithilfe des alternativen σBFaktors transkribiert; dessen Konzentration und Funktion werden durch mehrere Regulatorproteine (Regulatorproteine von SigmaB, oder Rsb-Proteine) kontrolliert. Dazu gehört ein Anti-σ-Faktor (RsbW), der mit σB einen Komplex bildet und so die Konzentration an freiem σB verringert (▶ Abb. 16.30). Ein Anti-Anti-σ-Faktor ist der eigentliche Sensor der Signalkette. Sein Funktionszustand wird durch Phosphorylierung kontrolliert. Bei Energielimitierung, z. B. aufgrund von Glucose-, Sauerstoff- oder Phosphatmangel, wird der Anti-Anti-σB-Faktor (AAσB oder RsbV-Protein), wahrscheinlich wegen des niedrigen ATP-Gehalts der Zelle, nicht phosphoryliert. Der nichtphosphorylierte AntiAnti-σB-Faktor bindet den Anti-σB-Faktor (AσB oder RsbW-Protein). Als Folge ist der Gehalt an freiem σB-Faktor hoch und die Gene des Stressregulons werden transkribiert. Eine Reihe genereller Stressbedingungen verursacht ebenfalls eine reduzierte Phosphorylierung des Anti-Anti-σB-Faktors, sodass Energielimitierung und Stressbedingungen eine erhöhte Konzentration an σB und damit eine erhöhte Transkriptionsrate der Stressgene zur Folge haben (▶ Abb. 16.30).

16.7.3 Toxin-Antitoxin-Systeme und bakterielle Persistenz Fast alle Eubakterien und viele Archaebakterien besitzen Gene, deren Produkte das Wachstum der Träger hemmen oder sogar zum Zelltod führen, wenn sie unkontrolliert überproduziert werden. Die Reaktion erinnert an den

16.8 Spezifische Stressreaktionen

AAσ B

P

(RsbV)

ADP Pi

Energielimitierung ATP↓ (Mangel an Glucose, O2, P)

ATP AAσ B

+

(RsbV)

Aσ B

(RsbW)

+

Aσ B

σB

AAσ B

σB

Aσ B

RsbU RsbX

RNA-Polymerase

-Polymeras NA B

σ

Stress durch T, pH, osmotisch

e

R

Aσ B

Transkription Stressregulon (~ 50 Gene) Abb. 16.30 Generelle Stressregulation in B. subtilis. Zentraler Regulator ist der alternative σ-Faktor σB. Die Konzentration an freiem σB wird durch Energielimitierung und Stressfaktoren reguliert. Der Sensor der Signalkette ist der Anti-Anti-σB-Faktor (AAσB; RsbV). Ist der ATP-Gehalt der Zelle niedrig, wird AAσB nicht phosphoryliert und bildet mit dem Anti-σB-Faktor (AσB; RsbW) einen Komplex. Infolgedessen bindet der Anti-σB-Faktor nicht an σB; freies σB aktiviert die Transkription der Stressgene. Stressfaktoren steuern über einen anderen Signalweg mit den Proteinen RsbX und RsbU das Verhältnis von freiem und gebundenem σB.

kontrollierten Zelltod, die Apoptose, vielzelliger Eukaryonten. Die Toxine, die für diese Reaktion verantwortlich sind, können die DNA-Replikation, die mRNA-Stabilität oder die Protein-, ATP- und Zellwandsynthese hemmen. Die Toxine sind oft gemeinsam mit zugehörigen Antitoxinen in einem Operon codiert. Bei ungestörtem Wachstum werden Toxin und Antitoxin gebildet und das Antitoxin neutralisiert das Toxin. Die Antitoxine sind generell labiler als die Toxine und werden unter Stressbedingungen abgebaut. In der Folge entfalten die Toxine ihre Wirkung und hemmen das Wachstum. Ein solches Toxin-Antitoxin-System wurde bereits bei der Plasmiderhaltung (S. 183) besprochen. In Bakterien scheint die Regulation des Zellwachstums und des Zelltods wichtig für das Überleben unter natürlichen Bedingungen, indem das Wachstum verlangsamt oder gehemmt wird. Diese Regulation steht in vielen Fällen in enger Beziehung zur Regulation des Wachstums in der stationären Phase. Nichtwachsende oder sich nicht teilende Zellen überstehen ungünstige Bedingungen, auch eine Antibiotikabehandlung, wesentlich besser als wachsende Zellen. Deshalb können Bakterien, die sich

durch die Wirkung von Toxin-Antitoxin-(TA-)Systemen in einem Zustand der Dormanz befinden, vielfach eine Antibiotikabehandlung überstehen und später das Wachstum wieder aufnehmen. Solche Pesisterzellen, die in niedrigem Prozentsatz spontan entstehen, stellen in der Medizin ein ernsthaftes Problem bei der Antibiotikabehandlung dar. Die Persisterzellen sind gegen Antibiotika tolerant, obwohl sie dieselbe genetische Ausstattung wie sensitive Zellen und keine spezifischen Resistenzgene besitzen. Fast alle Bakterien scheinen über TA-Systeme zu verfügen: In E. coli wurden 33, in Mycobacterium tuberculosis mehr als 60 TA-Systeme identifiziert. Der nichtpathogene „Bruder“ von M. tuberculosis, M. smegmatis, besitzt dagegen nur zwei TA-Systeme. Man kann spekulieren, dass TA-Systeme für die Pathogenität mancher Bakterien eine Rolle spielen, z.B bei der Vermittlung der Dormanz und der darauf beruhenden Resistenz gegenüber schädigenden Agenzien. So ist die Persistenz eine Ursache für das Überleben pathogener Bakterien, die einer Antibiotikabehandlung nicht zugänglich sind. Auch wenn viele der TA-Systeme in ihrer Bedeutung und Wirkungsweise noch nicht verstanden sind, so scheinen diese Systeme doch eine wichtige Rolle in der bakteriellen Physiologie zu spielen. Die TA-Systeme können aufgrund der Natur des Antitoxins und dem Aufbau des TA-Systems in drei Gruppen eingeteilt werden. Während das Toxin generell ein Protein ist, kann die Natur des Antitoxins variieren. Man unterscheidet drei Typen von TA-Systemen: ● Typ I: das Antitoxin ist eine antisense-RNA, die mit der toxincodierenden mRNA hybridisiert ● Typ II: das Antitoxin ist ein Protein, das an das Toxinprotein bindet ● Typ III: das Antitoxin ist eine RNA, die an das Toxin bindet Freies Toxin übt durch Interaktion mit einem Zielprotein seine Hemmwirkung auf das Wachstum aus. Bei Typ-IIund Typ-III-TA-Systemen wird das Toxin durch die Bindung des Antitoxins inaktiviert, und die Bakterien werden nicht im Wachstum gehemmt. Bei Typ-I-TA-Systemen hemmt das Antitoxin (antisense-RNA) die Translation des Toxingens. Die Antitoxinproteine sind labil und können durch zelluläre Faktoren, z. B. in der stationären Phase, abgebaut werden.

16.8 Spezifische Stressreaktionen Bakterien sind häufig chemischen oder physikalischen Bedingungen ausgesetzt, die zur Schädigung der Zelle oder einzelner Komponenten führen. Solche Stressbedingungen erfordern eine Schutzreaktion, die zur Beseitigung des Stressfaktors oder zur Bildung von Zellbestand-

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16.8 Spezifische Stressreaktionen

AAσ B

P

(RsbV)

ADP Pi

Energielimitierung ATP↓ (Mangel an Glucose, O2, P)

ATP AAσ B

+

(RsbV)

Aσ B

(RsbW)

+

Aσ B

σB

AAσ B

σB

Aσ B

RsbU RsbX

RNA-Polymerase

-Polymeras NA B

σ

Stress durch T, pH, osmotisch

e

R

Aσ B

Transkription Stressregulon (~ 50 Gene) Abb. 16.30 Generelle Stressregulation in B. subtilis. Zentraler Regulator ist der alternative σ-Faktor σB. Die Konzentration an freiem σB wird durch Energielimitierung und Stressfaktoren reguliert. Der Sensor der Signalkette ist der Anti-Anti-σB-Faktor (AAσB; RsbV). Ist der ATP-Gehalt der Zelle niedrig, wird AAσB nicht phosphoryliert und bildet mit dem Anti-σB-Faktor (AσB; RsbW) einen Komplex. Infolgedessen bindet der Anti-σB-Faktor nicht an σB; freies σB aktiviert die Transkription der Stressgene. Stressfaktoren steuern über einen anderen Signalweg mit den Proteinen RsbX und RsbU das Verhältnis von freiem und gebundenem σB.

kontrollierten Zelltod, die Apoptose, vielzelliger Eukaryonten. Die Toxine, die für diese Reaktion verantwortlich sind, können die DNA-Replikation, die mRNA-Stabilität oder die Protein-, ATP- und Zellwandsynthese hemmen. Die Toxine sind oft gemeinsam mit zugehörigen Antitoxinen in einem Operon codiert. Bei ungestörtem Wachstum werden Toxin und Antitoxin gebildet und das Antitoxin neutralisiert das Toxin. Die Antitoxine sind generell labiler als die Toxine und werden unter Stressbedingungen abgebaut. In der Folge entfalten die Toxine ihre Wirkung und hemmen das Wachstum. Ein solches Toxin-Antitoxin-System wurde bereits bei der Plasmiderhaltung (S. 183) besprochen. In Bakterien scheint die Regulation des Zellwachstums und des Zelltods wichtig für das Überleben unter natürlichen Bedingungen, indem das Wachstum verlangsamt oder gehemmt wird. Diese Regulation steht in vielen Fällen in enger Beziehung zur Regulation des Wachstums in der stationären Phase. Nichtwachsende oder sich nicht teilende Zellen überstehen ungünstige Bedingungen, auch eine Antibiotikabehandlung, wesentlich besser als wachsende Zellen. Deshalb können Bakterien, die sich

durch die Wirkung von Toxin-Antitoxin-(TA-)Systemen in einem Zustand der Dormanz befinden, vielfach eine Antibiotikabehandlung überstehen und später das Wachstum wieder aufnehmen. Solche Pesisterzellen, die in niedrigem Prozentsatz spontan entstehen, stellen in der Medizin ein ernsthaftes Problem bei der Antibiotikabehandlung dar. Die Persisterzellen sind gegen Antibiotika tolerant, obwohl sie dieselbe genetische Ausstattung wie sensitive Zellen und keine spezifischen Resistenzgene besitzen. Fast alle Bakterien scheinen über TA-Systeme zu verfügen: In E. coli wurden 33, in Mycobacterium tuberculosis mehr als 60 TA-Systeme identifiziert. Der nichtpathogene „Bruder“ von M. tuberculosis, M. smegmatis, besitzt dagegen nur zwei TA-Systeme. Man kann spekulieren, dass TA-Systeme für die Pathogenität mancher Bakterien eine Rolle spielen, z.B bei der Vermittlung der Dormanz und der darauf beruhenden Resistenz gegenüber schädigenden Agenzien. So ist die Persistenz eine Ursache für das Überleben pathogener Bakterien, die einer Antibiotikabehandlung nicht zugänglich sind. Auch wenn viele der TA-Systeme in ihrer Bedeutung und Wirkungsweise noch nicht verstanden sind, so scheinen diese Systeme doch eine wichtige Rolle in der bakteriellen Physiologie zu spielen. Die TA-Systeme können aufgrund der Natur des Antitoxins und dem Aufbau des TA-Systems in drei Gruppen eingeteilt werden. Während das Toxin generell ein Protein ist, kann die Natur des Antitoxins variieren. Man unterscheidet drei Typen von TA-Systemen: ● Typ I: das Antitoxin ist eine antisense-RNA, die mit der toxincodierenden mRNA hybridisiert ● Typ II: das Antitoxin ist ein Protein, das an das Toxinprotein bindet ● Typ III: das Antitoxin ist eine RNA, die an das Toxin bindet Freies Toxin übt durch Interaktion mit einem Zielprotein seine Hemmwirkung auf das Wachstum aus. Bei Typ-IIund Typ-III-TA-Systemen wird das Toxin durch die Bindung des Antitoxins inaktiviert, und die Bakterien werden nicht im Wachstum gehemmt. Bei Typ-I-TA-Systemen hemmt das Antitoxin (antisense-RNA) die Translation des Toxingens. Die Antitoxinproteine sind labil und können durch zelluläre Faktoren, z. B. in der stationären Phase, abgebaut werden.

16.8 Spezifische Stressreaktionen Bakterien sind häufig chemischen oder physikalischen Bedingungen ausgesetzt, die zur Schädigung der Zelle oder einzelner Komponenten führen. Solche Stressbedingungen erfordern eine Schutzreaktion, die zur Beseitigung des Stressfaktors oder zur Bildung von Zellbestand-

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Regulation von Stoffwechsel und Zellaufbau teilen führt, die gegen den Stressfaktor resistent sind. Solche Faktoren sind der oxidative Stress, Hitzeschock, osmotischer Stress, ungünstiger pH-Wert oder auch Membranschädigung durch Lösungsmittel und Detergenzien. Hier besprechen wir die Erkennung von oxidativem und osmotischem Stress, von Hitze- und Kälteschock und die entsprechende Zellantwort.

16.8.1 Oxidativer Stress Eine Nebenreaktion des aeroben Stoffwechsels ist die Bildung reaktiver (aktivierter) O2-Spezies (ROS, reactive oxygen species), welche in aeroben und vor allem anaeroben Bakterien als Zellgift wirken. Die wichtigsten reaktiven Spezies sind H2O2 (Wasserstoffperoxid), das Superoxidanionradikal (O2–•) und das Hydroxylradikal (•OH). Viele Bakterien enthalten hohe Konzentrationen des Reduktionsmittels Glutathion oder andere Thiolverbindungen, die O2–•, H2O2 und •OH enzymatisch oder chemisch zu H2O reduzieren. Wichtiger ist die enzymatische Entgiftung durch die Katalase, die Superoxid-Dismutase (SOD) und die Peroxidase. Da das Hydroxylradikal sehr schnell mit organischen Verbindungen reagiert, ist gegen dieses kein geeignetes Schutzenzym vorhanden. Die Zelle kann jedoch die Bildung von •OH vermeiden, indem sie H2O2 und schädliche Elektronendonatoren wie Fe2 + beseitigt (Plus 11.7) (S. 364). Die Antwort auf oxidativen Stress erfolgt in E. coli und vielen anderen Bakterien durch die OxyR- und SoxRS-Regulons (▶ Abb. 16.31). Das OxyR-Regulon reguliert die Entgiftung von H2O2, es wird durch den Transkriptionsregulator OxyR kontrolliert. OxyR enthält zwei Cysteinreste, die durch H2O2 zum Disulfid oxidiert werden. Die oxidierte Form von OxyR bindet als Tetramer an die DNA und induziert zahlreiche Enzyme, die Oxidanzien zerstören (Katalase, Alkylhydroperoxidase) oder den Redoxzustand von Thiolen steuern (Glutathion-Reduktase, Glu-

OxyR-Regulon

taredoxin und Thioredoxin). Zusätzlich wird eine regulatorische RNA exprimiert (oxyS), welche die Translation der rpoS-mRNA (S. 515) beeinflusst und so die Verbindung zur allgemeinen Stressantwort herstellt. Das SoxRS-Regulon erkennt O2–• als Reiz und steuert die Antwort auf oxidativen Stress durch O2–•. Der Transkriptionsregulator SoxR ist ein Dimer mit zwei Fe2S2Zentren, die durch O2–•, aber auch NO, oxidiert werden. Die Regulation des SoxR-Regulons ist ein zweistufiger Prozess. Nach Umwandlung in die aktive (oxidierte) Form induziert SoxR einen weiteren Genregulator, SoxS, der die Expression der Gene des Regulons aktiviert. Diese codieren Superoxid-Dismutase, Glucose-6-phosphat-Dehydrogenase als Lieferant für Reduktionsäquivalente (NADPH), einige O2–•-resistente Stoffwechselenzyme (Fumarase C und Aconitase A) als Ersatz für die O2-empfindlichen Standardenzyme und den Eisenrepressor Fur, um die Aufnahme von Fe2 + und damit die Produktion von •OH zu verringern.

16.8.2 Hitze- und Kälteschockreaktion E. coli wächst als mesophiles Darmbakterium am besten in einem Temperaturbereich von 30–37 °C. Thermophile oder psychrophile Bakterien können bei deutlich höheren bzw. niedrigeren Temperaturen wachsen – bei ihnen sind Proteine, Membranen und die DNA an diese Temperaturen angepasst und stabilisiert. Wenn ein Bakterium an die oberen oder unteren Grenzen seines Wachstumsbereichs gelangt, wird eine Reaktion ausgelöst, die als Hitze- bzw. Kälteschockreaktion bezeichnet wird. Hitzeschock kann in E. coli durch eine schnelle Erhöhung der Temperatur von 30 auf 42 °C ausgelöst werden. Als Folge wird das Wachstum zunächst stark verlangsamt. Das langsame Wachstum wird durch denaturierte Proteine verursacht, welche die Zellfunktionen stören und unter

SoxRS-Regulon O2, oxidativer Stress

SH

SH

OxyR

4

H2O2 2 H2O

S

O2–•

S

OxyR

4

SoxR [Fe2S2]1+

H2O2 SoxR [Fe2S2]2+ oxidiertes Sox R SoxS

~ 40 Gene Gen katG ahpCF gorA grxA trxC oxyS

518

Produkt Katalase I Peroxid-Reduktase Glutathion-Reduktase Glutaredoxin 1 Thioredoxin 2 regulatorische RNA

~ 40 Gene Gen sodA zwf fumC fur

Produkt Mn-Superoxid-Dismutase Glucose-6-P-Dehydrogenase Fumarase C Fe-Aufnahme

Abb. 16.31 Oxidativer Stress in E. coli. Erkennung der reaktiven O2-Produkte H2O2 und O2–• durch die Regulons OxyR und SoxRS. Bei oxidativem Stress werden Schutzenzyme, Reduktionsmittel oder O2–•-resistente Enzyme synthetisiert. OxyR ist ein Tetramer, SoxR enthält ein Fe2S2Zentrum. Oxidiertes SoxR induziert die Synthese von SoxS, das die Expression der Zielgene des SoxRS-Regulons steuert.

16.8 Spezifische Stressreaktionen ATP-Bedarf neu gefaltet oder abgebaut werden. Gleichzeitig werden viele Proteine, sogenannte Hitzeschockproteine, vermehrt gebildet; sie erlauben eine Adaptation an die erhöhte Temperatur. Mehr als 35 Proteine gehören zu dem Hitzeschockregulon; darunter sind die Lon-Protease, die unter ATP-Verbrauch denaturiertes Protein abbaut, und die ChaperonProteine DnaK, DnaJ, GrpE, GroEL und GroES. Ein weiteres Hitzeschockprotein ist der Standard-σ-Faktor σ70, der für die Neusynthese der Haushaltsproteine nach Ende des Hitzeschocks benötigt wird. Die Chaperone binden an Proteine, die durch die hohe Temperatur partiell denaturiert wurden. Dadurch verhindern sie ein Fortschreiten der Denaturierung und stimulieren eine Rückfaltung in die native Form. Eine ähnliche Aufgabe besitzen die Chaperone auch bei der Neusynthese mancher Proteine unter physiologischen Bedingungen. Sie fungieren als Faltungshelfer (S. 208) großer Proteine, die nicht spontan die richtige Sekundärstruktur einnehmen. Im Hitzeschock ist der Bedarf an diesen Proteinen stark erhöht. Proteine, die nicht mehr rückgefaltet werden können, werden abgebaut. Die Hitzeschockreaktion beruht damit hauptsächlich auf der Denaturierung von Proteinen und den erforderlichen Schutzmaßnahmen. Denaturierende Agenzien wie Lösungsmittel (Ethanol) oder alkalischer pH-Wert lösen ähnliche Reaktionen aus.

Regulation der Hitzeschockantwort Der Ablauf der Hitzeschockreaktion und ihrer Regulation ist in ▶ Abb. 16.32 dargestellt. Bakterien erkennen erhöhte Temperatur mithilfe eines „molekularen Thermometers“. Der alternative σ-Faktor σ32, der vom rpoH-Gen codiert wird, spielt bei der Etablierung der Hitzeschockantwort die zentrale Rolle. Seine Funktion wird auf verschiedenen Ebenen reguliert. Die rpoH-mRNA bildet bei niedrigen Temperaturen in der 5’-Region ausgeprägte Sekundärstrukturen aus. Dadurch sind die Ribosomenbindungsstelle RBS und das

Startcodon nicht für Ribosomen zugänglich, es findet keine Translation statt. Bei hohen Temperaturen löst sich die Sekundärstruktur auf, die Ribosomenbindungsstelle wird für die Translation zugänglich („RNA-Thermometer“) und der Gehalt an σ32-Protein steigt an. Ein weiterer wichtiger Faktor für den Anstieg des zellulären Gehalts von σ32 ist seine Stabilisierung im Hitzeschock. Der Schlüssel dazu ist das DnaK-Chaperon, das zwei Funktionen erfüllt. Es ist an der Renaturierung denaturierter Proteine beteiligt. Im Hitzeschock bindet DnaK denaturiertes Protein und bildet zusammen mit DnaJ und GrpE die Chaperonmaschinerie. Ein großer Teil des DnaK ist dann in dieser Funktion beschäftigt. Wenn kein Hitzeschock vorliegt, ist freies DnaK verfügbar, das σ32 bindet und in den Proteolysezyklus schleust. DnaK destabilisiert σ32 und macht es für die Proteolyse durch die Protease FtsH zugänglich, σ32 wird abgebaut (▶ Abb. 16.32). Unter Hitzeschock steigt also die Konzentration von σ32 wegen der erhöhten Translationsrate der rpoH-mRNA und der erhöhten Stabilität von σ32 etwa um einen Faktor 15 an. Dadurch bildet sich bevorzugt der σ32-RNA-Polymerase-Komplex und die Transkription der Hitzeschockgene setzt ein. Nach Ende des Hitzeschocks und wenn das denaturierte Protein renaturiert oder abgebaut ist, wird die Hitzeschockreaktion wieder abgeschaltet. σ32 wird abgebaut, und aufgrund des erhöhten Gehalts an σ70 beginnt wieder die Expression der Standardproteine.

Kälteschock Wird E. coli schnell auf 10–15 °C abgekühlt, stellen die Zellen das Wachstum ein. Sie bilden aber eine Reihe von Proteinen, die für die Anpassung und das Überleben in der Kälte erforderlich sind. Die generelle Kälteschockreaktion wird durch das Regulatorprotein CspA (engl. cold shock protein) induziert. Die Reaktion ist zum Teil identisch mit der stringenten Kontrolle (S. 514), die auf einer verlangsamten Funktion der Ribosomen beruht.

rpoH 30 °C rpoH-mRNA

σ 32

rpoH-mRNA

σ 32

DnaK

37 °C

-Polymeras NA

Protease FtsH

σ 32 Proteolyse

e

DnaK -Polymeras NA 32

σ

e

R

R

AUG und RBS

42 °C

42 °C

PH HS-Gene ~ 40 Gene

denaturiertes Protein

Komplex aus DnaK, DnaJ, GrpE, denat. Protein

Abb. 16.32 Synthese des Hitzeschockregulators σH (oder σ32) und Expression der Hitzeschockgene in E. coli. Die Transkription des σH-codierenden rpoH-Gens erfolgt entweder mit dem Standard-σ-Faktor σ70 oder, bei starkem Hitzestress, mit σ24. Die Translationskontrolle beruht auf Sekundärstrukturen der rpoH-mRNA, die bei niedrigen Temperaturen die Ribosomenbindungsstelle (RBS) und das Startcodon (AUG) blockieren. Bei höheren Temperaturen lösen sich die Sekundärstrukturen und die rpoH-mRNA wird translatiert. Am Abbau von σ32 sind die Proteine der Chaperonmaschinerie (DnaK, DnaJ, GrpE) als Sensoren und die Protease FtsH beteiligt. HS-Gene, Hitzeschockgene.

9

Regulation von Stoffwechsel und Zellaufbau

16.8.3 Hüllstress und Reizerkennung durch ECF-σ-Faktoren In gramnegativen Bakterien spielen Unversehrtheit und Zusammensetzung der äußeren Membran eine wichtige Rolle für die Vitalität. Sie besitzen Sensorsysteme, mit denen sie eine Schädigung der äußeren Membran erkennen und Schutz- und Reparaturmechanismen aktivieren. Diese Reaktion wird durch denaturiertes Protein im Periplasma oder in der äußeren Membran und durch eine gestörte Lipopolysaccharidschicht ausgelöst (Hüllstress). Solche Schäden werden verursacht durch Überproduktion von extracytosolischen Proteinen, durch Hitze, extreme pHWerte, Lösungsmittel oder andere proteinschädigende Faktoren. Der Reiz in Form von geschädigtem Protein wird im Periplasma erkannt und durch einen membranintegralen Anti-σ-Faktor in das Cytoplasma übertragen. Als Antwort auf den Hüllstress werden periplasmatische Chaperone synthetisiert, welche die Faltung von Proteinen der äußeren Membran stabilisieren. Enzyme der Lipopolysaccharidbiosynthese und periplasmatische Proteasen werden induziert, die denaturierte Proteine in Periplasma abbauen. σE stimuliert auch die Ausprägung des allgemeinen Hitzeschocks durch Induktion von rpoH (Strukturgen von σ32) (S. 515). σE wird als ECF (engl. extracytoplasmic function σ factor) bezeichnet. Diese σ-Faktoren repräsentieren zusammen mit den zugehörigen Anti-σ-Faktoren ein weiteres wichtiges System (neben den Zweikomponentensystemen) zum Signaltransfer über Membranen. Dieser Mechanismus wird auch genutzt, um Signale von der äußeren Membran bis ins Cytoplasma zu übertragen (d. h. über zwei Membranen). Beispiel dafür ist das FecA-System zur Erkennung von Eisen-Ionen an der äußeren Membran, bei dem ein Porin der primäre Reizerkennungsort ist. Die Hüllstressantwort von E. coli (▶ Abb. 16.33) ist gut untersucht. Die Protease DegS erkennt über eine periplasmatisch lokalisierte Domäne entfaltete Proteine der äu-

520

Stress Omp äußere Membran

RseA

RseP

DegS

R

Cytoplasmamembran -Polymeras NA E

σ

σE ClpXP

e

Membranen reagieren besonders empfindlich auf plötzliche Temperaturänderungen, da bereits geringe Temperaturänderungen ihre Fluidität und Stabilität beeinflussen. Die Fluidität wird durch die Art von Fettsäuren beeinflusst, welche die Membran aufbauen; Membranen mit einem erhöhten Anteil an ungesättigten oder methylverzweigten Fettsäuren sind fluider. Zur Kontrolle der Fluidität induziert B. subtilis bei Kälte (unter 30 °C) eine Desaturase, die Doppelbindungen in Fettsäuren einführt. Der Thermosensor DesK ist eine Sensorkinase, die über Transmembranhelices in die Membran integriert ist, von denen eine Helix hydrophile Aminosäuren enthält. Sie ist dadurch labil und spricht empfindlich auf die Fluidität und Dicke der Membran an. Bei Kälte wird eine Kinase aktiviert und über den Response-Regulator die Desaturase induziert, sodass Membranen mit erhöhter Fluidität gebildet werden können.

Hüllstressgene

ATP

ADP

Abb. 16.33 Hüllstressreaktion in E. coli. Die Proteolysekaskade wird durch ein Omp-Protein, das aus der äußeren Membran freigesetzt wurde, und weitere Faktoren gestartet. Das OmpProtein bindet an die Protease DegS. DegS spaltet das Protein RseA (Anti-σ-Faktor), das im Grundzustand σE gebunden hat. RseA besitzt Spaltstellen für die Proteasen DegS, RseP und ClpXP, deren Aktivität schließlich zur Freisetzung von σE führt, der dann an die RNA-Polymerase bindet. Der Komplex aus σE und RNA-Polymerase kann dann die Hüllstressgene transkribieren.

ßeren Membran, z. B. Porine (Omp), wenn diese durch Membranschädigung freigesetzt wurden. Die Bindung aktiviert die Proteaseaktivität von DegS, die einen transmembranen Anti-σ-Faktor, RseA, im Periplasma spaltet. RseA bindet im Grundzustand auf der cytoplasmatischen Seite σE und hindert σE an der Komplexbildung mit der RNA-Polymerase. Eine zweite membranständige Protease (RseP) wird zunächst durch ein periplasmatisches Protein (RseB) gehemmt. Nach Verlust der periplasmatischen Domäne von RseA wird die Protease RseP aktiv und spaltet den Anti-σ-Faktor nahe der cytosolischen Seite der Membran. Der Rest des Anti-σ-Faktors wird im Komplex mit σE durch die Protease ClpXP gespalten. Dadurch wird σE frei und kann in Verbindung mit der RNA-Polymerase die Gene des Hüllstressregulons transkribieren. Neben σE sind vermutlich zusätzlich kleine regulatorische sRNAs an der Hüllstressreaktion beteiligt.

16.8.4 Osmoregulation Bakterien müssen den osmotischen Druck ihrer Zelle bei Austrocknung oder starker Durchfeuchtung der Umgebung den osmotischen Verhältnissen der Umwelt anpassen, um Schrumpfen (Plasmolyse) oder Platzen zu vermeiden (▶ Abb. 16.34). Sie besitzen sowohl rasch einsetzende als auch dauerhafte Möglichkeiten der Regulation, indem sie über verschiedene Mechanismen die zelluläre Konzentration von osmotisch aktiven Substanzen (Ionen und andere Moleküle, die große Hydrathüllen bilden),

16.9 Interzelluläre Kommunikation und Zelldichteregulation (Quorum Sensing) gelöste Stoffe

K+

zugaktive Kanäle Prolin Glycinbetain Cholin

Glutamat↑ zelleigene Schutzstoffe↑

OmpF große Pore

OmpC kleine Pore H2O

H2O

hyperton: Gefahr der Plasmolyse

hypoton: Gefahr des Platzens

Abb. 16.34 Einige physiologische Reaktionen von E. coli auf osmotischen Stress.

CH3 O H3C N+ C C O– H3C H2 Glycinbetain

O

OH

H NH N CH3 Ectoin OH OH

Polyole und Zuckeralkohole

OH

OH HO

OH HO OH Inosit

OH Glycerin

Zucker OH HO HO

HO O HO

O

Trehalose (Glucose + Glucose)

O HO

S-haltige Verbindungen OH OH

O S

O

Dimethylsulfoniopropionat

Abb. 16.35 Beispiele für kompatible Solute, die Bakterien im Zellinneren durch Transport oder Synthese anhäufen.

anpassen (▶ Abb. 16.35). In vielen Fällen werden diese Substanzen durch Transporter in die Zelle geschafft oder exportiert. Wenn das Medium hypertonisch ist, besteht die Gefahr der Plasmolyse und die Zelle muss osmotisch aktive Substanzen aufnehmen, um Wasser zu binden. Umgekehrt werden in hypotonischer Umgebung Osmolyte aus der Zelle abgegeben. E. coli reagiert auf einen Anstieg des Zellturgors zunächst mit einer schnellen Aufnahme von K+-Ionen durch ein induzierbares, hoch affines K+-Aufnahmesystem (KdpFABC). Dieser Carrier wird bei K+-Mangel der Zelle und hoher Osmolarität durch das Zweikomponentensystem KdpDE mit dem Sensor KdpD und dem Response-Re-

gulator KdpE induziert. Da eine hohe K+-Konzentration für viele Proteine schädlich ist, werden zur längerfristigen Adaptation in der Zelle kompatible Solute (verträgliche gelöste Stoffe) angehäuft, die osmotisch aktiv sind und gleichzeitig die Proteine schützen. Viele kompatible Solute sind Kohlenhydrate (z. B. das Disaccharid Trehalose, eine Glucose-α1-α1-Glucose), Polyole (z. B. Glycerin) oder Aminosäuren wie Glycinbetain (N-Trimethylglycin), Prolin, das Aminosäurederivat Ectoin und Glutamat (▶ Abb. 16.35). Häufig sind es Zwitterionen wie Betain, Cholin, Ectoin und Prolin, die eine positive und eine negative Ladung tragen. E. coli synthetisiert von diesen Verbindungen nur Trehalose selbst. Die anderen werden aufgenommen, auch die Alkoholvorstufe Cholin, das durch Oxidation leicht in Glycinbetain überführt werden kann. Die Gene der Trehalosebiosynthese (otsBA) und der meisten Permeaseproteine (betT, proP) für die Aufnahme der kompatiblen Solute werden durch den σ-Faktor der generellen Stressantwort σS induziert. Die Faktoren der osmospezifischen Induktion sind nicht bekannt. Bei der Adaptation an niederosmolare Verhältnisse spielen mechanosensitive, zugaktivierte Kanäle (MscL und MscS) eine wichtige Rolle. Sie öffnen sich bei lateraler Membranspannung und ermöglichen den schnellen Austritt von Ionen und Soluten (▶ Abb. 16.34). Werden diese Komponenten nicht aus der Zelle geschleust, droht die Cytoplamamembran infolge des einströmenden Wassers zu platzen. Zusätzlich sind an allen osmotischen Reaktionen der Membran Aquaporine beteiligt. Das sind Proteinkanäle, die einen schnelleren Wasserfluss über die Membran ermöglichen als durch die Semipermeabilität der Membran möglich ist. In Abhängigkeit von der Osmolarität ändert sich auch die Permeabilität der äußeren Membran. In E. coli werden je nach Bedingung die alternativen Porine OmpC oder OmpF eingebaut (Plus 5.1) (S. 155). OmpC besitzt eine geringere Porengröße und Permeabilität für gelöste Stoffe und wird bei hohem osmotischem Druck und höherer Temperatur gebildet, d. h. bei Wachstum im Darm. Dadurch werden viele toxische Verbindungen aus dem Intestinaltrakt an der Passage gehindert. OmpF, das höhere Permeabilität zeigt, wird dagegen bei Wachstum unter niedrigem osmotischen Druck, d. h. außerhalb des Darms, synthetisiert. Es erleichtert den Durchtritt niedrig konzentrierter Substratmoleküle. Die Expression der ompCund ompF-Gene wird durch das osmosensitive Zweikomponentensystem EnvZ/OmpR reguliert.

16.9 Interzelluläre Kommunikation und Zelldichteregulation (Quorum Sensing) Unter Quorum Sensing versteht man die Fähigkeit von Bakterien, die Zelldichte zu ermitteln. Dichte Zellpopulationen können so mit einer kollektiven Genexpression und der Koordination von Prozessen reagieren, die nur in

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16.9 Interzelluläre Kommunikation und Zelldichteregulation (Quorum Sensing) gelöste Stoffe

K+

zugaktive Kanäle Prolin Glycinbetain Cholin

Glutamat↑ zelleigene Schutzstoffe↑

OmpF große Pore

OmpC kleine Pore H2O

H2O

hyperton: Gefahr der Plasmolyse

hypoton: Gefahr des Platzens

Abb. 16.34 Einige physiologische Reaktionen von E. coli auf osmotischen Stress.

CH3 O H3C N+ C C O– H3C H2 Glycinbetain

O

OH

H NH N CH3 Ectoin OH OH

Polyole und Zuckeralkohole

OH

OH HO

OH HO OH Inosit

OH Glycerin

Zucker OH HO HO

HO O HO

O

Trehalose (Glucose + Glucose)

O HO

S-haltige Verbindungen OH OH

O S

O

Dimethylsulfoniopropionat

Abb. 16.35 Beispiele für kompatible Solute, die Bakterien im Zellinneren durch Transport oder Synthese anhäufen.

anpassen (▶ Abb. 16.35). In vielen Fällen werden diese Substanzen durch Transporter in die Zelle geschafft oder exportiert. Wenn das Medium hypertonisch ist, besteht die Gefahr der Plasmolyse und die Zelle muss osmotisch aktive Substanzen aufnehmen, um Wasser zu binden. Umgekehrt werden in hypotonischer Umgebung Osmolyte aus der Zelle abgegeben. E. coli reagiert auf einen Anstieg des Zellturgors zunächst mit einer schnellen Aufnahme von K+-Ionen durch ein induzierbares, hoch affines K+-Aufnahmesystem (KdpFABC). Dieser Carrier wird bei K+-Mangel der Zelle und hoher Osmolarität durch das Zweikomponentensystem KdpDE mit dem Sensor KdpD und dem Response-Re-

gulator KdpE induziert. Da eine hohe K+-Konzentration für viele Proteine schädlich ist, werden zur längerfristigen Adaptation in der Zelle kompatible Solute (verträgliche gelöste Stoffe) angehäuft, die osmotisch aktiv sind und gleichzeitig die Proteine schützen. Viele kompatible Solute sind Kohlenhydrate (z. B. das Disaccharid Trehalose, eine Glucose-α1-α1-Glucose), Polyole (z. B. Glycerin) oder Aminosäuren wie Glycinbetain (N-Trimethylglycin), Prolin, das Aminosäurederivat Ectoin und Glutamat (▶ Abb. 16.35). Häufig sind es Zwitterionen wie Betain, Cholin, Ectoin und Prolin, die eine positive und eine negative Ladung tragen. E. coli synthetisiert von diesen Verbindungen nur Trehalose selbst. Die anderen werden aufgenommen, auch die Alkoholvorstufe Cholin, das durch Oxidation leicht in Glycinbetain überführt werden kann. Die Gene der Trehalosebiosynthese (otsBA) und der meisten Permeaseproteine (betT, proP) für die Aufnahme der kompatiblen Solute werden durch den σ-Faktor der generellen Stressantwort σS induziert. Die Faktoren der osmospezifischen Induktion sind nicht bekannt. Bei der Adaptation an niederosmolare Verhältnisse spielen mechanosensitive, zugaktivierte Kanäle (MscL und MscS) eine wichtige Rolle. Sie öffnen sich bei lateraler Membranspannung und ermöglichen den schnellen Austritt von Ionen und Soluten (▶ Abb. 16.34). Werden diese Komponenten nicht aus der Zelle geschleust, droht die Cytoplamamembran infolge des einströmenden Wassers zu platzen. Zusätzlich sind an allen osmotischen Reaktionen der Membran Aquaporine beteiligt. Das sind Proteinkanäle, die einen schnelleren Wasserfluss über die Membran ermöglichen als durch die Semipermeabilität der Membran möglich ist. In Abhängigkeit von der Osmolarität ändert sich auch die Permeabilität der äußeren Membran. In E. coli werden je nach Bedingung die alternativen Porine OmpC oder OmpF eingebaut (Plus 5.1) (S. 155). OmpC besitzt eine geringere Porengröße und Permeabilität für gelöste Stoffe und wird bei hohem osmotischem Druck und höherer Temperatur gebildet, d. h. bei Wachstum im Darm. Dadurch werden viele toxische Verbindungen aus dem Intestinaltrakt an der Passage gehindert. OmpF, das höhere Permeabilität zeigt, wird dagegen bei Wachstum unter niedrigem osmotischen Druck, d. h. außerhalb des Darms, synthetisiert. Es erleichtert den Durchtritt niedrig konzentrierter Substratmoleküle. Die Expression der ompCund ompF-Gene wird durch das osmosensitive Zweikomponentensystem EnvZ/OmpR reguliert.

16.9 Interzelluläre Kommunikation und Zelldichteregulation (Quorum Sensing) Unter Quorum Sensing versteht man die Fähigkeit von Bakterien, die Zelldichte zu ermitteln. Dichte Zellpopulationen können so mit einer kollektiven Genexpression und der Koordination von Prozessen reagieren, die nur in

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Regulation von Stoffwechsel und Zellaufbau großer Gemeinschaft sinnvoll und möglich sind. Nur bei hohen Zelldichten werden ausreichende Mengen der Enzyme gebildet; die Leistung von wenigen Zellen wäre völlig wirkungslos. Beispiele für Vorgänge, für die eine interzelluläre Kommunikation notwendig ist, sind Biolumineszenz, Biofilmbildung, Zellkompetenz, Virulenz, symbiontische Leistungen oder die Produktion von Antibiotika und von Exoenzymen. Um einen Biofilm zu bilden (▶ Abb. 16.36), bilden die Bakterien Pili und Flagellen aus, mit deren Hilfe sie an Oberflächen haften. Zusätzlich synthetisieren sie extrazelluläre Polysaccharide, DNA und Proteine als extrazelluläre polymere Substanzen, die die Zellen in einer wasserhaltigen Matrix umgeben. Diese Matrix bildet einen funktionellen Gemeinschaftsraum. Die Bakterien darin reagieren mit einer massiven Ände-

a

b

Polysaccharide Protein

DNA

rung der Genexpression auf die neue Lebensweise. So wird der Stoffwechsel verändert und wegen der Substratlimitierung, ähnlich wie bei der generellen Stressantwort, auf langsames Wachstum umgestellt. Auch für die Infektion eines Wirtes durch Pathogene (Virulenz) sind Gemeinschaftsleistungen erforderlich. So bilden pflanzenpathogene Bakterien wie Erwinia Adhäsine und lytische Enzyme (Pectinasen und Proteasen), um in das Pflanzengewebe einzudringen und pflanzliche Polymere abzubauen. Die Biolumineszenz von Bakterien wie Vibrio fischeri oder Photobacterium erfordert eine hohe Zelldichte, andernfalls ist das erzeugte Licht nicht wahrnehmbar. Eine dichte Zellmasse wird in den Leuchtorganen von Tintenfischen oder Fischen erreicht. Die Induktion der Kompetenz von Bacillus subtilis und die Ausbildung des konjugativen Apparates durch Enterococcus faecalis findet ebenfalls bei hoher Zelldichte statt, wenn ausreichend Bakterien als DNA-Spender oder -Empfänger verfügbar sind. Die Kommunikation der Bakterien untereinander erfolgt durch Botenstoffe (Pheromone) oder Autoinduktoren, die von den Zellen in das Medium abgeben werden. Um wirksam zu werden, muss die Pheromonkonzentration einen Schwellenwert übersteigen. Dazu ist eine ausreichende Dichte an autoinduktorbildenden Bakterien nötig. In gramnegativen Bakterien gibt es zwei Klassen von Autoinduktoren, die acylierten Homoserinlactone (AHL oder AI-1) und Autoinduktor 2 (AI-2); in grampositiven Bakterien werden dagegen häufig kurze modifizierte Peptide gebildet (▶ Abb. 16.37). Während AHLs aufgrund ihrer speziesspezifischen Acylgruppe für die Kommunikation innerhalb einer Art verwendet werden, wird AL-2 von verschiedenen Bakterien gebildet und eignet sich somit zur Kommunikation zwischen verschiedenen Arten. Die Bakterien besitzen Gene bzw. Enzyme für die Autoinduktorsynthese aus zellulären Vorläufern (AHL-Synthase LuxI, ▶ Abb. 16.38). AHL ist lipophil und diffundiert deshalb durch die Zellhülle in das Medium. Bei hoher Zelldichte erreicht der Induktor eine kritische extra- und intrazelluläre Konzentration von 10–6–10–9 M. Das Molekül bindet im Zielorganismus an den Regulator, der die

O O

N H

R

N-Acylhomoserinlacton (AHL oder Al-1)

O HO O

OH B–

O

HO Abb. 16.36 Matrix eines Biofilms. (nach Flemming & Wingender, Nature Rev. Microbiol. 8 (2010:623) a Biofilm mit typischer Pilzstruktur. b Wasserhaltiger Raum zwischen den Zellen mit Proteinen, Polysacchariden und DNA, die als Polymere die Matrix bilden.

522

HO

CH3

Autoinduktor 2 (Al-2)

O

Abb. 16.37 Struktur der Autoinduktoren N-Acylhomoserinlacton (AHL oder AI-1) und Autoinduktor 2 (AI-2), eine borhaltige Verbindung.

16.10 Chemotaxis a

b

AI-1

AI-1

AI-2

LuxN

LuxQ

P

P

LuxR

LuxR

LuxU

PheromonSynthese LuxI

lux-Gene Vibrio fischeri

LuxO

sRNA

luxR

Luciferase Vibrio harveyi

zelldichteregulierten Gene induziert, z. B. Gene für die Biofilmbildung oder die Biolumineszenz. Diese einfache Form des Quorum Sensing, die Vibrio fischeri zur Induktion der Biolumineszenz verwendet, ist in vielen Bakterien modifiziert. Vibrio harveyi z. B. bildet als Autoinduktoren AHL und AI-2. Beide Autoinduktoren werden im Periplasma durch Sensorkinasen erkannt. Diese übertragen das Signal ins Cytoplasma und dort über eine Phosphorylierungskaskade. Bei niedriger Autoinduktorkonzentration ist der Genregulator phosphoryliert und erlaubt die Synthese einer regulatorischen sRNA. Diese hemmt dann die Induktion der Luciferase und anderer biofilmspezifischer Proteine. In Anwesenheit der Autoinduktoren entfällt die Repression durch die sRNA, und die Proteine werden gebildet. Die Peptidpheromone der grampositiven Bakterien werden von Ribosomen synthetisiert und durch einen ABC-Transporter exportiert. Bei ausreichender Konzentration erkennen Empfängerzellen das extrazelluläre Pheromon durch ein Zweikomponentensystem und regulieren so die Expression der zugehörigen Funktionen, z. B. die Kompetenz, den konjugativen Gentransfer oder die Endosporenbildung.

16.10 Chemotaxis Bewegliche Bakterien können sich mit ihren Flagellen (S. 166) entlang von Stoffgradienten bewegen und sich damit in eine günstigere Umgebung begeben. Sie benutzen dazu Sensorsysteme für Lock- oder Schreckstoffe. Bei Bakterien, die sich mithilfe von Flagellen bewegen, sind die Chemotaxis und ihre Regulation gut untersucht. Zu den chemischen Reizen, die eine Chemotaxis auslösen, zählen Aminosäuren, Zucker, organische Säuren wie Suc-

Abb. 16.38 Regulation der Biolumineszenz bei gramnegativen Bakterien. Die Biolumineszenz wird in Vibrio fischeri und Vibrio harveyi durch diffusible Autoinduktoren (Pheromone) reguliert. a Bei V. fischeri katalysiert LuxI die Bildung von AI-1 in der Zelle. AI-1 diffundiert in das Medium und wieder in die Zelle. AI-1 bindet an den zellulären Rezeptor LuxR und die luxGene werden transkribiert. b V. harveyi bildet AI-1 und AI-2. Die Autoinduktoren binden im Periplasma an die Rezeptoren von modifizierten Zweikomponentensystemen (LuxN und LuxQ). Phosphatübertragende Proteine (LuxU und LuxO) induzieren in einem gemeinsamen Weg die Synthese einer sRNA, die die Expression des Regulators LuxR inhibiert. In Anwesenheit von AI-1 und AI-2 wird die Synthese der sRNA gehemmt und es wird Luciferase gebildet. AI-1, Acylhomoserinlacton; LuxI, Pheromon-Synthase

cinat, aber auch O2 (Aerotaxis). Ähnliche Prinzipien gelten für Photo- und Thermotaxis. Dagegen ist die Magnetotaxis eine passive Antwort; die Magnetosomen sind als Magneten stark genug, um die Zellen im Erdmagnetfeld auszurichten. Die Chemotaxis wird von einem Sensor- und Signaltransduktionssystem kontrolliert. Dieses reguliert aber nicht die Transkription bestimmter Gene, sondern die Drehrichtung des Flagellenmotors. Bei peritrich begeißelten Bakterien wie E. coli stimmen im unbeeinflussten Zustand Drehrichtung des Flagellenmotors und Windungsrichtung des helikalen Flagellenfilaments überein. Dies bewirkt eine Vorwärtsbewegung (Schwimmen). Eine Wechselwirkung mit dem Signaltransduktionssystem kehrt die Drehrichtung des Motors für kurze Zeit um. Dies hat zunächst den Verlust der gerichteten Bewegung (Taumeln) zur Folge und führt dadurch zu einer zufälligen, neuen Schwimmrichtung. Durch die Kontrolle der Taumelhäufigkeit in Abhängigkeit von dem Konzentrationsgradienten führen die Bakterien positive oder negative Chemotaxis aus, d. h. sie wandern auf den Stoff oder Reiz zu oder davon weg. Bei anderen peritrich begeißelten Bakterien wie Sinorhizobium steuert die Chemotaxis nicht die Drehrichtung, sondern die Drehgeschwindigkeit des Flagellenmotors. Durch unterschiedlich schnelle Rotation der Flagellen einer Zelle dreht sich diese Zelle und ändert die Schwimmrichtung (▶ Abb. 5.37). ▶ Regulation der Chemotaxis. Die Regulation erfolgt durch ein cytoplasmatisches Zweikomponentensystem (Che-Proteine) und vorgeschaltete membranständige Chemorezeptoren (▶ Abb. 16.39). Die Chemorezeptoren werden auch als methylakzeptierende Chemotaxisproteine (MCP) bezeichnet. In E. coli gibt es fünf verschiedene Chemorezeptoren dieser Art. Sie können meist mehr als

3

16.10 Chemotaxis a

b

AI-1

AI-1

AI-2

LuxN

LuxQ

P

P

LuxR

LuxR

LuxU

PheromonSynthese LuxI

lux-Gene Vibrio fischeri

LuxO

sRNA

luxR

Luciferase Vibrio harveyi

zelldichteregulierten Gene induziert, z. B. Gene für die Biofilmbildung oder die Biolumineszenz. Diese einfache Form des Quorum Sensing, die Vibrio fischeri zur Induktion der Biolumineszenz verwendet, ist in vielen Bakterien modifiziert. Vibrio harveyi z. B. bildet als Autoinduktoren AHL und AI-2. Beide Autoinduktoren werden im Periplasma durch Sensorkinasen erkannt. Diese übertragen das Signal ins Cytoplasma und dort über eine Phosphorylierungskaskade. Bei niedriger Autoinduktorkonzentration ist der Genregulator phosphoryliert und erlaubt die Synthese einer regulatorischen sRNA. Diese hemmt dann die Induktion der Luciferase und anderer biofilmspezifischer Proteine. In Anwesenheit der Autoinduktoren entfällt die Repression durch die sRNA, und die Proteine werden gebildet. Die Peptidpheromone der grampositiven Bakterien werden von Ribosomen synthetisiert und durch einen ABC-Transporter exportiert. Bei ausreichender Konzentration erkennen Empfängerzellen das extrazelluläre Pheromon durch ein Zweikomponentensystem und regulieren so die Expression der zugehörigen Funktionen, z. B. die Kompetenz, den konjugativen Gentransfer oder die Endosporenbildung.

16.10 Chemotaxis Bewegliche Bakterien können sich mit ihren Flagellen (S. 166) entlang von Stoffgradienten bewegen und sich damit in eine günstigere Umgebung begeben. Sie benutzen dazu Sensorsysteme für Lock- oder Schreckstoffe. Bei Bakterien, die sich mithilfe von Flagellen bewegen, sind die Chemotaxis und ihre Regulation gut untersucht. Zu den chemischen Reizen, die eine Chemotaxis auslösen, zählen Aminosäuren, Zucker, organische Säuren wie Suc-

Abb. 16.38 Regulation der Biolumineszenz bei gramnegativen Bakterien. Die Biolumineszenz wird in Vibrio fischeri und Vibrio harveyi durch diffusible Autoinduktoren (Pheromone) reguliert. a Bei V. fischeri katalysiert LuxI die Bildung von AI-1 in der Zelle. AI-1 diffundiert in das Medium und wieder in die Zelle. AI-1 bindet an den zellulären Rezeptor LuxR und die luxGene werden transkribiert. b V. harveyi bildet AI-1 und AI-2. Die Autoinduktoren binden im Periplasma an die Rezeptoren von modifizierten Zweikomponentensystemen (LuxN und LuxQ). Phosphatübertragende Proteine (LuxU und LuxO) induzieren in einem gemeinsamen Weg die Synthese einer sRNA, die die Expression des Regulators LuxR inhibiert. In Anwesenheit von AI-1 und AI-2 wird die Synthese der sRNA gehemmt und es wird Luciferase gebildet. AI-1, Acylhomoserinlacton; LuxI, Pheromon-Synthase

cinat, aber auch O2 (Aerotaxis). Ähnliche Prinzipien gelten für Photo- und Thermotaxis. Dagegen ist die Magnetotaxis eine passive Antwort; die Magnetosomen sind als Magneten stark genug, um die Zellen im Erdmagnetfeld auszurichten. Die Chemotaxis wird von einem Sensor- und Signaltransduktionssystem kontrolliert. Dieses reguliert aber nicht die Transkription bestimmter Gene, sondern die Drehrichtung des Flagellenmotors. Bei peritrich begeißelten Bakterien wie E. coli stimmen im unbeeinflussten Zustand Drehrichtung des Flagellenmotors und Windungsrichtung des helikalen Flagellenfilaments überein. Dies bewirkt eine Vorwärtsbewegung (Schwimmen). Eine Wechselwirkung mit dem Signaltransduktionssystem kehrt die Drehrichtung des Motors für kurze Zeit um. Dies hat zunächst den Verlust der gerichteten Bewegung (Taumeln) zur Folge und führt dadurch zu einer zufälligen, neuen Schwimmrichtung. Durch die Kontrolle der Taumelhäufigkeit in Abhängigkeit von dem Konzentrationsgradienten führen die Bakterien positive oder negative Chemotaxis aus, d. h. sie wandern auf den Stoff oder Reiz zu oder davon weg. Bei anderen peritrich begeißelten Bakterien wie Sinorhizobium steuert die Chemotaxis nicht die Drehrichtung, sondern die Drehgeschwindigkeit des Flagellenmotors. Durch unterschiedlich schnelle Rotation der Flagellen einer Zelle dreht sich diese Zelle und ändert die Schwimmrichtung (▶ Abb. 5.37). ▶ Regulation der Chemotaxis. Die Regulation erfolgt durch ein cytoplasmatisches Zweikomponentensystem (Che-Proteine) und vorgeschaltete membranständige Chemorezeptoren (▶ Abb. 16.39). Die Chemorezeptoren werden auch als methylakzeptierende Chemotaxisproteine (MCP) bezeichnet. In E. coli gibt es fünf verschiedene Chemorezeptoren dieser Art. Sie können meist mehr als

3

Regulation von Stoffwechsel und Zellaufbau

Lockstoffe

CheR P

CheY MCP MCP MCP

FliM

CheW CheA

P

Schwimmen

CheZ

MCP CheW

Taumeln CheY

Schreckstoffe

Drehrichtung

CheB

P

FliM

P

Abb. 16.39 Signaltransduktionsweg der Chemotaxis in E. coli und Kontrolle der Drehrichtung des Flagellenmotors. CheA (Chemotaxisprotein A) und CheY sind cytoplasmatische Histidin-Proteinkinasen und Response-Regulatoren aus einem Zweikomponentensystem. CheY~Phosphat tritt mit dem Motorprotein FliM in Wechselwirkung und induziert die Umkehr der Drehrichtung des Motors (Taumeln). CheW ist ein Adapter für die Wechselwirkung zwischen dem Rezeptor (methylakzeptierendes Chemotaxisprotein, MCP) und CheA. CheR ist eine Methyltransferase und methyliert MCP kontinuierlich an Glutamatresten (Desensibilisierung). Die Methylesterase CheB, ein Response-Regulator, ist nach Phosphorylierung aktiv und spaltet den Methylrest am MCP wieder ab. Erklärungen siehe Text.

einen Reiz erkennen, entweder direkt oder über periplasmatische Proteine. Die MCP-Proteine bilden auf der cytoplasmatischen Seite einen Komplex mit CheA, der Sensorkinase des Zweikomponentensystems; Das Protein CheW wirkt als Adapter bei der Bildung des MCP-CheA-Komplexes. Die Bindung des Reizmoleküls führt zu einer Konformationsänderung des Chemorezeptors auf der cytoplasmatischen Seite, welche die Autokinaseaktivität von CheA steuert: Die Phosphorylierungsaktivität wird von Lockstoffen gehemmt, von Schreckstoffen stimuliert. Phosphoryliertes CheA überträgt dann den Phosphatrest auf den Response-Regulator CheY, der in der phosphorylierten Form (CheY~Phosphat) an den Flagellenmotor bindet und seine Drehrichtung ändert (Taumeln). Eine Phosphatase, CheZ, dephosphoryliert CheY~Phosphat kontinuierlich und setzt den Regulator damit in den Ausgangszustand zurück. Da Schreckstoffe die Phosphorylierung von CheA und damit von CheY stimulieren, erhöhen sie die Taumelhäufigkeit, während der Lockstoff durch Hemmung der Phosphorylierung dem entgegenwirkt. Die verschiedenen Chemorezeptoren sind in großen Komplexen gemeinsam angeordnet und beeinflussen so zusammen die Phosphorylierung von CheA. So findet eine Signalintegration statt, die in eine gemeinsame Antwort – der Regulation des Flagellenmotors FliM – mündet. ▶ Adaptation. Zur gerichteten Bewegung in einem Stoffgradienten ist die Erkennung von Konzentrationsänderungen nötig. Zu diesem Zweck wird die Empfindlichkeit der Rezeptoren für Reize verändert. Die Chemorezeptoren werden an Glutamatresten kontinuierlich durch CheR methyliert (daher die Bezeichnung methylakzeptierendes Chemotaxisprotein, MCP). Die Methylierung ändert Konformation und Sensitivität des Rezeptors. In Gegenwart eines Schreckstoffs (d. h. bei dessen gleichbleibender Konzentration) wird MCP stetig durch

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CheR methyliert, es wird ein schwächeres Signal an CheA weitergegeben, die Phosphorylierung von CheA und CheY nimmt ab und die Taumelhäufigkeit sinkt. CheA~Phosphat phoshoryliert zusätzlich CheB, eine Demethylase (Methylesterase), die dann die Chemorezeptoren demethyliert und so ihre ursprüngliche Sensitivität gegenüber dem Schreckstoff wieder herstellt. Damit kontrolliert CheA nicht nur den Signaltransfer zum Motor, sondern auch die Adaptation der Rezeptoren. In Gegenwart eines Lockstoffs sind die Verhältnisse umgekehrt. CheA, CheY und CheB werden nicht phosphoryliert, die Bakterien schwimmen geradeaus. CheR methyliert dann die Rezeptoren, die für den Lockstoff unempfindlicher werden. Dadurch werden CheA und CheY trotz Anwesenheit des Lockstoffs phosphoryliert, die Bakterien taumeln. Durch die Aktivierung der Methylesterase (CheB~Phosphat) wird die Sensitivität gegenüber dem Lockstoff langsam wieder hergestellt. In Archaebakterien finden sich konvergent entwickelte Flagellenmotor- und Chemotaxissysteme, die wahrscheinlich analog zu den hier beschriebenen Systemen funktionieren. Cyanobakterien, Mycoplasma-Arten und Myxobakterien können sich auf Oberflächen gleitend fortbewegen; auch sie zeigen taktische Bewegung (S. 168).

16.11 Differenzierung bei Bakterien Einige Bakterien durchlaufen im Wachstum obligat einen Entwicklungszyklus, bei anderen können sich einzelne Zellen differenzieren. Beispiele dafür sind die Lebenszyklen von Caulobacter crescentus und Myxococcus, und die Differenzierung während der Endosporenbildung grampositiver Bakterien. Diese Entwicklungs- und Differenzierungsprozesse erfordern eine zeitlich und räumlich

Regulation von Stoffwechsel und Zellaufbau

Lockstoffe

CheR P

CheY MCP MCP MCP

FliM

CheW CheA

P

Schwimmen

CheZ

MCP CheW

Taumeln CheY

Schreckstoffe

Drehrichtung

CheB

P

FliM

P

Abb. 16.39 Signaltransduktionsweg der Chemotaxis in E. coli und Kontrolle der Drehrichtung des Flagellenmotors. CheA (Chemotaxisprotein A) und CheY sind cytoplasmatische Histidin-Proteinkinasen und Response-Regulatoren aus einem Zweikomponentensystem. CheY~Phosphat tritt mit dem Motorprotein FliM in Wechselwirkung und induziert die Umkehr der Drehrichtung des Motors (Taumeln). CheW ist ein Adapter für die Wechselwirkung zwischen dem Rezeptor (methylakzeptierendes Chemotaxisprotein, MCP) und CheA. CheR ist eine Methyltransferase und methyliert MCP kontinuierlich an Glutamatresten (Desensibilisierung). Die Methylesterase CheB, ein Response-Regulator, ist nach Phosphorylierung aktiv und spaltet den Methylrest am MCP wieder ab. Erklärungen siehe Text.

einen Reiz erkennen, entweder direkt oder über periplasmatische Proteine. Die MCP-Proteine bilden auf der cytoplasmatischen Seite einen Komplex mit CheA, der Sensorkinase des Zweikomponentensystems; Das Protein CheW wirkt als Adapter bei der Bildung des MCP-CheA-Komplexes. Die Bindung des Reizmoleküls führt zu einer Konformationsänderung des Chemorezeptors auf der cytoplasmatischen Seite, welche die Autokinaseaktivität von CheA steuert: Die Phosphorylierungsaktivität wird von Lockstoffen gehemmt, von Schreckstoffen stimuliert. Phosphoryliertes CheA überträgt dann den Phosphatrest auf den Response-Regulator CheY, der in der phosphorylierten Form (CheY~Phosphat) an den Flagellenmotor bindet und seine Drehrichtung ändert (Taumeln). Eine Phosphatase, CheZ, dephosphoryliert CheY~Phosphat kontinuierlich und setzt den Regulator damit in den Ausgangszustand zurück. Da Schreckstoffe die Phosphorylierung von CheA und damit von CheY stimulieren, erhöhen sie die Taumelhäufigkeit, während der Lockstoff durch Hemmung der Phosphorylierung dem entgegenwirkt. Die verschiedenen Chemorezeptoren sind in großen Komplexen gemeinsam angeordnet und beeinflussen so zusammen die Phosphorylierung von CheA. So findet eine Signalintegration statt, die in eine gemeinsame Antwort – der Regulation des Flagellenmotors FliM – mündet. ▶ Adaptation. Zur gerichteten Bewegung in einem Stoffgradienten ist die Erkennung von Konzentrationsänderungen nötig. Zu diesem Zweck wird die Empfindlichkeit der Rezeptoren für Reize verändert. Die Chemorezeptoren werden an Glutamatresten kontinuierlich durch CheR methyliert (daher die Bezeichnung methylakzeptierendes Chemotaxisprotein, MCP). Die Methylierung ändert Konformation und Sensitivität des Rezeptors. In Gegenwart eines Schreckstoffs (d. h. bei dessen gleichbleibender Konzentration) wird MCP stetig durch

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CheR methyliert, es wird ein schwächeres Signal an CheA weitergegeben, die Phosphorylierung von CheA und CheY nimmt ab und die Taumelhäufigkeit sinkt. CheA~Phosphat phoshoryliert zusätzlich CheB, eine Demethylase (Methylesterase), die dann die Chemorezeptoren demethyliert und so ihre ursprüngliche Sensitivität gegenüber dem Schreckstoff wieder herstellt. Damit kontrolliert CheA nicht nur den Signaltransfer zum Motor, sondern auch die Adaptation der Rezeptoren. In Gegenwart eines Lockstoffs sind die Verhältnisse umgekehrt. CheA, CheY und CheB werden nicht phosphoryliert, die Bakterien schwimmen geradeaus. CheR methyliert dann die Rezeptoren, die für den Lockstoff unempfindlicher werden. Dadurch werden CheA und CheY trotz Anwesenheit des Lockstoffs phosphoryliert, die Bakterien taumeln. Durch die Aktivierung der Methylesterase (CheB~Phosphat) wird die Sensitivität gegenüber dem Lockstoff langsam wieder hergestellt. In Archaebakterien finden sich konvergent entwickelte Flagellenmotor- und Chemotaxissysteme, die wahrscheinlich analog zu den hier beschriebenen Systemen funktionieren. Cyanobakterien, Mycoplasma-Arten und Myxobakterien können sich auf Oberflächen gleitend fortbewegen; auch sie zeigen taktische Bewegung (S. 168).

16.11 Differenzierung bei Bakterien Einige Bakterien durchlaufen im Wachstum obligat einen Entwicklungszyklus, bei anderen können sich einzelne Zellen differenzieren. Beispiele dafür sind die Lebenszyklen von Caulobacter crescentus und Myxococcus, und die Differenzierung während der Endosporenbildung grampositiver Bakterien. Diese Entwicklungs- und Differenzierungsprozesse erfordern eine zeitlich und räumlich

16.11 Differenzierung bei Bakterien sehr genau koordinierte Kontrolle der Genexpression, die Modelle zur Differenzierung von Zellen darstellen. Wir wollen die Endosporenbildung und die Differenzierung von Caulobacter genauer betrachten.

16.11.1 Endosporenbildung bei B. subtilis Bacillus-Arten und andere endosporenbildende Bakterien reagieren auf Nährstoffmangel und andere Einschränkungen des Wachstums mit Sporulation. Endosporen (S. 171) sind stoffwechselinaktive Dauerformen und resistent gegen viele lebensbedrohliche Faktoren, z. B. extreme Temperaturen, Austrocknung, Nährstoffmangel und ionisierende Strahlung. Die morphologische Differenzierung beginnt mit einer asymmetrischen Zellteilung nahe dem Zellpol und führt zur Bildung der Vorspore und der Mutterzelle (▶ Abb. 16.40). Die Sporulation wird in acht Entwicklungsstufen (0–VII) eingeteilt, ebenso die für die einzelnen Entwicklungsstufen verantwortlichen Gene oder Proteine (Spo0–SpoVII). Zunächst wird das Chromosom repliziert und anschließend die Cytoplasmamembran asymmetrisch eingeschnürt (inäquale Zellteilung) (0–I). Jeder der beiden so entstandenen Protoplasten erhält eine Kopie der DNA (II). Im Gegensatz zur äqualen Zellteilung erfolgt keine Zellwandbildung, sondern das kleinere Kompartiment wird von der Cytoplasmamembran der Mutterzelle umwachsen (Vorspore) (III). Anschließend synthetisiert die innere, vom Sporenprotoplasten stammende Membran nach außen die Keimzellwand; die Sporenrinde (Cortex) wird von der äußeren, von der Mutterzelle stammenden Membran, nach innen synthetisiert (IV). Der Cortex besteht ebenfalls aus einem vielschichti-

gen Peptidoglykangerüst, das sich jedoch von der Keimzellwand und der Zellwand vegetativer Zellen durch den Vernetzungsgrad und die chemische Zusammensetzung unterscheidet. Phase IV geht mit beginnender Dehydrierung einher. Weiterhin wird von der Mutterzelle eine äußere, weitgehend aus widerstandsfähigen Polypeptiden bestehende Sporenhülle gebildet. In diese Phase fällt auch die Aufnahme von Ca2 + -Ionen und die Synthese von Dipicolinsäure sowie kleiner, säurelöslicher Proteine; damit einher geht die Ausbildung der Hitzeresistenz. Einige Bakterien bilden darüber hinaus noch eine weitere Peptidhülle, das Exosporium, aus, das ebenfalls von der Mutterzelle synthetisiert wird (V–VI). Die reifen Sporen werden schließlich durch Autolyse der Mutterzellen freigesetzt (VII). Der gesamte Vorgang kann ca. 7–8 Stunden in Anspruch nehmen. Die asymmetrische Zellteilung ist an eine besondere Form der Chromsomensegregation geknüpft. In Stufe II der Sporulation ist das Chromosom bereits dupliziert und das polare Septum weitgehend ausgebildet, aber noch nicht geschlossen. Das Septum zwischen Vorspore und Mutterzelle bindet spezifisch eine Vielzahl von Proteinen, die für die Kontrolle und weitere asymmetrische Zellteilung wichtig sind. Die Vorspore wird dann von der Mutterzelle umwachsen und umschlossen. Die asymmetrische Zellteilung und das folgende unterschiedliche Entwicklungsprogramm erfordert eine zeitlich und räumlich koordinierte sequenzielle Genexpression in beiden Kompartimenten. Diese anspruchsvolle Aufgabe wird durch komplexe Mechanismen reguliert: räumlich und zeitlich getrennt arbeitende Zweikomponentensysteme sowie spezifische σ-Faktoren und Antiσ-Faktoren. Die Entscheidung der Zelle zur Sporulation

Abb. 16.40 Die morphologischen Veränderungen der verschiedenen Stadien der Sporulation von 0–VII und Chromosomensegregation (Erklärung siehe Text). Für die Regulation einzelner Phasen wichtige σ-Faktoren (σF, σE, σG, σK) sind eingezeichnet. (nach Stragier & Losick, Annu. Rev. Genet. 30 (1996):297)

σF Chromosom

II σE

Zellwand Cytoplasmamembran 0- I

VII

III

V - VI

σG

IV σK

Cortex

Sporenhülle

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Regulation von Stoffwechsel und Zellaufbau

extrazelluläre Reize

Mutterzelle

zelluläre Signale (Chromosomentrennung, Energiestatus)

P

KinB

KinD

P

SpoOF

SpoOF

P

SpoOB

SpoOB

P

SpoOA

SpoOA

P

P

Sporulationsgene (120)

σE (Mutterzelle)

Vorspore

Umwachsen Vorspore, Bildung Cortex, σE Hülle SpoIIID

Stufe IV Stufe V

σK

Septum

σF

Stufe II

σG

Stufe III Konservierung der DNA, Vorbereitung der Keimung

Abb. 16.42 Differenzielle Genregulation und Differenzierung in der Mutterzelle und der Vorspore von B. subtilis. Die Differenzierung erfolgt über σEσK- und σFσG-Kaskaden in Mutterzelle bzw. Vorspore und wird durch den Transfer von Signalen von der Vorspore in die Mutterzelle (unterbrochene Pfeile) zeitlich koordiniert.

σF (Vorspore)

Abb. 16.41 Phosphatschalter zur Induktion der Sporulation in B. subtilis. Die Sensorkinasen KinA, KinB und KinD erkennen unterschiedliche zelluläre und extrazelluläre Reize. Die Phosphatgruppe wird über ein Phosphotransfersystem (phosphorelay) auf den Schalter Spo0A übertragen. Die Phosphorylierung erfolgt alternierend an Asp- und His-Resten. Bei ausreichender Phosphorylierung von Spo0A wird die Expression der Sporulationskaskade in der Mutterzelle und in der Vorspore angeschaltet.

wird durch einen sogenannten Phosphatschalter (engl. phosphorelay) getroffen, der über eine mehrstufige Phosphorylierungskaskade verschiedene zelluläre und extrazelluläre Faktoren und Reize sammelt und integriert (▶ Abb. 16.41). Wenn das eigentliche Schalterprotein Spo0A in ausreichendem Maß phosphoryliert ist, schaltet dieses die Differenzierung unumkehrbar an. Im Zentrum des Systems stehen drei Phosphoproteine, die an Asp- oder His-Resten phosphoryliert werden können und ähnlich wie in Zweikomponentensystemen die Phosphatgruppe übertragen. Vier Sensorkinasen (KinA– KinD) phosphorylieren die Phosphoproteine auf verschiedenen Ebenen. Die Kinasen werden in ihrer Aktivität durch verschiedene zelluläre oder extrazelluläre Faktoren, z. B. Energie- und Redoxstatus und den Zellzyklus, reguliert. So hemmen eine aktive Chromosomenreplikation (als Zeichen für vegetatives Wachstum) oder ein hoher ATP-Gehalt (als Zeichen für gute Energieversorgung) die Kinasen direkt oder indirekt. Eine weitere Regulation erfolgt durch Phosphatasen, die in Abhängigkeit von zellulären Signalen die Dephosphorylierung (und Inaktivierung) des Phosphorelays steuern. Der Schalter Spo0A ist ein Response-Regulator, der im phosphorylierten Zustand die Expression der Sporulationsgene anschaltet.

526

P

Stufe 0

Membran KinA

SpoOA

Die asymmetrische Zellteilung führt in Stufe II der Sporulation zu einer vorübergehenden asymmetrischen Verteilung der chromosomalen Gene zwischen Vorspore und Mutterzelle (▶ Abb. 16.40). Die in der Nähe von oriC gelegenen Gene des Vorsporenchromosoms befinden sich in der Vorspore und die distalen Gene in der Mutterzelle. So wird z. B. der Anti-σF-Faktor in Stufe II in der Vorspore nicht synthetisiert, in der Mutterzelle dagegen aber von zwei Loci. Dadurch wird das σF-abhängige Differenzierungsprogramm in der Vorspore gestartet, in der Mutterzelle aber unterdrückt (▶ Abb. 16.42). Ein weiterer Faktor, der den Start der kompartimentspezifischen Regulation fördert, sind Regulatorproteine sowie Konzentrationseffekte, die durch die unterschiedliche räumliche Größe der beiden Kompartimente entstehen. Durch diese Mechanismen wird in Vorspore und Mutterzelle ein Expressions- und Differenzierungsprogramm gestartet, dessen Grundlage die sequenzielle Expression der σ-Faktoren σF und σG in der Vorspore und σE und σK in der Mutterzelle ist. Diese σ-Faktoren steuern dann der Reihe nach die Expression weiterer Transkriptionsfaktoren, welche die Synthese kompartimentspezifischer Proteine steuern. Die zeitliche Abfolge des Entwicklungssporogramms in der Vorspore und der Mutterzelle wird durch einen Austausch von Signalen durch die beiden Membranen des polaren Septums koordiniert. So induziert σF das Protein SpoIIR, das die erste Membran des polaren Septums passiert und σE in der Mutterzelle aktiviert. Auf ähnliche Weise können Proteine der Mutterzelle die Funktion von Proteinen der Vorspore aktivieren.

16.11 Differenzierung bei Bakterien

16.11.2 Lebenszyklus von Caulobacter crescentus Die Zellteilung stäbchenförmiger Zellen (wie E. coli oder B. subtilis) ist ein asymmetrischer Prozess, weil durch die Art der Zellteilung die Tochterzellen aus einem alten und einem neuen Pol bestehen. Diese Polarität ist die Grundlage für viele asymmetrische Prozesse in der Zelldifferenzierung. In dem Alphaproteobakterium Caulobacter crescentus geht die Asymmetrie weit darüber hinaus und ist im gesamten Zellaufbau offensichtlich. Eine sessile Lebensphase (Wachstum) wechselt mit einer mobilen Lebensphase (Ausbreitung) ab. Caulobacter ist damit in der Lage, geeignete Standorte dauerhaft zu besiedeln und sich bei Bedarf auszubreiten und neue Bereiche zu erschließen. Wir beginnen den Lebenszyklus von C. crescentus mit dem Stadium der beweglichen Schwärmerzelle, die an einem Zellpol Pili und eine Flagelle trägt (▶ Abb. 16.43). Nach Abwerfen der Flagelle, Einziehen der Pili und Synthese eines Stiels am gleichen Zellpol bildet sich eine Stielzelle, ohne dass sich die Schwärmerzelle zuvor geteilt hat. Die Zelle setzt sich mit dem Stiel fest und wächst, bildet ein Flagellum am entgegengesetzten Pol und teilt sich dann in eine Schwärmer- und eine Stielzelle. Die Stielzelle kann direkt wieder eine asymmetrische Zellteilung starten, während sich die Schwärmerzelle dazu erst in eine Stielzelle differenzieren muss. In C. crescentus ist die Zellteilung zeitlich eng an die Trennung der Chromosomen gekoppelt. Die Schwärmerzelle enthält ein einzelnes Chromosom, ähnlich wie in der G1-Phase eukaryontischer Zellen. Während der Differenzierung zur Stielzelle beginnt die Replikation, sodass jede Tochterzelle wieder ein zirkuläres Chromosom trägt. Der Zellzyklus koordiniert somit die Replikation, die asymmetrische Zellteilung und verschiedene Differenzierungsprozesse, inklusive der Pili-, Flagellen- und Stielsynthese. Dieser Differenzierungsprozess erfordert eine räumliche Ordnung der regulatorischen Prozesse. Einzelne Pro-

teine können sehr empfindlich durch ihre genetische Fusion mit fluoreszierenden Proteinen, z. B. dem grün fluoreszierenden Protein (GFP) oder Varianten davon, in vivo durch Fluoreszenzmikroskopie lokalisiert werden (▶ Abb. 16.44). Zwei Regelkreise spielen bei der Regulation der Prozesse die Hauptrolle; sie bestehen hauptsächlich aus modifizierten Zweikomponentensystemen und Phosphatasen. Sie initiieren die Replikation des Chromosoms und die morphogenetischen Prozesse (Zellteilung, Pili-, Flagellen- und Stielsynthese). Weitere wichtige Faktoren der Regelkreise sind die regulierte Proteolyse von Regulatoren und das Signalmolekül c-di-GMP. Die Regulatoren bilden in bestimmten Differenzierungszuständen der Zelle und abhängig vom Phosphorylierungsgrad der Proteine Mikrokomplexe, bevorzugt an den Polen. Die Bakterien bilden somit regulatorische Mikrokompartimente, die aber – anders als echte Kompartimente in Eukaryonten – nicht von Membranen umschlossen sind. Die Funktionszustände in diesen Signalkaskaden werden durch die zeitliche Sequenz der Prozesse gesteuert. Regulatorische zelluläre Faktoren sind weitgehend unbekannt. Im ersten Regelkreis (▶ Abb. 16.45) kontrolliert das Zweikomponentensystem DivK/DivJ über eine regulatorische Kette mit weiteren Phosphoproteinen die Bildung von c-di-GMP und von einem phosphoryliertem Protein (PleD), das letztendlich den Start der polaren Entwicklung steuert. Die zweite Phosphorylierungskaskade startet ebenfalls mit DivK/DivJ und steuert die Phosphorylierung eines zentralen Response-Regulators, CtrA, der den Start der Replikation des Chromosoms kontrolliert. Im phosphorylierten Zustand (CtrA-P) hemmt CtrA die Re-

CFP-ParB

FtsZ-YFP

Überlagerung

Schwärmerzelle

Stielzelle

Fagellum

Pili G1

S

Stiel G2

Abb. 16.43 Zellzyklus und asymmetrische Zellteilung von Caulobacter crescentus. Die Entwicklung von der Schwärmerzelle zur vollständig differenzierten, gestielten Zelle stellt einen kompletten Zellzyklus dar und umfasst die G1-(Motilitäts-)Phase mit der Biogenese der Pili, die Ausbildung der gestielten Zelle (S-Phase) und die asymmetrische Zellteilung (G2-Phase).

Abb. 16.44 Lokalisierung von fluoreszenzmarkierten Proteinen in Caulobacter crescentus. Die Proteine ParB und FtsZ, die die Chromosomenteilung und Septumbildung steuern, wurden mit den fluoreszierenden Proteinen CFP und YFP (Derivate des GFP-Proteins mit roter und gelber Fluoreszenz) markiert. Die Lokalisierung von ParB (rot) an den Zellpolen und von FtsZ (grün) in der Septumbildung wurde durch Fluoreszenzmikroskopie bestimmt (Darstellung in Falschfarben). (Aufnahme Martin Thanbichler, Marburg)

7

Regulation von Stoffwechsel und Zellaufbau a

Schwärmerzelle

↑CtrA

P

P

↓CtrA

DivK

b

zentrale Rolle. Die Phosphorylierung wird durch eine Koordination von Transkription, Abbau und räumliche Zugänglichkeit der Komponenten reguliert. Über die Funktion zellulärer Faktoren und Reize zur Kontrolle dieser Prozesse ist noch wenig bekannt.

Stielzelle

DivK

P

PleD

P

16.11.3 Fruchtkörperbildende Myxobakterien

polare Entwicklung S-Phase

PleD

P

c-di-GMP

PleC P -Transfer DivK

P

DivK

DivL

CtrA

P

Replikation G2-Phase

DivJ Proteolyse Abb. 16.45 Lokalisierung einiger regulatorischer Proteine der asymmetrischen Zellteilung in der Zelle von C. crescentus (a) und regulatorische Phosphoproteinkaskade zur Kontrolle des Zellzyklus (b). Die Response-Regulatoren PleD und CtrA steuern die polare Entwicklung (S-Phase) und die Replikation des Chromosoms (G2-Phase). Ihre Phosphorylierung wird durch eine Phosphorylierungskaskade gesteuert. Die Phosphorylierung des Response-Regulators DivK wird durch die Sensorkinasen PleC und DivJ reguliert. Phosphorylierungsgrad und Konzentration der Regulatoren sind für den Start der Entwicklungsschritte entscheidend. Im PleD-Weg wird c-di-GMP gebildet, das die Replikation (CtrA-Weg) und weitere zelluläre Prozesse beeinflusst. Die Regulatoren zeigen teilweise eine spezifische Lokalisierung in der Schwärmerzelle und der Stielzelle (S-Phase), oft abhängig von ihrem Phosphorylierungszustand. So ist DivK in Schwärmerzellen cytoplasmatisch, in gestielten Zellen als DivK-P zusammen mit PleD-P am Stielpol der Zelle lokalisiert. Im Cytoplasma ist DivK zugänglich und aktiv, resultierend in effektiver Phosphorylierung und einem hohen Gehalt an CtrA-P in Schwärmerzellen. Dies hat eine Hemmung der Replikation zur Folge. Die Konzentration von CtrA-P wird durch Proteolyse reguliert. In der Stielzelle ist DivK als DivK-P am Pol lokalisiert und der Phoshorylierungskaskade entzogen; es wird wenig CtrA phosphoryliert und die Replikation kann ablaufen. Durch ähnliche Prozesse wird die Phosphorylierung über den PleD-Weg (und damit der Start der Differenzierungsprozesse) in Schwärmer- und Stielzellen umgekehrt beeinflusst.

plikation. Die Funktion des Regulators wird zusätzlich über seine Konzentration gesteuert, CtrA-P wird durch eine regulierbare Proteolyse abgebaut. Die Regulatoren sind in Schwärmer- und Stielzellen unterschiedlich lokalisiert, oft abhängig von ihrem Phosphorylierungszustand. Somit spielen Phosphorylierungskaskaden mit modifizierten Zweikomponentensystemen und die zeitliche und räumliche Regulation der Phosphorylierung eine

528

Fruchtkörperbildende Myxobakterien (z. B. Myxococcus xanthus) weisen einen ausgeprägten Lebenszyklus auf, in dem sich vegetative Zellen bei Nährstoffmangel zu einem vielzelligen Fruchtkörper zusammentun. Myxobakterien sind aerobe heterotrophe Bodenbakterien aus der Gruppe der Deltaproteobakterien. Viele von ihnen leben räuberisch und bauen Proteine oder Polysaccharide ab. Myxobakterien weisen sehr große Genome auf (9–13 Mb), die etwa doppelt so groß sind wie die Genome verwandter Deltaproteobakterien. Dieses große Genom wird mit der Stoffwechselvielfalt und der besonderen Lebensweise der Myxobakterien in Verbindung gebracht, der Fruchtkörperbildung (▶ Abb. 16.46) und den damit einhergehenden Regulationsprozessen. Im vegetativen Zyklus bewegen sich Myxobakterien durch Schwärmen auf Oberflächen. Bei Nährstoffmangel (Hunger) bilden die Zellen auf der Oberfläche wellenförmige Strukturen aus, die dann zu deutlich erkennbaren Aggregaten und hügeligen Strukturen führen, die aus Ansammlungen von Zellen bestehen (▶ Abb. 16.47). Die Hügel differenzieren sich weiter zu Fruchtkörpern (Sporangien), die in M. xanthus kugelförmig sind. Andere Myxobakterien können Fruchtkörper mit komplexer Morphologie bilden (▶ Abb. 16.46). Der Fruchtkörper von M. xanthus besteht aus einer großen Zahl stressresistenter Myxosporen, die dann wieder zu vegetativen Zellen auskeimen. Zur Besiedlung von komplexen polymeren Substraten (z. B. Zellen) müssen viele Sporen gleichzeitig verbreitet werden, damit ausreichende Mengen lytischer Enzyme gebildet werden können. Der Lebenszyklus von M. xanthus schließt also vegetatives Wachstum auf Oberflächen ein, aus dem durch Koordination der Bewegung der Zellen Aggregate entstehen, die sich zu Fruchtkörpern organisieren. Bei diesem Schritt bilden sich aus den vegetativen Zellen Myxosporen. Die Kontrolle der Bewegung spielt eine wichtige Rolle bei der Fruchtkörperbildung. M. xanthus gleitet auf der Oberfläche unter Verwendung von zwei Bewegungssystemen. Bei der S-förmigen Bewegung (S-Motilität) bewegen sich die Bakterien mithilfe von Pili auf der Oberfläche. Mithilfe der Pili heftet sich M. xanthus an benachbarte Bakterien und bewegt sich durch Zurückziehen der Pili in die Zelle auf den Befestigungspunkt zu. Grundlage der A-förmigen Bewegung (A-Motilität) ist die Ausscheidung von Schleim an dem hinteren Zellpol (jede Zelle ist polar aufgebaut und besitzt einen Kopf- und einen Schwanzpol), die zur Vorwärtsbewegung führt. Auch diese A-förmige Zellbewegung wird durch Zell-Zell-Kontakte stimu-

16.11 Differenzierung bei Bakterien

Abb. 16.46 Fruchtkörper verschiedener Vertreter der Myxobakterien. a–c Verschiedene Stufen der Fruchtkörperbildung von Myxococcus xanthus (vgl. ▶ Abb. 16.47). (Aufnahmen aus Kuner u. Kaiser. J. Bacteriol. (1982)151:458) a 7 Stunden nach Induktion durch Nährstoffmangel. Die einzelnen Zellen sind ca 5 µm lang und 0,5 µm breit. b Aggregate nach 31 Stunden. c Fruchtkörper nach 72 Stunden, etwa 100 µm groß. d Fruchtkörper von Chondromyces robustus in einer Anreicherungskultur, etwa 500 µm groß. (Aufnahme von H. Reichenbach) e Fruchtkörper von Myxococcus fulvus auf einer Agaroberfläche, ca. 150 µm groß. (Aufnahme von H. Reichenbach) f Fruchtkörper von Chondromyces crocatus, eingebettet in einem mikroskopischen Präparat, etwa 650 µm groß. (Aufnahme von H. Reichenbach)

Hügelbildung

Aggregation

Wellenbildung

Fruchtkörper Myxospore

Hunger vegetatives Wachstum

Keimung

Abb. 16.47 Entwicklungszyklus von Myxococcus xanthus. Die vegetativen Zellen wachsen und schwärmen auf Oberflächen und bilden schließlich Fruchtkörper. Die Fruchtkörperbildung beginnt mit der Wellenbildung. Es folgen die Aggregation von Zellen und die Bildung eines Hügels, der sich schließlich zu einem Fruchtkörper differenziert. Das Sporangium ist aus Myxosporen aufgebaut, die freigesetzt werden und zu vegetativen Zellen auskeimen.

Schwärmen

9

Regulation von Stoffwechsel und Zellaufbau Zelle 1

Zelle 2 FruA

Effektoren A- und S-Motilität

Gene für Entwicklung und Sporulation C-Signal (Zelloberfläche)

Rezeptor für C-Signal

Abb. 16.48 Faktoren zur Steuerung der koordinierten Bewegung (A- und S-Motilität) und der Differenzierung von M. xanthus. Ein Oberflächenprotein (C-Signal) ist für direkten ZellZell-Kontakt der Myxobakterien verantwortlich, das mit einem Rezeptor interagiert. FruA ist ein zentraler Regulator in einer Signalkette zur Kontrolle der Bewegung und Differenzierung.

liert, die zu einer gemeinsamen Bewegung der Bakterien in „Rudeln“ über die Oberfläche führt. Die Bakterien sekretieren dabei lytische Enzyme für den Verdau der Beutebakterien. Bei dieser Rudel- oder Biofilmbildung werden direkte Zell-Zell-Kontakte (C-Signalling) ausgebildet, die Voraussetzung für diese Bewegung sind. Im Unterschied dazu erfolgt die Zell-Zell-Kommunikation im Quo-

rum Sensing (S. 521) über diffundierende Autoinduktormoleküle ohne direkten Kontakt der Bakterien. Diese Zell-Zell-Kontakte beruhen auf Oberflächenproteinen (CSignal), die in den Partnerzellen durch einen spezifischen Rezeptor erkannt werden (▶ Abb. 16.48). Die Rezeptoren steuern dann die Bildung von Effektoren, welche die Aund S-förmige Bewegung stimulieren. Außerdem steuern die Rezeptoren die Transkription und Bildung von zellulären Signalmolekülen, welche die Morphogenese induzieren. Ein wichtiger Regulator ist hier der Response-Regulator FruA; Er ist zentraler Bestandteil einer komplexen Signalkaskade, die die Induktion von Entwicklungs- und Sporulationsgenen steuert. FruA reguliert zusätzlich die Bildung der Effektormoleküle der A- und S-förmigen Bewegung. Diese Regulationsprozesse werden bei Hunger induziert und steuern dann die koordinierte Bewegung, die den Ausgangspunkt für die Differenzierung mit der Aggregation, Fruchtkörper- und Sporenbildung darstellt. Die regulatorische Signalkaskade ist komplex und sie unterscheidet sich in Aufbau, den beteiligten Komponenten und der Funktionsweise deutlich von der Kaskade der σ-Faktoren bei der Sporulation von Bacillus. In der Fruchtkörperbildung von M. xanthus dagegen spielen das C-Signalling und Zweikomponentensysteme eine wichtige Rolle.

Zusammenfassung ●







Bakterien steuern Zellaufbau, Stoffwechsel, Zellteilung und Differenzierung in Abhängigkeit von den Umweltbedingungen und zellulären Verhältnissen (Wuchsphase, Stoffwechsel, Zellzyklus). Dafür wird ein erheblicher Teil des Genoms benötigt. Die Regulation kann durch Strukturänderungen der DNA (z. B. die Änderung der Superhelikalität), Transkriptionskontrolle, Translationskontrolle und die Kontrolle der Proteinfunktion oder -stabilität erzielt werden. Die Transkriptionskontrolle ist von besonderer Bedeutung. Sie beruht oft auf Genregulatoren mit einer DNAbindenden Domäne mit einem Helix-Turn-Helix-Motiv, welche die Expression aktivieren oder reprimieren. Ihre Funktion wird durch Effektoren, durch Phosphorylierung oder durch die Veränderung ihrer Konzentration reguliert. Regulatorische kleine RNA-Moleküle (sRNAs), die cisoder trans-codiert sein können, kontrollieren die Expression vieler Gene, besonders auf der Translationsebene. Viele sRNAs binden nahe der Ribosomenbindungsstelle und beeinflussen den Translationsstart. Cis-codierte regulatorische RNA findet sich z. B. in der Hitzeschockreaktion, bei der die temperaturabhängige Expression durch Kontrolle der Faltung einer RegulatormRNA gesteuert wird (molekulares Thermometer), oder in den Riboswitches, bei denen die mRNA-Faltung durch Bindung kleiner Moleküle reguliert wird.

Literatur zum Weiterlesen unter: www.thieme.de/literatur-fuchs

530











M ●

Konzentration und Prozessierung von Regulatorproteinen spielt eine wichtige Rolle bei der Regulation von Differenzierungs- und Adaptationsprozessen. Dabei werden Synthese, Abbau oder Modifikation der Proteine gezielt verändert, um die Konzentration des Regulators zu steuern. Umweltreize werden oft durch membranständige Sensoren oder Transmembran-Carrier erkannt. Die Zweikomponentensysteme bestehen aus einer sensorischen Histidin-Proteinkinase und einem Response-Regulator, der die Genexpression, die Enzymaktivität oder den Flagellenmotor steuert. Der Signaltransfer zwischen Sensor und Regulator erfolgt durch Proteinphosporylierung. Diffusible Reize (z. B. die Gase O2, H2) und die Temperatur werden von cytoplasmatischen Sensoren registriert. Die Sensorsysteme steuern die Antwort der Zelle auf die Nährstoffversorgung (C-, N-Versorgung, Elektronenakzeptoren wie O2), Stressfaktoren (oxidativer Stress, Temperatur, osmotischer Druck, pH-Wert), Zellentwicklung oder Differenzierung (Sporulation, asymmetrische Zellteilung und Differenzierung), Chemotaxis (Bewegung im Stoffgradienten) oder Kommunikation der Mikroorganismen (Quorum Sensing). Alternative σ-Faktoren werden in Bakterien genutzt, um Promotorklassen koordiniert anzuschalten. Die Regulation durch σ-Faktoren wird eingesetzt, um spezielle Leistungen oder Programme abzurufen (Hitzeschock, Differenzierung, Hüllstress, N-Assimilierung, Flagellensynthese u. a.).

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Kapitel 17 Mikrobielle Vielfalt, Evolution und Systematik

17.1

Überblick

17.2 17.2 17.3 17.3 17.4

Diversität Diversität Systematik der Prokaryonten Systematik der Prokaryonten Evolutionäre Grundlagen der prokaryontischen Vielfalt der Evolutionäre Grundlagen

17.4 17.5

532 532 535

532 532 535 541

prokaryontischen Vielfaltlebende Fossilien? 541 Archaea – extremophile

Vorwiegend thermophilelebende Bacteria: Archaea – extremophile Aquificae, Thermotogae, ThermoFossilien? 543 desulfobacteria, Dictyoglomi 17.6 thermophile Bacte17.7 Vorwiegend Deinococcus-Thermus ria: Aquificae, Thermotogae, 17.8 Chloroflexi und Armatimonadetes Thermodesulfobacteria, Dictyoglomi 551 17.9 Firmicutes und Tenericutes: grampositiv mit niedrigem GC-Gehalt 17.7 Deinococcus-Thermus 553 17.10 Actinobacteria: grampositiv mit hohem 17.8 GC-Gehalt Chloroflexi und Armatimonadetes 554 17.11 Fusobacteria

543

17.6 17.5

17.12 oxygen photosynthetisch, 17.9 Cyanobacteria Firmicutes und –Tenericutes: hoch divers und weit verbreitet grampositiv mit niedrigem GCGehalt 556 17.13 Nitrospirae 17.14 17.10 17.15

Acidobacteria Actinobacteria: grampositiv mit hohem GC-Gehalt Spirochaetae

551 553 554 556 563 568 569 570 571

563

17.16 Verrucomicrobia, 568 17.11 Planctomycetes, Fusobacteria Chlamydiae 17.12 Chlorobi Cyanobacteria – oxygen photo17.17 synthetisch, hoch divers und 17.18 Bacteroidetes weit verbreitet 569 17.19 Proteobacteria

572 573 576 578 581

Mikrobielle Vielfalt, Evolution und Systematik

17 Mikrobielle Vielfalt, Evolution und Systematik Jörg Overmann

17.1 Überblick Mikroorganismen sind aus biochemischer und phylogenetischer Sicht wahrscheinlich die vielfältigste Gruppe von Organismen. Anders als höhere Organismen lassen sich Bakterien und Archaeen meist nicht anhand von einfachen morphologischen oder phänotypischen Merkmalen unterscheiden. Deshalb wurde erst nach der Einführung von molekularbiologischen Ansätzen vor etwa 20 Jahren zunehmend klar, dass die bisher isolierten Bakterienstämme nur einen kleinen Bruchteil der existierenden bakteriellen Diversität darstellen und außerhalb des Labors vollkommen neuartige Formen existieren. Über die letzten Jahre ist die Zahl beschriebener Bakterienarten mit über 620 Arten jährlich kontinuierlich und schnell angestiegen. Damit ist heute die Chance für die Entdeckung und Erstbeschreibung einer neue Art in der Mikrobiologie viel höher als in anderen biologischen Teildisziplinen. Als Folge ihrer neuen Blüte ist die bakterielle Systematik mittlerweile aber auch sehr komplex geworden und auf den ersten Blick unübersichtlich. Kapitel 17 gibt einen komprimierten Überblick über die Grundlagen der bakteriellen Systematik und Diversitätsforschung und behandelt die 25 wichtigsten Phyla anhand ihrer charakteristischen Vertreter. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass der überwiegende Teil (> 99.9 %) der bakteriellen Diversität immer noch unerschlossen geblieben ist. Eine vollständigere Erfassung der bakteriellen Diversität ist nicht nur die Voraussetzung für ein vertieftes Verständnis natürlicher Stoffkreisläufe (S. 598) sondern auch für die zukünftige biotechnologische Nutzung (S. 684) des stoffwechselphysiologischen Potenzials von Prokaryonten.

17.2 Diversität In den letzten 20 Jahren hat sich die mikrobielle Diversitätsforschung rasant zu einer bedeutenden und erfolgreichen Teildisziplin der Mikrobiologie entwickelt. Vor allem durch die kulturunabhängige Analyse von 16S-rRNASequenzen in Umweltproben wurde deutlich, dass der überwiegende Teil der rezent vorkommenden Bakterienarten bisher noch weitgehend unbekannt ist. Viele dieser Bakterien verfügen zudem über neuartige physiologische Eigenschaften.

532

17.2.1 Diversitätsbegriff und Definition Der Begriff Diversität ist von dem lateinischen „diversitas“ abgeleitet und bezeichnet in der Biologie die Vielfalt von Lebensgemeinschaften. Entsprechend wird in diesem Zusammenhang häufig auch der spezifischere Begriff Biodiversität verwendet. Unterschieden werden dabei die α-, β- und γ-Diversität. Die α-Diversität ist als die Vielfalt der in einem einzelnen Lebensraum vorkommenden Organismen definiert, während unter β-Diversität die Verschiedenheit der Artenzusammensetzung in unterschiedlichen Lebensräumen, beispielsweise entlang eines Gradienten von hohen zu niedrigen Temperaturen oder von nährstoffreichen zu nährstoffarmen Habitaten, verstanden wird. Die organismische Vielfalt in größeren räumlichen Einheiten (ein bis 100 km2) wird als γ-Diversität bezeichnet. Moderne Methoden der Hochdurchsatzsequenzierung gestatten seit Kurzem die Analyse dieser verschiedenen Aspekte der Diversität auch von Mikroorganismen.

17.2.2 Quantifizierung und Umfang mikrobieller Diversität Beobachtungseinheit der mikrobiellen Diversitätsforschung Ein Großteil der an natürlichen Standorten vorkommenden Bakterien kann bislang nicht in Reinkultur isoliert werden (Plus 18.6) (S. 607). Zur kulturunabhängigen taxonomischen Einordnung von Mikroorganismen werden bisher vor allem Sequenzen ribosomaler RNA mit verschiedenen molekularen Verfahren wie der (Hochdurchsatz-)Sequenzierung (Methode 6.5) (S. 217) oder Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) (S. 607) untersucht. Aufgrund ihrer spezifischen Eigenschaften ist die 16Sbzw. 18S-rRNA dazu besonders geeignet. Die mikrobielle Diversität lässt sich auch quantitativ erfassen (Methode 17.1).

Mikrobielle Vielfalt, Evolution und Systematik

17 Mikrobielle Vielfalt, Evolution und Systematik Jörg Overmann

17.1 Überblick Mikroorganismen sind aus biochemischer und phylogenetischer Sicht wahrscheinlich die vielfältigste Gruppe von Organismen. Anders als höhere Organismen lassen sich Bakterien und Archaeen meist nicht anhand von einfachen morphologischen oder phänotypischen Merkmalen unterscheiden. Deshalb wurde erst nach der Einführung von molekularbiologischen Ansätzen vor etwa 20 Jahren zunehmend klar, dass die bisher isolierten Bakterienstämme nur einen kleinen Bruchteil der existierenden bakteriellen Diversität darstellen und außerhalb des Labors vollkommen neuartige Formen existieren. Über die letzten Jahre ist die Zahl beschriebener Bakterienarten mit über 620 Arten jährlich kontinuierlich und schnell angestiegen. Damit ist heute die Chance für die Entdeckung und Erstbeschreibung einer neue Art in der Mikrobiologie viel höher als in anderen biologischen Teildisziplinen. Als Folge ihrer neuen Blüte ist die bakterielle Systematik mittlerweile aber auch sehr komplex geworden und auf den ersten Blick unübersichtlich. Kapitel 17 gibt einen komprimierten Überblick über die Grundlagen der bakteriellen Systematik und Diversitätsforschung und behandelt die 25 wichtigsten Phyla anhand ihrer charakteristischen Vertreter. Dennoch darf nicht vergessen werden, dass der überwiegende Teil (> 99.9 %) der bakteriellen Diversität immer noch unerschlossen geblieben ist. Eine vollständigere Erfassung der bakteriellen Diversität ist nicht nur die Voraussetzung für ein vertieftes Verständnis natürlicher Stoffkreisläufe (S. 598) sondern auch für die zukünftige biotechnologische Nutzung (S. 684) des stoffwechselphysiologischen Potenzials von Prokaryonten.

17.2 Diversität In den letzten 20 Jahren hat sich die mikrobielle Diversitätsforschung rasant zu einer bedeutenden und erfolgreichen Teildisziplin der Mikrobiologie entwickelt. Vor allem durch die kulturunabhängige Analyse von 16S-rRNASequenzen in Umweltproben wurde deutlich, dass der überwiegende Teil der rezent vorkommenden Bakterienarten bisher noch weitgehend unbekannt ist. Viele dieser Bakterien verfügen zudem über neuartige physiologische Eigenschaften.

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17.2.1 Diversitätsbegriff und Definition Der Begriff Diversität ist von dem lateinischen „diversitas“ abgeleitet und bezeichnet in der Biologie die Vielfalt von Lebensgemeinschaften. Entsprechend wird in diesem Zusammenhang häufig auch der spezifischere Begriff Biodiversität verwendet. Unterschieden werden dabei die α-, β- und γ-Diversität. Die α-Diversität ist als die Vielfalt der in einem einzelnen Lebensraum vorkommenden Organismen definiert, während unter β-Diversität die Verschiedenheit der Artenzusammensetzung in unterschiedlichen Lebensräumen, beispielsweise entlang eines Gradienten von hohen zu niedrigen Temperaturen oder von nährstoffreichen zu nährstoffarmen Habitaten, verstanden wird. Die organismische Vielfalt in größeren räumlichen Einheiten (ein bis 100 km2) wird als γ-Diversität bezeichnet. Moderne Methoden der Hochdurchsatzsequenzierung gestatten seit Kurzem die Analyse dieser verschiedenen Aspekte der Diversität auch von Mikroorganismen.

17.2.2 Quantifizierung und Umfang mikrobieller Diversität Beobachtungseinheit der mikrobiellen Diversitätsforschung Ein Großteil der an natürlichen Standorten vorkommenden Bakterien kann bislang nicht in Reinkultur isoliert werden (Plus 18.6) (S. 607). Zur kulturunabhängigen taxonomischen Einordnung von Mikroorganismen werden bisher vor allem Sequenzen ribosomaler RNA mit verschiedenen molekularen Verfahren wie der (Hochdurchsatz-)Sequenzierung (Methode 6.5) (S. 217) oder Fluoreszenz-in-situ-Hybridisierung (FISH) (S. 607) untersucht. Aufgrund ihrer spezifischen Eigenschaften ist die 16Sbzw. 18S-rRNA dazu besonders geeignet. Die mikrobielle Diversität lässt sich auch quantitativ erfassen (Methode 17.1).

17.2 Diversität

d ●

Methode 17.1 Quantifizierung der mikrobiellen Diversität

100

Dabei ergibt sich pi aus der Zahl der Individuen ni einer Art und der Gesamtzahl der Individuen N in der betrachteten Gemeinschaft: ni pi = (17.2) N Sind alle Arten gleich häufig, so erreicht H’ den Maximalwert H’max = ln S. Wie gleichmäßig die Individuen über die verschiedenen Arten verteilt sind, lässt sich daher mit dem Index für Gleichmäßigkeit E (engl. evenness index) ermitteln: E=

H' H' = H' max InS

(17.3)

Der Parameter E kann Werte zwischen 0 und 1 annehmen. In der mikrobiellen Diversitätsforschung werden neben dem Shannon-Index auch der Simpson’s Index oder der Margalef-Index verwendet. Häufig wird die Zahl der Arten als Funktion des Probenumfangs (der Zahl gesammelter Individuen) nach dem Rarefaction-Verfahren analysiert (▶ Abb. 17.1). Dabei zeigt ein Abflachen der Kurve bei größeren Zahlen an betrachteten Individuen, dass eine Ausweitung der Analyse nur noch wenige neue Arten erbringt (grüne Kurve in ▶ Abb. 17.1). Allerdings können die so gewonnenen Kurven nicht einfach zu einem größeren Probenumfang hin extrapoliert werden, d. h. eine Abschätzung der Gesamtdiversität einer Probe ist mit diesem Verfahren nicht zuverlässig möglich. Nur wenn die Rarefaction-Kurve tatsächlich einen Sättigungswert erreicht, ist die (mit dem gewählten Verfahren) erfassbare Artenzahl einer Probe oder eines Lebensraums vollständig abgedeckt. Zu Beginn der molekularökologischen Forschung wurde die bakterielle Diversität mittels Klonieren und Sequenzieren der 16S-rRNA Gene erfasst. Mit dieser arbeitsaufwendigen Technik können meist nur wenige Hundert Klone sequenziert werden. Rarefaction-Analysen ergeben bei diesem Probenumfang für bakterielle Gemeinschaften des Bodens typischerweise einen linearen Verlauf ohne eine erkennbare Krümmung. Moderne Hochdurchsatzmethoden (z. B. die Pyrosequenzierung) gestatten deutlich umfangreichere Analysen. Allerdings erreichen auch Rarefaction-Analysen von bis zu 10 000 oder 20 000 16S-rRNA-Gensequenzen keine Sättigung (gelbe und rote Kurven in ▶ Abb. 17.1)

90 Anteil beobachteter Arten bzw. Sequenztypen[%]

Diversität umfasst zwei unterschiedliche Komponenten: die Anzahl der Taxa (meist Arten) sowie die Verteilung der Individuen auf die einzelnen Taxa (Grad der Dominanz). Der Shannon-Index H’ berücksichtigt beide Komponenten. Es basiert auf der Informationstheorie und wird anhand der relativen Häufigkeiten pi der einzelnen Arten i für die Gesamtzahl der Arten S berechnet nach: X (17.1) H0 ¼  Si¼1 pi  Inpi

80 70 60 50 40 30 20 10 0

0

5000 10 000 Zahl gesammelter Individuen bzw. Sequenzen

Abb. 17.1 Diversitätsanalysen nach dem Rarefaction-Verfahren. Aufgetragen sind die beobachteten Arten oder Sequenztypen als Funktion der Zahl analysierter Individuen bzw. Sequenzen. Dargestellt sind Ergebnisse einer Analyse baumbewohnender Vögel in Brasilien (grüne Kurve; Daten nach http://www.honduras.com/honduras-birds/hondurasbirds.html) sowie einer Analyse der bakteriellen Gemeinschaft eines brasilianischen Bodens (rote und blaue Kurve; Daten nach Roesch et al. 2007). Die bakterielle Gemeinschaft wurde alternativ anhand der Häufigkeit einzelner Typen von 16S-rRNA Gensequenzen (rote Kurve) oder der Häufigkeit von Gruppen mit ≤ 97 % Sequenzhomologie („Bakterienarten“; blaue Kurve) analysiert.

und zeigen, dass selbst bei diesem Probenumfang die bakterielle Diversität natürlicher Proben nicht annähernd erfasst wird. Angesichts der offensichtlich großen Diversität von Bakterien sind Verfahren zur Abschätzung der Gesamtartenzahl S in natürlichen Proben von besonderem Interesse für die mikrobielle Diversitätsforschung. Eine häufig verwendete nichtparametrische Schätzgröße hierfür ist SChao1. Diese Schätzung basiert auf der beobachteten Artenzahl Sobs, der Zahl n1 der nur einmal beobachteten Arten sowie der Zahl n2 der nur zweimal beobachteten Arten nach: SChao1 ¼ Sobs þ

n21 2n2

(17.4)

ACE (engl. abundance-based coverage estimator) ist ein ähnliches Verfahren, das anstatt der Zahlen von einfach oder zweifach vorkommenden Arten alle Arten mit weniger als neun Individuen berücksichtigt. Zur Analyse der bakteriellen Diversität mittels parametrischer Schätzgrößen werden Kurven an die beobachtete Häufigkeitsverteilung von Arten oder Sequenztypen angepasst. Anschließend lässt sich aus den zugehörigen Kurvenparametern die Gesamtartenzahl berechnen.

3

Mikrobielle Vielfalt, Evolution und Systematik

Umfang bakterieller Diversität Nach den gültigen Kriterien für die Abgrenzung bakterieller Arten sind derzeit nur etwa 9 500 Bakterienarten valide beschrieben. Die Zahl der insgesamt bekannten Arten aller Organismengruppen beläuft sich auf etwa 2 Mio., wovon 51 % auf die Insekten entfallen. Während die Gesamtartenzahlen von Eukaryonten auf 5–15 Mio. Arten geschätzt werden, liegen die entsprechenden Zahlen für Bacteria und Archaea typischerweise im Bereich zwischen 106 und 109. Offenbar ist also der Anteil unbekannter Arten für Bacteria und Archaea am höchsten. Daher gilt der mikrobielle Zweig der Diversitätsforschung als derjenige mit dem weitaus größten Potenzial zur Entdeckung bisher unbekannter Arten. Bei diesem Vergleich ist allerdings auch zu berücksichtigen, dass ● sich die Diversitätsabschätzungen für Pflanzen oder Tiere auf phylogenetisch relativ enge Gruppen innerhalb der Domäne der Eukarya beziehen (und z. B. unbekannte Arten von Protisten vernachlässigen), während bei den Bacteria die gesamte Domäne berücksichtigt wird (vgl. ▶ Abb. 1.5), ● für Diversitätsabschätzungen höherer Organismen relativ zur Größe des Organismus ein oft kleineres Areal als bei Bakterien analysiert wird und ● Bakterien eine wesentlich längere Entwicklungsgeschichte aufweisen als mehrzellige Eukaryonten.

17.2.3 Relevanz der mikrobiellen Diversitätsforschung In den meisten Umweltproben dominieren 16S-rRNA-Sequenztypen, die nicht von kultivierten Bakterienarten bekannt sind. Gleichzeitig zeigen direkte Messungen mikrobieller Aktivitäten, dass an natürlichen Standorten Bakterien mit neuartigen Eigenschaften vorkommen. Die mikrobielle Diversitätsforschung gestattet es nun, für bisher nicht kultivierte Bakterienarten Vorkommen und Aktivitätsmuster im natürlichen Lebensraum zu korrelieren und daraus Hypothesen zur Physiologie und ökologischen Funktion der unbekannten Bakterienarten abzuleiten. Von besonderem Interesse ist dieser Ansatz für die Identifizierung von Bacteria und Archaea, die an Schlüsselreaktionen in den globalen biogeochemischen Kreisläufen beteiligt sind. Ein prominentes Beispiel ist die Entdeckung syntropher Konsortien aus methanogenen Archaea und Sulfatreduzierern der Gruppe Desulfosarcina (▶ Abb. 18.20). Diese Konsortien reoxidieren offenbar einen erheblichen Anteil des aus marinen Sedimenten freigesetzten Methans und begrenzen so den Treibhauseffekt dieses Gases (Plus 11.16) (S. 380). Die Entdeckung von Proteorhodopsin (S. 492), das durch verschiedene Vertreter des marinen Bakterioplanktons genutzt wird und einen zusätzlichen Energiegewinn aus der Absorption von Unterwasserlicht ermöglicht, ist für die Effizienz des marinen Kohlenstoffkreislaufs relevant. Schließlich ist noch

534

weitgehend unverstanden, welche Bedeutung den Änderungen der Zusammensetzung bakterieller Gemeinschaften für die Nährstoffkreisläufe in landwirtschaftlichen Böden zukommt. In ähnlicher Weise existieren derzeit nur begrenzte Kenntnisse zur Diversität der mit dem Menschen vergesellschafteten Mikroorganismen (S. 643), dem humanen Mikrobiom, obwohl es offenbar eine zentrale Rolle bei dem Schutz des Menschen vor Infektionen, Autoimmunerkrankungen oder Krebserkrankungen spielt (Plus 1.11) (S. 46). Jeder Mensch beherbergt etwa 1014 Bakterienzellen und besteht damit aus zehnmal mehr Prokaryonten als eigenen Körperzellen. Das humane Mikrobiom umfasst geschätzte 10 000 Arten, deren Genome etwa 8 Mio. verschiedene Proteine (gegenüber max. ca. 400 000 menschlichen Proteinen) codieren. Ende 2007 wurde mit den Untersuchungen zur Zusammensetzung des humanen Mikrobioms begonnen; erste Ergebnisse wurden 2012 veröffentlicht. Die Ergebnisse der mikrobiellen Diversitätsforschung sind auch für das Verständnis (bio)technologischer Verfahren ausschlaggebend. Die Oxidation von Ammonium über Nitrit zu Nitrat (Nitrifikation) (S. 393) ist ein Schlüsselprozess des Stickstoffkreislaufs sowohl in der Natur als auch in der biologischen Abwasserreinigung. Anammoxbakterien (S. 575) können Ammonium unter anoxischen Bedingungen mit Nitrit als Elektronenakzeptor oxidieren und bilden dabei N2. Sie ermöglichen so eine innovative neue Technologie zur Eliminierung der hohen Ammoniumbelastung in Abwässern, da auf die kostenintensive Belüftung (erforderlich für aerobe Ammoniumoxidation) verzichtet werden kann. Multiresistente bakterielle Krankheitserreger stellen eine wachsende Gefahr vor allem für immungeschwächte Patienten dar. Insbesondere steigt der Anteil multiresistenter Bakterien bei nosokomialen Infektionen (Krankenhausinfektionen). Zeitgleich ist aber die Zahl der jährlich neu zugelassenen Antibiotika (S. 697) seit den 1980erJahren von ca. 20 auf 2 gesunken. Es besteht daher dringender Bedarf an neuartigen bioaktiven Wirkstoffen. Der überwiegende Teil neuer Wirkstoffe stammt unverändert aus natürlichen Produzenten oder wird anhand von Leitstrukturen natürlicher Substanzen entwickelt. Der enorme Anteil bisher unerforschter Bakterien stellt daher ein wertvolles Reservoir potenzieller Wirkstoffproduzenten für die Biotechnologie dar. Schließlich liefern die Genomsequenzen und die Biochemie der Bacteria und Archaea Schlüsselinformationen für ein besseres Verständnis der Evolution dieser Gruppen. Für eine sinnvolle Rekonstruktion der Entwicklungsgeschichte müssen allerdings alle existierenden Entwicklungslinien der Bacteria und Archaea berücksichtigt werden. Da für über 50 % der bekannten bakteriellen Phyla noch keine kultivierten Vertreter existieren (Plus 18.6) (S. 607), besteht hier ein erheblicher Forschungsbedarf. Schließlich sind zahlreiche neuartige Bakterientypen mit

17.3 Systematik der Prokaryonten höheren Organismen eng und obligat assoziiert. Mit der Erforschung speziell dieser Mikroorganismen liefert die mikrobielle Diversitätsforschung auch einen Beitrag zum Verständnis der Entstehung und Weiterentwicklung von Eukaryonten.

17.3 Systematik der Prokaryonten Der Begriff Systematik stammt aus dem Altgriechischen (systematikós) und hat dort die ursprüngliche Bedeutung „geordnet“. Nach heutigem Verständnis umfasst die Systematik nicht nur die Ordnungsprinzipien (Taxonomie), die ihrerseits auf der Gruppierung (Klassifizierung), Benennung (Nomenklatur) und Bestimmung (Identifizierung) von Organismen basieren. Vielmehr bezieht die Systematik auch die Entwicklungsgeschichte (Phylogenie) der Organismen und die zugrundeliegenden Evolutionsprozesse mit ein (▶ Abb. 17.2). Ziel ist die Aufstellung eines pragmatischen und doch möglichst natürlichen Systems zur Einteilung der biologischen Diversität, auch wenn jedes Ordnungssystem letztlich zu einem gewissen Grad künstlich, d. h. menschengemacht bleiben muss. Die Systematik ist zentraler Bestandteil der mikrobiologischen Forschung, da nur mit diesem Ansatz Unterschiede zwischen Organismen und Organismengruppen in methodischer und umfassender Weise aufgedeckt und so neue Hypothesen (z. B. zur Rolle von Bakterien in Agrarböden) generiert werden können. Die Systematik liefert aber nicht nur das erforderliche Ordnungssystem für die Grundlagenforschung, sondern ist auch unverzichtbar für zahlreiche praktische Anwendungen, wie ● die Neubeschreibung und den eindeutigen Nachweis von Krankheitserregern, ● die Erstellung rechtlicher Vorschriften zum Umgang mit Mikroorganismen, insbesondere für die Einordnung in Gefährdungsgruppen im Rahmen der biologischen



Sicherheit, oder für die Erarbeitung von Vorschriften zur Weitergabe und Verbreitung von Mikroorganismen (Bioterrorismus), und die patentrechtliche Sicherung von Bakterienstämmen für neue biotechnologische Verfahren.

17.3.1 Bestandteile der Systematik: Charakterisierung, Taxonomie, und Phylogenie Voraussetzung der taxonomischen Einordnung eines Mikroorganismus ist dessen Isolierung in Reinkultur sowie die Charakterisierung des gewonnenen Bakterienstamms. ▶ Charakterisierung. Zur Charakterisierung von Mikroorganismen steht ein breites Spektrum von morphologisch-cytologischen, physiologischen, biochemischen, molekularbiologischen und ökologischen Methoden zur Verfügung (Methode 17.1) (S. 533). Die aktuellen Methoden der Chemotaxonomie und Genomanalyse ermöglichen dabei eine viel weitergehende Unterscheidung von Isolaten als bisher. Im Gegensatz zur Identifizierung sollte ein neuartiger Organismus bei der Erstbeschreibung so umfassend wie möglich analysiert werden. Nur so können für die spätere Bestimmung ähnlicher Organismen Unterscheidungsmerkmale ermittelt und zuverlässige Identifizierungsmethoden entwickelt werden. ▶ Taxonomie. Unter Taxonomie (abgeleitet von altgriech. táxis, Ordnung. und nómos, Gesetz) wird das Klassifizierungsschema verstanden, nach dem Organismen anhand zuvor festgelegter Kriterien in ein hierarisches System eingeordnet und formal beschrieben werden. ▶ Klassifizierung. Hiermit bezeichnet man die Zusammenfassung von Organismen in einzelnen Gruppen (Taxa) basierend auf Ähnlichkeiten bzw. Verwandtschafts-

Abb. 17.2 Vorgehensweise bei der systematischen und taxonomischen Analyse eines Bakterienstammes. Das Schema berücksichtigt die zunehmende Rolle öffentlich zugänglicher Datenbanken für die Taxonomie und Systematik. Dargestellt ist auch die enge Einbindung der Diversitätsforschung. Weitere Erklärungen siehe Text.

Isolierung

Identifizierungstests negativ Phylogenie

Klassifizierung Nomenklatur

Neubeschreibung valider Artnamen

Datenbanken

Taxonomie

Systematik

Charakterisierung

positiv

Identifizierung

Diversitätsforschung

5

17.3 Systematik der Prokaryonten höheren Organismen eng und obligat assoziiert. Mit der Erforschung speziell dieser Mikroorganismen liefert die mikrobielle Diversitätsforschung auch einen Beitrag zum Verständnis der Entstehung und Weiterentwicklung von Eukaryonten.

17.3 Systematik der Prokaryonten Der Begriff Systematik stammt aus dem Altgriechischen (systematikós) und hat dort die ursprüngliche Bedeutung „geordnet“. Nach heutigem Verständnis umfasst die Systematik nicht nur die Ordnungsprinzipien (Taxonomie), die ihrerseits auf der Gruppierung (Klassifizierung), Benennung (Nomenklatur) und Bestimmung (Identifizierung) von Organismen basieren. Vielmehr bezieht die Systematik auch die Entwicklungsgeschichte (Phylogenie) der Organismen und die zugrundeliegenden Evolutionsprozesse mit ein (▶ Abb. 17.2). Ziel ist die Aufstellung eines pragmatischen und doch möglichst natürlichen Systems zur Einteilung der biologischen Diversität, auch wenn jedes Ordnungssystem letztlich zu einem gewissen Grad künstlich, d. h. menschengemacht bleiben muss. Die Systematik ist zentraler Bestandteil der mikrobiologischen Forschung, da nur mit diesem Ansatz Unterschiede zwischen Organismen und Organismengruppen in methodischer und umfassender Weise aufgedeckt und so neue Hypothesen (z. B. zur Rolle von Bakterien in Agrarböden) generiert werden können. Die Systematik liefert aber nicht nur das erforderliche Ordnungssystem für die Grundlagenforschung, sondern ist auch unverzichtbar für zahlreiche praktische Anwendungen, wie ● die Neubeschreibung und den eindeutigen Nachweis von Krankheitserregern, ● die Erstellung rechtlicher Vorschriften zum Umgang mit Mikroorganismen, insbesondere für die Einordnung in Gefährdungsgruppen im Rahmen der biologischen



Sicherheit, oder für die Erarbeitung von Vorschriften zur Weitergabe und Verbreitung von Mikroorganismen (Bioterrorismus), und die patentrechtliche Sicherung von Bakterienstämmen für neue biotechnologische Verfahren.

17.3.1 Bestandteile der Systematik: Charakterisierung, Taxonomie, und Phylogenie Voraussetzung der taxonomischen Einordnung eines Mikroorganismus ist dessen Isolierung in Reinkultur sowie die Charakterisierung des gewonnenen Bakterienstamms. ▶ Charakterisierung. Zur Charakterisierung von Mikroorganismen steht ein breites Spektrum von morphologisch-cytologischen, physiologischen, biochemischen, molekularbiologischen und ökologischen Methoden zur Verfügung (Methode 17.1) (S. 533). Die aktuellen Methoden der Chemotaxonomie und Genomanalyse ermöglichen dabei eine viel weitergehende Unterscheidung von Isolaten als bisher. Im Gegensatz zur Identifizierung sollte ein neuartiger Organismus bei der Erstbeschreibung so umfassend wie möglich analysiert werden. Nur so können für die spätere Bestimmung ähnlicher Organismen Unterscheidungsmerkmale ermittelt und zuverlässige Identifizierungsmethoden entwickelt werden. ▶ Taxonomie. Unter Taxonomie (abgeleitet von altgriech. táxis, Ordnung. und nómos, Gesetz) wird das Klassifizierungsschema verstanden, nach dem Organismen anhand zuvor festgelegter Kriterien in ein hierarisches System eingeordnet und formal beschrieben werden. ▶ Klassifizierung. Hiermit bezeichnet man die Zusammenfassung von Organismen in einzelnen Gruppen (Taxa) basierend auf Ähnlichkeiten bzw. Verwandtschafts-

Abb. 17.2 Vorgehensweise bei der systematischen und taxonomischen Analyse eines Bakterienstammes. Das Schema berücksichtigt die zunehmende Rolle öffentlich zugänglicher Datenbanken für die Taxonomie und Systematik. Dargestellt ist auch die enge Einbindung der Diversitätsforschung. Weitere Erklärungen siehe Text.

Isolierung

Identifizierungstests negativ Phylogenie

Klassifizierung Nomenklatur

Neubeschreibung valider Artnamen

Datenbanken

Taxonomie

Systematik

Charakterisierung

positiv

Identifizierung

Diversitätsforschung

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Mikrobielle Vielfalt, Evolution und Systematik

Methode 17.2 Nomenklatur der Bacteria und Archaea Wie Tiere, Pflanzen und Pilze haben Bakterienarten binominalen Namen, die durch eine kursive Schreibweise gekennzeichnet sind. Grundlage für diese Konvention ist eine zum 1. Januar 1980 veröffentlichte Liste („Approved List of Bacterial Names“) von etwa 2000 formal gültigen Namen für Bakterienarten, die zu diesem Zeitpunkt adäquat beschrieben waren und für die ein Typusstamm vorhanden ist. Artnamen aus dieser Liste werden mit dem hochgestellten Kürzel „AL“ versehen. Daneben werden der Name des verantwortlichen Wissenschaftlers, das Jahr der Erstbeschreibung sowie die entsprechende Seite der Veröffentlichung angegeben. Wurde für die Art zuvor ein anderer Name vergeben, so werden Autor(en), Name, Jahr und Seite der ursprünglichen Beschreibung zusätzlich in Klammern angegeben. Im Fall der Art Escherichia coli lautet der vollständige Eintrag entsprechend: Escherichia coli (Migula 1895) Castellani and Chalmers 1919, 941AL (Bacillus coli Migula 1895, 27.) Ab 1980 müssen neue Artnamen nach dem Internationalen Code zur bakteriellen Nomenklatur vergeben werden. Dieser Code schreibt vor, dass jeder Artname wirksam publiziert (engl. effectively published) sein muss. Dies geschieht durch die Veröffentlichung in einer begutachteten Zeitschrift. Dagegen gilt beispielsweise die Nennung eines neuen Artnamens in einem Patentantrag oder einer Patentschrift nicht als wirksam publiziert. Schließlich muss der Name durch eine sogenannte valide Publikation (engl. validly published name; gekennzeichnet mit dem hochgestellten

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d ●

Kürzel „VP“) in der wissenschaftlichen Zeitschrift International Journal of Systematic und Evolutionary Microbiology (IJSEM) zentral registriert werden. Der Eintrag für die Art Chloroherpeton thalassium lautet somit: Chloroherpeton thalassium Gibson, Pfennig and Waterbury 1985b, 223VP (effective publication: Gibson, Pfennig and Waterbury 1984, 100.) Mit dem dargestellten Verfahren regelt der bakteriologische Code ausschließlich die Vergabe des Artnamens für Bacteria und Archaea. Er enthält aber keine Kriterien für die Errichtung einer neuen Art (Klassifizierung). Es handelt sich also nicht um einen taxonomischen Code. Der bakteriologische Code gibt die Vergabe von Namen von Arten bis zur Ebene der Klasse vor. Die taxonomischen Kategorien Domäne und Phylum sind dagegen nicht durch den bakteriologischen Code geregelt und daher nicht valide publizierbar (und sollten daher wie alle ungültigen Namen in Anführungszeichen gesetzt werden). Die gängigen taxonomischen Kategorien lauten für das Beispiel der Bakterienart Rhodospirillum rubrum demnach: Domäne (dominium) oder Reich (regnum) „Bacteria“ Phylum (phylum) oder Abteilung (diviso) „Proteobacteria“ Klasse (classis) Alphaproteobacteria Ordnung (ordo) Rhodospirillales Familie (familia) Rhodospirillaceae Gattung (genus) Rhodospirillum Art (species) Rhodospirillum rubrum Stamm Rhodospirillum rubrum DSM 467T

verhältnissen. Ein Taxon bezeichnet dabei eine Gruppe von Lebewesen, die dieselben Merkmale aufweisen und sich darin von anderen Gruppen unterscheiden. Dabei wird in monohierarchischer Weise jedem Taxon maximal ein übergeordnetes Taxon zugewiesen, sodass ein baumförmiges Klassifizierungsschema entsteht.

nisms, JCM) hinterlegt sein muss und so für spätere Untersuchungen und Vergleiche zur Verfügung steht. Damit ist der teilungsfähige, lebende Typstamm einer Bakterienart das Äquivalent zu dem nichtlebenden Typusmaterial für Pflanzen (Herbarien) und Tiere (chemisch konservierte Präparate).

▶ Nomenklatur. Im Rahmen der Nomenklatur werden den einzelnen Taxa gültige Namen zugewiesen. Bereits mit der Veröffentlichung der „Systema Naturae“ durch Carl von Linné wurde die binominale Nomenklatur eingeführt. Dabei bezeichnet der erste Namensteil die Gattung, der zweite das Epitheton (Beiwort) für die Art. Bei den Bacteria und Archaea wird die Vergabe von Namen für die Taxa Art, Gattung, Familie, Ordnung und Klasse durch den Internationalen Code zur bakteriellen Nomenklatur geregelt (Methode 17.2). Der Artname wird dabei für einen umfassend charakterisierten bakteriellen Typstamm vergeben, wobei der Typstamm in zwei unterschiedlichen international anerkannten Stammsammlungen (z. B. dem Leibniz-Institut DSMZ, Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen; der American Type Culture Collection, ATCC; oder der Japan Collection of Microorga-

▶ Identifizierung. Bei der Identifizierung erfolgt die Einordnung eines unbenannten Isolates mittels möglichst einfacher Klassifizierungsschemata (d. h. mit einer minimalen Zahl von Methoden) anhand der Übereinstimmung des Isolates mit bereits klassifizierten Organismen. Die Identifizierung setzt daher eine etablierte Klassifizierung von valide beschriebenen Mikroorganismen mit vergleichbaren Eigenschaften voraus. Hierbei sind vor allem die Eigenschaften des Typstammes maßgeblich, welche die Pfeiler der taxonomischen Ordnung darstellen. ▶ Phylogenie. Die Phylogenie ist die Rekonstruktion der Entwicklungsgeschichte von Organismen anhand bestimmter Kriterien (z. B. statistischen Wahrscheinlichkeiten). Phylogenetische Analysen beruhen typischerweise auf Vergleichen von Nukleotid- oder Aminosäuresequen-

17.3 Systematik der Prokaryonten zen eines Isolates mit denen anderer Bakterienstämme oder mit kulturunabhängig gewonnenen Sequenzen aus Diversitätsanalysen. Diese Vorgehensweise ist mittlerweile von zentraler Bedeutung für die taxonomische Arbeit.

17.3.2 Methoden der Charakterisierung und Systematik bei Prokaryonten Bis Anfang der 1990er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts basierte die Klassifizierung von Mikroorganismen vorwiegend auf der Analyse morphologisch-cytologischer, physiologischer und biochemischer, mithin rein phänotypischer Merkmale.

Morphologisch-cytologische Merkmale Klassische morphologisch-cytologische Merkmale zur Charakterisierung von Bakterien sind die Zellgröße, die Zellform und die Bildung von Zellaggregaten oder mehrzelligen Verbände mit unterschiedlich differenzierten Zellen. Gleichzeitig werden die Zellen auf das Auftreten und die Zahl von Flagellen und Zellfortsätzen und Zelleinschlüssen hin untersucht. Diese Eigenschaften werden licht- oder elektronenmikroskopisch ermittelt. Die GramFärbung (Methode 5.1) (S. 144) gestattet eine erste Unterscheidung nach dem Zellwandtyp. Verglichen mit der hohen Zahl geschätzter Bakterienarten ist die Variabilität der genannten morphologischen Eigenschaften von Bakterien (▶ Abb. 2.5, ▶ Abb. 2.7) allerdings sehr begrenzt und deshalb zu ihrer Unterscheidung völlig unzureichend.

Physiologische Merkmale Ein weiterer notwendiger, aber nicht hinreichender Bestandteil der Charakterisierung eines Isolates besteht aus der Ermittlung möglichst vieler physiologischer Merkmale. Dazu zählen der Stoffwechseltyp (photo- oder chemotroph, litho- oder organotroph, auto- oder heterotroph), das Spektrum verwerteter Substrate, die Bildung typischer Stoffwechselprodukte und Schlüsselenzyme sowie die bevorzugten Wachstumsbedingungen (Temperatur, pH-Wert, Salzgehalt). Vielfach werden Stoffwechseleigenschaften über Farbreaktionen getestet, weshalb man in diesen Fällen oft auch von „bunten Reihen“ spricht (Methode 13.1) (S. 425). Moderne Ansätze nutzen für phänotypische Analysen vorgefertigte, miniaturisierte Microarrays und eine automatisierte Auswertung der Ergebnisse. Oft erlauben die gewonnenen Ergebnisse auch erste Vorhersagen der zugrunde liegenden Stoffwechselwege in einem Bakterium.

Chemotaxonomie Die Chemotaxonomie beruht auf der chemischen Analyse und dem Vergleich von Zellbestandteilen verschiedener Bakterienstämme. Das Vorkommen von Polyaminen (Spermidin, Spermin, Cadaverin, Putrescin) ist beispielsweise geeignet, um Proteobakterien, Bacteroidetes oder Actinobacteria auf Gattungsebene zu unterscheiden. Zelluläre Fettsäuren gestatten eine Differenzierung auf Artoder Gattungsebene. Da mit wenigen Ausnahmen (z. B. 16:1ω8c bei methanotrophen Bakterien vom Typ I; vgl. ▶ Tab. 18.1) keine spezifischen Fettsäuren für bestimmte Taxa existieren, werden die Bakterienstämme anhand der relativen Anteile verschiedener Fettsäuren (Fettsäuremuster) differenziert. Grampositive Bakterien unterscheiden sich oft in der spezifischen Zusammensetzung ihres Mureins. Verschiedene Mureintypen variieren in der Zusammensetzung der Interpeptidbrücke und der Substituenten an dem C3-Atom der N-Acetylmuraminsäure. Zur Klassifizierung von Bakterien der Corynebacterium/Mycobacterium/Nocardia-Gruppe können zusätzlich die Mykolsäuren aus der äußeren Zellwand herangezogen werden. Chinone wie Ubichinone, Rhodochinone, Plastochinon und die Menachinone sind wichtige Bestandteile von Elektronentransportketten und variieren in ihrer chemischen Struktur. Dies gestattet die Unterscheidung vieler Bakterien auf Gattungsebene. Schließlich werden die in manchen (v. a. phototrophen) Bakterien auftretenden Pigmente wie Carotinoide und Chlorophylle zur Charakterisierung herangezogen. Einige moderne spektroskopische bzw. massenspektrometrische Methoden basieren auf der Analyse der chemischen Bestandteile ganzer Zellen. Bei der FourierTransformations-Infrarotspektroskopie (FTIR) werden die charakteristischen Eigenfrequenzen der Proteine, Fettsäuren, Phosphate und Polysaccharide im Infrarotbereich (2500–20 000 nm) vermessen und die resultierenden Spektren zur Steigerung der Auflösung mittels Fouriertransformation in einzelne Sinuskurven zerlegt. Besonders Moleküle mit stark polaren Bindungen (O-H, C-F) sind IR-aktiv. Bei der Raman-Spektroskopie werden bei Einstrahlung von monochromatischem Licht auf eine Bakterienprobe zusätzliche Frequenzen im gestreuten Licht detektiert, da Lichtenergie auf die Materie übertragen oder von ihr abgegeben wird (Raman-Effekt). Das Spektrum dieses sogenannten unelastisch gestreuten Lichtes wird durch spezifische Rotations- und Schwingungsprozesse der Materie bestimmt und lässt Rückschlüsse auf deren Zusammensetzung zu. Stark Ramanaktiv sind Moleküle mit weniger polaren Bindungen und stark deformierbaren Elektronenhüllen (C = C, S-H). In der Raman-Mikroskopie können seit Kurzem sogar RamanSpektren einzelner Bakterienzellen aufgenommen und damit Informationen zu ihrer chemischen Zusammensetzung gewonnen werden. Schließlich kann komplexes Zellmaterial mittels MALDI-TOF-Massenspektrometrie (MALDI für engl. matrix-assisted laser desorption/ioniza-

7

Mikrobielle Vielfalt, Evolution und Systematik tion, TOF für engl. time of flight) analysiert werden. Diese Methode erlaubt die schonende Protonierung fragiler Biomoleküle, die mit herkömmlichen Ionisierungsmethoden bereits fragmentieren würden. Als Massenspektrometer für die Analyse der generierten Ionen wird ein Flugzeitanalysator benutzt. Alle drei oben beschriebenen Methoden gestatten die Unterscheidung von Bakterien teilweise bis auf die Ebene der Art. Neben manchen morphologisch-cytologischen Merkmalen sind gerade auch viele physiologische Merkmale von Bakterien stark veränderlich und werden nur unter bestimmten Inkubationsbedingungen ausgebildet. Dies gilt ebenso für die chemische Zusammensetzung der Zelle (insbesondere der Lipidfettsäuren). Die aufgeführten phänotypischen Charakterisierungen müssen daher unbedingt unter strikt standardisierten Laborbedingungen durchgeführt werden, was die Methodik für den Routinebetrieb verkompliziert.

Molekularbiologische Charakterisierung Aktuelle molekularbiologische Ansätze zur Charakterisierung von Bakterien umfassen die Quantifizierung des Guanin/Cytosin-Gehalts (mol% GC) (S. 60), die DNA-DNAHybridisierung sowie vor allem Sequenzvergleiche von 16S-rRNA-Genen. Grundsätzlich erfordert die bakterielle Systematik neben molekularbiologischen Untersuchungen auch chemotaxonomische und physiologische Analysen (polyphasisches Artkonzept). Das vollständigste Kompendium, in dem Prokaryonten auf dieser Basis beschrieben sind, ist „Bergey´s Manual of Systematic Bacteriology“. Ein weniger als Bestimmungsbuch denn als Lexikon der Prokaryonten verwendbares Werk stellt „The Prokaryotes“ dar. ▶ DNA-DNA-Hybridisierung. Mittels DNA-DNA-Hybridisierung wird die Ähnlichkeit der genomischen DNA von zwei Bakterienstämmen verglichen. Dazu wird die isolierte und aufgereinigte DNA in einer Pufferlösung durch Temperaturerhöhung in ihre Einzelstränge aufgeschmolzen und die Zusammenlagerung von Einzelsträngen der beiden verschiedenen Bakterienstämme zu Heteroduplexmolekülen quantifiziert. Da deutlich messbare DNADNA-Hybridisierungen nur bei eng verwandten Bakterien zu beobachten sind, ist dieses Verfahren besonders für die Unterscheidung von eng verwandten Bakterienarten geeignet. ▶ Sequenzvergleich der 16S-rRNA-Gene. In dem Versuch, auch Prokaryonten entsprechend ihrer evolutionären Verwandtschaft einzuteilen, wurden in den 1970erJahren des vergangenen Jahrhunderts von Carl Woese (University of Illinois, Urbana-Champaign) Sequenzvergleiche der 16S-rRNA-Gene (vgl. ▶ Abb. 2.19) in die Mikrobiologie eingeführt. Sequenzveränderungen werden als Maß für die evolutionäre Distanz zwischen zwei Orga-

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nismen verwendet („molekulare Chronometer“). Für phylogenetische Untersuchungen bietet die ribosomale RNA (rRNA) eine Reihe besonderer Vorteile. Ribosomen sind essenzielle subzelluläre Strukturen, die sämtliche Organismen zur Proteinbiosynthese benötigen. Die in den Ribosomen enthaltene RNA ist also universell verbreitet und nimmt in jeder Zelle dieselbe Funktion wahr, unterliegt deshalb auch einem ähnlichen Selektionsdruck. Weiterhin ist die rRNA strukturell und in ihrer Sequenz hoch konserviert, da sie mit mehr als hundert anderen RNA-Molekülen und Proteinen interagieren muss und dementsprechend bereits wenige Mutationen in der rRNA einen Funktionsverlust der Ribosomen zur Folge haben. Aufgrund der vielfältigen und spezifischen molekularen Interaktionen innerhalb der Zelle ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass 16S-rRNA-Gene durch lateralen Gentransfer ausgetauscht werden, gering. Die rRNA-Sequenzen umfassen sowohl langsam (konservierte) als auch schnell evolvierende (hoch variable) Abschnitte. Von den drei im prokaryontischen Ribosom vorkommenden Typen an rRNA (23S, 16S und 5S) wurde die 16S-rRNA für die Analysen ausgewählt, die in Escherichia coli 1540 Nukleotide lang ist. Bei dieser Länge reicht der Informationsgehalt für umfassende Sequenzvergleiche aus. Für phylogenetische Analysen von Eukaryonten wird die äquivalente 18S-rRNA (1874 Nukleotide bei Säugetieren) herangezogen. Da die Evolution direkt auf der Ebene der rRNA stattfindet, enthält letztere auch keine schneller veränderlichen dritten Codonpositionen wie proteincodierende Gene. Dies vereinfacht nicht nur die Sequenzvergleiche (unterschiedliche Evolutionsraten für die erste, zweite und dritte Codonposition müssen nicht berücksichtigt werden), sondern auch die Konstruktion von Oligonukleotidprimern und -sonden. Die 16S-rRNA-Gene bakterieller Isolate werden typischerweise nach selektiver Amplifikation mithilfe der Polymerasekettenreaktion (PCR) (S. 224) sequenziert. Stark fallende Kosten für die Sequenzierung und die Etablierung molekularbiologischer Techniken in fast allen mikrobiologischen Labors haben es ermöglicht, dass sich der 16S-rRNA-Sequenzvergleich zu einem zentralen Ansatz der bakteriellen Systematik entwickelt hat. Dazu wird die rRNA-Sequenz eines neuen Organismus mit den rRNA-Sequenzen anderer Organismen aus Datenbanken verglichen und mit speziellen Computeralgorithmen Stammbäume errechnet, auf deren Basis die am nächsten verwandten Organismen festgestellt werden können. Mit solchen Sequenzvergleichen lassen sich auch für einzelne Bakteriengruppen spezifische Sequenzen ermitteln, die dann zum direkten Nachweis von Vertretern der Gruppe in komplexem Probenmaterial mittels FISH (S. 607) oder zur spezifischen Amplifikation von ribosomalen Sequenzen mittels PCR aus DNA-Extrakten natürlicher Proben genutzt werden können. Aufgrund der starken Konservierung von 16S-rRNAGensequenzen können durch Sequenzvergleiche typi-

17.3 Systematik der Prokaryonten scherweise Bakteriengattungen, aber nur teilweise Bakterienarten unterschieden werden. Weiterhin ist zu beachten, dass sich Bakterien mit sehr ähnlichen oder identischen 16S-rRNA-Genen dennoch in ihrem Genom sehr stark unterscheiden können. ▶ Ribotypisierung. Bei der Ribotypisierung wird die genomische DNA oder RNA eines Bakterienstamms mit Restriktionsendonukleasen gespalten und die Fragmente anschließend elektrophoretisch getrennt. Anschließend werden nur die Fragmente mit rRNA-Sequenzen oder -Genen durch Hybridisierung mit einem komplementären Nukleotidfragment sichtbar gemacht. Die Schnittstellen der Restriktionsendonukleasen werden so gewählt, dass sie in dem hoch variablen Abschnitt zwischen den Strukturgenen der 16S-rRNA und 23S-rRNA (sog. internal transcribed spacer, ITS) liegen; so entstehen hoch spezifische Fragmentmuster, die sogar eine Unterscheidung von Bakterienstämmen innerhalb einer Bakterienart zulassen. Fortschritte in der Sequenziertechnologie und fallende Kosten für die Sequenzierung machen es absehbar, dass die Genomsequenzierung und umfassendere Sequenzvergleiche zukünftig zu Routinemethoden der Beschreibung und Taxonomie von Bakterien werden.

Numerische Taxonomie Die früher weit verbreitete numerische Taxonomie ordnete Bacteria und Archaea anhand einer umfangreichen Zahl (meist 100–200) von morphologischen, physiologischen und chemotaxonomischen Merkmalen ein. Bei diesem Ansatz wurde die Ähnlichkeit zweier Organismen als Verhältnis der Zahl übereinstimmender Merkmale zur Gesamtzahl der erfassten Merkmale berechnet. Dabei wurden bedenkliche Annahmen gemacht: Alle Merkmale wurden unabhängig von ihrer Komplexität gleich gewichtet (Adanson’sche Prinzipien). Entsprechend wurde nicht zwischen evolutionär ursprünglichen und abgeleiteten Merkmalen oder zwischen Merkmalen gemeinsamen Ursprungs einerseits und unabhängig erworbenen Merkmalen andererseits unterschieden. Da die numerische Taxonomie keine phylogenetischen Erkenntnisse berücksichtigt, wird sie heute in der Mikrobiologie nur noch selten eingesetzt. Zudem werden selbst mit 300 verschiedenen phänotypischen Tests nur 5–20 % des genetischen Potenzials eines Bakteriums erfasst.

17.3.3 Artkonzept und Artbeschreibung bei Prokaryonten Innerhalb der Taxonomie und Systematik besitzt die Art eine Sonderstellung. Anders als die höheren Kategorien der Nomenklatur (Gattung, Familie usw.) definiert der in der Biologie gängige Artbegriff das Taxon Art zumindest bei höheren Tieren eine geschlossene Fortpflanzungsgemeinschaft, die von anderen Gruppen reproduktiv iso-

liert ist. Da die Isolierungsmechanismen biologischer Natur und nicht von äußeren Faktoren bestimmt sind, wird die Art in diesen Fällen als eine weitgehend natürliche Kategorie angesehen. Neben der fehlenden sexuellen Reproduktion stellt bei Bacteria und Archaea der horizontale Gentransfer ein Grundproblem bei der Artbeschreibung dar. So befinden sich viele Virulenzfaktoren auf mobilen genetischen Elementen wie Plasmiden oder Transposons; sie können zwischen ganz entfernt verwandten Bakteriengruppen ausgetauscht werden. Derartige phänotypische Merkmale sind dementsprechend nicht geeignet, eine evolutionsbasierte Arteinteilung vorzunehmen. Oftmals beruhen auffällige phänotypische Unterschiede auch nur auf wenigen genetischen Veränderungen. So stimmen Shigella flexneri und Escherichia coli in den Nukleotidsequenzen ihrer gemeinsamen Gene zu ≥ 95 % überein, die DNADNA-Hybridisierungswerte liegen teilweise über 80 % und beide Arten unterscheiden sich neben Virulenzfaktoren nur durch wenige andere phänotypische Merkmale wie Beweglichkeit, Lactosevergärung und die Lysin-Decarboxylase. Da Shigella spp. gefährliche humanpathogene Bakterien sind, werden sie trotz ihrer engen Verwandtschaft zu E. coli traditionell sogar als eigenständige Gattung geführt und anhand der genannten phänotypischen Eigenschaften identifiziert. Aufgrund der Problematik der phänotypbasierten Taxonomie und der fehlenden genetischen Isolation selbst zwischen wenig verwandten Bakterien, hat sich in der Mikrobiologie eine pragmatische, universelle, aber formale Artdefinition durchgesetzt. Danach ist eine prokaryontische Art eine monophyletische und genomisch kohärente Gruppe von Organismen mit einer hohen Ähnlichkeit in vielen unabhängigen Merkmalen, die anhand einzelner spezifischer phänotypischer Eigenschaften identifiziert werden kann. Um Arten voneinander abzugrenzen, werden molekulare, chemotaxonomische und physiologische Eigenschaften von Prokaryonten quantitativ verglichen. Dieser Ansatz wird daher als polyphasische Taxonomie bezeichnet und umfasst Sequenzvergleiche zwischen 16S-rRNA Genen, Genom-Genom-Hybridisierungen, die Bestimmung des molaren GC-Gehalts der DNA sowie verschiedene morphologische, physiologische und chemotaxonomische Merkmale (Methode 17.3). Als ein Kriterium für die Abgrenzung einer Bakterienart hat sich bei Prokaryonten die Ähnlichkeit der Nukleotidsequenz der 16S-rRNA entwickelt. Weichen die Sequenzen von zwei Bakterien zu mehr als 3 % voneinander ab, so werden sie üblicherweise zwei verschiedenen Arten zugeordnet. In jüngerer Zeit wurde ein noch geringerer Wert der Sequenzdivergenz von 1,5 % als Ausschlussgrenze vorgeschlagen. Als zweites molekularbiologisches Kriterium für die Abgrenzung von Bakterienarten dient ein Wert von 70 % für die DNA-DNA-Hybridisierung. Dies bedeutet, dass Bakterien derselben Art zugeordnet werden, wenn ihre genomische DNA zu mehr als 70 % in der

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Mikrobielle Vielfalt, Evolution und Systematik

d ●

Methode 17.3

Bei Prokaryonten müssen formale Artbeschreibungen Informationen zu den folgenden Charakteristika enthalten: ● Etymologie des Gattungsnamens und Artepitheton ● Zellmorphologie, Zellgröße, Beweglichkeit, Zahl und Lokalisation der Flagellen, andere Zellanhänge, Endosporen, Speicherstoffe ● Koloniemorphologie, Pigmentierung ● Gram-Typ ● Lebensweise (photo-/chemo-, litho-/organo-, auto-/heterotroph) ● Optimumwerte des Wachstums in Reinkultur für Temperatur, pH, Salzgehalt ● Nutzung verschiedener Kohlenstoff-, Stickstoff und Schwefelverbindungen für das Wachstum ● Sequenzähnlichkeit des 16S-rRNA-Gens zu dem Typstamm der nächstverwandten, valide beschriebenen







● ● ● ●

Bakterienart. Die Sequenzanalyse muss über eine Länge von mindestens 1300 Nukleotiden und bei weniger als 0– 5 % unsicheren Basenpositionen durchgeführt werden. Ausmaß der Hybridisierung mit genomischer DNA des Typstamms der nächstverwandten, valide beschriebenen Bakterienart (muss ≤ 70 % sein) Gehalt der genomischen DNA an Guanin und Cytosin in mol% spezifische Zusammensetzung der Lipide und Lipidfettsäuren Bezeichnung des Typstamms (Stammnummer) Herkunft des Typstamms mit Beschreibung des Habitats Pathogenität, symbiotische Assoziation Angabe der beiden öffentlichen Stammsammlungen, in denen der Typstamm hinterlegt wurde, mit Angabe der Stammnummer bei den beiden Sammlungen

Anzahl der 16S-rRNA-Sequenztypen

100 000

1000

10 000 100 1000 10 100

Anzahl Bakterienarten in den Phyla

Minimalstandards für die Artbeschreibung von Prokaryonten

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Ac Ac ido tin ba ob cte Ar a ri m at Aq cte a im u ria Ba on ific ct ad ae er e Ca oid tes Ch ldis etes la eri Cy m ca an Ch ydia ob C C a c h h lor e te rys lor ob ria io of i De / g le in De Chl ene xi oc fe or te oc rri op s cu ba la s- ct st Di The ere El ctyo rm s u u Fi sim glo s br i c m ob r o i b Ge F ac ia m Fu irm ter m s ic es at ob ut im a e Le on cte s nt a ria is de Pl N pha tes an i er t Pr cto ros ae ot m pir eo yc a Sp ba ete Th Sy iroc cter s er ne ha ia m od T rgis ete es ene te s u r te T lfo ic s Ve he ba ute rru rm cte s co oto ria m g ic ae ro b BR ia C O 1 D1 O P1 1 SR 1 TM W7 S3

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Abb. 17.3 Verhältnis zwischen der Zahl nachgewiesener bakterieller Sequenztypen zu der Zahl beschriebener Bakterienarten. Für insgesamt 35 im Ribosomal Database Project gelistete bakterielle Phyla sind die bisher (Stand Oktober 2012) nachgewiesenen unterschiedlichen 16S-rRNA-Sequenztypen (blaue Säulen) und die Zahl der für die einzelnen Phyla beschriebenen Bakterienarten (rote Säulen) gegenübergestellt. Für sechs der bakteriellen Phyla sind bisher keine Arten isoliert und beschrieben worden. Diese Phyla haben daher noch keine taxonomisch sinnvollen Namen erhalten (BRC 1, OD1, OP11, SR1, TM7, WS 3).

Lage ist, miteinander doppelsträngige DNA-Hybridmoleküle auszubilden. Dies entspricht einer mittleren Übereinstimmung der Genomsequenz (average nucleotide identity, ANI) von 94 %. Mit diesen Grenzwerten ist die

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Definition von Bakterienarten wesentlich weiter gefasst als bei höheren Organismen. So beträgt beispielsweise die Übereinstimmung der genomischen DNA des modernen Menschen (Homo sapiens) und des Schimpansen (Pan

17.4 Evolutionäre Grundlagen der prokaryontischen Vielfalt

17.4 Evolutionäre Grundlagen der prokaryontischen Vielfalt Die heute existierende prokaryontische Diversität ist nach derzeitigem Erkenntnisstand das Ergebnis eines etwa 3,5 Mrd. Jahre langen Entwicklungsprozesses (▶ Abb. 1.6). Dieses gegenüber den Eukaryonten mehr als doppelt so hohe entwicklungsgeschichtliche Alter der Bacteria und Archaea spiegelt sich in ihren deutlich tieferen Verzweigungen des phylogenetischen 16S-rRNAStammbaums wider (▶ Abb. 1.5). Die Evolution von Prokaryonten findet jedoch unter geeigneten Bedingungen bereits innerhalb wesentlich kürzerer Zeiträume (Tagen und Wochen) statt.

Mutation Für Escherichia coli wurde die spontane Mutationsrate zu 5,4 × 10–10 pro Basenpaar und Generation bestimmt. Bei einer Genomgröße von 4,6 × 106 bp in nichtpathogenen Stämmen von E. coli (Plus 6.20) (S. 222) liegt die Wahrscheinlichkeit für einen Austausch einzelner Nukleotide somit bei 0,0025 pro Genom und Generation. Um die Bedeutung von Mutationen richtig einordnen zu können, muss allerdings auch die tatsächliche Größe der natürlichen Bakterienpopulationen berücksichtigt werden. Schätzungen haben für Vibrio cholerae, den Erreger der Cholera, global eine Zahl von 1020 Zellen ergeben. Für das ubiquitäre marine Alphaproteobakterium Pelagibacter ubique (S. 492) wurde sogar eine Populationsgröße von 2,4 × 1028 Zellen ermittelt. Dies bedeutet, dass bei einer typischen Generationszeit von 24 Stunden und der oben genannten spontanen Mutationsrate täglich etwa 500 Mrd. Zellen von Vibrio cholerae entstehen, die eine ganz bestimmte Punktmutation (z. B. im ribosomalen Rps-12-Protein, wodurch spontan eine Resistenz gegenüber dem Antibiotikum Streptomycin auftritt) aufweisen. Es wird deutlich, dass Mutationen nicht nur im Labor, sondern auch unter natürlichen Bedingungen sehr häufige Ereignisse darstellen.

Rekombination Anders als bei höheren Eukaryonten ist bei Bacteria und Archaea die Rekombination (S. 190) nicht an die Reproduktion gekoppelt. Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen Prokaryonten und Eukaryonten ist, dass eine Rekombination selbst zwischen Bakterien unterschiedli-

1 relative Rekombinationshäufigkeit

troglodytes) – also den Angehörigen unterschiedlicher Gattungen – 98,8 %. Die unterschiedlichen Kriterien der Artdefinition sind auch bei dem Vergleich von Artenzahlen zwischen Prokaryonten und Eukaryonten zu berücksichtigen. Die Zahl neu beschriebener Bakterienarten liegt bei 622 pro Jahr und ist seit dem Jahr 2005 praktisch konstant geblieben. In ▶ Abb. 17.3 wird die Zahl der valide beschriebenen Bakterienarten der Zahl aller bisher in öffentlichen Datenbanken hinterlegten 16S-rRNA-Gensequenzen gegenübergestellt. Dieser Vergleich belegt eindrücklich, dass die tatsächlich in der Umwelt vorhandene bakterielle Diversität die beschriebene Diversität um mehrere Größenordnungen übersteigt. Die Diskrepanz ist vor allem auf die unbekannten Wachstumsansprüche neuartiger Bakterien sowie die begrenzte Zahl und den erheblichen Arbeitsaufwand vertiefter systematischer Studien zurückzuführen. Die vergleichsweise langsame Rate der Entdeckung und Beschreibung neuer Bakterienarten stellt einen wesentlichen begrenzenden Faktor bei der Entwicklung neuer biotechnologischer Verfahren und der Gewinnung neuer Wirkstoffe dar. ▶ Abb. 17.3 lässt auch erkennen, dass unterschiedliche bakterielle Phyla in sehr unterschiedlicher Weise durch die beschriebenen Arten repräsentiert sind. So existieren wesentlich mehr Arten für die Actinobacteria, Firmicutes und Proteobacteria, während bisher nur sehr wenig physiologische und biochemische Information beispielsweise zu den Acidobacteria oder Planctomycetes gewonnen werden konnte.

10–1 10–2 10–3 10–4

Nach der Evolutionstheorie sind Mutation, Rekombination, Selektion, Migration und genetische Drift die wesentlichen Einflussgrößen, welche die Variabilität von Genomen beeinflussen. Die Mutation (S. 184) stellt dabei den grundlegenden Mechanismus zur Entstehung genomischer Diversität dar.

Shigella flexneri Salmonella typhimurium

10–5 10–6 10–7

17.4.1 Mechanismen prokaryontischer Evolution und Relevanz für die Systematik

Escherichia coli K-12

0

2

4 6 8 10 12 14 Sequenzdivergenz-Genom [%]

16

Abb. 17.4 Häufigkeit der Rekombination zwischen unterschiedlich verwandten Bakterien. Mit größerer Divergenz in den Genomsequenzen nimmt die Häufigkeit von homologen Rekombinationsereignissen exponentiell ab (rote Gerade). Exemplarisch sind Rekombinationswerte für die Spenderorganismen Escherichia coli K-12, Shigella flexneri und Salmonella enterica serovar Typhimurium angegeben. Als Empfängerorganismus wurde Escherichia coli K-12 F– verwendet. (nach Vulic et al., PNAS 94 (1997):9763)

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17.4 Evolutionäre Grundlagen der prokaryontischen Vielfalt

17.4 Evolutionäre Grundlagen der prokaryontischen Vielfalt Die heute existierende prokaryontische Diversität ist nach derzeitigem Erkenntnisstand das Ergebnis eines etwa 3,5 Mrd. Jahre langen Entwicklungsprozesses (▶ Abb. 1.6). Dieses gegenüber den Eukaryonten mehr als doppelt so hohe entwicklungsgeschichtliche Alter der Bacteria und Archaea spiegelt sich in ihren deutlich tieferen Verzweigungen des phylogenetischen 16S-rRNAStammbaums wider (▶ Abb. 1.5). Die Evolution von Prokaryonten findet jedoch unter geeigneten Bedingungen bereits innerhalb wesentlich kürzerer Zeiträume (Tagen und Wochen) statt.

Mutation Für Escherichia coli wurde die spontane Mutationsrate zu 5,4 × 10–10 pro Basenpaar und Generation bestimmt. Bei einer Genomgröße von 4,6 × 106 bp in nichtpathogenen Stämmen von E. coli (Plus 6.20) (S. 222) liegt die Wahrscheinlichkeit für einen Austausch einzelner Nukleotide somit bei 0,0025 pro Genom und Generation. Um die Bedeutung von Mutationen richtig einordnen zu können, muss allerdings auch die tatsächliche Größe der natürlichen Bakterienpopulationen berücksichtigt werden. Schätzungen haben für Vibrio cholerae, den Erreger der Cholera, global eine Zahl von 1020 Zellen ergeben. Für das ubiquitäre marine Alphaproteobakterium Pelagibacter ubique (S. 492) wurde sogar eine Populationsgröße von 2,4 × 1028 Zellen ermittelt. Dies bedeutet, dass bei einer typischen Generationszeit von 24 Stunden und der oben genannten spontanen Mutationsrate täglich etwa 500 Mrd. Zellen von Vibrio cholerae entstehen, die eine ganz bestimmte Punktmutation (z. B. im ribosomalen Rps-12-Protein, wodurch spontan eine Resistenz gegenüber dem Antibiotikum Streptomycin auftritt) aufweisen. Es wird deutlich, dass Mutationen nicht nur im Labor, sondern auch unter natürlichen Bedingungen sehr häufige Ereignisse darstellen.

Rekombination Anders als bei höheren Eukaryonten ist bei Bacteria und Archaea die Rekombination (S. 190) nicht an die Reproduktion gekoppelt. Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen Prokaryonten und Eukaryonten ist, dass eine Rekombination selbst zwischen Bakterien unterschiedli-

1 relative Rekombinationshäufigkeit

troglodytes) – also den Angehörigen unterschiedlicher Gattungen – 98,8 %. Die unterschiedlichen Kriterien der Artdefinition sind auch bei dem Vergleich von Artenzahlen zwischen Prokaryonten und Eukaryonten zu berücksichtigen. Die Zahl neu beschriebener Bakterienarten liegt bei 622 pro Jahr und ist seit dem Jahr 2005 praktisch konstant geblieben. In ▶ Abb. 17.3 wird die Zahl der valide beschriebenen Bakterienarten der Zahl aller bisher in öffentlichen Datenbanken hinterlegten 16S-rRNA-Gensequenzen gegenübergestellt. Dieser Vergleich belegt eindrücklich, dass die tatsächlich in der Umwelt vorhandene bakterielle Diversität die beschriebene Diversität um mehrere Größenordnungen übersteigt. Die Diskrepanz ist vor allem auf die unbekannten Wachstumsansprüche neuartiger Bakterien sowie die begrenzte Zahl und den erheblichen Arbeitsaufwand vertiefter systematischer Studien zurückzuführen. Die vergleichsweise langsame Rate der Entdeckung und Beschreibung neuer Bakterienarten stellt einen wesentlichen begrenzenden Faktor bei der Entwicklung neuer biotechnologischer Verfahren und der Gewinnung neuer Wirkstoffe dar. ▶ Abb. 17.3 lässt auch erkennen, dass unterschiedliche bakterielle Phyla in sehr unterschiedlicher Weise durch die beschriebenen Arten repräsentiert sind. So existieren wesentlich mehr Arten für die Actinobacteria, Firmicutes und Proteobacteria, während bisher nur sehr wenig physiologische und biochemische Information beispielsweise zu den Acidobacteria oder Planctomycetes gewonnen werden konnte.

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Nach der Evolutionstheorie sind Mutation, Rekombination, Selektion, Migration und genetische Drift die wesentlichen Einflussgrößen, welche die Variabilität von Genomen beeinflussen. Die Mutation (S. 184) stellt dabei den grundlegenden Mechanismus zur Entstehung genomischer Diversität dar.

Shigella flexneri Salmonella typhimurium

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17.4.1 Mechanismen prokaryontischer Evolution und Relevanz für die Systematik

Escherichia coli K-12

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Abb. 17.4 Häufigkeit der Rekombination zwischen unterschiedlich verwandten Bakterien. Mit größerer Divergenz in den Genomsequenzen nimmt die Häufigkeit von homologen Rekombinationsereignissen exponentiell ab (rote Gerade). Exemplarisch sind Rekombinationswerte für die Spenderorganismen Escherichia coli K-12, Shigella flexneri und Salmonella enterica serovar Typhimurium angegeben. Als Empfängerorganismus wurde Escherichia coli K-12 F– verwendet. (nach Vulic et al., PNAS 94 (1997):9763)

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Mikrobielle Vielfalt, Evolution und Systematik

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Plus 17.1 Einfluss von horizontalem Gentransfer, Rekombinationsrate und Mutationsrate auf die Systematik Da der horizontale Gentransfer bei zahlreichen funktionellen Genen auftreten kann, ist dieser Prozess von direkter Bedeutung für die sequenzbasierte Rekonstruktion der Abstammungsgeschichte und kann entsprechend auch die Systematik der Bakterien verzerren. Gelangt ein Gen durch horizontalen Transfer in das Genom eines entfernt verwandten Bakteriums, so würden Sequenzvergleiche für dieses Gen fälschlicherweise eine viel engere Verwandtschaft ergeben als tatsächlich vorliegt. Phylogenetische Analysen verwenden daher Gene, für die ein horizontaler Transfer sehr unwahrscheinlich ist (z. B. 16S-rRNA-Gene). Umgekehrt lässt sich der horizontale Transfer eines Gens nachvollziehen, indem die Stammbäume dieses Gens und anderer Gene verglichen werden. Weicht das Verzweigungsmuster ab, so ist ein horizontaler Transfer wahrscheinlich.

cher Gattungen, ja sogar Phyla, stattfindet. Bei der homologen Rekombination weisen die DNA-Abschnitte ausgedehnte Sequenzhomologie auf, während die heterologe Rekombination in nichthomologen DNA-Abschnitten stattfindet. Zwar sinkt die Rekombinationswahrscheinlichkeit mit zunehmendem Sequenzunterschied zwischen den Genomen (▶ Abb. 17.4). Dennoch werden bakterielle Eigenschaften durch diesen Mechanismus nicht nur an die Tochterzellen weitergegeben, sondern verbreiten sich über das gesamte Reich der Bacteria bzw. Archaea (lateraler oder horizontaler Gentransfer) (S. 194). Mögliche Erklärungen für die große Bedeutung des lateralen Gentransfers in Prokaryonten sind, dass in haploiden Einzellern vorteilhafte Änderungen sofort wirksam und vererbt werden, dass die Regulation bei Einzellern weniger komplex ist und dass die Steuerung von Differenzierungsprozessen, anders als bei Mehrzellern, keine zentrale Rolle in der bakteriellen Evolution spielt. Der manchmal verzerrende Einfluss von horizontalem Gen-

Interessanterweise unterscheidet sich das Verhältnis r/m zwischen Rekombinationsrate r und Mutationsrate m (Einheit: Nukleotid–1·Generation–1) innerhalb verschiedener Bakterienarten deutlich und reicht von 0,02 bis 64. Dominiert die Rekombination, so bleiben viele Sequenzunterschiede zwischen den einzelnen Abstammungslinien innerhalb einer Bakterienart erhalten. Verändern sich die Genomsequenzen dagegen vor allem durch Mutation, so gehen viele Sequenzunterschiede dadurch verloren, dass einzelne Abstammungslinien ausselektiert werden, bevor sie Sequenzen mittels Rekombination an die übrigbleibenden Linien weitergeben können (selektiver Sweep; ▶ Abb. 17.5). Damit wird auch klar, dass sich die Mechanismen der Genomevolution zwischen Bakterienarten deutlich unterscheiden.

transfer, Rekombinations- und Mutationsrate auf die Systematik wird in Plus 17.1 besprochen.

Selektion Die Selektion wirkt überwiegend negativ auf Mutanten, da die meisten Mutationen negative Auswirkungen auf die Überlebensfähigkeit des Trägers haben. Deutlich seltener sind Mutationen, die einem Organismus einen Selektionsvorteil verschaffen. Bei proteincodierenden Genen sind Punktmutationen in der dritten Codonposition neutral. Der Begriff selektiver Sweep bezeichnet einen Prozess, bei dem ein Genort durch Mutation einen Selektionsvorteil erhält und die Rekombinationsraten gleichzeitig niedrig sind, sodass bei nachfolgender natürlicher Selektion der Anteil dieser Gensequenz und der im Genom benachbarten Genorte in der Population stark ansteigt, andere Sequenztypen dagegen aussterben (gestrichelte Linien in ▶ Abb. 17.5). Dies hat zur Folge, dass die geneti-

selektiv neutrale/schädliche Mutationen r/m 5,5), während im Außenmedium ein pHWert von 1–2 herrscht. Der dadurch bedingte enorm steile Protonengradient über die cytoplasmatische Membran wird durch ein invertiertes elektrisches Potenzial (außen

18.12 Extreme Standorte und ihre Bewohner negativ) partiell ausgeglichen, um damit eine Überladung der Membran und einen daraus resultierenden Kurzschluss zu vermeiden. Über alkaliphile Organismen ist weniger als über acidophile bekannt. Die Kultivierung in Medien bei pH-Werten oberhalb von 9 ist schwierig, da Phosphate und Carbonate ausfallen. Es wurden erst wenige alkalische Quellen und carbonatreiche Seen (s. u.) mit pH-Werten von 9– 10,5 untersucht. Die Primärproduktion an solchen Standorten wird von Cyanobakterien wie Gloeothece, Spirulina und Anabaenopsis und auch von Grünalgen der Gattung Chlorella geleistet. Unter den anoxygen phototrophen Bakterien wurden Ectothiorhodospira-Arten bei einem pH-Wert bis zu 10 kultiviert. Unter den heterotrophen Bakterien sind einige alkaliphile Bacillus-Stämme bekannt, die bis zu einem pH-Wert von 11 zu wachsen vermögen. Bacillus-ähnliche Organismen wurden auch im stark alkalischen Mitteldarm von bodenfressenden Termiten (pH-Wert bis zu 12!) (S. 634) beobachtet, doch ist unklar, ob sie dort auch metabolisch aktiv sind. Auch einige Vertreter der Gattungen Flavobacterium, Pseudomonas, Corynebacterium und Arthrobacter sind als alkalitolerant beschrieben worden.

18.12.4 Salzreiche Standorte und halophile Organismen Salzionen tragen in wässriger Lösung eine mehr oder weniger große Hydrathülle. Bei erhöhter Salzkonzentration konkurrieren solche Ionen mit Proteinen und Nukleinsäuren, die zur Aufrechterhaltung ihrer Struktur ebenfalls auf eine ausreichende Hydrathülle angewiesen sind, um das Wasser. Das Problem erhöhter Salzkonzentrationen ist also in erster Linie eine Konkurrenz um freies Wasser und stellt für die Chemie lebender Systeme dasselbe Problem dar wie eine Austrocknung. Die Verfügbarkeit von freiem Wasser wird durch die Wasseraktivität (aw) (S. 232) beschrieben. Dass der Erdboden regelmäßigen Wechseln der Wasseraktivität unterliegt, wurde bereits in Kapitel 18.11 angesprochen. Die Wasseraktivität liegt dort zwischen 1,0 und 0,9. Typische Bodenbakterien können sich an diese Wechsel anpassen. Die Wasseraktivität des Meerwassers (aw = 0,98) stellt noch keine große physiologische Herausforderung dar. Da Natriumionen besonders viel Wasser für ihre Hydratisierung beanspruchen, werden sie aus der Zelle im Antiport gegen Protonen oder Kaliumionen herausgepumpt. In Aestuarien, wo salzarmes Flusswasser und Meerwasser sich begegnen, müssen Mikroorganismen sich flukturierenden Salzkonzentrationen in oft kurzzeitigen Wechseln anpassen. Die Organismengemeinschaften in Salzseen sind stark vom jeweiligen Salzgehalt bestimmt (Plus 18.17). Im Great Salt Lake in Utah, USA, einem thalassohalinen See, erreicht die Salzkonzentration im größeren Teil des Sees ca. 12 %. Das Wasser ist durch eine Massenentwicklung

Abb. 18.25 Massenentwicklung extrem halophiler Archaebakterien. Salzkrusten in einem Salzsee südlich Alexandria, Ägypten, sind durch Halobakterien rot gefärbt. (Aufnahme Bernhard Schink, Konstanz)

der rotpigmentierten Grünalge Dunaliella salina, die durch den Salinenkrebs, Artemia salina, abgeweidet wird, rot gefärbt. Unter den mikrobiellen Konsumenten dominieren Vertreter der Gattungen Pseudomonas, Marinomonas, Halomonas u. a. Im Nordarm desselben Sees, der keinen direkten Süßwasserzulauf hat, erreicht die Salzkonzentration mit ca. 25 % die Sättigungsgrenze. In diesem Seearm gibt es keine Eukaryonten. Die wiederum rötliche Färbung dieses Wassers geht auf die Purpurmembranen von extrem halophilen aeroben Archaebakterien der Gattungen Halobacterium, Haloferax, Halomonas u. a. zurück, die an diesem Standort praktisch keiner Abweidung unterliegen. Salzausfällungen aus solchen Seen zeigen oft die typische rote Farbe der Halobakterien (▶ Abb. 18.25).

Plus 18.17 Salzseen

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Salzseen können verschiedene Ursprünge haben. Es kann sich um abgetrennte Meeresarme handeln, die durch Verdunstung langsam austrocknen. Ihre Salzzusammensetzung ist überall dieselbe, da sie von der Zusammensetzung des Meerwassers bestimmt wird (thalassohaline Seen). Andere Salzseen entstehen in trocken-heißen Kontinentalgebieten, die keinen Abfluss zum Meer haben und daher die jeweils aus dem umgebenden Einzugsbereich ausgewaschenen Salze sammeln und aufkonzentrieren (athalassohaline Seen). Ihre Zusammensetzung hängt deshalb von der Chemie des Einzugsgebiets ab. Abhängig von der Verfügbarkeit von Calciumionen wird die Wasserchemie entweder von Sulfat- oder von Carbonationen bestimmt. Zu den Sulfatseen zählt das Tote Meer, zu den alkalischen Carbonatseen der Mono Lake oder der Owens Lake in Kalifornien, sowie einige Seen im Wadi Natrun, Ägypten.

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Mikroorganismen in Stoffkreisläufen Halotolerante und halophile Organismen haben verschiedene Strategien entwickelt, um dem Problem des Wasserentzugs durch allzu hohe Salzkonzentrationen zu begegnen. Natriumionen werden im Tausch gegen Protonen oder Kaliumionen, deren Hydrathüllen kleiner sind als die der Natriumionen, aus der Zelle herausgepumpt. Hefen und andere Eukaryonten akkumulieren im Zellinneren Glycerin, um so den osmotischen Wert gegenüber dem Außenmedium auszugleichen. Bei Bakterien hat man eine Vielzahl von Verbindungen gefunden, die spezifisch bei Exposition an erhöhte Salzkonzentrationen produziert werden. Zu diesen kompatiblen Soluten oder Osmolytika (S. 521) zählen verschiedene Zucker, wie Trehalose oder Saccharose, sowie zwitterionische Aminosäurederivate wie Betain oder Ectoin.

18.13 Geomikrobiologie, Mikroorganismen als Gestalter unserer Erde Die Geomikrobiologie beschäftigt sich mit dem Einfluss von Mikroorganismen auf die Bildung, Veränderung und Auflösung von Gesteinen. Mikroorganismen waren am Aufbau der Erdkruste sowie an der Entstehung einer sauerstoffhaltigen Atmosphäre maßgeblich beteiligt. Sie haben die Erde für höhere Lebewesen erst bewohnbar gemacht. Der größte Teil der Mineralien verdankt seine Entstehung den Mikroorganismen, entweder direkt oder indirekt über den gebildeten molekularen Sauerstoff. Zum großen Teil ist es ihnen zuzuschreiben, dass die in den Urgesteinen weitgehend im Gemisch vorliegenden Elemente und Verbindungen teilweise entmischt worden sind. Die Lagerstätten mehrerer Rohstoffe, die heutzutage

Plus 18.18 Gebänderte Eisenerze (BIFs) Die Ablagerung dieser Eisenoxide erfolgte hauptsächlich in der Zeit vor 3,8–1,8 Mrd. Jahren (▶ Abb. 1.7b). Bis dahin hatte sich das aus dem magmatischen Gestein des Meeresgrundes herausgelöste Eisen als Fe2 + -Ion gemeinsam mit anderen reduzierten Ionen wie Mn2 + in großen Mengen in den Meeren angesammelt. Nach einer verbreiteten Hypothese wurden die Fe2 + -Ionen mit dem Beginn der oxygenen Photosynthese chemisch durch O2 oder durch mikroaerobe Fe(II)-oxidierende Bakterien zu Fe3 + -Ionen oxidiert. Diese fielen dort, wo das eisenhaltige Tiefenwasser mit dem sauerstoffhaltigen Oberflächenwasser in Berührung kam, weitflächig als Fe(III)-Oxyhydroxide aus. In den BIFs wechseln Eisenoxid- mit Silikatschichten (0,2–2,0 mm Dicke) ab. Diese Schichtung wird als Folge der jahreszeitlichen Rhythmik der Photosynthese bedingt durch die Wassertemperaturänderungen in den Sedimentationsbecken gedeutet. Erst nach-

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abgebaut werden, gehen ganz oder teilweise auf mikrobielle Tätigkeit zurück. Die mikrobielle Bildung, Umwandlung und Auflösung von Mineralen ist in Böden, Sedimenten und Grundwasserleitern auch heute noch wesentlich für das Umweltverhalten von Nährstoffen (Phosphat) und Schadstoffen (v. a. Metall(oid)en wie Arsen, Cadmium, usw.) verantwortlich.

18.13.1 Eisenablagerung Die größten Eisenerzlagerstätten sind die gebänderten Eisenerze (kurz BIFs, für engl. banded iron formations, genannt), deren Ausfällung in jedem Fall auf die Aktivität phototropher Bakterien und Cyanobakterien zurückgeht (Plus 18.18). Anaerobe, neutrophile nitratreduzierende und phototrophe Eisen(II)-oxidierende Bakterien können gelöste Fe2 + -Ionen und zum Teil auch Fe(II)-Minerale zu Fe3 + -Ionen oxidieren, die bei neutralem pH-Wert wiederum als schwerlösliche Fe(III) Minerale ausfallen. Auch an der Mobilisierung des in Granitgesteinen enthaltenen Eisens und seiner Wiederausfällung sind Mikroorganismen beteiligt. Wird der Schwefelanteil von Pyrit (FeS2) oder Marcasit (ebenfalls FeS2) durch Acidithiobacillus thiooxidans und A. ferrooxidans zu Schwefelsäure oxidiert, wird Eisen als Fe2 + -Ionen löslich und durch A. ferrooxidans zu Fe3 + -Ionen oxidiert, die ihrerseits die Pyritverwitterung beschleunigen (Plus 18.16). Durch Reaktion mit Wasser wird das Fe3 + als Fe(OH)3 ausgefällt. Zahlreiche Lagerstätten sehr reinen Eisenoxids sind höchstwahrscheinlich einer Jahrmillionen dauernden, mikrobiellen Erzlaugung (engl. leaching process) zu verdanken. An anderen Stellen sind an der Solubilisierung und Komplexierung des Eisens sicherlich organische Säuren (Huminsäuren) beteiligt. Die Oxidation von Fe(II) zu Fe(III) kann bei

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dem genügend Sauerstoff gebildet wurde und der Großteil des Eisens im Meerwasser oxidiert war (vor ca. 2,3 Mrd. Jahren) konnte sich O2 in der Atmosphäre anreichern. Dieser Erklärung steht allerdings entgegen, dass zahlreiche geochemische und auf der Isosotopenzusammensetzung beruhende Hinweise darauf hindeuten, dass vor 2,7 Mrd. Jahren kein oder nur sehr wenig freier Sauerstoff vorhanden war. Erst nach der Entdeckung, dass auch anoxygen phototrophe Bakterien Fe2 + oxidieren können, konnte man erklären, dass die ältesten BIFs (3,0–3,8 Mrd. Jahre alt) vermutlich nicht den Zeitpunkt des Auftretens der oxygenen, sondern den Beginn der anoxygenen eisenabhängigen Photosynthese angeben. Der Beginn der oxygenen Photosynthese wäre demnach später, erst vor ca. 2,7 Mrd. Jahren, zu datieren, wo er mit der Ausfällung von Eisen (III) und Mangan(IV)-Oxiden zusammenfiele.

Mikroorganismen in Stoffkreisläufen Halotolerante und halophile Organismen haben verschiedene Strategien entwickelt, um dem Problem des Wasserentzugs durch allzu hohe Salzkonzentrationen zu begegnen. Natriumionen werden im Tausch gegen Protonen oder Kaliumionen, deren Hydrathüllen kleiner sind als die der Natriumionen, aus der Zelle herausgepumpt. Hefen und andere Eukaryonten akkumulieren im Zellinneren Glycerin, um so den osmotischen Wert gegenüber dem Außenmedium auszugleichen. Bei Bakterien hat man eine Vielzahl von Verbindungen gefunden, die spezifisch bei Exposition an erhöhte Salzkonzentrationen produziert werden. Zu diesen kompatiblen Soluten oder Osmolytika (S. 521) zählen verschiedene Zucker, wie Trehalose oder Saccharose, sowie zwitterionische Aminosäurederivate wie Betain oder Ectoin.

18.13 Geomikrobiologie, Mikroorganismen als Gestalter unserer Erde Die Geomikrobiologie beschäftigt sich mit dem Einfluss von Mikroorganismen auf die Bildung, Veränderung und Auflösung von Gesteinen. Mikroorganismen waren am Aufbau der Erdkruste sowie an der Entstehung einer sauerstoffhaltigen Atmosphäre maßgeblich beteiligt. Sie haben die Erde für höhere Lebewesen erst bewohnbar gemacht. Der größte Teil der Mineralien verdankt seine Entstehung den Mikroorganismen, entweder direkt oder indirekt über den gebildeten molekularen Sauerstoff. Zum großen Teil ist es ihnen zuzuschreiben, dass die in den Urgesteinen weitgehend im Gemisch vorliegenden Elemente und Verbindungen teilweise entmischt worden sind. Die Lagerstätten mehrerer Rohstoffe, die heutzutage

Plus 18.18 Gebänderte Eisenerze (BIFs) Die Ablagerung dieser Eisenoxide erfolgte hauptsächlich in der Zeit vor 3,8–1,8 Mrd. Jahren (▶ Abb. 1.7b). Bis dahin hatte sich das aus dem magmatischen Gestein des Meeresgrundes herausgelöste Eisen als Fe2 + -Ion gemeinsam mit anderen reduzierten Ionen wie Mn2 + in großen Mengen in den Meeren angesammelt. Nach einer verbreiteten Hypothese wurden die Fe2 + -Ionen mit dem Beginn der oxygenen Photosynthese chemisch durch O2 oder durch mikroaerobe Fe(II)-oxidierende Bakterien zu Fe3 + -Ionen oxidiert. Diese fielen dort, wo das eisenhaltige Tiefenwasser mit dem sauerstoffhaltigen Oberflächenwasser in Berührung kam, weitflächig als Fe(III)-Oxyhydroxide aus. In den BIFs wechseln Eisenoxid- mit Silikatschichten (0,2–2,0 mm Dicke) ab. Diese Schichtung wird als Folge der jahreszeitlichen Rhythmik der Photosynthese bedingt durch die Wassertemperaturänderungen in den Sedimentationsbecken gedeutet. Erst nach-

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abgebaut werden, gehen ganz oder teilweise auf mikrobielle Tätigkeit zurück. Die mikrobielle Bildung, Umwandlung und Auflösung von Mineralen ist in Böden, Sedimenten und Grundwasserleitern auch heute noch wesentlich für das Umweltverhalten von Nährstoffen (Phosphat) und Schadstoffen (v. a. Metall(oid)en wie Arsen, Cadmium, usw.) verantwortlich.

18.13.1 Eisenablagerung Die größten Eisenerzlagerstätten sind die gebänderten Eisenerze (kurz BIFs, für engl. banded iron formations, genannt), deren Ausfällung in jedem Fall auf die Aktivität phototropher Bakterien und Cyanobakterien zurückgeht (Plus 18.18). Anaerobe, neutrophile nitratreduzierende und phototrophe Eisen(II)-oxidierende Bakterien können gelöste Fe2 + -Ionen und zum Teil auch Fe(II)-Minerale zu Fe3 + -Ionen oxidieren, die bei neutralem pH-Wert wiederum als schwerlösliche Fe(III) Minerale ausfallen. Auch an der Mobilisierung des in Granitgesteinen enthaltenen Eisens und seiner Wiederausfällung sind Mikroorganismen beteiligt. Wird der Schwefelanteil von Pyrit (FeS2) oder Marcasit (ebenfalls FeS2) durch Acidithiobacillus thiooxidans und A. ferrooxidans zu Schwefelsäure oxidiert, wird Eisen als Fe2 + -Ionen löslich und durch A. ferrooxidans zu Fe3 + -Ionen oxidiert, die ihrerseits die Pyritverwitterung beschleunigen (Plus 18.16). Durch Reaktion mit Wasser wird das Fe3 + als Fe(OH)3 ausgefällt. Zahlreiche Lagerstätten sehr reinen Eisenoxids sind höchstwahrscheinlich einer Jahrmillionen dauernden, mikrobiellen Erzlaugung (engl. leaching process) zu verdanken. An anderen Stellen sind an der Solubilisierung und Komplexierung des Eisens sicherlich organische Säuren (Huminsäuren) beteiligt. Die Oxidation von Fe(II) zu Fe(III) kann bei

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dem genügend Sauerstoff gebildet wurde und der Großteil des Eisens im Meerwasser oxidiert war (vor ca. 2,3 Mrd. Jahren) konnte sich O2 in der Atmosphäre anreichern. Dieser Erklärung steht allerdings entgegen, dass zahlreiche geochemische und auf der Isosotopenzusammensetzung beruhende Hinweise darauf hindeuten, dass vor 2,7 Mrd. Jahren kein oder nur sehr wenig freier Sauerstoff vorhanden war. Erst nach der Entdeckung, dass auch anoxygen phototrophe Bakterien Fe2 + oxidieren können, konnte man erklären, dass die ältesten BIFs (3,0–3,8 Mrd. Jahre alt) vermutlich nicht den Zeitpunkt des Auftretens der oxygenen, sondern den Beginn der anoxygenen eisenabhängigen Photosynthese angeben. Der Beginn der oxygenen Photosynthese wäre demnach später, erst vor ca. 2,7 Mrd. Jahren, zu datieren, wo er mit der Ausfällung von Eisen (III) und Mangan(IV)-Oxiden zusammenfiele.

18.14 Tierische Verdauungssysteme neutralem pH-Wert unter mikrooxischen Bedingungen durch Bakterien wie Gallionella, Leptothrix oder Mariprofundus ferrooxydans beschleunigt werden. Das Ergebnis der Umsetzungen sind Sumpfeisenerz und Raseneisenerz.

18.13.2 Ablagerung von Calciumcarbonat Im Gewässer stehen Calciumionen im Gleichgewicht mit Hydrogencarbonat oder Sulfat. Dadurch, dass Kohlendioxid durch Photosynthese entzogen wird, wird das Hydrogencarbonat in das schwer lösliche Calciumcarbonat überführt und als Seekreide ausgefällt: Ca2 + + 2 HCO3– → CaCO3 + CO2 + H2O Solche Prozesse haben auch zur Bildung von Stromatolithen geführt, die aus Matten/Biofilmen von Cyanobakterien und anoxygenen phototrophen Bakterien bestehen. Entsprechendes gilt für die Entstehung von Korallenstöcken, wo symbiontische Algen CO2 fixieren. Ein großer Teil des Kalksteins ist wahrscheinlich dadurch entstanden, dass Calcium und Hydrogencarbonat durch Meeresströmungen in tropische Gewässer verfrachtet worden sind. Dort verringerte sich durch die erhöhte Wassertemperatur die Löslichkeit von CO2 und das Calcium wurde als CaCO3 präzipitiert. Unter anoxischen Bedingungen, wenn Sulfat durch sulfatreduzierende Bakterien zu Schwefelwasserstoff reduziert wird, fällt aus Calciumsulfat(Gips)-haltigem Wasser Calciumcarbonat aus: CaSO4 + 8 H+ + 8 e– + CO2 → CaCO3 + 3 H2O + H2S.

18.13.3 Schwefelablagerung und andere Lagerstätten Die Bildung abbauwürdiger Schwefelvorkommen geht auf die bakterielle Sulfatreduktion zurück. Untersuchungen zur Isotopenverteilung (Plus 18.19) bestätigten den

Plus 18.19 Isotopendiskriminierung Schwefel liegt im Meerwasser vorwiegend in Form zweier stabiler Isotope vor: zu 95 % als 32S und zu 4 % als 34S. Bei der hauptsächlich durch die Zufuhr von Elektronendonatoren begrenzten bakteriellen Sulfatreduktion wird das leichtere 32S-Sulfat gegenüber dem schwereren 34S-Sulfat bevorzugt von den Zellen aufgenommen und reduziert. Der gebildete Schwefelwasserstoff enthält daher weniger 34S als das Meerwassersulfat. Wenn dieser „leichte“ Schwefelwasserstoff biotisch oder abiotisch oxidiert wird, entsteht „leichter“ Schwefel. Der Isotopengehalt des Schwefels in den genannten Lagerstätten weist diesen als biogenen, also

Schluss, dass die Schwefellagerstätten in Texas und Louisiana biogenen Ursprungs sind. Die Erörterung der biogeochemischen Umsetzungen lässt sich im Hinblick auf die Entstehung der Lagerstätten von Kohle, Erdöl (aliphatische und aromatische Kohlenwasserstoffe), Erdgas (Methan), Kieselgur (hauptsächlich Siliziumdioxidschalen fossiler Kieselalgen) und Bauxit (ein Aluminiumerz) fortsetzen. Auch an diesen Umsetzungen sind Mikroorganismen durch ihre Stoffwechseltätigkeiten, also durch Oxidationen, Vergärungen, Säurebildung, Reduktion, Kohlendioxidassimilation und die Bildung flüchtiger Produkte, beteiligt. Diese Umsetzungen haben eine Mineralisation, Auflösung, Mobilisierung oder Immobilisierung zur Folge. Kürzlich wurde auch von einer mikrobiellen Reduktion von Goldtetrachlorid zu elementarem Gold durch Bakterien berichtet.

18.13.4 Eliminierung von toxischen Metallen und Metalloiden Die reduktive mikrobielle Umsetzung von löslichen und teilweise hochgiftigen Chrom(VI)- und Uran(VI)-Ionen zu schwerlöslichen Cr(III)- und U(IV)-Salzen macht man sich in der Behandlung entsprechend belasteter Grundwässer zunutze. Giftige Arsen- und Cadmiumionen binden an mikrobiell ausgefällte Eisenoxide und lassen sich auf diese Weise abtrennen.

18.14 Tierische Verdauungssysteme Zwischen den Mikroorganismen und Verdauungssystemen höherer Tiere haben sich in der Evolution verschiedene Formen von Kooperationen entwickelt, die im Resultat letztlich immer als mutualistische Symbiosen anzusehen sind, da sie beiden Partnern zugute kommen. Dies ist jedoch nicht selbstverständlich, stellt doch die vom Wirtsorganismus aufgenommene Nahrung auch für die

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durch mikrobielle Aktivität entstandenen Schwefel aus. Das Isotopenverhältnis von biogenem Schwefel unterscheidet sich beträchtlich von dem, das für vulkanisch gebildeten Schwefel (z. B. in Sizilien) bestimmt wurde. Auch für den Nachweis aktueller mikrobieller Aktivitäten, z. B. den Abbau von kontaminierenden Kohlenwasserstoffen in grundwasserführenden Schichten, kann die Messung der Isotopendiskriminierung, z. B. die Verschiebung des 13C/12C-Verhältnisses, wichtige Informationen liefern. Sie ermöglicht, einen diskriminierenden mikrobiellen Abbau von einem nur sehr wenig diskriminierenden Adsorptions- oder Verdünnungseffekt zu unterscheiden.

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18.14 Tierische Verdauungssysteme neutralem pH-Wert unter mikrooxischen Bedingungen durch Bakterien wie Gallionella, Leptothrix oder Mariprofundus ferrooxydans beschleunigt werden. Das Ergebnis der Umsetzungen sind Sumpfeisenerz und Raseneisenerz.

18.13.2 Ablagerung von Calciumcarbonat Im Gewässer stehen Calciumionen im Gleichgewicht mit Hydrogencarbonat oder Sulfat. Dadurch, dass Kohlendioxid durch Photosynthese entzogen wird, wird das Hydrogencarbonat in das schwer lösliche Calciumcarbonat überführt und als Seekreide ausgefällt: Ca2 + + 2 HCO3– → CaCO3 + CO2 + H2O Solche Prozesse haben auch zur Bildung von Stromatolithen geführt, die aus Matten/Biofilmen von Cyanobakterien und anoxygenen phototrophen Bakterien bestehen. Entsprechendes gilt für die Entstehung von Korallenstöcken, wo symbiontische Algen CO2 fixieren. Ein großer Teil des Kalksteins ist wahrscheinlich dadurch entstanden, dass Calcium und Hydrogencarbonat durch Meeresströmungen in tropische Gewässer verfrachtet worden sind. Dort verringerte sich durch die erhöhte Wassertemperatur die Löslichkeit von CO2 und das Calcium wurde als CaCO3 präzipitiert. Unter anoxischen Bedingungen, wenn Sulfat durch sulfatreduzierende Bakterien zu Schwefelwasserstoff reduziert wird, fällt aus Calciumsulfat(Gips)-haltigem Wasser Calciumcarbonat aus: CaSO4 + 8 H+ + 8 e– + CO2 → CaCO3 + 3 H2O + H2S.

18.13.3 Schwefelablagerung und andere Lagerstätten Die Bildung abbauwürdiger Schwefelvorkommen geht auf die bakterielle Sulfatreduktion zurück. Untersuchungen zur Isotopenverteilung (Plus 18.19) bestätigten den

Plus 18.19 Isotopendiskriminierung Schwefel liegt im Meerwasser vorwiegend in Form zweier stabiler Isotope vor: zu 95 % als 32S und zu 4 % als 34S. Bei der hauptsächlich durch die Zufuhr von Elektronendonatoren begrenzten bakteriellen Sulfatreduktion wird das leichtere 32S-Sulfat gegenüber dem schwereren 34S-Sulfat bevorzugt von den Zellen aufgenommen und reduziert. Der gebildete Schwefelwasserstoff enthält daher weniger 34S als das Meerwassersulfat. Wenn dieser „leichte“ Schwefelwasserstoff biotisch oder abiotisch oxidiert wird, entsteht „leichter“ Schwefel. Der Isotopengehalt des Schwefels in den genannten Lagerstätten weist diesen als biogenen, also

Schluss, dass die Schwefellagerstätten in Texas und Louisiana biogenen Ursprungs sind. Die Erörterung der biogeochemischen Umsetzungen lässt sich im Hinblick auf die Entstehung der Lagerstätten von Kohle, Erdöl (aliphatische und aromatische Kohlenwasserstoffe), Erdgas (Methan), Kieselgur (hauptsächlich Siliziumdioxidschalen fossiler Kieselalgen) und Bauxit (ein Aluminiumerz) fortsetzen. Auch an diesen Umsetzungen sind Mikroorganismen durch ihre Stoffwechseltätigkeiten, also durch Oxidationen, Vergärungen, Säurebildung, Reduktion, Kohlendioxidassimilation und die Bildung flüchtiger Produkte, beteiligt. Diese Umsetzungen haben eine Mineralisation, Auflösung, Mobilisierung oder Immobilisierung zur Folge. Kürzlich wurde auch von einer mikrobiellen Reduktion von Goldtetrachlorid zu elementarem Gold durch Bakterien berichtet.

18.13.4 Eliminierung von toxischen Metallen und Metalloiden Die reduktive mikrobielle Umsetzung von löslichen und teilweise hochgiftigen Chrom(VI)- und Uran(VI)-Ionen zu schwerlöslichen Cr(III)- und U(IV)-Salzen macht man sich in der Behandlung entsprechend belasteter Grundwässer zunutze. Giftige Arsen- und Cadmiumionen binden an mikrobiell ausgefällte Eisenoxide und lassen sich auf diese Weise abtrennen.

18.14 Tierische Verdauungssysteme Zwischen den Mikroorganismen und Verdauungssystemen höherer Tiere haben sich in der Evolution verschiedene Formen von Kooperationen entwickelt, die im Resultat letztlich immer als mutualistische Symbiosen anzusehen sind, da sie beiden Partnern zugute kommen. Dies ist jedoch nicht selbstverständlich, stellt doch die vom Wirtsorganismus aufgenommene Nahrung auch für die

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durch mikrobielle Aktivität entstandenen Schwefel aus. Das Isotopenverhältnis von biogenem Schwefel unterscheidet sich beträchtlich von dem, das für vulkanisch gebildeten Schwefel (z. B. in Sizilien) bestimmt wurde. Auch für den Nachweis aktueller mikrobieller Aktivitäten, z. B. den Abbau von kontaminierenden Kohlenwasserstoffen in grundwasserführenden Schichten, kann die Messung der Isotopendiskriminierung, z. B. die Verschiebung des 13C/12C-Verhältnisses, wichtige Informationen liefern. Sie ermöglicht, einen diskriminierenden mikrobiellen Abbau von einem nur sehr wenig diskriminierenden Adsorptions- oder Verdünnungseffekt zu unterscheiden.

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Mikroorganismen in Stoffkreisläufen Mikrobiota des Verdauungssystems ein interessantes Angebot dar, dessen Nutzung durch die Bakterien zu Lasten des Wirtes gehen muss. So bewegt sich das Verhältnis zwischen Wirt und Mikrobiota zwischen Kooperation und Konkurrenz, die von Fall zu Fall unterschiedlich ausgeprägt sind. Immerhin trägt z. B. ein erwachsener Mensch in seinem Dickdarm gut zehnmal so viele Zellen hoch aktiver Bakterien mit sich herum, wie er selber Körperzellen hat! Die Konkurrenz um die aufgenommene Nahrung wird wesentlich dadurch begrenzt, dass die Mikrobengemeinschaft im Verdauungssystem nur sehr wenig Sauerstoff zur Verfügung hat und daher für ihren Energiestoffwechsel auf Gärungen angewiesen ist, deren Produkte dem Wirtsorganismus zugute kommen.

18.14.1 Ernährungs- und Verdauungstypen Abhängig von der Herkunft der überwiegend aufgenommenen Nahrung spricht man von carnivorer oder herbivorer Ernährung, sowie den Mischernährern, den Omnivoren und den Detritivoren. Aus Untersuchungen mit steril aufgezogenen Jungtieren weiß man, dass viele Tiere für ihre Entwicklung und die Aufrechterhaltung ihrer Gesundheit strikt von der Funktion einer komplexen Darmmikrobiota abhängen (Plus 1.11) (S. 46). Wiederkäuer sind ohne symbiontische Bakterien nicht lebensfähig. Dieses gilt für Fleischfresser und Mischernährer in weit geringerem Maß. Ein einfaches Schema eines Verdauungssystems ist in ▶ Abb. 18.26 dargestellt. Die Nahrung wird im Maul zerkleinert, über den Ösophagus in den Magen verfrachtet und dort chemisch und biochemisch aufgeschlossen. Während der Passage durch den Zwölffingerdarm werden die frei gesetzten, leicht verfügbaren Nährstoffe fast vollständig resorbiert. Der angeschlossene Dickdarm entzieht dem Nahrungsbrei das vorher durch Speichel reichlich zugesetzte Wasser. Überdies wird dort der verbleibende Speisebrei durch die Aktivität einer Vielzahl von überwiegend strikt anaeroben Mikroorganismen vergoren und weiter aufgeschlossen, wobei die Gärprodukte in Form von Fettsäuren an den Wirt abgegeben werden. Nach hinreichender Vergärung verlässt der Speisebrei den Darm als Kot über das Rectum. Der in ▶ Abb. 18.26 skizzierte Ablauf entspricht im Wesentlichen dem Verdauungsvorgang bei einem Fleischfresser. Bei ihm wird eine proteinreiche, überwiegend aus Fleisch zusammengesetzte Nahrung nach mechanischer Zerkleinerung im Magen unter stark sauren Verhältnissen enzymatisch aufgeschlossen. Die hohe Säurekonzentration im Magen (pH-Wert beim Menschen 0,5–1) tötet die überwiegende Zahl der mit aufgenommenen Mikroorganismen ab und unterbindet auf diese Weise unerwünschte Gärungen, die bei einer proteinreichen Nahrung auch zu toxischen Produkten führen könnten (primäre Amine, bakterielle Toxine!). Mikrobielle Aktivitäten werden in der Verdauung von Fleischfressern und auch

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Maul Ösophagus

prägastrische Gärkammer (z.B. Pansen)

Magen

Dickdarm

Duodenum (Dünndarm)

Rectum

postgastrische Gärkammer (Caecum, Blinddarm)

Abb. 18.26 Verdauungssystem höherer Tiere. Das System besteht aus Maul, Ösophagus, Magen, Dünndarm, Dickdarm, Rectum und After. Dieses einfache System, das in dieser Form bei Fleischfressern verwirklicht ist, wird bei Pflanzenfressern durch Gärkammern, entweder vor dem Magen durch den Pansen oder vor dem Dickdarm durch den Blinddarm (Caecum), erweitert.

im Verdauungssystem des omnivoren Menschen fast ausschließlich im Dickdarm wirksam. Immerhin deckt der Mensch 15–20 % seines Energiehaushalts mithilfe von niederen Fettsäuren, die im Zuge der Vergärung seines Nahrungsbreis im Dickdarm gebildet und dort resorbiert werden. Die Verwertung einer reinen Pflanzennahrung ist in weit höherem Ausmaß auf die Hilfe von Mikroorganismen angewiesen. Echte herbivore Tiere, zu denen der Mensch nicht zählt, bilden daher entweder vor dem Magen (prägastrisch) oder hinter dem Magen (postgastrisch) mehr oder weniger ausgedehnte Gärkammern aus. In diesen unterstützen zahlreiche Mikroorganismen durch Ausscheidung von Exoenzymen den Aufschluss der schwer zugänglichen Bausteine des Pflanzenmaterials. Dies geschieht bei den Wiederkäuern (Kuh, Schaf, Ziege) prägastrisch im Pansen oder postgastrisch im Blinddarm (Kaninchen) und/oder im Dickdarm, wie bei Pferd und Esel sowie den meisten Unpaarzehern. Im Falle der prägastrischen Verdauung werden auch die im Zuge der Vergärung herangewachsenen Mikrobenzellen im Magen aufgeschlossen. Dies ist bei einer postgastrischen Verdauung nicht möglich – es sei denn, die mikrobielle Produktion des Hinterdarms wird noch einmal gefressen (Caecotrophie bei Kaninchen). Im Folgenden soll exemplarisch das Verdauungssystem der Wiederkäuer, des Pferdes und der Termiten verglichen werden. Der Verdauungsapparat des Menschen wird weiter unten (S. 643) behandelt.

18.14.2 Verdauungsapparat der Wiederkäuer Im Pansen wird die aufgenommene Pflanzenmasse nach wiederholter Zerkleinerung und reichlicher Durchmischung mit hydrogencarbonatreichem Speichel vergoren (▶ Abb. 18.27). Hier werden die polymeren Bestandteile der Nahrung (Blätter und Gräser), vor allem Cellulose, Hemicellulosen (Xylan), Pectin und andere

18.14 Tierische Verdauungssysteme

Speichel: Phosphat, Bicarbonat, Ammoniak Gase: CH4, CO2, H2, N2

NH4+

Abb. 18.27 Mikrobielle Umsetzungen im Wiederkäuermagen. Harnstoff wird durch die Leber bereitgestellt.

Pflanzenstoffe Cellulose, Stärke, Fructosane, Xylane, Proteine

organische Säuren: Essig-, Propion-, Buttersäure, Aminosäuren usw. Bakterienzellsubstanz [einschließlich Protein]

Netzmagen Blättermagen

Harnstoff Pansen

Labmagen

pflanzliche Polysaccharide, durch die Aktivität mikrobieller Enzyme abgebaut und so für den Stoffwechsel der Tiere verwertbar gemacht. Diese verfügen jedoch nicht selber über geeignete Cellulasen oder Xylanasen. Die Enzyme werden von den Mikroben, die im Pansen leben, sezerniert. Der Rinderpansen hat ein Volumen von ca. 100– 150 l und zeichnet sich durch konstante Temperatur- und pH-Verhältnisse (ca. 39 °C, pH-Wert ca. 6,5) aus. Die vorhandene Mikrobengemeinschaft ist sehr komplex und umfasst neben strikt anaeroben Bakterien und Archaebakterien (> 200 Arten) auch anaerobe Protozoen, vor allem Ciliaten, und Pilze. Die Prokaryonten machen mit 1010–1011 Zellen pro g Trockengewicht den größten Anteil aus. Vorherrschend sind die Gattungen Ruminococcus, Selenomonas, Fibrobacter und Methanobrevibacter (▶ Tab. 18.3). Im Pansen verbleibt der Nahrungsbrei für ca. 9– 12 Stunden. Faseriges Material wird im Netzmagen (Retikulum) zurückgehalten und hat eine entsprechend längere Verweilzeit. Die pflanzlichen Polysaccharide werden zu Oligo- und Monosacchariden zerlegt, die unmittelbar weiter vergoren werden. Dabei entstehen hauptsächlich Fettsäuren, wie Essig-, Propion- und Buttersäure, die der Wirt aufnimmt. In Gärungen primär entstehendes Succinat wird durch Spezialisten zu Propionat decarboxyliert. Außerdem entstehen Kohlendioxid und Wasserstoff, die durch die Aktivität methanogener Archaebakterien zu Methan umgewandelt werden, welches zusammen mit CO2 den Pansen durch Rülpsen verlässt. Die in den letzten Jahrzehnten erfolgte Zunahme an Rinder- und Schafherden auf der Erde hat u. a. zur Erhöhung der atmosphärischen Konzentration des Treibhausgases Methan beigetragen.

Tab. 18.3 Dominante Prokaryonten in der Pansenmikrobiota. Organismen celluloseabbauende Bakterien Ruminococcus albus Butyrivibrio fibrisolvens Fibrobacter succinogenes Clostridium lochheadii hemicelluloseabbauende Bakterien Fibrobacter succinogenes Butyrivibrio fibrosolvens Ruminococcus albus Lachnospira multiparus stärke- und zuckerabbauende Bakterien Selenomonas ruminantium Succinimonas amylolytica Bacteroides ruminicola Streptococcus bovis lactatabbauende Bakterien Selenomonas lactilytica Megasphaera elsdenii Veillonella sp. succinatdecarboxylierende Bakterien Selenomonas ruminantium Veillonella parvula Methanogene Archaebakterien Methanobrevibacter ruminantium Methanomicrobium mobile

3

Mikroorganismen in Stoffkreisläufen

●V

Plus 18.20 Stabilisierung anoxischer Verhältnisse im Termitendarm Lange hat man angenommen, dass der Hinterdarm der Termiten strikt anoxisch sei. Dort ist in der Tat kein Sauerstoff messbar, doch kann dieser Zustand nur durch massive Sauerstoffzehrung in der peripheren Zone des Darms aufrechterhalten werden, da Sauerstoff mit hoher Rate aus den umgebenden Tracheen über das dünne Darmepithel eindringt. Tatsächlich wird auf diese Weise ca. 40 Volumenprozent des Hinterdarms mit Sauerstoff versorgt (▶ Abb. 18.28a), Darmquerschnitt

a

dem möglicherweise eine Rolle bei der Trennung von Lignin und Cellulose zukommt. Ein Vergleich der Größe und der Oberflächen- und Volumenverhältnisse illustriert, warum aerobe Prozesse im Termitenhinterdarm ungleich bedeutsamer sind als im Kuhpansen (▶ Abb. 18.28b). Aus diesem Beispiel wird deutlich, dass es für Verdauungssysteme eine Größengrenze gibt, unterhalb derer anoxische Verhältnisse, die dem Wirt Gärprodukte liefern, nur zum Preis eines hohen konkurrierenden Substratverbrauchs aufrechterhalten werden können.

b Kuhpansen

Termitendarm

oxisch anoxisch

O2-, bzw. H2-Partialdruck

100 x

H2

O2

5 kPa Kuhpansen

0 0

100 l

1μ l

Oberfläche (A)

1 m2

5 mm2

A/V-Verhältnis

10 m2 ∙ m–3

5000 m2 ∙ m–3

Insgesamt kann die Vergärung von Hexosen im Pansen durch folgende Gleichung beschrieben werden: 100 Hexose → 113 Essigsäure + 35 Propionsäure + 26 Buttersäure + 104 CO2 + 61 CH4 + 43 H2O Da die pflanzliche Nahrung nur wenig gebundenen Stickstoff enthält, wird der für die Proteinsynthese der Pansenmikrobiota erforderliche Stickstoff durch Zufuhr von Harnstoff aus der Leber des Rindes ergänzt (ruminohepatischer Kreislauf). Die gebildeten Fettsäuren gelangen über die Pansenwand in den Blutkreislauf des Wirts und dienen diesem als Energiequelle. Darüber hinaus gelangen auch erhebliche Mengen an Bakterien in den eigentlichen Verdauungsmagen und liefern Aminosäuren und Vitamine. Das Rind ernährt sich somit in erster Linie von Fettsäuren und Bakterienzellen und nur indirekt vom aufgenommenen Pflanzenmaterial!

18.14.3 Verdauungsapparat des Pferdes Weit weniger effizient ist die Verwertung von pflanzlicher Nahrung durch das Pferd, das zwei postgastrische Gärkammern, den Blinddarm und den Dickdarm, nutzt. Die im Blinddarm heranwachsenden Bakterienzellen werden nur zu einem geringen Teil im Dickdarm auf-

634

Termitendarm

Volumen (V)

Abb. 18.28 Sauerstoffversorgung im Termitendarm. a Verteilung von Sauerstoff und Wasserstoff in und im Umkreis von einem in Agarose eingebetteten Enddarm der holzfressenden Termite Reticulitermes flavipes. Deutlich ist eine intensive Zehrung von Sauerstoff und von Wasserstoff im peripheren Darmbereich erkennbar. b Größenvergleich von Kuhpansen und Termitenenddarm und das daraus resultierende Verhältnis von Volumen und Oberfläche. (Zeichnung nach Andreas Brune, Marburg)

geschlossen und werden weitgehend mit dem Kot ausgeschieden. Da Harnstoff nicht in den Verdauungskanal zurückgeführt wird, geht der gebundene Stickstoff mit dem Harn verloren. Pferdemist ist daher für die Düngung wertvoller als Kuhmist, weil er mehr gebundenen Stickstoff enthält.

18.14.4 Verdauungsapparat von holzfressenden Termiten Termiten sind eine sehr heterogene Tiergruppe, deren Vertreter, ebenso wie die zahlreicher anderer Insektengruppierungen, in ihrer Ernährungsweise hoch spezialisiert sind. Hinsichtlich ihrer Ernährung am besten untersucht sind die holzfressenden Termiten, die in den Tropen und Subtropen massive wirtschaftliche Schäden durch Holzzerstörung verursachen. Bodenfressende Termiten sind vor allem in tropischen Regionen wesentlich für den Abbau der organischen Bodensubstanz verantwortlich. Der Verdauungsapparat holzfressender Termiten ist in mancher Hinsicht mit dem der Wiederkäuer vergleichbar. Die durch die Kauwerkzeuge auf wenige Mikrometer große Partikel zerkleinerten Holzfasern werden von Protozoen aufgenommen, die bis zu 65 % des Darmvolumens ausmachen. Sie bewerkstelligen die Trennung von Lignin und Cellulose und vergären die Polysaccharide vor allem zu

18.14 Tierische Verdauungssysteme Acetat und Wasserstoff, woran evtl. auch intrazelluläre symbiontische Bakterien beteiligt sind. Der gebildete Wasserstoff wird sowohl von homoacetogenen Eubakterien als auch von methanogenen Archaebakterien verwertet. Das Acetat wird an den Wirt abgegeben, das Methan wird freigesetzt. Man schätzt, dass das von Termiten

gebildete Methan 4–10 % der globalen Methanfreisetzung in die Atmosphäre beiträgt. Das Lignin wird von den Termiten nicht weiter verwertet und in modifizierter Form fast vollständig mit dem Kot ausgeschieden. In Plus 18.20 wird diskutiert, wie in dem kleinen Ökosystem Termitendarm anoxische Verhältnisse aufrechterhalten werden.

M ●

Zusammenfassung ●









In der Natur sind Nährstoffe fast immer nur in sehr begrenztem Umfang verfügbar. Hunger ist die typische Lebenssituation für Mikroorganismen, die nur gelegentlich und kurzfristig durch Phasen ausreichender Nährstoffversorgung unterbrochen wird. Der Erfolg von Mikroorganismen bei der Konkurrenz um Nährstoffe im fließenden System wird durch ihre Substrataffinität bestimmt, die ihrerseits die Restkonzentrationen des Substrats am natürlichen Standort definiert. Auch in einem statischen System verbleiben Restkonzentrationen von Substraten, die durch die Energetik der jeweiligen Abbauprozesse bestimmt werden. Eine umfassende Analyse natürlicher Mikrobengemeinschaften ist in den letzten Jahren durch molekularbiologische Techniken (z. B. FISH) möglich geworden. Durch die Verwendung molekularer, fluoreszenzmarkierter Sonden lassen sich Mikroorganismen in natürlichen Gemeinschaften spezifisch anhand der 16S-rRNA nachweisen. Am natürlichen Standort ist die überwiegende Menge der Mikroorganismen an Oberflächen angeheftet. Frei schwimmende Einzelzellen sind eher die Ausnahme als die Regel. Gewässer sind hinsichtlich osmotischem Wert, Temperatur, pH-Wert usw. vergleichsweise homogene Standorte. Deshalb eignen sie sich besonders, um die Beziehungen









von Mikroorganismen untereinander und ihre Wechselwirkung mit anderen Organismen zu untersuchen. Der Erdboden ist ein extrem heterogener, kleinräumig hoch strukturierter Lebensraum, der sich durch Extreme der Wasserversorgung, der Temperatur und anderer physikochemischer Faktoren auszeichnet. An sogenannten extremen Standorten findet man im Allgemeinen nur wenige taxonomische Gruppierungen von Lebewesen. Bei Temperaturen oberhalb von 70 °C und Salzgehalten nahe der Sättigungsgrenze sind dies ausschließlich Prokaryonten, zumeist Archaebakterien. Bakterien haben in der Vergangenheit die Chemie der Erdoberfläche wesentlich mitbestimmt und damit zur Bildung von wichtigen Erzlagerstätten, Schwefelvorkommen u. a. beigetragen. Sie sind auch gegenwärtig für die Verwitterung von Gesteinen und die Neubildung von Mineralvorkommen, sowie für die Umsetzung von Nährstoffen und Schadstoffen wesentlich verantwortlich. Im Verdauungssystem von Tieren stehen Bakterien ihren Wirtsorganismen als Kooperationspartner aber auch als Konkurrenten gegenüber. In der Evolution haben sich vor allem bei Pflanzenfressern hoch entwickelte Kooperationssysteme herausgebildet, die für beide Partner in hohem Maße vorteilhaft sind.

Literatur zum Weiterlesen unter: www.thieme.de/literatur-fuchs

5

© Foto: H. J. Buhr

Kapitel 19 Mikroorganismen als Symbionten und Antagonisten

19.1

Symbiosen

638

19.2

Symbiose von stickstofffixierenden Bakterien mit Pflanzen

638

19.3

Lebensgemeinschaften von Mikroorganismen mit Tieren

642

19.4

Körperflora des Menschen

643

19.5

Mikroorganismen als Auslöser von Krankheiten

647

19.6

Epidemiologie und öffentliche Gesundheit

672

19.7

Pflanzenpathogene Bakterien

674

19.8

Biologische Waffen

678

Mikroorganismen als Symbionten und Antagonisten

19 Mikroorganismen als Symbionten und Antagonisten Erwin Schneider Mikroorganismen, wie Bakterien, Algen und Pilze, haben im Verlauf der Evolution neben der unbelebten Natur auch höhere Organismen, wie Pflanzen, Tiere und den Menschen, als potenzielle Lebensräume erschlossen. Dabei haben sich Lebensgemeinschaften (Symbiosen) entwickelt, die erhebliche Bedeutung sowohl für die Landwirtschaft als auch für die moderne Medizin besitzen. Zwischen vielen Bakterien und Pflanzen bestehen mutualistische Symbiosen – mit gegenseitigem Nutzen verbundene Lebensgemeinschaften. So bilden stickstofffixierende Bakterien mit bestimmten, landwirtschaftlich bedeutsamen Schmetterlingsblütlern (Leguminosen) Wurzelknöllchen aus, über die sich die Pflanze mit Stickstoff versorgt, die aber auch erheblich zur natürlichen Stickstoffversorgung der Böden beitragen. Auch decken viele Bäume ihren Stickstoffbedarf aus dem Zusammenleben mit stickstofffixierenden Bakterien. Die Versorgung mit mineralischen Nährstoffen, besonders Phosphat, wird durch die Symbiose mit Pilzen gefördert (Mykorrhiza) (S. 89). Ebenso vielfältige Gemeinschaften bestehen zwischen Bakterien und Tieren, deren Verdauungstrakt ein bevorzugter Lebensraum für die Mikroorganismen ist. Auch der Mensch ist dicht mit Bakterien besiedelt (Körperflora), deren Zahl etwa 10fach über der Zahl der Körperzellen liegt. Die Stoffwechselaktivitäten der Bakterien werden meist nicht bemerkt und können sowohl vorteilhaft (z. B. im Darm) als auch unangenehm (Schweiß, Mundgeruch) sein. Daneben gibt es jedoch eine vergleichsweise kleine Gruppe von pathogenen Bakterien und Pilzen, deren Überlebensstrategie darin besteht, die Zellinhaltstoffe ihrer Wirte als Nahrungsressourcen zu nutzen. Wir haben pathogene Pilze und Viren und ihre Strategien, einen Wirt zu erobern, in Kapitel 3 und 4 besprochen. Die Besiedlung eines Wirtes mit solchen Mikroorganismen ist daher fast immer mit dem Ausbruch einer Krankheit verbunden. Pathogene Mikroorganismen besitzen zur erfolgreichen Besiedlung ihrer Wirte ein Arsenal an speziellen Zellkomponenten (Virulenzfaktoren), die die jeweiligen Abwehrmechanismen der tierischen und pflanzlichen Wirte ausschalten. Einige pathogene Mikroorganismen (z. B. Milzbrand- und Pestbakterien), aber auch Viren, eignen sich zum Missbrauch als biologische Waffen.

19.1 Symbiosen Die Lebensgemeinschaft von zwei verschiedenen Organismen wird als Symbiose im weiteren Sinne bezeichnet. Hinsichtlich des relativen Nutzens, den die Partner aus der Symbiose ziehen, kann man zwischen mehreren Ka-

638

tegorien unterscheiden. Eine Symbiose im engeren Sinne ist ein gesetzmäßiges Zusammenleben verschiedener Arten zu beiderseitigem Vorteil (Mutualismus). Diese Form der Gemeinschaft setzt gegenseitige Anpassungen voraus, die sich im Laufe der Evolution herausgebildet haben. Als Beispiel ist hier die Symbiose zahlreicher stickstofffixierender Bakterien mit Pflanzen zu nennen. In den anderen Fällen hat sich nur einer der Partner an das Zusammenleben angepasst und zieht Gewinn daraus. Erleidet der andere Partner keinen Schaden, spricht man von Kommensalismus. Als kommensale Lebensweise kann der Großteil der normalen Körperflora des Menschen verstanden werden. Wird der Partner durch das Zusammenleben dagegen geschädigt, liegt Parasitismus vor. Dies ist bei Bakterien, Viren oder eukaryontischen Organismen (s. a. Lehrbücher der Zoologie) der Fall, die Infektionskrankheiten bei Bakterien, Mensch, Tier oder Pflanze verursachen oder parasitieren. In vielen Fällen können Partner aber auch ohne gegenseitige Beeinflussung zusammenleben (Neutralismus). Die wichtigsten mutualistischen Symbiosen sind in ▶ Tab. 19.1 zusammengefasst.

19.2 Symbiose von stickstofffixierenden Bakterien mit Pflanzen Nur eine kleine Zahl von Prokaryonten ist in der Lage, den molekularen Stickstoff der Luft (N2) als Stickstoffquelle (S. 298) zu nutzen. Einige stickstofffixierende Bakterien bilden mit Pflanzen symbiontische Lebensgemeinschaften, wobei die Pflanzen den Bakterien Energie- und Kohlenstoffquellen liefern und die Bakterien die Pflanzenzellen als Gegenleistung mit Stickstoff versorgen. Die Wechselbeziehungen zwischen Bakterium und Pflanze sind sehr spezifisch, d. h. ein Bakterienstamm infiziert nur ganz bestimmte Pflanzenarten (▶ Tab. 19.2).

19.2.1 Wurzel- oder Stammknöllchenbakterien Besonders eingehend untersucht ist die symbiontische Stickstoffbindung durch die Leguminosen (Schmetterlingsblütler; mehr als 18 000 Arten), darunter wichtige Kulturpflanzen wie Sojabohne, Klee, Bohne und Erbse, die mit Bakterien der Gattungen Sinorhizobium, Rhizobium, Bradyrhizobium und Azorhizobium (Alphaproteobakterien) sogenannte Wurzel- oder Stammknöllchen bilden

Mikroorganismen als Symbionten und Antagonisten

19 Mikroorganismen als Symbionten und Antagonisten Erwin Schneider Mikroorganismen, wie Bakterien, Algen und Pilze, haben im Verlauf der Evolution neben der unbelebten Natur auch höhere Organismen, wie Pflanzen, Tiere und den Menschen, als potenzielle Lebensräume erschlossen. Dabei haben sich Lebensgemeinschaften (Symbiosen) entwickelt, die erhebliche Bedeutung sowohl für die Landwirtschaft als auch für die moderne Medizin besitzen. Zwischen vielen Bakterien und Pflanzen bestehen mutualistische Symbiosen – mit gegenseitigem Nutzen verbundene Lebensgemeinschaften. So bilden stickstofffixierende Bakterien mit bestimmten, landwirtschaftlich bedeutsamen Schmetterlingsblütlern (Leguminosen) Wurzelknöllchen aus, über die sich die Pflanze mit Stickstoff versorgt, die aber auch erheblich zur natürlichen Stickstoffversorgung der Böden beitragen. Auch decken viele Bäume ihren Stickstoffbedarf aus dem Zusammenleben mit stickstofffixierenden Bakterien. Die Versorgung mit mineralischen Nährstoffen, besonders Phosphat, wird durch die Symbiose mit Pilzen gefördert (Mykorrhiza) (S. 89). Ebenso vielfältige Gemeinschaften bestehen zwischen Bakterien und Tieren, deren Verdauungstrakt ein bevorzugter Lebensraum für die Mikroorganismen ist. Auch der Mensch ist dicht mit Bakterien besiedelt (Körperflora), deren Zahl etwa 10fach über der Zahl der Körperzellen liegt. Die Stoffwechselaktivitäten der Bakterien werden meist nicht bemerkt und können sowohl vorteilhaft (z. B. im Darm) als auch unangenehm (Schweiß, Mundgeruch) sein. Daneben gibt es jedoch eine vergleichsweise kleine Gruppe von pathogenen Bakterien und Pilzen, deren Überlebensstrategie darin besteht, die Zellinhaltstoffe ihrer Wirte als Nahrungsressourcen zu nutzen. Wir haben pathogene Pilze und Viren und ihre Strategien, einen Wirt zu erobern, in Kapitel 3 und 4 besprochen. Die Besiedlung eines Wirtes mit solchen Mikroorganismen ist daher fast immer mit dem Ausbruch einer Krankheit verbunden. Pathogene Mikroorganismen besitzen zur erfolgreichen Besiedlung ihrer Wirte ein Arsenal an speziellen Zellkomponenten (Virulenzfaktoren), die die jeweiligen Abwehrmechanismen der tierischen und pflanzlichen Wirte ausschalten. Einige pathogene Mikroorganismen (z. B. Milzbrand- und Pestbakterien), aber auch Viren, eignen sich zum Missbrauch als biologische Waffen.

19.1 Symbiosen Die Lebensgemeinschaft von zwei verschiedenen Organismen wird als Symbiose im weiteren Sinne bezeichnet. Hinsichtlich des relativen Nutzens, den die Partner aus der Symbiose ziehen, kann man zwischen mehreren Ka-

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tegorien unterscheiden. Eine Symbiose im engeren Sinne ist ein gesetzmäßiges Zusammenleben verschiedener Arten zu beiderseitigem Vorteil (Mutualismus). Diese Form der Gemeinschaft setzt gegenseitige Anpassungen voraus, die sich im Laufe der Evolution herausgebildet haben. Als Beispiel ist hier die Symbiose zahlreicher stickstofffixierender Bakterien mit Pflanzen zu nennen. In den anderen Fällen hat sich nur einer der Partner an das Zusammenleben angepasst und zieht Gewinn daraus. Erleidet der andere Partner keinen Schaden, spricht man von Kommensalismus. Als kommensale Lebensweise kann der Großteil der normalen Körperflora des Menschen verstanden werden. Wird der Partner durch das Zusammenleben dagegen geschädigt, liegt Parasitismus vor. Dies ist bei Bakterien, Viren oder eukaryontischen Organismen (s. a. Lehrbücher der Zoologie) der Fall, die Infektionskrankheiten bei Bakterien, Mensch, Tier oder Pflanze verursachen oder parasitieren. In vielen Fällen können Partner aber auch ohne gegenseitige Beeinflussung zusammenleben (Neutralismus). Die wichtigsten mutualistischen Symbiosen sind in ▶ Tab. 19.1 zusammengefasst.

19.2 Symbiose von stickstofffixierenden Bakterien mit Pflanzen Nur eine kleine Zahl von Prokaryonten ist in der Lage, den molekularen Stickstoff der Luft (N2) als Stickstoffquelle (S. 298) zu nutzen. Einige stickstofffixierende Bakterien bilden mit Pflanzen symbiontische Lebensgemeinschaften, wobei die Pflanzen den Bakterien Energie- und Kohlenstoffquellen liefern und die Bakterien die Pflanzenzellen als Gegenleistung mit Stickstoff versorgen. Die Wechselbeziehungen zwischen Bakterium und Pflanze sind sehr spezifisch, d. h. ein Bakterienstamm infiziert nur ganz bestimmte Pflanzenarten (▶ Tab. 19.2).

19.2.1 Wurzel- oder Stammknöllchenbakterien Besonders eingehend untersucht ist die symbiontische Stickstoffbindung durch die Leguminosen (Schmetterlingsblütler; mehr als 18 000 Arten), darunter wichtige Kulturpflanzen wie Sojabohne, Klee, Bohne und Erbse, die mit Bakterien der Gattungen Sinorhizobium, Rhizobium, Bradyrhizobium und Azorhizobium (Alphaproteobakterien) sogenannte Wurzel- oder Stammknöllchen bilden

19.2 Symbiose von stickstofffixierenden Bakterien mit Pflanzen Tab. 19.1 Wichtige mutualistische Symbiosen. Leistung des mikrobiellen Partners

Mikroorganismen

eukaryontischer Partner

CO2-Fixierung

Zooxanthellen (einzellige Algen)

Korallen

Grünalge, selten Cyanobakterien

Pilze (Flechte)

Cyanobakterien

marine Schwämme

N2-Fixierung

Prochlorophyta

Seescheiden

H2S-Oxidierer, H2-Oxidierer, Methanoxidierer

Bartwürmer (Pogonophora), Muscheln (Tiefsee)

Rhizobien und andere

Schmetterlingsblütler (Leguminosen)

Frankia

Erle, Sanddorn, Silberwurz

Azoarcus

Kallargras

Acetobacter

Zuckerrohr

Cyanobakterien

Lebermoose, Azolla, Cycadeen, Gunnera

Wurzelversorgung

Pilz-Mykorrhizen

die meisten Landpflanzen, viele Bäume

Synthese essenzieller Aminosäuren und Cofaktoren

Bacteria

viele Insekten (Bacteriome), Protozoa

Entfernung von Stoffwechselprodukten (Wasserstoff)

methanogene Archaea

Protozoa

Abbau von Polysacchariden (Cellulose)

Bacteria, Archaea, Protozoa

Wiederkäuer (Pansen), andere Pflanzenfresser (Hinterdarm), Termiten (Hinterdarm), Schaben, Bohrmuschel

Biolumineszenz

Bacteria (Vibrio)

Fische, Tintenfische, Tunicaten

Bewegung

Spirochaeten

Protozoa

Synthese von Antibiotika

Bacteria

Nematoden, Insekten

Tab. 19.2 Stickstofffixierende Bakterien und Ihre Wirtspflanzen. Gattung/Art

Wirt(e)

alpha-Gruppe der Proteobakterien Rhizobium leguminosarum biovar vicia biovar phaseolis biovar trifolii

Erbse, Linse Wicke Feuerbohne Klee

Rhizobium meliloti (= Sinorhizobium meliloti)

Honigklee, Luzerne

Bradyrhizobium japonicum

Sojabohne

Azorhizobium caulinodans

Sesbanie (Stamm und Wurzel)

Sinorhizobium fredii

Sojabohne

beta-Gruppe der Proteobakterien Burkholderia caribensis

Mimose

Ralstonia taiwanensis

Mimose

a

b

(▶ Abb. 19.1). Landwirtschaftlich durch sogenannten Fruchtwechsel genutzt, können durch diese Symbiose zwischen 100 und 600 kg Stickstoff pro Hektar und Jahr in den Boden eingebracht werden. Weltweit werden so ca. 200 Mio. Tonnen Stickstoff in landwirtschaftlichen und natürlichen Ökosystemen nutzbar gemacht. Der Beitrag frei lebender N2-fixierender Bakterien ist um eine Größenordnung geringer. Bei den Knöllchenbakterien handelt es sich um gramnegative, obligat aerobe, bewegliche Stäbchen. Sie weisen außerhalb einer Pflanze keine stickstofffixierende Aktivität auf, sondern verwenden Ammoniumionen oder andere Stickstoffquellen. Die an der Symbiose beteiligten Pflanzen sondern jeweils art- oder gattungsspezifische Signalstoffe – Flavonoide – ab (z. B. Luteolin und Genistein), für deren Erkennung die Bakterien ihrerseits spezifische Rezeptoren (NodD) besitzen (▶ Abb. 19.2a ① und ▶ Abb. 19.2b). Nach

Abb. 19.1 Wurzelknöllchensymbiose. (Aufnahmen Dr. Jeremy Burgess, copyright science photolibrary) a Knöllchen an der Wurzel von Weißklee, gebildet von Bakterien der Spezies Rhizobium trifolii. b Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme eines Wurzelknöllchens an einer Erbsenpflanze mit dem Bakterium Rhizobium leguminosarum.

9

Mikroorganismen als Symbionten und Antagonisten a

Wurzelhaar

Wurzelzelle Flavonoide

Infektionsschlauch 2

1

3 Bakteroid

Hirtenstab

Rhizobium

Infektionsschlauch

Boden Nod-Faktor

b

Symbiosom

OH OH HO

HO

Genistein d Ende eines Infektionsschlauchs in einer Pflanzenzelle

B

O A

O

C

OH

O

O

Luteolin OH

sich teilende Pflanzenzelle

O

c

OH O

CH3 O

C O CH2

CH2OH O

O

O

HO HO

S

O

O

O

NH HO C CH

O

CH2OH O O

NH HO C CH3

CH2

NH HO O

O

OH

O

C CH3

NH O

C CH3

HC (CH2)5 HC HC (CH2)5 CH3

Infektionsschlauch

Abb. 19.2 Infektion von Pflanzenwurzeln durch Knöllchenbakterien. a ① Pflanzen setzen Flavonoide frei, die von Bakterien über Rezeptoren erkannt werden. Sie synthetisierten daraufhin die NodFaktoren. ② Die Nod-Faktoren induzieren die Krümmung der Wurzelhaare und die Bildung des Infektionsschlauchs. Bakterien dringen über den Infektionsschlauch in die Wurzel und infizieren tetraploide Rindenzellen. ③ Die Bakterien verlassen den Infektionsschlauch durch einen endocytotischen Prozess und wandeln sich zu Bakteroiden um, die von einer Pflanzenmembran umgeben sind. Diese Struktur wird Symbiosom genannt. Im Fall der Besiedelung von Phaseolus vulgaris können sich, wie gezeigt, mehrere Bakteroide in einem Symbiosom befinden. b Gattungspezifische, pflanzliche Flavonoide. Die Grundstruktur besteht aus zwei aromatischen Ringen (A und B) und einem heterozyklischen Pyran (C) auch Pyronring genannt. c Wichtigster Nod-Faktor von Sinorhizobium meliloti. d Infektionsschlauch in einem Wurzelknöllchen der Luzerne. (Aufnahme Sharon R. Long, Stanford University)

Bindung der Flavonoide induzieren NodD-Proteine die Expression der zur Wurzelknöllchenbildung erforderlichen nod-Gene (von nodulation, engl. für Knöllchenbildung). Nachdem sie ihren Wirt erkannt haben, lagern sich die Bakterien an die Wurzelhaare der Pflanze an, wozu wiederum bestimmte Moleküle (Adhäsine) auf der Oberfläche der Bakterienzellen erforderlich sind. Von den Bakterien werden spezifische Wachstumsfaktoren – Nod-Faktoren – freigesetzt. Dabei handelt es sich um 4–5 β-1,4-

640

verknüpfte N-Acyl-D-Glucosamineinheiten, mit einer Fettsäure am nichtreduzierenden Ende. Zur Synthese werden Enzyme benötigt, die von den nodABC-Genen codiert werden. Die substituierenden Gruppen wie auch Länge und Sättigungsgrad der Fettsäure variieren zwischen den Bakterien und sind wesentlich für deren Wirtsspezifität. Die Nod-Faktoren, die von spezifischen Rezeptorproteinen in den Epidermiszellen der Wurzelhaare erkannt werden, verursachen eine Krümmung der Wurzelhaar-

19.2 Symbiose von stickstofffixierenden Bakterien mit Pflanzen

pflanzliches Cytoplasma Succinat Malat Fumarat

organische Säure Zucker Photosynthese

Citratzyklus

Pyruvat Bakteroid

Elektronentransportkette O2 + LHb

ADP + Pi ATP

ADP + Pi

O2 –LHb LHb

Nitrogenase H 2O N2

Purine Pyrimidine Aminosäuren Aminozucker Glutamat

Glutaminsynthetase

Abb. 19.3 Metabolische Reaktionen und Stoffaustausch in einem Bakteroid. Die Bakteroide erhalten von der Pflanze organische Säuren als Energiequelle und liefern dafür zu Ammoniak reduzierten Stickstoff. Die Pflanze stellt weiterhin das sauerstoffbindende Protein Leghämoglobin (LHb) her, welches einerseits das Bakteroid mit O2 für die Atmung versorgt und andererseits die Nitrogenase vor freiem Sauerstoff schützt.

NH3 Aminosäuren

spitze (ähnlich einem Hirtenstab, engl. shepherd’s crook), die durch eine Reorganisation von Aktin- und Mikrotubulinfilamenten der Zellen zustande kommt (▶ Abb. 19.2a ②). Die so umwachsenen Bakterien vermehren sich, und mit steigender Nod-Faktor-Konzentration wird die Pflanzenzelle zur Bildung eines von der Plasmamembran abgeleiteten Infektionsschlauchs angeregt. Dieser ist durch Celluloseauflagerungen vom Cytoplasma der Pflanzenzelle abgegrenzt. Neben den Nod-Faktoren sind bakterielle Polysaccharide, aber auch pflanzliche Komponenten für die Entstehung des Infektionsschlauchs erforderlich. Im Infektionsschlauch wandern die Bakterien in bestimmte, aus neuerlicher Zellteilung hervorgegangene, Pflanzenzellen (tetraploide Rindenzellen), wo sie durch einen endocytoseähnlichen Prozess ins Cytoplasma entlassen werden. Nach einigen Zellteilungen differenzieren sich die Bakterien zu Bakteroiden, die sich in der Regel von frei lebenden Bakterien in Größe und Form unterscheiden (▶ Abb. 19.2a ③). Die Bakteroide werden sodann von einer Doppelmembran, der sogenannten Peribakteroidmembran aus Infektionsschlauch und Cytoplasmamembran, umgeben. Diese Gesamtstruktur wird auch als Symbiosom bezeichnet. Der gesamte Prozess endet nach ca. 3 Wochen mit einem vollentwickelten Knöllchen, das ein spezielles Pflanzenorgan darstellt und vollständig mit Bakteroiden gefüllt ist (▶ Abb. 19.2d). Erst jetzt sind die Bakteroide zur Stickstofffixierung befähigt. Das dafür erforderliche Enzym, die Nitrogenase (S. 299), katalysiert die Reduktion von N2 zu Ammoniak bzw. NH4+-Ionen, wobei als Nebenprodukt molekularer Wasserstoff entsteht. Zum Schutz des Enzyms vor Sauerstoff, den die Bakteroide zur Energiegewinnung über die aerobe Atmung benötigen, wird von den infizierten Pflanzenzellen Leghämoglobin synthetisiert. Dabei handelt es sich um ein

dem Hämoglobin des Blutes ähnliches Protein, das einerseits Sauerstoff bindet und der Atmungskette in dieser Form zur Verfügung stellt; die Endoxidase (S. 278) ist hoch affin für O2. Andererseits wird dadurch der O2-Partialdruck in der Umgebung der Nitrogenase unterhalb schädlicher Werte gehalten. Die Knöllchenbakterien erhalten von der Pflanze Nährstoffe in Form organischer Säuren, wie Malat oder Succinat, welche die Pflanze durch Photosynthese in den Blättern bildet und die in den Citratzyklus eingeschleust werden (▶ Abb. 19.3). Mithilfe von Elektronen aus dem Zwischenprodukt Pyruvat (Pyruvat:Ferredoxin-Oxidoreduktase) (S. 414) reduziert die Nitrogenase den molekularen Stickstoff unter Energieverbrauch zu Ammonium-Ionen. Die Ammonium-Ionen werden in das Cytoplasma der Pflanze exportiert, dort durch die Glutamin-Synthetase assimiliert und zu Glutamin umgesetzt. Der Stickstoff gelangt auf diese Weise in den pflanzlichen N-Stoffwechsel (S. 298).

19.2.2 Andere Formen Viele Vertreter der Angiospermen (bedecktsamige Pflanzen), darunter Arten der Gattung Alnus (Erle), sind in der Lage, mit Bakterien der Gattung Frankia stickstofffixierende Wurzelknöllchen auszubilden. Frankia gehört zu den grampositiven, mycelartig wachsenden Actinomyceten. Die Knöllchen bilden korallenförmige Strukturen, die als Aktinorhiza bezeichet werden (▶ Abb. 1.13c). Im Gegensatz zu den Wurzelknöllchen der Leguminosen handelt es sich bei den Aktinorhiza um modifizierte Seitenwurzeln. Nach der Infektion von Wurzelhärchen etablieren sich die Bakterien außerhalb der Plasmamembran als eine Art Vesikel mit verdickter Zellhülle aus Zellwandmaterial der Pflanze, wie Pectin (Polygalacturonsäuremethylester), Cellulose und Hemicellulose (S. 357). Dadurch

1

Mikroorganismen als Symbionten und Antagonisten wird wahrscheinlich die Sauerstoffkonzentration in der Umgebung zum Schutz der Nitrogenase erniedrigt. Unter Berücksichtigung der weltweiten Verbreitung der Wirtspflanzen (Erle, Sanddorn) muss das System der Aktinorhiza als ein wesentlicher Faktor für den Stickstoffgehalt des Bodens angesehen werden. Auch von einigen Gramineen sind Lebensgemeinschaften mit stickstofffixierenden Bakterien bekannt. So findet man in den Zellzwischenräumen von Wurzeln und Sprossen des Kallargrases Bakterien der Gattung Azoarcus (Betaproteobakterium). Aus Zuckerrohr konnte dagegen Acetobacter diazotrophus (Alphaproteobakterium) isoliert werden. Im Unterschied zur Symbiose von Leguminosen mit Rhizobium werden hier jedoch keine speziellen Strukturen wie Wurzelknöllchen gebildet. Man spricht deshalb von endophytischen Bakterien. Auch Cyanobakterien (S. 469) können mit zahlreichen Pflanzen stickstofffixierende Symbiosen eingehen (Plus 19.1).

19.3 Lebensgemeinschaften von Mikroorganismen mit Tieren Mikroorganismen bilden zahlreiche Lebensgemeinschaften mit Tieren, die für den Wirt häufig Vorteile bei der Verfügbarmachung von Nährstoffen bedeuten (Kap. 1.8, Kap. 12 und 18). Darüber hinaus sind weitere Symbiosen, insbesondere mit Wirbellosen, bekannt (▶ Tab. 19.1).

Plus 19.1

●V

Symbiosen mit stickstofffixierenden Cyanobakterien

Bei der Lebensgemeinschaft des Wasserfarns Azolla mit Anabaena azollae verbleiben die Bakterien außerhalb der Pflanzenzelle. Sie befinden sich in speziellen Blatthöhlen und entwickeln sich zu stickstofffixierenden Cyanobionten, womit, wie bei der frei lebenden Form, die Differenzierung zu Heterocysten (S. 172) einhergeht. Allerdings ist der Anteil an Heterocysten mit fast 50 % in den Cyanobionten deutlich erhöht. Eine Besonderheit dieser Symbiose scheint zu sein, dass andere Bakterien (Gattung Arthrobacter) assoziiert vorkommen. Durch die Nitrogenaseaktivität der Cyanobionten erklärt sich auch, warum viele Reisfelder mit Wasserfarnbewuchs keine zusätzliche Stickstoffdüngung benötigen. Weiterhin wurden stickstofffixierende Cyanobakterien der Gattung Nostoc in Thalli verschiedener Lebermoose, in Wurzelzellen einiger Cycadeenarten (Farnpalmen) und in Rhizomen von Gunnera (Seebeerengewächse) nachgewiesen (▶ Abb. 15.5).

642

▶ Leuchtorgane. Die Leuchtorgane mancher mariner Organismen wie Tintenfische und Fische stellen eine weitere hoch spezifische Lebensgemeinschaft mit Bakterien dar. Ein besonders gut untersuchtes Beispiel ist die Symbiose zwischen dem im Küstengewässer vor Hawaii vorkommenden Tintenfisch Euprymna scolopes und dem Bakterium Vibrio fischeri. Das Bakterium synthetisiert das Enzym Luciferase, welches eine spezielle Oxidationsreaktion mit Sauerstoff katalysiert, bei der ein Teil der frei werdenden Energie in Form von Licht abgegeben wird (Biolumineszenz) (S. 286). Der Tintenfisch akkumuliert spezifisch Zellen von V. fischeri zu einer Konzentration von 1010–1011 ml–1 in einem speziellen Leuchtorgan, das sich im Zentrum der Mantelhöhle befindet (▶ Abb. 19.4a). Unter den Bedingungen hoher Zelldichte (Quorum Sensing) (S. 521) wird die Lumineszenz durch Autoinduktion hervorgerufen (▶ Abb. 19.5). Es wird vermutet, dass die Lichtemission den nachtaktiven Tieren einen Schutz gegen Fressfeinde verleiht, da sie im herabscheinenden Mond- und Sternenlicht keinen Schatten werfen. Dies wird dadurch erreicht, dass das Licht eine dem Mondlicht ähnliche Wellenlänge besitzt und der Tintenfisch im Leuchtorgan selbst und in dessen Umgebung ungewöhnliche Proteine bildet (Reflektine), die das Licht nach unten leiten. Durch spezielle biochemische Aktivitäten im Leuchtorgan entsteht offenbar eine für V. fisheri selektive und vorteilhafte Mikroumgebung, worin der Nutzen dieser Gemeinschaft für die Bakterien begründet sein könnte. Die Besiedlung des Leuchtorgans durch V. fisheri ist ein hoch komplexer und bislang nur teilweise verstandener Vorgang. Jungtiere müssen die Bakterien dabei aus dem Meerwasser aufnehmen, wo deren Dichte durch regelmäßige Ausscheidung aus den Leuchtorganen erwachsener Tiere zu Tagesbeginn erhöht ist. Die Bakterien aggregieren zunächst in einem Schleim, der von cilienbesetzten Epithelzellen des Tintenfisches als Reaktion auf im umgebenden Meerwasser befindliches Peptidoglykan (S. 147) sekretiert wird. Anschließend wandern die Bakterien zu den Poren des Lichtorgans und besiedeln dort schließlich tiefe Krypten (Einsenkungen) (▶ Abb. 19.14b). Bei Fischen, insbesondere Tiefseefischen, sind Leuchtorgane meist mit dem Darm assoziiert. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass Leuchtbakterien in der Evolution aus Darmbakterien hervorgegangen sind. Man geht davon aus, dass den Tieren das Licht, das durch die Bakterien abgegeben wird, in der Dunkelheit der Tiefsee hilft, Nahrung aufzuspüren. Da die bakterielle Leuchtfähigkeit bei verminderter Qualität des Wachstumsmediums abnimmt, wird die Messung der Biolumineszenz in der Ökotoxikologie zum Aufspüren von Schadstoffen in Gewässern eingesetzt. Weiterhin können symbiontische Bakterien auch durch spezielle Aktivitäten ihres Sekundärstoffwechsels zur Überlebensfähigkeit ihres Wirtes beitragen (Plus 19.2).

Mikroorganismen als Symbionten und Antagonisten wird wahrscheinlich die Sauerstoffkonzentration in der Umgebung zum Schutz der Nitrogenase erniedrigt. Unter Berücksichtigung der weltweiten Verbreitung der Wirtspflanzen (Erle, Sanddorn) muss das System der Aktinorhiza als ein wesentlicher Faktor für den Stickstoffgehalt des Bodens angesehen werden. Auch von einigen Gramineen sind Lebensgemeinschaften mit stickstofffixierenden Bakterien bekannt. So findet man in den Zellzwischenräumen von Wurzeln und Sprossen des Kallargrases Bakterien der Gattung Azoarcus (Betaproteobakterium). Aus Zuckerrohr konnte dagegen Acetobacter diazotrophus (Alphaproteobakterium) isoliert werden. Im Unterschied zur Symbiose von Leguminosen mit Rhizobium werden hier jedoch keine speziellen Strukturen wie Wurzelknöllchen gebildet. Man spricht deshalb von endophytischen Bakterien. Auch Cyanobakterien (S. 469) können mit zahlreichen Pflanzen stickstofffixierende Symbiosen eingehen (Plus 19.1).

19.3 Lebensgemeinschaften von Mikroorganismen mit Tieren Mikroorganismen bilden zahlreiche Lebensgemeinschaften mit Tieren, die für den Wirt häufig Vorteile bei der Verfügbarmachung von Nährstoffen bedeuten (Kap. 1.8, Kap. 12 und 18). Darüber hinaus sind weitere Symbiosen, insbesondere mit Wirbellosen, bekannt (▶ Tab. 19.1).

Plus 19.1

●V

Symbiosen mit stickstofffixierenden Cyanobakterien

Bei der Lebensgemeinschaft des Wasserfarns Azolla mit Anabaena azollae verbleiben die Bakterien außerhalb der Pflanzenzelle. Sie befinden sich in speziellen Blatthöhlen und entwickeln sich zu stickstofffixierenden Cyanobionten, womit, wie bei der frei lebenden Form, die Differenzierung zu Heterocysten (S. 172) einhergeht. Allerdings ist der Anteil an Heterocysten mit fast 50 % in den Cyanobionten deutlich erhöht. Eine Besonderheit dieser Symbiose scheint zu sein, dass andere Bakterien (Gattung Arthrobacter) assoziiert vorkommen. Durch die Nitrogenaseaktivität der Cyanobionten erklärt sich auch, warum viele Reisfelder mit Wasserfarnbewuchs keine zusätzliche Stickstoffdüngung benötigen. Weiterhin wurden stickstofffixierende Cyanobakterien der Gattung Nostoc in Thalli verschiedener Lebermoose, in Wurzelzellen einiger Cycadeenarten (Farnpalmen) und in Rhizomen von Gunnera (Seebeerengewächse) nachgewiesen (▶ Abb. 15.5).

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▶ Leuchtorgane. Die Leuchtorgane mancher mariner Organismen wie Tintenfische und Fische stellen eine weitere hoch spezifische Lebensgemeinschaft mit Bakterien dar. Ein besonders gut untersuchtes Beispiel ist die Symbiose zwischen dem im Küstengewässer vor Hawaii vorkommenden Tintenfisch Euprymna scolopes und dem Bakterium Vibrio fischeri. Das Bakterium synthetisiert das Enzym Luciferase, welches eine spezielle Oxidationsreaktion mit Sauerstoff katalysiert, bei der ein Teil der frei werdenden Energie in Form von Licht abgegeben wird (Biolumineszenz) (S. 286). Der Tintenfisch akkumuliert spezifisch Zellen von V. fischeri zu einer Konzentration von 1010–1011 ml–1 in einem speziellen Leuchtorgan, das sich im Zentrum der Mantelhöhle befindet (▶ Abb. 19.4a). Unter den Bedingungen hoher Zelldichte (Quorum Sensing) (S. 521) wird die Lumineszenz durch Autoinduktion hervorgerufen (▶ Abb. 19.5). Es wird vermutet, dass die Lichtemission den nachtaktiven Tieren einen Schutz gegen Fressfeinde verleiht, da sie im herabscheinenden Mond- und Sternenlicht keinen Schatten werfen. Dies wird dadurch erreicht, dass das Licht eine dem Mondlicht ähnliche Wellenlänge besitzt und der Tintenfisch im Leuchtorgan selbst und in dessen Umgebung ungewöhnliche Proteine bildet (Reflektine), die das Licht nach unten leiten. Durch spezielle biochemische Aktivitäten im Leuchtorgan entsteht offenbar eine für V. fisheri selektive und vorteilhafte Mikroumgebung, worin der Nutzen dieser Gemeinschaft für die Bakterien begründet sein könnte. Die Besiedlung des Leuchtorgans durch V. fisheri ist ein hoch komplexer und bislang nur teilweise verstandener Vorgang. Jungtiere müssen die Bakterien dabei aus dem Meerwasser aufnehmen, wo deren Dichte durch regelmäßige Ausscheidung aus den Leuchtorganen erwachsener Tiere zu Tagesbeginn erhöht ist. Die Bakterien aggregieren zunächst in einem Schleim, der von cilienbesetzten Epithelzellen des Tintenfisches als Reaktion auf im umgebenden Meerwasser befindliches Peptidoglykan (S. 147) sekretiert wird. Anschließend wandern die Bakterien zu den Poren des Lichtorgans und besiedeln dort schließlich tiefe Krypten (Einsenkungen) (▶ Abb. 19.14b). Bei Fischen, insbesondere Tiefseefischen, sind Leuchtorgane meist mit dem Darm assoziiert. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass Leuchtbakterien in der Evolution aus Darmbakterien hervorgegangen sind. Man geht davon aus, dass den Tieren das Licht, das durch die Bakterien abgegeben wird, in der Dunkelheit der Tiefsee hilft, Nahrung aufzuspüren. Da die bakterielle Leuchtfähigkeit bei verminderter Qualität des Wachstumsmediums abnimmt, wird die Messung der Biolumineszenz in der Ökotoxikologie zum Aufspüren von Schadstoffen in Gewässern eingesetzt. Weiterhin können symbiontische Bakterien auch durch spezielle Aktivitäten ihres Sekundärstoffwechsels zur Überlebensfähigkeit ihres Wirtes beitragen (Plus 19.2).

19.4 Körperflora des Menschen

a

b

cilienbesetzter Bereich

Symbionten im Leuchtorgan

Poren Krypte

Vorkammer Aggregation der Symbionten

Tintenbeutel 50 μm

Lichtorgan 4–6 h nach Beginn der Besiedlung

Lichtorgan 12–14 h nach Beginn der Besiedlung

Abb. 19.4 Die Lebensgemeinschaft zwischen dem Tintenfisch Euprymna scolopes und dem Bakterium Vibrio fischeri. a Leuchtorgan von E. scolopes (an der Unterseite geöffnet). (Aufnahme Margaret McFall-Ngai, University of Wisconsin-Madison) b Besiedlung des Leuchtorgans von E. scolopes mit Vibrio fischeri. Das Leuchtorgan befindet sich an der vorderen Seite des Tintenbeutels innerhalb der Mantelhöhle. Kurze Zeit nach dem Ausschlüpfen der Jungtiere scheiden die cilienbesetzten Zellen Schleim aus, in dem die Bakterien über mehrere Stunden Aggregate bilden (links). Anschließend wandern die Bakterien zur Vorkammer und in die tiefen Krypten, wo sie sich innerhalb von 12–14 Stunden vermehren (rechts). Gezeigt ist nur eine von drei tiefen Krypten.

19.4 Körperflora des Menschen Licht

LuxR-Autoinduktorkomplex

LuxA-B

P P luxI luxC D A

luxR

B

E

Chromosom Autoinduktorsynthase

O O

Sämtliche Körperoberflächen des Menschen (Haut, Mundhöhle, Verdauungstrakt, Atemwege, Urogenitalbereich) sind unterschiedlich intensiv von speziellen Bakterien (vereinzelt auch von Archaea, Pilzen und Protozoen) besiedelt, die hier ihre ökologische Nische gefunden haben. Es wird geschätzt, dass pro Körperzelle des Menschen ca. 10 Mikroorganismen existieren, was einer Gesamtzahl von 1014 entspricht. Die bei weitem überwiegende Mehrzahl davon befindet sich im Verdauungstrakt. Man kann davon ausgehen, dass die körpereigenen Mikroorganismen zumindest teilweise einen Schutzmechanismus gegen die Besiedlung durch pathogene Bakterien bilden (▶ Abb. 19.6).

19.4.1 Haut

H N O

O

Autoinduktor Acylhomoserinlacton

Abb. 19.5 Mechanismus der Aktivierung der Lichterzeugung bei Vibrio fischeri im Leuchtorgan. Durch eine Synthase, codiert von luxI, wird ein Autoinduktor (Acylhomoserinlacton) gebildet, der in das Medium diffundiert. Erst bei hoher Zelldichte akkumuliert er in der Zelle und bindet an den Rezeptor LuxR. Der entstandene Komplex aktiviert die Expression des luxICDABE-Operons, was zur Bildung der Luciferase (LuxA-B) und schließlich zur Biolumineszenz führt. Die Gene luxCDE codieren einen Enzymkomplex, der das Substrat der Luciferase, einen langkettigen Aldehyd, synthetisiert.

Weite Bereiche der Haut sind aufgrund des geringen Wassergehalts von mikrobiellem Leben ausgespart. Dort jedoch, wo der Feuchtigkeitsgehalt ausreicht, wie zwischen den Fingern und Zehen, unter den Achselhöhlen oder im Genitalbereich, treten gehäuft Bakterien auf. Sie sind meist direkt mit den Schweißdrüsen assoziiert. So ist der mit dem Achselschweiß verbundene Geruch auf die Aktivität von Bakterien in diesem Bereich zurückzuführen. Einen ebenfalls vorteilhaften Lebensraum für Mikroorganismen stellen die Fettdrüsen dar, die mit den

3

19.4 Körperflora des Menschen

a

b

cilienbesetzter Bereich

Symbionten im Leuchtorgan

Poren Krypte

Vorkammer Aggregation der Symbionten

Tintenbeutel 50 μm

Lichtorgan 4–6 h nach Beginn der Besiedlung

Lichtorgan 12–14 h nach Beginn der Besiedlung

Abb. 19.4 Die Lebensgemeinschaft zwischen dem Tintenfisch Euprymna scolopes und dem Bakterium Vibrio fischeri. a Leuchtorgan von E. scolopes (an der Unterseite geöffnet). (Aufnahme Margaret McFall-Ngai, University of Wisconsin-Madison) b Besiedlung des Leuchtorgans von E. scolopes mit Vibrio fischeri. Das Leuchtorgan befindet sich an der vorderen Seite des Tintenbeutels innerhalb der Mantelhöhle. Kurze Zeit nach dem Ausschlüpfen der Jungtiere scheiden die cilienbesetzten Zellen Schleim aus, in dem die Bakterien über mehrere Stunden Aggregate bilden (links). Anschließend wandern die Bakterien zur Vorkammer und in die tiefen Krypten, wo sie sich innerhalb von 12–14 Stunden vermehren (rechts). Gezeigt ist nur eine von drei tiefen Krypten.

19.4 Körperflora des Menschen Licht

LuxR-Autoinduktorkomplex

LuxA-B

P P luxI luxC D A

luxR

B

E

Chromosom Autoinduktorsynthase

O O

Sämtliche Körperoberflächen des Menschen (Haut, Mundhöhle, Verdauungstrakt, Atemwege, Urogenitalbereich) sind unterschiedlich intensiv von speziellen Bakterien (vereinzelt auch von Archaea, Pilzen und Protozoen) besiedelt, die hier ihre ökologische Nische gefunden haben. Es wird geschätzt, dass pro Körperzelle des Menschen ca. 10 Mikroorganismen existieren, was einer Gesamtzahl von 1014 entspricht. Die bei weitem überwiegende Mehrzahl davon befindet sich im Verdauungstrakt. Man kann davon ausgehen, dass die körpereigenen Mikroorganismen zumindest teilweise einen Schutzmechanismus gegen die Besiedlung durch pathogene Bakterien bilden (▶ Abb. 19.6).

19.4.1 Haut

H N O

O

Autoinduktor Acylhomoserinlacton

Abb. 19.5 Mechanismus der Aktivierung der Lichterzeugung bei Vibrio fischeri im Leuchtorgan. Durch eine Synthase, codiert von luxI, wird ein Autoinduktor (Acylhomoserinlacton) gebildet, der in das Medium diffundiert. Erst bei hoher Zelldichte akkumuliert er in der Zelle und bindet an den Rezeptor LuxR. Der entstandene Komplex aktiviert die Expression des luxICDABE-Operons, was zur Bildung der Luciferase (LuxA-B) und schließlich zur Biolumineszenz führt. Die Gene luxCDE codieren einen Enzymkomplex, der das Substrat der Luciferase, einen langkettigen Aldehyd, synthetisiert.

Weite Bereiche der Haut sind aufgrund des geringen Wassergehalts von mikrobiellem Leben ausgespart. Dort jedoch, wo der Feuchtigkeitsgehalt ausreicht, wie zwischen den Fingern und Zehen, unter den Achselhöhlen oder im Genitalbereich, treten gehäuft Bakterien auf. Sie sind meist direkt mit den Schweißdrüsen assoziiert. So ist der mit dem Achselschweiß verbundene Geruch auf die Aktivität von Bakterien in diesem Bereich zurückzuführen. Einen ebenfalls vorteilhaften Lebensraum für Mikroorganismen stellen die Fettdrüsen dar, die mit den

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Mikroorganismen als Symbionten und Antagonisten

●V

Plus 19.2 Spezielle Lebensgemeinschaften von Bakterien mit Tieren Der Nematode (Fadenwurm) Steinernema carpocapsae, der als Parasit von Insekten lebt, wird in seinem Darm durch das Bakterium Xenorhabdus nematophila besiedelt. Infiziert der Nematode in einem juvenilen Stadium ein Insekt, entlässt er die Bakterien in dessen Blutkreislauf. Von den Bakterien freigesetzte toxische Stoffe führen zum Tod des Wirtes, wodurch die Vermehrung des Fadenwurms ermöglicht wird. Dabei setzen die Bakterien bestimmte Antibiotika frei, um vorzeitigen Abbau des toten Insektengewebes durch andere Bakterien zu verhindern. Antibiotika spielen auch bei der Symbiose von Insekten mit Bakterien eine Rolle. Die Bakterien schützen das Insekt durch Sekretion bestimmter Antibiotika gegen Angriffe pathogener Bakterien. Buchnera aphidicola, ein mit E. coli nahe verwandtes Bakterium, lebt als Endosymbiont in speziellen Organen (Bakteriomen) bestimmter Blattläuse (Aphis) und versorgt diesemit lebensnotwendigen Aminosäuren. Die Insekten können ohne die Bakterien weder ihren Entwicklungszyklus durchlaufen noch sich vermehren.

Mund

Rachen

106 –109 pro ml Streptokokken Lactobazillen Fusobakterien Veillonellen Corynebakterien Neisserien Aktinomyzeten usw.

Streptokokken Staphylokokken Corynebakterien Neisserien usw. Haut 1–2 m2 Staphylokokken Corynebakterien Acinetobacter Hefen Propionibakterien usw.

Verdauungstrakt 1 Magen: 10 – 1000 pro ml Lactobazillen Streptokokken Hefen Eubacterium Peptokokken Peptostreptokokken Ruminokokken Clostridien Escherichia Klebsiellen Proteus Enterokokken 2 Duodenum: 10 – 1000 pro ml Lactobazillen Streptokokken 3 Jejunum 103 –105 pro ml Lactobazillen Streptokokken Coliforme Bifidobakterien

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Wolbachia pipientis, ein zur alpha-Untergruppe der Proteobakterien gehörendes Bakterium, das systematisch den Rickettsien nahesteht, ist ein obligat intrazellulärer Symbiont von Arthropoden, aber auch von Fadenwürmern. Man schätzt, dass mehr als 20 % aller Insektenarten infiziert werden können. Die Bakterien kommen hauptsächlich in den Ovarien und Testikeln der Wirtstiere vor und können die Reproduktion der Wirte zu ihren Gunsten beeinflussen. Auf diese Weise wird Parthenogenese induziert, genetische Männchen verweiblichen oder werden abgetötet. Da die Bakterien nur über die Weibchen übertragen werden, kann dies als Vorteil gesehen werden. Ein Vorteil für die Wirtstiere ist nicht offensichtlich. Es sind jedoch auch Beispiele für eine pathogene Wirkung von Wolbachien auf ihren Wirt bekannt. Es könnte sich somit um einen Übergang zwischen Symbiose und Parasitismus handeln. Auch Krankheitserreger des Menschen (S. 659), wie Borrelia burgdorferi (Borreliose) und Yersina pestis (Beulenpest) sind obligate Bewohner von Insekten, jedoch ohne mutualistische Beziehung zu ihren Wirten.

Darmtrakt/ Urogeniataltrakt

4 Ileum: 104 –108 pro ml Lactobazillen Streptokokken Coliforme Bifidobakterien Bacteroides Fusobakterien usw.

6 Vagina: Lactobazillen

5 Colon: 1010 – 1012 pro ml Bacterioides Bifidobakterien Streptokokken Eubakterien Fusobakterien Coliforme Veillonellen Escherichia Klebsiellen Proteus Neisserien Staphylokokken Pseudomonas Hefen Protozoen usw.

Abb. 19.6 Körperflora des gesunden Menschen.

19.4 Körperflora des Menschen Haarfollikeln verbunden sind. Die Sekrete der Hautdrüsen sind reich an mikrobiellen Nährstoffen wie Harnstoff, Aminosäuren, Milchsäure und Salzen. Häufig anzutreffen sind aerobe und anaerobe, meist grampositive Bakterien, die nur wenigen Gruppen angehören. Dazu gehören vorwiegend Bakterien der Gattung Staphylococcus, aber auch Corynebacterium, Micrococcus, und Propionibacterium, sowie einige gramnegative Vertreter wie Acinetobacter und Alcaligenes. Propionibacterium acnes ist normalerweise ein harmloser Bewohner, kann jedoch die als Akne bekannte Störung in der Funktion von Schweißdrüsen verursachen.

19.4.2 Mundhöhle Hier stellen insbesondere die Zähne und die Zunge Besiedlungsflächen für Mikroorganismen dar, die auf Nahrungsreste und Bestandteile des Speichels als Nährstoffe zugreifen können. Trotz der im Speichel vorhandenen antimikrobiellen Enzyme wie Lysozym und Lactoperoxidase bildet sich dabei eine stabile Mikroflora. Bestandteile des Speichels (Glykoproteine) lagern sich auch auf den Zahnoberflächen ab, wodurch ein dünner Film entsteht, der Bakterien der Gattung Streptococcus als Oberfläche zur Besiedlung dient. Die Ausbildung von Zahnbelag (Plaque) ist auf starke Vermehrung dieser Bakterien zurückzuführen, die auch eine Sekundärbesiedlung mit anaeroben filamentösen Bakterien (Fusobacterium) und Spirochaeten (Borrelia) zur Folge haben kann (▶ Abb. 19.7) (Biofilmbildung) (S. 610). In 1 g Zahnbelag befinden sich ca. 1011 Bakterien, die zwischen 200– 500 verschiedenen Arten angehören. Die Bildung von Polyfructose, bei der Saccharose in Fructose und Glucose gespalten und der Fructoserest zu einem Polyfructan (Laevan) verknüpft wird, fördert die Entstehung von Plaques. Der fermentative Abbau von Glucose, insbesondere durch Streptokokken (S. mutans, S. sobrinus), führt aufgrund der Säureproduktion zur Entstehung von Karies. Die bei der Zuckervergärung produzierte Milchsäure löst Calcium aus dem Zahnschmelz, der dadurch zerstört wird.

Zahnbein Glucanproteinfilm

19.4.3 Verdauungstrakt Insbesondere der Dickdarm ist ein bevorzugter Ort für das Wachstum von Mikroorganismen, da hier, im Vergleich zu Magen aber auch Dünndarm, ein nahezu neutraler pH-Wert vorherrscht. Einige der dort vertretenen Bakterien erreichen Zelldichten von 1010–1011 pro Gramm Kot (▶ Tab. 19.3). Ihre Gesamtmenge wird bei Erwachsenen auf 1–2 kg geschätzt und sie haben einen Anteil von 40–50 % an der Kottrockenmasse. Genomanalysen der Mikroflora (auch Mikrobiota genannt) aus Kotproben von Menschen unterschiedlicher geografischer Herkunft, Ernährungsgewohnheiten und Alter ergaben, dass neben einer bei allen vorhandenen Grundausstattung, jedes Individuum über einen speziellen und hoch variablen Anteil an Mikroorganismen im Darm verfügt. Die Gesamtheit der Gene dieser Organismen wird auch als Mikrobiom

Tab. 19.3 Die Bakterienflora im Stuhl eines gesunden Erwachsenen. Gattung

log10 der Bakterien pro g Stuhl

nichtsporenbildende Anaerobier Bacteroides/Prevotella spp.

10–11

Bifidobacterium spp.

10–11

Eubacterium spp.

9–11

Propionibacterium spp.

9–11

Veillonella spp.

5–8

sporenbildende Anaerobier Clostridium spp.

5—9

sporenbildende Aerobier Bacillus spp.

4–6

Mikroaerophile Lactobacillus spp.

7–9

Streptococcus spp.

7–9

Enterococci

5–7

fakultative Organismen Coliforme

7–9

andere Enterobacteria

7–9

S. mutans S. mitis S. gordoni

Prevotella intermedia

Fusobacterium Actinomyces Capnocytophaga

Actinobacillus actinomycetemcomitans

S. oralis S. sobrinus S. sanguis

P. gingivalis

Abb. 19.7 Bakterienflora einer infizierten Zahntasche. Rechts sind die über Adhäsine verbundenen typischen Bakterienarten dargestellt, die in der Zahntasche Biofilme und Mikrokolonien bilden. Der Glucanproteinfilm besteht aus mikrobiellen und wirtseigenen Komponenten. S, Streptococcus; P, Porphyromonas.

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Mikroorganismen als Symbionten und Antagonisten bezeichnet. Die mehr als 1000 vorkommenden Arten gehören überwiegend zu den Phyla Firmicutes, Bacteroidetes, Actinobacteria, Proteobacteria und Verrucomicrobia sowie den Euryarchaeota, wobei die Vertreter der Firmicutes und Bacteroidetes etwa 90 % aller Arten ausmachen. Es handelt sich hauptsächlich um obligate Anaerobier, während fakultativ anaerobe Bakterien wie Escherichia coli nur in geringeren Zahlen auftreten (107–109 pro g Kot). Diese sind für den vollständigen Verbrauch des noch vorhandenen Sauerstoffs verantwortlich, sodass ein strikt anaerobes Milieu entsteht. Im Darm lebende Mikroorganismen werden mit dem Kot ständig aus dem Darm entfernt, wobei ein Erwachsener pro Jahr etwa sein Körpergewicht an Bakterien ausscheidet. Der Dickdarm kann deshalb als Chemostat betrachtet werden. Die Verdopplungszeiten der Organismen im Dickdarm liegen im Bereich von 12–24 Stunden. Als Nährstoffe dienen vom Wirt nicht verwertete, stärkeartige Polysaccharide der Nahrung, komplexe Polysaccharide (Ballaststoffe, wie Pectin und Hemicellulosen aus Früchten und Gemüse, aber auch Cellulose) sowie Disaccharide (Lactose, Stachyose) und Zuckeralkohole (z. B. das als Süßstoff verwendete Sorbitol), die das menschliche Verdauungssystem nicht verwerten kann. Für die Nutzung der Polysaccharide sind in erster Linie solche Bakterien verantwortlich, die hydrolytische Exoenzyme wie Amylasen, Pectinasen, Xylanasen und Cellulasen zu deren Depolymerisierung ausscheiden. Produkte der Gärungsprozesse sind kurzkettige Fettsäuren wie Essigsäure, Propionsäure und Buttersäure sowie Gase (CO2, CH4, H2). Ein beachtlicher Teil der organischen Säuren wird resorbiert und dient so der Nahrungsergänzung. Bei Bewohnern von In-

Plus 19.3 Pro- und Präbiotika Probiotika sind nach einer Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) „lebende Bakterien aus dem Verdauungstrakt, die in angemessenen Mengen die Gesundheit des Wirtes fördern“. Dazu zählen Lactobacilli, darunter L. rhamnosus, Bifidobakterien, der E.-coli-Stamm Nissle 1917 und Hefen. Sie finden Anwendung bei Verdauungsstörungen wie Lactoseintoleranz, entzündlichen Darmerkrankungen, der Unterstützung der Regenerierung der Darmflora nach einer Antibiotikabehandlung, der Prophylaxe gegen antibiotikaassoziierte, durch das Bakterium Clostridium difficile verursachte Durchfallerkrankungen, der Abwehr pathogener Bakterien z. B. bei Harnwegs- und Vaginaentzündungen von Frauen, aber auch in der Nutztierernährung. Allerdings ist ihre generelle Wirksamkeit weiterhin umstritten, wenn auch die Modulation des Immunsystems durch Zellwandkomponenten und Proteine, die an Rezeptoren der Darmepithelzellen binden, für einige Bakterien belegt ist. Neueste Studien zeigen, dass probiotische Bakterien, die z. B. in einem Joghurt enthalten sind, die Zusam-

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dustriestaaten kann dies bis zu 15 % des täglichen Energieeintrags ausmachen. Buttersäure wird darüber hinaus eine hemmende Wirkung auf die Entstehung von Darmkrebs zugeschrieben. Außer Buttersäure entstehen im Dickdarm aufgrund mikrobieller Aktivität noch weitere Geruchsstoffe, so z. B. H2S, Amine und Skatole. Auch die Versorgung mit Vitamin K, einem fettlöslichen Vitamin, das für die Blutgerinnung beim Menschen wichtig ist, geht hauptsächlich auf dessen Synthese durch E.coli-Bakterien im Dickdarm und Absorption in die intestinale Lymphe zurück. Entgegen früherer Annahmen spielt die bakterielle Synthese von Vitamin B12 bei der Versorgung des Menschen mit diesem Vitamin keine Rolle. Die Mikroflora des Darms bietet aufgrund ihrer vielfältigen Anpassung an den Standort auch einen wirksamen Schutz gegen die Besiedlung durch pathogene Bakterien. Auf die Bedeutung der bakteriellen Mikroflora für die Darmentwicklung und die „Schulung“ des Immunsystems (Ausbildung der körpereigenen Abwehr) sind wir in Plus 1.11 (S. 46) eingegangen. Das Mikrobiom des menschlichen Verdauungstraktes ist zwar komplex aber stabil. Zahl und Zusammensetzung der Bakterien ändert sich jedoch mit dem Gesundheitszustand des Individuums, z. B. bei Fettleibigkeit (Adipositas) oder bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen wie Morbus Crohn und Reizdarmsyndrom (engl. irritable bowel syndrom). Auch durch die orale Einnahme von Antibiotika im Fall einer bakteriellen Infektion wird das Mikrobiom beeinflusst. Weiterhin wird vermutet, dass Nahrungszusätze wie Pro- und Präbiotika einen stabilisierenden Effekt auf die Darmflora ausüben (Plus 19.3).

●V

mensetzung der Darmflora nicht nachweisbar beeinflussen, jedoch wurden Veränderungen in der Genexpression und im Kohlenstoffmetabolismus der Mikrobiota beobachtet. Bei Präbiotika (auch Prebiotika) handelt es sich um für den Menschen unverdauliche pflanzliche Kohlenhydrate, die speziell Bifidobakterien aber auch Lactobacilli in ihrem Wachstum fördern und somit der Gesundheit dienlich sein sollen. Dazu zählen u. a. Stachyose (Tetrasaccharid aus Saccharose und zwei Galactosemolekülen), Raffinose (Trisaccharid aus Saccharose und Galactose) und Fructane (Fructosepolymere mit einem endständigen Glucoserest) vom Inulintyp. Obwohl wissenschaftliche Untersuchungen Änderungen in der Aktivität des Immunsystems durch Präbiotika zeigen, bleibt zu klären, ob damit auch eine Veränderung in der Zusammensetzung der Darmflora verbunden ist. Belegt ist jedoch, dass Muttermilch, die eine komplexe Mischung aus präbiotischen Oligosacchariden enthält, einen positiven Einfluss auf die Besiedlung des Darms von Säuglingen mit Bifidobakterien hat.

19.5 Mikroorganismen als Auslöser von Krankheiten

19.4.4 Atemwege In den Atemwegen befinden sich Bakterien, zu denen Vertreter der Gattungen Staphylococcus und Streptococcus gehören, fast ausschließlich im Bereich der Schleimhäute der oberen Atemwege (Nasenhöhle, Rachen). Die unteren Atemwege (Luftröhre und Lunge) sind dagegen, hauptsächlich aufgrund der aufwärts gerichteten Bewegung der Flimmerhaare, im Wesentlichen steril.

19.4.5 Urogenitalbereich Während die Harnblase steril ist, befinden sich in der Harnröhre fakultativ anaerobe Bakterien wie Escherichia coli und Proteus mirabilis. Diese können sich bei Störungen des Immunsystems oder Veränderungen des pHWertes zu pathogenen Bakterien entwickeln und Harnwegsinfektionen hervorrufen. Diese sind die häufigsten bakteriellen Infektionskrankheiten überhaupt. Die Vagina erwachsener Frauen stellt aufgrund der Aktivitäten von Milchsäurebakterien (Lactobacillus acidophilus) ein leicht saures Milieu dar (pH-Wert ca. 4,5), da diese Bakterien das von der Vagina produzierte Glykogen zu Lactat umsetzen, wodurch der niedrige pH-Wert entsteht. Dieses Milieu bietet Schutz gegen Besiedlung durch pathogene Bakterien. Vor der Pubertät und nach der Menopause ist der pH-Wert dagegen alkalisch, da L. acidophilus aufgrund fehlender Glykogenproduktion nicht vorkommt.

Direkte Übertragung Streptococcus pyogenes (Scharlach) Mycobacterium tuberculosis (Tuberkulose) Streptococcus pneumoniae (Lungenentzündung)

Zu den Mikroorganismen, die sich Säuger, also auch den Menschen, als ökologische Nische zur Besiedlung ausgewählt haben und dabei Krankheiten verursachen, zählen neben Vertretern der Bakterien (ca. 538 Arten), Pilze (ca. 317 Arten) und Protozoen (ca. 57 Arten) auch suborganismische Strukturen wie Viren und Prionen (ca. 208 Arten). Auch ein pathogener Vertreter der Archaea wurde kürzlich gefunden. An Infektionskrankheiten sterben jährlich weltweit etwa 16 Mio. Menschen, wobei die Sterblichkeitsrate in den Entwicklungsländern besonders hoch ist (▶ Abb. 1.15). Die Erreger können durch direkten Kontakt von Mensch zu Mensch übertragen werden oder indirekt über Lebensmittel, Trinkwasser oder biologische Vektoren (▶ Abb. 19.8). Weiterhin sind ca. 100 Bakterienarten und zahlreiche Pilze (S. 72) bekannt, die Krankheiten bei Pflanzen, darunter viele Nutzpflanzen, auslösen und damit immense landwirtschaftliche Schäden verursachen.

19.5.1 Wirkmechanismen tier- und humanpathogener Bakterien Bei den Krankheitserregern sind sowohl Gattungen bekannt, die ausschließlich pathogene Arten (von pathos, griech. leiden, krankheitserregend) enthalten (z. B. Shigella, Yersinia) als auch solche, bei denen nur einige Arten pathogen sind (z. B. Streptococcus: S. pneumoniae, S. pyogenes; Bacillus: B. anthracis; Corynebacterium: C. diphtheriae; Clostridium: C. perfringens, C. tetani). Von besonderer Bedeutung ist Escherichia coli, da hier in einer Art so-

Indirekte Übertragung biologische Vektoren

Oral-Oral (Tröpfcheninfektion)

-Luft -Erde Fäkal-Oral (Schmierinfektion)

Vibrio cholerae (Cholera) Legionella pneumophila (Legionärskrankheit)

-Wasser Lebensmittel

sexuelle Übertragung

Yersinia pestis (Pest) Borrelia burgdorferi (Lyme-Borreliose)

Nager Arthropoden Umwelt

Salmonella enterica ser.Typhi (Typhus) Bacillus anthracis (Milzbrand)

Treponema pallidum (Syphilis) HI-Virus (AIDS)

19.5 Mikroorganismen als Auslöser von Krankheiten

Salmonella enterica ser. Typhimurium (Salmonellose) Staphylococcus aureus (Lebensmittelintoxikation)

Abb. 19.8 Übertragungswege pathogener Mikroorganismen.

7

19.5 Mikroorganismen als Auslöser von Krankheiten

19.4.4 Atemwege In den Atemwegen befinden sich Bakterien, zu denen Vertreter der Gattungen Staphylococcus und Streptococcus gehören, fast ausschließlich im Bereich der Schleimhäute der oberen Atemwege (Nasenhöhle, Rachen). Die unteren Atemwege (Luftröhre und Lunge) sind dagegen, hauptsächlich aufgrund der aufwärts gerichteten Bewegung der Flimmerhaare, im Wesentlichen steril.

19.4.5 Urogenitalbereich Während die Harnblase steril ist, befinden sich in der Harnröhre fakultativ anaerobe Bakterien wie Escherichia coli und Proteus mirabilis. Diese können sich bei Störungen des Immunsystems oder Veränderungen des pHWertes zu pathogenen Bakterien entwickeln und Harnwegsinfektionen hervorrufen. Diese sind die häufigsten bakteriellen Infektionskrankheiten überhaupt. Die Vagina erwachsener Frauen stellt aufgrund der Aktivitäten von Milchsäurebakterien (Lactobacillus acidophilus) ein leicht saures Milieu dar (pH-Wert ca. 4,5), da diese Bakterien das von der Vagina produzierte Glykogen zu Lactat umsetzen, wodurch der niedrige pH-Wert entsteht. Dieses Milieu bietet Schutz gegen Besiedlung durch pathogene Bakterien. Vor der Pubertät und nach der Menopause ist der pH-Wert dagegen alkalisch, da L. acidophilus aufgrund fehlender Glykogenproduktion nicht vorkommt.

Direkte Übertragung Streptococcus pyogenes (Scharlach) Mycobacterium tuberculosis (Tuberkulose) Streptococcus pneumoniae (Lungenentzündung)

Zu den Mikroorganismen, die sich Säuger, also auch den Menschen, als ökologische Nische zur Besiedlung ausgewählt haben und dabei Krankheiten verursachen, zählen neben Vertretern der Bakterien (ca. 538 Arten), Pilze (ca. 317 Arten) und Protozoen (ca. 57 Arten) auch suborganismische Strukturen wie Viren und Prionen (ca. 208 Arten). Auch ein pathogener Vertreter der Archaea wurde kürzlich gefunden. An Infektionskrankheiten sterben jährlich weltweit etwa 16 Mio. Menschen, wobei die Sterblichkeitsrate in den Entwicklungsländern besonders hoch ist (▶ Abb. 1.15). Die Erreger können durch direkten Kontakt von Mensch zu Mensch übertragen werden oder indirekt über Lebensmittel, Trinkwasser oder biologische Vektoren (▶ Abb. 19.8). Weiterhin sind ca. 100 Bakterienarten und zahlreiche Pilze (S. 72) bekannt, die Krankheiten bei Pflanzen, darunter viele Nutzpflanzen, auslösen und damit immense landwirtschaftliche Schäden verursachen.

19.5.1 Wirkmechanismen tier- und humanpathogener Bakterien Bei den Krankheitserregern sind sowohl Gattungen bekannt, die ausschließlich pathogene Arten (von pathos, griech. leiden, krankheitserregend) enthalten (z. B. Shigella, Yersinia) als auch solche, bei denen nur einige Arten pathogen sind (z. B. Streptococcus: S. pneumoniae, S. pyogenes; Bacillus: B. anthracis; Corynebacterium: C. diphtheriae; Clostridium: C. perfringens, C. tetani). Von besonderer Bedeutung ist Escherichia coli, da hier in einer Art so-

Indirekte Übertragung biologische Vektoren

Oral-Oral (Tröpfcheninfektion)

-Luft -Erde Fäkal-Oral (Schmierinfektion)

Vibrio cholerae (Cholera) Legionella pneumophila (Legionärskrankheit)

-Wasser Lebensmittel

sexuelle Übertragung

Yersinia pestis (Pest) Borrelia burgdorferi (Lyme-Borreliose)

Nager Arthropoden Umwelt

Salmonella enterica ser.Typhi (Typhus) Bacillus anthracis (Milzbrand)

Treponema pallidum (Syphilis) HI-Virus (AIDS)

19.5 Mikroorganismen als Auslöser von Krankheiten

Salmonella enterica ser. Typhimurium (Salmonellose) Staphylococcus aureus (Lebensmittelintoxikation)

Abb. 19.8 Übertragungswege pathogener Mikroorganismen.

7

Mikroorganismen als Symbionten und Antagonisten wohl harmlose (z. B. der Laborstamm E. coli K-12) als auch pathogene (z. B. E. coli O157:H7) Stämme existieren. Man unterscheidet obligat pathogene Organismen, die bei Wirtskontakt immer krankheitserregend sind (z. B. Mycobacterium tuberculosis, Salmonella enterica serovar Typhi, Bacillus anthracis) und fakultativ oder opportunistisch pathogene Organismen, die nur bei immungeschwächten Personen (z. B. in Krankenhäusern) Krankheiten auslösen (z. B. Staphylococcus aureus, Pseudomonas aeruginosa). Weiterhin gibt es pathogene Bakterien wie Mycobacterium leprae, die eine obligat intrazelluläre Lebensweise haben, d. h. nur innerhalb von Wirtszellen überleben können. Die Fähigkeit Krankheiten auszulösen beruht auf der Ausbildung von Zellfaktoren, die zur Besiedlung und Schädigung des Wirtes beitragen. Die Gesamtheit der Faktoren bestimmt das Ausmaß der krankheitserregenden Eigenschaften des Organismus (Virulenz). Virulenzfaktoren sind entweder auf dem Chromosom, meist in sogenannten Pathogenitätsinseln, oder auf Plasmiden codiert. Bakteriophagen spielen als Überträger der genetischen Information für Virulenzfaktoren bei der Entstehung pathogener Bakterien offenbar eine wichtige Rolle. Pathogenitätsinseln haben meist eine Größe von 10–100 kbp und zeichnen sich durch einen vom restlichen Chromosom abweichenden GC-Gehalt aus. Sie sind oft von tRNA-Genen und repetitiven Sequenzen flankiert, welche auf virus- oder transposonvermittelten Gentransfer (S. 191) hindeuten. Auch Gene für Transposasen und Integrasen sind Hinweise auf eine solche Herkunft. Zu den Virulenzfaktoren, die auf Pathogenitätsinseln codiert sind, gehören Typ-III- und Typ-IV-Sekretionssysteme (S. 349), Eisenaufnahmesysteme und Toxine (▶ Abb. 19.9). Das Ziel pathogener Bakterien ist, einen Zugang zu den Nährstoffquellen in den Wirtszellen zu erhalten und sich dadurch rasch zu vermehren. Dabei wird der Wirt oft irreversibel geschädigt. Die Schleimhäute mit einer Oberfläche von 400 m2 sind die hauptsächlichen Eintrittspforten (Haut 2 m2). Es lassen sich prinzipiell mehrere Phasen unterscheiden: 1. Adhäsion oder Adhärenz (Anheftung der Bakterien an Haut oder Schleimhäute), Kerngenom int

Pathogenitätsinsel V1 V2 V3 V4

ISc

Kerngenom

2. Invasion (Eindringen in Epithelzellen), 3. Kolonisierung und Vermehrung, unterstützt durch Freisetzung weiterer Virulenzfaktoren. Dazu zählen neben Zellgiften (Toxine) u. a. Transportsysteme für die Versorgung der Bakterien mit Eisen, sowie Enzyme zur Manipulation und Inaktivierung von Abwehrmechanismen der Wirtszellen. Werden, wie bei Vibrio cholerae, dem Erreger der schweren Durchfallerkrankung Cholera (Plus 19.8) (S. 665) oder Corynebacterium diphtheriae, dem Erreger der Diphtherie, Toxine ohne vorherige Invasion der Wirtszellen freigesetzt, spricht man von extrazellulär pathogenen Bakterien. (▶ Abb. 19.10).

Kontakt mit dem Pathogen

extrazellulär pathogen

Adhäsion an Haut oder Schleimhaut

weitere Exposition an begrenzten Stellen

ToxinBildung

weitere Exposition Eindringen durch das Epithel

Besiedlung und Wachstum Produktion von Virulenzfaktoren

Toxizität: Toxineffekte lokal oder systemisch

intrazellulär pathogen

Invasivität: weiteres Wachstum am Ursprungsort oder an entfernten Stellen

ISd Schädigung des Gewebes, Krankheit

tRNA- Direct Gen repeat

Direct repeat

Abb. 19.9 Aufbau einer Pathogenitätsinsel. Die Pathogenitätsinsel ist von Genen des Kerngenoms flankiert und befindet sich unmittelbar neben einem tRNA-Gen (links). Sich wiederholende Nukleotidsequenzabschnitte (engl. direct repeats) begrenzen die Insel, die Virulenzgene (V1–V4), Insertionssequenzen (IS) und ein Integrasegen (int) enthält. (nach Schmidt et al., Clin. Microbiol. Rev. 17 (2004):14)

648

Abb. 19.10 Mechanismen der Pathogenität. Extrazellulär pathogene Mikroorganismen heften sich an Oberflächen des Wirtes und schädigen diesen durch Sekretion von Toxinen. Intrazellulär pathogene Mikroorganismen dringen in die Wirtszellen ein und schädigen diese durch eine Vielzahl von Virulenzfaktoren.

19.5 Mikroorganismen als Auslöser von Krankheiten Zentralnervensystem Neisseria meningitidis Haemophilus influenzae obere Atemwege Streptococcus pyogenes Corynebacterium diphtheriae Bordetella pertussis Pseudomonas aeruginosa Lunge Enterococcus (Streptococcus) pneumoniae Mycobacterium tuberculosis Legionella pneumophila Haut Staphylococcus aureus Pseudomonas aeruginosa Borrelia burgdorferi

Abb. 19.11 Wichtige pathogene Bakterien und ihre Wirkorte im Menschen.

Blut Salmonella enterica Yersinia pestis

Verdauungstrakt Helicobacter pylori (Magen) Vibrio cholerae Salmonella enterica Shigella spp. enteropathogene Escherichia coli Harnwege uropathogene Escherichia coli Pseudomonas aeruginosa Geschlechtsorgane Neisseria gonorrhoeae Treponema pallidum

Adhäsion der Bakterien Stabile Wechselwirkungen mit dem Wirt erfolgen in erster Linie an Schleimhautzellen der Atemwege, des Verdauungs- oder des Urogenitaltrakts. Zutritt über die Haut ist meist nur im Bereich einer Wunde möglich (▶ Abb. 19.11). Die Wechselwirkungen sind sowohl gewebe- als auch wirtsspezifisch. Die Spezifität wird durch bestimmte Strukturen (Rezeptoren) an der Zelloberfläche, meist Proteine, Glykoproteine und Polysaccharide (Adhäsine), erreicht, die mit spezifischen Oberflächenmolekülen der Wirtszelle in festen Kontakt treten (▶ Abb. 19.12). Die wichtigsten Rezeptoren sind Kohlenhydrate der Glykokalyx, extrazelluläre Matrixproteine wie Fibronektin, Laminin oder Integrin, und Oberflächenkomponenten der Blutzellen. Zu den Strukturen, die Bakterien zu diesem Zweck zur Verfügung stehen, zählen Pili, Fimbrien, Oberflächenproteine (z. B. M-Proteine der Streptokokken), aber auch Flagellen, Lipoteichonsäuren (S. 148) bei grampositiven Bakterien, Kapseln und Schleime (S. 149). Die Besiedlung der Schleimhäute wird gefördert, wenn die körpereigene Flora, z. B. infolge einer Antibiotikabehandlung, reduziert ist. Zur stabilen Besiedlung von Wirtszelloberflächen trägt auch die Fähigkeit zur Bildung von Biofilmen (S. 609) bei, die auch bei nichtpathogenen Bakterien weit verbreitet ist. Oberflächenstrukturen der Bakterien werden auch vom Immunsystem erkannt (Antigene) und sind daher wichtige Faktoren in der Diagnostik (S. 657) (▶ Tab. 19.4).

Invasion der Bakterien Viele pathogene Bakterien dringen in die Wirtszelle ein. Dieser Vorgang wird als Invasion bezeichnet und kann entweder an beliebigen Epithelzellen oder an speziellen

bakterielle Zellwand

Wirtszellmembran

Kohlehydratrezeptor auf Glykoprotein

Fimbrien

Kohlehydratrezeptor auf Glykolipid Abb. 19.12 Anheftung einer pathogenen Bakterienzelle an eine Wirtszelloberfläche durch Adhäsine (Fimbrien). Spezielle Proteine an der Spitze der Fimbrien binden an Glykolipide oder an Glykoproteine auf der Wirtszellmembran.

Zellen des Schleimhautgewebes, den M-Zellen (membranöse Epithelzellen), stattfinden. M-Zellen gehören zur Immunabwehr, denn sie transportieren Mikroorganismen zu assoziierten Makrophagen und tragen so zur Bildung sekretorischer Immunglobuline der Klasse A bei (▶ Abb. 19.13) (Plus 19.4). Der Invasion liegen unterschiedliche Mechanismen zugrunde. Als Auslöser dienen dabei bakterielle Proteine, die das Cytoskelett der Wirtszellen temporär verändern und die Bakterienzelle da-

9

Mikroorganismen als Symbionten und Antagonisten sekretorische IgA (slgA)

Bakterium Mukosazelle

Lumen

M-Zelle

Mukosamembran

Makrophage

IgA

lgA

T-Zelle B-Zellen wandern zu anderen Mukosamembranen

Plus 19.4 Glossar wichtiger immunologischer Begriffe angeborene (unspezifische) Immunität: die nicht induzierbare Fähigkeit, Fremdorganismen zu erkennen und zu zerstören; setzt keinen vorhergehenden Kontakt mit dem Fremdorganismus voraus Antigen: Substanz, die die Bildung von Antikörpern induziert Antikörper (= Immunglobuline): von B-Zellen produzierte Proteine, die Antigene erkennen B-Zellen: Lymphocyten mit Rezeptoren zur Bindung von Immunglobulinen; produzieren Antikörper und können TZellen Antigene präsentieren Chemokine: kleine Peptide mit ähnlichen Funktionen wie Cytokine; ziehen Phagocyten an und aktivieren diese Cytokine: Glykoproteine, die von einer Vielzahl von Zellen produziert werden und signalübertragende Funktionen haben; chemische Modulatoren der Immunantwort Immunglobuline (= Antikörper): werden in fünf Klassen eingeteilt (IgG, IgM, IgA, IgD, IgE): IgG umfassen die wichtigsten im Serum vertretenen Antikörper, IgM werden als erste nach der Immunisierung gebildet, IgA kommen vielfach in Sekreten vor induzierbare (spezifische) Immunität: die erworbene Fähigkeit, Fremdorganismen und ihre Produkte spezifisch zu erkennen und zu zerstören; beruht auf vorherigem Kontakt Interleukine: Signalproteine, die von Leukocyten freigesetzt werden Komplementsystem: Serumproteine, die an zahlreichen Prozessen der adaptiven Immunantwort beteiligt sind Leukocyten: weiße Blutzellen (Blutkörperchen) Lymphocyten: Untergruppe der Leukocyten Lysosomen: Organellen tierischer Zellen mit saurem pHWert

650

Abb. 19.13 Zellen des gastrointestinalassoziierten Immunsystems. An den Schleimhäuten vorkommende Bakterien (Antigene) werden von M-Zellen aufgenommen. Makrophagen zerlegen die Antigene in Peptide und präsentieren die Bruchstücke auf ihrer Oberfläche. Dies fördert die T-Zell-abhängige Aktivierung von Immunglobulin(Ig)A-produzierenden BZellen. IgA bindet an einen Rezeptor, wird aufgenommen und in Vesikeln zur Lumenseite der Membran verbracht. Dort wird durch proteolytische Spaltung nur ein Teil des Rezeptors entfernt, wodurch sIgA entsteht. M-Zellen und die damit verbundenen lymphatischen T- und B-Zellen werden auch als Follikel bezeichnet. Eine Anhäufung von Follikeln nennt man Peyer-Plaques. M-Zellen können von invasiven Bakterien der Gattungen Salmonella, Shigella, Yersina und Listeria zum Eintritt in die Wirtszellen genutzt werden.

●V

Makrophagen: große Leukocyten mit phagocytotischen und antigenpräsentierenden Eigenschaften Membranangriffskomplex (MAK): aus den Komplementproteinen C 5b und C 6-C 9 bestehender Porenkomplex, der durch Einlagerung in die Zellmembran gramnegative Bakterien lysiert MHC (major histocompatibility complex) II: Transmembranproteine, die sich auf der Oberfläche von Makrophagen befinden und den T-Zell-Rezeptoren Antigene (Peptide) präsentieren, die dem Verdau von Bakterien entstammen Opsonisierung: Umhüllung von Bakterien mit Antikörpern und Komplementproteinen zur Markierung für Makrophagen Phagolysosomen: Phagosom nach Verschmelzung mit einem Lysosom Phagosomen: Organellen (Fresskörperchen) im Inneren von Makrophagen, die zur Gruppe der Phagocyten gehören und Fremdorganismen abbauen Phagocyten: Zellen des Immunsystems, die Fremdorganismen aufnehmen und verdauen (Fresszelle) Phagocytose: Aufnahme von Partikeln und Zellen in eine eukaryontische Zelle polymorphkernige neutrophile Granulocyten (PMN : zu den Phagocyten zählender Zelltyp mit granulärem Cytoplasma (Granulocyt) und mehrlappigem Zellkern T-Zellen: Untergruppe der Lymphocyten, Urheber der zellvermittelten Immunantwort; Untergruppen: cytotoxische T-Zellen und T-Helferzellen T-Zell-Rezeptor: antigenspezifischer Rezeptor auf der Oberfläche von T-Zellen Transcytose: Transport von Bakterien in Vakuole durch intakte Mucosazellen, im Darm auch durch M-Zellen

19.5 Mikroorganismen als Auslöser von Krankheiten Tab. 19.4 Bakterielle Oberflächenstrukturen mit antigenen Eigenschaften. Oberflächenstruktur

Antigen

Kapseln, Schleime (hydratisierte Polysaccharide)

K (Kapsel), Vi (Virulenz, dünne Kapsel)

Polysaccharide und Teichonsäuren

„Polysaccharid A” (Staphylococcus aureus)

Pili, Fimbrien, Adhäsine

viele

Flagellen

H („Hauch”)

Lipopolysaccharide (LPS)

O („O-Seitenkette”), R („raue Kolonie”)

Zellwandproteine grampositiver Bakterien

Protein A (Staphylococcus aureus), M(-Protein) (Streptococcus pyogenes), bindet Fc-Teil von Immunoglobulinen

S-Layer-Glykoproteine

verschiedene

Scheide aus Poylsacchariden oder Proteinen

verschiedene

durch internalisieren. Bei dem Zipper-(Reißverschluss)Mechanismus bilden die Bakterien Proteine, die in der äußeren Membran verankert sind (Invasine) und mit speziellen Rezeptoren der Wirtszelle eine feste Bindung eingehen. Dadurch wird die Wirtszellmembran nach und nach über die Bakterienzelle gestülpt, bis diese vollständig eingeschlossen ist. Diese Art der Internalisierung ist z. B. bei Bakterien der Gattung Yersinia verwirklicht. Die Invasion von Shigella spp. erfolgt dagegen nach dem Trigger-(Auslöse)-Mechanismus, dem nur eine lockere Anheftung der Bakterien an die Wirtszelle zugrunde liegt. Die Bakterien schleusen dazu Effektorproteine über ein TypIII-Sekretionssystem (S. 349) in die Wirtszelle ein, die dort die Aktinpolymerisation auslösen. Dadurch kommt es zu Ausstülpungen der Wirtszelle, welche die Bakterienzelle einschließen (▶ Abb. 19.14). Neueste Erkenntnisse weisen darauf hin, dass Salmonella spp. sogar beide Mechanismen zur Invasion nutzen kann.

Kolonisation und Ausbreitung der Bakterien Nach der Aufnahme in die Wirtszelle vermehren sich die Bakterien (Kolonisation). Sie breiten sich danach entweder nur lokal begrenzt im Wirtsorganismus aus oder wandern über das Lymph- oder Blutgefäßsystem in andere Gewebe und Organe ein. Hierfür sind spezielle Virulenzfaktoren (z. B. Enzyme) erforderlich, welche z. B. die Stützstrukturen des Gewebes wie Kollagen (Kollagenasen) oder Hyaluronsäure (Hyaluronidasen) auflösen bzw. abbauen.

Toxine Die unmittelbar mit einer bakteriellen Infektion einhergehenden Krankheitssymptome sind meist nicht Folge der bakteriellen Vermehrung, sondern der Produktion

a

Zipper-Mechanismus Yersinia

Inv β1

Aktin

Wirtszelle

Trigger-Mechanismus

Ipa

Shigella

Typ-IIISekretionssystem

Wirtszelle

b

Abb. 19.14 Invasionsmechanismen. a Die Aufnahme der Bakterien in die Wirtszelle erfolgt nach dem Zipper- oder dem Trigger-Mechanismus, die beispielhaft für Yersinia spp. bzw. Shigella spp. dargestellt sind. Beim Zipper-Mechanismus kommt es zu einer festen Bindung der Bakterienzelle an die Wirtszelle über Invasionsproteine (Inv) auf der Oberfläche der Bakterien. Dadurch wird die Wirtszellmembran veranlasst, sich reißverschlussartig über die Bakterienzelle zu stülpen. Beim Trigger-Mechanismus ist nur eine lockere Bindung der Bakterien an die Wirtszelle erforderlich. Durch ein Typ-III-Sekretionssystem injizierte Effektorproteine induzieren eine vorübergehende Neusynthese von Aktinfilamenten, wodurch die Bakterienzelle von der Zellmembran der Wirtszelle umschlossen wird. b Beginnende Invasion von HeLa-Zellen mit Neisseria gonorrhoeae. Die Aufnahme entstand eine Stunde nach Zugabe der Bakterien. Die Veränderung der Oberfläche der HeLaZellen (menschliche Epithelzellen aus einem Gebärmutterhalskarzinom) durch die als Diplokokken vorliegenden Bakterien ist deutlich zu erkennen. (Aufnahme Volker Brinkmann, MPI für Infektionsbiologie, Berlin)

1

Mikroorganismen als Symbionten und Antagonisten a Schädigung zellulärer Membranen

b Hemmung der Proteinsynthese A1

c Aktivierung von Second-MessengerSignalwegen

Shiga-Toxin

hitzestabiles Toxin

B porenbildendes α-Toxin

Na+

A2

rezeptorvermittelte Endocytose über Gb3

Gb3

Ribosom A1

GTP

Cl–

cGMP

H2O mRNA

+

N-Terminus des entstehenden Peptids

NH3

Abb. 19.15 Wichtige Wirkmechanismen von Exotoxinen. a Porenbildende Toxine führen zu einem Zusammenbruch von Ionengradienten über der Wirtszellmembran oder direkt zur Lyse der Zelle. b Hemmung der Proteinbiosynthese durch Modifikation ribosomaler Proteine oder Translationsfaktoren. c Eingriff in Signaltransduktionswege, wodurch Ionenflüsse über die Zellmembran verändert werden.

von Toxinen. Dabei handelt es sich um polymere Verbindungen (meistens Proteine), die nach wenigen Grundprinzipien die Stoffwechselaktivitäten der Wirtszelle schädigen und so deren Absterben verursachen. Dazu gehören die Zerstörung der Zellmembran, die Hemmung der Proteinbiosynthese oder die Aktivierung von Signaltransduktionsketten (▶ Abb. 19.15). Man unterscheidet Exotoxine und Endotoxine. Exotoxine sind Proteine, die von ihren Produzenten in das umgebende Medium freigesetzt werden und anschließend in die Wirtszellen eindringen. Zu den Exotoxinen gehören cytolytische Toxine, A-B-Toxine und Superantigene. Cytolytische Toxine lagern sich in die Cytoplasmamembran der Zielzelle ein; sie haben in der Regel keine enzymatische Aktivität, sondern bilden Poren für den unkontrollierten Fluss von Ionen. Dadurch zerstören sie die Integrität der Membran und somit die Lebensfähigkeit der Zelle. Beispiele hierfür sind die Hämolysine, die insbesondere zur Zerstörung (Lyse) von Erythrocyten beitragen. Hämolysine werden z. B. von bestimmten E. colioder Staphylococcus-aureus-Stämmen gebildet (▶ Abb. 19.15). Zur Gruppe der A-B-Toxine gehören Enzymproteine, die sich durch einen gemeinsamen strukturellen Aufbau auszeichnen (▶ Abb. 19.16a). Das eigentliche Toxin, die enzymatisch aktive A-Komponente, wird zunächst zusammen mit dem B-Teil synthetisiert, welcher oft als Pentamer (Komplex aus fünf Polypeptidketten) den Transfer in die Wirtszelle bewerkstelligt, selbst jedoch nicht eindringt (▶ Abb. 19.16b). A-B-Toxine hemmen u. a. die Proteinbiosynthese oder lösen unkontrolliert zelluläre Signaltransduktionsketten aus, wodurch die Zellen letzt-

652

a

enzymatisch aktive Domäne A B

A

B Rezeptorbindung und Translokation des Toxins

ZielA protein

verändertes Zielprotein Rezeptor A1

b

A-Domäne

A2

B5-Domäne (Pentamer)

Rezeptor-Bindestellen Abb. 19.16 A-B-Toxine. a Allgemeine Wirkungsweise von A-B-Toxinen. (nach Doenecke et al., Karlsons Biochemie, Thieme, 2005) b Dreidimensionale Struktur eines A-B5-Toxins. Bei dem gezeigten Beispiel des Choleratoxins besteht die A-Domäne aus zwei Untereinheiten (A1, A2), die über eine Disulfidbrücke verbunden sind. Die toxische Wirkung wird nur durch die A1-Untereinheit erreicht, welche enzymatische Aktivität besitzt.

19.5 Mikroorganismen als Auslöser von Krankheiten

MHC-II Antigen präsentierende Zelle

α

Antigen T-ZellRezeptor

LBP

sCD14

LPS

β

T-Helferzelle β

α

Superantigen Abb. 19.17 Wirkung von Superantigenen durch Kopplung zwischen T-Zell-Rezeptor und MHC-II-Molekül von antigenpräsentierenden Zellen. (aus Doenecke et al., Karlsons Biochemie, Thieme, 2005)

lich zerstört werden. Nach diesen Mechanismen wirken z. B. Toxine, die für die Symptome der Diphtherie oder der Cholera verantwortlich sind Exotoxine, die auf Dünndarmzellen wirken und Durchfallerkrankungen hervorrufen, werden auch Enterotoxine genannt. Als Superantigene werden Toxine bezeichnet, die das Immunsystem des Wirtes manipulieren. Sie binden, anders als „normale“ Antigene, gleichzeitig an zwei wichtige Komponenten des Immunsystems (den Haupthistokompatibilitätskomplex, MHC II, und den T-Zell-Rezeptor; s. Plus 19.4 und Lehrbücher der Immunologie) und aktivieren dadurch unspezifisch T-Helferzellen (▶ Abb. 19.17). Diese Aktivierung ist um ein Vielfaches stärker als bei „normalen“ Antigenen. Es wird eine Kaskade von Zell(Entzündungs-)reaktionen ausgelöst, die schließlich zum massiven Zelltod und Organversagen führt (toxischer Schock). Superantigene werden u. a. von Staphylococcus aureus und Streptococcus pyogenes gebildet. Eine Auswahl wichtiger Toxine und ihrer Wirkmechanismen ist in ▶ Tab. 19.5 zusammengestellt. Bei den Endotoxinen handelt es sich um einen Bestandteil der Lipopolysaccharide der äußeren Membran gramnegativer Bakterien (S. 152), der erst bei Zelllyse freigesetzt wird. Als toxische Komponente wurde das Lipid A identifiziert. LPS bildet zunächst einen Komplex mit dem LPS-bindenden Protein, der an ein Rezeptorprotein (CD14) auf der Oberfläche von Makrophagen bindet (▶ Abb. 19.18). CD14 liegt als Heterodimer mit dem TLR4-Rezeptor (engl. toll-like receptor; die Entdeckung des Rezeptors bei der Fruchtfliege führte zum Ausruf „toll“) vor. Daraufhin sekretieren die Makrophagen Cytokine (Plus 19.4) (S. 650), darunter TNF-α (TNF für engl. tumor-necrosis factor), Interleukin-1 und Interleukin-6, die in einer Signalkaskade allgemeine Entzündungsreaktionen sowie Fieber auslösen. Bei größeren Dosen freigesetzter Endotoxine, z. B. bei Infektionen mit E. coli oder Salmonella spp., können diese Reaktionen durch septischen Schock (Organversagen) zum Tod des Wirtes führen. Im Gegensatz zu den Exotoxinen ist die Wirkungsweise daher unspezifisch. Aufgrund ihrer fieberauslösenden Wir-

TLR4 MD-2

mCD14 IRAK

MyD88

TRAF 6

Monozyten und Makrophagen

TAK

NFkB

IKK

NFkB

IkB

Genaktivierung

IL-1, IL-6, TNF-α und andere Mediatoren Induktion der Akutphase kontrollierte Abwehr

Sepsis

Abb. 19.18 Freisetzung von Cytokinen durch Lipopolysaccharide (LPS) und Auslösen eines septischen Schocks. LPS bilden mit dem LPS-bindenden Protein (LBP) einen Komplex, der zunächst an die lösliche Form des CD14-Proteins (sCD14) bindet und von diesem zu einem Proteinkomplex auf der Oberfläche des Makrophagen, bestehend aus TLR4 (toll-like receptor 4), MD-2 (myeloid differentiation protein 2) und mCD14 (membrangebundenes CD14) dirigiert wird. Als Konsequenz löst TLR4 eine intrazelluläre Signaltransduktionskaskade aus, die zum Eintritt des Transkriptionsfaktors NFκB in den Zellkern und zur Aktivierung von Genen für die Cytokinsynthese führt.

kung ist ein Nachweis von Endotoxinen in Medikamenten gesetzlich vorgeschrieben. Die am häufigsten eingesetzte Methode ist der Limulus-Amöbocyten-Lysat-Test (LALTest). Ein aus Blutzellen des Pfeilschwanzkrebses (Limulus polyphemus) gewonnenes Lysat verklumpt (koaguliert) in Gegenwart des Endotoxins, was zu einer Trübung führt, die direkt spektrophotometrisch oder mittels einer Farbreaktion quantifiziert werden kann. Neuere Verfahren basieren auf immunologischen Methoden, wodurch auf tierische Komponenten verzichtet werden kann.

Überwindung von Abwehrmechanismen des Wirtes Eine stabile Etablierung und Vermehrung der Bakterien im Wirtsorganismus ist nur möglich, wenn sie über Mechanismen zur Ausschaltung der wirtseigenen Infektabwehr in Geweben und im Blut verfügen. Diese besteht aus unspezifischer, angeborener Immunität, vermittelt durch Makrophagen (auch Phagocyten oder Fresszellen

3

Mikroorganismen als Symbionten und Antagonisten Tab. 19.5 Auswahl wichtiger Exotoxine und ihre Wirkmechanismen. Toxin

Organismus

Codierungsort

Aktivität

α-Hämolysine

Escherichia coli

Plasmid, Chromosom

Porenbildung

α-Toxin

Staphylococcus aureus

Chromosom

Porenbildung, thiolaktiviert

Streptolysin O

Streptococcus pyrogenes

Chromosom

Porenbildung, thiolaktiviert

Pneumolysin

Streptococcus pneumoniae

Chromosom

Porenbildung, thiolaktiviert

Tetanolysin

Clostridium tetani

Chromosom

thiolaktiviert

membranschädigende Toxine

enzymatische Membranschädigung Phospholipase C (α-Toxin)

Bacillus cereus Clostridium perfringens Pseudomonas aeruginosa

Chromosom

Lipase

β-Hämolysin

Staphylococcus aureus

Chromosom

Sphingomyelinase

Internalisierte Toxine Choleratoxin AB

Vibrio cholerae

Phagen

ADP-Ribosylierung an GS 2-Protein

C 2,3-Toxin

Clostridium botulinum

Chromosom

ADP-Ribosylierung an Aktin, Rho

Diphtherietoxin AB

Corynebacterium diphtheriae

Phagen

ADP-Ribosylierung an Elongationsfaktor EF2

Enterotoxin

Escherichia coli (ETEC)

Plasmid, Chromosom

ADP-Ribosylierung an GSα-Protein

Exotoxin A Exoenzym S

Pseudomonas aeruginosa

Chromosom

ADP-Ribosylierung an Elongationsfaktor EF2

Pertussistoxin

Bordetella pertussis

Chromosom

ADP-Ribosylierung an Giα/Goα-Protein

Shigatoxine

Shigella dysenteriae

Chromosom

rRNA-N-Glykosidase

Veterotoxine

E. coli (EHEC, EPEC)

Phagen

rRNA-N-Glykosidase

Botulinumneurotoxine A, B, C 1, D, F, G

Clostridium botulinum

Phagen

Zinkprotease/neuronales System, Docking-Proteine VAMP1,2, Synaptobrevin, Aktin

Tetanustoxin

Clostridium tetani

Plasmid

Zinkprotease/neuronales System

N-Glykosidasen

Metalloendoproteasen

invasive Adenylat-Cyclasen Cyclolysin

Bordetella pertussis

Ödemfaktor (EF)

Bacillus anthracis

Plasmid

cAMP-Produktion, Porenbildung cAMP-Produktion

Enterotoxine (A, B, C 1, C 2, C 3, D, E), TSST-1, Exfoliatintoxin A, B erythrogene Toxine A, B, C

Staphylococcus aureus

Phagen

Superantigene

pyrogene Toxine A, C

Streptococcus pyrogenes

Phagen

Superantigene

Enterotoxine (hitzestabil) STIa, Ib, Ic

Escherichia coli

Plasmide, Transposons

Aktivierung der Guanylcyclase

hitzestabiles Toxin

Citrobacter freundii Shigella ssp. Yersinia enterolytica

Plasmid

Aktivierung der Guanylcyclase

nichtinternalisierte Toxine

kleine Toxine

[von griech. phagein, fressen]), Komplementsystem und Eisenlimitierung, sowie der spezifischen, induzierbaren Immunität über T-Zellen und Antikörper. (▶ Abb. 19.19). Makrophagen nehmen Bakterien gezielt in sich auf (Phagocytose), wodurch ein Phagosom entsteht. Nach Fusion mit einem Lysosom zu einem Phagolysosom wird

654

der pH-Wert durch die Aktivität von Protonenpumpen abgesenkt und die Bakterien durch eine Vielzahl zellschädigender Faktoren, u. a. durch die Bildung reaktiver (toxischer) Sauerstoff- und Stickstoffspezies (engl. oxidative burst), antimikrobielle kationische Peptide (Defensine) und hydrolytische Enzyme (u. a. Proteasen, DNasen, Phos-

19.5 Mikroorganismen als Auslöser von Krankheiten

Abb. 19.19 Komponenten der Infektionsabwehr. (aus Kayser et al., Taschenlehrbuch Medizinische Mikrobiologie, Thieme, 2010)

phatasen) zerstört (▶ Abb. 19.20). Einige pathogene Bakterien, darunter Neisseria gonorrhoeae, Hämophilus influenzae, Streptococcus pneumoniae oder Bacillus anthracis, können sich durch die Bildung von Kapseln (S. 149) gegen die Aufnahme schützen. Andere haben gelernt, in Phagocyten zu überleben. Salmonellen gelingt dies u. a. durch die Bildung mehrerer periplasmatischer Superoxid-Dismutasen sowie cytoplasmatischer Katalasen und Peroxidasen, wodurch die reaktiven Sauerstoffspezies der Phagolysosomen zerstört werden. Weitere Strategien sind die Hemmung der Fusion zwischen Phagosom und Lysosom (Beispiele: Mycobacterium, Legionella) sowie die Zerstörung des Phagosoms durch Porenbildung (Beispiele: Listeria, Shigella) (Antiphagocytose). Bestimmte Komponenten des Komplementsystems – Serumproteine, die Bakterienzellen u. a. durch Bindung für Makrophagen markieren (opsonisieren, griech. würzen) – bilden einen Membranangriffskomplex (MAK), der Poren in der Zellmembran gramnegativer Bakterien bildet, was zu deren Lyse führt. Die Cytoplasmamembran grampositiver Bakterien ist durch das mehrschichtige Peptidoglykan gegen den MAK geschützt. Ausgelöst wird die Bildung des MAK entweder durch Antikörper, die an die Oberflächenstrukturen binden und diese für das Komplementsystem markieren (es opsonisieren; klassische Aktivierung), oder durch direkte Bindung des Komplementproteins C 3 an charakteristische Bestandteile der Bakterien wie das LPS (alternative Aktivierung) (Plus 19.5). Gegen diese Aktivität schützen sich einige Bakterien (z. B. N. gonorrhoeae) durch eine Modifikation des LPS, wodurch sie für Komponenten des Komplementsystems „unsichtbar“ werden (Serumresistenz). Andere wiederum setzen Komponenten der Komplementkaskade außer Funktion. Eisen ist ein essenzieller Bestandteil membrangebundener Elektronentransportketten und cytoplasmatischer Redoxenzyme und daher für die Vermehrung der weitaus meisten Bakterien unverzichtbarer Nahrungsbestandteil. Eine Zelle enthält ca. 106 Eisen-Ionen, sodass bei einer im

NADP+

NADPH + O2

H+ vakuoläre ATPase

NADPHOxidase O2–• Phagolysosom

H2O2

MPO HOCl

H+ Fe HO•

Bakterium Lysozym lysosomale Hydrolasen (Protease, DNase, Phosphatase, Sulfatase, Glucosidase)

Protein NO• 2

ONOO–

Cytoplasma

DNA

H+

Defensin

O2–• NO• NOSynthase Arginin

Citrullin

Abb. 19.20 Abwehrmechanismen eines Phagolysosoms gegen Mikroorganismen. Antimikrobielle Mechanismen umfassen die Ansäuerung durch eine protonenpumpende ATPase, die Bildung reaktiver Sauerstoffmetabolite, ausgehend von der Reduktion molekularen Sauerstoffs durch die NADPH-Oxidase, und die Synthese von Stickstoffverbindungen durch die NOSynthase. Hydroxylradikale (OH˙), die durch eine eisenkatalysierte Reaktion gebildet werden, schädigen vornehmend die DNA, während Hypochlorid (HOCl) und Stickoxidverbindungen (NO2˙) auf Proteine wirken. Lysozym baut die Peptidoglycanschicht ab, Defensine bilden Poren in bakteriellen Membranen und saure Hydrolasen dienen dem vollständigen Verdau der mikrobiellen Zelle. MPO, Myeloperoxidase.

Serum zu erreichenden Zelldichte von 108 pro ml pro Generation etwa 1014 Fe3 + -Ionen aufgenommen werden müssen. Das Angebot an freien Eisen-Ionen ist jedoch aufgrund der geringen Löslichkeit von Fe3 + -Ionen sehr begrenzt. Wirtsproteine im Blut und anderen Körperflüssigkeiten, die Fe-Ionen binden (Transferrin, Lactoferrin), setzen die Konzentration weiter herab (auf ca. 10–20 M), wodurch die Wachstumsmöglichkeiten für Bakterien stark eingeschränkt werden. Eine hohe Konzentration

5

Mikroorganismen als Symbionten und Antagonisten

●V

Plus 19.5

alternative Aktivierung Mikroorganismen

Antikörper gebunden an Oberflächen C4

C3

B

C4a

C4b C2a

rk

un g

C2 C2b

C3a



Das Komplementsystem besteht aus verschiedenen Plasmaproteinen und zellulären Rezeptoren und bildet eine unspezifische Immunabwehr im menschlichen Körper. Es hat unterschiedlich wichtige Aufgaben. Die Komponente C3b markiert z. B. Partikel und Erreger, die dann von Makrophagen erkannt und eliminiert werden (Opsonisierung). Andere Komponenten wirken chemotaktisch und stimulieren die Bildung von Adhäsionsmolekülen. Wieder andere stimulieren B-Lymphocyten und regen die Bildung von Antikörpern an. Das Komplementsystem kann auf zwei Wegen aktiviert werden (▶ Abb. 19.21). Beim klassischen Weg wirken Antikörper als Auslöser, beim alternativen Weg sind es Mikroorganismen. In beiden Fällen werden in Kaskaden Komponenten des Systems gespalten und aktiviert. Beide Wege treffen sich bei C3, welches durch die klassische bzw. alternative C3-Konvertase in C3a und C3b gespalten wird. C3b ist die wichtigste Komponente des Systems. Seine Hauptaufgabe ist die Opsonisierung von Erregern (s. o.). Zusammen mit der C3-Konvertase bildet C3b die C5-Konvertase, die dann mit einer weiteren Reaktionskaskade zur Bildung des Membranangriffskomplexes MAK führt. Auch verstärkt C3b über eine positive Rückkopplung den alternativen Weg.

klassische Aktivierung

Ve rs

Das Komplementsystem und die Bildung des Membranangriffskomplexes

Ba

C3b Bb

C3 C4b2a klassische C3-Convertase

C3a C3b

C3bBb alternative C3-Convertase

Opsonierung

C4b2a3b C3bBb3b C5-Convertase C5 C5a C5b C6–C9

C5b C6

C7 C8

lytischer Komplex (MAK) C9

Abb. 19.21 Die Bildung des Membranangriffskomplexes MAK. Erklärungen siehe Text.

Fe3+-Aufnahme: Transferrin, Lactoferrin

Häm-Aufnahme: Hämoglobin, Hämophore

Siderophor-Aufnahme: Ferrichrom, Enterobactin extrazelluläres Medium äußere Membran Periplasma innere Membran

TonBSystem

ABCTransporter

Cytoplasma

Abb. 19.22 Eisenaufnahmesysteme pathogener gramnegativer Bakterien. Fe3 + -Ionen (aus Transferrin und Lactoferrin), Häm (aus Hämoglobin, Hämopexin und anderen Hämophoren) und Siderophore binden an den jeweils spezifischen Rezeptor in der äußeren Membran. Sie werden in einem TonB-abhängigen Prozess, der die protonenmotorische Kraft über der Cytoplasmamembran benötigt, in das Periplasma transportiert. Dort binden sie an ebenfalls spezifische Substratbindeproteine von ABC-Transportern, welche die Aufnahme in das Cytoplasma bewerkstelligen. (nach Chu et al., Biometals 23 (2010):601)

von Lactoferrin ist z. B. die Ursache für die natürliche Sterilität der Milch. Um die Eisenversorgung zu sichern, scheiden Bakterien, niedermolekulare Fe-Komplexbildner (Siderophore) (S. 304) aus, die eine hohe Affinität zu Ei-

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sen besitzen. Weiterhin sind pathogene Bakterien auch in der Lage, Eisen aus Transferrin und Lactoferrin freizusetzen oder aus dem Häm-Cofaktor des Hämoglobins zu gewinnen. Die Substrate gelangen über TonB-abhängige Po-

19.5 Mikroorganismen als Auslöser von Krankheiten rine (S. 154) in der äußeren Membran in das Periplasma und von dort über jeweils spezifische ABC-Transporter (S. 337) in das Cytoplasma. (▶ Abb. 19.22). Die spezifische Immunantwort des Wirtes setzt die Erkennung der Bakterien als Fremdorganismen voraus. Einige Bakterien machen sich „unsichtbar”, indem sie ihre Zelloberfläche mit Molekülen wie Hyaluronsäure (Streptococcus pyogenes) oder Polyneuraminsäure (E. coli K-1) dekorieren, die auch bei Wirtszellen vorkommen. Eine besondere Form dieser Strategie besteht darin, dass bestimmte Oberflächenproteine (Protein A von Staphylococcus aureus oder Protein G von Streptococcus pyogenes) an den Fc-Teil von Immunglobulinen binden, sich so mit Antikörpern bedecken, jedoch keine Opsonisierung auslösen (molekulares Mimikry). Wie bereits erwähnt, binden Antikörper (Immunglobuline) spezifisch an bestimmte Makromoleküle (Antigene) der Zellwand und führen so die Bakterien dem Komplementsystem zur Zerstörung zu. Anhand der gebundenen Antikörper erkennen auch Fresszellen (Makrophagen) des Immunsystems ihre Ziele. Einige Bakterien (Salmonella, Neisseria) entgehen einer Antikörperreaktion, indem sie die chemische Struktur von Oberflächenmolekülen wie Pili und Flagellen ändern (Phasenvariation) (S. 496). Dies beruht auf einer Variabilität der die Antigenproteine codierenden Gene. Als Konsequenz werden bereits vorhandene Antikörper unwirksam (Antigenvariation). In Sekreten von Schleimhäuten befinden sich hohe Konzentrationen von Immunglobulinen der Klasse sIgA, die für die spezifische Immunität verantwortlich sind. Typische schleimhautbesiedelnde Bakterien wie Neisserien oder Haemophilus setzen über ein Typ-V-Sekretionssystem (S. 348) spezifische Proteasen frei, welche die Antikörper abbauen. Die meisten bakteriellen Infektionskrankheiten lassen sich mit Antibiotika (S. 173) erfolgreich behandeln, auch wenn einige durch das Auftreten von Multiresistenzen (S. 343) in den letzten Jahren teilweise an Wirksamkeit eingebüßt haben. Der gezielte Einsatz von Antibiotika setzt die frühzeitige Identifizierung des die Krankheitssymptome auslösenden Erregers voraus. Dies wird in der medizinisch-mikrobiellen Diagnostik durch Kombination klassischer mikrobieller Verfahren mit modernen molekularbiologischen Techniken erreicht. Wichtige Faktoren bei der Pathogenese bakterieller Infektionen sind in ▶ Tab. 19.6 und ▶ Abb. 19.23 zusammengefasst.

Medizinische Diagnostik In der Routinediagnostik im medizinisch-klinischen Labor konzentriert sich das Interesse auf einen relativ kleinen Kreis klinisch relevanter Organismen. Wir besprechen später genauer verschiedene Krankheitserreger, die in der Regel meldepflichtig sind. Pathogene Bakterien können zumeist mithilfe weniger Tests in Untersuchungs-

Adhäsine

virulente Oberflächenproteine

Exotoxine Sekretionssysteme

Adhäsions-Pili Kapsel LPS

Eisentransportsysteme

VirulenzPlasmid Toxin produzierender Phage

Siderophore

Flagelle

Effektorproteine

Abb. 19.23 Virulenzfaktoren eines pathogenen Bakteriums.

proben wie Blut, Urin und Abstrichen hinreichend sicher identifiziert werden. Hierzu zählen vor allem diverse Färbetechniken, wie die Gram-Färbung zur groben Einteilung oder Spezialfärbungen wie Ziehl-Neelsen für Mykobakterien (S. 149), sowie die Analyse des Spektrums der genutzten Substrate („bunte Reihe“), die heute auf Standardnährböden weitgehend automatisiert durchgeführt werden kann (z. B. BIOLOG-System). Der Nachweis der Verwertung verschiedener Substrate wird durch den Einsatz von chromogenen Substrate vereinfacht, die z. B. Zucker in Kopplung an einen o-Nitrophenylrest anbieten. Durch Hydrolyse wird das farbige Nitrophenol freigesetzt und liefert damit einen Farbtest für die Substratverwertung. Für die Differenzierung einzelner Bakterien bedient man sich spezifischer Indikatornährmedien; dies wird am Beispiel der Differenzierung von E. coli als Fäkalindikator gegenüber anderen Enterobakterien ausführlich in Kapitel 13 (S. 410) dargestellt („Bunte Reihe“, Methode 13.1) (S. 425). Diese Techniken setzen voraus, dass die jeweiligen Zielorganismen problemlos anwachsen und nicht z. B. durch vorhergehende Aushungerung oder zugesetzte Selektionssubstanzen beeinträchtigt sind. Im Einzelfall kann man sich auch das Verhalten gegenüber spezifischen Hemmstoffen zunutze machen. Viele Darmbakterien zeigen eine erhöhte Resistenz gegenüber Gallensäuren. Zum gezielten Nachweis solcher Bakterien werden daher den Medien Cholsäure, Desoxycholsäure oder andere Detergenzien (Brij 58, Tween usw.) zugesetzt. Einer selektiven Unterdrückung bedient man sich für den Nachweis von Corynebacterium diphtheriae (auf tellurithaltigem Nährboden) und von pathogenen Enterobacteriaceae (Wismutagar), da diese Bakterien hohe Konzentrationen der genannten Metallionen tolerieren. Immunologische Verfahren ermöglichen im Einzelfall auf der Basis der Oberflächenantigene (O-, K- und H-Antigene; ▶ Tab. 19.4) eine Identifizierung von möglichen Krankheitserregern über die Ebene der Arten hinaus. Vor

7

Mikroorganismen als Symbionten und Antagonisten Tab. 19.6 Wichtige Faktoren bei der Pathogenese bakterieller Infektionen. Wichtige Virulenzfaktoren für die Besiedlung von Wirtsorganismen Adhäsine ● ● ●

Proteine der Zelloberfläche und Kapseln Wirtszellrezeptoren: Glykokalyx, extrazelluläre Matrixproteine (Fibronektin, Laminin, Integrin), Blutzelloberfläche Typen von Adhäsinen: Pili, Fimbrien, Nicht-Fimbrien-Adhäsine, M-Proteine von Streptokokken

Invasine ●



Effektorproteine (z. B. Sip, Salmonella-Invasionsproteine), die über Typ-III-Sekretionssysteme in die Wirtszelle zur Anregung der Aktinpolymerisation und nachfolgenden Aufnahme der Bakterien eingeschleust werden Invasionsproteine auf der Zelloberfläche (z. B. Inv, Invasin von Yersinia), die an Rezeptoren der Wirtszellen binden und so die Umstülpung der Bakterienzelle veranlassen

Toxine und Superantigene Exotoxine cytolytische Toxine (führen zur Lyse von Zellmembranen) (E. coli, Bacillus cereus) ● A-B-Toxine (beeinflussen die Proteinsynthese an Ribosomen oder Signaltransduktionsketten durch enzymatische Eigenschaften der A-Komponente) Enterotoxine: wirken auf Zellen des Gastrointestinaltrakts (E. coli, Vibrio cholera) Neutotoxine: wirken auf Nervenzellen (Clostridium tetani, C. botulinum) Endotoxine ● Lipid-A-Komponente der LPS gramnegativer Bakterien Superantigene ● verursachen Freisetzung großer Mengen von Cytokinen, wodurch das toxische Schocksyndrom ausgelöst wird (Staphylococcus aureus) ●

Strategien gegen unspezifische Immunität Antiphagocytose Kapseln (erschweren Phagocytose; Streptococcus pneumoniae, Haemophilus influenzae) ● Phagocytentoxine (Streptolysine von Streptococccus sp., Exotoxin A von Pseudomonas aeruginosa) ● Toxine injiziert über Typ-III- und Typ-IV-Sekretionssysteme, die Phagocyten in ihrer Funktion beinträchtigen Überleben in Phagocyten ● Überleben in Phagolysosomen u. a. durch Enzyme gegen reaktive Sauerstoffspezies, Zerstörung antimikrobieller Peptide durch Peptidasen, Hemmung des “oxidative burst” (Salmonella typhi) ● Hemmung der Fusion von Phagosom und Lysosom (Mycobacterium, Chlamydia, Legionella, Salmonella) ● Zerstörung des Phagosoms durch Porenbildung (Listeriolysin bei Listeria monocytogenes) Serumresistenz ● modifizierte Oberflächenproteine verhindern die Einlagerung des Membranangriffskomplexes Eisenversorgung ● Synthese von Siderophoren (Eisenkomplexbildner) und Proteinen zur Verwendung wirtseigener, eisenbindender Proteine wie Transferrin, Lactoferrin oder Hämoglobin als Eisenquellen ●

Strategien gegen spezifische Immunität molekulare Mimikry Hyaluronsäurekapseln von Streptococcus pyogenes; Neuraminsäurekapseln von E. coli, Neisseria meningitidis; Antikörperbindung über den Fc-Teil an Oberflächenproteine (Protein A bei Staphylococcus aureus, Protein G bei Streptococcus pyogenes) Antigenvariation ● Pilin bei Neisseria gonorrhoeae; Flagellin bei Salmonella; außerdem LPS-O-Seitenkette, Kapselpolysaccharide IgA-Proteasen ● Abbau von sIgA1-Antikörpern bei Haemophilus influenzae und Neisserien ●

allem für die Identifizierung von klinisch relevanten Stämmen (Serovare) der Gattung Salmonella wurde ein immunologisches Identifizierungssystem aufgebaut (White-Kauffmann-Le Minor-Schema, früher Kauffmann-White-Schema), das innerhalb kurzer Zeit eine Differenzierung zwischen mehr als 2500 verschiedenen Stämmen und damit auch eine Identifizierung der Infektionsquelle möglich macht. Grundlage ist der immunologische Nachweis von zwei Antigenen: dem O-Antigen (Komponente der Lipopolysaccharide) (S. 152) und dem H-Antigen (Flagelle) (S. 164). Darüber hinaus wird das ViAntigen berücksichtigt, ein zu den K-Antigenen gehören-

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des Kapselpolysaccharid, das vorwiegend bei Salmonellen (S. 661), die Typhus verursachen, vorkommt. Moderne immunologische Verfahren wie Immunoblot oder ELISA (engl. enzyme linked immunosorbent assay), bei denen definierte Antigene nachgewiesen werden, finden insbesondere bei der Identifizierung viraler Krankheitserreger Anwendung. Zu den etablierten Methoden sind in den letzten Jahren molekularbiologisch basierte Techniken (S. 538) getreten, die eine Identifizierung von Mikroorganismen aufgrund der DNA-Nukleotidsequenzen erlauben, die die 16S-rRNA codieren. Da diese Methoden nicht nur eine,

19.5 Mikroorganismen als Auslöser von Krankheiten im Vergleich zu klassischen Wachstumstests, sehr viel schnellere Identifizierung erlauben, sondern auch für nichtkultivierbare Mikroorganismen anwendbar sind, haben sie sich schnell einen wichtigen Platz in der medizinischen Diagnostik erobert. Da auf Sequenzähnlichkeiten basierende Identifizierungen jedoch auch auf Zufallsidentitäten einzelner Sequenzbereiche beruhen können, müssen die Resultate jeweils durch andere Untersuchungstechniken abgesichert werden. Die Polymerasekettenreaktion (PCR) (Methode 6.7) (S. 224) bietet die Möglichkeit, bestimmte DNA- oder RNA-Abschnitte selbst aus einzelnen Zellen spezifisch zu amplifizieren und nach Trennung durch Gelelektrophorese sichtbar zu machen. Außerdem kann die genaue Nukleotidsequenz einzelner Bereiche durch Sequenzierung ermittelt werden. Eine solche Identifizierung ist hoch sensitiv und hoch spezifisch und deutlich schneller als die herkömmliche Kultivierung. Bestimmte Mikroorganismen und Viren können in Patientenmaterial durch Hybridisierung ribosomaler RNA mit fluoreszenzmarkierten DNA-Sonden (Fluoreszenz-in situ-Hybridisierung, FISH) (S. 607) nachgewiesen werden. Das Verfahren ist allerdings wegen der Abhängigkeit von verfügbarer RNA nicht universell einsetzbar. Die Technik der Zukunft dürfte auch hier die DNA-Chip-Technologie (DNA-Microarray-Technologie) sein, bei der mittels PCR vermehrte DNA mit einer trägergebundenen Ziel-DNA hybridisiert wird. Diese Technik kann innerhalb weniger Stunden Re-

Plus 19.6 Impfstoffe

●V

Impfstoffe, auch Vakzine genannt, erzeugen im Körper eine milde Form der Erkrankung. Der Schutzschild des menschlichen Organismus, das Immunsystem, wird dadurch auf den Abwehrkampf gegen den wirklichen Krankheitserreger vorbereitet. Man unterscheidet mehrere Impfstoffgruppen. Lebendimpfstoffe, wie erstmals 1796 von E. Jenner eingesetzt, enthalten lebende, jedoch abgeschwächte Krankheitserreger. Dazu gehören Vakzine gegen virale Erkrankungen wie Polio (als Schluckimpfung), Masern, Mumps und Röteln. Impfstoffe gegen Typhus oder Cholera bestehen aus abgetöteten oder inaktivierten Bakterien. Eine dritte Gruppe von Impfstoffen enthält bakterielle Toxine, die durch Behandlung mit Hitze oder Chemikalien (Formaldehyd) inaktiviert wurden (Toxoide). Auf diesem Prinzip beruhen Impfungen gegen Diphtherie oder Tetanus (Wundstarrkrampf). Neuerdings werden Vakzine auch gentechnisch hergestellt. Dabei wird das Gen für ein bestimmtes Protein des Erregers in einen geeigneten Wirtsorganismus (z. B. Hefe) eingebracht, dort exprimiert und das gereinigte Protein injiziert. Im menschlichen Körper wird so eine Immunantwort ausgelöst. Ein solches Präparat wird gegen Hepatitis B eingesetzt.

sultate liefern, ist aber für die Anwendung auf breiter Ebene noch nicht ausgereift. Zur Vorbeugung gegen bakterielle und virale Infektionen kann die körpereigene Immunabwehr durch gezieltes Einbringen von vorbehandelten vollständigen Erregern oder immunaktiver Proteine stimuliert werden (Impfung). Die gängigen Verfahren sind in Plus 19.6 zusammengestellt.

19.5.2 Ausgewählte bakterielle Krankheitserreger bei Mensch und Tier Erkrankungen der Atemwege Die Erreger werden über Aerosole (Tröpfcheninfektion), wie sie z. B. beim Niesen entstehen, von einem Infektionsträger auf andere Personen übertragen. ▶ Mycobacterium tuberculosis. Der Erreger der Tuberkulose, Mycobacterium tuberculosis (▶ Abb. 2.23), ist für die weltweit meisten Todesfälle verantwortlich, die durch einen einzigen bakteriellen Erreger verursacht werden. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) wurden im Jahr 2011 8,7 Mio. Neuerkrankungen gemeldet, und 1,4 Mio. Menschen starben an der Krankheit. Die Zahl der jährlichen Infektionen wird auf ca. 50 Mio. geschätzt. M. tuberculosis wurde 1882 erstmals von Robert Koch isoliert und durch die Erfüllung der Koch’schen Postulate (Methode 1.1) (S. 28) als Erreger der Tuberkulose identifiziert. Bei dem Bakterium handelt es sich um ein schlankes, unbewegliches Stäbchen, das, wie alle Vertreter der Gattung, sich aufgrund seiner ungewöhnlichen Zellwandstruktur, insbesondere des Gehaltes an Mykolsäuren nur mit einer Spezialfärbung (z. B. nach ZiehlNeelsen) nachweisen lässt. Da die Färbung auch mit verdünnten Säuren nicht ausgewaschen werden kann, werden Mykobacterien auch als säurefest (S. 149) charakterisiert. Das Krankheitsbild unterscheidet zwischen Primärund Sekundärtuberkulose. Zunächst werden die Bakterien über Tröpfchen mit der Atemluft in die Lunge aufgenommen, wo sie durch Makrophagen der Lungenbläschen phagocytiert und in das Lungengewebe transportiert werden. M. tuberculosis überlebt in den Makrophagen, da die Bakterien die Fusion des Phagosoms mit Lysosomen inhibieren, wodurch normalerweise der pHWert des Phagolysosoms auf etwa 4–5 absinkt (▶ Abb. 19.20), was zur Abtötung von Bakterien beiträgt. Dagegen verbleibt der pH-Wert der M. tuberculosis-enthaltenden Phagosomen nahezu im neutralen Bereich (ca. 6,4). Eine weitere Überlebensstrategie der Bakterien scheint der Austritt aus dem Phagosom in das Cytosol der Makrophagen zu sein. Die Vermehrung der Bakterien löst eine lokale Entzündungsreaktion aus, in Folge derer u. a. T-Zellen (Plus 19.4) (S. 650) einwandern und ein Granu-

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Mikroorganismen als Symbionten und Antagonisten lom aufbauen, das die charakteristische Struktur einer Tuberkuloseinfektion darstellt. Hierin verbleiben die Bakterien und werden vor dem Immunsystem geschützt, können sich jedoch auch nicht weiter verbreiten. Bei ca. 90 % der Infizierten heilen diese primären Herde klinisch stumm ab, können aber noch lebende M. tuberculosisBakterien enthalten (latente TB-Infektion, Primärtuberkulose). Bei ca. 10 % geht die Primärtuberkulose nach wenigen Wochen oder auch erst nach Jahren in ein zweites Stadium über, wobei sich Nekrosen im Zentrum der Granulome bilden. Dies führt schließlich zu sogenannten „käsigen“ Granulomen (▶ Abb. 19.24), in denen sich die Bakterien gut vermehren und vom Patienten ausgehustet werden (offene Lungentuberkulose), was die wichtigste Infektionsquelle darstellt (Sekundärtuberkulose). Das zweite Stadium ist insbesondere bei immungeschwächten Patienten zu beobachten, was die hohe Zahl an Infektionen von HIV-positiven Menschen erklärt. Zur Behandlung der Krankheit im Anfangsstadium wird eine Kombinationstherapie mit vier Antibiotika, darunter Isoniazid und Rifampicin durchgeführt, um die Ausbreitung von Resistenzen zu vermeiden. Allerdings stellen sogenannte MDR-Stämme (engl. für multiple drug resistance), die über antibiotikaexportierende Proteine (S. 343) verfügen, ein weltweit zunehmendes Problem dar. Ein Impfstoff steht zwar in Form von Zellen des verwandten Bakteriums M. bovis BCG zur Verfügung, wirkt jedoch nur bei Kindern und Jugendlichen. Die Verbreitung der Erkrankung wird dadurch nicht verhindert. Derzeit befindet sich ein neuer Impfstoff, der die Immunabwehr stärken soll, in der klinischen Erprobung. ▶ Streptococcus pneumoniae. Die auch als Pneumokokken bekannten grampositiven Bakterien, die meist als Diplokokken oder in Ketten vorliegen (▶ Abb. 2.22b) verursachen Lungenentzündung (Pneumonie) im Bereich der Bronchien und der Lungenflügel sowie andere Erkrankungen der Atemwege wie den Nasennebenhöhlen oder auch Mittelohrentzündung bei Kindern. Die Bakte-

rien kommen natürlicherweise in der Schleimhaut der oberen Atemwege vor. Eine Infektion kann sich insbesondere bei älteren Personen entwickeln, wenn andere Ursachen wie Virusinfektionen zu Erkrankungen der Atemwege geführt haben oder bei allgemein schlechtem Gesundheitszustand. Die Bakterien sind von einer Kapsel umgeben, die vor Phagocytose schützt und ein wichtiger Virulenzfaktor ist. Weiterhin wird Pneumolysin gebildet, ein membranlösendes Toxin, sowie eine IgA1-Protease, die Antikörper abbaut. Infektionen können mit Penicillin bekämpft werden, wobei jedoch zunehmend Resistenzen beobachtet werden. In Deutschland werden pro Jahr etwa 4 000 Erkrankungen gemeldet. Die ständige Impfkommission am Robert Koch-Institut empfiehlt eine Regelimpfung für Personen ab 60 Jahren mit einem aus Kapselpolysacchariden verschiedener Serovare bestehenden Impfstoff. ▶ Streptococcus pyogenes. Der Erreger gehört zur Gruppe der A-Streptokokken, kommt nur beim Menschen vor und wird durch Schmierinfektion oder Tröpfchen übertragen. Das bekannteste Krankheitsbild ist Scharlach bei Kindern. Daneben kommen auch Hauterkrankungen vor. Die Bakterien dringen dabei über kleine Verletzungen der Haut oder der Schleimhäute ein und schützen sich durch lange Proteinketten in der Zellwand (M-Protein) oder Hyaluronsäurekapseln gegen Phagocytose. Basierend auf Variationen des M-Proteins werden mehr als 100 Serovare unterschieden. Weitere wichtige Virulenzfaktoren sind membranzerstörende Toxine (Streptolysine), die Erythrocyten lysieren (sogenannte β-Hämolyse, die auf Blutagarplatten zur vollständigen Auflösung führen; ▶ Abb. 19.25). Darüber hinaus werden Superantigene (▶ Abb. 19.17) gebildet, die auf Prophagen codiert sind und die Synthese von Cytokinen in den Wirtszellen stimulieren. Sie sind die Ursache für die Entstehung von Fieber sowie Haut- und Schleimhautausschlägen bei der Scharlacherkrankung. Die Verbreitung der Bakterien im Gewebe wird durch das Enzym Streptokinase gefördert,

Langhans-Riesenzellen (Synzytium)

zentrale Verkäsung (homogen)

Zone aus Epitheloidzellen (große, irreguläre Kerne)

Wall von Lymphozyten (kleine, runde Kerne)

660

Abb. 19.24 Histologischer Befund bei Lymphknotentuberkulose. Im Zentrum der infektiösen Herde (Granulom) findet man eine Verkäsung, d. h. eine vollständige Zerstörung. Am Rand der Nekrose geht der Kampf gegen die Erreger weiter; hier findet man mehrere Reihen von helleren Zellen, sogenannte Epitheloidzellen. Es handelt sich dabei um aktivierte Makrophagen, die gelegentlich Syncytien bilden, dabei entstehen mehrkernige Riesenzellen (Langerhans-Riesenzellen). Den äußeren Randwall des Granuloms bilden Lymphocyten, die mittels ihrer Lymphokine die Makrophagen in einen Zustand erhöhter antibakterieller Aktivität versetzen. (aus Hof/Dörries, Medizinische Mikrobiologie, Thieme, 2009)

19.5 Mikroorganismen als Auslöser von Krankheiten

Abb. 19.25 Streptococcus pyogenes. (aus Kayser et al., Taschenlehrbuch Medizinische Mikrobiologie, Thieme, 2010) a Gram-Färbung. b Kultur auf Blutagar mit β-Hämolysezone um kleine Kolonien.

durch dessen Aktivität Blutgerinnsel abgebaut werden, die sich in der Umgebung der Bakterien bilden. Die Streptokinase wird von den Bakterien sekretiert und bindet an das Serumprotein Plasminogen, wodurch ein Aktivatorkomplex entsteht, welcher die Umwandlung von Plasminogen in Plasmin katalysiert. Plasmin hat proteolytische Aktivität und spaltet das Protein Fibrin, die Grundkomponente eines Blutgerinnsels. Die Streptokinase wird deshalb in der Medizin z. B. zur Behandlung von Thrombosen eingesetzt. ▶ Legionella pneumophila. Die gramnegativen, obligat aeroben Stäbchen sind die Erreger einer als Legionärskrankheit bekannten Form der Lungenentzündung, die erstmals 1976 bei einem Treffen US-amerikanischer Kriegsveteranen in Philadelphia auftrat. Die Bakterien kommen in aquatischer Umgebung vor, besiedeln dort Protozoen wie Amöben und werden über Wasserreservoire durch Aerosole auf den Menschen übertragen. Als Infektionsquellen kommen Warmwassersysteme, Klimaanlagen und Whirlpools infrage. Eine Infektion von Mensch zu Mensch ist nicht bekannt. Einmal in der Lunge, vermehren sich die Bakterien in Zellen und Makrophagen von Lungenbläschen. Zur Zerstörung des Gewebes werden zahlreiche Lipasen und Proteasen sekretiert. Ein Typ-IV-Sekretionssystem (S. 349) spielt eine wichtige Rolle für das Überleben der Bakterien durch Injektion von Effektorproteinen in das Cytosol der Wirtszellen oder in die Phagosomenmembran, wodurch die Fusion mit Lysosomen verhindert wird. Obwohl dem Robert Koch-Institut in den letzten Jahren durchschnittlich nur etwa 600–700 Erkrankungen gemeldet wurden, liegt die Dunkelziffer wahrscheinlich höher. Nach der Trinkwasserverordnung müssen Warmwassersysteme ab 2013 regelmäßig auf Legionellen überprüft werden

Erkrankungen des Verdauungstraktes Die Erreger werden über verunreinigte Lebensmittel (Fleisch- und Wurstwaren, Geflügel, Eierspeisen, Salat) oder Trinkwasser oral aufgenommen. Auch eine Übertragung durch Schmierinfektion ist möglich. Da die Bakterien auf dem Weg zum Darm den sauren Magen (pH 1–2) passieren müssen, verfügen sie über spezielle Säureresis-

tenzmechanismen. Je effizienter deren Wirksamkeit, um so geringer ist die zur Auslösung einer Krankheit erforderliche Zahl der Bakterien (Infektionsdosis) (Plus 19.7). ▶ Salmonella spp. Bei der Salmonellose (Lebensmittelvergiftung) handelt es sich um eine Gastroenteritis mit Brechdurchfall, der von Fieber begleitet sein kann. Sie wird hervorgerufen durch Bakterien der Art Salmonella enterica ssp. enterica, wobei die Serovare Typhimurium und Enteritidis von besonderer Bedeutung sind. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts wurden 2011 in Deutschland 23 000 Erkrankungen gemeldet, wobei die tatsächliche Zahl wahrscheinlich deutlich höher liegt. Für eine Infektion ist bei einem erwachsenen Menschen die Aufnahme von 104–106 Bakterien erforderlich. Bei immungeschwächten Personen (Säuglinge, Kleinkinder und alte Menschen) kann die Zahl jedoch deutlich niedriger sein. Die Bakterien, die zunächst den niedrigen pH-Wert des Magens überwinden müssen, werden durch Invasion nach dem Trigger-Mechanismus (▶ Abb. 19.14) in Zellen des Dünndarmepithels (bevorzugt M-Zellen, ▶ Abb. 19.13) aufgenommen. Dazu werden Effektorproteine über ein Typ-III-Sekretionssystem, das auf der Salmonella-Pathogenitätsinsel 1 (SPI-1) codiert ist, eingeschleust, wodurch die Wirtszellen vorübergehend zur Aktinpolymerisation und damit zur Umschließung der Bakterien angeregt werden. Anschließend dringen sie in Phagocyten des darunterliegenden Gewebes (Lamina propria mucosae) ein, wo sie in der Regel verbleiben. Die antimikrobiellen Aktivitäten der Phagocyten werden durch Effektorproteine gehemmt, die auf SPI-2 codiert sind und über ein Typ-III-Sekretionssystem in das Cytosol injiziert werden. Die Aufnahme der Bakterien führt zur Anhäufung von T- und B-Zellen sowie zu Entzündungsreaktionen, was die Freisetzung des Botenstoffs Interleukin-8 (ein Chemokin) zur Folge hat. Dadurch wiederum wird die Bewegung polymorphkerniger neutrophiler Granulocyten (PMN) in das Lumen des Darms induziert, wodurch, verbunden mit der Abgabe von Chlorid-Ionen, ein Wasserverlust (Durchfall) entsteht (▶ Abb. 19.27). Die Erkrankung bleibt auf den Magen-Darm-Trakt beschränkt und klingt in der Regel ohne Antibiotikabehandlung ab. Bakterien der Serovare Typhi oder Paratyphi verursachen dagegen systemische Infektionen (Typhus), die mit

1

Mikroorganismen als Symbionten und Antagonisten

●V

Plus 19.7 Mechanismen der Säuretoleranz bei enteropathogenen Bakterien

einem Antiporter, der die entsprechende Aminosäure aufnimmt und gleichzeitig das Reaktionsprodukt der Decarboxylase, ein Amin, ausschleust (▶ Abb. 19.26). Die Decarboxylasereaktionen verbrauchen ein Proton und tragen somit zur Alkalisierung des Cytoplasmas bei. Die internen pHWerte, die durch diese Systeme erreicht werden, korrelieren mit den pH-Optima der Decarboxylasen. Weiterhin werden Protonen aktiv über einen Chlorid-Protonen-Antiporter aus der Zelle entfernt. So kann bei einem pH von 2,5 im Medium ein Innen-pH von 4,5 erzielt werden, was das Überleben der Bakterien ermöglicht. Die Chaperonproteine HdeA und HdeB im Periplasma tragen ebenfalls wesentlich zur Säuretoleranz von E. coli bei. Beide liegen zunächst als inaktive Dimere vor, die bei pH-Werten unter 3 in die Monomere dissoziieren. Diese binden periplasmatische Proteine, darunter wiederum Chaperone, die für den Einbau von Proteinen in die äußere Membran benötigt werden (Plus 10.6) (S. 347). Dadurch wird verhindert, dass diese Proteine säurebedingt irreversibel denaturieren. Die Kombination von AR2 (Glutamat-Decarboxylase) und den HdeA/B-Chaperonen ist wesentlich dafür verantwortlich, dass E. coli, aber auch Shigella flexneri, einen pH-Wert von 2 für Stunden überleben. Die gegenüber enterohämorrhagischen E. coli (EHEC) höheren Infektionsdosen anderer enteropathogener Bakterien wie S. enterica serovar Typhimurium oder V. cholerae lässt sich mit dem Fehlen dieser Systeme erklären.

Enteropathogene Bakterien werden oral mit der Nahrung oder dem Trinkwasser aufgenommen und gelangen über die Speiseröhre in den Magen, wo sie einem niedrigen pHWert von 1–2 ausgesetzt sind („Säurestress“). Ohne Schutzmechanismen würde dies zu einer säurebedingten Denaturierung periplasmatischer Proteine führen sowie zur letalen Absenkung des cytoplasmatischen pH-Wertes durch passiven Einstrom von Protonen. Prokaryontische Zellen halten generell den internen pH-Wert relativ konstant (pHHomöostase), der bei neutrophilen Organismen, also auch enteropathogenen Bakterien, bei ca. 7,5 liegt. Um ihren eigentlichen Zielort, den Dünn- oder Dickdarm zu erreichen, werden daher bei Säurestress mehr als 50 Gene aktiviert, deren Produkte eine Regulator- oder Chaperonfunktion (Schutz von Proteinen und DNA) haben oder durch enzymatische Aktivität den pH-Wert anheben. Die Eigenschaft der Bakterien, vorübergehenden Säurestress auszuhalten, wird als Säuretoleranz (ATR, engl. acid tolerance response) bezeichnet. Man unterscheidet ATR-Systeme für die exponentielle und stationäre Wachstumsphase, wobei die meisten Kenntnisse über die Mechanismen der exponentiellen Phase vorliegen. Bei E. coli wurden fünf enzymbasierte Systeme (AR1–AR5; AR für engl. acid resistance) identifiziert, wobei über AR1 bislang nur wenig bekannt ist. AR2–AR5 bestehen je aus einer Aminosäure-Decarboxylase und

pH < 3

HdeA/B Dimer

O

AR2

denaturierte Proteine

O

O –

HO

O NH3+

H+ GadA/GadB

CO2 +

NH3

AR3 HN

N H

O

GadC

γ-Aminobuttersäure

L-Glutaminsäure +

Glu

NH3+



NH3+

O O– NH3+

H+ AdiA

CO2 + HN

Arg

NH3+

N H

AdiC

Agmatin

L-Arginin O

AR4

H3N+

O– NH3+

H+ LdcI/LdcC

CO2 +

H3N+

Lys

NH3+

CadB

Cadaverin

L-Lysin O

AR5

H3N+

O– NH3+

H+ SpeF/SpeC

CO2 +

PotE

Putrescin

L-Ornithin

2Cl– H+

pH ~4,5 innere Membran Periplasma äußere Membran pH ~2,5

662

Orn

NH3+

H3N+

Abb. 19.26 Säuretoleranzsysteme von enteropathogenen Bakterien.

H+

CIC

19.5 Mikroorganismen als Auslöser von Krankheiten Lumen des Dünndarms Gastroenteritis

M-Zelle Epithelzelle

Cl–

Makrophage

T-Zelle

B-Zelle

S. Typhimurium PMNAuswanderung

S. Typhi Fieber, Verbreitung zu Organen (systemische Infektion) Abb. 19.27 Entstehung von Gastroenteritis und Typhus durch Salmonella spp. Salmonellen dringen bevorzugt in M-Zellen ein und gelangen durch Transcytose zu basal gelegenen T- und BZellen. Typhöse Salmonellen lassen sich von intestinalen Makrophagen aufnehmen, in denen sie sich vermehren, und verbreiten sich über das gesamte Gewebe. Nichttyphöse Salmonellen induzieren dagegen eine frühe lokale Entzündungsreaktion, in deren Folge polymorphkernige polymorphkernige neutrophile Granulocyten (PMN) in das Darmlumen wandern und zusammen mit der Sekretion von Chlorid-Ionen Wasserverlust und somit Durchfall verursachen.

einer Verbreitung im Blutstrom (Sepsis) verbunden sind und zu Organschädigungen führen. Typhöse Salmonellen erreichen über infizierte spezielle Makrophagen (z. B. Dendritenzellen) das lymphatische System und den Blutstrom, wodurch sie zu Lymphknoten, Milz, Rückenmark, Leber und Gallenblase gelangen. In Lymphknoten, Rückenmark und Gallenblase können die Bakterien zeitlebens verbleiben. Symptome sind starkes Fieber, Abdomenschmerzen und Durchfall ab der 3. Krankheitswoche, eventuell auch Darmblutungen. Die Infektion, für die nur etwa 102–103 Bakterien erforderlich sind, erfolgt durch Schmierinfektion direkt von menschlichen Ausscheidern der Bakterien oder indirekt über kontaminiertes Wasser oder Lebensmittel. Die Krankheit muss mit Antibiotika behandelt werden. Ein Problem stellen die sogenannten Dauerausscheider dar, die auch nach überstandener Erkrankung weiterhin infektiöse Bakterien mit dem Stuhl freisetzen. ▶ Pathogene Escherichia coli. Intestinale Infektionen werden hauptsächlich von den vier Pathovaren EPEC,

ETEC, EIEC und EHEC verursacht, wobei jeweils spezifische Wechselwirkungen mit den Darmepithelzellen zugrunde liegen (▶ Abb. 19.28). Enteropathogene E. coli (EPEC) verursachen Säuglingsdiarrhö und tragen dadurch vor allem in Entwicklungsländern erheblich zur Säuglingssterblichkeit bei. Die Bakterien heften sich durch spezifische Oberflächenproteine (Intimine) an Rezeptoren der Dünndarmepithelzellen an, wobei Veränderungen im Cytoskelett entstehen, hervorgerufen durch über ein Typ-III-Sekretionssystem (S. 349) injizierte Effektoren. Es kommt zur Zerstörung des Mikrovillisaums der Epithelzelle, wodurch becherartige Ausstülpungen gebildet werden, auf denen die Bakterien in engem Kontakt angeheftet sind. Dies wird auch als Attaching-and-effacing-Läsion bezeichnet. Enterotoxische E. coli (ETEC) verursachen massive wässrige Durchfälle („Reisedurchfall“), die der Cholera ähneln (s. dort), und auf die Aktivität von hitzelabilen (LTx) und hitzestabilen (STx) Toxinen zurückgehen. Enteroinvasive E. coli (EIEC) rufen Entzündungen der Schleimhaut des Dickdarms hervor, wodurch Durchfälle ähnlich der Bakterienruhr durch Shigella-Arten entstehen. Enterohämorrhagische E. coli (EHEC) sind die Ursache für hämorrhagische Colitis mit blutigem Durchfall und dem hämolytischen Urämiesyndrom (HUS), das in ca. 5 % der EHEC-Infektionen auftritt und u. a. mit akutem Nierenversagen verbunden ist. Die Infektionsdosis ist mit ca. 101–102 sehr niedrig, was auf effiziente Säuretoleranzmechanismen zurückgeführt werden kann (Plus 19.7) (S. 662). Die Bakterien bilden das dem Shigatoxin (s. Shigella spp.) ähnliche Verotoxin weshalb sie auch als STEC (shigatoxinbildende E. coli) oder VTEC (verotoxinbildende E. coli) bezeichnet werden. Der bislang häufigste Serotyp ist O157:H7. In Deutschland wurden dem Robert Koch-Institut im Jahr 2 011 4 800 EHEC-Erkrankungen (außer HUS) und 7 800 Erkrankungen durch andere E.-coli-Pathovare gemeldet. Pathovare wie enteroaggregative E. coli (EAEC) und diffus adhärente E. coli (DAEC) haben eine nur geringe medizinische Bedeutung. Allerdings ist die durch E.-coli-Bakterien im Jahr 2011 in Deutschland hervorgerufene Erkrankungswelle, die 4 000 Menschen erfasste, davon 900 Patienten mit HUS, und zu 50 Todesfällen führte, auf ein EAEC-Bakterium zurückzuführen, das durch horizontalen Gentransfer (S. 194) das Verotoxin von EHEC-Bakterien erhalten hatte. Das neue Pathovar trägt die Bezeichnung O104:H4. ▶ Shigella spp. Bakterien der Gattung Shigella verursachen die Bakterienruhr (Shigellose), wobei es sich um eine Erkrankung mit zunächst wässrigem Durchfall handelt, der nach Befall des Dickdarms auch Blut enthalten kann. Die Erkrankung fällt besonders schwer bei Infektion mit S. dysenteriae aus, da nur dieser Stamm das Shigatoxin bildet. Das Toxin ist eine N-Glykosidase und hemmt die Proteinbiosynthese der Wirtszellen durch Abspaltung von Adenin von der 28S-rRNA der 60S-Untereinheit des Ribosoms. Die Bakterien sind nur für den

3

Mikroorganismen als Symbionten und Antagonisten b

a Mikrokolonie

1

2

c

Rezeptoren

3 Stx

Aktin

ST

LT

systemische Infektion EPEC d

Biofilm

EHEC Fimbrien

ETEC

e M-Zelle

Aktin

TJ

Cytotoxine und Enterotoxine

Invasion TJ

EAEC

EIEC Makrophage

Menschen pathogen und werden direkt von einem Infizierten oder indirekt über Trinkwasser und Nahrungsmittel übertragen. Wenige Hundert Bakterien genügen für eine Infektion. Diese erfolgt über M-Zellen (▶ Abb. 19.13) der Dickdarmschleimhaut, wodurch die Bakterien in das darunter gelegene Gewebe gelangen (Transcytose). Nach Phagocytose durch Makrophagen werden die Phagosomen von den Bakterien lysiert und der Zelltod der Makrophagen eingeleitet. Die freigesetzten Shigellen dringen nun von der Innenseite in normale Epithelzellen (Enterocyten), wofür auf einem Plasmid codierte Proteine (Invasine) benötigt werden. ▶ Vibrio cholerae. Bei Cholera handelt es sich um eine lebensbedrohende Durchfallerkrankung, die durch Vibrio cholerae, ein gramnegatives, gekrümmtes Stäbchenbakterium ausgelöst wird (▶ Abb. 19.29). Aufgrund von Variationen im O-Antigen (bestehend aus Lipopolysacchariden, LPS) (S. 152) unterscheidet man mehrere Serovare. Erreger der Cholera gehören in der Regel dem Serovar O:1 an. Diese wiederum lassen sich anhand physiologischer Eigenschaften in die Biovare „cholerae“ und „eltor“ einteilen. Die Erkrankung trat bisher in sieben weltweiten Epidemien (Pandemien) auf, von denen die letzte derzeit

664

Abb. 19.28 Interaktionen verschiedener E. coli Pathovare mit Wirtszellen. a EPEC heften sich an Epithelzellen des Dünndarms und zerstören die normale Anordnung der Mikrovilli, wodurch die typischen Attaching-and-effacingLäsionen entstehen. Veränderungen im Cytoskelett sind mit Entzündungsreaktionen und Durchfall verbunden. ① Anheftung, ② Translokation von Effektorproteinen über ein Typ-III-Sekretionssystem, ③ Bildung des charakteristischen Podests. b EHEC bilden Attaching-and-effacing-Läsionen im Dickdarm. Die Freisetzung des Shigatoxins (Stx) führt zu systemischer Infektion. c ETEC heften sich an Epithelzellen des Dünndarms und verursachen durch Sekretion von hitzelabilen (LT) und/oder hitzestabilen (ST) Enterotoxinen wässrigen Durchfall. d EAEC binden an Epithelzellen von Dünnund Dickdarm in Form eines Biofilms und bilden Entero- und Cytotoxine. e EIEC gelangen über Transcytose durch M-Zellen des Dickdarms in Makrophagen, lysieren das Phagosom, verlassen die Makrophagen und lassen sich von benachbarten Dickdarmepithelzellen aufnehmen. Sie bewegen sich dort über Aktinfilamente und können über ZellZell-Kontakte lateral durch das Gewebe wandern. TJ, Tight Junction.

noch anhält. Außerhalb eines menschlichen Wirtes kommen die Bakterien in aquatischer Umgebung und dort lebenden Tieren wie Muscheln vor, wo sie Biofilme bilden. Die Aufnahme der Bakterien erfolgt oral fast ausschließlich über mit Fäkalien kontaminiertes Trinkwasser aufgrund ungenügender sanitärer Verhältnisse. Daher tritt Cholera insbesondere in einigen Entwicklungsländern endemisch (S. 672) und auch als Folge von Naturkatastrophen, wie zuletzt 2010 auf Haiti, oder kriegerischen Auseinandersetzungen auf. Für den Ausbruch der Krankheit ist die Aufnahme einer relativ hohen Anzahl von Bakterien (108–109) erforderlich. Erfolgt die Aufnahme jedoch über Nahrungsmittel (z. B. Muscheln), sind deutlich weniger Bakterien notwendig, um die Krankheit auszulösen. Das Krankheitsbild ist ausschließlich auf die Wirkung eins Toxins vom A-B-Typ zurückzuführen (Plus 19.8). Unbehandelt verliert der Patient bis zu 20 l Wasser pro Tag. Dadurch werden jedoch auch die Bakterien ausgeschwemmt, weshalb die Krankheit als selbstlimitierend bezeichnet wird. Therapeutische Maßnahmen bestehen im Ausgleich des Wasser- und Ionenverlustes durch eine Elektrolyt-Glucose-Lösung (Empfehlung der WHO: 2,6 g NaCl, 2,9 g Trinatriumcitrat, 1,5 g KCl und 13,5 g Glucose pro Liter Wasser) sowie in der Gabe von Antibiotika, z. B. Doxycyclin und Erythromycin.

19.5 Mikroorganismen als Auslöser von Krankheiten

Abb. 19.29 Zellen von Vibrio cholerae. Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme. (aus Kayser et al., Taschenlehrbuch Medizinische Mikrobiologie, Thieme, 2010)

▶ Helicobacter pylori. Helicobacter pylori, ein helikal (oder schraubenförmig) geformtes Bakterium (▶ Abb. 19.31), das phylogenetisch zu den Epsilonproteobacteria (S. 65) zählt, verursacht chronisch-entzündliche und maligne Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes (Gastritis, Magengeschwüre und Magenkrebs). Der Organismus wird mit der Nahrung oder durch Schmierinfektion aufgenommen, wobei neuere Untersuchungen auch von einer Übertragung durch andere Säuger, wie Katzen, ausgehen. Nach Schätzungen sind ca. 40 % der Bevölkerung entwickelter Länder und 80 % der Bevölkerung in Entwicklungsländern mit H. pylori infiziert, von denen jedoch nur ein geringerer Anteil auch Krankheitssymptome (Magenschwüre ca. 10 %, Magenkrebs ca. 1 %) entwickelt. H. pylori besiedelt hauptsächlich die Magenschleimhaut, kann jedoch langfristig auch in den Zwölffingerdarm vor-

●V

Plus 19.8 Wirkungsweise des Choleratoxins Im Dünndarm heften sich die Bakterien mittels spezieller Adhäsionsfaktoren an Epithelzellen an, vermehren sich und setzen das Choleratoxin frei. Es handelt sich dabei um ein Protein des A-B-Typs, das aus einer A-Komponente und fünf Kopien der B-Komponente besteht (▶ Abb. 19.16). Die AKomponente besteht aus zwei Untereinheiten (A1 und A2), die über eine Disulfidbrücke verbunden sind. Das A-B5-Toxin bindet zunächst an das Gangliosid GM1 auf der Oberfläche der Darmepithelzellen (▶ Abb. 19.30a, ①). Durch Endocytose wird das Toxin in einem Vesikel in die Zelle aufgenommen ②, welches zum endoplasmatischen Retikulum (ER) transportiert wird ③. Im Lumen des ER wird die A1-Untereinheit durch Reduktion der Disulfidbrücke freigesetzt und durch den Proteinsekretionsapparat in der ER-Membran (Sec) in das Cytosol exportiert ④. A1 katalysiert die Übertragung eines ADP-Ribosylrestes von NAD+ auf ein G-Protein der Wirtszelle ⑤, ▶ Abb. 19.30b). Dieses reguliert die Aktivität des Enzyms Adenylat-Cyclase, welches als Reaktion auf extrazelluläre Reize (z. B. durch Hormone) den zellulären Botenstoff cAMP synthetisiert. Durch die Modifikation verbleibt das G-Protein dauerhaft in der aktiven Form und somit auch die Adenylat-Cyclase. Die Zelle behält dadurch einen hohen cAMP-Spiegel, der zu einer Veränderung der Ionenflüsse über die Zellmembran führt. Unter normalen Bedingungen werden Na+-Ionen aktiv aus dem Lumen des Dünndarms in das Blut transportiert, womit auch ein passiver Wasserstrom verbunden ist. Als Folge der Toxinaktivität und der dadurch hohen Konzentration an cAMP werden jedoch die Na+-Pumpen inaktiviert; Folge ist ein Nettofluss von Chlorid-Ionen aus dem Blut ins Lumen und damit verbunden auch ein massiver Wasserausstrom ins Lumen ⑥. Die Untereinheiten des Toxins werden von den Genen ctxA und ctxB codiert, die auf einem im Chromosom der Bakterien integrierten Prophagen (CTX) lokalisiert sind. Für die Aufnahme des CTX-Phagen in das Bakterium wird ein bestimmter Zellanhang, der TCP-Pilus (für engl. toxin

a

Lumen des Dünndarms A1-Untereinheit B-Untereinheit

A2-Untereinheit

Adenylatcyclase Na+

GTPase 1 GM1 NAD+

NAm

2

ADPRibose

5

6

H2O

cAMP

Sec

4

3

Cl–

ATP

Zellkern endoplasmatisches Retikulum

O

b

C ADP

O

ADP NH2 Transferase

N

HO OH NAD+

H2N

E

E

Ribose N H + O C

NH2

N Nicotinamid

Abb. 19.30 Wirkungsmechanismus des Choleratoxins. a Zellulärer Mechanismus. NAm, Nicotinamid. b Übertragung eines ADP-Ribosylrests von NAD+ auf ein G-Protein.

coregulated pili) benötigt, der auf der TCP-Pathogenitätsinsel codiert ist. Die Expression der ctx-Gene wird durch verschiedene Umweltfaktoren (pH-Wert, Temperatur, Gallensäuren) angestoßen, die das Milieu im Wirt charakteristisch gegenüber der aquatischen Umgebung abgrenzen. An dieser Erkennung sind mehrere Sensor-Regulator-Systeme (Kap. 10, Kap. 17) beteiligt.

5

Mikroorganismen als Symbionten und Antagonisten dringen. Um im sauren Milieu des Magens (pH-Wert 1–2) überleben zu können, produzieren die Bakterien u. a. Urease, ein cytoplasmatisches Enzym, das Harnstoff in Hydrogencarbonat und Ammoniak spaltet. Ammoniak verlässt die Zellen, wodurch der pH-Wert im Periplasma und in der unmittelbaren Umgebung der Bakterien erhöht wird. Die Folge kann auch der cytoplasmatische pH-Wert der Bakterien neutral gehalten werden (▶ Abb. 19.32). Als ein wichtiger Virulenzfaktor ist ein Cytotoxin (VacA) bekannt, das Epithelzellen des Wirtes zerstört. Darüber hinaus enthält das Chromosom einiger Helicobacter-Stämme eine Pathogenitätsinsel (Cag PAI; engl. cytotoxin-associated gene pathogenicity island) die u. a. ein Typ-IV-Sekretionssystem (S. 349) codiert, über das ein Effektorprotein (CagA) in die Magenschleimhautzellen des Wirtes gelangt. Das Auftreten von Magengeschwüren und Magenkrebs ist insbesondere auf die Anwesenheit von cag+-Stämmen zurückzuführen. Bei vorliegender klinischer Symptomatik kann H. pylori durch eine Tripeltherapie mit einem Protonenpumpenhemmer und zwei Antibiotika innerhalb von 7 Tagen sehr effizient entfernt werden.

Abb. 19.31 Helicobacter pylori – Langzeitkolonist der Magenschleimhaut. Rasterelektronenmikroskopische Aufnahme von Zellen von Helicobacter pylori in Assoziation mit Magenschleimhautzellen. (Aufnahme Volker Brinkmann, MPI für Infektionsbiologie, Berlin)

extrazelluläres Medium

Erkrankungen des Urogenitaltrakts Infektiöse Erkrankungen der Harnwege (Zystitis, Harnblasenentzündung; Pyelonephritis, Nierenbeckenentzündung) werden vorwiegend durch Enterobakterien ausgelöst, davon zu 90 % von E.-coli-Stämmen. Darüber hinaus können Harnwegserkrankungen auch von Vertretern der Gattungen Proteus, Klebsiella oder Staphylococcus verursacht werden. Grundlage der Infektion mit uropathogenen E. coli (UPEC) ist eine Kontamination im Eintrittsbereich der Harnröhre (Urethra) mit Bakterien, die den Darm kolonisiert haben. Die Besiedlung der Epithelzellen der Blase (Uroepithelium) benötigt spezielle Adhäsine (Pap, Typ-I-Pili, andere Fimbrien) (S. 164), die mit einer speziellen Struktur an ihrer Spitze an Rezeptoren der Wirtszelle binden. Darauf kann bei einigen Stämmen eine Invasion und Vermehrung in den Wirtszellen erfolgen. Bei anderen führt die Anheftung zum Zelltod der Uroepithelzelle. Bei Bakterien, die eine Zystitis (Entzündung der Harnblase) auslösen, bleiben die Fimbrien erhalten und die Besiedlung bleibt auf die Blase beschränkt. Dagegen wird die Fimbriensynthese bei solchen UPECs, die eine Pyelonephritis (Nierenbeckenentzündung) verursachen, eingestellt, sodass sich die Bakterien von den Epithelzellen lösen und über die Harnleiter (Ureter) in die Nieren wandern. Dort könnte die Freisetzung von Hämolysin die Nierenepithelzellen schädigen und letztlich zusammen mit anderen Virulenzfaktoren eine Entzündungsreaktion auslösen. Schließlich können die Bakterien auch die Tubulusepithelzellen durchdringen und in die Blutbahn gelangen.

666

pH ~2,5–5,5 NH4+

NH3 + H+

NH4+ NH4+

NH3 NH3

Harnstoff äußere Membran Porin

HCO3– H+ + HCO3–

Periplasma pH 5,0–6,0

α-CA 2NH3

CO2

Urel innere Membran β-CA

2NH3 + CO2

Harnstoff

UreB UreA Urease

Cytoplasma

Abb. 19.32 Modell der pH-Regulation durch die Urease bei Helicobacter pylori. Harnstoff gelangt über Porine in das Periplasma und wird durch einen nur bei saurem pH (< 6) aktiven Transporter (UreI) in das Cytoplasma aufgenommen. Die im Cytoplasma lokalisierte Urease (UreAB) spaltet Harnstoff in 2 NH3 und H2CO3, welche durch eine Carboanhydrase (β-CA) in CO2 umgewandelt wird. Beide Gase gelangen in das Periplasma, wo CO2 durch eine membrangebundene Carboanhydrase (α-CA) zu HCO3– (Hydrogencarbonat) umgewandelt wird, wodurch der pH-Wert bei ca. 6,1 gehalten wird. Das dabei freigesetzte Proton reagiert mit NH3 zu NH4+ und wird so neutralisiert. Die Reaktion von NH3 sowohl mit Protonen, die ins Periplasma gelangen, als auch mit Protonen im Medium halten einen periplasmatischen pH-Wert aufrecht, der deutlich über dem des Mediums liegt. (nach Krulwich et al., Nature Rev. Microbiol. 9 (2011):330)

19.5 Mikroorganismen als Auslöser von Krankheiten Zu den wichtigsten bakteriellen Erkrankungen, die durch Geschlechtsverkehr übertragen werden, gehören Syphilis und Gonorrhö. ▶ Treponema pallidum spp. pallidum. T. palladium ist der Erreger der Syphilis. Bei den Bakterien handelt es sich um dünne, spiralig gekrümmte Organismen mit einer Zelllänge von 5–15 µm, die zur Familie der Spirochaetaceae gehören (▶ Abb. 2.24f) und sich mit einer Endoflagelle bewegen (▶ Abb. 5.39). Die Bakterien können bisher nicht in vitro kultiviert werden. Für Versuchszwecke ist vorübergehend eine Vermehrung in einer Epithelzelllinie möglich, langfristig müssen die Bakterien jedoch in Laborratten vermehrt werden. Auch eine genetische Manipulation ist nicht möglich. Wie die Analyse der vollständigen Genomsequenz zeigt, fehlen zahlreiche Gene für Stoffwechselwege, jedoch sind viele Transportsysteme codiert. Dies lässt den Schluss zu, dass der Organismus auf die Aufnahme von Nährstoffen aus dem Wirt angewiesen ist. Die Erreger werden über kleine Risse in der Schleimhaut übertragen, verbreiten sich im Blutstrom und nach 2–4 Wochen sind als erste Symptome Geschwüre im Genitalbereich nachweisbar, die Bakterien enthalten (Primärstadium). Auf diese können zwei weitere Stadien folgen, wobei im 3. Stadium, das erst viele Jahre nach der Primärinfektion erreicht werden kann, eine chronische Entzündung von Organen eintritt. Eine möglichst frühzeitige Behandlung mit Penicillin G ist als Therapie etabliert. Das Robert Koch-Institut verzeichnet eine seit Jahren wieder steigende Zahl an Erkrankungen in Deutschland. ▶ Neisseria gonorrhoeae. Diese Erreger, auch als Gonokokken bezeichnet, sind gramnegativ, kommen als Diplokokken vor und verursachen eine eitrige Infektion der Urogenitalschleimhaut (Gonorrhö, auch als Tripper bekannt), beim Mann auch der Prostata und der Nebenhoden. Im weiblichen Genitaltrakt kann es zu Eileiterentzündungen kommen. Als wesentliche Virulenzfaktoren zur Anheftung an Schleimhautzellen dienen Typ-IV-Pili und das äußere Membranprotein Opa (engl. opacityassociated adhesin; opacity engl. für Undurchsichtigkeit; Opa lässt Kolonien auf Agarplatten trüb erscheinen). Opa-Proteine induzieren die Transcytose der Bakterien durch Epithelzellen und Porine sind an der Hemmung der Fusion des Phagosoms mit Lysosomen beteiligt, sodass sich phagocytierte Gonokokken in diesen vermehren können. Als Therapie erfolgt eine Behandlung mit Cephalosporinen, wobei zunehmend multiresistente Stämme auftreten.

Erkrankungen des Zentralnervensystems Die Übertragung von Bakterien in das Zentralnervensystem erfolgt über den Blutkreislauf.

▶ Neisseria meningitidis. Hierbei handelt es sich um Parasiten der Nasenschleimhaut, die charakteristisch von einer Polysaccharidkapsel umgeben sind. Aufgrund von Variationen der Kapselkomponenten lassen sich 13 Serovare unterscheiden. Nichtinvasive Stämme kommen bei 5–10 % der Bevölkerung vor. Hyperinvasive Stämme werden durch Tröpfcheninfektion übertragen und verursachen Hirnhautentzündung (Meningitis), die insbesondere in Entwicklungsländern häufiger auftritt. Wie N. gonorrhoeae durchdringen sie über Transcytose die Schleimhautzellen und gelangen in den Blutkreislauf. An der initialen Adhäsion sind ebenfalls Typ-IV-Pili und Proteine der äußeren Membran beteiligt. Auch IgA-Proteasen, die Antikörper zerstören, sind wichtige Virulenzfaktoren. Die Bakterien sind empfindlich gegenüber einer Behandlung mit den Antibiotika Penicillin G oder Cephalosporin. Meningitis kann auch von anderen Erregern ausgelöst werden, so durch E.-coli-Stämme (NMEC), die insbesondere für die Erkrankung von Säuglingen (NeugeborenenMeningitis) verantwortlich sind, und durch Strectococcus pneumoniae bei Erwachsenen. ▶ Clostridium spp. Bei Vertretern der Gattung Clostridium handelt es sich grampositive, strikt anaerobe, sporenbildende Stäbchen, die im Boden und im Verdauungstrakt von Mensch und Tieren natürlicherweise vorkommen und Buttersäuregärung (S. 429) betreiben. Clostridium tetani verursacht Wundstarrkrampf (Tetanus) (▶ Abb. 2.22e, ▶ Abb. 2.22f) nach Zutritt in das Gewebe über Wunden in der Haut. Die Erkrankung beruht auf der Aktivität des A-B-Toxins Tetanospasmin (Tetanustoxin), dessen aktive A-Komponente eine Zink-Metalloprotease ist und in Synapsen von hemmenden Neuronen im Rückenmark gelangt. Diese geben normalerweise die Aminosäure Glycin ab, wodurch die Freisetzung des Neurotransmitters Acetylcholin gehemmt wird und die Muskeln sich entspannen können. Tetanustoxin inhibiert die Glycinfreisetzung durch proteolytische Spaltung einer Proteinkomponente von sekretorischen Vesikeln, die Glycin abgeben (▶ Abb. 19.33a). Dies führt zu erhöhtem Muskeltonus sowie Krämpfen mit nachfolgender spastischer Lähmung. Das Tetanustoxin ist mit einer für Mäuse letalen Dosis von 1 ng das zweitstärkste Toxin nach dem Botulinumtoxin. Zur Therapie wird ein Antitoxin angewandt. Aufgrund der Durchimpfung der Bevölkerung kommt die Krankheit nur noch selten vor. Empfohlen wird eine Auffrischung der Impfung, die mit einem entgifteten Toxin (Toxoid) erfolgt, im Abstand von 10 Jahren. Auch C. botulinum ist nicht invasiv und die Erkrankung, Botulismus (von lat. Botulus, Wurst), wird ausschließlich durch Aufnahme des gebildeten Neurotoxins verursacht. Das Toxin wird in kontaminierter Nahrung gebildet, beispielsweise in Fleisch- und Wurstwaren oder auch in unsachgemäß hergestellten Konserven, die meist aufgrund der Vermehrung der Bakterien unter Gasbil-

7

Mikroorganismen als Symbionten und Antagonisten

Systemische Infektionen

a

Glycin

Tetanustoxin

Glycinrezeptor

Entspannung

Kontraktion (Krampf) Muskelfaser

Eine systemische Infektion liegt vor, wenn sich die Erreger über die Blutbahn oder das lymphatische System über ein gesamtes Organsystem (beispielsweise das Zentralnervensystem) oder den ganzen Organismus ausbreiten. Beispiele für Erreger dieses Typs, wie Salmonella enterica serovar Typhi (S. 661) und Treponema pallidum ssp. pallidum (S. 667) wurden bereits besprochen. Im Folgenden werden zwei weitere Erreger systemischer Infektionen vorgestellt, bei denen es sich um Zoonosen handelt. Darunter versteht man eine auf den Menschen übertragbare Tierkrankheit.

b Acetylcholin

Botulinumtoxin

Acetylcholinrezeptor

Kontraktion

Entspannung (Lähmung)

Abb. 19.33 Wirkungsweise von Neurotoxinen aus Clostridium spp. a Tetanustoxin. b Botulinumtoxin.

dung aufgebläht sind. Das Toxin gelangt in den Verdauungstrakt und von dort in den Blutstrom. Weiterhin können Sporen der Bakterien in offene Wunden gelangen, wo sich die vegetativen Zellen dann vermehren und das Toxin produzieren (Wundbotulismus). Säuglingsbotulismus entsteht ebenfalls durch Aufnahme von Sporen mit der Nahrung, die im Verdauungstrakt zu vegetativen Zellen auskeimen. Das Botulismustoxin, von dem 7 Serotypen (A–G) vorkommen, ist das stärkste bekannte Toxin. Die LD50-Werte (Konzentration bei der die Hälfte der Versuchstiere stirbt) für Mäuse liegen abhängig von der Verabreichungsweise zwischen 30 pg kg–1 und 4 ng kg–1. Auf den Menschen bezogen könnten 400 g des Toxins die gesamte Weltbevölkerung vernichten. Botulismustoxin wirkt auf ähnliche Weise wie das Tetanustoxin, jedoch wird in diesem Fall die Ausschüttung des Neurotransmitters Acetylcholin in den Präsynapsen der motorischen Endplatte gehemmt. Dadurch wird die Kontraktion von Muskelfasern unterbunden und es treten schlaffe Lähmungen auf (▶ Abb. 19.33b). Das Toxin zählt aufgrund seiner Wirksamkeit auch als biologische Waffe (S. 678) und wird in der Medizin z. B. zur Therapie von Muskelspasmen und Krämpfen oder bei Schielen eingesetzt. Außerdem wird das Toxin zunehmend in der Schönheitschirurgie zur vorübergehenden Faltenglättung verwendet (Botox).

668

▶ Borrelia burgdorferi. Das Bakterium gehört wie Organismen der Gattung Treponema zur Familie der Spirochaetaceae. Es werden vier Arten unterschieden, von denen B. burgdorferi (sensu lato, lat. im weiteren Sinne) die sogenannte Lyme-Borreliose verursacht (erstmals aufgetreten in der Ortschaft Lyme, Conneticut, USA). Dabei handelt es sich um eine chronisch verlaufende Erkrankung, die in drei Stadien abläuft, wobei die chronische Phase Monate bis Jahre nach Infektion eintreten kann. Überträger sind Zeckenarten (in Europa Ixodes ricinus, Holzbock), welche die Bakterien bei einer Blutmahlzeit aus Mäusen, die selbst nicht erkranken, aufnehmen. Nach der Infektion bildet sich in etwa 50 % der Fälle zunächst innerhalb von Tagen eine kreisförmige Hautrötung am Einstichort. In den Stadien 2 und 3 kommt es dann zum Befall des Nervensystems (spezielle Form der Meningitis) oder der Gelenke (Arthritis) sowie speziellen Hauterkrankungen. Die Bakterien enthalten in ihrer äußeren Membran viele Kopien von Osp (engl. outer surface proteins), bei denen es sich um Lipoproteine handelt, die für die frühe Phase der Infektion wichtig sind. Ihre genaue Funktion ist jedoch noch unklar. Anschließend erfolgt eine Verbreitung in verschiedene Gewebe, wobei die Bakterien auch wirtseigene Enzyme zum Abbau extrazellulärer Matrixkomponenten von Phagocyten und anderer Zellen aktivieren. Spezielle Adhäsine auf der Zelloberfläche binden an Rezeptoren verschiedener Gewebe und ermöglichen so die systemische Infektion. ▶ Yersinia pestis. Das Bakterium gehört zur Familie der Enterobacteriaceae und ist der Erreger der Pest („Schwarzer Tod“). Zur Gattung Yersinia gehören weiterhin Y. pseudotuberculosis und Y. enterocolitica, die beide nach Aufnahme mit der Nahrung eine Enteritis, verbunden mit Entzündung von Lymphknoten, hervorrufen. Genomanalysen weisen darauf hin, dass Y. pestis aus Y. pseudotuberculosis durch Aufnahme von zwei Virulenzplasmiden hervorgegangen ist. Y. pestis befällt normalerweise Nagetiere und kann von diesen über Flöhe auf Ratten, Haustiere oder den Menschen übertragen werden. Der Schwarze Tod kam im 14. Jahrhundert über die Seidenstraße aus Zentralasien nach Europa und erreichte die Krim um 1347. Die dort gelegene Stadt Kaffa wurde zu diesem

19.5 Mikroorganismen als Auslöser von Krankheiten Zeitpunkt von Tartaren belagert, die ihre an der Pest verstorbenen Soldaten mithilfe von Katapulten in die Stadt schleuderten und somit die Erreger verbreiteten. Dies ist ein frühes Dokument für den Einsatz eines pathogenen Bakteriums als „Biowaffe“ (S. 678). Von der Krim aus wurde die Krankheit auf dem Seeweg in Hafenstädte verschleppt und verbreitete sich schließlich in fast ganz Europa. Etwa 25 Mio. Menschen, ein Viertel der damaligen Bevölkerung Europas, starb, bevor die Krankheitswelle nachließ. Weitere Ausbrüche gab es z. B. zu Beginn des 18. Jahrhunderts. Heute ist die Pest eine seltene Erkrankung. Zweifel an Y. pestis als dem Verursacher der Todesfälle im Mittelalter wurden kürzlich durch die Untersuchung alter Erbsubstanz aus Massengräbern in mehreren Ländern entkräftet. Die Bakterien verbreiten sich nach dem Biss eines infizierten Flohs, bei dem ca. 25 000–100 000 Bakterien übertragen werden, rasch über den Blutkreislauf und das lymphatische System hin zu den Lymphknoten, in denen sie sich vermehren. Dies führt zu einer Entzündungsreaktion, durch die die Lymphknoten nach 2–5 Tagen bläulich verfärbt anschwellen (Beulen- oder Bubonenpest). Gelangen die Bakterien anschließend in die Blutbahn entsteht eine Sepsis (Blutvergiftung), in deren Verlauf die Bakterien in andere Organe gelangen. Aus einem Eindringen in die Lunge resultiert die Lungenpest mit bakterienreichem Speichel, sodass die Bakterien über Aerosole auf andere Personen übertragen werden können. Diese entwickeln eine primäre Lungenpest, die ohne Therapie zu 90–100 % tödlich verläuft. Wichtige Virulenzfaktoren sind ein Plasminogenaktivatorprotein, das die Blutgerinnung an der Eintrittsstelle der Bakterien verhindert, eine fibrilläre Proteinkapsel (F1-Antigen), die zusammen mit Effektoren (Yops, engl. Yersinia outer membrane proteins), die über ein Typ-IIISekretionssystem entlassen werden, die Phagocytose der Bakterien durch Makrophagen unterbinden, sowie ein spezielles Eisensiderophor (Yersiniabactin). ▶ Tab. 19.7 fasst wichtige humanpathogene Bakterien und ihre Eigenschaften steckbriefartig zusammen.

19.5.3 Virale Krankheitserreger und Prionen Da in Kapitel 4 bereits eine ausführlichere Besprechung viraler Krankheitserreger vorgenommen wurde, werden an dieser Stelle lediglich einige besonders wichtige Vertreter behandelt. ▶ HIV. Das HI-Virus (engl human immunodeficiency virus) gehört zur Gruppe der Retroviren (S. 132) und ist der Erreger des erworbenen Immunschwächesyndroms (acquired immune deficiency syndrome, AIDS). Nach Angaben von UNAIDs, einer Unterorganisation der Vereinten Nationen, waren im Jahr 2011 weltweit 34 Mio. Menschen infiziert, davon mehr als 90 % in Entwicklungslän-

dern. Besonders betroffen ist das südliche Afrika, wo etwa 5 % der Erwachsenen das Virus tragen. Die Zahl der Todesopfer betrug 1,7 Mio., während 2,5 Mio. Neuinfizierte hinzukamen. Beide Zahlen nehmen jedoch seit 2005 kontinuierlich ab. Insgesamt sind seit Ausbruch der Pandemie Mitte der 1980er-Jahre mehr als 25 Mio. Menschen an den Folgen von AIDS gestorben. Die Viren, die in HIV-1 und HIV-2 unterteilt werden, zerstören gezielt T-Helferzellen (CD4-T-Zellen), die eine wichtige Rolle bei der zellulären Immunabwehr spielen. Dies hat eine erhöhte Anfälligkeit der Patienten gegenüber Sekundärinfektionen durch Bakterien, Einzeller und andere Viren zur Folge. Insbesondere eine zusätzliche Infektion mit Mycobacterium tuberculosis wird zunehmend beobachtet. Auf die Erstinfektion, die durch Blut, Blutprodukte, Geschlechtsverkehr und während der Schwangerschaft von der Mutter auf den Fötus geschehen kann, folgt eine Inkubationsphase, die, nach heutiger Sicht, mehr als 10 Jahre betragen kann, bevor die eigentliche Erkrankung ausbricht. Labordiagnosen zum Nachweis einer Infektion beinhalten die Analyse von HIV-Antikörpern und HIV-Antigenen mittels immunologischer Methoden (Enzymimmunoassay, Immunoblot). Die Isolierung des Virus aus dem Blut des Patienten und die Bestimmung der Viruskopienzahl erfolgt über quantitative PCR (Methode 6.7) (S. 224). Zur Behandlung werden Kombinationen von drei oder vier antiviralen Medikamenten eingesetzt, die für die Vermehrung der Viren wichtige Enzyme (Reverse Transkriptase, Protease oder Integrase) (S. 133) hemmen. Ein Impfstoff steht noch nicht zur Verfügung. ▶ Hepatitis B. Hepatitis B oder Serum-Hepatitis wird durch ein DNA-enthaltendes Virus (Familie Hepadnaviren) (S. 129), verursacht, das auf ähnlichen Wegen wie HIV übertragen wird. Als Folge der Infektion sterben bis zu 10 % der Patienten an Leberversagen. Länger anhaltende (chronische) Infektionen können zu Leberkrebs führen. Weltweit waren 2011 etwa 500 Mio. Menschen an chronischer Hepatitis erkrankt. Zur Prophylaxe stehen passive (Immunglobuline zur Unterstützung der Wirtsabwehr) und aktive (Bestandteile der Virushülle zur Aktivierung des Immunsystems) Impfstoffe zur Verfügung (Plus 19.6) (S. 659). ▶ Hepatitis C. Hepatitis C, hervorgerufen durch DNA-Viren aus der Familie der Flaviviren (S. 133), ist mit ähnlichen Krankheitssymptomen wie Hepatitis B verbunden. Weltweit sind derzeit zwischen 170 und 200 Mio. Menschen, vorwiegend in Entwicklungsländern, infiziert, Tendenz steigend. Ein Impfstoff steht nicht zur Verfügung. ▶ Marburg- und Ebola-Virus. Diese beiden Viren gehören zu den Filoviren (minus-Strang RNA-Viren) (S. 135), verursachen hämorrhagische (zu inneren Blutungen führende) Fieberanfälle mit hoher Letalität (bis zu 80 %). Die

9

Mikroorganismen als Symbionten und Antagonisten Tab. 19.7 Steckbriefe wichtiger humanpathogener Bakterien. Organismus

Krankheit

Anmerkungen

Bacillus anthracis

Milzbrand

aerober Sporenbildner, Toxine

Borrelia burgdorferi

Lyme-Borreliose

Spirochät, durch Zecken übertragen

Brucella melitensis

Brucellose mit typischen Fieberschüben

gramnegative, aerobe kokkoide Stäbchen; Zoonosen bei Nutztieren (Ziege); Übertragung durch direkten Kontakt oder Lebensmittel (z. B. Milch)

Campylobacter jejuni

Gastroenteritis

gramnegative Stäbchen, helikal (spiralig gewunden), Übertragung über Nahrungsmittel oder Schmierinfektion (bei Kindern); gehört weltweit zu den häufigsten Erregern von Darmentzündungen

Chlamydia trachomatis

Serovare A–C: Trachom (Körnerkrankheit) des Auges; Serovare D–K, Da, Ia: Konjuntivitis (Bindehautentzündung des Auges), Urogenitalinfektionen

gramnegativ, obligat intrazellulär parasitäre Lebensweise; eingeschränkte metabolische Kapazität; Trachom ist wichtigste Ursache für Erblindung beim Menschen; durchläuft Entwicklungszyklus mit zwei Formen: Elementarkörperchen (vegetative Form) und Initialkörperchen innerhalb von Wirtszellen

Clostridium spp.

670

strikt anaerobe Gärer

C. botulinum

Lebensmittelvergiftung (Botulismus) Wundbotulismus Säuglingsbotulismus

produziert mehrere, in sehr geringen Dosen wirksame Neurotoxine

C. difficile

(antibiotikaassoziierte) pseudomembranöse Colitis

kommt in Fäkalflora des Menschen regelmäßig vor; Vermehrung im Darm wird durch Antibiotikabehandlung gefördert oder im Alter (> 65); Entero- und Cytotoxin als Virulenzfaktoren

C. perfringens

Gasbrand, Lebensmittelvergiftung

Wundkontamination, Toxine

C. tetani

Wundstarrkrampf (Tetanus)

Wundkontamination, Neurotoxin

Corynebacterium diphtheriae

Diphtherie

nichtinvasiv, A-B-Toxin, codiert auf Prophagengenom, hemmt Proteinbiosynthese durch ADP-Ribosylierung des Elongationsfaktors EF2

Escherichia coli

intestinale Infekte, Harnwegsinfekte, Sepsen, Neugeborenenmeningitis

Hauptverursacher von Hospitalinfektionen

enterohämorrhagische E. coli (EHEC)

hämorrhagische Kolitis

Aufnahme über Nahrungsmittel, führt zu Nierenversagen, hauptsächlich Serotyp O157:H7, bildet Shigatoxin (Verotoxin)

enteropathogene E. coli (EPEC)

Säuglingsdiarrhö

häufig in Entwicklungsländern; spezielle Anheftung an Darmepithelzellen, Zerstörung der Mikrovilli

enterotoxische E. coli (ETEC)

choleraähnlicher Durchfall

Reisediarrhö, zwei Typen von Toxinen: hitzelabiles (LT) und hitzestabiles (ST)

enteroinvasive E. coli (EIEC)

shigellaähnliche Ruhr

Invasion der Colonmucosa, besitzt Megaplasmid mit Virulenzgenen

enteroaggregative E. coli (EAEC)

Reisedurchfall und chronischer Durchfall bei Kindern in Entwicklungsländern

seit 1985 bekannt; bilden Biofilm auf Mucosa

uropathogene E. coli (UPEC)

Entzündungen von Blase, Harnleiter und Nierenbecken

Adhäsion mittels P-Pili (PAP) und anderen an Mucosa

Francisella tularensis

Tularämie („Hasenpest“)

gramnegative aerobe Stäbchen; über Kontakt mit erkrankten Tieren (meist Nagetiere); intrazellulär

Haemophilus influenzae

Meningitis, Infekte der Atemwege

besiedelt Nasenraum des Menschen, benötigt Hämvorstufe zum Wachstum, Polysaccharidkapsel

Helicobacter pylori

Gastritis, peptischer Ulcer

besiedelt Magenschleimhaut, bildet Urease, Cytotoxin (VacA)

Legionella pneumophila

Lungenerkrankung (Legionärskrankheit)

Verbreitung über Klimaanlagen und Duschen, invasiv, in Phagosomen repliziert

Listeria monocytogenes

Meningitis bei Neugeborenen und immungeschwächte Personen

fakultativ intrazellulär, lysiert Phagosomen durch Listeriolysin und Phospholipase, benutzt Actincytoskelett der Wirtszellen zur Ausbreitung in Cytosol

19.5 Mikroorganismen als Auslöser von Krankheiten Tab. 19.7 Fortsetzung Organismus

Krankheit

Anmerkungen

Mycobacterium tuberculosis

Tuberkulose

spezieller Zellwandaufbau (u. a. Mykolsäuren), überlebt in Makrophagen

Neisseria ssp.

Gramnegative unbewegliche aerobe Kokken

N. gonorrhoeae

Gonorrhö

wichtige Virulenzfaktoren: Typ-IV-Pili, äußere Membranproteine, multiple Eisenaufnahmesysteme und IgA-Protease

N. meningitidis

Meningitis, Sepsis

besiedelt Nasenraum des Menschen, nur selten wird Hirnhaut erreicht und besiedelt, Typ-IV-Pili

Proteus mirabilis

Harnwegsinfekte

Familie der Enterobacteriaceae, wandert auf Oberfläche von Nähragar (Schwärmen); fakultativ pathogen (opportunistisch)

Pseudomonas aeruginosa

Hospitalinfektionen

weit verbreitet, natürliche Antibiotikaresistenz, einige bilden Schleimschicht (in Patienten mit Cystischer Fibrose), Synthese fluoreszierender Pigmente (Fluorescein, Pyocyanin), Wundinfektion, fast nur bei immungeschwächten Personen

Rickettsia prowazekii

Fleckfieber

durch Kleiderläuse übertragbar, obligat intrazellulär, kleines Genom (834 Gene), ATP/ADP-Transporter

serovar Typhi

Typhusfieber

bildet spezielles Kapselpolysaccharid (Vi-Antigen)

serovar Typhimurium, serovar Enteritidis (S. enteritidis)

Gastroenteritis

über verunreinigte Lebensmittel (u. a. rohes Fleisch, Geflügel, Eier, Milch) übertragen, Virulenzgene auf Pathogenitätsinseln

Shigella dysenteriae

Bakterienruhr

produziert Shigatoxin, invasiert Epithelzellen

Staphylococcus aureus

Nahrungsmittelvergiftung, eitrige Infekte

mehrere Toxine (Cytolysine, Superantigene), Plasmakoagulase

S. pneumoniae

Atemwegsinfektionen

bildet Kapsel als Schutz vor Phagocytose, α-Hämolyse

S. pyogenes

verschiedene Krankheitsbilder, u. a. Scharlach

invasive Effekte, β-Hämolyse durch Streptolysine, andere Toxine, M-Protein in Zellwand

Treponema pallidum

Syphilis

Spirochät, nicht kultivierbar, Virulenzfaktoren unbekannt

Vibrio cholerae

Cholera

Übertragung durch Lebensmittel und Trinkwasser, nichtinvasiv, bildet A-B-Toxin, dereguliert Ionenflüsse in Darmepithelzellen durch ADP-Ribosylierung eines G-Proteins

Y. pestis

Beulenpest

klassische Zoonose; im 14. Jh. verantwortlich für ca. 25 Mio. Todesfälle (ungefähr 25 % der Bevölkerung in Europa), Übertragung bei Ratten und anderen Wildtieren durch Flöhe, sehr invasiv, bildet Exotoxin A (hemmt Proteinbiosynthese durch ADP-Ribosylierung des Elongationsfaktors EF-2)

Y. pseudotuberculosis, Y. enterocolitica

Enterocolitis

Zoonose, Übertragung von erkrankten Tieren; i.w. durch Y. enterocolitica; Y. pseudotuberculosis gilt als Vorläufer von Y. pestis

Salmonella enterica

invasiert nichtphagocytierende Wirtszellen

Streptococcus spp.

Yersinia spp.

Familie der Enterobacteriaceae

bisher häufigsten Ausbrüche des Ebola-Virus wurden in Zentralafrika beobachtet, wo Fledermäuse als natürliches Reservoir der Viren dienen. Das Marburg-Virus trat erstmals 1967 in einem Labor in Marburg auf, wo es durch importierte Affen eingeschleppt wurde. Die bei beiden Viren mit der Infektion verbundene hohe Sterblichkeit lässt vermuten, dass eine Anpassung an den Menschen noch nicht erfolgt ist, da eine schnelle Vernichtung des Wirtes der Vermehrung der Viren nicht förderlich erscheint.

▶ Prionen und BSE (Rinderwahnsinn). Prionen (proteinartige infektiöse Partikel) werden, wie von Stanley Prusiner Anfang der 1980er-Jahre erstmals vermutet, als Verursacher tödlich verlaufender Hirnerkrankungen beim Menschen (Creutzfeldt-Jacob-Krankheit, CJD) und bei Tieren (Scrapie oder Traberkrankheit bei Schaf und Ziege; BSE [bovine spongiforme Enzephalopathie] oder Rinderhirnschwamm bei Rindern) betrachtet (▶ Tab. 19.8). Bei einem Prion handelt es sich um ein wirtseigenes Protein (PrPC), das sowohl in einer normalen als auch in einer fehlerhaft gefalteten, pathologischen Form (PrPSc) vorkommt. Die pathologische Form ist hoch resistent gegen-

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Mikroorganismen als Symbionten und Antagonisten

a

b

Abb. 19.34 Modelle der Tertiärstrukturen von PrPC (links) und PrPSc (rechts). Aus dem Vergleich von Prionproteinen ergeben sich die dargestellten Konformationen. PrPC besitzt zu ca. 42 % eine α-Helix- und keine β-Faltblatt-Struktur. Dagegen besteht PrPSc zu 43 % aus β-Faltblatt-Strukturen und zu 30 % aus einer α-Helix.

Tab. 19.8 BSE-ähnliche Erkrankungen. Erkrankung

betroffene Arten

vermuteter Übertragungsweg

Scrapie, Traberkrankheit

Schafe, Ziegen

infiziertes Tiermehl Vererbung direkter Kontakt

bovine spongiforme Enzephalopathie (BSE)

Rinder

infiziertes Tiermehl

feline spongiforme Enzephalopathie (FSE)

Hauskatzen, Großkatzen in Zoos (z. B. Gepard, Puma)

infiziertes Tiermehl

transmissible Nerz-Enzephalopathie (TME)

Nerze

infiziertes Tiermehl

wissenschaftliche Übertragbarkeitstests

viele Arten: u. a. Affen, Mäuse, Schafe, Hornträger

Unbekannt

variante Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJK)

Mensch

BSE-infiziertes Rindfleisch/Rindfleischprodukte möglicherweise BSE-infiziertes Fleisch von anderen Nutztieren

klassische Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK)

Mensch

noch unbekannt 85 % Vererbung 10 % medizinische Behandlungen 5 %

Gerstmann-Sträußler-Scheinker-Syndrom (GSS)

Mensch

Vererbung

letale familiäre Insomnie (FFI für engl. fatal familiar insomnia))

Mensch

Vererbung

Kuru-Kuru (Schüttelkrankheit)

Mensch

infiziertes Menschenhirn (Bestattungsritual)

über Hitze und kann im Autoklaven nur bei Temperaturen von 134–136 °C, die mindestens 1 Stunde anhalten, inaktiviert werden (zum Vergleich: für hitzeresistente Endosporen sind 121 °C und 20 min. ausreichend). Es wird vermutet, dass die pathologischen Formen das natürlich vorkommende Protein in infektiöse Formen umwandeln, wodurch eine autokatalytische Kettenreaktion in Gang gesetzt wird (▶ Abb. 19.34). Die Anhäufung des Proteins in Form amyloider Aggregate kann histologisch nachgewiesen werden Der Rinderwahnsinn trat gehäuft Mitte der 1980er-Jahre in Großbritannien auf und wurde durch infiziertes Tiermehlfutter verursacht. Die Prionen wandern vom Darm über Neuronen ohne Beteiligung des lymphatischen Systems und der Blutbahn ins Gehirn. Da ein Zusammenhang mit dem Auftreten einer neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJD) vermutet wird und Laborversuche zeigten, dass Prionen auf andere Tiere übertragbar sind, wird Rindfleisch seit 2001 unmittelbar

672

nach der Schlachtung auf Prionen untersucht. Ein zuverlässiger Test am lebenden Tier ist derzeit noch nicht verfügbar. Die Verfütterung von Tiermehl wurde verboten.

19.6 Epidemiologie und öffentliche Gesundheit 19.6.1 Epidemiologische Grundbegriffe Unter Epidemiologie (von griech. epi, über; demos, Volk; logos, Lehre) versteht man den Wissenschaftszweig, der sich mit der Verbreitung und dem Verlauf von Krankheiten und deren verursachenden Faktoren in der Bevölkerung befasst. Neben der Erforschung der Krankheitsursachen untersucht die Epidemiologie auch Möglichkeiten der Prävention. Dadurch ist die Epidemiologie auch mit dem Sachgebiet der Hygiene (griech. Hygieinos, gesund,

Mikroorganismen als Symbionten und Antagonisten

a

b

Abb. 19.34 Modelle der Tertiärstrukturen von PrPC (links) und PrPSc (rechts). Aus dem Vergleich von Prionproteinen ergeben sich die dargestellten Konformationen. PrPC besitzt zu ca. 42 % eine α-Helix- und keine β-Faltblatt-Struktur. Dagegen besteht PrPSc zu 43 % aus β-Faltblatt-Strukturen und zu 30 % aus einer α-Helix.

Tab. 19.8 BSE-ähnliche Erkrankungen. Erkrankung

betroffene Arten

vermuteter Übertragungsweg

Scrapie, Traberkrankheit

Schafe, Ziegen

infiziertes Tiermehl Vererbung direkter Kontakt

bovine spongiforme Enzephalopathie (BSE)

Rinder

infiziertes Tiermehl

feline spongiforme Enzephalopathie (FSE)

Hauskatzen, Großkatzen in Zoos (z. B. Gepard, Puma)

infiziertes Tiermehl

transmissible Nerz-Enzephalopathie (TME)

Nerze

infiziertes Tiermehl

wissenschaftliche Übertragbarkeitstests

viele Arten: u. a. Affen, Mäuse, Schafe, Hornträger

Unbekannt

variante Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJK)

Mensch

BSE-infiziertes Rindfleisch/Rindfleischprodukte möglicherweise BSE-infiziertes Fleisch von anderen Nutztieren

klassische Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (CJK)

Mensch

noch unbekannt 85 % Vererbung 10 % medizinische Behandlungen 5 %

Gerstmann-Sträußler-Scheinker-Syndrom (GSS)

Mensch

Vererbung

letale familiäre Insomnie (FFI für engl. fatal familiar insomnia))

Mensch

Vererbung

Kuru-Kuru (Schüttelkrankheit)

Mensch

infiziertes Menschenhirn (Bestattungsritual)

über Hitze und kann im Autoklaven nur bei Temperaturen von 134–136 °C, die mindestens 1 Stunde anhalten, inaktiviert werden (zum Vergleich: für hitzeresistente Endosporen sind 121 °C und 20 min. ausreichend). Es wird vermutet, dass die pathologischen Formen das natürlich vorkommende Protein in infektiöse Formen umwandeln, wodurch eine autokatalytische Kettenreaktion in Gang gesetzt wird (▶ Abb. 19.34). Die Anhäufung des Proteins in Form amyloider Aggregate kann histologisch nachgewiesen werden Der Rinderwahnsinn trat gehäuft Mitte der 1980er-Jahre in Großbritannien auf und wurde durch infiziertes Tiermehlfutter verursacht. Die Prionen wandern vom Darm über Neuronen ohne Beteiligung des lymphatischen Systems und der Blutbahn ins Gehirn. Da ein Zusammenhang mit dem Auftreten einer neuen Variante der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit (vCJD) vermutet wird und Laborversuche zeigten, dass Prionen auf andere Tiere übertragbar sind, wird Rindfleisch seit 2001 unmittelbar

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nach der Schlachtung auf Prionen untersucht. Ein zuverlässiger Test am lebenden Tier ist derzeit noch nicht verfügbar. Die Verfütterung von Tiermehl wurde verboten.

19.6 Epidemiologie und öffentliche Gesundheit 19.6.1 Epidemiologische Grundbegriffe Unter Epidemiologie (von griech. epi, über; demos, Volk; logos, Lehre) versteht man den Wissenschaftszweig, der sich mit der Verbreitung und dem Verlauf von Krankheiten und deren verursachenden Faktoren in der Bevölkerung befasst. Neben der Erforschung der Krankheitsursachen untersucht die Epidemiologie auch Möglichkeiten der Prävention. Dadurch ist die Epidemiologie auch mit dem Sachgebiet der Hygiene (griech. Hygieinos, gesund,

19.6 Epidemiologie und öffentliche Gesundheit heilsam) verbunden, das sich mit der Erhaltung der Gesundheit des einzelnen Menschen als auch der gesamten Bevölkerung beschäftigt. Wichtige Fachbegriffe der Epidemiologie definieren das Auftreten von Infektionskrankheiten, die Herkunft der Erreger oder die Zahl der Erkrankten und an der Krankheit Verstorbenen. So bezeichnet die endemische Verbreitung die anhaltende Existenz einer Erkrankung in einer geografisch isolierten Zone ohne zeitliche Begrenzung. Von Epidemie spricht man, wenn die Erkrankung gehäuft in einem größeren geografischen Bereich zeitlich begrenzt auftritt. Dagegen versteht man unter Pandemie eine räumlich unbegrenzte (weltweite), zeitlich begrenzte Erkrankung. Beispiele sind die Cholera in Teilen Asiens wie Bangladesh (endemisch), die EHEC-Infektionen in Deutschland im Jahr 2011 (Epidemie) und die weltweite Verbreitung des HI-Virus (Pandemie). Morbidität bezeichnet die Zahl der Erkrankten in einer Bevölkerungsgruppe, Mortalität die Zahl der an der Erkrankung verstorbenen Mitglieder einer Bevölkerungsgruppe und Letalität die Zahl der Todesfälle bezogen auf alle Erkrankten. Unter Reservoir versteht man die Quelle, von der ein Erreger auf andere Individuen übertragen werden kann. Reservoire können der Mensch (z. B. Typhus, Tuberkulose), Tiere (z. B. Nager bei der Pest, Fledermäuse bei Ebolavirus) oder Umwelthabitate (z. B. der Boden bei Tetanus oder Gasbrand) sein, wobei verschiedene Übertragungswege möglich sind (▶ Abb. 19.8). In Deutschland werden die Vorgehensweise zur Bekämpfung und Prävention von Infektionskrankheiten seit 2001 durch das Infektionsschutzgesetz geregelt. Darin werden u. a. Erreger aufgeführt, deren Auftreten von niedergelassenen Ärzten, Krankenhäusern, medizinischen Laborpraxen und allgemein von medizinisch geschultem Personal an die obersten Landesgesundheitsämter bzw. das Robert Koch-Institut zu melden sind (meldepflichtige Krankheiten bzw. Erreger). Bestimmte Infektionskrankheiten müssen von dort an die Weltgesundheitsorganisation (WHO) gemeldet werden. Als vorbeugende Maßnahmen zur Eindämmung oder Verhinderung einer Infektionskrankheit dienen Expositionsprophylaxen wie die Isolierung eines Infektionsträgers (Quarantäne) und Verfahren zur Abtötung von Erregern wie Sterilisation und Desinfektion (S. 248). Die Dispositionsprophylaxe verfolgt das Ziel, bei Mensch oder Tier durch Stimulierung des Immunsystems das Risiko einer Erkrankung zu minimieren. Hierzu zählt in erster Linie die aktive Immunisierung durch Impfstoffe (Vakzine) (Plus 19.6) (S. 659). Empfehlungen für Impfungen werden von der ständigen Impfkommission beim Robert Koch-Institut ausgesprochen (www.rki.de, Stichwort Impfkalender). Eine Impfpflicht besteht nicht.

19.6.2 Krankenhaushygiene und nosokomiale Infektionen Unter nosokomialen Infektionen (griech. nósos, Krankheit, sowie komein, pflegen = Krankenhaus) werden Erkrankungen zusammengefasst, die während eines Aufenthaltes in einem Krankenhaus oder einer Pflegeeinrichtung erworben wurden und ab dem 4. Tag nach der Aufnahme erstmals aufgetreten sind. In Deutschland sind ca. 3,5 % aller Patienten auf Allgemeinstationen und ca. 15 % auf Intensivstationen davon betroffen. Es wird von 15 000 bis zu 30 000 Todesfällen pro Jahr ausgegangen (nach der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene, 2011). Überwiegend handelt es sich um Harnwegsinfekte, gefolgt von Lungenentzündung bei künstlicher Beatmung, postchirurgischen Wundinfekten und Venenkathedersepsen. Häufigste Erreger sind die opportunistisch pathogenen Bakterien Staphylococcus aureus und Pseudomonas aeruginosa sowie E. coli und Enterokokken. Die wesentliche Ursache für die Infektionen liegt in unzureichender Handdesinfektion des medizinischen Personals. Zur Erfassung, Bewertung und darauf basierender Anpassung von Vermeidungsmaßnahmen gibt es seit 1997 ein freiwilliges Krankenhaus-Infektions-Surveillance-System (KISS), das beim Nationalen Referenzzentrum für Surveillance nosokomialer Infektionen (Charité Universitätsmedizin Berlin) eingerichtet wurde. Derzeit beteiligt sich daran etwa die Hälfte (900) aller Krankenhäuser in Deutschland. Die Wirksamkeit von KISS wird allerdings in Fachkreisen kontrovers diskutiert. Weiterhin wurden mit der Änderung des Infektionsschutzgesetzes 2012 alle Gesundheitsämter zur Meldung nosokomialer Erkrankungen an das Robert Koch-Institut verpflichtet. Die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention am Robert Koch-Institut gibt regelmäßig Empfehlungen zur Hygiene heraus. ▶ Staphylococcus aureus. Das Bakterium besiedelt Haut und Schleimhäute. Die grampositiven Bakterien sind in Haufen oder Trauben angeordnet (▶ Abb. 2.22a) und können neben lokalen eitrigen Infektionen (z. B. Furunkel, Entzündungen der Nasennebenhöhlen oder des Mittelohrs) auf die Bildung von Toxinen zurückgehende Lebensmittelvergiftung oder toxisches Schocksyndrom sowie Sepsis verursachen. Neben gewebelösenden Exoenzymen (Hyaluronidasen, Lipasen), die die Ausbreitung erleichtern, werden als wesentliche Toxine verschiedene Hämolysine gebildet. Von ca. 1 % der Stämme wird ein Superantigen (▶ Abb. 19.17) produziert, das für das toxische Schocksyndrom verantwortlich ist. Das Toxin führt zur Bildung großer Mengen an Cytokinen, die starkes Fieber auslösen in dessen Folge es zu Schädigungen mehrerer Organe kommt. Die Therapie mithilfe von Antibiotika aus der Gruppe der Penicilline wird zunehmend durch multiresistente Stämme (MRSA, methicillinresistente Staphylococcus aureus) erschwert, die insbesondere in Kranken-

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Mikroorganismen als Symbionten und Antagonisten häusern, aber zunehmend auch in Praxen auftreten. Eine nichtbehandelbare, durch S. aureus verursachte Sepsis ist mit einer sehr hohen Letalität (> 80 %) verbunden, wie eine Studie aus dem Jahr 1941 belegt, als Antibiotika noch nicht zur Verfügung standen. Eine Meldepflicht für MRSA ist in Deutschland seit 2009 gesetzlich vorgeschrieben. Zur Eindämmung von MRSA wurden darüber hinaus regionale und überregionale Netzwerke von Krankenhäusern, Pflege- und Altenheimen gegründet. ▶ Pseudomonas aeruginosa. Das Bakterium ist ein gramnegatives, polar begeißeltes, strikt respiratorisches Stäbchen (▶ Abb. 2.21d). Es kommt weit verbreitet im Boden und in Gewässern vor. Bei Eisenmangel bildet der Organismus charakteristische fluoreszierende Siderophore (Pyoverdine) und das blaugrüne Pigment Pyocyanin. Der Erreger heftet sich über Typ-IV-Pili an Wirtszellen an und bildet zahlreiche Toxine, die über Typ-III-Sekretion injiziert werden. Darunter befindet sich Exotoxin A, eine ADP-Ribosyltransferase (▶ Abb. 19.30b), die die Proteinbiosynthese durch Inaktivierung des Elongationsfaktors eEF2 blockiert. Typische Erkrankungen sind Lungenentzündungen, Wundinfektionen und Sepsen. Chronische Lungenentzündungen bei Patienten mit Cystischer Fibrose (Mukoviszidose) werden durch die Produktion eines Exopolysaccharids (Alginat) gefördert. Im Krankenhaus erlangt das Bakterium, das sich in feuchtem Milieu leicht vermehren kann, seine Bedeutung durch zahlreiche Infektionsquellen wie Waschbecken, Beatmungs-, Narkoseoder Dialysegeräte. Die Therapie mit u. a. Aminoglykosidantibiotika wird auch bei P. aeruginosa durch zunehmend auftretende Antibiotikaresistenzen erschwert.

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Badegewässer wie Schwimmbäder können eine Vielzahl von pathogenen Bakterien enthalten, die von Infektionsträgern eingebracht wurden. Daher ist eine regelmäßige Desinfektion, üblicherweise mit Chlor (0,5 mg l–1), erforderlich. In 100 ml Beckenwasser dürfen danach keine E. coli, koliforme Bakterien oder P. aeruginosa enthalten sein und die Gesamtzahl der Bakterien (koloniebildende Einheiten) in 1 ml darf 100 nicht überschreiten. Die Reinigung von kommunalem Abwasser, das auch enteropathogene Bakterien enthalten kann, wird später (S. 705) besprochen.

19.7 Pflanzenpathogene Bakterien Derzeit sind etwa 11 000 Infektionskrankheiten bei Pflanzen beschrieben. Diese werden von Pilzen (120 Gattungen), Bakterien (10 Gattungen), Viren (30 Typen) und 4.8 verursacht. Die auftretenden Symptome sind verschiedenartig und oft schwer zu diagnostizieren. Zu den häufigsten Merkmalen zählen Fäule, Blattflecken, das Welken von Blättern und Stengeln, Krebsgeschwülste und Gallen. Mikrobielle Pflanzenerkrankungen, insbesondere landwirtschaftlicher Nutzpflanzen, sind häufig mit immensen wirtschaftlichen Schäden verbunden. Nachfolgend werden einige wichtige pflanzenpathogene Bakterien vorgestellt. Bakterielle Krankheiten sind bei Pflanzen weitaus seltener als solche, die durch Viren oder Pilze verursacht werden. Die Reaktionen der Pflanze auf den Befall mit Bakterien oder Pilzen sind bereits früher (S. 85) dargestellt.

19.6.3 Umwelthygiene (Wasserhygiene)

19.7.1 Ausgewählte pflanzenpathogene Bakterien

Wie weiter oben (S. 661) dargelegt, werden gastrointestinale Infektionen häufig durch verunreinigtes Trinkwasser ausgelöst. Die Ursache liegt in der Einbringung infektiöser Bakterien über Fäkalien von erkrankten Menschen oder Tieren in Wasser, das ohne vorherige sachgemäße Reinigung getrunken wird. Trinkwasser darf daher keine Krankheitserreger enthalten. Als Indikatoren für fäkale Verunreinigungen gelten E. coli, coliforme Bakterien (Citrobacter, Enterobacter, Klebsiella), Enterokokken und Pseudomonaden, die durch Differenzialdiagnostik (Methode 13.1) (S. 425) in Wasserproben ermittelt werden. Die mikrobiologische Qualitätsprüfung von Trinkwasser wird durch die Trinkwasserverordnung aus dem Jahr 2001 geregelt, die 2011 ihre bisher letzte Veränderung erfahren hat. Danach dürfen allgemein in 100 ml Trinkwasser keine E. coli oder Enterokokken nachweisbar sein. In zum Verkauf bestimmtem, in verschlossenen Behältern abgefülltem Trinkwasser (z. B. Mineralwasserflaschen) dürfen sogar in 250 ml keine E. coli, Enterokokken und Pseudomonas aeruginosa enthalten sein.

Die weitaus meisten zur Auslösung von Pflanzenkrankheiten befähigten Bakterien sind gramnegativ und gehören insbesondere zu den Gattungen Pseudomonas, Xanthomonas, Erwinia und Agrobacterium. Nur einige sind obligat pathogen und können außerhalb eines Wirtes nicht überleben, während es sich bei den meisten um frei im Boden lebende Bakterien handelt. Die Besiedlung der Wirtspflanzen kann über natürliche Öffnungen (Spaltöffnungen), Wurzeln oder Verletzungen erfolgen, die z. B. durch Baumschnitt oder Frost entstehen. Untersuchungen u. a. an Xanthomonas campestris (pathovar vesicatoria), dem Erreger der bakteriellen Fleckenkrankheit bei Tomate und Paprika, haben dabei gezeigt, dass bakterielle Tier- und Pflanzenpathogene durchaus ähnliche Strategien benutzen, um ihren Wirt zu besiedeln. So werden bei gramnegativen Vertretern beider Gruppen Sekretionssysteme vom Typ III, IV und VI (S. 349) verwendet, um Effektorproteine in die Wirtszelle einzubringen. Die Aktivitäten dieser Proteine unterdrücken dabei u. a. die jeweiligen spezifischen Abwehrmechanismen der Wirtsorga-

Mikroorganismen als Symbionten und Antagonisten häusern, aber zunehmend auch in Praxen auftreten. Eine nichtbehandelbare, durch S. aureus verursachte Sepsis ist mit einer sehr hohen Letalität (> 80 %) verbunden, wie eine Studie aus dem Jahr 1941 belegt, als Antibiotika noch nicht zur Verfügung standen. Eine Meldepflicht für MRSA ist in Deutschland seit 2009 gesetzlich vorgeschrieben. Zur Eindämmung von MRSA wurden darüber hinaus regionale und überregionale Netzwerke von Krankenhäusern, Pflege- und Altenheimen gegründet. ▶ Pseudomonas aeruginosa. Das Bakterium ist ein gramnegatives, polar begeißeltes, strikt respiratorisches Stäbchen (▶ Abb. 2.21d). Es kommt weit verbreitet im Boden und in Gewässern vor. Bei Eisenmangel bildet der Organismus charakteristische fluoreszierende Siderophore (Pyoverdine) und das blaugrüne Pigment Pyocyanin. Der Erreger heftet sich über Typ-IV-Pili an Wirtszellen an und bildet zahlreiche Toxine, die über Typ-III-Sekretion injiziert werden. Darunter befindet sich Exotoxin A, eine ADP-Ribosyltransferase (▶ Abb. 19.30b), die die Proteinbiosynthese durch Inaktivierung des Elongationsfaktors eEF2 blockiert. Typische Erkrankungen sind Lungenentzündungen, Wundinfektionen und Sepsen. Chronische Lungenentzündungen bei Patienten mit Cystischer Fibrose (Mukoviszidose) werden durch die Produktion eines Exopolysaccharids (Alginat) gefördert. Im Krankenhaus erlangt das Bakterium, das sich in feuchtem Milieu leicht vermehren kann, seine Bedeutung durch zahlreiche Infektionsquellen wie Waschbecken, Beatmungs-, Narkoseoder Dialysegeräte. Die Therapie mit u. a. Aminoglykosidantibiotika wird auch bei P. aeruginosa durch zunehmend auftretende Antibiotikaresistenzen erschwert.

674

Badegewässer wie Schwimmbäder können eine Vielzahl von pathogenen Bakterien enthalten, die von Infektionsträgern eingebracht wurden. Daher ist eine regelmäßige Desinfektion, üblicherweise mit Chlor (0,5 mg l–1), erforderlich. In 100 ml Beckenwasser dürfen danach keine E. coli, koliforme Bakterien oder P. aeruginosa enthalten sein und die Gesamtzahl der Bakterien (koloniebildende Einheiten) in 1 ml darf 100 nicht überschreiten. Die Reinigung von kommunalem Abwasser, das auch enteropathogene Bakterien enthalten kann, wird später (S. 705) besprochen.

19.7 Pflanzenpathogene Bakterien Derzeit sind etwa 11 000 Infektionskrankheiten bei Pflanzen beschrieben. Diese werden von Pilzen (120 Gattungen), Bakterien (10 Gattungen), Viren (30 Typen) und 4.8 verursacht. Die auftretenden Symptome sind verschiedenartig und oft schwer zu diagnostizieren. Zu den häufigsten Merkmalen zählen Fäule, Blattflecken, das Welken von Blättern und Stengeln, Krebsgeschwülste und Gallen. Mikrobielle Pflanzenerkrankungen, insbesondere landwirtschaftlicher Nutzpflanzen, sind häufig mit immensen wirtschaftlichen Schäden verbunden. Nachfolgend werden einige wichtige pflanzenpathogene Bakterien vorgestellt. Bakterielle Krankheiten sind bei Pflanzen weitaus seltener als solche, die durch Viren oder Pilze verursacht werden. Die Reaktionen der Pflanze auf den Befall mit Bakterien oder Pilzen sind bereits früher (S. 85) dargestellt.

19.6.3 Umwelthygiene (Wasserhygiene)

19.7.1 Ausgewählte pflanzenpathogene Bakterien

Wie weiter oben (S. 661) dargelegt, werden gastrointestinale Infektionen häufig durch verunreinigtes Trinkwasser ausgelöst. Die Ursache liegt in der Einbringung infektiöser Bakterien über Fäkalien von erkrankten Menschen oder Tieren in Wasser, das ohne vorherige sachgemäße Reinigung getrunken wird. Trinkwasser darf daher keine Krankheitserreger enthalten. Als Indikatoren für fäkale Verunreinigungen gelten E. coli, coliforme Bakterien (Citrobacter, Enterobacter, Klebsiella), Enterokokken und Pseudomonaden, die durch Differenzialdiagnostik (Methode 13.1) (S. 425) in Wasserproben ermittelt werden. Die mikrobiologische Qualitätsprüfung von Trinkwasser wird durch die Trinkwasserverordnung aus dem Jahr 2001 geregelt, die 2011 ihre bisher letzte Veränderung erfahren hat. Danach dürfen allgemein in 100 ml Trinkwasser keine E. coli oder Enterokokken nachweisbar sein. In zum Verkauf bestimmtem, in verschlossenen Behältern abgefülltem Trinkwasser (z. B. Mineralwasserflaschen) dürfen sogar in 250 ml keine E. coli, Enterokokken und Pseudomonas aeruginosa enthalten sein.

Die weitaus meisten zur Auslösung von Pflanzenkrankheiten befähigten Bakterien sind gramnegativ und gehören insbesondere zu den Gattungen Pseudomonas, Xanthomonas, Erwinia und Agrobacterium. Nur einige sind obligat pathogen und können außerhalb eines Wirtes nicht überleben, während es sich bei den meisten um frei im Boden lebende Bakterien handelt. Die Besiedlung der Wirtspflanzen kann über natürliche Öffnungen (Spaltöffnungen), Wurzeln oder Verletzungen erfolgen, die z. B. durch Baumschnitt oder Frost entstehen. Untersuchungen u. a. an Xanthomonas campestris (pathovar vesicatoria), dem Erreger der bakteriellen Fleckenkrankheit bei Tomate und Paprika, haben dabei gezeigt, dass bakterielle Tier- und Pflanzenpathogene durchaus ähnliche Strategien benutzen, um ihren Wirt zu besiedeln. So werden bei gramnegativen Vertretern beider Gruppen Sekretionssysteme vom Typ III, IV und VI (S. 349) verwendet, um Effektorproteine in die Wirtszelle einzubringen. Die Aktivitäten dieser Proteine unterdrücken dabei u. a. die jeweiligen spezifischen Abwehrmechanismen der Wirtsorga-

19.7 Pflanzenpathogene Bakterien

Abb. 19.35 Beispiele bakteriell verursachter Pflanzenkrankheiten. a Feuerbrand an der Quitte durch E. amylovora (Bayerische Landesanstalt für Landwirtschaft, Institut für Pflanzenschutz) b Bakterienwelke an der Kartoffel durch Dickeya spp. Die Kartoffeln weisen dunkle Nabelenden und/oder nassfaule Stellen auf. (Aufnahme Uwe Preiss, Ministerium f. Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten, Rheinlandpfalz) c Stolbur-Krankheit durch Phytoplasma an der Kartoffel. Erkrankter Pflanzenteil (links) mit gesundem Trieb (rechts) (Aufnahme Uwe Preiss, Ministerium f. Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten, Rheinlandpfalz)

nismen (S. 675). Typ-III-Sekretionssysteme sind bei den meisten gramnegativen pflanzenpathogenen Bakterien im hrp-(hypersensitive reaction and pathogenicity)-Gencluster codiert. Zu den Effektoren, die vom Typ-III-Sekretionssystem exportiert werden, gehören u. a. Proteine der YopJ/AvrR-Familie, die enzymatische Aktivitäten besitzen. Sie lösen bei der Wirtspflanze eine hypersensitive Reaktion (S. 678) aus, die zum lokalen Absterben von Zellen führt. Eine der bekanntesten bakteriellen Erkrankungen ist der Feuerbrand, der zu den Rosengewächsen gehörende Wild-, Zier- und Obstgehölze, darunter Apfel- und Birnbäume, befällt und zu den meldepflichtigen Pflanzenkrankheiten zählt (▶ Abb. 19.35a). Bei befallenen Bäumen werden Blüten, Blätter und Zweige schwarz und der ganze Baum kann schließlich absterben. Feuerbrand wurde im Jahr 1780 erstmals in Nordamerika (New York) beobachtet, wo die dadurch verursachten Schäden in der Apfel- und Birnenernte heutzutage jährlich auf über 100 Mio. Dollar beziffert werden. In Europa wurde die Krankheit erstmals 1957 in England nachgewiesen und hat sich seitdem über den gesamten europäischen Raum verbreitet, begünstigt auch durch Anpflanzung von Wirtspflanzen an Autobahnen. Der Erreger, Erwinia amylovora, war das erste Bakterium überhaupt, das als Verursacher einer Pflanzenkrankheit identifiziert wurde. Wichtige Virulenzfaktoren sind ein Typ-III-Sekretionssystem und Amylovoran, ein extrazelluläres, saures Polysaccharid, das aus einem sich wiederholenden Pentasaccharid, aufgebaut aus vier Galactosemolekülen und einem Glucuronsäuremolekül, besteht. Die Synthese von Amylovoran wird von einem Zweikomponentensystem reguliert. Es wird vermutet, dass Amylovoran hauptsächlich zur Biofilmbildung der Bakterien beiträgt. Weiterhin als bedeutsam zu nennen sind der Erreger der Bakterienwelke (Ralstonia solanacearum) bei der Tomatenpflanze, insbesondere in wärmeren Klimazonen, sowie der Auslöser der Knollennassfäule bei Kartoffeln, Pectobacterium carotovorum. Auch der Krebs von Zitrus-

früchten geht auf ein Bakterium, Xylella fastidiosa, zurück. ▶ Tumorinduktion durch Bakterien der Gattung Agrobacterium. Gramnegative, peritrich begeißelte, aerobe Bakterien der Gattung Agrobacterium, die zur alphaGruppe der Proteobakterien gehören, können dikotyle Pflanzen im Bereich einer Verwundung zu unkontrollierter Zellteilungsaktivität veranlassen. Eine Infektion mit A. tumefaciens führt zur Ausbildung sogenannter Wurzelhalsgallen), während A. rhizogenes die Bildung von Wurzeln an der verwundeten Stelle verursacht. Da die Bakterien einen Teil ihres Genoms in die Pflanzenzelle einschleusen, kann eine Infektion mit Agrobacterium als Modellsystem für den Gentransfer zwischen Organismenreichen angesehen werden (Plus 19.9; Plus 6.12) (S. 199). Das Agrobacterium-System kann auch für die Transformation von Pilzen genutzt werden (Methode 3.3) (S. 97). ▶ Tab. 19.9 fasst die wichtigsten pflanzenpathogenen Bakterien und die von ihnen verursachten Erkrankungen zusammen.

19.7.2 Pflanzenabwehr gegen Mikroorganismen Die Pflanze erkennt ein pathogenes Bakterium zunächst über spezifische, membranständige Rezeptorkinasen (PRR, engl. plant recognition receptors), welche oberflächenassoziierte oder sekretierte Makromoleküle von Bakterien, darunter Flagellin, Peptidoglykan, Lipopolysaccharide oder das Virulenzprotein HprZ von Pseudomonas syringae, erkennen (▶ Abb. 19.39). Diese Strukturen werden unter dem Begriff PAMP (für engl. pathogen associated molecular pattern) zusammengefasst (auch die Bezeichnung MAMP für engl. microbe associated molecular pattern ist gebräuchlich). Die dadurch ausgelöste Kaskade von Zellreaktionen wird als PAMP-induzierte Immunität (engl. PAMP-triggered immunity, PTI) bezeichnet. Zunächst wird eine Veränderung der Ionenpermeabilität der Cytoplasmamembran beobachtet, die zum Einstrom

5

Mikroorganismen als Symbionten und Antagonisten Tab. 19.9 Steckbriefe wichtiger pflanzenpathogener Bakterien. Organismus

Krankheit(en)

Eigenschaften

Pseudomonas syringae Pathovare (pv)

u. a. Baumkrebs (Rindenbrand) an Flieder, Pflaume und Bohne (pv. syringae) und Rosskastanie (pv. aesculi); Tüpfelschwärze bei der Tomate (pv. tomato); Bakterienblattfleckenkrankheit an Blumenkohl und Kartoffel (pv. maculicola)

Gammaproteobakterien; derzeit 50 Pathovare bekannt, die sich in den Wirtsorganismen unterscheiden; verursacht auch Frostschäden, da intakte Zellen als Keime zur Eiskristallbildung dienen, wodurch z. B. die Blüten der Wirtspflanzen geschädigt werden; wird deshalb auch zur Erzeugung von Kunstschnee eingesetzt

Ralstonia solanacearum

Bakterienwelke (Schleimkrankheit) bei Solanaceen wie Tomate, Kartoffel, Paprika, Aubergine; hauptsächlich in tropischen und subtropischen Ländern

alter Name Pseudomonas solanacearum; Betaproteobakterium, sehr große Zahl an Stämmen; sehr breites Wirtsspektrum (über 200 Pflanzenarten aus mehr als 50 Familien werden infiziert); mit geschätzten Schäden von 1 Mrd. Dollar weltweit pro Jahr das gefährlichste pflanzenpathogene Bakterium; gilt in der EU als Quarantäneschaderreger und ist daher meldepflichtig

Agrobacterium tumefaciens

Krebs bei dikotylen Pflanzen (Wurzelhalsgallen)

Alphaproteobakterium; (s. Plus 19.9)

Xanthomonas spp.

Gammaproteobakterien, monopolar begeißelt, strikt aerob, bilden charakteristisches Exopolysaccharid Xanthan sowie das gelbe, wasserunlösliche, bromenthaltende Pigment Xanthomonadin, das in die äußere Membran eingelagert wird

Xanthomonas oryzae

bakterielle Weißfleckenkrankheit bei Reis und anderen Gräsern

Xanthomonas campestris Pathovare

u. a. Fleckenkrankheit bei Tomate und Paprika (pv. vesicatoria), Adernschwärze bei Kohlgewächsen (pv. campestris), Efeukrebs (pv. hederae)

Xanthomonas axonopodis

Bakterienwelke bei der Maniokpflanze (pv. manihotis) (Hauptnahrungsmittel für 600 Mio. Menschen in tropischen Regionen)

Erwinia amylovora

Feuerbrand bei Rosaceen (u. a. Apfel, Birne, Quitte, Himbeere) (▶ Abb. 19.35a)

Gammaproteobakterium (Enterobacteriaceae), in Deutschland meldepflichtig; wichtige Virulenzfaktoren Typ-III-Sekretionssystem und Exopolysaccharid Amylovoran

Xylella fastidiosa

u. a. Rebstockkrankheit (Pierce disease), Chlorose bei Orangenbäumen

Gammaproteobakterium (Xanthomonadaceae); erstes pflanzenpathogenes Bakterium, dessen Genom vollständig sequenziert wurde; beschränkt auf Xylem, wo die Vermehrung der Bakterien die Versorgung der Pflanze mit Nährstoffen und Wasser aus der Wurzel beeinträchtigt; enthält kein Typ-III-Sekretionssystem, dafür zahlreiche Eisenaufnahmesysteme; Verbreitung durch Insekten, die sich von Xylemsaft ernähren

Dickeya dadantii

Stengelnekrose, Bakterienwelke und Knollennassfäule an Kartoffel (▶ Abb. 19.35b)

alter Name Erwinia chrysanthemi; Gammaproteobakterium (Enterobacteriaceae); Modellorganismus zur Untersuchung von BakterienWirtspflanzen-Interaktionen; zu Virulenzfaktoren gehören u.a Exopolysaccharide und effiziente Eisenaufnahmesysteme

Dickeya solani

Schwarzbeinigkeit an Kartoffel

Name noch nicht offiziell akzeptiert; besonders aggressive Art in Europa

Pectobacterium carotovorum

Bakteriennassfäule an Blumenkohl und Kartoffel, Schwarzbeinigkeit an Kartoffeln

alter Name Erwinia carotovora spp.; Gammaproteobakterium (Enterobacteriaceae); Abbau des Zellwandstützmaterials Pectin durch von den Bakterien sekretierte Enzyme (Pectinasen)

Phytoplasma ssp.

Phytoplasmosen, gekennzeichnet durch Blattvergilbung, Zwergen- und Besenwuchs u. a. bei Kokospalmen, Kirschund Apfelbäumen, Weinreben und Kartoffel (Stolbur-Krankheit, meldepflichtig) (▶ Abb. 19.35c)

zellwandlose Bakterien aus der Klasse der Mollicutes, mit Mykoplasmen verwandt; im pflanzlichen Phloem obligate Parasiten, die durch Insekten übertragen werden; auf Metabolite der Pflanze wie ATP, Amino- und Nukleinsäuren angewiesen und in vitro nicht kultivierbar

Dickeya spp.

676

19.7 Pflanzenpathogene Bakterien

●V

Plus 19.9 Agrobacterium tumefaciens Infektiöse Zellen von A. tumefaciens besitzen ein großes Plasmid, das tumorinduzierende Ti-Plasmid (> 200 kb), von dem ein Teil, die T-DNA, nach Anheftung der Bakterien an die Pflanzenzelle in diese übertragen und anschließend in das Genom integriert wird (Plus 6.12) (S. 199). Das Ti-Plasmid trägt weiterhin die vir-Gene, deren Produkte für die Erkennung einer Verwundung, die Anheftung an die Pflanzenzelle und den Transfer der T-DNA erforderlich sind. Zellen dikotyler Pflanzen reagieren auf eine Verwundung mit der Aktivierung der Zellteilung, verbunden mit der Neusynthese von Cellulose, Hemicellulose und Lignin. Infolgedessen werden u. a. phenolische Verbindungen, z. B. Acetosyringon, ▶ Abb. 19.36) als Vorstufen der Ligninbiosynthese freigesetzt.

O

CH3

weiterer vir-Gene und schließlich zur Bildung eines T-DNAEinzelstrangs führt. Dieser wird durch einen der Konjugation ähnlichen Vorgang in die Pflanzenzelle eingebracht und anschließend in das Pflanzengenom integriert (Einzelheiten s. Plus 6.12) (S. 199). Die T-DNA enthält hauptsächlich Gene zur Synthese modifizierter Aminosäuren, den Opinen (▶ Abb. 19.37). Dabei handelt es sich meist um Derivate von Arginin (Octopin, Nopalin) oder Glutamin (Mannopin). Bislang sind über 20 verschiedene Opine bekannt. Diese Opine werden von den Pflanzenzellen ausgeschieden und dienen den Bakterien als Nährstoffe. Die entsprechenden ABC-Transportproteine und metabolischen Enzyme sind ebenfalls auf dem Ti-Plasmid codiert. Da sich auf der TDNA auch Gene zur Synthese von Pflanzenhormonen (Auxine, Cytokinine) befinden (onc-Gene), die ebenfalls exprimiert werden, entsteht als Folge ungerichtetes Tumorwachstum.

O

H3C

OH O

CH3

Abb. 19.36 Acetosyringon.

Diese werden von den Bakterien als Signal für eine Verwundung erkannt. Darüber hinaus wird die Erkennung durch einige von den Pflanzen gebildete Zucker wie Arabinose, Mannose und Glucose sowie einen sauren pH-Wert, hervorgerufen durch Galacturonsäure, verstärkt. Neuere Daten weisen darauf hin, dass auch intakte Pflanzen von A. tumefaciens effizient transformiert werden können. Da monokotyle Pflanzen mit wenigen Ausnahmen (Gattung Asparagus) auf Verwundung nicht mit Zellteilung reagieren und somit keine Signalstoffe synthetisieren, wird hierin eine mögliche Ursache für die Wirtsspezifität der Bakterien vermutet. Die Bakterien haben sich nach 3–6 Stunden irreversibel an die Pflanzenzelloberfläche angeheftet, wofür ein saures Kapselpolysaccharid und zyklische β-1,2-Glucane als „Klebstoffe“ benötigt werden. Die bakterielle Synthese von Cellulosefibrillen trägt zur Anheftung von bis zu mehreren Hundert Bakterien pro Pflanzenzelle bei. Die Pflanzensignale werden im Bakterium von den Komponenten eines speziellen Sensor-Regulator-Systems erkannt, was zur Expression H

H2N CH

(CH2)3

H2N

C

COO–

CH3

CH

H

H2N CH

(CH2)3

H2N

NH COO–



Abb. 19.38 Ein durch Infektion mit Agrobacterium tumefaciens verursachter Tumor an einem Baumstamm von Acer platanoides.

OOC

C

COO–

HO

CH2

(CHOH)4

NH (CH2)2

CH

CH2 NH

COO–

H2N

C

(CH2)2

CH

COO–

O Octopin

Nopalin

Mannopin

Abb. 19.37 Opioide.

7

Mikroorganismen als Symbionten und Antagonisten von Ca2 + - und H+-Ionen sowie zum Ausstrom von K+und Cl–-Ionen führt. Als Folge davon werden reaktive Sauerstoffverbindungen (O2–, H2O2) gebildet (engl. oxidative burst). Weiterhin kommt es zur Zellwandverdickung durch Einlagerung von Chitin und Cellulose sowie zu einer verstärkten Transkription von Abwehrgenen, deren Produkte (PR-Proteine, für engl. pathogenesis-related proteins) antimikrobielle Aktivitäten aufweisen können, darunter zellwandabbauende Enzyme wie Glucanasen. Innerhalb weniger Stunden nach Infektion werden auch spezifische Phytoalexine (griech. alekein, abwehren) gebildet – antimikrobiell wirksame, niedermolekulare Substanzen, die den sekundären Pflanzenstoffen zuzuordnen sind. Erfolgreiche pathogene Bakterien können diese Abwehrmechanismen unterdrücken, indem sie Effektorpro-

Krankheit

19.8 Biologische Waffen

PTI Typ-III-SS

ETS

PAMP Effektoren

PRR Resistenz Bakterium ETI HR R

Abb. 19.39 Infektion von Pflanzenzellen und Abwehrmechanismen. Der Kontakt mit einer Bakterienzelle, der von der Pflanze über Membranrezeptoren (PRR, plant recognition receptors), die an Oberflächenstrukturen der Bakterienzelle (PAMP, pathogen associated molecular patterns) binden. Die Bindung wird wahrgenommen und löst eine Immunitätsreaktion aus (PTI, PAMP-triggered immunity). Krankheitserreger schalten diese Abwehrrektion aus, in dem sie Effektorproteine über ein Typ-III-Sekretionssystem (Typ-III-SS) in die Pflanzenzelle einschleusen, was zur Ausprägung der Krankheit führt (ETS) effector triggered susceptibility). Einige Pflanzen reagieren mit der Synthese von Resistenzproteinen (R), die Effektoren erkennen und eine spezielle Immunität auslösen (ETI, effectortriggered immunity). Damit verbunden ist die hypersensitive Reaktion (HR, hypersensitive response), die in einem begrenzten Bereich zu einem programmierten Zelltod führt, wodurch das Wachstum der Bakterien begrenzt wird und die Resistenz der Pflanze zunimmt. (nach Zimaro et al., J. Biomed. Biotchnol. 2011; doi: 10.1155/2011/354801)

678

teine über ein Sekretionssystem (meist vom Typ III) in die Pflanzenzelle injizieren. Dazu gehören Proteine der AvrFamilie, die Abwehrmechanismen der Pflanze direkt hemmen oder die Transkription pflanzlicher Gene beeinflussen, was schließlich zur Erkrankung der Pflanze führt. Pflanzen verfügen zwar über kein zirkulierendes Antikörpersystem, besitzen jedoch in jeder Zelle eine Palette sogenannter R-(Resistenz-)Gene, deren Produkte als Rezeptoren bakterielle Effektorproteine spezifisch erkennen. Dadurch wird die effektorinduzierte Immunität aktiviert. Dieser Vorgang ist mit einem programmierten Zelltod im umgebenden Gewebe verbunden, was als hypersensitive Reaktion (engl. hypersensitive response, HR) bezeichnet wird. Dem Erreger wird dadurch die Nahrungsgrundlage entzogen und er wird an der weiteren Ausbreitung im Gewebe gehindert. Die Gesamtheit der Maßnahmen führt zu einer systemisch erworbenen Resistenz (engl. systemic aquired resistance, SAR) (▶ Abb. 19.39).

Gemäß einer Definition der Vereinten Nationen von 1972 sind biologische Waffen „... lebende Organismen aller Art, oder aus diesen gewonnene infektiöse Stoffe, die Krankheiten oder Tod bei Menschen, Tier oder Pflanze verursachen sollen und deren Wirkung auf ihrer Fähigkeit beruht, sich in den angegriffenen Personen, Tieren oder Pflanzen zu vermehren.“ Aufgrund ihrer Eigenschaften und wegen der Gefährlichkeit der von ihnen produzierten Toxine können eine Reihe pathogener Bakterien, aber auch Viren, prinzipiell als Kampfstoffe gegen Menschen und landwirtschaftlich genutzte Tiere und Pflanzen missbraucht werden. Wenn auch nicht zur direkten Bekämpfung militärischer Gegner geeignet, so kann durch Verseuchung von Nutztieren oder Trinkwasser (gemeinsam mit chemischen Kampfstoffen) Terror auf die Zivilbevölkerung ausgeübt werden. „Effiziente“ Biowaffen weisen dabei folgende Eigenschaften auf: Stabilität gegenüber Umwelteinflüssen, geringe Infektionsdosis, Verbreitung der Krankheit über zwischenmenschliche Kontakte und möglichst fehlende therapeutische Gegenmittel. Insbesondere Organismen wie Bacillus anthracis und Clostridium botulinum wurden für den Einsatz als biologische Waffen getestet. Beide sind als grampositive Sporenbildner nach einer Freisetzung besonders überlebensfähig und lassen sich als Aerosole verbreiten. B. anthracis verursacht Milzbrand, in erster Linie bei Herbivoren. Die Erkrankung ist endemisch in Teilen Asiens, Afrikas und Südamerikas. Die Bakterien bilden hochgradig resistente Sporen mit einem Exosporium (S. 525), die von den Tieren mit der Nahrung aufgenommen werden. Im Verdauungstrakt der Tiere keimen die Sporen zu vegetativen Zellen aus, die von einer Kapsel (S. 149), codiert auf dem Plasmid pXO2, umgeben sind,

Mikroorganismen als Symbionten und Antagonisten von Ca2 + - und H+-Ionen sowie zum Ausstrom von K+und Cl–-Ionen führt. Als Folge davon werden reaktive Sauerstoffverbindungen (O2–, H2O2) gebildet (engl. oxidative burst). Weiterhin kommt es zur Zellwandverdickung durch Einlagerung von Chitin und Cellulose sowie zu einer verstärkten Transkription von Abwehrgenen, deren Produkte (PR-Proteine, für engl. pathogenesis-related proteins) antimikrobielle Aktivitäten aufweisen können, darunter zellwandabbauende Enzyme wie Glucanasen. Innerhalb weniger Stunden nach Infektion werden auch spezifische Phytoalexine (griech. alekein, abwehren) gebildet – antimikrobiell wirksame, niedermolekulare Substanzen, die den sekundären Pflanzenstoffen zuzuordnen sind. Erfolgreiche pathogene Bakterien können diese Abwehrmechanismen unterdrücken, indem sie Effektorpro-

Krankheit

19.8 Biologische Waffen

PTI Typ-III-SS

ETS

PAMP Effektoren

PRR Resistenz Bakterium ETI HR R

Abb. 19.39 Infektion von Pflanzenzellen und Abwehrmechanismen. Der Kontakt mit einer Bakterienzelle, der von der Pflanze über Membranrezeptoren (PRR, plant recognition receptors), die an Oberflächenstrukturen der Bakterienzelle (PAMP, pathogen associated molecular patterns) binden. Die Bindung wird wahrgenommen und löst eine Immunitätsreaktion aus (PTI, PAMP-triggered immunity). Krankheitserreger schalten diese Abwehrrektion aus, in dem sie Effektorproteine über ein Typ-III-Sekretionssystem (Typ-III-SS) in die Pflanzenzelle einschleusen, was zur Ausprägung der Krankheit führt (ETS) effector triggered susceptibility). Einige Pflanzen reagieren mit der Synthese von Resistenzproteinen (R), die Effektoren erkennen und eine spezielle Immunität auslösen (ETI, effectortriggered immunity). Damit verbunden ist die hypersensitive Reaktion (HR, hypersensitive response), die in einem begrenzten Bereich zu einem programmierten Zelltod führt, wodurch das Wachstum der Bakterien begrenzt wird und die Resistenz der Pflanze zunimmt. (nach Zimaro et al., J. Biomed. Biotchnol. 2011; doi: 10.1155/2011/354801)

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teine über ein Sekretionssystem (meist vom Typ III) in die Pflanzenzelle injizieren. Dazu gehören Proteine der AvrFamilie, die Abwehrmechanismen der Pflanze direkt hemmen oder die Transkription pflanzlicher Gene beeinflussen, was schließlich zur Erkrankung der Pflanze führt. Pflanzen verfügen zwar über kein zirkulierendes Antikörpersystem, besitzen jedoch in jeder Zelle eine Palette sogenannter R-(Resistenz-)Gene, deren Produkte als Rezeptoren bakterielle Effektorproteine spezifisch erkennen. Dadurch wird die effektorinduzierte Immunität aktiviert. Dieser Vorgang ist mit einem programmierten Zelltod im umgebenden Gewebe verbunden, was als hypersensitive Reaktion (engl. hypersensitive response, HR) bezeichnet wird. Dem Erreger wird dadurch die Nahrungsgrundlage entzogen und er wird an der weiteren Ausbreitung im Gewebe gehindert. Die Gesamtheit der Maßnahmen führt zu einer systemisch erworbenen Resistenz (engl. systemic aquired resistance, SAR) (▶ Abb. 19.39).

Gemäß einer Definition der Vereinten Nationen von 1972 sind biologische Waffen „... lebende Organismen aller Art, oder aus diesen gewonnene infektiöse Stoffe, die Krankheiten oder Tod bei Menschen, Tier oder Pflanze verursachen sollen und deren Wirkung auf ihrer Fähigkeit beruht, sich in den angegriffenen Personen, Tieren oder Pflanzen zu vermehren.“ Aufgrund ihrer Eigenschaften und wegen der Gefährlichkeit der von ihnen produzierten Toxine können eine Reihe pathogener Bakterien, aber auch Viren, prinzipiell als Kampfstoffe gegen Menschen und landwirtschaftlich genutzte Tiere und Pflanzen missbraucht werden. Wenn auch nicht zur direkten Bekämpfung militärischer Gegner geeignet, so kann durch Verseuchung von Nutztieren oder Trinkwasser (gemeinsam mit chemischen Kampfstoffen) Terror auf die Zivilbevölkerung ausgeübt werden. „Effiziente“ Biowaffen weisen dabei folgende Eigenschaften auf: Stabilität gegenüber Umwelteinflüssen, geringe Infektionsdosis, Verbreitung der Krankheit über zwischenmenschliche Kontakte und möglichst fehlende therapeutische Gegenmittel. Insbesondere Organismen wie Bacillus anthracis und Clostridium botulinum wurden für den Einsatz als biologische Waffen getestet. Beide sind als grampositive Sporenbildner nach einer Freisetzung besonders überlebensfähig und lassen sich als Aerosole verbreiten. B. anthracis verursacht Milzbrand, in erster Linie bei Herbivoren. Die Erkrankung ist endemisch in Teilen Asiens, Afrikas und Südamerikas. Die Bakterien bilden hochgradig resistente Sporen mit einem Exosporium (S. 525), die von den Tieren mit der Nahrung aufgenommen werden. Im Verdauungstrakt der Tiere keimen die Sporen zu vegetativen Zellen aus, die von einer Kapsel (S. 149), codiert auf dem Plasmid pXO2, umgeben sind,

19.8 Biologische Waffen

●V

Plus 19.10 Milzbrand Bei Milzbrand handelt es sich um eine von Tieren (u. a. Wiederkäuern und Schweinen) auf den Menschen übertragbare, meldepflichtige Infektionskrankheit (Anthropozoonose). Auch durch Tierfelle, Häute, Lumpen und Bürsten, die im Umgang mit erkrankten Tieren verwendet wurden, ist eine Ansteckung möglich. Milzbrand wird auch als die Krankheit der Wollsortierer (Hadernkrankheit; Hadern = Lumpen, Rohmaterial der Papierherstellung bis Mitte des 19. Jahrhunderts) bezeichnet. Symptome sind zunächst Fieber, Schüttelfrost, Koliken und Atemnot. Die Inkubationszeit beträgt wenige Stunden bis drei Tage. Die bei Tieren häufigste Form des Milzbrands ist der Darmmilzbrand mit typisch vergrößerter, schwarzroter Milz. Beim Menschen manifestiert sich der Milzbrand entsprechend den verschiedenen Infektionswegen an der Haut, in der Lunge und im Darm. Der Hautmilzbrand ist die häufigste, natürlich vorkommende Form, mit weltweit ungefähr 2000 gemeldeten Fällen pro Jahr (nach Angaben der WHO). Er entsteht durch die Übertragung erregerhaltigen Materials auf die Haut. Der Lungenmilzbrand entsteht durch Einatmen von Sporen (Inhalationsmilzbrand; auch nach Einsatz von Biowaffen). Eine frühe Diagnose ist sehr schwierig; der Nachweis der im Sputum reichlich vorhandenen Bazillen kommt meist zu spät. Der Darmmilzbrand ist sehr selten und wird gewöhnlich durch den Genuss infektiösen Fleisches verursacht. Er verläuft als infektiöse, meist tödliche Darmentzündung. Die Behandlung (Isolierstation) besteht in der möglichst frühzeitigen Gabe hoch dosierter Antibiotika (u. a. Penicillin G).

Lethalfaktor Ödemfaktor

Protektives Antigen (PA) AnthraxToxin-Rezeptor (ATR)

Abb. 19.40 Wirkungsweise der Milzbrandtoxine im Körper. Erklärung siehe Text.

P20 Heptamer

PA63

1

2

ATP

3

Calmodulin

4

5

H+ 6

10 cAMP

Wirkungsweise der Anthraxtoxine Das protektive Antigen (PA) (Antikörper gegen dieses Protein schützen vor Erkrankung) ist selbst nicht toxisch, sondern hilft den beiden eigentlichen Toxinen, dem Ödemfaktor und dem Letalfaktor, in die Wirtszelle zu gelangen. Dazu bindet zunächst PA an einen Rezeptor auf der Oberfläche der Wirtszelle ①. Anschließend wird durch eine Protease ein Peptid (PA20) abgespalten, wodurch das aktive PA63 entsteht ②. Dieses oligomerisiert zu einem Heptamer ③, an das sich die beiden Toxine anlagern ④. Dieser Komplex wird von der Wirtszelle in Form eines Vesikels aufgenommen, das sich von der Zellmembran abschnürt (Endocytose) ⑤. Durch Ansäuerung ⑥ wird das PA-Heptamer so verändert, dass eine Pore für die beiden Toxine entsteht ⑦, die so in das Cytosol der Zelle entlassen werden ⑧. Der Letalfaktor ist eine Zinkprotease, die Signalkaskaden der Zelle durch Spaltung von Proteinkinasen (MAPKK, mitogenaktivierte Proteinkinase-Kinase) unterbricht ⑨, was zum Zelltod führt. Der Letalfaktor ist, wie der Name besagt, das für die Erkrankung entscheidende Toxin. Er wirkt auf Makrophagen, durch deren Absterben schließlich ein septischer Schock mit Organversagen hervorgerufen wird, das zum Tode führt. Die Wirkung des Letalfaktors wird durch den Ödemfaktor verstärkt, bei dem es sich um eine Adenylat-Cyclase handelt, die durch das Wirtszellprotein Calmodulin aktiviert wird und so dauerhaft den sekundären Botenstoff zyklisches AMP (cAMP) bildet ⑩. Dies hat eine Schwächung der Zellen u. a. durch Wasserverlust zur Folge, das sich im Gewebe anreichert und zu Schwellungen (Ödemen) führt (▶ Abb. 19.40).

MAPKK

PPi 9

8 Wasserverlust Ödeme

7 Pore Zelltod

9

Mikroorganismen als Symbionten und Antagonisten welche Schutz gegen Phagocytose bietet. Die Bakterien vermehren sich und bilden erneut Sporen, die mit dem Kot der Tiere ausgeschieden werden. Ob vegetative Formen außerhalb eines Wirtes existieren, ist unklar. Der Mensch infiziert sich an erkrankten Tieren, geschädigt werden hauptsächlich die Haut, aber auch Lunge und Darm (Plus 19.10). In der Folge entstehen blauschwarze Pusteln, von denen der Name herrührt (griech. anthrax, Kohle). Die Symptome gehen auf die Aktivitäten mehrerer Toxine (Ödemfaktor, Letalfaktor, protektives Antigen) zurück, die zelluläre Regulationskaskaden stören (▶ Abb. 19.40). Die Synthese der Toxine, die auf einem Plasmid pXO1 codiert sind, beginnt bereits früh in der Auskeimungsphase der Sporen. Die Versendung von Briefen mit Anthraxpulver im Oktober 2001 in den USA führte zu mehreren Todesfällen und löste eine Diskussion über den terroristischen Einsatz pathogener Mikroorganismen (Bioterrorismus) aus. Im Jahr 2008 wurde bekannt, dass das Pulver aus einem Labor in den USA selbst stammte. Wie bereits beschrieben, ist C. botulinum (S. 667) selbst nicht infektiös, produziert jedoch mehrere Toxine, welche zu den stärksten bekannten Toxinen zählen. Die Toxine (Botulismustoxin) hemmen die Reizleitung im Bereich der motorischen Endplatten, wodurch Lähmungen der Muskulatur auftreten (▶ Abb. 19.33b). Weitere potenzielle biologische Waffen umfassen Yersinia pestis (Erreger der Beulenpest) (S. 668), Brucella abortus (Brucellose, Erkrankung von Nutztieren), Salmonella spp. (Kontamination von Lebensmitteln und Trinkwasser) (S. 661), das Variola-Virus (Erreger der Pocken), sowie neuerdings eventuell auch das Ebola-Virus (S. 669). Auch pflanzenpathogene Mikroorganismen haben Waffenpotenzial, da sie Ernten zerstören können, und werden inzwischen von den UN gelistet; darunter sind sowohl Pilze als auch Bakterien der Gattungen Erwinia und Xanthomonas. Neuere Besorgnis besteht jedoch auch in der Anwendung gentechnologischer Methoden, welche nicht nur die Massenproduktion von Toxinen in kurzer Zeit erlauben,

680

sondern auch die Herstellung hoch virulenter Organismen durch gezielte Kombination von Virulenzgenen. Trotz der 1972 verabschiedeten Genfer B-Waffen-Konvention der UNO, die die Entwicklung, Herstellung und Lagerung bakterieller Waffen und Toxine verbietet und der bisher 163 Staaten beigetreten sind, bleibt die Verifizierung ein Problem. Dies liegt hauptsächlich darin begründet, dass die Forschung zur Entwicklung von Impfstoffen für den Zivilschutz erlaubt ist und somit biologische Kampfstoffe prinzipiell vorgehalten werden dürfen. Vorgänge in jüngster Zeit, wie die Aufdeckung eines Unfalls mit Milzbrandbakterien in der ehemaligen Sowjetunion (1979) und der Nachweis einer Fabrikation biologischer Kampfstoffe im Irak nach Beendigung des Zweiten Golfkriegs (1995) haben gezeigt, dass sich Staaten die Option auf den Einsatz dieser Waffen weiterhin offenhalten wollen. Überprüfungskonferenzen zum B-Waffen-Abkommen werden in fünfjährigem Turnus abgehalten mit dem Ziel, durch gegenseitige Kontrollen der mit dieser Forschung befassten Labors vertrauensbildende Maßnahmen zu schaffen. Bisher ist es jedoch nicht gelungen, sich auf ein verbindliches Verifikationsprotokoll zu verständigen.

19.8 Biologische Waffen

Zusammenfassung ●













Mikroorganismen haben eine wichtige Bedeutung, sowohl als Symbionten als auch als Antagonisten von Mensch, Tier und Pflanze. Die Lebensgemeinschaft von zwei verschiedenen Organismen wird als Symbiose im weiteren Sinne bezeichnet. Dabei kann sowohl der Nutzen (mutualistisch) als auch der Schaden (parasitär) für den Partnerorganismus überwiegen. Symbiosen im engeren Sinne sind mutualistisch. Stickstofffixierende Bakterien (Rhizobien) regen Leguminosen zur Bildung von Wurzel- oder Stammknöllchen an, in denen sie Stickstoff fixieren, und tragen so auch zur Stickstoffdüngung von landwirtschaftlichen Nutzflächen bei. Die Bakterien verfügen über das Enzym Nitrogenase, welches molekularen Stickstoff (N2) zu Ammoniak reduziert. Die Pflanze synthetisiert zur Sauerstoffversorgung der Bakterien und gleichzeitig zum Schutz der Nitrogenase vor Sauerstoff Leghämoglobin. Die Wechselbeziehungen zwischen Bakterien und Pflanze sind sehr spezifisch und auf spezielle Signalstoffe wie Flavonoide (von Seiten der Pflanze) und Nodulationsfaktoren (von Seiten der Symbionten) zurückzuführen. Leuchtorgane bestimmter Tintenfische und Fische enthalten Bakterien der Art Vibrio fischeri, die zur Biolumineszenz befähigt sind. Die Zahl der Mikroorganismen, die die Körperoberflächen des Menschen (Haut, Mundhöhle, Verdauungstrakt, Atemwege, Urogenitaltrakt) besiedeln, ist ca. 10fach größer als die Zahl seiner Körperzellen. Die bei weitem überwiegende Mehrzahl davon befindet sich im Verdauungstrakt und besteht aus mehr als 1000 Arten. Die Gesamtheit der Gene dieser Organismen wird auch als Mikrobiom bezeichnet. Eine relativ kleine Gruppe von Mikroorganismen ist für die Entstehung von Infektionskrankheiten verantwortlich. Sie werden als pathogen (krankmachend) bezeichnet. Unter Virulenz versteht man die unterschiedliche Angriffskraft eines pathogenen Mikroorganismus hinsichtlich seiner Vermehrung und Schädigung des Wirtes. Die hierzu notwendigen Genprodukte werden unter dem Begriff Virulenzfaktoren zusammengefasst. Die Erreger können durch direkten Kontakt von Mensch zu Mensch übertragen werden oder indirekt über Lebensmittel, Trinkwasser oder biologische Vektoren.

















M ●

Zur Besiedlung eines Wirtes notwendige Virulenzfaktoren ermöglichen die Anheftung (Adhäsion) an Wirtszellen, das Eindringen in Epithelzellen (Invasion), die Zerstörung von Wirtszellen (Toxine) und die Manipulation und Inaktivierung des Immunsystems. Toxine sind meist Proteine und schädigen die Wirtszellen durch Lyse der Cytoplasmamembran, Manipulation zellulärer Signalübertragungswege oder Beeinflussung des Immunsystems (Exotoxine). Die Lipid-A-Komponente des Lipopolysaccharids gramnegativer Bakterien löst unkontrollierte Entzündungsreaktionen aus, die zum Tod führen können (Endotoxin). Pathogene Bakterien schalten die Abwehrmechanismen des Wirtes gegen Besiedlung aus, indem sie Kapseln bilden, Siderophore und Eisentransportsysteme synthetisieren oder Oberflächenstrukturen variieren. Zu den wichtigsten viralen Krankheitserregern, die pro Jahr weltweit für Millionen von Todesfällen verantwortlich sind, gehören das HI-Virus und das Hepatitis-B-Virus. Prionen sind pathologische Formen von Proteinen in Nervenzellen, die das normale Protein in infektiöse Formen umwandeln und so Krankheiten wie BSE (beim Rind) und Creutzfeldt-Jakob (beim Menschen) auslösen. Die Epidemiologie befasst sich mit der Verbreitung und dem Verlauf von Krankheiten und deren verursachenden Faktoren in der Bevölkerung. Damit verbunden ist das Sachgebiet der Hygiene, das sich mit der Erhaltung der Gesundheit des einzelnen Menschen als auch der gesamten Bevölkerung beschäftigt. Die Vorgehensweise zur Bekämpfung und Prävention von Infektionskrankheiten wird in Deutschland durch das Infektionsschutzgesetz geregelt. Pflanzenpathogene Bakterien gehören zu wenigen Gattungen und verwenden zur Besiedlung ihrer Wirte ähnliche Mechanismen wie tier- und humanpathogene Organismen. Bakterien der Gattung Agrobacterium infizieren dikotyle Pflanzen im Bereich einer Verwundung und lösen so unkontrollierte Zellteilungsaktivität aus. A. tumefaciens verursacht die Bildung von Wurzelhalsgallen. Die Bakterien besitzen das Ti-Plasmid, von dem ein Teil, die T-DNA, in die Pflanzenzelle übertragen wird. Die zur Erkennung der Verwundung, Anheftung an die Pflanze und den Gentranfer erforderlichen Proteine werden von den vir-Genen auf dem Ti-Plasmid codiert. Ein verändertes Ti-Plasmid kann zur genetischen Manipulation von Pflanzen verwendet werden.

Literatur zum Weiterlesen unter: www.thieme.de/literatur-fuchs

1

© Jürgen Fälchle – Fotolia

Kapitel 20 Mikroorganismen im Dienste des Menschen: Biotechnologie

20.1

Überblick

684

684

20.2 20.2 20.3 20.3

Die Bakterienzelle als Produzent Die Bakterienzelle als Produzent 684 Technische Abläufe in der klassischen Technische Abläufe in der klassiBiotechnologie schen Biotechnologie 685 Essigsäure

684

20.4 20.4 20.5

20.7 20.6 20.8 20.7 20.9

Essigsäure organischer Säuren durch 687Pilze Produktion und Bakterien Produktion organischer Säuren Aminosäuren durch Pilze und Bakterien 688 Stoffumwandlungen Aminosäuren 692 Antibiotika Stoffumwandlungen 693 Vitamine

20.10 20.8 20.11 20.9 20.12 20.10 20.13

Exopolysaccharide und Tenside Antibiotika Enzyme Vitamine Polyhydroxyalkanoate Exopolysaccharide und Tenside Gentechnische Verfahren

20.5 20.6

20.14 von Biomasse 20.11 Produktion Enzyme

694 700 701

685 687 688 692 693 694 700 701 701 702 703

701

704

20.15 20.12 20.16 20.13

Umwelttechnologie Polyhydroxyalkanoate 702 Metalllaugung und Renaturierung im Gentechnische Verfahren 703 Tagebau

705

20.17 20.14 20.18 20.15 20.19

Energieversorgung Produktion von Biomasse 704 Biosensoren Umwelttechnologie 705 Mikrobiologische Prozesskontrolle

711

20.16 Mikrobielle Metalllaugung und Renaturie20.20 Schädlingsbekämpfung rung im Tagebau 710

713

20.17 Energieversorgung

711

710 712 713

Mikroorganismen im Dienste des Menschen: Biotechnologie

20 Mikroorganismen im Dienste des Menschen: Biotechnologie Bernhard Schink

Mikroorganismen sind mit dem Menschen schon immer eng verbunden, sei es als Erreger von Krankheiten, als harmlose, häufig auch nützliche Kommensalen auf der Außenhaut und den Schleimhäuten oder als Symbionten im Verdauungssystem. Sehr früh und zunächst unbewusst begann der Mensch, die Dienste von Mikroorganismen zu nutzen, um sein Überleben in klimatisch ungünstigen Regionen der Erde zu sichern. Seit Jahrhunderten werden Lebensmittel mithilfe von Mikroorganismen verfeinert und haltbar gemacht. Bereits im Mittelalter nutzten Kräuterfrauen und Bader unbewusst Schimmelpilze und die von ihnen produzierten Antibiotika in Wundverbänden. Von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an wurden im Zuge neuer technologischer Entwicklungen zahlreiche Organismen entdeckt und ihre Stoffwechselleistungen beschrieben. Im 20. Jahrhundert beginnt in der Lebensmittelproduktion und in der synthetischen Industrie der großindustrielle Einsatz von kontrollierten mikrobiellen Verfahren zur Herstellung von Penicillin und anspruchsvollen chemischen Verbindungen. In den letzten 20 Jahren hat die molekularbiologische Manipulation von Mikroorganismen die Anwendung der Biotechnologie dramatisch erweitert. Gezielte Modifikationen von Produktionsstämmen führen häufig zu besser definierten Produktgemischen und einer verbesserten anschließenden Aufarbeitung (engl. downstream processing). Die Gesamtheit der technischen Anwendungen biologischer Verfahren zur Produktion bzw. Aufarbeitung von Grund- und Gebrauchschemikalien einschließlich des Trinkwassers wird unter dem Begriff Biotechnologie zusammengefasst. Zukünftig wird der Mensch auch vor die Aufgabe gestellt, End- und Nebenprodukte, die man bisher als Abfall verworfen hat, konsequent auf ihre mögliche biotechnische Wiederverwertung in der Stoff- und Energiewirtschaft zu prüfen, da mittelfristig die klassischen Energieressourcen, Kohle und Erdöl, erschöpft sein werden. Eine nachhaltige Wirtschaftsplanung verlangt, dass vermehrt erneuerbare Rohstoffquellen, z. B. aus der Land- und Forstwirtschaft, genutzt werden. Auch in diesen neuen Wirtschaftsbereichen spielen Mikroorganismen eine herausragende Rolle.

20.2 Die Bakterienzelle als Produzent Entsprechend der wichtigsten Funktion der Mikroorganismen in der Natur stellt man sich mikrobielle Aktivitäten in erster Linie als Abbauvorgänge vor. Als Produkte entstehen beim aeroben Abbau in der Regel CO2, H2O, NH3 und andere anorganische Verbindungen. Bei Gärungen können als Reaktionsprodukte Substanzen gebildet werden, die für den Menschen durchaus von Wert sind. Beispiele sind Milchsäure, Propionsäure, Ethanol, Butanol und andere Gärprodukte, die vor allem in der Lebensmittelmikrobiologie Bedeutung haben, aber auch als Konservierungsmittel, Lebensmittelzusätze oder Geschmacksbildner von Interesse sind. Diese Produkte werden als Produkte des Energiestoffwechsels simultan mit der Zellmasse gebildet. Man spricht daher von primären Stoffwechselprodukten, deren Produktion sich unter Umständen in geringem Ausmaß bis in die stationäre Wachstumsphase fortsetzt. Im Gegensatz hierzu werden sekundäre Stoffwechselprodukte vorzugsweise nach Abschluss der Wachstumsphase während der anschließenden, sogenannten Idiophase gebildet (▶ Abb. 20.1). Zu diesen Produkten zählen Antibiotika, aber auch viele andere pilzliche und bakterielle Sekundärmetabolite (S. 325). Während für das Wachstum von Mikroorganismen typischerweise eine ausbalancierte Diät günstig ist, die alle wesentlichen Nährstoffe in ausreichendem Maß zur Verfügung stellt, lässt sich die Produktion von Sekundärmetaboliten gezielt durch einseitige Limitierung des Stoff-

OD, Produkt- und Substratkonzentration

20.1 Überblick

Zellmasse primäres Stoffwechselprodukt sekundäres Stoffwechselprodukt Substrat Zeit Wachstumsphase

Idiophase

Abb. 20.1 Wachstum, Verbrauch von Substraten und Bildung von primären und sekundären Stoffwechselprodukten.

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Mikroorganismen im Dienste des Menschen: Biotechnologie

20 Mikroorganismen im Dienste des Menschen: Biotechnologie Bernhard Schink

Mikroorganismen sind mit dem Menschen schon immer eng verbunden, sei es als Erreger von Krankheiten, als harmlose, häufig auch nützliche Kommensalen auf der Außenhaut und den Schleimhäuten oder als Symbionten im Verdauungssystem. Sehr früh und zunächst unbewusst begann der Mensch, die Dienste von Mikroorganismen zu nutzen, um sein Überleben in klimatisch ungünstigen Regionen der Erde zu sichern. Seit Jahrhunderten werden Lebensmittel mithilfe von Mikroorganismen verfeinert und haltbar gemacht. Bereits im Mittelalter nutzten Kräuterfrauen und Bader unbewusst Schimmelpilze und die von ihnen produzierten Antibiotika in Wundverbänden. Von der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an wurden im Zuge neuer technologischer Entwicklungen zahlreiche Organismen entdeckt und ihre Stoffwechselleistungen beschrieben. Im 20. Jahrhundert beginnt in der Lebensmittelproduktion und in der synthetischen Industrie der großindustrielle Einsatz von kontrollierten mikrobiellen Verfahren zur Herstellung von Penicillin und anspruchsvollen chemischen Verbindungen. In den letzten 20 Jahren hat die molekularbiologische Manipulation von Mikroorganismen die Anwendung der Biotechnologie dramatisch erweitert. Gezielte Modifikationen von Produktionsstämmen führen häufig zu besser definierten Produktgemischen und einer verbesserten anschließenden Aufarbeitung (engl. downstream processing). Die Gesamtheit der technischen Anwendungen biologischer Verfahren zur Produktion bzw. Aufarbeitung von Grund- und Gebrauchschemikalien einschließlich des Trinkwassers wird unter dem Begriff Biotechnologie zusammengefasst. Zukünftig wird der Mensch auch vor die Aufgabe gestellt, End- und Nebenprodukte, die man bisher als Abfall verworfen hat, konsequent auf ihre mögliche biotechnische Wiederverwertung in der Stoff- und Energiewirtschaft zu prüfen, da mittelfristig die klassischen Energieressourcen, Kohle und Erdöl, erschöpft sein werden. Eine nachhaltige Wirtschaftsplanung verlangt, dass vermehrt erneuerbare Rohstoffquellen, z. B. aus der Land- und Forstwirtschaft, genutzt werden. Auch in diesen neuen Wirtschaftsbereichen spielen Mikroorganismen eine herausragende Rolle.

20.2 Die Bakterienzelle als Produzent Entsprechend der wichtigsten Funktion der Mikroorganismen in der Natur stellt man sich mikrobielle Aktivitäten in erster Linie als Abbauvorgänge vor. Als Produkte entstehen beim aeroben Abbau in der Regel CO2, H2O, NH3 und andere anorganische Verbindungen. Bei Gärungen können als Reaktionsprodukte Substanzen gebildet werden, die für den Menschen durchaus von Wert sind. Beispiele sind Milchsäure, Propionsäure, Ethanol, Butanol und andere Gärprodukte, die vor allem in der Lebensmittelmikrobiologie Bedeutung haben, aber auch als Konservierungsmittel, Lebensmittelzusätze oder Geschmacksbildner von Interesse sind. Diese Produkte werden als Produkte des Energiestoffwechsels simultan mit der Zellmasse gebildet. Man spricht daher von primären Stoffwechselprodukten, deren Produktion sich unter Umständen in geringem Ausmaß bis in die stationäre Wachstumsphase fortsetzt. Im Gegensatz hierzu werden sekundäre Stoffwechselprodukte vorzugsweise nach Abschluss der Wachstumsphase während der anschließenden, sogenannten Idiophase gebildet (▶ Abb. 20.1). Zu diesen Produkten zählen Antibiotika, aber auch viele andere pilzliche und bakterielle Sekundärmetabolite (S. 325). Während für das Wachstum von Mikroorganismen typischerweise eine ausbalancierte Diät günstig ist, die alle wesentlichen Nährstoffe in ausreichendem Maß zur Verfügung stellt, lässt sich die Produktion von Sekundärmetaboliten gezielt durch einseitige Limitierung des Stoff-

OD, Produkt- und Substratkonzentration

20.1 Überblick

Zellmasse primäres Stoffwechselprodukt sekundäres Stoffwechselprodukt Substrat Zeit Wachstumsphase

Idiophase

Abb. 20.1 Wachstum, Verbrauch von Substraten und Bildung von primären und sekundären Stoffwechselprodukten.

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20.3 Technische Abläufe in der klassischen Biotechnologie wechsels optimieren. Da auch für die Produktion von Sekundärmetaboliten in der Idiophase Energie erforderlich ist, sollte allerdings nicht das energieliefernde Substrat limitiert werden, sondern z. B. die Stickstoff-, Kohlenstoff-, Phosphor- oder Schwefelquelle. So kann die Bildung von Speicherfetten und Speicherpolysacchariden begünstigt werden, indem die Stickstoffquelle limitiert wird. Für viele Produktionsstämme wichtiger Sekundärmetaboliten wurden die erforderlichen Nährstoffe jedoch nicht im Detail analysiert. Aus ökonomischen Gründen verwendet man für die Anzucht dieser Stämme in großem Maßstab komplexe Nährlösungen, die auf einfachen landwirtschaftlichen Produkten oder Nebenprodukten aufbauen, wie z. B. Melasse und Saccharide im Allgemeinen, Sojaschrot, peptisch verdautes Sojaeiweiß (Pepton), Hefeextrakt, Maisquellwasser usw. Des Weiteren dienen auch synthetische Stoffe und Stoffgemische wie Kohlendioxid und Syngas (Synthesegas, ein Gemisch aus CO und H2) als Substrate. Um das Einschleppen von Viren in das biotechnologische Produkt zu vermeiden, werden Nährlösungen tierischen Ursprungs gemieden. Für die Produktionsaktivität spielt gelegentlich auch die Versorgung mit Spurenelementen eine wichtige Rolle.

20.3 Technische Abläufe in der klassischen Biotechnologie Die Entdeckung des Penicillins und dessen gezielte Synthese in großem Maßstab eröffneten einen neuen Zweig der klinisch-synthetischen Industrie. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden auch die meisten Prozesse in der Lebensmitteltechnologie auf kontrollierte mikrobiologische Verfahren im industriellen Maßstab umgestellt, z. B. in der Bierbrauerei, der Weinkellerei und der Herstellung von Käse und anderen Milchprodukten. Generell erfordern in industriellem Maßstab hergestellte

a

Motor

Lebensmittel und Medikamente den Umgang mit mikrobiologisch eindeutig definierten Produktionsstämmen, um Qualitätseinbrüche oder Produktionsausfälle zu verhindern. Biologisch basierte Produktionsverfahren spielen heute außerdem vor allem bei der Herstellung von strukturell anspruchsvollen chemischen Verbindungen eine Rolle, die die synthetische Chemie nur mit großem Aufwand und mit geringer Ausbeute herstellen kann. Eine besondere Herausforderung sind enantiomerenreine Produkte, z. B. Aminosäuren, da die Chemie in der Regel nur Enantiomerengemische (Racemate) synthetisieren kann. Im Zuge der begrenzten Verfügbarkeit von Erdöl rückt auch die biotechnologische Darstellung von Grundchemikalien weiter in den Fokus. Die Kultivierung von Mikroorganismen im technischen Maßstab bezeichnet man als Fermentation, unabhängig davon, ob es sich hierbei um einen aeroben oder anaeroben Prozess handelt. Die Anzucht- bzw. Produktionsvorgänge erfolgen in druckstabilen, dampfsterilisierbaren Reaktionsgefäßen, sogenannten Fermentern. Diese bestehen in der Regel aus Edelstahl und besitzen Arbeitsvolumina von 1–10 l (Laborfermenter; ▶ Abb. 20.2a) bis zu mehreren hundert Kubikmetern bei Produktionsfermentern (▶ Abb. 20.2b). Je größer das Arbeitsvolumen ist, desto größer ist jedoch auch das Risiko eines massiven Materialverlusts infolge einer Kontamination mit Fremdorganismen. Es ist daher in der Biotechnologie ausschlaggebend, zuverlässige sterile bzw. mikrobiologisch strikt kontrollierte Reaktionsbedingungen zu schaffen (Plus 20.1). Für die Anzucht von Pilzen ist eine Kultivierung in einer Flüssigkeit (Submersanzucht) nicht immer ohne Weiteres möglich. Manche Pilze bilden in der Nährlösung kleine Aggregate, sogenannte Pellets, von mehreren Millimetern bis Zentimetern Durchmesser. Innerhalb dieser Pellets herrschen meist sehr verschiedene Bedingungen

b

pH-Elektroden

Impfstutzen

Sauerstoffsonde Probeentnahme

Kühlwasserablauf Kühlmantel

Temperaturkontrolle

Rührer

Kühlwasserzulauf

Zuluft Ablauf

Luftfilter

Abb. 20.2 Fermenteranlagen zur Produktion von Biomasse oder Reaktionsprodukten. a Schema eines Laborfermenters. b Große technische Fermentationsanlage, zu sehen sind nur die Deckel der Fermenter, die jeweils ein Arbeitsvolumen von 100 m3 haben. (Aufnahme Fa. BASF, Ludwigshafen)

5

20.3 Technische Abläufe in der klassischen Biotechnologie wechsels optimieren. Da auch für die Produktion von Sekundärmetaboliten in der Idiophase Energie erforderlich ist, sollte allerdings nicht das energieliefernde Substrat limitiert werden, sondern z. B. die Stickstoff-, Kohlenstoff-, Phosphor- oder Schwefelquelle. So kann die Bildung von Speicherfetten und Speicherpolysacchariden begünstigt werden, indem die Stickstoffquelle limitiert wird. Für viele Produktionsstämme wichtiger Sekundärmetaboliten wurden die erforderlichen Nährstoffe jedoch nicht im Detail analysiert. Aus ökonomischen Gründen verwendet man für die Anzucht dieser Stämme in großem Maßstab komplexe Nährlösungen, die auf einfachen landwirtschaftlichen Produkten oder Nebenprodukten aufbauen, wie z. B. Melasse und Saccharide im Allgemeinen, Sojaschrot, peptisch verdautes Sojaeiweiß (Pepton), Hefeextrakt, Maisquellwasser usw. Des Weiteren dienen auch synthetische Stoffe und Stoffgemische wie Kohlendioxid und Syngas (Synthesegas, ein Gemisch aus CO und H2) als Substrate. Um das Einschleppen von Viren in das biotechnologische Produkt zu vermeiden, werden Nährlösungen tierischen Ursprungs gemieden. Für die Produktionsaktivität spielt gelegentlich auch die Versorgung mit Spurenelementen eine wichtige Rolle.

20.3 Technische Abläufe in der klassischen Biotechnologie Die Entdeckung des Penicillins und dessen gezielte Synthese in großem Maßstab eröffneten einen neuen Zweig der klinisch-synthetischen Industrie. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden auch die meisten Prozesse in der Lebensmitteltechnologie auf kontrollierte mikrobiologische Verfahren im industriellen Maßstab umgestellt, z. B. in der Bierbrauerei, der Weinkellerei und der Herstellung von Käse und anderen Milchprodukten. Generell erfordern in industriellem Maßstab hergestellte

a

Motor

Lebensmittel und Medikamente den Umgang mit mikrobiologisch eindeutig definierten Produktionsstämmen, um Qualitätseinbrüche oder Produktionsausfälle zu verhindern. Biologisch basierte Produktionsverfahren spielen heute außerdem vor allem bei der Herstellung von strukturell anspruchsvollen chemischen Verbindungen eine Rolle, die die synthetische Chemie nur mit großem Aufwand und mit geringer Ausbeute herstellen kann. Eine besondere Herausforderung sind enantiomerenreine Produkte, z. B. Aminosäuren, da die Chemie in der Regel nur Enantiomerengemische (Racemate) synthetisieren kann. Im Zuge der begrenzten Verfügbarkeit von Erdöl rückt auch die biotechnologische Darstellung von Grundchemikalien weiter in den Fokus. Die Kultivierung von Mikroorganismen im technischen Maßstab bezeichnet man als Fermentation, unabhängig davon, ob es sich hierbei um einen aeroben oder anaeroben Prozess handelt. Die Anzucht- bzw. Produktionsvorgänge erfolgen in druckstabilen, dampfsterilisierbaren Reaktionsgefäßen, sogenannten Fermentern. Diese bestehen in der Regel aus Edelstahl und besitzen Arbeitsvolumina von 1–10 l (Laborfermenter; ▶ Abb. 20.2a) bis zu mehreren hundert Kubikmetern bei Produktionsfermentern (▶ Abb. 20.2b). Je größer das Arbeitsvolumen ist, desto größer ist jedoch auch das Risiko eines massiven Materialverlusts infolge einer Kontamination mit Fremdorganismen. Es ist daher in der Biotechnologie ausschlaggebend, zuverlässige sterile bzw. mikrobiologisch strikt kontrollierte Reaktionsbedingungen zu schaffen (Plus 20.1). Für die Anzucht von Pilzen ist eine Kultivierung in einer Flüssigkeit (Submersanzucht) nicht immer ohne Weiteres möglich. Manche Pilze bilden in der Nährlösung kleine Aggregate, sogenannte Pellets, von mehreren Millimetern bis Zentimetern Durchmesser. Innerhalb dieser Pellets herrschen meist sehr verschiedene Bedingungen

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pH-Elektroden

Impfstutzen

Sauerstoffsonde Probeentnahme

Kühlwasserablauf Kühlmantel

Temperaturkontrolle

Rührer

Kühlwasserzulauf

Zuluft Ablauf

Luftfilter

Abb. 20.2 Fermenteranlagen zur Produktion von Biomasse oder Reaktionsprodukten. a Schema eines Laborfermenters. b Große technische Fermentationsanlage, zu sehen sind nur die Deckel der Fermenter, die jeweils ein Arbeitsvolumen von 100 m3 haben. (Aufnahme Fa. BASF, Ludwigshafen)

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Mikroorganismen im Dienste des Menschen: Biotechnologie

Plus 20.1 Handhabung großer Reaktionsvolumina Während die Reaktionsgefäße durch Heißdampf bei ca. 2 atm Druck zuverlässig sterilisiert werden können, ist eine Hitzesterilisation für die Nährlösungen nicht immer möglich. Das Aufheizen und Abkühlen größerer Volumina nimmt relativ viel Zeit in Anspruch, wodurch thermolabile Bestandteile zerstört werden können. Zur Sterilisation von Nährlösungen wird daher bevorzugt die Sterilfiltration über mehrschichtige, druckstabile Faserfilter, sogenannte SeitzFilter, vorgezogen. Für nichtfiltrierbare Nährmedien, die z. B. Melasse oder Sojaschrot enthalten, bietet sich ein elegantes Verfahren mit Wasserstoffperoxid an, das man nach hinreichend langer Einwirkungszeit durch einen Zusatz von steriler Katalaselösung inaktiviert. Die Anzucht von Mikroorganismen im industriellen Maßstab vollzieht sich grundsätzlich über mehrere Stufen. Man beginnt mit einer Schüttelkultur von mehreren 100 ml Volumen und geht dann in mehreren Schritten um den Faktor 10–100 auf größere Volumina über (engl. upscaling). Natürlich muss auf jeder Ebene die Reinheit der Kultur überprüft werden, damit eine Kontamination früh festgestellt werden kann und in der letzten und teuersten Stufe keine Kontaminanten durchwachsen. In großen Volumina sind anaerobe Prozesse sehr viel leichter zu führen als aerobe. Bei hohen Zelldichten und einem großen Arbeitsvolumen

hinsichtlich Sauerstoffversorgung, Säuregrad usw. vor. Andere Pilze können nur in Feststofffermentern gezüchtet werden, in denen ein pulvriges, befeuchtetes Substrat, das dem Mycelwachstum der Pilze entgegenkommt, vorsichtig in Bewegung gehalten wird. Auch zahlreiche Bakterien tendieren dazu, statt frei in der Flüssigkeit suspendiert an Oberflächen zu wachsen und dort Biofilme (S. 609) auszubilden. Diese Tendenz kann man sich durch ein hinreichendes Angebot von Oberflächen auf geeigneten Trägern im Reaktor gezielt zunutze machen. Man bindet die Biomasse im Reaktor und erzielt durch mehrfaches sequenzielles Beschicken des Reaktors mit frischer Nährlösung (engl. fed batch) oder durch kontinuierliches Beschicken mit geeigneter Substratlösung den gewünschten wachstumsunabhängigen Umsatz. Durch solche Kunstgriffe werden die Verweildauer der Substratlösung im Reaktor und die Verdopplungszeit der Mikroorganismen voneinander abgekoppelt, was insbesondere bei langsamwüchsigen Organismen von Vorteil ist. Suspendierte Bakterienzellen können durch einen Filtrationsschritt im Reaktor zurückgehalten werden, während die bearbeitete Produktlösung den Reaktor verlässt. Die Bindung der Zellmasse an Trägermaterialien im Reaktor ist häufig erwünscht (Fesselverfahren). Haften die Zellen nicht von sich aus im Reaktor, werden sie, vor al-

686

●V

ist es eine enorme technische Herausforderung, durch Belüftung einen hinreichend hohen Sauerstoffpartialdruck zu gewährleisten. Für dieses Problem gibt es mittlerweile eine Reihe von Lösungen. Die erforderliche Luft wird über Zellstofffilter entkeimt und bei hohem Druck über feine Düsen in der Nährlösung verteilt. Verschiedene Rührsysteme verteilen die Luftbläschen und sichern einen möglichst langen Verbleib in der Flüssigkeit. Neben Rührblattfermentersystemen haben sich auch solche bewährt, bei denen die Nährlösung über die Radialachse zirkuliert (Umwurfsystem; sog. Schlaufenreaktor). Für die Auswahl des optimalen Mischsystems spielen neben der Frage nach einer optimalen Sauerstoffversorgung auch die in der Flüssigkeit kleinräumig auftretenden Scherkräfte eine wichtige Rolle. Pilze und eukaryontische Zellen sind gegenüber solchen Scherkräften empfindlich, suspendiert wachsende Bakterienzellen sind dagegen eher unempfindlich. Bei größeren Arbeitsvolumina ist es auch wichtig, die Reaktionswärme, die vor allem beim aeroben Stoffwechsel frei wird, aus dem Reaktor abzuführen. Darüber hinaus bringen Belüftung und intensives Rühren weitere Wärmeenergie in das System ein, die abgeführt werden muss, um für die Mikroorganismen optimale Bedingungen aufrechtzuerhalten.

lem in teuren Produktionsverfahren, in polymere Träger (z. B. Alginate) eingebunden. Nach Abschluss des eigentlichen Fermentationsvorgangs erfolgt die Weiterverarbeitung, das Downstream Processing. Hierunter versteht man die Gesamtheit der Abläufe, die von der bewachsenen Kulturbrühe zum reinen Produkt führen. Die Mikroorganismen werden durch Filtration oder durch Zentrifugation, der meist eine Filtration nachgeschaltet werden muss, aus der Kulturbrühe entfernt. Um zu vermeiden, dass die Zellen auf der Filteroberfläche verkleben, bedient man sich der Tangentialfiltration. Bei diesem Verfahren wird die bewachsene Kulturbrühe tangential über die Filteroberfläche geführt und so kontinuierlich eingedickt. Ist die Zellmasse abgetrennt, werden die gewünschten Reaktionsprodukte nach den Methoden der präparativen organischen Chemie gewonnen. Hierzu zählen organische Extraktion, Destillation, Wasserdampfdestillation, Sorption an geeignete Trägermaterialien, z. B. Kunstharze, sowie zahlreiche Chromatographieverfahren, die schließlich zu hoch reinen Produkten führen. In manchen Fällen setzt man statt ganzer Zellen auch isolierte Enzyme für gezielte Umsetzungen ein (Plus 20.2). Ein Großteil der von biotechnologischen Prozessen verursachten Kosten geht auf das Downstream Processing zurück, insbesondere bei der Herstellung von schwer zu isolierenden Verbindungen wie Carbonsäuren.

20.4 Essigsäure

●V

Plus 20.2 Zellfreie Reaktionssysteme In der Biotechnologie werden nicht nur ganze Zellen von Bakterien oder Pilzen, sondern häufig auch angereicherte oder reine Enzyme für spezifische Umsatzreaktionen herangezogen. Es versteht sich von selbst, dass auch bei diesen Verfahren strikt steril gearbeitet werden muss, um einen vorzeitigen Abbau der Substrate und Produkte durch proteolytische Bakterien zu verhindern. Gerade in der Enzymtechnologie werden die Enzyme häufig an Träger angebunden, wozu man sich geeigneter chemischer Linker bedient, die eine kovalente Bindung an eine Trägermatrix, z. B. Silicagel, Hydroxylapatit, Cellulose, Dextran, Alginat, Carageenan, Polyacrylamid, Polyvinylalkohol oder Methacrylat herstellen. Alternativ werden gelöste Enzyme in separate Reaktionsräume eingeschlossen, die durch Ultrafiltrationsmembranen vor Enzymverlusten und dem Eintrag von Mikroorganismen geschützt sind (Membranreaktor). Schließ-

20.4 Essigsäure 20.4.1 Unvollständige Oxidationen Zahlreiche aerobe Mikroorganismen produzieren beim Abbau komplexer organischer Verbindungen neben CO2 auch einfache organische Verbindungen. Man bezeichnet solche Stoffwechselleistungen als unvollständige Oxidationen (S. 384). Die klassischen anaeroben Gärungen und ihre Anwendungen werden in Kapitel 13 vorgestellt. Den aeroben Essigsäurebakterien ist die Fähigkeit gemeinsam, aus Zuckern oder Alkoholen durch unvollständige Oxidation Säuren zu bilden, die vorübergehend oder als unverwertbare Endprodukte in die Nährlösung aus-

Plus 20.3 Typen von Essigsäurebildnern

●V

Ob ein Bakterium zur Gruppe der Peroxidierer (peroxydans) gehört und Acetat nur vorübergehend anhäuft oder ein Mitglied der suboxydans-Gruppe ist, Acetat also nicht weiteroxidiert, kann man in einfachen Experimenten zeigen. Auf einem milchig-trüben Kreideagar (Nährboden mit Ethanol, Hefeextrakt und Calciumcarbonat) löst sich das Calciumcarbonat während des Koloniewachstums durch ausgeschiedene Säure auf (Hofbildung). Während bei Suboxidanten der klare Hof erhalten bleibt, setzt bei Peroxidanten durch Weiteroxidation des Acetats und anschließendes Ausfallen des Calciumcarbonats erneute Trübung ein. Zu den Peroxidierern zählen Acetobacter aceti und A. pasteurianus. Gluconobacter oxydans ist der Prototyp der Suboxidierer. Zwischen beiden gibt es alle Übergänge. Acetobacter aceti ssp. xylinus oxidiert Acetat nur sehr langsam.

lich bietet sich sowohl für ganze Mikrobenzellen als auch für isolierte Enzyme der Einschluss in Polymerkügelchen an. Diese bestehen zumeist aus Agarose, Dextran oder Alginat, die die Organismen und Enzyme schützen, einen hinreichenden Austausch mit der Substratlösung erlauben und zugleich im Reaktionssystem zurückgehalten werden können. Für die kovalente Bindung von Enzymen an Trägersysteme werden vor allem spezifische Reaktionen mit den Aminosäureseitenketten der Proteine genutzt, z. B. mit der ε-Aminogruppe des Lysins oder den Carboxylgruppen der Seitenketten von Glutamat oder Aspartat. Die aromatischen Aminosäuren können über Azokupplungen gebunden werden. Einige Enzyme werden auch in lipophile Reaktionsräume eingeschlossen. Dies gilt vor allem für Lipasen (S. 366) und andere Esterasen, die dann in einem wasserfreien Medium die übliche Richtung der Hydrolasereaktion umkehren und z. B. Esterbindungen herstellen können.

geschieden werden. Zu den Essigsäurebakterien zählen gramnegative Stäbchen, die entweder mit peritrich (Acetobacter) oder polar (Gluconobacter) inserierten Geißeln schwach beweglich sind. Sie sind den Pseudomonaden ähnlich, unterscheiden sich jedoch von ihnen durch hohe Säuretoleranz, geringe peptolytische Aktivität, geringere Beweglichkeit und fehlende Farbpigmente. Die natürlichen Standorte der Essigsäurebakterien sind Pflanzen. Wo zuckerreiche Säfte frei werden, sind Essigsäurebakterien mit Hefen vergesellschaftet. Die meisten Essigsäurebakterien beanspruchen komplexe Nährböden. Je nachdem, ob das entstehende Acetat weiterverwertet wird, unterscheidet man peroxidierende und suboxidierende Typen von Bakterien (Plus 20.3).

20.4.2 Stoffwechselleistungen von Essigsäurebakterien Essigsäurebakterien oxidieren primäre Alkohole zu den entsprechenden Fettsäuren, z. B. CH3-CH2OH → CH3-COOH, CH3-CH2-CH2OH → CH3-CH2-COOH, sekundäre Alkohole zu Ketonen, z. B. CH3-CHOH-CH3 → CH3-CO-CH3 CH2OH-CHOH-CH2OH → CH2OH-CO-CH2OH, und Aldehyde, Aldosen und Ketosen zu den entsprechenden Säuren, z. B. Glycolaldehyd → Glycolat, L-Xylose → L-Xylonat, D-Glucose → D-Gluconat.

7

20.4 Essigsäure

●V

Plus 20.2 Zellfreie Reaktionssysteme In der Biotechnologie werden nicht nur ganze Zellen von Bakterien oder Pilzen, sondern häufig auch angereicherte oder reine Enzyme für spezifische Umsatzreaktionen herangezogen. Es versteht sich von selbst, dass auch bei diesen Verfahren strikt steril gearbeitet werden muss, um einen vorzeitigen Abbau der Substrate und Produkte durch proteolytische Bakterien zu verhindern. Gerade in der Enzymtechnologie werden die Enzyme häufig an Träger angebunden, wozu man sich geeigneter chemischer Linker bedient, die eine kovalente Bindung an eine Trägermatrix, z. B. Silicagel, Hydroxylapatit, Cellulose, Dextran, Alginat, Carageenan, Polyacrylamid, Polyvinylalkohol oder Methacrylat herstellen. Alternativ werden gelöste Enzyme in separate Reaktionsräume eingeschlossen, die durch Ultrafiltrationsmembranen vor Enzymverlusten und dem Eintrag von Mikroorganismen geschützt sind (Membranreaktor). Schließ-

20.4 Essigsäure 20.4.1 Unvollständige Oxidationen Zahlreiche aerobe Mikroorganismen produzieren beim Abbau komplexer organischer Verbindungen neben CO2 auch einfache organische Verbindungen. Man bezeichnet solche Stoffwechselleistungen als unvollständige Oxidationen (S. 384). Die klassischen anaeroben Gärungen und ihre Anwendungen werden in Kapitel 13 vorgestellt. Den aeroben Essigsäurebakterien ist die Fähigkeit gemeinsam, aus Zuckern oder Alkoholen durch unvollständige Oxidation Säuren zu bilden, die vorübergehend oder als unverwertbare Endprodukte in die Nährlösung aus-

Plus 20.3 Typen von Essigsäurebildnern

●V

Ob ein Bakterium zur Gruppe der Peroxidierer (peroxydans) gehört und Acetat nur vorübergehend anhäuft oder ein Mitglied der suboxydans-Gruppe ist, Acetat also nicht weiteroxidiert, kann man in einfachen Experimenten zeigen. Auf einem milchig-trüben Kreideagar (Nährboden mit Ethanol, Hefeextrakt und Calciumcarbonat) löst sich das Calciumcarbonat während des Koloniewachstums durch ausgeschiedene Säure auf (Hofbildung). Während bei Suboxidanten der klare Hof erhalten bleibt, setzt bei Peroxidanten durch Weiteroxidation des Acetats und anschließendes Ausfallen des Calciumcarbonats erneute Trübung ein. Zu den Peroxidierern zählen Acetobacter aceti und A. pasteurianus. Gluconobacter oxydans ist der Prototyp der Suboxidierer. Zwischen beiden gibt es alle Übergänge. Acetobacter aceti ssp. xylinus oxidiert Acetat nur sehr langsam.

lich bietet sich sowohl für ganze Mikrobenzellen als auch für isolierte Enzyme der Einschluss in Polymerkügelchen an. Diese bestehen zumeist aus Agarose, Dextran oder Alginat, die die Organismen und Enzyme schützen, einen hinreichenden Austausch mit der Substratlösung erlauben und zugleich im Reaktionssystem zurückgehalten werden können. Für die kovalente Bindung von Enzymen an Trägersysteme werden vor allem spezifische Reaktionen mit den Aminosäureseitenketten der Proteine genutzt, z. B. mit der ε-Aminogruppe des Lysins oder den Carboxylgruppen der Seitenketten von Glutamat oder Aspartat. Die aromatischen Aminosäuren können über Azokupplungen gebunden werden. Einige Enzyme werden auch in lipophile Reaktionsräume eingeschlossen. Dies gilt vor allem für Lipasen (S. 366) und andere Esterasen, die dann in einem wasserfreien Medium die übliche Richtung der Hydrolasereaktion umkehren und z. B. Esterbindungen herstellen können.

geschieden werden. Zu den Essigsäurebakterien zählen gramnegative Stäbchen, die entweder mit peritrich (Acetobacter) oder polar (Gluconobacter) inserierten Geißeln schwach beweglich sind. Sie sind den Pseudomonaden ähnlich, unterscheiden sich jedoch von ihnen durch hohe Säuretoleranz, geringe peptolytische Aktivität, geringere Beweglichkeit und fehlende Farbpigmente. Die natürlichen Standorte der Essigsäurebakterien sind Pflanzen. Wo zuckerreiche Säfte frei werden, sind Essigsäurebakterien mit Hefen vergesellschaftet. Die meisten Essigsäurebakterien beanspruchen komplexe Nährböden. Je nachdem, ob das entstehende Acetat weiterverwertet wird, unterscheidet man peroxidierende und suboxidierende Typen von Bakterien (Plus 20.3).

20.4.2 Stoffwechselleistungen von Essigsäurebakterien Essigsäurebakterien oxidieren primäre Alkohole zu den entsprechenden Fettsäuren, z. B. CH3-CH2OH → CH3-COOH, CH3-CH2-CH2OH → CH3-CH2-COOH, sekundäre Alkohole zu Ketonen, z. B. CH3-CHOH-CH3 → CH3-CO-CH3 CH2OH-CHOH-CH2OH → CH2OH-CO-CH2OH, und Aldehyde, Aldosen und Ketosen zu den entsprechenden Säuren, z. B. Glycolaldehyd → Glycolat, L-Xylose → L-Xylonat, D-Glucose → D-Gluconat.

7

Mikroorganismen im Dienste des Menschen: Biotechnologie

CH2OH HO

CH

HO

CH HC OH

HO

CH

CH2OH D-Sorbitol

CH2OH ½ O2

H2O

Gluconobacter oxydans

C HO

O

CH CH

CH2OH L-Sorbose

20.4.3 Biochemie der Essigsäurebildung Acetobacter und Gluconobacter besitzen Alkohol-, Glucose- und andere Polyol-Dehydrogenasen, die als prosthetische Gruppe Pyrrolochinolinchinon (PQQ) (▶ Abb. 11.23b) enthalten. Diese Enzyme sind an der Außenseite der Cytoplasmamembran lokalisiert und katalysieren die Oxidation von Ethanol, Glycerin oder Glucose zu den entsprechenden Säuren (Essigsäure, Glycerinsäure, Gluconsäure). Die dabei freigesetzten Elektronen werden auf der Stufe des Cytochrom c in die Elektronentransportkette eingeschleust und Protonen nach außen in den periplasmatischen Raum abgegeben. PQQ gelangt auch in das Nährmedium und in den Speiseessig. Der gesteigerte Appetit von Schwangeren auf essighaltige Nahrungsmittel wird mit einem vermehrten Bedarf an PQQ für den Aufbau der Plazenta in Verbindung gebracht. Die Gewinnung von Essig aus Wein bzw. Ethanol ist vorwiegend eine Frage der Belüftung. Die technischen Verfahren zielen durchweg darauf ab, die Bakterien und die zu oxidierende Flüssigkeit in intensiven Kontakt mit

Abb. 20.3 Oxidation von Sorbitol zu Sorbose durch Gluconobacter oxydans.

C

HO

C

HO

C

HC OH HO

Zuckeralkohole werden zu Aldosen und Ketosen oxidiert, z. B. Sorbitol zu Sorbose (▶ Abb. 20.3). Diese Oxidation hat als Teilreaktion des präparativen Weges von Glucose zu Ascorbinsäure große technische Bedeutung erlangt. Zunächst wird D-Sorbitol durch elektrochemische Reduktion von D-Glucose gewonnen. Durch Gluconobacter oxydans werden anschließend Lösungen mit bis zu 30 % Sorbitol mit einer Ausbeute von 90 % zu Sorbose umgesetzt, die als Vorstufe für die Produktion von Ascorbinsäure (S. 700) dient. Wie Sorbitol werden auch Glycerin, Tetrite, Pentite, Hexite und Heptite oxidiert (z. B. D-Mannitol → D-Fructose). D-Gluconat wird zu Ketogluconaten oxidiert. Die Stämme der Essigsäurebakterien unterscheiden sich in der Eigenschaft, entweder 2- oder 5-Ketogluconat zu bilden. Gluconobacter oxidans ssp. melanogenes produziert über 2-Ketogluconat das 2,5-Diketogluconat. Diese Säure, die bei einem pH-Wert von 4,5 instabil ist, ist für die Braunschwarzfärbung der Kolonien von G. oxidans ssp. melanogenes (Name!) auf Glucoseagar verantwortlich. Darüber hinaus dient 2-Ketogluconat auch als Ausgangsprodukt für eine alternative Ascorbinsäuresynthese.

688

O

O

HC HO

CH

CH2OH L-Ascorbinsäure

Luftsauerstoff zu bringen. Dem Prinzip nach sind drei Verfahren zu unterscheiden: das Oberflächen- oder Deckenverfahren, das Fesselverfahren und das Submersverfahren (Plus 20.4).

Plus 20.4 Technologie der Essigproduktion

●V

Das Oberflächenverfahren ist eine uralte Methode und wurde als Orleans-Verfahren standardisiert. Wird Wein in flachen Schalen aufgestellt und sorgen Taufliegen (Drosophila) für eine Beimpfung, bildet sich auf der Oberfläche eine zusammenhängende Haut, eine Decke, die auch als Essigmutter oder Mycoderma aceti bezeichnet wird. Diese besteht aus Zellen von Acetobacter xylinus, die durch Cellulosefibrillen zusammengehalten (immobilisiert) werden. Der Säuerungsvorgang ist sehr langsam. Das Verfahren wird auch im Haushalt zur Herstellung von Teekwass angewendet. Unter den Fesselverfahren werden die Verfahren zusammengefasst, bei denen die Bakterien an ein Trägermaterial gebunden (gefesselt) sind, wie z. B. an Weintrester und Traubenstiele in häufig belüfteten und bewegten Fässern. Beim Schnellessigverfahren wird die alkoholhaltige Flüssigkeit wiederholt durch Standbehälter geleitet, die mit Buchenholzspänen gefüllt sind. Die „Bakteriensäule“ wird von unten belüftet. Das Verfahren hat den Vorteil, dass der produzierte Speiseessig kaum noch einer Filterung bedarf, da die Bakterien immobilisiert sind. Trotzdem werden zunehmend Submersverfahren in Fermentern eingesetzt, die starke Belüftung und Wärmeabführung ermöglichen.

20.5 Produktion organischer Säuren durch Pilze und Bakterien Mehrere organische Säuren werden im industriellen Maßstab durch Pilze produziert. Die Vorteile der Verwendung von Pilzen zur Herstellung von Zitronensäure, Itaconsäure, Gluconsäure, Äpfelsäure und anderen Säuren wurden schon früh erkannt. So lassen sich die Pilze z. B. leicht über preisgünstige Filtrationen von der Flüssigkeit

Mikroorganismen im Dienste des Menschen: Biotechnologie

CH2OH HO

CH

HO

CH HC OH

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CH2OH D-Sorbitol

CH2OH ½ O2

H2O

Gluconobacter oxydans

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CH CH

CH2OH L-Sorbose

20.4.3 Biochemie der Essigsäurebildung Acetobacter und Gluconobacter besitzen Alkohol-, Glucose- und andere Polyol-Dehydrogenasen, die als prosthetische Gruppe Pyrrolochinolinchinon (PQQ) (▶ Abb. 11.23b) enthalten. Diese Enzyme sind an der Außenseite der Cytoplasmamembran lokalisiert und katalysieren die Oxidation von Ethanol, Glycerin oder Glucose zu den entsprechenden Säuren (Essigsäure, Glycerinsäure, Gluconsäure). Die dabei freigesetzten Elektronen werden auf der Stufe des Cytochrom c in die Elektronentransportkette eingeschleust und Protonen nach außen in den periplasmatischen Raum abgegeben. PQQ gelangt auch in das Nährmedium und in den Speiseessig. Der gesteigerte Appetit von Schwangeren auf essighaltige Nahrungsmittel wird mit einem vermehrten Bedarf an PQQ für den Aufbau der Plazenta in Verbindung gebracht. Die Gewinnung von Essig aus Wein bzw. Ethanol ist vorwiegend eine Frage der Belüftung. Die technischen Verfahren zielen durchweg darauf ab, die Bakterien und die zu oxidierende Flüssigkeit in intensiven Kontakt mit

Abb. 20.3 Oxidation von Sorbitol zu Sorbose durch Gluconobacter oxydans.

C

HO

C

HO

C

HC OH HO

Zuckeralkohole werden zu Aldosen und Ketosen oxidiert, z. B. Sorbitol zu Sorbose (▶ Abb. 20.3). Diese Oxidation hat als Teilreaktion des präparativen Weges von Glucose zu Ascorbinsäure große technische Bedeutung erlangt. Zunächst wird D-Sorbitol durch elektrochemische Reduktion von D-Glucose gewonnen. Durch Gluconobacter oxydans werden anschließend Lösungen mit bis zu 30 % Sorbitol mit einer Ausbeute von 90 % zu Sorbose umgesetzt, die als Vorstufe für die Produktion von Ascorbinsäure (S. 700) dient. Wie Sorbitol werden auch Glycerin, Tetrite, Pentite, Hexite und Heptite oxidiert (z. B. D-Mannitol → D-Fructose). D-Gluconat wird zu Ketogluconaten oxidiert. Die Stämme der Essigsäurebakterien unterscheiden sich in der Eigenschaft, entweder 2- oder 5-Ketogluconat zu bilden. Gluconobacter oxidans ssp. melanogenes produziert über 2-Ketogluconat das 2,5-Diketogluconat. Diese Säure, die bei einem pH-Wert von 4,5 instabil ist, ist für die Braunschwarzfärbung der Kolonien von G. oxidans ssp. melanogenes (Name!) auf Glucoseagar verantwortlich. Darüber hinaus dient 2-Ketogluconat auch als Ausgangsprodukt für eine alternative Ascorbinsäuresynthese.

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O

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CH2OH L-Ascorbinsäure

Luftsauerstoff zu bringen. Dem Prinzip nach sind drei Verfahren zu unterscheiden: das Oberflächen- oder Deckenverfahren, das Fesselverfahren und das Submersverfahren (Plus 20.4).

Plus 20.4 Technologie der Essigproduktion

●V

Das Oberflächenverfahren ist eine uralte Methode und wurde als Orleans-Verfahren standardisiert. Wird Wein in flachen Schalen aufgestellt und sorgen Taufliegen (Drosophila) für eine Beimpfung, bildet sich auf der Oberfläche eine zusammenhängende Haut, eine Decke, die auch als Essigmutter oder Mycoderma aceti bezeichnet wird. Diese besteht aus Zellen von Acetobacter xylinus, die durch Cellulosefibrillen zusammengehalten (immobilisiert) werden. Der Säuerungsvorgang ist sehr langsam. Das Verfahren wird auch im Haushalt zur Herstellung von Teekwass angewendet. Unter den Fesselverfahren werden die Verfahren zusammengefasst, bei denen die Bakterien an ein Trägermaterial gebunden (gefesselt) sind, wie z. B. an Weintrester und Traubenstiele in häufig belüfteten und bewegten Fässern. Beim Schnellessigverfahren wird die alkoholhaltige Flüssigkeit wiederholt durch Standbehälter geleitet, die mit Buchenholzspänen gefüllt sind. Die „Bakteriensäule“ wird von unten belüftet. Das Verfahren hat den Vorteil, dass der produzierte Speiseessig kaum noch einer Filterung bedarf, da die Bakterien immobilisiert sind. Trotzdem werden zunehmend Submersverfahren in Fermentern eingesetzt, die starke Belüftung und Wärmeabführung ermöglichen.

20.5 Produktion organischer Säuren durch Pilze und Bakterien Mehrere organische Säuren werden im industriellen Maßstab durch Pilze produziert. Die Vorteile der Verwendung von Pilzen zur Herstellung von Zitronensäure, Itaconsäure, Gluconsäure, Äpfelsäure und anderen Säuren wurden schon früh erkannt. So lassen sich die Pilze z. B. leicht über preisgünstige Filtrationen von der Flüssigkeit

20.5 Produktion organischer Säuren durch Pilze und Bakterien abtrennen, während zur Abtrennung von Bakterien leistungsfähige Zentrifugen und ein hoher Energieaufwand nötig sind. Auf die Besonderheiten der Pilze und deren biotechnologische Bedeutung wurde bereits in Kapitel 3 eingegangen.

20.5.1 Physiologie und Biotechnologie Der Pilzstoffwechsel ist streng oxidativ. Das bedeutet nicht, dass Pilze Kohlenhydrate nicht anaerob abbauen und vergären könnten (Hefegärung!). Unter anaeroben Bedingungen erfolgt jedoch kein anhaltendes Wachstum, und als Gärprodukte entstehen fast ausschließlich Ethanol oder Milchsäure. Andere organische Säuren werden nur unter aeroben Bedingungen sezerniert. Am natürlichen Standort der Pilze, im Boden, werden kaum Intermediärprodukte ausgeschieden. Bei Nahrungsmangel gewinnen Pilze durch vollständige Oxidation und Assimilation des Substrats ein Maximum an Energie und Zellsubstanz. Dass im Labor und in der industriellen Praxis zahlreiche Stoffwechselprodukte ausgeschieden werden, ist auf das Überangebot an Kohlenhydraten und eine häufig durch Entzug von Spurenelementen verstärkte Desorganisation des Stoffwechsels zurückzuführen. Pilze verfügen über ein „starkes glykolytisches System“, d. h. bei genügendem Substratangebot läuft die Glykolyse mit hoher Rate ab, auch wenn die Zwischenprodukte dann oft nicht vollständig oxidiert, sondern ausgeschieden werden. Letztlich sind die meisten „oxidativen Gärungen“ auf eine Fehlregulation des Stoffwechsels zurückzuführen. An den Engpässen des Intermediärstoffwechsels stauen sich Intermediärprodukte, die entweder direkt oder nach geringfügiger Veränderung ausgeschieden werden. In vielen Fällen genügt es, ein essenzielles Spurenelement nicht zur Verfügung zu stellen, um einen Pilz zur Anreicherung von Intermediärprodukten im Medium zu veranlassen. Eine bemerkenswerte Wirkung hat dabei ein Mangel an Zink, Eisen, Mangan, Kupfer sowie Magnesium, Kalium und Calcium, meist in verschiedenen Kombinationen (s. u.). Milchsäure wird hauptsächlich von Mucorales (Rhizopus nodosus, R. oryzae, R. arrhizus, R. nigricans) und anderen Phycomyceten (Allomyces, Saprolegnia, Blastocladiella) ausgeschieden. Bei diesen Organismen ist Milchsäure je-

HO

CH HC OH

HO

CH

C O

Glucose-Oxidase

HC OH HC

FAD

FADH2

CH

COOH O

HO

CH HC OH

HC

HC OH

Gluconolacton H2O2

HC OH

H2O

CH2OH

O2

Die Synthese von Zitronensäure durch Pilze wurde wegen der praktischen und ökonomischen Aspekte schon zu einem relativ frühen Zeitpunkt der biotechnologischen Entwicklung intensiv bearbeitet. Nachdem C. Wehmer die Zitronensäure 1893 in Kulturen von Penicillien (Citro-

HC OH

CH2OH β-D-Glucose

Synthese von Zitronensäure

O

HC OH HO

doch nie das einzige Stoffwechselprodukt, wie bei den homofermentativen Milchsäurebakterien. Neben Milchsäure entstehen geringe Mengen Fumarsäure, Bernsteinsäure, Äpfelsäure, Ameisensäure, Essigsäure und Ethanol. Eine maximale Ausbeute an Milchsäure erhält man nur in Gegenwart von Sauerstoff. Da Pilze keine komplexe Nährlösung benötigen und mit Harnstoff als Stickstoffquelle auskommen, bereitet die Abtrennung der Milchsäure in besonders reiner Form weniger Schwierigkeiten als bei der Milchsäuregärung durch Lactobacillus-Stämme. Die Fumarsäureproduktion ist eine typische Eigenschaft mehrerer Gattungen der Mucorales (Mucor, Cunninghamella, Circinella, Rhizopus). Gluconsäure wird von vielen Aspergillus- und Penicillium-Stämmen gebildet. Die Produktion beruht auf der enzymatischen Oxidation von Glucose durch eine von den Pilzen ins Medium ausgeschiedene Glucose-Oxidase. Aspergillus niger kann dabei selbst in 30–35 %igen Glucoselösungen mit hoher Ausbeute Gluconsäure produzieren, wenn die Säure durch Calciumcarbonat neutralisiert wird. Die Glucose-Oxidase ist ein Enzym, das FAD als prosthetische Gruppe enthält. Bei der Oxidation von Glucose entsteht als primäres Oxidationsprodukt β-D-Glucono-δ-lacton, das spontan oder durch ein weiteres Enzym, die Gluconolactonase, zu Gluconsäure hydrolysiert wird. Die reduzierte Glucose-Oxidase überträgt die Elektronen auf den Luftsauerstoff und es entsteht Wasserstoffperoxid, das durch Katalase in Wasser und Sauerstoff gespalten werden kann (▶ Abb. 20.4). Gluconsäure ist auch ein wesentlicher Bestandteil von durch „aerobe Fermentation“ hergestellten Erfrischungsgetränken. Oxalsäure wird von vielen Pilzen ausgeschieden. Ihre Produktion wird in schwach alkalischer Nährlösung gefördert. Itaconsäure wird von nur wenigen Stämmen von Aspergillus itaconicus und A. terreus gebildet. Auch die Produktion von Itaconsäure verläuft bei pH-Werten um 2.

Katalase

Abb. 20.4 Oxidative Umsetzung von Glucose zu Gluconolacton durch Aspergillus niger. Das entstehende Gluconolacton wird zu Gluconsäure hydrolysiert.

CH2OH Gluconsäure

H2O + ½ O2

9

Mikroorganismen im Dienste des Menschen: Biotechnologie myces pfefferianus) entdeckt hatte, legte J. Currie (1917) die Grundlage zur industriellen Erzeugung der Säure. Er entdeckte, dass Aspergillus niger in Nährlösungen mit Anfangs-pH-Werten von 2,5–3,5 üppig gedeiht und dabei große Mengen Zitronensäure ausscheidet. Mit steigendem pH-Wert entstehen Gluconsäure und schließlich Oxalsäure. Der niedrige Anfangs-pH-Wert hat den Vorteil, dass Verunreinigungen mit Bakterien kaum zu befürchten sind. Die Ausbeute kann durch Optimierung der Nährlösung verbessert werden. Auch hat sich das Verfahren der industriellen Produktion von Zitronensäure über die Jahre verändert (Plus 20.5).

Plus 20.5 Industrielle Produktion von Zitronensäure

●V

Viele Jahre lang wurde die industrielle Produktion ohne Einhaltung steriler Bedingungen im Deckenverfahren in Pfannen betrieben. In Gärkammern aufgestellte Aluminiumtröge (2 × 2,5 × 0,153 m3) werden 8 cm hoch mit Melasselösung gefüllt, beimpft und 9–11 Tage bei 30 °C inkubiert. Die Ausbeute ist hoch. Nach Ablassen der Nährlösung kann die Pilzdecke erneut mit frischer Lösung unterschichtet werden. Aus der umgesetzten Lösung wird Zitronensäure mit Calciumcarbonat gefällt, umkristallisiert und mit Schwefelsäure freigesetzt. In den industrialisierten Ländern werden zur Zitronensäureproduktion heute ausschließlich Submersverfahren angewendet. Fermenter mit Volumina von 300 000–400 000 l werden kontaminationsfrei betrieben. Statt Melasse werden Rohrzucker oder Stärkehydrolysate eingesetzt.

Optimierung der Ausbeute an Zitronensäure Die Zitronensäureproduktion durch Aspergillus niger ist stark von den Komponenten der Nährlösung abhängig. Dies wird deutlich, wenn man alle Bedingungen konstant hält und nur jeweils eine Komponente mengenmäßig variiert. Für exakte Untersuchungen setzt man einer einfachen Nährlösung mit Glucose, die durch Aluminiumhydroxidfällung spurenelementfrei gemacht worden ist, einzelne Komponenten in bekannten Konzentrationen zu. Diese definierte Nährlösung wird beimpft und 9 Tage lang unter Schütteln inkubiert. Bestimmt man dann die Mycelmasse und die Konzentrationen an Restzucker und Zitronensäure, so ergeben sich eine Reihe von Beziehungen (▶ Abb. 20.5). Dies ist ein Musterbeispiel für Medienoptimierung. Plus 20.6 geht näher auf den komplexen Einfluss der verschiedenen Medienkomponenten wie Ammoniumnitrat, Magnesiumsulfat, Eisen, Zink, Mangan und Kupfer auf die Produktausbeute ein.

20.5.2 Biochemie der Säurebildung durch Pilze Die Säuren, die von den Pilzen während der Glucoseumsetzung ausgeschieden werden, werden im Citratzyklus gebildet. Die Intermediate Malat, Fumarat, Succinat und Citrat werden wahrscheinlich direkt ins Medium abgegeben (▶ Abb. 20.6). Oxalat entsteht durch Hydrolyse von Oxalacetat durch die Oxalacetat-Hydrolase: –OOC-CH -CO-COO– + H O → –OOC-COO– + H+ + CH COO– 2 2 3

Mycelmasse, Produkt- und Substratkonzentration

a Ammoniumnitrat (NH4NO3)

c Zink (Zn2+)

b Magnesiumsulfat (MgSO4)

Mycelmasse Restzucker

Zitronensäure 2,5 mg l–1 d Eisen (Fe2+)

0,08 mg l–1 e Kaliumdihydrogenphosphat (KH2PO4)

f Eisen (Fe2+) Zn2+ in mg l–1 0,5

1,2 mg Zn2+ l–1

100 mg l–1

1,0 mg l–1

1,0 mg l–1

0,12 0,06 1,2 10 mg l–1

Abb. 20.5 Abhängigkeit der Mycelmasse von Aspergillus niger und der Menge der gebildeten Zitronensäure von der Zusammensetzung der Nährlösung. Eine von Spurenelementen befreite Glucoselösung wird mit zunehmenden Konzentrationen von Salzen angereichert und mit dem Pilz Aspergillus niger angeimpft. Nach neuntägigem Wachstum werden Mycelmasse (rot) und die Konzentrationen von Zitronensäure (grün) bzw. des Restzuckers (blau) bestimmt. Die Ausgangsnährlösung enthielt pro Liter: 140 g Glucose; 1,05 g Stickstoff; 2,5 g KH2PO4; 0,5 g MgSO4 × 7 H2O; 0,01 g Eisen; 0,0025 g Zink; pH = 3,8. (aus Shu & Johnson, J. Bacteriol. 56 (1948):577)

690

20.5 Produktion organischer Säuren durch Pilze und Bakterien

●V

Plus 20.6 Einfluss der Medienkomponenten auf die Ausbeute bei der Zitronensäureproduktion durch Aspergillus niger (s. ▶ Abb. 20.5) Die Beziehungen zum Einfluss der Komponenten lauten: 1. Ammoniumnitrat und Magnesiumsulfat haben keinen spezifischen Einfluss auf die Ausbeute; diese Salze kontrollieren lediglich das Mycelwachstum. 2. Für die Abhängigkeit der Ausbeute von der Konzentration an Zink, Eisen und Phosphor sind Optimumkurven typisch. Ermöglichen diese Elemente nur suboptimales Wachstum, ist die Ausbeute an Säure erhöht. Bei noch geringeren Konzentrationen begrenzt das Mycelwachstum auch die Säureproduktion. 3. Besonders hohe Erträge lassen sich erzielen, wenn beide Komponenten, Eisen und Zink, in begrenzenden Mengen

vorhanden sind. Eine ausgesprochene Hemmwirkung hat Mangan; 3 μg Mn2 + l–1 Nährlösung genügen, um die Ausbeute zu verringern (mit einer gereinigten käuflichen Glucose werden in 1 Liter Nährlösung bereits 10 μg Mn2 + pro 140 g Glucose eingebracht!). Die durch Eisenmangel verstärkte Ausscheidung von Zitronensäure beruht wahrscheinlich darauf, dass Eisen ein Cofaktor der Aconitase ist. Kupfer wirkt bei der Aconitase als Antagonist des Eisens und eignet sich daher für einen weiteren Kunstgriff zur Erhöhung der Ausbeute an Zitronensäure: Auch in Gegenwart geringer Mengen an Eisen-Ionen in der Melasselösung (10 mg l–1) werden maximale Ausbeuten erzielt, wenn man der Lösung einen Überschuss an Kupfer-Ionen (150 mg l–1) zusetzt.

Glucose

Abb. 20.6 Produktion organischer Säuren durch Pilze.

2 Pyruvat CO2

Aspergillus niger pH7

Aspergillus niger pH2

Aetyl-CoA Oxalat

Zygomycetes

Oxalacetat

Citrat

Malat

cis-Aconitat

Fumarat

Isocitrat

Succinat CO2

CH3 COO– Acetat + COO– C

O

CH2 COO– Oxalacetat

2- Oxoglutarat

COO– C

Aspergillus terreus pH2

Oxalsuccinat

COO

CH2 COO– Citrat

CO2

Abb. 20.7 Produktion von Itaconat durch Aspergillus terreus.

COO–

CH2 HO

Itaconat

CO2

CH2 –

C H2O

COO



CH2 C

COO–

CH

CH2

COO– Aconitat

COO– Itaconat

Die Itaconatbildung geht von cis-Aconitat aus. Während der Decarboxylierung werden Elektronen im Kohlenstoffskelett verschoben, wodurch die Doppelbindung von der 2,3- in die 3,4-Stellung verlagert wird (▶ Abb. 20.7). Der Citratzyklus hat seine Rolle in erster Linie im Abbau. Man kann ihn jedoch auch als zentralen Verteiler sehen, der die Vorstufen für eine große Anzahl von Zellbausteinen zur Verfügung stellt. Werden dem Zyklus an einer Stelle Intermediärprodukte entzogen, muss Oxalacetat durch anaplerotische Reaktionen ergänzt werden (▶ Abb. 8.33).

Würde Citrat ausschließlich aus Acetyl-CoA synthetisiert, würde 1 mol Glucose lediglich ⅔ mol Zitronensäure ergeben, aus 100 g Glucose könnten also nur 71 g Zitronensäure gebildet werden. Gelegentlich werden jedoch Ausbeuten von 75–87 g Zitronensäure erzielt. Untersuchungen haben ergeben, dass dabei große Mengen Kohlendioxid fixiert werden, indem Pyruvat zu Oxalactetat carboxyliert wird: Zugesetztes 14CO2 findet sich im C6Atom der Zitronensäure wieder. Die Umsetzung von Glucose zu Citrat ist in ▶ Abb. 20.8 dargestellt.

1

Mikroorganismen im Dienste des Menschen: Biotechnologie

C6H12O6

d ●

Methode 20.1

Glucose

Von der Entdeckung zum Prozess: Glutaminsäure 2 CH3

CO Pyruvat

COO–

CO2 CH3

CO2 COO– C

CO SCoA

O

CH2

Acetyl-CoA COO–

COO– Oxalacetat

CH2 HO

C

COO–

CH2 COO– Citrat Abb. 20.8 Produktion von Citrat aus Glucose durch Aspergillus niger.

20.5.3 Produktion organischer Säuren durch Bakterien Organische Säuren werden großtechnisch auch von Bakterien produziert. Ein Großteil der Weltproduktion an Milchsäure wird durch Vergärung von Kohlenhydraten durch Lactobacillus-Stämme gewonnen. Milchsäure findet Verwendung in der Lebensmittelindustrie, als Monomerbaustein für Polymere (Polyester) und als chiraler Baustein in der Wirkstoffsynthese. Auch Bernsteinsäure kann durch Fermentation von nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden. Hierzu wird neben Hefen auch Basfia succiniciproducens eingesetzt, welches Glycerin zu vergleichsweise hohen Konzentrationen an Bernsteinsäure umsetzen kann. Bernsteinsäure wird in der Polymerindustrie verwendet und könnte als Ausgangsstoff weiterer Monomere wie 1,4-Butandiol dienen. Durch Metabolic Engineering werden die Bakterien gezielt verändert, um die Endkonzentration über 100 g l–1 zu erhöhen und Nebenprodukte zu minimieren.

Das L-Glutaminsäure-ausscheidende Bakterium C. glutamicum wurde mit einer einfachen Screening-Methode, der Bioautografie, isoliert. Eine große Anzahl von Bodenbakterien wurde durch Stempelübertragung (▶ Abb. 6.33) auf verschiedene Nährböden überimpft, inkubiert und dann durch UV-Bestrahlung abgetötet. Die Platten wurden mit einem Basalmedium, das einen glutaminsäurebedürftigen Bakterienstamm enthielt, überschichtet. Nach einer weiteren Inkubation zeigte das Wachstum dieses Indikatorbakteriums an, welche Kolonien der Bodenbakterien während der ersten Inkubation Glutaminsäure ausgeschieden hatten. L-Glutaminsäure wird nur unter aeroben Bedingungen gebildet. Bei Ansätzen in 50 m3 fassenden Fermentern und einer Nährlösung, die Harnstoff als Stickstoffquelle und 10 % Glucose enthält, werden in 40 Stunden bei 30 °C etwa 50 g L-Glutamat pro Liter angehäuft. Das entspricht einer Ausbeute von 0,6 mol Glutamat pro Mol Glucose.

lich in der α-Carboxylgruppe der freigesetzten Glutaminsäure wieder. Die Ausscheidung von Glutaminsäure beruht offenbar auf einem Anstau von 2-Oxoglutarat infolge eines natürlichen Defekts der 2-Oxoglutarat-Dehydrogenase. Das 2-Oxoglutarat wird durch die Glutamat-Synthase mit Glutamin zu 2 Molekülen Glutamat umgesetzt. Das Glutamat wird nur zum Teil ausgeschieden. Der andere Teil wird bei Anwesenheit von Ammonium zu Glutamin umgesetzt, das wieder in den Kreislauf (S. 298) einfließt. In Abwesenheit von Ammonium wird 2-Oxoglutarat ausgeschieden. Zur industriellen Produktion von Glutamat wird anstelle von Glucose auch Acetat als Substrat eingesetzt. Zur Produktion anderer Aminosäuren lassen sich auxotrophe Mutanten von Corynebacterium glutamicum heranziehen. Homoserinbedürftige Mutanten scheiden unter geeigneten Bedingungen 20 g L-Lysin pro Liter NährCitrat

Glutamin

20.6 Aminosäuren Mit der Entdeckung von Corynebacterium glutamicum durch Kinoshita (1957) wurde eine neue Epoche der Entwicklung industriell anwendbarer unvollständiger Oxidationsprozesse eingeleitet (Methode 20.1). Der Glucoseabbau verläuft offenbar über die Glykolyse und anschließend über Citrat und 2-Oxoglutarat zum L-Glutamat (▶ Abb. 20.9). An der Bereitstellung von Oxalacetat ist, wie bei der Citratbildung durch Aspergillus niger, die Carboxylierung von Pyruvat beteiligt. Der Nährlösung beigefügtes 14CO2 findet man nahezu ausschließ-

692

Isocitrat CO2 2-Oxoglutarat NH4+ 2 L-Glutamat Abb. 20.9 Produktion von L-Glutamat durch Corynebacterium glutamicum.

Mikroorganismen im Dienste des Menschen: Biotechnologie

C6H12O6

d ●

Methode 20.1

Glucose

Von der Entdeckung zum Prozess: Glutaminsäure 2 CH3

CO Pyruvat

COO–

CO2 CH3

CO2 COO– C

CO SCoA

O

CH2

Acetyl-CoA COO–

COO– Oxalacetat

CH2 HO

C

COO–

CH2 COO– Citrat Abb. 20.8 Produktion von Citrat aus Glucose durch Aspergillus niger.

20.5.3 Produktion organischer Säuren durch Bakterien Organische Säuren werden großtechnisch auch von Bakterien produziert. Ein Großteil der Weltproduktion an Milchsäure wird durch Vergärung von Kohlenhydraten durch Lactobacillus-Stämme gewonnen. Milchsäure findet Verwendung in der Lebensmittelindustrie, als Monomerbaustein für Polymere (Polyester) und als chiraler Baustein in der Wirkstoffsynthese. Auch Bernsteinsäure kann durch Fermentation von nachwachsenden Rohstoffen hergestellt werden. Hierzu wird neben Hefen auch Basfia succiniciproducens eingesetzt, welches Glycerin zu vergleichsweise hohen Konzentrationen an Bernsteinsäure umsetzen kann. Bernsteinsäure wird in der Polymerindustrie verwendet und könnte als Ausgangsstoff weiterer Monomere wie 1,4-Butandiol dienen. Durch Metabolic Engineering werden die Bakterien gezielt verändert, um die Endkonzentration über 100 g l–1 zu erhöhen und Nebenprodukte zu minimieren.

Das L-Glutaminsäure-ausscheidende Bakterium C. glutamicum wurde mit einer einfachen Screening-Methode, der Bioautografie, isoliert. Eine große Anzahl von Bodenbakterien wurde durch Stempelübertragung (▶ Abb. 6.33) auf verschiedene Nährböden überimpft, inkubiert und dann durch UV-Bestrahlung abgetötet. Die Platten wurden mit einem Basalmedium, das einen glutaminsäurebedürftigen Bakterienstamm enthielt, überschichtet. Nach einer weiteren Inkubation zeigte das Wachstum dieses Indikatorbakteriums an, welche Kolonien der Bodenbakterien während der ersten Inkubation Glutaminsäure ausgeschieden hatten. L-Glutaminsäure wird nur unter aeroben Bedingungen gebildet. Bei Ansätzen in 50 m3 fassenden Fermentern und einer Nährlösung, die Harnstoff als Stickstoffquelle und 10 % Glucose enthält, werden in 40 Stunden bei 30 °C etwa 50 g L-Glutamat pro Liter angehäuft. Das entspricht einer Ausbeute von 0,6 mol Glutamat pro Mol Glucose.

lich in der α-Carboxylgruppe der freigesetzten Glutaminsäure wieder. Die Ausscheidung von Glutaminsäure beruht offenbar auf einem Anstau von 2-Oxoglutarat infolge eines natürlichen Defekts der 2-Oxoglutarat-Dehydrogenase. Das 2-Oxoglutarat wird durch die Glutamat-Synthase mit Glutamin zu 2 Molekülen Glutamat umgesetzt. Das Glutamat wird nur zum Teil ausgeschieden. Der andere Teil wird bei Anwesenheit von Ammonium zu Glutamin umgesetzt, das wieder in den Kreislauf (S. 298) einfließt. In Abwesenheit von Ammonium wird 2-Oxoglutarat ausgeschieden. Zur industriellen Produktion von Glutamat wird anstelle von Glucose auch Acetat als Substrat eingesetzt. Zur Produktion anderer Aminosäuren lassen sich auxotrophe Mutanten von Corynebacterium glutamicum heranziehen. Homoserinbedürftige Mutanten scheiden unter geeigneten Bedingungen 20 g L-Lysin pro Liter NährCitrat

Glutamin

20.6 Aminosäuren Mit der Entdeckung von Corynebacterium glutamicum durch Kinoshita (1957) wurde eine neue Epoche der Entwicklung industriell anwendbarer unvollständiger Oxidationsprozesse eingeleitet (Methode 20.1). Der Glucoseabbau verläuft offenbar über die Glykolyse und anschließend über Citrat und 2-Oxoglutarat zum L-Glutamat (▶ Abb. 20.9). An der Bereitstellung von Oxalacetat ist, wie bei der Citratbildung durch Aspergillus niger, die Carboxylierung von Pyruvat beteiligt. Der Nährlösung beigefügtes 14CO2 findet man nahezu ausschließ-

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Isocitrat CO2 2-Oxoglutarat NH4+ 2 L-Glutamat Abb. 20.9 Produktion von L-Glutamat durch Corynebacterium glutamicum.

20.7 Stoffumwandlungen lösung aus. Eine Feedback-Regulation erhöht die Konzentration auf über 60 g L-Lysin pro Liter. Durch Metabolic Engineering können weit über 100 g L-Lysin pro Liter Nährlösung erzielt werden. Andere Mutanten von C. glutamicum, Enterobacteriaceae und Pseudomonadaceae produzieren L-Homoserin, L-Valin, L-Isoleucin, L-Tryptophan, L-Tyrosin und andere Aminosäuren. In Japan wurden weitere Verfahren zur Herstellung von Inosinsäure (Inosin-5′-monophosphat, IMP) und Guanylsäure (GMP) ausgearbeitet. Diese 5’-Monophosphat-Nukleotide dienen als Gewürze und Geschmacksverstärker.

Oxidationsreaktion (P450) R

H + O 2

R NADH

OH + H O 2

NAD+

Reduktionsreaktion (Dehydrogenase) O R

OH R'

NADH

NAD+

R

R'

stereoselektive Hydrolyse (Lipase)

20.7 Stoffumwandlungen Mikroorganismen führen an einer Fülle von Substanzen in höchst spezifischer Weise Oxidationen, Reduktionen, Hydrolysen, Veresterungen, Kondensationen, Methylierungen, Decarboxylierungen, Wasserabspaltungen, Desaminierungen, Aminierungen und viele andere Reaktionen durch. Diese biologischen Umwandlungen (Biokonversionen, Biotranformation) verlaufen fast immer stereospezifisch. Die entsprechenden Enzyme werden entweder isoliert oder als rekombinante E.-coli-Ganzzellsysteme verwendet. So ist z. B. der Einsatz von Dehydrogenasen mittlerweile Stand der Technik für die Synthese von chiralen Alkoholen. Ein weiteres Beispiel ist die Darstellung von Dicarbonsäuren durch Oxidation von Alkanen und Fettsäuren. Als Zellsysteme werden hauptsächlich E. coli und gelegentlich Hefen wie Pichia verwendet. Neben Redoxreaktionen spielen stereoselektive Hydrolysen und Gruppenübertragungen eine wichtige Rolle (▶ Abb. 20.10). Die Leistungsfähigkeit solcher Systeme wird charakterisiert durch die volumetrische Produktivität (g gebildetes Produkt pro Liter Kultur pro Stunde), den Massenertrag (g gebildetes Produkt pro g verbrauchtes Substrat; tatsächlicher Wert in Bezug zum theoretisch besten Wert) und die Produktkonzentration (g gebildetes Produkt pro Liter). Eine hohe spezifische Aktivität der Enzyme und eine hohe Biomassekonzentration im Fermenter sind Voraussetzung für hohe Produktivität. Besonders aufsehenerregende Erfolge erzielte die mikrobielle Synthese von Steroiden. Die chemische Synthese von Cortison und Hydrocortison umfasst über 30 Syntheseschritte und verläuft mit schlechter Ausbeute. Mithilfe von Mikroorganismen wird Cortison jedoch in 13 Schritten zugänglich. Einer der schwierigsten Syntheseschritte ist die Einführung einer Hydroxylgruppe am C 11-Atom des Steroidgerüsts. Sie wird durch niedere Pilze (Rhizopus arrhizus, Curvularia lunata, Cunninghamella blakesleeana) und Streptomyces fradiae bewerkstelligt. Ein klassisches Beispiel für eine spezifische Hydroxylierung ist die Umwandlung von 11-Desoxycortisol (Reichsteins Verbindung S) zu Hydrocortison ▶ Abb. 20.11). Neben dieser Hydroxylierung bewältigen viele Pilze mit stereospezifischen Oxygenasen Hydroxylierungen an fast allen Stellen des Steroidmoleküls. Andere mikrobielle

OAcyl

OAcyl

OH +

R

R'

R

R'

R

R'

stereoselektive Hydrolyse (Nitrilase) CN

COOH

CN +

R

R'

R

R'

R

R'

Transferreaktion (Transaminase) O R

NH2 R'

NH2

O

R

R'

Abb. 20.10 Mikrobiell katalysierte stereospezifische Modifikationsreaktionen.

Enzymwirkungen betreffen Dehydrogenierung alkoholischer Hydroxylgruppen, Einführung von Doppelbindungen, Reduktionen von Keto- und Oxogruppen usw. Ein Beispiel für eine Additionsreaktion ist die Synthese von Phenylacetylcarbinol, das ein wichtiges Zwischenprodukt der Synthese des Asthma- und Hypotonietherapeutikums Ephedrin ist. Einer gärenden Hefekultur zugesetzter Benzaldehyd wird, analog der thiamindiphosphatabhängigen Acetoinbildung durch Hefe, acyliert, indem aktiver Acetaldehyd auf Benzaldehyd übertragen wird (▶ Abb. 20.12). Die sich an die Synthese des Phenylacetylcarbinols anschließenden Vorgänge sind chemische Umsetzungen. Ein Beispiel für die gezielte enzymatische Spaltung einer Substanz mithilfe von Mikroorganismen ist die Herstellung von 6-Aminopenicillansäure. Einige Bakterien und Pilze, die spezifische Acylasen enthalten, spalten natürliche Penicilline unter Bildung von 6-Aminopenicillansäure (▶ Abb. 20.13), die wiederum Ausgangssubstanz für die Herstellung halbsynthetischer Penicilline ist.

3

20.7 Stoffumwandlungen lösung aus. Eine Feedback-Regulation erhöht die Konzentration auf über 60 g L-Lysin pro Liter. Durch Metabolic Engineering können weit über 100 g L-Lysin pro Liter Nährlösung erzielt werden. Andere Mutanten von C. glutamicum, Enterobacteriaceae und Pseudomonadaceae produzieren L-Homoserin, L-Valin, L-Isoleucin, L-Tryptophan, L-Tyrosin und andere Aminosäuren. In Japan wurden weitere Verfahren zur Herstellung von Inosinsäure (Inosin-5′-monophosphat, IMP) und Guanylsäure (GMP) ausgearbeitet. Diese 5’-Monophosphat-Nukleotide dienen als Gewürze und Geschmacksverstärker.

Oxidationsreaktion (P450) R

H + O 2

R NADH

OH + H O 2

NAD+

Reduktionsreaktion (Dehydrogenase) O R

OH R'

NADH

NAD+

R

R'

stereoselektive Hydrolyse (Lipase)

20.7 Stoffumwandlungen Mikroorganismen führen an einer Fülle von Substanzen in höchst spezifischer Weise Oxidationen, Reduktionen, Hydrolysen, Veresterungen, Kondensationen, Methylierungen, Decarboxylierungen, Wasserabspaltungen, Desaminierungen, Aminierungen und viele andere Reaktionen durch. Diese biologischen Umwandlungen (Biokonversionen, Biotranformation) verlaufen fast immer stereospezifisch. Die entsprechenden Enzyme werden entweder isoliert oder als rekombinante E.-coli-Ganzzellsysteme verwendet. So ist z. B. der Einsatz von Dehydrogenasen mittlerweile Stand der Technik für die Synthese von chiralen Alkoholen. Ein weiteres Beispiel ist die Darstellung von Dicarbonsäuren durch Oxidation von Alkanen und Fettsäuren. Als Zellsysteme werden hauptsächlich E. coli und gelegentlich Hefen wie Pichia verwendet. Neben Redoxreaktionen spielen stereoselektive Hydrolysen und Gruppenübertragungen eine wichtige Rolle (▶ Abb. 20.10). Die Leistungsfähigkeit solcher Systeme wird charakterisiert durch die volumetrische Produktivität (g gebildetes Produkt pro Liter Kultur pro Stunde), den Massenertrag (g gebildetes Produkt pro g verbrauchtes Substrat; tatsächlicher Wert in Bezug zum theoretisch besten Wert) und die Produktkonzentration (g gebildetes Produkt pro Liter). Eine hohe spezifische Aktivität der Enzyme und eine hohe Biomassekonzentration im Fermenter sind Voraussetzung für hohe Produktivität. Besonders aufsehenerregende Erfolge erzielte die mikrobielle Synthese von Steroiden. Die chemische Synthese von Cortison und Hydrocortison umfasst über 30 Syntheseschritte und verläuft mit schlechter Ausbeute. Mithilfe von Mikroorganismen wird Cortison jedoch in 13 Schritten zugänglich. Einer der schwierigsten Syntheseschritte ist die Einführung einer Hydroxylgruppe am C 11-Atom des Steroidgerüsts. Sie wird durch niedere Pilze (Rhizopus arrhizus, Curvularia lunata, Cunninghamella blakesleeana) und Streptomyces fradiae bewerkstelligt. Ein klassisches Beispiel für eine spezifische Hydroxylierung ist die Umwandlung von 11-Desoxycortisol (Reichsteins Verbindung S) zu Hydrocortison ▶ Abb. 20.11). Neben dieser Hydroxylierung bewältigen viele Pilze mit stereospezifischen Oxygenasen Hydroxylierungen an fast allen Stellen des Steroidmoleküls. Andere mikrobielle

OAcyl

OAcyl

OH +

R

R'

R

R'

R

R'

stereoselektive Hydrolyse (Nitrilase) CN

COOH

CN +

R

R'

R

R'

R

R'

Transferreaktion (Transaminase) O R

NH2 R'

NH2

O

R

R'

Abb. 20.10 Mikrobiell katalysierte stereospezifische Modifikationsreaktionen.

Enzymwirkungen betreffen Dehydrogenierung alkoholischer Hydroxylgruppen, Einführung von Doppelbindungen, Reduktionen von Keto- und Oxogruppen usw. Ein Beispiel für eine Additionsreaktion ist die Synthese von Phenylacetylcarbinol, das ein wichtiges Zwischenprodukt der Synthese des Asthma- und Hypotonietherapeutikums Ephedrin ist. Einer gärenden Hefekultur zugesetzter Benzaldehyd wird, analog der thiamindiphosphatabhängigen Acetoinbildung durch Hefe, acyliert, indem aktiver Acetaldehyd auf Benzaldehyd übertragen wird (▶ Abb. 20.12). Die sich an die Synthese des Phenylacetylcarbinols anschließenden Vorgänge sind chemische Umsetzungen. Ein Beispiel für die gezielte enzymatische Spaltung einer Substanz mithilfe von Mikroorganismen ist die Herstellung von 6-Aminopenicillansäure. Einige Bakterien und Pilze, die spezifische Acylasen enthalten, spalten natürliche Penicilline unter Bildung von 6-Aminopenicillansäure (▶ Abb. 20.13), die wiederum Ausgangssubstanz für die Herstellung halbsynthetischer Penicilline ist.

3

Mikroorganismen im Dienste des Menschen: Biotechnologie Abb. 20.11 Hydroxylierung von 11-Desoxycortisol zu Hydrocortison.

21

HO CH2 12 1 2

11

19 10

9

3

O

4

5

17

13 8

14

HO CH2

O C 20 OH

18

OH

HO

16

Streptomyces fradiae Cunninghamella blakesleeana

15

7

O

6

11-Desoxycortisol (Reichsteins Verbindung S)

CHO

O C

Hydrocortison (= Cortisol)

Hefe (+ Glucose)

H

NH2–CH3

O

C

H C

C CH3

OH

N

CH3

2 [H]

C

OH

CH3

NH

C

C

CH3 CH3

OH H Ephedrin

Phenylacetylcarbinol

Benzaldehyd

H

Abb. 20.12 Synthese von Phenylacetylcarbinol durch Hefen als Vorstufe der Ephedrinsynthese.

H CH2

H CH3

S

CO NH N O

H

CH3 COOH

Benzylpenicillin (Penicillin G) Acylase

H2O

H CH2

COOH

+

H S

H2N N O

H

CH3

CH3 COOH

6-Aminopenicillansäure Abb. 20.13 Hydrolyse von Penicillin G zu 6-Aminopenicillansäure durch eine spezifische Acylase.

20.8 Antibiotika Antibiotika sind Substanzen biologischer Herkunft, die schon in geringen Konzentrationen das Wachstum von Mikroorganismen hemmen. Man unterscheidet zwischen lediglich hemmend wirkenden (Bakteriostatika, Fungistatika) und abtötenden Stoffen (Bakterizide, Fungizide). Die Wirkorte verschiedener Antibiotika wurden bereits (S. 173) besprochen. Bakterien und Pilze produzieren eine Fülle von Stoffen, die gemeinsam mit den sekundären Pflanzenstoffen als Sekundärmetabolite (S. 325) bezeichnet werden. Viele dieser Stoffe spielen z. B. als Therapeutika und Futtermittelzusätze eine große Rolle. Als Produzenten sekundärer Metabolite haben die Mikroorganismen große wirtschaftliche Bedeutung erlangt.

694

Symbiontische und antagonistische Beziehungen zwischen Mikroorganismen sind schon seit dem 19. Jahrhundert bekannt. Den Anstoß zur Aufklärung des Prinzips einer Antibiose gab A. Fleming 1928. Er beobachtete, dass eine Pilzkolonie von Penicillium notatum das Wachstum von Staphylokokken hemmen konnte. Die von Penicillium ausgeschiedene, durch den Agar diffundierende Verbindung wurde Penicillin genannt. Seither sind zahlreiche antibiotisch wirkende Stoffe isoliert worden. Noch lassen sich keine Grenzen der Neuauffindung, Modifikation und Applikation sekundärer Metabolite von Mikroorganismen erkennen. Dabei geht es heute nicht mehr ausschließlich um echte Antibiotika, d. h. Substanzen, die das Wachstum von pathogenen Mikroorganismen beeinträchtigen, sondern vermehrt auch um andere pharmakologisch wirksame Substanzen, wie z. B. Cytostatika. Einen Eindruck von der wirtschaftlichen Bedeutung der Antibiotika vermittelt ▶ Tab. 20.1. Tab. 20.1 Verbrauch von Antibiotika in Europa im Jahr 1997. Einsatzgebiet

Menge in t

Anteil in %

Veterinärmedizin (Therapie, Pro- und Metaphylaxe) davon entfallen auf:

3 494

33

2294 424 322 154 43 182

66 12 9 4 1 6

antibiotische Futterzusatzstoffe

1599

15

Humanmedizin

5 400

52

Gesamt

10 493

100

● ● ● ● ● ●

Tetracycline Makrolide β-Lactame Aminoglykoside Fluorochinolone Sonstige

Mikroorganismen im Dienste des Menschen: Biotechnologie Abb. 20.11 Hydroxylierung von 11-Desoxycortisol zu Hydrocortison.

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HO CH2 12 1 2

11

19 10

9

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O

4

5

17

13 8

14

HO CH2

O C 20 OH

18

OH

HO

16

Streptomyces fradiae Cunninghamella blakesleeana

15

7

O

6

11-Desoxycortisol (Reichsteins Verbindung S)

CHO

O C

Hydrocortison (= Cortisol)

Hefe (+ Glucose)

H

NH2–CH3

O

C

H C

C CH3

OH

N

CH3

2 [H]

C

OH

CH3

NH

C

C

CH3 CH3

OH H Ephedrin

Phenylacetylcarbinol

Benzaldehyd

H

Abb. 20.12 Synthese von Phenylacetylcarbinol durch Hefen als Vorstufe der Ephedrinsynthese.

H CH2

H CH3

S

CO NH N O

H

CH3 COOH

Benzylpenicillin (Penicillin G) Acylase

H2O

H CH2

COOH

+

H S

H2N N O

H

CH3

CH3 COOH

6-Aminopenicillansäure Abb. 20.13 Hydrolyse von Penicillin G zu 6-Aminopenicillansäure durch eine spezifische Acylase.

20.8 Antibiotika Antibiotika sind Substanzen biologischer Herkunft, die schon in geringen Konzentrationen das Wachstum von Mikroorganismen hemmen. Man unterscheidet zwischen lediglich hemmend wirkenden (Bakteriostatika, Fungistatika) und abtötenden Stoffen (Bakterizide, Fungizide). Die Wirkorte verschiedener Antibiotika wurden bereits (S. 173) besprochen. Bakterien und Pilze produzieren eine Fülle von Stoffen, die gemeinsam mit den sekundären Pflanzenstoffen als Sekundärmetabolite (S. 325) bezeichnet werden. Viele dieser Stoffe spielen z. B. als Therapeutika und Futtermittelzusätze eine große Rolle. Als Produzenten sekundärer Metabolite haben die Mikroorganismen große wirtschaftliche Bedeutung erlangt.

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Symbiontische und antagonistische Beziehungen zwischen Mikroorganismen sind schon seit dem 19. Jahrhundert bekannt. Den Anstoß zur Aufklärung des Prinzips einer Antibiose gab A. Fleming 1928. Er beobachtete, dass eine Pilzkolonie von Penicillium notatum das Wachstum von Staphylokokken hemmen konnte. Die von Penicillium ausgeschiedene, durch den Agar diffundierende Verbindung wurde Penicillin genannt. Seither sind zahlreiche antibiotisch wirkende Stoffe isoliert worden. Noch lassen sich keine Grenzen der Neuauffindung, Modifikation und Applikation sekundärer Metabolite von Mikroorganismen erkennen. Dabei geht es heute nicht mehr ausschließlich um echte Antibiotika, d. h. Substanzen, die das Wachstum von pathogenen Mikroorganismen beeinträchtigen, sondern vermehrt auch um andere pharmakologisch wirksame Substanzen, wie z. B. Cytostatika. Einen Eindruck von der wirtschaftlichen Bedeutung der Antibiotika vermittelt ▶ Tab. 20.1. Tab. 20.1 Verbrauch von Antibiotika in Europa im Jahr 1997. Einsatzgebiet

Menge in t

Anteil in %

Veterinärmedizin (Therapie, Pro- und Metaphylaxe) davon entfallen auf:

3 494

33

2294 424 322 154 43 182

66 12 9 4 1 6

antibiotische Futterzusatzstoffe

1599

15

Humanmedizin

5 400

52

Gesamt

10 493

100

● ● ● ● ● ●

Tetracycline Makrolide β-Lactame Aminoglykoside Fluorochinolone Sonstige

20.8 Antibiotika

20.8.1 Antibiotikabildende Mikroorganismen

konservativer, als in der Frühzeit der molekularbiologischen Ära angenommen wurde.

Zur Bildung von Antibiotika sind hauptsächlich Pilze aus der Gruppe der Aspergillales, Actinomyceten und einige andere Bakterien befähigt. Bezüglich der chemischen Vielfalt der produzierten Verbindungen stehen die Streptomyceten an erster Stelle. Bisher sind insgesamt über 10 000 antibiotische Wirkungen beschrieben und über 2000 Antibiotika eingehend charakterisiert worden, jedoch werden nur etwa 50 Antibiotika chemotherapeutisch eingesetzt. Die Frage, welche Bedeutung die Antibiotika für die sie produzierenden Organismen an ihrem Standort im Boden haben, ist völlig ungeklärt. Antibiotika werden auf speziellen Synthesewegen produziert, die man dem Sekundärmetabolismus zuordnet. Es handelt sich um Stoffwechselwege und Enzyme, die zum Wachstum und zur Erhaltung der Zellen nicht primär nötig sind. Der zur Synthese der Antibiotika notwendige genetische Apparat stellt also nach heutigem Verständnis eine Last für den Organismus dar. Geht man davon aus, dass immer nur Sinnvolles Bestand hat, müssen also auch Antibiotika Verbindungen sein, die den Produzenten einen Wachstumsvorteil einräumen, z. B. bei der Konkurrenz um das Substrat. Solche antagonistischen Beziehungen sind im Boden jedoch schwer nachzuweisen, da die Produktion quantitativ sehr gering ist. Allmählich wird jedoch anerkannt, dass während der Evolution anscheinend unnützes genetisches Material offenbar nicht unbedingt ausselektiert wird, auch wenn es – unter den bisher geprüften experimentellen Bedingungen – einen Ballast bedeutet. Die Natur ist wahrscheinlich

20.8.2 Nachweis der Synthese von Antibiotika Die ersten Antibiotika sind zufällig entdeckt worden. Auf einer Nähragarplatte, die mit einem Indikatorbakterium dicht beimpft worden war, blieb in der Umgebung einer Pilz- oder Streptomycetenkolonie das Wachstum der Indikatorbakterien aus. Ursache des Hemmhofes war das aus der Pilzkolonie in den Agar diffundierende Antibiotikum (▶ Abb. 20.14a, vgl. auch Methode 20.2). Heutzutage dienen repräsentative Mikroorganismen als Indikatorbakterien. Sie werden strichförmig vom Mittelpunkt einer Agarplatte zum Rand hin ausgestrichen (Strichtest). Das Zentrum der Platte wird entweder mit dem auf Antibiotikaproduktion zu prüfenden Bakterienstamm beimpft oder es wird ein Filterscheibchen aufgelegt, das mit dem Antibiotikum getränkt wurde (▶ Abb. 20.14b). Nach Inkubation lassen sich aufgrund des Ausmaßes der Wachstumshemmung der Indikatororganismen Aussagen über das Wirkungsspektrum des Antibiotikums machen. Die Antibiotika unterscheiden sich bezüglich ihrer Wirkung auf grampositive und gramnegative Bakterien, Hefen, Dermatophyten und andere Mikroorganismen in charakteristischer Weise. Die meisten Antibiotika wurden im Zuge eines Screening-Programms entdeckt. Die von der Aufschwemmung einer Bodenprobe bis zum Tierversuch zu durchlaufenden Stadien eines solchen Programms sind in ▶ Abb. 20.16 wiedergegeben.

a

b

1

1

1

6

2

6

2

6

2

5

3

5

3

5

3

4 Penicillin G

4 Tetracyclin

4 Griseofulvin

Abb. 20.14 Nachweis von Antibiotika. a Qualitativer Nachweis der Ausscheidung von Antibiotika mit verschiedenen antibiotikaproduzierenden Streptomycetenstämmen. Als Indikatorstamm wurde Bacillus subtilis in den Agar eingegossen. (Aufnahme Thomas Härtner und Wolfgang Wohlleben, Tübingen) b Strichtest zur Erfassung der Wirkungsspektren von drei Antibiotika. Indikatororganismen sind (1) Staphylococcus aureus, (2) Streptococcus sp., (3) Escherichia coli, (4) Pseudomonas aeruginosa, (5) Candida albicans (Hefe), (6) Trichophyton rubrum. In der Mitte der Petrischale wird ein Filterpapierscheibchen aufgelegt, das mit 10 μg des zu überprüfenden Antibiotikums getränkt ist Abhängig vom Antibiotikum sind im Diffusionshof verschiedene Organismen nicht gewachsen.

5

Mikroorganismen im Dienste des Menschen: Biotechnologie

d ●

Methode 20.2 Quantitative Bestimmung eines Antibiotikums Zur quantitativen Prüfung der Wirkung eines Antibiotikums bedient man sich des Plattendiffusionstests (▶ Abb. 20.15), des Verdünnungsreihentests und verschiedener anderer Methoden. Zur Durchführung des Plattendiffusionstests werden die Schalen mit einem mit der Testkeimsuspension versetzten Nähragar bis zu einer bestimmten Höhe gefüllt. Auf diese Platten werden die Testlösungen aufgebracht, indem sie entweder in ausgestanzte Löcher (Lochplattentest), in aufgesetzte Glas- oder Metallzylinder (Zylinderplattenmethode) oder auf Filterpapierscheiben auf dem Agar aufgelegt werden. Bei positiver Reaktion ist nach Bebrütung eine Hemmzone sichtbar, deren Durchmesser zum Logarithmus der Konzentration des Antibiotikums proportional ist. Wichtig ist, dass konstante Versuchsbedingungen wie Nährbodenzusammensetzung, Schichtdicke, Einsaatdichte, Bebrütungszeit und -temperatur usw. eingehalten werden (▶ Abb. 20.15). Im Verdünnungsreihentest wird das Antibiotikum in einer mit dem Testkeim beimpften Nährlösung in Verdünnungsstufen 1:2 verdünnt und nach Bebrütung die Konzentration ermittelt, bei der gerade kein Wachstum erfolgt ist (minimale bakteriostatische Konzentration). Um synergistische und antagonistische Wirkungen verschiedener Substanzen zu erfassen sowie die Wirksamkeit gegenüber anderen Organismen wie Protozoen, Nema-

toden, Algen, Zellgewebe oder Viren zu prüfen, sind Spezialverfahren entwickelt worden.

2. Bodenplatte

1. Herstellung der Verdünnung 1:100

Abb. 20.15 Plattendiffusionstest zur quantitativen Bestimmung eines Antibiotikums mit E. coli K-12 als Indikatorstamm. Die auf die beimpfte Agaroberfläche aufgelegten Filterpapierscheibchen enthalten verschiedene Mengen des Antibiotikums. Der Durchmesser der Hemmzone ist ein Maß für die Konzentration des Antibiotikums. (Aufnahme Thomas Härtner und Wolfgang Wohlleben, Tübingen)

1:10 000

3. Sprühapparat zum Aufsprühen des Testkeimes auf die Bodenplatte

1:100 000 15 ml

1g

Bodenprobe

1 ml

1 ml

1 ml

100 ml

9 ml

Aqua dest. steril

Aqua dest. steril

4. Auswertung der Sprühplatte Testkeim

5. Strichtest zur Feststellung des antibakteriellen Spektrums

Brutraum 6 Tage bei 25 °C Petrischale

6. Eignungsprüfung für Submerskultur

Rührwerk wenn Aktivität größer als 1:128

Abimpfen

8. Feststellung der Aktivität und der chemischen Aufarbeitung 1. Stabilitätsbestimmung 2. Aktivitätsbestimmung a) pathogene Keime b) Pilze 3. chemische Aufarbeitung gereinigtes Präparat

Luft

10. Bestimmung der Toxizität

9. Bestimmung des Wirkumsspektrums

Stamm 450 1:50 1:100 1:200 1:400 1:800 1:1600 1:3200 Streptomycin Wirksamkeitsgrenze – letztes Röhrchen mit Wachstumshemmung

Impfstutzen Probeentnahme Filtrat zu 8.1.

7 Tage bei 24 – 27 °C in der Schüttelkultur

Abb. 20.16 Arbeitsgänge eines Screening-Programms für Antibiotika.

696

Brutraum 16 Stunden bei 37°C

7. Fermenterkultur

Zentralkolonie

Teststamm

Druckluft

Spezialnährboden

Hemmzone

Reinigen

Testkeim bewachsene Bodenplatte

11. „in vivo“ (Tierversuch) Bestimmung von a) Wirksamkeit b) Verträglichkeit c) Nebenwirkungen

20.8 Antibiotika Durch Abspaltung der Seitenkette und Substitution der 7Aminocephalosporansäure mit anderen Seitenketten lassen sich halbsynthetische Cephalosporine herstellen (Cephalothin, Cephaloridin), die in ihrer Wirkung den Penicillinderivaten ähnlich sind, aber wesentlich seltener zu Resistenz führen. Wie Penicillin wirken Cephalosporine auf die Zellwandsynthese verschiedener Bakterien.

20.8.3 Therapeutisch wichtige Antibiotika Die industrielle Produktion von Antibiotika ist inzwischen zu ungeahnter Effizienz gesteigert worden. Einige der chemotherapeutisch angewandten Antibiotika werden im Folgenden kurz vorgestellt. Diese und andere wurden schon verschiedentlich erwähnt.

Streptomycin Penicilline

Dieses Antibiotikum wurde aus der Nährlösung von Streptomyces griseus isoliert und wird auch von anderen Streptomyces-Arten produziert. Es besteht aus drei Einheiten: N-Methyl-L-2-glucosamin, einer Methylpentose und einem Inositolderivat mit zwei Guanidinresten (▶ Abb. 20.18). Streptomycin verdankt seinen Anwendungserfolg der Wirkung auf eine Reihe säurefester und gramnegativer Bakterien, die vom Penicillin nicht erfasst werden. Allergische Nebenreaktionen sind beim Menschen allerdings stark ausgeprägt. Streptomycin wird auch in der Tiermedizin und zur Bekämpfung von Pflanzenkrankheiten eingesetzt. Streptomycin inhibiert die Knüpfung der Peptidbindung bei der Translation.

Den ersten Platz nimmt noch immer das von Penicillium notatum, P. chrysogenum und einigen anderen Pilzen produzierte Antibiotikum Penicillin ein, dessen Biosynthese bereits weiter oben (S. 327) kurz besprochen wurde. Ein Grund für die herausragende Bedeutung des Penicillins ist, dass sich durch die Spaltung des Moleküls und die Substitution von Seitenketten der dabei entstehenden 6-Aminopenicillansäure halbsynthetische Penicilline wie z. B. Ampicillin herstellen lassen. Durch Umsetzung der 6-Aminopenicillansäure mit Säurechloriden lassen sich Hunderte von Penicillinen zusammensetzen (▶ Abb. 20.17), die zum Teil unterschiedliche Wirkungsspektren besitzen, also gegen verschiedene Erreger einsetzbar sind. Viele Bakterien produzieren Penicillinase und machen das Penicillin durch Spaltung des β-Lactamrings unwirksam. Etliche der halbsynthetischen Penicilline werden aber durch Penicillinase nicht gespalten und können aufgrund ihrer Säurestabilität auch oral verabreicht werden. Allen Penicillinen ist jedoch die Wirkung auf die Zellwandsynthese von Bakterien gemeinsam (Plus 5.11) (S. 174). Für den Menschen ist der Wirkstoff beinahe ungiftig und führt nur bei einem geringen Prozentsatz der Behandelten zu allergischen Beschwerden.

Chloramphenicol Chloramphenicol (Chloromycetin) wurde zuerst in Kulturen von Streptomyces venezuelae gefunden, ist jedoch auch synthetisch zugänglich (▶ Abb. 20.18). Es ist außerordentlich stabil, wirkt gegen viele gramnegative Bakterien, aber auch gegen Spirochaeten, Rickettsien, Actinomyceten und große Viren. Chloramphenicol inhibiert die Knüpfung der Peptidbindung bei der Translation. Aufgrund einer seltenen, aber lebensbedrohlichen Nebenwirkung wird Chloramphenicol heute nur noch als Reserveantibiotikum eingesetzt. Es wird vor allem äußerlich angewendet.

Cephalosporine Cephalosporine werden durch eine Art des Pilzes Cephalosporium ausgeschieden. Cephalosporin C besitzt einen β-Lactamring und ähnelt dem Penicillin (▶ Abb. 20.18).

Penicillin-Acylase H CH2

H

H S

CO NH N O

CH3

R

Penicillin G Penicillinase (β-Lactamspaltung)

S

NH N

CH3 COOH

H

H

O

H

CH3

CH3 COOH

6-Aminopenicillansäure (R = H)

Abb. 20.17 Angriffspunkte der bakteriellen Enzyme Penicillinase und PenicillinAcylase an Penicillin G. Durch Umsetzung der 6-Aminopenicillansäure (Substitution von R) mit den Säurechloriden der unten aufgezeichneten Säurereste lassen sich die halbsynthetischen Penicilline Phenethicillin, Methicillin, Ampicillin und Carbenicillin gewinnen.

OCH3

R: O CH CO CH3 Phenethicillin

CO OCH3 Methicillin

CH CO NH2 Ampicillin

CH CO COOH Carbenicillin

7

Mikroorganismen im Dienste des Menschen: Biotechnologie

NO2

HOOC

CH

(CH2)3

CO

NH

H

H

NH2

S

N

CH2

O HO

NH

CO

H3C

Chloramphenicol HO

NH NH C

CH3

Cephalosporin C

CHCl2

CH2OH

H2N

CO

COOH

CH HC

O

Abb. 20.18 Strukturformeln verschiedener Antibiotika. L-Thr, L-Threonin; D-Val, DValin; L-Pro, L-Prolin; Sar, Sarcosin; L-Meval, N-Methyl-L-Valin.

NH

C

CH3

OH

CH3 O

NH2

NH OH

N

OH

OH

O

NH2

C

O O H O Tetracyclin

O

O O

Sar

L-Pro

L-Pro

Sar

D-Val

D-Val L-MeVal

CHO H 3C

L-MeVal OH

O O

HO

L-Thr

C

O

O CH2OH H3CHN

O

C

L-Thr

N

NH2

O OH Streptomycin A

CH3

O CH3

Actinomycin D (C1)

Tetracycline Diese Antibiotika werden von verschiedenen Streptomyceten (darunter Streptomyces aureofaciens) ausgeschieden. Die verschiedenen Tetracycline sind chemisch sehr nahe miteinander verwandt und leiten sich vom Naphthacengerüst ab (▶ Abb. 20.18). Die bekanntesten sind Chlortetracyclin (Aureomycin), Oxytetracyclin (Terramycin) und Tetracyclin. Sie zeichnen sich durch ein breites Wirkungsspektrum und gute Verträglichkeit aus. Tetracycline wirken auf die ribosomale Proteinbiosynthese, indem sie die Anlagerung der Aminoacyl-tRNA an die Akzeptorstellen der 30S-Untereinheit der Ribosomen verhindern.

Makrolide Zu den Makroliden rechnet man Antibiotika verschiedener Herkunft mit verhältnismaßig hoher Molekülmasse, die durch einen makrozyklischen Lactonring charakterisiert sind. Zu dieser Gruppe gehören z. B. Erythromycin, Carbomycin A, Picromycin, Actinomycin u. a. Durch die Interaktion mit dem Enzym Translokase hemmen Makrolidantibiotika ebenfalls die Proteinbiosynthese verschiedener Bakterien. ▶ Actinomycin. Actinomycin wurde 1940 als erstes Streptomyceten-Antibiotikum isoliert; es interkaliert

698

O

zwischen die Basen der DNA. Es handelt sich um ein Gemisch aus mehreren Substanzen, denen ein Phenoxazonchromophor gemeinsam ist. Dieser ist mit verschiedenen Polypeptidketten substituiert (▶ Abb. 20.18).

Polypeptidantibiotika Auch die Polypeptidantibiotika wie Gramicidin 5, Polymyxin, Bacitracin, Ristocetin u. a. bilden eine Gruppe. Sie werden nichtribosomal synthetisiert (S. 326). Polymyxin B besteht aus einem Ring von 7 Aminosäuren mit peptidisch verknüpfter Seitenkette (▶ Abb. 20.19). Die Polypeptidantibiotika haben eine hohe Affinität zur Cytoplasmamembran. Sie sind daher für Bakterien und Eukaryonten gleichermaßen toxisch und werden deshalb nur äußerlich angewendet. Aufgrund ihrer Eigenschaft, selektiv lonen durch die Membran zu transportieren, werden sie in der Forschung als Ionophoren (Entkoppler der Elektronentransportphosphorylierung, Plus 8.7) (S. 283) eingesetzt. Valinomycin erleichtert beispielsweise den Transport von Kalium-Ionen durch die Membran. Es besteht aus einem zwölfgliedrigen Ring, der so beschaffen ist, dass das Kalium-Ion gerade in den Innenraum des Moleküls passt. Der Valinomycin-K+-Komplex ist an seiner Außenseite lipophil und wird dadurch leicht durch die Lipidschicht der Membran transportiert. Der Zusatz von Valinomycin zu einer Zellsuspension führt daher zur Verarmung der Zellen an Kalium-Ionen. Die technische Pro-

20.8 Antibiotika

L-Dab

CH2

L-Leu NH

L-Dab

D-Phe

L-Thr

L-Dab

CH D

S CO

CH2 NH

CH L

CO

(2S,6R)-Lanthionin (meso-Lanthionin)

NH C CO 2,3-Didehydroalanin

L-Dab

(CH2)4

L-Thr NH

L-Dab O

H 3C

CH2

L-Dab

CH L

C

H

NH C CO (Z)-2,3-Didehydrobutyrin NH

CO

CH2 NH

CH L

CO

(2S,9S)-Lysinoalanin

C Abb. 20.20 Ungewöhnliche Aminosäurebausteine in Lantibiotika.

Abb. 20.19 Polymyxin B. L-Dab, 2,4-Diaminobuttersäure; L-Leu, L-Leucin; D-Phe, D-Phenylalanin; L-Thr, L-Threonin. Die aliphatische Seitenkette ist die 6-Methyloctansäure.

duktion von Antibiotika geschieht heute mithilfe von Hochleistungsstämmen (Plus 20.7). Einige einzellig wachsende Bakterien, aber auch Hefen, bilden Proteintoxine, die verwandte Arten oder Stämme abtöten oder in ihrem Wachstum hemmen können. Solche sogenannten Bacteriocine (bei Hefen Killertoxine genannt) sind aus Escherichia coli (Colicine), Pseudomonas aeruginosa (Pyocine), Bacillus megaterium (Megacine) und anderen Bakterien isoliert worden. Sie besitzen Molekülmassen in der Größenordung von 50–80 kDa, im Gegensatz zu den oben erwähnten niedermolekularen

Plus 20.7 Optimierung der Antibiotikaproduktion

●V

In der pharmazeutischen Industrie werden zur großtechnischen Herstellung der Antibiotika heute nicht mehr die ursprünglichen Stämme, sondern durchweg leistungsfähigere Mutanten verwendet. Flemings Schimmelpilz produzierte etwa 3 mg Penicillin pro Liter Flüssigkultur. Die heute eingesetzten Stämme synthetisieren mindestens das 2000fache. Diese Ausbeutesteigerung geht auf Mutation und Selektion von aktiveren Stämmen, Verbesserung der Nährböden und die Erforschung der optimalen Produktionsbedingungen zurück. Nachdem die Biosynthesewege für viele Antibiotika aufgeklärt worden sind, steigert man nun die Ausbeuten durch gezielte Mutation und abgestimmte Selektion von Mutanten. In einigen Fällen hat es sich bewährt, den Mikroorganismen spezifische Bausteine für die Synthese von Antibiotika anzubieten. Das Ergebnis sind neue Substanzen mit verändertem Wirkungsspektrum, besserer Verträglichkeit oder höherer Stabilität gegenüber dem bakteriellen Abbau.

„klassischen“ Antibiotika. Ihre Synthese wird auf Plasmiden codiert und ist ribosomal. Unter dem Begriff Lantibiotika fasst man eine Gruppe von ribosomal synthetisierten, polyzyklischen Peptidantibiotika zusammen, die als charakteristische Bausteine die ungewöhnlichen Thioetheraminosäuren meso-Lanthionin und 3-Methyllanthionin enthalten. Außerdem findet man seltene ungesättigte Aminosäuren wie 2,3-Didehydroalanin, 2,3-Didehydrobutyrin und (2S,9S)-Lysinoalanin (▶ Abb. 20.20). Lantibiotika bestehen aus Ketten von 19–34 Aminosäureresten. Sie werden durchweg von grampositiven Bakterien synthetisiert. Beispiele sind Nisin von Streptococcus lactis, Subtilin von Bacillus subtilis, Epidermin von Staphylococcus epidermidis und Gallidermin von Staphylococcus gallinarum. Nisin wird in der Nahrungsmittelkonservierung eingesetzt, Epidermin gegen Akne und Ekzeme.

20.8.4 Mykotoxine Die Mykotoxine sind sekundäre Metabolite von Pilzen, die auf Menschen und Tiere toxisch wirken. Ein Mykotoxinproduzent ist beispielsweise Claviceps purpurea, der Mutterkornpilz. Die von ihm gebildeten Alkaloide, Derivate der Lysergsäure (Ergotamin, Ergotoxin) spielen bei der Therapie von Gefäßkrankheiten, Migräne und als Halluzinogene eine beträchtliche Rolle. Wenn auch der überwiegende Anteil des Mutterkorns (Secale cornutum) heute noch durch künstliche Infektion von Roggenpflanzen mit C. purpurea erzeugt wird, so beginnt die Submerskultur anderer Stämme, darunter C. paspali, doch ökonomisch interessant zu werden. Viele Pilze, darunter die augenfälligen Hutpilze und die Myxomyceten, sind Produzenten hoch wirksamer Gifte und teilweise chemisch noch nicht untersuchter organischer Verbindungen, von denen wahrscheinlich viele eine interessante Wirkung haben. Dazu gehören auch die Toxine der giftigen Formen unter den Basidiomyceten, wie

9

Mikroorganismen im Dienste des Menschen: Biotechnologie

O

O

O O O

OCH3

Abb. 20.21 Struktur von Aflatoxin B1.

Amanita phalloides (Knollenblätterpilz, Amanitatoxin), A. pantherina (Pantherpilz), A. muscaria und Inocybe patouillardii (Pilzatropin und Muscarin). Mykotoxine, z. B. Aflatoxin (S. 99), machen immer wieder mit Vergiftungen durch unsachgemäß gelagerte Futtermittel Schlagzeilen. Aflatoxine sind Derivate des Cumarins und werden von manchen Stämmen von Aspergillus flavus, A. parasiticus, A. oryzae und anderen Pilzen gebildet. Sie können in allen verpilzten Lebensmitteln (Erdnüsse, Getreide, Ölfrüchte, Futtermittel) enthalten sein und haben kanzerogene Eigenschaften (▶ Abb. 20.21). Eine Möglichkeit, den Mykotoxingehalt in Futtermitteln zu vermindern, ist der gezielte mikrobielle oder enzymatische Abbau.

Abb. 20.22 Der Ascomycet Ashbya gossypii und Vitamin B2. (Aufnahmen Fa. BASF, Ludwigshafen) a Ashbya gossypii-Zellen, die das kristalline Vitamin B12 enthalten. b Ausstriche des Wildtyps von Ashbya gossypii (links) und des Produktionsstammes (rechts).

20.9 Vitamine Vitamine werden heute routinemäßig Lebensmitteln und Futtermitteln zur Aufwertung zugesetzt und daher in großen Mengen produziert. Auch wenn viele Vitamine chemisch-synthetisch hergestellt werden, ist die Produktion von Riboflavin, Vitamin B12 und Vitamin C (Ascorbinsäure) mithilfe von Mikroorganismen vorteilhaft. Riboflavin (Vitamin B2) wird von Ascomyceten (Ashbya gossypii und Eremothecium ashbyii) ausgeschieden, aber auch von gentechnisch veränderten Hefen (Candida) und Bakterien (Bacillus) in Grammmengen pro Liter abgegeben. Dieser mikrobielle Syntheseprozess hat die chemische Synthese von Riboflavin inzwischen weitgehend abgelöst (▶ Abb. 20.22). Vitamin B12 wird ausschließlich von Mikroorganismen synthetisiert. Es ist für Tiere essenziell. Sie müssen das Vitamin mit der Nahrung oder als Präparat zu sich nehmen. Das von den Darmbakterien wie E. coli im Darm produzierte Vitamin kann von Tieren dort in freier Form nicht resorbiert werden. Ein Verhalten, das die im Darminhalt verborgenen Vitamine dem Wirt über den Magen und den Zwölffingerdarm zugänglich macht, ist bei Nagetieren verbreitet. Nager fressen ihren eigenen Kot und machen sich auf diese Weise dessen Inhaltsstoffe zunutze (Koprophagie). Zur industriellen Produktion von Vitamin B12 eignen sich Bakterien, in deren Stoffwechsel Corrinoide (Verbindungen mit einem Corrinring, wie z. B. Vitamin B12) eine entscheidende Rolle spielen: Dazu gehö-

700

ren u. a. Propionibakterien, Clostridien und Streptomyceten. Carotinoide werden als Futtermittelzusätze verwendet und verleihen dem Eigelb eine gelbe Farbe. Sie lassen sich aus dem Mycel von Zygomyceten (Blakeslea trispora und Choanephora circinans) isolieren. Die mikrobielle Produktion stellt derzeit allerdings für die chemische Synthese noch keine Konkurrenz dar. Auf die Einschaltung eines Schrittes der Biokonversion, der Oxidation von D-Sorbitol zu L-Sorbose (S. 385), in die Synthese von Vitamin C wurde schon eingegangen. Inzwischen ist es gelungen, gentechnisch veränderte Erwinia-Stämme (E. herbicola, E. citrea) zu entwickeln, die die Umwandlung von Glucose in 2-Keto-L-Gulonsäure in der Zelle vollziehen. Aus dieser lässt sich die Ascorbinsäure durch säurekatalysierte Dehydratisierung gewinnen. Die zur Anzucht von Bakterien, Hefen und anderen Pilzen üblichen Verfahren werden zunehmend auch auf die Produktion tierischer und pflanzlicher Zellen angewendet. Für das Wachstum von Pflanzenzellen in synthetischer Nährlösung sind Verfahren ausgearbeitet worden, die es erlauben, diese Zellen in mehrere 1000 Liter fassenden Fermentern wachsen zu lassen. Unter diesen Bedingungen bilden die Pflanzenzellen Enzyme und sekundäre Metabolite in Konzentrationen, die um das Zehnoder Hundertfache höher liegen als in den intakten Pflanzen. Überraschenderweise werden dabei auch Substanzen angehäuft, die in vivo nicht oder nur in geringen

Mikroorganismen im Dienste des Menschen: Biotechnologie

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O O O

OCH3

Abb. 20.21 Struktur von Aflatoxin B1.

Amanita phalloides (Knollenblätterpilz, Amanitatoxin), A. pantherina (Pantherpilz), A. muscaria und Inocybe patouillardii (Pilzatropin und Muscarin). Mykotoxine, z. B. Aflatoxin (S. 99), machen immer wieder mit Vergiftungen durch unsachgemäß gelagerte Futtermittel Schlagzeilen. Aflatoxine sind Derivate des Cumarins und werden von manchen Stämmen von Aspergillus flavus, A. parasiticus, A. oryzae und anderen Pilzen gebildet. Sie können in allen verpilzten Lebensmitteln (Erdnüsse, Getreide, Ölfrüchte, Futtermittel) enthalten sein und haben kanzerogene Eigenschaften (▶ Abb. 20.21). Eine Möglichkeit, den Mykotoxingehalt in Futtermitteln zu vermindern, ist der gezielte mikrobielle oder enzymatische Abbau.

Abb. 20.22 Der Ascomycet Ashbya gossypii und Vitamin B2. (Aufnahmen Fa. BASF, Ludwigshafen) a Ashbya gossypii-Zellen, die das kristalline Vitamin B12 enthalten. b Ausstriche des Wildtyps von Ashbya gossypii (links) und des Produktionsstammes (rechts).

20.9 Vitamine Vitamine werden heute routinemäßig Lebensmitteln und Futtermitteln zur Aufwertung zugesetzt und daher in großen Mengen produziert. Auch wenn viele Vitamine chemisch-synthetisch hergestellt werden, ist die Produktion von Riboflavin, Vitamin B12 und Vitamin C (Ascorbinsäure) mithilfe von Mikroorganismen vorteilhaft. Riboflavin (Vitamin B2) wird von Ascomyceten (Ashbya gossypii und Eremothecium ashbyii) ausgeschieden, aber auch von gentechnisch veränderten Hefen (Candida) und Bakterien (Bacillus) in Grammmengen pro Liter abgegeben. Dieser mikrobielle Syntheseprozess hat die chemische Synthese von Riboflavin inzwischen weitgehend abgelöst (▶ Abb. 20.22). Vitamin B12 wird ausschließlich von Mikroorganismen synthetisiert. Es ist für Tiere essenziell. Sie müssen das Vitamin mit der Nahrung oder als Präparat zu sich nehmen. Das von den Darmbakterien wie E. coli im Darm produzierte Vitamin kann von Tieren dort in freier Form nicht resorbiert werden. Ein Verhalten, das die im Darminhalt verborgenen Vitamine dem Wirt über den Magen und den Zwölffingerdarm zugänglich macht, ist bei Nagetieren verbreitet. Nager fressen ihren eigenen Kot und machen sich auf diese Weise dessen Inhaltsstoffe zunutze (Koprophagie). Zur industriellen Produktion von Vitamin B12 eignen sich Bakterien, in deren Stoffwechsel Corrinoide (Verbindungen mit einem Corrinring, wie z. B. Vitamin B12) eine entscheidende Rolle spielen: Dazu gehö-

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ren u. a. Propionibakterien, Clostridien und Streptomyceten. Carotinoide werden als Futtermittelzusätze verwendet und verleihen dem Eigelb eine gelbe Farbe. Sie lassen sich aus dem Mycel von Zygomyceten (Blakeslea trispora und Choanephora circinans) isolieren. Die mikrobielle Produktion stellt derzeit allerdings für die chemische Synthese noch keine Konkurrenz dar. Auf die Einschaltung eines Schrittes der Biokonversion, der Oxidation von D-Sorbitol zu L-Sorbose (S. 385), in die Synthese von Vitamin C wurde schon eingegangen. Inzwischen ist es gelungen, gentechnisch veränderte Erwinia-Stämme (E. herbicola, E. citrea) zu entwickeln, die die Umwandlung von Glucose in 2-Keto-L-Gulonsäure in der Zelle vollziehen. Aus dieser lässt sich die Ascorbinsäure durch säurekatalysierte Dehydratisierung gewinnen. Die zur Anzucht von Bakterien, Hefen und anderen Pilzen üblichen Verfahren werden zunehmend auch auf die Produktion tierischer und pflanzlicher Zellen angewendet. Für das Wachstum von Pflanzenzellen in synthetischer Nährlösung sind Verfahren ausgearbeitet worden, die es erlauben, diese Zellen in mehrere 1000 Liter fassenden Fermentern wachsen zu lassen. Unter diesen Bedingungen bilden die Pflanzenzellen Enzyme und sekundäre Metabolite in Konzentrationen, die um das Zehnoder Hundertfache höher liegen als in den intakten Pflanzen. Überraschenderweise werden dabei auch Substanzen angehäuft, die in vivo nicht oder nur in geringen

20.11 Enzyme Tab. 20.2 Mikrobiell produzierte Exopolysaccharide und ihre Verwendung. Produkt

mikrobielle Herkunft

Verwendung

Dextran (α-1,6-Glucan)

Leuconostoc mesenteroides, Klebsiella, Acetobacter, Streptokokken

Blutplasmaersatzmittel; Adsorbenzien in der biochemischen Industrie

Alginat (1,4-glykosidisch verknüpfte Mannuronund Guluronsäuren)

Azotobacter vinelandii, Pseudomonas aeruginosa

Speiseeis, Instantpudding, Creme; Appretur für Textilien und Papier; hydrophiler Überzug für Pflanzenwurzeln, Wunden und Christbäume

Xanthan mit Trisaccharidseitenketten substituierte Cellulose)

Xanthomonas campestris

Zusatz zu Getränken und Schmelzkäse; Schlagcreme, Instantpudding, Emulsionsstabilisator

Pullulan (β-1,6-glykosidisch verknüpfte Maltotriosegruppen)

Aureobasidium (syn. Pullularia, Dematium) pullulans

Überzüge für Lebensmittel

Curdlan (β-1,3-Glucan)

Alcaligenes faecalis var. myxogenes

Geliermittel für Puddings; wird im Darm nicht abgebaut, daher kalorienarm

Mengen gebildet werden. Es ist daher zu erwarten, dass es in Zukunft möglich sein wird, auch mithilfe von Pflanzenzellen Alkaloide, Glykoside, Steroide, organische Säuren und andere sekundäre Metabolite zu produzieren.

O O

HO CH3

OH OH

20.10 Exopolysaccharide und Tenside Zur Erhöhung der Viskosität von Flüssigkeiten, d. h. als Dickungsmittel, verwendet man seit langem pflanzliche Polysaccharide. An deren Stelle sind mittlerweile mehrere bakterielle Exopolysaccharide (S. 149) getreten (▶ Tab. 20.2). Als Zusätze für Speiseeis, Puddings, Cremes und für hydrophile Überzüge zur Feuchthaltung von Wurzeln verwendet man Alginate. Die aus Meeresalgen hergestellten Polysaccharide werden jedoch zunehmend von Produkten verdrängt, die mithilfe von Azotobacter oder Pseudomonas erzeugt werden. Vielseitige Anwendung haben die von Xanthomonas campestris, einem pflanzenpathogenen Bakterium, gebildeten Schleime, die Xanthane, gefunden. Sie bestehen aus β-1,4-glykosidisch verknüpften Ketten von Glucose, wie Cellulose, welche Trisaccharidseitenketten tragen. Die Xanthane werden als Dickungsmittel in der Lebensmittelherstellung und der kosmetischen Industrie, als Emulgierzusätze für Binderfarben und Druckerschwärze und sogar als Zusätze zum Flutungswasser in Erdöllagerstätten verwendet. Zur Bereitung von Puddings und kalorienarmen Suppen bieten sich die Curdlane an, die im menschlichen Darm nicht abgebaut werden. Dextran wird als Blutplasmaersatzmittel und als Grundlage für die als Sephadex bekannten Adsorbenzien verwendet. Für spezifische Anwendungen wird hochreine Cellulose benötigt, die man aus Pflanzen bzw. aus Holz nicht in hinreichender Qualität gewinnen kann. Als Alternative bietet sich die bakterielle Produktion durch aerobe Essigsäurebakterien wie Gluconacetobacter xylinus oder Enterobakterien nach geeigneter genetischer Modifikation an.

O CH CH2 C O CH CH2 COO– CH2

CH2

CH2

CH2

CH2

CH2

CH2

CH2

CH2

CH2

CH2

CH2

CH3

CH3

Abb. 20.23 Rhamnolipid, produziert von Pseudomonas aeruginosa.

Manche Bakterien bilden in Gegenwart von lipophilen Substraten, z. B. Kohlenwasserstoffen, extrazelluläre Detergenzien (Biotenside, „Biosurfactants“) (S. 366). Während Pseudomonas aeruginosa Rhamnolipide bildet (▶ Abb. 20.23), produzieren Bacillus-Stämme zyklische Oligopeptide, die eine langkettige Fettsäure als lipophilen Rest enthalten, z. B. Surfactin oder Lichenysin.

20.11 Enzyme Das zur Herstellung von Hartkäse gebräuchliche Labferment Rennin wurde früher durch Extraktion von Kälbermägen gewonnen. Die bei der Lederherstellung benötigten Proteasen isolierte man aus pulverisiertem Hundekot. Heutzutage erleichtern mikrobielle Methoden den Zugang zu solchen Enzymen. Außerdem haben diese Verfahren das Angebot an Enzymen, die biotechnologisch anwendbar sind, dramatisch erweitert (▶ Tab. 20.3). An die Stelle des zur Gerinnung der Milch gebräuchlichen Labferments aus Kälbermägen ist ein Rennin getreten, das von Mucor rouxii und anderen Pilzen natürlich ausgeschieden wird. Auch in der Alkoholproduktion spielen industriell gewonnene Enzyme eine große Rolle. Musste man Getreide

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20.11 Enzyme Tab. 20.2 Mikrobiell produzierte Exopolysaccharide und ihre Verwendung. Produkt

mikrobielle Herkunft

Verwendung

Dextran (α-1,6-Glucan)

Leuconostoc mesenteroides, Klebsiella, Acetobacter, Streptokokken

Blutplasmaersatzmittel; Adsorbenzien in der biochemischen Industrie

Alginat (1,4-glykosidisch verknüpfte Mannuronund Guluronsäuren)

Azotobacter vinelandii, Pseudomonas aeruginosa

Speiseeis, Instantpudding, Creme; Appretur für Textilien und Papier; hydrophiler Überzug für Pflanzenwurzeln, Wunden und Christbäume

Xanthan mit Trisaccharidseitenketten substituierte Cellulose)

Xanthomonas campestris

Zusatz zu Getränken und Schmelzkäse; Schlagcreme, Instantpudding, Emulsionsstabilisator

Pullulan (β-1,6-glykosidisch verknüpfte Maltotriosegruppen)

Aureobasidium (syn. Pullularia, Dematium) pullulans

Überzüge für Lebensmittel

Curdlan (β-1,3-Glucan)

Alcaligenes faecalis var. myxogenes

Geliermittel für Puddings; wird im Darm nicht abgebaut, daher kalorienarm

Mengen gebildet werden. Es ist daher zu erwarten, dass es in Zukunft möglich sein wird, auch mithilfe von Pflanzenzellen Alkaloide, Glykoside, Steroide, organische Säuren und andere sekundäre Metabolite zu produzieren.

O O

HO CH3

OH OH

20.10 Exopolysaccharide und Tenside Zur Erhöhung der Viskosität von Flüssigkeiten, d. h. als Dickungsmittel, verwendet man seit langem pflanzliche Polysaccharide. An deren Stelle sind mittlerweile mehrere bakterielle Exopolysaccharide (S. 149) getreten (▶ Tab. 20.2). Als Zusätze für Speiseeis, Puddings, Cremes und für hydrophile Überzüge zur Feuchthaltung von Wurzeln verwendet man Alginate. Die aus Meeresalgen hergestellten Polysaccharide werden jedoch zunehmend von Produkten verdrängt, die mithilfe von Azotobacter oder Pseudomonas erzeugt werden. Vielseitige Anwendung haben die von Xanthomonas campestris, einem pflanzenpathogenen Bakterium, gebildeten Schleime, die Xanthane, gefunden. Sie bestehen aus β-1,4-glykosidisch verknüpften Ketten von Glucose, wie Cellulose, welche Trisaccharidseitenketten tragen. Die Xanthane werden als Dickungsmittel in der Lebensmittelherstellung und der kosmetischen Industrie, als Emulgierzusätze für Binderfarben und Druckerschwärze und sogar als Zusätze zum Flutungswasser in Erdöllagerstätten verwendet. Zur Bereitung von Puddings und kalorienarmen Suppen bieten sich die Curdlane an, die im menschlichen Darm nicht abgebaut werden. Dextran wird als Blutplasmaersatzmittel und als Grundlage für die als Sephadex bekannten Adsorbenzien verwendet. Für spezifische Anwendungen wird hochreine Cellulose benötigt, die man aus Pflanzen bzw. aus Holz nicht in hinreichender Qualität gewinnen kann. Als Alternative bietet sich die bakterielle Produktion durch aerobe Essigsäurebakterien wie Gluconacetobacter xylinus oder Enterobakterien nach geeigneter genetischer Modifikation an.

O CH CH2 C O CH CH2 COO– CH2

CH2

CH2

CH2

CH2

CH2

CH2

CH2

CH2

CH2

CH2

CH2

CH3

CH3

Abb. 20.23 Rhamnolipid, produziert von Pseudomonas aeruginosa.

Manche Bakterien bilden in Gegenwart von lipophilen Substraten, z. B. Kohlenwasserstoffen, extrazelluläre Detergenzien (Biotenside, „Biosurfactants“) (S. 366). Während Pseudomonas aeruginosa Rhamnolipide bildet (▶ Abb. 20.23), produzieren Bacillus-Stämme zyklische Oligopeptide, die eine langkettige Fettsäure als lipophilen Rest enthalten, z. B. Surfactin oder Lichenysin.

20.11 Enzyme Das zur Herstellung von Hartkäse gebräuchliche Labferment Rennin wurde früher durch Extraktion von Kälbermägen gewonnen. Die bei der Lederherstellung benötigten Proteasen isolierte man aus pulverisiertem Hundekot. Heutzutage erleichtern mikrobielle Methoden den Zugang zu solchen Enzymen. Außerdem haben diese Verfahren das Angebot an Enzymen, die biotechnologisch anwendbar sind, dramatisch erweitert (▶ Tab. 20.3). An die Stelle des zur Gerinnung der Milch gebräuchlichen Labferments aus Kälbermägen ist ein Rennin getreten, das von Mucor rouxii und anderen Pilzen natürlich ausgeschieden wird. Auch in der Alkoholproduktion spielen industriell gewonnene Enzyme eine große Rolle. Musste man Getreide

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Mikroorganismen im Dienste des Menschen: Biotechnologie Tab. 20.3 Mikrobiell produzierte Enzyme und ihre Verwendung. Enzym und katalysierte Reaktion

mikrobielle Herkunft

Verwendung

Rennin (Gerinnung des Milchcaseins)

Mucor rouxii

Herstellung von Hütten- und Hartkäsen

Invertase Hydrolyse von Saccharose

Aspergillus oryzae, Hefen und andere Pilze

Herstellung von Invertzucker für Süßwaren

Proteasen Hydrolyse von Protein

Bacillus subtilis und andere Bakterien; auch Pilze

Waschmittelzusätze, Gerberei

pectinolytische Enzyme Hydrolyse von Pectin

Pilze und Erwinia

Klärung von Fruchtsäften

Lipase Hydrolyse von Lipiden

Pilze und Pseudomonas

Waschmittelzusätze, Gerberei

Glucose-Oxidase Oxidation zu Gluconat

Aspergillus niger, Gluconobacter oxidans

Herstellung von Gluconsäure

Hexose-Isomerase Isomerisierung von Fructose

Streptomyces

Herstellung von Fructose aus Glucose

Amylase Hydrolyse von Stärke

Bacillus subtilis, Aspergillus sp., andere Pilze

Herstellung von Glucosesirup, Entfernen der Appreturstärke

Pullulanase Hydrolyse von Stärke

Bacillus

Spaltung von α-1,4- und α-1,6-Bindungen

Cellulasen Hydrolyse von Cellulose

Trichoderma viride, Penicillium

Gewinnung von Glucose aus Cellulose

zur Verzuckerung von Stärke zunächst keimen lassen, bevor die Hefe den Zucker vergären konnte, setzt man der Stärke nun Amylasen zu, die aus Pilzen gewonnen werden. Um aus Stärke Fructose zu erzeugen, die eine höhere Süßkraft als Saccharose oder Glucose besitzt, setzt man die Stärke mit der α-Amylase und der Glucoamylase zu Glucose und diese anschließend mit der Glucose-Isomerase und hoher Ausbeute zu Fructose um. Zur Verzuckerung der Stärke eignet sich auch die Pullulanase (S. 361), die α-1,4- und α-1,6-glykosidische Bindungen spaltet. Verschiedene Präparate solcher Enzyme, dabei auch relativ thermotolerante, werden aus Bacillus-Stämmen, Clostridien, Streptomyceten und Lactobakterien isoliert. Proteasen und Lipasen werden als Zusätze zu Waschmitteln verwendet. Man ist auch bestrebt, mithilfe mikrobiell hergestellter Cellulasen aus Trichoderma viride oder Penicillium preisgünstige Cellulose aus Holz und Stroh zu verzuckern und diese damit für die Ethanolproduktion zu erschließen. Durch Pilze produzierte Phytase erschließt in der Tiermast die in den pflanzlichen Phosphorspeichern, wie dem nicht von Tieren abbaubaren Phytat (myo-Inositolhexakisphosphat), eingelagerten Phosphatvorräte mit hoher Effizienz. Die bisher aufgeführten Enzyme sind Exoenzyme. Sie werden von den Mikroorganismen ausgeschieden und aus der Kulturbrühe isoliert. Zu den aus zellulären Systemen, vorwiegend Bakterien, isolierten Enzymen gehören Endonukleasen und andere in der Klonierungstechnik verwendete Enzyme. Wichtig für industriell anwendbare Enzyme ist auch, dass sie an Cellulose, Agarose, Alginate oder Glaskugeln gebunden oder in Kapseln eingeschlossen werden können, um sie zu fixieren oder zu stabilisieren.

702

Neben Enzymen treten mittlerweile auch andere funktionale Proteine in den Fokus. Hydrophobin ist ein wasserabweisendes Protein, das sich auf der Oberfläche von Pilzen befindet. Dort sorgt es für das Abperlen des Regenwassers. Gentechnisch veränderte E. coli- oder HefeStämme werden genutzt, um Hydrophobin in industriellen Mengen herzustellen. Ein weiteres Beispiel sind Antifrostproteine. Interessanterweise sind die ersten Anwendungen dieser Proteine in Tiefkühlkost zu finden.

20.12 Polyhydroxyalkanoate Bei Stickstoff- oder Phosphatmangel produzieren viele Bakterien Poly-β-hydroxybuttersäure (PHB) (S. 163) als intrazellulären Speicherstoff. PHB ist, wie Polypropylen und Polyethylen, thermoplastisch verformbar, lässt sich zu Folien, Fasern und Hohlkörpern, wie z. B. Flaschen und Bechern, verarbeiten und ist mikrobiell abbaubar. PHB wird von einigen Bakterien unter geeigneten Kulturbedingungen mit Zuckern als Substrat in so großen Mengen intrazellulär angehäuft, dass der PHB-Anteil mehr als 90 % (w/w) der Trockenmasse ausmacht. Mit autotrophen Wasserstoffoxidierern oder mit methylotrophen Bakterien lässt sich PHB auch auf der Basis billiger Rohstoffe produzieren. Inzwischen wurden Bedingungen ermittelt, unter denen neben PHB auch Poly-β-hydroxyvaleriansäure, Poly-β-hydroxyoctanoat und andere Polyhydroxyalkanoate (PHA) produziert werden können. Darüber hinaus kann man von den Bakterien auch andere Monomere zu Polyestern, z. B. zu Homo- und Heteropolymeren und zu Thioestern, verarbeiten lassen. Damit werden neue Polymere zugänglich, die nicht nur für die Herstellung mikro-

Mikroorganismen im Dienste des Menschen: Biotechnologie Tab. 20.3 Mikrobiell produzierte Enzyme und ihre Verwendung. Enzym und katalysierte Reaktion

mikrobielle Herkunft

Verwendung

Rennin (Gerinnung des Milchcaseins)

Mucor rouxii

Herstellung von Hütten- und Hartkäsen

Invertase Hydrolyse von Saccharose

Aspergillus oryzae, Hefen und andere Pilze

Herstellung von Invertzucker für Süßwaren

Proteasen Hydrolyse von Protein

Bacillus subtilis und andere Bakterien; auch Pilze

Waschmittelzusätze, Gerberei

pectinolytische Enzyme Hydrolyse von Pectin

Pilze und Erwinia

Klärung von Fruchtsäften

Lipase Hydrolyse von Lipiden

Pilze und Pseudomonas

Waschmittelzusätze, Gerberei

Glucose-Oxidase Oxidation zu Gluconat

Aspergillus niger, Gluconobacter oxidans

Herstellung von Gluconsäure

Hexose-Isomerase Isomerisierung von Fructose

Streptomyces

Herstellung von Fructose aus Glucose

Amylase Hydrolyse von Stärke

Bacillus subtilis, Aspergillus sp., andere Pilze

Herstellung von Glucosesirup, Entfernen der Appreturstärke

Pullulanase Hydrolyse von Stärke

Bacillus

Spaltung von α-1,4- und α-1,6-Bindungen

Cellulasen Hydrolyse von Cellulose

Trichoderma viride, Penicillium

Gewinnung von Glucose aus Cellulose

zur Verzuckerung von Stärke zunächst keimen lassen, bevor die Hefe den Zucker vergären konnte, setzt man der Stärke nun Amylasen zu, die aus Pilzen gewonnen werden. Um aus Stärke Fructose zu erzeugen, die eine höhere Süßkraft als Saccharose oder Glucose besitzt, setzt man die Stärke mit der α-Amylase und der Glucoamylase zu Glucose und diese anschließend mit der Glucose-Isomerase und hoher Ausbeute zu Fructose um. Zur Verzuckerung der Stärke eignet sich auch die Pullulanase (S. 361), die α-1,4- und α-1,6-glykosidische Bindungen spaltet. Verschiedene Präparate solcher Enzyme, dabei auch relativ thermotolerante, werden aus Bacillus-Stämmen, Clostridien, Streptomyceten und Lactobakterien isoliert. Proteasen und Lipasen werden als Zusätze zu Waschmitteln verwendet. Man ist auch bestrebt, mithilfe mikrobiell hergestellter Cellulasen aus Trichoderma viride oder Penicillium preisgünstige Cellulose aus Holz und Stroh zu verzuckern und diese damit für die Ethanolproduktion zu erschließen. Durch Pilze produzierte Phytase erschließt in der Tiermast die in den pflanzlichen Phosphorspeichern, wie dem nicht von Tieren abbaubaren Phytat (myo-Inositolhexakisphosphat), eingelagerten Phosphatvorräte mit hoher Effizienz. Die bisher aufgeführten Enzyme sind Exoenzyme. Sie werden von den Mikroorganismen ausgeschieden und aus der Kulturbrühe isoliert. Zu den aus zellulären Systemen, vorwiegend Bakterien, isolierten Enzymen gehören Endonukleasen und andere in der Klonierungstechnik verwendete Enzyme. Wichtig für industriell anwendbare Enzyme ist auch, dass sie an Cellulose, Agarose, Alginate oder Glaskugeln gebunden oder in Kapseln eingeschlossen werden können, um sie zu fixieren oder zu stabilisieren.

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Neben Enzymen treten mittlerweile auch andere funktionale Proteine in den Fokus. Hydrophobin ist ein wasserabweisendes Protein, das sich auf der Oberfläche von Pilzen befindet. Dort sorgt es für das Abperlen des Regenwassers. Gentechnisch veränderte E. coli- oder HefeStämme werden genutzt, um Hydrophobin in industriellen Mengen herzustellen. Ein weiteres Beispiel sind Antifrostproteine. Interessanterweise sind die ersten Anwendungen dieser Proteine in Tiefkühlkost zu finden.

20.12 Polyhydroxyalkanoate Bei Stickstoff- oder Phosphatmangel produzieren viele Bakterien Poly-β-hydroxybuttersäure (PHB) (S. 163) als intrazellulären Speicherstoff. PHB ist, wie Polypropylen und Polyethylen, thermoplastisch verformbar, lässt sich zu Folien, Fasern und Hohlkörpern, wie z. B. Flaschen und Bechern, verarbeiten und ist mikrobiell abbaubar. PHB wird von einigen Bakterien unter geeigneten Kulturbedingungen mit Zuckern als Substrat in so großen Mengen intrazellulär angehäuft, dass der PHB-Anteil mehr als 90 % (w/w) der Trockenmasse ausmacht. Mit autotrophen Wasserstoffoxidierern oder mit methylotrophen Bakterien lässt sich PHB auch auf der Basis billiger Rohstoffe produzieren. Inzwischen wurden Bedingungen ermittelt, unter denen neben PHB auch Poly-β-hydroxyvaleriansäure, Poly-β-hydroxyoctanoat und andere Polyhydroxyalkanoate (PHA) produziert werden können. Darüber hinaus kann man von den Bakterien auch andere Monomere zu Polyestern, z. B. zu Homo- und Heteropolymeren und zu Thioestern, verarbeiten lassen. Damit werden neue Polymere zugänglich, die nicht nur für die Herstellung mikro-

20.13 Gentechnische Verfahren biell abbaubarer Verpackungsmaterialien von Interesse sind.

HO OH 1,3-Propandiol

20.13 Gentechnische Verfahren 20.13.1 Klassische Verfahren versus Gentechnik Die enormen Fortschritte der Molekularbiologie in den letzten 25 Jahren haben auch für die angewandte Mikrobiologie völlig neue Tätigkeitsgebiete eröffnet. In der Vergangenheit wurde die Leistungsfähigkeit von Mikroorganismen, z. B. in der Produktion von Antibiotika, durch Selektion und gezielte Züchtung natürlich auftretender Stämme optimiert. Mittlerweile können Produktionsvorgänge jedoch auch mit gezielten Eingriffen in den Stoffwechsel der jeweiligen Produktionsorganismen verbessert werden. Eigene oder fremde DNA-Stücke werden mit Hochleistungspromotoren kombiniert, um Proteine in großem Umfang und mit weit höherer Reinheit und Verlässlichkeit zu produzieren als es mit dem ursprünglichen Produktionsorganismus möglich war. Durch genetische Rekombination können ganze Stoffwechselwege für die Synthese komplexer Wirkstoffe in Produktionsstämme überführt werden. Die Vielfalt der heute bereits im Pilotmaßstab eingesetzten Produktionsvorgänge, die auf rekombinanten Produktionsstämmen beruhen, ist kaum noch zu überschauen. Für eine detaillierte Darstellung sei daher auf Lehrbücher der Biotechnologie und Molekularbiologie verwiesen. An dieser Stelle werden nur einige wichtige Prozesse kurz angesprochen und vermehrt Prinzipien behandelt, die für ein generelles Verständnis dieser Prozesse notwendig sind.

20.13.2 Überblick über Prozesse Verschiedene Chemikalien werden heute basierend auf biotechnologischen Prozessen synthetisiert (▶ Abb. 20.24). Diese werden fast ausschließlich in genetisch veränderten Hefen sowie E. coli oder Hefestämmen produziert. Die erzeugten Produkte dienen zum größten Teil als Monomere für die Polymerindustrie und als Biokraftstoffe. Biotechnologisch hergestellte Monomerbausteine sind u. a. 1,3-Propandiol, 1,4-Butandiol, Bernsteinsäure, Pentamethylendiamin und Acrylsäure. Als Biokraftstoffe dienen Ethanol, Butanol, Isobutanol und Farnesol, letzteres als Ersatz für Dieselkraftstoffe. Darüber hinaus kann das Enteisungsmittel 1,2-Propandiol biotechnologisch erzeugt werden. Auch strukturell komplexere Moleküle, die als Wirkstoffe in der Pharmaindustrie Anwendung finden, werden mittlerweile durch gentechnisch veränderte Mikroorganismen synthetisiert. Als Beispiele sind hier Artemisinin (wirksamste Arznei gegen Malaria) und Progesteron (Steroidhormon) zu nennen.

OH

HO 1,4-Butandiol

O HO

OH H2N NH2 Pentamethylendiamin

O Bernsteinsäure O

HO

HO 1-Butanol

OH Acrylsäure

Isobutanol OH OH

HO

1,2-Propandiol

Farnesol

O

H O O O H

O

O Artemisinin

H

H H

H

O Progesteron

Abb. 20.24 Schlüsselverbindungen („Plattformchemikalien“) für chemische Synthesen, die mithilfe von mikrobiell katalysierten Prozessen produziert werden können.

20.13.3 Produktionsstämme Die molekulare Klonierungstechnik (S. 210) ermöglicht es, Fremd-DNA in Plasmide einzubauen und diese durch Transformation in Bakterien oder Hefen zu übertragen, wo die entsprechenden Gene exprimiert und die gewünschten Produkte synthetisiert werden. Für die Auswahl eines geeigneten Produktionsstamms sind verschiedene Faktoren zu berücksichtigen. Soll z. B. ein Protein in einem geeigneten Wirtsstamm produziert werden, muss sichergestellt sein, dass das produzierte Protein für diesen Stamm nicht toxisch ist. Ebenso darf der Stamm das Produkt nicht durch eigene Proteasen spalten. Für die Produktion von Proteinen/Enzymen sollten diese exportiert werden können. Aus diesem Grund sind gramnegative Bakterien, z. B. E. coli, ungünstig, da sie die Produkte durch zwei Membranen transportieren müssen. Dagegen haben sich grampositive Bakterien, z. B. Staphylococcus carnosus, für solche Produktionen bewährt. Alternativ werden heute Eukaryonten, z. B. verschiedene Hefen wie Saccharomyces cerevisiae, Pichia pastoris, Arxula adeninivorans, Hansenula polymorpha oder Sordaria macrospora, für die Proteinproduktion eingesetzt. Ihr Proteinsyntheseapparat eignet sich insbesondere für die Herstellung und eventuell erforderliche Sekretion eukaryontischer

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20.13 Gentechnische Verfahren biell abbaubarer Verpackungsmaterialien von Interesse sind.

HO OH 1,3-Propandiol

20.13 Gentechnische Verfahren 20.13.1 Klassische Verfahren versus Gentechnik Die enormen Fortschritte der Molekularbiologie in den letzten 25 Jahren haben auch für die angewandte Mikrobiologie völlig neue Tätigkeitsgebiete eröffnet. In der Vergangenheit wurde die Leistungsfähigkeit von Mikroorganismen, z. B. in der Produktion von Antibiotika, durch Selektion und gezielte Züchtung natürlich auftretender Stämme optimiert. Mittlerweile können Produktionsvorgänge jedoch auch mit gezielten Eingriffen in den Stoffwechsel der jeweiligen Produktionsorganismen verbessert werden. Eigene oder fremde DNA-Stücke werden mit Hochleistungspromotoren kombiniert, um Proteine in großem Umfang und mit weit höherer Reinheit und Verlässlichkeit zu produzieren als es mit dem ursprünglichen Produktionsorganismus möglich war. Durch genetische Rekombination können ganze Stoffwechselwege für die Synthese komplexer Wirkstoffe in Produktionsstämme überführt werden. Die Vielfalt der heute bereits im Pilotmaßstab eingesetzten Produktionsvorgänge, die auf rekombinanten Produktionsstämmen beruhen, ist kaum noch zu überschauen. Für eine detaillierte Darstellung sei daher auf Lehrbücher der Biotechnologie und Molekularbiologie verwiesen. An dieser Stelle werden nur einige wichtige Prozesse kurz angesprochen und vermehrt Prinzipien behandelt, die für ein generelles Verständnis dieser Prozesse notwendig sind.

20.13.2 Überblick über Prozesse Verschiedene Chemikalien werden heute basierend auf biotechnologischen Prozessen synthetisiert (▶ Abb. 20.24). Diese werden fast ausschließlich in genetisch veränderten Hefen sowie E. coli oder Hefestämmen produziert. Die erzeugten Produkte dienen zum größten Teil als Monomere für die Polymerindustrie und als Biokraftstoffe. Biotechnologisch hergestellte Monomerbausteine sind u. a. 1,3-Propandiol, 1,4-Butandiol, Bernsteinsäure, Pentamethylendiamin und Acrylsäure. Als Biokraftstoffe dienen Ethanol, Butanol, Isobutanol und Farnesol, letzteres als Ersatz für Dieselkraftstoffe. Darüber hinaus kann das Enteisungsmittel 1,2-Propandiol biotechnologisch erzeugt werden. Auch strukturell komplexere Moleküle, die als Wirkstoffe in der Pharmaindustrie Anwendung finden, werden mittlerweile durch gentechnisch veränderte Mikroorganismen synthetisiert. Als Beispiele sind hier Artemisinin (wirksamste Arznei gegen Malaria) und Progesteron (Steroidhormon) zu nennen.

OH

HO 1,4-Butandiol

O HO

OH H2N NH2 Pentamethylendiamin

O Bernsteinsäure O

HO

HO 1-Butanol

OH Acrylsäure

Isobutanol OH OH

HO

1,2-Propandiol

Farnesol

O

H O O O H

O

O Artemisinin

H

H H

H

O Progesteron

Abb. 20.24 Schlüsselverbindungen („Plattformchemikalien“) für chemische Synthesen, die mithilfe von mikrobiell katalysierten Prozessen produziert werden können.

20.13.3 Produktionsstämme Die molekulare Klonierungstechnik (S. 210) ermöglicht es, Fremd-DNA in Plasmide einzubauen und diese durch Transformation in Bakterien oder Hefen zu übertragen, wo die entsprechenden Gene exprimiert und die gewünschten Produkte synthetisiert werden. Für die Auswahl eines geeigneten Produktionsstamms sind verschiedene Faktoren zu berücksichtigen. Soll z. B. ein Protein in einem geeigneten Wirtsstamm produziert werden, muss sichergestellt sein, dass das produzierte Protein für diesen Stamm nicht toxisch ist. Ebenso darf der Stamm das Produkt nicht durch eigene Proteasen spalten. Für die Produktion von Proteinen/Enzymen sollten diese exportiert werden können. Aus diesem Grund sind gramnegative Bakterien, z. B. E. coli, ungünstig, da sie die Produkte durch zwei Membranen transportieren müssen. Dagegen haben sich grampositive Bakterien, z. B. Staphylococcus carnosus, für solche Produktionen bewährt. Alternativ werden heute Eukaryonten, z. B. verschiedene Hefen wie Saccharomyces cerevisiae, Pichia pastoris, Arxula adeninivorans, Hansenula polymorpha oder Sordaria macrospora, für die Proteinproduktion eingesetzt. Ihr Proteinsyntheseapparat eignet sich insbesondere für die Herstellung und eventuell erforderliche Sekretion eukaryontischer

3

Mikroorganismen im Dienste des Menschen: Biotechnologie Proteine in das Medium. Für die industrielle Synthese von Chemikalien haben sich zum größten Teil E. coli und Hefen wie Saccharomyces cerevisiae und Pichia pastoris durchgesetzt.

20.13.4 Vektoren Ein Vektor ist ein für die Klonierung von DNA-Fragmenten verwendetes DNA-Molekül, das amplifiziert und in Zellen übertragen werden kann. Zunächst wird die das gewünschte Protein codierende DNA in einen geeigneten Expressionsvektor (S. 211) ligiert: Hierfür werden auf dem Markt verschiedene Vektoren angeboten, die für eukaryontische oder prokaryontische Produktionsstämme spezifisch sind. Die Vektoren tragen verschiedene Marker, zumeist Gene für Antibiotikaresistenz, mit denen ihre Integration und Expression nachgewiesen werden kann. Die Effizienz der Produktbildung lässt sich durch die Auswahl eines geeigneten Promotors bestimmen, hinter den das Fremdgen kloniert wird.

20.13.5 Exoenzyme Viele technisch einsetzbare Enzyme sind Exoenzyme. Die Sekretion von produzierten Proteinen in das Außenmedium bietet den Vorteil, dass das Produkt leicht von den Zellen getrennt werden kann und letztere möglicherweise trägergebunden für viele Produktionsgänge eingesetzt werden können. Die weitere Präparation des Zielproteins sollte möglichst wenig Reinigungsaufwand erfordern. Deshalb ist es wünschenswert, dass der Produktionsstamm in einem möglichst einfachen, mineralischen Nährmedium ohne komplexe Zusätze wachsen kann. Solche Medien sind in der großtechnischen Anwendung preisgünstig und halten die Kosten des Downstream Processings niedrig.

20.13.6 Einschlusskörper Nicht immer können Proteine in intakter, katalytisch aktiver Form aus der prokaryontischen Produktionszelle ausgeschleust werden. Stattdessen akkumulieren sie oft in der Zelle und erschweren so eine Abtrennung und Reindarstellung des Produkts. Häufig bilden sich bei der Überproduktion von Proteinen sogenannte Einschlusskörper (engl. inclusion bodies), in denen das fremde Protein in stark verdichteter, parakristalliner Struktur vorliegt. Solche Einschlusskörper bieten die Möglichkeit, das Produkt leicht von den restlichen Zellbestandteilen abzutrennen. Solche Proteine sind jedoch häufig in ihrer Tertiärstruktur gestört und in ihrer biologischen Wirkung eingeschränkt. In vielen Fällen gelingt es, das unlösliche Protein in die aktive, lösliche Form zurückzufalten. Beispiele für gentechnologisch hergestellte Proteine werden in Plus 20.8 aufgeführt.

704

Plus 20.8

●V

Beispiele für gentechnologisch erzeugte Proteine

Durch heterologe Expression werden heute zahlreiche menschliche Proteine und Proteine anderer Säuger produziert. Hierzu zählen Hormone wie Insulin, Somatotropin, Somatostatin, Relaxin, die Blutproteine Erythropoietin, Gewebeplasminogen-Aktivatorprotein, Blutgerinnungsfaktoren und die Urokinase, sowie Interferon, Lysozym, Interleukin und der Tumornekrosefaktor. Für die Herstellung von Impfstoffen werden Virusproteine der Erreger von Hepatitis A und B, Masern, Tollwut, Poliomyelitis und Grippe, sowie Oberflächenproteine der bakteriellen Erreger von Tetanus und Diphtherie durch rekombinante Mikroorganismen produziert. Daneben sind die Produktionswege für niedermolekulare Produkte wie Antibiotika und Cytostatika (S. 694) von Interesse mit dem Ziel, durch genetische Manipulation die Produktausbeute und -reinheit zu verbessern. Auch die Produktion von genetisch modifizierten Stämmen für Starterkulturen in der Lebensmittelindustrie stellt einen wichtigen Bereich der rekombinanten Biotechnologie dar. Starterkulturen sollen reproduzierbar einsatzfähig und möglichst langlebig sein. Ein wichtiger Faktor zur Stabilisierung solcher Kulturen ist die Entwicklung von virusresistenten Kulturen, die plötzliche Massenentwicklungen von Bakteriophagen oder Viren überstehen.

20.14 Produktion von Biomasse Mikroorganismen werden in großem Maßstab auch produziert, um sie als Lebens- oder Futtermittel zu verwenden (z. B. Hefen und Bakterien, Speisepilze). Auch wird Erde in großem Maßstab z. B. mit Rhizobien angeimpft („Impfmaterial“), um die Etablierung einer Symbiose zu erleichtern. Mikroorganismen dienen als Treibmittel in der Backwarenindustrie (Backhefe), als Starterkultur für die Bereitung von Sauermilch und Rohwurst usw. Probiotika werden als Nahrungsmittelzusätze produziert (Plus 19.3) (S. 646). Ansätze zur Herstellung von Futterhefen (Candida) auf der Grundlage der Sulfitablauge der Zellstoffindustrie gehen auf die 1930er-Jahre zurück (Sulfitablauge enthält verschiedene organische Stoffe des Holzes). Nachdem in Notzeiten auch in Mitteleuropa Eiweißhefe für den menschlichen Konsum erzeugt wurde, entwickelte man in den 1970er-Jahren mehrere Verfahren zur Massenproduktion von Einzellerprotein (engl. single cell protein). Als Substrate und Organismen wurden Petroleum und reine Kohlenwasserstoffe (Candida lipolytica), Wasserstoff plus Kohlendioxid (Ralstonia eutropha), Methanol (Methylomonas), Ethanol und hochwertige organische Verbindungen, die in der Synthesechemie als

Mikroorganismen im Dienste des Menschen: Biotechnologie Proteine in das Medium. Für die industrielle Synthese von Chemikalien haben sich zum größten Teil E. coli und Hefen wie Saccharomyces cerevisiae und Pichia pastoris durchgesetzt.

20.13.4 Vektoren Ein Vektor ist ein für die Klonierung von DNA-Fragmenten verwendetes DNA-Molekül, das amplifiziert und in Zellen übertragen werden kann. Zunächst wird die das gewünschte Protein codierende DNA in einen geeigneten Expressionsvektor (S. 211) ligiert: Hierfür werden auf dem Markt verschiedene Vektoren angeboten, die für eukaryontische oder prokaryontische Produktionsstämme spezifisch sind. Die Vektoren tragen verschiedene Marker, zumeist Gene für Antibiotikaresistenz, mit denen ihre Integration und Expression nachgewiesen werden kann. Die Effizienz der Produktbildung lässt sich durch die Auswahl eines geeigneten Promotors bestimmen, hinter den das Fremdgen kloniert wird.

20.13.5 Exoenzyme Viele technisch einsetzbare Enzyme sind Exoenzyme. Die Sekretion von produzierten Proteinen in das Außenmedium bietet den Vorteil, dass das Produkt leicht von den Zellen getrennt werden kann und letztere möglicherweise trägergebunden für viele Produktionsgänge eingesetzt werden können. Die weitere Präparation des Zielproteins sollte möglichst wenig Reinigungsaufwand erfordern. Deshalb ist es wünschenswert, dass der Produktionsstamm in einem möglichst einfachen, mineralischen Nährmedium ohne komplexe Zusätze wachsen kann. Solche Medien sind in der großtechnischen Anwendung preisgünstig und halten die Kosten des Downstream Processings niedrig.

20.13.6 Einschlusskörper Nicht immer können Proteine in intakter, katalytisch aktiver Form aus der prokaryontischen Produktionszelle ausgeschleust werden. Stattdessen akkumulieren sie oft in der Zelle und erschweren so eine Abtrennung und Reindarstellung des Produkts. Häufig bilden sich bei der Überproduktion von Proteinen sogenannte Einschlusskörper (engl. inclusion bodies), in denen das fremde Protein in stark verdichteter, parakristalliner Struktur vorliegt. Solche Einschlusskörper bieten die Möglichkeit, das Produkt leicht von den restlichen Zellbestandteilen abzutrennen. Solche Proteine sind jedoch häufig in ihrer Tertiärstruktur gestört und in ihrer biologischen Wirkung eingeschränkt. In vielen Fällen gelingt es, das unlösliche Protein in die aktive, lösliche Form zurückzufalten. Beispiele für gentechnologisch hergestellte Proteine werden in Plus 20.8 aufgeführt.

704

Plus 20.8

●V

Beispiele für gentechnologisch erzeugte Proteine

Durch heterologe Expression werden heute zahlreiche menschliche Proteine und Proteine anderer Säuger produziert. Hierzu zählen Hormone wie Insulin, Somatotropin, Somatostatin, Relaxin, die Blutproteine Erythropoietin, Gewebeplasminogen-Aktivatorprotein, Blutgerinnungsfaktoren und die Urokinase, sowie Interferon, Lysozym, Interleukin und der Tumornekrosefaktor. Für die Herstellung von Impfstoffen werden Virusproteine der Erreger von Hepatitis A und B, Masern, Tollwut, Poliomyelitis und Grippe, sowie Oberflächenproteine der bakteriellen Erreger von Tetanus und Diphtherie durch rekombinante Mikroorganismen produziert. Daneben sind die Produktionswege für niedermolekulare Produkte wie Antibiotika und Cytostatika (S. 694) von Interesse mit dem Ziel, durch genetische Manipulation die Produktausbeute und -reinheit zu verbessern. Auch die Produktion von genetisch modifizierten Stämmen für Starterkulturen in der Lebensmittelindustrie stellt einen wichtigen Bereich der rekombinanten Biotechnologie dar. Starterkulturen sollen reproduzierbar einsatzfähig und möglichst langlebig sein. Ein wichtiger Faktor zur Stabilisierung solcher Kulturen ist die Entwicklung von virusresistenten Kulturen, die plötzliche Massenentwicklungen von Bakteriophagen oder Viren überstehen.

20.14 Produktion von Biomasse Mikroorganismen werden in großem Maßstab auch produziert, um sie als Lebens- oder Futtermittel zu verwenden (z. B. Hefen und Bakterien, Speisepilze). Auch wird Erde in großem Maßstab z. B. mit Rhizobien angeimpft („Impfmaterial“), um die Etablierung einer Symbiose zu erleichtern. Mikroorganismen dienen als Treibmittel in der Backwarenindustrie (Backhefe), als Starterkultur für die Bereitung von Sauermilch und Rohwurst usw. Probiotika werden als Nahrungsmittelzusätze produziert (Plus 19.3) (S. 646). Ansätze zur Herstellung von Futterhefen (Candida) auf der Grundlage der Sulfitablauge der Zellstoffindustrie gehen auf die 1930er-Jahre zurück (Sulfitablauge enthält verschiedene organische Stoffe des Holzes). Nachdem in Notzeiten auch in Mitteleuropa Eiweißhefe für den menschlichen Konsum erzeugt wurde, entwickelte man in den 1970er-Jahren mehrere Verfahren zur Massenproduktion von Einzellerprotein (engl. single cell protein). Als Substrate und Organismen wurden Petroleum und reine Kohlenwasserstoffe (Candida lipolytica), Wasserstoff plus Kohlendioxid (Ralstonia eutropha), Methanol (Methylomonas), Ethanol und hochwertige organische Verbindungen, die in der Synthesechemie als

20.15 Umwelttechnologie Abfälle auftreten, erprobt. Die Grüne Revolution und die Optimierung agrarwirtschaftlicher Anbaumethoden haben die Weiterentwicklung relevanter Verfahren erübrigt. Allerdings lassen sich organische Abfälle chemisch leicht zu CO, H2 und CO2 konvertieren (Syngas). Neue Verfahren setzen auf die anaerobe Verwertung von Syngas zur Herstellung von einfacher Grundchemikalien, vor allem durch gentechnisch veränderte acetogene Bakterien.

20.15 Umwelttechnologie Die Mineralisation organischer Verbindungen ist die primäre Aufgabe der heterotrophen Bakterien und niederen Pilze in der Natur. Diese Funktion wird bei der Reinigung von Abwässern und der Beseitigung von Siedlungsabfällen genutzt. Wird ein sauberer Bach mit Abwasser belastet, lässt sich ein typischer Ablauf von mikrobiellen Prozessen beobachten (▶ Abb. 20.25). Infolge des aeroben Abbaus der eingetragenen organischen Substanz sinkt der Sauerstoffgehalt des Wassers sehr schnell und die Anzahl der suspendierten Bakterien steigt. Aus der organischen Substanz freigesetztes Ammoniak wird im weiteren Verlauf des Bachs zu Nitrat oxidiert, sobald der Gehalt an organischer Substanz einen gewissen Grenzwert unterschreitet und der Sauerstoffgehalt wieder zunimmt. Die Bakteriengemeinschaft wird durch bakterivore Protozoen abgeweidet, deren Zahl ebenfalls wieder abnimmt. Ammonium, Nitrat und Phosphat verursachen eine Massenentwicklung von grünen Pflanzen und Algen, die wiederum den Sauerstoffgehalt des Wassers erhöhen.

20.15.1 Abwasserreinigung

Abwasserreinigung im Belebtschlammverfahren Um die Inhaltsstoffe von häuslichem Abwasser vollständig zu oxidieren, ist eine intensive Belüftung notwendig, da der Sauerstoffgehalt des Wassers unter Luftsättigung bei 10 °C nur ca. 10 mg O2 pro Liter beträgt. Moderne Anlagen reinigen das Abwasser in der Regel in drei Schritten (▶ Abb. 20.26). 1. In einer ersten, ausschließlich mechanischen Reinigungsstufe werden größere Feststoffe durch Rechenanlagen abgefangen. Suspendiertes Material wird in Stillwassertanks sedimentiert oder durch Flotation bei leichter Belüftung an der Oberfläche abgefangen (z. B. Fette).

relative Konzentration

Eine Abwasserreinigungsanlage arbeitet im Prinzip wie die Mikrobengemeinschaft in einem Bach. Die Anlage verstärkt durch intensive Belüftung die Abbauaktivitäten der aeroben Mikroben und hält eine dichte, metabolisch vielseitige Gemeinschaft von Mikroorganismen für den

Abbau der organischen Belastung bereit. Moderne Abwasserbehandlungsanlagen oxidieren nicht nur die organische Fracht, sondern entfernen auch gebundenen Stickstoff und gelöstes Phosphat aus dem Wasser. Einige Begriffe der Abwassertechnologie werden in Plus 20.9 erklärt. Die Zusammensetzung eines typischen häuslichen Abwassers ist in ▶ Tab. 20.4 angegeben. Die organische Fracht umfasst hauptsächlich Kohlenhydrate, Proteine, Harnstoff und fettähnliche Bestandteile, darunter überwiegend Detergenzien aus Seifen, Wasch- und Spülmitteln. Die anorganischen Bestandteile gehen zum Teil auf die Nahrungsproduktion und auf Abschwemmungen von Oberflächen zurück. Unter den mikrobiellen Bestandteilen dominieren nichtpathogene Bakterien, z. B. Pseudomonaden, Proteus vulgaris, Bacillus cereus, Bacillus subtilis, Enterobacter cloacae und Zoogloea ramigera. Escherichia coli als Indikator fäkaler Verunreinigungen macht weniger als 1 % der gesamten bakteriellen Gemeinschaft aus. Echte pathogene Bakterien sind typischerweise nur in sehr geringer Zahl nachzuweisen.

O2

NO3– NH4+

Relative Biomasse

org. C

Abb. 20.25 Verschmutzung eines sauberen Bachs mit Abwasser. An der Stelle des Abwassereintrags (Pfeil) nimmt der Sauerstoff rapide ab: Organischer Kohlenstoff wird oxidiert, wobei Ammonium und später Nitrat als Folgeprodukte entstehen. Der aerobe Abbau ernährt zunächst Bakterien, sekundär Protozoen und schließlich grüne Pflanzen und Algen.

Grüne Pflanzen, Algen

Protozoen Bakterien Wegstrecke

5

20.15 Umwelttechnologie Abfälle auftreten, erprobt. Die Grüne Revolution und die Optimierung agrarwirtschaftlicher Anbaumethoden haben die Weiterentwicklung relevanter Verfahren erübrigt. Allerdings lassen sich organische Abfälle chemisch leicht zu CO, H2 und CO2 konvertieren (Syngas). Neue Verfahren setzen auf die anaerobe Verwertung von Syngas zur Herstellung von einfacher Grundchemikalien, vor allem durch gentechnisch veränderte acetogene Bakterien.

20.15 Umwelttechnologie Die Mineralisation organischer Verbindungen ist die primäre Aufgabe der heterotrophen Bakterien und niederen Pilze in der Natur. Diese Funktion wird bei der Reinigung von Abwässern und der Beseitigung von Siedlungsabfällen genutzt. Wird ein sauberer Bach mit Abwasser belastet, lässt sich ein typischer Ablauf von mikrobiellen Prozessen beobachten (▶ Abb. 20.25). Infolge des aeroben Abbaus der eingetragenen organischen Substanz sinkt der Sauerstoffgehalt des Wassers sehr schnell und die Anzahl der suspendierten Bakterien steigt. Aus der organischen Substanz freigesetztes Ammoniak wird im weiteren Verlauf des Bachs zu Nitrat oxidiert, sobald der Gehalt an organischer Substanz einen gewissen Grenzwert unterschreitet und der Sauerstoffgehalt wieder zunimmt. Die Bakteriengemeinschaft wird durch bakterivore Protozoen abgeweidet, deren Zahl ebenfalls wieder abnimmt. Ammonium, Nitrat und Phosphat verursachen eine Massenentwicklung von grünen Pflanzen und Algen, die wiederum den Sauerstoffgehalt des Wassers erhöhen.

20.15.1 Abwasserreinigung

Abwasserreinigung im Belebtschlammverfahren Um die Inhaltsstoffe von häuslichem Abwasser vollständig zu oxidieren, ist eine intensive Belüftung notwendig, da der Sauerstoffgehalt des Wassers unter Luftsättigung bei 10 °C nur ca. 10 mg O2 pro Liter beträgt. Moderne Anlagen reinigen das Abwasser in der Regel in drei Schritten (▶ Abb. 20.26). 1. In einer ersten, ausschließlich mechanischen Reinigungsstufe werden größere Feststoffe durch Rechenanlagen abgefangen. Suspendiertes Material wird in Stillwassertanks sedimentiert oder durch Flotation bei leichter Belüftung an der Oberfläche abgefangen (z. B. Fette).

relative Konzentration

Eine Abwasserreinigungsanlage arbeitet im Prinzip wie die Mikrobengemeinschaft in einem Bach. Die Anlage verstärkt durch intensive Belüftung die Abbauaktivitäten der aeroben Mikroben und hält eine dichte, metabolisch vielseitige Gemeinschaft von Mikroorganismen für den

Abbau der organischen Belastung bereit. Moderne Abwasserbehandlungsanlagen oxidieren nicht nur die organische Fracht, sondern entfernen auch gebundenen Stickstoff und gelöstes Phosphat aus dem Wasser. Einige Begriffe der Abwassertechnologie werden in Plus 20.9 erklärt. Die Zusammensetzung eines typischen häuslichen Abwassers ist in ▶ Tab. 20.4 angegeben. Die organische Fracht umfasst hauptsächlich Kohlenhydrate, Proteine, Harnstoff und fettähnliche Bestandteile, darunter überwiegend Detergenzien aus Seifen, Wasch- und Spülmitteln. Die anorganischen Bestandteile gehen zum Teil auf die Nahrungsproduktion und auf Abschwemmungen von Oberflächen zurück. Unter den mikrobiellen Bestandteilen dominieren nichtpathogene Bakterien, z. B. Pseudomonaden, Proteus vulgaris, Bacillus cereus, Bacillus subtilis, Enterobacter cloacae und Zoogloea ramigera. Escherichia coli als Indikator fäkaler Verunreinigungen macht weniger als 1 % der gesamten bakteriellen Gemeinschaft aus. Echte pathogene Bakterien sind typischerweise nur in sehr geringer Zahl nachzuweisen.

O2

NO3– NH4+

Relative Biomasse

org. C

Abb. 20.25 Verschmutzung eines sauberen Bachs mit Abwasser. An der Stelle des Abwassereintrags (Pfeil) nimmt der Sauerstoff rapide ab: Organischer Kohlenstoff wird oxidiert, wobei Ammonium und später Nitrat als Folgeprodukte entstehen. Der aerobe Abbau ernährt zunächst Bakterien, sekundär Protozoen und schließlich grüne Pflanzen und Algen.

Grüne Pflanzen, Algen

Protozoen Bakterien Wegstrecke

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Mikroorganismen im Dienste des Menschen: Biotechnologie

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Plus 20.9 Einige Spezialbegriffe der Abwassertechnologie Der biologische Sauerstoffbedarf (BSB; engl. BOD) ist ein Maß für die Menge an organischer und anorganischer Belastung eines Abwassers, die durch mikrobielle Aktivität oxidiert wird. Der Wert gibt an, wie viel Sauerstoff in einem Gewässer, z. B. einem Fluss oder See, durch den Abwassereintrag gezehrt würde. Der BSB wird in mg O2 pro Liter Abwasser angegeben und klassischerweise durch Inkubation des jeweiligen Abwassers mit einer gemischten Mikrobengemeinschaft, z. B. Belebtschlamm (s. u.), bestimmt. Die Sauerstoffaufnahme wird über 5 Tage unter standardisierten Bedingungen bestimmt (BSB5), wobei der erforderliche Sauerstoff kontrolliert nachgeliefert werden muss. Diese Aufgabe übernehmen automatische BSB-Bestimmungsanlagen, die den Sauerstoffgehalt konstant halten und die Menge des aufgenommenen Sauerstoffs dokumentieren.

Innerhalb dieser 5 Tage wird im Wesentlichen die organische Substanz oxidiert. Die Oxidation reduzierter Stickstoffverbindungen, vor allem Ammoniak, wird hierbei nicht erfasst. Häusliches Abwasser hat einen BSB5-Wert von 300–500 mg l–1, Abwässer aus der Papier- und Zellstoffindustrie, aus Brauereien, obstverarbeitenden Betrieben oder Schlachthöfen können BSB5-Werte von 10 000– 100 000 mg l–1 erreichen. Der chemische Sauerstoffbedarf (CSB) gibt für die vollständige chemische Oxidation der Inhaltsstoffe eines Abwassers zu CO2, z. B. durch Behandlung mit Chromschwefelsäure bei 160 °C, einen Wert in Sauerstoffäquivalenten an. Während der CSB die vollständige chemische Oxidation umfasst, beschränkt sich der BSB-Wert auf die biologisch vergleichsweise leicht abbaubaren Abwasserinhaltsstoffe.

Tab. 20.4 Eigenschaften eines häuslichen Abwassers und Anforderungen an die Qualität des abgegebenen Wassers. Eigenschaft

Komponente

Belastung

organische Belastung des Wassers

BSB Kohlenhydrate Proteine und Harnstoff Fette und Detergenzien als Feststoff suspendiert

300–550 mg·l–1 50 % 40 % 10 % ca. 30 % der organischen Substanz

anorganische Fracht

Phosphat Ammoniak und Nitrate

20 mg P l–1 80 mg N l–1

mikrobielle Bestandteile

Bakterienzellen, einschließlich: Zellen von Escherichia coli Zellen von pathogenen Bakterien niedere Pilze und Hefen

106–108 ml–1 104–106 ml–1 < 10 ml–1 103–105 ml–1

Anforderungen an gereinigtes Abwasser

BSB Gesamtstickstoff suspendierte Feststoffe Bakterienzellen Escherichia coli

< 20 mg·l–1 < 18 mg·l–1 < 30 mg·l–1 < 108 l–1 < 10 l–1

Schritt 1: mechanisch

Schritt 2: biologisch

Schritt 3: chemisch Zusatz von Fe, Al

Vorfluter

Rechen Flotation

Sandfang Sedimentation

ausgefälltes FePO4, AIPO4

Luft Belüftungsbecken Schlammrückführung

Überflussschlamm

Abb. 20.26 Ablaufschema einer mittelgroßen Kläranlage, die nach dem Belebtschlammverfahren arbeitet.

2. Der zentrale zweite Schritt einer wirksamen Abwasserbehandlung ist die biologische Reinigung, die heute in den meisten Anlagen nach dem aeroben Belebtschlammverfahren durchgeführt wird. Das mechanisch vorgereinigte Abwasser wird in einem speziellen

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Belüftungsbecken durch intensives Einblasen von Luft und gegebenenfalls zusätzliches Rühren reichlich mit Sauerstoff versorgt, wobei im Allgemeinen nur eine Luftsättigung von 10–40 % erreicht wird (▶ Abb. 20.27). Hierbei werden die gelösten und sus-

20.15 Umwelttechnologie

Abb. 20.27 Belebtschlammbecken der Zentralkläranlage Konstanz. (Aufnahmen Bernhard Schink, Konstanz) a Übersicht. Das Wasser wird radial von innen nach außen transportiert, die Belüftung erfolgt im mittleren Ring. b Belüftungsbecken. c Belebtschlammflocken bei schwacher Vergrößerung im Dunkelfeldmikroskop.

pendierten Inhaltsstoffe des Abwassers durch die komplexe mikrobielle Gemeinschaft um bis zu 99 % vermindert. Das behandelte Wasser und der Belebtschlamm, der hauptsächlich aus mikrobieller Biomasse besteht, werden im darauf folgenden Absetzbecken voneinander getrennt. 3. Das behandelte Wasser kann von hier aus unmittelbar an das nächste Oberflächenwasser, den Vorfluter, abgegeben werden. Gegebenenfalls müssen noch Stickstoff- oder Phosphatverbindungen in einer dritten, chemischen Reinigungsstufe entfernt werden. Die mikrobielle Biomasse setzt sich im Absetzbecken zumeist gut ab, und 70–95 % des Schlamms werden in das Belebtschlammbecken zurückgepumpt. Diese Schlammrückführung hat drei wesentliche Funktionen, die für eine zuverlässige Arbeit der Kläranlage unerlässlich sind: 1. Sie koppelt die Retentionszeit des Schlamms von der des Wassers ab. Während das Wasser im Mittel nur 4– 8 Stunden im Belebtschlammbecken verbleibt, bleibt der Belebtschlamm mehrere Tage im System. Dadurch können auch langsamwüchsige Mikroorganismen, die eventuell nur gelegentlich für die Oxidation spezifischer Abwasserbestandteile erforderlich sind, erhalten werden. 2. Sie hält die Gesamtbiomasse im Belebtschlammbecken und damit die Oxidationsaktivität auf einem hohen Niveau. Die Bakteriengemeinschaft ist insgesamt sehr „hungrig“ und die apparente Affinität des Schlamms für gelöste Substrate ist hoch (V0 = Vmax/KS) (S. 601). 3. Sie sorgt dafür, dass bevorzugt solche Organismen im System zurückgehalten werden, die sich im Absetzbecken leicht absetzen. Nichtsedimentierende, suspendierte Einzelzellen verlassen das System in den ersten Wochen nach Anfahren der Anlage. Insgesamt ist das Belebtschlammverfahren darauf angewiesen, dass die heranwachsende mikrobielle Biomasse im Absetzbecken leicht sedimentiert. Im Belebtschlamm sind neben Aggregaten aus kleineren Bakterienzellen einige fädige Bakterien und Protozoen, vor allem Ciliaten der Gattungen Paramecium und Vor-

ticella, vorhanden (▶ Abb. 20.27c). Diese Protozoen weiden überwiegend freischwimmende Bakterienzellen ab. Außerdem enthält der Belebtschlamm Rotatorien, Nematoden und gelegentlich Oligochaeten. Die Protozoen tragen wesentlich dazu bei, dass im Belebtschlamm solche Bakterien dominieren, die Aggregate bilden und mit dem Schlammmaterial leicht sedimentieren. Die Protozoen haben auch eine grundlegende Bedeutung für die Hygienisierung des Belebtschlamms und des Abwassers, da sie die Zahl eventuell vorhandener Pathogene und Escherichia coli als Indikator für Fäkalverunreinigungen reduzieren. Die Bakteriengemeinschaft im Belebtschlamm wird bestimmt von aggregatbildenden Vertretern von Zoogloea ramigera und ihren Verwandten, sowie von den fädigen Angehörigen der Gattungen Leucothrix und Thiothrix. Mittlerweile sind durch moderne Nachweisverfahren viele weitere Organismen im Belebtschlamm entdeckt worden (Plus 20.10). Der überschüssige Belebtschlamm wird gemeinsam mit dem sedimentierten organischen Material aus der mechanischen Reinigungsstufe im anaeroben Faulturm aus-

Plus 20.10

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Bakteriengemeinschaften im Belebtschlamm

Die Gesamtheit der vorhandenen Mikroorganismen ist sehr groß und die weitaus meisten dieser Organismen sind nie kultiviert worden. In den letzten Jahren wurden vor allem durch molekularbiologische Verfahren, bei denen Gensonden eingesetzt werden, eine Reihe Mikroorganismen im Belebtschlamm identifiziert, die dort offensichtlich wichtige Aufgaben erfüllen. Hierzu zählen Vertreter der Gattungen Paracoccus, Caulobacter, Hyphomicrobium, Nitrobacter, Nitrosospira, Acinetobacter, Sphaerotilus, Aeromonas, Pseudomonas, Cytophaga, Flavobacterium, Flexibacter, Arthrobacter, Corynebacterium, Nocardia u. a., zusammen mit einigen anaeroben Bakterien wie Clostridium, Lactobacillus und Staphylococcus.

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Mikroorganismen im Dienste des Menschen: Biotechnologie gefault. Dabei vermindert sich die Gesamtmasse und es entsteht ein lagerfähiges Produkt, das in begrenztem Umfang als Dünger in der Landwirtschaft oder für die Begrünung von Kulturflächen benutzt werden kann. Die mittlere Verweildauer des Schlammes im Faulturm beträgt 3– 5 Wochen bei 30–35 °C. Das dabei entstehende Biogas enthält 65–70 % Methan und 30–35 % CO2, zusammen mit Spuren von N2 und H2S. Mit einem Teil dieses Gases wird der Faulturm beheizt. Der größere Teil wird in Gasmotoren und angeschlossenen Generatoren zur Erzeugung von elektrischem Strom genutzt, um damit wenigstens einen Teil des Energieaufwands für die Belüftung der Belebtschlammbecken zu decken. Alternativen zum Belebtschlammverfahren sind für die Behandlung von Abwässern von kleinen Gemeinden sinnvoll, wo eine komplette, dreistufige Kläranlage mit Belebtschlammtechnik zu groß dimensioniert ist. Als Alternativen kommen Rieseltürme oder Rieselfelder infrage, über die das Abwasser verrieselt wird und die Inhaltsstoffe durch komplexe Mikroorganismengemeinschaften oxidiert werden, die dort auf Oberflächen dichte Biofilme bilden.

Entfernung von Stickstoff- und Phosphorverbindungen Auch nach Oxidation der organischen Fracht führen reduzierte Stickstoffverbindungen, vor allem Ammoniak, im Folgegewässer durch Oxidation zu einer Sauerstoffzehrung. Diesen Sauerstoffbedarf muss eine fortgeschrittene Abwassertechnik abfangen. Deshalb wird Ammonium noch in der Anlage, meist bereits im Belebtschlammbecken, zu Nitrat oxidiert (aerobe Nitrifikation) (S. 393). In einem Folgeschritt werden für eine anaerobe Nachbehandlung begrenzte Mengen organische Fracht, z. B. durch Einleitung eines kleinen Rohabwasserstroms, zugeführt, um Nitrat unter Ausschluss von Sauerstoff zu N2 zu reduzieren (anaerobe Denitrifikation) (S. 444). Eine neue Perspektive hat sich durch die Entdeckung der anaeroben Ammoniumoxidation (Anammoxreaktion) (S. 446) ergeben. Dieser Prozess kombiniert eine partielle Oxidation von Ammonium zu Nitrit mit der anschließenden Komproportionierung von Nitrit und weiterem Ammonium zu N2. Das Verfahren ist vielversprechend, jedoch technisch noch nicht ausgereift, zumal man die Anammoxbakterien bis heute nicht kultivieren kann und ihre Nährstoffansprüche nicht hinreichend kennt. Die Reduktion des Phosphatgehalts im behandelten Abwasser ist notwendig, um eine unerwünschte Eutrophierung im Folgegewässer zu vermeiden. In der traditionellen Technik wird Phosphat in der dritten, chemischen Reinigungsstufe durch Fällung mit leicht löslichen Eisenoder Aluminiumsalzen entfernt; es entstehen schwer lösliche Fe- bzw. Al-Phosphate. Da sehr geringe Phosphatkonzentrationen entfernt werden sollen, muss mit hohen

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Überschüssen an Fällmittel gearbeitet werden. Um die Effizienz des Fällungsvorgangs zu erhöhen, bedient man sich auch der Aktivität von phosphatspeichernden Bakterien, z. B. Acinetobacter und anderen, die bei ausreichender Sauerstoff- und Energieversorgung Phosphat als Polyphosphat in der Zelle speichern (Volutingranula) (S. 163). Die in der Zellmasse angereicherte Phosphatfracht kann mit der Biomasse entfernt oder in einem separaten Becken unter Sauerstoffausschluss freigesetzt und dann chemisch gefällt werden. Da die Zellen das Phosphat gegenüber dem Außenmedium um das 1000bis 100 000fache anreichern, hilft dieser Vorgang, den Aufwand für die chemische Phosphatfällung wesentlich zu mindern.

Primär anaerobe Abwasserbehandlung Nachdem das Belebtschlammverfahren für die Abwasserbehandlung in Nord- und Mitteleuropa flächendeckend etabliert worden war, ergab sich bald das Problem der Klärschlammentsorgung. Die Mengen an Klärschlamm können jedoch durch ein alternatives Verfahren, die primär anaerobe Behandlung, vermindert werden. Hierbei wird die organische Fracht zunächst anaerob zu Methan und CO2 vergoren. Vor allem bei hoch belasteten Abwässern bietet sich dieses Verfahren an, da sie besonders viel Biogas freisetzen. Neben der Gewinnung von Biogas ist die Menge des entstehenden Klärschlamms bei der primär anaeroben Behandlung geringer als bei dem aeroben Verfahren, weil die ATP-Ausbeute beim anaeroben Abbau deutlich niedriger ist als beim aeroben und deshalb wesentlich weniger Biomasse erzeugt wird. Ein weiterer Vorteil ist, dass der Belüftungsaufwand, der mit dem BSB-Gehalt des Abwassers steigt, bei dem anaeroben Verfahren entfällt. Es sind jedoch besondere Strategien notwendig, um die Biomasse in der Anlage zurückzuhalten (Plus 20.11). Das anaerob vorbehandelte Abwasser wird für die Oxidation von Ammonium und Sulfid aerob nachbehandelt (engl. polishing step). Zurzeit werden primär anaerobe Behandlungsanlagen auch für häusliche Abwässer entwickelt. Primär anaerobe Verfahren eignen sich auch für die Behandlung spezieller Industrieabwässer, deren Inhaltsstoffe bevorzugt reduktiv angegriffen werden, wie z. B. Azofarbstoffe, halogenierte Organika oder nitrosubstituierte Verbindungen. In anderen Fällen ist eine anaerobe Primärbehandlung aus technischen Gründen angezeigt: Phenole polymerisieren in Gegenwart von Sauerstoff zu schwer abbaubaren huminstoffähnlichen Derivaten, Detergenzien führen bei intensiver Belüftung im Belebtschlammbecken zur Entwicklung gewaltiger Schaummassen.

20.15 Umwelttechnologie

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Plus 20.11 Biomasserückhaltung bei der anaeroben Abwasserbehandlung Da anaerobe Bakterien zumeist deutlich langsamer wachsen als aerobe, erfordert die anaerobe Abwasserbehandlung prinzipiell andere Strategien der Biomasserückhaltung, um den Abwasserdurchsatz von der Wachstumsrate der Bakterien abzukoppeln. Hierzu wird die Biomasse durchweg auf Trägersystemen gebildet, die entweder fest gepackt a

b

Gas

Gas

c Gas Ablauf

Ablauf

Rückfluss

werden (Festbettreaktor, ▶ Abb. 18.28a) oder im Reaktorbett schweben (Schwebebettreaktor, (▶ Abb. 20.28b). Im anaeroben Schlammbettreaktor (engl. upflow anaerobic sludge blanket-(UASB-)Reaktor, ▶ Abb. 20.28c) aggregieren die Bakterienzellen zu Pellets von mehreren Millimetern Größe, die infolge Sedimentation im Reaktor zurückgehalten werden).

Abtrennbleche Schlammdecke

Abb. 20.28 Reaktortypen für die anaerobe Behandlung von hoch belasteten Abwässern. a Anaerober Filter, Festbett. b Schwebebett mit Rückflusszirkulation. c Upflow anaerobic Sludge Blanket(UASB-)Reaktor (anaerober Schlammbettreaktor).

Schlammbett Zulauf

Zulauf Zulauf

20.15.2 Kompostierung Die Kompostierung ist ein aerober Prozess der Biomasseoxidation, der mit deutlicher Wärmeentwicklung einhergeht und vor allem für die Behandlung von festen und halbfesten Haushalts- und Grünabfällen genutzt wird. In Komposthaufen oder in technischen Kompostierungsanlagen wird das organische Material durch Pilze und Bakterien oxidiert und erreicht dabei Temperaturen bis zu 80 °C. In der ersten Phase des Abbaus spielen Pilze zusammen mit vielen verschiedenen mesophilen Bakterien eine bedeutende Rolle. Mit steigender Temperatur (40– 60 °C) beginnen Arten von Thermoactinomyces, Micropolyspora und Thermomonospora zu dominieren, bei höheren Temperaturen (65–75 °C) dominieren Bacillus stearothermophilus, B. subtilis, B. licheniformis, Clostridium thermocellum und Thermus-Arten. Die Hitzeentwicklung ist ein Nebenprodukt der mikrobiellen Aktivität und spielt eine wichtige Rolle bei der Hygienisierung des entstehenden Komposts, wobei insbesondere pathogene Bakterien, Parasiten, Pilze und Wurmeier abgetötet werden. In der frühen Aufwärmphase bei 35–45 °C kann sich auch Aspergillus fumigatus entwickeln, dessen Sporen in hohem Maße allergen sind und für empfindliche Menschen Gesundheitsprobleme darstellen können. Es ist daher stets von Interesse, die Aufwärmphase des Komposts möglichst kurz zu halten. Dies wird in Kompostieranlagen durch thermische Isolierung und einen semikontinuierlichen Betrieb gewährleistet, bei dem jeweils das neu hinzukommende Material schnell erhitzt und intensiv beimpft wird.

Feste und halbfeste Abfälle können auch anaerob zu Methan und CO2 vergoren werden. Bei Trockenmassegehalten von mehr als 50 % ist eine Verbrennung ohne biologische Vorbehandlung sinnvoll.

20.15.3 Trinkwasserbehandlung Die Trinkwasserversorgung wird bei uns zu einem Großteil aus Grundwasser, zu einem geringeren Teil aus Oberflächenwässern gedeckt. Die Trinkwasseraufbereitung umfasst im Wesentlichen Filtrationen durch Sandfilter, in denen dichte Besiedlungen oligocarbophiler Bakterien Reste gelöster organischer Substanz abbauen. Durch Ozonierung werden gelöste Huminstoffe angegriffen und deren weiterer mikrobieller Abbau deutlich erleichtert. Bevor man das Wasser in das Trinkwassernetz einspeist, werden lebende Mikroorganismen durch Behandlung mit NaClO (Chlorierung) oder durch Ozonierung weitgehend abgetötet. Da diese Oxidationen aber auch gelöste organische Inhaltsstoffe des Wassers zu möglicherweise schädlichen Produkten aktivieren, erfolgt dieser abschließende Schritt erst, nachdem organische Inhaltsstoffe weitestgehend entfernt wurden.

20.15.4 Abluftreinigung Die Abluft aus Industriebetrieben, die in großem Umfang mit flüchtigen organischen Verbindungen umgehen, bedarf im Einzelfall der Reinigung. Zu den organischen Verbindungen gehören organische Lösungsmittel aus der Farbindustrie, flüchtige chlorierte Kohlenwasserstoffe

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Mikroorganismen im Dienste des Menschen: Biotechnologie aus chemischen Reinigungen und Entfettungsanlagen, Ethylen, das reifende Früchte in Lagerhäusern in großem Umfang abgeben, ebenso wie geruchsintensive Fettsäuregemische, die aus Massentierhaltungen freigesetzt werden. Zur Reinigung hat man zunächst Aktivkohle oder Bodensäulen benutzt, die die flüchtigen organischen Verbindungen adsorbieren sollten. Später stellte sich heraus, dass sich auf diesen Trägern Biofilme von Bakterien ansiedeln, die diese Verbindungen abbauen. Heute benutzt man durchströmte Betten mit synthetischen Trägermaterialien, Holz- oder Rindenschnitzeln, Torf oder Boden, durch die die belastete Luft nach vorheriger Befeuchtung geleitet wird. Der heranwachsende Biofilm wird durch höhere Organismen abgeweidet, wodurch sich ein Reinigen und Regenerieren der Bettsysteme weitgehend erübrigt.

20.15.5 Bodensanierung Infolge von Sorglosigkeit, Unachtsamkeit und Unfällen kommt es immer wieder zu massiven Einträgen von Fremdstoffen in den Boden, die eine Belastung für die weitere Nutzung bzw. eine Gefährdung für das Grundwasser darstellen. Alte Industriestandorte, unzureichend kontrollierte Müllkippen, Tankstellen, leckgeschlagene oder durchgerostete Öltanks sind die häufigsten Ursachen für massive Bodenverunreinigungen, die häufig erst erkannt werden, wenn bereits Folgeschäden wie eine Grundwasserverschmutzung eingetreten sind. Mehr als 50 % der aktuellen Bodenverschmutzungen in Deutschland sind durch Mineralöl und seine Derivate verursacht. Verunreinigungen beginnen typischerweise auf oder im Oberboden und sickern durch den ungesättigten Boden, bis sie die Grundwasserschicht erreichen. Abhängig von der Dichte der verunreinigenden Komponenten schwimmen diese entweder auf dem Grundwasser auf, lösen sich zu einem gewissen Anteil (vor allem niedermolekulare und aromatische Bestandteile, z. B. Benzol, Toluol, Xylol, Ethylbenzol), oder sinken, wie z. B. schwere Ölanteile, auf den Grund der wasserführenden Schicht. Für die Dekontamination eines solchen Standorts gibt es verschiedene Möglichkeiten. Man kann den Boden

weitgehend ungestört belassen und den Abbau der Kontaminanten der bodenständigen Mikrobiota überlassen (Natural Attenuation). Dies ist das kostengünstigste aber auch langwierigste Verfahren. Alternativ kann man den natürlichen Abbau vor Ort beschleunigen, indem man den natürlichen Abbauprozess durch Abpumpen und Rezirkulieren des Grundwassers nach entsprechender Zwischenbehandlung intensiviert und zugleich die Ausbreitung der Schadstofffahne eingrenzt (▶ Abb. 20.29). Eine weitere Möglichkeit ist, den kontaminierten Boden abzutragen, mit geeigneten Nährsalzen zu beaufschlagen und Mieten anzulegen, in denen durch Bewässerung und regelmäßige Durchmischung die mikrobielle Schadstoffoxidation gefördert wird. Als Alternativen zur vollständigen Beseitigung des jeweiligen Fremdstoffs kommt prinzipiell auch eine Inertisierung vor Ort infrage. Das als Sprengstoff bekannte Trinitrotoluol (TNT) wird im ungesättigten Boden nur langsam abgebaut. Unvollständige Reduktionen der Nitrogruppen leiten eine Polymerisation des TNT und seine Verknüpfung mit der organischen Bodenmatrix (Huminstoffe) ein, die zu einem stabilen, inerten und ungiftigen Folgeprodukt führt.

20.16 Metalllaugung und Renaturierung im Tagebau Die mikrobielle Oxidation und saure Extraktion von Eisensulfiden einschließlich des Pyrits wurde bereits in Kapitel 18 besprochen (Plus 18.16) (S. 628). In ähnlicher Weise können schwefeloxidierende Bakterien vom Typ Thiobacillus ferrooxidans auch Kupfersulfide oxidieren. Die Reaktionen laufen wie folgt ab: 2 Cu2S + 0,5 O2 + 2 H+ → 2 CuS + 2 Cu2 + + H2O 2 CuS + 4 O2 → 2 Cu2 + + 2 SO42– Fe0 + Cu2 + → Cu0 + Fe2 + Der erste Schritt, die Oxidation von Cu+ zu Cu2 + , wird ausschließlich mikrobiell katalysiert. Der zweite Schritt, die Oxidation von Sulfid zu Sulfat, wird teils mikrobiell und teils chemisch ermöglicht. Aus der sauren Lösung wird im dritten Schritt Cu2 + mithilfe von Eisenschrott als

Rieselturm Rezirkulation vorbeugende Infiltration

Grundwasserspiegel während Öl Pumpe Untergrund

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vor

der Behandlung

Abb. 20.29 Behandlung von ölverunreinigtem Boden durch Umpumpen von Grundwasser und bakterielle Reinigung des Wassers. Die vorbeugende Infiltration von frischem, nichtkontaminierten Wasser schützt den nichtkontaminierten Boden auf der linken Seite. Im Rieselturm findet die mikrobielle Oxidation der Fremdstoffe statt.

Mikroorganismen im Dienste des Menschen: Biotechnologie aus chemischen Reinigungen und Entfettungsanlagen, Ethylen, das reifende Früchte in Lagerhäusern in großem Umfang abgeben, ebenso wie geruchsintensive Fettsäuregemische, die aus Massentierhaltungen freigesetzt werden. Zur Reinigung hat man zunächst Aktivkohle oder Bodensäulen benutzt, die die flüchtigen organischen Verbindungen adsorbieren sollten. Später stellte sich heraus, dass sich auf diesen Trägern Biofilme von Bakterien ansiedeln, die diese Verbindungen abbauen. Heute benutzt man durchströmte Betten mit synthetischen Trägermaterialien, Holz- oder Rindenschnitzeln, Torf oder Boden, durch die die belastete Luft nach vorheriger Befeuchtung geleitet wird. Der heranwachsende Biofilm wird durch höhere Organismen abgeweidet, wodurch sich ein Reinigen und Regenerieren der Bettsysteme weitgehend erübrigt.

20.15.5 Bodensanierung Infolge von Sorglosigkeit, Unachtsamkeit und Unfällen kommt es immer wieder zu massiven Einträgen von Fremdstoffen in den Boden, die eine Belastung für die weitere Nutzung bzw. eine Gefährdung für das Grundwasser darstellen. Alte Industriestandorte, unzureichend kontrollierte Müllkippen, Tankstellen, leckgeschlagene oder durchgerostete Öltanks sind die häufigsten Ursachen für massive Bodenverunreinigungen, die häufig erst erkannt werden, wenn bereits Folgeschäden wie eine Grundwasserverschmutzung eingetreten sind. Mehr als 50 % der aktuellen Bodenverschmutzungen in Deutschland sind durch Mineralöl und seine Derivate verursacht. Verunreinigungen beginnen typischerweise auf oder im Oberboden und sickern durch den ungesättigten Boden, bis sie die Grundwasserschicht erreichen. Abhängig von der Dichte der verunreinigenden Komponenten schwimmen diese entweder auf dem Grundwasser auf, lösen sich zu einem gewissen Anteil (vor allem niedermolekulare und aromatische Bestandteile, z. B. Benzol, Toluol, Xylol, Ethylbenzol), oder sinken, wie z. B. schwere Ölanteile, auf den Grund der wasserführenden Schicht. Für die Dekontamination eines solchen Standorts gibt es verschiedene Möglichkeiten. Man kann den Boden

weitgehend ungestört belassen und den Abbau der Kontaminanten der bodenständigen Mikrobiota überlassen (Natural Attenuation). Dies ist das kostengünstigste aber auch langwierigste Verfahren. Alternativ kann man den natürlichen Abbau vor Ort beschleunigen, indem man den natürlichen Abbauprozess durch Abpumpen und Rezirkulieren des Grundwassers nach entsprechender Zwischenbehandlung intensiviert und zugleich die Ausbreitung der Schadstofffahne eingrenzt (▶ Abb. 20.29). Eine weitere Möglichkeit ist, den kontaminierten Boden abzutragen, mit geeigneten Nährsalzen zu beaufschlagen und Mieten anzulegen, in denen durch Bewässerung und regelmäßige Durchmischung die mikrobielle Schadstoffoxidation gefördert wird. Als Alternativen zur vollständigen Beseitigung des jeweiligen Fremdstoffs kommt prinzipiell auch eine Inertisierung vor Ort infrage. Das als Sprengstoff bekannte Trinitrotoluol (TNT) wird im ungesättigten Boden nur langsam abgebaut. Unvollständige Reduktionen der Nitrogruppen leiten eine Polymerisation des TNT und seine Verknüpfung mit der organischen Bodenmatrix (Huminstoffe) ein, die zu einem stabilen, inerten und ungiftigen Folgeprodukt führt.

20.16 Metalllaugung und Renaturierung im Tagebau Die mikrobielle Oxidation und saure Extraktion von Eisensulfiden einschließlich des Pyrits wurde bereits in Kapitel 18 besprochen (Plus 18.16) (S. 628). In ähnlicher Weise können schwefeloxidierende Bakterien vom Typ Thiobacillus ferrooxidans auch Kupfersulfide oxidieren. Die Reaktionen laufen wie folgt ab: 2 Cu2S + 0,5 O2 + 2 H+ → 2 CuS + 2 Cu2 + + H2O 2 CuS + 4 O2 → 2 Cu2 + + 2 SO42– Fe0 + Cu2 + → Cu0 + Fe2 + Der erste Schritt, die Oxidation von Cu+ zu Cu2 + , wird ausschließlich mikrobiell katalysiert. Der zweite Schritt, die Oxidation von Sulfid zu Sulfat, wird teils mikrobiell und teils chemisch ermöglicht. Aus der sauren Lösung wird im dritten Schritt Cu2 + mithilfe von Eisenschrott als

Rieselturm Rezirkulation vorbeugende Infiltration

Grundwasserspiegel während Öl Pumpe Untergrund

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vor

der Behandlung

Abb. 20.29 Behandlung von ölverunreinigtem Boden durch Umpumpen von Grundwasser und bakterielle Reinigung des Wassers. Die vorbeugende Infiltration von frischem, nichtkontaminierten Wasser schützt den nichtkontaminierten Boden auf der linken Seite. Im Rieselturm findet die mikrobielle Oxidation der Fremdstoffe statt.

20.17 Energieversorgung metallisches Kupfer ausgefällt. Auf diese Weise kann wertarmer Eisenschrott für die Gewinnung von hochwertigem Kupfer genutzt werden. Da Eisensulfide, vor allem Pyrit, häufig auch in den Deckschichten oberhalb von Kohle- und Braunkohlelagerstätten zu finden sind, werden sie mit dem Abraum umgeschichtet und damit dem Sauerstoff und der mikrobiellen Oxidation ausgesetzt. Die Folge sind gewaltige Einträge an schwefelsauren Oberflächen- und Grundwässern, z. B. im Bereich des Braunkohletagebaus in Mitteldeutschland. Nach Flutung der ehemaligen Tagebaulöcher sind die neu entstandenen Seen mit pH-Werten von 2–3 häufig stark sauer. Langfristiges Ziel der Renaturierung dieser Standorte ist die Ausfällung der Eisen- und Schwefelsäurefrachten dieser Wässer als Eisensulfide. Dazu sind große Mengen organischer Elektronendonatoren und anoxische Verhältnisse in den tiefen Wasserschichten erforderlich. Da sich die Primärproduktion im sauren Wasser nur sehr zögernd entwickelt, werden diese Renaturierungsmaßnahmen viele Jahrzehnte in Anspruch nehmen. In Modellexperimenten konnte man zeigen, dass die Neutralisierung eines solchen Gewässers durch Eintrag von externer organischer Substanz (z. B. Stroh) wesentlich beschleunigt wird. Auch aus Abwässern der Galvanisierungsindustrie können Schwermetalle durch Ausfällen mit mikrobiell produziertem Schwefelwasserstoff als Metallsulfide rückgewonnen werden.

Plus 20.12 Grenzen der Wasserstoffgewinnung durch Mikroorganismen Eine Vergärung von Biomasse mit Glucose als repräsentativem Ausgangssubstrat zu H2 und CO2 entsprechend der Gleichung C6H12O6 + 6 H2O → 12 H2 + 6 CO2 liefert unter Standardbedingungen –26 kJ pro mol Glucose. Es gibt keinen Organismus, der mit diesem geringen Energiebetrag die Umsetzung von 12 Elektronenpaaren zu 12 Wasserstoffmolekülen leisten kann und dabei noch wächst. Stattdessen beobachtet man im günstigsten Fall eine Vergärung der Glucose entsprechend der Gleichung C6H12O6 + 2 H2O → 2 CH3COOH + 2 CO2 + 4 H2. Diese Reaktion liefert pro mol Glucose ΔG0’ = –216 kJ, und auch diese Bilanz wird nur erreicht, wenn der Wasserstoffpartialdruck (S. 458) z. B. durch methanogene Partnerorganismen niedrig gehalten wird. Dennoch verbleiben bei dieser Vergärung zwei Drittel der Elektronen aus der Glucose im Acetat, aus dem sie durch Gärung nicht freigesetzt

20.17 Energieversorgung Steigende Ölpreise beleben immer wieder neu die Diskussion, in welchem Umfang Mikroorganismen zur Deckung unseres Energiebedarfs beitragen können. Die Gewinnung von Methan in Form von Biogas bei der anaeroben Behandlung von Abwässern und Abfällen wurde bereits erwähnt (S. 705). Der Vorteil der Methanbildung (S. 456) besteht darin, dass der größte Teil der Energie eines organischen Substrats, sofern es anaerob abbaubar ist, für eine spätere energetische Nutzung im Methan gebunden ist. Außerdem ist es als Gas leicht abzufangen. Dieser Aspekt limitiert für die Energiewirtschaft vor allem die technische Nutzung von gelösten Gärprodukten wie Ethanol. Durch Vergärung mit Hefen oder mit dem Bakterium Zymomonas mobilis wird im günstigsten Fall ein Alkoholgehalt von ca. 10 % (v/v) erreicht. Für die Destillation auf einen Alkoholgehalt von mehr als 90 % sind Energiemengen erforderlich, die nahezu in der gleichen Größenordnung liegen wie der Energiegehalt des gewonnenen Alkohols. Überdies können nur bestimmte Anteile der Biomasse, vor allem Zucker, Stärke und andere Polysaccharide (nach enzymatischer Vorbehandlung) zu Ethanol (S. 421) vergoren werden. Zwar ist die Ethanolausbeute aus spezifisch hierfür gezüchteten, zuckerreichen Erntepflanzen wie Zuckerrohr und Zuckerrüben günstiger, doch muss man für eine bilanzierende Bewertung dann auch den Energieaufwand für die landwirtschaftliche Produktion dieser Ausgangsmaterialien, sowie die strukturellen Aspekte einer auf Alkoholproduktion ausgelegten Landwirtschaft berücksichtigen.

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werden können. Erneut zeigt sich hier die Überlegenheit der Methanbildung, die die im Acetat festgelegten Elektronen quantitativ in Methan überführt. Eine fermentative Wasserstoffproduktion aus Biomasse wird also nur ein Drittel der rechnerisch verfügbaren Elektronen nutzen können. Die reale Ausbeute ist sogar deutlich schlechter. Als Alternative bietet sich eine Wasserstoffbildung durch phototrophe Bakterien, entweder durch Cyanobakterien oder durch anoxygene phototrophe Bakterien, an. Hierbei dient entweder die Nitrogenase oder die mit diesem Stoffwechsel assoziierten membranständigen Hydrogenasen als wasserstofffreisetzendes Enzymsystem. Trotz aufwendiger Forschung ist es jedoch bisher nicht gelungen, solche Mengen Wasserstoff auf diese Weise zu produzieren, die ein solches Verfahren wirtschaftlich auch nur annähernd diskutabel machen. Zukunftspläne zielen auf eine Kopplung des Photosystems mit membranständigen Hydrogenasen in zellfreien Reaktionssystemen ab, doch sind solche Systeme empfindlich und daher kurzlebig und eine Nutzung in großem Maßstab (unter strikt sterilen Bedingungen!) wohl unrealistisch.

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20.17 Energieversorgung metallisches Kupfer ausgefällt. Auf diese Weise kann wertarmer Eisenschrott für die Gewinnung von hochwertigem Kupfer genutzt werden. Da Eisensulfide, vor allem Pyrit, häufig auch in den Deckschichten oberhalb von Kohle- und Braunkohlelagerstätten zu finden sind, werden sie mit dem Abraum umgeschichtet und damit dem Sauerstoff und der mikrobiellen Oxidation ausgesetzt. Die Folge sind gewaltige Einträge an schwefelsauren Oberflächen- und Grundwässern, z. B. im Bereich des Braunkohletagebaus in Mitteldeutschland. Nach Flutung der ehemaligen Tagebaulöcher sind die neu entstandenen Seen mit pH-Werten von 2–3 häufig stark sauer. Langfristiges Ziel der Renaturierung dieser Standorte ist die Ausfällung der Eisen- und Schwefelsäurefrachten dieser Wässer als Eisensulfide. Dazu sind große Mengen organischer Elektronendonatoren und anoxische Verhältnisse in den tiefen Wasserschichten erforderlich. Da sich die Primärproduktion im sauren Wasser nur sehr zögernd entwickelt, werden diese Renaturierungsmaßnahmen viele Jahrzehnte in Anspruch nehmen. In Modellexperimenten konnte man zeigen, dass die Neutralisierung eines solchen Gewässers durch Eintrag von externer organischer Substanz (z. B. Stroh) wesentlich beschleunigt wird. Auch aus Abwässern der Galvanisierungsindustrie können Schwermetalle durch Ausfällen mit mikrobiell produziertem Schwefelwasserstoff als Metallsulfide rückgewonnen werden.

Plus 20.12 Grenzen der Wasserstoffgewinnung durch Mikroorganismen Eine Vergärung von Biomasse mit Glucose als repräsentativem Ausgangssubstrat zu H2 und CO2 entsprechend der Gleichung C6H12O6 + 6 H2O → 12 H2 + 6 CO2 liefert unter Standardbedingungen –26 kJ pro mol Glucose. Es gibt keinen Organismus, der mit diesem geringen Energiebetrag die Umsetzung von 12 Elektronenpaaren zu 12 Wasserstoffmolekülen leisten kann und dabei noch wächst. Stattdessen beobachtet man im günstigsten Fall eine Vergärung der Glucose entsprechend der Gleichung C6H12O6 + 2 H2O → 2 CH3COOH + 2 CO2 + 4 H2. Diese Reaktion liefert pro mol Glucose ΔG0’ = –216 kJ, und auch diese Bilanz wird nur erreicht, wenn der Wasserstoffpartialdruck (S. 458) z. B. durch methanogene Partnerorganismen niedrig gehalten wird. Dennoch verbleiben bei dieser Vergärung zwei Drittel der Elektronen aus der Glucose im Acetat, aus dem sie durch Gärung nicht freigesetzt

20.17 Energieversorgung Steigende Ölpreise beleben immer wieder neu die Diskussion, in welchem Umfang Mikroorganismen zur Deckung unseres Energiebedarfs beitragen können. Die Gewinnung von Methan in Form von Biogas bei der anaeroben Behandlung von Abwässern und Abfällen wurde bereits erwähnt (S. 705). Der Vorteil der Methanbildung (S. 456) besteht darin, dass der größte Teil der Energie eines organischen Substrats, sofern es anaerob abbaubar ist, für eine spätere energetische Nutzung im Methan gebunden ist. Außerdem ist es als Gas leicht abzufangen. Dieser Aspekt limitiert für die Energiewirtschaft vor allem die technische Nutzung von gelösten Gärprodukten wie Ethanol. Durch Vergärung mit Hefen oder mit dem Bakterium Zymomonas mobilis wird im günstigsten Fall ein Alkoholgehalt von ca. 10 % (v/v) erreicht. Für die Destillation auf einen Alkoholgehalt von mehr als 90 % sind Energiemengen erforderlich, die nahezu in der gleichen Größenordnung liegen wie der Energiegehalt des gewonnenen Alkohols. Überdies können nur bestimmte Anteile der Biomasse, vor allem Zucker, Stärke und andere Polysaccharide (nach enzymatischer Vorbehandlung) zu Ethanol (S. 421) vergoren werden. Zwar ist die Ethanolausbeute aus spezifisch hierfür gezüchteten, zuckerreichen Erntepflanzen wie Zuckerrohr und Zuckerrüben günstiger, doch muss man für eine bilanzierende Bewertung dann auch den Energieaufwand für die landwirtschaftliche Produktion dieser Ausgangsmaterialien, sowie die strukturellen Aspekte einer auf Alkoholproduktion ausgelegten Landwirtschaft berücksichtigen.

●V

werden können. Erneut zeigt sich hier die Überlegenheit der Methanbildung, die die im Acetat festgelegten Elektronen quantitativ in Methan überführt. Eine fermentative Wasserstoffproduktion aus Biomasse wird also nur ein Drittel der rechnerisch verfügbaren Elektronen nutzen können. Die reale Ausbeute ist sogar deutlich schlechter. Als Alternative bietet sich eine Wasserstoffbildung durch phototrophe Bakterien, entweder durch Cyanobakterien oder durch anoxygene phototrophe Bakterien, an. Hierbei dient entweder die Nitrogenase oder die mit diesem Stoffwechsel assoziierten membranständigen Hydrogenasen als wasserstofffreisetzendes Enzymsystem. Trotz aufwendiger Forschung ist es jedoch bisher nicht gelungen, solche Mengen Wasserstoff auf diese Weise zu produzieren, die ein solches Verfahren wirtschaftlich auch nur annähernd diskutabel machen. Zukunftspläne zielen auf eine Kopplung des Photosystems mit membranständigen Hydrogenasen in zellfreien Reaktionssystemen ab, doch sind solche Systeme empfindlich und daher kurzlebig und eine Nutzung in großem Maßstab (unter strikt sterilen Bedingungen!) wohl unrealistisch.

1

Mikroorganismen im Dienste des Menschen: Biotechnologie

Anode

Tab. 20.5 Typen von Biosensoren.

Kathode

e–

e–

org. C

H2O e– Bakterium O2

CO2 H+

Biologische Komponente

Transducer

Nachweis

immobilisierte Enzyme

potenziometrische Elektroden

NH4+, H+, CO2

Zellen

amperometrische Elektroden

O2+, H2

Antikörper

Transistoren

H+, NH3

Zellorganellen

Photomultiplier in Verbindung mit Faseroptik

Lichtemission, Lumineszenz

Photodioden mit lichtemittierenden Dioden

Lichtabsorption

semipermeable Membran Abb. 20.30 Prinzip einer biologischen Brennstoffzelle. Organische Substanz wird durch ein Bakterium zu CO2 oxidert. Die anfallenden Elektronen werden bei möglichst niedrigem Redoxpotenzial an eine Anode abgegeben, die sie schließlich an der Kathode auf den Sauerstoff überträgt.

Einer mikrobiellen Herstellung von Wasserstoff aus organischen Abfällen durch Gärung sind prinzipiell Grenzen gesetzt (Plus 20.12). Eine weitere Energiequelle wurde kürzlich wiederentdeckt: die Gewinnung elektrischer Energie aus der Verbindung des Redoxmilieus einer reduzierten tiefen Sedimentschicht mit dem des überstehenden luftgesättigten Wassers. Tatsächlich lässt sich mithilfe geeigneter Elektroden aus dieser Redoxpotenzialdifferenz elektrischer Strom abzapfen. Die erreichbare Spannung liegt allerdings deutlich unter 1 V und die Stromflüsse sind von der Oberfläche der verwendeten Elektroden abhängig, jedoch in jedem Fall gering (max. 4–7 W m–2 in Laboranlagen). Man kann auch Bakterien, z. B. Vertreter der Gattung Geobacter, gezielt auf Elektroden ansiedeln, an die sie Elektronen aus der Oxidation organischer Substrate abgeben. Die Nutzung derartiger mikrobieller Brennstoffzellen (▶ Abb. 20.30) kann aber nur lokal begrenzte Bedeutung haben.

20.18 Biosensoren Biosensoren werden vermehrt für die diskontinuierliche und kontinuierliche Messung von Prozessen in definierten Reaktorsystemen oder in der Umwelt angewendet. Ihr Grundprinzip ist die Kopplung einer biologischen oder biochemischen Reaktion an ein elektrisches oder optisches Signal, das anschließend elektronisch verstärkt und weitergeleitet werden kann. Die typischen Bauelemente eines Biosensors sind in ▶ Abb. 20.31 gezeigt. Der einfachste Typ eines Biosensors ist eine Elektrode, mit deren Hilfe die Glucosekonzentration in einem Reaktor gemessen werden kann. In diesem Fall wird die Reaktion

chemische Substanz

712

biologische Komponente

Signaltransducer

Verstärker

D-Glucose + O2 → D-Glucono-1,4-lacton + H2O2 durch Glucose-Oxidase (▶ Tab. 20.3) katalysiert, die an der Oberfläche des Sensors immobilisiert ist. Das entstehende Lacton wird schnell zu Gluconsäure hydrolysiert. Das Messsignal ist das gebildete Wasserstoffperoxid, das amperometrisch erfasst wird. Statt einer einzelnen Enzymreaktion können auch mehrere Enzyme miteinander zu einer Reaktionskette gekoppelt werden. In anderen Fällen können auch ganze Bakterienzellen, Antikörper oder Zellorganellen als Sensorsysteme in einen Biosensor eingebaut werden (▶ Tab. 20.5). Das Signal kann an verschiedene Formen von Transducern gekoppelt werden, die das jeweilige primäre biologische Signal in eine elektronisch erfassbare Form übersetzen und damit der weiteren Verarbeitung zugänglich machen. Der Vorteil von Biosensoren im Vergleich zu chemischen Sensoren ist ihre hohe Spezifität und die enorme Vielfalt biologischer Reaktionssysteme, die auf diese Weise für schnelle Analysen genutzt werden kann. Schwierigkeiten bestehen in einer geeigneten Immobilisierung des jeweiligen biologischen Sensorsystems, der Aufrechterhaltung seiner Stabilität über längere Operationszeiten, der Sicherung der Response-Stabilität, sowie in der Störung des Systems durch möglicherweise toxische Nebeneinflüsse aus dem Messsystem. Die neuen Entwicklungen auf dem Gebiet der Photo- und Optoelektronik und der elektronischen Datenverarbeitung haben die Anwendbarkeit von Biosensoren wesentlich erweitert.

20.19 Mikrobiologische Prozesskontrolle Die Herstellung von Feinchemikalien wie Antibiotika und andere Medikamente, Enzymen usw. wie auch große Teile der industriellen Lebensmittelproduktion erfolgt durch

elektronische Signalverarbeitung

Abb. 20.31 Bauelemente eines Biosensors.

Mikroorganismen im Dienste des Menschen: Biotechnologie

Anode

Tab. 20.5 Typen von Biosensoren.

Kathode

e–

e–

org. C

H2O e– Bakterium O2

CO2 H+

Biologische Komponente

Transducer

Nachweis

immobilisierte Enzyme

potenziometrische Elektroden

NH4+, H+, CO2

Zellen

amperometrische Elektroden

O2+, H2

Antikörper

Transistoren

H+, NH3

Zellorganellen

Photomultiplier in Verbindung mit Faseroptik

Lichtemission, Lumineszenz

Photodioden mit lichtemittierenden Dioden

Lichtabsorption

semipermeable Membran Abb. 20.30 Prinzip einer biologischen Brennstoffzelle. Organische Substanz wird durch ein Bakterium zu CO2 oxidert. Die anfallenden Elektronen werden bei möglichst niedrigem Redoxpotenzial an eine Anode abgegeben, die sie schließlich an der Kathode auf den Sauerstoff überträgt.

Einer mikrobiellen Herstellung von Wasserstoff aus organischen Abfällen durch Gärung sind prinzipiell Grenzen gesetzt (Plus 20.12). Eine weitere Energiequelle wurde kürzlich wiederentdeckt: die Gewinnung elektrischer Energie aus der Verbindung des Redoxmilieus einer reduzierten tiefen Sedimentschicht mit dem des überstehenden luftgesättigten Wassers. Tatsächlich lässt sich mithilfe geeigneter Elektroden aus dieser Redoxpotenzialdifferenz elektrischer Strom abzapfen. Die erreichbare Spannung liegt allerdings deutlich unter 1 V und die Stromflüsse sind von der Oberfläche der verwendeten Elektroden abhängig, jedoch in jedem Fall gering (max. 4–7 W m–2 in Laboranlagen). Man kann auch Bakterien, z. B. Vertreter der Gattung Geobacter, gezielt auf Elektroden ansiedeln, an die sie Elektronen aus der Oxidation organischer Substrate abgeben. Die Nutzung derartiger mikrobieller Brennstoffzellen (▶ Abb. 20.30) kann aber nur lokal begrenzte Bedeutung haben.

20.18 Biosensoren Biosensoren werden vermehrt für die diskontinuierliche und kontinuierliche Messung von Prozessen in definierten Reaktorsystemen oder in der Umwelt angewendet. Ihr Grundprinzip ist die Kopplung einer biologischen oder biochemischen Reaktion an ein elektrisches oder optisches Signal, das anschließend elektronisch verstärkt und weitergeleitet werden kann. Die typischen Bauelemente eines Biosensors sind in ▶ Abb. 20.31 gezeigt. Der einfachste Typ eines Biosensors ist eine Elektrode, mit deren Hilfe die Glucosekonzentration in einem Reaktor gemessen werden kann. In diesem Fall wird die Reaktion

chemische Substanz

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biologische Komponente

Signaltransducer

Verstärker

D-Glucose + O2 → D-Glucono-1,4-lacton + H2O2 durch Glucose-Oxidase (▶ Tab. 20.3) katalysiert, die an der Oberfläche des Sensors immobilisiert ist. Das entstehende Lacton wird schnell zu Gluconsäure hydrolysiert. Das Messsignal ist das gebildete Wasserstoffperoxid, das amperometrisch erfasst wird. Statt einer einzelnen Enzymreaktion können auch mehrere Enzyme miteinander zu einer Reaktionskette gekoppelt werden. In anderen Fällen können auch ganze Bakterienzellen, Antikörper oder Zellorganellen als Sensorsysteme in einen Biosensor eingebaut werden (▶ Tab. 20.5). Das Signal kann an verschiedene Formen von Transducern gekoppelt werden, die das jeweilige primäre biologische Signal in eine elektronisch erfassbare Form übersetzen und damit der weiteren Verarbeitung zugänglich machen. Der Vorteil von Biosensoren im Vergleich zu chemischen Sensoren ist ihre hohe Spezifität und die enorme Vielfalt biologischer Reaktionssysteme, die auf diese Weise für schnelle Analysen genutzt werden kann. Schwierigkeiten bestehen in einer geeigneten Immobilisierung des jeweiligen biologischen Sensorsystems, der Aufrechterhaltung seiner Stabilität über längere Operationszeiten, der Sicherung der Response-Stabilität, sowie in der Störung des Systems durch möglicherweise toxische Nebeneinflüsse aus dem Messsystem. Die neuen Entwicklungen auf dem Gebiet der Photo- und Optoelektronik und der elektronischen Datenverarbeitung haben die Anwendbarkeit von Biosensoren wesentlich erweitert.

20.19 Mikrobiologische Prozesskontrolle Die Herstellung von Feinchemikalien wie Antibiotika und andere Medikamente, Enzymen usw. wie auch große Teile der industriellen Lebensmittelproduktion erfolgt durch

elektronische Signalverarbeitung

Abb. 20.31 Bauelemente eines Biosensors.

20.20 Mikrobielle Schädlingsbekämpfung Reinkulturen unter mikrobiologisch strikt kontrollierten Bedingungen. Hier wird Kontaminationsfreiheit durch Kontrolle der Mikroorganismen gesichert. Ein ganzer Berufszweig der Mikrobiologie sichert durch Qualitätskontrolle die Güte der Produktionsverfahren und der Rohstoffe sowie die der Produkte. Zu den Kriterien gehören ja nach Fall Sterilität, Abwesenheit von Pathogenen, Endotoxinfreiheit, Lagerfähigkeit usw. Die Produktionsverfahren werden nach den international gültigen GMP-Richtlinien (GMP für engl. good manufacturing practice, gute Herstellungspraxis) geführt und streng überwacht. Diese Richtlinien dienen der Qualitätssicherung der Produktionsabläufe und -umgebung in der Produktion von Arzneimitteln und Wirkstoffen, aber auch von Kosmetika, Lebens- und Futtermitteln. In der pharmazeutischen Herstellung spielt die mikrobielle Qualitätssicherung eine besonders wichtige Rolle, denn Fehler können gesundheitliche Folgen haben. In anderen Industriezweigen, die aufgrund der Art ihrer Substratumsätze und ihrer Größe nicht steril durchgeführt werden können, z. B. in der Papierindustrie, kommt es darauf an, die mikrobielle Besiedlung gering zu halten, um Qualitätsmängel, z. B. Verfärbungen im Produkt infolge mikrobieller Pigmente, zu vermeiden. Das Wachstum von Mikroorganismen in den nährstoffreichen Celluloseaufschlämmungen kann durch geeignete Modifikationen der Prozessführung, Hitzeschritte, saure oder basische Zwischeninkubationen oder durch den Einsatz von Bioziden, die ihrerseits jedoch nur in geringem Umfang im Produkt verbleiben dürfen, eingeschränkt werden. Hier muss der Mikrobiologe eng mit dem Verfahrenstechniker zusammenarbeiten, um in jedem Einzelfall eine geeignete Lösung zu finden, um unerwünschte Anreicherungen zu unterbinden. Schließlich besteht bei biotechnischen Prozessen in offenen Systemen, wie der Abwasser- und Abfallbehandlung, die Herausforderung darin, die Randbedingungen so zu gestalten, dass die für die jeweiligen Reaktionsschritte erwünschten Organismen im System angereichert und stabil zurückgehalten werden.

20.20 Mikrobielle Schädlingsbekämpfung Auch zur Bekämpfung von Schädlingen in der Landwirtschaft können Mikroorganismen wirksam werden. Das bekannteste Beispiel ist Bacillus thuringiensis, ein aerober Sporenbildner, der ein für zahlreiche Insekten toxisches Protein (Bt-Toxin) produziert und in der Zelle kristallin anreichert. Dieses Protein wird im alkalischen Darmtrakt von Motten- und Schmetterlingslarven aktiviert und perforiert die Darmwand. Da Bienen und andere Nutzinsekten nicht betroffen werden, können B. thuringiensis und verwandte Arten, die andere Toxine produzieren, als Zellsuspension auch im Wein- und Obstbau gegen diverse Schadinsekten bzw. in Feuchtgebieten gegen Stechmücken eingesetzt werden. Es ist bereits gelungen, die Bt-Toxin-Gene in Tabakpflanzen zu exprimieren und damit die Pflanze mithilfe des bakteriellen Toxins gegen Schadinsekten zu schützen. Gegen andere Schädlinge werden gezielt Erreger von Insektenkrankheiten eingesetzt, z. B. Granuloseviren gegen Apfel- und Schalenwickler. Xenorhabdus nematophilus ist ein den Enterobakterien verwandtes, schwach biolumineszentes Bodenbakterium, das in jeweils spezifischer Assoziation im Darm bestimmter Nematoden lebt. Diese Nematoden befallen Insektenlarven, in denen sich die Bakterien schnell vermehren und den Wirtsorganismus durch spezifische Toxine abtöten, während eine neue Generation Nematoden heranwächst und sich anschließend eine neue Larve als Opfer sucht. An einer heterologen Expression der XenorhabdusToxine in Nutzpflanzen wird gegenwärtig gearbeitet. Für die Bekämpfung pilzlicher Erkrankungen kann man sich natürliche Antibiosen zwischen verschiedenen Pilzen zunutze machen. So setzt man Coniothyrium minitans gegen Sclerotinia sclerotiorum und S. minor ein, die Erreger von Stengelfäulniserkrankungen bei Raps und verschiedenen Gemüsepflanzen. Bacillus subtilis und andere Bacilli, sowie verschiedene Pseudomonas-, Streptomyces- und Erwinia-Arten fördern im Wurzelraum von Pflanzen deren allgemeine Widerstandsfähigkeit gegen Schadorganismen, z. B. durch die Produktion von Komplexbildnern für die Versorgung mit Eisen und Spurenelementen oder durch die Produktion von Pflanzenhormonen (z. B. Auxin). Natürlich tragen auch andere typische Bewohner des Wurzelraums inklusive Azospirillum, Azotobacter usw. sowie die Mykorrhizapilze durch verbesserte Nährstoffversorgung zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit von Pflanzen bei.

3

20.20 Mikrobielle Schädlingsbekämpfung Reinkulturen unter mikrobiologisch strikt kontrollierten Bedingungen. Hier wird Kontaminationsfreiheit durch Kontrolle der Mikroorganismen gesichert. Ein ganzer Berufszweig der Mikrobiologie sichert durch Qualitätskontrolle die Güte der Produktionsverfahren und der Rohstoffe sowie die der Produkte. Zu den Kriterien gehören ja nach Fall Sterilität, Abwesenheit von Pathogenen, Endotoxinfreiheit, Lagerfähigkeit usw. Die Produktionsverfahren werden nach den international gültigen GMP-Richtlinien (GMP für engl. good manufacturing practice, gute Herstellungspraxis) geführt und streng überwacht. Diese Richtlinien dienen der Qualitätssicherung der Produktionsabläufe und -umgebung in der Produktion von Arzneimitteln und Wirkstoffen, aber auch von Kosmetika, Lebens- und Futtermitteln. In der pharmazeutischen Herstellung spielt die mikrobielle Qualitätssicherung eine besonders wichtige Rolle, denn Fehler können gesundheitliche Folgen haben. In anderen Industriezweigen, die aufgrund der Art ihrer Substratumsätze und ihrer Größe nicht steril durchgeführt werden können, z. B. in der Papierindustrie, kommt es darauf an, die mikrobielle Besiedlung gering zu halten, um Qualitätsmängel, z. B. Verfärbungen im Produkt infolge mikrobieller Pigmente, zu vermeiden. Das Wachstum von Mikroorganismen in den nährstoffreichen Celluloseaufschlämmungen kann durch geeignete Modifikationen der Prozessführung, Hitzeschritte, saure oder basische Zwischeninkubationen oder durch den Einsatz von Bioziden, die ihrerseits jedoch nur in geringem Umfang im Produkt verbleiben dürfen, eingeschränkt werden. Hier muss der Mikrobiologe eng mit dem Verfahrenstechniker zusammenarbeiten, um in jedem Einzelfall eine geeignete Lösung zu finden, um unerwünschte Anreicherungen zu unterbinden. Schließlich besteht bei biotechnischen Prozessen in offenen Systemen, wie der Abwasser- und Abfallbehandlung, die Herausforderung darin, die Randbedingungen so zu gestalten, dass die für die jeweiligen Reaktionsschritte erwünschten Organismen im System angereichert und stabil zurückgehalten werden.

20.20 Mikrobielle Schädlingsbekämpfung Auch zur Bekämpfung von Schädlingen in der Landwirtschaft können Mikroorganismen wirksam werden. Das bekannteste Beispiel ist Bacillus thuringiensis, ein aerober Sporenbildner, der ein für zahlreiche Insekten toxisches Protein (Bt-Toxin) produziert und in der Zelle kristallin anreichert. Dieses Protein wird im alkalischen Darmtrakt von Motten- und Schmetterlingslarven aktiviert und perforiert die Darmwand. Da Bienen und andere Nutzinsekten nicht betroffen werden, können B. thuringiensis und verwandte Arten, die andere Toxine produzieren, als Zellsuspension auch im Wein- und Obstbau gegen diverse Schadinsekten bzw. in Feuchtgebieten gegen Stechmücken eingesetzt werden. Es ist bereits gelungen, die Bt-Toxin-Gene in Tabakpflanzen zu exprimieren und damit die Pflanze mithilfe des bakteriellen Toxins gegen Schadinsekten zu schützen. Gegen andere Schädlinge werden gezielt Erreger von Insektenkrankheiten eingesetzt, z. B. Granuloseviren gegen Apfel- und Schalenwickler. Xenorhabdus nematophilus ist ein den Enterobakterien verwandtes, schwach biolumineszentes Bodenbakterium, das in jeweils spezifischer Assoziation im Darm bestimmter Nematoden lebt. Diese Nematoden befallen Insektenlarven, in denen sich die Bakterien schnell vermehren und den Wirtsorganismus durch spezifische Toxine abtöten, während eine neue Generation Nematoden heranwächst und sich anschließend eine neue Larve als Opfer sucht. An einer heterologen Expression der XenorhabdusToxine in Nutzpflanzen wird gegenwärtig gearbeitet. Für die Bekämpfung pilzlicher Erkrankungen kann man sich natürliche Antibiosen zwischen verschiedenen Pilzen zunutze machen. So setzt man Coniothyrium minitans gegen Sclerotinia sclerotiorum und S. minor ein, die Erreger von Stengelfäulniserkrankungen bei Raps und verschiedenen Gemüsepflanzen. Bacillus subtilis und andere Bacilli, sowie verschiedene Pseudomonas-, Streptomyces- und Erwinia-Arten fördern im Wurzelraum von Pflanzen deren allgemeine Widerstandsfähigkeit gegen Schadorganismen, z. B. durch die Produktion von Komplexbildnern für die Versorgung mit Eisen und Spurenelementen oder durch die Produktion von Pflanzenhormonen (z. B. Auxin). Natürlich tragen auch andere typische Bewohner des Wurzelraums inklusive Azospirillum, Azotobacter usw. sowie die Mykorrhizapilze durch verbesserte Nährstoffversorgung zur Stärkung der Widerstandsfähigkeit von Pflanzen bei.

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Mikroorganismen im Dienste des Menschen: Biotechnologie

Zusammenfassung ●





Mikroorganismen können als Produzenten wertvoller Substanzen genutzt werden. Klassische Gärungsprozesse liefern Ethanol, Milchsäure und Propionsäure, die vor allem in der Lebensmitteltechnologie zur Konservierung genutzt werden. Demselben Zweck dient Essigsäure, die vornehmlich durch eine aerobe, unvollständige Oxidation produziert wird. Auch Citrat, Oxalat, Zuckersäuren und Zuckeralkohole können durch aerobe mikrobielle Fermentationsprozesse gewonnen werden. Mikroorganismen werden bevorzugt für die Synthese komplexer Verbindungen eingesetzt, deren Synthese auf rein chemischer Basis zu umständlich ist oder zu geringe Ausbeuten liefert. Dies gilt insbesondere für Verbindungen, die chirale Kohlenstoffatome enthalten (z. B. Aminosäuren oder Vitamine) oder stereospezifisch substituiert werden müssen (z. B. Steroide). Viele Mikroorganismen, darunter vor allem Streptomyceten und Pilze, produzieren in ihrem Sekundärstoffwechsel niedermolekulare Verbindungen, die andere Mikroorganismen hemmen oder abtöten (Antibiotika). Andere Bakterien, z. B. Enterobakterien, Milchsäurebakterien oder Bacilli, scheiden Polypeptide aus, die andere Bakterien abtöten (Bacteriocine).

Literatur zum Weiterlesen unter: www.thieme.de/literatur-fuchs

714







M ●

Durch gentechnische Veränderungen ist es möglich geworden, die Effizienz von mikrobiellen Produktionsvorgängen durch Rekombination und Kopplung mit geeigneten Promotoren deutlich zu erhöhen. Auch können Proteine aus Eukaryonten (z. B. Insulin, Rennin) oder Viren (für die Herstellung von Impfstoffen) auf diese Weise in hoher Reinheit und Ausbeute produziert werden. In der Umweltmikrobiologie leisten Mikroorganismen, vor allem Bakterien, wichtige Dienste in der Reinigung von Abwässern und Abluft, in der Sanierung von kontaminierten Böden oder der Aufbereitung von niederwertigen Metallerzen. Als Lieferant von technisch nutzbarer Energie ist die mikrobielle Vergärung von Biomasse zu Methan immer noch das erfolgreichste Verfahren, auch wenn andere Prozesse (Bioethanol, Biowasserstoff, Bioelektrizität) gegenwärtig mit großer Aktivität entwickelt werden.

© merydolla – Fotolia

Anhang

Thermodynamische Grundlagen des Stoffwechsels

716

Vocabularium

722

Sachverzeichnis

728

Anhang Thermodynamische Grundlagen des Stoffwechsels Berechnung von freien Reaktionsenergien Betrachten wir die Reaktion:

½Caktuell  ½Daktuell ½Aaktuell  ½Baktuell

ð21:23Þ

A+B → C+D



Die Gleichgewichtskonstante Keq ist das Maß für die Änderung der freien Energie einer Reaktion. Die Gleichgewichtskonstante ist definiert als

Unter diesen realen (aber immer noch idealisierten reversiblen) Bedingungen gilt für die Änderung der Freien Energie ΔG’ (pH = 7):

K eq ¼

½Ceq  ½Deq ½Aeq  ½Beq

Es sind die Konzentrationen (in mol/Liter, M), die erreicht werden, wenn die Reaktion ins Gleichgewicht (Equilibrium) gekommen ist (deshalb „eq“). Je größer der Wert, desto weiter liegt das Gleichgewicht auf der Produktseite und desto mehr Energie wird frei. Ist einer der Reaktanden Wasser, so wird die Konzentration (Aktivität) von Wasser = 1 gesetzt, die Berechnung gilt dann für wässrige Systeme. Die Änderung der Gibbs’schen Freien Energie ΔG einer Reaktion wird nur bestimmt durch die Gleichgewichtskonstante der Reaktion und die Temperatur. Wir verwenden dafür hier den vereinfachten Begriff Freie Energie (Gibbs’sche Freie Enthalpie). Unter Standardbedingungen ist die Änderung der Freien Energie ΔG0 (in kJ mol–1): ΔG0 = –RT lnKeq = ca. –5,7 logkeq (man beachte das Minuszeichen). Für die Umwandlung von ln in log gilt: ln = ca. 2,3 log. R = allgemeine Gaskonstante = 8,314 J K–1 mol–1 T = Temperatur in K, bei 25 °C Standardbedingung ist T = 298 K. Unter Standardbedingungen haben alle Reaktionspartner die Aktivität 1 oder liegen in einer Konzentration von annähernd 1 M vor. Temperatur und Druck bleiben bei der Umsetzung mit 298 K (isotherm) bzw. 1 bar (ca. 1 atm oder ca. 105 Pa) (isobar, Standardatmosphärendruck) konstant. Negative ΔG0-Werte = exergone Reaktion (das Gleichgewicht liegt rechts auf der Seite der Produkte). Positive ΔG0-Werte = endergone Reaktion (das Gleichgewicht liegt links auf der Seite der Substrate). Wird die Änderung der Freien Energie für pH = 7 (Protonenkonzentration also 10–7 M, nicht 1 M = pH 0) angegeben, verwendet man das Symbol ΔG0’. Für die Umrechnung von kJ in kcal gilt: 1 kcal = 4,18 kJ

716

Betrachten wir nun eine reale Situation, in der die Reaktanden nicht in einer Konzentration von 1 M (oder bei Gasen einem Druck von 1 bar) vorliegen. Dann gibt K die aktuellen Konzentrationen von A, B, C und D wieder, die man in dem betrachteten System (z. B. in der Zelle) gerade vorfindet, und nicht die Gleichgewichtskonzentrationen. Für K gilt:

ΔG’ = ΔG0’ + RT lnK (man beachte das Pluszeichen). In Lebewesen sind längere Stoffwechselwege aber nicht reversibel, sondern es tritt ein Verlust an nutzbarer Energie in Form von Wärmeenergie auf, der das System stets im thermodynamischen Ungleichgewicht und damit am Leben hält. Die obige Gleichung lässt sich auch auf den Transport einer Verbindung A anwenden, entsprechend der formalen Gleichung Aaußen → Ainnen. Im Gleichgewicht ist die Konzentration [A]innen = [A]außen, Keq = 1 und somit ist ΔG0 = 0. Für eine aktuelle Ungleichgewichtsituation gilt K¼

½Ainnen ½Aaußen

dann ist ∆G ¼ ∆G0 þ RTlnK ¼ 0 þ 5; 7 log

½Ainnen ½Aaußen

Kopplung von ATP-Synthese an den Energiestoffwechsel Ein energieliefernder Prozess kann einen energieverbrauchenden Prozess antreiben und ihn damit erst ermöglichen. Voraussetzung ist, dass ein Mechanismus existiert, der die beiden Prozesse aneinander koppelt. In der Zelle wird die freiwerdende Energie in Form von ATP oder einer energetisierten Membran (innen negativ geladen, außen positiv geladen) zwischengespeichert und kann so für energieverbrauchende Prozesse genutzt werden. Betrachten wir nun das ATP/ADP-System. Für die ATPSynthese gilt die Reaktion: ADP3– + H+ + HPO42– → ATP4– + H2O Bei der Betrachtung der Energetik der Reaktion gehen wir in drei Schritten vor. 1. Annahme eines reversiblen Prozesses unter Standardbedingungen, pH = 7. Unter diesen Bedingungen ist ΔG0’ + 32 kJ mol–1. 2. Annahme eines reversiblen Prozesses unter Bedingungen der aktuellen Konzentrationen der Reaktionspart-

Anhang ner in der Zelle und pH = 7. Wir gehen von folgenden zellulären Konzentrationen aus, wie man sie häufig antrifft: 0,01 M ATP, 0,001 M ADP, 0,01 M Phosphat. [H+] = 10–7 M (pH = 7) wurde bereits in ΔG0’ berücksichtigt. Für wässrige Systeme hat Wasser die Aktivität 1. Daraus errechnet sich ein ΔG’ + 50 kJ mol–1. Hier die Rechnung: ½ATP½H2 O ½ADP½Pi 

∆G’ ¼ ∆G0’ þRT ln

1

∆G’ ¼ þ 32kJ mol ∆G’ ¼ þ 32kJ mol

1

þ5;7log

0; 01  1 1 kJ mol 0; 001  0; 01

þ5;7log103 kJ mol

þ17 ;1kJ mol

1

1

¼ þ32kJmol

¼ ca : þ50kJ mol

1 1

3. Annahme eines irreversiblen (realen) Prozesses, zelluläre Konzentrationen der Substrate und Produkte, pH = 7. Der Wirkungsgrad der ATP-Synthese gibt den Energieanteil an, der in Form von ATP konserviert wird. Die Gesamtenergie, die im Energiestoffwechsel von Lebewesen freigesetzt wird (100 %), wird nur zu ca. 60 % in ATP-Energie überführt; 40 % der Energie geht als Wärme unwiederbringlich verloren. Für die ATP-Synthese unter realen Bedingungen gilt deshalb: 60 % = 50 kJ verbleiben im ATP, 40 % = ca. 30 kJ gehen als Wärmeenergie verloren. Die Synthese von ATP erfordert also ca. + 80 kJ mol–1. Das heißt, ein beliebiger Energiestoffwechselweg muss ca. –80 kJ Energie freisetzen, um 1 Mol ATP synthetisieren zu können. Wir lernen beim anaeroben Stoffwechsel aber Prozesse kennen, bei denen dieser Wirkungsgrad besser ist und wo weniger als 1 ATP pro Durchlauf gebildet wird. Da die ATP-Synthase ca. 4 H+ pro ATP verbraucht, ist das biologische Energieminimum einer Reaktion des Energiestoffwechsels erreicht, wenn gerade noch 1 H+ pro Reaktionsdurchlauf durch die Membran transportiert wird. Dazu sind ca. –20 kJ notwendig, entsprechend 1 H+- oder ¼ ATP-Äquivalent.

Abschätzung der möglichen ATPAusbeute im Energiestoffwechsel Wir haben eben abgeleitet, dass unter irreversiblen und zellulären Bedingungen die Synthese von 1 Mol ATP etwa + 80 kJ an Energie erfordert. Kennt man die Änderung der Freien Energie eines Energiestoffwechsels, kann man die Menge ATP grob abschätzen, die dabei theoretisch synthetisiert werden kann. Man muss den Betrag an Freier Energie, ΔG0’, des Stoffwechselwegs durch 80 kJ (entsprechend dem Energiebedarf für die Synthese von einer ATP-Einheit) dividieren. Hier einige Beispiele: Glucose → 2 Lactat– + 2 H+ (ΔG0’ = –200 kJ mol–1; ca. 2,5 ATP) Glucose + 6 O2 → 6 CO2 + 6 H2O (ΔG0’ = –2900 kJ mol–1; ca. 36 ATP)

3 Lactat– → 1 Acetat– + 2 Propionat– + 1 CO2 + 1 H2O (ΔG0’ = –170 kJ mol–1; ca. 2 ATP) In manchen Fällen ist die Abweichung der realen Werte (ΔG) von den Werten unter Standardbedingungen bei pH = 7 (ΔG0’) so gravierend, dass man die zellulären Konzentrationen der Reaktionspartner berücksichtigen muss, um nicht zu Fehlschlüssen zu kommen. Dies gilt immer dann, wenn die Anzahl der Produkte sich stark unterscheidet von der Anzahl der Substrate. So beträgt ΔG0’ für die Methanbildung aus CO2 und H2 (CO2 + 4 H2 → CH4 + 2 H2O) unter Standardbedingungen –131 kJ mol–1 Methan (mol Methan)–1, bei einem H2-Partialdruck von 10–4 bar (0,1 kPa) (alle anderen Gase haben einen Partialdruck von ~ 1 bar = ca. 100 kPa) aber nur –40 kJ. Auch die Energie eines Lichtprozesses lässt sich errechnen. Die freie Energie von 1 Mol Lichtquanten der Frequenz ν bzw. der Wellenlänge λ (ν λ = c) ist: ΔG0 = N h ν h ist das Planck’sche Wirkungsquantum = 6,626 × 10–34 Js N ist die Avogadro-Zahl = 6,02 × 1023.

Berechnung der freien Reaktionsenergie ΔG0 aus den Bildungsenergien der Reaktanden Von vielen Reaktanden-Verbindungen kennt man die Bildungsenergien ΔGB0, die freigesetzt (negatives Vorzeichen) oder aufgewendet werden müssen (positives Vorzeichen), um sie unter Standardbedingungen aus ihren Elementen zu bilden. Die Bildungsenergien für die Elemente selbst (also H2, O2, N2, C, S usw.) werden = 0 gesetzt, um die Berechnungen vergleichen zu können. Da der Energieerhaltungssatz gilt, ist die Summe der Bildungsenergien für die Substrate plus die Reaktionsenergie der Umsetzung zu den Produkten gleich der Summe der Bildungsenergien für die Produkte. Also: Σ ΔGB0 (Substrate) + ΔG0 (Reaktion) = Σ ΔGB0 (Produkte) ΔG0 (Reaktion) = Σ ΔGB0 (Produkte) – Σ ΔGB0 (Substrate) Anders als bei der Berechnung der Gleichgewichtskonstanten, bei der für wässerige Systeme die Aktivität von Wasser = 1 gesetzt wird und damit nicht berücksichtigt werden muss, muss das Wasser bei der Berechnung der Freien Energie aus den Bildungsenergien berücksichtigt werden! Ebenso müssen Protonen, die bei der Reaktion verbraucht oder gebildet werden, bei pH = 7 berücksichtigt werden. In ▶ Tab. 21.1 sind einige ΔGB0-Werte für charakteristische Moleküle zusammengetragen. Sie dienen als Grundlage für Berechnungen. Bei Redoxreaktionen (S. 718) kann man die beteiligten Reduktionsäquivalente erst einmal mit H2 formulieren. Die Umrechnung in das NADH/NAD+-System ist einfach. Die Korrektur für NADH/NAD+ erfolgt nach der NernstGleichung (s. u., mit einer Erklärung der hier verwendeten Werte). Bei pH = 7 setzt die Reduktion von NAD+ mit

7

Anhang Tab. 21.1 Einige ΔGB0-Werte. Molekül

ΔGB0 (kJ mol–1)

Molekül

ΔGB0 (kJ mol–1)

H 2O

–237,2

CH4

–50,75

Lactat–

–517,8

Methanol

–175,39

Acetat–

–369,4

Ethanol

–181,75

Propionat–

–361,1

Glycerin

–488,52

CO2

–394,4

Acetaldehyd

–139,9

D-Glucose

–917,2

NH3

–26,57

H+

–39,9*

NO3–

–111,34

Formiat–

–351,04

NO2–

–37,2

Butyrat–

–352,63

H 2S

–27,87

Pyruvat–

–474,63

HSO3–

–527,81

Glyoxylat–

–468,6

SO42–

–744,63

Gluconat–

–1128,3

Citrat3–

–1168,34

Malat2–

–845,08

2-Oxoglutarat2–

–797,55

D-Ribose

–757,3

Oxalacetat2–

–797,18

D-Fructose

–915,38

Fumarat2–

–604,21

Succinat2–

–690,23

n-Propanol

–175,81

n-Butanol

–171,84

Formaldehyd

–130,54

Aceton

–161,17

Glycerat–

–658,1

Glycerinaldehyd

–437,65

L-Alanin

–371,54

*Beachte: ΔG0 für pH = 7 (ΔG0’) muss bei Reaktionen, bei denen Protonen als Reaktionspartner beteiligt sind, berechnet werden unter Berücksichtigung der Protonen. Der ΔGB0-Wert für H+ (–39,9 kJ mol–1) gibt die Energie wieder, die frei wird, wenn 1 M H+ (pH = 0) auf 10–7 M H+ (pH = 7) verdünnt wird.

H2 zu NADH + H+ Energie frei, –18,14 kJ; die mit H2 errechneten Werte sind entsprechend zu korrigieren. Beispiel: Ethanol → Acetaldehyd + H2

(ΔG0’ = + 41,85 kJ mol–1)

H2 + NAD+ → NADH + H+

(ΔG0’ = –18,14 kJ mol–1)

Ethanol + NAD+

→ Acetaldehyd + NADH + H+ (ΔG0’ = + 23,71 [ + 41,85 – 18,14] kJ mol–1)

Hier als Rechenbeispiel die Propionsäuregärung aus Lactat: 3 Lactat- → 1 Acetat– + 2 Propionat– + 1 CO2 + 1 H2O ΔGB0-Werte: –3 (–517,8) → + 1(–369,4) + 2 (–361,1) + 1(–394,4) + 1(–237,2) kJ mol–1 ΔG0 (Reaktion) = Σ ΔGB0 (Produkte) – Σ ΔGB0 (Substrate): ΔG0’ ca. –170 kJ mol–1

Redoxreaktionen und Redoxpotenzial (Nernst-Gleichung) Biologische Redoxreaktionen und ihre Beschreibung Ein Reduktionsmittel (auch als Reduktans bezeichnet) ist im weitesten Sinne ein Stoff, der Elektronen abgibt. Er kann somit andere Stoffe reduzieren und wird dabei selbst oxidiert (Elektronendonator). Das Gegenteil von einem Reduktionsmittel ist ein Oxidationsmittel (auch

718

als Oxidans bezeichnet) (Elektronenakzeptor). Es ist im weitesten Sinne ein Stoff, der Elektronen aufnimmt und somit andere Stoffe oxidieren kann und dabei selbst reduziert wird. Viele Reaktionen in der Biologie sind mit einem Wechsel des Oxidationszustands der Reaktanden verbunden (Redoxreaktion). Man kann Redoxreaktionen als einen elektrochemischen Prozess auffassen und ihre Energetik anhand der Redoxpotenziale der Reaktanden beschreiben; Redoxpotenziale lassen sich nämlich experimentell viel leichter bestimmen als Gleichgewichtskonstanten. Auch organischen Substrat-/Produkt-Paaren lassen sich Redoxpotenziale zuordnen. Analog der Spannungsreihe der Elemente können biologische Substanzen ihrem Redoxpotenzial entsprechend zu einer Reihe geordnet werden (▶ Tab. 21.2). Das Redoxpotenzial E wird in Volt (V) oder Millivolt (mV) angegeben und ist ein quantitatives Maß für die Tendenz von Verbindungen oder Elementen, Elektronen abzugeben. Die Tendenz zur Elektronenabgabe wird relativ zu der des molekularen Wasserstoffs angegeben, der als Vergleichsstandard dient. Definitionsgemäß hat die Wasserstoffhalbzelle unter Standardbedingungen (1 bar H2, 1 M H+, also pH = 0) das Elektrodenpotenzial E0 = 0 V. Diese Referenzelektrode wird dargestellt durch eine bei pH = 0 mit Wasserstoff umspülte Platinelektrode, welche folgende Reaktion katalysiert: H2 → 2e– + 2 H+

Anhang Tab. 21.2 Redoxpotenziale von einigen wichtigen Elektronendonatoren und Elektronenakzeptoren. Redoxpaar (oxidierte/reduzierte Form)

E0’ (mV)

Redoxpaar (oxidierte/reduzierte Form)

E0’ (mV)

CO2/CO

–520

Oxalacetat2–/Malat2–

–172

SO42–/HSO3–

–516

Flavodoxin ox/red (E0’2)

–115

Acetyl-CoA + CO2/Pyruvat

–500

HSO3–/HS–

–116

CO2/Formiat

–432

Menachinon ox/red (MK)

–74

H+/H2

–414

APS/AMP + HSO3–

–60

S2O32–/HS– + HSO3–

–402

Rubredoxin ox/red

–57

Flavodoxin ox/red E0’1)

–371

Acrylyl-CoA/Propionyl-CoA

–15

Ferredoxin ox/red (E0’1)

–398

Glycin/Acetat– + NH4+

–10

NAD+/NADH

–320

2-Desmethylvitamin K2 ox/red

+ 25

Acetyl-CoA/Acetaldehyd

–290

S4O62–/S2O32–

+ 24

Cytochrom c3 ox/red

–290

Fumarat2–/Succinat2–

+ 33

–290

Ubichinon ox/red

+ 113

CO2

/Acetat–

S/HS–

–270

S3O62–/S2O32– + HSO3–

+ 190

CO2/CH4

–244

Crotonyl-CoA/Butyryl-CoA

+ 225

Glutathion GSSG/GSH

–230

NO2–/NO

+ 350

FAD/FADH2

–220

NO3–/NO2–

+ 433

Acetaldehyd/Ethanol

–197

Fe3 + /Fe2 +

+ 772

Pyruvat/Lactat

–190

O2/H2O

+ 818

FMN/FMNH2

–190

NO/N2O

+ 1175

Dihydroxyacetonphosphat/Glycerinphosphat

–190

N2O/N2

+ 1355

HSO3–/S3O62–

–173

Die Redoxpotenziale werden deshalb in der Literatur häufig angegeben als „gegen die Wasserstoffelektrode“ (VHE; für engl. versus hydrogen electrode). Für biologische Bedingungen sind aber nicht die Redoxpotenziale bei pH = 0 relevant, sondern man benötigt die Werte, die bei neutralem pH-Wert gelten. Bei pH = 7 ist das Potenzial der Wasserstoffelektrode E0’ = –414 mV (Begründung s. u.). Für technische Messungen verwendet man die einfachere Ag/AgCl2-Elektrode (E0 = + 196 mV) oder die Kalomel-(Hg/Hg2Cl2-)Elektrode (E0 = + 244 mV), in der Ag bzw. Hg in gesättigte KCl-Lösung tauchen und dabei Ag+ bzw. Hg+ bilden.

Betrachtung der Knallgasreaktion als Modell für die Atmung Das Beispiel der Knallgasreaktion spiegelt den Redoxprozess der aeroben Atmung wieder. Man kann sich die Atmungskette als elektrochemische Zelle vorstellen, die aus zwei Halbzellen besteht, der Halbzelle des Elektronendonators DH2 (H2) und der Halbzelle des Elektronenakzeptors A (O). DH2 + A → D + AH2, oder Dred + Aox → Dox + Ared. Die Reaktion H2 + 0,5 O2 → H2O

hat ein ΔG0’ von –237 kJ mol–1 (▶ Tab. 21.1), sie ist stark exergon. Die linke Halbzelle (H2/2 H+) hat das Elektrodenpotenzial E0’(1) = –414 mV (Erklärung s. u.) (S. 720). Elektronendonator (Reduktionsmittel DH2) ist hier H2: H2 → 2e– + 2 H+. Die rechte Halbzelle (H2O/½O2) hat das Elektrodenpotenzial E0’(2) = + 818 mV. Elektronenakzeptor (Oxidationsmittel A) ist hier O2: ½ O2 + 2e– + 2 H+ → H2O. Die Potenzialdifferenz ΔE0’ = E0’(2)–E0’(1) beträgt also + 818 – (–414) mV = + 1232 mV. Für den in der Zelle auf dem Niveau von NADH angelieferten Wasserstoff ist die Potenzialdifferenz etwas geringer: NADH + H+ + ½ O2 → NAD+ + H2O Redoxpotenzial: NADH/NAD+, E0’(1) = –320 mV Redoxpotenzial: H2O/½ O2, E0’(2) = + 818 mV Die Differenz (+ 818 mV – (–320 mV)) = + 1138 mV ist einer freien Energie ΔG0’ von –218 kJ mol–1 äquivalent. In analoger Weise lassen sich aus den Differenzen zwischen den Potenzialen der Elektronenüberträger der Atmungskette (▶ Tab. 21.2) die entsprechenden Energiebeträge errechnen, die frei werden, wenn eine Anzahl von n Elektronen diese Kette durchlaufen. Um die Energiebeträge zu berechnen, benötigt man den Zusammenhang zwischen

9

Anhang a E0 [Volt]

E0I H2

–0,4

E0I

b [Volt]

Abb. 21.1 Redoxpotenziale. a Abhängigkeit des auf das Potenzial des Wasserstoffhalbelements (n-H2-Elektrode) bezogenen Potenzials vom pH-Wert. Das Normalpotenzial E0’ ist für einige Verbindungen eingetragen. b Abhängigkeit des tatsächlichen Potenzials E’ zweier Redoxsysteme von den Konzentrationen der oxidierten und reduzierten Verbindungen.

–0,4

NADH NAD+/NADH –0,2

n H2Elektrode

Lactat FADH2 Succinat 1

2

3

4

5

6

–0,3

–0,2

PyruvatLactat

Cyt b

pH + 0,2

–0,1 Cyt c Cyt a

+ 0,4

0 0

+ 0,6

50

+ 0,8

O2

ΔG0 und ΔE0, der durch die Nernst-Gleichung beschrieben wird.

Nernst-Gleichung Für Standardbedingungen gilt für jedes der beiden Halbpaare (für jedes beliebige Substrat C formuliert) E 0 ðC Þ ¼

RT ½Cox  ln nF ½C  red

R = allgemeine Gaskonstante = 8,314 J K–1 mol–1 T = Temperatur in K, bei 25 °C Standardbedingung ist T = 298 K. n = Anzahl der übertragenen Elektronen in mol F = Faraday-Konstante = 96 487 J V–1 mol–1; der numerische Wert der Faraday-Konstante entspricht der freigesetzten Energie (in J), wenn 1 Mol Elektronen eine Spannungsdifferenz von 1 V durchlaufen [Cox] = Konzentration des oxidierten Reaktionspartners des Redoxsystems [Cred] = Konzentration des reduzierten Reaktionspartners Wir nehmen an, alle Reaktanden der Wasserstoffelektrode hätten die Aktivität 1, (entspricht annähernd 1 M), und oxidierte und reduzierte Stufe befänden sich in gleicher Konzentration. Für RT/F errechnet sich der Wert ca. 0,059 V mol. Sind Protonen an der Reaktion beteiligt: Cox + a H+ + n e– → Cred, dann gilt: E ¼ E0 ¼

720

100

Oxidation [%]

RT ½C  RT a ln ox þ ln½Hþ  ½Cred  nF nF

Für die Wasserstoffelektrode bei pH = 7 gilt dann: E ¼ 0 þ

2 0; 059 log½107  ¼ –414 mV 2

Das Potenzial der Wasserstoffelektrode (definitionsgemäß E0 = 0) bei pH = 7 ist also: E0’ = –414 mV. ▶ Abb. 21.1a veranschaulicht die Abhängigkeit des Potenzials der Wasserstoffhalbzelle vom pH-Wert.

Nernst-Gleichung für die zellulären Konzentrationen der Redoxpartner Das tatsächliche Potenzial eines Redoxsystems hängt von den Konzentrationen der oxidierten bzw. reduzierten Form der Reaktionspartner ab. Für solche Nicht-Standardbedingungen (aktuelle Konzentrationen) gilt analog zu ΔG: E’ ¼ Eo’ þ

½Cox aktuell RT ln nF ½Cred 

aktuell

E’ ¼ Eo’ þ

½C  0; 059 log ox aktuell n ½C 

red aktuell

Die Abweichungen der Redoxpotenziale E’ vom Standardwert E0’ können beachtlich sein. Für Ein-ElektronenÜbergänge verschiebt sich das Potenzial um ca. 60 mV, wenn das Konzentrationsverhältnis des Elektronenakzeptors A [Aox]/[Ared] bzw. des Elektronendonators D [Dox]/[Dred] nicht 1:1, sondern 10:1 (E0’ + 60 mV) oder 1:10 (E0’ –60 mV) ist. Für Zwei-Elektronen-Übergänge sind es 30 mV (▶ Abb. 21.1b).

Anhang

Redoxpotenzial als Maß für die maximale Nutzbarkeit oder für die Freie Energie ΔG0 einer Reaktion Betrachten wir nun die beiden Halbpaare zusammen als elektrochemische Zelle. Für eine Redoxreaktion mit reduziertem Donator Dred (Halbpotenzial E[1]0 ) und oxidiertem Akzeptor Aox (Halbpotenzial E[2]0 ) gilt: Dred + Aox → Dox + Ared; ΔE0 = E(2)0 – E(1)0 Aus der Differenz der Redoxpotenziale zweier miteinander reagierender Redoxsysteme ΔE0 lässt sich die freie Energie der Umsetzung ΔG0 errechnen nach: ΔG0 = –nF ΔE0 = –n × 96,5 × ΔE0 (kJ mol–1) (Nernst-Gleichung) von + 0,26 V entspricht –50 kJ; Für n = 2 folgt: von + 0,415 V entspricht –80 kJ. Das bedeutet, dass eine biologische Redoxreaktion, bei der 2 Elektronen (und zusätzlich 2 H+) übertragen werΔE0

den, ein ΔE0 von ca. + 0,4 V haben muss, um 1 ATP synthetisieren zu können. Für die oben besprochene Reaktion H2 + NAD+ → NADH + H+ beträgt ΔE0’ = 94 mV oder 0,094 V. Daraus errechnet sich ΔG0’ = –nF ΔE0 = –2 × 96 487 × 0,094 J V–1 mol–1 × V = –18,14 kJ mol–1. Für Nicht-Standardbedingungen mit den aktuell herrschenden Konzentrationen der Reaktanden gilt analog zu ΔG (25 °C): ∆E’ ¼ ∆E0 þ

½D  ½A  RT ln red aktuell ox aktuell nF ½Dox  ½A  aktuell

red aktuell

ΔE0

E’ ¼ ∆E0 þ

½D  ½A  0; 059 log red aktuell ox aktuell n ½D  ½A  ox aktuell

red aktuell

1

Anhang

Vocabularium

B

zur Erleichterung der etymologischen Ableitung für die verwendeten Fachausdrücke (E = englisch, F = französisch, G = griechisch, L = Latein)

bacillum L = Stäbchen baeo G = Zwerg bakterion G = kleiner Stab ballo, balle in G = werfen basis, base os G = Grundlage bdallo, bdallein G = melken, saugen bdella G = Blutegel benignus L = gütig, freundlich bifidus L = zweigeteilt, gespalten bini L = je zwei bioo, bioun G = leben bios G = Leben bis L = zweimal blepharon G = Augenlid, Wimper bolos G = Wurf bos, bovis L = Rind botulus L = Wurst, Darm bradys G = langsam brevis L = kurz

A aboriri (abortus) L = zugrundegehen (Frühgeburt) abortivus L = nicht zur vollen Entwicklung kommend accipio, accipere L = annehmen acetum L = Essig acidus L = sauer acr, acros G = Luft adhaereo, adhaerere L = anhaften adustus L = gebräunt, angebrannt aerugo L = Grünspan aes, aeris L = Erz aggrego, aggregare L = zugesellen, hinzunehmen agilis L = beweglich, schnell aktis, aktinos G = Strahl alekein G = abwehren algos G = Schmerz alias G = anders beschaffen amber E = Bernstein ambo L = beide amphi G = um, herum ampulla L = kleine Flasche amylon G = Stärke anabaino, anabainein G = aufsteigen anapleroo, anapleroun G = auffüllen, wieder(an)füllen angeion G = Gefäß annulo, annulare L = zunichte machen anthos G = Blume, Blüte anthrax G = Kohle, Brandbeule, Milzbrand anti G = gegen (als Vorsilbe) apex, apicis L = Spitze (eines Kegels) aphanizo, aphanizein G = unsichtbarmachen applanatus L = abgeflacht aqua L = Wasser arbor, arboris L = Baum arbuscula, arbusculae L = Bäumchen archaios G = ursprünglich armilla L = Armband arthron G = Glied askos G = Schlauch aspergillum L = Wedel zum Besprengen aspergo, aspergere L = besprengen aster G = Stern attenuare L = schwächen attraho, attrahere L = herbeiziehen aureus L = golden autos G = selbst auxano, auxanein G = vermehren axon G = Achse

722

C caedo, caedere L = fällen, töten cancer L = Krebs capsa L = Kasten, Kapsel carbo L = Kohle caseus L = Käse caulis L = Stengel, Stiel cereus L = aus Wachs, schmierig cerevisia L = Bier, Hefe chaite G = Haar, Borste cheo G = gießen chimaera L = flammenhauchendes Untier chimaira G = Ziege chiton G = Gewand chlamys G = Mantel, Kleid chloros G = hellgrün, bleich choane G = Trichter chondros G = Klumpen, Brei, Knorpel chroma G = Farbe chronos G = Zeit chrysos G = Gold chthon, onos G = Erde chytra G = Topf cilium L = Augenlid, Wimper cinereus L = aschgrau cinnabaris L = rote Farbe circino, circinare L = kreisförmig machen circulo, circulare L = kreisen circulus L = Kreis cisterna L = unterirdischer Wasserbehälter citrus L = Zitronenbaum classis L = Abteilung, Klasse clatratus L = vergittert

Anhang clavis L = Schlüssel coagulo, coagulare L = gerinnen lassen coccum L = Kern, Beere code F = Telegrammschlüssel coelum L = Himmel, Witterung colo, colere L = bewohnen color L = Farbe columella L = kleine Säule combinatio L = Vereinigung combino, combinare L = vereinigen communis L = gemeinschaftlich competo, competere L = wetteifern, zusammentreffen compleo, complere L = auffüllen confluo, confluere L = zusammenfließen coniungo, coniungere L = verbinden conservo, conservare L = bewahren consortium L = Gemeinschaft contamino, contaminare L = berühren, verderben convergo, convergere L = sich hinneigen cornutus L = gehörnt corrodo, corrodere L = zernagen cortex L = Rinde crassus L = dicht, dick cremor L = Schleim cribrum L = Sieb crista L = Kamm, Leiste cuticula, cuticulae L = Häutchen cutis, cutis L = Haut

D daktylos G = Finger deiknymi, deiknynai G = zeigen deleo, delere L = zerstören, vernichten deletio L = Vernichtung dendron G = Baum derma G = Haut deuteros G = der Zweite dexter L = rechts, rechter diagnosis G = Unterscheidung dicha G = zweigeteilt diktyon G = Netz diplous G = zweifach dis G = zweimal diskos G = Scheibe dispergo, dispergere L = zerstreuen, verbreiten dissolvens L = auflösend dissolvo, dissolvere L = auflösen, freimachen divarico, divaricare L = ausspreizen duro, durare L = härten, dauern dysenteria G = Ruhr

E edaphos G = Boden eikosi G = zwanzig ekleipo, ekleipein G = auslassen ektos G = außerhalb

endon G = innen enteron G = Eingeweide epi G = auf eremos G = leer, entblößt ergon G = Werk, Tat eruthros G = rot eu G = gut excido, excidere L = herausschneiden extra L = außerhalb

F facio, facere L = machen facultas L = Möglichkeit faex, faecis L = Bodensatz, Hefe fascio, fasciare L = umwickeln fermentum L = Hefe, Sauerteig ferrugineus L = eisenrostfarbig ferrum L = Eisen fertilis L = fruchtbar fervere L = kochen fervidus L = siedend, feurig fibra L = Faser figo, figere L = befestigen filum L = Faden, Gewebe fimbria L = Faden, Franse fimum L = Mist flecto, flectere L = biegen flos, floris L = Blume, Blüte fluctuatio L = Schwanken, Unstetigkeit fluctuo, fluctuare L = schwanken fluor L = Fluss, Strömung folliculus L = Ledersack, Lederschlauch forma L = Gestalt fuligo L = Ruß, Schwärze fulvus L = rotgelb fungus L = Pilz fusus L = Faden, Spindel

G galla L = Gallapfel gamos G = Heirat ganos G = Glanz gaster G = Magen generatio L = Erzeugung, Zeugung genesis G = Entstehung, Ursache genus L = Geschlecht, Art gigno, gignere L = erzeugen gignomai, gignesthai, gegona G = werden globo, globare L = runden, zu einem Haufen versammeln globus L = Kugel, Klumpen gloios G = klebrige Masse glomus, glomers L = Knäuel glykys G = süß gnosis G = Kenntnis gonos G = Spross gossypium L = Baumwolle

3

Anhang grandis L = groß grapho, graphein G = schreiben gratis L = umsonst gratuitus L = umsonst, unentgeltlich, gratis griseus L = grau gyne, gynaikos G = Frau gyros G = Ring, Kreis, rund, gerundet

H habitare L = wohnen haima G = Blut helix G = Drehung, Spirale helveticus L = schweizerisch helvus L = honiggelb hepta G = sieben hermaphroditos G = Zwitter herpeton G = kriechendes Tier heteros G = der andere von beiden heurisko, heiriskein G = finden hexadeka G = sechzehn hirsutus L = stachlig, struppig, schmucklos holos G = ganz homoios G = gleich, ähnlich hormao, horman G = in Bewegung setzen hyalos G = Glas hybrida L = Mischling hydor G = Wasser hymen G = dünne Haut hyper G = übermäßig (als Vorsilbe) hyphos G = Gewebe hypo G = unter (als Vorsilbe) hypothesis G = Vorschlag, Vermutung

I ictus L = Stoß immunis L = unversehrt, frei imperfectus L = unvollendet induco, inducere L = hineinführen, veranlassen infesto, infestare L = angreifen, gefährden inficio, inficere L = färben, vergiften inhalo, inhalare L = anhauchen, einatmen insero, inserere L = einfügen, einpfropfen insertio L = Einfügung, Einpfropfung integratio L = Wiederherstellung, Erneuerung intra L = innerhalb isos G = gleich

K kampylos G = gekrümmt, gebogen karpos G = Frucht karyon G = Nuss, Kern kata G = herab (als Vorsilbe) kephale G = Kopf

724

kineo, kinein G = bewegen klados G = Zweig kleio, kleiein G = schließen klino, klinein G = neigen koinos G = gemeinsam koleon G = Scheide kollybos G = kleine Münze konis G = Staub kopros G = Mist kormos G = Baumstamm koryne G = Keule, Stock krypto, kryptein G = verbergen kyanos G = blaue Farbe kybernao G = steuern, lenken kybos G = Würfel kyklos G = Kreis kyon G = Hund kystis G = Blase kytos G = Höhlung, Zelle

L labor, labi L = gleiten, fallen lacrima, lacrima L = Träne laevus L = links, linker lampros G = hell, klar lateo, latere L = verborgen sein latus L = breit latus, lateris L = Seite legnon G = Borte, Rand leichen G = Moos, Flechte leptos G = fein, dünn letalis L = tödlich leukos G = weiß lignum L = Holz ligo, ligare L = binden, verbinden limicola L = Schlammbewohner limne G = See, Teich, Sumpf limus L = Schlamm lino, linere L = bedecken, bestreichen lipos G = Fett, Talg, Öl lithos G = Stein lobos G = Lappen logos G = Wort, Lehre, Vernunft lophos G = Hügel, Helmbusch, Haarschopf lumen, luminis L = Licht, Leuchte, lichte Weite luna L = Mond lux L = Licht lyo, lyein G = lösen

M macero, macerare L = mürbe machen, schwächen malignum L = böswillig, gefährlich marcesco, marcescere L = faul werden, vermodern matrix, matricis L = Muttertier, Mutterboden

Anhang megas G = groß meio G = verringern meion G = weniger mel, mellis L = Honig melas G = schwarz meninx G = Häutchen mensa L = Tisch mergo, mergere L = versenken merismos G = Teilung meros G = Teil mesos G = der Mittlere meta G = (als Vorsilbe) bedeutet: Veränderung migro, migrare L = wandern mikros G = klein mitos G = Faden mixis G = Vermischung mobilis L = beweglich monile L = Halsband monos G = allein, einzeln morphe G = Gestalt mucor L = Schimmel, Moder multus L = viel, zahlreich murus L = Mauer, Wand mutatio L = Veränderung, Wechsel muto, mutare L = verändern, wechseln mutuus L = wechselseitig mykes G = Pilz myon G = Muskel myxa G = Schleim

N nanus L = Zwerg nato, natare L = schwimmen neco, necare L = töten necto, nectere L = knüpfen nekros G = Toter, Leichnam nema G = Faden neura G = Sehne nidulor, nidulans L = ein kleines Nest bauend nidus L = Nest niger L = schwarz nodosus L = knotig nomos G = Gesetz noto, notare L = kennzeichnen novellus L = neu novus L = neu nucleus L = Kern

O occultus L = verborgen ochros G = bleich, gelb oculus L = Auge oikos G = Haus, Haushalt okto G = acht

oligos G = wenig oma G = Geschwulst omnis L = ganz, jeder onkos G = Anschwellung, Geschwulst oon G = Ei operator L = Arbeiter, Verrichter operor, operari L = arbeiten, beschäftigt sein opsis G = das Sehen organon G = Werkzeug, Organ oryza L = Reis oscillum L = Schaukel osmos G = Stoß, Antrieb ouron G = Urin

P pagus L = Ort, Bezirk pallidus L = bleich paluster L = sumpfig panus L = Geschwulst par L = gleich, ähnlich parasitos G = Schmarotzer paro, parare L = (zu)bereiten partior, partiri L = teilen parvus L = klein pathos G = Leid, Leiden patior, pati L = dulden pecten L = Kamm pelos G = Schlamm pente G = fünf perficio, perficere L = vollenden peri G = herum permeo, permeare L = hindurchgehen perone G = Nadel petra G, L = Fels phagein G = essen phaino, phainein G = zeigen phaios G = grau, bräunlich phero, pherein G = tragen philos G = Freund phleos G = Schilf phobeo, phobein G = erschrecken phormos G = Korb phos, photos G = Licht phthora G = Zerstörung phykos G = Seetang phylIon G = Blatt physis, physeos G = Natur, Wuchs phyton G = Pflanze pikros G = scharf, bitter pilum L = Speer, Wurfspieß pilus L = Haar pino, pinein G = trinken pix, picis L = Pech planes G = wandern plankton G = das Umhergetriebene

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Anhang planus L = flach, eben plaque F = Platte, Schild plasma G = Gebilde platto, platte in G = formen, bilden pleko, plekein (plektos) = flechten (geflochten) pleura G = Seite, Flanke plico, plicare L = falten pneuma G = Hauch pneumonia G = Lungenkrankheit poieo, poiein G = machen, bewirken, hervorbringen pollen L = feines Mehl polos G = Drehpunkt polys G = viel populus L Volksmenge, Bevölkerung potens L = mächtig, bewirkend pous, podos G = Fuß prodigiosus L = unnatürlich, Wunder promotor L = Vermehrer promoveo, promovere L = vergrößern, vorwärts bringen pros G = hinzu (als Vorsilbe) prostheka G = Anhängsel proteus G = griech. Gottheit (gestaltwandelnder Meergreis) protos G = der erste pseudo, pseudein G = täuschen psittakos G = Papagei psychros G = kalt, kühl purpureus L = purpurfarben putidus L = faul, morsch pyon G = Eiter pyr, pyros G = Feuer pyren G = Kern

Q quasi L = als ob quintus L = der Fünfte

R racemus L = Beere, Traube radius L = Stab, Strahl radix L = Wurzel rami ger L = Zweige tragend ramus L = Ast, Zweig re- L = zurück-, wiederreciprocus L = zurückkehrend, zurückwirkend reduplicatio L = Verdopplung, Wiederholung repello, repellere L = zurückstoßen replicatio L = das Zurückfalten, Wiederholung reprimo, reprimere L = zurückdrängen, hemmen resisto, resistere L = widerstehen restringo, restrictus, restringere L = beschränken reticulum L = kleines Netz retro L = zurück reverto, revertere L = zurückkehren

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rhage G = Riss rhiza G = Wurzel rhodon G = Rose rivus L = Bach ruber, rubrum L = rot rufus L = rot rugosus L = faltig rumen L = Pansen rumino, ruminare L = wiederkäuen

S sacculus L = kleiner Sack saeptum L = Gehege, Verzäunung sal L = Salz saliva L = Speichel salivarius L = schleimig sapros G = verfault sarcina L = Bündel, Gepäck sarcos G = Fleisch schizo, schizein G = spalten secale L = Getreide (eine Art) segregatio L = Absonderung, Trennung segrego, segregare L = absondern, trennen selene G = Mond semi L = halb sensus L = Sinn, Gefühl sentio, sentire L = fühlen, merken sepo, sepein G = faulen lassen sexus L = Geschlecht sideros G = Eisen situs L = Lage, Stellung skleros G = hart, rauh skopeo, skopein G = betrachten skotos G = Finsternis, Dunkel socius L = Gefährte solidus L = gediegen, massiv solitus L = gewöhnlich solvo, solutus L = lösen, gelöst soma G = Körper sordes L = Schmutz soros G = Behälter, Haufen species L = Art, Erscheinung speira G = Windung sphaira G = Kugel spira L = Windung sporos G = Saat staphyle G = Traube stear G = Talg stele G = Säule stereos G = fest, hart, räumlich sterigma G = Stütze sterilis L = unfruchtbar sto, stare L = stehen stolo L = Wurzelspross stoma G = Mund

Anhang stratum L = Schicht strepho, strephein G = drehen stringo, stringere L = zusammenziehen strobilos G = Wirbel, Kreisel stroma G = Unterlage, Lager, Teppich stylos G = Pfeiler, Stütze styptikos G = verstopfend submergo, submergere L = versenken, untertauchen substerno (substratus) L = unterlegt (ausgebreitet) subtilis L = fein, dünn sucinum L = Bernstein sucus L = Saft sulfur G = Schwefel suppleo, supplere L = auffüllen, ergänzen suppressor L = Unterdrücker, Verhehler supprimo, supprimere L = zurückhalten, unterdrücken suspendo, suspendere L = aufhängen symbiosis G = Zusammenleben syn G = zusammen mit synecho, synechein G = zusammenhalten, geschlossenhalten to screen E = durchsieben

trepho G = ernähren trepo, trepein G = wenden, drehen trichos G = Haar (s. thrix) trope G = Wechsel, Wende trophe G = Nahrung tropos G = Richtung, Wendung tuber L = Höcker, Beule tubulus L = kleine Röhre tumor L = Geschwulst turbo, turbare L = verwirren typhos G = Fieber typos G = Gepräge, Form

U ubique L = überall ultra L = jenseits undula L = kleine Welle uredo L = Brand an Gewächsen uro, ustus L = (ver)brennen, verbrannt utilis L = nützlich uva L = Traube

T

V

tachys G = schnell tardus L = langsam, träge taxis, taxeos G = Ordnung, Aufstellung teichos G = Mauer telos G = Ende tempero, temperare L = mäßigen, mäßig sein tenax L = hartnäckig, fest tenuis L = zart, fein terminator L = Beendiger tettares G = vier thallos G = grüner Zweig thamnos G = Busch, Strauch theion G = Schwefel theke G = Kasten, Kiste therion G = Tier thermos G = warm thrix, trichos G = Haar thuringiensis L = thüringisch thylakos G = Sack tithemi, tithenai G = setzen, stellen, legen tolero, tolerare L = ertragen tolype G = Knäuel tomaculum L = Wurst tome G = Schnitt tonos G = Spannung topos G = Ort, Gegend toxikon (pharmakon) G = Pfeilgift (Heilmittel) transeo, transire L = (hin)übergehen transfero, translatus, transferre L = übertragen transitio L = Hinübergehen, Übergang transpono, trans- ponere L = hinübersetzen treis, tria G = drei tremo, tremere L = zittern

valeo, valere L = wert sein, gelten vermögen vario, variare L = verändern varius L = verschieden, bunt ventriculus L = kleiner Bauch venus L = Schönheit, Reiz versi-color L = buntfarben, schillernd versus L = geändert verto, vertere L = wenden vesicula L = Bläschen vinosus L = weinartig viridesco, viridescere L = grün werden viridis L = grün virulentus L = giftig virus L = Gift, Saft viscidus L = klebrig, zäh vitis L = Rebe vitreus L = gläsern vitrum L = Glas vivus L = lebend, lebendig volumen L = Rolle, Wirbel voluto, volutare L = wälzen, drehen voro, vorare L = verschlingen

X xylon G = Holz

Z zoon G = Lebewesen zyme G = Hefe, Sauerteig zygos G = Joch, Zweigespann, Brücke

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