Allgemein- und Viszeralchirurgie I: Allgemeinchirurgie - Common Trunk [3 ed.] 3437247050, 9783437247057

Die neue Auflage des renommierten Standardwerks: Alles, was der Facharzt Allgemein- und Viszeralchirurgie wissen muss

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Allgemein- und Viszeralchirurgie I: Allgemeinchirurgie - Common Trunk [3 ed.]
 3437247050, 9783437247057

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Allgemein- und Viszeralchirurgie I Allgemeinchirurgie – Common Trunk 3. NEU BEARBEITETE AUFLAGE

H. Becker P.M. Markus

Inhaltsverzeichnis

Copyright Zuschriften an: Elsevier GmbH, Urban & Fischer Verlag, Hackerbrücke 6, 80335 München E-Mail: Anschriften der Herausgeber Em. o. Univ.-Prof. Dr. med. Heinz Becker Ehem. Direktor der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie Universitätsmedizin Göttingen Robert-Koch-Str. 40 37075 Göttingen Prof. Dr. med. Peter M. Markus, Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Unfallchirurgie, Elisabeth-Krankenhaus Essen, Klara-Kopp-Weg 1, D-45138 Essen Wichtiger Hinweis für den Benutzer Die Erkenntnisse in der Medizin unterliegen laufendem Wandel durch Forschung und klinische Erfahrungen. Herausgeber und Autoren dieses Werkes haben große Sorgfalt darauf verwendet, dass die in diesem Werk gemachten therapeutischen Angaben (insbesondere hinsichtlich Indikation, Dosierung und unerwünschter Wirkungen) dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Das entbindet den Nutzer dieses Werkes aber nicht von der Verpflichtung, anhand weiterer schriftlicher Informationsquellen zu überprüfen, ob die dort gemachten Angaben von denen in diesem Werk abweichen, und seine Verordnung in eigener Verantwortung zu treffen. Für die Vollständigkeit und Auswahl der aufgeführten Medikamente übernimmt der Verlag keine Gewähr. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden in der Regel besonders kenntlich gemacht ( ® ). Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann jedoch nicht automatisch geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Alle Rechte vorbehalten 3. neu bearbeitete Auflage 2015 © Elsevier GmbH, München Der Urban & Fischer Verlag ist ein Imprint der Elsevier GmbH. 15 16 17 18 19  5 4 3 2 1 Für Copyright in Bezug auf das verwendete Bildmaterial siehe Dieses Buch enthält auch Links auf externe Webseiten Dritter. Auf die Inhalte dieser Webseiten haben wir keinen Einfluss, da es sich nicht um unsere eigenen Inhalte handelt. Für die Richtigkeit der über die Links erreichbaren Inhalte ist der jeweilige Anbieter verantwortlich. Wir übernehmen daher keine Garantie für deren Richtigkeit, Vollständigkeit und Aktualität. Eine Überprüfung der Inhalte der von uns verlinkten externen Seiten ohne tatsächliche und konkrete Anhaltspunkte für einen Rechtsverstoß leisten wir nicht. Falls uns aber entsprechende Hinweise bekannt werden, werden wir unverzüglich eine Überprüfung, soweit möglich, einleiten und die dabei erzielten Ergebnisse bei Neuauflagen berücksichtigen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Um den Textfluss nicht zu stören, wurde bei Patienten und Berufsbezeichnungen die grammatikalisch maskuline Form gewählt. Selbstverständlich sind in diesen Fällen immer Frauen und Männer gemeint. Planung: Dr. Martina Braun Lektorat: Alexander Gattnarzik, Karin Kühnel, Susanne Szczepanek Redaktion: Doris Tiu, Bonn Herstellung: Petra Laurer, Andrea Mogwitz, München Satz: abavo GmbH, Buchloe/Deutschland; TnQ, Chennai/Indien Druck und Bindung: Drukarnia Dimograf, Bielsko-Biała/Polen Umschlaggestaltung: SpieszDesign, Neu-Ulm Titelbild: Heinz Becker, Göttingen ISBN Print 978-3-437-24705-7 ISBN e-Book 978-3-437-16982-3 Aktuelle Informationen finden Sie im Internet unter und

Vorwort zur 3. Auflage Den chirurgischen Ahnherren der K.-H.Bauer-/F.-Linder-Schule in respektvoll dankbarer Erinnerung und Wertschätzung. „Irgend etwas muß dem Menschen heilig sein. Beim Chirurgen ist es die Anzeigenstellung zur Operation.“ (K.-H. Bauer) Das Lehrbuch „Viszeralchirurgie“ folgte in der ersten und zweiten Auflage dem Bedürfnis, die ehemalige Allgemeinchirurgie auch als Spezialdisziplin darzustellen. Den Herausgebern war es gelungen, aus ihren Chirurgenschulen Autoren zu verpflichten und diese durch weitere Verfasser zu ergänzen, wo zusätzliche Expertise erforderlich war. Das Einbeziehen von begleitenden Fachgebieten wie Gefäßchirurgie, Thoraxchirurgie, aber auch Plastischer und Kinderchirurgie zeigte jedoch auch, welche vielfältigen Herausforderungen die Herausgeber für künftige Viszeralchirurgen sahen. Das Buch wurde zum Standardwerk und war schnell vergriffen. Aus der Wiederaufnahme der Allgemeinchirurgie in unsere Berufsbezeichnung folgte die Anforderung an die 3. Auflage, die allgemeinchirurgische Basis des Fachgebiets Viszeralchirurgie in einem getrennten Band abzubilden. Mit dem vorliegenden Band I wurde dieses Anliegen umgesetzt; hier finden sich auch Inhalte aus dem Bereich der Viszeralchirurgie, die nach unserer Auffassung bereits im Common Trunk vermittelt werden sollten. Die speziellen Operationstechniken sind Gegenstand des zweiten Bands der Neuauflage. Wir hoffen, dass das Werk damit den angehenden Chirurgen Orientierung für die Inhalte und die Struktur ihrer Facharztausbildung bietet. Die erneute Weitergabe in der Herausgeberschaft trägt dem Bestreben nach einer kontinuierlichen Weiterentwicklung des Fachgebiets Rechnung. Auch die Herausgeber der 3. Auflage sehen sich in der Tradition der K.-H.-Bauer-Schule und sind bestrebt, deren besondere Inhalte weiterzuvermitteln. Dazu gehören die Durchführung einer Chirurgie auf streng wissenschaftlicher Basis und ein hohes Maß an Selbstreflexion hinsichtlich der Operationsausführung und einer erfolgreichen, immer angemessenen Operationstechnik. Nicht zuletzt ist die Verantwortung für die Operationsindikation durch präoperative Diagnostik und Risikoanalyse Basis einer vertrauensvollen Arzt-Patienten-Beziehung. In allen Kapiteln wird deshalb der Bedeutung der Operationsindikation besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Unser Dank geht an die ehemaligen Herausgeber H.-D. Röher und A. Encke für ihre Initiative zur Weiterreichung einer sinnvollen Tradition und für das von ihnen vorgelebte ärztliche Verhalten. Die Erweiterung der Herausgeberschaft durch P.M. Markus (Band I) und B.M. Ghadimi (Band II) steht auch für die Generationenfolge in unserem Fachgebiet und damit für eine Erneuerung, welche die Aktualität dieses Werks gewährleistet. Wir danken allen bisherigen und neuen Autoren für den unproblematischen Übergang und ihr Engagement trotz Zeitdruck und Ablenkungen von ihrer täglichen Aufgabe. Unser Dank gilt dem Verlag für die Projektverwirklichung, der Lektorin Frau M. Braun für die Planung, Herrn A. Gattnarzik für Projektmanagement und -koordination und Frau D. Tiu für die Redaktion. Göttingen, im September 2014 Für die Herausgeber: Heinz Becker

Aus dem Vorwort zur 1. Auflage Andauernde Wandlung in Kenntnisverbreiterung und -vertiefung ist Triebkraft einer sich ständig weiterentwickelnden Spezialisierung in der Medizin. Mit ihren Wurzeln in der wissenschaftlichen Hochschulmedizin ndet die Spezialisierung nach Entwicklung, Bewährung und Anerkennung Eingang in die breite Versorgungsmedizin. Daher entspricht es einer generellen Erwartung, dass herausgehobene Leistungen vom „Spezialisten“ erbracht und in Anspruch genommen werden. – Den umfassend ausgebildeten, allen Indikationsstellungen und operativen Leistungsanforderungen genügenden Chirurgen gibt es längst nicht mehr. Dem hat u. a. auch die seit dem 95. Deutschen Ärztetag, 1992 in Köln, novellierte Weiterbildungsordnung Rechnung getragen und das Gebiet „Chirurgie“ zwar als Basis- bzw. Kernfach beibehalten, jedoch um die Schwerpunkte Gefäß-, Thorax-, Unfall- und als neuesten die „Viszeral-Chirurgie“ ergänzt. Der Allgemeinchirurg (im Anglo-Amerikanischen: general surgeon), zu dessen zentralem Aufgabengebiet der neu denierte Schwerpunkt gehört, erfährt nunmehr als nachdrückliche Betonung seines herausgehobenen Leistungsspektrums die Möglichkeit zur Ausweisung als „Spezialist“. Dieses zieht zwangsläug eine Denition der Inhalte des Schwerpunktes Viszeralchirurgie nach sich, die auch eine neue partnerschaftliche Abstimmung der Zuständigkeiten mit den Kollegen der fachlichen Nachbarbereiche verlangt. Die Herausgeber wollen dem jungen Kollegen, der Weiterbildung und Spezialisierung anstrebt, mit dem vorliegenden Buch die zusammenfassende Darstellung der „Viszeralchirurgie“ als Werkzeug zur Orientierung über detaillierte fachliche Kenntnisanforderungen der Allgemein- und Viszeralchirurgie einschließlich ihrer Randgebiete an die Hand geben. An Umfang und Inhalt orientierte Richtlinien zum Wissenserwerb sind zugleich ein Instrument der Qualitätssicherung ärztlicher Berufsausübung und sollen gewährleisten, dass die erworbene Qualikation nicht in Frage gestellt werden kann. Die Abfassung der Kapitel wurde mit dem speziellen Augenmerk auf Erfahrung und Praxisrelevanz von Mitarbeitern zweier Universitätskliniken geleistet, deren chirurgisches Handeln maßgeblich und richtungweisend durch gemeinsame Wurzeln in der K. H. Bauer-F. Linder-Schule geprägt ist. Damit wurde bewusst auf die Wiedergabe einer erschöpfenden Meinungs- bzw. Verfahrensvielfalt oder deren Gewichtung zugunsten beispielgebender klinischer Bewährung verzichtet. Zu danken ist in diesem Zusammenhang allen Autoren und Koautoren sowie allen „auswärtigen“ Kollegen, die wir mangels ausreichender eigener Kompetenz auf den jeweiligen Themengebieten zur Mitarbeit gewinnen konnten, für ihre qualizierten Beiträge. Den Autoren vieler Beiträge der „ Breitner schen Operationslehre“ und der „Unfallchirurgie“ (aus dem Verlag Urban & Schwarzenberg), aus denen Abbildungen für dieses Buch mit herangezogen wurden, schulden wir besonderen Dank. Düsseldorf/Frankfurt, im August 1997 Hans-Dietrich Röher and Albrecht Encke

Autorenverzeichnis Prof. Dr. med. Hartwig Bauer , Fischvorstadt 61, 84524 Neuötting Em. o. Univ.-Prof. Dr. med. Heinz Becker , Ehem. Direktor der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Universitätsmedizin Göttingen, Robert-Koch-Str. 40, 37075 Göttingen Dr. med. Sebastian Dango , Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie, Universitätsmedizin Göttingen, Robert-Koch-Str. 40, 37075 Göttingen Prof. Dr. med. Claus Franke , Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Sana Krankenhaus Benrath, Urdenbacher Allee 83, 40593 Düsseldorf Prof. Dr. med. B. Michael Ghadimi , Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie, Universitätsmedizin Göttingen, Robert-Koch-Str. 40, 37075 Göttingen Dr. med. Marian Grade , Klinik f. Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie, Universitätsmedizin Göttingen, Robert-Koch-Str. 40, 37075 Göttingen PD Dr. med. Wilhelm Gross-Weege , Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Katholisches, Klinikum Ruhrgebiet Nord GmbH/St.-Elisabeth-Krankenhaus, Pfarrer-Wilhem-Schmitz Str. 1, 46281 Dorsten Prof. Dr. med. Karl E. Grund , Leiter Experimentelle Endoskopie, Zentrum für Medizinische Forschung, Universitätsklinik Tübingen, Waldhörnlestr. 22, 72076 Tübingen PD Dr. med. Jörg Hauser , Klinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie, Handchirurgie, Alfried Krupp Krankenhaus Steele, Hellweg 100, 45276 Essen Prof. Dr. med. Rudolf Hesterberg , Chefarzt der Chirurgischen Abteilung, Rotes-Kreuz-Krankenhaus Kassel, Hansteinstr. 29, 34121 Kassel Dr. med. Marc Hinterthaner , Klinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie, Universitätsmedizin Göttingen, Robert-Koch-Str. 40, 37075 Göttingen Prof. Dr. med. Katharina Holzer , Stellv. Direktorin der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Universitätsklinikum Frankfurt am Main, Theodor-SternKai 7, 60596 Frankfurt am Main PD Dr. med. Kia Homayounfar , Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie, Universitätsmedizin Göttingen, Robert-Koch-Str. 40, 37075 Göttingen Dr. med. Christian Kley , Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Einbecker BürgerSpital gGmbH, Andershäuser Str. 8, 37574 Einbeck Prof. Dr. med. Claus Langer , Chefarzt der Klinik für Allgemein-, Viszeral-, Thorax- und Minimalinvasive Chirurgie, Akademisches Lehrkrankenhaus der Georg-August-Universität Göttingen, An der Lutter 24, 37075 Göttingen Prof. Dr. med. Stefan Langer , Universitätsklinikum Leipzig, Abteilung für Plastische, Ästhetische und spezielle Handchirurgie, Liebigstraße 20, Haus 4, 04103 Leipzig PD Dr. med. Ingo Leister , Krankenhaus Waldfriede, Abteilung Viszeralchirurgie, Argentinische Allee 40, 14163 Berlin Prof. Dr. med. Peter M. Markus , Direktor der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Unfallchirurgie, Elisabeth-Krankenhaus Essen, Klara-Kopp-Weg 1, D45138 Essen Prof. Dr. med. Annegret Müller-Dornieden , Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Kinderchirurgie, Poliklinik und Endoskopie, Universitätsmedizin Göttingen, Robert-Koch-Str. 40, 37075 Göttingen Prof. Dr. rer. nat. Edmund A.M. Neugebauer , Leiter des Zentrums für Forschung in der Operativen Medizin (FOM), und Lehrstuhl für chirurgische Forschung, Universität Witten/Herdecke, Ostmerheimer Straße 200, Haus 38, 51109 Köln Dr. med. Lars Podleska , Universitätsklinikum Essen, Klinik für Unfallchirurgie, Schwerpunkt muskuloskelettale Tumorchirurgie, Hufelandstr. 55, 45147 Essen Prof. Dr. med. Michael Quintel , Direktor des Zentrums für Anästhesiologie, Rettungs- und Intensivmedizin, Universitätsmedizin Göttingen, Robert-Koch-Str. 40, 37075 Göttingen Prof. Dr. med. Hanno Riess , Stellv. Direktor der Klinik für Innere Medizin, mit Schwerpunkt Hämatologie, Onkologie und Tumorimmunologie, Universitätsklinikum Charité, Campus Virchow-Klinikum, Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin Prof. Dr. med. Jörg-Peter Ritz , Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, HELIOS Kliniken Schwerin, Wismarsche Str. 393–397, 19055 Schwerin PD Dr. med. Ansgar Röhrborn , Chefarzt der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie, St. Marien-Hospital gGmbH Hamm, Nassauerstraße 13– 19, 59065 Hamm Prof. Dr. med. Rolf Schlemminger , Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Reinhard-Nieter-Krankenhaus, Friedrich-Paffrath-Str. 100, 26389 Wilhelmshaven Dr. med. Wilhelm U. Schmidt , Chefarzt der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Minimalinvasive Chirurgie, Malteser Krankenhaus St. Josefshospital, Kurfürstenstraße 69, 47829 Krefeld Dr. med. Frank P. Schulze , Chefarzt der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, St. Marien-Hospital Mülheim an der Ruhr, Kaiserstraße 50, 45468 Mülheim an der Ruhr Dr. med. Christian J.P. Simanski , Klinik für Orthopädie, Unfallchirurgie und Sporttraumatologie Köln-Merheim, Lehrstuhl für Unfallchirurgie/Orthopädie der Universität Witten-Herdecke, Ostmerheimer Str. 200, 51109 Köln Prof. em. Dr. med. Hans Ulrich Steinau , Senior Consultant Plastische und Rekonstruktive Chirurgie, Schwerpunkt Sarkomchirurgie, Universitätsklinikum Essen, Klinik für Unfallchirurgie, Hufelandstr. 55, 45147 Essen Prof. Dr. med. Lars Steinsträsser , BG-Klinik Bergmannsheil, Klinik für Plastische Chirurgie, und Schwerbrandverletzte, Bürkle-de-la-Camp-Platz 1, 44789 Bochum Dr. med. Heinrich Otto Steitz , St. Franziskus-Hospital gGmbH, Abteilung Chirurgie, Franziskusstraße 2, 59955 Winterberg, Stefan Stozek, Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Unfallchirurgie, Elisabeth-Krankenhaus Essen, Klara-Kopp-Weg 1, D-45138 Essen Prof. Dr. med. Klaus-Peter Thon , Ehem. Chefarzt der Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Unfallchirurgie, Robert-Bosch-Krankenhaus, Auerbachstr. 110, 70178 Stuttgart Dr. med. Susanne Thon , Krankenhaus Reinbek, Abteilung Allgemein-, Viszeral- und Thoraxchirurgie, Hamburger Str. 41, 21465 Reinbek PD Dr. med. Daniel Johannes Tilkorn , Klinik für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie, Handchirurgie, Alfried Krupp Krankenhaus Steele, Hellweg 100, 45276 Essen Prof. Dr. Dr. jur. Klaus Ulsenheimer , Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Maximiliansplatz 12, 80333 München

Dr. jur. Maximilian Warntjen , Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht, Kanzlei Dierks & Bohle, Kurfürstendamm 195, 10707 Berlin Prof. Dr. med. Hubertus J.C. Wenisch , Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie, Klinikum Ernst von Bergmann gGmbH, Charlottenstraße 72, 14467 Potsdam Unter ehemaliger Mitarbeit von: Prof. em. Dr. med. Albrecht Encke , Frankfurt/Main Dr. rer. nat. Christian Ohmann , Düsseldorf Prof. em. Dr. med. Dr. h. c. Hans-Dietrich Röher , Düsseldorf PD Dr. med. Andreas Schmidt-Matthiesen , Frankfurt/Main

Mitherausgeber der 1. und 2. Auflage

Em. o. Prof. Dr. med. Albrecht Encke Facharztweiterbildung, Habilitation und apl. Professur in Heidelberg (F. Lindner) 1979 bis 2002 Direktor der Klinik für Allgemeinchirurgie der J.-W.-Goethe-Universität Frankfurt/Main Wissenschaftliche und klinische Schwerpunkte: chirurgische Pathophysiologie (Intensivmedizin, Blutgerinnung), Viszeralchirurgie Past-Präsident der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF)

Em. o. Prof. Dr. med. Dr. h.c. Hans-Dietrich Röher Viszeralchirurgische Ausbildung inkl. Thorax, Herz und Gefäße bei F. Linder, Heidelberg Chefarzt ev. Lehrkrankenhaus Bethesda, Duisburg 1979 bis 1986 Lehrstuhl für Chirurgie Phillips-Universität Marburg 1986 bis 2003 Lehrstuhl für Chirurgie Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, Direktor der Klinik für Allgemein- und Unfallchirurgie Schwerpunkte: Gastrointestinale Tumorchirurgie und endokrine Chirurgie

I

Chirurgische Prinzipien und Grundlagen OUTLINE

KAPITEL 1

Prinzipien der Indikationsstellung, Kontraindikationen und Risikoanalyse Heinz Becker

unter ehemaliger Mitarbeit von, Hans-Dietrich Röher and Christian Ohmann

1.1. 1.2. 1.2.1. 1.2.2. 1.2.3. 1.2.4. 1.2.5. 1.3. 1.4.

1.1 Definitionen Unter Indikation – hier zum chirurgischen Eingriff – versteht man das Ergebnis eines in erster Linie intellektuellen, situationsbedingt auch einmal intuitiv mitbestimmten, auf jeden Fall „eng“ problemorientierten Entscheidungsprozesses. Dieser mündet in die Erkenntnis ein, dass die Operation am besten geeignet ist, die vorliegende Verletzung oder Krankheit zu heilen oder auch nur ihre Schadensfolgen abzuwenden bzw. maßgeblich zu mildern. Darin eingeschlossen als wichtige Voraussetzungen sind:

• Prüfen alternativer Behandlungsmöglichkeiten (= konservativ), • Abwägen des Risikos. Die Stellung der Operationsindikation ist das zentrale Ereignis und die Aufgabe des Chirurgen in der Arzt-Patienten-Beziehung. In der Entwicklung und dem Training zur Chirurgin/zum Chirurgen kommt der Vermittlung des Stellenwertes der Arzt-Patienten-Beziehung eine Hauptrolle zu. Das Vertrauen des Patienten in den Chirurgen entwickelt sich in der Arzt-Patienten-Beziehung mit der Überarbeitung und damit Übernahme der Verantwortung für die Stellung der Operationsindikation. Positive Entwicklungen bis hin zu einer Verbesserung der Prognose und Akzeptanz auch der radikalsten Operationsmethode basieren auf diesem Vertrauen. Eine Verletzung der Arzt-Patienten-Beziehung durch Ausweitung der Operationsindikation ohne wissenschaftliche Basis oder aus ökonomischen Gründen stellt eine schwere Verletzung der ärztlichen Pflicht dar. Es muss aber auch klar sein, dass die Verantwortung des Chirurgen nur gegenüber dem einzelnen individuellen Patienten in der Stellung der Operationsindikation besteht. Hier ist jetzt auch eine immer auf die Person bezogene Operationsindikation mit sorgfältiger Betrachtung der individuellen Risikokonstellation Basis der Entscheidung. Natürlich sind die Ergebnisse der evidenzbasierten Medizin und z. B. Tumorboard-Entscheidungen oder Leitlinien zu berücksichtigen. Auch eine intuitive Operationsentscheidung ist möglich und häufig lebensrettend, erfordert aber von Chirurg und Patient Empathie, Motivation und Vertrauen. Die Indikationsstellung zur Operation muss frei sein von staatlichen und ökonomischen Vorgaben des Gesundheitssystems. Wie sehr dieser verantwortungsvollste Prozess der Entscheidungsfindung im Mittelpunkt jeglichen Handelns steht, mag ein Zitat von K. H. Bauer (1964) mit seinen schlichten Worten stützen: „Irgendwas muss dem Menschen heilig sein, beim Chirurgen ist es seine Anzeigenstellung zur Operation!“ Mit Betonung der ethischen Bindung im Verhältnis zwischen Arzt und dem ihm Vertrauen übertragenden Patienten stellt Th. Billroth die Gewissensfrage (zugleich Gesinnungs- und Erfolgsethik): „Würde ich bei gleicher Lage den betreffenden Eingriff bei mir selbst ausgeführt wünschen?“ Im weitesten Sinne in die Indikation ( ) eingeschlossen sind Entscheidungen über:

ABB. 1.1

Komponenten einer Operationsindikation. [ ]

• Bejahen der operativen Behandlung überhaupt, • Wahl des beabsichtigten und v. a. als angemessen erachteten Operationsverfahrens und dessen Ausmaß – ggf. unter Einschluss technischer Ausweichlösungen infolge widriger Umstände, • Bestimmen des geeigneten Operationszeitpunkts, • eingriffsbezogenes Vor- und Nachbehandlungserfordernis in einem kombinierten bzw. multimodalen Konzept. Idealerweise strebt die Operation Heilung an, dies zugleich mit Bewahrung oder Wiederherstellung normaler anatomischer Situation und funktioneller Leistung. An die Stelle häufig nicht erreichbarer organischer Integrität treten operationstechnische Resultatslösungen, die form- und funktionsgerecht eine unerwünschte Verstümmelung als Defektsituation und ein beeinträchtigendes funktionelles Defizit gänzlich oder weitgehend vermeiden. Das gewählte Eingriffsverfahren hat sich an der individuellen Krankheitssituation (Notfall- oder Wahleingriff) genauso zu orientieren wie an dem für die zugrunde liegende Erkrankungsart zu erreichenden Behandlungsziel (z. B. onkologische Radikalität). Eine wichtige Orientierungsgrundlage für operative Behandlungsindikation stellen die inzwischen von Fachgesellschaften oder integrierenden multidisziplinären Organisationen erarbeiteten „Leitlinien“ dar. Darin spiegeln sich zugleich Qualitätsansprüche einer evidenzbasierten Medizin (EBM) wider ( ).

1.2 Entscheidungsprozesse 1.2.1 Begrenzte Notfalltherapie Je nach dem Behandlungsanlass gilt es zu entscheiden, inwieweit eine nur begrenzte operative Notversorgung zur Abwendung akuter Gefährdung oder aber gleichzeitig die endgültige Therapie, etwa der Verletzungsfolge oder der zugrunde liegenden Erkrankung, angestrebt wird. Dies besitzt gleichermaßen Bedeutung für die Wahl des Operationszeitpunktes ( ) wie für das Eingriffsausmaß (vitale Bedrohung, Belastbarkeit des Patienten, Verfügbarkeit des geeigneten, versierten Operateurs etc.).

Tab. 1.1 Zeitbestimmung der Operation. Art der Operation

Zeitintervall

Begründung

Zielgerichtete Maßnahmen

Notfalloperation

sofort bis < 2 Stunden

• akute vitale Bedrohung (z. B. blutende Organruptur)

• Blutgruppe • Kreuzblut • Konservenbereitstellung

dringende Operation

< 12 Stunden

• Bedrohung durch irreversible Verschlechterung (z. B. Peritonitis, Ileus, Sepsis)

• klinische Entscheidung • Labor • minimale stabilisierende Vorbereitungen (Kreislauf, Gerinnung, Diurese)

frühelektive Operation

ca. 36 Stunden

• Möglichkeit von Verschlechterung oder Rezidiv (z. B. Ulkusblutung, akute Galle)

• Diagnosesicherung • Überbrückungstherapie (Endoskopie, Transfusion, Antibiotika)

Operation mit aufgeschobener Dringlichkeit

bis 10 Tage

• Behandlung der septischen Situation (z. B. Sigmadivertikulitis, Morbus Crohn)

• Abszessdrainage • Abszesspunktion • Antibiotika

elektive Operation

beliebig (Tage, Wochen)

• erwiesene Nützlichkeit • allein wirksame Therapie • positive Risikoabschätzung und Erfolgsprognose • Operationsentscheidung bedeutet günstige Prognose

• Diagnosesicherung • Abwägung alternativer Behandlung • Risikominderung • Erfolgsbegünstigung • Vorbehandlung: allgemein oder krankheitsbezogen

Ein geeignetes Beispiel für einen derartigen Entscheidungsprozess stellt die Behandlung der akuten Cholezystitis dar: Der Verdacht auf eine perforierte Cholezystitis mit begleitender Sepsis gebietet den sofortigen chirurgischen Eingriff. Alle anderen Fälle werden bei klarer Diagnose primär konservativ behandelt. Dies bedeutet aber auch die umgehende Anmeldung zur Operation in den nächsten 36 Stunden, am besten am nächsten Tag im Routineprogramm. Mit der Operation kann auch die Antibiotikatherapie beendet werden. Diese Therapie der Frühoperation hat sich etabliert durch eine entscheidende Reduzierung des Risikos und der Sterblichkeit. Die zu erwartende Morbidität und erhöhte Letalität der konservativen Therapie sollte auch die internistischen Partner überzeugen. Ein gemeinsames interdisziplinäres Konzept ist entscheidend für die Prognose der Patienten. Die laparoskopische Operation als Standard und die immer noch großzügige Konversion sind deutlich risikoärmer innerhalb von 48 Stunden durchzuführen als nach 7 Tagen (schwere Umgebungsreaktion) oder sogar nach 6 Wochen (entzündungsfreies Intervall). Hier besteht also die Gegenüberstellung in einer konzeptionellen Frühoperation mit planbarem Zeitpunkt oder der elektiven Operation nach primär konservativer Behandlung. Eine ähnliche Situation, jedoch mit anderem Dringlichkeitscharakter, aber ebenfalls kombinierter Behandlungsstrategie liegt bei der Gallensteinerkrankung mit Verschlussikterus vor. Die endoskopische retrograde Gallengangdiagnostik erlaubt nach Papillotomie zugleich die Beseitigung der obstruktiven Konkremente und gestattet danach in einem das Gangsystem aussparenden limitierten und elektiv durchgeführten Eingriff mit heute meist laparoskopisch durchgeführter Cholezystektomie die endgültige Sanierung. Eine Zusammenstellung der Abhängigkeit der Behandlungsart vom Behandlungsanlass zeigt .

Tab. 1.2 Abhängigkeit der Behandlungsart vom Behandlungsanlass. Behandlungsanlass Notfall • Verletzung • Akuterkrankung oder Komplikation

Behandlungsart Probatorisch definitiv

dringlich

symptomatisch kausal

geplant („elektiv“)

explorativ/diagnostisch kurativ palliativ

1.2.2 Symptomatische oder kausale operative Eingriffe Für den geplanten Wahleingriff gelten am ehesten die verfügbaren Leitlinien in ihrer jeweils aktuellen Version; dies als Entscheidungsbasis und als Grundlage der erschöpfenden Patienteninformation im Aufklärungsgespräch. Wiederum ist den Ansprüchen einer evidenzbasierten Medizin zu entsprechen bzw. muss die bewusste und vorsätzliche Abweichung ihre wohl dokumentierte Begründung finden (s. ). Die Indikation zur operativen Behandlung der Schilddrüsenüberfunktion (zwei verschiedene Hyperthyreoseformen) steht exemplarisch für die Möglichkeit eines einerseits nur symptomatischen oder andererseits kausalen Therapieansatzes, in jedem Fall mit kurativer Intention am gleichen Organ. Die durch begrenzte, einseitige Lappenresektion erfolgende Entfernung einer unifokalen Autonomie (= solitäres autonomes Adenom) erfüllt den Tatbestand der kausalen Therapie: Sie beseitigt die Hyperthyreose und gewährleistet zugleich mit hoher Wahrscheinlichkeit eine normale Schilddrüsenfunktion ohne Substitutionserfordernis. Demgegenüber stellt die Chirurgie des Morbus Basedow, bei dem die Schilddrüse Zielorgan des Autoimmunprozesses ist, lediglich eine symptomatische Therapie dar: Nach der sehr ausgedehnten Resektion verbleiben lediglich kleinste Reste von Schilddrüsengewebe, und es resultiert mit großer Wahrscheinlichkeit eine Hypothyreose. Die Rechtfertigung der Operationsindikation begründet sich aus der nicht dauerhaft wirksamen oder gänzlich versagenden medikamentösen Therapie und der eingeschränkten Rechtfertigung (Strumagröße) bzw. Ablehnung der alternativen Radiojodbestrahlung durch den Patienten. Die Indikation zur Wahl des Operationsverfahrens ist der Erkrankungsart angepasst (weniger radikal bis total).

1.2.3 Elektiveingriff Den naturgemäß zahlenmäßig umfangreichsten Anteil nehmen Indikationen zu Wahl- bzw. Elektivoperationen ein. Sie leiten Anspruch und Rechtfertigung aus durch Erfahrung erwiesener Nützlichkeit und geprüfter Überlegenheit gegenüber alternativen Behandlungsmöglichkeiten her. Operationen aus Verdachtsgründen oder zu rein diagnostischen Zwecken (z. B. Probelaparotomie, -thorakotomie) haben dank eines vergrößerten und verlässlicher gewordenen technischen Untersuchungsrepertoires (bildgebende Verfahren, Endoskopie, gelenkte Nadelbiopsie, Hormon-Assay etc.) gegenüber der Vergangenheit drastisch an Bedeutung und Anlass verloren.

1.2.4 Abgestufte Operationsindikation in der Tumorchirurgie Abstufungen der Operationsindikation befinden sich bevorzugt für das Gebiet der Tumorchirurgie in Entwicklung. Oberstes Ziel und unstrittig für frühe Tumorstadien (T1/T2, eventuell inkl. N1) bleibt der Eingriff mit primär kurativem Ziel und Anspruch (R0). Bei fortgeschrittenem Krebsleiden (T3/T4, N1/N2) und wenn von Anfang an eine radikalkurative Operabilität unwahrscheinlich scheint, steht die Entscheidung für eine sinnvoll vorbereitete – neoadjuvante – antineoplastische Behandlung an (Chemo- oder Radiotherapie bzw. deren Kombination). Sie bezweckt die Reduktion der Geschwulstausdehnung und ist damit Voraussetzung für eine mögliche kurative, also R0-Resektion (z. B. Ösophagus-, Magen-, Rektumkarzinom). Eine vergleichbare, aber in der zeitlichen Sequenz anders gelagerte Operationsentscheidung kommt beim allgemein unheilbaren onkologischen Stadium (M1), z. B. beim differenzierten Schilddrüsenkarzinom, zum Tragen: Die zunächst ausgeführte totale Thyreoidektomie kann zwar für sich genommen keinen Radikalitätsanspruch mehr erheben, ist aber gerechtfertigt und sogar wegbereitend unverzichtbar für die nachfolgend einsetzbare Radiojodbestrahlung mit durchaus kurativer Erfolgsaussicht (multimodale Konzepte). Dass hier auch Entwicklungen möglich sind, zeigt der von uns definierte Behandlungsweg mit „potenzieller Kuration“. Bei Patienten im Stadium IV bei kolorektalem Karzinom (bisheriger Standard: primär palliative Chemotherapie) kommen heute häufig Operationskonzepte mit primärer Operation des Primärtumors zum Tragen, gefolgt von der Operation der Lebermetastasen. Auch der umgekehrte Weg (1. Operation – Leberresektion; 2. Operation – lokoregionäre Erkrankung) ist möglich. Diese neuen operativen Konzepte werden sinnvoll ergänzt durch Radio- und Chemotherapie. Nach Ergebnissen klinischer Studien sind Überlebensraten bis 40 % nach 5 Jahren möglich.

1.2.5 Palliativeingriff Bleibt eine Heilungsaussicht von vornherein ausgeschlossen, ist vor einer Eingriffsindikation mit palliativem Anspruch der Nutzen für den Patienten im Hinblick auf eine verbesserte Lebensqualität oder eine prognostische Begründung der verlängerten Überlebenserwartung abzuwägen. In alle Entscheidungsprozesse sind neben objektivierbaren somatischen Kriterien auch psychische Aspekte oder ausdrückliche Wunschbekundungen des Patienten einzubeziehen. Die Zusammenfassung des Gesamtentscheidungsprozesses der Operationsindikation ist in einer Übersicht in wiedergegeben.

ABB. 1.2

Faktoren, die eine Operationsindikation beeinflussen können. [ ]

1.3 Kontraindikationen Bei Abschätzung der absoluten Operationsindikation mit alleiniger Heilungsaussicht oder der relativen Operationsindikation als bevorzugt nützlicher, erfolgsverheißender und risikobegrenzter Behandlungsart gegenüber alleinigem „Abwarten“ oder nur leidlich bessernder, hinhaltender konservativer Therapie bewegen wir uns noch auf recht festem Grund. Die Gegenanzeige jedoch, der bewusste Verzicht auf einen operativen Eingriff, ist nicht selten verantwortungsvoller und schwerer, vor allem hinsichtlich der Nutzen-Risiko-Abwägung. Die Kontraindikation kann sich auf die an sich gebotene Operation überhaupt oder auch nur auf ein bestimmtes, aus Belastungsgründen unvertretbares Eingriffsverfahren beziehen. Die abschätzende Berücksichtigung schließt Gesamtbefindlichkeit und psychosoziale Situation des Patienten, Krankheitsschwere und -prognose, Verfügbarkeit alternativer lindernder Therapie, aber auch – und das scheint der Betonung besonders wert – die an sich selbst gerichtete Eignungseinschätzung des Operateurs und der verfügbaren Einrichtung ein. Kaum besser könnte die Herausforderung zur Entscheidung einer Kontraindikation umschrieben werden als wiederum mit den Worten von K. H. Bauer (1959): „Wie oft braucht's für den Chirurgen zum Nicht-Operieren mehr Wissen und größere Verantwortung als zum Operieren!“ Indikation und Kontraindikation zur operativen Behandlung sind entgegengesetzte Endprodukte des gleichen Entscheidungsprozesses, in dem die ausschlaggebenden Einflussfaktoren lediglich das Vorzeichen wechseln. Kenntnisreichtum, Erfahrung und Verantwortungsbewusstsein bleiben Stellgrößen des Resultats. Die mit den härter gewordenen messbaren (I–V) Kriterien einer EBM belegten Indikationen und Verfahrenswahlen haben sehr subjektiv geprägte, sogar emotional oder intuitiv bestimmte Entscheidungsabläufe abgelöst. Dennoch stellen die neuen EBM-gestützten Leitlinien keine Fesseln dar, sind selbst einem ständigen Anpassungserfordernis unterworfen und müssen dem Arzt auf der Grundlage seiner Verantwortung, allerdings mit Anspruch an dokumentierte Begründung im Individualfall Entscheidungs- und Handlungsfreiheit erlauben ( ).

1.4 Risikoanalyse In der klinischen Praxis gibt es zwei unterschiedliche Betrachtungskonzepte für eine Risikoanalyse:

• Biomedizinischer Ansatz • Quantitative Risikoanalyse Bei dem biomedizinischen Ansatz stehen logisch abgeleitete Vorhersagen an individuellen Patienten im Vordergrund. Hier setzt der Chirurg Wissen über physiologische, pharmakologische, pathologische und biochemische Prozesse mit seiner klinischen Erfahrung in Verbindung. Zwar ist bei dieser Beurteilung eine Quantifizierung des Risikos nur eingeschränkt und subjektiv möglich, jedoch hat sich dieses Vorgehen am täglichen individuell schwierigen Fall bewährt. Der zweite Ansatz versucht eine objektive Quantifizierung des Risikos durch Analyse von Daten klinischer Studien. Dabei werden Methoden der Epidemiologie, der klinischen Biostatistik und der objektiven medizinischen Entscheidungsfindung eingesetzt. Das Risiko bezieht sich stets auf ein unerwünschtes Ereignis, z. B. eine Komplikation oder den Tod. Unerwünschte Ereignisse lassen sich durch die Art, den Zeitpunkt und sie beeinflussende Faktoren charakterisieren. Zu den unerwünschten Ereignissen zählen z. B.:

• Auftreten einer Krankheit, • Komplikationen einer Krankheit, • Komplikationen einer operativen Therapie, • tödlicher Ausgang einer Krankheit. Unerwünschte Ereignisse können prä-, perioperativ, früh- oder spätpostoperativ beobachtet werden. Zahlreiche Faktoren, die in Interaktionen zueinander stehen, können das Auftreten eines unerwünschten Ereignisses beeinflussen. Das Gesamtrisiko wird u. a. beeinflusst durch:

• Art der Erkrankung, • physiologische Reserve des Patienten, • Schwere der Erkrankung, • Art der verfügbaren Therapie, • Zeitpunkt und Qualität der Therapie, • Therapiewirkung, • unerwünschte Ereignisse. Das Risiko lässt sich durch die Wahrscheinlichkeit, mit der ein unerwünschtes Ereignis auftritt, quantifizieren. Unter einem Risikofaktor wird eine

beitragende Bedingung verstanden, bei deren Vorhandensein die Wahrscheinlichkeit für ein unerwünschtes Ereignis größer wird als bei Nichtvorhandensein. Ein Risikofaktor stellt somit ein zusätzliches Risiko dar, ohne in auslösendem Zusammenhang mit dem unerwünschten Ereignis stehen zu müssen. Risikoanalyse ist stets ein multidimensionales Problem, bei dem viele Faktoren gleichzeitig berücksichtigt werden müssen. Interessiert man sich z. B. für die Prognose der Peritonitis, so müssen folgende Faktoren berücksichtigt werden:

• Ätiologie der Infektion • Lokalisation der Infektion • Ausbreitung und Pathologie der Infektion • Physiologischer Status der Patienten • Medizinische Vorgeschichte • Demografische Variablen • Mikrobiologische Daten • Andere Faktoren Ein wichtiges Hilfsmittel stellen Klassifikationen dar, so z. B. die ASA-Klassifikation (American Society of Anesthesiologists) zur Beurteilung des präoperativen physischen Status. Mithilfe der ASA-Klassifikation werden fünf verschiedene Klassen mit ansteigendem Risiko für postoperative Komplikationen definiert:

• ASA 1: Patient normalerweise gesund • ASA 2: Patient mit mäßiger systemischer Krankheit • ASA 3: Patient mit schwerer systemischer Krankheit, die aber nicht physisch behandlungsunfähig macht • ASA 4: Patient mit schwerer systemischer Krankheit, die physisch behandlungsfähig macht und/oder ständig sein Leben bedroht • ASA 5: Patient moribund; sein Überleben wird mit und ohne Operation nicht für mehr als 24 Stunden erwartet Eine andere Möglichkeit, mehrere Risikofaktoren zu berücksichtigen, stellen Scores dar. Scoring-Systeme basieren auf einer numerischen Gewichtung klinischer Parameter. Das Vorhandensein klinischer Symptome und Zeichen oder die Abweichung eines physiologischen und biochemischen Parameters vom Normalwert wird mit einer Zahl versehen, und die bei einem Patienten zutreffenden Gewichte werden zu einem Gesamt-Score summiert. Die erhaltene Zahl gibt Aufschluss über die Wahrscheinlichkeit unerwünschter Ereignisse. Ein klassisches Beispiel stellt der Acute Physiology and Chronic Health Evaluation Score (APACHE II) dar , der für die Prognose auf der Intensivstation eingesetzt wird ( ).

ABB. 1.3

Acute Physiology and Chronic Health Evaluation Score (APACHE II). [ ]

Von unmittelbarem Nutzen für den Patienten sind Risikoanalysen nur dann, wenn sie in geeignete therapeutische Ansätze umgesetzt werden. Wichtige Anwendungsbereiche sind:

• präoperative Vorbehandlung,

• Operationsindikation, • Verfahrenswahl. Risikoanalysen können selbstverständlich nur ein Ausgangspunkt für die Wahl geeigneter Therapiekonzepte sein. Vor einem weiter gehenden Einsatz von Scores bzw. Klassifikationen bei individuellen Therapieentscheidungen mit großer Tragweite muss gewarnt werden. Hier liegen ausreichend akzeptierte Evaluierungsstudien nicht vor. Eine sichere Vorhersage des Verlaufs ist auch bei dynamischer Anwendung dieser Instrumente nicht immer möglich.

Literatur [1] Knaus, W. A., Draper, E. A., Wagner, D. P., Zimmermann, J. E. APACHE II: A severity of disease classification system. Crit Care Med . 1985; 13:818.

KAPITEL 2

Perioperative Medizin und Intensivmedizin Marian Grade and Michael Quintel

2.1. 2.2. 2.2.1. 2.2.2. 2.2.3. 2.2.4. 2.2.5. 2.2.6. 2.2.7. 2.2.8. 2.3. 2.3.1. 2.3.2. 2.3.3. 2.3.4. 2.3.5. 2.4. 2.4.1. 2.4.2. 2.4.3. 2.4.4. 2.4.5. 2.4.6.

2.1 Einleitung Das Endergebnis nach einem operativen Eingriff hängt von vielen unterschiedlichen Faktoren ab, wobei insbesondere dem Patientenalter, den Komorbiditäten, der Komplexität der chirurgischen Intervention und dem Verlauf der postoperativen Heilungsphase eine große Bedeutung zukommt . Vor dem Hintergrund einer wachsenden Anzahl an Patienten mit hohem Alter und multiplen Komorbiditäten sowie immer komplexeren chirurgischen Eingriffen und multimodalen Behandlungsstrategien kommt der engen Zusammenarbeit zwischen Chirurg, Internist, Anästhesist und Intensivmediziner während der gesamten perioperativen Zeit somit eine kritische Rolle zu. Daher gilt das perioperative Management heutzutage als Paradebeispiel für eine interdisziplinäre Behandlung ( ). Konsequenterweise wurde es in den letzten Jahren wesentlich verbessert, sodass große chirurgische Eingriffe heutzutage weitgehend sicher und mit akzeptabler Morbidität und Mortalität durchgeführt werden können.

ABB. 2.1

Allgemeine Grundlagen des modernen perioperativen Managements (modifiziert nach Grade et al. ). [ ]

Eine europäische, über sieben Tage durchgeführte Prävalenzstudie zur Mortalität nach chirurgischen Eingriffen unter Ausschluss herzchirurgischer Operationen hat allerdings eine höhere Sterblichkeit erbracht, als die bis dahin vorliegenden kleineren Studien vermuten ließen . In einem Kollektiv von 46.539 Patienten, die sich in 498 Krankenhäusern in insgesamt 28 europäischen Ländern einem chirurgischen Eingriff unterziehen mussten, ergab sich eine mittlere Mortalität von 4 % und für 8 % der Patienten die Notwendigkeit für eine postoperative intensivmedizinische Behandlung nach der chirurgischen Intervention. Obwohl die Mortalität eine hohe Varianz zwischen den einzelnen europäischen Ländern offenlegt, ergab sich im Mittel eine höhere Mortalität, als dies bislang auf der Basis der unzureichenden Datenlage angenommen wurde. Diese Ergebnisse unterstreichen nachhaltig, trotz der nachhaltigen Verbesserungen des perioperativen Managements in den letzten Jahren, die Forderung und das Ziel, das perioperative Management weiter zu verbessern. Eine weitere Steigerung der Ergebnisqualität wird mit hoher Wahrscheinlichkeit mindestens ebenso von der faktischen Umsetzung wissenschaftlicher Ergebnisse in den gelebten klinischen Alltag abhängen wie von neuen Therapieoptionen oder Interventionen. Aufgrund der Komplexität des Themas ist es natürlich nicht möglich, alle relevanten Aspekte zum perioperativen Management und zur Intensivmedizin in einem einzigen Kapitel zusammenzufassen. Stattdessen haben wir den Schwerpunkt auf elektive viszeralchirurgische Eingriffe bei erwachsenen Patienten gelegt, um aus einem gemeinsamen chirurgisch-anästhesiologischen Blickwinkel praktische Empfehlungen geben zu können . An dieser Stelle sei jedoch bereits darauf hingewiesen, dass häufig keine randomisierten Studien mit entsprechender Aussagekraft vorliegen, sodass viele unserer Empfehlungen eher empirisch begründet sind.

2.2 Präoperatives Management 2.2.1 Anamnese und klinische Einschätzung Vor jedem operativen Eingriff kommt einer ausführlichen Anamnese und einer sorgfältigen Einschätzung des physischen und psychischen Zustands eines Patienten eine sehr große Bedeutung zu. Bereits hier wird der Grundstein gelegt, Patientenimmanente Risikofaktoren zu identifizieren und neu aufgetretene, bisher nicht bekannte Erkrankungen aufzudecken. Im Idealfall sollte die medizinische Anamnese und klinische Einschätzung bereits vor der stationären Aufnahme erfolgen, um so ggf. frühzeitig Optimierungen vorzunehmen (z. B. Feinadjustierung der Medikation bei chronischer Herzinsuffizienz, schlecht eingestelltem Diabetes mellitus oder arterieller Hypertonie).

2.2.2 Routine-Untersuchungen Wie bereits oben ausgeführt kommt der engen Zusammenarbeit zwischen Chirurg, Anästhesist und Internist eine kritische Rolle in der Risikostratifizierung zu. Im Allgemeinen sollten folgende Routineuntersuchungen durchgeführt werden, bevor Patienten in der Prämedikations-Sprechstunde vorgestellt werden (modifiziert nach , , ).

Laboruntersuchungen Eine präoperative Laboruntersuchung sollte in jedem Fall durchgeführt werden, wobei im Regelfall die Bestimmung folgender Parameter ausreichend ist:

• Kleines Blutbild • Internationale normalisierte Ratio (INR) bzw. Quick-Wert • Aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT) • Natrium-, Kalium-, Kreatinin- und Glukosewerte In bestimmten Situationen sind erneute Kontrollen am Operationstag notwendig, z. B. bei Patienten mit schwer einstellbarem Diabetes mellitus oder ausgeprägten Elektrolytentgleisungen.

Elektrokardiografie Die präoperative Durchführung einer 12-Kanal-Elektrokardiografie (EKG) erlaubt einerseits die Detektion bisher nicht bekannter Herzerkrankungen, andererseits dient sie als Verlaufskontrolle, sofern perioperativ kardiale Probleme auftreten. Ein EKG sollte vorliegen bei:

• Patienten mit einem Alter > 40 Jahre,

• Patienten mit relevanten Herzerkrankungen (z. B. koronare Herzerkrankung, Herzinsuffizienz, Herzrhythmusstörungen oder Erkrankungen der Herzklappen), • Patienten mit einem Schrittmacher (SM) oder einem implantierbaren Cardioverter/Defibrillator (ICD), • Patienten mit neu aufgetretenen Symptomen einer pulmonalen oder kardialen Erkrankung, Patienten nach vorangegangener präoperativer Chemotherapie oder Radiochemotherapie (siehe unten). An dieser Stelle sei erwähnt, dass vielerorts nach großen viszeralchirurgischen Operationen bei Risikopatienten standardmäßig ein EKG unmittelbar postoperativ sowie am ersten und zweiten Tag postoperativ durchgeführt wird, auch wenn das sicherlich nicht als Routine-Empfehlung angesehen werden kann.

Röntgenuntersuchung des Thorax Die Wahrscheinlichkeit, mittels einer konventionellen Röntgenuntersuchung bei asymptomatischen Patienten eine Pathologie im Thoraxbereich zu detektieren, ist relativ niedrig. Dennoch kann auch hier eine präoperativ durchgeführte Untersuchung als Verlaufskontrolle dienen, sofern perioperativ pulmonale oder kardiale Probleme auftreten. Eine konventionelle Röntgenuntersuchung des Thorax sollte unabhängig vom Alter vorliegen bei:

• Patienten mit schwerer chronisch obstruktiver Lungenerkrankung, • Patienten mit neu aufgetretenen Symptomen einer pulmonalen oder kardialen Erkrankung, • Patienten mit einer gastrointestinalen Tumorerkrankung (pulmonale Metastasen).

2.2.3 Erweiterte diagnostische Maßnahmen Unter bestimmten Umständen sind erweiterte diagnostische Maßnahmen indiziert, auf die im Folgenden eingegangen werden soll. Diese zusätzlichen Untersuchungen sind keinesfalls bei Standardeingriffen bei Patienten mit normalem perioperativem Risiko angezeigt, können jedoch im Einzelfall zur präoperativen Einschätzung erforderlich sein (modifiziert nach , , ).

Echokardiografie Eine präoperative Echokardiografie sollte durchgeführt werden bei:

• Patienten mit neu aufgetretener Dyspnoe unklarer Ursache, • Patienten mit einer Herzinsuffizienz und klinischen Zeichen einer Verschlechterung, • Patienten mit einer Kardiomyopathie nach erfolgter präoperativer Chemotherapie mit Epirubicin (Kap. Kap. 2.2.8). Carotis-Dopplersonografie Eine präoperative Ultraschalluntersuchung der extrakraniellen Carotis-Gefäße sollte durchgeführt werden bei:

• Patienten nach einer transitorischen ischämischen Attacke (TIA) oder einem Schlaganfall innerhalb der letzten drei Monate, sofern dieses Ereignis ohne weitere medizinische Diagnostik und Konsequenz geblieben ist, • Patienten nach einer TIA oder einem Schlaganfall innerhalb der letzten drei Monate, sofern klinische Zeichen einer Verschlechterung bestehen.

2.2.4 Präoperative Risikoeinschätzung Definition von „hohem Risiko“ Nach wie vor gibt es keine klare Definition für ein hohes perioperatives Risiko. Damit ist die klinische Risikoeinschätzung im Wesentlichen empirisch begründet oder fußt auf der Analyse sehr heterogener Patientenkollektive und Behandlungsabläufe. Relevante klinische Faktoren, die mit einem hohen perioperativen Risiko assoziiert sind bzw. einen relevanten Einfluss auf die 30-Tage-Mortalität und das Langzeit-Überleben nach großen viszeralchirurgischen Eingriffen haben, sind in und aufgeführt (modifiziert nach , ). An dieser Stelle sei daher nochmals darauf hingewiesen, dass der engen Zusammenarbeit zwischen Chirurg, Anästhesist und Internist somit eine zentrale Rolle zukommt (gemeinsame Risikostratifizierung).

Tab. 2.1 Relevante Faktoren, die mit einem hohen perioperativen Risiko bei großen viszeralchirurgischen Eingriffen assoziiert sind. • Koronare Herzerkrankung • Herzinsuffizienz • Niereninsuffizienz • Schlecht eingestellter Diabetes mellitus • Hohes Patientenalter

Tab. 2.2 Klinische Risikofaktoren mit relevantem Einfluss auf die 30-Tage-Mortalität und das Langzeit-Überleben nach großen viszeralchirurgischen Eingriffen. 30-Tage-Mortalität

Langzeit-Überleben

Jegliche Komplikation

Hohes Patientenalter

ASA-Klassifikation

Albuminkonzentration (g/dl)

Notfallchirurgie

Jegliche Komplikation

Albuminkonzentration (g/dl)

ASA-Klassifikation

Intraoperative EK-Transfusion

Blut-Harnstoff-Konzentration > 40 mg/dl

Hohes Patientenalter

COPD

Natriumkonzentration < 135 nmol/l

Nikotinabusus

Disseminierte Krebserkrankung

Diabetes mellitus

Blut-Harnstoff-Konzentration > 40 mg/dl

Funktioneller Status

SGOT > 40 IU/ml

Disseminierte Krebserkrankung

ASA = American Society of Anesthesiologists; COPD = Chronic Obstructive Pulmonary Disease; SGOT = Serumglutamatoxalacetattransaminase;

Risikoscore Um die präoperative Risikoeinschätzung von Patienten vereinfachen zu können, wurden viele unterschiedliche Scoring-Systeme entwickelt. Zu den bekannteren zählen der POSSUM-Score (Physiological and Operative Severity Score for the Enumeration of Mortality and Morbidity) und der E-PASS-Score (Estimation of Physiologic Ability and Surgical Stress) . Allerdings gilt für beide wie auch alle anderen Scoring-Systeme, dass lediglich das generelle Risiko für die Entwicklung perioperativer Komplikationen angegeben wird, keinesfalls wird jedoch die Art oder die Schwere der Komplikation spezifiziert. Folglich gestaltete sich die Implementierung jeglicher Scoring-Systems in die klinische Routine bisher als problematisch. Interessanterweise zeigen Daten aus unser Klinik, dass die subjektive Einschätzung durch den behandelnden Chirurgen ein guter Prädiktor für den postoperativen Verlauf insbesondere bei Notfallpatienten ist .

Einschätzung des kardialen Risikos Auch wenn viszeralchirurgische Eingriffe im Allgemeinen mit einem mittleren kardialen Risiko assoziiert sind, stellen kardiale Komplikationen aufgrund der immer älter werdenden Patientenpopulation und einer ansteigenden Inzidenz der KHK mittlerweile eine Hauptursache für Morbidität und Mortalität dar , , . In diesem Zusammenhang entwickelt sich insbesondere die Herzinsuffizienz zu einem zunehmenden Risikofaktor für perioperative Komplikationen . Relevante Komorbiditäten, die mit einem erhöhten kardialen Risiko assoziiert sind, umfassen:

• Koronare Herzerkrankung • Herzinsuffizienz • Schwere Aortenklappenstenose • Periphere arterielle Verschlusskrankheit • Zerebrovaskuläre Insuffizienz • Niereninsuffizienz • Diabetes mellitus Da die Einschätzung kardialer Risikofaktoren und auch deren klinische Interpretation kompliziert sind, empfehlen aktuelle Richtlinien, dass Patienten mit multiplen kardialen Risikofaktoren oder akuten Symptomen einer kardialen Erkrankung einem erfahrenen Kardiologen vorgestellt werden sollten.

Einschätzung des pulmonalen Risikos Postoperative pulmonale Komplikationen sind die zweithäufigste Ursache für Morbidität und Mortalität nach viszeralchirurgischen Eingriffen. Daher kommt der präoperativen Optimierung des Gesundheitszustands und der Medikation der Patienten eine wichtige Rolle zu. Relevante Risikofaktoren für pulmonale Komplikationen sind in zusammengefasst (modifiziert nach , [108]).

Tab. 2.3 Relevante Risikofaktoren für pulmonale Komplikationen nach viszeralchirurgischen Eingriffen. Patientenspezifische Faktoren • Kongestive Herzinsuffizienz • ASA-Score ≥ 2 • Patientenalter > 60 Jahre • COPD Eingriffsspezifische Faktoren • Abdominalchirurgie • Thoraxchirurgie • Eingriffe > 3 Stunden • Notfalleingriffe • Allgemeinanästhesie Laboruntersuchungsspezifische Faktoren • Serum-Albumin < 3.0 g/dl ASA = American Society of Anesthesiologists; COPD = Chronic Obstructive Pulmonary Disease

2.2.5 Medikation Da das abrupte Absetzen bestimmter Medikamente große Probleme hervorrufen kann, ist eine detaillierte Erfassung der Medikation des Patienten außerordentlich wichtig. Als Faustregel kann gelten, dass insbesondere kardiovaskuläre Medikamente weiter genommen werden sollten. Da klare Flüssigkeiten wie Wasser oder Tee (aber nicht Milch) bis zwei Stunden vor Anästhesiebeginn eingenommen werden können, ist eine Fortführung der oralen Medikation in den meisten Fällen organisatorisch unproblematisch. Zu beachten ist zudem, dass insbesondere ältere Menschen in der perioperativen Phase sehr empfindlich auf schwankende Medikamentenspiegel reagieren können [106]. Im Folgenden soll auf einige relevante Medikamente eingegangen werden:

Beta-Blocker Beta-Blocker werden aufgrund ihres vorteilhaften Effekts auf das myokardiale Sauerstoffangebot sehr häufig bei Patienten mit kardialen Grunderkrankungen eingesetzt. Auch wenn der perioperative Einsatz von Beta-Blockern weiterhin kontrovers diskutiert wird, so empfehlen die aktuellen Richtlinien eine kontinuierliche Einnahme während der gesamten perioperativen Phase , , . Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein abruptes Absetzen zu einer instabilen Angina, Tachyarrhythmien, einem Myokardinfarkt sowie einem plötzlichen Herztod führen kann. Sofern bei Patienten, bei denen ein elektiver viszeralchirurgischer Eingriff notwendig ist, ein Beta-Blocker neu angesetzt werden muss, sollte die Einnahme mindestens einen Monat vor dem Eingriff begonnen werden, um ggf. eine Adjustierung der Dosis vornehmen zu können , , .

Diuretika Diuretika sollten am Operationstag pausiert werden, da sie das Risiko für eine intraoperative Hypovolämie erhöhen können. Postoperativ sollten sie jedoch wieder eingenommen werden, insbesondere bei Patienten mit einer Herzinsuffizienz , .

Metformin Auch wenn die mögliche Relevanz des oralen Antidiabetikums Metformin für die Induktion einer Laktatazidose weiterhin kontrovers diskutiert wird , so wird ein Absetzen 48 Stunden vor dem Eingriff empfohlen.

Acetylsalicylsäure und Thienopyridin-Derivate Eine Thrombozytenaggregationshemmung (in der Regel 100 mg Acetylsalicylsäure täglich) gehört zur Standardtherapie bei den meisten Patienten mit einer KHK. Die Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie (ESC) von 2009 empfehlen für Patienten mit einem unbeschichteten Stent ( bare metal stent, BMS) bzw. einem beschichteten Stent ( drug-eluting stent, DES) eine doppelte Thrombozytenaggregationshemmung mit Acetylsalicylsäure und einem Thienopyridin-Derivat (z. B. Clopidogrel) für einen Monat (BMS) bzw. 12 Monate (DES) nach Stentimplantation zur Senkung des Risikos eines StentVerschlusses und eines Myokardinfarkts . Für Patienten mit medikamentöser Thrombozytenaggregationshemmung, bei denen ein viszeralchirurgischer Eingriff notwendig ist, werden folgende Wartezeiten bis zur Operation empfohlen:

• Nach einer perkutanen transluminalen koronaren Angioplastie (PTCA) ohne Stentimplantation: 2 Wochen • Nach einer BMS-Implantation: 6 Wochen (besser: 3 Monate) • Nach einer DES-Implantation: 1 Jahr Patienten mit hohem kardialem Risiko (z. B. Patienten kurz nach einem akuten Koronarsyndrom, einer chirurgischen oder konservativen Koronarintervention bzw. Patienten mit rezidivierender Angina pectoris), bei denen ein viszeralchirurgischer Eingriff notwendig ist, der aber nicht verschoben werden kann, sollten Thienopyridin-Derivative für 7–10 Tage vor dem OP-Termin pausieren, während Acetylsalicylsäure während der gesamten perioperativen Phase weiter genommen werden sollte , , , , . Diese Empfehlung gilt auch für Patienten, bei denen ein Periduralkatheter indiziert ist.

L-Dihydroxyphenylalanin L-Dihydroxyphenylalanin (L-Dopa) ist das häufigste verschriebene Medikament bei Patienten mit Morbus Parkinson. Aufgrund seiner relativ kurzen Halbwertszeit sollte es während der gesamten perioperativen Phase weiter genommen werden, insbesondere da ein abruptes Absetzen zu einer lebensbedrohlichen Komplikation führen kann, die als (malignes) Dopa-Entzugssyndrom bekannt ist und charakterisiert ist durch Fieber, Verwirrtheit und erhöhte Serumspiegel der Muskelenzyme .

2.2.6 Schrittmacher und implantierbare Cardioverter/Defibrillatoren Eine zunehmende Zahl von Patienten, bei denen ein viszeralchirurgischer Eingriff notwendig ist, hat einen Schrittmacher (SM) oder einen implantierbaren Cardioverter/Defibrillator (ICD). Hier gilt in erster Linie, dass der entsprechende SM/ICD-Pass während der gesamten perioperativen Phase zugänglich ist. Aufgrund möglicher elektromagnetischer Interferenzen während des operativen Eingriffs sind bestimmte Sicherheitsvorkehrungen notwendig, die in zusammengefasst sind. An dieser Stelle sei jedoch darauf hingewiesen, dass einerseits evidenzbasierte und einheitliche Richtlinien fehlen, andererseits die große Anzahl an Herstellern und Systemen allgemeingültige Empfehlungen extrem schwierig macht [44], [55], [94], [97].

Tab. 2.4 Sicherheitsempfehlungen für Patienten mit einem Schrittmacher (SM) oder implantierbarem Cardioverter/Defibrillator (ICD). Empfehlungen für Patienten mit einem SM • Im Idealfall sollte nur bipolarer Strom eingesetzt werden, da monopolarer Strom relativ häufig Interferenzen verursacht. • Sofern monopolarer Strom eingesetzt werden muss, sollten kurze Impulse von niedriger Energie mit intermittierenden kurzen Unterbrechungen angewendet werden, und die Neutralelektrode sollte so weit vom ICD-System entfernt platziert werden wie möglich. Zudem sollte innerhalb eines Abstands von 15 cm vom ICD-System kein monopolarer Strom verwendet werden. • Ein präoperativer Systemcheck sollte durchgeführt werden, sofern der letzte länger als 1 Jahr zurückliegt. • Sofern die Notwendigkeit einer permanenten SM-Stimulation besteht, muss eine alternative externe Stimulationsmöglichkeit vorhanden sein. • Diathermie kann eine Störung der Lesefunktion (sensing) eines SM verursachen, was ggfs. zu einer Repression der Stimulationsfunktion (pacing) führen kann. Für einen solchen Fall sollte ein Magnet vorhanden sein, um die Sensing-Funktion des SM zu inaktivieren und ihn in einen asynchronen Modus zu überführen. • Eine postoperative SM-Kontrolle wird empfohlen, sofern elektrischer Strom zu nah am SM-System verwendet wurde. Sie ist zwingend notwendig, wenn das System präoperativ umprogrammiert wurde oder wenn perioperativ eine Kardioversion erfolgte. Die Kontrolle sollte entweder im Aufwachraum oder auf der Intensivstation erfolgen. Zusätzliche Empfehlungen für Patienten mit einem ICD • Die Antitachykardiefunktion des ICD sollte präoperativ ausgeschaltet werden. Logischerweise muss daher ein externer Defibrillator verfügbar sein. • In seltenen Fällen kann ein ICD die Diathermie als ventrikuläres Flimmern fehlinterpretieren. Daher sollte ein Magnet vorhanden sein, um ggfs. die Antitachykardiefunktion auszuschalten

2.2.7 Mechanische Darmvorbereitung Vor mehr als 10 Jahren beschrieb der Dänische Chirurg Hendrik Kehlet ein multimodales Konzept zur Verbesserung der postoperativen Rekonvaleszenz bei elektiven offenen chirurgischen Eingriffen [68], [69]. Die Basis dieses sogenannten Fast-Track-Konzepts ist die stufenweise Kombinierung verschiedener evidenzbasierter Abläufe, die detailliert im beschrieben werden. Eine zentrale Säule stellt dabei der Verzicht auf eine mechanische Darmvorbereitung vor gastrointestinalen Eingriffen dar. Die ursprüngliche Rationale für eine mechanische Darmvorbereitung war es, durch eine Säuberung des Dickdarms das Risiko für Infektionen nach kolorektalen Resektionen zu reduzieren und kolorektale Anastomosen zu schützen. Mittlerweile haben allerdings mehrere prospektive randomisierte Studien gezeigt, dass eine mechanische Darmvorbereitung keinen Vorteil in der offenen kolorektalen Chirurgie mit sich bringt [93]. Stattdessen kann es zu Übelkeit und abdominalen Schmerzen kommen, die postoperative Nahrungsaufnahme kann erschwert sein, und Elektrolytverschiebungen und Dehydration können die Folge sein. Aus diesem Grund wird die generelle mechanische Darmvorbereitung nicht mehr empfohlen, lediglich Klistiere sollten präoperativ verabreicht werden. Es sei an dieser Stelle jedoch auf die französische GRECCAR-III-Studie hingewiesen, in welcher der Verzicht auf eine mechanische Darmvorbereitung mit einer erhöhten Morbidität nach elektiver Rektumresektion assoziiert war [16]. Folglich sollten Patienten mit einem Rektumkarzinom weiterhin eine präoperative mechanische Darmvorbereitung erhalten.

2.2.8 Andere präoperative Überlegungen Rauchen Rauchen erhöht als kardialer Stressfaktor das Risiko für perioperative Komplikationen, insbesondere bei älteren Patienten mit eingeschränkter kardialer Funktion . Um allerdings einen Benefit zu haben, sollte das Rauchen mehrere Wochen vor der geplanten Operation eingestellt werden [115].

Zusatzernährung Auch wenn keine exakte klinische Definition von Mangelernährung existiert, so gibt es dennoch gute Evidenz, dass mangelernährte Patienten ein erhöhtes Risiko für perioperative Komplikationen aufweisen [11], [74], [123]. Konsequenterweise sollten mangelernährte Patienten bereits präoperativ eine enterale und ggf. auch parenterale Zusatzernährung erhalten. Für alle anderen Patienten gibt es bisher keine Evidenz für den Nutzen einer präoperativen Zusatzernährung.

Adipositas Die Adipositas gilt als relevanter Risikofaktor für das Auftreten perioperativer Komplikationen mit einer erhöhten Morbidität und Mortalität [29]. Insbesondere venöse Thromboembolien oder Lungenarterienembolien in der Vorgeschichte sowie das Vorhandensein eines obstruktiven Schlafapnoe-Syndroms stellen hier unabhängige Risikofaktoren dar [45]. Da das perioperative Management bei ausgeprägter Adipositas sehr anspruchsvoll ist, insbesondere aufgrund des erhöhten Risikos für eine inkorrekte Medikamentendosierung, sei bezüglich detaillierter Empfehlungen auf entsprechende fokussierte Übersichtsarbeiten verwiesen [29].

Chemotherapie und Radiochemotherapie Aufgrund der zunehmenden Komplexität moderner Behandlungskonzepte in der multimodalen Tumortherapie steigt die Anzahl derjenigen Patienten deutlich an, die präoperativ eine Chemotherapie erhalten haben, entweder alleine oder in Kombination mit einer Bestrahlung. Ein gewisses Grundverständnis für typische Nebenwirkungen der häufig eingesetzten Chemotherapeutika bzw. einer Strahlentherapie ist daher unerlässlich: Das Anthracyclin Epirubicin, welches unter anderem in der Behandlung des lokal fortgeschrittenen Magenkarzinoms eingesetzt wird, erhöht das Risiko für eine Kardiomyopathie und eine Herzinsuffizienz, insbesondere bei älteren Patienten mit bereits bestehenden kardialen Grunderkrankungen [99]. Daher sollten Patienten mit manifester Kardiomyopathie, die präoperativ eine Chemotherapie mit Epirubicin erhalten haben, im Rahmen der OP-Vorbereitung zusätzlich zum konventionellen EKG auch eine Echokardiografie erhalten [127]. Das Pyrimidin-Analogon 5-Fluoruracil (5-FU), welches das bei gastrointestinalen Karzinomen am häufigsten eingesetzte Chemotherapeutikum darstellt, kann Koronarspasmen und myokardiale Ischämien induzieren [99]. Patienten, die präoperativ mit dem Topoisomerase-I-Inhibitor Irinotecan behandelt wurden, weisen ein erhöhtes Risiko für eine Diarrhö-induzierte Unterernährung auf [99]. Die strahlentherapeutische Behandlung eines Karzinoms des unteren Ösophagus stellt einen kardialen Risikofaktor dar, während die Bestrahlung eines Rektumkarzinoms eine schwere Enteritis, Malabsorption und Diarrhö hervorrufen kann [99].

2.3 Intraoperatives Management 2.3.1 Präoperative Antibiotikaprophylaxe Ziel einer präoperativen antimikrobiellen Prophylaxe ist die Reduktion der bakteriellen Belastung auf ein Niveau, welches durch das individuelle, innate Abwehrsystem des Patienten beherrscht werden kann. Die Bedeutung einer adäquaten antimikrobiellen Prophylaxe zur Vermeidung einer chirurgischen Wundinfektion wird daran deutlich, dass sie in die „Safety Checklist“ der World Health Organization (WHO) aufgenommen wurde. Zudem belegen zwei große Studien die Wirksamkeit dieser „Safety Checklist“ als Maßnahmenbündel [32], [62]. Darüber hinaus gibt es kaum eine medikamentöse Intervention in der perioperativen Phase, die Gegenstand so vieler kontrovers geführter Diskussionen ist wie die perioperative Antibiotikaprophylaxe. Trotz ihrer erwiesenen Wirksamkeit existiert eine Vielzahl offener Fragen, deren Beantwortung den Wirkungsgrad dieser präventiven Maßnahme weiter optimieren kann.

Pharmakokinetische Aspekte Während für alle gebräuchlichen Antibiotika der Zeitraum bekannt ist, bis sie ihren maximalen Plasmaspiegel erreichen, ist im Vergleich dazu sehr wenig darüber bekannt, wie lange es für die einzelnen Antibiotika dauert, bis sie eine adäquate (vor Ort wirksame) Konzentration in der Haut oder in anderen Organen erreicht haben. Darüber hinaus kann eine kompromittierte Hämodynamik oder das Vorliegen einer Grunderkrankung das Verteilungsvolumen und damit nachhaltig die Konzentration am gewünschten Wirkort beeinflussen. Cephalosporine, die verbreitet zur Wundinfektionsprophylaxe angewendet werden, erreichen üblicherweise ihren Plasmapeak unmittelbar nach ihrer intravenösen Anwendung. Dagegen ist ihre Verteilung in die Zellen abhängig von der Organperfusion, der Plasmabindungsrate, ihrer Molekülgröße und anderen Faktoren. Die Studien von Stone [112] und Classen [24] legen eine Applikation zwischen einer und zwei Stunden vor dem Hautschnitt nahe. Daraus leitet sich auch die Empfehlung in der WHO-Checkliste für eine Applikation in einem Ein-Stunden-Intervall vor Hautschnitt ab, obwohl dieses Zeitfenster bislang nie systematisch und prospektiv untersucht wurde. Andere Studien konnten eindrucksvoll belegen, dass eine Ausdehnung der perioperativen Prophylaxe über ein Zeitfenster von 24 Stunden hinaus zur Resistenzentwicklung und zu höheren Raten von chirurgischen Wundinfektionen führt [12].

Eingriffsbezogene Indikation Überlegungen im Zusammenhang mit der Nutzung von perioperativer Antibiotikaprophylaxe sollten folgende Aspekte berücksichtigen:

• Ort der Operation • Art des Eingriffs • Applikation einer adäquaten Dosis • Identifikation zusätzlicher patientenbezogener Risiken • Lokale Besonderheiten in der Resistenz bestimmter Bakterienarten Beispielsweise wird der Ort des Eingriffs darüber bestimmen, ob das eingesetzte Antibiotikum grampositive und gramnegative Erreger gleichermaßen erreichen soll. So verlieren z. B. die häufig genutzten Cephalosporine ihre grampositive Wirksamkeit von Generation zu Generation, gleichzeitig steigt ihre Wirksamkeit im gramnegativen Bereich (dies trifft nicht zu für die Cephalosporine der fünften Generation, wie z. B. Ceftarolin, das eine hohe Wirksamkeit gegen grampositive Erreger aufweist, inkl. MRSA). Cefazolin ist eine häufig genutzte, sinnvolle Substanz, wenn das Ziel in einer Vermeidung von Haut- und tieferen Weichteilinfektion besteht (z. B. Faszie und Muskulatur). Demgegenüber sind Drittgenerations-Cephalosporine geeignet, um Infektionen in der abdominalen Höhle und ihren Organe zu vermeiden. Ceftriaxon, ein Cephalosporin der dritten Generation, hat eine gute Penetrationsfähigkeit in Zellen und eine hohe Plasmabindungsrate, die zu einer langen Plasmahalbwertszeit von bis zu 8 Stunden führt. Im Gegensatz dazu hat das ZweitgenerationsCephalosporin Cefotiam eine Plasmahalbwertszeit von 30 Minuten und ist deswegen nach Einmalapplikation ungeeignet für jeden Eingriff, bei dem die Zeit bis zum Wundverschluss eine Stunde übersteigt. In Fällen, bei denen die OP-Dauer die Plasmahalbwertszeit des gewählten Antibiotikums überschreitet, kann bzw. sollte eine zweite Dosis nach 3 Stunden erwogen werden [39]. Obwohl das Risiko einer chirurgischen Wundinfektion in entwickelten Ländern sehr niedrig ist und sich bei elektiver Chirurgie in einem Bereich von 1– 3 % bewegt, besteht kein Zweifel daran, dass diese Infektionsrate weiter reduziert werden könnte [117]. Dazu müssen die entsprechenden Antibiotika vor jeder Intervention standardisiert festgelegt sein und darüber hinaus eine Alternativsubstanz für diejenigen Fälle fixiert sein, bei denen eine Kontraindikation gegen das Antibiotikum der ersten Wahl besteht. Die Antibiotikaprophylaxe kann zwar in der Vorbereitung oder im OP verabreicht werden, dennoch wäre eine frühere Applikation möglicherweise sinnvoll. In jedem Fall sollte die Applikation unmittelbar nach Etablierung eines intravenösen Zugangs erfolgen. In Einrichtungen, die über eine Holding-Area verfügen, erscheint die dortige Applikation zur Sicherstellung eines adäquaten Zeitfensters vor dem Hautschnitt ein möglicherweise sinnvoller Ansatz zu sein.

Postoperative Anwendung Die Anwendung eines Antibiotikums nach chirurgischem Wundverschluss ist definitiv keine perioperative Antibiotikaprophylaxe und konterkariert den Ansatz, der hinter einer perioperativen Prophylaxe steht. Die Anwendung von Antibiotika als „extendierte Prophylaxe“ nach operativem Wundverschluss erhöht das Risiko einer chirurgischen Wundinfektion um den Faktor 5 und begünstigt die Entwicklung von resistenten Bakterienstämmen [24], [83]. Selbst eine korrekt durchgeführte Single-Shot-Prophylaxe kann schwere Clostridium-difficile- Infektionen mit hochvirulenten Stämmen und schweren, lebensbedrohlichen Erkrankungen auslösen [22], [30].

Forschungsbedarf Neben der Tatsache, dass chirurgische Wundinfektionen zu lebensbedrohlichen Komplikationen führen können, erhöhen sie nachhaltig die Dauer des Krankenhausaufenthalts und sind mit erheblichen Kosten verbunden. Bis heute fehlen überzeugende Daten, die ein hohes Maß an Evidenz für den genauen Zeitpunkt und die Art und Weise liefern, wie eine perioperative Prophylaxe durchgeführt werden sollte. Studien, die diesen Fragen nachgehen und damit Wege zu einer Reduktion der chirurgischen Wundinfektion aufzeigen, haben unzweifelhaft nachhaltigen Einfluss auf die mögliche Infektions- und Nebenwirkungsrate und damit das Gesamtergebnis.

2.3.2 MRSA Es gibt eine kontroverse Diskussion, ob eine durchgeführte antibiotische Prophylaxe resistente Bakterienstämme wie etwa einen methicillinresistenten Staphylococcus aureus (MRSA) einschließen sollte, wenn der Patient vor der Durchführung der Operation mit einem MRSA-Stamm besiedelt ist [19]. Die verfügbaren Daten unterstützen derzeit, im Zusammenhang mit der Durchführung einer präoperativen Antibiotikatherapie, nicht die generelle Nutzung einer Substanz mit Wirksamkeit gegen MRSA-Stämme bei denjenigen Patienten, die mit diesem Erregertypus kolonisiert sind. Zwei kleine Studien, die in Krankenhäusern mit einer hohen Prävalenz von MRSA durchgeführt wurden, ergaben unterschiedliche Ergebnisse für herzchirurgische und neurochirurgische Patienten [42], [113]. Die Studie an herzchirurgischen Patienten ergab keinen Unterschied in Hinblick auf die Rate chirurgischer Wundinfektionen beim Vergleich von Vancomycin und Cefazolin, wohingegen der gleiche Studienansatz zu einer deutlichen Reduktion der Rate an Shuntinfektionen und der Mortalität bei neurochirurgischen Patienten führte.

2.3.3 Joint Decision Making Zur Optimierung der perioperativen antibiotischen Therapie sind Anstrengungen eines multidisziplinären Teams erforderlich, zu dem neben Chirurgen und Anästhesisten auch der Mikrobiologe und das gesamte Pflegepersonal gehört, das in die perioperativen Prozessabläufe eingebunden ist. Diese Anstrengungen erfordern in der Regel die Fixierung und Nutzung standardisierter Protokolle sowie die Nutzung von Methoden des Qualitätsmanagements [33], [73]. Eine interessante Studie konnte zeigen, dass Qualitätsverbesserungsmaßnahmen aus der Industrie erfolgreich auf das Setting im Krankenhaus übertragen werden können und damit eine adäquate und effiziente antibiotische perioperative Prophylaxe erzielt werden kann [18].

2.3.4 Maßnahmen zur Vermeidung postoperativer Komplikationen Ausgedehnte abdominalchirurgische Eingriffe stellen per se eine Herausforderung für das innate Abwehrsystem und das gesamte Gleichgewicht des menschlichen Organismus dar, der als Ganzes in adäquater Weise auf den chirurgisch induzierten Stress reagieren muss und/oder die Hämostase der biologischen Systeme aufrechterhalten bzw. wiederherstellen muss. In dem Maße, in dem es gelingt, die Stressantwort des Körpers während des chirurgischen

Eingriffs zu kontrollieren, gelingt es auch, die Vulnerabilität des Gesamtorganismus gering zu halten und damit das Auftreten von Komplikationen zu vermeiden. Es ist evident, dass Maßnahmen, die bei der Einleitung und Aufrechterhaltung einer Narkose zur Anwendung kommen, ebenfalls die Hämostase beeinflussen. Aus einer Vielzahl potenzieller Faktoren, die Einfluss auf die Inzidenz und die Schwere postoperativer Komplikationen nehmen können, fokussiert sich diese Übersicht auf 5 Faktoren, die wahrscheinlich den höchsten Einfluss auf die perioperative Morbidität und Mortalität haben .

Atemwegsmanagement und Beatmung Auf 10.000 Anästhesien kommen etwa 1–5 dokumentierte schwere Aspirationen . Eine solche Aspiration kann unbeobachtet während aller Phasen der Anästhesie auftreten, beginnend mit der Induktion bis zur postoperativen Phase im Aufwachraum. Bei einem gesunden, nicht durch eine Operation belasteten Individuum löst eine unbeobachtete Aspiration (Mikroaspiration) in der Regel keine schwerwiegenden Komplikationen aus. Im Zusammenhang mit einer chirurgischen Intervention, die per se eine Belastung für das Immunsystem darstellt, ist die Lunge möglicherweise „empfänglicher“ und damit bereits durch eine geringe Zahl von Bakterien aus dem Oropharynx mehr gefährdet, als dies unter normalen Bedingungen der Fall wäre. Darüber hinaus ist abdominalchirurgischen Eingriffen ein höheres Risiko für postoperative pulmonale Komplikationen inhärent, als dies bei anderen operativen Eingriffen der Fall ist. Insofern ist die Annahme berechtigt, dass eine Reduktion gerade dieser pulmonal bedingten Komplikationen das Outcome der Patienten nachhaltig beeinflussen würde [25], [107]. Allgemeine protektive Maßnahmen Es gibt eine anhaltende Diskussion über das Ob und Wie von präoperativen oropharyngealen Hygienemaßnahmen, die Art des Tubuscuffs bei endotrachealer Intubation, zur Wertigkeit der intraoperativen Cuffdruckkontrolle und zur Nutzung von Endotrachealtuben, die eine kontinuierliche supraglottische Absaugung ermöglichen. Allerdings existieren bislang keine validen Daten, in welchem Umfang einzelne oder die Kombination mehrerer dieser Maßnahmen tatsächlich Einfluss auf das Auftreten postoperativer pulmonaler Komplikationen haben [120]. In einer Studie bei 86 Patienten, die einer Ösophagektomie unterzogen wurden, war die Inzidenz von postoperativen Pneumonien in einer Gruppe von Patienten, die ihre Zähne 5-mal am Tag nach einem fixierten Protokoll gereinigt hatten, signifkant reduziert im Vergleich zu denjenigen, die ihre gewohnte Zahnpflege durchführten . In einer großen Kohorte herzchirurgischer Patienten konnten Bouza und Kollegen die Kosteneffektivität von supraglottischer Absaugung in der postoperativen Phase zeigen [10]. Für die Wirksamkeit dieser Maßnahme während des intraoperativen Verlaufs existieren bislang keine Daten. Protektive ventilatorische Strategie Im Jahr 2000 konnte die Studie des Acute Respiratory Distress Syndrome Clinical Network (ARDSnet) eindrucksvoll und erstmals zeigen, dass eine protektive ventilatorische Strategie unter Nutzung kleiner Tidalvolumina (6 ml pro kg berechnetes ideales Körpergewicht) und eines prädefinierten positiv endexspiratorischen Drucks (PEEP) die Letalität von Patienten, die während einer Intensivtherapie beatmet werden müssen, nachhaltig senken kann [114]. In einer kürzlich publizierten Studie konnten Futier und Mitarbeiter zeigen, dass die Nutzung des gleichen Konzepts in der intraoperativen Phase zu einem deutlich verbesserten klinischen Outcome und zu einem geringeren Verbrauch von medizinischen Ressourcen führt [51]. Diese Studie konnte die Hinweise aus kleineren Studien bei abdominalchirurgischen Patienten nachhaltig belegen und erstmals darlegen, dass die vermeintlich „kurze“ intraoperative Beatmungszeit ebenfalls nachhaltigen Einfluss auf den postoperativen Verlauf hat [40], [61], [87]. Atelektasen Die Einleitung einer Anästhesie führt zur Ausbildung von Atelektasen überwiegend in den kaudalen abhängigen Partien der Lunge. Die Vermeidung bzw. Wiedereröffnung atelektatischer Bezirke vergrößert die funktionelle Residualkapazität (FRC) und verbessert damit den Gasaustausch in der postoperativen Phase [37], [81]. Vor diesem Hintergrund machen Maßnahmen zur Vermeidung bzw. zur Wiederherstellung der Belüftung von atelektatischen Lungenarealen im Hinblick auf die Vermeidung von postoperativen Komplikationen Sinn. Der intraoperative Gebrauch von positiv endexspiratorischem Druck (PEEP) wird jedoch weiterhin kontrovers diskutiert. Squadrone und Kollegen konnten zeigen, dass die Anwendung von PEEP im Rahmen elektiver abdominalchirurgischer Eingriffe im Aufwachraum zu einer Verringerung der postoperativen Komplikationsrate führt [64], [110]. Fazit Zusammenfassend machen gezielte orale Hygienemaßnahmen und der Gebrauch spezieller endotrachealer Tuben zumindest bei Hochrisiko-Patienten im Rahmen ausgedehnter abdominalchirurgischer Eingriffe Sinn und sind in der Lage, das klinische Outcome der Patienten positiv zu beeinflussen. Aufgrund der aktuellen Studienlage kann der Gebrauch von protektiver Ventilation im Sinne der Anwendung kleiner Tidalvolumina und eines vordefinierten PEEP als evidenzbasiert angesehen werden. Darüber hinaus gibt es zumindest eine gute physiologische Rationale, die Entstehung von Atelektasen zu vermeiden bzw. atelektatische Bezirke intra- und/oder postoperativ wieder zu eröffnen.

Wahl der Anästhetika und der Form der Allgemeinanästhesie Alle anästhetisch wirksamen Substanzen sind in der Lage, in unterschiedlichem Umfang die Stressantwort des Organismus auf eine chirurgische Intervention zu beeinflussen. Einerseits ist dies ein wünschenswerter Effekt, andererseits verringern sie damit auch die Fähigkeit des innaten Immunsystems, wirksam auf Quellen einer möglichen Infektion in der postoperativen Phase zu reagieren. Alle Formen der Allgemeinanästhesie, die Kombination aus volatilen Anästhetika und i. v. Anästhetika („balanced anaesthesia“), eine rein volatile Anästhesie oder die Nutzung einer rein intravenösen Anästhesie (TIVA) führen unabhängig von der Wahl der angewandten Substanzen in dem Grad zu einer Verringerung des mesenterialen Blutflusses, in dem sie die allgemeine Hämodynamik negativ beeinflussen , [75], [102]. Die Kombination von Allgemeinanästhesie und thorakaler epiduraler Anästhesie (TEA) ist aus einer Vielzahl von Gründen in vielen Einrichtungen das Verfahren der Wahl für die Durchführung ausgedehnter abdominalchirurgischer Eingriffe geworden. Die TEA verbessert den mesenterialen Blutfluss und verbessert damit das Sauerstoffangebot für die Abdominalhöhle. Darüber hinaus erlaubt eine TEA die wirksame und nachhaltige postoperative Schmerzkontrolle. Dieser Aspekt stellt einen wichtigen Teil und Eckpfeiler des Fast-Track-Konzepts dar [47], [67], [88]. Neuere Studien geben zudem einen Hinweis darauf, dass zumindest für einige Tumorarten die Anlage einer TEA zu einer Reduktion des Wiederauftretens dieser Tumoren nach erfolgter chirurgischer Resektion führt. Auch wenn die Kombination aus Allgemeinanästhesie und thorakaler epiduraler Anästhesie somit besonders attraktiv für die Tumorchirurgie ist, erfordert sie gleichzeitig eine differenzierte Abwägung möglicher Vorteile und Risiken, die aus der Kombination von TEA und Allgemeinanästhesie entstehen [56], [109], [116], [124].

Blutzuckerkontrolle Eine Vielzahl von Studien hat die negativen Effekte hyperglykämischer Phasen während eines Krankenhausaufenthalts auf die Rate postoperativer Komplikationen einschließlich der Wundheilung, der Häufigkeit des Auftretens nosokomialer Infektionen, des Krankenhausaufenthalts und der Letalität zeigen können [21], [23], [53], [77], [86]. Eine viel beachtete Studie von van der Berge hat zu einer raschen und weiten Verbreitung des Konzepts der intensive glucose control bei kritisch kranken Patienten geführt [118]. Das Konzept wurde an einem Kollektiv von Patienten einer chirurgischen Intensiveinheit etabliert und dann rasch und ohne weitere Studien auf die gesamte Population von Intensivpatienten übertragen. In der Folge zeigte eine ganze Reihe von Studien, die diesen Ansatz bei Patienten mit Sepsis und einer allgemeinen Population von Intensivpatienten angewandt und validiert haben, dass es in anderen Patientenpopulationen in erheblichem Umfang zu schweren Hypoglykämien kommt und dieser Ansatz kritisch bewertet werden muss [20], [41]. Deshalb wurde das ursprüngliche Konzept modifiziert, und die sehr engen Blutglukosespiegelgrenzen wurden daraufhin etwas erweitert. Unabhängig von dieser Modifikation ist die enge Kontrolle des Blutzuckers per se sicher mehr als früher ein Goldstandard zur Vermeidung postoperativer Komplikationen. Valide Daten aus prospektiven Studien zum „optimalen“ Glukosespiegel in der postoperativen Phase existieren bislang nicht. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass in der täglichen klinischen Praxis der Blutzuckerspiegel unter maximal 180 mg/dl gehalten werden sollte, was gleichermaßen die Vermeidung von inakzeptabel erhöhten Blutzuckerspiegeln darstellt und die Zahl auftretender Hypoglykämien deutlich reduziert. Die intensivierte Blutzuckerkontrolle erfordert für die Anwendung im klinischen Alltag gut geschulte und hoch motivierte Mitarbeiter. Darüber hinaus ist die exakte, bettseitige Bestimmung des aktuellen Blutzuckerspiegels jederzeit und als Point-of-Care-Verfahren sicherzustellen, um erfolgreich mit einem Ansatz der engmaschigen Blutzuckerbestimmung und der Blutzuckerkontrolle innerhalb definierter Grenzen arbeiten zu können.

Flüssigkeitsmanagement Restriktives vs. liberales Flüssigkeitsmanagement In der Vergangenheit wurden bei ausgedehnten abdominalchirurgischen Eingriffen große Mengen an Kristalloiden und Kolloiden verabreicht . Neuere Studien

zum positiven Effekt eines restriktiven intraoperativen Flüssigkeitsmanagements auf die Häufigkeit postoperativer Komplikationen, meist in Verbindung mit dem Fast-Track-Konzept, stellen diesen traditionellen Ansatz jedoch infrage und haben eine anhaltende Diskussion darüber eröffnet, wie restriktiv ein perioperatives Volumenmanagement sein sollte [17], [71]. Allgemein erscheint heute ein differenzierter und individualisierter Ansatz angemessen. Bei Patienten ohne wesentliche Vorerkrankungen konnten Studien, die ein restriktives mit einem liberalen Flüssigkeitsmanagement verglichen haben, keinen Vorteil für das restriktivere Management nachweisen. Eine neuere Übersicht über 7 prospektive Studien, welche die restriktive und liberale Flüssigkeitssubstitution miteinander verglichen haben, ergab widersprüchliche Ergebnisse, sodass die Autoren in der Konsequenz folgerten, dass evidenzbasierte Richtlinien für ein optimiertes prozedurenspezifisches perioperatives Flüssigkeitsregime nicht gegeben werden können [17]. Es gibt jedoch Evidenz dafür, dass Hochrisikopatienten von einer frühen Intervention und einer zielgerichteten Therapie in der perioperativen Phase profitieren können. Das schließt auch die Optimierung des Volumenstatus ein, um das bestmögliche Sauerstoffangebot für die Zellen des Körpers und insbesondere den Teil des Zellapparates sicherzustellen, der unmittelbar in den mechanischen und biologischen Stress involviert ist, der durch die chirurgische Intervention verursacht wird [34], [50], [63]. Monitoring-Verfahren Das Sauerstoffangebot wird bestimmt durch das Herzzeitvolumen, den Volumenstatus, die Kontraktilität, den peripheren Widerstand und den Sauerstoffgehalt. Dies macht verständlich, warum eine Optimierung dieses Angebots weit mehr erfordert als die „reine“ Regulation des Volumenhaushalts: Es bedarf eines multifaktoriellen Ansatzes und des dafür erforderlichen Monitorings. Beim Monitoring von Patienten, die eine Volumentherapie erhalten, hat es einen klaren und evidenten paradigmatischen Wechsel von der Orientierung an Druckzielparametern hin zu Volumenzielparametern gegeben. Der traditionelle Pulmonalarterienkatheter ist weitgehend weniger invasiven Verfahren gewichen, die gleichzeitig die Bestimmung von Blutvolumina ermöglichen. Auch der bereits präoperative Transfer eines Hochrisikopatienten auf eine Intensivstation stellt eine präventive Intervention dar, welche die Möglichkeit des Transports eines optimierten Patienten in den OP eröffnet , [46], [49]. Wahl des Volumenersatzmittels Zudem hält die kontroverse Diskussion über die beste Lösung zum Volumenersatz und zur Volumenoptimierung an. Studien, die im Bereich der Intensivmedizin mit dem Gebrauch von kolloidalen Volumenersatzmitteln wie Hydroxyethylstärke und Gelatine durchgeführt wurden, geben konsistent Hinweise darauf, dass kolloidale Volumenersatzmittel das allgemeine Patienten-Outcome negativ beeinflussen können, besonders aber die renale Funktion [20], [100], [103], [104]. Diese Studien wurden jedoch in einem intensivmedizinischen Setting durchgeführt, meist mit Patienten, die an einer Sepsis litten und somit die Substanzen in kritischen Mengen und über mehrere Tage erhielten. Auch wenn ein kolloidales Volumenersatzmittel bei hohen intraoperativen Volumenverlusten die Wiederherstellung eines depletierten Volumenstatus rascher ermöglichen kann als kristalloide Lösungen [85], ist bislang ungeklärt, ob in dieser Konstellation die potenziellen Nebenwirkungen der Substanz akzeptiert werden sollten. Der Gebrauch von kolloidalen Volumenersatzmitteln erscheint in jedem Fall bei Patienten mit vorbestehenden Nierenproblemen besonders kritisch: Eine Studie konnte eindeutig zeigen, dass in Abhängigkeit von präoperativem SOFA-Score und dem laborchemischen Grad einer vorbestehenden Nierenbeeinträchtigung die Wahrscheinlichkeit für eine negative Auswirkung auf die Nierenfunktion durch die Anwendung kolloidalen Volumenersatzmittel nachhaltig steigt. Fazit Zusammenfassend erscheint ein moderat restriktiver Volumenersatz für Patienten ohne wesentliche Vorerkrankungen angemessen. Extreme Volumenbelastungen sollten definitiv vermieden werden. Hochrisikopatienten sollten früh identifiziert werden, ihr Volumenparameter sollte bestimmt und überwacht werden, und idealerweise sollten die Voraussetzungen für ein optimales Sauerstoffangebot bereits beim Eintreffen im OP optimiert sein. Die Bedeutung von Kolloiden bei raschem intraoperativem Volumenverlust bleibt weiter offen. Daraus resultiert derzeit eine individuelle Abwägung zwischen rascher Wiederherstellung einer ausreichenden Sauerstoffversorgung auf zellulärer Ebene und den möglichen Nebenwirkungen bei der Anwendung dieser Substanzgruppe. In jedem Fall sollte die Menge 20 ml/kg Körpergewicht und Tag nicht überschritten werden. Bei vorbestehender Nierenbeeinträchtigung sollte die Indikationsstellung noch kritischer abgewogen werden.

Temperaturmanagement Eine Vielzahl randomisierter Studien hat die negativen Effekte von perioperativer Hypothermie auf folgende Parameter belegen können:

• Wirkdauer von Muskelrelaxanzien • Intraoperativer Blutverlust • Bedarf an perioperativen Transfusionen • Postoperatives Zittern (shivering) • Postanästhetisches Wiedererwachen • Auftreten kardialer Ereignisse • Rate an chirurgischen Wundinfektionen • Dauer des Krankenhausaufenthalts Es besteht kein Zweifel, dass die adäquate Kontrolle der Körpertemperatur mit Wärmedecken oder warmen Flüssigkeiten einen entscheidenden Einfluss auf den Verlauf der Patienten in der postoperativen Phase hat [13]. Die Wirksamkeit von Wärmedeckensystemen wird überwiegend vom Design der Decken bestimmt. Während abdominalchirurgischer Eingriffe werden kleine Decken (oberer Körperanteil) und pädiatrische Decken benutzt. Die Größe der Decken bestimmt die Anforderungen an den Luftstrom der Wärmeeinheit. Es sollte immer die größte Wärmedecke genutzt werden, die angewendet werden kann. Die Erwärmung mit Wärmedecken allein kann für Patienten, bei denen große Mengen von Flüssigkeit infundiert werden müssen, nicht ausreichend sein. In diesem Fall sollten in jedem Fall auch Systeme zur Flüssigkeitserwärmung genutzt werden. Ein anderer wichtiger Ansatz ist die Vorwärmung des Patienten. In einer kürzlich publizierten Pilotstudie konnte eindeutig belegt werden, dass die Erwärmung von Patienten, bevor sie in den Operationssaal kommen, die postoperative Zahl von Hypothermien nachhaltig senkt, da sie die Umverteilung von Wärme nach Einleitung der Anästhesie reduziert [14]. Ein effektives Vorwärmen erfordert 30 bis 60 Minuten in einer Holdingzone und ist vor allem vom Einsatz des gesamten Teams abhängig, um die organisatorischen Herausforderungen eines solches Ansatzes zu meistern.

2.3.5 Intensivmedizin und Intermediate Care in der postoperativen Phase Das Konzept der Fast-Track-Chirurgie hat den Bedarf an ICU-Ressourcen für Patienten, die sich ausgedehnten gastrointestinalen Eingriffen unterziehen müssen, deutlich reduziert. Es gibt keinen nachvollziehbaren Grund, einen extubierten, stabilen und normothermen Patienten aus dem OP auf eine Intensivstation zu transferieren. Stattdessen akkumuliert die Evidenz, dass es unter bestimmten Voraussetzungen von Vorteil ist, einen solchen Patienten auf eine chirurgische Normalstation zu verlegen. Eine solche Entscheidung erfordert jedoch eine enge interdisziplinäre Kooperation und gut definierte Protokolle, wie die postoperative Betreuung auf einer Normalstation durchgeführt werden soll. Dieser Ansatz erhöht unzweifelhaft und nachhaltig die Arbeitsbelastung für das Personal auf einer Normalstation und verlangt hochmotiviertes und gut ausgebildetes Pflegepersonal, um ein solches Konzept erfolgreich und im Sinne einer optimierten Patientenversorgung umsetzen zu können [90], [101]. Eine Alternative mag die Etablierung von Intermediate-Care-Stationen sein, die einen höheren Grad an Versorgung sicherstellen können und in einem erweiterten Umfang Überwachungsmöglichkeiten bieten. Sie kann auch den Bedarf an Intensivbetten für Hochrisikopatienten reduzieren, die sich einem

abdominalchirurgischen Eingriff unterzogen haben. Für Patienten, die sich einem gefäßchirurgischen oder thoraxchirurgischen Eingriff unterziehen, konnte die Effektivität derartiger Intermediate-Care-Stationen belegt werden [98], 105]. Auch wenn Umfang und Ausmaß von Pflege, Monitoring und Behandlungsoptionen auf einer Intermediate-Care-Station stark variieren, stellt sie im Allgemeinen zumindest ein basales hämodynamisches Monitoring sicher. Zudem besteht in der Regel die Möglichkeit zur nichtinvasiven Beatmung und zur intravenösen Medikamententherapie. Patienten, die sich einem großen abdominalchirurgischen Eingriff unterziehen müssen und die ein hohes Risiko für ein ungünstiges Outcome haben, sollten jedoch weiterhin geplant intensivmedizinisch betreut werden, insbesondere ältere Patienten mit chronisch respiratorischen Erkrankungen , [79], [126]. Wenn voraussichtlich ein ausgedehntes Monitoring, eine Beatmung, eine kontinuierliche Anwendung mehrerer intravenöser Medikamente oder irgendeine Art von extrakorporaler Unterstützung erforderlich werden, sollte und muss der Patient auf eine adäquat ausgestattete Intensivstation verlegt werden. Für diese Patienten sollte unter Umständen bereits die präoperative Aufnahme auf die Intensivstation erwogen werden. Zusammenfassend benötigen die meisten Patienten, die sich einem elektiven abdominalchirurgischen Eingriff unterziehen müssen, nicht notwendigerweise intensivmedizinische Ressourcen. Demgegenüber sollte bei Hochrisikopatienten die Indikation zur intensivmedizinischen Betreuung großzügig gestellt werden, möglicherweise bereits präoperativ zur Vorbereitung auf den anstehenden Eingriff. Idealerweise würde eine solche Versorgung auf einer Step-up-Step-downEinheit realisiert werden, die es erlaubt, Grad und Umfang der Versorgung an die individuellen Bedürfnisse des Patienten anzupassen, ohne dass dabei die geografische Lokalisation des Patienten verändert werden muss [119].

2.4 Postoperatives Management Die perioperative Behandlungsstrategie chirurgischer Patienten hat sich in den vergangenen Jahrzehnten deutlich verändert, beeinflusst vor allem durch Erkenntnisse moderner Fast-Track-Programme ( ). Die postoperative Behandlung besteht heutzutage im Wesentlichen aus sechs Säulen ( ). Alle diese Behandlungsstrategien sind eng miteinander verzahnt und beeinflussen sich gegenseitig. Mitentscheidend für die konsequente Umsetzung dieser Prinzipien und damit den Gesamterfolg ist jedoch die Verfügbarkeit von Personal (Ärzte, Pflegepersonal, Physiotherapeuten) in hinreichender Qualität und Quantität. Diese Abhängigkeit stellt häufig den limitierenden Engpass für eine erfolgreiche Implementierung dieser Konzepte dar, insbesondere in Zeiten zunehmender ökonomischer Zwänge.

2.4.1 Moderne Opioid-sparende Analgesie Ein entscheidender Faktor im postoperativen Management ist eine erfolgreiche Analgesie, da Schmerzen die Motivation und Mobilisierung des Patienten behindern, einen negativen Einfluss auf ein konsequentes Atemtraining haben und die orale Nahrungsaufnahme einschränken. Die Prinzipien der Opioidsparenden Analgesie und Regionalanästhesien konnten nachweislich die postoperative Ileusrate reduzieren und die Rekonvaleszenz beschleunigen [70], [121], [122]. Da ein modernes Schmerzmanagement jedoch zunehmend komplexer wird, implementieren mehr und mehr Krankenhäuser spezialisierte Teams („akuter Schmerzdienst“), welche die postoperative Schmerztherapie beaufsichtigen.

2.4.2 Frühzeitige Mobilisierung und Prävention venöser Thromboembolien Ein weiterer wichtiger Faktor ist die frühzeitige Mobilisierung, da hierdurch insbesondere das Risiko für pulmonale Komplikationen und venöse Thromboembolien (VTE) reduziert wird. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass unter der Vielzahl an Risikofaktoren für eine VTE das Vorhandensein einer malignen Grunderkrankung eine prominente Stellung einnimmt , [80]. Das Thromboembolie-Risiko ist besonders hoch in den ersten Monaten nach Diagnosestellung sowie beim Vorliegen von Fernmetastasen. Es wird zusätzlich vergrößert durch eine Chemotherapie sowie operative Eingriffe , [80]. Da eine umfassende Darstellung aller relevanten Aspekte zu diesem Thema den Umfang dieses Kapitels übersteigen würde, haben wir praktische Empfehlungen zur VTE-Prophylaxe in zusammengefasst, modifiziert basierend auf den entsprechenden Richtlinien [26], [80], [82], [111].

Tab. 2.5 Praktische Empfehlungen zur Prophylaxe venöser Thromboembolien (VTE). • Sofern keine akute Blutung oder andere Kontraindikationen vorliegen, sollten aus unserer Sicht alle operierten Patienten eine medikamentöse VTEProphylaxe erhalten. Diese wird im Regelfall postoperativ begonnen und bis zur Entlassung fortgeführt. Anzumerken sei an dieser Stelle jedoch, dass die aktuellen Empfehlungen für Patienten nach einem Eingriff mit niedrigem Risiko und ohne Risikofaktoren für eine VTE keine medikamentöse Prophylaxe vorsehen, sondern lediglich Kompressionsstrümpfe und eine konsequente Mobilisierung. • Gebräuchliche Optionen zur VTE-Prophylaxe: niedrig dosiertes unfraktioniertes Heparin (UFH) oder niedermolekulares Heparin (NMH). Der Einsatz von NMH bei Patienten mit Niereninsuffizienz ist jedoch problematisch. • Bei Patienten, bei denen wegen eines chronischen Vorhofflimmerns, einer mechanischen Herzklappe oder aus anderen Gründen eine therapeutische Antikoagulation notwendig ist, muss zweimal täglich eine gewichtsadaptierte NMH-Dosis appliziert werden oder eine Umstellung auf intravenöses UFH erfolgen (aPTT-gesteuert). • Da elektive chirurgische Eingriffe in der Regel tagsüber durchgeführt werden, sollte die subkutane Prophylaxe abends appliziert werden. Bei Patienten, die therapeutisch antikoaguliert werden, sollte das NMH am Morgen des OP-Tages pausiert bzw. der UFH-Perfusor 4 Stunden vor Narkosebeginn ausgeschaltet werden (Periduralkatheter!). • Je nach Thrombose- und Blutungsrisiko sollte unmittelbar postoperativ auf der Intensivstation (in seltenen Fällen bereits intraoperativ) die Behandlung mit intravenösem UFH begonnen werden (meist 100–200 Einheiten/Stunde). • Bei Patienten mit gastrointestinaler Tumorerkrankung sollte die VTE-Prophylaxe insbesondere nach Eingriffen im Beckenbereich auch nach Entlassung fortgeführt werden (für insgesamt 30 postoperative Tage), vor allem bei residuellem Tumorbefall, beim Vorliegen von Metastasen, bei Adipositas oder einer VTE in der Vorgeschichte.

2.4.3 Vielseitige Atemtherapie Eine vielseitige Atemtherapie, unter anderem mittels Atemtrainer, gilt als wichtigster Faktor zur Reduktion postoperativer pulmonaler Komplikationen [27], [76], [96]. Dabei ist zu beachten, dass Patienten mit einer bereits präoperativ eingeschränkten Lungenfunktion schon vor der Operation mit dem Lungentraining anfangen sollten. Zudem sollte die Indikation für transnasale Magensonden bei Patienten mit wesentlichen Risikofaktoren für pulmonale Komplikationen ( ) großzügig gestellt werden.

2.4.4 Frühes Entfernen von Sonden, Kathetern und Drainagen Sonden, Katheter und Drainagen schränken die Bewegungsfreiheit des Patienten ein und wirken sich somit negativ auf die Motivation zur frühzeitigen Mobilisierung aus. Bis vor wenigen Jahren wurden transnasale Magensonden routinemäßig für einen längeren postoperativen Zeitraum unter der Vorstellung belassen, Übelkeit, Erbrechen und Meteorismus zu reduzieren sowie das Risiko für eine Aspirationspneumonie zu senken. Dafür gibt es aber kaum wissenschaftliche Evidenz [89], [125]. Wir belassen Magensonden in der Regel nur, sofern sie mehr 100 ml pro Tag fördern. Die Rationale für die Verwendung von Drainagen nach viszeralchirurgischen Eingriffen besteht darin, postoperative Nachblutungen, Anastomoseninsuffizienzen, Leckagen oder Verhalte rechtzeitig detektieren und ggf. frühzeitig intervenieren zu können. Sofern durch die platzierte Drainage eine Nachblutung, Insuffizienz oder Leckage adäquat abgeleitet wird und der Patient klinisch stabil ist, kann in solchen Fällen auf eine operative Revision oder

Intervention verzichtet werden [35], [36]. Auch wenn prospektive Studien gezeigt haben, dass viele elektive viszeralchirurgische Eingriffe ohne den routinemäßigen Einsatz intraabdominaler Drainagen sicher durchgeführt werden können, wird die Debatte über ihren prophylaktischen Einsatz weiterhin hitzig geführt [92].

2.4.5 Frühzeitige orale Ernährung Bis vor wenigen Jahren folgte auf einen viszeralchirurgischen Eingriff im Regelfall eine längere Nüchternphase mit dem Ziel, einer postoperativen Übelkeit vorzubeugen und intestinale Anastomosen vor mechanischem Stress zu schützen. Mehrere klinische Studien konnten jedoch aufzeigen, dass diese Praxis keinen Vorteil mit sich bringt [78]. Folglich wird heutzutage ein frühzeitiger oraler Kostaufbau nach elektiven Eingriffen empfohlen [69]. Da bei Patienten mit postoperativer Übelkeit ein oraler Kostaufbau schwierig und zudem eine frühzeitige Mobilisierung problematisch ist, sollten Übelkeit und Erbrechen rechtzeitig medikamentös behandelt werden, z. B. mit Metoclopramid, Dimenhydrinat, Serotonin-Antagonisten, Dexamethason in niedriger Dosierung oder Droperidol [52].

2.4.6 Frühzeitiges Erkennen von Komplikationen Ein weiterer wichtiger Aspekt in der postoperativen Phase ist das frühzeitige Erkennen von Komplikationen. Bezogen auf alle durchgeführten operativen Eingriffe ist nur eine relativ geringe Anzahl an Patienten von Morbidität und Mortalität durch Komplikationen betroffen. Daher kommt der Identifikation dieser Hochrisiko-Patienten, der Prävention postoperativer Komplikationen und dem frühzeitigen Erkennen von Komplikationen eine zentrale Rolle zu [66]. Insbesondere ältere Patienten weisen ein generell erhöhtes Risiko für postoperative Komplikation auf, vor allem aufgrund eingeschränkter physiologischer Reserven, aufgrund häufig ausgeprägter (altersbedingter) Komorbiditäten und einer damit verbundenen Polypharmazie sowie aufgrund einer im Alter veränderten Pharmakodynamik und Pharmakokinetik [106].

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KAPITEL 3

Schock Katharina Holzer

unter ehemaliger Mitarbeit von and Albrecht Encke

3.1. 3.1.1. 3.1.2. 3.2. 3.2.1. 3.2.2. 3.3. 3.3.1. 3.3.2. 3.3.3. 3.3.4. 3.4. 3.4.1. 3.4.2. 3.4.3. 3.4.4. 3.4.5. 3.4.6. 3.4.7. 3.5. 3.5.1. 3.5.2. 3.5.3. 3.5.4. 3.6. 3.6.1. 3.6.2. 3.7. 3.7.1.

3.7.2. 3.7.3. 3.7.4. 3.7.5. 3.8. 3.8.1. 3.8.2. 3.9. 3.9.1. 3.9.2. 3.10.

3.1 Vorbemerkungen 3.1.1 Definition Der Schock ist gekennzeichnet durch eine Minderperfusion von Organen, die zu einem Missverhältnis von Sauerstoffangebot und Sauerstoffbedarf der Zellen führt. Darüber hinaus kommt es zu einem unzureichenden Abtransport von Metaboliten, die aus dem Zellstoffwechsel anfallen. In Abhängigkeit von der jeweiligen Ätiologie kann dieser Zustand akut einsetzen oder sich über Stunden bis Tage entwickeln. Obwohl die unzureichende nutritive Durchblutung der Organe das Charakteristikum aller Schockformen ist, ist eine Klassifizierung des Schocks nach Art und Ursache für eine optimale Therapie Voraussetzung.

3.1.2 Ätiologie Eine Vielzahl von Erkrankungen ( ) kann einen Schock auslösen, wobei der hypovolämische, der traumatische und der septische Schock in der Chirurgie und in der Notfallmedizin am häufigsten sind. Die Pathophysiologie der unterschiedlichen Schockformen wird maßgeblich bestimmt durch Beeinträchtigung der Größen:

Tab. 3.1 Ätiologie des Schocks. Hypovolämischer und traumatischer Schock • Blutung (z. B. gastrointestinale Blutungen, Becken- und Oberschenkelfrakturen, Verletzungen von parenchymatösen Organen, Hämatothorax, Verletzungen von großen Gefäßen, extrauterine Schwangerschaft) • Plasmaverluste • Verbrennung • äußere und innere Wasserverluste • Erbrechen, Diarrhö, Ileus, Peritonitis, Pankreatitis • renale Flüssigkeitsverluste (z. B. Diabetes mellitus, Diabetes insipidus, Polyurie) • Schwitzen ohne adäquate Flüssigkeitszufuhr Septischer Schock • Bakterien (gramnegativ, grampositiv) • Endotoxin • Pilze • Parasiten • Viren Kardiogener Schock • akuter Myokardinfarkt • Arrhythmien • Kardiomyopathien • Herzklappeninsuffizienz • Mitral- und Aortenstenose • Tumoren des Vorhofs und der Kammer • Perikardtamponade • Lungenembolie Anaphylaktischer Schock • Medikamente • Blutprodukte (z. B. Seren) • Insektengift Neurogener Schock • Schädel-Hirn- und Rückenmarktraumen

• Blutvolumen,

• Gefäßtonus, • Herzleistung.

3.2 Pathophysiologie 3.2.1 Makrohämodynamik Die regulativen Mechanismen des Organismus sind darauf ausgerichtet, bei Flüssigkeitsverlusten, z. B. einer Hypovolämie, die Durchblutung der Organe aufrechtzuerhalten. Es gilt, dass durch körpereigene Kompensation ein akuter Verlust von bis zu 20 % des intravasalen Volumens gut ausgeglichen werden kann und erst größere Verluste ohne adäquate Therapie mit der Entwicklung einer Schocksymptomatik einhergehen. Dies ist möglich, da es durch Minderung des venösen Rückstroms infolge von Volumenverlusten (Blut, Plasma, Wasser) oder aufgrund mechanischer Behinderungen der Herzfüllung zu einem Abfall des Herzminutenvolumens kommt und dies wiederum zur reflektorisch ausgelösten sympathoadrenergen Reaktion führt. Die sympathoadrenerge Reaktion beinhaltet die Steigerung des Sympathikotonus und einen Anstieg von Katecholaminen, Renin, Angiotensin II, Aldosteron und ADH im Plasma. Dies führt durch den unterschiedlichen Gehalt an α- und β-Rezeptoren der Gewebe zu einer Vasokonstriktion im Bereich von Splanchnikus-, Nieren-, Muskulatur- und Hautgefäßen. Durch die fehlende Innervation der Gehirn- und Herzgefäße mit α-Rezeptoren sind diese Organe von der Vasokonstriktion und Zentralisation ausgeschlossen. Darüber hinaus führt die Stimulation der β 1 -Rezeptoren zur Tachykardie und zu einer Kontraktilitätssteigerung des Herzens. Neben der arteriolaren Konstriktion führt eine Konstriktion postkapillarer Venolen zu einer kurzzeitigen Erhöhung des venösen Rückstroms ( ).

Änderungen der prä- und postkapillaren Gefäßweiten im Verlauf eines Schocks (schockspezifische Vasomotion; schematische Darstellung) .1. Normalzustand der Mikrozirkulation.2. Frühe Phase eines Schocks (generalisierte Vasokonstriktion).3. Protrahierter Schock (präkapillare Dilatation bei persistierender postkapillarer Vasokonstriktion). Die Pfeile geben die Flüssigkeitsverschiebung im Kapillargebiet an. [ ] ABB. 3.1

Alle diese Kompensationsmechanismen führen zu einer Stabilisierung des arteriellen Blutdrucks und machen deutlich, dass die aktuellen Blutdruckwerte des Patienten keine exakte Aussage über das Intravasalvolumen und das Ausmaß des Volumenverlustes erlauben. Die Umverteilung der Durchblutung zur Stabilisierung des arteriellen Blutdrucks und der optimalen Versorgung von Herz und Gehirn beinhaltet die Verschlechterung der Gewebsversorgung von Organen wie Darm und Niere. Dies zeigt, dass körpereigene Regulationsmechanismen bei intravasalem Volumenverlust nur bis zu einem gewissen Maß als physiologisch gelten dürfen und dann maßgeblich für die Pathophysiologie des Schocks mitverantwortlich sind.

3.2.2 Mikrohämodynamik Terminale Arteriolen (präkapillare Widerstandsgefäße), Kapillaren und postkapillare Venolen sind Blutgefäße mit einem Gefäßdurchmesser von < 300 μm und zählen zur Endstrombahn. Die sympathoadrenerge Reaktion hat neben ihrer Wirkung auf die Makrohämodynamik auch einen entscheidenden Einfluss auf die Mikrohämodynamik der Endstrombahn. Die Vasokonstriktion der präkapillaren Widerstandsgefäße bedingt eine Reduktion des Kapillarflusses. Der dadurch bedingte Abfall des Perfusionsdrucks führt zu einer Verlangsamung der Blutströmung und kann zu einer Aggregation von Blutzellen mit einem starken Anstieg der Blutviskosität führen. Bereits unter physiologischen Bedingungen ist der Gesamtquerschnitt der postkapillaren Venolen am größten und die Strömungsgeschwindigkeit am niedrigsten. Im Schock kann es durch einen Anstieg der Viskosität und einen Abfall der Perfusion vor allem im Bereich der Endstrombahn zu einer völligen Stagnation der Blutströmung kommen. Dies führt zu einer schockspezifischen Störung der Mikrozirkulation mit dem Charakteristikum der Dissoziation der Kapillardurchblutung, d. h., Bezirke mit völliger Stase grenzen an Gebiete mit zellfreiem, schnell fließendem Plasma. Aufgrund des resultierenden Sauerstoffdefizits im Endstrombereich kommt es zu einer Umstellung des aeroben auf den anaeroben Zellstoffwechsel. Die reduzierte Kapillardurchblutung bedingt einen reduzierten Abtransport von vermehrt anfallenden sauren Metaboliten und kann zu einer Anhäufung von sauren Metaboliten führen („hidden acidosis“). Die lokale Gewebeazidose verändert die Reaktivität der mikrovaskulären Widerstandsgefäße auf Katecholamine und führt zu einer Dilatation der präkapillaren Widerstandsgefäße und zu einer Vasokonstriktion der postkapillaren Gefäße ( ). Neben dem reduzierten Perfusionsdruck und den veränderten Fließeigenschaften des Blutes wird die inhomogene Kapillarperfusion im Schock durch eine vermehrte Interaktion aktivierter Leukozyten (polymorphkernige Leukozyten und Monozyten) am mikrovaskulären Endothel beeinflusst. Ischämie, Zytokine (v. a. IL-1, IL-6, TNF-α), Gewebstraumen, Endotoxin, Exotoxine, Komplement- und Gerinnungsspaltprodukte, Leukotriene, plättchenaktivierender Faktor (PAF) und viele andere Mediatoren führen zu einer Aktivierung von Leukozyten mit der vermehrten Expression von Adhäsionsmolekülen auf der Zelloberfläche. Dies kann neben der erhöhten Zellmembranrigidität aktivierter polymorphkerniger Leukozyten zur verstärkten Akkumulation und Margination vor allem an postkapillaren Venolen führen und mit der Schwellung der Endothelzellen zu einer Reduktion der Kapillarperfusion beitragen. Aktivierte, am postkapillaren Gefäßendothel adhärente Leukozyten können weiterhin durch eine verstärkte Produktion von Sauerstoffradikalen und Proteasen zur Potenzierung der ischämiebedingten Endothelschädigung beitragen. Dies führt zu einer weiteren Beeinträchtigung der Mikrozirkulation mit Flüssigkeitsverlusten in das interstitielle Gewebe ( ).

ABB. 3.2 Pathophysiologische Grundlagen des Schocks, die zur Entwicklung eines multiplen Organversagens beitragen können. (modifiziert nach Baskett et al. ) [ ]

Eine Gewebsschädigung erfolgt nicht nur durch die Ischämie im Schock selbst, sondern kann z. B. auch in der Phase der Reperfusion der Organe bei entsprechender Therapie entstehen. Eine lokale Ischämie bedingt den Abbau von energiereichen Phosphaten (ATP, ADP, AMP) bis zu den Endprodukten Xanthin und Hypoxanthin und darüber hinaus die Aktivierung des Enzyms Xanthinoxidase im Gewebe. Die Reperfusion von Organen führt durch die Bereitstellung von Sauerstoff zu einem Abbau von Hypoxanthin zu Harnsäure mittels der Xanthinoxidase mit den als Nebenprodukt anfallenden Sauerstoffradikalen. Die erhöhte Konzentration an Sauerstoffradikalen kann durch körpereigene Inhibitoren (Superoxiddismutase, Katalase, Glutathion, Peroxidase und andere „scavengers“) nicht mehr ausgeglichen werden und führt über Lipidperoxidation zu Schädigungen von Zellmembranen. Der Ischämie/Reperfusionsschaden gilt heute als ein wichtiger pathogenetischer Faktor für die Entwicklung des multiplen Organversagens .

3.3 Organspezifische Veränderungen im Schock 3.3.1 Lunge Das Lungengewebe kann durch einen Schock unterschiedlichster Ursache (vor allem hämorrhagischer und septischer Schock) geschädigt werden. Klinisch zeigen die Patienten eine akute respiratorische Insuffizienz. Im internationalen Sprachgebrauch unterscheidet man je nach Schweregrad der Lungenschädigung das ALI ( acute lung injury ) und das ARDS ( acute respiratory distress syndrome ) ( ). Der Begriff adult respiratory distress syndrome sollte nicht mehr benutzt werden, weil heute bekannt ist, dass das ARDS sehr wohl auch im Kindesalter auftreten kann. Viele Erkrankungen, die häufig mit einem Schock einhergehen, können zu einem ARDS disponieren (z. B. Polytrauma, Pankreatitis, Urosepsis).

Tab. 3.2 Merkmale des ALI und des ARDS (nach The American-European Consensus Conference on ARDS 1994). Verlauf

Oxygenierung

Röntgenbild

Lungenkapillardruck

acute lunginjury (ALI)

akuter Start

PaO 2 /FiO 2 ≤ 300 mmHg (unabhängig vom PEEP)

bilaterale Infiltrate im konventionellen ≤ 18 mmHg oder keine klinischen Hinweise für Röntgen-Thorax ein Linksherzversagen

acute respiratory distress syndrome (ARDS)

akuter Start

PaO 2 /FiO 2 ≤ 200 mmHg (unabhängig vom PEEP)

bilaterale Infiltrate im konventionellen ≤ 18 mmHg oder keine klinischen Hinweise für Röntgen-Thorax ein Linksherzversagen

Das akut einsetzende und progredient verlaufende Lungenversagen kann durch eine Vielzahl von Ursachen ausgelöst werden. Vermittelt durch humorale und zelluläre inflammatorische Mediatorsysteme, kommt es zu einer Zunahme der Permeabilität der alveolokapillaren Grenzschicht, zur Endothelschwellung und letztendlich zu einem Ödem. Es findet eine Akkumulation von polymorphkernigen Leukozyten, Monozyten und Makrophagen im Lungengewebe statt. Diese bilden – aktiviert von Endotoxin, Komplement- und Gerinnungsspaltprodukten sowie Arachidonsäuremetaboliten – hochreaktive Sauerstoffradikale und Proteasen und setzen diese in das Gewebe frei. Weiterhin kommt es zur Freisetzung von TNF-α, IL-1 und IL-6. Die Freisetzung von Sauerstoffradikalen und Zytokinen führt zu einer verstärkten Akkumulation von Leukozyten im Lungengewebe und zu einem Circulus vitiosus. Für das ARDS ist ebenfalls eine herabgesetzte Surfactant-Bildung typisch. Es entstehen ein interstitielles und alveoläres Lungenödem, ein Ventilations-Perfusions-Missverhältnis und die Konstriktion bzw. Thrombosierung von Mikrogefäßen. Im Endstadium sind die Alveolen mit hyalinen Membranen ausgekleidet. Klinisch ist es wichtig, zwischen dem hydrostatischen Ödem durch eine Linksherzinsuffizienz und dem ALI/ARDS zu unterscheiden. Das ALI/ARDS ist v. a. durch eine schwere Hypoxämie charakterisiert, die zunächst kein Korrelat im Röntgenbild findet. Patienten mit einem ALI/ARDS benötigen meist

schnell eine hohe inspiratorische Sauerstoffkonzentration und somit die künstliche Beatmung.

3.3.2 Niere In Abhängigkeit von der arteriellen Hypotonie und der daraus entstehenden Minderperfusion der Niere kommt es im Schock zu einer Oligurie. Die Ausscheidung sistiert unterhalb eines arteriellen Drucks von 60 mmHg völlig. Dies muss primär als kompensatorische Volumenkonservierung der Niere im Schock betrachtet werden. Man darf aber nicht vergessen, dass das Verhältnis von Sauerstoffverbrauch zu Sauerstoffangebot im Nierenmark höher ist als z. B. im Herzen. Dies erklärt die Vulnerabilität der Niere im Schock, die im Rahmen der Hypoperfusion und Hypoxie schnell im akuten Nierenversagen enden kann. Es resultieren Anurie (cave: Ödem, Herzinsuffizienz), Hyperkaliämie (cave: Rhythmusstörungen), metabolische Azidose und die Retention harnpflichtiger Substanzen (zerebrale Störungen bis hin zu Krampfanfällen sind möglich).

3.3.3 Gastrointestinaltrakt und Leber Die sympathoadrenerge Reaktion bedingt im Schock aufgrund der hohen Dichte von α-Rezeptoren im Bereich des Splanchnikusgebietes eine eingeschränkte Perfusion des Darms, der Leber und des Pankreas. Auch diese kompensatorische Reaktion auf eine Schocksituation erscheint zunächst sinnvoll. Bei nicht adäquater Therapie des Schocks und persistierender Hypoperfusion des Darms kommt es schnell zur Störung der intestinalen Mukosabarriere mit einer Translokation von Bakterien und Endotoxin in die Pfortader sowie – bei fehlender Clearance-Kapazität der Leber – in die systemische Zirkulation. Diese Beobachtung hat dazu geführt, dass der Darm als der Motor des multiplen Organversagens angesehen wird. Eine Translokation von Endotoxin und Bakterien führt nach Einschwemmung in das Pfortadergebiet zu einer Aktivierung von Kupffer-Sternzellen in der Leber, die konsekutiv Zytokine und Sauerstoffradikale freisetzen. Diese Veränderungen scheinen einer der Hauptgründe zu sein, dass ein primär nichtseptisches Schockgeschehen nach hämorrhagischem bzw. hämorrhagisch-traumatischem Schock in einen septischen Schock übergehen kann. Die Leber zeigt im Schock spezifische Funktionseinschränkungen: Nach Tagen kommt es zum Anstieg der Leberenzyme (GPT, GOT), des Gesamtbilirubins und zu einer Synthesestörung der Gerinnungsfaktoren. Weiterhin ist die Metabolisierung des im Schock vermehrt anfallenden Laktats gestört. Die Synthese von verzweigtkettigen Aminosäuren fällt ab und die aromatischen Aminosäuren kumulieren.

3.3.4 Gehirn und Nervensystem Ein Schock unterschiedlichster Ätiologie kann zu einer Bewusstseinsstörung des Patienten führen. Bewusstseinsänderungen von Patienten sind häufig ein frühes klinisches Symptom bei der beginnenden schweren Sepsis. Die zerebrale Störung kann zu einem somnolenten bis komatösen Zustand führen. Die Pathogenese der sogenannten septischen Enzephalopathie ist bis heute noch nicht hinreichend geklärt. Es wird eine gesteigerte Permeabilität der Blut-HirnSchranke durch Endotoxine und proinflammatorische Zytokine diskutiert. Darüber hinaus kann eine Leberfunktionsstörung im septischen Schock zu einem Missverhältnis von verzweigtkettigen und aromatischen Aminosäuren führen. Die aromatischen Aminosäuren kumulieren, da sie von der Leber nicht mehr abgebaut werden können. Diese dienen dann als zerebrale Energielieferanten zur Synthese von „falschen“ Neurotransmittern. Es gilt, dass die septische Enzephalopathie nach erfolgreicher Behandlung des septischen Schocks reversibel ist. Neben zerebralen Störungen bei einem septischen Schock können auch starke Volumen- oder Blutverluste zu einer Bewusstseinsstörung führen. Patienten mit Blutverlusten bis zu 25 % können mit Erregung und Verwirrung reagieren. Patienten mit größeren Blutverlusten über 40 % entwickeln eine schwere Lethargie. Auch die Retention von harnpflichtigen Substanzen (beispielsweise Harnstoff oder Kalium) kann zu zerebralen Störungen führen.

3.4 Diagnostik und Überwachung Patienten, die schockgefährdet sind oder bereits einen manifesten Schock haben, erfordern eine engmaschige intensivmedizinische Überwachung.

3.4.1 EKG Eine kontinuierliche EKG- Ableitung mit Monitorkontrolle gibt Aufschluss über Herzfrequenz und Arrhythmien. Eine Tachykardie beim beatmeten Patienten kann der erste Hinweis auf Schmerzen sein. Bei Verdacht auf kardiale Ischämie oder Infarkt ist die Aufzeichnung eines kompletten EKG mit Brustwand- (V 1 –V 6 ) und Extremitätenableitung notwendig.

3.4.2 Arterielle Blutdruckmessung Eine automatische, nichtinvasive Blutdruckmessung sollte der manuellen Kontrolle vorgezogen werden, weil nur so eine engmaschige Blutdruckmessung möglich ist. Bei systolischen Werten < 60 mmHg ist die kontinuierliche invasive arterielle Blutdruckmessung durch Kanülierung der A. radialis oder A. femoralis unabdingbar. Für den peripheren Blutfluss ist vor allem der arterielle Mitteldruck ausschlaggebend, der deshalb auch zur Überwachung hämodynamisch instabiler Patienten betrachtet werden sollte. Der arterielle Mitteldruck wird elektronisch gemessen. Er kann aber auch durch eine einfache Formel (RR d i a + ⅓ [R R s y s − R R d i a ]) annähernd berechnet werden. Wie oben dargestellt, können Kompensationsmechanismen des Organismus (sympathoadrenerge Reaktion) eine Hypovolämie von bis zu 20 % des normalen Blutvolumens verschleiern. Deshalb sollte keinesfalls der Blutdruck isoliert betrachtet werden. Mit dem Quotienten aus Herzfrequenz und systolischem Blutdruckwert kann man den Schockindex nach Allgöwer berechnen. Liegt der Schockindex bei < 0,5, ist dies physiologisch. Patienten im Schock zeigen einen Anstieg des Schockindexes auf > 1.

3.4.3 Zentralvenöser Druck Die Messung des zentralvenösen Drucks (ZVD) erfolgt über einen Katheter, der über die V. brachialis, die V. subclavia oder die V. jugularis eingeführt und in der V. cava superior vor ihrem Eintritt in den rechten Vorhof platziert wird (Lagekontrolle durch Thorax-Röntgen). Der Normalwert beträgt 5–8 cmH 2 O und ist beim beatmeten Patienten höher. Der ZVD erlaubt eine ungefähre Aussage über den Volumenstatus, der abhängig vom venösen Rückstrom zum Herzen wie auch von Ventrikelfunktion, intrathorakalem Druck, Beatmungsdruck und Atemminutenvolumen ist. Der ZVD ist beim hypovolämischen sowie beim septischen Schock vermindert und beim kardiogenen Schock erhöht.

3.4.4 Messung des Herzzeitvolumens Die kritische Kreislaufsituation der unterschiedlichen Schockformen kann durch die Messung des Herzzeitvolumens erfasst werden. Das Herzzeitvolumen kann mit zwei unterschiedlichen Techniken gemessen werden: Auf den Intensivstationen wird das sogenannte transkardiopulmonale PiCCO- Verfahren (Pulse Contour Cardiac Output oder Pulskonturanalyse) zur Messung der Herzzeitvolumens und anderer Parameter zunehmend eingesetzt. Es ersetzt heute oftmals den pulmonalarteriellen Swan-Ganz-Katheter (siehe unten). Die Pulskonturanalyse mithilfe z. B. des PiCCO-Systems ® hat den Vorteil, dass es weniger invasiv ist als der Swan-Ganz-Katheter und die Kathetersysteme länger ohne Wechsel liegen können. Zur Messung der Parameter benötigt man einen zentralen Venenkatheter und einen arterieller Zugang (bevorzugt femoral). Neben dem Herzzeitvolumen kann z. B. das extravasale Lungenwasser bestimmt werden. Nachteil dieses Verfahrens ist, dass es nicht erlaubt, den pulmonalkapillaren Verschlussdruck (PCWP, klin. Wegedruck) und den pulmonalarteriellen Druck (PA) zu messen. Die Katheterisierung mit einem pulmonalarteriellen Swan-Ganz- Katheter ist eine etablierte Methode. Der Katheter wird durch einen großlumigen venösen Zugang eingelegt (eingeschwemmt). Vorsicht ist beim Einschwemmen geboten, da dieser Katheter beim Platzieren in der Pulmonalisstrombahn zu Herzrhythmusstörungen führen kann. Mit diesem Katheter kann man den PCWP bestimmen. Die Messung des PCWP erlaubt den Rückschluss auf den linksventrikulären Füllungsdruck, der bei hypovolämischem und septischem Schock erniedrigt, bei kardiogenem Schock aber erhöht ist. Mit dem pulmonalarteriellen Katheter kann man auch das Herzzeitvolumen (HZV) mittels Thermodilution, den PA, die Temperatur und den gemischtvenösen

Sauerstoffgehalt messen. Darüber hinaus können mittels einfacher Formeln der pulmonale Gefäßwiderstand (PVR – erhöht im septischen Schock) und der systemische Gefäßwiderstand (SVR – erhöht bei Hypovolämie, erniedrigt in der hyperdynamen Phase des septischen Schocks) bzw. das Sauerstoffangebot (DO 2 ) und der Sauerstoffverbrauch (VO 2 ) berechnet werden ( und ).

Tab. 3.3 Normalwerte der Messungen mit pulmonalarteriellem Katheter. Messort

systolische Normalwerte(mmHg)

diastolische Normalwerte(mmHg)

rechter Vorhof

0–4

rechter Ventrikel

15–30

0–4

Pulmonalarterie

15–30

6–12

Lungenkapillardruck

6–12

6–12

Tab. 3.4 Normalwerte für errechnete Werte (gemessen mithilfe des Swan-Ganz-Katheters). Normalwerte Herzindex (HZV/Körperoberfläche)

2–4 l/min/m 2

systemischer Widerstand (SVR)

1.200–2.500 dyn × sec/cm 5 /m 2

pulmonalvaskulärer Widerstand (PVR)

80–240 dyn × sec/cm 5 /m 2

Sauerstoffangebot (DO 2 )

500–600 ml/min/m 2

Sauerstoffverbrauch (VO 2 )

110–160 ml/min/m 2

3.4.5 Laborparameter Für Diagnose und Verlaufskontrolle eines Schocks ist die engmaschige Blutuntersuchung unerlässlich. Das Blutbild und v. a. der Hämoglobinwert verändern sich im Rahmen einer akuten Blutung zunächst nicht, da die relativen Anteile von Plasma und Erythrozyten zunächst gleich bleiben. Ein Abfall wird erst ersichtlich, wenn es intravasal zum Einstrom von interstitieller Flüssigkeit kommt. Für die optimale Versorgung des Gewebes mit Sauerstoffträgern sollte ein Hämoglobinwert von über 8 g/dl angestrebt werden. Der Abfall der Thrombozyten kann mit einer beginnenden Verbrauchskoagulopathie einhergehen. Leukozytose, aber auch die Leukopenie weisen auf einen septischen Prozess im Körper hin. Weitere Hinweise auf einen infektiösen Fokus (Bakterien, Viren, Pilze) als Auslöser eines septischen Schockgeschehens können ein erhöhtes C-reaktives Protein sein (CRP). Dieses Akute-Phase-Protein ist nicht spezifisch für eine Infektion; schon kleine Operationen, aber auch Verletzungen und Traumen können zu einem deutlichen Anstieg des CRP führen. In den letzten Jahren wurde die Messung des Prokalzitonins für die Diagnostik von bakteriellen Infektionen empfohlen. Prokalzitoninwerte > 2 ng/ml im Plasma zeigen hochwahrscheinlich einen bakteriell ausgelösten septischen Schock an. Wichtige Laborparameter sind darüber hinaus die Elektrolyte. Die Gabe von großen Volumina und die Sequestration von Flüssigkeit in den Geweben können zu Elektrolytverschiebungen führen. Eine Hyperkaliämie kann als Folge einer Gewebsischämie mit Kaliumaustritt aus den Zellen entstehen oder auf eine Niereninsuffizienz hinweisen. Zur Überwachung der Nierenfunktion müssen Kreatinin und Harnstoff gemessen werden. Die Überprüfung der Gerinnungsparameter (TPZ, PTT) und der Fibrinogenkonzentration sowie der Fibrinspaltprodukte ist obligat. Die erhöhte Laktatkonzentration im Serum weist bei ausreichender Leberfunktion auf eine Gewebshypoxie oder auf einen erhöhten Sauerstoffbedarf im Gewebe hin. Ein erniedrigtes Gesamteiweiß und Albumin sowie daraus resultierender erniedrigter kolloidosmotischer Druck zeigen Proteinverluste an. Dies ist der Fall b e i m Verbrennungsschock (Verlust über die Wundflächen), beim septischen Schock (Sequestration in das interstitielle Gewebe) oder bei Leberfunktionsstörungen. Die Leberenzyme GPT und GOT steigen im Rahmen eines Schockgeschehens erst später an und geben Hinweis auf eine erfolgte Hypoxie des Lebergewebes.

3.4.6 Urinkatheter und Urinproduktion Urinmenge und Zusammensetzung müssen bei Patienten im Schock engmaschig kontrolliert werden. Eine Blutdrucksenkung auf < 60 mmHg geht mit einem Sistieren der Urinproduktion einher. Die Messung der Harnproduktion über einen Dauerkatheter oder einen suprapubischen Blasenkatheter muss stündlich vorgenommen werden. Harnmengen unter 30 ml/h weisen bei nicht vorbestehender Nierenerkrankung auf eine reduzierte Nierendurchblutung bei Hypotension oder Hypovolämie hin. Einmal täglich sollte die Zusammensetzung des Urins überprüft werden, sodass zusammen mit den Serumwerten die KreatininClearance berechnet werden kann.

3.4.7 Beurteilung der Atmung Es ist auf die Atemfrequenz und die Thoraxexkursionen zu achten. Nur bei Patienten mit einem Hämoglobinwert im Normbereich ist eine arterielle Hypoxämie an einer Zyanose zu erkennen, sie fehlt bei Anämie (Hb < 5 g/dl) und schockbedingter Konstriktion der Gefäße. Mit der nichtinvasiven Pulsoxymetrie ist die rasche Erkennung eines Abfalls der Sauerstoffsättigung und der daraus resultierenden Hypoxie möglich. Hypotonie, Zentralisation, Methämoglobin- und COHämoglobin-Anstieg im Blut schränken die Validität dieser Messmethode ein. Bei Zweifeln müssen mittels einer arteriellen Blutgasanalyse (BGA) die Lungenfunktion und somit die alveoläre Ventilation überprüft werden. Die Hypokapnie (p a CO 2 < 40 mmHg) ist in der Frühphase des Schocks häufig zu finden und durch eine zentral hervorgerufene Hyperventilation bedingt. Arterielle Hypoxämie und respiratorische Alkalose weisen auf eine beginnende respiratorische Insuffizienz hin.

3.5 Supportive Therapie der Organfunktionen 3.5.1 Medikamentöse Herz-Kreislauf-Unterstützung Der septische Schock führt in der Frühphase zu einem Anstieg des HZV , zu einem Abfall des PCWP und – noch gravierender – zu einem starken Absinken des SVR. Dagegen resultiert der hypovolämische Schock zu einem Abfall des PCWP und HZV und nachfolgend zum Anstieg des SVR. Der kardiogene Schock hingegen führt immer zu einem Anstieg des PCWP (venöser Rückstau) und SVR, aber zu einem Abfall des HZV. Somit ist die Art der medikamentösen Herz-Kreislauf-Unterstützung abhängig von der hämodynamischen Störung (hypovolämischer, septischer oder kardiogener Schock): Wichtig ist, dass jede medikamentöse Kreislaufunterstützung als oberstes Ziel die suffiziente Sauerstoffversorgung aller Gewebe zu erreichen hat! Das heißt, dass neben dem Blutdruck-Monitoring auch Parameter der Organperfusion (z. B. Laktat) gemessen werden sollten.

Septischer Schock

Im septischen Schock muss sofort eine adäquate Volumentherapie eingeleitet werden, weil diese Schockform immer mit hohen Flüssigkeitsverlusten einhergeht ( Capillary Leak Syndrome, Vasodilatation und Shunts ). In einer randomisierten Studie (Rivers et al, 2001) an Patienten mit einem septischen Schock konnte nachgewiesen werden, dass die frühzeitige aggressive ZVD-gesteuerte Volumentherapie maßgeblich zu einer Letalitätsreduktion von 16 % beitrug. Initial sollten 20–40 ml/kg KG kristalloide Lösungen verabreicht werden, das heißt bis zu 2 l Flüssigkeit innerhalb einer Stunde bei einem 50 kg schweren Patienten. Wenn es trotz Anstiegs des ZVD (8–14 mmHg) nicht zu einem adäquaten Anstiegs des arteriellen Mitteldrucks (60 bis 65 mmHg) kommt, muss die medikamentöse Herz-Kreislauf-Unterstützung mittels Vasopressoren eingesetzt werden. In den aktuellen deutschen Leitlinien der Sepsisbehandlung wird beim septischen Schock Noradrenalin (Arterenol ® , Anfangsdosierung: 0,01–0,03 μg/kg KG/min) als Katecholamin eingesetzt. Noradrenalin führte in vielen Studien zu einem signifikanten Anstieg des systemischen Gefäßwiderstands und ist sehr wirksam in der Behandlung der Hypotension bei einem septischen Schock. Adrenalin (Suprarenin) sollte in der Behandlung des septischen Schocks nicht mehr eingesetzt werden. Dieses Medikament hat eine ausgezeichnete Wirkung auf den arteriellen Druck, führt aber zu einer Verschlechterung der globalen Gewebsdurchblutung (vor allem auch Splanchnikusgebiet und Nierenperfusion) und kann zu Herzrhythmusstörungen führen. Im Schock kann es zu einem Abfall der physiologischen Vasopressinkonzentration im Körper kommen. Deshalb kann auch die intravenöse Applikation von Vasopressin (0,01–0,04 U/min) zu einem Anstieg des mittleren arteriellen Drucks (MAP) führen. Der Einsatz von niedrig dosiertem Vasopressin ist meistens mit einer Reduktion von anderen Vasopressoren (Noradrenalin, Adrenalin) verbunden. Höhere Dosierungen müssen vermieden werden (Perfusionsstörungen im Splanchnikusgebiet). In den aktuellen Leitlinien wird die routinemäßige Anwendung von Vasopressin nicht empfohlen.

Hypovolämischer Schock Lange galt bei der Behandlung des hämorrhagischen Schocks die Therapie mit hohen Flüssigkeitsmengen als Goldstandard. Übermäßige intravenöse Substitution von Flüssigkeiten bei einem Trauma mit initial unstillbarer Blutung (z. B. Polytrauma in der präklinischen Versorgung) führt aber zur Verdünnung der ohnehin schon reduzierten Gerinnungsfaktoren. Weiterhin kann fortgesetzte Flüssigkeitssubstitution mit Kristalloiden die Auskühlung des Patienten bedingen und konsekutiv eine Verschlechterung der enzymatischen Gerinnungskaskade. Durch die sogenannte permissive Hypotension (mittlerer arterieller Blutdruck < 60 mmHg, systolischer Blutdruck < 80 mmHg) kann bei initialer unstillbarer Blutung die Thrombusbildung gefördert werden. Vorsicht hinsichtlich der permissiven Hypotension ist bei Patienten z. B. mit koronarer Herzerkrankung geboten. Katecholamine sollten nur im äußersten Notfall eingesetzt werden. Sie verursachen im Gegensatz zum septischen Schock eine weitere deutliche Verschlechterung der Nierendurchblutung und können selbst ein akutes Nierenversagen hervorrufen.

3.5.2 Beatmung Bei bis zu 40 % der Patienten mit einem septischen Schock kann ein akutes Lungenversagen auftreten. Eine Sauerstoffsättigung unter 90 % (pulsoxymetrisch bei Raumluft gemessen oder ein p a O 2 < 70 mmHg) muss durch Sauerstoffgabe behandelt werden. Ungenügender Atemantrieb oder Atemexkursionen bedingen die Intubation. Wichtig ist, hohe inspiratorische Sauerstoffkonzentrationen (FiO 2 ≥ 0,7) zu vermeiden, da hohe FiO 2 -Werte toxisch für das Lungengewebe sind. Wenn immer möglich, sollte durch ein konsequentes Umlagern ( Bauchlage ) des Patienten versucht werden, nichtventilierte Lungenbereiche wieder zu rekrutieren. Bei ausreichender Relaxierung und Analgosedierung weisen hohe Beatmungsdrücke auf eine Ventilationsstörung der Lunge hin. Die Kontrolle des Beatmungsdrucks ist beim Patienten im Schock besonders wichtig. Ein hohes Tidalvolumen, das häufig mit einem hohen Plateaudruck einhergeht, sollte vermieden werden. Ein Tidalvolumen von 6 ml/kg und ein endinspiratorischer Plateaudruck von weniger als 30 cmH 2 O sollten angestrebt werden (Evidenzgrad B) . Mittels Kapnometrie kann beim intubierten Patienten das endexspiratorische CO 2 der Ausatemgase bestimmt werden. Dies korreliert eng mit dem p a CO 2 und wird zur Überwachung der Normoventilation benutzt. Durch die Reduktion des Tidalvolumens und des Plateaudrucks kommt es häufig zu einem Anstieg des p a C O 2 (permissive Hyperkapnie) . Eine moderate Hyperkapnie kann Vorteile haben, geht aber physiologischerweise mit einer Vasodilatation, einem Anstieg der Herzfrequenz und Blutdruckanstieg einher. Der positive endexspiratorische Druck ( PEEP ) wird eingesetzt, um einen Kollaps am Ende der Exspirationsphase zu vermeiden. Die Höhe des PEEP sollte anhand des Oxygenierungsdefizits und der Höhe des FiO 2 eingestellt werden.

3.5.3 Nierenersatzverfahren Ein schockinduziertes akutes Nierenversagen muss durch intermittierende Hämodialyse oder durch die kontinuierliche venovenöse Hämofiltration behandelt werden. Bei hämodynamisch instabilen Patienten wird eine kontinuierliche Hämofiltration (CVVH, continuous venovenous hemofiltration) empfohlen (Evidenzgrad C). Die Annahme, dass die gängigen Hämofiltrationstechniken auch zu einer Abnahme der proinflammatorischen Zytokine (z. B. IL-8, TNF-α, IL-1) in der Zirkulation führen könnten, hat sich bis heute nicht bestätigt.

3.5.4 Extrakorporale Leberersatzverfahren (Leberdialyse) In den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass Patienten mit einer akuten Exazerbation einer chronischen Lebererkrankung von einer selektiven Entfernung albumingebundener Giftstoffe aus dem Blut profitieren. Ob ein schockinduziertes progredientes Leberversagen durch eine sog. Leberdialyse (Molecular Absorbent Recirculating System, z. B. MARS ® ) verbessert werden kann, ist bis heute noch nicht geklärt. Erste Untersuchungen haben gezeigt, dass extrakorporale Leberersatzverfahren zu einem Abfall der TNF-α-Konzentration, aber auch zu einem Anstieg des IL-6 im Blut führten. Wenige Patienten mit einem postoperativen multiplen Organversagen septischer Ursache wurden bis heute mit einer Leberdialyse behandelt. Bei fortbestehendem abdominalem Infektionsfokus ohne chirurgische Sanierung profitierten die Patienten nicht von diesem Verfahren.

3.6 Hypovolämischer und traumatischer Schock Hohe Blut-, Plasma- und Wasserverluste führen zum sog. hypovolämischen Schock, wobei die akute Blutung (d. h. der hämorrhagische Schock) die häufigste chirurgische Ursache ist. Neben Verletzungen von parenchymatösen Organen (Milz, Leber, Niere) und anderen abdominalen Verletzungen (Mesenterialgefäßverletzungen) können Lungen- und Bronchusverletzungen, traumatische Amputationen, Gefäßverletzungen, Aneurysmarupturen, Frakturen im Becken- oder Oberschenkelbereich, ausgedehnte Weichteilverletzungen und multiple Frakturen zu starken Blutverlusten und bei insuffizienter Therapie zu einem hämorrhagisch-traumatischen Schock führen. Weiterhin sind Blutungen des Gastrointestinaltrakts, z. B. durch Ösophagusvarizen, Ulzera und Neoplasien, wichtige Ursachen eines hämorrhagischen Schocks. Eine inadäquate Volumensubstitution im Rahmen großer Operationen kann ebenfalls einen hypovolämischen Schock auslösen. Auch eine Überdosierung von Antikoagulanzien und Blutungsübel (z. B. Hämophilie) können schon bei kleinen Läsionen für eine Blutung und ggf. einen Schock verantwortlich sein. Vom hämorrhagischen und hämorrhagisch-traumatischen Schock ist eine lebensbedrohliche Hypovolämie durch Plasma- und Wasserverluste zu unterscheiden. Die großen Volumenverluste bei Verbrennungen, Pankreatitis, Peritonitis und Ileus können ebenso wie akute und chronische Nierenerkrankungen mit einer Polyurie zu einem hypovolämischen Schock führen. Extrarenal bedingte Polyurien werden z. B. durch einen Diabetes insipidus hervorgerufen. Erbrechen aufgrund von Infektionen oder Stenosen im Magen-Darm-Trakt und Diarrhöen unterschiedlicher Genese bedingen ggf. eine Hypovolämie. Schwitzen durch Fieber oder Arbeiten bei starker Sonneneinstrahlung und Hitze mit mangelnder Flüssigkeitssubstitution lösen eine Exsikkose und ggf. einen Schock aus. Bei Wasser- und Plasmaverlusten kommt es anders als bei Blutverlusten zu einer schnellen Hämokonzentration mit einer Verschlechterung der Fließeigenschaften des Blutes und nachfolgender starker Störung im Bereich der Mikrozirkulation. Wichtig ist es, auf eine Flüssigkeitssequestration nach innen bei Ileus, Pankreatitis und Peritonitis zu achten.

3.6.1 Klinik und Leitsymptome Die sympathoadrenerge Reaktion des Organismus und die nachfolgende Zentralisation des Blutflusses mit dem Ziel, die Durchblutung von Herz und Gehirn lange aufrechtzuerhalten, führen zu den Leitsymptomen des hypovolämischen Schocks :

• Blässe der Haut und der Schleimhäute

• Kalter Schweiß • Tachykardie • Schwach tastbarer Puls • Hals- und Extremitätenvenen blutleer • Hypotonie • Tachypnoe • Durst • Oligurie oder Anurie • Bewusstseinsstörungen (Erregung, Apathie bis zur Bewusstlosigkeit)

3.6.2 Therapie Vor und mit der Behandlung der zugrunde liegenden Ursache der Hypovolämie (chirurgische Blutstillung) muss sofort der Volumenersatz sichergestellt werden, weil nur so der Circulus vitiosus der Störungen von Makro- und Mikrozirkulation unterbrochen werden kann . Der Volumenersatz erfolgt nach dem Legen von mindestens einem großlumigen venösen Zugang. Es sollten möglichst periphere Verweilkanülen (Braunülen) mit einem Durchmesser von 14–16 Gauge gelegt werden. Diese haben aufgrund ihres Durchmessers und ihrer Kürze eine deutlich höhere Flussrate als zentrale Venenkatheter. Darüber hinaus können großlumige Einführbestecke (Schleusen) für eine schnelle Volumensubstitution bei polytraumatisierten Patienten eingebracht werden. Für die Volumensubstitution stehen folgende Infusionen zur Verfügung:

• Kristalloide Lösungen (z. B. Ringerlaktat) • Kolloidale Lösungen (z. B. Humanalbumin 5 %, 6 %, Macrodex ® 6 %, Gelatine) • Ggf. Bluttransfusion (nicht primär, ggf. intraoperativ) Bei Auftreten eines hypovolämischen Schocks ist es bereits zu einem Volumenverlust von mindestens 20–30 % gekommen, sodass initial ein Volumen von 1–1,5 l appliziert werden muss. Es sollte darauf geachtet werden, dass körperwarme Infusionen appliziert werden und der Patient nicht auskühlt. Dies kann durch den Einsatz von Wärmedecken im Schockraum und Operationssaal erreicht werden. Ein Auskühlen des Patienten führt zu einer Verschlechterung des Gerinnungssystems im Organismus und kann somit einen weiteren Blutverlust bedingen. Kolloidaler Volumenersatz zeichnet sich gegenüber kristalloiden Lösungen durch einen verbesserten Volumeneffekt und eine längere intravasale Halbwertszeit (ca. 30 Minuten für kristalloide Lösungen und 3–6 Stunden für kolloidale Lösungen) aus. Die Zulassung der häufig in der Vergangenheit verwendeten kolloidalen Hydroxyethylstärkelösungen (HAES) ist seit 2013 ausgesetzt . Klinische Studien haben gezeigt, dass HAES-Lösungen mit einer erhöhten Sterblichkeit und vermehrtem Bedarf an Nierenersatztherapie bei Intensivpatienten einhergehen. Bei allen Kolloiden (Dextrane, Albumin) liegt anders als beim Einsatz der Kristalloide die Gefahr einer Anaphylaxie vor. Der Einsatz von Hapten (Promit ® ) als i. v. Prophylaxe hat schwere anaphylaktische Reaktionen beim Einsatz von Dextranen nahezu zum Verschwinden gebracht. Kristalloide Lösungen sind immer dann indiziert, wenn die Hypovolämie durch Wasserverluste hervorgerufen wurde (Erbrechen, Diarrhöen, Polyurie, Nebennierenrinden-Insuffizienz, Diabetes mellitus mit Coma diabeticum). Bei der Überdosierung kolloidfreier Lösungen kann es zu Lungen- und Hirnödemen kommen. Die Transfusion von Erythrozyten bzw. Vollblut ist außer bei intraoperativen Blutverlusten als primäre Schocktherapie kontraindiziert, da die Erhöhung des Hämatokriten eher zu einer Verstärkung der Mikrozirkulationsstörung führt. Viele Untersuchungen haben gezeigt, dass bei einem Hämatokrit von 27–30 % die Sauerstofftransportkapazität bei ausreichendem Blutvolumen nicht unter physiologische Werte absinkt. Vasokonstriktorisch wirkende Medikamente sind in der Erstbehandlung des hypovolämischen Schocks nicht indiziert. Sie führen zu einem weiteren Anstieg des peripheren Widerstands und damit zur Minderperfusion der Gewebe.

„Small-Volume-Resuscitation“ Hypertone Kochsalzlösungen (7,2- bis 7,5-prozentiges NaCl) oder hypertone-hyperonkotische Kochsalz-Kolloid-Lösungen (z. B. 7,2-prozentiges NaCl und 10-prozentiges Dextran 10) konnten in vielen experimentell erzeugten traumatisch-hämorrhagischen Schockmodellen gute Ergebnisse aufzeigen. Die Lösungen sind mittlerweile auch für den klinischen Einsatz zugelassen (z. B. HyperHaes ® ). Die Wirkmechanismen dieser Substanzen beinhalten einen überproportionalen Anstieg des Intravasalvolumens durch Mobilisierung körpereigener Flüssigkeit, die nachfolgende Hämodilution mit einer verbesserten Fließeigenschaft des Blutes, einen positiv-inotropen Effekt am Herzen, Wiederherstellung der physiologischen Vasomotion sowie die verminderte Adhärenz aktivierter Leukozyten an postkapillaren Venolen. Das Bestechende an diesen Lösungen ist, dass nur eine kleine Infusionsmenge appliziert werden muss (4 ml/kg KG), das heißt, für einen Erwachsenen müssen nur 250 ml Flüssigkeit eingesetzt werden. Das Konzept der „small-volume resuscitation“ hat nach neuesten experimentellen Daten auch einen Stellenwert in der Behandlung des septischen Schocks.

Sauerstofftransportierende Blutersatzmittel Modifizierte stromafreie Hämoglobinlösungen humanen oder bovinen Ursprungs und synthetische Perfluorocarbon-Emulsionen (PFC) sind beide für den Sauerstofftransport in vivo geeignet. Stromafreie Hämoglobinlösungen können in großen Mengen infundiert werden, weil diese Substanzen das retikuloendotheliale System (RES) nicht überladen. Der Einsatz dieser Substanzen ist im hämorrhagischen Schock anstelle von Blutkonserven möglich. Die Gewebsoxygenierung bleibt mit diesen Substanzen trotz eines extrem niedrigen Hämatokriten erhalten. Nebenbefundlich kann es zu einem Anstieg des systemischen und pulmonalen Widerstands kommen. Im Gegensatz zu den stromafreien Hämoglobinlösungen können die synthetischen PFC-Emulsionen nur in kleinen Mengen infundiert werden, weil diese Lösungen zu einer Überladung des RES führen. Ein Einsatz beim hämorrhagischen Schock verbietet sich deshalb.

3.7 Septischer Schock Die Zahl der Patienten, die eine Sepsis entwickelten, stieg in den letzten Jahren weltweit kontinuierlich an. Dies wird sicherlich mitverursacht durch immer mehr alte, abwehrgeschwächte, immunsupprimierte Patienten (z. B. nach Transplantation), durch immer ausgedehntere chirurgische Eingriffe, durch eine steigende Rate an invasiv diagnostischen und therapeutischen Verfahren und durch eine steigende Resistenzentwicklung der Keime bei zu schnellem und häufigem Einsatz von Antibiotika. Die Inzidenz einer schweren Sepsis beträgt in den USA 750.000 Fälle/Jahr. Ungefähr 50 % dieser Patienten entwickeln einen septischen Schock , der mit einer Letalität von ca. 50 % verbunden ist. Durch eine prospektive Querschnittsstudie an über 300 Krankenhäusern konnten nun auch in Deutschland Zahlen bezüglich Prävalenz und Letalität der Sepsis und des septischen Schocks erhoben werden. Eine schwere Sepsis oder einen septischen Schock entwickeln 11 % der Patienten . Hochgerechnet auf Deutschland, bedeutet das, dass 75.000 Einwohner pro Jahr an einem septischen Schock erkranken. Die 90-Tage-Sterblichkeit betrug 54 %.

Eine Sepsis und ein nachfolgender septischer Schock können durch gramnegative sowie grampositive Bakterien, bakterielle Mischinfektionen und Pilze ausgelöst werden, seltener durch Parasiten und Viren. Führende gramnegative Erreger sind Escherichia coli, Klebsiella, Pseudomonas aeruginosa, Enterobacter, Proteus. Grampositive Erreger sind Staphylokokken, koagulasenegative Staphylokokken, Enterokokken. Häufigster Pilzerreger ist Candida. Bei vielen Patienten, die das klinische Bild eines septischen Schocks bieten, gelingt es nicht, den Keimnachweis durch eine Blutkultur zu erhalten. Dies ist dadurch bedingt, dass auch bakterielle Zellmembranbestandteile, z. B. Endotoxine (Lipopolysaccharide) gramnegativer Bakterien, einen septischen Schock auslösen können. Sie gelangen durch Bakterienzerfall im Intravasalraum oder durch Translokation aus einem primären Infektionsherd oder aus dem Darm in die Blutbahn. Endotoxin ist ein Bestandteil der äußeren Zellmembran gramnegativer Bakterien, der nicht nur durch Absterben der Keime freigesetzt, sondern auch von Lebendkeimen beim Wachstum in die Umgebung abgegeben wird. Lipopolysaccharide und im Speziellen ein Teil des Moleküls, das Lipid A, haben vielfältige biologische Wirkungen im Organismus von Mensch und Tier. Die Applikation von Endotoxin bei gesunden Freiwilligen führt schon bei geringsten Mengen (Nanogramm) zu Fieber, Leukozytose, Leukopenie, Schock, Aktivierung der Komplement- und Gerinnungskaskade (DIC), Aktivierung von polymorphkernigen Granulozyten, Monozyten, Makrophagen, Thrombozyten, Endothelzellen, Zytokinanstieg (TNF-α, IL-1, IL-6, IL-8), Aktivierung von vasoaktiven Substanzen, PAF, Kallikrein-Kinin-System.

3.7.1 Klinik und Leitsymptome Im Rahmen des septischen Schocks müssen eine hyper- und eine hypodyname Phase unterschieden werden. In aller Regel entwickeln die Patienten mit septischem Schock zunächst eine hyperdyname Phase, die dann nach Stunden bis zu Tagen in eine hypodyname Phase übergeht. Die hypodyname Phase ist generell mit einer schlechten Prognose verbunden.

3.7.2 Klinik der hyperdynamen Phase Ein niedriger peripherer Widerstand führt zu einem stark erhöhten HZV. Im Gegensatz zum peripheren Widerstand ist der pulmonale Gefäßwiderstand gesteigert. Die Erhöhung des pulmonalen Strömungswiderstands erklärt man sich heute durch die frühe Einschwemmung von Thromboxan und PGF 2α . Die Patienten können verwirrt und unruhig bis somnolent sein, haben eine trockene und warme Haut, zeigen eine Hyper- oder Hypothermie, manchmal auch Schüttelfrost, sind tachykard und hypoton trotz Flüssigkeitssubstitution und haben eine Tachypnoe. Typische Laborbefunde können Leukozytose oder Leukopenie, Thrombozytopenie, arterielle Hypoxämie, Laktatazidose und eine erniedrigte a. v. DO 2 sowie Gerinnungsstörungen sein. Durch eine schlechte zelluläre Ausschöpfung des Sauerstoffs, eine Perfusionsstörung in der Mikrozirkulation, eine Erhöhung der Sauerstoffaffinität des Hämoglobins (erniedrigte 2,3-DPG-Konzentration in den Erythrozyten) sowie die Eröffnung funktioneller arteriovenöser Shunts kommt es trotz erhöhter Sauerstofftransportkapazität früh zur Zellhypoxie und Azidose . Durch eine aggressive Flüssigkeitssubstitution und den Einsatz von vasoaktiven Substanzen muss erreicht werden, dass die hyperdyname Kreislaufsituation des septischen Schocks mit einem erhöhten Sauerstoffangebot bestehen bleibt. Andernfalls ist die Sauerstoffversorgung der Organe nicht gewährleistet, und die Entwicklung eines multiplen Organversagens wird begünstigt.

3.7.3 Klinik der hypodynamen Phase Nach Stunden bis Tagen kann sich trotz adäquater Flüssigkeitssubstitution die hyperdyname in eine hypodyname Phase des septischen Schocks wandeln. HZV und Sauerstoffangebot fallen ab, der Patient bleibt trotz Anstieg des peripheren Gefäßwiderstands hypoton. Der hohe pulmonale Gefäßwiderstand bleibt bestehen. Diese Phase des septischen Schocks wird einerseits durch die sekundäre Hypovolämie mit Flüssigkeitssequestration im Gewebe und andererseits durch ein Pooling von Volumen und Blut bei veränderter Reaktionslage der Kapazitätsgefäße erklärt. Die hypodyname Phase geht mit einer schlechten Prognose einher.

3.7.4 Therapie Fokussuche Entwickelt der Patient eine Sepsis und einen septischen Schock , sollte der Infektionsherd so schnell wie möglich gefunden und sofort saniert werden. Dies erfolgt chirurgisch (z. B. Abszessspaltung, Übernähung/Resektion eines perforierten Magens/Darms bei Peritonitis, Relaparotomie bei Verdacht auf postoperative Anastomoseninsuffizienz, Entfernung von infizierten Fremdkörpern) oder auch interventionell (z. B. Ultraschall- oder CT-gesteuerte Einlage eines Katheters in einen Leberabszess). Darüber hinaus sollten alle Katheter (z. B. ZVK, Blasenkatheter) bei unklarem Infektionsherd gewechselt werden. Aufgrund o. g. Gefahr der Entwicklung einer Zellhypoxie im septischen Schock muss nach kausaler Therapie (Herdsanierung) das Ziel gelten, das Sauerstoffangebot zu optimieren.

Katecholamine Reicht die Gabe von kristalloiden oder kolloidalen Flüssigkeiten nicht aus, müssen im septischen Schock Katecholamine eingesetzt werden, um eine adäquate Organperfusion zu gewährleisten (siehe medikamentöse Herz-Kreislauf-Unterstützung).

Antibiotika Es muss eine breite Antibiotikatherapie erfolgen . Septische Patienten, die eine schnelle Antibiotikatherapie erhielten, haben eine bessere Prognose. Vor der breiten antibiotischen Abdeckung muss die Abnahme von mindestens zwei Blutkulturen gewährleistet sein. Wenn der Erreger und die Resistenzsituation bei dem Patienten feststehen, kann das Antibiotikum angepasst werden (Deeskalationstherapie).

Kortikosteroide Die Verabreichung von niedrig dosierten Kortikosteroiden (z. B. Hydrocortison 200–300 mg/d) kann nicht mehr empfohlen werden. In der CORTICUS-Studie , die europaweit durchgeführt wurde, wurden 499 Patienten mit einem septischen Schock untersucht und wurde gezeigt, dass die 28-Tage-Letalität der Patienten mit und ohne Hydrokortison bei 39,2 versus 36,1 % lag (Evidenzgrad B). Der therapierefraktäre septische Schock, der trotz ausreichender Flüssigkeitssubstitution und Katecholamintherapie nicht zu stabilisieren ist, kann mit niedrig dosiertem Hydrokortison als Ultima-Ratio-Therapie behandelt werden (Evidenzgrad E).

Frühe zielgerichtete Therapie („Early Goal-Directed Therapy“) In einer prospektiven, randomisierten Studie an Patienten mit einem septischen Schock konnte gezeigt werden, dass Patienten mit einer sehr frühen Therapie der Hypotension, nämlich bei der initialen Aufnahme und noch vor Verlegung auf die Intensivstation, und mit aggressiver Volumensubstitution (innerhalb von 6 Stunden) eine sehr viel bessere Prognose haben. Das Protokoll der sog. Early Goal-Directed Therapy beinhaltete, dass der mittlere Blutdruckwert auf ≥ 65 mmHg und der ZVD auf Werte von 8–12 mmHg angehoben werden sollten. Die stündliche Urinausfuhr sollte auf Werte ≥ 0,5 ml/kg gesteigert werden. Die gemischte zentralvenöse Sättigung sollte kontinuierlich gemessen werden und ≥ 70 % betragen. Wenn die Volumentherapie alleine nicht zu einem Anstieg der zentralvenösen Sättigung führte, wurden Erythrozytenkonzentrate verabreicht (Ziel: Hämatokrit > 30 %). Wenn dies nicht zum Erfolg führte, wurde Dobutamin (selektiver β 1 -Agonist, Steigerung des HZV) eingesetzt (max. 20 μg/kg/min). In der Patientengruppe, die diese Therapie zusätzlich zur Standardtherapie erhielt, war die Letalität signifikant niedriger (31 vs. 46 %) .

3.7.5 Toxisches Schocksyndrom (TSS, Toxic Shock Syndrome) Vor allem in den USA wurde in den letzten Jahren eine Schockform beschrieben, die vom septischen Schock unterschieden werden muss. Krankheitsauslösende Ursache sind Exotoxine spezieller Typen von Staphylococcus aureus und Streptococcus pyogenes. Das TSS wurde zunächst bei jungen Frauen gesehen, die während der Menstruation Tampons benutzt hatten. Mittlerweile sind aber auch Fälle nach Behandlung mit Immunsupressiva, Steroiden, Antibiotika und invasiven Eingriffen bei Männern und Frauen bekannt.

3.8 Kardiogener Schock Der Myokardinfarkt, Herzrhythmusstörungen, Kardiomyopathien, Endo-, Peri- und Myokarditiden, Mitral- und Aortenstenosen, Vorhof- und Ventrikeltumoren, Lungenembolie und Perikardtamponade können zu einem kardiogenen Schock führen. Die häufigste Ursache eines kardiogenen Schocks ist der Myokardinfarkt . Der Ausfall der kontraktilen Funktion korreliert mit der Masse des betroffenen Myokards. Bei Ausfall von > 40 % des linken Ventrikels resultiert meist ein kardiogener Schock. Die lokale Ischämie des Herzens führt zur Bereitstellung von ATP über anaerobe Glykolyse. Es kommt zur vermehrten Bildung von Laktat, das gemeinsam mit einem erhöhten Anfall von Endprodukten aus dem Fettstoffwechsel zu einer lokalen Azidose führt. Die Störung der Zellmembranintegrität bedingt einen Anstieg von extrazellulären Kalium-Konzentrationen (cave: Rhythmusstörungen). Auch beim kardiogenen Schock kommt es bei herabgesetztem HZV zur Aktivierung der sympathoadrenergen Reaktion mit der Freisetzung von Katecholaminen und einem starken Anstieg des totalen peripheren Widerstandes. Dies führt unter Zunahme von Herzfrequenz, Kontraktilität und Nachlast zu einem noch weiter erhöhten kardialen Sauerstoffbedarf.

3.8.1 Klinik und Leitsymptome Tachykardie, Bradykardie und Extrasystolen, gestaute Halsvenen (auch beim sitzenden Patienten). Hämodynamisch sind PCWP (als Maß für den linksventrikulären Füllungsdruck > 18 mmHg) und ZVD erhöht. Hypotonie, Erniedrigung des HZV < 1,8 l/min/m 2 , Rasselgeräusche bei Lungenödem.

3.8.2 Therapie Sitzende Lagerung, Behandlung der korrigierbaren Ursachen, bei Volumenmangel vorsichtige Gabe von Volumen (PCWP nicht > 20 mmHg), vasopressorische Substanzen (Dopamin, Dobutamin). Weiterhin kann bei Versagen der konservativen Therapie die intraaortale Ballonpulsation (IABP) beim kardiogenen Schock eingesetzt werden. Dies führt bei intakter Aortenklappe zu einer verbesserten koronaren Perfusion in der Diastole.

3.9 Anaphylaktischer Schock Eine Allgemeinreaktion nach Applikation von Arzneimitteln (z. B. Antibiotika, Schmerzmittel, Kontrastmittel) und Blutprodukten (Impfseren) sowie eine massiv gesteigerte Reaktion auf Insektenstiche können einen anaphylaktischen Schock hervorrufen. Diese Schockform ist bedingt durch eine gesteigerte Freisetzung von Histamin, Serotonin und Bradykinin aus Mastzellen.

3.9.1 Klinik und Leitsymptome Urtikaria, Juckreiz, Flush, Hitzegefühl, Unruhe, Dyspnoe, Bronchospasmus, Tachykardie, Hypotonie, Übelkeit und Erbrechen, Quincke- und Larynxödem.

3.9.2 Therapie Antihistaminika, Glukokortikoide, ggf. Adrenalin.

3.10 Spinaler Schock In der Chirurgie wird der spinale Schock vor allem bei Patienten mit Rückenmarkverletzungen beobachtet. Bei normalem Blutvolumen kommt es unter Beeinträchtigung der neurovegetativen Steuerung zu einem Vasomotorenkollaps. Leitsymptome sind erniedrigter Blutdruck bei normaler oder erniedrigter Pulsfrequenz sowie trockene, gerötete und warme Haut.

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KAPITEL 4

Blutungen und Thrombosen Hanno Riess unter ehemaliger Mitarbeit von and Albrecht Encke

4.1. 4.1.1. 4.1.2. 4.1.3. 4.1.4. 4.1.5. 4.1.6. 4.1.7. 4.2. 4.2.1. 4.2.2. 4.2.3. 4.3. 4.3.1. 4.3.2. 4.3.3. 4.3.4. 4.3.5. 4.3.6.

4.1 Blutung und Blutstillung 4.1.1 Vorbemerkungen Die Aufrechterhaltung der Fließeigenschaft des Blutes innerhalb des Gefäßbetts und die zügige Blutstillung im Bereich von Gefäßverletzungen durch das komplexe Zusammenwirken von Gefäßwand, Blutzellen und Plasmafaktoren sind essenzielle Voraussetzungen für die Homöostase des Organismus ebenso wie bei chirurgischen Maßnahmen. Von der Möglichkeit, hämostaseologisch qualifizierte Ärzte hinzuzuziehen, sollte bei komplexeren Hämostasestörungen großzügig Gebrauch gemacht werden.

4.1.2. Physiologie der Hämostase Spontane Blutstillung An der spontanen Blutstillung sind folgende Ereignisse beteiligt ( ):

ABB. 4.1

Physiologische Blutstillung. [ ]

• Vasokonstriktion • Adhäsion von Thrombozyten (und Leukozyten) an der verletzten Gefäßwand mit Ausbildung eines kleinere Defekte verschließenden Zellpropfs (primäre Hämostase) und Freisetzung prothrombogener und vasokonstriktorischer Mediatoren • Parallel gehende Aktivierung des plasmatischen Gerinnungssystems mit Stabilisierung des Wundverschlusses durch gebildetes Fibrin (sekundäre Hämostase) • Organisation des Plättchen-Fibrin-Gerinnsels im Sinne der Wundheilung und Reparatur des Gefäßdefekts unter Einsprossung von Fibroblasten, Bildung von Bindegewebe sowie Wiedereröffnung des Gefäßlumens durch Gerinnselretraktion, Fibrinolyse und Endothelneubildung Unter physiologischen Bedingungen gewährleisten Blutfluss, Endothelfunktion und das Zusammenspiel von Gerinnungs- und Fibrinolysesystem einschließlich ihrer Inhibitoren die Aufrechterhaltung der Fluidität des Gefäßinhalts und die Integrität der unverletzten Gefäßwand. Auftretende Gefäßalterationen initiieren die Blutgerinnung, wobei Thrombozyten (und Leukozyten) sowie die Fibrinbildung im Rahmen der plasmatischen Gerinnung die lokale Blutstillung gewährleisten, andererseits die Fibrinolyse sowie die Gerinnungsinhibitoren eine überschießende Gerinnselbildung verhindern. Dynamik und Ausmaß der Fibrinbildung werden dabei durch die lokale Konzentration und Aktivität der zellulären Komponenten, Gerinnungsfaktoren und Inhibitoren moduliert. Die regelrechte Interaktion der verschiedenen Hämostasekomponenten dämpft unterschwellige Auslenkungen in die prohämorrhagische oder prothrombotische Richtung. Qualitative und quantitative Störungen im Bereich einzelner Hämostasekomponenten treten klinisch meist erst in Erscheinung, wenn eine Aktivitätsminderung auf weniger als 30 % oder eine Aktivitätssteigerung auf über 150 % besteht. Die Bereitstellung des Hämostasepotenzials resultiert aus der Bilanz zwischen Synthese der spezifischen Komponenten in Knochenmark (Thrombozyten, Leukozyten), Leber (plasmatische Faktoren des Gerinnungs- und Fibrinolysesystems einschließlich ihrer Inhibitoren) und bestimmten Blut-, Gewebs- und Endothelzellen (Aktivatoren, Inhibitoren), aus deren Umsatz in der Kreislaufperipherie („latente Gerinnung und Fibrinolyse“) sowie aus der Elimination aktivierter Zellen und Stoffwechselprodukte durch das retikuloendotheliale System.

Hämostatische Funktion der Thrombozyten Bei einer vaskulären Endothelläsion werden die Thrombozyten (und Leukozyten) vermittelt durch Glykoprotein-Rezeptoren (GP-Rezeptoren) an Gefäßläsionen adhärent, erfahren eine morphologische Veränderung und Aktivierung, wodurch die lokale Aggregation von Plättchen und Initiierung der plasmatischen Gerinnung eingeleitet werden ( ). Dabei werden biologisch aktive Mediatoren wie Adenosindiphosphat (ADP), Adenosintriphosphat (ATP), Serotonin, β-Thromboglobulin, Plättchenfaktor 4 und Thromboxan A 2 (TXA 2 ) freigesetzt oder synthetisiert. Veränderungen der Zellmembranen machen gerinnungsfördernde negativ geladene Phospholipoproteinoberflächen verfügbar (Plättchenfaktor 3), die einen optimalen Ablauf der durch Tissue Factor (TF, Gewebefaktor) initiierten plasmatischen Gerinnungskaskade gewährleisten. Proteasen der plasmatischen Gerinnung modulieren rezeptorvermittelt zelluläre Funktionen. So führt z. B. Thrombin zu Fibrinbildung, Plättchenaktivierung und Mediatorfreisetzung aus Endothel und Leukozyten. Fibrinogen vermittelt im Rahmen der Aggregation die Brückenbildung der GP IIb/IIIa benachbarter aktivierter Plättchen. Zeitlich verzögert bewirken die Thrombozyten die Retraktion des Gerinnsels, welche zusammen mit der Fibrinolyse zur Lumenwiederherstellung führen kann.

Aktivierung des Gerinnungssystems Die plasmatischen Gerinnungsfaktoren ( ) werden mit Ausnahme des Faktors VIII und des Von-Willebrand-Faktors (vWF) in der Leber gebildet. Dabei erfolgt

die Synthese der Faktoren des Prothrombinkomplexes (F II, VII, IX, X) Vitamin-K-abhängig.

Tab. 4.1 Plasmatische Gerinnungsfaktoren. Faktor

Synonym

Plasmakonzentration (mg/dl)

Halbwertszeit (h)

Substitutionsmöglichkeit

I

Fibrinogen

200–400

96–120

Konzentrat, FFP

II

Prothrombin

5–15

40–75

PPSB, FFP

V

Proakzelerin

1

24–36

FFP

VII

Prokonvertin

0,05

2–5

Konzentrat, PPSB, FFP

VIII

antihämophiles Globulin A

0,01–0,02

10–14

Konzentrat, FFP

IX

Christmas-Faktor

0,3

18–30

Konzentrat, FFP

X

Steward-Prower-Faktor

1

20–42

PPSB, FFP

XI

„Plasma Thromboplastin Antecedent“

0,5

60–70

FFP

XII

Hagemann-Faktor

3

50–70

FFP

XIII

fibrinstabilisierender Faktor

6

120–150

Konzentrat, FFP

vWF

Von-Willebrand-Faktor

2–4

6–12

vWF-haltiges F-VIII-Konzentrat, FFP

FFP = Fresh frozen Plasma; PPSB = Prothrombinkonzentrat

Die Aktivierung des Gerinnungssystems erfolgt vorrangig am zellulär exprimierten Tissue Factor (TF) ( ) mit initial sehr geringer Thrombinbildung, die dann ihrerseits durch Aktivierung der Faktoren V, VIII und XI im Rahmen der limitierten Proteolyse des Tenase- und Prothrombinasekomplexes an aktivierten Zell-/Plättchenoberflächen zur quantitativ bedeutsamen Thrombin- und konsekutiven Fibrinbildung führt.

Zellbasiertes Schema der Gerinnung. Am zellulär exprimierten Tissue-Factor (TF) bildet sich ein TF-Faktor-VIIa-Komplex, der die Faktoren X und IX aktivieren kann. Zellgebundener Faktor Xa aktiviert Faktor V und der entstehende Xa-Va-Komplex führt zur langsamen und mengenmäßig geringen Thrombinbildung (Initiation). Thrombin aktiviert Thrombozyten und die Faktoren V, VIII und XI. Faktor XIa aktiviert zusätzlich Faktor IX (Amplifikation). Auf der aktivierten Thrombozytenoberfläche bildet sich der Tenasekomplex (Faktoren VIIIa, IXa, X); der entstehende Faktor Xa bildet mit Faktor Va und Prothrombin (Faktor II) den ebenfalls zelloberflächengebundenen Prothrombinasekomplex. Dadurch wird rasch und in großen Mengen Thrombin gebildet (Propagation) und Fibrinogen wird zu löslichem Fibrin und dann – mithilfe des ebenfalls durch Thrombin aktivierten Faktors XIII – zu stabilem Fibrin polymerisiert ( Clot formation ). Thrombozytäre Thrombusretraktion und Fibrinolyse führen zusammen mit vaskulären Reparaturvorgängen zum bleibenden Endzustand mit oder ohne Gefäßwiedereröffnung (Remodelling). Diese Abläufe werden u. a. durch die plasmatischen Gerinnungsinhibitoren Tissue-Factor Pathway Inhibitor (TFPI), Antithrombin (AT) und das Protein-C-/Protein-S-System (PC-/PSSystem) gehemmt. [ ] ABB. 4.2

Aktivierung des Fibrinolysesystems Plasmin entsteht durch Plasminogen-Aktivatoren proteolytisch aus Plasminogen. Die wichtigsten Plasminogen- Aktivatoren sind der GewebePlasminogenaktivator (Tissue-Type Plasminogen Activator t-PA) sowie die Urokinase (Urokinase-Type Plasminogen Activator u-PA). Schwächere endogene Plasminogenaktivatoren sind Faktor XIIa, hochmolekulares Kininogen und Präkallikrein. t-PA ist eine endotheliale Serinprotease mit hoher Spezifität für

Plasminogen und kurzer Halbwertszeit. Seine proteolytische Aktivität wird durch Fibrin verstärkt, wodurch die am Thrombus lokalisierte Fibrinbildung gefördert wird. Dort baut Plasmin Fibrin in sogenannte Fibrinspaltprodukte (u. a. D-Dimere) ab, freies Plasmin kann auch Fibrinogen zu Fibrinogenspaltprodukten degradieren. Im Rahmen der Gerinnungsaktivierung kommt es stets auch zu einer Aktivierung des Fibrinolysesystems.

Inhibitorpotenzial Die aktivierten Faktoren und Enzyme des Gerinnungs- und Fibrinolysesystems werden durch verschiedene Hemmstoffe spezifisch inhibiert. Dieses Inhibitorpotenzial ist im Überschuss vorhanden. Die wichtigsten Hemmstoffe im Gerinnungssystem sind das in aktiver Form zirkulierende Antithrombin (AT) und der Tissue-Factor Pathway Inhibitor (TFPI). Demgegenüber bedarf das Vitamin-K-abhängig gebildete Protein-C-/Protein-S-System der rezeptorvermittelten Aktivierung durch entstandenes Thrombin. Antithrombin neutralisiert vorwiegend die Thrombinwirkung und hemmt außerdem den Faktor Xa, klinisch weniger bedeutsam auch die Faktoren XIa, XIIa, Plasmin, Kallikrein und C1 des Komplementsystems. Es wird in seiner Hemmwirkung durch Heparin potenziert (Heparinkofaktor). Fibrinolysespezifische Inhibitoren sind vor allem der Plasminogenaktivator-Inhibitor-1 (PAI-1) sowie der Plasmin-Inhibitor ( Antiplasmin), die freies t-PA bzw. Plasmin hocheffizient hemmen. Der Mangel an einzelnen Inhibitoren der plasmatischen Gerinnung ist klinisch mit einer erhöhten Thromboseneigung vergesellschaftet, während ein Antiplasminmangel mit einer leicht erhöhten Blutungsneigung einhergehen kann.

4.1.3 Einteilung der Blutgerinnungsstörungen Entsprechend der skizzierten Physiologie der Blutgerinnung unterscheidet die klinisch orientierte Einteilung der Blutgerinnungsstörungen:

• hämorrhagische Diathesen: – plasmatische Gerinnungsstörungen: Koagulopathien; – thrombozytäre Hämostasedefekte: Thrombozytopenien und Thrombozytopathien; – vaskuläre Blutungsneigungen; • thromboembolische Erkrankungen der Venen, Arterien und der Mikrozirkulation. Unter Berücksichtigung pathogenetischer Gesichtspunkte werden angeborene und erworbene Hämostasedefekte sowie Bildungs- und Umsatzstörungen unterschieden.

4.1.4 Hämorrhagische Diathesen Klinische Symptomatik D e r Blutungstyp ist das entscheidende klinische Leitsymptom einer hämorrhagischen Diathese. Thrombozytär-vaskuläre und plasmatische Blutungsneigung weisen unterschiedliche Manifestationsmerkmale auf ( ). Unter Berücksichtigung eigen- und familienanamnestischer Angaben sowie der klinischen Symptomatik (Manifestationsalter, Lokalisation) lässt sich ein Hämostasedefekt bis zu einem gewissen Grad eingrenzen. Die exakte Identifizierung bleibt der gerinnungsanalytischen Untersuchung vorbehalten, deren Ergebnis Grundlage für die Festlegung der spezifischen und therapeutischen Maßnahmen ist. Während hereditäre Hämostasedefekte überwiegend eine Hämostasekomponente betreffen, sind an erworbenen hämorrhagischen Diathesen meist unterschiedliche plasmatische und zelluläre Komponenten beteiligt, wobei die Kenntnis von zugrunde liegenden Organfunktionsstörungen oder exogenen Noxen eine erste Einordnung ermöglichen kann. Die gerinnungsanalytische Abklärung sowie regelmäßige Verlaufskontrollen erlauben eine genaue Einordnung und Aussagen über die Dynamik, aber auch die Wirksamkeit gezielter therapeutischer Maßnahmen.

Tab. 4.2 Allgemeine Symptomatik thrombozytär-vaskulärer und plasmatischer hämorrhagischer Diathesen. Blutungstyp

Thrombozytär-vaskuläre Blutungsneigung

Plasmatische Koagulopathie

Häufigkeit und Schweregrad der Blutungen Blutungen nach oberflächlichen Verletzungen

oft profus und verlängert

im Allgemeinen nicht besonders ausgeprägt

Prellungen und Hämatome

klein und oberflächlich, häufig multipel

oft ausgedehnt und tief, gewöhnlich lokalisiert

Haut- und Schleimhautblutungen

sehr häufig

selten

Gelenkblutungen

sehr selten

relativ selten, außer bei angeborenen, schwergradigen Formen

Blutungen bei tiefen Gewebeverletzungen, Zahnextraktion

im Allgemeinen sofort nach Verletzungen, häufig lokale Behandlung erfolgreich

häufig verspätetes Einsetzen, lokale Behandlung ohne Erfolg

Purpura und Ekchymosen

tiefe Weichteilblutungen (spontan oder posttraumatisch)

Epistaxis

Haut- oder Muskelblutungen

Menorrhagien

verlängerte postoperative und posttraumatische Nachblutung

Häufigste Manifestationen

gastrointestinale Blutungen

Diagnostik Zur detaillierten Identifizierung von Hämostasedefekten steht ein umfangreiches diagnostisches Methodenspektrum zur Verfügung. In der Regel kommen zunächst Global- und Gruppentests, dann erst die Bestimmung von Einzelfaktoren zum Einsatz ( und ).

Tab. 4.3 Dekompensation des Hämostasepotenzials – gerinnungsanalytische Parameter. Parameter

Dekompensation

Normalbereich

I. Blutungsgefährdung Blutungszeit

> 5 min

2–4 min

Thrombozytenzahl

< 30.000/μl

150.000–300.000/μl

Quick-Wert

< 50 %

80–100 %

PTT

> 50 s

36–45 s

Fibrinogen

< 100 mg/dl

200–360 mg/dl

Fibrinmonomer

positiv

negativ

D-Dimer-Test

> 0,5 mg/l

< 0,5 mg/l

Antithrombin

< 65 %

80–100 %

II. Thrombosegefährdung

PTT = partielle Thromboplastinzeit

Analyse der plasmatischen Gerinnungsfaktoren durch Globaltests. Die Vitamin-K-abhängigen Faktoren sind fett hervorgehoben. HMW = High Molecular Weight. [ ] ABB. 4.3

Zur Beurteilung der Thrombozytenfunktion werden in der klinischen Routine die Thrombozytenzahl, unter Umständen ein orientierender Funktionstest, wie die In-vitro-Blutungszeit mit dem PFA100 ® , und nur bei spezieller Fragestellung die aufwendigeren Funktionsuntersuchungen zu Aggregation, Adhäsion und Freisetzung oder auch durchflusszytometrische Untersuchungen zur Plättchencharakterisierung durchgeführt. Schwerwiegendere Koagulopathien und plasmatische Defekte werden durch die Globaltests Thromboplastinzeit (TPZ/Quick-Wert) und aktivierte partielle Thromboplastinzeit ( aPTT oder PTT) ermittelt oder ausgeschlossen. Dadurch werden auch höhergradige Mangelzustände einzelner Gerinnungsfaktoren (mit Ausnahmefaktor XIII!) erfasst. Die Bestimmung von Einzelfaktoren erfolgt nur mit gezielter Fragestellung. Der Nachweis erhöhter D-Dimere (Fibrinspaltprodukte) ist unspezifisch und weist auf einen erhöhten prothrombogenen Umsatz u. a. im Sinne einer vaskulären Thromboembolie oder einer Verbrauchskoagulopathie hin; im Referenzbereich liegende D-Dimere machen aber eine akute Thromboembolie eher unwahrscheinlich. Eine klinische, selten dominierende Hyperfibrinolyse lässt sich durch verlängerte plasmatische Gerinnungszeit, Hypofibrinogenämie und verminderte Fibrinogen-Halbwertszeit nachweisen. Bei der Bestimmung der Gerinnungsinhibitoren kommt dem Antithrombin und den Proteinen C und S besondere Bedeutung zu.

Therapie Therapeutische Maßnahmen zur Behebung einer Hämostasestörung basieren auf folgenden Ansätzen:

• Wiederherstellung eines ausreichenden Hämostasepotenzials durch Substitutionstherapie • Verbesserung der Syntheseleistung (z. B. Vitamin-K-Substitution) • Beendigung bzw. Pausieren des Einsatzes von Pharmaka mit antithrombotischen Effekten • Indirekte Verbesserung der Hämostasefunktion durch Hemmung der Fibrinolyse (z. B. Tranexamsäure), Freisetzung des FVIIIvon-Willebrand-Faktors aus endothelialen Depots (z. B. mittels Desmopressin – DDAVP) oder Verbesserung der Gefäßabdichtung (z. B. Kortikosteroidgabe)

4.1.5 Koagulopathien Angeborene Koagulopathien Die klinisch wichtigsten Koagulopathien sind die X-chromosomal-rezessiv vererbte Hämophilie A (Faktor-VIII-Mangel) und B (Faktor-IX-Mangel) sowie

das meist autosomal-dominant vererbte Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom (vWS), seltener Hypo- und Dysfibrinogenämien sowie die autosomal-rezessiv vererbten Mangelzustände der Faktoren II, V und VII ( ).

Tab. 4.4 Angeborene Koagulopathien. X-chromosomal-rezessiv • Hämophilie A (Faktor-VIII-Mangel) • Hämophilie B (Faktor-IX-Mangel) Autosomal-dominant • Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom (vWS) • Dysfibrinogenämie Autosomal-rezessiv (selten!) • Mangel an den Faktoren I, II, V, VII, X, XI, XII und XIII, Präkallikrein, HMW-Kininogen, α 2 -Antiplasmin

Hämophilie A und Hämophilie B Beides sind angeborene Koagulopathien mit X-chromosomal-rezessivem Erbgang. Der Defekt führt i. d. R. nur bei Männern zur klinischen Manifestation einer lebenslangen Blutungsneigung mit unterschiedlichem Schweregrad entsprechend der Restaktivität des betroffenen Gerinnungsfaktors. Die männlichen Nachkommen eines hämophilen Mannes und einer gesunden Frau sind alle gesund, alle weiblichen Nachkommen Konduktorinnen. Die männlichen Nachkommen einer Konduktorin und eines gesunden Mannes haben eine Chance von 50 %, gesund oder hämophil zu sein, für die weiblichen Nachkommen besteht die gleiche Chance, gesund oder Konduktorin zu sein. Typische klinische Manifestationsmerkmale sind:

• rezidivierende intraartikuläre Blutungen in die großen Gelenke mit der Folge schwerer Arthrosen, Inaktivitätsatrophien und Kontrakturen der Muskulatur, • Muskel- und Weichteilblutungen mit nachfolgender Blutungsanämie und Kompressionsschäden (z. B. des N. femoralis durch eine Blutung in den M. iliopsoas) ( ).

ABB. 4.4

Folgen der Blutungskomplikationen an den Extremitäten bei Hämophilie A und B. [ ]

Einzelne Patienten erleiden intrakranielle Blutungen. Lebensbedrohliche Blutungen finden sich außerdem im Bereich des Zungengrundes, des Mundbodens, des Perikards und der Pleura. Retroperitoneale, intraabdominale und Darmwandblutungen gehen häufig mit der Symptomatik eines akuten Abdomens einher und erfordern eine differenzialdiagnostische Abklärung gegenüber anderen akuten Baucherkrankungen. Die typische postoperative Komplikation ist eine Nachblutung nach initialer (thrombozytär bedingter) Blutstillung. D i e Substitutionstherapie akuter Blutungskomplikationen besteht in der angemessenen Gabe von Faktor-VIII- bzw. Faktor-IX-Konzentraten – sehr wirksam und faktorensparend in Form einer kontinuierlichen Gabe. Perioperativ sind dabei vom Blutungsrisko abhängige Minimalspiegel der jeweiligen Faktorenaktivität und eine ausreichende Substitutionsdauer zu gewährleisten. Mittels einer regelmäßigen prophylaktischen Anwendung können stärkere Blutungskomplikationen und deren bleibende Folgen verhindert werden ( ). Die Substitutionstherapie kann allerdings zu – dann z. T. schwerwiegenden – Komplikationen führen: 5–10 % der regelmäßig substituierten Hämophiliepatienten (meist Kinder) bilden einen Hemmstoff gegen Faktor VIII oder Faktor IX, der die zugeführte Aktivität neutralisiert und die spezifische Faktorensubstitution wirkungslos macht. Durch Gabe von geeigneten Faktorenkonzentraten wie rekombinantem humanem F VIIa (rhF VIIa) oder auch aktiviertem Prothrombinkomplexkonzentrat gelingt es in der Regel dennoch, akut eine ausreichende Blutstillung in dieser Situation zu erreichen; längerfristig wird meist erfolgreich versucht, die Hemmkörperbildung durch immunmodulatorische Maßnahmen zu unterbinden.

Tab. 4.5 Hämophilie-A-Substitutionstherapie: Dosierungsrichtlinien gemäß Schweregrad und Lokalisation der Blutungskomplikation.

Blutungslokalisation

erforderliche initiale Mindestaktivität (%)

F-VIII-Dosis (IE/kg)

Therapiedauer (Tage)

spontane Gelenk- und Muskelblutung

20

20–40

2–3

Blutungen und Hämatome mit Folgen für Organfunktionen

40

40–60

3–5

Zahnextraktionen, kleine Operationen

25–40

15–40

1–5

intrakraniell, intrathorakal, gastrointestinal, große Operationen

80–100 (> 50!)

40–70

14–21

Das Risiko der Übertragung von Hepatitis-B-, Hepatitis-C- oder HI-Viren ist heute durch eine entsprechende Spenderselektion und Untersuchung von Spenderplasma sowie durch den konsequenten Einsatz von Virusabreicherungsverfahren bei Plasmakonzentraten bzw. den Einsatz von rekombinanten Konzentraten minimal.

Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom (vWS) Die verschiedenen Formen des vWS werden meist autosomal-dominant mit unterschiedlicher Expressivität vererbt und betreffen dementsprechend beide

Geschlechter. Zahlreiche Varianten sind beschrieben. Klinisch imponieren hämorrhagische Phänomene mehr vom thrombozytär-vaskulären Blutungstyp mit Schleimhautblutungen, Epistaxis, Haut- und Muskelhämatomen sowie Menorrhagien. Gerinnungsanalytisch auffällig sind u. a. die verlängerte Blutungszeit sowie typabhängige Verminderungen des vWF (Antigen und/oder Aktivität) und/oder der Faktor-VIII-Aktivität. Die Substitution geschieht mit vWF-reichen Faktor-VIII-Konzentraten (z. B. initial 40 IE/kg, als Erhaltungsdosis 20 IE/kg KG/48 Stunden). Bei einigen Formen genügt oft die Gabe des Vasopressin-Analogons DDAVP (Desmopressin), das den vWF aus Endotheldepots freisetzt. Die Störung manifestiert sich klinisch nicht selten erstmals anlässlich einer Operation oder Zahnbehandlung. Hypo- und Dysfibrinogenämien sind durch eine milde klinische Symptomatik gekennzeichnet und werden oft nur zufällig in der Gerinnungsanalyse entdeckt. Sie können bei operativen Eingriffen mit einer Blutungsneigung, im Falle der Dysfibrinogenämie auch mit thromboembolischen Komplikationen einhergehen, erfordern aber nur selten eine Substitution.

Autosomal-rezessiv vererbte Koagulopathien Hierbei handelt es sich um ein Fehlen, eine Verminderung oder einen qualitativen Defekt einzelner oder selten auch mehrerer Faktoren (I, II, V, VII, X, XI, XII, XIII). Heterozygote zeigen in der Regel keine spontanen Blutungsphänomene. Der Faktor-XII-Mangel führt zwar zu einer deutlichen Verlängerung der aPTT, ist klinisch allerdings – auch perioperativ – nicht mit einer Erhöhung des Blutungsrisikos verbunden. Der Faktor-XIII-Mangel wird mit den Gruppentests der TPZ und PTT nicht erfasst. In seiner schweren Ausprägung treten Nabelschnurblutungen und lebensbedrohliche Nachblutungen 2–5 Tage nach einem Gewebstrauma auf, eine verzögerte Wundheilung und Keloidbildung ist charakteristisch. Die Substitutionstherapie erfolgt mit spezifischen Faktorenkonzentraten oder Frischplasma ( ).

Erworbene Koagulopathien Erworbene Koagulopathien sind sekundäre plasmatische Gerinnungsstörungen. Sie werden im Rahmen zahlreicher Grunderkrankungen angetroffen. Pathogenetisch liegt meist eine Beeinträchtigung der Synthese, d e s Umsatzes oder des Abbaus mehrerer Komponenten des Gerinnungs- und Fibrinolysesystems im Rahmen der Grunderkrankung zugrunde ( ). Es werden Umsatz- und Bildungsstörungen unterschieden. Neben dem plasmatischen System können auch das thrombozytäre und das vaskuläre System mit einbezogen sein.

Tab. 4.6 Erworbene Koagulopathien. • Verbrauchskoagulopathie und Hyperfibrinolyse • transfusionsbedingte Gerinnungsstörungen (Massentransfusion) • Immunokoagulopathien • hepatogene Hämostasedefekte • Vitamin-K-Mangelsyndrom, orale Antikoagulation mit Vitamin-K-Antagonisten • Hämostasestörungen bei chronischen Nierenkrankheiten

Verbrauchskoagulopathie und Hyperfibrinolyse Die Verbrauchskoagulopathie oder disseminierte intravasale Gerinnung ( DIC, disseminated intravascular coagulation) ist eine komplexe erworbene Gerinnungsstörung. Hervorgerufen wird sie durch eine generalisierte intravasale Aktivierung des Gerinnungssystems infolge prokoagulatorischer Stimulation im Rahmen meist schwerer Grunderkrankungen ( ).

Tab. 4.7 Pathogenese von erworbenen Umsatzstörungen (Verbrauchskoagulopathien): prädisponierende Krankheitsbilder. Akute und chronische Formen Akute Umsatzstörungen verschiedene Formen des Schocks

• kardiogen, traumatisch, hämorrhagisch • endotoxisch, septisch, anaphylaktisch • Verbrennungsschock

hämolytische Syndrome

• Transfusionszwischenfälle • hämolytische Anämien • hämolytisch-urämisches Syndrom • thrombotisch-thrombozytopene Purpura

akute Organnekrosen

• akute Pankreatitis • akute Lebernekrose

postoperativ

• nach Eingriffen an Lunge, Pankreas, Leber, Herz, Prostata • nach extrakorporaler Zirkulation • nach Transplantationen (Niere, Leber)

nach traumatischem Geschehen

• Fettembolie • ausgedehnte Weichteilverletzungen

geburtshilfliche Komplikationen

• Abruptio placentae • Fruchtwasserembolie • verhaltener Abort

Septikämien

• gramnegative Erreger • Purpura fulminans • exanthematische Viruserkrankungen • Rickettsiosen • Malaria

Chronische Verlaufsformen Zirkulationsstörungen infolge von Fehlbildungen oder Anomalien der Blutgefäße

• kongenitale zyanotische Herzvitien • Riesenhämangiom • Morbus Osler • portal dekompensierte Leberzirrhose • portokavaler Shunt

metastasierende Karzinome

• Prostatakarzinom • Magenkarzinom • Pankreaskarzinom • Schilddrüsenkarzinom • maligne Erkrankungen des blutbildenden Systems

Pathomorphologie Das entscheidende pathomorphologische Substrat ist ein disseminierter intravasaler Gerinnungsprozess mit Verlegung der Mikrozirkulation und sekundärer Organdysfunktion. Durch die Umsatzsteigerung werden in der Zirkulation Thrombozyten, plasmatische Faktoren, Inhibitoren und Fibrinogen verbraucht, und damit wird das Hämostasepotenzial kritisch vermindert und das Blutungsrisiko erhöht. Die im Rahmen der DIC stimulierte sekundäre Fibrinolyse ist individuell und abhängig von der auslösenden Noxe unterschiedlich ausgeprägt. Sie kann einerseits dazu beitragen, Störungen der Mikrozirkulation zu reduzieren, andererseits kann sie aber auch auch Anteil an einer klinisch im Vordergrund stehenden hämorrhagischen Diathese haben. Typische Beispiele akuter „chirurgischer“ Verbrauchskoagulopathien sind septische und traumatische hämorrhagische Schockzustände ( ). Eher chronische Umsatzsteigerungen finden sich bei schweren Lebererkrankungen und präseptischen Zuständen. Insbesondere bei geburtshilflichen Komplikationen und bei bestimmten Malignomen (z. B. Prostatakarzinom) kann die Hyperfibrinolyse pathophysiologisch im Vordergrund stehen (primäre Hyperfibrinolyse). Klinische Symptomatik Die Verbrauchskoagulopathie ist klinisch charakterisiert durch Organdysfunktionen sowie Blutungsphänomene vom thrombozytären (Petechien, Schleimhautblutungen, Stichkanäle) und plasmatischen Typ ( Ekchymosen), gefolgt von Gewebsnekrosen vorwiegend an den Akren sowie an Druckstellen. Schwere Blutungen sind bei Verbrauchskoagulopathie selten und eher Ausdruck einer sekundären Hyperfibrinolyse. Die DIC manifestiert sich klinisch häufig durch Organdysfunktionen und/oder Blutungen. Beim Schockpatienten sind die auslösenden Pathomechanismen ( SIRS, Sepsis, intravasale Thromboplastin- und Endotoxineinschwemmung) Induktionsfaktoren des intravaskulären Gerinnungsprozesses. Die Verbrauchskoagulopathie erscheint erst später. Die klinische Analyse lässt typische prädisponierende Krankheitsbilder ( ) erkennen. Gerinnungsanalyse Gerinnungsanalytisch sind dynamische Hämostaseveränderungen beweisend:

• Thrombozytopenie, • Nachweis erhöhter D- Dimere, • Hypofibrinogenämie • Mangel an Gerinnungsinhibitoren (AT, PC) sowie • progrediente Verlängerung aller Globaltests (PTT, PTZ; ).

Tab. 4.8 Diagnostik und Therapie der akuten DIC (Verbrauchskoagulopathie). Stadium

Laborbefunde

Therapie

initiale Aktivierung (Hyperkoagulabilität)

PTT (↓) Fibrinogen (↑) AT ↓ Thrombozytenzahl↓ D-Dimere ↑

100–500 IE Heparin/h i. v. (Perfusor) u. U. AT (wenn < 70 %) Frischplasma

Dekompensation der Hämostase

Thrombozytenzahl PTT ↑ Quick-Wert ↓ Fibrinogen ↓ AT ↓ D-Dimere

kein Heparin. u. U. AT, FFP

vollständiger Zusammenbruch der Gerinnung und reaktive Fibrinolyse

Thrombozytopenie! PTT und Quick Fibrinogen ↓ AT ↓ D-Dimere ↑↑↑

Frischplasma AT, ggf. Faktorensubstitution, TK und u. U. Tranexamsäure

AT = Antithrombin; FFP = Fresh frozen Plasma; PTT = partielle Thromboplastinzeit; TK =Thrombozytenkonzentrat

Therapie Im Vordergrund stehen die Behandlung der Grunderkrankung bzw. die Ausschaltung der Ursache der gesteigerten Gerinnung und die Aufrechterhaltung einer adäquaten Kreislauffunktion zur Vermeidung einer Mikrozirkulationsstörung (Volumentherapie). Prognostisch bestimmend sind die erfolgreiche Therapie der Grunderkrankung (bzw. die Ausschaltung der Ursache der gesteigerten Gerinnung) und die Aufrechterhaltung einer adäquaten Organfunktion. Hämostasemodulierende Maßnahmen haben einen Zeitgewinn zur Wirksamwerdung der Kausaltherapie zum Ziel. Bei ausreichenden Thrombozytenzahlen und fehlenden Zeichen einer Hämorrhagie können nieder dosiertes Heparin und/oder die laborkontrollierte Substitution von Gerinnungsinhibitoren (Antithrombin) die Unterbrechung der prokoagulatorischen Situation bewirken. Zur Aufrechterhaltung eines ausreichenden Hämostasepotenzials wird gefrorenes Frischplasma eingesetzt. Laborkontrolliert können unter Umständen weitere Faktoren- und Thrombozytenkonzentrate, insbesondere zur Therapie einer manifesten Blutungsneigung, sinnvoll sein. Die Substitution von Fibrinogen ist selten erforderlich, ebenso die vorsichtige Gabe von Antifibrinolytika (Tranexamsäure). ( ). Wichtigste Maßnahme ist die Ausschaltung der Ursachen bzw. die Behandlung der Grunderkrankung ( )!

Transfusionsbedingte Gerinnungsstörungen Die Volumen- und Transfusionstherapie als intensivmedizinische Maßnahme bei großen akuten Blutverlusten unter den Bedingungen der Massivtransfusion ruft eine vielschichtige Gerinnungsstörung – insbesondere Thrombozytopenie – hervor. Sie ist teils bedingt durch einen Verdünnungseffekt infolge Blutverlust und Volumenersatz mit Plasmaersatzmitteln, andererseits Ausdruck einer grundkrankheitsbedingten Umsatzsteigerung sowie einer unzureichenden Substitution mit Plasma. Bereits bei laboranalytischen Zeichen einer Hämostasestörung, vor manifester Blutungsneigung, erfolgt die notwendige Substitution mit Fresh-frozen Plasma (1 Einheit FFP pro Erythrozytenkonzentrat).

Hepatogene Hämostasedefekte Die Leberzelle ist Bildungsstätte fast aller Gerinnungs- und Fibrinolysefaktoren einschließlich deren Inhibitoren. Etwa die Hälfte der gesamten RES-ClearanceKapazität wird in der Leber durch die Kupffer-Sternzellen repräsentiert. Folgende pathogenetische Mechanismen führen zu einer leberbedingten Gerinnungsstörung: Direkte Schädigung der Leberzellen mit Verminderung der Syntheseleistung Sie führt zur typischen erworbenen Bildungsstörung aller Faktoren, auch der Vitamin-K-abhängigen Gerinnungsproteine (Faktoren II, VII, IX, X, Protein C, Protein S). Die Faktoren V und VII sind wegen ihrer kurzen Halbwertszeit besonders betroffen. Das Inhibitorpotenzial ist reduziert, das Substrat der Fibrinolyseaktivierung (Plasminogen) vermindert. Leberzellnekrosen mit Freisetzung lysosomaler Enzyme und intrazellulärer Proteasen Sie begünstigen die prokoagulatorische Stimulation und die fibrinolyseaktivierenden Mechanismen. Hierdurch wird eine Umsatzstörung in Gang gesetzt. Die Verminderung des Inhibitorpotenzials und die Störung der Leberperfusion (Schock, portale Hypertension, Varizenblutungen) mit Einschränkung der zirkulatorischen und phagozytären RES-Clearance verstärken das Risiko einer Verbrauchskoagulopathie. Toxische Knochenmarksschädigung Diese begünstigt ebenso wie das Hyperspleniesyndrom bei portaler Hypertension mit Ausbildung von Umgehungskreisläufen zusätzlich die Ausbildung einer Thrombozytopenie und Thrombozytopathie. Die leberbedingte Gerinnungsstörung ist der häufigste nicht operativ erworbene Hämostasedefekt und wird vorwiegend bei Leberzirrhose angetroffen. Blutungsneigung Die Blutungsneigung manifestiert sich in Form von (Ösophagus-) Varizenblutungen, Ekchymosen sowie Schleimhautblutungen und hat überwiegend die Merkmale des thrombozytären Blutungstyps. Akut verlaufende Leberzellnekrosen zeigen eher die Blutungscharakteristika plasmatischer Koagulopathien. Komplexe Hämostasestörungen werden bei chronisch aktiver Hepatitis und autoimmun bedingten Lebererkrankungen angetroffen. Sie umfassen Vitamin-K-Verwertungsstörungen, Immunthrombozytopenien, Verbrauchsreaktionen mit Hyperfibrinolyse sowie toxisch oder medikamentös aggravierte Thrombozytopenien. Therapie Die therapeutischen Maßnahmen bestehen in der Substitutionstherapie bei akuten Blutungskomplikationen (FFP, ggf. Thrombozytenkonzentrate), Plasmapherese mit FFP-Gabe bei akuter Leberzellnekrose zur Aufrechterhaltung ausreichender Faktor-V- Spiegel. Laborkontrolliert kann es sinnvoll sein, einzelne Hämostasekomponenten gezielt zu substituieren, dies kann auch die Gabe vom PPSB – nach vorheriger AT-Gabe zur Anhebung des Inhibitorpotenzials – notwendig machen.

Sonderfall: Lebertransplantation Für die präoperative Phase gelten die Ausführungen zur Störung der Hämostase bei chronischen Lebererkrankungen. Eine „Kosmetik“ von Laborbefunden, d. h. ohne Klinik, wird nicht empfohlen. Beim akuten, fulminanten Leberversagen wird die Abgrenzung von schwerer Synthesestörung und Verbrauchskoagulopathie, ggf. mit reaktiver Hyperfibrinolyse, schwierig. Intraoperativ sind Aufrechterhaltung von Normothermie und Normovolämie entscheidend. Es werden drei Phasen unterschieden. Präanhepatische Phase Während der Explantation d e r erkrankten Leber des Empfängers stehen das chirurgische Trauma und die Blutung aus Kollateralgefäßen der Leber, v. a. bei portaler Hypertension, im Vordergrund. In dieser Phase wird das Blut aus dem Operationsfeld mittels „Cell-Saver“ abgesaugt und für die spätere Reinfusion aufbereitet. Anhepatische Phase In dieser Phase sistieren Clearance- und Syntheseleistung der Leber vollständig. Der Einsatz eines veno-venösen Bypasses, der das Blut der unteren Körperhälfte zum Herzen leitet, führt zu hämodynamischen Vorteilen inkl. einer besseren Nierendurchblutung. Durch die Verwendung schonender Rotationspumpen und heparinbeschichteter Schläuche wird die Gefahr der Hämolyse und Hämostaseaktivierung durch den Kontakt mit Fremdoberflächen minimiert. Eine systemische Heparinisierung während der Operation kann vermieden werden. Postanhepatische Phase Von besonderer Bedeutung ist die dritte, postanhepatische oder Reperfusionsphase. Innerhalb weniger Minuten kann es zu einer diffusen Blutung im vorher trockenen Operationsgebiet kommen, die im Wesentlichen durch eine Hyperfibrinolyse und eine Thrombozytopenie bzw.

Thrombozytopathie gekennzeichnet ist. Pathogenetisch werden für diese Hämostasestörung aus dem Transplantat eingeschwemmte Mediatoren und Reste der Konservierungslösung verantwortlich gemacht. Der Schweregrad der Gerinnungsstörung ist vom Grad der Ischämieschäden der Spenderleber abhängig. Die vorbestehende Thrombozytopenie und Thrombozytopathie wird passager durch vermehrte Adhäsion und Aggregation der Thrombozyten in den hepatischen Sinusoiden der Spenderleber verstärkt. Die postoperative Restitution des Hämostasepotenzials ist nicht zuletzt von der Funktionsaufnahme der transplantierten Leber abhängig. Hinzu kommen die üblichen postoperativen Einflüsse nach großen Oberbaucheingriffen. Bei regelhafter Funktion der Spenderleber ist mit einer Wiederaufnahme der Clearance- und vieler Syntheseleistungen der Leber innerhalb von 6–36 Stunden zu rechnen. Einen guten prognostischen Hinweis geben der Quick-Wert, die PTT und der Faktor-V-Spiegel. Die gerinnungsanalytische Überwachung des Transplantierten muss engmaschig, die Substitution von Gerinnungsfaktoren und -inhibitoren individuell erfolgen. Die Substitution geschieht optimal durch FFP und EK (1:1). Verschiedene Studien haben gezeigt, dass die prophylaktische Anwendung von Antifibrinolytika der Entwicklung einer Hyperfibrinolyse entgegenwirkt und den intraoperativen Transfusionsbedarf signifikant senken kann. Bei intra- oder postoperativen Blutungen werden zusätzlich meist Thrombozytenkonzentrate und u. U. auch Fibrinogen- und PPSB-Konzentrate notwendig.

Sonderfall: der Patient unter Antikoagulation Viele Patienten stehen unter einer oralen Langzeitantikoagulation mit Vitamin-K- Antagonisten (VKA), z. B. wegen Vorhofflimmern, Herzklappenersatz, einer kardialen, arteriellen oder venösen Thromboembolie. Das therapeutische Monitoring geschieht mittels der International Normalized Ratio ( INR ), abgeleitet aus der Thromboplastinzeit (Quick-Wert). Der angestrebte therapeutische Bereich der Gerinnungshemmung liegt meist bei einer INR von 2,0–3,0, seltener bei 3,0 bis 4,5. Bei mittleren und großen elektiven Operationen empfiehlt sich die vorübergehende Umstellung der oralen Antikoagulation auf Heparin i. v. oder s. c. („bridging“), da das langsame, schwer vorhersagbare Abklingen der VKA-Wirkung vor chirurgischen Eingriffen ein relativ hohes Thromboembolierisiko in sich birgt. Bei Notfalleingriffen kann durch PPSB-Gabe die Antikoagulation durch Vitamin-K-Antagonisten unmittelbar ggf. teilweise aufgehoben werden. Die für verschiedene Indikationen neuerdings verfügbaren direkten oralen Antikoagulanzien (DOAC) besitzen eine günstigere Pharmakokinetik als die VKA; sie benötigen kein routinemäßiges Monitoring, sind nicht antagonisierbar und erleichtern aufgrund ihrer kurzen Halbwertszeit das perioperative Management.

Immunkoagulopathien Immunkoagulopathien sind selten vorkommende, durch Antikörper („Hemmkörper“) hervorgerufene erworbene Gerinnungsstörungen, die mit einer Blutungsneigung – aber auch mit einer Thromboseneigung (z. B. „Lupusantikoagulans“) – verbunden sein können. Der meist zur IgG-Klasse gehörende Antikörper kann in seiner Inhibitorwirkung spezifisch gegen einen Gerinnungsfaktor (z. B. Faktor VIII) gerichtet sein oder mit einer bestimmten Phase (Prothrombinaktivierung, Kontaktphase) der plasmatischen Gerinnung interferieren. Derartige Immunkoagulopathien finden sich nach Schwangerschaft, bei Autoimmunerkrankungen, medikamentös- allergisch bedingt, bei Malignomen (v. a. bei Lymphomen) und auch ohne definierbare Ursache (v. a. bei älteren Menschen). D i e Behandlung besteht bei akuten Blutungskomplikationen in der Substitutionstherapie – gelegentlich mit Faktorkonzentraten („Überfahren“ des Inhibitors) – meist in der hämostyptischen Gabe von Tranexamsäure, rhF VIIa oder aktiviertem PPSB; selten in der zusätzlichen Plasmapherese bzw. Immunabsorption. Frühzeitig wird zusätzlich zur Elimination des Inhibitors mit Medikamenten wie Kortikosteroiden, Cyclophosphamid oder Azathioprin sowie dem monoklonalen Anti-B-Zell-Antikörper Rituximab behandelt. Verwirrung lösen immer wieder sog. Lupusantikoagulanzien aus. Ihnen liegen Antiphospholipid-Antikörper zugrunde, die – in vitro – zu einer Verlängerung phospholipidabhängiger Gerinnungszeiten (meist PTT) führen. Sie sind aber klinisch ohne Blutungsneigung (es sei denn aufgrund einer schweren begleitenden Immunthrombozytopenie). In der Regel sind sie vielmehr mit vermehrten venösen und/oder arteriellen Thromboembolien und einer gesteigerten Abortrate vergesellschaftet. Sie bedürfen daher in der Regel trotz verlängerter Gerinnungszeit einer antithrombotischen Medikation.

Renale Hämostasedefekte Im Rahmen chronischer Nierenerkrankungen wird eine Vielzahl von pathogenetisch uneinheitlichen Hämostasedefekten beobachtet. Die urämische Blutungsneigung ist vor allem durch thrombozytäre und vaskuläre Störungen charakterisiert. Diese Veränderungen korrelieren mit den Harnstoffwerten und sind nach Dialysetherapie oder Nierentransplantation rückläufig. Gelegentlich sind Thrombozytentransfusionen notwendig.

4.1.6 Thrombozytäre hämorrhagische Diathesen Hier sind Thrombozytopenien und Thrombozytopathien zu unterscheiden. Die Verminderung der Plättchenzahl unter 30.000/μl führt zum erhöhten Risiko hämorrhagischer Phänomene mit petechialen Blutungen der Haut und der Schleimhaut. Die Blutungszeit ist verlängert. Im Knochenmark kann die Megakaryozytenbildung gestört oder vermindert sein, im Rahmen von Immunthrombozytopenien ist der periphere Umsatz der Plättchen gesteigert (Morbus Werlhof, AITP). Bei Thrombozytopathien sind meist mehrere, selten einzelne Partialfunktionen gestört. Eine Thrombozytose (> 350.000/μl) kann mit gestörter Plättchenreaktivität und klinisch u. U. mit thromboembolischen und/oder hämorrhagischen Komplikationen einhergehen. Angeborene Thrombozytopenien o d e r Thrombozytopathien sind selten. Die thrombozytäre Blutungsneigung ist oft mit weiteren Defekten der Hämatopoese und mit Fehlbildungen kombiniert. Bei der Thrombasthenie Glanzmann-Naegeli ist die Thrombozytenadhäsion, beim Bernard-Soulier-Syndrom die Thrombozytenaggregation gestört.

Erworbene Thrombozytopenien Etwa 60–70 % aller klinisch relevanten Hämostasedefekte sind auf erworbene Thrombozytopenien zurückzuführen. Das Ursachenspektrum ist vielfältig und erfordert ggf. die Hinzuziehung eines erfahrenen Hämostaseologen. Essenziell ist die Anamnese v. a. bezüglich zurückliegender Infektionen und eingenommener Medikamente (Antibiotika, Antihypertensiva und Diuretika, Antirheumatika und Analgetika, Kardiaka, Neuropharmaka, orale Antidiabetika u. a.). Eine Pseudothrombozytopenie, d. h. eine antikoagulanzabhängige Plättchenaggregatbildung in vitro mit resultierender Fehlbestimmung der Thrombozytenzahl, muss beim Patienten ohne Blutungszeichen durch geeignete Labordiagnostik ausgeschlossen werden. Bezüglich der heparininduzierten Plättchenstörung siehe . Auch beim Moschcowitz-Syndrom (thrombotisch-thrombozytopenische Purpura) und beim hämolytisch- urämischen Syndrom sind die hämorrhagischen Phänomene Ausdruck der Thrombozytopenie.

Klinische Symptomatik Je nach Ausmaß der Thrombozytopenie stellen sich ubiquitäre petechiale Hautblutungen, meist verstärkt an den unteren Köperpartien, ein, begleitet von Epistaxis und Gingivablutungen und gefolgt von Ekchymosen und Sugillationen. Zerebrale Blutungen sind am häufigsten bei Thrombozytopenien im Gefolge von Hämoblastosen. Der Nachweis erfolgt durch Thrombozytenzahlbestimmung (Thrombozytopenie; < 150.000/μl). Die Blutungszeit ist verlängert. Die hämorrhagischen Phänomene manifestieren sich meist erst bei Plättchenzahlen unter 30.000/μl.

Therapie Die Therapie hat symptomadaptiert die Anhebung der Plättchenzahl in den hämostatisch aktiven Bereich (> 30.000/μl) zum Ziel. Dies erfolgt durch die Ausschaltung von Noxen (Medikamente, toxische Substanzen) und infektiös-toxischen Einflüssen, die Unterbrechung immunologischer oder allergischer Mechanismen sowie eine Behebung der metabolischen Störung, z. B. bei Endokrinopathien, Vitaminmangel und Urämie. Akute Blutungskomplikationen bedürfen der symptomatischen und u. U. prophylaktischen (< 5.000 bis 10.000/μl) Behandlung durch Thrombozytenkonzentrat(TK)-Gabe. Bei immunologisch bedingten Thrombozytopenien wird die TK-Gabe auf lebensbedrohliche Blutungen beschränkt. Die Indikation zum Einsatz von Kortikoiden, hoch dosierten Immunglobulinen, anderen immunmodulierendern Therapien und der Splenektomie muss kritisch geprüft werden. Das Gleiche gilt für die Gabe von Thrombopoetin(THPO)-Mimetika bei immunologisch bedingten Thrombozytopenien (Umsatzstörungen). Hier ist ein hämatologisches/hämostaseologisches Konsil dringend anzuraten.

Autoimmunthrombozytopenie (AITP) Die idiopathische Immunthrombozytopenie in ihrer akuten Form ist eine i. d. R selbstlimitierte, meist postinfektiöse Thrombozytopenie, der eine beschleunigte

Elimination der Thrombozyten durch die Einwirkung eines thrombozytären Autoantikörpers zugrunde liegt. Im akuten Schub erfolgt die Therapie mit Kortikoiden und hoch dosierten Gaben von Immunglobulinen sowie, ausschließlich bei vital bedrohlicher Blutungsneigung, u. U. mit TK-Transfusion. Selten resultiert ein chronischer Verlauf (> 6 Monate; → AITP, Morbus Werlhof). Führt bei chronischer AITP die Kortikoidtherapie nicht zu dem Ziel, die Thrombozytenzahl über 30.000/μl dauerhaft anzuheben, ist die Splenektomie die wirksamste Therapiemaßnahme. Die Milz gilt als Ort der Autoantikörperbildung und als Sequestrations- und Eliminationsorgan für die Plättchen. Alternative Therapieansätze betreffen die wiederholte Gabe hoch dosierter Immunglobuline (bzw. von Anti-D bei Rhesus-positiven Patienten) mit evtl. passagerem Thrombozytenanstieg, Immunmodulation mit Azathioprim oder Rituximab sowie die Gabe von TPO-Mimetika u. v. a.

Myeloproliferative Neoplasien und Thrombozytose Bei myeloproliferativen Neoplasien, v. a. der essenziellen Thrombozytämie (ET) sind deutlich erhöhte Thombozytenzahlen (oft > 600.000/μl) häufig und klinisch durch Blutungskomplikationen sowie thromboembolische Komplikationen charakterisiert. Die Therapie besteht in der Zytoreduktion durch Hydroxyurea oder Anagrelid, u. U. in der Gabe von ASS. Reaktive Thrombozytosen kommen v. a. nach Splenektomien, anderen chirurgischen Eingriffen und bei Akutphasereaktionen vor, die mit einem erhöhten Thromboembolierisiko verbunden sind und i. d. R. der medikamentösen Thromboembolieprophylaxe bedürfen. Es besteht keine enge Korrelation zwischen Thromboembolierisiko und Plättchenzahl.

4.1.7 Vaskuläre hämorrhagische Diathesen Den vaskulären hämorrhagischen Diathesen liegen umschriebene Wandveränderungen oder eine generell erhöhte Gefäßpermeabilität und -fragilität zugrunde. Der Blutungstyp ist meist petechial, soweit die Hämorrhagien nicht von lokalen Gefäßanomalien ausgehen. Neben Haut- und Schleimhautblutungen sind bei den angeborenen vaskulären Leiden die charakteristischen, typisch lokalisierten Gefäßanomalien und -fehlbildungen (Angioma) auffällig. Gerinnungsanalytisch lässt sich in der Regel ein intaktes Hämostasesystem demonstrieren. Nur gelegentlich werden im Rahmen ausgedehnter Gefäßfehlbildungen und schwerer entzündlicher Vaskulitiden Umsatzstörungen (bis hin zur DIC) beobachtet. Einen Überblick gibt .

Tab. 4.9 Vaskuläre hämorrhagische Diathesen. Angeborene und erworbene Erkrankungen Angeborene Vasopathien • Hereditäre Teleangiektasie (Morbus Rendu-Osler-Weber) • Riesenhämangiom (Kasabach-Merritt-Syndrom) • Retinozerebrale Angiomatose (von-Hippel-Lindau) • Ehlers-Danlos-Syndrom • Hereditäre Purpura simplex Erworbene vaskuläre hämorrhagische Diathesen • Infektiös-toxisch, infektiös-allergisch: – Purpura rheumatica Schönlein-Henoch – Allergische Vaskulitiden bei Infektionskrankheiten – Immunkomplexvaskulitis – Toxisch-infektiöse Endothelschädigung • Autoimmunologisch induziert (Kollagenosen): – SLE – Periarteriitis nodosa – Sklerodermie – Dermatomyositis – Rheumatoide Arthritis • Endokrinopathie: – Morbus Cushing – Diabetes mellitus • Paraproteinämie: – Plasmozytom – Makroglobulinämie Waldenström – Kryoglobulinämie – Amyloidose • Medikamentös-toxisch • Medikamentös-allergisch • Nutritiv: Vitamin-C-Avitaminose (Skorbut)

Angeborene Vasopathien Die wesentlichen angeborenen vaskulären Diathesen sind die hereditäre Teleangiektasie (Morbus Rendu-Osler-Weber) und das Riesenhämangiom (KasabachMerritt-Syndrom). Bei beiden Krankheitsbildern können lebensbedrohliche Blutungen aus der Ruptur der Gefäßanomalien und Zeichen der Herzinsuffizienz aufgrund großer Shuntvolumina resultieren.

Erworbene Vasopathien Die Purpura Schönlein-Henoch ist typischerweise ein pädiatrisches postinfektiöses bzw. medikamentös-allergisches Krankheitsbild. Die wesentlichen klinischen Symptome des akuten Krankheitsbildes sind Fieber, ein makulopapulöses, vorwiegend an den Streckseiten und in Gelenknähe lokalisiertes Exanthem mit Begleithämorrhagien, eine akute Arthritis der großen Gelenke und abdominale Schmerzen. Häufig besteht Schleimhautbeteiligung (GI-Blutungsrisiko), seltener eine Nierenbeteiligung (Glomerulonephritis, Herdnephritis) und eine Polyserositis. Die Therapie ist symptomatisch.

Weitere Vasopathien Das Endothel ist Zielorgan zahlreicher direkter und indirekter Noxen. Die Zuordnung der möglichen Pathomechanismen ergibt sich aus . In der Regel sind die hämorrhagischen Symptome sekundäre Phänomene der entsprechenden Grunderkrankung. Durch zunehmende Intensität zeigen sie meistens einen prognostisch ungünstigen Verlauf der Erkrankung an. Die Therapie richtet sich vorwiegend gegen die Grunderkrankung und ist ansonsten symptomatisch (z. B. Kortikosteroide).

4.2 Venöse Thrombose, Lungenembolie, Thromboembolieprophylaxe

4.2.1 Pathophysiologie Die Pathomechanismen der Entstehung venöser Thrombosen sind vielseitig. Sie lassen sich auch heute am besten durch die „ Virchow-Trias “ erklären:

1. Schädigung der Gefäßwand ( Trauma, Operation, Hypoxie, Endotoxine, Phlebitis) 2. systemische und/oder lokale Zirkulationsstörungen (Immobilisation, Herzinsuffizienz, Paresen, Varizen, postthrombotisches Syndrom, Kompression) 3. Änderung des Gefäßinhalts durch: – Erhöhung prokoagulatorischer Faktoren (Thromboplastineinschwemmung nach Trauma, Operation, bei Tumoren, Thrombozytose, Hyperfibrinogenämie) – Verminderung des Inhibitorpotenzials der Gerinnung und/oder der Fibrinolyse, z. B. bei Mangelzuständen an Antithrombin, Protein C, Plasminogen – Hyperviskosität (Hämatokriterhöhung, Hyperfibrinogenämie, Paraproteinämien) Venöse Thrombosen entstehen ganz überwiegend in den unteren Extremitäten. Lokale Endothelschäden sind der wesentliche kausale und lokalisierende Faktor für Armvenenthrombosen durch venöse Verweilkatheter oder beim Thoracic-Outlet-Syndrom. Abgelöste Thromben führen bei einmaliger oder rezidivierender größerer Embolie zur akuten Lungenembolie unterschiedlichen Schweregrades, evtl. mit akuter Drucksteigerung in der Pulmonalarterie bis hin zum akuten Rechtsherzversagen. Sekundär oder bei rezidivierenden subklinischen Embolien können sie eine progrediente pulmonale Hypertension und ein Cor pulmonale zur Folge haben.

4.2.2 Diagnostik und Therapie der venösen Thrombose und Lungenembolie Die klinische Symptomatik der venösen Thrombose ist vielfältig, oft uncharakteristisch. Schmerzen, Entzündungszeichen und eine Schwellung stellen bereits klinische Spätzeichen dar. Häufig ist das Auftreten einer Lungenembolie (LE) erster Hinweis auf eine abgelaufene tiefe venöse Thrombose (TVT). Bei geringer klinischer Wahrscheinlichkeit erlaubt der Nachweis normaler D-Dimer-Werte den weitgehenden Ausschluss venöser Thromboembolien (VTE). Die apparative bildgebende Diagnostik umfasst den Ultraschall, selten noch die Phlebografie. Von besonderer klinischer Relevanz ist die Phlegmasia coerulea dolens mit extremer Schwellung, Blaufärbung, starken Schmerzen und eventuell fehlenden arteriellen Pulsen. Sie entsteht durch vollständige Thrombosierung des gesamten venösen Querschnitts einer Extremität und zwingt zur schnellstmöglichen Wiederherstellung des venösen Rückflusses durch venöse Thrombektomie oder Thrombolyse. Die Thrombophlebitis der oberflächlichen Venen imponiert mit lokalem Druckschmerz und entzündlicher Verhärtung der Vene. Die initiale Behandlung der frischen TVT erfolgt durch Antikoagulation, mit niedermolekularem Heparin (NMH), Fondaparinux oder DOAC (Rivaroxaban) ( ) . Bei ausgedehnten frischen Bein- und/oder Beckenvenenthrombosen kann u. U. eine Thrombolyse oder venöse Thrombektomie erwogen werden (s. o.). Häufige Spätfolge des auch nach Rekanalisation gestörten venösen Rückflusses ist das „postthrombotische Syndrom“, dessen Häufigkeit und Schweregrad durch konsequente Kompressionsbehandlung reduziert werden können.

Tab. 4.10 Die Primärtherapie der akuten TVT und der LE. Bei begründetem Verdacht u. U. bereits vor definitiver Diagnosesicherung! Initial: • NMH oder Fondaparinux s. c, DOAC (Rivaroxaban) in zulassungskonformer Dosierung Sekundärprophylaxe: • Überlappende Umstellung auf Vitamin-K-Antagonisten (Ziel-INR: 2–3) oder DOAC • (Rivaroxaban) für 3–6 Monate Alternativ: • NMH mit 50–100 % Therapiedosis s. c. insbesondere bei Malignompatienten In seltenen Situationen (z. B. schwere Niereninsuffizienz): • 5.000 IE unfraktioniertes Heparin als Bolus, dann 30.000 IE/24h i. v. (therapeutischer Bereich: Verlängerung der PTT auf das 1,5- bis 3-Fache) Die Symptomatik der akuten LE beginnt mit thorakalen Schmerzen, Atemnot, Tachykardie und in schweren Fällen mit einem Blutdruckabfall, der auf Volumengabe nicht anspricht. Kleine LE verlaufen oft unbemerkt und führen u. U. später zu einem Lungeninfarkt mit atemabhängigen pleuritischen Schmerzen. Die Diagnose wird mit der Computertomografie, ausnahmsweise mit der Lungenperfusions-/Ventilationsszintigrafie gesichert. Die Therapie der LE besteht in einer sofortigen Antikoagulation und einer dem Schweregrad und den Begleiterkrankungen angepassten Intensivüberwachung und -therapie. Im Stadium II (hämodynamisch stabil mit rechtsventrikulärer Dysfunktion) kann, im Stadium III oder IV (Schock bzw. reanimationspflichtig) sollte die Indikation zur Thrombolyse, u. U. zur pulmonalen Embolektomie gestellt werden. Nach VTE ist i. d. R. eine längerfristige – meist für 3 Monate – sekundärprophylaktische Antikoagulation durchzuführen. Detaillierte Handlungsempfehlungen finden sich u. a. in der AWMF-Leitlinie „Venenthrombose und Lungenembolie: Diagnostik und Therapie“ .

4.2.3 Perioperative Thromboembolieprophylaxe Über die prinzipielle Notwendigkeit, bei den meisten der operierten Patienten neben einer konsequent angewandten Frühmobilisation und physikalischen Maßnahmen eine medikamentöse Thromboembolieprophylaxe durchzuführen, besteht inzwischen allgemeiner Konsens. Ohne eine medikamentöse Thromboembolieprophylaxe werden in der Allgemein- und Viszeralchirurgie mittels objektiver Diagnoseverfahren abhängig von den dispositionellen Risiken der Patienten sowie der Art und Dauer des operativen Eingriffs in bis zu 50 % postoperativ TVT diagnostiziert. Sie sind in knapp einem Drittel der Fälle oberhalb des Kniegelenks lokalisiert. Damit stellen sie eine besondere Gefährdung dar bezüglich eines nachfolgenden postthrombotischen Syndrom wie auch einer klinisch relevanten Lungenembolie. Der Anteil klinisch manifester LE schwankt zwischen 0,2 und 10 % ( und ).

Tab. 4.11 Auswahl relevanter Risikofaktoren für eine TVT nach Operationen oder Traumen. Ausgedehnte Gewebeschädigung Längere Operationszeit (> 60 Minuten) Zusätzliche Risikofaktoren • Thrombophilie – Venöse Thrombose in der Anamnese – Angeborene oder erworbene thrombophile Hämostasedefekte (z. B. Antiphospholipidsyndrom, Antithrombinmangel, Protein-C-Mangel, Protein-SMangel, APC-Resistenz/Faktor-V-Leiden-Mutation, thrombophiler Prothrombinpolymorphismus u. a.) • Malignom • Schwangerschaft und Postpartalperiode • Höheres Alter (> 50 Jahre); Risikozunahme mit dem Alter • Therapie mit oder Blockade von Sexualhormonen (inkl. Kontrazeptiva und Hormonersatztherapie) • Chronisch venöse Insuffizienz • Schwere systemisch wirksame Infektion • Starkes Übergewicht (BMI > 30) • Herzinsuffizienz (NYHA III oder IV) • Nephrotisches Syndrom • Myeloproliferative Neoplasie • Entzündliche Darmerkrankungen

Tab. 4.12 VTE-Risiko in der Allgemeinchirurgie (ohne medikamentöse Thromboembolieprophylaxe; Europäische Konsensuskonferenz 1992). Risiko für TVT Risikokategorie

Distale Proximale Beinvenen Beinvenen

Hohes Risiko 40–80 % allgemeinchirurgische und urologische Operationen bei Patienten > 50 Jahre und frühere TVT oder LE

Risiko für tödliche LE

10–30 %

1,0–5,0 %

10–40 %

1–10 %

0,1–1,0 %

< 10 %

50 Jahre mit OP-Dauer von mindestens 30 Minuten • < 50 Jahre mit oraler Kontrazeption Niedriges Risiko • unkomplizierte Operationen bei Patienten < 50 Jahre ohne zusätzliche Risikofaktoren • kleinere Eingriffe (< 30 Minuten) bei Patienten > 50 Jahre ohne zusätzliche Risikofaktoren LE = Lungenembolie; TVT = tiefe Venenthrombose

Ungefähr 80 % der tödlichen Lungenembolien ereignen sich ohne klinische Ankündigung, d. h. ohne vorher diagnostizierte oder klinisch vermutete venöse Thrombose. Die Unmöglichkeit der klinischen Frühdiagnose einer TVT erklärt sich aus dem Umstand, dass eine beginnende Thrombose noch keine entzündlichschmerzhafte Reaktion der Gefäßwand oder eine fassbare venöse Abflussstörung bewirkt. Andererseits ist zu diesem Zeitpunkt das Risiko einer LE durch Ablösung des sehr lockeren Gerinnsels am größten. Mit dem Einsetzen der klinischen Symptomatik (Schmerzen, Entzündungszeichen, Ödem) gehen eine innigere Wandhaftung des Thrombus und eine abnehmende Emboliegefährdung einher. Bisher steht kein verlässlicher Test zur Ermittlung des individuellen Thromboserisikos zur Verfügung. Da die asymptomatische Thrombose jedoch zur Entwicklung eines postthrombotischen Syndroms führen und Quelle einer Lungenembolie sein kann, erscheint eine Thromboembolieprophylaxe für Risikokollektive sinnvoll. Dabei sollen in der klinischen Praxis allgemeine Risikofaktoren ( ) und Eingriffe mit niedrigem, mittlerem und hohem perioperativem Thromboembolierisiko ( ) unterschieden werden. Das Gesamtrisiko bestimmt dann auch die Wahl der geeigneten prophylaktischen Maßnahmen.

Allgemeine Maßnahmen Bei jedem chirurgischen Patienten müssen allgemeine prophylaktische Basismaßnahmen (Frühmobilisation, Vermeidung bzw. zeitliche Reduktion der Immobilisation, soweit möglich; aktive Krankengymnastik, adäquate Kreislauf- und Volumentherapie, Lagerung des Patienten auf dem Operationstisch etc.) beachtet werden. Diese Maßnahmen alleine genügen aber nicht, um bei Patienten mit mittlerem und hohem Thromboembolierisiko die Rate einer TVT und LE ausreichend zu reduzieren. Zu diesem Zweck stehen spezielle physikalische und medikamentöse Maßnahmen zur Verfügung ( ).

Tab. 4.13 Physikalische und medikamentöse Thromboembolieprophylaxe. Physikalische Maßnahmen • Angepasste Kompressionsstrümpfe • Intermittierende pneumatische Wadenkompression • Aktive Muskelarbeit („Bettfahrrad“) Medikamentöse Prophylaxe • (orale Antikoagulanzien mit VKA – ungeeignet) • NMH • (UFH – nur bei schwerer Niereninsuffizienz) • Fondaparinux • (Danaparoid – nicht verfügbar) • DOAC (nur bei elektiver Hüft- oder Knie-TEP zugelassen) VKA = Vitamin-K-Antagonisten; NMH = niedermolekulares Heparin; UFH = unfraktioniertes Heparin; DOAC = direkte orale Antikoagulanzien

Physikalische Thromboembolieprophylaxe Sogenannte Antiemboliestrümpfe führen in kontrollierten Studien zu einer wirksamen Senkung des Thromboembolierisikos, wenn sie einen Druckgradienten von ca. 18 mmHg am Fußgelenk und bis 6–8 mmHg im proximalen Oberschenkelbereich aufweisen. Bei gutem Sitz der Strümpfe gelingt es dann, die Häufigkeit postoperativer Thrombosen durch diese Maßnahme in Studien um bis 60 % zu reduzieren. Andere wirksame physikalische Maßnahmen wie die intermittierende pneumatische Wadenkompression während der Operation und in der frühen postoperativen Phase sowie aktive und passive Bewegungsübungen („Bettfahrrad“, Sprunggelenksbewegungsschiene) sind leider sehr aufwendig und deshalb weniger praktikabel. Die physikalische Thromboembolieprophylaxe muss i. d. R. bei entsprechendem Risiko mit einer medikamentösen Prophylaxe kombiniert werden.

Medikamentöse Thromboembolieprophylaxe Durch zahlreiche Studien ist belegt, dass eine geeignete medikamentöse Prophylaxe die Häufigkeit der TVT um bis zu 85 %, die von LE um mindestens 50 % reduziert. VKA sind im Prinzip wirksam. Der verzögerte Wirkungseintritt, die individuell unterschiedliche Wirkung mit der Notwendigkeit und Problematik einer regelmäßigen Kontrolle und exakten INR-Einstellung sowie die schlechte Steuerbarkeit mit entsprechender Thrombose- oder Blutungsgefahr lassen sie aber weiterhin als ungeeignet erscheinen. Thrombozytenfunktionshemmer werden zur Vermeidung postoperativer TVT in der Allgemein- und Viszeralchirurgie als nicht ausreichend angesehen. Niedrig dosierte Heparine haben sich als Standardverfahren zur perioperativen Thromboembolieprophylaxe etabliert. Niedermolekulare Heparine (NMH: mittleres Molekulargewicht 4.000–7.000 Dalton) zeichnen sich durch eine längere Halbwertszeit als UFH, eine höhere Bioverfügbarkeit und eine stärker ausgeprägte Hemmwirkung auf den aktivierten Gerinnungsfaktor X im Vergleich zu ihrer Hemmwirkung auf Thrombin aus ( ). Sie sind in ihrer antithrombotischen Wirkung dem UFH bei gleich niedriger Blutungsfrequenz überlegen und erfordern nur eine einmalige Subkutangabe pro Tag. NMH haben daher das UFH im klinischen Alltag der Thromboembolieprophylaxe ersetzt. Das chemisch synthetisierte Pentasaccharid Fondaparinux hat eine gegenüber NMH längere Halbwertszeit von etwa 15 Stunden und wird täglich einmal s. c. appliziert. Es hat kein Risiko für HIT Typ II (s. u.) und war in klinischen Studien im orthopädisch-unfallchirurgischen Hochrisikobereich wirksamer als NMH. Die DOAC (Dabigatran, Rivaroxaban und Apixaban) sind bei postoperativ beginnender oraler Einnahme im Hochrisikobereich der Knie- und Hüftgelenksersatzoperationen im Vergleich zu NMH mindestens gleichwertig wirksam und sicher, z. T. bei gleich niedrigem Blutungsrisiko wirksamer. Jede Art der medikamentösen Thromboembolieprophylaxe geht mit einem leicht erhöhten Blutungsrisiko einher. In diesem Zusammenhang muss aber auf die sehr viel größere Bedeutung operationstechnisch bedingter Blutungen hingewiesen werden. Unerwünschte Arzneimittelwirkung bei der prophylaktischen Antikoagulation: Blutungskomplikationen sind selten. Klinisch bedeutsame Blutungen sind sehr selten und in Metaanalysen etwa doppelt so häufig wie in der Placebogruppe. Bei unkontrollierten Blutungen muss in erster Linie an eine fehlerhafte Dosierung oder eine chirurgische Blutung gedacht werden. Im Rahmen der Heparinanwendung hat die heparininduzierte Thrombozytopenie (HIT) besondere Bedeutung erlangt. Unterschieden werden die Typen I und II. Die Häufigkeit der HIT Typ I liegt bei etwa 5–15 %, der Abfall der Thrombozyten ist mäßig (< 30 %) und tritt schon kurz nach Behandlungsbeginn auf. Bei Weiterbehandlung mit Heparin steigen in den nächsten Tagen die Thrombozytenzahlen wieder an. Dieser Typ hat keine klinische Bedeutung. Die HIT Typ II ist eine seltene, aber gefährliche Form der medikamentösen Immunthrombozytopenie und beruht vorrangig auf der Bildung von Antikörpern gegen ein multimolekulares Antigen (u. a. den Heparin-PF4-Komplex). Die entstehenden Antigen-Antikörper-Komplexe interagieren mit Thrombozyten und Endothel und können so zur Plättchen- und Endothelaktivierung führen, ferner zu thromboembolischen Komplikationen trotz Thrombozytopenie und „Antikoagluation“ (periphere Arterien, Zerebralgefäße, Viszeralarterien und -venen, TVT, LE). Es resultierten oft Amputationen und andere schwere Residualzustände; die Letalität durch HIT Typ II wurde mit bis zu 20 % angegeben, durch zunehmende Vertrautheit mit dieser seltenen Komplikation der Heparintherapie sind schwere klinische Verläufe sehr viel seltener geworden. Die Inzidenz wird für die mehrtägige Gabe von UFH mit 2–3 % angegeben. Sie ist für NMH geringer. Sie tritt bei Fondaparinux und DOAC nicht auf. Bei Verdacht auf HIT Typ II sind die sofortige Unterbrechung der Heparingabe, Einleitung einer klärenden Diagnostik und Umsetzung auf ein alternatives Antikoagulans (Argatroban, Lepirudin, Danaparoid oder auch Fondaparinux oder DOAC) notwendig.

Besondere Gesichtspunkte Bei Eingriffen in rückenmarksnaher Leitungsanästhesie mit dem interventionsspezifischen Blutungsrisiko sollte grundsätzlich nicht auf eine Thromboseprophylaxe verzichtet werden. Im Einzelfall empfiehlt sich die Abwägung der thromboembolischen und hämorrhagischen Risiken, z. B. bei vorbestehenden Gerinnungsstörungen, gemeinsam mit dem Anästhesisten. Die auch für NMH wie für die neueren Antikoagulanzien belegte Wirksamkeit des postoperativen Beginns der medikamentösen Thromboembolieprophylaxe erlaubt dabei auch die Berücksichtigung von blutungsrisikoerhöhenden technischen Problemen der rückenmarksnahen Punktion. Dringend empfohlen wird das Einhalten antikoagulansspezifischer Intervalle zwischen Medikamentengabe und Beginn der Spinal- oder Periduralanästhesie bzw. der Entfernung eines Periduralkatheters, gemäß den aktuellen AWMF-Leitlinien. Die Vereinfachung und Sicherheit der medikamentösen Thromboembolieprophylaxe mit NMH, Fondaparinux und DOAC lässt diese heute auch für eine ambulante Weiterführung der Prophylaxe als geeignet erscheinen. Dies ist Voraussetzung für die Praxis einer mehrwöchig fortgeführten medikamentösen Thromboembolieprophylaxe im Bereich der Orthopädie und nach größeren Malignomoperationen mit ihrem längerfristig fortbestehenden Thromboserisiko. Auch bei ambulanten Eingriffen oder nur sehr kurzen postoperativen stationären Behandlungszeiten kann so die leitliniengemäße VTE-Prophylaxe durchgeführt werden. Die Operationsdauer, der erhöhte intraabdominale Druck auf die V. cava und der erhöhte intrathorakale Druck mit Verminderung des pulmonalen Blutflusses durch das Pneumoperitoneum bei laparoskopischen Eingriffen lassen hier ein gleich hohes Thromboembolierisiko wie bei konventionellen Eingriffen erwarten. Nachdem in zahlreichen randomisierten kontrollierten Studien der Wert einer medikamentösen Thromboembolieprophylaxe nachgewiesen wurde, sehen sich

Ärzte nach Eintritt einer Thromboembolie ohne Prophylaxe zunehmend forensischen Vorwürfen ausgesetzt. Die individuelle Indikationsstellung zur medikamentösen perioperativen Thromboseprophylaxe, die Aufklärung über deren Nutzen und Risiko sowie ihre Alternativen mit entsprechender Dokumentation sind deshalb wichtige Bestandteile jeder operativen Therapie. Auch bei Befürwortung einer generellen medikamentösen Prophylaxe müssen die Risiken eines thromboembolischen Ereignisses und einer prophylaxebedingten Blutung bei jedem Patienten individuell bei der Indikationsstellung zum operativen Eingriff abgewogen werden. Die leitliniengerechte Durchführung der Thromboembolieprophylaxe kann das Thromboembolierisiko nur vermindern und nicht beseitigen. Bei Verzicht auf eine Komponente der Thromboembolieprophylaxe sollte dies im Krankenblatt begründet werden. Detaillierte Handlungsempfehlungen finden sich in der gemeinsamen AMWF-Leitlinie „Prophylaxe der venösen Thromboembolie“ der operativen Fachgesellschaften, der Anästhesie und der an der Thematik besonders interessierten konservativen Fachgesellschaften .

4.3 Blutersatz und Bluttransfusion 4.3.1 Vorbemerkungen Der Ersatz von Blutverlusten kann durch Fremdblut, autologes Blut und sog. Blutersatzmittel erfolgen. Da nach Fremdbluttransfusionen trotz Festlegung hoher Qualitätsstandards zu Blutspende, Spenden-Screening, Blutgruppenbestimmung und Durchführung der Bluttransfusion ein Restrisiko bleibt, haben fremdblutsparende Maßnahmen besondere Bedeutung erlangt. Durch präoperative Planung und blutsparende Operationstechniken kann bei elektiven Eingriffen der Bedarf an homologen Bluttransfusionen auf ein Minimum reduziert oder ganz vermieden werden. Der Arzt ist verpflichtet, den Patienten rechtzeitig vor einem elektiven Eingriff auf die Risiken von Bluttransfusionen, auch auf die – sehr geringe – Möglichkeit der Übertragung von Hepatitis und HIV, und auf mögliche alternative Verfahren hinzuweisen. Bei der Herstellung und Verwendung homologer Blutkonserven und von deren Bestandteilen sind zusätzlich zu den Bestimmungen des Transfusionsgesetzes die jeweils aktuellen „Richtlinien zur Gewinnung von Blut und Bludbestandteilen unter Anwendung von Blutprodukten (Hämotherapie)“ und die „Leitlinien zur Therapie mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten“ der Bundesärztekammer zu beachten.

4.3.2 Transfusion von Blutkomponenten und Plasmaderivaten Die Transfusion von Blut erfolgt möglichst durch Blutkomponenten und Plasmaderivate ( ) unter Beachtung der hierfür erlassenen Richtlinien.

Tab. 4.14 Transfusion von Blutkomponenten und Plasmaderivaten. Erythrozytenkonzentrate • regelhaft: leukozytendepletiert • gewaschen Thrombozytenkonzentrate • plättchenreiches Plasma • gepooltes Konzentrat • Einzelspender-Apheresekonzentrat gefrorenes Frischplasma (FFP) Humanalbuminlösungen Plasmaproteinlösungen Faktorenkonzentrate Inhibitorenkonzentrate für besondere Indikationen stehen weitere Modifikationen zur Verfügung (z. B. bestrahlt, kryokonserviert)

Der Blutspendedienst ist für die Untersuchung des Blutspenders auf seine Spendertauglichkeit verantwortlich. Hierzu gehört insbesondere auch die Ausschlussuntersuchung jeder Konserve vor ihrer Freigabe auf HbsAg, HCV-Genom sowie HCV-, HIV-1-, HIV-2- und Treponema-pallidum- Antikörper. Durch diese zwingend vorgeschriebenen Untersuchungen und andere Maßnahmen wie Spenderaufklärung und Spenderselbstausschluss ist das Risiko der HIVbzw. Hepatitis-B- oder -C-Übertragung deutlich gesenkt worden (s. u.). Die Pflicht des transfundierenden Arztes ist es, unmittelbar vor der Transfusion einen AB0-Identitätstest („bedside“-Test) am Empfänger vorzunehmen. Er überprüft persönlich, ob das vorgesehene Blutpräparat für den Empfänger bestimmt ist, die Blutgruppe der Konserve dem Blutgruppenbefund des Empfängers entspricht, die Konservennummern mit den Angaben des Begleitscheins identisch sind, das Blutbehältnis unversehrt ist und das Haltbarkeitsdatum eine Transfusion zulässt. Er hat die Einleitung der Transfusion selbst zu überwachen. Sowohl für die zellulären Produkte als auch für gefrorenes Frischplasma und Gerinnungsfaktorenkonzentrate besteht eine Chargendokumentationspflicht. Die Transfusion von Blut und seinen Komponenten geschieht über ein Transfusionsgerät mit Standardfilter und einen venösen Zugang. Eröffnete Blutkonserven sind innerhalb von 6 Stunden zu transfundieren. Die Entnahme von Blutproben aus verschlossenen Blutbehältnissen zu Untersuchungszwecken ist nicht erlaubt. Bei speziellen Indikationen wie Massivtransfusionen sowie Transfusionen bei Neugeborenen und bei Patienten mit hochtitrigen Kälteantikörpern muss mithilfe von Anwärmgeräten dafür Sorge getragen werden, dass das Blut die vorschriftsmäßige Temperatur annimmt. Aufgetaute Kryopräparate müssen ausreichend erwärmt so schnell wie möglich transfundiert werden.

4.3.3 Indikationen für die Transfusion von Blut und Blutkomponenten Um Erythrozytenverluste auszugleichen bzw. die Sauerstofftransportkapazität des zirkulierenden Blutes zu steigern, sind grundsätzlich Erythrozytenkonzentrate geeignet. Andere Blutderivate mit spezifischer Indikation sind Thrombozytenpräparate, gefrorenes Frischplasma, Humanalbumin- und Plasmaproteinlösungen ( ). Blutverluste vor und während elektiver Eingriffe und bei Notfalloperationen werden durch Erythrozytenkonzentrate, ggf. in Kombination mit Frischplasma, ersetzt. Sie werden als konventionelles Erythrozytenkonzentrat „buffy coat“-frei, leukozytendepletiert und nur bei besonderen Indikationen als „gewaschene“ Erythrozyten bereitgestellt. Für besondere Indikationen stehen weitere Modifikationen zur Verfügung. Erythrozytenkonzentrate in Kombination mit kristalloiden und/oder kolloidalen Lösungen können Blutverluste bis zu 2,5 Liter beim Erwachsenen ausgleichen. Bei noch stärkeren Blutverlusten oder vorbestehenden Hämostasestörungen sollte stattdessen Frischplasma (FFP) eingesetzt werden. Thrombozytopenien und Thrombozytopathien, die zu akuten Blutungen führen oder solche bei operativen Eingriffen befürchten lassen, werden durch thrombozytenreiches Plasma oder Thrombozytenkonzentrate (gepoolt oder von Einzelspendern = Apheresekonzentrat) therapiert. Nach Transfusion qualitativ guter Thrombozytenpräparate soll die Wiederfindungsrate 60–70 % betragen, wenn beim Empfänger keine Umsatzsteigerung vorliegt. Die In-vivo-Lebenszeit von transfundierten Plättchen beträgt maximal 6 Tage, bei Vorliegen antithrombozytärer Antikörper ist sie wesentlich kürzer. Thrombozytenkonzentrate sind leukozytendepletiert und können bei 22 °C maximal 120 Stunden aufbewahrt werden. Für besondere Indikationen stehen auf Zytomegalievirus (CMV) getestete oder/und bestrahlte Thrombozytenkonzentrate zur Verfügung. Die Indikation zur Transfusion von Thrombozytenpräparaten stützt sich auf folgende Empfehlungen:

• Thrombozytenzahlen < 5.000/μl bei fehlender Blutungsneigung • Thrombozytenzahlen um < 10.000–20.000/μl bei bestehender Blutungsneigung • Thrombozytenzahlen < 30.000–50.000/μl bei elektiven Eingriffen oder schweren Traumen Bei geplanten Eingriffen mit vorbestehender Immunthrombozytopenie (z. B. Morbus Werlhof) sollten präoperativ die Möglichkeiten der Thrombozytenzahlerhöhung (Kortikosteroide, hoch dosierte Immunglobulingaben etc.) ausgeschöpft werden. Konzentrate werden zurückhaltend eingesetzt und ggf. möglichst erst intra- und/oder postoperativ nach Unterbrechung des zugrunde liegenden Pathomechanismus (durch Splenektomie) oder bei manifester Blutung (s. o.) gegeben werden. Gefrorenes Frischplasma ( Fresh Frozen Plasma, FFP ) enthält alle Plasmaproteine einer einzelnen Blutspende und damit auch alle Gerinnungsfaktoren in physiologischer Konzentration. Ihre Aktivität beträgt nach dem Auftauen noch mindestens 70 % der Ausgangsaktivität. Daher ist Frischplasma bei klinisch manifesten plasmatischen Blutgerinnungsstörungen und Massivtransfusionen indiziert ( , Abschnitt „Verbrauchskoagulopathie und Hyperfibrinolyse“). Humanalbuminlösungen sind hepatitissicher und können unabhängig von der Blutgruppe des Empfängers infundiert werden. Sie werden bei Volumenmangel mit Hypalbuminämie eingesetzt, die Indikation sollte wegen unklarer Evidenzlage, hoher Kosten und der begrenzten Verfügbarkeit streng gestellt werden. Als angemessene Indikationen gelten derzeit eine akute schwere Hypoproteinämie, insbesondere bei Verbrennungskrankheit, schwerem Ileus und hämolytischen Erkrankungen von Neugeborenen. Humanalbumin ist nicht indiziert zur Volumensubstitution des hypovolämischen Schocks. Als Volumenersatz eignen sich dagegen Plasmaersatzstoffe, u. U. auch Plasmaproteinlösung (PPL). Diese Präparate sind ebenfalls hepatitissicher und werden blutgruppenunabhängig übertragen.

4.3.4 Risiken von Fremdbluttransfusionen Die Gefahr der Übertragung von Infektionskrankheiten hat mit der Entwicklung sehr empfindlicher serologischer und molekularer Testmethoden und der strengen Auswahl der Blutspender deutlich abgenommen. Ein Restrisiko lässt sich aber bei homologer Bluttransfusion nicht ganz ausschließen ( ).

Tab. 4.15 Übertragungsrisiko von Infektionen bei homologer Bluttransfusion in Deutschland. Hepatitisviren • Hepatitis-B-Übertragungsrisiko: < 1:100.000 obligate Testung seit 1970 • Hepatitis-C-(Non-A-non-B-)Übertragungsrisiko: < 1:10.000.000 obligate Testung seit 1999 HIV • Übertragungsrisiko < 1:1.000.000obligate Testung auf Antikörper gegen HIV-1 seit 1985, HIV-2 seit 1990 Zytomegalieviren (CMV) und Epstein-Barr-Viren (EBV) (Erkrankungsrisiko nur für immunkompromittierte Patienten) Bakterien und andere Erreger (für EK/TK etwa 1:500.000/1:2.000) D a s Übertragungsrisiko einer Hepatitis B muss heute mit weniger als 1:100.000 Transfusionen angenommen werden. Ungefähr 80–90 % aller Posttransfusionshepatitiden, die nach Einführung des HBsAg-Screenings (1970) diagnostiziert wurden, sind durch das parenteral übertragenen Hepatitis-CVirus verursacht worden. Seit Einführung des Anti-Hepatitis-C-Tests (1990) und des HCV-Genom-Nachweises (1999) hat sich das Hepatitis-C-Infektionsrisiko stark reduziert und wird zzt. auf weniger als 1:1.000.000 Bluteinheiten geschätzt. Das Risiko, sich durch homologe Bluttransfusion mit HIV zu infizieren, wird seit der Einführung serologischer Testverfahren auf 1:1–10 Mio. pro Transfusion geschätzt. Dabei wird routinemäßig auf Antikörper gegen HIV-1 und HIV-2 untersucht. Eine „diagnostische Lücke“ ergibt sich zwischen dem Zeitpunkt der Infektion und der Antikörperbildung (Serokonversion), die 4 Wochen bis 6 Monate betragen kann. Wegen der relativ starken Durchseuchung der Bevölkerung besteht mit jeder Transfusion das Risiko einer CMV- oder Epstein-Barr-Virus(EBV) Übertragung. Durch Leukozytendepletion und ggf. die Auswahl CMV- bzw. EBV-Antikörper-negativer Spenden kann dieses Risiko, das vor allem bei immunkompromittierten Empfängern, z. B. nach Organtransplantation, eine Rolle spielt, weitgehend vermieden werden. Bei immunkompetenten Patienten verlaufen CMV- und EBV-Übertragungen dagegen in der Regel inapparent. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen bei der Vorbereitung einer Fremdbluttransfusion können immunologische Reaktionen auftreten. Schwere oder tödliche Transfusionszwischenfälle sind aber in den meisten Fällen auf eine unsachgemäße Handhabung zurückzuführen. In der Onkologie wird diskutiert, ob eine transfusionsbedingte Immunsuppression, u. a. nachweisbar durch Zunahme der T-Suppressorzell-Aktivität sowie Abnahme von T-Helferzell-/Suppressor-Quotient und Killerzellaktivität , zu einer erhöhten Inzidenz an Tumorrezidiven nach operativer Tumorentfernung mit Mehrfachtransfusionen führen kann. Diese Erwägungen gelten neben der Infektionsgefahr als zusätzliches wichtiges Argument für die Einsparung von Fremdbluttransfusionen.

4.3.5 Alternativen zur Fremdbluttransfusion – blutsparende Verfahren Zur Vermeidung von Risiken der Fremdbluttransfusion haben in den letzten Jahren verschiedene Alternativen an Bedeutung gewonnen. Wesentlich sind dabei auch eine Absenkung der Transfusionstrigger für Erythrozytenkonzentrate unter Berücksichtigung der individuellen kardiovaskulären Situation sowie die Fortschritte bei den Methoden der intraoperativen Blutstillung. Weitere Möglichkeiten betreffen u. a. in der präoperativen Phase die Eigenblutspende bei elektiven Eingriffen und die präoperative Plasmapherese zur Gewinnung eines autologen Plasmas mit einem intakten, ausgewogenen Gerinnungspotenzial ( ). Die Eigenblutspende erfordert eine gute Kooperation zwischen Chirurg, Anästhesist und Blutspendedienst. Nach anfänglicher Zurückhaltung wird sie inzwischen auch bei Tumoroperationen angewandt.

Tab. 4.16 Maßnahmen zur Vermeidung von Fremdbluttransfusionen. Präoperativ • Präoperative Planung • Eigenblutspende • Plasmapherese Intraoperativ • Operationstechnik • Maschinelle Autotransfusion (Cell-Saver) • Normovolämische Hämodilution • Kontrollierte Hypotension Postoperativ • Tolerierte niedrige Hämatokritwerte • „Wundmanagement“ • „second look“ Intraoperativ haben sich die normovolämische Hämodilution zu Beginn des Eingriffs und die maschinelle Autotransfusion ( Cell-Saver ) als sehr wertvoll erwiesen ( ). Mit der normovolämischen Hämodilution kann ein intraoperativer Blutverlust bis zu 2.000 ml ausgeglichen werden. Das unmittelbar präoperativ entnommene Blut wird mit einem kolloidalen Volumenersatzmittel im Verhältnis 1:1 substituiert und dem Patienten nach Beendigung des Eingriffs zurückgegeben. Mit dem Cell-Saver wird intraoperativ verlorenes Blut schonend abgesaugt, aufgearbeitet und als gewaschenes Erythrozytenkonzentrat dem Patienten zurückgegeben. Eine Kontraindikation für dieses Verfahren ergibt sich bei septischen Eingriffen und in der Tumorchirurgie. Bei größeren Blutverlusten muss Frischplasma substituiert werden. Zukünftige Perspektiven für alternative Blutersatzverfahren betreffen den präoperativen Einsatz von rekombinantem humanem Erythropoetin, z. B. in der Tumorchirurgie, die Entwicklung von artifiziellem Hämoglobin und die klinische Einsetzbarkeit modifizierter Fluorocarbon-Lösungen.

4.3.6 Die Bedeutung der „chirurgischen“ Blutung und lokaler Blutstillungsverfahren Am Ende dieses Kapitels muss die große Bedeutung der Minimierung des Blutverlustes durch sorgfältiges, gewebeschonendes Operieren sowie einer zuverlässigen intraoperativen Blutstillung und eines rechtzeitigen Rezidiveingriffs bei Verdacht auf eine andauernde Blutung oder eine Nachblutung hervorgehoben werden. Auf die speziellen Techniken wird in den einzelnen Organkapiteln eingegangen. Zur Blutstillung kleiner Gefäße mit schlecht isolierbaren Stümpfen eignen sich neben der klassischen Umstechung Clips aus Metall oder resorbierbarem Kunststoff (Polyglykolsäure), bei parenchymatösen und flächenhaften Blutungen die Elektrokoagulation, Infrarotkoagulation und der Argon- Beam. Letztere haben die Anwendung lokaler Hämostyptika (Fibrinklebung, Kollagenvlies, Tabotamp etc.) stark zurückgedrängt. Die kostenintensivere Laserapplikation hat gegenüber der Elektrokoagulation und vor allem dem ebenfalls berührungslosen Argon-Beam keinen Vorteil. Zuletzt sei darauf hingewiesen, dass der Operateur neben einer gerinnungsbedingten Blutung primär immer auch eine chirurgische Blutung mit bedenken muss und beide Blutungsursachen parallel existieren können.

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KAPITEL 5

Wunde und Wundmanagement Stefan Stozek and Peter M. Markus

5.1. 5.2. 5.3. 5.4. 5.4.1. 5.4.2. 5.4.3. 5.5. 5.6. 5.6.1. 5.6.2. 5.6.3. 5.6.4. 5.7. 5.7.1. 5.7.2.

5.1 Einleitung Die Wundbehandlung stellt traditionell einen originären Arbeitsbereich der Chirurgie dar. Durch die operative Therapie eines immer älter und auch kränker werdenden Patientenguts und den ökonomischen Druck, die Patienten schnell wieder aus der Klinik entlassen zu können, steigen auch die Anforderungen an die Wundversorgung. Die Lebensqualität der Patienten wird durch Wunden oder Wundheilungsstörungen erheblich beeinträchtigt. Sie sind oft mit Schmerzen, Schlafstörungen, störendem Wundgeruch und Einschränkungen in der Mobilität und Körperhygiene verbunden. Bei langwierigem Heilungsverlauf stellt sich häufig eine depressive Stimmungslage ein. Daher gilt es, diese Lebensqualität nach chirurgischen Eingriffen schnell wiederherzustellen. Nach der Abkehr von der „trockenen“ Wundversorgung und der heute unbestrittenen Etablierung der „modernen“, das heißt feuchten Wundversorgung steht eine kaum zu überblickende Anzahl von, oft auch hochpreisigen, Medizinprodukten zur Verfügung. Für diese Produkte liegen jedoch nur wenige wissenschaftliche Nachweise bzw. hochwertige Studien zu ihrer Wirksamkeit vor. Daher ist es wichtig, dass die Wundbehandlung durch ein interprofessionelles Team von gut ausgebildeten Ärzten, pflegerischen Fachexperten und Pflegekräften erfolgt, das für jeden einzelnen Patienten die richtige wundphasengerechte Therapie festlegt, diese dem Patienten kommuniziert und umsetzt.

5.2 Anatomie und Funktion der Haut Die Haut (Kutis) bildet die Oberfläche des Körpers und ist in Epidermis (Oberhaut) und Dermis (Lederhaut) gegliedert. Mit Letzterer ist die Subkutis (Unterhaut) eng verbunden. Zusammen bilden diese drei Schichten das Integumentum commune (Hautdecke) ( )

ABB. 5.1

Aufbau der Haut. [ ]

Die Epidermis als oberste Hautschicht besteht aus mehrschichtigem verhorntem Plattenepithel, welches überwiegend von je nach Schicht unterschiedlich differenzierten Keratinozyten gebildet wird. Die Ernährung erfolgt durch Diffusion aus Kapillaren der Dermis. Die Epithelzellen erneuern sich innerhalb von 4 Wochen. Die Zellregeneration findet im Stratum basale statt. Von dort migrieren die Epithelzellen über das Stratum spinosum, Stratum granulosum und Stratum lucidum in das Stratum corneum. Dieses besteht aus mehreren Lagen von abgestorbenen und sich abschilfernden Epithelzellen. Die Dermis als bindegewebiger und gefäßversorgter Teil der Kutis macht deren Hauptmasse aus. Sie ist unterteilt in das kapillarreiche Stratum papillare und in das kollagenreiche Stratum reticulare. Die Haut erhält ihre Elastizität und Festigkeit durch die Dermis. Sie besteht aus Kollagen, elastischen Fasern, Mikrofibrillen, Hyaluronsäure, Dermatansulfat, Fibronektin, Nerven und Gefäßen. Diese Schicht speichert Wasser und schützt vor Verletzungen. In die fettgewebsreiche Subkutis sind makroskopisch sichtbare Gefäße und Nerven eingebettet und sie ist von straffem Bindegewebe durchsetzt. Dieses verbindet die Haut mit den tiefer gelegenen Strukturen. Das Fettgewebe fungiert als Wärmeisolator, als Druckpolster und als Depotfett. Die Gefäßversorgung zweigt aus den Gefäßen der Muskulatur ab und bildet im Grenzbereich Subkutis/Dermis sowie unter den Papillen der Dermis ein Gefäßnetz. Die Lymphkapillaren entspringen blind im Kapillarbett, nehmen dort die interstitielle Flüssigkeit auf und stehen mit den epifaszialen Lymphknoten oder subfaszialen Lymphgefäßen in Verbindung. Als größtes Organ des menschlichen Körpers stellt die Haut eine wirksame Barriere gegenüber der Umwelt dar. Sie schützt den Körper mechanisch vor Verletzungen. Immunologischen Infektionsschutz bietet sie durch die Antigenpräsentation (Langerhans-Zellen) in der Epidermis und die unspezifische bzw. spezifische Abwehr durch Makrophagen und Lymphozyten in der Dermis. Die Temperaturregulation ist eine weitere Hauptaufgabe der Haut. Darüber hinaus ist sie ein wichtiges Sinnesorgan: In der Epidermis befinden sich Druckrezeptoren (Merkel- Zellen), in der Dermis Berührungsrezeptoren (Krause- Endkolben, Meißner- Körperchen) und Dehnungsrezeptoren (Ruffini- Körperchen). Dermis und Subkutis weisen Vibrationsrezeptoren (Vater-Pacini- Körperchen) auf. Schließlich ist die Haut am Wasser- und Elektrolythaushalt beteiligt [14].

5.3 Wunde Wunde Eine Wunde besteht, wenn ein Integritätsverlust vorhanden ist, also mindestens die Epidermis durchtrennt ist. Dabei können auch die tieferen Strukturen wie die Dermis, Subkutis, Faszien, Bänder, Sehnen, Muskeln und Knochen betroffen sein. Die Verletzung kann iatrogen als Schnittverletzung mit Skalpell, als Stichverletzung mittels Trokar, aber auch als Brandverletzung durch Elektrokauter oder Laser erfolgen. Dabei wird zwischen akuter und chronischer Wunde unterschieden. Akute Wunde Integritätsverlust der Haut, der in intaktem Gewebe entstanden ist, z. B. eine Operationswunde. Ihre in der Regel primäre Abheilung ist nach spätestens 21 Tagen abgeschlossen [12]. Es wird ein Ersatzgewebe, die Narbe, gebildet. Nur bei ausschließlicher Verletzung der Epidermis erfolgt eine narbenlose Abheilung. Chronische Wunde In der Literatur finden sich verschiedene Definitionen. Hier liegt die AWMF-Leitlinie Chronische Wunde von 2012 zugrunde: Die chronische Wunde ist demnach ein Integritätsverlust der Haut und einer oder mehrerer darunter liegenden Strukturen mit einer fehlenden Abheilung innerhalb von acht Wochen unter adäquater Therapie. Die Wundheilungsphasen werden nicht regulär durchlaufen. Die Wunde verharrt insbesondere in der ersten Phase der Wundheilung, der Inflammation oder Exsudation. Die Abheilung erfolgt dann später immer sekundär. Die Bezeichnung chronische Wunde bezieht sich aber nicht allgemein auf sekundär heilende Wunden, sondern nur auf Wunden, die ihre Ursachen in der chronischen venösen Insuffizienz, der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit, in einem Diabetes mellitus und in Dekubitalulzerationen haben. Diese Wunden müssen jeweils leitliniengerecht kausal behandelt werden. Die Behandlungsprinzipien sind jedoch teilweise übertragbar auf viszeralchirurgische Wunden.

5.4 Wundheilung Die Wundheilung ist ein komplexer Vorgang, der in allen Wunden abläuft mit dem Ziel, die Integrität und die Funktion der Haut wiederherzustellen. Die Reparaturkaskade läuft unabhängig von der Art und Ursache der Wunde bei ungestörter Wundheilung innerhalb von drei Wochen in unveränderlicher zeitlicher Reihenfolge in drei Hauptphasen ab ( ). Die chirurgisch gesetzte und mit einer spannungslos adaptierten Hautnaht versorgte Operationswunde heilt in der Regel primär ab. Dabei lassen sich die beiden ersten Heilungsphasen nur auf mikroskopischer Ebene beobachten. Nach der Inflammationsphase (auch Exsudationsphase genannt) folgen Granulation und Epithelisierung. Diese sind voneinander abhängig, laufen aber nicht immer in der ganzen Wunde chronologisch ab, sondern sind in einer Wunde oft auch an verschiedenen Stellen gleichzeitig zu finden [6].

ABB. 5.2

Phasen der Wundheilung. [ ]

5.4.1 Inflammationsphase (Exsudationsphase) Tag 1–3 Beide Begriffe werden in der Literatur für die erste Phase der Wundheilung synonym verwendet. Sie beginnt direkt nach der Verletzung der Haut. Nach einer fünf- bis zehnminütigen Gefäßkonstriktion und Beginn der Gerinnungskaskade können durch eine reaktive Gefäßdilatation und erhöhte Kapillarpermeabilität zahlreiche Entzündungsmediatoren wie neutrophile Granulozyten, Makrophagen und Thrombozyten in die Wunde einwandern. Den Makrophagen kommt für die Wundreinigung die Schlüsselrolle zu. Mikroorganismen werden phagozytiert und Nekrosen abgebaut. Es kommt mit Abschluss der Blutgerinnung zur Bildung eines Fibrinnetzes. Durch die Azidose im Wundgebiet entsteht ein Ödem, welches die Umwandlung von Fibrozyten zu Fibroblasten fördert. Es werden protelytische Enzyme sowie Wachstumsfaktoren wie z. B. Platelet-Derived Growth Factor (PDGF) freigesetzt und damit die Wundreinigung und die Gefäßneubildung stimuliert. Kennzeichen dieser Heilungsphase ist die starke Exsudation mit dem Ziel der Wundreinigung.

5.4.2 Granulationsphase Tag 4–12 Zum Ende der Entzündungs- und Reinigungsprozesse verringert sich die Zahl der Makrophagen. Der Wundgrund ist nun gereinigt. Wachstumsfaktoren modulieren die weiteren Abläufe. Es beginnen Fibroblasten in die ödematöse Wunde einzuwandern. Dort bilden sich unter anderem Mukopolysaccharide und Kollagen. Fibrin baut sich normalerweise beim Kollageneinbau bei Anwesenheit von Vitamin C und Sauerstoff ab. Es sprosst Kapillarendothel in die Wunde ein und bildet neue Gefäße. Die Wunde wird durch grob gekörntes, leicht verletzliches, himbeerfarbenes Granulationsgewebe aufgefüllt. Dieses stellt nun einen Infektionsschutz dar und bildet die Grundlage für die Epithelisation.

5.4.3 Epithelisationsphase Tag 12–21 Nach acht Tagen setzt durch verstärkte Aktivität der Fibroblasten die gesteigerte Bildung von Kollagen und Proteoglykanen für die Narbenbildung ein. Die bisher provisorische Kollagenmatrix wird durch eine bündelförmige Quervernetzung ersetzt. Von den Wundrändern und von noch verbliebenen Hautanhangsgebilden breiten sich auf verflüssigtem Fibrin ungleichmäßig Keratinozyten über das Granulationsgewebe aus. Die Epithelzellen beenden ihre Mitosen und Migration, wenn die Epithelschicht in der Mitte geschlossen ist. Dazu findet eine Wundkontraktion statt. Die Wunde ist nun verschlossen, hat aber erst ein Fünftel ihrer späteren Festigkeit erreicht und erreicht ihre frühere Elastizität gar nicht mehr. Melanozyten und Hautanhangsgebilde sind im Narbengewebe nicht regeneriert, während sensorische Nervenendigungen von den Wundrädern aus langsam die Wunde reinnervieren. Es dauert dann noch mindestens ein Jahr, bis die Umbauprozesse im Bindegewebe der Narbe abgeschlossen sind.

5.5 Wundheilungsstörung Bei der Wundheilungsstörung als postoperativer Komplikation verbleibt die Wunde komplett oder teilweise in einer der ersten Wundheilungsphasen, insbesondere aber in der Exsudationsphase. Die Wundinfektionsrate nach bauchchirurgischen Eingriffen lag 2003–2007 in Deutschland zwischen unter 1 % bei laparoskopischem Verschluss einer Hernia inguinalis und über 13 % bei offener Kolonoperation [17] und stellt damit eine der häufigsten nosokomialen Infektionen dar. Diese zeigt sich aufgrund der geringeren Abwehrmechanismen der Haut meist nicht intraabdominal, sondern vor allem im subkutanen Bereich der Bauchdecke. Die Wundheilungsstörung stellt für den Patienten oft eine starke Einschränkung der Lebensqualität dar. Hinzu kommen Unzufriedenheit mit dem chirurgischen Eingriff, mit der behandelnden Klinik und ein verlängerter Klinikaufenthalt. Störfaktoren der Wundheilung ( ) können allgemeiner Art oder lokal bedingt sein [11]:

Tab. 5.1 Störfaktoren der Wundheilung Systemische Störfaktoren Alter des Patienten Begleit- und Stoffwechselerkrankungen • Diabetes mellitus • Anämie • Leberzirrhose • Hyperbilirubinämie • Gerinnungsstörungen • Bindegewebserkrankungen • arterielle Durchblutungsstörung • venöse Abflussstörung • HIV

Lokale Störfaktoren • ungünstige Schnittführung • intraoperative Traumatisierung • Elektrokoagulation • Nahttechnik • Bestrahlungstherapie • mechanische Belastung der Wunde • Fremdkörper • Infektion • Austrocknung der Wunde • Fibrinbeläge • Nekrosen • Manipulation durch den Patienten

Pharmaka • Immunsuppression • Zytostatika • Kortison • Psychopharmaka Ernährung/Lebensführung • Mangelernährung inkl. Diät • Adipositas • Eiweißmangel • Vitamin- u. Spurenelementmangel • Rauchen .

Allgemeine Störfaktoren sind vor allem das hohe Lebensalter, oft verbunden mit einer Polymorbidität. Hier sind ein schlecht eingestellter Diabetes mellitus, Durchblutungsstörungen, Leberfunktionsstörungen, maligne Erkrankungen, Anämie, Gerinnungsstörungen und Adipositas zu nennen. Aber auch ein schlechter Ernährungszustand bzw. eine Mangelernährung insbesondere mit Eiweiß, Vitaminen (v. a. A, C, E, K), Mineralstoffen und Spurenelementen (Zink, aber auch Eisen und Kupfer) begünstigt Wundheilungsstörungen. Diese Nährstoffe sollten möglichst oral durch natürliche Lebensmittel zugeführt werden. Eine Diät zur Gewichtsreduktion hat negative Auswirkungen auf die Wundheilung. Daher sollte während der Wundheilung mindestens der Grundumsatz gedeckt werden. In starkem Maße hemmen auch Medikamente wie Kortikoide, Zytostatika, Psychopharmaka und Antikoagulanzien, aber auch das Rauchen die Wundheilung. Lokale Störfaktoren können eine ungünstige Schnittführung oder eine traumatisierende Verwendung des Operationsinstrumentariums sein. Hier kann es zu Gewebequetschungen, Schäden durch zu intensive Elektrokoagulation und zu einer Unverträglichkeit des Nahtmaterials kommen. Auch eine unsachgemäße Nahttechnik, insbesondere zu fest geknüpfte Knoten, führt zu lokalen Ischämien und damit zu Wunddehiszenzen. Ebenso kann eine zu hohe mechanische Belastung der Wunde die Heilung hemmen. Eine zu hohe Keimbelastung bei Operationen am Kolon oder der Eröffnung von infizierten Organen und intraabdominellen Abszessen führt häufig zu Wundinfektionen. Ein intraoperatives Austrocknen der Wunde und Fremdkörper haben den gleichen negativen Effekt. Schließlich sind noch Manipulationen an der Wunde zu nennen, die sich der Patient selbst zufügt, z. B. bei Demenz oder – selten – wenn sich aus der Wundheilungsstörung ein sekundärer Krankheitsgewinn ableiten lässt. Die Wundheilungsstörungen können vielgestaltig sein: Hämatom Ansammlung von Blut im Gewebe oder in Hohlräumen. Es breitet sich der Schwerkraft folgend nach kaudal, bevorzugt entlang der anatomischen Spalträume, aus. Das Hämatom kann lokalen Druck auf die Wundnaht ausüben, aber auch als Nährboden für Keime eine Infektion begünstigen. Kleinere Hämatome heilen von selbst ab, während größere operativ revidiert werden müssen. Serom Ansammlung von seröser Flüssigkeit, d. h. von Lymphe oder Wundexsudat, in einem Hohlraum. Die Wunde ist im Gegensatz zum Hämatom nur geschwollen und nicht verfärbt. Auch hier besteht eine Infektionsgefahr. Die meist schmerzhafte Schwellung kann abpunktiert und mit Kompression des Wundgebietes behandelt werden. Reicht dies nicht, ist auch hier eine operative Wundrevision notwendig. Wundinfektion Durch das Eindringen von Bakterien verursachte Infektion der Wunde. Es treten in der Regel die klassischen Entzündungszeichen auf. Die Infektion kann phlegmonös, putrid oder eitrig verlaufen. Haupterreger sind Staphylokokken und Streptokokken. Zunehmend bereiten neben dem MRSA auch hochresistente, vor allem gramnegative Keime wie Pseudomonaden, Acinetobacter baumanii oder die Enterobacteriaceae Probleme, die sich lokal, aber kaum noch systemisch behandeln lassen. Wundrandnekrosen Durch eine Durchblutungsstörung im Wundrandbereich entstehen Nekrosen. Das Gewebe sieht zunächst gelblich anstatt rosig aus. Es demarkiert sich und kann nach einem Débridement sekundär abheilen. Ursache ist meist eine zu hohe Nahtspannung, ungünstige Schnittführung oder eine Gefäßschädigung im Wundgebiet. Wunddehiszenzen Die Wundränder der primär durch Naht oder Klammern verschlossenen Haut klaffen – meist nach zeitgerechter Entfernung des Nahtmaterials – auseinander. Dies kann aseptisch durch unsachgemäße Nahttechnik oder septisch durch Wundinfektion bedingt sein. Platzbauch Hier weichen meist einige Tage nach der Operation alle zuvor verschlossenen Bauchwandschichten, insbesondere die Faszien, auseinander. Innere Organe können hervortreten oder sind zumindest sichtbar. Der Platzbauch bedarf immer einer dringlichen operativen Revision. Offenes Abdomen Das Offenbleiben der Bauchdecke nach einem Platzbauch mit oder ohne intestinale Fistel oder als therapeutische Option eines intraabdominellen Kompartmentsyndroms stellt eine besondere Herausforderung für die Wundversorgung dar. Falls eine chirurgische Versorgung nicht oder erst später möglich ist, bedarf das offene Abdomen einer speziellen Wundversorgung. Diese muss einerseits große Flüssigkeitsmengen sicher ableiten können, andererseits den Bauch sicher vor Austrocknung, Neuinfektion, Wärmeverlust und mechanischer Verletzung schützen und für den Patienten erträglich sein (z. B. temporärer Wundverschluss mittels eines Unterdruck-Therapiesystems).

5.6 Wundbehandlung Jede nicht primär heilende Wunde sollte eine der Wundheilungsphase angemessene feuchte Wundbehandlung erfahren.

5.6.1 Wundassessment und Dokumentation Am Beginn der Wundbehandlung steht die Einschätzung der Wunde unter Berücksichtigung der Anamnese und der Grunderkrankung. Der nationale Expertenstandard „Pflege von Menschen mit chronischen Wunden“ empfiehlt für chronische Wunden eine Analyse nach Reinigung der Wunde. Diese sollte auch dokumentiert werden hinsichtlich Wundart, Lokalisation, Größe, Geruch, Wundgrund, Exsudat, Wundrand, Wundumgebung und Infektionszeichen. Dieses Vorgehen lässt sich auch auf sekundär heilende Operationswunden übertragen. Aus dem Gesamtbild sollten die ärztliche Therapieverordnung und weitere notwendige Diagnostik folgern. Insbesondere weitere chirurgische Interventionen wie z. B. eine Erweiterung der Wunde zur Schaffung eines ausreichenden Abflusses für Pus oder bei zu stark zerklüfteten Wundverhältnissen. Zusätzlich zur nachvollziehbaren schriftlichen Dokumentation – auch des Heilungsverlaufs – empfiehlt sich eine wöchentliche standardisierte Fotodokumentation. Hilfreich sind Wunddokumentationsbögen oder eine in das

elektronische Krankenhausinformationssystem integrierte Dokumentation.

5.6.2 Wunddébridement Zu Beginn der Wundbehandlung muss überprüft werden, wie heilungshindernde Nekrosen oder Fremdkörper aus der Wunde entfernt werden können. Das Débridement sollte konsequent erfolgen. Dieses geschieht unter ausreichender Analgesie durch Abtragung im Gesunden mittels Skalpell, Ringkürette oder Ultraschall. Es besteht auch die Möglichkeit, biochirurgisch mit sterilen Maden der Goldfliegenart Lucilla sericata zu débridieren. Für viszeralchirurgische Wunden ist dieses Verfahren aber eher selten geeignet.

5.6.3 Wundreinigung Die Wundreinigung erfolgt nach Bedarf zur Entfernung von Fremdkörpern, Fibrinbelägen oder einem Biofilm auf dem Gesunden mittels steriler Instrumente und mit Kompressen oder Tupfern, die mit einer für diesen Zweck zugelassenen Wundspüllösung befeuchtet sind. Zur Unterstützung der Reinigung können Wunden mit Hydrogelen vorbehandelt werden. Die Reinigungswirkung lässt sich mit speziellen Reinigungsmaterialien, z. B. mit Ligasano ® Wundputzern ® (Ligamed) oder Debrisoft ® (Lohmann & Rauscher) verbessern. Zur Reinigung eignen sich wirkstofffreie Lösungen oder bei infizierten Wunden antimikrobielle Präparate, besonders Octenidin- oder Polyhexanid-haltige Lösungen, mit Einschränkungen auch jodhaltige PVP-Lösungen. Diese dürfen aber nicht in den Peritonealraum eingebracht werden. Isotone Kochsalzlösung (0,9 % NaCl) eignet sich ebenso wie isotone Ringer-Lösung ohne Laktat (NaCl, Ca, K) zur mechanischen Wundreinigung. Sie sind nicht zelltoxisch, nicht allergen und körperwarm schmerzfrei anwendbar. Diese Lösungen sind in der Regel nicht konserviert und aus hygienischen Gründen nur für den sofortigen Gebrauch geeignet. Steril gefiltertes Leitungswasser eignet sich besonders für Wunden, bei denen eine hohe Spülflüssigkeitsmenge oder hoher Spüldruck von Vorteil ist. Insbesondere rektale oder perianale Wunden lassen sich gut vom Patienten selbst ausduschen, was von den Patienten als angenehmer empfunden wird. Leitungswasser ist nicht isoton und kann ungefiltert problematische Mikroorganismen enthalten, insbesondere hydrophile gramnegative Keime wie Pseudomonaden. Als Sterilfilter eignen sich z. B. Aquafree Germlyser ® (Aquafree), Pall Aquasafe ® (Pall), Schülke filtration ® (Schülke & Mayr). Polyhexanidhaltige Lösungen (PHMB = Polyhexamethylenbiguanid) sind sehr gewebeschonend, haben aber einen späten Wirkungseintritt (je nach Keim 5–20 Minuten). Sie sind zugelassen für antiseptische Wundauflagen mit z. B. Serasept ® (Serag-Wiesner) oder als Wundspüllösung und eignen sich auch zum Feuchthalten von Wundauflagen. Der Wirkstoff PHMB ist hier 0,04-prozentig oder 0,02-prozentig gelöst in Aquadest oder Ringer-Lösung zur besseren Zellverträglichkeit. PHMB wird auch in Hydrogelen als Konservierungsstoff und in Wundauflagen zur Keimreduzierung zugesetzt, z. B. Prontosan ® (B. Braun) und Lavanid ® (Serag-Wiesner). Octenidin h a t ein breites Wirkspektrum, einen schnellen Wirkungseintritt (30 Sekunden bis je nach Keim 5 Minuten), keinen Eiweißfehler, ist gewebeschonend und brennt kaum in der Wunde. Es darf aber nicht unter Druck in Wundhöhlen und Fisteln eingebracht werden. Der Abfluss des Desinfektionsmittels muss immer gewährleistet sein, da es anderenfalls zu Nekrosen kommen kann. Octenidin dient auch als Konservierungsmittel in Hydrogelen und Wundspüllösungen. Produkte: z. B. Octenisept ® , Octenilin ® Wundgel, Octenilin ® Wundspüllösung (alle Schülke & Mayr). Bei Wundspülungen ist darauf zu achten, dass Octenisept ® nicht unter Druck ins Gewebe eingebracht bzw. injiziert wird. Bei Spülungen von Wundkavitäten ist darauf zu achten, dass ein Abfluss jederzeit gewährleistet ist (z. B. Drainage, Lasche). (vgl. Schülke & Mayr, Rote-Hand-Brief Octenisept, Stand: 15.1.2009). PVP-Jod-Lösungen haben ein breites Wirkungsspektrum, besitzen aber einige Nachteile gegenüber den modernen Antiseptika. Zunächst erschwert die Braunfärbung der Wunde ihre Beurteilung. Der vorhandene Eiweißfehler schränkt die Wirksamkeit ein. Das PVP-Jod wird durch proteinhaltiges Wundexsudat, Fibrin, Eiter oder Blut inaktiviert. Daher sind häufigere Verbandswechsel erforderlich. Darüber hinaus kann das Jod resorbiert werden, dies muss bei Schilddrüsenerkrankungen beachtet werden. Ferner hat Jod hat ein erhebliches allergenes Potenzial. Produkte: z. B. PVP-Jod AL ® (Aliud-Pharma), Braunol ® und Braunovidon ® (B. Braun), Polysept ® (Dermapharm), Sepso J ® (Hoffmann & Sommer), Betaisodona ® (Mundipharma) und Polydona ® (Riemser Arzneimittel). Hydrogele können autolytisch Beläge wie Fibrin oder Nekrosereste von eher trockenen Wunden aufweichen. Damit ermöglichen sie es, Beläge schmerzarm zu entfernen, ohne dabei frisches Granulationsgewebe zu zerstören. Sie dienen in der Wundbehandlung auch zur Feuchthaltung des Wundmilieus und fördern die Granulation. Angewendet werden sie als Gele oder als Hydrogelkompressen. Es muss dabei auf einen Mazerationsschutz für die Wundränder geachtet werden. Bei infizierten und stark blutenden Wunden sollen Hydrogele nicht angewendet werden. Unkonserviert sind Hydrogele Einmalartikel, während sie durch den Zusatz von Polyhexanid oder Octenidin bis zu 6 Wochen nach Anbruch verwendbar bleiben. Produkte: z. B. Decutastar ® -Hydrogel (ADL), Askina ® -Gel, (B. Braun), Purilon ® (Coloplast), Cutimed ® -Gel (BSN medical), Varihesive ® -Wundgel (ConvaTec), Curafil ® und Aquaflo ® (Covidien), DracoHydrogel ® (Dr. Ausbüttel & Co.), Tegaderm ® -Hydrogel (3M), Hydrosorb ® (Hartmann), Suprasorb ® G (Lohmann & Rauscher), Nobagel ® (Noba), Rogg ® -Hydrogel Plus und Nawalution ® -Gel (Rogg Verbandstoffe), Octenilin ® -Wundgel (Schülke & Mayr), Intrasite ® -Gel (Smith & Nephew), Nu-Gel ® , (Systagenics) und Urgo ® -Hydrogel (Urgo Medical). Enzyme zur Wundreinigung haben inzwischen an Bedeutung verloren. Es sind noch Iruxol ® von Smith & Nephew (Clostridiopeptidase A, Protease) und Varidase ® von Riemser (Streptokinase, Streptodornase) als Arzneimittel zugelassen. Beläge und Nekrosen lassen sich mit ihnen andauen. Aufgrund der kurzen Wirksamkeit der Enzyme muss der Verbandswechsel mindestens einmal täglich erfolgen und die Wundränder sollten geschützt werden. Die Wundreinigung dauert vergleichsweise lange, sodass die Behandlung eher kostenintensiv ist. Darüber hinaus besteht ein Allergierisiko. Ein chirurgisches Débridement mit evtl. vorheriger Aufweichung der Beläge ist sinnvoller. Als obsolet und ungeeignet müssen lokale Antibiotika, Wasserstoffperoxid, Farbstoffzubereitungen und hypertone NaCl-Lösungen bezeichnet werden. Diese wirken nur gering antiseptisch, fördern Resistenzen, behindern die Wundheilung durch Zelltoxizität, verursachen unnötige Schmerzen oder sind allergieauslösend.

5.6.4 Verbandswechsel Die Wunden müssen der Wundheilungsphase angemessen behandelt werden. Dazu gehört die Unterstützung der Wundheilung durch geeignete Wundauflagen. Diese müssen ein idealfeuchtes Wundmilieu schaffen oder aufrechterhalten. Dazu sollten sie das Exsudat aufnehmen, den Gasaustausch gewährleisten, vor Auskühlen der Wunde schützen und einen mechanischen Schutz bieten. Das Verbandmaterial sollte keine Allergien auslösen, sich atraumatisch und schmerzarm wechseln lassen und wirtschaftlich sein. Die Wirtschaftlichkeit ergibt sich dabei nicht allein aus dem Preis der Wundauflage, sondern auch aus den Wechselintervallen, dem Grad der Beförderung der Wundheilung und der Verbesserung der Lebensqualität des Patienten ( ). Bei malignen Tumoren im Wundgebiet sollte keine feuchte Wundbehandlung erfolgen, da diese sich auch wachstumsfördernd auf Tumorzellen auswirkt.

Tab. 5.2 Übersicht Wundauflagen.

Indikation

Kontraindikation

Wechselintervall in Tagen je nach Exsudation

Vorteil

Nachteil

Kompressen

primär heilende Wunde, Sekundärverband

Wundgaze

epidermale Wunden

Alginate

mäßig bis stark exsudierende Wunden

je nach Exsudation

Hydrofaser

exsudierende und trockene Wunden aller Phasen, Verbrennungen bis II°

je nach Exsudation 1–7

nur vertikale Absorption, schmerzarmer Wechsel, lange Wechselintervalle

Hydrogele

Wundreinigung, Anfeuchtung

blutende Wunden, 1 bis 7 infizierte Wunden

Hydrokolloid

schwach exsudierende Wunden

Vorsicht bei infizierten Wunden

Schaumstoff fein

mäßig bis stark exsudierende Wunden

offenliegende je nach Exsudation Muskeln, Bänder, 1–7 Knochen (können austrocknen)

atraumatischer Verbandswechsel, gute Isolation

Vorsicht bei Infektion

Schaumstoff grob

Wundkonditionierung, Wundreinigung

freiliegende Gefäße, Organe, Schleimhäute

1 bis 3

gute Reinigung

evtl. schmerzhaft

Superabsorber

starke Exsudation, Sekundärverband

je nach Exsudation

sehr hohe Wunden können Exsudataufnahme, austrocknen feucht, aber nicht nass auf der Wunde

Folien

primär heilende Wunde, trockene Wunde in der Epithelisationsphase

Silber

infizierte Wunden, stark infektionsgefährdete Wunden

1 bis 3

antibakteriell wirksam auch bei resistenten Keimen

Physikalische Keimbindung

infizierte Wunden

1

wirkstofffrei, wirksam auch gegen MRSA, VRE

1 bis 3

Anregung der Wundheilung, Proteasen modulierend

teuer

3 bis 5

Wundkonditionierung, Exsudatmanagement, Infektionsschutz

sehr teuer

NPWT

Wundkonditionierung tiefer Wunden, temporärer Wundverschluss, offenes Abdomen, abdominelles Kompartmentsyndrom

freiliegende Gefäße, nicht explorierte Fisten im Wundgebiet

evtl. schmerzhaft bei Wechsel, nass auf der Wunde

kostengünstig

Gefahr der Verklebung

blutstillend, wundreinigend, schmerzarmer Wechsel

bei Infektion täglicher Verbandswechsel, dann teuer

schmerzarme Reinigung

je nach Exsudation 1–7

infizierte Wunden

Interaktive stagnierende, länger bestehende Wundauflagen Problemwunden in allen Wundphasen

sehr kostengünstig

Gefahr von Wundrandmazerationen Hautirritation häufig

Wunde sichtbar

evtl. zytotoxisch

Der Verbandswechsel kann durch bedarfsgerechte Analgetikagabe schmerzärmer gestaltet werden. Bewährt haben sich auch lokale Maßnahmen, wie die Anfeuchtung der Wundauflagen vor dem Entfernen und Analgesie mittels etwa 20 Minuten zuvor applizierter Emla ® -Creme (AstraZeneca) oder MorphinGel. Nur bei infizierten Wunden ist ein täglicher Verbandswechsel zwingend erforderlich. Sonst kann je nach Wundauflage eine Wundruhe bis zu 7 Tagen möglich sein. Es dürfen nur sterile Instrumente und Verbandsmaterialien verwendet werden. Das Tragen von Einmalhandschuhen und die Händedesinfektion vor und nach dem Verbandswechsel gewährleisten hygienisches Arbeiten.

5.7 Wundauflagen 5.7.1 Konventionelle Wundauflagen bei primärer Wundheilung Kompressen bestehen aus Baumwollmull, Vlies oder aus einer Kombination von Vlies mit einem Saugkern. Diese traditionellen, kostengünstigen Wundauflagen haben heute ihre Berechtigung zur Abdeckung primär heilender Operationswunden und bei der Wundreinigung. Sie verkleben schnell mit der Wunde, sodass bei trockenen Wunden der Verbandswechsel sehr schmerzhaft sein kann. Bei feuchteren Wunden verbleibt das Exsudat auf der Wunde, sodass Mazerations- bzw. auch Infektionsgefahr besteht. Wundschnellverbände eignen sich zum Schutz der primär heilenden, trockenen Wunde vor Keimbefall. Sie nehmen jedoch wenig Exsudat auf und können je nach verwendetem Klebematerial Kontaktallergien und Hautreizungen auslösen. Außerdem besteht die Gefahr der Hautschädigung beim Ablösen des Pflasters. Um dem Patienten das Duschen zu ermöglichen, gibt es Wundschnellverbände mit einer wasserdichten, bakteriendichten, aber atmungsaktiven Fixierfolie. Produkte: beispielsweise Leukomed ® T (BSN medical), DracoPor ® waterproof (Dr. Ausbüttel & Co.), Nexcare ® Protect Strips ® (3M), Hydrofilm ® plus (Hartmann), Curapor ® (Lohmann & Rauscher), Rudafilm ® steril (Noba Verbandsmittel), Optiskin ® (Urgo). Eine Wundkontrolle mit direktem Blick auf die Wunde ohne Verbandswechsel wird durch ein wabenförmiges Wundkissen statt einer Baumwollauflage ermöglicht, z. B. Opsite ® post-op visible (Smith & Nephew). Dabei werden gleiche Wasserfestigkeit, Atmungsaktivität und Infektionsschutz geboten. Imprägnierte Wundgazen sind kostengünstig und sollen das Verkleben der Wunde mit der Wundauflage verhindern. Sie eignen sich vor allem für

oberflächliche Wunden. Die grobmaschigen Gazen sind mit hydrophober Vaseline, Wollwachssalbe oder Paraffin bzw. mit Öl-in-Wasser-Emulsionen imprägniert. Die hydrophoben Fettgazen verkleben bei trockenen Wunden mit diesen und lassen sich nicht mit Wundspüllösungen anfeuchten. Sie verursachen dann Schmerzen bei der Verbandablösung. Auch dürfen sie nicht mehrlagig verwendet werden, da dies den Exsudatabfluss verhindern kann. Es kann sich dann eine infektionsfördernde feuchte Kammer bilden.

5.7.2 Wundauflagen für die feuchte Wundbehandlung Hydroaktive Wundauflagen Alginate Diese Wundauflagen eignen sich für mäßig bis stark exsudierende Wunden. Auch für blutende, infizierte oder zerklüftete, tiefe Wunden oder Wundhöhlen sind sie indiziert. Sie bestehen aus Kalziumalginatfasern, die aus Seealgen gewonnen werden. Es gibt sie in Form von Tamponadestreifen und Auflagen unterschiedlicher Größe auch mit Zusatz von Carboxymethylcellulose zur besseren Feuchtigkeitsaufnahme oder mit antimikrobiellen Zusätzen wie Silber (auch aus der Tube). Auch Kombinationen mit Polyurethanschaum sind erhältlich. Bei der Aufnahme von natriumreichem Exsudat vergelen sie unter Abgabe von blutstillenden Kalziumionen zu einem Natriumalginat und quellen bei hoher Flüssigkeitsbindung auf. Dabei werden Zellreste und Bakterien gebunden. Auf einen Mazerationsschutz für die Wundränder sollte geachtet werden. Ein der Exsudatmenge angepasster Sekundärverband ist notwendig. Wenn keine Infektion vorliegt, muss der Alginat-Verband alle 2–4 Tage gewechselt werden bzw. dann, wenn er mit Exsudat vollgesogen ist. Das Gel kann sich je nach Exsudat verfärben und lässt sich leicht aus der Wunde entfernen oder ausspülen. Produkte: beispielsweise Decutastar ® Alginat (ADL), Askina ® Calgitrol ® (B. Braun), Cutimed ® Alginate (BSN medical), Biatain ® Alginate (Coloplast), Kaltostat ® , (ConvaTec), Curasorb ® (Covidien), Tegaderm ® Alginate (3M), Draco ® Algin (Dr. Ausbüttel & Co.), Sorbalgon ® (Hartmann), Suprasorb ® A (Lohmann & Rauscher), Nobaalgin ® (Noba Verbandmittel), Rogg ® Kalziumalginat (Rogg Verbandstoffe), Algisite ® (Smith & Nephew), Trionic ® Alginat (Systgenix), Urgosorb ® (Urgo). Hydrofasern Verbände aus Hydrofasern sind in allen Wundphasen einsetzbar. Sie bestehen aus Natriumcarboxymethylzellulose. Sie nehmen schnell eine große Exsudatmenge auf. Dabei werden diese nur vertikal aufgenommen und im entstehenden Gel gebunden. Der Wundrand bleibt so vor Mazeration geschützt. Bei geringer Exsudation müssen die Wundauflagen angefeuchtet werden, da sonst die Wunde zu stark austrocknet. Ein entsprechender Sekundärverband ist notwendig. Ein Verbandswechsel sollte nach Erschöpfung der Aufnahmekapazität oder spätestens nach 4–7 Tagen erfolgen. Hydrofaser-Verbandvlies gibt es auch in Kombination mit antimikrobiellem Silber oder mit eingewebten Verstärkungsfasern zur besseren Entfernbarkeit aus Wundhöhlen. Produkte: Aquacell extra ® und Aquacell AG ® (ConvaTec), Durafiber ® (Smith & Nephew). Hydrogele Hydrogel besteht aus einem hydrophilen Polymer. Kompressen daraus sind, wie auch die Hydrogele aus der Tube, zum Feuchthalten trockener Wunden und zur autolytischen Wundreinigung in der Granulations- und Epithelisierungsphase geeignet. Nicht geeignet sind sie für stark nässende oder blutende Wunden. Der Verbandswechsel ist atraumatisch und schmerzarm und muss je nach Exsudation nach 1–7 Tagen erfolgen. Auf einen Mazerationsschutz sollte besonders geachtet werden. (Beispiele in Kapitel 5.6.3, Abschnitt Hydrogele) Hydrokolloide Die ältesten Produkte zur feuchten Wundbehandlung sind die Hydrokolloide. Hier sind quellende Substanzen wie Carboxymethylzellulose, Pektin, Karaja oder Gelatine in eine selbstklebende Trägersubstanz als Matrix eingebracht und mit einer Polyurethanfolie abgedeckt. Sie können in allen Wundheilungsphasen bei schwach exsudierenden Wunden verwendet werden. Aufgrund der okkludierenden Wirkung sind Hydrokolloide bei infizierten Wunden kontraindiziert. Wenn nach 1–7 Tagen das Aufnahmevermögen erschöpft ist, bildet sich eine immer größer werdende Blase auf der Wundauflage. Dies ist der Zeitpunkt für den Verbandswechsel. Zwischenzeitlich kommt es häufig zu Hautirritationen aufgrund des kautschukhaltigen Trägermaterials. Produkte: beispielsweise Decutastar ® Hydrokolloid (ADL), Cutimed ® Hydro (BSN medical), Comfeel ® (Coloplast), Varihesive ® (ConvaTec), Ultec Pro ® (Covidien), DracoHydro ® (Dr. Ausbüttel & Co.), Tegaderm ® Hydrocolloid (3M), Hydrocoll ® (Hartmann), Suprasorb ® H (Lohmann & Rauscher), Nobakolloid ® (Noba), Rogg ® -Hydrokolloid (Rogg Verbandmittel), Replicare ® (Smith & Nephew), Nu-Derm ® (Systagenix). Schaumstoffverbände Sie bestehen meist aus geschlossenporigem Polyurethan und eignen sich für mäßig bis sehr feuchte Wunden. Sie nehmen hohe Exsudatmengen auf, halten die Wunde aber dabei feucht, ohne nass zu sein. Sie schützen die Wunde vor dem Auskühlen. Ein atraumatischer Verbandswechsel wird durch nur geringes Verkleben mit der Wunde ermöglicht. Durch eine Silkonbeschichtung kann das Verkleben nahezu vollständig verhindert werden. Bei infizierten Wunden ist bei Schaumverbänden besondere Vorsicht geboten. Neben Wundauflagen verschiedener Größen und Formen und mit Zusätzen von Superabsorbern, Silber oder Ibuprofen gibt es auch spezielle Schaumprodukte für Wundhöhlen, die in der Regel mit der Bezeichnung „cavity“ deklariert werden. Nur bei Letzteren wird ein Sekundärverband benötigt. Ansonsten müssen die nicht mit einem Klebe- oder Haftrand ausgestatteten Produkte nur an den Rändern mit Klebestreifen fixiert werden. Eine vollflächige Abdeckung mit einer Folie verhindert den Gasaustausch der Wunde. Der Verbandswechsel muss je nach Exsudatmenge nach 1–7 Tagen erfolgen. Produkte: beispielsweise Decutastar ® Foam (ADL), Askina ® DresSil (B. Braun), Cutimed ® Siltec ® und Cutimed ® Cavity (BSN medical), Biatain ® (Coloplast), Versiva ® XC ® (ConvaTec), Kendall ® ultraweicher Schaumverband (Covidien), DracoFoam ® , (Dr. Ausbüttel & Co.), Tegaderm ® foam (3M), PermaFoam ® , (Hartmann), Suprasorb ® P (Lohmann & Rauscher), Nobasponge ® (Noba), Mepilex ® (Mölnlycke), Rogg ® -Foam (Rogg Verbandmittel), Tielle ® (Systagenix) Allevyn ® , (Smith & Nephew). Offenporige Polyurethan-Schaumverbände wie z. B. Ligamed Ligasano ® weiß oder grün (Ligamed) oder Syspur-derm ® (Hartmann) dienen zur Wundkonditionierung in der Granulationsphase bzw. Reinigung bei infizierten Wunden. Der grobe Schaum reinigt mechanisch die Wunde. Dabei ist jeder Verbandswechsel gewollt traumatisch. Daher ist beim Einsatz dieser Produkte besonders auf eine ausreichende Analgesie zu achten. Der Verbandswechsel sollte spätestens nach 3 Tagen erfolgen. Es besteht die Gefahr, die Wundauflage durch einwachsendes Granulationsgewebe kaum mehr aus der Wunde entfernen zu können. Je gröber die Schaumstruktur ist, umso mehr muss der Einsatz in der Nähe von Blutgefäßen und Organen vermieden werden. Ein der Exsudation angepasster Sekundärverband ist erforderlich. Superabsorber Vlieskompressen mit Superabsorbern beinhalten die aus Babywindeln bekannten Polyacrylat-Quellkörper. Diese vergelen unter Aufnahme hoher Flüssigkeitsmengen, nehmen stark an Volumen zu und binden dabei Keime und Zellreste. So eignet sich diese Wundauflage sehr gut als Sekundärverband bei großer Exsudatmenge. Dabei ist die Wundauflagefläche feucht, aber nicht nass, und gewährleistet so einen Mazerationsschutz für die Wundränder. Diese Wundauflagen dürfen nicht zerschnitten werden, da die Quellpartikel dann austreten und in die Wunde gelangen können. Produkte: beispielsweise DryMax ® Extra (ApoFit), Cutisorb ® Ultra (BSN medical), Alione ® (Coloplast), curea-P1 ® (Curea medical), Tegaderm ® absorbent (3M), Zetuvit plus ® (Hartmann), Vliwasorb ® (Lohmann & Rauscher), Mextra ® (Mölnlycke), Sorbion Sana ® (Sorbion). Folien Folienverbände aus transparentem semipermeablem Polyurethan eignen sich zur Abdeckung von nicht nässenden Wunden in der Epithelisationsphase. Sie bieten einen mechanischen Schutz vor Scherkräften und Kontamination. Der zumeist verwendete Acrylatkleber kann wie bei allen selbstklebenden Wundauflagen zu Hautirritationen führen. Beim Ablösen kann es zu Epithelverletzungen kommen, sodass hier besonders vorsichtig die Folie zunächst an einem Ende des Verbands gedehnt und dann erst abgezogen werden sollte. Produkte: beispielsweise ABE ® Derm (Beese medical), Leukomed ® T (BSN medical), Tegaderm ® Film (3M), Polyskin II ® (Covidien), Suprasorb ® F (Lohmann & Rauscher), Mepitel ® und Mepore ® Film (Mölnlycke), Opsite ® (Smith & Nephew).

Antibakterielle Wundauflagen

Silber Silber wird traditionell als antimikrobiell wirksame Substanz verwendet. In Wundauflagen wird es als elementares bzw. nanokristallines Silber, anorganische Verbindung oder organischer Komplex eingesetzt. Durch die Freisetzung von reaktionsfreudigen Silberionen werden Zellmembranen, Energieproduktion und Enzymfunktion (auch bei multiresistenten Problemkeimen und Pilzen) geschädigt. Resistenzen und Allergien treten nur sehr selten auf. Viele der hydroaktiven Wundverbände, Tamponaden oder Pasten gibt es auch mit einem Silberzusatz (meist mit AG gekennzeichnet). Sie sind geeignet, die Keimbelastung infizierter Wunden zu verringern. Entweder ist das Silber in eine Matrix eingebettet und die antimikrobielle Wirkung entfaltet sich im aufgenommenen Wundexsudat, oder es wird Silber in der Wunde freigesetzt. Die Wunde kann sich dabei reversibel braun-schwarz verfärben. Silber ist nicht unumstritten. Es gibt Hinweise auf Zellschäden, insbesondere auf die Fibroblasten. Das Bundesamt für Risikobewertung äußert Bedenken gegenüber der biologischen Wirkung von freiem nanokristallinem Silber im Körper. Silberhaltige Wundauflagen haben sich in der Wundbehandlung praktisch bewährt, sollten aber nur bei infizierten oder stark infektionsgefährdeten Wunden eingesetzt werden. Physikalisch keimbindende Wundauflagen Mit wirkstofffreien, nur physikalisch wirksamen Wundauflagen lässt sich die Keimbelastung einer Wunde reduzieren. Sie binden im feuchten Wundmilieu Bakterien durch hydrophobe Wechselwirkung. Der Verbandstoff ist mit einem hydrophoben Fettsäurederivat beschichtet. Bakterien werden bei Kontakt irreversibel gebunden und inaktiviert. Dabei werden die Bakterien nicht abgetötet, sodass keine Toxine freigesetzt werden. Mit jedem Verbandswechsel werden die gebundenen Bakterien aus der Wunde entfernt. Diese Keimbinder gibt es in verschiedenen Formen, als Tamponade oder Wundauflage, und bedürfen teilweise eines Sekundärverbands. Zum Einsatz kommt z. B. Cutimed Sorbact ® (BSN medical). Mit der Hydration-Response-Technologie (HRT) werden ebenfalls Keime gebunden. Sie werden von der Außenhülle der Wundauflage aus Polypropylen (z. B. Sorbion Sachet ® S) mit dem Exsudat aufgenommen und in das Innere des Verbands transportiert. Dort werden sie von Kunststoff- und Zellulosefasern irreversibel gebunden. Die Wundoberfläche bleibt dabei feucht, ohne dass es zu einer Wundrandmazeration kommt.

Interaktive Wundauflagen Auch wenn der Heilungsphase angemessene hydroaktive Wundauflagen eingesetzt werden, kommt es immer wieder zu einer Stagnation in der Wundheilung. Oft ist dies auf eine zu hohe Keimlast oder mechanische Irritationen zurückzuführen. Manchmal lässt sich die Ursache jedoch nicht eruieren. In diesen Fällen lässt sich der Einsatz der z. T. hochpreisigen interaktiven Wundauflagen rechtfertigen, da sie den Heilungsverlauf beschleunigen können. So werden Substanzen eingesetzt, die Bausteine der Gewebeneubildung sind oder auf deren Steuerung Einfluss nehmen. Insbesondere Proteasen, Metallionen und Zytokine werden reduziert. Kollagen Das gefriergetrocknete Kollagen bildet eine gut saugfähige Wundauflage. Die überschießende Proteasenaktivität wird in der Wunde reduziert. Das Kollagen wird in der Wunde innerhalb von 2 Tagen vollständig resorbiert und muss daher nicht wieder entfernt werden. Es eignet sich nicht für infizierte Wunden. Bei nur schwacher Exsudation sollte die Wundauflage angefeuchtet werden. Ein der Exsudation angepasster Sekundärverband ist notwendig. Produkte: z. B. Suprasorb ® C (Lohmann & Rauscher), MediCipio ® C und SorboCept ® C (Medichema), Nobakoll ® (Noba). Kombinationsauflagen aus gefriergetrocknetem Kollagen u n d Zellulose können als eine Proteasen modulierende Matrix das schädliche Wundmilieu stagnierender Wunden verbessern. Gleichzeitig werden Wachstumsfaktoren wieder in der Wunde wirksam und Matrixproteine eingebracht. Der pH-Wert wird in der Wunde abgesenkt, was ebenso wie die Freisetzung von Silber antimikrobiell wirkt. Tief klaffende Wunden lassen sich adaptieren. Die Wundauflage vergelt in der Wunde und muss nicht, kann aber mit jeder Wundspülung daraus entfernt werden. Zu beachten ist die Gefahr einer Verwechselung des Wundexsudats mit Eiter, da beide Sekrete sich in Farbe und Konsistenz ähneln können. Bei nur schwacher Exsudation ist eine Anfeuchtung der Wundauflage sinnvoll. Ein Sekundärverband ist notwendig. Der Verbandswechsel sollte nach 1 bis 3 Tagen erfolgen. Produkte: z. B. Promogran ® und das silberhaltige Promogran Prisma ® (Systagenix). Es existiert hier auch erstmals in der Wundversorgung ein Schnelltest zur Messung von heilungshemmender erhöhter Proteasenaktivität, z. B. Sytagenix Woundcheck ® (Systagenix). Nano-Oligo-Saccharid-Faktor Wundauflagen mit Nano-Oligo-Saccharid-Faktor, welcher in eine Lipokolloid-Matrix eingearbeitet ist, können ebenso das metabolische Gleichgewicht von Matrix-Metallo-Proteasen und Wachstumsfaktoren wiederherstellen. Bei Kontakt mit Wundexsudat bildet sich ein lipokolloides Gel, welches ein feuchtes Wundmilieu schafft und einen atraumatischen und schmerzarmen Verbandswechsel sichert. Der Wirkstoff ist hier entweder in einen Schaumstoffverband oder in eine Gaze eingearbeitet. Nur diese muss mit einem Sekundärverband abgedeckt werden. Der Verbandswechsel sollte je nach Exsudation nach 2 bis 4 Tagen erfolgen. Die Wundauflagen können bis zur Abheilung eingesetzt werden Produkte: z. B. Urgo Start ® , Urgo Cell Start ® , Urgo Start Tül ® (Urgo). Hyaluronsäure Hyaluronsäure ist ein körpereigenes Glykoaminoglykan und fördert die Einwanderung von Fibroblasten und Epithelzellen in die Wunde und die Angiogenese. Nach Débridement und Desinfektion kann Hyaluronsäure je nach Wundgröße und -tiefe als Faservlies (z. B. ATGmed, Hyalofill ® ), in Verbindung mit einem Alginat als Granulat, z. B. Hyalogran ® (ATGmed), in die Wunde eingebracht werden. Ein Sekundärverband ist erforderlich. Als Hautersatz oder zur Epithelisierungsförderung eignen sich Folien, z. B. Hyalosafe ® oder Folie in Verbindung mit einem Faservlies, z. B. Hyalomatrix ® (alle ATGmed).

Niederdrucktherapie Die Niederdrucktherapie (synonym auch Vacuum-Assisted Closure [VAC] , Negative Pressure Wound Therapy [NPWT]oder aktive Wunddrainage) ist im klinischen Bereich eine bewährte Methode zur Wundkonditionierung oder zum temporären Wundverschluss. Seit dem Ablauf des Patents der Firma KCI bietet eine Vielzahl von Herstellern Unterdrucktherapiesysteme an. So konnten die Kosten für diese immer noch hochpreisige Therapieform deutlich sinken. Für den ambulanten Bereich werden diese bisher nur als Einzelfallentscheidung von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Produkte: z. B. Atmos S 042 NPWT (Atmos), Caditec K1 (Caditec), V. A. C ® (KCI), Vivano ® (Hartmann), Suprasorb ® CNP (Lohmann und Rauscher), Avance ® (Mölnlycke), CuraSul ® Woundcare (MTM), Venturi ® (Qanun), Renasys ® (Smith & Nephew). Wundkonditionierung Nach Débridement oder Wundreinigung wird ein Polyurethanschwamm, ein Polyvinylalkoholverband wie z. B. V. A. C. ® WhiteFoam (KCI) oder eine Gaze wie z. B. Renasys ® G (Smith & Nephew) für die Wunde passend zugeschnitten und in diese eingebracht. Nach Wundrandschutz mittels einer Folie oder eines Barrierefilms, z. B. Cavilon ® (3M) oder Skin-Prep ® (Smith & Nephew), wird die Wunde mit einer Folie luftdicht verschlossen. Über ein Drainagesystem wird die Wunde mit einem Therapiegerät verbunden. Dieses sichert den eingestellten kontinuierlichen Feinsog, welcher zwischen 75 und 125 mmHg liegen sollte. Der Unterdruck sorgt in der Wunde für die Reinigung, den Abtransport von Keimen und eine Verbesserung der Durchblutung. Ein feuchtes Wundmilieu wird gesichert und das Wundödem verringert. So wird die Granulation deutlich beschleunigt. Dabei ist die Wunde vor einer Neuinfektion gut geschützt. Offenes Abdomen Bei der Anwendung im offenen Abdominalbereich sollte der Darm mittels Distanzgitter oder Netz abgedeckt bzw. ein spezielles Set verwendet werden, z. B. ABThera ® Abdominal Therapiesystem (KCI). So wird einer Fistelbildung vorgebeugt. Im Wundgebiet liegende Fisteln sollten zuvor exploriert sein. Freiliegende Gefäße dürfen nicht im Wundgebiet liegen. Der Verbandswechsel sollte nach 3 bis 5 Tagen erfolgen, anderenfalls besteht die Gefahr, dass Granulationsgewebe in den Polyurethanschwamm einwächst. Spätestens wenn die Wunde mit Granulationsgewebe aufgefüllt ist, sollte die Unterdrucktherapie beendet bzw. erst nach einer Hauttransplantation weitergeführt werden. Intestinale Fisteln in einem offenen Abdomen lassen sich mit dem am Universitätsklinikum Magdeburg entwickelten Fisteladapter ( ) versorgen, z. B. PPMFisteladapter ® (Pharmetra). So wird die Fistel vom Sog des sie umgebenen Schaumstoffverbands getrennt und vergrößert sich in der Regel dann nicht mehr. Es lässt sich so trotz Stuhlfistel in der Wunde ein Wundverschluss bzw., wenn die Operabilität wieder gegeben sein sollte, ein Fistelverschluss herbeiführen.

NPWT mit Fisteladapter bei offenem Abdomen mit Darmfistel. a) offenes Abdomen mit Dünndarmfistel. b) Fisteladapter. c) Einlage des NPWT-Schwamms. d) Unterdruckversiegelung und Ablaufbeutel. [ ] ABB. 5.3

Sollten eine oder mehrere ungünstig gelegene Fisteln vorhanden sein, die sich nicht mit Fisteladaptern versorgen lassen, stehen Wund- und Fistelbeutel in verschiedenen Varianten zur Verfügung, z. T. auch mit Behandlungsfenster (z. B. Eakin ® Wund- und Fistelbeutel). So lässt sich eine individuelle Versorgung für die Wunde anpassen, die dem Patienten eine größtmögliche Lebensqualität bietet, ohne dass Wundexsudat oder Stuhl unkontrolliert aus dem Verband austritt.

Literatur [1] Becker, H. D., Coerper, S. Wunde, Wundheilung und Wundbehandlung. In: Siewert R., ed. Chirurgie . Stuttgart: Springer Verlag, 2006. [2] Bob, A., Bob, K. Duale Reihe Anatomie . Stuttgart: Thieme Verlag; 2008. [3] Bundesamt für Risikobewertung (BfR), BfR rät von Nanosilber in Lebensmitteln und Produkten des täglichen Bedarfs ab. Stellungnahme Nr. 024/2010 des BfR vom 28 Dezember 2009; . [(letzter Zugriff: 4. Oktober 2013)]. [4] Deutsche Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung e. V, Lokaltherapie chronischer Wunden bei Patienten mit den Risiken pAVK, Diabetes mellitus und CVI. AWMF online S3-Leitlinie, Version 1, Stand 12 Juni 2012; . [(letzter Zugriff: 4. Oktober 2013)]. [5] Deutsches Netzwerk zur Qualitätsentwicklung in der Pflege. Expertenstandard „Pflege von Menschen mit chronischen Wunden“. Entwicklung – Konsentierung – Implementierung. Osnabrück . 2008. [6] Dissemond, J. Ulcus cruris – Genese, Diagnostik und Therapie . Bremen: UNI-MED Verlag; 2012. [7] Grade S et al. Therapeutic Window of Ligand-Free Silver Nanoparticles in Agar-Embedded and Colloidal State: In Vitro Bactericidal Effects and Cytotoxicity, Advanced Engineering Materials Volume 14, May 2012. (letzter Zugriff: 4. Oktober 2013). [8] Initiative Chronische Wunde (ICW). Konsensusempfehlung, Leitlinie für Hygiene in der Wundversorgung. Lünen . 2010. [9] Jannasch, O., Lippert, H., Tautenhahn, J., Ein neuer Adapter zur Versorgung von enteroatmosphärischen Fisteln beim offenen Abdomen. Zentralblatt für Chirurgie, Sonderdruck 2011; 136 Jahrgang. [(letzter Zugriff: 4. Oktober 2013)]. [10] Lippert, H. Wundatlas – Kompendium der komplexen Wundbehandlung . Stuttgart: Thieme Verlag; 2012. [11] Panfil, E. M., Schröder, G. Pflege von Menschen mit chronischen Wunden . Bern: Verlag Hans Huber; 2010. [12] Protz, K. Moderne Wundversorgung . München: Elsevier Verlag; 2011. [13] Steinbrück, I., Baumhoer, D., Henle, Ph. Intensivkurs Anatomie . München: Elsevier Verlag; 2008. [14] Unger L, Laubert T, Kujath P. Haut- und Weichgewebsinfektionen in Lege artis. Das Magazin zur ärztlichen Weiterbildung. Ausgabe 03 Vol. 2, Thieme Verlag, Stuttgart 2012. [15] Vasel-Biergans, A., Probst, W. Wundauflagen für die Kitteltasche . Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft; 2010. [16] Westphal, S., Erstellung eines Risikoprofils für Wundheilungsstörungen: Eine prospektive Studie. Doktorarbeit, RWTH Aachen 2010; . [(letzter Zugriff: 4. Oktober 2013)]. [17] Wounds international. Adäquate Anwendung von Silberverbänden bei Wunden, Internationaler Konsens einer Expertengruppe, London 2012. (letzter Zugriff: 4. Oktober 2013).

KAPITEL 6

Chirurgische Infektionen Prophylaxe und Therapie Ansgar Röhrborn and Wilhelm Gross-Weege

6.1. 6.1.1. 6.1.2. 6.2. 6.3. 6.3.1. 6.3.2. 6.3.3. 6.4. 6.5. 6.5.1. 6.5.2. 6.5.3. 6.5.4. 6.5.5. 6.5.6. 6.5.7. 6.5.8. 6.5.9. 6.5.10. 6.6. 6.6.1. 6.6.2. 6.6.3. 6.6.4. 6.6.5. 6.6.6. 6.7. 6.8.

6.9. 6.9.1. 6.9.2. 6.9.3. 6.9.4. 6.10. 6.10.1. 6.10.2. 6.10.3. 6.10.4.

In den chirurgischen Fächern stößt man in den meisten Fällen auf ein eingeschränktes Spektrum infektiöser Probleme: In der Viszeralchirurgie dominieren die endogenen Infektionen mit gramnegativen Darmkeimen, in der Implantatchirurgie wird am häufigsten Staphylococcus aureus als Haut- und Umweltkeim angetroffen. Dies bedeutet, dass man aus dem großen Spektrum von Antibiotika vorzugsweise einige Substanzen, aber bei Weitem nicht alle im chirurgischen Alltag einsetzt. Eine kompakte Darstellung der chirurgisch relevanten Infektionsprobleme und ihrer antibiotischen Behandlung kann daher für den Chirurgen eine erhebliche Arbeitserleichterung darstellen. Die Szenarien von Unwirksamkeit der Antibiotikatherapie, zunehmenden Resistenzen und fehlenden Neuentwicklungen, die schon über Jahrzehnte sowohl in der Laienpresse als auch in der Fachliteratur immer wieder beschworen wurden, sind seit dem Erscheinen der letzten Auflage dieses Buches im Jahr 2006 von der Realität nahezu eingeholt worden. Waren seinerzeit Oxacillin-resistente (ORSA) und Methicillin-resistente Staphylococcus aureus (MRSA) und die resistenten Enterokokken die dominierenden Problemkeime, so haben nun die gramnegativen Bakterien in erschreckender Weise aufgeholt. Diese Situation macht die Auswahl des geeigneten Antibiotikums erheblich schwieriger. Es muss in viel höherem Maße abgeschätzt werden, welche Substanz in der gegebenen infektiologischen Situation unter dem Gesichtspunkt von Wirksamkeit gegen die vermuteten oder nachgewiesenen Erreger und auch unter dem Aspekt der Resistenzsituation der eigenen Klinik sowie der eventuell durch die Therapie geförderten Selektion und Resistenzentwicklung einzusetzen ist. Diese Problematik macht die Antibiotikabehandlung anspruchsvoller und verantwortungsvoller und erfordert somit ein umfangreicheres Wissen. In vielen Fällen wird der Einsatz eines Antibiotikums somit die Konsultation eines Mikrobiologen erfordern, um die komplexen Fragen von Resistenz, Selektionsdruck und lokaler Wirksamkeit ausreichend sicher zu behandeln.

6.1 Resistenzentwicklung 6.1.1 Grampositive Bakterien Die Resistenzsituation bei den Staphylokokken, von denen schon seit Jahren ca. 20 % gegen Methicillin/Oxacillin unempfindlich sind, galt immer als kritisch und gefährlich. Dementsprechend waren alle Hygienebemühungen von Screeninguntersuchungen über besondere Hygienemaßnahmen bis zur Isolierung der Patienten vor allem gegen die Verbreitung dieser Bakterien gerichtet. Die Wirksamkeit dieser Bemühungen kann einerseits leicht am Beispiel der Niederlande kontrolliert werden, die schon seit vielen Jahren eine besonders rigorose Nachweis- und Isolierungspolitik verfolgen. Sie wird aber auch in Deutschland erkennbar, wo der Anteil dieser Keime an den Staphylokokken von 2008 auf 2009 zunächst von 21,2 % auf 24,2 % signifikant angestiegen, dann aber bis 2011 wieder auf 22,4 % abgefallen ist, was wiederum eine signifikante Veränderung darstellt .

6.1.2 Gramnegative Bakterien Wesentlich anders stellt sich jedoch das Spektrum der gramnegativen Bakterien dar. Hier haben verschiedene Resistenzmechanismen, die unterschiedliche Antibiotikagruppen betreffen, zugenommen, sodass im Zusammenspiel dieser Effekte eine kritische Situation entstanden ist. Die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention am Robert Koch-Institut (KRINKO) hat versucht, die Resistenzsituation zu kategorisieren, indem sie 4 Hauptgruppen von Antibiotika definiert, die bei gramnegativen Stäbchen einsetzbar sind. Dies sind die Acylaminopenicilline, die Cephalosporine der Gruppen 3 und 4, die Gyrasehemmer und die Carbapeneme. Die Glycylcycline werden ebenso wie die Aminoglykoside hierbei nicht berücksichtigt, da Erstere in ihrer Wirksamkeit nicht sicher einzuschätzen sind, Letztere wegen ihrer Toxizität nicht mitberücksichtigt wurden. Bei der Resistenzentwicklung spielen zunächst die „Extended-Spectrum-β-Lactamasen (ESBL) “ eine herausragende Rolle. Dabei handelt es sich um eine Vielzahl von verschiedenen Enzymen, die in gramnegativen Bakterien gebildet werden und denen gemeinsam ist, dass sie die typischerweise als β-Lactamasestabil angesehenen Cephalosporine und z. T. auch die den Penicillinen hinzugefügten β-Lactamase-Hemmer unwirksam machen. Der Anteil von Stämmen, insbesondere von Escherichia coli, Klebsiella pneumoniae und Proteus mirabilis, die diese Fähigkeit aufweisen, hat europaweit von 5 % auf ca. 12 % zugenommen. Diese Zunahme gilt vor allem bei Escherichia coli auch für Deutschland, während bei Klebsiellen in den letzten Jahren keine signifikanten Veränderungen der Häufigkeit von ESBL-Bildnern zu beobachten waren. In vielen Fällen inaktivieren die ESBL alle Cephalosporine der Gruppen 3 und 4. Dies ist aber nicht immer der Fall, sodass unter Umständen ein gegen Cefotaxim resistenter Erreger mit Cefepim behandelbar ist. Die Zunahme der Resistenzen gegen Cephalosporine ist jedoch nur ein Anteil des insgesamt zunehmenden gramnegativen Resistenzspektrums. Auch die Empfindlichkeit gegenüber Chinolonen und deren Leitsubstanz Ciprofloxacin hat erheblich abgenommen. So nahm die Anzahl resistenter Escherichia coli im eigenen Krankengut von 2007 bis 2013 von 2 % auf 28 % zu. Diese Zahlen werden in der Literatur z. T. noch übertroffen . Damit ist ein wichtiges Therapeutikum gegen gramnegative Erreger zumindest in der kalkulierten Therapie nicht mehr einsetzbar. Die dritte große Gruppe der gegen gramnegative Bakterien wirksamen Substanzen, die Acylaminopenicilline, wurde ohnehin auch schon in der jüngeren Vergangenheit nicht mehr ohne Schutz durch die β-Lactamase-Inhibitoren Tazobactam, Clavulansäure oder Sulbactam verwendet. Diese Hemmsubstanzen können den erweiterten β-Lactamasen widerstehen, und zwar in der Reihenfolge Sulbactam, Tazobactam und Clavulansäure mit zunehmender Sicherheit. Sie können aber auch zerstört werden, sodass man nicht sagen kann, dass der Nachweis von ESBL auch diese Substanzen generell unwirksam macht, wenngleich dies oft der Fall ist. Gefährlich ist die Tatsache, dass die Substanzen in vitro wirksam, in vivo aber dennoch unwirksam sein können, sodass man sich bei ihrer Anwendung in falscher Sicherheit wiegen kann. Somit verbleiben aus dem Spektrum der gegen gramnegative Bakterien wirksamen Substanzen noch die Carbapeneme, die über 25 Jahre ohne wesentliche Einschränkung ihrer Wirksamkeit einsetzbar waren. Auch hier sind jedoch seit einiger Zeit Resistenzen bekannt, die auf Carbapenemasen oder auch auf ESBL, sofern diese in hoher Konzentration vorliegen, beruhen können. Glücklicherweise sind solche Keime bisher in Deutschland noch sehr selten nachgewiesen worden.

Multiresistene gramnegative Bakterien (MRGN) Es wird klar, dass die vormals mit einem Arsenal von Breitspektrum-Antibiotika behandelbaren gramnegativen Infektionen somit zu großen Schwierigkeiten führen können. Die KRINKO hat aus Gründen der Vereinfachung der klinischen Handhabung den Begriff der 3MRGN- und der 4MRGN-Bakterien gebildet,

womit die Anzahl der oben genannten Antibiotika-Hauptgruppen, gegen die diese Keime resistent sind, bezeichnet wird ( ). Konsequenterweise sind mit diesen Begriffen auch Hygiene- und Isolationsvorschriften verbunden, sodass die Situationen, in denen solche Maßnahmen analog der Isolation bei ORSA-Patienten erforderlich werden, klar definiert sind.

Tab. 6.1 Antibiotikagruppen und Problemfelder bei der Behandlung gramnegativer Infektionen Antibiotikagruppen ESBL machen Cephalosporine und oft Acylaminopenicilline sowie Carbapeneme unwirksam. Bei 3-facher Resistenz in den 4 Hauptgruppen 3MRGNBei 4-facher Resistenz 4MRGN

Reserveantibiotika gegen gramnegative Keime

Leitsubstanz

Problem

Maßnahme

Acylaminopenicilline

Piperacillin

Ohne β-LactamaseHemmer Tazobactam oder Sulbactam praktisch unwirksam. Wirksamkeit bei ESBL ggf. reduziert oder fehlend

Bei ESBL-Nachweis Einsatz nur bei leichten Infektionen, sorgfältiges Therapiemonitoring

Cephalosporine Gruppe 3

Cefotaxim

Enterokokken- und VRE-Selektion, Unwirksamkeit bei ESBL

Andere Substanzgruppe, ggf. Wirksamkeit von Gruppe 3b und 4

Gyrasehemmer

Ciprofloxacin

Hohe Resistenzrate, z. B. ca. 30 % bei Escherichia Coli

Andere Substanzgruppe, ggf. Kombination

Carbapeneme

Imipenem/Cilastatin

Unwirksam bei hohen Konz. ESBL + AmpC und bei Carbapenemasen

Andere Substanzgruppe, ggf. Kombination, sorgfältiges Monitoring, bei ESBLNachweis nur für leichtere Infektionen

Aminoglykoside

Gentamicin Amikacin

Hohe Nephro- und Ototoxizität

Spiegelbestimmung Dosierung 1×/Tag

Glycylcycline

Tigacyl

Bei vielen Stämmen Bei primärer oder sekundärer nur bakteriostatisch Resistenz andere wirksam Substanzgruppe, ggf. Kombination

Trotz dieser Voraussetzungen muss die Therapieentscheidung noch andere Aspekte mitberücksichtigen. Die Resistenzgene können zwischen verschiedenen Spezies sehr schnell ausgetauscht werden. Darüber hinaus stellt die antibiotische Therapie in jedem Fall einen Selektionsdruck dar, der zu Resistenzbildung in dem bekämpften Bakterium führen kann oder aber zur Ausbreitung resistenter Bakterien, die bisher aufgrund ihrer geringen Keimzahl nicht erkannt wurden. Diese Aspekte erschweren zusätzlich die Wahl der geeigneten Therapie. Daher sollte zumindest in kritischen Situationen, z. B. bei schwerkranken Patienten oder bei einer polymikrobiellen Besiedlung, ein Mikrobiologe oder Infektiologe in die Entscheidungsfindung über die antibiotische Therapie mit einbezogen werden. Auch die Weiterbildung eines klinischen Mitarbeiters zum „Antibiotic Steward“ scheint eine sinnvolle Maßnahme gegen unkritische und kurzsichtige Therapieentscheidungen zu sein.

6.2 Antibiotikaentwicklungen Während die Resistenzentwicklung der Bakterien erhebliche Fortschritte gemacht hat, kann man auf dem Gebiet der Antibiotika nur drei Neuentwicklungen erwähnen, nämlich Tigecyclin (Tigacyl ® ) Ceftarolinfosamil (Zinforo ® ) und Fidaxomicin (Dificlir ® ). Tigecyclin ist die einzige Substanz aus der Gruppe der Glycylcycline. Die Substanz ist den Tetrazyklinen verwandt und wie diese lediglich bakteriostatisch wirksam. Das Spektrum ist sehr weit und umfasst auch die grampositiven Problemkeime, jedoch nicht Pseudomonas. Die Substanz erwies sich in der Zulassungsstudie bei schweren intraabdominalen Infektionen gegenüber Carbapenemen als nur geringfügig schwächer und nicht signifikant weniger wirksam. Ceftarolin ist in vieler Hinsicht den Drittgenerations-Cephalosporinen ähnlich, ist wie sie bakterizid und weist als Spektrumserweiterung eine bakterizide Wirksamkeit gegen MRSA/ORSA und gegen Koagulase-negative Staphylokokken, nicht jedoch gegen Enterokokken auf, was gegenüber der CefotaximGruppe und Cefepim zu einer Einstufung als Fünftgenerations-Cephalosporin führt. Die dritte Neuentwicklung fällt aus dem Rahmen der übrigen Antibiotika, da sie nur für die pseudomembranöse Kolitis eine therapeutische Option darstellt. Fidaxomicin (Dificlir ® ) kann zur Therapie dieser immer häufiger diagnostizierten Durchfallerkrankung verwendet werden und besitzt gegenüber Vancomycin bei ansonsten etwa gleicher Wirksamkeit den Vorteil, auch gegen Vancomycin-resistente Enterokokken wirksam zu sein, sodass keine Selektion dieser Keime vorkommt.

6.3 Indikationen 6.3.1 Therapie In früheren Jahrzehnten galt die Regel, dass der Einsatz von Antibiotika auf dem mikrobiologischen und klinischen Nachweis einer Infektion basierte. Klassische Behandlungsdiagnosen waren Phlegmone, Erysipel, Peritonitis, postoperative Pneumonie und ähnliche klar definierte Erkrankungen. Diese Indikationen bestehen selbstverständlich weiterhin, jedoch ist niemals prospektiv randomisiert die Wirkung von Antibiotika z. B. bei einer Peritonitis gegenüber Placebo geprüft worden und ein solches Vorgehen verbietet sich auch vollständig aus ethischen Gründen, sodass für solcherart selbstverständliche Therapien nur ein Evidenzgrad 4 besteht. Das Indikationsspektrum ist in der Vergangenheit jedoch deutlich erweitert worden. Die zunehmend komplexer gewordenen chirurgischen Eingriffe, aber auch die Zusammensetzung des Krankengutes mit multimorbiden oder immunsupprimierten Patienten erfordern nicht selten den Einsatz von Antibiotika in einer ausreichend begründeten Verdachtssituation . Es handelt sich hier um die sogenannte kalkulierte Antibiotikatherapie, die in Kenntnis des zu erwartenden bakteriellen Spektrums eine Substanz oder eine Kombination einsetzt, ohne die Wirksamkeit sicher beurteilen zu können . Diese Vorgehensweise ist durch die dargestellten Resistenzentwicklungen erheblich schwieriger und unsicherer geworden. Aber auch bei der Therapie eines nachgewiesenen Erregers kann die Entscheidung über das anzuwendende Antibiotikum schwierig sein, da unter Umständen die zu erwartende Resistenzbildung in die Überlegung mit einbezogen werden muss. Darüber hinaus ist es wichtig geworden, abgestuft zu therapieren, das heißt, dass bei leichteren Infektionen vorübergehend auch das Risiko der Unwirksamkeit in Kauf genommen werden muss, während bei lebensbedrohlichen Situationen größtmögliche Sicherheit anzustreben ist.

6.3.2 Prophylaxe Auf der anderen Seite hat sich der Bereich der prophylaktischen Antibiotikagabe etabliert. In zahlreichen randomisierten doppelblinden Untersuchungen konnte zweifelsfrei nachgewiesen werden, dass die Gabe eines adäquaten Antibiotikums unmittelbar vor der Operation die Rate an postoperativen Wundinfektionen

senkt . Das Gleiche gilt für das gesamte Gebiet der Implantatchirurgie (Evidenzgrad 1a). Auch für sterile Eingriffe ohne Implantate, wie Leistenhernien, konnte ein Vorteil nachgewiesen werden (Evidenzgrad 1a), aber durch die hohe Anzahl von Prophylaxe-Gaben, die erforderlich ist, bevor eine Infektion verhindert wird, ist hier die Indikation strittig . Dagegen kann die Antibiotika-Prophylaxe z. B. bei Dickdarmeingriffen Behandlungstage und Kosten ebenso wie belästigende und schmerzhafte Komplikationen für den Patienten sparen . Im Gegensatz zu therapeutischen Indikationen, die auch den Einsatz neuester Präparate mit entsprechenden Kosten erfordern können, sind in der Prophylaxe in erster Linie ältere Antibiotika eingeführt . Das Ziel der Antibiotika-Prophylaxe besteht darin, während der Operation in den freigelegten Geweben Antibiotikaspiegel zu gewährleisten, die die Entwicklung einer Infektion aus einer intraoperativen Kontamination verhindern. Diese Aufgabe wird auch von Präparaten mit nur mäßiger Wirksamkeit gegen die beteiligten Keime erfüllt, sodass z. B. Basiscephalosporine oder gegen β-Lactamasen geschützte Aminopenicilline geeignete Prophylaktika in der Darmchirurgie darstellen können. Viel entscheidender als ein alle Keime erfassendes Wirkspektrum ist die zeitgerechte Gabe vor Beginn der Operation. Generell wird eine einzige Dosis gegeben. Unter Umständen muss bei lang dauernden Eingriffen eine zweite Gabe erfolgen (Evidenzgrad 1b), aber im Prinzip ist die Äquivalenz der Single-Shot-Therapie gegenüber allen längeren Intervallen nachgewiesen (Evidenzgrad 1a). Ziel dieser Maßnahme ist die Reduktion von Wundinfektionen und Fremdkörperinfektionen, die auch im Bereich der Viszeralchirurgie durch die zunehmende Verbreitung von Fremdmaterialien bei der Behandlung von Hernien eine große Rolle spielen. Es gibt allerdings aus dem Bereich der Bauchchirurgie auch Hinweise auf eine verminderte Anzahl intraabdominaler Abszesse unter antibiotischer Single-Shot-Prophylaxe.

6.3.3 Grundsätzliche Therapieerwägungen Der Arzt muss bei einer Infektion aus dem Spektrum der verfügbaren Substanzen diejenige auswählen, mit der sich der Therapieerfolg bei günstiger Nebenwirkungsrate und geringsten Kosten realisieren lässt. Daher wird man bei bekannten Erregern meist auf ältere, nicht mehr patentgeschützte preiswerte Substanzen mit entsprechend gut charakterisiertem Nebenwirkungsspektrum zurückgreifen, während die moderneren Breitspektrum-Antibiotika als kalkulierte Therapie bei schweren Infektionen vor Errgernachweis oder in lebensbedrohlichen Situationen einzusetzen sind. Ein weiteres wichtiges Therapieprinzip stellt die sogenannte Deeskalationstherapie dar. Hierbei wird entweder mit einem Breitspektrum-Antibiotikum begonnen und dann auf ein Präparat mit schmalerem Spektrum gewechselt, nachdem der Erreger bekannt geworden ist, oder eine anfänglich sehr hohe Dosierung wird im Rahmen der Konsolidierung der Erkrankung reduziert. Schließlich gehört zu diesen Therapiekonzepten auch die Sequenztherapie, bei der zunächst mit einer parenteralen Behandlung begonnen wird, die nach Abklingen der hochakuten Entzündungssituation auf ein oral wirksames Präparat umgesetzt werden kann. Dies ist im Besonderen in der Gruppe der Chinolone realisierbar.

6.4 Mikrobiologie Für einen sinnvollen Einsatz der Antibiotika in der Chirurgie ist die Kenntnis grundlegender Bakteriengruppen und der entsprechenden Wirksamkeiten von Antibiotikagruppen unerlässlich. So sind zunächst grampositive und gramnegative Bakterien zu unterscheiden, wobei die Ersteren mit dem Leitkeim Staphylococcus aureus vorwiegend als Umwelt- und Hautkeime in der Chirurgie eine Rolle spielen, während Letztere mit dem Leitkeim Escherichia coli den Magen-Darm-Trakt und hier vornehmlich den Dickdarm besiedeln. Dementsprechend spricht man von exogenen Infektionen, die durch grampositive Keime verursacht werden, während endogene Infektionen in vielen Fällen durch die gramnegative Flora des Dickdarms verursacht werden. Die Auswahl des geeigneten Antibiotikums muss diese Unterscheidungen berücksichtigen. Eine dritte Bakteriengruppe stellen die Anaerobier dar, wobei auch hier wiederum eine weitere Differenzierung sinnvoll ist, nämlich in diejenigen überwiegend gramnegativen Anaerobier, die vorzugsweise im Magen-Darm-Trakt zu finden sind, wie z. B. Bacteroides, Proprionibakterien und Fusobakterien, und die grampositiven sporenbildenden Bakterien der Clostridiengruppe. Wiederum sind die Darmkeime Verursacher endogener Infektionen, während die Clostridien Bodenbakterien sind und entsprechend z. B. in verschmutzten Wunden auftreten. Auf der Seite der Antibiotika finden sich korrelierend Substanzen, die mehr zur Behandlung von grampositiven Infektionen geeignet sind, und andere, deren gramnegatives Spektrum dominiert ( ).

Schematische Darstellung der Wirkspektren von Antibiotika (die Lage der Farbfelder zu den vier Quadranten des Achsenkreuzes, nicht aber Größe und Form sind von Bedeutung). [ ] ABB. 6.1

Grampositive Bakterien Die Ursprungssubstanz Penicillin ist nur gegen grampositive Erreger wirksam, sodass die Weiterentwicklung dieser Substanz einerseits in der Gruppe der Penicilline, andererseits aber auch durch Entwicklung anderer Substanzgruppen eine Erweiterung zum gramnegativen Spektrum zum Ziel hatte. Die frühen Folgesubstanzen des Penicillins, Ampicillin und Amoxicillin, sind tatsächlich auch gegen einige gramnegative Keime wirksam, werden aber doch in erster Linie als Basistherapie zur Bekämpfung grampositiver Infektionen eingesetzt. Das Gleiche gilt für das Basis-Cephalosporin Cefazolin. In den allermeisten Fällen kann mit diesen Substanzen eine grampositive Infektion sehr wirkungsvoll behandelt werden. Es sei aber bereits an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass Ampicillin und Amoxicillin nur in Verbindung mit β-Lactamase-Hemmern eingesetzt werden sollten, während die Cephalosporine primär gegen βLactamasen stabil sind. Die bereits erwähnten β-Lactamasen mit erweitertem Spektrum spielen in diesem Zusammenhang keine Rolle, da sie nur bei gramnegativen Erregern auftreten. Bei Nachweis von Staphylokokken können auch die Isoxazolylpenicilline (Oxacillin und Derivate) eingesetzt werden. Diese Substanzen sind Penicillinasestabil, haben aber eine erheblich geringere Wirksamkeit gegen Staphylokokken als Penicillin G (wenn die Erreger empfindlich sind) und sind auch weniger wirksam als gegen β-Lactamasen geschütztes Ampicillin und Amoxicillin. Weiterhin kommt in diesem Bereich das Lincosamid Clindamycin zum Einsatz. Die Therapie von Infektionen mit nachgewiesenen grampositiven Erregern

durch Breitspektrum-Antibiotika, wie z. B. Mezlocillin, Piperacillin, Imipenem, Cefepim, ist nicht sinnvoll. Eine Ausnahme stellen unter Umständen die Chinolone Levofloxacin und Moxifloxacin dar, die durch ihre hervorragende orale Resorbierbarkeit eine therapeutische Alternative darstellen. Makrolide (Erythromycin) und Tetrazykline haben in diesem Bereich in der Chirurgie keine Indikation.

Oxacillin-/Methicillin-resistente Staphylo-kokken (ORSA, MRSA), Enterokokken In den 1960er- Jahren traten erste Infektionen mit Staphylokokken auf, gegen die auch die seinerzeit gegen Penicillin-resistente Staphylokokken verwendeten Isoxazolylpenicilline unwirksam waren. Ursprünglich als MRSA (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus ) bezeichnet, spricht man in Deutschland in der Regel von ORSA – entsprechend der hier eingeführten Substanz Oxacillin – und analog von OSSA (Oxacillin-sensible Staphylokokken). Neben den ORSA hat Enterococcus faecium praktisch immer das gleiche Resistenzspektrum und Enterococcus faecalis kann eine solche Resistenz sekundär entwickeln, sodass dann für diese drei Bakterien die gleichen therapeutischen Erwägungen gelten. Koagulase-negative Staphylokokken, wie z. B. Staphylococcus epidermidis, die eigentlich als apathogen gelten, können ebenfalls eine infektiologische Bedeutung erhalten, wenn sie z. B. aus einer Blutkultur oder von einer Venenkatheterspitze gezüchtet werden. Auch diese Keime können im Resistenzspektrum den ORSA entsprechen und müssen dann antibiotisch auch so behandelt werden. Bei diesen Infektionen stehen seit Jahren die Glykopeptidantibiotika zur Verfügung. In jüngerer Zeit sind zusätzlich mehrere weitere Wirkstoffe aus anderen Substanzgruppen verfügbar geworden.

Gramnegative Bakterien Zur Behandlung gramnegativer Infektionen kommen 6 Substanzgruppen infrage. Die vier wichtigen Gruppen wurden bereits unter dem Begriff der Resistenzbildung erwähnt. Es handelt sich um die Aminopenicilline, die Cephalosporine der Gruppen 3, 4 und 5, die Chinolone oder Gyrasehemmer und die Carbapeneme. Zwei der Gruppen spielen heute eine untergeordnete Rolle. Dies sind die Glycylcycline (Tigecyclin) und die Aminoglykoside, die wegen ihrer hohen Otound Nephrotoxizität problematisch sind. Tigecyclin wird unter Mikrobiologen kontrovers beurteilt. Einige Autoren werten es als schwache Substanz ab, da es oft nur bakterizid wirkt, andere Fachleute sehen in dieser Substanz eine wesentliche Erweiterung der therapeutischen Optionen. Zunehmende Resistenzprobleme der Hauptgruppen können die Bedeutung dieser beiden Gruppen in der Zukunft erheblich verändern.

Anaerobier Die anaeroben grampositiven Kokken (Clostridien) werden in hervorragender Weise durch Penicillin abgedeckt. Zur Behandlung der Darmanaerobier ist die Substanz der Wahl Metronidazol, das die frühere Anwendung von Clindamycin weitgehend abgelöst hat. Bei Einsatz gegen β-Lactamase geschützter Aminopenicilline und Acylaminopenicilline ist die zusätzliche Behandlung von Anaerobiern ebenso wie bei Carbapenemen und bei den Chinolonen Levofloxacin und Moxifloxacin nicht erforderlich.

Antibiotika-Merksätze

• Cephalosporine haben eine Enterokokkenlücke und können Enterokokken sowie ESBL-Bildner selektionieren und ESBLBildung induzieren. • Bei Auftreten von ESBL (Extended-Spectrum-Beta-Lactamase) sowie 3MRGN und 4MRGN Therapie schwerer Infektionen in Abstimmung mit Mikrobiologen. • Aminopenicilline und Acylaminopenicilline mit β-Lactamase-Hemmer sowie Carbapeneme und Moxifloxacin decken Anaerobier ab. • ORSA sind für den befallenen Patienten nicht virulenter als OSSA, die Probleme sind die notwendige Isolation des Patienten und die eingeschränkte Anzahl wirksamer Antibiotika. • Bei unklaren Infektsituationen breit und hoch dosiert beginnen, bei Spezifizierung der Erreger und Konsolidierung des Infektes deeskalieren. • Bei schweren Infektionen parenterale Therapie, ggf. Kombination.

6.5 Substanzgruppen und bieten einen Überblick über die Substanzgruppen und die im Handel erhältlichen Präparate. Oral verfügbare Antibiotika mit Bedeutung für die Chirurgie sind in zusammengefasst.

Tab. 6.2 Substanzgruppen Penicilline

Penicillin G Aminopenicilline • Ampicillin • Amoxicillin Isoxazolylpenicilline

• Oxacillin Acylaminopenicilline

• Mezlocillin • Piperacillin

Cephalosporine

Basis-Cephalosporine (Gruppe 1 ) • Cefazolin Intermediär-Cephalosporine (Gruppe 2 ) • Cefuroxim Breitspektrum-Cephalosporine (Gruppe 3 ) • Cefotaxim • Ceftriaxon erweiterte Breitspektrum-Cephalosporine (Gruppe 4) • Ceftazidim • Cefepim

Aminoglykoside

Carbapeneme

• Gentamicin • Tobramycin • Netilmicin • Amikacin Gruppe 1 • Imipenem/Cilastatin • Meropenem Gruppe 2 • Ertapenem

Chinolone

Gruppe 2b • Ciprofloxacin Gruppe 3 • Levofloxacin Gruppe 4 • Moxifloxacin

ORSA-wirksame

Glykopeptide • Vancomycin • Teicoplanin Pristinamycine

• Quinupristin/Dalfopristin Oxazolidinone

• Linezolid Glycylcycline

• Tigecyclin Cephalosporine

• Ceftarolin Lipopeptide

• Daptomycin Sonstige

Makrolide • Clarithromycin Lincosamide

• Clindamycin Anaerobier- Antibiotika • Metronidazol empfehlenswert nur in Kombination mit β-Lactamase-Hemmern; stellvertretend für andere Substanzen dieser Gruppe; Gruppeneinteilung entsprechend den Empfehlungen der Paul-Ehrlich-Gesellschaft; Die Reihenfolge der Substanzen gibt nicht Qualität oder Wirksamkeit an. Breitspektrum-Antibiotika mit Wirkung auch im gramnegativen Bereich

Tab. 6.3 Übersicht über Generika, Handelsnamen und Dosierung Handelsname 1

Generikum

Dosierung

Penicillin G Ampicillin Ampicillin+Sulbactam Piperacillin Sulbactam

Penicillin G Binotal 2 Unacid Pipril 2 Combactam

3 × 10 Mega 3 3×2g 3×3g 3×4g 3×1g

Cefazolin Cefotaxim Ceftriaxon Ceftazidim Cefepim

Gramaxin 2 Claforan 2 Rocephin Fortum Maxipime

3×2g 3×2g 1×2g 3×2g 3 × 1,5 g

Imipenem/Cilastatin Meropenem Ertapenem

Zienam Meronem Invanz

3×1g 3×1g 1×1g

Ciprofloxacin Levofloxacin Moxifloxacin

Ciprobay 2 Tavanic Avalox

2 × 400 mg i. v., 2 × 500 mg p. o. 3 1 × 400 mg i. v., 1 × 500 mg p. o. 3 1 × 400 mg i. v., 1 × 500 mg p. o. 3

Gentamicin Amikacin

Refobacin 2 Biklin 2

1 × 3–4 mg/kg KG 1 × 1 mg/kg KG

Clindamycin

Sobelin 2

3 × 900 mg 3

Vancomycin Teicoplanin Quinupristin/Dalfopristin Linezolid Ceftarolin Daptomycin

Vancomycin Targocid Synercid Zyvoxid Zinforo Cubicin

4 × 500 mg (Spiegelbest.!) komplex, Aufsättigungsschema 3 × 5 mg/kg KG 2 × 600 mg 2 × 600 mg 4 mg/kg/Tag

Tigecyclin

Tigazyl

2 × 50 mg

Metronidazol

Clont 2

2 × 500 mg

Clarithromycin

Klacid

2 × 500 mg

Tab. 6.4 Oral verfügbare Antibiotika mit Bedeutung in der Chirurgie. Substanz

Handelsname

orale vs. parenterale Dosierung/Verfügbarkeit

Ampicillin (+ Sulbactam)

Unacid

1,5 g vs. 9 g/Tag

Amoxicillin (+Clavulansäure)

Augmentan

3,6 vs. 6,6 g/Tag

Ciprofloaxin

Ciprobay

2 × 500 vs. 2 × 400 mg

Levofloxacin

Tavanic

1 × 500 vs. 1 × 400 mg

Moxifloxacin

Avalox

1 × 500 vs. 1 × 400 mg

Clindamycin

Clindamycin

60–75 % orale Resorption

Clarithromycin

Klacid

In Deutschland nur oral

Vancomycin

Vancomycin

Oral 4 × 25 mg zur Behandlung der pseudomembranösen Enterokolitis

6.5.1 Penicilline Penicillin G Die Muttersubstanz Penicillin ist heutzutage noch ein hervorragendes Antibiotikum zur Bekämpfung von Streptokokken-Infektionen und zur Bekämpfung von sporenbildenden grampositiven Anaerobiern (Clostridien). Die infrage kommenden Infektionen stellen in der Regel schwere Krankheitsbilder dar, sodass die parenterale Form in hoher Dosierung (3 × 10 Mio. Einheiten) zum Einsatz gelangt. Als Zusatz zu einer Kombinationstherapie ist Penicillin G außerdem bei der nekrotisierenden Fasziitis indiziert, selbst wenn nicht bekannt ist, ob die Infektion dem Typ 2, der durch Streptokokken verursacht wird, zugehört. Die zusätzliche Gabe von Penicillin G bei der Fasziitis Typ 1 schadet nicht. Penicillin G: Streptokokken und Clostridien

Aminopenicilline (Ampicillin und Amoxicillin) Beide Substanzen sind heutzutage nur noch sehr begrenzt einsetzbar. Bedeutung haben sie als Basistherapie bei den häufiger werdenden Enterokokkeninfektionen, wobei die Wirksamkeit durch Kombination mit Gentamicin gesteigert werden kann, da die Einwirkung der Aminopenicilline die Aufnahme des Gentamicins in die Bakterienzelle und damit Bakterizidie ermöglicht. Angesichts der gravierenden Nebenwirkung der Aminoglykoside stellt diese Kombinationstherapie jedoch eher eine Ausnahmeindikation dar. Aminopenicilline dürfen nicht bei unbekanntem Erreger als kalkulierte Therapie eingesetzt werden, da ihr Spektrum zu schmal ist. Sie können jedoch als kalkulierte Therapie mit Cephalosporinen oder Chinolonen kombiniert werden, um ggf. deren „Enterokokkenlücke“ zu schließen. Amoxicillin ist auch oral verfügbar. Aminopenicilline: Enterokokken

Aminopenicilline mit β-Lactamase-Hemmer Ampicillin wurde mit dem β-Lactamase-Hemmer Sulbactam, Amoxicillin mit Clavulansäure kombiniert, um die Wirksamkeit gegen β- Lactamase bildende Bakterien zu gewährleisten. Die so entstandenen Kombinationen sind für einige Indikationen sinnvolle Kompromisse. Problematisch ist die Tatsache, dass die Clavulansäure eine späte Hepatotoxizität entwickelt und Sulbactam nur ein schwacher Hemmer der β-Lactamase ist. Bei Nachweis von ESBL kommen diese beiden Substanzen ohnehin in der Regel nicht als Therapie infrage, weil sie auch in Abwesenheit der inaktivierenden Enzyme die Keime nicht erfassen. Es kann aber sein, dass die β-Lactamase-Hemmer auch gegen die erweiterten β-Lactamasen wirksam sind. Dies ist eher bei der Clavulansäure der Fall. Man sollte solche Therapieversuche aber nur riskieren, wenn ein Scheitern nur vorübergehende und keinesfalls tödliche Folgen haben kann. Die Wirksamkeit im grampositiven Bereich ist jedoch unbestritten. So eignen sich die Substanzen einerseits zur Behandlung von extern infizierten Wunden, auch bei befürchteter Beteiligung von Anaerobiern ebenso wie zur Prophylaxe, andererseits ist auch eine Wirksamkeit gegen gramnegative Keime vorhanden, sodass z. B. bei einer Magenperforation durchaus der Einsatz dieser Präparate möglich ist. Ein Vorteil besteht gegenüber anderen Antibiotika in der Verfügbarkeit einer oralen Applikationsform. Die oral applizierbare Dosis ist jedoch deutlich geringer als die parenterale. Aminopenicillin mit β-Lactamase-Hemmer: Staphylokokken (OSSA), Prophylaxe in Abdominal- und Implantatchirurgie

Acylaminopenicilline (Mezlocillin, Piperacillin) Die letzte Entwicklungsstufe der Penicilline stellen die Acylaminopenicilline dar, die ein breites Spektrum im gramnegativen Bereich aufweisen. Dabei ist Piperacillin eines der wenigen Präparate, die auch gegen Pseudomonas wirksam sind. Im grampositiven Bereich haben diese Substanzen nur bei Mischinfektionen, an denen wahrscheinlich auch gramnegative Keime beteiligt sind, und bei unbekanntem Erreger eine Indikation. Aufgrund des bekannten Problems der β-Lactamase-Instabilität sollen diese Substanzen heutzutage grundsätzlich nicht mehr ohne Kombination mit einem βLactamase-Hemmer entweder in freier Kombination durch Hinzufügen von Sulbactam oder als fixe Kombination von Piperacillin und Tazobactam angewendet werden. Indikationen ergeben sich vor allem für Piperacillin z. B. bei sekundärer Peritonitis, aber auch bei anderen Infekten mit unbekanntem Erreger. Das breite Spektrum der Substanz unter Einschluss von Enterokokken und Anaerobiern macht es meist überflüssig, Kombinationen mit anderen Antibiotika zu bilden. Das Vorliegen von ESBL bedeutet nicht zwingend, dass die Substanzen, kombiniert mit β-Lactamase-Inhibitoren, unwirksam sind. Piperacillin und Tazobactam können in solchen Situationen wirksam sein, aber man muss davon ausgehen, dass die Wirksamkeit eingeschränkt oder nur in vitro vorhanden ist. Im Zweifelsfall muss die Problematik mit einem Mikrobiologen besprochen werden. Bei schweren Infektionen und Nachweis von ESBL sollte wegen unsicherer Wirksamkeit auf andere Substanzen ausgewichen werden. Acylaminopenicilline: Mischinfektionen mit unbekannten Erregern oder Kombination von gramnegativen und grampositiven Bakterien. Cave: ESBLBildner

6.5.2 Cephalosporine Ursprünglich teilte man die Cephalosporine nach Generationen ein. Dieses Prinzip ist aber weitgehend verlassen. Stattdessen bezeichnet man Basiscephalosporine, Intermediär-Cephalosporine, Breitspektrum-Cephalosporine und Pseudomonas-Cephalosporine. Die Einteilung der Paul-EhrlichGesellschaft bezeichnet die Gruppen mit Zahlen. Alle Cephalosporine sind unwirksam gegen Enterokokken und, mit Ausnahme des hier nicht besprochenen Cefoxitins, gegen Anaerobier. Die Oralcephalosporine spielen in der Chirurgie aufgrund der sehr schwachen oralen Resorption praktisch keine Rolle.

Basis-Cephalosporine (Cefazolin, Gruppe 1) Cefazolin ist geeignet zur gezielten Behandlung von Staphylokokken- und Streptokokkeninfektionen, bei gramnegativen Erregern nur bei nachgewiesener Sensibilität. Eine besondere Domäne ergibt sich in der Prophylaxe. Cefazolin ist in der Prophylaxe sowohl von Abdominaleingriffen, ggf. in Kombination mit Metronidazol, als auch mit seiner guten Gewebspenetration und Staphylokokkenwirksamkeit in der Fremdkörperimplantatchirurgie bei traumatologischen, orthopädischen, gefäßchirurgischen, viszeralchirurgischen und herzchirurgischen Eingriffen gleichermaßen anwendbar. Die Substanz kann nur parenteral appliziert werden. Cefazolin: Staphylokokken (OSSA), Prophylaxe in Abdominal- und Implantatchirurgie

Intermediär-Cephalosporine (Cefuroxim, Gruppe 2) Diese Substanzen haben gegenüber Cefazolin ein deutlich erweitertes Spektrum im gramnegativen Bereich, ohne jedoch im grampositiven Spektrum wesentlich an Wirksamkeit eingebüßt zu haben. Dennoch sind sie in den letzten Jahren ein wenig in den Hintergrund getreten, weil sie den echten Breitspektrum-Cephalosporinen nicht entsprechen und bei Verdacht auf Mischinfektionen von gramnegativen und grampositiven Keimen heute andere Substanzen mit breiterem Spektrum und daher mit einer höheren Sicherheit bei unbekanntem Erreger zur Verfügung stehen.

Breitspektrum-Cephalosporine (Cefotaxim, Ceftriaxon, Gruppe 3) Die Cephalosporine der Gruppe 3 waren über Jahrzehnte hochwirksame und nebenwirkungsarme Therapeutika bei gramnegativen Infektionen wie z. B. der sekundären Peritonitis. Im zurückliegenden Jahrzehnt ist die Anwendung dieser Substanzen jedoch zunehmend problematisch geworden, weil sie einerseits durch die ESBL inaktiviert werden und andererseits ihr Einsatz die Bildung von ESBL und das Überwuchern von ESBL-Bildnern induzieren kann. Demgegenüber wiegt die früher als Argument gegen die Therapie mit Cephalosporinen angeführte Überwucherung mit resistenten Enterokokken weniger schwer, obwohl auch dies als entscheidender Nachteil dieser Gruppe galt. Insgesamt ist nicht nur die objektiv geringe Wirksamkeit gegen einige Bakterien, die derzeit im Großen und Ganzen 15 % nicht überschreitet, das gravierende Problem, sondern vor allem die Unklarheit darüber, ob man mit der Therapie resistente Keime selektioniert oder Resistenzen induziert. Dies wird im Einzelfall schwierig zu entscheiden sein, es bleibt aber festzuhalten, dass man die Cephalosporine der Gruppe 3 nicht mehr bei lebensbedrohlichen Infektionen als alleiniges Therapeutikum einsetzen soll. In unserer Praxis werden sie jedoch durchaus bei sekundären Peritonitiden wie nach perforierter Appendizitis oder Sigmadivertikulitis eingesetzt, wenn keine besonders kritische Situation vorliegt. Die Tatsache, dass die wesentliche Säule der Therapie hier die Operation ist, kann ein solches Vorgehen rechtfertigen. Wir begrenzen den Einsatz dieser Substanzen aber auf Patienten, die keine besonderen Resistenzrisiken wie vorherige Antibiotikatherapie, vorhergehender Krankenhausaufenthalt oder Wohnsitz im Altenpflegeheim aufweisen. Cefotaxim, Ceftriaxon: Escherichia coli, Proteus, Klebsiellen, Serratia in unkritischen Situationen

Pseudomonas-Cephalosporine (Ceftazidim, Cefepim, Gruppe 4) Gegenüber den Cephalosporinen der Gruppe 3 stellen diese beiden Substanzen Erweiterungen der Therapieoptionen dar. Ceftazidim ist gegen Pseudomonaden wirksam und sollte zur Vermeidung unnötiger Resistenzbildungen auf diese Indikation beschränkt bleiben. Wegen der Gefahr relativ rascher Resistenzentwicklung ist hier eine Kombinationsantibiotikatherapie empfehlenswert. Cefepim ist gegen viele gramnegative Erreger stärker wirksam als andere Cephalosporine und auch als andere Substanzgruppen und deckt ebenfalls Pseudomonas mit ab. Da die Problematik der ESBL-Bildner in gleicher Weise wie für die Gruppe 3 auch für diese beiden Substanzen gilt, sollten beide nur bei kritischer Wertung der Indikation und nachgewiesener Sensibilität verwendet werden. Ceftazidim, Cefepim: Pseudomonas

Ceftarolin (Gruppe 5) Die Substanz Ceftarolin ist eine der wenigen Antibiotikaneuentwicklungen. Sie verfügt über die bemerkenswerte Eigenschaft einer Bakterizidie bei ORSA-

Keimen und bei Koagulase-negativen Staphylokokken. Damit füllt das Antibiotikum zweifelsohne eine wichtige Lücke. Bislang konnten ORSA mit Vancomycin oder Daptomycin bakterizid erfasst werden, aber Daptomycin ist nicht geeignet zur Behandlung von Pneumonien und Vancomycin hat den Nachteil einer schlechten Gewebsdiffusion und erheblicher Nephrotoxizität. Hier ist die gute Verträglichkeit der Cephalosporine von Vorteil. Die Substanz ist ansonsten im gramnegativen Bereich der Gruppe 3 vergleichbar, aber einerseits werden Mischinfektionen mit gramnegativen Erregern und ORSA sehr selten sein, andererseits gelten auch für Ceftarolin die durch die ESBL bedingten Wirksamkeitseinschränkungen im gramnegativen Bereich. Ceftarolin: ORSA

6.5.3 Carbapeneme (Imipenem/Cilastatin, Meropenem, Ertapenem) Die Carbapeneme sind über viele Jahre unverzichtbarer Bestandteil der Therapie schwerer Infektionen gewesen und sind in diesem Bereich auch weiterhin wirksam. Durch die ESBL, die bei hoher Konzentration auch Carbapeneme zerstören können, und durch Carbapenemasen sind jedoch Resistenzen aufgetreten, die die Einsetzbarkeit begrenzen. Wenn bei Nachweis von ESBL Carbapeneme noch wirksam sind, sollte mit dem Mikrobiologen Kontakt aufgenommen werden, um zu klären, ob die Substanzen mit ausreichender Sicherheit auch bei schweren Infektionen angewandt werden können. Wenn eines der Carbapeneme unwirksam geworden ist, müssen nicht zwangsläufig auch gegen die anderen Substanzen Resistenzen vorliegen. Die Indikationen bestehen weiterhin bei schweren Infektionen, wie Sepsis bei unbekanntem Erreger, da hier das gramnegative wie das grampositive Spektrum (Meropenem erfasst keine Enterokokken) wirkungsvoll abgedeckt wird. Bei immunkompromittierten Patienten und Fällen von postoperativer Peritonitis, die bereits antibiotisch anbehandelt worden sind, empfiehlt sich wegen der möglichen Selektion von Enterococcus faecium die Kombination mit einem Glykopeptid. Die neue Substanz Ertapenem verfügt nicht über alle Vorteile der beiden ursprünglichen Carbapeneme; denn sie deckt Pseudomonas nicht ab und ist gegen grampositive Erreger schwächer wirksam, ist aber zurzeit die wirksamste Substanz gegen die übrigen gramnegativen Bakterien, sofern keine Resistenzen vorliegen. Imipenem, Meropenem: schwere Mischinfektionen, Infektionen mit unbekanntem Erreger. Cave: ESBL

6.5.4 Chinolone/Gyrasehemmer (Ciprofloxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin) Die Chinolone, nach ihrem Angriffsort auch als Gyrasehemmer bezeichnet, befinden sich als hochwirksame oral und parenteral mit gleicher Wirksamkeit applizierbare Antibiotika seit ca. 15 Jahren auf dem Markt. Über viele Jahre war Ciprofloxacin die Referenzsubstanz und bestimmte die Ausrichtung dieser Antibiotika auf das gramnegative Spektrum. Neuere Präparate erfassen in höherem Maße auch grampositive Keime, die Resistenz gegen Chinolone hat jedoch in den letzten Jahren dramatisch zugenommen und liegt bei ca. 30 % für Escherichia coli als Leitkeim. Eine Besonderheit, die für Chinolone allgemein gilt, liegt in der gleichzeitigen Verfügbarkeit und praktisch gleichen Wirksamkeit von oraler und parenteraler Applikationsform. Eine Einschränkung der klinischen Anwendbarkeit muss gemacht werden, da vor Nebenwirkungen von Levofloxacin und Moxifloxacin in Rote-Hand-Briefen gewarnt wurde. Einige der Nebenwirkungen betreffen nur die orale Applikationsform, andere auch die parenterale Form. Dies resultiert in der Empfehlung, diese Antibiotika nur dann anzuwenden, wenn andere wirksame Präparate nicht zur Verfügung stehen. Da angesichts der geringen Anzahl von oral anwendbaren Antibiotika diese Situation nicht selten sein wird, muss umso sorgfältiger auf etwaige Nebenwirkungen geachtet werden.

Ciprofloxacin Das Spektrum von Ciprofloxacin umfasst vor allem die gramnegativen Keime einschließlich Pseudomonas. Für grampositive Infektionen sollte Ciprofloxacin ebenso wenig eingesetzt werden wie als Monosubstanz bei unbekanntem Erreger. Auch Enterokokken und Anaerobier werden von dem Präparat nicht erfasst, sodass ggf. auch diese Lücken geschlossen werden müssen. Schwere septische Krankheitsbilder sollten angesichts der Resistenz von ca. 30 % der Stämme bei Escherichia coli nicht mit Ciprofloxacin als Monosubstanz behandelt werden. Ciprofloxacin: Pseudomonas, in Kombination bei schweren gramnegativen Infektionen, Enterobacter

Levofloxacin Levofloxacin ist das linksdrehende Enantiomer des Razemats Ofloxazin und stellt die wirksame Komponente des Gemischs dar. Die Pharmakokinetik ermöglicht eine effektive Therapie mit nur einer täglichen Gabe sowohl parenteral als auch oral. Levofloxacin ist im gramnegativen Bereich etwas schwächer, im grampositiven Bereich etwas stärker wirksam als Ciprofloxacin und erfasst zusätzlich die atypischen Pneumonieerreger, Anaerobier und Enterokokken. Levofloxacin: Mischinfektionen mit unbekanntem Erreger oder mehreren sensiblen Erregern, Kombination!

Moxifloxacin Der neueste Vertreter der drei wichtigen Gyrasehemmer ist Moxifloxacin, eine Substanz, die im grampositiven Bereich wesentlich wirksamer ist als Ciprofloxacin und hier auch dem Levofloxacin überlegen ist. Dabei ist die Wirkung im gramnegativen Bereich schwächer, aber dennoch so ausgeprägt, dass Moxifloxacin sich für die kalkulierte Therapie von Mischinfektionen eignet. Moxifloxacin muss ebenfalls nur einmal pro Tag verabreicht werden und erfasst ebenfalls Anaerobier und atypische Erreger. Moxifloxacin: Mischinfektionen mit Leitkeim Staphylokokken; Staphylokokken und Streptokokken bei Penicillin-Allergie

6.5.5 Tigecyclin Seit einigen Jahren ist die Substanz Tigecyclin, ein Glycylcyclin, auf dem Markt. Es besteht strukturelle Verwandtschaft zu den Tetracyklinen, aber keine Kreuzresistenz. Die Substanz ist gegen Staphylokokken, Pneumokokken und auch gegen MRSA sowie Vancomycin-resistente Enterokokken wirksam. Im gramnegativen Bereich sprechen Escherichia coli gut an, Klebsiellen und Enterobacter sowie Proteus sind weniger empfindlich, Pseudomonas ist resistent. Überwiegend wirkt Tigecyclin bakteriostatisch, gegen einige Keime aber auch bakterizid. In der Zulassungsstudie wurde Tigecyclin als Monosubstanz mit Imipenem/Cilastatin bei schwerer abdominaler Sepsis verglichen und war nicht signifikant unterlegen. Von daher kann es eine wichtige Alternative mit zunehmender Bedeutung bei resistenten gramnegativen Stämmen sein. Tigecyclin: Reserveantibiotikum, grampositiv und gramnegativ, wirksam bei ESBL und Carbapenemasen

6.5.6 Aminoglykoside (Gentamicin, Amikacin) Die Substanzgruppe der Aminoglykoside ist nach wie vor im gramnegativen Bereich nahezu ohne Wirksamkeitsverlust einsetzbar. Spiegelbestimmungen sind jedoch auch bei der heute üblichen täglichen Einmalgabe der Gesamttagesdosis unumgänglich. Somit ergibt sich eine Indikation nur noch als Zweitsubstanz bei der Behandlung von schweren Pseudomonasinfekten. Amikacin kann bei Keimen mit besonders ausgeprägtem Resistenzspektrum noch wirksam sein, während andere Aminoglykoside ineffektiv geworden sind. Die Problematik von ESBL und Carbapenemasen kann aber im Bereich der Aminoglykoside in der Zukunft das Anwendungsspektrum wieder weiter werden lassen, denn gegenüber Aminoglykosiden haben sich aufgrund der seltenen Anwendung nur wenig Resistenzen ausgebildet, sodass die Gruppe auch als Reserveantibiotikum im gramnegativen Bereich gelten kann. Gentamicin, Amikacin: Pseudomonas, Reserveantibiotikum im gramnegativen Bereich

6.5.7 Clindamycin Clindamycin war über viele Jahre ein probates Mittel gegen β-Lactamase bildende Staphylokokken und weist dementsprechend eine gute Wirksamkeit im grampositiven Bereich auf. Aufgrund der Verfügbarkeit einer oralen Darreichungsform wurde es in der Vergangenheit vielfach zur Langzeitbehandlung von Osteomyelitiden mit grampositiven Erregern eingesetzt. Es ist gleichermaßen wirksam im Anaerobierbereich und galt lange Zeit in der Kombination mit Aminoglykosiden als die Standardtherapie der bakteriellen Peritonitis. Clindamycin hat jedoch unter allen Antibiotika das stärkte Risiko der Entwicklung einer pseudomembranösen Enterokolitis und ist daher heutzutage in vielen Indikationen hinter andere Antibiotika zurückgetreten.

6.5.8 Glykopeptide, Linezolid, Daptomycin, Quinupristin/Dalfopristin Eine Achillesferse antibiotischer Therapie stellten über viele Jahre Oxacillin-resistente Staphylokokken dar. Das gleiche Resistenzspektrum weist aber auch Enterococcus faecium auf, während Enterococcus faecalis es erwerben kann. Das Glykopeptidantibiotikum Vancomycin ist bis heute gegen die meisten dieser Keime wirksam, hat aber den Nachteil einer recht deutlichen Nephrotoxizität und der Erfordernis der Spiegelbestimmung. Die Nephrotoxizität ist bei Teicoplanin, einer Weiterentwicklung aus der gleichen Substanzgruppe, geringer. Enterococcus faecium kann gegen Vancomycin resistent werden, gegen Teicoplanin aber unter Umständen noch empfindlich sein. Bei schweren Infektionen mit Staphylokokken sollten die Glykopeptide mit Rifampicin kombiniert werden, bei schweren Enterokokkeninfektionen mit Gentamicin. Ein inzwischen schon seit vielen Jahren eingesetztes Antibiotikum ist das Oxazolidinonderivat Linezolid. Es hat aufgrund der wesentlich geringeren Molekülgröße eine bessere Diffusionsfähigkeit als Glykopeptide, ist aber nur bakteriostatisch wirksam. So tauchen die Keime relativ oft in einigem zeitlichem Abstand nach einer Behandlungsphase mit dem Präparat wieder auf. Die Substanz ist nebenwirkungsarm und zeichnet sich durch hohe Bioverfügbarkeit auch bei oraler Therapie aus, zudem sind bisher noch keine Resistenzen gegen Linezolid bekannt geworden. Als weiteres ORSA-Antibiotikum steht Daptomycin zur Verfügung. Die Substanz ist ebenfalls gut diffusionsfähig und bakterizid wirksam, eignet sich aber nicht zur Behandlung von Pneumonien. Seit einigen Jahren steht ein Präparat aus einer anderen Substanzgruppe, der Pristinamycine, zur Verfügung. Das Handelspräparat enthält zwei Substanzen, nämlich Quinupristin und Dalfopristin. Auch diese Kombination ist gegen ORSA und Enterococcus faecium wirksam, und dies sogar, wenn Resistenz gegen Glykopeptide besteht. Sie wirkt gegen Enterococcus faecalis jedoch schwächer als andere Präparate. Die Behandlungsmöglichkeit der ORSA-Infektionen mit Ceftarolin wurde bereits bei den Cephalosporinen erwähnt. Auch Tigecyclin ist gegen ORSA wirksam, wird aber als Breitspektrum-Antibiotikum und Reservesubstanz bei reinen grampositiven Infektionen eher nicht indiziert sein. Die Auswahl eines geeigneten Präparats aus der Gruppe der „ORSA-Antibiotika“ ist auch eine wirtschaftliche Entscheidung, da die neueren Präparate weitaus teurer sind als Vancomycin. Dennoch kann in den entsprechenden Fällen die wirksamere und nebenwirkungsärmere Therapie die wirtschaftlich günstigere Option darstellen. Glykopeptide, Linezolid, Daptomycin, Quinupristin/Dalfopristin: ORSA, resistente Enterokokken

6.5.9 Clarithromycin Makrolide haben typischerweise keine Indikation bei chirurgischen Krankheitsbildern. Eine Ausnahme macht die Besiedlung des Magens beim Ulcus ventriculi mit Helicobacter pylori. Clarithromycin ist hier ein Standardantibiotikum der sogenannten Eradikationstherapie.

6.5.10 Vancomycin oral, Fidaxomicin und Clont bei pseudomembranöser Enterokolitis Bei der pseudomembranösen Enterokolitis, die durch Clostridium difficile verursacht wird und als Folge jeder Antibiotikatherapie auftreten kann, wurde Vancomycin als nicht resorbierbare Substanz oral in der Dosierung von 4 × 125 mg verabfolgt. Man ist von dieser Therapie vielerorts abgewichen, weil in der Folge Vancomycin-resistente Enterokokken auftraten. Alternativ wird Clont verwendet. Fidaxomicin, eine neue Substanz aus der Gruppe der Makrozykline, ist ebenso gut wirksam wie Vancomycin, scheint aber seltener von Rezidiven gefolgt zu sein. Die Indikation ist jedoch derzeit sicherlich noch durch die hohen Tagestherapiekosten begrenzt. Die Bewertung der sogenannten Fäkaltransplantation als Therapie der pseudomembranösen Enterokolitis ist an dieser Stelle nicht möglich.

6.6 Bakterielle Indikationen Nicht selten sieht sich der Arzt mit der Situation konfrontiert, dass er angesichts einer Infektion zwar bereits den Erreger oder eine Erregergruppe eingrenzen kann, aber noch keine detaillierten Kenntnisse über die Chemosensibilität des Keims zur Verfügung stehen. In solchen Fällen ist eine Therapie, die auf der Kenntnis der Wirksamkeit gegebener Antibiotika gegen bestimmte Erreger basiert, von elementarer Bedeutung. Die bloße Kenntnis eines verursachenden Keims und in der Regel sogar nur der Erregergruppe bei einer Infektion ermöglicht die sinnvolle Auswahl eines Antibiotikums für die kalkulierte Ersttherapie. Andererseits ist aber auch bei vorliegender Resistenzbestimmung nicht unbedingt die ideale Therapie sichergestellt, denn bei Nachweis z. B. von Staphylokokken wird bei unproblematischer Resistenzlage auch Ceftriaxon oder Ciprofloxacin nach der In-vitroTestung als wirksam klassifiziert sein. Ohne grundlegende Kenntnis der sinnvollen Einsatzgebiete verschiedener Antibiotika hat der Arzt keine Möglichkeit, aus der vorliegenden Auswahl ( ) unter den Gesichtspunkten mikrobiologischer Wirksamkeit einerseits und resistenzepidemiologischer Erwägungen sowie wirtschaftlicher Aspekte andererseits ein für die Therapie geeignetes Präparat zu wählen. Daher seien hier für die verschiedenen häufig in der Chirurgie anzutreffenden Situationen Überlegungen zur Auswahl eines geeigneten Antibiotikums aufgeführt.

6.6.1 Grampositive Haufenkokken Dies bedeutet in aller Regel den Nachweis von Staphylokokken. Man muss unterscheiden, ob ein Risiko einer „ORSA-Infektion“ vorliegt oder ob mit ausreichender Wahrscheinlichkeit ein unproblematisches Resistenzspektrum zu erwarten ist. In aller Regel sind die Keime im Fall unproblematischer Resistenz mit Aminopenicillinen in Kombination mit β-Lactamase-Hemmern behandelbar. Diese Therapie kann auch oral appliziert werden, sofern die geringeren oral erzielbaren Wirkstoffspiegel als ausreichend angesehen werden können ( ). Das Chinolon Moxifloxacin, aber auch Levofloxacin ist hervorragend oral und parenteral geeignet, aber aufgrund seines breiten Wirkungsspektrums eher komplexen Situationen vorbehalten. Auch Clindamycin ist gegen Staphylokokken sehr wirksam, ist ebenfalls oral verfügbar und stellt somit bei Penicillin- oder Cephalosporin-Allergie eine gute Alternative dar. Wird eine parenterale Zufuhr gewählt, so stellt Cefazolin ein hochwirksames Präparat dar. Cefazolin und die Aminopenicilline sind die preiswertesten gegen Staphylokokken wirksamen Antibiotika. Es ist dabei hervorzuheben, dass bei Oxacillin-Sensibilität kein neueres und moderneres Antibiotikum eine bessere Wirksamkeit als diese Substanzen entfaltet. Liegen Oxacillin-resistente Erreger vor oder ist die Infektsituation so akut, dass in jedem Fall eine wirksame Behandlung noch vor Anfertigung des Resistogramms erforderlich ist und somit ORSA eingeschlossen werden müssen, so existieren heute eine Vielzahl von Substanzen, die für diese Behandlungen geeignet sind ( ). In der klinischen Praxis sind ORSA-Infektionen als Erstmanifestation der ORSA-Besiedlung jedoch rar. Viel eher werden die Keime in einem bekannten Infektherd nach längerer antibiotischer Behandlung bei Kontrollabstrichen nachgewiesen oder finden sich bei Eingangs-Abstrichuntersuchungen. Dann sind Hygienemaßnahmen, nicht aber eine antibiotische Behandlung erforderlich.

ABB. 6.2

Algorithmus zur Wahl des Antibiotikums bei Nachweis von Haufenkokken vor Kenntnis der Resistenz. [ ]

6.6.2 Grampositive Kettenkokken Kettenkokken umfassen Streptokokken und Enterokokken. Streptokokken sind nach wie vor eine Domäne der Behandlung mit Penicillin G, sodass der Nachweis von Kettenkokken auf jeden Fall Penicillin G in hoher parenteraler Dosierung einschließen sollte. Da Enterokokken gegenüber Penicillin resistent sind, empfiehlt sich in den Fällen, in denen auch ein Bakterium dieser Gruppe infrage kommt, die Therapie oder auch Kombination einem Aminopenicillin mit β-Lactamase-Hemmer. Bei sicherem Nachweis von Streptokokken ist in der Regel Penicillin G das Medikament der Wahl. Wenn sich die Keime als Enterokokken erweisen, besteht die Basistherapie aus einem Aminopenicillin. Andere Substanzen sind nicht besser wirksam als diese, jedoch ist zu bedenken, dass bei Mischinfektionen zwar nicht die Enterokokken, aber die Begleitkeime β-Lactamasen bilden können. Daher sind entweder Kombinationen mit anderen Antibiotika oder zumindest wieder mit β-Lactamase-Hemmern zu wählen. Das Resistenzspektrum von Enterococcus faecium entspricht dem der ORSA, wobei jedoch auch Vancomycin und Teicoplanin unwirksam sein können. Enterococcus faecalis kann dieses Resistenzspektrum erwerben. Typischerweise aber taucht dieser Keim erst nach mehreren anderen Antibiotikatherapien oder bei resistenzgeschwächten Patienten auf.

6.6.3 Grampositive Anaerobier Bei Nachweis dieser Keime handelt es sich in der Regel um Clostridien, wobei in der Chirurgie als Wundinfektionskeim in erster Linie Clostridium perfringens von Bedeutung ist. Schon bei Verdacht auf diesen Keim ist Penicillin G in höchster Dosierung einzusetzen. Der Nachweis von Clostridium perfringens ist aber, vor allem im Bauchraum nach Darmperforation, keinesfalls mit einer Gasbranderkrankung gleichzusetzen.

6.6.4 Gramnegative Stäbchen ( Escherichia coli, Proteus, Klebsiella, Enterobacter) Diese Erreger stellen eine typische bakterielle Problematik der Viszeralchirurgie dar, da sie die pathogenen Keime des Darmtrakts und hier vor allem des Dickdarms sind. Heutzutage steht ein breites Spektrum von Präparaten verschiedener Substanzgruppen zur Verfügung, aber während man früher nur bei Pseudomonas mit ernsthaften Resistenzproblemen konfrontiert wurde, sind die Resistenzen gegen die Hauptgruppen von Antibiotika inzwischen so weitverbreitet, dass generelle Empfehlungen sehr schwierig sein können. Beim Befund einer Infektion mit gramnegativen Stäbchen ist wieder nach der Schwere der Infektion und den Umständen vorzugehen. Bei lebensbedrohlichen Infektionen muss von vornherein praktisch das gesamte gramnegative Spektrum abgedeckt werden, was eine Therapie mit Carbapenemen, gegebenenfalls kombiniert mit Ciprofloxacin, erfordert ( ). Zunehmende Resistenzen können den Einsatz von Tigecyclin oder Aminoglykosiden rechtfertigen. Ist die Situation weniger bedrohlich, kann Piperacillin/Tazobactam eingesetzt werden. Cephalosporine der Gruppe 3 können zur Anwendung kommen, wenn ein vorübergehendes Scheitern der Therapie keine schwerwiegenden Konsequenzen hat und, wie z. B. bei der Behandlung einer Peritonitis, die chirurgische Maßnahme eine zweite Säule der Therapie darstellt.

ABB. 6.3

Algorithmus zur Wahl des Antibiotikums bei Nachweis von gramnegativen Stäbchen vor Kenntnis der Resistenz. [ ]

Pseudomonas Die Anzahl der gegen Pseudomonas wirksamen Antibiotika ist begrenzt. Einsetzbar sind hier Piperacillin in Kombination mit einem β-Lactamase-Hemmer, Ceftazidin, Cefepim, Ciprofloxacin, Levofloxacin, Aminoglykoside und Carbapeneme. Bei schweren Infektionen sollte eine Kombinationstherapie gewählt werden, da kein Antibiotikum mehr als ca. 85 % der Stämme erfasst und außerdem einer frühzeitigen Resistenzentwicklung und damit Unwirksamwerden der Therapie begegnet wird. Bei den Aminoglykosiden kann Amikacin noch wirksam sein, wenn gegen die anderen Substanzen Resistenzen bestehen. Bei der Auswahl des Chinolons sollte Ciprofloxazin aufgrund höherer Wirksamkeit der Vorzug gegeben werden

6.6.5 Anaerobe Darmbakterien Gramnegative Anaerobier sind die gegenüber den gramnegativen Stäbchen mit 1:1.000 überwiegenden Bewohner des Dickdarms. Die Erreger sind allein nur wenig virulent, gelangen aber bei Darmverletzungen in Kombination mit gramnegativen Stäbchen in die Bauchhöhle. Daraus ergibt sich ein bakterieller Synergismus, in dem die Anaerobier nach tierexperimentellen Ergebnissen für die Ausbildung von Abszessen verantwortlich sind. Sowohl prophylaktisch als auch therapeutisch wird in der Regel Metronidazol eingesetzt. Die gegen β-Lactamasen geschützten Penicilline ebenso wie Moxifloxacin, Levofloxacin und die Carbapeneme sind ebenfalls gegen diese Keime wirksam. Clindamycin ist aus Kostengründen und wegen seiner Nebenwirkungen in dieser Indikation

weitgehend verlassen.

6.6.6 Mischinfektionen Bei Nachweis mehrerer Erreger können die oben ausgeführten Empfehlungen kombiniert werden. Wenn lediglich der Verdacht auf eine Mischinfektion besteht, wird man ein antibiotisches Konzept anwenden, das – abgestellt auf die Schwere der Infektion – mehr oder weniger das gesamte Spektrum der Erreger abdeckt. Entsprechende Präparate/Kombinationen können z. B. Piperacillin und β-Lactamase-Hemmer oder bei schwereren Infektionen Imipenem und Teicoplanin oder Ciprofloxacin, Teicoplanin und Metronidazol sein, wobei Teicoplanin hier gegen Enterococcus faecium oder resistente Faecalis-Stämme gerichtet ist.

6.7 Mykosen Auch in der Chirurgie spielen Pilzinfektionen zunehmend eine Rolle, wenn auch die Bedeutung nicht an die Probleme immunsupprimierter Patienten in der inneren Medizin heranreicht. Der Nachweis der verschiedenen Candida-Formen erfolgt meist aus dem Abdomen bei Revisionseingriffen sowie aus Wund- und Trachealabstrichen und Urinkulturen. Aber auch Blutkulturen und Peritonealkulturen bei Perforationsperitonitiden oder bei nicht ausheilenden chronischen Zuständen kommen vor. Zumeist wird Candida albicans nachgewiesen. Daneben kommen Candida glabrata, Candida krusei und Candida tropicalis vor. Der einzige andere relevante Pilz ist Aspergillus, der als Lungenaspergillose, selten als Aspergillom in einer präformierten Kaverne auftritt. Während der Nachweis von Candida in der Blutkultur wohl immer und im Urin zumeist eine Behandlungsindikation darstellt, ist das Vorkommen in Wundabstrichen und der Peritonealhöhle als Befund bei der Erstoperation einer Peritonitis und im Tracheobronchialbaum weniger eindeutig zuzuordnen. Der Darm und die Körperostien sind oft Candida-besiedelt und von daher sind Kontaminationen häufig. In der Peritonealhöhle finden sich häufig Hefen nach Perforation von Magenulzera, ohne dass daraus eine Therapieindikation abzuleiten ist. Bei alten oder immunsupprimierten Patienten kann eher eine Therapie empfohlen werden. Anders verhält es sich beim Candida-Nachweis im Rahmen einer nicht ausheilenden, sogenannten tertiären Peritonitis oder nach mehrfachen abdominalen Revisionen. Hier ist eine intensive Therapie unumgänglich. Candida-Nachweis im Trachealsekret ist insofern nicht zwingend zu therapieren, als eine Candida-Pneumonie unbekannt und von daher eine absteigende Infektion nicht zu befürchten ist. Dennoch wird man bei schwerkranken Patienten auf der Intensivstation nicht selten eine Therapie anordnen, damit nicht eine weitere Besiedlung des geschwächten Patienten erfolgt. Wundkontaminationen sind ähnlich einzuschätzen. Der Nachweis von Aspergillus, zumal im Tracheobronchialsekret oder auch nur durch die typischen Lungenveränderungen im Thoraxröntgenbild oder heute zumeist im CT, muss eine entsprechende Therapie nach sich ziehen.

Antimykotische Therapie Bei chirurgischen Patienten reduziert sich die Vielzahl der auf dem Markt verfügbaren Antimykotika auf einige wenige Präparate, denn eine große Zahl der Antimykotika ist nur oral verabreichbar, sodass sie bei den zumeist schwerkranken Patienten der Chirurgie nicht infrage kommen. Durch Einführung des Conazolderivats Fluconazol ist die antimykotische Therapie gegenüber der früheren alleinigen Therapieoption mit Amphotericin B bei chirurgischen Patienten wesentlich erleichtert worden. Allerdings stößt dieses Präparat bei schweren Organmykosen rasch an die Grenzen der Wirksamkeit. Außerdem sind die Stämme Candida tropicalis, krusei und glabrata zwar nicht per se resistent, entwickeln aber doch häufig Resistenzen. Dennoch ist das Präparat bei Infektionen mit Candida albicans und insbesondere auch bei noch unsicherer Indikation aufgrund seiner Nebenwirkungsarmut sehr gut geeignet. Bei resistenten Stämmen und schweren Organmykosen kommen Voriconazol und Echinocandine infrage. Resistente Candida-Stämme scheinen am besten mit Echinocandinen, Aspergillus mit Voriconazol behandelbar zu sein. Voriconazol interferiert aufgrund der Metabolisierung über das Cytochrom-P450System mit zahlreichen anderen Arzneimitteln und muss somit in der Dosierung ebenso wie jene anderen Präparate ggf. angepasst werden. Beide Präparate werden schon allein wegen des Preises nur in wirklich gesicherten Fällen eingesetzt. Demgegenüber haben das frühere Standardantimykotikum Amphotericin B aufgrund seiner zahlreichen Nebenwirkungen und die lipidverkapselte Applikationsform Ambisome ® aufgrund ihres Preises kaum mehr eine Indikation.

6.8 Pathophysiologie der Infektion Eine der elementarsten Voraussetzungen für das Eindringen von Bakterien in den menschlichen Organismus stellt das Überwinden der wirksamsten Barrieren, nämlich der Haut und der Schleimhaut, dar. Gelingt Bakterien der Eintritt ins Gewebe, finden sich hier die Voraussetzungen, sich zu vermehren und den Organismus durch Toxine zu schädigen ( ).

Tab. 6.5 Faktoren mit Einfluss auf Ausmaß und Verlauf von Infektionen. • Anzahl der eingedrungenen Bakterien • Lokales Milieu • Eingesetzte chirurgische Technik • Pathogenität der Bakterien • Abwehrlage des Organismus Es liegt auf der Hand, dass eine hohe Zahl eingedrungener Bakterien die Entstehung einer Infektion begünstigt. Aber auch das lokale Milieu, wie durchblutungsgestörtes Gewebe und Nekrosen, Hämatome und vorhandenes Fremdmaterial, begünstigt seinerseits das bakterielle Wachstum. Andererseits kann der Chirurg durch schichtgerechtes und atraumatisches Operieren, durch korrekte Anastomosentechniken und sorgfältige Blutstillung das Infektionsrisiko niedrig halten. Die Pathogenität der Bakterien wird über Toxine vermittelt. Exotoxine sind im Zytoplasma gebildete Proteine, die aktiv von Bakterien freigesetzt werden. Endotoxine sind Moleküle der Zelloberfläche gramnegativer Bakterien, die nur bei einer Zellteilung oder beim Zelltod in die Umgebung gelangen. Während Exotoxine Wirtszellen direkt schädigen, wird Endotoxin an Makrophagen gebunden, die dadurch aktiviert werden und eine Reihe von inflammatorischen Zytokinen freisetzen. Die Zytokine sind der Zündstoff für die Aktivierung des körpereigenen Infektabwehrsystems. Der kontrollierte Ablauf der Entzündungsreaktion führt zur Restitutio ad integrum. Erst die inadäquat oder überschießend ablaufende Entzündungsreaktion, wie z. B. massive Freisetzung proinflammatorischer Zytokine, führt zur Schädigung des Makroorganismus, zur Sepsis mit und ohne Organversagen.

6.9 Infektionsformen 6.9.1 Abszess Ein Abszess ist eine eitrige Infektion, gekennzeichnet durch eine umschriebene Rötung, Schwellung und Schmerzhaftigkeit. Die Mikrobiologie reflektiert den Ausgangspunkt der Infektion ( ). So verursachen Staphylokokken kutane und subkutane Abszesse, während perianale und intraabdominale Abszesse eher eine Mischflora mit grampositiven und -negativen Bakterien enthalten. Diese Zusammenhänge sind bei einer geplanten Antibiotikatherapie zu berücksichtigen ( ).

Tab. 6.6 Typische Abszesslokalisationen. • Kutan und subkutan fast ubiquitär • Eitrige Haarfollikelentzündungen (Follikulitis, Furunkel, Karbunkel) • Schweißdrüsenabszess, am häufigsten in der Achselhöhle • Infizierter Sinus pilonidalis • Eitrige Proktodealdrüseninfektion (periproktitisch oder perianal) • Abszess in parenchymatösen Organen (z. B. Leber, Milz) • Intraabdominale Abszesse (Hohlorganperforation oder postoperativ)

Tab. 6.7 Indikationen zur Antibiotikatherapie bei Abszessen. • Immunkompromittierte Patienten (inkl. Diabetes mellitus) • Fieber und andere systemische Symptome • Sich lokal ausbreitende Infektion (flächenhafte Rötung, Lymphangitis) • Endokarditisprophylaxe bei kardiologischen Risikopatienten Während umschriebene kleinere Abszesse (z. B. Follikulitiden, kutane Abszesse) spontan perforieren und abheilen können, bedürfen größere Abszesse in der Regel einer Inzision und Drainage. Zur Vermeidung einer Keimverschleppung und ausreichenden Analgesie wird der Eingriff in der Regel in Allgemeinnarkose durchgeführt. Die Abszessinzision erfolgt über der Abszesskuppe, nach Entlastung des Abszesses wird ein Abstrich für die Mikrobiologie entnommen, die Abszesshöhle wird anschließend mit einem scharfen Löffel ausgekratzt. Es ist dafür zu sorgen, dass die Abszessöffnung ausreichend weit ist, um ein zu frühes Verkleben der Inzision zu vermeiden. In der Regel wird eine Drainage eingelegt, damit nachlaufendes Sekret ungehindert abfließen kann. Intraabdominal abgegrenzte Abszesse können Ultraschall- oder CT-gesteuert punktiert und drainiert werden. Dabei werden Saug-/Spülkatheter verwendet, über die täglich Kochsalzlösung appliziert wird, um eine Verdünnung der teilweise sehr zähen Abszessflüssigkeit zu erreichen. Häufig kann damit der Abszess zur Abheilung gebracht werden.

6.9.2 Erysipel Ein Erysipel ist eine flächenhafte Infektion der Kutis, gekennzeichnet durch ein scharf begrenztes, hochrotes und druckschmerzhaftes Erythem. Mikrobiologisch finden sich fast ausschließlich β-hämolysierende Streptokokken. Das Erysipel betrifft überwiegend die unteren Extremitäten und hier die Unterschenkelregion. Anders als bei der Phlegmone tritt die Schwellung mehr in den Hintergrund. Charakteristisch ist die intensive Rötung der Haut mit scharfer Randbegrenzung. Der Infektionsbeginn ist häufig durch Schüttelfrost und Fieberanstieg mit Beeinträchtigung des Allgemeinbefindens gekennzeichnet. Therapeutisch steht die konservative Therapie ganz im Vordergrund. Entscheidend ist die frühzeitige Gabe von Penicillin G, das hier Mittel der Wahl ist. In der Regel klingt diese Form der Entzündung innerhalb einer Woche ab. Lokalisiert sich die Entzündung auf die untere Extremität, ist aufgrund der Immobilisation stets eine Thromboseprophylaxe mit einem niedermolekularen Heparin indiziert.

6.9.3 Phlegmone Eine Phlegmone ist eine flächenhafte Infektion von Haut und Subkutis, gekennzeichnet durch eine äußerst druckschmerzhafte, ödematöse Schwellung und ein unscharf begrenztes, livid rotes Erythem. Phlegmonöse Entzündungen finden sich am häufigsten an den Extremitäten. Mikrobiologisch stehen β-hämolysierende Streptokokken ganz im Vordergrund. Phlegmonöse Entzündungen sind in erster Linie einer konservativen Therapie zuzuführen mit Ruhigstellung und kühlenden Umschlägen. Neben diesen physikalischen Maßnahmen ist eine Antibiotikatherapie indiziert. Bei begrenzter Ausdehnung der Phlegmonen können diese Antibiotika oral gegeben werden. Bei allen fortgeschrittenen Phlegmonen mit Beeinträchtigung des körperlichen Wohlbefindens sollte eine hoch dosierte parenterale Antibiotikatherapie durchgeführt werden. Bei täglichen Verbandswechseln wird der Verlauf der Phlegmone beurteilt. Im Normalfall klingt die Entzündung innerhalb von 5–7 Tagen ab, die Antibiotikatherapie sollte nicht länger als 10 Tage durchgeführt werden. Bei nicht abklingenden systemischen Infektzeichen (Fieber, Leukozytose, Allgemeinzustand) und persistierendem lokalem Befund oder Verdacht auf subkutane Einschmelzung ist die operative Revision (Inzision, Gegeninzision und Drainage) angezeigt.

6.9.4 Nekrotisierende Weichteilinfektionen Bei den nekrotisierenden Weichteilinfektionen handelt es sich um verschiedene Krankheitsbilder (nekrotisierende Fasziitis, Myositis, Fournier-Gangrän), die charakteristische Gemeinsamkeiten aufweisen: rasch fortschreitende Nekrosebildung von Haut, Unterhaut, Faszie und Muskulatur, verbunden mit systemischer Sepsis. Entsprechend der mikrobiologischen Pathogenese lassen sich zwei Infektionstypen mit unterschiedlichem Schweregrad unterscheiden: Typ I ist gekennzeichnet durch eine bakterielle Mischinfektion mit anaeroben und aeroben grampositiven und -negativen Bakterien. In diese Gruppe gehört z. B. die Fournier-Gangrän. Typ II wird ausgelöst durch β-hämolysierende Streptokokken der Gruppe A. Als Hauptvirulenzfaktor gilt dabei das auf der Zelloberfläche lokalisierte MProtein, das zusammen mit weiteren Toxinen zu einer raschen Vermehrung der Bakterien im Gewebe führt mit progredientem septischem Schock. Die Eintrittspforte der Bakterien ist häufig eine Bagatellverletzung der Haut. Die Infektion beginnt typischerweise an den Subkutan- und Muskelfaszien und respektiert keine anatomischen Gewebsgrenzen. Die Haut erscheint zunächst unbeteiligt, lässt aber im Verlauf durch livid-bläuliche Verfärbung die fortschreitende Nekrosebildung erkennen. Aufgrund der raschen Ausbreitung der Infektion ist ein konsequentes chirurgisches Vorgehen entscheidend. Problematisch ist dabei, dass anfänglich die Diagnostik durch fehlende Hautveränderungen erschwert wird. Therapeutisch ist einzig die radikale Exzision der entzündeten und nekrotischen Weichteile wirksam. Großzügig angelegte, längs verlaufende Inzisionen oder Entdachungen der betroffenen Hautbezirke

verschaffen Zugang zu den tiefer liegenden Schichten. Die Haut wird zur Ausräumung ggf. noch vorhandener subkutaner Abszesse mit dem Finger unterminiert. Es folgt ein ausgedehntes Débridement allen nekrotischen Gewebes unter Inkaufnahme von kosmetischen und auch funktionellen Einbußen. Die Antibiotikatherapie ist obligat und erfolgt rasch und kalkuliert. Typ-I-Infektionen werden mit Breitspektrum-Antibiotika behandelt, Typ-II-Infektionen mit Penicillin G und Clindamycin ( ).

Tab. 6.8 Behandlungsschema der Weichteilinfektionen. chirurgische Therapie

Antibiotika

Abszess

Inzision u. Drainage

Phlegmone/Erysipel

nur bei Einschmelzung

Penicillin G 3 × 10 Mio. IE

nekrotisierende Weichteilinfektionen

radikales Débridement

Typ I: Breitspektrum-Antibiotikum Typ II: Penicillin G 3 × 10 Mio. IE und Clindamycin 3 × 600 mg

Wegen der erschwerten Diagnostik und des damit verbundenen verzögerten operativen Vorgehens schwankt die Letalität trotz moderner Intensivtherapie zwischen 20 und 50 %.

6.10 Nosokomiale Infektionen Eine Krankenhausinfektion ist eine jede durch Mikroorganismen hervorgerufene Infektion, die im kausalen Zusammenhang mit einem Krankenhausaufenthalt steht, unabhängig davon, ob Krankheitssymptome bestehen oder nicht. Die konsequente Weiterentwicklung der Medizin mit neuen invasiven diagnostischen und therapeutischen Verfahren hat dazu geführt, dass ältere und auch multimorbide Patienten erfolgreich behandelt werden können. Vor allem bei schweren Krankheitsfällen sind sowohl der notwendige Intensivaufenthalt als auch der gesamte Krankenhausaufenthalt dann häufig verlängert. Ergänzt durch patientenbezogene Risikofaktoren und einen zu unkritischen Umgang mit Antibiotika, sind dies die wesentlichen Voraussetzungen für das Auftreten nosokomialer Infektionen. Erschwerend kommt hinzu, dass in Keimisolaten bei nosokomialen Infektionen der Anteil multiresistenter Bakterien in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen hat. Während der Anstieg des zahlenmäßig häufigsten Problemkeims (MRSA) durch verschiedene Maßnahmen ( ) gebremst werden konnte, gewinnen gramnegative multiresistente Erreger (ESBL, 3MRGN, 4MRGN) zunehmend an Bedeutung ( ).

Tab. 6.9 Die häufigsten multiresistenten Erreger Grampositiv

Abk.

Gramnegativ

Abk.

Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus

MRSA

Extended-Spectrum-β-Lactamasen bei Enterobakterien

ESBL

Vancomycin-resistente Enterokokken

VRE

gramnegative Erreger mit Resistenzen gegen 3 der 4 Hauptantibiotikagruppen

3MRGN

gramnegative Erreger mit Resistenzen gegen alle 4 Hauptantibiotikagruppen

4MRGN

Um die klinischen Konsequenzen dieser Entwicklung einzudämmen, hat die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) am Robert Koch-Institut (RKI) Empfehlungen erstellt. Diese Empfehlungen werden fortlaufend aktualisiert und ergänzt und sollten von Krankenhäusern und Ärzten beachtet und konsequent umgesetzt werden ( , letzter Zugriff: 16.12.2013). Zur Frage der Häufigkeit und Verteilung nosokomialer Infektionen wurde in Deutschland erstmals 1994 eine Prävalenzstudie (NIDEP-1) durchgeführt. Lange gab es danach keine aktualisierten Daten. Inzwischen hat das European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) ein einheitliches europäisches Protokoll erarbeitet und die Mitgliedsländer aufgefordert, nach diesem Protokoll eine aktuelle Prävalenzstudie durchzuführen. Aktuelle Daten aus dieser Erhebung liegen nunmehr vor. Unabhängig davon hat die Universität Jena ein Projekt gestartet, wissenschaftliche Grundlagen zu schaffen und zu zeigen, dass hierdurch die Rate an nosokomialen Infektionen gesenkt werden kann ( , letzter Zugriff: 16.12.2013). Die erhobenen Daten der jeweiligen Prävalenzstudien sind in zusammengefasst.

Tab. 6.10 Prävalenz nosokomialer Infektionen in Deutschland 1. Nationale Prävalenzstudie

2. Nationale Prävalenzstudie nach dem ECDC-Protokoll

Prävalenzstudie der Universität Jena

Kürzel

NIDEP

Jahr der Erhebung

1994

2011/12

ALERTS 2012

Gesamtrate

3,8 %

3,8 %

4,3 %

ECDC: European Centre for Disease Prevention and Control

Neben Prävalenzdaten wurden auch die häufigsten nosokomialen Infektionen erfasst ( ). Obwohl die Erhebung der Daten zu unterschiedlichen Erfassungszeiten erfolgte und unterschiedliche Protokolle angewendet wurden, ist es zu keiner generellen Reduktion der Prävalenz gekommen, und das, obwohl seit 1994 Surveillance-Maßnahmen eingeführt wurden. Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass sich das Patientenspektrum in den letzten 18 Jahren deutlich geändert hat. Eine weitere Auffälligkeit betrifft die deutliche Zunahme von Clostridium-difficile -Infektionen als Zeichen für einen zunehmenden Antibiotikaverbrauch im Betrachtungszeitraum.

Tab. 6.11 Die häufigsten nosokomialen Infektionen 1. Nationale Prävalenzstudie

2. Nationale Prävalenzstudie nach dem ECDCProtokoll ∗

Prävalenzstudie der Universität Jena

Harnwegsinfektion

35,4 %

23,2 %

40 %

Wundinfektion

33,5 %

24,3 %

15 %

Atemwegsinfektion

7,4 %

21,7 %

20 %

Katheterinfektion

5,7 %

8%

Clostridium-difficileInfektion

6,4 %

Gerade auch im Hinblick auf die Entstehung und Zunahme von Antibiotikaresistenzen wird es in Zukunft immer wichtiger sein, Grundlagen für einen rationalen Einsatz von Antibiotika zu schaffen. Genau diesen Weg verfolgt das Antibiotic Stewardship (ABS). Mit ABS ist ein programmatisches, nachhaltiges Bemühen einer medizinischen Institution um Verbesserung und Sicherstellung einer rationalen Antibiotikaverordnungspraxis gemeint. Darunter werden Strategien bzw. Maßnahmen verstanden, die die Qualität der Antibiotikabehandlung bezüglich Auswahl, Dosierung, Applikation und Anwendungsdauer sichern. ( , letzter Zugriff: 16.12.2013) Aus chirurgischer Sicht sind Wund- und Harnwegsinfektionen am häufigsten anzutreffen, eine detaillierte Darstellung dieser Infektionen soll hier erfolgen.

6.10.1 Wundinfektionen Postoperative Wundinfektionen sind definiert als Infektionen, die innerhalb von 30 Tagen nach der Operation auftreten. Wundinfektionen können prinzipiell nach jeder chirurgischen Hautinzision auftreten. Je mehr Keime eindringen, umso höher ist das Infektionsrisiko. Es gilt heute als gesichert, dass ab einer Zahl von 10 5 Bakterien pro mm 3 eine manifeste Infektion entsteht. Die Behandlung einer oberflächlichen Wundinfektion (Haut- und Subkutangewebe) besteht je nach Ausdehnung der Infektion in der teilweisen oder totalen Eröffnung der Operationswunde. Die Wunde wird anschließend mit Kochsalzlösung oder Leitungswasser gereinigt. Das Ausduschen der Wunde ist die einfachste Prozedur zum Säubern der Wunde und nach heutigem Kenntnisstand unbedenklich. Vorhandener Zelldetritus, Blut- und Plasmabestandteile sowie Gewebsnekrosen werden vorsichtig aus der Wunde entfernt (Débridement). Anschließend wird die Wunde desinfiziert. Dafür stehen heute Substanzen zur Verfügung, die rasch bakterizid wirken ( ) und keine Gewebstoxizität aufweisen (Octenidinhydrochlorid, Polyhexanid, PVP-Jod). Die Bakterienkonzentration in der Wunde wird reduziert und beeinflusst damit den weiteren Verlauf der Wundheilung nur unwesentlich. Den höchsten Stellenwert in der Heilung sekundärer Wunden hat das feuchte Wundmilieu.

Tab. 6.12 Einwirkzeit der verschiedenen Antiseptika Präparat

Einwirkzeit

Octenidinhydrochlorid

0,5–5 Min.

Polyhexanid

5–20 Min.

PVP-Jod

0,5–5 Min.

Die feuchte Wundbehandlung gilt heute als Standard bei sekundär heilenden Wunden. Die Auflagensysteme schaffen ein feuchtes Mikroklima, in dem Keime und Zelldetritus sicher aufgenommen und Voraussetzungen für die Bildung von Granulationsgewebe geschaffen werden. Die Wundauflagen müssen einen engen Kontakt zum Wundgrund haben. Da infizierte Wunden unterschiedliche Exsudatmengen produzieren, gibt es von den Herstellern verschiedene Produkte für sehr stark sezernierende, stark bis mäßig sezernierende und austrocknungsgefährdete Wunden. Bei der Vielzahl verfügbarer Produkte unterschiedlicher Hersteller ist es für den Anwender schwierig, einen Überblick zu bekommen (vgl. ). Hilfreich für die indikationsgerechte Auswahl der Wundauflagen ist die Kenntnis der Physiologie der Wundheilung (vgl. ):

• Die Entzündungsphase ist gekennzeichnet durch ein Exsudat, das Keime, Schmutz und abgestorbene Zellen enthält. Der Wundverband muss das Exsudat sicher aufnehmen und so die Wunde vor erneuter Kontamination schützen. Gleichzeitig soll die Wunde zur Unterstützung der körpereigenen Infektabwehr feucht gehalten werden. • Die Granulationsphase beginnt, wenn Gefäßneubildung und Proliferation von Bindegewebe einsetzen. Der Verband muss in dieser Phase zwar noch Sekret absorbieren, aber die Wunde auf jeden Fall feucht halten, um ein Verkleben mit dem Verband zu verhindern. Des Weiteren muss der Wundverband nach außen ein Eindringen von Keimen der Umgebung verhindern. • Die Reparationsphase wird auch Epithelisierungsphase genannt und kennzeichnet die letzte Phase der sekundären Wundheilung durch Einsprießung von Epithelzellen. Nur wenig Sekret sezerniert die Wunde. Der Verband muss dieses aufnehmen und gleichzeitig die Wunde vor Schorfbildung schützen, also feucht halten. In der Entzündungsphase mit hoher Sekretion sind Superabsorber aus Polyacrylat indiziert. Kein anderes Verbandsmaterial besitzt eine so starke Saugkraft. Das erhöht auch den Patientenkomfort, wenn der Verband nicht mehr mehrfach täglich durchnässt und unangenehm riecht. Gerade wegen der hohen Flüssigkeitsaufnahme muss darauf geachtet werden, dass die Wunde nicht austrocknet. Bei weniger stark sezernierenden Wunden kommen Alginate zum Einsatz. Die Kalziumionen im Alginat werden gegen Natriumionen aus dem Wundexsudat ausgetauscht. Dadurch entsteht ein lösliches Natriumalginat, das auf der Wundoberfläche ein feuchtes Gel bildet. Das Gel ist hydrophil, nimmt sehr viel Flüssigkeit auf und schließt aufgenommene Bakterien fest ein. Zur Verhinderung einer Kontamination von außen wird die Wunde mit einem Hydrokolloidverband oder Polyurethanschaumverband abgedeckt ( ).

Tab. 6.13 Einsatz von Wundauflagen Phase der sekundären Wundheilung

Auflage

Entzündungsphase

Superabsorber Alginate

Granulationsphase/Reparationsphase

Hydrokolloide Schaumstoffe

Bei trockenen Wunden mit Nekrosen kommen Hydrogele zum Einsatz. Hydrogele lösen Nekrosen und Fibrin und halten dabei ein feuchtes Wundmilieu aufrecht. In der Granulations- und Reparationsphase werden Hydrokolloidverbände angewendet. Sie bestehen aus zwei Anteilen. Die äußere Polyurethanschicht ist eine halbdurchlässige Membran, die Flüssigkeit von innen nach außen durchlässt, aber nicht umgekehrt. Im inneren des Verbandes befindet sich eine Matrix, die aus Zellulose oder einem anderen Geliermittel gebildet wird. Aufgrund der Semipermeabilität der äußeren Membran ist der Hydrokolloidverband duschdicht ( ). Bei oberflächlichen Wunden werden Schaumstoffe angewendet. Die Schaumstoffe geben selbst keine Feuchtigkeit ab, sondern halten die Wunde durch Exsudataufnahme feucht. Zusätzlich besitzen Schaumstoffe eine gute polsternde Eigenschaft. Bei größeren, tieferen oder stark sezernierenden Gewebsdefekten insbesondere nach chirurgischem Débridement wird die Vakuumversiegelung angewendet. Hierbei wird ein offenporiger Schaumstoff in die Wunde eingebracht, mit einer dichten Folie abgedeckt und über einen Drainageschlauch an eine Vakuumpumpe angeschlossen. Die Pumpe kann einen kontinuierlichen oder intermittierenden Sog aufbauen. Da der intermittierende Sog für den Patienten schmerzhaft ist, wird im Alltag in der Regel ein kontinuierlicher Sog aufgebaut. Wundsekret, Bakterien und Zelldetritus werden kontinuierlich abgesaugt und die Bildung von Granulationsgewebe wird gefördert. Die Vakuumversiegelung hat einen hohen Patientenkomfort und ist auch hygienisch vorteilhaft. Je nach Größe der Wunde und des eingelegten Schwammes sind Verbandswechsel nach 48–72 Std. erforderlich. Ist die Wunde komplett mit Granulationsgewebe ausgekleidet, kann die Vakuumversiegelung beendet werden. Die Wunde kann nunmehr durch eine Sekundärnaht direkt verschlossen oder weiter mit Wundauflagen behandelt werden. Ist bei einer tiefen Wundinfektion nach einer Laparotomie die Faszie ebenfalls infiziert, droht die Dehiszenz der Fasziennaht. Hier ist die operative Revision angezeigt. Analog der Behandlung einer nekrotisierenden Fasziitis muss das gesamte infizierte und/oder nekrotische Gewebe radikal entfernt werden. Unter Umständen ist danach ein primärer Faszienverschluss nicht mehr möglich, sodass ein Defektverschluss in der Regel mit einem Vicrylnetz durchgeführt wird. Auch hier kommt die Vakuumversiegelung zum Einsatz. Wichtig ist, dass der Schwamm keinen direkten Kontakt mit dem Darm bekommt, da sonst durch die Vakuumversiegelung ein hohes Risiko für die Entstehung einer enteralen Fistel besteht. Auch ein eventuell eingenähtes Vicrylnetz schützt den Darm nicht davor. Hier muss zum Schutz des Darms ein Silikonnetz unter dem Schwamm gelegt werden. Trotz dieser Erweiterungen der Behandlungsmöglichkeiten bei Wundinfektionen wird es bei einem Teil der Patienten aufgrund des steigenden Patientenalters und der Anzahl der Komorbiditäten weiterhin Problemfälle geben. Ein besonderes Augenmerk muss daher auf die Prävention von Wundinfektionen gelegt werden.

6.10.2 Harnwegsinfektionen Fast alle Harnwegsinfektionen treten katheterassoziiert auf, vor allem durch transurethrale Harnblasenkatheter, die überdies zu lange liegen. Bereits eine Einmalkatheterisierung führt in 1–5 % zu einer Bakteriurie. Bei postoperativen Kathetern steigt das Risiko mit zunehmender Liegedauer. Nach 7–10 Tagen findet sich fast bei jedem zweiten Patienten eine Bakteriurie. Der Katheter stellt die Leitschiene dar, an der Bakterien von außen oder von innen den Weg in die Harnblase finden. Einmal dort angekommen, können sich bereits geringe Mengen (ca. 100 Keime/ml) in 24–48 Stunden massenhaft vermehren (> 10 5 ). Dabei haften die Bakterien an der Katheteroberfläche und umgeben sich mit einer extrazellulären Matrix und entziehen sich so den körpereigenen Abwehrzellen und einer Antibiotikatherapie. Aus diesem Grund sollte die Indikation für einen transurethralen Blasenkatheter eng gestellt werden. Der Katheter sollte zum frühestmöglichen Zeitpunkt entfernt werden. Vor allem bei laparotomierten Patienten sollte statt des transurethralen ein suprapubischer Katheter angelegt werden, der einige Vorteile aufweist:

• Umgehen der Harnröhre • Keine postinstrumentelle Urethritis, Prostatitis oder Epididymitis • Deutlich reduzierte Bakteriurie-Rate • Spontanmiktion und Restharnbestimmung möglich • Geringer Pflegeaufwand • Geringe subjektive Patientenbelästigung Während es keine generelle Empfehlung zur Behandlung der asymptomatischen Bakteriurie gibt, sollte der unkomplizierte Harnwegsinfekt (Bakteriurie mit Symptomen) mit einem oralen Antibiotikum behandelt werden. In schweren Fällen (Bakteriurie mit systemischen Infektzeichen) sollte ein parenterales Antibiotikum mit Wirksamkeit im gramnegativen Bereich gegeben werden. Die Antibiotika-Prophylaxe bei Katheterismus ist obsolet.

6.10.3 Prävention nosokomialer Infektionen Obwohl in der Behandlung nosokomialer Infektionen Fortschritte erzielt wurden, bekommt die Prävention einen immer höheren Stellenwert insbesondere wegen der Zunahme multiresistenter Erreger. Auf der Basis der aktuellen Erkenntnisse zur Prävention nosokomialer Infektionen ist es die Aufgabe und das Ziel der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO), entsprechende Empfehlungen zu erstellen. Diese Kommission ist beim Robert Koch-Institut angesiedelt. Die Empfehlungen zur Prävention nosokomialer Infektionen schließen solche zu betrieblich-organisatorischen und baulich-funktionellen Maßnahmen der Hygiene, zum Hygienemanagement sowie Methoden zur Erkennung, Erfassung, Bewertung und gezielten Kontrolle dieser Infektionen ein (Näheres s. , letzter Zugriff: 16.12.2013). Im Alltag ist es im Krankenhaus insbesondere die konsequente Händedesinfektion, die ein Übertragen von Keimen verhindert. So wurde 2008 die „Aktion Saubere Hände“ ins Leben gerufen zur Verbesserung der Compliance der Händedesinfektion in deutschen Gesundheitseinrichtungen ( , letzter Zugriff: 16.12.2013). Von der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention wurden Empfehlungen für den perioperativen Verlauf erarbeitet, die nachweislich Einfluss nehmen auf die Rate postoperativer (Wund-)Infektionen:

• Präoperative Hospitalisierung so kurz wie möglich

• Infektionen außerhalb des OP-Gebietes präoperativ erkennen und behandeln • Präoperative Rasur, wenn überhaupt, dann kurzfristig präoperativ und nur elektrisch • Evidenzbasierte Antibiotika-Prophylaxe • Intraoperative Aufrechterhaltung der Körpertemperatur Gerade bei der Antibiotika-Prophylaxe ist es wichtig, streng nach Evidenz vorzugehen. Hierfür ist die Kontamination der Wunde entscheidend. Die Kontamination der Wunde ist abhängig von Art, Eingriffslokalisation und Dauer der Operation. Diese Zusammenhänge sind seit Mitte der 1960er-Jahre bekannt. Seitdem werden chirurgische Eingriffe in 4 verschiedene Kategorien eingeteilt ( ).

Tab. 6.14 Klassifizierung chirurgischer Wunden nach Kontaminationsgrad Kategorie

Klassifikation

Eingriffsart

Wundinfektionsrate

Beispiele

I

sauber

alle Eingriffe außerhalb von Hohlorgansystemen und ohne bakterielle Kontamination

Grundumsatz

• Akutphase (Minuten bis Stunden postoperativ) • Postaggressions- oder Übergangsphase (mehrere Tage postoperativ) • Reparationsphase (Tage bis Wochen postoperativ) Akutphase Die Akutphase tritt unmittelbar nach einem Trauma auf und beschreibt die akute Stressreaktion des Organismus. Es kommt zu einer vermehrten Ausschüttung von Katecholaminen, Glukokortikoiden und Glukagon sowie einer Supprimierung des Insulins. Der Organismus greift auf seine Reserven zurück und es tritt eine Proteolyse und Lipolyse ein. Therapeutische Ziele sind vordringlich die Stabilisierung der Vitalfunktionen, der Ausgleich des Wasser- und Elektrolythaushalts sowie des Säure-Basen-Haushalts. Eine Ernährung in dieser Phase ist nicht sinnvoll.

Postaggressionsphase Die Postaggressionsphase schließt sich der Akutphase an und dauert typischerweise 2–5 Tage. Sie ist gekennzeichnet durch einen Abbau der akuten Stressreaktion und eine zunehmende Stabilisierung der Vitalfunktion mit Übergang in die Reparationsphase. Die anti-insulinären Hormone (Glukagon) sind jedoch weiterhin erhöht und ein relativer Insulinmangel tritt auf, wodurch die Glukoseverwertung reduziert ist. Die Folge ist, dass der Organismus weiterhin Energie aus dem Abbau von Muskulatur und Fettgewebe gewinnt. Das Ausmaß der Proteolyse kann in dieser Phase durch die externe Zufuhr von Nährstoffsubstraten (Glukose, Aminosäuren, Fette) vermindert, jedoch nicht komplett verhindert werden. Die Stickstoffbilanz bleibt in dieser Phase negativ. Eine stufenweise Ernährungssubstitution sollte in dieser Phase begonnen werden mit dem Ziel, die ohnehin auftretende Katabolie zumindest zu reduzieren.

Reparationsphase Die Reparationsphase ist die abschließende Phase des Postaggressionsstoffwechsels und kann mehrere Wochen oder sogar Monate andauern. In dieser Phase ist die Akutreaktion beendet, die postoperative Inflammation und Hormonausschüttung normalisiert, Reparationsvorgänge werden durchgeführt und der Körper kann wieder exogenes Substrat verstoffwechseln und damit seine Energiedepots (Muskulatur und Fett) auffüllen. Die Stoffwechsellage ist anabol und der Patient kann voll ernährt werden. Wenn die orale Zufuhr nicht ausreichend möglich ist (in dieser Phase: exogene Zufuhr > Grundumsatz), sollte eine enterale oder parenterale Substitution erfolgen , , .

7.3 Energieumsatz Der basale Energieumsatz (oder Energieumsatz unter Ruhebedingungen), ist abhängig von Alter, Größe, Gewicht und Geschlecht. Er kann nach der Formel von Harris-Benedict berechnet werden , :

M ä nner: 66 + ( 13,7 × kg KG ) + ( 5,0 × Gr ö ß e [ cm ] ) − ( 6,8 × Alter ) Männer: 66 + ( 13,7 × kg KG ) + ( 5,0 × Größe [ cm ] ) − ( 6,8 × Alter )

Frauen: 655 + ( 9,6 × kg KG ) + ( 1,8 × Gr ö ß e [ cm ] ) − ( 4,7 × Alter ) Frauen: 655 + ( 9,6 × kg KG ) + ( 1,8 × Größe [ cm ] ) − ( 4,7 × Alter )

Der Ruheenergieumsatz nimmt mit dem Alter ab. So reduziert er sich zwischen dem 70. und 81. Lebensjahr um 15 bis 30 % . Der tatsächliche Energieverbrauch richtet sich zusätzlich nach der körperlichen Aktivität und dem Stress (z. B. durch Trauma). Um den Organismus im „Steady-State“ zu halten, muss täglich die Energie ersetzt werden. Für die klinische Routine reicht es aus, den täglichen Energiebedarf näherungsweise mit durchschnittlich 25– 30 Nicht-Protein-kcal/kg KG (optimales Körpergewicht) anzunehmen. Dabei berechnet sich das optimale Körpergewicht nach Hartig wie folgt:

M ä nner: 0,8 × ( K ö rpergr ö ß e [ cm ] − 100 ) + 10 kg Frauen: 0,6 × ( K ö rpergr ö ß e [ cm ] − 100 ) Männer: 0,8 × ( Körpergröße [ cm ] − 100 ) + 10 kg Frauen: 0,6 × ( Körpergröße [ cm ] − 100 ) + 20 kg + 20 kg

Problematisch ist die Abschätzung des Energiebedarfs von stark adipösen Patienten. Einige Autoren , , , verwenden ein sog. berichtigtes Körpergewicht als Berechnungsgrundlage:

optimales K ö rpergewicht + ( Ist − Gewicht − optimales K ö rpergewicht ) × 0,25 optimales Körpergewicht + ( Ist - Gewicht − optimales Körpergewicht ) × 0,25

7.4 Beurteilung des Ernährungsstatus Die Beurteilung des Ernährungsstatus bei Patienten sollte mithilfe eines in der Klinik etablierten Screening-Systems erfolgen und bei jedem Patienten präoperativ durchgeführt werden. Gerade vor großen viszeralchirurgischen Eingriffen bedarf es der frühestmöglichen Erkennung von ernährungsmedizinischen Risikopatienten. So kann bereits präoperativ eine Ernährungstherapie eingeleitet werden, die ggf. postoperativ fortgesetzt werden muss. Zur Erfassung des Ernährungszustands stehen mehrere klinisch anwendbare Methoden zur Verfügung, die im Zusammenhang bewertet werden müssen.

Klinische Methoden zur Beurteilung des Ernährungsstatus:

• Ausführliche Ernährungsanamnese (Essgewohnheiten, Gewichtsverlust, Inappetenz, Unverträglichkeiten, Erbrechen, Stuhlgangverhalten) • Körperliche Untersuchung (Anthropometrie, Körpergewicht, Körpergröße, BMI, Trizepshautfaltendicke, Oberarmumfang) • Screeningverfahren (z. B. SGA, NRS) • Laborparameter (z. B. Albumin, Präalbumin, Cholinesterase, RBP)

Klinisch wird eine Mangelernährung häufig lediglich anhand des aktuellen Körpergewichts bestimmt und dabei mit einem starken Untergewicht gleichgesetzt (Body-Maß-Index BMI < 18,5 kg/m 2 gemäß Definition der WHO). Diese Definition ist keinesfalls ausreichend, da auch schon bei kurzer Erkrankung und noch normalem BMI relevante ernährungsphysiologische Mangelzustände nachweisbar sein können. Wichtiger als das aktuelle Körpergewicht ist die Dynamik der Gewichtsabnahme. Daher können auch normal- oder übergewichtige Personen mangelernährt sein , , .

7.4.1 Screeningverfahren Für die Einschätzung des aktuellen Ernährungszustands stehen verschiedene Screening-Methoden zur Verfügung. Voraussetzung für die erfolgreiche Anwendung ist eine Screening-Methode, die zuverlässig, einfach, kostengünstig und schnell einsetzbar ist. Für den klinischen Einsatz haben sich in den letzten Jahren das Subjective Global Assessment (SGA) nach Detsky und das durch die europäische Gesellschaft für parenterale und enterale Ernährung (ESPEN) etablierte Nutritional Risk Screening (NRS) bewährt , , .

Subjective Global Assessment (SGA) Der SGA-Bogen erfasst den Gewichtsverlust, Veränderungen der Nahrungszufuhr im Vergleich zur üblichen Nahrungszufuhr, das Vorhandensein gastrointestinaler Symptome, die Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit und den durch die Erkrankung bedingten Nährstoffbedarf. Durch eine subjektive Beurteilung des Untersuchers erfolgt die Zuordnung in die Gruppe A (gut ernährt), Gruppe B (mäßig mangelernährt bzw. Verdacht auf Mangelernährung) oder Gruppe C (schwer mangelernährt).

Nutritional Risk Screening (NRS) Der NRS-Bogen wird in ein Vorscreening und Hauptscreening unterteilt. Wird im einfach anwendbaren Vorscreening (BMI < 20,5 kg/m 2 , Gewichtsverlust in den letzten 3 Monaten, verminderte Nahrungszufuhr in der letzten Woche vor dem Krankenhausaufenthalt, schwere Erkrankung) eine Frage mit „ja“ beantwortet, folgt das detaillierte Hauptscreening ( , ). Hieraus wird ein Risikoscore ermittelt und das weitere Vorgehen abgeleitet. Die prospektive Validierung des NRS zeigte für die klassifizierten Risikopatienten eine signifikant höhere Komplikationsrate von 30,6 % im Vergleich zu 11,4 % bei den Patienten ohne Risiko .

Tab. 7.2 Screening auf Mangelernährung im Krankenhaus – Nutritional Risk Screening (NRS 2002) – Vorscreening Vorscreening Ist der Body Mass Index < 20,5 kg/m 2 ?

☐ ja

☐ nein

Hat der Patient in den vergangenen 3 Monaten an Gewicht verloren?

☐ ja

☐ nein

War die Nahrungszufuhr in der vergangenen Woche vermindert?

☐ ja

☐ nein

Ist der Patient schwer erkrankt? (z. B. Intensivtherapie)

☐ ja

☐ nein

Wird eine dieser Fragen mit „ja“ beantwortet, wird mit dem Hauptscreening fortgefahren Werden alle Fragen mit „nein“ beantwortet, wird der Patient wöchentlich neu gescreent. Wenn für den Patienten z. B. eine große Operation geplant ist, sollte ein präventiver Ernährungsplan verfolgt werden, um dem assoziierten Risiko vorzubeugen (nach Kondrup et al. /deutsche Version nach Schütz et al. ).

Tab. 7.3 Screening auf Mangelernährung im Krankenhaus – Nutritional Risk Screening (NRS 2002) – Hauptscreening Hauptscreening

Punkte

Störung des Ernährungszustands Keine

0

Mild: Gewichtsverlust > 5 %/3 Monate oderNahrungszufuhr < 50–75 % des Bedarfs in der vergangenen Woche

1

Mäßig: Gewichtsverlust > 5 %/2 Monate oder BMI 18,5–20,5 kg/m 2 undreduzierter Allgemeinzustand oderNahrungszufuhr 25–50 % des Bedarfs in der vergangenen Woche

2

Schwer: Gewichtsverlust > 5 %/1 Monat (> 15 %/3 Monate) oderBMI < 18,5 kg/m 2 und reduzierter Allgemeinzustand oder Nahrungszufuhr 0– 25 % des Bedarfs in der vergangenen Woche

3

Krankheitsschwere Keine

0

Mild: z. B. Schenkelhalsfraktur, chronische Erkrankungen, Leberzirrhose, chronisch obstruktive Lungenerkrankung, chronische Hämodialyse, Diabetes, Krebsleiden

1

Mäßig: z. B. große Bauchchirurgie, Schlaganfall, schwere Pneumonie, hämatologische Krebserkrankung

2

Schwer: z. B. Kopfverletzung, Knochenmarktransplantation, intensivpflichtige Patienten (APACHE-II > 10)

3

Alter> 70 Jahre

1

Addition Punkte Ernährungszustand, Krankheitsschwere, Alter: • ≥ 3 Punkte: Ernährungsrisiko liegt vor, Erstellung eines Ernährungsplanes • < 3 Punkte: wöchentlich wiederholtes Screening. Wenn für den Patienten z. B. eine große Operation geplant ist, sollte ein präventiver Ernährungsplan verfolgt werden, um das assoziierte Risiko zu vermeiden (nach Kondrup et al. /deutsche Version nach Schütz et al. ).

7.4.2 Laborparameter Neben der Durchführung eines Screenings stehen in der Klinikroutine verschiedene Laboruntersuchungen zur Verfügung, die wertvolle Informationen zur Beurteilung des Ernährungszustands liefern ( ). Der ideale biochemische Marker sollte eine kurze Halbwertszeit haben, einfach bestimmbar sein, eine begrenzte homöostatische Regulation haben sowie unabhängig von assoziierten Vitaminen, Spurenelementen und begleitenden Erkrankungen sein . Bislang existiert jedoch kein Laborparameter, der diese Voraussetzungen vollständig erfüllt und zur alleinigen Diagnostik einer Mangelernährung bzw. zur Verlaufskontrolle einer Ernährungstherapie geeignet wäre. Die Beurteilung der Laborparameter muss somit stets im klinischen Kontext erfolgen, da Normalwerte eine Mangelernährung nicht ausschließen.

Tab. 7.4 Wertigkeit von Laborparametern zur Erfassung und Verlaufsbeurteilung von Ernährungsstörungen

Laborparameter

HWZ

Eignung zur Diagnostik

Eignung zur Verlaufskontrolle

Besonderheiten

Albumin

18 d

+/++



nicht für Akutphase (wg. langer HWZ)

Präalbumin (Transthyretin)

2d

++

++/+++

kurze HWZ,gute Wiedergabe von Proteinveränderungen

Cholinesterase

10 h

++

+++

bei Lebererkrankungen nicht aussagekräftig

Transferrin

8–10 d

+/–

+/–

kontrovers, abhängig von Fe-Haushalt

Retinol-bindendes Protein (RBP)

12 h

++

++/+++

vergleichbar Präalbumin

IGF-1

2–4 h

++

++

spezifischer als Präalbumin





zu unspezifisch

Lymphozytenzahl d = Tage; h = Stunden; HWZ = Halbwertszeit .

7.5 Häufigkeit und prognostische Bedeutung der Mangelernährung

7.5 Häufigkeit und prognostische Bedeutung der Mangelernährung Bei Durchführung eines systematischen Screenings zeigen sich bei mindestens 10–15 % aller chirurgischen Patienten Zeichen der Mangelernährung. Dieser Wert variiert stark in Abhängigkeit vom untersuchten Patientenspektrum und korreliert vor allem mit dem Alter des Patienten und dem Schweregrad der Erkrankung. In einer deutschlandweiten Studie an 1.886 Patienten in 13 Kliniken waren bei 27,4 % aller Patienten Zeichen einer Mangelernährung nachweisbar . Der Anteil bei über 70-jährigen Patienten war mit 43 % signifikant höher als der Anteil bei unter 30-jährigen Patienten mit 7,8 %. Die höchste Prävalenz zeigt sich in geriatrischen (56,2 %), onkologischen (37, 6 %) und gastroenterologischen (32,6 %) Abteilungen ( ).

Tab. 7.5 Häufigkeit von mangelernährten Patienten in Abhängigkeit von der behandelnden Fachabteilung Fachrichtung

Absolute Anzahl

Prozent

Geriatrie

172/306

56

Onkologie

38/100

38

Gastroenterologie

89/273

33

Sonstige innere Medizin

81/305

27

Kardiologie

44/201

22

Urologie

15/102

15

Chirurgie

70/512

14

Gynäkologie

7/87

8

∗ Anteil

mangelernährter Patienten am Gesamtpatientengut

.

Wesentliche Risiken einer präoperativen Mangelernährung

• Vermehrtes Auftreten postoperativer Komplikationen • Erhöhte Wundinfektionsrate • Erhöhte Letalität • Verlängerte Krankenhausverweildauer • Erhöhung der Behandlungskosten

Die gegenwärtige Studienlage deutet darauf hin, dass der schlechtem Ernährungsstatus bzw. das Vorliegen von ernährungsphysiologischen Mangelerscheinungen mit der Häufigkeit nosokomialer Infektionen korreliert und damit den Therapieerfolg in entscheidendem Maße gefährden kann. In einer prospektiven Studie an 524 Patienten mit gastrointestinalen Operationen zeigte sich ein 5,6-fach erhöhtes Risiko für eine Wundinfektion und eine um 7 Tage verlängerter Liegedauer bei Patienten mit nachgewiesener Mangelernährung bzw. Hypalbuminämie . Darüber hinaus bestätigte eine Kohortenstudie der Veterans Administration an 87.078 chirurgischen Patienten den Nachweis eines erniedrigten Serumalbumins und einen Gewichtsverlust von > 10 % als Hauptrisikofaktoren für eine Erhöhung der 30-Tage-Letalität . Eine europäische Studie an 5.051 Patienten in 26 Kliniken bestätigte, dass die durch einen Screeningbogen erfassten Risikopatienten mehr infektiöse sowie nichtinfektiöse Komplikationen, eine längere stationäre Liegedauer und eine höhere Letalität aufwiesen als Nicht-Risikopatienten .

7.6 Präoperative Ernährung Der Großteil aller chirurgischen Patienten benötigt vor einem operativen Eingriff keine zusätzlichen Ernährungsmaßnahmen. Der Aufmerksamkeit des behandelnden Arztes und dem Einsatz eines Routine-Screenings kommt daher besondere Bedeutung zu, um Patienten mit Mangelernährung herauszufiltern und diese einer präoperativen Ernährungstherapie zuzuführen ( ).

Tab. 7.6 Präoperative Beurteilung des Ernährungsstatus und davon abhängige Empfehlung zur Ernährungstherapie. Ernährungsstatus

Erfassung

Präoperative Ernährung

normal

• NRS Vorscreening alle Fragen „nein“ • BMI normal • kein Gewichtsverlust • Albumin/Präalbumin normal

• keine Ernährungstherapie • Nüchternheitsphasen minimieren • orale Kost bis Vorabend • flüssige Kost bis 2 h präoperativ

mangelernährt

• NRS-Vorscreening mit „ja“ • NRS-Hauptscreening ≥ 3 (z. B. Gewichtsverlust > 5 %, große OP, Alter > 70)

• Ernährungstherapie indiziert • Nüchternheitsphasen minimieren • leichte Vollkost • zusätzlich 5–7 Tage präoperativ Trink- oder Sondennahrung (750 ml/d)

schwer mangelernährt

• NRS-Vorscreening mit „ja“ • NRS-Hauptscreening ≥ 3(z. B. Gewichtsverlust > 10–15 %, BMI < 18,5 kg/m 2 • Serumalbumin < 30 g/l)

• Ernährungstherapie (s. o.) über 10–14 d • Aufschiebung elektive OP erwägen

Bei der präoperativen Ernährung sollten folgende Kriterien beachtet werden:

• Weitgehende Minimierung der präoperativen Nüchternheitsphasen

• Differenzierung zwischen normalernährten, mangelernährten und schwer mangelernährten Patienten • Durchführung einer weitgehend oralen oder enteralen Zufuhr und bedarfsweise parenteralen Applikation

Grundsätzlich sollten für alle Patienten längere oder rezidivierende präoperative Nüchternheitsphasen minimiert werden. Sofern keine spezifischen Kontraindikationen vorliegen, darf der Patient bis 6 Stunden präoperativ feste Nahrung und bis 2 Stunden präoperativ klare, das heißt fettfreie Flüssigkeit zu sich nehmen. Am Tag vor der Operation sollte der Patient bis zum Abend seine gewohnte Kost zu sich nehmen. Die orale Einnahme eines Glukosegetränks am Abend vor der Operation und nochmals 2 Stunden vor der Narkose (z. B. Kohlenhydrat-Drink oder Protein-Drink) bewirkt eine Verminderung der postoperativen Glukoseresistenz, ohne die Aspirationsgefahr zu erhöhen . Bei nicht-mangelernährten Patienten (z. B. im NRS-Vorscreening alle Fragen mit „nein“ beantwortet) ist eine zusätzliche präoperative Ernährungstherapie prinzipiell nicht erforderlich. Beachtet werden sollte aber, dass es unter stationären Bedingungen immer wieder zu längeren Nüchternheitsphasen kommt, um diagnostische Maßnahmen oder andere Operationsvorbereitungen durchzuführen. Wenn absehbar ist, dass diese präoperativen Nahrungspausen dazu führen, dass die Nahrungszufuhr für mindestens 5 Tage unter 500 kcal/Tag oder für mindestens 10 Tage unter 60 % des errechneten Bedarfs liegt, ist auch bei primär nicht-mangelernährten Patienten eine zusätzliche Ernährungstherapie zum Ausgleich des Defizits indiziert , . Für mangelernährte Patienten (z. B. NRS-Hauptscreening ≥ 3) ist die Reduktion der präoperativen Nüchternheitsphase ebenfalls sinnvoll, aber nicht ausreichend, um das ernährungsbedingte postoperative Risiko zu reduzieren. Vor allem vor elektiven Eingriffen kann bei dieser Patientengruppe idealerweise bereits 5–7 Tage vor dem geplanten Eingriff eine konditionierende Ernährungstherapie erfolgen mit einer täglichen Menge von 500–750 ml. Diese kann (auch prästationär) zusätzlich zur regulären Normalkost mit einer sogenannten immunmodulierenden Trink- bzw. Sondennahrung verabreicht werden. Im Vergleich zu Standardprodukten sind diese Produkte mit Glutamin, Arginin, Omega-3-Fettsäuren und Nukleotiden angereichert. In mehreren Studien konnte gezeigt werden, dass so die perioperative Morbidität und Mortalität signifikant gesenkt werden kann . Wenn diese Formulardiäten nicht vertragen werden, kann alternativ eine iso- (1 kcal/ml) oder hochkalorische (z. B. 1,5 kcal/ml) eiweißreiche Trink- oder Sondennahrung verabreicht werden. Bei einer schweren Mangelernährung mit hohem ernährungsmedizinischem Risiko sollte das Aufschieben einer elektiven Operation zur Durchführung einer längerfristigen gezielten Ernährungstherapie über 10–14 Tage erwogen werden .

Kriterien für das Vorliegen einer schweren Mangelernährung

• Gewichtsverlust > 10–15 % des Körpergewichts in den vergangenen 6 Monaten • BMI < 18,5 kg/m 2 • Serumalbumin < 30 g/l (keine Einschränkung der Leber- und Nierenfunktion)

Unabhängig vom Ernährungszustand des Patienten ist die orale Zufuhr der Nahrung und der Nahrungszusätze grundsätzlich zu bevorzugen. Bei älteren und multimorbiden Patienten, Tumoren oder Stenosen im oberen Gastrointestinaltrakt sowie vorbestehenden intestinalen Passagestörungen ist die orale Nahrungsaufnahme häufig nicht ausreichend möglich. In diesen Fällen ist die enterale (z. B. über Sonden, Jejunalkatheter oder vorbestehende Gastrostomie) der parenteralen Applikation über einen peripheren oder zentralvenösen Zugang unbedingt vorzuziehen. Die Indikation zur total parenteralen Ernährung besteht nur bei absoluten Kontraindikationen für eine enterale Ernährung wie z. B. einer ausgeprägten intestinalen Obstruktion (Ileus) oder einem schweren Schockzustand mit Kreislaufinstabilität. In allen anderen Fällen sollte der Versuch einer enteralen Ernährung erfolgen, ggf. als duales Ernährungskonzept mit kombiniert enteraler/parenteraler Zufuhr. Zur Berechnung des präoperativen Energiebedarfs wird je nach Alter und körperlicher Aktivität ein Wert von 30–35 kcal/kg Körpergewicht angenommen. Bei Übergewichtigen orientiert sich die Berechnung am Soll-Gewicht, bei Untergewichtigen nach dem Ist-Gewicht. Die Proteinzufuhr sollte gegenüber der normalen Zufuhr von 0,8–1,0 auf 1,2–1,5 g/kg KG/Tag gesteigert werden, um die erhöhten Muskelproteinverluste auszugleichen. Die zusätzliche Zufuhr von Vitaminen, Spurenelementen und Elektrolyten ist vor allem bei mangelernährten und schwer mangelernährten Patienten zu beachten. Zahlreiche der fertig verfügbaren Trink-, Sonden- und Infusionslösungen entsprechen weitgehend den genannten Anforderungen , , , , .

7.7 Postoperative Ernährung Traditionell beschäftigte sich die Viszeralchirurgie vor allem mit der postoperativen Ernährung. Grund hierfür war die über viele Jahrzehnte vertretene Annahme, dass durch lange postoperative Nüchternheitsphasen von bis zu 10 Tagen die gastrointestinalen Anastomosen weniger belastet seien und damit deren Heilungschancen verbessert würden. Entsprechend benötigten nahezu alle Patienten nach ösophago-gastralen, intestinalen oder kolorektalen Resektionen eine mehr oder minder lange Phase der total parenteralen Ernährung. Erst durch die sichere Etablierung des sogenannten Fast-Track- oder ERAS-Konzepts (Enhanced Recovery After Surgery, ) in zahlreichen Studien wurde gezeigt, dass eine längere postoperative Nüchternheit für die Mehrzahl aller Patienten nicht erforderlich ist , . Der Schwerpunkt der perioperativen Ernährung liegt somit heute vor allem in der gezielten Optimierung des präoperativen Ernährungsstatus durch geeignete Ernährungstherapien ( ). Generell ist eine postoperative Unterbrechung der Nahrungszufuhr nur so lange erforderlich, bis der Patient nach der Narkose wieder ausreichend wach ist, um ohne Aspirationsgefahr zu schlucken. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin hat in ihren Leitlinien die nachfolgenden Empfehlungen für den postoperativen Kostaufbau festgelegt und mit Evidenzgraden belegt (A = Daten aus mehreren ausreichend großen, randomisierten Studien oder Metaanalysen; B = Daten aus einer randomisierten Studie oder mehreren nicht-randomisierten Studien oder Registern; C = Konsensus-Meinung der Expertengruppe).

• Generell soll postoperativ die Nahrungszufuhr nicht unterbrochen werden (A). • Der orale Kostaufbau sollte sich vor allem nach der Toleranz des Patienten richten (C). • Ein oraler bzw. enteraler Kostaufbau binnen 24 Stunden nach OP wird empfohlen (A). • Auch nach Anastomosen an Kolon und Rektum kann ab dem ersten postoperativen Tag mit der oralen Nahrungszufuhr begonnen werden (A). • Für Anastomosen am oberen Gastrointestinaltrakt ist für die ersten Tage die enterale Zufuhr über eine distal der Anastomose liegende Sonde zu empfehlen (A). Damit kann die orale oder enterale Nahrungsaufnahme bereits wenige Stunden nach einer Operation beginnen. Ein verzögerter Kostaufbau führt zu einer Erhöhung des Infektionsrisikos und verlängert die Krankenhausverweildauer, sie sollte somit vermieden werden . Analog zur präoperativen Ernährung gilt, dass die Nahrungszufuhr nach Möglichkeit oral erfolgen sollte. Damit gilt für postoperative Patienten die Grundregel: „So viel orale und enterale Ernährung wie möglich, so viel parenteral wie nötig“ .

7.7.1 Enterale Ernährung Die postoperativ erforderliche Zufuhr von Nährstoffen ist auf oralem Weg nicht immer vollständig zu erzielen. Mögliche Gründe sind Sedierung des Patienten, fehlende Compliance, postoperative Übelkeit, intestinale Passagestörungen, Diarrhöen oder Obstruktionen. In einer Studie an intensivmedizinischen Patienten wurde gezeigt, dass nur bei etwa 50 % der Patienten eine ausreichende Kalorienmenge appliziert werden konnte . Für diese Patientengruppe muss der zusätzlich erforderliche Nährstoffbedarf ggf. parenteral oder besser enteral zugeführt werden. Ist bereits präoperativ absehbar, dass eine ausreichende orale Nahrungszufuhr erst nach Tagen erreicht werden kann (z. B. nach größeren hals- oder viszeralchirurgischen Operationen wie Laryngektomie, Ösophagusresektion, Pankreasresektion oder bei Polytraumen), empfiehlt sich bereits die intraoperative Platzierung einer intestinalen Ernährungssonde ins obere Jejunum, ca. 15–20 cm hinter dem Treitz-Band. Dieser sogenannte Jejunalkatheter wird perkutan ausgeleitet und kann nach Abschluss des Kostaufbaus ohne weitere Narkose leicht entfernt werden. Alternativ kann post- oder intraoperativ (sichere Platzierung durch Palpation) eine nasogastrale oder nasojejunale Sonde eingebracht werden. Diese birgt jedoch im Vergleich zur jejunalen Sonde ein erhöhtes Refluxrisiko und Pneumonierisiko , , . Die Ernährung über intestinale Sonden sollte pumpengesteuert erfolgen und bereits innerhalb der ersten 24 Stunden nach einer Operation mit einer Geschwindigkeit von 5–10 ml/h beginnen. Die Applikation wird bei guter Verträglichkeit langsam und kontrolliert um 10–20 ml/h pro Tag gesteigert bis zu einer maximalen Rate von 200 bis 250 ml/h bei gastraler und 100–150 ml/h bei jejunaler Sondenlage. Zur Reduktion und Quantifizierung des gastroösophagealen Refluxes bei beatmeten Patienten kann eine Oberkörperhochlagerung (30–45°) und die mehrfache Unterbrechung (3–4 Pausen á 30 Minuten) der Ernährung erfolgen. Um die Sonden durchgängig zu halten, sollten sie vor und nach jeder Nahrungsapplikation, aber mindestens zweimal täglich mit etwa 20 ml körperwarmer Spülflüssigkeit durchgespült werden (gut geeignet: Trinkwasser, stilles Mineralwasser; nicht geeignet: schwarzer Tee, Fruchtsäfte) , , , , . Eine zusätzlich erforderliche Flüssigkeitszufuhr (ca. 40 ml/kg KG/Tag) wird parenteral appliziert.

7.7.2 Parenterale Ernährung Die Indikation zur parenteralen Ernährung für chirurgische Patienten wird nach den vorliegenden Leitlinien nur dann empfohlen, wenn die orale oder enterale Kalorienzufuhr über mehr als 7–10 Tage unter 60 % des errechneten Bedarfs liegt und ein zentralvenöser Zugang zur parenteralen Ernährung bereits vorhanden ist. Nach großen operativen Eingriffen, postoperativen Komplikationen und Langzeit-Intensivaufenthalten dauert es unter Umständen mehrere Wochen, bis eine vollständige enterale Nahrungszufuhr möglich wird. Grundsätzlich sollte immer versucht werden, dass zumindest ein Teil der Nahrung auf oralem oder enteralem Wege zugeführt wird (duales Ernährungskonzept). Selbst eine nur minimale enterale Ernährung von 10 ml/h reduziert das Auftreten einer intestinalen Zottenatrophie , . Die Indikation zum Einsatz einer totalen parenteralen Ernährung ergibt sich nur beim Vorliegen von Kontraindikationen zur enteralen Ernährung wie z. B.:

• Vollbild des Ileus • Akutes Abdomen • Gastrointestinale Leckage • Ausgeprägter Reflux

Bei relativen Kontraindikationen (Subileus, paralytischer Ileus, Darmatonie, enterokutane Fistel, Anastomoseninsuffizienz, abdominales Kompartmentsyndrom) kann dagegen zumindest eine minimale enterale Ernährung zugeführt werden. Die parenterale Ernährung kann über einfach und sicher anwendbare industriell vorgefertigte Zwei- (Glukose und Aminosäuren) oder Drei-Kammer-Beutel (Glukose, Aminosäuren und Fett) verabreicht werden. Für die Standardzufuhr von Vitaminen und Spurenelementen gibt es zusätzlich Mischpräparate, die täglich zugeführt werden müssen, da diese Substanzen in der Ernährungslösung nicht lange genug stabil bleiben , .

7.8 Fast Track Der Begriff Fast-Track-Therapie beschreibt ein multimodales, interdisziplinäres und interprofessionelles Behandlungskonzept, welches die postoperative Rekonvaleszenz des Patienten durch den prä-, intra- und postoperativen Einsatz evidenzbasierter Maßnahmen optimiert. Der Patient soll auf eine „schnelle Schiene“ oder Überholspur gesetzt werden und sich rasch von den eingriffsbedingten Beeinträchtigungen und Veränderungen erholen. In der Literatur wird synonym der Begriff Enhanced Recovery after Surgery (ERAS) verwendet. Grundsätzlich geht man dabei davon aus, dass die pathophysiologischen Veränderungen nach einer Operation, wie z. B. der Postaggressionsstoffwechsel, die Insulinresistenz, die Darmatonie oder der Wundschmerz, iatrogen und nicht physiologisch bedingt sind und somit auch positiv beeinflusst werden können . Ziel des Fast-Track-Konzepts ist es, die Homöostase des Organismus und die Autonomie des Patienten so weit wie möglich zu erhalten bzw. so rasch wie möglich wiederherzustellen, um postoperative Dysfunktionen zu vermeiden, Komplikationen zu verhindern und eine rasche Entlassung des Patienten in die ambulante Versorgung zu ermöglichen. Die erste erfolgreiche Anwendung dieses Konzepts erfolgte zu Beginn der 1990er-Jahre an Patienten nach kolorektalen Resektionen. Seitdem sind die positiven Effekte des Konzepts bei nahezu allen Operationsverfahren, operativen Disziplinen und in unterschiedlichen Gesundheitssystemen belegt worden. In einer aktuellen Metaanalyse aus dem Jahr 2011 zeigt sich in 6 randomisierten Studien mit 452 Patienten in verschiedenen Ländern im Vergleich zum traditionellen perioperativen Konzept eine Reduktion der 30-Tage-Komplikationsrate um die Hälfte und eine Verkürzung der stationären Liegedauer um 2,5 Tage, ohne dass die Wiederaufnahmerate erhöht war .

Prinzipien des Fast-Track-Konzepts Wichtige Voraussetzung für die erfolgreiche Umsetzung eines perioperativen Behandlungskonzepts ist eine klinikinterne Abstimmung zwischen allen beteiligten Mitarbeitern. Hierzu zählen unter anderen Chirurgen, Anästhesisten, Intensivmediziner, Pflegekräfte, Physiotherapeuten oder Ernährungsmediziner. Zusätzlich empfiehlt sich die Information und Einbeziehung der ambulant weiterbehandelnden Ärzte. Die abgestimmte Vorgehensweise sollte in Behandlungspfaden schriftlich fixiert werden. Sinnvoll ist eine Unterteilung anhand des Ausmaßes der operativen Intervention in kleinere Eingriffe (z. B. Cholezystektomie, Appendektomie), mittelgroße Eingriffe (z. B. Sigmaresektion, Dünndarmresektion, Leberteilresektion) und größere Eingriffe (z. B. Ösophagusresektion, Pankreasresektion). Neben dem fachlichen Konsens ist die Einbindung des Patienten und seiner Angehörigen von elementarer Bedeutung. Bereits prästationär müssen dem Patienten und seinen Angehörigen der erwartete perioperative Ablauf und die voraussichtliche Aufenthaltsdauer in verständlicher Sprache dargestellt werden, um deren Motivation und Verständnis für das Vorgehen zu verstärken , , .

Präoperative Maßnahmen Neben der Information des Patienten steht präoperativ die Erhaltung der Autonomie des Patienten und der Homöostase des Organismus im Vordergrund ( ). Die Nahrungs- und Flüssigkeitszufuhr sowie die Mobilisation des Patienten sollten nicht eingeschränkt werden. Lange oder rezidivierende Nüchternheitsphasen sind unbedingt zu vermeiden. Der Patient darf bis 6 Stunden vor der Operation leichte Vollkost und bis zu 2 Stunden präoperativ Flüssigkeit zu sich nehmen, sofern keine medizinischen Kontraindikationen bestehen (Dysphagie, Ileus, Erbrechen). Eine zusätzliche präoperative Ernährung sollte in Abhängigkeit vom Ernährungsstatus erwogen werden ( ). Die Indikation zur Durchführung einer orthograden Darmlavage sollte zurückhaltend gestellt werden, um unnötige Flüssigkeits- oder Elektrolytverschiebungen zu vermeiden. Eine Metaanalyse mit 5.805 Patienten zeigte, dass der Wegfall der orthograden Darmlavage keinen Einfluss auf die Rate an Wundinfektionen, Komplikationen oder Anastomoseninsuffizienzen hatte .

Tab. 7.7 Präoperatives Vorgehen im Fast-Track-Konzept. Modifikationen müssen in Abhängigkeit vom Eingriff und Zustand des Patienten vorgenommen werden. Präoperatives Vorgehen • Grundsätzlich können alle Patienten, bei denen ein elektiver viszeralchirurgischer Eingriff vorgenommen werden soll, diesem Behandlungskonzept zugeführt werden. • Die Aufklärung des Patienten mit seinen Angehörigen sowie die Information der Pflegekräfte und der betreuenden Ärzte (Anästhesie, Chirurgie und Intensivmedizin) über das geplante Konzept mit all seinen Konsequenzen einschließlich der frühzeitigen Mobilisierung und Entlassung sind elementar für eine erfolgreiche Durchführung. • Die Entscheidung für das Fast-Track-Vorgehen und die hieraus erforderlichen Schritte sollten für alle behandelnden Mitarbeiter durch entsprechende Hinweise in der Patientenakte und in einem Behandlungspfad vermerkt werden. • Die präoperative Nahrungskarenz kann weitgehend reduziert werden. Der Patient darf bis zu 6 Stunden vor dem geplanten Eingriff Nahrung zu sich nehmen. • Danach darf der Patient noch bis zu 2 Stunden vor dem geplanten Eingriff flüssige Kost in kleinen Mengen (bis 200 ml) zu sich nehmen. • 2 Stunden vor dem geplanten Eingriff sollte schließlich auf eine komplette Nahrungs- und Flüssigkeitskarenz geachtet werden. • Auf die routinemäßige Durchführung einer orthograden Darmlavage kann verzichtet werden.

Intraoperative Maßnahmen Während der Operation ist die Kooperation von Anästhesie und Chirurgie entscheidend für den Erfolg des Fast-Track-Konzepts. Zu den hier durchzuführenden Maßnahmen zählen die konsequente Einhaltung einer Normothermie während der gesamten Operation durch Wärmedecken, die Anwendung moderner Anästhesieformen, die eine rasche Rückkehr von Vigilanz und Kooperation ohne Übelkeit und Erbrechen erlauben, sowie eine restriktive Flüssigkeitszufuhr, die eine Flüssigkeitsimbalance vermeidet. Durch die Applikation eines thorakalen Periduralkatheters bei mittelgroßen und großen Eingriffen erhält der Patient eine suffiziente und anhaltende postoperative Analgesie. Dem Chirurg obliegt es, bei der Operation weitgehend auf die Einlage von Sonden oder Drainagen zu verzichten. Deren Verwendung hat in einer großen Anzahl an randomisierten Studien keinen Einfluss auf die postoperative Morbidität oder Letalität. Durch schonende Operationstechniken und laparoskopische Zugänge bzw. sparsame Inzisionen wird das Ausmaß des Eingriffs in die Homöostase des Patienten minimiert ( ).

Tab. 7.8 Intraoperative Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der perioperativen Homöostase im Fast-Track-Konzept. Intraoperatives Vorgehen • Medikamentöse Prophylaxe von postoperativer Übelkeit und Erbrechen (PONV). • Zur perioperativen Schmerztherapie wird vor mittelgroßen und großen Eingriffen ein thorakaler Periduralkatheter gelegt. • Während des operativen Eingriffs ist auf die Einhaltung einer Normothermie zu achten. • Großzügige Applikation von Wärmesystemen, Wärmedecken und/oder Verwendung von gewärmten Infusionsschläuchen. • Schonende Operationstechnik, wenn möglich, Laparoskopie oder sparsame Inzision. • Die Anlage eines zentralen Venenkatheters zur parenteralen Flüssigkeitszufuhr wird zurückhaltend gestellt. Die intraoperative Flüssigkeitszufuhr wird restriktiv gestaltet. • Die Anlage von Drainagen, Sekretsonden oder Kathetern wird minimiert. • Blasenkatheter vermeiden, ggf. suprapubische Ableitung. • Applizierte Magensonde wird unmittelbar postoperativ entfernt.

Postoperative Maßnahmen Das postoperative Ziel des Fast-Track-Konzepts ist es, die eingriffsbedingte Immobilität zu reduzieren und die Autonomie des Patienten so rasch wie möglich wiederherzustellen ( ). Eine intestinale Anastomose ist primär luft- und wasserdicht genäht und bedarf keiner „Ruhigstellung“ zur sicheren Heilung, zumal ohnehin täglich größere Mengen an stark elektrolyt- und säurehaltigem Sekret in den Gastrointestinaltrakt abgesondert werden ( ).

Tab.7.9 Postoperative Maßnahmen zur Mobilisierung und zum Kostaufbau des Patienten. Postoperatives Vorgehen • Wenn möglich, Verlegung des Patienten aus dem Aufwachraum direkt auf die periphere Station • Beginn oraler Kostaufbau, sobald Patient ausreichend wach • Bei eingebrachter enteraler Sonde (nasogastral, nasojejunal, Jejunalkatheter) Beginn der enteralen Ernährung innerhalb 24 Stunden postoperativ • Zurückhaltende intravenöse Flüssigkeitsapplikation • Abhängig von Darmatonie, Übelkeit: Fortsetzung Kostaufbau ab 1. postoperativem Tag mit Tee, Joghurt, Suppe. Bei guter Verträglichkeit: Beginn leichte Vollkost • Beginn der Mobilisation des Patienten bis zur Bettkante oder in den Stuhl ab 6 Stunden postoperativ • Tägliche Steigerung der Mobilisation in Dauer und Intensität („Raus aus dem Bett“) • Bei Darmatonie Applikation von Neostigmin subkutan zur Darmstimulation • Entfernen von Blasendauerkatheter und Abdominaldrainagen ab dem 2. postoperativen Tag • Auslassversuch thorakaler Periduralkatheter ab dem 3.–4. postoperativen Tag. • Vorbereitung Entlassung und Gespräch mit Patienten, Angehörigen, niedergelassenen Kollegen und Entlassungsmanagement • Information des Patienten über ambulante Verhaltensweisen und Angabe einer Kontaktadresse für eine ggf. notwendige Wiedervorstellung • Gegebenenfalls Vereinbarung eines ambulanten Wiedervorstellungstermins zur Entfernung des Nahtmaterials, Befundkontrolle, Erläuterung weiterer Therapiemaßnahmen

Tab. 7.10 Tägliche gastrointestinale Sekretmenge und Anteil an Elektrolyten . Durchschnittl. Menge (ml/d)

Natrium (mval/l)

Kalium (mval/l)

Chlorid (mval/l)

Bikarbonat (mval/l)

Speichel

1.500

10–25

15–40

10–40

Magensaft

2.500

20–100

5–15

80–153

2–13

Galle

500

120–150

3–12

80–120

30–50

Pankreassaft

700

110–150

3–10

40–80

70–110

Darm

3.000

Dünndarm

105–144

6–14

90–136

20–40

Dickdarm

66–132

5–11

18–88

Die enterale Ernährung der Patienten kann daher frühzeitig begonnen werden, sobald der Patient ausreichend wach ist. Jede Immobilität trägt zur Entwicklung von Komplikationen wie Pneumonien, Thrombosen und verlängerter Darmatonie bei. Durch eine frühe und forcierte Mobilisierung des Patienten bereits ab dem OP-Tag wird diesen Problemen entgegengewirkt. Diese wird unterstützt durch eine geringere Invasivität des operativen Zugangswegs und eine Vermeidung von Sonden und Drainagen (Magensonde, Dauerkatheter, Drainagen). Wenn möglich, sollte der Patient baldmöglichst auf eine periphere Station verlegt werden, damit die Mobilität durch kontinuierliches Monitoring nicht eingeschränkt wird. Die Voraussetzungen für die Erzielung der frühen Mobilisation werden wesentlich durch eine entsprechende Anästhesie geschaffen. Durch eine thorakale epidurale Schmerztherapie kann die postoperative Morbidität und Mortalität signifikant reduziert werden, die Patienten können rascher mobilisiert werden und es zeigen sich neben dem analgetischen Effekt auch positive Auswirkungen auf die postoperative Darmatonie. Das Umsetzen des Fast-Track-Konzepts in der perioperativen Behandlung führt zu einem Behandlungsablauf, der alle beteiligten Personen – Patient, Angehörige, Pflegekräfte, Chirurgen und Hausärzte – betrifft und von allen akzeptiert und unterstützt werden muss, damit eine erfolgreiche Durchführung möglich wird , , , , .

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Arbeitsgemeinschaft wissenschaftlich medizinischer Fachgesellschaften (AWMF): (letzter Zugriff: 6. Januar 2013) Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM): (letzter Zugriff: 6. Januar 2013) Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE): (letzter Zugriff: 6. Januar 2013) Europäische Gesellschaft für klinische Ernährung und Stoffwechsel (ESPEN): (letzter Zugriff: 6. Januar 2013) American Society for Parenteral and Enteral Nutrition (ASPEN): (letzter Zugriff: 6. Januar 2013)

KAPITEL 8

Schmerztherapie Christian J.P. Simanski, Edmund A.M. Neugebauer and Maximilian Warntjen

8.1. 8.2. 8.2.1. 8.2.2. 8.2.3. 8.2.4. 8.2.5. 8.3. 8.4. 8.4.1. 8.4.2. 8.4.3. 8.5. 8.6. 8.7.

8.1 Definition und Bedeutung „Divinum est sedare dolorem.“ – „Es ist göttlich, den Schmerz zu lindern.“ (Galenus von Pergamon, 129–199 v. Chr.) Jeder hat im Rahmen seines eigenen Lebens bereits Erfahrung mit Schmerzen gemacht. In einem Arzt-Patienten-Verhältnis hat Schmerz für den Patienten oftmals eine andere Qualität als für den ihn behandelnden Arzt. Dennoch trifft man heute noch vielfach auf die Patientenüberzeugung, „dass Schmerzen zu einer Operation gehören“! Dem stehen die Anstrengungen der Kliniken und Praxen in Deutschland gegenüber, die Qualitätsmanagementprogramme für eine effiziente Akutschmerztherapie einführen und an verschiedenen Qualitätsmanagementprogrammen partizipieren (Qualitätsmanagement Akutschmerz, „Initiative schmerzfreie Klinik“ der TÜV-Rheinland Group ® , „Qualifizierte Schmerztherapie“ der Certkom e. V.). Ein Beweggrund ist sicherlich das Bestreben der krankenversorgenden Einrichtungen, sich durch die Erlangung von Zertifikaten am Markt zu behaupten. Trotzdem bewirken diese Maßnahmen natürlich auch eine Verbesserung der Versorgungsqualität auf dem zertifizierten Sektor. Aus dem „Labeln“ eines Qualitätsmanagementprogramms kommt es so zu einem „Leben“ desselben. Dennoch hat sich national wie international nur teilweise etwas verbessert , , obwohl die Patienten dem Akutschmerz eine hohe Bedeutung beimessen . So sind die an Akutschmerz leidenden Patienten immer noch therapeutisch und organisatorisch unterversorgt , . Laut Definition der IASP (Internationale Gesellschaft zum Studium des Schmerzes) ist Schmerz ein natürliches, allgegenwärtiges, kulturübergreifendes Erlebnis und „ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit einer Gewebeschädigung verknüpft ist, aber auch ohne sie auftreten kann oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird. Schmerz ist immer subjektiv.“ Diese Subjektivität des Schmerzes stellt das Bindeglied zwischen Arzt und Patient dar. 50–70 % aller Patienten suchen ihren Arzt auf, weil sie Schmerzen haben. Mehr als 90 % aller Patienten knüpfen den Erfolg der medizinischen Behandlung an die Beseitigung der Schmerzen . Für den Arzt hingegen hat der Schmerz des Patienten auch eine wichtige Signalfunktion. Die umfangreiche Erhebung der Anamnese stellt die Grundlage der Diagnostik und damit der Zuordnung eines bestimmten Schmerztyps und -mechanismus zu der entsprechenden Erkrankung dar . gibt eine Übersicht über verschiedene Schmerzbegriffe.Winkhart-Martis und Martis 2009

Tab. 8.1 Definitionen von Schmerzbegriffen. Allodynie

Schmerzauslösung durch Reize, die normalerweise keinen Schmerz verursachen (z. B. durch Wattebausch-Berührung)

Analgesie

fehlende Schmerzempfindung bei physiologisch schmerzhaften Reizen

Dysästhesie

unangenehme oder abnorme Empfindungen, entweder spontan entstehend oder provozierbar, z. B. durch Berührung

Hyperästhesie

verstärkte Empfindung schmerzhafter und nichtschmerzhafter Reize (Schwellenerniedrigung)

Hyperalgesie

verstärkte Schmerzempfindung durch einen physiologisch schmerzhaften Reiz

Hyperpathie

verstärkte Reaktion auf Reize, insbesondere wiederholte Reize bei erhöhter Schwelle

Neuralgie

Schmerz im Versorgungsgebiet eines oder mehrerer Nerven

Neuropathie

Funktionsstörung oder pathologische Veränderung eines Nervs (Mononeuropathie), verschiedener Nerven (Polyneuropathia multiplex) oder distal und bilateral (Polyneuropathie)

Eine Schmerzanamnese sollte präoperativ bei zu erwartenden Problempatienten folgende Aspekte abdecken: Bei der Schmerzlokalisation wird der Patient gefragt, wo er das Maximum des Schmerzes empfindet, wohin der Schmerz ausstrahlt und wie weit er reicht. Die Schmerzdauer unterscheidet zwischen einem intermittierenden und einem andauernden Schmerz. Der dumpfe viszerale Schmerz (z. B. bei großer Lebermetastase mit

resultierendem Kapselschmerz) hat einen anderen Charakter als der intermittierende, helle und kolikartige Vernichtungsschmerz bei Gallenkolik. Der Schmerzverlauf dokumentiert, ob der Schmerz schleichend oder plötzlich einsetzte (langsames Schmerz-Crescendo bei Appendizitis vs. akut einsetzender Schmerz bei perforiertem Magenulkus mit möglicher Zeitangabe durch den Patienten). Die Qualität des Schmerzes bietet eine Charakterisierung, die über Adjektive wie „stechend“, „pulsierend“, „brennend“, „bohrend“ etc. vom Patienten beschrieben werden kann. Die Einschätzung der Schmerzintensität kann z. B. über eine Skalierung erfolgen (Analogskala mit einer Skalierung zwischen 0 und 10 respektive 100 Punkten). Die Begleitsymptome geben Auskunft über die Zuordnung der Schmerzen zu Läsionen peripherer Nerven oder zentraler Strukturen.Ulsenheimer 2001 Die für den Chirurgen wichtigste Unterscheidung besteht zwischen dem akuten und dem chronischen Schmerz. Der akute Schmerz tritt im Rahmen eines akuten Ereignisses (Trauma, Kolik, Peritonitis, Wundschmerz nach einer Operation etc.) auf. Vom chronischen Schmerz spricht man hingegen bei einer ununterbrochenen Schmerzdauer von 3–6 Monaten. Der chronische postoperative Schmerz (CPSP: chronic post surgical pain) ist definiert als ein Schmerz, der unmittelbar nach einer Operation aufgetreten ist und über mehr als zwei Monate postoperativ noch besteht . Die folgenden Abschnitte beschäftigen sich mit der Entstehung und Therapie akuter Schmerzen.

8.2 Pathophysiologie und pharmakologische Grundlagen Der Mechanismus, der der Schmerzentstehung und Schmerzweiterleitung zugrunde liegt, ist komplex, jedoch für das Verständnis der therapeutischen Maßnahmen unerlässlich. Grundlage der Nervensystemfunktion ist das Reiz-Reaktion-Prinzip. Akute Schmerzen treten infolge von Gewebeverletzungen durch mechanische, thermische oder chemische Reize auf. Diejenigen Rezeptoren, die speziell schädigende Reize (Noxen) verarbeiten, werden Nozizeptoren genannt. Die Nozizeption (Schmerzwahrnehmung) durchläuft vereinfacht drei Ebenen:

• Periphere Ebene: Die peripheren, schmerzspezifischen Nervenendigungen (Nozizeptoren) werden durch mechanische, thermische oder chemische Reize aktiviert. Sie wandeln also einen physikalischen Reiz in ein spezifisches Nervensignal um ( Transduktion ) und leiten diese Rezeptorpotenziale an das Rückenmark weiter. • Rückenmarksebene: Das vom Nozizeptor generierte Rezeptorpotenzial wird in ein Aktionspotenzial übersetzt und zur weiteren Verarbeitung afferent an spinale und supraspinale Stellen übermittelt. Diese Signalübermittlung wird als Transmission bezeichnet. Die Schmerzverarbeitung kann auf ihrem Weg vom Reiz zur Schmerzwahrnehmung eine Reihe von Veränderungen ( Transformationen ) durchlaufen. So können bei der Gewebeschädigung Zell- und Gewebesubstanzen freigesetzt werden, die als algetische Substanzen bezeichnet werden, weil sie im Sinne einer Schmerzförderung die Nozizeptoren auf erneute Reize sensibilisieren und die Erregungsschwelle herabsetzen (z. B. Prostaglandine). An der Synapse besteht die Möglichkeit der Transformation mithilfe der Transmitter. Das Nervensystem verfügt über „schnelle“ und „langsame“ Transmitter. So kann z. B. die Übertragungsgeschwindigkeit der Aktionspotenziale in Abhängigkeit vom jeweiligen Transmitter transformiert, also verändert, werden. • Zentralnervöse Ebene: Erreicht ein peripheres Schmerzsignal nach Transduktion, Transmission und eventueller Transformation das zentrale Nervensystem, so wird es hier von einem somatisch-neuronalen Signal in eine spezifisch subjektive Schmerzwahrnehmung übersetzt ( Translation ). Die hierbei verarbeitenden Areale sind limbisches System, Kortex, Thalamus und Inselkortex. zeigt eine schematische Darstellung des Nozizeptionsmechanismus.

ABB. 8.1

Schematische Darstellung des Nozizeptionsmechanismus. [ ]

Für eine adäquate Schmerztherapie ist es notwendig, die grundlegenden Wirkmechanismen, den Wirkort und die Wirkdauer der eingesetzten analgetischen Substanzen zu kennen. Man teilt die Medikamente zur Schmerztherapie in folgende Kategorien ein:

• Nichtopioidanalgetika • Opioidanalgetika • Lokalanästhetika • Koanalgetika • Adjuvanzien

8.2.1 Nichtopioidanalgetika Grundlage der Wirkung der Nichtopioidanalgetika (NSAIDs, nichtsteroidale Antirheumatika) ist in den meisten Fällen die Zyklooxygenase-Hemmung (COX-Hemmung) und damit die Verminderung der proinflammatorisch und hyperalgetisch wirksamen Prostaglandine. zeigt eine schematische Darstellung der COX- Hemmung.

ABB. 8.2

COX-Hemmung. [ ]

Die Nozizeptorerregbarkeit und die Schmerzreizempfindlichkeit werden von den Prostaglandinen gefördert. Durch sie erfolgt eine Kapillarerweiterung und es wird eine Einwanderung von Blutzellen in entzündetes Gewebe gefördert. Gleichzeitig wird die Reaktion auf chemische, mechanische und thermische Reize gesteigert. Ihre medikamentöse Hemmung bedingt so die analgetische und antiinflammatorische COX-Hemmer-Wirkung. Die schwachen organischen Säuren können als saure antiphlogistische, antipyretische Analgetika charakterisiert werden (NSAID) und bilden heute die Basis für die entzündungshemmende (antiphlogistische) und schmerzreduzierende (analgetische) Wirkung, vor allem bei rheumatischen Erkrankungen. Prostaglandine haben aber auch physiologisch wichtige Funktionen, z. B. für die Nierendurchblutung, den tubulären Transport von Natrium und Wasser oder die Magenschleimbildung. Gerade in diesem Zusammenhang gewinnen die selektiven COX-2-Hemmer besonders an Bedeutung, da Prostaglandine nur auf einen Entzündungsstimulus über COX-2 entstehen. Jedoch kommt COX- 2 auch konstitutiv in der Niere, im Rückenmark und Uterus vor und erfüllt dort wichtige physiologische Funktionen. Die antipyretische Wirkung der COX-2-Hemmer lässt sich über ebendiese Hemmung der Prostaglandine erklären. Bis auf das intravenös injizierbare Parecoxib und das Etoricoxib bei mäßig starken Schmerzen nach Zahnoperationen ist derzeit keines der verfügbaren Coxibe zur peri- und postoperativen Schmerztherapie zugelassen. Metamizol und Paracetamol haben jeweils eigene, z. T. auch zentrale Wirkmechanismen. Zusätzlich wirkt Metamizol durch seine direkte relaxierende Wirkung auf die glatte Muskulatur spasmolytisch. Außerdem zeigt die Kombination von Paracetamol mit herkömmlichen NSAIDs einen additiven Effekt im Hinblick auf die postoperative Analgesie ( ).

Tab. 8.2 Substanzklassen der Nichtopioidanalgetika. Substanzklasse

Beispiel

klinischer Einsatz

I. Salizylsäurederivate

Azetylsalizylsäure (ASS ratiopharm ® )

z. B. Leistenhernienchirurgie

II. ArylsäurederivateIII. Arylpropionsäurederivate

Diclofenac (z. B. Voltaren ® ), Ibuprofen (z. B. Imbun ® )

kleinere viszeralchirurgische Eingriffe (z. B. Laparoskopie, LAPGalle, Hämorrhoidektomie etc.)

IV. COX-2-Hemmer

Parecoxib (z. B. Dynastat ® ), Celecoxib (z. B. Celebrex ® ), Etoricoxib (z. B. Arcoxia ® , Exinef ® )

z. B. Kolonchirurgie

V. Pyrazolderivate

Metamizol (z. B. Novalgin ® )

z. B. Nieren-, Gallenkolik

VI. Anilinderivate

Paracetamol (z. B. ben-u-ron ® )

bei Schwangeren und Kindern zugelassen

8.2.2 Opioidanalgetika Als Opioide werden Analgetika bezeichnet, die ihre Wirkung über Opioidrezeptoren erzielen. Die Opioidrezeptoren werden in Abhängigkeit von ihrer Wirkung und Funktion in verschiedene Subtypen unterteilt (μ-, σ-, κ-Rezeptoren). gibt eine Übersicht über das Wirkprofil der Opioidrezeptoren.

Tab. 8.3 Wirkprofil der Opioidrezeptoren. μ 1 -Rezeptoren

μ 2 -Rezeptoren

κ -Rezeptoren

σ -Rezeptoren

supraspinale/spinale Analgesie

spinale Analgesie

supraspinale/spinale Analgesie

supraspinale/spinale Analgesie

Euphorie, niedriges Abhängigkeitspotenzial, Miosis

Atemdepression, hohes Abhängigkeitspotenzial

Dysphorie, niedriges Abhängigkeitspotenzial, Miosis

hohes Abhängigkeitspotenzial, geringe Obstipation

Bradykardie, Hypothermie

ausgeprägte Obstipation

Hyperthermie, Diurese

Harnretention

Die Symptome durch Überdosierung bzw. die unerwünschten Nebenwirkungen resultieren aus deren Wirkung an den entsprechenden Rezeptoren. Die Opioidrezeptoren befinden sich besonders in den Strukturen, die an der Weiterleitung, Modulation und Verarbeitung von schmerzhaften Afferenzen beteiligt sind. Eine hohe Dichte haben sie im limbischen System, Thalamus/Hypothalamus, in der Ponsregion, dem zentralen Höhlengrau und dem Rückenmark (Substantia gelatinosa/Hinterhorn). gibt eine Übersicht über die Klassifikation der verschiedenen Opioide und ihre Wirkung auf die unterschiedlichen Opioidrezeptoren.

Tab. 8.4 Klassifikation der Opioide. reine μ-Agonisten

Morphin (z. B. MST ® ), Hydromorphon (z. B. Palladon ® ), Oxycodon (z. B. Oxygesic ® ), Oxycodon plus Naloxon (Targin ® ), Fentanyl (Durogesic ® ), Pethidin (Dolantin ® ) Piritramid (z. B. Dipidolor ® ) Codein Tramadol (z. B. Tramal ® )

reine μ-Agonisten plus NoradrenalinWiederaufnahmehemmung

Tapentadol (z. B. Palexia ® , Yantil ® , Nucynta [USA] ® )

gemischte Agonisten-Antagonisten (agonistisch an μRezeptoren und antagonistisch an μ-Rezeptoren)

Tilidin plus Naloxon (z. B. Tilidin N ® )

partieller Agonist (hohe Affinität mit geringerer intrinsischer Aktivität an μ-Rezeptoren)

Buprenorphin (z. B. Temgesic ® )

reiner Antagonist (an μ-, κ- und σ-Rezeptoren)

Naloxon (z. B. Narcanti ® )

Für den differenzierten Einsatz in der viszeralchirurgischen Akutschmerztherapie eignen sich besonders Opioide wie Morphin, Piritramid, Oxycodon (plus Naloxon), Pethidin, Tilidin und Tramadol. Unter Berücksichtigung der möglichen Nebenwirkungen (Obstipation, postoperative Nausea und Erbrechen etc.) und ggf. paralleler Verabreichung entsprechender Adjuvanzien ( ) ist unter Kenntnis und in Abwägung des Nutzen-Risiko-Profils mit dieser Medikamentengruppe eine sehr gute Analgesie zu erzielen. Das Nebenwirkungsprofil o. g. Substanzgruppe hat dazu geführt, dass neue Kombinationen von Medikamenten auf den Markt gekommen sind, die Naloxon mit beinhalten, um damit diese negativen Nebenwirkungen zu reduzieren (z. B. Targin ® : Oxycodon plus Naloxon, Tilidin N ® : Tilidin plus Naloxon). Darüber hinaus ist ein weiteres Analgetikum auf den Markt gekommen (Wirkstoff: Tapentadol, Palexia ® , Yantil ® ). Tapentadol weist einen schwächeren μ-agonistischen Wirkeffekt auf als Morphin (1:2,5) oder Oxycodon (1:5). Es wirkt jedoch zusätzlich durch eine Hemmung der Noradrenalin-Wiederaufnahme aus dem synaptischen Spalt auf die hemmenden absteigenden Schmerzbahnen. Damit wird die absteigende Schmerzhemmung verstärkt.

8.2.3 Lokalanästhetika Die Lokalanästhetika bilden die Grundlage für die diagnostische und therapeutische Regionalanästhesie, Neuraltherapie und Analgesie. Sie bewirken in Nervenendigungen, peripheren Nerven und Spinalnerven eine reversible Blockade der Erregungsleitung. Lokalanästhetika blockieren den Natriumkanal dosisabhängig bis zur vollständigen Anästhesie. Diese pharmakologische Eigenschaft nutzt man für therapeutische, diagnostische und operative Zwecke. Beispielsweise reduziert nach laparoskopischer Cholezystektomie bzw. nach Kolektomie die lokale Applikation eines Lokalanästhetikums (z. B. 20 ml Bupivacain 0,25 % oder 20 ml Ropivacain) im Bereich der Trokarstellen signifikant die postoperative Schmerzintensität . Lokalanästhetika können mit Kortikosteroiden, Analgetika und Opioiden kombiniert werden und zeigen in der regionalanästhesiologischen Applikation (z. B. über Epiduralkatheter) eine exzellente Schmerzreduktion und Verkürzung der postoperativen Rekonvaleszenz (sog. Fast-Track-Konzepte) . Im Rahmen der Schmerztherapie sind Lokalanästhetika eine wirkungsvolle und risikoarme Ergänzung ( ). Dennoch sind bei den Lokalanästhetika die Höchstdosierungen zu beachten ( ). Bei Überdosierung drohen Nebenwirkungen wie Kardiotoxizität (Bradykardien, Rhythmusstörungen), allergische Reaktionen und ZNS-Erregungen mit Krampfanfällen.

Tab. 8.5 Lokalanästhetika

Wirkstoff

Handelsname(z. B.)

Konzentration

Wirkdauer

Procain

Novocain

0,5–1 %

45–60 min:kurz– mittellang

Lidocain

XylocainLidocainEMLA

0,5–4 %0,25–0,5 % (i. v. regional)

Mepivacain

Scandicain

Articain

Relative Potenz Wirkeintritt (Procain = 1) 1

Anwendungs-gebiete

Toxizität/Höchstdosis(70 kg schwerer Erwachsener/ohne Adrenalinzusatz)

langsam

InfiltrationsanästhesiePeriphere Nervenblockade

gering500 mg

45–60 min: 4 kurz– mittellang1– 3h

3–5 min: schnell

Oberflächen- und 200–500 mg InfiltrationsanästhesiePeriphere Nervenblockade

1 %1–2 %

2–3 h: mittellang

4

3–5 min: schnell

InfiltrationsanästhesiePeriphere Nerven-blockade

300–400 mg

Ultracain

4%

45 min: kurz

6

3–5 min: schnell

Leitungsanästhesie in der Zahnheilkunde

500 mg

Prilocain

Xylonest

0,5–1 %0,5–2 %

2–3 h: mittellang

4

< 3 min: schnell

InfiltrationsanästhesiePeriphere Nervenblockade

gering400 mg

Bupivacain

Carbostesin

0,125–0,75 %

4–5 h: mittellang– lang

16

langsam

InfiltrationsanästhesiePeriphere Nervenblockade

relativ hoch150–175 mg

Ropivacain

Naropin

0,2–1 %

4–6 h: mittellang– lang

16

3–5 min: schnell

Infiltrationsanästhesieperiphere Nervenblockade

300 mg

,.

8.2.4 Koanalgetika Als Koanalgetika bezeichnet man Medikamente, die die Wirkung der Nichtopioide und Opioide durch eine eigene analgetische Wirkung unterstützen, die aber zur alleinigen Schmerztherapie selten ausreichend sind. Deshalb spielen sie in der Akutschmerztherapie nur in der Kombinationstherapie eine Rolle, können jedoch bei Problempatienten extrem hilfreich sein. Zu den Koanalgetika zählen:

• Antidepressiva: Neben der Schmerzdistanzierung kommt es durch die Steigerung der Funktion der inhibitorischen Transmitter (Serotonin und Noradrenalin) zur antidepressiven und analgetischen Wirkung. Wirkstoffe wie z. B. Amitriptylin finden bei der Therapie des kausalgiformen Brennschmerzes ihre Anwendung. • Antikonvulsiva: Antikonvulsiva werden v. a. bei neuropathischen Schmerzen (bei Z. n. nach Mastektomie mit Axilladissektion oder abdominoperinealer Rektumamputation) mit einschießendem Charakter eingesetzt oder wenn die Antidepressiva nicht den gewünschten Erfolg bringen. Die wichtigsten Substanzen sind Carbamazepin, Clonazepam, Gabapentin und Pregabalin. • Muskeltonusreduzierende Medikamente (z. B. Benzodiazepine): Sie werden vor allem bei schmerzhaften Muskelverspannungen und Spasmen eingesetzt. Die Wirkungsmechanismen der meisten Substanzen sind nicht bekannt.

• Kortikosteroide: Kortison (z. B. Dexamethason 16–48 mg initial, 4–8 mg/d Erhaltungsdosis, Methylprednisolon 100–500 mg initial, 10–15 mg/d Erhaltungsdosis) wirkt antiinflammatorisch durch Hemmung der Bildung entzündungsauslösender Zytokine, Leukotriene, Prostaglandine und des makrophagenaktivierenden Interferon γ. Es unterdrückt somit die Ausbildung des entzündlichen Prozesses (z. B. bei Colitis-ulcerosaund Morbus-Crohn-Patienten). • Bisphosphonate: Diese Medikamente werden besonders bei Knochenschmerzen und osteolytischen Knochenmetastasen eingesetzt (z. B. Magen-, Mamma-, Schilddrüsenmalignomen). Sie besitzen eine hemmende Wirkung auf die durch Osteoklasten verursachte Knochenresorption. Sie können die Knochenschmerzen verhindern und die Progression von Knochenmetastasen verzögern. Am häufigsten verwendet werden Clodronat (bis zu 1.600 mg/d) und Pamidronat (15–90 mg/Behandlungsgang).

8.2.5 Adjuvanzien Diese Medikamente werden eingesetzt, um Nebenwirkungen der Schmerztherapie zu lindern und Angstzustände zu bekämpfen. Die Hauptnebenwirkungen, die es zu behandeln gilt, sind Übelkeit und Erbrechen sowie Obstipation. Dementsprechend unterteilt man die Adjuvanzien in Antiemetika und Laxanzien. Wie gezeigt wurde, wirken Analgetika mit unterschiedlichen Wirkprinzipien auf unterschiedliche Bereiche des „Schmerzwegs“. zeigt die Angriffspunkte der Analgetika innerhalb des Schmerzübertragungsweges.

ABB. 8.3

Weg des Schmerzes und Therapieansatzpunkte (klinische Beispiele in Klammern). [ ]

8.3 Chirurgische Möglichkeiten der Schmerzreduktion Präoperativ kann durch eine ausführliche Information und Aufklärung des Patienten über Art der Erkrankung, Behandlungskonzepte, potenziell zu erwartende Schmerzen und deren Therapiemöglichkeiten die Angst des Patienten reduziert und gleichzeitig die Schmerzbewertung und damit der postoperative Analgetikabedarf beeinflusst werden. Eine weitere chirurgische Schmerzreduktionsmaßnahme könnte durch die schmerztherapeutische Haltung des verantwortlichen Chirurgen in der Notfallambulanz erfolgen, indem er auch bei Patienten mit akutem Abdomen nach subtiler klinischer Untersuchung frühzeitig ein Analgetikum verabreicht. Eine aktuelle deutschlandweite Umfrage zeigt jedoch immer noch das restriktive analgetische Verhalten der verantwortlichen allgemein- und viszeralchirurgischen Kollegen, sodass lediglich 45 % frühzeitig ein Analgetikum zur Therapie der Schmerzen bei akutem Abdomen verabreichen würden . Bei kleineren Eingriffen und Wundversorgungen sind die Möglichkeiten lokalanästhetischer Maßnahmen auszuschöpfen. Gerade bei Kindern kann eine ausreichende Wundadaptation häufig „ohne Nadel“, mit Wundklebern (z. B. Dermabond ® ) und Klammerpflastern erreicht werden. Die allgemeine Lagerung zur Operation kann ebenfalls für postoperative Schmerzen relevant sein. Patienten, die in Rückenlage operiert werden, z. B. bei abdominalen Eingriffen, haben postoperativ weniger Rückenschmerzen, wenn ihnen intraoperativ ein Kissen unter die Knie gelegt wurde (vgl. ). Bei größeren Eingriffen und Operationen ist auf eine schonende spezielle Lagerung zu achten. Druckschäden an exponierten Stellen (Fibulaköpfchen, Sulcus ulnaris am Ellenbogen, Kniekehle bei Steinschnittlagerung etc.) sind unbedingt zu vermeiden, da sie zu postoperativen Nervenschädigungen oder Kompartmentsyndromen mit zusätzlichen Schmerzen führen können . Um das intraoperative Trauma zu reduzieren, sollten möglichst atraumatische Operationstechniken favorisiert werden. Intraoperativ ist neben der Wahl des Operationsverfahrens die Wahl des Zugangs maßgeblich. Die minimalinvasiven Operationsverfahren haben sich v. a. bei Eingriffen an Appendix, Gallenblase, Leiste und Kolon fest etabliert und sind validierte Methoden mit signifikant geringeren Schmerzen als nach konventionellen Operationstechniken. Transversale Inzisionen verursachen weniger Schmerzen als vertikale bei Laparotomien , , , Hautinzisionen mit der Diathermie weniger als mit dem konventionellen Skalpell . Weitere Möglichkeiten zur Minimierung postoperativer Schmerzen können durch eine strenge Indikationsstellung bei der Einlage von Drainagen und Sonden erzielt werden. Meistens kann auf die Einlage einer subkutan platzierten Redon-Drainage verzichtet werden . Auch die Wahl des Nahtmaterials kann postoperative Schmerzen beeinflussen. Für den Hautverschluss stehen resorbierbare Fäden zur Verfügung, die das schmerzhafte Entfernen eventuell „eingewachsener“ Fäden erübrigen. Postoperativ kann der Chirurg mit geeigneter Verbandstechnik schmerzlindernd tätig werden. Zu enge und unnötige Verbände sind zu vermeiden. Bei Orthesen und Gipsverbänden ist auf eine ausreichende Polsterung von Knochenvorsprüngen zu achten. Durch eine stufenweise Belastungssteigerung unter ausreichender Analgesie kann eine Überforderung des Patienten vermieden werden. „Fast-Track“- Konzepte sehen die Mobilisation des Patienten schon ab der 5. postoperativen Stunde in den Stuhl vor , . Begleitend können physikalische Maßnahmen (Kälte, Wärme, Lymphdrainage, Massage) und adjuvante nichtmedikamentöse Verfahren (TENS, Akupunktur, Akupressur) zur Schmerzlinderung genutzt werden. Katheter, Drainagen, Sonden und intravenöse Zugänge sollten entfernt werden, sobald nicht mehr benötigt, da sie dann unnötige Schmerzen provozieren und ein Infektionsrisiko darstellen . Abschließend sei erwähnt, dass schmerztherapeutische Maßnahmen physiologische Reaktionen des Körpers auf chirurgische Komplikationen (Fieber, Abwehrspannung) vermindern können. Daher ist der Operateur über zunehmende Schmerzen und steigenden Analgetikabedarf stets zu informieren. Eine situationsadaptierte Schmerztherapie verschleiert den Schmerz als diagnostisches Symptom nicht, sondern hilft, Komplikationen rechtzeitig zu erkennen. gibt einen Gesamtüberblick über die chirurgischen Möglichkeiten der Schmerztherapie.

Tab. 8.6 Chirurgische Möglichkeiten der Schmerzreduktion. präoperativ

– Information und Aufklärung des Patienten über zu erwartende Schmerzen – Erläutern der Therapiemöglichkeiten

intraoperativ

– Favorisierung atraumatischer Operationstechniken (u. a. durch Wahl des Verfahrens bzw. Zugangs)

präoperativ, interoperativ, postoperativ

– Vermindern unnötiger Schmerzen durch abgewogene Indikationsstellung für Drainagen, Katheter und Sonden

präoperativ,intraoperativ

– Ausschöpfen lokalanästhetischer Maßnahmen – Wundadaptation „ohne Nadel“ (Wundkleber, Klammerpflaster)

präoperativ, interoperativ, postoperativ

– schonende Lagerung – gute Polsterung exponierter Körperstellen

postoperativ

– supportives Nutzen physikalischer Maßnahmen wie Ruhigstellung, Wärme, Kälte und nichtmedikamentöser adjuvanter Verfahren (z. B. TENS) – individuelles schmerztherapeutisches Analgesiekonzept in Abhängigkeit von Intensität und Dauer zu erwartender Schmerzen (prozedurenspezifische Konzepte)

8.4 Medikamentöse Verfahren 8.4.1 Periphere Nervenblockaden Der Vorteil des Einsatzes von Nervenblockaden im Vergleich zu systemischen Analgesieverfahren besteht zum einen in der Menge und der Wirkstärke des verabreichten Analgetikums und zum anderen in der Auswirkung auf den Patienten. So beeinträchtigt eine Lokalanästhesie die Vigilanz des Patienten nicht und ermöglicht eine schmerzfreie Mobilisation. Nervenblockaden werden entweder aus diagnostischer oder aus therapeutischer Absicht durchgeführt. Bei diagnostischen Nervenblockaden werden gezielt einzelne Nerven oder Nervenstrukturen ausgeschaltet, um festzustellen, ob sich dadurch die Schmerzsymptomatik beeinflussen lässt (z. B. Neuromschmerz nach Leistenherniotomie, Thorakotomie). Sollte dies nicht der Fall sein, so wird der Vorgang an proximal gelegenen Abschnitten der Schmerzbahn wiederholt, bis schließlich der Ort der Schädigung gefunden ist. Bei der Durchführung der diagnostischen Blockade ist es wichtig, dass der Nerv vollständig anästhesiert wird und keine weiteren Strukturen durch die Blockade beeinträchtigt werden . Ist der Ort der Schädigung lokalisiert, kann mit einer gezielten therapeutischen Blockade zur Schmerzreduktion begonnen werden. Die Dauer der Analgesie wird hierbei durch das spezifisch verwendete Anästhetikum, die Gabe von Adjuvanzien und ein mögliches Katheterverfahren (zeitlich unbegrenzte Lokalanästhesie durch mehrfache Applikation von Analgetika) bestimmt. Lokalanästhetika wie Lidocain, Mepivacain oder Prilocain haben in Abhängigkeit vom blockierten Nerv eine mittellange Wirkdauer von 2–3 Stunden. Eine klinisch nutzbare Analgesie in der postoperativen Phase erzielt man bei einzeitigen Blockaden nur durch Verwendung lang wirksamer Lokalanästhetika wie Bupivacain, Levobupivacain oder Ropivacain, wobei diese Substanzen entweder allein oder in Kombination mit mittellang wirkenden Lokalanästhetika appliziert werden können. So können Analgesiezeiten bis zu 12 Stunden erzielt werden. Im Rahmen der postoperativen Schmerztherapie dient der Zusatz von Adjuvanzien im Wesentlichen dazu, die Wirkungsdauer der Lokalanästhetika zu verlängern. Einzeitige Blockaden werden in der Regel im Rahmen der Anästhesie durchgeführt. In Absprache mit dem Operateur und dem Patienten kann unter Berücksichtigung des Ausmaßes des Eingriffs der Einsatz lang wirksamer Lokalanästhetika (ggf. unter Zusatz von Adjuvanzien wie z. B. Clonidin oder Adrenalin) zur postoperativen Schmerztherapie erfolgen. Dies ermöglicht in der Regel eine schmerzfreie postoperative Phase bis zum Abend des Operationstages, bei Zusatz von Adjuvanzien sogar bis zum Morgen des ersten postoperativen Tages. Sowohl bei einzeitigen Nervenblockaden als auch bei Katheterverfahren besteht bei jeder Applikation von Lokalanästhetika das Risiko einer Fehlinjektion (z. B. intravasal). Bei Katheterverfahren bestehen zusätzlich die Gefahr einer Dislokation und Hämatombildung sowie ein erhöhtes lokales Infektionsrisiko. Sorgfältige Beachtung der Hygienemaßnahmen bei der Katheteranlage sowie tägliche Überwachung bzw. Pflege der Kathetereinstichstelle sind deshalb unabdingbare Voraussetzungen für die Durchführung dieser Analgesieverfahren.

8.4.2 Rückenmarksnahe Verfahren Bei der rückenmarksnahen Lokalanästhesie unterscheidet man zwischen Spinal- und Epiduralanästhesie. Bei der Spinalanästhesie wird das Anästhetikum unterhalb des 2. Lendenwirbels in den Liquorraum injiziert. Dies bewirkt eine schnelle und komplette Blockade aller Spinalwurzeln. In Abhängigkeit von Volumen und Ort der Injektion sowie der Lagerung des Patienten kann Einfluss auf die Verteilung des Anästhetikums und damit auf die Ausbreitung und Richtung (kaudal oder kranial) der Analgesie genommen werden . Bei der Epiduralanästhesie wird das Lokalanästhetikum in den Epiduralraum injiziert. Dies kann an jeder Stelle des Epiduralraums geschehen, also lumbal, thorakal oder zervikal. Die Injektion des Lokalanästhetikums in den Epiduralraum bewirkt hauptsächlich eine Blockade der den Epiduralraum durchziehenden Spinalwurzeln. Da sie hier von der Dura mater umhüllt sind, ist der Zeitraum bis zum Anschlagen der Anästhesie länger (Diffusion durch die Dura mater). Auch die Volumengabe der Medikation ist aufgrund des größeren Epiduralraums bei dieser Vorgehensweise erhöht. Bedingt durch die Blockade der Spinalwurzeln, kommt es zu einer Blockade der afferenten, aber unter Umständen auch der efferenten Impulse. Dies kann als Komplikation zu einem Abfall des Blutdrucks, zu Bradykardie und zur Beeinflussung der Blasen- und Darmentleerung führen. Natürlich ist auch bei den rückenmarksnahen Verfahren einer lokalen Infektion der Punktionsstelle durch regelmäßige Überwachung entgegenzuwirken. Der möglichen Entstehung eines epiduralen Hämatoms bei der Punktion ist durch regelmäßige neurologische Kontrollen zuvorzukommen, da sonst irreversible neurologische Ausfälle resultieren können.

8.4.3 Systemische Schmerztherapie Notwendige Voraussetzungen für eine patientenorientierte systemische Schmerztherapie sind – soweit möglich – die Kenntnis der Ursachen des Schmerzes (Entzündung, Spasmus, Art der Operation bzw. des operativen Zugangs, Angst oder Depression), die Kenntnis der Anatomie und der Schmerzleitung und hieraus abgeleitet das Wissen um die notwendige chirurgische, physikalische, psychologische oder medikamentöse Schmerztherapie. Die Therapie des akuten und des chronischen Schmerzes folgt unterschiedlichen Prinzipien. Während beim chronischen Schmerz mit der frühen Anwendung nichtmedikamentöser Verfahren (Psychotherapie, TENS, Akupunktur etc.) begonnen und die systemische Schmerztherapie von Nichtopioidanalgetika über mittelstarke Opioidanalgetika bis hin zu starken Opioidanalgetika gesteigert wird, erfolgt die Behandlung des akuten Schmerzes genau umgekehrt! Neben der Gabe von Nichtopioidanalgetika als Basismedikation (immer als Erstes zur Einsparung von Opioiden) kommen starke Opioidanalgetika initial bis zur kompletten Schmerzkontrolle zum Einsatz. Bisher hat man sich in der Schmerztherapie am WHO-Stufenschema orientiert. Zunehmend wird jedoch eine kausale, an Mechanismen orientierte Schmerztherapie gefordert, bei der sich die Schmerzmittelwahl nach der Schmerzursache richtet. Außerdem wird die Schmerzart (nozizeptiv, neuropathisch oder gemischt) mitberücksichtigt und die Therapie orientiert sich an der Schmerzstärke. Jede Schmerztherapie wird so individuell dem jeweiligen Patienten angepasst. stellt das WHO-Stufenschema der akuten und chronischen Schmerztherapie dar .

ABB. 8.4

WHO- Stufenschema der akuten und chronischen Schmerztherapie. [ ]

Opioide sind aufgrund ihres vorwiegend zentralen Angriffsmechanismus und ihrer Wirkstärke in einer Vielzahl von Indikationen perioperativ anwendbar. Hauptindikationen sind intraabdominale, thoraxchirurgische und größere Eingriffe am Skelett und am Weichteilsystem. In der Praxis werden im deutschsprachigen Raum v. a. die potenten Substanzen verwendet, wie bislang die wirksamen Präparate Piritramid und auch Morphin, das schwächere Tramadol sowie Tilidin plus Naloxon. Letztlich kann man nur mit einem starken Opiat starke Schmerzen befriedigend senken, wenngleich andere Pharmaka, wie z. B. die NSAID oder Clonidin, die Wirksamkeit der Opiate verbessern können. Ein starkes Opiat wird zur postoperativen Analgesie meist parenteral verabreicht, aber auch der rückenmarksnahe, der orale oder der rektale Weg sind möglich. Die Applikation sollte bei allen Opioiden in der ersten postoperativen Phase intravenös in Form der Wirkungstitrierung erfolgen. Relative und absolute Überdosierungen (auch zu schnelle Injektionen) können bei allen Opioiden zu Komplikationen und Nebenwirkungen führen, die unter anderem als Atemdepression, starke Sedierung, Übelkeit, Erbrechen, Obstipation und Miktionsstörungen auftreten können. Trotzdem gilt die Regel, dass der an postoperativen Schmerzen leidende Patient so lange mit Stufe-III-Opioiden zu therapieren ist, bis Schmerzfreiheit besteht. Die Gefahr der Überdosierung (z. B. mit der Folge der Atemdepression) ist so lange nicht zu fürchten, wie der Patient durch den Schmerz belästigt wird (Atemantrieb/Hyperventilation durch den Schmerzreiz). Das Auffinden dieser Schwelle sollte dennoch behutsam erfolgen, um die Dosis zu finden, die den Patienten schmerzfrei, aber noch nicht atemdepressiv macht. Dabei sollte jedoch diese Nebenwirkung der Atemdepression nicht überbewertet werden, stehen bei engmaschiger klinischer Patientenbeobachtung doch suffiziente Antagonisten (z. B. Naloxon 0,4 mg) zur Verfügung. Trotzdem erfordert diese Titration die Anwesenheit oder die Sofortverfügbarkeit des verantwortlichen Arztes. Nichtopioidanalgetika ( ) weisen eine antipyretische (fiebersenkende) und zum größten Teil auch eine antiphlogistische (entzündungshemmende) Wirkung auf. Alle Nichtopioidanalgetika können entweder einzeln (nach kleinen Operationen) oder auch in Kombination mit Opioiden (nach größeren Eingriffen am Weichteil- oder Skelettsystem) eingesetzt werden. Sie sollten in regelmäßigen Intervallen (in Abhängigkeit von der Wirkdauer) unter Beachtung der Tagesmaximaldosierung, Schmerzintensität und des Allgemeinzustands (Begleiterkrankungen) des Patienten gegeben werden. Die Medikation über eine intravenöse Injektion/Infusion ist wegen der schnellen Wirksamkeit der bevorzugte Applikationsweg in der frühen postoperativen Phase. Dies gilt v. a. für die Gabe starker Opioide, aber auch für schwächere Opioide, antipyretische Analgetika oder Spasmolytika. Die intramuskuläre Opiatinjektion ist abzulehnen. Sie birgt ein beträchtliches Risiko (Spritzenabszess, Nervenläsionen, Nekrosen etc.). Die orale Gabe von Analgetika ist abhängig vom Zeitverlauf und ein wichtiger Verabreichungsweg sowohl nach kleineren, v. a. ambulant durchgeführten Eingriffen als auch in der späteren postoperativen Phase. Nach größeren Operationen oder Traumen ist die orale Applikation so bald wie möglich die Methode der Wahl. Die subkutane oder rektale Verabreichung kann in der frühen postoperativen Phase als Alternative zur oralen Gabe wertvoll sein. Transkutane Techniken, z. B. das Fentanylpflaster, sind wegen der schlechten Steuerbarkeit perioperativ nicht indiziert. Für alle Applikationsformen gilt jedoch generell, dass es dem Patienten überlassen sein sollte, die Dosisintervalle für die Einnahme oder Injektion des vom Arzt festgelegten Medikaments innerhalb bestimmter Grenzen selbst zu bestimmen. Diese als patientenkontrollierte Analgesie (PCA) bezeichnete Form ist das wichtigste Therapieprinzip der postoperativen Schmerztherapie und ist weder an Geräte noch an bestimmte Applikationsformen gebunden. So entspricht das Bereitstellen der Tageshöchstdosis eines NSAID (z. B. Ibuprofen 2.000 mg, Diclofenac 150 mg) am Patientenbett auch der patientenkontrollierten Analgesie (PCA) und ist nicht an bestimmte elektronische Pumpensysteme gebunden. Der Einsatz von PCA-Pumpen empfiehlt sich nach Eingriffen oder nach Traumen, bei denen erfahrungsgemäß ein hoher, jedoch individuell schwankender Bedarf besteht und eine Regionalanalgesie nicht indiziert, nicht möglich oder zu risikoreich ist. Wie oben bereits ausgeführt, ist eine Monotherapie, d. h. die Basis einer Analgesie mit nur einem Medikament, häufig unzureichend. Eine entsprechende Kombination sollte daher die Regel sein. Der Sinn dahinter ist, dass zu unterschiedlichen Zeiten verschiedene Nozizeptorbereiche erregt werden, was zur Folge hat, dass im Laufe der Zeit unterschiedliche Schmerzcharaktere und Lokalisationen feststellbar sind, die in der Kombinationstherapie besser abgedeckt werden können. So werden Schmerzen unterschiedlicher Ursache gemindert und Dosisreduktionen der Einzelkomponenten erzielt, wodurch sich deren Nebenwirkungen reduzieren können (sog. multimodale Therapie). zeigt sinnvolle Zusammensetzungen von Kombinationstherapien auf.

Tab. 8.7 Sinnvolle Zusammensetzungen von Kombinationstherapien. Beispiel Koliken

Therapie Opioid (z. B. 50–100 mg Pethidin) plus Spasmolytikum (z. B. 10–20 mg n-Butylscopolamin) oder Metamizol bei zusätzlichen krampfartigen oder anderen viszeralen Schmerzen

große Opioid (z. B. 10 mg kurz wirksames Morphin, Sevredol ® ) plus NSAID (z. B. 500 mg Ibuprofen, 50 mg Diclofenac etc.) bei zusätzlichem MuskelBauchwandhernien und Gelenkschmerzen zur Verringerung des postoperativen Opiatbedarfs, zur Verbesserung der Physiotherapie (1–2 Stunden vorher geben) gynäkologische Operationen

Opioid plus Paracetamol; Paracetamol kann als Analgetikum mit den geringsten Nebenwirkungen angesehen und kann daher auch anstelle von NSAID oder Metamizol angesetzt werden; Zulassung für Kinder und in der Schwangerschaft

Sinus-pilonalisResektion, proktologische Operationen

Opioid plus Metamizol plus NSAID, bei Muskel- und skelettalen Eingriffen, Weichteileingriffen, leichten Eingriffen und entzündlichen Schmerzen. Diese Kombination resultiert in einer erheblichen Senkung des Opiatbedarfs (balancierte, multimodale Therapie); Metamizol wirkt zentral antinozizeptiv und spasmolytisch, NSAID zentral antinozizeptiv und peripher antientzündlich

Übelkeit und Erbrechen

Opioid plus Antiemetikum (z. B. 10 mg Metoclopramid, 62 mg Dimenhydrinat, 12,5 mg Dolasetron)

8.5 Nichtmedikamentöse Verfahren Spezielle Techniken aus dem Bereich der Pflege und der Physiotherapie, psychologische Interventionen sowie Gegenirritationsverfahren und Akupunktur können die medikamentösen Verfahren sinnvoll ergänzen. All diese Techniken zeichnen sich nicht nur durch geringe Nebenwirkungen aus, sondern vermitteln dem Patienten auch Zuwendung und persönliche Betreuung. Optimale Lagerung, entstauende Maßnahmen (z. B. Lymphdrainage) und Entlastung durch Hochlagerung und Massage sind bekannte und wirksame Maßnahmen zur Linderung postoperativer Schmerzen. Einfache Beispiele sind das Unterpolstern der Kniekehlen bei Baucheingriffen, um so die Spannung der Bauchdecke zu reduzieren, und das Hochlagern der operierten Extremitäten, um so einen besseren venösen Abfluss und damit einen geringeren Flüssigkeitsstau im Gewebe zu erreichen. Lokale Kühlung und Kompression ist ein bei Akutschmerzen häufig eingesetztes und bewährtes Mittel, auch wenn kontrollierte Untersuchungen zur optimalen Dosis und Dauer der Therapie fehlen . Neben physiotherapeutischen Maßnahmen sind psychologische Verfahren ein unverzichtbarer Bestandteil fast jeder chronischen Schmerztherapie. Einige dieser Verfahren haben sich auch in der Akutschmerztherapie bewährt. Besonders geeignet sind dazu Techniken mit überschaubarem Personal- und Zeitaufwand, die auch von „NichtPsychologen“ ausgeübt werden können. Dazu gehören Interventionen zur Verminderung von Anspannung und Angst und zur Erhöhung der Selbstkontrolle (Entspannungsverfahren, Ablenkung), Imagination und lerntheoretische Konzepte . Akupunktur ist ein immer wieder propagiertes Verfahren zur perioperativen Schmerzlinderung. Wie auch bei anderen komplementären Techniken sind spezifische, unspezifische und Plazeboeffekte nur schwer zu trennen – dies muss jedoch kein Nachteil sein. Dagegen sind die Patientenakzeptanz sowie die Verträglichkeit in der Regel außerordentlich hoch. Akupunktur ist relativ personal- und zeitaufwendig. Darüber hinaus besteht kein Konsens über Punktauswahl und Stichtechnik sowie die Anwendung von Laser- oder Elektroakupunktur. Das Prinzip der Gegenirritation beruht auf der sog. Gate-Control-Theorie: schmerzhafte Afferenzen werden im Rückenmark vom ersten auf das zweite Neuron umgeschaltet. Nichtschmerzhafte (z. B. mechanisch oder elektrisch ausgelöste) Reize, die im selben spinalen Segment eintreffen, können diese Umschaltung modulieren und die nozizeptive Weiterleitung verringern. Wahrscheinlich trägt dieses Prinzip – zumindest partiell – zur Wirksamkeit einer Vielzahl physiotherapeutischer und anderer Interventionen bei. Dazu gehört die transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS) , die sich durch eine vergleichbar einfache Anwendung auszeichnet. Durch ein tragbares Gerät wird ein Schwachstrom mit kurzen Rechteckimpulsen erzeugt, der über zwei in die Nähe des Schmerzareals zu klebende Elektroden appliziert wird. Bisweilen wird auch eine Platzierung über traditionelle Akupunkturpunkte empfohlen.

8.6 Organisation der perioperativen Schmerztherapie Die Schmerztherapie ist eine interdisziplinäre Aufgabe, an deren Durchführung sowohl Anästhesisten als auch Chirurgen beteiligt sind. So haben die Berufsverbände der Deutschen Anästhesisten (BDA) und der Chirurgen (BDC), die Deutsche Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin (DGAI) und die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) – wie später auch Fachgesellschaften anderer Disziplinen – festgelegt, dass die Zuständigkeit der Schmerztherapie wie folgt aufgeteilt ist:

• Auf der chirurgischen Bettenstation und auf chirurgisch geleiteten Intensivstationen: der Chirurg • In den Aufwachräumen und auf Intensivstationen, die unter anästhesiologischer Leitung stehen: der Anästhesist in Zusammenarbeit mit dem Operateur Als grundlegende klinikindividuelle Therapierichtlinie hat sich die Erstellung eines klinikinternen „Schmerzmanuals“ bewährt. Hierdurch ergibt sich die Möglichkeit, an die speziellen Erfordernisse der Klinik angepasste Therapiekonzepte zu entwerfen und diese für alle Mitarbeiter schlüssig und übersichtlich festzuhalten. Dieses kann sowohl in Buchform als auch elektronisch, z. B. über das Intranet, verbreitet werden. Als Grundlage für die Erstellung dieses klinikspezifischen Konzepts sollten aktuelle nationale wie internationale Leitlinien und aktuelle wissenschaftliche Literatur dienen , , . Neben den Ärzten spielen die Pflegekräfte in der Behandlung der postoperativen Schmerzen eine wichtige Rolle. Da sich die postoperative Schmerzintensität nur mit großer Unsicherheit vorhersagen lässt, ist eine individuelle Betreuung der Patienten notwendig. Diese Aufgabe sollte vornehmlich von den Pflegekräften übernommen werden, da sie den meisten und intensivsten Kontakt zu den Patienten haben. Sie sind das Sprachrohr der Patienten gegenüber dem verantwortlichen Operateur. Die Pflegekräfte sollten daher auch im Rahmen von Algorithmen mit gewissen Freiheiten ausgestattet sein, um Patientenwünschen rasch folgen zu können. Die Regeln sollten einfach sein, sich gut merken lassen, Flexibilität bei der individuellen Behandlung erlauben und eine sichere Therapie gewährleisten. Regelmäßige Fort- und Weiterbildung sind daher in Absprache mit der Pflegedienstleitung unerlässlich. Dazu gehören erstens der Umgang mit Medikamenten und zweitens die Weiterleitung relevanter Informationen an den für die Schmerztherapie verantwortlichen Arzt. Doch im Zentrum der Therapie steht immer noch der Patient. Der Patient hat ein Recht, über die postoperative Schmerztherapie aufgeklärt zu werden. Dabei sollte auch darauf hingewiesen werden, dass das Ziel der postoperativen Schmerztherapie nicht die Schmerzfreiheit, sondern die Reduktion der Schmerzen auf ein für ihn erträgliches, die Mobilisation und Schlaf erlaubendes Maß ist. Daher sollten diesbezügliche Informationen auf verschiedenen Wegen angeboten werden. Eine Möglichkeit hierfür ist die Verwendung eines Informationsblattes. Diese Informationsbroschüren liegen im Krankenhaus aus und stimmen die interessierten Patienten auf ihre Möglichkeiten und Pflichten ein. Um eine Schmerztherapie nachweisbar erfolgreich durchzuführen, ist es notwendig, die damit verbundenen Schritte zu dokumentieren. Bewährt hat sich in diesem Zusammenhang ganz besonders eine „patientennahe“ Aufzeichnung des Schmerzverlaufs in der Patientenkurve. So können sowohl Schmerzintensität wie auch die erfolgte Intervention zusammen mit dem jeweiligen Therapieerfolg übersichtlich dargestellt und – z. B. bei einer Visite – schnell und sicher nachvollzogen werden. Dabei gelten die gleichen Dokumentationsmaßnahmen wie für den Puls oder Blutdruck! Die Dokumentation der Schmerzen und Therapiemaßnahmen stellt einen Eckpfeiler in der postoperativen Schmerztherapie dar. Sie erfüllt mehrere Funktionen:

• Sie visualisiert, wie stark die Schmerzen des Patienten sind. • Sie gibt Informationen über den Umgang des Patienten mit seinem Schmerz (sog. „Schmerzakzeptanz“, in der Krankenakte dokumentiert). • Sie erlaubt die Indikation für eine Schmerztherapie. • Sie erlaubt die Kontrolle der Effektivität der eingeleiteten Therapiemaßnahmen. • Sie ist unerlässlich für Maßnahmen der Qualitätskontrolle und -sicherung.

• Sie ermöglicht die wissenschaftliche Auswertung der erhobenen Daten. Um einen möglichst hohen Standard der Schmerztherapie zu gewährleisten, ist es ratsam, eine Qualitätssicherung in der jeweiligen Klinik zu etablieren. Dies beinhaltet, dass in regelmäßigen Abständen, mindestens aber ein- bis zweimal jährlich, v. a. die neuen Kollegen in Weiterbildungsveranstaltungen fortgebildet werden. Unseres Erachtens ist es sinnvoll, vor Veränderungen in der Organisationsform der postoperativen Schmerztherapie einen Basisstatus der Station, der Klinik, des Krankenhauses zu erheben. Dazu werden z. B. Operateure, Anästhesisten und Pflegekräfte mit einem kurzen Fragebogen zu ihren Kenntnissen in der Schmerztherapie befragt. Parallel dazu kann eine Patientenbefragung zur Schmerzintensität und Patientenzufriedenheit mit einem vorgegebenen Fragebogen erfolgen. Dieses Fragebogenergebnis lässt sich nach einem halben oder einem Jahr leicht überprüfen. Für die Qualitätskontrolle der speziellen Analgesieverfahren sollte in regelmäßigen Abständen eine kurze Übersicht erstellt werden: Schmerzreduktion, Probleme, Komplikationen, Zufriedenheit der Patienten etc. Diese Daten sollten den für die Schmerztherapie Verantwortlichen sowie den operativen Partnern übermittelt werden. Mitglieder der einzelnen Fachabteilungen planen dann im Rahmen eines Qualitätszirkels neue Maßnahmen zur Therapie des Akutschmerzes und achten auf deren klinikinterne Umsetzung . Die erhobenen Daten zur Qualitätskontrolle sollten dazu dienen, Probleme zu erkennen, Lösungsstrategien zu entwickeln, diese zu implementieren und durch weitere Dokumentation den Erfolg der Maßnahmen zu überprüfen (Plan-Do-Check-Act, PDCA-Zyklus). Wertvolles Bindeglied zwischen Arzt, Patient und Pflegepersonal ist die Organisationsform eines Akutschmerzdienstes. Durch die Einführung eines – idealerweise interdisziplinären – Teams von qualifizierten und spezialisierten Pflegekräften und Ärzten lässt sich eine Organisationsstruktur schaffen, die umfassende Konzepte für das gesamte Schmerzmanagement einer Klinik entwickeln und deren Umsetzung organisieren kann . Darüber hinaus können Qualitätsmanagementprogramme für die Akutschmerztherapie eingeführt werden, um Schnittstellenproblematiken zu lösen , .

8.7 Rechtliche Aspekte Das Unterlassen der nach dem sog. Facharztstandard gebotenen Schmerztherapie kann in rechtlicher Hinsicht relevant sein. Entsprechende Versäumnisse des Arztes können zivil-, straf- und berufsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Zivilrechtlich kann der Patient vor allem Schadensersatz und Schmerzensgeld fordern. Strafrechtlich geht es um die Tatbestände der fahrlässigen Körperverletzung und der unterlassenen Hilfeleistung. In berufsrechtlicher Hinsicht ist § 1 Abs. 2 der Musterberufsordnung einschlägig, der es u. a. zur Aufgabe des Arztes erklärt, „Leiden zu lindern“. Haftungsvoraussetzung ist ein Unterschreiten des Facharztstandards. Es stellt sich die Frage, ob und in welchem Umfang der Patient Anspruch auf eine Schmerztherapie hat. Dies beurteilt sich einerseits nach dem subjektiven Schmerzempfinden des Patienten und andererseits nach dem, was die zuständige Fachdisziplin, z. B. die Anästhesiologie, auf dem Gebiet der Schmerzbehandlung und Leidensminderung gemeinhin zu leisten vermag . Dies ist keine juristische, sondern eine medizinisch-fachliche Frage, die folgerichtig in einem etwaigen Prozess nicht vom Richter, sondern von einem Sachverständigen beurteilt wird. Mit dieser Anbindung des Facharztstandards an den Stand der Wissenschaft wird zugleich seine dynamische Komponente sichtbar: Der Facharztstandard entwickelt sich ständig weiter, sodass hieraus für den Chirurgen die konkrete Verpflichtung folgt, sich auch auf dem Gebiet der Schmerzmedizin beständig fortzubilden. Er muss die modernen Verfahren der Schmerzbehandlung entweder selbst beherrschen oder zumindest in der Lage sein, den Patienten an einen geeigneten Spezialisten oder eine fachkundige Einrichtung zu überweisen . Auch die Durchführung von Schmerztherapie nach den Regeln der ärztlichen Kunst bedarf der Einwilligung des Patienten, wobei dies ebenso für invasive Maßnahmen wie für eine orale Medikation gilt. Die rechtswirksame Einwilligung wiederum erfordert eine umfassende Aufklärung. Der Schmerztherapie muss das Einverständnis des aufgeklärten Patienten zugrunde liegen. Der Patient ist dabei nicht nur über die spezifischen Risiken der Schmerztherapie aufzuklären, sondern auch über ernsthaft in Betracht kommende Behandlungsalternativen, etwa statt Regionalanästhesie eine systemische Behandlung oder ein gänzlicher Verzicht auf Schmerztherapie . Darüber hinaus muss der Arzt im Wege der sog. therapeutischen Aufklärung seinen Patienten über alle Umstände informieren, die zur Sicherung des Heilungserfolgs und zu einem therapiegerechten Verhalten erforderlich sind , etwa das Erfordernis einer strikten Einhaltung der Dosis eines verordneten Medikaments. Weiter muss die Aufklärung rechtzeitig erfolgen. Das heißt, der Patient muss den Entschluss zu einer schmerztherapeutischen Maßnahme in Ruhe überdenken und das Für und Wider abwägen können. Ist der Patient nicht in der Lage, eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen – z. B. weil Schmerzen unerwartet auftreten –, so ist in Eilfällen sein mutmaßlicher Wille entscheidend. Bei schwersten Schmerzen dürfte der mutmaßliche Wille des Patienten darauf gerichtet sein, dass der Arzt alle verfügbaren Mittel einsetzt, um die Schmerzen zu lindern. Wenngleich es für die Wirksamkeit der Aufklärung nicht zwingend einer schriftlichen Fixierung des Aufklärungsgesprächs bedarf, ist doch dringend eine entsprechende Dokumentation anzuraten. Forensischer Anknüpfungspunkt für diese Forderung ist der Umstand, dass etwa im zivilrechtlichen Haftungsprozess regelmäßig die Behandlerseite den Nachweis einer ordnungsgemäßen Aufklärung zu führen hat. Ein unterzeichneter Aufklärungsbogen erbringt dabei „einigen Beweis für das Vorliegen eines Aufklärungsgesprächs“ . Aber auch die Dokumentation des wesentlichen Verlaufs der schmerztherapeutischen Behandlung ist nicht nur aus medizinischer Sicht erforderlich, sondern rechtlich geboten. Schon das Berufsrecht formuliert in § 10 Abs. 1 der Musterberufsordnung, dass über die gemachten Feststellungen und die getroffenen ärztlichen Maßnahmen „die erforderlichen Aufzeichnungen“ vorzunehmen sind. „Gerade in der Schmerztherapie sind der Behandler des Grundleidens und der Schmerztherapeut, der Operateur und der Anästhesist, aber auch Pflegekräfte auf wechselseitige Informationen dringend angewiesen.“ Abgesehen davon kann eine unzureichende Dokumentation rechtlich weitreichende Folgen haben. Im zivilrechtlichen Haftungsprozess führt die fehlende Erwähnung eines eigentlich dokumentationspflichtigen Umstandes zu einer sog. Beweislastumkehr: Der Arzt muss nun nachweisen, dass die Behandlungsmaßnahme tatsächlich durchgeführt wurde, was ihm in vielen Fällen kaum gelingen kann. Andererseits aber hat eine ordnungsgemäß erstellte ärztliche Dokumentation im Prozess die Qualität einer Urkunde im rechtlichen Sinn, d. h., ihr kommt die Vermutung der Richtigkeit und Vollständigkeit zu. Schmerztherapie ist zu dokumentieren – von der Aufklärung bis zur Durchführung der wichtigsten Behandlungsmaßnahmen. Die Dokumentationspflicht erstreckt sich auf die wichtigsten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen sowie auf die wesentlichen Verlaufsdaten . Insbesondere betrifft das

• die Anamnese, • die Diagnostik, • Art und Dosierung einer Medikation, • ärztliche Anweisungen zur Pflege, • Abweichungen von Standardbehandlungen, • die wesentlichen Hinweise im Rahmen der therapeutischen Aufklärung sowie der Selbstbestimmungsaufklärung, • Ratschläge zum Zweck der Inanspruchnahme eines Spezialisten, • die Weigerung des Patienten, eine Untersuchung vornehmen zu lassen, • das Ergebnis der therapeutischen Maßnahmen, • das Verlassen des Krankenhauses gegen ärztlichen Rat. Die Dokumentation einer schmerztherapeutischen Behandlung sollte die Schmerzintensität, die Ursache, das Verfahren und die eingesetzten Mittel, etwaige Komplikationen sowie Hinweise auf risikoerhöhende Umstände umfassen. Werden bei der Schmerztherapie die vorstehend skizzierten juristischen Grundsätze beherzigt, ist das Risiko forensischer Auseinandersetzungen deutlich reduziert.

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Der Abschnitt „Rechtliche Aspekte“ wurde von Dr. jur. Maximilian Warntjen, Kanzlei Dierks + Bohle, Berlin, federführend juristisch überarbeitet.

KAPITEL 9

Evidenzbasierte Chirurgie und Qualitätssicherung Peter M. Markus

unter ehemaliger Mitarbeit von

, Christian Ohmann and Hans-Dietrich Röher

9.1. 9.2. 9.2.1. 9.2.2. 9.2.3. 9.3. 9.3.1. 9.3.2. 9.4. 9.4.1. 9.4.2. 9.4.3. 9.4.4. 9.4.5.

9.1 Einleitung Es wird geschätzt, dass nur ca. 20 % der Diagnosen und Therapieverfahren, die ein Arzt heute anwendet, durch wissenschaftliche Studien bewiesen sind. Auf der anderen Seite bedeutet dies, dass die überwiegende Anzahl der Entscheidungen, die ein Arzt in der täglichen Routine trifft, sich auf der good clinical practice bzw. der anerkannten und von Generation zu Generation vermittelten Lehrmeinung beruht. In den 1970er-Jahren begann man diese „Eminenz-basierte Medizin“ infrage zu stellen und das ärztliche Handeln nach wissenschaftlicher Evidenz zu hinterfragen. Evidenzbasierte Medizin (EBM) bedeutet eine auf empirische Belege gestützte Heilkunde. In den folgenden Jahren hat ein Paradigmenwechsel in allen Bereichen der Medizin stattgefunden. Heute wird an jeder Stelle der Behandlungskette nach der Evidenz, d. h. nach dem wissenschaftlichen Beweis, gefragt, auch wenn diese, wie besonders in der Chirurgie, an vielen Stellen nicht existiert. Die evidenzbasierte Medizin ist ein klares Votum für die Durchführung guter Studien und sie verlangt von uns, unser tägliches Handeln zu hinterfragen und nach wissenschaftlichen Belegen zu suchen.

9.2 Einführung in die evidenzbasierte Medizin 9.2.1 Definition und Prinzipien EBM ist der gewissenhafte und vernünftige Gebrauch der gegenwärtig besten externen wissenschaftlichen Evidenz für Entscheidungen in der Versorgung individueller Patienten. EBM bedeutet die Integration individueller klinischer Expertise mit der besten verfügbaren externen Evidenz aus systematischer Forschung. Expertise spiegelt sich auch in der Berücksichtigung der besonderen Situation, der Rechte und Präferenzen von Patienten wider . Für die praktische Anwendung von EBM ist die Kenntnis grundlegender Prinzipien notwendig. Wesentliches Element von EBM ist die Bewertung von Studien in der Literatur. Die Ermittlung einer besten verfügbaren Evidenz aus Studien impliziert eine Hierarchie von Evidenz und die Festlegung einer Evidenzstärke für Studiendesigns. Auf der höchsten Stufe der Hierarchie wird die randomisierte kontrollierte klinische Studie eingestuft, da sie mögliche Fehlerbildungen beim Vergleich von Therapien minimiert. Sie wird nur übertroffen von einer systematischen Übersichtsarbeit (Review) randomisierter Studien. Demgegenüber wird die Expertenmeinung ohne explizite kritische Bewertung der Literatur kritisch gesehen und am Ende der Skala eingestuft. Die Klassifizierung von Evidenz und die Festlegung der Evidenzniveaus wurden mehrfach überarbeitet, populär ist eine detaillierte Version des Oxford Centre of Evidence Based Medicine . In ist die Klassifikation für die Bewertung von Therapien dargestellt. Darüber hinaus gibt es entsprechende Klassifikationen für Diagnose, Prognose und andere Fragestellungen. Die Klassifikation sieht fünf Evidenzniveaus mit Unterteilungen vor. Stufe 1 umfasst im Wesentlichen randomisierte Studien, Stufe 2 gut geplante Kohortenstudien, Stufe 3 Fallkontrollstudien, die Stufe 4 Fallserien und Kohorten- bzw. Fallkontrollstudien mäßiger Qualität und Stufe 5 Expertenmeinungen ohne explizite kritische Bewertung.

Tab. 9.1 Evidenzniveaus des Oxford Centre for Evidence-based Medicine . Empfehlungsgrad

Evidenzniveau

A

Evidenz durch

1a

systematische Review randomisierter kontrollierter Studien (RCT)

1b

(eine) gut geplante randomisierte kontrollierte Studie

1c

Alle-oder-keiner-Prinzip

2a

systematische Review gut geplanter Kohortenstudien

2b

gut geplante Kohortenstudie, RCT mit mäßigem Follow-up

2c

Outcome-Research-Studien

3a

systematische Review von Fallkontrollstudien

3b

eine Fallkontrollstudie

C

4

Fallserien inkl. schlechter Kohorten- und Fallkontrollstudien

D

5

Meinung ohne explizite kritische Bewertung, physiologische Modelle etc.

B

Aus der vorhandenen Evidenz lassen sich Empfehlungsgrade ableiten, die die Stufen A bis D umfassen ( ). Dabei wird neben der methodischen Qualität die Konsistenz der Ergebnisse berücksichtigt. Aufgrund unterschiedlicher Systeme von Empfehlungsgraden sollte stets darauf geachtet werden, welches Klassifizierungssystem verwendet wird.

9.2.2 Praktische Anwendung von EBM EBM ist ein lebenslanger selbstorientierter Lernprozess, der auf fünf Schritten basiert ( ) .

Tab. 9.2 Praktische Anwendung von EBM Schritt

Aktion

1

Formulieren einer fokussierten klinischen Frage

2

Durchführen einer systematischen Analyse der Literatur

3

Bewerten der Evidenz der gefundenen Studien

4

Anwenden der Ergebnisse auf einen Patienten

5

Evaluieren des eigenen Vorgehens

.

Im ersten Schritt muss das klinische Problem in präzise beantwortbare Fragen überführt werden. Dies umfasst die exakte Charakterisierung des Patienten, die Festlegung der interessierenden Intervention, die Festlegung der Alternative, gegen die die Intervention verglichen werden soll, und die Festlegung der Ziele, die mit der betrachteten Intervention erreicht werden sollen . Auf der Basis der fokussierten klinischen Frage wird dann in einem zweiten Schritt eine systematische Suche der Literatur durchgeführt. Hierfür stehen mehrere Datenbanken zur Verfügung, so z. B. Medline, Embase, Cochrane Library und Spezialdatenbanken (z. B. CancerLit). In Medline kann unter anderem über PubMed, Ovid oder Knowledge Finder recherchiert werden. Die ausgewählten Publikationen werden im dritten Schritt hinsichtlich der Evidenz bewertet. Zunächst wird das Evidenzniveau bestimmt ( ). Schritt 4 schließlich sieht die Anwendung der gefundenen Ergebnisse auf einen speziellen Patienten vor. Hier gilt es zu prüfen, ob die Ergebnisse der Literatur tatsächlich auf den betrachteten Patienten anwendbar sind. Am Ende des Prozesses (Schritt 5) steht die Evaluierung des eigenen Vorgehens. Diese ist essenziell, da die Übertragung von Ergebnissen aus Studien der Literatur auf individuelle Patienten ergebnisoffen ist. Das dargestellte Vorgehen im Rahmen von EBM ist jedoch nur dann sinnvoll, wenn es tatsächlich zu einer guten klinischen Praxis führt.

9.2.3 Evidenzbasierte Publikationen Das Cochrane-Netzwerk Da die Bewertung der unterschiedlichen Studien den Arzt in der täglichen Routine überfordert, hat die Cochrane Collaboration, ein internationales Netzwerk von Ärzten und Wissenschaftlern, sich zur Aufgabe gemacht, systematisch aufgearbeitete Informationen zu einer Vielzahl medizinischer Fragestellungen evidenzbasiert zur Verfügung zu stellen. Die Cochrane Collaboration geht auf den britischen Arzt und Epidemiologen Archie Cochrane zurück. Das deutsche Cochrane Zentrum ist an der Universität Freiburg angegliedert ( ). Die sogenannte Cochrane Library besteht aus einer großen Sammlung systematischer Übersichtsarbeiten mit dem Ziel, die Entscheidungen des Arztes durch wissenschaftliche Erkenntnisse zu unterstützen. Diese Übersichtsarbeiten sind in Deutschland kostenpflichtig abrufbar über die Cochrane Database of Systematic Reviews: ( ) Die definierte Vorgehensweise der Cochrane-Expertengruppe verfolgt das Ziel, den systematischen Fehler (Bias) einer Metaanalyse zu minimieren. Dies wird durch folgende Schritte der Cochrane-Gruppe erreicht:

1. Identifizierung relevanter Studien aus einer Vielzahl von Quellen (einschließlich nicht publizierter Daten) 2. Auswahl der Studien und Beurteilung der Aussagekraft und möglicher Schwachstellen 3. Systematische Datensammlung 4. Bewertung der Daten im Konsens mit Festlegung der Empfehlungsstärke Leitlinien Leitlinien sind evidenzbasierte systematische Übersichtsarbeiten zu verschiedenen medizinischen Themen der Prävention, Diagnostik, Therapie und Nachsorge in der Medizin. Zweck der Leitlinien ist es, dem Arzt eine Entscheidungshilfe zu geben, einen Patienten nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft zu behandeln. Leitlinien sind herausgegeben von den verschiedenen Fachgesellschaften und müssen von den verwandten Begriffen „Richtlinie“ und „Empfehlung“ abgegrenzt werden. Während eine Richtlinie auch im juristischen Sinne bindend ist, sagt eine Empfehlung, was in einem bestimmten Fall getan werden kann. Eine Leitlinie liegt in ihrer Verbindlichkeit zwischen beiden und gibt eine Handlungsanweisung für den Standardfall. Im besonderen Fall kann der Arzt von dieser Leitlinie abweichen, falls er seine Entscheidung gut begründen kann. Dies kann z. B. zutreffen, wenn ein Patient viele Risikofaktoren hat

und eine leitliniengerechte Operationsempfehlung nicht gegeben wird. Die Leitlinien der Fachgesellschaften sind über die Homepage der Arbeitsgemeinschaft Wissenschaftlich Medizinischer Fachgesellschaften (AWMF) kostenfrei verfügbar ( ). Die AWMF unterscheidet zwischen drei Stufen von Leitlinen ( ) . Nur die auf Stufe 3 entwickelten Leitlinien sind tatsächlich evidenzbasiert. Dabei ist EBM nur als ein Element neben Logikanalyse, Konsens, Entscheidungsanalyse und Outcome-Assessment zu begreifen. Leitlinien werden regelmäßig überarbeitet.

Tab. 9.3 Drei-Stufen-Prozess der Leitlinienentwicklung der AWMF . Stufe

Beschreibung

S1

Expertengruppe

S2

Formale Konsensfindung

S3

Leitlinie mit allen Elementen systematischer Entwicklung (Logik, Konsens, EBM, Entscheidungsanalyse, Outcome-Analyse)

9.3 Evidenzbasierte Chirurgie 9.3.1 Probleme klinischer Studien in der Chirurgie Die Notwendigkeit für qualitativ hochwertige klinische Studien in der Chirurgie ist unbestritten. Dennoch gibt es nach wie vor erhebliche Defizite bezüglich Quantität und Qualität randomisierter Studien in der Chirurgie. Für viele der Entscheidungen gibt es keine randomisierten Studien. Der Anteil randomisierter Studien in der Chirurgie liegt um oder unter 5 % und ist damit im Gegensatz zu vielen anderen Fächern in der Medizin sehr niedrig , . Eine Bestandsaufnahme klinischer Studien in der Chirurgie ergab 2000 einen Anteil randomisierter kontrollierter Studien von nur 2,8 % und nur 3,4 % aller Publikationen in führenden chirurgischen Zeitschriften , . Die Gründe hierfür sind vielfältig. Eine wichtige Rolle spielt die noch skeptische Einstellung vieler Chirurgen gegenüber EBM, aber auch die große Zeitbelastung durch die Krankenversorgung und Lehre mit wenigen Reserven für die Durchführung klinischer Studien.

9.3.2 Ermittlung und Anwendung von Evidenz in der Chirurgie Bei der Bewertung der Qualität chirurgischer Studien muss zwischen der internen Validität und der externen Validität unterschieden werden. Interne Validität ist dann gegeben, wenn systematische Fehler (Bias) vermieden werden. Die wesentlichen systematischen Fehler sind in dargestellt . Man unterscheidet den Selection Bias, den Performance Bias, den Attrition Bias und den Detection Bias . Nur wenn keine systematischen Unterschiede zwischen den Untersuchungsgruppen im Hinblick auf die begleitende Versorgung bei Drop-outs und im Outcome-Assessment bestehen, kann von einer internen Validität ausgegangen werden. Externe Validität ist gegeben, wenn sich die Ergebnisse einer Studie auf andere Bereiche übertragen lassen.

ABB. 9.1

Bias-Bildung in klinischen Studien. [ ]

Für die Bewertung der Evidenz chirurgischer Studien wurden verschiedene Empfehlungen erarbeitet. enthält einen kritischen Fragenkatalog. Dabei sind drei wesentliche Fragen zu stellen: Sind die Ergebnisse valide? Welches sind die Ergebnisse? Sind die Ergebnisse auf meinen Patienten anwendbar? Chirurgen, die Studien bewerten, sollten kritisch sein und versuchen, diese Fragen für eine einzelne Publikation zu beantworten. Sie besitzen damit das Rüstzeug für die praktische Anwendung von EBM in der Chirurgie.

Tab. 9.4 Kritische Bewertung eines Artikels zu chirurgischen Interventionen . Frage Sind die Ergebnisse valide?

Kritik • Wurden die Patienten randomisiert und wurde die Randomisierung verborgen? • Wurden alle Patienten, die in die Studie aufgenommen wurden, berücksichtigt? • War das Follow-up adäquat? • Wurden die Patienten nach dem Intention-to-treat-Prinzip analysiert? • Wurde das Studienpersonal verblindet? • Waren die Therapiegruppen vor Behandlung vergleichbar? • Wurden die Gruppen, abgesehen von der experimentellen Intervention, gleich behandelt?

Welches sind die Ergebnisse?

• Wie groß war der Behandlungseffekt? • Wie präzise war die Schätzung des Behandlungseffekts?

Sind die Ergebnisse auf meinen Patienten anwendbar?

• Waren die Studienpatienten mit meinem Patienten vergleichbar? • Waren die gemessenen Outcomes relevant? • Sind meine chirurgischen Erfahrungen mit den Studienchirurgen vergleichbar?

9.4 Qualitätssicherung 9.4.1 Grundlagen Für den Begriff Qualität in der Medizin gibt es zahlreiche definitorische Ansätze . Unter anderem wird Qualität als das Maß verstanden, in dem gesundheitliche Versorgung von Individuen oder Gruppen die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass vom Patienten erwünschte, auf die Gesundheit bezogene Ergebnisse erzielt werden, und zwar in Übereinstimmung mit dem aktuellen Wissen des Berufsstandes. Unter Strukturqualität versteht man die zur Verfügung stehenden Mittel und Ressourcen sowie die physische und organisatorische Arbeitsumgebung. Prozessqualität bezieht sich auf alle Maßnahmen, die im Lauf der Behandlung eines Patienten ergriffen oder nicht ergriffen werden. Die Ergebnisqualität orientiert sich am Ergebnis der medizinischen Behandlung. Die Qualität der medizinischen Behandlung stellt nur einen Teilaspekt dar. Darüber hinaus müssen die Qualität des Services, die Qualität der Interaktion zwischen Krankenhaus und Vor- und Nachsorge sowie die wirtschaftliche Qualität berücksichtigt werden. Voraussetzung für die Bestimmung oder Optimierung der Qualität ist deren Messung. Hierzu sollen zwei verwandte Begriffe erläutert werden. Unter einem Qualitätskriterium versteht man eine Eigenschaft, deren Erfüllung typischerweise bei einer qualitativ hochwertigen medizinischen Versorgung erwartet wird (so z. B. die Wirksamkeit der ärztlichen Versorgung). Ein Qualitätsindikator ist demgegenüber eine Messgröße zur quantitativen Bestimmung einer medizinischen Qualität. Mithilfe dieses „Werkzeuges“ kann beurteilt werden, welcher Qualitätsgrad einer medizinischen Leistung erreicht wurde. Qualitätsindikatoren sind z. B. die Rezidiv- oder Reoperationsrate, die Anzahl entfernter Lymphknoten, die Nachblutungsrate etc. Schwierig ist die Auswahl der richtigen Qualitätsindikatoren für die Qualitätssicherung einer bestimmten Therapie. Das Messen der Qualität in der Chirurgie ist problematisch. Die Darstellung der Sterblichkeit auf einer Intensivstation oder eines Krankenhauses zur Qualitätsbestimmung ist nicht zielführend, da sie nicht den Schweregrad der behandelten Patienten berücksichtigt. Besser geeignet sind Scoring- Systeme wie z. B. der POSSUM (The Physiological and Operative Severity Score for the Enumeration of Mortality and Morbidity) , . Wichtig beim Vergleich von Ergebnissen verschiedener Kliniken ist die Berücksichtigung des Schweregrades des Krankengutes bzw. des Case-Mix- Index. Dieser Fallschwere-Index beschreibt den durchschnittlichen Schweregrad der Patientenfälle. Qualitätsstandards bezeichnen die zulässige oder gewünschte Ausprägung eines Qualitätskriteriums, z. B. die Rate thromboembolischer Komplikationen ist nicht höher als 2 % bei der Cholezystektomie. Qualitätsstandards lassen sich differenzieren nach Aussagen über eine minimale akzeptable Performance (Minimalstandard), eine exzellente Performance (Maximalstandard) oder einen Bereich akzeptabler Performance. Der Maximalstandard reflektiert die bestmöglichen Ergebnisse unter den besten Bedingungen ohne Berücksichtigung von Geld und Ressourcen. Mithilfe von sogenannten Referenzbereichen werden zulässige Werte für ein Qualitätskriterium definiert.

9.4.2 Qualitätssicherung Unter Qualitätssicherung versteht man Aktivitäten, die bei Kunden und Partnern im Gesundheitswesen Vertrauen schaffen, dass eine Organisation alle festgelegten, üblicherweise vorausgesetzten und verpflichtenden Erfordernisse und Erwartungen erfüllt. Damit ist Qualitätssicherung Teil eines übergreifenden Qualitätsmanagements. Traditionell wurde zwischen interner und externer Qualitätssicherung unterschieden. Zu den internen Qualitätssicherungsmaßnahmen, wie sie in der Mehrzahl der Kliniken durchgeführt werden, gehören Konsile, Fallkonferenzen, Autopsien, Zweitmeinungsverfahren, Mortalitäts-/Morbiditätskonferenzen und interne Leistungs- und Komplikationsstatistiken. Die Arbeit verschiedener Kommissionen, wie z. B. Arzneimittel-, Hygiene- und Transfusionskommission, dient ebenfalls der internen Qualitätssicherung. Unter externer Qualitätssicherung werden Qualitätssicherungsmaßnahmen mit externen Vergleichen verstanden. Für zugelassene Krankenhäuser werden Maßnahmen der Qualitätssicherung nach § 137 SGB V vorgeschrieben. Das Verfahren wird über die Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung GmbH (BQS) organisiert . Alle Krankenhäuser dokumentieren qualitätsrelevante Daten für definierte Leistungsbereiche und senden diese an die BQS. Die BQS wertet diese Daten nach festgelegten Konzepten aus und stellt die Ergebnisse in Form von Berichten und Empfehlungen zur Verfügung.

9.4.3 Qualitätsmanagement Unter Qualitätsmanagement versteht man aufeinander abgestimmte Tätigkeiten zum Leiten und Lenken einer Organisation bezüglich Qualität, die das Festlegen der Qualitätspolitik und der Qualitätsziele, die Qualitätsplanung, die Qualitätslenkung, die Qualitätssicherung und die Qualitätsverbesserung umfassen. Bei einem umfassenden Qualitätsmanagement im Krankenhaus stehen neben der Qualität der Leistung gleichberechtigt die Zufriedenheit des Kunden und die Kosten-Nutzen-Relation. Die Verpflichtung zur Einführung eines Qualitätsmanagementsystems ergibt sich aus § 135 SGB V. Auf der Basis von § 137 SGB V wurden durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) die Ziele und Anforderungen an ein einrichtungsinternes Qualitätsmanagement definiert. Die DIN-Norm ISO 9001: 2000 beschreibt den Weg zur Einführung, Aufrechterhaltung und ständigen Verbesserung eines Qualitätsmanagementsystems im Krankenhaus. Es umfasst die Formulierung einer Qualitätspolitik und daraus ableitbare Qualitätsziele und die Erstellung eines Qualitätsmanagementhandbuchs. Der Aufbau eines QM-Systems nach DIN ISO 9001: 2000 kann durch ein akkreditiertes Unternehmen zertifiziert werden.

9.4.4 Institutionen der Qualitätssicherung in der Medizin

Rechtsgrundlage für eine externe Qualitätssicherung sind § 135a und § 137 SGB V. Die gesetzlichen Regelungen werden durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) in bindende Richtlinien der Krankenhäuser umgesetzt. Eine Vielzahl von Institutionen ist an der Qualitätssicherung im Gesundheitswesen beteiligt. Unten aufgeführte Institutionen sind eine Auswahl. Die Bundesstelle für Qualitätssicherung BQS wurde von den Spitzenverbänden der gesetzlichen und privaten Krankenkassen, der Krankenhausgesellschaft, der Bundesärztekammer sowie dem Deutschen Pflegerat mit der externen Qualitätssicherung und der Durchführung von Qualitätsmaßnahmen für die nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhäuser beauftragt. Dieser endete im Jahr 2009 und wurde ab dem Jahr 2010 auf das AQUA-Institut (Institut für angewandte Qualitätsförderung und Forschung im Gesundheitswesen mit Sitz in Göttingen) übertragen. Einbezogen in die externe Qualitätssicherung sind zurzeit 30 Operationen und Diagnosen in der Medizin. In der Viszeralchirurgie betrifft dies vor allen Dingen die Cholezystektomie. In der Jahresauswertung wird das eigene Qualitätsniveau mit anderen Kliniken (Benchmark) verglichen. Abweichungen vom Referenzbereich müssen im strukturierten Dialog erklärt bzw. begründet werden. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) ist ein unabhängiges wissenschaftliches Institut, das Nutzen und Schaden medizinischer Maßnahmen in der Medizin untersucht. Das Institut informiert wiederholt über Nutzen und Risiken verschiedener Diagnoseverfahren und Therapien. Das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZO), gegründet 1995, ist ein gemeinsames Kompetenzzentrum der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung. Zweck dieser Einrichtung ist die Unterstützung der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung bei ihren Aufgaben der Qualitätssicherung. Die Kooperation für Transparenz und Qualität im Krankenhaus (KTQ – GmbH) wird getragen von GKV-Spitzenverbänden, der Bundesärztekammer, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem Deutschen Pflegerat. Das KTQ-Zertifikat wird immer für das gesamte Krankenhaus vergeben. Es setzt die Erarbeitung eines Leitbildes, eine Selbstbewertung durch ein interdisziplinäres Lenkungsteam und eine Vor-Ort-Überprüfung des Qualitätsmanagementsystems durch ein externes Visitorenteam voraus. Zu Beginn des Jahres 2013 sind über 1.500 Kliniken in Deutschland nach KTQ zertifiziert. Medizinische Fachgesellschaften, insbesondere die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie (DGCH) und die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV), haben eigene Qualitätsprogramme und sind Träger verschiedener Zertifizierungen (siehe Zertifizierung in der Viszeralchirurgie). Das unabhängige Institut OnkoZert betreut im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft das Zertifizierungssystem zur Überprüfung von Organkrebszentren. Ziel der Deutschen Krebsgesellschaft ist es, die Entstehung verschiedener onkologischer Zentren mit einem festgelegten qualitativen Anspruch auf freiwilliger Basis zu unterstützen und letztlich die breite Versorgung von Patienten mit Tumorleiden in Deutschland zu verbessern. Die Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften e. V. ( AWMF ) ist ein Zusammenschluss von 163 wissenschaftlichen Fachgesellschaften. Sie geben regelmäßig Leitlinien zu einer Vielzahl medizinischer wie auch chirurgischer Themen unter kostenfrei heraus. Der TÜV ist für die Zertifizierung nach DIN ISO zuständig. Diese Verfahren dienen zur Optimierung der Prozessqualität. Die eigentlich medizinische Qualität wird nicht erfasst.

9.4.5 Qualitätsbildende Maßnahmen Eine Vielzahl von sehr unterschiedlichen Verfahren hat die Verbesserung der medizinischen Qualität zum Ziel. Im Folgenden wird eine Auswahl von Maßnahmen aufgeführt, die in der Allgemein- und Viszeralchirurgie Bedeutung haben.

Sicherheitscheckliste Chirurgie Die chirurgische Sicherheitscheckliste ( ) geht aus einer Initiative für Patientensicherheit der WHO hervor und wird publiziert durch die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie und die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie auf deren Internet-Seiten (z. B. ). Als zentraler Kernpunkt gilt heute das Team-Time-out, in dem vor dem Hautschnitt von Operateur, Anästhesist und Pflegepersonal, der Name des Patienten, die durchzuführende Operation und vorhersehbare kritische Ereignisse benannt werden. Dies ist eine sehr einfache, aber eminent wichtige Prozedur, die eine Verwechslung eines Patienten oder eine falsche Maßnahme verhindern kann. Allen Chirurginnen und Chirurgen wird diese Maßnahme dringend vor jeder Operation zur Erhöhung der Patientensicherheit empfohlen.

Sicherheitscheckliste Chirurgie. Die Checkliste basiert auf einer Initiative der WHO zur Erhöhung der Patientensicherheit und wird durch die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie ( ) und die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie ( ) unterstützt. [ ] ABB. 9.2

Die Erstellung von Clinical Pathways oder Standard Operating Procedures (SOP) Sie sind heute Grundlage vieler Arbeitsprozesse im Gesundheitswesen. Das standarisierte Vorgehen innerhalb eines Prozesses wird detailliert beschrieben und ist somit transparent und für Arzt und Patient nachvollziehbar. SOP richten sich nach anerkannten Leitlinien.

Mindestmengenvereinbarung

Der Einfluss der Mindestmengenvereinbarung durch den gemeinsamen Bundesausschuss im Jahre 2005 stellt eine direkte und weitreichende Einflussnahme der Politik und Krankenkassen auf die Behandlungsfreiheit der Krankenhäuser dar. Basierend auf einen Zusammenhang zwischen Quantität und Qualität in der Therapie formulierte der Gemeinsame Bundesausschuss eine Richtlinie, wonach ein Krankenhaus bei Unterschreitung der Mindestmenge diese Leistung nicht mehr zulasten der gesetzlichen Krankenkasse erbringen darf. Ausgenommen sind Notfälle. In der Viszeralchirurgie gelten zurzeit folgende Mindestmengen:

1. Komplexe Eingriffe am Ösophagus 10 Eingriffe pro Krankenhaus/Jahr 2. Komplexe Eingriffe am Pankreas 10 Eingriffe pro Krankenhaus/Jahr 3. Lebertransplantationen 20 Eingriffe pro Krankenhaus/Jahr 4. Nierentransplantationen 25 Eingriffe pro Krankenhaus/Jahr Weitere Mindestmengen für andere Organsysteme wie Darm, Leber, Gallenwege und auch Hernien sind in der Diskussion, scheitern zurzeit aber entweder an fehlender Evidenz und/oder an Gegenargumenten der Ärzteschaft, die eine zu große Konzentration und Spezialisierung der Krankenhäuser mit ihren negativen Folgen unter anderem für die Weiterbildung junger Kolleginnen und Kollegen befürchten. Seit dem Jahr 2005 sind die Krankenhäuser gesetzlich verpflichtet, alle zwei Jahre einen strukturierten Qualitätsbericht zu verfassen. Diese Veröffentlichung der Krankenhausleistungsdaten soll die Transparenz für Patienten und alle weiteren Teilnehmer des Gesundheitssystems erhöhen. Praktisch sind sie für den Laien unübersichtlich und schwer zu interpretieren.

Die Zertifizierung in der Viszeralchirurgie Da es in der Medizin eine Vielzahl von Zertifizierungsanbietern gibt, soll im Folgenden nur auf die Initiative der Deutschen Gesellschaft der Allgemein- und Viszeralchirurgie hingewiesen werden, die über verschiedene Arbeitsgemeinschaften Qualitätsstandards nach wissenschaftlichen Erkenntnissen und klinischer Erfahrung entwickelt hat. Nach Beantragung erteilt die DGAV nach Prüfung eine Erstzertifizierung für drei Jahre. Eine Re-Zertifizierung ist möglich, wenn der Nachweis valider Daten zu Prozess- und Ergebnisqualität erfolgt. Eine Prüfung erfolgt vor Ort durch einen erfahrenen Chirurgen (Audit). Zertifizierungen durch die DGAV sind in folgenden Schwerpunkten möglich:

• Adipositas und metabolische Chirurgie • Koloproktologie • Endokrinologie • Endoskopie • Hernienchirurgie • Leber-, Galle-, Pankreaserkrankungen • Minimalinvasive Chirurgie • Oberer Gastrointestinaltrakt • Onkologie, Organgruppe Peritoneum Eine Zertifizierung ist in Abhängigkeit von der Größe der Abteilung, der Fallzahl und der nachweisbaren Qualität als Kompetenz-, Referenz- oder Exzellenzzentrum möglich. Es soll an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass weitere Gesellschaften Träger von Zertifizierungsverfahren sind. Am bekanntesten in der Viszeralchirurgie ist die Zertifizierung als Darm- oder Pankreaszentrum nach OnkoZert, einem unabhängigen Institut, das im Auftrag der Deutschen Krebsgesellschaft arbeitet ( ).

Literatur [1] Alderson P., Green S., Higgins J.P.T., eds. Cochrane Reviewers' Handbook 4.2.2 (updated March 2004). The Cochrane Library. 2004; (Issue 1) [John Wiley & Sons, Ltd Chichester]. [2] Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) und die Zentralstelle für Qualitätssicherung (ÄZQ). Das Leitlinienmanual. Zeitschrift für ärztliche Fortbildung und Qualitätssicherung 2001; 95 (Suppl. 1). [3] Bundesärztekammer, Kassenärztliche Bundesvereinigung, Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften. Curriculum Qualitätssicherung/Ärztliches Qualitätsmanagement, 3. Aufl. 2003. [4] Copeland, G. P., Jones, D., Walters, M. POSSUM: A scoring system for surgical audit. Br J Surg . 1991; 78:355–360. [5] Gordon T., Cameron J.L., eds. Evidence-based surgery. BC Decker, 2000. [6] Levin, A. Evidence-based medicine gaining supporters. Ann Intern Med . 1998; 128:334–336. [7] Markus, P. M., et al. Predicting postoperative morbidity by clinical assessment. Br J Surg . 2005; 92:101–106. [8] Mohr, V. D., et al, Qualität sichtbar machen. BQS – Qualitätsreport. 2003. BQS Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung GmbH, Düsseldorf, 2004. [9] Ohmann, C. Was ist Qualitätsmanagement? In: Scheibe O., Ekkernkamp A., eds. Qualitätsmanagement in der Medizin. Handbuch für die Klinik und Praxis . Landsberg: Ecomed; 1997:1–17. [10] OCEBM Levels of Evidence Working Group. The Oxford 2011 Levels of Evidence. Oxford Centre for Evidence-Based Medicine. (letzter Zugriff: 4. Oktober 2013) [11] Perleth M., Antes G., eds. Evidenzbasierte Medizin. Wissenschaft im Praxisalltag. München: MMV Medizin Verlag, 1998. [12] Sackett, D. L., et al. Evidence-Based Medicine. How to practice and teach EBM . Edinburgh: Churchill Livingstone; 1998. [13] Solomon, M. J., McLeod, R. S. Clinical studies in surgical journals – have we improved? Dis Colon Rectum . 1993; 36:43–48. [14] Solomon, M. J., McLeod, R. S. Surgery and the randomised controlled trial: past, present and future. MJA . 1998; 169:380–383. [15] Swank, D. J., Swank-Bordewijk, S. C.G., Hop, W. C.J., et al. Laparoscopic adhesiolysis in patients with chronic abdominal pain: a blinded randomised controlled multi-centre trial. Lancet . 2003; 361:1,247–1,251. [16] Urschel, J. D., Goldsmith, C. H., Tandan, V. R., Miller, J. D., V for the Evidence-Based Surgery Working Group. Users' guide to evidence-based surgery: how to use an article evaluating surgical interventions. Can J Surg . 2001; 44:95–100. [17] Wente, N. M., Seiler, C. M., Uhl, W., Büchler, M. W. Perspectives of evidence-based surgery. Dig Surg . 2003; 20:263–269.

KAPITEL 10

Chirurgie und neue Entgeltsysteme Hartwig Bauer

10.1. 10.2. 10.3. 10.4. 10.5.

Ärztliches Handeln wird zunehmend von externen Faktoren beeinflusst. So sehen sich auch Chirurgen Herausforderungen gegenüber, die primär außerhalb ihres eigentlichen Kompetenzbereichs liegen. Deshalb sollen neben patientenbezogenen diagnose- und therapierelevanten Themen in diesem Lehrbuch auch gesundheitspolitische und ökonomische Sachverhalte angesprochen werden. Die Einführung des Systems der diagnosebezogenen Fallgruppen (DRG, Diagnosis-Related Groups) als neues pauschaliertes Entgeltsystem in die Krankenhausfinanzierung ab 2004 brachte die gravierendsten Veränderungen, denen sich die Krankenhäuser und im besonderen Maße die chirurgischen Fächer bisher gegenübersahen. Bei den sich stetig wandelnden Rahmenbedingungen mit kontinuierlicher Anpassung und Ausdifferenzierung der Fallpauschalen und der Kodierrichtlinien soll vorwiegend auf die systemisch bedingten Strukturveränderungen und die daraus resultierenden Herausforderungen für die Krankenhäuser eingegangen werden.

10.1 Die Fallpauschalenverordnung und ihre Auswirkungen auf die stationäre Leistungserbringung Die für die Systemauswahl zuständigen Organe der Selbstverwaltung hatten sich für das australische AR-DRG-System entschieden, das vor allem durch eine einfache und transparente Abrechnungslogik beeindruckte. Damit sollte das alte System der Finanzierung über tagesgleiche Pflegesätze mit dem ihm zugrunde liegenden Kostendeckungsprinzip durch eine diagnose- bzw. fallbezogene Vergütung abgelöst werden. Patienten werden anhand medizinischer Daten (Diagnosen, durchgeführte Behandlungen) und patientenindividueller Größen zu Abrechnungszwecken in Fallgruppen klassifiziert. Diese dienen jedoch nicht der Bestimmung der medizinischen Behandlung, sondern berücksichtigen den erforderlichen typischen Aufwand (Behandlungskosten). Die Fallgruppen werden mit einer sogenannten Bewertungsrelation (BR) belegt, in der sich die unterschiedlichen Behandlungskosten der jeweiligen Fallgruppe widerspiegeln. Als Ausdruck des Schweregrades der behandelten Patienten berechnet sich der Case Mix Index aus dem Case Mix (Summe der Gewichte aller erbrachten DRGs) geteilt durch die Fallzahlen. Die DRG werden mithilfe eines vom Institut für Entgeltsysteme im Krankenhaus (InEK) freigegebenen Computerprogramms („Grouper“) aus den Diagnose- und Prozedurenkatalogen (ICD-10-GM und OPS) sowie den zusätzlichen fallbezogenen Variablen (z. B. Alter des Patienten, Verweildauer, Zahl der Stunden maschineller Beatmung usw.) generiert. Das DRG- System wurde als Grundlage für mehr Transparenz und Vergleichbarkeit der Leistungen, als Anreiz für mehr Wirtschaftlichkeit und Wettbewerb und damit als Instrument zur Begrenzung des Kostenanstiegs in den Krankenhäusern gepriesen. Die Übertragung der AR-DRGs auf deutsche Verhältnisse (German-DRG, G-DRG) führte jedoch zu größeren Problemen als ursprünglich angenommen. Durch deutlich kompliziertere Klassifikationen und Kodierregeln und die Vorgabe, nahezu alle Krankenhausfälle abzubilden (100 %-Ansatz), ist ein Abrechnungssystem entstanden, das so weder in Australien noch in anderen Ländern mit unterschiedlichen DRG-Systemen hinsichtlich seiner Praktikabilität im Krankenhausalltag und seiner ökonomischen Auswirkungen geprüft worden ist. Die inhaltliche Ausgestaltung des Systems ist durch eigene Kostenkalkulationen und Ermittlung deutscher Relativgewichte sowie kontinuierliche Anpassungen der Fallklassifikationen in den Folgejahren sicher transparenter und damit auch planbarer geworden („lernendes System“). Durch eine Optimierung der medizinischen Dokumentation und eine Verbesserung der innerklinischen Ablaufsteuerung haben die Ärzte dabei einen entscheidenden Beitrag zur künftigen Erlössituation ihrer Krankenhäuser zu leisten. Dabei galt es vor allem Lösungen zu finden, die eine hohe Codierqualität sicherstellen und die Ärzte von den ihnen übertragenen, nicht patientenbezogenen Tätigkeiten entlasten. Die Einführung des DRG-Systems hat lediglich einen bereits seit Langem in Gang gekommenen Veränderungsprozess in den Klinikstrukturen (Reduktion der vorgehaltenen Betten, der Belegungstage und der Verweildauer) weiter befördert. Das DRG-System hat längst schon in Gang gekommene Veränderungen der Krankenhausstrukturen, erkennbar an den zentralen Indikatoren der Krankenhäuser, sicher befördert, sie aber keineswegs so beschleunigt, wie das ursprünglich angenommen wurde (Kap. ).

ABB. 10.1

Entwicklung zentraler Indikatoren der Krankenhäuser (1991 = 100). [ ]

Ein Wandel in den Versorgungsstrukturen mit sektorübergreifenden Angeboten (integrierte Versorgung, medizinische Versorgungszentren), eine verstärkte „Ambulantisierung“ der Medizin, Fallzahlkonzentrationen durch Mindestmengenregelungen sowie verstärkte Transparenz durch gesetzlich vorgegebene Qualitätsberichte haben sich auf die Versorgungsangebote ausgewirkt. Markt und Wettbewerb greifen heute stärker regulierend ein als die bisherigen Vorgaben einer weiter in Verantwortung der Länder liegenden Krankenhausplanung. Eine gemeinsame DRG-Kommission der Fachgesellschaften und des Berufsverbands hat sich frühzeitig mit der Systematik der DRGs und deren Auswirkung auf die chirurgische Versorgung auseinandergesetzt. Ziel war es, durch kontinuierliche Publikationen, informative Praxisbeispiele und einen umfangreichen Kommentar auf die Umsetzung des neuen Entgeltsystems und seiner ständigen Weiterentwicklung vorzubereiten (Beispiel+ ).

Tab. 10.1 G-DRG Update 2013. Resektionen von Nachbarorganen, die in Verbindung mit Kolon- und Rektumeingriffen zu einer Höhergruppierung führen. OPS-Kode

Eingriff

5–413.-

Splenektomie

5–434.- bis 5–443.-

Resektion des Magens

5–454.-

Resektion des Dünndarms

5–501.- bis 5–502.-

Resektion der Leber

5–524.- bis 5–525.-

Pankreasresektion

5–553.- bis 5–554.-

Nephrektomie

5–575.- bis 5–576.-

Teilresektion der Harnblase

5–604.-

Resektion der Prostata

5–685.-

Uterusexstirpation

5–687.-

Exenteration des weiblichen kleinen Beckens

Nachdem die Qualität der DRG- Kodierung in besonderem Maße die Höhe des Budgets einer Klinik beeinflusst, muss alles getan werden, um hier bessere Voraussetzungen für das Medizin-Controlling, v. a. auf Abteilungsebene, zu schaffen. Bei der Ausstattung der Krankenhäuser mit effizienten und nutzerfreundlichen EDV-Lösungen, ohne die sich diese Aufgaben nicht bewältigen lassen, besteht bis heute z. T. noch erheblicher Handlungsbedarf. Dass diese zeitaufwendigen Dokumentations- und Kodierarbeiten bei den sehr knappen Personalschlüsseln letztlich zulasten der für die Patientenversorgung verfügbaren Zeit gehen, darauf wurde immer wieder warnend hingewiesen. Wenn auch der ärztliche Arbeitsaufwand für rein administrative Dokumentationsaufgaben – nach einer Studie des Deutschen Krankenhausinstitutes zu Zeiten der Einführung des DRG- Systems arbeitstäglich mit 40 Minuten berechnet – heute etwas geringer sein dürfte, ist er in seinem Umfang dennoch nicht akzeptabel, zumal der Aufwand für die patientenbezogene Dokumentation im gleichen Zeitraum zugenommen hat. Dies alles geschieht vor dem Hintergrund eines sich abzeichnenden gravierenden Ärztemangels. Hier sind dringend weitere Veränderungen im Sinne der konsequenten Übertragung der Kodierarbeiten auf dafür geschultes nichtärztliches Personal notwendig. Der ärztliche Part sollte auf eine Supervision durch Ärzte innerhalb des medizinischen Controllings beschränkt werden. Verschiedene Studien haben bewiesen, dass Kodierfehler durch den Einsatz professioneller „Kodierer“ erheblich reduziert werden und der Zeitaufwand pro Fall für speziell geschultes Personal deutlich geringer ist. Bei gleichzeitig verbesserter Dokumentationsqualität ist so eine Entlastung der knappen Ressource Arzt zu erreichen. Die Kosten für das Kodierpersonal werden durch die verbesserte Erlössituation kompensiert, die aus der erhöhten Kodierqualität resultiert. Systemimmanente Fehlanreize fördern Fallzahlsteigerungen insbesondere bei operativen Leistungen und ein überproportionales Wachstum infolge starker Mengendynamik. Kritisch müssen ökonomische Fehlanreize im DRG-System gesehen werden, was vor allem eine Indikationsausweitung zur Fallzahlsteigerung anbelangt. Letztere lag in Vergleichsstatistiken der OECD-Länder deutlich über den durchschnittlichen Steigerungsraten bzw. populationsbezogenen Häufigkeiten, wobei dies weniger für Eingriffe im Bereich der Viszeralchirurgie als vor allem für Operationen am Bewegungsapparat zutrifft (Kap. ,Kap. ).

Tab. 10.2 Eingriffe in deutschen Kliniken – OECD-Vergleich je 100.000 Einweisungen (OECD Health Data 2012). Art des Eingriffs

Deutschland

OECD-Durchschnitt

Brusterhaltende OP

232

108

Knieendoprothese

213

122

Hüftendoprothese

295

154

Katarakt-OP

178

118

Tonsillektomie

157

80

Perkutane Koronarintervention

624

177

ABB. 10.2

Anstieg der Operationshäufigkeit in den Jahren nach DRG-Einführung (2005–2011). [ ]

Zu systemimmanenten Fehlanreizen zählen auch eine mögliche Selektion von Krankheitsfällen, z. B. von DRGs mit geringen Kosten, die frühzeitige Verlegung oder Entlassung besonders aufwendiger Krankheitsfälle, ein Fallsplitting zur Erlössteigerung und die geplante Wiederaufnahme von Patienten. Hier sind im Gegensatz zu den USA im G-DRG-System allerdings Einschränkungen gegeben: Für die Wiederaufnahme eines Patienten wegen der gleichen Erkrankung oder ihr zuzurechnender Komplikationen innerhalb von 30 Tagen wurde eine Fallzusammenführung festgelegt. Eine zu frühe Entlassung von Patienten („blutige Entlassung“) sollte dadurch verhindert werden, dass sie zu einer Reduzierung der Vergütung führt. Die dazu eingeführte untere Grenzverweildauer (uGVD) mit Vergütungsabschlägen bei deren Unterschreitung hat sich seitens der Kostenträger zu einem überzogenen Rabattierungsinstrument entwickelt. Sie ist der hauptsächliche Grund für Auseinandersetzungen mit dem Medizinischen Dienst der Krankenversicherung bei insgesamt ständig zunehmenden Prüfverfahren, welche die Kliniken erheblich belasten. Der Leistungszuwachs vergangener Jahre in den Krankenhäusern gründet sich insbesondere auf eine starke Mengendynamik von DRG-Leistungen und weniger auf die demografisch bedingten Entwicklungen. Mit Kennzahlen wie Betten oder Kliniken, gemessen an der Bevölkerung, am Verhältnis der Behandlungskosten zum Bruttoinlandsprodukt oder der Häufigkeit angewandter Therapien, liegt Deutschland deutlich über dem OECD-Durchschnitt (Kap. ).

ABB. 10.3

Zahl der Krankenhausbehandlungen je 1.000 Einwohner. OECD-Vergleich 2010. [ ]

Die für die Versorgung zuständigen Bundesländer genehmigen zwar immer noch Krankenhäuser und Fachabteilungen, doch werden die Kosten de facto weit überwiegend von den Kassen getragen. Denn aus den Investitionen in Gebäude und Großgeräte, für welche die Länder im Rahmen der dualen Finanzierung aufzukommen hätten, haben sie sich längst zurückgezogen. Die Kliniken sind gezwungen, aus den dafür nicht kalkulierten Fallpauschalen auch noch Anteile für Investitionen „herauszupressen“, was wiederum den Mengenausweitungen Vorschub leistet. Bei der Bewertung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB) wurde 2012 mit der Einführung des Paragrafen 137e SGB V und der Neuregelung des Paragrafen 137c SGB V die bisherige Systematik wesentlich umgestaltet. Die 2012 erfolgte Neuregelung zur Einführung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB) in die gesetzliche Krankenversicherung brachte für Krankenhäuser einige Besonderheiten. Mit der Einführung des § 137e SGB V und der Neuregelung des § 137c SGB V hat die bisherige Systematik eine wesentliche Umgestaltung erfahren, auch wenn die Differenzierung zwischen ambulantem Sektor und stationärem Bereich bestehen blieb. NUB bedürfen in der ambulanten Versorgung der Zulassung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA), man spricht vom sogenannten Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Hingegen gilt im stationären Sektor die Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt. § 137c SGB V sieht nunmehr eine gestufte Überprüfungsmöglichkeit des Nutzens einer neuen Methode vor. Die Bewertung von NUB, deren Nutzen noch nicht hinreichend belegt ist, knüpft nunmehr an die Frage an, ob die Methode das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative aufweist. In diesem Fall beschließt der GBA eine Richtlinie zur Erprobung, um genauere Erkenntnisse über die Methode zu erlangen. Insofern rechtfertigt allein der fehlende Nutzenbeleg nicht mehr den Ausschluss einer Methode aus der stationären Versorgung. Zugleich kann der GBA für die Erbringung der fraglichen Methode auch außerhalb der Erprobung Anforderungen an die Qualität festschreiben. Demgegenüber erhalten zwar solche Krankenhäuser, die an der Erprobung teilnehmen, eine Zusatzvergütung in Form einer Aufwandsentschädigung. Allerdings ist die Erprobung ohnehin mit hohen Zusatzkosten – schon wegen der umfangreichen Dokumentationskosten – verbunden. Die Neuregelung bleibt nicht zuletzt deshalb mit vielen Fragen verbunden. Die praktische Implementierung und die Fortentwicklung des Systems sind daher kritisch zu begleiten.

G-DRG-Begleitforschung Vom Gesetzgeber war zwar bereits mit Einführung des neuen Systems eine Begleitforschung zu den dadurch ausgelösten Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung vorgeschrieben; diese wurde aber erst mit erheblicher zeitlicher Verzögerung während der Folgejahre aufgenommen. Der 2013 vorgelegte Abschlussbericht des dritten Forschungszyklus zur G-DRG-Begleitforschung hat den Zeitraum von 2008 bis 2010 und damit das Ende der Konvergenzphase auf Landesebene bzw. den Übergang in den Routinebetrieb des Fallpauschalensystems untersucht. Im Zusammenhang mit der Einführung der DRG konnten weder Qualitätsverschlechterungen noch Änderungen beim Verlegungsverhalten festgestellt werden. Die Fallzahlen veränderten sich unmittelbar nach Einführung des DRG-Systems zunächst kaum, stiegen dann aber an (2006–2008: jährlich um 2,1 Prozent, 2008–2010: jährlich um 1,5 Prozent). Sowohl bei der Fallzahl als auch beim Case-Mix haben sich deutliche Verschiebungen hin zu Leistungen mit einem überdurchschnittlichen Sachkostenanteil gezeigt. Danach gab es insbesondere mehr Bandscheibenoperationen, mehr Defibrillatorimplantationen, mehr Endoprotheseneingriffe am Kniegelenk und mehr endovaskuläre Herzklappenimplantationen (Kap. ). Neben den Auswirkungen auf die Leistungen ließ sich feststellen, dass sich die Krankenhäuser aufgrund der aus dem DRG-System resultierenden Anreize für eine wirtschaftliche Leistungserbringung zu vielfältigen Reorganisationsmaßnahmen veranlasst sahen. Nach Auswertung der GKV-Routinedaten (Abrechnungsdaten) kommt die Begleitforschung zu dem Schluss, dass es durch die Einführung des Fallpauschalensystems nicht zu einer systematischen Verschlechterung der Versorgungsqualität in Form von steigenden poststationären Mortalitätsraten kam. So hat die Sterblichkeit während eines stationären Aufenthalts und bis zu 30 Tage danach im Jahr 2010 um 7,8 Prozent unter der im Jahr 2004 gelegen. Auch die nach § 137 SGB V von der externen Qualitätssicherung gemessenen und über den Zeitraum 2004 bis 2010 vergleichbaren Ergebnisqualitätsindikatoren zeigten eine positive Entwicklung. Das Gleiche gilt für die in die Untersuchung einbezogenen Indikatoren der Prozessqualität. In den Rehabilitationskliniken stieg der Anteil der Patientenzugänge aus dem Krankenhaus in der DRG-Einführungsphase (2004–2006) deutlich von 32,7 auf 40 Prozent, ist seit 2006 aber nahezu konstant geblieben. Damit konnte sich ein in einer früheren Untersuchung festgestellter Trend nicht bestätigen, dass nach der Einführung des pauschalen Vergütungssystems in Krankenhäusern zahlreiche Patienten ihre Reha-Maßnahmen mit einem deutlich schlechteren Gesundheitszustand begannen. Als Grund dafür wurden die verkürzten Liegezeiten in den Kliniken angesehen. Da die Zahl der Fälle und der Pflegetage in den Rehakliniken aber sowohl vor als auch nach Einführung der Fallpauschalen stark schwanken, gibt es insgesamt keine Belege dafür, dass es zu einer durch das DRG-System bedingten Übertragung von Leistungen aus der akutstationären Versorgung in den Bereich der Rehabilitation gekommen ist.

10.2 Behandlungspfade als zentrales Steuerungsinstrument Entscheidend ist eine verbesserte Ablaufplanung, die nicht nur die zeitliche Schiene des Patientendurchgangs durch das Krankenhaus (Termin- und

Kapazitätsplanung), sondern ganz wesentlich auch die notwendige Art und Zahl einzelner Diagnose- und Therapieleistungen umfasst. Die Erlössituation des Krankenhauses wird wesentlich davon bestimmt, inwieweit sich durch konsequentes Fallmanagement innerhalb der vorgegebenen Erlöskomponenten (DRG-Pauschale, Zusatzentgelte/ZE, vereinbarte Zuschläge für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden/NUB und Erlöse aus Privatliquidation) zumindest ein ausgeglichenes Budget erreichen lässt (Kap. ).

Die Bedeutung des Fallmanagements a) für die Erlössituation b) zur Kostensteuerung. [ ] ABB. 10.4

Während die unter medizinisch-wissenschaftlichen Aspekten formulierten Leitlinien definieren, „wie man es macht“ (oder machen sollte), beschreiben Behandlungspfade, „wie wir es machen“. Der Weg von der Leitlinie zum Behandlungspfad geht über die Benennung dessen, was getan werden soll (spezifische Intervention), wann es zu tun ist (Herstellung des exakten Zeitbezugs, z. B. innerhalb zwei Stunden nach Aufnahme), wer es tun soll (exakte Zuweisung einer Tätigkeit an bestimmte Mitarbeiter/Funktion) und wie es getan werden soll (Beschreiben des Vorgehens). Zusammengefasst geht es um die praktische Umsetzung von wissenschaftlichen Leitlinien in klinikindividuelle, „maßgeschneiderte“ Behandlungspfade. In den Kliniken bestehen teilweise noch erhebliche Vorbehalte gegen die Definition und Implementierung von derartigen Behandlungspfaden. Ihre Akzeptanz und richtige Bewertung durch die verantwortlichen Ärzte ist im neuen Entgeltsystem unverzichtbar. Ganz wesentlich kommt es dabei auf den interdisziplinären und berufsgruppenübergreifenden Ansatz an, z. B. die Abstimmung zwischen Chirurg, Anästhesist, Internist, Radiologe, dem Funktions- und Pflegedienst und der Physiotherapie. Behandlungspfade dienen wesentlich dazu, Schnittstellenprobleme abzubauen. Entscheidend wird es sein, nicht nur die Behandlung in einzelnen Schritten festzulegen, sondern deren Erbringung auch zu überprüfen. Nur so kann die Etablierung klinischer Ablaufpfade zu einer Qualitätsverbesserung durch Minderung der Fehlerquote führen. Eine verbesserte Transparenz des klinischen Ablaufs sollte für den Patienten genutzt werden mit dem Ziel, ihn in einer entsprechenden Patientenversion schon zu Beginn seiner Behandlung zu informieren. Die Verbesserung der Dokumentation verbessert die Kodierqualität und damit die Erlössituation. Die Optimierung der medizinischen Ablaufsteuerung innerhalb des Krankenhauses ist als Beitrag zur Fallkostensenkung eine weitere wichtige ärztliche Aufgabe. Vielerorts muss noch Bewusstseinsbildung betrieben werden und das Verständnis dafür wachsen, dass es sich bei Behandlungspfaden nicht primär um Instrumentarien für eine Nivellierung jeglicher individueller Patientenversorgung und der unverzichtbaren Handlungsfreiheit des Arztes handelt. Es gibt mittlerweile genügend Daten, die die positiven Auswirkungen von Behandlungspfaden auf die Versorgungsqualität des Patienten mit gleichzeitiger Verkürzung der Verweildauer und einer damit verbundenen Fallkostenreduktion belegen.

10.3 Fallzahlkonzentration und Veränderung der Krankenhausstrukturen Neben einer Verbesserung der klinikinternen Abläufe bedarf es einer auch unter Qualitätsaspekten zu fördernden abteilungs- und klinikübergreifenden Zentralisierung des Versorgungsangebots. Die Notwendigkeit derartiger Umstrukturierungsprozesse resultiert schon aus einem Strukturwandel in der Medizin mit Verschiebungen der Fachbereichsgrenzen. Deutlich wird dies z. B. in der interdisziplinären Tumortherapie, wo Chirurgie, Onkologie, Strahlentherapie, Radiologie und Pathologie im engsten Verbund zusammenarbeiten müssen. Unter Bildung problem- oder krankheitsorientierter Zentren steht der Patient mit seinem individuellen Problem im Mittelpunkt und nicht mehr eine historisch gewachsene und methodengeprägte Fächergliederung mit einem in erster Linie abteilungsbezogenen Angebot. Ein heute häufig noch übliches innerklinisches „Verlegungskarussell“ mit konsekutiven Doppeluntersuchungen, zeitraubenden Kompetenzlücken durch unzureichende fachliche Abstimmung und mangelnde Interdisziplinarität sollte baldmöglichst der Vergangenheit angehören. Hier ist Raum für mannigfache Prozessanpassungen (Kap. ).

ABB. 10.5

Anstrengungen der Krankenhäuser zur Prozessoptimierung seit Einführung des DRG-Systems. [ ]

Eine Konzentrierung von Leistungen führt durch den sog. High-Volume-Effekt zu einer Qualitätsverbesserung, wobei diese durch die gesetzliche Vorgabe der Mindestmengenregelung eine besondere Bedeutung erhält. Für Eingriffe mit hohem Risikoprofil, etwa Ösophagus- und Pankreasresektionen sowie Organtransplantationen, lässt sich belegen, dass High-Volume-Hospitäler bessere Resultate aufweisen. Dies hängt weniger mit der Operationsfrequenz pro Abteilung oder einzelnem Chirurgen zusammen, sondern ganz wesentlich mit dem Komplikationsmanagement, das heißt damit, wie eine Klinik mit ihrer gesamten Erfahrung und ihrer personellen und technischen Infrastruktur mit sonst möglicherweise letalen Komplikationen fertig wird. Für komplexe Interventionen gibt es einen evidenzbasierten Bezug zwischen Häufigkeit und Qualität der Leistungserbringung. Für einzelne Schwellenwerte gibt es allerdings keine Evidenz. Deren Festlegung ist ein administrativer Akt mit dem Ziel einer Steuerung des Versorgungsgeschehens. Die Leistungsmenge ist lediglich ein Surrogatparameter. Entscheidender sind die Strukturen und Prozesse mit dem durch das Hospital Volume geprägten Kompetenzlevel. Das DRG-System wird sicher eine weitere sinnvolle Abstimmung der Leistungsstrukturen innerklinisch, aber auch zwischen den einzelnen Krankenhäusern und den ambulanten Einrichtungen bewirken. Zweifellos werden in Zukunft neben dem medizinischen Fortschritt, der per se zu vermehrter Zentrenbildung zwingen wird, auch andere Mechanismen einen stärkeren Einfluss auf Fallzahlkonzentrationen haben. Infolge einer negativen Korrelation zwischen Behandlungsmengen und -kosten (Skalenökonomie) wird sich der ökonomische Druck verstärken. Dabei bleibt zu klären, ob die dann vermehrt leistungserbringenden Krankenhäuser auch unter Berücksichtigung der fallpauschalierten Finanzierung die Leistungsmengen der ausgeschiedenen Krankenhäuser überhaupt übernehmen können und wollen. Am Beispiel des Ösophaguskarzinoms lässt sich darstellen, dass bei den jetzigen Kalkulationen des InEK (Mischkalkulation von Ösophagus- und Magenkarzinom in einer Gruppe mit deutlich höherem Anteil von Letzteren) die Ösophaguschirurgie insgesamt eindeutig unterfinanziert ist. Die gesamte Behandlungskette der Patienten wird einschneidende Veränderungen erfahren. Die bisher bestehenden Ansätze integrierter Versorgung durch regionale Arztnetze (horizontale ambulante Integration) sowie die beschriebenen krankheitsorientierten interdisziplinären Zentren und Stationen in den Kliniken (horizontale stationäre Integration) werden durch eine Kooperation zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Ärzten sowie mit Rehabilitationseinrichtungen (vertikale übergreifende Integration) und die Institutionalisierung von Gesundheitszentren eine deutliche Ausweitung erfahren.

10.4 Auswirkungen auf die Facharztweiterbildung Die Systematik und die Richtlinien der ärztlichen Weiterbildung, wie in der seit 2004 gültigen Weiterbildungsordnung vorgegeben, stellen nur ein Rahmenwerk dar, das die Weiterbildung in der Viszeralchirurgie künftig bestimmen wird. Neben gesetzlichen Vorgaben (Arbeitszeitgesetz, Facharzturteil, Entgeltverordnung, neue Versorgungsformen) sind es vor allem die strukturellen Veränderungen, die sich im Gesundheitswesen sowie in Klinik und Praxis vollziehen, die erhebliche Auswirkungen auf die Weiterbildungsmöglichkeiten für den Nachwuchs und letztlich wohl auch auf die zu vermittelnden Inhalte haben werden. Das Fallpauschalengesetz und die Folgeverordnungen haben Klinik und Praxis strukturbildend beeinflusst. Die Folge wird eine Verdichtung und Zentralisierung des Leistungsangebots sein, in dem weder der „Einzelkämpfer“ in der Praxis noch das Krankenhaus mit klassischen starren Abteilungsstrukturen ihre frühere Bedeutung haben werden. Neben der Zunahme tagesklinischer und ambulanter Behandlungen trägt der weitere, durch die Einführung der DRGs verstärkte Rückgang der Verweildauer mit einer Steigerung des Patientendurchgangs pro Bett dazu bei, dass die Bettenzahl nicht mehr Spiegel der Leistungsstärke eines Hauses oder einer Abteilung ist und damit auch nicht mehr Bezugspunkt für Weiterbildungsbefugnisse sein kann. Dass alle diese strukturellen Entwicklungen, die vorwiegend die Krankenhäuser als nahezu alleinige Träger der ärztlichen Weiterbildung betreffen, spürbare Auswirkungen auch auf die chirurgische Weiterbildung in der Zukunft haben werden, ist evident. Bei einem noch hohen Potenzial für ambulante Leistungsverlagerungen wie etwa bei Leistenhernienoperationen (Kap. ) wird es ein vordringlich zu lösendes Problem sein, wie die chirurgische Weiterbildung in ambulanten Strukturen (Praxis, Medizinische Versorgungszentren) sichergestellt werden kann.

ABB. 10.6

Anteil ambulanter Operationen bei Leistenhernien im internationalen Vergleich. [ ]

Das ambulante Substitutionspotenzial wird allerdings nur dann weiter auszuschöpfen sein, wenn es zu einer grundsätzlichen Korrektur der Vergütungsregelung für ambulant in Klinik oder Praxis erbrachte Eingriffe kommt (Kap. ).

Tab. 10.3 Beispiele für unterschiedliche Erlöse beim ambulanten Operieren. Eingriff

Erlöse Ambulantes Operieren

Stationär Normallieger

Stationär Kurzlieger

Implantation von venösen Katheterverweilsystemen

555,20 €

1.146,42 €

605,05 €

Leistenbruchverschluss mit Netzeinlage

639,40 €

2.185,73 €

1.444,61 €

Die Erlöse bei einer nach DRG-Fallpauschale vergüteten stationär durchgeführten Leistenbruchoperation und einem ambulant in der Praxis oder im Krankenhaus durchgeführten und nach dem einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) der Vertragsärzte abzurechnenden Eingriff unterscheiden sich um den Faktor 2–3. Eine besondere Herausforderung für die Chirurgen besteht heute darin, sich als konzeptionelle Entscheidungspartner bei den vielfältigen Umstrukturierungsprozessen aktiv einzubringen. Derzeit erkennbaren Tendenzen, in einem durch die DRG-Anpassung als notwendig erachteten Fallmanagement diese Aufgaben externen „Fallmanagern“ oder Nachbardisziplinen wie der Anästhesie zu übertragen, muss auch im Sinne einer gesicherten umfassenden Weiterbildung des Chirurgennachwuchses gegengesteuert werden. Chirurgen dürfen sich nicht auf das „operative Kerngeschäft“ zurückziehen oder sich von außen darauf reduzieren lassen. Die Umstrukturierung von Abteilungen, insbesondere die Bereitschaft zur Kooperation und Bildung von Verbünden mit neuer Aufgabenverteilung, ist auch eine Voraussetzung zur Sicherstellung qualifizierter Weiterbildung. Die Ökonomisierung der Leistungserbringung, die durch das neue Entgeltsystem gefördert wird, verleitet manche Kliniken dazu, bei den vorgegebenen fallbezogenen Vergütungen aus Kostengründen die Leistungen vorwiegend von Fachärzten erbringen zu lassen. Der Hinweis, dass ein für die Weiterbildung erforderlicher erhöhter Einsatz von Personal und Zeitressourcen – z. B. durch Lehrassistenzen bei Operationen – nicht ausreichend vergütet würde, ist so allerdings nicht zutreffend. Die Kalkulationen wurden, wie schon im alten Fallpauschalensystem, auch an Kliniken durchgeführt, in denen Weiterbildung stattfindet. Dieser Aufwand sollte deshalb in den Kalkulationswerten enthalten sein. Zweifellos werden vor allem die kleineren Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung besonders unter Druck geraten. Auch hier kann ein Lösungsweg nur die Umstrukturierung, insbesondere die Bereitschaft zur Kooperation und Bildung von Verbünden mit neuer Aufgabenverteilung, sein. Fest steht, dass man nicht, wie vielfach angenommen, mit der Gliederung der Weiterbildungsordnung die Strukturen der Chirurgie in Klinik und Praxis vorgeben kann, sondern dass davon auszugehen ist, dass die künftigen Versorgungsstrukturen die Weiterbildungsordnung beeinflussen werden. Zukünftige Krankenhausstrukturen und Facharztweiterbildung stehen in einer engen Beziehung.

10.5 Handlungsbedarf: Chancen und Risiken In den sich abzeichnenden Veränderungen der gesamten Behandlungskette liegen neben den Risiken auch Chancen. Der Handlungsbedarf ist durch die gesundheitspolitischen und ökonomischen Bedingungen vorgegeben. Die Krankenhäuser sollten ihre Chance darin sehen, die notwendigen

Umstrukturierungsprozesse aktiv mitzugestalten. Zahlreiche tradierte Tätigkeitsprofile müssen auf den Prüfstand kommen und langjährige, scheinbar bewährte Abläufe hinterfragt und ggf. geändert werden. Den Ärzten kommt, nicht nur durch die Einführung der DRGs, bei der Unternehmenssteuerung eine zentrale Aufgabe zu. Sie reicht weit über die Kodierproblematik und das Einfordern von fachlich begründeten Anpassungen des als „lernend“ konzipierten Entgeltsystems hinaus. Die Transparenz in der Kosten- und Leistungssituation verbindet dabei Medizin und Ökonomie und kann mittel- und langfristige Managemententscheidungen erleichtern. „Chirurgie ist Handwerk, Wissenschaft und Kunst.“ Dieses Zitat von Erich Lexer hat auch heute noch Gültigkeit. Kunst hat mit Begabung, Kreativität und Intuition zu tun, Eigenschaften, die ganz wesentlich die Persönlichkeit eines Chirurgen bestimmen. Für die beiden Säulen Handwerk und Wissenschaft ergeben sich die erwähnten Handlungsansätze, mit denen auf die Herausforderungen, welche die heutigen Strukturveränderungen für die Chirurgie bringen, aktiv reagiert werden sollte.

Literatur [1] Bartkowski, R. Diagnose- und Prozedurenkodierung 2013: Chirurgisch relevante Änderungen bei ICD-10-GM und OPS. Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie . 2013; 42:37–45. [2] Bartkowski, R. G-DRG 2013: Update für die Chirurgie. Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie . 2013; 42:116–121. [3] Bauer, H. Chirurgie und neue Entgeltsysteme. In: Becker H., Encke A., Röher H.D., eds. Viszeralchirurgie . 2. Aufl. Elsevier Urban & Fischer; 2006:213–222. [4] Bauer, H., Bartkowski, R. Auswirkungen auf die Chirurgie. In: Rau F., Roeder N., Hensen P., eds. Auswirkungen der DRG-Einführung in Deutschland. Standortbestimmung und Perspektiven . Kohlhammer: Stuttgart; 2009:173–181. [5] Blum, K., Offermanns, M., Perner, P., DKI Krankenhausbarometer 2008. Deutsches Krankenhausinstitut e. V., Düsseldorf, 2008. Abruf unter. [(letzter Zugriff: 10. Oktober 2013)]. [6] Fürstenberg, T., et al, G-DRG-Begleitforschung gem. § 17b Abs. 8 KHG Endbericht des dritten Forschungszyklus (2008–2010). IGESInstitut im Auftrag des deutschen DRG-Instituts, Berlin 2013; Abruf unter. [(letzter Zugriff: 10. Oktober 2013)]. [7] Flintrop, J. DRG-Einführung. „Insgesamt keine Belege für eine Verringerung der Qualität …“ Deutsches Ärzteblatt . 2013; 110:812. [8] Klauber, J., Geraedts, M., Friedrich, J., Wasem, J., Krankenhausreport. Schwerpunkt: Mengendynamik: mehr Menge, mehr Nutzen? Schattauer 2013; Stuttgart 2013. Zusammenfassung unter. [(letzter Zugriff: 10. Oktober 2013)]. [9] Manzeschke, A., Pelz, T., Die Auswirkungen von DRG und fallpauschaliertem Medizin- und Qualitätsmanagement auf das Handeln in Krankenhäusern. Eine sozialwissenschaftliche Untersuchung und sozialethische Bewertung Universität Bayreuth 2007; Abruf unter. [(letzter Zugriff: 10. Oktober 2013)]. [10] Quentin, W., et al. Hospital Payment Based On Diagnosis-Related Groups Differs In Europe And Holds Lessons For The United States. Health Aff . 2013; 32(4):713–723. [11] Rheinisch-Westfälisches Institut für Wirtschaftsforschung. Mengenentwicklungen und Mengensteuerung stationärer Leistungen. Endbericht Forschungsprojekt im Auftrag des GKV Spitzenverbandes (April 2012). Abruf unter (letzter Zugriff: 10. Oktober 2013). [12] Schönstein, M., Kumar, A., Managing Hospital Volumes – Germany and Experiences from OECD Countries. OECD, Paris April 2013; Abruf unter. [(letzter Zugriff: 10. Oktober 2013)]. [13] Toftgard, C., Parmentier, G. International Terminology in Ambulatory Surgery and its Worldwide Practice, in: Day Surgery – Development and Practice. International Association for Ambulatory Surgery . 2006.

K A P I T E L 11

Chirurgie und Recht Klaus Ulsenheimer

11.1. 11.2. 11.3. 11.3.1. 11.3.2. 11.3.3. 11.3.4. 11.3.5. 11.3.6. 11.3.7. 11.3.8. 11.3.9. 11.3.10. 11.3.11. 11.3.12. 11.3.13. 11.4. 11.5.

11.1 Qualifikation und Verantwortung des Chirurgen Wenn es richtig ist, dass, wie berichtet , nur sechs große und wenige kommunale Versicherer noch Haftpflichtversicherungen für Kliniken anbieten, dass viele Krankenkassen die Patienten auffordern, Behandlungsfehlern nachzugehen, und dass in Deutschland Jahr für Jahr etwa 12.000 Klagen auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gegen Ärzte und Krankenhäuser eingereicht werden, so zeigt diese Entwicklung überdeutlich die Notwendigkeit, die rechtlich geprägten Bereiche chirurgischer Tätigkeit in den Blick zu nehmen. Denn neben der Anästhesie und der Gynäkologie ist vor allem die Chirurgie eines der haftungsträchtigsten Fachgebiete. Wie die Judikatur immer wieder betont hat, hat jeder Patient zu jedem Zeitpunkt Anspruch auf den „Standard eines erfahrenen Facharztes“ . Darunter versteht man die sog. Facharztqualität, anders formuliert, die „Regeln der ärztlichen Kunst“ oder auch den „Stand der Wissenschaft“, den man abstrakt als das zum Behandlungszeitpunkt in der ärztlichen Praxis und Erfahrung bewährte, nach naturwissenschaftlicher Erkenntnis gesicherte, von einem durchschnittlich befähigten Facharzt verlangte Maß an Kenntnis und Können umschreiben kann. Der Standard erfordert also stets die Erfüllung zweier Voraussetzungen: die wissenschaftliche Begründung und die breite Akzeptanz der Fachkollegen. Konkret geht es bei der Facharztqualität um ein materielles Kriterium, nämlich einen bestimmten Wissens- und Erfahrungsstand des Chirurgen, der sich an den Voraussetzungen der Facharztprüfung orientiert, deren Ableistung aber nicht verlangt. D i e formelle Facharztanerkennung wird nur für den Chirurgen gefordert, der einen Noch-nicht-Facharzt bei seiner Tätigkeit anleitet und beaufsichtigt.

Sorgfaltsanforderungen, Unterschiedlichkeit des medizinischen Standards, Übernahmeverschulden Dabei ist anerkannt, dass der Sorgfaltsmaßstab für die ärztliche Behandlung und Haftung situationsorientiert, abhängig von den verfügbaren ärztlichen, pflegerischen, räumlichen, apparativen und sonstigen therapeutischen Mitteln, ist, sodass „in Grenzen der zu fordernde medizinische Standard je nach den personellen und sachlichen Möglichkeiten“ Unterschiede aufweist. Die Sorgfaltsanforderungen werden deshalb nicht durch die Hochleistungsmedizin und die Experten der einzelnen Fachgebiete bestimmt, sondern durch die Sicherheitsbedürfnisse des Patienten und die für ihn in der konkreten Situation „faktisch erreichbaren Gegebenheiten, sofern auch mit ihnen zwar nicht optimaler, aber noch ausreichender medizinischer Standard erreicht werden kann“. Ausdrücklich hat die Rechtsprechung auch die prinzipielle Notwendigkeit anerkannt, wirtschaftliche Überlegungen in ärztliches Denken durch die Abwägung aller relevanten Faktoren einfließen zu lassen und „die allgemeinen Grenzen im System der Krankenversorgung, selbst wenn es Grenzen der Finanzierbarkeit und Wirtschaftlichkeit sind“, bei der Beurteilung des Sorgfaltsmaßstabs im Einzelfall nicht zu vernachlässigen. Allerdings haben Schutz und

Sicherheit des Patienten vor allen anderen Aspekten Priorität, sodass die Vornahme geeigneter organisatorischer Maßnahmen geboten ist, um die aus mäßigen Behandlungsbedingungen vor Ort und Strukturmängeln im konkreten Behandlungsbereich resultierenden Gefahren zu neutralisieren. Hier wird die Schutzfunktion des Haftungsrechts gegenüber allzu rigiden Einschnitten in die Ausstattung von Gesundheitseinrichtungen infolge Budgetierung und einer restriktiven Haushaltspolitik deutlich sichtbar. Zugleich zeigt sich angesichts der immer weiter auseinandergehenden Schere zwischen dem medizinisch Machbaren und dem ökonomisch Möglichen das fast unlösbare Dilemma des Arztes vor Ort. Wenn auch nach Ausschöpfung aller organisatorischen Möglichkeiten, Rationalisierungsmaßnahmen und der Umverteilung finanzieller Mittel die personellen und instrumentellen Engpässe infolge der Mittelknappheit nicht zu beseitigen sind, muss deshalb meines Erachtens der medizinische Standard hic et nunc zwangsläufig niedriger angesetzt werden als dort, wo die Sach- und Personalausstattung aufgrund günstigerer wirtschaftlicher Verhältnisse besser ist. Der medizinische Standard ist relativ, allerdings nur oberhalb einer unverzichtbaren Basisschwelle, die dort liegt, wo der Chirurg das erlaubte Risiko überschreitet und sich dem Vorwurf eines Übernahmeverschuldens aussetzt. Denn objektiv pflichtwidrig und subjektiv schuldhaft handelt auch derjenige Arzt, der freiwillig – ohne Not – eine Tätigkeit übernimmt, der er mangels eigener persönlicher Fähigkeiten oder Sachkunde erkennbar nicht gewachsen ist oder die er trotz vorhandenen Könnens und Erfahrung aus anderen Gründen nicht sachgerecht erfüllen kann. Der Arzt, der selbst nicht über die nötigen persönlichen und fachlichen Fähigkeiten verfügt, muss sich sachkundiger Hilfe vergewissern , also den Patienten an den Facharzt, Spezialisten oder ins Krankenhaus überweisen bzw. einen Konsiliarius hinzuziehen, um die sachgerechte Versorgung des Patienten zu gewährleisten. In der Überschätzung der eigenen Möglichkeiten und im Mangel an Selbstkritik liegt eindeutig ein ärztliches Fehlverhalten, das in der Rechtsprechung wiederholt zu zivil- und strafrechtlichen Konsequenzen geführt hat.

Leitlinien, Empfehlungen, Richtlinien – Fortbildungspflicht des Arztes Für den Chirurgen folgt daraus zugleich die Pflicht zur Fortbildung (§ 4 MBO), d. h. sich über die Fortschritte der Heilkunde und anderweitig gewonnene Erkenntnisse bezüglich Nutzen und Risiken der von ihm angewandten Methoden und Medikamente zu unterrichten. Er ist verpflichtet, sich in dem Umfang fortzubilden, wie es zur Erhaltung und Entwicklung der zu seiner Berufsausübung erforderlichen Fachkenntnisse notwendig ist. Keinesfalls darf er sich neuen Lehren und Erfahrungen „aus Bequemlichkeit, Eigensinn oder Hochmut“ verschließen. Deshalb müssen Ärzte auch die Leitlinien ihres Fachgebiets kennen, die von den Fachgesellschaften und Expertengremien seit einigen Jahren in zunehmender Zahl entwickelt worden sind. Insoweit bedarf es allerdings einiger Klarstellungen: Die begrifflichen Unterscheidungen zwischen Leitlinien, Empfehlungen und Richtlinien führen im Arzthaftungsrecht nicht weiter, da Maßstab zur Beurteilung des sorgfaltsgemäßen bzw. sorgfaltswidrigen ärztlichen Handelns der jeweilige fachgebietsspezifische Standard ist. Leit- und Richtlinien geben nicht stets den Standard des Fachs wieder und haben deshalb – im Gegensatz zu den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) – keine unmittelbare rechtliche Wirksamkeit; ihre Nichteinhaltung begründet weder einen „groben“ Behandlungsfehler noch eine dahingehende Vermutung. Leit- und Richtlinien können den Standard auch nicht konstitutiv festlegen, wohl aber deklaratorisch beschreiben. Nur unter dieser Voraussetzung kommt den Leit- und Richtlinien mehr als lediglich Informationscharakter zu, da der Standard des Fachs zwingend einzuhalten ist. Daraus folgt, dass jeder Chirurg nicht „blind“ einer Leit- oder Richtlinie vertrauen darf, vielmehr stets prüfen muss, ob sie aktuell ist und die gegenwärtige Facharztqualität umschreibt.

Facharztstandard bei ambulanten Eingriffen Diese gilt im Übrigen auch für ambulante Operationen, wie § 14 des Dreiseitigen Vertrages zwischen den Spitzenverbänden der Krankenkassen, der Deutschen Krankenhausgesellschaft und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (gemäß § 115b Abs. 1 und 3 SGB V) betont: „Danach sind ambulante Operationen nur von Fachärzten, unter Assistenz von Fachärzten oder unter deren unmittelbarer Aufsicht und Weisung mit der Möglichkeit des unverzüglichen Eingreifens zu erbringen.“ In dieser Formulierung wird ein gewisser Unterschied des Facharztstandards bei stationären und ambulanten Eingriffen sichtbar. Während die Gerichte im stationären Bereich den Facharztstandard auch als gewahrt ansahen, wenn „ohne die ständige persönliche Anwesenheit eines Facharztes“ der Operateur für den konkreten Eingriff das notwendige theoretische Wissen besitzt und in der Lage ist, die erforderlichen operationstechnischen Kenntnisse in die Praxis umzusetzen, spricht § 14 von „unmittelbarer Aufsicht“ und der Möglichkeit „unverzüglichen Eingreifens“. Es genügt also nicht nur eine „organisatorische Oberaufsicht“ des Facharztes, sondern erforderlich ist die Beaufsichtigung und Begleitung der Operation vor Ort; § 14 setzt also jederzeitige sofortige Eingriffsmöglichkeit voraus. Aus dem breit gefächerten Spektrum ärztlicher Behandlungsfehler seien zwei Fallbeispiele herausgegriffen, die in der Praxis häufig zu Missverständnissen Anlass geben:

Unterscheidung von Diagnosefehler und falscher Diagnose Zwischen einem „ Diagnosefehler “ und einer „ Fehldiagnose “ ist streng zu unterscheiden. Denn die (objektiv) falsche Diagnose beruht nicht stets auf einer fehlerhaften (= fahrlässigen) Diagnosestellung, anders formuliert, nicht jede sich ex post als falsch erweisende Diagnose ist unter Verstoß gegen die objektiv gebotene Sorgfalt zustande gekommen. Die Indikationsstellung zur Operation unter der Annahme einer akuten Appendizitis aufgrund des klinischen Gesamteindrucks z. B. muss daher nicht fehlerhaft sein, auch wenn es sich nachträglich um eine Fehldiagnose handelt. Irrtümer bei der Diagnosestellung kommen nämlich in der Praxis häufig vor. „Sie sind oft nicht einmal die Folge eines vorwerfbaren Versehens des Arztes“, da „die Symptome der Erkrankung nicht immer eindeutig sind, sondern auf die verschiedensten Ursachen hinweisen können“ und die vorläufige Diagnose daher „mit hohen Unsicherheitsfaktoren“ belastet ist. Im diagnostischen Bereich rechtfertigt sich deshalb der Vorwurf schuldhaften ärztlichen Verhaltens nur dann, wenn der Arzt ein eindeutiges Krankheitsbild infolge Unachtsamkeit oder mangels ausreichender Erfahrung verkennt bzw. Krankheitserscheinungen in völlig unvertretbarer Weise missdeutet, elementare Kontrollbefunde nicht erhebt oder wenn der Arzt es unterlässt, seine zunächst vorläufige Differenzialdiagnose im Zuge der weiteren Behandlung zu überprüfen.

Zurückbleiben von Fremdkörpern Zurückgelassene Fremdkörper im Operationsgebiet stellen nach wie vor ein aktuelles Problem dar. Unter Bezugnahme auf RGZ 97, 4 ff. bestätigte die nachfolgende Judikatur in einer Vielzahl von Entscheidungen, dass man beim Zurückbleiben von Fremdkörpern in einer Operationswunde nicht allgemein und stets einen schuldhaften Kunstfehler unterstellen dürfe. Entscheidend ist vielmehr, ob der Operateur alle in der medizinischen Wissenschaft dargestellten, möglichen und zumutbaren Sicherungsvorkehrungen gegen ein solches Missgeschick getroffen hat. Dazu zählen Kennzeichnungen, Armierungen und das Zählen zur Kontrolle der Vollständigkeit bzw. Deckungsgleichheit der eingebrachten und wieder außerhalb des Körpers des Patienten befindlichen Instrumente, Bauchtücher und Kompressen. Der Operateur muss sich durch eine entsprechende Nachfrage bei der Zählschwester über das Vorliegen einer Tatsache informieren.

Kausalitätsnachweis im Schadensfall – zivilrechtliche/strafrechtliche Beurteilung Der bloße Verstoß gegen die Regeln der ärztlichen Kunst (die Facharztqualität) führt für sich alleine nicht zur Strafbarkeit und ebenso wenig zur zivilrechtlichen Haftung. Weitere Haftungsvoraussetzung ist vielmehr, dass der Sorgfaltspflichtverstoß für den Tod oder den Gesundheitsschaden des Patienten ursächlich gewesen ist. Dabei muss im Strafrecht nach unangefochtener Rechtsprechung der rechtliche Ursachenzusammenhang dem Arzt exakt nachgewiesen werden. Dies bedeutet: Nur wenn eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt, also bei sachgemäßem Verhalten des Arztes, der Tod oder Gesundheitsschaden des Patienten vermieden worden wäre, ist die Kausalität zu bejahen. Bleiben vernünftige Zweifel aufgrund tatsächlicher, ex post festgestellter Anhaltspunkte, darf wegen des fundamentalen Rechtsgrundsatzes „in dubio pro reo“ der Ursachenzusammenhang nicht bejaht werden. Die bloße Risikoerhöhung vermag im Strafrecht somit die Erfolgszurechnung nicht zu rechtfertigen. Dies hat der Bundesgerichtshof wiederholt hervorgehoben und dabei zugleich deutlich gemacht, dass die „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ keine mathematisch-statistisch erfassbare Prozentzahl ist. Solange also der Sachverständige noch auf konkreten Tatsachen (Sachverhaltsumständen) beruhende „vernünftige Zweifel“ äußert, dass Tod bzw. Körperverletzung bei Vornahme sachgerechter ärztlicher Maßnahmen verhindert worden wären, so lange ist die an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit für die Bejahung des rechtlichen Ursachenzusammenhangs vom Richter zu verneinen. Die Anforderungen an den Nachweis der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit werden in der Praxis vielfach zu gering angesetzt. Der Bundesgerichtshof hat dies mit Recht gerügt und den Maßstab der „an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit“ unmissverständlich und eindeutig dahingehend präzisiert, dass eine „gewisse“, „hohe“ oder „sehr hohe“ Wahrscheinlichkeit für den Nachweis des rechtlichen Zusammenhangs zwischen Pflichtwidrigkeit und Erfolg (Tod, Körperverletzung) nicht genügen. Im Zivilprozess begnügt sich die Rechtsprechung dagegen mit geringeren Anforderungen an den Kausalitätsnachweis. Hier sieht sie die Ursächlichkeit eines ärztlichen Fehlers schon dann als bewiesen an, wenn sie mit einem „für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit feststeht, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie gänzlich auszuschließen“ – eine fürwahr nur schwer verständliche juristische Formulierung!

11.2 Organisation und Arbeitsteilung Fortschreitende Arbeitsteilung, Spezialisierung und Subspezialisierung, Konzentration auf Schwerpunkte sind im Bereich der gesamten Medizin ein seit Jahrzehnten zu beobachtendes Phänomen, zugleich aber auch eine unabdingbare Notwendigkeit. Denn angesichts der ständigen Ergänzung, Erweiterung und Vertiefung des Spezialwissens und des enormen technischen Fortschritts werden dem Chirurgen immer mehr Detailkenntnis und Erfahrung abverlangt, sodass Fortbildung und Weiterbildung, Beschränkung auf das eigene Fach, Einschaltung eines Experten aus anderen Fachbereichen im Interesse einer Steigerung der Behandlungsqualität, zugleich aber auch im Interesse der Senkung des Haftungsrisikos durch Erhöhung der Kompetenz zweifelsfrei geboten sind. Mit der ausgreifenden Teamarbeit ärztlicher Spezialisten und Pflegekräfte sind andererseits aber spezifische Gefahrenquellen gegeben, die sich bei der Kooperation als Kommunikations-, Koordinations-, Delegations-, Überwachungs- und Auswahlmängel niederschlagen. Denn „je größer die Zahl der an Diagnose und Therapie beteiligten Ärzte, Techniker und Hilfskräfte, je komplizierter und gefährlicher die apparativen und medikamentösen Mittel, je komplexer das arbeitsteilige medizinische Geschehen in einem großen Betrieb, desto mehr Umsicht und Einsicht erfordern Planung, Koordination und Kontrolle der klinischen Abläufe“. Neben den eigentlichen Behandlungsfehlern rücken Organisationsfehler daher zunehmend in den Blickpunkt der Judikatur. Manchmal ist die gegenseitige Unterrichtung nicht vollständig und klar genug; bisweilen sind die getroffenen Maßnahmen nicht aufeinander abgestimmt, mitunter haben einzelne Mitarbeiter nicht den notwendigen Ausbildungs- und Erfahrungsstand oder bei der Aufgabenabgrenzung unterbleibt eine Regelung, sodass sich niemand für den Patienten als zuständig erachtet. Der BGH hat im Anschluss an die grundlegenden Arbeiten von Weißauer in mehreren Entscheidungen die beiden tragenden Kriterien für die Abgrenzung der Verantwortlichkeiten bei ärztlicher Teamarbeit herausgestellt, und zwar sowohl bei der horizontalen – zwischen Ärzten verschiedener Fachrichtungen – als auch bei der vertikalen Teamarbeit – d. h. fachlicher Über- und Unterordnung, etwa im Verhältnis Chefarzt – Assistenzarzt oder Arzt – Pflegepersonal. Die beiden tragenden Grundprinzipien sind:

• das Prinzip der strikten Arbeitsteilung und Einzelverantwortlichkeit, • der Vertrauensgrundsatz. Teilbarkeit der Verantwortung – Einzel- und Eigenverantwortung In der Medizin hat sich, ausgehend von der Chirurgie, seit etwa 50 Jahren ein grundlegender Wandel von der Unteilbarkeit zur Teilbarkeit der Verantwortung im arbeitsteiligen Behandlungsprozess vollzogen. K. H. Bauer sah noch im Jahre 1955 die Arbeitsteilung zwar als „irreversible Tatsache“, die Verantwortung aber als „nicht teilbar“ an, indem er, unterstützt von Engisch, vor, während und nach der Operation die Verantwortung des Operateurs als eine „so allumfassende“ qualifizierte, „dass sie ungeachtet der Geltung des Vertrauensgrundsatzes niemals in irgendeinem Sektor schlechthin“ beim Zusammenwirken des Chirurgen mit anderen Ärzten entfalle. Denn „Teilung der Verantwortung würde bedeuten, dass es einen Bereich gibt, um den sich der Chirurg unter gar keinen Umständen zu kümmern hätte, in dem der Anästhesist ausschließlich die Verantwortung“ trage. „Einen solchen Bereich gibt es aber nicht.“ Demgegenüber begründete Weißauer für die moderne Organisation partnerschaftlichen Zusammenwirkens wissenschaftlich ausgebildeter Spezialisten und/oder qualifizierten ärztlichen oder nichtärztlichen Personals den Grundsatz der Teilbarkeit der Verantwortungsbereiche, aus der sich das Prinzip der Einzel- und Eigenverantwortung jedes Einzelnen für die ihm jeweils zu eigenständiger Erledigung übertragenen Aufgaben und Tätigkeiten ableitet. Mit dem Übergang der fachlichen Zuständigkeit, für die das Weiterbildungsrecht die Grundlage ist, geht auch die rechtliche Verantwortung über. Die ärztliche Zusammenarbeit ist, wie Weißauer treffend formulierte , ein Teamwork Gleichberechtigter, wenn es um die interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Fachrichtungen, z. B. mit der Anästhesie, dem Labormediziner oder Röntgenologen, geht. Rechtsgrundlage ist dabei einerseits die medizinisch exakt umrissene Aufgabenzuweisung nach Maßgabe von Gebietsbezeichnungen, berufsständischen Vereinbarungen und der konkreten Rollenverteilung und andererseits die entsprechende Aufteilung der Verantwortung auf den Einzelnen gemäß seiner Funktion und Ausbildung. Daraus ergeben sich wichtige Folgerungen, z. B. für die Zerschlagung chirurgischer Kliniken durch Schaffung modularer Einheiten oder für die Zentralisierung der operativen Intensivmedizin unter anästhesiologischer Leitung. Der Operateur bzw. Klinikchef wird nicht zu einem bloßen „Konsiliararzt“ degradiert, der die Verantwortung für die weitere Behandlung an einen anderen Arzt weitergibt und nur noch allenfalls beratend tätig ist. Denn nach einhelliger Rechtsprechung und Lehre bleibt bei Aufnahme des Patienten auf eine zentrale interdisziplinäre Intensivstation der Operateur mitbehandelnder Arzt und damit in der vollen Verantwortung für den Patienten bezüglich seines Fachgebiets, also des Grundleidens.

Vertrauensgrundsatz Aus dem Grundsatz der strikten Arbeitsteilung folgt zugleich – als Kehrseite der prinzipiellen Eigenverantwortung –, dass jeder bei der Krankenbehandlung Mitwirkende sich darauf verlassen darf, dass der oder die anderen die ihm bzw. ihnen obliegenden Aufgaben mit den dazu erforderlichen Kenntnissen und der gebotenen Sorgfalt erfüllen. Jeder Beteiligte darf darauf vertrauen, dass der andere Mitbeteiligte seine Aufgabe beherrscht und seine Verantwortung wahrnimmt. Eine Ausnahme von diesem Vertrauensgrundsatz greift nur dann ein, wenn der Partner in der konkreten Situation erkennbar seinen Aufgaben nicht gewachsen ist, z. B. infolge von Trunkenheit, Krankheit oder Überforderung. Denn in derartigen extremen Situationen bleibt natürlich jeder Arzt – unabhängig von seiner jeweiligen Fachkompetenz – aufgrund seiner Verantwortung dem Patienten gegenüber verpflichtet, die diesem aus einer offenkundigen Fehlleistung seines Kollegen oder des Pflegepersonals drohenden Schäden abzuwenden. An die Stelle der Eigenverantwortung tritt die Gesamtverantwor-tung. Der Vertrauensgrundsatz bedarf ferner der Einschränkung, wenn „das besondere Risiko der Heilmaßnahme gerade aus dem Zusammenwirken“ zweier Fachrichtungen (Unverträglichkeit der verwendeten Methoden) resultiert. Hier ist eine Absprache zur Koordination erforderlich, um vermeidbare Gefahren für den Patienten auszuschalten. Verantwortlichkeit bei horizontaler Arbeitsteilung – Regelung durch Absprachen Konkret bedeuten diese Grundsätze für die horizontale Arbeitsteilung zwischen Chirurg und Anästhesist: Im Interesse eines geordneten Ablaufs der Operation darf sich jeder der dabei beteiligten Fachärzte grundsätzlich auf die fehlerfreie Mitwirkung des Kollegen aus der anderen Fachrichtung verlassen. Die präoperative Versorgung des Patienten obliegt dem Anästhesisten. Er bestimmt das Narkoseverfahren und trifft danach seine Vorbereitungen, zu denen es auch gehört, sich von der Nüchternheit des Patienten zu überzeugen. Der Chirurg dagegen entscheidet darüber, ob, wo und wann der Eingriff durchgeführt werden soll. Dabei wägt er nicht nur das Operationsrisiko ab, sondern kalkuliert zumindest auch das allgemeine Narkoserisiko mit ein. „Wenn Operateur und Anästhesist ihre Kräfte zugunsten einer wechselseitigen Überwachung zersplitterten, würde jede Form der Zusammenarbeit im Operationssaal fragwürdig und mit zusätzlichen Risiken für den Patienten verbunden.“ Sind Anästhesist und Chirurg unterschiedlicher Auffassung, geht die Entscheidung des Chirurgen vor, d. h., er hat die sog. Kompetenz-Kompetenz. Für den Grenzbereich bis zum Erwachen aus der Narkose und darüber hinaus bis zur vollen Aufhebung der Betäubungswirkungen bedarf es einer konkreten Verteilung der Zuständigkeiten, um Überschneidungen und Lücken in der ärztlichen Betreuung zu vermeiden. Maßgebend ist dabei regelmäßig die jeweilige in dem betreffenden Krankenhaus geltende Zuständigkeitsverteilung und ausnahmsweise die davon wegen der Besonderheiten des Einzelfalles abweichende individuelle Absprache zwischen den beteiligten Ärzten. Fehlt es an entsprechenden Abmachungen, gelten subsidiär die von den beteiligten Berufsverbänden getroffenen Vereinbarungen. Danach ist der Verantwortungsbereich des Anästhesisten auf die postnarkotische Phase bis zur Wiederherstellung der Vitalfunktionen beschränkt, sofern ihm nicht vom Krankenhausträger weitergehende Aufgaben, wie z. B. die organisatorische Leitung der Wachstation, übertragen sind. Nachuntersuchung und Nachbehandlung fallen dagegen nur in die Kompetenz des Anästhesisten, soweit sie unmittelbar mit dem Betäubungsverfahren im Zusammenhang stehen. Dagegen ist für Komplikationen, die sich aus der Operation selbst ergeben, z. B. Nachblutungen, der Chirurg verantwortlich. Verantwortlichkeit und Vertrauensgrundsatz bei vertikaler Arbeitsteilung Auch im Rahmen der vertikalen Arbeitsteilung, insbesondere bei der Überwachung ärztlicher und nichtärztlicher Mitarbeiter sowie der Delegation von Aufgaben an sie, gilt der Vertrauensgrundsatz. Seine Grenzen sind hier allerdings naturgemäß wesentlich enger gesteckt als bei Zusammenarbeit zwischen gleichrangigen Ärzten verschiedener Fachgebiete. Denn zu den Pflichten eines Abteilungschefs oder Oberarztes gehören, je nach Kompetenz und Zuständigkeitsbereich, die sorgfältige Auswahl der Mitarbeiter, ihre ständige und intensive Überwachung, die Erteilung der erforderlichen Weisungen, Anleitung und Weiterbildung, die laufende Kontrolle ihrer fachlichen persönlichen Qualifikation sowie die Organisation der Fortbildung. Chefärztliche Endverantwortung

Während im Strafrecht eine Verantwortlichkeit für jedermann immer nur bei eigenem schuldhaftem Verhalten in Betracht kommt, gilt im Zivilrecht das „Chefarztprinzip“, d. h., es gibt hier im fachlich-sachlichen Bereich nichts, was außerhalb der Kompetenz des Chefarztes läge und ihn nichts anginge. Er trägt für den Patienten die Endverantwortung dafür, dass diesem der Standard eines erfahrenen Facharztes während der Behandlung geboten wird. Dies erfordert eine Vielzahl organisatorischer Maßnahmen, z. B. Dienstanweisungen und Kontrolle bzgl. ärztlicher Dokumentation und Patientenaufklärung, die Organisation des Bereitschaftsdienstes und der Rufbereitschaft, die Kontrolle, dass die Richtlinien zur Blutgruppenbestimmung und Bluttransfusion beachtet werden , die Einforderung einer ausreichenden personellen Besetzung der Abteilung, die Aufstellung der Operationspläne und die Sicherung der Operationsindikation, Sicherungsvorkehrungen für verwirrte oder suizidgefährdete Patienten oder die Sicherstellung der Funktionsfähigkeit und Wartung der Geräte, um nur einige der wichtigsten Organisationspflichten des Chefarztes zu nennen.

Delegation ärztlicher Maßnahmen – Stichprobenkontrolle Selbstverständlich aber muss der Leitende Arzt nicht ständig auf Sorgfaltsmängel seiner nachgeordneten Ärzte oder des nichtärztlichen Personals gefasst sein, die ja überall und jederzeit vorkommen können. Vielmehr darf sich der Chefarzt, wenn nicht besondere Umstände entgegenstehen, grundsätzlich auf das sorgfaltsgemäße Verhalten seiner Hilfskräfte im Hinblick auf deren eigene unmittelbare Primärverantwortlichkeit verlassen und sich auf Stichproben zur Kontrolle beschränken. Dies gilt insbesondere für Mitarbeiter, die ihre Kenntnisse und Erfahrungen durch Prüfungszeugnisse nachgewiesen haben oder unter staatlicher Aufsicht stehen. Ist eine Hilfsperson als für die infrage kommenden Maßnahmen so geschult, erprobt, erfahren und zuverlässig anzusehen, dass ein von ihr begangener Fehler außerhalb des Rahmens gewöhnlicher Erfahrung und der besonderen Wissensmöglichkeiten des Arztes liegt, scheidet dessen strafrechtliche Verantwortlichkeit für ein Versagen der Hilfskraft aus. Es bleibt natürlich die zivilrechtliche Haftung nach § 278 BGB für Erfüllungsgehilfen im Rahmen vertraglicher Behandlungsverhältnisse bestehen. Bei der Delegation von Injektionen, Infusionen und Blutentnahmen auf Krankenschwestern, Krankenpfleger und Kinderkrankenschwestern sind die rechtlichen Verantwortlichkeiten seit vielen Jahren geklärt: Diagnose und Therapie sind dem Arzt vorbehalten, doch darf den genannten Krankenpflegepersonen die Durchführung diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen übertragen werden, soweit diese wegen ihrer technischen Schwierigkeit oder ihres hohen Risikos nicht spezifisch ärztliche Kenntnisse und Erfahrungen erfordern. Originär ärztliche Tätigkeiten, bei denen eine Delegation ausgeschlossen ist, bleiben insbesondere die Aufklärung, die Diagnose, die Operation, die Indikationsstellung, sämtliche Anästhesieverfahren und die Bluttransfusion.

Anforderungen an die Assistenz bei ambulanten Eingriffen Die organisatorischen Pflichten sind bei ambulanten Eingriffen nicht geringer als bei stationär durchgeführten Operationen. Dies wird leider vielfach verkannt. So heißt es z. B. in der Vereinbarung von Qualitätssicherungsmaßnahmen bei ambulanten Operationen gemäß § 15 des Dreiseitigen Vertrages (Anlage § 5 nach § 115b Abs. 1 SGB V), dass der ambulant operierende Arzt sicherstellen müsse, „dass der Assistent über die bei jedem individuellen Eingriff erforderliche Erfahrung und den medizinischen Kenntnisstand verfügt“, dass bei fehlender ärztlicher Assistenz „mindestens ein qualifizierter Mitarbeiter mit abgeschlossener Ausbildung in einem nichtärztlichen Heilberuf oder im Beruf als Arzthelfer als unmittelbare Assistenz bei der ambulanten Operation anwesend sein“ muss, dass die apparativ-technischen Voraussetzungen in Abhängigkeit von Art, Anzahl und Spektrum der durchgeführten Eingriffe gegeben sein müssen, die Praxis über einen Organisationsplan für Notfälle sowie einen Notfallplan für Zwischenfälle verfügen muss und geeignete Reanimationsmaßnahmen vorzuhalten sind. Zu regeln ist ferner die postoperative Nachsorge, da gemäß § 2 Abs. 3 Satz 3 des Dreiseitigen Vertrages sich der Operateur „vergewissern und dafür Sorge tragen“ muss, „dass der Patient nach Entlassung aus der unmittelbaren Betreuung des operierenden Arztes auch im häuslichen Bereich sowohl ärztlich als ggf. auch pflegerisch angemessen versorgt wird“. Außerdem ist im Hinblick auf die jüngste Entscheidung des BGH zu diesem Themenkomplex die Entlassung eines Patienten im Einzelnen zu regeln, also z. B. die Fragen, wer ihn entlässt, wie er nach Hause kommt, wen er im Falle einer Komplikation verständigen soll und wer ihn in welchem Zeitraum verantwortlich betreut. Der operierende Arzt hat insoweit eine Garantenstellung.

Fachübergreifende Bereitschaftsdienste Fachübergreifende Bereitschaftsdienste, die zunehmend in den Kliniken eingeführt werden, sind nicht schlechterdings unzulässig, sondern nur in bestimmten Fachgebieten – der Anästhesie und der Geburtshilfe – aus medizinischer und rechtlicher Sicht nicht statthaft. Voraussetzungen sind aber stets eine eingehende Information des für den Bereitschaftsdienst zuständigen Arztes bei der Übergabe, eine intensive Fortbildung der Ärzte auch in den für sie jeweils fachfremden Gebieten, die besondere Betreuung von Risikopatienten und die Gewährleistung eines kompetenten Hintergrunddienstes.

11.3 Die Aufklärungspflicht des Chirurgen (§§ 630a ff. BGB) Die Aufklärung des Patienten war und ist ärztliche Berufspflicht und unverzichtbarer Bestandteil der Krankenbehandlung. Ihre Voraussetzungen sind von der Rechtsprechung entwickelt worden und nun seit 26.2.2013 im Bürgerlichen Gesetzbuch kodifiziert. Zu unterscheiden sind die sog. Risikoaufklärung (auch Eingriffsaufklärung genannt), die therapeutische Aufklärung und die Diagnoseaufklärung.

11.3.1 Risikoaufklärung (§ 630e Abs. 1 BGB) Vor jedem ärztlichen Eingriff muss der Patient/die Patientin ordnungsgemäß und zeitgerecht über die Durchführung des Eingriffs, dessen Anlass, Dringlichkeit und Umfang, dessen Risiken, Art und Folgen, mögliche Nebenwirkungen, Erfolgsaussichten, Folgen einer etwaigen Nichtbehandlung, mögliche Behandlungs- und Kostenalternativen aufgeklärt werden. Denn nur wenn der Patient die Tragweite seiner Entscheidung, d. h. die für seine Entschließung bedeutsamen Umstände, kennt, ist die Einwilligung des Patienten in den Eingriff wirksam. Diese ist Rechtfertigungsvoraussetzung für die Vornahme des Eingriffs, da einerseits der Arzt nach ständiger Rechtsprechung trotz des Heilzwecks seiner Behandlungsmaßnahmen eine tatbestandsmäßige rechtswidrige Körperverletzung vornimmt, andererseits der Patient zur Wahrung seines Rechts auf Selbstbestimmung selbst entscheiden können muss, welche Behandlungsmaßnahmen er will oder ablehnt (§ 630d Abs. 1 und 2 BGB). Im Zivilprozess ist dem Patienten als Kläger mit der Rüge einer fehlerhaften Risikoaufklärung eine scharfe Waffe gegen den Arzt oder die Klinik als Beklagten an die Hand gegeben. Denn dem Arzt obliegt die volle Darlegungs- und Beweislast dafür, dass eine den rechtlichen Anforderungen entsprechende Aufklärung durchgeführt worden ist (§ 630h Abs. 2 S. 1 BGB). Gelingt der Beweis nicht und realisiert sich das aufklärungspflichtige Risiko in einem Personenschaden, bleibt der Beklagtenseite nur der Einwand, der Patient hätte auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in das Behandlungsrisiko eingewilligt (§ 630h Abs. 2 S. 2 BGB). Trotz umfangreicher Rechtsprechung zu Inhalt und Umfang der Risikoaufklärung gibt es auch in der neuen gesetzlichen Regelung keine exakten rechtlichen Vorgaben, sondern nur allgemeine Richtpunkte und Grundsätze, die vielfach Unsicherheiten und Unklarheiten belassen. Allgemein gilt: Der Patient soll wissen, worin er einwilligt. Dabei soll die Aufklärung dem Patienten kein medizinisches Entscheidungswissen vermitteln, es müssen ihm jedoch Art und Schwere des Eingriffs für seine persönliche Situation, nicht aber die Risiken medizinisch exakt in allen denkbaren Erscheinungsformen vorgeführt werden. Nach der Rechtsprechung ist dem Patienten nur „im Großen und Ganzen ein Bild von der Schwere und Richtung des konkreten Risikospektrums zu vermitteln“. Dabei spielt nicht nur der geplante Eingriff, sondern auch der persönliche Erwartungshorizont des Patienten für die erforderliche Intensität der Aufklärung eine ausschlaggebende Rolle. Der Arzt muss also nicht über Komplikationen aufklären, die sich so selten verwirklichen und auch im konkreten Falle so unwahrscheinlich sind, dass sie bei einem verständigen Patienten für die Entscheidungsfindung nicht ernsthaft ins Gewicht fallen. Auf der anderen Seite müssen Patienten über mögliche Komplikationen, die für sie „überraschend und in ihren besonderen Lebensverhältnissen erkennbar besonders schwerwiegend sind“ , z. B. mögliche Funktionsbeeinträchtigungen wichtiger Organe, grundsätzlich auch dann aufgeklärt werden, wenn sich diese nur sehr selten verwirklichen.

Allgemein bekannte Risiken Über allgemein bekannte Risiken, die bei jeder Operation vorkommen können und mit denen Patienten im Allgemeinen rechnen, z. B. Wundinfektionen, Narbenbrüche oder Embolien, muss der Arzt den Patienten nicht aufklären. Strittig sind jedoch die Grenzen dieses „medizinischen Basiswissens“. Hier wird teilweise als allgemein bekannt das Auftreten eines Spritzenabszesses angesehen. Sehr umstritten ist, ob dies auch für die Möglichkeit eines Herzstillstands gilt. Über den Eintritt eines Blutverlusts, der eventuell eine Bluttransfusion notwendig macht, ist jedoch aufzuklären, da fraglich ist, ob ein Patient sich der Gefahr

einer solch erheblichen intraoperativen Komplikation bewusst ist.

Eingriffsspezifische Risiken Typischerweise mit einem speziellen Eingriff verbundene Komplikationsmöglichkeiten, sog. eingriffsspezifische Risiken, erfordern auch bei extremer Seltenheit eine Aufklärung, wenn sich deren Eintritt auf die beruflichen und privaten Lebensumstände eines Patienten erkennbar besonders belastend auswirken würde und für ihn überraschend wären. Derartige Komplikationen sind z. B. die mögliche Verletzung benachbarter Organe, also z. B. Harnblasen-, Harnleiteroder Darmverletzungen, oder auch das Risiko einer AIDS-Infektion bei einer Fremdbluttransfusion. Obwohl die Ansteckungsgefahr hier mit 1:3 bis 1:2 Millionen extrem gering ist, ist nach der BGH-Rechtsprechung die Aufklärung hierüber so lange notwendig, als dieses Risiko nicht mit absoluter Sicherheit ausgeschlossen werden kann. Wegen der verheerenden Konsequenzen einer Infizierung mit dem HI-Virus müsse, wenn bei einem Patienten intra- oder postoperativ die Möglichkeit einer Blutübertragung ernsthaft in Betracht kommt, hierüber rechtzeitig vor der Operation aufgeklärt werden. Nach den Richtlinien zur Bluttransfusion muss ab einer Transfusionswahrscheinlichkeit von mindestens 10 % über die Eigenblutspende als Alternative zur Fremdbluttransfusion aufgeklärt werden.

Erfolgsaussichten und Misserfolgsrisiko Patienten sind nicht nur über den Verlauf einer Behandlung und deren Risiken aufzuklären, sondern auch über die Erfolgsaussichten der Behandlung (§ 630e Abs. 1 S. 2 BGB). Das gilt vor allem dann, wenn eine zweifelhafte Operationsindikation mit einem hohen Misserfolgsrisiko besteht. Soll z. B. der Eingriff der Beseitigung von schmerzhaften Beschwerden dienen, die im Falle eines Misserfolgs weiterhin vorhanden wären, ggf. sogar verschlimmert würden, so ist über diese Möglichkeit der Patient in Kenntnis zu setzen. Typisches Beispiel hierfür ist eine operative Therapie chronischer Abdominalschmerzen bei Verwachsungsbauch. Ein weiteres klassisches Beispiel ist die Sterilisationsoperation, bei der mit aller Deutlichkeit auch auf das Versagerrisiko in Form einer möglichen Rekanalisation hingewiesen werden muss.

Erweiterungsoperation Zur Problematik der sog. Erweiterungsoperation, also zur Frage, ob bzw. unter welchen Umständen der Arzt aufgrund einer gegebenen medizinischen Indikation unvorhersehbare Operationsschritte vornehmen darf, die vom ursprünglichen Operationsplan abweichen und über die vorher weder gesprochen worden war noch eine rechtswirksame Einwilligung vorliegt, hat der BGH folgendermaßen Stellung genommen:

• Bei akuter vitaler Indikation (Lebensbedrohung des Patienten) ist der Arzt zur Änderung bzw. Erweiterung der Operation nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, wenn keine Anhaltspunkte für einen entgegenstehenden Willen des Patienten vorliegen. • Der Arzt muss jedoch eine Operation abbrechen, um für den medizinisch indizierten Erweiterungseingriff die nötige Einwilligung des Patienten einzuholen, wenn dies ohne jegliche Gefährdung des Patienten möglich und ungewiss ist, ob er die Änderung oder Erweiterung der Operation billigt. • Wenn jedoch im Falle eines Operationsabbruchs der dann folgende Neueingriff unter Umständen mit größeren Gefahren, jedenfalls aber mit weiteren körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen des Patienten verbunden ist, ist auf der Grundlage einer mutmaßlichen Einwilligung bei medizinisch indiziertem ärztlichem Eingriff die Zulässigkeit nicht auf die vitale Indikation (Fallgruppe 1) beschränkt.

11.3.2 Aufklärung über Behandlungsalternativen (§ 630e Abs. 1 S. 3 BGB) Die Wahl einer Behandlungsmethode ist aufgrund der ärztlichen Therapiefreiheit primär Sache des Arztes, solange sie dem medizinischen Standard entspricht. Dies wurde von der Rechtsprechung immer anerkannt. Grundsätzlich muss dem Patienten also nicht erläutert werden, welche Behandlungsmethoden theoretisch in Betracht kommen und welche Aspekte für die eine oder andere Methode sprechen, solange eine Methode als medizinischer Standard anerkannt ist. Etwas anderes gilt aber dann, wenn eine sog. echte Wahlmöglichkeit besteht. Dies wird von der Rechtsprechung dann angenommen, wenn zum Zeitpunkt der Behandlung eine Alternative besteht, die die gleiche Erfolgschance bei geringeren Risiken oder eine bessere Erfolgschance bei gleichem Risiko bietet. Dabei müssen jedoch Unterschiede von einigem Gewicht (nicht nur geringfügige Unterschiede) bestehen. Der Patient soll bei Vorliegen einer echten Wahlmöglichkeit nach sachverständiger und vollständiger Beratung des Arztes für sich selbst prüfen, welche Belastungen oder Gefahren er bei der Anwendung dieser oder jener Methode für sich in Kauf nehmen will.

11.3.3 Absolut indizierte Eingriffe Ist ein ärztlicher Eingriff zur Beseitigung einer erheblichen Gesundheitsstörung aus medizinischen Gründen zwingend erforderlich, so sind die Anforderungen an die Aufklärungspflicht geringer, da unter diesen Umständen ein verständiger Patient gewisse Risiken auf sich nimmt. Doch auch in solchen Fällen erlischt die Aufklärungspflicht nicht vollständig, da das Selbstbestimmungsrecht des Patienten in einer solchen Situation verlangt, dass der Arzt dem Patienten die Möglichkeit lässt, über den Eingriff zu entscheiden und ihn ggf. abzulehnen. Dies gilt auch dann, wenn der Entschluss des Patienten medizinisch unvernünftig ist; denn es gibt keine ärztliche „Vernunftshoheit“ und kein therapeutisches „Privileg“ zugunsten des Arztes. Etwas anderes gilt nur dann, wenn ein ärztlicher Eingriff vital indiziert und das sofortige Handeln zur Beseitigung einer lebensbedrohlichen Situation geboten ist. Da der Lebensrettung Vorrang vor dem Schutz des Selbstbestimmungsrechts gebührt und eine Aufklärung z. T. aus rein tatsächlichen Gründen in lebensbedrohlichen Situationen gar nicht mehr möglich ist, muss diese unter Umständen völlig entfallen und kann durch Rückgriff auf die mutmaßliche Einwilligung (§ 630d Abs. 1 S. 3 BGB) ersetzt werden (es sei denn, es liegen konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass der Wille des Patienten dem entgegensteht).

Nicht indizierte und relativ indizierte Eingriffe Bei medizinisch nicht indizierten Eingriffen bzw. bei Eingriffen, für die nur eine relative Indikation besteht, sind die Anforderungen der Rechtsprechung an die Aufklärung strenger. Bei medizinisch nicht indizierten Eingriffen muss der Patient durch die Aufklärung in die Lage versetzt werden, wirklich beurteilen zu können, ob er den durch die Operation erreichbaren Zustand bei Berücksichtigung aller Risiken dem bisherigen Zustand vorzieht. Im Bereich der „Schönheitsoperationen“ stellt die Rechtsprechung die strengsten Anforderungen an die Aufklärung. Es müssen dem Patienten hierbei alle Risiken schonungslos und umfassend vor Augen geführt, nach einem Urteil des OLG München müssen dem Patienten sogar mit Farbbildern aus der Fachliteratur etwaige Misserfolgsrisiken dargestellt werden. Erhöhte Aufklärungspflichten, die allerdings nicht das Ausmaß der Pflichten bei medizinisch nicht indizierten Eingriffen haben, bestehen auch bei relativer Indikation.

11.3.4 Aufklärung über Medikamentenrisiken Ein Arzt, der ein Arzneimittel verordnet, ist verpflichtet, „den Kranken über Dosis, Unverträglichkeit und Nebenfolgen ins Bild zu setzen“. Dabei gilt: Je gefährlicher ein Medikament ist, desto weiter geht die Pflicht des Arztes zur Aufklärung. Hinweise auf Beipackzetteln können ihn dabei nicht entlasten.

Ein Beispiel für Aufklärungsmängel bezüglich einer Medikation ist die Nichtaufklärung über die Risiken einer heparininduzierten Thrombozytopenie bei Vornahme der Thromboseprophylaxe. Hier ist über die Erforderlichkeit von Thrombozytenkontrollen, über die Gefahr von Blutungen und anderen Nebenwirkungen der Heparingabe aufzuklären. Gerade in den letzten Jahren haben die Thromboseprophylaxe und die dabei vorzunehmende Aufklärung in der Rechtsprechung einen hohen Stellenwert gewonnen. Die heparininduzierte Thrombozytopenie vom Typ II ist zwar ein höchst seltenes, aber ein eingriffsspezifisches Risiko, das im Falle seiner Verwirklichung die weitere Lebensführung des Patienten nachhaltig beeinflusst bzw. möglicherweise sogar zu dessen Tod führt. Dasselbe gilt für die „Pille“, über deren Risiken eine 30-jährige Patientin (Raucherin!) aufgeklärt werden muss.

11.3.5 Aufklärung Minderjähriger Die Einwilligungsfähigkeit eines Minderjährigen bestimmt sich nicht nach der bürgerlich-rechtlichen Geschäftsfähigkeit (unbeschränkte Geschäftsfähigkeit mit Vollendung des 18. Lebensjahres), ebenso bedeutungslos sind für sie die strafrechtlichen Normen zur Zurechnungsfähigkeit oder Strafmündigkeit, die bei Kindern unter 14 Jahren fehlt. Vielmehr setzt die Einwilligungsfähigkeit eine jeweils im Einzelfall vom Arzt zu prüfende Reife und Fähigkeit des Patienten voraus, „die Tragweite des ärztlichen Eingriffs für Körper, Beruf und Lebensglück zu ermessen“. Feste Altersgrenzen gibt es also nicht, jedoch besteht Übereinstimmung darin, dass Minderjährige unter 14 Jahren grundsätzlich einwilligungsunfähig, also vertretungsbedürftig sind und der Arzt bei deren Behandlung stets die Zustimmung des oder der Sorgeberechtigten einholen muss. D a Kinder nach den Grundsätzen des Sorgerechts grundsätzlich von beiden Elternteilen gemeinsam vertreten werden, jedoch oftmals nur mit einem Elternteil in die Behandlung kommen, hat der Bundesgerichtshof aus Gründen der Praktikabilität eine Dreistufentheorie zur Vertretung entwickelt.

• Bei Routinefällen des Alltags, wie z. B. bei der Durchführung einer Impfung, darf der Arzt darauf vertrauen, dass der mit dem Kind erschienene Elternteil ermächtigt ist, für den anderen in die Behandlung einzuwilligen. Dieser Vertrauensgrundsatz greift selbstverständlich dann nicht, wenn der Arzt weiß, dass der Nichterschienene nicht einverstanden ist. • Bei Eingriffen mittlerer Schwere muss der Arzt nachfragen, ob der erschienene Elternteil die Ermächtigung des anderen hat und wie weit diese reicht. Dabei darf der Arzt auf die Auskunft des erschienenen Elternteils vertrauen, sofern sich nicht ausnahmsweise Zweifel ergeben. • Bei schweren und risikoreichen Eingriffen muss der Arzt sich jedoch Gewissheit über das Einverständnis des nicht erschienenen Elternteils mit der vorgesehenen Behandlung des Kindes verschaffen; das heißt, er muss entweder dafür sorgen, dass beide Elternteile noch einmal gemeinsam kommen, oder sich von dem nicht erschienenen Elternteil (zumindest telefonisch) bestätigen lassen, dass er den anderen zur alleinigen Entscheidung ausdrücklich ermächtigt. Für die Altersstufe der 14- bis 18-Jährigen kommt es auf deren Lebensalter, die Art der Krankheit und die konkret geplante ärztliche Maßnahme, deren Dringlichkeit, Komplikationsmöglichkeiten und körperliche Auswirkungen an. Je schwerwiegender und unübersehbarer in seinen Risiken und Folgen ein Eingriff, je weniger dringlich dieser ist und je jünger der Patient, desto eher fehlt die Einwilligungsmündigkeit des Jugendlichen. Der Einwilligungsfähigkeit des Heranwachsenden geht ein Vetorecht voraus, d. h., der einwilligungsunfähige Minderjährige muss entsprechend seinem Alter und Reifegrad in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Dies gilt insbesondere für die Altersgruppe zwischen 14 und 16 Jahren. Verweigert ein Minderjähriger die Einwilligung in einen Eingriff, so ist die Ausübung seines Vetorechts beachtlich und die ärztliche Maßnahme zurückzustellen. Die Eltern als Stellvertreter können nicht wirksam in eine Maßnahme einwilligen, die gegen den Willen des Minderjährigen durchgeführt werden müsste, es sei denn, diese wäre medizinisch vital indiziert. Das Vetorecht ist also nur dann unbeachtlich, wenn der Minderjährige durch Behandlungsverweigerung seine Gesundheit gefährden würde.

11.3.6 Aufklärung eines volljährigen einwilligungsunfähigen Patienten (§ 630d Abs. 1 S. 2 BGB) – Betreuerbestellung, Patientenverfügung Bei einem volljährigen, z. B. durch Krankheit einwilligungsunfähigen Patienten besteht das Einwilligungserfordernis weiter. In solchen Fällen kann die Einwilligung auch nicht von den nächsten Angehörigen wirksam erteilt werden, es muss vielmehr gemäß § 1896 BGB von Amts wegen oder auf Antrag ein Betreuer bestellt werden, der zur Entscheidung über die Einwilligung in den ärztlichen Eingriff berufen und daher aufzuklären ist oder eine etwa vorhandene Patientenverfügung auf ihre Bindungswirkung prüfen muss (§ 1901a Abs. 1 BGB). Gemäß § 1904 Abs. 1 BGB bedarf die Einwilligung des Betreuers in den Eingriff darüber hinaus der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute aufgrund der Maßnahme stirbt oder einen schweren oder länger andauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. Dies gilt nur dann nicht, wenn für die Einschaltung und Einsetzung eines Betreuers wegen des gesundheitlichen Zustands des Patienten keine Zeit mehr bleibt, der Eingriff also medizinisch nicht aufschiebbar ist. In solchen Fällen können Angehörige durch ihre Auskunft über den mutmaßlichen Willen des Patienten Aufschluss geben (§ 630d Abs. 1 S. 4 BGB). Hat der Patient einem Dritten eine Vorsorgevollmacht erteilt (§ 1904 Abs. 5 BGB), bedarf es der Betreuerbestellung nicht, der Bevollmächtigte benötigt allerdings gleichfalls eine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung unter den Voraussetzungen des § 1904 Abs. 1 und 2 BGB.

11.3.7 Aufklärung fremdsprachiger Patienten Der Arzt muss ggf. eine sprachkundige Person hinzuziehen, wenn „nicht ohne Weiteres sicher ist, dass der Patient die deutsche Sprache so gut beherrscht, dass er die Erläuterungen, die er vom Arzt erhält, verstehen kann“. Bestehen also Zweifel daran, dass der Patient dem Aufklärungsgespräch folgen kann, muss ein Übersetzer hinzugezogen werden. Es muss sich hierbei jedoch nicht um einen vereidigten Dolmetscher handeln, ausreichend ist eine Person, die jedenfalls in der Lage ist, die wesentlichen Aspekte korrekt zu erfassen und laienhaft zu erläutern. Möglich ist hier z. B. der Einsatz eines nichtärztlichen Mitarbeiters, dies kann auch eine Reinigungskraft sein. Bezüglich der durch die Hinzuziehung eines Dolmetschers entstehenden Kosten ist eine gesetzliche Regelung – anders als bei der Einsichtnahme in die Patientenakte – im PatRG nicht erfolgt. In der Begründung des dazu vorgelegten Gesetzesentwurfs heißt es lediglich – ohne nähere Argumentation: „Erforderlichenfalls ist eine sprachkundige Person oder ein Dolmetscher auf Kosten des Patienten hinzuzuziehen“. Diese Ansicht vertreten mit Recht auch das Schrifttum und das Bundessozialgericht , da die Übersetzungstätigkeit nicht Teil der geschuldeten ärztlichen Behandlung und nicht dem Interessen- bzw. Verantwortungsbereich des Arztes zuzuordnen ist. Ausnahmen können sich aus § 73 SGB XII oder auch aus §§ 4, 6 AsylbLG ergeben, wonach der Träger der Sozialhilfe die Kosten trägt.

11.3.8 Zeitpunkt der Aufklärung Für den Zeitpunkt der Aufklärung hatte die Rechtsprechung ursprünglich keine festen Regeln aufgestellt, sondern diesen unter Berücksichtigung der im Einzelfall gegebenen Umstände bestimmt. Das Gesetz spricht von „rechtzeitig“ in dem Sinne, dass der Patient eine „wohlüberlegte“ Entscheidung treffen kann. Dies bedeutet: Der Arzt muss den Patienten so frühzeitig aufklären, dass der Patient den Entschluss zur Einwilligung in einen Eingriff in Ruhe überdenken kann und nicht mit dem Problem überfallen wird. Zum Zeitpunkt der Aufklärung muss der Patient im Vollbesitz seiner Erkenntnis- und Entscheidungsfreiheit sein und er muss noch die Gelegenheit haben, zwischen Aufklärung und Eingriff das Für und Wider des weiteren ärztlichen Vorgehens zu erfassen und darüber eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen.

BGH NJW 1987, 2.293

Inzwischen sind die Zeitvorgaben exakter: Bei stationären Eingriffen muss die Aufklärung in der Regel vor der Vereinbarung eines festen Operationstermins erfolgen. Eine Aufklärung über die Eingriffsrisiken am Tag vor der Operation ist im Regelfall rechtzeitig, insbesondere wenn es sich um einen einfachen Eingriff oder um einen solchen mit geringen bzw. weniger einschneidenden Risiken handelt. Etwas anderes gilt für die Aufklärung über die Narkoserisiken; die Anästhesieaufklärung ist nach der Rechtsprechung des BGH noch am Abend vor dem Eingriff möglich. B e i ambulanten Eingriffen ist zwischen normalen und größeren Eingriffen mit beträchtlichen Risiken zu unterscheiden. Mit Rücksicht auf die organisatorischen Besonderheiten des ambulanten Operierens ist bei normalen Eingriffen eine Aufklärung noch am Tag des Eingriffs zeitgerecht. Bei größeren Eingriffen mit beträchtlichen Risiken sollte bereits bei Vereinbarung des Operationstermins aufgeklärt werden, da nach der Rechtsprechung die Aufklärung am Tag des Eingriffs ebenso wie bei stationärer Durchführung „verspätet sein dürfte“. Wenn im Fall einer verspäteten Aufklärung ein Patient geltend macht, er habe sich wegen des psychischen und organisatorischen Drucks vor dem Eingriff nicht mehr frei entscheiden können, so trifft den Arzt im Zivilprozess die Last des Gegenbeweises. Die verspätete Aufklärung ist also nicht eo ipso unwirksam.

11.3.9 Form der Aufklärung Grundsätzlich bedürfen Aufklärung und Einwilligung keiner besonderen Form. Allein entscheidend ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das vertrauensvolle Gespräch zwischen Arzt und Patient, nicht jedoch die Aushändigung und Unterzeichnung von Merkblättern (§ 630e Abs. 2 BGB). Jedoch hält der BGH schriftliche Aufzeichnungen im Krankenblatt über die Durchführung des Aufklärungsgespräches und seinen wesentlichen Inhalt für „dringend empfehlenswert“, weil dadurch der Umfang der Aufklärung präzise umschrieben und diese beweisbar gemacht wird. Hierfür stehen gut ausgearbeitete Aufklärungsbögen zur Verfügung, die zur Individualisierung mit handschriftlichen Bemerkungen und Unterstreichungen versehen werden sollten. Dabei sind der Aufklärungszeitpunkt und ggf. die Dauer des Gesprächs anzugeben. Aber auch derjenige Arzt, der zur Aufklärung kein Formular benutzt hat und für den konkreten Einzelfall keinen Zeugen zur Verfügung hat, muss nach der Rechtsprechung des BGH „eine faire und reale Chance haben“, den Beweis für die Durchführung und den Inhalt des Aufklärungsgesprächs zu führen. Kann ein Arzt nachweisen, dass er generell vor einem bestimmten Eingriff Patienten über ein bestimmtes Risiko aufklärt, so ist daraus der Schluss zu ziehen, dass dies auch in dem streitgegenständlichen Fall geschehen ist. Nach § 630e Abs. 2 S. 2 BGB sind dem Patienten Abschriften von Unterlagen, die er im Zusammenhang mit der Aufklärung oder Einwilligung unterzeichnet hat, auszuhändigen.

11.3.10 Delegation der Aufklärung Die Aufklärungspflicht ist eine ärztliche Pflicht, die grundsätzlich den Arzt trifft, der den Patienten behandelt. Dabei ist eine Delegation der Aufklärung auf erprobte ärztliche Mitarbeiter oder Kollegen einer anderen Fachrichtung aber zulässig (§ 630e Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB). Eine Übertragung auf nichtärztliches Personal ist dagegen nicht statthaft. Bei der Delegation ist darauf zu achten, dass die aufklärenden Ärzte die Aufklärung in vollem Umfang vornehmen können und auch vornehmen. Voraussetzung ist eine klare Absprache und Kompetenzverteilung der zuständigen Ärzte. Fehlen einem ärztlichen Mitarbeiter fachspezifische Kenntnisse und Erfahrungen zur Aufklärung, so ist diesem ein Übernahmeverschulden anzulasten, während der Arzt, der den Mitarbeiter in Kenntnis der mangelnden Fähigkeiten mit der Aufklärung betraut hat, wegen eines Delegationsfehlers haftet. Das Gesetz stellt auf eine Person ab, die die zur Durchführung der Maßnahme „notwendige Ausbildung“ hat (§ 530e Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB).

11.3.11 Aufklärungsverzicht Auf die umfassende Aufklärung über einen Eingriff können Patienten ausdrücklich ganz oder teilweise verzichten (§ 630e Abs. 3 BGB). Voraussetzung dafür ist jedoch, dass sie Art und Erforderlichkeit des Eingriffs kennen und wissen, dass dieser nicht ohne jedes Risiko ist. Damit setzt der „Aufklärungsverzicht“ eine „Grundaufklärung“ voraus und stellt damit vor allem einen Verzicht auf die Nennung von Einzelheiten des Behandlungsverlaufs und seiner Risiken dar.

11.3.12 Therapeutische Aufklärung (Sicherungsaufklärung) Hier steht nicht der Aspekt des Selbstbestimmungsrechts, sondern die Schadensabwehr im Mittelpunkt (§ 630c Abs. 2 BGB). Es geht darum, durch Hinweise, Empfehlungen, Ratschläge und Anweisungen einen möglichst optimalen Behandlungsverlauf zu gewährleisten. Dazu gehören z. B. Informationen zur Vornahme der Thromboseprophylaxe, die Empfehlung, Diät zu halten und sich zu schonen, nach Einnahme bestimmter Medikamente nicht mit dem Auto zu fahren, die Vorstellungstermine einzuhalten usw.

11.3.13 Diagnoseaufklärung (§ 630c Abs. 2 BGB) Darunter versteht man die Information des Patienten über den ärztlichen Befund. Nur wenn dessen Mitteilung ernsthaft Lebensgefahr oder vielleicht schwere gesundheitliche Schäden auslöst, darf die Diagnoseaufklärung aus therapeutischen Gründen eingeschränkt werden. Bei der Unterrichtung von Angehörigen muss der Chirurg bedenken, dass er dem Patienten gegenüber durch die ärztliche Schweigepflicht gebunden ist und daher einen Rechtfertigungsgrund (Einwilligung, mutmaßliche Einwilligung des Patienten, Notstand u. a.) auf seiner Seite haben muss.

11.4 Anforderungen an die ärztliche Dokumentation Die Pflicht des Chirurgen, genaue Aufzeichnungen über seine Tätigkeit zu machen, ergibt sich aus § 630f BGB und § 10 der Musterberufsordnung. Die Dokumentationspflicht dient in erster Linie therapeutischen Zwecken, hat jedoch seit den Grundsatzurteilen der Jahre 1982/83 im Haftungsprozess entscheidende beweisrechtliche Konsequenzen im Falle mangelhafter oder fehlender Dokumentation durch die Umkehr der Beweislast zum Nachteil des Arztes (§ 630h Abs. 3 BGB) und wirkt sich künftig im Rahmen des Fallpauschalensystems als Grundlage der Abrechnung in wirtschaftlicher Hinsicht entscheidend aus. Unter haftungsrechtlichen Aspekten dient die ärztliche Dokumentation vor allem zur Absicherung von juristischen Nachteilen, ist also ein Element der juristischen Qualitätssicherung und zum Selbstschutz jedem Chirurgen mit besonderem Nachdruck ans Herz zu legen. Was zu dokumentieren ist, entscheidet nicht eine Rechtsnorm, sondern die Medizin selbst. „Eine Dokumentation, die medizinisch nicht erforderlich ist, ist auch nicht aus Rechtsgründen geboten, sodass aus dem Unterbleiben derartiger Aufzeichnungen keine beweisrechtlichen Folgerungen gezogen werden können.“ Inhalt und Umfang der ärztlichen Dokumentation müssen sich deshalb vor allem an den diagnostischen und therapeutischen Gegebenheiten orientieren. Dabei müssen sie den Prinzipien der Wahrheit, Klarheit und Vollständigkeit entsprechen und alles medizinisch Wichtige enthalten. Das Gesetz spricht von den für die Behandlung wesentlichen Maßnahmen: Diese muss der Arzt „in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang“ (§ 630f Abs. 1 S. 1 BGB) mit der Therapie aufzeichnen. Dazu gehören: Anamnese, Diagnose, Untersuchungen und deren Ergebnisse, Befunde, Behandlungsmaßnahmen und ihre Wirkungen, Aufklärung und Einwilligung. Ob und wieweit im Einzelfall die Dokumentationspflicht erfüllt ist, hängt weitgehend vom Votum des medizinischen Sachverständigen ab, ist aber letztlich als Rechtsfrage vom Richter zu entscheiden. Die Aufzeichnungen müssen eine „hinreichend klare Form“ aufweisen. Sie können in Papierform oder elektronisch erfolgen (§ 630f Abs. 1 S. 1 BGB), doch ergibt sich für die Beweisführung ein wesentlicher Unterschied: Karteikarten und Krankenblattunterlagen sind Urkunden im Rechtssinn und haben daher in der Praxis die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit für sich, sodass der Patient die Unrichtigkeit bzw. Fälschung der ärztlichen Aufzeichnungen beweisen muss. Bei der EDV-Dokumentation gilt diese Vollständigkeits- und Richtigkeitsvermutung im Allgemeinen nicht, sondern nur unter der Voraussetzung, dass im unmittelbaren Anschluss an die Dateneingabe eine Datensicherung durch Abspeichern auf einen fälschungssicheren Datenträger erfolgt ist. Solange ganze Behandlungsabläufe rückwirkend dokumentiert werden können, ohne dass dies nachträglich erkennbar ist, ist die Beweiskraft der EDV-Dokumentation geschwächt und ganz von der richterlichen Beweiswürdigung im Einzelfall abhängig. Das Gesetz (§ 630f Abs. 1 S. 2 BGB) verlangt, dass im Falle von Änderungen oder Berichtigungen der ursprüngliche Inhalt erkennbar bleibt.

Über den Verbleib von Behandlungsunterlagen muss jederzeit Klarheit bestehen. Es geht deshalb beweismäßig grundsätzlich zulasten der Behandlungsseite, wenn Krankenunterlagen aus ungeklärten Gründen unauffindbar sind. Daher ist stets zu dokumentieren, wann an welche Stelle für welchen Zweck die Unterlagen herausgegeben wurden. Nach § 630f Abs. 3 BGB und § 10 Abs. 3 der Berufsordnung beträgt die Aufbewahrungspflicht 10 Jahre, soweit nicht Spezialregelungen, z. B. nach der Röntgen- und Strahlenschutzverordnung, eingreifen. Aus haftungsrechtlicher Sicht ist wegen der äußerstenfalls 30-jährigen Verjährungsfrist von Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen eine ebenso lange Aufbewahrung unbedingt zu empfehlen. Bei Zwischenfällen und Komplikationen ist die umfassende sofortige Dokumentation oftmals nicht möglich. Gerade in solchen Notfallsituationen hat die ärztliche Dokumentation aber prozessual große Bedeutung, sodass jeder Chirurg gut beraten ist, wenn er in unmittelbarem Anschluss an den Zwischenfall – möglichst zeitnah – die Ereignisse exakt schriftlich in den Krankenblattunterlagen festhält. Spätere Ergänzungen und Berichtigungen sind nur unter Angabe des Datums der Korrektur rechtlich zulässig (§ 630f Abs. 1 S. 1 BGB), da wegen des Urkundscharakters der Krankenblattunterlagen jede Veränderung den Tatbestand der Urkundenfälschung nach § 267 StGB erfüllen kann. Unter sozialrechtlichem Blickwinkel ist die ärztliche Dokumentation vor allem bei Fehlbelegungsprüfungen im Krankenhaus und bei der Abrechnung der erbrachten Leistungen von großer Bedeutung. Darüber hinaus ist zu beachten: Soweit nachgewiesen wird, dass Fallpauschalen grob fahrlässig zu hoch abgerechnet wurden, drohen Sanktionen, indem nicht nur das überhöhte Entgelt, sondern der doppelte Betrag zurückzuzahlen ist. Dabei kann der Krankenhausträger im Falle „grober Fahrlässigkeit“ des für die fehlerhafte Abrechnung verantwortlichen Arztes bei diesem Regress nehmen. Grobe Fahrlässigkeit bedeutet dabei einen eindeutigen und vorwerfbaren Verstoß gegen klar formulierte, dem Schutz anderer dienende Normen. Ein solcher Verstoß ist anzunehmen, wenn ein Arzt sich die Kodierrichtlinien überhaupt nicht ansieht, nicht dokumentiert, bei der Dokumentation die Krankenunterlagen nicht beizieht, Diskrepanzen zu Untersuchungsbefunden nicht klärt oder nach eigenem Gutdünken bei der Dokumentation vorgeht. Waren früher die ärztlichen Aufzeichnungen bloße Gedächtnisstütze für den Arzt, sind sie seit nunmehr 30 Jahren dem Patienten offenzulegen, d. h., dieser hat – auch außerhalb eines Rechtsstreits – ohne jede Begründung Anspruch auf Einsicht, soweit die Aufzeichnungen objektive physische Befunde und Berichte über Behandlungsmaßnahmen betreffen (§ 630 g Abs. 1 BGB).

84 Siehe BGH NJW 1983, 328, 330

Der Chirurg ist verpflichtet, diese Einsicht dem Patienten dadurch zu ermöglichen, dass er Fotokopien sämtlicher Aufzeichnungen herstellen lässt, sie mit der schriftlichen Bestätigung ihrer Vollständigkeit und Richtigkeit versieht und sie dem Patienten (ggf. gegen Erstattung der Fotokopierkosten) aushändigt. Von seltenen Ausnahmefällen abgesehen (z. B. Röntgenaufnahmen zum Zwecke der Erstellung eines Gutachtens) sollte aus haftungsrechtlicher Sicht nie ein Original weitergegeben werden! Subjektive Bemerkungen und Verdachtsdiagnosen darf der Chirurg zurückhalten bzw. vor Aushändigung der Krankenunterlagen an den Patienten löschen, doch ist ein solches Vorgehen angesichts des dadurch erzeugten Misstrauens nicht zu empfehlen. Nach dem Tod eines Patienten steht dessen Erben bei Nachweis der Einwilligung des Verstorbenen das Recht auf Einsichtnahme in die Krankenunterlagen zu. Dies gilt zur Wahrnehmung vermögensrechtlicher Interessen auch ohne Einwilligung (§ 630 g Abs. 3 BGB). Den nahen Angehörigen des verstorbenen Patienten steht ein Einsichtsrecht zur Geltendmachung immaterieller Interessen zu (§ 630 g Abs. 3 S. 2 BGB), doch ist der Arzt zu gewissenhafter Prüfung verpflichtet, ob nicht der ausdrückliche oder mutmaßliche Patientenwille entgegensteht (§ 630 g Abs. 3 S. 3 BGB).

11.5 Stellung und Funktion des chirurgischen Sachverständigen im Zivil- und Strafprozess Zivil- und Strafverfahren gegen Ärzte sind angesichts der mangelnden Sachkunde der Juristen auf medizinischem Sektor ohne Einschaltung eines oder mehrerer Sachverständiger nicht ordnungsgemäß zu führen. Deshalb hat sich der Gutachter „weitgehend als eine den Tathergang ermittelnde und die Entscheidung vorprogrammierende Institution etabliert“. Diese „Übermacht“ wird von allen Seiten – Juristen, Patienten und Ärzten – als bedauerlicher Missstand beklagt, ist aber unabänderbar und nur dadurch zu verbessern, dass die Sachverständigen zur Vermeidung von Fehlleistungen, Missverständnissen und Irrtümern zivil- und strafrechtliche Grundkenntnisse vermittelt bekommen, ihre verfahrensrechtliche Stellung und die damit verbundenen Rechte und Pflichten kennen und bei der Auswahl sorgsam darauf geachtet wird, dass sie für die zur Beurteilung anstehenden Fragen die nötige spezielle Sachkompetenz haben. 10 Regeln bzw. Hinweise für die Begutachtung sollte ein Sachverständiger beachten:

1. Der Sachverständige ist weder Prozesspartei noch Verfahrensbeteiligter, weder Detektiv noch Strafverfolgungsorgan, sondern der durch sein fachliches Wissen ausgewiesene, jederzeit austauschbare Richtergehilfe. 2. Er bedarf deshalb richterlicher Unbefangenheit, d. h., für ihn gilt das Gebot strikter Neutralität, Unparteilichkeit und persönlicher Unabhängigkeit bei der Erstattung des Gutachtens. Zu warnen ist vor falsch verstandener Kollegialität ebenso wie vor „Besserwisserei“, Überheblichkeit und Animosität gegenüber dem betroffenen Kollegen. 3. Wer den Auftrag zur Erstattung des Gutachtens erteilt hat, ist gleichgültig. Auch das sog. Privat- oder Parteigutachten darf nicht „ parteiisch “ sein, sondern muss absolut objektiv, nach bestem Wissen und Gewissen erstattet werden. 4. Die Aufgabe des Sachverständigen besteht darin, dem Gericht oder Staatsanwalt, dem Sachbearbeiter einer Versicherungsgesellschaft oder den Anwälten bzw. Parteien zu helfen, die für das Verfahren erheblichen Tatsachen zu verstehen und zu bewerten, aus einem bestimmten, für erwiesen erachteten Sachverhalt die gebotenen medizinischen Schlussfolgerungen zu ziehen und ggf. mittels seiner besonderen Sachkunde die für das Gutachten relevanten medizinischen Befunde und Tatsachen selbst zu ermitteln. 5. Der Sachverständige sollte der Neigung widerstehen, an einer einmal geäußerten Meinung unter allen Umständen festzuhalten und sie gegen alle Einwendungen zu verteidigen, wenn ihm ein Irrtum unterlaufen ist. Von einem pflichtbewussten Sachverständigen muss das Eingeständnis eines Fehlers verlangt werden, was im Übrigen auch im ureigensten Interesse des Gutachters selbst liegt, nachdem § 839a BGB die Haftung des Sachverständigen schon bei grober Fahrlässigkeit ab 1.8.2002 eingeführt hat. 6. Der Sachverständige sollte sich jeglicher rechtlichen Wertung enthalten, da er hierfür weder zuständig ist noch das nötige profunde Wissen hat. Der „grobe“ Behandlungsfehler oder die „grobe Fahrlässigkeit“ sind ebenso reine Rechtsbegriffe wie die Beurteilung des Aufklärungsumfangs oder der Voraussetzungen der Beweislastumkehr bei Dokumentationsmängeln.

7. Wichtig für die Qualität des Gutachtens und seine Bedeutung im Zivil- und Strafverfahren sind die Verständlichkeit seiner Ausführungen und seine wissenschaftliche Fundierung. „Muss der Richter, Staatsanwalt oder Verteidiger zum Verständnis des Gutachtens erst klinische Wörterbücher benutzen, besteht nicht nur die Gefahr“ von Missverständnissen , sondern auch die Gefahr des Fehlurteils bzw. der Unbrauchbarkeit des ganzen Gutachtens. Fehlt ein Schrifttumsverzeichnis oder fehlen die notwendigen Zitate im Text, erscheinen die Ausführungen des Sachverständigen apodiktisch, nicht überzeugend und deshalb fragwürdig. 8. Lücken in den tatsächlichen Feststellungen oder divergierende Beweisergebnisse darf der Gutachter nicht durch Unterstellungen oder Vermutungen zugunsten der einen oder anderen Partei bzw. des beschuldigten Arztes beseitigen. Er ist vielmehr verpflichtet, auf solche Umstände, z. B. offene Fragen, Mängel der Dokumentation, die Notwendigkeit weiterer Zeugenbefragungen und Auffälligkeiten des Geschehensablaufs hinzuweisen und auf vorhandene Möglichkeiten der Vervollständigung der Unterlagen aufmerksam zu machen. Insoweit ist allerdings zwischen dem Zivil- und Strafprozess zu unterscheiden. Im Zivilprozess ist der gerichtlich bestellte Sachverständige durch den Sachvortrag der Parteien und das sich daraus ergebende, vom Gericht im Beweisbeschluss vorgegebene Beweisthema gebunden. Spontan darf er darüber nur zulasten der einen oder anderen Partei hinausgreifen, wenn sich dies aufgrund konkreter Anhaltspunkte aufdrängt. Anders ist die Situation dagegen im Strafverfahren, da dessen Ziel die materielle Wahrheitsfindung ist und im Hinblick darauf alle prozessualen Möglichkeiten und Beweismittel ausgeschöpft werden müssen. Der Gutachterauftrag ist hier immer umfassend zu verstehen. Bei der Frage nach einem Behandlungs- oder Organisationsfehler darf der Sachverständige daher seine Gutachterpflicht umfassend auslegen. Dies berechtigt ihn allerdings nicht, seinerseits z. B. Aufklärungsfragen anzuschneiden, wenn davon seitens der Staatsanwaltschaft oder Nebenklage überhaupt nicht gesprochen wurde. Denn die Fragen der Aufklärung sind Rechtsfragen, zu deren Beantwortung der Gutachter oftmals nichts Wesentliches beitragen kann. 9. Die Gutachterpflicht ist eine höchstpersönliche, d. h. nicht auf Mitarbeiter oder andere delegierbare, gesetzlich begründete Verpflichtung. Der Sachverständige darf allerdings zu Einzeluntersuchungen und Einzelwertungen, z. B. für die Anamnese, die Feststellung bestimmter Beschwerden, die Labordiagnostik, EKG, Röntgenaufnahmen etc., zuverlässige Hilfskräfte heranziehen, muss aber nach Abfassung des Gutachtens klar zum Ausdruck bringen, dass er sich den Inhalt des Gutachtens voll zu eigen macht und selbst verantwortet. 10. Der Sachverständige sollte sich davor hüten, optimale, ja maximale Gegebenheiten in der eigenen Klinik zum „Minimalstandard“ anderer Krankenhäuser zu machen , und keine überzogenen, auf Idealausstattungen gegründeten Sorgfaltsanforderungen stellen. Nicht der maximale oder optimale medizinische Standard ist gefordert, sondern das durchschnittliche Fachwissen eines gewissenhaften, um Weiterbildung bemühten, sorgfältigen Chirurgen. Dieses ist stets aus der Sicht ex ante, also zum Zeitpunkt der Behandlung des Patienten, zu beurteilen. Später, etwa bei einer Obduktion, bekanntgewordene Umstände, nachträgliche wissenschaftliche Erkenntnisse und neueste, erst im Zeitpunkt der Gutachtenerstellung publizierte Forschungsergebnisse muss der Sachverständige dagegen außer Betracht lassen (es sei denn, daraus ergibt sich, dass der Arzt seinerzeit richtig gehandelt hat). 1 Management und Krankenhaus, Jg. 05, Heft 02, S. 4 2 Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 4. Auflage 2008, Rn. 18 ff. 3 Steffen, MedR 1995, 360 f. 4 Vgl. OLG Düsseldorf, VersR 1994, 353 5 BGH NJW 2000, 2737, 2740; BGH NJW 1988, 763, 764 6 BGH NJW 1994, 1597, 1598 7 BGH VersR 1954, 290; 1975, 43 ff.; NJW 1993, 2308 8 BGH VersR 1988, 155 f.; OLG Köln, VersR 1993, 52 f.; Deutsch, VersR 1998, 261; siehe im Einzelnen dazu Ulsenheimer, Grenzen der ärztlichen Behandlungspflicht vor dem Hintergrund begrenzter finanzieller Ressourcen, FS für Kohlmann 2003, S. 319 ff. 9 Künschner, Wirtschaftlicher Behandlungsverzicht und Patientenauswahl, 1992, 215 10 BGHSt 43, 306 (311); BGH JR 1986, 248, 250; BGHZ 88, 248, 257 ff. 11 BGHSt 10, 135 12 BGHSt 43, 306 (311) 13 RGSt 67, 12, 22 f. 14 BGH GesR 2008, 361 15 OLG Hamm NJW 1991, 1.535 16 Siehe dazu Ulsenheimer, Leit- und Richtlinien im Spiegel der haftungsrechtlichen Judikatur, Anästhesist 2003, 360 m. w. N. 17 OLG Hamm, VersR 2000, 101 18 BGH, MedR 1983, 108 19 BGH, MedR 2004, 107; OLG Koblenz, MedR 2006, 726 ff.; BGH AHRS Nr. 2002/8, S. 13; Steffen/Dressler, Neue Entwicklungslinien der BGHRechtsprechung zum Arzthaftungsrecht, 9. Aufl. 2002, Rn. 154 20 BGHZ 4, 138, 144; OLG Koblenz, VersR 1999, 1.420 ff. 21 BGHSt 11, 1, 6 f.; 33, 61, 64; 49, 1 ff. 22 Vgl. BGH NJW 1987, 2940 23 BGH MDR 1988, 100 24 BGH NJW 1994, 801; OLG Hamm, ZMGR 2013, 97 25 Laufs, in: Laufs/Kern, Handbuch des Arztrechts, 4. Aufl. 2010, § 101 Rn. 1 26 Der Anästhesist 1961, 241 ff.

27 Engisch, Langenbeck's Archiv für klinische Chirurgie, Bd. 297 (1961), S. 252 f. 28 Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 4. Aufl. 2008, Rn. 141 29 Der Anästhesist 1962, 241 30 OLG Oldenburg, MedR 1999, 36; BGH VersR 1990, 242 f. 31 Ulsenheimer, Die Rechtsstellung des Chirurgen im interdisziplinären Konzept, Deutsche Gesellschaft für Chirurgie – Mitteilungen 2004, 244 ff. 32 Siehe dazu Ulsenheimer, Rechtliche Rahmenbedingungen für die Schaffung interdisziplinärer operativer Intensiveinheiten, Anästhesiologie und Intensivmedizin 2005, S. 91 ff. 33 BGH NJW 1980, 649; NJW 1980, 651; NJW 1984, 1400; MedR 1991, 198 ff. 34 BGH NJW 1999, 1.780; KG GesR 2004, 136 f. 35 BGH NJW 1980, 198 ff. 36 z. B. für die Aufklärung (BGH GesR 2007, 108 ff.) 37 Siehe dazu Bayer, Arzt und Krankenhaus 1986, 112 ff. 38 Vgl. BGH NStZ 1983, 263; NJW 1986, 776 39 Siehe dazu Ulsenheimer, Arztstrafrecht in der Praxis, 4. Aufl. 2008,Rn. 190 m. w. N. 40 Ulsenheimer, Der Anästhesist 2009, 453 41 NJW 2003, 2309 42 Ulsenheimer, Haftungsrechtliche Probleme beim fachübergreifenden Bereitschaftsdienst, Dt. Ges. f. Chirurgie, Mitteilungen 2005, S. 126 ff.; LG Augsburg, Arztrecht 2005, 205 ff. 43 BVerfG NJW 1979, 1925 44 BGH JZ 1991, 983 f. 45 BGH NJW 1963, 393 46 BGH NJW 1992, 734 47 BGH NJW 1994, 793 48 BGH NJW 1992, 743 49 Vgl. Österr. OGH RdM 2001, 191 50 BGH VersR 2005, S. 834 ff. 51 BGH NJW 1992, 1558, 1560 52 BGHSt 35, 246 ff; siehe dazu Ulsenheimer/Bock, gebfra 1991, 949 f. 53 BGH NStZ 1996, 34 mit Anm. Ulsenheimer, S. 132 54 BGHSt 11, 111 (114) 55 MedR 1988, 187; BGH NJW 1992, 1558 ff. 56 Laufs, in: Laufs/Uhlenbruck, Handbuch des Arztrechts, 3. Aufl. § 62Rn. 8; BGH VersR 2005, S. 834 ff. 57 BGH NJW 2005, 1716, 1717 58 Vgl. BGH NJW 1996, 776 f. 59 OLG Celle, VersR 2002, 854 f. 60 BGH NJW 2005, 1716 ff. 61 Die Bedeutung der ärztlichen Operationspraxis. In: Stich R, Bauer KH: Fehler und Gefahren bei chirurgischen Operationen 1958, 1521, 1530. 62 BGH NJW 1988, 2946 ff. 63 Die Fragen zur Einwilligungsfähigkeit Minderjähriger sind rechtlich umstritten. Siehe Diederichsen, FS Hirsch 2008, 357 ff.; Ulsenheimer, Arztstrafrecht, Rn. 111; BGH NJW 2007, 217 f. 64 OLG Köln, NJW 1987, 2302 65 OLG Frankfurt, VersR 1994, 986, 987; OLG Düsseldorf, VersR 1990, 852. Siehe jetzt § 630e Abs. 2 Nr. 3 BGB: „Aufklärung muss verständlich für den Patienten sein“. 66 BT-Drucksache 17/10488, S. 25 67 Wienke/Sailer, HessÄrztebl 2013, 846, 847; Andreas, Arztrecht 2001, 201, 206 68 BSG NJW 1996, 806 69 BVerwG NJW 1996, 3092; OVG Lüneburg, Urteil vom 11.2.2002,4 MA 1/02, beide zum früheren § 37 BSHG 70 SG Potsdam, Urteil vom 5.11.2012, S 20 AY 13/12 71 BGH MedR 1985, 169 73 BGH NJW 2003, 2012 ff. 74 BGH VersR 2000, 725 ff.; empfehlenswert sind v. a. die Diomed-Aufklärungsbögen (Thieme-Compliance GmbH), die auf dem Stufenaufklärungssystem von Weißauer beruhen. 75 BGH MDR 1985, 169 76 BGH VersR 1989, 702 f. 77 BGHZ 99, 391, 396 f. 78 BGH NJW 1993, 2375 f. 79 BGH VersR 1984, 386; 1989, 512 f. 80 OLG Bremen, VersR 2000, 1.440 81 BGHMedR 1996, 215 82 OLG Koblenz, MedR 1995, 29 ff. 83 Ulsenheimer, Kinder- und Jugendarzt 2004, 376 ff. (380) 85 OLG Köln, NJW 1982, 704 86 Krauß, ZStW 1985, 320; Zum Ganzen siehe Ulsenheimer, ZS für ärztliche Fortbildung 1996, 574 ff.; ders., Der Anästhesist 2005, 1.081 mit Einführung von Weißauer, S. 1.080

87 BGHSt 7, 239 88 Lürken, NJW 1968, 1162 89 Franzki, Der Frauenarzt 1988, 290 90 BGH VersR 1982, 169 91 ausgenommen z. B. die Frage nach Behandlungsalternativen 92 Rügheimer, in: Forensische Probleme in der Anästhesiologie, hrsg. von Opderbecke/Weißauer, 1981, Vorwort S. 10

II

Allgemeinchirurgie/Common Trunk OUTLINE

KAPITEL 12

Grundlagen der chirurgischen Naht Peter M. Markus

12.1. 12.2. 12.3. 12.4. 12.5. 12.6.

Die Anastomisierung im Gastrointestinalbereich stellt den zentralen und für den postoperativen Verlauf wohl elementarsten Schritt der Operation dar. Die Sorgfalt des Chirurgen hinsichtlich der Vorbereitung der zu anastomosierenden Enden, die korrekte Handhabung des Materials und die Wahl der richtigen Technik sind neben einer perfektionierten Ausführung die Einflussgrößen, die ein guter Chirurg selbst bestimmen kann. Andere Parameter wie der Ernährungszustand des Patienten, Kortisontherapie etc. haben ebenfalls Einfluss auf die Heilung der Anastomose und müssen vom Chirurgen in seine Entscheidung mit einbezogen werden. Das Kapitel soll die Grundlagen der gastrointestinalen Nahttechnik und ihrer notwendigen Hilfsmittel beschreiben. Die einschlägigen Operationslehren demonstrieren eine Vielzahl verschiedener Nahttechniken. Im Rahmen eines Buchkapitels ist es unmöglich, alle Techniken zu würdigen. Deshalb wird hier die in der Viszeralchirurgie am weitesten verbreitete Nahttechnik – die einreihige fortlaufende Naht – vorgestellt. Es sei ausdrücklich betont, dass diese Ausführungen nicht den Anspruch erheben, die einzig richtige Nahttechnik darzustellen. Sie sind Ausdruck einer weitverbreiteten Schule, die sich auf eine breite Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse stützt und eine langjährige persönliche Erfahrung im Operationssaal wie auch in der Vermittlung und Auswertung aus unserem Nahtkurs für gastrointestinale Chirurgie widerspiegelt.

12.1 Die Anatomie der Darmwand Die Darmwand des menschlichen gastrointestinalen Trakts besteht in der Regel aus vier Schichten. ( )

ABB. 12.1

Querschnitt durch die Darmwand. [ ]

Schichten der Darmwand Von außen nach innen: Tunica serosa Die äußerste Schicht des Darms besteht aus einer dünnen Bindegewebsschicht (Tela subserosa), die wiederum von einem Plattenepithel bedeckt ist. Tunica muscularis Die zwei Muskelschichten verlaufen zirkulär bzw. longitudinal, sind reich an Kollagen und bilden ein gutes Nahtlager. Tela submucosa Diese Schicht ist reich an Gefäßen. Der hohe Kollagenanteil ist für die frühe Stabilität der Anastomose in den ersten zwei Wochen der Naht verantwortlich. Tunica mucosa Auf der dünnen Muskelschicht der Lamina muscularis mucosae sitzt die Schleimhaut mit einem in der Regel einschichtigen Epithel.

Besonderheiten des Kolons Der Wandaufbau des Dickdarms ist zwar dem des Dünndarms ähnlich, dennoch gilt die Anastomose am Dickdarm als „risikoreicher“. Gründe für die unterschiedliche Heilungstendenz liegen in folgenden Faktoren begründet: Insgesamt enthält das Kolon weniger Kollagen, aber deutlich mehr Kollagenase. Die Kollateralzirkulation ist im Vergleich zum Dünndarm deutlich geringer. Die Durchblutung des Kolons ist über große segmentale Äste der Aa. mesenterica superior und inferior gewährleistet, die Verzweigung der kleinen Gefäße ist im Dünndarm aber wesentlich zahlreicher als im Dickdarm. Deshalb ist vor jeder Kolon- wie auch Rektumanastomose besonderes Augenmerk auf die

Durchblutung der Randarkade bzw. der Schleimhaut zu richten. Eine weitere Belastung für die Darmnaht stellt die hohe Keimbesiedlung des Dickdarms und des Rektums dar. Auch wenn eine präoperative Spülung des Kolons und Rektums nicht zu einer Reduktion der Leckagerate führt (hier liegen randomisierte Studien auch außerhalb des Fast-Track-Konzepts vor), ist die wesentlich höhere Keimbelastung ein Risikofaktor für die Anastomosenheilung. Als anatomische Besonderheit des Kolons ist ferner zu beachten, dass das Colon ascendens und das Colon descendens mit dem Peritoneum parietale verwachsen sind und sekundär retroperitoneal liegen.

12.2 Die Anastomosenheilung Die Anastomosenheilung ist unterteilt in drei Phasen, die abhängig von äußeren und inneren Faktoren in relativ fixierten, sich überlappenden Zeitintervallen abläuft.

Heilungsphasen Exsudative Phase (Entzündungsphase Tag 1 bis 5) Zunächst bildet sich ein Ödem, gefolgt von einer Exsudation von Entzündungszellen und Fibrin. Während dieser Phase hat die Anastomose noch keine eigene Festigkeit, sie beruht ausschließlich auf dem eingebrachten Nahtmaterial. Proliferative Phase (Wundverschluss Tag 5 bis 14) In dieser Phase sprießen Gefäße und Fibroblasten ein. Mit steigendem Kollagengehalt nimmt die Festigkeit der Naht zu. Die Kollagenase hemmt die Heilung. Sie wird z. B. durch einen Infekt aktiviert. Regenerative Phase (ab Tag 8 bis Monate) In dieser Phase organisiert sich die Darmwand mit einer weniger oder mehr ausgeprägten Narbenheilung.

Faktoren, die eine Nahtheilung beeinflussen Die Anastomosenheilung wird durch viele Faktoren beeinflusst. Die beiden wichtigsten sind eine gute Durchblutung und eine spannungsfreie Naht, die wiederum Einfluss auf die Durchblutung hat. Die Skelettierung der zu anastomisierenden Nahtenden soll 1,0 bis 1,5 cm nicht überschreiten. Besonders am Dickdarm kann eine sichtbare Blutung aus der Randarkade vor Ligatur ein wichtiger und verlässlicher Nachweis der guten Durchblutung sein. Eine insgesamt atraumatische Behandlung des Darms bei der Naht verhindert Verletzungen besonders der Schleimhaut und minimiert eine intramurale Hämatombildung. Eine mechanische Reinigung der Darmenden mit einem Stielchen ist unsererseits zu empfehlen, der Effekt einer Desinfektionsmittels (z. B. Povidon-Jod-Lösung) ist aber wissenschaftlich nicht gesichert. Es gibt weitere Faktoren, die eine Anastomosenheilung beeinflussen und vom Operateur bedacht werden müssen. Hierzu zählen mesenteriale Durchblutungsstörungen, Steroid- oder Zytostatikatherapien, Schock, Sepsis und eine Katabolie. ( )

Tab. 12.1 Faktoren, die die Anastomosenheilung beinflussen. Patientengebundene Faktoren

Operationsbedingt/durch den Operateur beeinflusst

Kortisontherapie Zytostatikatherapie Radio-Chemotherapie Mangelernährung Schock

gute Durchblutung Spannungsfreiheit geringe Kontamination atraumatische Handhabung des Gewebes

Mangeldurchblutung der Gefäßstenosen Katabolie Entzündung/Sepsis/Peritonitis(fortgeschrittene) Tumorerkrankung Ileus Ödem

optimale Nahttechnik optimales Nahtmaterial

12.3 Der Faden Das Nahtmaterial ist immer ein Fremdkörper. Daher ist es sinnvoll, einen möglichst dünnen Faden zu wählen. Es werden prinzipiell monofile (glatt) von polyfilen (gedreht wie ein Tau) Fäden unterschieden. Monofile Fäden alterieren die Darmwand beim Durchziehen und bei der Heilung weniger als polyfile Fäden. Deshalb sollte, wenn möglich, ein monofiler Faden bevorzugt werden. Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal liegt in der Resorptionsgeschwindigkeit des Nahtmaterials. Dabei ist weniger die Zeit bis zur kompletten Resorption als der Moment der 50-prozentigen Reißfestigkeit von Bedeutung ( ).

Reißfestigkeitsverlust eines chirurgischen Fadens in Abhängigkeit von der Zeit. Angegebene Nahtmaterialien sind eingetragene Markennamen zweier häufig verwendeter Produkte (Ethicon Products und B. Braun). Die Liste hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Das Schaubild ist eine Annäherung nach Angaben der Hersteller (Angaben ohne Gewähr). [ ] ABB. 12.2

Nichtresorbierbares Nahtmaterial wird in der Regel in der Gefäßchirurgie und bei Problemwunden verwendet. Für die fortlaufende Standardnaht am Dünnoder Dickdarm wird monofiles, kurzresorbierbares Nahtmaterial der Stärke 4–0 ± 1 verwendet. Eine Einzelknopfnaht wird häufig aus praktischen Gründen mit einem polyfilen Faden durchgeführt, da in diesem Fall 3 bis 4 Knoten ausreichen. Alle den Faden und die Nadel betreffenden Angaben sind auf der Vorderseite der Packung ersichtlich. ( ) Das Einspannen der Nadel in den Nadelhalter ist in dargestellt.

ABB. 12.3

Nahtmaterialverpackung mit verfügbaren Informationen. [ ]

ABB. 12.4

Korrektes Einspannen der Nadel in den Nadelhalter. Dabei sollten die vorderen 2 / 3 der Nadel frei sein. Der Winkel zum

Nadelhalter sollte leicht über 90° betragen. [ ]

12.4 Klammernaht Bei der Klammernaht werden durch ein Instrument Titanklammern eingebracht und gebogen, der Darm wird mit einem Schneidemesser durchtrennt bzw. anastomosiert. Bei dieser Technik wird bewusst auf eine schichtgerechte Adaptation der Darmwand verzichtet. Folgende verschiedene Klammernahtgeräte werden häufig verwendet ( ).

Tab. 12.2 Verschiedene Klammernahtgeräte, die am häufigsten in der Allgemein- und Viszeralchirurgie eingesetzt werden. Instrument

Funktion

Klammernahtreihen

Ergebnis

Verschließt zu beiden Seiten und schneidet dazwischen

Magazin/Klammerhöhe

Indikation

grün/2,0 mm gold/1,8 mm blau/1,5 mm

Magen Magen/Dickdarm Dünndarm/Dickdarm Duodenum

grün/2,0 mm blau/1,8 mm weiß/1,5 mm

Rektum Rektum Meckel-Divertikel

2- oder 3-reihig versetzt, verschiedene Längen

Linearer Cutter (offen)

Linearer Cutter (endoskopisch)

Linearer Stapler (offen)

Verschließt zu einer Seite und schneidet daneben

Verschließt zu einer Seite, versetzt und durchtrennt

Sicht auf den Darm von innen

Zirkulärer Stapler Beim Lumendurchmesser gibt es verschiedene Größen von 12,4 mm bis 24,4 mm. Generell gilt: so groß wie möglich.

von außen

Klammerhöhe frei einstellbar: 2,5 mm

Kolon/Rektum

2,0 mm

Dünndarm/Rektum ggf. mit Pouch

1,5 mm

Ösophagogastrostomie

1,0 mm

Ösophagogastrostomie

[]

Linearer Cutter Dieses Gerät ist gerade und hat je nach Firma verschiedene Längen. Es setzt zu jeder Seite 2 bis 3 versetzte Klammernahtreihen und schneidet dazwischen. Die linearen Cutter gibt es sowohl für die offene als auch für die endoskopische Chirurgie. Unterschiedliche Magazinfarben weisen auf eine unterschiedliche Einstellung des Staplers hin. Diese führen wiederum zu einer unterschiedlich starken Biegung der Klammern. Die Wahl des richtigen Magazins bei unterschiedlich dickem Gewebe ist von großer Bedeutung. Während beim Magen mit einem grünen Magazin abgesetzt wird, wird am Dünn- oder Dickdarm in der Regel mit einem blauen, bei Gefäßen mit einem weißen Magazin gearbeitet. → Zur Durchtrennung z. B. des Dünn- oder Dickdarms mit gleichzeitigem Verschluss. Linearer Stapler Dieses Gerät setzt zwei versetzte Klammernahtreihen zu einer Seite und schneidet daneben. Dies bedeutet, dass eine Seite des Darms offen bleibt. → Zur Durchtrennung z. B. des Rektums bei der anterioren Rektumresektion. Zirkulärer Stapler

Nach Konnektieren der Gegendruckplatte wird eine doppelreihige versetzte Klammernahtreihe ausgeführt. Das Gewebe innerhalb des Nahtrings wird abgetrennt, diese Ringe werden auf Vollständigkeit kontrolliert. Ist ein Ring nicht zirkulär erhalten oder zu dünn, ist dieses Hinweis auf eine nicht suffizient angelegte Anastomose. → Z. B. bei der kolorektalen Anastomose oder Ösophagojejunostomie.

12.5 Nahttechnik Eine Anastomose kann einreihig, zweireihig oder – eher historisch – auch dreireihig sein. Die einreihige Naht ist die heute am weitesten verbreitete Technik, sie wird von über 60 % der deutschen Chirurgen heute angewendet. Hierunter nimmt die fortlaufende Naht am Magen-Darm-Trakt weiter zu und hat in vielen Kliniken die Einzelknopfnaht als Standard verdrängt. (Daten in Vorbereitung zur Publikation). Eine Anastomose kann Stoß auf Stoß, invertierend oder evertierend genäht werden. Während im 19. Jahrhundert vor allem invertierend genäht wurde, hat sich in den letzten 50 Jahren die Stoß-auf-Stoß- Technik durchgesetzt ( , ). Sie zeigt im Vergleich zur invertierenden Naht einen schnelleren Gefäßdurchbau und eine höhere Festigkeit auf Zug.

Stoß-Stoß-Nahttechniken zur Darmnaht. a) Allschichtige Naht b) allschichtig-extramuköse Naht c) Rückstichnaht. Die Gambeenaht kann bei stark prolabierender Mukosa angewendet werden. Durch den Rückstich wird erreicht, dass die Schleimhaut nicht in die Naht hereinreicht. [ ] ABB. 12.5

Einstichweg der allschichtigen Naht. a) Bei der allschichtigen Naht kann die Mukosa in die Anastomose prolabieren und die Mukosa wird gequetscht. b) Beides verhindert die extramuköse Naht. Dabei soll die Mukosa wie im Schaubild (b) tangential mitgefasst werden. [ ] ABB. 12.6

Einreihige Naht Vorteile der einreihigen Technik sind ein schnellerer Gefäßdurchbau und eine geringere Stenoserate. Die zweite Nahtreihe führt zu einer stärkeren Entzündungsreaktion mit vermehrtem Granulationsgewebe und gilt deshalb nicht als vorteilhaft. Auch die reine Lumeneinengung der zweireihigen Naht durch die invertierte Anastomose ist beträchtlich. Hierdurch wird die Heilung verzögert und die Infektionsgefahr erhöht sich.

Fortlaufende Naht Die fortlaufende Naht kann mit einem (am besten doppelt armierten) Faden oder mit zwei Fäden genäht werden. Ein monofiler Faden ist zu empfehlen, da er beim Durchziehen durch die Darmwand die geringsten Verletzungen setzt. Bei der Wahl der Fadenstärke ist zu beachten, dass das Fadenmaterial als Fremdkörper einen Reiz auslöst und die Heilung verzögert. Der Assistent muss den Faden immer mit konstanter Spannung möglichst in Ausstichrichtung halten. Der monofile Faden darf nicht mit der Pinzette oder dem Fadenhalter gefasst werden, da er sonst reißen bzw. brechen kann. Der Vorteil der fortlaufenden Naht liegt in der Schnelligkeit und dem geringeren Aufwand an Material. Während es bei einer Einzelknopfnaht bei starker Distension des Darms zu Lücken zwischen den Nähten kommen kann, wird der intraluminale Druck bei fortlaufender Naht gleichmäßig auf die gesamte Zirkumferenz verteilt. Bei der fortlaufenden extramukösen Stoß-Stoß-Naht (Abbildungen ) wird die prolabierende Mukosa nach Fassen der Serosa durch die Pinzette (linke Hand) mit der Nadel leicht zur Seite geschoben und nur tangential mitgestochen. Dadurch soll erreicht werden, dass sie nicht in die Naht prolabiert.

Tab. 12.3 Fortlaufende/allschichtige – extramuköse Stoß-Stoß-Naht. Stiche bei der extramukösen Allschichtnaht. Hinterwand a) 1. Stich: re. Lumen außen – innen, li. Lumen innen – außen → 3 Knoten bei Naht mit 1 Faden → 7 Knoten bei Naht mit 2 Fäden b) Faden liegt nach Knoten außen. 2. Stich:li. Lumen außen – innen → durchziehen c) 3. Stich: re. Lumen innen – außen; li. Lumen außen – innen → durchziehen und unter Spannung halten → so immer weiter die Hinterwand nähen d) letzter Stich Hinterwand: re. Lumen innen – außen → durchziehen und spannen

Vorderwand: Hier gibt es drei Möglichkeiten 1-Faden-Technik e) Umgreifen der Nadel auf Rückhand und von sich weg stechen li. Lumen außen – innen re. Lumen innen – außen f) letzter Stich li. Lumen außen – innen re. Lumen innen – außen → 7 Knoten mit dem angeklemmten Faden

1-Faden-Technik doppelt armiert g) mit 2. Nadel oben beginnen: re. Lumen außen – innen, li. Lumen innen – außen → durchziehen und spannen Vorderwand auf sich zu nähen h) letzter Stich: re. Lumen außen – innen; li. Lumen innen – außen → durchziehen und spannen → mit gespanntem Faden der Hinterwand verknoten

2-Faden-Technik i) mit neuem Faden oben beginnen: re. Lumen außen – innen, li. Lumen innen – außen → zweiten Faden knoten → anklemmen; ersten Faden hinter dem Knoten abschneiden; Vorderwand auf sich zu nähen j) letzter Stich: re. Lumen außen – innen; li. Lumen innen – außen → durchziehen und spannen → 7 Knoten

[]

Damit man immer auf sich zu nähen kann, beginnt man an der von sich entfernten Seite. Dies kann mesenterial, aber auch antimesenterial sein. Viele Chirurgen wenden nach der Hinterwand den Darm. Dies ist jedoch weder notwendig noch immer möglich, sodass in unserer Darstellung darauf verzichtet wird. Als Nahtmaterial wird ein kurz resorbierbarer monofiler Faden der Stärke 4/0 für Dünndarm und Dickdarm empfohlen. Die Anastomose kann mit einem Faden, einem doppelt armierten Faden oder 2 Fäden genäht werden. Der Faden, der in der Anastomose zu liegen kommt, darf nicht mit der Pinzette oder dem Klemmchen angefasst werden, da er sonst reißen kann. Bei einem monofilen Faden ist auf kontinuierliche Spannung zu achten.

Einzelknopfnaht Natürlich ist jede fortlaufende Naht auch als Einzelknopfnaht durchführbar. Sie dauert aber länger und ist aufwendiger. Die Naht bzw. Nahttechnik ist praktisch identisch zu oben. Es wird nach jedem Faden geknotet, bei polyfilen Fäden 3 bis 4 Knoten, bei monofilen Fäden 7 Knoten. Meistens werden Einzelknopfnähte bei schwierigen Anastomosen (z. B. im Rektum oder Gallengang) und bei Distanznähten verwendet. Bei der Einzelknopf- Distanznaht

(Abbildungen ) werden beide Lumina angenähert (der Abstand ist variabel) und mit Einzelknopfnähten gestochen. Jeder Faden wird mit einem Klemmchen fixiert und, mit Ausnahme der Eckfäden, auf einen Overholt aufgefädelt (geklöppelt). Als Fadenmaterial kommt sowohl eine monofile oder auch polyfile Naht in Betracht.

Tab. 12.4 Einzelknopf-Distanznaht. a) Hinterwand erster Stich – Ecke: re. Lumen außen – innen, li. Lumen innen – außen zweiter Stich – Hinterwand: re. Lumen innen – außen, li. Lumen außen – innen auffädeln usw. letzter Stich – Ecke: rechtes Lumen außen – innen, linkes Lumen innen – außen → Hinterwand zusammenführen und knoten

a b) Vorderwand erster Stich – Vorderwand: re. Lumen außen – innen, li. Lumen innen – außen auffädeln usw. letzter Stich – Ecke: re. Lumen außen – innen, li. Lumen innen – außen → obere Ecke knoten → Vorderwand knoten → untere Ecke knoten

b []

Generell ist auf eine atraumatische Behandlung des Darms zu achten. Die Mukosa sollte prinzipiell nicht gefasst werden, sondern der Darm möglichst nur an der Serosa gehalten werden. Die Darmenden sollten zur Vermeidung einer Keimverschleppung von sichtbarer Stuhlverschmutzung mit einem Stielchen gesäubert werden. Die Stichabstände sollten konstant ca. 5–7 mm in die Tiefe und 5 ± 1 mm zur Seite gehen. Der Abstand bei der fortlaufenden Naht oder Einzelknopfnaht ist prinzipiell gleich.

12.6 Anastomosenformen Nahtverbindungen Folgende „Anschlüsse des Darms“ sind möglich: End-zu-End-Anastomose Bei einer End-zu-End- Anastomose werden beide Darmlumina End-zu-End aneinandergenäht. Dies gelingt gut bei Lumina, die in ihrer Größe nicht zu sehr differieren. Funktionell ist sie theoretisch die beste Anastomose, da der Inhalt mit den geringsten Turbulenzen weitertransportiert wird. zeigt die Klammernahtanastomose am Beispiel einer kolorektalen End-zu-End-Anastomose. Zu empfehlen ist auch eine Seit-zu-End-Verbindung bzw. beim tiefen Rektum (≤ 4 cm) die Anlage eines Kolonpouches.

Tab. 12.5 Zirkuläre Klammernahtanastomose am Beispiel einer kolorektalen End-zu-End-Anastomose. a) Anlegen der Tabaksbeutelnaht per Hand oder mit der Wellenschliffzange, Einführen der Gegendruckplatte und Knoten der Naht. a b) Einführen des zirkulären Klammernahtgeräts per anal. Der Dorn wird möglichst mittig in der Klammernahtreihe angefahren , um schlecht durchblutete spitze Winkel zu vermeiden . Die Anastomose kann sowohl im zuführenden Schenkel als auch im distalen Schenkel zur Seite angelegt werden. b c) Konnektieren der Gegendruckplatte mit dem Stapler und auf gewünschte Klammerhöhe zurückdrehen; 15 Sekunden warten, dann abschießen. Vor Entnahme zwei halbe Drehungen öffnen. Klammerhöhen: 2,5 mm 2,0 mm 1,5 mm 1,0 mm c d) Ringe auf Vollständigkeit prüfen und zur Histologie (Karzinom) geben. Prüfen der Anastomose erfolgt mit Methylenblaulösung bzw. mit Luft d []

End-zu-Seit-Anastomose Bei vielen Nahtverbindungen muss eine End-zu-Seit-Verbindung hergestellt werden, wie z. B. bei der biliodigestiven Anastomose

und der Roux-Y-Anastomose. Eine End-zu-Seit- Anastomose ist auch eine gute Option bei erheblicher Lumeninkongruenz, zum Beispiel bei der IleoAszendostomie nach Rechtshemikolektomie. Seit-zu-Seit-Anastomose Bei der Seit-zu-Seit- Verbindung werden die zu anastomosierenden Lumina nebeneinander gelegt und per Handnaht oder mit dem Stapler eine Seit-zu-Seit-Verbindung geschaffen. Sie wird heute bei der Umgehungsanastomose, z. B. bei inoperablen Tumorstenosen, oder auch als Alternative bei komplikativen Verläufen angelegt.

Besonderheiten der Anastomose In der Speiseröhre sind Anastomosen wesentlich problematischer, da einerseits der Serosaüberzug fehlt, andererseits die Durchblutung im Vergleich zum Dünndarm deutlich geringer ist. Ob die Anastomose per Hand oder mit dem Stapler durchgeführt wird, ist hinsichtlich der Insuffizienzrate idem. Eine weitere schwierige Anastomose stellt die Rektumanastomose dar. Sie wird als tiefe Naht überwiegend geklammert. Die Insuffizienzraten variieren in der Literatur. Ob die Radiochemotherapie die Leckagerate erhöht, hierzu gibt es widersprüchliche Studienergebnisse. Viele Autoren verwenden zum Schutz der Anastomose ein protektives Ileostoma. Wenn dies vor Operation bereits geplant wird, ist eine Spülung des Kolons zu empfehlen. Bei der tiefen Rektumanastomose ist unbedingt auf eine gute Durchblutung und Spannungsfreiheit des zuführenden Darmanteils zu achten.

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KAPITEL 13

Diagnostische und interventionelle Sonografie Heinrich O. Steitz

13.1. 13.1.1. 13.1.2. 13.2. 13.3. 13.3.1. 13.3.2. 13.4. 13.4.1. 13.4.2. 13.4.3. 13.4.4. 13.5.

13.1 Einleitung Die Sonografie ist als integraler Bestandteil der apparativen Primärdiagnostik chirurgischer Erkrankungen etabliert ( ). Das primär non-invasive und den Patienten somit nicht belastende bildgebende Verfahren zeigt in der Diagnostik bei chirurgischem Krankengut eine ebenso hohe Effizienz wie Effektivität und stellt eine ideale Ergänzung von Anamnese und körperlicher Untersuchung dar. Nicht umsonst wurde früher immer wieder gerne die Metapher vom Ultraschall als dem verlängerten palpierenden Finger und der bildgebenden Ergänzung des Stethoskops gebraucht.

Tab. 13.1 Diagnostische Strategie bei chirurgischen Erkrankungen. I Anamnese II klinische Untersuchung: • Inspektion • Palpation • Perkussion • Auskultation III apparative Primärdiagnostik: • EKG • Endoskopie • Sonografie • Röntgen-Übersicht • Basislabor IV spezielle klinische und apparative Sekundärdiagnostik: • Konsiliardienste • CT • MRT • röntgenologische Kontrastmitteluntersuchung • Funktionsdiagnostik • Szintigrafie • Speziallabor

13.1.1 Warum soll ein Chirurg auch noch „schallen“?

13.1.1 Warum soll ein Chirurg auch noch „schallen“? Es hat sich bewährt, dass der Chirurg entgegen dem zunehmenden Trend der Delegation bei seinem Krankengut die Ultraschalldiagnostik selbst durchführt und bewertet. Eine trotz aller Standardisierungsbemühungen letztlich subjektive Untersuchungsmethode sollte definitiv nicht an den „Diagnostiker“ des eigenen oder benachbarten Gebietes delegiert werden. Dies gilt in besonderer Weise mit Blick auf den forensischen Aspekt der Indikationsstellung. Gerade der routinierte Kliniker vertraut bei der klinischen und eben auch der sonografischen Untersuchung den Eindrücken der eigenen Sinne und seiner Erfahrung. Das gern gebrauchte Argument des „Zeitmangels im zunehmend verdichteten Arbeitsalltag“ greift nicht, da die Sonografie im Gegenteil sogar hilft, Zeit einzusparen. Statt auf den „Spezialisten“ (in der Realität des Klinikalltages meist der Assistent in Weiterbildung, oft fachfremd aus Radiologie oder Innerer Medizin) zu warten, dem ggf. noch Aspekte der Anamnese und die detaillierte Fragestellung zu erläutern sind, wird Zeit gewonnen durch eine direkt der körperlichen Untersuchung folgende, gründliche und doch auch zielgerichtete Sonografie, wobei im selben Arbeitsgang „nebenbei“ dem Patienten im Rahmen der Untersuchung der Befund, damit auch meist die Diagnose und die daraus abzuleitende Behandlung erläutert werden können. Abgesehen von der Zeitersparnis bei routiniertem Einsatz dieser Prozedur darf auch der vertrauensbildende Aspekt aus Perspektive des Patienten, der in einem Arbeitsgang die Ursache seiner Beschwerden und die notwendige Behandlung erfährt, nicht unterschätzt werden. Die Methode ist rasch, im Notfall ohne Transport oder Vorbereitung des Patienten „bedside“ durchführbar und kann bei Bedarf unabhängig von der Bewusstseinslage beliebig oft ohne schädliche Nebenwirkungen wiederholt werden. Damit kann der Dynamik sich allmählich entwickelnder Befunde optimal gefolgt werden, die zunächst schlecht oder gar nicht, später aber immer besser darstellbar sind, wie es z. B. bei posttraumatischen Sickerblutungen in die freie Bauchhöhle der Fall sein kann. Am Ende der Untersuchung kann in der Synopse von Anamnese, klinischer Untersuchung, Laborparametern und Sonografie bereits in vielen Fällen eine eindeutige Diagnose gestellt oder zumindest eine Ausschlussdiagnostik definiert werden. Der Untersucher kann als Ergebnis seiner Befragung und Untersuchung direkt eine adäquate Therapie einleiten. Dies gilt natürlich nur unter der Prämisse, dass seine Qualifikation diagnostische und therapeutische Professionalität gleichermaßen inkludiert. Bei dem Bild des akuten Abdomens ist die beschriebene Vorgehensweise „vom Schall zur Operation“ (bzw. zu der adäquaten Behandlung) etwa bei 60 % der Patienten möglich. Weitere, spezielle diagnostische Prozeduren müssen nur bei den 40 % der Fälle veranlasst werden, in denen nach Anamnese, Untersuchung und der apparativen Primärdiagnostik tatsächlich die Diagnose noch unklar bleibt. In der Begrenzung weiterer bildgebender Maßnahmen wie CT und MRT auf sonografisch nicht einwandfrei beurteilbare Situationen liegt bei entsprechender Sorgfalt und Qualität der Ultraschalluntersuchung ein beträchtliches Sparpotenzial. Eine Vielzahl der Anforderungen teurer Schnittbildverfahren resultiert gerade aus der Unsicherheit einer chirurgischen Indikation, die sich gründet auf einen fremd erhobenen, subjektiven Sonografiebefund, der durch CT oder MRT „objektiviert“ werden muss. Eine solche Verschwendung von Zeit und Budget kann sich in einer Arbeitswelt, die auch geprägt ist von Arbeitszeitgesetz und Fallpauschalen, eigentlich niemand mehr leisten. So bietet die im Rahmen der Weiterbildung des „common trunc“ leicht zu erwerbende Kompetenz und spätere routinierte Pflege des Trainingszustands zur Sicherung der Qualität eine probate Möglichkeit der Schonung ökonomischer Ressourcen. Sonografie ist primär keine Methode für Spezialisten, sondern eine Prozedur des Alltags! Routine mündet in Erfahrung, deren Fehlen als Alibi für die Delegation merkwürdigerweise in etablierten „Fachkreisen“ noch immer akzeptiert ist. Postoperative Befunde sind ohnehin am besten für den Operateur verständlich, der den Situs und – gerade nach großen Abdominaleingriffen – die veränderte Kompartimentierung kennt und daher die Echomorphologie des Ultraschallbefundes sicher am besten zu deuten und differenzialdiagnostisch zu bewerten vermag. Diese Überlegungen verdeutlichen, dass die elementaren Grundlagen der sonografischen Befunderhebung und -interpretation genau wie die Fähigkeit zur Erhebung einer präzisen, wegweisenden Anamnese, einer subtilen körperlichen Untersuchung und die Beherrschung der Operationsverfahren zum Rüstzeug eines Chirurgen gehören. Eine adäquate Weiterbildung und Supervision sind selbstverständlich. Durch Integration interventioneller Techniken kann darüber hinaus die Sonografie auch bei gegebener Indikation alternativ zu traditionell operativen Verfahren mit therapeutischem Anspruch eingesetzt werden. Natürlich wird es immer auch Fälle geben, in denen die Expertise des Spezialisten aus dem eigenen oder Nachbargebiet benötigt wird – aber eben nicht zum Ausgleich eines defizitären Weiterbildungs- oder Trainingszustands.

13.1.2 Begriffsbestimmung „chirurgische Sonografie“ Die „chirurgische Sonografie“ ist die Ultraschalluntersuchung bei chirurgischen Erkrankungen in der Hand des Chirurgen. Der Begriff zielt keineswegs auf eine provokative Abgrenzung gegenüber Sonografeuren anderer Gebiete, sondern richtet sich als Appell an die eigenen Fachkollegen, die Bedeutung der Methode für das eigene tägliche Handeln zu akzeptieren. Regional und methodisch definiert sich das Tätigkeitsprofil ( ) durch die transkutane Untersuchung von Abdomen und Retroperitoneum, Thorax, Mamma, Hals, Gefäßsystem sowie von Bewegungs- und Stützapparat. In der Gefäß- und in der Viszeralchirurgie sind darüber hinaus spezielle Erfahrungen mit den diversen Dopplertechniken (Continuous Wave, gepulst, farbcodiert, Power-Mode) unverzichtbar.

Tab. 13.2 Übersicht über das Spektrum der chirurgischen Sonografie . Anwendungsbereich

Diagnostik

Abdomen Bauchwand

Hernien, Hämatom, Adhäsionen von Abdominalorganen, Abszesse/Wundheilungsstörungen, Peritonealkarzinose

Bauchhöhle

freie Flüssigkeit (z. B. Blutung, Aszites, Peritonitis), Abszess, freie Luft (subdiaphragmal!), Peritonealkarzinose, Zwerchfellruptur

Leber

Zyste, kapilläres/kavernöses Hämangiom, Karzinom (HCC/CCC), Metastase, Lymphom, Adenom, fokal noduläre Hyperplasie, Abszess, Echinococcus cysticus/alveolaris, Budd-Chiari-Syndrom, intrahepatische Cholestase, Aerobilie, Hepatomegalie, Zirrhose, Fettleber, Stauungsleber, Leberruptur

Gallenblase

Cholelithiasis, (akalkulöse) Cholezystitis, Empyem, Schrumpf-, Porzellangallenblase, Adenom, Karzinom

ableitende Gallenwege

extrahepatische Cholestase, Choledocholithiasis, Choledochuszyste, Karzinom

Pankreas

akute/chronische Pankreatitis, Pseudozyste, Karzinom, Zystadenom, Zystadenokarzinom, endokrine Neoplasie (z. B. Insulinom), Pankreasruptur

Milz

Splenomegalie, Metastase, Lymphom, Adenom, Lipom, Nebenmilz, Milzruptur

Gastrointestinaltrakt

Peristaltik/Paralyse, obstruktiver Ileus, pathologische Kokarde bei Tumor oder Ulkus, Invagination, Morbus Crohn, Kolitis, Divertikulitis, Appendizitis, Karzinom

Uterus, Adnexe

Zyste, benigne/maligne Tumoren, Gravidität (auch extrauterin)

Harnblase

Harnretention, benigne/maligne Tumoren, Balkenblase, Blasenkatheter, Restharnvolumen

Retroperitoneum

paraaortale Lymphome, Blutung, Abszess

Niere

Nephrolithiasis, Harnstauung (Hydronephrose I–IV), Zyste, Hypernephrom, Nephritis, Schrumpfniere, Nierenruptur

Nebenniere

Hyperplasie, Adenom, Karzinom, Phäochromozytom

große Gefäße (z. T. nur in Kombination mit FarbDoppler-Sonografie!)

Aneurysma, Dissektion, Stenose, venöse Stase, Thrombose, arteriovenöse Fistel, Leck („Leakage“ nach Stent), Tumorinfiltration

Thorax

gekammerter oder freier Erguss, Hämatothorax, basale und brustwandnahe Tumoren, Atelektase, Pleuraempyem, Perikarderguss/Hämoperikard, ggf. mit Tamponade

Mamma

Zyste, solide benigne und maligne Tumoren, Hämatom, Abszess

Hals

Lymphome

Schilddrüse

Struma nodosa, Struma colloides, Thyreoiditis, Morbus Basedow, Zyste, Adenom, Karzinom

Epithelkörperchen

primärer Hyperparathyreoidismus (Hyperplasie, Adenom), Karzinom, Pseudozyste

Extrakranielle Hirngefäße

Stenose, Kinking, Coiling, Aneurysma, Dissektion

Bewegungs- und Stützapparat

Gelenkverletzung, Sehnenruptur, Muskelriss, Ruptur der Schulterrotatorenmanschette, Gelenkerguss/Hämarthros, Meniskusläsion, Kreuzbandläsion, Hämatom, Abszess, benigne/maligne Tumoren, lumbaler Bandscheibenprolaps

interventionelle Sonografie

diagnostische und therapeutische Punktion, Drainage, Radiofrequenzablation, Markierung nichtpalpabler Mammatumoren, Nephrostoma, perkutane Gallenblasen-/Gallengangdrainage (PTCD), transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt (TIPSS), Kryotherapie, interstitielle Laser- oder Kryotherapie

intraoperative Sonografie

Leber: Tumornachweis, Tumor-Staging, Prüfung der Resektabilität, Definition der Segmentgrenzen nach Couinaud

Pankreas

Differenzierung eines Karzinoms in der chronischen Pankreatitis, Nachweis endokriner Neoplasien, Aufsuchen des Ductus Wirsungianus für Drainageoperation, Beurteilung der Resektabilität von Karzinomen (Farb-Doppler-Sonografie, insb. auch im Rahmen der Staging-Laparoskopie)

Gefäßchirurgie

Qualität von Anastomosen

Gallengänge

Choledocholithiasis (Laparosonografie!), cholangioläre Zyste, Gallengangkarzinom

Lunge

thorakoskopische Sonografie zum Nachweis thorakoskopisch okkulter Metastasen

Endosonografie

Tumorinfiltrationstiefe am oberen und unteren GIT, regionäre Lymphknotenmetastasierung, perianale Fisteln/Abszesse, Beurteilung pathologischer Befunde in topografisch benachbarten Organen: Herz, zentrales Bronchialsystem, mediastinale Lymphknoten, Pankreas, Gallenwege, Prostata, Samenblasen, Uterus

Ergänzt wird diese transkutane, non-invasive Diagnostik durch die folgenden invasiven Applikationen:

• „Kontrastmittel“-verstärkte Sonografie mit Injektion von Echosignalverstärkern („Bubbles“) zur Optimierung der Darstellung und Dignitätsbeurteilung von Tumoren und verbesserten Identifikation von Strömungsverhältnissen sowie Gefäßleckagen. • Interventionelle Sonografie mit diagnostischer oder therapeutisch intendierter Punktion solider und liquider Raumforderungen, die ggf. auch ultraschallkontrolliert drainiert werden können. Die Methode eröffnet auch die Möglichkeit zur perkutanen oder intraoperativen Navigation der interstitiellen Ablation nichtresektabler Metastasen, speziell in der Leber. • Intraoperative Sonografie, v. a. bei Operationen an Leber und Pankreas, mit Einschränkung auch an den Gallenwegen und in der endokrinen Chirurgie. Bei offenen und laparoskopischen wie auch thorakoskopischen Eingriffen ermöglicht das Verfahren ein intraoperatives Tumor-Staging und eine anatomiegerechte Definition von Resektionsgrenzen. Die Qualität von Gefäßanastomosen kann intraoperativ sowohl durch peri- wie auch endovaskuläre Applikation überprüft werden. • Endoluminale Sonografie von oberem und unterem Gastrointestinaltrakt einschließlich der Gallengänge („intraduktaler Ultraschall“) sowie von topografisch benachbart liegenden Strukturen sowohl im Rahmen des präoperativen Tumor-Stagings und

der postoperativen Tumornachsorge als auch bei der Beurteilung entzündlicher und tumoröser Prozesse in der Umgebung des untersuchten Hohlorgans. Aus diesem umfangreichen Gesamtkatalog der chirurgischen Sonografie wird sich der Anwender in seiner täglichen Praxis auf die prä-, intra- und postoperativen Applikationen in dem von ihm bevorzugt ausgeübten Schwerpunkt beschränken und für darüber hinaus erforderliche Maßnahmen den jeweils speziell weitergebildeten Kollegen hinzuziehen.

13.2 Wahl des geeigneten Schallkopfs Ultraschallfrequenz und Auflösungsvermögen verhalten sich direkt proportional, Frequenz und Eindringtiefe der Schallwellen jedoch umgekehrt proportional. Die Erhöhung der Sendefrequenz ist gekoppelt mit einer verbesserten Auflösung um den Preis einer geringeren Eindringtiefe der Schallwellen in den Körper. Als Konsequenz muss der Untersucher bei der Wahl des Scanners einen Kompromiss finden zwischen der notwendigen Eindringtiefe der Schallwellen und der maximal möglichen Sendefrequenz in Hinblick auf die optimale Auflösung. In der Praxis kann die transkutane Untersuchung der Oberbauchorgane z. B. Eindringtiefen deutlich über 20 cm bei entsprechend adipösen Patienten erfordern. Diese Untersuchung wird meist mit einer Sendefrequenz von 3,5 MHz durchgeführt. Hingegen macht die sonografische Abklärung der Appendix eine höhere als die mit 3,5 MHz erreichbare Auflösung erforderlich. Da die Appendix trotz aller Lagevariationen meist ausreichend nahe der Bauchdecke liegt, ist für diese Fragestellung eine Frequenz von 5 MHz, bei schlanken Patienten besser 7,5 MHz zu empfehlen. Auch Mamma und Halsorgane werden mit 7,5 MHz untersucht. Traumatologische Untersuchungen des Bewegungsund Stützapparates erfordern Sendefrequenzen von 5–7,5 MHz. Bei der intraoperativen (intrakorporalen) Sonografie wird ebenfalls mit 5–7,5 MHz Sendefrequenz gearbeitet. Bei der endoluminalen Sonografie am Gastrointestinaltrakt kommen zur Beurteilung der Wandstrukturen Sendefrequenzen von 7–16 MHz und bei der Beurteilung topografisch benachbarter Strukturen 5–10 MHz zur Anwendung. Das Spektrum der Sendefrequenzen in der Gefäßdiagnostik reicht von 2 MHz (transkranielle gepulste Doppler-Sonografie) bis 20 MHz (endovaskuläre Applikation). Neben der Sendefrequenz ist die Konfiguration ein Kriterium bei der Wahl des für die jeweilige Fragestellung geeigneten Schallkopfes. So erfordert z. B. die Suche nach einem suspekten Verhalt bei postoperativ entwickeltem Fieber unklarer Ursache einen Schallkopf mit möglichst kleiner Auflagefläche, aber großem „Blickfeld“ hinter der Körperoberfläche (= Sektor-Scanner ) , um trotz der zwischen Verbänden und ausgeleiteten Drainagen beengten kutanen Ankopplungsfläche des Applikators die Tiefe des Wundgebietes möglichst umfassend beurteilen zu können. Wenn oberflächen- und somit schallkopfnahe Strukturen analysiert werden sollen (Gelenke, Muskulatur, Hals, Mamma, intraoperative Organuntersuchung), sollte ein linearer Scanner („parallel array“) bevorzugt werden, um ein hinreichend großes Beurteilungsfeld schallkopfnah zu gewährleisten. Diese Untersuchungen erfordern obligatorisch auch eine hohe Nahauflösung. Für Untersuchungen des Abdomens sind als eine Art „Kompromiss“ zwischen den Extremen des Sektor- und Linearschallkopfes Konvexschallköpfe („curved arrays“) etabliert.

13.3 Befunddokumentation Die Sonografie ist methodisch bedingt trotz aller technischen Möglichkeiten und individuellen Bemühungen um Einhaltung von Standards immer ein außerordentlich subjektives Verfahren. Jede Untersuchung muss exakt dokumentiert werden. Im Mittelpunkt der Dokumentation steht der schriftliche Befundbericht. Wesentliche Details werden durch Bilddokumente belegt. Der Text des Befundberichts soll die Fragestellung, die sonomorphologische Befunddarstellung und daraus folgend eine Interpretation – nach Möglichkeit mit Formulierung einer Diagnose – enthalten, wenn die Sonografie aufgrund ihrer in Qualitätskontrollen erwiesenen Sensitivität, Spezifität und Vorhersagewerte eine solche Korrelation zum Befund gestattet. Der erfahrene Untersucher wird abschließend eine Empfehlung zum weiteren Prozedere aussprechen. Der Bericht muss die Schlussfolgerung zulassen, dass die untersuchte Region vollständig eingesehen wurde, der Untersuchungsbefund folglich valide ist. Einschränkungen dieser Vollständigkeit werden begründet. Pathologische Befunde sollen in zwei Ebenen, also in Längs- und Querschnitt fotodokumentiert werden. Auch Verlaufsbeobachtungen können nur mit Bilddokumenten definierter und reproduzierbarer Schnittebenen in Ergänzung zum schriftlichen Befund nachvollziehbar belegt werden. Besser als jedes noch so gute Foto eines „eingefrorenen“ Standbildes demonstriert eine analog oder digital archivierte Videosequenz von Real-Time-Bildern den Situs. Empfehlenswert ist die Dokumentation auf einem strukturierten, den Erfordernissen der jeweiligen Abteilung angepassten Anforderungs- und Befundbogen mit der Möglichkeit, vorgegebene Befundmerkmale anzukreuzen und am Ende zusammenfassend zu interpretieren. Optimal ist eine digitale Befund- und Bilddokumentation, die eingebunden wird in das Klinik-Informationssystem (KIS) mit der Möglichkeit einer Bild-/Videodemonstration in Klinikkonferenzen über ein Picture Archive and Communication System (PACS). Der Bericht gibt kurz und prägnant Auskunft über Lage, Größe, Form und Echomuster der dargestellten Organe. Auch spezifische Kriterien einer dynamischen Real-Time-Untersuchung, etwa die Fixierung oder die Beweglichkeit einer Struktur bei Atemexkursionen oder Änderung der Körperlage, Auslösen einer Schmerzempfindung sowie die Konsistenz einer Struktur bei sonografisch gezielter Palpation gehören in das Befundprotokoll. Bei irregulären Befunden wird beschrieben, ob es sich um diffuse oder umschriebene Veränderungen handelt. Umschriebene Veränderungen können solitär oder multipel zu finden sein. Sie werden exakt zweidimensional sonometriert und dann bezüglich der Kriterien Lage, Form, periphere Echokontur und zentrale Echotextur beschrieben. Die Kontur wird beschrieben als scharf, unscharf oder nicht abgrenzbar, glatt oder irregulär, echoarm oder echogen, mit oder ohne perifokalem Saum. Die Textur kann homogen oder inhomogen, echofrei oder echogen sein, wobei im zweiten Fall unterschieden wird zwischen echoarm und echoreich. Gleiche Echogenität benachbarter Strukturen wird als isoechogen beschrieben. Sofern darstellbar, werden auch Veränderungen des distal der Formation abgebildeten, nachgeschalteten Echomusters („Schallschatten“ bzw. „-auslöschung“, „relative Schallverstärkung“) und evtl. Formveränderungen bei Bewegung oder Kompression protokolliert.

13.3.1 Standardisierter Untersuchungsgang Abdomen Prinzipiell zielt jede sonografische Untersuchung einer Region (Abdomen, Thorax, Mamma, Hals, Extremität, Gefäßsystem) auf das vollständige Verständnis der Sonoanatomie. Die Untersuchung beginnt mit der Wahl des geeigneten Schallkopfes. Für das Abdomen wäre z. B. ein „ curved array “ mit einer Sendeleistung von 3,5 MHz zu konnektieren. Die modernen Ultraschallgeräte bieten die Möglichkeit zum Anschluss von Breitbandgeneratoren, die z. B. ein Frequenzspektrum von 3,5 bis 7,5 MHz Sendeleistung produzieren können. Der Vorteil eines solchen „ Multifrequenzschallkopfs“ besteht darin, dass nicht nur Patienten mit unterschiedlich starkem Körperbau mit ein und demselben Schallkopf untersucht werden können, sondern dass auch innerhalb einer Untersuchung die Sendefrequenz den lokalen anatomischen Bedingungen angepasst werden kann. So kann die Exploration der Leber mit 3,5 MHz, des Gastrointestinaltrakts mit 5 MHz und der Appendix mit 7,5 MHz erfolgen, ohne den Schallkopf zu wechseln. Primär wird im „Eichschnitt“ links longitudinal paramedian über der Aorta mit Blick auf linken Leberlappen und Herz die Kompensation ( ) der intrakorporalen Schallabschwächung, der sogenannte Tiefenausgleich („gain“), den individuellen Erfordernissen entsprechend adjustiert und die Ausrichtung des Bildes am Monitor korrekt eingestellt: Bei transkutaner Schallapplikation repräsentiert der obere Bildschirmrand das Nahfeld (proximale Echos) und der untere Rand das Fernfeld (distale Echos). Bei Longitudinalschnitten wird „von rechts in den Patienten geblickt“: Der linke Bildrand am Monitor zeigt bei Aufsicht nach kranial und der rechte Bildrand nach kaudal. Bei Transversalschnitten wird analog dem CT „von unten in den Patienten geblickt“, d. h., bei Aufsicht entspricht der linke Bildschirmrand der rechten Patientenseite („Leberseite“) und umgekehrt der rechte Bildschirmrand der linken Patientenseite („Milzseite“). Der Wechsel von einem Longitudinalschnitt in einen Transversalschnitt erfolgt entgegen dem Uhrzeigersinn, von einem Transversalschnitt in den Longitudinalschnitt im Uhrzeigersinn. Die zwei obligatorischen Schrägschnitte rechts infrakostal werden zeitsparend in diese

ABB. 13.1 (d). [ ]

Standarduntersuchungsgang Abdomen (a–c) und Verkürzung der Untersuchung in der Notfalldiagnostik mit FAST

Sequenz integriert. Die Darstellung der Gallenblase wird aus dem medioklavikularen Längsschnitt, die Abbildung der Strukturen des Lig. hepatoduodenale aus dem Querschnitt medial über der V. lienalis jeweils unter permanenter Bildkontrolle am Monitor dynamisch entwickelt.

13.3.2 Standarduntersuchungsgang nach stumpfem Abdominal- und Thoraxtrauma (FAST) Die Notfallsonografie ist als diagnostische Standardprozedur nach stumpfem Bauchtrauma allgemein akzeptiert, seitdem nachgewiesen werden konnte, dass vital bedrohliche Blutungen mit einer Sensitivität und Spezifität von jeweils mindestens 95 % nachgewiesen werden. Durch Verkürzung des Untersuchungsgangs auf vier standardisierte Longitudinalschnitte, das „diagnostische O der Notfallsonografie“ (Hölscher, ), ist innerhalb einer Minute die vital bedrohliche Blutung in Abdomen, Retroperitoneum und Thorax zu erkennen ( ). Dabei ist auf Detailbeobachtungen zu verzichten und einzig auf das Zielkriterium freier oder subkapsulärer Flüssigkeit zu fokussieren. Auch die Einblutung in das Perikard bis hin zur Perikardtamponade wird registriert. An den Untersuchungspunkten ( ) wird der Scanner angesetzt, nach kurzer Orientierung langsam kaudal bis an das Ende des Feldes gezogen und danach sofort in die folgende Schnittebene umgesetzt. Nach Abschluss des gesamten Notfallmanagements oder im Rahmen einer ggf. indizierten Kontrolluntersuchung sollte ein Standarduntersuchungsgang Abdomen gewährleisten, dass im Rahmen von FAST kein relevanter Begleitbefund übersehen wurde.

Tab. 13.3 Untersuchungspunkte und anatomische Zielstrukturen bei FAST. Prinzip: 4 Longitudinalschnitte zeigen Einblutungen in Abdomen, Thorax und Retroperitoneum. Schnitt

Position

Struktur

1 „LLP“ unmittelbar links lateral des Processus xiphoideus und über links longitudinalparamedian der Aorta absteigend

Herz mit Perikard, Zwerchfell, Subphrenium Aorta (Leitstruktur!) Leber (li. Lappen), subhepatischer Raum,Magen, Pankreas, Bursa omentalis (nur bei Einblutung sichtbar)

2 „RLL“ rechts longitudinallateral

re. Lunge, Sinus phrenicocostalis, Zwerchfell, Subphrenium, Leber, re. Niere Recessus hepatorenalis (Morrison-Pouch)

mittlere Axillarlinie rechts von Interkostalraum (ICR) 4/5 bis kaudal der 10. Rippe

3 „MLS“ median über Symphyse, unterer Schallkopfrand mit median Knochenkontakt, durch Auflagedruck anguliert longitudinalsuprasymphyseal Schallachse in das Becken

Harnblase, Uterus/Prostata, supravesikaler Raum, Darm (Peristaltik!), prävesikaler Raum (Cavum Retzii), retrovesikaler Raum (Douglas-Pouch/Recessus rectovesicalis)

4 „LLL“ links longitudinallateral

li. Lunge, Sinus phrenicocostalis, Zwerchfell, Subphrenium, Milz, li. Niere Recessus splenorenalis (Koller-Pouch)

hintere Axillarlinie links von ICR 4/5 bis kaudal der 10. Rippe

Zustand nach Abdominaltrauma.a) Longitudinalschnitt links paramedian unterhalb des Zwerchfells mit Nachweis freier Flüssigkeit subdiaphragmal und subhepatisch.b) Longitudinalschnitt rechts lateral in der mittleren Axillarlinie. Freie Flüssigkeit zwischen Leber und Bauchwand sowie zwischen Leber und Niere im Morrison-Pouch.c) Longitudinalschnitt links lateral in der hinteren Axillarlinie: Zweihöhlenverletzung nach Verkehrsunfall (Gurtverletzung) mit freier Flüssigkeit subphrenisch und lateral der Milz sowie oberhalb des Zwerchfells mit Verdrängung der Lunge nach kranial durch den Hämatothorax.d) Medianer Longitudinalschnitt suprasymphyseal mit freier Flüssigkeit im Unterbauch und Verdrängung der Darmschlingen von der Harnblase nach kranial. Die Harnblase stellt sich zum rechten Bildrand hin als kleiner flüssigkeitsgefüllter Raum dar. Kranial davon findet sich viel freie Flüssigkeit hinter der Bauchmuskulatur. [ ] ABB. 13.2

Diese von deutschen Chirurgen in den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts entwickelte Notfalluntersuchungstechnik gilt heute als Standard und wird international als „FAST“ (focused assessment with sonography for trauma) bezeichnet. Die tabellarische Übersicht ( ) zeigt zusammenfassend die Schallkopfpositionen und die jeweils einsehbaren Strukturen und Kompartimente. Das Plädoyer für die Sonografie und gegen die CT als primäres Diagnostikum von freier Flüssigkeit in Abdomen, Retroperitoneum und Thorax sollte nicht apodiktisch missverstanden werden. Wenn in einem Traumazentrum im Schockraum ein CT installiert ist, kann selbstverständlich bei einem polytraumatisierten Patienten das CT primär eingesetzt werden, weil damit nicht nur die vital bedrohliche Blutung, sondern auch die Verletzungen des Schädels, der Wirbelsäule und des Beckens erfasst werden. Ein solches Verletzungsmuster erfordert ohnehin das CT. Aber auch in einer solchen Einrichtung wird dennoch meist die Sonografie als rasche Orientierung über Vorliegen oder Ausschluss einer vital bedrohlichen Blutung primär durchgeführt. Beide Untersuchungen können zwar heute fast schon in vergleichbarer Nettountersuchungszeit durchgeführt werden, wobei die CT aber eine Umlagerung und Kontrastmittelinjektion erfordert und daher weiterhin deutlich mehr Zeit beansprucht als der Ultraschall. Wenn im Schockraum kein CT installiert ist – wie noch immer in der Mehrzahl der Kliniken –, sollte die Sonografie als primäre Untersuchung immer durchgeführt werden, weil aus vitaler Indikation möglicherweise eine Notfalllaparotomie oder -thorakotomie durchgeführt werden muss, bevor der Patient in die Röntgenabteilung zur CT verbracht werden kann. Generell sollte keine Zeit damit verschwendet werden, nach einer Blutungsquelle zu fahnden, da derartige Aussagen bei der nativen Real-Time-Sonografie nur mit Ratewahrscheinlichkeit zu treffen sind und somit zwangsläufig die Glaubwürdigkeit des Untersuchers diskreditieren! Zielkriterien sind einzig der qualitative Nachweis freier Flüssigkeit und die ohnehin schon schwierige orientierende Abschätzung des sequestrierten Volumens und somit des Gefährdungsgrades. Sofern keine Laparotomie unter Notfallbedingungen, sondern Verlaufs-kontrollen indiziert sind, kann mit einer „Kontrastmittel“verstärkten Untersuchungstechnik die Frage nach der Blutungsquelle meist beantwortet werden. Im Schockraum ist die Fahndung nach einer Blutungsquelle schon deshalb unsinnig, weil im Falle einer notfallmäßigen Laparotomie grundsätzlich unabhängig von der präoperativen Angabe einer Blutungsquelle das gesamte Abdomen exploriert wird!

Indikationsstellung zur Notfalloperation Prinzipiell wird die Indikation zu einer Notfalloperation immer aus der Synopse der drei Parameter klinischer Befund (Schockindex), Labor- (Hämoglobin) und Ultraschallbefund abgeleitet. Diskrepante Befunde werden umgehend überprüft. Beispielsweise würde bei Nachweis einer größeren intraabdominalen Flüssigkeitskollektion ohne relevante Korrelation von klinischem und Laborbefund eine diagnostische Punktion der Flüssigkeit unter Ultraschallkontrolle den differenzialdiagnostischen Nachweis eines Aszites zur Folge haben. Zeigt die Erstuntersuchung keine freie Flüssigkeit, so kann bei ausgewiesener Erfahrung des Untersuchers auf Kontrolluntersuchungen verzichtet werden. Allerdings muss der Patient klinisch überwacht bleiben, um bei sekundären Veränderungen der Parameter Schockindex und Hämoglobin umgehend mit einer Kontrollsonografie reagieren zu können. Trotz vorhandener Blutungsquelle kann die primäre Fahndung nach einer Blutung im Schockraum ergebnislos bleiben, wenn es sich entweder um eine kleine Sickerblutung oder zwar um eine größere Blutungsquelle bei gleichzeitig aber stark blutenden Begleitverletzungen und/oder ein kardiozirkulatorisches Versagen handelt. In diesen Fällen wird der sonografische Nachweis erst gelingen, wenn genügend Blut in das freie Kompartiment sequestriert wurde. Im Fall des relevanten „Kollateralschadens“ wird erst nach Reanimation (Resuszitation), Blutstillung der Begleitverletzungen und Auffüllung des intravasalen Kompartimentes durch Volumensubstitution die Voraussetzung zum sonografischen Nachweis der Abdominalverletzung erfüllt.

Intervalle für Kontrolluntersuchungen

Wenn bei der Erstuntersuchung zwar freie Flüssigkeit im Abdomen dargestellt wird, aber der Patient dadurch nicht vital gefährdet ist, sollte der Befund bei Kreislaufstabilität zur Beurteilung der Blutungsdynamik nach 2 und 4 Stunden, in Grenzsituationen auch noch einmal 10 und 24 Stunden nach der Erstuntersuchung überprüft werden. Unabhängig von der durch das Arbeitszeitgesetz eingeschränkten Verfügbarkeit ist es wünschenswert, Primär- und Folgeuntersuchungen möglichst von demselben Untersucher ausführen zu lassen, um eine Fehlinterpretation durch individuell unterschiedliche Schallkopfpositionen und -angulierungen auszuschließen. Die Indikation zur Kontrolluntersuchung im weiteren Verlauf besteht auch bei Nachweis subkapsulärer Hämatome in Milz oder Leber, die in den folgenden 48, insgesamt also 72 Stunden täglich weiter sonografisch kontrolliert werden müssen. Zweizeitige Milzrupturen können sich aber auch noch 2 Wochen post traumam ereignen, weshalb bei dem klinisch überwachten Patienten sporadische Untersuchungen über das Intervall von 72 Stunden hinaus zu erfolgen haben. Die Einblutung in die freie Bauchhöhle , die als irreguläre echofreie Raumforderung zu erkennen ist, erfordert ein Mindestvolumen von 200–500 ml, um sonografisch nachgewiesen werden zu können. Das sonografisch nachweisbare Mindestvolumen ist direkt proportional dem Konstitutionstyp des Patienten. Je größer der intraabdominale Verteilungsraum, desto mehr Flüssigkeit muss zusammenfließen, damit der bildgebende Nachweis gelingen kann. Daher sind Patienten mit großer Leibeshöhle bei Nachweis freier Flüssigkeit bereits mehr gefährdet als schlanke Patienten mit einem kleinen intraabdominalen Verteilungsraum, bei denen bereits geringere Flüssigkeitsansammlungen sicher nachgewiesen werden können. Kleine intraabdominale Kompartimente wie der Douglas-Raum und die Bursa omentalis können bereits nach Füllung mit weniger als 10 ml Flüssigkeit erkennbar werden; am Thorax wird ein Mindestvolumen von 30–70 ml für den Nachweis freier Flüssigkeit benötigt.

13.4 Abdominale Sonografie Bei chirurgischen Erkrankungen des Abdomens werden mit der transkutanen Sonografie prä- und postoperativ Befunde erhoben, mit denen die Strategie der weiteren Behandlung definiert werden kann. Im Sinne der Allgemein- und Viszeralchirurgie werden die endokrinen Halsorgane Schilddrüse und Epithelkörperchen/Nebenschilddrüsen in die Betrachtung von Abdomen und Retroperitoneum einbezogen.

13.4.1 Präoperative Sonografie Präoperativ werden Abdomen, Retroperitoneum und Hals bei Schmerzen und funktionellen Störungen durch Entzündungen, benigne und maligne Tumoren, Gefäßerkrankungen sowie Erkrankungen des endokrinen Systems sonografisch exploriert. Eine Domäne der Abdominalsonografie ist die Abklärung der Ursache des akuten Abdomens bzw. einer Blutung. Eine spezielle chirurgische Fragestellung ist der Nachweis von Adhäsionen sowohl im Rahmen der Abklärung von Verwachsungsbeschwerden als auch vor laparoskopischen Operationen bei bereits abdominal voroperierten Patienten.

Tumor-Staging und Leber Tumoröse Raumforderungen lassen sich bei der Exploration von Abdomen und Retroperitoneum prinzipiell in allen parenchymatösen Organen, teilweise aber auch durchaus am Gastrointestinaltrakt sonografisch darstellen. Während am Gastrointestinaltrakt Tumoren durch polypöses, evtl. auch lumenobstruierendes Wachstum mit konsekutiver Passagestörung oder aber durch das Phänomen der sog. pathologischen Kokarde auffallen, imponieren sie in parenchymatösen Organen als echoarme oder echogene Raumforderungen oder aber ebenfalls als Kokarden. Eine Kokarde ist eine runde oder ovaläre Struktur mit einem echoarmen Ring um ein echogeneres Zentrum (auch „Target-“ oder „Bull-Eye-Phänomen“) . Am Gastrointestinaltrakt entsteht ein Kokardenphänomen bei querem Anschnitt der tubulären Struktur. Dem echoarmen äußeren Ring entspricht die Wand des Hohlorgans und hier vornehmlich die Lamina muscularis propria. Das echogenere Zentrum entspricht dem Lumen mit Ingesta. Besonders ausgeprägt kommen Kokardenphänomene am Gastrointestinaltrakt zur Darstellung, wenn die Wand des Hohlorgans verdickt ist, was im Bereich eines Sphinkterapparates (Kardia, Pylorus) als physiologische Kokarde, bei Ulzerationen, Entzündungen (Morbus Crohn, Enteritis/Ileus, Kolitis, Divertikulitis, Appendizitis) oder Tumoren als pathologische Kokarde bezeichnet wird. Der Nachweis einer tumorsuspekten Struktur in Abdomen und Retroperitoneum zieht ebenso ein Tumor-Staging nach sich wie der diagnostische Nachweis eines Malignoms in einer anderen Region (z. B. Bronchialkarzinom, Mammakarzinom). Im Rahmen des Tumor-Stagings von Karzinomen, Lymphomen und Sarkomen werden Leber, Milz und die Lymphknotenstationen paraaortal und parailiakal sowie im Lig. hepatoduodenale und im Milzhilus sorgfältig exploriert. Suspekte Lymphknoten imponieren als echoarme, überwiegend glatt und scharf konturierte Raumforderungen ohne distales Schallphänomen. Häufig fallen sie vor allem durch die Impression von Nachbarstrukturen und die Verdrängung von Gefäßen aus ihrer natürlichen Verlaufsrichtung auf. Gefäße können auch komprimiert werden, was bei Venen zu einer prästenotischen Stauung und bei Einsatz des Farbdopplers zum Nachweis von Strömungsbeschleunigungen und turbulentem Fluss führt.

Beurteilung der Operabilität Das sonografische Tumor-Staging der Leber dient keinesfalls nur allein der Tumorklassifikation, sondern auch der Beurteilung der Operabilität. Bei Raumforderungen in der Leber interessieren grundsätzlich die Resektabilität des Prozesses und die Definition der Strategie (laparoskopisch oder offen; atypische oder anatomiegerechte Resektion). Demzufolge müssen nicht nur fokale Raumforderungen in der Leber erkannt und sonometriert werden, sondern es muss auch eine topografische Zuordnung der Raumforderung zu den Lebersegmenten in der Einteilung nach Couinaud beschrieben werden. Die Kenntnis und die Fähigkeit zur Erarbeitung der Segmenttopografie nach Couinaud sind unabdingbare Voraussetzungen für die Definition der operativen Strategie. Sowohl die prinzipielle Resektabilität einer hepatischen Raumforderung als auch das Resektionsausmaß werden direkt aus der Lagebeziehung des Tumors zu den intrahepatischen Gefäßen abgeleitet. Diese Segmenttopografie lässt sich sowohl präoperativ perkutan als auch intraoperativ mit direktem Organkontakt nach suffizienter Freilegung der Leber zügig erarbeiten. Die Bewertung des Schweregrades allgemeiner Parenchympathologien erfolgt im Rahmen der Beurteilung der allgemeinen Operabilität. Bei der Leberzirrhose ist je nach Stadium der Erkrankung eine Hepatomegalie ebenso möglich wie eine normale Lebergröße oder eine Organschrumpfung. Der Rand ist mit Fortschreiten der Erkrankung abgerundet und die Oberfläche klein- oder grobknotig. Die zentrale Echotextur ist vergröbert und die Echogenität gesteigert. Regeneratknoten erscheinen echoarm und können mit malignen Raumforderungen verwechselt werden. Wie bei fortgeschrittener Steatosis kommt es auch bei der Zirrhose zu einer progredienten Rarefizierung der Gefäßarchitektur. Besonders betroffen sind davon aber zunächst die Lebervenen. Insbesondere im Hilusbereich erscheint die Pfortader kaliberverstärkt, bei der Doppler-Sonografie zeigt sich allerdings ein verlangsamter Fluss als Ausdruck der portalen Hypertension. Als sekundäre Zeichen finden sich bei fortgeschrittener Zirrhose ein progredienter Aszites, eine Stauung der V. mesenterica superior und der V. lienalis und eine Splenomegalie. Ein seltener, aber gerade im Zusammenhang mit malignen Erkrankungen wichtiger Befund ist das Budd-Chiari-Syndrom. Bei einer Lebervenenthrombose oder einem durch eine Raumforderung bedingten subphrenischen Abflusshindernis der V. cava inferior oder der zentralen Lebervenen kommt es zu einem klinisch bedrohlichen Bild mit Schmerzen, Dyspnoe, Hepatomegalie und drohendem Leberversagen. Als sonografisches Korrelat finden sich neben der Stauung der zuführenden Lebervenen eine Hepatomegalie und eine Splenomegalie. Irreguläre echoarme Areale („Leopardenfell“) reflektieren stauungsbedingte Parenchymnekrosen. Bei der Doppler-Sonografie findet sich ein fehlender Fluss in den betroffenen Lebervenen, auch eine Flussumkehr ist möglich. Fokale Veränderungen Die fokalen Veränderungen stehen natürlich im Mittelpunkt des Tumor-Stagings. Raumforderungen mit 1 cm Durchmesser können in der Leber recht sicher lokalisiert werden. Kleinere Raumforderungen werden mit fallender Sensitivität auch noch erkannt bis zu einem minimalen Durchmesser von etwa 3 mm. Generell gilt, dass eine Raumforderung leichter zu detektieren ist, wenn sie sich gegenüber dem umgebenden Parenchym kontrastreich darstellt. Umgekehrt können selbst ausgeprägte Befunde wie eine Metastasenleber bei nur geringem Sprung der akustischen Impedanz und daraus resultierender Isoechogenität zwischen Metastase und normalem Parenchym bei oberflächlicher Untersuchung leicht übersehen werden. Diese Problematik disqualifiziert die Sonografie keineswegs im Vergleich zu konkurrierenden Schnittbildverfahren, die, nativ eingesetzt, meist deutlich weniger Aussagen gestatten als der Ultraschall und erst nach Einsatz von Kontrastmitteln gegenüber dem nativen Ultraschall teilweise überlegene Aussagekraft gewinnen. Während die Sensitivität der nativen Sonografie bei der perkutanen Untersuchung für die Darstellung von Lebermetastasen nur etwa 70 % beträgt, kann eine deutliche Verbesserung der diagnostischen Wertigkeit durch Einsatz von Echosignalverstärkern („Ultraschallkontrastmittel“) erzielt werden. Es handelt sich dabei um „Bubbles“, die unter Einwirkung der Schallintensität bei der Sonografie bersten. Dieser Vorgang wird begleitet von einer charakteristischen Veränderung der Echogenität und einem spezifischen Verhalten bei der An- und Abflutung der Signalverstärkung, die mit hoher Sensitivität nicht nur auch kleine Raumforderungen erkennen, sondern sogar eine Artdiagnose der Raumforderung stellen lässt. Ähnlich wie in den konkurrierenden Verfahren CT und MRT ermöglichen diese „Kontrastmittel“ einen methodischen Quantensprung und stellen die Wertigkeit der Sonografie bei der Leber z. B. über die CT auf ein

Niveau mit der MRT. Intraoperativ wird die native Sonografie immer in Kombination mit dem Tastbefund eingesetzt und stellt mit einer Sensitivität von über 95 % ein exzellentes und der kontrastmittelverstärkten Computertomografie bzw. Kernspintomografie überlegenes oder zumindest gleichwertiges Verfahren dar. Die Ergebnisse fallen bei laparoskopischer Anwendung und daher naturgemäß fehlender Möglichkeit zur Palpation etwas schwächer aus. Differenzierung von Raumforderungen Eine traditionelle Domäne der Sonografie ist die Differenzierung zwischen soliden u n d liquiden Raumforderungen. Bei dieser Fragestellung wird der Ultraschall als Referenz bei unklarem CT-Befund angefordert. Die Zyste stellt sich glatt konturiert, echofrei und mit relativer distaler Schallverstärkung dar. Von den beiden tangential getroffenen Rändern entwickelt sich nach distal ein zarter echoarmer Streifen, das „Abträufphänomen“. Während diese flüssigkeitsgefüllten, „unkomplizierten“ dysontogenetischen Raumforderungen mit epithelialer Auskleidung im Allgemeinen als asymptomatischer Zufallsbefund entdeckt werden, können sehr große Zysten infolge ihrer raumfordernden Dehnung der Leberkapsel auch durch Schmerzen symptomatisch werden. Die „komplizierte Zyste“ bei Einblutung zeigt zentral irreguläre Formationen mit Septierung. Sie ist differenzialdiagnostisch zu trennen von der ebenfalls septierten Zyste des Echinococcus cysticus ( ), die zusätzlich auch Kalkeinlagerungen zeigen kann. Die Zysten können solitär oder multipel auftreten. Bei multiplen Zysten finden sich häufig auch zystische Formationen in Milz, Nieren und seltener auch Pankreas. Die Zystenleber zeigt das Bild einer polyzystischen Erkrankung mit echofreien, teilweise gekammerten Zysten, die kaum noch normales Lebergewebe erkennen lassen und häufig in Koinzidenz mit einer polyzystischen Nierenerkrankung auftreten.

Intraoperative Sonografie bei Echinococcus cysticus.Die glatt konturierte, multipel septierte Echinokokkuszyste zeigt geringe Verkalkungen und eine relative distale Schallverstärkung (a). In der Farbdopplersonografie rechts (b) zeigt sich die starke Vaskularisation in direkter Umgebung der Zyste, aber auch die enge Nachbarschaft zu einer großen Lebervene und einem portal venösen Hauptstamm. [ ] ABB. 13.3

Der Leberabszess kann ebenfalls echoarm, aber auch echogen, häufig komplex mit Septen und Wandverdickung, teilweise auch mit Nachweis von Gas- und Spiegelbildungen auffallen. Das Hämangiom stellt sich in seiner kapillären Form als homogen echoreicher, glatt begrenzter Prozess ohne distales Schallphänomen dar. Der Durchmesser liegt meist unter 3 cm. Größere Hämangiome erscheinen inhomogen, echoarm und korrespondieren mit dem Bild eines kavernösen Hämangioms. Das Adenom ist ein relativ glatt begrenzter, inhomogen echoarmer Tumor ohne distales Schallphänomen. Bei Einblutung kann der Prozess schmerzhaft werden und rupturieren. Im Sonogramm stellt sich die Einblutung als inhomogene echoarme Raumforderung dar. Nach der Ruptur findet sich im Sonogramm ein irregulärer perihepatischer echoarmer Saum als Ausdruck der Blutung in die freie Bauchhöhle. Die fokal noduläre Hyperplasie ( FNH ) ist in ihrem sonografischen Erscheinungsbild variabel. Sie ist die wichtigste Differenzialdiagnose des echoarmen Adenoms, kann aber auch echogen oder aber isoechogen zum normalen umgebenden Leberparenchym erscheinen. In diesen Fällen fällt sie nur bei Unregelmäßigkeiten der Organkontur auf. Primäre Malignome und Metastasen der Leber Von den primären Malignomen der Leber seien hier nur das hepatozelluläre ( HCC ) und das cholangiozelluläre Karzinom ( CCC ) erwähnt. Das HCC entwickelt sich häufig auf dem Boden einer posthepatitischen Leberzirrhose und stellt sich als meist glatt und scharf begrenzte, überwiegend echoarme, insbesondere bei größeren Tumoren auch gemischt echogene Raumforderung ohne distales Schallphänomen dar. Häufig finden sich v. a. in direkter Nähe des Haupttumors kleinere echoarme Satellitentumoren. Bei fortgeschrittener Zirrhose findet sich als Begleitbefund Aszites. Das CCC ist im Allgemeinen ebenfalls glatt begrenzt, überwiegend echoarm, aber auch häufig echoinhomogen und teilweise verkalkt. Als Klatskin-Tumor manifestiert es sich extrahepatisch an der Hepatikusgabel. Sonografisch ist eine Klassifikation aufgrund der Stauung des vorgeschalteten intrahepatischen Gallengangsystems möglich, allerdings nur eingeschränkt, da die Darstellbarkeit des eigentlichen Tumors häufig limitiert ist. In der Leber können sich auch maligne Lymphome als relativ flau echogene, glatt begrenzte, meist multipel anzutreffende Raumforderungen ohne distales Schallphänomen manifestieren. Die Lebermetastasen können in Abhängigkeit von Primärtumor und Tumorstadium solitär oder multipel, echoarm oder echoreich und häufig unter dem Bild einer Kokarde ( ) auftreten. Ein distales Schallphänomen fehlt. Bei kapselnahem Wachstum führen sie zu einer Deformierung der Leberkontur. Es kann eine innige Nachbarschaftsbeziehung zu lebernahen anderen Organen entstehen. Häufig ist dann erst in der zweiten Ebene zu klären, in welchem Organ der Tumor wächst.

Lebermetastase.Querschnitt im rechten Oberbauch mit etwa 5 cm großer Metastase lateral in Segment VII an der Grenze zu Segment VIII. Der Fluss über der rechten Lebervene bricht in Höhe des Tumors ab; die Metastase überschreitet hier die Grenze zu Segment VIII. [ ] ABB. 13.4

Umgekehrt manifestieren sich mitunter auch lebernahe Tumoren (Nebennierentumor, Karzinom von Niere, Pankreas, Magen) mit so ausgeprägter Impression der Leber, dass sie unter Umständen nur schwer von Lebertumoren abgegrenzt werden können. Bei weitgehender Isoechogenität von Metastase und umgebendem Leberparenchym kann die morphologische Abgrenzbarkeit der Metastase aufgehoben sein. Dann führen erst sekundäre Veränderungen wie die Verziehung von intrahepatischen Gefäßen aus ihrem normalen Verlauf, die Stauung der intrahepatischen Gefäße einschließlich der Gallengänge oder aber Konturunregelmäßigkeiten dazu, eine Metastase als Ursache dieser Veränderungen zu erkennen.

Sonografie der endokrinen Organe Einen besonderen Stellenwert hat die Sonografie in der präoperativen Diagnostik der endokrinen Organe gefunden, wobei teilweise neben der Diagnostik im engeren Sinne die Sonografie auch maßgeblich einbezogen ist in die präoperative Planung der operativen Strategie und die Lokalisation der teilweise sehr kleinen Raumforderungen (primärer Hyperparathyreoidismus, endokrin aktive Pankreastumoren). Die Untersuchung der Halsorgane Schilddrüse und Nebenschilddrüsen erfolgt bei rekliniertem Kopf hochauflösend mit einer Sendefrequenz von 7,5 MHz. Lediglich bei großen Strumen kann eine Untersuchung mit einem 5-MHz-Schallkopf indiziert sein. Pankreas und Nebennieren werden im Rahmen der standardisierten abdominalen Untersuchung exploriert.

Schilddrüse Die normale Schilddrüse ist glatt begrenzt und zeigt ein homogenes echoarmes Parenchymmuster. Obligatorisch wird für jeden Lappen das Volumen nach folgender Formel ermittelt: V = 0,5 × Länge × Breite × Tiefe In diese Volumetrie geht in jeder Dimension der größte Durchmesser ein. Der Isthmus wird nur separat quantifiziert, wenn er augenfällig vergrößert ist (Normdurchmesser kraniokaudal und a.-p. jeweils ≤ 5 mm). Die Norm des Schilddrüsenvolumens beträgt bei Männern < 25 ml, bei Frauen < 20 ml. In der gut beurteilbaren Schilddrüse können Raumforderungen ab 2–3 mm Durchmesser sicher abgegrenzt werden. Fokale Raumforderungen können echofrei (Zyste), echoarm (Adenom, Karzinom, Einblutung, Abszess, Thyreoiditis de Quervain) oder echogen (Adenom, Fibrose, Verkalkung) erscheinen. In der Diagnostik der Schilddrüse nimmt die Sonografie einen hohen Stellenwert ein. In Zusammenschau mit der klinischen Untersuchung, dem hormonellen (TSH, ggf. auch freies T 3 und T 4 ) und szintigrafischen Funktionstest sowie bei Abklärung des Verdachts auf Malignität, ggf. mit einer sonografisch gestützten Feinnadelpunktion, wird die Pathologie der Schilddrüse aufgeklärt. Bei Tumorverdacht werden zusätzlich noch als Marker Thyreoglobulin und Kalzitonin im Blut analysiert. Unter den fokalen Schilddrüsenveränderungen ist die Schilddrüsenzyste glatt konturiert, zentral echofrei und zeigt distal eine Schallverstärkung sowie distal der beiden tangentialen Anschnitte das Abträufphänomen. In der Schilddrüse können Tumoren unter dem Bild der „komplizierten Zyste“ auch intrazystisch wachsen und müssen dann z. B. gegenüber einer Kolloidablagerung oder einer Einblutung in die Zyste abgegrenzt werden. Das Schilddrüsenadenom zeigt ein typisches ausgeprägtes Kokardenphänomen und zentral ein homogenes echoarmes, isoechogenes oder auch echoreiches Texturmuster. D a s Schilddrüsenkarzinom ( ) imponiert sonografisch als echoarmer Tumor mit unscharfer Kontur und inhomogener zentraler Textur. Echogene Mikroverkalkungen sind möglich, bei entsprechender Größe und Lokalisation des Tumors ist die Organkontur buckelig. Bei fortgeschrittenem Befund kann ein invasives, organüberschreitendes Wachstum erkannt werden. Gegebenenfalls finden sich pathologisch vergrößerte Lymphknoten in der Gefäß-Nerven-Scheide oder medial davon im zentralen Halskompartiment. Farbdopplersonografisch finden sich eine v. a. peripher verstärkte Vaskularisation und bei fortgeschrittenen Befunden eine Thrombose der ipsilateralen V. jugularis interna. Im Gegensatz zu zystischen Strukturen mit Kolloideinlagerungen zeigen die Malignome bei sonografisch kontrollierter Kompression keine Kompressibilität. Die histologische Differenzierung in ein papilläres, follikuläres, medulläres und anaplastisches Karzinom findet sonografisch kein Korrelat.

Schilddrüsenkarzinom.Querschnitt durch den linken Schilddrüsenlappen, der scharf zur Muskulatur (M) abgegrenzt scheint. Die Kapsel der Schilddrüse allerdings ist nicht mehr intakt und mehrfach punktuell durch das Karzinom (CA) durchbrochen. Dorsal des echoarmen, mit gezacktem Rand konturierten Karzinoms findet sich eine kleine Kokarde als Ausdruck eines blanden Adenoms (SD). Lateral davon sind die A. carotis communis (AC) und die V. jugularis interna (V) dargestellt. Medial des linken Schilddrüsenlappens ist die Trachea (Tr) dorsal des Isthmus (I) dargestellt. Direkt dorsal des Schilddrüsenadenoms findet sich noch der Anschnitt des als halbe Kokarde quer getroffenen Ösophagus. [ ] ABB. 13.5

Nebenschilddrüsen Abgesehen von Nebenschilddrüsenzysten, bei denen es sich im Gegensatz zu epithelialisierten Schilddrüsenzysten meist um Pseudozysten handelt, die aber sonomorphologisch dennoch Schilddrüsenzysten entsprechen, zielt die Abklärung der Epithelkörperchen im Wesentlichen auf die Diagnostik des Hyperkalziämiesyndroms . Der primäre Hyperparathyreoidismus ist am häufigsten auf ein benignes Adenom der Epithelkörperchen zurückzuführen, das im sonografischen Befund echoarm und glatt begrenzt erscheint. Farbdopplersonografisch ist die Vaskularisation gut darstellbar. Die kleinen regelrechten Epithelkörperchen können vereinzelt auch dargestellt werden. Teilweise projiziert sich das dorsal der Schilddrüse liegende Adenom nach intrathyreoidal. Die Sonografie ist das wichtigste Lokalisationsverfahren in der präoperativen Diagnostik und unabdingbare Voraussetzung für die Planung einer Therapie in minimalinvasiver Technik. Die Sensitivität ist vergleichbar mit der nuklearmedizinischen Konkurrenzmethode MIBI-Szintigrafie.

Pankreas Die endokrin aktiven Pankreastumoren sind häufig sehr klein (Durchmesser ≤ 5 mm) und daher bei der präoperativen perkutanen Sonografie infolge der Gasüberlagerung und der eingeschränkten Beurteilbarkeit des Organs nur schwer darstellbar. Bei guter „Sicht“ auf das Pankreas können aber durchaus auch solche kleinen Befunde dargestellt werden, wenn diese echoarmen Raumforderungen gegenüber dem umgebenden normalen Pankreasparenchym einen ausreichend großen akustischen Impedanzsprung aufweisen und dadurch ausreichend „kontrastiert“ erscheinen. Deutlich besser ist die Darstellbarkeit bei der endoluminalen transgastralen Sonografie. Nach Diagnosestellung und Indikation zur operativen Ausschaltung des endokrin aktiven Pankreastumors wird der Herd palpatorisch und mit der intraoperativen Sonografie aufgesucht. Die Sensitivität des intraoperativen Nachweises, z. B. eines Insulinoms, beträgt in dieser kombinierten Technik 95 %. Das echoarme Pankreaskarzinom ( ) ist sonografisch oft erst in relativ weit fortgeschrittenem Stadium darstellbar. Mitunter führen Sekundärveränderungen zum Nachweis des Tumors, etwa die Stauung von Ductus pancreaticus und Ductus hepatocholedochus, Lebermetastasen, höckerige Organkontur, Stauung der Vv. mesenterica superior und lienalis, ggf. mit Splenomegalie. Besonders schwierig ist die morphologische Abgrenzung des Karzinoms in der chronischen Pankreatitis.

Pankreastumor.a) Kleines echoarmes Pankreaskopfkarzinom am dorsalen Rand des Organs nahe der V. portae. Links ist die rechte Niere, oberhalb davon die Gallenblase und zwischen Pankreas und Bauchwand der Magen dargestellt. [M412]b) Transgastrale Darstellung eines Insulinoms im Pankreasschwanz mit der Endosonografie. [ ] ABB. 13.6

Bei den zystischen Pankreasprozessen ist zu differenzieren zwischen seltenen „semiliquiden“ Tumoren und den häufigen postpankreatitischen Pankreaspseudozysten, die überwiegend glatt begrenzt und zentral echofrei mit distaler Schallverstärkung imponieren. Die Pseudozysten können auch durch Septen gekammert sein und sind besonders häufig im Pankreasschwanz lokalisiert. Wichtige Differenzialdiagnosen sind das makrozystische Zystadenom und

das Zystadenokarzinom, das allerdings überwiegend unscharf konturiert erscheint. Die Echosignalverstärkung und die Farb-Doppler-Sonografie sind wichtige Instrumente bei der Abgrenzung dieser vaskularisierten Tumoren.

Nebenniere Die gesunde Nebenniere ist sonografisch schlecht oder oft gar nicht abgrenzbar. Ihre Architektur aus Rinde und Mark ist sonografisch nicht zu differenzieren. Die rechte Nebenniere ist lagebedingt über dem oberen Pol der rechten Niere dorsal der Leber und bei Anpeilung von lateral zur V. cava inferior hin noch besser abgrenzbar als die linke Nebenniere, die medial des kranialen linken Nierenpols zur Aorta hin lokalisiert ist. Tumoröse Raumforderungen der Nebenniere sind prinzipiell gut zu erkennen. Bei größeren Raumforderungen muss die Organtopografie erarbeitet werden und es kann schwierig sein, den Tumor von einem Nieren- oder Lebertumor abzugrenzen. Ein „Inzidentalom“ wird als asymptomatischer Zufallsbefund entdeckt: meist handelt es sich um eine benigne Raumforderung der Nebenniere. Bei unauffälliger endokriner Diagnostik wird die Indikation zur Adrenalektomie von der Größe und Konsistenz der Raumforderung bestimmt. Herde mit einem Durchmesser ≤ 3 cm und größere zystische Prozesse werden konservativ behandelt und im Verlauf sonografisch kontrolliert. Bei soliden Tumoren > 3 cm sollte die Indikation zur Exstirpation gestellt werden. Die glatt begrenzten echoarmen Formationen sind von endokrin aktiven Adenomen sonomorphologisch nicht abzugrenzen. Auch auf das Hormonprodukt der Adenome bei Conn-, Cushing- oder adrenogenitalem Syndrom kann sonografisch nicht zurückgeschlossen werden. Sogar die Abgrenzung gegenüber dem Phäochromozytom als vom Nebennierenmark ausgehendem Tumor ist schwierig. Lediglich wenn Phäochromozytome groß werden und eine zentrale Nekrose entwickeln, ist diese als echoarme Raumforderung mit distaler Schallverstärkung in einer tumorös vergrößerten Nebenniere ein auffallender Befund. Auch Metastasen (wichtiger Staging-Befund bei Bronchialkarzinomen!) und Nebennierenkarzinome fallen lediglich als echoarme, teilweise sehr große Raumforderung in Projektion auf die Nebennierenregion mit pathologischen, echoarmen Lymphknoten parakaval und paraaortal auf. Die Sonografie erlaubt also keine Beurteilung der Artdiagnose, wohl aber den Nachweis der pathologischen Raumforderung und der Differenzierung zystisch versus solide.

Adhäsionssonografie (AUS) Mit der Expansion der Laparoskopie wurde es wichtig, bei offen voroperierten Patienten, die meist Verwachsungen gerade auch zwischen Abdominalorganen und Bauchdecke haben, die laparoskopische Operationstechnik einzusetzen unter Vermeidung eines inadäquat hohen Risikos für trokarindizierte Läsionen der Abdominalorgane . Die Frequenz trokarinduzierter Läsionen beträgt ohne Voroperation 0,2 %, nach Voroperation infolge Verwachsungen zwischen Abdominalorganen und Bauchwand ≥ 2 %. Präoperativ werden die Verwachsungen zur Bauchdecke nachgewiesen und markiert. In Abschnitten ohne sonografisch nachweisbare Adhäsionen kann direkt in Trokartechnik operiert und zuvor über Punktion mit der Veress-Kanüle das Kapnoperitoneum installiert werden. Die Minilaparotomie allein ist keine geeignete Alternative, da einerseits vorhandene Adhäsionen gerade am Ort der üblichen Insertion des primären Trokars periumbilikal besonders häufig stark ausgeprägt sind und andererseits nur ein Zugang im Umfeld der Hautinzision gesucht und hier mehr oder weniger mühsam präpariert werden kann. Dagegen können mit AUS modifizierte Primärtrokarinsertionspunkte, z. B. pararektal, identifiziert werden, über die trotz erheblicher Verwachsungen im Bereich einer Laparotomienarbe gefahrlos Trokare eingebracht werden können. Auch die Präparationsstrecke zwischen dem modifizierten Primärtrokarinsertionspunkt und dem eigentlichen Operationsgebiet (z. B. Leistenhernie) lässt sich natürlich bezüglich Adhäsionen so weit abklären, dass die über einen alternativen Primärtrokarinsertionspunkt begonnene laparoskopische Operation nicht doch noch verwachsungsbedingt wegen strategischer Unerreichbarkeit des eigentlichen Operationsfelds abgebrochen werden muss. Höhergradige und somit relevante Adhäsionen zwischen der Bauchdecke einerseits sowie Darm, Netz, Leber, Magen und Harnblase andererseits können mit einer Sensitivität von etwa 95 % bei einer Spezifität von 98 % herausgefiltert werden. Tief intraabdominale, pelvine und speziell interintestinale Adhäsionen können nicht detektiert werden, was aber auch nicht nötig ist, weil diese Verwachsungen dem laparoskopischen Zugang kein primäres Hindernis entgegenstellen. Im tieferen Unterbauch nahe der Symphyse, z. B. nach Laparotomie via Pfannenstiel-Schnitt, ist die Sensitivität ebenfalls ungenügend, was aber wiederum nicht bedeutsam ist, weil der Primärtrokar im Allgemeinen periumbilikal oder alio loco etwa in Höhe des Nabels eingeführt wird. AUS hat sich so gut in der klinischen Praxis bewährt, dass die Methode inzwischen häufiger bei Patienten mit Verdacht auf verwachsungsinduzierte Bauchschmerzen oder mechanischen Ileus eingesetzt wird als bei voroperierten Patienten, die vor einer geplanten laparoskopischen Intervention stehen. Da sonometrisch eine Klassifikation des Schweregrades von Verwachsungen in 3 Stufen möglich ist, kann die Methode in die komplexe Indikation zur Adhäsiolyse einbezogen werden, obwohl die histologische Klassifikation von Verwachsungen 4 Schweregrade beschreibt . Die histologischen Grade 0 und 1 entsprechen sonografisch dem Grad 0. Der histologische Grad 2 korreliert eng mit dem sonografischen Grad I. Alle diese Befunde bedürfen keiner Adhäsiolyse, weil sie praktisch immer asymptomatisch sind. Ausnahmen kann es selten bei einer Bride mit histologischer Klassifikation Grad 2 geben, die eine akute Schmerzsymptomatik auslöst. Die histologischen Verwachsungen Grad 3 können sonografisch je nach Ausbreitungsfläche als Grad II oder bereits als Grad III zur Darstellung kommen und der histologische Grad 4 entspricht sonografisch immer Grad III. Bei eindeutig zuzuordnender rezidivierender Schmerzsymptomatik mit hohem Leidensdruck oder akutem Abdomen bei Ileus stellen die sonografischen Verwachsungen Grad II und III eine Indikation zu offener oder laparoskopischer Adhäsiolyse dar. Mit AUS können also symptomatische Verwachsungen objektiviert und die Indikation zur Adhäsiolyse und zum geeigneten Operationsverfahren (laparoskopisch versus offen) rational gestellt werden.

Sonografie bei akutem Abdomen Das Bild des akuten Abdomens kann auch durch extraabdominale Erkrankungen hervorgerufen werden, die sonografisch „blind“ bleiben.

Sonografisch erkennbare Ursachen des akuten Abdomens Sofern das akute Abdomen durch eine Erkrankung eines abdominalen oder retroperitonealen Organs induziert wird, ist häufig die Darstellung der Erkrankungsursache mit der Sonografie möglich. Die topografische Zuordnung der Schmerzen in den Ober-, Mittel- und Unterbauch ist häufig nicht möglich, da einerseits die Schmerzen häufig gerade bei fortgeschrittenen Befunden nicht auf eine Region des Abdomens beschränkt bleiben und andererseits das akute Abdomen eine Dynamik zeigt, in deren Verlauf die Schmerzlokalisation wandern kann. Dennoch ist es aber häufig möglich, aus einer Erkundung der Schmerzlokalisation, insbesondere in der frühen Phase der Erkrankung, auf das ursächliche Krankheitsbild zurückzuschließen. Mit berücksichtigt werden muss bei schwangeren Frauen mit akuten Bauchschmerzen auch die Größenzunahme des Uterus, die zusätzlich zur Verlagerung von typischen Schmerzpunkten (Appendizitis) führen kann. Gerade in der Schwangerschaft ist die Sonografie ergänzend zu Anamnese und klinischer Untersuchung das bildgebende Diagnostikum der Wahl.

Sonografische Differenzialdiagnose der „chirurgischen“ Ursachen des akuten Abdomens Bei der differenzialdiagnostischen Abklärung des akuten Abdomen müssen die in das Abdomen projizierten Krankheitsbilder von den hier näher zu erörternden „chirurgischen“, häufig vom Gastrointestinaltrakt mit seinen Anhangsorganen sowie von der Bauchwand ausgehenden Erkrankungen abgegrenzt werden. Generell erfordert die sonografische Exploration der Darmpathologien den Einsatz eines hochauflösenden Schallkopfs mit einer Sendefrequenz von > 5 MHz. Selbst bei einer schon klinisch auffallenden peritonealen Reizung ist die sonografische Exploration bei vorsichtiger, dosierter Kompression der Bauchwand und Anwendung eines subjektiv als angenehm empfundenen kühlen Ultraschallgels im Allgemeinen problemlos möglich. Appendizitis Die Appendizitis ( ) stellt sich im Ultraschallbild als pathologische kleine Kokarde im rechten Unterbauch dar. Das inhomogen echoarme Lumen wird abgegrenzt durch einen kräftigen echoreichen Reflex, der umgeben ist von einer echoarmen äußeren Schicht, die dem entzündlichen Wandödem entspricht. Im typischen Fall ist diese Kokarde umgeben von einem echoreich dargestellten, kräftigen periappendizitischen Fettsaum („Halo“). Die normale Appendix hat einen Durchmesser von etwa 6 mm, ab einem Durchmesser von 8 mm gilt die Appendix als sicher pathologisch vergrößert.

Appendizitis.a) Quer getroffene Kokarde mit wenig freiem Exsudat; zum rechten Bildrand hin Darstellung des quer getroffenen terminalen Ileums.b) Zugehöriger Längsschnitt der Appendix mit Darstellung des nur gering aufgetriebenen Fundus, dessen Wand allerdings verdickt ist. Am rechten Bildrand die Basis der Appendix, die sich aus dem Zökum entwickelt.c) Appendicitis phlegmonosa mit Kokarde bei deutlich verdickter Wand. Zwischen Appendixkokarde und Bauchwand findet sich der echoreiche Halosaum. [ ] ABB. 13.7

Je ausgeprägter die phlegmonöse oder gar ulzerophlegmonöse Komponente der Entzündung entwickelt ist, desto sicherer gelingt der sonografische Nachweis der Appendizitis. Die katarrhalische Appendizitis kann im nativen Real-Time-Modus sonomorphologisch nicht von der normalen Appendix abgegrenzt werden. Konsequent auch bei klinisch zweifelsfreien Situationen eingesetzt, wächst beim Untersucher eine subjektive Erfahrung, die dann, wenn die klinische Beurteilung keine klare Indikationsstellung erlaubt, die Senkung der negativen Laparotomie- oder Laparoskopierate auf < 10 % gestattet. Morbus Crohn Der Morbus Crohn kann im Querschnitt als Kokarde, klassischerweise im Bereich des terminalen Ileums, aber natürlich nicht nur dort, zur Darstellung kommen. Das betroffene Segment hat im Allgemeinen eine Länge von mehreren Zentimetern. Die echoarme Wandverdickung kann mehr als 10 mm betragen. In der Umgebung des entzündeten Darmabschnitts können inflammatorisch vergrößerte Lymphknoten meist relativ echogen zur Darstellung kommen. Eine Domäne der sonografischen Diagnostik sind die Komplikationen des Morbus Crohn. Die transmurale Fistel mit oder ohne Abszessbildung, das regionale entzündliche Exsudat oder der entzündliche Konglomerattumor, in den die benachbarten Dünndarmschlingen bzw. das Zökum und Colon ascendens einbezogen sein können, erleichtern die sonografische Diagnose. Invagination Die Invagination ( ) ist bei Kindern, hier v. a. als ileokolische Intussuszeption, gemeinsam mit der akuten Appendizitis die häufigste Ursache des akuten Abdomens. Bei Erwachsenen kommt das Krankheitsbild selten, dann meist nicht als passagere, sondern als persistierende Einstülpung benachbarter Dünndarmsegmente vor allem im Zusammenhang mit einem Tumorleiden vor. Als sonografisches Korrelat findet sich ein Zwiebelschalen-(Zielscheiben- oder Bulls-Eye-)Phänomen. Die persistierende Invagination geht einher mit einem Wandödem, das als echoarme Wandverdickung zu erkennen ist. Die Peristaltik fehlt; vorgeschaltete Darmabschnitte sind lumenerweitert und zeigen eine Hyperperistaltik und infolge der Obstruktion eine Distension.

Invagination. „Zwiebelschalen-Phänomen“ einer distendierten Dünndarmschlinge mit einem eingeschlossenen Gasreflex im flüssigkeitsgefüllten Darmlumen. Bei 5 Uhr findet sich ein in das Lumen vorragender Tumor (a). Operationspräparat (b): Ursache der Invagination ist eine peritoneale Metastasierung eines Melanoms. [ ] ABB. 13.8

Leberhämatom und Leberabszess Das subkapsuläre Leberhämatom stellt sich in Abhängigkeit von der Manifestationsdauer als echoarme oder zunehmend inhomogene Raumforderung mit Verdrängungseffekt der intrahepatischen benachbarten Strukturen dar. Je nach Ausdehnung des Hämatoms kann ein mehr oder weniger ausgeprägtes relatives distales Schallverstärkungsphänomen beobachtet werden. Bei Leberruptur kommt es zusätzlich zum Nachweis von intraabdominaler freier Flüssigkeit, die sich echoarm irregulär und keineswegs nur in Umgebung der Leber darstellt. Der Leberabszess stellt sich vielgestaltig dar. Er kann je nach Zusammensetzung und Ursache sowie Keimbesiedlung echoarm, inhomogen oder auch partiell echoreich, bei Besiedlung mit gasbildenden Keimen mit echoreichen und schallschattenproduzierenden Einzelreflexen im Ultraschallbild erscheinen. Je liquider der Prozess, desto deutlicher ist distal eine relative Schallverstärkung nachzuweisen. Je ausgeprägter die Gasbildung, desto mehr wird diese Schallverstärkung durch die Gasartefakte überlagert. Diagnose und Therapie erfolgen in einer Sitzung. Der sonografische Nachweis eines Abszesses sollte grundsätzlich in derselben Sitzung die ultraschallgezielte diagnostische, ggf. therapeutische Punktion oder aber die Platzierung eines sonografisch navigierten Katheterspülsystems nach sich ziehen. Kleinere solitäre Abszesse bis max. 100 ml können durch Punktionen evakuiert und therapiert werden, in den anderen Fällen wird ein perkutan eingebrachtes Saug-/Spülkathetersystem (PCD) eingebracht werden müssen. Cholezystolithiasis Bei der symptomatischen Cholezystolithiasis finden sich lagevariable Raumforderungen in der Gallenblase. Diese Konkremente können je nach chemischer Zusammensetzung in Abhängigkeit von ihrer Kalzifizierung das Phänomen der distalen Schallauslöschung verursachen. Bei stark kalzifizierten Konkrementen ist die Steinmorphologie eventuell nicht mehr erkennbar, und von dem Konkrement sind möglicherweise nur ein echoreicher Eintrittsreflex sowie direkt von dort ausgehend die distale Schallauslöschung zu erkennen. Nichtkalzifizierte Konkremente können hingegen morphologisch vollständig dargestellt sein und dann ggf. eine differenzialdiagnostische Abgrenzung zu Gallenblasenwandpolypen oder -karzinomen durch Prüfung der Lagevariabilität erforderlich machen. Bei einem die Gallenblase weitgehend oder vollständig ausfüllenden verkalkten Tonnenstein kann das Organ selbst gar nicht mehr darstellbar sein. In Projektion auf das Gallenblasenlager findet sich dann nur ein die Größe des Tonnensteins reflektierender, meist bogenförmig aufgespannter Eintrittsreflex mit kräftiger distaler Schallauslöschung. Sonografisch gut darstellbare Sonderformen der Cholezystolithiasis nach chronisch rezidivierender Cholezystitis sind die Porzellangallenblase als verkalkte Präkanzerose und die Schrumpfgallenblase als vernarbtes, nüchtern nicht mehr auffüllbares, starres Organ. Cholezystitis Als Komplikation der Cholezystolithiasis kann sich eine akute Cholezystitis, ggf. unter Bildung eines Gallenblasenempyems, entwickeln. Die Gallenblasenwand ist dann zunehmend verdickt und im fortgeschrittenen Bild geschichtet darstellbar. Ein äußerer und innerer echoreicher Saum umgibt den zentralen echoarmen Anteil (Halo-Phänomen). Der echoarme Anteil reflektiert die ödematös aufgetriebene Gallenblasenwand. Die geschichtete Wand zeigt bei weiterem Fortschreiten der Entzündung wiederum eine umschriebene Ausdünnung. Dann liegt der sichere Hinweis auf eine drohende Perforation vor. Bei der akuten Cholezystitis kann sich zwischen Leber und Gallenblasenwand ein mehr oder weniger kräftiger echoarmer Saum in Projektion auf das benachbarte Leberparenchym entwickeln. Dieses perivesikale Ödem ist Hinweis auf eine fortgeschrittene Entzündung und kann eine

drohende gedeckte Perforation reflektieren. Beim Mirizzi-Syndrom verursacht die Entzündung der steingefüllten Gallenblase im Bereich des Infundibulums eine Schwellung des Organs mit Druck auf das benachbarte Gallengangsystem. Der Ductus hepaticus communis wird dadurch eingeengt und in seinem Abfluss behindert, was eine extra- und intrahepatische Cholestase zur Konsequenz hat. Die Cholestase entwickelt sich auch als Folge der Choledocholithiasis, die kolikartige Schmerzen und Ikterus im klinischen Vollbild entstehen lässt. Die cholangiolären Konkremente können sehr klein und dann – besonders präpapillär und bei fehlender Verkalkung – schwer darstellbar sein, wohingegen größere Steine mit einem Durchmesser > 3 mm insbesondere bei Verkalkung leicht sonografisch erkennbar sein sollten. E i n e akalkulöse Cholezystitis entsteht als entzündliche Komplikation z. B. im Rahmen eines Entzündungs- oder Schockgeschehens nach Kreislaufzentralisation mit konsekutiver Minderperfusion der Gallenblase. Die steinfreie Gallenblase zeigt eine verdickte, im Vollbild dreischichtige Wand. In derselben Sitzung sollte nach der Diagnosestellung die Therapie durch eine sonografisch kontrollierte perkutane transhepatische Drainage der Gallenblase (PTCD) erfolgen. Eine spätere Cholezystektomie ist nach Ausheilung und Entfernung der Drainage nicht erforderlich. Wichtig ist der sicher transhepatische Punktionsweg, um ein Auslaufen der Galle in die freie Bauchhöhle während der Platzierung, besonders aber auch nach Entfernung der Drainage zu vermeiden. Pankreatitis Die akute Pankreatitis ist im Frühstadium sonografisch „blind“. Die Diagnose wird in Kenntnis der typischen Amylasämie und Lipasämie gestellt. Im Verlauf kommt es ab dem 3. Tag zu einer deutlichen ödematösen Schwellung des Organs, die sich sonografisch in einer „Glättung“ der normalerweise etwas gezackten Organkontur zeigt. Das Pankreas wird dadurch echoärmer, was sich besonders gut bei konsequenter Verlaufsbeobachtung erkennen lässt. Es entwickelt sich peripankreatisches Sekret, insbesondere in der Bursa omentalis. Diese Veränderungen sind sonografisch gut zu erkennen. Obwohl ein engmaschiges bildgebendes Monitoring des Pankreas in dieser Situation wünschenswert ist, kann die Sonografie nur in etwa 60 % der Patienten den Übergang der ödematösen in die hämorrhagisch nekrotisierende Form der akuten Pankreatitis abbilden, weil mit zunehmender Entzündungsdauer eine reflektorische Paralyse des Darms einsetzt und infolge Gasüberlagerung die Beurteilung des Pankreas zunehmend erschwert. Die Defizite der Sonografie als Folge des begleitenden paralytischen Ileus machen im Allgemeinen den Einsatz der CT erforderlich, um den Zeitpunkt der operativen Intervention zu definieren, bei der nach Nekrosektomie nach Möglichkeit ein geschlossenes Spülsystem eingebracht wird. Die chronische Pankreatitis bietet v. a. in der Phase der rezidivierenden akuten Schübe in der Sonografie häufig ein buntes, teilweise schwer verständliches Bild. Das Parenchym wird infolge des progredienten bindegewebigen Umbaus echogen und zunehmend rarefiziert. Der Ductus pancreaticus kommt glatt oder lakunenartig („Chain-of-Lakes“-Phänomen) erweitert mit einem Kaliber bis ≥ 1 cm zur Darstellung. Verkalkungen im umgebenden Gewebe mit dem sonografischen Korrelat aus Eintrittsreflex und distaler Schallauslöschung können die Interpretation zusätzlich erschweren. Als Konsequenz der chronisch rezidivierenden Pankreatitis können sich teils imposante Pseudozysten, v. a. im Pankreasschwanz, entwickeln, die zentral echofrei, bei Kammerung septiert erscheinen, einen Randsaum vermissen und eine ausgeprägte distale Schallverstärkung erkennen lassen. Bauchaortenaneurysma Das Bauchaortenaneurysma ist in 80 % infrarenal lokalisiert. Es stellt sich als eine umschriebene Erweiterung der Aorta auf einen Durchmesser von mehr als 3 cm dar. Die Erweiterung des Aortendurchmessers auf < 3 cm wird als Ektasie beschrieben. Das Aneurysma zeigt arteriosklerotische Wandveränderungen mit Plaques, Thromben und Verkalkungen ( ). Schon mit der nativen Real-Time-Sonografie, erst recht aber mit der Farb-Doppler-Sonografie ist eine gute Differenzierung von perfundiertem und thrombosiertem Lumen möglich. Sonografisch werden die genaue Längenausdehnung und der größte Durchmesser, die Nachbarschaftsbeziehung zu den Abgängen der viszeralen Gefäße und zur Aortenbifurkation, ggf. die Verlängerung des Aneurysmas in die Iliakalstrombahn beschrieben. In Hinblick auf das Rupturrisiko ist auch eine Beschreibung der Form des Aneurysmas (fusiform oder sacciform) von Bedeutung. Als Korrelat der Penetration kann eine Einblutung der Gefäßwand ebenso dargestellt werden wie die gedeckte Ruptur mit retroperitonealem extraluminalem Blut. Ein Aneurysma dissecans stellt sich durch Nachweis einer intraluminal flottierenden Dissektionsmembran dar, besonders gut farbdopplersonografisch. Mit dem nativen Ultraschall kann allerdings im Allgemeinen nicht zwischen wahrem und falschem Lumen unterschieden werden. Nit der Farbdopplersonographie ist dies hingegen aufgrund des unterschiedlichen Strömungsverhaltens möglich.

Symptomatisches infrarenales Bauchaortenaneurysma.a) Querschnitt in Höhe des Abgangs der Nierenarterien bds. Der Durchmesser beträgt 3,95 × 3,57 cm. Das Aneurysma reicht also über den Abgang der Nierenarterien hinaus nach kranial in den Abschnitt IV.b) Darstellung des Flussprofils. Deutlichere Kontrastierung des ventralen, nichtperfundierten Anteils des Aneurysmas. Dorsal ist eine „Nase“ in der Hinterwand unmittelbar prävertebral zu erkennen. Das Aneurysma war aber dennoch nicht symptomatisch.c) Längsschnitt über der Aorta in derselben Höhe wie die beiden Schnitte oben. Der dorsale perfundierte Anteil kontrastiert sich nun auch im Real Time-Bild deutlich gegenüber dem ventralen, nichtperfundierten Anteil.d) Weiter kaudal infrarenal beträgt der größte Querdurchmesser 6,32 cm. Der perfundierte Anteil liegt weiterhin exzentrisch, jetzt aber zum rechten oberen Quadranten des Gesamtlumens hin verlagert. Aufgrund dieses Durchmessers besteht eine Indikation zur offenen Ausschaltung des asymptomatischen Aortenaneurysmas. Die Prothese konnte nach suprarenalem Ausklemmen unmittelbar unterhalb des Abgangs der Nierenarterien implantiert werden. [ ] ABB. 13.9

Nabelhernie D i e inkarzerierte Nabel- oder Narbenhernie kann sonografisch in Ergänzung zur klinischen Diagnostik leicht dargestellt werden. Die Lücke in der Bauchwand ist als Unterbrechung in der Schicht der inneren Faszie und ggf. der Bauchwandmuskulatur meist schon ohne Provokationstest zu erkennen. Auch der Bruchinhalt, bei dem es sich um entzündliches Exsudat, ggf. auch Anteile des Omentum majus oder Darmschlingen handeln kann, ist meist gut zu differenzieren. Die Inkarzeration verhindert im Valsalva-Manöver die Ausprägung des klassischen sonografischen Nachweises der Hernie, nämlich die Dynamik der Vorwölbung über das Niveau der Faszie mit anschließendem Rückgleiten in Abhängigkeit von der Atemlage. Divertikulitis Während bei der Kolitis der Dickdarm langstreckig wandverdickt imponiert, zeigt die Divertikulitis segmental eine Verdickung der Kolonwand, an der endoluminal oft kräftige Gasreflexe fixiert und ohne Beteiligung an der segmental spärlichen Peristaltik zur Darstellung kommen. Diese Reflexe korrelieren mit der intradivertikulären Gasansammlung. Auch inkarzerierte Kotsteine können in den Divertikeln dargestellt werden. Das Kaliber des Kolons ist verdickt aufgrund der Wandverdickung. Das Lumen des entzündeten Darmabschnitts ist deutlich verengt ( ). Während das gesunde Kolon infolge von Gasüberlagerung sonografisch kaum darstellbar ist, stellt sich das entzündete Kolon infolge der Ödembildung in der Wand, im Mesokolon und in den Appendices epiploicae bei simultaner Lumenreduktion und vermindertem intraluminalem Gasgehalt gut kontrastiert dar. Die Kolonwand ist in der Divertikulitis inflammatorisch ödematös auf 5–10 mm verdickt (Target-Phänomen). Ein echoreicher Randsaum (Halo-Zeichen) mit einer Breite von etwa 2–3 mm kommt als Ausdruck der Peridivertikulitis bei etwa 40 % der Patienten zur Darstellung. Die Sensitivität für den Nachweis der Divertikulitis liegt mit der Sonografie bei 80 %. Der durch einen entzündlichen Konglomerattumor aus herangezogenen Dünndarmschlingen abgegrenzte perikolische, ggf. in den Douglas-Raum reichende Abszess und die freie Perforation können bei freiem entzündlichem Exsudat gut dargestellt werden.

Divertikulitis. Darstellung der entzündlich verdickten Wand (W) des quer getroffenen Sigmas (sk = Sigmakokarde) mit dem als Folge der entzündlichen Wandverdickung rarefizierten Lumen (L). Zwischen Sigmakokarde und lateraler Beckenwand findet sich ein Abszess (A) bei gedeckter Sigmaperforation. [ ] ABB. 13.10

Extraluminales Gas mag gelegentlich dorsal der vorderen Bauchwand zu erkennen sein. Sonografisch sicher ist freies Gas nur dort darstellbar, wo luminales Gas ausgeschlossen werden kann. Dies ist der Fall bei Gasreflexen zwischen Zwerchfell/Bauch-/Thoraxwand einerseits und der Leber oder Milz andererseits. Ein „Training“ dieser Diagnostik bietet sich bei frisch operierten und besonders laparoskopierten Patienten an. Peritonitis Die generalisierte Peritonitis ist bei entsprechender klinischer Symptomatik und Konstellation der Laborbefunde sonografisch dann nachweisbar, wenn sich diffus peritonitisches Exsudat in ausreichender Menge intraabdominal findet. Bei zunehmender Chronifizierung der Peritonitis findet sich eine Verdickung aller darstellbaren Darmwandabschnitte. Die Peritonitis geht jedoch mit einer progredienten Paralyse des Darms einher, die infolge von Gasüberlagerung die sonografische Exploration zunehmend erschwert. Das freie Exsudat muss bei fehlendem Keimnachweis und klinischem Verdacht auf eine diffuse Peritonitis durch eine sonografisch gestützte Punktion asserviert und mikrobiologisch diagnostiziert werden. Ileus D e r Ileus ist praktisch immer Teil des Symptomenkomplexes des akuten Abdomens. Der mechanische Darmverschluss kann die Ursache des akuten Abdomens sein. Die meisten Krankheitsbilder, die mit einer ernsteren Verlaufsform des akuten Abdomens einhergehen, münden wie auch der mechanische Ileus früher oder später in die Phase des paralytischen Ileus ein.

• Der mechanische Ileus ist sonografisch gut diagnostizierbar. Häufig kann auch der Ort der Obstruktion mit dem Ultraschall nachgewiesen werden. Der mechanische Ileus ist gekennzeichnet durch Hyperperistaltik des Darms, die dem Ziel dient, die Ingesta über das Hindernis voranzutreiben. Je länger der Ileuszustand bei umschriebener Stenosierung dauert, desto ausgeprägter entwickelt sich ein Wandödem in dem vorgeschalteten Darmabschnitt. In diesen Fällen ist der wandverdickte Darm gut gegenüber dem nicht wandverdickten, der Obstruktion nachgeschalteten „Hungerdarm“ abzugrenzen. Weitere sonografische Zeichen sind die zunehmende Distension der flüssigkeitsgefüllten Darmschlingen, ggf. das „Leiter-“ oder „Klaviertastenphänomen“ ( ) als Korrelat der ödematösen Kerckring-Falten und die Pendelperistaltik vor dem Hindernis. Das Bild der Leiter und Klaviertasten resultiert aus unterschiedlichen Anschnitten des Darmes. Verläuft die Ebene zentral durch den Darm, so werden die Falten bilateral an der Wand als „Klaviertasten“ abgebildet, während bei mehr tangentialem Anschnitt die Falten fortlaufend als „Leiter“ zu sehen sind.

Ileus. Links finden sich in der Röntgenübersicht des Abdomens im Stehen (a) gasgeblähte Darmschlingen mit Spiegelbildung, rechts zeigt sich das korrespondierende Ultraschallbild mit distendierten Dünndarmschlingen und dem sog. Klaviertastenphänomen (b), verursacht durch die ödematösen Kerckring-Falten. Zwischen den Darmschlingen stellt sich Aszites dar. [ ] ABB. 13.11

• Im paralytischen Ileus ist die sonografische Exploration infolge der Gasüberlagerung durch zunehmende Atonie erschwert und schließlich unmöglich, sodass andere bildgebende Verfahren (Röntgen-Übersicht, CT) eingesetzt werden müssen.

13.4.2 Postoperative Sonografie Während in der späten postoperativen Phase die Sonografie als Verlaufskontrolle (z. B. nach prothetischem Ersatz eines abdominalen Aortenaneurysmas) und in der Tumornachsorge maligner Neoplasien indiziert ist, liegt die Intention der Ultraschalldiagnostik in der frühen postoperativen Phase überwiegend in der Fahndung nach Komplikationen, wobei es sich um eine Blutung oder Verhaltbildung bei Fieber unbekannter Ursache („FUO“ = fever of unknown origin) handeln kann. Obwohl sich gerade nach Laparotomien ohnehin freie Luft im Abdomen befindet und daher eine Exploration der Bauchhöhle infolge Störartefakten zwangsläufig sehr problematisch ist, kommt dieser Fragestellung in der Chirurgie ein besonderes Gewicht zu. Auch die postoperativ ausgeleiteten Drainagen und die Wundverbände erschweren die sonografische Diagnostik durch Behinderung der luftfreien Ankoppelung des Schallkopfes erheblich. Andererseits handelt es sich bei diesen Patienten oft um Schwerkranke, häufig um Patienten der Intensivstation, denen ein Transport in die CT oder eine explorative Relaparotomie nach Möglichkeit erspart werden sollte. Gerade bei diesem instabilen, schweren Krankengut müssen unter schwierigsten technischen Bedingungen gravierende Entscheidungen bezüglich der Indikation zur Revision getroffen werden. Daher setzt diese Indikation große klinische und operative Erfahrung und die exakte Kenntnis der Anatomie nach den entsprechenden Voroperationen voraus; dies kann nur durch konsequente Schulung im Rahmen des intensivmedizinischen Weiterbildungsabschnitts sinnvoll erlernt werden. Ein umschriebener Verhalt kann bei Darstellung eines sicheren Zugangsweges direkt unter sonografischer Kontrolle punktiert und ggf. in derselben Sitzung drainiert werden.

13.4.3 Interventionelle Sonografie (IVUS) Sonografie ist nicht nur eine deskriptive Methode, mit der morphologische Auffälligkeiten dargestellt werden, sondern auch ein Navigationsverfahren für die weitere Abklärung sonomorphologisch unklarer Raumforderungen oder für eine interventionelle Therapie. Unter sonografischer Kontrolle werden suspekte Raumforderungen mit folgender Intention punktiert:

• Diagnosesicherung durch Materialgewinnung für die bakteriologische, zytologische oder histologische Aufarbeitung. • Mit therapeutischem Anspruch durch Entlastung liquider, umschriebener Raumforderungen (z. B. Serom, Biliom, Hämatom, Abszess, Pankreaspseudozyste, Hydronephrose, Milchgangzyste der Mamma, intraartikulärer Erguss oder Gelenkempyem, Aszites, Pleuraerguss, Herzbeuteltamponade). In diesen Komplex gehören auch die perkutane transhepatische Drainage der Gallenwege (PTCD) unter sonografischer Kontrolle bei intra- oder extrahepatischer Cholestase, die perkutane transhepatische Gallenblasendrainage bei akalkulöser Cholezystitis und die Nephrostomie bei Hydronephrose. Die Sonografie kann aber auch als Navigationsverfahren dienen bei der transkutanen, intraoperativen, auch unter den Bedingungen der Laparoskopie möglichen Destruktion von Lebertumoren durch Radiofrequenzablation (RFA; Syn. RITA, radiofrequency interstitial tissue ablation, als temperaturkontrollierte Spezialapplikation), Kryotherapie oder interstitielle Laserkoagulation (LITT, laser-induced thermotherapy). Die Kryotherapie ist inzwischen wegen des Risikos der Nachblutung wieder weitgehend verlassen und auch LITT wird wegen der effektiveren Tumordestruktion größerer Herde (> 3 cm) durch die RFA kaum noch eingesetzt. Diese Interventionen sind operative Eingriffe! Der Patient muss daher wie vor jeder Operation aufgeklärt werden. Präinterventionell sollten die Gerinnungsparameter bestimmt und sonografisch von allen möglichen der sicherste und risikoärmste Zugang festgelegt werden. Die Intervention wird unter sterilen Kautelen in Lokalanästhesie durchgeführt. Die Punktionsnadeln haben Kaliber von 23–16 G (entspricht 0,64–1,65 mm). Das Kaliber von Kanülen wird in G (Gauge) angegeben. Zwischen G und mm besteht keine lineare Beziehung; je höher der Wert in Gauge, desto kleiner ist die Kanüle. Das Kaliber von Drainagen wird in F (French) oder Ch (Charrière) angegeben. (1 F = 1 Ch = 0,33 mm). Diagnostische Punktionen zur Dignitätssicherung einer tumorösen Raumforderung können nach dem Prinzip der Aspiration als Stanzbiopsie oder mit Schneidebiopsiekanülen als ausgeschnittener Stanzzylinder gewonnen werden. Für die Feinnadelpunktion werden Kanülen mit einem Kaliber von 23–20 G (0,64–0,89 mm) eingesetzt. Das Aspirat muss auf einem Objektträger ausgestrichen und zytologisch untersucht werden. Die Treffsicherheit der Methode wird entscheidend beeinflusst durch die zielgenaue Punktion, sachgerechte Aufarbeitung des Punktats und die Erfahrung des zytologisch untersuchenden Pathologen. Stanzbiopsien können sowohl mit Fein- als auch mit Grobnadeln (19–14 G = 1,07–2,11 mm) durchgeführt werden (Sure-Cut-Nadeln). Die Materialgewinnung erfolgt in beiden Fällen durch Aspiration. Bei Schneidebiopsien kann Gewebe aus einer tumorösen Raumforderung in einer in die Nadel eingelassenen Biopsiekammer durch Schieben einer Nadelhülse über die Biopsienadel mit scharfem Schnitt geborgen werden (True-cut-Nadeln mit einem

Kaliber von 18–14 G = 1,25–2,11 mm). Der Gewebezylinder wird in Abhängigkeit vom untersuchten Präparat und nach Rücksprache mit dem untersuchenden Pathologen in physiologische Kochsalzlösung oder Formalin eingebracht und histologisch untersucht. Dabei können bei Bedarf neben den Routinemaßnahmen auch z. B. immunologische Spezialfärbungen eingesetzt werden. Feinnadelpunktionen dürfen bei Fehlen eines anderen Punktionsweges auch transintestinal oder transpulmonal durchgeführt werden. Mit Komplikationen im Sinne von Blutungen, Infektionen oder Entwicklung eines Pneumothorax ist nicht in relevanter Frequenz zu rechnen. Transintestinale oder transpulmonale Punktionen mit Grobnadeln sollten nach Möglichkeit vermieden werden. Ein transintestinales Vorgehen ist bei der Platzierung von Drainagen wegen der resultierenden Fistel absolut kontraindiziert. Auch die Ableitung eines Abszesses durch ein anderes Kompartiment muss im Sinne der Begrenzung des Infektgeschehens unbedingt verhindert werden. So dürfen subphrenische Abszesse nicht mit Drainagen durch den Recessus phrenicocostalis ausgeleitet werden, damit aus der Einhöhlen- keine Zweihöhleninfiltration wird. Immer wieder wird das Risiko der Verschleppung von Tumorzellen nach diagnostischer Punktion diskutiert. In großen Studien und Sammelstatistiken wird das Risiko von Komplikationen mit unter 1 Promille, das Risiko von Impfmetastasen z. B. im Stichkanal mit deutlich unter 0,1 Promille angegeben. Empyeme oder Abszesse können mit Ausnahme kleinerer Leberabszesse (bis 100 ml) nicht durch eine singuläre Punktion, sondern nur durch Einbringen einer perkutanen Katheterdrainage (PCD), im Idealfall einer Saug-Spül-Drainage ( ), in Seldinger-Technik saniert werden. Bilumendrainagen ermöglichen bei Bedarf eine kontinuierliche oder auch diskontinuierliche Spülung größerer Volumina, allerdings mit dem Risiko schwindender Effektivität bei Entwicklung von „Spülstraßen“ im inflammatorischen Prozess. Die PCD bleibt in situ, bis Fieber und Leukozytose remittiert, das sezernierte Sekret serös und der Verhalt nach sonografischen Kriterien entleert sind. Abszessdrainagen sollten unter periinterventioneller antibiotischer Prophylaxe platziert werden, da sich während der Bougierung des Drainagekanals eine massive Bakteriämie durch Einschwemmung von Keimen in die Blutbahn entwickeln kann. Obwohl die Drainagen im Vergleich zu operativ eingebrachten Ableitungen sehr dünn sind, lässt sich mit ihnen eine effektive Abszessevakuierung erzielen. Einzige Voraussetzung ist die tägliche Spülung der Drainage mit geringen Volumina an physiologischer NaCl-Lösung, um einen freien Ablauf über das Drainagelumen zu sichern.

PTCD einer extra- und intrahepatischen Cholestase bei Klatskin-Tumor. Die transhepatisch verlaufende Drainage ist als echoreiche Doppelkontur ebenso gut zu erkennen wie der von ihr entlastete Gallengang und sein Abbruch durch einen Ausläufer des Tumors. [ ] ABB. 13.12

13.4.4 Intraoperative offene (IOUS) und laparoskopische Sonografie (LIOUS) Eine spezifisch chirurgische Applikation ist (L)IOUS. In Europa und den USA wird als Indikation vorwiegend die Untersuchung parenchymatöser Organe (Leber, Pankreas) und der extrahepatischen Gallengänge, in Japan auch die Suche nach paraaortalen und parailiakalen Lymphknoten in der Chirurgie kolorektaler Karzinome gesehen. Eine ursprünglich prognostizierte Indikation bei der Qualitätskontrolle von Gefäßanastomosen hat sich bislang in der Breite nicht durchsetzen können. In der offenen Chirurgie der Gallenwege könnte mit der IOUS eine vergleichbare Treffsicherheit erzielt werden wie mit der Cholangiografie oder -skopie. Dieses Thema wurde im letzten Dezennium des 20. Jahrhunderts jedoch rasch abwegig angesichts der schwindenden Indikation zur offenen Cholezystektomie infolge der allgemeinen Verbreitung des minimalinvasiven Vorgehens. Staging-Laparoskopie Ein wichtiges Anwendungsgebiet für die LIOUS stellt heute in einigen Kliniken die prätherapeutische Diagnostik im Rahmen der erweiterten StagingLaparoskopie bei Pankreaskarzinomen dar. Die lokale Operabilität lässt sich laparoskopisch in Verbindung mit dem LIOUS-Farbdoppler prüfen und macht die offene Probefreilegung in vielen Fällen ebenso überflüssig wie eine präoperative Splenoportografie, die aber bei dem erreichten qualitativen Standard der KMverstärkten CT oder MRT ohnehin keine Indikation mehr hat. Sie ist die ideale Ergänzung einer präoperativen kontrastmittelverstärkten CT in Spiraltechnik. Auch das Lymphknotenstaging kann mit LIOUS optimiert und bioptisch histologisch verifiziert werden. Eine weitere Indikation für die LIOUS, wiederum in Verbindung mit dem Farbdoppler, wird gelegentlich für das laparoskopische Deroofing von subkapsulären, oberflächlich nicht gut zu identifizierenden, symptomatischen Leberzysten beschrieben, wobei die symptomatischen Zysten eigentlich so groß sind, dass ein Aufsuchen mit dem Ultraschall bei guter Sicht am Videomonitor nur einen unnötigen Zeitverlust darstellt. Laparoskopische Leberresektionen und vor allem auch laparoskopische, sonografisch gestützte interventionelle Destruktionen von Lebermetastasen sind nur mit LIOUS möglich. Pankreaschirurgie In der Chirurgie des Pankreas wird mit IOUS versucht, die häufig schwierige Diagnose eines Karzinoms in einem chronisch entzündlich veränderten Organ zu erleichtern. Dabei wird durch sonografisch kontrollierte Punktion der suspekten Läsion und histologische Schnellschnittdiagnostik das weitere operative Vorgehen festgelegt. Bei chronischer Pankreatitis und Indikation zu einer Drainageoperation kann mit IOUS problemlos der Ductus Wirsungianus aufgesucht und längs eröffnet werden. Damit kann eine Seit-zu-Seit-Pankreatikojejunostomie (z. B. nach Partington-Rochelle) unter Vermeidung einer unnötig großen Wundfläche am Pankreas konstruiert werden. Meist wird heute jedoch ein resezierendes Verfahren bevorzugt. Dennoch können auch dabei die Darstellung des Ducuts pancreaticus und die Definition des optimalen Resektionsrandes mit IOUS hilfreich sein. Bei endokriner Pankreaschirurgie ermöglicht die IOUS die Lokalisation kleiner, endokrin aktiver Tumoren (z. B. Insulinom, Glukagonom) im Pankreas, die sonst nur unter Einsatz zeitraubender aufwendiger Venenblutanalysen mit dem teuren RIA-Assay für Insulin oder andere pankreatogene Hormone intraoperativ aufzuspüren wären. Leberchirurgie In der Leberchirurgie wird IOUS eingesetzt, um nichtpalpable Tumore aufzufinden, ihre Dignität durch sonografisch gezielte Punktion und Schnellschnittdiagnostik zu prüfen und die genaue (sub)segmentale Lokalisation durch Darstellung der zugehörigen Gefäßtopografie zu erarbeiten. IOUS beeinflusst somit die Entscheidung über die Resektabilität von Tumoren. Die Segmentgrenzen können mit IOUS nicht nur exakt topografisch nach Couinaud definiert, sondern auch durch sonografisch kontrollierte Injektion von Indigokarmin in die okkludierten zuführenden Portalvenenäste in der Technik nach

Bismuth kontrastiert werden. In der Folge färbt sich das zu resezierende Lebersegment blau. Dadurch wird eine blutarme, parenchymsparende und dennoch sicher im Gesunden geführte Resektion ermöglicht und die Radikalität der onkologischen Chirurgie durch Mitnahme nicht palpabler, aber sonografisch detektierter Satelliten deutlich verbessert. Auch bei primären Leberkarzinomen wird das intraoperative Staging mit IOUS zur Fahndung nach Satellitenmetastasen ergänzt und ist Voraussetzung einer resezierenden anatomiegerechten Therapie unterhalb der Ausdehnung der Hemihepatektomie. Mit IOUS lässt sich schließlich die Technik der Perizystektomie von Echinokokkuszysten optimieren und leichter eine akzidentelle Eröffnung der Zysten vermeiden, vor allem aber durch Darstellung der Gefäßanatomie der Eingriff blutärmer gestalten.

13.5 Endoluminale Sonografie Im Routineprogramm von präoperativer Diagnostik und postoperativer Nachsorge von Erkrankungen des oberen (Ösophagus, Magen, Duodenum) und unteren (Kolon, Rektum) Gastrointestinaltrakts (GIT) sowie direkt benachbarter Organe hat die endoluminale Sonografie (EUS) ihren festen Platz gefunden. Im oberen GIT und im Kolon wird mit flexiblen Endoskopen gearbeitet, an deren Spitze ein rotierender mechanischer Sektorscanner montiert ist. Zunehmend werden elektronische Scanner mit Parallel- oder Curved Array, ggf. mit integriertem Farbdoppler, eingesetzt, deren Domäne die Abklärung von Formationen in topografisch benachbarten Organen ist, während mit den rotierenden Sektorscannern die Tumorinfiltrationstiefe in der Wand des Gastrointestinaltrakts optimal zu explorieren ist. Die Geräte sind teuer und das Verfahren ist aufwendig; daher ist diese Applikation eher speziell eingerichteten Zentren vorbehalten. Während im oberen GIT und im Rektum die Methode wegweisend für das weitere Prozedere ist, wird im Kolon grundsätzlich und stadienunabhängig primär die operative Resektion angestrebt, weshalb EUS am Kolon inzwischen eher als l'art pour l'art zu diffamieren ist. Bei Rektumtumoren hingegen ist EUS als Standardverfahren im Tumor-Staging etabliert. Durch das starre Rektoskop wird ein Stab mit einem rotierenden Sektorscanner an der Spitze eingeführt. EUS im Tumor-Staging des Rektumkarzinoms sollte ausschließlich mit diesen rotierenden Sektorscannern durchgeführt werden, da eine ökonomische und dennoch sicher vollständige Untersuchung der Wandstrukturen des Hohlorgans nur durch das von diesem Schallkopftyp erzeugte 360-Grad-Panoramablickfeld ermöglicht wird. Der Schallkopf wird im Allgemeinen durch Auffüllen eines übergestülpten Ballons mit Wasser gasfrei als Vorlaufstrecke möglichst unter Vermeidung von Druck an die Wand des Rektums angekoppelt. Wichtigste Indikation ist das präoperative Tumor-Staging maligner Tumoren, die endoskopisch identifiziert und zur Dignitätssicherung biopsiert werden. Tumorinfiltrationstiefe und lokoregionärer Lymphknotenstatus werden endosonografisch bestimmt. In Anlehnung an das TNM-System wird das sonografisch ermittelte Tumorstadium als uTx, uNx klassifiziert. Die Treffsicherheit der EUS ist hoch für die Tumorinfiltrationstiefe (Sensitivität 70–90 %, Spezifität > 85 %) und eingeschränkt für den Lymphknotenstatus (Sensitivität 60–80 %, Spezifität > 80 %) bei differenzialdiagnostischer Unsicherheit zwischen maligne infiltrierten und begleitend inflammatorisch vergrößerten Lymphknoten sowie der Problematik der nicht detektierbaren Mikroinfiltration kleinerer Lymphknoten und der Lymphangiosis carcinomatosa. Mit EUS werden bei einer Sendefrequenz von etwa 7 MHz folgende Wandschichten von innen nach außen separiert dargestellt: Mukosa (echoarm), Submukosa (echoreich) und Lamina muscularis propria (echoarm). Am Übertritt der Schallwellen von der Wasservorlaufstrecke in die Darmwand und bei Verlassen der Darmwand kommt ein helles, echoreiches „Interface“ zur Darstellung ( ). Dieses Artefakt entsteht als Folge des Impedanzsprunges bei Auftreffen und Verlassen der Wand des Gastrointestinaltrakts. Während das interne Interface ein reines Artefakt ohne morphologisches Korrelat darstellt, projiziert sich das ebenfalls echoreiche externe Interface auf die äußerste, anatomisch nicht exakt dargestellte Schicht des Gastrointestinaltrakts, nämlich die Serosa. Die einzige Ausnahme stellt das tiefe Rektum dar. Unterhalb der peritonealen Umschlagfalte ist das Rektum nämlich nicht mehr von Serosa überzogen. Hier korrespondiert das externe Interface mit dem Übertritt der Schallwellen in das perirektale Fettgewebe. Bei einer Sendefrequenz von ≥ 10 MHz lassen sich diese beschriebenen 5 Ringe noch weiter differenzieren. Die Lamina muscularis propria wird durch einen zarten echoreichen Ring noch einmal unterteilt in die innere Ring- und die äußere Längsmuskulatur dargestellt. Für die Beurteilung der Tumorinfiltrationstiefe in der Wand des Gastrointestinaltrakts werden hochauflösende Schallköpfe mit einer Sendefrequenz von 10–16 MHz eingesetzt.

EUS bei Rektumkarzinom.a) Zwischen 2 und 5 Uhr SSL wächst ein Tumor in der inneren echoarmen Schicht (Mukosa). In dieser Vergrößerung ist nicht zu erkennen, ob es sich um ein Adenom, eine nicht invasiv wachsende Neoplasie oder ein invasiv wachsendes T1-Karzinom handelt. Der Befund ist zunächst mit uT1 zu klassifizieren. Erst bei stärkerer Vergrößerung findet sich an einer umschriebenen Stelle die Infiltration des Tumors in den mittleren echoreichen Ring, die Submukosa. Somit handelt es sich um ein invasiv wachsendes T1-Karzinom. Erst die histopathologische Aufarbeitung des transanal gewonnenen Vollwandexzidats kann dann differenzieren, ob es sich abhängig vom Grading um ein „Low-Risk“- (G1, 2) oder „High-Risk“Karzinom (G 3, 4) handelt.b) Semizirkulär wachsender Tumor bei 6–12 Uhr SSL. Eine Wandschichtung ist nicht mehr zu erkennen und auch der äußere echoreiche Ring ist multipel durchbrochen. Es handelt sich um einen uT3-Befund. Der Tumor liegt unterhalb der peritonealen Umschlagfalte. uT3 bedeutet daher die Infiltration in das perirektale Fettgewebe. Bei 9 Uhr findet sich eine echoarme zirkuläre Raumforderung, die sich im Längsverlauf bei Vorschieben und Zurückziehen des Schallkopfes nicht weiter verfolgen lässt. Hier handelt es sich um einen echoarmen malignen Lymphknoten („uN1“). [M412]c) Zwischen 7 und 9 Uhr wächst ein scheinbar kleiner Tumor in der inneren echoarmen Schicht. Ventral des Rektums ist die echofreie Harnblase dargestellt. Wiederum scheint der Tumor in der Übersicht als uT1 klassifiziert werden zu müssen. d) Eine stärkere Vergrößerung des digital archivierten Befundes zeigt jedoch eindeutig eine umschriebene Infiltration in die Lamina muscularis propria, sodass es sich um ein uT2-Karzinom handelt (bei 9 Uhr). Neben dieser Infiltration zeigt sich extramural eine kleine echoarme runde Raumforderung. Hier handelt es sich nicht um einen pathologischen Lymphknoten, sondern um ein quer getroffenes Blutgefäß. [ ] ABB. 13.13

Prozesse in der Nachbarschaft des GIT (z. B. Neoplasien von Pankreas, Gallenwegen und den Organen im kleinen Becken, pararektale Fisteln und Abszesse) werden mit guter Sensitivität dargestellt, wobei CT und MRT in moderner Technik zumindest gleichwertig, teilweise auch überlegen zu beurteilen sind. Beispielsweise können die häufig sehr kleinen endokrin aktiven Tumoren des Pankreas (z. B. Insulinom, Glukagonom) mit der EUS transgastral hochaufgelöst diagnostiziert und lokalisiert werden. Mit EUS gelingt ein subtiles präoperatives Staging als Voraussetzung für eine differenzierte Therapie des Rektumkarzinoms. An dieser Stelle sei angemerkt,

dass mit konkurrierenden Schnittbildverfahren (CT oder MRT) eine solche differenzialtherapeutische Strategie nicht gleichwertig abzuleiten ist, da mit diesen Verfahren die Wandschichten des Gastrointestinaltrakts trotz Einsatzes modernster Techniken bislang nicht analog differenziert werden können wie mit der hochauflösenden EUS. Bei fortgeschrittenen Rektumkarzinomen und bei der Beurteilung des Mesorektums ist die MRT in moderner Technik überlegen, bei uT1 noch immer EUS. CT und MRT sind deutlich überlegen im Staging der Lymphknoten jenseits der regionären Station N1. Bewährt hat sich eine digitale Aufzeichnung des Untersuchungsgangs, der dann bei Bedarf offline nach Extraktion des Schallkopfes aus dem GIT des Patienten beliebig oft nachanalysiert werden kann. Während die technische Durchführung von EUS am Rektum durch geschultes ärztliches oder auch nichtärztliches Personal durchgeführt werden kann, setzt die Offline-Nachbefundung methodisch besondere Erfahrung in der Chirurgie des Rektumkarzinoms und die genaue Kenntnis der klinischen Konsequenzen des jeweiligen Befundes einschließlich der Indikation für die neoadjuvante Therapie voraus. Eine besondere Problematik ergibt sich bei den tiefen Karzinomen noch durch die topografische Nähe zum Sphinkterapparat. In der zweidimensionalen EUS ist diese Nachbarschaftsbeziehung teilweise nicht so exakt zu erarbeiten, wie es für die Planung der operativen Strategie wünschenswert wäre. Aus diesem Grund ist die Erweiterung der primär zweidimensionalen Methode zum Modus der 3-D-Sonografie eine wertvolle Ergänzung. Auch im Gallen- und Pankreasgangsystem können im Rahmen einer ERCP endoluminale Ultraschalluntersuchungen durchgeführt werden, deren Stellenwert für die Tumordiagnostik (Papillen-, Pankreaskopf-, Gallengangkarzinom, chronische Pankreatitis) aber umstritten ist. Diese sterilisierbaren, flexiblen Sonden haben ein Kaliber von 6,2 F und eine Sendeleistung von 12,5 MHz. Sie werden durch den Arbeitskanal des Endoskops vorgeschoben und unter endoskopischer Kontrolle in das zu untersuchende Gangsystem bei der endobiliären oder endopankreatischen Diagnostik eingeführt (IDUS, intraduktaler Ultraschall). Dieselben Sonden können auch bei höhergradig stenosierenden Tumoren des oberen und unteren GIT („Minisonden“) eingesetzt werden.

KAPITEL 14

Endoskopische Verfahren in der Chirurgie Karl E. Grund

14.1. 14.1.1. 14.1.2. 14.2. 14.3. 14.4. 14.4.1. 14.4.2. 14.4.3. 14.4.4. 14.4.5. 14.5. 14.5.1. 14.5.2. 14.5.3. 14.5.4. 14.5.5. 14.5.6. 14.5.7. 14.6. 14.7.

14.1 Einleitung 14.1.1 Bedeutung für die (Viszeral-)Chirurgie Bei der Endoskopie, definiert als Inspektion innerer Körperoberflächen, wird klassischerweise unterschieden zwischen starrer und flexibler Endoskopie – abgeleitet von der Art des endoskopischen Instruments. Während die starre Endoskopie in allen operativen Fachgebieten im Rahmen der minimalinvasiven Medizin seit der Jahrtausendwende einen enormen Aufschwung genommen und auch das „Weltbild“ dieser Disziplinen entscheidend verändert hat, sind die ebenfalls spektakulären Entwicklungen der flexiblen Endoskopie weniger ins Bewusstsein der Chirurgen gedrungen. In der Viszeralchirurgie beruht inzwischen ein Großteil der Diagnostik auf Methoden der flexiblen Endoskopie und auch die interventionellen/operativen Indikationen nehmen ständig zu. Allerneueste Entwicklungen (wie bei NOTES) scheinen jetzt eine Kombination zwischen starrer und flexibler Endoskopie einzuleiten. Inzwischen sind viele flexibel-endoskopische Verfahren an die Stelle einer konventionellen Operation getreten und bieten bei deutlich verringertem Risiko für den Patienten einen Gewinn an Sicherheit und Lebensqualität bei verringerter Belastung ( ).

Tab. 14.1 Endoskopische Eingriffe als Ersatz für konventionelle oder laparoskopische Operationen. Eingriff mit dem flexiblen Endoskop

oft

Polypektomie

OP (Kolotomie, Resektion)

Tumorabtragung, EMR, ESD

OP (Resektion)

Endoskopische Papillotomie/Steinextraktion

OP (Choledochusrevision)

Endoskopische Blutstillung

OP (Notfall, Umstechung, Resektion)

Perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG) und Jejunostomie (EPJ)

OP, Sonde, parenterale Ernährung, Katheterjejunostomie

Dekompression (Sonde, Stent)

OP (Notfall, Anus praeter)

Fistelverschluss (Clip, Klebung)

OP, endloses Abwarten, Resignation

Zystendrainage, Débridement, Nekrosektomie

OP (Nekrosektomie, Drainage)

Endoskopische palliative Tumortherapie mittels: • Rekanalisation – LASER bzw. heute Argon-Plasma-Koagulation (APC) – Protheseneinlegung: Stent (SEMS/SEPS) – Bougierung, Dilatation (Ballon) • Substitutions-/Ernährungstherapie über PEG bzw. endoskopische perkutane Jejunostomie (EPJ) Zenker-Divertikel-Spaltung

• Palliativoperation (Resektion, Bypass) bzw. therapeutischer Nihilismus bzw. Resignation • Progrediente Exsikkose und Kachexie • Ileus (akut, chronisch) • Nasogastrische Sonde, parenterale Ernährung

OP (offen) bzw. Stapler-Verfahren transoral

Risiko und Nutzeffekte verschiedener Behandlungsalternativen sind freilich – wie überall in der Chirurgie und in der Medizin – sorgfältig abzuwägen und individuelle Faktoren des Patienten dürfen nicht vernachlässigt werden.

14.1.2 Einteilung endoskopischer Eingriffe Nach Lokalisation Derzeitige endoskopische Routinemethoden sind:

• Spiegelung des oberen Gastrointestinaltrakts von der Mundhöhle bis in den Bereich des proximalen Jejunums („Gastroskopie“) ( a).

Flexible Endoskopie im Gastrointestinaltrakt; Routineverfahren in Praxis und Klinik. a) Gastroskopie. (I) hohe Inversion; (II) tiefe Inversion; (III) Inspektion der ersten Jejunalschlinge. b) Koloskopie. (I) Inversion im Rektum für proktologische Diagnostik und Interventionen; (II) Passage der Ileozökalklappe; (III) Inspektion des terminalen Ileums. c) Bronchoskopie. d) ERCP. Die dargestellten Strukturen (Gallenblase, Gallenwege und Pankreasgangsystem) werden durch Kontrastmittelinjektion sichtbar gemacht bzw. die größeren Gänge direkt per Mini-Endoskopie inspiziert. Enteroskopie und Kapselendoskopie siehe oben und . [ ] ABB. 14.1

• Spiegelung des unteren Gastrointestinaltrakts vom Anus bis ins terminale Ileum („hohe Koloskopie“) ( b). • Untersuchung des gesamten Dünndarms im Sinne einer Enteroskopie von oral oder anal her mit einem (Single- oder Doppel)Ballonenteroskop. Alternativ werden telemetrische Minikapseln mit eingebauten Kameras vom Patienten geschluckt. Die Kapseln senden während des Durchgangs durch den Gastrointestinaltrakt Bilder nach außen, die von einer Gürtel-Antenne empfangen und per Computer ausgewertet werden. • Spiegelung des Tracheobronchialsystems vom Nasengang bis in die Bronchialsegmente zweiter und dritter Ordnung („Bronchoskopie“) , eventuell auch kombiniert mit einer (Epi-, Meso-, Hypo-) Pharyngoskopie im Rahmen einer sog. Panendoskopie ( c). • Darstellung des biliopankreatischen Systems von der Papilla Vateri bis in die peripheren Verzweigungen des Gallengang- und Pankreasgangsystems (ERCP und assoziierte Verfahren) ( d). Neben dem kombiniert endoskopisch-radiologischen Verfahren, der

konventionellen ERCP ( e ndoskopische r etrograde C holangio- P ankreatografie) , bei der die Gangsysteme durch endoskopisch gesteuertes Einspritzen von Röntgenkontrastmittel dargestellt werden, ist auch die direkte endoskopische Betrachtung der Gänge durch Mini-Endoskope, z. B. im Rahmen eines sog. Mother-Baby-Systems, möglich ( ). Chirurgiespezifische Aspekte der flexiblen Endoskopie Im chirurgischen Kontext unterscheidet man präoperative, intraoperative und postoperative Endoskopie, wobei hier die Endoskopie statt eines operativen Eingriffs eine besondere Bedeutung hat ( ).

Präoperative Endoskopie Sie ist entscheidend für die Diagnostik vieler viszeralchirurgischer Erkrankungen. Lokalisation, makroskopische Beurteilung und histologische Sicherung von Läsionen sind Voraussetzungen für eine zuverlässige Planung der Operation. Neben der reinen Endoskopie spielt hier auch die Endosonografie als Verbindungsglied zwischen Endoskopie und Sonografie zunehmend eine unentbehrliche Rolle, v. a. bei Tumoren im Rektum oder im oberen Gastrointestinaltrakt ( ). Notfallendoskopien haben das Ziel, eine prognostisch stets ungünstigere Notfalloperation zu ersetzen, zu vermeiden oder die Notfallsituation in eine Elektivsituation zu bringen.

Intraoperative Endoskopie Hier geht es v. a. um die Identifikation präoperativ nicht sichtbarer, nicht markierter oder bei der Operation nicht palpabler Läsionen oder Blutungsquellen; v. a. sind Angiodysplasien und kleine oder flache Tumoren betroffen, ebenso gibt es Indikationen bei Choledocho- oder Pankreatolithiasis bzw. bei der Kontrolle einer Anastomose.

Postoperative Endoskopie Sie hat ihren besonderen Stellenwert in der Diagnostik und Therapie postoperativer Früh- oder Spätkomplikationen. Die immer noch weit verbreiteten Bedenken bzgl. einer frühpostoperativen Endoskopie („Schädigung der Anastomose“) sind bei kunstgerechter Durchführung der Spiegelung gegenstandslos. Im Gegenteil bringen endoskopische Methoden entscheidende Vorteile bei der Diagnostik und Therapie von Anastomoseninsuffizienzen mit sich. Ähnliches gilt für Anastomosenstenosen und Fisteln ( ). Auch in der Intensivtherapie gewinnt die Endoskopie einen immer höheren Stellenwert ( ) vor allem im postoperativen Verlauf. Endoskopische Methoden sind im Übrigen im Rahmen der Nachsorge bei vielen Malignomen sowie v. a. bei kolorektalen Polypen und Adenomen unentbehrlich.

14.2 Stand der endoskopischen Technik Die derzeit verfügbaren Endoskope und ihr Zubehör sind inzwischen sehr weit entwickelt ( ); revolutionäre neue Techniken, v. a. in Mikro- und Nanotechnologie, in Robotik und Materialwissenschaften (Memory-Metalle!), sowie Fortschritte in Elektronik und Bildverarbeitung werden weitere Möglichkeiten eröffnen.

Moderne flexible Endoskopie. a) Routine- Videogastroskop (d = 9,5 mm, Bildauflösung > 400.000 Pixel). b) Verschiedene Zangen, Greifer und Fangkörbchen. c) Spitze eines Seitblick- Duodenoskops für ERCP (d = 12,8 mm). In den Instrumentierkanal (d = 4,2 mm) ist ein Baby-Endoskop (d = 2,5 mm) eingeschoben, das selbst einen weiteren Instrumentierkanal (d = 1,2 mm) – hier mit eingeschobenem Steinfangkörbchen – und einen Spülkanal besitzt. d) Verschiedene Nadelmesser. e) Interventionsinstrumente: Injektionsnadel, Papillotom, Polypektomieschlinge. [ ] ABB. 14.2

a) Telemetrische Kapsel, die vom Patienten geschluckt wird und während der Passage vom Mund bis zum Anus Videobilder nach außen sendet. b) Normaler Dünndarm. c) Angiodysplasien im mittleren Dünndarm als Ursache einer gastrointestinalen Blutung. [ ] ABB. 14.3

Für die unterschiedlichen Anwendungsbereiche (s. o.) ist eine Vielzahl flexibler Endoskope mit verschiedenen Längen und Durchmessern verfügbar, die inzwischen ausschließlich mit Videotechnologie ausgestattet sind, d. h., der Bildaufnehmer , ein miniaturisierter CCD- oder MOS-Chip, sitzt direkt in der Spitze des Endoskops. Damit sind brillante Bilder und eine echte Teamarbeit bei der Intervention möglich. Inzwischen werden auch verschluckbare videoendoskopische telemetrische Kapseln routinemäßig zur Diagnostik eingesetzt ( ).

14.3 Vorbereitung, Durchführung und Nachsorge Alle Eingriffe, auch die mit einem flexiblen Endoskop, bedürfen einer sorgfältigen und überlegten Vorbereitung. Dies betrifft sowohl den Patienten selbst (Nüchternheit, Darmreinigung etc.) als auch die sorgfältige Aufklärung nach allen Kriterien einer chirurgischen Operation. Die meisten flexibelendoskopischen Eingriffe sind prinzipiell ambulant und ohne Allgemeinnarkose durchführbar, dem Patienten wird in der Regel eine Sedierung (meist mit Midazolam oder Propofol) angeboten, bei interventionell-operativen Eingriffen evtl. in Kombination mit einem Analgetikum; Allgemeinnarkosen sind Ausnahmefällen vorbehalten. In der Nachsorge sind ambulante Patienten mit hoher Aufmerksamkeit nach den Kriterien der tageschirurgischen Betreuung zu führen.

14.4 Diagnostische endoskopische Verfahren 14.4.1 Oberflächeninspektion Bei den heute verfügbaren Videoendoskopen mit hoher und höchster Auflösung kann man die inneren Oberflächen mit guter Übersicht und hoher Detailauflösung betrachten ( a). Inzwischen sind neben optisch/elektronischen Methoden der Kontrastanhebung auch Vergrößerungen bis zum Faktor 1.000 möglich ( ).

a) Lupenendoskopisches Bild aus dem Duodenum: zentral eine Insel mit dystoper Magenschleimhaut (→ beachte die Detailstrukturen). Chromoendoskopie: b) Ösophagusfrühkarzinom, c) nach Färbung mit Lugol-Lösung, d) suspektes Adenom im Kolon (IIa/IIc) nativ und e) nach Indigokarmin-Färbung. [ ] ABB. 14.4

14.4.2 Chromoendoskopie Erhebliche Bedeutung hat inzwischen die Anfärbung von Oberflächenstrukturen mit Vitalfarbstoffen oder Kontrastfarben gewonnen, bei der Strukturen sichtbar werden, die der reinen optischen Betrachtung entgehen ( b–e). Dies gewinnt entscheidende Bedeutung für Dysplasien und Frühkarzinome, hat aber auch tief greifende Konsequenzen für Screening-Programme. Neueste Entwicklungen ermöglichen eine virtuelle Chromoendoskopie durch spezielle elektronische Bildverarbeitung. Durch Tuscheinjektionen, die wie ein Tattoo über Jahre sichtbar sind, lassen sich Läsionen und Abtragungsstellen zur Kontrolle mukosal und serosal dauerhaft markieren.

14.4.3 Endomikroskopie Völlig neue Möglichkeiten der endoskopischen Diagnostik ergeben sich durch Einsatz von Hochtechnologieverfahren wie der Laserscanning-Mikroskopie, die eine intravitale Mikroskopie mit bis zu 1000-facher Vergrößerung ermöglichen. Die Bilder sind analog einem histologischen Präparat auszuwerten und repräsentieren einen Schritt hin zur „optischen Biopsie“, auch wenn Fragen der topischen Repräsentanz und der Übertragbarkeit noch ungeklärt sind.

14.4.4 Endosonografie In diesem sich ebenfalls rasant entwickelnden Gebiet einer Kombination zwischen Endoskopie und hochauflösender Sonografie werden Spezialendoskope oder Spezialsonden verwendet, die eine direkte Ankopplung der Schallwandler an die intestinale Oberfläche und Auflösungen im Submillimeterbereich ermöglichen ( ).

14.4.5 Biopsieverfahren Entscheidender Vorteil endoskopischer Methoden gegenüber allen anderen bildgebenden Verfahren (Radiologie, CT, MRT, Sonografie etc.) ist die Möglichkeit der unmittelbaren und gezielten zytologischen oder histologischen Sicherung. Besonders hoher Aufwand ist hier z. B. beim Verdacht auf ein Lymphom, ein diffuses Magenkarzinom (Szirrhus) oder auf einen Pankreaskopftumor erforderlich. Auch Gesamtabtragungen einer Läsion zur optimalen onkologisch-histologischen Aufarbeitung gewinnen an Bedeutung (siehe ).

14.5 Interventionen

14.5 Interventionen Die flexible Endoskopie beschränkt sich schon lange nicht mehr nur auf die reine Diagnostik, sondern hat ihren Schwerpunkt zunehmend im interventionelloperativen Bereich.

14.5.1 Hämostase Nicht nur beim blutenden peptischen Ulkus, sondern auch bei Blutungen aus Ösophagus- und Fundusvarizen, aus Anastomosen oder bei Tumorblutungen hat die endoskopische Blutstillung die Therapie revolutioniert. Sie gilt hier als Goldstandard und hat mit primären Blutstillungsraten von mehr als 90 % die übliche konservative bzw. operative Behandlung abgelöst.

Methoden Für verschiedene Indikationen stehen unterschiedliche endoskopische Blutstillungsverfahren zur Verfügung, die sich bezüglich Effizienz, Risiko, Praktikabilität und Kosten unterscheiden. Letztlich beruhen sie aber auf demselben Prinzip, nämlich auf mechanischer Kompression der Blutungsquelle. Das mechanische Prinzip liegt auch Injektionsmethoden und thermischen Verfahren zugrunde ( ).

Tab. 14.2 Methoden der endoskopischen Blutstillung. Beachte: Alle Injektionsmethoden wirken primär als mechanische Kompression, alle thermischen Methoden ebenfalls mechanisch durch Gewebeschrumpfung, Koagulation und Desikkation. Verfahren Mechanisch

Thermisch

Technik

Kommentar

• Clips verschiedener Art

• Voraussetzung: „fassbares“ Gefäß und elastische Wand

• Gummibandligatur

• z. T. umständliche Applikation • nur für Varizen

• Heater-Probe

• zusätzliche Kompression möglich • Praktikabilität problematisch

• Hochfrequenzkoagulation

• „Festkleben“ der Elektrode möglich

• Elektrohydrothermosonde

• Perforationsgefahr

• Argon-Plasma-Koagulation (APC)

• hohe Praktikabilität • definierte Eindringtiefe • hohe Effektivität • für größere Arterien nicht geeignet

Allen thermischen Techniken gemeinsam: • Gefahr von thermischen Nekrosen • Eindringtiefe nicht oder schwer kalkulierbar (Ausnahme: APC) Injektionsmethoden

• klassisch: NaCl 0,9 % (bis 20 %)

• einfache Applikation, effektiv • kurze Wirkung (4–6 Stunden) wegen schneller Resorption und Diffusion

• NaCl mit Adrenalin (10 3 :1 bis 10 5 :1)

• längere Wirkung durch Gefäßkonstriktion • hydropische Verquellung • flächige Ischämien

• Fibrinkleber (Fibrinogen + Thrombin synchron oder sequenziell)

• permanente Kompression • Induktion der Wundheilung • trainingsbedürftige Dübel-Anker-Technik

• Cyanacrylat (streng intravasal!, wirkt als Embolisation)

• nur für Fundus-(und Ösophagus-)Varizen • sehr effektiv • kritische Injektionstechnik • Toxizität? Kanzerogenität?

• Sklerosanzien (Polidocanol, Alkohole, Phenole) sind OBSOLET (keine Vorteile, Nekrose- und Perforationsgefahr!) Medikamente, Tamponadeverfahren, interventionell-radiologische Methoden oder operative Verfahren sind heute nur noch als Alternative oder ergänzende Methoden anzusehen. Akute Blutungen erfordern in der Regel ein standardisiertes Vorgehen im Sinne einer sog. Notfallendoskopie; diese wird so früh wie möglich während der Stabilisierung des Patienten unter klaren indikatorischen und zeitlichen Vorstellungen durchgeführt, um rechtzeitig die notwendigen therapeutischen Schritte in die Wege leiten zu können. Für die Notfallendoskopie werden bevorzugt Großkanal- oder Zweikanalendoskope verwendet, die Indikation zur trachealen Intubation wird bei oberen gastrointestinalen Blutungen zur Prophylaxe einer Aspiration großzügig gestellt.

Chirurgisch relevante Blutungen Ösophagus- und Fundusvarizenblutung Die klassische Therapie mit Ballonsonden (nach Sengstaken-Blakemore bzw. Linton-Nachlas) ist inzwischen von endoskopischen Verfahren abgelöst. Eine initiale medikamentöse Therapie (Vasopressinanaloga etc.) ergänzt die endoskopische Behandlung. Als Standard gelten derzeit die endoskopische Gummibandligatur (mit Praktikabilitätsproblemen bei akuter Blutung), die Embolisation mit Cyanacrylat, v. a. für Fundusvarizen, und der Einsatz von SpezialStents. Mit diesen Methoden lässt sich die extrem hohe Letalität einer akuten Varizenblutung (40–60 %!) entscheidend senken. Zur Intervallbehandlung und Sekundärprophylaxe dienen Gummibandligatur und Sklerosierungsbehandlung neben interventionell-radiologischen Verfahren (TIPSS).

Gastroduodenale Ulkusblutung Trotz der Möglichkeiten der effektiven medikamentösen Säureblockade (Protonenpumpeninhibitoren: PPI) stellt das gastroduodenale Ulkus immer noch den Hauptanteil aller gastrointestinalen Blutungen. Abhängig von der Lokalsituation und dem Forrest-Stadium ( ) können entsprechend der individuellen Situation verschiedene Blutstillungsverfahren zum Einsatz kommen, deren Effizienz für die primäre Blutstillung bei über 90 % liegt. Die Rezidivblutungsgefahr – das entscheidende Kriterium für den Verlauf einer solchen Blutung – lässt sich durch den gezielten Einsatz endoskopischer Verfahren ( ) entscheidend auf unter 10 % senken ( ). Trotzdem hat die frühelektive Operation bzw. der angiografische Gefäßverschluss immer noch einen Stellenwert im therapeutischen Spektrum, der allerdings umso geringer wird, je höher die endoskopische Kompetenz vor Ort ausgeprägt ist.

Tab. 14.3 Einteilung der Ulkusblutung nach Forrest. Beachte: Stadien Ia und IIa unterscheiden sich in der Regel nur bezüglich des Beobachtungszeitpunkts, nicht bezüglich Pathophysiologie oder Rezidivblutungsrisiko. Forrest-Stadium I

Kommentar

akute Blutung

• zwingende Indikation zur endoskopischen Blutstillung; Ausnahme: Massenblutung, dann → sofortige Operation

Ia spritzende Blutung II

Ib Sickerblutung

• klare Indikation zur endoskopischen Blutstillung

Zeichen der stattgehabten Blutung

• alle Stadien II sollten endoskopisch therapiert werden: • Festlegung nach visuellen Kriterien unsicher • Objektivierung durch endoskopischen Doppler • u. U. endoskopische Entfernung des Koagels in Therapiebereitschaft

IIa Gefäßstumpf, Visible Vessel IIb haftendes Koagel IIc dunkler Ulkusgrund oder andere Zeichen III

keine sicheren Zeichen einer stattgehabten Blutung

• Cave: nicht selten Invisible Vessel, v. a. unter dem Ulkusrand → in dubio prophylaktische endoskopische Therapie

Tab. 14.4 Vergleich von konsequent endoskopischen und frühelektiv-operativen Konzepten bezüglich der entscheidenden Ergebnisparameter. OP-Rate

Letalität

endoskopisch

Rezidivblutung 5–10 %

Re-Endoskopie 20–50 %

Re-Therapie 10–40 %

5–10 %

5–10 %

früh-elektive OP

3–10 %

5–15 %

2–5 %

40–50 %

3–10 %

Ähnliche Aussagen wie für das gastroduodenale Ulkus lassen sich heute für das immer häufiger auftretende Ulkus Dieulafoy (= Exulceratio simplex) machen, auch hier ist die Endoskopie Therapie der Wahl.

Angiodysplasieblutungen Neben echten Angiodysplasien (typischerweise im rechten Kolon) sind hier v. a. der sog. Wassermelonenmagen (watermelon stomach, GAVE-Syndrom) und die immer häufiger auftretenden teleangiektatiformen Wandschäden nach Bestrahlungstherapie mit chronischer Blutung und chronischer Anämie zu nennen (z. B. Strahlenproktitis). Auch diese Befunde sind heute mit entsprechenden endoskopischen Verfahren (Argon-Plasma-Koagulation, APC) effektiv zu therapieren und eine Operation ist nur noch in Ausnahmefällen nötig. Ähnliches gilt für andere gastrointestinale Blutungen, z. B. aus Mallory-Weiss-Läsionen, aus Anastomosen, postinterventionell sowie für Spezialfälle.

14.5.2 Tumortherapie kurativ Polypektomie und Adenomektomie Seit Jahrzehnten gehört die Entfernung von gestielten Polypen aus dem Gastrointestinaltrakt – v. a. aus dem Kolon – zu den Routinemaßnahmen der interventionellen Endoskopie mit unbestritten hohem Nutzen im Sinne der Karzinomprävention. Inzwischen können auch große (> 20 mm) und sehr große, breitbasige Adenome und schwierige Polypen sicher und effektiv mittels flexibler Technik entfernt werden ( )

a) Abtragung problematischer Polypen; Risiko der unvollständigen Abtragung (←) bzw. der Perforation. Problemlösung durch submuköse Injektionstechnik (SIT). b) Bei großflächigen Adenombeeten erzeugt man durch adäquate Injektionstechnik ein Flüssigkeitskissen in der Submukosa, das thermisch isoliert und eine Sicherheitszone für die Resektion schafft. [ ] ABB. 14.5

Gerade im Kontext onkologisch-diagnostischer Fragen ist die vollständige Abtragung großer Adenomanteile und großer Polypen sinnvoll, da auch multiple Zangenbiopsien keine repräsentative Beurteilung bezüglich Dysplasie (siehe Nomenklatur der i ntra e pithelialen N eoplasien (IEN)) oder Malignität erlauben. Neue Verfahren wie die endoskopische Mukosaresektion (EMR), endoskopische Submukosadissektion (ESD) und endoskopische Submukosaresektion (ESR) erlauben eine onkologisch adäquate Entfernung im Sinne einer Resektion im Niveau der tiefen Submukosa. Postinterventionell liegt die Muscularis propria sauber frei ( ).

Selbst große Polypen und Adenome (hier > 60 × 40 mm) sind onkologisch korrekt resezierbar, wenn noch keine Submukosainfiltration vorliegt. Nach korrekter Abtragung liegt anschließend die Muscularis propria frei. Auch eine endoskopische Abtragung nur zum histologischen Staging ist sinnvoll anstelle einzelner Biopsien. Obere Reihe: vor Abtragung, untere Reihe: nach Abtragung (siehe klar exponierte Muscularis propria). [ ] ABB. 14.6

Es gibt klare Kriterien, in welchen Fällen auch nach erfolgreicher endoskopischer Ektomie bei Vorliegen von Dysplasie oder Malignität eine chirurgische Segmentresektion nach onkologischen Kriterien erforderlich ist und wann das endoskopische Verfahren genügende Sicherheit bietet, um dem Patienten eine größere Operation mit allen Risiken und Komplikationsmöglichkeiten zu ersparen ( ). Voraussetzung für ein solches differenziertes Vorgehen sind optimale Vorbereitung und Aufklärung des Patienten, adäquate Erfahrungen mit diesen anspruchsvollen Techniken der interventionellen Endoskopie und ein erfahrener Pathologe.

Tab. 14.5 Indikation zur chirurgischen Nachresektion nach endoskopischer Abtragung eines Adenoms mit fokalem Karzinom. Histopathologische Risikofaktoren für Lymphknotenmetastasen bei Adenomen mit Karzinom(d. h. Operationsindikation!) • Tiefeninvasion (sm 2 ), sm 3 , T 1 • wenig differenziertes Adenokarzinom (G3–G4) • undifferenziertes Karzinom • Siegelringzellkarzinom • Invasion von Blut- und/oder Lymphgefäßen • Karzinomzellen im Resektionsrand (R 1 ) Im Rahmen der möglichen Komplikationen ist auf das Postpolypektomiesyndrom hinzuweisen. Dabei zeigen sich die klinischen Zeichen einer peritonealen oder retroperitonealen Reizung (ohne Nachweis einer perforierenden Wandläsion), die innerhalb von Stunden oder Tagen wieder verschwinden. Hier ist eine engmaschige klinische Kontrolle unabdingbar und die differenzialdiagnostische Abgrenzung zu einer echten Perforation mit Peritonitis unbedingt erforderlich.

Dysplasien und Frühkarzinome Viele Jahre war der Stellenwert der flexiblen Endoskopie für die kurative Behandlung von Dysplasien und Frühkarzinomen im Gastrointestinaltrakt sehr umstritten; neuere Studien zeigen allerdings klar, dass z. B. Karzinome vom Mukosatyp (bis sm 1 ) sicher durch entsprechende endoskopische Verfahren therapierbar sind ( ). Ähnliches gilt für die sog. Barrett-Dysplasie bzw. das Barrett-Frühkarzinom u. ä. Läsionen. Allerdings sind hier in jedem Einzelfall eine subtile Diagnostik sowie eine standardisierte Aufarbeitung des Resektats erforderlich, um einer Untertherapie vorzubeugen. Derzeit gelten sm 2 - und sm 3 Tumoren (d. h. mit Einbeziehung der Submukosa unterhalb der Tunica muscularis mucosae) immer noch als operationspflichtig im Sinne einer klassischen onkologischen Resektion ( ).

Frühkarzinom im distalen Ösophagus. a) Vor Resektion mit der Ligaturmethode ( ) b) Abtragungsstelle nach kompletter Resektion. [ ] ABB. 14.7

Größere Tumoren Auch größere Tumoren, z. B. g astro i ntestinale S troma-Tumoren (GIS) lassen sich heute mit dem flexiblen Endoskop (u. U. kombiniert mit Laparoskopie als sog. Hybrideingriff) ausschälen bzw. abtragen; der logistische Aufwand und die Operationszeiten sind jedoch noch sehr hoch. Weitere Entwicklungen und Fortschritte auf diesem Gebiet sind zu erwarten.

14.5.3 Stenosetherapie Diagnostik Für die Erkennung und Behandlung neoplastischer, entzündlicher, peptischer und narbiger Stenosen stehen verschiedene endoskopische Verfahren zur Verfügung. Schon in der Diagnostik bietet die unmittelbare Inspektion (evtl. mit einem Feinkaliberendoskop) die Möglichkeit der direkten und gezielten Kontrastmittelapplikation durch den Instrumentierkanal. Das schafft wesentlich bessere Beurteilungsmöglichkeiten als die konventionelle Diagnostik allein. Außerdem erlauben Biopsie und Drahtexploration auf endoskopischem Wege eine Beurteilung der Dignität und der Stenosecharakteristik. Für die Wahl der endoskopischen Therapie sind Genese, Lokalisation und Charakteristik der Engstelle neben den Resultaten der Diagnostik entscheidend; außerdem spielen Erfahrungen und Ausrüstung des Endoskopikers eine Rolle: Seine kritische Indikationsstellung und sein handwerkliches Geschick entscheiden über Ergebnisse und Komplikationsraten.

Rekanalisationsmethoden Unter den endoskopischen Verfahren zur Stenosetherapie sind dilatative, ablative und prothetische zu besprechen: Die dilatativen Methoden gliedern sich in Bougierungsverfahren und Ballondilatationsmethoden ( ).

Stenosetherapie. a) Savary-Gilliard-Bougies mit Führungsdraht. b) Dilatationsballons. c) Ballon in situ. d) „Trans-Ballon“-Blick. [ ] ABB. 14.8

Ablative Verfahren ( ) werden zur Abtragung, zur Inzision und zur Destruktion verwendet, wobei hier hochfrequenzchirurgische Methoden im Vordergrund stehen. Für die Destruktion steht die Argon-Plasma-Koagulation (APC) im Vordergrund, die den Nd:YAG-Laser abgelöst hat.

Argon-Plasma-Koagulation (APC): Hochfrequenzenergie wird kontaktlos durch ionisiertes Argongas (= Argon-Plasma) auf das Zielgewebe übertragen. [ ] ABB. 14.9

Im Rahmen der prothetischen Verfahren sind die klassischen Plastiktuben inzwischen von selbstexpandierenden Prothesen aus Metall bzw. Kunststoff ersetzt (SEMS bzw. SEPS = s elbst e xpandierende M etall-/ P lastik- S tents), deren Vorteil in der entscheidend niedrigeren Komplikationsrate und der besseren Toleranz durch die Patienten liegt. Die Entwicklung dieser neuartigen Prothesen hat zu einer Vielzahl von Stenttypen mit neuen Formen, Materialien und Freisetzungssystemen geführt ( a). In aller Regel ist die Stent- Implantation für Routinefälle ( b) und vor allem für schwierige Situationen ( , und ) weitaus schonender hinsichtlich Toleranz, Schluckvermögen, Intestinalpassage und Lebensqualität als Alternativmethoden ( ). Konventionelle chirurgische Verfahren haben daher hier nur noch eine sehr begrenzte Indikation. Selbst schwierige Anastomosenrezidive sind heute einer solchen endoskopischen Therapie zugänglich ( ).

Tab. 14.6 Ergebnisse der Stent-Implantationen im Gastrointestinaltrakt (n > 1.500, Chirurgische Endoskopie Tübingen 1992 bis 2012). Ösophagus

Kolorektum

MDDA

technischer Erfolg

98 %

91 %

89 %

funktioneller Erfolg

92 %

70 %

80 %

keine oder geringe Beschwerden

89 %

60 %

73 %

MDDA: Magen, Duodenum, Dünndarm, Anastomosen

a) Selbstexpandierende Metall- und Plastik-Stents zur Verwendung im Gastrointestinaltrakt. Inzwischen unübersehbare Typenvielfalt. [M737] b) Implantation eines SEMS zur Rekanalisation eines Ösophaguskarzinoms. Phasen der Implantation in einem stenotischen, geknickten Tumor. 1. Stent auf Trägerkatheter mit Faden fixiert, über einen Führungsdraht in den Tumor eingeführt. 2. Proximaler Stent-Anteil über Zugfaden freigesetzt. Kontrolle über Endoskop (E) und/oder Röntgen-Durchleuchtung. 3. Weitere Freisetzung bis zum Tumorunterrand. 4. Stent vollständig freigesetzt in korrekter Position. Träger, Katheter und Draht entfernt. Tumor vollständig überbrückt und begradigt. Optimale Passage. [ ] ABB. 14.10

Double-Stenting in Ösophagus und Trachea zum Verschluss einer großen hochsitzenden ösophagotrachealen Fistel. Dichtigkeitsprüfung durch Kontrastmittelschluck (Stentoberränder: Trachea , Ösophagus →). [ ] ABB. 14.11

Stent-Implantation bei rezidivierenden Passagestörungen a) nach Billroth II und b) bei Lokalrezidiv nach Gastrektomie an der Ösophagojejunostomie. [ ] ABB. 14.12

Stenting a) im Magen und b) gastroduodenal bei ausgedehntem Magenkarzinom bzw. Einbruch eines Pankreaskarzinoms ins Duodenum (Stentränder →). [ ] ABB. 14.13

ABB. 14.14

Stent-Implantation im Kolorektum. [ ]

Entscheidend für den Erfolg einer Stenosetherapie ist die Vermeidung monomanen Denkens. Die verschiedenen Methoden müssen von Anfang an sinnvoll kombiniert werden, wobei der zeitliche Ablauf und der Therapieeffekt besonderer Beachtung bedürfen ( ). Eine strikte Individualisierung der Stenose und jedes Patienten, die Nutzung vorteilhafter neuer Technologien und v. a. eine kritische Verfahrenswahl sind, neben handwerklichem Geschick, der Schlüssel zum Erfolg. Auch wenn eine endoskopische Behandlung bei manchen Stenosen mehrfach wiederholt werden muss (was meist ambulant möglich ist), gestaltet sie sich in der Regel wesentlich risikoärmer als eine alternative operative Therapie.

Anastomosenstenosen. a) Ösophagojejunostomie (d ≈ 3 mm nach Klammernaht). b) Nach Ballondilatation (d ≈ 18 mm) Blick in den abführenden Schenkel und den „Krückstock“ bei Roux-Y-Rekonstruktion. Beachte die Nahtklammer bei 11 Uhr (Kontraindikation für hochfrequenz-chirurgische Methoden!). c) Descendorektostomie (d ≈ 5 mm) nach Handnaht. Hartnäckige rezidivierende Stenose trotz Ballondilatation. d) Zustand nach Inzision mittels Nadelpapillotom und ausgiebiger APC-Koagulation der Ränder (jetzt d ≈ 20 mm), Heilung. [ ] ABB. 14.15

Entscheidend für die praktische Durchführung der endoskopischen Intervention ist eine gefühlvolle Balance zwischen „ineffektiver Vorsicht“ und „komplikativem Mut“.

Palliative Tumortherapie Heute besteht darüber Konsens, dass es in der Palliativtherapie weniger um eine Lebensverlängerung geht als vielmehr um die Erhaltung und Optimierung der Lebensqualität. In der palliativen Tumortherapie sind die eben beschriebenen Verfahren (Dilatation, Ablation und Prothetik), je nach betroffenem Organ und der Art des Tumors, der individuellen Gesamtsituation entsprechend einzusetzen. Wegweisend sind die Wirkung der Therapie und der Krankheitsverlauf. Schematisches Denken ist fehl am Platz. Auch der Wechsel der Therapieschiene darf kein Tabu sein. Die Therapiezeit soll in einem sinnvollen Verhältnis zur erwarteten Überlebenszeit stehen, das heißt, operative Eingriffe mit Komplikationsrisiken und längerem stationärem Aufenthalt sind ebenso fragwürdig wie länger dauernde Bestrahlungsbehandlungen, deren Effekt erst verzögert einsetzt. Demgegenüber bieten endoskopische Methoden in der Regel eine schnelle, effektive und sichere Behebung der Symptome, die Möglichkeit der ambulanten Führung und niedrige Komplikationsraten. Zusätzlich sind supportive Maßnahmen (Schmerztherapie, Ernährungstherapie, PEG-Sonde etc.) sinnvoll in einem individuell maßgeschneiderten Gesamtkonzept einzusetzen. Schematisierte Therapierichtlinien sind in der Palliativtherapie nicht hilfreich.

Benigne Stenosen Auch für benigne Stenosen gelten die oben beschriebenen endoskopischen Therapieverfahren. Für die Chirurgie relevant sind vor allem peptische Stenosen, Anastomosenstenosen und entzündlich bedingte Engstellen, z. B. durch einen Morbus Crohn, sowie radiogene Stenosen und funktionelle Probleme wie die Achalasie ( ).

Pneumatische Dilatation einer Achalasie mittels „Huckepack“-Ballon (OTS). Inversionssicht auf den ösophagokardialen Übergang. a) Positionierung des leeren Ballons in der Engstelle. b), c) Stufenweise Inflation (50–250 mmHg). d) Rotationsprobe: Ballon in der Stenose fixiert, keine Blutung, keine Rissbildung. [ ] ABB. 14.16

Peptische Stenosen mit relativ kurzer Anamnese werden durch Bougierung oder besser Ballondilatation eröffnet und heilen unter konsequenter Säureblockade in der Regel ab. Grundsätzlich ist bei jeder derartigen Veränderung aber durch multiple Biopsien ein Malignom auszuschließen. Therapeutische Probleme bereiten in der Regel chronische peptische Stenosen oder die Folgen von Verätzungen; hier ist oft der Einsatz des gesamten endoskopischen Arsenals erforderlich und entsprechende Geduld vonnöten. Im chirurgischen Kontext spielen Anastomosenstenosen eine große Rolle. Diese meist kurzstreckigen narbigen Veränderungen sind allein durch Dilatation in der Regel nicht suffizient zu therapieren, oft ist zusätzlich eine gezielte Inzision oder Ablation erforderlich. Im Einzelfall kann auch eine intermittierende Prothesenimplantation dem Patienten einen erneuten operativen Eingriff ersparen. Bei Crohn- Stenosen ist derzeit noch unklar, welchen Stellenwert eine endoskopische Dilatation hat und ob solche Maßnahmen langfristig dem Patienten eine Resektion ersparen. Die endoskopische pneumatische Dilatation sowie die Injektion von Botulinustoxin in den Ösophagussphinkter gelten bei einer gesicherten Achalasie als Standardverfahren. Die in der Literatur angegebenen relativ hohen Komplikationsraten der pneumatischen Dilatation (bis zu 15 % Perforationen!) lassen sich durch geduldiges und schrittweises Vorgehen unter direkter endoskopischer Sicht in Inversion erheblich verringern. Besonders schwierig ist die Therapie radiogener Stenosen , die mit zunehmendem Einsatz von neoadjuvanten Therapiekonzepten (Radiochemotherapie) immer häufiger werden. Diese typischerweise betonharten Veränderungen der Organwand nach der Bestrahlung widerstehen oft selbst forcierten mechanischen Dilatationsversuchen, die Rupturgefahr ist hoch und das torpide, reaktionsarme Gewebe macht die Therapie zusätzlich anspruchsvoll. Da aber auch die operative Resektion durch hohe Insuffizienzraten äußerst risikobehaftet ist, bleibt oft nur die Implantation einer weichen, hochelastischen Prothese, die bezüglich ihrer Abmessungen und ihrer mechanischen Eigenschaften sehr sorgfältig ausgewählt und eingesetzt werden muss, um ein befriedigendes Ergebnis zu erzielen. Trotz aller Schwierigkeiten lohnen sich in Anbetracht der desolaten Lebensqualität vieler Patienten und der fehlenden therapeutischen Alternativen endoskopische Therapieversuche.

Sonstige Stenosen Sonstige Stenosen wie Webs, funktionelle Engstellen, hohe Achalasie im oberen Ösophagussphinkter, Impressionen von außen etc. bedürfen der situationsangepassten individuellen Methodenwahl.

14.5.4 ERCP und assoziierte Verfahren Mehr als zwei Jahrzehnte lang war die endoskopische retrograde Cholangiopankreatikografie (ERCP) als Kombination von endoskopischem und radiologischem Verfahren ( d) entscheidendes Diagnostikum für Krankheiten im biliopankreatischen System. Aufgrund der nicht unerheblichen Rate an relevanten Komplikationen (bis zu 5 %) hat inzwischen das Magnetresonanzverfahren MRCP die Rolle als Basisdiagnostikum in diesem Bereich übernommen. Für den direkten Einblick in die Gangsysteme (Cholangio-Pankreatoskopie) zur Gewinnung von Histologie und Zytologie ist aber die Endoskopie nicht zu ersetzen. Auch für therapeutische Eingriffe am biliopankreatischen System sind die Techniken der ERCP unabdingbar. Mit einem Seitblickendoskop wird die Papilla Vateri eingestellt, mit einem Führungsdraht das biliäre und pankreatische Gangsystem selektiv kanüliert und vorsichtig mit Röntgenkontrastmittel dargestellt. Für den Zugang zu den Gangsystemen selbst mit größerkalibrigen Instrumenten oder zur Steinextraktion ist in der Regel eine endoskopische Papillotomie/ Sphinkterotomie (EPT/EST) Voraussetzung. Dazu werden mittels hochfrequenzchirurgischer Schneidetechniken das Papillendach und die Gangsphinkteren möglichst selektiv durchtrennt, wobei als Komplikationen Blutung, Perforation, Cholangitis und Pankreatitis mit ca. 2–10 % zu beachten und mit dem Patienten vorher zu besprechen sind. Hauptindikationsgebiet für Interventionen am biliopankreatischen System sind Obstruktionen durch Tumoren oder Steine; durch endoskopische Steinextraktionsmanöver lässt sich in der Regel eine komplette Steinfreiheit der extrahepatischen Gallenwege erreichen, größere Steine (mehr als 15 mm Durchmesser) werden zuerst lithotripsiert, d. h. instrumentell zerkleinert ( ) und dann ins Duodenum extrahiert. Auch Pankreasgangsteine sind in ähnlicher Weise endoskopisch anzugehen, wobei hier jedoch die komplizierteren anatomischen Verhältnisse und die ungünstige Steinzusammensetzung die Erfolgsrate begrenzen.

ABB. 14.17

Lithotripsie (→ Dormia-Körbchen) und Extraktion eines großen Konkrements (

) aus dem Ductus choledochus. [ ]

Liegen gleichzeitig in der Gallenblase und im Gallengang Steine vor, wird von den meisten Chirurgen das sog. therapeutische Splitting bevorzugt, bei dem zunächst auf endoskopischem Wege die extrahepatischen Gallenwege von Steinen befreit werden und dann in zweiter Sitzung eine laparoskopische Cholezystektomie durchgeführt wird. Besondere Bedeutung hat die zeitgerechte (d. h. sofortige) endoskopische Entfernung eines Papillenverschlusssteins bei akuter biliärer Pankreatitis oder Cholangiosepsis. Dies ist ein echter Notfalleingriff, der innerhalb weniger Stunden nach Einsetzen der Symptome durchgeführt werden muss, um schwere Verlaufsformen beider Krankheitsbilder zu verhindern oder zumindest abzuschwächen. Einen hohen Stellenwert haben die erwähnten endoskopischen Verfahren (inkl. Prothetik) auch für die Palliativtherapie bei Tumoren oder Metastasen, die den Galleabfluss behindern. Bei gesicherter Palliativsituation (cave: vorschnelle Klassifizierung des Patienten als inoperabel) ist die endoskopische Protheseneinlegung meist die beste Lösung ( ). Nach Papillotomie wird ein Führungsdraht über die Stenose vorgeschoben und über diesen Draht dann die Prothese platziert; ihr distales Ende überragt die Papille ins Duodenallumen. Falls für den Patienten eine längere Überlebenszeit erwartet werden kann, ist die Verwendung einer selbst expandierenden Metallprothese (SEMS) wahrscheinlich günstiger als eine Kunststoffprothese, die in der Regel wegen zunehmender Inkrustation nach ca. 3 Monaten gewechselt werden muss. Auch extrahepatische Gallengangverschlüsse durch Lymphknoten und Metastasen werden bevorzugt prothetisch behandelt, in speziellen Fällen kann bei hilusnahen Gallenwegverschlüssen auch im sog. Rendezvousverfahren kombiniert endoskopischtranspapillär und perkutan-transhepatisch vorgegangen werden. In Diskussion ist derzeit die endoskopisch applizierte und kontrollierte photodynamische Therapie (ePDT).

Tab. 14.7 Ergebnisse der biliären Prothetik mit Plastikprothesen. technischer Erfolg • distal (papillennahe) • proximal (hilusnahe)

> 90 % > 70 %

funktioneller Erfolg (Bilirubinabfall > 50 %)

90 %

Prothesenfunktion (Dauer)

60–300 Tage

Frühkomplikationen (Blutung, Perforation, Dislokation, Pankreatitis)

< 10 %

Spätkomplikationen (Okklusion, Cholangitis, Dislokation, Cholezystitis)

10–40 %

Letalität

2 (0,7–3,4) % 18 (0–20) %

• Insertion • 30 Tage

Es ist nochmals ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass bei Patienten mit einem Malignom immer die Möglichkeiten einer kurativen chirurgischen Resektion ausgelotet werden müssen, bevor eine palliative Situation postuliert und entsprechend therapiert wird. Auch für postoperative Komplikationen nach chirurgischen Eingriffen an den Gallenwegen oder nach Lebertransplantation (Zystikusstumpfinsuffizienz , Choledochusstenose [ ], Leckagen etc.) sind endoskopisch-interventionelle Maßnahmen (z. B. für Stenosen die Ballondilatation oder Stent-Implantation, für Leckagen die endoskopische Papillotomie oder die intermittierende Schienung des Ductus choledochus mit Endoprothesen) das Verfahren der Wahl und einer Relaparoskopie oder Relaparotomie primär vorzuziehen.

Ballondilatation einer postoperativen proximalen Hepatikusstenose (→ Ballon). Beachte die Clips der laparoskopischen Cholezystektomie als Ursache der Stenose ( ). [ ] ABB. 14.18

14.5.5 Sonden, PEG und assoziierte Verfahren Zur Ernährung oder zur Dekompression ist die Einlegung von Sonden eine weitverbreitete und wichtige Maßnahme. Unter Verwendung endoskopischer Methoden sind solche Interventionen wesentlich präziser und zielgerichteter möglich als bei „blindem“ oder radiologischem Vorgehen und damit ist der höhere Aufwand gerechtfertigt. Zunehmende Bedeutung – auch in der Intensivtherapie – gewinnen Dekompressionsverfahren bei Obstruktion und Ileus, sei es von oral her (z. B. endoskopisch von proximal her in den Dünndarm eingelegte Dennis-Sonde oder die Rekanalisierung einer kolorektalen Stenose von aboral her durch Sonde oder Stent) . Solche endoskopischen Rekanalisations- bzw. Dekompressionsverfahren können sowohl bei mechanischem wie bei funktionellem Darmverschluss die Situation des Patienten entscheidend verbessern. Vor allem bei einem akuten Dickdarmileus im linken Kolon kann die sofort durchgeführte endoskopische Rekanalisation den Patienten vor einer Notfalloperation mit mehrzeitigen Folgeoperationen bewahren. Stattdessen wird nach wenigen Tagen ein elektiver einzeitiger Eingriff mit primärer Anastomose ohne Kolostomie möglich („Bridge to Surgery“). Wird dieser endoskopische Rekanalisationsversuch in der Vorbereitungsphase der Notfalloperation ausgeführt, entstehen für den Patienten kein nennenswertes zusätzliches Risiko und kein Zeitverlust; er kann nur profitieren. Eine Sonderform der Sondentherapie ist die transabdominale Sondeneinlage zur Ernährung im Sinne einer perkutanen endoskopischen Enterostomie; sie wird am häufigsten als p erkutane e ndoskopische G astrostomie (PEG) durchgeführt und ist seit 25 Jahren Standard weltweit. Eine Weiterentwicklung ist die Möglichkeit der direkten endoskopischen Dünndarmpunktion zur Sondeneinlegung ( e ndoskopische p erkutane J ejunostomie, EPJ) ( und ); das Verfahren kann in vielen Fällen eine operativ anzulegende Katheter-Jejunostomie ersetzen und dem Patienten die Operation ersparen. Diese intestinalen Stomieverfahren könnten möglicherweise auch für weitere Indikationen (Stomaanlage!) in Zukunft Bedeutung gewinnen.

E ndoskopisch gesteuerte p erkutane J ejunostomie (EPJ): endoskopisch kontrollierte Direktpunktion des Jejunums nach dem Prinzip der PEG (Fadendurchzugsmethode). a) Zielpunktion mit langer „Anästhesienadel“ und interne Fixation mit Alligatorzange. b) Parallelpunktion mit dicker Kanüle zum Fadeneinschub (ebenfalls interne Fixation). c) Fassen des Fadens und Herausziehen mit dem Endoskop bis vor den Mund. d) Passgenauer Sitz der inneren Andruckplatte nach Durchzug eines PEG-Systems ins Jejunum. [ ] ABB. 14.19

EPJ in der 2./3. Jejunalschlinge (zur Anlage wurde ein Kinderkoloskop mit 1,5 m Länge verwendet). → Sondeneintritt in den Dünndarm plus innere Halteplatte, äußere Halteplatte, weiterer Verlauf des Schlauchs außerhalb des Patienten. [ ] ABB. 14.20

14.5.6 Endoskopie im Rahmen der Intensivtherapie Auch in der Intensivtherapie finden in Diagnostik und Therapie zunehmend endoskopische Methoden Eingang. So sind endoskopische Verfahren, z. B. für die Differenzialdiagnose Kolitis (pseudomembranöse Form vs. ischämische Form), für die Differenzialdiagnose einer Mykose, zur Beurteilung des gastroösophagealen Refluxes oder der Säuresuppression (endoskopischer Kongorot- Test!), besser geeignet als konventionelle Alternativen. Vor allem gilt dies für die Diagnostik und Therapie von Anastomoseninsuffizienzen; hier kann das Kontrastmittel durch das Endoskop direkt an den Ort des Geschehens gebracht und die Insuffizienzdiagnostik wesentlich verbessert werden; außerdem sind die Durchblutungsverhältnisse der anastomosennahen Region beurteilbar. Entscheidend ist aber die sofortige Therapiemöglichkeit mit endoskopischen Methoden (Spülung, prothetische Abdichtung, Schwammtherapie etc.) ( und ).

Anastomoseninsuffizienz (→) nach Ösophagusresektion und Magenhochzug. Mediastinal/pleurale Insuffizienzhöhle ( ). a) Implantation eines (gecoateten) Metall-Stents sowie suffiziente Spüldrainage der Höhle (interventionell/radiologisch angelegt). b) Stent verhindert Narbenstenose während/nach der Abheilung. [ ] ABB. 14.21

Auf therapeutischem Gebiet steht, v. a. bei beatmeten Patienten, die bronchopulmonale Obstruktion als Zielindikation im Vordergrund. Hier sind die Methoden der diagnostischen und therapeutischen Bronchoskopie mit gezielter Absaugung anzuwenden. Neben der Beseitigung der Schleimobstruktion können auch bakteriologische Analysen (evtl. seitengetrennt) von entscheidender Bedeutung sein, z. B. bei Immunsuppression durch Zytostatika oder nach Transplantation. Solche endoskopischen Bronchialtoiletten sind auch am nicht intubierten Patienten ohne Sedierung in Lokalanästhesie möglich und können problemlos wiederholt werden. In der Intensivtherapie immer relevanter werden auch Blutungen aus dem Tracheobronchialsystem und dem Gastrointestinaltrakt, die mit endoskopischen Methoden im Bedside-Verfahren optimal diagnostiziert und therapiert werden können. Hierbei spielen im Intensivbereich Stressläsionen, Sondenläsionen und therapieinduzierte Blutungen (Heparin, neue Antikoagulanzien!) eine zunehmende Rolle.

14.5.7 Spezialindikationen Endoskopische Diagnostik und Therapie bei Perforationen und Anastomoseninsuffizienzen Eine der häufigsten und wohl die für das Schicksal des Patienten relevanteste Komplikation in der Viszeralchirurgie ist eine Anastomoseninsuffizienz. Hier hat sich in Diagnostik und Therapie durch die Endoskopie ein Paradigmenwechsel ergeben: Die konventionelle Röntgen-/CT-Untersuchung als Goldstandard der Diagnostik ist zunehmend durch endoskopische Methoden ergänzt oder verdrängt worden ( ). Besonders relevant ist die Endoskopie für die Therapie dieser schwerwiegenden Komplikation. Durch endoskopische Methoden lassen sich die anerkannten Prämissen der sog. septischen Chirurgie, nämlich Entfernung von Eiter und Detritus ( … ubi pus, ibi evacua … ), Verschluss der Infektquelle, Spülung, Therapie und Prophylaxe von weiteren Komplikationen (Drainage, Therapie des funktionellen Ileus durch Dekompressionsmethoden etc.) in nahezu idealer Weise verwirklichen. Bei Insuffizienzen im unteren Gastrointestinaltrakt bietet die endoskopisch geführte Implantation eines Systems zur Vakuumschwammtherapie entscheidende Vorteile und führt auch bei komplexen Situationen oft zur Heilung. Alle diese Maßnahmen sind endoskopisch mit geringstmöglicher Belastung des Patienten (Vermeidung einer Re-Operation mit hohem Risiko!) minimalinvasiv und ohne zusätzliches Narkoserisiko sehr effektiv durchführbar. Voraussetzung ist allerdings entsprechende Erfahrung und Kompetenz in einem breiten Feld der endoskopischen Diagnostik und Therapie. Ähnliche Grundsätze wie für die Therapie der Anastomoseninsuffizienz gelten inzwischen auch für die Therapie von intestinalen Perforationen, die in geeigneten Fällen ebenfalls endoskopisch anzugehen sind (Clipping, Stent, endoskopische Naht); auch hier sind allerdings die Gesetze der septischen Chirurgie, v. a. bezüglich einer externen Drainage (eventuell sonografisch oder radiologisch interventionell gelegt), essenziell.

Fremdkörper Ein weiteres wichtiges Arbeitsgebiet der interventionellen Endoskopie ist die Fremdkörperentfernung aus dem Gastrointestinaltrakt oder dem Tracheobronchialsystem, wozu im Einzelfall viel Erfahrung, Geduld und Spezialinstrumentarium erforderlich sein können ( und ). Entscheidend ist die korrekte Indikationsstellung, wobei zu berücksichtigen ist, dass einerseits mechanisch bedingte Atemnotsyndrome immer als absolute Notfälle zu behandeln sind, andererseits mehr als 90 % aller verschluckten Fremdkörper problemlos per vias naturales abgehen; Ausnahmen sind Batterien und Fremdkörper, die im Ösophagus oder in einer Engstelle verkeilt sind. Hier ist die sofortige Entfernung obligat.

Verschiedene Fremdkörper, die endoskopisch geborgen werden mussten. a) Löffelstiel, inkarzeriert im Zökum. b) Tablette in scharfkantiger Blisterpackung im Ösophagus. c) Zahnstocher (steckte quer im Zökum, veranlasste eine Appendektomie, blieb dabei unentdeckt [!], dann endoskopische Bergung). [ ] ABB. 14.22

Bulimie-Patientin. a) und b) Versehentlich verschluckte Gabel, die den Magen ausfüllt. c) Extraktion mittels auf das Endoskop aufgesetzter Latex-Schutzhülle. d) geborgener Fremdkörper. [ ] ABB. 14.23

Zenker-Divertikel Unter den neueren endoskopischen Verfahren ist die Spaltung des Zenker-Divertikels mittels flexibler Techniken zu erwähnen, was gerade bei Hochrisikopatienten eine günstige Alternative zu den gängigen konventionellen oder starr-endoskopischen intrakavitären Operationsverfahren darstellt ( und ). Statt einer Allgemeinnarkose genügt jetzt eine Analgosedierung, die für die Stapler-Divertikulotomie erforderliche – aber bei betagten Patienten kaum mehr mögliche – maximale Reklination des Kopfes entfällt bei der Intervention mit dem flexiblen Endoskop. Hier wird das Septum zwischen Divertikel und Ösophagus eingestellt und schrittweise mit dem Nadelmesser unter Sicht gespalten; damit ist auch gleich die notwendige Myotomie durchgeführt. Die Patienten sind in der Regel schon nach der ersten Sitzung von ihrer Dysphagie befreit, die Anatomie des pharyngoösophagealen Übergangs passt sich in kurzer Zeit den Normalverhältnissen an. Komplikationen sind selten, meist genügt eine Nacht zur stationären Überwachung.

Typisches Zenker-Divertikel. a) vor, b) 6 Wochen nach endoskopischer Septumspaltung. [M737] c) endoskopischer Aspekt vor Beginn der Septotomie. ZD: Zenker-Divertikel, Oe: Ösophagus, S: Septum, MS: Magensonde. [ ] ABB. 14.24

Schema der endoskopischen Septotomie. a) Ausgangsbefund. b) Spaltung des Septums mittels Nadelmesser (hook-knife). c) Kraniale Hälfte des Septums durchtrennt (reicht meist für Beschwerdefreiheit). d) Anpassung der Anatomie im Verlauf. [ ] ABB. 14.25

Pankreaspseudozysten und -nekrosen Die Ableitung einer „reifen“ Pankreaspseudozyste in den Magen oder ins Duodenum auf endoskopischem Weg (transmurale Punktion der Zyste vom Intestinallumen her, Schaffung eines Drainagekanals und Einbringen von Drainagen) stellt eine erprobte Alternative zur sonografischen Drainage nach außen oder zur offenen und laparoskopischen Operation dar, sofern die anatomischen Gegebenheiten den endoskopischen Zugang zulassen. In den letzten Jahren werden zunehmend sogar die Entlastung und das Débridement einer akut nekrotisierenden Pankreatitis (= Pankreasnekrose) – wesentlich schonender als bei einem chirurgischen Eingriff – endoskopisch transgastral durchgeführt. Durch Entlastung, aktives Débridement, wiederholte Spülungen und suffiziente Drainage nach intraluminär lässt sich der septische Fokus effektiv beseitigen. Für solche Eingriffe ist die zusätzliche sonografische oder endosonografische Visualisierung eine hilfreiche Unterstützung. Für all diese komplexen endoskopischen Interventionen ist – wie für eine Operation – eine kritische Indikationsstellung entscheidend.

Notes Über Verfahren der N atural O rifice T ransluminal E ndoscopic S urgery (NOTES) wird derzeit noch heftig diskutiert. Hier wird über natürliche Körperöffnungen und Zugangswege (oberer bzw. unterer Gastrointestinaltrakt, Vagina, Urethra) nach Eröffnung der entsprechenden Hohlorgane (Ösophagus, Magen, Duodenum, Dünndarm, Kolon, Rektum, hinteres Scheidengewölbe, Harnblase) mit einem flexiblen Endoskop intraperitoneal operiert. Trotz

ausgedehnter Tierversuche mit allen nur denkbaren Operationen sind die Auswirkungen auf die klinische Praxis bislang bescheiden. Bis dato wurde nur die kombinierte transvaginale Cholezystektomie bei größeren Patientenserien realisiert, über die transgastrale (flexible) Appendektomie wird derzeit diskutiert, andere Operationen befinden sich noch im Stadium der Tierversuche. Ob und inwieweit sich NOTES-Verfahren durchsetzen werden, ist derzeit noch völlig unklar. Wahrscheinlich sind erst weitreichende technologische Verbesserungen der Endoskope und ihrer Plattformen erforderlich, bis weitere Fortschritte erzielt werden können.

14.6 Zusammenfassung Während die starre Endoskopie in der Viszeralchirurgie – insbesondere als Laparoskopie und Thorakoskopie – einen nicht für möglich gehaltenen Paradigmenwechsel herbeigeführt hat, ist der entscheidende und zunehmende Stellenwert der flexiblen Endoskopie für die Viszeralchirurgie noch nicht ausreichend im Bewusstsein der Chirurgen verankert. Neben ihrer Rolle als Basisdiagnostikum für den gesamten Gastrointestinaltrakt und das Tracheobronchialsystem sind vor allem die zunehmenden therapeutischen Möglichkeiten der operativen flexiblen Endoskopie für die Chirurgie unverzichtbar. Hämostase, kurative und palliative Tumor- und Stenosetherapie, Eingriffe im biliopankreatischen System, endoskopische perkutane Sondeneinlegungen für Zufuhr und Dekompression, Eingriffe auf Intensivstation sowie vor allem Diagnostik und Therapie von Perforationen und Anastomoseninsuffizienzen und anderen postoperativen Komplikationen machen neben weiteren Indikationsfeldern eine kompetent durchgeführte flexible Endoskopie unentbehrlich für die Viszeralchirurgie. Hier liegt der hohe Stellenwert einer chirurgischen Endoskopie, die chirurgisches Denken, klare Indikationsstellung und manuelles Geschick auf dem Boden einer chirurgischen Ausbildung vereinigt.

14.7 Aktuelle Entwicklungen Mit der rasanten Weiterentwicklung endoskopischer Instrumente und Verfahren wird auch ihr Anwendungsspektrum ständig erweitert. Nach Fertigstellung dieses Kapitels zeichnen sich folgende Entwicklungen ab:

• Die virtuelle Chromoendoskopie und die endomikroskopischen Verfahren zur Frühdiagnostik von Neoplasien wurden inzwischen weiter verfeinert. • Die transnasale Feinkaliber-Gastroskopie erlaubt dank verbesserter Endoskope eine komplette diagnostische Endoskopie des oberen Gastrointestinaltrakts ohne Sedierung. • Die Direktpunktions-PEG nach endoskopisch kontrollierter Gastropexie erfährt einen zunehmenden Stellenwert; mit dieser sicheren Technik lässt sich unter anderem unstillbares Erbrechen in der Palliativsituation (z. B. bei Peritonealkarzinose) patientenschonend im Sinne einer Entlastungs-PEG beheben. • Neue Clips (OTSC = Over-the-Scope-Clip) zur Blutstillung und vor allem zum Wandverschluss nach Perforationen und bei Insuffizienzen werden immer mehr zur Routine. • Endoskopisch kontrollierte Vakuum-Schwamm-Verfahren zur Therapie von Insuffizienzen und Abszesshöhlen, vor allem im unteren, zunehmend aber auch im oberen Gastrointestinaltrakt werden zu einer effektiven Therapiealternative. • Endoskopische Verfahren zur Therapie der Adipositas (Implantation von intragastralen Ballons und von Barriere-Schläuchen duodeno-jejunal) werden zunehmend eingesetzt, auch im Vorfeld bariatrischer Operationen. • Die Ergebnisse erster Patientenstudien zu einer neuen Form der endoskopischen Therapie bei Achalasie (POEM: Perorale endoskopische Myotomie) liegen inzwischen vor. Hier wird mit dem Endoskop nach Fensterung der Mukosa in die Submukosa eingegangen und die Muskelschicht des Ösophagus unter Sicht langstreckig bis in den Bereich des proximalen Magens gespalten.

KAPITEL 15

Grundlagen der minimalinvasiven Chirurgie Ingo Leister and Heinz Becker

15.1. 15.2. 15.2.1. 15.2.2. 15.2.3. 15.2.4. 15.2.5. 15.2.6. 15.3. 15.3.1. 15.3.2. 15.3.3. 15.4. 15.5. 15.6.

15.1 Geschichte der Laparoskopie Die Laparoskopie feierte im Jahr 2001 ihr 100-jähriges Bestehen. Am 23. September 1901 demonstrierte der Dresdner Chirurg und Gastroenterologe Georg Kelling (1866–1945) auf der 73. Versammlung der Deutschen Naturforscher und Ärzte in Hamburg die erste Laparoskopie, die er damals „Zölioskopie“ nannte ( u n d ). Er hatte die geniale Idee, seine Apparatur zur Luftinsufflation mit dem 1877 in Dresden entwickelten Zystoskop von Nitze (1848–1906) zu kombinieren, um auf diese Weise das Abdomen eines Hundes zu inspizieren. Das war die Geburtsstunde der Laparoskopie. Dem Internisten Hans Christian Jacobaeus (1879–1937) in Stockholm blieb es 1910 vorbehalten, erstmalig beim Menschen ein Pneumoperitoneum angelegt und mit dem Nitze-Zystoskop das Abdomen inspiziert zu haben ( ). Er nannte seine Methode „Laparoskopie“. Ähnlich wie Kelling verfolgte Jacobaeus die Laparoskopie nicht weiter und wandte sich der Thorakoskopie zu. Die Laparoskopie erlebte ihren Durchbruch mit den Arbeiten des Hepatologen und Gastroenterologen Heinrich-Otto Kalk (1895– 1973) in Frankfurt/Main, Berlin und Kassel. Er konstruierte 1927 die Winkeloptik und entwickelte 1942 die laparoskopische Leberbiopsie. Die Laparoskopie wurde von Kalk zunächst als diagnostische Methode bei Erkrankungen der Leber- und der Gallenwege eingesetzt. Das erforderliche Pneumoperitoneum stellte er in Lokalanästhesie mit einer luftgefüllten und von Hand geführten Spritze her. Ständige Verbesserungen an der laparoskopischen Methodik, wie die Entwicklung eines dreikantigen Trokars durch Orndorf 1920 in den USA, der Einsatz des ungefährlicheren CO 2 für das Pneumoperitoneum durch Zollinkofer 1924 in der Schweiz, die Koagulation von Adhäsionen durch Fervers in Deutschland 1933 sowie die intraabdominale Anwendung von monopolarem Strom durch Ruddock in den USA 1934 waren wichtige Schritte, um die Laparoskopie voranzubringen. Eine revolutionäre Weiterentwicklung der Endoskopie stellte 1951 die Erfindung des Quarzstabes durch die französischen Ingenieure Fourestier, Gladu und Volumiere vom Institut National d'Optique de Paris dar. Ihr Universalendoskop bestand aus einem Linsensystem und einer extrakorporalen, luftgekühlten 100-Watt-Glühbirne, die das Licht über einen Quarzstab in die zu untersuchenden Körperhöhlen einspiegelte. Mit einer angeschlossenen Kamera war es jetzt möglich geworden, Foto- und Filmdokumente von den verschiedensten Hohlorganen in bis dahin nicht gekannter Qualität anzufertigen. Neben den Versuchen, Bilder über starre Endoskope zu transportieren, wurden die Bemühungen, Bildübertragungen ohne Linsen und Spiegelsysteme über flexible Werkstoffe zu realisieren, verstärkt. 1954 beschrieben Harold H. Hopkins (1918–1994) und sein Assistent Narinder Kapany in der Zeitschrift „Nature“ ein Fiberskop aus flexiblen dünnen Glasfasern zur endoskopischen Verwendung. Die darauf aufbauenden Fiber-Endoskope waren nun in der Lage, eine totale endoskopische Untersuchung aller nur denkbaren Körperhöhlen zu ermöglichen. Hopkins war es auch, der im Bemühen um mehr Helligkeit in der Endoskopie 1961 auf dem 1. Internationalen Urologenkongress in Rio de Janeiro das erste Stablinsensystem, bestehend aus einer Anordnung von Glasstäben, getrennt durch dünne Linsen aus Luft, vorstellte. Das Resultat war eine Steigerung der Lichtübertragung um das Achtzigfache. Karl Storz hatte zudem erkannt, dass die Glasfasern für die Bildübertragung auch für die Lichtleitung bestens geeignet sind, und entwickelte 1960 eine vom Endoskop getrennte Lichtquelle mit einem Glasfaserlichtleiter.

Der Dresdner Chirurg und Gastroenterologe Georg Kelling (1866–1945) demonstrierte 1901 auf der 73. Versammlung der Deutschen Naturforscher und Ärzte in Hamburg die erste Laparoskopie, die er damals „Zölioskopie“ nannte. [ ] ABB. 15.1

ABB. 15.2

Georg Kellings Apparat zur abdominalen Luftinsufflation. [ ]

Dem Internisten Hans Christian Jacobaeus (1879–1937) in Stockholm blieb es 1910 vorbehalten, erstmalig beim Menschen ein Pneumoperitoneum angelegt zu haben. Er nannte seine Methode „Laparoskopie“. [ ] ABB. 15.3

Dominierten zunächst die Internisten die Laparoskopie, so wurde während und nach dem 2. Weltkrieg die Entwicklung der Laparoskopie durch die Gynäkologen getragen. So war es der Kölner Gynäkologe Hans Frangenheim 1959, der den bis dahin üblichen Insufflationsdruck von 50 mmHg mithilfe eines modifizierten Narkosegeräts auf 15 mmHg reduzierte und den Gasfluss auf maximal 5 l/min CO 2 begrenzte ( und ). Der Kieler Gynäkologe Kurt Semm entwickelte 1964 den elektronisch gesteuerten „CO 2 -Pneu“. Er schuf darüber hinaus 1973 die Thermokoagulation, konzipierte spezielle Saug-SpülEinrichtungen für die Bauchspiegelung und entwickelte Techniken der Endonaht mit intra- und extrakorporalen Knoten. Es wurde somit möglich, eine immer ausgedehntere Palette an laparoskopischen Operationen durchzuführen. 1980 gelang Semm die erste laparoskopische Appendektomie. Obwohl bereits 1976 in Hamburg die chirurgische Arbeitsgemeinschaft für Endoskopie (CAE) gegründet wurde, standen die Chirurgen den Entwicklungen der Laparoskopie zunächst sehr zurückhaltend gegenüber. 1985 gelang es dem Chirurgen Erich Mühe in Böblingen erstmalig, eine komplette laparoskopische Cholezystektomie durchzuführen. Unter der Mitarbeit des Mannheimer Chirurgen Bernd C. Manegold erschien 1987 die erste Ausgabe der Fachzeitschrift „Surgical Endoscopy“ als ein chirurgisches Forum für wissenschaftliche Beiträge zur experimentellen Laparoskopie. Bereits 1992 wurden 70 % aller Cholezystektomien laparoskopisch durchgeführt. In der Allgemeinchirurgie gibt es heute kaum ein abdominales Organ, das nicht laparoskopisch operiert werden kann. Neben der Cholezystektomie und Appendektomie werden heute Hernioplastiken, Splenektomien, Nephrektomien oder die Antirefluxchirurgie endoskopisch durchgeführt. Auch onkologische Resektionen des Kolon- und Rektumkarzinoms, Eingriffe an Pankreas und Leber sowie nicht zuletzt bariatrische Eingriffe werden heute mit laparoskopischen Techniken durchgeführt. Im Jahre 2004 publizierten Kalloo und Mitarbeiter vom Johns Hopkins Hospital in Baltimore erstmalig ein Verfahren, das heute unter der Bezeichnung NOTES (Natural Orifice Transluminal Endoscopic Surgery) immer weitere Verbreitung findet. Sie führten transgastral am Schweinemodell eine diagnostische Laparoskopie mit Leberbiopsie durch und demonstrierten damit die technische Durchführbarkeit laparoskopischer Interventionen über natürliche Körperöffnungen.

Mithilfe eines umgebauten Narkosegeräts verringerte der Kölner Gynäkologe Hans Frangenheim den bis dahin üblichen Insufflationsdruck von 50 mmHg auf 15 mmHg und begrenzte den Gasfluss auf maximal 5 l/min CO 2 . [ ] ABB. 15.4

ABB. 15.5

Laparoskopie in Lokalanästhesie mit dem Insufflator nach Frangenheim, Baujahr 1964. [ ]

15.2 Pathophysiologie des Pneumoperitoneums Obwohl der Insufflationsdruck bei der Herstellung eines Pneumoperitoneums heute im Allgemeinen auf maximal 15 mmHg begrenzt wird, sind die resultierenden pathophysiologischen Effekte immer wieder Gegenstand kontroverser Diskussionen. Im Mittelpunkt stehen hierbei Auswirkungen des Pneumoperitoneums auf das Herz-Kreislauf-System, die Lungenfunktion sowie auf die intraabdominale Organdurchblutung und Organfunktion. Aber auch immunologische Effekte sind aufgrund des Einsatzes der Laparoskopie bei entzündlichen Prozessen von zunehmendem Interesse. Seit Mitte der 1990er-Jahre wird die laparoskopische Chirurgie auch in der Diagnostik und der Therapie maligner Grunderkrankungen eingesetzt. Vor diesem Hintergrund müssen auch mittel- und langfristige Auswirkungen der laparoskopischen Methode auf das Tumorwachstum bedacht werden.

15.2.1 Kardiovaskuläre Effekte Bei abdominalchirurgischen Operationen beeinflussen sowohl die Allgemeinanästhesie als auch die Operation das Herz-Kreislauf-System, wobei der Effekt der Allgemeinanästhesie bei Weitem überwiegt, denn sie schränkt aufgrund der direkten negativ inotropen und vasodilatierenden Wirkungen der volatilen und intravenösen Anästhetika, Analgetika und Muskelrelaxanzien die Herz-Kreislauf-Funktion deutlich ein. Auch die Anlage eines Pneumoperitoneums führt zu kardiovaskulären Effekten. Aus vielfältigen tierexperimentellen und klinischen Studien ( ) wird übereinstimmend berichtet, dass nach Anlage eines Pneumoperitoneums das Herzminutenvolumen abnimmt und der mittlere arterielle Druck und der Gefäßwiderstand steigen. Gleichzeitig wird vermutet, dass der verminderte venöse Rückstrom bzw. die Vorlast für die Reduktion des Herzminutenvolumens verantwortlich ist. Diese Veränderungen werden in erster Linie durch den erhöhten intraabdominalen Druck verursacht und durch Kopfhochlage des Patienten weiter verstärkt. Einem intraoperativen Abfall des Herzminutenvolumens kann somit mittels Trendelenburgposition begegnet werden. Die Verwendung alternativer Gase zeigt hinsichtlich der Hämodynamik keine gravierenden Vorteile. Alle hämodynamischen Beeinträchtigungen sind nach Desufflation rasch reversibel und scheinen bei Patienten ohne kardiovaskuläre oder pulmonale Erkrankungen nicht relevant zu sein, sodass die Anlage eines Kapnoperitoneums insgesamt als risikoarm angesehen werden kann.

Tab. 15.1 Studien zu kardiovaskulären Effekten des Pneumoperitoneums. Publikation

Methode

Ergebnisse

Evidenzgrad

Avraamidou et al. 2012

klinische Studie, CO 2 -Pneumoperitoneum

MAD ↑, ZVD ↑ und Herzfrequenz ↑

3

Moon HS et al. 2011

klinische Studie, CO 2 -Pneumoperitoneum

MAD ↑, ZVD ↑ und Herzfrequenz ↑

3

Myre et al. 1998

klinische Studie, CO 2 -Pneumoperitoneum

ZVD, MAD und peripherer Widerstand ↑

3

Berg et al. 1997 klinische Studie, CO 2 -Pneumoperitoneum

MAD, ZVD und Herzfrequenz ↑

3

Junghans et al. 1997

Schwein, Pneumoperitoneum mit verschiedenen Gasen und in verschiedenen Körperpositionen

HMV ↓, Kopfhochlage verschlechterte das HMV, ZVD ↑, peripherer Widerstand ↑, keine signifikanten Unterschiede zwischen den Gasen

2b

Walder et al. 1997

klinische Studie, CO 2 -Pneumoperitoneum

HMV ↓, MAD und peripherer Widerstand ↑

3

Marathe et al. 1996

Hund, CO 2 -Pneumoperitoneum

HMV ↓, ZVD ↑

2b

Shuto et al. 1995

Schwein, CO 2 -Pneumoperitoneum

HMV ↓, ZVD ↑

2b

HMV: Herzminutenvolumen; MAD: mittlerer arterieller Druck; ZVD: zentralvenöser Druck

Patienten mit erheblichen kardiovaskulären Risikofaktoren haben häufig nur eine geringe kardiale Reserve, sodass sie möglicherweise die negativen Effekte des erhöhten intraperitonealen Drucks nicht kompensieren können. Diese Patienten profitieren von einem invasiven Monitoring, um die Herzfunktion, Vorlast und Nachlast zu optimieren. Sollte die Herzfunktion trotzdem nicht ausreichen, muss zum konventionellen Verfahren konvertiert werden.

15.2.2 Organdurchblutung Der Einfluss eines erhöhten intraabdominalen Drucks auf die Durchblutung viszeraler Organe ist in einigen tierexperimentellen und klinischen Studien untersucht worden. Darüber hinaus wurde in einer limitierten Anzahl an Studien die klinische Relevanz von Durchblutungsstörungen als Folge des Pneumoperitoneums evaluiert.

Leber Die Leber wird von insg. 25 % des Herzminutenvolumens perfundiert. Die Durchblutung der Leber setzt sich aus dem arteriellen Zustrom von der A. hepatica propria (30 ml/min/100 g Lebergewebe) und dem venösen Zustrom von der Pfortader (70–100 ml/min/100 g Lebergewebe) zusammen. Das gemischt arteriellvenöse Blut durchfließt die Sinusoide bis zu den Zentralvenen, die das Blut über die Lebervenen in die V. cava ableiten. Das Pfortaderblut enthält zwar einen geringeren Sauerstoffgehalt als die Arterie, aber aufgrund seines Blutvolumens deckt es 60–70 % des Sauerstoffbedarfs der Leber. Die Durchblutung der Leber über die A. hepatica und V. portae verfügt über einen Autoregulationsmechanismus, der sogenannten „hepatic arterial buffer response“ . Dieser Mechanismus beschreibt eine kompensatorische Steigerung des Blutflusses in der A. hepatica im Falle einer portalvenösen Durchblutungsminderung ( ).

a) Physiologische Leberdurchblutung über die A. hepatica (HA) und die V. portae (PV). b) Die Leber verfügt über einen Autoregulationsmechanismus, der im Fall einer portalvenösen Durchblutungsminderung zu einem kompensatorischen Durchblutungsanstieg über die A. hepatica führt („hepatic arterial buffer response“). Richter und Mitarbeiter konnten im Jahr 2001 nachweisen, dass dieser Mechanismus im Rahmen des CO 2 -Pneumoperitoneums verloren geht. [ ] ABB. 15.6

Die intraabdominale Druckerhöhung beim Aufbau eines Pneumoperitoneums beeinflusst auch die Durchblutung der Leber. Verschiedene Studien am Tier und auch beim Menschen mittels perivaskulärer Ultraschallsonden beschreiben generell eine Verminderung der portalvenösen Durchblutung im Rahmen eines Pneumoperitoneums auf ca. 60 % des Ausgangswertes bei einem Druck von 15 mmHg ( ). Richter und Mitarbeiter konnten mittels getrennter Flussmessungen über das arterielle und portalvenöse System im Jahr 2001 nachweisen, dass die kompensatorische „hepatic arterial buffer response“ im Rahmen eines CO 2 Pneumoperitoneums verloren geht. Diese Beobachtung wird von intrahepatischen Blutflussmessungen mittels Laser-Doppler-Flowmetrie bestätigt, die bei einem Druck von 15 mmHg analog zur portalvenösen Blutflussminderung eine Beeinträchtigung der intrahepatischen Perfusion auf durchschnittlich ca. 60 % beschreiben ( ). Auswirkungen dieser Leberperfusionsminderung auf die intra- und postoperative Leberfunktion sind bislang kaum erforscht. In der Literatur findet man wenige, teilweise widersprüchliche Aussagen lediglich hinsichtlich des postoperativen Transaminasenverlaufs nach Anlage eines Pneumoperitoneums. Morino und Mitarbeiter berichten 1998 in einer nichtrandomisierten Studie an einem inhomogenen Patientengut mit 32 laparoskopischen Cholezystektomien und 20 nichthepatobiliären laparoskopischen Operationen über eine postoperative Erhöhung der Lebertransaminasen . Wenige prospektiv randomisierte Studien, in denen laparoskopische und konventionelle Eingriffe hinsichtlich des postoperativen Transaminasenverlaufs verglichen wurden, zeigten einen geringen Anstieg der Transaminasen intraoperativ mit rascher postoperativer Normalisierung ( ).

Tab. 15.2 Studien zur Organperfusion unter den Bedingungen des Pneumoperitoneums. Publikation

Methode

Ergebnisse

Evidenzgrad

Pfortaderperfusion Gutt et al. 1999

Ratte, perivaskuläre Ultraschallsonde 4 mmHg auf 64,7 %; 6 mmHg auf 51,6 % 12 mmHg auf 13,6 %

2b

Takagi et al. 1998

klinische Studie, perivaskuläre Ultraschall-sonde

15 mmHg auf 60 %

3

Eryilmaz et al. 2012

klinische Studie, Indocyanin-greenclearance

10 mmHg ohne und 14 mmHg mit signifikanter Flussminderung

1b

Schilling et al. 1997

klinische Studie, Laser-DopplerFlowmetrie

10–15 mmHg auf 60 %

3

Eleftheriadis et al. 1996

klinische Studie, Laser-DopplerFlowmetrie

15 mmHg auf 50 %

3

klinische Studie, glomeruläre Filtrationsrate (GFR)

7 mmHg ohne und 14 mmHg mit signifikantem Abfall der GFR

2b

Shuto et al. 1995 Schwein, perivaskuläre Ultraschallsonde

10 mmHg auf 74 %

2b

Chiu et al. 1994

15 mmHg auf 42 %

2b

Samel et al. 2002 Ratte, Intravitalmikroskopie

10 mmHg: Perfusionsindex auf 71 %,funktionelle Kapillardichte auf 69 %, Blutflussgeschwindigkeit auf 67 %

2b

Schilling et al. 1997

10 mmHg: nicht signifikant, 15 mmHg auf 50 %

3

Leberperfusion

Nierenperfusion Bishara B et al. 2009

Schwein, Laser-Doppler-Flowmetrie

Darmperfusion

klinische Studie, Laser-DopplerFlowmetrie

Tab. 15.3 Studien zur perioperativen Leberfunktion unter den Bedingungen des Pneumoperitoneums. Publikation

Methode

Ergebnisse

Evidenzgrad

Eryilmaz et al. klinische Studie; ALAT und ASAT 2012

ALAT und ASAT mit signifikantem Anstieg nach einer Stunde bei 14 mmHg

1b

Böhm et al. 1999

klinische Studie; ALAT, ASAT, Bilirubin präoperativ und 1., 2., 4. und 7. postoperativer Tag

keine signifikanten Änderungen

1b

Morino et al. 1998

klinische Studie; ALAT, ASAT, Bilirubin, Prothrombinzeit postoperativ 6, 24, 48 und 72 Stunden

alle Parameter mit signifikantem Anstieg: ASAT u ALAT mit signifikanter Korrelation zur Höhe und Dauer des Pneumoperitoneums

3

Halevy et al. 1994

klinische Studie; ALAT, ASAT, Bilirubin postoperativ

ASAT und ALAT mit signifikantem Anstieg bis 72 Stunden postoperativ

3

ALAT = Alanin-Aminotransferase; ASAT = Aspartat-Aminotransferase

Eine vorübergehende Minderperfusion der Leber unter den Bedingungen des Pneumoperitoneums ist also belegt, es gibt jedoch zurzeit keine Hinweise dafür, eine für den lebergesunden Patienten relevante Funktionsstörung der Leber anzunehmen.

Niere Bereits vor der Ära der laparoskopischen Chirurgie war die Frage von medizinischem Interesse, ob eine intraabdominale Druckerhöhung, z. B. im Rahmen einer portalen Hypertension oder eines Aszites, zu einer Einschränkung der Nierenfunktion führt. So wiesen bereits 1876 Wendt und Mitarbeiter in Selbstversuchen den Einfluss eines erhöhten intraabdominalen Drucks auf die Urinproduktion nach. Obgleich die meisten laparoskopischen Operationen heute bei vergleichsweise niedrigeren Drücken durchgeführt werden, könnte ein Pneumoperitoneum möglicherweise ebenfalls die Nierenfunktion einschränken. Durchschnittlich fließen 20–25 % des Herzminutenvolumens durch die Nieren, sodass sie deutlich besser durchblutet sind als Gehirn oder Herz. Diese hohe Nierendurchblutung ist notwendig, um eine hohe glomeruläre Filtrationsleistung zu gewährleisten. Inwieweit ein erhöhter intraabdominaler Druck auch die Nierendurchblutung bzw. die Nierenfunktion beeinträchtigt, wurde in mehreren tierexperimentellen und klinischen Arbeiten untersucht ( u n d ). Die vorhandenen experimentellen und klinischen Studien belegen, dass ein Pneumoperitoneum die Nierendurchblutung und die glomeruläre Filtrationsrate zu Beginn deutlich reduziert und eine Verminderung der Urinproduktion bewirkt. Inwieweit die passageren Durchblutungsstörungen und die damit verbundene kurzzeitige Einschränkung der Nierenfunktion klinisch relevant sind, ist letztlich ungeklärt. Analog zur Leberfunktion gibt es zurzeit jedoch keinen Grund, beim Nierengesunden eine klinisch bedeutsame Gefährdung der Nierenfunktion durch die passagere Anlage eines Pneumoperitoneums anzunehmen.

Tab. 15.4 Studien zur perioperativen Nierenfunktion unter den Bedingungen des Pneumoperitoneums. Publikation

Methode

Ergebnisse

Evidenzgrad

Freitas et al. 2013

Ratte, Serumnatrium, Serumkalium, Serumkreatinin, Urinausscheidung, KreatininClearance

Oligurie und Hyperkaliämie in der Laparoskopiegruppe, keine signifikanten histopathologischen Unterschiede

2b

Bishara et al. 2010

Ratte, Urin- und Natriumausscheidung, glomeruläre keine signifikanten Unterschiede bei 7 mmHg, Verschlechterung der 2b Filtrationsrate, renaler Plasmafluss gemessenen Parameter bei 10 und 14 mmHg

Böhm et al. 1999

klinische Studie; Kreatinin und Harnstoff präoperativ und 1., 2., 4. und 7. postoperativer Tag

keine signifikanten Änderungen

1b

Ninomiya et al. 1998

klinische Studie, PAH-Clearance und glomeruläre Filtrationsrate

PAH-Clearance und glomeruläre Filtrationsrate niedriger während laparoskopischer vs. konventioneller Cholezystektomie

3

Iwase et al. 1993

klinische Studie: PAH-Clearance und Urinausscheidung

PAH-Clearance und Urinausscheidung niedriger während laparoskopischer vs. konventioneller Cholezystektomie

3

PAH = Paraaminohippursäure

Darm Es gibt in der Literatur eine Reihe von Fallberichten über intestinale Durchblutungsstörungen nach Anlage eines Pneumoperitoneums im Rahmen einer Laparoskopie mit teilweise letalem Ausgang. Von den Autoren wurde zur Vorsicht gemahnt, weil sie befürchteten, dass eine durch den erhöhten intraabdominalen Druck induzierte Durchblutungsverminderung einer intestinalen Ischämie zumindest beim vorerkrankten Patienten Vorschub leisten könnte. Die drei großen Gefäße, der Truncus coeliacus, die A. mesenterica superior und die A. mesenterica inferior, versorgen die abdominalen Organe mit ungefähr 25 % des Herzminutenvolumens. Die A. mesenterica superior hat dabei den größten Anteil an der Blutversorgung. Die Regulation des mesenterialen Blutflusses erfolgt über das Herz-Kreislauf-System, das autonome Nervensystem und vasoaktive Substanzen. Die entscheidenden Blutungsveränderungen werden über das autonome Nervensystem, v. a. den Sympathikus, reguliert. In der Mukosa und Submukosa sind normalerweise bis zu 90 % des intestinalen Blutflusses enthalten. Die spezielle Gefäßanatomie des Villus macht die Mukosa besonders empfindlich für Durchblutungsstörungen. An der Basis des Villus verlaufen präkapilläre Arteriolen und postkapilläre Venolen annähernd parallel zueinander mit einem Abstand kleiner als 20 μm. Hierdurch kommt es umgekehrt proportional zur Blutflussgeschwindigkeit zu einem steigenden arteriovenösen Sauerstoffaustausch. Dieses bereits 1978 von Lundgren und Mitarbeitern als „counter current oxygen exchanger“ bezeichnete Phänomen führt dazu, dass die Mukosa und v. a. die Villusspitze besonders anfällig für Durchblutungsstörungen des Darms sind. Falldarstellungen von postoperativen Durchblutungsstörungen nach Laparoskopie führten zu experimentellen und klinischen Studien, die bei einem Druck über 10 mmHg eine signifikante Verschlechterung der Darmdurchblutung nachweisen konnten ( ). Vor diesem Hintergrund wird von der European Association of Endoscopic Surgery (EAES) heute eine sinnvolle Druckbegrenzung auf 10 mmHg, gerade bei Patienten mit vaskulären Vorerkrankungen, empfohlen. Die klinische Bedeutung der in Studien nachgewiesenen passageren Perfusionsminderung des Darms unter den Bedingungen des Pneumoperitoneums ist jedoch unklar. Fallberichte von fulminant verlaufenden Darmischämien nach Laparoskopien bleiben Einzelberichte, deren Kausalität nicht zu sichern ist.

15.2.3 Intravasale und intraperitoneale Fibrinolyse Die Anlage eines Pneumoperitoneums geht mit einer ausgeprägten venösen Stase einher, sodass aufgrund der venösen Rückflussbehinderung das Risiko thromboembolischer Komplikationen nach laparoskopischen Eingriffen grundsätzlich erhöht sein könnte. Klinisch apparente Thrombosen treten in größeren klinischen Studien nur sehr selten auf. Dieser Widerspruch ist möglicherweise durch unterschiedliche Auswirkungen der Laparoskopie auf das fibrinolytische System im Vergleich zur Laparotomie zu erklären. Als Fibrinolyse bezeichnet man den Abbau von Fibrin zu Fibrinspaltprodukten durch Plasmin, die hauptsächlich im arteriellen und venösen System, aber auch in der Peritonealhöhle stattfindet. Plasmin entsteht aus Plasminogen durch irreversible Spaltung von Aminosäureverbindungen. Die Fibrinolyse wird nicht direkt durch die Steuerung des Plasmins reguliert, sondern durch die Kontrolle der Plasminogenaktivierung. Die wichtigsten physiologischen Aktivatoren des Plasminogens sind der Gewebe(Tissue)-Plasminogenaktivator (t-PA), der vor allen Dingen in Endothelzellen, aber auch von Mesothelzellen gebildet wird, sowie der Urokinase-Plasminogenaktivator (u-PA). Eine Hemmung der Fibrinolyse erfolgt über den Plasminogenaktivator-Inhibitor (PAI-1), der vor allem t-PA in seiner Aktivität beeinflusst. Der Einfluss der laparoskopischen Operationstechnik auf die intravasale Fibrinolyseaktivität wurde zwar von einigen Arbeitsgruppen untersucht, es liegen jedoch nur wenige kontrollierte Studien vor ( ). Die Ergebnisse der vorliegenden Studien geben bislang keine Hinweise auf eine verminderte intravasale fibrinolytische Aktivität nach laparoskopischen im Vergleich zu den offenen Operationsverfahren.

Tab. 15.5 Studien zur intravasalen Fibrinolyse unter den Bedingungen des Pneumoperitoneums. Publikation

Methode

Ergebnisse

Evidenzgrad

Neudecker et al. klinische Studie; t-PA- und PAI-1-Aktivität nach laparoskopischer vs. konventioneller 2003 Laparotomie

keine signifikanten Unterschiede

1b

Dabrowiecki et al. 1997

klinische Studie; Thrombozytenzahl, Fibrinogen, t-PA- und PAI-1-Aktivität nach laparoskopischer vs. konventioneller Cholezystektomie

keine signifikanten Unterschiede

3

Dexter et al. 1996

klinische Studie; t-PA-, PAI-1-Aktivität und D-Dimer-Konzentration nach laparoskopischer vs. konventioneller Cholezystektomie

keine signifikanten Unterschiede

3

Vander Velpen 1994

klinische Studie; Fibrinogen, PAI-1- und t-PA-Konzentration nach laparoskopischer vs. konventioneller Cholezystektomie

keine signifikanten Unterschiede

3

Schander et al. 1979

klinische Studie; postoperative Fibrinogenspiegel nach laparoskopischer Tubenligatur vs. konventioneller Hysterektomie

keine signifikanten Unterschiede

3

Die Anlage eines Pneumoperitoneums stellt für das peritoneale Mesothel ein Trauma dar. Elektronenmikroskopische Untersuchungen konnten morphologische Veränderungen des Peritoneums unter den Bedingungen der Laparoskopie nachweisen. Druckveränderungen, pH-Verschiebungen oder Austrocknungseffekte könnten zudem zu funktionellen Beeinträchtigungen des Peritoneums führen. Die fibrinolytische Aktivität des Peritoneums ist zum einen für die Entstehung von postoperativen Adhäsionen, zum anderen aber auch z. B. für Tumorzell-Mesothelzell-Interaktionen von besonderer Bedeutung. In der Literatur findet man bislang nur wenige experimentelle Daten zur Evaluation der intraperitonealen fibrinolytischen Aktivität unter den Bedingungen der Laparoskopie. Die Ergebnisse dieser Studien sind widersprüchlich ( ) und konzentrieren sich auf Untersuchungen der fibrinolytischen Aktivität im Hinblick auf die Entstehung postoperativer Adhäsionen.

Tab. 15.6 Studien zur intraperitonealen Fibrinolyse unter den Bedingungen des Pneumoperitoneums. Publikation

Methode

Ergebnisse

Evidenzgrad

Krause et al. 2011

In-vitro-Versuch mit humanen Mesothelzellen, t-PA-, u-PAund PAI-1 Aktivität

keine signifikanten Unterschiede

3

Neudecker et al. 2002

klinische Studie; t-PA- und PAI-1-Aktivität von peritonealem Mesothel nach laparoskopischer vs. konventioneller Operation

keine signifikanten Unterschiede

1b

Bergström et al. 2002

klinische Studie; t-PA- und PAI-1-Aktivität von peritonealem Mesothel nach laparoskopischer vs. konventioneller Operation

initialer Anstieg von PAI-1 in der Laparoskopiegruppe, 3 keine signifikanten Unterschiede am Operationsende

Nagelschmidt et al. 2001

Schwein; t-PA-Aktivität von peritonealem Mesothel, CO 2 vs. Helium vs. Laparotomie

Abfall der t-PA-Aktivität in der CO 2 -Gruppe

2b

15.2.4 Pulmonale Effekte Die laparoskopische Behandlung intraabdominaler Erkrankungen wirkt sich aufgrund der intraabdominalen Drucksteigerung möglicherweise nachteilig auf die intraoperative Lungenfunktion aus, sodass die Ventilation und der Gasaustausch beeinträchtigt werden. Postoperativ scheint die Lungenfunktion nach laparoskopischen Eingriffen dagegen besser als nach konventionellen Operationen zu sein. Der laparoskopisch Tätige stellt sich daher oftmals die Frage, ob bei einem lungenkranken Patienten die vermeintlichen intraoperativen Nachteile oder die angeblichen postoperativen Vorteile der minimalinvasiven Chirurgie überwiegen. Als wesentliche Ursache einer postoperativen Beeinträchtigung der Lungenfunktion nach konventionellen Eingriffen konnte eine reflektorische Dysfunktion des Zwerchfells nachgewiesen werden. Die dadurch hervorgerufene Veränderung der Atemmechanik von der effektiven abdominalen Atmung (mit Einsatz des Zwerchfells als effektivstem Atemmuskel) zur weniger effektiven thorakalen Atmung (mit vorwiegendem Einsatz der Zwerchfellmuskulatur) reduziert das Atemzugvolumen und erhöht die Atemfrequenz. Demgegenüber wird während der Anlage eines Pneumoperitoneums die Compliance der Lunge in Abhängigkeit von der Höhe des angelegten intraabdominalen Drucks reduziert. Dadurch muss während der Allgemeinanästhesie ein erhöhter Beatmungsdruck zur adäquaten Ventilation aufgewendet werden. Gleichzeitig entsteht v. a. bei prä- oder retroperitonealen Eingriffen durch Resorption eine vermehrte CO 2 - Belastung des Organismus. Auch durch kontrollierte intraoperative Hyperventilation kann bei längeren Eingriffen ein Anstieg des Pa CO2 nicht vollständig vermieden werden. Nach Ablassen des Kapnoperitoneums wird das im Gewebe gespeicherte CO 2 unterschiedlich schnell wieder freigesetzt, sodass das Pa CO2 auch noch für einige Zeit nach der Operation erhöht ist. So bleibt ein Pa CO2 von über 45 mmHg manchmal noch 30 Minuten nach Ende der laparoskopischen Operationen bestehen. Bei Patienten mit chronisch obstruktiven Lungenerkrankungen und resultierender verminderter pulmonaler CO 2 -Elimination kann dadurch eine verlängerte Nachbeobachtung oder eine Nachbeatmung notwendig werden. Dagegen wird der pulmonale Sauerstoffaustausch durch das Pneumoperitoneum nicht wesentlich beeinträchtigt. In verschiedenen Tierversuchen konnte nachgewiesen werden, dass die peritoneale Insufflation von CO 2 , Helium oder Argon zu einer vergleichbar starken Abnahme der pulmonalen Compliance führt, die eine moderate Erhöhung des Atemdrucks erforderlich macht. Jedoch haben Helium oder Argon im Gegensatz zu CO 2 keine weiter gehenden Auswirkungen auf den Gasaustausch oder den Säure-Basen-Haushalt. Bei einer chronisch obstruktiven Ventilationsstörung führt der Aufbau eines Heliumpneumoperitoneums dadurch zu geringeren Veränderungen als die CO 2 -Insufflation. Tatsächlich könnte Helium daher ein alternatives Insufflationsgas bei schwer lungenkranken Patienten darstellen. Den eingangs beschriebenen postoperativen Vorteilen der Laparotomie hinsichtlich der Lungenfunktion stehen also die intraoperativen Nachteile durch die verminderte Compliance der Lunge und die gesteigerte CO 2 -Aufnahme der Laparoskopie gegenüber.

15.2.5 Neurologische Effekte Gelegentlich wird in traumatologischen oder intensivmedizinischen Zentren der behandelnde Arzt mit der Frage konfrontiert, ob eine abdominale Intervention laparoskopisch oder konventionell bei einem Patienten durchgeführt werden sollte, der ein Schädel-Hirn-Trauma erlitten hat oder an einer anderen neurologischen Erkrankung mit erhöhtem intrakraniellem Druck leidet. Vor der Indikationsstellung muss deshalb zwischen den bekannten Vorteilen der Laparoskopie und den möglichen Risiken bei Patienten mit Schädel-Hirn-Verletzungen abgewogen werden, zumal eine Beziehung zwischen einem erhöhten intrazerebralen Druck und einem schlechten neurologischen Ergebnis besteht. In einer Reihe von tierexperimentellen und klinischen Studien konnte nachgewiesen werden, dass die Anlage eines Kapnoperitoneums zu einer Steigerung des intrazerebralen Drucks um 5–8 mmHg führt. Hierbei scheinen eine Steigerung des arteriellen Zustroms und eine venöse Abflussbehinderung pathophysiologisch von Bedeutung zu sein. Darüber hinaus führt eine Hyperkapnie zu einer zusätzlichen Steigerung des intrazerebralen Drucks. Hieraus ergibt sich nicht notwendigerweise eine Kontraindikation für die Laparoskopie bei Patienten mit erhöhtem intrazerebralem Druck. Es sollten jedoch die zu erwartenden Vorteile der laparoskopischen Methode und die Nachteile einer intrazerebralen Drucksteigerung sorgfältig abgewogen werden. Gleichzeitig sollte bei der Wahl des laparoskopischen Verfahrens der intrazerebrale Druck intraoperativ gemessen werden. Eine Hyperkapnie muss durch kontrollierte Hyperventilation unbedingt vermieden werden. Wie schon beim pulmonal vorgeschädigten Patienten kann darüber hinaus zur Vermeidung einer Hyperkapnie im Einzelfall die Heliumlaparoskopie oder die gaslose Laparoskopie erwogen werden.

15.2.6 Immunologische Effekte Gerade beim Einsatz der Laparoskopie im Rahmen entzündlicher Grunderkrankungen oder beim Malignom spielt wahrscheinlich die intra- und postoperative Immunfunktion für die Prognose des Patienten eine entscheidende Rolle. Zahlreiche randomisierte Studien untersuchen die Immunfunktion und Entzündungsreaktion nach laparoskopischer und offener kolorektaler Chirurgie. Die Ergebnisse dieser Studien belegen, dass mit Reduktion des Zugangstraumas die objektiv messbare Kompromittierung der systemischen Immunität (IL-6; IL-10; CD4 und CD8; T-Lymphozyten u. a.) sowie die Entzündungsreaktion (CRP, Leukozytenzahl; TNF-α) deutlich reduziert ist. Im Gegensatz dazu konnten zahlreiche experimentelle Studien für die Laparoskopie im Vergleich zur Laparotomie eine Verminderung der intraperitonealen Immunität über die Parameter Phagozytoseaktivität oder TNF-α-Expression nachweisen. Wir wissen, dass es im Rahmen der kolorektalen Tumorchirurgie trotz Einhaltung chirurgischer Grundprinzipien (No-Touch-Technik) zum Ausschwemmen von Tumorzellen per continuitatem und über das portalvenöse System kommt. Vor diesem Hintergrund ist zu vermuten, dass die postoperative Immunfunktion gerade bei der Chirurgie des Kolonkarzinoms von besonderer Bedeutung für das Langzeitüberleben z. B. im Hinblick auf die Entstehung von Lebermetastasen ist. Trotz der nachgewiesenen systemischen immunologischen Vorteile des minimalinvasiven Zugangs konnten die bisherigen Ergebnisse der meisten prospektiv randomisierten Studien onkologische Vorteile der Laparoskopie im Vergleich zur Laparotomie nicht zeigen. Lokale Nachteile der Laparoskopie, z. B. über eine Verminderung der intraabdominalen Organperfusion (Leber) oder durch lokale Auswirkungen auf das Tumorwachstum durch das Pneumoperitoneum, könnten hierfür verantwortlich sein. Eine lokale und systemische immunologische Optimierung der Laparoskopie, z. B. durch die Auswahl des am besten geeigneten Insufflationsgases und durch eine sinnvolle Druckbegrenzung, ist jedoch in jedem Fall zu fordern.

15.3 Spezielle Indikationen und Laparoskopie

15.3.1 Pneumoperitoneum beim Malignom Durch eine Verbesserung der laparoskopischen Techniken und die zunehmende Erfahrung in der minimalinvasiven Chirurgie werden seit Anfang der 1990er Jahre zunehmend auch Operationen am Kolon und Rektum laparoskopisch durchgeführt. Dadurch war die grundsätzliche Machbarkeit laparoskopischer kolorektaler Eingriffe belegt. Für einen minimalinvasiven Zugangsweg auch in der Dickdarmchirurgie sprechen v. a. Faktoren der frühen postoperativen Rekonvaleszenz durch ein geringeres Operationstrauma, vermindertes Schmerzerleben, verbesserte postoperative Lungenfunktion, raschere Mobilisation und kürzere Hospitalisation. Zusätzlich bestehen Vorteile durch eine geringere Inzidenz von Narbenhernien und Dünndarmobstruktionen. Nachteile dieses Vorgehens liegen in der fehlenden taktilen Sensation, der schwierigeren kompletten Exploration des Bauchraums und des technisch und zeitlich höheren Aufwands. Bei der Beurteilung des laparoskopischen Verfahrens in der Dickdarmchirurgie muss streng zwischen benignen Erkrankungen wie der Sigmadivertikulitis, der Colitis ulcerosa, dem Morbus Crohn oder Kolon- und Rektumadenomen auf der einen Seite und Kolon- sowie Rektumkarzinomen auf der anderen Seite unterschieden werden. Die Vorteile des laparoskopischen Vorgehens bei benignen kolorektalen Erkrankungen legten es prinzipiell nahe, dieses Vorgehen auch bei Patienten mit malignen Erkrankungen einzusetzen. Die Wertigkeit der laparoskopischen Chirurgie in der kurativen Therapie maligner Erkrankungen des Kolons und Rektums waren lange Zeit _Gegenstand kontroverser Diskussionen. Hier treten die Verfahrensvorteile der frühen postoperativen Phase in den Hintergrund und Aspekte des Langzeitüberlebens müssen bedacht werden. Mittlerweile gibt es eine Reihe von teilweise abgeschlossenen prospektiv randomisierten Studien zur Frage der Kurz- und Langzeitergebnisse der laparoskopischen Methode im Vergleich zum offenen Vorgehen ( ).

Tab. 15.7 Studien zur Wertigkeit der laparoskopischen im Vergleich zur offenen kolorektalen Chirurgie. Publikation

Methode

Ergebnisse

Evidenzgrad

Green BL et al. 2013

prospektiv randomisiert, Multicenter (CLASSICC-Studie), 794 Patienten, Langzeitergebnisse (5 Jahre)

Mittlere Beobachtungszeit 62 Monate; Gesamtüberleben und krankheitsfreies 1a Überleben ohne signifikanten Unterschied; schlechtere Überlebenszeiten bei den Patienten, bei denen konvertiert werden musste

Van der Pas MH et al. 2013

prospektiv randomisiert, Multicenter Laparoskopie mit geringerem Blutverlust, längerer OP-Dauer und schnellerer (COLOR-II-Studie), 1.044 Patienten, Rekonvaleszenz; onkologische Radikalität und perioperative Mortalität Kurzzeitergebnisse ohne Unterschied

1a

Xiong B et al. 2012

Metaanalyse prospektiv randomisierter Studien, 624 Patienten, Kurzzeitergebnisse

Laparoskopie mit längerer Operationsdauer und geringerem Blutverlust, kein Unterschied hinsichtlich perioperativer Mortalität und Morbidität, Rekonvaleszenz sowie hinsichtlich der entfernten Lymphknoten

1a

Huang MJ et al. 2011

Metaanalyse prospektiv randomisierter Studien, 1.033 Patienten, Kurz- und Langzeitergebnisse (3 Jahre)

Keine Unterschiede hinsichtlich chirurgischer Radikalität, der 3-JahresÜberlebensrate und der Rezidivrate

1a

Ohtani H et al. Metaanalyse prospektiv randomisierter 2011 Studien, 2.095 Patienten, Kurz- und Langzeitergebnisse (5 Jahre)

Laparoskopie mit geringerem intraoperativem Blutverlust, schnellerer Rekonvaleszenz, Langzeitüberleben und Rezidivraten ohne Unterschied

1a

Bai et al. 2010 Metaanalyse prospektiv randomisierter Studien, 2.147 Patienten, Langzeitergebnisse (5 Jahre)

5-Jahres-Überlebenszeiten und Rezidivraten ohne signifikanten Unterschied

1a

Onkologische Radikalität Bezüglich der onkologischen Radikalität gelten die Anzahl der entfernten Lymphknoten und die Einhaltung des onkologischen Sicherheitsabstandes als wichtige Indikatoren. Dabei belegen prospektiv randomisierte Studien, dass die Anzahl der dissezierten Lymphknoten und das Ausmaß des Sicherheitsabstands bei laparoskopisch durchgeführten Eingriffen der Radikalität bei konventionellen Operationen gleichwertig sind. Beim Rektumkarzinom im mittleren und unteren Drittel gilt die totale mesorektale Exzision (TME) als onkologischer Standard. Die Ergebnisse der vorliegenden Studien zeigen, dass die Einhaltung dieses Radikalitätsprinzips in den Händen des geübten Chirurgen laparoskopisch ohne erhöhte Morbidität möglich ist. Die mittlerweile vorliegenden Langzeitergebnisse prospektiv randomisierter Studien sowie die Ergebnisse vorliegender Metaanalysen zeigen darüber hinaus hinsichtlich der Rezidivraten keine signifikanten Unterschiede zwischen der laparoskopischen und der offenen kolorektalen Chirurgie ( ).

Port-Site-Metastasen Ein weiterer Aspekt in der Beurteilung der Laparoskopie beim Malignom stellt die Inzidenz sog. Port-Site- Metastasen dar. Hierbei handelt es sich um Absiedlungen des Tumors an den ehemaligen Trokareinstichstellen. Der erste Bericht über das Auftreten einer Port-Site-Metastase stammt aus dem Jahr 1978 nach diagnostischer Laparoskopie bei malignem Aszites. Seither wurden Port-Site-Metastasen nach kurativen Resektionen an Kolon und Rektum, nach palliativen Eingriffen und nach Staging-Laparoskopien beschrieben. Da Wundmetastasen in der konventionellen Karzinomchirurgie nach dem klinischen Eindruck eher selten sind, waren Berichte, die vor allem aus der Anfangszeit der laparoskopischen Tumorchirurgie stammten, für jeden laparoskopisch operierenden Chirurgen alarmierend. Vor der Ära der laparoskopischen Tumorchirurgie findet man jedoch nur wenige Studien, die Wundmetastasen nach konventioneller Resektion beim kolorektalen Karzinom an größeren Kollektiven beschrieben. Hierbei lag die veröffentlichte Rate von Tumorrezidiven in einer Laparotomiewunde zwischen 0,6 und 1 %. Alexander und Mitarbeiter berichteten 1993 erstmalig über eine Port-Site-Metastase nach laparoskopischer Rechtshemikolektomie wegen eines Dukes-C-Karzinoms. Seitdem zeigten mehrere Veröffentlichungen, dass Trokarkanalmetastasen sowohl bei fortgeschrittenen Tumorstadien als auch nach laparoskopischen Resektionen von T1- bzw. Dukes-A-Karzinomen auftraten, sodass 1995 eine Inzidenz von Trokarkanalmetastasen von mindestens 4 % angenommen wurde. Zahlreiche experimentelle Studien sind zwischenzeitlich vollendet worden, die die Entstehung der Trokarkanalmetastasen zu klären suchten. Verschiedene Theorien bzw. Erklärungsversuche, u. a. direkte Implantation durch kontaminierte Instrumente, hämatogene Aussaat oder durch das Pneumoperitoneum induziert, sind seitdem veröffentlicht worden. Aus der Fülle der experimentellen und klinischen Studien lässt sich folgern, dass die instrumentelle Manipulation am Tumor und die damit verbundene Tumorzellverschleppung als Hauptursache von Trokarkanalmetastasen zu werten ist. Da jedoch Trokarkanalmetastasen auch bei Staging-Laparoskopien beschrieben wurden, stellt sich im Rahmen experimenteller Studien die Frage, welche anderen Einflussgrößen, die möglicherweise in direktem Zusammenhang mit der Laparoskopie bzw. dem Pneumoperitoneum stehen, verantwortlich sind. Hierbei wurde in unterschiedlichen Studien der stimulierende Effekt von CO 2 und des erhöhten intraperitonealen Drucks auf das Tumorzellwachstum beschrieben. Auch wurden die durch das Gas verursachte intra- und extrazelluläre Azidose, Faktoren der lokalen Immunabwehr, die durch die Trokarhülse bedingte Ischämie in den Trokarkanälen bis hin zu strukturellen Veränderungen des Peritoneums als begünstigende Faktoren im Tiermodell nachgewiesen. Obwohl die Resultate der verschiedenen Studien grundsätzlich für die laparoskopische Tumorchirurgie von Bedeutung sind, wurde die initial hohe Inzidenz von Trokarkanalmetastasen durch die in den letzten Jahren veröffentlichten Daten der retrospektiven und prospektiv randomisierten Studien beim kolorektalen Karzinom nicht bestätigt. Vielmehr zeigte sich eine Inzidenz, die mit 1 % der offenen Chirurgie des Kolonkarzinoms entspricht. Dies ist in erster Linie der zunehmenden Erfahrung in der laparoskopischen onkologischen Chirurgie und der Beachtung onkologischer Grundsätze (adäquate Operationstechnik, Bergung des Resektats mit Bergebeutel) zuzuordnen. Die im Rahmen von Trokarmetastasen initiierten experimentellen Arbeiten zur Auswirkung des CO 2 -Pneumoperitoneums auf die Tumorprogression sollten jedoch im Hinblick auf die Optimierung der onkologischen Rahmenbedingungen (Höhe des intraperitonealen Drucks bzw. gaslose Laparoskopie, Auswahl des optimalen Gases etc.) in der Zukunft genutzt werden.

Intraoperative Tumorzellverschleppung Kontrovers diskutiert wird weiterhin die Frage, ob die laparoskopische Resektion mit einer vermehrten hämatogenen u n d intraperitonealen Tumorzellverschleppung einhergeht. Technische Radikalitätsprinzipien, wie die zentrale Ligatur der versorgenden Gefäße (Vasa mesenterica inferior) oder die frühe Unterbindung des tumortragenden Darmabschnitts (Turnbull- Ligatur), wurden aus der offenen Chirurgie übernommen und sind auch laparoskopisch

sicher durchzuführen. Zusätzlich werden zu resezierende Darmabschnitte in der laparoskopischen kolorektalen Tumorchirurgie über einen Beutel geborgen, um Impfmetastasen zu vermeiden. Das potenzielle Risiko der intraoperativen Tumorzellverschleppung kann analog zur offenen Chirurgie auch bei der Laparoskopie dadurch vermindert werden, dass man ausschließlich atraumatische Instrumente verwendet oder bipolare Koagulation und Fasszangen in der Nähe des Tumors vermeidet. Neben der Einhaltung der erwähnten onkologischen Radikalitätsprinzipien ist eine sinnvolle Patientenselektion für das laparoskopische Vorgehen entscheidend. Bei fortgeschrittenen Tumorstadien mit großem Durchmesser ergibt sich das Problem, dass die zur Bergung des Resektats notwendige Minilaparotomie die Vorteile des minimalinvasiven Verfahrens aufhebt. Darüber hinaus zeigen eine Reihe experimenteller Untersuchungen, dass das intraperitoneale Tumorwachstum bei laparoskopischen Eingriffen durch Helium oder gaslose Laparoskopie signifikant geringer ist als nach CO 2 -Insufflation. Durch die lokale Applikation zytotoxischer Substanzen (z. B. Taurolidin) kann das intra- und extraperitoneale Tumorwachstum in vitro und im Tiermodell ebenfalls signifikant reduziert werden. Auch hierdurch ergeben sich Ansatzpunkte für die Zukunft zur Optimierung der laparoskopischen kolorektalen Tumorchirurgie.

Langzeitüberleben Um die Grenzen der laparoskopischen kolorektalen Tumorchirurgie zu definieren, muss überprüft werden, ob die laparoskopische Methode zu einer Qualitätsverbesserung führt, indem die kurz- und langfristigen Vorteile der minimalinvasiven Chirurgie mit denen der konventionellen Chirurgie verglichen werden. Die heute vorliegenden Ergebnisse prospektiv randomisierter Studien mit großer Fallzahl zeigen insgesamt keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich des Langzeitüberlebens zwischen dem laparoskopischen und dem offenen Verfahren ( ). In der Untergruppe der Patienten, bei denen eine Konversion vom laparoskopischen zum offenen Vorgehen intraoperativ notwendig wurde, zeigten sich in manchen Studien jedoch signifikant schlechtere Ergebnisse im Vergleich zum primär offenen Vorgehen. Dadurch wird einmal mehr die Bedeutung der sorgfältigen Indikationsstellung sowie der Beachtung grundsätzlicher chirurgischer onkologischer Operationsprinzipien deutlich. Auch im Hinblick auf die Langzeitergebnisse kann jedoch die laparoskopische Technik zur Resektion des kolorektalen Karzinoms in den Händen eines erfahrenen Operateurs aus heutiger Sicht empfohlen werden. Im Tierexperiment und in klinischen Studien nachgewiesene immunologische Vorteile der Laparoskopie führen – unter den derzeitigen Bedingungen – gegenüber der Laparotomie hinsichtlich der Langzeitergebnisse offensichtlich bislang zu keinen onkologischen Vorteilen. Alternative, vielleicht noch schonendere Bedingungen der Laparoskopie, die auch für die Langzeitergebnisse von Bedeutung sein könnten (gaslose Laparoskopie, alternative Gase, niedrigere Drucklimitierung, minimal flow etc.), werden zurzeit nur in tierexperimentellen Phase-I-Studien untersucht.

15.3.2 Laparoskopie in der Schwangerschaft Dem Kliniker stellt sich die Frage, wie er sich hinsichtlich des Operationsverfahrens z. B. bei der schwangeren Patientin mit Verdacht auf Appendizitis verhalten soll. Hunter und Mitarbeiter beschrieben 1995 den Effekt des CO 2 -Pneumoperitoneums auf hämodynamische Parameter von Mutter und Fetus. Danach kommt es durch CO 2 -Insufflation zur Hyperkapnie der Mutter, die zur fetalen Hyperkapnie, Tachykardie und Hypertension führt. Die klinische Bedeutung wurde kontrovers diskutiert. Friedmann und Mitarbeiter beschrieben den Fall einer Patientin, die im 2. Trimenon ihrer Schwangerschaft im Rahmen einer diagnostischen Laparoskopie bei Verdacht auf Appendizitis ihr Kind verlor. Im Rahmen der Anlage des Pneumoperitoneums war es zur Ausbildung eines Pneumoamnions gekommen. Prospektiv randomisierte Untersuchungen zum Gebrauch der Laparoskopie in der Schwangerschaft fehlen. Retrospektiv konnten mehrere Autoren zeigen, dass die laparoskopische Appendektomie bis zum Ende des 5. Schwangerschaftsmonats sicher durchzuführen ist. Die größte Zusammenstellung retrospektiver Daten stammt von Lachmann und Mitarbeitern. Sie beschrieben insgesamt 524 Patientinnen mit laparoskopischen Operationen während der Schwangerschaft und bezeichnen das Verfahren als sicher, wenn es von erfahrenen Operateuren angewandt wird. Die größte Sammlung eigener Daten zur laparoskopischen Appendektomie und Cholezystektomie bei Schwangeren publizierten Affleck und Mitarbeiter 1999. Sie konnten an 22 Patientinnen mit laparoskopischer Appendektomie und 45 Patientinnen mit laparoskopischer Cholezystektomie zeigen, dass im Vergleich zum offenen Verfahren keine Unterschiede bestanden hinsichtlich Uterusverletzungen, Abortrate, vorzeitiger Entbindung, Geburtsgewicht und Apgar-Score. Die von der Society of the American Gastrointestinal Surgeons (SAGES) veröffentlichten Richtlinien zur laparoskopischen Chirurgie während der Schwangerschaft empfehlen ein intraoperatives Monitoring der Blutgase der Mutter sowie die Überwachung von Fetus und Uterus mittels Kardiotokogramm. Einigkeit besteht zudem darüber, dass bei der schwangeren Patientin eine Minilaparotomie zum Einbringen des ersten Trokars gewählt werden sollte. In der Wahl des Verfahrens zur chirurgischen Exploration wird der Erfahrungsstand des Operateurs letztlich den Ausschlag geben. Ein abwartendes Verhalten aufgrund fehlender Erfahrung in der Laparoskopie der Schwangeren ist unter Hinweis auf die erhöhte Abortrate bei perforierter Appendizitis und Peritonitis strikt abzulehnen. In der eigenen Klinik wird bei Schwangeren ab dem 4. Schwangerschaftsmonat überwiegend offen, d. h. konventionell, operiert. Der entscheidende Grund hierfür ist ein operationstechnischer Aspekt. Ab dem 4. Schwangerschaftsmonat verdrängt der Uterus zunehmend die intraabdominalen Organe, sodass eine ausreichende Raumbildung mit guter Übersicht kaum gegeben ist. Eine längere OP-Zeit ist wegen dieses technisch anspruchsvollen Situs andererseits nicht akzeptabel. Daher wird ab dem 4. Schwangerschaftsmonat überwiegend offen operiert. Die Indikationsstellung zur chirurgischen Exploration ist aber grundsätzlich die gleiche wie bei der nichtschwangeren Patientin.

15.3.3 Laparoskopie beim Kind Der Altersgipfel der Appendizitis liegt bei 10–19 Jahren. Entsprechend häufig steht der Chirurg vor der Frage, welchen operativen Zugang er beim Kind wählen soll. In der internationalen Literatur finden sich zu dieser Frage drei prospektiv randomisierte Studien mit insgesamt 233 Patienten. Zwei der drei Autoren finden keine Vorteile in der laparoskopischen Technik beim Kind mit Appendizitisverdacht. Mehrere retrospektive Studien sehen allerdings die Indikation zur Laparoskopie auch beim Kind mit Verdacht auf Appendizitis als gegeben an und begründen dies mit der geringeren Morbidität und der kürzeren Krankenhausverweildauer. Einigkeit besteht darüber, dass laparoskopische Verfahren beim Kind ab dem 5. Lebensjahr mit der gleichen Sicherheit wie beim Erwachsen durchgeführt werden können. Analog der Situation des Erwachsenen wird darüber hinaus in fast allen Studien auf den diagnostischen Wert der Laparoskopie beim unklaren präoperativen Beschwerdebild hingewiesen.

15.4 Natural Orifice Transluminal Endoscopic Surgery (NOTES) Bereits vor der Erstbeschreibung durch Kalloo und Mitarbeiter im Jahr 2004 gab es Versuche, über natürliche Körperöffnungen chirurgische Eingriffe an den Bauchorganen durchzuführen. In den 1940er-Jahren wurden z. B. Sterilisationen durchgeführt, indem ein Endoskop über den Douglas-Raum in die Bauchhöhle eingeführt wurde. Im Jahr 2000 publizierten Seifert und Mitarbeiter, unter Hinweis auf die geringere Morbidität im Vergleich zum konventionellen chirurgischen Zugang, transorale Nekrosektomien bei nekrotsierender Pankreatitis. Sie gelangten über die Magenhinterwand in den retroperitonealen Raum. Es wurde schnell deutlich, dass weitere Anstrengungen zur Etablierung dieser Technik von minimalinvasiv operierenden Chirurgen und Gastroenterologen gemeinsam unternommen werden sollten. So trafen sich in den USA erstmals im Jahr 2005 Mitglieder der Society of American Gastrointestinal Endoscopic Surgeons (SAGES) mit Mitgliedern der American Society for Gastrointestinal Endoscopy (ASGE) zur ersten Bestandsaufnahme und um weitere Schritte zur Entwicklung dieser Technik abzustimmen. Dieses Meeting führte zur Entwicklung des Natural Orifice Surgery Consortium for Assesment and Research (NOSCAR), welches die Notwendigkeiten hinsichtlich Technik und Sicherheit, Forschung und der regelmäßigen Ergebnismitteilung bezüglich NOTES in den folgenden Jahren in den USA festlegte. In Europa kam es analog ab dem Jahr 2007 jährlich zu Treffen der European Association for Endoscopic Surgery (EAES) mit der European Society of Gastrointestinal Endoscopy (ESGE) sowie Vertretern der Industrie. 2012 fand dieses Treffen in Prag statt. Entsprechend dem zu erwartenden Indikationsspektrum wurden die Arbeitsgruppen „Cholezystektomie und Appendektomie“, „Therapie kolorektaler Erkrankungen“, „Therapie von Adenokarzinomen und Neoplasien am oberen Gastrointestinaltrakt“, „Therapie der Adipositas“ und schließlich „Therapie der Achalasie“ gegründet. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie hat mit Beginn des Jahres 2012 das Studien-, Dokumentations- und Qualitätszentrum DGAV-StuDoQ eingerichtet. In ihm ist ein nationales NOTES-Register implementiert. Bis zum Jahr 2013 wurden 3.030 Fälle aus 62 Kliniken gemeldet. Cholezystektomie Die Cholezystektomie ist die klassische Indikation für NOTES-Techniken. Entsprechend den Mitteilungen des EURO-NOTES-Meetings 2012 machen diese Eingriffe 82 % der insgesamt gemeldeten NOTES-Prozeduren aus. Die transvaginale Cholezystektomie mit starren Instrumenten steht hierbei im Vordergrund. Die einzige bislang zur Verfügung stehende prospektiv randomisierte Studie von Noguera und Mitarbeitern zeigt keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich postoperativer Schmerzen, Länge des Krankenhausaufenthaltes und Rekonvaleszenz, verglichen mit der konventionellen laparoskopischen Cholezystektomie .

Appendektomie NOTES-Appendektomien machen weniger als 10 % der gemeldeten Eingriffe aus mit Bevorzugung des transgastrischen Zugangs. Für beide Eingriffe gilt bislang, dass rein endoskopische Methoden die Ausnahme darstellen. Vielmehr wird bislang in aller Regel eine zusätzliche transabdominale chirurgische Assistenz benötigt. Mittlerweile wurden vereinzelt auch NOTES- Kolonresektionen sowie totale mesorektale NOTES- Resektionen von T2- und T3-Tumoren erfolgreich durchgeführt. Bei den transkolischen Eingriffen bestehen jedoch bislang Bedenken bezüglich der Infektionsgefahr. Beim EURO-NOTES-Meeting 2012 wurde daher empfohlen, den transkolischen Zugang zur Bauchhöhle in einen später zu resezierenden Darmabschnitt zu legen (linkes Hemikolon, Rektum). Eingriffe am oberen Gastrointestinaltrakt Am oberen Gastrointestinaltrakt konzentrieren sich die NOTES-Eingriffe bislang auf endoskopische Mukosaresektion (EMR) und endoskopische submukosale Dissektion (ESD). Aufgrund der als onkologisch notwendig erachteten systematischen Lymphadenektomie bei T2- oder T3-Tumoren, welche mittels NOTES zurzeit nicht realisiert werden kann, wird eine endoluminale Resektion bei diesen Tumoren bislang nicht empfohlen. Adipositas-Therapie NOTES-Techniken zur Therapie der Adipositas befinden sich zurzeit noch in einem sehr frühen Stadium. In Zukunft könnte NOTES zur Schlauchbildung des Magens oder zur Schrittmacherimplantationen im Rahmen der chirurgischen Adipositastherapie von Bedeutung sein. Achalasie-Therapie Bei der Therapie der Achalasie stellt die perorale endoskopische Myotomie (POEM) eine vielversprechende Alternative zur konventinellen laparoskopischen Heller-Myotomie oder zur pneumatischen Dilatation dar. Es fehlt jedoch an kontrollierten randomisierten Studien. Der „NOTES-Hype“ zum Ende des vergangenen Jahrzehnts scheint ein wenig verflogen zu sein. Die nächsten Jahre werden zeigen, welche NOTESTechniken sicher und sinnvoll für den Patienten einzusetzen sind.

15.5 Komplikationen der Laparoskopie Die Umstiegsrate z. B. bei der laparoskopischen Appendektomie liegt analog der Cholezystektomie bei etwa 5 %. Der Abbruch des laparoskopischen Vorgehens stellt keine Komplikation im eigentlichen Sinn dar. Durch die Feststellung anderer Diagnosen während der Laparoskopie ergibt sich z. T. intraoperativ die Indikation zur konventionellen Laparotomie. Gründe des Umstiegs sind jedoch auch Blutungskomplikationen, technische Probleme bei fortgeschrittener Entzündung oder ausgeprägte Verwachsungen. Die Gesamtkomplikationsrate ist entsprechend prospektiv randomisierten Studien mit 10–15 % bei beiden Verfahren annähernd gleich. Unterschiede liegen im Komplikationsspektrum.

Iatrogene Verletzungen Immer wieder finden sich in der Literatur Fallberichte sog. Major-Komplikationen im Zusammenhang mit der Laparoskopie. Damit sind vor allen Dingen Darmverletzungen und Verletzungen größerer Gefäße und Nerven gemeint. Diese seltenen Ereignisse schlagen selbst in größeren Studien oft nicht statistisch signifikant zu Buche, stellen jedoch für den Betroffenen ein schweres Ereignis dar. In der Literatur wird in diesem Zusammenhang der Weg zur Anlage eines Pneumoperitoneums diskutiert. Schäfer und Mitarbeiter verglichen 2001 den Gebrauch der Veress-Nadel mit der „offenen Laparoskopie“ anhand von 14.243 Patienten im Rahmen einer prospektiven Studie der Schweizer Arbeitsgemeinschaft für laparoskopische und thorakoskopische Chirurgie (SALTS). Sie fanden insgesamt 26 iatrogene Verletzungen ohne signifikanten Unterschied zwischen den gewählten Zugangswegen. Sowohl die offene als auch die geschlossene Anlage eines Pneumoperitoneums birgt demnach die Gefahr von perforierenden Verletzungen. Die Morbidität und Mortalität wird jedoch vom intraoperativen Übersehen einer solchen Verletzung bestimmt. Dieses Risiko war geringer, wenn der erste Trokar unter Sicht eingebracht wurde. Obwohl in der Konsensuskonferenz 2001 der European Association of Endoscopic Surgery (EAES) der Gebrauch der Veress-Nadel als gleichwertig erachtet wurde, favorisieren wir aus diesem Grund den sog. offenen Zugang. In jedem Fall sollte bei voroperierten Patienten, bei Kindern und bei sehr schlanken Patienten der erste Trokar offen unter Sicht eingebracht werden.

Anforderungen an die Patientenaufklärung Das besondere Risiko seltener schwerer Komplikationen sollte grundsätzlich nicht nur bei der laparoskopischen Hernienchirurgie, sondern bei allen laparoskopischen Verfahren in der präoperativen Aufklärung Berücksichtigung finden. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer spezifischen Aufklärung für laparoskopische Eingriffe. Diese umfasst v. a. zugangsbedingte Verletzungen des Darms, der Gefäße und der Nerven. Darüber hinaus muss über Schäden, die durch die besondere intraoperative Lagerung der Patienten bei laparoskopischen Eingriffen entstehen können, aufgeklärt werden. Laparoskopische Eingriffe dauern gerade in der kolorektalen Chirurgie am Anfang der Lernkurve deutlich länger als vergleichbare konventionelle Eingriffe. Dadurch sowie durch Extrempositionen wie Kopfhoch- oder Kopftieflagen können Lagerungsschäden entstehen oder verstärkt werden. Dies muss in der Aufklärung des Patienten bei laparoskopischen Eingriffen Berücksichtigung finden.

Beeinflussbare Rahmenbedingungen Die vom Operationsteam zu beeinflussenden Rahmenbedingungen tragen grundsätzlich zur Vermeidung von Komplikationen bei. Hierzu zählt die optimale Positionierung der Operateure. Der Operateur sollte so positioniert sein, dass er über das zu operierende Organ hinweg, möglichst in gerader Linie, auf den Monitor schaut. Weitere Voraussetzung ist, dass die Kamera mit ihrer Sichtrichtung möglichst parallel zu der geraden Verbindungsebene zwischen dem Operateur und dem Monitor liegt, da die Kamera „das Auge des Operateurs“ ist. Deshalb steht der kameraführende Assistent möglichst nah neben dem Operateur. Kreuzen sich die Arbeitsrichtung des Operateurs und die Blickrichtung der Kamera oder verlaufen sie gegensinnig zueinander, lassen sich keine koordinierten Arbeitsabläufe mehr durchführen. Die Benutzung einer Winkeloptik ist wegen des größeren Sichtfeldes und der Möglichkeit des seitlichen Blicks hinter anatomische Strukturen bei ausreichendem Arbeitsraum grundsätzlich vorzuziehen. Um eine optische Verwirrung zu vermeiden, muss der Kameraassistent die horizontale Ebene korrekt einhalten. Alle gängigen Kamerasysteme besitzen Orientierungshilfen für den Kameraassistenten, mit deren Hilfe es gelingt, durch optische oder taktile Kontrolle den Horizont gerade einzustellen. Zur Erkennung von Details und subtilen Präparation wird die Optik möglichst nah an das Operationsgebiet herangeführt. Für komplexe chirurgische Manöver, wie das Nähen, muss die Optik häufig im Trokar hin und her bewegt werden.

Operationstechnische Aspekte Grundsätzlich sollten laparoskopisch arbeitende Chirurgen die „Zwei-Hand-Technik“ beherrschen, da nur durch die bimanuelle Präparationstechnik analog zur konventionellen Chirurgie eine subtile Präparation ermöglicht wird. Bei der „Zwei-Hand-Technik“ führt die dominante Hand das Instrument zur Ausführung einer chirurgischen Aufgabe und die nichtdominante Hand assistiert dabei z. B. durch Exposition des Gewebes oder einer anatomischen Struktur. Eine wesentliche Rolle in der Komplikationsvermeidung spielt die optimale Platzierung der Arbeitstrokare. Eine ungünstige Platzierung der Trokare kann eine videoendoskopische Operation extrem erschweren oder sogar unmöglich machen. Die Trokare müssen so platziert werden, dass sie einen guten Einsatz im Operationsgebiet erlauben und sich möglichst nicht überkreuzen („Schwertfechten“). Sie werden am günstigsten halbkreisförmig um das zu operierende Organ herum so angeordnet, dass sie zum Organ, zu den Nachbarstrukturen und zur Optik mindestens einen Abstand von etwa 10 cm aufweisen. Am Ende eines videoendoskopischen Eingriffs sollte die Entfernung der Arbeitstrokare immer unter Sicht erfolgen, um Blutungen aus den Trokareinstichstellen zu erkennen. Nach Entfernen der Trokarhülse müssen alle Trokareinstichstellen ab 10 mm mit einer Naht verschlossen werden, da ansonsten Narbenhernien oder Dünndarminkarzerationen drohen. Die Arbeitstrokare sollten nie blind, sondern immer unter Sicht der Optik eingestochen werden. Durch Diaphanoskopie kann die Punktion größerer Gefäße in der Bauchwand vermieden werden. Der Trokar sollte möglichst senkrecht durch die Bauchdecke eingestochen werden, da sonst die Bewegungsfreiheit der Instrumente im Arbeitstrokar eingeschränkt wird.

Anatomische Risikofaktoren Neben den vom Operationsteam zu beeinflussenden Risikofaktoren der laparoskopische Chirurgie kann die pathologische Anatomie des Patienten Komplikationen begünstigen. Voroperationen können den laparoskopischen Zugang und die nachfolgende Präparation wesentlich erschweren. Ebenso können entzündlich bedingte Veränderungen z. B. der Gallenblase oder der Appendix so ausgeprägt sein, dass eine endoskopische Präparation mit vertretbarem Risiko für den Patienten nicht sinnvoll erscheint. In diesen Fällen muss der Chirurg früh zum offenen Verfahren konvertieren, um das Patientenrisiko zu minimieren. Eine weitere Einflussgröße bei der Entstehung von Komplikationen ist eine unerwartete Anatomie. Hier sei z. B. auf die variable Einmündung des Ductus cysticus in den Ductus choledochus oder den variablen Gefäßverlauf im Lig. hepatoduodenale hingewiesen. Solche anatomischen Variationen führen immer wieder zu schwerwiegenden Komplikationen. Der Chirurg muss daher anatomische Varianten kennen und durch eine standardisierte laparoskopische Operationstaktik erkennen. Hierzu zählt z. B. das standardisierte Identifizieren des Carlot-Dreiecks bei der laparoskopischen Cholezystektomie. Die Einflussgrößen bei der Komplikationsentstehung in der laparoskopischen Chirurgie sind schematisch in zusammengefasst.

Das Komplikationsrisiko für den Patienten bei der Laparoskopie hängt von drei wesentlichen Faktoren ab: dem Chirurgen, der Anatomie und der Pathologie. [ ] ABB. 15.7

15.6 Fortschritt durch Laparoskopie Die rasante Entwicklung in der laparoskopischen Chirurgie in den vergangenen 30 Jahren hat nicht nur zu einem immer breiteren Spektrum an laparoskopischen Prozeduren geführt, sondern auch zur Etablierung neuer chirurgischer Versorgungsprinzipien sowie zu einer veränderten Indikation in der chirurgischen Therapie. Am Beispiel der laparoskopischen Leistenhernienversorgung wird dies besonders deutlich. Durch die laparoskopische Technik zur Versorgung einer Leistenhernie wurde die Einlage von Kunststoffnetzen zum spannungsfreien Bruchlückenverschluss etabliert. Das aufwendige Verfahren der laparoskopischen Leistenhernienreparation mit einer langen Lernkurve, dem Auftreten von Major-Komplikationen sowie der kostenintensiveren laparoskopischen Prozedur führten jedoch dazu, dass sich in der Breite für den grundsätzlich sinnvollen spannungsfreien Bruchlückenverschluss mit Kunststoffnetz das anteriore Verfahren nach Lichtenstein durchgesetzt hat. Eine andere Entwicklung hat die Chirurgie durch die Anwendung laparoskopischer Techniken in der Antirefluxchirurgie genommen. Vor dem Einsatz verbesserter Antirefluxmedikamente war bei starken Refluxbeschwerden die offene Fundoplicatio über eine mediane Laparotomie die Therapie der Wahl. Nach der Entwicklung potenter Protonenpumpenblocker ging die Rate der Antirefluxoperationen verständlicherweise deutlich zurück, da man die mit einer hohen Morbidität verbundene offene Antirefluxoperation durch die medikamentöse Therapie vermeiden konnte. Mit Einführung der laparoskopischen Fundoplicatio gibt es jedoch ein chirurgisches Verfahren mit sehr geringer Morbidität, das es dem Patienten als definitive chirurgische Therapie ermöglicht, ein Leben lang auf die Einnahme von Antirefluxmedikamenten zu verzichten. Bei entsprechender Beschwerdesymptomatik entscheiden sich heute daher wieder immer mehr Patienten zur chirurgischen Versorgung der Hiatushernie mittels Laparoskopie. Unstrittig und in vielen randomisierten Untersuchungen nachgewiesen sind die Vorteile der laparoskopischen im Vergleich zur offenen Cholezystektomie beim Gallensteinleiden. Der Verzicht auf einen Rippenbogenrandschnitt zugunsten des minimalinvasiven Zugangs ist für den Patienten mit geringeren Schmerzen postoperativ und einer schnelleren Rekonvaleszenz verbunden. Demgegenüber wird der Einsatz der laparoskopischen Appendektomie in der Literatur und beim praktizierenden Chirurgen kontrovers diskutiert. Die kleinen Schnittlängen des minimalinvasiven Zugangs sind in ihrer Summe nur unwesentlich kleiner als der Pararektalschnitt oder der Wechselschnitt. Hinzu kommt das teure Equipment der Laparoskopie, das bei nicht gegebenem Morbiditätsvorteil durch eine kürzere Krankenhausverweildauer nicht zu kompensieren ist. Diese Faktoren führten dazu, dass sich die laparoskopische Appendektomie nicht mit der gleichen Konsequenz durchsetzen konnte wie die laparoskopische Cholezystektomie. Die Rationale der laparoskopischen Appendektomie ist daher heute seine Anwendung als diagnostisches Instrument bei präoperativ unsicherer Diagnose. Differenzialdiagnosen wie Sigmadivertikulitis oder Ovarialzysten sind über den konventionellen Pararektalschnitt schlecht oder gar nicht möglich. Durch die laparoskopische Technik hat sich somit die Indikation zum chirurgischen Vorgehen bei Verdacht auf Appendizitis oder unklarem Unterbauchschmerz verändert. Durch die Möglichkeit der Laparoskopie als diagnostisches Instrument wird sich der Chirurg bei unklarem Befund heute frühzeitig zur chirurgischen Exploration mittels Laparoskopie entschließen. Die Akzeptanz neuer laparoskopischer Techniken hängt grundsätzlich von der Einfachheit ab, diese in der Breite anzuwenden, von den objektiv messbaren Vorteilen für den Patienten, den intraoperativen Mehrkosten mit oder ohne Morbiditätsvorteil, dem vom Klinikbetreiber zu erwartenden Patientenzustrom durch die vermeintlich modernere Methode sowie nicht zuletzt von gesundheitspolitischen Entscheidungen der Vergütung im DRG-System. Jedoch bergen auch retrospektiv von vielen als Irrweg bezeichnete Entwicklungen in der laparoskopischen Chirurgie die Chance zur Etablierung neuer chirurgischer Therapieprinzipien auch in der konventionellen Chirurgie ( ).

Die Einführung laparoskopischer Techniken führte sowohl zu einer veränderten chirurgischen Indikation als auch zur Etablierung neuer Versorgungsprinzipien. [ ] ABB. 15.8

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KAPITEL 16

Leistenhernie – offene Verfahren Christian Wilhelm Kley

16.1. 16.2. 16.3. 16.4. 16.5. 16.6. 16.7. 16.8. 16.8.1. 16.8.2. 16.8.3. 16.9. 16.9.1. 16.9.2. 16.10. 16.11. 16.12. 16.13.

16.1 Epidemiologie Die Leistenhernie stellt eine der häufigsten chirurgischen Erkrankungen dar. Im Jahr 2003, dem letzten Jahr, in dem eine verpflichtende bundesweite Qualitätssicherung erfolgt ist, wurden in der Bundesrepublik Deutschland 203.743 Leistenhernienoperationen durchgeführt. Dieses entspricht einer Inzidenz von 250/100.000 Einwohnern. Damit stellt die Leistenhernie eine der häufigsten Operationsindikationen dar. Die Leistenhernienreparation ist die am häufigsten durchgeführte abdominalchirurgische Operation. Männer sind bis zu 12-mal häufiger als Frauen von einer Leistenhernie betroffen. Bei Frauen kommt dagegen die Femoralhernie relativ häufiger vor. Die Prävalenz, im Laufe des Lebens an einer Leistenhernie zu erkranken, liegt bei Männern bei bis zu 25 %.

16.2 Definition Als Hernie bezeichnet man eine Ausstülpung des Bruchsacks durch eine vorgegebene muskelaponeurotische Lücke. Hernien treten vornehmlich im Bereich der Bauchwand und des Beckens und hier besonders in der Leistenregion auf. Eine Hernie besteht aus einer Bruchlücke, einem Bruchsack und dem Bruchsackinhalt. Die Bruchlücke entsteht aus einer Schwachstelle des MuskelFaszien-Gerüstes. Der Bruchsack stülpt sich durch die Bruchlücke vor und besteht aus dem parietalen Peritoneum. Als Bruchsackinhalt finden sich Anteile des Intestinums, in den meisten Fällen sind das Dünndarmanteile oder Teile des Omentum majus. Bei der Leistenhernie unterscheidet man die direkte (mediale) und die indirekte (laterale) Leistenhernie. Bei der Zuordnung ist die Lagebeziehung der Bruchlücke zu den epigastrischen Gefäßen in der Leiste von Bedeutung: Die direkte Leistenhernie tritt medial der epigastrischen Gefäße im sog. HesselbachDreieck, die indirekte Leistenhernie lateral der epigastrischen Gefäße am inneren Leistenring aus ( ). Eine indirekte Leistenhernie kann angeboren oder erworben sein, während direkte Leistenhernien in der Regel erworben sind. Sowohl indirekte als auch direkte Leistenhernien entwickeln sich bei Männern entlang der Samenstranggebilde und treten am äußeren Leistenring aus. Fortgeschrittene Befunde können bis in den Hodensack reichen und werden dann als Skrotalhernie bezeichnet. Bei Frauen findet sich an der Stelle der Samenstranggebilde das Lig. rotundum (= Lig. teres uteri) als eines der Haltebänder des Uterus. In der Schwangerschaft ist dieses Ligament hypervaskularisiert.

Leistenregion: Muskelaponeurotische Lücke nach Fruchaud. a) Lig. inguinale b) Arkade des M. transversus abdominis c) Samenstrang d) Iliakalgefäße e) M. iliopsoas. [ ] ABB. 16.1

Die Femoral- oder Schenkelhernie tritt unterhalb des Leistenbandes in der Lacuna vasorum, in den meisten Fällen medial der V. femoralis, aus ( ). Seltene Hernienformen sind die Spieghel- Hernie, die an der Kreuzungsstelle der Linea arcuata (dem Unterrand des hinteren Blattes der Rektusscheide) und der Linea semilunaris auftritt, die Richter-Littre- Hernie, bei der es zu einer inkompletten Einklemmung der Darmwand in der Bruchlücke kommt, und die häufig okkulte und schwer zu diagnostizierende supravesikale Hernie. Unter klinischen Aspekten können verschiedene Hernientypen unterscheiden werden:

• Bei der reponiblen Hernie kann der Bruchsackinhalt problemlos in die Bauchhöhle zurückgedrückt (reponiert) werden. • Bei der irreponiblen Hernie ist der Bruchsackinhalt fixiert und lässt sich nicht problemlos reponieren. Eine irreponible Hernie ist eingeklemmt, aber nicht inkarzeriert. • Bei der inkarzerierten Hernie ist der Bruchsackinhalt irreponibel, eingeklemmt und stranguliert. Klinisch entwickelt sich eine schmerzhafte Vorwölbung, die nicht reponiert werden kann. Der Repositionsversuch ist sehr schmerzhaft. Durch die Inkarzeration des Bruchsackinhalts kommt es zu Durchblutungsstörungen mit Nekrosen des Bruchsackinhalts bis hin zur Organperforation und Ausbildung einer Peritonitis als gefährlichster Komplikation. Die Inkarzeration kann mit Subileus- oder Ileuszuständen einhergehen. Über der inkarzerierten Hernie entwickelt sich eine typische Verfärbung der Haut, die sich zunächst in einer Rötung und einer zunehmenden lividen Verfärbung äußert und mit der Nekrose des Bruchsackinhaltes korreliert. Eine inkarzerierte Hernie ist eine absolute Notfallindikation und zwingt zur umgehenden Operation. Früher sagte man: „Über einer inkarzerierten Hernie darf die Sonne weder auf- noch untergehen.“ • Als Gleithernie bezeichnet man eine Hernie, deren Bruchsackinhalt aus teilweise retroperitoneal gelegenen Organen besteht (z. B. Blase, Sigma, Colon ascendens und descendens), die nicht komplett vom Peritoneum überzogen sind. • Als symptomatische Hernie wird eine Hernie bezeichnet, die Symptom eines pathologisch erhöhten Drucks im Abdominalraum ist. Diese Druckerhöhung kann durch raumfordernde intraabdominale Prozesse (z. B. kolorektale Tumoren, Peritonealkarzinose oder Aszites) hervorgerufen werden.

16.3 Anatomie des Leistenkanals Der Leistenkanal (Canalis inguinalis) verläuft in der Leistenregion durch die vordere Bauchwand. Beim Mann durchziehen der Samenstrang (Funiculus spermaticus) und bei der Frau das Mutterband (Lig. rotundum oder Lig. teres uteri) den Leistenkanal. Der Leistenkanal läuft von dorsokranial lateral kommend nach ventrokaudal medial und ist ca. 6 cm lang. Die innere Öffnung des Leistenkanals wird als Anulus inguinalis profundus (innerer Leistenring) bezeichnet. Dort strahlt die Fascia transversalis in den Leistenkanal ein und umhüllt als Fascia spermatica interna den Samenstrang. Der innere Leistenring stellt die Bruchpforte der indirekten (lateralen) Leistenhernie dar. Der Anulus inguinalis superficialis (äußerer Leistenring) bildet die äußere Öffnung des Leistenkanals. Er wird vom auslaufenden vorderen Blatt der Rektusscheide und der Aponeurose des M. obliquus externus abdominis lateral des Schambeinhöckers gebildet. Der Leistenkanal wird nach ventromedial durch den M. obliquus internus abdominis und den M. transversus abdominis und nach dorsomedial durch das Leistenband (Lig. inguinale) begrenzt. Die Aponeurose des M. obliquus externus abdominis ( Externusaponeurose) bildet die Vorderwand und die Fascia transversalis die Hinterwand des Leistenkanals. Die Fascia transversalis ist die Schwachstelle bei der Entstehung einer Leistenhernie. Der Samenstrang enthält den Samenleiter (Ductus deferens) mit den begleitenden Gefäßen (A. und V. ductus deferentis), die A. testicularis und den venösen Plexus pampiniformis mit der V. ductus deferentis. Der Samenstrang wird vom M. cremaster umhüllt. In enger Lagebeziehung zum Samenstrang und zum M. cremaster verlaufen lateral der R. genitalis des N. genitofemoralis und medial der N. ilioinguinalis. Auch der N. iliohypogastricus verläuft medial durch den Leistenkanal. Bei der Frau entspricht das Lig. rotundum (= Lig. teres uteri) dem Verlauf des Samenstrangs. Als eines der Haltebänder des Uterus erfüllt dieses Ligament in der Schwangerschaft eine nutritive Funktion und ist hypervaskularisiert.

16.4 Ätiologie Die Entstehung einer Leistenhernie ist weitgehend unklar. Es gibt jedoch Hinweise, dass Patienten mit einer Störung des Kollagenstoffwechsels und einer Verlangsamung der Kollagensynthese in der Muskulatur und im Fasziengewebe generell eine erhöhte Inzidenz zur Ausbildung von Hernien und damit auch einer Leistenhernie aufweisen. Bei solchen Patienten spricht man in jüngerer Zeit auch vom speziellen Krankheitsbild der Herniose. Typische Krankheitsbilder, die mit Kollagensynthesestörungen einhergehen, wie das Ehlers-Danlos-Syndrom, gehen mit einer erhöhten Rate von Leistenhernien einher. Eine Leistenhernie kann jedoch auch infolge einer Erhöhung des intraabdominalen Drucks erworben werden. So kann sich durch körperliche Schwerarbeit, chronischen Husten, vermehrtes Pressen bei chronischer Obstipation oder auch durch die intraabdominale Druckerhöhung während einer Schwangerschaft eine Leistenhernie ausbilden. Zur Erklärung dieses Mechanismus kann das Modell Fruchauds dienen, der den gesamten Bereich zwischen dem Unterrand der Bauchdeckenmuskulatur und dem knöchernen Becken als „orifice myopectineal“ bezeichnet hat. Im Zentrum dieses Trichters liegt das Hesselbach- Dreieck, die Austrittspforte der direkten Leistenhernie. An dieser Stelle trifft der intraabdominale Druck direkt auf die Fascia transversalis, während der schräge Verlauf des Leistenkanals und die Muskelarkade des inneren Leistenrings einen blendenähnlichen Verschluss des inneren Leistenkanals gewährleisten. Dieses Modell erklärt, warum direkte, mediale Hernien immer erworben sind. Übergewicht, Diabetes mellitus, chronisch-obstruktive Lungenerkrankungen und Nikotinabusus können die Entstehung einer Leistenhernie begünstigen. In der Fetalentwicklung wandert der in der Bauchhöhle sich entwickelnde Hoden durch eine Ausstülpung des Peritoneums, den Processus vaginalis testis, in den Hodensack. Dieser schließt sich in der Regel bei der Geburt. Persistiert der Processus vaginalis testis jedoch, entwickelt sich eine kindliche Leistenhernie, die in nicht wenigen Fällen erst im Erwachsenenalter bemerkt wird. Bei der angeborenen Leistenhernie handelt es sich immer um eine indirekte, laterale Hernie.

16.5 Diagnostik Bei Vorliegen einer Leistenhernie bemerkt der Patient in den meisten Fällen eine Schwellung im Leistenbereich. Dabei können Schmerzen auftreten; bei frühen Formen der Leistenhernie ohne sichtbare Schwellung sind diese häufig das erste Symptom. Die Schmerzen sind häufig belastungsabhängig.

Körperliche Untersuchung Bei der Diagnose einer Leistenhernie ist die körperliche Untersuchung neben der Anamnese von besonderer Bedeutung. Der Untersucher sitzt vor dem stehenden Patienten. Bei der Inspektion fällt in vielen Fällen bereits eine sichtbare Vorwölbung in der Leistenregion auf. Im Hustenversuch kann diese Vorwölbung provoziert werden. Da sowohl indirekte als auch direkte Leistenhernien im äußeren Leistenring austreten, ist die Palpation des äußeren Leistenrings die geeignete klinische Untersuchungsmethode. Dabei wird der Zeigefinger des Untersuchers in den äußeren Leistenring eingeführt ( ). Die Leistenhernie ist dann bereits deutlich zu tasten, oder es ist im Hustenversuch ein pathologischer Anprall feststellbar. Bei kleineren Hernien lässt sich häufig nur ein erweiterter innerer Leistenring als klinisches Zeichen des Leistenbruchs tasten. Aus diesem Grund sollten immer beide Leisten im Seitenvergleich untersucht werden. Bei Männern ist die klinische Untersuchung des Skrotums in der Abgrenzung der Leistenhernie zu einem Hodentumor obligat. Eine Unterscheidung, ob eine direkte (mediale) oder indirekte (laterale) Leistenhernie vorliegt, ist durch die Palpation alleine nicht möglich, da sich beide Bruchformen entlang des Leistenkanals zum Angulus inguinalis superficialis hin entwickeln. Bei Frauen ist die klinische Diagnostik häufig deutlich erschwert, wenn die Vorwölbung der Hernie nicht deutlich sichtbar ist.

ABB. 16.2

Untersuchungsgang beim Mann im Stehen. [ ]

Eine Femoralhernie imponiert klinisch als Vorwölbung unterhalb des Leistenbandes. In vielen Fällen sind Schenkelhernien jedoch okkult und fallen nur durch eine belastungsabhängige Schmerzsymptomatik auf. Allerdings inkarzerieren sie häufiger als Leistenhernien.

Bildgebende Verfahren Die Ultraschalluntersuchung ist in der Hand des erfahrenen Untersuchers ein wertvolles diagnostisches Mittel. Sonografisch lässt sich die Hernierung in der dynamischen Untersuchung mithilfe des Pressversuchs bei Anspannung der Bauchdecke sicher darstellen. Es gelingt auch, die Größe der Bruchlücke auszumessen und den Bruchsackinhalt zu beschreiben. Andere bildgebende Verfahren wie die Computertomografie (CT) und besonders die Magnetresonanztomografie (MRT) weisen eine hohe Spezifität auf, sind allerdings aufgrund der mit ihnen verbundenen hohen Kosten und der hohen Strahlenbelastung nur bei klinisch nicht zu diagnostizierenden Befunden sinnvoll und sollten deshalb nur im Einzelfall angewendet werden. Wichtige Differenzialdiagnosen, die ebenfalls mit einer Schwellung der Leiste einhergehen können, sind z. B. vergrößerte inguinale Lymphknoten, Abszesse, Varizen oder Weichteiltumoren.

16.6 Klassifikation der Hernien

16.6 Klassifikation der Hernien In den vergangenen Jahren sind in vielen Ländern nationale Hernienregister entstanden und zahlreiche Qualitätssicherungsstudien durchgeführt worden. Um solche Studien zu bewerten, eine Vergleichbarkeit von Ergebnissen zu erreichen und daraus Rückschlüsse auf die Therapie der Leistenhernien zu ziehen, haben sich Hernienklassifikationen als hilfreich erwiesen. Eine Hernienklassifikation sollte die wesentlichen Merkmale der Hernie berücksichtigen und zugleich einfach und leicht reproduzierbar sein. Llyod Nyhus stellte 1991 eine Hernienklassifikation vor, die im Wesentlichen die Beschaffenheit der Hinterwand des Leistenkanals in den Vordergrund stellte, während die Größe der Hernie unberücksichtigt blieb ( ).

Tab. 16.1 Leistenhernienklassifikation nach Nyhus (1991). Typ I

offener Processus vaginalis

Typ II

indirekte Leistenhernie bei intakter Hinterwand

Typ III

geschwächte Hinterwand

• Typ III a • Typ III b • Typ III c Typ IV

• direkt • indirekt • Schenkelhernie Rezidivhernie

Die Europäische Herniengesellschaft (EHS/European Hernia Society) schlug im Jahr 2007 eine Hernienklassifikation vor, die im Wesentlichen auf den Arbeiten Schumpelicks beruht ( ). In dieser Klassifikation spielt die Größe der Hernie, einfach gemessen in der Breite von Fingern, die entscheidende Rolle. Der Beschaffenheit der Hinterwand des Leistenkanals kommt dabei keine Bedeutung zu. Die EHS-Hernienklassifikation hat in den letzten Jahren in der wissenschaftlichen Literatur eine weite Verbreitung gefunden.

Tab. 16.2 EHS-Leistenhernienklassifikation (2007). p (primäre Hernie) oder r (Rezidivhernie) Fingerbreite

0

1

2

3

x

L (lateral) M (medial) F (femoral)

16.7 Geschichte der Leistenhernienchirurgie Bereits im Altertum war eine anatomisch begründete Theorie zur Entstehung der Leistenhernie entwickelt worden. Bis ins 18. Jahrhundert galt eine Zerreißung des Peritoneums durch eine Entzündung oder ein Trauma als ursächlich für die Entstehung einer Leistenhernie.

Mittelalter bis 17. Jahrhundert Die ältesten bekannten Reparationsprinzipien zur Verstärkung der Bruchpforten bestanden in einer Induktion einer Entzündungsreaktion durch Einbringen spezieller Chemikalien oder der Anwendung des Glüheisens. Durch diese Vorgänge sollte die Bildung einer festen Narbenplatte, ähnlich der heutigen Anwendung von Netzprothesen, zum Bruchlückenverschluss hervorgerufen werden. Bereits in der Antike wurden Leistenbruchoperationen durchgeführt. Bis ins Mittelalter bestand die Operationstechnik in einer Umstechung des Bruchsacks ohne anatomischen Bruchlückenverschluss. Bei inkarzerierten Brüchen wurde häufig mithilfe eines Operationsmessers ohne anatomische Präparation der einzelnen Muskelschichten die Bruchpforte eröffnet, damit der inkarzerierte Bruch reponiert werden konnte. Dabei kam es häufig zur Verletzung von Gefäßen mit nicht beherrschbaren Blutungen. Auch wurde in vielen Fällen eine Ablatio testis notwendig. In Mitteleuropa war die Chirurgie im Mittelalter kein akademisches Fach und lag in den Händen der Bader und Wundärzte. Diese „Bruchschneider“ zogen umher und führten die Operationen mit teilweise katastrophalen Folgen durch. Trotzdem gab es eine kontinuierliche Weiterentwicklung der Hernienchirurgie. Paré führte im 16. Jahrhundert bereits den sog. „goldenen Stich“ durch, d. h., er schlang einen Golddraht um Bruchsack und Samenstrang, um die Bruchpforte einzuengen. Im 17. Jahrhundert wurde von Purmann die Bruchsackligatur unter Schonung der Vasa spermatica und des Hodens propagiert. Eine große Rolle spielten jedoch konservative Behandlungsmethoden unter Anwendung von Bruchbändern.

18 und 19. Jahrhundert Erst mit der Akademisierung der Chirurgie zu Beginn der Neuzeit gab es auch entscheidende Impulse in der Entwicklung der Hernienchirurgie. In seiner zweibändigen „Abhandlung von den Brüchen“ kam der Göttinger Chirurg August Gottlieb Richter 1778 dem heutigen Verständnis zur Entstehung der Leistenbrüche schon sehr nahe. Das erste brauchbare Operationsverfahren wurde 1877 von Czerny beschrieben. Er führte eine operative Verstärkung der Externusaponeurose ohne Eröffnung derselben durch. Lucas-Chaponierre wies 1881 auf die Notwendigkeit der hohen Unterbindung des Bruchsacks am inneren Leistenring nach Spaltung der Externusaponeurose hin. Durch diese Arbeiten war die Grundlage für das bis heute wichtigste Reparationsprinzip in der Leistenhernienchirurgie, die Verstärkung der Hinterwand des Leistenkanals, gelegt. Bassini veröffentlichte – zunächst wenig beachtet – 1889 in italienischer Sprache seine Operationsmethode, die viele Jahrzehnte als Standardmethode angesehen werden konnte. Er beschrieb darin die Fixation des M. obliquus internus, des M. transversus abdominis und der Fascia transversalis durch Einzelknopfnähte an den Unterrand des Leistenbandes zur Verstärkung der Hinterwand des Leistenkanals. Unabhängig von Bassini und ebenfalls im Jahr 1889 publizierte Halsted ein ähnliches Verfahren, jedoch führte er zusätzlich eine Subkutanverlagerung des Samenstrangs durch.

20 Jahrhundert Das Bassini-Verfahren und die von ihm beschriebene Verstärkung der Hinterwand des Leistenkanals wurden in den folgenden Jahrzehnten ständigen Modifikationen unterworfen. Wölfer führte 1892 zusätzlich die Adaptation des M. rectus abdominis an das Leistenband durch, Brenner verwendete 1898 den M. cremaster zur Hinterwandverstärkung und Kirschner beschrieb 1933 seine Methode zur Subkutanverlagerung des Samenstrangs. Zusätzlich beschrieb Bastianelli 1913 die Adaptation des Bruchsackstumpfes durch eine Tabaksbeutelnaht mit zwei Nadeln unter die Mm. obliquus internus und transversus abdominis. Lotheissen wies bereits 1898 auf die Möglichkeit der Anheftung des M. obliquus internus und des M. transversus abdominis an das Lig. pubicum superius (Cooper-Ligament) hin. McVay griff dieses Verfahren 1942 auf und beschrieb so eine wirkungsvolle Operationsmethode zur Behandlung der Schenkelhernie (Lotheissen-McVay). Die Bedeutung der Fascia transversalis trat seit der 1930 Jahren immer wieder in den Mittelpunkt der Überlegungen zur Verstärkung der Hinterwand des Leistenkanals. Shouldice veröffentlichte 1945 eine von ihm entwickelte Operationsmethode zur Verstärkung der Hinterwand des Leistenkanals. Auch wenn in der Originalarbeit ausdrücklich darauf hingewiesen wird, die Fascia transversalis zu schonen, zeichnet sich seine Operationsmethode in ihrer praktischen Anwendung durch eine mehrreihige Dopplung der Fascia transversalis aus. Bis zur Einführung der alloplastischen Netzprothesen waren die

Reparationsverfahren nach Bassini und Shouldice die am weitesten verbreitete Operationsmethoden. Einführung von Netzprothesen Lichtenstein beschrieb 1987 ein einfaches und leicht zu erlernendes Verfahren zur Verstärkung der Hinterwand des Leistenkanals durch die flächige Implantation eines Kunststoffnetzes, welches am Unterrand des Leistenbandes fixiert wird. In der Folge setzte sich die Implantation alloplastischer Netzprothesen weltweit in der Behandlung der Leistenhernie durch. Das Lichtenstein-Verfahren hat sich mittlerweile zum Goldstandard in der offenen Leistenhernienchirurgie entwickelt. Durch die ständige Weiterentwicklung der Netzprothesen konnten seit den 1990er-Jahren zahlreiche Modifikationen dieser Technik beschrieben werden (Gilbert, Rutkow etc.). Laparoskopische und endoskopische Verfahren Bereits 1891 berichtete der englische Gynäkologe Tait über die Möglichkeit der operativen Versorgung von Leistenhernien von innen über eine Laparotomie. Dabei kommt dem präperitonealen Raum eine wichtige Bedeutung zu. Durch die grundlegenden Arbeiten von Rives, Chevrel, Stoppa und Nyhus und die gleichzeitig einsetzenden Verbreitung von Netzprothesen in der Hernienchirurgie entwickelten sich auf dieser Basis die laparoskopischen und endoskopischen Operationsmethoden, bei denen die posteriore Überdeckung der Bruchpforten mit einer Netzprothese im präperitonealen Raum das beiden Verfahren gemeinsame Reparationsprinzip darstellt.

16.8 Therapie der Leistenhernie 16.8.1 Konservative Therapie Ziel der konservativen Therapie einer Leistenhernie ist es, die Bruchgeschwulst unter Verzicht auf eine operative Therapie dauerhaft zu reponieren und dabei Schmerzfreiheit und maximale Belastbarkeit zu erreichen. Zu diesem Zweck werden auch heute noch spezielle Bruchbänder, die teilweise nach Maß angefertigt werden, verordnet. Solche Bruchbänder sind für den Patienten hinderlich und gewährleisten keinen dauerhaften Therapieerfolg, da es bei Belastung immer wieder zum Verrutschen der Bruchbänder und zum neuerlichen Austreten der Hernie kommt. Ein konservatives Konzept sollte deshalb heutzutage nur noch im Individualfall, z. B. bei bettlägerigen oder solchen Patienten angewandt werden, bei denen eine operative Therapie zu riskant wäre. Die konservative Behandlung der Leistenhernie stellt kein wirkungsvolles Therapiekonzept dar, da sich eine Leistenhernie nicht spontan zurückbildet, sondern vielmehr im Laufe der Zeit eher an Größe zunimmt und es in der Regel zu einer Verschlechterung der Beschwerdesymptomatik kommt.

16.8.2 Operative Therapie Die Operation ist die einzige erfolgreiche Behandlungsoption in der Therapie der Leistenhernie. Nur durch die Operation kann die Bruchgeschwulst suffizient behandelt und ein dauerhafter Therapieerfolg erzielt werden.

Indikationen Grundsätzlich ist bei jeder Leisten- oder Schenkelhernie die Indikation zur Operation gegeben. Die Operationsindikation sollte großzügig gestellt werden, da eine spontane Rückbildungstendenz einer Leistenhernie nicht zu erwarten ist und durch die Operation die Gefahr einer Inkarzeration vermieden werden kann. Außerdem sind alle zur Verfügung stehenden Reparationsverfahren heutzutage risikoarm und mit geringer Morbidität auch bei kranken und älteren Patienten anwendbar. Eine absolute Indikation zur Operation stellt die inkarzerierte Hernie dar. Bei Vorliegen einer solchen ist in vielen Fällen sogar die Indikation zur Notfalloperation gegeben, die nicht selten eine Erweiterung der Operation mit Resektion des inkarzerierten Bruchsackinhalts (Darm etc.) erfordert. Selbst bei einer erfolgreichen Reposition einer eingeklemmten Hernie ist eine zügige Operation angezeigt, da es im schlimmsten Fall zu einer „En-blocReposition“ des eingeklemmten Bruchsackinhalts in die Abdominalhöhle kommen kann und die Einklemmung oder Inkarzeration fortbesteht. Patienten mit einer „en bloc“ reponierten Hernie bilden in der Regel das klinische Bild eines akuten Abdomens und eine persistierende Ileussymptomatik aus, die eine umgehende operative Therapie erfordern. Eine relative Indikation zur Operation besteht bei älteren oder schwerkranken Patienten, die ein Risikoprofil aufweisen, welches die Operabilität deutlich einschränkt. Auch bei Patienten mit symptomatischen Hernien, die Zeichen einer inkurablen Erkrankung des Bauchraums sind, ist eine operative Therapie nicht sinnvoll. In solchen Fällen kann im Individualfall eine konservative Therapie der Hernie durchgeführt werden.

Wahl des Operationsverfahrens Auch wenn die Empfehlungen der Europäischen Herniengesellschaft (EHS) eindeutig die endoskopischen bzw. laparoskopischen Verfahren favorisieren, haben die offenen Reparationsverfahren weiterhin eine große Bedeutung. Da viele Leistenhernienoperationen bereits heute ambulant erbracht werden und auf diesem Sektor in den nächsten Jahren eine weitere Steigerung zu erwarten ist, eignen sich offene Reparationsverfahren aufgrund ihrer Kosteneffizienz besonders für den Einsatz in der ambulanten Chirurgie. Allerdings sind in der offenen Leistenhernienchirurgie die netzfreien Verfahren (Shouldice, Bassini etc.) weitgehend abgelöst worden. Auch bei den offenen Verfahren, und das gilt besonders für den ambulanten Sektor, ist die Netzaugmentation (Lichtenstein, Gilbert etc.) mittlerweile zum Standard geworden. Grundsätzlich haben alle offenen Reparationsverfahren ihre Berechtigung. Es sollte jedoch Netzverfahren der Vorzug gegeben werden, da in Metaanalysen gezeigt werden konnte, dass die Netzeinlage das Rezidivrisiko gegenüber den offenen Verfahren ohne Netzimplantation deutlich senken konnte. Ein klarer Vorteil von offenen oder minimalinvasiven Netzverfahren kann jedoch nicht gezeigt werden; beide Verfahren sind als gleichwertig anzusehen. Verfahren ohne Netzaugmentation sollten nur noch bei jüngeren Patienten oder Patienten, die die Implantation einer Kunststoff-Netzprothese ablehnen, angewendet werden. Die Wahl des Verfahrens ist abhängig von der individuellen Erfahrung des Operateurs oder der Institution, in der der Eingriff durchgeführt wird. Aufgrund vielfältigen zur Verfügung stehenden Reparationsprinzipien sollte eine Klinik oder ein Operateur einen durch Evidenz und individuelle Erfahrung definierten Standard zur Verfahrenswahl unter Verwendung nur weniger verschiedener Operationsmethoden entwickeln. Gedeckt durch die Empfehlungen der EHS haben als Netzverfahren zurzeit die Hernienreparation nach Lichtenstein und die endoskopischen (totale extraperitoneale Plastik – TEP, ) und laparoskopischen Verfahren (transabdominale Patch-Plastik – TAPP, ) eine weite Verbreitung gefunden und können als die operativen Standardverfahren angesehen werden. Bei Patienten mit einer eingeschränkten Operabilität haben die offenen Verfahren eine zusätzliche Berechtigung, weil sie in einem regionalen Anästhesieverfahren (Lokal- oder Spinalanästhesie) durchgeführt werden können.

Alloplastische Netzprothesen Die Implantation alloplastischer Netzprothesen in der Hernienchirurgie hat seit Beginn der 1990er-Jahre eine zunehmende Bedeutung erlangt. Durch die Implantation konnten die Operationen zum einen technisch erleichtert werden, zum anderen konnte eine signifikante Senkung der Rezidivrate erreicht und damit die Qualität der Versorgung nachhaltig gebessert werden. Eine Vielzahl von Netzprothesen wird angeboten und die Entwicklung schreitet stetig voran, sodass ständig neue Netzprothesen auf den Markt gebracht werden. Man unterscheidet zwischen monofilamentären und multifilamentären, gewirkten, resorbierbaren und nichtresorbierbaren Netzprothesen. Es gibt schwerund leichtgewichtige, klein- und großporige Netze, die Materialien reichen von ePTFE und Polyester bis hin zu Polypropylen. Viele Netze sind zusätzlich mit resorbierbaren, antiadhäsiven Membranen beschichtet. In den letzten Jahren haben auch die sehr kostspieligen, biologischen Netze aus Rinder- oder Schweinekollagen eine zunehmende Verbreitung gefunden. Netzprothesen dienen dazu, eine suffiziente Überdeckung der Bruchpforte zu gewährleisten und durch das durch die Poren einwachsende Bindegewebe die Induktion von stabilem Narbengewebe zu erreichen. Durch die Entwicklung leichtgewichtiger, großporiger Netze mit einem deutlich reduzierten Materialgewicht konnte die Gewebsverträglichkeit deutlich verbessert und so die unvermeidliche Fremdkörperreaktion günstig beeinflusst werden. Die ideale Netzprothese sollte deshalb folgende Eigenschaften haben:

• keine Kanzerogenität, • allergene Potenz,

• klinisch inert, • hohe Reißfestigkeit bei geringem Gewicht, • weite Poren, • gutes Handling, • niedriger Preis. Typische Komplikationen, die sich aus der Verwendung von Netzprothesen ergeben, resultieren aus einer chronischen Entzündungsreaktion, die durch die Einlage der Netzprothese hervorgerufen wird. Diese kann nicht vermieden werden und äußert sich häufig in einer Serombildung. Netzschrumpfung kann zur Ausbildung eines Rezidivs führen. Eine Netzwanderung kann durch die Penetration in Nachbarorgane (z. B. Blase oder Darm) zu schweren Komplikationen führen. Gelegentlich werden auch Hernienrezidive nach Netzimplantationen beobachtet, die auf ein Zerreißen der Netzprothese zurückzuführen sind.

Aufklärung Leistenhernienoperationen werden immer häufiger Gegenstand ärztlicher Haftungsprozesse. Deshalb muss vor der Operation eine gründliche Beratung über das gewählte Operationsverfahrung und eine umfassende Risikoaufklärung erfolgen ( ). Die Aufklärung sollte heute anhand im Handel erhältlicher standardisierter Aufklärungsbögen durchgeführt werden und bei elektiver Operation mindestens 24 Stunden vor dem Eingriff erfolgen. Aufgrund der zunehmenden Verbreitung von alloplastischen Netzprothesen hat sich das Komplikationsspektrum in den letzten Jahren deutlich erweitert. Dieser Entwicklung muss bei der Patientenaufklärung Rechnung getragen werden. Im Rahmen des Aufklärungsgesprächs sind dem Patienten auch alternative Reparationsverfahren zu erläutern. Bei der Beratung zur Verfahrenswahl muss auch dem Wissensvorsprung Rechnung getragen werden, den Patienten heute oftmals durch Internetrecherchen haben.

Tab. 16.3 Aufklärungspflichtige Komplikationen bei Leistenhernienoperationen. Allgemeine Komplikationen Nachblutungen, Hämatome Wundinfektionen Gefäß- und Nervenverletzungen, Harnblasenverletzungen Verletzungen des Samenstrangs, Hodenatrophie Auftreten eines Rezidivs Thrombose, Embolie chronische Leistenschmerzen Netzimplantation Netzschrumpfung und -migration Serombildung, Fremdkörperreaktion Schädigung des Samenleiters durch das Netz Laparoskopische Techniken Hautemphysem, Pneumothorax, Luftembolie Trokarverletzungen, Bauchdeckenhämatome Pseudorezidive durch Serome Konversion auf offene Verfahren

Anästhesie Die meisten Leistenhernienoperationen werden in Allgemeinanästhesie durchgeführt. Dieses Anästhesieverfahren bietet eine 100-prozentige Schmerzausschaltung und eine maximale Muskelrelaxation während der Operation und wird deshalb von den meisten Chirurgen und Patienten bevorzugt, zumal die weitverbreiteten endoskopischen und laparoskopischen Techniken nur in einer Allgemeinanästhesie durchführbar sind. Aufgrund der weiten Verbreitung der offenen Reparationsverfahren im ambulanten Bereich und der zunehmenden Forderung, immer mehr Leistenhernien ambulant zu versorgen, haben alternative Anästhesieverfahren in der operativen Versorgung von Leistenhernien einen hohen Stellenwert. Neben den regionalen Anästhesieverfahren wie der Peridural- oder Spinalanästhesie kommt der Lokalanästhesie der Leistenregion hier einen besondere Bedeutung zu. Bereits 1900 führte Cushing eine Leistenhernienoperation in Lokalanästhesie durch und folgerte: „… mit Ausnahme von kleinen Kindern können zweifellos alle Hernien in örtlicher Betäubung operiert werden …“ Aufgrund der guten postoperativen Analgesie und der fehlenden opioiden Nebenwirkungen (Sedierung, Atemdepression, Übelkeit, Erbrechen) ist eine Verkürzung der Krankenhausverweildauer möglich, was besonders in der ambulanten Therapie der Leistenhernien von Vorteil ist. Auch bei multimorbiden Patienten, für die eine Intubationsnarkose ein Risiko bedeuten würde, stellt die Lokalanästhesie eine gute Alternative zur Allgemein- und Regionalanästhesie dar. Zur Anwendung können die gängigen Lokalanästhetika wie Mepivacain, Lidocain und Pilocain mit oder ohne Adrenalinzusatz kommen. Besonders geeignet sind aber die lang wirkenden Lokalanästhetika Bupivacain oder Ropivacain. Bei der Applikation müssen die Höchstdosierungen der Lokalanästhetika beachtet werden. Die Grenzen der Lokalanästhesie liegen sicher in der Behandlung großer Leistenhernien und von Skrotalhernien, da die intraoperative Reposition großer Hernien in örtlicher Betäubung nur schlecht möglich ist und der peritoneale Schmerzreiz nur unzureichend unterdrückt wird. Die medikamentöse Schmerzausschaltung bei der Lokalanästhesie kann durch die orale Gabe von Sedativa (Analgosedation) zur Beruhigung des Patienten unterstützt werden. Eine suffiziente Lokalanästhesie der Leistenregion ist technisch anspruchsvoll und nicht immer kann eine optimale Schmerzausschaltung erreicht werden. Deshalb sei die eigene Technik im Folgenden kurz dargestellt. Technik der Lokalanästhesieinfiltration der Leistenregion Ziel der Lokalanästhesie in der Leistenregion ist die zuverlässige Infiltration der Haut, des Subkutangewebes und der entsprechenden Muskeln und Faszien mit suffizienter Ausschaltung der drei Leistennerven (N. ilioinguinalis, N. iliohypogastricus und N. genitofemoralis). Zur Infiltration der Leistenregion hat sich eine Kombination eines Feldblocks zur rautenförmigen Schmerzausschaltung im Erfolgsgebiet und eine direkte Leitungsblockade des N. ilioinguinalis und des N. iliohypogastricus bewährt. Vor Beginn der Infiltration ist es wichtig, den Infiltrationspunkt zur Leitungsblockade zu identifizieren und mit dem Tuschestift zu markieren. Ebenso sollte die inguinale Hautschnittführung mit dem Tuschestift angezeichnet werden. Der N. ilioinguinalis und der N. iliohypogastricus kommen aus dem oberen Plexus lumbalis und verlaufen im seitlichen Bereich der ventralen Bauchwand zwischen dem M. transversum abdominis und dem M. obliquus internus. Hier gelingt es, beide Nerven suffizient zu betäuben. Den Injektionspunkt findet man zwei Querfinger medial und von dort zwei Querfinger kranial der Spina iliaca anterior superior ( ).

ABB. 16.3

Lokalanästhesieinfiltration der Leistenregion. [ ]

Nach Desinfektion des Operationsgebiets und fächerförmiger Infiltration des Injektionspunkts werden ca. 5 ml 0,5-prozentiger Bupivacain-Lösung in die Faszienloge zwischen M. transversus abdominis und M. obliquus internus injiziert. Man erreicht diesen Raum beim Normalgewichtigen in etwa 3–4 cm Tiefe mit der langen Injektionsnadel und spürt beim Vorschieben der Injektionsnadel den Widerstand der Faszie in der Tiefe (Widerstandsverlustmethode). Die Injektion des Lokalanästhetikums in den richtigen anatomischen Raum zwischen den Muskeln ist entscheidend für den Erfolg der Leitungsmethode. In schwierigen Fällen kann der Ultraschall zur Lokalisationsdiagnostik der Muskel- und Faszienlogen zu Hilfe genommen werden. Im Bereich der markierten inguinalen Hautschnittführung erfolgt nun die fächerförmige Infiltration der Haut und des Subkutangewebes mit 10–15 ml 0,5prozentiger Bupivacain-Lösung. Der Wirkungseintritt des Lokalanästhetikums ist nach ca. 10 Minuten zu erwarten. Nach Spalten der Externusaponeurose sollten dann 5–10 ml 0,5-prozentiger Bupivacain-Lösung zur zirkulären Infiltration des Leistenkanals verwendet werden. Dabei hat es sich bewährt, den M. obliquus direkt in Richtung auf den Nervenpunkt (N. ilioinguinalis und N. iliohypogastricus) zu infiltrieren. Alternativ kann diese Infiltration auch vor der Eröffnung der Externusaponeurose durch Injektion des Lokalanästhetikums unter dieselbe entlang des Leistenkanals erfolgen. Die für die einzelnen Injektionsschritte verwendeten Lokalanästhetikamengen können variiert werden; bei Verwendung von 0,5-prozentiger BupivacainLösung sollte eine einzeitige Höchstdosierung von 30–40 ml beim normalgewichtigen Erwachsenen nicht überschritten werden. Komplikationen der Lokalanästhesie sind möglich, aber selten. Sie bestehen in intravasalen Injektionen mit der Gefahr von Herzrhythmusstörungen, Hämatomen, Gefäßverletzungen, Nervenverletzungen und Infektionen. Die seltene Blockade des N. femoralis bei der Infiltration der Leistenregion kann besonders bei ambulanten Patienten die Krankenhausverweildauer verlängern.

16.8.3 Operationsmethoden Bei der operativen Therapie der Leistenhernien können zwei wesentliche Operationsschritte, die für alle verfügbaren Operationsverfahren grundsätzlich gleich sind, unterschieden werden. Das sind zum einen die Präparation der Leistenhernie und zum anderen die Reparation des Defekts. Die konventionelle Leistenhernienreparation kann durch Raffung des Eigengewebes (Shouldice, Bassini etc.) oder spannungsfrei durch die Einlage einer alloplastischen Netzprothese und die damit verbundene Verstärkung der Bauchdeckenmuskulatur in der Leiste erfolgen. Allen konventionellen Verfahren ist der offene Zugang über einen Leistenschnitt gemein. Der Chirurg kann jedoch wählen zwischen anterioren Verfahren, bei denen die Reparation ventral der Fascia transversalis erfolgt, und den posterioren Verfahren mit einer Reparation dorsal der Fascia transversalis im präperitonealen Raum. Der posteriore Zugang mit dorsaler Eröffnung des präperitonealen Raums über eine inguinale Schnittführung ist allerdings aufgrund des z. T. erheblichen Gewebstraumas zugunsten des endoskopischen und laparoskopischen Verfahrens weitgehend verlassen worden.

Präparation Die Präparationsschritte sind beiden unterschiedlichen Verfahren grundsätzlich gleich und sind im folgenden Abschnitt kurz zusammengefasst:

1. Die Hautinzision sollte grundsätzlich quer erfolgen, in individuellen Fällen, z. B. bei einer Skrotalhernie, kann eine schräg verlaufende Schnittführung von Vorteil sein. 2. Im nächsten Schritt sollte die Subkutis mit dem elektrischen Messer durchtrennt werden, um die Externusaponeurose darzustellen. Die oberflächlichen epigastrischen Gefäße (Vasa epigastrica superficiales) sollten dabei durchtrennt und ligiert werden. 3. Die Externusaponeurose wird mit dem Skalpell parallel zur Faserrichtung eröffnet. Nach der Inzision erfolgt nach kranial und kaudal die Spaltung der Externusaponeurose mit der Schere. Bei diesem Operationsschritt wird der äußere Leistenring gespalten. Der N. ilioinguinalis liegt häufig direkt unter der Inzisionsstelle und sollte geschont werden. 4. Mittels der stumpfen Präparation mit dem Stieltupfer wird nun lateral das Leistenband mobilisiert und der Unterrand des Leistenbandes dargestellt. Die Präparation sollte bis 1–2 cm distal des Tuberculum pubicum erfolgen.

5. Im nächsten Schritt erfolgt nach medial die Präparation des gefäßfreien Areals zwischen der Externusaponeurose und dem M. obliquus internus bis zum Tuberculum pubicum. 6. Dann sollte der Samenstrang mit dem Overholt unterfahren und angezügelt werden. Im nächsten Schritt werden der Bruchsack und das fast immer vorkommende Begleitlipom unter sorgfältiger Schonung der Samenstranggebilde (der Samenstrang verläuft meistens lateral des Bruchsacks!) mobilisiert. Eine Eröffnung und Abtragung des Bruchsacks mit einer Durchstechungsligatur ist ebenso wie die Abtragung des Begleitlipoms nur noch bei den netzfreien konventionellen Verfahren notwendig. Die drei Leistennerven sollten, wenn möglich, dargestellt und geschont werden. Zur Schonung des N. ilioinguinalis und des R. genitalis des N. genitofemoralis, die häufig mit der Kremastermuskulatur verlaufen, sollte diese nur in Ausnahmefällen komplett durchtrennt, ansonsten nur gespalten werden. Allerdings muss beachtet werden, dass auch die Neurolyse der Nerven eine Schädigung hervorrufen kann. Ebenso gibt es Chirurgen, die alle drei Nerven regelhaft durchtrennen, ohne dass es zu unerwünschten Nebenwirkungen kommt.

Anteriore Reparationsverfahren Operation nach Bassini Diese Reparationsmethode wurde von Edoardo Bassini seit 1884 angewandt und 1890 erstmalig Mal publiziert. Sie kann zu Recht als erstes wirkungsvolles Verfahren zur Leistenhernienreparation angesehen werden. Ziel der Reparation ist die Anhaftung der drei Bauchdeckenschichten (M. transversus abdominis, M. obliquus internus und Fascia transversalis) mit Einzelknopfnähten an den Unterrand des Leistenbandes zur spannungsreichen Verstärkung der Hinterwand des Leistenkanals. Dabei wird zunächst nach Abtragung des Bruchsacks und des Begleitlipoms die Fascia transversalis durchtrennt. Die erste Naht durchsticht die beiden Muskeln, die Fascia transversalis, das Schambeinperiost und das Leistenband am Tuberculum pubicum. Sie wird zunächst nicht geknotet. Die weiteren Nähte (ca. 5–6) fassen kranial und kaudal die beiden Muskelschichten, die Fascia transversalis und den Unterrand des Leistenbandes. Abschließend werden die Nähte geknotet, um eine sichere Fixierung der Bauchdeckenmuskulatur am Leistenband zu erreichen. Der innere Leistenring sollte dabei so weit eingeengt werden, dass die Kuppe des kleinen Fingers (entspricht Hegar-Stift 11,5) gerade noch hineinpasst. Als Nahtmaterial sollte ein nichtresorbierbarer, monofiler Faden (z. B. Polypropylen 2/0) verwendet werden. Die Externusaponeurose wird darüber mit einer vorlaufenden, resorbierbaren Naht (z. B. Polyglactin 0) verschlossen. Das Verfahren ist im Laufe der Zeit durch eine subkutane Verlagerung des Samenstrangs über die Externusaponeurose (Verfahren nach Bassini-Kischner) modifiziert worden, ohne dass dadurch eine verbesserte Wirksamkeit erreicht werden konnte. Bundesweite Qualitätssicherungsstudien in den 1980er-Jahren konnten eine hohe Rezidivquote der Bassini-Methode belegen, sodass dieses Verfahren weitgehend verlassen ist und heute als obsolet gilt.

Operation nach Shouldice Die Reparationsmethode nach Shouldice ist die am häufigsten durchgeführte konventionelle netzfreie Operationsmethode und hat das Verfahren nach Bassini weitgehend abgelöst. Das Verfahren nach Shouldice kann als eine Weiterentwicklung der Bassini-Methode angesehen werden. Wesentliches Merkmal der Reparation ist die spannungsfreie Verstärkung der Hinterwand des Leistenkanals durch eine Doppelung der Fascia transversalis. Bei der Präparation ist es zunächst notwendig, den Bruchsack und das Begleitlipom komplett abzutragen. Dann wird die Fascia transversalis, beginnend am Angulus inguinalis internus bis zum Tuberculum pubicum gespalten ( ). Die unter der Fascia transversalis verlaufenden epigastrische Gefäße sind zu schonen, bei einer Verletzung können sie jedoch folgenlos ligiert werden. Die durch die Spaltung der Fascia transversalis entstandenen Lefzen werden vom präperitonealen Fett stumpf abgelöst. Dann erfolgt, beginnend am Tuberculum pubicum, die Doppelung der Transversalisfaszie, wobei die untere an die obere Lefze genäht wird ( ). Als Nahtmaterial sollte ein nichtresorbierbarer, monofiler Faden (z. B. Polypropylen 2/0) verwendet werden. Am inneren Leistenring wird die Naht umgekehrt und mit dem gleichen Faden zum Tuberculum pubicum zurückgeführt, wobei die obere Lefze lateral an die untere Lefze genäht wird. Der Faden wird am Tuberculum pubicum gegeneinander verknotet. Im nächsten Schritt werden dann, beginnend am inneren Leistenring, der laterale Rand des M. transversus abdominis und der Rand des M. obliquus internus ebenfalls in einer doppelten Nahtreihe unter Verwendung eines nichtresorbierbaren, monofilen Fadens an den Unterrand des Leistenbandes genäht ( ). In der Erstbeschreibung der Methode wurde der M. cremaster regelhaft durchtrennt und der Muskelstumpf in die Nahtreihe der Fasziendopplung mit einbezogen. Dieser Operationsschritt ist heute weitgehend verlassen. Der Verschluss der Externusaponeurose erfolgt dann mit einer fortlaufenden Naht. Seinen Stellenwert hat diese Verfahren heute noch bei jungen Patienten oder Patienten, die die Implantation einer Netzprothese ablehnen.

ABB. 16.4

Operation nach Shouldice – Spaltung der Fascia transversalis. [ ]

ABB. 16.5

Operation nach Shouldice – Doppelung der Fascia transversalis. [ ]

ABB. 16.6

Operation nach Shouldice – Nahtreihen im Querschnitt. [ ]

Minimal-Repair nach Muschaweck Diese Fortentwicklung der Operationsmethode nach Marcy-Zimmerman kann bei Patienten mit einem kleinen indirekten Bruch oder Defekt der Hinterwand des Leistenkanals (sog. Sportlerleiste oder „sportsmen's hernia“) zur Anwendung kommen. Dabei wird der indirekte Bruch im Bereich des inneren Leistenrings eröffnet und mittels einer fortlaufenden Naht mit einem nichtresorbierbaren monofilen Faden (z. B. Polypropylen 2/0) nur im Bereich des Defekts verschlossen, wobei kaudal auch das Leistenband mit gefasst werden kann ( ). Dieser Eingriff geht mit einem geringen Gewebstrauma einher, sollte jedoch nur bei einer intakten Fascia transversalis und einem kleinen Defekt („weiche Leiste“) angewendet werden.

ABB. 16.7

Minimal-Repair nach Muschaweck. [ ]

Operation nach Lichtenstein Nach der Erstbeschreibung durch Irving L. Lichtenstein im Jahre 1987 hat dieses Verfahren aufgrund der niedrigen Komplikations- und Rezidivrate, des hohen Patientenkomforts und der einfachen Technik weltweite Verbreitung gefunden und kann derzeit neben den minimalinvasiven Verfahren als Goldstandard in der Leistenhernienchirurgie angesehen werden. Prinzip dieses Reparationsverfahrens ist die spannungsfreie Verstärkung der Hinterwand des Leistenkanals durch Aufbringen einer alloplastischen Netzprothese mit Schaffung eines neuen inneren Leistenrings ( ).

ABB. 16.8

Operation nach Lichtenstein. [ ]

Nach der Präparation der Hernien ist die Eröffnung der Fascia transversalis nicht notwendig. Der Bruchsack und das Begleitlipom müssen nicht zwangsläufig abgetragen, sondern können bedenkenlos reponiert werden. Große direkte Defekte können ggf. durch eine adaptierende Naht zusammengezogen werden, um ein übersichtlicheres Netzlager zu schaffen. Dann wird ein ca. 6×11 cm großes, nichtresorbierbares Kunststoffnetz (z. B. Polypropylen) ( ), beginnend am Tuberculum pubicum, mit einer nichtresorbierbaren monofilen Naht (z. B. Polypropylen 2/0) fortlaufend an den Unterrand des Leistenbands genäht. Die Netzprothese kann individuell an die anatomischen Verhältnisse angepasst werden. Sie sollte jedoch das Tuberculum pubicum medial um ca. 2 cm überlappen und dort mit einer nichtresorbierbaren Einzelknopfnaht zusätzlich fixiert werden. Dadurch kann das mediale Hernienrezidiv wirkungsvoll vermieden werden. Um den Durchtritt der Samenstranggebilde zu ermöglichen, wird die Netzprothese im Verhältnis ein Drittel nach laterokaudal und zwei Drittel nach mediokranial eingeschnitten. Die beiden Netzflügel werden mit nichtresorbierbaren Einzelknopfnähten (z. B. Polypropylen 2/0) so eingeengt, dass für die Samenstranggebilde ein etwa kleinfingerdicker Durchtritt bleibt, ohne diese einzuengen. Nach medial wird die Netzprothese mit locker geknüpften resorbierbaren Einzelknopfnähten (z. B. Polyglactin 3/0) auf dem M. obliquus internus adaptierend fixiert, wobei die Nerven, insbesondere der N. iliohypogastricus, geschont und nicht in die Naht mit einbezogen werden sollten ( ). Die proximalen Anteile des Netzes werden unter die Externusaponeurose verlagert. Der fortlaufende Verschluss der Externusaponeurose gewährleistet die ventrale Abdeckung des Netzes. Ein Nachteil diese Verfahren kann der direkte Kontakt der Netzprothese mit nervalen Strukturen sein, wobei es durch Narbenbildung zu Nervenirritationen und chronischen Leistenschmerzen kommen kann.

ABB. 16.9

ABB. 16.10

Operation nach Lichtenstein: Netzprothese. [ ]

Operation nach Lichtenstein: Lage der Netzprothese im Querschnitt. [ ]

In den letzten Jahren ist durch die rasante Entwicklung immer neuer Netzprothesen die Fixierung der Netzprothese Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung geworden. Ob die Verwendung von Fibrinkleber zur Netzfixierung oder selbsthaftender Netzprothesen irgendeinen Vorteil gegenüber der Originalmethode hat, bleibt abzuwarten. Der Hautverschluss sollte nach subkutaner Naht oder unter Verzicht auf diese und Einbringen einer Redon-Drainage mittels einer resorbierbaren, intrakutanen Naht und gleichzeitiger Adaptation der Wundränder mithilfe von adaptierenden Klammerpflastern erfolgen.

Operation nach Rutkow Die Entwicklung dreidimensionaler Netzprothesen führt zu einer Vielzahl von Modifikationen der offenen Netztechniken. Das Prinzip der Operation nach Rutkow ( ) stellt das Einbringen eines schirmartigen Kunststoffnetzes („Plug“) in die Bruchlücke mit gleichzeitiger Verstärkung der Hinterwand analog der Lichtenstein-Technik durch eine flächige Netzprothese („Patch“) dar. Dieses „Plug-and-Patch“-Verfahren hat in der ambulanten Hernienchirurgie durch die einfache Technik unter Verzicht auf eine besondere Netzfixierung weite Verbreitung gefunden. Allerdings besteht die Gefahr der Dislokation dieser Netzprothesen mit der Folge eines Hernienrezidivs. Durch die Entwicklung dreidimensionaler, flügelartiger Netzprothesen nach Gilbert (z. B. Prolene ® Hernia System) soll dieser Gefahr wirkungsvoll begegnet werden ( ).

ABB. 16.11

Plug-Technik nach Rutkow. [ ]

ABB. 16.12

Plug-Technik nach Gilbert. [ ]

Posteriore Verfahren Operation nach Nyhus Nach einer ca. 4 cm langen, queren Hautinzision oberhalb der tastbaren Hernie erfolgt die quere Inzision der Externusaponeurose mit Eröffnung der Rektusscheide. Der M. obliquus externus wird nach medial verlagert und die Muskelfasern des M. transversus abdominis und des M. obliquus internus werden in Faserrichtung durchtrennt. Der Peritonealsack wird nach kranial verdrängt. Der nun sichtbare Bruchsack wird aus der Bruchpforte ausgelöst und reponiert. Die Bruchpforte wird dann mit Einzelknopfnähten verschlossen bzw. eingeengt. Als Nahtlager dienen kranial die Transversalisschlinge und kaudal der Tractus iliopubicus. Dieses Verfahren eignet sich für die Behandlung sowohl der direkten und indirekten Leistenhernie als auch der Schenkelhernie. Das Verfahren ist jedoch technisch anspruchsvoll.

Operation nach Wantz Bei diesem Verfahren entspricht der Zugang dem Verfahren nach Nyhus, allerdings wird die Bruchpforte nicht mit Nähten verschlossen, sondern präperitoneal, ähnlich wie bei der endoskopischen extraperitonealen Hernioplastik, mit einer Netzprothese überdeckt. Die TIPP-Technik (TIPP = transinguinale präperitoneale Patch-Plastik) nach Rives stellt eine Modifikation dieses Operationsverfahrens dar.

Operation nach Stoppa Zur Behandlung großer Bauchwandbrüche, die sich bis in die Leiste fortsetzen oder bei denen zusätzliche Leistenhernien bestehen, kann eine Verstärkung der Bauchwand durch Einbringen der Netzprothese in den präperitonealen Raum mit posteriorer Verstärkung der Leistenbruchpforten durchgeführt werden. Dabei kann eine Freilegung des präperitonealen Raums über einen queren oder medianen Unterbauchschnitt erfolgen. Ggf. kann zur Behandlung beidseitiger Leistenhernien eine Bauchwandverstärkung des gesamten Unterbauchs durchgeführt werden. Dieses Prinzip findet auch bei der Versorgung von Bauchwandhernien oder Narbenhernien in retromuskulärer Sublay-Technik unterhalb der Linea arcuata am Unterrand des hinteren Blatts der Rektusscheide Anwendung.

Operation nach Kugel Bei diesem posterioren Verfahren wird über eine 3–4 cm lange Inzision in der Leistenregion die Netzprothese nach Mobilisation der Hernie in den präperitonealen Raum unter die Fascia transversalis eingebracht ( ). Durch die selbstexpandierenden Eigenschaften der Netzprothese faltet sich diese im präperitonealen Raum auf und überdeckt posterior die Bruchpforten. Der Vorteil liegt in einer kompletten Verstärkung der Leistenregion, das Verfahren gestaltet sich durch den begrenzten operativen Zugang jedoch unübersichtlich und die Präparation des präperitonealen Raums kann bei großen Hernien sehr schwierig sein.

ABB. 16.13

Posteriore Patch-Plastik nach Kugel. [ ]

Die technisch einfacheren, anterioren Reparationsverfahren mit Implantation von Netzprothesen und die weitverbreiteten endoskopischen und laparoskopischen Operationsverfahren haben die konventionellen, posterioren Verfahren in den letzten Jahren zunehmend in den Hintergrund treten lassen, sodass sie außer in besonderen Fällen, etwa bei aufgebrauchten Muskel- und Faszienverhältnisen in der Leiste, bei denen eine offene, präperitoneale Platzierung der Netzprothese die einzig praktikable Reparationsmöglichkeit darstellt, keine Bedeutung mehr haben.

16.9 Therapie der Schenkelhernie Die Schenkelhernie ist die seltenste inguinale Hernienform. Sie stellt nur 2–11 % der Fälle dar und tritt bei Frauen viermal häufiger als bei Männern auf. Allerdings tritt die Schenkelhernie in 10–20 % der Fälle in Kombination mit einer Leistenhernie auf und wird dann als Nebenbefund im Rahmen einer Leistenhernienoperation entdeckt. Die minimalinvasiven Techniken (TEP und TAPP, , ) stellen heute geeignete Verfahren zur Versorgung der Schenkelhernie dar, weil bei der Netzaugmentation sowohl die Leistenbruch- als auch die Schenkelbruchpforte mit überdeckt werden. Die konventionellen Verfahren dagegen sind technisch anspruchsvoll und komplikationsreich. Da die Schenkelhernie, besonders bei Frauen, eine erhöhte Inkarzerationsgefahr zeigt, haben die konventionellen Verfahren jedoch auch weiterhin ihre Bedeutung. Grundsätzlich gibt es zwei operative Zugangswege. Die Schenkelhernienversorgung kann über die typische inguinale Schnittführung erfolgen. Als Alternative kann ein femoraler (kruraler) Zugang gewählt werden, bei dem ein ca. 5–7 cm langer Hautschnitt über dem Leistenband gewählt wird, der nach kaudal verlängert werden kann. Diese Schnittführung eignet sich besonders bei inkarzerierten Femoralhernien, während die inguinale Schnittführung sich bei kombinierten Leisten- und Schenkelhernien bewährt hat.

16.9.1 Femoraler Zugang Operation nach Fabricius Hierbei wird der Bruchsack von kaudal nach kranial bis zur Schenkelbruchpforte unterhalb des Leistenbands präpariert. Dabei ist es in vielen Fällen notwendig, die Vasa pudenda externa zu durchtrennen. Der Bruchsack tritt aus der Fascia pectinea medial der V. saphena und der V. femoralis aus. Nach Reposition des Bruchsackinhalts wird der Bruchsack eröffnet, bis zur Basis abgetragen und umstochen ( ).

Schenkelhernie – femoraler Zugang: Versorgung des Bruchsacks nach Reposition des Bruchsackinhalts und basisnahe Umstechungsligatur. [ ] ABB. 16.14

Erst nach Abtragung des Bruchsacks lässt sich die Schenkelbruchpforte sicher darstellen. Die laterale Begrenzung bildet die V. femoralis, die mediale das Lig. lacunare, nach kaudal erfolgt die Begrenzung durch das Lig. Cooperi und nach kranial durch das Leistenband. De Bruchlückenverschluss erfolgt nun durch die direkte Naht mit einem nichtresorbierbaren Faden (z. B. Polypropylen 2/0) ( ). Am kaudalen Rand wird das Lig. Cooperi und kranial das Leistenband mit der Fascia transversalis gestochen. Die Leistengefäße müssen geschont werden, und es muss darauf geachtet werden, dass die V. femoralis nicht eingeengt wird, um eine Thrombose zu vermeiden.

Operation nach Fabricius – femoraler Zugang: Einzelknopfnähte zwischen Lig. inguinale und Lig. pubicum superius (Cooper). Cave: V. femoralis! [ ] ABB. 16.15

Plug-Repair Auch bei der femoralen Schenkelhernienversorgung kann eine Netzprothese implantiert werden. Grundsätzlich erfolgt die Präparation analog der Operationstechnik nach Fabricius. In den Defekt wird dann jedoch retrofaszial eine fallschirmartige Netzprothese (z. B. PerFix ® -Plug) eingebracht. Hierbei muss darauf geachtet werden, die V. femoralis nicht einzuengen. Um eine Netzwanderung zu verhindern, sollte der Plug mit nichtresorbierbarem Nahtmaterial am Leistenband, am Lig. lacunare und am Lig. Cooperi fixiert werden.

16.9.2 Inguinaler Zugang Operation nach Lotheissen-McVay Die Präparation erfolgt analog zur Leistenhernienreparation. Dabei wird die Fascia transversalis, beginnend am Angulus inguinalis internus, bis zum Tuberculum pubicum gespalten. Dadurch wird medial der V. femoralis die Schenkelhernie sichtbar. Der Bruchsack kann nun abgetragen oder reponiert werden. Die Schenkelhernie wird so in eine Leistenhernie „umgewandelt“. Zur Darstellung des Bruchsacks ist es in vielen Fällen nötig, das Lig. lacunare oder sogar das Leistenband einzukerben oder zu durchtrennen. Dadurch wird der spätere Bruchlückenverschluss allerdings erschwert. Der Verschluss der Bruchpforte erfolgt nun durch nichtresorbierbare, monofile Einzelknopfnähte (z. B. Polypropylen 2/0), mit denen kranial die Fascia transversalis, der M. transversus abdominis und der M. obliquus internus und kaudal das Lig. Cooperi, die Fascia transversalis und ggf. das Leistenband mit

gestochen werden. Auch hier muss darauf geachtet werden, die V. femoralis nicht einzuengen.

Netzimplantation Die Netzimplantation bei der inguinalen Versorgung von Schenkelhernien setzt zunächst die Präparation mit Spaltung der Fascia transversalis und „Umwandlung“ der Schenkelhernie in eine Leistenhernie voraus (Operation nach Lotheissen-McVay). Die Fixierung des Netzes sollte medial tiefer als beim Lichtenstein-Verfahren am Lig. Cooperi erfolgen. Das Netz wird am Unterrand des Leistenbandes fortlaufend fixiert, über der Schenkelbruchpforte kann zusätzlich eine laterale Lefze des Netzes ausgeschnitten und zur Überdeckung der Schenkelbruchpforte unter den Unterrand des Leistenbands geschoben werden.

16.10 Rezidivhernien Die operative Versorgung von Rezidivhernien sollte sich nach dem stattgehabten Operationsverfahren richten. Grundsätzlich sollten bei Rezidivhernien Kunststoffnetze implantiert werden, um die Rezidivrate möglichst niedrig zu halten. Rezidive nach netzfreien, anterioren Verfahren können je nach Erfahrung des Operateurs endoskopisch oder offen in der Operationstechnik nach Lichtenstein versorgt werden. Treten Rezidive nach einer Lichtenstein-Operation oder einem Plug-Verfahren auf, ist eine erneute anteriore Versorgung mit neuerlicher Netzeinlage in der Regel einfacher als ein posteriores Verfahren, weil die Präparation des präperitonealen Raums deutlich erschwert sein kann. Zur Vermeidung chronischer Nervenschäden und Schädigungen der Samenstranggebilde sollte die in der Regel stark verwachsene Netzprothese großzügig belassen oder nur teilweise entfernt werden. Rezidive nach endoskopischen Operationen werden durch ein anteriores Netzverfahren behandelt. Hier eignet sich besonders das Operationsverfahren nach Lichtenstein. Auf die Entfernung einer im Rahmen der Primäroperation eingebrachten Netzprothese bei der Rezidivoperation sollte in der Regel verzichtet werden, weil diese zu einem erheblichen Gewebstrauma führt und mit einer erhöhten Inzidenz chronischer postoperativer Schmerzen behaftet ist.

16.11 Komplikationen Komplikationen nach offenen Reparationsverfahren treten in ca. 6–10 % der Fälle auf. Selten handelt es sich um schwerwiegende Komplikationen, allerdings können sie den Patienten aufgrund der Empfindlichkeit der Leistenregion sehr belasten.

Gefäß- und Nervenverletzungen Bei der Präparation können epigastrische Gefäße, bei der Schenkelhernienversorgung aber auch Femoralgefäße (insbesondere die V. femoralis) verletzt werden. Die Verletzung der Samenstranggefäße kann zu einer Hodenatrophie führen. Eine Durchtrennung des Samenleiters kann durch eine direkte Naht analog einer Gefäßnaht (Fadenstärke 6/0) versorgt werden. Eine Verletzung des N. iliohypogastricus kann zu einem Sensibilitätsausfall der Haut kranial des Leistenbands führen, die Durchtrennung des R. genitalis des N. genitofemoralis kann zu einer Abschwächung des Kremasterreflexes mit der konsekutiven Folge eines Hodentiefstandes führen. Sensibilitätsstörungen im Versorgungsgebiet des N. ilioinguinalis nach Durchtrennung desselben sind als gering einzuschätzen, da sich die sensiblen Versorgungsgebiete des N. ilioinguinalis, des N. iliohypogastricus und des R. femoralis des N. genitofemoralis überlappen. Operationsbedingte Taubheitsgefühle treten in bis zu 8 % der Fälle auf, weisen jedoch eine gute Rückbildungstendenz auf. Bei einer präparationsbedingten Durchtrennung der Leistennerven sollten die Nervenstümpfe ligiert werden.

Chronische Leistenschmerzen Mit der Implantation von Netzprothesen werden seit einigen Jahren chronische Leistenschmerzen in Verbindung gebracht, die bei bis zu 20 % der Patienten auftreten und zunehmend Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung geworden sind. Vernarbungsprozesse durch die Implantation der Netzprothese und die Fixierung derselben werden dafür verantwortlich gemacht. Die erhebliche anatomische Variation der Nervenverläufe in der Leiste macht die Prävention dieser Leistenschmerzen jedoch nahezu unmöglich. Der Nutzen einer prophylaktischen Durchtrennung der Leistennerven bei der Leistenhernienoperation („TripleNeurectomy“), die von vielen Operateuren zur Vermeidung von Nervenirritationen routinemäßig durchgeführt wird, ist in der wissenschaftlichen Literatur nicht bewiesen. Auch wenn chronische Leistenschmerzen innerhalb des ersten Jahres nach der Operation eine gute Besserungstendenz aufweisen, belasten sie die betroffenen Patienten häufig sehr stark und erfordern in vielen Fällen eine langwierige Schmerztherapie.

Hämatome, Serome, Wundinfektionen Die Rate von Hämatomen und Seromen liegt bei 6–8 %. Die Rate der Wundinfektionen liegt nach offenen Leistenhernienreparationen mit 2–4 % erfreulich gering. Die Therapie besteht in der Eröffnung des Nahtabszesses. Die offene Wundbehandlung ist in den letzten Jahren durch moderne Vakuumverbandstherapien oder Hydro-Okklusivverbände weitgehend abgelöst worden. Polypropylen-Netzprothesen sind inert und können bei Infekten belassen werden. Nebenhodenentzündungen und die ischämische Orchitis können infolge einer Verletzung der Samenstranggebilde oder eine Einschnürung derselben bei Durchtritt durch die Netzprothese oder eine einengende Naht entstehen. Besonders die ischämische Orchitis stellt eine schwerwiegende Komplikation mit einer sofortigen Behandlungsnotwendigkeit dar. Leider wird sie häufig zu spät entdeckt, sodass die Hodenatrophie oder der Verlust des Hodens nicht mehr zu vermeiden sind.

16.12 Postoperative Nachsorge Hinsichtlich der postoperativen Wundbetreuung sollten auch nach ambulanten Eingriffen regelmäßige Wundkontrollen erfolgen. Der Fadenzug sollte am 10. postoperativen Tag erfolgen, entfällt jedoch in vielen Fällen bei der Verwendung resorbierbaren intrakutanen Nahtmaterials. Grundsätzlich ist ein Patient nach Implantation einer Netzprothese sofort belastbar, allerdings sollten aufgrund des Wundschmerzes zunächst eine körperliche Schonung nach Netzimplantation von 14 Tagen und eine Belastung maximal bis zum Erreichen der Schmerzgrenze eingehalten werden. Die volle körperliche Belastung ist nach Abschluss der Wundheilung gegeben. Bei netzfreien Verfahren ist eine körperliche Schonung von 6 Wochen sinnvoll.

16.13 Tailored Approach In den letzten Jahren sind in der wissenschaftlichen Diskussion Forderungen erhoben worden, in Abhängigkeit von den individuellen anatomischen Gegebenheiten des Patienten ein individualisiertes Behandlungskonzept im Sinne eines „tailored approach“, also eines maßgeschneiderten Vorgehens, durchzuführen. Die unterschiedlichen Operationsmethoden und die Vielzahl von zur Verfügung stehenden Netzprothesen, die einer ständigen Weiterentwicklung unterworfen sind, befruchten diese Diskussion. Die wissenschaftliche Evaluation eines „tailored approach“ mit daraus sich ergebenden individuellen Handlungsanweisungen für den Operateur ist schwierig, hängt sie doch von einer vollständigen Erfassung und Vergleichbarkeit der Patientendaten, einer standardisierten Hernienklassifikation, der umfassenden Kenntnis der evidenzbasierten Literatur und der Erfahrung des Operateurs ab. Fraglich ist, ob eine solche individualisierte Therapie der Leistenhernie wirklich sinnvoll ist. Es steht außer Frage, dass eine Netzimplantation zur Vermeidung des Hernienrezidivs angestrebt werden sollte. Im Hinblick darauf stehen mit der Operationstechnik nach Lichtenstein und den minimalinvasiven Verfahren gegenwärtig standardisierte, komplikationsarme Operationsverfahren zur Verfügung, die bei allen Formen von Leistenhernien komplikationsarm angewendet werden können. Wichtig bei der Leistenhernienversorgung ist vor allem, dass ein Operateur oder eine Institution für sich einen einfachen und wirkungsvollen Therapiestandard definiert, der sich auf wenige Verfahren beschränkt und eine qualitativ hochwertige Versorgung gewährleistet ( ). Dabei spielen individuelle

Erfahrung und Evidenz eine entscheidende Rolle.

Tab. 16.4 Behandlungsalgorithmus Leistenhernie. Verfahren

Shouldice

Lichtenstein

Anästhesie

• Lokalanästhesie • Spinalnarkose

• Lokalanästhesie • Spinalnarkose

Indikation

• primäre Hernie • jüngere Patienten • Ablehnung Netz

• primäre Hernie • Rezidiv nach MIC • Risikoprofil

Patientenwunsch

Patientenwunsch

TEP/EEHP Vollnarkose • primäre Hernie • Rezidiv • beidseitige Hernie • Sportler • körperl. Belastung Patientenwunsch

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KAPITEL 17

Leistenhernie – endoskopische Verfahren Ingo Leister and Heinz Becker

17.1. 17.1.1. 17.1.2. 17.1.3. 17.2. 17.3. 17.4.

17.1 Endoskopische Verfahren Leistenhernienoperationen werden in den USA und in Europa über 700.000-mal pro Jahr durchgeführt. Bis zu den späten 1980er-Jahren hat sich die Technik zur Leistenkanalreparation kaum verändert. Der Zugang war der anteriore Leistenschnitt, die Bruchlücke wurde durch Nähte verschlossen. Die Schwäche dieser Verfahren (Bassini, Shouldice) war eine Rezidivrate von im Mittel 10–15 %. Dies führte zu alternativen Techniken wie der Einlage von Kunststoffnetzen zum spannungsfreien Bruchlückenverschluss. Hierdurch konnten Rezidivraten bis unter 1 % erreicht werden. Neben dem Verfahren nach Lichtenstein über einen anterioren Zugang und seinen Varianten ( plug and patch etc.) werden diese Netztechniken seit Anfang der 1990er-Jahre auch endoskopisch durchgeführt. Hier konkurriert die total extraperitoneale Hernioplastik (TEP) ohne Eröffnung des Bauchraums mit der transabdominalen PatchPlastik (TAPP). Beide Verfahren unterscheiden sich lediglich im Zugang zum präperitonealen Raum.

17.1.1 Spezielle Anatomie Die modernen Verfahren der endoskopischen Leistenhernienreparation erfordern zusätzliche anatomische Kenntnisse der Leistenregion.

ABB. 17.1

Wechsel der Verfahrenswahl in der Leistenhernienchirurgie. [ ]

Bei der TEP wird nach Durchtrennen des vorderen Blatts der Rektusscheide direkt unterhalb des Nabels hinter dem Rektusmuskel ein präperitonealer Raum (Spatium praeperitoneale) zwischen Fascia transversalis und Peritoneum gebildet. Dieser künstlich durch Dissektionstrokare, Gasinsufflation und endoskopische Präparation geschaffene Raum enthält in der Leistenregion die Samenstranggebilde bzw. das Lig. rotundum sowie Blutgefäße und Nerven. Das Schaffen dieses Raums ist nur möglich, weil das

hintere Blatt der Rektusscheide in einem variablen Bereich unterhalb des Nabels endet (Linea arcuata) und kaudal dieser Grenze das Peritoneum von der Rektusmuskulatur leicht abzupräparieren ist. Eine Erweiterung des präperitonealen Raums über die Linea arcuata hinaus nach kranial ist nicht möglich, da das Peritoneum dort mit dem hinteren Blatt der Rektusscheide (Transversusaponeurose) fest verwachsen ist. Die TAPP unterscheidet sich von der TEP nur durch den Zugangsweg zum präperitonealen Raum. Analog dem Vorgehen bei der konventionellen diagnostischen Laparoskopie führt der Chirurg im Bereich des Nabels eine Optik durch die gesamte Bauchwand in die Abdominalhöhle ein. Bei der transperitonealen Sicht sind nun bereits die wesentlichen anatomischen Strukturen in der Leistenregion ersichtlich, durch das Peritoneum durchscheinend und ohne die Notwendigkeit der Dissektion eines präperitonealen Raums. Im mittleren Unterbauch findet sich halbmondförmig das Schambein. Nach lateral folgt die Plica umbilicalis medialis, welche die obliterierten Umbilikalarterien enthält. Es folgen nach lateral das Hesselbach-Dreieck, das kranial von der Transversusarkade begrenzt wird, sowie die epigastrischen Gefäße, die aus den Iliakalgefäßen entspringen und am Hinterrand des Rektusmuskels paramedian nach kranial verlaufen. In unmittelbarer Nachbarschaft zu den epigastrischen Gefäßen laufen beim Mann der Ductus deferens und die Vasa testicularis zusammen und bilden am inneren Leistenring den Samenstrang. Die Kenntnis dieser anatomischen Strukturen als Voraussetzung für die endoskopische Leistenhernienchirurgie aus einem für die konventionelle Leistenhernienchirurgie ungewohnten posterioren Blickwinkel ermöglicht dem Chirurgen, zusammen mit den Erfahrungen des anterioren Zugangs, ein komplexes dreidimensionales Verständnis der Leistenregion.

17.1.2 Total extraperitoneale Hernioplastik (TEP) Die endoskopischen Hernioplastiken bei der Leistenhernie haben ihren Ursprung in den heute nur sehr selten eingesetzten offenen posterioren Verfahren nach Nyhus und Stoppa. Beide Verfahren sind dadurch charakterisiert, dass der präperitoneale Raum über einen Hautschnitt kranial des Leistenkanals eröffnet wird. Nach Reposition des Bruchsacks wird dann nach Nyhus die Bruchpforte von dorsal mittels Einzelknopfnähten verschlossen, während beim Verfahren nach Stoppa immer bilateral eine große Netzprothese eingebracht wird. Der gleiche präperitoneale Raum wird bei der total extraperitonealen Hernioplastik (TEP) über eine ca. 1,5 cm große Inzision am Nabel erreicht ( ). Hierbei wird das äußere Blatt der Rektusscheide gespalten. Auf dem hinteren Blatt der Rektusscheide, also unter dem Rektusmuskel, wird ggf. mittels aufblasbaren Dissektionstrokars, später mittels Optiktrokars und CO 2 -Insufflation, ein ausreichend großer Raum präpariert ( ). Durch diesen Raum ziehen schräg von lateral nach medial die testikulären Gefäße und der Samenstrang. An der Dorsalfläche des Rektusmuskels verlaufen, aus den Iliakalgefäßen kommend, von kaudal nach kranial die epigastrischen Gefäße.

Infraumbilikaler Zugang zur total extraperitonealen Hernioplastik. a) M. rectus abdominis. b) Vorderes Blatt der Rektusscheide, Schnittrand. c) Hinteres Blatt. [ ] ABB. 17.2

ABB. 17.3

Total extraperitonealer Zugang, Schema. Ballondistension des präperitonealen Raums. [ ]

Nach Setzen eines 5-mm-Arbeitstrokars unterhalb des Nabels in der Mittellinie wird dieser Raum so weit nach lateral und kranial erweitert, bis dort ein weiterer 5-mm-Arbeitstrokar etwa in Nabelhöhe platziert werden kann. Bei der bilateralen Hernie kann kontralateral ein zusätzlicher 5-mm-Arbeitstrokar

gesetzt werden ( ). Mit zunehmender Erfahrung wird heute oftmals auf das Einbringen eines kontralateralen 5-mm-Arbeitstrokars bei der beidseitigen Leistenhernie verzichtet. Alternativ zur oben beschriebenen Technik platzieren einige Chirurgen zwei 5-mm-Arbeitstrokare sowohl bei der einseitigen als auch bei der beidseitigen Leistenhernie unterhalb des Optiktrokars in der Mittellinie übereinander. Dies hat den Vorteil, dass von einem sehr frühen Zeitpunkt an bimanuell präpariert werden kann. Nachteilig ist, dass der kaudal eingebrachte 5-mm-Trokar bei der späteren Netzplatzierung hinderlich sein kann. Es ist nun möglich, den Bruchsack bimanuell, bei der indirekten Hernie von den Samenstranggebilden und bei der direkten Hernie von der Dorsalfläche der Fascia transversalis im Hesselbach-Dreieck, zu mobilisieren und zu reponieren ( a, b). Größere Defekte im Bereich der Leistenkanalhinterwand können durch eine lockere, die Fascia transversalis raffende endoskopische Naht oder durch Fixierung der erweiterten Fascia transversalis an das Cooper-Ligament adaptiert werden, um ein planes Nahtlager zu schaffen und ein Hineinrutschen des Netzes in den Defekt zu verhindern. Anschließend wird ein planes 10 × 15 cm großes Kunststoffnetz in den präperitonealen Raum gelegt, wobei darauf zu achten ist, dass das Netz sowohl die indirekte als auch die direkte Bruchpforte abdeckt ( d). Bei beidseitigen Brüchen werden zwei Netze in der Mittellinie überlappend platziert. Auf eine Fixierung der Netze kann bei der TEP im Allgemeinen verzichtet werden, wenn es sich nicht um extrem große Bruchpforten handelt. Ein Einschneiden des Netzes zum Durchtritt der Samenstranggebilde, wie in der Anfangszeit bei dieser Methode oftmals durchgeführt, bringt keine technischen Vorteile für den Chirurgen sowie keine geringere Morbidität oder Rezidivrate. Somit wird heute ein planes intaktes Netz von den meisten Chirurgen favorisiert und von der International Hernia Society (IEHS) empfohlen.

ABB. 17.4

Platzierung der Trokare bei der TEP, beidseitige Hernie. [ ]

Bei der total extraperitonealen Hernioplastik wird die Leistenregion ohne Eröffnung des Bauchraums extraperitoneal dargestellt und der Bruch mittels Einlage eines Netzes verschlossen. Im Gegensatz zum anterioren Verfahren nach Lichtenstein, bei dem das Netz ventral auf die Bauchwandmuskulatur genäht wird, wird das Netz beim posterioren endoskopischen Verfahren also präperitoneal hinter die Bauchwandmuskulatur bzw. nach kaudal hinter die Fascia transversalis gelegt ( ).

Netzlage in der Bauchwand a) bei den anterioren konventionellen und b) bei den posterioren endoskopischen Verfahren. [ ] ABB. 17.5

Endoskopische extraperitoneale Sicht in die linke Leistenregion. a) und b) Der indirekte Bruchsack (Pfeil) ist entlang der Samenstranggebilde sichtbar und wird von diesen durch Zug und Gegenzug abpräpariert. c) und d) Anatomie nach der Präparation. Ein planes Kunststoffnetz deckt anschließend alle potenziellen Bruchpforten ab. [ ] ABB. 17.6

17.1.3 Transabdominale präperitoneale Hernioplastik (TAPP) Das transperitoneale endoskopische Vorgehen (TAPP) unterscheidet sich vom endoskopischen extraperitonealen lediglich im Zugang zur Leistenhinterwand. Das Auslösen des Bruchsacks, die Darstellung der Bruchpforten sowie die Netzeinlage sind prinzipiell gleich. Beim transperitonealen Verfahren kippt man nach infraumbilikaler Hautinzision und nach Spalten des vorderen Blatts der Rektusscheide nicht nach kaudal auf dem hinteren Blatt der Rektusscheide ab, sondern eröffnet auch das hintere Blatt der Rektusscheide sowie das Peritoneum parietale. Nach Einbringen des Optiktrokars sowie der Optik kann nun der intraabdominale Raum inspiziert werden. Diese Technik beinhaltet also gleichzeitig die Möglichkeit einer diagnostischen Laparoskopie, was bei unklaren präoperativen Befunden auch differenzialdiagnostische Aussagen erlaubt. Nach Setzen zweier 5-mm-Arbeitstrokare rechts und links in Nabelhöhe wird schließlich die Leistenregion beurteilt ( ). Meist kann eine direkte bzw. indirekte Bruchpforte mühelos dargestellt werden. Das Peritoneum wird dann oberhalb des inneren Leistenrings bzw. der Bruchpforten quer inzidiert und nach medial und lateral so weit von den präperitonealen Strukturen abgelöst, dass die Präparation der Samenstranggebilde sowie eine Reposition des Bruchsacks möglich werden ( ). Analog zum total extraperitonealen Verfahren wird anschließend das Netz platziert. Das Peritoneum wird abschließend über dem Netz vernäht. Weder bei der TAPP noch bei der TEP ist eine Fixierung des Netzes zwingend notwendig. Entsprechend den Richtlinien der International Endohernia Society (IEHS) aus dem Jahre 2011 wird nur bei großen direkten Defekten eine Fixierung empfohlen, wobei hier zur Vermeidung postoperativer Schmerzen zunehmend Fibrinkleber zum Einsatz kommt.

ABB. 17.7

Posteriore endoskopische transperitoneale Sicht der Leistenregion bei der TAPP. [ ]

ABB. 17.8

Auslösen einer indirekten Hernie bei der TAPP. [ ]

Bei der endoskopischen transperitonealen Hernioplastik wird die Leistenregion nach Eröffnung des Bauchraums transperitoneal dargestellt und der Bruch mittels Einlage eines Netzes verschlossen.

17.2 Endoskopische Technik im Vergleich zu offenen Verfahren In der Literatur besteht Einigkeit darüber, dass durch die Einführung des spannungsfreien Bruchlückenverschlusses mittels Kunststoffnetz die Rezidivrate nach Leistenhernienreparation deutlich abgenommen hat. Einzelberichte über mögliche kanzerogene Effekte durch die Einlage von Fremdmaterial konnten durch kontrollierte klinische Studien bislang nicht erhärtet werden. Bis heute gibt es daher keinen Grund, eine maligne Entartung durch die Einlage von Kunststoffnetzen bei der Versorgung von Leistenhernien ernsthaft anzunehmen. Der spannungsfreie Leistenhernienverschluss hat sich als Standardverfahren heute allgemein durchgesetzt. Uneinigkeit besteht nach wie vor darüber, ob der Zugang zum Leistenkanal endoskopisch oder offen erfolgen sollte. Hier konzentrieren sich die zur Verfügung stehenden Untersuchungen vor allem auf Unterschiede hinsichtlich der Rezidivraten sowie persistierender Schmerzsyndrome. Die größte prospektiv randomisierte Multicenterstudie zu dieser Frage umfasst 2.164 Patienten, die in 14 verschiedenen Kliniken offen oder endoskopisch mit Netz operiert wurden. Demnach sind sowohl die Rezidiv- als auch die Komplikationsraten bei der primären Hernie nach endoskopischem Zugang signifikant höher als nach offener Netzeinlage. Die EU Hernia Trialist Collaboration hat im Jahr 2002 im Rahmen einer Metaanalyse alle zum Untersuchungszeitpunkt zur Verfügung stehenden prospektiv randomisierten Studien mit insgesamt 11.174 Patienten zusammengefasst. Demnach werden sowohl die Rezidivrate als auch postoperativ persistierende Schmerzen durch die Einlage von Kunststoffnetzen ungeachtet des Zugangswegs im Vergleich zu den anterioren Verfahren ohne Netz reduziert. Die Rezidivraten waren hier ohne signifikanten Unterschied zwischen der endoskopischen und der offenen Netzeinlage, während persistierende Schmerzen bei der endoskopischen Netzeinlage seltener waren. Eine aktuelle Metaanalyse aus dem Jahr 2013 schließt 13 prospektiv randomisierte Studien mit insgesamt 5.404 Patienten ein, die die TEP mit dem offenen anterioren Verfahren nach Lichtenstein vergleichen. Endpunkte der Untersuchung waren Rezidivrate, chronischer Schmerz, Wundinfektionen, Gefäßverletzungen und Verletzung von viszeralen

Organen. Es konnten keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Verfahren gefunden werden. Lediglich ein postoperatives Taubheitsgefühl in der Leiste wurde von den endoskopisch operierten Patienten signifikant seltener angegeben. Eine Auswahl dieser Studien zeigt .

Tab. 17.1 Auswahl prospektiv randomisierter Studien „endoskopische vs. offene Netzimplantation“ bei der Leistenhernie. Autor

Methode

Ergebnisse

Evidenzniveau

Langeveld et al. 2010

660 Patienten, TEP vs. Lichtenstein

Rezidivraten ohne Unterschied, TEP weniger postoperative Schmerzen, schnellere Rekonvaleszenz, weniger Sensibilitätsstörungen, aber mehr intraoperative Komplikationen

1

Eklund et al. 2006

1371 Patienten, TEP vs. Lichtenstein

TEP weniger postoperative Schmerzen, weniger Schmerzmittel und schnellere Rekonvaleszenz

1

Lau et al. 2006

200 Patienten, TEP vs. Lichtenstein

Rezidivraten ohne Unterschied, TEP weniger postoperative Schmerzen, schnellere Rekonvaleszenz und weniger chronische Schmerzen

1

Neumayer et al. 2004

2164 Patienten, TEP vs. Lichtenstein

TEP mehr Rezidive und Komplikationen, TEP weniger postoperative Schmerzen und schnellere Rekonvaleszenz

1

Andersson et al. 2003

168 Patienten, TEP vs. Lichtenstein

TEP weniger postoperative Schmerzen, schnellere Rekonvaleszenz, Komplikationsrate gleich, jedoch mehr Hämatome in der Lichtenstein-Gruppe

1

Colak et al. 2003

134 Patienten, TEP vs. Lichtenstein

Rezidivrate und Komplikationsrate gleich, TEP mit schnellerer Rekonvaleszenz

1

Hildebrandt et al. 2003

138 Patienten, TEP vs. Lichtenstein

Komplikationsrate, postoperative Schmerzen und Rekonvaleszenz ohne Unterschiede

1

Lal et al. 2003

50 Patienten, TEP vs. Lichtenstein

Rezidivrate ohne Unterschied, TEP mit weniger postoperativen Schmerzen und kürzerer Rekonvaleszenz

1

Beets et al. 1999

79 Patienten, TAPP vs. Lichtenstein beim Rezidiv

TAPP mehr Rezidive, weniger Schmerzen, schnellere Rekonvaleszenz

1

Heikkinen et al. 1998

45 Patienten, TEP vs. Lichtenstein

TEP schnellere Rekonvaleszenz, aber teurer

1

Khoury et al. 1998

292 Patienten, TEP vs. Lichtenstein

Rezidivraten ohne Unterschied; TEP schnellere Rekonvaleszenz und weniger Komplikationen

1

Wellwood et al. 1998

403 Patienten, TAPP vs. Lichtenstein

Rezidivraten ohne Unterschied; TAPP teurer, schnellere Rekonvaleszenz und weniger Schmerzen

1

Merello et al. 1997

120 Patienten, TEP vs. Lichtenstein

Rezidivraten ohne Unterschied; TEP schnellere Rekonvaleszenz

1

Sarli et al. 1997

108 Patienten, TAPP vs. Lichtenstein

Rezidivraten, Schmerzen, Komplikationen und Rekonvaleszenz ohne Unterschied

1

Diese Ergebnisse unterstützen grundsätzlich die Netzeinlage und zumindest tendenziell auch eine Favorisierung des endoskopischen Zugangs. Dem stehen jedoch die höheren Kosten des endoskopischen Zugangs gegenüber, ferner das Auftreten sog. Major-Komplikationen wie Nerven-, Darm- oder Gefäßverletzungen zumindest in der Lernphase, die lange Lernkurve sowie nicht zuletzt gesundheitspolitische Entscheidungen hinsichtlich des DRGVergütungssystems, die die endoskopische Methode unattraktiv machen. Heute wird die offene Netzeinlage nach Lichtenstein als Standardverfahren bei der primären Hernie am häufigsten eingesetzt. Es ist schnell zu erlernen und wenig zeitaufwendig. Hinzu kommt, dass diese Technik in Lokalanästhesie durchgeführt werden kann, was aufgrund der geringen Kosten und der schnellen Rekonvaleszenz insbesondere im ambulanten Bereich günstig ist. Eindeutige Vorteile der laparoskopischen Methode liegen dagegen in ihrer Anwendung beim Rezidiveingriff nach vorausgegangener anteriorer Versorgung und bei der beidseitigen Hernie.

17.3 Verfahrenswahl In der modernen chirurgischen Therapie der Leistenhernie gibt es heute nicht mehr das Standardverfahren. Vielmehr muss der Chirurg anteriore und posteriore Verfahren beherrschen, um dem einzelnen Patienten das an seine spezielle Situation optimal angepasste Verfahren im Sinne einer differenzierten Verfahrenswahl anbieten zu können ( ).

Tab. 17.2 Differenzierte chirurgische Verfahrenswahl bei der Leistenhernie. Situation des Patienten

Verfahren

primäre Leistenhernie beim jungen Patienten (< 25 Jahre)

Technik nach Shouldice in Lokalanästhesie

primäre Leistenhernie (> 25 Jahre)

Technik nach Lichtenstein in Lokalanästhesie

Rezidivhernie nach anteriorem Verfahren oder beidseitige Hernie

endoskopische Technik (TEP oder TAPP)

Die Verfahrenswahl in der chirurgischen Therapie des Patienten mit Leistenhernie orientiert sich an der speziellen Hernienform (primär, Rezidiv, einseitig, beidseitig) und den Besonderheiten des einzelnen Patienten. Patienten mit primären einseitigen Leistenhernien sind die Domäne der Lichtenstein- Technik. Dieses Verfahren zeichnet sich durch seine Einfachheit aus, in Kombination mit der durch die Netzimplantation niedrigen Rezidivrate. Beim älteren oder multimorbiden Patienten stellt die Möglichkeit, den Eingriff in Lokalanästhesie durchzuführen, einen zusätzlichen Vorteil dar, um pulmonale Komplikationen zu vermeiden. Darüber hinaus sind bei ambulanten Operationen Eingriffe in Lokalanästhesie grundsätzlich von Vorteil: zum einen aufgrund der Kostenersparnis im Vergleich zur Vollnarkose, zum anderen aufgrund der kürzeren Verweildauer des Patienten. Bei jungen Patienten (< 25 Jahre) vermeiden wir die Implantation von Kunststoffnetzen aufgrund der letztlich ungeklärten Langzeitergebnisse, z. B. im Hinblick auf Fertilität und Kanzerogenität. Ebenso wird man bei Frauen im gebärfähigen Alter einer Netzimplantation aufgrund der fehlenden Dehnbarkeit des Netzes in der Bauchdecke und eines möglicherweise später notwendigen Kaiserschnitts zurückhaltend gegenüberstehen. In beiden Fällen stellt die Shouldice- Technik in Lokalanästhesie eine sinnvolle Alternative zum anterioren Verfahren mit Netzimplantation dar.

Patienten mit einem Leistenhernienrezidiv nach initial anteriorem Verfahren eignen sich in besonderer Weise für die endoskopischen posterioren Verfahren, da hier in einem anatomisch unberührten Gebiet operiert wird. Komplikationen und erneute Rezidive aufgrund der schwierigen Präparation im voroperierten, vernarbten Gebiet können so vermieden werden. Auch bei der beidseitigen Leistenhernie ist das endoskopische Verfahren vorteilhaft, da über wenige endoskopische Zugänge simultan beide Leisten versorgt werden können. Die Summe der Schnittlängen beim beidseitigen anterioren Zugang ist im Vergleich zum beidseitigen endoskopischen Vorgehen deutlich länger, was neben kosmetischen Aspekten auch Auswirkungen auf die postoperative Morbidität hat. Darüber hinaus entfällt häufig bei der simultanen Versorgung beidseitiger Hernien über einen anterioren Zugang der Vorteil der Lokalanästhesie, da die Maximaldosis von 50 ml Lokalanästhetika aufgrund der systemischen Toxizität nicht überschritten werden darf.

17.4 Komplikationen Komplikationen nach laparoskopischer Leistenhernienversorgung können prinzipiell dem endoskopischen Verfahren, dem Patienten mit seinen Vorerkrankungen (allgemeine Komplikationen) und schließlich der Hernioplastik zugeordnet werden ( ).

Tab. 17.3 Komplikationen der endoskopischen Leistenhernienversorgung. durch Endoskopie

Patienten individuell

durch Hernioplastik

Blutungen • Bauchwand • intraperitoneal • retroperitoneal

Harnverhalt

Rezidiv

Gasembolien

Darmparalyse

neurologische Komplikationen • N. ilioinguinalis • N. iliohypogastricus • N. genitofemoralis • N. femoralis • N. cutaneus femoris lateralis

Organverletzungen

Übelkeit und Erbrechen

• Darmverletzungen • Harnblasenverletzungen trokarbedingte Komplikationen

testikuläre Komplikationen • Hydrozelen • Atrophien

Aspirationspneumonie

Hämatome/Serome

kardiovaskuläre Komplikationen

Netzkomplikationen

• Hernien • Hämatome • Wundinfektionen • Keloidbildungen Darmobstruktionen • Trokarhernien • Adhäsionen Hyperkapnie

• Infektionen • chronischer Schmerz • Netzunverträglichkeit respiratorische Insuffizienz

Sog. Major-Komplikationen wie Harnblasen- oder Darmverletzungen werden bei der chirurgischen Versorgung von Leistenhernien erst seit Einführung der endoskopischen Methode beschrieben. Diese extrem seltenen Verletzungen entstehen meist beim Einbringen der Trokare und bei unzureichender Sicht. Auch wenn diese potenziell lebensbedrohlichen Komplikationen weniger als ein Promille aller Patienten betreffen, müssen sie in der präoperativen Aufklärung unbedingt berücksichtigt werden.

Rezidivrate Die Rezidivrate ist ein wesentliches Qualitätsmerkmal der Leistenhernienoperation. Die durchschnittliche Rezidivrate bei der endoskopischen Methode entspricht in der Literatur mit ca. 2 % derjenigen bei offenen anterioren Netzimplantationen. In einigen Studien konnte nachgewiesen werden, dass die Erfahrung des Chirurgen bei der endoskopischen Methode einen größeren Einfluss auf die Rezidivrate hat als beim Verfahren nach Lichtenstein. Dies unterstreicht den besonderen technischen Anspruch der Methode. Zumeist handelte es sich nach TEP oder TAPP um frühe Rezidive, die auf einen technischen Fehler zurückzuführen sind. Das Netz sollte eine standardisierte Größe aufweisen, die in besonderen Fällen der individuellen Anatomie des Patienten angepasst werden muss. Bei großen medialen Brüchen kann es bei der Versorgung mittels TEP, wenn auf eine Fixierung des Netzes verzichtet wird, direkt postoperativ zu einem Hineinrutschen des Netzes in die Bruchpforte kommen. Daher ist auf eine ausreichende Überlappung des Netzes über die Bruchlücke hinaus nach mediokaudal zu achten. Zu frühen Rezidiven kommt es auch, wenn das Netz nicht plan eingebracht wurde, sich aufgrund einer inadäquaten Größe beim Ablassen des CO 2 aufrollt oder sich im Rahmen eines Hämatoms oder Seroms von der ursprünglichen Position löst. Das Übersehen einer Hernie oder die inkomplette Reposition vor der Netzplatzierung sind weitere vermeidbare Gründe für die Ausbildung eines Rezidivs.

Postoperative chronische Schmerzen Lange Zeit wurde darüber diskutiert, ob die Entstehung postoperativer chronischer Schmerzen nach Leistenbruchoperationen mit der Netzimplantation oder dem chirurgischen Zugang korreliert. Die Häufigkeit solcher Schmerzsyndrome wird in der Literatur mit bis zu 15 % angegeben. Die bereits erwähnte Metaanalyse prospektiv randomisierter Studien der EU Hernia Trialists Collaboration an 11.174 Patienten aus dem Jahr 2002 zeigte, dass Netzverfahren bei der Versorgung von Leistenhernien seltener zu chronischen Schmerzen führen als solche ohne Netz. Dieses Ergebnis wird theoretisch auf das spannungsfreie Versorgungsprinzip zurückgeführt. Darüber hinaus waren chronische Schmerzen nach endoskopischer Netzeinlage seltener als nach offener Netzimplantation. Wichtig erscheint auch in diesem Zusammenhang eine anatomiegerechte und atraumatische Operationstechnik. Bei der endoskopischen Präparation zur seitlichen Bauchwand sind die Nn. ilioinguinalis, iliohypogastricus sowie genitofemoralis unbedingt zu schonen. Während der gesamten Präparation sollte eine feine Bindegewebsschicht auf den Nerven belassen werden. Ebenso ist, wenn überhaupt notwendig, der gezielte und sparsame Einsatz der Elektrokoagulation obligat. In den Arealen der oben beschriebenen Nervenverläufe und im Verlauf des N. femoralis darf die Elektrokoagulation nicht zum Einsatz kommen. Sollte es trotzdem postoperativ zu Nervenirritationen kommen, ist eine konservative Therapie mittels Antiphlogistika die Therapie der Wahl. Bei Schmerzsyndromen, die direkt postoperativ eindeutig einem Nerv zuzuordnen sind, kann im Einzelfall die Entfernung eines Clips oder einer Naht sinnvoll sein.

Atraumatisches Operieren Eine traumatisierende endoskopische Operationstechnik kann zu einer Verschlechterung der Blutversorgung des Hodens über die Vasa testicularis führen. Die Folge ist eine ischämische Orchitis bis hin zur Hodenatrophie, die in der Literatur nach endoskopischer oder offener Netzimplantation mit 1–2 % angegeben wird. Ebenso verhält es sich mit den häufiger anzutreffenden postoperativen Hämatomen und Seromen (5–15 %), die wiederum neben den Rezidiv- auch die Infektionsraten ganz wesentlich beeinflussen. Die endoskopische Leistenhernienreparation kann vom erfahrenen Operateur mit der gleichen Sicherheit wie die anterioren Netzverfahren durchgeführt werden. Eine atraumatische Operationstechnik in Kenntnis der speziellen Anatomie ist hierbei die wichtigste Voraussetzung zur Vermeidung von

Komplikationen. Wie bei großen abdominalchirurgischen Eingriffen muss daher die Ausbildung des Chirurgen der Schwierigkeit der zu erlernenden Technik angepasst werden.

Literatur [1] Andersson, B., et al. Laparoscopic extraperitoneal inguinal hernia repair versus open mesh repair: a prospective randomized controlled trial. Surgery . 2003; 133:464–472. [2] Beets, G. L., et al. Dirksen CD, Go PM, Geisler FE, Baeten CG, Kootstra G. Open or laparoscopic preperitoneal mesh repair for recurrent inguinal hernia? A randomized controlled trial. Surg Endosc . 1999; 13:323–327. [3] Bittner, R., et al. Guidelines for laparoscopic (TAPP) and endoscopic (TEP) treatment of inguinal hernia [International Endohernia Society (IEHS)]. Surg Endosc . 2011; 25:2.773–2.843. [4] Colak, T., Akca, T., Kanik, A., Aydin, S. Randomized clinical trial comparing laparoscopic totally extraperitoneal approach with open mesh repair in inguinal hernia. Surg Laparosc Endosc Percutan Tech . 2003; 13:191–195. [5] Eklund, A., et al. Short-term results of a randomized clinical trial comparing Lichtenstein open repair with totally extraperitoneal laparoscopic inguinal repair. Br J Surg . 2006; 93:1.060–1.068. [6] Heikkinen, T. J., Haukipuro, K., Koivukangas, P., Hulkko, A. A prospective randomized outcome and cost comparison of totally extraperitoneal endoscopic hernioplasty versus Lichtenstein hernia operation among employed patients. Surg Laparosc Endosc . 1998; 8:338–344. [7] Hildebrandt, J., Levantin, O. Tension-free method of primary inguinal hernias. Comparison of endoscopic, total extraperitoneal hernioplasty with Lichtenstein operation. Chirurg . 2003; 74:915–921. [8] Khoury, N. A randomized prospective controlled trial of laparoscopic extraperitoneal hernia repair and mesh-plug hernioplasty: a study of 315 cases. J Laparoendosc Adv Surg Tech A . 1998; 8:367–372. [9] Koning, G. G., Wetterslev, J., van Laarhoven, C. J., Keus, F. The totally extraperitoneal method versus Lichtenstein's technique for inguinal hernia repair: a systematic review with meta-analyses and trial sequential analyses of randomized clinical trials. PLoS One . 8(1), 2013. [10] Lal, P., et al. Randomized controlled study of laparoscopic total extraperitoneal versus open Lichtenstein inguinal hernia repair. Surg endosc . 2003; 17:850–856. [11] Langeveld, H. R., et al. Total extraperitoneal inguinal hernia repair compared with Lichtenstein (the LEVEL-Trial): a randomized controlled trial. Ann Surg . 2010; 251:819–824. [12] Lau, H., Patil, N. G., Yuen, W. K. Day-case endoscopic totally extraperitoneal inguinal hernioplasty versus open Lichtenstein hernioplasty for unilateral primary inguinal hernia in males: a randomized trial. Surg Endosc . 2006; 20:76–81. [13] Merello, J., Guerra, A. G., Madriz, J. Laparoscopic TEP versus open Lichtenstein hernia repair. Randomized trial. Surg Endosc . 1997; 11:545–550. [14] Neumayer, L., et al. Veterans Affairs Cooperative Studies Program 456 Investigators. Open mesh versus laparoscopic mesh repair of inguinal hernia. N Engl J Med . 2004; 350:1.819–1.827. [15] Sarli, L., et al. Prospective randomized comparative study of laparoscopic hernioplasty and Lichtenstein tension-free hernioplasty. Acta Biomed Ateneo Parmense . 1997; 68:5–10. [16] The, E. U. Hernia Trialists Collaboration. Repair of groin hernia with synthetic mesh, meta-analysis of randomized controlled trials. Arch Surg . 2002; 235:322–332. [17] Wellwood, J., et al. Randomised controlled trial of laparoscopic versus open mesh repair for inguinal hernia: outcome and cost. BMJ . 1998; 317:103–110. [18] Zendejas, B., et al. Trends in the utilization of inguinal hernia repair techniques: a population-based study. Am J Surg . 2012; 203:313– 317.

KAPITEL 18

Narbenhernie Claus Langer and Heinz Becker

18.1. 18.2. 18.3. 18.4. 18.5. 18.5.1. 18.5.2. 18.5.3. 18.6.

18.1 Inzidenz Narbenhernien treten nach Laparotomien mit einer Häufigkeit von bis zu 20 % und mehr auf , . Für Deutschland bedeutet dies eine Inzidenz von ca. 70.000 operationspflichtigen Narbenhernien pro Jahr mit entsprechend weitreichenden sozioökonomischen Konsequenzen . Der Großteil der Narbenhernien entwickelt sich mit ca. 80 % innerhalb der ersten 2 Jahre nach Operation und mit nahezu 100 % in den ersten 5 Jahren . Um Aussagen zu Narbenhernien und zukünftige Studien transparenter und vergleichbarer zu machen, wurde von der Europäischen Hernien-Gesellschaft (EHS) 2009 eine Klassifikation der Narbenhernien erstellt. Hier werden im Wesentlichen Narbenhernien mit einer Bruchpforte < 4 cm, 4–10 cm und ≥ 10 cm unterschieden. .

18.2 Risikofaktoren Innerhalb eines komplexen, multifaktoriellen Geschehens konnten in den meisten Studien zu diesem Thema demografische, patientenspezifische sowie intraund postoperative Risikofaktoren für die Entstehung einer Narbenhernie statistisch gesichert werden ( ):

Tab. 18.1 Risikofaktoren für das Auftreten einer Narbenhernie. demografisch

patientenspezifisch

intraoperativ

Lebensalter

Malignome

Notfalloperation

Geschlecht

Anämie

Rezidivinzision

Übergewicht

Erfahrung Operateur

Lungenerkrankung

Nahttechnik

Diabetes mellitus

Fadenmaterial

postoperativ Wundinfektion

Niereninsuffizienz Nikotinabusus Literatur: Demografische Faktoren ; patientenspezifische Faktoren , ; intraoperative Faktoren , , , , , , , , , ; postoperative Faktoren , ,

• Demografische Risikofaktoren, die mit einem signifikant erhöhten Narbenhernienrisiko einhergehen, stellen ein höheres Lebensalter sowie männliches Geschlecht dar. • Patientenspezifische Prognoseparameter, die zu einer erhöhten Rate an Narbenbrüchen führen, sind maligne Grunderkrankungen, Anämie, Adipositas (BMI > 25) , chronisch-obstruktive Lungenerkrankung, Diabetes mellitus, Niereninsuffizienz und Nikotinabusus. • Wesentliche intraoperative Risikofaktoren stellen die Notwendigkeit einer Rezidivinzision oder einer Notfalloperation dar, eine geringe Erfahrung des Operateurs, die Verwendung von kurzzeitresorbierbarem Fadenmaterial und ein Missverhältnis zwischen Faden- und Wundlänge. Zur Frage nach dem idealen Nahtmaterial und der Nahttechnik bei elektiven Laparotomien liegt eine Fülle von unkontrollierten Zahlen einzelner Institutionen vor. In der Summe überwiegen aber die Daten, die für ein

langzeitresorbierbares Material (z. B. Polydiaxanon = PDS) und eine fortlaufende Nahttechnik sprechen. Diese Ansicht wird unterstrichen durch die INLINE-Metaanalyse, bei der nach fortlaufender Naht mit monofilem, langzeitresorbierbarem Nahtmaterial nach Medianlaparotomie deutlich weniger Narbenhernien zu verzeichnen waren als mit Einzelknopfnaht und kurzzeitresorbierbarem Material . Auch in der randomisierten, multizentrischen INSECT-Studie lag die Narbenhernienrate nach fortlaufendem Nahtverschluss mit PDS (8,4 %) unter der nach Einzelknopfnaht mit Vicryl (15, 9 %), allerdings waren diese Unterschiede statistisch nicht signifikant . Allgemein anerkannt ist zudem die herausragende Bedeutung eines Faden/Wundlängen-Verhältnisses von 4:1 mit einem Abstand zwischen den einzelnen Stichen des Laparotomieverschlusses und des Stichabstands vom Faszienrand von jeweils 0,5–0,8 cm . Zur Frage des Einflusses der Schnittführung bei der primären Laparotomie – median oder sonstige – finden sich erneut widersprüchliche Daten. Zwei randomisiert kontrollierte Studien haben keine Unterschiede erbracht, v. a. keine erhöhte Inzidenz von Narbenhernien nach Medianlaparotomie , . Eine Metaanalyse unter Einschluss sowohl randomisierter als auch retrospektiver Studien ergab hingegen eine signifikant niedrigere Inzidenz an Narbenhernien nach transversalen Laparotomien . Die neueste randomisierte, doppelt-verblindete Studie zu diesem Thema (POVATI) erbrachte dagegen bei 200 Patienten keine signifikanten Unterschiede zwischen querer und medianer Laparotomie . • Unter den postoperativen Risikofaktoren kommt der postoperativen Wundinfektion überragende Bedeutung zu, da diese mit einem signifikanten Anstieg der Rate an Narbenhernien assoziiert ist.

18.3 Indikation Grundsätzlich stellt jede Narbenhernie eine Operationsindikation dar, da im zeitlichen Verlauf das Ausmaß der Hernie immer weiter voranschreitet, die Versorgung damit immer schwieriger und aufwendiger wird und die typischen Komplikationsmöglichkeiten und Folgeerscheinungen wie Inkarzeration, Schmerzen, Passagestörung, Arbeitsunfähigkeit und soziale Stigmatisierung ebenfalls kontinuierlich zunehmen. Allerdings gibt es Stimmen, die insbesondere bei oligo- oder asymptomatischen Narbenhernien die absolute Operationsindikation infrage stellen. Hierzu läuft derzeit eine randomisierte, kontrollierte Studie, in der die operative Versorgung derartiger Narbenhernien verglichen wird mit einer „watchfull waiting“-Strategie .

18.4 Strategie Die Narbenhernienchirurgie hat im Verlaufe der 1990er-Jahre einen grundsätzlichen Wandel vollzogen von der konventionellen Stoß-auf-Stoß-Naht bzw. der Mayo-Operation mit Fasziendopplung hin zu einem nahezu flächendeckenden Einsatz von Kunststoffnetzen im Sinne von Netzplastiken. Während bei einer landesweiten Umfrage 1995 noch 85 % aller deutschen Kliniken bei primären Narbenhernien und 63 % sogar bei Rezidivnarbenhernien die Mayo-Technik favorisierten, wurde dieses Konzept bei der Wiederholungsumfrage 2001 nur noch von 18 bzw. 21 % der Kliniken vertreten . Demnach werden in Deutschland derzeit ca. 80 % aller Narbenhernien mittels Netzimplantation operiert. Während bis vor Kurzem, zumindest für die kleinen Narbenhernien < 4 cm, noch eine Indikation zur konventionellen Naht gesehen wurde, zeigen aktuelle Daten unzweifelhaft, dass auch in diesen Fällen eine Netzplastik indiziert ist, um akzeptable Rezidivraten von ≤ 10 % zu erzielen , . Allenfalls Trokarhernien nach laparoskopischen Eingriffen, bei denen initial in der Regel wohl kein adäquater Faszienverschluss erfolgt war, können noch eine Indikation zum netzfreien Vorgehen mit einfacher Stoß-auf-Stoß-Naht darstellen . Für alle anderen Narbenhernien stellt der Einsatz von Kunststoffnetzen heutzutage das Standardverfahren dar. Grundlage für diesen grundsätzlichen Wechsel des Operationsprinzips stellen umfangreiche Daten aus zahlreichen Studien dar, die einen Rückgang der Rezidivquote nach konventioneller Narbenbruchoperation von bis zu 50 % auf ca. 10 % nach Netzplastik zeigen konnten , . Andere konventionelle Operationsverfahren ohne Netzimplantation wie die Kutisplastik oder die Muskelverschiebeplastik sind dagegen kaum verbreitet und wenig untersucht, wenngleich in Einzelfällen gute Resultate berichtet wurden .

Netzmaterial Das Prinzip der Bauchdeckenverstärkung durch Netzimplantation besteht einerseits in einer direkten mechanischen Belastbarkeit der nichtresorbierbaren Netze und andererseits in der Induktion einer narbigen Einheilung der Netze. Unter den verschiedenen Materialien zur Netzproduktion weisen Polyesternetze als entscheidenden Nachteil das Phänomen einer Materialdegradation über die Zeit mit einem zunehmenden Struktur- und Stabilitätsverlust der Netze auf. PTFEMaterialien können aufgrund der extrem kleinen Porengröße kaum von Narbengewebe durchwachsen, sondern lediglich bindegewebig eingescheidet werden, weshalb eine dauerhafte Inkorporation dieser Netze ausbleibt . Polypropylen ist dagegen aufgrund günstiger Materialeigenschaften das derzeit am gründlichsten untersuchte und weltweit am häufigsten eingesetzte Material. Anhand pathophysiologischer Untersuchungen zur Mechanik der menschlichen Bauchwand hat sich gezeigt, dass die alten handelsüblichen, sog. schwergewichtigen Netze mit einem Flächengewicht von ca. 100 g/m 2 hinsichtlich der physiologischerweise zu erwartenden Maximalbelastungen der menschlichen Bauchwand erheblich überdimensioniert sind . Aus diesem Grund sind Netze einer neuen Generation verfügbar, die bei einer Materialreduktion um ca. 70 % eine ausreichende Stabilität in der Materialtestung zeigten und aufgrund ihrer Porengröße zu einer klinisch sowie histologisch und immunhistochemisch nachweisbaren Verbesserung der postoperativen Ergebnisse führen ( ).

Unterschiedliche Struktur a) eines schwergewichtigen mittelporigen Netzes (BiomeshP1 ® ) und b) eines leichtgewichtigen großporigen Netzes (Vypro ® ) in der Rasterelektronenmikroskopie. [ ] ABB. 18.1

18.5 Operationsverfahren

Bei den Operationsverfahren kommen heutzutage neben den konventionell-offenen Standardverfahren zunehmend die laparoskopischen Techniken zum Einsatz . Propagierte Vorteile der laparoskopischen Verfahren sollen weniger Wundkomplikationen und ein besseres funktionelles Ergebnis durch Schonung der Bauchwandmuskulatur und deren Innervation sein . Im Vergleich zu den offenen Verfahren sind die Kosten laparoskopischer Eingriffe deutlich höher, v. a. durch die Notwendigkeit der Implantation teurer Spezialnetze zur intraperitonealen Netzplatzierung (IPOM). Ferner ist bei laparoskopischen Verfahren in bis zu 3 % der Fälle durch unbemerkte Organ-, insbesondere Darmverletzungen im Rahmen der Adhäsiolyse mit schweren Komplikationen zu rechnen . Eine aktuelle Übersichtsarbeit zu mehr als 7.000 operierten Patienten ermittelte vergleichbare Rezidivraten nach laparoskopischer Narbenhernienchirurgie im Vergleich zu den offenen Verfahren. Die Autoren warnen jedoch aufgrund der im Einzelfall schweren Komplikation einer Darmverletzung vor einem routinemäßigen Einsatz der laparoskopischen Technik . Bei den offenen Verfahren stellt sich die Frage nach dem am besten geeigneten Implantationsverfahren, d. h. nach der optimalen Lage der Netze in der Bauchwand. Die zunächst angewandte Inlay- Technik, bei der die Netze Stoß-auf-Stoß in den Fasziendefekt eingenäht wurden, hat sich aufgrund inakzeptabler Rezidivraten von bis zu 70 % nicht bewährt . Bei der Onlay- Technik wird das Netz nach Verschluss der Faszie durch Naht auf dem vorderen Blatt der Rektusscheide fixiert. Wenngleich in kleineren Serien niedrige Rezidivraten publiziert wurden, geht dieses Operationsverfahren mit einer erhöhten Rate postoperativer Wundkomplikationen aufgrund der ausgedehnten Wundflächen und des direkten Kontakts des Netzes mit dem Subkutangewebe einher . Die weltweit bevorzugte Sublay-Technik überzeugt hingegen durch die biomechanisch günstigste Position des Netzes präperitoneal zwischen Peritoneum und Faszie bzw. zwischen hinterem Blatt der Rektusscheide und der Rektusmuskulatur, sodass der physiologische intraabdominale Druck das Netz auf natürliche Weise in seiner idealen Position fixiert. Eine Vergleichsstudie zwischen den drei Implantationstechniken bestätigte diese Angaben mit Nachweis der niedrigsten Rezidiv- und Komplikationsrate nach präperitonealer Sublay-Implantation handelsüblicher Polypropylennetze .

18.5.1 Sublay-Technik Die Reparation einer Narbenhernie beginnt mit der Exzision der gesamten alten Operationsnarbe, gefolgt von der Präparation des Bruchsacks, der Bruchpforte und des Bruchsackinhalts und in der Regel einer abdominalen Revision mit Adhäsiolyse. Grundsätzlich sollte immer die gesamte Narbe überprüft werden, da neben dem führenden Bruch häufig klinisch noch inapparente weitere Faszienlücken zu finden sind (sog. Gitterbruch). In diesen Fällen sollten die Lücken als ein gemeinsamer großer Bruch präpariert und versorgt werden ( ).

Operation einer ausgedehnten Narbenhernie in Sublay-Technik. a) und b) Narbenhernie nach Sigmaresektion. c) Größe des Bauchdeckendefekts. [ ] ABB. 18.2

Präparation Der wichtigste Schritt im Rahmen der Sublay-Technik ist die Präparation des hinteren Blattes der Rektusscheide zirkulär im Bereich des gesamten Bruchs. Hierbei hat es sich bewährt, die Rektusscheide scharf mit dem Skalpell zu eröffnen und von dort aus teils scharf, teils stumpf weiter zu präparieren ( a). Um der Gefahr eines Rezidivs vorzubeugen, sollte eine ausreichende zirkuläre Überlappung der Faszienlücke mit dem Netz erfolgen. Hierzu ist es in der Regel erforderlich, das hintere Blatt der Rektusscheide beidseits bis zur Linea semilunaris zu präparieren, dort unter besonderer Schonung der von lateral einstrahlenden Gefäß-Nerven-Bündel ( b, c).

Sublay-Technik: Präparation. a) Eröffnung der Rektusscheide. b) Präparation des hinteren Blattes der Rektusscheide. c) Präparation bis zur Linea semilunaris. [ ] ABB. 18.3

Längere Zeit galt die Empfehlung zu einer weiten Überlappung der Netze allseits um mindestens 5 cm aufgrund einer postulierten erheblichen postoperativen Schrumpfung des Operationsgebietes mitsamt des implantierten Netzes. Diese Empfehlung wurde zwischenzeitlich durch die Daten einer prospektiv-randomisierten und doppelt-verblindeten Studie relativiert . Demnach kam es bei 46 Patienten im postoperativen Verlauf nach offener Implantation von Polypropylen- Netzen in der Sublay-Technik in 92 % der Fälle zu keinerlei Netzschrumpfung. Wichtiger als eine weite Netzüberlappung scheint eine gute Fixierung der Netze im Netzlager zu sein. Distal der Linea arcuata wird als Netzlager das Peritoneum bzw. die Fascia transversalis präpariert. Besonders ist auf die proximalen und distalen Enden des Netzlagers hinter dem Xyphoid und distal des Schambeins zu achten, da nach klinischer Erfahrung aufgrund unzureichender Präparation und damit Netzüberlappung in diesen Bereichen die bekannten Netzrandrezidive auftreten ( ).

Sublay-Technik: Netzlager a) Distale Präparation bis hinter die Symphyse. b) Proximale Präparation bis hinter das Xyphoid. [ ] ABB. 18.4

Defektverschluss Der Defektverschluss erfolgt im Bereich des hinteren Blatts der Rektusscheide bzw. des Peritoneums und der Fascia transversalis fortlaufend mit langzeitresorbierbarer Naht (z. B. mit PDS der Fadenstärke 1) ( a). Nach Blutstillung und Spülung des Implantatlagers mit z. B. verdünnter Braunol-Lösung wird die erforderliche Netzgröße vermessen und das Netz zurechtgeschnitten ( b). Die Fixierung erfolgt mit Einzelknopfnähten auf dem hinteren Nahtlager (z. B. mit PDS der Fadenstärke 2/0), wobei peinlich darauf zu achten ist, nicht zu tief zu stechen (cave: Darmverletzung) ( c). Die großporigen und leichtgewichtigen Netze der neuesten Generation weisen in verschiedenen Zugrichtungen eine ausgesprochen unterschiedlich starke Elastizität auf. Dem ist durch eine gründliche Fixierung der Netze Rechnung zu tragen.

Sublay-Technik: Defektverschluss. a) Fortlaufender Verschluss des hinteren Blattes der Rektusscheide. b) Ausmessen des Netzlagers. c) Retromuskuläre Netzfixierung. [ ] ABB. 18.5

Die Netze sollten abschließend glatt aufliegen, um einer Faltenbildung nach Verschluss des vorderen Blattes der Rektusscheide (ebenfalls fortlaufend, z. B. mit PDS der Fadenstärke 1) vorzubeugen ( a). Zuvor sollte die Einlage von Redon- Drainagen auf das Netz erfolgen, um postoperativ regelhaft nachweisbare Serohämatome zu entlasten ( b). Lässt sich aufgrund der Defektgröße kein primärer, zumindest kein spannungsfreier Bauchdeckenverschluss erreichen, können paramediane Entlastungsinzisionen des vorderen Blattes der Rektusscheide hilfreich sein.

Sublay-Technik: Netzlage. a) Glatte Netzlage. b) Subfasziale Redon-Drainagen. [ ] ABB. 18.6

Wundversorgung und Nachsorge Sollte zum Abschluss der Operation ein zu großer Haut- und Unterhautüberschuss bestehen, empfiehlt sich nicht zuletzt aus kosmetischen Gründen vor der abschließenden Wundspülung eine entsprechende Bauchhautplastik ( ). Perioperativ erfolgt üblicherweise, ohne dass hierzu kontrollierte Daten vorliegen, eine Single-Shot- Antibiose mit einem handelsüblichen Breitbandantibiotikum (z. B. Cephalosporin der 3. Generation). Postoperativ profitieren die Patienten von einer elastischen Bauchbinde. Einerseits empfinden die meisten Patienten eine solche als hilfreich und schmerzlindernd, v. a. in der frühen postoperativen Phase. Andererseits soll durch die Binde eine Adaptation der ausgedehnten Wundflächen als Seromprophylaxe erfolgen.

Sublay-Technik: Wundversorgung. a) Wundreinigung mit verdünnter Povidonlösung. b) Bauchdeckenplastik. c) Postoperativer Befund. [ ] ABB. 18.7

18.5.2 Laparoskopische Technik In der Regel wird eine Rückenlagerung mit angelegten Armen empfohlen. Die Anlage des Pneumoperitoneums erfolgt am sichersten über eine Minilaparotomie, alternativ kommt die Verwendung eines Optiktrokars mit Einführung des Trokars unter Sicht mithilfe einer 0°-Optik in Betracht. Manche Autoren benutzen noch die Veress-Nadel. Meistens werden 3–4 Trokare benötigt, die je nach Lokalisation und Größe der Narbenhernie zirkulär um den Bruch

platziert werden. Den komplikationsträchtigsten Schritt der Operation stellt die Adhäsiolyse dar. Hier besteht die Gefahr der unbemerkten Darmverletzung und eines im Einzelfall potenziell letalen Verlaufs ( a). Aus diesem Grund wird allgemein davor gewarnt, bei der Adhäsiolyse mit Strom oder sonstiger Energie zu arbeiten.

Narbenhernie nach Nabelhernienoperation. a) Adhäsiolyse und Reposition des Bruchsackinhalts. b) Bruchpforte. c) Festlegen und Markieren der Netzgröße und der Fixierungspunkte. d) Mit Ausziehnähten und Tackern fixiertes Netz. [ ] ABB. 18.8

Entscheidend bei der laparoskopischen Technik ist eine Freilegung der gesamten ventralen Bauchwand, um eine weite Überlappung der Hernie mit dem Netz zu ermöglichen ( b). Je nach Ausdehnung der Hernie muss dazu im Unterbauch der prävesikale Raum eröffnet werden, im Oberbauch müssen das Lig. teres hepatis bzw. das Lig. falciforme durchtrennt werden. Implantiert werden dürfen nur Netze mit einer speziellen Beschichtung zu den Organen, um schweren postoperativen Verwachsungen vorzubeugen. Neuere Polypropylennetze haben z. B. einen parietalen Anteil von Polyvinylidenfluorid (PVDF). Ihre Anwendung hat sich im klinischen Alltag bereits sehr bewährt. Üblicherweise wird die Bruchpforte bei der laparoskopischen Versorgung nicht verschlossen. Vor der Implantation sollten die Netzgröße und die vorgesehenen Stellen für die transmurale Netzfixierung angezeichnet werden ( c). Zur Fixierung der Netze haben sich eine Kombination aus einigen transmuralen Ausziehnähten zumindest an vier Eckpunkten und die zusätzliche Verwendung von resorbierbaren Tackern im Abstand von einigen Zentimetern bewährt ( d). Die am Netz vorgelegten Ausziehnähte (z. B. PDS der Stärke 0) können über Stichinzisionen mithilfe einer Reverdin-Nadel platziert und subkutan geknotet werden. Die Netze sollten bei reduziertem Gasdruck implantiert werden und abschließend glatt und ohne Spannung an der Bauchwand anliegen.

18.5.3 Besonderheiten Einen direkten Kontakt herkömmlicher Kunststoffnetze mit dem Darm gilt es möglichst zu vermeiden, um der Gefahr von Verwachsungen vorzubeugen. Gelingt dies nicht, sei es aufgrund der Defektgröße, die einen Verschluss des Peritoneums unmöglich macht, sei es durch Fehlen des Omentum majus, z. B. nach Voroperationen, bietet sich heutzutage, sowohl in der laparoskopischen wie bei der offenen Narbenhernienchirurgie, alternativ die Verwendung sog. Mehrkomponentennetze an. Diese Netzmodifikationen weisen eine zum Bauchinnenraum gerichtete Beschichtung auf, die im Tierexperiment nachweislich das Ausmaß der Verwachsungen zwischen Netz und Darm weitgehend reduziert . Auch in einer der ersten klinisch prospektiven Multicenterstudien konnte die gute Verträglichkeit dieser intraperitoneal platzierbaren Netze nachgewiesen werden . Bei monströsen Narbenhernien mit der Notwendigkeit einer Netzfixierung lateral der Linea semilunaris stellt die intraperitoneale Onlay-Mesh-Implantation (IPOM) in der modifizierten Technik nach Rives/Flament mit transkutanen Ausziehnähten eine gute Alternative dar . Als weiteres Ausweichverfahren für extreme Narbenbrüche bietet sich die Bauchdeckenrekonstruktion nach Ramirez mit modifizierter Komponentenseparation der Bauchdeckenmuskulatur und Hautverschiebeplastik an . Ist bei einer extremen Narbenhernie bereits präoperativ absehbar, dass ein Verschluss der Faszienränder medial nicht möglich ist, sollte eine Vorbereitung des Patienten mit einem sog. progressiven Pneumoperitoneum in Erwägung gezogen werden. Hierbei werden durch eine kontrollierte intraabdominale Luftinsufflation die Bauchdecken derartig gedehnt, dass nachfolgend in der Regel ein Verschluss der Narbenhernie in üblicher Sublay-Technik ermöglicht wird .

18.6 Ergebnisse Risikofaktoren hinsichtlich eines Rezidivs nach Netzplastik sind neben Übergewichtigkeit der Patienten (BMI > 25) mangelnde Erfahrung des Operateurs in der Narbenhernienchirurgie, die Größe der Bruchpforte, das Alter der Patienten sowie postoperative Wundkomplikationen. Aus operativer Sicht führen v. a. die unvollständige Augmentation der gesamten initialen Operationsnarbe und eine unzureichende Netzüberlappung im Bereich des Xyphoids und des Schambeins zu einer erhöhten Rezidivrate. Die Lebensqualität der Patienten nach Netzimplantation wird im Wesentlichen bestimmt von der Frage nach Schmerzen im Operationsgebiet und der Bauchwandbeweglichkeit. Während der Großteil der Patienten nach Netzplastik in Sublay-Technik offenbar zufrieden mit dem Ergebnis ist, klagen dennoch bis zu 40 % über zumindest gelegentliche Schmerzen und eine Einschränkung der Bauchwandbeweglichkeit. Eine Verbesserung dieser Ergebnisse kann einerseits von einer Standardisierung der Operationstechnik in der Hand erfahrener Hernienchirurgen erwartet werden, andererseits durch den zunehmenden Einsatz materialreduzierter und großporiger Netze. Ausreichende kontrollierte Langzeitstudiendaten zu dieser Problematik liegen allerdings derzeit noch nicht vor. Kritisch zu bewerten sind in diesem Zusammenhang die Ergebnisse einer prospektiv randomisierten Multicenterstudie, bei der ein Vertreter dieser leichtgewichtigen, großporigen Netze gegen herkömmliche Standardnetze getestet wurde. Während sich für das leichtgewichtige Netz innerhalb des 2-Jahres-Nachuntersuchungszeitraums keine Vorteile hinsichtlich der Bauchdeckenbeweglichkeit und der Lebensqualität der Patienten ergaben, lag die Rezidivrate mit 16 vs. 6 % fast 3-fach höher . Hier besteht offensichtlich ein weiterer Bedarf an kontrollierten Studien. fasst unter dem Aspekt des Evidenzniveaus aus der Summe publizierter Daten vieler Einzelinstitutionen die Ergebnisse einer Auswahl kontrollierter Untersuchungen zusammen.

Tab. 18.2 Ergebnisse der Narbenhernienchirurgie, Auswahl gestaffelt nach Evidenzniveau. Publikation Burger et al. 2004 Kingsnorth et al. 2003 Korenkov et al. 2002

Schumpelick et al. 1999

Langer et al. 2003

de Vries et al. 2004

Van't Riet et al. 2002

Patientenzahl (n) Studie

Technik/Netz

97

P, Ra, M Netz

84

Naht

81

83

P, Ra, M Vypro ®

81

Standard

70

24

32

17

63

8

16

10

6

14

Netz

16

8

21

33

Naht

13

12

15

57

Kutislap

14

12

28

Atrium

33

P, Ra

Follow-up (Monate) Rezidive (%) Komplikationen (%) Evidenzniveau

6

3

18

81

Marlex ®

22

5

5

32

Vypro ®

4

0

3

Sublay

44

14

9

155

P, Ra

Re, V

®

14

Onlay-Technik

14

14

6

Inlay-Technik

70

0

12

23

17

Re, V

Sublay-Technik

60

13

Onlay-Technik

23

66

23

Inlay-Technik

44

65

15

4

18

14

25

Re, V

76

laparoskopisch

24

offen

1 1 1

2

3

3

3

Heniford et al. 2003

819

Re

laparoskopisch

20

4,7

13

4

LeBlanc et al. 2003

200

Re

laparoskopisch

36

6,5

18

4

Franklin et al. 2004

384

P, B

laparoskopisch

47

2,9

10,1

4

P = prospektiv; Ra = randomisiert; M = Multicenter; Re = retrospektiv; V = Vergleichsstudie; B = Beobachtung

Unter den offenen Techniken der Narbenhernienchirurgie schneidet die Sublay-Technik unter Verwendung von Polypropylennetzen am besten ab sowohl hinsichtlich der Rezidivrate als auch hinsichtlich der Komplikationsquote. Noch nicht abschließend beurteilt werden kann der Stellenwert der laparoskopischen Narbenhernienchirurgie. Wenngleich einzelne Zentren hervorragende Ergebnisse publiziert haben, fehlen Daten mit hohem Evidenzgrad, insbesondere hinsichtlich der Langzeitergebnisse. Vorbehaltlich zukünftiger prospektiv randomisierter Vergleichsstudien stellt diese Technik allerdings nach bisheriger Datenlage eine vielversprechende Erweiterung des operativen Spektrums der Narbenhernienchirurgie dar. Inwiefern neue Wege in der Narbenhernienchirurgie in Zukunft Eingang finden in die klinisch-praktische Routine, bleibt abzuwarten. Der routinemäßige Einsatz sog. biologischer Netze aus azellulärer Hautmatrix kann laut einer aktuellen Übersichtsarbeit aufgrund hoher Rezidiv- und Komplikationsraten derzeit nicht empfohlen werden . Zur Frage einer prophylaktischen Netzimplantation nach primärer Laparotomie konnte in einer Studie bei Risikopatienten für die Entstehung einer Narbenhernie die Rate nach 3 Jahren von 10 % ohne auf 0 % mit Netz gesenkt werden . Allerdings kommt eine aktuelle Metaanalyse zu dem Schluss, dass aufgrund potenzieller netzbedingter Komplikationen ein routinemäßiger, prophylaktischer Einsatz von Netzen nicht empfohlen werden kann . Auch hier sind prospektiv-randomisierte Vergleichsstudien erforderlich, um validierte Daten zu gewinnen als Grundlage für zukünftige Empfehlungen zur Prophylaxe und Behandlung und von Narbenhernien.

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KAPITEL 19

Appendizitis Claus Franke

19.1. 19.2. 19.3. 19.4. 19.5. 19.6. 19.6.1. 19.6.2. 19.6.3. 19.6.4. 19.6.5. 19.7.

19.1 Klinik und Diagnostik Die Entzündung der Appendix ist der häufigste viszeralchirurgische Notfall. Die derzeitige Inzidenz hat sich nach einer deutlichen Abnahme in den vergangenen Jahrzehnten in Europa/Nordamerika bei etwa 100–110 pro 100.000 Einwohner eingependelt. In Deutschland werden pro Jahr ca. 130.000 Appendektomien vorgenommen. Die Perforationsrate ist mit ca. 20 pro 100.000 Einwohner konstant, bei Säuglingen und Kleinkindern erreicht sie allerdings 50 % und mehr. Als Risikofaktoren können Alter (Altersgipfel: 10–22 Jahre), Geschlecht (6,7 % der Frauen und 8,6 % der Männer erleiden im Verlauf des Lebens eine akute Appendizitis) und Ethnizität als gesichert angesehen werden. Ernährung und Hygiene sind entgegen früherer Annahmen von untergeordneter Rolle. Die Letalität beträgt heute < 1 %. Entsprechend der Ausprägung der Entzündung werden unterschieden:

• sog. appendizitischer Primäraffekt als früheste mikroskopisch fassbare Veränderung; • phlegmonöse Appendizitis; • ulzero-phlegmonöse Appendizitis; • gangränöse Appendizitis. Komplikationsmöglichkeiten sind der perityphlitische Abszess und die Perforation mit Peritonitis. Die Diagnose einer chronisch subakuten oder katarrhalischen Appendizitis ist als Verlegenheitsdiagnose nicht anzuerkennen. Eine Sonderform stellt die sog. neurogene Appendikopathie dar. Diese zeigt Nervenzellwucherungen in der Appendix und kann eine ähnliche Beschwerdesymptomatik auslösen wie die akute Appendizitis. Über 90 % dieser Patienten sind nach einer Appendektomie ebenfalls beschwerdefrei. Die Diagnose gelingt in der Hämatoxylin-EosinFärbung oder in der Immunhistochemie mit S-100-Antikörpern. In einer eigenen Untersuchung wurde diese Form der Erkrankung in fast 50 % der histopathologisch negativen Appendektomien registriert und stellt somit eine eigene Krankheitsentität dar. Die Diagnose einer akuten Appendizitis wird hauptsächlich durch Erhebung der Anamnese und Durchführung einer gründlichen körperlichen Untersuchung gestellt. Hier spielt der klinische Befund des lokalen Druckschmerzes und der Abwehrspannung im rechten Unterbauch, des Loslassschmerzes (ipsi- und/oder kontralateral) sowie der Wanderung des Schmerzes vom Epigastrium oder paraumbilikal in den rechten Unterbauch die entscheidende Rolle. Die Temperaturerhöhung (> 37,5 °C) mit Differenz rektal/oral über 0,5 °C, erhöhte Pulsfrequenz und Leukozytose können begleitend vorhanden sein, sind aber eher als unspezifische Zeichen zu werten und müssen daher nicht unbedingt vorhanden sein. Ist die Diagnose nach Anamnese, klinischer Untersuchung und Sonografie sowie Labor ( ) nicht eindeutig, sollte, um unnötige negative Appendektomien zu vermeiden, die Indikation zur stationären Beobachtung großzügig gestellt werden. Nur dadurch kann eine Wiederholung der Diagnostik zeitnah (und engmaschig) mit entsprechenden Konsequenzen durchgeführt werden.

19.2 Sonografie Die sonografische Untersuchung des Abdomens sollte heute bei allen Bauchschmerzen obligater Bestandteil der klinischen Untersuchung sein. Sie kann sowohl zur Bestätigung des Befundes einer akuten Appendizitis als auch zum Ausschluss oder zur Bestätigung einer evtl. Differenzialdiagnose (z. B.

Harnaufstau/Harnleiterstein, gynäkologische Ursachen, Cholezystolithiasis, tumoröse Raumforderungen) eingesetzt werden. Hierbei sollte der Durchmesser der Appendix < 7 mm betragen. Die fehlende Kompressibilität, ein Appendikolith und Flüssigkeit um die Appendix oder im Douglas-Raum sind ebenfalls als pathologischer Befund zu werten und können ein Hinweis auf das Vorliegen einer akuten Appendizitis sein. Auf der anderen Seite stellt ein unauffälliger Ultraschallbefund bei eindeutiger Klinik keine Kontraindikation gegen eine Appendektomie dar, da aufgrund der Nichtdarstellbarkeit der Appendix eine Entzündung letztendlich nicht ausgeschlossen werden kann. Zudem ist die Ultraschalluntersuchung extrem untersucherabhängig. In Metaanalysen werden Sensitivitäten von bis zu 88 % und Spezifitäten von bis zu 94 % berichtet. Im zweifelhaften Fall, d. h., wenn nach Anamnese, klinischer Untersuchung und Durchführung eines Ultraschalls sowie laborchemisch die Diagnose weiterhin unklar bleibt, hat sich die CT der Appendix/des Bauchraums als Methode der Wahl herauskristallisiert. Als Alternativmethode gerade bei Schwangeren und Kindern nimmt das MRT an Bedeutung zu. Die Verwendung von speziellen Dokumentationsbögen oder Scoring-Systemen hat sich hingegen nicht zur Diagnoseunterstützung bewährt. Auf mögliche Lagevarianten muss bei der Untersuchung, v. a. auch in der Gravidität, geachtet werden ( und ).

Lagevarianten der Appendix in Abhängigkeit von der Lokalisation des Zökalpols. 1 subhepatische Lage; 2 mesozöliakale Lage bei Coecum mobile; 3 im kleinen Becken. [ ] ABB. 19.1

In der Gravidität verlagert sich das Zökum und mit ihm verlagern sich die Appendix und der klinische Befund nach außen und kranial. Gegen Ende der Schwangerschaft ist eine subhepatische Position eingetreten, die die Verwechslung einer Appendizitis mit einer Cholezystitis oder Pyelitis möglich macht. [ ] ABB. 19.2

ABB. 19.3

Algorithmus zur Diagnostik der akuten Appendizitis. [ ]

Bei chronisch rezidivierenden Unterbauchbeschwerden kann bevorzugt eine laparoskopische Abklärung indiziert sein. Bei jeder Form der akuten Entzündung besteht die Indikation zur raschen Appendektomie.

19.3 Indikation Die Therapie der Wahl einer akuten Appendizitis ist die Appendektomie. Es handelt sich in der Regel um einen risikoarmen Eingriff. Die Operation muss rasch nach entsprechender Vorbereitung erfolgen. Eine simultane Appendektomie bei anderen Eingriffen kann durchgeführt werden, wenn hierzu das Einverständnis des Patienten vorher eingeholt wurde, der Zugang und die allgemeinen Operationsbedingungen günstig sind und man mit der Ausweitung des Eingriffs eine weitere Operation in voroperiertem Gebiet mit erhöhten Komplikationsmöglichkeiten vermeiden möchte. Stellt sich bei der Laparoskopie/Laparotomie die Diagnose „Appendizitis“ als Fehldiagnose heraus und besteht ein Tuben-/Ovarialabszess bzw. eine Ovarialzyste, sollte nach Therapie dieser Erkrankung keine Appendektomie vorgenommen werden. Eine fortgeschrittene Appendizitis kann über eine gedeckte Perforation zu einem lokal abgegrenzten Abszess führen. Dieser perityphlitische Abszess findet sich im Bereich des Zökalpols und penetriert nur selten den Psoas. Wenn keine Mitbeteiligung des übrigen Abdomens vorliegt und der Abszess abgekapselt ist, wird zunächst eine Behandlung mit einer sonografisch oder CT-gesteuerten perkutanen Drainage und zunächst parenteraler, später auch oraler Antibiotikatherapie versucht. Auch durch einen extraperitonealen Zugang kann der Abszess entlastet werden. Hierdurch kann eine vorschnelle und möglicherweise unnötige Ileozökalresektion vermieden werden. Nach Ausheilung kann dann eine Appendektomie semielektiv geplant und durchgeführt werden. Dieses Vorgehen ist jedoch im Einzelfall zu entscheiden. Besteht nur der geringste Verdacht auf eine Perforation und lokale oder diffuse Peritonitis, muss die Indikation zur Laparotomie und Lavage großzügig gestellt werden.

19.4 Spezielle Aufklärung Im Prinzip handelt es sich um eine Operation mit einer äußerst geringen Letalität. Der Patient muss aber auf das Risiko einer möglichen Insuffizienz des Appendixstumpfes mit Peritonitis oder Stuhlfistel, einer Nachblutung, ggf. auch einer Reoperation hingewiesen werden. Die Morbidität hängt mit dem Ausprägungsgrad der Appendizitis zusammen (Wundheilungsstörungen mit einer Rate bis zu 15 %). Da die Lage der Appendix äußerst variabel ist, ist in seltenen Fällen auch eine Erweiterung des Zugangs notwendig.

19.5 Operationsvorbereitung Eine Nahrungskarenz braucht, da es sich um einen Notfall handelt, nicht eingehalten zu werden. Bei Verdacht auf Peritonitis und gleichzeitiger Entgleisung des Flüssigkeits- und Elektrolythaushalts sind zunächst eine entsprechende Substitution und ein Ausgleich der Elektrolytverschiebung besser als ein Eingriff in schlechtem Kreislaufzustand bei Störung des Säure-Basen-Haushalts.

19.6 Operationstechnik Die entscheidende Frage in Bezug auf die Operationstechnik ist, ob im Zeitalter der minimalinvasiven Chirurgie (MIC) die Appendix offen oder laparoskopisch entfernt werden soll. Zur Klärung dieser Frage sind in den letzten Jahren zahlreiche Studien veröffentlicht worden (darunter auch 7 Metaanalysen mit hohem Evidenzgrad). Fazit ist: Die laparoskopische Appendektomie (LAE) erlaubt eine schnellere Genesung als das offene Vorgehen (OA); die Vorteile der LAE sind allerdings gering und hängen von vielen Faktoren ab. Nachteile der LAE sind die immer noch etwas längeren OP-Zeiten und die deutlich höheren Kosten, hauptsächlich durch höhere OP-Kosten bedingt, die auch durch die schnellere Entlassung und den geringeren Schmerzmittelbedarf nicht ausgeglichen werden. Erfahrungen aus der eigenen Klinik zeigen jedoch keine Verlängerung der OP-Zeiten. Ein weiterer Vorteil der LAE ist die bessere intraoperative Übersicht und damit die Abklärung und möglicherweise der Ausschluss differenzialdiagnostischer Erkrankungen. Als Komplikationen werden für die OA mehr Wundinfekte verzeichnet; dem steht eine höhere Rate an intraabdominalen Abszessen bei der LAE gegenüber (ältere Studie!). Bei freier Flüssigkeit sollte eine mikrobiologische Untersuchung des Sekrets erfolgen. Fazit ist die flächendeckende Bevorzugung der LAE in Studien und Umfragen.

19.6.1 Laparoskopische Appendektomie Zugang

Die LAE hat sich als Standardverfahren zunehmend durchgesetzt. Diese erfolgt mittels dreier Trokare (periumbilikal [5 oder 10 mm] und zweier weiterer Trokare im rechten [5 mm] und linken Unterbauch [10 bis 13 mm]). An dieser Stelle müssen Single Ports (SILS) und die Verwendung von normalen Körperöffnungen als Zugangswege (Scheide, Magen: NOTES) erwähnt werden.

Vorgehen Nach Skelettierung des Mesenteriolums wird die Appendix basisnah durch spezielle Clips, Endo-GIA ® oder Roeder-Schlinge verschlossen und abgetragen. Der Stumpf wird nicht zwingend versenkt. Bei den Inzisionen über 5 mm erfolgen Fasziennähte, der Hautverschluss kann mit resorbierbarem Nahtmaterial erfolgen. Alternativ wird bei fortgeschrittenem Befund, dadurch bedingten Adhäsionen (Abszess) und „normaler Basis“ beschrieben, die Appendix zunächst an der Basis zu durchtrennen und anschließend das Mesenteriolum zu skelettieren und ggf. auch mit einem weiteren Endo-GIA ® -Magazin zu durchtrennen. In diesen Fällen sollte die Appendix nicht durch einen Trokar, sondern über einen Bergebeutel geborgen werden, um eine Kontamination der Hautschichten und eine daraus resultierende erhöhte Wundinfektionsgefahr zu vermeiden. Das OP-Gebiet sollte gründlich gespült, ein Abstrich gewonnen und ggf. eine Drainage platziert werden. Bei unklarem Befund wird die Laparoskopie auch als Diagnostikum eingesetzt und erst bei Sicherung einer akuten Appendizitis eine laparoskopische Appendektomie oder eine diagnosegerechte andere Therapie durchgeführt. Hierauf ist in der Aufklärung besonders hinzuweisen und einzugehen.

19.6.2 Offene Appendektomie Zugang Bei sicherer Diagnose sowie schlanken Patienten und (Klein-)Kindern ist ein unterer lateraler Wechselschnitt angebracht. Bei einem Patienten in reduziertem Allgemeinzustand, der älter ist, sollte ein Pararektalschnitt rechts vorgezogen werden, da hier die Präparation insgesamt leichter ist und der Schnitt besser erweitert werden kann. Bei Verdacht auf eine Unterbauchperitonitis oder bei unklarem präoperativem Befund ist die mediane Unterbauchlaparotomie der Zugang der Wahl.

Vorgehen Das Zökum wird durch seine Tänien und die Einmündung des Ileums identifiziert und möglichst vor die Bauchwand luxiert. Die Appendix wird durch Anklemmen des Mesenteriolums zur Skelettierung vorbereitet, bei entzündlicher Verlötung nach stumpfer Lösung mit dem Finger, bei retrozökaler Fixierung nach Inzision des parietalen Peritoneums. Die Appendix wird an ihrer Basis gequetscht, ligiert und abgetragen. Der Stumpf wird in der Regel durch Tabaksbeutelnaht versenkt (und ggf. zusätzlich durch Z-Naht gesichert), kann aber durchaus auch nur ligiert werden. Ist die Basis in den entzündlichen Prozess mit einbezogen, kann auch hier der Verschluss der Basis mittels Endo-GIA ® sinnvoll sein. Bei fortgeschrittenem Befund sollte das OP-Gebiet gründlich gespült und je nach Befund eine Drainage platziert werden. Es schließt sich ein schichtweiser Wundverschluss an. Der Hautverschluss kann außer bei Vorliegen einer Perforation und putrider Sekretion aus dem OP-Gebiet auch intrakutan fortlaufend mit resorbierbarem Nahtmaterial erfolgen.

19.6.3 Vorgehen bei Fehldiagnose Hier muss der Bauchraum einschließlich des Dünndarms und Dickdarms zum Ausschluss einer Divertikulitis, einer ovarialen Pyosalpinx oder einer Ovarialzyste revidiert werden. Auch sollte ein Meckel-Divertikel, das bis zu 1,5 m entfernt vor der Ileozökalklappe lokalisiert sein könnte, ausgeschlossen werden.

19.6.4 Drainage und Spülung Wurde bei der Eröffnung des Abdomens eine putride Flüssigkeit gefunden und liegt ein ulzerophlegmonöser Befund mit oder ohne Perforation vor, ist, wie bereits weiter oben erwähnt, nach ausgiebiger Spülung des OP-Gebiets und Gewinnung von Flüssigkeit zur mikrobiologischen Untersuchung die Einlage einer Drainage sinnvoll. Bei Vorliegen einer generalisierten eitrigen Peritonitis infolge Appendixperforation muss nach Erweiterung des Schnittes eine Peritonitisbehandlung ggf. mit geplanter Relaparotomie (Etappenlavage) durchgeführt werden ( ).

19.6.5 Antibiotika Nach Daten der Cochrane Library vermindert die Antibiotikaprophylaxe (Single Shot) das Auftreten von Komplikationen. Bei Vorliegen einer ulzerophlegmonösen Entzündung mit lokaler Peritonitis kann die Antibiose entsprechend den Regeln der Kolonchirurgie mit einem Zephalosporinpräparat der ersten, zweiten oder dritten Generation bzw. einem Penizillinderivat in Kombination mit Metronidazol als Therapie fortgesetzt werden, im Falle einer Perforation sollte diese durchgeführt und entsprechend dem Antibiogramm später modifiziert und angepasst werden. Die Antibiotikatherapie als Alternative zur Appendektomie wird in Studien immer wieder erwähnt, hat sich aber bislang nicht durchgesetzt. Die guten Studienergebnisse sind auch durch die eingeschränkte Qualität dieser Studien zu erklären.

19.7 Komplikationen Postoperativ kann ein Ileus auftreten (früh postoperativ, aber auch bis Jahre nach einer Appendektomie). Eventuell ist die Ursache eine weiter bestehende lokale oder generalisierte Peritonitis. Nach Ausschöpfen der konservativen Möglichkeiten muss rechtzeitig eine Relaparotomie erfolgen. Wundheilungsstörungen können vorwiegend bei weiter fortgeschrittenen Entzündungen eintreten. Bei einem subkutanen Abszess wird eine Spaltung und Eröffnung der Wunde notwendig. Bewährt hat sich hier die Einlage einer Drainage in die Wunde. Insbesondere bei adipösen Patienten kann sich die Wundheilung sehr langwierig gestalten. Eine tägliche Spülung mit Kochsalz- bzw. Chloraminlösung ist hilfreich. In letzter Zeit hat sich bei tiefen Wundheilungsstörungen aufgrund lokaler Entzündung die Anlage einer Vakuumversiegelung bewährt, die auch ambulant durchgeführt werden kann und somit zur Kostenersparnis beiträgt. Inwiefern eine Antibiotikagabe entsprechend dem Antibiogramm notwendig ist, hängt vom Allgemeinzustand und auch vom Ausmaß der Entzündung ab. Besteht der Hinweis auf einen intraabdominalen Abszess, ist eine Relaparotomie notwendig oder die Anlage einer interventionell eingelegten Spüldrainage indiziert. Bei einem isolierten subphrenischen oder Douglas-Abszess ist ebenfalls eine sonografisch oder CT-gesteuerte Punktion mit Einlage einer Abszessdrainage zu erwägen. Nur in den wenigsten Fällen tritt eine Narbenhernie auf. Entstandene Narben nach Wundheilungsstörungen können im Zeitabstand von 12–18 Monaten plastisch versorgt werden. Ca. 1–3 % aller appendektomierten Patienten müssen wegen eines Bridenileus operiert werden.

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KAPITEL 20

Milz Hubertus J.C. Wenisch

20.1. 20.1.1. 20.1.2. 20.1.3. 20.2. 20.2.1. 20.2.2. 20.3. 20.3.1. 20.3.2. 20.3.3. 20.4. 20.4.1. 20.4.2. 20.5. 20.5.1. 20.5.2. 20.5.3. 20.6. 20.6.1. 20.6.2. 20.6.3. 20.7. 20.7.1. 20.7.2. 20.7.3. 20.8. 20.8.1. 20.8.2. 20.8.3.

20.8.4. 20.9. 20.10. 20.10.1. 20.10.2. 20.10.3. 20.10.4.

20.1 Anatomie 20.1.1 Makroskopie und Topografie Die gesunde Milz ist etwa faustgroß und wiegt beim gesunden Erwachsenen 150–250 g. Mit zunehmendem Alter entwickelt sich eine Involution mit Gewichtsreduktion. Topografisch liegt das Organ im linken oberen Quadranten der Bauchhöhle in unmittelbarer Nähe der 9., 10. und 11. Rippe links [1]. Um klinisch tastbar zu werden, muss das Organ seine Ausgangsgröße mindestens verdoppeln. Mit Ausnahme des Hilus, über den die Gefäßversorgung erfolgt, hat die Milz einen peritonealen Überzug. Drei Bauchfellduplikaturen wirken als federnde Aufhängung. Das Lig. phrenicolienale stell eine direkte Verbindung des Organs zum Zwerchfell dar und ist vor allem bei entzündlichen Erkrankungen und Tumoren kaum zu lösen. Das Lig. gastrolienale, in dem die Aa. gastricae breves liegen, verbindet den oberen Milzpol mit dem Magenfundus. Das Lig. colicolienale liegt zwischen unterem Milzpol und der linken Kolonflexur. Eine weitere Bandverbindung, das Lig. phrenocolicum, stützt den unteren Milzpol vergleichbar einer Hängematte. Die bindegewebige Kapsel der Milz ist nur etwa 0,1 mm dick. Passiver Zug führt daher leicht zu Serosadefekten und Einrissen. Zum Schutz des Organs ist es bei Oberbaucheingriffen mit ausgedehnteren Manipulationen sinnvoll, die Bandverbindungen der Milz teilweise oder ganz zu durchtrennen. Die arterielle Blutversorgung erfolgt überwiegend über die A. lienalis aus dem Truncus coeliacus. Die Milzarterie verläuft meist in mäanderförmigen Schlingen entlang und teilweise im Pankreas. Vor allem im distalen Teil versorgen mehrere kleine Äste den Pankreasschwanz. Im Milzhilus erfolgt eine Aufzweigung der Arterie in bis zu 7 einzelne Äste, die als Endarterienäste fungieren und unterscheidbare Segmente versorgen ( ). Häufig wird die Segmentanatomie durch Einkerbungen der Milzoberfläche sichtbar.

Anatomie des Milzhilus. 1 Pankreas, 2 A. und V. lienalis, 3 Lig. phrenicolienale, 4 Lig. gastrophrenicum, 5 Vasa gastrica brevia, 6 Lig. gastrolienale, 7 Recessus lienalis, 8 Vasa gastroepiploica sinistra, 9 Lig. phrenicocolicum, 10 Lig. colicolienale, 11 Lig. pancreaticolienale, 12 Lig. pancreaticocolicum. [ ] ABB. 20.1

Der obere Terminalast gibt Aa. gastricae breves in unterschiedlicher Zahl zum Magen ab, der Blutstrom erfolgt magenwärts. Die retrograde Blutversorgung für einen erhaltenen oberen Milzpol ist in der Regel nicht ausreichend.

Venöses Hauptgefäß ist die Milzvene, die parallel zur arteriellen Segmentversorgung das abströmende Blut im Milzhilus sammelt und zusammen mit der V. mesenterica inferior der Pfortader zuführt. Die Milzvene verläuft fast immer kaudal der Arterie an der Rückseite des Pankreas und drainiert über zahlreiche Äste die linksseitige Bauchspeicheldrüse. Der Lymphabstrom erfolgt über Lymphknoten im Hilus, die oberhalb und unterhalb des Pankreas, aber auch im Lig. gastrolienale angeordnet sind. Dieser Abflussweg hat onkologische Bedeutung, da hier neben der Milz auch Lymphe von Teilen des Magens und des Pankreas abgeleitet werden. Die autonomen Nervengeflechte aus dem Ganglion coeliacum haben chirurgisch keine Bedeutung.

20.1.2 Akzessorisches Milzgewebe und Lageanomalien Als häufigste Anlagevarianten werden akzessorische Milzen beobachtet, die bei 16–20 % aller Individuen auftreten können. Sie treten entweder solitär oder bis zu 5-mal auf, sind meist nicht größer als 2 cm im Durchmesser und nicht schwerer als 45 g [31]. Meist besteht eine enge topografische Beziehung zum Milzhilus. Das völlige Fehlen des Organs, die Asplenie, ist außerordentlich selten und mit schwerwiegenden anderen Fehlbildungen vergesellschaftet. Ebenso selten ist eine Hyposplenie, die klinisch dieselben Konsequenzen wie ein Verlust des Organs hat. Bei der Polysplenie ist kein abgrenzbares Organ vorhanden, sondern viele kleine Anlagen fungieren wie das komplette Organ. Diese Fehlbildung betrifft vor allem Patienten mit Situs inversus. Von einer splenogonadalen Fusion spricht man, wenn ein fehlerhafter Deszensus der Milzanlage und der linken Gonade vorliegt. Dabei wird Milzgewebe im linken Hoden oder Ovar beobachtet. 90 % der Nebenmilzen liegen in unmittelbarer Nachbarschaft des Milzhilus oder in dem Aufhängeapparat der Milz und werden über die A. lienalis arteriell versorgt ( ). Das Vorliegen einer Nebenmilz hat klinische Bedeutung, wenn eine Splenektomie bei hämatologischer Grunderkrankung durchgeführt wird. Wird die Nebenmilz nicht entfernt, ist mit einem Rezidiv zu rechnen. Seltener treten eigene Erkrankungen im Bereich der Nebenmilz auf oder es werden durch die Raumforderung Tumoren von Nachbarorganen vorgetäuscht.

Lokalisation von Nebenmilzen (immer links!). 1 Milzhilus, 2 A. lienalis/Pankreasschwanz, 3 Lig. colicolienale, 4 Lig. gastrocolicum, 5 Mesenterium, 6 präsakral, 7 Adnexe, 8 peritestikulär (extrem selten!). [ ] ABB. 20.2

20.1.3 Histologie Der feingewebliche Aufbau des Milzparenchyms dient dazu, einen engen Kontakt des Blutes mit den immunkompetenten Zellen herzustellen. Im Milzparenchym trennen sich die Segmentarterien von den Begleitvenen und werden in der weißen Pulpa zu Zentral- oder Pinselarterien. Das Milzparenchym selbst besteht zu 80 % aus der roten, zu etwa 20 % aus der weißen Pulpa. Der Blutfluss durch die Milz erfolgt entweder in die Lymphfollikel der weißen Pulpa und von dort direkt durch das Kapillarsystem in Venolen oder indirekt durch die Marginalzone in die rote Pulpa. Etwa 90 % des Blutvolumens nehmen den schnelleren Weg durch die Lymphfollikel, während 10 % das retikuläre Netzwerk der roten Pulpa passieren [1]. In der weißen Pulpa finden sich neben der zentralen Arteriole eine periarterioläre lymphatische Scheide, die Follikel und die Marginalzone. In der lymphatischen Scheide sind T- und B-Lymphozyten zu finden. Primärfollikel enthalten außerdem Makrophagen und dendritische Zellen. Ein Charakteristikum der venösen Sinus sind multiple interendotheliale Poren und Spalten mit einem Durchmesser zwischen 1 und 5 μm, die von normalen Erythrozyten passiert werden können [28].

20.2 Physiologie Das Organ Milz dient im Wesentlichen der Filtration von Blutbestandteilen und nimmt immunologische Aufgaben wahr. Daneben kann die Milz als Reservoir dienen und ist in die Hämatopoese mit eingebunden.

20.2.1 Allgemeine Funktionen Etwa 5 % des Herzminutenvolumens passieren in Ruhe die Milz. In der Mikrozirkulation des Organs erfolgt eine Eindickung des Blutes auf einen Hämatokrit von 80 %, die eine verlängerte Kontaktzeit zwischen den Erythrozyten des Blutes und den Zellen des retikuloendothelialen Systems erlaubt. Daneben finden sich retikuläre Zellen, die in Funktion treten, wenn sehr große Mengen von abnormen Blutzellen die Milz passieren. Unter dem sog. Pitting versteht man die Entfernung von Einschlüssen und Partikeln aus den Erythrozyten. Diese sind z. B. Chromatinreste (Howell-Jolly- Körperchen) oder Präzipitate denaturierten Hämoglobins (Heinz- Körperchen). Auch Malariaparasiten werden in der Milz phagozytiert. Die selektive Entfernung von alternden oder abnormen Erythrozyten wird mit dem Begriff „Culling“ zusammengefasst [28].

20.2.2 Immunologische Funktionen Die weiße Pulpa der Milz ist die größte Ansammlung lymphatischer Zellen im Organismus und Zentrum der immunologischen Organfunktion. Fehlt die Milz, werden die meisten ihrer Funktionen von anderen lymphatischen Organen übernommen. Die einzige Immunfunktion der Milz, die nicht von anderen lymphatischen Organen wahrgenommen werden kann, ist die Elimination von Bakterien mit einer Polysaccharidkapsel. Die ortsständigen Makrophagen der Milz können opsonisierte Bakterien und antikörperbeladene Blutzellen bei autoimmunen Zelldefekten entfernen. Die Hälfte der Lymphozyten, die mit dem Blutstrom in die Milz gelangen, strömt durch die weiße Pulpa. 25 % des vollständig austauschbaren TLymphozyten-Pools und 15 % des B-Lymphozyten-Pools sind in der Milz zu finden. Die Verweildauer beträgt für T-Lymphozyten etwa 4 Stunden, für BLymphozyten etwa 18 Stunden. Eine wichtige Funktion der Milz ist die Opsonisierung. Werden polysaccharidbekapselte Bakterien wie Pneumokokken, Meningokokken oder Haemophilus influenzae mit speziellen Faktoren aus dem Blutserum beladen, ist eine Phagozytose dieser Erreger durch ortsständige Zellen der Milz möglich. Erst dadurch wird der Organismus in die Lage versetzt, spezifische Antikörper gegen diese Erreger zu bilden. Auch zirkulierende Immunkomplexe werden von den Phagozyten der Milz aus dem fließenden Blut gefiltert.

20.3 Pathophysiologie und Klinik 20.3.1 Splenomegalie Selten wird eine Splenomegalie durch eigenständige Erkrankungen der Milz verursacht. Meist entsteht die Vergrößerung des Organs als Mitreaktion einer Erkrankung anderer Organe oder als Folge defekter Organfunktionen. Die Patienten werden klinisch auffällig durch Symptome wie Fieber, Ikterus, Blutungsneigung oder Lymphknotenschwellungen. Erst die klinische und sonografische Untersuchung bestätigt die Vergrößerung der Milz. Die unterschiedlichen Krankheitsursachen ( ) erfordern häufig eine aufwendige laborchemische und bildgebende Diagnostik, um das zugrunde liegende Krankheitsbild näher abzuklären [21].

Tab. 20.1 Splenomegalie: häufigste Ursachen. zusätzliches Leitsymptom Hepatomegalie

Erkrankung • Leberzirrhose • kardiale Stauung • Hepatitis • Osteomyelosklerose

Lymphknotenschwellung

• chronisch lymphatische Leukämie • Morbus Hodgkin • Non-Hodgkin-Lymphom (NHL) • akute lymphatische Leukämie • infektiöse Mononukleose • Morbus Hodgkin und NHL

Fieber

• akute septische Erkrankung • allergisch-rheumatische Erkrankung • Milzabszess • Morbus-Hodgkin und NHL

Ikterus

• Leberzirrhose • Hepatitis • hämolytische Anämie • Speicherkrankheit

Blutungsneigung

• Morbus Werlhof • Leberzirrhose

kein weiteres Leitsymptom

• primärer Milztumor • nur abdominal lokalisiertes Lymphom • Zyste • Lageanomalie

20.3.2 Hypospleniesyndrom Wichtigste Ursache für eine unzureichende Milzfunktion sind erworbene Erkrankungen. Die Splenektomie führt zum vollständigen Funktionsverlust. Einschränkungen können nach Atrophie oder Infarzierung des Organs beobachtet werden. Sie finden sich auch nach Radio- und Chemotherapie. Eine funktionelle Asplenie entwickelt sich bei Infiltration des Organs durch hämatologische Systemerkrankungen oder das Vorliegen einer Amyloidose oder Sarkoidose. Eine Beeinträchtigung der immunologischen Funktion wird nach der Gabe immunsuppressiver Medikamente oder chronischem Alkoholismus beobachtet. Physiologisch nimmt die Milzfunktion mit dem Alter ab. Eine HIV-Infektion führt ebenfalls zur Beeinträchtigung der Funktion.

20.3.3 Hyperspleniesyndrom Von einem Hyperspleniesyndrom spricht man, wenn sich im Rahmen einer Organvergrößerung ein Mangel peripherer Blutbestandteile entwickelt. Abnorme zelluläre Bestandteile des Blutes werden durch ein normales Organ sequestriert. Dies tritt z. B. bei der Sphärozytose, der Sichelzellanämie und Autoimmunerkrankungen wie der autoimmunhämolytischen Anämie oder der autoimmunen Thrombozytopenie und Neutropenie auf. Normale Blutzellen können auch von einer gesunden Milz beim Vorliegen einer portalen Hypertension vermehrt ausgesondert werden. Bei Erkrankungen der Milz wie Speicherkrankheiten, Infiltration durch Tumorerkrankungen oder vaskuläre Fehlbildungen werden auch normale Blutzellen vermehrt abgebaut.

20.4 Diagnostik 20.4.1 Klinische Untersuchung Beim Gesunden ist die Milz in Rückenlage üblicherweise nicht zu tasten. Die Untersuchung erfolgt in Rechtsseitenlage, wobei mit einer Hand durch Druck auf die linke Flanke versucht wird, das Organ nach ventral zu verschieben. Bei ausgeprägter Splenomegalie reicht die Milz in Rückenlage bis zur Beckenschaufel. Bei Verletzungen der Milz ist der Tastbefund meist wenig aussagekräftig. In der Regel führt eher der Blutverlust zu einer entsprechenden klinischen Symptomatik.

20.4.2 Bildgebende Diagnostik Die primäre Untersuchungsmethode ist die Sonografie. Damit lassen sich vor allem Verletzungen und Flüssigkeitsansammlungen gut erkennen. Zur genaueren Diagnostik sind Schnittbildverfahren wie CT und MRT notwendig. Bei Verletzungen des Organs liegen Sensitivität und Spezifität dieser Methoden über 95 %, allerdings ist die Untersuchung im Notfall wegen des zeitlichen und apparativen Aufwandes nur bedingt einsetzbar. Neuere Untersuchungen konnten zeigen, dass die Schnittbilddiagnostik bei Verletzungen der Schweregrade I und II akkurat ist, das Ausmaß höhergradiger Verletzungen jedoch eher zu niedrig eingeschätzt wird [5], [32]. Darüber hinaus werden die Vorteile einer diagnostischen Angiografie evaluiert, die vor allem in Kombination mit Embolisationsverfahren vermehrt zum Einsatz kommt [35]. Die bildgebende Funktionsdiagnostik wird ergänzt durch eine Szintigrafie mit isotopenmarkierten korpuskulären Blutbestandteilen.

20.5 Lokale Erkrankungen der Milz 20.5.1 Benigne Veränderungen Zysten der Milz sind parasitär oder nichtparasitär bedingt ( ).

Tab. 20.2 Milzzysten: Klassifikation. Klassifikation

Definition

I. parasitär (Echinococcus) II. nicht parasitär

• kongenital • neoplastisch (Dermoidzyste, Epidermoid-[Epithel-]Zyste)

III. sekundäre (falsche oder Pseudo-)Zyste

• traumatisch • degenerativ (nach Infarkt) • entzündlich

Die häufigste lokale benigne Erkrankung weltweit sind Echinokokkuszysten, die bei 0,5–3,5 % der erkrankten Individuen beobachtet werden [38]. Die bildgebende Diagnostik zeigt als Charakteristikum eine deutlich ausgebildete Zystenwand mit Septierung des Zysteninhalts. Zur Behandlung sind, je nach Lage, milzerhaltende Eingriffe oder eine Splenektomie möglich. Primäre Zysten der Milz können kongenital sein oder neoplastisch im Zusammenhang mit Dermoidzysten oder anderen Epithelzysten auftreten. Häufiger sind sekundäre Zysten, bei denen es sich pathologisch-anatomisch um Pseudozysten handelt. Sie werden nach Trauma, degenerativ nach Infarkten oder aufgrund entzündlicher Grunderkrankungen beobachtet. Eine Indikation zur Operation besteht, wenn aufgrund der Zyste eine klinische Symptomatik auftritt. Soweit technisch möglich, kann eine milzerhaltende Operation vorgenommen werden [40]. In jüngerer Zeit hat bei benignen Erkrankungen die laparoskopische Milzresektion zunehmend an Bedeutung gewonnen. Hämangiome der Milz können solitär oder multipel auftreten und zur spontanen Ruptur führen. Lymphangiome sind weiter verbreitet als Hämangiome und können zur Ausbildung sehr großer Tumoren führen [31]. Differenzialdiagnostisch bedeutsam ist das Auftreten von Milzabszessen, die in der Literatur eher selten beschrieben werden. Sie entstehen in der Regel hämatogen im Rahmen einer septischen Grunderkrankung oder auf dem Boden thromboembolischer Komplikationen. Milzinfarkte treten aufgrund arterieller Embolien oder beim Vorliegen von Milzvenenthrombosen auf. Die Indikation zur Splenektomie wird individuell in Abhängigkeit von der Schwere der septischen Begleiterkrankung gestellt [18]. Bei einer Totalnekrose des Organs oder nicht beherrschbarer Infektion ist die Splenektomie indiziert.

20.5.2 Maligne Veränderungen Ein sehr seltener primärer Milztumor ist das Hämangiosarkom, bei dem ein hohes Risiko zur Spontanruptur vorliegt [22]. Die Prognose ist schlecht. Daneben treten gelegentlich maligne fibröse Histiozytome, ein primäres Plasmozytom der Milz oder Kaposi-Sarkome auf. Bei metastasierenden Tumoren werden Absiedlungen in der Milz in bis zu 7 % der Fälle beobachtet. Ursprungstumoren sind meist Karzinome des Ovars, der Mamma oder der Lunge sowie maligne Melanome. Nur in Einzelfällen sind die Metastasen auf die Milz beschränkt und ist durch eine Splenektomie ein Einfluss auf die Grunderkrankung zu erwarten [20].

20.5.3 Multiviszerale Tumoroperationen Bei bösartigen Erkrankungen der Nachbarorgane kann die Milz direkt tumorinfiltriert sein oder im Zuge der Operation verletzt werden. Dies gilt vor allem für bösartige Erkrankungen des Magens, des Pankreas oder der linken Kolonflexur. Bei fehlender Tumorinfiltration ist immer ein Erhalt der Milz zu rechtfertigen. Dies setzt jedoch in aller Regel eine komplette Mobilisation des Organs voraus. Der Verlust der Milz im Rahmen eines kolonchirurgischen Tumoreingriffs führt zu einem signifikanten Anstieg der Gesamtmorbidität und der Hospitalletalität [17]. Bei der operativen Behandlung

von Magenkarzinomen konnte gezeigt werden, dass ein Verlust der Milz im Rahmen einer Lymphknotendissektion die onkologische Gesamtprognose der Patienten verschlechtert. Die Indikation zur Splenektomie ist daher heute dann anerkannt, wenn der Tumor Teile des Organs direkt infiltriert. Gerade bei ausgedehnten multiviszeralen Tumorexstirpationen im linken Oberbauch muss das Organ, gelegentlich auch der Pankreasschwanz mit reseziert werden. Beim Verlust der Milz ist bei diesen Eingriffen mit einer deutlich erhöhten Komplikations- und Infektionsrate zu rechnen.

20.6 Beteiligung bei Systemerkrankungen 20.6.1 Hämatologische Erkrankungen Für Operationen an der Milz bei hämatologischen Grunderkrankungen gibt es mehrere Indikationen [3]. Im Idealfall lässt sich die Grundkrankheit durch die Splenektomie günstig beeinflussen. Bei einer zweiten Hauptgruppe dient die Entfernung der Milz der Beseitigung eines Hyperspleniesyndroms. Eine diagnostische Splenektomie als dritte Indikation ist nur noch ausnahmsweise erforderlich. Im erythrozytären System ist eine relativ häufige Erkrankung die hereditäre Sphärozytose ( Kugelzellanämie ) [3]. Dabei sind die Erythrozyten aufgrund eines Membrandefekts deformiert und werden vermehrt in der Milz abgebaut. Es resultieren eine Hämolyse mit Anämie und eine Hyperbilirubinämie, die bei etwa 30 % der Patienten zur Bildung von Gallensteinen führt. Obwohl sich die Erkrankung schon im Kleinkindalter manifestiert, sollte eine Splenektomie bis nach dem sechsten Lebensjahr aufgeschoben werden [2]. D i e Thalassämie ist eine autosomal-dominant vererbte hämolytische Anämie, die aufgrund einer Synthesestörung bei der Hämoglobinbildung zum vorzeitigen Abbau von Thrombozyten führt. Die Indikation zur Splenektomie ist sehr streng zu stellen und nur bei einer massiven Splenomegalie indiziert. Fällt die Milz als Eisenspeicher aus, entwickelt sich bei den Patienten postoperativ aufgrund der Eisenüberladung der Leber häufig eine Leberzirrhose. Bei der Sichelzellanämie liegt eine Störung der Hämoglobinsythese vor. Charakteristischerweise entwickeln sich bei Splenomegalie Milzinfarkte, die bis zum kompletten Funktionsverlust der Milz führen können. Bei der autoimmunhämolytischen Anämie ist eine Splenektomie nur beim Vorliegen von Wärmeantikörpern indiziert, da Kälteantikörper eine intravasale Hämolyse auslösen und durch die Splenektomie keine Besserung zu erwarten ist. Eine häufige Störung des thrombozytären Systems ist die thrombozytopenische Purpura ( Morbus Werlhof ). Dabei handelt es sich um eine Autoimmunerkrankung, bei der die autoantikörperbeladenen Thrombozyten vermehrt in der Milz abgebaut werden. Häufig ist die Milz nicht vergrößert. Bei ca. 80 % der Patienten lässt sich durch eine Kortisontherapie eine vollständige Remission erreichen. Die Indikation zur Splenektomie ist nur bei Versagen der konservativen Behandlung gegeben. Myeloproliferative Syndrome, Leukämien und Lymphome können bei Befall der Milz erheblichen Krankheitswert haben. Die Osteomyelofibrose ist eine myeloproliferative Erkrankung, die zu einer massiven extramedullären Blutbildung in Milz und Leber führt. Häufig ist die Milz erheblich vergrößert und es treten lokale Symptome auf. Ein Hyperspleniesyndrom äußert sich durch Anämie und Thrombozytopenie. Nach Splenektomie ist mit einer signifikanten Mortalität und Morbidität zu rechnen. Die zurückhaltende Indikation zur Operation erfolgt individuell in enger Absprache mit dem Hämatologen. Die früher häufig durchgeführte Splenektomie im Rahmen von Hodgkin-Lymphomen ist heute nur noch im Stadium 1, wenn eine Chemotherapie vermieden werden soll, indiziert. Eine Staging-Splenektomie wird nicht mehr durchgeführt. Bei selteneren Erkrankungen wie Haarzellleukämie oder chronisch lymphatischer Leukämie ist eine Splenektomie nur bei erheblicher Vergrößerung des Organs mit Hyperspleniesyndrom und Versagen der konservativen Behandlung indiziert. In größeren Fallserien wird die Indikation zur Splenektomie heute vor allem bei Patienten mit Non-Hodgkin- Lymphomen und Leukämien mit myelodysplastischem Syndrom gestellt. Die Komplikationsrate liegt bei 37,5 %, die 30-Tage-Letalität bei über 6 % [1], [3], [4].

20.6.2 Infektionen Bei septischen Prozessen in der Bauchhöhle kommt es nicht selten zu einer Vergrößerung der Milz, aber nur ausnahmsweise zur Ausbildung eines Hyperspleniesyndroms. Häufiger sind Abszesse in der Milz oder in ihrer Umgebung, die auch klinisch symptomatisch werden. Bei protrahierten septischen Krankheitsbildern ist beim Intensivpatienten unter Umständen eine Drainageoperation indiziert, die nicht selten zum Milzverlust führt und damit zur Verschlechterung der immunologischen Situation beitragen kann.

20.6.3 Andere Erkrankungen mit Milzbeteiligung Die Milz ist bei verschiedenen Speichererkrankungen beteiligt. Eine Splenektomie ist nur beim Auftreten einer klinischen Symptomatik zu diskutieren. Patienten mit Sarkoidose entwickeln in einem Viertel der Fälle eine Splenomegalie und in 5 % ein Hyperspleniesyndrom. Mehr als die Hälfte aller Aneurysmen der Viszeralarterien betreffen die Milzarterien. Ursache ist meist eine Arteriosklerose. Kommt es zur Ruptur, ist mit einer Letalität zwischen 25 und 75 % zu rechnen [37]. Die Indikation zur operativen Behandlung wird größenabhängig gestellt. Mit den radiologischen interventionellen Verfahren steht heute die Möglichkeit zur Verfügung, Aneurysmen der Milzarterien nichtoperativ zu verschließen.

20.7 Verletzungen 20.7.1 Äußeres Trauma Mehr als ein Drittel aller polytraumatisierten Patienten erleidet ein stumpfes Bauchtrauma. Bei fast der Hälfte dieser Patienten ist eine Verletzung der Milz nachweisbar ( ), häufig vergesellschaftet mit einer Verletzung der Leber [8]. Verletzungen der Milz werden nach Moore [19] in 4 Schweregrade klassifiziert ( ). Mit der in den vergangenen Jahren zunehmend verfeinerten bildgebenden Diagnostik sind sehr gute Aussagen über den Verletzungsgrad der Milz möglich [14]. Sind die Patienten hämodynamisch stabil und haben eine Verletzung niedrigen Schweregrades, ist die konservative Behandlung indiziert. Dies trifft bei zwei Drittel der kindlichen und einem Viertel der erwachsenen Patienten zu. Die konservative Behandlung ist bei Kindern in 96 % und bei Erwachsenen in 86 % erfolgreich [23].

Tab. 20.3 Schweregrad von Milzverletzungen nach Moore. Schweregrad

Definition

I

subkapsulär, < 10 % der Oberfläche

II

antihilärer Kapselriss

III

tiefer Parenchymdefekt > 3 cm ohne Hilusbeteiligung

IV

Parenchymdefekt mit Hilusbeteiligung • Teilabriss • komplette quere Durchtrennung

V

totaler Milzabriss • vollständige Zertrümmerung

ABB. 20.3

Verletzungsmechanismus der Milz bei plötzlicher intraabdominaler Drucksteigerung. [ ]

Zahlreiche Studien neueren Datums beschreiben den Nutzen angiografisch-interventioneller Verfahren in Diagnostik und Therapie von Verletzungen der Milz [9]. Bei kreislaufstabilen Patienten kann damit der Schweregrad der Verletzung genauer differenziert werden. Durch eine segmentale Embolisation wird der komplette Milzverlust vermieden. Allerdings ist die Rate postinterventioneller Komplikationen vergleichbar mit der operativen Behandlung. MajorKomplikationen werden bei 28,5 %, Minor-Komplikationen bei 61,9 % der Patienten beobachtet [39]. Bei einem Teil der so behandelten Patienten entwickeln sich septische Folgekomplikationen, die dann eine sekundäre Splenektomie zur Folge haben. Beim konservativen Vorgehen befürchtete Begleitverletzungen intraabdominaler Hohlorgane sind eher selten zu erwarten. Mit einer zweiseitigen Milzruptur ist bei richtiger primärer Klassifizierung in weniger als 1 % der Fälle zu rechnen, das Risiko dauert allerdings bis zu 10 Tage nach dem Unfallereignis an [8]. Schwieriger ist die Situation beim Vorliegen ausgedehnter, operativ behandlungsbedürftiger Begleitverletzungen. Gerade wenn komplizierte Rekonstruktionen am Skelettsystem mit entsprechender Lagerung des Patienten notwendig werden, ist die Indikation zur operativen Behandlung der Milzruptur eher großzügig zu stellen. Auch hierbei gilt, dass zusätzlich ein Organerhalt angestrebt werden soll, wenn der Zustand des Patienten und das Verletzungsmuster dies zulassen.

20.7.2 Spontanruptur Spontanrupturen des Organs treten vor allem bei einer septischen Splenomegalie auf. Bei den entzündlichen Erkrankungen ist die Malaria häufigste Ursache. Bei nichtseptischen, hämodynamisch stabilen Patienten ist ein konservativer Behandlungsversuch möglich [10].

20.7.3 Iatrogene Verletzung Aufgrund ihrer empfindlichen Konsistenz und des komplizierten Aufhängeapparates ist bei vielen Oberbaucheingriffen die Milz gefährdet. Verletzungen des Organs treten weniger durch direktes Trauma, sondern meist durch indirekten Zug auf die Milzkapsel auf. In den meisten Fällen ist die Blutstillung mit Erhalt des Organs möglich. Lässt sich die Milz nicht erhalten, ist in Abhängigkeit von Grundkrankheit und Ausmaß des operativen Eingriffs mit einem signifikanten Anstieg von Morbidität und Mortalität zu rechnen [17].

20.8 Operative Verfahren an der Milz Ist ein Eingriff planbar, empfiehlt es sich, 6 Wochen vorher eine Impfung gegen Pneumokokken, Haemophilus influenzae und Meningokokken vorzunehmen. Bei Kindern mit Systemerkrankungen ist es sinnvoll, eine erforderliche Splenektomie bis zum 15. Lebensjahr aufzuschieben. Im Rahmen einer hämolytischen Krise, z. B. beim Vorliegen einer Sphärozytose, sollte der Eingriff verschoben werden. Bei Hämoglobinopathien wie der Sichelzellanämie liegt ein stark erhöhtes Thromboserisiko vor. Intraoperative Auskühlung und Azidose können das Blutungsrisiko erhöhen. Blut und Blutprodukte sollten vorgewärmt appliziert werden. Liegt als Grundkrankheit eine Thrombozytopenie vor, ist die präoperative Gabe von Thrombozytenpräparaten nicht sinnvoll, da diese in kurzer Zeit abgebaut werden. Beim Durchtrennen der Milzhilusgefäße steigt die periphere Thrombozytenzahl rasch an. Sollte eine diffuse Blutungsneigung anhalten, ist die nachfolgende intraoperative Gabe von Thrombozytenkonzentraten indiziert. Zur Operationsvorbereitung sollte Blut in ausreichender Menge bereitgestellt werden. Wenn es die Grundkrankheit erlaubt, ist durch den Einsatz eines CellSavers die Rücktransfusion des eigenen Blutes sinnvoll. Bei hämolytischen Anämien liegt häufig eine begleitende Cholezystolithiasis vor. Eine präoperative Abklärung ist sinnvoll, ggf. kann die Splenektomie mit der Cholezystektomie kombiniert werden. Die intraoperative Platzierung einer Magensonde ist unverzichtbar, da bei Überblähung des Magens ein Abreißen der Aa. gastricae breves schwer zu verhindern ist. Am entleerten Magen lassen sich die Stümpfe der kurzen Magengefäße gut versorgen. Kommt es zu Serosaverletzungen in diesem Bereich, ist eine Übernähung sinnvoll.

20.8.1 Offene Splenektomie Bei der Lagerung zur Splenektomie macht es Sinn, die linke Flanke durch Unterpolsterung anzuheben. Als Zugangsweg dient ein Rippenbogenrandschnitt oder, besonders bei erheblicher Vergrößerung des Organs, die Schnittführung nach Kehr ( ). Die Mobilisation beginnt mit Lösen der meist avaskulären Verklebungen zwischen Milzkapsel und großem Netz. Am unteren Pol wird das Lig. colicolienale durchtrennt, das kleine Arterien und Venen enthält. Es empfiehlt sich, den distalen Abschnitt des Lig. gastrolienale über Klemmen abzusetzen, um den Milzhilus freizulegen. Es ist sinnvoll, frühzeitig die Milzarterie hilusnah zu ligieren, um durch Unterbrechung des arteriellen Zuflusses das venöse Blut in die Zirkulation abzuleiten. Bei einer Splenomegalie können sich bis zu zwei Liter Blut in der Milz ansammeln [28], [29].

ABB. 20.4

Schnittführung zur Exposition der Milz (Inzision nach Kehr). [ ]

Das Organ wird nach ventral und medial mobilisiert. Dazu ist eine Durchtrennung des Peritoneum parietale notwendig, um Milz, Pankreasschwanz und Gefäßstiel aus dem lockeren Bindegewebe des Retroperitoneums auslösen zu können. Liegen flächenhafte Verwachsungen der Milzkapsel vor, macht es Sinn, das Peritoneum zu inzidieren und eine extraperitoneale Mobilisation vorzunehmen. Dabei ist die Blutstillung wesentlich komplizierter als beim Fehlen von Verwachsungen. Ist das Organ mit dem Pankreasschwanz komplett mobilisiert, können die Hilusgefäße selektiv durchtrennt werden ( und ). Dies ist von dorsal technisch meist einfacher, da ventral die Hilusgefäße von Lymphknoten umgeben sind und das Ende des Pankreasschwanzes sich gut identifizieren lässt.

ABB. 20.5

Mobilisation der Milz. Die Milz ist mobil und wird in die Wunde luxiert. Pfeile: Schnittrand des Peritoneums. [ ]

ABB. 20.6

Mobilisation der Milz. Schnittränder des Peritoneums (Pfeile) bei „extraperitonealer“ Mobilisierung. [ ]

Auch kleinste Serosaverletzungen des Pankreas können zu schwerwiegenden Komplikationen führen und sollten daher vermieden werden. Kommt es zu Pankreasverletzungen, müssen diese mit atraumatischen Durchstechungsnähten und präziser Blutstillung versorgt werden. Zum Schluss der Operation werden die Aa. gastricae breves durchtrennt. Diese sind unterschiedlich lang ausgebildet, sodass häufig sehr kurze Stümpfe im Bereich der Magenwand zurückbleiben. Es empfiehlt sich, diese unterschiedlich stark ausgeprägten Gefäße mit Umstechungsligaturen zu versorgen. Werden Anteile der Magenwand in die Ligatur mit einbezogen, ist mit postoperativen Magenwandnekrosen zu rechnen. Zur Sicherheit kann der Magenfundus mit einstülpenden Serosanähten übernäht werden. In der Notfallsituation bei stark blutenden Milzverletzungen empfiehlt es sich, zunächst den linken Oberbauch mit Bauchtüchern zu tamponieren, um einen Überblick über Begleitverletzungen zu gewinnen. Bei isoliertem Milztrauma ist eine schnelle Mobilisation des Organs notwendig, um übermäßige Blutverluste zu vermeiden. Das Blut aus der Bauchhöhle lässt sich beim Fehlen von Begleitverletzungen im Cell Saver aufbereiten und rücktransfundieren. Gerade bei Verletzungen der Milz ist ein Zurückbleiben von versprengtem Milzgewebe leicht möglich, das später zum Auftreten von Nebenmilzen führt. Nach Entnahme des Organs sind Milzhilusgefäße, Pankreasschwanz und Aa. gastricae breves besonders sorgfältig zu versorgen, da sowohl durch das Trauma als auch durch die Operation sehr leicht Begleitverletzungen auftreten. Über die Notwendigkeit einer Drainage bestehen unterschiedliche Ansichten. Entschließt man sich zum Einlegen einer Blutungsdrainage, sollte diese nach 2 Tagen entfernt werden, um aszendierende Infektionen zu vermeiden. Bei einer Läsion des Pankreasschwanzes ist die Einlage einer Drainage über mehrere Tage sinnvoll. Wenn, gerade bei hämatologischen Grunderkrankungen, eine sichere Blutstillung nicht erreicht werden kann, sind eine passagere Tamponade des linken Subphreniums mit 2 bis 3 Bauchtüchern für 48 Stunden und der Verzicht auf eine Blutungsdrainage zu empfehlen.

20.8.2 Laparoskopische Splenektomie Die laparoskopische Splenektomie hat sich rasch verbreitet [7], [11], [15], [24], [36]. Das geringere Operationstrauma führt zu einer schnelleren postoperativen Erholung und zur Reduktion respiratorischer Komplikationen. Eine Vergrößerung der Milz ist keine Kontraindikation gegen die laparoskopische Operation, allerdings kann hier der Einsatz eines Handports sinnvoll sein [12]. Kontraindikationen sind ein stumpfes Bauchtrauma und viele maligne Grunderkrankungen. Beim Vorliegen von kardiopulmonalen Begleiterkrankungen oder einer Leberzirrhose sollte dem offenen Verfahren der Vorrang gegeben werden.

Die Lagerung des Patienten erfolgt in 60-Grad-Halbseitenlage unter Anhebung der Flanke. Die Anti-Trendelburg-Position verbessert die Sicht ins linke Subphrenium. Neben dem Optiktrokar im Nabelbereich werden 3 Arbeitstrokare entlang dem Rippenbogen platziert [25]. Die Vorgehensweise erfolgt in umgekehrter Reihenfolge zur offenen Operation. Zunächst werden die Aa. gastricae breves durchtrennt, dann wird der untere Pol der Milz mobilisiert. Zur Durchtrennung der Hilusgefäße eignet sich besonders ein Gefäß-Endo-GIA ® . Erst nach Durchtrennung der Blutzufuhr wird die Milz aus dem Aufhängeapparat am Zwerchfell ausgelöst. Durch den Einsatz eines Ultraschalldissektors lässt sich die Mobilisation des Organs weitgehend bluttrocken durchführen. Zur Bergung der Milz kann das Organ in einem Bergebeutel zerkleinert und durch eine Miniinzision entfernt werden. Muss das Organ aus diagnostischen Gründen intakt bleiben, wird es über eine Inzision im Mittel- oder Unterbauch entfernt. Dies ist besonders bei Einsatz eines Handports leicht möglich. Studien zeigen, dass die Komplikationsrate bei Splenektomie aus hämatologischer Indikation im direkten Vergleich offene vs. laparoskopische Vorgehensweise vergleichbar ist. Viele Daten deuten darauf hin, dass der postoperative Verlauf nach laparoskopischer Vorgehensweise signifikant günstiger ist. Eine Konversion zur offenen Vorgehensweise war in bis zu 19 % aller laparoskopisch begonnenen Operationen notwendig. In systematischen Reviews liegt die Mortalität unter 1 %, die Morbidität unter 10 %. Obwohl in jüngerer Zeit zahlreiche Studien den Vorteil einer präoperativen Katheterembolisation vor laparoskopischer Splenektomie sowohl nach Trauma als auch bei elektiver Operation nachzuweisen versuchen, haben diese bisher nicht zu einer generellen Empfehlung dieser Vorgehensweise geführt.

20.8.3 Milzresektion Die Milzresektion ist bei Teilverletzungen des Organs, benignen Zysten und einigen Systemerkrankungen wie Sphärozytose, Thalassaemia major und Morbus Gaucher indiziert [2], [27]. Die Resektion der Milz ist aufgrund der segmentalen Blutversorgung des Organs technisch möglich. Dabei ist es notwendig, das Organ wie bei der Splenektomie komplett auszulösen und zu mobilisieren. Am Gefäßstiel kann ein Tourniquet angelegt werden, das die passagere Okklusion der Blutzufuhr erlaubt. Nach Durchtrennung der Segmentgefäße demarkiert sich der minder durchblutete Anteil der Milz. Die Durchtrennung des Parenchyms wird mit dem Ultraschall- oder Wasserstrahldissektor vorgenommen. Auch lineare Klammernahtgeräte können zum Einsatz kommen. Im Bereich der Resektionsfläche ist eine sorgfältige Blutstillung notwendig, die nach Abschluss der Resektion über mindestens 5 Minuten kontrolliert werden muss. Sie lässt sich durch Umstechungen mit atraumatischem Nahtmaterial, Clip-Ligaturen und bei parenchymatösen Blutungen durch Applikation von Fibrinkleber und/oder lokalen Hämostyptika erzielen. Nach der Resektion erfolgt die Reposition in die Milzloge, wobei darauf zu achten ist, den Gefäßstiel nicht zu torquieren. Eine spezielle Fixation ist nicht erforderlich.

20.8.4 Organerhaltung Grundsätzlich sollte die Milz als Ganzes oder als Teilorgan erhalten werden, wenn nicht aus anderen Gründen eine Indikation zur Splenektomie besteht. Liegt beim stumpfen Bauchtrauma eine isolierte Milzverletzung vor, ist die Indikation zur organerhaltenden Operation gegeben. Da dieses Vorgehen gewisse Zeit in Anspruch nimmt, steht der Operateur zu Beginn vor der Entscheidung, sich entweder zur schnell durchführbaren Splenektomie zu entschließen oder die Erhaltung anzustreben. Für eine milzerhaltende Operation ist die komplette Mobilisation des Organs mit dem Pankreasschwanz erforderlich ( ). Erst danach sollte ein Tourniquet platziert werden. Nach dem Verletzungsmuster werden Schweregrade unterschieden ( ). Oberflächliche Kapseleinrisse lassen sich durch lokale Maßnahmen wie Argon-Beamer- oder Infrarotkoagulation beherrschen. Bei tiefen Parenchymeinrissen sind Nähte mit atraumatischem Nahtmaterial meist erfolgreich. Dabei muss darauf geachtet werden, dass die Milzkapsel mit gefasst wird [28].

Die komplette Mobilisation von Milz und Pankreasschwanz ist Voraussetzung zur Resektion. Erst nach Mobilisation kann das Tourniquet ohne Verletzung platziert werden. [ ] ABB. 20.7

Sind Teile der Milz zerstört, z. B. bei einer Querruptur, ist meist die Resektion des weniger gut perfundierten Anteils unumgänglich. Die Versorgung der Resektionsfläche erfolgt wie bei der elektiven Milzresektion. Liegen multiple Parenchymverletzungen vor und erweist sich die Blutstillung als unsicher, kann die Milz in ein Netz aus resorbierbarem Nahtmaterial eingepackt werden. In Kombination mit lokalen Hämostyptika wird so fast immer eine Blutstillung erreicht. Die industriell für die Milz angebotenen runden Netze sind häufig schwer zu platzieren. Bei normal großem Organ bietet sich daher die Verwendung der für die Niere vorgesehenen Konstruktion an, die sich besser an die Konvexität der Milz anpassen lässt. Erst nach sicherer Blutstillung wird das Organ reponiert, wobei darauf zu achten ist, die Hilusgefäße nicht zu torquieren. Eine Fixation ist nicht erforderlich ( und ).

Tab. 20.4 Milzruptur: organerhaltender Eingriff. Anforderungen

Kontraindikationen

• absolut sichere Blutstillung

• vitale Bedrohung des Patienten (Allgemeinzustand und Schweregrad der Verletzungen)

• Unabhängigkeit von Verletzungstyp und Verletzungsausmaß

• Unsicherheit der Blutstillung

• einfache Operationstechnik

• mangelnde Erfahrung des Operateurs

• minimaler Zeitverlust

• Zertrümmerung der Milz

• Erhalten von möglichst viel Gewebe

• Kontamination der Bauchhöhle

• ausreichender Infektionsschutz

• Pankreasverletzung • Ruptur der kranken Milz

Tab. 20.5 Milzruptur: Methoden der orthotopen Erhaltung. • (Ligatur der A. lienalis) • Patch • lokale Hämostyptika – Fibrinklebung – Kollagenvlies • apparative Techniken – Infrarotkontaktkoagulation – Argon-Beamer – Heißluftföhn – Neodym: YAG-Laser • PGS-Kompressionsnetz • Segmentresektion Die Replantation von fragmentiertem Milzgewebe in das große Netz, die zur (Teil-)Erhaltung der Milzfunktion nach ausgedehnten Verletzungen führt, wird heute nicht mehr angewendet. Es existieren bessere technische Möglichkeiten zur orthotopen Milzerhaltung, und die Komplikationsrate der Methode ist erheblich. Kommt es im Verlauf von komplexen Oberbaucheingriffen zu akzidentellen Milzverletzungen, ist das Ziel ebenfalls der Milzerhalt.

20.9 Postoperative Komplikationen In der aktuellen Literatur werden nach Splenektomie Komplikationsraten zwischen 3,2 und 52 % und eine Mortalität von 9–21 % angegeben [33]. Die Häufigkeit von Komplikationen ist von der Organgröße und der Grunderkrankung abhängig. Bei sehr großen Organen steigt die Komplikationsrate stark an. Nach Milzeingriffen wegen benigner Grunderkrankung ist sie niedriger als nach Splenektomie wegen maligner Systemerkrankungen [13]. Durch die veränderte immunologische Situation führen in prospektiven Studien infektiöse Komplikationen mit bis zu 38 % [30]. Atelektasen, Pleuraergüsse und Pneumonien finden sich bei 7–13 %, subphrenische Abszesse werden in 4–8 % der Fälle beobachtet [26]. Operationsbedürftige Nachblutungen treten in 3 % der Fälle auf und führen gemeinsam mit infektiösen Komplikationen zu einer Relaparotomierate von bis zu 5 %. Seltener sind Wundheilungsstörungen, allerdings steigt bei perioperativer Steroidmedikation die Komplikationsrate deutlich an. In Studien konnte nachgewiesen werden, dass das Risiko infektiöser Komplikationen durch eine perioperative mehrtägige Antibiotikaprophylaxe signifikant abnimmt. Thromboembolische Komplikationen werden nach Splenektomie wegen myeloproliferativer Erkrankungen oder Hyperspleniesyndrom bei 2–11 % der Patienten beobachtet [13]. Gefürchtet ist die postoperative Milzvenenthrombose, die zur Pfortaderthrombose führen kann. Dopplersonografisch lassen sich asymptomatische Milzvenenthrombosen bei bis zu 7 % der Patienten nachweisen [6]. Eher selten entwickeln sich postoperative Passagestörungen. Das sog. Milzfieber mit Temperaturen bis zu 39 °C tritt in den ersten postoperativen Tagen ohne erkennbare Ursache im Zusammenhang mit einer deutlichen Leukozytose auf. Nach Ausschluss behandlungsbedürftiger infektiöser Komplikationen ist die wahrscheinliche Ursache ein Anstieg leukoagglutinierender Antikörper, die mit Absinken der Leukozytenzahl ab dem fünften postoperativen Tag stark abnehmen.

20.10 Folgen des Milzverlustes 20.10.1 Allgemeine Beschwerden Nach Splenektomie mit unkompliziertem Verlauf geben bis zu 40 % der Patienten uncharakteristische Beschwerden, bis zu 10 % dauerhafte abdominale Schmerzen an. Möglicherweise hängt die Schmerzsymptomatik mit einer Verlagerung der linken Kolonflexur in die Milzloge zusammen.

20.10.2 Peripheres Blutbild Die Folgen des Milzverlustes lassen sich am einfachsten an Veränderungen der korpuskulären Blutbestandteile dokumentieren. Nach einem anfänglich hohen Leukozytenanstieg auf Werte über 25.000/mm 3 normalisiert sich die Zahl der weißen Blutkörperchen, v. a. die Subpopulation der Lymphozyten, meistens innerhalb von 3 Monaten. Gleiches gilt für den anfänglichen Anstieg der Thrombozyten auf Werte bis zu 1 × 10/mm 3 . Einige Tage nach vollständiger Entfernung der Milz lassen sich im peripheren Blut stigmatisierte Erythrozyten (sog. Howell-Jolly-Körper) nachweisen. Ähnliches gilt für vakuolisierte („pitted“) Erythrozyten, Heinz-Körper und die basophile Stippelung.

20.10.3 Blutgerinnungssystem Ursache der erhöhten Thrombosegefahr nach Splenektomie ist in erster Linie der durch gestörten Abbau hervorgerufene Anstieg der Thrombozyten. Dieser beginnt unmittelbar nach Unterbrechung des venösen Abstroms und wird bei einer Splenektomie wegen Thrombozytopenie therapeutisch genutzt. Bei mehr als 80 % der Patienten werden mehrere Wochen nach dem Eingriff Normalwerte erreicht. In der unmittelbar postoperativen Phase ist die ausreichende Heparinisierung unverzichtbar. Bei Thrombozytenwerten über 500.000/mm 3 ist die länger dauernde Gabe von Thrombozytenaggregationshemmern erforderlich. Bei exzessivem Anstieg der Thrombozyten kann eine Marcumarisierung erforderlich sein. Die kontrollierte Thromboseprophylaxe ist auch poststationär bis zum Erreichen von Normalwerten fortzuführen.

20.10.4 Infektionsabwehr Bei 20–40 % der Splenektomierten steigt die Anfälligkeit für banale Infekte deutlich an. Spezifische Infektionen wie z. B. Malaria, Hepatitis oder Zytomegalie verlaufen wesentlich schwerer [30]. Zur optimalen Infektabwehr sind die Phagozytoseaktivität der Milzmakrophagen und die Opsonisierung großer Antigene notwendig. Besonders schwere Infekte im Stadium der Milzlosigkeit entwickeln sich bei Kontakt mit polysaccharidbekapselten Bakterien wie Pneumokokken oder Meningokokken. Ohne entsprechende Prophylaxe entwickelt sich eine foudroyant verlaufende Sepsis, die sehr schnell zum letalen Ausgang führen kann. Dieses OPSI-Syndrom (Overwhelming Postsplenectomy Infection) [34] kann in jedem Lebensalter und Zeitintervall nach Splenektomie auftreten. Das Risiko ist besonders hoch bei Kindern unter 5 Jahren und in den ersten 3 Jahren postoperativ. Die Inzidenz des OPSI-Syndroms beträgt bei Erwachsenen 1–2 %, bei Kindern bis zu 4,5 %. Die Hälfte dieser fulminanten Infektionen nimmt einen letalen Ausgang. Der Nutzen einer Gabe von Immunglobulinen gilt nach der Literatur als nicht gesichert. Die Aufklärung der Patienten über das Risiko schwerer Infektionen ist unerlässlich. Bei fieberhaften Infekten, vor allem der Atemwege, muss bei Milzlosen frühzeitig mit einer adäquaten Antibiotikatherapie begonnen werden. Bei geplanter Splenektomie sollte mindestens 14 Tage vorher eine Impfung gegen Pneumokokken erfolgen. Hierfür stehen polyvalente Impfstoffe zur Verfügung, die bis zu 90 % aller Pneumokokkenstämme abdecken. Trotzdem besteht ein Restrisiko für die nicht durch den Impfstoff erfassten Bakterienstämme. Unmittelbar postoperativ, vor allem nach traumatischer Milzruptur, sollte mindestens 2–4 Wochen keine Vakzination erfolgen, da durch die Änderung der immunologischen Situation eine Impfung entweder wirkungslos oder gefährlich sein kann. Eine Auffrischung des Impfschutzes ist alle 6 Jahre erforderlich. Für Kleinkinder wird nach Splenektomie eine Impfung gegen Haemophilus influenzae und Neisseria-Meningitiden empfohlen. Darüber hinaus werden die Durchführung der Diphtherie-, Tetanus-, Pertussis- und Hepatitis-B-Impfung und eine jährliche Influenza-Schutzimpfung empfohlen [16]. Obwohl fast alle Pneumokokkenstämme gegen Penizillin empfindlich sind, hat sich eine Langzeitpenizillinprophylaxe wegen der möglichen Resistenzentwicklung nicht durchgesetzt. In der unmittelbar postoperativen Phase ist der Nutzen einer mindestens 3-tägigen Antibiotikaprophylaxe in Studien belegt. Lokale oder generalisierte infektiöse Komplikationen lassen sich durch diese Maßnahme signifikant reduzieren.

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KAPITEL 21

Retroperitoneum Frank P. Schulze and Heinz Becker

21.1. 21.2. 21.3. 21.4. 21.4.1. 21.4.2. 21.4.3. 21.4.4.

21.1 Anatomische Vorbemerkungen Der retroperitoneale Raum (Spatium retroperitoneale) zeichnet sich durch eine ihm besondere Anatomie aus. Bei der Diagnostik und Therapie von Erkrankungen des Retroperitoneums sind gute Kenntnisse über die Topografie der primären und sekundären retroperitonealen Organe und der benachbarten Strukturen essenziell ( ). Sie sind Voraussetzung für das korrekte Verständnis der Entstehung und Ausbreitung retroperitonealer Erkrankungen und für die Festlegung der richtigen therapeutischen Strategie. Im vorderen Anteil liegt die Fascia abdominalis interna dem Peritoneum direkt auf. Sie wird von der Fascia transversalis gebildet. Dorsalwärts hebt sich die Fascia abdominalis interna vom Peritoneum ab. Sie wird von der Fascia lumbalis und der Fascia iliaca gebildet. Dieser so entstandene Raum enthält die primären und sekundären retroperitonealen Strukturen und Organe: Nieren, Ureter, Nebennieren, große Gefäße (Aorta, V. cava, Cisterna chyli), Nerven, Anteile des Duodenums, Pankreas, Colon ascendens und Colon descendens ( ). Die Begrenzungen dieses Raums sind nach „innen“ das Peritoneum, nach „außen“ die Fascia abdominalis interna, nach „kranial“ das Zwerchfell und nach „kaudal“ die Fascia pelvis. Funktionelle Bedeutung für das Verständnis von Krankheitsausbreitung und Erscheinungsbild haben die Wechselbeziehungen und Verbindungen zum Mediastinum über das Trigonum lumbocostale, zur unteren Extremität über das Spatium prevesicale und zum intraperitonealen Raum über das Mesenterium und direkte Lymphgefäßsysteme. Die eindeutige Identifizierung der primären Lokalisation eines Krankheitsprozesses ist bei diesen vielfältigen Kommunikationssystemen oftmals schwierig und die Frage nach dem Ursprung einer Entzündung oder eines Tumors mitunter schwer zu beantworten. Gute Kenntnisse der retroperitonealen Architektur sind somit Grundvoraussetzung für folgerichtiges Denken und Handeln.

21.2 Diagnostik Aufgrund der komplizierten Lage des retroperitonealen Bindegewebskörpers stellt die Diagnostik eine besondere Herausforderung dar. Die klinische Untersuchung bzw. der Palpationsbefund erlauben nur selten eine klare topografische Zuordnung des Prozesses. Die Diagnostik stützt sich auf folgende Untersuchungen:

• Allgemeine Zeichen: Hinweise für das Vorliegen einer Blutung, einer Infektion oder eines Tumors, Veränderung unspezifischer Laborparameter • Klinische Symptome: Beteiligung von Nachbarorganen (u. a. Harnabflussstörung, Cava-Kompression, Subileus bei Dünn- und Dickdarmverdrängung, neurologische Symptome/Schmerzen) • Konventionelle Radiologie: Abdomenübersicht, Magen-Darm-Passage, Kolonkontrasteinlauf, Urogramm (Darstellung von Kompressions- bzw. Verdrängungserscheinungen von Nachbarorganen) • Spezielle Bildgebung: Sonografie, CT und/oder MRT (ggf. mit PE) erlauben eine Beurteilung der Ausdehnung und topografischen Zuordnung sowie den direkten Nachweis raumfordernder Prozesse und stehen bereits am Anfang der Diagnostik. • Angiografie: Angio-CT, DSA oder Cavografie helfen bei der Klärung etwaiger Gefäßbeteiligungen und dienen der Beurteilung der Resektabilität und der Planung des therapeutischen Vorgehens (präoperative Hinweise für Gefäßversorgung, Gefäßneubildungen, Tumorinvasion). • Spezielle nuklearmedizinische Untersuchungen: Szintigraphie oder PET-CT werden insbesondere bei endokrinen Erkrankungen eingesetzt. Trotz differenzierter präoperativer Diagnostik kommt in vielen Fällen einer ergänzenden intraoperativen Diagnostik eine wesentliche Bedeutung zu. Im Rahmen einer explorativer Laparotomie oder Laparoskopie erfolgt ggf. neben der Beurteilung der Ausdehnung des Geschehens eine Differenzierung zwischen

entzündlichen oder neoplastischen Prozessen durch repräsentative Probeexzision mit Schnellschnittuntersuchung. Die Artdiagnose ist für das weitere Vorgehen von entscheidender Bedeutung.

21.3 Erkrankungen – Therapieziele – Operationsrisiko Formal pathogenetisch können Erkrankungen des Retroperitoneums wie folgt unterschieden werden:

• Fehlbildungen (Niere, Harnwege, Hoden, Rotationsfehler des Darmtrakts, Teratome) • Retroperitoneale Verletzungen, Organverletzungen, akute Blutungen (Duodenum, Pankreas, Kolon, Niere, Gefäße) • Retroperitoneale Phlegmonen und Abszesse • Retroperitoneale Entzündungen, retroperitoneale Fibrose (Morbus Ormond) • Retroperitoneale Tumoren Die operativen Strategien und die Therapieziele beinhalten:

• Korrektur und Beseitigung von Komplikationen und Passagestörungen, • Versorgung verletzter Organe, Lokalisation von Blutungsquellen und Blutstillung (bei diffuser Blutung ggf. Tamponade), Hämatomausräumung, • breite Eröffnung und Freilegung von Phlegmonen und Abszessen unter Vermeidung einer Kontamination der Bauchhöhle (extraperitonealer Zugang, wenn möglich) mit dem Ziel einer dauerhaften und effektiven Drainage bzw. Beseitigung infektionsauslösender Defekte und Erkrankungen (Darmperforationen, Morbus Crohn, nekrotisierende Pankreatitis), • bei retroperitonealen Tumoren radikale Tumorentfernung bzw. die Gewinnung einer definitiven Histologie zur Festlegung eines multimodalen Therapiekonzepts. Das Operationsrisiko des Patienten wird neben Alter und Komorbidität durch Art und Ausdehnung der vorliegenden Krankheit bestimmt. Im Vordergrund stehen die Folgen eines möglichen Blutverlustes durch ein etwaiges präoperatives Trauma sowie durch die Operation selbst. Bei ausgedehnten Eingriffen summieren sich die generellen Operationsrisiken mit potenziellen Komplikationen, die sich z. B. durch eine Ausweitung der Operation auf mitbeteiligte Organe ergeben. Der Patient sollte über die nicht sicher kalkulierbare Vielfalt operativer Notwendigkeiten informiert werden. Die Letalität kann je nach Indikation und Ausweitung des erforderlichen Eingriffs auf bis zu 25 % ansteigen.

21.4 Einzelne Krankheitsbilder und chirurgisches Vorgehen 21.4.1 Retroperitoneale Verletzungen Klinik Verletzungen der retroperitonealen Organe und Organsysteme als Folge einer stumpfen oder penetrierenden Gewalteinwirkung erlangen u. a. durch die Ausbildung eines retroperitonealen Hämatoms klinische Relevanz und sind die Hauptursache für Morbidität und Letalität der betroffenen Patienten. Man unterscheidet drei retroperitoneale Zonen, die sich auch im Hinblick auf das therapeutische Vorgehen unterscheiden ( ):

Relation von anatomischer Lokalisation und Indikation zur operativen Exploration beim retroperitonealen Hämatom. Zone 1: zentral-mediale retroperitoneale Hämatome. Zone 2: retroperitoneale Hämatome der Flanke. Zone 3: retroperitoneale Beckenhämatome. [ ] ABB. 21.1

• Hämatome der zentralen Zone sind Folge einer Verletzung der Aorta, der V. cava, der Lebervenen, des Pankreas oder des Duodenums. Als Folge des starken, zunehmenden Blutverlustes haben diese Verletzungen eine hohe Letalität und sind schwierig zu diagnostizieren bzw. noch schwieriger zu behandeln. • Hämatome der Flankenzone sind in der Regel assoziiert mit Verletzungen der Nieren. Intraoperativ besteht das Problem in der Entscheidung, welche Nierenverletzung toleriert werden kann und welche direkt behandelt werden muss. Etwa 80 % der Nierenrupturen werden heute als Folge der guten und sicheren präoperativen Diagnostik und Erfahrung konservativ behandelt. • Am häufigsten sind Hämatome in der Beckenregion zu diagnostizieren. Sie entstehen ursächlich als Folge einer meist komplexen Beckenfraktur. Das therapeutische Dilemma besteht in der Entscheidung für ein konservatives oder aggressivchirurgisches Vorgehen. Entscheidungskriterien sind neben dem Verletzungsmuster des polytraumatisierten Patienten die Zeichen der Selbsttamponade und die Entscheidung zur primären Versorgung der Beckenfraktur zur Blutstillung. Diagnostik und Therapie Die Diagnose eines retroperitonealen Hämatoms ist in der Regel eine sekundäre Diagnose. Wird während der Primärversorgung eines mehrfach verletzten Patienten der Verdacht auf einen fortschreitenden Blutverlust geäußert und sind Blutungen in den Thorax und in das freie Abdomen ausgeschlossen, so ist ein Blutverlust ins Retroperitoneum wahrscheinlich. Die meisten retroperitonealen Hämatome (80 %) treten im Gefolge eines stumpfen Bauchtraumas auf, wobei die Hälfte davon mit einer Beckenfraktur einhergeht. Etwa 5–20 % der traumatisch bedingten retroperitonealen Hämatome sind Folge einer penetrierenden Verletzung durch Schuss- oder Sticheinwirkung (Deutschland 5 %, USA 20 %). Die Notfalldiagnostik einer retroperitonealen Blutung bzw. eines retroperitonealen Hämatoms beinhaltet grundsätzlich die Durchführung einer Sonografie im Schockraum. Diese wird ggf. durch eine Computertomografie (Angio-CT) von Abdomen und Becken ergänzt (sicherer in der Aussage). Neben dem Nachweis der Blutung und der Darstellung eines retroperitonealen Hämatoms werden auch Verletzungen des knöchernen Beckens, von Gefäßen oder Organen dargestellt. Falls erforderlich, erfolgen weitere bildgebende Verfahren oder ggf. eine spezielle urologische Diagnostik. Bei Makro- oder Mikrohämaturie bzw. komplexem Verletzungsmuster kann die Durchführung eines intravenösen Urogramms bzw. eines Zystogramms indiziert sein. Alternativ zur Angio-CT kann eine arterielle Angiografie sinnvoll sein bei:

• stummer Niere mit dem Ziel der Beurteilung der Nierenarterien,

• unilateralem oder beidseitigem Fehlen des Femoralispulses, • Verdacht auf einen komplexen Gefäßschaden als Folge einer penetrierenden Verletzung und bei hämodynamischer Instabilität, • zunehmendem Hämatom als Folge einer Beckenfraktur. Die Blutungsursache ist in der Regel eine Verletzung des venösen Beckenplexus. Eine seltenere, aber meist gravierendere Blutungsursache ist die Verletzung von Arterien ( ). Hier besteht evtl. die Möglichkeit, die Blutung durch Embolisation/Coiling zu stillen. In der Regel wird jedoch die Entscheidung zugunsten einer operativen Revision mit Stabilisation der Beckenfraktur und gezielter Blutstillung getroffen.

Retroperitoneales Hämatom der Beckenregion. a) Ausgedehnte Beckenfraktur mit Symphysensprengung. b) Angiografie mit Nachweis einer arteriellen Gefäßverletzung (Kontrastmittelaustritt). [ ] ABB. 21.2

Erfordert die hämodynamische Instabilität als Folge einer intraabdominalen Verletzung eine lebensrettende Sofortoperation, ist die Entscheidung über das chirurgische Vorgehen je nach Lokalisation des retroperitonealen Hämatoms unterschiedlich:

• Verletzungen der zentralen oberen Region bedürfen einer operativen Revision zur Versorgung lebensbedrohlicher Verletzungen von Aorta, V. cava oder V. portae. • Hämatome der Flankenregion (Nierenruptur) und der Beckenregion (Beckenfraktur) sollten, wenn immer möglich , nicht eröffnet werden. Die explorative Eröffnung hebt die Möglichkeit zur Selbsttamponade auf und führt zu unkontrollierbaren Blutverlusten. Hier ist es besser, das Abdomen zu verschließen und – wenn erforderlich – nach gezielter Diagnostik einen Sekundäreingriff zu planen. Es ist klar, dass die Entscheidung zur Revision eines retroperitonealen Hämatoms der umfassenden operativen Kompetenz und der Hinzuziehung aller möglichen und zur Verfügung stehenden Fachdisziplinen bedarf. Bei nicht ausreichender Kompetenz des Operateurs bzw. der Institution ist die schnellstmögliche Verlegung in ein Zentrum der Maximalversorgung anzustreben.

Die Versorgung komplexer Beckenfrakturen (unfallchirurgische Kompetenz), die sichere Handhabung von Nieren- und Harnwegsverletzungen (urologische Kompetenz) sowie die gefäßchirurgische Kompetenz komplettieren den hohen Anspruch der viszeralchirurgischen und anästhesiologischen Maximalversorgung.

Sonderfall: penetrierende Verletzungen Penetrierende Verletzungen der Bauchhöhle und des Retroperitoneums bedürfen grundsätzlich einer sofortigen operativen Exploration und Notfallversorgung. Zugangsweg ist immer eine mediane Laparotomie, die eine bestmögliche Übersicht und alle Optionen zur umfassenden Versorgung gewährleistet. Zunächst erfolgt die Exploration und Versorgung der intraabdominalen Verletzungen. Die Darstellung einer Blutungsquelle erfordert je nach Lokalisation auch die Eröffnung des Retroperitoneums. Diese erfolgt in der Regel von der Flexura duodenojejunalis bis zur Ileozökalklappe unter Mobilisation der rechten und linken Kolonflexur. Nach Hämatomeröffnung erfolgt die stumpfe Präparation bis zum Ort der Blutungsquelle. Kommt es dabei zu einem hohen Blut- und Volumenverlust, ist wegen der Gefahr der Kreislaufinstabilität eine enge Absprache mit dem behandelnden Anästhesisten notwendig. Venöse Gefäßverletzungen werden nach initialer Blutstillung durch Kompression mit Nähten und Ligaturen versorgt. Arterielle Verletzungen erfordern häufig eine regionale oder zentrale Ausklemmung der Aorta. Nach erfolgreicher Blutstillung ist ein Verschluss des Retroperitoneums ohne Drainage anzustreben (Tamponadeeffekt). Bei diffuser Blutung aus dem Retroperitoneum sollte zur Vermeidung weiterer Blutverluste eine Tamponade durch Bauchtücher, die in der Regel nach 48–72 Stunden wieder entfernt werden, großzügig eingesetzt werden. Wenn erforderlich, kann die definitive Blutstillung gezielt nach Kreislaufstabilität und Erholung des Patienten im Rahmen einer Second-Look-OP durchgeführt werden.

Komplikationen Neben den weit im Vordergrund stehenden Folgen eines hämorrhagischen Schocks besteht die Gefahr der Nachblutung mit der Entstehung einer Verbrauchskoagulopathie. Eine Kontrolle und ggf. Substitution von Gerinnungsfaktoren sowie eine prophylaktische Low-Dose-Antikoagulation sind wichtige Bestandteile des chirurgischen Therapiekonzepts. Hämatome werden in der Folgezeit zwar resorbiert, es besteht jedoch grundsätzlich eine Infektionsgefahr bei einer gleichzeitigen Darmeröffnung bzw. durch Kontamination von außen. Dies erfordert eine entsprechende antibiotische Prophylaxe oder Therapie. Die Entstehung von Resorptionszysten mit der Notwendigkeit, therapeutisch einzugreifen, ist selten.

21.4.2 Spontane retroperitoneale Hämatome Klinik Neben den Verletzungen des Retroperitoneums mit Auftreten von Blutungen nach Traumen oder nach Operationen können retroperitoneale Blutungen mit Ausbildung entsprechend ausgeprägter Hämatome auch spontan auftreten. Hierbei sind Patienten unter Antikoagulation (z. B. Marcumartherapie oder Vollheparinisierung) besonders gefährdet. Klinisch besteht meistens das Bild eines zunächst unklaren Hb-Abfalls. Wenn die Abklärung der Blutungsursache keine typische Lokalisation ergibt, sollte auch an das Vorliegen eines spontanen retroperitonealen Hämatoms gedacht werden. Bei der klinischen Untersuchung zeigen sich v. a. bei adipösen Patienten nur selten eindeutige Hinweise für das Vorliegen eines retroperitonealen Hämatoms. Bei schlanken Patienten lässt sich jedoch oftmals eine Verziehung der Bauchdecke oder der Flanke beobachten und eine entsprechende Raumforderung tasten. Typische Symptome eines retroperitonealen Hämatoms können neben den Zeichen der Blutung auch sein:

• ausgeprägte lokale Schmerzen, • neurologische Beschwerden (z. B. N.-femoralis-Läsion), • Harnabflussstörung (Harnstauungsniere), • Subileus (durch Verdrängung von Dünn- bzw. Dickdarm). Diagnostik und Therapie Im Rahmen der Diagnostik eines unklaren Hb-Abfalls werden üblicherweise zunächst die häufigsten Ursachen einer akuten nichttraumatischen Blutung ausgeschlossen. Die wesentlichen diagnostischen Schritte zur Abklärung eines möglichen retroperitonealen Hämatoms sind:

• Anamnese (inkl. Medikamentenanamnese), • klinische Untersuchung (ggf. neurologische Untersuchung), • Laboruntersuchung (Blutbild, Gerinnung), • Sonografie des Abdomens und Retroperitoneums, • Computertomografie. Während die Sonografie das Vorliegen eines retroperitonealen Hämatoms in den meisten Fällen bestätigt, kann das wahre Ausmaß eines retroperitonealen Hämatoms meist erst im CT richtig erfasst werden. Daneben ist im CT die Verlaufsbeurteilung einfacher. Mit beiden Untersuchungen kann das Vorliegen eines Harnstaus gut diagnostiziert werden. Bei der laborchemischen Untersuchung bestätigen sich der Hb-Abfall im Blutbild sowie in vielen Fällen das Vorliegen einer übermäßigen antikoagulativen Therapie mit niedrigem Quick oder deutlicher PTT-Verlängerung. Die häufigste Lokalisation der retroperitonealen Hämatome ist die Flankenregion. Bei manchen Patienten liegen Bauchdecken- bzw. Rektusscheidenhämatome vor, einige Patienten zeigen ein kombiniertes Bild ( ).

Retroperitoneales Hämatom unter antikoagulativer Therapie. a) Verdrängung der nichtgestauten linken Niere. b) Kombiniertes retroperitoneales Hämatom plus Bauchdeckenhämatom. [ ] ABB. 21.3

Der therapeutische Ansatz bei der Behandlung von retroperitonealen Hämatomen beinhaltet im Wesentlichen zwei Möglichkeiten: konservative Therapie oder chirurgische Therapie ( ):

Tab. 21.1 Management von retroperitonealen Hämatomen bei Patienten unter antikoagulativer Therapie. Konservative Therapie • während der akuten Blutung • solange die Gerinnungsfunktion gestört ist • bei nur moderatem Bedarf an Bluttransfusionen • bei asymptomatischem retroperitonealem Hämatom

Chirurgische Therapie • nach spontaner Tamponade (Intervall von 5–7 Tagen nach der Blutungsepisode, sofern möglich) • Gerinnungsfunktion sollte stabil sein • bei massivem und kontinuierlichem Transfusionsbedarf • bei symptomatischem retroperitonealem Hämatom mit Schmerzen, Kompression von Nerven, Gefäßen oder Ureter • bei infizierten Hämatomen oder Abszess

• Bei asymptomatischen Patienten mit moderatem Bedarf an Bluttransfusionen (Substitution mit max. 6–8 Erythrozytenkonzentraten) kann in aller Regel eine nichtoperative, konservative Therapie durchgeführt werden. • Bei Patienten mit hohem Transfusionsbedarf (> 8 Erythrozytenkonzentrate), Infektion des Hämatoms oder Abszessbildung oder bei Patienten mit symptomatischen retroperitonealen Hämatomen mit starken Schmerzen, Kompressionen von Nerven, größeren Gefäßen oder des Ureters ist eine operative Therapie des retroperitonealen Hämatoms indiziert. Sofern vertretbar, sollte hier jedoch ein Intervall von 5–7 Tagen zwischen Blutungsepisode und Operationszeitpunkt bis zur spontanen Tamponade des Hämatoms erfolgen. Die operative Ausräumung eines retroperitonealen Hämatoms wird in Allgemeinnarkose (Intubationsnarkose) durchgeführt. Der Patient wird je nach Lokalisation des Befundes in Rückenlage oder halbseitiger Lagerung mit Exposition der betroffenen Flanke gelagert. Die Schnittführung erfolgt in Abhängigkeit vom Befund als rein prä- bzw. extraperitonealer Zugang. Typische Zugangswege zum retro- bzw. präperitonealen Hämatom sind Flanken-, Lumbodorsal-, bogenförmiger Unterbauchschnitt oder modifizierter Pfannenstiel-Schnitt. Bauchdeckenhämatome (Rektusscheidenhämatome) sind am besten über paramedianrektale Schnittführungen zugänglich. Grundsätzlich ist ein rein extraperitoneales Vorgehen ohne Eröffnung der Bauchhöhle anzustreben. Nach der sparsamen Schnittführung (handbreit) direkt über dem Hämatom erfolgen die stumpfe Präparation mit dem Finger und die digitale Hämatomausräumung. Diese sollte möglichst schonend durchgeführt werden, um eine erneute Blutung zu vermeiden. Scharfe Instrumente und ein zu aggressives Vorgehen sollten vermieden werden, da hier eine Verletzung von Peritoneum, Kolon, Niere, Ureter oder Gefäßen leicht möglich ist. Es folgt die Ausspülung des Operationsgebietes mit Kochsalzlösung oder einer desinfizierenden Lösung. Eine gezielte Blutstillung der Blutungsquelle ist im Retroperitonealraum meist nicht möglich. Bei fehlendem Hinweis auf eine weiter bestehende Blutung wird die Wundhöhle mit einer oder mehreren 24-Charrière-Silikon-Drainagen drainiert. Bei weiter bestehender Blutung erfolgt die Tamponade des Retroperitoneums mit Bauchtüchern oder Gazestreifen. Diese können aus der Operationswunde ausgeleitet und nach 48–72 Stunden sukzessive gezogen werden. Meistens kann hierdurch eine weitere Operation vermieden werden.

Bei Patienten, bei denen eine Operation nicht indiziert oder kontraindiziert ist, kann die konservative Therapie – selbst bei ausgeprägten retroperitonealen Hämatomen – zu einer vollständigen Resorption des Hämatoms führen ( ).

Spontanverlauf eines retroperitonealen Hämatoms unter konservativer Therapie. a) Retroperitoneales Hämatom mit Verdrängung von Harnblase und Rektum bei Diagnosestellung. b) Spontanverlauf nach 3 Monaten. c) 7 Monate nach konservativer Therapie. [ ] ABB. 21.4

Komplikationen Schwerwiegende Komplikationen nach Diagnose und Therapie eines retroperitonealen Hämatoms sind zum Glück selten. In aller Regel bilden sich die Folgen einer etwaigen neurologischen Symptomatik oder eines Harnstaus wieder vollständig zurück, wenn sie rechtzeitig diagnostiziert und chirurgisch behandelt werden. Wegen der oft notwendigen Fortsetzung der antikoagulativen Therapie (z. B. nach Herzklappenersatz) besteht jedoch prinzipiell die Gefahr einer erneuten Blutung und eines Rezidivhämatoms. Dieses Risiko kann in der akuten Blutungsphase durch eine Beschränkung der Antikoagulation auf ein Minimum vermindert werden.

21.4.3 Retroperitoneale Phlegmonen und Abszesse Klinik Entzündungen und Abszesse des Retroperitoneums sind infolge ihrer unspezifischen Symptomatik klinisch schwer zu erfassen. Im Vergleich mit dem klar umrissenen Bild der Peritonitis bietet die Retroperitonitis bei fehlender Abwehrspannung der Bauchdecken eine eher unauffällige Klinik. Dies erklärt auch die häufig verzögerte Diagnose und die erhöhte Letalität als Folge verspäteter chirurgischer Interventionen. Die Kenntnis der Topografie des retroperitonealen Raums und seiner Fasziensysteme ist Voraussetzung für ein systematisches Vorgehen. Die vielfältigen Verbindungen zum Mediastinum, zur unteren Extremität und zur Peritonealhöhle mit ihren Organen haben für die Ausbreitung und klinische Erscheinungsform von Abszessen große Bedeutung ( ).

ABB. 21.5

Lokalisation und Ausbreitungsmöglichkeiten retroperitonealer Abszesse: paravertebraler Sagittalschnitt. [ ]

Topografie – Indikationen Die renale Faszienhülle (Fascia Gerota) umfasst Niere und Nebenniere und teilt mit ihrem vorderen Blatt den Retroperitonealraum in einen vorderen und einen hinteren Anteil. Nach kranial schließen sich beide Faszienblätter und verbinden sich mit der Fascia diaphragmatica. Nach kaudal sind die beiden Faszienblätter offen und bilden so einen Weg zur Infektionsausbreitung ins Becken und die untere Extremität. Entzündungsherde im sogenannten perinephritischen Raum werden als perinephritische Abszesse bezeichnet. Obwohl in der Regel einseitig lokalisiert, können diese unter der Faszie auch die andere Seite betreffen. Diese Abszesse sind fast ausschließlich renalen Ursprungs als Folge einer Pyelonephritis. Die retroperitonealen Abszesse liegen vor der vorderen Nierenhüllfaszie und treten infolge von Erkrankungen des Gastrointestinaltrakts bzw. deren Komplikationen auf ( ).

ABB. 21.6

Lokalisation und Ausbreitungsmöglichkeiten retroperitonealer Abszesse: Querschnitt in Höhe LWK 1. [ ]

Häufigste Ursachen sind die retrozökal gelegene perforierte Appendizitis, Morbus Crohn und Hohlorganperforationen unterschiedlicher Genese. Typischerweise breiten sich auch Nekrosen bei nekrotisierender Pankreatitis mit Neigung zu Spätabszessen in diesem Raum aus. Retroperitoneale Abszesse können jedoch auch den pararenalen oder retrofaszialen Raum betreffen, verbunden mit der Möglichkeit, paravertebral, lumbal oder inguinal durchzubrechen. Der sog. subfasziale Abszess ist vom Retroperitonealraum durch die Fascia lumbalis bzw. iliaca getrennt. Chirurgische Bedeutung erlangt er als retrorektaler bzw. inguinaler Abszess mit deutlicher Klinik und schneller Diagnose. Ursächlich sind Entzündungen der Wirbelsäule und der Rückenmuskulatur. Indikation Grundsätzlich sollten alle Abszesse des Retroperitonealraums ohne Verzug operativ drainiert werden. Die Diagnose wird durch Sonografie und CT gestellt, die eine exakte Beschreibung der Ausdehnung, Lokalisation und Zuordnung zu den Organstrukturen erlauben. Eine Ausnahme von dieser Regel liegt in der sicheren Diagnose eines Morbus Crohn mit häufig lange bestehenden, klinisch inapparenten Abszessbildungen im Retroperitoneum. Hier ist eine konservative Therapie (Antibiotika, parenterale Ernährung) unter ständiger klinischer Überprüfung der Operationsindikation gestattet. Angestrebt wird die einzeitige Sanierung der Grunderkrankung unter elektiven Bedingungen. Interventionelle sonografiegesteuerte Punktionen und Drainagen sind aufgrund der

flächenhaften Ausbreitung der Abszesse häufig wenig erfolgreich und verzögern die definitive Sanierung der lebensbedrohlichen Erkrankung.

Operationsrisiko und Aufklärung Das Operationsrisiko ist abhängig vom Ausmaß der Infektion, vom Zeitintervall zwischen Auftreten der Symptome und Operation und vom Bestehen einer allgemeinen Sepsis. Ebenso ist die zugrunde liegende Erkrankung (z. B. Appendizitis oder Pankreatitis) von entscheidender Bedeutung. Die Letalität kann 20 % und mehr betragen. Ausgehend von der schwierigen topografischen Lage muss der Patient über mögliche Organverletzungen, eine postoperative Fistelbildung bei vorliegender Perforation (Dickdarmfistel) und die immer bestehende Blutungsgefahr aufgeklärt werden. Gleichzeitig sollte auch auf die Möglichkeit einer offenen Abszessbehandlung hingewiesen werden. Da es sich um Notfalleingriffe handelt, entfällt eine spezielle Vorbereitung. Im Vordergrund stehen die Schockbehandlung und die – vom klinischen Bild abhängige – kalkulierte Gabe von Antibiotika.

Operationstechnik Eingriffe bei retroperitonealen Abszessen werden grundsätzlich in Allgemeinnarkose (Intubationsnarkose) durchgeführt. Der Patient wird auf der kontralateralen Seite in Seitenlagerung oder halbseitiger Lagerung mit Exposition der Flanke gelagert. Die Inzision bzw. der Zugangsweg folgt keiner starren Regel oder Empfehlung . Grundsätzlich ist jedoch ein rein extraperitoneales Vorgehen ohne Eröffnung und damit Kontamination der Bauchhöhle anzustreben. Nach der Schnittführung direkt über dem Abszess als Lumbodorsalschnitt oder als lateraler lumbaler Wechselschnitt erfolgt die stumpfe Präparation mit dem Finger durch die Muskulatur. Stößt man nicht sofort auf den Abszess bzw. ist seine Lokalisation unklar, kann er durch Punktion lokalisiert werden. Die Eröffnung des Abszesses erfolgt mit einer stumpfen Kornzange. Nach Entnahme eines Abstrichs zur Bakteriologie sollte die möglichst schonende digitale Ausräumung durchgeführt werden. Scharfe Instrumente und ein zu aggressives Vorgehen sollten vermieden werden, da hier die Verletzung von Organstrukturen (Gefäße, Teile des Gastrointestinaltrakts) leicht möglich ist. Es folgt die Ausspülung mit Kochsalzlösung oder einer desinfizierenden Lösung. Kann der Abszess weitgehend saniert werden, ist eine geschlossene Drainage ausreichend, die an der tiefsten Stelle im Sinne einer Gegeninzision ausgeleitet wird. Bei Phlegmonen oder schwer sanierbaren Abszessen (Fuchsbausystem) – der typischen Konstellation – ist eine Tamponade mit Bauchtüchern oder Gazestreifen sinnvoll. In der Regel folgt dann eine offene Abszessbehandlung mit regelmäßigen Spülungen und sekundärer Wundheilung. Bei Vorliegen einer Urinphlegmone, einer der gefährlichsten Formen der Retroperitonitis, ist eine breite, großzügige Freilegung unter Respektierung der Faszienräume erforderlich. Es ist erstaunlich, wie schnell auch großzügige Inzisionen in dieser Region ausheilen und zu kosmetisch vertretbaren Endergebnissen führen.

Komplikationen Aufgrund der vielfältigen zugrunde liegenden Krankheitsbilder und der unterschiedlichen Ausdehnung und Organbeteiligung im Retroperitoneum ist bei retroperitonealen Entzündungen mit einer Vielzahl von Komplikationen zu rechnen:

• Septischer Schock (Überwachung auf einer Intensivstation erforderlich) • Inkomplette Drainage und Persistenz des septischen Krankheitsbilds (Indikation zur erneuten Revision abklären) • Peritonitis durch Abszessperforation ins Abdomen bzw. Organverletzung • Blutung aus der Abszesshöhle (sofortige Revision und Tamponade) Als Folgekomplikationen sind möglich:

• Enterokutane Fisteln, die einer sekundären Versorgung nach ausgiebiger Diagnostik im freien Intervall bedürfen • Narbenhernien in der Gegend großzügiger Abszessinzisionen. Diese sind selten und schwierig zu korrigieren. Die Korrektur sollte frühestens nach Abheilung des entzündlichen Geschehens nach 1–2 Jahren erfolgen.

21.4.4 Retroperitoneale Tumoren Tumoren des Retroperitonealraums sind insgesamt selten, stellen jedoch aufgrund ihrer Lokalisation und Ausbreitung hohe Anforderungen an die chirurgische und interdisziplinäre onkologische Therapieplanung. Tumoren des Retroperitonealraums sind relativ selten (< 1 % aller Tumoren insgesamt). 80–85 % der retroperitonealen Tumoren sind maligne, davon jeweils etwa ein Drittel Sarkome und Lymphome. Die Inzidenz ist bei beiden Geschlechtern gleich. Die Häufigkeit nimmt mit zunehmendem Lebensalter zu und betrifft überwiegend Patienten ab der 6. Dekade. Zu unterscheiden ist zwischen primären Tumoren, die ihren Ausgang von den im Retroperitonealraum vorhandenen Gewebeformationen (mesenchymal, neurogen, epithelial oder dysontogenetisch) nehmen, und sekundären, meist metastatischen Tumoren. Organgebunden sind Tumoren der Nebenniere, der Niere und der Harnleiter. Die besondere Problematik der retroperitonealen Tumoren liegt in ihrer Vielgestaltigkeit, der späten Diagnose bei weiträumigen Wachstumsmöglichkeiten und der häufigen Mitbeteiligung angrenzender Organstrukturen.

Tumorerkrankung und Diagnostik Der meisten primären retroperitonealen Tumoren sind mesodermalen Ursprungs (75 %). Die restlichen primären retroperitonealen Tumoren sind überwiegend neurogenen Ursprungs (25 %). Sehr selten kommen Tumoren notochordalen oder embryonalen Ursprungs vor. Bei den retroperitonealen Tumoren mesodermalen Ursprungs dominieren Lymphome und Sarkome. Sie machen jeweils ein Drittel dieser Tumorgruppe aus. Weichteilsarkome sind insgesamt eher selten und repräsentieren etwa 1 % aller malignen Tumoren. Die Vorstellungen gehen dahin, dass sie alle von einer primitiven, multipotenten mesenchymalen Stammzelle ausgehen. Es gibt über zwanzig Typen dieser Tumoren, und sie können in allen Körperregionen auftreten. Nach der Lokalisation an der unteren Extremität ist das Retroperitoneum die zweithäufigste Lokalisation ( ). Sarkome sind Tumoren ohne echte Kapsel, bilden jedoch eine sog. Peudokapsel aus komprimierten malignen und normalen Zellen. Obwohl einige Sarkome eine scharfe Begrenzung zeigen, wachsen sie entlang der Fasziensysteme und Nervenbahnen über die Tumorbegrenzung hinaus. Dies erschwert die Orientierung hinsichtlich klarer chirurgischer Grenzen und die Festlegung des Operationsausmaßes. Die Differenzierung einiger Sarkome hinsichtlich ihrer Malignität ist häufig schwierig, erst bei Auftreten von Metastasen wird das maligne Potenzial deutlich. Bei den häufigen Mischtypen orientiert sich die Therapieplanung an der Komponente mit der höchsten Malignitätstendenz. Das Liposarkom ist der häufigste Tumortyp, gefolgt vom Leiomyosarkom, den Fibrosarkomen und dem Rhabdomyosarkom mit seinen vier Subtypen.

Tab. 21.2 Klassifizierung primärer retroperitonealer Tumoren unter Berücksichtigung von Kapselbildung und Begrenzung. Ausgangsgewebe

gutartig

Kapsel

bösartig

Begrenzung

Fettgewebe

Lipom

–/+

Liposarkom

+

Bindegewebe

Fibrom

–/+

Fibrosarkom

+

Muskulatur

Leiomyom



Leiomyosarkom

+

Lymphgefäße

Lymphangiom



Lymphangiosarkom

+

Blutgefäße

Hämangiom

+

Hämangiosarkom



Bindegewebe

Histiozytom



malignes Histiozytom



Synovia

Synoviom



Synovialsarkom

+

Schwannom

+

Neurofibrosarkom

+

Ganglioneurom

+

Neuroblastom

+

Paraganglion

+

malignes Paraganglion

+

Knochen

Osteom

–/+

Osteosarkom

+

Knorpel

Chondrom

–/+

Chondrosarkom

+



Myxom



Myxosarkom



Nervensystem

Maligne fibröse Histiozytome treten in 10 % im Retroperitoneum auf. Die Tumorgröße ist ein wichtiger prognostischer Faktor mit einer lokalen Rezidivrate von 50 % bei Tumoren über 5 cm im Durchmesser. Bei etwa 30 % der retroperitonealen Sarkome liegen zum Diagnosezeitpunkt bereits Metastasen vor (Lunge, Lymphknoten, Leber). Das klinische Erscheinungsbild und die Symptomatik retroperitonealer Tumoren sind unspezifisch. Aufgrund der lockeren Gewebestrukturen können die Tumoren auf beträchtliche Größe anwachsen, ohne wesentliche Symptome zu verursachen ( ). Mit zunehmender Größe komprimieren, verlegen und infiltrieren sie umgebende Organstrukturen und werden dann klinisch auffällig. Typische Symptome entstehen durch Verdrängung und Obstruktion des Gastrointestinaltrakts, der ableitenden Harnwege und des Gefäßsystems.

ABB. 21.7

Epithelioides Leiomyom im CT. [ ]

Die möglichen Symptome sind:

• Übelkeit, • Erbrechen, • Schmerzen, • Verschlussikterus, • Hämaturie, • veränderte Urinfrequenz, • Nierenstauung, • venöse Abflussbehinderung der unteren Extremitäten. Zusätzlich können Gewichtsverlust und eine Vergrößerung des Bauchumfangs hinzutreten. Zum Zeitpunkt der ersten klinischen Untersuchung haben 30–80 % der Patienten einen palpablen abdominalen Tumor. Es kann zur Ausbildung von Aszites, Beinödemen, einer Varikozele oder eines Hämorrhoidalleidens kommen. Wird ein retroperitonealer Tumor vermutet, zeigen sich in der Diagnostik in 60 % der Fälle Auffälligkeiten im intravenösen Pyelogramm. Im Rahmen der

Diagnostik des Dünn- und Dickdarms zeigen sich endoskopisch und radiologisch sowie in der Sonografie oftmals Verdrängungserscheinungen. Die direkte Darstellung der Tumormassen und ihrer Ausdehnung sowie ihres Bezugs zu den umliegenden Organen und Strukturen gelingt am besten durch CT oder MRT ( ). Die Sonografie ist im Hinblick auf die Therapieplanung weniger geeignet. Nach dem Nachweis des Tumors und Erhebung der Verdachtsdiagnose sollte die spezifische Diagnose durch eine histologische Sicherung erfolgen. Eine Sonografie- oder CT-gesteuerte perkutane Feinnadelbiopsie ist möglich, aussagekräftiger sind jedoch die Stanzbiopsie oder eine Exzisionsbiopsie.

ABB. 21.8

Hämangioperizytom im CT mit Verdrängung des Ureters und des Rektums. [ ]

Nach Abschluss der Primärdiagnostik erfolgt das klinische Staging zur konkreten Therapieplanung und zum Ausschluss bzw. Nachweis etwaiger Fernmetastasen. Etwaige Lungenmetastasen werden durch konventionelle Röntgenaufnahmen des Thorax bzw. Thorax-CT beurteilt bzw. ausgeschlossen. Für die Planung des definitiven chirurgischen Vorgehens sollten eine Computertomografie mit Kontrastmittel-Darstellung der Gefäße und/oder eine Kernspintomografie durchgeführt werden. Wichtige Informationen sind:

• Gefäßreichtum der Geschwulst, • direkte Gefäßversorgung, • Verhältnis des Tumors zu den zentralen Gefäßen, • Definition des Operationsgebietes. Metabolisch aktive Läsionen werden mit PET-Untersuchungen diagnostiziert und im Verlauf kontrolliert. Die allgemeine Operabilität entscheidet sich, unter Berücksichtigung des Lebensalters und der Komorbidität, durch Festlegung des Operationsrisikos anhand folgender Untersuchungen:

• Kardiovaskulares System • Lungenfunktion • Nierenfunktion • Gerinnungssystem Tumoren des urologischen Fachgebietes (Keimzelltumortumormarker!) sollten interdisziplinär ausgeschlossen sein, da häufig andere Therapiestrategien (multimodale Therapie) erforderlich sind.

Indikation und Operationsrisiko Eine angestrebte Heilung kann ausschließlich durch eine chirurgische Resektion erreicht werden. Dies gilt gleichermaßen für gutartige Tumoren wie für die in ca. 80 % vorliegenden Malignome. Die Prognose wird durch den histologischen Typ, das Staging und das Grading bestimmt und ist bei Malignomen insgesamt als ungünstig einzuschätzen. Sie hängt wesentlich von der kompletten chirurgischen Sanierung (Erreichung einer R0-Resektion) ab. Das Ziel einer kurativen Therapie ist jedoch aufgrund der meist fortgeschrittenen Tumorsituation chirurgisch nur bei 50 % der malignen Tumoren möglich. Der chirurgische Eingriff hat – in Abhängigkeit von der Tumorausdehnung – einen unterschiedlichen Stellenwert. Die Indikation wird daher jeweils mit unterschiedlicher Intention gestellt:

• Kuration • Tumorreduktion • Palliation • Exploration und ggf. Diagnosesicherung Bei jedem retroperitonealen Tumor besteht grundsätzlich die Indikation zur operativen Freilegung. Die Entscheidung über die Resektabilität kann letztendlich erst intraoperativ gestellt werden. Die in der Regel invasiven Eingriffe sind aufgrund der möglichen Komplikationen mit einer hohen Letalität von 20 % belastet. Die intraoperative Blutung aus Tumorvenen und den schwer zugänglichen großen Gefäßen sind Hauptrisikofaktor, hinzu treten ggf. weitere Schwierigkeiten durch die erforderliche Ausweitung des Eingriffs auf andere Organsysteme.

Operative Therapie

Operative Therapie Grundsätzlich bestehen zwei Möglichkeiten des operativen Zugangs:

• Transabdominal • Über einen extraperitonealen Zugang, in der Regel als Flankenschnitt ( )

Relation von anatomischer Lokalisation und Entscheidung für den operativen Zugang bei retroperitonealen Tumoren. Zone 1: zentrale Tumorlokalisation. Zone 2: Tumorlokalisation im Oberbauch. Zone 3: Tumoren der Flankenregion. [ ] ABB. 21.9

Voraussetzung für ein rein extraperitoneales Vorgehen sind eine sicher präoperativ erkannte Distanz von den zentralen Gefäßstrukturen und in der Regel der Ausschluss von Malignität. Da die Sicherheit des Eingriffs und die onkologische Radikalität im Vordergrund stehen, wird man sich in aller Regel für einen transabdominalen Zugang entscheiden. Vorteile liegen in der besseren Übersicht, einer optimalen Exposition, der sicheren Kontrolle der zugeordneten Gefäßstrukturen und der Möglichkeit, tumorinvolvierte Organstrukturen onkologisch korrekt mit anzugehen. Jederzeit muss die Möglichkeit einer Erweiterung des Zugangs zu einer Thorakotomie bedacht und dementsprechend geplant werden. Die mediane Laparotomie ist grundsätzlich der bevorzugte Zugang. In Ausnahmen und bei genauer Tumorlokalisation und bekannter Tumorausdehnung ist auch eine quere Oberbauchlaparotomie möglich. Eine frühe Kontrolle der zentralen Gefäße ist jedoch prinzipiell immer erforderlich. Diese ist bei einem retroperitonealen Zugang nicht immer gegeben. Die Entfernung gutartiger Tumoren bereitet meist keine technischen Schwierigkeiten. Nach erfolgter Darstellung zugeordneter Gefäßstrukturen lässt sich der Tumor bei gut ausgebildeter Bindegewebskapsel enukleieren. Wesentlich ist jedoch, die Integrität der Kapsel voll zu erhalten, um das Auftreten eines lokalen Rezidivs zu vermeiden. Maligne retroperitoneale Tumoren sind in der Regel entweder der rechten oder der linken Seite zuzuordnen. Nur wenige Tumoren entstehen direkt in der Mittellinie. Nach der allgemeinen Exploration des Abdomens (z. B. zum Ausschluss von Lebermetastasen) folgt die Überprüfung der Resektabilität des Tumors. Diese wird in der Regel durch die Beziehung zu den zentralen Gefäßen und der Wirbelsäule bestimmt ( ).

Operationsstrategie und Überprüfen der Resektabilität bei retroperitonealen Tumoren. Schritt 1: Dissektion der zentralen Gefäße. Schritt 2: Dissektion lateral-posterior. Schritt 3: Schematische Tumorlokalisation. [ ] ABB. 21.10

Zwei wesentliche Manöver sind:

• Die Dissektion lateral der Aorta oder V. cava bis dorsal zum Raum zwischen Wirbelsäule und dem M. psoas. Der Nachweis einer Infiltration der Foramina intervertebralia macht die Resektion unmöglich. • Die zweite Dissektion erfolgt lateral posterior des Prozesses ( ).

Fibrosarkom mit Infiltration der Psoasmuskulatur. Wichtig: lateral-posteriore Dissektion unter Mitnahme des Psoasmuskels. [ ] ABB. 21.11

Gelingt es anschließend, bimanuell die Finger in beiden Räumen zusammenzuführen, so erscheint der Tumor im Allgemeinen resektabel. Ein Fehler ist das direkte Angehen des Tumors und die Mobilisation aus dem Retroperitoneum. Die Beachtung onkologischer Grundprinzipien wie primärer Gefäßdissektion , No-Touch-Technik und En-bloc-Resektion sichern den onkologischen Langzeiterfolg ( a und b). Die retroperitoneale Lage des Tumors erfordert eine weite dreidimensionale Exzision. Der Kontakt zu soliden und Hohlorganen muss als potenziell invasiv betrachtet werden, daher sollten sie in die Resektion einbezogen werden. Mögliche betroffene Strukturen sind Niere, Harnleiter, Milz, Diaphragma, Leber, Magen, Pankreas und Darmanteile.

Nebennierenkarzinom links. a) Schematische Darstellung der Vorbereitung der En-bloc-Resektion. [L108] b) Resektionspräparat einer En-bloc-Resektion mit Niere, Pankreasschwanz, Milz und linker Kolonflexur. [ ] ABB. 21.12

Sarkome infiltrieren im Allgemeinen nicht die großen Gefäße, Nerven und Knochen. Zur Erreichung histologisch freier Ränder ist es jedoch erforderlich, die Dissektion teilweise subadventitiell, subperineural bzw. subperiostal durchzuführen. Durch die häufige Entwicklung ausgedehnter venöser Kollaterale ist eine Mitresektion der infrarenalen V. cava ohne Rekonstruktion möglich. Die Resektionsgrenzen werden biopsiert und histologisch untersucht, um Tumorfreiheit bzw. einen etwaigen Residualtumor zu dokumentieren. Eine Markierung der Resektionsgrenzen durch Metallclips ermöglicht ggf. eine gezielte Zusatztherapie (Strahlentherapie). Insgesamt muss festgestellt werden, dass es bei aller Bedeutung dieser onkologischen Grundprinzipien aufgrund der Vielgestaltigkeit retroperitonealer Tumoren unmöglich ist, systematische operative Richtlinien vorzugeben. Vielmehr geht es um die sichere Handhabung und die Vermeidung intraoperativer Komplikationen mit vertretbarem Risiko und dem Ziel der onkologischen Effektivität. Zu vermeiden ist die unkontrollierte Tumormanipulation mit folgenschwerem Tumoraufbruch und Tumorzelldissemination.

Prognose und Verlauf Die Resektionsquote maligner retroperitonealer Tumoren liegt zwischen 10 und 50 %. Dies ist der Hauptgrund für die insgesamt ungünstige Prognose, die zu einer 5-Jahres-Überlebensrate von ca. 10–40 % führt. Nach kompletter Tumorentfernung kann ein 5-Jahres-Überleben von bis zu 50 % erreicht werden. Innerhalb von 10 Jahren werden jedoch 90 % aller mit kurativer Intention operierten Patienten ein lokales Rezidiv entwickeln. Dies stellt dann prinzipiell eine erneute Operationsindikation dar. Auch hier gelten die gleichen Grundprinzipien, wobei Tumorrezidive häufig mit einer Zunahme des Malignitätsgrades einhergehen. Adjuvante Maßnahmen im Sinne einer Radiotherapie oder einer Chemotherapie können das Auftreten eines lokalen Rezidivs und die Überlebensrate bislang nur unwesentlich beeinflussen. Bessere Möglichkeiten einer multimodalen Therapie bieten sich bei sekundären, metastasierten Tumoren des Retroperitoneums. Hier ist in Zukunft aufgrund der stetigen Weiterentwicklung und Optimierung der medikamentösen Therapieoptionen mit einer besseren Erfolgsrate zu rechnen.

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KAPITEL 22

Proktologie Wilhelm-Ulrich Schmidt and Rudolf Hesterberg

22.1. 22.2. 22.3. 22.3.1. 22.3.2. 22.3.3. 22.4. 22.4.1. 22.4.2. 22.5. 22.5.1. 22.5.2. 22.6. 22.6.1. 22.6.2. 22.7. 22.7.1. 22.7.2. 22.7.3. 22.8. 22.9. 22.9.1. 22.9.2. 22.10. 22.10.1. 22.10.2. 22.11. 22.11.1. 22.11.2. 22.11.3.

22.12. 22.13. 22.14. 22.14.1. 22.14.2. 22.15. 22.15.1. 22.15.2. 22.16. 22.17. 22.17.1. 22.17.2. 22.17.3. 22.18. 22.18.1. 22.18.2. 22.18.3. 22.19. 22.19.1. 22.19.2. 22.20. 22.20.1. 22.20.2. 22.21. 22.21.1. 22.21.2. 22.22. 22.22.1. 22.22.2. 22.23. 22.24. 22.24.1. 22.24.2. 22.24.3. 22.24.4.

22.1 Anatomische Vorbemerkungen

Die chirurgische Therapie von proktologischen Erkrankungen und Komplikationen erfordert eine genaue Kenntnis der Anatomie des Enddarms ( ). Der Analkanal ist etwa 4 cm lang. Die Länge weist jedoch erhebliche individuelle Unterschiede auf. Bei Frauen ist der Analkanal im Allgemeinen kürzer. Der Analkanal beginnt außen an der Linea anocutanea, dem Übergang des verhornten Plattenepithels der Haut zu dem gräulich erscheinenden nichtverhornten Plattenepithel des hoch sensiblen Anoderms. Die außen sichtbare Linea anocutanea dient als Messpunkt für Höhenangaben, z. B. von Tumoren im Rektum. Gemessen wird mit dem starren Rektoskop mit außen sichtbarer Zentimeterangabe von der Linea anocutanea bis an den unteren Rand des Tumors. Im mittleren Analkanal liegt die unter normalen Umständen nicht sichtbare Linea dentata, an der das hochsensible Anoderm über ein Übergangsepithel in die nicht sensible Rektummukosa übergeht. Von der Linea dentata aus ziehen unter der Analhaut gelegene Taschen nach distal, die Analkrypten. Am inneren Eingang zum Analkanal liegt unter der Rektummukosa der Hämorrhoidalplexus, ein arteriovenöser Schwellkörper, der den Analkanal von innen verschließt und der Feinkontinenz dient. Die arterielle Versorgung des Hämorrhoidalplexus erfolgt aus mehreren Hämorrhoidalarterien. Wir wissen heute durch unsere Kenntnisse aus der ultraschallgesteuerten Durchstechungsligatur der Hämorrhoidalarterien und durch neuere anatomische Untersuchungen, dass diese nicht klassischerweise bei 3:00, 7:00 und 11:00 Uhr in Steinschnittlage liegen, sondern einen individuell unterschiedlichen Verlauf zeigen können. Auch die Anzahl dieser arteriellen, den Hämorrhoidalplexus versorgenden Gefäße ist unterschiedlich.

ABB. 22.1

Spezielle Anatomie des Rektums. [ ]

Der Schließmuskel besteht aus einem inneren und einem äußeren Anteil. Der Sphincter ani internus stellt eine Fortsetzung der glatten Ringmuskulatur des Rektums dar. Er unterliegt nicht der willkürlichen Steuerung, weist einen Dauertonus auf und erschlafft nur reflektorisch zur Defäkation. Die nervale Versorgung erfolgt sowohl aus parasympathischen (Nn. splanchnici pelvici) als auch aus sympathischen (Nn. splanchnici sacrales) Fasern. Der Sphincter ani externus besteht aus einem tiefen, einem oberflächlichen und einem subkutanen Anteil. Als quergestreifter Muskel unterliegt er der willkürlichen Kontrolle. Er weist aber gegenüber normaler quergestreifter Muskulatur eine erhöhte Ruheaktivität auf. Der M. puborectalis verläuft als unterster Anteil der Beckenbodenmuskulatur (M. levator ani) als nach vorn offene Schlinge um den Analkanal herum. Er zieht den Analkanal nach vorn, sodass zwischen Analkanal und Rektum eine Abknickung entsteht, die durch einen Klappenmechanismus an der Kontinenz beteiligt ist. Die Innervation des M. sphincter ani externus und der Beckenbodenmuskulatur erfolgt durch den N. pudendus. Zwischen innerem und äußerem Schließmuskel liegen die Proktodealdrüsen. Es handelt sich um rudimentäre Duftdrüsen, deren Gänge den inneren Sphinkter durchbohren und hauptsächlich dorsal bei 6:00 Uhr und ventral bei 11:00 Uhr bis 1:00 Uhr in Steinschnittlage in einer Krypte in den Analkanal einmünden. Im interdisziplinären Behandlungskonzept der Inkontinenz gewinnt das Proktum als funktionelle Einheit aus After, Mastdarm und Beckenboden als Kontinenzorgan an Bedeutung. Die rein morphologische Betrachtung der Anatomie wird mit funktionellen Gesichtspunkten zu einer Rationalen zusammengeführt. Der Beckenboden als komplexe Einheit aus Muskeln, Nerven, Faszienblättern, Füllgewebe und Bändern trägt nach dieser Theorie die Harnblase, den Uterus und das Rektum. Diese Organe kommunizieren nach außen durch die Harnröhre, die Scheide und den Anus und eröffnen durch ihre Durchtritte die Integrität des Beckenbodens. Die nervalen Reize modulieren die Spannung des muskulären Beckenbodens und ermöglichen die Stütz- und Haltefunktion dieser komplexen Einheit für die mechanischen Beanspruchungen während der Miktion, der Defäkation und des Geburtsvorgangs.

22.2 Proktologische Untersuchungstechnik Die proktologische Untersuchung kann in verschiedenen Lagerungen durchgeführt werden. In Europa üblich ist die Steinschnittlage nach Quénu ( ), die jedoch einen speziellen Untersuchungsstuhl erfordert. Die Untersuchung in Seitenlagerung des Patienten ist dagegen auf jeder normalen Untersuchungsliege möglich. Die traditionell von den Internisten bevorzugte Knie-Ellenbogen-Lagerung ermöglicht eine sehr gute Inspektion des Analbereichs und eignet sich besonders für die starre Rektoskopie, da sich der rektosigmoidale Übergang bei dieser Lagerung streckt. Sie ist für den Patienten jedoch sehr unbequem. Weiterhin wird die Ausprägung eines Hämorrhoidalleidens in dieser Lagerung häufig unterschätzt, da der Hämorrhoidalplexus in Knie-Ellenbogen-Lage als höchster Punkt des Körpers leer läuft.

ABB. 22.2

Steinschnittlage (SSL) nach Quénu. [ ]

Proktologische Operationen werden üblicherweise in Steinschnittlage oder in der vor allem in den USA üblichen Bauchlagerung mit Abwinklung in den Hüften (Prone-Jack-Knife Position) durchgeführt.

Patientenvorbereitung Für eine normale proktologische Untersuchung ohne gleichzeitige Darmspiegelung ist die Gabe eines Abführmittels oder eines Klysmas nicht erforderlich. Als Vorbereitung für kleinere proktologische Operationen einschließlich einer Rekto- oder Sigmoidoskopie reicht die Gabe von 1–2 salinischen Klysmen kurz vor der Untersuchung bzw. Operation aus. Die Koloskopie erfordert üblicherweise eine Reinigung des gesamten Dickdarms entweder mit einer orthograden Darmlavage oder in Ausnahmefällen einem drastischen Abführmittel eventuell in Kombination mit Einläufen. Die orthograde Darmlavage führen wir auch als Standardvorbereitung vor komplexen Fisteloperationen oder Hämorrhoidenoperationen mit Lappenplastiken durch. Darüber hinaus verbinden wir ab einem Alter von 45–50 Jahren proktologische Operationen üblicherweise mit einer hohen Koloskopie als Karzinomfrüherkennungsuntersuchung. Bestimmte proktologische Krankheitsbilder, v. a. Condylomata acuminata, aber auch andere sexuell übertragbare anorektale Erkrankungen treten bei HIV-Patienten gehäuft auf. Deshalb sind bei proktologischen Untersuchungen Sicherheitsmaßnahmen für das Pflegepersonal und den Untersucher einzuhalten: Benutzung von Einmalhandschuhen, bei geringstem HIV-Verdacht doppelte Handschuhe, fachgerechte Entsorgung der Verbrauchsgüter und entsprechende Aufarbeitung der Untersuchungsgeräte.

Inspektion und Palpation Am Beginn der Untersuchung steht die eingehende Inspektion der perianalen Haut und des von außen einsehbaren Teils des Analkanals. Es ist auf Fistelöffnungen, Ekzeme, Kratzartefakte, Papeln, Tumoren, Marisken und einen klaffenden Analsphinkter sowie auf Stuhl- und Sekretreste als indirektes Zeichen zu achten. Bei der Untersuchung wird der Patient zum Pressakt aufgefordert, um einen Prolaps von Rektumschleimhaut und Hämorrhoidalknoten zu provozieren. Um das wahre Ausmaß eines prolabierenden Hämorrhoidalleidens oder auch eines Rektumprolapses erfassen zu können, hat es sich in Einzelfällen bewährt, den Patienten auf eine Toilette zu setzen und ca. 10 Minuten mäßig, aber ständig pressen zu lassen. Die rektal digitale Untersuchung erlaubt die Beurteilung des Analsphinkterruhedrucks und des maximalen Kneifdrucks einschließlich der Anspannung der Puborektalisschlinge. Weiterhin liegt das Augenmerk auf derben oder prall elastischen Resistenzen im Analkanal sowie tastbaren Tumoren im unteren Rektum. Bei Männern wird immer die Prostata abgetastet und beurteilt. Die Lokalisationsbeschreibung verdächtiger Befunde erfolgt entsprechend der Uhrzeigerstellung in Steinschnittlage.

Endoskopische Verfahren Die Proktoskopie erfolgt mit einem Proktoskop entweder mit Geradeaussicht oder mit seitlicher Öffnung. Hiermit lassen sich Veränderungen im Analkanal wie Fissuren, Hämorrhoiden, intraanale Kondylome und Fistelöffnungen oder hypertrophe Analpapillen nachweisen. Die Rektoskopie mit dem starren Gerät ist auch heute trotz hochwertiger flexibler Endoskope für die genaue Höhenlokalisation unverzichtbar. Gemessen wird von der Linea anocutanea (nicht wie fälschlicherweise immer wieder angegeben von der im Analkanal gelegenen und damit ohne Narkoseeinstellung nicht sichtbaren Linea dentata!) bis zum Tumorunterrand bzw. zum Unterrand der auffälligen Veränderung. Bei transanalen Blutungen oder positivem Haemoccult ® -Test ist ab einem Alter von 40 Jahren zum Ausschluss eines kolorektalen Karzinoms unabhängig von einer möglichen proktologischen Blutungsquelle eine Koloskopie indiziert, bei entsprechender Familienanamnese (Krebsfamiliensyndrom, Polyposis coli) auch schon in früheren Jahren. Das Gleiche gilt bei Symptomen, die für eine chronisch entzündliche Darmerkrankung sprechen. Die flexible Sigmoidoskopie stellt einen Kompromiss in der tagtäglichen Praxis dar, da sie nur eine einfache Vorbereitung mit zwei Klysmen erfordert und die Untersuchungszeit gegenüber der Koloskopie deutlich kürzer ist. Grundsätzlich sollte jedoch im Hinblick auf die Karzinomfrüherkennung ab entsprechendem Alter eine totale Koloskopie angestrebt werden. Endoskopische Verfahren bedürfen einer Einverständniserklärung des Patienten mit der Risikoaufklärung bezüglich Blutung, Perforation und eventueller Operationserfordernis. Weiterhin sollten bei Durchführung einer hohen Koloskopie im Hinblick auf ein erhöhtes Blutungsrisiko bei Probeexzisionen oder Polypabtragungen die plasmatische Gerinnung und Thrombozytenwerte bekannt sein und anamnestisch die Einnahme gerinnungshemmender Medikamente ausgeschlossen werden.

22.3 Hämorrhoiden Hämorrhoiden sind die häufigste proktologische Erkrankung. Sie entstehen durch Hypertrophie und Prolaps des Hämorrhoidalplexus. Unabhängig von der Symptomatik unterscheiden wir vier Schweregrade ( ). Von Hämorrhoiden Grad I ( innere Hämorrhoiden ) sprechen wir, wenn der Hämorrhoidalplexus hypertrophiert, jedoch noch in anatomisch korrekter Stelle oberhalb der Linea dentata liegt. Bei Hämorrhoiden Grad II prolabieren die Hämorrhoiden in den unteren Analkanal und sind von Anoderm bedeckt: Große Grad-II-Hämorrhoiden sind teilweise auch außen als mit Anoderm bedeckte Schwellungen sichtbar ( a).

Schematische Gradeinteilung der Hämorrhoiden. a) Grad I b) Grad II c) Grad III d) Grad IV. [ ] ABB. 22.3

Schweregrade der Hämorrhoiden. a) Hämorrhoiden Grad II: Die weichen Hämorrhoidalknoten sind von Anoderm bedeckt. b) Hämorrhoiden Grad III: Bei 11:00 Uhr in Steinschnittlage ist die mit dem Hämorrhoidalknoten vorgefallene Rektumschleimhaut zu sehen. c) Hämorrhoiden Grad IV: Zirkulärer Analprolaps. Es liegt ein permanenter Vorfall des Hämorrhoidalplexus vor. Die Linea dentata ist nach außen verlagert, der Analkanal ist völlig mit nichtsensibler Rektummukosa bedeckt. Zu beachten ist die kleeblattförmige Anordnung der vorgefallenen Rektummukosa. d) Kompletter Rektumprolaps: Man beachte die radiären Anordnung der Schleimhautfalten. [ ] ABB. 22.4

Bei Hämorrhoiden Grad III ( b) tritt unter Pressen ein Vorfall mit außen sichtbarer Mukosa auf, der sich nach dem Pressen retrahiert oder reponibel ist, während Hämorrhoiden Grad IV durch einen permanenten, nichtreponiblen Prolaps des Hämorrhoidalplexus mit ständig sichtbarer Mukosa gekennzeichnet ist (Analprolaps, c). Von einem Rektumprolaps unterscheidet sich der Analprolaps durch eine radiäre, kleeblattförmige Ausprägung der Schleimhautfalten, die beim Rektumprolaps zirkulär angeordnet sind ( d). Hämorrhoiden können Blutungen, Brennen, Nässen, Juckreiz, Druckgefühl und Schmerzen verursachen. Die Blutungen können als hellrote Blutauflagerungen auf dem Stuhlgang oder als Blutspuren am Toilettenpapier auftreten, aber auch als spritzende oder vom Anus abtropfende Blutungen unabhängig vom Stuhlgang in Erscheinung treten. Grad-II-Hämorrhoiden prolabieren bei der Defäkation in den Analkanal und erzeugen oft das Gefühl einer unvollständigen Stuhlentleerung, was zu noch längeren Sitzungen auf der Toilette mit anhaltendem Pressen Anlass gibt – ein Circulus vitiosus, der das Leiden verschlimmert. Grad-III- und Grad-IV-Hämorrhoiden führen durch den Mukosaprolaps zu Nässen und Schleimabgang. Der Vorfall des sensiblen Anoderms kann aber auch zu Inkontinenzbeschwerden durch Verlust der Sensibilität führen. Während der Schwangerschaft und der Entbindungsphase wird ein vorbestehendes Hämorrhoidalleiden vor allem im zweiten und dritten Trimenon häufig verstärkt.

In vielen Fällen treten Hämorrhoiden in dieser Phase aber auch erstmals in Erscheinung. Als Ursache hierfür werden neben einer familiären Disposition hormonelle Veränderungen, eine in der Schwangerschaft verstärkte Neigung zu Obstipation sowie ein gegen Ende der Schwangerschaft erhöhter Druck im kleinen Becken diskutiert. Als schwerwiegendste Komplikation beobachten wir vor allem im letzten Schwangerschaftsdrittel und im Wochenbett einen akuten Prolaps der inneren Hämorrhoiden, die infolge einer Abschnürung durch den Schließmuskel inkarzerieren und thrombosieren, eine Komplikation, die aber auch unabhängig von einer Schwangerschaft auftreten kann.

22.3.1 Diagnostik Innere Hämorrhoiden lassen sich nicht palpieren. Sie zeigen sich erst bei der Proktoskopie. Grad-II-Hämorrhoiden sind ebenfalls bei der Proktoskopie als weiche, mit Anoderm bedeckte Schwellungen im unteren Analkanal nachweisbar. Sehr große Grad-II-Hämorrhoiden lassen sich beim Pressen als von Anoderm bedeckte Schwellungen oft schon äußerlich erkennen. Grad-III-Hämorrhoiden zeigen sich schon bei der äußerlichen Inspektion als ein beim Pressen sichtbarer Vorfall der Schleimhaut, der sich entweder spontan zurückzieht oder leicht reponiert werden kann, während Grad-IV-Hämorrhoiden unabhängig vom Pressen außen sichtbar und nicht reponibel sind. In Einzelfällen hat es sich bewährt, Patienten, die über einen Prolaps bei der Defäkation berichten und bei der klinischen Untersuchung einen wenig auffälligen Befund zeigen, für ca. 10 Minuten auf die Toilette zu setzen und dabei zu einem mäßigen, aber permanenten Pressen aufzufordern.

22.3.2 Therapie Ziel der Hämorrhoidenbehandlung ist die Beseitigung der oft quälenden Beschwerden und Blutungsepisoden. Bei transanaler Blutung müssen auch bei Nachweis blutender Hämorrhoiden ab einem Alter von 40 Jahren, bei entsprechenden Risikogruppen (Krebsfamiliensyndrom, familiäre Polyposis) auch früher ein kolorektales Karzinom oder Polypen durch eine Koloskopie ausgeschlossen werden. Eine Koloskopie ist auch bei Verdacht auf eine chronisch entzündliche Darmerkrankung indiziert. Bei jüngeren Patienten reicht eine starre Rektoskopie oder flexible Sigmoidoskopie aus. Wenn jedoch unter der Therapie die Blutungen nicht stoppen, sollte auf jeden Fall eine hohe Koloskopie durchgeführt werden. Hämorrhoiden ohne Beschwerden bedürfen unabhängig von ihrer Größe keiner Therapie.

Konservative Therapie Innere Hämorrhoiden, die nur gelegentlich Beschwerden oder leichtere Blutungen verursachen, können sehr gut mit Salben oder Zäpfchen behandelt werden. Kortisonhaltige Präparate sollten allerdings nur für max. 2 Wochen eingesetzt werden. Innere oder Grad-II-Hämorrhoiden mit immer wieder auftretenden oder stärkeren Beschwerden lassen sich erfolgreich mit einer Sklerosierung behandeln. Als Sklerosierungsmittel werden chininhaltige Lösungen, Pflanzenöl mit 5prozentigem Phenolzusatz oder auch Substanzen eingesetzt, die in der Varizenverödung angewendet werden (z. B. Polidocanol 1- bis 4-prozentig). Durch die Sklerosierung wird eine lokale Entzündungsreaktion mit nachfolgender Vernarbung provoziert. Hierdurch wird die Blutzufuhr in den Hämorrhoidalplexus gedrosselt und die Mukosa an der Hämorrhoidenbasis fixiert. Nach Bensaude werden über ein Proktoskop 2–4 ml 5-prozentiges Phenolmandelöl submukös an der Hämorrhoidenbasis appliziert. Die Injektionsstelle liegt deutlich oberhalb der Linea dentata im Bereich der schmerzfreien Rektummukosa. Injektionen im Bereich des unteren Analkanals führen aufgrund des sensiblen Anoderms allerdings zu erheblichen Beschwerden. Initial beginnen wir üblicherweise mit Injektionen bei 3:00, 7:00 und 11:00 Uhr in Steinschnittlage. Die richtige Applikation führt zu einer weißlichen Mukosavorwölbung. Bei zu tiefer Applikation in die Muskulatur oder pararektal treten sofort stärkere Schmerzen auf. Hierbei besteht das Risiko erheblicher lokaler Entzündungen. Wir verwenden diese Sklerosierungstechnik sehr gern, haben das Phenolmandelöl jedoch durch 1-prozentiges Polidocanol ersetzt. Die Behandlung nach Bensaude erfolgt in mehreren Sitzungen. Bei Wiederholungssklerosierungen applizieren wir das Sklerosierungsmittel nicht nur an den Standardlokalisationen bei 3:00, 7:00 und 11:00 Uhr, sondern auch in dazwischen gelegene Hämorrhoidalknoten. Wenn nach spätestens 4–5 Sitzungen kein befriedigender Therapieerfolg eintritt, sollte das Verfahren gewechselt werden. Als Komplikationen sind ausgeprägte Entzündungen beschrieben, vor allem bei zu tiefer Injektion. Nach Blont werden paravasal in den Hämorrhoidalknoten 0,2 ml einer 20-prozentigen Chininlösung appliziert. Diese Lösung wirkt wesentlich aggressiver. Es sollte pro Sitzung nur eine Hämorrhoidenlokalisation behandelt werden. Als Komplikationen sind hierbei Blutungen und Nekrosen der Rektumwand beschrieben worden. Die von Blaisdell und Barron durchgeführte Gummibandligatur ( a und b) ist bei großen Hämorrhoiden Grad I und II erfolgreicher als die Sklerosierungsbehandlung. Unter Sicht wird mit einem Applikator die Hämorrhoidenbasis gefasst und ein Gummiring über das Hämorrhoidalgewebe gestülpt, der das Gewebe abschnürt. Wichtig ist, dass der Gummiring streng oberhalb der Linea dentata angelegt wird. Nach einer bis zwei Wochen fällt der abgeschnürte Knoten ab und es entsteht ein lokales Ulkus, das innerhalb kurzer Zeit verheilt. Hierdurch wird das überschüssige Hämorrhoidalgewebe an der Basis entfernt, die Blutzufuhr in den Hämorrhoidalplexus gedrosselt und durch Narbenbildung der Hämorrhoidenplexus an physiologischer Stelle fixiert. Als Komplikationen können bei zu kaudalem Setzen des Gummibands mit Einbeziehen des sensiblen Anoderms in die Abschnürung sehr starke Schmerzen auftreten. In diesem Fall muss der Gummiring notfalls in einer kurzen Narkose entfernt werden. Weiterhin kommt es in ca. 4–5 % beim Abfallen des nekrotischen Knotens zu ausgeprägten, z. T. operationswürdigen Nachblutungen, die üblicherweise nach 4–7 Tagen auftreten.

Gummibandligatur von Blaisdell und Barron. a) Transanales Einführen des speziellen Applikators via Rektoskop, Fassen der Hämorrhoide und Überstreifen des Gummirings (Inset). b) Korrekter Sitz der Gummibandligatur. [ ] ABB. 22.5

Die Infrarotkoagulation hat sich zur Behandlung des Hämorrhoidalleidens nicht bewährt. Die oberflächliche Wärmeapplikation kann zwar akute Blutungen aus Schleimhautläsionen sehr gut stoppen. Ein längerfristiger Effekt tritt jedoch nicht ein. Die Kryotherapie führt zu einer in der Tiefenausdehnung schwer zu kontrollierenden Nekrosebildung mit einer hohen Rate septischer Komplikationen. Sie sollte deshalb zur Behandlung des Hämorrhoidalleidens nicht mehr eingesetzt werden. Bei der konservativen Behandlung von Hämorrhoiden mittels Sklerosierung oder Gummibandligatur muss über das Risiko von lokalen Infektionen und Blutungen aufgeklärt werden. Insbesondere nach der Gummibandligatur, aber auch nach der Sklerosierungsbehandlung sind in einzelnen Fällen schwerste Komplikationen mit ausgeprägten Entzündungen im kleinen Becken bis hin zu Rektumnekrosen berichtet worden.

Operative Therapie Bei Hämorrhoiden Grad III oder IV lässt sich ein dauerhafter Behandlungserfolg nur durch eine operative Maßnahme erzielen. Grad-II-Hämorrhoiden, die auf eine konservative Behandlung nur unzulänglich ansprechen, stellen ebenfalls eine Indikation für eine Hämorrhoidenoperation dar. Diese ist kontraindiziert bei Leukämie, ausgeprägter portaler Hypertension sowie bei einer schweren Blutungsdiathese und HIV-Erkrankung im fortgeschrittenen Stadium. Auch bei Morbus Crohn ist eine Hämorrhoidenoperation kontraindiziert, v. a. wenn Rektum und Kolon mit befallen sind. Wenn keine Hinweise für eine Stuhlinkontinenz vorliegen, ist eine Analsphinkterdruckmessung vor einer Hämorrhoidenoperation nicht erforderlich. Bei Hinweisen für eine Stuhlinkontinenz oder einem bei der klinischen Untersuchung schon aufgefallenen schwachen Analsphinkter sollte auf jeden Fall eine Analsphinktermanometrie durchgeführt werden. Bei schwachem Analsphinkter mit beginnender Stuhlinkontinenz besteht die Gefahr, dass die Inkontinenz durch die radikale operative Entfernung des Hämorrhoidalpolsters zunimmt. Andererseits kann ein Grad-IV-Hämorrhoidalleiden durch Vorfall der Linea dentata eine Stuhlinkontinenz bedingen, da im Analkanal keine Sensibilität mehr vorhanden ist. In Abhängigkeit von einer gleichzeitigen Koloskopie führen wir entweder eine Reinigung des gesamten Kolons mit orthograder Darmlavage oder, falls eine totale Koloskopie nicht geplant ist, eine Vorbereitung mit ein bis zwei Klysmen kurz vor der Operation durch, um eine Stuhlfreiheit des Rektums zu erzielen. Bei der Lappenplastik nach Fanselar-Arnold wird der Patient mit einer Darmlavage vorbereitet.

Operationsverfahren In der Behandlung des Hämorrhoidalleidens existiert eine Vielzahl von Operationsverfahren, die sich oft nur wenig unterscheiden. Hier möchten wir uns auf die in Deutschland gängigen klassischen Verfahren und auf die neueren Operationstechniken beschränken. Auch ersetzt unser Beitrag nicht eine Operationslehre. Operationstechnik nach Milligan-Morgan Bei der Operationstechnik nach Milligan-Morgan ( a–d) wird die Hämorrhoide mit einer Klemme gefasst. Die äußere Begrenzung der Hämorrhoide wird halbkreisförmig umschnitten. Dann werden das Anoderm und die Rektummukosa ausgehend von den Rändern des Halbkreises bis zur Hämorrhoidenbasis Vförmig unter Mitnahme des darunter liegenden Hämorrhoidalgewebes exzidiert. Die Hämorrhoidenbasis wird mit einer Durchstechungsligatur versorgt. Manche Operateure fangen mit der Durchstechungsligatur an der Hämorrhoidenbasis an, um die Durchblutung des Hämorrhoidengewebes primär zu drosseln. Alternativ kann jedoch auch die Resektion unter sorgfältiger Blutstillung mittels Elektrokoagulation erfolgen. Der Einsatz des Analsperrers bei dieser Operationsmethode erleichtert in vielen Fällen die sichere Identifikation des Sphincter ani internus, der sorgfältig geschont werden muss. Durch leichtes Öffnen des Analsperrers wird außerdem der Sphinkter dilatiert. Dadurch ist die Gefahr starker Schmerzen durch einen Sphinkterspasmus nach der Operation deutlich geringer. Die V-förmige Wunde kann offen gelassen werden. Die Wundränder im Bereich des Analkanals können auch mit resorbierbarem Nahtmaterial locker adaptiert werden unter Offenlassen der äußeren Haut als Drainageöffnung. Dieses Verfahren ist einfach durchzuführen und zeigt bei sorgfältiger Technik sehr gute Langzeitergebnisse. Der Nachteil ist jedoch der bei diesem Verfahren unvermeidliche Anodermverlust mit Ausbildung von Narben im Analkanal. Insbesondere wenn mehrere Knoten operiert werden, muss darauf geachtet werden, dass ausreichend breite Anodermbrücken stehen bleiben. Gegebenenfalls müssen kleinere Satellitenknoten belassen und später mit anderen Methoden, z. B. der Sklerosierung oder Gummibandligaturen, behandelt werden.

Hämorrhoidektomie nach Milligan-Morgan. a) Markieren der Hämorrhoidalknoten mit Kocher-Klemmen, die außen (Linea anocutanea) über den Hämorrhoidalknoten, typischerweise bei 3:00, 7:00 und 11:00 Uhr SSL, fassen. b) Die Hämorrhoidenbasis ist zum Verschluss der Zuflussarterie mit resorbierbarem atraumatischem Nahtmaterial umstochen. Dreieckförmige Umschneidung der mit einer Klemme gefassten Hämorrhoide bis an die äußere Haut und Abpräparieren des Hämorrhoidalgewebes vom Sphincter ani internus und der oberflächlichen Anteile des Sphincter ani externus. c) Das Hämorrhoidengewebe ist exzidiert. Die innere Mukosa kann mit zwei resorbierbaren atraumatischen Nähten (2/0) adaptiert werden. d) Zustand nach Exzision der drei Hämorrhoidalknoten bei 3:00, 7:00 und 11:00 Uhr SSL. Wichtig ist, dass die Anodermlücken im Analkanal nicht zu schmal werden (mindestens 2 cm). Die äußeren Hautdreiecke werden zur besseren Wunddrainage offen gelassen. In den Analkanal wird ein Salbenstreifen oder ein Analtampon eingelegt. [ ] ABB. 22.6

Hämorrhoidektomie nach Parks Bei diesem Verfahren wird das Anoderm über dem Hämorrhoidalknoten längs inzidiert. In Höhe der Linea dentata erfolgt eine quere oder kreuzförmige Inzision. Das Hämorrhoidalgewebe wird subdermal bzw. submukös ausgeschält und die Inzisionen komplett durch Nähte verschlossen. Gegenüber der offenen Technik nach Milligan-Morgan tritt bei dieser Operation kein Anodermverlust auf. Es muss jedoch auf Heilungsstörungen der Nähte geachtet werden. Lappenplastik nach Fanselar-Arnold Aus dem vorgefallenen Anoderm werden 3–4 U-förmige Lappen gebildet, die von dem vorgefallenen Hämorrhoidalgewebe abpräpariert werden. Dann wird der Hämorrhoidalplexus radikal unter Schonung des Sphinkters bis zur Hämorrhoidenbasis exzidiert. Die Lappen werden in den Analkanal eingeschlagen und im oberen Analkanal unter Ausbildung einer neuen Linea dentata mit der Rektummukosa vernäht. Um ein Abheben der Naht von der Muskulatur zu verhindern, werden dabei die Fasern des Sphincter ani internus oberflächlich mit gefasst. Hierdurch wird eine neue Linea dentata an physiologischer Stelle im Analkanal rekonstruiert. Der Vorteil dieses Verfahrens ist die radikale Exzision des vorgefallenen und fixierten Hämorrhoidalgewebes bei gleichzeitigem Erhalt großer Anodermlappen, welche die Wiederherstellung der Sensibilität im Analkanal garantieren. Risiken sind die Lappennekrosen mit einer damit verbundenen stärker ausgeprägten Narbenbildung. Um zu vermeiden, dass sich durch frühzeitigen Stuhlgang Stuhl unter die Läppchen drückt, bereiten wir die Patienten bei dieser Operationstechnik wie vor einer Darmresektion mittels einer orthograden Darmlavage vor. Stapler-Hämorrhoidektomie Bei der von Longo im vergangenen Jahrzehnt entwickelten Methode wird das Gewebe an der Hämorrhoidenbasis mit einer zirkulären, submukös gestochenen Tabaksbeutelnaht gefasst und das Hämorrhoidalgewebe oberhalb der Linea dentata mit einem modifizierten Klammernahtgerät, ähnlich dem bei Darmanastomosen eingesetzten EEA-Klammernahtgerät, reseziert. Bei richtiger Anwendung der Technik liegt die Klammernahtreihe ca. 1 cm oberhalb der Linea dentata, d. h., dass die Tabaksbeutelnaht 3 cm oberhalb der Linea dentata gestochen wird. Bei zu tiefer Stichführung kann Muskulatur mit gefasst werden, was in den meisten Fällen jedoch unproblematisch ist. Eine zu weit unten liegende Tabaksbeutelnaht führt zur partiellen Resektion des Anoderms und zur Lokalisation der Klammernahtreihe in der sensiblen Zone des Analkanals, was mit stärkeren Schmerzen verbunden ist. Bei zu hoher Anlage der Tabaksbeutelnaht wird die Hämorrhoidenbasis nicht richtig gefasst. Um die schwerwiegende Komplikation einer rektovaginalen Fistel bei Frauen sicher zu vermeiden, sollte nach Verschluss des Hämorrhoiden-Staplers vor Auslösen des Geräts digital die Scheide ausgetastet werden, um ganz sicher ein Mitfassen

der Scheidenhinterwand auszuschließen. Nach Entfernen des Klammernahtgeräts muss die Klammernahtreihe auf eventuelle Blutungen untersucht werden, die dann gezielt mit resorbierbarem Nahtmaterial umstochen werden. Diese Technik eignet sich hervorragend für Grad-II- und Grad-III-Hämorrhoiden, die sich leicht reponieren lassen. Das Verfahren ist nicht geeignet bei einem fixierten Analprolaps. In seltenen Fällen findet sich im Bereich der Hämorrhoidenbasis keine lockere, leicht mit der Tabaksbeutelnaht zu fassende Schleimhaut. In diesen Fällen sollte das Verfahren ebenfalls nicht angewendet werden. Dopplersonografisch unterstützte Verfahren 1995 veröffentlichten Morinaga et al. ein Verfahren, bei dem dopplersonografisch gesteuert eine hohe Durchstechungsligatur der Hämorrhoidalarterien durchgeführt wird. Ein Proktoskop mit einer fest eingebauten Doppler-Sonde wird in den Anus eingeführt. Die mit dieser Technik nachgewiesenen Hämorrhoidalarterien werden durch das Proktoskop zirkulär mit einem speziellen Nadelhalter mit atraumatischem resorbierbarem Nahtmaterial mehrfach umstochen. Durch Erlöschen oder deutliche Abschwächung des Signals lässt sich der Erfolg der Ligatur nachweisen. Dieser Eingriff kann in einer kurzen Narkose ambulant durchgeführt werden. In ähnlicher Weise erfolgt die transanale Hämorrhoiden- Dearterialisation (THD) mittels dopplergestützter Hämorrhoidal-Arterienligatur und einer Pexie der prolabierenden Schleimhaut. Langzeitergebnisse liegen für diese Behandlungsmethode nicht vor. Kurzzeitige Beobachtungsstudien sind widersprüchlich. Den z. T. sehr guten Ergebnissen, die in der Literatur veröffentlicht sind, stehen persönliche Mitteilungen von Proktologen gegenüber, die dieses Verfahren angewandt haben und von recht kurzzeitigen Effekten berichten. Der Wert dieser einfachen, in den meisten Fällen ambulant durchführbaren Technik muss in Langzeituntersuchungen geklärt werden. Bei allen Hämorrhoidenoperationen besteht ein hohes Risiko von z. T. stärkeren Nachblutungen, da die Operation in einem sehr gut durchbluteten und von zahlreichen Arterien versorgten Gebiet erfolgt. Bis auf wenige Ausnahmen führen wir deshalb die klassischen hohen Hämorrhoidenoperationen nicht ambulant durch. Auch wenn aufgrund der sehr guten Durchblutung das Infektionsrisiko gering ist, kann in seltenen Fällen eine Infektion nicht ausgeschlossen werden, die im Einzelfall zu einer dramatischen Beckenbodenentzündung führen kann. Hinweise für Infektionen sollten bei einer Hämorrhoidenoperation deshalb immer ernst genommen und frühzeitig hoch dosiert antibiotisch behandelt werden. Eine generelle Antibiotikaprophylaxe ist bei Hämorrhoidenoperationen jedoch nicht erforderlich. Lediglich bei der Lappenplastik nach Fanselar-Arnold verabreichen wir perioperativ eine Antibiotikaprophylaxe wie in der Kolonchirurgie. Die von den Patienten immer wieder befürchtete Stuhlinkontinenz nach einer Hämorrhoidenoperation ist bei richtiger Anwendung der Technik vermeidbar. Für den Anfänger ist wichtig, den Schließmuskel sicher zu identifizieren und zu schonen und eine weitgehende Entfernung des Anoderms durch zu radikale Operation zu vermeiden. Wenn die Patienten mittels orthograder Darmlavage vorbereitet werden, setzt der Stuhlgang erfahrungsgemäß erst nach 3–5 Tagen ein. In den anderen Fällen geben wir ein leichtes Laxans, um einen weichen, jedoch nicht flüssigen Stuhl zu erzielen. Die früher gern durchgeführte postoperative digitale Dehnung zur Verhinderung einer Analstenose haben wir aus unserem Repertoire komplett gestrichen. Sie ist für den Patienten sehr schmerzhaft und absolut unnötig. Bezüglich der klassischen Operationsverfahren wie der Hämorrhoidektomie nach Milligan-Morgan, Parks und der Lappenplastik nach Fanselar-Arnold liegen zahlreiche Langzeituntersuchungen vor. Die langfristigen Ergebnisse sind bei Anwendung der richtigen Technik sehr gut. Rezidive sind selten (< 10 %). Häufig handelt es sich um bei der operativen Therapie übersehene Satellitenknoten, selten um ein echtes Rezidiv nach radikaler Hämorrhoidektomie. In den meisten Fällen sprechen Rezidivknoten gut auf eine der konservativen Behandlungstechniken an. Das Operationsverfahren nach Longo wurde bezüglich postoperativer Schmerzen, Komplikationen und frühpostoperativer Ergebnisse in zahlreichen klinischen Studien mit den klassischen Operationsverfahren, v. a. der Operation nach Milligan-Morgan als Goldstandard, verglichen. Es zeigte sich hinsichtlich postoperativer Schmerzen, Heilung und auch Komplikationen z. T. signifikant überlegen. Aber auch bei der Stapler-Therapie gibt es einzelne Berichte in der Literatur über sehr schwerwiegende Komplikationen und auch diese Technik muss sorgfältig erlernt werden. Da die Stapler-Therapie in größerem Umfang erst seit ca. 10 Jahren eingesetzt wird, liegen Langzeitergebnisse nur eingeschränkt vor. Sie sprechen dafür, dass bei richtiger Anwendung der Technik eine ähnlich hohe Erfolgsrate wie bei den konventionellen Operationsverfahren erzielt werden kann. Ein erfahrener Proktologe wird Hämorrhoiden nicht immer mit der gleichen Technik operieren, sondern den Einsatz des Verfahrens von dem individuellen Befund abhängig machen. Die Stapler-Hämorrhoidektomie ist gut bei operationswürdigen zirkulären Hämorrhoiden II. und III. Grades, bei denen alternativ auch das Verfahren nach Parks eingesetzt werden kann. Das Verfahren nach Milligan-Morgan ist aus unserer Sicht nach wie vor das Verfahren der Wahl bei einzelnen Hämorrhoidenknoten. Beim fixierten Analprolaps ist die Lappenplastik nach Fanseler- Arnold die richtige Therapie, die bei radikaler Entfernung des Hämorrhoidalplexus eine sehr gute Sensibilität im Analkanal ergibt. Der Stellenwert der ultraschallgesteuerten Hämorrhoidalarterienligatur muss erst in den kommenden Jahren bewiesen werden. Als wenig invasives Verfahren wird sie möglicherweise eine Zwischenstellung zwischen den konservativen Verfahren und den operativen resezierenden Verfahren einnehmen.

22.3.3 Thrombosierter und inkarzerierter Hämorrhoidalprolaps Diagnostik und Klinik Thrombose und Inkarzerationen vorgefallener innerer Hämorrhoidalknoten stellen eine seltene komplizierte Form des Hämorrhoidalleidens dar ( ). Nicht selten treten sie in der letzten Phase der Schwangerschaft oder im Wochenbett auf. Das Krankheitsbild ist mit starken Schmerzen verbunden. Blutungen treten nach spontanen Perforationen auf. Die Diagnose lässt sich schon bei der Inspektion stellen. Im Gegensatz zur perianalen Thrombose ist der in den meisten Fällen zirkuläre Prolaps in seinen inneren Anteilen von sichtbarer Mukosa bedeckt und die Linea dentata ist erkennbar.

Akuter Vorfall thrombosierter und inkarzerierter innerer Hämorrhoiden. Man beachte die sichtbare Mukosa bei 11:00 Uhr in Steinschnittlage. [ ] ABB. 22.7

Therapie Aufgrund eigener langjähriger Erfahrungen vermeiden wir die sofortige Operation. Wir behandeln zunächst konservativ mit lokaler Kühlung und der oralen Gabe von Antiphlogistika und Analgetika sowie weitgehender Bettruhe. Hierdurch bildet sich in den meisten Fällen der Prolaps spontan zurück. Versuche einer manuellen Reposition sind nur selten erfolgreich und meistens sehr schmerzhaft, sodass wir darauf verzichten. Wenn sich der Befund nicht innerhalb von zwei Tagen deutlich bessert, führen wir die operative Therapie mit einer Lappenplastik nach Fanselar- Arnold durch, die allerdings recht anspruchsvoll ist und nicht als Notoperation von einem proktologisch unerfahrenen Chirurgen in Angriff genommen werden sollte. Eine Inzision und Ausräumung der thrombosierten inneren Hämorrhoiden in Lokalanästhesie ist mit einem hohen Blutungsrisiko behaftet. Wenn eine Operation geplant wird, sollte diese immer in Vollnarkose oder Regionalanästhesie erfolgen, um dann auch einen Analspreizer einsetzen zu können. In der Schwangerschaft sollte die Indikation zur Therapie streng gestellt werden und Medikationen oder operative Therapien immer zum Schutz der Leibesfrucht in Abstimmung mit den Gynäkologen erfolgen.

22.4 Perianale Thrombose 22.4.1 Klinik und Diagnostik Von der Hämorrhoidalthrombose unterscheidet sich die perianale Thrombose, auch als akute äußere Hämorrhoide bezeichnet, durch ihre Lage sowie durch die Pathogenese. Bei der perianalen Thrombose entsteht eine Thrombose im äußeren perianalen Venengeflecht ( ). Eine Beziehung zum inneren Hämorrhoidalplexus besteht normalerweise nicht. Durch ein Begleitödem stellt sich der Knoten größer dar als die zentrale Thrombose. Die Ursache der perianalen Thrombose ist in vielen Fällen unklar. Manchmal geht eine Obstipation mit starkem Pressen voraus. Ihr Entstehen während der letzten Phase der Schwangerschaft und Entbindung kann durch die gleichen Faktoren wie bei der Hämorrhoidenentwicklung (Obstipation, lang anhaltendes Pressen, erhöhter Druck im kleinen Becken) begünstigt werden. Differenzialdiagnostisch sollten ein thrombosierter Vorfall innerer Hämorrhoiden sowie ein Analkarzinom und ein malignes Melanom abgegrenzt werden. Die beiden letzteren Tumorleiden sind jedoch sehr selten, entstehen langsam und sind normalerweise nicht mit starken Schmerzen verbunden.

Typische perianale Thrombose mit einem von perianaler Haut und Anoderm bedecktem thrombosiertem Knoten bei 8:00 Uhr in Steinschnittlage. [ ] ABB. 22.8

22.4.2 Therapie In leichteren Fällen oder wenn Knoten sich bereits in Rückbildung finden und die Phase starker Schmerzen abflaut, kann eine konservative Therapie mit lokaler Kühlung sowie nichtsteroidalen Antiphlogistika und Analgetika helfen. Bei sehr ausgeprägten Beschwerden oder drohender oder bereits eingetretener Perforation mit unvollständiger Entleerung des Thrombus ist eine operative Therapie indiziert. Die Operation kann in Lokalanästhesie in den meisten Fällen problemlos ambulant durchgeführt werden. Die alleinige Inzision und Exprimierung der Koagele führt nicht immer zum Erfolg, da oft gekammerte Gerinnsel vorliegen, die dann nicht komplett entfernt werden können. Weiterhin bleiben oft störende Falten zurück, die sich zu Marisken entwickeln. Erfolgreicher ist es deshalb, die perianale Thrombose in Lokalanästhesie unter sorgfältiger Entfernung aller Koagele zu exzidieren. Da die perianale Thrombose außen im Analbereich sitzt, muss ein Analsperrer nicht eingesetzt werden. Als Komplikationen können Nachblutungen, die jedoch sehr selten schwerwiegend sind, sowie eine verzögerte Wundheilung durch Taschenbildung auftreten. Anstelle der in der Proktologie beliebten Sitzbäder empfehlen wir ein Ausduschen des Wundbereichs und Waschen mit normaler Seife, v. a. nach dem Stuhlgang. Rezidive sind häufig, jedoch nicht beeinflussbar. Bei Obstipation mit starkem

Pressen als Ursache empfehlen wir reichlich Ballaststoffe in Kombination mit einer erhöhten Flüssigkeitszufuhr, um den Stuhlgang geschmeidig zu halten. In der Schwangerschaft sollte die Indikation zur Therapie streng gestellt werden und Medikationen oder operative Therapien immer zum Schutz der Leibesfrucht in Abstimmung mit den Gynäkologen erfolgen.

22.5 Marisken Bei Marisken handelt es sich um perianale Hautfalten, die oft fälschlicherweise als äußere Hämorrhoiden gedeutet werden ( ). Sie weisen jedoch keine vermehrte Gefäßfüllung auf. Sie können sich als Residuen einer perianalen Thrombose oder als Vorpostenfalte bei einer chronischen Analfissur entwickeln. Häufig entstehen sie jedoch im Laufe des Lebens ohne erkennbare Ursache.

ABB. 22.9

Zwei große perianale Marisken, oft fälschlicherweise von Patienten mit Hämorrhoiden verwechselt. [ ]

22.5.1 Klinik und Diagnostik Die Diagnose wird gestellt durch Inspektion und Palpation. Im Gegensatz zur Hämorrhoide füllen sich Marisken nicht mit Blut und sind nicht ausdrückbar. Liegt eine auffallende Verhärtung vor, eventuell auch mit einer Ulzeration, sollte differenzialdiagnostisch an ein Analkarzinom gedacht werden. In den meisten Fällen verursachen Marisken keine Beschwerden. In seltenen Fällen können sie jedoch die Säuberung des Afters behindern und durch eine permanente Verschmutzung die Entwicklung eines chronischen Analekzems begünstigen.

22.5.2 Therapie Marisken ohne Beschwerden bedürfen keiner speziellen Therapie. Wenn Marisken jedoch aufgrund ihrer Größe stören, Probleme bei der Analhygiene verursachen oder sich entzünden, sollten sie in Lokalanästhesie abgetragen werden. Bei Patienten mit Morbus Crohn oder HIV-infizierten Patienten sollte die Indikation zur operativen Therapie sehr streng gestellt werden. Dies gilt besonders bei Vorliegen einer Proktitis. Die Abtragungsstelle nach Mariskenexzision wird üblicherweise offen gelassen und heilt sekundär. Die Wundheilung dauert jedoch in vielen Fällen relativ lange. Durch die direkte Naht der Exzisionsstelle kann die Wundheilung deutlich beschleunigt werden. Es besteht jedoch ein erhöhtes Wundinfektionsrisiko.

22.6 Analfissuren Die Ätiologie der Analfissur ist in vielen Fällen unklar. Mögliche Ursachen sind Einrisse der Analhaut bei hartem Stuhlgang, Entzündungen oder Manipulationen (Darmrohr, analer Geschlechtsverkehr). Weiterhin wird das Aufbrechen entzündeter Krypten diskutiert. Dies würde auch erklären, warum Fissuren in 80–90 % bei 6:00 Uhr und in 10–12 % bei 12:00 Uhr in Steinschnittlage liegen und selten an anderen Lokalisationen vorkommen. Die Analfissur manifestiert sich als ein längs gerichtetes Geschwür im sensiblen Bereich des Analkanals. Wir unterscheiden akute Analfissuren ( ) mit einer kurzen, max. einige Wochen dauernden Anamnese und chronische Fissuren mit z. T. über Monate bestehenden Beschwerden. Bei lang bestehenden chronischen Analfissuren finden wir typischerweise einen narbigen Randwall mit in der Tiefe sichtbaren Fasern des Sphincter ani internus, häufig verbunden mit Entwicklung einer äußerlich am unteren Rand der Fissur liegenden Mariske (Vorpostenfalte) und einer hypertrophen Analpapille am Oberrand des Geschwürs in Höhe der Linea dentata.

ABB. 22.10

Akute Analfissur bei 6:00 in Steinschnittlage. [ ]

Als Folge der Fissur entwickelt sich ein Spasmus des Analsphinkters mit quälenden krampfartigen Schmerzen bei der Defäkation, die danach über Minuten bis Stunden anhalten können. Bei einer frischen Analfissur findet sich häufig auch eine Blutauflagerung auf dem Stuhlgang. Der Sphinkterspasmus verursacht nicht nur die quälenden Beschwerden, er verhindert auch die Abheilung des Geschwürs.

22.6.1 Diagnostik Hinweisend für das Vorliegen einer Analfissur ist schon die charakteristische Anamnese. Bei der äußerlichen Inspektion kann man in vielen Fällen bei leichter Spreizung des Analkanals durch Auseinanderziehen der Analhaut den Unterrand des Geschwürs erkennen. Bei chronischen Analfissuren ist die Vorpostenfalte wegweisend. Die digitale Untersuchung zeigt schon bei leichtem Einführen des Fingers den ausgeprägten Sphinkterspasmus. Die digitale Untersuchung ist ebenso wie die Proktoskopie sehr schmerzhaft. Sie sollte deshalb nicht erzwungen werden.

22.6.2 Therapie Die Therapie der akuten Analfissur besteht in der lokalen Applikation von lokalanästhetikahaltigen Salben, eventuell unter Anwendung eines konusförmigen Aufsatzes, der bei der Einführung der Salben den Schließmuskel vorsichtig aufdehnt. Spezielle Zäpfchen, die nicht im unteren Rektum, sondern im Analkanal wirken (Posterisan protect ® : Suppositorien mit Mulleinlage) begünstigen ebenfalls die Heilung der akuten Analfissur. Eine operative Therapie ist nur in Ausnahmefällen bei Versagen der konservativen Behandlung nötig. Für die Behandlung der chronischen Analfissur bestehen vier Therapieoptionen:

• lokale Behandlung mit Nitrosalben oder Salben mit Kalziumantagonisten, • Botulinustoxininjektion, • manuelle Sphinkterdehnung, • laterale Sphinkterotomie. Bei der Behandlung mit Nitrosalben oder Salben mit Kalziumantagonisten werden die Salben mit dem Finger lokal in den Analkanal eingebracht. Sie werden dort resorbiert und bewirken eine Relaxation der glatten Muskulatur des spastischen Sphincter ani internus. Hierfür gibt es mittlerweile im Handel befindliche Fertigsalben für den Einsatz am Anus (Rectogesic Rektalsalbe ® ). Alternativ kann der Apotheker auch ein im Handel befindliches Diltiazem-Gel (Kalziumantagonist) entsprechend verdünnen (Rp. Hydrophiles Diltiazemhydrochlorid-Gel 2 % (NRF 5.6) ad 50 g, d. 2 mal tägl. eine kleine Menge in den unteren Anus einführen). Die Therapiedauer beträgt mehrere Wochen. Die Heilungsraten werden mit 30–80 % angegeben. Als wesentlichste Nebenwirkung der Nitrosalbenpräparate sind Kopfschmerzen zu nennen, die in bis zu 80 % auftreten und bei vielen Patienten zum Therapieabbruch führen. In den letzten zehn Jahren sind zahlreiche Berichte über die Behandlung der chronischen Analfissur mit Botulinustoxininjektionen veröffentlich worden. Teilweise wurde das Botulinustoxin in den externen Analsphinkter, überwiegend jedoch in den internen Analsphinkter in einer Dosis von 5–80 IE appliziert. In beiden Fällen konnte ein sehr schneller Rückgang des Sphinkterspasmus festgestellt werden mit einer erheblichen Symptomerleichterung innerhalb weniger Tage. Die Heilungsrate wird mit 41–96 % angegeben. In keinem Fall wurde eine dauerhafte Kontinenzstörung beobachtet. Die Botulinustoxintherapie erfordert eine entsprechende Erfahrung. Darüber hinaus ist sie mit relativ hohen Kosten verbunden. Die manuelle Dehnung des Analsphinkters erfolgt in Vollnarkose mit zwei Fingern unter leichter Rotation. Um unkontrollierte Kontraktionen des externen Sphinkters bei dieser Prozedur zu vermeiden, sollte während der Dilatation kurzfristig eine Muskelrelaxation durchgeführt werden. Bei vorsichtiger schrittweiser Dehnung erreicht man eine Weitung des Sphinkters bis zu einem gewissen, individuell unterschiedlichen Ausmaß, dessen Begrenzung durch einen stärkeren Widerstand erkennbar ist. Die Durchbrechung dieses Widerstands führt zu unkontrollierten Zerreißungen von Muskelfasern mit dadurch erhöhtem Risiko einer dauerhaften Kontinenzstörung. Dies hat das Verfahren in der Vergangenheit in Verruf gebracht. Die in alten Operationslehren gezeigte Aufdehnung des Schließmuskels bis auf Eingängigkeit von sechs Fingern sollte der Vergangenheit angehören. Als Alternative zur manuellen Sphinkterdilatation wird die laterale Sphinkterotomie eingesetzt ( ). Hierzu wird in Steinschnittlage bei 3:00 oder 9:00 Uhr, entfernt von der üblicherweise dorsal oder ventral liegenden Fissur, im Bereich des intersphinktären Sulkus am Unterrand des Schließmuskels eine kleine Inzision gelegt. Mit einer Schere erfolgt dann die Präparation sowohl des Intersphinktärraums als auch subkutan bis in Höhe der Linea dentata. Dann wird der Sphincter ani internus mit einem Scherenschlag bis in Höhe der Linea dentata gespalten. Hierdurch wird der Sphinkterspasmus durchbrochen. In gleicher Sitzung können wie bei der Dilatation des Analsphinkters eine störende Vorpostenfalte oder eine hypertrophe Analpapille sowie ausgeprägte Narbenbildungen im Bereich der Fissur entfernt werden. Die Einkerbung des Sphinkters im Bereich der Fissur als dorsale Sphinkterotomie hat sich jedoch nicht bewährt, da durch Ausbildung eines narbigen Grabens ein sog. Schlüssellochphänomen mit Stuhlschmieren entstehen kann. Die Operation kann in Allgemeinanästhesie, Regionalanästhesie und auch in seltenen Fällen in Lokalanästhesie durchgeführt werden.

ABB. 22.11

Laterale Sphinkterotomie nach Parks. Längsspaltung des unteren Drittels des M. sphincter ani internus. [ ]

Sowohl die Analsphinkterdilatation als auch die laterale Sphinkterotomie führen zu einem sehr schnellen Rückgang der Beschwerden und einer Heilung der chronischen Fissur innerhalb weniger Wochen in mehr als 90 %. Beiden Verfahren wird jedoch eine dauerhafte Schädigung des Schließmuskels in oft unterschätzter Häufigkeit angelastet. Die Inkontinenzrate für Winde wird mit 1–35 %, für Stuhl mit 1–11 % bei der lateralen Sphinkterotomie angegeben. Die Zahlen für die manuelle Sphinkterdilatation bewegen sich in gleicher Höhe. Trotz des Problems der dauerhaften Schwächung des Schließmuskels, das oft erst im Alter bei nachlassender Kraft des Schließmuskels verstärkt zum Tragen kommt, wird in einer Cochrane-Analyse die laterale Sphinkterotomie als Therapie der Wahl bei chronischer Analfissur angegeben. Wir persönlich neigen heute allerdings eher wieder zur vorsichtigen und kontrollierten manuellen Analsphinkterdilatation. Die hohen Raten an Kontinenzstörungen, die der Sphinkterdehnung angelastet werden, sind u. E. auf eine zu radikale Dehnung des Schließmuskels zurückzuführen. Etliche Autoren propagieren aber auf jeden Fall auch bei der chronischen Analfissur initial den Versuch einer konservativen Therapie mit 0,2-prozentiger Nitroglyzerin- oder Isosorbidnitratsalbe, die vom Apotheker leicht durch entsprechende Verdünnung der im Handel üblichen Salben hergestellt werden kann. Bei entsprechender Erfahrung stellt die Therapie mit Botulinustoxininjektion eine echte Alternative zur Operation dar, da sie vergleichbar schnell zu einer Schmerzreduktion führt und sehr gute Heilungsergebnisse ohne das Risiko einer dauerhaften Schließmuskelstörung erzielt.

22.7 Analfisteln und perianale Abszesse Perianale Abszesse und Analfisteln sind Ausdruck ein und derselben Erkrankung. Als Ursache ist eine Entzündung anzusehen, die von den Proktodealdrüsen ausgeht, die in Höhe der Linea dentata zwischen dem inneren und äußeren Schließmuskel liegen ( ). Von diesen rudimentären Duftdrüsen ziehen feine Drüsengänge durch den M. sphincter ani internus hindurch und münden im Bereich der Krypten in den Analkanal ein. Eine Entzündung dieser Drüsen bzw. Drüsengänge führt zur Ausbildung eines perianalen Abszesses, der entweder spontan perforiert oder operativ eröffnet wird, sodass die Verbindung von innen nach außen komplett ist. Als Folge entstehen Fistelgänge, die im Analkanal entspringen und durch den Schließmuskel nach außen zur Haut ziehen. Bei der Frau können sie auch in den Introitus vaginae oder in die Scheide einmünden.

ABB. 22.12

Klassifikation der Analfisteln nach Parks. [ ]

22.7.1 Klinik und Klassifikation

Perianale Abszesse sind durch eine schmerzhafte Schwellung und Rötung in der Analregion gekennzeichnet. Bei sehr tief liegenden Abszessen kann eine äußerlich sichtbare Rötung und Schwellung fehlen. Im Vordergrund stehen hier starke Schmerzen in der Tiefe des kleinen Beckens. Hohes Fieber ist eher selten. Häufiger bestehen subfebrile, oft auch normale Temperaturen. Bei Analfisteln findet sich äußerlich eine bis zu stricknadeldicke Öffnung in der Haut, mit verhärtetem, teilweise auch livide gefärbtem Hof. Aus der Fistelöffnung entleert sich spontan oder auf Druck eine geringe Menge eines trüben bis eitrigen Sekrets. Häufig heilen äußere Fistelöffnungen im Sinne einer Scheinheilung spontan ab, um nach Wochen oder Monaten wieder aufzubrechen oder die Entwicklung eines erneuten perianalen Abszesses zu induzieren. Auf diese Art und Weise kann von einer einzelnen inneren Fistelöffnung ausgehend ein fuchsbauartiges Fistelsystem mit mehreren äußeren Öffnungen entstehen, das unbehandelt im Laufe der Jahre zu einer narbigen Zerstörung des Schließmuskels führen kann. Aufbauend auf den Untersuchungen von Stelzner, entwickelte Parks in den 1970er-Jahren eine Klassifikation der Analfisteln, die noch heute unverändert gültig ist und die Beziehung des Fistelgangs zum Schließmuskel beschreibt ( ). Bei oberflächlichen subkutanen Fisteln zieht der Fistelgang von der inneren Fistelöffnung in Höhe der Linea dentata unter der Analhaut nach außen. Der Analsphinkter ist an dem Geschehen nicht beteiligt. Intersphinktäre Fisteln durchbohren, ausgehend von der inneren Fistelöffnung im Analkanal, den M. sphincter ani internus und ziehen zwischen dem inneren und äußeren Schließmuskel nach außen. Es handelt sich um den häufigsten Fisteltyp. Bei transsphinktären Fisteln durchbohrt der Fistelgang, ausgehend von der inneren Fistelöffnung im Analkanal, sowohl den inneren als auch den äußeren Schließmuskel und zieht durch die Fossa ischiorectalis nach außen. Bei einer suprasphinktären Fistel zieht der Fistelgang von der inneren Fistelöffnung durch den inneren Schließmuskel und dann zwischen innerem und äußerem Schließmuskel nach proximal um die oberen Anteile des Schließmuskels herum, um dann außen wieder nach unten in die Fossa ischiorectalis und zur Haut zu ziehen. Extrasphinktäre Fisteln (transrektale Fisteln) entspringen im Rektum oberhalb des Analkanals. Von dieser hohen Fistelöffnung aus zieht der Fistelgang durch den M. levator ani und die Fossa ischiorectalis hindurch nach außen oder als rektovaginale Fistel in die Scheide. Es handelt sich hier nicht mehr im eigentlichen Sinne um eine Analfistel, sondern um eine Rektumfistel, die nur selten als Komplikation einer nach proximal ziehenden Analfistel entsteht. Häufiger entstehen transrektale oder rektovaginale Fisteln iatrogen nach chirurgischen oder auch gynäkologischen Eingriffen. Eine andere wichtige Ursache sind tief greifende Ulzerationen im Rektum, z. B. beim Morbus Crohn oder nach einer Strahlentherapie.

22.7.2 Diagnostik Bei der Inspektion der Analregion achten wir auf Schwellungen und Rötungen sowie äußerlich sichtbare Fistelöffnungen. Palpatorisch lassen sich Verhärtungen sowie fluktuierende Resistenzen bei Abszessen tasten. Die Inspektion und Palpation soll nicht nur die unmittelbare perianale Region, sondern auch die gluteale Region mit Einschluss der Labien, des Skrotalansatzes und der Innenseite der Oberschenkel umfassen. Als Proktologe soll man sich auch nicht scheuen, bei Frauen eine vaginale Untersuchung durchzuführen, um entzündliche Schwellungen oder Verhärtungen zwischen Anus und Introitus vaginae oder dem Rektum und der Scheidenhinterwand zu tasten. Bei starken Schmerzen im Beckenbodenbereich, verbunden mit subfebrilen Temperaturen oder Fieber, muss an einen tief liegenden Abszess gedacht werden, der bei der klinischen Untersuchung leicht übersehen werden kann. Unbehandelt können solche tief liegenden Abszesse schwere septische Komplikationen verursachen. Zur sicheren diagnostischen Abklärung haben sich sowohl die endorektale Sonografie als auch die MRT oder CT des kleinen Beckens bewährt. Die anatomiegerechte chirurgische Behandlung von Analfisteln setzt genaue Kenntnisse des Fistelverlaufs in Beziehung zum Schließmuskel voraus, da anderenfalls bei zu radikaler Operation eine dauerhafte schwerwiegende Schließmuskelschädigung droht. Als nach wie vor wichtigste Untersuchung hat sich hier die invasive proktologische Untersuchung in Narkose erwiesen. Hierbei werden die Fistelgänge vorsichtig sondiert, um einerseits innere Fistelöffnungen zu finden, andererseits jedoch keinen falschen Weg zu bahnen. Hilfreich ist oft auch eine Anfärbung des Fistelgangs mit Farbstoff (z. B. verdünnte Methylenblaulösung), die mittels einer Knopfsonde in das Fistelsystem injiziert wird. Auf diese Art und Weise können auch kleine, mit einer Sonde nicht direkt aufspürbare Fistelöffnungen im Inneren des Analkanals nachgewiesen werden. Auch eine endorektale Sonografie und eine MRT des distalen Rektums und Anus können bei der Beurteilung der Ausdehnung eines Fistelsystems sehr hilfreich sein. Die einfache Röntgendarstellung des Fistelsystems mit Kontrastmittelinjektion ist dagegen wenig hilfreich, da die Beziehung zum Schließmuskel auf diesen Aufnahmen nicht erkennbar ist.

22.7.3 Therapie Die wichtigste Maßnahme bei einem perianalen Abszess ist die Eröffnung des Abszesses nach außen, sodass der Eiter abfließen kann. Um einen guten Eiterabfluss zu erreichen und eine zu schnelle Heilung zu verhindern, sollte nicht nur eine Inzision, sondern auch eine Exzision eines Hautareals von ca. 3 cm 2 erfolgen. Wichtig ist, bei der Abszessabdeckelung einen ausreichenden Abstand vom Analkanal von mindestens 3 cm einzuhalten, um nicht von außen den Sphincter ani externus zu schädigen. Eine antibiotische Therapie ist nur erforderlich, wenn eine phlegmonöse entzündliche Begleitreaktion in der Nachbarschaft des Abszesses oder Fieber besteht. Im Rahmen dieser Notfalloperation führen wir auf jeden Fall eine Rektoskopie durch, um eine chronisch entzündliche Darmerkrankung mit Befall des Rektums zu erkennen. Weiterhin achten wir durch vorsichtiges Einsetzen des Analsperrers auf spontan sichtbare Fistelöffnungen mit Eiterentleerung im Analkanal. Eine weiter gehende Fistelsuche bei Vorliegen eines akuten Abszesses erfordert viel Erfahrung und birgt die Gefahr, dass im entzündlichen Gewebe sehr leicht ein falscher Gang gebohrt werden kann. Nur wenn eine Analfistel augenscheinlich erkennbar ist, legen wir eine locker geknotete ringförmige Fadendrainage aus einem monofilen, 1,3 mm starken Silikonzügel in Form eines doppelten Rings ein. Wichtig ist, dass die beiden Fadenringe locker liegen und bewusst nicht schneidend wirken. Die eigentliche Abszesshöhle wird locker tamponiert. Die Tamponade wird am nächsten Tag entfernt und die Abszesshöhle dann täglich mit Leitungswasser ausgeduscht. Weitere Tamponadeneinlagen sind sehr unangenehm und im Allgemeinen nicht erforderlich, wenn über dem Abszess ein ausreichend großes Hautsegment abgedeckelt wurde, sodass die äußere Öffnung nicht so schnell zuwächst. Bei der chirurgischen Behandlung von Analfisteln haben sich verschiedene Verfahren etabliert, die in Abhängigkeit vom anatomischen Verlauf eingesetzt werden. Angestrebt wird eine möglichst dauerhafte Heilung des Fistelleidens einerseits sowie eine möglichste geringe Einschränkung der Schließmuskelfunktion. Grundsätzlich gilt, dass jede Einkerbung von Teilen des Schließmuskels zu einer dauerhaften Funktionsstörung führen kann, die sich oft auch erst im höheren Lebensalter mit nachlassender Muskelkraft zeigt.

Nicht schneidende Fadendrainage Bei der nicht schneidenden Fadendrainage wird in den Fistelgang ein doppelter locker geknoteter Faden aus nichtresorbierbarem Nahtmaterial eingelegt. Wir verwenden einen 1,3 mm starken Silikonzügel, der von den Patienten sehr gut toleriert wird. Hierzu wird eine Knopfsonde durch die Analfistel von außen in den Analkanal vorgeschoben und der Faden oder Zügel direkt hinter dem Knopf der Sonde mit einem Knoten fest angeknotet und dann durch den Fistelgang hindurchgezogen. Dickere Sonden mit einem Öhr lassen sich oft nicht problemlos durch die Fistel hindurchschieben. Sie sind auch nicht erforderlich. Bei mehreren äußeren Fistelöffnungen werden mehrere Fäden eingelegt, die z. T. von einer äußeren Fistelöffnung zur anderen verlaufen können und damit die sekundären Fistelgänge drainieren. Teilweise werden aber auch von mehreren äußeren Fistelöffnungen aus die Fäden direkt durch die innere Öffnung gezogen. Ziel dieser Fadendrainagen ist eine Reinigung des Fistelsystems entlang der Fäden, die einen leichten Abfluss des eitrigen Sekrets nach außen ermöglichen. So wird verhindert, dass durch unzureichenden Sekretabfluss oder eine äußere Scheinheilung in der Tiefe erneute Abszesse entstehen, die die Entstehung eines fuchsbauartigen Fistelsystems mit Gefahr der Sphinkterdestruktion begünstigen. Die Fadendrainagen dienen in unserem Konzept als Vorbereitung für einen definitiven Fistelverschluss in einer weiteren Sitzung. Sie liegen Wochen bis Monate, bis sich die akute Entzündungssituation zurückgebildet hat. Die früher teilweise angewendete schneidende Fadendrainage, bei welcher der Faden unter ständiger Anspannung mittels eines Gummizuges gehalten wurde, ist heute als Therapie verlassen. Die Annahme, dass auch bei sehr hohen suprasphinktären Analfisteln durch das langsame Durchschneiden der Fistel eine Inkontinenz vermieden werden könne, da der Schließmuskel bei langsamem Durchschneiden direkt dahinter wieder verheilen kann, hat sich nicht bestätigt.

Fistelspaltung Bei der klassischen Fistelspaltung wird die Analfistel mit einer Sonde aufgefädelt und durch Spaltung des Gewebes über der Sonde der Fistelgang vollständig freigelegt. Der mit Granulationsgewebe ausgefüllte Fistelgang wird mit einem scharfen Löffel ausgekratzt. Ein Ausschneiden des Granulationsgewebes ist nicht erforderlich. Insbesondere im Bereich des Schließmuskels führt eine Ausschneidung des Granulationsgewebes zu einer Zunahme der Schließmuskelschädigung, sodass sie hier auf jeden Fall kontraindiziert ist. Die Wundränder werden ggf. etwas beschnitten, um einen an der Oberfläche breiten Wundrand zu erzielen.

Fistelverschluss Beim plastischen Fistelverschluss wird der äußere subkutan oder in der Fossa ischiorectalis liegende Anteil des Fistelganges bis an den Sphincter ani externus heran von außen sorgfältig exzidiert. Der durch den Schließmuskel hindurchziehende Fistelgang wird mit einem scharfen Löffel exkochleiert. Das Anoderm

bzw. die Mukosa im Bereich der inneren Fistelöffnung wird entfernt. Von der Innenseite im Bereich des Sphincter ani internus wird die dann im Schnitt ca. bleistiftdicke Öffnung mit 2–3 quer verlaufenden Nähten mit resorbierbarem Nahtmaterial verschlossen. Diese Nahtreihe wird mit einem breiten Lappen abgedeckt, der von proximal über diese Nahtreihe hinweg nach unten gezogen und mit Anoderm vernäht wird. Dieser Lappen kann entweder die Mukosa und Submukosa oder zusätzlich die inneren Schichten der Rektummuskulatur umfassen. Bei der Hebung des Mukosa-Muskel-Lappens gehen wir oberhalb des Sphincter ani internus in die untere Rektummuskulatur ein, sodass eine Schwächung des inneren Schließmuskels im oberen Analkanal vermieden wird. Dieser U-förmige Lappen sollte eine möglichst breite Basis aufweisen, damit die innere ehemalige Fistelöffnung weit abgedeckt wird und der Lappen optimal durchblutet ist ( ). Wenn es aufgrund narbiger oder entzündlicher Veränderungen im unteren Rektum nicht möglich ist, einen guten Mukosa- oder MukosaMuskel-Lappen zu gewinnen, kann alternativ auch von außen ein Anodermlappen aus dem unteren Anoderm und der perianalen Haut gewonnen und eingeschlagen werden ( ).

Plastischer Analfistelverschluss mit einem Mukosa- oder Mukosa-Muskel-Lappen (advancement flap). a) Der breitbasige U-Lappen besteht aus Mukosa und Submukosa oder umfasst zusätzlich die inneren Schichten der Rektummuskulatur. b) Die Öffnung im Bereich des Sphincter ani internus wird nach Exkochleation des Fistelgangs mit 2–3 resorbierbaren atraumatischen, quer zur Faserrichtung gestochenen Nähten verschlossen. c) Der Lappen wird über diese Nahtreihe nach distal gezogen und mit dem Anoderm vernäht. Die äußere Öffnung bleibt zur Wunddrainage offen. [ ] ABB. 22.13

Plastischer Analfistelverschluss mit einer anokutanen Lappenplastik bei anovaginaler Fistel. a) Statt des inneren Mukosalappens wird außen ein breiter anokutaner Lappen gehoben und in den Analkanal eingeschlagen. b) Nach Exkochleation des Fistelganges wird die Öffnung im Bereich des Sphincter ani internus mit 2–3 resorbierbaren atraumatischen, quer zur Faserrichtung gestochenen Nähten verschlossen. c) Der Lappen wird in den Analkanal eingeschlagen, über diese Nahtreihe hinweg gezogen und im oberen Analkanal mit der Rektummukosa vernäht. Die äußere Öffnung bleibt zur Wunddrainage offen. [ ] ABB. 22.14

In den letzten Jahren wurden zwei neue Verfahren in die Behandlung von Analfisteln eingeführt:

• Anale Fistel-Plugs unterschiedlicher Materialen • OTSC-Clip (OTSC = over the scope clipping system) Die Fistel- Plugs bestehen aus speziell aufbereitetem Schweinedarmkollagen oder aus einem synthetischen Vlies. Zur Einlage eines Fistel-Plugs wird der Fistelgang nur gesäubert, z. B. mit einer kleinen festen Fistelbürste, und der Plug dann von innen nach außen in den Fistelkanal hineingezogen. Während ein alternativer Fistel-Plug mit einer in Achtertour gestochenen Naht am Sphincter ani internus fixiert wird, wird ein anderer Plug nach Nahtfixation (resorbierbares Nahtmaterial) mit einer kleinen Mukosalappenplastik abgedeckt. In das Gewebegerüst wächst dann körpereigenes Bindegewebe ein. Das Fremdgewebe wird resorbiert. In der Literatur werden Heilungsraten von fast 60 % und mehr beschrieben. Der OTSC- Clip ( ), ursprünglich für den endoskopischen Verschluss von Anastomosenleckagen, Perforationen und Blutungen im Gastrointestinaltrakt konzipiert, wurde jetzt auch für die Versorgung von Analfisteln weiterentwickelt. Auch bei dieser Methode wird die Analfistel nur mit einer straffen Fistelbürste gereinigt, die mit dem Applikationsset geliefert wird. Anschließend wird die innere Öffnung im Bereich des Sphincter ani internus mit 2 über Kreuz gestochenen Haltefäden gefasst und angehoben. Der Clip wird mit dem speziellen Applikationsset über die mit den Haltefäden in das Gerät hineingezogene Muskulatur appliziert und damit die Fistelöffnung verschlossen. Die Applikation im Bereich des sensiblen Anoderms kann postoperativ schmerzhaft sein, deshalb wird das Anoderm ca. 1 cm um die innere Öffnung entfernt. Bei Clip-Applikation im Bereich der unsensiblen Mukosa ist die Entfernung nicht nötig. Beim Verschluss der inneren Fistelöffnung mit einfachen Nähten lockern sich diese aufgrund nachlassender Gewebespannung innerhalb weniger Tage. Der spezielle Metallclip spannt jedoch nach. Langzeitergebnisse mit dieser neuen Methode liegen bisher allerdings noch nicht vor.

Perianale Clip-Applikation des OTSC-Clips. a) OTSC-Applikator. b) Metallclip. c) Operativer Situs mit OTSC-Clip. [ ] ABB. 22.15

Spaltung versus Verschluss Eine alte, auch heute immer noch in Proktologenkreisen zu hörende Regel besagt, dass der innere und auch der äußere Schließmuskel bis in Höhe der Linea dentata ohne größere Kontinenzstörungen durchtrennt werden können. Diese Regel hat sich in zahlreichen Untersuchungen nicht bewahrheitet. Schon die Spaltung des inneren Schließmuskels bis in Höhe der Linea dentata kann im Einzelfall eine Kontinenzstörung vor allem für flüssige Stühle bewirken. Das Risiko einer dauerhaften Kontinenzstörung steigt deutlich an, wenn der äußere Schließmuskel durchtrennt wird, auch wenn entsprechend der Regel die Spaltung nur die untere Hälfte des Schließmuskels betrifft. Die Anwendung der klassischen Fistelspaltung beschränken wir deshalb bei Ersttherapie auf subkutane, den Schließmuskel nicht tangierende oder untere intersphinktäre Analfisteln, die in Höhe der Linea dentata in den Analkanal einmünden, da das Risiko einer dauerhaften Schädigung bei Spaltung nur des inneren Schließmuskels im Bereich der unteren Hälfte tolerabel ist. Bei hohen intersphinktären und bei transsphinktären Fisteln würden wir primär immer erst ein den Schließmuskel schonendes Verfahren wählen. Erste Präferenz hat für uns aufgrund der Einfachheit der Applikation der OTSC-Clip, der sich auch bei vernarbtem Analkanal einsetzen lässt. Erst nach Versagen dieser Technik würden wir einen plastischen Fistelverschluss versuchen. Dieser ist allerdings mit einer Versagerquote (primäre Heilungsstörung der Naht bzw. Frührezidiv) von bis zu 30 % behaftet. Bei einer nur durch die unteren Anteile des inneren und äußeren Schließmuskels laufenden Fistel stehen wir dann vor der Entscheidung, eine klassische Fistelspaltung durchzuführen oder einen erneuten plastischen Fistelverschluss zu versuchen. Bei einem Fistelverlauf durch die oberen Anteile des Sphincter ani externus oder einer suprasphinktären Analfistel führt die klassische Fistelspaltung fast immer zu einer ausgeprägten Kontinenzstörung, sodass hier als Alternative nur der Versuch eines erneuten plastischen Fistelverschlusses verbleibt. Nur in sehr seltenen Fällen eines komplexen rezidivierenden Fistelsystems oder einer schweren begleitenden Proktitis ist eine passagere Stomaanlage erforderlich. Die Fadendrainage spielt in unserem Konzept eine wichtige Rolle für die Vorbereitung zur Fisteloperation, die v. a. bei der rekonstruktiven Technik möglichst unter optimalen Umständen durchgeführt werden sollte. Beim plastischen Fistelverschluss führen wir routinemäßig eine orthograde Darmlavage wie bei einer Kolonresektion und eine peri- und postoperative Antibiotikatherapie bis zum fünften postoperativen Tag durch. Dieses anatomiegerechte Konzept der Behandlung der Analfistel wurde in zahlreichen Studien durch erfahrene Proktologen entwickelt und in den letzten 10 Jahren zunehmend propagiert. Es wird sehr erfolgreich auch bei Patienten mit einem Morbus Crohn eingesetzt.

22.8 Hypertrophe Analpapille und Analfibrom Die Ursache für eine Hypertrophie von Analpapillen ist abgesehen von einer chronischen Analfissur unklar. Möglicherweise handelt es sich um lokale Reizzustände. Aus solchen hypertrophierten Analpapillen können Analfibrome bis zu Kirschgröße entstehen, die ähnlich wie Kolonpolypen z. T. auch gestielt sein können. Sie sind von sensiblem Anoderm bedeckt. Anders als Kolon- und Rektumpolypen besitzen sie keinerlei Entartungsrisiko. Die Abtragung kann durch das Proktoskop mit einer elektrischen Schlinge erfolgen. Da der Polyp jedoch aus dem sensiblen Anoderm entspringt, ist hierbei eine Unterspritzung mit einem Lokalanästhetikum erforderlich. Größere Analfibrome sollten in einer Kurznarkose unter Einsatz des Analsperrers an der Basis abgetragen werden. Die Wunde im Analkanal kann mit resorbierbarem Nahtmaterial genäht oder auch offen gelassen werden.

22.9 Condylomata acuminata Condylomata acuminata, auch Feigwarzen genannt, werden durch Low-Risk-humane Papillomaviren (HPV) Typ 6 und 11, selten auch durch andere HPVTypen hervorgerufen. Die Infektion und Übertragung des Virus erfolgt beim Sexualverkehr. Aber auch andere Übertragungswege, z. B. in der Sauna, beim gemeinsamen Baden und durch gemeinsam benutzte Handtücher, sind möglich. Patienten mit einer Immunschwäche sind stärker gefährdet.

22.9.1 Klinik Condylomata acuminata wachsen als einzelne, bis mehrere Millimeter große Warzen, meistens jedoch multipel ( ) oder rasenartig peri- und intraanal bis zur Linea dentata reichend. Selten können sie das Übergangsepithel oberhalb der Linea dentata befallen. Häufig finden sich gleichzeitig auch Kondylome in der Vulva oder am Penis. Bei Nachweis von perianalen Kondylomen muss deshalb auch die Genitalregion gründlich mit untersucht werden.

ABB. 22.16

Perianale Condylomata acuminata. [ ]

22.9.2 Therapie Die Abtragung erfolgt im Allgemeinen in Vollnarkose. Einzelne Kondylome können auch in Lokalanästhesie entfernt werden. Als Vorbereitung reichen salinische Klysmen kurz vor der Operation aus. Die Kondylome werden mit einer Pinzette gefasst und durch oberflächliche Elektrokoagulation entfernt. Hierdurch kommt es zur Zerstörung der auf die Epidermis beschränkten Kondylome mit Ausbildung einer Epidermisschädigung wie bei einer zweitgradigen Verbrennung, die im Normalfall ohne wesentliche Narbenbildung abheilt. Alternativ können Kondylome auch mit gutem Erfolg durch den Laser behandelt werden. Die früher übliche Behandlung mit Podophyllinlösung ist dagegen nur selten erfolgreich und bei Langzeitanwendung mit dem Risiko der Karzinominduktion behaftet. Um einen Befall des Analkanals und sehr selten auch des unteren Rektums sicher zu erkennen, muss bei der Operation auf jeden Fall ein Analsperrer eingesetzt und eine Rektoskopie durchgeführt werden. Kondylome neigen zu Rezidiven. Häufigste Ursache ist, dass bei der Ersttherapie kleinste Wärzchen, v. a. bei ausgedehntem rasenartigem Befall, belassen werden. In den ersten drei Monaten nach der Operation führen wir deshalb alle 3–4 Wochen eine Kontrolluntersuchung mit konsequenter Entfernung aller dann entdeckten kleinen Wärzchen durch. Auf diese Weise sind fast alle Patienten nach 3–4 Sitzungen kondylomfrei. Wichtig ist aber auch, dass der Sexualpartner auf Kondylombefall untersucht und behandelt wird, um eine Reinfektion zu vermeiden. Unbehandelt können Kondylome z. T. ein groteskes Ausmaß erreichen (Buschke-Löwenstein- Tumor) ( ) und im Einzelfall auch maligne entarten.

ABB. 22.17

Massiv wuchernde peri- und intraanale Condylomata acuminata (Buschke-Löwenstein-Tumor). [ ]

22.10 Anale intraepitheliale (AIN) und perianale intraepitheliale Neoplasien (PAIN), Morbus Paget Die Begriffe AIN und PAIN ersetzen die alten Krankheitsgbegriffe „Morbus Bowen“ und „bowenoide Papulose“ sowie „Leukoplakie“. Unterschieden werden nach der histomorphologischen Klassifikation die AIN/AINP I mit leichten Dysplasien im unteren Epidermisdrittel, die AIN/PAIN II mit mittelgradiger Dysplasie in der unteren und mittleren Epidermis sowie die AIN III mit hochgradigen Dysplasien in der gesamten Epidermis. Ursächlich spielen humane onkogene Papillomaviren eine wichtige Rolle. Bei einer AIN/PAIN Typ I und Typ II sind es überwiegend die mit einem geringeren Risiko behafteten HPV 6 und 11, bei der AIN/PAIN III die Typen 16, 18 und 58. Die Übertragung der Viren erfolgt häufig durch Sexualverkehr. Patienten mit supprimiertem Immunsystem sind häufiger betroffen. Beim extramammären Morbus Paget handelt es sich um ein Carcinoma in situ eines intraepidermal wachsenden Adenokarzinoms der apokrinen Schweißdrüsen. Es stellt eine obligate Präkanzerose dar. Betroffen sind überwiegend ältere Frauen, sehr selten Männer.

22.10.1 Klinik und Diagnostik Bei der AIN/PAIN Typ I und II zeigen sich flach erhabene, scharf begrenzte grau-braune bis braun-rötliche Papeln, die wenig Beschwerden verursachen. Die AIN/PAIN III manifestiert sich als unregelmäßig begrenzte, schwach bräunlich pigmentierte Läsion, selten schuppend oder nässend, teilweise mit Ulzerationen ( ), teils als solitäre, teils auch als multiple Läsion.

ABB. 22.18

PAIN mit umschriebener Ulzeration. [ ]

Der Morbus Paget ist scharf begrenzt, bräunlich livide, schuppend, nässend und selten erodiert. Zur Diagnostik der AIN/PAIN oder eines Morbus Paget ist immer eine histologische Untersuchung erforderlich. Der Morbus Paget kann auch mit einem Rektumkarzinom kombiniert sein, sodass auf jeden Fall eine Rektoskopie durchgeführt werden sollte. Grundsätzlich gilt, dass bei allen chronischen asymmetrischen perianalen und intraanalen Ekzemen und Papeln durch eine Probeexzision eine AIN/PAIN oder ein Morbus Paget ausgeschlossen werden sollte, besonders wenn sie bräunlich livide gefärbt sind.

22.10.2 Therapie Im langfristigen Verlauf können sich bei der AIN/PAIN I und II die Papeln weiter ausdehnen, teilweise sind jedoch auch Spontanheilungen möglich. Eine maligne Entartung ist nicht zu erwarten. Therapeutisch kann konservativ mit Imiquimod-Creme oder Fluorouracilsalbe behandelt oder die Läsion mittels Elektrokaustik zerstört werden. Bei der AIN/PAIN III und beim Morbus Paget besteht bei unbehandeltem chronischem Verlauf das Risiko einer malignen Transformation in ein invasives Karzinom. Die Therapie besteht wie auch beim Morbus Paget in einer radikalen Exzision der verdächtigen Veränderung mit histologischer Sicherung der Tumorfreiheit der Exzisionsränder ( ). Der Eingriff erfolgt entweder in Allgemein- oder in Regionalanästhesie. Kleinere Defekte können primär genäht oder der Sekundärheilung überlassen werden. Bei größeren Defekten erfolgt die plastische Deckung ( ).

ABB. 22.19

Therapie der PAIN: radikale Exzision des Prozesses im Gesunden. [ ]

ABB. 22.20

Decken des Defekts nach radikaler Exzision der PAIN mit einer VY-Plastik. [ ]

Die Prognose ist bei rechtzeitiger Therapie gut. Wenn jedoch bereits ein Übergang in ein Karzinom erfolgt ist, entspricht die Prognose der AIN/PAIN III derjenigen des Analkarzinoms (s. u.). Bei Paget-Karzinomen findet sich häufig eine frühzeitige lymphogene Metastasierung mit entsprechend schlechterer Prognose. Der lymphogene Metastasierungsweg erfolgt hier wie beim Analkarzinom in erster Linie über die Leistenlymphknoten.

22.11 Analkarzinom Analkarzinome sind im Vergleich zu den kolorektalen Karzinomen relativ selten. Der Anteil macht nur 1–2 % der kolorektalen Karzinome aus. Betroffen sind überwiegend ältere Patienten ab dem 60. Lebensjahr. Bei Immunschwäche und Vorliegen von Präkanzerosen treten sie jedoch auch bei jüngeren Patienten auf. Es handelt sich überwiegend um Plattenepithelkarzinome, die vom Anoderm oder von der Haut am Analrand ausgehen. Selten handelt es sich auch um kloakogene Karzinome, die sich durch maligne Entartungen im Bereich der Proktodealdrüsen entwickeln. Bei Vorliegen eines typischen Adenokarzinoms muss auch an ein sehr tief sitzendes Rektumkarzinom gedacht werden. Als Präkanzerosen gelten die anale intraepitheliale Neoplasie Grad III (AIN/PAIN), Condylomata acuminata und der Morbus Paget. Bei Patienten mit Analkarzinomen ohne Kondylome in der Vorgeschichte finden sich gehäuft erhöhte Titer für Herpes-simplex- oder Chlamydien-Infektionen. Weitere Risikofaktoren sind eine vorangegangene Radiatio, chronische Analfisteln und das Rauchen.

22.11.1 Klinik und Diagnostik Analkarzinome manifestieren sich als derbe, teilweise ulzerierende Tumoren im Analkanal oder am Analrand ( ). Anfangs werden sie manchmal fälschlicherweise für Marisken gehalten. Der Altersgipfel liegt in der fünften Lebensdekade. In 15 % sind zum Zeitpunkt der Erstdiagnose bereits die inguinalen Lymphknoten befallen.

ABB. 22.21

Analrandkarzinom. [ ]

Die Untersuchung der Leistenlymphknoten ist deshalb vor Therapiebeginn obligat. Vor Beginn einer Therapie ist auf jeden Fall eine histologische Sicherung erforderlich.

22.11.2 Therapie Kleinere, am Analrand gelegene Tumoren können vollständig im Gesunden exzidiert und der Defekt mit primärer Naht versorgt werden. Anschließend erfolgt eine adjuvante Radio-/Chemotherapie. In allen anderen Fällen erfolgt nach histologischer Sicherung durch eine umschriebene Probeexzision eine kombinierte Radio-/ Chemotherapie, die vor allem bei fortgeschrittenen Tumoren der alleinigen Radiotherapie deutlich überlegen ist. In über 60 % kann den Patienten bei diesem Vorgehen ein Anus praeter bei gleich guten Heilungsaussichten erspart werden. Am Ende der Radio-/Chemotherapie erfolgen kurzfristige Kontrolluntersuchungen. Falls der geringste Verdacht für Tumorresiduen besteht, wird eine entsprechende Schnittbiopsie in Narkose entnommen. Nur wenn dann noch vitale Tumorreste nachweisbar sind, ist die Rektumexstirpation indiziert. Bei Verdacht auf Befall der Leistenlymphknoten wird die entsprechende Inguinalregion in die Bestrahlung mit einbezogen. Dieses Therapiekonzept beim Analkarzinom wurde in zahlreichen klinischen Studien überprüft und ist in den Leitlinien der entsprechenden Fachverbände publiziert.

22.11.3 Prognose Die 5-Jahres-Überlebensrate liegt bei 45–85 %. Kleine, primär exzidierbare Tumoren haben eine deutlich bessere Prognose. Nach Abschluss der Behandlung

erfolgt eine geregelte fünfjährige Tumornachsorge. Besonderer Wert muss dabei auf die frühzeitige Erkennung eines Rezidivs gelegt werden. Bei Auftreten eines Rezidivs lässt sich die Rektumexstirpation in den meisten Fällen nicht mehr umgehen.

22.12 Malignes Melanom Bei 1–2 % der Malignome in der Analgegend handelt es sich um maligne Melanome, die auch in seltenen Fällen im unteren Rektum lokalisiert sein können. Die Therapie besteht in einer radikalen Exzision, ggf. auch in einer Rektumexstirpation. Nur bei Verdacht auf Befall der Leistenlymphknoten werden diese radikal ausgeräumt. Die Prognose der malignen analen oder im unteren Rektum gelegenen Melanome ist sehr schlecht.

22.13 Sexuell übertragbare anorektale Erkrankungen Die klassischen Geschlechtskrankheiten wie Syphilis, weicher Schanker und Gonorrhö können sich nicht nur im Genitalbereich, sondern auch im Analbereich manifestieren. Der syphilitische Primäreffekt stellt unter den sexuell übertragbaren Erkrankungen die sicher bekannteste Läsion am Anus dar. Er ist von derber Konsistenz und typischerweise solitär am anokutanen Übergang lokalisiert. Er kann sich jedoch auch in der Rektummukosa entwickeln. Im weiteren Verlauf ist er durch eine Ulzeration gekennzeichnet (Ulcus durum). Von der chronischen Analfissur lässt er sich durch die Indolenz und den fehlenden Sphinkterspasmus sowie die kurze Anamnese abgrenzen. Im Sekundärstadium können sich perianal Condylomata lata entwickeln, die hoch kontagiös sind und sich von Condylomata acuminata durch ihre breite Basis und die erodierte, nässende Oberfläche unterscheiden. D i e Gonorrhö weist bei Frauen und homosexuellen Männern häufig einen kombinierten Befall des Urogenitalsystems und des Anorektums auf. Im Analbereich verläuft sie als relativ symptomarme, häufig asymptomatische, milde Proktitis. Ca. 45 % der Patienten weisen einen schleimigen Ausfluss auf. Stärkere Symptome wie Schmerzen, eitriger Ausfluss oder Blutabgänge finden sich in weniger als 10 % der Fälle. Besonders im Zusammenhang mit HIV- Infektion sind jedoch auch andere Erreger als Ursache einer Proktitis in den Vordergrund gerückt. Zu nennen sind die Chlamydien, die eine ulzeröse und granulomatöse Proktitis ähnlich der Crohn-Proktitis hervorrufen. Oft verläuft sie in milder und abgeschwächter Form. D e r Herpes-simplex-Befall ist durch die typischen Bläschen charakterisiert. Bei der Erstmanifestation kann eine schwere Proktitis mit ausgeprägten Symptomen wie Tenesmen, rektalen Blutungen, Schmerzen und Fieber auftreten. Weitere Ursachen für eine infektiöse Proktitis können Mykoplasmen und Zytomegalieviren sein. Die hier beschriebenen infektiösen Proktitiden sind nicht an das Vorhandensein einer HIV-Infektion gebunden, verlaufen aber bei diesen Patienten aufgrund der Immunschwäche häufig besonders schwer. Bei jeder schweren chronischen Proktitis sollte deshalb durch entsprechende mikrobiologische und virologische Untersuchungen nach einer infektiösen Ursache geforscht und im Einverständnis mit dem Patienten ein HIV-Test durchgeführt werden. Bei HIV-Patienten können auch hämorrhagisch-ulzeröse Veränderungen der Rektumschleimhaut, oft kombiniert mit periproktitischen Abszessen, als opportunistische Infektionen durch Keime der Darmflora bei reduziertem Immunstatus auftreten.

22.14 Perianales Ekzem Die Ursachen eines perianalen Ekzems sind vielschichtig. Es kann durch Hämorrhoiden, Marisken, unzureichende Analtoilette beim Trichteranus, Psoriasis, Candidose, Mykosen, Helminthosen, allergisch-toxisch oder durch dermatologische Erkrankungen bedingt sein. Entsprechend den vielschichtigen Ursachen ist das Erscheinungsbild des perianalen Ekzems sehr unterschiedlich.

22.14.1 Klinik und Diagnostik Im Allgemeinen fällt das perianale Ekzem als nässendes, juckendes, infiltriertes, meist scharf begrenztes Erythem ins Auge. Häufig bestehen Rhagaden oder oberflächliche Erosionen. Die Diagnostik erfolgt durch Anamnese und Inspektion. Es schließt sich eine intensive Ursachensuche, ggf. einschließlich mykologischer und parasitologischer Diagnostik, an.

22.14.2 Therapie Bei bekannter Ursache besteht die Behandlung in der Therapie der auslösenden Erkrankung, z. B. in stadiengerechter Therapie eines Hämorrhoidalleidens, schonender sorgfältiger Analtoilette bei Marisken oder Trichteranus oder in der Behandlung einer Candidamykose mit entsprechenden Antimykotika. Ein eventuell gleichzeitiger Befall der Scheide ist zu beachten. Leichte Ekzeme können primär mit einer abdeckenden Fettcreme behandelt werden. Bei schweren oder chronischen Ekzemen, die nach Therapie der vermeintlichen Ursache nicht abheilen, sollte ein Dermatologe hinzugezogen werden. Eine Applikation kortikoidhaltiger Salben über 14 Tage sollte in der Regel nur auf dermatologische Anordnung erfolgen. Jedes asymmetrische, nichtheilende Ekzem muss zum Ausschluss einer AIN/PAIN oder eines Morbus Paget biopsiert werden!

22.15 Pruritus ani Die Analregion ist als hochsensible Hautregion durch die trichterförmige Anatomie, die Hautfalten und die Nähe zu Darm und Vagina eine Prädilektionsstelle für Pruritus. Pruritus ani ist ein häufiges Symptom verschiedenster Erkrankungen ( ). Durch Kratzen wird die Haut geschädigt und die natürliche Barriere gegen Pilze und Bakterien geht verloren. Der Weg für eine mikrobielle Besiedlung ist frei.

Tab. 22.1 Ursachen des Pruritus ani. • Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen • Rektumprolaps • Hämorrhoidalleiden • Inkontinenz • Marisken • Fisteln • Fissuren • Fluor vaginalis • Crauroris vulvae • Oxyuriaris • Parasiten • Skabies • Mykosen • Herpes genitalis • Allergische Diathese • Kontaktdermatitis • Medikamente • Diabetes mellitus

22.15.1 Klinik und Diagnostik Klinisch besteht ein oft quälender Juckreiz. Infolge von Kratzartefakten und sekundärer mikrobieller Besiedlung finden sich häufig ein perianales Ekzem mit Nässen, Rötungen und Rhagaden sowie eine Lichenifizierung. Ähnlich wie beim perianalen Ekzem müssen eine subtile Anamnese, eine Abklärung von proktologischen Erkrankungen als Ursachen der Beschwerden sowie mykologische, bakteriologische und parasitologische Untersuchungen durchgeführt und eventuelle allergische Reaktionen abgeklärt werden. Auch hierbei empfiehlt sich frühzeitig die Hinzuziehung eines erfahrenen Dermatologen.

22.15.2 Therapie Wenn eine Ursache für den Pruritus ani gefunden wurde, steht die Behandlung der Grunderkrankung im Vordergrund. Zusätzlich führen wir lindernde Maßnahmen durch. Diese umfassen eine subtile Analhygiene, eventuell lindernde Sitzbäder, trocknende und gerbende Puder (Tannolact ® -Puder) oder antiallergisch wirkende Puder oder Salben. Bei bakterieller oder mykotischer Superinfektion sollten antibiotika- oder antimykotikahaltige Salben zur Anwendung kommen. Bei sehr trockener Haut können Fettsalben allein ausreichend sein.

22.16 Anale Schmerzsyndrome (Proctalgia fugax und Kokzygodynie) Die Proctalgia fugax, auch anorektale Neuralgie oder bei nächtlichem Auftreten Proctalgia nocturna genannt, ist ein sehr schmerzhaftes, den Patienten stark beeinträchtigendes Leiden. Die Ätiologie ist unklar. Es werden Gefäßspasmen in Verbindung mit Migräne sowie plötzliche Verkrampfungen der Beckenbodenmuskulatur diskutiert. Klinisch bestehen bei der Proctalgia fugax schlagartig einschießende krampfartige oder als Druckgefühl empfundene Schmerzen, die häufig nach Wechsel der Körperlage sistieren und von kurzer Dauer (wenige Sekunden bis Minuten) sind. Gleichzeitig finden sich gehäuft Stuhldrang, Schwitzen, Übelkeit, Brechreiz, Schweißbildung bis hin zur orthostatischen Dysregulation. Die Beschwerden treten bei Frauen häufiger auf. Die Diagnose wird durch die Anamnese und durch Ausschluss organischer proktologischer Erkrankungen gestellt. Differenzialdiagnostisch kommen eine Kokzygodynie, ein Kaudasyndrom, starke Schmerzen bei Herpes zoster, Analfissur, Perianalthrombose, Kryptitis, Abszesse und eine Tabes dorsalis infrage. Bei sehr kurzer Dauer der Beschwerden kommt die Einnahme von Spasmolytika oder Neuroleptika im Allgemeinen zu spät. Bei Wirkungseintritt dieser Substanzen sind die Beschwerden meist schon spontan abgeklungen. Gelegentlich hat die sublinguale Applikation von Nitropräparaten einen schnellen günstigen Effekt. Abends verabreichte Sedativa können bei nächtlichen Anfällen die Anfallsbereitschaft senken. Physikalische Maßnahmen (feuchte Wärme) sowie Druckeinwirkungen auf den Damm, das Einführen des Fingers in den After und die Auslösung der Defäkation können die Beschwerden erleichtern. Die Kokzygodynie beschreibt eine außergewöhnliche Schmerzhaftigkeit des Steißbeins. Bei der klinischen Untersuchung lässt sich der Schmerz oft durch rektal digitale Manipulation des Steißbeins provozieren. Die Ursachen sind unklar. Oft wird ein Sturzereignis auf das Steißbein angeschuldigt. Andere diskutierte Ursachen sind eine Insertionstendinopathie des M. coccygeus oder eine Neuralgie des Plexus sacralis. Psychogene Komponenten können mit eine Rolle spielen. Die Therapie ist symptomatisch mit Analgetika und Antiphlogistika. In Einzelfällen kann auch eine lokale Injektionsbehandlung mit lang wirkenden Lokalanästhetika versucht werden. Die operative Entfernung des Steißbeins bessert im Allgemeinen die Beschwerden nicht.

22.17 Anale Verletzungen Traumatische Schädigungen des Anus und Rektums sind seltene Ereignisse. Am häufigsten ist eine Schädigung bei der Geburt als Dammriss Grad III (partielle oder komplette Ruptur des Analsphinkters) oder Grad IV (komplette Ruptur des Sphinkters einschließlich der Analhaut bzw. Rektummukosa), die bei 1–5 % aller vaginalen Entbindungen beobachtet wird. Als begünstigende Faktoren werden eine Erstgeburt, eine Zangengeburt, eine Vorder- oder Hinterhauptslage und ein hohes Geburtsgewicht des Kindes sowie eine mediane Episiotomie angesehen. Traumatische Verletzungen des Analkanals können aber auch in Einzelfällen beim Analverkehr (bei Kindern immer auch an Kindesmissbrauch denken) auftreten. Sehr selten sind unfallbedingte Pfählungsverletzungen.

22.17.1 Klinik und Diagnostik Führende Symptome sind starke Schmerzen und Blutungen. Bei perforierenden Verletzungen des Septum rectovaginale tritt Stuhl aus der Vagina. Kleinere Verletzungen lassen sich auch durch Luftinsufflation über ein Rektoskop mit nachweisbarem Luftaustritt aus der Scheide diagnostizieren. Der Dammriss Grad III und IV wird von dem Geburtshelfer bei der Geburt direkt gesehen. Die Therapie wird problematisch, wenn die Verletzung nicht sofort in ihrer Tragweite erkannt und primär versorgt wird. Deshalb sollte bei traumatischen Schädigungen im Anorektum praktisch immer eine Untersuchung in Narkose durchgeführt werden. Hierbei können offene Verletzungen direkt erkannt werden. Die endoluminale Sonografie ermöglicht darüber hinaus die Beurteilung die verschiedenen Schichten des Analsphinkters. Insbesondere bei Pfählungsverletzungen muss auf gleichzeitige Rektumverletzungen geachtet werden.

22.17.2 Therapie Die Therapie richtet sich nach den vorliegenden Verletzungen. Bei gleichzeitigen Verletzungen der Scheide und der Urethra sollten ein Gynäkologe und ein Urologe hinzugezogen werden. Zerreißungen des Schließmuskels sollten direkt mit atraumatischem, resorbierbarem Nahtmaterial Stärke 2/0 versorgt werden. Eine Unterscheidung zwischen Sphincter ani internus und externus ist nicht nötig. Wichtig ist jedoch bei einem Dammriss Grad IV oder vergleichbarer Pfählungsverletzung die korrekte Naht des Sphinkters und des Anoderms sowie der kompletten Rektumwand, um die Entwicklung einer rektovaginalen Fistel zu verhindern. Die primäre Versorgung eines Dammrisses im Rahmen eines Geburtstraumas erfolgt normalerweise durch den Gynäkologen. Pfählungsverletzungen sowie andere traumatische Schädigungen des Anorektums sollten möglichst notfallmäßig in Narkose versorgt werden. Die Notfallversorgung erfolgt im Allgemeinen durch den Viszeralchirurgen. Falls jedoch Heilungsstörungen auftreten, sollte die sekundäre Versorgung einer Sphinkterläsion in einer mit der Sphinkterrekonstruktion erfahrenen Spezialabteilung durchgeführt werden. Bei gleichzeitig vermuteter oder nachgewiesener Verletzung des Rektums oder bei ausgedehnter Sphinkterverletzung und nicht vorbereitetem Darm sollte von einer protektiven Stomaanlage zur Stuhlableitung großzügig Gebrauch gemacht werden. Als Komplikationen können lokale Infektionen mit Abszedierung und pararektaler phlegmonöser Entzündung (cave: übersehene Rektumperforation!) sowie ausgedehnte Blutungen ins kleine Becken auftreten. Peri- und postoperativ sollte für mindestens 5 Tage eine entsprechende antibiotische Therapie durchgeführt werden.

22.17.3 Prognose Bei entsprechender primärer Versorgung zeigen auch ausgedehnte Sphinkterverletzungen oft erstaunlich gute funktionelle Ergebnisse, die deutlich besser sind als bei Fällen, in denen primär nur ein Stoma angelegt und eine verspätete Sekundärversorgung in einer Spezialabteilung angestrebt wurde. Eine gleichzeitige Schädigung des N. pudendus, die vor allem bei schwierigen Geburten beobachtet wird, führt jedoch auch bei exakter Rekonstruktion des Schließmuskels zu deutlich schlechteren Ergebnissen. In der Nachbehandlung können muskuläre Defizite und Koordinationsstörungen durch krankengymnastische Schulung, Beckenbodengymnastik und Biofeedback-Training gebessert werden. Bei durch sexuelle Misshandlungen bedingten Verletzungen sollte eine supportive Psychotherapie frühzeitig eingeleitet werden.

22.18 Fremdkörper Anales Einführen von Fremdkörpern kann in übersteigertem Sauberkeitsverhalten, fehleingeschätzter Selbsttherapie einer Obstipation oder in einem Lustgewinn im Rahmen sexueller Handlungen begründet sein. Verwendung finden einzelne Fremdkörper oder Fremdkörpersysteme.

22.18.1 Klinik Die klinischen Beschwerden stehen in Abhängigkeit von der Größe und Tiefe des eingeführten Fremdkörpers. In den meisten Fällen stellt der Patient sich frühzeitig beim Arzt vor, wenn er den Fremdkörper nicht wieder bergen kann. Verletzungen im Analkanal führen häufig zu schmerzhaftem Sphinkterspasmus, Verletzungen der Rektumwand können zur Perforation mit ausgedehnten perirektalen Entzündungen führen, die sich in voller Ausprägung oft erst nach 24–48 Stunden manifestieren.

22.18.2 Diagnostik Die exakte Anamneseführung in ruhiger, offener Form ermöglicht dem Patienten die Darstellung der Handlungsabsichten und die Beschreibung des Corpus alienum. Kognitive Defizite und andere psychische Auffälligkeiten sollten ebenso wie rein chirurgische Daten beachtet werden. Nach der Inspektion der Analregion folgen die vorsichtige digitale Austastung und die Rektoskopie. Fremdkörper können sehr leicht über das Rektum hinaus ins Sigma vorwandern und bei der einfachen starren Rektoskopie übersehen werden. Falls der Fremdkörper rektoskopisch nicht geortet werden kann, sollte deshalb eine RöntgenÜbersicht des Abdomens unter Einschluss des kleinen Beckens durchgeführt werden, bei der röntgendichte Fremdkörper in Lage und Größe erkennbar sind. Bei höher sitzendem Fremdkörper ist eine flexible Endoskopie erforderlich.

22.18.3 Therapie Bei der Bergung noch vorhandener Fremdkörper sollte die Indikation zu einer Narkose großzügig gestellt werden, um dem Patienten schmerzhafte Manipulationen zu ersparen. Hierbei kann auch die oft bei der Bergung problematische Engstelle des Sphinkters durch Einsetzen eines Analsperrers aufgehoben werden. Zum Ausschluss von Perforationen sollte nach endoskopischer Fremdkörperbergung ggf. eine Abdomen-CT oder ein Kontrastmitteleinlauf mit wasserlöslichen Kontrastmitteln durchgeführt werden. In seltenen Fällen gelingt eine transanale oder endoskopische Bergung nicht, sodass laparotomiert werden muss. Bei Perforationen im unteren Rektum steht nach Fremdkörperentfernung primär die konservative Therapie mit Antibiotikabehandlung, in Abhängigkeit von der Ausprägung der Entzündung auch eine Stomaanlage im Vordergrund. Es kommen jedoch auch durchaus höher liegende Perforationen mit Gefahr einer Unterbauchperitonitis vor. Die Versorgung solcher Perforationen kann bei umschriebener Größe und frischer Verletzung heutzutage endoskopisch mit Spezialklammern (OTSC-Clip) erfolgen. Falls dies nicht gelingt oder eine größere oder bereits vereiterte Perforation vorliegt, ist dies immer eine Indikation zur operativen Versorgung entweder minimalinvasiv oder über eine Laparotomie.

22.19 Beckenbodendyssynergie (spastischer Beckenboden, Auslassobstruktion) Während der normalen Stuhlentleerung erschlaffen der Schließmuskel und die Beckenbodenmuskulatur. Der Analkanal öffnet sich und der Stuhl kann aus dem Rektum austreten. Bei manchen Personen fehlt jedoch diese reflektorische Erschlaffung des Beckenbodens. Im Gegenteil verkrampft sich bei der Defäkation die Beckenbodenmuskulatur (spastischer Beckenboden) und der Analsphinkter öffnet sich nicht.

22.19.1 Klinik und Diagnostik Die Patienten berichten über erhebliche Schwierigkeiten bei der Stuhlentleerung. Der Stuhl lässt sich nur durch lang anhaltendes und starkes Pressen entleeren, der Stuhlgang ist schwierig und schmerzhaft. Es besteht ein anhaltendes Gefühl der unvollständigen Stuhlentleerung und des Dranges zu pressen. Vielfach wird eine manuelle Ausräumung des Rektums mit dem Finger durchgeführt. In den meisten Fällen bestehen die Symptome schon über viele Jahre, verbunden mit einer chronischen Obstipation. Bei der Defäkografie kann nur eine geringe Menge des Kontrastmittels herausgepresst werden und der anorektale Winkel öffnet sich nicht. Dies ist ein Zeichen dafür, dass die Puborektalisschlinge nicht erschlafft. Das Ergebnis der defäkografischen Untersuchung wird durch eine Elektromyografie untermauert, bei der sich während der Entleerung eine Aktivitätszunahme im äußeren Schließmuskel nachweisen lässt, wie sie sonst nur bei bewusster Anspannung des Muskels auftritt. Eine Untersuchung der Kolontransitzeit mittels röntgendichter Marker zur Abklärung der chronischen Obstipation zeigt eine Häufung der Marker im Rektosigmoid als Hinweis für die Auslassobstruktion.

22.19.2 Therapie Es handelt sich um eine abnormale Funktion eines willkürlich steuerbaren Muskels. Ziel der Behandlung ist es, dass der Patient die Entspannung des Beckenbodens bei der Defäkation lernt. Hierbei haben sich Biofeedbackprogramme als sehr hilfreich erwiesen. Die Dilatation des Anus bringt ebenso wie eine operative Durchtrennung der Puborektalisschlinge nur einen kurzfristigen Effekt. Unbehandelt kann die Auslassobstruktion durch das über Jahre bis Jahrzehnte anhaltende lange und verstärkte Pressen die Entwicklung verschiedener

Folgeerkrankungen begünstigen, etwa eines Descensus perinei, eines solitären Rektumulkus und eines Rektumprolapses, aber auch die Entstehung einer Inkontinenz über eine Dehnungsschädigung des N. pudendus.

22.20 Rektummukosaprolaps Beim Rektummukosaprolaps stülpt sich eine Rektummukosafalte, die meistens an der Vorderwand gelegen ist, beim Pressen in den Analkanal vor.

22.20.1 Klinik und Diagnostik Hauptsymptome des Rektummukosaprolapses sind Blutungen, Schmerzen sowie das Gefühl der unvollständigen Stuhlentleerung mit anhaltendem Stuhldrang. Die Symptome können Hämorrhoidenbeschwerden sehr ähnlich sein. Die vorfallende Mukosa zeigt jedoch keine Gefäßfüllung. Bei der Untersuchung mit einem Proktoskop mit Geradeaussicht oder bei langsamem Einführen des starren Rektoskops mit Inspektion des Analkanals ist die in den Analkanal vorfallende Mukosafalte sichtbar. Manchmal stülpt sie sich auch beim Pressen von außen sichtbar bis in den unteren Teil des Analkanals vor.

22.20.2 Therapie In leichten Fällen führen wir eine Sklerosierungsbehandlung wie bei Hämorrhoiden durch, um eine narbige Fixierung und Schrumpfung der vorfallenden Mukosa zu erreichen. Bei einem ausgeprägten Mukosaprolaps empfiehlt sich die operative Resektion der überschüssigen Mukosa mit dem Hämorrhoidenstapler, als STARR-OP (Stapled Trans-Anal Rectum-Resection) oder transanal mit direkter Naht der Schleimhaut.

22.21 Solitäres Rektumulkus Es handelt sich hierbei um ein chronisches Ulkus im unteren bis mittleren Rektum, meistens an der Vorderwand gelegen, das nicht nur solitär vorkommen kann und sich von einem Tumor makroskopisch nicht unterscheidet. Insofern ist die Bezeichnung „solitäres Rektumulkus“ etwas irreführend. Als Ursache für das solitäre Rektumulkus wird heute ein okkulter partieller Prolaps der Rektumwand angesehen, der bei der Defäkation in den Analkanal hineingepresst wird. Viele Patienten mit einem solitären Rektumulkus leiden unter einem spastischen Beckenboden. Es handelt sich hierbei um eine funktionelle Fehlsteuerung, die durch eine fehlende Relaxation der Puborektalisschlinge und des äußeren Schließmuskels bei der Defäkation gekennzeichnet ist (Anismus, ). Infolge der Stuhlentleerung pressen diese Patienten lang anhaltend und stark beim Stuhlgang. Die Rektumwand wird in den Analkanal hineingepresst und beschädigt.

22.21.1 Klinik und Diagnostik Die Symptome des solitären Rektumulkus sind transanale Blutungen, Schleimabgänge, anorektale Schmerzen und manchmal auch Unterbauchkrämpfe. Vielfach berichten die Patienten über eine chronische Obstipation mit Erfordernis der Laxanzieneinnahme und Erleichterung der Stuhlentleerung durch Einführen des Fingers in den Analkanal. Beides ist jedoch nicht auf das solitäre Rektumulkus, sondern auf den spastischen Beckenboden zurückzuführen. Beim solitären Rektumulkus lässt sich digital schon ein umschriebener derber, oft einen Randwall aufweisender flacher Prozess tasten, überwiegend an der Vorderwand oder anterolateral, selten nach dorsal gelegen. Oft tastet sich der Prozess auch als flache polypoide Läsion. Rektoskopisch finden sich eine oder mehrere Ulzerationen mit derbem, teilweise gerötetem Randwall in 6–10 cm Höhe. Teilweise lassen sich keine Erosionen nachweisen, sondern es finden sich flache polypoide Läsionen der Mukosa. Häufig wird das solitäre Rektumulkus für ein ulzerierendes Karzinom gehalten. Gesichert wird die Diagnose durch eine Probeexzision mit dem histologischen Nachweis von fibromuskulären Einschlüssen.

22.21.2 Therapie Die konservative Therapie des solitären Rektumulkus besteht ähnlich wie beim Rektumprolaps in der Stuhlregulierung mit ballaststoffreicher Kost, Einnahme von Laxanzien und Vermeiden von übermäßigem Pressen beim Stuhlgang. Die lokale Applikation von Kortikosteroiden und 5-Aminosalicylsäure ist ohne therapeutischen Nutzen. Als Möglichkeiten der lokalen Therapie sind eine Sklerosierungsbehandlung oder eine transanale Exzision beschrieben. Bei ausgeprägtem spastischem Beckenboden sollte eine Biofeedback-Behandlung mit Erlernen der Schließmuskelrelaxation bei der Defäkation in Betracht gezogen werden. Falls die konservativen Maßnahmen in der Behandlung des Rektumulkus keine Besserung zeigen, behandeln wir die letztendlich durch einen inneren Rektumprolaps bedingte Problematik durch eine transabdominale Rektopexie. Um gezielt das Gleiten der Vorderwand auszuschalten, wird dabei auch bewusst die Vorderwand pexiert oder durch Einlegen eines Kunststoffnetzes eine narbige Fixation angestrebt.

22.22 Rektumprolaps Der Rektumprolaps ist gekennzeichnet durch einen zirkulären Vorfall des Mastdarms. Im Erwachsenenalter tritt er überwiegend bei Frauen auf. Vom Analprolaps unterscheidet sich der Rektumprolaps durch die zirkuläre Anordnung der Mukosafalten. Als Ursache des Rektumprolapses wird eine Lockerung des Aufhängeapparates des Rektums mit Gleiten der Rektumwand in den Analkanal beim Stuhlgang diskutiert (okkulter Prolaps). Dies bedingt ein Gefühl der unvollständigen Stuhlentleerung mit der Folge eines verstärkten Pressens, ein Phänomen, das über Jahre hinweg zum äußerlich sichtbaren Prolaps führt. Eine weitere Ursache kann langjähriges verstärktes Pressen bei chronischer Auslassobstruktion sein. Ein Zusammenhang mit Schwangerschaft und Geburt konnte nur in Einzelfällen bestätigt werden. Kinderlose Frauen weisen eine gleich hohe Häufigkeit auf wie Frauen mit Geburten. Auch die Kombination einer Gebärmuttersenkung und eines Rektumprolapses ist eher selten.

22.22.1 Klinik und Diagnostik Die Klinik des Rektumprolapses ist durch einen Vorfall des Mastdarms zunächst beim Pressen, später auch beim Stehen oder Laufen gekennzeichnet. Der Prolaps kann nur wenige cm bis in seltenen Fällen über 20 cm betragen. Gegenüber dem Hämorrhoidalprolaps zeichnet sich der frühe Rektumprolaps durch eine zirkuläre Anordnung der Schleimhaut aus. Anfangs gleitet er spontan zurück. Es kann aber auch die manuelle Reposition erforderlich werden. Der Rektumprolaps kann eine chronische Schleimhautschädigung mit Reizzuständen und Blutungen verursachen. Bei massivem Prolaps kann auch eine akute Inkarzeration mit Erfordernis eines Noteingriffs auftreten. Durch chronische Überdehnung des Schließmuskels wird eine Schließmuskelschädigung mit Inkontinenz hervorgerufen. Bei anamnestischem Hinweis lässt sich der Prolaps am besten durch anhaltendes Pressen über mehrere Minuten im Sitzen auf einer Toilette provozieren. Der okkulte Prolaps, z. B. als Ursache eines solitären Rektumulkus, lässt sich durch eine Defäkografie oder durch eine dynamische MRT des Beckenbodens nachweisen. Bei der Defäkografie wird ein breiiges Kontrastmittel in das Rektum und das untere Sigma eingeführt und der Defäkationsakt in physiologischer Haltung auf einer speziellen Toilette sitzend unter Durchleuchtung dargestellt. Hierbei lassen sich sowohl ein Gleiten von Rektumwandanteilen in den Analkanal als auch die Ausbildung von Rektozelen oder die fehlende Relaxation der Puborektalschlinge als Ausdruck eines spastischen Beckenbodens nachweisen. Bei der klinischen Untersuchung zeigt sich in fortgeschrittenen Fällen eine auffallende Erschlaffung des Analsphinkters. Typischerweise ist der Hämorrhoidalplexus oft komplett zurückgebildet.

22.22.2 Therapie Eine konservative Therapie ist nur im frühen Stadium des Prolapses gerechtfertigt. Im Vordergrund steht die Stuhlregulierung zur Erleichterung der Defäkation, um jegliches stärkere Pressen zu vermeiden. Insbesondere müssen längere Toilettensitzungen vermieden werden. Bei spontanem Prolaps des Rektums beim Laufen oder Stehen, Zeichen der Schleimhautirritation oder Zeichen einer beginnenden Stuhlinkontinenz ist die operative Therapie des Rektumprolapses indiziert. Hierfür stehen uns die abdominale Rektopexie mit oder ohne Sigmaresektion sowie als lokale Therapieverfahren die Straffung des Rektums mit

gleichzeitiger Mukosaresektion nach Rehn-Delorme und die präanale Resektion des vorgefallenen Darmsegments nach Altemeier zur Verfügung. Beim Einpflanzen eines Thiersch-Rings wird um den Schließmuskel herum ein Ring aus unterschiedlichem Material gelegt und der Analkanal auf Fingerdurchgängigkeit eingeengt. Früher wurde dabei ein einfacher oder doppelter Zerklagedraht eingesetzt. Dieses Verfahren hat sich jedoch nicht bewährt. Trotz Einengung des Analkanals kann es zu einem Vorfall des Rektums mit dann deutlich erhöhter Inkarzerationsgefahr kommen. Weiterhin besteht die Gefahr lokaler Druckulzerationen und Infektionen, sodass dieses Verfahren heute nicht mehr angewendet werden sollte.

Transabdominale Rektopexie Bei der transabdominalen Rektopexie ( ) wird von abdominal her das Rektum dargestellt. Üblicherweise findet sich als Zeichen einer Gleithernie im Beckenbodenbereich ein sehr tiefer, oft bis zum Beckenboden reichender Douglas-Raum. Das Rektum wird einschließlich des Mesorektums dorsal bis zum Beckenboden von der Präsakralfaszie abgelöst und ausgehülst. Die Paraproktien werden, wenn überhaupt, dann nur sehr sparsam, im oberen Bereich und sehr darmwandnah unter sorgfältiger Schonung des Plexus hypogastricus durchtrennt. Nach ventral hin wird das Peritoneum lyraförmig umschnitten, um den tiefen Douglas-Raum anzuheben. Das ausgehülste und gestreckte Rektum wird mit 2–3 nichtresorbierbaren Nähten am Promontorium und an der Präsakralfaszie fixiert. Die Nähte werden zum Rektum hin durch das Mesorektum gestochen. Das zur Mobilisation des Rektums pararektal links und rechts recht darmwandnah in Längsrichtung gespaltene Peritoneum wird angehoben und die Längsinzision zur Beckenwand hin quer vernäht. Dabei müssen die Ureteren dargestellt und sorgfältig geschont werden, damit sie nicht durch die Naht gefasst werden. Hierdurch wird der tiefe Douglas-Raum, der das Gleiten der Vorderwand begünstigt, deutlich angehoben. Die Naht des Beckenbodenperitoneums mit Anheben des Douglas-Raums wird jedoch nicht von allen Autoren propagiert.

Transabdominale Rektopexie nach Wells. a) Der mitsamt dem Mesorektum bis zum Beckenboden abgelöste Mastdarm wird mittels eines Netzes an der Präsakralfaszie fixiert. b) Der kaudale Rand des Netzes wird am Os coccygeum angeheftet (Inset). Mit 2–4 zusätzlichen Nähten wird das Netz in der Mittellinie der Präsakralfaszie angeheftet. Das gestreckte Rektum wird in die nach ventral offene Netzschlinge gelegt. Maximale Umschlingung 80 %. Anheften des Netzes an die medial-laterale Wand des Rektums links und rechts. [ ] ABB. 22.22

Die Mobilisation des Rektums bis zum Beckenboden und die Anhebung des Beckenbodens bewirken eine narbige Fixation des Rektums, die ein erneutes Gleiten mit einem Rektumprolapsrezidiv in den meisten Fällen sicher verhindert. Die narbige Anheftung des Rektums an die Präsakralfaszie kann auch durch die Einpflanzung eines Polypropolenkunststoffnetzes gefördert werden. Wichtig ist jedoch, dass das ca. 4–6 cm breite und vom Promontorium abwärts an der Präsakralfaszie fixierte Netz nicht zirkulär um das Rektum herumgeschlungen wird, sondern den Vorderwandbereich von 10:00 bis 2:00 Uhr frei lässt, um eine ringförmige narbige Stenosierung des Rektums zu vermeiden. Häufig klagen die Patienten nach einer abdominalen Rektopexie über eine Zunahme der Obstipationsneigung, die natürlich nicht erwünscht ist. Als Ursache wird vielfach ein Durchhängen des Sigmas in das kleine Becken mit einer Schleifenbildung (Cul-de-sac-Phänomen) diskutiert. Wir führen in solchen Fällen begleitend mit der abdominalen Rektopexie eine Sigmaresektion durch. Wegen des erhöhten Infektionsrisikos verzichten wir jedoch bei diesen Patienten auf die Einlage eines Netzes. Während etliche Arbeitsgruppen generell auf eine Sigmaresektion verzichten, bestehen andere wiederum darauf, grundsätzlich eine abdominale Rektopexie mit einer Sigmaresektion oder auch mit einer ausgedehnten linksseitigen Kolonresektion zu kombinieren. In klinischen Studien gesicherte Daten über die Erfordernis oder Nichterfordernis einer gleichzeitigen Darmresektion liegen nicht vor. Die abdominale Rektopexie, auch in Kombination mit einer Darmresektion, eignet sich hervorragend für eine laparoskopische Operationstechnik. Alternativ kann hier auch ein überschaubarer Pfannenstiel-Schnitt mit annähernd gleich gutem kosmetischem Ergebnis und gleich guter klinischer Erholung angewendet werden.

Operationsverfahren nach Rehn-Delorme Bei diesem Verfahren ( ) wird, ausgehend von der Spitze des prolabierten Rektums, die Mukosa zirkulär komplett bis zur Linea dentata entfernt. Um die Mukosektomie besser durchführen zu können und größere Blutungen zu vermeiden, wird die Schleimhaut mit Adrenalin-Kochsalz-Lösung (1:100.000) unterspritzt. Anschließend wird die freigelegte Muskulatur ziehharmonikaförmig mit vier Nähten gerafft und die Schleimhaut mit der Linea dentata vernäht. Hierdurch entsteht ein dicker zirkulärer Muskelwulst, der nach Reposition supraanal im kleinen Becken liegt und durch narbige Verwachsungen und seine Größe einen erneuten Prolaps verhindern soll.

Transanale Mukosektomie und Plikatur der Rektummuskulatur nach Rehn-Delorme. a) Pull-down des Rektumprolapses: 1,5 cm distal des Analrings wird die Mukosa nach Unterspritzung von der Muskulatur abgelöst. b) 1–2 cm über den distalen Pol des Prolapses hinaus wird die gelöste Mukosa abgesetzt. Vorlegen der vertikalen Raffnähte vom Analschleimhautrand ausgehend mäanderförmig durch die Rektummuskulatur gestochen unter Aufnahme des rektalen Mukosarandes. c) Schaffen der vertikalen Plikatur durch Knüpfen der vorgelegten Fäden zur Reposition des prolabierten Rektums. d) Abschlusssitus nach Komplettierung der vertikalen Plikatur. Diese liegt tastbar über dem Beckenboden als „innerer Neosphinkter“. [ ] ABB. 22.23

Rektumresektion nach Altemeier Bei der präanalen Rektumresektion nach Altemeier ( ) wird die Rektumwand ca. 3 cm oberhalb der Linea dentata extraanal schrittweise durchtrennt. Anschließend wird das prolabierte Darmsegment so weit wie möglich nach außen gezogen und nach Durchtrennung des dazugehörigen Mesorektums bzw. Mesokolons zirkulär mit dem distalen Rektum anastomosiert. Die Anastomose gleitet spontan in das Rektum zurück. Die Anastomose kann sowohl per Hand als auch mit einem zirkulären Klammernahtgerät durchgeführt werden.

Situs der Altemeier-OP. a) Nach Resektion des prolabierten Rektosigmoids. Gelegte Tabaksbeutelnähte proximal im Kolon und distal im Rektum vor Einsetzen des Zirkularstaplers. b) Vorbereitung der Klammernahtanastomose mittels Zirkularstapler. Eingesetzte Gegendruckplatte des Zirkularstaplers. c) Distale Rektum-Kolon-Klammernahtanastomose: Kurz vor Komplettierung der Naht mittels Zirkularstapler. [ ] ABB. 22.24

Die Angaben über die Rezidivraten bei den lokalen Verfahren sind in der Literatur sehr unterschiedlich. Generell ist jedoch davon auszugehen, dass lokale Verfahren mit einer höheren Rezidivrate einhergehen und deshalb in erster Linie bei alten Patienten mit erhöhtem Operationsrisiko eingesetzt werden sollen, denen man eine abdominale Rektopexie nicht zumuten möchte. Unbehandelt führt ein Rektumprolaps zu einer chronischen Überdehnung und Schädigung des Schließmuskels mit Entwicklung einer Stuhlinkontinenz.

22.23 Descensus perinei Der Descensus perinei beschreibt einen Befund, der gekennzeichnet ist durch ein Tiefertreten des Perineums beim Pressen unter das Niveau der Sitzbeinhöcker. Der Nachweis kann klinisch oder bei der Defäkografie erfolgen. Als Ursache ist ein Dehnungsschaden der Nn. pudendi mit Innervationsstörung der Beckenbodenmuskulatur, z. B. durch jahrelanges Pressen bei einer Auslassobstruktion durch Anismus, okkulten Rektumprolaps oder das Syndrom des solitären Rektumulkus, anzusehen. Bei älteren Frauen finden wir den Descensus perinei aber auch als Ausdruck einer Pudendusschädigung durch schwierige oder mehrfache Geburten. Die von den Patienten beklagten Beschwerden wie das Gefühl der unvollständigen Stuhlentleerung, Drang zum Pressen, schleimig-blutige Absonderungen oder eine Stuhlinkontinenz sind nicht auf den Descensus perinei, sondern die dahinter stehende ursächliche Erkrankung zurückzuführen. Die führenden Beschwerden Obstipation, Prolaps oder Inkontinenz leiten Therapierichtung und -bestrebungen.

22.24 Stuhlinkontinenz Die willkürliche Kontrolle des Stuhlgangs ist eine wesentliche Bedingung für die Teilnahme am sozialen Leben. Der Verlust dieser Kontrolle mit der Folge eines unkontrollierten Stuhlgangs führt zur Isolation und sozialer Vereinsamung. Im Vergleich zur Urininkontinenz ist die Stuhlinkontinenz deutlich seltener, für die Betroffenen jedoch wesentlich belastender. Die Häufigkeit wird sehr unterschiedlich zwischen 0,3 und 7 % angegeben. Auffallend sind die relativ hohen Zahlen bei epidemiologischen Untersuchungen unabhängig von einer medizinischen Behandlung, die zeigen, dass es sich bei der Stuhlinkontinenz um ein verdecktes Problem handelt. Nur ein Fünftel der Patienten mit einer Stuhlinkontinenz sprechen von sich aus mit ihrem Hausarzt über das Problem. Viele Patienten mit einer Stuhlinkontinenz stellen als Problem eher eine Diarrhö als die Unfähigkeit der Stuhlkontrolle in den Vordergrund. Bei jeder proktologischen Erstuntersuchung sollte deshalb auch gezielt nach Kontinenzproblemen gefragt werden. Die Definition, wann eine Stuhlinkontinenz vorliegt, ist oft nicht einfach. Nicht jeder, der z. B. im Rahmen einer schweren Diarrhö passager die Kontrolle über den Stuhlgang verliert, ist als inkontinent anzusehen. Thomas und Mitarbeiter (1984) definieren eine Stuhlinkontinenz als unwillkürliche Entleerung oder Passage von Stuhl zur unangebrachten Zeit am

unangebrachten Ort öfter als zweimal pro Monat.

22.24.1 Klassifikationen Zur Einteilung des Schweregrades einer Stuhlinkontinenz existieren zahlreiche Scores. Als einfache und praktikable Einteilung hat sich jedoch die Einteilung in 3 Schweregrade im klinischen Alltag durchgesetzt:

• Grad 1 Inkontinenz für Winde, • Grad 2 Inkontinenz für flüssige Stühle, • Grad 3 Inkontinenz auch für festen Stuhlgang. Sonderformen der Stuhlinkontinenz sind die Stressinkontinenz beim Husten oder Anspannen der Bauchmuskulatur, die Überlaufinkontinenz als Folge einer reflektorischen Erschlaffung des Analsphinkters bei massiv mit festem Stuhl gefülltem Rektum und das Stuhlschmieren ( Enkopresis ) . Die Häufigkeit der Enkopresis im Kindesalter wird mit 1–2 % angegeben. In den meisten Fällen verschwindet sie mit dem weiteren Wachstum spontan.

22.24.2 Ursachen Die Kontinenzleistung erfordert ein komplexes Zusammenspiel der Motorik des Schließmuskels und Beckenbodens, der Sensorik des Analkanals und Rektums, der Reservoirkapazität des Rektums und nervaler Reflexe. Entsprechend dem komplexen Zusammenspiel sind die Gründe für eine Inkontinenz sehr vielschichtig ( ), da der Beckenboden als komplexe Einheit aus Muskeln, Nerven, Faszienblättern, Füllgewebe und Bändern besteht. In vielen Fällen liegt eine multifaktorielle Genese vor mit dem Erfordernis der interdisziplinären Abklärung.

Tab. 22.2 Ursachen einer gestörten Schließmuskelfunktion. • Idiopathische Inkontinenz: – nach mehreren oder schwierigen Geburten – bei Pudendusneuropathie – bei Polyneuropathie bei Diabetes mellitus – bei Descending-Perineum-Syndrom • Dystrophische Erkrankungen der Muskulatur • Iatrogene Sphinkterschädigung • Traumatische Schädigung (Dammriss Grad III) • Tief sitzende Rektumkarzinome, Analkarzinom • Entzündlich-narbige Sphinkterdestruktion • Gestörte Sensorik des Analkanals • Gestörte Reservoirfunktion des Rektums • Diarrhöen (z. B. Colon irritabile) • Querschnittslähmungen, Cauda-equina-Syndrom • Erkrankungen des frontalen Kortex • Multiple Sklerose Als häufigste Ursache einer gestörten Schließmuskelfunktion ist die idiopathische Inkontinenz anzuführen. Sie wird überwiegend bei Frauen mit mehreren oder schwierigen Geburten beobachtet. Ursache ist eine Überdehnung des N. pudendus ( Pudendusneuropathie ) mit einer Innervationsstörung der Beckenboden- und externen Sphinktermuskulatur. Unmittelbar nach den Geburten bildet sich diese Störung im Allgemeinen innerhalb einiger Wochen bis Monate spontan zurück, kommt dann aber im höheren Lebensalter durch altersbedingte Schwächung der Muskulatur wieder zum Tragen. Andere Ursachen für eine Pudendusneuropathie sind eine Polyneuropathie bei Diabetes mellitus oder ein über Jahrzehnte hinweg betriebenes starkes Pressen bei chronischer Obstipation mit Auslassobstruktion (Anismus, solitäres Rektumulkus). Der rezidivierende Rektumprolaps führt durch Überdehnung des Schließmuskels ebenfalls zu einer Inkontinenz, die bei ca. 50 % der Patienten mit einem Prolaps bei der Untersuchung bereits manifest ist. Seltene Ursachen für eine primäre Störung der Sphinkterfunktion sind dystrophische Erkrankungen der Muskulatur. E i n e iatrogene Sphinkterschädigung kann nach Fistel- oder Fissuroperationen bei zu ausgedehnter Durchtrennung des Schließmuskels auftreten. Weitere Ursachen für eine traumatische Schädigung sind Dammrisse bei schwieriger Geburt sowie sehr selten Pfählungsverletzungen. Tief sitzende Rektumkarzinome und ein primäres Analkarzinom können durch Infiltration den Schließmuskel zerstören. Komplexe Analfisteln bedingen bei unzureichender Behandlung eine entzündlich narbige Sphinkterdestruktion. Eine weitere wichtige Ursache für eine Stuhlinkontinenz ist eine gestörte Sensorik des Analkanals. Der Schließmuskel dieser Patienten ist zwar intakt, aufgrund der gestörten Sensibilität des Anoderms bemerken sie aber erst den Abgang von Stuhl, wenn er durch den Analkanal nach außen getreten ist. Als leichtere Form dieses Problems ist die gestörte Diskrimination zu nennen. Hier kann nicht zwischen Stuhl und Winden differenziert werden mit dem Problem des unwillkürlichen Stuhlabgangs beim vermeintlichen Ablassen von Winden. Als häufigste Ursache für eine gestörte Sensorik des Anoderms ist die diabetische Polyneuropathie zu benennen, gefolgt vom Hämorrhoidalprolaps Grad IV mit vollständiger Verlagerung des sensiblen Anoderms nach außen. Eine andere, selten gewordene Ursache ist eine zu radikale Hämorrhoidenoperation mit vollständiger Exzision des Anoderms (zu radikale Operationen nach Whitehead). Eine gestörte Reservoirfunktion kann bei intaktem Schließmuskel und erhaltener Sensorik zu einer Inkontinenz führen. Diese Patienten leiden darunter, dass der Stuhlgang oft in vielen kleinen Portionen und kurz hintereinander erfolgt und dass sie bei Auftreten von Stuhldrang den Stuhlgang nur kurz (wenige Minuten) mit Schwierigkeiten zurückhalten können. Als wichtigste Ursache für eine gestörte Reservoirfunktion ist die subtotale oder totale Exzision des Rektums mit tiefer Rektumanastomose oder koloanaler Anastomose bzw. ileoanaler Anastomose bei kontinenzerhaltender chirurgischer Therapie des Rektumkarzinoms oder einer Colitis ulcerosa zu nennen. Erfahrungsgemäß bessern sich aber sowohl die Häufigkeit der Stuhlgänge als auch der imperative Stuhlgang und eine eventuelle Inkontinenz innerhalb von sechs bis zwölf Monaten nach der Operation. Nach dieser Zeit hat sich die Stuhlfrequenz bei den meisten Betroffenen auf ca. viermal täglich bei ausreichender Kontinenzleistung eingependelt. Durch Reservoirbildung kann ähnlich wie bei der ileoanalen Anastomose auch bei der tiefen kolonanalen Anastomose die Stuhlfrequenz frühzeitig gesenkt werden. E i n e Strahlenproktitis, z. B. infolge einer Bestrahlung bei gynäkologischen Tumoren, Analkarzinomen oder als adjuvante Maßnahmen bei Rektumkarzinomen kann ebenso wie eine stenosierende Proktitis bei Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa zu einem Reservoirverlust mit Inkontinenz führen. Neuere Daten in klinischen Studien sprechen dafür, bei Rektumkarzinomen mit gesichertem wandüberschreitendem Tumorwachstum bereits präoperativ eine neoadjuvante Radio-/Chemotherapie durchzuführen. Hierbei wird die volle Strahlendosis präoperativ appliziert. Der später bei der Operation heruntergezogene Kolonschenkel wird postoperativ nicht mehr einer Bestrahlung ausgesetzt. Hierdurch können die funktionellen Probleme gegenüber einer postoperativen adjuvanten Radio-/Chemotherapie, bei der der im kleinen Becken liegende Dickdarm voll im Bestrahlungsfeld liegt, deutlich gebessert werden. Störungen übergeordneter Strukturen können auch bei intaktem Schließmuskel und Rektum eine Stuhlinkontinenz bedingen. Hierzu zählen Diarrhöen

unterschiedlicher Genese, auch das Colon irritabile, das mit der Symptomatik eines imperativen Stuhlgangs einhergehen kann, und nervale Störungen wie eine Querschnittslähmung oder das Cauda-equina-Syndrom, aber auch Erkrankungen des frontalen Kortex oder die multiple Sklerose.

22.24.3 Diagnostik Im interdisziplinären Behandlungskonzept der Inkontinenz gewinnt das Proktum als funktionelle Einheit aus After, Mastdarm und Beckenboden als Kontinenzorgan an Bedeutung. Die Diagnostik umfasst eine sorgfältige Anamnese inkl. der Ernährungs- und Stuhlgewohnheiten. Die Patienten führen ein Tagebuch, in dem sie Inkontinenzepisoden sowie die Ernährung genau festhalten. Bei einer proktologischen Untersuchung wird die Analregion zur Erfassung äußerlicher Narben oder eines auf leichten Zug der Gesäßbacken bereits klaffenden Anus untersucht. Die rektal digitale Untersuchung ergibt einen ersten Aufschluss über den Sphinktertonus in Ruhe und beim Kneifen. Der Pressversuch dient zur Entdeckung eines Hämorrhoidal- oder Rektumprolapses oder eines Descensus perinei. Gegebenenfalls sollte der Patient auf der Toilette sitzend für ca. 10 Minuten mäßig, aber kontinuierlich pressen. Die Proktoskopie gibt Aufschluss über den Hämorrhoidalplexus. Rektoskopie und Koloskopie dienen der Erkennung von Tumoren und Entzündungen. Die speziellen Untersuchungen umfassen eine Analsphinktermanometrie mit objektivierbarer Messung des Sphinkterdrucks in Ruhe und beim Kneifen und eine Überprüfung der Sphinkterrelaxation bei gleichzeitiger Dilatation des Rektums durch einen Ballonkatheter (anorektaler Dehnungsreflex). Elektromyografische Untersuchungen des Beckenbodens inkl. Messungen der Leitungsgeschwindigkeiten sowie eine neurologische Untersuchung werden bei Verdacht auf einen Dehnungsschaden des N. pudendus oder Erkrankungen übergeordneter nervaler Strukturen durchgeführt. Die Defäkografie ermöglicht die röntgenologische Darstellung des Defäkationsaktes. Spezifische Befunde bei Stuhlinkontinenz sind ein klaffender Analkanal mit Spontanabgang von Kontrastmittel und ein fehlendes Anheben des Beckenbodens bei willkürlicher Kontraktion des Schließmuskels und des Beckenbodens. Eventuell kann ein bisher nicht erkannter inkompletter Rektumprolaps festgestellt werden. Als eine sehr wichtige Untersuchung zur Abklärung der Ursache einer Stuhlinkontinenz hat sich im letzten Jahrzehnt die endorektale Sonografie etabliert. Mithilfe einer transanal eingeführten Ultraschallsonde mit rotierendem Kopf, die mit einer Frequenz zwischen 6,5 und 10 MHz arbeitet, können mit hoher Sensitivität und Spezifität Defekte im Bereich sowohl des inneren als auch des äußeren Schließmuskels dargestellt werden. Zwei Drittel aller stuhlinkontinenten Patienten weisen endosonografisch muskuläre Defekte auf. Auch bei Patienten mit neurogen bedingter Stuhlinkontinenz findet man als weitere Ursache in mehr als 30 % einen zusätzlichen muskulären Defekt. Die häufigste Ursache von Sphinkterdefekten sind Verletzungen im Rahmen einer Entbindung, gefolgt von iatrogenen Schäden nach proktologischen Operationen.

22.24.4 Therapie Die Therapie der Stuhlinkontinenz sollte Anlass geben zu einem interdisziplinären Therapiemanagement. Primär steht die konservative Therapie der Inkontinenz im Vordergrund. Sie umfasst:

• Behandlung des Grundleidens (falls möglich), • Tagebuch, • Toilettentraining, • Ernährungseinstellung, • ggf. Medikamente, • Sphinktertraining, • Biofeedback-Training, • Irrigationen. Die Behandlung des Grundleidens betrifft eine chronisch-entzündliche Darmerkrankung ebenso wie verschiedene Formen der Diarrhö und des Diabetes mellitus, bei dem eine konsequente Einstellung des Blutzuckers zumindest das Voranschreiten einer Polyneuropathie beeinflussen kann.

Konservative Therapie Tagebuchanalyse Ein Tagebuch gibt Aufschluss über die Häufigkeit der Inkontinenzepisoden, ihren Zusammenhang mit dem Essen und der Art der Speisen oder körperlicher Betätigung (Stressinkontinenz). Beim Toilettentraining wird durch konsequentes Aufsuchen der Toilette zu einem festen Zeitpunkt – meist nach dem Frühstück – versucht, eine regelmäßige Entleerung des Darms mit geringerem Risiko einer Inkontinenzepisode in den nachfolgenden Stunden zu erzielen. Die Ernährungseinstellung dient dazu, individuell alle Nahrungsmittel zu eliminieren, die die Inkontinenz fördern. Auch durch Verlegen der Hauptmahlzeit, z. B. in den Abend, kann das Risiko von unerwünschten Inkontinenzepisoden während des Tages reduziert werden. Medikation Es sollten alle Medikamente eliminiert werden, die eine Stuhlinkontinenz fördern können. Dazu gehören Anticholinergika, Spasmolytika, Kalziumantagonisten, Nitrate, α-Rezeptorenblocker und auch Benzodiazepine. Stattdessen wird Loperamid verabreicht, das nicht nur über eine Verlangsamung der Darmpassage die Flüssigkeitsresorption aus dem Darm fördert und dadurch die Stuhlkonsistenz erhöht und die Stuhlfrequenz erniedrigt. Loperamid erhöht auch unabhängig von der stopfenden Wirkung den analen Ruhedruck, die Stuhldrangschwelle und die rektale Compliance. Bei postmenopausalen Frauen mit leichter Stuhlinkontinenz kann eine Hormonsubstitution über eine Anhebung des Ruhe- und Maximaldrucks bei Willkürkontraktion sowie eine verbesserte Compliance eine Verbesserung der Kontinenz bewirken. Sphinktertraining und Biofeedback-Training Beim Sphinktertraining trainiert der Patient den äußeren Schließmuskel durch ein aktives maximales Zusammenpressen bis zu einhundert Mal am Tag für 30– 120 Sekunden. Durch spezielle, einfache Druckmessgeräte kann der Patient den Kneifdruck und damit den Trainingserfolg messen, was erfahrungsgemäß die Motivation fördert. Primär sollten die Übungen unter krankengymnastischer Anleitung erfolgen, da vielen Patienten das Gefühl, wann sie den Schließmuskel anspannen und wann sie nur die Glutealmuskulatur zusammenkneifen, verloren gegangen ist. Beim Biofeedback-Training lernt der Patient mittels eines speziellen Übungsgeräts, das einen Dehnungsreiz oder einen elektrischen Reiz auf die Rektummukosa setzt, auf diesen Reiz möglichst schnell und kräftig mit einer Sphinkterkontraktion zu reagieren. Durch dieses Training werden das rechtzeitige Erkennen eines unwillkürlichen Stuhlabgangs und die schnelle Schließmuskelkontraktion geübt. Das Sphinktertraining und das Biofeedback- Training setzen aber eine ausreichend trainierbare Funktion des M. sphincter ani externus voraus. Dieser kann als willkürlich innervierter quergestreifter Muskel allerdings nur begrenzt angespannt und der Stuhlgang auch nur begrenzte Zeit zurückgehalten werden. Dies ist vor allem bei dünnflüssigen Stühlen ein Problem. Der Erfolg der Biofeedback-Behandlung konnte in zahlreichen Studien gesichert werden. Ein gutes Behandlungsergebnis setzt jedoch voraus, dass ausreichend lange (6–12 Monate) trainiert wird. Wenn der Trainingseffekt nachlässt, lohnt es sich, zunächst erneut eine Biofeedback-Behandlung zu probieren. Elektrostimulation Bei der Elektrostimulation wird eine Elektrode in den Analkanal eingeführt und der Schließmuskel durch elektrische Reizung ohne aktives Zutun des Patienten zur Kontraktion angeregt. Wie beim Biofeedback-Training wird auch die Elektrostimulationstherapie beim Patienten nach initialer Anlernphase mittels eines Heimgeräts selbstständig durchgeführt. Die Wertigkeit der Elektrostimulation zur Therapie der Stuhlinkontinenz ist weniger gut evaluiert. Die

Langzeitergebnisse scheinen eher enttäuschend zu sein. Irrigation Eine sehr wichtige und häufig nicht bedachte konservative Therapiemaßnahme ist die Irrigation, die von den Stomaträgern übernommen wurde. Mittels eines Irrigationsgeräts mit einem weichen Plastikkonus, der auf den Anus gepresst wird, wird täglich oder alle zwei Tage ein Einlauf mit ca. 1,5 l körperwarmem Wasser durchgeführt. Hierdurch wird eine weitgehende oder vollständige Entleerung des Dickdarms mit 24- bis 48-stündiger Stuhlfreiheit erzielt. Auch bei völliger Inkontinenz muss dann nur eine dünne Vorlage zum Auffangen von Schleim getragen werden. Die Irrigation beansprucht allerdings einen Aufwand von ca. 1–1,5 Stunden täglich und erbringt nicht bei allen Patienten den gewünschten Effekt. Dies gilt v. a. bei Patienten mit Neigung zu Diarrhöen. Auf jeden Fall ist die Irrigation unabhängig von der Ursache der Stuhlinkontinenz einen Versuch wert.

Operative Therapie Eine operative Behandlung der Stuhlinkontinenz ist nur bei Versagen der konservativen Therapie indiziert. Als operative Verfahren stehen zur Verfügung:

• Sphinkterrekonstruktionen nach Parks, • prä- und postanale Beckenbodenplastik (preanal repair und postanal repair), • Schließmuskelersatzplastiken, • sakrale Neurostimulation, • anale Hautplastiken, • Anlage eines künstlichen Darmausgangs. Ein klinisch oder endosonografisch nachweisbarer Schließmuskeldefekt, z. B. nach einem Dammriss, einer Analfisteloperation oder einem anderen Trauma, kann mit sehr gutem Erfolg unter Freilegung und Doppelung der auseinandergewichenen und freipräparierten Enden versorgt werden. Die Erfolge dieser Operation sind bei einem Defekt im ventralen Bereich sehr gut, während eine dorsale Sphinkterdoppelung mit dem Risiko einer Innervationsstörung behaftet ist, da dorsal bei 5:00 und 7:00 Uhr die Pudendusnervenfasern in den externen Schließmuskel einstrahlen. Beckenbodenplastik Bei der postanalen Beckenbodenplastik nach Parks wird eine hintere Straffung des Beckenbodens und äußeren Schließmuskels durchgeführt. Dieses Verfahren kommt bei der idiopathischen Inkontinenz mit Erschlaffung der Beckenboden- und Sphinktermuskulatur aufgrund einer Pudendusneuropathie in Betracht. Die kurzfristigen Ergebnisse dieser Operation sind mit einer Besserung der Inkontinenz in ca. 75 % gut. Langfristig muss jedoch wieder mit einem Nachlassen der Kontinenz in vielen Fällen gerechnet werden, da die ursächliche Innervationsstörung durch den Eingriff nicht behoben wird. Gleich gute Ergebnisse bringt die präanale Beckenbodenplastik, bei der, ausgehend von einem Querschnitt am Damm, der ventrale Anteil des Analsphinkters und die Puborektalisschlinge einschließlich der unteren Anteile des Levatortrichters dargestellt werden. Die bei der Inkontinenz oft stark klaffende Puborektalisschlinge wird durch nichtresorbierbare Nähte ventral des Anus adaptiert. Eine ventrale Rektozele kann in gleicher Sitzung mit versorgt werden. Der ventrale Anteil des Analsphinkters kann entweder bei Vorliegen eines gleichzeitigen Sphinkterdefekts nach Parks gedoppelt werden oder er wird durch einstülpende Nähte gerafft. Einige Autoren haben gehofft, durch Kombination der prä- und postanalen Beckenbodenplastik die Ergebnisse der operativen Stuhlinkontinenztherapie zu verbessern. Langfristig konnte dies jedoch nicht bestätigt werden. Schließmuskelersatzplastik Die ursprünglich schlechten Ergebnisse der Schließmuskelersatzplastiken unter Verwendung von quergestreifter Muskulatur (Grazilisplastik, Glutaeusmaximus-Plastik) konnten durch die Implantation eines am Unterbauch an der Bauchwand positionierten elektrischen Neurostimulators verbessert werden. Der Stimulator wird in der Regel subkutan in den linken Unterbauch erst mehrere Wochen nach der plastischen Operation eingepflanzt. Durch die dauerhafte Stimulation des Grazilismuskels erfolgt nicht nur eine Kräftigung des Muskels, sondern auch eine Umwandlung der Muskelfasern in Richtung Aufrechterhaltung eines Dauertonus. Die anusnahe Implantation von Fremdmaterialien geht mit einer erhöhten Infektionslast einher. In Anlehnung an den künstlichen Schließmuskel bei Urininkontinenz wurde in den letzten Jahren ein künstlicher Schließmuskel auch für die Stuhlinkontinenz entwickelt. Er besteht aus einem ringförmigen aufpumpbaren Polster, das über eine dünne Leitung mit einem Pumpsystem und einem Reservoir in Verbindung steht. Dieser künstliche Ersatzsphinkter wird bei Vorliegen einer sonst nicht beherrschbaren Stuhlinkontinenz um den Analsphinkter als Ring herumgelegt. Das Reservoir liegt extraperitoneal im linken Unterbauch oder subkutan. Unter Ruhebedingungen ist dieser künstliche Sphinkter durch Füllung des innerhalb des Rings gelegenen Polsters verschlossen. Bei Gefühl des Stuhldrangs oder Beginn einer Defäkation wird das Reservoir durch Einsatz einer kleinen, in die Labie oder das Skrotum eingebauten Pumpe entleert. Durch langsamen Rücklauf der im System vorhandenen Flüssigkeit füllt sich das Polster im Analsphinkter nach einer gewissen Zeit spontan, sodass im Idealfall wieder Vollkontinenz erreicht wird. Auch die Implantation eines künstlichen Schließmuskels ist in der Anwendung von einer erhöhten Infektionsrate aufgrund der implantierten Materialien gekennzeichnet. Sakralnervenstimulation Bei der Sakralnervenstimulation wird ein Neurostimulator nach erfolgter Probestimulation über 2–4 Wochen bei positivem Erfolg auf Dauer implantiert. Die implantierten Elektroden werden über die Foramen des Kreuzbeins direkt von dorsal her an den Sakralnervenplexus gelegt. Dieser erzeugt über eine starke Stimulation der Sakralnerven unter Zuhilfenahme des pudendoanalen Reflexbogens eine Stimulation der Beckenbodenmuskulatur mitsamt dem externen Schließmuskel. Als Alternative besteht die Möglichkeit der retrograden Stimulation über den N. tibialis. Die Ergebnisse der letzten Jahre sind erfolgversprechend, da auch urogynäkologische Probleme eine positive Behandlung erfahren. Die vielfältigen Einflussmöglichkeiten der Sakralnervenstimulation zeigt eine in der Breite zunehmende Bedeutung in der Behandlung der Beckenbodenstörungen und Inkontinenztherapie für Harn und Stuhl. Die operativen Verfahren eines Schließmuskelersatzes inkl. der Sakralnervenstimulation sollten zurzeit unter strenger Indikation nach umfangreicher interdisziplinärer Diagnostik erfolgen. Hautlappenplastik Bei Verlust des Anoderms kann durch eine anale Hautlappenplastik (VY-Lappen, Rotationslappen) perianale sensible Haut in den Analkanal eingeschlagen und damit die Sensibilität des Analkanals wiederhergestellt werden. Anus praeternaturalis Bei Versagen aller konservativen und operativen Maßnahmen zur Behebung der Stuhlinkontinenz sollte durchaus die Indikation zur Anlage eines Anus praeternaturalis diskutiert werden. Der Anus praeter wird in dieser Situation in üblicher Weise als endständiges Kolostoma im Sigmabereich gelegt. Ein optimal angelegtes Stoma ermöglicht eine volle soziale Aktivität, die bei einer Windelversorgung sicher nicht gegeben ist.

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III

Notfallchirurgie OUTLINE

KAPITEL 23

Akutes Abdomen Kia Homayounfar and Annegret Müller-Dornieden

23.1. 23.1.1. 23.1.2. 23.2. 23.2.1. 23.2.2. 23.2.3. 23.2.4. 23.2.5. 23.2.6. 23.3. 23.3.1. 23.3.2. 23.3.3. 23.4. 23.4.1. 23.4.2. 23.4.3. 23.5. 23.6.

23.1 Allgemeines 23.1.1 Definition Der Begriff „akutes Abdomen“ beschreibt ein plötzlich auftretendes Krankheitsbild, welches potenziell lebensbedrohlich ist und daher der meist notfallmäßigen Operation bedarf. Das Leitsymptom ist in der Regel die abdominelle Abwehrspannung. Ausnahmen bilden beispielsweise penetrierende Traumata, bei denen das akute Abdomen durch den Fremdkörper und die erzeugte Organverletzung evident ist. Die zugrunde liegende Erkrankung kann unter Umständen erst intraoperativ identifiziert werden. Die Diagnose „akutes Abdomen“ bedeutet immer eine Notfallsituation; ohne unnötigen Zeitverlust muss auf Basis der körperlichen Untersuchung und einer gezielten minimalen Diagnostik eine Operationsindikation gestellt oder ausgeschlossen werden ( ).

ABB. 23.1

Darstellung der Symptomenkomplexe beim akuten Abdomen. [ ]

Der Begriff „akutes Abdomen“ sollte immer dann verwandt werden, wenn als (Leit-)Symptom eine Abwehrspannung vorliegt. Das akute Abdomen ist mit einer hohen Letalität assoziiert. Hauptursachen für diese hohe Letalität sind die Entwicklung einer Sepsis sowie ein Volumenmangel. Die richtige Einschätzung dieser Notfallsituation stellt eine Herausforderung an den jeweiligen erstbehandelnden Arzt dar. Jeder Patient mit Verdacht auf ein akutes Abdomen muss unverzüglich einem Chirurgen vorgestellt werden, in dessen fachliche Verantwortlichkeit dieses Krankheitsbild und damit die Diagnosestellung fällt. Der frühestmögliche Einsatz einer kausalen Therapie kann die Prognose günstig beeinflussen ( ).

Schematische Darstellung derjenigen Stellen, an denen es bei verzögertem Erkennen der Notfallsituation zu einem für den Patienten fatalen Zeitverlust kommen kann. [ ] ABB. 23.2

So liegt nach Beger die Letalität einer Ulkusperforation bei einer Operation innerhalb der 6-Stunden-Grenze bei unter 10 %, während bei einer Verzögerung der Therapie auf länger als 24 Stunden die Letalität auf über 35 % ansteigt. Eine Vielzahl weiterer Untersuchungen hat bestätigt, dass das Zeitintervall von der Perforation bis zur Operation ein entscheidender Prognosefaktor ist ( ). Aufgrund dieser Daten hat beispielsweise das Danish National Indicator Projekt ein Zeitintervall bis zur Operation von maximal 6 Stunden als Qualitätskriterium definiert , vgl. .

Tab. 23.1 EBM-Studien zu wesentlichen Morbiditäts- und Mortalitätsfaktoren bei perforiertem Magen-/Duodenalulkus. Publikation

Patientenzahl (n)

Noguiera et al. 2003

210

Morbiditäts-/Mortalitätsfaktor Perforationszeitpunkt > 24 Stunden

Evidenzniveau 3

Begleiterkrankungen, Operationsausmaß Testini et al. 2003

149

Perforationszeitpunkt > 24 Stunden

3

Alter > 65 Jahre, Begleiterkrankungen, postoperative Wundkomplikationen Kujath et al. 2002

102

Perforationszeitpunkt > 24 Stunden

3

Alter > 65 Jahre, Begleiterkrankungen Chou et al. 2000

179

Perforationszeitpunkt > 24 Stunden

3

Begleiterkrankungen Sillakivi et al. 2000

394

Alter > 65 Jahre, Begleiterkrankungen

3

Svanes et al. 1994

1.292

Perforationszeitpunkt > 24 Stunden

3

Begleiterkrankungen Hamby et al. 1993

84

Walgenbach et al. 1992

90

Perforationszeitpunkt > 24 Stunden

3

Alter > 43 Jahre, Begleiterkrankungen Perforationszeitpunkt > 24 Stunden

3

Auch für die akute Mesenterialischämie ist ein prognostische Bedeutung für das Zeitintervall zwischen dem Auftreten der ersten Symsptome und der Operation gezeigt. In einem chirurgisch therapierten Kollektiv von 43 Patienten mit mesenterialer Ischämie lag die Gesamtmortalität bei 70 %; erfolgte die chirurgische Intervention nach mehr als 12 Stunden, war dies mit einer signifikant schlechteren Prognose verbunden. Eine aktuelle Studie von Aliosmanoglu et al. bestätigt den relevanten Einfluss der zeitlichen Verzögerung auf das Outcome .

23.1.2 Erster Kontakt Eine entscheidende Bedeutung kommt daher dem Arzt zu, der zuerst zum Patienten hinzugezogen wird und die für das „Outcome“ des Patienten maßgebende Schlüsselfunktion innehat. Für den weiteren Behandlungspfad ist besonders die Abgrenzung zwischen der Notfallsituation eines akuten Abdomens und einem unklaren Abdomen wichtig, bei dem längerfristig bestehende oder rezidivierende abdominale Schmerzen beschrieben werden, deren Ursache bisher nicht ärztlich untersucht worden ist. Der erstbehandelnde Arzt muss die Notfallsituation „akutes Abdomen“ erkennen und die notwendige direkte Vorstellung beim Chirurgen veranlassen.

23.2 Diagnostik 23.2.1 Anamnese Beim akuten Abdomen ist eine kurze, aber gezielte Anamnese von erheblicher Wichtigkeit. Fragen nach früheren Operationen oder Verletzungen im Abdominalbereich sowie der Einnahme von Medikamenten können Aufschluss über die mögliche Ursache des akuten Abdomens geben. Für eine gezielte Schmerzanamnese empfiehlt sich folgende Fragensystematik:

1. Zeitpunkt des Schmerzbeginns; 2. Art des Schmerzbeginns; 3. Intensität der Schmerzen; 4. Verlauf der Schmerzsymptomatik; 5. Lokalisation und Ausstrahlung der Schmerzen; 6. Abhängigkeit von der Nahrungsaufnahme; 7. andere besondere Ereignisse oder berufliche Tätigkeiten vor dem Einsetzen der akuten Schmerzen. Zu berücksichtigen ist, dass u. a. aufgrund einer eingeschränkten Bewusstseinslage oder bereits verabreichter Analgetika die anamnestischen Angaben lückenhaft oder unkorrekt sein können. In diesen Fällen, aber auch bei Kindern oder älteren Menschen sind fremdanamnestische Angaben hilfreich. Die detaillierte Erfassung des Schmerzcharakters ( ), des Stuhl- und Miktionsverhaltens und ggf. der letzten Menstruation vervollständigen die Anamnese. Auch hier empfiehlt es sich, nach einem systematischen Fragenkatalog vorzugehen.

ABB. 23.3

Zeit- und Verlaufsprofil der verschiedenen Schmerztypen. [ ]

Noch während der Anamneseerhebung und vor Beginn der eigentlichen klinischen Untersuchung muss ein Eindruck vom Allgemeinzustand des Patienten gewonnen werden. Zusätzliche wichtige Krankheitssymptome sind Fieber, Nausea, Diarrhö, Kreislaufdysregulation bis hin zum Schock.

23.2.2 Klinische Untersuchung Der abdominale Untersuchungsgang folgt der IAP-Regel, d. h., zuerst erfolgt die Inspektion, dann die Auskultation und letztlich die Palpation ( ).

Tab. 23.2 Wesentliche klinische Zeichen mit Darstellung des Untersuchungsgangs und dadurch ausgelöste Schmerzsymptomatik. Bezeichnung

Beschreibung

AnschützZeichen

Sonorer Klopfschall bei massiver Zäkumdilatation infolge Dickdarmstenose.

BlumbergZeichen

Tiefe Palpation in der Fossa iliaca links erzeugt bei rascher Lösung des Drucks einen messerstichartigen Schmerz in der rechten Fossa iliaca bei einer Appendizitis.

CourvoisierZeichen

Tastbare schmerzlose hydropische Gallenblase bei ikterischen Patienten bei peripherem Gallengangsverschluss.

Cullen-Zeichen

Bläulich-rote Veränderungen der paraumbilikalen Bauchhaut mit Ödem weisen auf eine schwere nekrotisierende Pankreatitis hin.

Grey-TurnerZeichen

Gräulich marmorierte Veränderungen in den Flanken sowie Ödem deuten auf eine schwere akute Pankreatitis hin.

HerczelZeichen

Vaginales Verschieben der Portio und Anheben des Uterus verursacht Schmerzen bei einer Adnexitis, wohingegen bei einer Appendizitis kein Schmerz auszulösen ist.

Kehr-Zeichen

Bei Milzruptur Ausstrahlung der Schmerzen in die linke Schulter.

Lanz-Zeichen

Bei akuter Appendizitis ist ein negativer rechter Kremasterreflex auszulösen.

MurphyZeichen

Druck der flach aufgelegten Hand unter dem rechten Rippenbogen erzeugt bei tiefer Einatmung Schmerzen, sobald das Organ durch das Tiefertreten des Zwerchfells gegen die Hand gedrückt wird, z. B. bei Cholezystitis.

ObturatorZeichen

Extremität der schmerzhaften Seite wird rechtwinkelig im Knie- und Hüftgelenk gebeugt und erzeugt bei Innenrotationsbewegung bei entzündlichen Erkrankungen Schmerzen im Obturatoriusbereich, z. B. bei Appendizitis, Adnexitis.

Psoas-Zeichen

Anheben des gestreckten Beins gegen Widerstand verursacht eine Schmerzzunahme in der Tiefe, z. B. bei Appendizitis.

RombergZeichen

In Seitenlage wird das in Knie- und Hüftgelenk angebeugte Bein maximal abduziert; bei Obturatorhernie wird so ein Schmerzreiz ausgelöst.

RovsingZeichen

Ausstreichen des Colon descendens Richtung Colon transversum löst bei der Appendizitis Schmerzen im rechten Unterbauch aus.

Die allgemeine Inspektion erfolgt wie dargestellt während der Anamneseerhebung. Bei der Inspektion des Abdomens beim bereits entkleideten Patienten ist auf Hautveränderungen wie Prellmarken, Hautverfärbungen, z. B. gräuliche Verfärbung der Flanken, sowie Darmsteifung oder rötliche überwärmte Areale als Hinweis für entzündliche Prozesse zu achten. Die Auskultation muss an mehreren Stellen des Abdomens vorgenommen werden und dient im Wesentlichen der Abklärung, ob ein paralytischer oder mechanischer Ileus vorliegt. Stenosegeräusche können eine Zusatzinformation für das Vorliegen eines Aortenaneurysmas ergeben. Die Palpation erfasst das Punctum maximum (P. m.) des Schmerzes sowie den Tonus der Bauchwandmuskulatur. Die bimanuell durchgeführte Palpation beginnt an der am wenigsten schmerzempfindlichen Region. Routinemäßig sollen der Pulsstatus erhoben, die Hernienöffnungen abgetastet und beim Mann die äußeren Genitalien untersucht werden. Hierbei wird die Schmerzreaktion im Gesicht des Patienten beobachtet, was besonders bei Kindern erst die Möglichkeit eröffnet, den maximalen Schmerzpunkt zu ermitteln. Anschließend werden Perkussionsschmerz und Loslassschmerz untersucht. Beide prüfen den Erschütterungsschmerz des Peritoneums als Hinweis auf eine Peritonitis. Die rektale Untersuchung gehört zu jeder eingehenden klinischen Untersuchung und sollte grundsätzlich auch bei Patienten mit akutem Abdomen durchgeführt werden. Ein vorhandene reflektorische Abwehrspannung (lokalisiert oder generalisiert) ist klinisch pathognomonisch für eine Peritonitis und stellt die Indikation zur Notfalloperation dar. Ausnahmen und die Entscheidung für eine stationäre Beobachtung sind nur gestattet bei sicherer Diagnose und Festlegung eines Therapiekonzepts, wie z. B. eine konservative Therapie bei nichtperforierter Sigmadivertikulitis mit Operation im freien Intervall.

23.2.3 Labordiagnostik Grundsätzlich hat die Labordiagnostik bei einem Patienten mit akutem Abdomen keinen hohen Stellenwert. In 80 % der Fälle ergeben Anamnese und klinische Untersuchung zusammen eine sichere Verdachtsdiagnose und damit die Entscheidung der Operationsindikation. Bei differenzialdiagnostisch schwierigen Befunden, zur Einschätzung des Schweregrades der Erkrankung oder zur allgemeinen Operationsvorbereitung sollten die laborchemischen Basisuntersuchungen wie Blutbild, Elektrolytanalyse, Leber- und Nierenwerte, Gerinnungsstatus und die Urinanalyse durchgeführt werden. Eine erweiterte Labordiagnostik wie Amylase- und Lipasebestimmung bei Verdacht auf akute Pankreatitis sowie CK/CK-MB, LDH und Troponin I zum Ausschluss eines Herzinfarkts können in begründeten Einzelfällen hilfreich sein.

23.2.4 Apparative Diagnostik Grundsätzlich sollte beim akuten Abdomen nur eine Minimaldiagnostik durchgeführt werden, um einen unnötigen und für den Patienten nachteiligen Zeitverlust zu vermeiden. Welche Diagnostik sinnvoll und hilfreich ist, hängt ab von deren Verfügbarkeit sowie der Expertise des Untersuchers. In der Vergangenheit wurde die konventionelle Röntgen-Abdomenuntersuchung zum Nachweis oder Ausschluss freier intraperitonealer Luft als Standard empfohlen. Vorteil der Untersuchung ist, dass sie kaum untersucherabhängig und zudem flächendeckend etabliert ist. Die über die genannte Fragestellung hinausgehende Aussagekraft der Untersuchung ist allerdings sehr begrenzt. Demgegenüber hat die B-Mode- Sonografie des Abdomens deutliche Vorteile. Sie ist nicht invasiv, kann am Bett des Patienten durchgeführt und jederzeit auch wiederholt werden und erlaubt – bei Verfügbarkeit eines zeitgemäßen Sonografiegeräts – eine dezidierte abdominale Diagnostik. Bei durchschnittlicher Expertise des Untersuchers lassen sich neben dem Nachweis freier Flüssigkeit auch relevante entzündliche Prozesse wie z. B. eine Cholezystitis oder Sigmadivertikulitis zuverlässig nachweisen. Bei hoher Expertise des Untersuchers sind auch freie intraperitoneale Luft und Appendizitiden regelhaft sonografisch diagnostizierbar. Entscheidend ist, dass die Sonografie vom Chirurgen vor Ort durchgeführt werden kann und nicht einen zeitlich aufwendigen und für den Patienten belastenden Transport erfordert. Ist die Diagnose klinisch oder sonografisch gestellt, kann auf jegliche Röntgenaufnahme verzichtet werden. Falls es die Situation erlaubt, kann eine RöntgenThoraxübersichtsaufnahme präoperativ mögliche kardiale oder pulmonale Risiken aufdecken, die Einfluss auf die Narkoseform haben. Radiologische Zusatzuntersuchungen kommen in Betracht, wenn Zweifel an der Diagnose bestehen und die Operationsindikation nicht eindeutig gestellt werden kann. In der Regel wird heute bei weitgehend gegebener flächendeckender Verfügbarkeit und unter Berücksichtigung von Strahlenbelastung, Personalaufwand und Informationsgehalt die Schnittbilddiagnostik der konventionellen Röntgendiagnostik vorgezogen. Das heißt, wenn die abdominale Sonografie und ggf. die Röntgen-Abdomenübersichtsaufnahme keine ausreichende Diagnosestellung erlauben, ergibt sich die Indikation zu einer abdominalen Computertomografie mit oraler, intravenöser und rektaler Kontrastmittelgabe. Nur im Einzelfall können die konventionelle Angiografie oder der Kolonkontrasteinlauf eine sinnvolle Alternative sein. Die Durchführung eines Bariumkontrasteinlaufs ist obsolet und kontraindiziert, da der Austritt von Barium in die freie Bauchhöhle bei einer Perforation zu einer schweren Peritonitis führt ( , , ).

ABB. 23.4

Abdomenübersichtsaufnahme mit Nachweis freier Luft als Zeichen der Hohlorganperforation. [ ]

Sonografischer Nachweis freier Luft als Zeichen der Hohlorganperforation.a) Interkostalschnitt mit 3,5 Mhz in der B-ModeSonografie mit Darstellung von freier Luft über der Leber direkt unter dem Peritoneum.b) Längsschnitt mit 3,5 Mhz in B-Mode und Darstellung von freier Luft direkt unter dem Peritoneum sowie daneben einer luftgefüllten Darmschlinge; hier folgt der Luftreflex im Gegensatz zur freien Luft dem gekrümmten Darmquerschnitt und kann somit unterschieden werden. [ ] ABB. 23.5

Computertomografie mit oraler, intravenöser und rektaler Kontrastmittelgabe mit Nachweis freier Luft als Zeichen der Hohlorganperforation. [ ] ABB. 23.6

Die abdominale Sonografie und die Röntgen-Abdomenübersichtsaufnahme sind diagnostische Standardverfahren beim akuten Abdomen. Die vorhandene Expertise und Verfügbarkeit entscheiden über die Priorität. Wenn beide Verfahren keine ausreichende Diagnosestellung erlauben, ist die Computertomografie mit oraler, intravenöser und rektaler Kontrastmittelapplikation der Standard. Der Nachweis von freier Luft ist nach Ausschluss anderer Ursachen, wie z. B. einer stattgehabten Laparoskopie, immer ein Hinweis auf eine Hohlorganperforation und stellt damit eine Indikation zur Operation dar. Umgekehrt schließt der fehlende Nachweis die Perforation nicht aus, da diese durch anatomisch benachbarte Organe gedeckt sein kann. Der Nachweis einer Spiegelbildung hat noch keinen beweisenden Krankheitswert und kann sich innerhalb kurzer Zeit verändern. Spiegelbildungen weisen jedoch auf eine Motilitätsstörung des Darms hin, die sich auch zu einem manifesten Ileus entwickeln kann. Bei entsprechender Klinik kann somit auch eine Operationsindikation bestehen; bei fehlender Klinik ist eine klinische und ggf. radiologische Verlaufsbeurteilung angezeigt. Die konventionelle Angiografie dient bei der Diagnostik des akuten Abdomens im Wesentlichen dem Ausschluss bzw. Nachweis einer intraabdominalen bzw. retroperitonealen Blutungsquelle. Sie ist allerdings wegen ihrer aufwendigen Technik mit selektiver Darstellung des Truncus coeliacus und der A. mesenteria superior überwiegend durch die CT-Angiografie abgelöst worden.

23.2.5 Invasive Diagnostik Die ultraschallgesteuerte Punktion bei Nachweis von freier Flüssigkeit bietet die Möglichkeit, zwischen Aszites, Blut, Stuhl oder entzündlichem Sekret zu unterscheiden. Die Komplikationsrate ist gering, sodass die Indikation zur Punktion großzügig gestellt werden sollte. Die Maßnahme sollte von jedem Chirurgen beherrscht werden. Die endoskopische Diagnostik steht beim akuten Abdomen im Hintergrund. Sie kann jedoch gerade bei komplexen Intensivpatienten indiziert sein, bei denen eine mesenteriale Ischämie vermutet wird. Da die Endoskopie grundsätzlich die Endstrecke der Durchblutung beurteilt, kann sie der Computertomografie überlegen sein, deren Sensitivität auf die zentralen Gefäßverschlüsse beschränkt ist.

23.2.6 Allgemeine Differenzialdiagnosen Mögliche Differenzialdiagnosen sowie die Operationsdringlichkeit bei akutem Abdomen sind in dargestellt.

Tab. 23.3 Allgemeine Differenzialdiagnosen zum akuten Abdomen.

Leitsymptome

Anamnese

Druckschmerz rechter Unterbauch, Krankheitsgefühl, positive Infektparameter

kurzer Krankheitsverlauf; Übelkeit und Erbrechen

Schmerzcharakter( )

klinische Untersuchung

Diagnose

OP-Dringlichkeit

Typ 3

positive Peritonealzeichen

Appendizitis

dringliche Operation

lokalisierte zunehmende Abwehrspannung rechter Verschlechterung nach Unterbauch symptomfreiem Intervall

Typ 3

lokalisierte Peritonitis

Perforierte Appendizitis

Notfalloperation

Schmerz rechter Unterbauch kurzer Krankheitsverlauf oder bekannte Anamnese (Stuhlfrequenz hoch, blutige Stühle)

Typ 2/Typ 3

Druckschmerz im akuter Schub rechten Unterbauch, Morbus Crohn Konglomerattumor tastbar

zunächst konservativ, bei Peritonitiszeichen Notfalloperation

Portioschiebeschmerz

lange Anamnese; diffuse Schmerzen mit P. m. hinter Symphyse

Typ 2/Typ 3

Druckschmerz bei tiefer Palpation mit P. m. paramedian

Adnexitis

konservativ

generalisierte Bauchschmerzen und Ileus

keine; Alter < 15 Jahre

Typ 3/Typ 2

tastbare Walze

Invagination

Notfalloperation

Schmerzen im Unterbauch ohne Infektzeichen

keine

Typ 1

sonografischer Nachweis einer Zyste, freie Flüssigkeit

stielgedrehte Ovarialzyste dringliche Operation

Druckschmerz unter dem rechten Rippenbogen

bekannte Gallensteine, Z. n. Koliken

Typ 2

lokalisierter Druckschmerz bis Abwehrspannung, ggf. Hydrops

Cholezystitis, entscheidend sind Cholangitis, Allgemeinzustand Gallenblasenempyem, und Verlauf;1. Gallenblasenhydrops dringliche Operation bei Abwehrspannung oder Verschlechterung2. elektive Operation

Druckschmerz linker Unterbauch bei typischem Alter

rezidivierende Schmerzen

Typ 2

tastbarer Tumor linker Unterbauch

Sigmadivertikulitis

konservativ; elektive Operation im freien Intervall; dringliche Operation bei freier Perforation; frühelektiv bei gedeckter Perforation

Abwehrspannung im Epigastrium

akuter Schmerzbeginn; Analgetikaabusus, bekanntes Ulkusleiden

Typ 1

Peritonitis im Epigastrium

Ulkusperforation

Notfalloperation

Druckschmerz Oberbauch mit reduziertem Allgemeinzustand

akuter Schmerzbeginn; Alkoholabusus, Z. n. Pankreatitis

Typ 1

Abwehrspannung; nekrotisierende generalisierte Pankreatitis Schocksymptomatik

Intensivstation; dringliche bis elektive Operation nach CT-Befund oder Verlauf

Schmerzsymptomatik abnehmend bei progredienter Verschlechterung des Allgemeinzustands

Rhythmusstörung; Darmkoliken

Typ 2

wenig klinische Mesenterialischämie Hinweise, ggf. Ileus

Notfalloperation

Schockzeichen; im Ultraschall freie Flüssigkeit

Notfalloperation

akute Rückenschmerzen und Alter; Gefäßerkrankungen; Typ 1 beginnende Anamnese mit Schocksymptomatik Rückenschmerzen

Aneurysmaruptur

23.3 Operatives Vorgehen 23.3.1 Aufklärung Die Art und der Umfang der Aufklärung richten sich beim akuten Abdomen nach der Dringlichkeit, mit welcher der Eingriff vorgenommen werden muss. Ist der Patient bewusstlos oder aus physischen oder psychischen Gründen nicht ansprechbar, kann der Eingriff o h n e ausdrückliches Einverständnis vorgenommen werden. Dabei muss der Arzt allerdings die mutmaßliche Einwilligung des Kranken unterstellen. Dies gilt auch, wenn eine derart akute Notfallsituation gegeben ist, dass ohne jeden Verzug auf der Stelle gehandelt werden muss. In diesen Fällen dient das etwaige Gespräch mit den Angehörigen in keinem Fall der Einholung der Operationseinwilligung, sondern dem Versuch, sich über den mutmaßlichen Willen des Patienten ein Bild zu verschaffen. Ist der Patient ansprechbar, hat eine Aufklärung nach den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen zu erfolgen. Das Ausmaß und die Art des operativen Eingriffs können allerdings beim akuten Abdomen häufig nicht genau angegeben werden. Deshalb ist es wichtig, dem Patienten vor allem zu erläutern, dass über das Ausmaß der Operation erst intraoperativ entschieden werden kann. Da in der Regel ein schriftliches Einverständnis des Patienten nicht einzuholen ist, soll in der Patientenakte ein schriftlicher Vermerk über stattgehabte Gespräche geführt werden.

23.3.2 Operationsvorbereitung Die Operationsvorbereitung muss in enger Absprache mit den Kollegen der Narkoseführung erfolgen. Dabei empfiehlt sich eine genaue Klärung, wie viel Zeit aus chirurgischer Sicht für die Stabilisierung bzw. Einleitung zur Verfügung steht. Üblicherweise ist heute auch bei grenzwertig kreislaufstabilen oder instabilen Patienten eine primäre Stabilisierung auf der Intensivstation nicht mehr notwendig. Großlumiger zentralvenöser Zugang, arterieller Zugang, Magensonde und Blasenkatheter sind die vier Basiszugänge für jeden Patienten mit akutem Abdomen.

23.3.3 Prinzip der operativen Behandlung Ist die Indikation zur Operation gestellt, sollte die Dringlichkeit des Eingriffs festgelegt werden. In Bezug auf das Zeitintervall zwischen Erstkontakt und Operation unterscheidet man vier definierte Dringlichkeiten ( ):

Darstellung der negativen Korrelation zwischen der Diagnostik und der OP-Dringlichkeit in Abhängigkeit von den Leitsymptomen. [ ] ABB. 23.7

1. Notfalloperation, 2. dringliche Operation (< 12 Stunden), 3. frühelektive Operation (< 36 Stunden), 4. elektive Operation (> 72 Stunden). Die Indikationsstellung und das Nichteinhalten von Zeitgrenzen haben medikolegale Konsequenzen. Neben der ärztlichen Fehlentscheidung spielt hier in der Regel noch ein Organisationsverschulden eine Rolle. Bei der diffusen Peritonitis wird der Eingriff ohne sichere Diagnose begonnen. Als Operationslagerung sollte hier grundsätzlich die Steinschnittlage gewählt werden, um auch einen adäquaten Zugang ins kleine Becken zu haben. Als Schnittführung empfiehlt sich der Medianschnitt mit Linksumschneidung des Nabels. Dieser kann ohne Probleme nach oben oder unten verlängert werden. Bei lokaler Peritonitis und sicherer Diagnose beispielsweise einer akuten Cholezystitis oder Appendizitis ist auch in der Notfallsituation ein laparoskopisches Vorgehen nicht nur erlaubt, sondern sogar in mehreren Studien als günstigstes Verfahren empfohlen ( ).

Tab. 23.4 EBM-Studien zu Morbiditäts- und Mortalitätsrate, der stationären Aufenthaltsdauer und der Konversationsrate bei frühen vs. verzögerten laparoskopischen Cholezystektomien aufgrund einer akuten Galle.

Studie

Patientenzahl(n)

Gruppe Gruppe 1:frühzeitige 2:verzögerte stationäre laparoskopische Mortalität/Morbidität Operation > Aufenthaltsdauer Cholezystektomie 48 Stunden < 48 Stunden

Konversionsrate

Evidenzniveau

Serralta et al. 2003

169

82

89

Gruppe 1 signifikant n. s. kürzer

Gruppe 1 signifikant niedriger

1b

Johansson et al. 2003

145

74

71

Gruppe 1 signifikant n. s. kürzer

n. s.

1b

Lo et al. 1998 99

49

50

Gruppe 1 signifikant Gruppe 2 kürzer Komplikationsrate höher (p = 0,07)

Lai et al. 1998

53

51

Gruppe 1 signifikant n. s. kürzer

n. s.

1b

Pessaux et al. 2000

62

Gruppe 1 signifikant Gruppe 1 < Gruppe 2 kürzer

Gruppe 1 signifikant kürzer

2a

Madan et al. 2002

31

Gruppe 1 signifikant n. s. kürzer

Gruppe 1 signifikant kürzer

3

Chau et al. 2002

104

1b

73

31

42

Gruppe 1 signifikant Morbidität Gruppe 1 < kürzer Gruppe 2

nicht bewertet

3

Lo et al. 1996 52

27

25

Gruppe 1 signifikant n. s. kürzer

n. s.

3

23.4 Krankheitsbilder des gesamten Abdomens 23.4.1 Peritonitis Eine ausführliche Darstellung des Krankheitbildes der Peritonitis findet sich in .

23.4.2 Bauchtrauma Eine Verletzung des Abdomens ( ) durch äußere Gewalt führt ebenfalls zum klinischen Bild eines akuten Abdomens. Hier werden nach der Ätiologie das perforierende und das stumpfe Bauchtrauma unterschieden. Während das perforierende Bauchtrauma bereits makroskopisch durch einen Stichkanal oder bereits prolabierte Darmanteile zu erkennen ist, wird die Schwere der Verletzung beim stumpfen Bauchtrauma häufig unterschätzt. Zu beachten ist, dass intramuskuläre Blutungen oder Verletzungen als akutes Abdomen imponieren und eine ungerechtfertigte Laparotomie provozieren können. Penetrierende Fremdkörper oder prolabierte Eingeweide dürfen unter keinen Umständen reponiert werden, sondern sollen lediglich mit einem sauberen Tuch abgedeckt werden. Bei Stichwunden ohne Hinweis für parenchymatöse Verletzung ist die Exploration der Stichwunde obligat. Durchdringt der Stichkanal das Peritoneum, ist eine Laparotomie oder Laparoskopie indiziert; bei Letzterer besteht jedoch ein erhöhtes Risiko, dass Verletzungen des Dünndarms oder Pankreas übersehen werden. Bei einem stumpfen Bauchtrauma ist auf Prellmarken, z. B. Hämatome im Gurtbereich bei Autounfall, zu achten, die einen Rückschluss auf das vorangegangene Trauma zulassen und eine stationäre Überwachung unabdingbar machen. Unter der Vorstellung einer Verletzung der parenchymatösen Organe Leber oder Milz ist der Nachweis von wenig freier Flüssigkeit bei der initialen Sonografie kein Grund für eine Notfall-Laparotomie, wenn der Patient kreislaufstabil ist. Bei Zunahme der freien Flüssigkeit im Verlauf weniger Stunden sowie bei sich entwickelnder Kreislaufinstabilität ist jedoch die umgehende chirurgische Exploration indiziert. Zu bedenken ist bei freier Flüssigkeit jedoch immer eine Verletzung des Dünndarms oder des Pankreas. Wenn dies im Hinblick auf Unfallmechanismus und Diagnostik wahrscheinlich ist, sollte die Indikation zur Exploration auch bei bestehender Kreislaufstabilität großzügig gestellt werden.

23.4.3 Intraperitoneale Blutung Ein akutes Abdomen bei intraperitonealer Blutung kann durch unterschiedliche Ursachen hervorgerufen werden und vermittelt dementsprechend ein vielfältiges klinisches Bild. Wichtige Hinweise auf das akute Ereignis liefern die Anamnese, z. B. ein vorausgegangenes stumpfes Bauchtrauma, therapieresistente Rückenschmerzen bei Aortenaneurysma oder Zyklusunregelmäßigkeiten bei Tubargravidität. Der Krankheitsverlauf wird im Wesentlichen durch das Ausmaß und die Geschwindigkeit des Blutverlustes und die Begleitverletzungen bestimmt. Das therapeutische Ziel besteht im Ersatz des Blutverlustes sowie der Substitution verlorener Gerinnungsfaktoren. Bei instabilen Kreislaufverhältnissen besteht die sofortige Indikation zur Operation, wobei in die freie Bauchhöhle perforierte Aortenaneurysmen sowie sehr ausgedehnte Leberparenchymverletzungen trotz schnell eingeleiteter Therapie meist tödlich verlaufen.

23.5 Problematik der Konsiliartätigkeit Im Rahmen der Konsiliartätigkeit wird der Chirurg häufig mit der Frage konfrontiert, ob ein „akutes Abdomen“ vorliegt, wenn plötzlich bei einem Patienten Bauchschmerzen auftreten. Die Schwierigkeit der Diagnostik in diesen Situationen besteht darin, einen bereits behandelten Patienten vorzufinden, über dessen Gesamtsituation man sich in aller Kürze einen Eindruck verschaffen muss. Eine besondere Herausforderung stellen dabei Patienten dar, die aufgrund eines komplizierten Behandlungsverlaufs bereits auf einer Intensivstation betreut werden. Insbesondere septische Patienten können rezidivierend mit Phasen der Kreislaufdepression oder des Anstiegs der Infektparameter auffallen, in denen sich dann die Frage nach einem abdominalen Fokus stellt. Neben der ausführlichen Anamneseerhebung, soweit aufgrund der Bewusstseinslage des Patienten möglich, müssen alle vorhandenen Unterlagen durchgesehen werden. Das Ausmaß der möglicherweise durchgeführten Operation inkl. intraoperativer Auffälligkeiten ist ebenso wie die bisher durchgeführte medikamentöse Therapie gezielt zu erfragen. Internistische Allgemeinerkrankungen, die das Bild eines akuten Abdomens aufweisen können, z. B. Stoffwechselerkrankungen, sind auszuschließen, nötigenfalls durch die Veranlassung weiterer Konsile. Insgesamt gelten aber die aufgeführten Grundsätze zur Diagnostik und Behandlung eines akuten Abdomens, wobei die Beurteilung der eigenen Untersuchung nicht durch das Drängen anderer Untersucher beeinflusst werden sollte.

23.6 Akutes Abdomen während der Schwangerschaft Die Beurteilung abdominaler Beschwerden von graviden Patientinnen ist durch die funktionellen, mechanischen und biochemischen Veränderungen während der Schwangerschaft erschwert.

Die häufigste chirurgische Komplikation in der Schwangerschaft stellt die „Appendicitis in graviditate“ dar, die in fast 90 % der Fälle als akutes Abdomen imponiert. Mit zunehmender Schwangerschaftsdauer wird die Diagnosestellung nicht nur durch Verlagerung der Organe erschwert, zudem fehlt auch die Abdeckung der Appendix durch Darmschlingen im letzten Trimenon. Daraus resultiert die erhöhte Anzahl von perforierten Appendizitiden sowie gangränösen Befunden. Die klinischen Symptome der klassischen Appendizitis finden sich nur im ersten Trimenon, später sind eigentlich nur noch zwei spezielle Symptome aussagekräftig:

• Uterusschiebeschmerz (Schmerzzunahme bei Verschiebung der Gebärmutter nach rechts), • Alders- Zeichen (bei Einnahme der Linksseitenlage wandern Schmerzen bei Entzündung der Appendix nicht mit). Die schwierige Diagnosestellung sowie die Vielzahl an möglichen Differenzialdiagnosen ( ) zeigen sich auch in der Letalität. Die mütterliche Letalität steigt von 2 auf 11 %, die fetale Letalität von 3,5 auf 17 % im letzten Trimenon.

Tab. 23.5 Mögliche Differenzialdiagnosen der gynäkologischen Erkrankungen, die mit dem klinischen Befund eines akuten Abdomens einhergehen. gynäkologische Ursachen

andere Ursachen

stielgedrehte Ovarialzyste

Morbus Crohn, Colitis ulcerosa

Uterustorsion

Ileus

Uterusruptur

Durchblutungsstörungen, Embolie

beginnender Abort

Cholezystitis/Cholangitis

schmerzhafte Gravidität

Pankreatitis

Die chirurgische Abklärung ist daher im Verdachtsfall uneingeschränkt indiziert. Je nach Schwangerschaftsdauer (SSW > 32) kann eine simultane Sectio, in bestimmten Fällen sogar eine Hysterektomie indiziert sein. Weitere spezielle chirurgische Erkrankungen während der Schwangerschaft sind sehr selten. Infrage kommen (in absteigender Rangfolge) der Ileus (mechanisch), die Cholezystitis, die akute Pankreatitis sowie Ulzera im Gastrointestinaltrakt. Ein akutes Abdomen mit den klinischen Zeichen eines Volumenmangelschocks weist in erster Linie auf eine gynäkologische Ursache (Uterusruptur, Plazentaablösung) hin.

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KAPITEL 24

Peritonitis Kia Homayounfar

24.1. 24.2. 24.2.1. 24.2.2. 24.3. 24.3.1. 24.3.2. 24.4. 24.4.1. 24.4.2. 24.4.3. 24.5. 24.5.1. 24.5.2.

24.1 Definition Die Peritonitis ist eine primär bakterielle oder chemisch-toxische Inflammation des Bauchfells (Peritoneum), die unbehandelt zum Tode des Patienten führt. Von ihr abzugrenzen sind Krankheitsbilder, die zu einer Pseudoperitonitis führen können, wie z. B. das diabetische Koma, die akute intermittierende Porphyrie, das familiäre Mittelmeerfieber oder die Addison-Krise.

24.2 Pathogenese 24.2.1 Peritonitis-induzierte Sepsis Die klinische Manifestation der Peritonitis ist die abdominale Sepsis. Erreger gelangen über Öffnungen im Zwerchfellperitoneum in den Ductus thoracicus und darüber in die Blutbahn (Bakteriämie). Bakterielle Endotoxine (gramnegative Bakterien) sowie Super-Antigene (grampositive Bakterien) führen zu einer Aktivierung unterschiedlicher Immunzellen, u. a. von Makrophagen und dendritischen Zellen. Dabei werden proinflammatorische Zytokine (u. a. TumorNekrose-Faktor α, Interleukin 1, Interleukin γ) ausgeschüttet . Diese translozieren in den Blutkreislauf und induzieren eine systemische Antwort, die unter dem Begriff Systemic Inflammatory Response Syndromes (SIRS) zusammengefasst wird. Neben der proinflammatorischen Immunantwort werden aber auch antiinflammatorisch wirkende Zytokine ausgeschüttet (Interleukin 4, Interleukin 10), was unter dem Begriff Compensatory Anti-inflammatory Response Syndrom (CARS) zusammengefasst wird . Ziel dieser antiinflammatorischen Reaktionen ist die Wiederherstellung der Homöostase nach einem SIRS durch Herunterregulation des Immunsystems . Folgen der Immunantwort bei der Peritonitis sind Koagulopathie, Vasodilatation und gesteigerte Gefäßpermeabilität („capillary leak“) . Die resultierenden Flüssigkeitsverschiebungen in die Peritonealhöhle können mehr als 5 Liter betragen. Mögliche klinische Symptome des SIRS sind Fieber ≥ 38° Celsius, Hypothermie ≤ 36° Celsius, Tachykardie, Tachypnoe, Leukozytose oder Leukopenie. Bei mindestens zwei dieser Symptome und mikrobiologischem bzw. klinischem Nachweis einer Infektion liegt gemäß der gemeinsamen Leitlinie der Deutschen Sepsis-Gesellschaft e. V. und der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin eine Sepsis vor. Kommt es zudem zum Organversagen, spricht man von schwerer Sepsis, bei fortschreitender Kreislaufbeeinträchtigung vom septischen Schock .

24.2.2 Intraabdominale Hypertension und abdominales Kompartmentsyndrom Aus den beschriebenen Flüssigkeitsverschiebungen in die Peritonealhöhle ergibt sich in Verbindung mit dem entstehenden Darmwandödem ein erhöhter intraabdominaler Druck (IAD). Bereits 1984 konnten Kron et al. zeigen, dass die Peritonealhöhle Eigenschaften eines Kompartments aufweist und eine pathologische Erhöhung des intraabdominalen Drucks (IAD) zu einer Beeinträchtigung der Organfunktionen führen kann . In erster Linie betrifft dies die kardiozirkulatorischen, renalen und respiratorischen Organsysteme. Klinisch imponiert eine Symptomentrias mit hohen Atemwegsdrücken, Anurie und niedrigem Herzzeitvolumen . Gemäß Konsensus der World Society of the Abdominal Compartment Syndrome (WSACS) beträgt der Normalwert des IAD bei schwer erkrankten Patienten 5–7 mmHg. Bei einem IAD ≥ 12 mmHg spricht man von intraabdominaler Hypertension (IAH) wobei diese in 4 Grade eingeteilt werden kann. Das abdominale Kompartmentsyndrom (ACS) ist definiert als IAD ≥ 20 mmHg in Verbindung mit einem neu aufgetretenen Organversagen. Cheatham und Safcsak konnten zeigen, dass die Implementierung eines aggressiven multimodalen Therapiealgorithmus, der eine frühe chirurgische

Intervention mit Anlage eines offenen Abdomens beinhaltet, die hohe Krankenhausmortalität signifikant von 50 auf 28 % reduzieren kann . Die Ursachen für eine IAH oder ein ACS sind vielfältig, können im Wesentlichen aber in fünf unterschiedliche Gruppen eingeteilt werden :

• Eingeschränkte Compliance der Bauchwand • Erhöhung des intraluminalen Inhalts (u. a. Gastroparese, Ileus, Pseudoobstruktion) • Erhöhung des intraabdominalen Inhalts (u. a. akute Pankreatitis, Hämoperitoneum, Peritonitis, Tumoren, Aszites) • Gestörte Kapillarfunktion mit Flüssigkeitsverlust (u. a. Azidose, Hypothermie, Massentransfusion) • Andere (u. a. Koagulopathie, Sepsis, Pneumonie, PEEP > 10)

24.3 Einteilung Bereits 1916 erfolgte durch Poppert die Einteilung der Peritonitis in eine primäre oder sekundäre sowie im Weiteren in eine lokale oder diffuse Form .

24.3.1 Primär – sekundär Eine primäre Peritonitis tritt am häufigsten auf bei Patienten mit

• chronischer Lebererkrankung und konsekutivem Aszites oder • kontinuierlicher ambulanter Peritonealdialyse (CAPD). Bei Patienten mit Leberzirrhose ist die spontan bakterielle Peritonitis die häufigste spontane bakterielle Infektion mit einem Anteil von 24 % bei hospitalisierten Patienten. Die 1-Jahres-Mortalität wird in Studien mit 31–93 % angegeben. Während im ambulanten Sektor vorwiegend gramnegative Keime ursächlich sind, finden sich bei hospitalisierten Patienten vor allem grampositive Erreger. Die kontinuierliche ambulante Peritonealdialyse (CAPD) ist heute ein gängiges Routineverfahren in der Behandlung von Patienten mit chronischer dialysepflichtiger Niereninsuffizienz. Während in Deutschland die CAPD mit ca. 5 % einen geringen Anteil an der Gesamtzahl der Dialysepatienten hat, wird sie in den skandinavischen Ländern bei ca. 20 % der Patienten und in Neuseeland sogar bei 39 % der Patienten eingesetzt . Die CAPD-assoziierte Peritonitis ist die häufigste Komplikation in der CAPD-Behandlung und entsteht ganz überwiegend durch Kontamination (u. a. Handhabungsfehler beim Beutelwechsel, kontaminiertes Dialysat) oder katheterassoziiert (Infekt der Ausleitungsstelle – Exit-Site –, Tunnelinfekt) . Die häufigsten Erreger von Exit-Site- und Tunnelinfekten sind Staphylococcus aureus, Staphylococcus epidermidis und Pseudomonas aeruginosa. Die International Society for Peritoneal Dialysis (ISPD) fordert, dass die individuelle Peritonitisrate bei weniger als einer Episode alle 33 Behandlungsmonate liegen sollte Bei der primären Peritonitis findet sich häufig ein singulärer Erreger. Selten sind Anaerobier, Pilze oder Mykobakterien ursächlich für eine primäre Peritonitis, die dann aber einen besonders schweren Verlauf nimmt. Eine sekundäre Peritonitis entsteht, wenn Bakterien (bakterielle Peritonitis) oder Sekrete des Urogastrointestinaltrakts wie z. B. Gallenflüssigkeit, Pankreassaft oder Urin (chemisch-toxische Peritonitis) in die Peritonealhöhle gelangen und dabei entweder direkt Keime eingebracht werden oder eine sekundäre Superinfektion auftritt. Mögliche Ursachen sind:

• Hohlorganperforation (u. a. Ulcus ventriculi, Sigmadivertikulitis, Malignom) • Gallenblasenperforation • Akute nekrotisierende Pankreatitis • Postoperative Nahtinsuffizienz • Posttraumatisch nach Messerstichverletzung oder stumpfem Bauchtrauma • Tuberkulose • Mesenteriale Ischämie (Durchwanderungsperitonitis) • Morbus Crohn (Durchwanderungsperitonitis) • Ileus (Durchwanderungsperitonitis) Sekundäre Peritonitiden sind mit einem Anteil von ca. 80 % die häufigere Form und weisen üblicherweise eine Kombination aus gramnegativen aeroben und anaeroben Erregern auf. Im Hinblick auf die Antibiotikatherapie werden die ambulant erworbenen sekundären Peritonitiden unterschieden von den postoperativen Peritonitiden auf dem Boden einer chirurgischen Komplikation. Kann die Sanierung einer sekundären Peritonitis nicht erreicht werden, z. B. bei fehlender Herdsanierung, spricht man von einer tertiären Peritonitis.

24.3.2 Lokal – diffus (generalisiert) Ergänzend und für die Therapiekonzeption von Bedeutung wird eine Spezifizierung nach der Ausdehnung der Peritonitis vorgenommen. Dabei werden zwei Gruppen unterschieden:

• Lokale Peritonitis ( ): Die Entzündung beschränkt sich auf die nähere Umgebung des ursächlichen Herdbefundes. Bei zeitlich fortgeschrittenen und durch Umgebungsstrukturen (Darm, Bauch-/Beckenwand) abgegrenzten Befunden kommt es zur Ausbildung eines Abszesses.

Lokale Peritonitis bei Magenperforation. Es zeigen sich Fibrinauflagerungen direkt um die Perforationsstelle; distanzierte Organanteile sind ohne Zeichen der Peritonitis. [ ] ABB. 24.1

• Diffuse (generalisierte) Peritonitis ( ): Die Entzündung ist in der gesamten Bauchhöhle ausgebreitet (4-Quadranten-Peritonitis).

ABB. 24.2

Diffuse Peritonitis. Das gesamte viszerale Peritoneum zeigt sich mit fibrinösen Auflagerungen. [ ]

Zusätzlich ist eine Einteilung nach pathologisch-anatomischen Gesichtspunkten möglich bzw. nach dem makroskopischen Befund des Exsudats (serös, fibrinös, hämorrhagisch, putride, gallig, kotig).

24.4 Diagnostik 24.4.1 Primäre Peritonitis Eine spontan bakterielle Peritonitis (SBP) wird durch den Nachweis von > 250 neutrophilen Granulozyten pro mm 3 im Aszites diagnostiziert. Treten zudem Kreislaufdepression, Ileus, gastrointestinale Blutung, schwergradige Enzephalopathie oder ein Serumkreatinin > 3 mg/dl auf, liegt eine komplizierte SBP vor . Die Diagnose einer CAPD-assoziierten Peritonitis wird gestellt, wenn zwei der folgenden drei Kriterien erfüllt sind :

• trübes Dialysat und Bauchschmerzen, • Nachweis von mehr als 100 Leukozyten/μl im Dialysat, • positive Dialysatkultur.

24.4.2 Sekundäre Peritonitis Zirka 80 % der sekundären Peritonitiden sind ambulant erworben, d. h., sie treten im Rahmen einer akuten Erkrankung wie z. B. einer Ulcus-ventriculiPerforation, der Sigmaperforation auf dem Boden einer Divertikulitis sowie der mesenterialen Ischämie auf, aber auch bei fortgeschrittener Appendizitis oder Cholezystitis. Die in diesem Kontext sinnvolle Diagnostik ist in „Akutes Abdomen“ dargestellt. Für die übrigen ca. 20 % der Peritonitiden , die postoperativ nach resezierenden Eingriffen auftreten, orientiert sich die Diagnostik an der zugrunde liegenden Komplikation. Überwiegend ist die Peritonitis Folge einer Nahtinsuffizienz, einer Pankreatitis oder einer Ischämie. Die am häufigsten durchgeführten Untersuchungstechniken zur Detektion dieser Komplikationen sind die Computertomografie mit enteraler (je nach Fragestellung oraler und/oder rektaler) sowie intravenöser Kontrastmittelgabe und die Endoskopie. Konventionelle Röntgen-Kontrastmitteluntersuchungen unter Durchleuchtung sind bei Vorhandensein einer entsprechenden abdominalen Klinik heute speziellen Fragestellungen vorbehalten. Neben der geringeren Aussagekraft haben sie zudem den Nachteil, dass die Strahlenbelastung und die Gesamtbelastung für den Patienten höher sind im Vergleich zur Computertomografie.

24.4.3 Intraabdominale Hypertension/abdominales Kompartmentsyndrom Die überwiegend intermittierend durchgeführte Messung des IAD erfolgt als Blasendruckmessung mit einem Messvolumen von 25 ml. Die Messung ist somit bettseitig machbar und wenig invasiv. Bei der Messung ist die Lagerung des Patienten zu beachten. Wird das Kopfteil im Vergleich zur Flachlagerung um 15° angewinkelt, führt dies zur Erhöhung des IAD um 1,5 mmHg, bei Anwinkelung um 30° sogar zu einer Erhöhung um 3,7 mmHg .

24.5 Therapie 24.5.1 Primäre Peritonitis Spontan bakterielle Peritonitis bei Leberzirrhose (SBP) Gemäß der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten sollte unmittelbar nach Diagnosestellung einer SBP eine empirische Antibiotikatherapie begonnen werden. Dabei sollte aufgrund der unterschiedlichen Erregerprofile zwischen der ambulant erworbenen und der nosokomialen Infektion unterschieden werden. Eine unkomplizierte ambulant erworbene SBP kann bei nicht vortherapierten Patienten mit einem Chinolon per os behandelt werden, wenn zudem eine ausreichende Compliance für die orale Medikamenteneinnahme sowie eine suffiziente gastrointestinale Resorption vorliegen , . In allen anderen Fällen sollten vorrangig Cephalosporine der Gruppe 3a eingesetzt werden. Bei nosokomialer SBP muss zunehmend mit (multi)resistenten Erregern der SBP gerechnet werden. Bei komplizierter, schwer verlaufender SBP sollten die Antiinfektiva parenteral gegeben werden. Der Erfolg der Antibiotikatherapie der SBP wird klinisch sowie mittels diagnostischer Kontrollpunktion des Aszites ca. 48 h nach Beginn der Therapie beurteilt. Bei klinischer Verbesserung und Nachweis eines Abfalls der neutrophilen Granulozyten im Aszites auf < 250/mm 3 sollte die antibiotische Behandlung nach 5 Tagen beendet und eine antibiotische Sekundärprophylaxe eingeleitet werden.

Peritonealdialyse-assoziierte Peritonitis Die antibiotische Therapie der CAPD-assoziierten Peritonitis muss sowohl grampositive als auch gramnegative Keime wirksam erreichen. Für die grampositiven Keime wird Vancomycin oder ein Cephalosporin der ersten Generation, für die gramnegativen Keime ein Cephalosporin der dritten Generation oder Gentamycin empfohlen. Zusätzliche Antibiotikakombinationen werden in den Empfehlungen der ISPD aufgeführt, wobei grundsätzlich bei der Auswahl das klinikspezifische Keim- und Resistenzspektrum berücksichtigt werden muss. Aufgrund der vergleichbaren Effektivität ist die intraperitoneale Applikation der intravenösen vorzuziehen . Nach Vorliegen des Antibiogramms sollte die Antibiose keim- und resistenzgerecht umgestellt werden. Die Gesamttherapiedauer beträgt üblicherweise 2–3 Wochen. In werden die Indikationen dargestellt, bei denen zusätzlich eine Entfernung bzw. ein Wechsel des Katheters erfolgen muss.

Tab. 24.1 Indikationen zur Entfernung oder zum Wechsel des Peritonealdialysekatheters bei primärer Peritonitis. Indikation

Beschreibung

Refraktäre Peritonitis

Keine Befundbesserung innerhalb von 5 Tagen trotz adäquater Antibiotikatherapie

Relapsierende und rekurrierende Peritonitis

Erneute Peritonitis innerhalb von 4 Wochen mit gleichem Keim (relapsierend) oder anderem Keim (rekurrierend)

Refraktäre Exit-Site- und Tunnelinfektionen

Rötung, Schwellung und Schmerzen im Bereich der Ausleitungsstelle oder des Tunnels

Repeat-Peritonitis

Erneute Peritonitis mit gleichem Keim später als 4 Wochen nach Beendigung der Antibiotikatherapie

Pilzperitonitis, Peritonitis mit Mykobakterien oder multiplen Darmkeimen Bei der primären Peritonitis besteht die Initialtherapie aus einer empirischen Antibiotikabehandlung.

24.5.2 Sekundäre Peritonitis Chirurgisches Prinzip Bereits 1926 hat Martin Kirschner anhand einer Analyse von 5.468 Fällen die chirurgische Herdsanierung als grundlegendes kausales Behandlungsprinzip beschrieben und eingeführt . Herdsanierung meint dabei die Beseitigung der Ursache der Peritonitis, z. B. die Übernähung/Resektion des perforierten Magenabschnitts oder die Resektion des die Insuffizienz tragenden bzw. ischämischen Darmabschnitts. Die Herdsanierung ist unbedingte Voraussetzung für eine erfolgreiche Peritonitisbehandlung. Die frühzeitige chirurgische Exploration und Herdsanierung ist das grundlegende Behandlungsprinzip bei allen Patienten mit sekundärer Peritonitis. Neben der eigentlichen Herdsanierung kommt der intraperitonealen Lavage eine große Bedeutung zu. Sie dient der Beseitigung interenterischer Verhalte sowie dem Herauswaschen bzw. der Verdünnung vorhandener Bakterien, Toxine, von Fibrin und eventuell vorhandenen Nahrungs- oder Faecesbestandteilen. Die Primäroperation bei Patienten mit sekundärer Peritonitis wird häufig als Indexoperation bezeichnet. Sie dient zusätzlich zur Herdsanierung und Lavage vor allem auch der Befunderhebung bezüglich des Schweregrades der Peritonitis durch den erfahrenen Chirurgen und bestimmt ganz wesentlich die Entscheidung über das weitere Therapiekonzept. Im Rahmen der Indexoperation sollte ein bakteriologischer Abstrich angefertigt werden, um eine frühzeitige Anpassung der Antibiotikatherapie zu ermöglichen. Anhand des intraoperativen Situs entscheidet der Operateur über das weitere Therapiekonzept. Bei nahezu 85 % der Patienten mit sekundärer Peritonitis ist als suffiziente Therapie eine einmalige Laparotomie mit Herdsanierung, Peritoneallavage und definitivem Bauchdeckenverschluss ausreichend . Bei schweren Peritonitisbefunden stehen folgende weitere Optionen zur Verfügung:

• Programmierte Relaparotomie (PR)/Etappenlavage • Relaparotomie on demand (ROD) • Geschlossene postoperative kontinuierliche Abdominallavage • Offene kontinuierliche Abdominallavage und Vakuumtherapie Über das operative Konzept entscheidet der Operateur bei der Indexoperation. Um eine Verlaufsbeurteilung zu ermöglichen, sollte derselbe Operateur auch die eventuellen Relaparotomien durchführen.

Programmierte Relaparotomie (PR) Entscheidet der Operateur bei der Indexoperation, dass ein erneuter Eingriff, unabhängig vom klinischen Verlauf, innerhalb von 24–72 Stunden notwendig ist,

spricht man von PR oder auch Second-Look-Operation. Gründe für ein solches Vorgehen können sein:

• notwendige weitere Maßnahmen zum Erreichen der Herdsanierung, • Überprüfen der Herdsanierung, • Verminderung der systemischen inflammatorischen Reaktion durch erneute Lavage, • Abbruch der Indexoperation vor Beendigung der Herdsanierung, z. B. bei kardiopulmonal instabilem Patienten, • Entfernung von Bauchtüchern nach abdominalem Packing, • ausstehende Kontinuitätswiederherstellung. Ist eine Relaparotomie geplant, ist es sinnvoll, bei der Indexoperation lediglich einen temporären Bauchdeckenverschluss durchzuführen, um beim erneuten Eingriff einerseits den Zugang zu erleichtern und andererseits die Faszien für den definitiven Verschluss zu schonen. Dazu wird direkt die Haut mittels fortlaufender Naht verschlossen. Wenn bereits frühzeitig die Entscheidung getroffen wird, dass multiple Nachfolgeoperationen notwendig sind, wird dies als Etappenlavage bezeichnet. Nachteile häufiger Relaparotomien sind verlängerter paralytischer Ileus sowie eine erhöhte Rate an Wundheilungsstörungen und späteren Narbenhernien.

Relaparotomie on demand (ROD) Ist bei der Indexoperation eine Herdsanierung gelungen und besteht zudem der Eindruck, dass nach der Lavage eine ausreichende Klärung des Abdomens erfolgt ist, kann auf eine PR zugunsten einer ROD verzichtet werden. „On demand“ bedeutet, dass eine Relaparotomie nicht in jedem Fall durchgeführt wird, sondern nur bei

• persistierender Sepsis, • fortbestehendem Organversagen, • fehlender klinischer Verbesserung, • computertomografischem Nachweis von Abszessen oder interenterischen Verhalten, welche der interventionellen Drainage nicht zugänglich sind, • Nachweis einer Nahtinsuffizienz, • klinischer Verschlechterung bei weitgehendem Ausschluss extraabdominaler Ursachen. Lamme et al. haben in ihrer retrospektiven Analyse einen Überlebensvorteil für die ROD im Vergleich zur PR gesehen, wobei auch in der ROD-Gruppe im Mittel 0,9 Relaparotomien durchgeführt wurden . Bisher hat nur eine prospektiv randomisierte klinische Studie die programmierte Relaparotomie mit der „Relaparotomie on demand“ bei Patienten mit schwerer sekundärer Peritonitis verglichen. In diesem RELAP-Trial wurde bei 58 % der Patienten in der RODGruppe keine erneute Laparotomie durchgeführt. Es zeigte sich kein signifikanter Unterschied bezüglich Morbidität und Mortalität zwischen beiden Gruppen, jedoch eine kürzere Verweildauer auf der Intensivstation sowie kürzere Krankenhausverweildauer für die Patienten mit „Relaparotomie on demand“, sodass für dieses Verfahren bei klinischer Gleichwertigkeit ein ökonomischer Vorteil gesehen wurde . Die Entscheidung für diese Konzeption setzt eine hohe klinische Erfahrung des Operateurs und des multidisziplinären Teams nicht nur zum Zeitpunkt der Indexoperation, sondern auch in der Verlaufsbeurteilung des Patienten auf der Intensivstation voraus. Pauly et al. weisen darauf hin, dass es bisher keine etablierten Biomarker gibt, welche die Selektion zur Relaparotomie bzw. die Festlegung des optimalen Zeitpunktes vereinfachen . Dies gilt auch für die Beendigung einer Etappenlavage.

Geschlossene postoperative kontinuierliche Abdominallavage Bei diesem Verfahren werden im Rahmen der Indexoperation mehrere Drainagen in die Peritonealhöhle eingebracht, über welche postoperativ eine kontinuierliche Lavage erfolgen kann. Die Rationale ist ein relativ atraumatisches, aber kontinuierliches Herausspülen von Gewebsnekrosen sowie Toxinen. Ein Vorteil ist die Reduktion der Laparotomiefrequenz. Auf der anderen Seite bilden sich in der Praxis sogenannte Spülstraßen aus, sodass im Weiteren nicht mehr die gesamte Peritonealhöhle gespült wird. Damit steigt das Risiko für die Ausbildung von Abszessen an. Einen Stellenwert hat dieses Verfahren heute noch bei der Bursalavage bei nekrotisierender Pankreatitis; in der Peritonitisbehandlung findet es nur selten Anwendung.

Offene Abdominallavage und Vakuumtherapie Bei Patienten mit ACS und bei Patienten mit sehr komplexem Befund mit fehlender Herdsanierung sind die geschlossenen Operationsverfahren nicht geeignet. Stattdessen erfolgt die Behandlung als offenes Abdomen (Abdomen apertum) ; wird zudem eine kontinuierliche Peritoneallavage durchgeführt, spricht man von offener Abdominallavage. Ziele sind die Reduktion des intraabdomninalen Drucks sowie die breite Drainage der Peritonealhöhle. Allerdings hat bereits 1997 eine prospektive Analyse den nur begrenzten Stellenwert dieses aufwendigen Verfahrens in der klinischen Routine gezeigt, welches lediglich bei 9 % der Patienten mit schwerer Peritonitis zur Anwendung kam . Limitierend ist bei dem Verfahren u. a. der hohe personelle Aufwand. Zudem können – wenn zwar eine schwere Peritonitis, aber nicht gleichzeitig auch ein ACS vorligt – gleichartige klinische Ergebnisse meist auch mit einer Etappenlavage erreicht werden. In einer Vielzahl von Studien ist mittlerweile die Vakuumtherapie (VAC-Therapie) als halboffenes Behandlungsverfahren bei der sekundären Peritonitis untersucht. Bei der VAC-Therapie wird mittels eines Polyurethanschwamms ein kontinuierliches oder intermittierendes Vakuum von maximal 125 mmHg auf den Wundbereich bei Abdomen apertum appliziert. Zur Schonung des Darms, insbesondere zur Vermeidung von Fistelbildungen, wird eine poröse Silikonauflage zwischen Darm und VAC-Schwamm eingebracht. Wie bei der konventionellen VAC-Therapie auch, sind die Vorzüge des Systems:

• Reduktion des Gewebeödems, • Reduktion der Keimbesiedelung, • Verminderung der Faszienretraktion, • Förderung der Granulation, • Evakuierung peritonealer Flüssigkeitskollektionen. Carlson et al. konnten in ihrer aktuellen prospektiven Untersuchung zeigen, dass die Anwendung der Vakuumtherapie beim offenen Abdomen nicht zu einer erhöhten Komplikationsrate, bezogen auf Fistelbildung oder Blutungen, führt, jedoch kommt es seltener zum sekundären Bauchdeckenverschluss. In der Konsequenz benötigen möglicherweise mehr Patienten eine spätere Bauchdeckenrekonstruktion.

Lagerung und Zugangsweg Die grundsätzliche Lagerung für Patienten mit Verdacht auf Hohlorganperforation, Mesenterialischämie oder unklare sekundäre Peritonitis ist die Steinschnittlagerung. Davon kann im Einzelfall abgewichen werden, wenn eine klare Lokalisation und Verdachtsdiagnose, z. B. im rechten Oberbauch bei fortgeschrittener Cholezystitis, vorliegt. Korrespondierend zum Lagerungsverfahren ist der Standardzugang bei sekundärer Peritonitis die mediane Laparotomie unter Linksumschneidung des Nabels. Sofern das Krankheitsbild eindeutig auf einen lokalen Befund zurückgeführt werden kann, ist auch ein abweichender, ggf. limitierter Zugangsweg möglich, z. B. ein rechtsseitiger Rippenbogenrandschnitt bei akuter Cholezystitis oder ein Pararektalschnitt bei akuter Appendizitis; ein modifizierter Wechselschnitt sollte wegen der eingeschränkten Möglichkeit der Erweiterung nicht angewandt werden. Bei entsprechender Expertise sind auch minimalinvasive Operationsverfahren als mindestens äquivalent anzusehen. Insbesondere bei lokaler Peritonitis auf dem Boden einer Appendizitis, Cholezystitis oder auch einer Magenperforation können laparoskopische Verfahren nicht nur gleichwertig, sondern bezüglich der immunologischen Folgen auch den offenen Verfahren überlegen sein , , , . Swank et al. haben aktuell an 38 Patienten die Machbarkeit der laparoskopischen Lavage bei der perforierten Divertikulitis gezeigt, insbesondere bei Patienten mit Hinchey-Stadium < 3 und wenig Begleiterkrankungen . Derzeit rekrutiert die niederländische randomisierte LADIES-Studie Patienten mit eitriger Peritonitis bei perforierter Sigmadivertikulitis und vergleicht dabei die Laparoskopie mit Drainage versus Hartmann-Operation versus Sigmaresektion mit primärer Anastomose . Bei der diffusen Peritonitis besteht allerdings ein erhöhtes Risiko, dass im Rahmen der Laparoskopie nicht das gesamte Abdomen exploriert wird und interenterische Verhalte, Perforationen u. a. übersehen werden; zudem sind gerade bei grenzwertig kreislaufstabilen Patienten der erhöhte Zeitbedarf sowie die Beeinträchtigung der kardiopulmonalen Funktion zu berücksichtigen. Der Standardzugang ist die mediane Laparotomie. Bei lokalen Befunden kann ein abweichender, auch minimalinvasiver Zugang zum Abdomen gewählt werden.

Anastomosierung Eine Vielzahl retrospektiver Untersuchungen hat den Einfluss einer primären Anastomosierung im Vergleich zur initialen Diskontinuitätsresektion nach Hartmann mit dann sekundärer Kontinuitätswiederherstellung bei perforierter Divertikulitis mit Peritonitis analysiert. In der zusammenfassenden Metaanalyse von Salem und Flum ergab sich trotz methodenbedingt eingeschränkter Vergleichbarkeit der analysierten Studien kein Nachteil bei primärer Anastomosierung. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen auch Trenti et al. in ihrer monozentrischen Untersuchung. Allerdings empfehlen sie eine Diskontinuitätsresektion bei kreislaufinstabilen Patienten und Hochrisikopatienten. Bei Patienten, die aufgrund der Peritonitits für eine Etappenlavage vorgesehen sind, bietet sich bei primärer Rekonstruktion der Vorteil, dass die Anastomose bei den erneuten Revisionsoperationen immer wieder beurteilt werden kann. Im Fall einer Nahtinsuffizienz muss abgewogen werden, ob eine Übernähung erfolgversprechend ist; bei fortbestehender Peritonitis sollte dieses Vorgehen eher nicht gewählt werden. Als Alternative bietet sich die Drainage mit Vorschaltung eines protektiven Enterostomas an. Als Ultima Ratio kann die Naht komplett aufgehoben werden; dann mit Ausleitung beider Darmenden als Stoma oder Anlage einer Hartmann-Situation. Bei kreislaufstabilen Patienten sollte eine primäre Anastomosierung im Bereich des Kolons, ggf. unter Vorschaltung eines protektiven Ileostomas, angestrebt werden.

Art der Spülflüssigkeit bei der Peritoneallavage In experimentellen Modellen ist eine Vielzahl von additiven Substanzen im Hinblick auf eine positive Beeinflussung der Sepsis oder Reduzierung der Mortalität untersucht worden, so u. a. das Antibiotikum Rifampicin , aktiviertes Protein C oder das Antiseptikum Chlorhexidin . Eine Metaanalyse von Qadan et al. , bei der die Daten von 23 Studien zur Peritoneallavage in experimentellen Peritonitismodellen gepoolt wurden, bestätigte den grundsätzlichen Benefit der Lavage. Sie zeigte aber auch, dass die Lavage mit einer Antibiotika-haltigen Spüllösung im Vergleich zu reiner Kochsalzlösung eine signifikante Reduktion der Mortalität erreichen kann, unabhängig von der systemischen Antibiotikatherapie. Demgegenüber war die antiseptische Lavage mit einer sehr hohen Mortalität assoziiert. Bisher ist in der klinischen Routine die Spülung mit isotoner Elektrolytlösung als Standard etabliert.

Drainagen Zum Stellenwert von prophylaktischen intraabdominalen Drainagen bei der sekundären Peritonitis liegen nur wenige Daten vor und der Evidenzgrad vorhandener Empfehlungen ist gering. Domínguez Fernández und Post haben 2003 in einer Übersichtsarbeit die verschiedenen Drainagetypen und ihre Indikationen in der Viszeralchirurgie dargestellt und darauf hingewiesen, dass Prädilektionsstellen für intraperitoneale Abszessbildungen existieren und diese bei der Exploration inspiziert und lavagiert werden müssen . stellt diese Lokalisationen dar, die sich durch die anatomischen Gegebenheiten (Rezessus und Pseudorezessus) erklären. zeigt, welche Drainagenpositionierung bei diffuser sekundärer Peritonitis aus diesen anatomischen Überlegungen resultiert.

Intraabdominelle Abszesse entstehen vorwiegend dort, wo Rezessus und Organstrukturen eine Ansammlung von Flüssigkeit fördern. Dies betrifft den Raum zwischen Zwerchfell und Leber (1), zwischen Zwerchfell und Milz (2) sowie den subhepatischen Raum, ggf. hier auch die Bursa omentalis (3). Submesokolisch kann sich an beliebiger Stelle zwischen den Dünndarmschlingen ein sogenannter Schlingenabszess (5) ausbilden. Zusätzliche Prädilektionsstellen finden sich retrokolisch (4) und parakolisch (6) sowie am Zökalpol (7) und im Douglas-Raum (8) bzw. Spatium rectovesicale. [ ] ABB. 24.3

Bei der diffusen Peritonitis orientiert sich die Drainageneinlage an den o. g. Prädilektionsstellen. Da eine Drainage aller möglichen Lokalisationen von Schlingenabszessen nicht möglich ist, reduziert sich hier die Drainageneinlage auf 5 Lokalisationen: subphrenisch beidseits (1), (4), Douglas-Raum bzw. Spatium rectovesicale von beiden Seiten (3), (5) sowie subhepatisch (2). Zusätzlich kann eine gezielte Drainage im Bereich des Dünndarmkonvoluts eingelegt werden, wenn hier ein besonderes risikobehaftetes Areal vorliegt. [ ] ABB. 24.4

Die Rationale für die Einlage von Drainagen ist, dass diese die verbliebene Spülflüssigkeit und Keime sowie sich neu bildendes peritoneales Exsudat fördern und so der Ausbildung von intraperitonealen Abszessen entgegenwirken. Zudem können sie durch die Entleerung freier intraabdominaler Flüssigkeit den IAD und damit das Risiko für die Entwicklung eines ACS senken. Als Nachteile der Drainagen können angeführt werden, dass die Drainagenkanäle auch Eintrittspforte für nosokomiale Keime sein können und dass, in Abhängigkeit vom Drainagetyp, die Gefahr der Arrosion von Darmstrukturen oder Gefäßen besteht. Niedergethmann et al. weisen darauf hin, dass Drainagen nicht notwendigerweise einen Rückschluss auf das intraabdominale Sekretgeschehen erlauben. Sie empfehlen, dass Drainagen bei der diffusen sekundären Peritonitis nur eingesetzt werden sollten, wenn

• die Drainage zur postoperativen Spülung eingesetzt werden soll, • die Drainage einen umschriebenen Abszess drainieren soll oder • die Drainage eine kontrollierte Fistel etablieren soll. Sollten Drainagen eingelegt worden sein, können diese entfernt werden, wenn sie nur noch klar-seröses Sekret von geringer Menge fördern oder, im Falle

einer zu etablierenden Fistel, nach ca. 14 Tagen. Die Art der zu verwendenden Drainage (Robinson, Jackson-Pratt, Easy Flow etc.) richtet sich im Wesentlichen nach dem Klinikstandard. Umschriebene Abszesse sind, insbesondere wenn sie sekundär auftreten, keine zwingende Indikation zur erneuten Laparotomie, sondern werden vorzugsweise interventionell unter sono- oder computertomografischer Kontrolle drainiert.

Intensivmedizin Zusätzlich zur kausalen chirurgischen Therapie bedarf es bei der sekundären Peritonitis der supportiven Intensivmedizin. Ihre Aufgaben bestehen in der Unterstützung bzw. im passageren Ersatz der Organfunktionen sowie auch in der konservativen Therapie der Sepsis, die sich ganz wesentlich auf die Antibiotikabehandlung stützt.

Antibiotikatherapie Das Erregerspektrum ambulant erworbener Peritonitiden besteht überwiegend aus Echerischia coli, Bacteroides fragilis, Enterokokken und Candida spp. Gemäß der 2010 überarbeiteten Empfehlungen der Paul-Ehrlich-Gesellschaft werden folgende Konzepte empfohlen :

• Bei lokal begrenzter Peritonitis: – Cephalosporine der Gruppe 2 oder 3a in Kombination mit Metronidazol – Fluorchinolone der Gruppe 2 mit Metronidazol – Carbapeneme der Gruppe 2 Die Therapie kann bei Fehlen von Risikofaktoren auf 1–2 Tage begrenzt werden.

• Bei diffuser Peritonitis: – Carbapeneme der Gruppe 1 oder 2 – Cephalosporine der Gruppe 3a oder 4 in Kombination mit Metronidazol – Fluorchinolone der Gruppe 2 oder 3 in Kombination mit Metronidazol – Fluorchinolone der Gruppe 4 – Glycylcycline Bei der postoperativen Peritonitis auf dem Boden einer chirurgischen Kombination ist zu bedenken, dass die Patienten oftmals bereits antibiotisch vorbehandelt sind und sich daher ein selektioniertes Erregerspektrum findet. Zu nennen sind hier vor allem Enterokokken (einschließlich VRE), gramnegative Problemkeime (ESBL-Bildner) und Pilze. Als antiinfektive Therapie werden daher empfohlen:

• Carbapeneme der Gruppe 1 oder 2 • Piperacillin/Tazobactam • Zusätzlich Antimykotika Für die Behandlungsdauer intraabdominaler Infektionen liegen keine eindeutigen Daten aus kontrollierten Studien vor. Bei klinischer Verbesserung und Rückgang der Infektparameter sollte aber immer über eine Deeskalation bzw. ein Absetzen der Therapie nachgedacht werden. Zudem ist grundsätzlich frühzeitig eine dem Keimspektrum angepasste Antibiotikatherapie einzuleiten. Bei fehlender klinischer Verbesserung ist spätestens nach 10 Tagen eine Änderung der antibiotischen Therapie notwendig. Gerade bei Problemkeimen sollte bei Änderungen der antibiotischen Therapie die Fachexpertise eines Mikrobiologen eingeholt werden.

Prognose Die diffuse Peritonitis ist mit einer hohen Mortalität assoziiert. Die Krankheitsverläufe sind oft gekennzeichnet durch Multiorganversagen, lang andauernde Intensivtherapie sowie aufwendige und prolongierte Rekonvaleszenz und Rehabilitation. Eine allgemeine Prognosebewertung für Patienten mit sekundärer diffuser Peritonitis ist schwierig, weil es sich wie dargestellt um ein sehr heterogenes Krankheitsbild handelt. Die präliminare Auswertung von 702 Patienten der CIAOW-Studie (CIAOW = Complicated Intra-Abdominal Infection Observational Worldwide) ergab eine Gesamtmortalitätsrate aller eingeschlossenen Patienten von 10,1 %. Betrachtet man das Ausmaß der peritonealen Entzündung, zeigte sich eine Mortalitätsrate von 4 % bei Patienten mit lokaler und von 18 % bei Patienten mit generalisierter Peritonitis. Unter Berücksichtigung der Krankheitsschwere betrug die Mortalitätsrate bei Patienten mit bereits präoperativ bestehendem Organversagen oder manifester Sepsis 55 % im Vergleich zu 3 % bei klinisch stabilen Patienten . Zur Abschätzung der individuellen Prognose bei sekundärer diffuser Peritonitis ist der Mannheimer Peritonitis-Index (MPI) etabliert. Er wurde 1987 von Linder et al. eingeführt und ist an mehreren Kollektiven validiert , , . Im Vergleich zu anderen Prognosescores bietet er aus chirurgischer Sicht den Vorteil, dass lediglich prä- und intraoperative Parameter einfließen. Er kann somit bereits im Rahmen der Indexoperation erhoben werden und die Entscheidung für das weitere Therapiekonzept unterstützen. zeigt die einfließenden Parameter und deren Klassifikation. Der mögliche Punktwert des MPI reicht von 0 bis maximal 47 Punkten.

Tab. 24.2 Berechnung des Mannheimer Peritonitis-Index (MPI). Prognosefaktor

Kriterium zutreffend

Kriteriumnicht zutreffend

Alter > 50 Jahre

5

0

Geschlecht weiblich

5

0

Organversagen

7

0

Malignom

4

0

Präoperative Peritonitisdauer > 24 Stunden

4

0

Peritonitisursprung nicht Kolon

4

0

Ausbreitung diffus

6

0

Exsudat im Abdomen – klar – trüb-putride – kotig-jauchig

0612

0

Zwischensumme

Gesamtpunkte Der MPI bzw. das individuelle Letalitätsrisiko ist an einem Kollektiv von 1.243 Patienten anhand eines mathematischen Modells für jeden möglichen Punktwert berechnet. Bei einem Punktwert bis 15 Punkte liegt das Letalitätsrisiko bei 0 %, bei 16–21 Punkten bei 6 %; über 29 Punkten steigt das Letalitätsrisiko auf 50 % an. Ab einem Punktwert von 26 Punkten ist das individuelle Letalitätsrisiko höher als das durchschnittliche Risiko des Gesamtkollektivs, welches bei 24 % lag. Abhängig von der gewünschten Spezifität und Sensitivität lässt sich eine abweichende Kategorisierung des MPI vornehmen. So verwenden z. B. Biondo et al. eine Einteilung des MPI in 4 statt 3 Gruppen . Zusätzlich sind in der interdisziplinären Intensivmedizin mehrere Prognosescores etabliert, von denen der APACHE II und der SAPS II die größte Verbreitung zeigen. Neben der individuellen Patienteneinschätzung dienen die angesprochenen Risikoscores auch der Vergleichbarkeit von Patientenkollektiven innerhalb eines Benchmarkings von Krankenhäusern gleicher Versorgungsstufe, zwischen klinischen Studien und auch der Qualitätssicherung am eigenen Patientengut. Abkürzungen ACS

Abdominales Kompartmentsyndrom

APACHE

Acute Physiology And Chronic Health Evaluation

CAPD

Kontinuierliche ambulante Peritonealdialyse

CARS

Compensatory Anti-inflammatory Response Syndrome

ESBL

Extended-Spectrum-Betalaktamasen

IAD

Intraabdominaler Druck

IAH

Intraabdominale Hypertension

MPI

Mannheimer Peritonitis-Index

PEEP

Positiver endexspiratorischer Druck

PR

Programmierte Relaparotomie

ROD

Relaparotomie „on demand“

SAPS

Simplified Acute Physiology Score

SBP

Spontan bakterielle Peritonitis

SIRS

Systemic Inflammatory Response Syndrome

VAC

Vacuum-Assisted Closure

VRE

Vancomycin-resistente Enterokokken

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KAPITEL 25

Ileus Rolf Schlemminger and Heinz Becker

25.1. 25.1.1. 25.1.2. 25.1.3. 25.2. 25.2.1. 25.2.2. 25.2.3. 25.2.4. 25.2.5. 25.2.6. 25.3. 25.3.1. 25.3.2. 25.3.3. 25.3.4. 25.3.5. 25.3.6. 25.3.7. 25.4. 25.4.1. 25.4.2. 25.4.3. 25.4.4. 25.5. 25.5.1. 25.5.2. 25.5.3. 25.5.4. 25.5.5.

25.6. 25.6.1. 25.6.2. 25.6.3. 25.7. 25.7.1. 25.7.2. 25.7.3. 25.7.4. 25.7.5.

25.1 Einleitung 25.1.1 Definition Mit dem Begriff „Ileus“ (aus dem Altgriechischen abgeleitet = „einschließen, zusammendrängen“) wird eine Störung der Darmpassage durch Darmlähmung oder Verlegung des Darmlumens bezeichnet. Man unterscheidet den funktionellen, den mechanischen und den vaskulären Ileus. Beim funktionellen Ileus besteht eine Störung der Darmpassage ohne mechanisches Hindernis. Er wird in einen paralytischen u n d spastischen Ileus unterteilt. Eine seltene Sonderform des funktionellen Ileus stellt die Darmlähmung durch Hypo- oder Aganglionose einzelner Dünn- oder Dickdarmabschnitte dar. Als mechanischer Ileus wird eine Behinderung der Darmpassage durch Verlegung des Lumens aufgrund intraluminärer Ursachen oder Kompression von außen bezeichnet. Er kann sowohl ohne (z. B. Adhäsionen, Tumor, Entzündung) als auch mit einer Störung der Blutzirkulation (Strangulationsileus durch Inkarzeration, Invagination, Volvulus) auftreten. Als vaskulärer Ileus werden Passagestörungen bezeichnet, die sekundär durch eine Beeinträchtigung der Durchblutung entstehen. Ursächlich kommen hier die arterielle mesenteriale Embolie und Thrombose, der chronische Verschluss der Mesenterialgefäße, eine Mesenterialvenenthrombose sowie Vaskulitiden in Betracht. Die nichtokklusive mesenteriale Ischämie ist ebenfalls dieser Gruppe zuzuordnen. Die im klinischen Sprachgebrauch häufig verwendete Bezeichnung Subileus ist nur unscharf definiert und beschreibt eine partielle Passagestörung, die im Vergleich zum Vollbild eines Ileus mit einer weniger eindrucksvollen klinischen Symptomatik einhergeht. Mit dem Begriff chronischer Ileus werden persistierende Passagestörungen beschrieben, die auf Veränderungen der Darmwand durch Entzündung (z. B. Morbus Crohn), Strahlenfolge, Verwachsungen oder Tumoren (Peritonealkarzinose) zurückzuführen sind.

25.1.2 Pathophysiologie – Ileuskrankheit Funktioneller Ileus Die Störung der Peristaltik führt zu einer Stase des Darminhalts, die von einer Veränderung der Keimbesiedelung gefolgt ist. Im Dünndarm resultiert eine Zunahme von fäkulenten Keimen, v. a. von Escherichia coli. Diese Keimvermehrung führt zu einer Mediatorfreisetzung, die von einer Hypersekretion der Schleimhaut in das Lumen gefolgt ist. Pathophysiologisch steht daher die Hypersekretion im Vordergrund .

Mechanischer Ileus Hoher Dünndarmileus Ist das Passagehindernis im proximalen Dünndarm lokalisiert, kommt es rasch zu einem Reflux in den Magen, gefolgt von Erbrechen. Aus der möglichen Druckentlastung resultieren Flüssigkeitsverlust und Elektrolytverschiebung. Hypovolämie und Elektrolytentgleisung kennzeichnen daher den hohen Dünndarmileus. Tiefer Dünndarmileus Im Gegensatz zum hohen Dünndarmileus ist eine Druckentlastung nach oral nur eingeschränkt möglich. Durch die Stase kommt es zu einer Veränderung der Keimbesiedelung mit Zunahme der fäkulenten Flora. Bakterielle Zerfalls- und Stoffwechselprodukte führen zu einer mediatorbedingten Hypersekretion der Mukosazellen und Steigerung der Durchblutung. Im weiteren Verlauf wird die Mukosabarriere durchlässig. Endotoxinämie und bakterielle Translokation sind die Folge. Als Spätfolge resultieren Sepsis und Multiorganversagen . Dickdarmileus Während die Störung der Mukosabarriere beim tiefen Dünndarmileus vorwiegend mediatorbedingt ist, entwickelt sich beim mechanischen Dickdarmileus durch zunehmende Gas- und Stuhlfüllung ein massiver intraluminärer Druckanstieg. Störung der Mikrozirkulation und Gewebshypoxie mit Beeinflussung der Integrität der Darmwand sind die Folge . Strangulationsileus B e i m Strangulationsileus kommt es neben der mechanisch bedingten Passagestörung primär zu einer Beeinträchtigung der mesenterialen Durchblutung. Gewebshypoxie und Aufhebung der Barrierefunktion treten im Vergleich zum Okklusionsileus und in Abhängigkeit von der Durchblutungsminderung früher ein. Mögliche Folgen sind die Endotoxinämie sowie Wandperforation und Durchwanderungsperitonitis.

25.1.3 Leitsymptome Die wesentlichen Leitsymptome beim Ileus sind Schmerz, Erbrechen und Meteorismus. Schmerzen, Erbrechen, Meteorismus, Stuhlverhalt und Miserere sind die häufigsten klinischen Symptome beim kompletten Darmverschluss. Je nach Ileuslokalisation kann die klinische Symptomatik jedoch unterschiedlich sein. Beim Dünndarmileus stehen Schmerzen, Erbrechen und Meteorismus im Vordergrund. Da beim Dickdarmileus bei intakter Bauhin-Klappe die Veränderungen oft auf den Dickdarm beschränkt bleiben, imponiert hier neben Schmerzen und Meteorismus vor allem der Stuhlverhalt. Erbrechen wird im Vergleich zum Dünndarmileus seltener gefunden. Die Zeitspanne vom Symptombeginn bis zur Hospitalisation unterliegt in Abhängigkeit von subjektivem Empfinden, Leidensdruck, Ileusursache und unterschiedlicher Pathophysiologie einer großen Schwankungsbreite und beträgt wenige Stunden bis zu mehreren Tagen. In vergleichenden Untersuchungen ist sie beim Dünndarmileus im Vergleich zum Dickdarmileus jedoch insgesamt deutlich kürzer (im Mittel 5,8 vs. 14,8 Tage) .

25.2 Diagnostik 25.2.1 Anamnese Die Anamnese muss sorgfältig erhoben werden, da die Mehrzahl aller Ileuspatienten voroperiert ist. Der Zeitpunkt des Auftretens von Schmerzen und/oder

Erbrechen sowie Schmerzcharakter (krampfartig, andauernd) und Schmerzlokalisation sind gezielt zu erfragen, da sie Hinweise auf ein fortgeschrittenes Krankheitsbild oder bereits eingetretene Komplikationen geben können.

25.2.2 Klinische Untersuchung Im Rahmen der klinischen Untersuchung ist neben der Beurteilung von Narbenverhältnissen die Untersuchung von Bruchpforten obligat. Das Abdomen ist häufig meteoristisch aufgetrieben. Abwehrspannung kann lokalisiert oder diffus nachweisbar sein. Bei entsprechender Beschaffenheit der Bauchdecken können beim mechanischen Dünndarmileus Darmsteifungen sichtbar sein. Die Auskultationsbefunde reichen von Hyperperistaltik bis zur völligen „Totenstille“. Darmgeräusche können spärlich vorhanden sein. Sie imponieren oft metallisch, hochgestellt und „ohrnah“.

25.2.3 Labordiagnostik Die laborchemischen Untersuchungen liefern beim Ileus eher unspezifische Veränderungen, die keinesfalls beweisend sind oder Ausschlusscharakter haben. So geht eine Leukozytose > 10.000/mm 3 nur bei einem Drittel der Patienten mit bereits eingetretenen Komplikationen im Sinne einer Darmwandnekrose einher. Da eine notwendige operative Therapie primär nie ausgeschlossen werden kann, sind die Gerinnungsparameter von großer Bedeutung. Ferner muss besonderes Augenmerk auf mögliche Elektrolytentgleisungen und Anstieg der Retentionswerte gelegt werden. Extreme Erhöhungen der Entzündungsparameter (Leukozytose > 18.000/mm 3 , CRP > 120 mg/l) gelten in Zusammenhang mit entsprechender klinischer Symptomatik (Schmerzen, Fieber, Tachykardie) als möglicher Hinweis auf eine Darmstrangulation.

25.2.4 Apparative Diagnostik Abdomenleeraufnahme Bei Ileusverdacht ist die Abdomenleeraufnahme obligat. Sie kann in Abhängigkeit vom Allgemeinzustand im Stehen durchgeführt werden. Ist der Patient unfähig zu stehen, muss sie in Rückenlage und in Linksseitenlage durchgeführt werden. Neben den typischen röntgenmorphologischen Zeichen des Ileuszustands (Spiegelbildung, distendierte Darmschlingen), die etwa nach 6 Stunden nachweisbar sind, erlaubt die Übersichtsaufnahme eine Differenzierung der beteiligten Darmabschnitte (Dünn- bzw. Dickdarmileus) ( ).

ABB. 25.1

Röntgen-Übersichtsaufnahme des Abdomens. Typische Spiegelbildung bei Dünndarmileus. [ ]

Lokalisationsdiagnostik durch Kontrastmitteluntersuchungen Kontrastmittelpassage Wird ein Passagehindernis im Dünndarm vermutet und ist die initiale Diagnostik ohne Hinweise auf bereits eingetretene Komplikationen (akutes Abdomen, freie Luft), ist die Indikation zur Durchführung einer Intestinografie zu überprüfen, um die Lokalisationsdiagnostik voranzutreiben und einen funktionellen Ileus auszuschließen. Da Komplikationen wie Darmwandschädigung oder drohende Perforation nie komplett ausgeschlossen werden können, sollte stets ein wasserlösliches Kontrastmittel Verwendung finden. Mögliche Nebenwirkungen durch die osmotische Wirkung des Kontrastmittels im Sinne von Elektrolytstörungen und Hypovolämien müssen beachtet werden. Beim adhäsionsbedingten Dünndarmileus kommt dieser Untersuchung eine besondere Bedeutung zu. Bei fehlenden Zeichen eines akuten Abdomens oder einer Strangulation, die eine klare Operationsindikation darstellen, ist die Frage nach dem Erfolg konservativer Maßnahmen oder der Notwendigkeit einer Operation initial oft schwer zu beantworten. Die Ergebnisse aktueller Metaanalysen lassen jedoch den Schluss zu, dass beim Nachweis von Kontrastmittel im Kolon innerhalb von 24 Stunden nach der Applikation eine spontane Rückbildung des Ileuszustands mit hoher Wahrscheinlichkeit (Sensitivität, Spezifität: > 90 %) erwartet werden kann , .

Kolonkontrasteinlauf Sofern Beschwerdebild und Allgemeinzustand dies zulassen, besteht beim Dickdarmileus die Indikation zum Einlauf mit wasserlöslichem Kontrastmittel, um Ausmaß und Lokalisation der Passagebehinderung abzuklären. Als Hauptindikationen gelten rezidivierende Subileuszustände, der kombinierte Dünn- und Dickdarmileus sowie eine drohende Dickdarmbeteiligung nach vorausgegangener Strahlentherapie und bei vorbestehenden oder vermuteten malignen Tumorleiden (z. B. gynäkologische Tumoren, kolorektales Karzinom). Die Aussagekraft der Untersuchung kann durch fehlende Vorbereitung, mangelnde Kooperation und Inkontinenz eingeschränkt sein.

Sonografie Obwohl durch starken Meteorismus die Aussagekraft der Sonografie häufig eingeschränkt ist, kommt dieser Untersuchung aus mehreren Gründen eine zunehmende Bedeutung zu. Sie dient der differenzialdiagnostischen Abklärung, da Hinweise auf pathologische Veränderungen wie Cholezystolithiasis, akute Cholezystitis, intraabdominelle Abszesse, gynäkologische und urologische Krankheitsbilder gegeben werden können. Der Nachweis von Pendelperistaltik spricht für eine Motilitätsstörung des Darms und kann die Ileusdiagnose untermauern. Ist ein Lumensprung nachweisbar, kann eine Lokalisation der Obstruktion erfolgen. Dies ist v. a. beim hohen Dünndarmileus von Bedeutung, da dieser durch den möglichen Reflux häufig „röntgennegativ“ ist, sodass die typischen Zeichen im Übersichtsbild fehlen . Im Vordergrund stehen Schmerzen und Erbrechen bei fehlendem Meteorismus. Hier kann die Sonografie wertvolle Hinweise auf einen zugrunde liegenden Ileuszustand erbringen. Bei entsprechender Erfahrung kann sogar die Ileusursache oder eine bestehende Strangulation nachgewiesen werden.

Computertomografie und MR-Tomografie Der Stellenwert der CT im Rahmen der bildgebenden Ileusdiagnostik beruht im Wesentlichen auf der differenzialdiagnostischen und ätiologischen Abklärung. Insbesondere bei Einschränkung der Aussagekraft der Sonografie durch starken Meteorismus besteht eine gute Indikation zur Durchführung dieser Untersuchung. Die korrekte Abklärung der Ileusursache gelingt in über 70 % der Fälle. Als Hauptindikationen gelten der Dickdarmileus ( ) und der tiefe Dünndarmileus durch pathologische Veränderungen im Ileozökalbereich . Außerdem kann die CT wichtige Zusatzinformationen wie Tumorformationen, Abszesse oder Entzündungen liefern, die wiederum ursächlich für den Ileus sein können.

ABB. 25.2

CT-Bild eines Dickdarmileus bei inkarzerierter Zwerchfellhernie. [ ]

Die MRT kann aufgrund der fehlenden Strahlenbelastung als Alternative zur CT angesehen werden, ohne dass eine Überlegenheit bisher nachgewiesen werden konnte . In der Akutdiagnostik kommt der MRT im Vergleich zur CT derzeit noch geringe Bedeutung zu .

Endoskopie Der Einsatz der Endoskopie als Alternative zum Kolonkontrasteinlauf ist insbesondere im Rahmen der Abklärung eines Dickdarmileus indiziert. Als Vorteile gelten die Möglichkeit der direkten Inspektion der Ileusursache mit Biopsiegewinnung sowie die mögliche Dekompression der oral gelegenen dilatierten Darmabschnitte durch Passage einer relativen Stenose oder intraluminäre Schienung . Wichtige Kriterien zur Durchführung einer Koloskopie als Alternative zum Kontrasteinlauf sind der Allgemeinzustand des Patienten, die Ausprägung des Ileuszustands sowie die Verfügbarkeit eines erfahrenen Untersuchers.

25.2.5 Differenzialdiagnose Als wichtigste Differenzialdiagnose zum mechanischen Ileus gilt der funktionelle Ileus. Mögliche Ursachen sind in dargestellt. Die Therapie der Grundkrankheit, Korrektur von Elektrolytstörungen sowie die symptomatische Therapie durch Sondenentlastung des Gastrointestinaltrakts stehen im Vordergrund. Persistiert der klinische Zustand trotz suffizienter konservativer Therapie, sind zum Ausschluss mechanischer Ursachen Passageuntersuchungen mit wasserlöslichem Kontrastmittel indiziert.

Tab. 25.1 Funktioneller Ileus – Ursachen Paralytischer Ileus • intraabdominelle Entzündungen: Pankreatitis, Cholezystitis, Appendizitis, Peritonitis • metabolische Veränderungen: diabetische Azidose, Urämie, Hypokalziämie • reflektorisch im Rahmen anderer Erkrankungen: Nieren- oder Gallenkolik, Blutverlust, Blasenüberdehnung, Wirbelfraktur • Medikamente: Opiate, Antidepressiva Spastischer Ileus • Intoxikation: Bleivergiftung • im Rahmen anderer Erkrankungen: Porphyrie, Ascariasis • Hypo- oder Aganglionose (Neugeborenenileus) (modifiziert nach Henne-Bruns und Löhnert 2000).

25.2.6 Diagnostische Vorgehensweise bei klinischer Verdachtsdiagnose „Ileus“ Die initiale Versorgung beinhaltet die Schaffung eines venösen Zugangs und bei rezidivierendem Erbrechen oder meteoristisch aufgetriebenem Abdomen die Einlage einer Magensonde. Nach der Anamneseerhebung, Laboruntersuchung, klinischen Untersuchung und Sonografie schließt sich die konventionelle Röntgen-Untersuchung (Abdomenleeraufnahme) an. Die Wertung dieser Befunde entscheidet über das weitere Vorgehen: Operation zum frühestmöglichen Zeitpunkt, klinische Überwachung, weiterführende Diagnostik, ggf. unter Einbeziehung anderer Fachdisziplinen (z. B. Urologie, Gynäkologie).

25.3 Mechanischer Dünndarmileus 25.3.1 Allgemeines Etwa 5 % aller Indikationen zur Laparotomie in einem allgemein- und viszeralchirurgischen Krankengut werden wegen der Diagnose Ileus gestellt. In etwa zwei Drittel aller Fälle liegt ein Dünndarmileus vor. Dieser ist auch für 20 % aller Aufnahmen unter dem Bild des akuten Abdomens verantwortlich .

25.3.2 Ursachen Wie in dargestellt, ist der mechanische Dünndarmileus in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle durch Adhäsionen oder Briden bedingt, die in über 90 % ihre Ursache in vorausgegangenen Laparotomien haben . Hernien und Malignome stellen weitere relativ häufige Ursachen dar.

Tab. 25.2 Mechanischer Dünndarmileus: Ursachen. Publikation

Uhl et al. 1998

Roscher et al. 1991

Böhmig und Enkner 1989

Patientenzahl (n)

202

275

242

Adhäsionen/Briden

110 (54,4 %)

133 (48,3 %)

154 (63,6 %)

Hernien

40 (19,8 %)

23 (8,4 %)

44 (18,2 %)

Malignom

31 (15,3 %)

72 (26,1 %)

21 (8,7 %)

Morbus Crohn

8 (3,9 %)

2 (0,7 %)

9 (3,7 %)

Volvulus

7 (3,4 %)

12 (4,4 %)

4 (1,6 %)

Gallensteinileus

4 (1,9 %)

10 (3,6 %)

2 (0,8 %)

Invagination

1 (0,4 %)

7 (2,5 %)

1 (0,4 %)

Sonstiges

1 (0,4 %)

9 (3,2 %)

1 (0,4 %)

lokale Peritonitis



6 (2,2 %)

3 (1,2 %)

aktinisch



1 (0,4 %)

3 (1,2 %)

25.3.3 Strangulationsileus Eine besondere Situation des mechanischen Dünndarmileus liegt beim Strangulationsileus vor, der mit einer relativen Häufigkeit zwischen 10 und 45 % beschrieben wird , . Durch die Beeinträchtigung der Durchblutung drohen zusätzlich zur Behinderung der Passage gangränöse Wandveränderungen mit nachfolgender Durchwanderung, Perforation und Peritonitis ( ). Wegen der vital bedrohlichen Folgeerscheinungen ist das Erkennen dieser Notfallsituation im Rahmen der Ileusdiagnostik von zentraler Bedeutung.

ABB. 25.3

Strangulationsileus mit hämorrhagischer Infarzierung des Dünndarms. [ ]

Spezifische Untersuchungsparameter fehlen. Im Vergleich zum mechanischen Dünndarmileus ohne vaskuläre Beteiligung weisen die Betroffenen jedoch durch den mesenterialen Reizzustand eine stärkere Beeinträchtigung des Allgemeinzustands, vermehrte Unruhe und starke, häufig kolikartige Schmerzen auf. Extreme Erhöhungen der Entzündungsparameter (Leukozytose > 18.000/mm 3 , CRP > 120 mg/l) gelten in Zusammenhang mit entsprechender klinischer Symptomatik (Fieber, Tachykardie) ebenfalls als mögliche Hinweise auf eine Darmstrangulation . Bei der Verdachtsdiagnose Strangulationsileus besteht die klare Indikation zur Operation zum frühestmöglichen Zeitpunkt, der mit Ausnahme der Sonografie nicht durch weitere Abklärungsuntersuchungen verzögert werden darf. Ist die klinische Situation nicht derart eindeutig, dass eine Operationsindikation gestellt werden muss, sollte rasch die weitere Abklärung durch eine CTUntersuchung erfolgen. Hier kann aufgrund relativ typischer Zeichen in der Bildgebung (z. B. fehlendes Kontrastmittelenhancement) der Verdacht auf das Vorliegen einer Darmstrangulation am sichersten erhärtet werden .

25.3.4 Untersuchungsgang Sofern Zeichen des akuten Abdomens oder Hinweise auf das Vorliegen einer Strangulation fehlen, verbleibt der Patient zunächst in klinischer Beobachtung. Veränderung des Allgemeinzustands, klinischer Untersuchungsbefund, Auswirkungen der Infusionstherapie und Elektrolytsubstitution, Schmerzsymptomatik und Fördermenge der Magensonde gelten als wichtige Parameter zur Entscheidungsfindung über das weitere Vorgehen ( ). Diese Entscheidungsfindung muss in einem zeitlich festgelegten Rahmen erfolgen. Klinische Kontrollen sind engmaschig durchzuführen, der Zeitraum sollte 6 Stunden nicht überschreiten.

ABB. 25.4

Untersuchungsgang und Entscheidungen zum therapeutischen Vorgehen beim mechanischen Dünndarmileus. [ ]

Insbesondere die ersten 48 Stunden nach der Aufnahme sind von zentraler Bedeutung. Der Frage nach dem Vorliegen eines kompletten oder inkompletten Stopps kommt im Hinblick auf das weitere Vorgehen besondere Bedeutung zu. Ein Ileuszustand mit inkomplettem Stopp kann in einem hohen Prozentsatz (43–64 %) konservativ therapiert werden, v. a. bei Vorliegen eines Adhäsionsileus , . Der Nachweis eines kompletten Stopps gilt als Risikofaktor für das Versagen einer konservativen Therapie, sodass eine Fortführung, wenn überhaupt, nur bei engmaschigster klinischer Überwachung und bei Fehlen jeglicher Zeichen einer Strangulation oder Peritonitis vertretbar erscheint . Im Rahmen der konservativen Therapie des Dünndarmadhäsionsileus wird der Stellenwert langer Intestinalsonden im Vergleich zur Magensonde immer wieder kontrovers diskutiert. Auch wenn in der neueren Literatur Vorteile im Hinblick auf die Rückbildung der klinischen Symptomatik für Intestinalsonden beschrieben werden, gelten beide Ableitungsverfahren in den publizierten Guidelines aus den Jahren 2008 und 2011 hinsichtlich der Effektivität als gleichwertig , , . Unabhängig von der Art der Sonde wird die Wichtigkeit der frühzeitigen Einlage immer wieder betont. Für die klinische Praxis bedeutet dies, dass nur bei deutlicher und kontinuierlicher klinischer Besserung unter konservativer Therapie zunächst ohne weitere Diagnostik zugewartet werden kann. In der Regel wird man sich jedoch frühzeitig (innerhalb von 48 Std.) zur Durchführung weiterer Abklärungsuntersuchungen (CT, Passageuntersuchung mit Gastrografin ® ) entscheiden, um die Frage nach der Notwendigkeit einer operativen Therapie rasch und zuverlässig beantworten zu können. Bei fehlender Besserung oder bei Verschlechterung nach initialer Stabilisierung muss durch Abklärungsuntersuchungen gezielt nach einem kompletten Stopp gefahndet werden. Hier steht die Intestinografie mit wasserlöslichem Kontrastmittel bei der Wahl der Untersuchungsverfahren an erster Stelle. Bei erhaltener Passage entscheiden der klinische Zustand, der Erfolg konservativer Maßnahmen und das Ausmaß der Stenose über das weitere Vorgehen. Insbesondere beim adhäsionsbedingten mechanischen Dünndarmileus ist der diagnostische und therapeutische Wert dieser Passageuntersuchung gut belegt, wie die Metaanalyse von Branco zeigen konnte. Beim Nachweis von Kontrastmittel im Kolon 4–24 Stunden nach der Gabe konnte mit hoher Sensitivität (96 %) und Spezifität (98 %) die Rückbildung des Ileuszustands vorhergesagt werden. Verschlechtert sich der Allgemeinzustand innerhalb der ersten 6 Stunden nach der Aufnahme unter konservativer Therapie, sollte die operative Therapie nicht durch Abklärungsuntersuchungen verzögert werden.

25.3.5 Operationsindikation Beim mechanischen Dünndarmileus gelten absolute und relative Operationsindikationen sowie verschiedene Dringlichkeitsstufen. Eine absolute Indikation von hoher Dringlichkeit (Operation zum frühestmöglichen Zeitpunkt) besteht bei allen Ileuszuständen, die mit klinischen Zeichen einer Peritonitis einhergehen, sowie bei Verdacht auf Strangulationsileus und mesenteriale Durchblutungsstörung. Eine absolute und dringliche Indikation (< 12 Stunden) besteht bei Nachweis eines hohen Dünndarmileus. In den Empfehlungen von Diaz et al. aus dem Jahr 2008 wird der Nachweis eines kompletten Stopps bei klinisch kompensiertem Zustand nicht als absolute

Operationsindikation angesehen und eine primär konservative Therapie für vertretbar erachtet . Auf das erhöhte Risiko des Versagens dieser Therapie wird jedoch hingewiesen. Wie bereits erwähnt sind in dieser Situation besonders engmaschige klinische Kontrollen zu fordern. Eine relative Indikation besteht zunächst beim Ileus mit inkomplettem Stopp, der primär konservativ behandelt wird. Bei Verschlechterung des Allgemeinzustands, fehlendem Effekt konservativer Maßnahmen und drohendem Organversagen liegt eine absolute Operationsindikation vor. Der geeignete Operationszeitpunkt nach konservativem Therapieversuch wird in der Literatur mit einem Intervall zwischen 12 Stunden und 5 Tagen angegeben . Eine wichtige Zeitspanne für die Indikationsstellung liegt bei 48 Stunden, da in diesem Intervall häufig eine Rückbildung eines inkompletten, adhäsionsbedingten Ileus beobachtet werden kann . Ist der klinische Zustand kompensiert, kann der Beobachtungszeitraum weiter ausgedehnt werden. Die Indikation zur Durchführung von Abklärungsuntersuchungen (Passageuntersuchung, CT) sollte überprüft werden, soweit diese noch nicht erfolgt sind. Hat sich die klinische Situation nach 72 Stunden konservativer Therapie nicht entspannt, wird die operative Therapie empfohlen . Wichtig für die Indikationsstellung zur raschen operativen Therapie ist ebenfalls die Zeitspanne zwischen dem Auftreten eines Ileuszustands und einer kürzlich erfolgten Operation im Bereich des Abdomens. Patienten, die einen mechanischen Dünndarmileus entwickeln und deren operativer Eingriff nicht länger als sechs Wochen zurückliegt, sollten keiner längeren konservativen Therapie zugeführt werden. In dieser Situation wird in den aktuellen Empfehlungen der operativen Therapie klar der Vorzug gegeben .

25.3.6 Aufklärung Art und Umfang der Aufklärung richten sich nach der Dringlichkeit der Operation und dem Allgemeinzustand des Patienten. Bei starker Alteration des Allgemeinzustands und Beeinträchtigung der Ansprechbarkeit ist eine mündliche, der Situation angepasste Aufklärung unter Hinweis auf die absolute Notwendigkeit der Operation ausreichend. Eine schriftliche Dokumentation in der Krankenakte ist zwingend erforderlich. Bei erhaltener Ansprechbarkeit hat die Aufklärung nach den geltenden Regeln der Rechtsprechung zu erfolgen und beinhaltet immer die schriftliche Einverständniserklärung zur Operation. Neben den allgemeinen Operationsrisiken muss die besondere Problematik der Enterostomaanlage, der Anastomoseninsuffizienz nach Darmresektion und der Relaparotomie bei Ileusrezidiv im Rahmen der Aufklärung berücksichtigt werden.

25.3.7 Operationsvorbereitung Die Operationsvorbereitung bei mechanischem Dünndarmileus beinhaltet die Kontrolle der Gerinnungsparameter, den Ausgleich des Flüssigkeits- und Elektrolythaushalts durch Substitutions- und Infusionstherapie sowie die Einlage einer Magensonde zur Entlastung des Magen-Darm-Trakts. Die Kontrolle der Infusionstherapie durch Messung des zentralen Venendrucks und der Urinausscheidung macht in der Regel die Einlage eines zentralen Venenkatheters und eines Blasenkatheters erforderlich. In Abhängigkeit vom Allgemeinzustand, Umfang notwendiger Korrekturen und Schweregrad vorliegender Begleiterkrankungen sollte die Operationsvorbereitung bereits unter Intensivbedingungen erfolgen.

25.4 Operationsverfahren bei mechanischem Dünndarmileus 25.4.1 Stellenwert der Laparoskopie Mit zunehmender Erfahrung erstreckt sich das Indikationsspektrum der laparoskopischen Chirurgie auch auf den Ileuszustand. Neben den bekannten Vorteilen wie Reduktion von Wundkomplikationen und Narbenhernien sprechen vor allem Hinweise auf eine geringere Rate an postoperativen Verwachsungen und möglicherweise eine geringere Rezidivrate für ein laparoskopisches Vorgehen . Nach erfolgreichem Einsatz der laparoskopischen Technik sind eine schnellere Rekonvaleszenz sowie eine verkürzte Krankenhausverweildauer im Vergleich zum offenen Vorgehen nachgewiesen . Die berichteten Erfahrungen zum Einsatz der Laparoskopie erstrecken sich mittlerweile auf beachtliche Fallzahlen von über 1.000 bis mehr als 2.000 Patienten , . Die Erfolgsraten in diesen beiden großen Reviews betrugen 66 bzw. 64 % bei einer Konversionsrate von 33,5 bzw. 29 %. Zum erfolgreichen Einsatz der Laparoskopie beim mechanischen Dünndarmileus werden aufgrund der vorliegenden Erfahrungen u. a. folgende Empfehlungen gegeben: mäßige abdominale Distension, proximale Obstruktion, vorausgegangene operative Behandlung in einem begrenzten Bereich des Abdomens, keine Beschreibung massiver Adhäsionen in der Vorgeschichte, Schaffung eines sicheren Zugangs zur Peritonealhöhle. . Der Erstzugang sollte in einer offenen Technik im linken Oberbauch und entfernt von vorbestehenden Narben erfolgen. Begrenzte Übersicht durch Verwachsungen und leicht verletzliche distendierte Darmschlingen zwingen zur Konversion, deren Schwelle niedrig sein sollte . Dies gilt insbesondere im Zusammenhang mit einer der gefürchtetsten intraoperativen Komplikationen, der Enterotomie. Diese tritt im Vergleich zum offenen Vorgehen häufiger auf . Die Laparoskopie im manifesten Ileuszustand ist in der klinischen Routine eher die Ausnahme. Die Indikationsstellung ist im Hinblick auf ein streng selektioniertes Patientengut besonders sorgfältig zu stellen. Eingeschränkte Sichtverhältnisse durch massiv flüssigkeitsgefüllte Darmschlingen, eine lokal ausgedehnte, abszedierende oder generalisierte Peritonitis, Darmperforation oder Gangrän gelten als Kontraindikationen und zwingen nach laparoskopischem Beginn zur raschen Konversion.

25.4.2 Offenes Vorgehen Zugang Standardzugang ist die mediane Laparotomie mit Linksumschneidung des Nabels. In Abhängigkeit von der Lokalisation der Ileusursache und der notwendigen Übersicht bei der Exploration kann der Zugang entsprechend erweitert werden. Bei Voroperationen sollte der mediane Zugang, wenn möglich, in der Weise gewählt werden, dass zunächst über unberührte Anteile der Bauchdecke eingegangen wird, um Sekundärschäden bei der Eröffnung der Bauchhöhle zu vermeiden.

Darmdekompression Entlastung überblähter Darmabschnitte erfolgt durch manuelles Ausstreifen nach oral oder aboral. Hierbei gilt es, Sekundärschäden wie Serosaeinrisse, intramurale Hämatome und Darmeröffnungen zu vermeiden. Ist eine Enterotomie ohnehin notwendig, sollte die Entlastung des Darms in diesem Zusammenhang erfolgen und auf eine manuelle Dekompression verzichtet werden.

Adhäsiolyse, Bridenlösung Adhäsiolyse und Bridenlösung gehören zu den häufigsten operativen Maßnahmen beim Dünndarmileus. Das Ausmaß muss vom intraoperativen Befund abhängig gemacht werden. Sind Lokalisation und Ursache leicht zu identifizieren, wie z. B. ein deutlicher Lumenunterschied bei solitärer Bridenbildung, ist die operative Therapie (Durchtrennung und Resektion der Bride) relativ leicht durchzuführen. In vielen Fällen wird sich der Darm trotz einer möglichen Schnürfurche erholen, sodass auf weitere Maßnahmen verzichtet werden kann. Liegen ausgedehnte Verwachsungen vor und/oder ist die Ursache nicht eindeutig zu identifizieren (relative Stenosen, fehlender Lumensprung), kann eine ausgedehnte Adhäsiolyse indiziert sein. Bei vulnerabler Darmwand muss sorgfältig zwischen Ausmaß und möglichen Sekundärschäden durch Serosadefekte oder Eröffnung des Lumens abgewogen werden. Immer muss darauf geachtet werden, dass die Passage distal des vermuteten Passagehindernisses oder einer Lumeneröffnung frei ist, um eine Stase mit sekundärer Insuffizienz einer Übernähung zu vermeiden. Muss eine Adhäsiolyse wegen drohender Sekundärschäden abgebrochen werden, kann die Ileusursache nicht zweifelsfrei behoben werden oder ist die Passage nach distal nicht gesichert, muss alternativ zu einer ausgedehnten Resektion oder Anlage einer Umgehungsanastomose die Anlage einer Enterostomie erwogen werden.

Primäre Resektion, Anastomosentechnik Die primäre Resektion ist immer dann indiziert, wenn die Schädigung der Darmwand durch Ischämie oder Entzündung derart hochgradig ist, dass eine

Restitution nicht erwartet werden kann. Ferner muss die Resektion zur Beseitigung eines septischen Herdes oder einer obstruierenden Ursache erfolgen, sofern keine Palliativsituation vorliegt. Die Wiederherstellung der Passage erfolgt in der Regel als End-zu-End- Anastomose, die trotz veränderter Wandbeschaffenheit und bestehenden Lumenunterschieds in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle möglich sein sollte. Alternativ ist bei deutlichem Lumenunterschied und beim Hochrisikopatienten die Seit-zu-Seit- oder End-zu-Seit-Anastomose möglich ( a–e).

Lumeninkongruenz nach Segmentresektion bei Dünndarmileus. End-zu-End-Anastomose mit Lumenausgleich durch Handnaht (a, b). Alternative: maschinelle Seit-zu-Seit-Anastomose (c–e). [ ] ABB. 25.5

Einlage von Drainagen Ein Vorteil einer Drainageneinlage nach operativer Therapie eines mechanischen Dünndarmileus ist bislang nicht gesichert. Eine Insuffizienz einer Dünndarmanastomose oder -übernähung kann durch eine liegende Drainage nicht suffizient beherrscht werden. Die Einlage dient daher der postoperativen Beurteilung des Sekrets im Hinblick auf mögliche operative Konsequenzen. Eine routinemäßige Drainageneinlage ist nicht zu empfehlen. Ist der Situs jedoch durch entzündliche Komplikationen wie Abszesse oder Sekretverhalt kompliziert und lassen Veränderungen der Darmwand Anastomosen oder Übernähungen risikoreich erscheinen, ist im Einzelfall die Drainageneinlage indiziert. Alternativ muss bei drohenden Komplikationen die Indikation zur programmierten Relaparotomie überprüft werden.

Intraoperative Rezidivprophylaxe Der mechanische Dünndarmileus ist in der Mehrzahl aller Fälle durch Adhäsionen bedingt. Verletzung des Peritoneums durch das operative Trauma, Entzündung, Ischämie und Reaktionen auf Fremdkörper gelten als Ursachen für die Adhäsionsentstehung. Veränderungen der fibrinolytischen Aktivität bedingen eine nur unzureichende Lyse des durch das chirurgische Trauma freigesetzten Fibrins. Gemäß der Wundheilung kommt es zum Einsprossen von Fibroblasten und zur Bildung kollagenreichen Bindegewebes . Basierend auf den pathophysiologischen Überlegungen zur Adhäsionsentstehung lassen sich mehrere allgemeine Ansätze zur Prophylaxe ableiten: Verwenden puderfreier Operationshandschuhe, atraumatische Operationstechnik, Einsatz laparoskopischer Techniken, Vermeiden von Peritonealläsionen durch Austrocknung. Der Verschluss der Laparotomiewunde ohne Mitfassen des Peritoneums soll das Auftreten von Verwachsungen vermindern, ohne dass eine höhere Rate an Narbenhernien und Platzbäuchen beklagt werden muss . Operative Maßnahmen zur Adhäsionsprophylaxe oder bei Vorliegen von Verwachsungen wie Dünndarm- oder Mesenterialduplikaturen spielen sowohl in der aktuellen Literatur als auch in der täglichen Praxis keine wesentliche Rolle mehr. Eine weitere Möglichkeit der Rezidivprophylaxe besteht in der intraoperativen Einlage langer Intestinalsonden nach Beseitigung der Ileusursache. Erfolgte die Einlage bereits präoperativ, wird in Abhängigkeit vom intraoperativen Situs das Belassen der Sonde empfohlen . Vermeiden spitzwinkliger Abknickungen und eine bessere Dekompression im Vergleich zur nasogastralen Sondenableitung gelten als Rationale für den Einsatz. Die Anwendung ist jedoch mit typischen Komplikationen wie Blutung, Perforation, Intussuszeption und der Notwendigkeit einer Relaparotomie bei Sondenabriss oder erschwerter Entfernung verbunden. Wurde die Sonde über eine Witzelfistel eingelegt, gilt die verlängerte Sekretion im Bereich der Einlagestelle als typische Komplikation. Daten zum erfolgreichen intraoperativen Einsatz langer Intestinalsonden beziehen sich oft auf retrospektive Beobachtungen mit limitierter Patientenzahl und inhomogenem Patientengut, sodass deren Effektivität nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden konnte , . In einer prospektiven randomisierten Studie im Rahmen der Therapie eines frühen postoperativen Ileus ließ sich ein Vorteil der Sondeneinlage nur in Bezug auf frühe postoperative Komplikationen, nicht aber im Langzeitverlauf nachweisen . In aktuellen Empfehlungen zum Management des adhäsionsbedingten Dünndarmileus finden lange Intestinalsonden lediglich im Rahmen der konservativen Therapie Berücksichtigung . Aufgrund der Datenlage und der Komplikationsmöglichkeiten kann eine generelle Prophylaxe durch intraoperative Sondeneinlage nicht empfohlen werden . In der Regel stellt sich die Frage nach einer intraoperativen Prophylaxe in der Rezidivsituation nach ausgedehnter Adhäsiolyse und/oder bei schweren Veränderungen der Darmwand. In Erwartung eines (Früh-)Rezidivs kann als Alternative zur ausgedehnten Resektion im Einzelfall die Sondeneinlage gerechtfertigt sein . Veränderungen der Darmwand durch entzündliche Darmerkrankungen, Strahlenenteritis oder Abszessbildung müssen als Risikofaktoren im

Hinblick auf Komplikationen angesehen werden, sodass die Einlage besonders kritisch zu prüfen ist . Hinsichtlich der medikamentösen Adhäsionsprophylaxe wird eine Substanz gefordert, die ohne negativen Einfluss auf die Blutgerinnung und Wundheilung am Ende des operativen Eingriffs einmalig appliziert wird. Die derzeit unter klinischer Anwendung stehenden resorbierbaren Substanzen, die als dünne Filme, Gel oder Flüssigkeit appliziert werden, sind hinsichtlich ihrer prophylaktischen Wirkung noch nicht eindeutig zu beurteilen. Insbesondere fehlt aufgrund der aktuellen Datenlage der Nachweis, dass durch die intraoperative Applikation bestimmter Substanzen die Rate an operativen Reinterventionen gesenkt werden könnte , . Bislang steht keine Substanz zur Verfügung, die aufgrund aktueller Daten mit hoher Evidenz eine routinemäßige klinische Anwendung ratsam erscheinen lässt.

25.4.3 Seltene Ileusursachen Gallensteinileus Beim Gallensteinileus handelt es sich um ein seltenes Krankheitsbild, das etwa 1–4 % aller mechanischen Ileuserkrankungen ausmacht . Ursächlich liegt dem Gallensteinileus eine penetrierende Entzündung der Gallenblasenwand mit Anschluss an umliegende Hohlorgane (Duodenum, Colon transversum, Magen) zugrunde. Die oft großen Konkremente wandern dann nach aboral und führen zur Obstruktion des Lumens. Im typischen Fall ist die Trias aus Dünndarmileus, Aerobilie und röntgenpositivem Konkrement nachweisbar (Rigler-Trias). Therapeutisch steht die Entfernung des Passagehindernisses im Vordergrund. In der Regel ist eine Enterotomie zum Bergen des Konkrements ausreichend. Nur bei irreversibel geschädigter Darmwand ist eine Resektion erforderlich. Auf weitere Konkremente in höher gelegenen Darmabschnitten ist im Hinblick auf eine Rezidivprophylaxe zu achten. Die gleichzeitige Sanierung der Gallenwege und Übernähung des beteiligten Hohlorgans wird kontrovers diskutiert . In der Regel tritt der Gallensteinileus bei Patienten in fortgeschrittenem Lebensalter auf, sodass die Ausweitung der Operation vom Operationsverlauf abhängig gemacht werden sollte und kritisch gegen Allgemeinzustand, Multimorbidität und zu erwartende Schwierigkeiten aufgrund des Lokalbefundes (entzündlicher Konglomerattumor, schwieriger Duodenalverschluss) abgewogen werden muss.

25.4.4 Postoperativer Verlauf In Abhängigkeit von der Ursache, der präoperativen Dauer des Ileuszustands und der Beschaffenheit der Darmwand muss mit einer postoperativen Atonie von 48–72 Stunden gerechnet werden. Die postoperative Sondenentlastung des Gastrointestinaltrakts steht hier therapeutisch im Vordergrund. Bei persistierender Atonie und ausbleibender Besserung des Allgemeinzustands muss intensiv nach postoperativen Komplikationen durch Sekretverhalt, Abszessbildung oder Nahtinsuffizienz gefahndet werden. Ergeben sich keine Anhaltspunkte für eine interventionell oder operativ zu therapierende Komplikation, sollte eine medikamentöse Darmstimulation erfolgen. Bleibt diese für weitere 48 Stunden ohne Erfolg, muss unter der Verdachtsdiagnose eines postoperativen Ileus die Indikation zur Relaparotomie überprüft werden.

Letalität Die in den letzten 25 Jahren beschriebenen Letalitätsraten nach operativer Behandlung des mechanischen Dünndarmileus weisen mit Werten zwischen 2 und 21 % eine große Schwankungsbreite auf ( ), wobei in den jüngeren Arbeiten durchweg Raten unter 10 % angegeben werden. Diese Schwankungsbreite erklärt sich teilweise durch die unterschiedliche Zusammensetzung des Krankengutes.

Tab. 25.3 Mechanischer Dünndarmileus: Letalität nach operativer Behandlung. Publikation

Patientenzahl (n)

postoperativeLetalität (%)

Bizer et al. 1981

405

6,7

Tondelli et al. 1983

256

13,0

Zadeh et al. 1985

107

17,8

Waczlawiczek et al. 1985

256

20,6

Husemann et al 1985

824

19,5

Mc Entee et al. 1987

228

11,4

Cheadle et al. 1988

209

12,9

Böhmig et al. 1989

242

10,0

Herzog et al. 1989

100

2,0

Roscher et al. 1991

275

7,6

Uhl et al. 1998

202

2,5

Lo et al. 2007

430

6,5

∗ Literaturangaben

bei Roscher et al. 1991

Nur in wenigen Studien wird die Letalität im Hinblick auf die Ileusursache analysiert, obwohl dieser eine große Bedeutung zukommt. So weisen die Behandlungsergebnisse von Ileuszuständen durch inkarzerierte Hernien und Malignome im Vergleich zum Adhäsionsileus höhere Letalitätsraten auf ( ).

Tab. 25.4 Mechanischer Dünndarmileus: Letalität nach operativer Behandlung in Bezug zur Ursache (Anteil am Krankengut in %). Publikation

Bridenadhäsion

Letalität

inkarzerierte Hernie

Letalität

neoplastische Ursache

Letalität

Tondelli

59

8,5

22

10,5

7

42

Zadeh

52

10,7

4

25

25

40,7

Böhmig et al. 1989

64

3,9

18

18,2

9

23,3

Roscher et al. 1991

48

3,8

8

17,4

26

11,1

Literaturangaben bei Roscher et al. 1991

Der negative Einfluss einer Gefäßbeteiligung durch Strangulation zeigt sich deutlich, wenn die Ergebnisse entsprechend differenziert werden. Wie bereits im Abschnitt „Strangulationsileus“ beschrieben, muss in bis zu 45 % mit dieser Komplikation gerechnet werden. In der von Roscher durchgeführten Analyse

schwanken die Letalitätsraten zwischen 6,1 und 14,6 % . Uhl und Mitarbeiter beschreiben eine Letalität von 3,3 % bei Vorliegen einer Strangulation . Alter, prästationäre Dauer des Ileuszustands, Gefäßbeteiligung beim Strangulationsileus und fortgeschrittenes Krebsleiden gelten als vorgegebene Risikofaktoren im Hinblick auf einen letalen Ausgang. Demgegenüber sind die Zeit von der Aufnahme bis zur chirurgischen Behandlung, die Operationstaktik und chirurgische Technik, die Notwendigkeit einer Darmresektion und die medikamentöse Therapie für den Chirurgen beeinflussbare Risikofaktoren. Die Resektionsraten im Rahmen der chirurgischen Therapie des mechanischen Dünndarmileus werden mit 16–41 % angegeben. Resektionen sind mit einer Letalität zwischen 9,6 und 34 % behaftet . Die Notwendigkeit einer Resektion stellt einen wesentlichen prognostischen Faktor im Hinblick auf die Letalität dar. Durch Erkennen einer drohenden Strangulation, eine zeitgerechte Indikationsstellung zur Operation und eine engmaschige Kontrolle bei primär konservativem Vorgehen können die Resektionsrate und damit auch die Letalität günstig beeinflusst werden.

25.5 Mechanischer Dickdarmileus 25.5.1 Allgemeines Der Anteil der Patienten mit einem Dickdarmileus am Gesamtkrankengut der Ileuspatienten wird mit 30 % angegeben . Die häufigsten Ursachen sind in dargestellt. In der Mehrzahl der Fälle entsteht er durch maligne Tumoren. Aufgrund der zugrunde liegenden Tumorerkrankung ist die Entwicklung des Dickdarmileus oft langsam und betrifft häufig ältere Menschen. Da bei intakter Bauhin-Klappe die Veränderungen oft auf den Dickdarm beschränkt bleiben, imponiert hier neben Schmerzen und Meteorismus vor allem der Stuhlverhalt. Erbrechen wird im Vergleich zum Dünndarmileus seltener gefunden.

Tab. 25.5 Mechanischer Dickdarmileus: Ursachen (nach Renzulli et al. 1998). Häufigkeit (%) bei n = 65 Kolorektales Karzinom

24 (37 %)

Gynäkologische Karzinome

7 (11 %)

Inkarzerierte Hernien

7 (11 %)

Volvulus

6 (10 %)

Sigmadivertikulitis

5 (8 %)

Adhäsionen/Briden

2 (3 %)

Sonstige

14 (21 %)

25.5.2 Untersuchungsgang Nach Basisdiagnostik und Erstversorgung sollte in Abhängigkeit von Allgemeinzustand, klinischer Symptomatik und Dringlichkeit der Operation eine weiterführende Lokalisationsdiagnostik erfolgen ( ). Die Durchführung einer CT mit rektaler, oraler und intravenöser Kontrastmittelgabe steht hier an erster Stelle. Beim Nachweis einer Dickdarmobstruktion weist diese Untersuchung eine hohe Sensitivität und Spezifität auf (96 bzw. 93 %) . Ist eine CT nicht möglich, sollte ein Kolonkontrasteinlauf durchgeführt werden . Bei klinisch kompensiertem Zustand und bei Tumorverdacht ist alternativ auch die Endoskopie zu erwägen. Neben der Möglichkeit der Histologiegewinnung ist hier die Entlastung dilatierter Darmabschnitte durch Passage einer relativen Stenose oder Stenteinlage von besonderem Vorteil .

ABB. 25.6

Untersuchungsgang und Entscheidungen zum therapeutischen Vorgehen beim mechanischen Dickdarmileus. [ ]

25.5.3 Operationsindikation Wegen drohender Durchwanderung und Perforation besteht beim mechanischen Dickdarmileus unabhängig von der Ursache die klare Indikation zur Operation. Die Dringlichkeit muss von der klinischen Symptomatik und vom Allgemeinzustand abhängig gemacht werden. Bei klinischen Zeichen des akuten Abdomens oder radiologischen Zeichen der Organperforation besteht eine dringliche Operationsindikation zum frühestmöglichen Zeitpunkt. Bei massivem Meteorismus drohen pulmonale Komplikationen, Aspiration und Durchwanderungsperitonitis, sodass eine dringliche Operationsindikation

besteht. Diese besteht wegen der zunehmenden Perforationsgefahr auch bei einem Zökaldurchmesser von mehr als 10 cm in der Übersichtsaufnahme. Der Stellenwert der Stenteinlage ist aufgrund der vorliegenden limitierten Datenlage noch nicht endgültig zu beurteilen. Der klinischen Erfolgsrate von 90 % stehen mögliche Komplikationen durch Migration, Perforation und Tumorzelldissemination gegenüber , . Im Vergleich zur sofortigen Operation hat sich für die Stenteinlage bei stenosierenden Tumoren im linken Hemikolon kein Vorteil nachweisen lassen . Die notfallmäßige Operation wegen eines Dickdarmileus bei Hochbetagten (> 80 Jahre) weist jedoch nach wie vor hohe Letalitätsraten von knapp 20 % auf, sodass die Einlage von Stents oder Dekompressionssonden zur Überbrückung der Notfallsituation an Bedeutung gewinnen könnte , . Ist die klinische Situation kompensiert, kann der Dickdarmileus unter Infusionstherapie und Nahrungskarenz frühelektiv innerhalb von 24–72 Stunden versorgt werden.

25.5.4 Aufklärung Art und Umfang der Aufklärung richten sich nach der Dringlichkeit der Operation und dem Allgemeinzustand des Patienten. Hinsichtlich der Aufklärungsinhalte gilt das im Abschnitt „Mechanischer Dünndarmileus“ Gesagte, wobei auf die Notwendigkeit einer Stomaanlage und auf die mögliche Rekonstruktion nach Diskontinuitätsresektion beim Dickdarmileus besonders hingewiesen werden muss.

25.5.5 Operationsvorbereitung Abgesehen von den Fällen mit dringlicher Operationsindikation, steht beim Dickdarmileus ausreichend Zeit zur Operationsvorbereitung zur Verfügung. Infusionstherapie, Ausgleich von Elektrolytstörungen und konsiliarische Vorstellung mit der Frage notwendiger präoperativer Diagnostik und Optimierung medikamentöser Therapien stehen dabei im Vordergrund.

25.6 Operationsverfahren bei mechanischem Dickdarmileus 25.6.1 Vorgehen beim Karzinom Der mechanische Dickdarmileus entsteht in über einem Drittel aller Fälle durch maligne Erkrankungen, in erster Linie durch kolorektale Karzinome. Das Auftreten eines Dickdarmileus als Komplikation eines kolorektalen Karzinoms wird in 8–20 % der Fälle beschrieben . Etwa 70 % dieser stenosierenden Tumoren sind im linken Hemikolon, Sigma und Rektum lokalisiert . Studien zur postoperativen Letalität eines Ileus auf dem Boden eines kolorektalen Karzinoms zeigen eine große Schwankungsbreite ( ). Diese resultiert aus einer heterogenen Patientenselektion mit unterschiedlichen Tumorstadien und nicht vergleichbaren Komorbiditäten.

Tab. 25.6 Mechanischer Dickdarmileus bei kolorektalem Karzinom: Letalität nach operativer Behandlung. Publikation

Patientenzahl (n)

postoperative Letalität (%)

Umpleby et al. 1984

103

31

Hermanek et al. 1985

173

25

Phillips et al. 1985

713

23

Buechter et al. 1988

99

23

Runkel et al. 1991

57

21

Leitmann et al 1992

80

6

Stewart et al. 1993

66

7

Nyam et al. 1996

103

3

Koperna et al. 1997

74

45

Kriwanek et al. 1999

84

19

Holzer und Schiessel 2001

87

15

∗ Literaturangaben

bei Kriwanek et al. 1999

Nur in wenigen Untersuchungen wird die postoperative Letalität eines Dickdarmileus mit den Ergebnissen der elektiven Eingriffe beim kolorektalen Karzinom im gleichen Zeitraum verglichen ( ). Hier zeigt sich deutlich die schlechtere Prognose mit einer um mehr als 10 % erhöhten postoperativen Letalität. Diese wird im Wesentlichen durch eine bestehende Komorbidität und ein bereits präoperativ aufgetretenes Organversagen negativ beeinflusst .

Tab. 25.7 Mechanischer Dickdarmileus bei kolorektalem Karzinom: postoperative Letalität im Vergleich zum Elektiveingriff bei kolorektalem Karzinom. Publikation

Elektiveingriffe (n)

Letalität (%)

Anzahl Ileus (n)

Letalität (%)

Evidenzniveau

Phillips et al. 1985

3870

11

713

23

3

Kriwanek et al. 1999

945

6

84

19

3

Holzer und Schiessel 2001

815

3

87

15

3

Im Prinzip stehen zur chirurgischen Behandlung des Dickdarmileus einzeitige und mehrzeitige Verfahren zur Verfügung. An einzeitigen Verfahren sind dies die ggf. erweiterte Hemikolektomie rechts bei Verschlusslokalisation im Bereich des rechten Hemikolons und proximalen Colon transversum sowie die subtotale Kolektomie mit Ileosigmoidostomie oder Ileorektostomie ( a und b) und die Sigmaresektion oder Hemikolektomie links mit On-Table- Lavage bei Verschlusslokalisation im Bereich des linken Hemikolons.

Dickdarmileus bei stenosierendem Sigmakarzinom. Einzeitige Resektion durch subtotale Kolektomie mit Ileorektostomie. [ ] ABB. 25.7

An mehrzeitigen Verfahren stehen die Diskontinuitätsresektion nach Hartmann, die Segmentresektion und Anlage einer protektiven Ileo- oder Transversostomie sowie die alleinige primäre Stomaanlage und Resektion im Intervall zur Verfügung. Beim Dickdarmileus durch ein kolorektales Karzinom muss die Verfahrenswahl sowohl im Hinblick auf die postoperative Letalität als auch im Hinblick auf die Langzeitprognose gewählt werden. Nur in wenigen Studien wird der Einfluss einzeitiger oder mehrzeitiger Operationsverfahren auf die postoperative Letalität vergleichend untersucht. Signifikante Unterschiede konnten bisher nicht nachgewiesen werden . Die Langzeitprognose wird in der Literatur unterschiedlich bewertet. Eine schlechtere 5-Jahres-Überlebensrate im Vergleich zur Elektivsituation wird wesentlich durch eine hohe Anzahl an Palliativeingriffen und fortgeschrittenen Tumorstadien bedingt , . Bei vergleichbaren Tumorstadien werden jedoch nach onkologischer Resektion nahezu identische Überlebenskurven beschrieben, sodass gerade im Ileuszustand die Patienten von der Einhaltung onkologischer Regeln besonders profitieren ( ).

Tab. 25.8 Mechanischer Dickdarmileus bei kolorektalem Karzinom: 5-Jahres-Überleben im Vergleich zum Elektiveingriff bei kolorektalem Karzinom.

Publikation

Elektiveingriffe (n)

5-Jahres-Überleben (%)

Anzahl Ileus (n)

5-Jahres-Überleben (%)

Evidenzniveau

Phillips et al. 1985

3.870

45

713

25

3

Kriwanek et al. 1999

945

47

84

47

3

Bei stenosierenden Tumoren im Bereich der rechten Hemikolons erfolgt die Resektion nach onkologischen Regeln mit primärer Rekonstruktion, die in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle auch im Ileuszustand möglich sein sollte. Beim obstruierenden Tumor im Bereich des linken Hemikolons bestehen mehrere Therapieoptionen, deren Anwendung von der Beschaffenheit der Darmwand, dem Tumorstadium und dem Allgemeinzustand abhängig gemacht werden muss. Bei gutem Allgemeinzustand sollte ein einzeitiges Vorgehen gewählt werden. Für die subtotale Kolektomie sprechen die Durchführbarkeit bei geschädigter Dickdarmwand und die Sicherheit der Anastomose. Gegen dieses Vorgehen sprechen der Umfang des Eingriffs und funktionelle Aspekte postoperativ. Der geringere Umfang des Eingriffs und funktionelle Aspekte gelten als Vorteile der primären Resektion und On-Table- Lavage. Das geringere Resektionsausmaß darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich auch hier um ein aufwendiges Verfahren handelt, da eine suffiziente intraoperative Spülung oft die Mobilisierung beider Flexuren erforderlich macht. Erscheint die primäre Anastomose aufgrund eines Wandödems nach der Spülung oder wegen der vorausgegangenen Dilatation unsicher, muss unter dem Aspekt der Reduktion des perioperativen Risikos vom Ziel der einzeitigen Resektion abgewichen und die Indikation zur protektiven Stomaanlage bedacht werden. Beide einzeitigen Verfahren wurden bisher in lediglich zwei Studien direkt verglichen, die keine signifikanten Unterschiede der postoperativen Letalität zeigten , . Nur eine dieser Studien ist randomisiert und weist einen signifikanten Vorteil in Bezug auf die Lebensqualität zugunsten der On-Table-Lavage auf . Ist die Belastung durch einen umfangreichen Eingriff nicht vertretbar, steht als zweizeitiges Vorgehen die Diskontinuitätsresektion nach Hartmann zur Verfügung. Dem Vorteil der Sicherheit steht als gravierender Nachteil der aufwendige Rekonstruktionseingriff gegenüber, der erfahrungsgemäß lediglich bei etwa 60 % der Betroffenen durchgeführt wird . Erscheint die Diskontinuitätsresektion bei sehr schlechtem Allgemeinzustand oder intraoperativer Gerinnungsstörung zu risikoreich, muss zunächst als kleinster Eingriff die Entlastung des Kolons durch die alleinige Anlage einer Kolostomie erfolgen.

25.6.2 Vorgehen bei Divertikulitis Ein kompletter mechanischer Ileus wird im Rahmen der komplizierten Divertikulitis mit einer relativen Häufigkeit von weniger als 10 % beschrieben . Er gilt als Notfallindikation und kann im Gegensatz zur relativen Stenose bei Peridivertikulitis nicht mit aufgeschobener Dringlichkeit operiert werden. Notfalleingriffe bei Divertikulitis sind mit einer Letalität zwischen 10 und 26 % behaftet . Wie auch beim Malignom entscheiden Allgemeinzustand, individuelles Risikoprofil und Beschaffenheit der Darmwand über das Vorgehen. Wesentlich für die Entscheidungsfindung sind außerdem die lokalen entzündlichen Veränderungen sowie das Ausmaß einer bereits eingetretenen Peritonitis ( a und b).

Dickdarmileus bei Divertikulitis. a) Übersichtsaufnahme. b) CT-Bild mit entzündlichem Tumor. [ ] ABB. 25.8

Die einzeitige Rekonstruktion nach der Resektion sollte stets angestrebt werden, sofern sie aufgrund lokaler und allgemeiner Faktoren vertretbar erscheint. Bei primärer Anastomose, ggf. nach On-Table-Lavage, muss nach den oben beschriebenen Kriterien über die Notwendigkeit der protektiven Ileostomaanlage entschieden werden. Sprechen die lokalen Verhältnisse primär für ein zweizeitiges Vorgehen, sollte wegen der einfacheren Rekonstruktion alternativ zur Diskontinuitätsresektion die primäre Rekonstruktion und protektive Stomaanlage bedacht werden. Die Indikation zur Diskontinuitätsresektion besteht bei schlechtem Allgemeinzustand, unsicheren lokalen Verhältnissen, schwerer Peritonitis sowie bei immunsupprimierten Patienten.

25.6.3 Seltene Ursachen eines Dickdarmileus Sigmavolvulus Mit einer relativen Häufigkeit von unter 10 % gehört der Sigmavolvulus ( ) in Europa zu den seltenen Ursachen eines Dickdarmileus. Dieses Krankheitsbild ist jedoch mit einer erheblichen Letalitätsrate (5–45 %) belastet, die im Wesentlichen durch die Ergebnisse nach notfallmäßiger chirurgischer Versorgung und durch das Risiko der Darmgangrän beeinflusst wird , , , . Ein klares therapeutisches Konzept ist daher erforderlich.

ABB. 25.9

Abdomenleeraufnahme eines Sigmavolvulus. [ ]

Sofern der Allgemeinzustand dies zulässt, keine Hinweise auf eine Durchwanderungsperitonitis bei drohender Gangrän vorliegen und ein erfahrener Untersucher verfügbar ist, sollte der Versuch einer endoskopischen Dekompression erfolgen. Erfolgt keine Dekompression, besteht die Indikation zur notfallmäßigen Laparotomie. Diese besteht auch nach erfolgloser Dekompression, mit der in 20 % der Fälle gerechnet werden muss . Die Resektion gilt als Verfahren der Wahl. Die primäre Rekonstruktion muss vom Allgemeinzustand, vom Vorliegen einer Gangrän und/oder einer Peritonitis und von der Erfahrung des Operateurs abhängig gemacht werden. Die Insuffizienzrate wird mit 7 % beschrieben . Zum Stellenwert der On-TableLavage lässt sich aufgrund der wenigen bisher in diesem Zusammenhang erworbenen Erfahrungen noch keine definitive Aussage machen. Alternativ besteht die Indikation zur Diskontinuitätsresektion nach Hartmann. Die Letalitätsraten nach Notfalloperationen liegen zwischen 7 und 24 %, wobei eine bestehende Gangrän als besonderer Risikofaktor anzusehen ist. Gelingt die endoskopische Dekompression, sollte die frühelektive chirurgische Versorgung erfolgen, da andernfalls mit einer hohen Rezidivrate zwischen 55 und 90 % gerechnet werden muss . Dieses Vorgehen weist im Vergleich zur konservativen Therapie nach erfolgreicher Dekompression die besten Ergebnisse auf (Letalität 6 vs. 16 %) .

25.7 Spezielle Situationen im Rahmen der Ileusbehandlung 25.7.1 Ileus bei intensivstationspflichtigen Patienten Neben der postoperativen Verlaufskontrolle nach großen abdominalen Eingriffen sind Ileuszustände im Rahmen der Intensivmedizin oft ein Problem der chirurgischen Konsiliartätigkeit. Das Bild eines paralytischen Ileus kann sich auch typischerweise bei kardiochirurgischen Intensivpatienten zeigen, bei denen eine prä- oder intraoperativ protrahierte Mangeldurchblutung der Viszeralorgane aufgrund mangelnder Pumpleistung des Herzens vorliegt. Bei dem sehr heterogenen Patientengut, dem weiten Ursachenspektrum und der durch Analgesie, Sedierung und Beatmung oft eingeschränkten Beurteilbarkeit ist ein klar strukturiertes, der individuellen Situation angepasstes diagnostisches Konzept erforderlich. Die Bewertung der vorliegenden (Laborchemie, Blasendruckmessung) und aktuell soweit erforderlich durchzuführenden Diagnostik (klinische Untersuchung des Abdomens, Sonografie, CT, Angiografie) muss unter der Fragestellung erfolgen, ob sich unmittelbare operative, interventionelle oder endoskopische Konsequenzen ergeben. In diesem Zusammenhang ist unter anderem an die Entlastung eines abdominalen Kompartmentsyndroms, die Sanierung eines septischen Fokus oder die Versorgung einer Pseudoobstruktion des Kolons bei drohender Zökalperforation zu denken. Insbesondere die Pseudoobstruktion wird unter Intensivbedingungen relativ häufig beobachtet und erfolgreich medikamentös therapiert. Bei einem Zökaldurchmesser von mehr als 10 cm besteht jedoch akute Perforationsgefahr. Lässt sich diese Situation endoskopisch nicht beherrschen, ist die Stomaanlage indiziert. Ergibt sich initial keine Indikation für eine unmittelbar einzuleitende operative oder interventionell durchzuführende Therapie, ist unter Sondenentlastung und konservativen Maßnahmen eine engmaschige Verlaufskontrolle erforderlich. Das weitere diagnostische und operative Vorgehen ist dann von der Entwicklung des klinischen Zustands und dem Erfolg konservativer Maßnahmen abhängig zu machen. Lässt sich die Ileussituation auf Dauer nicht erfolgreich entlasten, muss im Zweifelsfall aus vitaler Indikation die Indikation zur Laparotomie gestellt werden, da bei den kritisch kranken Patienten auch mit seltenen Ileusursachen gerechnet werden muss, die sich trotz moderner Verfahren der Diagnostik entziehen.

25.7.2 Ileus bei Morbus Crohn In 1–4 % entsteht ein mechanischer Ileus auf dem Boden eines Morbus Crohn. In der überwiegenden Mehrzahl handelt es sich um einen Dünndarmileus. Nur der dekompensierte, komplette mechanische Ileus gilt zusammen mit Perforation, Blutung oder toxischem Megakolon als Notfallindikation. Diese besteht bei etwa 5 % der operierten Patienten . Sofern nicht die klinische Situation zur notfallmäßigen Laparotomie zwingt, sollten Ileuszustände bei bekanntem Morbus Crohn primär konservativ therapiert werden. Die Okklusion entsteht häufig durch entzündliche, potenziell jedoch reversible Wandveränderungen, die in bis zu 30 % durch parenterale Ernährung und medikamentöse Therapie zunächst beherrscht werden können . Nur bei Versagen der konservativen Therapie oder Nachweis eines kompletten Stopps ist die operative Therapie als dringlicher Eingriff innerhalb der ersten 72 Stunden nach der Aufnahme erforderlich. Generell sollte die frühelektive oder – sofern erreichbar –; die elektive Versorgung angestrebt werden. Diese muss dann in Abhängigkeit vom intraoperativen Befund nach den Regeln der Crohn-Chirurgie erfolgen .

25.7.3 Postoperativer Ileus Postoperativer mechanischer Ileus Betrachtet man die Indikationen zur Relaparotomie, so liegt der postoperative mechanische Ileus hinter der Peritonitis und der Nachblutung mit einer Häufigkeit von 7 % an dritter Stelle . Bezogen auf die Anzahl der Laparotomien, beträgt die Relaparotomierate wegen eines postoperativen mechanischen Ileus etwa 1 % . Der postoperative Ileus ist im Wesentlichen ein diagnostisches Problem, da er von der postoperativen Atonie abgegrenzt werden muss, auf unterschiedlichen Ursachen beruht und als mechanischer wie auch als paralytischer Ileus auftreten kann.

Ileuszustände, die innerhalb der ersten postoperativen Woche auftreten, werden als frühpostoperativer Ileus bezeichnet. Die Bezeichnung postoperativer Ileus gilt für den Zeitraum von der ersten Woche bis zum 30. Tag. Später auftretende Ileuszustände werden als spätpostoperativer Ileus bezeichnet. Etwa 90 % aller postoperativen Darmpassagebehinderungen treten innerhalb der ersten zwei Wochen auf . Art und Umfang der Erstoperation haben einen Einfluss auf das Risiko der postoperativen Ileusentstehung . So wiesen in umfangreichen Analysen von mehr als 8.000 Fällen Patienten mit Leistenhernienoperationen mit gleichzeitiger Dünndarmresektion (14,3 %), Eingriffen am linksseitigen Kolon sowie am Rektum (2,9 %), Dünndarmresektionen (2,3 %) und Appendektomien bei perforierter Appendizitis (1,7 %) die höchsten relativen Häufigkeiten eines postoperativen mechanischen Ileus auf. Nach Eingriffen an der Leber und Gallenblase betrug die Rate lediglich 0,06 % . Hohe Raten an postoperativen Ileuszuständen werden nach totaler und subtotaler Kolektomie (5,5 %) und nach Proktokolektomie und ileoanaler Pouchanlage (12,3 %) beschrieben , . Nach Laparoskopie wird eine Rate an postoperativen Ileuszuständen (Dünndarmileus) von 0,2 % beschrieben . Über 80 % dieser Ileuszustände traten als postoperativer Ileus auf. Bemerkenswert war die hohe Rate an Trokarhernien , die in der Hälfte der Fälle dem Ileuszustand zugrunde lagen. Beim postoperativen Ileus nach Laparoskopie sollte daher an diese Möglichkeit gedacht werden, da Inkarzerationen zu befürchten sind, die sich insbesondere bei partieller Wandnekrose nicht immer leicht diagnostizieren lassen. Der Faszienverschluss nach Verwendung von 10-mm- oder 12-mm-Trokaren wird allgemein zur Prophlaxe empfohlen. Ein korrekter Faszienverschluss sowie der Gebrauch von 5 mm-Trokaren bieten jedoch keinesfalls einen kompletten Schutz vor dieser Komplikation, da auch hier postoperative Ileuszustände durch Inkarzeration beschrieben wurden, ebenso wie nach Drainageentfernung aus einer ehemaligen Portinsertionsstelle .

Ursachen In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle ist der postoperative Ileus ein Dünndarmileus. Adhäsionen und Briden stehen beim mechanischen postoperativen Ileus ursächlich mit einer relativen Häufigkeit von 50 bis zu 90 % an erster Stelle , . Volvulus, Invagination oder Einklemmung in eine Bruchlücke, eine Trokareinstichstelle oder einen Mesenterialschlitz werden seltener beobachtet. Ein paralytischer Ileus entsteht durch eine Peritonitis bei intraabdominaler Abszessbildung oder Anastomoseninsuffizienz. Auch Mischformen zwischen paralytischem und mechanischem Ileus bei entzündlichen Konglomerattumoren werden beobachtet .

Diagnostik In der frühen postoperativen Phase ist der beginnende Ileus klinisch schwer von einer Atonie zu differenzieren, v. a. wenn diese protrahiert verläuft. Meteorismus, krampfartige Schmerzen, Erbrechen und zunehmende Fördermenge über die Magensonde erlauben selten rasch eine Differenzierung. Wichtig erscheint die engmaschige Verlaufskontrolle, um insbesondere klinische Hinweise auf eine Strangulation nicht zu übersehen, die in einer relativen Häufigkeit von 2,4 %, bezogen auf alle Reoperationen, beschrieben wird . Steigende Entzündungszeichen im Rahmen der laborchemischen Kontrollen erfordern die differenzialdiagnostische Abklärung sowie weiterführende Diagnostik, v. a. bei Verdacht auf das Vorliegen einer Insuffizienz. Abdomenübersichtsbild und Passageuntersuchungen von oral sind in der frühen postoperativen Phase wenig hilfreich, sodass die Sonografie zum Nachweis von Sekretverhalt, Hämatom oder Abszess primär durchgeführt werden sollte. Ist deren Aussage durch Meteorismus eingeschränkt, muss das CT eingesetzt werden. Besteht der Ileusverdacht im postoperativen Verlauf nach 5–7 Tagen, gewinnen die Übersichtsaufnahme und die Passageuntersuchung wieder an Bedeutung. Bei inkomplettem Stopp hat die Kontrastmittelgabe neben dem diagnostischen auch einen therapeutischen Effekt.

Operationsindikation Die Operationsindikation beim postoperativen Ileus ist abhängig von der Ursache, dem Allgemeinzustand, dem Erfolg konservativer Maßnahmen und dem Manifestationszeitpunkt. In der frühen postoperativen Phase (Tag 1–7) ist die Abgrenzung des mechanischen Ileus von der postoperativen Motilitätsstörung für die Indikationsstellung von zentraler Bedeutung. Zunahme der Ileussymptomatik mit krampfartigen Schmerzen, auffälliger abdominaler Untersuchungsbefund, zunehmende Fördermenge der Magensonde, steigende Entzündungsparameter oder Erbrechen oder Brechreiz bei korrekt liegender Magensonde sowie fehlender Effekt konservativer Maßnahmen stellen v. a. in Kombination eine Indikation zur frühen operativen Revision unter dem Verdacht eines mechanischen Ileus dar.

Postoperative Motilitätsstörung – postoperativer paralytischer Ileus Abdominalchirurgische Eingriffe führen regelhaft zu einer Einschränkung der Darmmotilität. Dauer und Schweregrad können sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. Diese postoperative Motilitätsstörung , im internationalen Schrifttum als postoperativer Ileus (POI) bezeichnet, muss von dem mechanischen postoperativen Ileus (postoperative bowel obstruction) abgegrenzt werden. Wegen der enormen klinischen und ökonomischen Bedeutung ist der POI in den letzten Jahren vermehrt in das wissenschaftliche Interesse gerückt . Nach aktueller Auffassung entsteht der POI durch eine generelle oder partielle Motilitätsstörung als Antwort auf das chirurgische Trauma und die Wirkung der im Zusammenhang mit der Narkose verabreichten Medikamente , . Hinsichtlich der Genese werden unter anderem Störungen der nervalen Steuerung durch Überwiegen inhibitorischer Einflüsse des Sympathikus, posttraumatische Entzündungsreaktionen und pharmakologische Beeinflussung der μ-Opioidrezeptoren im Bereich der Darmwand als wesentliche Ursachen diskutiert , . Der Übergang in einen paralytischen Ileus mit drohender Sepsis durch bakterielle Translokation und Endotoxinwirkung ist fließend, insbesondere wenn der POI protrahiert verläuft und besonders ausgeprägt erscheint . Wie beim mechanischen Ileus wird auch beim POI eine ausbleibende Normalisierung der Darmfunktion über den 5. postoperativen Tag hinaus als kritisch angesehen , . Die große Herausforderung besteht in einer Differenzierung zwischen einer „normalen“ postoperativen Darmatonie und einem komplikativen Verlauf mit paralytischem Ileus. Daraus folgt, dass beim protrahiert verlaufenden POI eine gezielte Ursachenforschung erfolgen muss. Eine zunehmende Darmparalyse in der frühen postoperativen Phase wird zunächst durch Sondenentlastung und Flüssigkeitssubstitution therapiert. Besonderes Augenmerk muss in dieser Situation auf interventionell oder operativ zu behebende Ursachen gelegt werden. Ein progredienter paralytischer Ileus bei nachgewiesener Anastomoseninsuffizienz stellt eine klare Indikation zur Revision dar. Ileuszustände jenseits der ersten postoperativen Woche sollten unabhängig von der Genese – mechanisch oder paralytisch – primär konservativ therapiert werden. In dieser Situation sind Erfolgsraten der konservativen Therapie zwischen 42 und 78 % beschrieben . Für ein konservatives Vorgehen spricht auch die Gewebebeschaffenheit der Darmwand zu diesem Zeitpunkt mit frischen entzündlichen Verklebungen und hoher Vulnerabilität. Im Gegensatz zur frühen postoperativen Phase besteht ein höheres Risiko operativer Sekundärschäden bei Revisionen zu diesem Zeitpunkt. Diese sollten nur durchgeführt werden bei fehlendem Effekt konservativer Maßnahmen, Verschlechterung des Allgemeinzustands, revisionspflichtiger Insuffizienz mit drohender Sepsis, Zeichen der Peritonitis oder Nachweis eines kompletten Stopps.

Medikamentöse Darmstimulation Im Zusammenhang der Therapie des POI ist auch der Effekt einer medikamentösen Darmstimulation einer kritischen Bewertung unterzogen worden. Eine Cochrane-Analyse aus dem Jahr 2008 ergab, dass für keine der in der klinischen Praxis häufig applizierten Substanzen die Wirksamkeit aufgrund der aktuellen Datenlage zweifelsfrei belegt ist . Für die Applikation von Lidocain intravenös und für Neostigmin werden weitere Studien gefordert. Der Stellenwert der selektiven Opioidrezeptorantagonisten Methylnaltrexonbromid und Alvimopan kann derzeit noch nicht exakt definiert werden, obwohl die Ergebnisse aktueller Studien zumindest die breitere Anwendung von Alvimopan in Zukunft wahrscheinlich erscheinen lassen , , . Als mögliche Ursachen für den fehlenden Wirkungsnachweis zahlreicher Substanzen mit vermuteter prokinetischer Wirkung unter Studienbedingungen werden unter anderem die komplexe Genese des POI und die schwer zu standardisierenden Studienbedingungen genannt . Die Berücksichtigung der

vorliegenden Ergebnisse zum Effekt selektiver Opiatantagonisten und zur intravenösen Applikation von Lidocain unter dem Aspekt des Einflusses der laparoskopischen Chirurgie, der Epiduralanästhesie sowie des „Fast-Track-Konzepts“ wird für die zukünftige Studienplanung empfohlen . Für die klinische Praxis bedeutet dies, dass der Nachweis der Effektivität einer medikamentösen Darmstimulation für viele der routinemäßig eingesetzten Substanzen unter Studienbedingungen nicht zweifelsfrei erbracht werden konnte , . Wann ihr Einsatz beim paralytischen Ileus zu rechtfertigen ist, muss nach Ausschluss anderer Ursachen und unter Beachtung möglicher Nebenwirkungen im Einzelfall entschieden werden. Eine generelle, routinemäßige Anwendung kann aufgrund der aktuellen Datenlage nicht empfohlen werden. Eine Ausnahme stellt in diesem Zusammenhang die medikamentöse Therapie der akuten Pseudoobstruktion des Kolons (Ogilvie-Syndrom) dar. Hier konnte der Nachweis der Wirksamkeit von Neostigmin erbracht werden, sodass die Gabe allgemein empfohlen wird .

Postoperativer Ileus nach rezidivierendem Ileus Von zentraler Bedeutung für die Entscheidung zur Reintervention sind die Ursache des rezidivierenden Ileus sowie das Ergebnis am Ende der vorausgegangenen Operation. Bestrahlung, malignes Grundleiden und der adhäsionsbedingte Dünndarmileus weisen ein hohes Risiko im Hinblick auf ein Ileusrezidiv auf. Konnte im Verlauf des vorausgegangenen Eingriffs die Ileusursache aufgrund einer Tumormanifestation oder wegen eines nicht zu vertretenden Sekundärschadens nicht zufriedenstellend beseitigt werden, ist die Indikation zur Relaparotomie extrem zurückhaltend zu stellen. Wurde bei veränderter Darmwand eine ausgedehnte Adhäsiolyse, Übernähung oder Resektion durchgeführt, muss wegen der drohenden Peritonitis auf chirurgische Komplikationen geachtet werden. Bei Verdacht oder Nachweis besteht die Indikation zur Revision. In dieser besonders komplikationsträchtigen Situation muss die Therapie von der jeweiligen intraoperativen Situation abhängig gemacht werden. Unter dem Aspekt der Risikoreduktion kann eine Stomaanlage oder programmierte Relaparotomie erforderlich sein.

25.7.4 Ileus nach vorausgegangener Bestrahlung Ein Dünndarmileus entsteht in etwa 1 % aller Fälle als Spätfolge nach vorausgegangener Bestrahlung. Betrachtet man die Gesamtheit der bestrahlten Patienten, werden im weiteren Verlauf hohe Ileusraten bis 71 % beschrieben. Terminales Ileum, Zökum und Rektosigmoid sind die am häufigsten befallenen Darmabschnitte . Konservative Maßnahmen sind bei nachgewiesener hochgradiger Passagebehinderung nicht aussichtsreich, sodass die klare Indikation zur operativen Therapie besteht. Diese ist jedoch mit erheblichen Komplikationsraten belastet. Ausmaß, Lokalisation und Schweregrad der Wandveränderungen bestimmen die Verfahrenswahl. Die Entscheidung zur Adhäsiolyse, Umgehungsanastomose oder Resektion muss der jeweiligen Situation angepasst werden. Im Hinblick auf eine Rezidivprophylaxe ist jedoch der Resektion, falls vertretbar, klar der Vorzug zu geben . Die Adhäsiolyse ist mit einem hohen Risiko der Wandverletzung und Verletzung adhärenter Strukturen im kleinen Becken verbunden. Übernähungen beinhalten die Gefahr der Insuffizienz- und Fistelbildung mit einer Letalität bis zu 9 % . Die Indikation zur Resektion ist großzügig zu stellen, sollte jedoch eine Anastomose in Abschnitten mit fehlenden oder geringen Wandveränderungen beinhalten. Jejunum, jejunoilealer Übergang, Colon transversum und descendens weisen in der Regel die geringsten Wandveränderungen auf. Beim tiefen Dünndarmileus nach Bestrahlung wird daher die Anlage einer Ileoaszendostomie oder Ileotransversostomie nach ggf. ausgedehnter Resektion empfohlen. Die Insuffizienzraten liegen zwischen 4 und 9 %. Kommt es zur Insuffizienz, muss mit einer hohen Letalität (bis zu 85 %) gerechnet werden. Ist eine Resektion im rektosigmoidalen Übergang erforderlich, wird die Mobilisierung der linken Flexur und Anastomosierung im Bereich des Colon descendens empfohlen . Ist eine Resektion unvertretbar, sollte eine Umgehungsanastomose im Bereich des Colon transversum angelegt werden, die in diesem Zusammenhang die geringste Dehiszenzrate aufweist (1,6 %). Ist die Passage nach distal nicht gesichert, bleibt lediglich die Stomaanlage als sicherstes Verfahren. Auf eine Entlastung des aboralen Darmanteils muss zur Vermeidung einer Fistelbildung geachtet werden, sodass die Anlage einer doppelläufigen Enterostomie oder einer separaten Schleimfistel empfehlenswert ist.

25.7.5 Ileus bei Tumorrezidiv, Peritonealkarzinose Ileuszustände bei anamnestisch bekanntem Malignom entstehen am häufigsten im weiteren Verlauf nach fortgeschrittenem Ovarialkarzinom oder Rezidiv eines kolorektalen Karzinoms. Auch primär extraabdominale Malignome wie das maligne Melanom oder das Mammakarzinom können intraabdominell metastasieren und zum Ileus führen . Wegen der häufig beobachteten klinischen Symptomatik mit Schmerzen, Übelkeit und Erbrechen besteht ein hoher Leidensdruck. Abgesehen von den wenigen kurativ angehbaren lokoregionären Rezidiven liegt in der Regel primär eine Palliativsituation vor. Die Verbesserung der Lebensqualität gilt als oberstes Therapieziel. Initial sollte der Ileus durch Sondenentlastung, Infusions- und Schmerztherapie konservativ behandelt werden, sofern nicht der Verdacht auf das Vorliegen einer Strangulation oder die klinischen Zeichen eines akuten Abdomens zur notfallmäßigen Operation zwingen . Im Fall einer partiellen Obstruktion sind nach konservativer Therapie Erfolgsraten bis 45 % beschrieben . Der Einsatz von Somatostatinanaloga im Rahmen der konservativen Therapie des Ileus beim malignen Grundleiden hat sich zur Reduktion von Übelkeit und Erbrechen als effektiv erwiesen . Gleiches gilt für den Einsatz von Ranitidin zur Reduktion der Magensekretion bei maligner Obstruktion , . Die Indikation zur operativen Therapie ist abhängig vom Allgemeinzustand, vom Erfolg konservativer Maßnahmen, von der intraabdominalen Tumormanifestation und vom Nachweis eines kompletten Stopps. Zu bedenken ist ferner, dass trotz des malignen Grundleidens die Ileusursache in bis zu 40 % der Fälle nicht mit dem Tumorleiden in direktem Zusammenhang steht, sodass sich eine gute Palliationsmöglichkeit ergibt . Bei fehlendem Erfolg konservativer Maßnahmen sollte der Ileus operativ therapiert werden, sofern der Allgemeinzustand dies erlaubt und die klinische Untersuchung und bildgebende Diagnostik eine Palliation nicht primär aussichtslos erscheinen lassen. Alternativ sollte die Möglichkeit einer interventionellen Therapie z. B. durch Stenteinlage geprüft werden. Bei entsprechender Expertise sind hohe klinische Erfolgsraten beschrieben, sodass diese Palliationsmöglichkeit nicht außer Acht gelassen werden sollte . Der klinischen Erfolgsrate müssen jedoch die möglichen Komplikationen (Perforation, Dislokation) gegenübergestellt werden, sodass die Entscheidung grundsätzlich nur individuell getroffen werden kann. Im Rahmen der operativen Therapie kommen Stomaanlagen, Umgehungsanastomosen und palliative Resektionen zur Anwendung. Die Verfahrenswahl ist abhängig von der Tumormanifestation. Palliative Resektionen sind jedoch mit einer Letalität von 33 % belastet, sodass einer Umgehungsanastomose (Letalität 6 %) im Zweifelsfall der Vorzug gegeben werden sollte. Ist die Passage nach aboral unsicher, ist die Stomaanlage indiziert . Bei sehr schlechtem Allgemeinzustand, weit fortgeschrittenem, generalisiertem Tumorleiden und fehlender Palliationsmöglichkeit durch ausgedehnte Peritonealkarzinose oder bei hohem Dünndarmileus durch Tumorkompression besteht keine Indikation zur operativen Therapie. In diesen Fällen sollten neben der Schmerztherapie die parenterale Ernährung durch Port-Implantation und die Entlastung des Gastrointestinaltrakts durch Anlage einer perkutanen endoskopischen Gastrostomie (PEG) erfolgen. Im präfinalen Zustand sind lediglich die Sondenentlastung und Schmerztherapie indiziert.

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KAPITEL 26

Gastrointestinale Blutung Klaus-Peter Thon and Susanne Thon

26.1. 26.2. 26.2.1. 26.2.2. 26.2.3. 26.2.4. 26.2.5. 26.2.6. 26.3. 26.3.1. 26.3.2.

26.1 Einleitung Die rasche und genaue Ursachenklärung der akuten gastrointestinalen Blutung ist bei der Vielfalt möglicher Blutungsquellen nach wie vor eine klinische Herausforderung und verlangt eine disziplinierte, systematische und effiziente diagnostische Weichenstellung für eine zeitgerechte Therapieplanung, synchron zur Stabilisierung des Patienten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass etwa 85–90 % der Blutungsquellen im oberen Gastrointestinaltrakt liegen. Für die Chirurgie stellen Magen- und Duodenalulzera die wichtigsten Blutungsquellen dar. Ungleich seltener sind dagegen operationsbedürftige Blutungen aus Mallory-Weiss-Einrissen im Kardiabereich oder beim Ulcus Dieulafoy, bei dem es sich um eine oft nur linsengroße, meist im Fundus gelegene, akut aufgetretene Läsion handelt, deren Blutung aus einem rupturierten Mikroaneurysma einer kleinkalibrigen submukösen Arterie stammt. Blutungen aus Ösophagus- oder Fundusvarizen werden üblicherweise konservativ mittels drucksenkender vasoaktiver Medikamente oder semiinvasiv mittels Ballontamponade, endoskopischer Therapie (Sklerosierung, Gummibandligatur) oder transjugulärer portosystemischer Stent-Einlage (TIPS) versorgt. Portosystemische Shunt-Operationen und sog. Sperr- oder Devaskularisierungsoperationen an Magenfundus oder Ösophagus kommen nur bei konservativ oder interventionell nicht beherrschbaren Blutungen als Ausnahmeindikation zur Anwendung. 85–90 % der Blutungen stammen aus dem oberen Gastrointestinaltrakt Die akuten Blutungen im unteren Gastrointestinaltrakt sind definiert als ein abnormer Blutverlust distal des Treitz-Bands. Als Synonym aus dem angloamerikanischen Sprachgebrauch übernommen, werden sie als „untere gastrointestinale Blutungen“ bezeichnet, obwohl der Magen definitionsgemäß als Blutungsquelle ausscheidet. Unklar ist die Blutung dann, wenn der Ort der Blutung endoskopisch nicht erreichbar ist oder die Lokalisation der Blutungsquelle trotz potenzieller endoskopischer Erreichbarkeit aus anderen Gründen, z. B. wegen intermittierend auftretender Blutungsepisoden bei Divertikelkrankheit, nicht gelingt. Als Blutungsquellen kommt eine Vielzahl unterschiedlichster Läsionen infrage, denen allesamt eine akute oder chronische Desintegration der intestinalen Schleimhaut zugrunde liegt. Art und Ort der Läsion bestimmen zusammen mit der Intensität der Blutung auch im unteren Gastrointestinaltrakt die klinischen Zeichen des Blutverlustes. Dieser kann sich dabei okkult als chronische Anämie oder sichtbar in Form eines transanalen Blutabgangs in unterschiedlicher Ausprägung als Blutbeimengung im Stuhl, Meläna oder Hämatochezie bemerkbar machen. Dieses Kapitel fokussiert sich auf die schwere, transfusionspflichtige und unter Umständen vital gefährdende Blutung, die zu dringlichen diagnostischen und therapeutischen Interventionen zwingt.

26.2 Obere Gastrointestinalblutung 26.2.1 Epidemiologie Parallel zur rückläufigen Inzidenz der chronischen Ulkuskrankheit scheint in den letzten Jahren auch die Häufigkeit der gastroduodenalen Ulkusblutung kontinuierlich abzunehmen. Da zumindest in der westlichen Welt mehr als die Hälfte aller Hämorrhagien des oberen Gastrointestinaltrakts aus Magen- und Duodenalulzera stammt, nimmt damit auch generell die Inzidenz der oberen Gastrointestinalblutung ab. So fiel in den USA innerhalb eines 5-Jahres-Zeitraums von 2004 bis 2009 die Inzidenz der Krankenhausaufnahmen wegen einer oberen Gastrointestinalblutung um 24 % von 85 auf 65 pro 100.000 Einwohner . Dieses Phänomen erklärt sich trotz zunehmenden Gebrauchs nichtsteroidaler Antirheumatika (NSAID) vermutlich aus einer konsequenteren Einnahme gastroprotektiver Medikamente . In Deutschland werden nach wie vor jährlich etwa 50–100 Patienten pro 100.000 Einwohner wegen einer oberen Gastrointestinalblutung stationär behandelt , . Ebenfalls kaum verändert hat sich die überwiegend durch die peptische Ulkusblutung bestimmte Letalität der nichtvarikösen oberen Gastrointestinalblutung, die in den letzten zwei Jahrzehnten weitgehend konstant um 10 % geblieben ist , . Damit stellt die Ulkusblutung auch heute noch ein beinahe alltägliches klinisch und sozioökonomisch bedeutsames Problem dar. Letalität der peptischen Ulkusblutung um 10 %.

Vor dem Hintergrund hocheffektiver Medikamente (H 2 -Blocker, Protonenpumpeninhibitoren) und einer kausal wirkenden Eradikationstherapie hat die elektive Chirurgie des peptischen Gastroduodenalulkus nahezu vollständig an Bedeutung verloren. Die Zahl der Notfalleingriffe wegen Ulkusblutung ist demgegenüber nur wenig rückläufig. So liegt zwar der durchschnittliche Anteil an Notfalloperationen in retrospektiven Versorgungsstudien zur Behandlung der nichtvarikösen oberen Gastrointestinalblutung bei 2 % , in kontrollierten Studien zur endoskopischen Therapie der Ulkusblutung dagegen immer noch bei 5–10 %. Hierbei ist außerdem zu berücksichtigen, dass in den Studien zur Ulkusblutung Patienten, die wegen der Schwere ihrer Blutung primär operiert werden mussten, per se ausgeschlossen wurden . Diese Annahme gilt vermutlich auch für die höchst unterschiedlichen und stark altersabhängigen Daten zur Letalität der Ulkusblutung, die je nach Patientenselektion und Studiendesign zwischen 1,6 und 23 % liegen.

26.2.2 Risiko- und Prognosefaktoren Die Blutung aus einem peptischen Ulkus ist nach wie vor ein lebensbedrohendes Krankheitsereignis mit einer generellen Todeswahrscheinlichkeit von etwa 10 %. In den zurückliegenden zwei Dekaden haben Fortschritte auf dem weiten Feld endoskopischer Blutstillungstechniken und ein besseres Verständnis über die Blutungsdynamik die Überlebenschancen verbessert. Basis für die Möglichkeit zur Risikominderung ist aber unverändert die Notfallendoskopie, deren prognostischer Informationsgehalt über den weiteren Verlauf der Blutung in die Behandlungsstrategie einfließen sollte . Dabei gilt es insbesondere, operationsbedürftige Blutungen per se oder nach initialer endoskopisch erfolgreicher Blutstillung rechtzeitig zu identifizieren und von denjenigen abzugrenzen, die auch ohne Operation einen benignen selbstbegrenzenden Verlauf nehmen. Voraussetzungen hierfür sind Detailkenntnisse über Art, Ort und Ausmaß der blutenden Läsion und die Berücksichtigung von Faktoren, die den Verlauf und die Prognose der Ulkusblutung beeinflussen können ( ). Diese beziehen sich im Wesentlichen auf die biologische Reservekapazität des Patienten (Alter, Begleiterkrankungen) sowie die Aktivität und Schwere der Blutung, die ihrerseits wiederum abhängig ist von der Tiefe und Lokalisation der Blutungsquelle.

Tab. 26.1 Signifikante Prognosefaktoren bei der peptischen Ulkusblutung Prognosefaktor

Evidenzniveau

endoskopische Blutstillung

1b

Rezidivblutung

1b

Schockindex > 1

1b

Alter > 60 Jahre

1b

Co-Morbidität

2

initial niedriger Hb-Wert

3

(modifiziert nach Thon und Stöltzing 2000 ).

In mehreren multivariaten Analysen , hat sich neben dem initialen Schockindex die Rezidivblutung als herausragender Prognosefaktor erwiesen. Unter Voraussetzung einer adäquaten Basistherapie mit ausreichendem Volumen- und Blutersatz wird daher die Verhinderung des Blutungsrezidivs vor allem beim älteren und alten Patienten zum vorrangigen Behandlungsziel. Somit ist der Therapieerfolg in erster Linie abhängig von der Qualität der notfallendoskopischen Blutstillung, aber auch des operativen Eingriffs und damit des Chirurgen selbst. Die Prognose des Blutungspatienten wird wesentlich dadurch bestimmt, ob eine drohende Rezidivblutung zuverlässig verhindert werden kann.

26.2.3 Notfallendoskopie Während der diagnostische Wert der Notfallendoskopie von Anbeginn an unumstritten war, wurde ihr prognostischer Nutzen noch zu Beginn der 80er-Jahre des 20. Jahrhunderts stark infrage gestellt , . Erst unter dem Einfluss endoskopischer Blutstillungsmöglichkeiten ist diese anfängliche Skepsis zunehmend einer befürwortenden Betrachtungsweise gewichen. Da pauschal betrachtet annähernd 80 % aller Ulkusblutungen spontan zum Stillstand kommen, müssen vor allem diejenigen Patienten identifiziert werden, bei denen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nach endoskopischer Blutstillung und supportiver medikamentöser Therapie eine Rezidivblutung zu erwarten ist. Die Aktivität der notfallendoskopisch festgestellten Blutung spielt dabei eine herausragende Rolle ( und ). Zwar zeigt die Notfallendoskopie nur eine Momentaufnahme im zeitlichen Ablauf des Blutungsgeschehens; bei Nachweis einer arteriell-spritzenden Blutung oder eines sog. sichtbaren – auch nicht blutenden – Gefäßstumpfes erlaubt sie aber eine eindeutige Aussage über das Rezidivblutungsrisiko. zeigt diejenigen endoskopisch feststellbaren Merkmale, die auf ein erhöhtes Rezidivblutungsrisiko hinweisen.

Tab. 26.2 Klassifikation der Blutungsaktivität Stadium 1

sichtbar-aktive Blutung: • A: arteriell-spritzend • B: kapillar (Sickerblutung)

Stadium 2

Zeichen der vorausgegangenen Blutung: • A: sichtbarer, nicht blutender Gefäßstumpf • B: adhärentes Koagel, hämatinbedeckter Ulkusgrund, frisches Blut oder Koagel im oberen Gastrointestinaltrakt

Stadium 3

keine sichtbaren Blutungszeichen bei stattgehabter Blutung mit Hämatemesis und/oder Meläna innerhalb der letzten 48 Stunden vor Klinikaufnahme

(modifiziert nach Forrest et al. 1974 ).

Tab. 26.3 Endoskopisch feststellbare Merkmale für ein erhöhtes Rezidivblutungsrisiko. Risikofaktor

Evidenzniveau

Blutungsaktivität (Stadien 1A und 2A)

1b

Gefäßdurchmesser > 2 mm

1b

positives Doppler-Signal

1b

Blutungsintensität (Schockindex > 1)

2

Ulkuslokalisation (Duodenalhinterwand)

2

Ulkustiefe, Ulkusgröße

3

Unterschiedliche Blutungsaktivitäten bei der Notfallendoskopie. a) Arteriell-spritzende Blutung aus einem Duodenalhinterwandulkus (Blutungsstadium 1A). b) Sickerblutung aus einem supraangulären Ulcus ventriculi (Blutungsstadium 1B). c) Sichtbarer Gefäßstumpf im Ulkusgrund, ebenfalls Duodenalhinterwand (Blutungsstadium 2A). d) Anhaftendes Koagel im Ulkusgrund (Blutungsstadium 2B). [ ] ABB. 26.1

Ein optimales Management beinhaltet die rasche Identifikation der Blutungsquelle mit verlässlicher endoskopischer Therapie im Stadium 1A und 1B. Findet sich bei der Notfallendoskopie keine aktive Blutung, muss dennoch die Läsion genauestens inspiziert und von anhaftenden Koageln befreit werden. Dafür ist es oftmals erforderlich, den Ulkusgrund mit Kochsalzlösung freizuspülen und mittels Biopsiezangen oder Zytologiebürsten zu reinigen, um einen darunter verborgenen Gefäßstumpf identifizieren und ggf. prophylaktisch unterspritzen oder klippen zu können bzw. den Patienten frühelektiv operativ zu versorgen ( ). Der notfallendoskopisch Befund ist die Basis für eine Therapieentscheidung.

26.2.4 Endoskopische Blutstillung Die endoskopische Therapie zur Blutstillung bei aktiver Blutung oder als präventive Maßnahme beim Blutungsstadium 2A kann heute als Standard in der Behandlung der peptischen Ulkusblutung angesehen werden. Sie gelingt im Stadium 1B nahezu immer, sofern die sickerblutende Läsion endoskopisch einzustellen ist. Bei arteriell-spritzender Blutung beträgt die initiale Blutstillungsrate über 90 %. Dies bedeutet aber, dass bei knapp 10 % der Betroffenen die Blutung wegen zu starker Intensität oder Vorliegen von anatomischen Hindernissen endoskopisch nicht gestillt werden kann. In dieser Situation ist die Indikation zur chirurgischen Blutstillung unumstritten. In zwei kontrollierten Studien konnte gezeigt werden, dass die frühe Notfallendoskopie unter Einschluss endoskopischer Blutstillungsmaßnahmen das Rezidivblutungsrisiko (p < 0,004) und den Transfusionsbedarf (p < 0,025) senkt, die Rate notwendiger Operationen reduziert (p < 0,002) und den Krankenhausaufenthalt verkürzt , . Diese Studienergebnisse finden ihre aktuelle Bestätigung in einer prospektiven multizentrischen Untersuchung aus England, an der sich 212 Kliniken mit insgesamt 4.478 Patienten beteiligten . Die Effektivität der verschiedenen Blutstillungsmethoden ist in einer Vielzahl von kontrollierten Studien verglichen und in Metaanalysen mehrfach untersucht worden. Dabei scheint die endoskopische Injektionstherapie gegenüber den anderen Blutstillungsverfahren wie Thermokoagulation („heater probe“, Argon-Plasma-Koagulation) oder Verwendung von Hämo-Clips Vorteile mit Blick auf Anwendbarkeit und Rezidivblutungsrate zu haben. Nicht zuletzt deshalb hat sich in vielen Kliniken die Injektionstherapie etabliert, wobei neben verdünnter Epinephrinlösung (1:10.000) in erster Linie verschiedene Thrombin-Fibrinogen-Gemische (sog. Fibrinkleber) oder die Kombination von beiden zur

Anwendung kommen. Da aber bei Patienten mit hohem Rezidivblutungsrisiko (arterielle Blutung oder sichtbarer Gefäßstumpf mit einem Durchmesser von 2 mm oder mehr) trotz initialer Fibrinkleberunterspritzung in bis zu 50 % Wiederholungsblutungen auftreten , stellt sich die Frage nach einem programmierten „endoskopischen Verbandswechsel“. Eine große europäische multizentrische Studie , in der diese beiden Substanzen verglichen wurden, zeigte, dass mit wiederholten Injektionen von Fibrinkleber im 24-Stunden-Intervall in höherem Ausmaß eine dauerhafte Blutstillung zu erreichen war als durch eine einmalige Unterspritzung mit Fibrin oder Polidocanol (Evidenzniveau 1b). Allerdings ergab eine Metaanalyse randomisierter Studien zum Wert von systematischen „second look“-Endoskopien und bedarfsmäßigen Wiederholungsinjektionen trotz Senkung der Rezidivblutungsrate keinen Vorteil in Bezug auf die Operationshäufigkeit und die Mortalität (Evidenzniveau 1a). Zahlreiche Erfahrungsberichte (Evidenzniveau 3 und 4) geben aber Anlass zu der Vermutung, dass Rezidivblutungen durch endoskopische Reinterventionen erfolgreich und schließlich dauerhaft kontrolliert werden können. Dennoch wird bei einer Untergruppe von Patienten in den Blutungsstadien 1A und 2A nur mit einem operativen Eingriff die Blutungsproblematik zu beherrschen sein. Diese Hochrisikogruppe gilt es zu definieren und rechtzeitig nach initial gelungener Blutstillung noch vor Auftreten einer Rezidivblutung einem frühelektiven Eingriff zuzuführen. Neue, z. T. noch in Erprobung befindliche endoskopische Blutstillungstechniken sind die Applikation von Hämospray (Nanopowder TC-325) oder sog. Over-the-Scope-Clips (OTSC), wie sie mittlerweile zum Verschluss gastrointestinaler iatrogener oder spontaner Perforationen und Fisteln eingesetzt werden. Inwieweit sich diese Techniken bei den Läsionen mit hohem Rezidivblutungsrisiko nicht nur als „Bridging-Maßnahme“, sondern auch zur definitiven Blutstillung eignen, ist derzeit noch offen , , .

26.2.5 Chirurgische Therapie Operationsindikation Etwa die Hälfte aller Patienten mit Rezidivblutung nach initialer Blutstillung bedarf schließlich doch einer operativen Behandlung . Überwiegend trifft diese Aussage für die besonders rezidivblutungsgefährdeten Ulzera an der Hinterwand des Bulbus duodeni und im Bereich der kleinen Kurvatur des Magens oberhalb des Angulus zu . Das Versagen der endoskopischen Therapie lässt sich zum einen auf technische Schwierigkeiten bei der Endoskop-Positionierung in diesen Regionen, zum andern auf die in diesen Abschnitten besonders großkalibrigen Organarterien zurückführen. So können Duodenalulzera an der Bulbushinterwand zur Arrosion der Aa. gastroduodenalis oder pancreaticoduodenalis und hoch an der kleinen Kurvatur des Magens zur Arrosion von Ästen der A. gastrica sinistra, ja sogar der Milzarterie führen ( und ).

Ulkus an der Duodenalhinterwand mit Arrosionsblutung der A. gastroduodenalis. Situs bei frühelektiver Operation (Längsduodenotomie) mit sichtbarem Gefäßstumpf nach endoskopischer Blutstillung. [ ] ABB. 26.2

Penetriertes kallöses Ulcus ventriculi mit Arrosion der Milzarterie. Notfalleingriff bei endoskopisch unstillbarer Blutung. Bursa eröffnet, Blick auf die Hinterwand des hochgeklappten Magens (M) mit großem Ulkusdefekt und auf das Pankreas (P). Sonde im rupturierten Gefäßlumen. [ ] ABB. 26.3

Da in dieser Gruppe die Letalität verständlicherweise am höchsten ist, muss diesen Ulkuslokalisationen also besondere Beachtung geschenkt werden. Bei einem beträchtlichen Teil dieser Patienten lässt sich entweder die Blutung endoskopisch nicht zum Stillstand bringen oder aber das Rezidivblutungsrisiko auch durch wiederholte endoskopische Blutstillung nicht eliminieren. Diese Gruppe von Patienten mit endoskopisch nicht kontrollierbarer Blutung stellt dann eine extrem negative Selektion dar und erklärt schlüssig die weltweit unverändert hohe Letalität von 20–30 % einer im Blutungsrezidiv vorgenommenen Notoperation , .

Wann also soll welcher Patient von wem operiert werden? Für die Beantwortung dieser Frage bieten sich als Entscheidungshilfe prinzipiell zwei Möglichkeiten an. Der üblicherweise beschrittene Weg basiert auf einer retrospektiven Analyse der Kreislaufparameter, des Transfusionsbedarfs oder externer Zeichen eines kontinuierlichen oder intermittierenden Blutverlustes wie

erneute Hämatemesis oder Meläna. Diese „Wait-and-see“-Philosophie hat aber im Falle einer Operationserfordernis den entscheidenden Nachteil der erneuten Notfallsituation mit verzögerter Indikationsstellung, da erst die Sekundärzeichen des Blutungsrezidivs wie Kreislaufinstabilität, Hb-Abfall oder Blutkonservenverbrauch die Operationsindikation beeinflussen. Demgegenüber erlaubt der Informationsgehalt der Notfallendoskopie mit möglichst realer Einschätzung der Erfolgsaussicht einer definitiven endoskopischen Blutstillung eine prospektive Therapieentscheidung. Scheint trotz anfänglich gelungener Hämostase der definitive Blutstillungserfolg fragwürdig, sollten Ulzera mit Rezidivblutungsgefährdung aus großkalibrigen oder endoskopisch schlecht zugänglichen Gefäßen nach zügiger Kreislaufstabilisierung und unter Bereitstellung eines geeigneten Operateurs frühelektiv chirurgisch versorgt werden . Nur so lässt sich der drohenden, die Prognose verschlechternden Rezidivblutung wirksam begegnen. Endoskopische Blutstillungsmaßnahmen als alleinige Therapie sind nur dann indiziert, wenn das Risiko einer lebensbedrohlichen Rezidivblutung gering ist. Von dieser Strategie profitieren in besonderem Maße ältere Patienten, deren Funktionsreserven durch Rezidivblutungsereignisse rasch erschöpft sind. Höchste Priorität hat daher das Vermeiden des chirurgischen Traumas unter Notfallbedingungen. Die Erfolgsrate der endoskopischen Blutstillungsmaßnahmen hängt zweifelsfrei auch von der Expertise des Endoskopikers ab. Ebenso ist das Gelingen einer Operation untrennbar mit der Qualität des Chirurgen und seiner Indikationsstellung verknüpft. Es ist deshalb ärztliche Aufgabe, sich im interdisziplinären Gespräch und nach Evaluierung der eigenen Ergebnisse Klarheit über die vorhandene Behandlungskompetenz zu verschaffen und gemeinsame Konzepte auf dem Boden klinikinterner personeller und struktureller Gegebenheiten zu entwickeln. Nur so lässt sich die ubiquitär noch immer hohe Letalität der Ulkusblutung weiter senken. Ob sich bei multimorbiden Patienten mit fehlgeschlagenem endoskopischem Blutstillungsversuch und hohem Operationsrisiko die arterielle Embolisation des rupturierten Gefäßes als Alternative zum Notfalleingriff durchsetzen wird, bleibt abzuwarten. Immerhin konnte in einer Serie von 18 Patienten mit endoskopisch nicht stillbarer Blutung (n=13) oder Rezidivblutung nach vorausgegangener Notfalloperation wegen Ulkusblutung (n=5) bei 17 der Betroffenen eine definitive Hämostase erreicht werden . Eine individualisierte Indikationsstellung unter Einbeziehung der örtlichen Gegebenheiten und der in den und aufgeführten Risikofaktoren, die sich in erster Linie auf den notfallendoskopisch festgestellten Befund stützen, sollte daher Kernstück einer fachübergreifenden Behandlungsstrategie sein. Eine klare Indikation zur frühelektiven Operation ist beim Duodenalhinterwandulkus mit rezidivblutungsgefährdeter Arrosionsblutung der A. gastroduodenalis oder einem eindeutig erkennbaren großen Gefäßstumpf im Ulkusgrund gegeben ( ).

Therapeutisches Vorgehen bei peptischer Ulkusblutung . ˆ = Ereignispunkt (chance node), ☐ = Entscheidungspunkt (decision node). [ ] ABB. 26.4

Operationstechnik Mehr als zwei Drittel der operationspflichtigen Blutungen stammen aus einem solchen an der Hinterwand des Bulbus duodeni gelegenen Ulkus. Vordringlichstes Ziel ist der sichere Nahtverschluss des arrodierten Blutgefäßes. Im Gegensatz zu früheren Auffassungen erübrigt sich heute dank hochpotenter säureblockierender und Helicobacter-eliminierender Medikamente eine Eingriffserweiterung im Sinne einer ulkusspezifischen Therapie. Nur in Ausnahmesituationen kann sich sowohl beim Ulcus duodeni als auch beim Ulcus ventriculi die Indikation zur Billroth-II- respektive Billroth-I-Resektion ergeben.

Zugangsweg Auch in Gegenwart minimalinvasiver Techniken gilt die mediane Oberbauchlaparotomie , ggf. mit Linksumschneidung des Nabels, nach wie vor als Standardzugang ( ). Nach Eröffnung der Bauchhöhle wird ein Rochard-Haken in den epigastrischen Winkel eingesetzt und werden die Bauchdeckenränder mit einem Bauchdeckenspreizer auseinandergedrängt. Auch die Notfallsituation bietet meist Zeit für eine rasche orientierende Exploration des Abdomens. Je nach Füllungszustand der Blase wird entweder zu Beginn oder während des Eingriffs ein suprapubischer Harnblasenkatheter transkutan eingebracht, sofern nicht schon präoperativ ein transurethraler Verweilkatheter eingelegt wurde.

Standardzugang zu Magen und Duodenum über eine mediane Laparotomie, ggf. mit Linksumschneidung des Nabels (gepunktete Schnittführung). [ ] ABB. 26.5

Blutendes Ulcus duodeni Die verlässliche Versorgung einer Arrosionsblutung aus der A. gastroduodenalis beinhaltet einige beachtenswerte operative Maßnahmen. Nach Quer- oder Längsduodenotomie und Einstellung des Ulkusgrunds mit Retraktionshaken wird bei aktiver Blutung zunächst das spritzende Gefäß mit dem Finger oder einem kleinen Präpariertupfer bis zum Blutungsstillstand komprimiert, um sich Klarheit über die anatomischen Verhältnisse zu verschaffen. Danach folgt die kreuz- oder U-förmige Umstechung der im Ulkusgrund arrodierten Arterie mittels einer relativ kleinen, aber kräftigen Nadel mit Fadenstärke 2/0 oder 0 ( a und b). Die Nähte müssen unter Beachtung des retroduodenalen Gallenganganteils alle Zuflüsse zum rupturierten Gefäß verschließen.

Extraluminäre Gefäßligatur und kreuzförmige Ulkusumstechung. a) Die A. gastroduodenalis ist am Duodenaloberrand, die A. gastroepiploica dextra am Duodenalunterrand extraluminal ligiert. b) Die A. gastroduodenalis ist mit ihrem Wanddefekt von intraluminal her kreuzförmig umstochen. [ ] ABB. 26.6

Cave: Bei Umstechung im Ulkusgrund und bei der extraluminären Gefäßligatur an die Nachbarschaft des Gallenganges denken! Extraluminäre Gefäßligatur Das Aufsuchen der A. gastroduodenalis am Oberrand des Duodenums geschieht durch Darstellung der A. hepatica communis. Unterstützend können durch die ins Foramen Winslowi eingebrachten Zeige- und Mittelfinger der linken Hand die Gefäßstrukturen exponiert und die darüber liegende Duodenalwand nach kaudal abgedrängt werden ( ). Anschließend wird am Unterrand des Duodenums die A. pancreaticoduodenalis als möglicher Zuflussweg zum Ulkusgrund ligiert. Ob sich die Unterlassung einer extraluminären Ligatur bei ansonsten chirurgisch korrekt versorgter Blutungsquelle tatsächlich negativ auswirkt, ist unbewiesen. Kontrollierte Studien zu dieser Frage fehlen.

Extraluminäre Gefäßligatur. Der in das Foramen epiploicum eingeführte Zeigefinger der linken Hand drückt dem Operateur die Abgangsstelle der A. gastroduodenalis entgegen und spannt sie durch den auf dem Duodenum liegenden Daumen. Gezieltes Isolieren mit einer Overholt-Klemme und Unterbindung. [ ] ABB. 26.7

Ulkusexklusion Viel entscheidender scheint dagegen die Ausschaltung des Geschwürs aus der Intestinalpassage durch Vernähung der Ulkusränder im Sinne eines Schleimhautverschlusses zu sein (Evidenzniveau 3). Beim penetrierenden Ulkus ist eine Exzision des Ulkusgrunds wegen der topografischen Nachbarschaftsbeziehung zum Pankreaskopf und Gallengang kaum möglich. Der Ulkusgrund wird deshalb belassen ( ). Nach vorsichtiger Unterminierung und Inzision des Ulkusrands wird die Duodenalhinterwand möglichst spannungsfrei über den Ulkuskrater gezogen und mit Einzelknopfnähten anastomosiert (sog. Exterritorialisierung). Anschließend erfolgt der Verschluss der Duodenotomie mittels fortlaufender, allschichtig adaptierender, einreihiger Naht oder mit Einzelknopfnähten. Eine Längsduodenotomie kann bei sorgfältiger Stichführung in den meisten Fällen auch längs verschlossen werden, eine quere Inzision wird auch wieder quer vernäht.

Exklusion eines penetrierenden Ulkus an der Duodenalhinterwand. Nach Mobilisierung der Ulkusränder wird die Hinterwand mit Einzelknopfnähten über dem belassenen Ulkusgrund vernäht. [ ] ABB. 26.8

Sinngemäß gelten diese Aussagen auch für die frühelektive Situation, wenn der Eingriff im blutungsfreien Intervall durchgeführt wird. Die Ulkusversorgung kann allerdings bei anatomisch ungünstiger Situation (Riesenulkus, Papillennähe) schwierig oder gar unmöglich sein, sodass sich die Ausnahmeindikation zur Billroth-II-Resektion mit atypischem Duodenalverschluss, z. B. nach Nissen, ergibt. Auch hier wird die Blutungsquelle „exterritorialisiert“, indem die Duodenalvorderwand eingeschlagen und zunächst mit dem aboralen, nachfolgend mit dem kranialen Ulkusrand vernäht wird. Damit ist das Ulkus komplett von der Duodenalwand überdeckt und ebenfalls aus der Duodenalpassage exkludiert. Ein ausgiebiges Kocher-Manöver und eine subtile, ischämievermeidende Nahttechnik sind hier Voraussetzungen für einen sicheren Verschluss des Duodenalstumpfes.

Blutendes Ulcus ventriculi Viel seltener als beim Ulcus duodeni erfordert eine Blutung aus einem Ulcus ventriculi einen notfallmäßigen Eingriff. Operationsprinzip ist auch hier die verlässliche Elimination der Blutungsquelle. In Gegenwart einer effektiven medikamentösen Behandlungsmöglichkeit der zugrunde liegenden Ulkuskrankheit

gilt in der Notfallsituation die alleinige Ulkusexzision als ausreichend. Die früher häufig geübte simultane Vagotomie muss heute als obsolet angesehen werden. Da im Gegensatz zum Ulcus duodeni ein Magengeschwür potenziell bereits entartet sein kann bzw. ein kleines ulzeröses Magenkarzinom fälschlicherweise bei der Notfallendoskopie als Magenulkus interpretiert werden könnte, ist die Ulkusexzision für die histologische Dignitätssicherung unabdingbar. Sofern keine Schnellschnittuntersuchung zur Verfügung steht, muss dann ggf. in einem zweiten Eingriff eine Resektionsbehandlung nach den Kriterien der onkologischen Chirurgie erfolgen. Operationsprinzip beim blutenden Ulcus ventriculi ist im Regelfall die alleinige Ulkusexzision ohne simultane Vagotomie. Im Ausnahmefall kann allerdings bei topografisch ungünstiger Ulkuslokalisation, bei Magenausgangsstenose oder beim penetrierendem Riesenulkus ( ) auch primär ein resezierendes Verfahren (Billroth I und II) erforderlich werden. Die Exzision des meist minorseitig im Angulusbereich liegenden Ulkus erfordert eine kurzstreckige Skelettierung des betroffenen Magenwandabschnitts unter Sichtschonung des Latarjet-Nervs (R. antralis n. vagi). Bei ausgeprägter perifokaler Entzündungsreaktion oder bei starken Vernarbungen gelingt die Nerverhaltung nicht immer. Im Zweifelsfall muss deshalb die Ulkusexzision mit einer Pyloroplastik oder Pyloromyotomie kombiniert werden. Je nach den anatomischen Verhältnissen wird der Defektverschluss nach Ulkusexzision durch einreihige, alle Schichten adaptierende, atraumatische Naht der Fadenstärke 3/0 oder 4/0 vorgenommen. Liegt die Blutungsquelle an der Magenhinterwand, erfolgt der Zugang über eine Längsgastrotomie in der Mitte der Vorderwand zwischen Haltefäden. Die quere Exzision des Ulkus an der Hinterwand kann mit dem elektrischen Messer über die eröffnete Vorderwand, also transgastrisch, durchgeführt werden. Dabei empfiehlt es sich, nach Eröffnung der Bursa omentalis durch Inzision des Omentum minus das Ulkus von außen her mit ein oder zwei Fingern anzuheben und sich entgegenzuschieben ( a bis c). Wenn möglich, sollte die Exzision nur bis auf das fibröse Ulkuslager vorgenommen werden. Der Verschluss des Exzisionsdefekts erfolgt ebenfalls von innen mit Einzelknopfnähten oder fortlaufender Naht über dem „schienenden“ Zeige- oder Mittelfinger. Die Vorderwandinzision wird einreihig fortlaufend verschlossen.

Ulkusexzision an der Hinterwand.a) Nach Längsgastrotomie Eingehen mit dem Zeigefinger durch das kleine Netz an die Magenhinterwand und Entgegenschieben des Exzisionsareals. b) Exzisionstiefe unter Kontrolle des Zeigefingers nur bis in das fibröse Ulkuslager. c) Verschluss des Exzisionsdefekts von innen mit Einzelknopfnähten, die ihren Halt im fibrösen Ulkuslager finden. [ ] ABB. 26.9

Bei der Methodenwahl steht heute nicht mehr die Ulkuskrankheit im Vordergrund, sondern die operative Blutstillung. Aufgrund des neuen pathogenetischen Verständnisses der Ulkusentstehung und der damit verbundenen Eradikationstherapie ist eine dauerhafte Heilung der Ulkuskrankheit bei Helicobacter-positiven Patienten möglich geworden. Deshalb ist eine Gewebegewinnung zur Helicobacter-Testung auch beim Notfalleingriff obligat, um den aktuellen Empfehlungen nach unmittelbar postoperativem Beginn der Eradikationstherapie gerecht zu werden.

Exulceratio simplex Dieulafoy Bei oberer gastrointestinaler Blutung und nicht identifizierbarer Blutungsquelle muss an ein Ulcus Dieulafoy gedacht werden. Diese Veränderung ist selten. Weit überwiegend sind Männer betroffen. Es handelt sich um eine kongenitale arteriovenöse Malformation des Magens (Mikroaneurysma); der Terminus „Ulkus“ ist pathohistologisch somit nicht korrekt. Die Prädilektionsstelle ist meist subkardial minorseitig an der Magenhinterwand. Die Blutung tritt aus heiterem Himmel ohne Magenvorgeschichte (Risikofaktoren nicht bekannt) auf. Eine exakte Lokalisation ist nur in der akuten Blutung möglich – die Diagnose wird demnach oft erst bei der Wiederholungsendoskopie gestellt. Als Therapie bietet sich die Applikation eines oder mehrerer Hämoclips ebenso an wie die endoskopische Fibrinklebung, die wegen der fehlenden Nekrosebildung einen pathophysiologisch sinnvollen Ansatz für eine adäquate Blutstillung darstellt. Rezidivblutungen zwingen zur Re-Endoskopie mit erneutem Blutstillungsversuch. Gelingt dieser auf endoskopischem Weg nicht, erfolgt die definitive Blutstillung auf chirurgischem Weg via Gastrotomie, wobei eine vorherige endoskopische Clip- oder Farbstoffmarkierung der Läsion u. U. die intraoperative Suche nach der Blutungsquelle wesentlich erleichtert.

Stressulkusblutung Die früher gefürchtete Stressulkusblutung im postoperativen bzw. intensivmedizinischen Verlauf ist aufgrund des verbesserten anästhesiologischen Managements und hochpotenter Medikamente zur Ulkusprophylaxe zur Rarität geworden. Eine Vielzahl von Publikationen definiert heutzutage ohnehin nur noch einen Bruchteil des intensivmedizinischen Krankengutes als stressulkusgefährdet. Stressulkusgefährdet sind intensivmedizinische Patienten mit:

• schwerem Schädel-Hirn-Trauma, • schweren Verbrennungen, • schwerer Sepsis mit Organinsuffizienz. Andere Blutungsquellen Mallory-Weiss-Syndrom, Angiodysplasien, Erosionen Das Mallory-Weiss- Syndrom , Angiodysplasien und Erosionen sind zunächst therapeutische Domäne der Endoskopie. Nur wenn auf endoskopischem Wege keine Blutstillung gelingt, werden die Läsionen via Gastrotomie dargestellt und gezielt umstochen. Blutende Polypen Kleinere blutende gastrale oder duodenale Polypen werden üblicherweise endoskopisch mit der Schlinge abgetragen. Bei endoskopisch nicht abtragbaren Befunden erfolgt die lokale Exstirpation via Gastro- oder Duodenotomie. Blutungen aus gutartigen Tumoren Die meist submukösen Tumoren (z. B. Leiomyome, Neurinome etc.) sind einer endoskopischen Gewebegewinnung und Abtragung meist nicht zugänglich. Deshalb erfolgt ein den Magenpolypen analoges Vorgehen mit intraoperativer Schnellschnittuntersuchung, falls möglich. Hämobilie Die Hämobilie (Blutung in die Gallenwege bzw. aus der Papilla Vateri) entsteht durch pathologische Verbindungen zwischen Gefäßen und den intra- oder extrahepatischen Gallenwegen. Sie kann traumatisch bedingt sein (stumpfes Bauchtrauma, Stich- und Schussverletzungen, Leberpunktion, Aneurysma, perkutane transhepatische Cholangiografie, Operationen) oder spontan auftreten (Ascariasis, Schistosomiasis, Echinococcosis, Cholangitis, Aneurysma, Leberabszess). Die Diagnose orientiert sich an der typischen Trias:

• Blutung aus der Papille, • Gallenkoliken, • Verschlussikterus. Die Diagnosesicherung erfolgt durch Endoskopie und selektive Angiografie. Die therapeutischen Möglichkeiten bestehen in Katheterembolisation, endoskopischer temporärer Ballonkatheterokklusion, selektiver Arterienligatur oder Leberresektion. Aortale Fisteln Aortogastrale oder aortoduodenale Fisteln kommen extrem selten vor, das klinische Erscheinungsbild kann sich dafür umso dramatischer präsentieren. Hinweise können aortale Aneurysmen, vorausgegangene Implantationen von Gefäßprothesen oder Magenvoroperationen geben. Die Fistelöffnung kann klein sein. Häufig versagt deshalb die Angiografie. Therapie der Wahl ist die adäquate Versorgung der Gefäßläsion, ggf. mit prothetischem Ersatz des meist aneurysmatisch erweiterten Aortenabschnitts, und die Übernähung der gastralen oder duodenalen Fistel. Als interventionelle Maßnahme bietet sich bei den häufig instabilen und aortal voroperierten Patienten das endovaskuläre Einbringen eines selbst expandierenden Aortenstents an.

Eingriffsspezifische Komplikationen Intraoperativ Die unbemerkte Einbeziehung des retroduodenalen Gallenganganteils in die Umstechungsligatur am Ulkusgrund oder beim atypischen Duodenalverschluss nach Nissen sowie die Verwechslung der A. gastroduodenalis mit der zentralen Leberarterie stellen sicherlich die fatalsten eingriffsspezifischen Komplikationen dar. Durch intraoperative Cholangiografie und routinemäßige Überprüfung einer arteriellen Pulsation im Lig. hepatoduodenale lassen sich diese Komplikationen vermeiden oder nach ihrer Realisierung beheben. Bei den resezierenden Verfahren können je nach anatomischer Situation Verletzungen an Milz und Pankreas oder benachbarten Gefäßen auftreten.

Postoperativ Intraluminale Rezidivblutungen treten bei etwa 10 % der notfallmäßig operierten Patienten auf. In Analogie zur Initialblutung werden sie endoskopisch diagnostiziert und therapiert. Der noch frische Nahtverschluss an Magen oder Duodenum stellt bei schonender Durchführung hierfür keine Kontraindikation dar. Während es sich nach Ulkusumstechung im Duodenum um echte, meist revisionsbedürftige Rezidivblutungen handelt, entstehen nach Resektionsbehandlung Blutungsrezidive häufig unmittelbar im Anastomosen- oder Exzisionsbereich oder an den Nahtstellen der Gastrotomie. Extraluminale Nachblutungen erfordern entsprechend ihrem Ausmaß eine rechtzeitige Reintervention. Nahtinsuffizienzen bedürfen immer dann einer dringlichen Relaparotomie mit Peritonitisbehandlung, wenn sie in den ersten 4–5 Tagen auftreten. Spätinsuffizienzen können unter temporärer Nahrungskarenz und erhöhter Aufmerksamkeit bei guter externer Sekretdrainage auch konservativ zur Ausheilung gebracht werden.

26.2.6 Überwachung des Blutungspatienten Bei allen Patienten mit einem erhöhten Rezidivblutungsrisiko ist ein engmaschiges Monitoring mit Kreislaufüberwachung und wiederholter Bestimmung der Blutwerte so lange erforderlich, bis die programmierte Kontrollendoskopie unter Berücksichtigung des klinischen Verlaufs quasi Entwarnung gibt. Im Regelfall wird die Überwachung auf einer Intensiv- oder Intermediate-Care-Station für mindestens 2–3 Tage nötig sein, da etwa 80 % der Rezidivblutungen innerhalb dieses Zeitraums auftreten. Sinngemäß gilt dies auch für das intraluminäre postoperative Blutungsrezidiv. Es empfiehlt sich, die Magensonde für diesen Zeitraum zu belassen, um das Refluat auf frische Blutungszeichen hin zu beobachten, wobei der wache Patient bei geöffneter Sonde trinken darf – nach frühelektiver Operation bereits am ersten postoperativen Tag. Nach endoskopischer Blutstillung erfolgt bei konservativer Weiterbehandlung die erste Kontrollendoskopie nach 12–24 Stunden. In Abhängigkeit vom Endoskopiebefund wird ggf. die Läsion erneut mit einem Fibrinkleber unterspritzt oder ein weiter Clip appliziert. Je nach Befund wird dann der Zeitpunkt der nächsten Kontrolluntersuchung festgelegt. Patienten mit einer Blutungsaktivität im Stadium 1B können wegen ihres geringen Rezidivblutungsrisikos nach endoskopischer Therapie auch ohne nasogastrale Sonde auf der Regelstation überwacht werden. Dies trifft auch für die Blutungsstadien 2B und 3 zu. Supportive Therapie Unabhängig vom Blutungsstadium gilt die hoch dosierte Gabe eines Protonenpumpeninhibitors (PPI) zumindest derzeit als medikamentöse Therapie der Wahl, wobei der initialen Bolusinjektion von 40–80 mg eine Dauerinfusion mit 4–8 mg/h für mindestens 3 Tage folgen sollte. Danach kann die PPI-Therapie auf eine orale Einnahme umgestellt werden . Bei Helicobacter-positiven Patienten ist die Eradikationstherapie, deren Erfolg

mittels Kontrollendoskopie nach 6–8 Wochen überprüft werden sollte, obligat.

26.3 Untere Gastrointestinalblutung 26.3.1 Differenzialdiagnose Dünndarmblutungen Blutungen aus dem Dünndarm sind selten und machen etwa 3–5 % aller akuten gastrointestinalen Blutungen aus. Es gilt daher zunächst, die viel häufigeren Blutungsquellen in den anderen Abschnitten des Gastrointestinaltrakts auszuschließen. Gelingt der Ausschluss zuverlässig, ist mit einer Häufigkeit von 70–80 % eine Angiodysplasie als wahrscheinlichste Ursache der Dünndarmblutung anzunehmen. Anders als im oberen Gastrointestinaltrakt und im Kolon mit überwiegend endoskopischer Ursachenklärung sind Blutungsquellen im Dünndarm meist erst nach aufwendiger und häufig auch redundanter angiografischer und szintigrafischer Diagnostik lokalisierbar. In den letzten Jahren haben die VideokapselEndoskopie, die Push-Enteroskopie und die Doppelballon-Endoskopie mit etwa 2 Meter langen Instrumenten das diagnostische Spektrum erweitert. Sie ermöglichen sowohl fotografische als auch direkte Einblicke in den Dünndarm ( ). Allerdings eignet sich die zeitaufwendige „Kapselendoskopie“ nicht für eine rasche Lokalisationsdiagnostik bei akuter Blutung, sondern eher für die Abklärung eines chronischen Blutverlustes bei okkulter Hämorrhagie . Mit Doppelballon-Enteroskopen können erstmals auch endoskopische Blutstillungsmaßnahmen in Abschnitten des Intestinaltrakts vorgenommen werden, die mit konventionellen Endoskopen bisher nicht einsehbar waren. In besonderem Maße gilt das für kleinere Blutungen aus Angiodysplasien, sofern diese mittels Enteroskopie geortet werden können ( ).

ABB. 26.10

Doppelballon-Endoskop. [ ]

ABB. 26.11

Kleinere Blutung aus Angiodysplasie. [ ]

Da allerdings nur bei etwa jedem 4. Patienten eine komplette Enteroskopie gelingt und nach endoskopischer Blutstillung in über 40 % Rezidivblutungen auftreten , bedarf die überwiegende Mehrheit aller Dünndarmblutungen jedoch nach wie vor einer chirurgischen oder radiologisch-interventionellen Maßnahme. Beim Blick auf die Ursachenvielfalt wird diese Aussage verständlich. So reicht das Spektrum an potenziellen Blutungsquellen vom klassischen Meckel-Divertikel im Ileum über Divertikel im oberen Jejunum bis hin zu malignen oder benignen Neubildungen ( a–d). Spontane oder postoperativ nach Aneurysmachirurgie auftretende Blutungen aus aorto-enterischen Fisteln stellen immer ein lebensbedrohliches Ereignis dar. Ebenfalls selten, aber weniger dramatisch äußert sich eine intestinale Blutung aus einem Schleimhautulkus im Dünndarm ( a und b).

Blutungsursachen im Dünndarm. a) Jejunumdivertikulose mit transfusionspflichtiger Blutung. b) Blutendes Leiomyosarkom des Jejunums, Diagnosestellung intraoperativ. c) Blutender gastrointestinaler Stromatumor (GIST) im Dünndarm; nach kontralateraler Längsduodenotomie ist auf der Tumorkuppe ein kleines sickerblutendes Schleimhautulkus erkennbar. d) Großes Meckel-Divertikel mit eigener Gefäßversorgung und transfusionspflichtiger Blutung. [ ] ABB. 26.12

Benignes Solitärulkus im mittleren Dünndarm mit intermittierender Blutung. a Schnürring an der Ulkuslokalisation, Blutkoagel im Darmlumen erkennbar. b Nahezu zirkuläres Ulkus im resezierten Dünndarmsegment. [ ] ABB. 26.13

Dickdarmblutungen Als Ursprungsort für eine untere Gastrointestinalblutung ist das Kolorektum etwa 3–4-mal häufiger betroffen als der Dünndarm. So liegt der schweren intestinalen Blutung mit 5–30 % eher eine kolorektale Neoplasie als ein Dünndarmtumor (1 bis 2 %) zugrunde . Entsprechend ihrer Prävalenz gelten aber Divertikel als häufigste Blutungsquelle im Kolon. Beim älteren Patienten sind sie in über 30 % verantwortlich für eine transfusionspflichtige Dickdarmblutung. Dabei gilt es zu beachten, dass nach einer erstmaligen Divertikelblutung mit einem Rezidivblutungsrisiko zwischen 25 bis 50 % zu rechnen ist und etwa die Hälfte dieser Patienten weitere Blutungsepisoden erleidet. Bei den im Greisenalter besonders häufigen Angiodysplasien kommt es infolge der im Alter zunehmenden chronischen Wandüberdehnung vor allem im Bereich des rechten Hemikolons zu einem gestörten venösen Abfluss aus der Submukosa, der zur Ektasie der Kapillaren und Venen und im Gefolge davon zur Ausbildung arteriovenöser Shunts führt. Dies erklärt hinreichend das rechte Hemikolon und hier insbesondere das Zökum als Prädilektionsort für Angiodysplasien. Der Blutverlust aus arteriovenösen Malformationen ist aber meist nur gering, da annähernd 90 % der Blutungen spontan zum Stillstand kommen. Dennoch können Verzögerungen der Diagnostik mit oft schwierigem Nachweis im blutungsfreien Intervall infolge der Rezidivneigung über Monate und Jahre hinweg in Summe zu enormen Transfusionsmengen führen. Prädilektionsort für Angiodysplasien ist das rechte Hemikolon. Chronische Anämie und Nachweis von okkultem oder sichtbarem transanalem Blutverlust sind häufig aber auch ein Indiz für das Vorliegen intestinaler Neoplasien. Blutungsintensität und -menge lassen dabei Rückschlüsse auf die Tumorlokalisation zu. Okkulter Blutverlust mit chronischer Anämie deutet eher auf eine Lokalisation im rechten Hemikolon oder Dünndarm, transanaler sichtbarer Blutabgang mehr auf ein linksseitiges kolorektales Karzinom hin. Bei den klinischen Symptomen einer hypochromen mikrozytären Eisenmangelanämie muss auch immer an ein Kolonkarzinom gedacht werden! Colitis ulcerosa und Morbus Crohn manifestieren sich als Ursache für eine intestinale Blutung üblicherweise in Form blutiger Diarrhöen. Man kann davon ausgehen, dass einer von 20 Patienten mit entzündlicher Darmerkrankung eine schwere intestinale Blutung erleidet, die bei der Hälfte der Betroffenen spontan

sistiert. Da bei etwa einem Drittel erneut eine schwere Blutung auftritt, scheint die Forderung nach einer dringlichen oder frühelektiven Resektionsbehandlung vor allem bei den Patienten gerechtfertigt zu sein, bei denen die erste Blutungsepisode bereits transfusionspflichtig oder gar lebensbedrohlich war.

Anorektale Blutungsquellen In einer landesweiten Studie zur Inzidenz und Ätiologie der unteren Gastrointestinalblutung fanden sich während eines 5-jährigen Beobachtungszeitraums unter 17.941 Patienten mit einer unteren Gastrointestinalblutung in 11 % Hämorrhoiden, Analfissuren oder perianale Fisteln als Blutungsquelle. Dies verpflichtet zur sorgfältigen, das komplette Anorektum einschließenden klinischen Untersuchung, bevor invasive und komplexere Diagnosemaßnahmen zur Anwendung kommen. Allerdings darf der Nachweis einer potenziell blutenden Läsion im anorektalen Bereich nicht dazu führen, eine höher gelegene, möglicherweise klinisch weitaus bedeutsamere Blutungsquelle zu übersehen. Erst nach deren Ausschluss kann die anorektale Läsion als blutungsursächlich akzeptiert werden. Varizen im Bereich des Anorektums sind überwiegend Ausdruck einer portalen Hypertension, seltener einer Milzvenenthrombose oder angeborener Herzvitien und kongenitaler mesenterikovenöser Anomalien. Bei etwa 4 von 5 Patienten mit einem portalvenösen Hochdruck treten anorektale Varizen auf, die zu massiven und meist völlig schmerzfreien Blutungen führen können . Die Prokto-/Rektoskopie als diagnostische Methode der Wahl bietet hier zugleich den Vorteil der synchronen, im Erfolgsfall eine Operation vermeidenden intra- oder paravasalen Sklerosierungstherapie. Als Rarität muss die Blutung aus einem Ulcus Dieulafoy des Rektums angesehen werden. Allerdings kann eine derartige Läsion, die üblicherweise im Fundus- und Korpusbereich des Magens auftritt, zu einem erheblichen Blutverlust führen. Findet sich ein Ulcus simplex recti, muss auch an eine mechanische Genese gedacht werden. Eine klinische Untersuchung des kompletten Anorektums sollte vor der apparativen Diagnostik erfolgen. Bevor eine Läsion im Anorektum für die untere Gastrointestinalblutung verantwortlich gemacht wird, müssen höher gelegene Blutungsursachen ausgeschlossen werden.

26.3.2 Diagnostik Auch wenn ältere Menschen mit erhöhter Co-Morbidität am häufigsten von einer unteren Gastrointestinalblutung betroffen sind, kann diese in jedem Alter auftreten. Dabei sind die verschiedenen Blutungsursachen überwiegend auch mit verschiedenen Altersgruppen korreliert. So sind die häufigsten Ursachen einer unteren Gastrointestinalblutung bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein blutendes Meckel-Divertikel und chronisch entzündliche Darmerkrankungen, während in der Altersgruppe zwischen 50 und 60 Jahren Divertikel und Neoplasien und in höheren Lebensabschnitten die Angiodysplasien quantitativ dominieren. Neben der Abschätzung von Blutungsaktivität und -intensität und der damit verbundenen Dringlichkeit zu weiterführender Diagnostik sollten diese Erkenntnisse in das diagnostische Prozedere mit einfließen. Die bei Erfordernis synchron zu den klinischen und apparativen Untersuchungen vorzunehmenden Stabilisierungsmaßnahmen und die zur Abschätzung des Blutverlustes notwendigen klinischen Verlaufsparameter entsprechen denen bei oberer Gastrointestinalblutung. Anamneseerhebung und klinische Untersuchung mit Einschluss rektal-digitaler Austastung und Stuhlprobengewinnung laufen dabei parallel ab. Die gezielte Befragung nach früheren Blutungsepisoden und eventuell damals erhobenen Befunden, nach Magen-, Darm- oder Lebererkrankungen und vorausgegangenen Operationen sowie nach Einnahme nichtsteroidaler Antiphlogistika oder Antikoagulanzien ist häufig richtungsweisend und erlaubt eine gezielte Diagnostik. Da 85–90 % aller akuten gastrointestinalen Blutungen aus dem oberen Verdauungstrakt stammen, kommt der Ösophagogastroduodenoskopie (ÖGD) als Ausschlussuntersuchung immer dann initiale Bedeutung zu, wenn anamnestisch Hämatemesis oder Meläna vorliegen. Hellrote Blutauflagerungen auf dem Stuhl oder portionsweiser transanaler Blutabgang lassen dagegen eher auf eine Blutungsquelle im Anorektum oder Kolon schließen. Anoskopie und Rektosigmoidoskopie können dann – als Notfallmaßnahme nach kurzer Darmreinigung vorgenommen – meist die Blutungsursache sichern oder zumindest höher gelegenen Darmabschnitten zuordnen.

Koloskopie Die Koloskopie gilt als diagnostische Maßnahme der Wahl bei Dickdarmblutungen vor allem dann, wenn die Blutung zum Stillstand gekommen oder nur noch geringfügig ist, also die Voraussetzungen für eine hohe diagnostische Treffsicherheit mit der Möglichkeit zur Darmreinigung gegeben sind. Bei kreislaufwirksamer Blutung bleibt aber weder die Zeit für eine mechanische Darmreinigung, noch ist diese zwingend notwendig, da stärkere Blutbeimengungen im Darmlumen laxierend wirken und hartnäckige Stuhlverunreinigungen deshalb selten sind . Endoskope mit großlumigen Arbeitskanälen ermöglichen Freispülung und Absaugung und damit die Darstellung der Blutungsquelle mit optionaler synchroner Blutstillung, z. B. durch Clip-Applikation, Elektrokoagulation oder Unterspritzung mit vasokonstringierenden (verdünnte Adrenalinlösung) und/oder verklebenden (Fibrinkleber) Injektionsmitteln. Selbst wenn die Blutungsquelle nicht exakt lokalisiert werden kann, lässt sie sich häufig dennoch einem bestimmten Darmabschnitt zuordnen, sodass Wiederholungsendoskopien zügiger durchgeführt und ggf. operative Maßnahmen besser geplant werden können.

Szintigrafie Mangelnde endoskopische Sicht durch Koagel oder Stuhlverschmutzung, anatomische Besonderheiten, intermittierender Blutungstyp und Lokalisation der Blutung an schwer zugänglichen Regionen des Dünndarms können die endoskopische Diagnosestellung verhindern. In dieser Situation bieten radiologische und nuklearmedizinische Methoden die ergänzende Möglichkeit einer anatomischen Zuordnung und Ursachenfindung. Während die selektive Angiografie für den Nachweis eines Kontrastmittelextravasats eine Blutungsintensität von 0,5–1 ml/min und – je nach Technik – auch mehr benötigt, liegt die untere Nachweisgrenze der szintigrafischen Verfahren bei 0,05–0,5 ml/min . Als nichtinvasives Verfahren benötigt die Szintigrafie keine spezielle Vorbereitung des Patienten. Sie erlaubt bei intermittierendem Blutungstyp einen sicheren Extravasatnachweis bis zu 24 Stunden nach der Injektion von 9 9 m Tc-markierten Zinnkolloiden oder Erythrozyten ( ). Die Sensitivität der Erythrozytenszintigrafie liegt zwischen 60 und 95 % und ist damit deutlich besser als die der Kolloidszintigrafie bei identischer Spezifität von annähernd 100 %. Die Wahrscheinlichkeit, die Blutungsquelle richtig zu orten, ist damit höher als bei der Angiografie, bei der zudem eine aktive Blutung zum Zeitpunkt der Untersuchung für die Lokalisationsdiagnostik vorliegen muss.

Aktiv blutendes Meckel-Divertikel. a) Nachweis der Blutungsquelle im rechten Unterbauch durch Erythrozytenszintigramm. b) Intraoperativer Befund mit Koagel-gefüllten Darmschlingen. [ ] ABB. 26.14

Der szintigrafische Extravasatnachweis benötigt eine Blutungsintensität von mindestens 0,05–0,5 ml/min.

Angiografie Trotz der generell höheren Nachweisempfindlichkeit und der bei intermittierender Blutung vorhandenen diagnostischen Überlegenheit der Erythrozytenszintigrafie empfiehlt sich vor operativer Therapieentscheidung die Bestätigung der Blutungsquelle durch selektive Angiografie. Bei massiver Blutung vermeidet die sofortige Angiografie oder eine Angio- CT in Spiraltechnik ( ) mit hoher diagnostischer Trefferwahrscheinlichkeit den Nachteil der Zeitverzögerung durch die szintigrafische Untersuchung.

ABB. 26.15

Nachweis einer Dünndarmblutung mittels Angio-CT bei einem 84-jährigen Patienten. [ ]

Wie erwähnt, benötigt die selektive Mesenterikografie eine Blutungsintensität von etwa 1 ml/min für den Nachweis einer Extravasation in das Darmlumen ( a–d). Die Lokalisierung der Blutungsquelle gelingt – alle Blutungsaktivitäten eingeschlossen – dabei in 40–85 %. Falsch-negative Ergebnisse sind meist auf ein spontanes Sistieren der Blutung zum Zeitpunkt der Untersuchung zurückzuführen. Andererseits bietet die selektive bzw. superselektive Mesenterikografie mit Katheterintubation von Gefäßen der 2. und 3. Ordnung auch bei nicht mehr aktiver Blutung die Möglichkeit einer indirekten Darstellung der Blutungsquelle, wenn die Ursache in einer Gefäßanomalie (z. B. pathologische Tumorgefäße, Hämangiom oder Angiodysplasie) liegt.

Angiografie mit superselektiver Darstellung der Mesenterialarkaden (gleicher Patient wie in Abb. 26.15). a) Übersichtsaortografie. b) Ortung der Blutungsquelle durch Nachweis eines intraluminalen Kontrastmittelextravasats im Dünndarm, in Verbindung mit dem Angio-CT am ehesten Angiodysplasie. c) Superselektive Darstellung des Blutungsgefäßes mittels Mikrokatheter. d) Blutungsstopp nach superselektiver Embolisation, keine Embolisatverschleppung. [ ] ABB. 26.16

Im Gegensatz zur Angio-CT bietet die selektive bzw. superselektive Katheterangiografie analog zur Endoskopie die Möglichkeit zur zumindest temporären synchronen Blutstillung in einem Arbeitsgang durch Vasopressininfusion oder Embolisation des zuführenden Gefäßes mit Partikeln von einer Größe zwischen 350 und 500 μm. Nach einer solchen interventionellen Maßnahme sollte der Angiografiekatheter über weitere 6–12 Stunden zur Therapiekontrolle und ggf. Therapiewiederholung belassen werden, wobei ein Offenhalten des Katheters durch kontinuierliche Kochsalzinfusion gewährleistet sein muss . Erwartungsgemäß sind die Rezidivblutungsraten hoch und liegen zwischen 20 und 70 % je nach Blutungsursache. Als Mittel zur temporären Blutstillung ist diese Behandlungsalternative jedoch hilfreich, um Zeit für vorbereitende und den Kreislauf stabilisierende Maßnahmen vor definitiver Therapie zu gewinnen.

Der angiografische Extravasatnachweis benötigt eine Blutungsintensität von mindestens 0,5–1 ml/min.

Intraoperative Diagnostik Bei etwa 5–10 % aller Patienten mit intestinaler Blutung lässt sich die Blutungsquelle mit den oben beschriebenen diagnostischen Methoden trotz wiederholten Einsatzes nicht ermitteln. Überwiegend liegt dann die Ursache im Dünndarm oder im rechten Hemikolon. Bleibt also bei Ausschöpfung des diagnostischen Armamentariums die Blutungsursache unklar oder besteht die Indikation zur dringlichen chirurgischen Intervention, kann eine intraoperative Enteroskopie mit Doppelballon- oder langen Standardendoskopen, ggf. mit Diaphanoskopie , in Zusammenarbeit mit dem Endoskopiker richtungsweisende Befunde liefern ( ). Damit lässt sich die für Patienten und Chirurgen gleichermaßen unbefriedigende Situation einer „blinden“ Resektion mit mehr oder weniger zufälligem Behandlungserfolg vermeiden.

ABB. 26.17

Intraoperative Enteroskopie mit Diaphanoskopie bei akut blutender Angiodysplasie im oberen Ileum. [ ]

Behandlungsstrategie Auch bei kompletter Ausschöpfung aller verfügbaren diagnostischen Methoden gelingt die Blutungslokalisation nur in etwa 90 %, sodass bei jedem 10. Blutungspatienten ein Notfalleingriff ohne genaue Kenntnis der Blutungsquelle vorgenommen wird. Damit besteht die Hauptproblematik der unklaren intestinalen Blutung überwiegend in der exakten Zuordnung der blutenden Läsion zu einem definierten Abschnitt des unteren Gastrointestinaltrakts und weniger in einer situationsgerechten Auswahl verfügbarer Therapieoptionen. „Blinde“ Segmentresektionen sind mit einer hohen Versagerquote behaftet und führen allenfalls bei jedem dritten der so behandelten Patienten zur definitiven Eliminierung der Blutungsursache . Die z. T. mehrfachen Rezidivblutungsepisoden der primär erfolglos operierten Patienten führen zwangsläufig zu Wiederholungseingriffen mit konsekutiv hoher Mortalität, die je nach Literaturzitat bis zu 50 % beträgt. Die früher viel zitierten intraoperativen Maßnahmen zur Identifizierung der Blutungsquelle, wie das temporäre Ausklemmen isolierter Darmabschnitte mit mehrminütigem Warten auf eine eventuell eintretende Blutfüllung des ausgeklemmten Darmlumens oder das Anlegen multipler Kolostomien mit postoperativer Beobachtung der Blutaustrittsöffnung, sind allenfalls noch Hilfsmittel für verzweifelte Situationen. Auch die temporäre Anlage eines Deviationsstomas im Querkolon und/oder eines terminalen Ileostomas als grobe Differenzierungsmöglichkeit zwischen einer Blutung aus dem rechten oder linken Hemikolon einerseits und dem Dünndarm andererseits können heute vor dem Hintergrund einer hohen Morbidität und Mortalität nicht mehr empfohlen werden. Bleibt allerdings nach erfolgloser präoperativer Diagnostik bei einem Notfalleingriff die Blutungsquelle trotz intraoperativer Wiederholungsendoskopie unklar, kann bei fortbestehender Blutung eine subtotale Kolektomie mit Ileorektostomie oder mit Anlage eines temporären Ileostomas und Blindverschluss des Rektums als Ultima Ratio eine vernünftige Problemlösung darstellen, da – wie oben erwähnt – etwa 80 % aller Blutungen des unteren Gastrointestinaltrakts aus dem Kolon stammen. Unabhängig davon ist aber bei jeder unklaren gastrointestinalen Blutung immer die exakte Klärung der Ursache anzustreben, da aus einer leichten oder subakuten, möglicherweise auch intermittierenden Blutung jederzeit ein lebensbedrohliches Blutungsrezidiv entstehen kann. zeigt einen denkbaren Algorithmus zum diagnostischen und therapeutischen Management der akuten unteren Gastrointestinalblutung .

ABB. 26.18

Management bei akuter unterer Gastrointestinalblutung (ÖGD = Ösophagogastroduodenoskopie). [ ]

„Blinde“ Resektionen sind mit hoher Rezidivblutungsquote und konsekutiv hoher Mortalität belastet! Deshalb ist die Ausschöpfung aller prä- und intraoperativen Diagnosemöglichkeiten anzustreben.

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KAPITEL 27

Abdominales Trauma Hubertus J.C. Wenisch

unter ehemaliger Mitarbeit von

and Albrecht Encke

27.1. 27.2. 27.2.1. 27.2.2. 27.3. 27.3.1. 27.3.2. 27.3.3. 27.4. 27.4.1. 27.4.2. 27.5. 27.5.1. 27.5.2. 27.5.3. 27.6. 27.6.1. 27.6.2. 27.6.3. 27.6.4. 27.6.5. 27.6.6. 27.7. 27.8.

27.1 Vorbemerkung In Mitteleuropa sind stumpfe Bauchtraumata nach Verkehrs-, Arbeits- oder Sportunfällen wesentlich häufiger als penetrierende Verletzungen. Über 75 % aller Bauchverletzungen entstehen im Rahmen von Verkehrsunfällen. Beim Polytrauma finden sich in 20–40 % Verletzungen der Bauchhöhle, die genauso häufig für einen letalen Ausgang verantwortlich sind wie Schädel-Hirn-Verletzungen . Akut operationspflichtige Verletzungen der Bauchorgane verursachen keinen Anstieg der Gesamtletalität im Vergleich zu Polytraumata ohne abdominale Verletzungen, allerdings steigt die Letalität polytraumatisierter Patienten in der 6. Lebensdekade signifikant an. Eine relativ häufige Todesursache sind hingegen primär übersehene Verletzungen von Organen der Bauch- oder Brusthöhle. In der Bauchhöhle sind die parenchymatösen in folgender Häufigkeit betroffen: Milz 32 %, Leber 20 %, Magen-Darm-Trakt 12 %, Pankreas 6 %, Mesenterium 4

%, Zwerchfell 3 % der Fälle , . Es ist daher von großer prognostischer Bedeutung, bei Mehrfachverletzten oder polytraumatisierten Patienten nach einer suffizienten Erstversorgung ein standardisiertes diagnostisches und therapeutisches Protokoll durchzuführen, den weiteren Verlauf individuell genau zu überwachen und rechtzeitig klinische Konsequenzen zu ziehen . Isolierte Bauchtraumata erfordern ein analoges Vorgehen.

27.2 Verletzungsmuster 27.2.1 Stumpfes Trauma Ein stumpfes Bauchtrauma wird durch direkte oder indirekte Krafteinwirkung verursacht. Eine Dezeleration oder ein plötzlicher Druckanstieg in der Bauchhöhle verursachen Ausrisse entlang ligamentärer Aufhängungen von Leber oder Milz. Plötzlich auftretende Scherkräfte führen zu Verletzungen der Darmwand oder des Mesenteriums v. a. im Bereich anatomisch fixierter Punkte des Intestinums wie der Flexura duodenojejunalis oder des ileozökalen Übergangs. Durch Kompression oder Quetschung prall gefüllter Hohlorgane gegen die Wirbelsäule können Berstungsverletzungen entstehen. Die Kompression parenchymatöser Organe kann zu Kontusionen mit inneren Hämatomen oder Rupturblutungen führen. Die Kompression der Wand von Hohlorganen, namentlich des Darms, kann Nekrosen mit sekundären Perforationen zur Folge haben.

27.2.2 Penetrierende Verletzungen Im Vergleich zu stumpfen Traumata werden penetrierende Verletzungen in Mitteleuropa seltener beobachtet. Stichverletzungen mit Perforation der Bauchwand müssen nicht in jedem Fall zu intraabdominalen Organverletzungen führen, da die flexibel aufgehängten Organe der Bauchhöhle dem eindringenden Gegenstand ausweichen können. Bei Verletzung der Oberbauchorgane oder der großen Blutgefäße des Retroperitoneums bestehen unmittelbare Lebensgefahr und schneller Handlungsbedarf. In jedem Fall ist eine Revision der Bauchhöhle erforderlich, um nicht eine primäre Verletzung von Hohlorganen zu übersehen, die sekundär zu schweren septischen Komplikationen führt. Verletzungen durch Schusswaffen sind abhängig von Art des Projektils, Mündungsgeschwindigkeit und Schussdistanz. Kleinkalibrige Projektile verursachen häufig glatte Durch- oder Steckschüsse. Großkalibrige Munition oder Spezialmunition führt zu flächenhaften organüberschreitenden Gewebezertrümmerungen. Bei Pfählungsverletzungen ist im Rahmen der Erstversorgung peinlich darauf zu achten, den in die Bauchhöhle eingedrungenen Gegenstand an Ort und Stelle zu belassen und möglichst wenig daran zu manipulieren.

27.3 Klinische Erstbeurteilung Die Erstuntersuchung von Schwerverletzten dient der Diagnostik und Therapie von Störungen der Vitalfunktionen . Dies betrifft zunächst die Atemfunktion, den neurologischen Status und die Herz-Kreislauf-Funktion. Erst nach der Akut- oder Reanimationsphase kann die genauere Abklärung erfolgen und eine symptomgerichtete Therapie eingeleitet werden.

27.3.1 Atemwege und Respiration Bei der klinischen Beurteilung deuten Symptome wie Stridor, Dyspnoe und Zyanose auf eine Beeinträchtigung der Atemfunktion hin. In Zusammenhang mit dem Unfallmechanismus sind das Vorhandensein von Thoraxverletzungen oder die Einschränkung der Atemexkursion von Bedeutung. Eine Untersuchung der Sauerstoffsättigung oder der Blutgase ist hilfreich, wenn kein sofortiger Handlungsbedarf angezeigt ist. Lassen sich die Atemwege, z. B. bei Verletzung der Kopf-Hals-Region, nicht intubieren, ist die notfallmäßige Tracheotomie oder Koniotomie indiziert. Beim Spannungspneumothorax ist für die sofortige Entlastung durch Punktion und/oder Drainage zu sorgen.

27.3.2 Bewusstseinslage und Neurologie Die fortlaufende Dokumentation des Pupillenstatus beim Bewusstlosen ist notwendig. Der Wachheitsgrad lässt sich mit der Glasgow-Coma-Scale (GCS) beurteilen und ist bei grenzwertigen Situationen kontinuierlich zu überprüfen. Der zeitliche Ablauf zur Planung einer CT des Schädels oder zur notwendigen Platzierung einer Hirndrucksonde richtet sich nach den Ergebnissen und der Gewichtung der neurologischen Befunde nach dem GCS.

27.3.3 Herz-Kreislauf-System Bei der Mehrheit polytraumatisierter Patienten entwickelt sich ein hämorrhagischer Schock durch äußere oder innere Blutverluste. Durch Sonografie lassen sich größere Flüssigkeitsmengen in der Bauchhöhle schnell orten. Gerade bei jungen Patienten wird der intravasale Volumenverlust sehr lange kompensiert und äußert sich zunächst durch eine abnehmende Urinproduktion. Die Beurteilung der Kapillarperfusion ist klinisch wichtig, der zentralvenöse Venendruck ist anfangs häufig ein unzuverlässiger Parameter. Für den weiteren Verlauf entscheidend ist eine großzügige Volumenzufuhr, für die ausreichend viele und großkalibrige venöse Zugangswege geschaffen werden müssen. Zum Volumenersatz eignen sich in der Initialphase kristalline Lösungen . Bei erkennbar großen Blutverlusten ist nicht selten die Transfusion von 0-negativen Blutkonserven erforderlich, da die Beschaffung von blutgruppengleichen ungekreuzten Konserven auch unter optimalen Bedingungen einen zeitlichen Vorlauf erfordert.

27.4 Diagnostik 27.4.1 Basisdiagnostik Die detaillierte Anamnese stützt sich meist auf Angaben von Begleitpersonen oder Rettungspersonal. Es ist von großer Bedeutung, ein möglichst genaues Bild des Unfallmechanismus zu erhalten. Bei der klinischen Untersuchung ist auf wichtige Hinweise wie Kontusionsmarken, Hautabschürfungen, penetrierende Wunden der Körperoberfläche oder Blutaustritt aus natürlichen Körperöffnungen subtil zu achten. Liegt eine Damm- oder Beckenverletzung vor, ist die rektale Untersuchung unverzichtbar. Bei perforierenden Verletzungen soll der Fremdkörper bis zur Einleitung der Therapie in situ belassen werden. Nach initialer Überprüfung der Vitalfunktionen ist die Beurteilung des Abdomens häufig nur sehr eingeschränkt möglich. Eine Fehleinschätzung des klinischen Befunds erfolgt bei bis zu über 40 % der Fälle. In jedem Fall ist die orientierende Untersuchung des knöchernen Thorax, des Beckens und der Extremitäten notwendig. Die wiederholte Sonografie als Bedside-Methode hat die Peritoneallavage abgelöst ( ). Die Sensitivität und Spezifität der Methode für den Nachweis freier Flüssigkeit liegt bei über 95 %. Die Sonografie eignet sich, um beim Nachweis geringer Flüssigkeitsmengen den Verlauf zu dokumentieren und bei Bedarf sofort weitere diagnostische und therapeutische Maßnahmen einzuleiten. Die diagnostische Peritoneallavage wurde wegen einer Komplikationsrate von 1,4 % und des Auftretens schwerer Komplikationen bei 0,5 % in den meisten Kliniken verlassen . Neben der Komplikationsrate hat sich als nachteilig herausgestellt, dass nach negativem Resultat einer Lavage die weitere Überwachung mit weniger invasiven Methoden wie der Sonografie nur eingeschränkt anwendbar ist.

ABB. 27.1 Sonografisches Bild einer frischen Einblutung in die Bauchhöhle mit wenig Blut zwischen Leber (oben) und Niere (unten). [ ]

Native Röntgenaufnahmen der Becken- und Thoraxorgane sind wichtig für die Diagnose von Begleitverletzungen des Skeletts, haben in Hinblick auf die Verletzung parenchymatöser Organe mit Ausnahme des Nachweises freier Luft jedoch nur wenig Aussagekraft. In Hinblick auf einen hämorrhagischen Schock hat die initiale und wiederholte Bestimmung des Blutbildes nur sehr eingeschränkte Aussagekraft. Bei größeren Blutverlusten ins Körperinnere ist erst nach 2–3 Stunden mit einem deutlichen Absinken der Hämoglobin- und Hämatokritwerte zu rechnen. Bei initialer Verabreichung größerer Mengen kristalliner Lösung führt eine Verdünnung zur Überschätzung des tatsächlichen Blutverlustes.

27.4.2 Erweiterte Diagnostik Erscheint eine Erweiterung der Diagnostik notwendig, muss der Patient unter Volumensubstitution kreislaufstabil sein. Die Entscheidung für zusätzliche diagnostische Maßnahmen hängt von der lokalen Infrastruktur, der zur Verfügung stehenden Gerätetechnik und dem Vorhandensein von Spezialisten für die zeitnahe Interpretation der Befunde ab ( ).

ABB. 27.2

Algorithmus zur konservativen und operativen Behandlung von Patienten mit stumpfem Bauchtrauma. [ ]

Moderne Spiral-CT- Geräte ermöglichen mit minimalem zeitlichem Aufwand die Untersuchung aller Körperhöhlen in einem Untersuchungsgang . Durch eine Angio-CT lassen sich zusätzliche Befunde erheben, wenn die Aussagekraft bei nativer Untersuchung nicht ausreichend erscheint ( a und b). Die Bestimmung der Dichtewerte erlaubt die zuverlässige Unterscheidung zwischen Blut und anderen Flüssigkeitsansammlungen in Körperhöhlen. Parenchymläsionen lassen sich exakt darstellen, und im Bereich der Oberbauchorgane sind durchblutungsbedingte Veränderungen des Parenchyms erkennbar. Verletzungen der Nieren und Hämatome im Retroperitoneum sind gut darstellbar. Ein Schwachpunkt der CT ist die Beurteilung von Verletzungen des Pankreas oder des Dünndarms. Diese lassen sich häufig erst bei Folgeuntersuchungen im Vergleich zum Erstbefund diagnostizieren. Das Resultat der Untersuchung lässt sich durch orale oder intravenöse Kontrastmittelgabe verbessern, um Aussagen zur Perfusion oder zu Defekten parenchymatöser Organe zu gewinnen. Bei unklaren Befunden oder zunächst abwartender Haltung lässt sich die Untersuchung kurzfristig wiederholen und die Verlaufsbeurteilung in das therapeutische Konzept mit einbeziehen. Die CT hat die intravenöse Pyelografie weitgehend verzichtbar gemacht.

a) CT eines 32-jährigen Patienten mit stumpfem Bauchtrauma und chronischer Pankreatitis. Sichtbar sind jeweils eine zystische Raumforderung in Milz und Pankreasschwanz. b) MRT desselben Patienten. Die Signalintensität erlaubt die Unterscheidung zwischen Milzhämatom (hell) und Pankreaspseudozyste (dunkel). [ ] ABB. 27.3

Bei komplexen Beckenverletzungen, Pfählungsverletzungen oder Blutaustritt aus der Urethra ist die retrograde Urethrozystografie vor Platzierung eines Blasenkatheters notwendig. Darstellungen des Gastrointestinaltrakts mit wasserlöslichem Kontrastmittel sind nur bei Verdacht auf eine Ösophagusverletzung oder linksseitige Zwerchfellruptur indiziert. Obwohl eine ERCP die sensitivste Untersuchungsmethode zur Diagnostik einer Pankreasruptur ist, wird sie in der Notfalldiagnostik kaum jemals indiziert sein. Die Aussagen einer diagnostischen Angiografie lassen sich meist ebenso durch Doppler-Sonografie oder Kontrastmittel-CT erzielen. Nur in seltenen Fällen bei Planung einer organerhaltenden Resektion, z. B. einer Nierenresektion, wird das Ergebnis wirklich benötigt. Bei komplexen retroperitonealen Verletzungen mit Gefäßbeteiligung und erheblicher Hämatombildung kann die Möglichkeit einer Katheterembolisation zur Blutstillung genutzt werden, wenn die instrumentellen und personellen Voraussetzungen vorhanden sind ( ). In den meisten Fällen ist bei Polytraumatisierten eine primäre, zeitraubende Laparoskopie zu diagnostischen Zwecken nicht indiziert. In der Befundkontrolle nach Primärversorgung kann eine Laparoskopie hilfreich sein, wobei bedacht werden muss, dass Teile parenchymatöser Organe, die Kontinuität des Darms und vor allem das Retroperitoneum nicht eingesehen werden können . Eine gute Indikation zur diagnostischen Laparoskopie besteht bei penetrierenden isolierten Bauchverletzungen. Zunächst lässt sich eindeutig klären, ob die Bauchdecke in allen Schichten perforiert wurde; allerdings bestehen auch hier die Schwierigkeiten im Hinblick auf Verletzungen der Darmwand und des Retroperitoneums. Im Zweifel muss eine explorative Laparotomie angeschlossen werden.

27.5 Prioritäten in der Akutphase Die Vorgehensweise in der Akutphase konzentriert sich auf wenige Kernpunkte. Nach Beurteilung der Gesamtsituation ist abzuklären, ob schnell behandlungsbedürftige Begleitverletzungen vorliegen oder ein isoliertes abdominales, stumpfes oder penetrierendes Trauma. Die wichtigsten Informationen sind die Kreislaufsituation, der Volumenbedarf und der sonografische Nachweis freier Flüssigkeit in der Bauchhöhle. Gerade bei unabdingbarer Zusatzdiagnostik oder zeitraubender Behandlung von Begleiterkrankungen müssen diese Parameter fortlaufend kontrolliert werden, um bei Bedarf die sofortige Laparotomie durchführen zu können.

27.5.1 Isoliertes stumpfes Bauchtrauma Wichtigster Parameter ist die kontinuierliche Kreislaufüberwachung des Patienten und deren Dokumentation. Lässt sich sonografisch freie Flüssigkeit nachweisen und ist die Kreislaufsituation instabil, muss die sofortige Laparotomie erfolgen. Bei stabilen Kreislaufverhältnissen kann eine CT zur weiteren Abklärung des Verletzungsmusters erfolgen. Erfolgt die Laparotomie nicht sofort, ist die weitere Überwachung notwendig, um bei Veränderung der Situation sofort laparotomieren zu können. Bei stabilen Kreislaufverhältnissen und Nachweis freier Flüssigkeit ist trotz nachgewiesener Parenchymverletzungen durchaus ein konservativer Behandlungsversuch möglich und indiziert. Dies gilt nicht bei Verdacht auf Verletzungen von Hohlorganen. Hinweise auf eine

fortdauernde Blutung wie kontinuierlicher Volumenverlust, Absinken des Hämatokriten, Zunahme der intraabdominalen Flüssigkeitsmenge und Zeichen der Peritonitis erfordern ebenfalls die operative Intervention ( ).

27.5.2 Begleitverletzungen Liegt ein komplexes Verletzungsmuster vor, ist die Reihenfolge diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen ggf. zu modifizieren. Bei einem GCS von < 12 ist beim hämodynamisch stabilen Patienten die CT-Untersuchung des Schädels indiziert. Dies lässt sich meist mit einer CT anderer Körperhöhlen ohne nennenswerten Zeitverlust kombinieren . Die Röntgen-Untersuchung der Thoraxorgane im Schockraum erlaubt die grobe Beurteilung größerer Verletzungen. Ein Hämato- oder Pneumothorax kann unmittelbar drainiert werden. Ebenso schnell durchgeführt werden kann eine Beckenübersichtsaufnahme, die Aussagen zur Stabilität des Beckens gestattet. Bei komplexeren Fragestellungen ist die CT indiziert.

27.5.3 Penetrierende Verletzungen Auch für penetrierende Verletzungen gilt, dass weitere diagnostische Maßnahmen nur bei stabilen Kreislaufverhältnissen erfolgen können. Beim gleichzeitigen Vorliegen von Blutverlusten in Pleurahöhle und Abdomen wird zunächst der Hämatothorax drainiert. Ist eine Penetration der Bauchdecke anzunehmen, ist die Laparoskopie indiziert . Hat eine Stichverletzung zur Verletzung der Leber geführt und lassen sich durch die Stichrichtung weitere Verletzungen ausschließen, ist die Laparotomie mit weiterführender Exploration überflüssig. Grundsätzlich gilt, dass bei laterokaudal gelegenen Verletzungen im Zweifel die Laparotomie erfolgt. Immer muss die Laparotomie bei instabiler Kreislaufsituation erfolgen. Obwohl die CT in der Beurteilung des Retroperitoneums hilfreich ist, muss auf sie in dieser Situation häufig verzichtet werden. Bei Schussverletzungen ist immer die Revision durch eine Laparotomie nötig. Eine etwaige Zusatzdiagnostik kann bei stabilen Kreislaufverhältnissen vorher erfolgen. Bei Pfählungsverletzungen der ventrolateralen Bauchdecken ist immer eine Laparotomie erforderlich. Liegt die Verletzung im Dammbereich, sollte nach digitaler rektaler Untersuchung zunächst eine Prokto- oder Rektoskopie erfolgen.

27.6 Therapie 27.6.1 Sofortmaßnahmen Wichtigste Sofortmaßnahme ist die großzügige Volumenzufuhr über mehrere großvolumige Zugänge. Bei Schocksymptomatik sollte die Intubation mit Beatmung schon während der Primärdiagnostik erfolgen. Analgetika sollten intravenös appliziert werden. Frühzeitig erfolgt die Anlage eines zentralvenösen Zugangs. Nach Ausschluss einer Symphysenverletzung erfolgt die transurethrale Katheterisierung. Liegt eine Schambeinverletzung vor, muss zunächst die Urethra mit Kontrastmittel dargestellt werden. Alternativ ist unter sonografischer Kontrolle eine suprapubische Blasenpunktion möglich. Bei perforierenden Verletzungen ist die Tetanusimmunisierung zu überprüfen und im Zweifel durchzuführen. Der perforierende Gegenstand sollte in keinem Fall entfernt werden ( ).

Messerstichverletzung in suizidaler Absicht. Der Patient wird zur operativen Revision ohne Entfernung des Fremdkörpers in den Operationssaal gebracht. [ ] ABB. 27.4

27.6.2 Antibiotikaprophylaxe und -therapie In der Viszeralchirurgie und der Chirurgie des muskuloskeletalen Systems ist die Antibiotikaprophylaxe standardisiert. Eine Antibiotikaprophylaxe richtet sich nach dem zu erwartenden Erregerspektrum. Dabei sollten aerobe und anaerobe Keime sowie die üblichen Darmkeime abgedeckt werden. Bei Verletzungen von Hohlorganen wird ein intraoperativer Abstrich entnommen und die Therapie auf 3–5 Tage ausgedehnt. Dies gilt auch für Verletzungen von Milz und Leber.

27.6.3 Lagerung und Zugangswege Die Abdeckung sollte großzügig erfolgen und im Rahmen des Eingriffs den Zugang zur Thoraxhöhle ermöglichen. Bei Verletzungen im Dammbereich werden die Beine beweglich gelagert, um ohne Umlagerung den Zugang sowohl zur Bauchhöhle als auch zum Perineum zu gewährleisten. Gerade bei unklarem Verletzungsmuster empfiehlt sich die mediane Laparotomie, die beliebig lang gestaltet und bei Bedarf problemlos T-förmig zur rechten oder linken Seite erweitert werden kann. Nur bei nachgewiesener isolierter Verletzung von Oberbauchorganen ist die quere Laparotomie indiziert. Diese erleichtert zwar die Versorgung komplexer Leberverletzungen, allerdings lässt sich der Unterbauch nur sehr unzureichend einsehen. Kombinierte thorakoabdominale Zugänge sind nur in Ausnahmesituationen erforderlich.

27.6.4 Technik der operativen Revision Nach Eröffnung der Bauchhöhle empfiehlt sich das Absaugen des Blutes mit einem Cell-Saver-System. Eine Rücktransfusion darf allerdings erst erfolgen, wenn Verletzungen von Hohlorganen sicher ausgeschlossen wurden. Die orientierende Exploration zur Grobeinschätzung umfasst alle 4 Quadranten. Durch

Tamponade mit Bauchtüchern lassen sich die meisten Blutungen zunächst kontrollieren und nach Stabilisierung der Situation gezielt angehen. Unter Reanimationsbedingungen oder bei stark blutenden arteriellen Verletzungen empfiehlt sich eine supradiaphragmale Abklemmung der Aorta. Hierfür ist meist die anterolaterale Thorakotomie links erforderlich. Gerade bei komplexen Begleitverletzungen setzt die Freilegung der A. abdominalis unterhalb des Zwerchfells eine spezielle Expertise voraus und ist mit einem gewissen Zeitaufwand verbunden. Eine eingelegte Magensonde erleichtert die Orientierung im Retroperitoneum. Bis zur Freilegung kann die Aorta durch Druck gegen die Wirbelsäule digital komprimiert werden. Die genaue Exploration richtet sich nach den Quadranten der Bauchhöhle und beginnt typischerweise im linken oberen Quadranten. Bei Milzverletzungen ist es notwendig, die Bursa omentalis zu eröffnen und das Organ so zu mobilisieren, dass die Oberfläche eingesehen und versorgt werden kann. Beurteilt werden können außerdem der linke Leberlappen, der Pankreasschwanz, die große Magenkurvatur, die linke Niere und das linksseitige Zwerchfell. Es folgt die Beurteilung des rechten oberen Quadranten. Bei Gefäßverletzungen der Leber kommt es häufig zu massiven venösen Blutungen. Eine komplette Beurteilung der Leber setzt die vollständige Mobilisierung aus dem subphrenischen Aufhängeapparat voraus, die relativ zeitaufwendig ist. Um den Blutverlust so gering wie möglich zu halten, empfiehlt sich zunächst die Anlage eines Tourniquets um das Lig. hepatoduodenale (Pringle- Manöver) , durch das alle arteriellen und portalvenösen Blutungen akut gestoppt werden. Bei zentralen Verletzungen großer Lebervenen reicht diese Maßnahme nicht aus. Der schnellste Zugang zur V. cava inferior ist durch die Pars membranacea des Zwerchfells möglich. Jetzt lässt sich die untere Hohlvene im Herzbeutel mit dem Finger oder einem stumpfen Instrument umfahren und ein Tourniquet anlegen. Eine komplette Gefäßokklusion erfordert darüber hinaus die Abklemmung der V. cava inferior unterhalb der Leber, möglichst kranial der Einmündungsstellen der Nierenvenen. Zur Beurteilung etwaiger Verletzungen des Duodenums und der ableitenden Gallenwege ist die komplette Mobilisierung nach Kocher erforderlich. Ist die Bursa omentalis noch nicht ausreichend eröffnet, geschieht dies im Anschluss zum Nachweis von Pankreasverletzungen. Auch die Magenhinterwand kann jetzt komplett exploriert werden. Es schließt sich die sorgfältige Inspektion des Unterbauchs und des gesamten Intestinums an, beginnend am Treitz-Band bis zum Rektum, wobei auf Verletzungen sowohl des Mesenteriums als auch der Serosa geachtet werden muss. Zeitaufwendige rekonstruktive Maßnahmen sind nur bei stabilen Kreislaufverhältnissen, ausgeglichenem Volumenbedarf, Ausgleich einer Azidose und nicht wesentlich kompromittierter Blutgerinnung möglich. Im Zweifelsfall kann eine mehrzeitige Versorgung sinnvoll sein, obwohl hierfür keine etablierten Leitlinien existieren. Gerade beim Vorliegen noch nicht exakt diagnostizierter Begleitverletzungen kann eine passagere Tamponade (Packing) mit provisorischem Verschluss der Bauchhöhle sehr hilfreich sein. Ist eine Tamponade nicht erforderlich, stehen zum temporären Verschluss Kunststoffinterponate zur Verfügung, die die Bauchhöhle ohne Kompression wasserdicht verschließen und zur Vermeidung eines abdominalen Kompartmentsyndroms mit entsprechenden Folgeveränderungen dienen. Ebenfalls industriell angeboten werden einnähbare Reißverschlusssysteme. Ist zur Blutstillung eine nur geringe Kompression bei Tamponade notwendig, empfiehlt sich der fortlaufende Hautverschluss über eingelegten Bauchtüchern bei Offenlassen der Faszie. Der Zeitpunkt der Revisionsoperation richtet sich nach dem klinischen Verlauf und ist in der Regel frühestens nach 24 bis 48 Stunden möglich. Definitionsgemäß liegt ein Kompartmentsyndrom vor, wenn der Druck in der Bauchhöhle auf über 20 mmHg ansteigt . Die Druckmessung kann entweder direkt oder indirekt erfolgen. Üblich, allerdings auch störanfällig sind indirekte Messungen z. B. über einen Blasenkatheter. Kompartmentsyndrome können entweder unmittelbar posttraumatisch oder auch im weiteren Verlauf der Behandlung sekundär entstehen. Inzwischen sind 4 Schweregrade in die Literatur eingeführt. Der Erfolg verschiedener Therapiemaßnahmen ist schwer zu evaluieren, da das Patientengut häufig polypragmatisch behandelt wird. Therapieziel ist eine sichere Druckentlastung der Organe der Bauchhöhle . Ein definitiver Verschluss der Bauchhöhle darf erst nach Abklingen der Schwellung und Ausschluss oder Abheilung infektiöser Komplikationen vorgenommen werden, häufig in langem zeitlichem Abstand von der ursprünglichen Verletzung .

27.6.5 Methoden der Blutstillung Bei Verletzungen intraabdominaler Organe ist oberstes Prinzip die Parenchymerhaltung und die Vermeidung zusätzlicher Schäden durch Nekrosen. Aufwendige Rekonstruktionen von Einzelorganen sind bei Mehrfachverletzten nicht indiziert. Durch Verlängerung der Rekonstruktion steigt die Komplikationsrate an, die das spätere Ergebnis belastet. Die temporäre Textiltamponade eignet sich hervorragend zur Versorgung großflächiger Verletzungen von Leber, Milz oder Niere . Voraussetzung ist eine ausreichende Mobilisation des Organs, um eine zirkumferenzielle Kompression zu gewährleisten ( a–c). Eine Second-Look-Operation erfolgt frühestens nach 48 Stunden, gelegentlich sind auch zeitlich längere Tamponaden nötig. Die Zahl der eingebrachten und entfernten Bauchtücher ist genau zu dokumentieren. Bei Entfernung der Tamponade sollte ein Stoffstreifen zur mikrobiologischen Untersuchung eingeschickt werden. Eine Kombination mit externen Drainagen ist nicht sinnvoll.

26-jähriger Patient mit Polytrauma, stumpfem Bauchtrauma und zentraler Leberruptur. a) Die als Packing eingebrachten Bauchtücher sind durch die Kontraststreifen im Übersichtsbild erkennbar. b) CT 4 Tage nach Bauchtuchtamponade. Die zentrale Leberruptur ist deutlich sichtbar. Die Leber ist vollständig von Bauchtüchern umgeben. c) CT 14 Tage nach Trauma. Die zentrale Leberverletzung ist weitgehend abgeheilt, die Bauchtücher wurden nach 5 Tagen entfernt und die Bauchhöhle definitiv verschlossen. [ ] ABB. 27.5

Bei flächenhaften Parenchymdefekten von Leber, Milz oder Niere können alle Maßnahmen zur Blutstillung unzureichend sein. Für das sog. Mesh- Wrapping von Milz und Niere stehen vorgefertigte, resorbierbare Kunststoffnetze oder -beutel zur Verfügung, in die das Organ bei milder Kompression eingepackt werden kann. Vorteile der Methode sind, dass eine übergroße Kompression anderer Organe der Bauchhöhle vermieden und Folgeeingriffe reduziert werden können. Nachteile sind eine unbedingt notwendige komplette Mobilisation des Organs und Schwierigkeiten bei der Kontrolle des Erfolgs. Nicht selten ist im weiteren Verlauf eine CT indiziert, um die Folgen der Organkompression einschätzen zu können. Gefäßligaturen und Umstechungen sollten nur gezielt erfolgen, um Parenchymnekrosen infolge blinder durchgreifender Nähte zu vermeiden. Große Gefäße sollten immer umstochen oder im venösen Bereich übernäht werden, um das Risiko zweizeitiger septischer Arrosionen bei kompliziertem Verlauf zu minimieren. Zur Parenchymversiegelung wurde eine breite Palette technischer Möglichkeiten entwickelt. Einfachstes Instrument ist der Infrarotkoagulator oder der Einsatz eines Argon-Beamers. Durch Kombination verschiedener Verfahren – mit oder ohne Fibrinkleber und Kollagenvlies – lässt sich häufig die definitive Blutstillung parenchymatöser Oberflächen und von Kapselverletzungen erreichen.

27.6.6 Spezielle Versorgung von Organverletzungen Im Folgenden werden die Prinzipien der operativen Behandlung von Organverletzungen dargestellt.

Leber Die moderne bildgebende Diagnostik hat zu einem Paradigmenwechsel bei der Behandlung von Verletzungen der Leber im Rahmen eines stumpfen Bauchtraumas geführt. Leitlinie für die Behandlung bietet die Einteilung nach Moore . Bei entsprechender Diagnostik und intensivmedizinischer Überwachung können 50–80 % aller Leberverletzungen in fast 95 % dieser Fälle erfolgreich konservativ geheilt werden. In der Regel handelt es sich dabei um Verletzungen geringer Schweregrade unter kreislaufstabilen Bedingungen. Aber auch tiefer reichende Verletzungen rechtfertigen bei Kreislaufstabilität und fehlenden größeren Flüssigkeitsmengen in der Bauchhöhle zunächst einen konservativen Behandlungsversuch. Schwere Leberverletzungen mit Beteiligung der hilusnahen Gefäße lassen sich häufig nur durch Kombination verschiedener Blutstillungsmechanismen kontrollieren. In der Akutsituation ist meist die allseitige Bauchtuchtamponade der Leber erfolgreich, auch wenn im weiteren Verlauf zusätzliche Maßnahmen erforderlich werden. Voraussetzung ist die Mobilisation des Organs. In neueren Fallserien war eine Tamponade der Leber im Rahmen der Erstrevision in 17 % der Fälle notwendig . Eine Resektion ist nur indiziert, wenn der Teilabriss nicht mehr durchbluteter großer Lebersegmente komplettiert werden muss. Nach komplexen Verletzungen sind häufig Revisionsoperationen wegen Nachblutungen erforderlich, die gelegentlich zur zweizeitigen Tamponadebehandlung führen. Gerade bei kompliziertem Verlauf sind die Angiografie und bei Bedarf interventionelle Verfahren hilfreich. Abszesse und Gallenfisteln lassen sich meist durch perkutane Drainagen, ggf. in Kombination mit per ERCP platzierten Stents, beherrschen. Bei der operativen Erstrevision sollte immer geprüft werden, ob der Patient nicht nach Stabilisierung mit liegender Tamponade in ein Zentrum mit größerer

operativer Erfahrung verlegt werden kann.

Milz Milzverletzungen sind die häufigsten Organverletzungen der Bauchhöhle nach stumpfen Traumata. Die Einteilung der Schweregrade erfolgt ebenfalls nach Moore ( ). Eine abwartende Haltung ist in bis zu 90 % der Fälle gerechtfertigt. Besonders gilt dies für Verletzungen ohne Beteiligung des Milzhilus. Bei Verletzungen im Bereich eines Milzpols sind Resektionen mit Teilerhalt des Organs möglich. In Kombination mit schweren Begleitverletzungen ist im Zweifelsfall eine Splenektomie vorzunehmen. Gefürchtet ist das Auftreten zweizeitiger Milzrupturen, die sich bis zu 10–14 Tage nach dem Trauma ereignen können und dann meist zum Organverlust führen . Kompliziert wird die konservative Behandlung durch die Notwendigkeit zur Mobilisation des Organs. Bei einem Verlust oder Teilverlust der Milz kann eine Thrombozytose über 500.000/μl zur Thromboseprophylaxe eine Thrombozytenaggregationshemmung erfordern, die ihrerseits die Blutungsgefahr erhöht.

Pankreas Verletzungen der Bauchspeicheldrüse sind selten, aber leicht zu übersehen. In großen Fallserien wurden Verletzungen des Pankreas nur in 0,21 % beobachtet . Die Einteilung in Schweregrade ist ähnlich derjenigen für Leber und Milz. Bestehen bildgebend Hinweise auf eine Verletzung, muss das Organ freigelegt werden. Zur Exploration des Pankreas gehören die Eröffnung der Bursa omentalis und die komplette Mobilisation des Duodenums nach Kocher. Verletzungen treten meist in Kombination mit Wirbelfrakturen auf. Sollbruchstelle ist das Pankreaskorpus in Höhe der darunter liegenden Pfortader. Die Serosa der Organvorderfläche kann erhalten sein, und erst durch Abtasten des vollständigen Organs lässt sich die Rupturstelle nachweisen. Die operative Behandlung ist komplex und richtet sich nach dem Ausmaß der Verletzung . Sinnvoll ist meist die abschließende Ableitung des rechts- und/oder linksseitigen Pankreas in eine ausgeschaltete Dünndarmschlinge. Primär übersehene Pankreasverletzungen sind außerordentlich komplikationsträchtig und haben eine hohe Letalität.

Gastrointestinaltrakt Die Prognose von Verletzungen der Hohlorgane hängt im Wesentlichen vom Zeitpunkt der Diagnosestellung und vom perforierten Organ ab. Während normaler Mageninhalt weitgehend steril ist, führt eine Kontamination der Bauchhöhle mit Dickdarmstuhl sehr schnell zur bakteriellen Kontamination. Auch beim Polytraumatisierten lassen sich Hohlorgandefekte von unter 50 % der Zirkumferenz organerhaltend übernähen. Bei ausgedehnten Zerreißungen ist der Einsatz von Klammernahtgeräten sinnvoll, um einen weiteren Austritt von Inhalt zu vermeiden. Die eigentliche Versorgung mit aufwendigen Anastomosen kann im späteren Verlauf der Operation erfolgen. Isolierte Verletzungen des intraabdominalen Ösophagus sind eher selten. Bei Verdacht auf eine Ösophagusruptur empfiehlt sich die Darstellung mit wasserlöslichem Kontrastmittel über eine Magensonde, wenn dies die Gesamtsituation gestattet. Die Versorgung einer Ösophagusruptur erfolgt mit resorbierbarem Nahtmaterial ohne Einengung der Passage. Es ist zweckmäßig, distale Übernähungen durch eine Fundoplicatio zusätzlich zu sichern. Magenverletzungen sind meist komplex und führen zu Zerreißungen der Magenwand. Die Exploration erfordert eine subtile Revision der Magenhinterwand. Bei Zerstörung größerer Abschnitte oder Durchblutungsminderung kann eine – meist atypische – Resektion notwendig werden. Verletzungen der Duodenalwand sind selten und meistens mit Pankreasverletzungen kombiniert. Das Duodenum muss komplett mobilisiert werden. Die Versorgung muss absolut spannungsfrei gelingen. Im Zweifel kann eine Dünndarmanastomose nach dem Roux-en-Y-Prinzip die Passage sicherstellen. Die Sicherung der Verletzungsstelle durch vor- und/oder nachgeschaltete Ausleitungen wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Eine Diversion des Duodenums ist nur in Ausnahmefällen erforderlich, allerdings ist dabei peinlich auf den Erhalt der Papilla Vateri zu achten. Wegen des möglichen komplizierten Verlaufs ist die Indikation zu einer Second-Look-Operation großzügig zu stellen. Isolierte Dünndarmverletzungen sind häufiger Folge penetrierender als stumpfer Traumen und können in der Regel laparoskopisch versorgt werden. Auch die Resektion längerer Darmsegmente führt selten zu postoperativen Komplikationen. Durch die gute Durchblutung entwickeln sich nur ausnahmsweise Wundheilungsstörungen im Bereich von Anastomosen. Verletzungen des Kolons sind gelegentlich schwer zu erkennen und erfordern im Zweifelsfall eine ausgedehnte Mobilisation des Dickdarms. Gerade beim kreislaufinstabilen Patienten bieten sich Diskontinuitätsresektionen mit endständigen Stomata an, da dies die sicherste Art der Primärversorgung ist. Eine primäre Dickdarmanastomose sollte nur bei sehr stabilen Patienten nach ausgedehnten Spülungen erfolgen. Im weiteren Verlauf ist frühzeitig eine Relaparotomie anzustreben, wenn Hinweise auf ein septisches Geschehen vorliegen. Bei Verletzungen des Rektums empfiehlt sich entweder die Durchführung einer Diskontinuitätsresektion oder, bei möglicher lokaler Rekonstruktion, die Anlage eines protektiven Stomas. Auch bei extraperitonealer Verletzung wird die Versorgung mit einem vorgeschalteten Stoma kombiniert.

Retroperitoneum Bei intaktem Peritoneum sollte das Retroperitoneum möglichst nicht eröffnet werden. Retroperitoneale Hämatome lassen sich in Abhängigkeit von der Lokalisation verschiedenen Zonen zuordnen. Man unterscheidet zentrale mediale Hämatome von solchen im Flankenbereich oder im Bereich des Beckens. Vor allem bei zentralen Hämatomen ist mit der Verletzung großer Gefäße oder von deren Abgängen zu rechnen. Die Blutungskontrolle ist meist wie die Orientierung außerordentlich schwierig. Es kann sinnvoll sein, bei stabilen Patienten zunächst eine Gefäßdarstellung mit der Möglichkeit einer Intervention anzustreben. Werden Hämatome im Bereich des Beckens eröffnet, ist eine Blutstillung meist nur durch Tamponade möglich. Voraussetzung hierfür ist die vorangegangene Stabilisation knöcherner Beckenverletzungen, da sonst keine ausreichende Kompression erzielt wird. Bei Hämatomen im Bereich der retroperitonealen Aufhängung des Duodenums besteht immer ein Verdacht auf das Vorliegen einer Duodenalverletzung. Gallenwege und Duodenum müssen sorgfältig freigelegt werden. Hämatome der Nierenkapsel sollten nicht ohne vorherige CT-Diagnostik eröffnet werden, um einen möglichen Organerhalt planen zu können. Bei Hämatomen im Bereich der fixierten Kolonanteile muss die Darmwand genau auf Läsionen überprüft werden. Ist dies nicht mit ausreichender Sicherheit möglich, empfiehlt sich die Anlage eines protektiven Stomas. Gedeckte Verletzungen der großen Gefäße sind eine technische Herausforderung. Zur Versorgung ist es nötig, den Zu- und Abfluss, z. B. mit Tourniquets, zu drosseln. Häufig müssen auch segmentale Gefäßabgänge zusätzlich abgeklemmt oder komprimiert werden, um Übersicht zu gewinnen. Bei perforierenden Verletzungen der V. cava inferior empfiehlt sich zunächst die Naht der Hinterwand durch das eröffnete Gefäß. Geringgradige Einengungen können in Kauf genommen werden. Auch höhergradige Nierenverletzungen werden heute meist konservativ behandelt. Bei primär operativer Behandlung ist ein Verlust des Organs in 40–60 % der Fälle zu erwarten. Zur Versorgung von Gefäßverletzungen kann der Nierenstiel bis zu 30 Minuten abgeklemmt werden. Bei schweren Begleitverletzungen und massiver Blutung ist eine Nephrektomie die Therapie der Wahl. Dabei ist darauf zu achten, Arterie und Vene separat zu versorgen, um die spätere Entstehung arteriovenöser Fisteln zu vermeiden. Bei Verletzung und Versorgung der ableitenden Harnwege ist die Sicherung durch einen Stent erforderlich. (Weitere Hinweise )

Zwerchfell und Bauchdecken Die Diagnostik von Verletzungen des Zwerchfells bei intubierten und beatmeten Patienten ist schwierig. Meist ist die linke Seite betroffen. Rupturen entstehen meist radiär um das Centrum tendineum, seltener ist das muskuläre laterale Zwerchfell betroffen. In der Regel genügt nach Reposition verlagerter Organe und deren Überprüfung die direkte Naht. Bei großen Defekten kommen auch nichtresorbierbare Kunststoffnetze zur Anwendung. Die Versorgung in der Akutsituation erfolgt von der Bauchhöhle aus. Für den weiteren Verlauf ist die primäre Diagnostik und Versorgung von Zwerchfellverletzungen von erheblicher Bedeutung, da eine unversorgte Ruptur Beatmungsprobleme und spätere pulmonale Komplikationen begünstigt. Defektverletzungen der Bauchwand erfordern die schnelle operative Revision. Der Verschluss der Bauchwand erfolgt abhängig vom Verletzungsmuster und der Art der Therapie. Bei einer Tamponadebehandlung ist ein Verschluss notwendig, um ausreichend Druck in der Bauchhöhle aufbauen zu können. Es ist zweckmäßig, in dieser Situation auf Drainagen zu verzichten. Ist die Blutstillung erreicht und entwickelt sich ein abdominales Kompartmentsyndrom, empfiehlt sich eine möglichst geringe Kompression. Dies lässt sich in weniger ausgeprägten Fällen durch Offenlassen der Faszie mit Naht der äußeren Haut erreichen. Bei ausgeprägter Druckerhöhung sollte zur Protektion der Bauchhöhle passager ein Kunststoffnetz fortlaufend in die Bauchdecke eingenäht werden. Bei der Entscheidung ist abzuwägen zwischen der Vermeidung einer Rezidivblutung und der Gefahr eines abdominalen Kompartmentsyndroms. Bei septischen Komplikationen ist das Abdomen apertum eine gute Lösung, um einerseits den Infekt zu kontrollieren, andererseits jederzeit einen Zugang zur Bauchhöhle zu ermöglichen. Die definitive Versorgung erfolgt erst nach Abschluss der Primärbehandlung, meist in Form der operativen Korrektur einer Narbenhernie.

27.7 Frühpostoperative enterale Ernährung

27.7 Frühpostoperative enterale Ernährung Mehrere prospektive Studien konnten nachweisen, dass Schwerverletzte oder polytraumatisierte Patienten von einer frühzeitigen enteralen Ernährung erheblich profitieren. Werden immunmodulierende Substanzen appliziert, sinkt das Risiko für schwere Komplikationen wie SIRS und Multiorganversagen statistisch signifikant. Neben der Applikation über nasoduodenale Sonden ist im Rahmen einer Revisionslaparotomie leicht die Anlage einer Katheterjejunostomie möglich. Es empfiehlt sich, die enterale Applikation zunächst mit Flüssigkeit zu beginnen und innerhalb von 3–4 Tagen auf die gewünschte Menge zu steigern.

27.8 Langzeitergebnisse In der Literatur wird nach isolierten stumpfen Bauchtraumata ohne genauere Aufschlüsselung eine Letalität von mindestens 20 % angegeben, die in Abhängigkeit vom Alter und Verletzungsmuster noch deutlich zunehmen kann. Entscheidende postoperative Komplikationen entstehen in erster Linie durch Blutungen oder septische Komplikationen . Kompliziert wird der Verlauf bei Ausbildung eines Organversagens. Steht für die Sicherung des Überlebens die Akutversorgung im Vordergrund, ist die Lebensqualität auf längere Sicht häufig abhängig vom Ergebnis notwendiger Folgeoperationen.

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KAPITEL 28

Thoraxtrauma Sebastian Dango, Marc Hinterthaner and B. Michael Ghadimi

28.1. 28.2. 28.3. 28.3.1. 28.3.2. 28.4. 28.4.1. 28.4.2. 28.5. 28.5.1. 28.5.2. 28.5.3. 28.5.4. 28.5.5. 28.5.6. 28.5.7. 28.5.8. 28.5.9. 28.5.10. 28.5.11. 28.5.12. 28.5.13. 28.5.14. 28.6. 28.7.

28.1 Einleitung Der Allgemein- und Viszeralchirurg wird im Rahmen seiner dienstlichen Tätigkeit regelmäßig mit einem thoraxchirurgischen Notfall konfrontiert. Je nach Zentrum findet sich eine thorakale Symptomatik zwischen 2 und 50 %. In unserer Industriegesellschaft ist das Thoraxtrauma meist die Folge von Unfällen, insgesamt ist eine Beteiligung des Thorax bei polytraumatisierten Patienten in 50 % der Fälle zu sehen. Neben der akuten respiratorischen Insuffizienz ist die Primärversorgung der Thoraxverletzung wesentlich, da die Letalität des isolierten schweren Thoraxtraumas bei 5 % und bei polytraumatisierten Patienten bei bis zu 35 % ursächlich zum Tode führt , , , . Eine konsequente und zielgerichtete Behandlungsstrategie ist obligat vorauszusetzen. In diesem Kapitel sollen nun die wichtigsten Aspekte des Thoraxtraumas anhand der Leitsymptome und Erkrankungsbilder erörtert und ein einheitliches Behandlungskonzept erarbeitet werden.

Grundsätzlich präsentieren sich thorakale Notfälle als heterogenes Krankheitsbild und sehr frühzeitig müssen mögliche differenzialdiagnostsiche Überlegungen angestellt werden. Nicht immer ist den Patienten ein Trauma erinnerlich, oft berichten sie über Schmerzen an Lokalisationen, welche nicht primär an ein Thoraxtrauma denken lassen. Von einem thoraxchirurgischen Notfall muss man sprechen, wenn Verletzungen die viszeralen Organe des Thoraxes sowie die umgebenden knöchernen Strukturen betreffen und ein sofortiges Handeln bedingen. Meist ist der thorakale Notfall die Folge eines direkten oder indirekten Traumas, betroffen sind alle Altersgruppen. Eine isolierte Verletzung oder Erkrankung eines thorakalen Organs oder einer anatomischen Struktur ist selten . Dabei muss anhand des klinisch führenden Bildes (Leitsymptom) vorgegangen werden und das Leitsymptom bedingt konsekutiv alle weiteren diagnostischen und therapeutischen Schritte. Separat muss das begleitende Thoraxtrauma im Rahmen anderer Ursachen diskutiert werden. Das klinische Vorgehen ist dabei von dem führenden Symptom abhängig, ein CT-Thorax ist der diagnostische Goldstandard . Die Versorgung eines thorakalen Traumas insbesondere bei Verletzungen des Mediastinums oder des Ösophagus muss interdisziplinär erfolgen. Dies beinhaltet die operative Exploration durch den Thoraxchirurgen in Zusammenarbeit mit den Allgemein- und Viszeralchirurgen.

28.2 Leitsymptome des thorakalen Notfalls Prinzipiell lassen sich vier Leitsymptome unterscheiden, wobei diese auch nebeneinander auftreten können:

1. Dyspnoe 2. Hämoptyse/Hämoptoe 3. Thoraxschmerz 4. Hypovolämischer oder kardiogener Schock Leitsymptome des thorakalen Notfalls sind die Dyspnoe und der thorakale Schmerz. Differenzialdiagnostisch ist immer eine kardiale Ursache auszuschließen. Eine detaillierte Übersicht über mögliche Begleitsymptome und mögliche Ursachen gibt . Dyspnoe ist dabei das subjektive Gefühl der Atemnot (Lufthunger) und der Patient imponiert klinisch mit einer vermehrten Atemarbeit, einer Tachypnoe (Atemfrequenz > 20/min) sowie mit einem starken Angstgefühl . Zyanose ist dann ein Zeichen der akuten respiratorischen Insuffizienz mit Unterversorgung des Gewebes mit Sauerstoff. Begleitender produktiver Husten mit Auswurf (akute Bronchitis oder Pneumonie) oder unproduktiver Reizhusten (Asthma bronchiale) oder eine pleurale Reizung ( Pneumothorax, Lungenembolie) können begleitend auftreten . Ein in- oder exspiratorischer Stridor kann ein Hinweis für eine Atemwegsverlegung oder Atemwegsverletzung sein , . Bei thorakalen Verletzungen tritt der Thoraxschmerz in den Vordergrund; dabei ist zu bedenken, dass thorakale Schmerzen alleine durch eine schmerzbedingte reflektorische Störung der Atemmechanik zu einer Dyspnoe führen können. Das Vorhandensein von Blut im Auswurf ( Hämoptyse; blutig-tingiertes Sputum) kann neben traumatisch bedingten endoluminalen Läsionen ein Hinweis auf eine akute entzündliche Veränderungen oder ein Lungenkarzinom sein , . Schaumiger, rosafarbener Auswurf findet sich bei einem kardialen Lungenödem (Linksherzversagen) oder bei einer Lungenembolie als Zeichen der akuten Dekompensation . Differenzialdiagnostisch ist auch immer eine gastrointestinale Ursache des blutig-tingierten Auswurfs im Sinne einer Ösophagusvarizenblutung oder eine Ulkusblutung aus dem Magen oder aus dem Dünndarm neben Ösophagusverletzungen in Betracht zu ziehen. Bei einem massiven Blutsturz (Hämoptoe) droht der Patient zu ersticken (suffokatorische Hämoptoe), der Hb-wirksame Blutverlust ist dabei zweitrangig. Dabei ist zu beachten, dass ein initialer Hustenreflex als Abwehrmechanismus erschöpfungsbedingt im Verlauf ausbleibt, sodass es bei einem durchschnittlichen Totraumvolumen von 150 ml (!) zügig zur Erstickung kommen kann.

Tab. 28.1 Klinische Symptome und mögliche Differenzialdiagnose. Symptome

Differenzialdiagnose

Leise Atemgeräusche bei guter symmetrischer Brustwandbewegung

Verlegung der Atemwege, Pneumothorax

Thoraxhälfte folgt nicht der Atmung

Spannungspneumothorax Hämatothorax

Paradoxe Atembewegung

Rippenserienfraktur

Luftaustritt aus dem Thorax (Schlürfen)

Offener Pneumothorax

Hautemphysem

Verletzung des Rippenfells, der Bronchien oder/und der Lunge; Pneumothorax

Mediastinalemphysem

Einriss im Tracheobronchialsystem; zentripetale, oberflächliche Lungenverletzung

Einflussstauung

Spannungspneumothorax; Mediastinalemphysem; Herzbeuteltamponade Tumoren

Hypersonorer Klopfschall

Pneumothorax

28.3 Akutdiagnostik – Vitalparameter Die Akutdiagnostik orientiert sich bei thorakalen Notfällen zunächst an der Erhaltung der Vitalfunktionen (ABC- Regel). Das Offenhalten der Atemwege (A, Airway Management), die Erhaltung der Atemfunktion (B, Breathing) sowie der Kreislauffunktion (C, Circulation) haben oberste Priorität . Bei Aufnahme des Patienten im Schockraum besteht die Beurteilung des Atemwegs aus Inspektion und Auskultation. Findet sich ein stridoröses Atemgeräusch, so besteht die Möglichkeit einer maxillofazialen, laryngealen und/oder trachealen Verletzung (Differenzialdiagnose intrinsische oder extrinsische Obstruktion der tiefen Atemwege). Bei einem subkutanen Emphysem (Halsbereich/Thoraxwand) oder bei einer penetrierenden thorakalen Verletzung mit Entweichen von Luft aus dem Pleuraraum muss an eine tracheobronchiale Verletzung/pneumopleurale Fistel gedacht werden. In seltenen Fällen bestehen Hämoptysen nach einem Trauma, am ehesten sind sie ein Hinweis auf eine Lungenkontusion oder tracheobronchiale Verletzungen .

28.3.1 Atemwege (Airway) und Atmung (Breathing) Die Inspektion des Nasen-Rachen- Raums zur Sicherstellung der freien Atemwege muss als selbstverständlich angesehen werden. Die Beobachtung der Atemexkursion sowie die Auskultation sind die Grundelemente der Akutdiagnostik. Die Auskultation beider Lungen lässt bei fehlendem unilateralem Atemgeräusch bereits das Bestehen eines Pneumothorax/Hämatothorax erwägen. Der positiv prädiktive Wert eines nicht vorhandenen Atemgeräusches in der klinischen Untersuchung ist über 95 %, bei zusätzlichem Auftreten einer Tachykardie und Tachypnoe kann mit Sicherheit ein Spontanpneumothorax diagnostiziert werden , , , .

28.3.2 Kreislauffunktion (Circulation) Hinsichtlich der Kreislauffunktion ist neben der Palpation des Pulses und der manuellen Blutdruckmessung vor allem auf die klinischen Zeichen eines Spannungspneumothorax sowie einer Perikardtamponade zu achten. Im Fall einer Perikardtamponade werden gestaute Halsvenen, abgeschwächte Herztöne und ein paradoxer Puls (Beck- Trias) gesehen. Ein Vergleich der Pulsqualität an oberen und unteren Extremitäten kann ggf. auch auf Verletzungen am

typischen Aortenisthmusbereich hinweisen . Zu einem Pneumothorax gehören gestaute Halsvenen, eine hypotone Blutdrucksituation sowie im Fall eines Spannungspneumothorax ein unilateral abgeschwächtes bzw. aufgehobenes Atemgeräusch und eine Tachypnoe und Tachykardie. Die weiteren klinischen Untersuchungen bestehen neben der Labordiagnostik mit Blutgasmessung vor allem in der Erhebung des klinischen Status des Brustkorbs (Druckschmerzhaftigkeit, Krepitationen, Deformitäten sowie paradoxe Beweglichkeit der Rippen). Selbstverständlich werden bei perforierenden Verletzungen die entsprechenden Wunden inspiziert und dokumentiert . Das Entweichen von Luft über eine bestehende Wunde (sucking wound) beweist den offenen Pneumothorax. Ausreichend zur Beurteilung freier Flüssigkeit im Thorax/Perikard (Ausschluss Perikardtamponade) ist die orientierende Ultraschalluntersuchung (fast protocol). Sie ist im Schockraum obligat zu fordern , . Die klinische Situation sowie der Traumamechanismus definieren die Notwendigkeit einer ergänzenden kontrastmittelgestützten (Spiral-)CT- Untersuchung zum Ausschluss knöcherner Verletzungen einschließlich der thorakalen Wirbelsäule, pulmonaler Kontusionsareale, der Integrität der großen Gefäße sowie des Zwerchfells , , . Ergänzende apparative Untersuchungen sind je nach Fragestellung einzufordern, sind aber den entsprechenden Fachabteilungen (Thoraxchirurgie/Herzchirurgie) vorbehalten:

• Bronchoskopie bei Verdacht auf tracheobronchiale Verletzung (Hämoptysen!) • Ösophagoskopie und Kontrastmittelbreischluck bei Verdacht auf Ösophagusruptur • Echokardiografie bzw. transösophageale Echokardiografie bei Verdacht auf Herzverletzung bzw. Verletzung der A. ascendens.

28.4 Pathophysiologische Aspekte 28.4.1 Dyspnoe Beim klinischen Leitsymptom Dyspnoe muss zwischen einer intrinsischen Ursache im Rahmen einer Grunderkrankung wie z. B. dem Asthma bronchiale und einer extrinsischen Problematik durch äußere Umstände wie Verlegung der Atemwege durch einen Fremdkörper oder im Rahmen eines Thoraxtraumas mit Rippenfrakturen unterschieden werden. Pathophysiologisch tritt dabei entweder eine Verlängerung der alveolären Diffusionsstrecken durch ein alveoläres oder interstitielles Ödem (Asthma, Lungenödem, Lungenparenchymblutung) oder eine mechanische Kompression mit Verlust des am pulmonalen Gasaustausch beteiligten Parenchyms (Pneumothorax, Hämatothorax) auf. Der funktionelle Parenchymverlust wird je nach pulmonaler Reserve klinisch als Dyspnoe mit respiratorischer Insuffizienz apparent. Thoraxverletzungen führen zu einer Kompromittierung der an der Atemarbeit beteiligten Strukturen (Rippen, Zwerchfell) mit konsekutiver kompensatorischer Mehrarbeit der intakten Strukturen und sekundärer Erschöpfung der Atempumpe. Zusätzlich kommt die reflektorische, schmerzbedingte Abflachung der Atmung aggravierend hinzu und resultiert in einem Circulus vitiosus (Rippenserienfrakturen). Die pathophysiologische Endstrecke der klinischen Dyspnoe ist die konsekutive akute respiratorische Insuffizienz mit Sättigungsabfall und Änderungen des Gasaustauschs. Zur Objektivierung der respiratorischen Insuffizienz ist die zügige arterielle Blutgasanalyse (BGA) zwingend erforderlich . Diese stellt nicht nur sofort die arterielle Sauerstoffversorgung und im Verlauf die Effizienz etwaiger Maßnahmen dar, sondern ermöglicht auch, den Hämoglobingehalt (Hb) als Sauerstoffträger zu beurteilen. Erst sekundär sind weitere systemische Reaktionen wie Schock, Azidose, Hypothermie und Koagulopathie zu finden . Konsekutiv resultiert eine kompromittierte Minderbelüftung betroffener Lungenabschnitte in einer pulmonalen Infektion, spielt für den akuten thorakalen Notfall aber eine untergeordnete Rolle. Die Schwere der respiratorischen Insuffizienz hängt dabei wesentlich von den begleitenden Grunderkrankungen des Patienten ab, diese bestimmen auch die Dynamik. Aus chirurgischer Sicht sind fünf Aspekte differenzialdiagnostisch zu bedenken:

• Parenchymschäden oder Parenchymeinblutungen (Lungenkontusion) • Verlegung der Atemwege/symptomatische Atelektase • Atemwegsverletzungen (Verletzungen des Tracheobronchialbaums) • Schädigung der Atemmechanik (Rippenserienfraktur, instabiler Thorax, Zwerchfellrupturen) • Verlust des intrapleuralen Unterdrucks (Pneumothorax, Spannungspneumothorax)

28.4.2 Thorakale Schmerzen Der akute thorakale Schmerz ist das klassische Leitsymptom bei Thoraxtraumen, die Schmerzlokalisation muss hierbei aber nicht immer mit der eigentlichen Lokalisation der Verletzung einhergehen. Differenzialdiagnostisch ist eine kardiale Ursache auch bei „untypischer“ Symptomatik (Schmerzen im Epigastrium, im rechten Schulterblatt, fehlende thorakale Schmerzausstrahlung) auszuschließen; ferner sind ein 12-Kanal-EKG sowie die Werte der spezifischen Herzenzyme (Troponin T und Troponin I) einzuholen. Große Studien haben weiter gezeigt, dass ein traumatisches Ereignis nicht erinnerlich sein muss, diesbezüglich muss bei thorakalen Schmerzen eine differenzierte Abklärung auch hinsichtlich eines etwaigen Traumas erfolgen. Pathophysiologisch leitet sich der thorakale Schmerz über afferente Fasern direkt über die sensiblen Bahnen des Rückenmarks in das ZNS weiter. Studien haben gezeigt, dass eine unzureichende Schmerztherapie per se ein Risikofaktor für ein chronisches thorakales Schmerzsyndrom ist . Die Objektivierung des thorakalen Schmerzes erfolgt standardisiert durch die visuelle Analogskala (VAS), welche eine Einteilung von 0 (kein Schmerz) bis 10 (schlimmster vorstellbarer Schmerz) erlaubt und gut das subjektive Schmerzempfinden des Patienten widerspiegelt.

28.5 Thoraxtrauma In der modernen Industriegesellschaft ist das Thoraxtrauma meist Folge von Unfällen im Straßenverkehr, seltener von Stürzen aus großer Höhe im Arbeitsleben oder im häuslichen Bereich . In Zentraleuropa überwiegen Thoraxverletzungen infolge stumpfer Gewaltanwendung. Penetrierende Verletzungen oder Perforationen infolge von spitzer Gewalteinwirkung sind deutlich seltener. Das Verletzungsmuster reicht von einfachen Prellungen mit und ohne Rippenfrakturen bis zu komplexen Multiorganverletzungen. Schwerste Thoraxverletzungen treten meist im Rahmen eines Polytraumas auf, die Letalität des schweren Thoraxtraumas liegt bei etwa 5 %. In großen Sammelstatistiken bei verstorbenen polytraumatisierten Patienten ist in 30–35 % der Fälle ein Thoraxtrauma ursächlich für das Versterben . Beim stumpfen Thoraxtrauma ist die Schwere des Traumas direkt proportional zur Kraft der kinetischen Energie, die pro Fläche auf den Thorax trifft . Die häufigste Folge eines stumpfen Thoraxtraumas ist die Lungenkontusion, wobei das Ausmaß sowohl der intraalveolären Blutung als auch der Lungenparenchymdestruktion proportional zur Gewalteinwirkung ist. Der Pathomechanismus von Verletzungen der thorakalen Binnenorgane (Tracheobronchialbaum, Ösophagus, große Gefäße) resultiert aus der Verformung des Brustkorbs. Somit kommt es zu starken Scherkräften an den Orten der mediastinalen ligamentären Fixation der entsprechenden Organe mit bevorzugter Verletzung und konsekutivem Einriss am Aortenisthmus, am rechten Hauptbronchus sowie der Herzvorhöfe und des Diaphragmas , . Dabei findet sich insbesondere bei Kindern mit einem noch sehr elastischen Thorax eine erhebliche Diskrepanz zwischen den äußerlich sichtbaren Verletzungen und dem intrathorakalen Schaden. Pathophysiologisch leitet der kindliche Thorax bei noch fehlender kompletter Verknöcherung die direkte oder indirekte Krafteinwirkung, bedingt durch die elastischen Komponenten, unmittelbar auf die thorakalen Organe weiter . Wie auch bei Erwachsenen wird die Kraftwirkung aufgrund des erhöhten Binnendrucks bei geschlossener Glottis aggraviert. Es resultiert ein starker Anstieg des intrathorakalen Drucks mit erhöhtem Binnendruck der thorakalen Hohlorgane und konsekutiver Zerberstung der zentralen Anteile des Tracheobronchialbaums, selten auch des thorakalen Ösophagus. Weiter kann es durch eine Hyperextension/Hyperflexion des Halses zu Überstreckungen der Halseingeweide mit Ein- und Abrissen des Ductus thoracicus und der supraaortalen Gefäßäste sowie zu einer sublaryngealen Zerreißung der zervikalen Trachea kommen . Bei penetrierenden Thoraxverletzungen kommt es aufgrund der engen Lagebeziehung zwischen den verschiedenen Organsystemen zu kombinierten Verletzungen, wobei aufgrund der veränderten Lagebeziehung in In- und Exspiration auch unterschiedliche Verläufe eines eventuellen Stichkanals gefunden

werden können . Der Verlauf des Stichkanals muss kontrolliert und nach Stabilisierung des Patienten operativ revidiert werden. Häufig finden sich darüber hinaus Verletzungen des Gefäß-Nerven-Bündels am Unterrand der Rippe, bei Stichverletzungen im vorderen Anteil des Brustkorbs auch Verletzungen der A./V. mammaria interna . In unseren Breitengraden sind spitze Thoraxtraumen eher eine Rarität.

28.5.1 Lungenparenchymverletzung/Dyspnoe als Traumafolge Bei Thoraxtraumen finden sich die dyspnoischen Beschwerden meist nur als sekundäre Begleiterscheinung, allerdings muss grundsätzlich bei Dyspnoe nach Trauma auch an Parenchymverletzungen gedacht werden. Pathophysiologisch stehen dabei der Verlust funktioneller pulmonaler Abschnitte (traumatischer Pneumothorax, Hämatothorax) und die reflektorisch schmerzbedingte Hemmung der Atempumpe im Vordergrund. Verletzungen des Lungenparenchyms treten in der Folge sehr unterschiedlicher Unfallkräfte auf. Eine typische Folge einer Lungenparenchym- oder Bronchialverletzung sind der Hämato-, Pneumothorax oder der Spannungspneumothorax . Bei stumpfen oder penetrierenden Thoraxtraumata tritt in 34–96 % der Fälle eine Lungenparenchymverletzung oder eine Pleuraverletzung auf , . Diagnostisch ist ein konventionelles Röntgen-Thoraxbild sowie konsekutiv bei pathologischem Befund oder bei einem polytraumatisierten Patienten (Schockraum) das Spiral-CT zu fordern. Die Drainageneinlage und bei Bedarf Intubation sowie maschinelle Beatmung stellen die wichtigsten Behandlungsmaßnahmen dar. Die Prognose von Patienten mit Lungenverletzungen in der frühen posttraumatischen Phase hängt, wenn Begleitverletzungen außer Acht gelassen werden, von einer kompletten Ausdehnung der betroffenen Lunge und der Sicherstellung eines suffizienten Atemminutenvolumens ab . Zur konservativen Therapie gehören eine Sauerstoffsubstitution mit einer angestrebten O 2 -Sättigung von über 90 % und die suffiziente systemische Analgesie. Einen führenden Stellenwert hat die Atemtherapie unter physiotherapeutischer Anleitung. Sie dient der Vorbeugung von Infektionen und der Rekrutierung pulmonaler Reserven (Dystelektasen). Die Anwendung von Steroiden und prophylaktische Antibiotikagabe sind in der Literatur sehr umstritten . Spätfolgen können primär die posttraumatische, postoperative Pneumonie und die posttraumatische Atelektase sein. Die posttraumatische bakterielle Pneumonie entwickelt sich infolge eines Sekretverhalts, einhergehend mit einer Belüftungsstörung der Lunge. Nach initialer Versorgung ist eine Nachbeobachtung von Patienten nach Thoraxtrauma über 14 Tage sinnvoll, diese sollte eine Röntgen-Thoraxaufnahme beinhalten und kann meist ambulant erfolgen .

Lungenkontusion Die Lungenkontusion tritt als interstitielle Blutung nach einem traumatisch reaktiven Ödem des Lungenparenchyms oder als diffuse Blutung auf. Die Lungenkontusion mit intraalveolärer Einblutung und konsekutivem Verlust von an der inneren Atmung beteiligtem Lungenparenchym geht mit einer Schädigung der Alveolarwandfunktion (Reduktion der Oberflächenspannung, alveolares Ödem) mit atemmechanischen sowie atemphysiologischen Faktoren einher, welche die Entwicklung einer respiratorischen Insuffizienz beschleunigen , . Klinisch imponiert die Lungenkontusion als Lungeninfiltrat. Die Lungenkontusion tritt in 60 % traumatisch nach stumpfen Thoraxtrauma auf. Weiter tritt begleitend die Lungenkontusion in 40 % der Fälle nach einer Brustkorbprellung, in 67 % bei Rippenfrakturen und in 80 % nach schweren Thoraxverletzungen auf , . Häufig kommt es im Rahmen einer Lungenkontusion zeitverzögert (24–48 h) zu einer Störung des Gasaustausches mit respiratorischer Insuffizienz . Deshalb müssen Patienten mit einem entsprechenden Verletzungsmuster und klinischen Befunden für 48 Stunden stationär beobachtet werden. Es können auch nicht unmittelbar beteiligte Lungenabschnitte sekundär geschädigt werden, ursächlich ist hier die Gewebeschädigung mit konsekutiver Freisetzung von Entzündungsmediatoren. Die Morbidität und Mortalität der Lungenkontusion ist im allgemein gering. Die Beschwerden bei einer milden Lungenkontusion sollten sich innerhalb einer Woche zurückbilden. Die Patienten können an einer Dyspnoe, Tachykardie, Schmerzen oder auch blutigem Auswurf leiden. Die Auskultation erbringt meist ein vesikuläres Atemgeräusch. Milde Formen der Lungenkontusion sind von schweren Lungenkontusionen abzugrenzen, welche primär durch die respiratorsiche Insuffizienz geprägt sind. Bei diesen schwereren Formen sind Perkussion und Auskultation pathologisch verändert, das Röntgenbild stellt sich mit unscharf begrenzten, feinfleckigen und/oder konfluierenden Infiltrationen dar. Diese Patienten müssen einer engmaschigen radiologischen Verlaufskontrolle, arterieller Sauerstoffpartialdruckmessung und einer kontinuierlichen peripheren Sättigungsmessung unterzogen werden. Im Rahmen einer Lungenkontusion kann sich ein ARDS (Adult Respiratory Distress Syndrome) unabhängig von der Traumalokalisation und Ausdehnung entwickeln. In einer Studie fand sich ein ARDS bei der isolierten Lungenkontusion in 17 % der Patienten und bei polytraumatisierten Patienten in 78 % der Fälle mit einer hohen Mortalität von über 50 % , . Dieses Krankheitsbild geht mit einer zunehmenden Verschattung der Lunge und entsprechendem Abfall des Sauerstoffpartialdrucks einher, neben Lagerungsmaßnahmen ist die maschinelle Beatmung (hoher PEEP, niedriges Tidalvolumen, schnelle Beatmungsfrequenz) die Therapie der Wahl .

Lungenhämatom Die Lungenkontusion ist bereits oben im Detail diskutiert worden, differenzialdiagnostisch ist diese von Lungenhämatomen abzugrenzen. Lungenhämatome sind umschriebene Einblutungen ins Lungenparenchym und folgen primär der Entstehung einer Lungenkontusion bei stumpfen oder penetrierenden thorakalen Verletzungen. Lungenhämatome treten mit einer Häufigkeit von etwa 4–10 % nach Lungenkontusionen auf und werden 24–72 Stunden nach dem Trauma apparent . Die Abgrenzung der Lungenkontusion zum Lungenhämatom ist nicht immer einfach und die Übergänge sind fließend. Die Thorax-CT ist dem konventionellen Röntgen des Thorax bei der Diagnose und vor allem bei der Verlaufskontrolle eines Lungenhämatoms überlegen. In der Regel schrumpft ein Lungenhämatom etwa 0,5 cm in 3 Wochen .

28.5.2 Endobronchiale Blutungen (Hämoptyse/Hämoptoe) Das Auftreten endotrachealer respektive endobronchialer Blutungen, das in allen Altersgruppen unabhängig vom Geschlecht möglich ist, wird als Hämoptyse und Hämoptoe bezeichnet. Klinisch wird dabei die sich teils über mehrere Tage manifestierende Hämoptyse (blutig tingiertes Sputum, weniger als 100 ml in 24 Stunden) von der akuten lebensbedrohlichen Hämoptoe (Blutsturz, mehr als 500 ml in 24 Stunden) unterschieden . Relevante isolierte endoluminale Blutungen treten selten traumatisch auf und demaskieren meist einen entzündlichen Prozess oder Tumor. Während die Hämoptyse im Verlauf nach stationärer Aufnahme abgeklärt werden sollte, stellt die Hämoptoe als klassischer Blutsturz einen akut lebensbedrohlichen Zustand dar, der sofortiges Handeln fordert. Die stationäre Aufnahme und das Anfertigen eines CT-Thorax mit KM sind obligat, gefolgt von der bronchoskopischen Intervention. In den meisten Fällen lässt sich durch eine Suprarenin-Instillation eine Schleimhautblutung kontrollieren, bei Blutungen aus den Bronchialarterien wie z. B. bei zentralen Tumoren (Lungenkarzinom) kann eine radiologisch geführte Embolisation versucht werden . In den seltenen Fällen einer traumatisch bedingten Kommunikation zwischen Bronchusast und Lungengefäß entstehen meist manifeste endobronchiale Blutungen mit erheblicher Aspirationsgefahr. Der eigentliche „Blutsturz“ wird dann nicht überlebt. Die Therapie ist die sofortige Seitenlagerung, flexible Bronchoskopie und der Versuch der Blutstillung mittels interventioneller Bronchiologie (AdrenalinInstillation, Tamponade bzw. Einbringen eines geblockten Fogarty-Katheters) . Im Extremfall wird die nicht betroffene Seite durch die Intubation mit einem Doppellumentubus geschützt und der Patient konsekutiv thorakotomiert. Meist ist nur die Resektion des entsprechenden Lappens zur Blutstillung möglich und fordert eine ausgedehnte thoraxchirurgische Expertise.

28.5.3 Atelektase und Fremdkörperaspiration/Verlegung der Atemwege D i e Fremdkörperaspiration und/oder Atelektase ist nur selten traumatisch bedingt. Die posttraumatische Atelektase entsteht in erster Linie durch die Verstopfung von Bronchien durch Schleim oder Blutpfropfen sowie eine begleitende Schleimhautverletzung . Bei der Verlegung des zuführenden Bronchialabschnitts wird der nachgeschaltete Lungenabschnitt nicht mehr belüftet und es folgt die Ausbildung einer Atelektase. Pathophysiologisch folgt die Abnahme der Durchblutung (Euler-Liljestrand-Reflex) mit funktionellem Verlust des betroffenen Lungenabschnitts und der konsekutiven Ausbildung pulmonalvenöser Shunts. Klinisch imponieren die fehlende Belüftung (Auskultation) sowie eine radiologische Verschattung (scharf und glatt begrenzt – Lappenspalt!). Ursächlich kommt dabei neben Tumoren endoluminal akut eine Fremdkörperaspiration oder eine akute Schleimverlegung bei Pneumonie differenzialdiagnostisch in Betracht. Bei den Fremdkörpern dominieren bei Kindern meist kleine Nahrungsreste oder Spielzeugstücke (Erdnüsse, Murmel), bei älteren Erwachsenen ist die Nahrungsmittelaspiration führend . Diagnostisch ist die abgeschwächte Auskultation neben den eindeutigen thorakalen Röntgenbefunden wegweisend. Therapeutisch muss jede Atelektase bronchoskopisch abgeklärt werden und stellt eine absolute Indikation zur Bronchoskopie dar. Bei Fremdkörpern ist der Patient bei manifester Klinik (Stridor, Dyspnoe, Blutung) nach Stabilisierung mit einem starren Gerät zu bronchoskopieren mit dem Versuch, den Fremdköper zu entfernen (Dormiakörbchen). An eine breite Antibiose sollte frühzeitig gerade bei Patienten mit einer vorerkrankten Lunge gedacht werden.

28.5.4 Traumatischer Pneumothorax und Spannungspneumothorax Das Auftreten von Luft im Pleuraspalt durch extrinsische oder intrinsische Faktoren ist die Definition eines Pneumothorax . Extrinsische Ursachen sind meist direkt penetrierende Verletzungen oder schwere stumpfe Thoraxtraumen mit endothorakaler Verletzung des Lungenparenchyms, intrinsisch ist die spontane Ruptur von Bullae im Sinne eines Spontanpneumothorax im Wesentlichen zu nennen, welche auch im Rahmen eines Traumas auftreten kann (sekundärer traumatischer Pneumothorax). Ein traumatischer Pneumothorax kann genauso wie ein Spontanpneumothorax in einen Spannungspneumothorax übergehen . Wenn ein Ventilmechanismus vorliegt, wird das Mediastinum zur gesunden Seite verdrängt, der Blutrückfluss zum Herzen gedrosselt und eine lebensbedrohliche Atem- und Kreislaufinsuffizienz verursacht. Klinisch imponieren die Tachypnoe sowie Belastungsdyspnoe, ein abgeschwächtes bis fehlendes Atemgeräusch, die Halsvenenstauung und konsekutiv die Ausbildung eines kardiogenen Schocks. Neben der standardisierten Diagnostik mit Röntgen-Thorax und Blutgasanalyse ist die Spiral-CT-Diagnostik bei pathologischen Befunden im konventionellen Röntgenbild zu fordern. Die sofortige Beseitigung des Überdrucks durch Einstechen einer großlumigen Kanüle (Tiegel-Kanüle) zwei Querfinger distal der Clavicula im medialen Drittel ist dabei die präklinische Notfallversorgung der Wahl . Die primäre Therapie in der Klinik erfolgt durch Anlage einer großlumigen Thoraxdrainage (24– 28 Ch) in Bülau-Position, gefolgt von der radiologischen Lagekontrolle unter Sog (−20 cmH 2 O) . Resultierend durch den Kontakt der Pleurablätter tritt hier rasch eine Verklebung der Pleurablätter und konsekutiv der Leckage ein. Ein offener Pneumothorax muss umgehend steril abgedeckt werden. Die Erstbehandlung macht neben der Einlage einer Thoraxdrainage sehr häufig die Intubation mit Überdruckbeatmung erforderlich. Ist eine Intubation nicht erforderlich oder nicht möglich, so muss die Drainage zunächst mit einem Heimlich-Ventil versorgt werden. Eine dringliche und absolute Operationsindikation besteht bei Thoraxwanddefekten mit Pneumothorax. Bei persistierendem Pneumothorax ist der häufigste Fehler eine Fehllage der Drainage , . Ein persistierender Pneumothorax ist eine Luftfistel von mehr als 20 % des Atemzugvolumens, wie sie bei schweren Parenchym- oder Bronchialverletzungen oder beim begleitenden Emphysemthorax (COPD-Patient) beobachtet wird. Der Pneumothorax ist keine Indikation zur sofortigen operativen Exploration. Die Indikation zur operativen Versorgung sollte von einem thoraxchirurgischen Facharzt nach Evaluation gestellt werden und elektiv erfolgen. Nach stumpfem Thoraxtrauma mit Pneumothorax ist eine Operation grundsätzlich nur in Ausnahmefällen indiziert . Vor einer etwaigen Operation eines persistierenden Pneumothorax sollte die korrekte Lage der Drainage klinisch wie radiologisch geprüft und ggf. eine zweite Thoraxdrainage eingebracht werden. In der Literatur wird die Notwendigkeit der Thorakotomie mit 0 bis 10 % angegeben . Die Wahrscheinlichkeit eines Rezidivs liegt nach dem konservativen Vorgehen mittels Thoraxdrainage bei 50 %, nach einer primären operativen Versorgung kann diese auf unter 10–15 % beziffert werden. In über 5 % der Fälle kann insbesondere beim idiopathischen Pneumothorax im Verlauf auch die Gegenseite betroffen sein .

28.5.5 Weichteilverletzungen der Thoraxwand Isolierte Weichteilverletzungen der Brustwand in Form von schmerzhaften Hämatomen oder großflächigen Einblutungen bedürfen keiner besonderen Therapie, häufig finden sich diese bei Patienten unter einer Therapie mit Antikoagulanzien . Neben der Blutgasanalyse, Hb-Kontrolle und dem konventionellen Röntgenbild müssen diese Patienten nur bei erheblicher Komorbidität stationär aufgenommen werden. Eine suffiziente Schmerztherapie und Nachsorge ist anzustreben. Bei perforierenden/penetrierenden Thoraxwandverletzungen ist die Weichteilverletzung der Thoraxwand obligat zu finden, diese wird gesondert diskutiert.

28.5.6 Rippen(serien)fraktur und instabiler Thorax Rippenfrakturen stellen die häufigsten Verletzungen bei Thoraxtrauma dar, wobei die 4.–9. Rippe am häufigsten betroffen sind . Von einer Rippenserienfraktur wird bei einer Beteiligung von mehr als drei Rippen gesprochen, ein instabiler Thorax muss nicht obligat vorliegen. Die Rippenserienfraktur beruht auf einer höhergradigen Gewalteinwirkung, meist finden sich Stückfrakturen mit wesentlichen Begleitverletzungen. Das Bild des instabilen Thorax (flail chest) resultiert, wenn Thoraxwandsegmente durch multiple Frakturen aus der Kontinuität des knöchernen Brustkorbs gelöst werden ( ). Die Röntgenaufnahme im Schockraum ist häufig nicht in der Lage, eine Thoraxwandinstabilität abzubilden. Die Diagnose muss klinisch gestellt werden. Der instabile Thorax ist dabei nahezu immer von einer Lungenkontusion begleitet, sodass sich ineffektive Atemmechanik und alveolare Schädigung in der Entwicklung einer respiratorischen Insuffizienz potenzieren , .

Spiral-CT-Aufnahme eines Patienten nach stumpfem Thoraxtrauma im Rahmen eines häuslichen Sturzes. Linksseitige Lungenkontusion bei Rippen(serien)fraktur bei instabiler Thoraxwand links (rotes Pluszeichen) mit Weichteilhämatom und konsekutivem traumatischem Pneumothorax (roter Stern). [ ] ABB. 28.1

Neben dem Thorax- Kompressionsschmerz, lokalem Druckschmerz und Krepitationen müssen Begleitverletzungen (Pneumothorax, abdominale Leber- und Milzlazerationen) ausgeschlossen werden. Die Standarduntersuchung ist der Röntgen-Thorax, eine Zielaufnahme in Knochentechnik zur Darstellung insbesondere basaler Rippenfrakturen hat meist einen akademischen Stellenwert . Bei pathologischen Befunden im konventionellen Röntgen auch ohne klinische Beschwerden muss ein Spiral-CT angefertigt werden. Frakturen der 1. und 2. Rippen, im Regelfall anatomisch durch den Schultergürtel geschützt, entstehen aufgrund einer großen Krafteinwirkung, sodass mit Begleitverletzungen der subaortalen Gefäße (Subklavia-Gefäße), des Plexus brachialis und des Tracheobronchialbaums gerechnet werden muss. Bei Frakturen der 9.–12. Rippe sollten routinemäßig eine Abdomensonografie sowie eine Urinuntersuchung zum Ausschluss einer Verletzung intraabdominaler parenchymatöser Organe erfolgen . Die Therapie bei isolierten Rippenfrakturen ist konservativ und erfolgt ambulant, lediglich bei erheblicher Komorbidität und insbesondere bei oraler Antikoagulanzientherapie sollten die Patienten für 48 Stunden stationär überwacht werden . Neben einer suffizienten analgetischen Behandlung mittels nichtsteroidaler Antiphlogistika (NSAR) kommen Lokalanästhetika und Opioide zur Anwendung. Bei pulmonalen Vorerkrankungen oder Lungenparenchymbeteiligung ist eine Atemtherapie indiziert. Die Therapie der Rippenserienfraktur sowie der Rippenstückfraktur erfolgt konservativ und sollte stationär mit einer intensivierten analgetischen Therapie sowie intensiver Physiotherapie erfolgen. Der Einsatz epiduraler Analgesieverfahren (Periduralkatheter) muss kritisch überprüft und bei erheblichen Schmerzen zur Anwendung kommen. Ziel hierbei, auch als Therapiekontrolle, ist die

suffiziente Schmerztherapie mit einem Wert < 4 Punkte auf der visuellen Analogskala. Regelmäßige klinische Kontrollen sowie Blutgasmessungen müssen frühzeitig eine drohende respiratorische Insuffizienz (konsekutive Pneumonie!) aufzeigen. Von zirkulären stabilisierenden Verbänden ist dringend abzuraten, da sie eine restriktive Ventilationsstörung verursachen. Bei sich entwickelnder respiratorischer Insuffizienz und Erschöpfung der Atempumpe muss großzügig d i e Intubation und maschinelle Beatmung zur Verbesserung der alveolären Ventilation und des Gasaustauschs gestellt werden . Frühzeitig ist auch insbesondere bei einem Hämatothorax oder Hämatopneumothorax die Drainagenanlage indiziert , . Diese kann praktisch immer in Lokalanästhesie im Interventionsraum ohne Operation gelegt werden. Ziel ist die komplette Ausdehnung beider Lungen zur inneren Stabilisierung der Brustwand.

28.5.7 Sternumfraktur Sternumfrakturen sind selten und die Fraktur ereignet sich an loco typico zwischen Manubrium und Corpus sterni. Leitsymptom ist der sternale Schmerz, einhergehend mit einem lokalen Hämatom sowie einer druckschmerzhaften Schwellung, häufig auch mit einer tastbaren Krepitation. Isolierte Sternumfrakturen heilen in der Regel unter ausreichender Analgesie und Atemtherapie konservativ aus . Bei ausgeprägten dislozierten Kehrfrakturen sowie bei einer schweren partiellen Sternumimpression sollte nach Stabilisierung des Patienten elektiv im Verlauf die offene Reposition und Drahtzerklage, in seltenen Fällen auch die Plattenosteosynthese erfolgen.

28.5.8 Zwerchfellverletzungen/Zwerchfellruptur Bei Verletzungen des Zwerchfells handelt es sich immer um Rupturen, Blutungen sind zu vernachlässigen. Zwerchfellrupturen finden sich in 2–3 % der stumpfen sowie in 10–15 % der spitzen Thoraxverletzungen, wobei meist die linke Thoraxhälfte betroffen ist . Bei perforierenden Thoraxtraumen muss bei der Verletzungslokalisation zwischen Mamille und 12. Rippe unbedingt an eine kombinierte abdominale und thorakale Verletzung gedacht werden . Zwerchfellrupturen gehen in 90 % aller Patienten mit schweren Begleitverletzungen einher und zeigen eine abdominale (60 %) oder thorakale (20 %) Begleitverletzung ( ) . Die Klinik wird zumeist durch die Begleitverletzung bestimmt und eine Zwerchfellruptur wird erst sekundär im Rahmen der Exploration entdeckt. Klinisch imponieren respiratorische Einschränkungen und thorakale Schmerzen, in etwa 50 % der Fälle ist das initiale Röntgenbild unauffällig . Eine radiologisch unscharfe Zwerchfellkontur oder ein stumpfer kostophrenischer Winkel sind Zeichen einer etwaigen Zwerchfellruptur, wegweisend kann auch eine abnormale Lage der Magensonde oberhalb des vermuteten Zwerchfells sein.

Traumatische Zwerchfellruptur und begleitender Hämatothorax rechts mit Verlagerung der Darmschlingen in den Thorax (Pfeil) und eine dislozierte Rippenfraktur (rechte laterale Thoraxwand) (eigenes Patientengut). [ ] ABB. 28.2

Die Therapie der Zwerchfellruptur ist immer operativ, der Zugangsweg (abdominal oder thorakal) wird von den Begleitverletzungen definiert. Von abdominal ist eine problemlose Reposition nach thorakal der luxierten Baucheingeweide möglich und die Versorgung intraabdominaler Parenchymverletzungen kann in gleicher Sitzung durchgeführt werden. Dies wird heute meist laparoskopisch (oder thorakoskopisch) durchgeführt. Bei rechtsseitiger Zwerchfellruptur und ausgeschlossenen abdominalen Begleitverletzungen wird in aller Regel der thorakale Zugang gewählt. Die Versorgung der Zwerchfellruptur erfolgt mit dicken, nicht resorbierbaren Einzelknopfnähten. In 80 % der Fälle tritt nach übersehener Zwerchfellruptur innerhalb von 5 Jahren eine Herniation nach intrathorakal auf mit der Gefahr der Obstruktion bzw. Strangulation in steigender Reihenfolge des Kolons, Magens, Omentums und Dünndarms . Die operative Versorgung dieser Spätfolgen erfolgt jeweils transthorakal durch eine offene chirurgische Zwerchfellraffung und ggf. Resektion nekrotischer Darmabschnitte.

28.5.9 Hämatothorax Ein Hämatothorax entwickelt sich durch eine Blutung in die Thoraxhöhle aus Gefäßen der Brustwand, dem Lungenparenchym, dem Herzen oder den großen intrathorakalen Gefäßen. Er ist meist arteriellen Ursprungs. Beteiligte Strukturen sind mit absteigender Häufigkeit die Thoraxwandverletzung, Verletzungen der Lungen und insbesondere der Hilusgefäße, Blutungen aus dem Zwerchfell und/oder Perikard und selten aus begleitenden Wirbelkörperfrakturen. Neben dem Blutverlust und dem drohenden hämorrhagischen Schock ist die intrapleurale Druckerhöhung infolge eines Hämatothorax mit der Gefahr der mediastinalen Verlagerung mit Verlagerung des Herzens und Behinderung des venösen Rückflusses zu beachten. Das Gesamtfassungsvermögen einer Brustkorbseite beträgt etwa 60 % des Blutvolumens eines Erwachsenen, eine anatomisch bedingte Tamponierung ist aufgrund dieses enormen Fassungsvolumens des Thorax nicht möglich . Klinisch imponiert der Hämatothorax mit einem abgeschwächten Atemgeräusch, einem verkürzten Klopfschall und Kreislaufinstabilität (in Abhängigkeit des Blutverlustes). Im Mittelpunkt der weiteren Diagnostik stehen die konventionelle Röntgenaufnahme des Thorax und das Spiral-CT mit Kontrastmittel. In 10–15 % der Fälle kann ein Hämatothorax nicht durch Autolyse aufgelöst werden. Spätfolge ist dann die Ausbildung eines Fibrothorax sowie einer Pleuraschwarte, einhergehend mit einer möglichen Störung der Atemmechanik sowie Belüftungs- und Durchblutungsstörungen der Lunge , . Aus den genannten Gründen ist bei einem Hämatothorax frühzeitig die Indikation einer Drainagenanlage zu prüfen. Nach Einlage einer Drainage kommt es in der Regel zur Ausdehnung der Lunge, wodurch die Verletzung verlegt wird und die Blutung sistiert , . Nur fortbestehende Blutungen mit einem Blutverlust von mehr als 400 ml/h stellen eine akute Operationsindikation dar . Scheitert eine Versorgung durch die Thorakoskopie, muss eine posterolaterale oder anterolaterale Thorakotomie durchgeführt werden.

28.5.10 Verletzungen des Tracheobronchialbaums Klinisch imponiert bei Verletzungen des Tracheobronchialbaums meist ein ausgeprägtes Hautemphysem, welches im Verlauf progredient ist. Weiter imponiert eine mitunter starke endoluminale Blutung einhergehend mit einer Verlegung der Atemwege. Die Hämoptyse kann aber auch fehlen, ausgeprägte endoluminale Blutungen können eine Diagnostik erheblich erschweren. Ein Spiral-CT ist obligat. Ursächlich finden sich Verletzungen des Tracheobronchialbaums meist bei perforierenden Traumata im Bereich der zervikalen Trachea, bei stumpfen Thoraxtraumen im Bereich der Hauptcarina bzw. unmittelbar in der Umgebung der Carina lokalisiert ( ) , . Während schwere Verletzungen der zentralen Atemwege sich schon häufig präklinisch bzw. im Schockraum durch Intubationsschwierigkeiten demaskieren, werden peripher gelegene Verletzungen häufiger erst im späteren klinischen Verlauf apparent .

ABB. 28.3

Schematische Übersicht über Lokalisation und Häufigkeit tracheobronchialer Verletzungen/Rupturen . [ ]

Kleinere tracheobronchiale Verletzungen können bei fehlender endobronchialer Blutung oder mediastinaler Abdeckung konservativ behandelt werden. Dabei ist die breite antibiotische Abdeckung des Patienten (cave Mediastinitis!!!) zwingend erforderlich. Ist eine Intubation erforderlich, wird der Tubus distal der Ruptur positioniert und geblockt, dies sollte in fiberoptischer Kontrolle erfolgen. Die operative Versorgung sollte dabei möglichst frühzeitig erfolgen, wobei entsprechend der Verletzungslokalisation entweder der kollare, transsternale oder der thorakale Zugangsweg gewählt wird. Die Prognose der adäquat versorgten tracheobronchialen Verletzung ist gut, Narbenstrikturen mit Stenosen sind selten; sie treten in 3–5 % der Fälle auf , .

28.5.11 Verletzungen des thorakalen Ösophagus Die Inzidenz thorakaler Ösophagusverletzungen im Rahmen eines Traumas liegt bei unter 0,1 %. In einer Studie mit 45 Patienten mit traumatischer Ösophagusverletzung waren 75 % der Ösophaguslazerationen durch Schussverletzungen bedingt, lediglich 4,5 bis 20 % der Verletzungen fanden sich im Rahmen von Stichverletzungen und noch seltener zeigten sie sich bei einem stumpfen Thoraxtrauma . Perforierende Ösophagusverletzungen finden sich in der oberen Thoraxapertur auf Höhe des Halses. Klinisch imponieren diese Patienten mit einem Pneumomediastinum mit der sekundären Ausbildung einer schweren Mediastinitis/Pleuraempyem . Bei klinischem Verdacht sollten sich eine bariumgestützte radiologische Darstellung des Ösophagus sowie eine Ösophagogastroskopie anschließen. Differenzialdiagnostisch muss bei einem Pneumomediastinum immer auch an eine Beteiligung der tracheobronchialen Strukturen gedacht werden, diesbezüglich fordern die Fachgesellschaften auch obligat die diagnostische Bronchoskopie. Goldstandard ist auch hier das thorakale Spiral-CT. In 15 % der Fälle wird aber selbst bei der Kombination aus Ösophagoskopie und Kontrastmittelbreischluckuntersuchung eine Verletzung des Ösophagus übersehen , . Therapeutisch gilt grundsätzlich, ösophageale Verletzungen operativ zu versorgen. Die zervikale Ösophagusverletzung wird von links zervikal und die thorakale mittels Thorakotomie exploriert . Nach primärer Naht sollte eine Deckung mit Pleura bzw. einem Muskellappen erfolgen, zwerchfellnah kann mittels Fundoplicatio eine Deckung versucht werden. Bei einer Mediastinitis oder einem Pleuraempyem sekundär muss neben der operativen Versorgung der ösophagealen Läsion ein ausgiebiges mediastinales und pleurales Débridement mit Anlage von Saug-Spül-Drainagen und systemischer Breitspektrumantibiose durchgeführt werden . Die Komplikation einer Mediastinitis ist dabei zwar selten, das klinische Bild ist jedoch meist sehr schwer mit hohen Rezidivraten. Gegebenenfalls kann eine kollare linksseitige Ausleitung (Speichelfistel) den Heilungsverlauf verbessern, dies bleibt aber eine Einzelfallentscheidung .

28.5.12 Herzkontusion/Perikardtamponade Die häufigste Ursache für das stumpfe Herztrauma sind Verkehrsunfälle mit direktem Aufpralltrauma meist auf das Lenkrad (33). Neben der Beteiligung der knöchernen Strukturen ist die milde Herzkontusion führend, in Autopsieserien findet sich diese in ca. 10 % aller Patienten mit stumpfem Thoraxtrauma . Symptome können neben der Dyspnoe Brustkorbbeschwerden, Arrhythmien, Synkopen oder ventrikuläre Dysfunktionen sein . Diagnostisch stehen die laborchemische Bestimmung der Herzenzyme und das EKG im Vordergrund. Führend sind im EKG meist Rhythmusstörungen mit teils erheblichen (neuen!!!)

Arrhythmien und die Repolarisationsstörungen, in der Echokardiografie können sich Zeichen der ventrikulären Insuffizienz bei morphologischen Wandveränderungen darstellen . Therapeutisch stehen im Vordergrund die intensivmedizinische Überwachung des Patienten sowie eine befundadaptierte kardiologische Betreuung und ggf. eine herzchirurgische Intervention. Die zweizeitige Ruptur oder die Bildung eines Herzwandaneurysmas sind seltene Spätfolgen.

28.5.13 Herzwand- und Perikardruptur Die klinische Manifestation der Herzwandruptur ist variabel, ohne perikardiale Ruptur kommt es zur sofortigen Entwicklung einer Perikardtamponade mit Hypotension, erhöhtem venösem Blutdruck (Einflussstauung) und verminderter Herzwandpulsation (leise Töne!) bei einem paradoxen Puls (Beck-Trias) mit progredienter Entwicklung einer lebensbedrohlichen Situation für den Patienten . Nur in Ausnahmefällen wird eine direkte myokardiale Ruptur überlebt, von den am Unfallort noch lebenden Patienten sterben 75 % auf dem Weg in die Klinik oder im Schockraum . Therapeutisch sollte die mediane Sternotomie noch im Schockraum im Beisein des Kardiochirurgen erfolgen. Nach Eröffnung des Perikards wird die Herzläsion mit dem Finger komprimiert, ein Blasenkatheter eingelegt und geblockt, gefolgt von der primären Naht . Bei größeren Läsionen kann das Ausklemmen erforderlich werden (Vorhof). Dies ist aber mitunter technisch anspruchsvoll und kann zu weiteren Einrissen führen und konsekutiv die Situation erheblich aggravieren. Die Herzwandnaht erfolgt am Vorhof fortlaufend und kann am Ventrikel als eine Matratzennaht erfolgen. Auf die Integrität der Herzkranzgefäße ist dabei insbesondere zu achten. Teflon- oder Peridkardstreifen können als Nachtwiderlager verwendet werden.

28.5.14 Verletzungen der großen thorakalen Gefäße Verletzungen der Aorta Verletzungen der großen thorakalen Gefäße sind selten, limitieren aber wesentlich das Outcome. In 15–20 % der tödlichen Verkehrsunfälle findet sich eine Aortenruptur (34), in 10 bis 20 % wird die Aortenruptur im Rahmen des Unfallereignisses überlebt , . Während die komplette Aortenruptur nicht mit dem Leben vereinbar ist, kommt es bei erhaltener Tunica adventitia zur Ausbildung eines Aneurysma spurium. Fast immer handelt es sich um eine Querruptur . Die typische Lokalisation der thorakalen Aortenverletzungen liegt im Bereich der natürlichen Fixierungsstellen, namentlich am Isthmus, an den Abgängen der linken A. subclavia, selten am Perikardaustritt sowie am Hiatus diaphragmaticus. Die klinischen Symptome und Befunde der akuten Ruptur sind akuter unerträglicher thorakaler Vernichtungsschmerz, Todesangst sowie klinisch dann das Vollbild eines hypovolämischen Schocks bei Massenblutung. Beim Verdacht auf eine thorakale Aortenruptur muss eine thorakale Computertomografie mit Kontrastmittel durchgeführt werden, ergänzend bei Läsionen im Bereich der A. ascendens auch die transösophageale Echokardiografie bzw. Angiografie (35). Eine primär konservative Therapie ist nicht möglich, in den meisten Fällen ist die Aortenruptur durch eine Stent-Einlage zu versorgen . In den letzten Jahren wurde vermehrt über die interventionelle Implantation von Aorten-Endoprothesen (vascular stenting) bei der thorakalen Aortenruptur berichtet . Vorteile bestehen vor allem bei Patienten, die eine erhebliche Komorbidität aufweisen. Eine gedeckte Perforation muss bei hohem Risiko einer vollständigen Ruptur primär offen operiert werden und stellt eine absolute Operationsindikation dar. Der Zugang der Wahl für die Aortenruptur in loco tipico ist die linksseitige posterolaterale Thorakotomie mit Eingehen im 4. ICR. Bei herznahen Verletzungen der Aorta (A. ascendens) ist die Sternotomie zu wählen (4). Die häufigste Komplikation ist die ischämisch bedingte Paraplegie aufgrund einer verminderten Perfusion der rückenmarksversorgenden Gefäße . Die Verletzungen der supraaortalen Arterienausrisse des Truncus brachiocephalicus aus dem Aortenbogen können bei intakter Adventitia überlebt werden, klinisch muss die Perfusion des rechten Arms überprüft werden. Selten sind Verletzungen der linken A. subclavia oder der A. carotis communis. Der operative Zugangsweg ist die mediane Sternotomie mit zervikaler Erweiterung. Die Versorgung erfolgt durch primäre Naht, häufiger noch durch Implantation einer Gefäßprothese. Von besonderer Schwierigkeit kann der operative Zugang zu den Subklavia-Gefäßen sein. Dies kann eine Resektion der gleichseitigen Klavikel mit hoher Morbidität und Mortalitätsrate erfordern.

Verletzungen der Vena cava und Vena azygos Das venöse System kann auch als Niederdrucksystem aufgrund der mitunter sehr starken Scherkräfte betroffen sein. Derartige Verletzungen finden sich meist bei Hochrasanztraumata . Verletzungen der V. cava selbst sind selten. Bei penetrierenden Verletzungen mit Läsion der oberen Hohlvene erfolgt die Notthorakotomie, gefolgt vom Versuch der primären Naht. Alternativ muss ein vaskulärer Patch eingebracht werden, Stents sind für venöse Verletzungen nicht geeignet .

28.6 Polytrauma mit begleitendem Thoraxtrauma In unserer Industriegesellschaft ist das Thoraxtrauma meist die Folge von Unfällen, insgesamt ist eine Beteiligung des Thorax bei polytraumatisierten Patienten in 50 % der Fälle zu sehen. Neben der akuten respiratorischen Insuffizienz ist die Primärversorgung der Thoraxverletzung wesentlich, da das isolierte schwere Thoraxtrauma bei 5 % und bei polytraumatisierten Patienten bei bis zu 35 % ursächlich zum Tode führt , , , . Eine konsequente und zielgerichtete Behandlungsstrategie ist obligat vorauszusetzen. Jeder polytraumatisierte Patient mit thorakalem Trauma muss ein konventionelles Röntgenbild des Thorax sowie ein Spiral-CT (Traumaspirale) erhalten. Neben der Versorgung etwaiger ABC-Probleme ist nach Komplettierung der Diagnostik einschließlich des thorakalen und abdominalen Ultraschalls (FAST-Protokoll) und 12-Kanal-EKG die frühzeitige Drainagenanlage zu prüfen, die Indikation hierfür wurde bereits ausführlich erläutert. Da sich insbesondere Lungenparenchymverletzungen erst verzögert manifestieren und klinisch apparent werden, ist die stationäre Aufnahme und konsekutive Überwachung inkl. Blutgase für 48 h obligat.

28.7 Operationsindikationen beim Thoraxtrauma Die Indikation zu einer notfallmäßigen operativen Intervention ist selten. Sie ist praktisch immer bedingt durch eine Blutung und sollte sehr genau geprüft werden. Eine absolute Operationsindikation liegt vor, wenn folgende Kriterien erfüllt sind , , :

1. Drainagenblutung von mehr als 400 ml/h 2. Luftfistel mit mehr als 20 % des Atemminutenvolumens 3. Bronchiale Blutung, die nicht endoskopisch beherrschbar ist Weiter besteht eine relative Operationsindikation bei ausgedehnten Verletzungen des Tracheobronchialbaums, bei therapieresistentem Pneumothorax unter suffizienter Drainagentherapie, penetrierenden Thoraxtraumen (inkl. Schuss- und Stichverletzung), thorakalen Pfählungsverletzungen sowie Perikard- und Endokardverletzungen des Herzens. Thorakale Verletzungen der großen Gefäße mit Ausnahme der Pulmonalgefäße können in der Regel interventionell (Stenteinlage) versorgt werden. Der kreislaufinsuffiziente Patient mit Thoraxtrauma ist bei Ausschluss einer anderen zum Schock führenden Verletzung operativ zu explorieren, notfalls auch im Schockraum. Notoperationen oder akute Operationen in der dringlichen Phase sind keine Indikation für die minimalinvasive Thoraxchirurgie, da die therapeutischen Möglichkeiten dieser OP-Verfahren limitiert sind . Deshalb kommt im Notfall eine anterolaterale oder posterolaterale Thorakotomie zum Einsatz. Die Narkose sollte mit Doppellumentubus und seitengetrennter Beatmung erfolgen.

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IV

Tumorchirurgie OUTLINE

KAPITEL 29

Malignes Melanom und andere Hauttumoren Jörg Hauser, Daniel J. Tilkornunter ehemaliger

Mitarbeit von and

Andreas Schmidt-Matthiesen

29.1. 29.1.1. 29.1.2. 29.1.3. 29.1.4. 29.1.5. 29.1.6. 29.1.7. 29.1.8. 29.1.9. 29.1.10. 29.1.11. 29.1.12. 29.2. 29.2.1. 29.2.2. 29.2.3. 29.2.4. 29.2.5.

Vorbemerkung Hauttumoren sind differenzialdiagnostisch und -therapeutisch variantenreiche und individuell zu wertende Neoplasien. Diese Abhandlung beschreibt neben den malignen auch benigne sowie semimaligne Veränderungen, da diese oft ein nicht unerhebliches Potenzial zur malignen Entartung aufweisen. Eine fundierte Kenntnis dieser Tumoren ist für den Chirurgen nicht allein aus therapeutischen, sondern vor allem aus differenzialdiagnostischen Gesichtspunkten essenziell.

29.1 Gutartige und präkanzeröse Veränderungen 29.1.1 Nävi Nävuszellnävi (NZN) bilden eine morphologisch sehr heterogene Gruppe benigner melanozytärer Läsionen. NZN werden aus Nävuszellen gebildet. Diese sind eng mit den dentritischen Melanozyten verwandt, haben jedoch histologisch keine Dendriten, sondern liegen oft in „Zellnestern“ zusammen. Die NZN werden in erworbene Nävuszellnävi und kongenitale Nävuszellnävi unterteilt.

Erworbene Nävuszellnävi Definition und Pathogenese Die Anzahl und Form der gewöhnlichen Muttermale werden von veranlagungsbedingten sowie von äußeren Faktoren beeinflusst. Zu den wichtigsten äußeren Faktoren zählen z. B. die UV-Exposition und Sexualhormone. Die erworbenen NZN sind definitionsgemäß bei der Geburt noch nicht vorhanden, treten jedoch gehäuft im frühen Kindesalter auf. Im Verlauf der Pubertät setzt oft ein deutlicher Wachstumsschub ein. Die Anzahl der Nävi steigt meist sprunghaft an und ist oft begleitet von einer

deutlichen Größenprogredienz und einer Zunahme der dunklen Verfärbung. In der Regel weisen gewöhnliche erworbene NZN eine Größe bis zu 6 mm auf und erreichen ihre maximale Anzahl und Größe in der 3.–4. Dekade. Sich später bildende NZN, sog. „Naevi tardi“, tragen ein höheres Melanomrisiko. Zu den erworbenen NZN gehören z. B. die Junktionsnävi und Compound-Nävi. Die oft früh auftretenden punkt- bis fleckförmig auftretenden Junktionsnävi sind meist braun bis braun-schwarz pigmentiert, papulös und immer scharf begrenzt. Compound-Nävi bilden sich meist aus Junktionsnävi im Laufe der Pubertät. Sie weisen eine heterogene Morphologie auf. Die meist zerklüftete Oberfläche ist oft mit stark pigmentierten Haaren bewachsen. Beim Erwachsenen liegen die Nävuszellnester meist ausschließlich in der Dermis. Bei diesen sog. dermalen Nävi ist die Proliferationsfähigkeit der Nävuszellen erloschen und somit stellen diese Nävi den Endzustand der Nävusentwicklung dar. Daher weisen sie oft typische Rückbildungszeichen wie eine fibromatöse oder lipomatöse Degeneration sowie eine Depigmentierung auf.

Kongenitale Nävuszellnävi Kongenitale Nävuszellnävi sind von Geburt an vorhanden. Diese NZN sind oft unterschiedlich braun und weisen eine Hypertrichose auf. Daher werden sie auch als „Tierfellnävi“ bezeichnet ( ).

ABB. 29.1

Kongenitale Nävuszellnävi. [ ]

Generell weisen kongenitale NZN eine geringere spontane Rückbildungstendenz auf als erworbene NZN und bergen ebenso ein gewisses Entartungspotenzial in sich. Aufgrund dieses Transformationsrisikos sowie ggf. des kosmetisch störenden Aspekts sollten diese Nävi bereits im Kindesalter operativ entfernt werden. Da diese kongenitalen NZN nicht selten sehr großflächig sein können (Riesenpigmentnävus oder Badehosennävus ), werden hier im Rahmen der operativen Therapie oft plastisch chirurgische Maßnahmen wie z. B. Serienexzisionen, Exzisionen mit kombinierter Vollhauttransplantation oder Exzisionen unter Verwendung von Hautexpandern notwendig ( ).

ABB. 29.2

Riesenpigmentnävus. [ ]

Besondere Formen der kongenitalen NZN stellen unter anderem der Spindelzellnävus, der Halonävus sowie der blaue Nävus dar. Bei diesen Nävi handelt es sich in aller Regel um gutartige Veränderungen. Umwandlungen in Melanome kommen zwar vor, sind jedoch insgesamt eher selten. Allerdings können Spindelzellnävi aufgrund ihrer bizzaren, polymorphen Nävuszellen, aber auch blaue Nävi leicht mit malignen Melanomen verwechselt werden. Eine sehr seltene Form der kongenitalen Hautveränderung stellt das Naevus-epidemicus- Syndrom dar ( ). Die Ätiologie dieses Syndroms ist unbekannt. Vermutet wird eine frühembryonale somatische Mutation eines Gens. Prägendes Merkmal dieses Syndroms sind multiple Nävi sebacei, die schon von Geburt an das gesamte Integument und manchmal auch die Mundschleimhaut überziehen. Im Laufe des Lebens treten dann multiple melanozytäre Nävi auf, häufig begleitet von Augenveränderungen, Schädelasymmetrien und einer geistigen Retardierung.

ABB. 29.3

Naevus-epidemicus-Syndrom. [ ]

Da eine erhöhte Gefahr der Entwicklung kutaner Tumoren wie Basalzellkarzinome und spinozellulärer Karzinome besteht, wird die Exzision der Naevi sebacei empfohlen.

Dysplastisches Nävussyndrom Beim dysplastischen Nävussyndrom handelt es sich um ein Syndrom, das entweder sporadisch auftritt oder autosomal-dominant vererbt wird. Diese Patienten sind vor allem im Rumpfbereich übersät mit unterschiedlich geformten und pigmentierten (dysplastischen) Nävuszellnävi. Diese treten meist erst nach der Pubertät auf und vergrößern sich bis zum Ende der 2. Lebensdekade. In der 4. bis 5. Dekade treten oftmals weitere Wachstumsschübe auf. Bei diesen Veränderungen treten besonders häufig maligne Melanome auf. Laut Literatur entstehen mehr als 20 % aller Melanome auf dem Boden eines dysplastischen Nävussyndroms. Beim familiären dysplastischen Nävussyndrom wurde ein molekularer Defekt am Chromosom 9p entdeckt. Diese Patienten entwickeln oft multiple primäre Melanome, meist vom superfiziell spreitenden Typ.

Therapie und Prognose Erworbene NZN müssen nicht generell entfernt werden. Weisen sie jedoch Zeichen einer dysplastischen Entwicklung auf, so sollte eine engmaschige dermatologische Kontrolle und bei fortschreitender Dysplasie eine Exzisionsbiopsie durchgeführt werden. Die Exzision „knapp im Gesunden“ ist auf jeden Fall anderen Therapieformen wie z. B. der Punktionsbiopsie vorzuziehen. Ebenso sollten Junktionsnävi, welche einer ständigen Belastung und somit Traumatisierung ausgesetzt sind (z. B. Nävi an den Handflächen und Fußsohlen), frühzeitig reseziert werden. Die Prognose der erworbenen NZN ist insgesamt als sehr gut einzustufen. Dysplastische Nävi stellen jedoch prinzipiell ein Reservoir für maligne Melanome dar. Daher sollten diese Nävi engmaschig kontrolliert (alle sechs bis zwölf Monate) und bei fortschreitender dysplastischer Entwicklung exzidiert werden. Die Prognose dieser dysplastischen Nävi muss daher vorsichtiger eingestuft werden. Im Rahmen der Therapie des dysplastischen Nävussyndroms steht zunächst die genetische Untersuchung des Patienten sowie der Familienangehörigen im Vordergrund. Träger der Genveränderung sind engmaschig (alle 6 Monate) zu kontrollieren. Sich fortentwickelnde dysplastische Nävi müssen regelmäßig durch Exzisionsbiopsien entfernt und untersucht werden. Nur durch diese Maßnahme kann die Entstehung von Melanomen verhindert werden.

29.1.2 Dermatofibrom Die synonym auch als hartes Fibrom, Histiozytom oder Fibroxanthom bezeichneten Tumoren sind häufig auftretende fibrohystiozytäre Bindegewebsreaktionen. Mit Prädilektion der unteren Extremität treten sie bevorzugt beim weiblichen Geschlecht im Erwachsenenalter auf. Häufig multipel wachsende kreisrunde, derbe Tumoren mit einem Durchmesser von wenigen Millimetern bis zu einem Zentimeter. Die plattenartigen Knoten liegen knapp unter der Epidermis und sind an dieser fixiert. Charakteristisches klinisches Zeichen ist die typische Eindellung der Epidermis auf bilateralen Druck durch das in die Tiefe ausweichende Fibrom. Histologisch weisen sie einen regelmäßigen fibrohystiozytären Aufbau auf. Therapie Nur bei diagnostischer Unsicherheit oder aus ästhetischen Aspekten, Exzision.

Fibroma pendulans Reaktive Hauttumoren mit sehr hoher Inzidenz, welche aufgrund ihres klinischen Aspektes auch als „Skin Tags“ oder Hautanhängsel bezeichnet werden. Sie treten in zwei unterschiedlichen Ausprägungen auf. Entweder als multiple filiforme, bindegewebige Säckchen, vor allem im Bereich der Augenlider, im Nacken, in Achselhöhle und Leiste, oder als solitäre große weiche Fibrome. Histologisch aus lockerem Bindegewebe aufgebaut, können sie als Lipofibrom Fettgewebe enthalten. Therapie Kürettage, elektrokaustische Abtragung oder durch Scherenschlag.

29.1.3 Epidermoidale Hornzyste und Trichilemmalzyste Synonym: Atherom.

Epidermoidale Hornzysten Benigne Tumoren, die durch Obstruktion des Haarfollikelostiums und weiterer Proliferation des infundibulären Follikelepithels entstehen. Diese Hautveränderungen treten überwiegend bei jungen Erwachsenen im Bereich der behaarten Kopfhaut auf.

Trichilemmalzysten Treten solitär oder familiär gehäuft auf, jedoch fast ausschließlich im Bereich des Kapillitiums weiblicher Patienten in der 2 Lebensdekade. Sie treten im Bereich der äußeren Haarwurzel (Trichilem) auf und neigen weniger zu Infektionen.

Therapie Exstirpation in toto.

29.1.4 Verruca seborrhoica Verrucae seborrhoica entsprechen benignen Papillomen der Haut und stellen die häufigsten Tumoren der Haut dar. Als auffällige Effloreszenz der Altershaut werden sie synonym auch als Alterswarzen bezeichnet. Pathologisch lediglich von kosmetischem Interesse, stellen sie eine der wichtigsten Differenzialdiagnosen des malignen Melanoms dar. Klinisch weisen sie einen homogenen Aufbau von regelmäßiger papillärer Struktur auf. Therapie Kürettage.

29.1.5 Keratoakanthom Keratoakanthome sind benigne Tumoren der Haarfollikel mit relativ hoher Inzidenz und Prädominanz des männlichen Geschlechts (2:1). UV-Exposition und chemische Karzinogene gelten als bekannte Risikofaktoren. Histologisch entsprechen sie Tumoren des Follikelinfundibulums. Sie sind gekennzeichnet durch eine hohe Proliferationsrate und wirken daher pseudokanzerös. Klinisch treten sie fast ausschließlich in der UV-exponierten Haut (Gesicht, Kopfhaut etc.) auf. Sie imponieren als rötliche, regelmäßig geformte halbkugelige Knoten, die zentral eine kraterförmige Einsenkung mit zentralem Hornpfropf aufweisen. Eine mögliche maligne Entartung ist nicht abschließend bewiesen. Therapie Exzision in toto mit histologischer Sicherung der Resektionsränder.

29.1.6 Aktinische Keratose Die aktinische Keratose ist ein chronisches UVB-Expositions-induziertes Carcinoma in situ im Bereich der UV-exponierten Haut. Chronische UV-Strahlenexposition führt durch DNA- Veränderungen im höheren Lebensalter zu epithelialen Tumoren mit Prädilektion des Gesichts und der Handrücken. Klinisch imponiert die aktinische Keratose als scharf begrenzte teleangiektatische Effloreszenz mit zunehmender Hyperkeratose. Die Hautveränderungen schreiten nur langsam fort, können aber nach Jahren in ein Plattenepithelkarzinom übergehen. Das Entartungsrisiko dieser Hautveränderungen liegt bei ca. 10 %. Therapie Regelmäßige Kontrollen, Exzision, Kürettage, lokale Therapie mit 5-Fluorouracil.

29.1.7 Erythroplasie Queyrat Die Erythroplasie Queyrat ist ein Carcinoma in situ der Übergangsschleimhaut überwiegend im Bereich der Glans penis und der Labia minora älterer Patienten. Histologisch weisen diese Tumoren das Bild eines Morbus Bowen auf. Klinisch sind sie durch hellrote glänzende Plaques charakterisiert. Die solitären flächigen Läsionen weisen ein langsames Wachstum auf. Therapie Exzision im Gesunden. Alternativen stellen die Kryotherapie und lokale Chemotherapie mit 5-Fluorouracil dar.

29.1.8 Granuloma pyogenicum Ein häufig auftretendes oberflächlich gelegenes erosives kapilläres Angiom. Es handelt sich um einen durch Trauma oder Infekt hervorgerufenen Tumor, der durch eine leukozytäre Reaktion gekennzeichnet ist. Die häufig schmerzhaften, dunkelroten Tumorknoten sind meist erosiv nässend und durch ein schnelles Wachstum charakterisiert. Die Tumoren können generell überall am Körper auftreten, sind jedoch in der Regel akral oder periorifiziell anzutreffen. Therapie Exzision oder elektrokaustische Abtragung.

29.1.9 Solitärer Glomustumor Von den myovaskulären Glomuszellen ausgehende benigne Tumoren. Kleine derbe, sehr druckdolente Tumorknoten mit dunkelroter Verfärbung. Charakteristisch ist der spontan auftretende Schmerz. Die Tumoren treten überwiegend im mittleren Lebensalter auf und sind meist an den Fingerendgliedern lokalisiert. Die subungualen Glomustumoren betreffen überwiegend das weibliche Geschlecht. Therapie Exzision.

29.1.10 Lentigo maligna Synonyme: Melanosis circumscripta praeblastomatosa Dubreuilh, Morbus Dubreuilh, prämaligne Melanose, melanotische Präkanzerose. Es handelt sich um die intraepidermale dysplastische Proliferation von Melanozyten. Betroffen sind bevorzugt über 50-Jährige, Männer doppelt so häufig wie Frauen. In 90 % ist das Gesicht befallen. Differenzialdiagnostisch sind pigmentierte Basaliome, seborrhoische Warzen oder auch Naevi spili und besonders das superfiziell spreitende maligne Melanom (SSM) zu berücksichtigen. Klinisch können sie von Stecknadelkopfgröße bis zu mehrere Zentimeter großen flächenhaften Veränderungen reichen. Es handelt sich um eine obligate Präkanzerose. Ist die Läsion als tastbares Infiltrat oder erhabene Effloreszenz auffällig, ist bereits das maligne Melanom (Lentigo-maligna-Melanom, LMM) manifest geworden. Die Behandlung besteht in der Exzision. Bei größeren oder kosmetisch ungünstig gelegenen Läsionen ist es ratsam, zur Vermeidung unnötig ausgedehnter Exzisionen vorher durch Biopsien eine Lentigo senilis auszuschließen. Eine fraktionierte Bestrahlung kann in Erwägung gezogen werden, wobei damit die Dignität unklar und ein malignes Melanom unbehandelt bleibt, außerdem entstehen Strahlenfolgen. Da die Exzision der Klärung des Melanomverdachts gilt, ein Melanom also nicht ausgeschlossen ist, muss den Regeln der Melanomchirurgie gefolgt werden.

29.1.11 Morbus Bowen Beim Morbus Bowen handelt es sich um eine relativ häufige obligate Präkanzerose. Er ist durch solitäre, scharf begrenzte mittel- bis großlamilläre Plaques gekennzeichnet. Die braun-roten Tumoren weisen eine Prädilektion im Bereich des Stammes, der Unterschenkel sowie der Hand oder Finger auf. Sie treten typischerweise ab der 6. Lebensdekade auf. Neben der UV-Exposition sind chemische Karzinogene (Arsen) bekannte Risikofaktoren. Histologisch entsprechen sie einem Carcinoma in situ mit zahlreichen Zell- und Kernatypien. Therapie Exzision

29.1.12 Morbus Paget Es handelt sich um Tumoren mit zwei unterschiedlichen Manifestationsformen, dem mammären und dem extramammären Morbus Paget.

Mammärer Morbus Paget Perimamilläre infiltrative erythematöse Effloreszenz mit schuppigen Plaques oder Erosionen. Die Mamille kann verzogen oder verstrichen sein. Die vom Epithel der Milchdrüsengänge ausgehenden Tumoren treten im höheren Lebensalter der Frau auf. Eine exakte weiterführende Diagnostik zum Ausschluss eines invasiven duktalen Mammakarzinoms ist obligat. Therapie Exzision im Gesunden.

Extramammärer Morbus Paget

Epidermotropes apokrines Schweißdrüsenkarzinom im Bereich der anogenitalen Region, der Intertrigines und des Bauchnabels. Histologisch entspricht die Manifestation der des mammären Morbus Paget. Therapie Ausschluss anderer, tiefer liegender Tumoren (z. B. Rektumkarzinom). Tumorresektion im Gesunden, plastisch-chirurgische Defektdeckung.

29.2 Malignes Melanom und andere bösartige Hauttumoren 29.2.1 Malignes Melanom Allgemeines – Inzidenz – Ätiologie Das maligne Melanom ist einer der bösartigsten Tumoren. Es weist die höchste Metastasierungsrate maligner Hauttumoren auf und ist für 90 % aller Sterbefälle an Hautumoren verantwortlich. Es ist durch eine frühzeitige lymphogene und hämatogene Metastasierung gekennzeichnet. Vor dem Verdauungstrakt, der Aderhaut, dem HNO- sowie Genitalbereich ist die Haut mit über 90 % der bedeutsamste Sitz der Melanome. Die Bedeutung der Früherkennung und die Identifizierung risikobehafteter Personen machen ein bevölkerungsweites klinisches Screening wünschenswert. Inzidenz Die Inzidenz des malignen Melanoms ist weltweit steigend. In Deutschland kann sie mit 22/100.000 beim Mann und 21/100.000 bei Frauen angenommen werden. In den letzten 10 Jahren ist somit eine jährliche Steigerung von 6,1 % beim Mann und 2,8 % bei der Frau zu verzeichnen. Im Jahre 2008 ist erstmalig eine höhere Inzidenz beim Mann als bei der Frau zu dokumentieren. Für keinen anderen epithelialen Tumor lässt sich eine ähnlich hohe Steigerungsrate beobachten. In Europa besteht ein Süd-Nord-Gefälle. Die höchste Inzidenz wird in Australien beobachtet, während asiatische und farbige Bevölkerungen im Vergleich mit hellhäutigen Populationen gleichen Breitengrades nur etwa 1–25 % der Melanomfrequenz aufweisen. In westlichen Industrieländern hat sich die Inzidenz etwa alle 15 Jahre, die Mortalität alle 30 Jahre verdoppelt. Das weibliche Geschlecht ist mit einer besseren Prognose assoziiert, da sich ihre Melanome häufiger an den Extremitäten finden. Die Häufigkeit der unterschiedlichen Melanomtypen ist lebensaltersabhängig. Im Alter von unter 20 Jahren treten nur etwa 2 % aller malignen Melanome auf. Ätiologie Die Ätiologie ist weitgehend unklar. Sicher ist die Schrittmacherfunktion der UV-Exposition bei Menschen hellen Hauttyps. Etwa 10 % der Melanome gehen aus dem Syndrom der dysplastischen Nävi (DNS) hervor, 50–60 % aus langjährig bestehenden Nävuszellnävi (NZN), 10–30 % aus der Lentigo maligna, und der Rest entsteht vornehmlich auf dem Boden gesunder Haut ( Melanomalignom d ' emblée ). Das Melanomrisiko scheint mit der Zahl erworbener NZN zuzunehmen. Patienten mit > 60 NZN haben gegenüber Personen mit < 10 NZN ein 16-fach höheres Risiko. Das Vorliegen eines dysplastischen Nävus erhöht das Melanomrisiko bereits auf das 30-Fache, die Kombination aus dysplastischem Nävus und familiärer Melanombelastung bedeutet ein 150-faches Melanomrisiko. Als Risikogruppe mit einem deutlich erhöhten Melanomrisiko lassen sich definieren:

• Personen mit multiplen melanozytären Nävi (≥ 100 gewöhnlichen melanozytären Nävi), • Personen mit atypischem Nävussyndrom (≥ 5 atypische melanozytäre Nävi und ≥ 50 gewöhnliche melanozytäre Nävi – mindestens zwei Verwandte ersten Grades) sowie • Patienten mit einem malignen Melanom in der Anamnese. In dieser Hochrisikogruppe führt eine regelmäßige Vorsorgeuntersuchung zu einer früheren Diagnosesicherung des Melanoms. Mutationen in Onkogenen und Tumorsuppressorgenen, die ganz überwiegend durch UV-Strahlen induziert werden, sind ursächlich im Hinblick auf die Entstehung maligner Melanome. Insbesondere eine intermittierende Exposition gegenüber hohen UV-Dosen (z. B. Sonnenbaden) erhöht das Melanomrisiko signifikant. Vor allem die Sonnenexposition in der Kindheit und Jugend ist stark mit einem erhöhten Melanomrisiko assoziiert. Maligne Melanome bevorzugen lichtexponierte Körperregionen, können jedoch überall entstehen. Die bei Männern und Frauen präferierten Körperareale sind in dargestellt.

ABB. 29.4

Geschlechtsabhängig dargestellte Lokalisationshäufigkeiten des malignen Melanoms. [ ]

Initialdiagnostik – Differenzialdiagnosen Entscheidende Bedeutung hat die prophylaktische engmaschige Kontrolle des Integuments bei Menschen mit Hauttyp I und II, d. h. bei hellhäutigen und lichtempfindlichen Personen. Bei familiär belasteten Menschen, v. a. beim DNS, empfehlen sich dermatologische Untersuchungen des Integuments und der Schleimhäute alle 3–6 Monate.

Melanome sind individuell ausgebildete Tumoren, die sich von einfachen Nävi durch Aspekte der ABC-Regel abheben können:

• A = asymmetrische Form; • B = Begrenzung unregelmäßig, unscharf; • C = Kolorit unregelmäßig und dunkel; • D = Durchmesser groß, d. h. über 5 mm; • E = Elevation, d. h. über das Hautniveau erhaben, unebene Oberfläche; sowie durch:

• Vulnerabilität, d. h. Blutungsneigung, Erosion, Ulzeration; • Infiltration des tumorbedeckten und umgebenden Gebiets; • perifokales Erythem; • Satellitenknoten. Differenzialdiagnostisch sind sämtliche pigmentierten Hautveränderungen in Betracht zu ziehen, besonders pigmentierte Basaliome, pigmentierte seborrhoische Warzen, Histiozytome und thrombosierte Angiome/Glomustumoren, die Melanompräkursoren sowie Hautmetastasen. Die ausschließlich klinische Einschätzung melanomsuspekter Formationen hat eine Fehlerquote von 30 %. Das Ausnutzen moderner epilumineszenzmikroskopischer Techniken durch erfahrene Untersucher zur differenzialdiagnostischen Identifizierung suspekter Hautveränderungen ist obligat. Des Weiteren stellen sowohl die Ganzkörperfotografie als auch die sequenzielle digitale Dermatoskopie eine Möglichkeit zur Früherkennung maligner Melanome in Risikokollektiven dar. Die klinische Untersuchung wird durch die Untersuchung des gesamten Integuments auf weitere Melanome bzw. deren Vorläufer und die Abklärung regionaler Lymphknotenstationen komplettiert. Der Verdacht auf ein malignes Melanom liegt nahe, wenn die Differenzialdiagnosen oder die genannten Kriterien vorliegen, Nävi progredient oder im Wandel befindlich sind ( ), und es besteht die uneingeschränkte Indikation zur vollständigen Exzision im Gesunden.

Tab. 29.1 Warnzeichen für die Entwicklung eines Melanoms. • Größenzunahme • Blutung • Juckreiz • Farbwandel, auch nur abschnittsweise • Veränderung der Oberflächenbeschaffenheit • Entzündung • polyzyklische Randveränderungen • multiple neu aufgetretene Nävi • Infiltration

Die großzügige Indikationsstellung zur Exzision mit histologischer Untersuchung ist die wirksamste Strategie gegen die melanombedingte Sterblichkeit. Der Zweifelsfall stellt bereits das Erfordernis einer Exzision dar. Zur histologischen Diagnosesicherung ist die Beurteilung des Gesamttumors erforderlich. Daher ist prinzipiell eine Resektion in toto erforderlich. Ein lateraler Sicherheitsabstand von ca. 2 mm wird empfohlen. Im Rahmen der Exzisionsbiopsie soll der Tumor zur Tiefe bis in das Fettgewebe exzidiert werden. Ein weiter ausgedehnter Sicherheitsabstand kann durch die Zerstörung der Lymphabflusswege die Lokalisation des Sentinel-Lymphknotens erschweren. In besonderen Fällen, in denen aufgrund der Flächenausdehnung im Gesicht oder an den Akren eine primäre diagnostische Exzision schwierig ist, kann unter genauen Angaben zum klinischen Erscheinungsbild des Tumors eine Probebiopsie (Stanz-/Flachbiopsie) oder eine Teilexzision erfolgen. Hierdurch ergibt sich keine Verschlechterung der Prognose für den Patienten.

Weiterführende Diagnostik Maßnahmen der weiterführenden Diagnostik werden, außer in Fällen makroskopisch sicherer Diagnose, erst nach der histologischen Abklärung eines initial suspekten klinischen Befundes und vor der definitiven chirurgischen Therapie durchgeführt. Sie sind für Tumordicken unter 1 mm verzichtbar und dienen bei dickeren Primärtumoren der Evaluierung einer eventuellen Fernmetastasierung. Laut den aktuellen S3-Leitlinien [30] werden sowohl die Lymphknoten-Sonografie als auch die Bestimmung des Tumormarkers S100B standardmäßig gefordert. Bis zu einem Tumorstadium IIB (Primärtumor 2,01–4 mm, mit Ulzeration, ohne regionäre Lymphknotenmetastasen, ohne Fernmetastasen) ist die weitere Ausbreitungsdiagnostik symptomabhängig. Bei asymptomatischen Patienten im Stadium IIB wird entsprechend den Leitlinien keine Empfehlung zur standardmäßigen Durchführung weiterer Staging-Untersuchungen (MRT Kopf, Schnittbildgebung – Ganzkörper ohne Kopf –, Röntgen-Thorax, AbdomenSonografie, Skelettszintigrafie, Tumormarker LDH, PET/CT, MRT) ausgesprochen. Eine lokoregionale Lymphknoten-Sonografie soll bei Patienten mit einem primären malignen Melanom ab einem Stadium IB (≤ 1,0 mm mit Ulzeration oder einer Mitoserate/mm 2 ≥ 1, N0, M0) durchgeführt werden. Unter Berücksichtigung konventioneller sonografischer Kriterien weist sie eine Sensitivität und Spezifität von ca. 80 % auf und bietet somit eine signifikant erhöhte Diskriminationsrate gegenüber der rein palpatorischen Untersuchung. Patienten im Stadium IIc (> 4 mm mit Ulzeration, N0, M0) hingegen weisen ein deutlich höheres Rezidivrisiko auf und sollen aufgrund dessen bezüglich der Staging-Untersuchung wie Patienten im Stadium III behandelt werden. In diesem Patientenkollektiv umfasst die Ausdehnungsdiagnostik routinemäßig folgende diagnostischen Untersuchungen: MRT – Kopf, Schnittbildgebung (Ganzkörper ohne Kopf) (PET/CT, CT, MRT), Lymphknoten-Sonografie, Tumormarker S100B, Tumormarker LDH.

Melanomtypen

Superfiziell spreitendes malignes Melanom (SSM) Synonym: pagetoides Melanom. Der Anteil im hellhäutigen Krankengut beträgt etwa 60 bis 70 %. Vertikales Ausbreitungsverhalten findet sich erst spät, zumal das SSM ein langsames Wachstum aufweist. Wegen des lange horizontalen Ausbreitungsverhaltens wird das SSM auch – fälschlicherweise – als „Melanoma in situ“ bezeichnet. Anamnese von 2–5 Jahren. Primär noduläres malignes Melanom (NM, NMM) Synonym: knotiges Melanom. Dieser Typ macht 15–20 % der Melanome aus und zeigt frühzeitig ein vertikales Wachstum, wobei er die schlechteste Prognose aller Melanomtypen aufweist. Ulzerations- und Blutungsneigung. Es kann auf dem Boden eines NZN, aber auch auf unveränderter Haut entstehen. Kurze Anamnese von 6–20 Monaten. Lentigo-maligna-Melanom (LMM) An lichtexponierten Arealen (vornehmlich Gesicht, Hals, Hände, Unterarme) der meist über 60 Jahre alten Patienten entwickeln sich im Bereich der oft großflächigen Präkanzerose deutlich dunklere Knoten, die invasives, später vertikales Wachstum aufweisen. Etwa 5–10 % der Melanome. Eher günstigere Prognose. Akrolentiginöses malignes Melanom (ALM) Synonym: akral lentiginöses Melanom. Charakterisiert durch seinen Sitz an den Phalangen, aber auch plantar, palmar und in der Mund- und Anogenitalschleimhaut anzutreffen. Klinisch äußerst variantenreich, kann es sich initial nur durch gestörtes Nagelwachstum erkennbar machen. Altersmedian 65 Jahre. Bei dunkelhäutigen Menschen der häufigste Melanomtyp. Bei anorektaler Lokalisation extrem schlechte Prognose mit einer 5-Jahres-Überlebensrate < 10 %. Amelanotisches malignes Melanom (AMM) Synonym: amelanotisches Melanomalignom. Primär oder sekundär melaninfreie Tumoren (meist NM), deren Metastasen jedoch selten melanotisch sein können. Meist an den Extremitäten (z. B. Fußsohle) gelegen und klinisch nicht zu diagnostizieren. Unklassifizierbares Melanom (UCM) Maligne Melanome, die den anderen Typen nicht zuzuordnen sind. Metastasierendes malignes Melanom unbekannten Primärtumors Synonym: okkultes Primärmelanom. In solchen Fällen können sogar Leukometastasen (amelanotische Metastasen) vorliegen, die die Diagnose erschweren. Ob es sich um primär in Lymphknoten, Gastrointestinaltrakt oder anderweitig extradermal entstandene Melanome oder um Metastasen eines spontan remittierten Melanoms handelt, bleibt im Einzelfall unklar. Die Suche nach dem Primarius sollte augen-, HNO-ärztliche, gynäkologische und anorektale Untersuchungen einbeziehen.

Metastasierungsverhalten – Stadieneinteilungen D i e Metastasierung der Melanome erfolgt lymphogen als Hautmetastasen in die peritumorale Region mit bis 2 cm Distanz zum Primärtumor ( Satellitenmetastasen ), in die Abstromstrecke zwischen Primärtumor und den regionalen Lymphknotenstationen mit über 2 cm Entfernung vom Primärherd ( In-Transit-Metastasen ) und in die regionalen sowie von dort aus in die juxtaregionalen Lymphknoten. Eine lymphogene Mikrometastasierung ist bekannt. Der lymphogenen kann eine hämatogene Aussaat vorangehen. D i e Stadieneinteilungen orientieren sich an der Ausdehnung des Primärtumors und an der Metastasierung. u n d geben die klinisch-pathologische Klassifikation gemäß des American Joint Committee on Cancer (AJCC) wieder. Für die Einschätzung der Prognose und die Therapie des Primärtumors sind die Tumordicke nach Breslow und die Eindringtiefe nach Clark unverzichtbar. Während der Clark-Level sich an der relativen Tumorausdehnung, d. h. an der Invasion in definierte Bauschichten der Haut, orientiert ( ), bestimmt Breslow die maximale absolute Tumordicke in Millimetern. Je nach Körperregion ist die Dicke der Hautschichten unterschiedlich, weshalb die beiden Einteilungen nicht korrelieren.

Tab. 29.2 TNM-Klassifikation des malignen Melanoms pT – Primärtumor unter Berücksichtigung von Tumordicke (Breslow) und Level (Clark) pTx

Stadium nicht bestimmbar

pT0

Kein Primärtumor

pTis

Melanoma in situ (Clark-Level I): atypische Melanozytenhyperplasie, schwere Melanozytendysplasie, keine invasive Läsion

pT1

Tumordicke ≤ 1 mm pT1a: Clark-Level II oder III, ohne Ulzeration, Mitosen < 1/mm 2 pT1b: Clark-Level IV oder V mit Ulzeration oder Mitoserate/mm 2 ≥ 1

pT2

Tumordicke > 1 mm, aber nicht mehr als 2 mm pT2a: ohne Ulzeration pT2b: mit Ulzeration

pT3

Tumordicke > 2 mm, aber nicht mehr als 4 mm pT3a: ohne Ulzeration pT3b: mit Ulzeration

pT4

Tumordicke > 4 mm pT4a: ohne Ulzeration pT4b: mit Ulzeration

(p)N – regionäre Metastasen (p)Nx

regionäre Lymphknoten nicht beurteilbar

(p)N0

keine regionären Lymphknotenmetastasen

(p)N1

Metastase in einem solitären regionären Lymphknoten (p)N1a: nur mikroskopische Metastase (klinisch okkult) (p)N1b: makroskopische Metastase (klinisch nachweisbar)

(p)N2

Metastasen in 2 oder 3 regionären Lymphknoten oder Satellitenmetastase(n) oder In-Transit-Metastasen (p)N2a: nur mikroskopische Metastase (klinisch okkult) (p)N2b: makroskopische nodale Metastase (p)N2c: Satellit(en)- oder In-Transit-Metastase(n) ohne regionäre Lymphknotenmetastasen

(p)N3

Metastasen in 4 oder mehr regionären Lymphknoten oder verbackene regionäre Lymphknotenmetastasen oder Satellit(en)- oder In-TransitMetastase(n) mit regionären Lymphknotenmetastasen

(p)M – Fernmetastasen (p)Mx

Das Vorhandensein von Fernmetastasen ist nicht beurteilbar

(p)M0

keine Fernmetastasen

(p)M1

Fernmetastasen (p)M1a: Metastasen in Haut, Subkutis oder Lymphknoten juxtaregionär (p)M1b: Lungenmetastasen (p)M1c: Fernmetastasen anderer Lokalisation oder Fernmetastasen jeder Lokalisation mit erhöhten Serumwerten der LDH

Klassifizierungen nur anhand einer Sentinel-Lymphknoten-Untersuchung werden durch den Zusatz „(sn)“ gekennzeichnet, z. B. pN1 (sn). .

Tab. 29.3 Stadieneinteilung des malignen Melanoms Stadium 0

pTis N0 M0

Stadium I

pT1 N0 M0

Stadium IA

pT1a N0 M0

Stadium IB

pT1b N0 M0 pT2a N0 M0

Stadium IIA

pT2b N0 M0 pT3a N0 M0

Stadium IIB

pT3b N0 M0 pT4a N0 M0

Stadium IIC

pT4b N0 M0

Stadium III

jedes T pN1–3 M0

Stadium IIIA

pT1a–4a pN1a, 2a M0

Stadium IIIB

pT1a–4a pN1b, 2b, 2c M0 pT1b–4b pN1a, 2a, 2c M0

Stadium IIIC

pT1b–4b pN1b, 2b M0

Stadium IV

jedes T jedes N M1

.

Malignes Melanom. Invasionslevel I bis V nach Clark.Level I: ausschließlich Infiltration der EpidermisLevel II: Infiltration bis ins Stratum papillare reichend.Level III: Infiltration gesamtes Stratum papillare bis zur Grenze des Stratum reticulare (oberes Korium).Level IV: Infiltration mittleres und unteres Korium. Level V: Infiltration der Subkutis. [ ] ABB. 29.5

Die Tumordicke nach Breslow hat sich als wichtigster prognostischer Faktor in den Primärstadien des Melanoms herausgestellt und wird in der TNMKlassifikation berücksichtigt. Die Mitoserate bei dünnen Primärmelanomen bis 1 mm Tumordicke besitzt einen hohen prädiktiven Stellenwert und korreliert signifikant mit dem 10Jahres-Überleben. In der aktuellen Klassifikation wird daher neben der Tumordicke und der Ulzeration auch die Mitoserate für Primärtumoren ≤ 1 mm berücksichtigt. Die pT-Zuordnung im TNM-System der UICC nimmt auf beide Systeme Bezug. Satelliten- (< 2 cm vom Tumor) und In-Transit-Metastasen (> 2 cm vom Tumor) werden in die Lymphknotenmetastasierung eingearbeitet. Für die pN0-Kategorie besteht die Forderung nach mindestens 6 untersuchten Lymphknoten. Sollte die Lymphknotenmetastasierung nur durch die Sentinel-Lymphknoten-Untersuchung gesichert sein, findet dieser Umstand in der Kategorie pN1(sn) seinen Niederschlag.

Therapie des malignen Melanoms Primärtherapie: Resektion des Primärtumors Die chirurgische Exzision des Tumors stellt die einzige kurative Therapie des Melanoms dar. Die Exzision sollte zur Tiefe bis zur Faszie erfolgen. In besonderen anatomischen Lokalisationen, die keine kontinuierliche Faszie aufweisen (z. B. Gesicht oder Hals), muss der vertikale Sicherheitsabstand den anatomischen Gegebenheiten angepasst werden (z. B. bis zum Periost oder bis zum Perichondrium). Die Zahl von „Mikrosatelliten“, d. h. von Melanomzellnestern, nimmt exponentiell bis zur Distanz von 10 mm gegen null ab. Melanome höherer Tumordicke neigen zu vermehrter Bildung solcher Zellnester, deren prognostische Bedeutung unsicher ist. Hinsichtlich des Resektionsausmaßes in der primären Lokaltherapie des Melanoms ist ein Bewusstseinswandel eingetreten und es sind zahlreiche Studien mit Evidenzniveau 1 unternommen worden, die sämtlich bezüglich des krankheitsfreien Intervalls und des Gesamtüberlebens keine signifikanten Unterschiede zwischen unterschiedlich ausgedehnten Resektionen zeigen konnten ( ). Lediglich das Auftreten von Lokalrezidiven konnte z. T. durch ausgedehntere Primärresektionen günstig beeinflusst werden. Da die Studien unterschiedlich gestaltet waren, leiten die Autoren z. T. unterschiedliche Empfehlungen zum Resektionsausmaß aus ihren Ergebnissen ab. Die Frage des definitiven Sicherheitsabstands kann daher derzeit anhand randomisierter Studien noch nicht abschließend beantwortet werden.

Tab. 29.4 Studien zur Exzisionsweite.

Publikation

Patientenzahl (n)

Resektionsabstände (cm)

Tumordicke (mm)

medianes Follow-up (Jahre)

Tumorsitz

KFÜ



Evidenzniveau

Veronesi et al. 1988 [45]

612

1 vs. 3

1,9

5

Rumpf, Extremitäten

n. s.

n. s.

1b

900

KFÜ = krankheitsfreies Überleben; GÜ = Gesamtüberleben; n. s. = kein signifikanter Unterschied zwischen den Gruppen

Die aktuellen S3-Leitlinien [30] fassen diese Erkenntnisse zusammen und empfehlen bei Primärtumoren jeglicher Dicke mit Ausschluss von Lymphknotenund Fernmetastasen, d. h. für die Stadien I–IIC, die Exzisionsweite an der Tumordicke zu orientieren. Tumoren mit einer Tumordicke nach Breslow < 2 mm (pT1, pT2) sollten mit einem Sicherheitsabstand von 1 cm exzidiert werden, Tumoren mit einer Tumordicke von 2–4 mm (pT3, pT4) mit einem Sicherheitsabstand von 2 cm. Für In-situ-Melanome oder eine Lentigo maligna ist ein Sicherheitsabstand von 5 mm ausreichend. Die Muskelfaszie ist nur bei hinreichendem Verdacht auf Infiltration dem Resektat zuzuschlagen, andernfalls zu belassen ( ).

Tab. 29.5 Schnittränder bei Resektion eines malignen Melanoms in kurativer Absicht Tumordicke

Resektionsausmaß

< 2 mm

1 cm

2–4 mm

2 cm

Resektionsausmaß = Abstand zwischen makroskopischem Tumorrand und Schnittrand .

Dem Bedürfnis des Patienten nach möglichst unwesentlich beeinträchtigter körperlicher Integrität sollte durch Einsatz plastisch-chirurgischer Verfahren mit suffizientem, kosmetisch ansprechendem Defektverschluss entsprochen werden. Kosmetische Aspekte sollten bei der Verfahrenswahl zum Defektverschluss, nicht aber beim Resektionsausmaß Berücksichtigung finden. Deshalb ist präoperativ der Einsatz plastisch-chirurgischer Maßnahmen mit suffizientem, kosmetisch ansprechendem Defektverschluss zu planen. Dies können Verschiebeschwenklappenplastiken, aber auch Vollhauttransplantate sein, die z. B. aus dem angrenzenden Bereich bereits vorhandener Narben (z. B. Appendektomie) entnommen werden können. So werden keine weiteren Narben generiert, was für den Patienten kosmetisch vorteilhaft ist ( ). Bei sehr tiefen, ausgedehnten und superinfizierten Tumoren oder phlegmonöser Umgebungsreaktion ist u. U. der Verzicht auf eine primäre Deckung zugunsten einer primären Vakuumversiegelung mit sekundärer Defektdeckung nach Abklingen des Infekts vorteilhaft.

Defektverschluss. a) Präoperativer Befund eines fortgeschrittenen malignen Melanoms im Bereich des Daumens. b) Postoperativer Zustand nach erfolgter Amputation des Daumens und nachfolgender Rekonstruktion mittels mikrovaskulär anastomosierter zweiter Zehe (Entnahme linker Fuß). c) Funktionsaufnahme der Hand nach erfolgter Daumenrekonstruktion. d) Hebedefekt nach erfolgter Entnahme der zweiten Zehe des linken Fußes. [ ] ABB. 29.6

Lokalisation an Hand und Fuß Bei Sitz an den Fingern sollte bei Melanomen geringer Dicke eine lokale Exzision unter Berücksichtigung des Sicherheitsabstands entlang der Lymphabstromrichtung erfolgen. Ausdehnung bzw. Sitz des Melanoms können Exartikulationen erforderlich machen. Bei subungualen Melanomen kann die Entfernung mit 3-D-Histologie und tumorfreien Schnitträndern unter Einschluss der Nagelmatrix als Strategie angesehen werden, um Amputationen zu verhindern, ohne die Prognose zu beeinträchtigen. Nur bei Fällen des subungualen Melanoms mit knöcherner Beteiligung oder Gelenkbeteiligung ist in der Regel eine Amputation notwendig. Die Greiffunktion der Hand verlangt u. U. primär rekonstruktive Eingriffe, weshalb eine frühzeitige Kontaktaufnahme mit einem entsprechend spezialisierten Zentrum anzustreben ist. Bei grundgelenksnahem Sitz ist ggf. die Resektion bis in den Mittelhand- oder Mittelfußknochenbereich erforderlich. Andere Lokalisationen an der Hand gestatten meist nur Sicherheitsabstände von 1–2 cm, die zur Sicherstellung der lokalen Radikalität nicht unterschritten werden sollten. Die Defektdeckung ist in der Regel durch Spalt- oder (besser) Vollhauttransplantate möglich, da die mechanische Belastung der Hand, anders als beim Fuß, gering ist. Bei Tumorsitz in der plantaren Belastungszone sollte mithilfe plastisch-rekonstruktiver Techniken eine Defektdeckung mit gut durchbluteten und belastbaren Lappen angestrebt werden, die im Idealfall über eine eigene Sensibilität verfügen. Verfahren der Defektdeckung, die keine eigene sensible Versorgung besitzen, sind häufig mit einer erheblichen Folgemorbidität belastet. Lokalisation im Gesicht Bei Melanomen im Gesicht handelt es sich häufig um LMM mit niedrigen Tumorstadien, sodass in der Regel Sicherheitsabstände jenseits von 1 cm nicht erforderlich sind. Die Schnittführung berücksichtigt unter Beachtung der Sicherheitsabstände die Hautspaltlinien und die Erfordernisse des primären, kosmetisch ansprechenden Wundverschlusses. Anorektale Lokalisation Anorektale Lokalisationen machen etwa 0,5–2 % aller Melanome aus, ferner 0,5–1 % aller anorektalen Malignome. Meist erkranken Patienten in der 6. Lebensdekade, häufiger Frauen. Es gibt Hinweise, dass männliche Patienten eine bessere Prognose aufweisen. Das häufigste Symptom ist die lokale Blutung, gefolgt von uncharakteristischen Beschwerden und palpablem Tumor. Im Gegensatz zu höheren Lokalisationen im Rektum können anorektal lokalisierte Melanome frühzeitig über die V. cava in die Lunge metastasieren, ferner lymphatisch in die inguinalen Lymphknoten. Ca. 20 % der Patienten weisen bei Diagnosestellung palpable inguinale Lymphknotenmetastasen auf, während sich ca. 35 % aller Patienten bereits in einem insgesamt metastasierten Stadium befinden. Das 5-Jahres-Überleben liegt unter 10 %. Für eindeutig oberhalb der Linea dentata gelegene Melanome gelten hinsichtlich der chirurgischen Behandlung die Regeln des Rektumkarzinoms, wodurch die zugehörigen Lymphknotenstationen zuverlässig chirurgisch eliminiert werden. Tumoren im anorektalen Übergangsbereich können entweder durch eine abdominoperineale Rektumexstirpation therapiert werden, die dem lokalen Tumorsitz folgend perineal oder gluteal ausgedehnt wird, oder durch eine je nach Tumorgröße und Tumorsitz gestaltete sphinktererhaltende lokale weite Exzision mit 1–2 cm Sicherheitssaum. Die radikaler wirkende Rektumexstirpation hat in sämtlichen Untersuchungen, inkl. einer Metaanalyse mit Daten von 426 Patienten, keinen Vorteil für das krankheitsfreie und das Gesamtüberleben deutlich gemacht. Die Wahl für das Behandlungsverfahren muss sich somit an den individuellen Gegebenheiten orientieren [6]. Patienten mit metastasiertem anorektalem Melanom konnten in einer retrospektiven Auswertung des MD Anderson Cancer Center in Houston unter Verwendung unterschiedlicher Protokolle durch Biochemotherapie, d. h. die Kombination von Polychemotherapie und verschiedenen Immunotherapeutika, zu 44 % in signifikante Remissionen gebracht werden, bei 11 % wurden Komplettremissionen beobachtet, wobei die Zeit zur Progression mit sechs Monaten vergleichsweise niedrig war [20]. Besonderheiten bei Melanomen der Stadien IIIA–C und IV In den Stadien IIIA–C (Lymphknoten-/Satelliten-/In-Transit-Metastasen) und im Stadium IV (Fernmetastasen) gelten die o. g. Sicherheitsabstände und

technischen Überlegungen ebenfalls. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die örtliche Radikalität ausschließlich der Prävention eines Lokalrezidivs oder lokaler Tumorkomplikationen wie Exulzeration, Superinfektion usw. dient und ohne Einfluss auf die Gesamtprognose bleibt. Deswegen sollten lokal ausgedehnte, womöglich mutilierende Operationen nur unter sorgfältiger Abwägung der örtlichen Morbidität und der Gesamtprognose erfolgen. Bei Tumorsitz in geringer Distanz zur befallenen Lymphknotenstation, z. B. am proximalen Oberschenkel, sollten Primär- und Lymphknotentumor en bloc reseziert werden. Dies gilt sinngemäß auch für Satelliten und in geringer Entfernung zum Primärtumor gelegene In-Transit-Metastasen.

Sentinel-Lymphknoten-Biopsie, elektive Lymphadenektomie Als Sentinel- Lymphknoten, auch als (Schild-)Wächterlymphknoten bezeichnet, ist der regionäre Lymphknoten definiert, der als erster vom lymphatischen Abfluss des Primärtumors erreicht wird. Das Konzept geht davon aus, dass der Befallsstatus dieses Lymphknotens eine repräsentative Indikatorfunktion für die gesamte Lymphknotenstation ausübt. Falsch negative Resultate sind in 4,5 % zu erwarten. Bei knapp 1.200 Patienten fanden sich bei Melanomen von mindestens 1 mm Dicke in 24 % befallene Sentinel-Lymphknoten [26]. Die Sentinel-Lymphknoten-Biopsie ist für alle Melanome ab 1 mm Dicke ohne Hinweis auf eine lokoregionale oder Fernmetastasierung zu empfehlen. Bei zusätzlichen Risikofaktoren, wie z. B. Ulzeration und/oder erhöhter Mitoserate sowie einem Lebensalter < 40 Jahren, ist auch bei dünneren Primärtumoren (0,75–1 mm) eine Wächterlymphknotenbiopsie angeraten. Bei Nachweis eines befallenen Sentinel-Lymphknotens fand sich bei annähernd 400 Patienten eine signifikant schlechtere Prognose für das krankheitsfreie Intervall und das Gesamtüberleben [4]. Es gibt Hinweise, denen zufolge medikamentös behandelte Patienten mit okkulter Lymphknotenmetastasierung, wie sie durch Sentinel-Lymphknoten-Biopsie detektiert wird, ein besseres Ansprechen auf systemische Behandlungen bieten als solche mit klinisch evidenter Lymphknotenmetastasierung. Bei positivem Sentinel-Lymphknoten besteht die Indikation zur vollständigen Ausräumung der betreffenden Lymphknotenstation. Die Lymphabflusswege sollten durch eine präoperative Lymphszintigrafie lokalisiert werden. Der Sentinel- Lymphknoten wird durch Aufnahme eines peritumoral injizierten Tracers sichtbar gemacht. Hierfür werden 0,2 ml Technetium-markierten Nanokolloids im Abstand von 5–10 mm semizirkulär um den Tumor subdermal injiziert. Bei Tumoren mit potenziell bi- oder multidirektionalem Lymphabfluss, z. B. am Stamm, wird der Tracer im Sinn einer Vier-Punkte-Injektion zirkulär appliziert. Findet die Untersuchung nach bereits erfolgter Primärtumorentfernung statt, erfolgt die Injektion im Abstand von ca. 5 mm zur Narbe. Bereits nach weniger als einer Stunde lässt sich szintigrafisch der Abfluss der Radioaktivität darstellen, die sich nach 24 Stunden zuverlässig im Sentinel-Lymphknoten szintigrafisch und mit einer intraoperativ vom Chirurgen applizierten Gammasonde nachweisen lässt. Die Sentinel-Lymphknoten-Biopsie sollte deshalb 20–24 Stunden post injectionem erfolgen. Bei Aufsuchen des radioaktiv markierten Lymphknotens sollte stumpf und unter Vermeidung von Blutungen präpariert werden, um den Austritt des Tracers zu vermeiden. Nach Entfernung des betreffenden Lymphknotens ist das Operationsgebiet nach weiteren radioaktiv markierten Lymphknoten abzusuchen. Diese sind bei Nachweis zu exstirpieren. Eine derartige Konstellation ist in über 10 % anzutreffen. Falsch negative Resultate der Sentinel-Lymphknoten-Markierung sind in 4,5 % zu erwarten. Die mit dieser Methode in Umlauf gebrachte Radioaktivität ist für den Patienten, das Operationsteam und die untersuchende Pathologie gering, erfordert jedoch strahlenhygienische Maßnahmen. Als weiteres Markierungsverfahren wird die Injektion von Patentblau-Lösung eingesetzt. Sie macht intraoperativ durch die intensive Färbung auch Lymphbahnen sichtbar. Patentblau wird kurz vor der Operation appliziert. Sein Nachteil ist, dass durch Verbleiben der intensiven Farbe auch die histologische Untersuchung des Primärtumors beeinträchtigt sein kann. Die Ausbeute an verwertbaren SentinelLymphknoten wird bei Kombination beider Methoden als etwa 10 % höher angesehen. Bei der histologischen Aufarbeitung der Sentinel-Lymphknoten wird mittels immunhistochemischer Verfahren (z. B. S-100, HMB-45) durch Nachweis von Mikrometastasen eine höhere Ausbeute involvierter Lymphknoten erreicht. Für die Durchführung einer elektiven, also „prophylaktischen“ Lymphadenektomie ohne vorherigen Nachweis einer Metastasierung besteht keine Evidenz. Sie wird daher nicht empfohlen. Sämtliche validen Studien zeigen keine Therapievorteile, allerdings eine erhebliche Morbidität ( ). Zur Technik der Lymphadenektomie siehe Abschnitt „Lymphadenektomie“.

Tab. 29.6 Studien zur elektiven Lymphadenektomie.

Publikation Sim et al. 1978 [33]

Patientenzahl (n) 173

Tumorsitz

Tumordicke (mm)

Followup Resultat (Gesamtüberleben) (Jahre)

Evidenzniveau

alle außer Rumpf-Mittellinie und direkte Nähe zur Lymphknotenstation

alle

5

kein signifikanter Vorteil

1b

Veronesi et al. 553 1982 [44]

Extremitäten

alle

> 10

kein signifikanter Vorteil

1b

Cascinelli et al. 1998 [7]

240

Rumpf

> 1,5

5

kein signifikanter Vorteil

1b

Balch et al. 1996 [2]

740

alle

1–4

5

Gesamtkollektiv: kein signifikanter Vorteil; < 60 Jahre: signifikanter Vorteil

1b

Adjuvante Chemotherapie Große prospektiv-randomisierte und multizentrische Studien haben zuverlässig einen positiven Effekt der adjuvanten Mono- oder Polychemotherapie ausgeschlossen, eine Studie mit DTIC (Dacarbazin) musste sogar nachteilige Effekte registrieren ( )

Tab. 29.7 Prospektiv randomisierte Studien zur adjuvanten Chemotherapie. Publikation

Protokoll

Resultat

Evidenzniveau

Hill et al. 1981 [13]

DTIC

Kontrollgruppe besseres KFÜ

1b

Veronesi et al. 1982 [43]

DTIC

kein Vorteil

1b

Balch et al. 1984 [1]

DTIC + Cyclophosphamid

kein Vorteil

1b

Tranum et al. 1987 [40]

BCNU, Hydroxyurea, DTIC

kein Vorteil

1b

Saba et al. 1992 [32]

DTIC, BCNU, Cisplatin, Tamoxifen

kein Vorteil

1b

Stables et al. 1992 [36]

Bleomycin, Vindesin, CCNU, DTIC

kein Vorteil

1b

Karakousis und Blumenson 1993 [18]

BCNU, Actinomycin D, Vincristin

kein Vorteil

1b

Pectasides et al. 1994 [29]

DTIC, Vindesin, Cisplatin

kein Vorteil

1b

BCNU = Bischloräthylnitrosoharnsäure; CCNU = Chloräthylcyclohexylnitrosoharnsäure; DTIC = Dacarbazin; KFÜ = krankheitsfreies Überleben

Adjuvante Interferontherapie Es existiert eine Fülle von Mitteilungen bzgl. der adjuvanten Therapie von Hochrisikopatienten mit Interferon-α. Die Studien schließen in der Regel Patienten ein, die entweder primäre Tumordicken von > 1,5 mm und/oder primär positive Lymphknotenmetastasen aufweisen. Zwei in den Jahren 2003 und 2004 erschienene Metaanalysen mit 9 bzw. 14 eingeschlossenen prospektiv randomisierten Studien zeigen übereinstimmend den positiven Effekt einer hoch dosierten Interferongabe, meistens über 2 Jahre, auf das krankheitsfreie Überleben, nicht jedoch für das Gesamtüberleben. Während die größere der beiden Metaanalysen [46] für eine niedrig dosierte Interferongabe keine Vorteile gegenüber einer ausschließlich beobachtenden Vorgehensweise ermittelt, stellt sich in der kleineren, etwas anders konzipierten Metaanalyse [31] auch für niedrig dosierte Interferongaben ein günstigeres krankheitsfreies Überleben dar. Etwa die Hälfte der Studien mit niedrig dosiertem Interferon zeigt auf das krankheitsfreie Überleben einen positiven Einfluss. Eine weitere prospektiv randomisierte Studie zur adjuvanten niedrig dosierten Interferongabe an fast 700 Patienten zeigte weder für krankheitsfreies noch für das Gesamtüberleben Therapievorteile, musste jedoch 15 % der Patienten nach durchschnittlich 6 Monaten aus Toxizitätsgründen ausschließen. Deutlich zeigen viele Studien, dass v. a. hoch dosierte, intravenös applizierte Therapieprotokolle mit einer erheblichen Toxizität versehen sind, sodass Patienten mit signifikanter Komorbidität für dieses Regime nicht geeignet erscheinen. Bei Analyse der lymphknotenpositiven Patienten deutet sich an, dass die Lymphknotenpositivität infolge eines positiven Sentinel-Lymphknotens zu einem besseren Therapieerfolg führt als eine klinisch evidente, gewissermaßen makroskopische Lymphknotenmetastasierung. In den neuesten Studien konnte jedoch belegt werden, dass eine Interferontherapie einen kleinen, aber signifikanten Vorteil für das Gesamtüberleben sowie einen signifikanten Vorteil bezogen auf das progressionsfreie Überleben hat [10], [27], [42]. Daher sollte laut der aktuellen evidenzbasierten Empfehlung Patienten in den Tumorstadien IIB/C und IIIA-C eine adjuvante Interferontherapie angeboten werden.

Adjuvante Biochemotherapie Der Begriff „Biochemotherapie“ bezeichnet Therapieprotokolle, die sich auf eine Kombination von immunologisch aktiven Substanzen und Chemotherapeutika stützen. Diesbezüglich liegt kein Ergebnis prospektiv randomisierter Untersuchungen vor. Die meisten dieser Berichte beziehen sich auf das metastasierte maligne Melanom.

Adjuvante nichtspezifische Immunstimulation Das Anthelminthikum Levamisol wurde in den 1980er-Jahren aufgrund seiner bekannten immunstimulatorischen Eigenschaften in der adjuvanten Therapie des Melanoms untersucht. Allerdings ergab eine Metaanalyse von insgesamt vier Studien keinen signifikanten Benefit im Hinblick auf das Mortalitätsrisiko. Daher wird eine adjuvante Therapie mit dem unspezifischen Immunstimulanz Levamisol in den aktuellen Leitlinien nicht empfohlen. Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen Studien, die den Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelten Lebendimpfstoff gegen Tuberkulose BCG (Bazillus Calmette-Guérin) in der adjuvanten Therapie und auch im fernmetastasierten Stadium des Melanoms untersuchten. Erste Phase-I-Studien vor ca. 30 Jahren bei Patienten mit metastasiertem Melanom unter Verwendung von BCG oder Corynebacterium parvum zeigte eine Verbesserung des krankheitsfreien, aber nicht des Gesamtüberlebens. In der adjuvanten Therapiesituation konnten verschiedene Therapieregime keine Wirksamkeit im Rahmen prospektiv randomisierter Untersuchungen erbringen ( ).

Tab. 29.8 In prospektiv randomisierten Studien zur nichtspezifischen adjuvanten Immuntherapie eingesetzte Substanzen (sämtlich ohne therapeutische Vorteile). • BCG-Vakzinierung • Corynebacterium-parvum- Vakzinierung • Megestrol • Levamisol • Vitamin A • GM2-Antikörper-Vakzinierung • allogene Vakzinierung mit Melanomzelllysat • Iscador ® (Mistelextrakt) BCG = Bacillus Calmette-Guérin; GM2 = Melanom-Gangliosid

Adjuvante hypertherme Extremitätenperfusion Wegen des Ausbleibens von Effekten auf das Gesamtüberleben und aufgrund einer hohen Toxizität ist diese Therapieoption als adjuvante Maßnahme nicht zu empfehlen. Neben einer amerikanischen Gruppe (NAPG) und der WHO hat die EORTC im Rahmen einer randomisierten multizentrischen Phase-III-Studie zeigen können, dass zwar die Inzidenz lokoregionärer Metastasen günstig, das Gesamtüberleben aber nicht beeinflusst werden kann. Zum therapeutischen Einsatz siehe Abschnitt „Therapie irresektabler Extremitätenmelanome“.

Therapie des metastasierten malignen Melanoms Zu unterscheiden ist zwischen Satellitenmetastasen im Abstand von bis zu 2 cm um den Primärtumor und In-Transit-Metastasen; ferner regionären Lymphknotenmetastasen einerseits und andererseits hämatogenen Fernmetastasen bzw. juxtaregionären Lymphknotenmetastasen, die als Fernmetastasierung einzuordnen sind. Die häufigsten Manifestationen des diffus metastasierenden Melanoms sind neben der Haut und dem lymphatischen Gewebe Lunge, Leber, Gehirn und Knochen. Signifikant seltener sind gastrointestinale Metastasen anzutreffen, die dann bevorzugt im Dünndarm oder Magen lokalisiert sind.

Im Stadium der Fernmetastasierung ist von einem durchschnittlichen Überleben nach Diagnosestellung von 7–8 Monaten ohne Behandlung auszugehen. Patienten mit wenigstens partieller Remission auf systemische Therapie können günstigenfalls mit einem über dreijährigen Überleben rechnen. Kasuistisch wurden auch Überlebenszeiten von > 5 Jahren mitgeteilt. Im Initialstadium einer Fernmetastasierung besteht das Therapieziel in der Induktion einer Remission durch operative, chemotherapeutische oder auch radiologische Maßnahmen. Im Stadium der fortgeschrittenen oder disseminierten Fernmetastasierung stehen palliative, der Verbesserung der Lebensqualität dienende Maßnahmen im Vordergrund. Diese können in operativen, radiologischen und chemotherapeutischen Maßnahmen oder auch nur in „best supportive care“ bestehen.

Lokale operative Therapie Bei der Indikationsstellung für eine potenziell kurative Metastasenresektion sind folgende Faktoren als Prämisse zu überprüfen:

• Aussicht auf eine R0-Resektion; • allgemeine Operabilität des Patienten; • Metastasierung auf nur ein Organ beschränkt; • Tumorfreiheit bzw. No-Change-Situation seit mindestens 3–4 Monaten. Sind die vorgenannten Kriterien gegeben, sollte als effektivste Maßnahme die chirurgische Resektion der Metastasen, sei es an der Haut, in viszeralen Organen wie Lunge, Leber, Milz oder Nebenniere oder auch bei einer isolierten Knochenmetastasierung vorgenommen werden. Hiervon ist der größte Einfluss auf die Prognose zu erwarten. Dies gilt auch für Hirnmetastasen. Prinzipiell sind auch sequenzielle Operationen am selben Organsystem bei rezidivierender Metastasierung sinnvoll, wenn vor dem Zweiteingriff erneut die o. g. „Eingangskriterien“ gegeben sind. Sollte sich das Rezidiv schneller einstellen, sollte eine systemisch orientierte Therapie (s. u.) bevorzugt werden. Palliative Operationsindikationen ergeben sich auch im Stadium der diffusen Metastasierung bei blutenden gastrointestinalen, mukosalen Metastasen, Ileuszuständen, örtlich und psychisch belastenden Hautmetastasen, exulzerierten Metastasen oder bei Knochenbefall mit Frakturgefahr oder bereits eingetretener Instabilität.

Lymphadenektomie Eine Indikation zur Lymphadenektomie besteht bei klinisch, bildgebend oder histologisch (positiver Sentinel-Lymphknoten) evidenter Lymphknotenmetastasierung ohne Hinweis auf Fernmetastasen (Stadien IIIB und IIIC). Bei diesen Patienten sollte dann jeweils eine Lymphknotendissektion der betreffenden Lymphabflussgebiete vorgenommen werden. Die viszeralchirurgisch bedeutsamen Eingriffe sind die Axilla- und Leistenausräumung. Es muss hervorgehoben werden, dass eine Ausdehnung der Lymphadenektomie auf Bereiche oberhalb der V. axillaris im Rahmen der Axilladissektion mit einer bis zu 50-prozentigen Rate signifikanter Lymphödeme verbunden ist, die andernfalls nur in unter 10 % anzutreffen sind. Die vorliegenden Studien beinhalten außerordentlich unterschiedliche Patientenkollektive, nutzen teilweise erheblich voneinander abweichende operative Techniken und bieten sehr unterschiedliche Follow-up-Daten, sodass eine allgemeingültige Empfehlung zum Ausmaß der axillären Lymphadenektomie beim malignen Melanom nicht gegeben werden kann. Einigkeit besteht jedoch darüber, die Level I und Level II auszuräumen, während die Ausräumung des Levels III von einigen Autoren nur bei Vorliegen einer definitiven Metastasierung empfohlen wird. Inguinale Lymphadenektomie Die inguinale Lymphadenektomie wird entweder von einem Längsschnitt über den Femoralgefäßen oder von einem geschwungenen Schnitt ausgeführt. Der Schnitt muss über das Leistenband nach kranial ausgedehnt werden. Von diesem Schnitt aus werden nach medial und lateral sowie nach kranial Hautsubkutislappen von 3–5 mm Dicke gebildet. Dünnere Lappen führen zu einer höheren Rate an Nekrosen, bei dickerer Lappenbildung können der Lymphadenektomie hier befindliche Lymphbahnen entgehen. Am distalen Punkt des Situs, gut 10 cm unterhalb des Leistenbands, wird die V. saphena aufgesucht, unterbunden und durchtrennt. Die V. saphena kann angeklemmt und an ihr anhängend sämtliches Weichgewebe von der Muskelfaszie nach kranial präparierend abgehoben werden. Die Verwendung der Diathermie zur Obliteration kleinster Lymphbahnen und die Ligatur sichtbarer Lymphbahnen dienen der Prävention späterer Komplikationen. Sorgfältigste Blutstillung ist obligat. Hat die Präparation die beschriebene Größe erreicht, sinngemäßes Vorgehen von kranial, wobei ca. 3 cm oberhalb des Leistenbands begonnen und die Dissektion bis an die Spina ausgedehnt werden sollte. Sämtliche in das Gewebepaket einstrahlende Venen werden ligiert. Nun wird die Einmündung der V. saphena magna in die V. femoralis dargestellt. Die Vene wird so abgesetzt, dass der an der V. femoralis verbleibende Stumpf lang genug ist, um eine Einengung der Femoralvene durch die Ligatur des Saphenastumpfs zu vermeiden. Andererseits muss er kurz genug sein, dass sich kein Blindsack mit Ablagerung thrombotischen Materials ausbildet. Die eröffnete Fascia cribrosa wird weiter nach kranial gespalten, sodass der Hiatus saphenus freiliegt und die hier befindlichen tiefen Lymphknoten bis in den proximalen Bereich der Lacuna vasorum (Lymphknoten nach Rosenmüller und Cloquet) ausgeräumt werden können. Vor Verschluss des Situs werden Redon-Drainagen eingebracht. Bei Bedarf können die Gefäße durch Transposition des M. sartorius gedeckt werden. Zu lokalen postoperativen Komplikationen nehmen viele Studien keine Stellung, es werden jedoch Lymphödemraten von bis zu 30 % sowie lokale Wundheilungsstörungen bis über 40 % berichtet. Eine prolongierte Sekretion über die einliegende Redon-Drainage kann über 10–20 Tage festzustellen sein. Die Entfernung der Redon-Drainage empfiehlt sich erst bei Sekretionen < 20 ml/24 Stunden. Die Studienlage zur Applikation von Fibrinkleber und/oder Kollagenvlies mit dem Ziel einer Reduktion von Lymphozelen und Lymphfisteln ist völlig uneinheitlich, sodass sich hieraus keine Empfehlung ableiten lässt. Pelvine Lymphadenektomie Inwieweit eine Ausdehnung der inguinalen Lymphadenektomie auf parailiakale Lymphknoten und Obturatorlymphknoten vorteilhaft ist, ist bislang nicht in prospektiv randomisierter Form untersucht. Wie zeigt, liegen lediglich retrospektive Mitteilungen vor, die überwiegend keine prognostischen Vorteile für die nach pelvin ausgedehnte Lymphadenektomie zeigen. Die Untersuchungen weisen jedoch sehr unterschiedliche Designs auf.

Tab. 29.9 Studien zur inguinalen vs. pelvinen Lymphadenektomie.

Publikation

Patientenzahl (n)

Vergleich Lymphknotendissektion

Resultat

Studientyp/Evidenzniveau

Hughes et al. 2000 [16]

132

inguinal vs. ilioinguinal

kein Überlebensvorteil

retrospektiv, 3

Kretschmer et al. 2001 [22]

104

inguinal vs. ilioinguinal

kein Überlebensvorteil

retrospektiv, 3

Singletary et al. 1992 [34]

264

inguinal vs. ilioinguinal

kein Überlebensvorteil

retrospektiv, 3

Mann und Coit 1999 [25]

227

inguinal vs. ilioinguinal

kein Überlebensvorteil

retrospektiv, 3

Coit und Brennan 1989 [9]

420

inguinal vs. ilioinguinal

kein Überlebensvorteil

retrospektiv, 3

Karakousis und Driscoll 1996 [19]

48

ilioinguinal + Obturator-LK

25 % 10-JahresÜberleben

retrospektiv, 3

Kissin et al. 1987 [21]

133

inguinal vs. ilioinguinal + Obturatorlymphknoten

kein Prognosevorteil

retrospektiv, 3

Strobbe et al. 1999 [38]

71

ilioinguinal

24 % 5-JahresÜberleben

retrospektiv, 3

Modifizierte radikale Neck Dissection (MRND) Bei Melanomen im Kopf-Hals-Bereich bestehen oft sehr variable Lymphabflussmuster, die zu unterschiedlichen Dissektionsgebieten führen können. Daher ist bei der Lymphadenektomie in dieser Körperregion ein differenziertes Vorgehen auf Basis der anatomischen Abflusswege und einer genauen präoperativen Diagnostik erforderlich. Empfohlen wird im Kopf-Hals-Bereich eine modifizierte radikale Neck Dissection (MRND) durchzuführen. Die MRND umfasst eine superfizielle (laterale, nervenerhaltende) Parotidektomie sowie eine vollständige Ausräumung der Level I–V zwischen Unterkieferrand und Clavicula unter Erhalt der nichtlymphatischen Strukturen (M. sternocleidomastoideus, V. jugularis interna, N. accessorius).

Strahlentherapie Die aktuellen Leitlinien empfehlen, nach durchgeführter Lymphadenektomie eine postoperative adjuvante Radiotherapie vorzunehmen mit dem Ziel, eine Verbesserung der Tumorkontrolle im Bereich der Lymphknotenstation zu erreichen. Allerdings sollte diese adjuvante Strahlentherapie nur durchgeführt werden, wenn mindestens eines der folgenden Kriterien vorliegt:

• 3 befallene Lymphknoten • Kapseldurchbruch • Lymphknotenmetastase > 3 cm Andere strahlentherapeutische Ansätze werden durch die insgesamt eher geringe Strahlensensitivität des malignen Melanoms limitiert. Weitere Indikationen zur Strahlentherapie sind Knochenmetastasen mit Gefahr der Instabilität. Hirnmetastasen, sollten sie nicht einer Operation zugänglich sein oder sollte diese nicht sinnvoll erscheinen, können durch stereotaktische Bestrahlung therapiert werden, wobei das Resultat dem einer R0-Resektion entsprechen soll. Bei disseminierter Hirnmetastasierung kann eine zerebral ausgelöste Symptomatik durch eine Ganzhirnbestrahlung verbessert, im Idealfall passager beseitigt werden, ohne dass eine lebensverlängernde Wirkung zu verzeichnen wäre. Chirurgisch nicht angehbare Lungenmetastasen mit lokalen Komplikationen, z. B. Retentionspneumonien infolge von Bronchusobstruktionen, eignen sich ebenfalls für eine Strahlentherapie unter palliativen Gesichtspunkten.

Therapie irresektabler Extremitätenmelanome inkl. In-Transit-Metastasen D i e isolierte hypertherme Extremitätenperfusion steht als effektivste Behandlungsmodalität zur Verfügung. Bei dieser Technik wird die betreffende Extremität aus der Blutzirkulation durch Kanülierung der zu- und abführenden Gefäße ausgeschaltet und mithilfe eines extrakorporalen Kreislaufs und einer milden Hyperthermie von 39–40 °C unter Zugabe meist von Melphalan für 60–90 Minuten perfundiert. Am Ende der Perfusion wird das Zytostatika enthaltende Perfusat durch „Auswaschung“ der Extremität eliminiert. Mit dieser Technik können einer Metaanalyse und systematischen Reviews zufolge Komplettremissionen in bis zu 54 % erreicht werden, während das Gesamtansprechen > 80 % beträgt [23], [24]. Die Dauer des Ansprechens liegt bei 9–12 Monaten, wobei etwa die Hälfte der Patienten nach Komplettremissionen erneute, dann allerdings als weniger aggressiv beschriebene Rezidive entwickelt. In 20 % ist mit einer längerfristigen kompletten Remission zu rechnen. Durch den Einsatz von Interferon-α bzw. TNF-α unterliegt diese Technik gegenwärtig in Studien einer weiteren Verbesserung. Zuverlässige prospektiv randomisierte Untersuchungen stehen diesbezüglich noch aus. In seltenen Fällen kann die Strahlentherapie zum Einsatz gebracht werden. Hierfür müssen, je nach Fraktionierung, zwischen 48 und 66 Gy Gesamtdosis erreicht werden. Angesichts dieser relativ hohen Dosierung muss bei der Indikationsstellung der zu erwartende Strahlenschaden berücksichtigt werden.

Systemische Therapie: Chemo- und Immuntherapie Ist für eine operative Behandlung keine Indikation erkennbar, wird in den meisten Fällen eine systemische Chemo- oder Chemoimmuntherapie anzustreben sein. Zum Einsatz kommen folgende Therapiemodalitäten:

• Monochemotherapie mit Ansprechraten von ca. 5 bis gut 20 % • Polychemotherapie mit Ansprechraten von ca. 15–40 % • Kombinierte Immunchemotherapie durch Kombination von Chemotherapeutika mit Interferon-α und/oder Interleukin-2 mit Ansprechraten vergleichbar mit denen der Polychemotherapie Als Substanzen stehen zur Monochemotherapie in erster Linie DTIC (Dacarbazin), Temozolomid (per os), Fotemustin, Taxane und Vindesin zur Verfügung. Zwischen diesen Substanzen bestehen keine signifikanten Wirksamkeitsunterschiede, sieht man von der Liquorgängigkeit von Fotemustin ab, weshalb es für die Behandlung einer ZNS-Beteiligung favorisiert wird. Die Polychemotherapie nach verschiedenen Protokollen ergänzt die vorgenannten Chemotherapeutika häufig durch Cisplatin, Bleomycin, CCNU, BCNU und das Antiöstrogen Tamoxifen (sog. DBCT-/Dartmouth-Schema). Die Polychemotherapie weist in der Regel insbesondere durch die Hinzunahme von Cisplatin eine erheblich höhere Nebenwirkungsrate auf. Das DBCT-/Dartmouth-Schema beinhaltet durch die Hinzunahme des Tamoxifens ein erhöhtes Thromboserisiko, ohne dass dieses von einem erhöhten Ansprechen aufgewogen würde. D i e Chemoimmuntherapie besteht in der Regel aus der Hinzugabe von Interferon-α zu DTIC oder auch zu einer Kombination mehrerer Chemotherapeutika. Die hierbei bedeutendste Nebenwirkung sind die grippeähnlichen Symptome, die mit der Interferongabe verbunden sind. Sie erfordern eine gezielte supportive Therapie mit z. B. Paracetamol, ASS oder Metamizol. Die gelegentlich auftretenden Depressionen können eine Suizidgefahr bedeuten, erfordern in jedem Fall aber eine begleitende antidepressive Therapie.

Die Wahl des Therapieschemas sollte zunächst in der Durchführung einer Monochemotherapie bestehen. Durch die Hinzugabe von Interferon-α (s. o.) sind verbesserte Ansprechraten berichtet worden. Erweist sich die initiale Monochemotherapie als ineffektiv, so ist durch einen Präparatewechsel bzw. die Durchführung einer Second-LinePolychemotherapie in unter 10 % mit einem Ansprechen zu rechnen. Besteht eine fortgeschrittene und ausgedehnte symptomatische Metastasierung, ist bereits initial einer Polychemotherapie der Vorzug zu geben. Die Therapiefortsetzung bzw. ein Therapieabbruch orientiert sich am Restaging, das in dreimonatigen Abständen durchgeführt wird. Im Fall einer Komplettremission empfiehlt sich das Beibehalten der eingeschlagenen Therapie für weitere drei Zyklen, um dann bei fortbestehender Komplettremission die Therapie zu beenden. Bei einem späteren Rezidiv kommt die bereits initial erfolgreiche Therapie erneut zum Einsatz. Führt die systemische Therapie zu einem „no change“ bzw. einem partiellen Tumorrückgang, wird die Therapie bis zum Progress bzw. bis zu einer eventuellen vollständigen Remission fortgesetzt. Sollte sich unter Therapie ein Krankheitsprogress einstellen, so sollte auf „best supportive care“ umgestellt und die in der Regel nebenwirkungsreiche Chemotherapie terminiert werden.

Experimentelle Therapien Vakzinierungsverfahren mithilfe von Tumorzelllysaten werden in klinischen Studien untersucht, wobei die bisherigen Erfahrungen eine begrenzte Wirksamkeit dieses Therapieprinzips nahelegen. Ein neuer Ansatz bezieht sich auf die Induktion spezifischer T-Zell-Antworten mithilfe dendritischer Zellen, die mit Tumorzellantigenen beladen sind. Tumorrückbildungen sind beschrieben worden und machen die grundsätzliche Wirksamkeit dieses Prinzips deutlich. Durch molekulare Mechanismen, die inhibitorische Effekte auf apoptotische Vorgänge zeigen, lassen sich für die Zukunft in Kombination mit Chemotherapeutika interessante Therapieoptionen erwarten. Dieses betrifft v. a. die Modulation des bcl-2-Proteins, dessen Überexpression die chemotherapieinduzierte Apoptose zu inhibieren vermag. Durch eine gezielte Antisense-Therapie lässt sich derzeit im tierexperimentellen Ansatz die bcl-2Überexpression reduzieren. Neueste Studien belegen, dass in Abhängigkeit der UV-Exposition der erkrankten Hautareale bei bis zu 50 % der Melanome ein mutiertes BRAF-Gen vorliegt. Es konnte gezeigt werden, dass im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung eine Inhibition des BRAF-Gens eine weitaus wirksamere Behandlungsmethode im Vergleich zur Therapie mit Dacarbazin darstellt. Daher soll zukünftig die Empfehlung einer genetischen Screening-Untersuchung bezüglich einer Mutation des BRAF-Gens in die überarbeiteten S3-Leitlinien in Deutschland aufgenommen werden [28].

Nachsorge Wegen der langfristigen Rezidivgefahr ist die Nachsorge für 10 Jahre erforderlich. Ab der 6. postoperativen Woche beträgt das Intervall bis zum Ende des 2. postoperativen Jahres 3 Monate, danach 6 Monate. Bei metastasierenden Melanomen großer Dicke treten 75 % der Metastasen innerhalb der ersten 3 Jahre auf. Die Nachsorge umfasst im Einzelnen:

• Anamnese (Symptome einer Metastasierung, vom Patienten bemerkte Tumorbildung etc.); • Inspektion, die die Untersuchung des gesamten Integuments inkl. sichtbarer Schleimhäute und vor allem die des Narbenbereichs und des Sitzes von In-Transit-Metastasen umfasst. • Palpation der regionären Lymphknoten und der befallenen Körperregion nach subkutanen Metastasen; • Lymphknotensonografie; • Laboruntersuchungen (Blutbild, BSG, Leberenzyme); • zusätzlich bei lokoregionär metastasierten Fällen: – Röntgen-Thoraxuntersuchung in zwei Ebenen alle 6 Monate; – Sonografie des Abdomens alle 6 Monate. Prognose – Risikoeinschätzung Die Tumordicke (nach Breslow), die Eindringtiefe (nach Clark) und die Metastasierung sind prognostisch relevante Tumorcharakteristika. Andere, v. a. tumorbiologische Parameter sind bislang nicht zuverlässig anwendbar. Die Prognoseeinschätzung setzt eine adäquate Primärtherapie voraus. Eine Tumordicke von bis zu 0,75 mm geht mit einer sehr guten 5-JahresÜberlebensrate von mindestens 95 % einher, während diese bei Melanomen jenseits einer Dicke von 3 mm auf 45 % absinkt, primäre Metastasenfreiheit vorausgesetzt. Ein weiterer Scheitelpunkt scheint die Tumordicke von 1,5 mm zu sein. Bei regionärem Lymphknotenbefall liegt die 5-Jahres-Überlebensrate unter 40 %, wobei die Prognose ungünstiger wird, wenn über 20 % der entfernten Lymphknoten positiv sind. Bei Fernmetastasierung ist von einer medianen Überlebenszeit unter 1,5 Jahren auszugehen. Die Einschätzung des Metastasierungs- und Rezidivrisikos ist schwierig. Auch hier ist die Tumordicke von großer Bedeutung. Das Metastasierungsrisiko korreliert mit der maximalen Tumordicke, ist bis 0,75 mm als gering und jenseits 1,5 mm als hoch anzusehen. Melanome des Stamms sind prognostisch ungünstiger zu werten als solche der Extremitäten. Der Typ LMM ist mit einer besseren Prognose ausgestattet als das SSM, das günstiger als das NM ist. Daraus ergeben sich hinsichtlich der Rezidiv- und Metastasierungsgefahr folgende Merkmale:

• High-Risk-Merkmale: NM, Tumordicke > 1,5 mm, zentraler Sitz, Ulzeration; • Low-Risk-Merkmale: LMM, Tumordicke < 0,75 mm, peripherer Sitz. Die Risikoeinschätzung anhand dieser Merkmale wird für viele Patienten ein intermediäres Risiko ergeben, was unbefriedigend ist und woraus sich zurzeit keine therapeutische Konsequenz ableitet.

29.2.2 Basaliom Synonyme: Basalzellenkarzinom , Epithelioma basocellulare.

Allgemeines – Inzidenz – Ätiologie Das Basaliom ist der häufigste Tumor der Haut und stellt etwa 10–12 % aller malignen Tumoren in Deutschland. Hauptsächlich sind Patienten jenseits des 50. Lebensjahres betroffen. Die Inzidenz liegt hier bei 20–80/100.000, je nach regionaler Sonnenlichtexposition, womit sich die hohe Inzidenz von 600– 700/100.000 in Australien und im Süden der USA erklärt. Derzeit wird von einer Verdopplung der Inzidenz innerhalb von 10 Jahren ausgegangen. Der ätiologisch wichtigste Faktor ist UV- Licht, wenngleich vermutlich weniger UV-Exposition erforderlich ist als beim Spinaliom. Bestimmte Hauttypen (I und II), d. h. Menschen „keltischen“ Typs mit pigmentarmer Haut, Sonnenempfindlichkeit, blonden oder roten Haaren, blauen oder blaugrünen Augen, werden häufiger befallen, ohne per se für Basaliome prädestiniert zu sein. Langjährige Arsenexposition (frühere Psoriasistherapie, „Haustrunk“ im Weinbau) oder Immunsuppression (Transplantation) sowie atrophisierende Hautbezirke nach Bestrahlung („Röntgen-Dermatitis“) und bei Lupus vulgaris oder chronisch fistelnde/ulzeröse Prozesse begünstigen das Auftreten von Basaliomen. Über 90 % der Basaliome finden sich auf der besonders sonnenexponierten Haut des Gesichts und am Hals. Schleimhäute sind nie befallen.

Basaliome sind lokal invasiv und destruierend, metastasieren aber fast nie (< 0,1 %), weshalb sie z. T. unkorrekterweise als „semimaligne“ angesehen werden.

Initialdiagnostik – Differenzialdiagnosen Das klinische Bild ist uneinheitlich. Differenzialdiagnostisch kommen je nach Erscheinungsbild der Morbus Bowen, Spinaliom, Keratoakanthom, Melanom, Naevus bleu, Angiofibrom, aber auch Psoriasis, zirkumskripte Sklerodermie oder Narben in Betracht. Dadurch wird die Diagnose erschwert. Für ein Basaliom sprechen langsames Wachstum bzw. eine lange Anamnese. Es besteht die Notwendigkeit der histologischen Klärung, die als Inzisions- oder Exzisionsbiopsie erfolgt. Die Exzisionsbiopsie erfordert eine zweifelsfreie Markierung des Präparats zur lückenlosen histologischen Schnittrandkontrolle. Das frühe Erzwingen der Diagnose vermeidet später ausgedehnte Resektionen bei destruierenden Tumoren.

Weiterführende Diagnostik Diese ist wegen quasi fehlender Metastasierung im Regelfall nicht erforderlich. Nur ausgedehnte Tumoren oder klinisch nicht abschätzbares Tiefenwachstum machen eine CT oder MRT erforderlich.

Basaliomtypen Das solide Basaliom tritt als derber, meist kleiner Hauttumor in Erscheinung, eventuell von Teleangiektasien begleitet. Andere Formen imitieren Narben- oder Keloidmerkmale ( zikatrizierendes Basaliom) oder bieten sklerodermieähnliche Bilder ( sklerodermiformes Basaliom), was differenzialdiagnostisch und bei der Bestimmung der Tumorausdehnung Probleme bereitet. Ausgeprägt destruierend wachsende Basaliome sind das Ulcus rodens und dessen fortgeschrittene Form, das Ulcus terebrans, von dem durch Arrosion von Knochen und größeren Blutgefäßen unmittelbare Gefahr ausgehen kann ( ). Auch pigmentierte Basaliome werden beobachtet (Differenzialdiagnose: Melanom).

ABB. 29.7

Basaliom: Ulcus terebrans. [ ]

Das Rumpfhautbasaliom (Synonym: pagetoides Basaliom, oberflächlich multizentrisches Basaliom) zeichnet sich durch mehrere scheibenartige, später konfluierende Läsionen im Hautniveau aus und erinnert leicht an den Morbus Bowen, Ekzeme oder Psoriasis.

Stadieneinteilung stellt die TNM-Einteilung maligner Hauttumoren dar.

Tab. 29.10 TNM-Systematik bei Hautkarzinomen. Ausgeschlossen sind das Melanom und Karzinome im Bereich von Penis, Vulva und Augenlidern. Bei multiplen Tumoren Kodierung des größten Tumors. T – Primärtumor Tx

Primärtumor nicht beurteilbar

T0

kein Primärtumor

Tis

Carcinoma in situ

T1

größte Tumorausdehnung ≤ 2,0 cm

T2

größte Tumorausdehnung > 2,0–5,0 cm

T3

größte Tumorausdehnung > 5,0 cm

T4

Infiltration extradermaler Strukturen (Muskulatur, Knochen etc.)

N – regionäre Lymphknotenmetastasen Nx

regionäre Lymphknoten nicht beurteilbar

N0

keine regionären Lymphknotenmetastasen

N1

regionäre Lymphknotenmetastasen

M – Fernmetastasen Mx

Vorhandensein von Fernmetastasen ist nicht beurteilbar

M0

keine Fernmetastasen

M1

Fernmetastasen vorhanden

G – histopathologisches Grading Gx

Differenzierungsgrad nicht beurteilbar

G1

gut differenziert

G2

mäßig differenziert

G3

schlecht differenziert

G4

undifferenziert

Therapie Chirurgische Behandlung Die Regeltherapie ist die mikrografische Chirurgie. Sie besteht in einer knapp im Gesunden (lokalisationsabhängig 3–5 mm) ausgeführten Exzision, wobei die Ränder lückenlos histologisch kontrolliert werden müssen. Hierzu bedarf es einer zweifelfreien Markierung des Präparats, damit ggf. histologisch erkannte Tumorausläufer topografisch zugeordnet und durch Nachexzision eliminiert werden können. Dieses eher sparsame Exzisionsregime vermeidet unnötig ausgedehnte Defekte. Konventionelle Exzisionen mit nur stichprobenhafter histologischer Schnittrandkontrolle sind mit höheren Rezidivraten behaftet und erfordern daher größere Sicherheitsabstände (10 mm), also auch einen größeren Verlust intakter Haut. Nur in Fällen, die histologisch gesichert, nicht ulzeriert und unter 1 cm groß sind, kommen Kürettage, Shave-Exzision, Kryotherapie oder Laserchirurgie in Betracht, wobei die histologische Untersuchung entfällt. Diese Verfahren können auch bei Fällen mit multiplen superfiziellen Basaliomen, insbesondere im Rumpfbereich, Anwendung finden. Bei ulzerierten, großen oder zerklüfteten Basaliomen können ausgedehnte Eingriffe mit schwierigen Defektdeckungen resultieren, was die Bedeutung der exakten präoperativen Abklärung in diesen Fällen unterstreicht. Bei der Schnittführung bei den meist im Gesicht gelegenen Tumoren sind die Hautspalt- und Spannungslinien zu berücksichtigen, ebenso auch Aspekte der Ästhetik und eventueller späterer Narbenfolgen ( ). Marginale Resektionen dürfen nicht hingenommen werden.

Chirurgische Behandlung des Ulcus rodens. a) Defekt nach erfolgter Resektion des Ulcus rodens im Sinne einer Thoraxwandresektion. b) Zur Defektdeckung gehobener erweiterter Latissimus-dorsi-Lappen. c) Postoperativer Situs nach erfolgter Defektdeckung. [ ] ABB. 29.8

Strahlentherapie Sie setzt eine histologisch bestätigte Diagnose voraus. Beispielsweise bei ungünstiger Lokalisation, ablehnender Haltung gegenüber der Operation oder Inoperabilität kann eine Radiatio der konventionellen Therapie ebenbürtige Resultate erzielen. Die Entscheidung für eine Strahlentherapie prinzipiell chirurgisch therapierbarer Basaliome muss immer auch die Strahlenfolgen berücksichtigen. Eine Indikation stellen auch chirurgisch nicht eliminierbare R1oder R2-Situationen dar. Insgesamt müssen fraktioniert Gesamtdosen von über 60 Gy appliziert werden. Ulzerierte Formen (Ulcus rodens, Ulcus terebrans) sprechen weniger gut an.

Chemotherapie Lokale Chemotherapie. Bei multiplen Rumpfhautbasaliomen kann die topische Anwendung von 5-Fluorouracil als 1- bis 5-prozentige Creme für 1–2 Monate erwogen werden. Erste Wirkungen sind bereits nach 10–14 Tagen sichtbar. Die benachbarte gesunde Haut wird irritiert. Systemische Chemotherapie. Zur adjuvanten Behandlung besteht keine Indikation. Im ungewöhnlichen Fall einer Metastasierung können Cisplatin und 5Fluorouracil-Therapie erwogen werden, wobei wenige Erfahrungswerte existieren.

Immunologische Therapiemodalitäten Die intratumorale Applikation von Interferon-α und -β 1–3 Mio. IE für 3 Wochen lässt in über 50 % klinische Rückbildungen erwarten. Gutes Ansprechen

(65–85 %) ist auch bei der lokalen Anwendung von Imiquimod-5 %-Creme, einem lokalen Immunmodulator, einmal täglich an 5 Tagen pro Woche über 6 Wochen zu erwarten.

Prophylaxe im Risikokollektiv Xeroderma pigmentosum, Basalzellnävus und Arsenintoxikationen bzw. -behandlungen in der Anamnese sind Umstände, die mit erhöhtem Basaliomrisiko belastet sind. Zuvorderst sind UV-Karenz und hocheffektiver Lichtschutz bei unvermeidlicher UV-Exposition als einfach praktikable Maßnahmen erforderlich. Der Langzeitgabe synthetischer Retinoide werden präventive Effekte zugeschrieben.

Prognose Die Prognose ist bei Rezidivraten von 5–10 % sehr gut und wird vor allem durch die fehlende Metastasierung erklärt. Unerkannt inkomplette Resektionen werden meist innerhalb von max. 3 Jahren durch Rezidive bemerkt. Bei fortgeschrittenen, ungünstig gelegenen Basaliomen vom Typ Terebrans können Sekundärschäden durch Tumorarrosion prognoselimitierend sein.

Nachsorge Halbjährliche Kontrollen auf örtliche Rezidive sind indiziert. Die Möglichkeit neu auftretender Tumoren ist zu berücksichtigen. Risikogruppen (s. o.) bedürfen der 3-monatlichen Kontrolle, v. a. wenn bereits ein Basaliom aufgetreten war. Mit zunehmender Zahl manifest gewordener Basaliome nimmt das Risiko weiterer Basaliome zu.

Sonderform: Goltz-Gorlin-Syndrom Dieses Basalzellnävus-Syndrom ist eine relativ häufiges (1/60.000) autosomal-dominantes Erbleiden. Charakteristische Leitsymptome sind Kieferzysten und multiple Basaliome im Bereich des Gesichts und des Körperstamms. Weitere Symptome sind sog. „palmar Pits“, punktförmige Dyskeratosen der Handinnenfläche sowie Skelettanomalien. Die Erkrankung weist eine Assoziation mit multiplen Entwicklungsdefekten und Neoplasien innerer Organe auf ( ).

ABB. 29.9

Goltz-Gorlin-Syndrom. [ ]

Therapie Frühzeitige Diagnose und lokale Exzision.

29.2.3 Spinaliom Synonyme: spinozelluläres Karzinom, Stachelzellkarzinom, verhornendes Plattenepithelkarzinom, Epithelioma spinocellulare, Kankroid, Spinalzellkarzinom.

Allgemeines – Inzidenz – Ätiologie Spinaliome entwickeln sich nicht selten aus vorbestehenden Läsionen wie aktinischen Keratosen und anderen Präkanzerosen, Condylomata accuminata sowie auf Narben nach thermischen Schäden. Vornehmlich werden UV-exponierte Regionen und Haut-Schleimhaut-Übergangsbereiche befallen, d. h. Hals-KopfBereich (> 80 %), Unterarme und Anogenitalregion. Die Tumoren wachsen lokal schnell vertikal invasiv und destruierend. Anfangs bieten sie eher uncharakteristische, unauffällige Bilder mit derben, leicht verletzlichen, hautfarbigen oder bräunlichen Plaques. Im Gegensatz zum Basaliom finden lymphogen und hämatogen Metastasierungen statt. Damit ist bei Frühstadien in gut 5 %, bei fortgeschrittenen Tumoren in bis zu 40 % zu rechnen. Bei Metastasierung beträgt die 5-Jahres-Überlebensrate unter 50 %. Spinaliome sind 10-mal seltener als Basaliome. Ihre Inzidenz liegt in Mitteleuropa bei 6–20/100.000, wobei Frauen deutlich seltener betroffen sind. Der Altersgipfel ist jenseits von 70 Jahren. In Ländern mit höherer Lichtexposition besteht eine deutlich höhere Inzidenz. Ätiologisch bedeutsam sind UV-Exposition (Freiluftarbeiter), Röntgenbestrahlung (Radioderm) und – im Anogenitalbereich – virale Prozesse (HPV, Condylomata acuminata). Chronisch atrophische oder entzündliche Hautprozesse stellen eine Prädisposition dar. Hellhäutige besitzen ein höheres Risiko als stärker pigmentierte Individuen.

Initialdiagnostik – Differenzialdiagnosen Das klinische Erscheinungsbild erschwert den zuverlässigen Ausschluss eines Spinalioms. Für Spinaliome sprechen Lokalisationen in den bevorzugten Regionen, die o. g. Risikoumstände und schnelles Wachstum. Differenzialdiagnostisch müssen präkanzeröse Hautläsionen, amelanotische Melanome, Keratoakanthome, Hautmetastasen, Basaliome und Gummata berücksichtigt werden. Keratoakanthome wachsen schneller, Basaliome langsamer als Spinaliome. Zeigt die obligate Untersuchung zugehöriger Lymphabstromstationen palpable Lymphknoten, lässt dies bereits an das Malignom denken.

Ab einer Tumordicke von 2 mm bzw. einer Ausdehnung von 2 cm gehört die Lymphknotensonografie zur Routinediagnostik. Die differenzialdiagnostische Möglichkeit eines Spinalioms erfordert die Biopsie und die histologische Abklärung. Die aggressive Abklärung unsicherer klinischer Befunde steigert die Frühdiagnoserate und senkt das erforderliche Resektionsausmaß und die postoperative Morbidität.

Weiterführende Diagnostik Weiter fortgeschrittene Tumoren sollten mittels CT oder MRT evaluiert werden. Eine Röntgenuntersuchung der Lunge in zwei Ebenen erscheint nur bei klinischen Hinweisen auf eine ausgedehnte Metastasierung sinnvoll, diskrete Verdachtsmomente für eine Fernmetastasierung werden vorzugsweise individualisiert mittels CT oder MRT abgeklärt.

Stadieneinteilung stellt die TNM-Einteilung maligner Hauttumoren dar.

Therapie Chirurgische Behandlung Resektion des Primärtumors Die Operation ist die Therapie der Wahl. Sie erfordert in vielen Fällen Erfahrung und Kenntnis im Umgang mit der funktionell und kosmetisch sensiblen Tumorlokalisation im Gesichts- und Übergangsschleimhautbereich. Je nach Größe und Abgrenzung des Spinalioms ist die Exzision mit einem allseitigen Sicherheitssaum von mindestens 1 cm (kleine, scharf begrenzte erhabene Spinaliome) bzw. von mindestens 3 cm (große, unscharf begrenzte, ulzerierte, fortgeschrittene Tumoren) erforderlich. Die Schnittränder sollten histologisch gesichert sein, bevor eventuell aufwendige plastische Prozeduren zum Defektverschluss begonnen werden. Die nur stichprobenartige histologische Schnittrandkontrolle beinhaltet grundsätzlich das Risiko unerkannter R1Resektionen. Deswegen sollte, v. a. bei kleineren Tumoren, der mikrografischen Technik (vgl. ) mit ca. 5 mm Sicherheitsabstand der Vorzug gegeben werden. Der desmoplastische Typ macht über die histologisch als tumorfrei bestätigten Schnittränder hinaus einen weiteren Sicherheitsabstand von nochmals 5 mm erforderlich. Die Radikalitätsvorgaben können im Einzelfall einschneidende Resektionen oder Amputationen und aufwendige Rekonstruktionen notwendig machen. Zugeständnisse an die minimalen Sicherheitsabstände zwecks günstigerer Defektverhältnisse vor der Rekonstruktion widersprechen kurativen Intentionen. Bei Operationen von Rezidiven kann die einfache Spalt- oder Vollhautplastik einer Lappenplastik gegenüber für die Nachsorge günstigere Beurteilungsmöglichkeiten zum Rezidivausschluss geben. Lymphadenektomie Klinisch suspekte Lymphknoten werden exstirpiert, bei deren Befall die gesamte Station ausgeräumt wird, sofern am Primärtumorsitz eine radikale R0Resektion realisiert ist. Die elektive Lymphonodektomie unauffälliger Lymphknotenstationen ist nicht gerechtfertigt. Allenfalls in Einzelfällen bei jungen Patienten mit histologisch hochaggressiven Tumoren mag sie oder eine Sentinel-Lymphknoten-Biopsie in Erwägung gezogen werden. Chemotherapie, Immuntherapie Die topische Chemotherapie mit 5-Fluorouracil oder Imiquimod ist nicht ausreichend effizient für invasive Tumoren, bei frühinvasiven Stadien allerdings effektiv. Vorsicht sollte bei immunsupprimierten Patienten walten, da sie sehr schnell Tumoren bilden können, die unter topischer Therapie rasch progredient sind. Die systemische Chemotherapie sollte metastasierten oder primär inoperablen Tumoren vorbehalten bleiben. Die Ansprechraten für eine MethotrexatMonotherapie bleiben unter 40 %, die einer Polychemotherapie liegen zwischen 50 und 80 %, ohne dadurch Überlebensvorteile generieren zu können. Generell kann nicht mit kurativen Effekten gerechnet werden. Die toxischen Therapieprotokolle rechtfertigen keine generelle Empfehlung, schon gar nicht zur adjuvanten Therapie. Interferone, vor allem zusammen mit Retinoiden eingesetzt, sind erfolgversprechende, allerdings noch nicht endgültig validierte Optionen, sodass die Teilnahme an entsprechenden Studien angeraten scheint.

Strahlentherapie Sie kommt in kurativer Intention bei nicht operationsfähigen/-willigen Patienten in Betracht und kann dem konventionellen chirurgischen Vorgehen gleichwertige Erfolgsaussichten bieten. Zu applizieren sind mindestens 70 Gy für eine definitive Therapie, zwischen 50 und 65 Gy im Rahmen adjuvanter Maßnahmen bei R1-/R2-Resektionen.

Prognose Spinaliome der Haut zeigen 80 % Rezidivfreiheit nach 5 Jahren, während hinsichtlich ihrer Prognose Anogenital- und Zungenkarzinome deutlich ungünstiger sind. Rezidive entstehen lokal und in den zugehörigen Lymphknoten. Die meisten Rezidive treten während der ersten zwei Jahre auf. Bei Immunsuppression wegen Organtransplantation oder auch nach hoch dosierter Chemotherapie werden akzelerierte Verläufe mit entsprechend reduzierter Prognose beobachtet.

Nachsorge Über 5 Jahre empfiehlt sich bei pT1-Tumoren durchgängig ein einjähriges, bei pT2-Tumoren ein halbjähriges Intervall. High-Risk-Tumoren (pT3 und desmoplastische Typen > pT1) sollten in den ersten beiden Jahren vierteljährlich und in den Jahren 3–5 halbjährlich nachgesorgt werden. Zielgebiet der Nachsorgeuntersuchung sind der Primärtumorsitz und seine korrespondierenden Lymphknoten.

29.2.4 Kaposi-Sarkom Allgemeines – Inzidenz – Ätiologie Ausgang dieser Tumoren ist das Gefäßendothel. Es werden verschiedene Formen abgegrenzt: Das klassische Kaposi-Sarkom, das meist bei älteren Männern auftritt, ist sehr selten (0,03/100.000) und tritt vornehmlich bei süd- und südosteuropäischen Menschen auf. Es kann solitär, häufiger aber multilokulär auftreten. Die zweite wichtige Form des Kaposi-Sarkoms ist die HIV-assoziierte Form, die als Systemerkrankung anzusehen ist und generell disseminiert ist. Etwa 30 % aller AIDS-Patienten weisen diese Form des Kaposi-Sarkoms (DKS) auf, wobei durch die antiretroviralen Behandlungen die Zahl dieser Patienten wieder deutlich rückläufig ist.

Initialdiagnostik – Differenzialdiagnosen Differenzialdiagnostisch abzugrenzen sind alle Formen von Gefäßtumoren, ferner die disseminierte Sarkoidose. Das klinische Erscheinungsbild gestattet meist die Diagnosestellung, sodass eine Biopsie dann nicht erforderlich ist. Sollte sie jedoch unumgänglich sein, ist zu berücksichtigen, dass die Tumoren meist größer sind als makroskopisch erkennbar.

Weiterführende Diagnostik Die Inspektion des kompletten Integuments, der Schleimhäute, ferner eine Ösophagogastroduodenoskopie sind routinemäßig durchzuführen. Daneben ebenfalls regelhaft vorzunehmen ist eine Sonografie von Abdomen und Lymphknoten, außerdem die Röntgen-Thoraxuntersuchung in zwei Ebenen.

Therapie Empfehlenswert ist es, Patienten mit HIV-assoziierten Kaposi-Sarkomen Institutionen zuzuleiten, die große Erfahrung im Umgang mit HIV-Patienten haben.

Chirurgische Behandlung Resektion des Primärtumors beim klassischen Kaposi-Sarkom Die Exzision ist die Therapie der Wahl, ebenfalls gut praktikabel sind Kryo- und Lasertherapie. Resektion des Tumors beim HIV-assoziierten DKS Nicht indiziert, da es sich um eine Systemerkrankung handelt und Exzisionen Tumorneubildungen induzieren können. Lymphadenektomie Die Lymphadenektomie ist nicht indiziert.

Pharmakologische Therapie Kurative Therapieoptionen existieren nicht. Beim klassischen Kaposi-Sarkom ist eine Chemotherapie nur in Ausnahmefällen indiziert. Beim HIV-assoziierten DKS steht die antiretrovirale im Zentrum der Behandlung. Sie wird ergänzt durch Chemotherapieprotokolle, die entweder liposomale Anthrazykline enthalten oder Taxane, ferner durch Interferone.

Strahlentherapie Unterschiedliche Strahlenqualitäten werden individualisiert eingesetzt und bieten eine 80- bis 90-prozentige Ansprechrate.

Prognose und Nachsorge Klassisches Kaposi-Sarkom: langsam progredienter Verlauf, sodass nicht selten andere Krankheiten prognostisch bedeutsamer sind. Bei HIV-Patienten ist die Prognose multifaktoriell, wovon eine Komponente das DKS ist. Zur Nachsorge existieren keine gesicherten Daten.

29.2.5 Merkelzellkarzinom Synonym: kutanes neuroendokrines Karzinom, trabekuläres Karzinom.

Allgemeines – Inzidenz – Ätiologie Merkelzellkarzinome gehen von den gleichnamigen Zellen aus, die dem diffusen neuroendokrinen System zuzurechnen sind (APUD-System). Es erkranken vorwiegend Menschen im 6. und 7. Lebensjahrzehnt. Es handelt sich um einen seltenen Tumor, der bis Ende der 90er-Jahre des 20. Jahrhunderts etwa 600-mal publiziert worden war. Die genaue Inzidenz ist unklar, ebenso die Ätiologie.

Initialdiagnostik – Differenzialdiagnosen Der Tumor zeigt sich an meist lichtexponierten Lokalisationen als erhabener, kugeliger, z. T. auch plaqueartiger, rötlicher bis livider, solider Knoten ohne spezifische Charakteristika, sodass eine klinische Diagnose oft nicht möglich ist und die Differenzialdiagnosen weit reichen. Die Inzisions- oder Exzisionsbiopsie liefert die Diagnose, wobei der Nachweis neuronspezifischer Enolase (NSE) und von Chromogranin A sowie verschiedenen Zytokeratinen auch bei regulären Merkel-Zellen gelingt. Eine Differenzierung der histologischen Typen (trabekulärer Typ, intermediärer Zelltyp, kleinzelliger Typ) sollte zur besseren prognostischen Einschätzung angestrebt werden.

Weiterführende Diagnostik Lymphknoten- und abdominale Sonografie sowie eine Röntgen-Untersuchung der Lunge in zwei Ebenen sind obligat, bei Hinweisen auf Fernmetastasen ergibt sich die Notwendigkeit organspezifischer Diagnostik mittels CT oder MRT. Der Wert einer Somatostatinrezeptorszintigrafie ist derzeit nicht abschätzbar, Tumormarker sind bislang nicht beschrieben. Lokal weiter fortgeschrittene Tumoren werden zur Abschätzung der lokalen Operabilität mittels CT oder MRT evaluiert.

Stadieneinteilung Die Leitlinien der Deutschen Krebsgesellschaft empfehlen folgende Einteilung, da eine allgemeingültige Stadieneinteilung bislang nicht akzeptiert ist:

• Stadium I entspricht ausschließlich auf einen Primärtumor beschränkten Erkrankungen; • Stadium II: lokoregionäre Metastasen; • Stadium III: Fernmetastasen. Therapie Chirurgische Behandlung Resektion des Primärtumors Die operative Therapie ist die Regel. Die Exzisionslinie muss einen Abstand von mindestens 3 cm zum sichtbaren Tumorrand haben, um der hohen Neigung zur lokalen Rezidivierung zu begegnen. Sofern aus Gründen der Lokalisation diese Radikalität nicht realisiert werden kann (z. B. Gesicht), sollte auf die mikrografische Technik zurückgegriffen werden (vgl. ). Eine adjuvante Radiatio ist meist ratsam (s. u.). Lymphknotenmetastasen, Lymphadenektomie Weder für die systematische Lymphadenektomie noch für die Sentinel-Lymphknoten-Biopsie liegen gesicherte Erkenntnisse vor. Eine durch Biopsie gesicherte Lymphknotenmetastasierung dokumentiert in jedem Fall eine prognostische Verschlechterung und sollte zu einer therapeutischen Lymphstationsausräumung mit anschließender Radiatio (s. u.) Anlass geben.

Chemotherapie Die eingesetzten Protokolle orientieren sich am kleinzelligen Bronchialkarzinom und können als palliative Maßnahme bei Fernmetastasierung Vollremissionen von allerdings nur sehr kurzer Dauer erzielen.

Strahlentherapie Sie ist adjuvant unter Einschluss auch der korrespondierenden Lymphknotenstationen zur signifikanten Verbesserung der lokalen Tumorkontrolle empfohlen, ferner nach Lymphadenektomie wegen Lymphknotenmetastasen. Operativ nicht behebbare R1-Situationen stellen ebenfalls eine Indikation dar. Die Strahlentherapie kommt in kurativer Intention bei nicht operationsfähigen/-willigen Patienten in Betracht und kann dem konventionell chirurgischen Vorgehen gleichwertige Erfolgsaussichten bieten. Zu applizieren sind mindestens 70 Gy für eine kurative Therapie und nach R2-Resektionen, zwischen 50 und 55 Gy im Rahmen adjuvanter Maßnahmen und 60–66 Gy nach R1-Resektionen.

Prognose Etwa jeder dritte Patient entwickelt bereits innerhalb eines Jahres ein Rezidiv und stirbt am Merkelzellkarzinom.

Nachsorge Definitive Empfehlungen liegen nicht vor. Angesichts der Rezidivfreudigkeit werden für das erste postoperative Jahr Intervalle von 4–6 Wochen unter

Einschluss einer Lymphknotensonografie angeraten, die in den nächsten Jahren auf viertel- bzw. halbjährliche Termine verlängert werden. Einmal pro Jahr sollten Abdomen und Thorax sonografisch bzw. radiologisch untersucht werden. Ob 5 Jahre als Nachsorgezeit ausreichen, ist unbekannt.

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KAPITEL 30

Weichgewebssarkome Hans U. Steinau, Lars Podleska, Lars Steinsträsser and Jörg Hauser

30.1. 30.2. 30.3. 30.3.1. 30.3.2. 30.3.3. 30.4. 30.5. 30.6. 30.6.1. 30.6.2. 30.6.3. 30.6.4. 30.6.5.

30.1 Vorbemerkungen Mit ca. 2.400 Neuerkrankungen pro Jahr zählen Weichgewebssarkome zu den seltenen Neoplasien westlicher Industrienationen. Entsprechend ihrem Erscheinungsbild erhalten die mesenchymalen Stammzellen je nach ihrer Ausdifferenzierung den Namen der imitierten Normalgewebe. Der Begriff „Weichgewebssarkome“ umfasst dabei mehr als 140 Subtypen, die lichtmikroskopisch, immunhistochemisch, molekularbiologisch und/oder zytogenetisch abgegrenzt werden können. Komplizierend wirkt zusätzlich ihre Heterogenität, wobei in einem Tumor unterschiedlich aggressive Gewebekomponenten oder divergierende Gewebetypen enthalten sein können, die auf diagnostische Verfahren und adjuvante Therapieformen variabel reagieren. Bei der graduellen Tumor-Zuordnung im TNM-GR-System und Risikoabschätzung führt jedoch immer die Zellsorte mit den onkologisch ungünstigsten Eigenschaften. Als häufigste Sarkomgruppen gelten neben den Liposarkomen die malignen fibrösen Histiozytome (MFH, aktuell auch als NOS = not otherwise specified klassifiziert), gefolgt von Synovialzellsarkomen, im Kindesalter dominieren die Rhabdomyosarkome. Je nach Patientenselektion lassen sich bevorzugte Lokalisationen benennen: Meist ist die Oberschenkelregion betroffen, danach die stammnahen Extremitätenareale, der Rumpf, die Viszera und das Retroperitoneum. Selten entwickeln sie sich in der Extremitätenperipherie, im Kopf-Hals-Bereich oder in den inneren Organen. Eine besondere Rolle nehmen die semimalignen Tumoren wie die aggressive Fibromatose (Desmoid) oder das Dermatofibrosarcoma protuberans ein. Sie werden in das chirurgische Kapitel „Weichgewebssarkome“ integriert, da das lokale aggressive Wachstum zu vergleichbaren radikalen operativen Methoden zwingt. Eine Metastasierung ist hingegen im Regelfall nicht zu erwarten.

30.2 Pathogenese Die Entstehung der malignen Weichgewebstumoren bleibt weitgehend unklar. Als auslösende Kofaktoren gelten chemische Substanzen wie Agent Orange oder Vinylabkömmlinge, darüber hinaus werden eine Radiatio, dauerhafte Radarwellenexposition, angeborene Gewebeveränderungen (z. B. Morbus Recklinghausen), Fremdkörpereinpflanzungen oder spontane genetische Alterationen diskutiert. Bei Auftreten multipler oberflächlicher Fettgewebsgeschwülste besteht durchaus das Risiko einer punktuellen malignen Transformation, ebenso ist diese nach wiederholten Rezidiven primär „gutartiger“ Tumoren nur durch eine pathohistologische Untersuchung auszuschließen.

30.3 Diagnostik 30.3.1 Anamnese und klinische Untersuchung Klinisch treten Weichgewebssarkome meist nach langsam verdrängendem Wachstum erst bei deutlichen Konturveränderungen oder Kompression benachbarter Strukturen mit uncharakteristischer Schmerzsymptomatik und Parästhesien in Erscheinung. An der unteren Extremität und im Retroperitoneum sind diese Malignome bei protrahiertem Verlauf nicht selten mit Thrombosen assoziiert. Im Regelfall erinnert das Kausalitätsbedürfnis die Patienten dann an ein monatelang zurückliegendes Trauma mit regionaler Schwellung. Insbesondere im Oberschenkel oder Retroperitoneum können Weichgewebssarkome zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bereits ein erstaunliches Wachstum entwickelt haben. Ein Tumordurchmesser von > 5 cm, die Lokalisation unterhalb der Muskelfaszie, rasche Größenprogredienz, schmerzhafte Infiltration, zunehmende

neurologische Ausfälle und die Entstehung im Retroperitoneum, in der Axilla, Leiste oder Regio poplitea gelten als malignitätsverdächtig. Die allgemeine klinische Untersuchung umfasst neben den Routineparametern u. a. die etagengerechte Erhebung des Gefäß- und neurologischen Status sowie den selten auftretenden Lymphknotenbefall. Eine Sonografie vermag bereits die definitive lokale Situation zu klären.

30.3.2 Laborparameter Für Weichgewebssarkome ergeben sich präoperativ keine spezifischen Marker oder Blutbildveränderungen. Die Routineuntersuchung umfasst daher nur die alters- und komorbiditätsspezifische Labordiagnostik. Für den operativen Eingriff an den Extremitäten wird im Regelfall keine Transfusion benötigt. Hier reicht die Blutgruppenbestimmung aus, wenn die Malignome grundsätzlich unter arterieller Okklusion in temporärer Ischämie entfernt werden.

30.3.3 Bildgebende Diagnostik Neben der Sonografie bietet die MRT-Untersuchung dreidimensionale Schnittfolgen, die eine sichere präoperative Planung im Tumorboard erlauben. Bei Verdacht auf vaskuläre Beteiligung kann eine ergänzende Angiografie integriert werden. Sprechen die klinischen Zeichen für eine Abflussstörung, sollte die Duplexuntersuchung zum Ausschluss flottierender Thromben erfolgen (cave: Beseitigung der Tumorkompression und Abflussstörung mit Gefahr einer intraoperativen Embolie!) Vor Diagnosesicherung reicht die Lungenübersicht in zwei Ebenen aus, um groborientierend eine Metastasierung zu verifizieren. Eine Knochenszintigrafie und Thorax-CT dienen bei entsprechender Bestätigung eines G2-/G3-Sarkoms zur weiteren Abklärung. Wegen der niedrigen Inzidenz von Lymphknotenmetastasen besteht nur in seltenen speziellen Fällen eine Indikation zur Lymphszintigrafie. Bei Lokalisation im Retroperitoneum oder bei transmuralem Organbefall gehören eine intravenöse Darstellung der ableitenden Harnwege sowie endoskopische Untersuchungen der Hohlorgane zum Routineprogramm. Zusätzliche Untersuchungen erfolgen in Abhängigkeit von klinischen Befunden.

30.4 Operationsindikation und interdisziplinäre Planung Grundsätzlich sollte bei allen Neubildungen, auch aus forensischen Gründen, in den Weichgeweben eine histologisch-pathologische Abklärung erfolgen. Selbst unter dem überzeugenden statistischen Aspekt, dass z. B. Lipome eine Inzidenz von 300/100.000 aufweisen und Weichgewebssarkome nur 3 von 100.000 Einwohnern befallen, führt eine unterlassene Entfernung nicht selten zur juristischen Auseinandersetzung. In der Regel wird das Weichgewebssarkom im klinischen Alltag erst nach ambulanter Operation eines oberflächlichen Tumors als Zufallsbefund durch den Pathologen entdeckt. Bei einer adäquaten Nachresektion und adjuvanten Behandlung verschlechtert sich die Prognose der Patienten nicht. Bei Vorliegen klinischer Verdachtsmomente auf einen malignen Befund und u. a. bei subfaszialer oder retroperitonealer Lage, im Kopf-Hals-Bereich, in der Extremitätenperipherie oder in Gelenksnähe und bei Infiltration der Rumpfwand sollte der Patient grundsätzlich einem Tumorzentrum vorgestellt werden, welches das Spektrum der operativen Maßnahmen und die Palette der adjuvanten Behandlungsformen vorhält. Hier kann nach Abwägung der spezifischen Parameter eine Therapiestrategie entwickelt werden, die den Patienten z. B. in über 90 % der Extremitätentumoren die Gliedmaße erhält, Lokalrezidivquoten von unter 10 % garantiert und darüber hinaus eine 5-Jahres-Überlebensrate von ca. 70 % erreichen lässt , , , . Vorschnelle Entscheidungen mit unbedachten Schnittführungen oder technische Probleme mit konsekutiven R1-Resektionen verschlechtern diese Chancen drastisch. Auch die Definition eines „inoperablen Tumors“ und die daraus resultierende Indikation zur perioperativen Radio-/Chemotherapie oder Perfusionsbehandlung der Gliedmaße (ILP,Kap. Kap.30.6.2) sollte dem Tumorboard vorbehalten bleiben. Die Patienten sind dabei in klinische Studien zu integrieren, da die Wertigkeit dieser Verfahren für einzelne Sarkomtypen noch bestätigt werden muss. Eine identische Vorgehensweise ergibt sich auch für Kinder und Jugendliche, die ohne Ausnahme in die kooperative Weichgewebssarkomstudie (CWS) eingebracht und unter standardisierten Bedingungen therapiert werden sollten.

30.5 Aufklärung Die Informierung des Patienten über wesentliche Komplikationsmöglichkeiten wie Hämatombildung, Wundheilungsstörung, Abszesse, katheterassoziierte Infektionen und Revisionseingriffe entspricht den allgemeinen Richtlinien bei Operationen. Für den Extremitätenbereich sollten u. a. bei multimodaler Therapie die postoperative Physiotherapie, Funktionseinbußen, chronische Schmerzen, Morbus Sudeck (CRPS), Konturverschmächtigung, Lymphödeme, Geschwürbildungen und Zweittumoren, Rezidive, septische Komplikationen und schließlich die sekundäre Amputation angesprochen und dokumentiert werden. Für den Rumpfbereich zählen Verletzungen der Hohlorgane, Empyeme, Pneumonien, schmerzhafte Belastungsstörungen von Thorax und Abdominalwand, Hernien, Sepsis, paradoxe Atembewegung sowie postoperative Beatmung zu den möglichen Konfliktpunkten.

30.6 Operative Therapie 30.6.1 Biopsie, pathohistologische Befundung, Klassifikation Die Zugangswege der Gewebeentnahme bereiten oft erhebliche Probleme, da sie als kontaminiert mit Tumorzellen gelten und bei dem definitiven Eingriff vollständig entfernt werden müssen. Grundsätzlich sollte daher eine Schnittführung und Drainageausleitung gewählt werden, die sich in die nachfolgende Resektion und Rekonstruktion integrieren lassen. Für horizontale Inzisionen z. B. im Extremitätenbereich ergibt sich keine Indikation, vielmehr vergrößern diese den endgültigen Haut-Weichgewebs-Verlust und fordern dann zusätzliche rekonstruktive Maßnahmen. Gleiches gilt für die Drainageausleitung. Longitudinale Zugänge sind daher zu bevorzugen. Im Rumpf- und Extremitätenbereich sollten die Areale der fasziokutanen und myokutanen Lappenplastiken und besonders ihre axiale Gefäßversorgung intakt bleiben, da die onkologisch notwendigen Defekte mit ihnen verschlossen werden. Oberflächliche Venensysteme und dominante Lymphkollektoren sollten im Regelfall erhalten bleiben, da sonst die konsekutive Tumorentfernung und postoperative Nachbestrahlung mit hoher Wahrscheinlichkeit in einem dauerhaften Lymphödem enden.Kap. zeigt zwei Biopsiezugänge, die unnötig das endgültige Resektionsausmaß vergrößern und das Risiko der Abflussstörung erhöhen.

Z. n. Probeexzision im Bereich des linken medialseitigen Oberschenkels bei Verdacht auf Liposarkom. Wundferne Ausleitung der Drainage, weit ausgestochene Einzelknopfnähte, Querinzision proximal mit unnötiger Lymphknotenexzision. Durchtrennung wichtiger Lymphkollektoren. [ ] ABB. 30.1

Für subkutane, epifasziale Tumoren kleiner als 3 cm ohne Kontakt zu Gefäß-Nerven-Bahnen oder dem Knochen bietet sich auch die Exzisionsbiopsie an. Hinsichtlich der Probeentnahme gelten folgende grundlegende Empfehlungen:

• Der Zugang folgt dem kürzesten Weg zum Tumor, benachbarte Muskelhüllen bleiben intakt! • Der Pathologe benötigt mindestens 2 cm 3 Tumorgewebe, das nicht aus Nekrosezonen, sondern von soliden Tumorzonen im Randbereich stammt. • Nach sorgfältiger Blutstillung ist die Redon-Einlage obligat! Nachblutungen breiten sich in den Muskelkompartimenten und subkutan aus und kontaminieren das gesamte Hämatomareal mit Tumorzellen! Daraus resultiert eine auf das Vielfache vergrößerte Resektions- und Bestrahlungsfläche. • Eine postoperative Blutergussbildung oder eine Abflussstörung der Drainage mit zunehmender Schwellung bedarf daher der unverzüglichen Revision! • Entgegen dem Katalog stationsersetzender Leistungen ist der Eingriff unter stationären Bedingungen durchzuführen. • Eine postoperative Ruhigstellung in Gipsschiene oder Kompressionsverband ist anzuraten. Zur Frage der Feinnadel- oder Stanzbiopsie existieren unterschiedliche Beurteilungen. Während diese im Retroperitoneum als Methodik akzeptiert sind, leisten sie im Extremitätenbereich nur in erfahrener Hand mit Entnahme von Proben, die sonografisch oder in CT-Schnittbildtechnik lokalisiert werden, vergleichbare Ergebnisse wie die offene Inzisionsbiopsie. Die entnommenen Gewebeproben erreichen den Pathologen als Frischpräparat! Durch konventionelle Pathohistologie sowie moderne immunhistochemische und molekularbiologische Zusatzuntersuchungen wird die Diagnose gesichert. Aktuelle zytogenetische Methoden identifizieren dabei spezifische Chromosomentranslokationen oder Genfusionen einiger Tumoren wie etwa des EwingSarkoms. Die Befundung sollte neben dem Tumortyp auch das Grading enthalten, das eventuell Zusatztherapien vor der definitiven Resektion beeinflusst. Diese Angaben fließen in die präoperativen Staging-Untersuchungen ein. Unter den verschiedenen Klassifizierungen ist das TNM-System (Kap. Tab. 29.2) zu bevorzugen, wobei für Weichgewebssarkome das T die Tumorgröße unter oder über 5 cm Ausdehnung definiert, N den Lymphknotenstatus beschreibt und M das Vorliegen von Metastasen dokumentiert. Die Differenzierung in hochmaligne, intermediäre und niedrigmaligne Sarkome symbolisiert das Grading G1– G3, das als wichtigster prognostischer Faktor gilt und darüber hinaus adjuvante Therapiemodalitäten beeinflusst. Die zusätzliche Unterscheidung in oberflächliche und tiefe Lokalisation (T1a oder 2a für epifaszial und T1b oder 2b für subfaszial) gilt als weiterer Prognoseparameter . Große Bedeutung kommt dabei der Erfahrung des Untersuchers in der Weichteilpathologie zu. Mit einer retrospektiven Studie von 603 Weichgewebssarkomen konnte gezeigt werden, dass bis zu 60 % der Erstbefunde Diskordanzen zur Referenzpathologie aufwiesen, wobei Malignitätskriterien, Grading, Subtypisierung oder fehlende Angaben zur Korrektur beitrugen , . Diese Ergebnisse relativieren die Aussagen klinischer Studien des Erwachsenenalters beträchtlich. Eine Referenzpathologie en principe ist daher für Weichgewebssarkome vorzusehen.

30.6.2 Neoadjuvante Therapiekonzepte Bei ausgedehntem Wachstum von G2-/G3-Sarkomen mit Infiltration von Nerven, Gefäßen oder Knochen sowie technischer „Inoperabilität“ kann die Vorbehandlung mit mehreren Zyklen Radio-/ Chemotherapie zu einer Zytoreduktion führen. An den Extremitäten gilt dies gleichermaßen für die hypertherme Perfusionsbehandlung unter Zusatz von Zytostatika (Melphalan) und TNF-α. In ausgewählten klinischen Konditionen kann dadurch eine sekundäre Operabilität erzielt werden. Diese Formen der präoperativen Tumorverkleinerung bieten auf der einen Seite technische Vorteile, auf der anderen Seite bedingen sie eine höhere Rate von Wundheilungsstörungen, dauerhaften Schwellungen und Funktionseinbußen. Die Entscheidung und das perioperative Management sollten daher einem erfahrenen Team in einem High-Volume-Tumorzentrum übertragen werden.

30.6.3 Tumorresektion und funktionelle Wiederherstellung Bei der multidisziplinären Behandlung von Weichgewebssarkomen stellt die Entfernung in sano (R0) den wichtigsten Parameter zur Verhütung eines Lokalrezidivs dar. Keine zusätzliche Maßnahme kann diesen chirurgischen Eingriff vollständig ersetzen!

Radikalität der Resektion Der Kompromiss einer Tumorentfernung knapp im Gesunden, eine intraoperative Sarkomeröffnung oder das Belassen von makroskopischen oder mikroskopischen Residuen enden in hohen lokoregionären Rezidivraten. Die daraus resultierenden R1-Situationen sollten im OP-Bericht klar benannt werden.

Ein erneuter Eingriff ist dann mit größeren technischen Schwierigkeiten und dem Risiko funktioneller Einbußen bis hin zu weitergehenden Verstümmelungen oder Amputationen verbunden. Im Abdomen und Thorax bedeutet dies zusätzlich den Verlust von funktionellen Rumpfwandeinheiten und/oder viszeralen Organanteilen. Die notwendig werdenden multimodalen Therapieformen führen dann zu einer weiteren Belastung des Patienten. Die lokalen und systemischen Auswirkungen einer Radio-/Chemotherapie potenzieren darüber hinaus das Risiko einer Wundheilungsstörung beträchtlich. Selbst erfahrene Zentren berichten von Komplikationsraten bis über 50 %. Angesichts dieser Konditionen werden klare Empfehlungen zu den Radikalitätsprinzipien notwendig. Der in der Literatur verwendete Begriff der „ Kompartmentresektion “ (Syn. „Kompartimentresektion“) bedeutet die Entfernung des Tumors mit der umhüllenden gesunden Muskulatur vom Ansatz bis Ursprung. Obwohl überzeugende Serienschnittdaten für dieses radikale Vorgehen seit über 100 Jahren fehlen, wird das Verfahren noch immer empfohlen. Die „weite Exzision“ oder „ Muskelgruppenresektion“ mit einem Sicherheitsabstand von lateral allseitig 2–3 und zur Tiefe 1 cm hat aktuell Akzeptanz erreicht und gelingt an den häufigen Entstehungsorten des Oberschenkels und des Rumpfes. Andere Lokalisationen wie gelenksnaher Tumorsitz, Unterschenkel und Unterarm lassen sich jedoch nicht in diese schematischen Darstellungen einfügen. Hier sollte ebenfalls die Resektion in sano mit einem Saum gesunden Gewebes ohne Eröffnung der belassenen Tumorumhüllung als Prinzip gelten. In Verbindung mit einer suffizienten postoperativen Radiatio resultieren dabei Rezidivquoten unter 10 %. Die technisch einfache „Ausschälung“ eines Weichgewebssarkoms ohne Sicherheitssaum, die im OP-Bericht faktisch als eine R1-Resektion definiert werden sollte, oder das Belassen makroskopisch sichtbarer Tumorreste (R2-Resektion) sind heute nur noch bei palliativen Eingriffen erlaubt. Die technisch einfache „Ausschälung“ eines Weichgewebssarkoms ohne Sicherheitssaum, die im OP-Bericht faktisch als eine R1-Resektion definiert werden sollte, oder das Belassen makroskopisch sichtbarer Tumorreste (R2-Resektion) sind heute nur noch bei palliativen Eingriffen erlaubt. Für die Extremitätenperipherie wird die Strahlresektion nur noch in Ausnahmefällen nötig. Auch bei einem Durchwachsen der Membrana interossea von Unterschenkel und Unterarm oder bei Infiltration des Hand- oder Fußskeletts wird meist eine Ablatio zu umgehen sein, wenn eine Extremitätenperfusion mit TNF-α/Melphalan erfolgte. Darüber hinaus sollte mit allen Möglichkeiten der plastischen Wiederherstellungschirurgie versucht werden, eine R0-Resektion und Erhaltung von Restfunktionen zu erzielen.

Isolierte Extremitätenperfusion mit TNF-α und Melphalan Als quasi neoadjuvantes Therapieverfahren bei ausdehnten Weichgewebssarkomen stellt die isolierte Extremitätenperfusion (engl.: isolated limb perfusion, kurz: ILP) mit TNF-α und Melphalan (TM-ILP) eine hochwirksame lokale Therapiealternative dar. Die Ansprechraten für Weichgewebssarkome liegen im Bereich von 70–80 %; dadurch wird ein Erhalt der Extremität in über 80 % bei extremitätenbedrohenden Tumoren möglich . Der Therapieeffekt beruht auf der Kombination der TNF- und der Melphalan-Wirkung: TNF-α bewirkt eine erhöhte Permeabilität des Tumor-Gefäßendothels und damit eine signifikante Erhöhung des Melphalan-Konzentration im Tumorgewebe . Innerhalb der folgenden 24–48 Stunden nach der ILP kommt es zusätzlich zu einer selektiven, TNF-Rezeptor-1-vermittelten Apoptose des Tumorendothels. Daraus folgt eine deutliche Stabilisierung der Randbereiche des Tumorgewebes . Hierdurch wird eine spätere, funktionserhaltende Resektion in vielen Fällen wieder ermöglicht. zeigt schematisch den Aufbau der ILP: Über einen proximalen Gefäßzugang werden Vene und Arterie mit Gefäßkathetern kanüliert. Über den Kanülen wird dann eine Blutsperre-Manschette bzw. ein Tourniquet angelegt, das für die Dauer der Perfusion den systemischen und den Extremitätenkreislauf trennt. Aufgrund der hohen systemischen Toxizität des TNF-α ist eine kontinuierliche, intraoperative Leckratenüberwachung mit einem radioaktiven Tracer, der in den Extremitätenkreislauf injiziert wird, erforderlich. TNF-α wird üblicherweise in einer Dosis von 1–4 mg für 10 bis 30 Minuten appliziert, bevor Melphalan in einer Dosis von 10–13 mg/Liter Extremitätenvolumen hinzugegeben wird. Die Perfusion wird dann nach weiteren 60 Minuten durch Auswaschen der Extremität mit einer kolloidalen Lösung (z. B. HAES 10 %) beendet.

ABB. 30.2

Isolierte Extremitätenperfusion mit TNF-α und Melphalan. [ ]

Auch beim malignen Melanom der Extremitäten mit In-Transit-Metastasen oder bei „bulky disease“ ist die TM-ILP ebenfalls eine hochwirksame Therapiealternative . Hier stellt die anschließende Resektion des Tumors (insbes. bei multiplen In-Transit-Metastasen) keinen obligaten Bestandteil eines Therapiekonzeptes dar. Aufgrund der noch besseren Ansprechraten im Vergleich zu den Sarkomen können so komplette Remissionen von mehreren Jahren erzielt werden. Bei Verdrängung großkalibriger Blutgefäße und intaktem perivaskulärem Hüllgewebe reicht im Regelfall die sorgfältige Dissektion mit Verschluss der Seitenäste aus.

Vorgehen bei Tumorresektion Abb.30.3 demonstriert den systematischen Ablauf: Das präoperative MRT zeigt ein myxoides Liposarkom T2NxMxG3 der linken Oberschenkelvorderfläche mit Infiltration des M. quadriceps femoris (Kap. a undKap. b). Zunächst Darstellung der Femoralgefäße, die unterhalb des Leistenbandes temporär abgeklemmt werden. Dann fischmaulförmige Umschneidung der bestehenden Biopsieinzision und des Drainagekanals, der korrekt an den Wundwinkel platziert war. Dann epifasziale Präparation unter Schonung der V. saphena magna und der begleitenden Lymphkollektoren (Kap. c). Zur Seite und zur Tiefe hin Belassen eines Muskel-Faszien-Mantels, sodass der Tumor zirkulär von einem gesunden Gewebesaum bedeckt bleibt. Anschließend Aushülsen von A. und V. femoralis unter Dissektion der Hüllgewebe (Kap. d). Proximal Darstellung des N. femoralis, der mikrochirurgisch so aufgeteilt wird, dass die motorischen Äste für den M. vastus lateralis und distale Anteile des M. vastus medialis erhalten bleiben (Kap. e). Einlegen einer Redon-Drainage und Ausleitung am unteren Wundpol, Eröffnung der Gefäßklemme, sorgfältige Blutstillung, schichtweiser Wundverschluss mit intradermaler Hautnaht (Kap. f).Kap. g zeigt das Resektat, das ex situ auf eine Korkplatte fixiert in die Pathologie gesendet wird, sodass die umhüllende Muskulatur nicht beim Transport disloziert.

Myxoides Liposarkom (GIII) der linken Oberschenkelvorderseite mit Infiltration des M. quadriceps femoris. a) MRT-Befund T1-gewichtet. b) MRT-Befund T2-gewichtet. c)–g) Operationsverlauf: weite Exzision des Tumors unter schrittweiser Dissektion der A. und V. femoralis über 22 cm. Erhaltung von V. saphena magna und der axialen Lymphkollektoren. Inzisionsnahe Redon-Ausleitung. [ ] ABB. 30.3

Bereits die präoperative MRT-Diagnostik ergab eine klare Indikation für eine perioperative Radio-/Chemotherapie, da Sicherheitsabstände von > 1 cm zur Tiefe hin nicht zu erzielen waren.

Funktionelle Wiederherstellung Infiltriert das Sarkom jedoch Blutgefäße, ist der segmentale Ersatz mit autologen Veneninterponaten, selten mit prothetischem Material zu empfehlen. Die Infiltration stammnaher Nerven zwingt ebenfalls zur segmentalen Resektion. Hierbei sollte beachtet werden, dass z. B. die untere Extremität mit entsprechender Schuhversorgung durchaus auch ohne N. ischiadicus oder N. tibialis eine befriedigende Gangfunktion entwickelt. Segmentale Resektionen des N. peroneus oder der großen Nervenstämme an der oberen Extremität lassen sich durch Kabeltransplantate und/oder Sehnenersatzoperationen gut rekonstruieren oder kompensieren. Für kurzstreckige Knochendefekte stehen konventionelle Spongiosa und Späne oder mikrochirurgische Knochentransplantate, u. a. bei Strahlenschäden, zur Verfügung. Darüber hinaus leisten Knochentransportmethoden (Verfahren nach Ilisarov) für langstreckige Defekte primär oder sekundär einen wichtigen Beitrag. Im Falle eines segmentalen Extremitätenbefalls sollte geprüft werden, ob distale gesunde Amputatanteile nicht zur Stumpfverlängerung eingesetzt werden können. Die konventionellen Operationen nach Sauerbruch oder Borggreve werden durch aktuelle mikrochirurgische Transplantate von osteomyokutanen Fußoder Unterschenkelfilets ergänzt. Ziel muss dabei ein endbelastbarer Stumpf sein, der die Prothesenfähigkeit und damit die Rehabilitation verbessert. Ein besonderes Augenmerk verdient die Wiederherstellung des Integuments, wenn eine Radiotherapie vorgesehen ist oder ein Rezidiv im Bestrahlungsfeld vorliegt. In beiden Fällen sollte unter Einsatz von Lappenplastiken auch in mikrochirurgischer Transplantationstechnik versucht werden, eine gut vaskularisierte Haut-Subkutis-Bedeckung zu erzielen. Zur Prophylaxe einer Wundheilungsstörung sind darüber hinaus bereits beim Ersteingriff Segel- und Höhlenbildungen durch gestielte oder mikrochirurgisch verpflanzte, unbestrahlte Muskellappen einzuebnen sowie Gefäß-Nerven-Bündel und skeletale Anteile abzudecken. Eine besondere Problematik bieten in der Rumpfwand lokalisierte Weichgewebssarkome. Bei onkologisch adäquater Entfernung resultieren ausgedehnte, allschichtige Defekte evtl. unter Beteiligung von Rippensegmenten. Am Thorax kann dann eine Stabilisierung mit Kunststoffnetzen unter transkostaler Fixation mit nichtresorbierbarem Nahtmaterial erfolgen, wobei zur Weichgewebsrekonstruktion entweder lokale Verschiebeschwenklappen oder myokutane Lappenplastiken dienen. Die Indikation zur Wandverstärkung ist ab 3 fehlenden Rippensegmenten zur Verhütung paradoxer Atmung gegeben, die Netze können problemlos mit der Pleura pulmonalis Kontakt erhalten. Die Pleuradrainage kann nach 3–4 Tagen gezogen werden. Im Gegensatz zur Lungenoberfläche sollten konventionelle Netzrekonstruktionen der Bauchwand grundsätzlich mit Omentum majus unterfüttert werden, ein Hohlorgankontakt ist wegen der Gefahr von Arrosionsfisteln strikt zu vermeiden! Die modernen beschichteten Netze gelten hier als gute Alternative ohne diese Gefährdung.

Auch im Abdominalbereich kann überschüssiges Weichgewebe als Verschiebeschwenklappen benutzt werden, wobei Perforansgefäße darzustellen und zur besseren Durchblutung zu respektieren sind (Kap. ). Für Defekte über 20 × 25 cm eignen sich myokutane Lappen vom Oberschenkel oder von der kontralateralen Seite oder mikrochirurgische Transplantate. Insbesondere unter dem Aspekt, dass Patienten mit Weichgewebssarkomen eine gute Überlebensprognose aufweisen, erscheinen selbst komplexe Rekonstruktionen gerechtfertigt, da sie für die Mehrzahl der Betroffenen über Jahrzehnte funktionelle Vorteile bieten. Der kurzsichtige Kompromiss, wegen der Defektgröße randständige Tumorentfernungen oder knappe Sicherheitszonen zu tolerieren, endet meist in deutlich größeren sekundären Resektionsdefekten und Bestrahlungszonen. Auch hier hat das Prinzip der interdisziplinären Kooperation zum Umdenken Anlass gegeben. E i n e Lymphadenektomie ist für nahezu alle Regionen selten indiziert, da nur bestimmte Weichgewebssarkome (z. B. Rhabdomyosarkom, Epitheloidzellsarkom, Synovialzellsarkom) mit niedriger Inzidenz die Lymphknoten besiedeln. Bei klinischem Befall sollte jedoch mit der Entfernung nicht gezögert werden, da sonst ausgedehnte exulzerierte und verjauchende Tumormassen entstehen können, die dann unter Palliativbedingungen deutlich schlechter zu therapieren sind.

30.6.4 Komplikationen Intraoperativ Neben den allgemeinen chirurgischen Risiken gilt es u. a. den Aufbruch von Riesentumoren und damit die Kontamination der gesamten Resektionshöhle mit Tumorzellen zu vermeiden. Hierzu muss taktisch die präparative Entwicklung präoperativ durch das MRT so geplant und durchgeführt werden, dass immer suffiziente unbetroffene Weichgewebe den Tumor umhüllen. Lassen ausgedehnte verflüssigte zentrale Nekrosen keine andere Wahl, so kann über eine zirkulär abgedeckte Stichinzision abgesaugt werden. Die Läsion wird dann nach Entlastung meist mehrerer Liter durch doppelte Tabaksbeutelnaht verschlossen und mit einer Folie abgeklebt. Es folgen Handschuh- und Instrumentenwechsel. Eine initial proximal angelegte arterielle Okklusion erleichtert die Präparation beträchtlich und verhütet insbesondere bei schwierigen Lokalbefunden eine akute Blutung oder größeren Blutverlust.

Postoperativ Bei postoperativen Hämatombildungen, infizierten Seromen oder Wundrandnekrosen ist die Indikation zur Frührevision gegeben. Die Exposition von bestrahlten offenen Gelenken, Knochen oder stammnahen Blutgefäßen stellt eine Notfallindikation zur Sanierung dar! Liegt ein Zustand nach neoadjuvanter Radio-/Chemotherapie vor, sollte bei Wundheilungsstörungen in der Leiste, der Axilla, der Poplitea mit frei liegenden dissezierten Gefäß-Nerven-Straßen oder der langen Röhrenknochen und Gelenke unverzüglich ein Sekundäreingriff mit suffizienter Weichgewebsbedeckung erfolgen. Nach neoadjuvanter Therapie kann kaum eine rasche spontane Granulation des Wundgrundes erwartet werden, und eine Gefäßruptur, Fraktur oder tiefe Infektion droht bei protrahiertem Verlauf. Besser ist es, diesen häufig auftretenden Sekundärheilungen durch primäre prophylaktische Bedeckung der Strukturen und durch die Sanierung von Höhlenbildungen mit Muskellappen oder myokutanen Transplantaten vorzubeugen. Gleiches gilt für dünne Wundlefzen. Zeichnet sich durch Blaufärbung und schließlich Vertrocknung eine Wundrandnekrose ab, ist der frühzeitige Revisionseingriff mit plastischer Deckung notwendig, um die postoperative adjuvante Therapie nicht durch wochenlange Heilung per secundam oder Fistelbildungen unnötig zu verzögern.

30.6.5 Postoperative Behandlung Postoperative Überwachung und Pflege Im Extremitätenbereich sollte eine Ruhigstellung durch Gipsschiene oder Orthese bis zum Versiegen der Wundsekretion erfolgen, insbesondere wenn nach extraartikulärer Resektion eine vollständige Reinsertion des Muskelmantels notwendig wurde. Bei betagten Patienten mit Schmerzkathetern und Nebenbefunden wie Diabetes, AVK und Polyneuropathie sind die Prädilektionsstellen von Dekubitalulzera sorgfältig zu polstern und regelmäßig zu kontrollieren. Bei hartnäckigen Seromen, die u. a. nach großen Tumorvolumina und Resektion dominanter Lymphbahnen auftreten, sind wiederholte Punktionen und elastische Bandagen anzuraten. Dem deutlich erhöhten Thromboserisiko ist durch konsequente Frühmobilisation und perioperative Heparinisierung zu begegnen. Bei Lappenplastiken muss auf die angeordnete Lagerung und auf Hämatombildungen geachtet werden, da sonst die dominanten Gefäßstiele komprimiert werden.

Nachsorge Nach der Entlassung aus der klinischen Betreuung ist u. a. für die regelmäßige und effektive Physiotherapie Sorge zu tragen. Eine postoperative Radiatio oder Chemotherapie kann hier durch die allgemeinen Beschwerden und den psychischen Zustand des Patienten zu Compliance-Problemen führen. Es bedarf daher der konsequenten Kontrolle durch den Operateur. Hinsichtlich der onkologischen Nachuntersuchungen werden Intervalle von zunächst 3–4 Monaten über 5 Jahre vorgeschlagen. Die dabei häufig durchgeführten Laborkontrollen ergeben im Regelfall ohne ein klinisches Korrelat keine zusätzlichen Informationen. Neben der klinischen Untersuchung des Patienten geben die Lungenübersicht in 2 Ebenen und ein regionales MRT ausreichende Hinweise. Ein Thorax-CT empfiehlt sich nur bei pulmonalen Verdachtsmomenten und sollte wegen der hohen Strahlenbelastung nicht als Routineverfahren gelten. Weitere technisch aufwendige und teure Verfahren sollten nur bei klarer klinischer Indikation zum Einsatz kommen. Bei komplexen Rekonstruktionen, bestätigter R0-Resektion und postoperativer Radiatio bringen eine Kontrolluntersuchung im MRT oder ein PET-CT vor Ablauf von 4 Monaten kaum verwertbare Daten, da die Resorptionsvorgänge, Restödeme, Seromhöhlen, Hämatome und Lappenplastiken häufig zu falsch positiven Befunden beitragen. Nach dieser Periode sind verdächtige Strukturen unverzüglich unter CT- oder sonografischer Kontrolle durch Nadelbiopsie abzuklären, sodass für die Patienten keine quälenden Wartezeiten resultieren. Bei Vorliegen eines Lokalrezidivs muss eine erneute Vorstellung im Tumorboard erfolgen. Nachresektion und Rekonstruktion im Bestrahlungsfeld zählen zu den besonderen technischen Herausforderungen der Weichgewebschirurgie.

Spätfolgen Zu den Spätfolgen nach Multimodaltherapie der Weichgewebssarkome zählen metachrone Lungenmetastasen, Zweittumoren, Spontanfrakturen, Fibrosen, Ulzerationen, funktionelle Einschränkungen und Lymphödeme. Im Kindesalter sind darüber hinaus vermindertes Wachstum und Konturdefizite zu erwarten. Erneut sollten diese Patienten nicht als schicksalhafter Verlauf klassifiziert werden. Vielmehr gestatten moderne interdisziplinäre Rekonstruktionen in vielen Fällen eine Verbesserung oder Wiederherstellung von Form und Funktion.

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KAPITEL 31

Plastisch-rekonstruktive Eingriffe bei Weichgewebsdefekten Hans U. Steinau, Stefan Langer, Lars Podleska and Jörg Hauser

31.1. 31.2. 31.2.1. 31.2.2. 31.2.3. 31.2.4. 31.2.5. 31.3. 31.3.1. 31.3.2. 31.3.3. 31.3.4.

31.1 Vorbemerkungen Ausgedehnte allschichtige Weichgewebsdefekte des Rumpfes, die Exposition von neurovaskulären Strukturen, Knochen und Gelenken im Bereich von Achselhöhle und Leistenregion und fistelnde Höhlenbildungen im Bereich von Thorax und Abdomen stellen für den Viszeralchirurgen seltene Erkrankungsbilder dar. Gleichwohl erfordern diese schwerwiegenden klinischen Zustandsbilder hinsichtlich operativer Planung, Methodenauswahl und postoperativer Betreuung ein rechtzeitiges interdisziplinäres Management. Unter den auslösenden Ursachen dominieren Tumorrezidive, einschmelzende Entzündungen, Bestrahlungsfolgen und ausgedehnte postoperative Infektionen. Selten werden primäre Tumoren mit Penetration, posttraumatische Defekte oder angeborene Fehlbildungen zu behandeln sein. Im Vordergrund der therapeutischen Bemühungen stehen die kurative Intention bei malignen Erkrankungen und die frühfunktionelle Rehabilitation nach posttraumatisch und onkologisch bedingten Eingriffen. Als funktionelles Behandlungsziel gelten die in genannten klinischen Beurteilungsparameter. Neben einer schmerzfreien Atmung und Bauchpresse müssen eine unbehinderte Beweglichkeit der großen Gelenke, die dauerhaft mechanisch stabile Weichgewebsbedeckung – insbesondere über Kunststoffimplantaten –, eine suffiziente Lymphdrainage aus den Gliedmaßen, die Behebung von markanten Konturdefekten und schließlich eine möglichst unauffällige Narbenbildung gefordert werden.

Tab. 31.1 Funktionelle Rehabilitation bei allschichtigen Defekten des Rumpfes. • Schmerzfreie respiratorische Funktion und Bauchpresse • Schmerzfreie und unbehinderte Beweglichkeit der Extremitäten und der Wirbelsäule • Mechanisch stabile Thorax- und Abdominalwand • Mechanisch stabile Weichgewebsbedeckung, insbesondere bei Radiatio und/oder alloplastischen Implantationen • Suffiziente Lymphdrainage der Gliedmaße • Unbehinderte prothetische Versorgung • Ausgleich markanter Konturdefekte • Unauffällige Narbenformationen (Tumor-Stigma!)

31.2 Plastische Deckung im Bereich Thorax und Axilla Als häufige klinische Zustandsbilder, die zur Ausbildung oberflächlicher oder allschichtiger Defekte führen, gelten das lokoregionäre Rezidiv beim Mammakarzinom, radiogene Folgeschäden der Thoraxwandweichteile mit konsekutivem Rippen- und Knorpelinfekt und eitrige Entzündungen der Sternokostalregion nach medianer Sternotomie. Selten sind primäre Thoraxwandtumoren oder Lungentumoren mit Durchbruch der Brustkorbwand,

Bestrahlungsschäden nach brusterhaltender Therapie, sekundäre Malignome im Bestrahlungsfeld, Höhlenbildungen nach Lungenoperationen oder angeborene und posttraumatische Läsionen im klinischen Alltag zu finden. Zunächst sollten bei den zumeist onkologischen Fragestellungen folgende Punkte geklärt werden:

• Handelt es sich bei der Thoraxwandläsion um ein Lokalrezidiv oder lediglich um eine Bestrahlungsfolge? Präoperative Probeexzision. • Wie ausgedehnt wird aufgrund von klinischem Befund, CT- und MRT-Untersuchung sowie onkologischer Parameter der Defekt bemessen sein? • Ist bei Tumorbefall eine R0-Resektion möglich; erfordert der Tumortyp eine multimodale Behandlungsform? Indikation zur neoadjuvanten Therapie! • Benötigt der Patient interdisziplinäre Kooperation, um eine spezifische chirurgische Behandlungsoption zu erzielen? • Erlauben zusätzlich bestehende Grunderkrankungen den belastenden Eingriff? Auch die in aufgelisteten Parameter müssen präoperativ diskutiert werden.

Tab. 31.2 Präoperative Parameter bei der Defektdeckung von Thorax und Axilla. • Kardiorespiratorische Funktionen (z. B. radiogene Pneumonitis oder Myokardschaden) • Begleiterkrankungen: Diabetes, Durchblutungsstörungen, postthrombotisches Syndrom, Lymphabflussstörungen • Onkologisches Staging und Grading, Prognose • Ernährungszustand • Ausdehnung der Bestrahlungsfolgen, endokrine Funktionen? • Plexusläsion, thorakale Resthöhle Bei der Auswahl einer patientenspezifischen Methode zur Defektdeckung wird die Auswirkung vorbestehender respiratorischer Erkrankungen (z. B. Asthma bronchiale, COPD, obstruktive Emphysembronchitis, Lungenemphysem), die den Einsatz suffizienter Atemhilfsmuskulatur erfordern, in die Selektion einbezogen. Darüber hinaus sollten aus operationstaktischen Erwägungen Rückzugsstrategien mit einfließen, falls der geplante Eingriff misslingt. Bei Patienten im klinischen Zustand der Fernmetastasierung verbieten sich ausgedehnte Resektionen mit komplizierten Wiederherstellungseingriffen und prolongierter stationärer Behandlung. Hier sollten als Palliativmaßnahmen bei kurzer stationärer Verweildauer eine Beseitigung von geruchsbelästigenden Ulzerationen, eine Minderung der Schmerzsymptomatik und die Verbesserung der Pflege im Vordergrund stehen.

31.2.1 Taktisches und technisches Vorgehen Zunächst ist es erforderlich, das Ausmaß des zu erwartenden Defekts abzuschätzen. Nach präoperativer Probebiopsie lassen moderne diagnostische Verfahren eine dreidimensionale Simulation der onkologisch adäquaten Resektion zu. Daneben sollte bereits präoperativ durch Staging und Grading (TNM, UICC) eine Entscheidung zwischen kurativer und palliativer Behandlung erfolgen. Postoperative Wundheilungsstörungen oder radiogene Knorpel- und Knochenentzündungen erfordern mehrfache geplante Débridements, um den infektfreien Wundgrund mit gut durchbluteten Lappenplastiken zu versorgen. Dabei werden nach Ausschneidung strahlenverbrannter und/oder entzündeter Hautareale die nekrotischen Knorpel- und Knochenanteile unter Erhaltung von Periost oder Perichondrium schrittweise entfernt, bis Blutpunkte sichtbar werden. Intrathorakale Höhlenbildungen , die nach Radiatio bei intaktem knöchernem Skelett keine Tendenz zum Wundverschluss durch Kontraktion und Granulation aufweisen, erfordern nach sorgfältiger Dekortikation eine Auffüllung mit gut durchblutetem Weichgewebe. Bei Lungen-Bronchus-Fisteln dient diese Muskelplombe zur Abdeckung von unsicheren Parenchym- bzw. Bronchusnähten. Rezidivierende Fistelbildungen nach erfolgreichem plastischem Defektverschluss werden nahezu ausschließlich durch unzureichende Débridements bestrahlter Thoraxwandstrukturen, Nahtinsuffizienz nach intrathorakaler Radiatio oder von einem Lokalrezidiv verursacht. Bei primären und sekundären Tumorerkrankungen korrelieren die Sicherheitsabstände mit dem Tumortyp, dem klinischen Stadium des Patienten und der potenziellen diskontinuierlichen mikroskopischen Ausbreitung. So reicht bei multiplen Hautmetastasen z. B. eines Angiosarkoms ein Sicherheitsabstand von 1–2 cm zu den klinisch sichtbaren Knotenbildungen aus, da auch ein radikaleres Vorgehen keine Gewähr für Rezidivfreiheit bieten kann. Malignome des Stützund Bindegewebes hingegen erfordern eine allseitige Resektion in sano von mindestens 2 cm unter Einbeziehung benachbarter Rippensegmente. Insbesondere bei Rezidiverkrankungen können vorbestehende instabile Narben, atypische Lappenplastiken mit Teilnekrosen, schmerzhafte Fibrosierungen, infizierte Fistelgänge und subkutane Inflammation das Defektausmaß beträchtlich vergrößern.

31.2.2 Region vordere Brustwand Als häufigste Lokalisationen ausgedehnter allschichtiger Defekte gelten das Sternumareal und die vordere Thoraxwand bis zu den Seitenrändern des M. pectoralis major. Die und zeigen eine Synopse möglicher gestielter Lappenplastiken, die hier zum Substanzersatz benutzt werden können. Unter den operativen Verfahren dominiert die Verwendung des M. latissimus dorsi, der gestielt an den thorakodorsalen Gefäßen einen Rotationsbogen aufweist, der bis in die kontralaterale Mamillenregion reicht. Hierzu ist jedoch eine komplette Auslösung des Gefäßstiels bis an die Axillagefäße notwendig, wobei multiple feine Abgänge zur lateralen Scapularegion durch Ligatur oder Clips versorgt werden müssen.

Synopse der Rotationsbogen wesentlicher Lappenplastiken für die Thorax- und Schulterregion. a) Myokutane Lappen. 1. M.-pectoralis-major-Myokutanlappen; 2. M.-trapezius-Myokutanlappen; 3. Oberarmfiletlappen; 4. mikrochirurgisch transplantiertes Unterarmfilet, auch unter Belassung von Radius oder Ulna; 5. thorako-abdominaler Myokutanlappen unter Einschluss des M. pectoralis major und der Latissimus-dorsi-Arkade; 6. proximal gestielter Rectusabdominis-Ankerlappen (auch mit auxiliärer Anastomose der A. und V. epigastrica inferior). b) Omentum majus, das unter Erhaltung der Gefäßarkaden an der A. gastroepiploica dextra gestielt in thorakale Defekte eingezogen werden kann. Die roten Markierungen zeigen immer den Drehpunkt, um den der Lappen in den Defekt geschwenkt werden kann. [ ] ABB. 31.1

Rotationsbogen zur Defektdeckung im Sternumbereich. 1. Latissimus-dorsi-Myokutanlappen; 2. M.-pectoralis-majorVerschiebelappen mit Durchtrennung der humeralen Insertion, auch beidseits; 3. Rectus-abdominis-Ankerlappen, ggf. auxiliäre Mikroanastomose. [ ] ABB. 31.2

Gleichzeitig sollte eine Denervierung des N. thoracodorsalis erfolgen, da zum einen eine Perfusionsverbesserung um ca. 30 % in der Lappenperipherie eintritt und zum anderen störende Kontraktionen in der postoperativen Phase vermieden werden. Der Hebedefekt lässt sich meist durch Verschiebelappen oder in Verschiebeschwenktechnik direkt verschließen. Durch Kombination von M. latissimus dorsi und M. pectoralis major kann ein myokutaner Thoraxwandlappen von bis zu 52 × 40 cm Größe gehoben werden, der im Sternumbereich Defekte bis über 30 cm Durchmesser zu bedecken in der Lage ist. Der Hebedefekt muss dann durch Spalthautstreifen vom Oberschenkel geschlossen werden. In seltenen Fällen, bei denen durch Lymphadenektomie in der Axilla und postoperative Radiatio eine steinharte Induration resultiert, kann der

Latissimuslappen an der Thoraxwandarkade gestielt für handflächengroße Defektdeckung der ipsilateralen Seite benutzt werden. Durch den Erhalt der Thoraxwandarkade wird jedoch der Rotationsbogen beträchtlich verringert. Hauptanwendungsgebiete des Latissimuslappens sind daher die vordere Thoraxwand bis über das Sternum, die klavikuläre Region und die Regio nuchae. Für den M.-pectoralis-major-Myokutanlappen bestehen in diesem Areal spezifische Indikationen: Am häufigsten kann er bei Infekten nach Sternotomie oder handflächengroßen Arealen der Peristernalregion zum Einsatz kommen. Nach kompletter Desinsertion am Humerus wird eine mediale Verschiebung möglich, entweder als reiner Muskellappen, der gestielt an der A. und V. thoracoacromialis eine exzellente Vaskularisation besitzt, oder als Myokutanlappen unter Einbeziehung von Haut und Subkutis der vorderen Brustwand. Liegen ausgedehnte Defekte vor, kann die zusätzliche submuskuläre Mobilisation der kontralateralen Seite und Desinsertion zur Auffüllung selbst ausgedehnter Sternumrinnen führen. Bei speziellen Indikationen mit allschichtigen Thoraxwanddefekten oder bei Defekten im Bereich der ipsilateralen oder kontralateralen Clavicula ist auch eine Hebung des Muskels als myokutaner Insellappen möglich. Insbesondere bei Patientinnen kann der Insellappen kosmetisch günstig ober- und unterhalb der Submammarfalte umschnitten und nach subkutaner Tunnelbildung unter der Mamma dann in den entsprechenden Defekt eingezogen werden. Der Hebedefekt hinterlässt eine unauffällige Narbe unter der Brust. Die Verwendung des proximal gestielten M.-rectus-abdominis-Lappens, der mit vertikaler (VRAM) oder quer verlaufender (TRAM) Hautinsel oder in Kombination als sog. Ankerlappen gehoben werden kann, ist insbesondere für ausgedehnte radiogene Schädigungen günstig. Durch Umformung am Defektort lässt sich nicht nur eine suffiziente Weichgewebsbedeckung des bestrahlten Thoraxareals erzielen, sondern gleichzeitig auch ein Brusthügel-Äquivalent rekonstruieren. Voraussetzung für die sichere Muskellappenbildung ist eine intakte ipsilaterale A. thoracica interna. Nicht selten kann trotz sorgfältiger Dissektion eine periphere Mangeldurchblutung eintreten, die zu auxiliärem Gefäßanschluss mit Mikroanastomosen zwingt. Aus diesem Grunde sollten bei der Hebung des Lappens die A. und V. epigastrica inferior langstreckig dargestellt und erhalten werden. Ergibt sich in der postoperativen Phase ein Durchblutungsproblem, so kann durch zusätzliche mikrochirurgische Anastomosierung der inferioren epigastrischen Gefäße im Hals- oder Axillabereich eine sichere Perfusion erhalten werden („Turbolappen“) . Da insbesondere bei onkologischer Fragestellung eine postoperative adjuvante Therapie wesentlich von einer primären Wundheilung bestimmt wird, sollte mit diesem Zusatzverfahren nicht gezögert werden. Sekundäreingriffe wegen Lappenspitzennekrosen verzögern unnötig adjuvante Maßnahmen und verlängern die stationäre Betreuung der Patienten. Der Rotationsbogen dieses Lappens erreicht den Vorderrand der ipsilateralen Axilla nur knapp. Als Hauptanwendungsgebiete können bei entsprechender Indikation die Sternumregion und die vordere Brustwand benannt werden ( ).

Rotationsbogen bei allschichtigen Thoraxwanddefekten. 1. Latissimus-dorsi-Myokutanlappen; 2. Rectus-abdominisAnkerlappen, auch mit auxiliärer Mikroanastomose. [ ] ABB. 31.3

Wie Fallbeispiel 1 demonstriert, kann nach Resektion eines ausgedehnten Tumors mit allschichtigem Defekt der Thoraxwand unter Einschluss von vier Rippensegmenten der quere Rectus-abdominis-Myokutanlappen als Ankerlappen spannungsfrei verlagert werden ( ). Der Hebedefekt lässt sich im Regelfall durch Unterminierung und Approximation direkt verschließen (s. d).

Fallbeispiel 1: Patientin mit drittem Mammasarkomrezidiv mit Lymphknotenmetastasierung und zentraler Exulzeration bei Zustand nach Radiatio von Thoraxwand und Axilla. a) Operationssitus nach radikaler Resektion. b) Resektat mit den alten Narben. c) Hebung eines kontralateralen Rectus-abdominis-Ankerlappens, der – nach Stabilisierung durch ein Prolene ® -Netz – in den allschichtigen Thoraxwanddefekt eingeschlagen wird. d) Reizlos eingeheilter Myokutanlappen mit uneingeschränkter Atemfunktion. [ ] ABB. 31.4

Während früher das Omentum majus zur Defektdeckung häufig verwendet wurde, haben die zusätzliche Laparotomie, das insbesondere bei kachektischen Patienten nur dünne Weichteilpolster und das zweizeitige Vorgehen mit erheblicher Flüssigkeitssekretion zu einem Rückgang der Indikationen geführt. Heute lassen sich durch den Einsatz von Unterdrucksystemen, die auf das mit Meshgraft bedeckte Omentum fixiert werden, die sehr belastenden und pflegeintensiven Sekretionen problemlos bewältigen. Nach 4–5 Tagen ist das Transplantat auf dem Omentum eingeheilt und die Sekretion versiegt. In der palliativen Chirurgie besteht noch eine weitere Indikation für einen Einsatz bei ausgedehnter Hautmetastasierung. Darüber hinaus hat sich insbesondere bei Infekten im vorderen Mediastinum mit Gefäßexposition eine Kombination aus gestieltem Omentum und Pectoralis-major-Insellappen bewährt. Für die seltenen Fälle von postoperativen intrathorakalen Höhlenbildungen kann das Omentum majus entlang seiner Arkaden aufgeteilt und entweder transdiaphragmal oder durch ein Rippenfenster in den Thorax eingezogen werden ( ). Alternativ dazu lassen sich in Abhängigkeit von vorbestehenden Inzisionen der Pectoralis-major- und der Latissimuslappen oder der gestielte Serratus-anterior-Muskellappen über eine Fensterung im 2. und 3. Interkostalraum einbringen. Selten wird die Indikation zur mikrochirurgischen Gewebeverpflanzung bestehen, wobei von kontralateral entweder der M. latissimus dorsi oder der Rektuslappen, an Halsgefäße angeschlossen, zur Muskelplombierung der Thoraxhöhle Verwendung findet.

Methoden zur Sanierung von Pleurahöhlen nach Multimodaltherapie. 1. Kontralateraler M. latissimus dorsi mit mikrochirurgischem Anschluss an die ipsilateralen Halsgefäße; 2. gestieltes Omentum majus, das – unter Schonung der Gefäßarkaden – aufgespalten entweder transdiaphragmal oder über eine Rippensegmentresektion in die Resthöhle eingebracht werden kann. [ ] ABB. 31.5

Die genannten gut vaskularisierten Gewebeblöcke decken zusätzlich Nähte im Bronchusstumpfbereich oder im Lungenparenchym ab. Die Frage einer Thoraxwandstabilisation durch alloplastisches Material oder Eigengewebe wird dem Defektausmaß angepasst. Während kleine allschichtige Defekte bis Handflächengröße ohne funktionelle Einschränkung verschlossen werden können, entstehen bei Resektion von mehr als vier Rippensegmenten oder bei Verlust größerer Sternumanteile paradoxe Atemexkursionen und Hernienbildungen. Zwar kann durch den spannungsfreien Defektverschluss nach subkutaner Mobilisation oder durch myokutane Lappen ein suffizienter Weichteilmantel erzielt werden. Mit zunehmender respiratorischer Belastung können jedoch störende paradoxe Atembewegungen entstehen. Daneben kann es zur Hernienbildung im thorakoabdominalen Übergangsbereich kommen. Grundsätzlich sollten daher im Mediastinalbereich oder auch am thorakoabdominalen Übergang nach Entfernung von mehr als zwei Rippensegmenten oder mehr als der Hälfte des Sternums nicht resorbierbare, durchlässige Nylon ® -Netze zum Einsatz kommen. Bei größeren Defekten kann die Verstärkung durch Knochenzementbrücken die respiratorische Funktion unterstützen. Im Gegensatz zur Implantation von Fremdmaterialien an den Extremitäten resultieren selbst bei vorbestehenden Ulzerationen nur selten postoperative Fisteln, die dann unter Lokalbehandlung meist spontan abheilen.

31.2.3 Regio axillaris Die in der Regio axillaris resultierenden Weichgewebsdefekte – insbesondere nach Radiatio oder abszedierenden Infekten – benötigen ebenfalls einen suffizienten Weichteilersatz. Zunächst muss nicht selten eine Inzision oder Z-förmige Verlängerung der Sehnenansätze der Mm. pectoralis major et minor erfolgen, um z. B. eine radiogene Adduktionskontraktur des Schultergelenks zu beheben. Nach diesem Vorgehen lassen sich die anatomischen Voraussetzungen beurteilen. Zunächst kann der M. pectoralis major subkutan und submuskulär freipräpariert und an seinem Gefäßstiel der A. und V. thoracoacromialis in den Defekt eingeschwenkt werden. Insbesondere bei Palliativmaßnahmen lässt die synchrone Spalthautdeckung eine schnelle Entlassung des Patienten aus stationärer Behandlung zu. Wurde durch die Voroperation die thorakodorsale Arkade nicht beschädigt, kann auch ein Latissimus-dorsiInsellappen in den Defekt rotiert werden. Als sicheres Verfahren hat sich außerdem der fasziokutane quere oder schräg verlaufende Skapulalappen bewährt ( ). Hier kann gestielt an der A. und V. circumflexa humeri posterior ein Insellappen von bis zu 20 × 10 cm Größe präpariert und in den Defekt eingeschlagen werden. Als Alternative für kleine Defekte kann ein myokutaner Trapeziuslappen gehoben werden, dessen Rotationsbogen jedoch hauptsächlich Areale der hinteren Axillarlinie und der Regio nuchae versorgt.

Rotationsbogen wesentlicher Lappenplastiken bei axillären Defekten. 1. M.-pectoralis-major-Myokutanlappen; 2. Latissimus-dorsi-Lappen; 3. fasziokutaner Scapulalappen (horizontales und schräges Lappendesign). [ ] ABB. 31.6

Bei ausgedehnten Weichgewebs- oder Knochentumoren im Schulterbereich zwingen die Infiltration des Plexus brachialis oder ausgedehnte Nekrosenhöhlen nicht selten zur interskapulothorakalen Ablatio. Da durch diesen Eingriff sämtliche Ursprünge myokutaner und fasziokutaner Lappen der seitlichen Thoraxwand zerstört werden, kann sich die regionale Defektdeckung als außerordentlich schwierig erweisen. Zunächst wird man versuchen, entsprechende vordere oder hintere Oberarmfiletlappen je nach Lokalisation des Tumors zu erhalten. Die Stümpfe des Plexus brachialis und der A. und V. anonyma sowie der Clavicula benötigen dabei in jedem Fall eine sichere Abdeckung ( a). Lässt sich keine Lappenplastik mehr aus dem Oberarmareal oder aus der Axilla formen, sollte der Unterarm in Salvage-Technik filetiert und nach Amputation der Hand mit mikrovaskulärer Technik an Halsgefäße angeschlossen werden. Auf diese Weise sind selbst ausgedehnte Defekte der Thoraxwand bis zu 26 × 22 cm zu decken. Nach seltenen synchron durchgeführten Thoraxwandresektionen können Radius und Ulna, im Transplantat belassen, zur Thoraxwandstabilisierung dienen. Bei posttraumatischen Folgezuständen können Radius und Ulna nach Winkelosteotomie zur Konstruktion einer Schulterkontur verwendet werden, um eine bessere schulterorthetische Versorgung zu gewährleisten.

31.2.4 Thorax und Axilla: Komplikationsprophylaxe Unter den vorbestehenden klinischen Bedingungen, die zur Lappenteilnekrose oder zum völligen Verlust des Transplantats führen können, dominieren die mediane Sternotomie mit Mammaria-Bypass und die anterolaterale Thorakotomie. Neben der meist regelhaften Durchtrennung des M. latissimus dorsi, der um ca. 12 cm verkürzt keinen ausreichenden Rotationsbogen mehr zur Defektdeckung bieten kann, entstehen nicht selten Zerstörungen des M. serratus anterior mit konsekutiver Scapula alata. Zu einer Läsion der A. thoracica interna kann es ebenso beim Durchzug von Sternumbändern kommen. Grundsätzlich wird nach Verwendung eines A.thoracica-interna-Bypasses der proximal gestielte Rektuslappen nicht mehr möglich sein, da er seine dominante Blutversorgung über dieses Gefäß erhält. Ähnliche Probleme können bei mikrovaskulären Anschlüssen durch segmentale arterielle Obstruktionen der supraaortalen Äste entstehen. Thorakale Gefäßeingriffe oder ein axillofemoraler Bypass, ferner segmentale Unterbrechungen können den Zufluss der dominanten M.-pectoralis-majorGefäße in der Mohrenheim-Grube und der Gefäße des Latissimus dorsi zerstören. Eine besondere Aufmerksamkeit sollte auch atypisch platzierten Thoraxdrainagen, Abszess- und Fistelbildungen gewidmet werden. Eine radikale Axilladissektion, kombiniert mit einer Bestrahlung, lässt die Dissektion eines neurovaskulären Latissimus-dorsi-Insellappens, der bis an die Axillagefäße freipräpariert werden sollte, zur technischen Herausforderung werden. Schließlich können Schrittmacherimplantationen, Medikamentenpumpen, Infusionskatheter oder Katheter zur hyperthermen Perfusionsbehandlung Dissektionsplaques oder thrombotische Verschlüsse verursachen, die entweder den arteriellen Zufluss zu Lappenplastiken kompromittieren oder eine venöse Abflussstörung bedingen. listet die Verletzungsgefahren dominanter Lappengefäße auf.

Tab. 31.3 Thorax und Axilla: Verletzungsgefahr dominanter Lappengefäße. • Antero-laterale Thorakotomie • Sternumbänder, A.-thoracica-interna-Bypass, Sternektomie • Quere Oberbauchinzisionen, Rektus-durchgreifende Nähte • Arterielle Verschlusskrankheit • Thorakale Gefäßeingriffe, axillo-femoraler Bypass • Thoraxdrainagen, Abszess- und Fistelbildungen • Radikale Axilladissektion und Radiatio • Vorausgegangene Rekonstruktionsversuche • Schrittmacherimplantation, Medikamentenpumpen

31.2.5 Region Rücken und thorakolumbaler Übergangsbereich Im Gegensatz zur vorderen Thoraxwand gelten Defekte im Bereich des Rückens als rare klinische Zustandsbilder. Meist erlaubt die gute Weichgewebsbedeckung mit mehreren Muskelschichten bei Defekten bis Handflächengröße den spannungsfreien Wundverschluss durch Lappenverschiebung. Mit zunehmender Ausdehnung werden entweder einseitige, proximal gestielte Latissimus-dorsi- oder bilaterale Latissimuslappen zum Einsatz kommen. Der Rotationsbogen reicht dabei bis zur Regio nuchae ( ).

Rotationsbogen wesentlicher Muskellappen im thorakolumbosakralen Übergangsbereich. 1. Proximal gestielter Latissimus-dorsi-Lappen; 2. an paravertebralen Perforansgefäßen distal gestielter Latissimus-dorsi-Lappen („Turn-over“-Technik); 3. über Veneninterponate an die Femoralgefäße verlängerter Latissimus-dorsi-Lappen. [ ] ABB. 31.7

Defekte im Bereich der Thorakolumbalebene können außerdem mit distal gestieltem Latissimuslappen in „Turn-over“-Technik bedeckt werden. Als Grundvoraussetzung muss dabei das segmentale Gefäßperforatorsystem, das sich paravertebral gut darstellen lässt, erhalten werden. Um eine sichere Muskeldurchblutung zu garantieren, sollten mindestens drei dieser Gefäßstiele auspräpariert und ohne Zug oder „Kinking“ beim Defektverschluss geschont werden. Fallbeschreibung 2 ( a–c) zeigt die ausgedehnte radiogene Ulzeration mit zentralem Basalzellkarzinom nach Bestrahlung eines Tierfellnävus im Kindesalter. Nach mikroskopisch kontrollierter Exzision konnte ein distal gestielter Latissimus-dorsi-Myokutanlappen auspräpariert und in den Defekt verlagert werden. Da peripher eine marginale Lappendurchblutung bestand, konnte durch Anschluss der A. und V. thoracodorsalis an die A. und V. glutealis superior eine exzellente zusätzliche Vaskularisierung erfolgen. Abbildung 30.8c zeigt den Patienten 4 Jahre nach Tumorresektion und Defektdeckung ohne Anhalt für ein Lokalrezidiv.

Fallbeispiel 2: 45-jähriger Patient mit Basalzellkarzinom im lumbosakralen Übergangsbereich nach Radiatio eines Tierfellnävus im Kindesalter. a) Situs zum Operationsbeginn. b) Nach mikroskopisch kontrollierter Exzision Bildung eines distal an paravertebralen Perforansgefäßen gestielten Latissimus-dorsiMyokutanlappens. c) 4 Jahre danach unauffällige Weichteilverhältnisse ohne Anhalt für ein Lokalrezidiv. [ ] ABB. 31.8

Bei Patienten mit laxen Bauchdecken lassen sich distal gestielte Rectus-abdominis-Myokutanlappen heben, deren Hautinsel im Oberbauch schräg bis zur 9./10. Rippe reicht. Nach Auspräparation kann dieser bis zu 40 cm lange und 13 cm breite Gewebeblock extraperitoneal nach lumbal durchgezogen werden und ausgedehnte Areale im lumbodorsalen Übergangsbereich decken ( ). Der Hebedefekt im Ober- und Mittelbauch lässt sich im Regelfall durch Approximation und direkte Naht verschließen.

Durchzug eines distal gestielten Rectus-abdominis-Myokutanlappens (Rumpfanschnitt). Versorgt durch A. und V. epigastrica inferior, wird der Rektusmuskel mit seiner Hautinsel im Epigastrium vollständig ausgelöst, extraperitoneal in den lumbodorsalen Defekt durchgezogen und dient hier zur suffizienten Weichteilbedeckung. [ ] ABB. 31.9

In Ausnahmefällen kann nach entsprechenden Voroperationen oder Vorschädigungen der Muskulatur ein kontralateraler Latissimuslappen unter Verwendung eines langen Veneninterponats von der A. und V. femoralis in die lumbodorsale Übergangsregion platziert werden. Als Hauptindikation gelten dabei ausgedehnte Bestrahlungsfolgen mit partieller Lähmung der Gesäßmuskulatur. Die neurologischen Defizite müssen als progredient eingeschätzt werden und sollten Anlass sein, möglichst keine lokale Muskulatur zur Defektdeckung zu opfern.

31.3 Plastische Deckung im Bereich Abdomen und Leiste Hier dominieren ausgedehnte Defekte nach komplizierten schwergradigen Tumorperforationen und Infektionen der Hohlorgane und des Retroperitoneums mit Peritonitis und konsekutivem Laparostoma. Für diese Patientengruppe steht primär das Überleben im Vordergrund therapeutischer Bemühungen. Ausgedehnte Lappenplastiken bedeuten eine zusätzliche Belastung des Patienten, die zur Verschlechterung der allgemeinen Bedingungen führen kann. Aus diesem Grunde sollten insbesondere bei Patienten mit Langzeit-Intensivtherapie, schlechtem Ernährungszustand und Polymorbidität die Züchtung eines Granulationsrasens und die früh-sekundäre Meshgraft-Transplantation des ausgedehnten Defekts als lebenserhaltende Maßnahme bevorzugt werden. Nur bei Auftreten von hohen Dünndarmfisteln und ausgedehntem Weichteildefekt kann die frühzeitige Defektdeckung im Rahmen der Oberbauchsanierung synchron notwendig werden. Nach einem mehrmonatigen Intervall schrumpft das Hauttransplantat um mehr als ein Drittel der Ausgangsgröße und erlaubt nicht selten dann einen primären Verschluss durch Mobilisation und Direktnaht oder bilaterale Verschiebeschwenklappen. Im Intervall ist das Tragen einer Leibbinde nach Maß von Vorteil; bei Vorliegen eines Enterostomas kann dieses in eine Pelottenversorgung integriert werden. Seltener stehen primäre oder sekundäre Tumoren der Bauchwand zur allschichtigen Resektion an. Die onkologisch adäquate Entfernung des Tumors mit einem Sicherheitsabstand von 4–5 cm hinterlässt dabei Defekte, die trotz der Dehnbarkeit der benachbarten Gewebeareale kaum einen Verschluss ohne Spannung erlauben. Bei suprasymphysären oder supraumbilikalen Defekten kann nach den Regeln der unteren oder oberen Bauchdeckenstraffung ein Defekt von bis zu 15 × 23 cm mit ausgedehnter Mobilisation der gesamten vorderen Bauchwand bedeckt werden. Als Alternative kommen mehrzipfelige lokale Lappenplastiken oder myokutane Lappen zum sicheren Wundverschluss in Betracht. Im Leistenbereich resultieren ausgedehnte Weichgewebsverluste nach Eingriffen bei bestrahlten Tumoren, infizierten Gefäßen oder Lymphadenektomien. Hier stehen die Bedeckung des Gefäßbandes mit gut durchbluteter Muskulatur und ein belastungsfähiges Hautareal im Vordergrund rekonstruktiver Optionen. Bei der Planung eines multimodalen Therapiekonzepts muss die erzielte Weichgewebsbedeckung zum einen in der Lage sein, die postoperative Radiatio zu tolerieren, zum anderen kann der Lymphabfluss insbesondere bei begleitender iliakoinguinaler Dissektion günstig beeinflusst werden. Seltener hinterlassen phlegmonöse Entzündungen insbesondere bei Patienten mit Lymphstauung oder diabetischer Stoffwechsellage ausgedehnte Verluste des Haut- und Subkutanmantels. Wird die Diagnose einer „Fasziitis“, Fournier-Gangrän oder des Erysipels nicht frühzeitig gestellt, resultieren lebensbedrohliche septisch-toxische Zustandsbilder. Die Überlebenschance des Patienten wird dabei vom Zeitpunkt des Eingriffs und von der chirurgischen Radikalität wesentlich beeinflusst. Gelingt es, die inflammierten Weichgewebe frühzeitig zu exzidieren bzw. zu drainieren, kann bei hoch dosierter antibiotischer Abschirmung eine Schadensbegrenzung zunächst durch Meshgraft-Transplantate erfolgen. Das verzögerte oder unzureichende Débridement mündet nicht selten in unbeherrschbaren septischen Komplikationen. Je nach Erreger und Allgemeinzustand des Patienten werden Letalitätsquoten von 25–60 %, ferner beträchtliche Amputationsraten angegeben. Bei dieser Risikogruppe ist daher nach radikalem Débridement primär nur eine intermittierende Fremdhautabdeckung oder eine offene feuchte Behandlung indiziert. Frühsekundär werden die Areale analog den Prinzipien der epifaszialen Abtragung von Schwerbrandverletzten nur mit Meshgraft bedeckt. Es verbieten sich primär aufwändige Lappenplastiken. Zu den seltenen Ursachen für allschichtige ausgedehnte Defekte der Abdominalwand zählen Traumen u n d angeborene Fehlbildungen. Da Überrollverletzungen meist mit Beckenfrakturen, Gefäßverletzungen, ausgedehnten Muskelzerstörungen, Perforationen von Hohlorganen und Läsionen parenchymatöser Organe einhergehen, befindet sich diese Patientengruppe ebenfalls in einer klinisch kritischen Situation. Neben der intraabdominalen

Sanierung steht die Revaskularisation im Vordergrund der Primärversorgung. Frühsekundär entwickeln sich septisch-toxische Zustandsbilder, wenn nicht durch radikale Seriendébridements die mangeldurchbluteten Muskelpartien vom Retroperitoneum, von der vorderen Bauchwand und vom proximalen Oberschenkel präventiv entfernt werden. Die Abdeckung von Gefäßinterponaten in der Leiste stellt dabei eine plastisch-rekonstruktive Herausforderung dar, weil alle lokoregionären dominanten Muskel-Gefäß-Systeme vom Trauma betroffen sind. Hier müssen entweder kontralaterale gestielte oder mikrovaskulär transplantierte Gewebeblöcke frühzeitig unter klinischen Hochrisikobedingungen zum Einsatz kommen. Nicht selten endet dieses ausgedehnte Verletzungsmuster in der Hemipelvektomie oder dem Tod des Patienten.

31.3.1 Region vordere Bauchwand Falls die genannten Haut-Fett-Lappen keinen belastungsstabilen Weichgewebsverschluss erlauben, besteht insbesondere bei onkologischer Fragestellung eine klare Indikation für Muskellappenplastiken. Hier kann zum einen der kontralaterale distal gestielte M. rectus abdominis mit Oberbauchhautinsel zum Einsatz kommen. Bei länglichen Defekten bis zu 20 × 8 cm bietet sich zunächst der M.-rectus-femoris-Muskellappen an ( ). Nach Abtrennung suprapatellar mithilfe einer separaten Inzision sollten die versorgenden dominanten Gefäße im Aufteilungsgebiet der A. profunda femoris sorgfältig freipräpariert und so weit gelöst werden, dass eine problemlose Rotation um 180° ohne Torsion möglich wird. Die verbleibenden Anteile des M. quadriceps femoris reichen zur problemlosen Kniestreckung aus.

Rotationsbogen wesentlicher Lappenplastiken der vorderen Rumpfregion. 1. Latissimus-dorsi-Muskellappen; 2. distal gestielter Rectus-abdominis-Ankerlappen; 3. mikrochirurgisch transplantierter myokutaner Latissimus-dorsi-Lappen mit Anschluss an den Leistengefäßen; 4. Rectus-femoris-Myokutanlappen; 5. M.-tensor-fasciae-latae-Lappen; 6. kutaner Leistenlappen. 7. Anterolateraler Oberschenkellappen (ALT). [ ] ABB. 31.10

Allschichtige Weichgewebsdefekte, die bis zum unteren Rippenbogen reichen, benötigen eine Erweiterung dieser Lappenplastik. Hier kann ein myokutaner Rektuslappen unter Einbeziehung der vorderen Oberschenkel-Haut-Fett-Faszie bis zu einer Größe von 52 × 20 cm freipräpariert und in den Defekt eingeschwenkt werden. Das Hebeareal wird nach Fusion von M. vastus medialis und lateralis mittels nicht resorbierbarer Einzelknopfnähte durch Spalthautstreifen verschlossen. Wurde jedoch bereits durch Tumorresektion, Trauma oder Infekt ein Rektusmuskel aufgebraucht, sollte wegen der zu erwartenden Bauchwandschwäche ein alternatives Verfahren benutzt werden. Für kleinere Defekte oberhalb der Darmbeinschaufel und über dem Leistenband lässt sich der klassische Leistenlappen, gestielt an A. und V. circumflexa ilium superficialis, verwenden. Das Ausmaß des Lappens kann dabei auch als Rundstiellappen mit ca. 22 × 12 cm angegeben werden. Bei der Hebung des Lappens ist an der Unterfläche die Faszie des M. sartorius einzubeziehen, da hier die dominanten axialen Gefäße verlaufen. In seltenen Fällen können insbesondere bei Rezidivtumoreingriffen die lokalen Verhältnisse durch Voroperationen so ungünstig sein, dass die genannten Verfahren wegen ausgedehnter Lymphstauung oder der Zerstörung der dominanten Lappengefäße nicht anzuwenden sind. Hier kann von der kontralateralen Leiste über ein V.-saphena-magna-Interponat ein freies Gewebetransplantat vom M. latissimus dorsi zur sicheren Abdeckung von Defekten bis zu 38 × 25 cm eingesetzt werden. Eine Synopse der Verfahren zeigt . Die Frage der funktionellen Bauchwandrekonstruktion bei ausgedehnten Muskelverlusten wird heute noch kontrovers diskutiert. Zum einen kann durch Aufspaltung der verbliebenen Bauchwandmuskelschichten ein kulissenförmiger Ersatz erzielt werden. Gleichzeitig wird durch diese Verfahren jedoch eine Schwächung der verbliebenen originären Bauchwandstrukturen erfolgen. Aus diesem Grunde ist bei der Defektdeckung der Implantation von Kunststoffnetzen oder Koriumtransplantaten der Vorzug zu geben. Diese werden nach Abdeckung des Intestinums mit dem Omentum majus unter Zug in den Defekt mit nicht resorbierbaren Fäden fixiert. Die restliche Bauchwandmuskulatur bleibt dabei unangetastet. Selbst bei Vorliegen von granulierenden Wundflächen wird in der Literatur ein reizloses Einheilen für Kunststoffnetze beschrieben. Dehnt sich ein Bauchwanddefekt bis zum Leistenband aus, kann mit den erwähnten Kunststoffnetzen nach Fixierung im Symphysenbereich und an der Spina iliaca anterior superior eine Rekonstruktion der Inguinalregion erfolgen. Um eine Arrosion der Femoralgefäße zu verhindern, werden synchron durch Muskel-Faszien-Lappen aus dem M. tensor fasciae latae oder dem proximalen M. rectus

abdominis eine Gefäßabdeckung und ein stabiler Leistenverschluss gewährleistet.

31.3.2 Region Leiste Im Leistenbereich kommen – je nach Defektgröße und klinischer Fragestellung – gestielte Muskellappen oder Myokutanlappen oder Faszienlappen zum Einsatz. Während bei exponiertem Gefäßband nach rekonstruktivem Eingriff meist ein distal gestielter Sartoriusmuskel präpariert und nach Abtrennen seines Ursprungs über die exponierten Gefäße geschlagen werden kann, verbietet sich dieser Eingriff, wenn eine langstreckige Dissektion der Gefäße erfolgte. Sowohl der M. sartorius als auch der M. vastus lateralis, der gestielte ALT (antero-laterale Oberschenkellappen) und der M. tensor fasciae latae sind auf intakte Gefäßabgänge aus dem Femoralis- und Profundasegment angewiesen ( )! Gelingt es nicht, pulsierende Gefäßäste zu präparieren, besteht ein hohes Risiko, in der Teilnekrose oder bei einem vollständigen Absterben des Lappens zu enden. Es reicht daher nicht aus, diese Muskellappen ohne Identifikation der versorgenden Gefäße zu heben.

Rotationsbogen wesentlicher Muskel- und Muskel-Haut-Lappen für die Unterbauch- und Leistenregion. 1. distal gestielter kontralateraler Rectus-abdominis-Ankerlappen; 2. M.-tensor-fasciae-latae-Lappen; 3. M.-vastus-lateralis-Lappen; 4. distal gestielter M.-sartorius-Lappen; 5. kontralateral transplantierter Latissimus-dorsi-Lappen mit Anschluss an die Femoralgefäße; 6. anterolateraler Oberschenkellappen (ALT). [ ] ABB. 31.11

Ausgedehnte Defekte im Bereich der Leiste mit iliakoinguinaler Dissektion oder einem iliakofemoralen Bypass erfordern gelegentlich nach ausgedehnter Tumorresektion eine Lappenplastik vom kontralateralen distal gestielten M. rectus abdominis (VRAM) oder sogar eine freie Gewebeverpflanzung, wobei die kontralaterale V. saphena magna als langstreckiges Interponat zum Einsatz kommen kann. Insbesondere bei multimodalen Konzepten sollte der Wiederherstellung eines belastbaren Haut- und Subkutanmantels im Leistenbereich mit verbessertem Lymphabfluss der Vorzug gegeben werden. Eine identische klinische Situation entsteht, wenn Bestrahlungsfolgen im Leistenbereich zu beheben sind. Die Vorgehensweise schildert Fallbeschreibung 3 ( ) bei einem Lokalrezidiv im Bestrahlungsfeld der linken Leistenregion. Im Anschluss an die iliakoinguinale Dissektion mit weiter Exzision des Tumors wurde ein kontralateral gestielter Rectus-abdominis-Myokutanlappen gehoben, dessen periumbilikale Hautinsel den Resektionsdefekt in der Leiste vollständig ersetzt. Durch die vorausgegangene Radiatio und den postoperativen Boost besteht eine deutliche Lymphschwellung im Oberschenkel. Der transponierte Haut-MuskelLappen übersteht die postoperative Radiatio im Gegensatz zu spalthautgedeckten Muskellappen ohne Ulzeration.

Fallbeispiel 3: 44-jährige Patientin mit zweitem Lokalrezidiv eines malignen fibrösen Histiozytoms im Bereich der rechten Leiste nach Multimodaltherapie. a) Neben sich überkreuzenden Inzisionen finden sich lateral und medial atypisch ausgeleitete Drainagekanäle. Die Leistenregion ist nach Radiatio steinhart induriert. b) Hebung eines kontralateral gestielten Rectus-abdominis-Muskellappens mit periumbilikaler Hautinsel, der zur Defektdeckung vorbereitet wird. Das untere Bauchwandsegment wurde durch Polypropylen-Netzplastik ersetzt. Adventitia-Stripping der A. und V. femoralis nach Absetzen der Profunda. Der N. femoralis wurde langstreckig epineurektomiert. c) Aufnahme nach 6 Monaten: eingeheilter Ankerlappen mit geringgradiger Lymphfistelung im kaudalen Pol. [ ] ABB. 31.12

Als Sonderform des ausgedehnten Leistendefekts gelten Exartikulationen im Hüftgelenk oder die Hemipelvektomie. Bei diesen radikalen Amputationsformen lässt sich insbesondere in der Tumorchirurgie meist ein ventraler oder dorsaler Haut-Muskel-Lappen erhalten, wobei dominante Gefäßäste sorgfältig herauspräpariert und geschont werden sollten. Liegen ausgedehnte Defekte nach Überrolltrauma oder exulzerierte Riesentumoren vor, kann versucht werden, durch Verwendung distaler Amputatanteile einen Filetlappen des Unterschenkels zu präparieren und in der kontralateralen Leiste mittels Gefäßnähten anzuschließen. Bei der sekundären Rekonstruktion verbietet sich die Verwendung des verbleibenden kontralateralen Rectus-abdominis-Muskellappens, da nach der prothetischen Versorgung der Gang im Korbsystem erhebliche Vorschwungkräfte erfordert. Hier ist nach Analyse der belasteten Haut- und Weichteilareale ein mikrochirurgisches Transplantat so zu platzieren, dass eine dauerhafte prothetische Versorgung ohne Epithelarrosion oder Ulzeration resultiert.

31.3.3 Dorsales Becken und präsakrale Höhlenbildungen Für die häufig vorkommenden Dekubitaldefekte am Sakrum (Liegeulkus) und am Sitzbeinhöcker (Sitzulkus) sind im Regelfall bei nichtquerschnittgelähmten Patienten fasziokutane Verschiebeschwenklappen ausreichend ( , 1 und 2). In seltenen Fällen wird insbesondere nach Voroperationen ein Gluteus-maximusMuskellappen unter Erhaltung der A. glutealis superior präpariert und in den Defekt gezogen ( , 3). Bei bilateraler Technik können Defekte von über Handflächengröße verschlossen werden.

Lokale Lappenplastiken im Gesäß- und Sakrumbereich. 1. Haut-Fett-Rotationslappen; 2. myokutaner Gluteus-maximus-VY-Lappen; 3. Haut-Fett-Verschiebeschwenklappen; 4. Abbildung nach Einschwenken des Lappens in den sakralen Defekt. [L108] d) Aufnahme 5 Monate nach dem Eingriff mit Sekundärnaht eines Restdefekts über dem Sakrum. [ ] ABB. 31.13

Als Voraussetzungen für die definitive operative Sanierung gelten die zunehmende Fähigkeit zur Mobilisation und ein ausreichender Ernährungszustand des Patienten. Eine rekonstruktive Herausforderung bedeuten präsakrale Resthöhlenbildungen nach abdominoperinealer Rektumexstirpation oder Exenteratio pelvis. Hier muss im interdisziplinären Konzept zunächst durch Probebiopsien abgeklärt werden, ob die onkologische Situation des Patienten noch ausgedehnte Rekonstruktionen sinnvoll macht. Darüber hinaus sollten durch extensive Diagnostik die Funktion von Blase, Ureteren, der Zustand des bestrahlten Dünndarms und radiogene Schädigungen des lumbosakralen Plexus abgeklärt werden. Für einen verbesserten Ernährungszustand der meist durch den konsumierenden Infekt marantischen Patienten sollte präoperativ auch unter Anlage einer perkutanen Ernährungssonde für eine Hyperalimentation gesorgt werden. Ein erneutes Staging ist vor den ausgedehnten Eingriffen zu fordern. Nach mehrfachen Seriendébridements und Jet-Lavagen (Ringer-Lösung), die eine Keimreduzierung bewirken, muss die meist mehr als doppelt faustgroße Höhle durch eine gut vaskularisierte Muskelplombe aufgefüllt werden. Unter den Optionen steht zunächst der distal gestielte Rektusmuskel mit deepithelisierter Hautinsel zur Verfügung, der transabdominal durch einen Peritoneumschlitz in den Defekt eingebracht wird ( ).

Synopse der Rotationsbogen von möglichen Gewebeplomben bei präsakraler Resthöhlenbildung. 1. Lateral (A. und V. gastroepiploica sinistra) gestieltes und entsprechend den Arkaden aufgeteiltes Omentum majus; 2. myokutaner Biceps-femoris-VYVerschiebelappen; 3. partiell myokutaner Grazilislappen; 4. über Veneninterponate an die Femoralisgefäße verlängerter Latissimus-dorsi-Lappen, der entweder über eine perineale Untertunnelung oder eine suprasymphysäre Route in den Defekt eingebracht werden kann; 5. distal gestielter Rectus-abdominis-Lappen mit deepithelisierter Hautinsel, der von suprasymphysär nach präsakral eingeschlagen wird. [ ] ABB. 31.14

Liegen ausgedehnte radiogene Schäden mit einem Defekt des peritonealen Abschlusses oder radiogene Blasenläsionen vor, sollte dem Eingriff eine bilaterale Ureterostomie oder Blasenentfernung mit Conduit vorausgehen. Um ein geordnetes Darmschlingenkonglomerat zu erzielen, empfiehlt es sich, von sakral aus mit einer Kunststofftütentamponade die Ausbildung eines Darmprolapses zu verhindern. Nach 8–10 Tagen sorgt die Darmschlingenadhäsion dann für eine Trennebene, unter die die Muskellappen eingebracht werden. Reicht bei den meist mangelernährten Patienten das Volumen der Lappenplastik nicht aus, müssen Kombinationen gewählt werden. Zunächst kann versucht werden, eine den Gefäßarkaden entsprechende Dissektion des Omentum majus durchzuführen, das nach Separation entlang dem Colon descendens in den Defekt geführt werden kann. Häufig liegen jedoch durch die Voroperationen ausgedehnte Adhäsionen oder Läsionen vor, die zu alternativen Methoden zwingen. Hier kann der muskulokutane Biceps-femoris-Verschiebelappen, der nach Darstellung seiner dominanten Gefäße ca. 14 cm nach kranial verlagert werden kann, zum Einsatz kommen. Der M. gracilis gilt in der Literatur als weitere Option. Da dessen Hauptgefäß jedoch 7 cm unterhalb der Innenschenkelfalte lokalisiert den Drehpunkt des Muskellappens bestimmt, ist nur ein geringes Volumen mit ihm zu erzielen. Als weitere Alternative gilt der durch lange Veneninterponate an die Leistengefäße angeschlossene deepithelisierte Latissimus-dorsi- Lappen. Hierbei wird die gesamte V. saphena magna bis zur Mündung auspräpariert und eine AV-Schlinge durch Anschluss an die A. femoralis superficialis End-zu-Seit hergestellt. Nach subkutanem Durchzug bis zum Perineumrand kann nun das gesamte Volumen des Latissimus-dorsi-Lappens partiell deepithelisiert zur Höhlenauffüllung verwendet werden. Fallbeschreibung 4 ( ) demonstriert ein Kombinationsverfahren bei ausgedehnter präsakraler Höhlenbildung nach Multimodaltherapie eines fortgeschrittenen Rektumkarzinomrezidivs ( a). Nach Zystektomie und Ureterostomie konnte zunächst durch mehrzeitige Débridements und Lavage ein transplantatfähiger Untergrund geschaffen werden. Parallel dazu diente eine perkutane endoskopische Gastrostomie (PEG) zur Hyperalimentation des marantischen Patienten. Wegen des schlechten Ernährungszustands hätte kein lokaler Muskellappen volumenmäßig ausgereicht, um die präsakrale Höhle aufzufüllen, und die Rektusmuskulatur war durch vorausgegangene Laparotomien aufgebraucht. Daher konnte zunächst ein Biceps-femoris-Myokutanlappen an zwei dominanten Gefäßstielen nach kranial verlagert werden ( b). Der restliche Defekt der kontralateralen Seite ließ sich dann durch einen partiell deepithelisierten Latissimusdorsi-Lappen ausfüllen, der über Veneninterponate an die Leistengefäße angeschlossen wurde ( c und d).

Fallbeispiel 4: 57-jähriger Patient mit Zustand nach Multimodaltherapie eines Rektumkarzinoms; Nachexzision eines Lokalrezidivs mit Brachytherapie. a) Ausbildung einer verjauchenden präsakralen Höhle, Defekt des Blasenbodens. Nach Zystektomie und Ureterostomie zunächst multiple Débridements und Jetlavage. b) Mobilisation eines Biceps-femoris-Myokutanlappens, der nach Mobilisation an seinen dominanten Gefäßstielen um 14 cm nach kranial in den Defekt verlagert werden kann. c) Auffüllen der Resthöhle durch partiell deepithelisierten Latissimus-dorsi-Myokutanlappen, der über Veneninterponate an die Femoralgefäße revaskularisiert wird. ABB. 31.15

31.3.4 Abdomen und Leiste: Komplikationsprophylaxe Die Auswahl eines geeigneten rekonstruktiven Verfahrens richtet sich – wie eingangs betont – nach den lokalen und systemischen Gegebenheiten. Hierbei lassen sich durch frühzeitige Analyse Lappenteilverluste oder vollständige Nekrosen verhindern, wenn auf folgende klinische Residuen, die in aufgelistet sind, geachtet werden: So führen ein Pfannenstiel-Schnitt, eine Rippenbogenrandinzision oder ein Mammaria-Bypass nicht selten zur Zerstörung der dominanten proximalen Gefäßarkaden der Rektusmuskulatur, Gleiches gilt für Polsternähte, die durch den M. rectus abdominis mit Bleiplattenfixation geführt wurden. Multiple Drainagen zur Lavage oder multiple Enterostomielokalisationen stellen ebenfalls ein Risiko dar.

Tab. 31.4 Abdomen und Leiste: Verletzungsgefahr dominanter Lappengefäße. • Pfannenstiel-Schnitt, Rippenbogenrandschnitt, quere Oberbauchlaparotomie • Durchgreifende Nähte durch die Mm. recti abdominis • Enterostomata, multiple Drainagen • Arterielle Verschlusskrankheit • Aorto-(bi)femoraler Bypass • Aorto-koronarer Mammaria-interna-Bypass • Langstreckige Gefäßdissektion bei Tumoren • Omentum majus: intestinale Operationen • Abszess- und Fistelbildungen • Korrekturosteotomien, Prothesen im Hüftgelenksbereich • Vorausgegangene Rekonstruktionsversuche • Vorausgegangene interventionelle endovaskuläre Obliterationen Im Unterbauch kann eine arterielle Verschlusskrankheit mit segmentaler Obliteration der A.-epigastrica-inferior-Abgänge zur Totalnekrose eines distal gestielten Rectus-abdominis-Lappens führen. Ähnliche Erfahrungen können nach aorto-(bi)femoralen Bypassoperationen oder langstreckigen Gefäßdissektionen im iliakofemoralen Segment bei Tumoren gemacht werden. Für das Omentum majus zählen intestinale Voreingriffe, intraabdominelle Abszesse und Fistelbildungen sowie Ligaturen und Durchstechungen in der Umgebung der dominanten Gefäßarkaden als Risikofaktoren. Die Lappenplastiken von der Vorderfläche und der seitlichen Region des Oberschenkels werden durch Hakenzug oder oszillierende Säge bei Korrekturosteotomien oder Prothesenimplantationen gefährdet. Eine besondere Problematik bieten multiple vorausgegangene Rekonstruktionsversuche mit gekreuzten oder längs verlaufenden Parallelinzisionen nach Mehrfachlaparotomie.

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Anhang OUTLINE

Abbildungsnachweis

Der Verweis auf die jeweilige Abbildungsquelle befindet sich bei allen Abbildungen im Werk am Ende des Legendentextes in eckigen Klammern.

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Mettler: From Air Insufflation to Robotic Endoscopic Surgery: A rocky Road. In: Journal of Minimally Invasive Gynecology. Elsevier, Volume 18, Issue 3, May-June 2011.

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Poritz: Altemeier Using the Circular Stapler. In: Operative Techniques in General Surgery. Elsevier, Volume 10, Issue 3, December 2008.

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Zendejas et al.: Trends in the utilization of inguinal hernia repair techniques: a population-based study. In: The American Journal of Surgery. Elsevier, Volume 203, Issue 3, March 2012.

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Knaus et al.: APACHE II: A severity of disease classification system. In: Critical Care Medicine. Williams & Wilkins, Volume 13, Issue 10, October 1985.

F595

Kugel: The Kugel repair for groin hernias. In: Surgical Clinics of North America. Volume 83, Issue 5, October 2003.

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Blum/Offermanns/Perner: DKI Krankenhausbarometer 2008. Deutsches Krankenhausinstitut e. V., Düsseldorf

G118

Langer/Becker/Liersch: Bauchwandhernien. In: Allgemein- und Viszeralchirurgie up2date. Thieme, Volume 3, Issue 3, 2007.

G149

Townsend et al.: Sabiston Textbook of Surgery. Elsevier/Saunders, 19. Aufl. 2012.

G150

Thon: Untere gastrointestinale Blutungen. Allgemein- und Viszeralchirurgie up2date. Thieme, Volume 4, Issue 2, 2010.

G176

Evans et al.: Surgical Pitfalls. Elsevier/Saunders, 1. Aufl. 2009

G177

Schollmeyer/Schollmeyer: Georg Kelling und die sächsischen Wurzeln der Laparoskopie – 100 Jahre Laparoskopie (1901–2001). Druckerei Wagner, Verlag und Werbung GmbH, 1. Aufl. 2001

L106

Henriette Rintelen, Velbert

L107

Michael Budowick, München

L108

Rüdiger Himmelhan, Heidelberg

L123

Jonathan Dimes

L127

Jörg Mair, Illustration, München

L143

Heike Hübner, Berlin

L157

Susanne Adler, Lübeck

L190

Gerda Raichle, Ulm

L257

Jörg Kühn, Barbing

M375

Prof. Dr. med. Ulrich Welsch, Ludwig-Maximilians-Universität München

M412

Dr. med. Heinrich Otto Steitz, St. Franziskus-Hospital, Winterberg

M733

Prof. Dr. med. Hubertus J. C. Wenisch, Klinikum Ernst von Bergmann, Potsdam

M734

Prof. Dr. med. Claus Langer, Akademisches Lehrkrankenhaus der Georg-August-Universität Göttingen

M735

PD Dr. med. Jörg Hauser, Alfried Krupp Krankenhaus Steele, Essen

M736

Stefan Stozek, Elisabeth-Krankenhaus, Essen

M737

Prof. Dr. med. Karl-Ernst Grund, Universitätsklinik Tübingen

M738

Prof. Dr. med. Helmut Diepolder, Kliniken Ostallgäu, Kaufbeuren

M739

Dr. med. Wilhelm-Ulrich Schmidt, Malteser Krankenhaus St. Josefshospital, Krefeld

M740

Prof. Dr. med. Dr. h. c. Klaus-Peter Thon, Stuttgart

M766

PD Dr. med. Ingo Leister, Krankenhaus Waldfriede, Berlin

M767

Dr. med. Frank P. Schulze, St. Marien-Hospital, Mülheim an der Ruhr

M768

Prof. Dr. med. Heinz Becker, Göttingen

M769

Prof. Dr. med. Hans-Ulrich Steinau, Universitätsklinikum Essen

M770

PD Dr. med. Kia Homayounfar, Universitätsmedizin Göttingen

M771

Prof. Dr. med. Hartwig Bauer, Neuötting

M772

Prof. Dr. med. Joachim Lotz, Universitätsmedizin Göttingen

M773

Prof. Dr. med. Rolf Schlemminger, Reinhard-Nieter-Krankenhaus, Wilhelmshaven

M780

Prof. Dr. med. Michael Ghadimi, Universitätsmedizin Göttingen

M781

Prof. Dr. med. Peter Markus, Elisabeth-Krankenhaus, Essen

T405

Univ. Doz. Dr. med. Georg Meiser, 1. Chirurgische Fach-und Lehrpraxis Salzburg

T671

Radiologie des Reinhard-Nieter-Krankenhauses, Wilhelmshaven

T673

Dr. med. Dr. h. c. Dirk-André Clevert, Klinikum der Universität München

T674

Priv.-Doz. Dr. med. Georgios Meimarakis, Klinikum der Universität München

T675

Prof. Dr. med. Hanno Riess, Charité – Universitätsmedizin Berlin

U244

Covidien Deutschland GmbH, Neustadt/Donau

U339

DR. KADE Pharmazeutische Fabrik GmbH, Berlin

V571

Ovesco Endoscopy AG, Tübingen

W878

Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie e. V., Berlin

Abkürzungen ACS

Abdominales Kompartmentsyndrom

ADH

Antidiuretisches Hormon

ADP

Adenosindiphosphat

AEG

Adenokarzinome des ösophagogastralen Übergangs

AIN

Anale intraepitheliale Neoplasie

AITP

Autoimmunthrombozytopenie

ALAT

Alaninaminotransferase

ALI

Acute lung injury, akute Lungenschädigung

ALM

Akrolentiginöses malignes Melanom

ALT

Alanin-Aminotransferase

AMM

Amelanotisches malignes Melanom

AMP

Adenosinmonophosphat

APACHE II

Acute Physiology and Chronic Health Evaluation Score

APC

Argon-Plasma-Koagulation

aPTT

Aktivierte partielle Thromboplastinzeit

APUD

Amine precursor uptake and decarboxylation system (diffuses neuroendokrines Syndrom)

ARDS

Acute (früher: adult) respiratory distress syndrome, Atemnotsyndrom

ASAT

Aspartat-Aminotransferase

AT

Antithrombin

ATP

Adenosintriphosphat

AUS

Adhäsionultraschall

BCG

Bazillus Calmette-Guérin

BMS

Bare metal stent

BSG

Blutsenkungsgeschwindigkeit

CAPD

Kontinuierliche ambulante Peritonealdialyse

CARS

Compensatory anti-inflammatory response syndrome

CCC

Cholangiozelluläres Karzinom

CCD

Charge coupled device (Endoskopie)

CK

Kreatininkinase

CMV

Zytomegalievirus

COX

Cyclooxygenase

CPSP

Chronic post surgical pain

CRP

C-reaktives Protein

CRPS

Chronic regional pain syndrome (Morbus Sudeck)

DDAVP

Desamino-D-Argininvasopressin

DES

Drug eluting stent

DIC

Disseminated intravascular coagulation, disseminierte intravasale Gerinnung (Syn. Verbrauchskoagulopathie)

DKS

Disseminiertes Kaposi-Sarkom

DNS

Syndrom der dysplastischen Nävi

DOAC

Direct oral anticoagulants

DSA

Digitale Subtraktionsangiografie

EBM

1. Evidenzbasierte Medizin, 2. Einheitlicher Bewertungsmaßstab (DRG-System)

EBV

Ebstein-Barr-Virus

EEA

End-zu-End-Anastomose

EMR

Endoskopische Mukosaresektion

E-PASS

Estimation of Physiologic Ability and Surgical Stress

ePDT

Endoskopisch applizierte und kontrollierte photodynamische Therapie

EPJ

Endoskopisch perkutane Jejunostomie

EPT

Endoskopische Papillotomie/Sphinkterotomie

ERAS

Enhanced-Recovery-After-Surgery-Konzept

ERCP

Endoskopisch retrograde Cholangiopankreatikografie

ESBL

Extended-Spectrum Beta-Lactamase

ESD

Endoskopische Submukosadissektion

ESR

Endoskopische Submukosaresektion

EST

Endoskopische Sphinkterotomie

ET

Essenzielle Thrombozytämie

EUS

Endoluminaler Ultraschall

FAST

Focused assessment with sonography for trauma

FFP

Fresh frozen plasma, gefrorenes Frischplasma

FNH

Fokal noduläre Hyperplasie

FRC

Funktionelle Residualkapazität

FUO

Fever of unknown origin

GAVE

Gastrale antrale vaskuläre Ektasie

GCS

Glasgow Coma Scale

GIST

Gastrointestinaler Stromatumor

GIT

Gastrointestinaltrakt

GOT

Glutamat-Oxalacetat-Transaminase

GP

Glykoprotein

GPT

Glutamat-Pyruvat-Transaminase

HAES

Hydroxyethylstärke

HbsAG

Hepatitis-B-surface-antigen

HCC

primäres hepatozelluläres Karzinom

HIT

Heparininduzierte Thrombozytopenie

IABP

Intraaortale Ballonpulsation

IAD

Intraabdominaler Druck

IAH

Intraabdominale Hypertension

ICD

Implantierter Cardioverter/Defibrillator

ICR

Interkostalraum

ICU

Intermediate Care Unit

IEN

Intraepitheliale Neoplasie

ILP

Isolated limb perfusion, isolierte Extremitätenperfusion

INR

Internationale normalisierte Ratio

IOUS

Intraoperativer offener Ultraschall

IPOM

Intraperitoneales Onlay-Mesh

IVUS

Interventioneller Ultraschall

LAE

Laparoskopische Appendektomie

LDH

Laktatdehydrogenase

LE

Lungenembolie

LIOUS

Laparoskopischer intraoperativer offener Ultraschall

LITT

Laserinduzierte Tumortherapie

LMM

Lentigo-maligna-Melanom

MAP

Mittlerer arterieller Druck

MARS

Molecular Absorbent Recirculating System (Leberdialyse)

MIC

Minimalinvasive Chirurgie

MOS

Metal oxide semiconductor (Endoskopie)

MPI

Mannheimer Peritonitis-Index

MRCP

Magnetresonanzcholangiopankreatikografie

MRND

Modifizierte radikale Neck Dissection

MRGN

Multiresistente gramnegative Bakterien

MRSA

Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus

NHL

Non-Hodgkin-Lymphom

N(M)M

Noduläres (malignes) Melanom

NMH

Niedermolekulares Heparin

NOTES

Natural Orifice Transluminal Endoscopic Surgery

NPWT

Negative Pressure Wound Therapy, Unterdrucktherapie

NRS

Nutritional Risk Screening

NSAID

Nonsteroidal antiinflammatory drugs, nichtsteroidale Antiphlogistika

NSE

Neuronspezifische Enolase

NZN

Nävuszellnävus

OA

Offene Appendektomie

ÖGD

Ösophagogastroduodenoskopie

OPSI

Overwhelming Postsplenectomy Infection

ORSA

Oxacillin-resistenter Staphylococcus aureus

OSSA

Oxacillin-sensibler Staphylococcus aureus

OTSC

Over the scope clipping system

PACS

Picture Archive and Communication System

PAF

Plättchenaktivierender Faktor

PAI-1

Plasminogenaktivator-Inhibitor 1

PAIN

Perianale intraepitheliale Neoplasie

PCD

Perkutane Katheterdrainage

PCWP

Pulmonary capillary wedge pressure, Lungenkapillardruck

PDGF

Platelet derived growth factor; plättchenderivierter Wachstumsfaktor

PDS

Synthetisches Polydioxan

PEEP

Positiver endexspiratorischer Druck

PEG

Perkutane endoskopische Gastrostomie

PET

Positronenemissionstomografie

PFC

Perfluorocarbon

PICCO

Pulse Contour Cardiac Output, Pulskonturanalyse

POEM

Perorale endoskopische Myotomie

POI

Postoperativer Ileus

PONV

Postoperative nausea and vomiting, postoperative Übelkeit und Erbrechen

POSSUM

Physiological and Operative Severity Score for the Enumeration of Mortality and Morbidity

PPI

Protonenpumpeninhibitor

PPL

Plasmaproteinlösung

PPSB

Prothrombin-/Prokonvertin-/Stuart-Power-antihämophiler Faktor-B-Komplex

PR

Programmierte Relaparotomie

PTCA

Perkutane transluminale koronare Angioplastie

PTCD

Perkutane transhepatische Cholangiodrainage

PTFE

Polytetrafluoroethylen

PTT

Partielle Thrombinzeit

PTZ

1. partielle Thromboplastinzeit, 2. Plasmathrombinzeit, 3. Prothrombinzeit

PVDF

Polyvinylidenfluorid

PVR

Pulmonaler Gefäßwiderstand

RCT

Randomized controlled trial, randomisierte kontrollierte Studie

RES

Retikuloendotheliales System

RFA

Radiofrequenzablation

rhF

Recombinant human factor

RIA

Radioimmunoassay

RITA

Radiofrequency interstitial tissue ablation

ROD

Relaparotomie on demand

SAPS

Simplified acute physiology score

SBP

Spontan bakterielle Peritonitis

SEMS

Selbstexpandierender Metallstent

SEPS

Selbstexpandierender Plastikstent

SGA

Subjective Global Assessment

SILS

Single incision laparoscopic surgery

SIRS

Systemic inflammatory response syndrome, systemisches Entzündungssyndrom

SIT

Submuköse Injektionstechnik

SLE

Systemischer Lupus erythematodes

SOP

Standard Operating Procedures

SSL

Steinschnittlage

SSM

Superfiziell spreitendes malignes Melanom

STARR

Stapled transanal rectum resection

SVR

Systemischer Gefäßwiderstand

TAPP

Transabdominale (Hernio-)Patch-Plastik

TEA

Thorakale epidurale Anästhesie

TENS

Transkutane elektrische Nervenstimulation

TEP

1. Totale Endoprothese, 2. Totale extraperitoneale (Hernio-)Plastik

TFPI

Tissue-factor-pathway-Inhibitor

THD

Transanale Hämorrhoiden-Dearterialisation

THPO

Thrombopoetin

TIA

Transitorische ischämische Attacke

TIPP

Transinguinale präperitoneale Patch-Plastik

TIPS

Transjugulärer portosystemischer Stent

TIPSS

Transjugulärer intrahepatischer portosystemischer Shunt

TIVA

Totale intravenöse Anästhesie

TME

Totale mesorektale Exzision

t-PA

Gewebe-(tissue)-Plasminogenaktivator

TPO

Thyreoperoxidase

TPZ

Thromboplastinzeit

TSH

Thyreoidstimulierendes Hormon (Thyreotropin)

TSS

Toxisches Schocksyndrom

TVT

Tiefe Venenthrombose

TXA

Thromboxan

UCM

Unklassifizierbares Melanom

UFH

Unfraktioniertes Heparin

u-PA

Urokinase-Plasminogen-Aktivator

VAC

Vacuum-assisted closure (Niederdrucktherapie)

VKA

Vitamin-K-Antagonisten

VRE

Vancomycin-resistente Enterokokken

VTE

Venöse Thromboembolie

vWF

Von-Willebrand-Faktor

vWS

Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom

ZVD

Zentralvenöser Druck

Fachgesellschaften AJCC

American Joint Committee on Cancer:

ASA

American Society of Anesthesiologists:

ASGE

American Society for Gastrointestinal Endoscopy:

ASPEN

American Society for Parenteral and Enteral Nutrition:

AWMF

Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften:

BDA

Berufsverband der Deutschen Anästhesisten:

BDC

Berufsverband der Deutschen Chirurgen:

CEBM

Oxford Centre for Evidence-based Medicine:

DGAI

Deutsche Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin:

DGAV

Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie:

DGCH

Deutsche Gesellschaft für Chirurgie:

DGE

Deutsche Gesellschaft für Ernährung:

DGEM

Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin:

EAES

European Association for Endoscopic Surgery:

EHS

European Hernia Society:

EMA

European Medicines Agency:

EORTC

European Organisation for Research and Treatment of Cancer:

ESC

Europäische Gesellschaft für Kardiologie:

ESGE

European Society of Gastrointestinal Endoscopy:

ESPEN

European Society for Clinical Nutrition and Metabolism:

IASP

International Association for the Study of Pain:

IEHS

International Endohernia Society:

ISPD

International Society for Peritoneal Dialysis:

SAGES

Society of the American Gastrointestinal Surgeons:

SALTC

Schweizer Arbeitsgemeinschaft für laparoskopische und

(SALTS)

thorakoskopische Chirurgie:

WHO

World Health Organization, Weltgesundheitsorganisation:

WSACS

World Society of the Abdominal Compartment Syndrome:

Register Symbol 5-Fluorouracil (5-FU), A ABC-Regel, Abdomen akutes See offenes, , , Organdurchblutung, Sonografie, Abdomenleeraufnahme, Ileus, Abdominalchirurgie Intensivmedizin, postoperativ, pulmonale Komplikationen, Prophylaxe, Abdominallavage, Peritonitis kontinuierliche, offene, Spülflüssigkeit, Abdominalsonografie See Budd-Chiari-Syndrom, fokale Veränderungen, Tumor-Staging, Leberzirrhose, Nachweis von Raumforderungen, präoperative, Tumor-Staging, Abdominaltrauma, Akutphase, Antibiotikaprophylaxe, Atmungsstörungen, Blutverlust, Computertomografie, Diagnostik, Dickdarmanastomose, Dünndarmanastomose, enterale Ernährung, frühpostoperative, Gefäßverletzung, Hämatothorax, hämorrhagischer Schock, Hämostase, Intubation, Beatmung, isoliert stumpfes Bauchtrauma, Katheterembolisation, klinische Anamnese, Kompartmentsyndrom, Kontrastmitteluntersuchung, Laparoskopie, Leberresektion, Operationstechnik, operativer Zugang, Organverletzungen, Bauchwand, Dünndarm, Duodenalwand, Gastrointestinaltrakt, Kolon, Leber, , Magen, Milz, , Nieren, Ösophagus, Pankreas, Rektum, Retroperitoneum, Zwerchfell, penetrierende Verletzung, , Peritoneallavage, Pfählungsverletzung, Pneumothorax,

Prognose, retroperitoneales Hämatom, Röntgendiagnostik, Sofortmaßnahmen, Sonografie, , Spannungspneumothorax, Splenektomie, stumpfes, temporärer Verschluss, Tetanusimmunisierung, Thorakotomie, Urethrozystografie, Verletzungsmuster, Volumenzufuhr, Abszess Antibiotikatherapie, Lokalisationen, Milz, perianaler, Diagnostik, Inzision/Eröffnung, Klinik, postoperative Tamponade/Spülung, perinephritischer, perityphlitischer, Apendizitis, postoperativer, Appendektomie, retroperitonealer, Komplikationen, postoperative, Operationsindikation, Operationstechnik, subfaszialer, Acetylsalicylsäure, perioperative Medikation, Achalasie, Endoskopie, Acute Lung Injury (ALI), Acute Respiratoy Distress Syndrome (ARDS), Acylaminopenicilline, Adenom, Sonografie, Adenomektomie endoskopische, Lymphknotenmetastasen, Risikofaktoren, Adhäsionsileus, Diagnostik, Ursachen, Adhäsionssonografie (AUS), Klassifikation von Adhäsionen, trokarinduzierte Läsion, Adipositas Narbenhernie, präoperatives Management, Adjuvanzien, Schmerztherapie, , Adrenalin, Schock, septischer, Adult Respiratory Distress Syndrome (ARDS), AIN/PAIN Diagnostik, Klassifikation, Therapie, Aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT), Akupunktur, Akutes Abdomen, Abwehrspannung, Aortenaneurysma, Bauchtrauma, Blutung, intraperitoneale, Definition, Diagnostik Anamnese, Auskultation, Computertomografie, Inspektion, invasive, Labordiagnostik, Palpation, Röntgenuntersuchung, Sonografie, Dickdarmileus, Differenzialdiagnostik allgemeine,

Schwangerschaft, Sonografie, Hohlorganperforation, Konsiliaruntersuchung, Kreislaufinstabilität, Leberparenchymverletzung, Letalität/Morbidität, Loslassschmerz, Operation, Operationsindikation, , Operationsvorbereitung, Patientenaufklärung, Peritonitis, Perkussionsschmerz, Schmerzanamnese, Schmerztherapie, präoperative, Schwangerschaft, Sepsis, Sonografie, Spiegelbildung, Akutschmerzdienst, Alders-Zeichen, Appendizitis, Alginat, Wundauflage, , Allgemeinanästhesie Hämodynamik, Kombination, TEA, Allgöwer-Schockindex, Allodynie, Altemeier-Operation, Amikacin, Aminoglykoside, , Aminopenicilline, , Amitriptylin, Amoxicillin, Amphotericin B, Ampicillin, Amyloidose, Hypospleniesyndrom, Anaerobier, Anale Schmerzsyndrome, Anale Verletzungen, Diagnostik, Prognose, Therapie, Analfissur, Analsphinkterdilatation, Blutung, Botulinusinjektion, Diagnostik, Klinik, lokale Behandlung (Salben), Sphinkterotomie, Therapie, Analfistel, Diagnostik, extrasphinktäre/transrektale, Fadendrainage, Fistel-Plug, Fistelspaltung, , Fistelverschluss, , inter-/transsphinktäre, Klassifikation, Klinik, Lappenplastik, OTSC-Clip, subkutane, suprasphinktäre, Verfahrensvergleich, Analgesie Definition, postoperative, Opioid-sparende, Analkanal, Analkarzinom, Diagnostik, Exzision, Prognose, Radio-/Chemotherapie, Analpapille, hypertrophe,

Analsphinkterdilatation Inkontinenzrisiko, Technik, Analsphinktermanometrie, , Analsphinkter-Spasmus, Analfissur, Anämie autoimmunhämolytische, Hyperspleniesyndrom, Narbenhernie, Anaphylaxie, Anästhesie Fast-Track-Konzept, Immunsystem, Schwächung, Anastomose Darm, Hinterwand, , Darm, Vorderwand, , einreihige Naht, Einzelknopfnaht, fortlaufende Naht, Nahttechnik, Nahtverbindungen, Ösophagus, Besonderheiten, Rektum, Besonderheiten, Stoß-auf-Stoß-Technik, Anastomosenheilung Einflussfaktoren, Heilungsphasen, Anastomoseninsuffizienz, Endoskopie, Anastomosenstenose, Endoskopie, Anastomosierung, Peritonitis, Aneurysma dissecans, Sonografie, Angio-CT, Gastrointestinalblutung, Angiodysplasie, , Angiodysplasieblutung, Endoskopie, Angiografie, Gastrointestinalblutung, Anilinderivate, Antibiotika Aminoglykoside, Anaerobier, Antimykotika, Carbapeneme, Cephalosporine, Chinolone, Clarithromycin, Clindamycin, Enterokokken, erregerspezifische Therapie, Generika, Glykopeptide, gramnegative Bakterien, grampositive Bakterien, mikrobiologische Aspekte, MRSA, Neuentwicklungen, oral verfügbare, ORSA, Penicilline, postoperative Anwendung, Prophylaxe, Indikationen, Substanzgruppen, Tigecyclin, Vancomycin, Antibiotikaprophylaxe Abdominaltrauma, Cephalosporine, Pharmakokinetik, präoperative, Resistenzentwicklung, Antibiotikaresistenz, Candida-Stämme, gramnegative Bakterien, grampositive Bakterien, Staphylokokken, Antibiotikatherapie Appendizitis, Haufenkokken, grampositive, Indikationen, kalkulierte,

Kettenkokken, Peritonitis, , , Sigmadivertikulitis, Antidepressiva, Schmerztherapie, Antikoagulation Blutungskomplikationen, Langzeitantikoagulation, Lungenembolie, perioperativ, Thrombose, venöse, Vitamin-K-Antagonisten, Antikonvulsiva, Antimykotika, Antiplasmin, Antirefluxoperation See Antithrombin, , Anulus inguinalis profundus, Anulus inguinalis superficialis, Anurie Peritonitis, Schock, Anus praeternaturalis, Aortenaneurysma, Aortenruptur Diagnostik, Stent-Einlage, APACHE-II-Score, Apheresekonzentrat, Appendektomie Abszesse, postoperative, Antibiose, Drainage, Spülung, Flüssigkeits/-Elektrolytsubstitution, Indikation, Komplikationen, laparoskopische, , , Narbenhernie, NOTES, offene, Operationstechnik, Patientenaufklärung, Revision bei Fehldiagnose, simultane, Verfahrensvergleich, Wundheilungsstörung, Appendikopathie, neurogene, Appendizitis, Abszess, perityphlitischer, akute, Diagnose, Antibiotikatherapie, , Appendikopathie, neurogene, bildgebende Diagnostik, Differenzialdiagnosen, Inzidenz, Operationsindikation, Perforation, Perforationsrate, Risikofaktoren, Schwangerschaft, Sonografie, AR-DRG-System, Argon-Beam, Argon-Plasma-Koagulation (APC), Articain, Arylpropionsäurederivate, Arylsäurederivate, ASA-Klassifikation, Risikoanalyse, Aspergillus, Asplenie, , Atelektase Diagnostik, interoperatives Management, PEEP, intraoperative Anwendung, Splenektomie, Thoraxtrauma, Ateminsuffizienz, Thoraxtrauma, Atemtherapie

postoperative, Thoraxtrauma, Atemwegsmanagement, intraoperatives, Aspiration, Hygiene, oropharyngeale, postoperativ, Atemwegsverlegung, Thoraxtrauma, Attrition Bias, klinische Studien, Aufklärung, absolut indizierte Eingriffe, Behandlungsalternativen, Diagnoseaufklärung, Dolmetscher, Kostenübernahme, Form, fremdsprachige Patienten, Medikamentenrisiko, minderjährige Patienten, nicht/relativ indizierte Eingriffe, therapeutische, volljährige einwilligungsunfähige Patienten, Zeitpunkt, Aufklärungspflicht Darlegungs- und Beweislast, Delegation, Komplikationen, Differenzierung, Aufklärungsverzicht, Auslassobstruktion, Diagnostik, Therapie, Autoimmunthrombozytopenie (AITP), Autotransfusion, Azidose, Schock, septischer, B Bakterien Anaerobier, , Beta-Lactamase-bildende, Clostridien, Darmbakterien, anaerobe, gramnegative, grampositive, Haufenkokken, grampositive, Helicobacter pylori, Kettenkokken, grampositive, Mischinfektionen, Pathogenität, Toxine, Pseudomonas, , Stäbchen, gramnegative, Basaliom, Chemotherapie, (Differenzial-)Diagnostik, Exzision, mikrochirurgische, Goltz-Gorlin-Syndrom, Immuntherapie, Inzidenz/Ätiologie, Nachsorge, Prognose, Prophylaxe, Risikokollektiv, Rumpfhautbasaliom, sklerodermiformes, solides, Strahlentherapie, TNM-Klassifikation, Ulcus rodens, Ulcus terebrans, zikatrizierendes, Basalzellenkarzinom See Basiscephalosporine, Bauchaortenaneurysma, Sonografie, Bauchhautplastik, Narbenhernie, Bauchtrauma Operationsindikation, stumpfes, Bauchwandrekonstruktion, funktionelle, Bauchwandverletzung, Abdominaltrauma, Beatmung, intraoperative, Beckenbodendyssynergie, Beckenbodenplastik,

Beck-Trias, Behandlungspfade, Benzodiazepine, Beta-Blocker, perioperative Phase, Beta-Lactamase, Beta-Lactamasehemmer, , Betreuerbestellung, Einwilligung, Bewertungsrelation, Fallgruppen, Bewusstseinsstörung, Schock, Bias, klinische Studien, Biochemotherapie, Biofeedback-Training, Stuhlinkontinenz, Biopsie, endoskopische, Bisphosphonate, Blasenkatheter, Infektionsprophylaxe, Blauer Nävus, Blutdruck, arterieller, Schock, Blutersatz See Blutfluss, portalvenöser, Pneumoperitoneum, Blutgerinnungsstörung See Blutstillung See Blutsturz See Bluttransfusion, Blutkomponenten, Blutkonserven, Sicherheit, Indikationen, Plasmaderivate, Risikoaufklärung, Blutung endobronchiale, intraperitoneale, retroperitoneale, Blutungslokalisationen, Hämophilie A/B, Blutungsrisiko, Lebertransplantation, Blutverlust, Schock, Blutzuckerkontrolle, intraoperative, Bowenoide Papulose See Bronchoskopie, , Hämoptoe, Thoraxtrauma, Ösophagusverletzung, Budd-Chiari-Syndrom, Abdominalsonografie, Bupivacain, , Buprenorphin, Buschke-Löwenstein-Tumor, C Canalis inguinalis, Candida albicans, Capillary-Leak-Syndrom Peritonitis, Schock, septischer, Carbamazepin, Carbapeneme, , Cardioverter/Defibrillator, Zugänglichkeit, perioperativ, Carotis-Dopplersonografie, präoperatives Management, Case-Mix-Index, Cefazolin, Cefepim, Ceftarolin, Ceftazidim, Cefuroxim, Cell-Saver, Cephalosporine, , Antibiotikaprophylaxe, präoperative, Basiscephalosporine, Breitspektrum-Cephalosporine, Ceftarolin, Intermediär-Cephalosporine, Pseudomonas, Chemotherapie Basaliom, Chemoimmuntherapie, Extremitätenmelanom, irresektables, Kaposi-Sarkom, malignes Melanom, Merkelzellkarzinom, Monochemotherapie,

Polychemotherapie, präoperative, Weichgewebssarkom, präoperatives Management, Spinaliom, Weichgewebssarkom, Chinolone, , Ciprofloxacin, Levofloxacin, Moxifloxacin, Chirurgie Arbeitsteilung, Assistenz, Anforderungen, Aufklärungspflicht, Delegation ärztlicher Maßnahmen, Eigenverantwortung, Einwilligungsfähigkeit des Patienten, Einzelverantwortung, evidenzbasierte See Facharztanerkennung, fachübergreifende Bereitschaftsdienste, Fortbildungspflicht, Haftungsrecht, Leitlinien, rechtliche Bedeutung, minimalinvasive, Grundlagen, Organisationsfehler, Qualifikation, Rechtsfragen, Schadensfall, Kausalitätsnachweis, Sorgfaltsanforderung, Übernahmeverschulden, Verantwortung Chefarztprinzip, postoperative Nachsorge, Teilbarkeit, Chirurgische Eingriffe, postoperative Mortalität, Chlamydien, Cholangiopankreatikografie (ERCP), Cholangiosepsis, Papillenverschlussstein, Endoskopie, Choledocholithiasis, Sonografie, Choledochusstenose, Endoskopie, Cholezystektomie laparoskopische, , NOTES, Cholezystitis, Sonografie, Cholezystolithiasis, Sonografie, Chromoendoskopie, Ciprofloxacin, Clarithromycin, Clavulansäure, , Clinical Pathways, Clonazepam, Clont, Clostridien, , Cochrane-Netzwerk, Codein, Colitis ulcerosa, Gasrointestinalblutung, Compensatory Anti-inflammatory Response Syndrome (CARS), Compoundnävus, Computertomografie Ileus, Thoraxtrauma, Condylomata acuminata See COX-2-Hemmer, COX-Hemmung, C-reaktives Protein, Schock, Crohn-Stenose, Endoskopie, Cuffdruckkontrolle, intraoperative, Cutter, linearer, D Dalfopristin, Daptomycin, , Darmatonie, postoperative, Abgrenzung Ileus, Darmbakterien, anaerobe, Darmgangrän, Sigmavolvulus, Darmperfusion, Pneumoperitoneum,

Darmvorbereitung, mechanische Koloskopie, präoperative, Darmwand Anastomose, Schichten, Darmwandödem, D-Dimere, erhöhte, , Débridement, Defektdeckung, plastische See Abdomen, Axilla, Bauchwanddefekt, Brustwand, vordere, Dekubitaldefekt, Gefäßverletzungen, , Gesäßbereich, Höhlenbildung intrathorakale, präsakrale, Komplikationsprophylaxe Abdomen, Leiste, Thorax, Axilla, Lappenteilnekrose, , Leistenregion, , Rotationsbogen Axilla, Bauchwanddefekt, Gesäßbereich, Leistenregion, präsakrale Höhlenbildung, Thorakolumbalebene, Thorax, Thoraxwanddefekt, Rückenregion, Thorakolumbalebene, Thorax, Gefäßanastomosierung, Netzprothese, Dermatofibrom, Dermatofibrosarcoma protuberans, Dermatomyositis, Dermis, Descensus perinei, Detection Bias, klinische Studien, Diabetes mellitus, Narbenhernie, Diagnosefehler, Definition, Diagnosis-Related Groups (DRG), Diaphanoskopie, Diathese thrombozytäre hämorrhagische, vaskuläre hämorrhagische, Dickdarmanastomose. Abdominaltrauma, Dickdarmblutung, Dickdarmileus, mechanischer, akutes Abdomen, Darmdekompression, endoskopische, Diskontinuitätsresektion, , Divertikulitis, Operation, Durchwanderungsperitonitis, Hemikolektomie, Ileorektostomie, Ileosigmoidostomie, Ileostomie, kolorektales Karzinom Langzeitprognose, Letalität, Operation, Lokalisationsdiagnostik, obstruierende Tumoren, Therapie, On-Table-Lavage, , Operationsindikation, Operationsvorbereitung, Patientenaufklärung, Operation, Perforationsgefahr, primäre Stomaanlage, pulmonale Komplikationen,

Sigmaresektion, Sigmavolvulus, stenosierende Tumoren, Therapie, Stenteinlage, subtotale Kolektomie, Transversostomie, Untersuchungsgang, Ursachen, Dilatation, endoskopische pneumatische, Diskontinuitätsresektion Ileus, Peritonitis, Dissektion, endoskopische submukosale, Disseminierte intravasale Gerinnung (DIC) See Diuretika, präoperative Karenz, Divertikulitis Dickdarmileus, mechanischer, Sonografie, Dokumentation Aufbewahrungspflicht, Einsichtnahme durch den Patienten, haftungsrechtliche Aspekte, Inhalt und Umfang, Komplikationen, sozialrechtliche Aspekte, Urkundencharakter, Dokumentationspflicht, ärztliche, Drainage, intraabdominale Entfernung, frühzeitig postoperativ, Infektionsrisiko, Peritonitis, Indikation, DRG-System Auswirkungen auf Mortalitätsraten, Auswirkungen auf Versorgungsangebote, Begleitforschung, Dokumentationsaufwand, Fallzahlen, Entwicklung, Fallzusammenführung, Fehlanreize, Grenzverweildauer, Intention, Kodierung, Leistungsverlagerung, ambulante, neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB), Druck arterieller, Pneumoperitoneum, intraabdominaler Leistenhernie, Peritonitis, Retroperitoneum, intrathorakaler, Thoraxtrauma, intrazerebraler, Pneumoperitoneum, zentralnervöser, Schock, Dünndarmanastomose, Abdominaltrauma, Dünndarmblutung, Dünndarmileus Adhäsiolyse, hoher, nach Bestrahlung, Operationsindikation, tiefer, Umgehungsanastomose, Dünndarmileus, mechanischer, Adhäsiolyse, Adhäsionsileus, Adhäsionsprophylaxe intraoperative, medikamentöse, Anastomose, Bridenlösung, Darmatonie, postoperative, Darmdekompression, Darmstimulation, postoperative, Drainageneinlage, Enterostomie, Infusionstherapie, Intestinalsonde, Rezidivprophylaxe,

Intestinografie, konservative Therapie, Laparoskopie, Laparotomie, Letalität, postoperative, Operationsindikation, Operationsverfahren, Operationsvorbereitung, Patientenaufklärung, Operation, postoperativer, Relaparotomie, Resektion, primäre, Resektionsraten, Letalität, Rezidivprophylaxe, intraoperative, Stopp, kompletter/inkompletter, Strangulationsileus, Untersuchungsgang, Ursachen, Verwachsungen, Operationsindikation, Dünndarmverletzung, Abdominaltrauma, Duodenalverletzung, Abdominaltrauma, Duodenoskop, Durchwanderungsperitonitis, Dysästhesie, Dysfibrinogenämie, Dysplasie, endoskopische Therapie, Dyspnoe, Thoraxtrauma, , E Early Goal-Directed Therapy, Schock, Echinocandine, Echinokokkenzyste, Sonografie, Echogenität, Sonografie, Echomuster, Sonografie, Ehlers-Danlos-Syndrom, Eigenblutspende, präoperative, Einheitlicher Bewertungsmaßstab (EBM), Einwilligungsfähigkeit, Minderjährige, Vetorecht, Einzelknopf-Distanznaht, Einzelknopfnaht, Ekchymose, , EKG-Diagnostik, präoperatives Management, Ekzem, perianales, Diagnostik, Therapie, Elektiveingriff/-operation, Elektrokoagulation, Elektrolyte gastrointestinales Sekret, Schock, Elektromyografie, Stuhlinkontinenz, Elektrostimulation, Stuhlinkontinenz, Enddarm, Anatomie, Endokrinopathie, Endomikroskopie, Endoskop, Endoskopie Achalasie, Adenomektomie, Anastomoseninsuffizienz, Anastomosenstenose, Angiodysplasieblutung, Biopsieverfahren, Bronchoskopie, , Cholangiopankreatikografie, retrogade (ERCP), Chromoendoskopie, Crohn-Stenose, diagnostische, Dysplasie, Endomikroskopie, Endoskope, flexible, Endosonografie, Enteroskopie, ERCP, Ernährungssonde, Fremdkörperentfernung, Frühkarzinom,

Gallen(gang)steine, Extraktion, gastroduodenale Ulkusblutung, Gastroskopie, Gastrostomie, perkutane endoskopische (PEG), Hämostase, Ileus, Diagnostik, interventionelle, intraoperative, Jejunostomie, endoskopische perkutane (EPJ), Koloskopie, Mukosaresektion, NOTES, Oberflächeninspektion, Panendoskopie, Pankreas(gang)steine, Extraktion, Pankreaspseudozyste, Ableitung, Papillotomie, Perforation, intestinale, Pharyngoskopie, Polypektomie, postoperative, präoperative, radiogene Stenose, Sphinkterotomie, Stenosetherapie, Stent-Implanatation, Stromatumor, gastrointestinaler, Submukosaresektion, submuköse Injektionstechnik (SIT), telemetrische Kapsel, Tumortherapie, palliative, , Varizenblutung, Vorbereitung, Durchführung, Nachsorge, Zenker-Divertikel, Spaltung, Endosonografie, Endothelläsion Hämostase, toxisch-infektiöse, Endotoxin, , , End-zu-End-Anastomose, End-zu-Seit-Anastomose, Energieumsatz, Enhanced Recovery after Surgery (ERAS) See Enkopresis, Enterokokken, Oxacillin-resistente, Resistenzentwicklung, Enterokolitis, pseudomembranöse, Enteroskopie, Enterostoma, Peritonitis, Enterotomie, Dünndarmileus, mechanischer, Entgeltsysteme, Chirurgie, Entscheidungsprozess, Operation, Entzündungsparameter, Strangulationsileus, Entzündungsreaktion, Pneumoperitoneum, Enzephalopathie Peritonitis, Schock, septischer, Enzyme, Wundreinigung, E-PASS-Score, Epidermis, Epiduralanästhesie, Epirubicin, Epithelisation, Wundheilung, , Epstein-Barr-Virus (EBV), Fremdbluttransfusion, Ernährung Energiebedarf, Energieumsatz, enterale, Indikation, Jejunalkatheter, Mangelernährung Definition, Screening, optimales Körpergewicht, parenterale,

Indikation, Nährstoffpräparate, totale, Indikation, perioperative, postoperative, enterale, , Fast Track, Kostaufbau, Nahrungskarenz, parenterale, postoperative orale, präoperative, Energiebedarf, Fast Track, Nahrungskarenz, , Ruheenergieumsatz, Ernährungssonde, Endoskopie, Ernährungsstatus Laborparameter, Screeningverfahren, Ertapenem, Erysipel, Erythroplasie Queyrat, Erythrozyten abnorme, selektive Entfernung, stigmatisierte/vakuolisierte, Splenektomie, Erythrozytenkonzentrat, perioperative Transfusion, Escherichia coli, Antibiotikaresistenz, Evidenzbasierte Chirurgie, klinische Studien, Defizite, Evidenzbasierte Medizin (EBM) (AMWF-)Leitlinien, praktische Anwendung, Prinzipien, Qualitätsbegriff/-sicherung, Scoring-Systeme, Evidenzniveau, klinische Studien, Exit-Site-Infekt, Peritonealdialyse, Exotoxine, Exsudation, Wundheilung, , Extended-Spectrum-β-Lactamasen (ESBL), Externusaponeurose, Extremitätenmelanom, irresektables Chemo(immun)therapie, experimentelle Therapien, Strahlentherapie, Extremitätenperfusion Gefäßzugang, hypertherme, isolierte, , TNF-alpha-/Melphalan-Applikation, Exulceratio simplex Dieulafoy See F Facharztanerkennung, Facharztstandard, ambulante Eingriffe, Schmerztherapie, stationäre Eingriffe, Facharztweiterbildung, Faden See Fadendrainage Analfistel, , Liegedauer, Analfistel, Fallpauschalenverordnung, Fallzahlkonzentration, Fascia transversalis, Dopplung, Leistenhernie, Fixierung, Leistenhernie, Spaltung, Leistenhernie, FAST, Sonografie, See Fast-Track-Konzept Darmlavage, präoperative, Ernährung, postoperative, präoperative, intraoperative Maßnahmen,

Patientenaufklärung, postoperative Mobilisierung, , präoperative Nahrungskarenz, präoperatives Management, Prinzipien, Schmerztherapie, Fehldiagnose, Definition, Feigwarzen See Femoralhernie See Fentanyl, Fibrinbildung, , Fibrinogen, Fibrinogenkonzentration, Schock, Fibrinolyse Aktivierung, intravasale/intraperitoneale, Pneumoperitoneum, Fibroma pendulans, Fibromatose, Fibrothorax, Fibroxanthom, Fidaxomicin, , Fistel Analfistel, aortale, intestinale, Fisteladapter, perianale, Blutung, Fistel-Plug, Fistelspaltung, Analfistel, , Fistelverschluss, Analfistel, , Fluconazol, Fluidität, Blutfluss, Flüssigkeit, freie, akutes Abdomen, Flüssigkeitsmanagement, intraoperatives, Monitoring, Volumenersatzmittel, Flüssigkeitszufuhr intraoperative, postoperative, Fremdbluttransfusion blutsparende Verfahren, Immunreaktion, Risiken, Fremdkörper Rektum, Verbleib im OP-Gebiet, Rechtsfolgen, Fremdkörperaspiration, Fremdkörperentfernung endoskopische, Rektum, Frischplasma gefrorenes, Verbrauchskoagulopathie, Frühe zielgerichtete Therapie, Schock, Frühkarzinom, endoskopische Therapie, Fundoplicatio/Fundoplikation, laparoskopische, Fundusvarizen, Hämostase, G Gabapentin, Gallensteinileus, Gastrointestinalblutung, Dickdarmblutung, Dünndarmblutung, Hämobilie, Notfallendoskopie, obere, Angiodysplasie, aortale Fisteln, benigne Tumoren, endoskopische Hämostase, Epidemiologie, Komplikationen, Laparotomie, Mallory-Weiss-Syndrom, Nahtinsuffizienz, Notfallendoskopie, Operationsindikation,

operative Therapie, Polypen, Rezidivblutung, Risiko-/Prognosefaktoren, Stressulkusblutung, supportive Therapie, Überwachung, Ulcus Dieulafoy, Ulcus duodeni, Ulcus-ventriculi-Blutung, Ulkusblutungen, untere, Analfissur, Angiodysplasie, Angiografie, anorektale Blutungsquellen, Behandlungsstrategie, Colitis ulcerosa, Diagnostik, , Diaphanoskopie, Divertikel, Hämorrhoiden, Katheterangiografie, Mesenterikografie, Neoplasie, perianale Fistel, Szintigrafie, Ulcus Dieulafoy, Varizen, Gastrointestinaltrakt Abdominaltrauma, Sonografie, Veränderungen bei Schock, Gastroskopie, Gastrostomie, perkutane endoskopische (PEG), Gefäßverletzung Abdominaltrauma, Thoraxtrauma, Gefäßwiderstand Pneumoperitoneum, pulmonaler (PVR), , systemischer (SVR), Gegenirritation, Schmerztherapie, Gentamicin, , Gerinnungsfaktoren, plasmatische, Gerinnungskaskade, Gerinnungsstörung, hämorrhagische Diathese, Lebertransplantation, transfusionsbedingte, Gerinnungssystem, Aktivierung, Geschlechtskrankheiten, Gesundheitswesen, strukturelle Veränderungen, Gewebsnekrose, Verbrauchskoagulopathie, Glasgow Coma Scale (GCS), Gleithernie, Glomustumor, solitärer, Glukoneogenese, Postaggressionsstoffwechsel, Glycylcycline, Glykopeptide, Goltz-Gorlin-Syndrom, Gonorrhö, Granulationsphase, Wundheilung, , Granuloma pyogenicum, Gummibandligatur, Hämorrhoiden, Gyrasehemmer See H Haftungsrecht, Halonävus, Hämangiom, Sonografie, Hämangiosarkom, Hämatologische Erkrankungen, Splenektomie, Hämatom retroperitoneales Antikoagulationstherapie, Beckenfraktur, ,

Diagnostik, , Flankenregion, Komplikationen, Nierenruptur, spontanes, Symptome, Therapieoptionen, zentral-medianes, Zugang, Wundheilungsstörung, Hämatopneumothorax, Hämatothorax Diagnostik, Operationsindikation, Pathogenese/Begleitverletzungen, Hämobilie, Hämodialyse, Schock, Hämodilution, normovolämische, intraoperativ, Hämofiltration, Schock, Hämoglobin, Schock, Hämolytisch-urämisches Syndrom, Hämophilie A/B, Hämoptoe, Hämoptyse, , Hämorrhagische Diathese, Hämorrhoidalprolaps Lappenplastik nach Fanselar-Arnold, Therapie, thrombosierter, inkarzerierter, Hämorrhoidektomie, Blutungsrisiko, dopplersonografisch gestützte Verfahren, Ergebnisse, Lappenplastik nach Fanselar-Arnold, nach Milligan-Morgan, nach Parks, Stapler-Hämorrhoidektomie, Verfahrenswahl, Hämorrhoiden, Blutung, Diagnostik, Gummibandligatur, Infrarotkoagulation, Klassifikation, konservative Therapie, Kryotherapie, Operationsindikation, Operationsverfahren See Sklerosierung, nach Bensaude, nach Blont, Symptome, Hämorrhoiden-Dearterialisation, transanale, Hämostase, Abdominaltrauma, endoskopische, , , Inhibitorpotenzial, Injektionsmethoden, endoskopische, kleine Blutgefäße, mechanische endoskopische, parenchymatöse Blutung, Retroperitoneum, spontane, thermische endoskopische, Thrombozyten, Funktion, Hämostasedefekt erworbener, gerinnungsanalytische Parameter, hepatogener, hereditärer, Hyperspleniesyndrom, Knochenmarksschädigung, toxische, Leberzellnekrose, renaler, Hämostasepotenzial Restitution, Lebertransplantation, Substitutionstherapie,

Hämostasestörung See Hämostyptika, lokale, Harnpflichtige Substanzen, Retention, Harnwegsinfektion, katheterassoziierte, Haufenkokken, grampositive, Haut, Aufbau und Funktion, Hauttumoren benigne/präkanzeröse, maligne, Basaliom, Kaposi-Sarkom, Melanom, Merkelzellkarzinom, Spinaliom, Heinz-Körperchen, Helicobacter pylori, Hemikolektomie, Heparin niedermolekulares (NMH), perioperative Antikoagulation, Thromboembolieprophylaxe, Thrombose, venöse, unfraktioniertes (UFH), Verbrauchskoagulopathie, Hepatitis B, Fremdbluttransfusion, Hernie Definition, See Hernioplastik See also total extraperitoneale (TEP), transabdominale präperitoneale (TAPP), Herniose, Herpes simplex, Herzkontusion, Thoraxtrauma, Herzwandruptur, Herzzeitvolumen Pneumoperitoneum, Schock, Hesselbach-Dreieck, , Hiatushernie, Laparoskopie, Histiozytom, Histiozytom, malignes fibröses, HIV-Infektion Fremdbluttransfusion, Proktitis, Hodgkin-Lymphom, Splenektomie, Höhlenbildung intrathorakale, präsakrale, Holdingzone, Vorwärmung, Hornzyste, epidermoidale, Howell-Jolly-Körperchen, Humanalbuminlösung, Hyaluronsäure, Wundauflage, Hydration-Response-Technologie (HRT), Hydrofaser-Verbandvlies, Hydrogel Wundauflage, , Wundreinigung, Hydrokolloid, Wundauflage, , Hypalbuminämie, Hyperalgesie, Hyperästhesie, Hyperfibrinolyse, Hyperglykämie, postoperative, Hyperkaliämie Pneumoperitoneum, Schock, Hyperkalziämiesyndrom, Sonografie, Hyperkapnie permissive, Schock, Pneumoperitoneum, Hyperparathyreoidismus, Sonografie, Hyperpathie, Hyperplasie, fokal noduläre, Sonografie, Hyperspleniesyndrom, , Hypertension, intraabdominale Diagnostik,

intraabdominaler Druck, Hypofibrinogenämie, , Hypokapnie, Schock, Hypospleniesyndrom, , Hypotension, permissive, Hypothermie, perioperative, Hypoxämie, (septischer) Schock, , I Ileorektostomie, Ileosigmoidostomie, Ileostomie, Ileus See also Abdomenleeraufnahme, Anamnese, Computertomografie, Definition, Einteilung, Dekompression, endoskopische, Dickdarmileus, Differenzialdiagnose, Dünndarmileus, endoskopische Diagnostik, funktioneller, Intestinografie, klinische Untersuchung, Kolonkontrasteinlauf, Labordiagnostik, Leitsymptome, Magnetresonanztomografie, mechanischer, Morbus Crohn, paralytischer, Peritonealkarzinose, postoperative Motilitätsstörung, postoperativer Diagnostik, Ileusrezidiv, Intensivmedizin, konservative Therapie, mechanischer, medikamentöse Darmstimulation, nach Laparotomie, Operationsindikation, paralytischer, Pathogenese, Relaparotomierate, Risikofaktoren, Trokarhernie, Ursachen, postoperativer, Appendektomie, Rekanalisation, endoskopische, Sonografie, , spastischer, Strangulationsileus, , Tumorerkrankungen, Operationsindikation, Umgehungsanastomose, Verdachtsdiagnose, Vorgehen, Immunkoagulopathie, Immunkomplexvaskulitis, Immunstimulation, Immunsuppression Hypospleniesyndrom, Pneumoperitoneum, transfusionsbedingte, Tumorrezidivrisiko, Indikationsstellung, Prinzipien Definition, Kontraindikationen, Operation, Leitlinien, Operation, Infektion, chirurgische, Abszess, Erysipel, Harnwegsinfektion, nosokomiale See Pathophysiologie, Phlegmone,

Weichteilinfektion, nekrotisierende, Wundauflage, Wundbehandlung, Wundinfektion, Infektion, nosokomiale, Hyperglykämie, Keimspektrum, Mangelernährung, MRSA-Screening, Prävalenz, Prävention, Inflammationsphase, Wundheilung, Infrarotkoagulation, Hämorrhoiden, Inhibitorpotenzial, Blutstillung, Insulinresistenz, Postaggressionsstoffwechsel, Intensive Glucose Control, Intensivmedizin, Endoskopie, postoperative Phase, Interferontherapie, malignes Melanom, Intermediate Care, Internationale normalisierte Ratio (INR), Intestinografie, Ileus, , In-Transit-Metastasen, Intraoperatives Management, Anästhesie, Atelektasen, Atemwegsmanagement, Beatmung, Blutzuckerkontrolle, Endotrachealtubus, Flüssigkeitsmanagement, Temperaturmanagement, Intubation, Schock, Invagination, Sonografie, Inzidentalom, Nebenniere, Irinotecan, Irrigation, Stuhlinkontinenz, Ischämie, intestinale, Pneumoperitoneum, Isoxazolylpenicilline, J Jejunalkatheter, Jejunostomie, endoskopische perkutane (EPJ), Junktionsnävus, K Kapnometrie, Schock, Kaposi-Sarkom, Ätiologie/Inzidenz, (Differenzial-)Diagnostik, Prognose/Nachsorge, Therapie, Karzinom, kolorektales, Kasabach-Merritt-Syndrom, Katheterangiografie, Gastrointestinalblutung, Katheterdrainage, perkutane, Sonografie, Katheterembolisation, Abdominaltrauma, Keratoakanthom, Keratose, aktinische, Kettenkokken, grampositive, Kinderchirurgie, laparoskopische, Klammernahtanastomose, zirkuläre, Klammernahtgeräte, Klebsiella pneumoniae, Antibiotikaresistenz, Kleines Blutbild, präoperative Kontrolle, Klinische Studien Bias-Bildung, Cochrane-Netzwerk, Evidenzniveau, Validität, Koagulopathie, angeborene, autosomal-rezessiv vererbte, erworbene, Hämophilie A/B,

Hypo-/Dysfibrinogenämie, Peritonitis, Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom, Koanalgetika, Kochsalzlösung, Wundreinigung, Kokarde, Sonografie, Kokzygodynie, Kolektomie, subtotale, Kolitis, endoskopische Differenzialdiagnose, Kollagen, Wundauflage, Kolonchirurgie Anastomose, laparoskopische, NOTES, Kolonkontrasteinlauf, Ileus, Kolonverletzung, Abdominaltrauma, Koloskopie, , , , Kompartmentresektion, Kompartmentsyndrom abdominales, , Abdominaltrauma, Ileus, postoperativer paralytischer, Kondylome, Abtragung, Buschke-Löwenstein-Tumor, Klinik, Kontrolluntersuchung postoperativ, Syphilis, Kongorot-Test, endoskopischer, Koniotomie, Abdominaltrauma, Kontrastmittelpassage See Kortison, Schmerztherapie, Kostaufbau, postoperativer, , Krankenhausstrukturen, Veränderungen, Krause-Endkolben, Kreatinin-Clearance, Schock, Kryotherapie, Hämorrhoiden, Kugelzellanämie See Künstlicher Schließmuskel, Kutis See L Labordiagnostik, präoperatives Management, Laktatkonzentration, Schock, Laparoskopie Abdominaltrauma, Adhäsionssonografie, Appendektomie See also Cholezystektomie, , diagnostische, Leistenhernie, Differenzialdiagnostik, Dünndarmileus, mechanischer, Hiatushernie, Historie, Kindesalter, Kolonchirurgie, Komplikationen, Leistenhernie, onkologische Radikalität, Operationstechnik, Patientenaufklärung, Peritonitis, Port-Site-Metastasen, Rahmenbedingungen, Rektumchirugie, Risikofaktoren, anatomische, Schwangerschaft, Trokarplatzierung, Tumorchirurgie, Tumorzellverschleppung, Variationen, anatomische, Verletzungen, iatrogene, Zweihandtechnik, Zwerchfellruptur, Laparotomie obere Gastrointestinalblutung, Peritonitis,

Retroperitoneum, Schmerzreduktion, Tumorresektion, Lappenplastik Biceps-femoris-Verschiebelappen, fasziokutaner Verschiebeschwenklappen, Fistelverschluss, Analfistel, Leistenlappen, M.-gracilis-Lappen, M.-latissimus-dorsi-Lappen, , , , M.-pectoralis-major-Lappen, M.-pectoralis-major-Myokutanlappen, M.-rectus-abdominis-Lappen, , , M.-rectus-abdominis-Myokutanlappen, M.-rectus-femoris-Myokutanlappen, M.-sartorius-Lappen, M.-tensor-fasciae-latae-Lappen, M.-vastus-lateralis-Lappen, myokutaner Thoraxwandlappen, nach Fanselar-Arnold, , Oberarmfiletlappen, Oberschenkellappen, anterolateraler gestielter, Omentum-majus-Lappen, Scapulalappen, Stuhlinkontinenz, Lappenteilnekrose, , L-Dopa, Einnahme, perioperative, Leber hepatic arterial buffer, lebernahe Tumoren, Sonografie, malignes Lymphom, Sonografie, Segmenttopografie, Sonografie, Tumoren/Metastasen, Sonografie, Tumor-Staging, Abdominalsonografie, Veränderungen bei Schock, Leberabszess, Sonografie, , Leberchirurgie, Sonografie, intraoperative, Leberdialyse, Schock, Leberhämatom, Sonografie, Leberperfusion Minderung, Pneumoperitoneum, Leberresektion Abdominaltrauma, Sonografie, intraoperative, Leberruptur, Sonografie, Lebertransaminasen, Erhöhung, Pneumoperitoneum, Lebertransplantation anhepatische Phase, Hämodynamik, Hämostasestörung, postanhepatische Phase, Blutungsrisiko, prähepatische Phase, Blutung, Substitutionstherapie, Gerinnungsfaktoren, Leberverletzung Abdominaltrauma, , Hämostase, Pringle-Manöver, Leberzellnekrose Hämostasedefekt, hepatogener, Substitutionstherapie, Leberzirrhose Abdominalsonografie, Peritonitis, Leistenhernie Anatomie, Ätiologie, Behandlungsalgorithmus, beidseitige, bildgebende Verfahren, Definition, Diagnostik, Druck, intraabdominaler, endoskopische transperitoneale Sicht, endoskopische Verfahren, Epidemiologie, Gleithernie, inkarzerierte, ,

Inzidenz, irreponible, Klassifikation, Kollagensynthesestörung, Laparoskopie, Minimal Repair, Netzprothesen, alloplastische, offene Verfahren, Operationsindikation, Operationsverfahren See also Palpation, primär einseitige, reponible, Ritter-Littre-Hernie, Schenkelhernie, Skrotalhernie, Spieghel-Hernie, symptomatische, Tailored Approach, Therapie konservative, operative, Wahl des Operationsverfahrens, , Leistenhernienchirurgie, Historie, Leistenhernienoperation Allgemeinanästhesie, anteriore Reparation, atraumatische Technik, Elektrokoagulation, Gefäß- und Nervenverletzungen, Hämatome/Serome, Komplikationen, , , Leistenschmerzen, chronische, , , Lokalanästhesieinfiltration, nach Bassini, nach Kugel, nach Lichtenstein, , nach Muschaweck (Minimal Repair), nach Nyhus, nach Rutkow, nach Shouldice, , nach Stoppa, nach Wantz, Nachsorge, Netzimplantation, , , Patientenaufklärung, posteriore Patch-Plastik, posteriore Reparation, Präparation, , , Rezidive, Ursachen, Rezidivrate, , total extraperitoneale Hernioplastik (TEP), transabdominale präperitoneale Hernioplastik (TAPP), Trokarplatzierung, Verfahrensvergleich, , Verletzungen, iatrogene, Wundinfektion, Leistenregion, Anatomie, Leistenring, Lentigo-maligna-Melanom (LMM), , Leukämie, Splenomegalie, Leukopenie, Schock, septischer, , Leukozytose Schock, septischer, , Splenektomie, Levobupivacain, Levofloxacin, , Lidocain, Linea dentata, Linezolid, Lipofibrom, Liposarkom, Lokalanästhesie, rückenmarksnahe, Lokalanästhetika, Pharmakodynamik/-kinetik, Wirkstoffe, Lunge

Acute Lung Injury (ALI), Acute Respiratory Distress Syndrome (ARDS), Veränderungen bei Schock, Lungenembolie, Antikoagulation, Symptome, Thoraxtrauma, Lungenerkrankung, chronisch obstruktive, Narbenhernie, Lungenfunktion, Pneumoperitoneum, Lungenkontusion Parenchymschädigung, Symptome, Thoraxtrauma, Lungenödem, Schock, Lungenparenchymverletzung, Thoraxtrauma, , Lupusantikoagulanzien, Lymphadenektomie elektive, , inguinale, malignes Melanom, Merkelzellkarzinom, modifizierte radikale Neck Dissection, pelvine, Spinaliom, Weichgewebssarkom, Lymphknotenstatus, Sonografie, endoluminale,

M Magensonde, Entfernung frühzeitig postoperativ, Magenverletzung, Abdominaltrauma, Magnetresonanztomografie, Ileus, Makrohämodynamik, Schock, Malignom Immunkoagulopathie, , Pneumoperitoneum, Tumor-Staging, Abdominalsonografie, Mallory-Weiss-Syndrom, Mangelernährung Definition, nosokomiale Infektion, präoperative Ernährungstherapie, Prävalenz, Risiken, schwere, Kriterien, Screeningverfahren, Zusatzernährung, präoperative, Mannheimer Peritonitis-Index (MPI), Marisken, Mariskenexzision, Mediastinitis, Meißner-Körperchen, Melanom, malignes, akrolentiginöses (ALM), amelanotisches (AMM), Analbereich, anorektales, Ätiologie, Ausbreitungsdiagnostik, (Bio-)Chemotherapie, adjuvante, , diagnostische Exzision/Biopsie, Differenzialdiagnostik, Extremitätenperfusion, hypertherme, Fernmetastasierung, Früherkennung, Immunstimulation, Initialdiagnostik/Symptome, Interferontherapie, adjuvante, Invasionslevel nach Clark, Inzidenz, Lentigo-maligna-Melanom, Lokalisationen, Lymphadenektomie, Lymphszintigrafie, Metastasenresektion, metastasierendes, unbekannter Primärtumor, metastasiertes, Stadien, Metastasierung, Nachsorge, postoperative, pagetoides, primär noduläres (NMM), Primärtumorresektion, anorektales Melanom, Defektverschluss, Gesicht, Hand, Fuß, Resektionsausmaß/Exzisionsweite, S3-Leitlinien, Stadien III/IV, Prognose, Risikofaktoren, Stadieneinteilung, Strahlentherapie, adjuvante, superfiziell spreitendes (SSM), Therapie, TNM-Klassifikation, Tumordicke nach Breslow, Tumormarker-Bestimmung, unklassifizierbares (UCM), Melanomzellnester, Melanose, prämaligne, Mepivacain,

Merkelzellen, Merkelzellkarzinom, Ätiologie/Inzidenz, chirurgische Therapie, (Differenzial-)Diagnostik, Prognose/Nachsorge, Stadieneinteilung, Meropenem, Mesenterikografie, Mesh-Wrapping, Abdominaltrauma, Metastasenresektion, Meteorismus, Ileus, Metformin, präoperative Karenz, Mezlocillin, Mikrohämodynamik, Schock, Milz, akzessorische See Anatomie, Asplenie, , Beteiligung, Systemerkrankungen, Blutversorgung, Echinokokkuszyste, Hämangiom, Hämangiosarkom, Histologie, Hypospleniesyndrom, , immunologische Funktion, Lageanomalien, Lymphabstrom, Lymphangiom, Makroskopie, Mikrozirkulation, operative Verfahren, Opsonisierung, Bakterien, Phagozytose, Physiologie, Polysplenie, primäre Zyste, Resektion, Splenektomie, Splenomegalie, Topografie, Tumormetastasen, weiße Pulpa, Milzabszess, Milzerkrankungen benigne, bildgebende Diagnostik, klinische Diagnostik, lokale, maligne, Milzfieber, Milzinfarkt, , Milzparenchym, Milzresektion, Milzvenenthrombose, Milzverletzungen, Abdominaltrauma, äußere, iatrogene, Organerhaltung, Spontanruptur, Milzzyste, Mindestmengenvereinbarung, Viszeralchirurgie, Mirizzi-Syndrom, Sonografie, Mobilisierung, postoperative, , Morbus Bowen See Morbus Crohn Ileus, Sonografie, Morbus Dubreuilh, Morbus Paget, , Morbus Rendu-Osler-Weber, Morphin, Moschcowitz-Syndrom, Moxifloxacin, , MRSA,

Antibiotikaprophylaxe, präoperative, Dekolonisierung, Prophylaxe, Screening, Mukosaresektion, endoskopische, , Muskelaponeurotische Lücke, Muskelgruppenresektion, Mykose Antibiotikatherapie, Differenzialdiagnose, endoskopische, Lungenaspergillose, Peritonitis, Myokardinfarkt, Schock, kardiogener, N Nabelhernie, Sonografie, NaCl, Wundreinigung, Naevus-epidemicus-Syndrom, Naevus sebaceus, Nahrungskarenz, postoperative, Naht See also Anastomose, chirurgische, Grundlagen, einreihige, Einspannen der Nadel, Einzelknopf(-Distanz)-Naht, fortlaufende/allschichtige/extramuköse, Klammernaht, Stoß-auf-Stoß-Technik, Nahtmaterial, Naloxon, Nano-Oligo-Saccharid-Faktor, Wundauflage, Narbenhernie, Appendektomie, Bauchbinde, postoperativ, Inzidenz nach Laparotomien, Klassifikation, Laparotomie, Faden-/Wundlängenverhältnis, Laparotomie, Nahtmaterial/-technik, Netzmaterial, Operationsindikation, Risikofaktoren intraoperative, patientenbezogene, Sonografie, Trokarhernie, Verfahrenswahl, Narbenhernienoperation Adhäsiolyse, Bauchhautplastik, Defektverschluss, Entlastungsinzision, Inlay-Technik, intraperitoneale Onlay-Mesh-Implantation (IOM), laparoskopische, nach Ramirez, Netzimplantation, , Netzprothese, alloplastische, Netzrandrezidiv, Netzschrumpfung, Onlay-Technik, Präparation, Sublay-Technik, Redon-Drainage, Rezidive, Ursachen, Rezidivrate, Seromprophylaxe, Single-Shot-Antibiose, Sublay-Technik, Verfahren, Natural Orifice Transluminal Endoscopic Surgery See Nävus, dermaler, Nävussyndrom, dysplastisches, , Nävuszellnävi, erworbene, kongenitale, Melanomrisiko, Therapie/Prognose,

Nebenhodenentzündung, Leistenhernienoperation, Nebenmilz, Nebenniere, Sonografie, Nebenschilddrüsenzyste, Sonografie, Neck Dissection, modifizierte radikale, Negative Pressure Wound Therapy (NPWT), Neoplasie intestinale, Blutung, myeloproliferative, (peri)anale intraepitheliale See Nervenblockade, Netzprothese, alloplastische See also Adhäsionsprophylaxe, Narbenhernie, Bauchwanddefekt, Eigenschaften, Implantation, , , , Komplikationen, Kontraindikationen, Leistenhernie, Mehrkomponentennetz, Narbenhernie, Laparoskopie, Plug-and-Patch-Verfahren, Polyesternetze, Materialdegradation, Polypropylennetze, Thoraxwandstabilisation, Netzrandrezidiv, Neuropathie, Neuralgie, anorektale See Neutropenie, autoimmune, Hyperspleniesyndrom, Nichtopioidanalgetika Schmerztherapie, systemische, Substanzklassen, Wirkmechanismus, Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAID) See Niederdrucktherapie, Wundbehandlung, Niere Filtrationsleistung, Pneumoperitoneum, Veränderungen bei Schock, Nierenersatzverfahren, Schock, Niereninsuffizienz, Narbenhernie, Nierenperfusion, Pneumoperitoneum, Nierenverletzung, Abdominaltrauma, Nikotinabusus, Narbenhernie, Non-Hodgkin-Lymphom, Splenektomie, Noradrenalin, Schock, septischer, Nosokomiale Infektion See NOTES, Notfallendoskopie, Notfalloperation Entscheidungsprozess, Indikationsstellung, Sonografie, Narbenhernie, Notfallsonografie Schallkopfposition, Zielstrukturen, Nozizeption, Nutritional Risk Screening (NRS), O Octenidin, Wundreinigung, Ödem, alveoläres/interstitielles, Thoraxtrauma, Oligurie Pneumoperitoneum, Schock, Onlay-Mesh-Implantation, intraperitoneale (IPOM), On-Table-Lavage, Ileus, Operation elektive, Entscheidungsprozess, kausale, symptomatische, Zeitbestimmung, Operationsindikation abgestufte, Tumorchirurgie, Leitlinien,

multimodales Konzept, palliativer Eingriff, Prinzipien, Risikoanalyse, Zielsetzung, primär kurative, Opioide, Klassifikation, Nebenwirkungen, , Schmerztherapie, systemische, Opioidrezeptoren, OPSI-Syndrom, Opsonisierung, Milz, Orchitis, ischämische, Leistenhernienoperation, Organisationsfehler, Chirurgie, Organverletzungen, Abdominaltrauma, ORSA See ORSA-Antibiotika, Ösophagusvarizen Blutungsneigung, Hämostase, Substitutionstherapie, Ösophagusverletzung Abdominaltrauma, Operation, Thoraxtrauma, OSSA, Osteomyelofibrose, Splenomegalie, OTSC-Clip, Overwhelming Postsplenectomy Infection See Oxacillin, Oxycodon, P Palliativeingriff, Indikationsstellung, Panendoskopie, Pankreaschirurgie, Sonografie, intraoperative, Pankreasnekrose, Endoskopie, Pankreaspseudozyste Ableitung, endoskopische, Sonografie, Pankreastumor, Sonografie, , Pankreasverletzung Abdominaltrauma, iatrogene, Pankreaszyste, Sonografie, Pankreatitis Papillenverschlussstein, Endoskopie, Sonografie, Pankreatografie (ERCP), Papillotomie, endoskopische (EPT), Paraproteinämie, Patientenkontrollierte Analgesie (PCA), Patientenverfügung, Bindungswirkung, PEEP intraoperative Anwendung, Atelektasen, Schock, Penicillin, Aclaminopenicilline, Aminopenicilline, Penicillin G, Perforation, intestinale, Endoskopie, Performance Bias, klinische Studien, Perianale Thrombose, , Perianaler Abszess See Periarteriitis nodosa, Perikardruptur, Perikardtamponade, , Perioperative Medizin, intraoperatives Management, postoperatives Management, präoperatives Management, Peritonealdialyse, Peritonealkarzinose, Ileus, Peritoneallavage See diagnostische, Abdominaltrauma, Peritonitis, Abdominallavage,

akutes Abdomen, Anastomosierung, Antibiotikatherapie, , chemisch-toxische, diffuse, generalisierte, Diskontinuitätsresektion, Drainage, intraabdominale, Enterostoma, Erregerspektrum, , Etappenlavage, Flüssigkeitsverschiebung, Grunderkrankungen, Herdsanierung, Indexoperation, Laparoskopie, Laparotomie, , Letalitätsrisiko, lokale, Mannheimer Peritonitis-Index (MPI), Mykose, Peritonealdialyse-assoziierte Diagnose, Pathogenese, Therapie, postoperative Antibiose, Diagnostik, primäre, Diagnostik, Therapie, Prognose, Relaparatomie on demand, Relaparatomie, programmierte, sekundäre, Diagnostik, Intensivmedizin, Sepsis, abdominale, Sonografie, spontan bakterielle, Diagnostik, Therapie, tertiäre, Vakuumtherapie, Petechien, Verbrauchskoagulopathie, Pethidin, Pharyngoskopie, Phlegmone, PiCCO-Verfahren, Pilzinfektion See Piperacillin, Piritramid, Plasmaderivate, Transfusion, Plasmapherese, präoperative, Plasmaproteinlösung, Plasminogen-Aktivatoren, Plasminogenaktivator-Inhibitor-1, Plastisch-rekonstruktive Eingriffe, Weichgewebsdefekt, Plateaudruck, Schock, Plättchenaktivierung, Platzbauch, Pleuraempyem, Pleuraerguss, Splenektomie, Pleuraschwarte, Pneumomediastinum, Ösophagusverletzung, Pneumonie Splenektomie, Thoraxtrauma, Pneumoperitoneum Adhäsion, postoperative, arterieller Druck, CO 2 -Belastung, Darmperfusion, Druck, intrazerebraler, Druckbegrenzung, Risikopatienten, Gefäßwiderstand, Herzminutenvolumen, Hyperkaliämie,

Hyperkapnie, immunologische Effekte, intraabdominaler Druck, Ischämie, intestinale, kardiovaskuläre Effekte, Leberperfusion, Leberperfusionsminderung, Lebertransaminasen, Erhöhung, Lungenfunktion, Malignom, Monitoring, Risikopatienten, neurologische Effekte, Niere, Filtrationsleistung, Nierenperfusion, Oligurie, Pathophysiologie, pulmonale Effekte, Thromboembolie-Risiko, Urinproduktion, Zwerchfell, Dysfunktion, Pneumothorax Operationsindikation, persistierender, Thoraxdrainage, Thoraxtrauma, , , Polyhexamethylenbiguanid (PHMB), Wundreinigung, Polypektomie, endoskopische, Polysplenie, Polyurethan, Wundauflage, Port-Site-Metastasen, Laparoskopie, POSSUM-Score, , Postaggressionsstoffwechsel, Akutphase, Glukoseverwertung, reduzierte, hormonelle Reaktion, Postaggressionsphase, Proteolyse, Reparationsphase, Stickstoffbilanz, Symphatikotonus, Postaggressionssyndrom See Postoperatives Management, Atemtherapie, Komplikationen, Erkennung, Postpolypektomiesyndrom, Postthrombotisches Syndrom, Präkanzerose, melanotische, Präoperatives Management, Adipositas, Anamnese, Carotis-Dopplersonografie, Echokardiografie, EKG-Diagnostik, Laboruntersuchung, Medikation, Nikotinabstinenz, Thorax-Röntgen, Zusatzernährung, Präperitonealer Raum, Pregabalin, Prilocain, Primärmelanom, okkultes, Primärtumorresektion Kaposi-Sarkom, malignes Melanom, Merkelzellkarzinom, Spinaliom, Pringle-Manöver, Pristinamycine, Procain, Proctalgia fugax/nocturna, Prokalzitonin, Schock, septischer, Proktitis, Proktologie, Proktologische Untersuchung, endoskopische Verfahren, Inspektion,

Lagerung, Patientenvorbereitung, rektal digitale, Proktoskopie, , Proktum, Prone-Jack-Knife-Position, Prostaglandine, Schmerzentstehung, Protektive ventilatorische Strategie, Proteolyse, Postagressionsstoffwechsel, Proteus mirabilis, Antibiotikaresistenz, Prothrombinkomplex, Blutgerinnung, Pruritus ani, Pseudomonas, , Pseudoobstruktion, Ileus, Pseudothrombozytopenie, Pudendusneuropathie, Pulmonalarterieller Druck (PA), Pulmonalarterienkatheter, Schock, Pulmonale Komplikationen, perioperative, Pulmonalkapillarer Verschlussdruck (PCWP), Pulpa, weiße, Pulse Contour Cardiac Output (PiCCO), Pulskonturanalyse (PiCCO), Purpura rheumatica, simplex, hereditäre, PVP-Jod-Lösung, Wundreinigung, Pyrazolderivate, Q QM-System nach DIN ISO 9001:2000, Qualität, medizinische, Qualitätsmanagement, Qualitätssicherung, evidenzbasierte Medizin, Qualitätsstandard, evidenzbasierte Medizin, Quick-Wert, präoperative Kontrolle, Quinupristin, R Rechtsfragen, Chirurgie, Rechtshemikolektomie, Regionalanästhesie, Rehn-Delorme-Operation, Rektopexie, transabdominale, Rektoskopie, Rektumchirurgie, laparoskopische, Rektumexstirpation, abdominoperineale, Rektumkarzinom, Sonografie, endoluminale, Rektummukosaprolaps, Diagnostik, Sklerosierungstherapie, Rektumperforation, Rektumprolaps, Klinik, Diagnostik, Operation nach Rehn-Delorme, Rektopexie, transabdominale, Rektumresektion nach Altemeier, Stuhlinkontinenz, Therapie, Ursachen, Rektumresektion nach Altemeier, NOTES, Rektumulkus, solitäres, Rektumverletzung, Abdominaltrauma, Relaparotomie, Peritonitis, Resistenzentwicklung multiresistente gramnegative Bakterien (MRGN), nosokomiale Infektionen, Retroperitoneum, Abszess, Eröffnung, Ausräumung, Komplikationen, postoperative, Lokalisation, Operationsindikation, Operationsrisiken, Patientenaufklärung, Zugang,

Anatomie, bildgebende Verfahren, Blutstillung, Diagnostik, Erkrankungen, Faszien, Gefäßverletzung, , Hämatom, hämodynamische Instabilität, Laparotomie, Operationsindikation, Hämatom, Operationsrisiko, penetrierende Verletzung, , Sarkome, stumpfes Bauchtrauma, Tamponade, Tumordiagnostik, Tumoren Resektabilität, Symptome, Tumorklassifikation, Tumorresektion Indikation, Laparotomie, onkologische Radikalität, Operationsrisiko, Prognose, Rezidivrate, Zugang, Tumor-Staging, Urinphlegmone, Verbrauchskoagulopathie, Verletzungen, Retroperitonitis, Rezidivhernie, , Rezidivinzision, Narbenhernie, Rhabdomyosarkom, Richter-Littre-Hernie, Riesenpigmentnävus, Rifampicin, Rippen(serien)fraktur, Intubation, Beatmung, Therapie, Risikoanalyse APACHE-II-Score, ASA-Klassifikation, biomedizinischer Ansatz, E-PASS-Score, kardiales Risiko, Operation, unerwünschtes Ereignis, POSSUM-Score, präoperatives Management, pulmonales Risiko, quantitativer Ansatz, Risikoaufklärung allgemein bekannte Risiken, Bluttransfusion, eingriffsspezifische Risiken, Erweiterungsoperation, fehlerhafte, Inhalt und Umfang, Misserfolgsrisiko, Ropivacain, , Rotationsbogen, Lappenplastiken Axilla, Bauchwanddefekt, Gesäßbereich, Leistenregion, präsakrale Höhlenbildung, Thorakolumbalebene, Thorax-/Axillaregion, Thoraxwanddefekte, Ruffini-Körperchen, S Sachverständiger, chirurgischer Aufgaben,

Kompetenz, Strafverfahren, verfahrensrechtliche Stellung, Zivilprozess, Sakralnervenstimulation, Stuhlinkontinenz, Salizylsäurederivate, Samenstrang, Anatomie, , Sarkoidose Hypospleniesyndrom, Splenomegalie, Sarkom, Satellitenmetastasen, Scanner, Sonografie Konvexschallkopf, linearer Scanner, Multifrequenzschallkopf, Sektor-Scanner, Schädel-Hirn-Trauma, Pneumoperitoneum, Schadensfall, Kausalitätsnachweis, Schallkopf See Schallwellen, Sonografie, Eindringtiefen, Schaumstoffverband, , Schenkelhernie, Schenkelhernienoperation, femoraler Zugang, inguinaler Zugang, nach Fabricius, nach Lotheissen-McVay, Netzimplantation, Plug-Repair, Schilddrüse, Sonografie, Schleimhautblutung, Verbrauchskoagulopathie, Schmerz Definition, Einteilung, Pathophysiologie, postoperativer, Patientenaufklärung, Schmerzanamnese, Schmerzreduktion Hautinzision, intraoperative Maßnahmen, Lagerung, Operation, Laparotomie, postoperative Maßnahmen, Schmerzsyndrom, anales, Schmerztherapie, Adjuvanzien, , Akupunktur, akutes Abdomen, präoperativ, Dokumentation, Beweislast, Facharztstandard, Fast-Track-Konzept, , Gegenirritation, Gate-Control, Koanalgetika, Kombinationstherapie, Lokalanästhetika, medikamentöse, Medikation, Applikationsformen, Nervenblockade, periphere, nichtmedikamentöse, Nichtopioidanalgetika, Opioidanalgetika, Patientenaufklärung, patientenkontrollierte Analgesie (PCA), perioperative, Management, postoperative Dokumentation, Patientenaufklärung, psychologische Verfahren, Qualitätsmanagement, Qualitätssicherung, rechtliche Aspekte, Rippen(serien)fraktur, rückenmarksnahe Lokalanästhesie, systemische, WHO-Stufenschema, Schnittstellenprobleme, Reduzierung durch Behandlungspfade, Schock,

Alkalose, respiratorische, anaphylaktischer, Anurie, Atemfrequenz, Ätiologie, Beatmung, Bewusstseinsstörung, Blutdruck, arterieller, Definition, Diagnostik, Early Goal-Directed Therapy, EKG-Diagnostik, Elektrolyte, Erregungszustand, gastrointestinale Veränderungen, Gerinnungsparameter, Hämodialyse, Hämofiltration, Hämoglobinwert, hämorrhagischer, Abdominaltrauma, Hämoglobinlösung, sekundär septischer, harnpflichtige Substanzen, Retention, Harnproduktion, Herzzeitvolumen, Hyperkaliämie, Hypokapnie, hypovolämischer, Erythrozytentransfusion, Hämokonzentration, Leitsymptome, Nierenversagen, Volumentherapie, , Hypoxämie, Intubation, kardiogener Leitsymptome, Myokardinfarkt, Therapie, Kreatinin-Clearance, Laborparameter, Leberdialyse, Leberveränderungen, Lethargie, Lungenveränderung, Makrohämodynamik, Mikrohämodynamik, Mitteldruck, arterieller, Nierenersatzverfahren, Nierenveränderungen, Oligurie, Organveränderungen, Organversagen, multiples, Pathophysiologie, Pulmonalarterienkatheter, Pulsoxymetrie, respiratorische Insuffizienz, Sauerstoffkonzentration, septischer, Adrenalin, Antibiotikatherapie, Ätiologie, Azidose, Capillary Leak Syndrome, Endotoxin, Enzephalopathie, Gefäßwiderstand, Herdsanierung, Herz-Kreislauf-Medikamente, hyperdyname Phase, hypodyname Phase, Hypo-/Hyperthermie, Inzidenz, Katecholamingabe, Kortikosteroidtherapie, Leitsymptome,

Leukozytose/Leukopenie, Lungenversagen, Noradrenalin, Proteinverlust, Tachykardie/Tachypnoe, Vasopressin, Volumentherapie, Zellhypoxie, Small-Volume-Resuscitation, spinaler, toxisches Schocksyndrom, Verbrauchskoagulopathie, , zentralvenöser Druck, Zyanose, Schockindex nach Allgöwer, Schönlein-Henoch-Syndrom, Schrittmacher Stimulation, intraoperative, Zugänglichkeit, perioperativ, Schwangerschaft akutes Abdomen, Appendix, Lagevarianten, Appendizitis, Immunkoagulopathie, Laparoskopie, Segmentresektion, Ileus, Seit-zu-Seit-Anastomose, Selbstbestimmungsrecht, Patient, Selection Bias, klinische Studien, Sendefrequenzen, Sonografie, Sentinel-Lymphknoten(-Biopsie), Sepsis abdominale, Schock, Serom, Wundheilungsstörung, Sexuell übertragbare anorektale Erkrankungen, Sichelzellanämie Hyperspleniesyndrom, Splenomegalie, Sicherheitscheckliste Chirurgie, Sigmadivertikulitis, Antibiotikatherapie, Sigmaresektion, Dickdarmileus, mechanischer, Sigmavolvulus, Dickdarmileus, mechanischer, Sigmoidoskopie, Silber, Wundauflage, Single-Shot-Antibiose, postoperative, Risiken, Sklerodermie, Sklerosierung, Hämorrhoiden, Skrotalhernie, Small-Volume-Resuscitation, Schock, Sonografie, Abdomen, Abdominaltrauma, Adenom, Adhäsionssonografie, akutes Abdomen, Appendizitis, , Bauchaortenaneurysma, Befunddokumentation, Biopsie, Kontrolle, Blutungsnachweis, , Blutungsquelle, chirurgische Anwendungsspektrum, Definition, Choledocholithiasis, Cholezystitis, Cholezystolithiasis, Darmwand, diagnostische, Zuständigkeit, Divertikulitis, Drainage, Kontrolle, Echomuster, Eichschnitt, endobiliäre Diagnostik, endokrine Organe, endoluminale, ,

Galle, Pankreas, Pankreastumor, Rektumkarzinom, Tumorinfiltrationstiefe, endopankreatische Diagnostik, endorektale, Inkontinenz, Feinnadelpunktion, Gastrointestinaltrakt, Hämangiom, Hyperkalziämiesyndrom, Hyperparathyreoidismus, Hyperplasie, fokal noduläre, Ileus, , interventionelle (IVUS), , intraoperative (IOUS), , Invagination, Inzidentalom, Kontrastmittel-verstärkte, , Kontrolluntersuchung, Intervalle, Konvexschallkopf, laparoskopische intraoperative (LIOUS), Leber, malignes Lymphom, Leberabszess, , Leberhämatom, Leberruptur, Lebertumoren/-metastasen, linearer Scanner, Longitudinalschnitt, Mirizzi-Syndrom, Morbus Crohn, Nabel-/Narbenhernie, Nachbefundung, offline, Nachweis subkapsulärer Hämatome, Nebenniere, Nebenschilddrüsenzyste, Notfalloperation, Indikationsstellung, ökonomische Aspekte, organisatorische Aspekte, Pankreaspseudozyste, Pankreastumor, Pankreaszyste, Pankreatitis, Peritonitis, perkutane Katheterdrainage (PCD), postoperative, Punktion, diagnostische, Qualifikation, Schilddrüse, Sektor-Scanner, Stanzbiopsie, Target-Phänomen, Thoraxtrauma, transkutan, Transversalschnitt, Tumorinfiltrationsrate, Verlaufsbeobachtung, Wahl des Schallkopfs, Spannungspneumothorax Abdominaltrauma, Thoraxtrauma, , Spastischer Beckenboden, Spatium praeperitoneale, Spatium retroperitoneale See Sphärozytose Hyperspleniesyndrom, Splenektomie, Sphincter ani externus, Sphincter ani internus, Sphinkter, künstlicher, Sphinkterotomie endoskopische (EST), Inkontinenzrisiko, Operationstechnik, Sphinktertraining, Spieghel-Hernie, Spinalanästhesie, Spinaliom,

Chemo(immun)therapie, (Differenzial-)Diagnostik, Inzidenz/Ätiologie, Lymphadenektomie, Nachsorge, Primärtumorresektion, Prognose, Resektionsausmaß, Rezidivoperation, Stadieneinteilung, Strahlentherapie, Therapie, Spindelzellnävus, Splenektomie Abdominaltrauma, Antibiose, postoperative, Atelektase, Blutbild, peripheres, Blutungsrisiko, Blutersatz, Drainage, Hämoglobinopathien, hämolytische Krise, Hodgkin-Lymphom, Impfungen postoperative, präoperative, , Infektabwehr, Infektionsrisiko, Komplikationen, Kontraindikationen, Konversion, laparoskopische, Leukozytenanstieg, Milzfieber, Mobilisierung der Milz, , Nachblutung, Non-Hodgkin-Lymphom, offene, OPSI-Syndrom, Pankreasläsion, Patientenaufklärung, Pleuraerguss, Pneumonie, Relaparotomierate, Sphärozytose, Thromboembolie, , Thrombozytopenie, Thrombozytose, reaktive, Trokarplatzierung, Zugang, Schnittführung, Splenomegalie, Infektionen, Leukämie, Osteomyelofibrose, Sichelzellanämie, Thalassämie, Stäbchen, gramnegative, Staging-Laparoskopie, Sonografie, intraoperative, Standard, medizinischer, Relativität, Standard Operating Procedures (SOP), Staphylokokken Koagulase-negative, methicillinresistente (MRS), oxacillinresistente (ORS), Resistenzentwicklung, Stapler linearer, zirkulärer, Stapler-Hämorrhoidektomie, Steinschnittlage, Stenose Diagnostik, endoskopische, peptische, Endoskopie, Stenosetherapie Argon-Plasma-Koagulation, endoskopische, Ballondilatation,

benigne Stenosen, Bougierung, prothetische Verfahren, radiogene Stenose, Rekanalisation, Stent, selbstexpandierender, Stent-Implantation, Endoskopie, Sternotomie, Thoraxtrauma, Sternumfraktur, Thoraxtrauma, Stichkanäle, Verbrauchskoagulopathie, Stoffwechsel, postoperativer See Strahlentherapie Basaliom, Extremitätenmelanom, irresektables, malignes Melanom, Merkelzellkarzinom, präoperative, Weichgewebssarkom, präoperatives Management, Spinaliom, Weichgewebssarkom, Strahlresektion, Strangulationsileus, , , Streptokokken, Stressinkontinenz, Stressulkusblutung, Stuhlinkontinenz, Anus praeternaturalis, Beckenbodenplastik, Biofeedback, Diagnostik, Elektrostimulation, Grunderkrankungen, Hautlappenplastik, idiopathische, Inzidenz, Irrigation, Klassifikation, konservative Therapie, Operationsverfahren, Proktitis, Pudendusneuropathie, Rektumprolaps, Reservoirfunktion, gestörte, Sakralnervstimulation, Schließmuskelersatzplastik, Sensorikstörung, Sphinkterschädigung, Sphinktertraining, Ursachen, Subjective Global Assessment (SGA), Subkutis, Submukosadissektion, endoskopische (ESD), Submukosaresektion, endoskopische (ESR), Sulbactam, , Superabsorber, Wundauflage, , Swan-Ganz-Katheter, Schock, Diagnostik, Synovialzellsarkom, Syphilis, Systemic Inflammatory Response Syndromes (SIRS), Szintigrafie, Gastrointestinalblutung, T Tazobactam, TEA See Teicoplanin, Tela submucosa, Temperaturmanagement, intraoperatives, Thalassämie, Splenomegalie, Thienopyridin, perioperative Medikation, Thorakale epidurale Anästhesie (TEA), Thorakotomie Abdominaltrauma, Aortenruptur, Thoraxtrauma, Hämatothorax, Thorax-Kompressionsschmerz, Thorax-Röntgen, präoperatives Management, Thoraxschmerz, ,

Thoraxtrauma, Adult Respiratory Distress Syndrome (ARDS), Akutdiagnostik, Aortenruptur, Atelektase, Ateminsuffizienz, Atemtherapie, Atemwegsverlegung, Atmung, Akutdiagnostk, Blutgasanalyse, Bronchitis, Asthma bronchiale, Computertomografie, Differenzialdiagnose, Dyspnoe, , endobronchiale Blutung, Epidemiologie, Fremdkörperaspiration, Gefäßverletzung, Hämatothorax, Hämoptoe, Hämoptyse, , Herzkontusion, Herzwandruptur, intrathorakaler Druckanstieg, Krafteinwirkung, Kreislauffunktion, Labordiagnostik, Leitsymptome, Letalität, Lungenembolie, Lungenhämatom, Lungenkontusion, Lungenparenchymblutung, Lungenparenchymverletzung, , Mediastinitis, Ödem, alveoläres/interstitielles, Operationsindikation, Ösophagusverletzung, Pathophysiologie, penetrierende Verletzungen, Perikardruptur, Perikardtamponade, , Pleuraempyem, Pneumomediastinum, Pneumonie, Pneumothorax, , , Polytrauma, Rippen(serien)fraktur, Sauerstoffsubstitution, Sonografie, Spannungspneumothorax, , Sternumfraktur, stumpfes, Thoraxschmerz, , Thoraxwanddefekt, Thoraxwandinstabilität, tracheobronchiale Verletzung, Ultraschalldiagnostik (fast protocol), Venenverletzung (V. cava/azygos), Verletzungsmuster, Vitalfunktionen (ABC-Regel), Weichteilverletzung, Thoraxwand, Zwerchfellruptur, Zyanose, Thoraxwanddefekt, Pneumothorax, Thoraxwandinstabilität Begleitverletzungen, Diagnostik, Thrombinbildung, Thromboembolie Diagnostik, Laparoskopie, Pneumoperitoneum, Risikokollektive, Thromboembolieprophylaxe, ambulante Weiterführung, forensische Aspekte,

Leitungsanästhesie, medikamentöse, Mobilisation, perioperative, physikalische, postoperative, Thrombophilie, Thrombophlebitis, Thromboplastinzeit, Thrombose perianale, venöse, Lungenembolie, Risikofaktoren, postoperative, Therapie, Thrombozytämie, Thrombozyten Anstieg, Splenektomie, hämostatische Funktion, Thrombozytenaggregationshemmung präoperative Karenz, Stent, Thrombozytenfunktion, Beurteilung, Thrombozytenfunktionshemmer, Thrombozytenkonzentrat, Indikation, Thrombozytopenie, Autoimmunthrombozytopenie (AITP), erworbene, heparininduzierte (HIT), Hyperspleniesyndrom, Immunthrombozytopenie, Schock, septischer, Splenektomie, Thrombozytose, reaktive, Tidalvolumen Beatmung, Schock, Tierfellnävus, Tigecyclin, , Tilidin, Tissue Factor (TF), Blutgerinnung, Tissue-Factor Pathway-Inhibitor, Total extraperitoneale Hernioplastik (TEP), Toxisches Schocksyndrom (TSS), Tracheobronchiale Verletzung, Tracheotomie, Abdominaltrauma, Tramadol, Transabdominale präperitoneale Hernioplastik (TAPP), Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS), Transversostomie, Ileus, Trauma, abdominales See Trichilemmalzyste, Trokarhernie, Trokarkanalmetastasen, Laparoskopie, Tumorchirurgie Laparoskopie, Langzeitüberleben, Operationsindikation, abgestufte, Thorakale epidurale Anästhesie (TEA), Tumoren Retroperitoneum Klassifikation, Symptome, Zugang, Tumorinfiltrationstiefe, Sonografie, Tumor-Staging Abdominalsonografie, Retroperitoneum, Sonografie, endoluminale, Tumortherapie, endoskopische, kurative, palliative, , Tumorzellverschleppung Laparoskopie, Pneumoperitoneum, Tumorzellwachstum, Pneumoperitoneum, Tunica mucosa, Tunica muscularis,

Tunica serosa, Tunnelinfekt, Peritonealdialyse, Turnbull-Ligatur, Laparoskopie, U Übelkeit, postoperative, Überlaufinkontinenz, Übernahmeverschulden, Ulcus rodens, Ulcus terebrans, Ulcus-Dieulafoy-Blutung, , Ulcus-duodeni-Blutung, Duodenotomie, Gefäßligatur, extraluminäre, Ulkusexklusion, Ulcus-simplex-recti-Blutung, Ulcus-ventriculi-Blutung, Ulkusblutung Einteilung nach Forrest, Endoskopie, peptische, endoskopische Hämostase, Klassifikation, Notfalloperation, Inzidenz, Rezidivblutungsrisiko, Risiko-/Prognosefaktoren, Ultraschalldiagnostik See Unterdrucktherapie See Urinphlegmone, Urinproduktion, Pneumoperitoneum, Uterusschiebeschmerz, Appendizitis, V Vacuum-Assisted Closure (VAC), Vakuumtherapie, Peritonitis, Vakuumversiegelung, Wundbehandlung, Vancomycin, , , Varizenblutung endoskopische Therapie, Substitutionstherapie, Vasodilatation, Peritonitis, Vasopathie, Vasopressin, Schock, Vater-Pacini-Körperchen, Venenverletzung (V. cava/azygos), Verbrauchskoagulopathie, Lebertransplantation, Retroperitoneum, Schock, , Symptome, Therapie, Umsatzsteigerung, chronische, Verbrennungsschock, Verletzungen, anale, Verruca seborrhoica, Versorgungsangebot, Zentralisierung, Videogastroskop, Vitamin-K-Antagonisten, Vitamin-K-Substitution, Volumensubstitution Infusionslösungen, kolloidale Lösungen, Schock hämorrhagischer, septischer, Von-Hippel-Lindau-Syndrom, Von-Willebrand-Jürgens-Syndrom, Voriconazol, Vorsorgevollmacht, Vorwärmung, Holdingzone, W Wärmedeckensysteme, Weichgewebsdefekt, Abdomen, Abdominalwand, Axilla, ,

Dekubitaldefekt, Gesäßbereich, Höhlenbildung intrathorakale, , präsakrale, Leistenregion, phlegmonöse Entzündungen, Rückenregion, Schulterbereich, Thorakolumbalebene, Thorax, Defektausmaß, Lungen-Bronchus-Fisteln, Thoraxwandstabilisation, vordere Brustwand, Weichgewebssarkom, bildgebende Diagnostik, Biopsie, Chemotherapie, Extremitätenbefall, Rekonstruktion, Extremitätenperfusion, isolierte, Exzisionsbiopsie, Feinnadel-/Stanzbiopsie, funktionelle Wiederherstellung, Integumentrekonstruktion, Klinik/Anamnese, Knochendefekte, Rekonstruktion, Komplikationen, postoperative, Labordiagnostik, Lappenplastik, Lymphadenektomie, Malignitätsrisiko, Muskelgruppenresektion, Operationsindikation, Pathogenese, Pathohistologie, Patientenaufklärung, postoperative Maßnahmen, Referenzpathologie, segmentale Resektion/Rekonstruktion (Nerven und Gefäße), Spätfolgen (Multimodaltherapie), Strahlentherapie, Strahlresektion, Thoraxwandstabilisierung, Tumorresektion, Kompartmentresektion, Komplikationen, intraoperative, onkologische Radikalität, Operationstechnik, Thrombosekrisiko, Wundheilungsstörung, postoperative, Weichteilinfektion, nekrotisierende Pathogenese, Therapie, Weichteilverletzung, Thoraxwand, Weiterbildung, ärztliche, WHO-Stufenschema, Schmerztherapie, Wundauflage, , antibakterielle, hydroaktive, interaktive, konventionelle, physikalisch keimbindende, Wundbehandlung, Débridement, Lokalanästhesie, Revision, operative, Tumoren, Vakuumversiegelung, Verbandswechsel, Wunddébridement, Wunddehiszenz, Wunddrainage, aktive, Wunde Definition, Einteilung, Diagnostik und Dokumentation, Wundgaze, imprägnierte,

Wundheilung Epithelisationsphase, , Exsudation, , Granulationsphase, , Inflammationsphase, Wundheilungsstörung, Chemotherapie, Hyperglykämie, Störfaktoren, Strahlentherapie, Wundinfektion, postoperative, , , Antiseptika, Klassifizierung/Kontaminationsgrad, Leistenhernienoperation, nach Laparotomie, Prophylaxe, Wundbehandlung, Wundreinigung, Wundinfektionsrate, postoperative, Wundkonditionierung, Niederdrucktherapie, Wundmanagement, Wundrandnekrose, Wundreinigung, Wundschnellverband, Wundspüllösung, Z Zellhypoxie, Schock, septischer, Zenker-Divertikel, Spaltung, endoskopische, Zentralisierung, Versorgungsangebote, Zertifizierung, Viszeralchirurgie, Zusatzernährung, präoperativ, Zwerchfell-Dysfunktion, Zwerchfellruptur Abdominaltrauma, Operation, Thoraxtrauma, Zyanose, Thoraxtrauma, Zyklooxgenase-Hemmung See Zyste, Sonografie, Zystenleber, Sonografie, Zystikusstumpfinsuffizienz, postoperative, Endoskopie, Zytomegalievirus Fremdbluttransfusion, Proktitis,