Alles bleibt in der Familie: Erbe und Eigentum in Deutschland, Russland und den USA seit dem 19. Jahrhundert [1 ed.] 9783412528959, 9783412528935

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Alles bleibt in der Familie: Erbe und Eigentum in Deutschland, Russland und den USA seit dem 19. Jahrhundert [1 ed.]
 9783412528959, 9783412528935

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Jürgen Dinkel

ALLES BLEIBT IN DER FAMILIE Erbe und Eigentum in Deutschland, Russland und den USA seit dem 19. Jahrhundert

Industrielle Welt Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte Herausgegeben von Ulrike von Hirschhausen, Frank Bösch und Andreas Eckert

Jürgen Dinkel Alles bleibt in der Familie

Jürgen Dinkel

Alles bleibt in der Familie Erbe und Eigentum in Deutschland, Russland und den USA seit dem 19. Jahrhundert

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Fritz Thyssen Stiftung, Köln.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2023 Böhlau, Lindenstraße 14, D-50674 Köln, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: Was bleibt. © Jutta Keilbach Korrektorat: Volker Manz, Kenzingen Umschlaggestaltung: Guido Klütsch, Köln Satz: le-tex publishing services, Leipzig

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-52895-9

Inhalt

Einleitung............................................................................................. Thema, Erkenntnisinteresse und Fragestellung ..................................... Historische Erbeforschung – Skizze eines Forschungsfeldes ................... Ansatz, Gegenstand und Untersuchungszeitraum ................................. Quellen ........................................................................................... Gliederung ......................................................................................

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Genese der bürgerlichen Erbordnung im langen 19. Jahrhundert ....... 1. Rechtspluralismus um 1800 – Lokale und konkrete Erbordnungen ..... 2. Innerstaatliche Reformen und Rechtsvereinheitlichungen ................. 3. Das Erbrecht als Instrument der Gesellschaftsgestaltung ................... 4. Internationales Privatrecht und transnationale Erbtransfers ............... 5. Rechtsanwälte und Erbenermittler.................................................. 6. Erblasser und Erben ..................................................................... 7. Verteilung von Nachlassvermögen in Baltimore und Frankfurt um 1900 .......................................................................

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I.

II. Vermögen umverteilen. Revolutionen, Reformen und Reaktionen ...... 1. Erben und Vererben in der Sowjetunion, 1917–1964 ........................ 2. Erben und Vererben in den USA, 1916–2000er Jahre ........................ 3. Erben und Vererben in Deutschland, 1918–1960er Jahre ................... 4. Umkämpfte Erbschaften – Nachlässe als Gegenstände internationaler Politik ................................................................... III. Liberalisierung und Legitimierung des Familienprinzips seit den 1960er Jahren.......................................................................... 1. Politische und rechtliche Reformen von Erbrecht und Erbschaftssteuern ......................................................................... 2. Familienprinzip und Steuerminimierung bei wohlhabenden Erblassern in der Bundesrepublik ................................................... 3. Armut, Schulden und ausgeschlagene Erbschaften in der Bundesrepublik............................................................................ 4. Verteilung von Nachlassvermögen in Baltimore und Frankfurt, 1881–2001 ...................................................................

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339 339 373 381 394

Schluss – Das Zeitalter der Familie........................................................ 401

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Inhalt

Tabellenverzeichnis .............................................................................. 421 Abbildungsverzeichnis........................................................................... 423 Literatur- und Quellenverzeichnis .......................................................... Archive und Institutionen.................................................................. Datensatz ........................................................................................ Gerichtsurteile ................................................................................. Rundfunk und Internet ..................................................................... Zeitungen........................................................................................ Publikationen ..................................................................................

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Dank.................................................................................................... 481

Einleitung

Thema, Erkenntnisinteresse und Fragestellung Im Herbst 1958 starb Max Birnbaum in den USA.1 Der alleinstehende, kinderlose Arzt hinterließ ein durchaus beachtliches Erbe von mehreren Tausend Dollar. Dieses vermachte er per Testament zu gleichen Teilen seinen Geschwistern, Nichten und Neffen. Als Testamentsvollstrecker setzte er seinen in New York wohnenden Neffen Joseph ein, der dafür sorgen sollte, dass neben ihm auch die in der Sowjetunion lebenden Verwandten ihr Erbe erhielten. Diesen letzten Wunsch zu erfüllen, war für den Neffen keine einfache Sache: Aufgrund des Zweiten Weltkriegs, der stalinistischen Abschottungspolitik und dem beginnenden Kalten Krieg hatte Joseph seit Ende der 1930er Jahre keinen Kontakt mehr zu den Verwandten in der Sowjetunion gehabt. Er wusste daher nach über zwei Jahrzehnten weder, ob diese überhaupt noch am Leben waren, noch, wo sie gegebenenfalls wohnten. Auch sein Onkel hatte seit über zwei Jahrzehnten nichts mehr von den Verwandten in der Sowjetunion gehört und auch davor nur sporadisch mit diesen korrespondiert. Das letzte persönliche Treffen lag über 50 Jahre zurück. Trotzdem bestimmte er in seinem Testament, dass seine Verwandten in der Sowjetunion die gleichen Erbanteile bekommen sollten wie sein in der Nähe lebender Neffe Joseph. Max Birnbaum wurde im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts im russischen Zarenreich, im westlichen Gouvernement Grodno2 geboren. Nach seinem Schul1 Alle Informationen zum Erbfall Birnbaum finden sich in AMEMBASSY, Moscow to Department of State, Washington, Circular Airgram of February 26, June 1959, Reciprocal Inheritance Rights between the USSR and the United States and Distribution of United States Treasury Checks in the USSR, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Bureau of European Affairs, Office of Soviet Union Affairs, Bilateral Political Relations Section, Bilateral Political Relations Subject Files, 1921–1973, PS 7-1 – Mott, Newcomb: Telegrams & Airgrams, 1965–1967 to V 29-1-Balashova, et al., 1945–1965, Box 22. 2 Zur Schreibweise von fremdsprachigen Eigennamen und Fachwörter: Der transnational vergleichende Ansatz der Studie bringt es mit sich, dass (Fach-)Begriffe und Eigennamen aus unterschiedlichen Sprachen, Rechtssystemen und Gesellschaften Verwendung finden, die sich nicht immer ohne Verschiebungen der damit verbundenen Bedeutungen und Konnotationen ins Deutsche übersetzen lassen. An Stellen, an denen diese Bezeichnungen wichtig sind, um Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern deutlich zu machen, wird daher die Originalschreibweise (kursiv) beibehalten (z. B. Probate). An Stellen, an denen es nicht um diese Spezifika geht, wird aus darstellerischen Gründen der deutsche Begriff auch für ähnliche Institutionen oder Prozesse in anderen Ländern verwendet; zum Beispiel wird der Orphans’ Court in Baltimore dann als Nachlass- oder Amtsgericht bezeichnet. Das ist im Detail zwar ungenau, soll aber der besseren Lesbarkeit dienen. Falls es eine etablierte deutsche Übersetzung der Begriffe gibt, wird nach einer einmaligen Nennung des Originalbegriffs die deutsche

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Einleitung

abschluss begann er im frühen 20. Jahrhundert ein Medizinstudium an der Kiewer Universität, das er aber aufgrund antijüdischer Pogrome im westlichen Zarenreich abbrach. Noch während seines Studiums wanderte er vor dem Ersten Weltkrieg wie viele andere Juden zu dieser Zeit aus Russland aus. Birnbaum migrierte nach Berlin, wo er an der Friedrich-Wilhelms-Universität sein Studium abschloss. Danach begann er im Deutschen Kaiserreich als Arzt zu arbeiten. Über Briefe hielt er Kontakt zu seiner zurückgebliebenen Verwandtschaft. Ins Zarenreich kehrte er jedoch nie wieder zurück. Die wenigen persönlichen Familientreffen fanden in kleinen Städten an der Grenze zwischen den beiden Ländern statt. Während des Ersten Weltkrieges und nach der Oktoberrevolution brachen die persönlichen Treffen zwischen Birnbaum und seiner in der Sowjetunion verbliebenen Verwandtschaft ganz ab; auch der schriftliche Austausch wurde seltener. In einem seiner wenigen Briefe teilte Birnbaum der Familie Anfang der 1930er Jahre mit, dass er aufgrund des erstarkenden Antisemitismus Deutschland verlassen und in die Vereinigten Staaten auswandern werde. Dort nahm er Kontakt zu seinem Neffen Joseph auf, der zuvor nach New York ausgewandert war. Der schriftliche Kontakt zu seinen Geschwistern und übrigen Nichten und Neffen versiegte endgültig mit Beginn des Zweiten Weltkrieges. Vor diesem Hintergrund versuchte Joseph nach dem Tod seines Onkels mit Hilfe eines Anwalts und sogar des State Department seine Verwandten zu lokalisieren und ihnen ihre Erbteile zukommen zu lassen. Noch bevor er vom State Department Unterstützung erhielt, kontaktierte ihn allerdings die auf internationale Erbtransfers und Erbenermittlung spezialisierte Anwaltskanzlei Wolf, Popper, Ross, Wolf & Jones mit Sitz in New York, die eng mit der sowjetischen auf internationales Privatrecht spezialisierte Anwaltsvereinigung Injurkollegija (Inostrannaja Juridičeskaja Kollegija) zusammenarbeitete. Die Kanzlei teilte Joseph mit, dass Injurkollegija drei Nichten seines verstorbenen Onkels ermittelt habe. Dabei handelte es sich um dessen 67-jährige pensionierte Nichte Dora sowie ihre beiden älteren, pflegebedürftigen Schwestern. Sie lebten zusammen in Moskau und teilten sich ein kleines Apartment. An dieser Stelle intervenierte das State Department und stoppte den Erbtransfer, da es im Kontext des Ost-West-Konflikts und eines in den USA grassierenden Antikommunismus einen Betrug der Sowjetunion witterte. Das State Department zweifelte an, ob es sich bei den drei Frauen tatsächlich um Verwandte des Verstorbenen handelte. Erst nachdem Injurkollegija die notwendigen Ausweisdokumente besorgt und die Verwandtschaft zwischen Erblasser und Nichten nachgewiesen hatte, gaben die US-amerikanischen Behörden ihre Übersetzung benutzt (z. B. county – County/Gerichts- und Verwaltungsbezirk). Ukrainische und russische Begriffe und Eigennamen werden in der Regel wissenschaftlich transkribiert, Ausnahmen werden für gängige populärwissenschaftliche Übersetzungen gemacht: z. B. Moskau anstatt Moskva oder Chruschtschow anstatt Chruščëv.

Thema, Erkenntnisinteresse und Fragestellung

Blockadehaltung auf. Zwei Jahre nach dem Tod seines Onkels transferierte Joseph daraufhin über die sowjetische Staatsbank die entsprechenden Erbteile an seine drei in Moskau lebenden Cousinen. Jede der um die 70 Jahre alten Schwestern erbte nach Abzug aller Kosten und Gebühren etwa 4.000 Rubel. Davon schafften sie sich ein paar neue Möbel an, bezahlten eine Pflegerin für die älteste und kranke Schwester und gaben einem weiteren Verwandten etwas ab, der sie im Alltag unterstützte. Die Selbstverständlichkeit, mit der in diesem Fall trotz aller Widrigkeiten und mangelnden persönlichen Kontakts ein Erbe innerhalb einer Familie blieb, stellt den Ausgangspunkt meiner Untersuchung dar. Weshalb die Familie solch eine Gravitationskraft für Erbangelegenheiten bildete, versuche ich in meinem Buch zu erklären. Warum vermachte eine Person ihr Eigentum an Menschen, die sie vor einem halben Jahrhundert das letzte Mal persönlich getroffen und zu denen sie die letzten zwei Jahrzehnte vor ihrem Tod überhaupt keinen Kontakt mehr gehabt hatte? Um diese Frage zu beantworten, muss nach der Genese gesetzlicher Rahmenbedingungen und dem Entstehen von Werten sowie nach der Herausbildung von Akteuren gefragt werden, die auf Erbverteilungen einwirkten. Darüber hinaus gilt es, diejenigen Normen und Praktiken in den Blick zu nehmen, die zu gelingenden Erbtransfers beitrugen. Wie im Erbfall Birnbaum angedeutet, bedurfte es einer Vielzahl von Menschen und Institutionen, um den Erbtransfer zu bewerkstelligen und Vermögen in der Familie zu erhalten. Für den gelingenden Erbtransfer sind Erbordnungen verantwortlich. Unter diesem für die Arbeit zentralen analytischen und terminologischen Begriff verstehe ich alle Gesetze, Normen Wertvorstellungen, Erbpraktiken, Institutionen und Akteure, die Erbprozesse beeinflussten und auf den Transfer und die Verteilung von Erbe einwirkten. Hiervon ausgehend fragt die Studie nach der Genese gegenwärtiger Erbordnungen im transatlantisch-europäischen Raum, deren Ursprünge um 1800 mit dem Übergang von ständischen zu bürgerlichen Erbordnungen zu verorten sind und deren weitere Entwicklung bis zur Gegenwart verfolgt wird. Für diesen Zeitraum wird in synchroner Perspektive gefragt, welche Gesetze, Werte, Institutionen und Akteure zu einer bestimmten Zeit und in einem bestimmten Raum auf Erbtransfers Einfluss nahmen, welche Ungleichheiten in diese eingeschrieben waren und welche Erbverteilungen sie hervorbrachten. In diachroner Perspektive wird untersucht, wie sich die vielfältigen ökonomischen und politischen Zäsuren sowie ablaufende demographische und soziale Wandlungsprozesse auf Erbordnungen ausgewirkt haben. Räumlich lassen sich die Konstruktion und der Wandel von Erbordnungen nicht allein mit Blick auf den nationalen Rahmen erklären. Erbordnungen fielen lokal unterschiedlich aus, gleichzeitig waren sie aber im 19. und 20. Jahrhundert transnational mit anderen Erbordnungen verflochten. In der Gegenwart ähneln sich Erbordnungen im transatlantischen Raum allerdings: Sie sind auf den reibungslosen

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Einleitung

Vermögenstransfer in der Familie ausgerichtet. Um die Genese dieser Erbordnungen zu erklären, untersucht die Studie sie in ihren lokalen Ausprägungen, ihren nationalen Rahmungen und transnationalen Verflechtungen. Zudem nimmt sie die Entwicklung in drei unterschiedliche Gesellschaften mit einer jeweils sehr spezifischen historischen Entwicklung in den Blick, um zu analysieren, wie ausgehend von sehr verschiedenen Erbordnungen im 19. Jahrhundert die Ordnungen der Gegenwart entstanden sind. Konkret werden die Genese von Erbordnungen in den USA (Baltimore), Deutschland (Frankfurt am Main) und der Ukraine/Russland (Odessa) sowie transnationale Verflechtungen zwischen diesen Ländern untersucht. Das zentrale Erkenntnisinteresse der Studie lautet dementsprechend: Wann und warum wandelten sich Erbordnungen im transatlantisch-europäischen Raum vom späten 18. Jahrhundert bis ins 21. Jahrhundert und in welchen Bereichen zeigen sich Kontinuitäten?

Historische Erbeforschung – Skizze eines Forschungsfeldes Eine Geschichte der Genese gegenwärtiger Erbordnungen seit dem 19. Jahrhundert existiert noch nicht. Die Studie kann allerdings auf umfangreiche Vorarbeiten für die Zeit davor zurückgreifen. Bis ins 19. Jahrhundert sind die Ausgestaltung und der Wandel von Erbordnungen in den USA und Europa bereits gut erforscht. Das gilt für die Weitergabe von Land, Immobilien, Privilegien und Geld, aber auch für strategisches Heiratsverhalten und unterschiedliche Erbpraktiken (z. B. Realteilung und Anerbenrecht) in verschiedenen sozialen Gruppen und Familienkonstellationen.3 Sowohl zu Erbgesetzen und Erbpraktiken unterschiedlicher sozialer Gruppen in verschiedenen Rechtsräumen in den USA,4 Deutschland5

3 Für einen kenntnisreichen Forschungsüberblick vgl. Margareth Lanzinger, Vererbung. Soziale und rechtliche, materielle und symbolische Aspekte, in: Simone Derix/Joachim Eibach/Philip Hahn/ Elizabeth Harding/Margareth Lanzinger/Inken Schmidt-Voges (Hrsg.), Das Haus in der Geschichte Europas. Ein Handbuch, Berlin 2015, S. 319–336. 4 Lawrence Meir Friedman, Dead hands. A social history of wills, trusts, and inheritance law, Stanford, CA 2009; Hendrik Hartog, Someday All This Will Be Yours. A History of Inheritance and Old Age, Cambridge, MA 2012; Carole Shammas/Marylynn Salmon/Michel Dahlin, Inheritance in America. From colonial times to the present, Galveston 1997 (Reprint 1987). 5 Karin Gottschalk, Eigentum, Geschlecht, Gerechtigkeit. Haushalten und Erben im frühneuzeitlichen Leipzig, Frankfurt am Main 2003; Stefanie Bietz, Erbschaften im Bürgertum. Eigentum und Geschlecht in Sachsen (1865–1900), Leipzig 2012; Margareth Lanzinger, Das gesicherte Erbe. Heirat in lokalen und familialen Kontexten: Innichen 1700–1900, Wien 2003; David W. Sabean, Kinship in Neckarhausen, 1700–1870, Cambridge 1998; Hans Medick/David W. Sabean (Hrsg.), Emotionen und materielle Interessen. Sozialanthropologische und historische Beiträge zur Familienforschung, Göttingen 1984; Jörn Eckert, Der Kampf um die Familienfideikommisse in Deutschland. Studien zum

Historische Erbeforschung – Skizze eines Forschungsfeldes

und dem Zarenreich6 als auch für die meisten anderen europäischen Länder und Regionen liegen umfangreiche, empirisch dichte Studien vor.7 Literatur- und Kulturwissenschaftler haben zudem biologische, religiöse und literarische Erbdiskurse des 19. und frühen 20. Jahrhunderts detailliert aufgeschlüsselt.8 Auch die in Baltimore9 und in Frankfurt am Main10 existierenden Erbrechte und Erbpraktiken sind für die Zeit bis ins 19. Jahrhundert kenntnisreich aufgearbeitet; das betrifft ebenso Institutionen, die mit Erbangelegenheiten beschäftigt waren. Deutlich lückenhafter ist hingegen der Wissensstand zu Erbordnungen in

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Absterben eines Rechtsinstitutes, Frankfurt am Main 1992; Dirk H. Müller, Adliges Eigentumsrecht und Landesverfassung. Die Auseinandersetzungen um die eigentumsrechtlichen Privilegien des Adels im 18. und 19. Jahrhundert am Beispiel Brandenburgs und Pommerns, Berlin 2011; Daniel Menning, Standesgemäße Ordnung in der Moderne. Adelige Familienstrategien und Gesellschaftsentwürfe in Deutschland 1840–1945, München 2014; Stefan Willer/Sigrid Weigel/Bernhard Jussen (Hrsg.), Erbe. Übertragungskonzepte zwischen Natur und Kultur, Berlin 2013; Ulrike Vedder, Das Testament als literarisches Dispositiv. Kulturelle Praktiken des Erbes in der Literatur des 19. Jahrhunderts, Paderborn 2011; Christine Fertig, Familie, verwandtschaftliche Netzwerke und Klassenbildung im ländlichen Westfalen (1750–1874), Stuttgart, Münster 2012; Monika Wienfort, Verliebt, verlobt, verheiratet. Eine Geschichte der Ehe seit der Romantik, München 2014; Stefan Brakensiek (Hrsg.), Generationengerechtigkeit? Normen und Praxis im Erb- und Ehegüterrecht 1500–1850, Berlin 2006. William G. Wagner, Marriage, Property, and Law in late Imperial Russia, Oxford 1994. Hinweise zu Eigentumskonzepten und Erbpraktiken finden sich auch bei Ekaterina Pravilova, A Public Empire. Property and the Quest for the Common Good in Imperial Russia, Princeton 2014; Sergei Antonov, Bankrupts and Usurers of Imperial Russia. Debt, Property, and the Law in the Age of Dostoevsky and Tolstoy, Cambridge, MA 2016. Karl Kaser, Macht und Erbe. Männerherrschaft, Besitz und Familie im östlichen Europa (1500–1900), Wien 2000; David W. Sabean/Simon Teuscher/Jon Mathieu (Hrsg.), Kinship in Europe. Approaches to Long-Term Development (1300–1900), New York, NY 2007; Hannes Grandits (Hrsg.), Family, Kinship and State in Contemporary Europe. Vol. 1: The Century of Welfare: Eight countries, Frankfurt am Main 2010; Patrick Heady/Peter Schweitzer (Hrsg.), Family, Kinship and State in Contemporary Europe. Vol. 2: The view from below: Nineteen localities, Frankfurt 2010; Patrick Heady/Martin Kohli (Hrsg.), Family, kinship and state in contemporary Europe. Vol. 3: Perspectives on Theory and Policy, Frankfurt 2010; Hannes Grandits/Patrick Heady (Hrsg.), Distinct Inheritances. Property, Family and Community in a Changing Europe, Münster 2003; Leonore Davidoff/ Catherine Hall, Family Fortunes. Men and Women of the English Middle Class, 1780–1850, London 2002; David R. Green/Alastair Owens (Hrsg.), Family welfare. Gender, property, and inheritance since the seventeenth century, Westport, Conn. 2004; David R. Green/Alastair Owens/Josephine Maltby/Janette Rutterford (Hrsg.), Men, Women, and Money. Perspectives on Gender, Wealth, and Investment, 1850–1930, Oxford 2011. Willer/Weigel/Jussen, Erbe; Stefan Willer, Erbfälle. Theorie und Praxis kultureller Übertragung in der Moderne, Paderborn 2014; Vedder, Testament. Aubrey C. Land/Lois Green Carr/Edward C. Papenfuse (Hrsg.), Law, Society, and Politics in early Maryland. Proceedings of the 1. Conference on Maryland History, June 14–15, 1974, Baltimore [u. a.] 1977. Julia A. Schmidt-Funke, Haushaben. Houses as Resources in Early Modern Frankfurt, in: Jahrbuch für Europäische Geschichte/European History Yearbook 18 (2017), S. 35–55; Julia A. Schmidt-Funke

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Einleitung

Odessa, die erst in Ansätzen untersucht sind.11 Noch kaum analysiert sind dabei die zahlreichen, vor allem von Juristen im 19. Jahrhundert in Zeitschriften und auf internationalen Konferenzen geführten Debatten darüber, wie sich die unterschiedlichen Erbrechte verschiedener Rechtsgebiete harmonisieren ließen. Die umfangreiche Forschung zur „ersten Welle“ der Globalisierung im späten 19. Jahrhundert hat das Internationale Privatrecht und für die Regelung grenzüberschreitender Erbtransfers zuständige Institutionen weitgehend ausgespart.12 Ebenso hat sie Erbpraktiken von Migranten kaum erfasst.13

(Hrsg.), Neue Stadtgeschichte(n). Die Reichsstadt Frankfurt im Vergleich, Bielefeld 2018; Juliane von Rotenhan, Frankfurter Testamentsstreitigkeiten am Reichskammergericht. Eine Untersuchung anhand der Gerichtsakten der höchstrichterlichen Spruchpraxis (1495–1806), Würzburg 2015; Andreas Hansert, Bürgerkultur und Kulturpolitik in Frankfurt am Main. Eine historisch-soziologische Rekonstruktion, Frankfurt am Main 1992; Andreas Hansert, Geburtsaristokratie in Frankfurt am Main. Geschichte des reichsstädtischen Patriziats, Wien, Köln, Weimar 2014; Andreas Hansert, Das Frankfurter Patriziat im stadträumlichen Gefüge, in: Schmidt-Funke (Hrsg.), Stadtgeschichte(n), S. 99–133; Barbara Dölemeyer, Vermögenstransfers in bürgerlichen Familien: Frankfurt am Main im 18. und 19. Jahrhundert, in: Brakensiek (Hrsg.), Generationengerechtigkeit, S. 79–94; Barbara Dölemeyer, Frau und Familie im Privatrecht des 19. Jahrhunderts, in: Ute Gerhard (Hrsg.), Frauen in der Geschichte des Rechts. Von der frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, München 1997, S. 633–658; Ralf Roth, Stadt und Bürgertum in Frankfurt am Main. Ein besonderer Weg von der ständischen zur modernen Bürgergesellschaft, 1790–1914, München 1996. 11 Guido Hausmann, Die wohlhabenden Odessaer Kaufleute und Unternehmer. Zur Herausbildung bürgerlicher Identität im ausgehenden Zarenreich, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 48 (2000), H. 1, S. 41–65; Guido Hausmann, Universität und städtische Gesellschaft in Odessa, 1865–1917. Soziale und nationale Selbstorganisation an der Peripherie des Zarenreiches, Stuttgart 1998. 12 Haimo Schack, Hundert Jahre Haager Konferenz für IPR: Ihre Bedeutung für die Vereinheitlichung des Internationalen Zivilverfahrensrecht, in: Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 57 (1993), H. 1/2, S. 224–262. 13 Matthias Kaltenbrunner, Das global vernetzte Dorf. Eine Migrationsgeschichte, Frankfurt 2017; Christopher H. Johnson/David W. Sabean/Simon Teuscher/Francesca Trivellato (Hrsg.), Transregional and Transnational Families in Europe and Beyond. Experiences since the Middle Ages, New York 2011; Simone Derix, Transnationale Familien, in: Jost Dülffer/Wilfried Loth (Hrsg.), Dimensionen internationaler Geschichte, München 2012, S. 335–352; Deborah Fahy Bryceson/Ulla Vuorela (Hrsg.), The transnational family. New European frontiers and global networks, Oxford 2002; Margareth Lanzinger/Annemarie Steidl (Hrsg.), Themenheft „Heiraten nach Übersee“, L’Homme. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft 25 (2014), H. 1. Seit einigen Jahren rücken auch die vielfältigen Migrationen rund um das Schwarze Meer verstärkt in den Fokus der historischen Forschung; vgl. als Einstieg Lybomir Pozharliev/Florian Riedler/Stefan Rohdewald (Hrsg.), Special Issue: Transottoman Infrastructures and Networks across the Black Sea, Journal of Balkan and Black Sea Studies 3 (2020), H. 5; Stefan Toebst, The Black Sea as Historical Meso-Region: Concepts in Cultural Studies and the Social Sciences, in: Journal of Balkan and Black Sea Studies 2 (2019), H. 2, S. 11–29.

Historische Erbeforschung – Skizze eines Forschungsfeldes

Die zeitgeschichtliche Erbeforschung steht erst am Anfang. Am umfangreichsten sind bisher Entwicklungen des Erbrechts und der Erbschaftspolitik für das frühe 20. Jahrhundert untersucht. Infolge des Ersten Weltkriegs entstanden in den USA und in Europa ideologisch und strukturell stark voneinander abweichende politische Systeme. Die Perspektiven der Regierungen der demokratischkapitalistischen Vereinigten Staaten, des nationalsozialistischen Deutschlands und der kommunistisch-diktatorischen Sowjetunion auf (Privat-)Eigentum und Erbe konnten unterschiedlicher kaum sein.14 Während die USA dem Schutz von Privateigentum einen sehr hohen Stellenwert im Recht zumaß, schafften die Bolschewiki im Jahr 1918 per Dekret das Erbinstitut ab, und in Deutschland setzten die Nationalsozialisten das Reichserbhofgesetz zum Schutze des Bauerntums in Kraft, wovon vor allem männliche Hoferben profitieren sollten.15 Deutlich weniger Studien liegen zu den Erbpraktiken von Familien, Erblassern und Erben vor. Wichtige Pionierarbeit leisteten hierbei Arbeiten zu einzelnen, gesellschaftlich meist exponierten Gruppen. Sie haben die Handlungen des Adels (hauptsächlich für Deutschland),16 vereinzelt für Landwirte vor allem zur Zeit des nationalsozialistischen Deutschlands,17 für das wohlhabende Bürgertum in einzelnen Städten wie Hamburg18 oder Wien19 und für einzelne (extrem) reiche,

14 Marc Buggeln, Das Versprechen der Gleichheit. Steuern und soziale Ungleichheit in Deutschland von 1871 bis heute, Berlin 2022; Kenneth F. Scheve/David Stasavage, Taxing the Rich. A History of Fiscal Fairness in the United States and Europe, New York, Princeton, NJ, Oxford 2016; Hartmut Kaelble, Mehr Reichtum, mehr Armut. Soziale Ungleichheit in Europa vom 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Frankfurt, New York 2017; Clemens Wischermann, „Mein Erbe ist das Vaterland“. Sozialreform und Staatserbrecht im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, in: Frank Lettke (Hrsg.), Erben und Vererben. Gestaltung und Regulation von Generationenbeziehungen, Konstanz 2003, S. 31–57. 15 Yvonne Koelsch, Tritt das russische Erbrecht in den Kreis der europäischen Rechtssysteme ein? Das russische Erbrecht anhand der gesetzlichen Erbfolge, der Testierfreiheit und des Erbrechts des Staates von 1832 bis zur Gegenwart, Frankfurt am Main [u. a.] 2001; Marcie K. Cowley, Negotiating Soviet Inheritance Law, 1917–1965, Michigan State University 2009; Michael Zwanzger, Das Reichserbhofgesetz vom 29. September 1933: Eine rechtshistorische Fallstudie zu den Grenzen sozialer Gestaltungsmöglichkeiten durch das Zivilrecht, in: Rachel Good/Andreas Hagi/Rafael Küffer/Regula Kurzbein/Céline A. Martin/Alain Muster/ Jessica Sommer (Hrsg.), Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 2013. Metamorphose des Zivilrechts, Stuttgart 2014, S. 151–198. 16 Eckart Conze, Von deutschem Adel. Die Grafen von Bernstorff im zwanzigsten Jahrhundert, Stuttgart 2000. 17 Zwanzger, Reichserbhofgesetz; Anette Blaschke, Zwischen „Dorfgemeinschaft“ und „Volksgemeinschaft“. Landbevölkerung und ländliche Lebenswelten im Nationalsozialismus, Paderborn 2018. 18 Michael Werner, Stiftungsstadt und Bürgertum. Hamburgs Stiftungskultur vom Kaiserreich bis in den Nationalsozialismus 2011. 19 Sonja Niederacher, Eigentum und Geschlecht. Jüdische Unternehmerfamilien in Wien (1900–1960), Wien u. a. 2012.

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Einleitung

transnationale (Unternehmer-)Familien20 herausgearbeitet. Dabei zeigten sie auf, dass Erblasser und Erben zwar trotz aller politischen Zäsuren am Familienprinzip festhielten, die Strategien, um dieses Ziel zu erreichen, aber je nach sozialer Gruppe und Land variierten und keineswegs in allen Fällen funktionierten und erfolgreich waren. Nicht zuletzt deswegen stieg der Bedarf an professionellen Vermögensberatern und Rechtsanwälten im 20. Jahrhundert weiter an.21 Die Erbpraktiken und Erbtransfers von großen Teilen der städtischen Bevölkerung von den Mittelschichten über die Arbeiterschaft bis hin zu zugezogenen (ärmeren) Migranten sind erst in Ansätzen erforscht.22

20 Simone Derix, Die Thyssens. Familie und Vermögen, Paderborn 2016; Michael Schäfer, Familienunternehmen und Unternehmerfamilien. Zur Sozial- und Wirtschaftsgeschichte der sächsischen Unternehmer 1850–1940, München 2007. 21 Die Geschichte der Rechtsanwaltschaft ist für das 19. Jahrhundert umfangreich untersucht. Für einen fundierten Überblick zu diesen Forschungen vgl. Christof Dipper (Hrsg.), Rechtskultur, Rechtswissenschaft, Rechtsberufe im 19. Jahrhundert. Professionalisierung und Verrechtlichung in Deutschland und Italien, Berlin 2000. Erst wenige Studien beschäftigen sich aber mit auf Nachlassangelegenheiten spezialisierten Rechts- und Finanzexperten im 20. Jahrhundert. Für erste anregende Überlegungen hierzu vgl. Simone Derix, Hidden Helpers: Biographical Insights into Early and Mid-Twentieth Century Legal and Financial Advisors, in: Jahrbuch für Europäische Geschichte 16 (2015), S. 47–62; Eve Rosenhaft, Did Women Invent Life Insurance? Widows and the Demand for Financial Services in Eighteenth-Century Germany, in: Green/Owens (Hrsg.), Family welfare, S. 163–194. Für die Zeit nach 1945 und mit Fokus auf die international vernetzte Finanzindustrie vgl. Vanessa Ogle, ‘Funk Money’: The End of Empires, The Expansion of Tax Havens, and Decolonization as an Economic and Financial Event, in: Past & Present 249 (2020), H. 1, S. 213–249; Vanessa Ogle, Archipelago Capitalism: Tax Havens, Offshore Money, and the State, 1950s–1970s, in: American Historical Review 122 (2017), H. 5, S. 1431–1458. 22 Einzelne Hinweise zur Beantwortung der Fragestellung und wichtige Kontextinformationen finden sich in den umfangreichen Studien zur Geschichte der Familie und des Eigentums im 20. Jahrhundert. Zum Einstieg in die Geschichte der Familie vgl. Christopher Neumaier, Familie im 20. Jahrhundert. Konflikte um Ideale, Politiken und Praktiken, Berlin 2019; Isabel Heinemann, Wert der Familie. Ehescheidung, Frauenarbeit und Reproduktion in den USA des 20. Jahrhunderts, Berlin, München, Boston 2018; Jürgen Martschukat, Die Ordnung des Sozialen. Väter und Familien in der amerikanischen Geschichte seit 1770, Frankfurt am Main 2013; Robert O. Self, All in the family. The realignment of American democracy since the 1960s, New York 2012; Irina Trotsuk/Alexander Nikulin, Kinship Ties and Family Support in Twentieth-Century Russia, in: Grandits (Hrsg.), Family, Kinship and State, Vol. 1, S. 325–362. Zur Geschichte des Eigentums vgl. Rudolf Vierhaus (Hrsg.), Eigentum und Verfassung. Zur Eigentumsdiskussion im ausgehenden 18. Jahrhundert, Göttingen 1972; Medick/Sabean, Emotionen; Hannes Siegrist/David Sugarman (Hrsg.), Eigentum im internationalen Vergleich. 18.–20. Jahrhundert, Göttingen 1999; Hannes Siegrist (Hrsg.), Entgrenzung des Eigentums in modernen Gesellschaften und Rechtskulturen, Leipzig 2007; Anne O’Donnell, A Noah’s Ark. Material Life and the Foundation of Soviet Governance, 1916–1922, Dissertation, Princeton 2014; Andreas Ludwig, Materielle Kultur, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 30.05.2001, http://docupedia.de/zg/ludwig_materielle_kultur_v1_de_2011 (letzter Zugriff 5.4.2023).

Historische Erbeforschung – Skizze eines Forschungsfeldes

Für die Zeit nach 1945 nimmt die Zahl einschlägiger Studien weiter ab.23 Die Geschichte der in den USA, der Bundesrepublik Deutschland und der Sowjetunion geltenden Erbordnungen ist für die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts in großen Teilen noch nicht historisch analysiert. Die vorliegenden Erkenntnisse zu dieser Zeit stammen vor allem aus Publikationen, die sich mit der Zeit davor beschäftigen und gegen Ende ihrer Analyse ausblickhaft die zweite Hälfte des Jahrhunderts einbeziehen.24 Ausnahmen stellen wenige Aufsätze zu einzelnen sozialen Gruppen,25 zur breiteren Thematik nationaler Steuerpolitiken,26 zu transnationalen Erbtransfers27 sowie zu Eigentums- und Erbrechtsfragen, die im Zusammenhang mit Restitutionsfragen28 oder der deutschen Wiedervereinigung auftraten, dar.29 Die Zeit seit den 1990er Jahren ist wiederum ausführlich in rechts-, wirtschaftsund kulturwissenschaftlichen sowie soziologischen Studien zu zeitgenössischen

23 Für anregende Impulse zur Erforschung dieses Zeitraums vgl. Dirk van Laak, Was bleibt? Erben und Vererben als Themen der zeithistorischen Forschung, in: Zeithistorische Forschungen 13 (2016), H. 1, S. 136–150. Für einen ersten Literaturüberblick vgl. Jürgen Dinkel, Erben und vererben in der Moderne. Erkundungen eines Forschungsfeldes, in: Archiv für Sozialgeschichte 56 (2016), S. 81–108. 24 Friedman, Dead hands; Ernst Holthöfer, Die Sozialisierung des Verwandtenerbrechts. Vergleichende Gesetzgebungsgeschichte von der Französischen Revolution bis zur Gegenwart, in: Margareth Lanzinger/Edith Saurer (Hrsg.), Politiken der Verwandtschaft. Beziehungsnetze, Geschlecht und Recht, Göttingen 2007, S. 171–197. 25 Christine Bach, Bürgersinn und Unternehmergeist. Stifter und Stiftungen in Hamburg nach 1945, Baden-Baden 2014. 26 Buggeln, Versprechen; Ronny Grundig, Vermögen vererben. Politiken und Praktiken in der Bundesrepublik und Großbritannien 1945–1990, Göttingen 2022; Melinda Cooper, Family Values. Between Neoliberalism and the New Social Conservatism, New York 2017. 27 Für anregende Ausnahmen und wichtige Ausgangspunkte der vorliegenden Studie vgl. Ute Schneider, Zweierlei Erbe. Erbrecht in Deutschland. Überlegungen zu einer Verflechtungsgeschichte in Erinnerung an Rainer Schröder, in: Hans-Peter Haferkamp/Jan Thiessen/Christian Waldhoff (Hrsg.), Deutsche Diktatorische Rechtsgeschichten? Perspektiven auf die Rechtsgeschichte der DDR. Gedächtnissymposium für Rainer Schröder (1947–2016), Tübingen 2018, S. 77–91; Cowley, Negotiating; Anatol Dutta, Succession and Wills in the Conflict of Laws on the Eve of Europeanisation, in: Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 73 (2009), H. 3, S. 547–606; Eva Gajek, Erben über Grenzen. Deutsch-deutsche Erbschaften nach 1945, in: Jürgen Dinkel/Dirk van Laak (Hrsg.), Reader – Erben und Vererben in der Moderne, Justus-Liebig-Universität Gießen, Juli 2016, Berlin 2016, S. 38–50. Vgl. auch das Forschungsprojekt von Jennie Doyle, Queen Mary University of London, Inheritance accross Borders. 28 Christiane Fritsche/Johannes Paulmann (Hrsg.), „Arisierung“ und „Wiedergutmachung“ in deutschen Städten, Köln, Weimar, Wien 2014; Constantin Goschler, Schuld und Schulden. Die Politik der Wiedergutmachung für NS-Verfolgte seit 1945, Göttingen 2005; Benno Nietzel, Wiedergutmachung für historisches Unrecht, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 27.08.2013, https:// docupedia.de/zg/Wiedergutmachung_fuer_historisches_Unrecht (letzter Zugriff 2.6.2021). 29 Kerstin Brückweh, Wissen über die Transformation. Wohnraum und Eigentum in der langen Geschichte der „Wende“, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 16 (2019), H. 1, S. 19–45.

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Erbgesetzen und Erbordnungen untersucht worden. Als Konsens der sozialwissenschaftlichen Forschung gilt mittlerweile, dass die Bedeutung von Erbschaften für den Vermögenserwerb einer Person seit den 1970er Jahren kontinuierlich zugenommen hat.30 Darüber hinaus haben einzelne historisch-vergleichend angelegte Studien aus den Sozial- und Rechtswissenschaften aus diachroner Perspektive den Wandel von politischen Reformdebatten oder von Erbgesetzen detailliert herausgearbeitet.31 Wichtige einzelne ethnologische und soziologische Arbeiten haben sich mit den Aneignungsprozessen von Erbe beschäftigt und aufgezeigt, dass die Verteilung von und der Umgang mit Erbe nicht mit der Ausstellung des Erbscheins abgeschlossen war und dass Männer bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts mehr erbten als Frauen.32 Kombiniert beschreiben diese gegenwartsbezogenen Studien die groben rechtlichen, ökonomischen und diskursiven Rahmenbedingungen, innerhalb derer sich Nachlassweitergaben in der US-amerikanischen und bundesrepublikanischen Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts und zu Beginn des 21. Jahrhunderts vollzogen. Deutlich weniger Studien liegen

30 Martin Kohli/Harald Künemund/Andrea Schäfer/Jürgen Schupp/Claudia Vogel, Erbschaften und ihr Einfluss auf die Vermögensverteilung, in: Vierteljahreshefte zur Wirtschaftsforschung 75 (2006), H. 1, S. 58–76; Marc Szydlik, Erben in der Bundesrepublik Deutschland. Zum Verhältnis von familialer Solidarität und sozialer Ungleicheit, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 51 (1999), H. 1, S. 80–104; Marc Szydlik/Jürgen Schupp, Wer erbt mehr? Erbschaften, Sozialstruktur und Alterssicherung, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 56 (2004), H. 4, S. 609–629; Marc Szydlik, Lebenslange Solidarität? Generationenbeziehungen zwischen erwachsenen Kindern und Eltern, Opladen 2000; Frank Lettke (Hrsg.), Erben und Vererben. Gestaltung und Regulation von Generationenbeziehungen, Konstanz 2003. 31 Für wichtige Beitrage aus den Sozialwissenschaften und den Wirtschaftswissenschaften vgl. Piketty, Kapital und Ideologie, München 2020; Jens Beckert, Unverdientes Vermögen. Soziologie des Erbrechts, Frankfurt, New York 2004. Für zentrale Beiträge aus den Rechtswissenschaften vgl. Jan Peter Schmidt, Itinera hereditatis. Strukturen der Nachlassabwicklung in historisch-vergleichender Perspektive, Tübingen 2022; Alexandra Braun/Anne Röthel (Hrsg.), Passing Wealth on Death. Willsubstitutes in Comparative Perspective, Oxford, Portland OR 2016; Anatol Dutta, Warum Erbrecht? Das Vermögensrecht des Generationenwechsels in funktionaler Betrachtung, Tübingen 2014; zudem die Arbeiten von Reinhard Zimmermann, u. a. Reinhard Zimmermann, Pflichtteil und Noterbrecht in historisch-vergleichender Perspektive, in: Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 84 (2020), H. 3, S. 465–547; Reinhard Zimmermann, Kulturelle Prägung des Erbrechts?, in: JuristenZeitung 71 (2016), H. 7, S. 321–332; Reinhard Zimmermann, Das Ehegattenerbrecht in historisch-vergleichender Perspektive, in: Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 80 (2016), H. 1, S. 39–92; Reinhard Zimmermann, Testamentsformen: „Willkür“ oder Ausdruck einer Rechtskultur?, in: Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 76 (2012), H. 3, S. 471–508. 32 Ulrike Langbein, Geerbte Dinge. Soziale Praxis und symbolische Bedeutung des Erbens, Köln 2002; Marianne Kosmann, Wie Frauen erben. Geschlechterverhältnis und Erbprozeß, Opladen 1998; Werner M. Egli, Erben, Erbrecht und Erbschaftssteuern im Kulturvergleich, in: Forum historiae iuris, 30.7.2000.

Ansatz, Gegenstand und Untersuchungszeitraum

zu Erbordnungen und Erbfällen in der späten Sowjetunion und der postsozialistischen Ukraine vor. In weiten Teilen ist die Thematik für beide Länder noch nicht untersucht.33 Zusammenfassend lässt sich somit festhalten, dass es umfangreiche Vorarbeiten zu Erbordnungen bis ins 19. Jahrhundert gibt. Für das 20. Jahrhundert sind Erbrecht und Erbpolitiken zum Teil erforscht, insbesondere konkrete Erbpraktiken der Mittelschicht und von Armen wurden für die Zeit zwischen dem Ersten Weltkrieg und den 1970er Jahren bislang aber noch kaum bearbeitet. Unterschiede im Forschungsstand gibt es schließlich auch hinsichtlich der einzelnen Länder. Zur Sowjetunion und zu transnationalen Erbtransfers liegen von wenigen Ausnahmen abgesehen noch keine Arbeiten vor. Eine Geschichte der Genese gegenwärtiger Erbordnungen im transatlantisch-europäischen Raum seit dem späten 19. Jahrhundert steht noch aus. Gleichwohl verspricht ihre Ausarbeitung tiefgehende Einblicke in die Werte und Normen sowie die Organisation von Gesellschaften.

Ansatz, Gegenstand und Untersuchungszeitraum Erbordnungen werden als soziokulturelle Konstruktionen verstanden, die durch Gesetze und kulturelle Normen gerahmt, durch Institutionen gestützt und durch eine Vielzahl an Akteuren und vielfältigen Handlungen permanent erzeugt und stabilisiert sowie an sich verändernde politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen angepasst wurden. Erbordnungen konnten aber auch erschüttert und in Frage gestellt werden. Die Analyse von Erbordnungen zeigt außerdem, dass innerhalb einer Erbordnung Wandlungsprozesse in unterschiedlicher Geschwindigkeit ablaufen konnten, wodurch es für die beteiligten Akteure in Erbfällen jeweils notwendig wurde, ältere und neuere Wertvorstellungen, Familienkonstellationen und Rechtslagen zu synchronisieren. Für die Funktionsfähigkeit einer Erbordnung war es notwendig, dass dies den an Erbangelegenheiten beteiligten Akteuren gelang. Das innerhalb einer Erbordnung übertragene Erbe wird schließlich als ein „Bündel von Rechten, Berechtigungen und Pflichten“34 verstanden, die in sozialen Beziehungen ausgehandelt respektive durchgesetzt werden und mit denen meist exklusive Zugriffsrechte auf das jeweilige Erbe einhergingen. Erbordnungen erwiesen sich somit aufgrund ihres variierenden Akteursensembles, sich verschiebender und

33 S. Fursa, Inheritance in Ukraine: Historical and Legal Analysis, in: Law of Ukraine Legal Journal 160 (2012), H. 5–6, S. 160–177; Natalya Moshnyagul, Zum Eigentumsschutz im Sinne der EMRK im ukrainischen und russischen Recht. Eine rechtsvergleichende Untersuchung zu Modellen des Eigentumsschutzes, Frankfurt am Main 2007. 34 Hannes Siegrist, Die Propertisierung von Gesellschaft und Kultur. Konstruktion und Institutionalisierung des Eigentums in der Moderne, in: Siegrist (Hrsg.), Entgrenzung, S. 9–52, S. 25.

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flexibler (Rechts-)Grenzen, der ihnen inhärenten Ungleichzeitigkeit des Gleichzeitigen und eines sich wandelnden Verständnisses von Erbe regelmäßig als begrenzt, instabil und störanfällig und mussten dementsprechend immer wieder aktualisiert und neu austariert werden. Diese Ausbalancierung von Erbordnungen erfolgte auf verschiedenen Ebenen, durch verschiedene Akteure und Institutionen und über verschiedene Strategien, die sich ergänzen oder widersprechen konnten.35 Aus dieser Perspektive erscheinen eine stabile Erbordnung und ein gelingender Nachlasstransfer folglich als Produkte von politischen, juristischen, ökonomischen und sozialen Handlungen. Erbfälle bieten sich in besonderer Weise an, um die Konstruktion und Funktionsweise von Erbordnungen zu untersuchen. Sie stellen permanent auftretende Ereignisse dar, in denen sich Erbordnungen punktuell manifestieren. Denn dem häufig als überzeitlich gedachten und in verschiedenen Formen als überzeitlich definierten Eigentum steht die zeitliche Begrenztheit des menschlichen Lebens gegenüber. Mit dem Tod einer Person wurde und wird jeweils die wechselseitige Zuordnung von Individuum und Eigentum gelöst, weshalb Erbfälle kontinuierlich liminale Situationen erzeugten, in denen die jeweilige Erbordnung in Bewegung geraten konnte.36 Als liminale Situation wird unter Rückgriff auf anthropologische und kulturwissenschaftliche Ritualtheorien die Übergangszeit zwischen dem Tod des alten Eigentümers, ab dem es Eigentum ohne dazugehörigen Eigentümer gab, bis zur Neuzuweisung an und Aneignung dieses hinterlassenen Eigentums durch einen neuen Eigentümer, meist den Erben des alten Eigentümers, verstanden.37

35 Hannes Siegrist/David Sugarman, Geschichte als historisch-vergleichende Eigentumswissenschaft. Rechts-, kultur- und gesellschaftsgeschichtliche Perspektiven, in: Siegrist/Sugarman (Hrsg.), Eigentum, S. 9–30; Siegrist, Entgrenzung; Dietmar Müller/Hannes Siegrist (Hrsg.), Professionen, Eigentum und Staat. Europäische Entwicklungen im Vergleich – 19. und 20. Jahrhundert, Göttingen 2014; Dietmar Müller, Bodeneigentum und Nation. Rumänien, Jugoslawien und Polen im europäischen Vergleich 1918–1948, Göttingen 2020; Chris M. Hann, Introduction: the embeddedness of property, in: Chris M. Hann (Hrsg.), Property relations. Renewing the anthropological tradition, Cambridge 1998, S. 1–47; Bertram Turner, The Anthropology of Property, in: Michele Graziadei/ Lionel Smith (Hrsg.), Comparative Property Law: Global Perspectives, Cheltenham, Northampton, MA 2017, S. 26–47; Joseph Vogl, Das Gespenst des Kapitals, Zürich 2010; Avner Offer, Between the gift and the market: the economy of regard, in: Economic History Review (1997), H. 3, S. 450–476; Thomas Duve, Rechtsgeschichte als Geschichte von Normativitätswissen?, in: Rechtsgeschichte – Legal History 29 (2021), S. 41–68. 36 Der Übertrag des Liminalitätskonzeptes auf Erbübertragungen wurde seit dem Jahr 2018 intensiv in der Forschungsgruppe „Liminales Eigentum“ diskutiert. Großer Dank gebührt den Teilnehmern der anregenden Gesprächsrunde: Iris Därmann, Susanne Frank, Stefan Gosepath, Dirk van Laak, Bertram Lomfeld, Leander Scholz, Ulrike Vedder und Stefan Willer. 37 Arnold van Gennep, Übergangsriten, Frankfurt am Main, New York, Paris 2005; Victor Turner, Das Ritual. Struktur und Antistruktur, Frankfurt am Main, New York 2000; Rolf Parr, Liminale und andere Übergänge. Theoretische Modellierungen von Grenzzonen, Normalitätsspektren, Schwellen,

Ansatz, Gegenstand und Untersuchungszeitraum

Um diese Neuzuweisung von Erbe zu untersuchen, werden sechs Ebenen und Akteursgruppen in den Blick genommen: die rechtlichen und politischen Rahmungen von Erbordnungen, die für Erbübertragungen zuständigen Nachlassinstitutionen, an Erbtransfers beteiligte staatliche und private Dienstleister, die Erbstücke als Aktanten, Familien- und Verwandtschaftsnetzwerke sowie Erblasser und Erben. Diese Ebenen standen in wechselseitigen Beziehungen. Sie werden daher miteinander kombiniert und zu einer multiperspektivischen Analyse von Erbordnungen verdichtet. Mit diesen Vorannahmen wird die Genese gegenwärtiger Erbordnungen im engeren Sinne vom Ersten Weltkrieg bis in die 1970er Jahre untersucht. Für die Einordnung von langfristigen und sich langsam vollziehenden Wandlungsprozessen ist es allerdings punktuell notwendig, mit der Analyse zeitlich früher zu beginnen, damit diese ebenfalls in den Blick geraten. Der hierfür notwendige Blick zurück in die Vergangenheit reicht je nach Land, Diskussionsstrang oder Erbpraktik unterschiedlich weit ins 19. Jahrhundert und zum Teil sogar bis ins späte 18. Jahrhundert zurück. Daran schließt sich die Analyse von Erbordnungen zwischen dem Ersten Weltkrieg und den 1970er Jahren an, mit Ausblicken ins späte 20. und frühe 21. Jahrhundert. Diese Ausblicke dienen wie die Rückblicke dazu, die langfristigen Folgen der untersuchten Veränderungen und sich langsam vollziehende Wandlungsprozesse genauer zu konturieren. Innerhalb dieses Zeitraums werden die Ausgestaltung und der Wandel der Erbordnungen in Baltimore, Frankfurt und Odessa sowie die Rahmenbedingungen für Erbtransfers unter Migranten aus den USA, Deutschland und Russland beziehungsweise später der Ukraine untersucht. Mit den USA, Deutschland und Russland/der Ukraine nimmt die Studie unterschiedliche Gesellschaften in den Blick. Dadurch werden sowohl ein möglichst breites Spektrum an unterschiedlichen Ausgestaltungen von Erbordnungen in den USA und Europa als auch verschiedene Chronologien bei der Entstehung heutiger Erbordnungen analysiert. Es handelt sich somit weniger um einen Ländervergleich als vielmehr um den Vergleich von soziokulturellen Erbordnungen in verschiedenen für das 20. Jahrhundert maßgeblichen politischen Systemen.38 Die Studie verortet sich damit in einer langen Tradition des historischen Vergleichs von Gesellschaften in den USA und Europa, die bis zur Formierung der Zeitgeschichte

Übergängen und Zwischenräumen in Literatur- und Kulturwissenschaft, in: Achim Geisenhanslüke/ Georg Mein (Hrsg.), Schriftkultur und Schwellenkunde, Bielefeld 2008, S. 11–64; Willer, Erbfälle. 38 Zum historischen Vergleich und zu verflechtungsgeschichtlichen Ansätzen vgl. Hartmut Kaelble, Historischer Vergleich, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 14.8.2012, https://docupedia.de/zg/ Historischer_Vergleich (letzter Zugriff 7.5.2021); Agnes Arndt/Christiane Reinecke/Joachim C. Häberlen (Hrsg.), Vergleichen, verflechten, verwirren? Europäische Geschichtsschreibung zwischen Theorie und Praxis, Göttingen 2011; Hartmut Kaelble, Der historische Vergleich. Eine Einführung zum 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main, New York 1999.

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zurückreicht.39 Die USA stehen in dieser Hinsicht für Erbregelungen in einem kapitalistischen, liberal-demokratischen Staat, dessen Wirtschaftsordnung und politisches System seit dem späten 18. Jahrhundert weitgehend stabil geblieben sind. Deutschland steht, von der freien Reichsstadt Frankfurt über das monarchische Preußen, die Weimarer Republik und das nationalsozialistische Deutschland bis zur sozial-marktwirtschaftlichen, demokratischen Bundesrepublik, für eine Erbordnung, die in sehr verschiedenen politischen Systemen existierte und von diesen beeinflusst wurde. Russland beziehungsweise die Ukraine stehen für Erbregelungen im monarchisch-autokratischen Zarenreich, später für die sozialistisch-diktatorische Sowjetunion und schließlich am Ende des 20. Jahrhunderts für postsozialistische, sich demokratisierende osteuropäische Staaten, womit auch die Geschichte dieser Erbordnung durch tiefgehende politische Zäsuren gekennzeichnet ist. Erbordnungen konstituierten sich jedoch nicht nur im nationalen Rahmen, sondern zuerst auf regionaler und lokaler Ebene. Innerhalb der drei ausgewählten Länder werden daher Tiefenbohrungen zu Erbordnungen in drei Städten vorgenommen, die sich für einen solchen Vergleich besonders eignen: Baltimore (USA), Frankfurt am Main (Deutsches Kaiserreich/Weimarer Republik/ nationalsozialistisches Deutschland/Bundesrepublik Deutschland) und Odessa (Zarenreich/Sowjetunion/Ukraine). Für die Auswahl der drei Handelsstädte – und im Falle von Baltimore und Odessa Hafenstädte – sprach, dass sie in den jeweiligen Ländern zwar keine Hauptstadtfunktionen innehatten, aber als wichtige politische und ökonomische Zentren an nationalen Entwicklungen partizipierten.40 Die in ihnen zu beobachtenden Wandlungsprozesse können als repräsentativ für das Großstadtleben in den USA, Deutschland und der UdSSR gelten, wobei diese

39 Hans Rothfels, Zeitgeschichte als Aufgabe, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 1 (1953), H. 1, S. 1–8. Der Vergleich zwischen den demokratischen, faschistischen und nationalsozialistischen sowie kommunistischen politischen Systemen spielte auch im Historikerstreit eine wichtige Rolle. Für zwei aktuelle Beispiele vgl. Stefan Plaggenborg, Ordnung und Gewalt. Kemalismus – Faschismus – Sozialismus, Berlin, Boston 2012; Wolfgang Schivelbusch, Entfernte Verwandtschaft. Faschismus, Nationalsozialismus, New Deal 1933–1939, München, Wien 2005. 40 Als Einstieg in die Stadtforschung vgl. Friedrich Lenger, Metropolen der Moderne. Eine europäische Stadtgeschichte seit 1850, München 2013; zum Städtevergleich und zum Vergleich von Gesellschaftsgruppen in verschiedenen Städten vgl. die Publikationen und Diskussionen des Global Urban History Project, https://www.globalurbanhistory.org/ (letzter Zugriff 21.5.2021); Marcus Gräser, Wohlfahrtsgesellschaft und Wohlfahrtsstaat. Bürgerliche Sozialreform und Welfare State Building in den USA und in Deutschland 1880–1940, Göttingen 2009; Friedrich Lenger, Großstädtische Eliten vor den Problemen der Urbanisierung: Skizze eines deutsch-amerikanischen Vergleichs 1870–1914, in: Friedrich Lenger (Hrsg.), Stadt-Geschichten. Deutschland, Europa und die USA seit 1800, Frankfurt am Main 2009, S. 174–201; Lasse Heerten, Literaturbericht. Ankerpunkte der Verflechtung. Hafenstädte in der neueren Globalgeschichtsschreibung, in: Geschichte und Gesellschaft 43 (2017), H. 1, S. 146–175.

Ansatz, Gegenstand und Untersuchungszeitraum

Annahme von zukünftigen Studien zu Erbordnungen in anderen Städten noch zu überprüfen und gegebenenfalls zu spezifizieren ist. Die Auswahl von Baltimore, Frankfurt und Odessa macht es möglich, Gewicht und Bedeutung politischer Entscheidungen und rechtlicher Änderungen auf nationaler Ebene in Kontrast zu lokalgeschichtlichen Entwicklungen zu setzen. Zugleich erlaubt sie eine für Erbordnungen notwendige detaillierte und lokal rückgebundene Analyse von Vererbungspraktiken im (groß-)städtischen Raum. Durch die Auswahl dieser drei Städte lassen sich mehrere Prozesse in Bezug auf Erbordnungen verdichtet analysieren: Dazu gehören die Industrialisierung, Urbanisierung und Migration. Auch die Entstehung der modernen Finanzwirtschaft und von privaten Dienstleistern wie Rechtsanwälten und Banken werden zum Gegenstand. Nicht zuletzt geraten durch die Fokussierung von städtischen Erbordnungen spezielle Hinterlassenschaften und Eigentumsformen – wie Mietwohnungen oder Aktien – ebenso in den Blick wie zum Teil neue soziale Schichten wie die Arbeiterschaft, die Angestellten und das reiche Bürgertum. Andere soziale Gruppen wie Adel und Landwirte, die Materialisierungen ihres Erbes und ihre Vererbungsstrategien werden hingegen nicht oder nur am Rande thematisiert. Für Tiefenbohrungen in Baltimore und Frankfurt sprach schließlich die außergewöhnlich gute Quellenlage. Für beide Städte konnte auf eine seit etwa 1880 beziehungsweise seit 1910 bis ins Jahr 2000 weitgehend durchgängige Überlieferung der Akten des Amtsgerichts zurückgegriffen werden. Die Überlieferungen zu Odessa sind demgegenüber deutlich lückenhafter. Darüber hinaus konnten die ursprünglich für das Jahr 2020 geplanten Archivrecherchen in Odessa und Moskau aufgrund der Coronapandemie nicht durchgeführt werden. Erbübertragungen können daher für Baltimore und Frankfurt differenzierter als für Odessa herausgearbeitet werden. Trotzdem wurde Odessa sowohl aufgrund der beiden zuerst genannten Überlegungen mit in die Analyse einbezogen als auch aufgrund der Tatsache, dass sich hier ebenso wie in den anderen beiden Städten Migrationsprozesse im transatlantisch-europäischen Raum verdichtet fassen lassen. Eine exemplarische Fokussierung auf Eigentumsordnungen und Erbtransfers in eng begrenzten lokalen Räumen bringt schnell zum Vorschein, dass sich im 19. und 20. Jahrhundert Erblasser, Erbe und Erben häufig nicht am selben Ort befanden. Gerade die vielfältigen und massenhaften Migrationsbewegungen der letzten beiden Jahrhunderte führten dazu, dass sie sich immer wieder in unterschiedlichen Rechtsräumen und Staaten befanden. In Baltimore waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts etwa ein Viertel bis ein Drittel aller Einwohner Einwanderer der ersten und zweiten Generation mit Verwandten im Ausland.41 Hinzu kommt, dass sich in Europa immer wieder die Staatsgrenzen verschoben, wodurch sich

41 Sherry H. Olson, Baltimore. The Building of an American City, Baltimore, MD 1997, S. 180ff.

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nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg Millionen von Menschen in neuen oder anderen Staaten wiederfanden. Für die Analyse lokaler Erbordnungen ist es daher unabdingbar, diese auch in ihren Verflechtungen mit nationalen Ordnungen und denen anderer Rechtsräume und Staaten zu untersuchen und das Verhalten der Migranten und ihrer Erben im Kontext dieser zum Teil schwierigen Gemengelagen zu erkunden. Aus diesem Grund werden Migranten und transnationale Erbtransfers zwischen den USA, Deutschland und der Ukraine/Russland explizit mit in die Analyse einbezogen.

Quellen Zur Beantwortung meiner Fragen und unter Berücksichtigung der theoretischen und methodischen Vorannahmen untersuche ich verschiedene Quellenkorpora. Für die Analyse der lokalen, bundesstaatlichen und nationalen politischen Erbrechtsdebatten und der jeweiligen Rechtsordnungen werden neben der juristischen und rechtsgeschichtlichen Literatur vor allem publizierte Gesetzessammlungen und juristische Handbücher herangezogen. Um den Wandel der rechtlichen Rahmenbedingungen und die Kontroversen um deren jeweilige Ausgestaltung im Laufe des Untersuchungszeitraums fassen zu können, werden ferner publizierte Stellungnahmen von Politikern, Juristen und Ökonomen in Parlamenten, auf Konferenzen sowie in (Fach-)Zeitschriften und in den Massenmedien untersucht. Zusammengenommen erlauben es diese Texte, die rechtlichen Rahmenbedingungen sowie die damit verbundenen Handlungsspielräume für Erblasser und Erben für bestimmte Zeiträume ebenso wie die politischen Debatten und Akteure, die zu einem Wandel der rechtlichen und institutionellen Rahmenbedingungen für Erbtransfers führten, herauszuarbeiten. Um zu ermitteln, wie Nachlassgerichte arbeiteten und funktionierten, wird auf Verwaltungsakten zurückgegriffen sowie auf Akten der den Gerichten übergeordneten Instanzen. Darin berichten Mitarbeiter von Gerichten und Behörden über institutionelle Abläufe der Nachlassbearbeitung, welche Probleme bei der Bearbeitung von Erbangelegenheiten auftauchten und wie sie versuchten, diese zu lösen. Die Akten geben dadurch Auskunft über die alltägliche, bürokratische Bearbeitung von Erbfällen in staatlichen Institutionen, darüber, wie staatliche Institutionen die Annahme und (zum Teil problematische) Umsetzung von Gesetzen beobachteten, sowie über das institutionelle Nachdenken über mögliche Verbesserungen bei der Bearbeitung von Erbfällen. Zugleich verdeutlichen sie, welche sozialen Gruppen innerhalb einer Erbordnung in bestimmten Zeiträumen überhaupt die Gerichte aufsuchten und welchen Einblick staatliche Institutionen in private Vermögenstransfers hatten.

Quellen

Private Dienstleister nahmen eine zunehmend wichtiger Rolle in Nachlassplanungen ein, weshalb auch deren Angebote untersucht werden. Hierfür werden Geschäftsunterlagen, Korrespondenzen und Publikationen von Anwälten, Kanzleien und publizierte Berichte von Anwaltsvereinigungen analysiert. In exemplarischen Tiefenbohrungen werden die Tätigkeiten der im 19. Jahrhundert gegründeten Hoerner Bank AG untersucht, dem gegenwärtig in Deutschland führenden Unternehmen der (inter-)nationalen Erbenermittlung. Ebenfalls nehme ich das 1937 in Moskau gegründete, auf ausländisches Erbrecht spezialisierte Anwaltskollegium Injurkollegija detailliert in den Blick.42 Die Professionalisierung und die Verbreitung des Erbschaftsfundraisings werden schwerpunktmäßig am Beispiel der privaten Johns Hopkins University untersucht, die selbst aus einer Stiftung hervorging und sich wie viele amerikanische Universitäten nach dem Zweiten Weltkrieg auf das Einwerben von privaten Mitteln, darunter Erbschaften, spezialisierte und damit wieder zum Vorbild für andere Erbschaftsfundraiser wurde.43 Zur Analyse von Nachlasspraktiken greift die Studie für alle drei Untersuchungsländer zunächst auf Akten der jeweiligen Justiz- und Finanzministerien zurück. Dadurch lässt sich ermitteln, wie staatliche Behörden Erbpraktiken und Erbtransfers wahrnahmen und beschrieben. Liest man diese Quellen gegen den Strich, so erlauben sie Aussagen über das Verhältnis von Erbrecht und Erbpraxis. Des Weiteren wurden Gerichtsakten und staatliche Berichte zu einzelnen strittigen Erbfällen – wie im Erbfall Birnbaum – ausgewertet. Darin fanden sich verschiedene Quellen – von privaten Briefen und Notizen als Beweisstücken über Zeugenaussagen von Erben und mit dem Erblasser bekannten Personen, medizinische Gutachten, Aussagen von Rechtsanwälten, Gerichtsurteile und Verweise auf ähnliche Rechtsfälle bis hin zu Presseausschnittsammlungen –, die eine dichte und multiperspektivische Analyse einzelner Erbfälle erlaubten. Derartige gut dokumentierte Erbfälle gewähren Einblicke in die Konfliktachsen einer Erbordnung zu einer bestimmten Zeit. Darüber hinaus lassen sie sich als Kontrastfolie heranziehen, um Erkenntnisse über die Mehrheit der meist konfliktfreien und weniger gut dokumentierten „normalen“ Erbfälle zu gewinnen. Zentral für die Analyse von Nachlassplanungen und Erbübertragungen sind die Nachlassakten der lokalen Amtsgerichte. Darin finden sich zentrale Informa-

42 Der zentrale Aktenbestand zu Injurkollegija durfte nicht eingesehen werden: GARF, F. 9562, Kollektiv Advokatov „Injurkollegija“ pri Moskovskoj Gorodskoj Kollegii Advokatov. Einsichten in die Geschäftspraktiken von Injurkollegija erlaubten die Nachlässe von Anwälten, mit denen Injurkollegija in den USA zusammenarbeitete – den wichtigsten Bestand stellte hierfür der Nachlass von Charles Recht dar (Tamiment Library and Robert F. Wagner Labor Archives, Charles Recht Papers (TAM.176)) –, sowie Analysen des State Department, das die Aktivitäten von Injurkollegija im Rahmen der Ost-West-Auseinandersetzungen intensiv beobachtete. 43 Vgl. v. a. den Bestand JHU, Sheridan Libraries, Special Collection, The Johns Hopkins Fund.

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tionen zu einem Erbfall zusammengefasst: zum Beispiel Informationen zu den Lebensdaten, zu Familienstand, Geburtsort und Beruf des Erblassers, Namen und Verwandtschaftsgrad der gesetzlichen sowie der per Testament bestimmten Erben, zu Höhe und materieller Zusammensetzung des Nachlasses, zum Testament (falls vorhanden), zu Korrespondenzen mit dem Amtsgericht und zur Aufteilung des Nachlasses.44 Nur wenigen Akten liegen Korrespondenzen bei, die Auskunft darüber geben, wie sich Personen ihr Erbe angeeignet haben.45 Nachlassakten reproduzieren damit hauptsächlich die Perspektive der Verwaltung auf Erbprozesse. Durch ihre Analyse gerät in den Blick, wie Nachlassvermögen zu einer bestimmten Zeit innerhalb eines Amtsgerichtsbezirkes verteilt war, wie es sich zusammensetzte und aufgrund welcher Regelungen und Praktiken es auf welche Erben verteilt wurde. Um zu ermitteln, welche Erbtransfers in einer Stadt und in einer bestimmten sozialen Gruppe zu einem bestimmten Zeitpunkt als außergewöhnlich galten und welche Erbmuster typisch waren, kombiniert die Studie die detaillierte Analyse von einzelnen Erbfällen mit der quantitativen Auswertung von repräsentativen Samples von Erbfällen. Für Baltimore und Frankfurt wurden seit dem späten 19. Jahrhundert im Abstand von dreißig Jahren – ein Abstand, der in etwa dem Wechsel einer Generation entspricht – für die Jahre 1880/8146 , 1910/11, 1940/41, 1970/71 und 2000/2001 jeweils zwischen fünf und zehn Prozent der überlieferten Nachlassakten analysiert. Zusätzliche Stichproben wurden für Frankfurt aufgrund wirtschaftlicher und politischer Zäsuren für die Jahre 1925 und 1950 genommen.47 Insgesamt beruht die Studie auf der quantitativen Auswertung von 2.311 Akten aus den Nachlassgerichten in Baltimore und Frankfurt.48 Die Aktenlage zu vom Odessaer Gericht 44 Eine detailliertere Beschreibung von Nachlassakten findet sich bei Gabriele Metternich, Verfügungsverhalten von Erblassern. Eine empirische Untersuchung zur Rechtstatsachenforschung und Reformdiskussion auf dem Gebiet des Erbrechts. Frankfurt am Main 2010, S. 28f. 45 Vgl. hierfür Langbein, Dinge. 46 Für das Jahr 1880/81 wurde nur für Baltimore eine Stichprobe gezogen, da der Aktenbestand zu Frankfurt für diese Jahre zersplittert und auf das Hessische Hauptstaatsarchiv Wiesbaden und das Institut für Stadtgeschichte verteilt ist, was einen enormen Zusatzaufwand für dessen quantitative Analyse bedeutet hätte. 47 Die Nachlassakten wurden nach Rücksprache mit dem GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften in Mannheim erhoben, um repräsentative Samples zu erhalten. Zusätzlich wurden die Überlegungen von Christian Schendera bei der Datenerhebung berücksichtigt; Christian F. G. Schendera, Datenqualität mit SPSS, München, Wien 2007. 48 Den ermittelten Daten aus den Nachlassakten wurden 58 verschiedene Variablen zugeordnet und mit dem Statistikprogramm SPSS ausgewertet. Anschließend wurden die Datensätze auf typische Erbmuster und Konfliktlinien für bestimmte Stichprobenjahre und Orte hin ausgewertet. Der diesen Analysen zugrunde liegende Rohdatensatz wird mit der Publikation der Studie veröffentlicht. Befunde und Statistiken, die sich aus der Auswertung der Nachlassakten ergeben, werden wie folgt zitiert: Jürgen Dinkel, Nachlassakten in Baltimore und Frankfurt, 1880–2001. Primärdaten der Stich-

Quellen

Tabelle 1 Übersicht über die Anzahl der ausgewerteten Nachlassakten, geordnet nach Städten und Jahren. Jahr 1880/81 1910/11 1925 1940/41 1950 1970/71 2000/2001

Baltimore 67 123 –

Frankfurt –* 104 332

198 – 122 167

277 315 295 311

Odessa – – 73 (1929) 276 (1932) 123 (1940) – – –

* Es wurden auch Nachlassakten aus dem späten 19. Jahrhundert gesichtet und ausgewertet. Es erfolgte aber keine Stichprobenziehung und quantitative Auswertung dieser Akten. Die Gründe hierfür werden im Laufe der Arbeit im Zusammenhang mit der Etablierung und Arbeitsweise des Amtsgerichts erläutert.

verzeichneten Erbfällen war größtenteils dünn und lückenhaft, teilweise waren vorhandene Schriftstücke nicht leserlich. Daher war eine quantitativ gleichwertige Analyse nicht umsetzbar. Die eigenen statistischen Auswertungen wurden mit den Befunden anderer statistischer Analysen abgeglichen, die Juristen, Psychologen, Ökonomen und Sozialwissenschaftlern seit den 1920er Jahren, hauptsächlich aber seit den 1970er Jahren zu Erbpraktiken und Erbverteilungen erstellt haben.49 Dadurch ist es punktuell

probenerhebung, Version 1.0, unveröffentlicht. Die Variablen waren: Aktenzeichen, Nachlasstyp, Jahr, in dem die Nachlassakte erstellt wurde, Ort, an dem die Nachlassakte erstellt wurde. In Bezug auf den Erblasser: Nachname, Vorname, Geschlecht, race, Religion, Familienstand, Geburtsort, Geburtstag, Geburtsjahr, Sterbetag, Sterbejahr, Alter, Beruf, Testament vorhanden, Berliner Testament, Datum der Testamentserrichtung, Jahr der Testamentserrichtung, Alter bei Testamentserrichtung. In Bezug auf den Nachlass: Testamentsvollstrecker/Nachlassverwalter, Joint Property vorhanden, Nachlasswert. In Bezug auf das Nachlassverfahren: Datum Beginn des Verfahrens, Datum Ende des Verfahrens, Dauer des Verfahrens. In Bezug auf die Verteilung des Nachlasses: Anzahl der Legate, Legatnehmer, Anzahl der Erben, Erben ermittelt, gesetzliche Erbfolge oder gewillkürte Erbfolge, begünstigte Erben bei gewillkürter Erbfolge, für die Erben: Geschlecht, Verwandtschaftsgrad zum Erblasser, Erbsumme, Beschränkungen in der Verwendung des Erbes. 49 Zur Rechtstatsachenforschung in Deutschland vgl. Arthur Nußbaum, Über die Anwendung gewisser familien- und erbrechtlicher Vorschriften des BGB. Ein Beitrag zur Rechtstatsachenforschung, in: Archiv für die civilistische Praxis 128 (1928), H. 1, S. 40–54; Jurij Fedynskyi, Rechtstatsachen auf dem Gebiete des Erbrechts im Gerichtsbezirk Innsbruck. 1937 bis 1941, Innsbruck 1968; Dieter Leipold, Wandlungen in den Grundlagen des Erbrechts?, in: Archiv für die civilistische Praxis 180 (1980), H. 1–2, S. 160–238; Andreas Guericke, Rechtstatsächliche Untersuchung über das Verfügungsverhalten und die Auswirkungen auf das Ehegattenerbrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches, Marburg 1994; Paul Rotering, Rechtstatsächliche Untersuchungen zum Inhalt eröffneter Verfügungen von Todes wegen, Frankfurt am Main [u. a.] 1986; Metternich, Verfügungsverhalten. Zur Rechtstatsachenforschung in den Vereinigten Staaten vgl. Richard R. Powell/Charles Looker, Decedent’s Estates:

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möglich, sowohl Besonderheiten in den Erbpraktiken der jeweiligen Städte als auch überregionale Gemeinsamkeiten aufzuzeigen.50 Die Aussagekraft von einzelnen Nachlassakten ist allerdings auch begrenzt: Erstens war der dem Gericht gemeldete und in den Akten notierte Nachlass sowohl in seiner materiellen Zusammensetzung als auch in seinem Wert in der Regel nicht mit dem tatsächlichen Nachlass und den Hinterlassenschaften einer Person identisch. Dies lag daran, dass Gerichte diese Informationen in der Regel nicht selbst ermittelten, sondern aus zweiter Hand erhielten; in Frankfurt und Odessa gaben die Erben den Wert der Erbschaft an, und in Baltimore war es ein vom Register of Wills ernannter Appraiser. In allen Jurisdiktionen hatten staatliche Organe – im 20. Jahrhundert meist die Steuerbehörden – das Recht, diese Angaben zu überprüfen. In der Realität machten sie davon allerdings nur selten Gebrauch und akzeptierten die von Erben und Appraiser erstellten Angaben.51 Zweitens erlaubten es Gesetze über den gesamten Untersuchungszeitraum in allen drei Städten, jeweils spezifische Bestandteile des Nachlasses zu übertragen, ohne dass die Erben das Gericht über den Transfer oder den genauen Wert dieses transferierten Nachlassbestandteils informieren mussten.52 Zusätzlich beinhalteten vor allem größere Erbschaften immer wieder Konten und Immobilien im Ausland, deren genauen Wert Gerichte nicht überprüfen konnten, wenn sie denn überhaupt Illumination from Probate and Tax Records, in: Columbia Law Review 7 (1930), S. 919–953; Allison Dunham, The Method, Process and Frequency of Wealth Transmission at Death, in: University of Chicago Law Review 30 (1963), H. 2, S. 241–285; O. L. Browder Jr., Recent patterns of intestate succession in the United States and England, in: Michigan Law Review 67 (1969), S. 1303–1360. Mit Fokus auf Maryland vgl. Jan G. Fierstein/Robert A. Stein, The Role of the Attorney in Estate Administration, in: Minnesota Law Review 68 (1984), S. 1107–1230; Jan G. Fierstein/Robert A. Stein, The Demography of Probate Administration, in: University of Baltimore Law Review 15 (1985), H. 1, S. 54–107; Judith N. Cates/Marvin B. Sussman (Hrsg.), Family Systems and Inheritance Patterns, New York 1982. Für die Zeit der Sowjetunion wurden keine solche Studien ermitteln. 50 Zu berücksichtigen bleiben dabei allerdings die jüngste kultur- und wissenschaftsgeschichtliche Kritik am Umgang mit Statistiken und der Verweis darauf, dass die Produktion, Akzeptanz und Interpretation von Statistiken neben wissenschaftlichen immer auch von politischen und kulturellen Faktoren abhingen. Statistiken bildeten nie objektiv eine historische Wirklichkeit ab, sondern interpretierten diese genauso wie Texte. Für die vorliegende Studie bedeutetet dies, dass an den Stellen, an denen sie von anderen Autoren erstellte Statistiken verwendet, immer auch die Produktion dieser Statistiken mit reflektiert wird, soweit dies möglich ist. Daniel Speich Chassé/David Gugerli, Wissensgeschichte: eine Standortbestimmung, in: Traverse: Zeitschrift für Geschichte/Revue d’histoire 19 (2012), H. 1, S. 85–100; Daniel Speich Chassé, Die Erfindung des Bruttosozialprodukts. Globale Ungleichheit in der Wissensgeschichte der Ökonomie, Göttingen 2013; Kerstin Brückweh, Menschen zählen. Wissensproduktion durch britische Volkszählungen und Umfragen vom 19. Jahrhundert bis ins digitale Zeitalter, Berlin, Boston 2015; Lars Behrisch, Die Berechnung der Glückseligkeit. Statistik und Politik in Deutschland und Frankreich im späten Ancien Régime, Ostfildern 2016. 51 Charles G. Page, Maryland Death Taxes, in: Maryland Law Review 25 (1965), H. 2, S. 89–110, S. 95. 52 Derix, Thyssens.

Quellen

von ihnen erfuhren. Der vom Gericht ermittelte Nachlasswert bezog sich in diesen Fällen nur auf das sich im gleichen Bundesstaat oder Land befindende Vermögen, und dementsprechend konnte auch nur dieser Teil des Nachlasses in der Analyse berücksichtigt werden. Drittens haben Studien zu Vermögenspraktiken in der Frühen Neuzeit sowie anthropologische Arbeiten zum Vermögenshandeln in Familien im 20. Jahrhundert aufgezeigt, dass Erbübertragungen immer in ihren Wechselwirkungen mit anderen Vermögenstransfers wie beispielsweise Mitgiften oder Schenkungen unter Lebenden zu untersuchen sind.53 Die Verteilung von Erbe lässt sich nur dann in ihren Sinnzusammenhängen vollständig verstehen, wenn diese anderen Vermögensflüsse mitberücksichtigt werden. Dies gilt darüber hinaus auch für den Umgang mit einem Erbe nach der gerichtlichen Verteilung. Unter anderem hat Ulrike Langbein aufgezeigt, dass es in Familien nach der gesetzlich-gerichtlichen Verteilung häufig noch zu Umverteilungen kam, die Familienmitglieder ohne Einbezug des Staates aushandelten. Die sich aus diesen Zusammenhängen ergebenden Zuschreibungen von Erbe und dessen nachträgliche Verteilung werden in den Amtsgerichtsakten meist nicht sichtbar. Ausnahmen stellen Schreiben dar, in denen beispielsweise der Verzicht auf Erbanteile erklärt wird oder in denen sich Erben nachträglich über Umverteilungen beschweren.54 Schließlich geraten viertens durch die Analyse von Nachlassakten keineswegs alle Erbtransfers ins Blickfeld, die sich im Verwaltungsbezirk des Gerichts vollzogen. Über den gesamten Untersuchungszeitraum wurde die Mehrzahl aller Erbschaften ohne Einbezug der Gerichte transferiert. Dies macht es wiederum notwendig, die Aussagen der Studie für unterschiedliche Zeiträume, Städte und soziale Gruppen von Erblassern jeweils weiter zu spezifizieren. Die skizzierten Problematiken bei der Analyse von Nachlassakten führen zu der Frage, wie Nachlassgerichte als staatliche Einrichtungen zu bestimmten Zeiten und in bestimmten Räumen Erbprozesse sahen. So gewendet geben diese Akten Aufschluss darüber, welches Wissen der Staat beziehungsweise genauer dessen kommunale Institutionen über Nachlasstransfers besaßen, wie weit der Blick in persönliche Netzwerke reichte und welche Transaktionen und Tätigkeiten ihm verborgen blieben. Deutlich wird dabei, dass der Staat Erbübertragungen manchmal klar, deutlich und detailliert beobachtete, in anderen Fällen war der staatliche Blick aber verschwommen, und häufig sah er die Transfers überhaupt nicht. Um darüber hinaus den Blick zu weiten, wurden zusätzlich persönliche Briefe und Tagebücher sowie verschriftlichte Erinnerungen von Erblassern und Erben

53 Lanzinger, Vererbung; Langbein, Dinge; Kosmann, Frauen. 54 Langbein, Dinge; Lanzinger, Vererbung.

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Einleitung

einbezogen. Diese Dokumente erlauben einen subjektiven, längeren Blick auf Erbtransfers, der sich vereinzelt in Hoffnungen auf ein Erbe bis hin zur Bewertung von vollzogenen Erbaufteilungen äußert. Neben Tagebüchern und Briefen aus Nachlässen und dem Tagebucharchiv in Emmendingen bot vor allem die Datenbank Prožito mit ihren digitalisierten Tagebüchern einen wichtigen Ausgangspunkt für diese Recherchen.55 Insbesondere zur Analyse von Nachlasstransfers über die Grenzen von Rechtsräumen und Staaten hinweg wurden die Akten der Außen- und Justizministerien in den USA und in der Bundesrepublik sowie Nachlässe und Akten von privaten Dienstleistern, die an transnationalen Erbtransfers beteiligt waren, herangezogen. Die darin enthaltenen Botschafts- und Kommissionsberichte sowie juristischen Gutachten geben Aufschluss darüber, wie Staaten die rechtlichen Rahmenbedingungen für transnationale Erbtransfer einschätzten und mit welchen Maßnahmen sie den Transfer von Nachlässen entweder unterstützten oder zu unterbinden versuchten. Darüber hinaus finden sich in diesen Akten zahlreiche Schreiben von Richtern, Rechtsanwälten, politischen Vereinigungen, ihren Nachlass planenden Personen bis hin zu Personen, die Anspruch auf ein Erbe im Ausland geltend machten. Zusammengenommen gewähren diese Schreiben Einblicke in die Probleme und Schwierigkeiten, mit denen sich Rechtsanwälte und Erben bei transnationalen Erbtransfer konfrontiert sahen. Die teilweise vorhandenen Antwortschreiben der Ministerien erlauben wiederum Rückschlüsse auf staatliche Tätigkeiten in transnationalen Erbfällen. In transnationalen Erbangelegenheiten wandten sich Eigentümer und Erben zudem auch an private Dienstleister, die sich seit dem 19. Jahrhundert auf die Rechtsberatung, den Transfer von Erbe und die Suche von Erben über Ländergrenzen hinweg spezialisiert hatten und deren Unterlagen den zweiten Quellenbestand zur Analyse von transnationalen Erbtransfers darstellen. Kombiniert gewähren diese unterschiedlichen Quellenbestände Einblicke in das expandierende Geschäftsfeld dieser Dienstleister sowie in die soziale Zusammensetzung ihrer Klienten und deren Aufträge.

Gliederung Die Genese gegenwärtiger Erbordnungen wird in drei chronologisch angeordneten Schritten herausgearbeitet. Im ersten Teil der Studie wird die Entstehung der bürgerlichen Erbordnung im langen 19. Jahrhundert herausgearbeitet. Daran anschließend untersucht der zweite Teil die Dialektik zwischen tiefgehenden Reformen und Revolutionen der Erbordnung nach dem Ersten Weltkrieg einerseits sowie

55 Prožito, https://prozhito.org (letzter Zugriff 31.8.2022).

Gliederung

den Beharrungskräften älterer Erbtraditionen und daraus resultierende Reaktionen auf Reformprozesse andererseits. Auf der Grundlage der bürgerlichen Erbordnung entstanden aus diesem Wechselspiel aus Reform und Reaktion bis ins letzte Drittel des 20. Jahrhunderts die zentralen Elemente gegenwärtiger Erbordnungen in Baltimore, Frankfurt und Odessa. Deren weitere Reformen und Anpassungen im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert werden im letzten und dritten Teil aufgezeigt. Die Gliederung orientiert sich damit zunächst an politischen und ökonomischen Zäsuren der transatlantisch-europäischen Geschichte. Dies ist insofern begründet, da politische System- und Richtungswechsel im Untersuchungszeitraum häufig Änderungen der Erbgesetzgebung und Umstrukturierungen von Nachlassinstitutionen nach sich zogen. Zugleich kommt die Studie zu dem wichtigen Ergebnis, dass sich in konkreten Erbtraditionen und Erbpraktiken Beharrungskräfte und eigene Zeitlichkeiten zeigen, die nicht mit politischen Umbrüchen kongruent sind. Insbesondere in den Unterkapiteln der drei Teile, in denen das konkrete Handeln von Erblassern und Erben untersucht wird, verblassen die politischen Zäsuren und es werden Kontinuitäten sichtbar, die zum Teil vom späten 18. bis ins frühe 21. Jahrhundert reichen.

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I.

Genese der bürgerlichen Erbordnung im langen 19. Jahrhundert

1.

Rechtspluralismus um 1800 – Lokale und konkrete Erbordnungen

Im Jahr 1721 kam es vor dem Reichskammergericht zu einem Prozess der in Frankfurt lebenden Schwestern Mirjam und Solre S. gegen ihre Stiefmutter. Ausgangspunkt des Erbstreits war der Tod des Vaters der beiden Schwestern und Ehemanns der Stiefmutter. Im Kern ging es um die Frage, wer welchen Anteil vom Nachlass des Verstorbenen erben sollte. Je nachdem, ob der Erbfall nach jüdischem Erbrecht oder nach dem für christliche Stadtbewohner geltenden Erbrecht (Frankfurter Reformation) beurteilt wurde, fiel die Antwort darauf unterschiedlich aus. Die Schwestern wandten sich an das für Christen zuständige Gericht und verlangten den Vorrang der römisch-kaiserlichen Hoheitsgewalt vor jüdischen Rechten und Institutionen, „weil die Juden sich ,erfrechten‘, in Erbschaftssachen solche Gesetze einzuführen, die den allgemeinen kaiserlichen und hiesigen Statutgesetzen und sogar dem Recht der Natur ,diametraliter zuwiderlieffen.‘“1 Umgekehrt verlangte die Stiefmutter die rechtliche Anerkennung des von einem Rabbiner und jüdischen Baumeister beglaubigten Testaments ihres Ehemannes sowie des jüdischen Gewohnheitsrechts. Weiter verkompliziert wurde der Streit dadurch, dass christliches und jüdisches Recht unterschiedliche Besitz- und Habeformen kannten und daher – je nach Standpunkt der Konfliktparteien – auch umstritten war, welcher Besitz überhaupt als Erbe des Verstorbenen anzusehen sei. Vor diesem Hintergrund sollte das Reichskammergericht das Verhältnis der in Frankfurt nebeneinander existierenden jüdischen und christlichen Rechtskreise klären und entscheiden, nach welchem Recht der Erbfall zu entscheiden sei, welche von jüdischen oder christlichen Autoritäten beglaubigten Dokumente anzuerkennen seien und woraus die Hinterlassenschaften des Verstorbenen bestünden. Zwar erging am Ende kein Urteil des Gerichts, der Erbfall verweist aber auf den in Frankfurt existierenden Rechtspluralismus, das Nebeneinander verschiedener für Erbangelegenheiten zuständiger Autoritäten und ein breites Spektrum an Habeund Besitzformen. Diese Konstellation war wiederum keine Frankfurter Besonderheit, sondern typisch für frühneuzeitliche Erbordnungen im transatlantischeuropäischen Raum.

1 Zitiert nach Rotenhan, Testamentsstreitigkeiten, S. 185.

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Genese der bürgerlichen Erbordnung im langen 19. Jahrhundert

2.

Innerstaatliche Reformen und Rechtsvereinheitlichungen

Die Erbordnungen in den US-amerikanischen Bundesstaaten, in den Rechtsgebieten des Alten Reiches und im Zarenreich besaßen um das Jahr 1800 vier charakteristische Merkmale: Erstens existierte in keinem Rechtsgebiet ein abstrakter, sich auf alle Hinterlassenschaften eines Verstorbenen beziehender Erbebegriff. Stattdessen zerfielen in den drei Gesellschaften die Hinterlassenschaften eines Verstorbenen in mehrere Teile, die getrennt voneinander weitergegeben werden konnten. Die Übertragung eines Nachlassteils unterlag je nach Geschlecht und gesellschaftlichem Status des Verstorbenen sowie der Erben und je nach Materialität der Gegenstände und deren Rechtsstatus unterschiedlichen Gesetzen beziehungsweise konnten ganz unterschiedliche Personengruppen Ansprüche darauf geltend machen. Entsprechend dieser Vielfalt an unterschiedlich kategorisierten Hinterlassenschaften gab es in den jeweiligen Gesellschaften zahlreiche Begriffe und juristische Konzepte zu deren Bezeichnung, wobei oftmals nur ein Teil der Hinterlassenschaften als Erbe galt. Der Sachsenspiegel, der in Preußen bis zur Einführung des Allgemeinen Landrechts 1794, in Sachsen bis 1865 und in einigen deutschen Ländern bis zur Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches im Jahr 1900 galt, unterschied beispielsweise zwischen Hinterlassenschaften, auf die Erbinnen (Gerade), und solchen, auf die Erben (Heergerät) ein Anrecht hatten.2 Auch im Zarenreich spezifizierten Gesetze die Hinterlassenschaften einer Person entsprechend ihrem Erwerbsmodus, ihrer Funktion, der materiellen Manifestation oder dem sozialen Status ihres Besitzers.3 Selbst in der Sprache schlug sich hier diese Vielfalt von Habeformen und Nutzungsrechten sowohl in unterschiedlichen Substantiven wie vladenie (Besitz), imenie (Stammgut;

2 Der Sachsenspiegel galt in Preußen und Sachsen nur als eine von mehreren Rechtsquellen. Das Preußische Allgemeine Landrecht galt nur subsidiär. Der Rechtspluralismus konnte damit je nach Region und Zeitraum noch größer ausfallen als im Haupttext herausgearbeitet. Rotenhan, Testamentsstreitigkeiten; Lanzinger, Vererbung; Nicole Grochowina, Das Eigentum der Frauen. Konflikte vor dem Jenaer Schöppenstuhl im ausgehenden 18. Jahrhundert, Köln, Weimar, Wien 2009; Gottschalk, Eigentum. 3 Martina Winkler, „Mein Besitz, Landgut, Erbland, Dorf oder wie auch immer Du es nennen möchtest“. Eine russische Begriffsgeschichte des Eigentums, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 60 (2012), H. 3, S. 321–349. Vgl. auch Pravilova, Public Empire; Martina Winkler, „Wie schwer war dieses Jahr“ – Chaos und Ordnung, Besitzverlust und Eigentumskonzeptionen in Erinnerungen des Adels an 1812, in: Comparativ. Leipziger Beiträge zur Universalgeschichte und vergleichenden Gesellschaftsforschung 22 (2012), H. 4, S. 14–30; Martina Winkler, „Eigentum! Heiliges Recht! Seele der Gesellschaft!“ Adel, Eigentum und Autokratie in Russland im 18. und frühen 19. Jahrhundert, in: Walter Sperling (Hrsg.), Jenseits der Zarenmacht. Dimensionen des Politischen im Russischen Reich, 1800–1917, Frankfurt am Main/New York 2008, S. 71–97; Martina Winkler, Frauen, Männer, Eigentum. Russland, 17.–19. Jahrhundert, in: Comparativ. Leipziger Beiträge zur Universalgeschichte und vergleichenden Gesellschaftsforschung 15 (2005), H. 4, S. 72–84; Lee A. Farrow, Between clan and crown. The struggle to define noble property rights in Imperial Russia, Newark, NJ 2004.

Innerstaatliche Reformen und Rechtsvereinheitlichungen

Nachlass) und imuščestvo (Eigentum) als auch in konkretisierenden Adjektiven wie potomstvennoe (geerbt), blagopriobretennoe (erworben), večnoe (dauerhaft) und rodovoe imenie (Familienbesitz; Stammgut) nieder.4 Darüber hinaus existierten in allen drei Ländern um 1800 Erbgesetze, die zwischen mobilem und immobilem Eigentum differenzierten. Schließlich wurde zwischen ererbtem Eigentum und erworbenem Eigentum unterschieden, auf das jeweils nach dem Tod des Eigentümers verschiedene Personen je nach dem Grad der Verwandtschaft mit dem Erblasser Anspruch erheben konnten, wenn das Erbe nicht sogar in entails, Fideikommissen oder Stammgütern gebunden und die Zugriffsrechte der Erben darauf beschränkt waren.5 Zweitens waren in allen drei Ländern um 1800 verschiedene Erbgesetze in Kraft, die nach Standeszugehörigkeit, Geburts- und Wohnort, Religionszugehörigkeit, Geschlecht oder auch Nachlassgegenstand unterschieden und die den Übertrag der Hinterlassenschaften regelten. In Deutschland galten bis zur Einführung des BGB mehr als 100 regional und lokal verschiedene, nicht selten jahrhundertealte Erbregelungen; zum Teil galten selbst in einem Dorf je nach Straßenseite unterschiedliche Erbrechte.6 In Frankfurt bildeten beispielsweise Fremde (Messfremde, Gesinde, Permissionisten, Gesellen), Bewohner der eingemeindeten Dörfer, Juden und christliche Bürger eigene Rechtsgemeinschaften mit unterschiedlichen

4 Die jeweiligen Begriffe haben meist keine exakte Entsprechung im Deutschen. Die in Klammern angeführten Übersetzungen müssen daher als Annäherung an die russischen Begriffe verstanden werden. 5 Entails, Fideikommisse und Stammgüter stellten besondere Eigentumskonstruktionen dar. Vereinfacht ausgedrückt war es in den amerikanischen Kolonien, in den deutschen Staaten und im Zarenreich Eigentümern rechtlich möglich, durch einen Stiftungsakt einen entail, ein Fideikommiss oder ein Stammgut zu errichten und darin sein Eigentum, meist handelte es sich um Grundbesitz, zu binden und über seinen Tod hinaus zu bestimmen, was damit geschehen solle. In diesen Konstrukten gebundenes Eigentum durfte im Erbgang nicht geteilt werden, und die Erben, meist handelte es sich um eine einzelne Person, erhielten nur Nießbrauchrechte an dem Eigentum. Das bedeutete, das Vermögen durfte nicht verkauft und in manchen Fällen auch nicht mit Hypotheken belastet werden. Die Bindung von Eigentum in entails, Fideikommissen und Stammgüter zielte auf den Vermögenserhalt in der Familie und beschränkte die Zugriffs- und Verfügungsrechte zukünftiger Generationen auf darin gebundenes Vermögen. Vgl. Conze, Adel, S. 238–251. 6 Die in den deutschen Kolonien geltenden Erbrechte sind dabei noch nicht mitgezählt. Vgl. Bay. HStA, NL Gottfried von Schmitt, Box 1, u. a. Stenographischer Bericht über die Verhandlung der bayrischen Kammer der Abgeordneten, Vierte öffentliche Sitzung, Nr. 4, München 8.11.1873, Protokolle der Bundesrath-Sitzungen, Manuskript vom 16.4.1874; Diethelm Klippel (Hrsg.), Deutsche Rechts- und Gerichtskarte. Mit einem Orientierungsheft, Goldbach 1996 [Nachdr. der Ausg. Kassel, 1896]; Werner Schubert, Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs in systematischer Zusammenstellung der unveröffentlichten Quellen, Berlin 1978; Benno Mugdan, Die gesamten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch für das Deutsche Reich. Band 5: Erbrecht, Berlin 1899.

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Genese der bürgerlichen Erbordnung im langen 19. Jahrhundert

Eigentums- und Erbrechten. Fanden sich bei Rechtsfragen im seit dem 16. Jahrhundert in der „Frankfurter Reformation“ zusammengefassten Stadtrecht keine Antworten, griff die Rechtsprechung ergänzend auf das römische Recht und lokales Gewohnheitsrecht zurück.7 Auch im Zarenreich differenzierten Erbrechte nach der Religionszugehörigkeit, Herkunft oder der sozialen Positionierung einer Person. Darüber hinaus trugen imperiale Eroberungen dazu bei, dass im russischen Zarenreich verschiedene Erbekonzeptionen und Erbrechte in Kraft waren und kein für alle Bewohner gleichermaßen geltendes und alle gleich behandelndes Erbrecht existierte. Im Kerngebiet des Imperiums galten andere Land- und Erbrechte als in den vom Osmanischen Reich eroberten Gebieten und in den muslimischen zentralasiatischen Regionen.8 Auch die erst im Jahr 1794 unter der Herrschaft von Katharina der Großen gegründete Stadt Odessa stellte einen eigenen Rechtsraum dar. Mit dem Hintergedanken, das Wachstum der Stadt gezielt anzukurbeln, versprach Katharina II. allen Neuankömmlingen in Odessa Landschenkungen, Steuerbefreiungen, erleichterten Zugang zu Krediten, religiöse Toleranz und andere Rechtsprivilegien.9 In den nordamerikanischen Kolonien hatten wiederum die Einwanderer unterschiedliche Eigentumsverständnisse und Erbekonzepte sowie Erbgesetze und -traditionen mitgebracht, die in der Kolonialzeit teilweise widersprüchlich und größtenteils nicht kodifiziert waren. Insbesondere das Verhältnis zwischen den schriftlich vorliegenden Erbgesetzen des britischen Common Law, den meist nicht schriftlich fixierten Erbtraditionen aus anderen europäischen Rechtsgebieten und nicht zuletzt den indigenen Eigentumsrechten und Erbgesetzen war nicht geklärt. Bei der Nachlassplanung und beim Übertrag von Nachlässen konnten daher sowohl vom zukünftigen Erblasser als auch von dessen Erben unterschiedliche Erbgesetze

7 Für einen aktuellen Forschungsüberblick zur Frankfurter Stadtgesellschaft in der Frühen Neuzeit vgl. Schmidt-Funke, Stadtgeschichte(n); Anja Amend/Anette Baumann/Stephan Wendehorst/Steffen Wunderlich (Hrsg.), Die Reichsstadt Frankfurt als Rechts- und Gerichtslandschaft im RömischDeutschen Reich, Berlin/Boston 2008; Andrea Hopp, Jüdisches Bürgertum in Frankfurt am Main im 19. Jahrhundert, Stuttgart 1997. Zu Eigentums- und Nachlassübertragungen vgl. Hansert, Patriziat; Rotenhan, Testamentsstreitigkeiten; Hansert, Geburtsaristokratie; Ursula Kern (Hrsg.), Blickwechsel. Frankfurter Frauenzimmer um 1800, Frankfurt am Main 2007; Dölemeyer, Vermögenstransfers; Heinz Duchhardt, Frankfurt am Main im 18. Jahrhundert, in: Frankfurter Historische Kommission (Hrsg.), Frankfurt am Main. Die Geschichte der Stadt in neun Beiträgen, Sigmaringen 1991, S. 261–302. 8 Ekaterina Pravilova, The Property of Empire. Islamic Law and Russian Agrarian Policy in Transcaucasia and Turkestan, in: Kritika. Explorations in Russian and Eurasian History 12 (2011), H. 2, S. 353–386; William Elliott Butler, Russian Inheritance Law, London 2014, S. 7–10; Andreas Kappeler, Geschichte der Ukraine, Bonn 2015, S. 125f. 9 Patricia Herlihy, Odessa. A History, 1794–1914, Cambridge, MA 1991, S. 15.

Innerstaatliche Reformen und Rechtsvereinheitlichungen

und Erbtraditionen Anwendung finden.10 Nach der Unabhängigkeitserklärung im Jahr 1776 verkomplizierte sich die ohnehin schon unübersichtliche Rechtslage in den US-amerikanischen Bundesstaaten bei Nachlasstransfers weiter. Denn nun stellte sich den ihren Erbtransfer planenden Personen, ihren Erben, Juristen und Richtern die Frage, ob das englische Common Law weiterhin als Grundlage für Gerichtsprozesse herangezogen werden durfte beziehungsweise welche Erbgesetze stattdessen gelten sollten.11 Ein drittes charakteristisches Merkmal stellt die Tatsache dar, dass sich in den einzelnen Rechtsgebieten noch keine Institutionen etabliert hatten, die flächendeckend für die Bearbeitung, Dokumentation und Beglaubigung aller Erbübertragungen zuständig waren. Stattdessen konkurrierten verschiedene Gerichte miteinander, deren Kompetenzen häufig nicht eindeutig voneinander abgegrenzt waren und die meist nur Nachlassangelegenheiten einer spezifischen sozialen Gruppe regelten. In der Freien Stadt Frankfurt – ebenso wie in anderen deutschen Staaten und freien Städten – bearbeiteten zu Beginn des 19. Jahrhunderts unter anderem das Stadtamt, das Landamt und das Stadtgericht Erbschaftssachen, wobei je nach Religion oder sozialem Status eines Erblassers die eine oder die andere Institution zuständig war oder bei der Klärung von Erbstreitigkeiten zumindest als zuständige Institution in Frage kam.12 Ähnlich war die Lage im Zarenreich, wo unterschiedliche Gerichte die Erbangelegenheiten der verschiedenen sozialen, ethnischen oder religiösen Gruppen bearbeiteten und entschieden.13 In Maryland stellte eine vom Parlament zur Evaluation der Erbgesetze und Nachlassgerichte eingesetzte Kommission unter

10 Shammas/Salmon/Dahlin, Inheritance, S. 32–38, 64f.; Eugene F. Scoles, Succession without Administration: Past and Future, in: Missouri Law Review 48 (1983), H. 2, S. 371–413; Lois Green Carr, The Development of the Maryland Orphans’ Court, 1654–1715, in: Land/Carr/Papenfuse (Hrsg.), Law, S. 41–62. Zur Geschichte der Erbgesetzgebung und Erbpraktiken in den amerikanischen Kolonien vgl. Shammas/Salmon/Dahlin, Inheritance, S. 35f. 11 Edward Otis Hinkley, The Testamentary Law and the Law of Inheritance and Apprentices in Maryland, Baltimore 1878, S. 210–239. 12 Rotenhan, Testamentsstreitigkeiten; Monika Wienfort, Gerichtsherrschaft, Fideikommiss und Verein. Adel und Recht im „modernen“ Deutschland, in: Jörn Leonhard/Christian Wieland (Hrsg.), What makes the nobility noble? Comparative perspectives from the sixteenth to the twentieth century, Göttingen 2011, S. 90–113; Monika Wienfort, Patrimonialgerichte in Preußen. Ländliche Gesellschaft und bürgerliches Recht 1770–1848/49, Göttingen 2001; Monika Wienfort, Administration of Private Law or Private Jurisdiction? The Prussian Patrimonial Courts, 1820–1848, in: Willibald Steinmetz (Hrsg.), Private law and social inequality in the industrial age. Comparing legal cultures in Britain, France, Germany, and the United States, Oxford/New York 2000, S. 69–88; Andreas Gotzmann, Strukturen jüdischer Gerichtsautonomie in den deutschen Staaten des 18. Jahrhunderts, in: Historische Zeitschrift, Bd. 267 (1998), H. 2, S. 313–356; Eckert, Kampf; Müller, Eigentumsrecht. 13 Pravilova, Public Empire; Stefan B. Kirmse, The Lawful Empire. Legal Change and Cultural Diversity in Late Tsarist Russia, Cambridge 2019; Wagner, Marriage.

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Genese der bürgerlichen Erbordnung im langen 19. Jahrhundert

dem Vorsitz des Rechtsanwalts und Chancellor of Maryland Alexander Contee Hanson im Jahr 1794 fest, dass die Erbgesetzgebung in Maryland extrem verwirrend, widersprüchlich, mangelhaft und ausufernd sei. Nach dem Tod eines Eigentümers erlaube die Gesetzgebung keine eindeutigen Aussagen darüber, welche Individuen und Institutionen welche Zugriffsrechte auf welches Eigentum aus dem Nachlass eines Verstorbenen besäßen und wie diese Rechte durchzusetzen seien. Dies wiederum, so die Schlussfolgerung, gefährde nicht nur den planbaren Transfer von Nachlassvermögen, sondern auch die wirtschaftliche Prosperität und die auf den Schutz von Privateigentum basierende gesellschaftliche Ordnung in Maryland.14 Als Ergebnis aus den genannten drei Merkmalen ergab sich als viertes Charakteristikum von Erbordnungen um 1800, dass diese wenig abstrakt waren und sich nicht auf große Rechtsräume oder alle Eigentümer eines Rechtsgebietes bezogen, sondern dass sie kleinteilig und konkret waren. Erbordnungen waren durch ein hohes Maß an Pluralität hinsichtlich der für Nachlassübertragungen verwendeten „Erbe“-Begriffe, der für Erbübertragungen zuständigen Gerichte und der anzuwendenden Erbgesetze geprägt. Selbst innerhalb einzelner Städte und Dörfer konnten verschiedene Erbgesetze bei der Klärung von Rechtsfragen zur Anwendung kommen und unterschiedliche Institutionen zur Beglaubigung des Nachlasstransfers angerufen werden. Multipliziert wurde dieses Neben- und Gegeneinander verschiedener Konzeptionen von Erbe, von Erbrechten und Nachlassinstitutionen schließlich bei Erbtransfers, die mehr als ein Rechtsgebiet betrafen. Aufgrund eines Nebeneinanders von mehreren Rechtsgebieten innerhalb der Vereinigten Staaten, der verschiedenen deutschen Staatsgebilde im 19. Jahrhundert und des Zarenreichs sowie von Rechts- und Staatsgrenzen überschreitenden Migrationsbewegungen, sich verändernden Grenzverläufen, aber auch aufgrund einer transnationalen Heiratspolitik im Adel kam es bei Erbfällen regelmäßig vor, dass sich Erblasser, Erbschaft und Erben nicht in einem Rechtsgebiet befanden und im Erbfall verschiedene Erbregelungen in Einklang gebracht werden mussten. Russische Adelige, die sich vermehrt mit Adeligen aus anderen europäischen Staaten verheirateten, forderten daher im späten 18. Jahrhundert eine Reform der Eigentums- und Erbgesetze im Zarenreich und die Einführung eines neuen Eigentumsbegriffs in die russische Rechtssprache. Dieser sollte in etwa dem europäischen Eigentumsbegriff entsprechen und Vertragsabschlüsse über Eigentumsrechte und Erbfolgen ermöglichen. Der Forderung kam die Zarin Katharina die Große nach, die in einer umfangreichen Gesetzesreform einen neuen, abstrakten Eigentumsbegriffs (sobstvennost) in die russische Rechtssprache einführte.15

14 Hinkley, Testamentary Law, S. 210f. 15 Winkler, Besitz.

Innerstaatliche Reformen und Rechtsvereinheitlichungen

Letzteres Beispiel verdeutlicht ebenso wie der etwa zeitgleich verfasste Bericht der Hanson-Kommission zur Erbordnung in Maryland, dass der Zustand der Erbordnungen um das Jahr 1800 in verschiedenen Gesellschaftsgruppen Kritik hervorrief, die zunehmend lauter nach Reformen verlangten.16 Aus Sicht vermögender Eigentümer, die zugleich den Großteil der politischen Elite stellten, gewährleistete die unübersichtliche Rechts- und Institutionenlage keine sicheren Erbübertragungen mehr. Die Wohlhabenden und Reichen sahen dadurch den Erhalt ihres Vermögens bedroht. Aus Sicht der entstehenden Mittelklassen und des Bürgertums perpetuierten Gesetze und Institutionen aber Vermögensungleichheiten, die auf familialer Herkunft und nicht auf Leistung basierten.17 Vertreter des liberalen Bürgertums sprachen sich daher gegen die Erbprivilegien von Adel und Klerus aus und forderten eine freie Zirkulation von Eigentum ebenso wie eine leistungsbasierte anstelle einer geburtsrechtlichen Rechtfertigung von Eigentumsbesitz und eine Reform der Erbgesetzgebung, die allen Bürgern Rechtssicherheit gewähren und für alle gleichermaßen gelten sollte. Der bestehende Rechtspluralismus geriet ferner mit den Zentralisierungs- und Steuerungsbestrebungen des modernen Verwaltungsstaates in Konflikt. Dessen Behörden besaßen zunächst nur beschränkten Einblick in lokale Rechte und Gewohnheiten und konnten damit nur bedingt in örtliche Vermögenstransfers und Eigentumsordnungen eingreifen. Die Vereinheitlichung und Zentralisierung von Erbrecht und der Verfahren zum Nachlassübertrag lagen auch im Interesse der sich ausbildenden Staaten, die den Anspruch erhoben, ihre Gesellschaften zu steuern.18 Im Kontext der Nationenbildung maßen einzelne Politiker einer einheitlichen nationsweit geltenden Verfassung überdies einen hohen symbolischen Wert bei. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verlangten des Weiteren auch die verschiedenen Frauenbewegungen größere Zugriffsrechte auf ein Erbe und gleichberechtigte Verfügungsrechte über eigenes Eigentum. Sozialdemokraten und Sozialisten strebten außerdem über eine Reform der Erbgesetzgebung und die Einführung einer Erbschaftssteuer die Umverteilung von Vermögen in der Gesellschaft an und forderten

16 Hinkley, Testamentary Law, S. 210f. 17 Zu den Mittelklassen vgl. Christof Dejung/David Motadel/Jürgen Osterhammel (Hrsg.), The global bourgeoisie. The rise of the middle classes in the age of empire, Princeton 2019; Jürgen Osterhammel, Die Verwandlung der Welt. Eine Geschichte des 19. Jahrhunderts, München 2009, S. 1079–1104. Zur Geschichte des Frankfurter Bürgertums vgl. Marcus Gräser, “The Great Middle Class” in the Nineteenth-Century United States, in: Dejung/Motadel/Osterhammel (Hrsg.), Bourgeoisie, S. 64–84; Gräser, Wohlfahrtsgesellschaft; Gudrun-Christine Schimpf, Geld, Macht, Kultur. Kulturpolitik in Frankfurt am Main zwischen Mäzenatentum und öffentlicher Finanzierung, 1866–1933, Frankfurt am Main 2007; Roth, Stadt. 18 James C. Scott, Seeing like a State. How certain schemes to improve the human condition have failed, New Haven 1998.

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aus diesen Überlegungen heraus eine Reform der Erbgesetzgebung und der für den Nachlassübertrag genutzten Institutionen. In allen drei Ländern gab es seit dem späten 18. Jahrhundert somit soziale Gruppen, die aus unterschiedlichen Interessen heraus davon überzeugt waren, dass eine Reform der Eigentums- und Erbordnungen notwendig sei. Um 1800 setzten Reforminitiativen und Reformen ein, in deren Verlauf die institutionellen und rechtlichen Grundlagen der Erbordnungen des frühen 20. Jahrhunderts entstanden oder in denen grundlegende Formen zumindest diskutiert wurden. Der erste Reformschub erfolgte mit der Amerikanischen und der Französischen Revolution, mit den Rechtsreformen in Preußen (Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten, 1794) und mit der Verabschiedung des Code civil 1807 in Frankreich, der zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Teilen Deutschlands eingeführt wurde. In den USA schafften die einzelnen Bundesstaaten nach der Unabhängigkeit die aus dem Common Law stammenden Sondererbrechte und Privilegien des Adels ab. Die Verfassung von 1788 bekräftigte zudem das Recht der Bundesstaaten, eigene Erbgesetze zu erlassen. Ebenfalls zur Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert initiierten im Zarenreich Katharina II. und Alexander I. solche auf die Vereinheitlichung des Erbebegriffs und der Gesetzeslage zielenden Reformen. Der unter der Leitung von Michail Speranskij zwischen 1810 und 1812 ausgearbeitete Entwurf eines russischen Zivilgesetzbuches war schon weit fortgeschritten, als Napoleon mit seinen Armeen in Russland einmarschierte. Da sich Speranskij bei der Ausarbeitung des Gesetzbuches stark am französischen Code civil orientiert hatte, rief sein Entwurf im Zarenreich starke Kritik und Ablehnung hervor. Speranskij wurde nach Sibirien deportiert und die Erbrechtsreform ruhte für die nächsten Jahre. Erst im Jahr 1821 rief Zar Nikolaus I. Speranskij aus Sibirien zurück und beauftragte ihn mit der Zusammenstellung aller im Zarenreich geltenden Rechte. Heraus kam eine 56-bändige Gesetzessammlung, die chronologisch auflistete, welche Gesetze in Russland seit 1649 erlassen worden waren. Darauf aufbauend erschien die 15-bändige Gesetzessammlung Svod zakonov, die im Jahr 1835 Gesetzeskraft erlangte und die das Erbrecht im dritten Buch behandelte. Mit der Gesetzessammlung ging allerdings keine Kodifikation der Rechtslage einher. Sie stellte vielmehr „nur“ eine – zwar aktualisierte und von außer Kraft gesetzten Gesetzen bereinigte – Zusammenstellung aller im Zarenreich geltenden Rechte dar.19 Der zweite große Schub der Rechtskodifikation setzte im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ein. In Deutschland war er nach der Gründung des Deutschen Kaiserreichs von Anfang an mit Prozessen der Nationsbildung sowie dem weiteren Ausbau des Staates verbunden. Im Jahr 1873 beschlossen Bundesrat und Reichstag eine Änderung der Reichsverfassung mit dem Ziel, die Gesetzgebungskompetenz

19 Koelsch, Erbrecht, S. 7f.

Innerstaatliche Reformen und Rechtsvereinheitlichungen

des Reiches auf das gesamte bürgerliche Recht auszudehnen. Der Bundesrat rief daraufhin eine Kommission ein, die ein für das gesamte Reich und für alle Bürger gleichermaßen geltendes bürgerliches Gesetzbuch ausarbeiten sollte. Damit begann die umfangreichste Rechtskodifikation des späten 19. Jahrhunderts.20 In der Kommission beauftragten Bundesrat und Reichstag ein Expertengremium unter der Leitung von Gottfried Schmitt, Ministerialrat im bayrischen Justizministerium, mit der Ausarbeitung eines für das ganze Reich geltenden Erbrechts. Die zahlreichen verschiedenen im Kaiserreich geltenden Erbgesetze wurden daraufhin größtenteils mit der Einführung des BGB in ein einheitliches, im gesamten Kaiserreich für alle Staatsangehörigen gleichermaßen geltendes Erbrecht überführt und durch dieses ersetzt.21 In den USA beziehungsweise Maryland kam es ebenfalls zu weiteren Rechtsreformen, beispielsweise zu der Einführung einer Erbschaftssteuer im Jahr 1844, der Ausweitung der Erbrechte von Ehefrauen (Married Women Property Acts; Act of 1872) und dem erneuten Verbot von Mischehen, das Schwarzen Kindern aus Beziehungen zwischen einem Weißen Mann und einer Schwarzen Frau Erbrechte am Nachlass ihres Vaters verweigerte. Charakteristisch für den Reformprozess in Maryland war somit, dass es nicht die eine große Reform gab, in der sämtliche mit dem Erbrecht und dem Nachlassverfahren zusammenhängende Fragen auf einmal und in ihren Wechselbeziehungen diskutiert, sondern dass verschiedene einzelne Reformen in Gang gesetzt und dadurch nur einzelne Bereiche des Erbrechts geändert, aktualisiert und vereinheitlicht wurden.22 Im Zarenreich hingegen kamen bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts keine weiteren größeren Erbrechtsreformen mehr zustande. Das bedeutet jedoch nicht, dass solche nicht auch in Russland erörtert und geplant worden wären. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts erhöhten zunächst die Niederlage des Zarenreichs im Krimkrieg 20 Mugdan, Materialien; Schubert, Beratung; Bay. HStA, MJu 16099: Bürgerliches Gesetzbuch, Kritiken und Besprechungen. 21 Bay. HStA, NL Gottfried von Schmitt, Box 1, u. a. Stenographischer Bericht über die Verhandlung der bayrischen Kammer der Abgeordneten, Vierte öffentliche Sitzung, Nr. 4, München 8.11.1873, Protokolle der Bundesrath-Sitzungen, Manuskript vom 16.4.1874. Zur Debatte im Kaiserreich vgl. I. Baron, Das Erbrecht in dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das deutsche Reich, in: Archiv für die civilistische Praxis 75 (1889), H. 2, S. 177–280. Eine ausführliche Bibliographie zu zeitgenössischen Stellungnahmen findet sich bei Gerhard Otte, Buch 5. Erbrecht. Einleitung zum Erbrecht, in: Lena Kunz/Tanja Mešina/Gerhard Otte/Olaf Werner (Hrsg.), J. von Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Mit Einführungsgesetz und Nebengesetzen. Buch 5. Erbrecht. Einleitung zum Erbrecht, §§ 1922–1966 (Erbfolge), Berlin 2017, S. 1–72. Für einen kompakten Überblick vgl. Rainer Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts. Die Begründung einer Entscheidung des BGB-Gesetzgebers im Kontext sozialer, ökonomischer und philosophischer Zeitströmungen, Ebelsbach 1981. 22 Charles H. Reed, Wills and Administration in Maryland, Baltimore, MD 1954, S. 63; Beckert, Vermögen, S. 113–116; Shammas/Salmon/Dahlin, Inheritance; Marylynn Salmon, Women and the law of property in early America, Chapel Hill 1992 (Reprint 1986).

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und später die rasante Urbanisierung und beginnende Industrialisierung den Druck auf die Staatsführung, gesellschaftliche und gesetzliche Reformen durchzuführen. In diesem Zusammenhang wurde die Leibeigenschaft im Jahr 1861 abgeschafft und intensiv darüber debattiert, wie sich lokale und staatliche Verwaltungen sowie gesellschaftliche Ordnungen reformieren und an sich verändernde soziale und ökonomische Realitäten anpassen ließen. Dies betraf vor allem die Reformen des Justizwesens sowie die Diskussionen um das Familien- und Erbrecht. Weitere Anstöße für Erbrechtsreformen kamen von Juristen, die im Ausland, überwiegend in Deutschland, studiert hatten. Russische Juristen beobachteten und diskutierten besonders intensiv den Kodifizierungsprozess des BGB.23 In der Regierung, im landbesitzenden Adel und in den gebildeten Schichten entstand ein breiter Konsens darüber, dass das Zivilrecht und die Erbgesetzgebung reformiert werden müssten. Im Jahr 1882 beauftragte Zar Alexander III. eine Zivilrechtskommission damit, Reformvorschläge auszuarbeiten. Daraufhin begann der umfassendste Versuch, ein systematisches Zivilgesetzbuch für das gesamte Zarenreich zu schaffen. Orientiert an und beeinflusst von den Kodifikationen im Deutschen Kaiserreich legte die russische Redaktionskommission zwischen den Jahren 1899 und 1903 fünf Teilentwürfe für ein neues Zivilgesetzbuch vor. Nach weiteren Überarbeitungen stellte die Kommission die Teilentwürfe im Jahr 1905 als Gesamtentwurf vor.24 In Kraft getreten ist der Gesetzesentwurf in dieser Form allerdings nie. Aufgrund des langwierigen Gesetzgebungsverfahrens im Zarenreich und des Widerstands adeliger Großgrundbesitzer erlangten nur sehr wenige Vorschläge vor der Oktoberrevolution im Jahr 1917 Gesetzeskraft. Die Erbgesetzgebung blieb daher im Zarenreich stark fragmentiert und lückenhaft ausformuliert. Je nach Wohnort,

23 Wagner, Marriage; Martin Avenarius, Fremde Traditionen des römischen Rechts. Einfluß, Wahrnehmung und Argument des „rimskoe pravo“ im russischen Zarenreich des 19. Jahrhunderts, Göttingen 2014; Jörg Baberowski, Autokratie und Justiz. Zum Verhältnis von Rechtsstaatlichkeit und Rückständigkeit im ausgehenden Zarenreich 1864–1914, Frankfurt am Main 1996. Auch in anderen Ländern wurde die Kodifizierung des BGB ausführlich beobachtet; vgl. Wang Qiang, Vom deutschen BGB bis zu Chinas neuem Zivilgesetzbuch – Eine Rezeptionsgeschichte des BGB in China, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 42 (2020), H. 1–2, S. 77–114; Jörg-Martin Jehle/Volker Lipp/Keiichi Yamanaka (Hrsg.), Rezeption und Reform im japanischen und deutschen Recht, Göttingen 2008; Marcus Dittmann, Das Bürgerliche Gesetzbuch aus Sicht des Common Law. Das BGB und andere Kodifikationen der Kaiserzeit im Urteil zeitgenössischer englischer und angloamerikanischer Juristen, Berlin 2001; Jiandong Shao, Die Rezeption des deutschen Zivilrechts im alten China, in: JuristenZeitung 54 (1999), H. 2, S. 80–86; Werner Schubert, Das Bürgerliche Gesetzbuch im Urteil französischer Juristen bis zum Ersten Weltkrieg, in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte 114 (1997), S. 128–181. 24 Koelsch, Erbrecht, S. 17. Zur Reformgesetzgebung in anderen Bereichen im späten Zarenreich vgl. Benjamin Beuerle, Russlands Westen. Westorientierung und Reformgesetzgebung im ausgehenden Zarenreich 1905–1917, Wiesbaden 2016.

Innerstaatliche Reformen und Rechtsvereinheitlichungen

Religion, Nationalität, Ethnizität oder sozialem Status eines Erblassers konnten unterschiedliche Erbrechte zur Anwendung kommen.25 Zugleich lagen ausgearbeitete Vorschläge und Vorlagen zur Reform der Rechtslage in der Schublade bereit. Parallel zu den Rechtsreformen bildeten sich in allen drei Rechtsgebieten die bis in die Gegenwart maßgeblichen Institutionen für Nachlassangelegenheiten heraus. In Maryland war dies der Orphans’ Court. Er war das Produkt einer Einwanderergesellschaft mit hoher Sterblichkeitsrate und ohne ausgeprägte Verwandtschaftsnetzwerke. Anstelle der verstorbenen Eltern und in Ermangelung enger Verwandter war es seine Aufgabe, die (Erb-)Rechte von verwaisten Kindern zu schützen.26 Dem Orphans’ Court gehörten drei Richter an, die von der politischen Exekutive ernannt wurden und die durch ihre Zustimmung die einzelnen Schritte des Probate-Verfahrens zu rechtskräftigen Akten machten. Das Probate-Verfahren war aus dem englischen Erbrecht übernommen und bezeichnete in Maryland das zentrale staatliche Verfahren zum Übertrag von Nachlässen. In diesem Verfahren ging der Nachlass einer Person nach deren Tod nicht sofort in den Besitz der gesetzlichen oder testamentarischen Erben über. Stattdessen verwalteten eine oder mehrere Personen beziehungsweise Institutionen zunächst treuhänderisch deren Erbschaft. Diese Treuhänder wurden als Executor bezeichnet, wenn sie vom Erblasser per Testament, und als Administrator, wenn sie vom Gericht ernannt worden waren. Sie mussten eine Kaution beim Gericht hinterlegen, solange sie den Nachlass verwalteten, ein Inventar des Nachlasses erstellen, testamentarische Bestimmungen ausführen und Gläubiger ausbezahlen. Schließlich war es ihre Aufgabe, beim Gericht einen Antrag auf Aufteilung des Erbes zu stellen, der vom Nachlassrichter genehmigt werden musste, bevor der Erbübertrag vollzogen werden konnte. Diese Funktionen erfüllte der Orphans’ Court weitgehend zuverlässig, weshalb er sich in Maryland im 19. Jahrhundert zur zentralen Institution für alle Nachlasstransfers entwickelte, auch wenn die Erben keine Waisen waren. Trotz der damit verbundenen Aufgabenerweiterung behielt das Gericht allerdings seinen alten Namen bei. Nachlassgerichte werden in Maryland bis in die Gegenwart offiziell als Orphans’ Courts bezeichnet, während sie in den meisten anderen US-amerikanischen Bundesstaaten entsprechend ihrem erweiterten Aufgabengebiet als Probate Courts firmieren. Mit der Durchsetzung und Etablierung des Orphans’ Court als zentrales Nachlassgericht wurde nach einer Vorgabe der Verfassung von 1788 im 19. Jahrhundert

25 Wagner, Marriage. Zur Stellung unehelicher Kinder in der Erbgesetzgebung und in praktischen Erbübertragungen des Adels siehe O. E. Glagoleva, The Illegitimate Children of the Russian Nobility in Law and Practice, 1700–1860, in: Kritika. Explorations in Russian and Eurasian History 6 (2005), H. 3, S. 461–499. 26 Carr, Development; Hinkley, Testamentary Law, S. 210–239; Scoles, Succession; Shammas/Salmon/ Dahlin, Inheritance, S. 37f.

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auch für jeden Verwaltungsbezirk das Amt eines Register of Wills eingerichtet. Der Register of Wills war eine in das Amt gewählte Person, die für die offizielle Dokumentation des Probate-Verfahrens verantwortlich war. Sie nahm an allen Sitzungen der Richter des Orphans’ Court teil und koordinierte die Kommunikation mit den Testamentsvollstreckern, Gläubigern und Erben. Für diese administrative Leistung erhob der Register of Wills von den Erben eine Bearbeitungsgebühr, die sich ab einer gewissen Grundgebühr an der Höhe des Nachlasses orientierte. Denn anders als die Richter des Orphans’ Court wurde er nicht aus der Staatskasse anhand fester Regelsätze entlohnt, sein Lohn ergab sich aus den erhobenen Gebühren. Mit dem Orphans’ Court und dem Register of Wills etablierten sich in Maryland im 19. Jahrhundert die für das Probate-Verfahren zentralen Institutionen.27 In Frankfurt war die Reform der Nachlassinstitutionen eng mit der politischen Geschichte der Stadt verbunden. Nach dem Ende des „Deutschen Krieges“ und dem Prager Frieden vom August 1866 wurde Frankfurt von Preußen annektiert, womit die Stadt am Main ihren Status als Freie Stadt verlor. Daran anschließend begann ab 1867 ein über zehnjähriger Prozess, in dem die neuen Machthaber die Frankfurter Gerichtsorganisation der preußischen anpassten. Sie schafften ältere Gerichtsinstanzen – unter anderem religiöse Einrichtungen, das Stadtamt, das Landamt und das Stadtgericht – ab und ersetzten diese durch das Amtsgericht. Abgeschlossen wurden diese Reformen zur Vereinheitlichung des Gerichtswesens in Preußen mit den Reichsjustizgesetzen, die am 1. Oktober 1879 in Kraft traten. Seitdem ist das Amtsgericht in Frankfurt für die Bearbeitung aller Erbangelegenheiten zuständig.28 Es soll den sicheren Eigentumstransfer gewährleisten und „die Gefahr ungerechtfertigter und unverschuldeter Vermögensverluste und die Gefahr von Rechtsirrungen“29 beim Erbtransfer abwenden. Zu seinen Aufgaben gehörte neben der Dokumentation und Beglaubigung von Erbübertragungen auch die Vermittlung bei Problemen, die bei Erbübertragungen auftraten und sich aus der Diskrepanz zwischen rechtlichen Vorgaben und der praktischen Anwendung beziehungsweise Umsetzung von Gesetzen ergaben. Im Zarenreich hatte es professionelle Schreiber, die Verträge zu Rechtsgeschäften verfassten, schon lange vor dem 19. Jahrhundert gegeben. Die Schreiber konnten aber keine rechtskräftigen Akte beglaubigen und dokumentieren. Diese Aufgabe

27 Für eine konzise Darstellung der Aufgaben und Arbeitsweisen des Orphans’ Court und des Register of Wills in Maryland vgl. Reed, Wills, S. 164–166. Zu deren Funktionsweise im 18. und 19. Jahrhundert vgl. Hinkley, Testamentary Law, S. 210–239. 28 Rotenhan, Testamentsstreitigkeiten; Erhard Zimmer, Die Geschichte des Oberlandesgerichts in Frankfurt am Main, Frankfurt am Main 1976, S. 11–16. 29 V. von Probst, Die amtliche Einflußnahme des Nachlaßgerichts auf die Abhandlung der Verlassenschaften nach dem Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuchs für das deutsche Reich, in: Archiv für die civilistische Praxis 75 (1889), H. 1, S. 1–35, S. 1.

Innerstaatliche Reformen und Rechtsvereinheitlichungen

oblag den Gerichten, die Eigentumstransfers beurkundeten und damit legalisierten. Darüber hinaus waren sie für die Aufbewahrung der Verträge und Urkunden zuständig. Diese Kontroll- und Verwaltungstätigkeit band auf den Gerichten wiederum Ressourcen, die bei anderen Aufgaben wie der Rechtsprechung fehlten. Vor diesem Hintergrund zielte die Justizreform der 1860er Jahre auf eine Entlastung der Gerichte und Richter von ihren Verwaltungstätigkeiten und eine Professionalisierung der Juristen und professionellen Schreiber. Mit der Notariatsordnung vom 14. April 1866 wurden Gerichte von einem Teil ihrer Beurkundungs- und Verwaltungsaufgaben entbunden und Notariate etabliert, die zukünftig diese Aufgaben übernehmen sollten.30 Notare verfassten, verwahrten und bearbeiteten seitdem Schuldscheine und Hypothekenbriefe, Pacht- und Verkaufsverträge sowie vor allem Testamente und Erbfälle. Zusammengefasst kann konstatiert werden: In den USA, Deutschland und dem Zarenreich kam es im langen 19. Jahrhundert zu Reforminitiativen und teilweise zu Änderungen der Erbgesetzgebung, die – blickt man auf ihre inhaltliche Ausrichtung – alle in eine ähnliche Richtung wiesen. Erstens strebten die Reformer sowohl die Einführung und Etablierung eines abstrakten Erbebegriffs an, der auf alle Hinterlassenschaften eines Erblassers gleichermaßen anwendbar war, als auch die Herausbildung der Gesamtrechtsnachfolge. Die juristische Unterscheidung zwischen verschiedenen, konkreten Nachlassgegenständen verlor damit an Bedeutung, während sich ein abstrakter rechtlicher Erbebegriff, der sich auf alle Hinterlassenschaften einer Person bezog, herausbildete. Am weitesten fortgeschritten war dieser Prozess vor dem Ersten Weltkrieg im Deutschen Kaiserreich. Das BGB hielt in § 1922 ohne jegliche Unterscheidung zwischen einzelnen Nachlassbestandteilen fest: „Mit dem Tod einer Person (Erbfall) geht deren Vermögen (Erbschaft) als Ganzes auf eine oder mehrere andere Personen (Erben) über.“31 Zweitens bildeten sich in allen drei Rechtsgebieten die bis in die Gegenwart maßgeblichen Institutionen für Erbangelegenheiten heraus. In Maryland war dies der Orphans’ Court und der Register of Wills, im Deutschen Kaiserreich das Amtsgericht und im Zarenreich das Notariat. An die Stelle einer institutionellen Vielfalt mit ungeklärten Zuständigkeiten traten staatliche Nachlassgerichte mit standardisierten Verfahren, die nun für alle Erbübertragungen in einem geographisch definierten Bereich verantwortlich waren, unabhängig von der Religion oder dem sozialen Status einer Person. Zugleich waren drittens durch die Erbrechtsreformen

30 Für eine ausführliche Bibliographie zur Geschichte des Notariats in Russland vgl. Martin Avenarius, Geschichte des Notariats in Russland, in: Schmoeckel, Mathias/Schubert, Werner (Hrsg.), Handbuch zur Geschichte des Notariats der europäischen Traditionen, Baden-Baden 2009, S. 497–522, S. 516–520. 31 Bürgerliches Gesetzbuch, 18.8.1896, § 1922, in: Deutsches Reichsgesetzblatt, Bd. 1896, Nr. 21, S. 195–603, S. 523.

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in Maryland und mit dem BGB in Deutschland auch Erbrechte in Kraft getreten, die für alle Bürger des jeweiligen Staates gleichermaßen galten. Auch der im Zarenreich von der Reformkommission im Jahr 1905 vorgelegte Gesetzesentwurf zielte auf die Einführung eines abstrakten, allgemeinen Nachlassbegriffs und die Vereinheitlichung und Kodifizierung des Erbrechts, das für alle Bewohner gleichermaßen gelten sollte.32 Zwar bestanden in allen drei Ländern Sondererbrechte – beispielsweise für den ländlichen Bereich, für Unternehmer und in Europa auch für den Adel – fort, gleichwohl nahm die Zahl der spezifischen Erbregelungen in den jeweiligen Rechtsgebieten ab. Es wurden Erbgesetze ausgearbeitet und verabschiedet, die vom Anspruch her für einen immer größeren Teil der Hinterlassenschaften und für einen immer größeren Teil der Bevölkerung galten, unabhängig von deren Geschlecht, Herkunft, Religion oder Wohnort. Lange bevor in den jeweiligen Ländern die Reformdebatten abgeschlossen waren, riefen die Reformvorhaben daher hitzige Auseinandersetzungen über die genaue Ausgestaltung der jeweiligen Erbrechte hervor.33

3.

Das Erbrecht als Instrument der Gesellschaftsgestaltung [Erbgesetze] haben einen unglaublichen Einfluß auf die Gesellschaftsordnung eines Volkes […]. Darüber hinaus sind sie ein sicheres und gleichmäßiges Mittel, auf die Gesellschaft einzuwirken; sie ergreifen nachfolgende Generationen gewissermaßen schon vor ihrer Geburt und geben dem Menschen eine nahezu göttliche Gewalt über die Zukunft von seinesgleichen. Ein einziges Mal regelt der Gesetzgeber die Erbfolge der Bürger – und hüllt sich für Jahrhunderte in Schweigen; er hat seinem Werk den Anstoß gegeben – nun kann er die Hand zurückziehen; die Maschine bewegt sich durch eigene Kraft und läuft wie von selbst auf ein vorbestimmtes Ziel hin.34 – Alexis de Tocqueville, 1835 The portions of the civil law of a country which are of most importance economically […] are those relating to the two subjects of Inheritance and Contract.35 – John Stuart Mill, 1848

32 Koelsch, Erbrecht, S. 17. Zur Reformgesetzgebung in anderen Bereichen im späten Zarenreich vgl. Beuerle, Russlands Westen. 33 Eine Unmenge an zeitgenössischen Zitaten und Belegen hierfür findet sich bei Dutta, Erbrecht; Beckert, Vermögen; Schröder, Abschaffung. Zur Eigentumsgeschichte im Zarenreich vgl. Michelle Lamarche Marrese, A Woman’s Kingdom. Noblewomen and the Control of Property in Russia, 1700–1861, Ithaca, NY 2002; Wagner, Marriage; zudem die Arbeiten von Martina Winkler: Winkler, Besitz; Winkler, Eigentum. 34 Alexis de Tocqueville, Über die Demokratie in Amerika, Stuttgart 2017 [1835], S. 36. 35 John Stuart Mill, Principles of Political Economy, Fairfield, NJ 1976 [1848], S. 202f.

Das Erbrecht als Instrument der Gesellschaftsgestaltung

Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staates […] zu zentralisieren […]. Es kann dies natürlich nur geschehen vermittelst despotischer Eingriffe in das Eigenthumsrecht und in die bürgerlichen Produktionsverhältnisse, durch Maßnahmen also, die […] unvermeidlich sind. Diese Maßregeln werden natürlich je nach den verschiedenen Ländern verschieden sein. Für die fortgeschrittensten Länder werden jedoch die folgenden ziemlich allgemein hin in Anwendung kommen können: […] 3. Abschaffung des Erbrechts.36 – Karl Marx und Friedrich Engels, 1848 Daß die Testierfreiheit die Selbstständigkeit und Erwerbslust des Erblassers, wie seiner Abkömmlinge zu heben, und die elterliche Autorität besonders zu stärken geeignet sein wird, braucht nicht bestritten zu werden.37 – Gottfried Schmitt, Redakteur des Erbrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch, 1888 Government has the absolute right to decide as to the terms upon which a man shall receive a bequest or devise from another.38 – Theodor Roosevelt, Präsident der Vereinigten Staaten, 1907

Was diese Äußerungen verbindet, ist die auch von vielen anderen Intellektuellen, Ökonomen, Juristen, Sozialreformern und Politikern ab dem späten 18. Jahrhundert getragene Überzeugung, dass sich durch die Ausgestaltung des Erbrechts Gesellschaften aktiv formen lassen und dass Regierungen das Recht besitzen, von dieser Gestaltungshoheit Gebrauch zu machen.39 Denn in dem Maße, in dem sich der Geltungsbereich des Erbrechts ausdehnte und dabei auf mehr Besitzformen anwendbar war sowie für mehr Personen galt, erschien den Zeitgenossen das Erbrecht als ein geeignetes gesellschaftspolitisches Werkzeug, um ihre Gesellschaften zu entwickeln und zu modernisieren.40 Über das Erbrecht, so eine im 19. Jahrhundert weit verbreitete Überzeugung, würden sich Besitzverhältnisse

36 Karl Marx/Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, in: MEW, Bd. 4, Berlin 1977, S. 459–493, S. 481. 37 Zitiert nach Schröder, Abschaffung, S. 91. 38 Theodor Roosevelt, Messages Communicated to the two Houses of Congress at the Beginning of the First Session of the Sixtieth Congress, December 3, 1907, in: The Works of Theodore Roosevelt, Presidential Addresses and State Papers, Bd. 6, Presidential Addresses and State Papers, February 16, 1907 to January 31, 1908, New York 1910, S. 1488–1597, S. 1514. 39 Dutta, Erbrecht; Schröder, Abschaffung; Beckert, Vermögen; Guido Erreygers, Views on Inheritance in the History of Economic Thought, in: Guido Erreygers/Antoon Vandevelde (Hrsg.), Is Inheritance Legitimate? Ethical and Economic Aspects of Wealth Transfers, Berlin/Heidelberg 1997, S. 16–53. 40 Allgemein zum Entwicklungsgedanken in europäischen Gesellschaften um 1900 vgl. Willibald Steinmetz, Europa im 19. Jahrhundert, Frankfurt am Main 2019, S. 656f.

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in der Gesellschaft verändern lassen, könnten Familien- und Verwandtschaftsverhältnisse sowie Generationenbeziehungen austariert und ganz allgemein die Verhältnisse zwischen Staat, Familie und Individuum neu gestaltet werden. Auf diesen Annahmen aufbauend, äußerten in der Folge – parallel zu den Erbrechtsreformen – vielerlei Stimmen aus einem breiten gesellschaftlichen und politischen Spektrum Vorschläge zur Ausgestaltung und Anwendung des Erbrechts. Idealtypisch können dabei drei Positionen aus den Debatten in den USA, in Deutschland und im Zarenreich herausgefiltert werden: eine konservative, eine liberale und eine sozialdemokratisch-sozialistische, wobei sich diese Positionen in keinem Land jeweils eindeutig einer bestimmten sozialen Gruppe oder Partei zuordnen lassen. Vielmehr war das Feld der an den Debatten Teilhabenden äußerst fluide. Die konservativ-bewahrende Position wurde mehrheitlich von Großgrundbesitzern, in Europa von Adeligen und einem alten Stadtpatriziat vertreten.41 Sie sprachen sich für eine Reform der Erbgesetzgebung und der Nachlassinstitutionen aus, da sie in einer unübersichtlichen und unklaren Rechtslage mit schwachen Institutionen eine Gefahr für ihren Eigentumserhalt sahen. Folglich sollten die Reformen aus ihrer Sicht eine Rechtslage und Institutionen schaffen, die ihr Eigentum schützten, eine verlässliche Nachlassplanung erlaubten und ihnen die Bewahrung und Weitergabe ihres Eigentums in der Familie ermöglichten. Mit Hilfe dieser Instrumentarien wollten sie die materiellen Grundlagen ihrer sozialen Stellung in der Gesellschaft erhalten respektive stärken. Juristen wie Otto von Gierke sahen in der Gewährung von Erbrechten und in der Befugnis, Erbe in Fideikommissen zu binden, sogar eine staatserhaltende Maßnahme, die ihnen geeignet erschien, die Gesellschaft vor revolutionären Entwicklungen und Umstürzen zu bewahren.42 Wie andere Vertreter dieser Gruppe forderte er daher die Beibehaltung von adeligen und landwirtschaftlichen Sondererbrechten sowie des Familienprinzips in der Erbgesetzgebung, wonach ein Erbe grundsätzlich an Familienmitglieder übertragen werden sollte.43 Der Staat, so ihre Argumentation, habe demgegenüber kein Recht, in die privaten Vermögensverhältnisse einer Person oder einer Familie einzugreifen. Stattdessen solle er – so der Ökonom Hans von Scheel – den Erbübertrag in der Familie unterstützen und absichern, wodurch er „die durch die moderne wirtschaftliche Entwicklung gefährdete Familie“44 und über diese Institution schließlich die gesellschaftliche Ordnung stärken und stabilisieren würde.45 Vorschläge, die auf Veränderungen zielten, lehnte diese Gruppe weitgehend ab.46

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Schröder, Abschaffung, S. 229; Müller, Eigentumsrecht, S. 227ff.; Eckert, Kampf. Dutta, Erbrecht, S. 506f. Eckert, Kampf, S. 583ff. Zitiert nach Schröder, Abschaffung, S. 94. Schröder, Abschaffung. Schröder, Abschaffung; Beckert, Vermögen; Eckert, Kampf.

Das Erbrecht als Instrument der Gesellschaftsgestaltung

Demgegenüber standen die Vertreter einer liberalen Position, wobei es sich überwiegend um Personen aus den Bürgertum und dem liberalen Adel handelte. Sie sahen im Fortbestand von (adeligen) Sondererbrechten und Erbprivilegien Hemmnisse für die individuelle Leistungsbereitschaft, Innovationskraft und wirtschaftliche Entwicklung. Die dauerhafte Bindung von Eigentum galt ihnen als eine unnötige Beschränkung des freien Marktes und eine Beschränkung des Staates bei Eingriffen in Eigentumsverhältnisse in seinem Hoheitsbereich. Liberale forderte daher während der Reformdebatten die Abschaffung von Erbprivilegien und Sondererbrechten. Die Verfügungsrechte über Eigentum und die Zugriffsrechte auf Eigentum sollten ihren Forderungen gemäß nicht mehr von der Herkunft, Religion, dem sozialen Status und, mit Abstrichen, vom Geschlecht einer Person abhängig sein. Außerdem sollte kein Eigentümer über seinen Tod hinaus über sein Eigentum bestimmen dürfen. Das Bestreben der Vertreter liberaler Positionen um eine neu gestaltete, übersichtliche Rechtslage und starke Nachlassinstitutionen zielte auf die Schaffung eines Erbrechts ab, das ganz im freiheitlichen Sinne allen Bürgern Rechtssicherheit und gesetzliche Gleichstellung gewähren sollte – was freilich nur bedingt auch auf die Bürgerinnen zutreffen sollte. Diese Forderungen waren für liberale Ökonomen und Politiker wie John Stuart Mill oder später für Max Weber und Walther Rathenau eine wichtige Voraussetzung, um unternehmerisches Handeln zu fördern und die erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung eines Landes voranzutreiben.47 Auch im Erbrecht sollten für alle Bürger die gleichen Rechte gelten und damit allen Bürgern die gleichen Chancen zur Selbstverwirklichung in der Gesellschaft gewährt werden.48 Liberale verlangten damit die Schaffung einer neuen Rechtslage, die auf das (männliche) leistungswillige und tugendhafte Individuum zugeschnitten war, dem möglichst große Verfügungsrechte über sein Eigentum und mithin sein Erbe eingeräumt werden sollten und von dem als Gegenleistung dafür die Fürsorge für seine erweiterte Familie und die lokale (Stadt-)Gesellschaft gefordert wurde.49 Diese Forderungen drückten sich beispielsweise im Plädoyer für die Ausarbeitung bürgerlicher Gesetzbücher und in der geforderten Ausweitung der individuellen Testierfreiheit aus.50 Zugleich stand für die Mehrheit der Vertreter dieser Sichtweise außer Frage, dass das Erbe in der Familie weitergegeben werden sollte und

47 Dutta, Erbrecht, S. 29f. 48 Dutta, Erbrecht, S. 166–168, 180. 49 Zu den Wertvorstellungen des Bürgertums vgl. Nina Verheyen, Die Erfindung der Leistung, Bonn 2018; Manfred Hettling (Hrsg.), Der bürgerliche Wertehimmel. Innenansichten des 19. Jahrhunderts, Göttingen 2000; Manfred Hettling/Stefan-Ludwig Hoffmann, Der bürgerliche Wertehimmel. Zum Problem individueller Lebensführung im 19. Jahrhundert, in: Geschichte und Gesellschaft 23 (1997), H. 3, S. 333–359. 50 Zimmermann, Pflichtteil; Dutta, Erbrecht, S. 29f.

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die gesetzliche Erbfolge so zu gestalten war, dass dann, wenn in einem Todesfall kein Testament vorhanden war, nur Familienangehörige und Verwandte des Verstorbenen Ansprüche auf dessen Erbe erheben konnten. In allen drei Ländern war dabei lange umstritten, wie weit beziehungsweise wie eng Familie zu definieren war. Im Zarenreich und den USA setzte sich schließlich eine engere, in Deutschland hingegen eine weitere Familiendefinition durch. Gleichwohl stimmten die Vertreter liberaler Positionen unabhängig von Nation beziehungsweise Region im Grundsatz darin überein, dass das Erbe in der Familie verbleiben sollte.51 Charakteristisch hierfür hielt ein anonymer Kommentator im November 1917 bezüglich des Erbrechts in der Deutschen Juristenzeitschrift fest: „Eigentum und Familie sind die Säulen, auf denen die bürgerliche Rechtsordnung des Staates beruht […].“52 Linksliberale Stimmen sprachen sich ab Ende des 19. Jahrhunderts vermehrt auch für die Einführung eines Staatserbrechts und für die Einführung von Erbschaftssteuern aus. In unterschiedlichen Variationen und lokalen Auslegungen wiederholten die Vertreter dieser Position im Wesentlichen drei Argumente für deren Einführung: Erstens ermögliche der Staat überhaupt erst den privaten Eigentumserwerb und schütze das Privateigentum, das als Erbe hinterlassen werden könne. Deshalb sei es legitim, wenn der Staat im Moment der Erbübertragung für die Übernahme dieser Aufgaben einen Teil der Erbschaft einfordere. Zweitens trage eine Besteuerung von Erbschaften zum Abbau von Vermögensungleichheiten bei und verhindere die Entstehung beziehungsweise Perpetuierung von Gelddynastien, worin insbesondere US-amerikanische Diskussionsteilnehmer eine Bedrohung der Demokratie in ihrem Land sahen.53 Des Weiteren befürchteten sie, dass Erben in der Erwartung sicherer Erbschaft ihren Leistungsanreiz verlören und faul als Müßiggänger der Gesellschaft zur Last fallen würden, weshalb es zu ihrem eigenen und dem Interesse der Gesellschaft notwendig sein könne, ihre Erbanteile zu verkleinern. Ein besonderes Ziel ihrer Kritik am unbeschränkten Erbrecht und am Familienprinzip waren die von ihnen so genannten „lachenden Erben“. Darunter verstanden sie entfernte Verwandte eines Verstorbenen, die zu diesem zu dessen Lebzeiten in keinem Kontakt mehr gestanden hatten, aufgrund fehlender näherer Verwandter aber rechtmäßig dessen Erbschaft erhielten. In Deutschland fasste einer

51 Schröder, Abschaffung, S. 101; Beckert, Vermögen, S. 35–101; Dutta, Erbrecht, S. 333, 464; Wagner, Marriage, S. 296–319. 52 O. A., Ein Erbrecht für das Reich?, in: Deutsche Reichs-Zeitung, 6.11.1917. 53 Paul Maresch, Das Erbrecht des Fiskus, Greifswald 1900; Karl Neumeyer, Das Reich als Erbe, in: Blätter für Rechtsanwendung 73 (1908), H. 4, S. 157–162. Für eine Historisierung dieser Debatte vgl. auch Clemens Wischermann, Die Erbschaftsteuer im Kaiserreich und in der Weimarer Republik: Finanzprinzip versus Familienprinzip, in: Eckart Schremmer (Hrsg.), Steuern, Abgaben und Dienste vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Stuttgart 1994, S. 171–196. Zur Debatte um Erbschaftssteuern in den USA vgl. Beckert, Vermögen, S. 203–245.

Das Erbrecht als Instrument der Gesellschaftsgestaltung

der prominentesten und profiliertesten linksliberalen Vertreter, Justizrat Georg Bamberger, diese Kritik und die entsprechenden Forderungen folgendermaßen zusammen: Man versteht es gewiß heute nicht mehr recht, wenn nach dem Tode eines kinderlosen reichen Erblassers Polizei und Gerichte der verschiedenen Weltteile in Bewegung gesetzt werden, und ein Aufgebotsverfahren durch die Zeitungen ergeht, um noch irgendeinen entfernten Seitenverwandten aufzuspüren, der die Güte haben könnte, die Behörden von der für sie so lästigen Erbschaft zu befreien. Für solche Erben, welche selbst nie daran gedacht haben, daß ihnen noch einmal eine solche Erbschaft in den Schoß fallen könnte, hat der Volkswitz den bezeichnenden Ausdruck der ‚lachenden Erben‘ geprägt.54

Anstatt an entfernte Verwandte, so die linksliberale Forderung, sollte das Familienprinzip begrenzt werden und eine Erbschaft, falls keine nahen Verwandten ermittelbar seien, an die Kommune oder den Staat übergehen.55 An diesem Punkt überlappten sich die liberale und die sozialdemokratischsozialistische Position, wobei letztere erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts größeren Einfluss gewann. Ihre Befürworter stammten überwiegend aus der Arbeiterschaft, aber auch aus der Mittelklasse. Sie hatten in keinem Land eine einflussreiche Position im jeweiligen politischen System inne, ihr politischer Einfluss stieg aber in allen drei Ländern im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert an. Zu ihren Vertretern zählten Karl Marx, Ferdinand Lassalle und der Anarchist Michail A. Bakunin im Zarenreich.56 In den USA hatten sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts Sozialkritiker und Arbeiterführer wie Thomas Skidmore und Orestes Brownson kritisch gegenüber Eigentumsvererbungen ausgesprochen und für Erbvermögen umverteilende Gesetze geworben. Größeren politischen Einfluss gewannen diese Stimmen erst Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Erstarken der sozialistischen Kräfte und der sozialreformerischen Bewegung des progressive movement. Diese zählte um das Jahr 1900 mehrere Millionen Mitglieder, darunter der Ökonom Charles Bellamy sowie der Unternehmer und Philanthrop Andrew Carnegie.57 Sie forderte eine Gleichbehandlung aller Bürger, darüber hinaus aber auch die Einführung eines Staatserbrechts und vor allem hohe Erbschaftssteuern, um eine Umverteilung

54 Georg Bamberger, Bayern und das Erbrecht des Staates, in: Tägliche Rundschau, 21.12.1909. 55 Georg Bamberger, Für das Erbrecht des Reiches, in: Kölnische Zeitung, 4.5.1913; Georg Bamberger, Erbrecht des Reiches und Erbschaftssteuer, Leipzig 1917; Georg Bamberger, Zur freien Aussprache. Das Erbrecht des Reiches, in: Deutsche Warte Berlin, 6.8.1919. Für eine umfangreiche Zeitungsausschnittsammlung zu dieser Debatte vgl. Bay. HStA, MJu 16139, Entwurf eines Gesetzes über das Erbrecht des Staates. 56 Schröder, Abschaffung, S. 189–192. 57 Beckert, Vermögen, S. 204–213.

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von Vermögen in der Gesellschaft und dadurch die Lösung der immer drängender werdenden sozialen Frage zu erreichen. In Europa fanden die Schriften des italienischen Ökonomen und Sozialisten Eugenio Rignano unter Sozialreformern größere Beachtung.58 Darin kombinierte er sozialistische und liberale Kritiken aus dem 19. Jahrhundert am Erbe als „unverdientes Vermögen“ und forderte, dass Privateigentum nach dem zweimaligen intergenerationellen Übertrag als Erbe an den Staat fallen solle. Dadurch sollten Anreize zur Leistungssteigerung und zum Vermögenserwerb beibehalten werden, da erarbeitetes Vermögen an Kinder und Enkel weitergegeben werden konnte, während gleichzeitig die Perpetuierung von Vermögensdynastien über lange Zeiträume verhindert werden sollte. Die während der Erbrechtsdebatten vorgebrachten Vorschläge reichten somit von den radikalen Forderungen des jungen Karl Marx und seiner Anhänger, Erbtransfers ganz abzuschaffen, über moderate liberale Reformansätze, die ein für alle Bürger gleichermaßen geltendes bürgerliches Erbrecht anstrebten, bis hin zu konservativen Stellungnahmen, die sich für die Beibehaltung von Sondererbrechten aussprachen. Politisch umgesetzt wurden in den USA, in Deutschland und im Zarenreich bis ins frühe 20. Jahrhundert hauptsächlich – in unterschiedlichen Kompromissen – die Forderungen von Konservativen und Liberalen. Nur die USamerikanischen Bundesstaaten schafften adelige Sondererbrechte kurz nach der Unabhängigkeit ab. Im Zarenreich blieben sie hingegen in Kraft. Im Deutschen Kaiserreich sah sie das BGB zwar nicht mehr vor, in den Landesgesetzen blieben sie jedoch erhalten. Das lag daran, dass die von Heinrich Eduard von Pape geleitete erste Reformkommission im Kaiserreich in ihrer Zusammensetzung und Arbeitsweise die Dominanz Preußens im Reich und damit die der konservativ-ständischen Mitglieder in der Reichsexekutive widerspiegelte.59 Diese Gruppe setzte gleich zu Beginn des Kodifizierungsprozesses die Regelung durch, dass bei Divergenzen hinsichtlich der Ausgestaltung des neuen Erbrechts Entscheidungen in erster Linie mit schonender Rücksicht auf das überlieferte Recht und eigentümliche, örtliche Verhältnisse und erst in zweiter Linie nach juristisch-logischer Folgerichtigkeit zu treffen seien. Diese Beschlüsse erleichterten es Adeligen während der Ausarbeitung des BGB, ihre Privilegien im Erbrecht zu verteidigen. Erbprivilegien im

58 Guido Erreygers/Giovanni Di Bartolomeo, The Debates on Eugenio Rignano’s Inheritance Tax Proposals, in: History of Political Economy 39 (2007), H. 4, S. 605–638. Zur zeitgenössischen Rezeption seiner Schriften vgl. auch Bruno Antweiler, Erbschaftsteuer und soziale Reform. Kritische Betrachtungen anläßlich des Rignano-Plans, Würzburg 1933; Josiah C. Wedgwood, The economics of inheritance, London 1929. 59 Christopher Clark, Preußen. Aufstieg und Niedergang. 1600–1947, München 2007.

Das Erbrecht als Instrument der Gesellschaftsgestaltung

Landesrecht hatten Vorrang vor den Bestimmungen des BGB. Ähnliches galt für die Sondererbrechte für Landwirte, welche ebenfalls in Kraft blieben.60 In allen drei Ländern kam es zeitgleich zur Ausarbeitung von Erbgesetzen, die für alle Bürger gleichermaßen gelten sollten. Der größte Schritt in diese Richtung erfolgte dabei im Kaiserreich mit der Einführung des BGB. Doch auch in den USA stärkten Erbrechtsreformen die Verfügungs- und Erbrechte von Ehefrauen, wodurch sich die Erbrechte von Ehemännern und Ehefrauen anglichen. Die kleinsten Schritte erfolgten im Zarenreich, wo zwar auch die Erbrechte von Ehefrauen gestärkt wurden, darüber hinaus aber viele Gesetze in Kraft blieben, die bei Erbverteilungen weiterhin nach Geschlecht, Herkunft, sozialem Stand, ethnischer Zugehörigkeit oder Religion unterschieden. Weitgehend unangetastet blieb in allen drei Ländern das den Erbgesetzen zugrunde liegende Familienprinzip in der gesetzlichen Erbfolge. Nur der Ehepartner und Familienmitglieder hatten demnach Anspruch auf das Erbe einer Person für den Fall, dass kein Testament vorhanden war. Eingeschränkt wurde dieses Prinzip lediglich durch die gewährte Testierfreiheit, die es einem Eigentümer ermöglichte, zumindest einen Teil seines Vermögens an Personen und Institutionen außerhalb der Familie zu vererben. Somit waren die Erbgesetze in allen Ländern zu Beginn des 20. Jahrhunderts vordergründig darauf ausgerichtet, eine sichere Nachlassplanung und einen zuverlässigen Erbtransfer auf einer für alle Bürger gleichermaßen geltenden rechtlichen Grundlage innerhalb der Familie zu gewährleisten. Ältere Sondererbrechte und Unterscheidungen zwischen verschiedenen Teilen einer Hinterlassenschaft bestanden zwar fort, von der Tendenz her hatten die Materialität eines Nachlassgegenstandes sowie die Religion, das Geschlecht, die soziale Statuszugehörigkeit oder der Wohnort eines Erblassers respektive der Erben für den Erbprozess aber an Bedeutung verloren. Zugleich blieb dem Staat der Zugriff auf übertragenes Erbvermögen durch die Erhebung von Steuern oder durch ein Staatserbrecht weitgehend verwehrt. Zwar führten einzelne US-amerikanische Bundesstaaten – zum Beispiel Pennsylvania (1826) und Maryland (1844) – sowie einzelne Länder im Kaiserreich – zum Beispiel Preußen (1873) und Hamburg (1894) – Erbschaftssteuern ein. Erbübertragungen in der Kernfamilie waren davon aber ausgenommen. Darüber hinaus waren die Steuersätze niedrig und nicht progressiv. Zur Vermögensumverteilung trugen sie daher kaum bei.61 Daran änderte auch die temporäre landesweite Besteuerung

60 Zu den politischen Debatten um adelige Erbprivilegien vgl. Beckert, Vermögen, S. 139–197; Eckert, Kampf; Wagner, Marriage, S. 296–319. 61 Richard T. Ely/John H. Finley (Mitarb.), Taxation in American States and Cities, New York 1888, S. 317; Friedman, Dead hands, S. 171; Bundesministerium der Finanzen, Erbschaftssteuer/ Schenkungssteuer, https://web.archive.org/web/20111108225235/http://www.bundesfinanzminis terium.de/nn_39820/DE/BMF__Startseite/Service/Glossar/E/005__Erbschaftsteuer-Schenkung steuer.html (letzter Zugriff 17.4.2021)

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von Nachlässen im Zarenreich gegen Ende des 19. Jahrhunderts sowie in den USA während des Spanisch-Amerikanischen Krieges im Jahr 1898 wenig.62 Dies gilt auch für das Deutsche Kaiserreich, das angesichts der permanenten Finanzprobleme des Reiches und einer immer teureren imperialen Außenpolitik im Jahr 1906 dauerhaft eine reichsweite Erbschaftssteuer einführte.63 Die bürgerlichen Erbrechte und Nachlassinstitutionen zu Beginn des 20. Jahrhunderts zielten auf die Stabilisierung und den Erhalt des gesellschaftlichen Status quo ab. Die Gesetze räumten dem Erblasser mit der gewährten Testierfreiheit Verfügungsrechte über sein Erbe ein in der Annahme, dass er dieses unter seinen Familienangehörigen und zum Dienste der Gesellschaft verteile. Die gesetzlichen Erbfolgen legten fest, dass nur Familienangehörige erben durften.

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Internationales Privatrecht und transnationale Erbtransfers

Parallel zu den innerstaatlichen Reform- und Kodifizierungsbestrebungen des Erbrechts kam es im langen 19. Jahrhundert zu juristischen und politischen Initiativen, die auf eine internationale Rechtsharmonisierung der verschiedenen Erbrechte zielten, da sich Erblasser, Erbschaft und Erben nicht immer im selben Rechts- und Staatsgebiet befanden. Rechts- und Staatsgrenzen überschreitende Erbtransfers waren im 19. Jahrhundert ein „Normalfall“.64 Die hundertausendfach gemachten Erfahrungen mit transnationalen Erbübertragungen schlugen sich in den USA, Deutschland und dem Zarenreich auch in der zeitgenössischen Literatur nieder; in Deutschland wurden sie sogar sprichwörtlich zugespitzt in der Redewendung vom „reichen Onkel aus Amerika“.65 Transnationale Erbfälle konfrontierten Erblasser 62 Koelsch, Erbrecht, S. 17–25. 63 Bay. HStA, MJu 15060, Erbschaftssteuergesetz vom 3. Juni 1906. Zu den Debatten rund um die Einführung der Steuer vgl. Buggeln, Versprechen, S. 158–180; Wischermann, Erbschaftsteuer. 64 Klaus J. Bade/Jochen Oltmer, Normalfall Migration, Bonn 2004. Zur Migrationsgeschichte des 19. Jahrhunderts vgl. Lutz Häfner, Russland und die Welt. Das Zarenreich in der Migrationsgeschichte des langen 19. Jahrhunderts, in: Martin Aust (Hrsg.), Globalisierung imperial und sozialistisch. Russland und die Sowjetunion in der Globalgeschichte 1851–1991, Frankfurt am Main 2013, S. 64–83; Adam McKeown, Global Migration, 1846–1940, in: Journal of World History 15 (2004), H. 2, S. 155–189; Klaus J. Bade, Europa in Bewegung. Migration vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, München 2002. Zu binationalen Eheschließungen vgl. Christoph Lorke, Liebe verwalten. „Ausländerehen“ in Deutschland 1870–1945, Paderborn 2020; Lena Radauer/Maren Röger, Mobilität und Ordnung. Eine Rechts- und Gesellschaftsgeschichte deutsch-russländischer Eheschließungen, 1875–1926, in: L’Homme. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft 31 (2020), H. 1, S. 69–86. 65 Zu literarischen Verarbeitungen von Erbpraktiken vgl. Vedder, Testament; Paige Ann Prindle, Publishing, Property, and Problematic Heiresses. Representations of Inheritance in Nineteenth-Century American Women’s Popular Fiction, University of California, San Diego 2009; Allan Hepburn (Hrsg.),

Internationales Privatrecht und transnationale Erbtransfers

und Erben sowie Juristen und andere Akteure, die an Erbplanungen und Erbtransfers beteiligt waren, mit verschiedenen Problemen: Von welcher Erbe-Konzeption musste bei einem Erbfall ausgegangen, welches Erbrecht musste bei einem konkreten Erbfall angewendet werden und welche Nachlassinstitutionen waren für die Dokumentation und Legalisierung eines Erbübertrags zuständig? Verflochten mit den innenpolitischen Reformdebatten setzten noch im 19. Jahrhundert juristische und politische Debatten ein, in denen eine Harmonisierung der Erbrechte in verschiedenen Rechtsgebieten diskutiert und Kollisionsregeln für Erbfälle debattiert wurden. Der Grundimpuls, der hinter den Diskussionen um die Entstehung eines internationalen Privatrechts stand, ähnelte der liberalen Position in den innerstaatlichen Debatten. Den Initiatoren der Reformen ging es um die Herstellung von Rechtssicherheit und Rechtsgleichheit bei transnationalen Nachlasstransfers. Darüber hinaus zeigt sich bei den Diskussionen um transnationale Erbtransfers noch eine andere Konfliktlage, die daher rührte, dass die Debatten um deren Regelung sehr stark mit den verschiedenen nationalen und imperialen Projekten der beteiligten Länder verwoben waren. Aus dieser Logik zeigte sich die Macht und Durchsetzungsfähigkeit eines Staates auch in der Reichweite seiner Gesetze und dem Zugriff auf seine Staatsangehörigen unabhängig von deren konkretem Aufenthaltsort. Bei der Durchführung transnationaler Erbtransfers prallten damit Globalisierungsprozesse des späten 19. Jahrhunderts und imperiale Interessenkonflikte direkt aufeinander.66 Die Diskussionen, Absprachen und unterzeichneten Abkommen zur Rechtsharmonisierung zwischen verschiedenen Staaten bewegten sich folglich von Anfang an im Spannungsfeld von Kooperation und Konfrontation. Einerseits sollten sie auf bilateraler und multilateraler Ebene dazu dienen, die Rechtssicherheit für transnationale Erbtransfers und, allgemeiner formuliert, für Eigentumshandeln über Rechts- und Staatsgrenzen hinweg zu erhöhen. Andererseits war die Ausgestaltung nationaler Kollisionsrechte auf das engste mit nationalen und imperialen

Troubled legacies. Narrative and inheritance, Toronto 2007. Für ein zeitgenössisches Beispiel vgl. Eine Erbschaftsgeschichte, in: Teltower Kreisblatt, 22.11.1884: „In dem Hause des bekannten Kölner Banquiers Freiherr von Oppenheim war ein sogenanntes Zweitmädchen in Diensten, welches eines schönen Tages vor ihren Herrn trat mit der Erklärung, ihr Onkel in Amerika sei gestorben, und sollte derselbe eine große Erbschaft hinterlassen haben. Herr v. O. vermochte mit seinen weitgehenden Konnexionen Licht in die Sache zu bringen, und in nicht langer Zeit war er denn so glücklich, seiner Magd die fröhliche Mittheilung zu machen, daß der Onkel ca. 150 Millionen Dollars hinterlassen habe und solche sofort flüssig seien. Das glückliche Dienstmädchen ist aus Hessen gebürtig, und es partizipieren mit ihm noch 14 andere, ebenfalls im Hessenlande wohnende Verwandte an der Millionen-Erbschaft.“ 66 Dieter Gosewinkel, Schutz und Freiheit? Staatsbürgerschaft in Europa im 20. und 21. Jahrhundert, Berlin 2016; Andreas Fahrmeir, Citizenship. The rise and fall of a modern concept, New Haven, CT, London 2007.

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Interessenspolitiken verknüpft, wenn es um die Reichweite und Durchsetzung eigener nationaler Gesetze gegenüber den Geltungsansprüchen von Gesetzen anderer Nationalstaaten ging. Beide Aspekte beeinflussten internationale Verhandlungen und deren Ergebnisse. Ebenso wie in der Innenpolitik erschien das Erbrecht auch auf internationaler Ebene als ein Instrument, mit dem sich tiefgreifend in die Eigentumsordnung anderer Staaten eingreifen ließ. Die Regierungen schwankten daher vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg zwischen der Ermöglichung von transnationalen Erbtransfers und deren Blockade. Im späten 18. Jahrhundert intensivierten Juristen im Kontext von imperialer Expansion und Nation-Building ihre Jahrhunderte alte Diskussion darüber, wie sich die Gesetze unterschiedlicher Herrschaftsbereiche bei grenzüberschreitenden Handlungen und Rechtsakten in Einklang bringen ließen.67 Dies betraf die Harmonisierung unterschiedlicher nationaler oder bundesstaatlicher Privatrechte, unter anderem das Handels- und Arbeitsrecht, das Schuldrecht, das Familienrecht (z. B. Eheschließungen, Scheidungen, Adoptionen) und auch das Erbrecht.68 Bis Mitte des 19. Jahrhunderts etablierten Juristen wie Joseph Story in den USA oder Karl Georg von Wächter und Friedrich Carl von Savigny in Deutschland dabei das Rechtsgebiet des internationalen Privatrechts.69 Unter diesem Begriff wurde fortan die grundsätzliche Frage diskutiert, wie bei der Kollision von verschiedenen staatlichen Gesetzen zu verfahren und zu entscheiden und welches nationale Recht anzuwenden sei. Dabei generierten die beteiligten Juristen im Prinzip die beiden bis in die Gegenwart zentralen Antworten auf diese Frage: Auf der einen Seite plädierten Juristen – auch unter Verweis auf dessen lange Tradition in der Gesetzgebung –

67 Christoph Becker, Internationales Privatrecht, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 2011, 2. Aufl., Bd. 2, S. 1271–1276 (https://www.hrgdigital.de/.down-load/pdf/internationales_ privatrecht.pdf, letzter Zugriff 27.2.2023). 68 Roxana Banu, Nineteenth century perspectives on private international law, Oxford 2018; Naoko Matsumoto, Transfer europäischer Rechtsnormen nach Japan, in: Europäische Geschichte Online (EGO), hrsg. vom Institut für Europäische Geschichte (IEG), Mainz 3.12.2010, http://www.iegego.eu/matsumoton-2010-de, URN: urn:nbn:de:0159-20100921580 (letzter Zugriff 7.11.2018); Dittmann, Gesetzbuch; Schubert, Gesetzbuch; Lauri Mälksoo, Russian approaches to international law, Oxford 2015. 69 Für einen umfangreichen Überblick zum Internationalen Privatrecht aus juristischer Perspektive vgl. Jürgen Basedow/Franco Ferrari/Pedro Alberto de Miguel Asensio/Giesela Rühl (Hrsg.), Encyclopedia of Private International Law, 4 Bde., Cheltenham 2017. Darin finden sich mehrere Einträge zu führenden Juristen des Internationalen Privatrechts; vgl. bspw. Ralph Michaels, Story, Joseph, in: Basedow/Ferrari/Miguel Asensio/Rühl (Hrsg.), Encyclopedia, Bd. 2, S. 1659–1667; Michael Sonnentag, Savigny, Friedrich Carl von, in: Basedow/Ferrari/Miguel Asensio/ Rühl (Hrsg.), Encyclopedia, Bd. 2, S. 1609–1615. Zum zeitgleichen Bedeutungsgewinn des Völkerrechts in der internationalen Politik vgl. Marcus M. Payk, Frieden durch Recht? Der Aufstieg des modernen Völkerrechts und der Friedensschluss nach dem Ersten Weltkrieg, Berlin 2018, S. 27–78; Martti Koskenniemi, The Gentle Civilizer of Nations. The Rise and Fall of International Law 1870–1960, Cambridge 2001.

Internationales Privatrecht und transnationale Erbtransfers

für das Wohnsitzprinzip (auch Domizilprinzip).70 Danach sollte bei einem Erbfall die Gesetzgebung angewandt werden, die am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Erblassers galt. Auf der anderen Seite forderten Rechtsexperten die Durchsetzung des Staatsangehörigkeitsprinzips.71 Danach sollte die Staatsangehörigkeit eines Verstorbenen darüber entscheiden, welche Erbrechte anzuwenden seien. Diese Variante, die den Rechtsschutz und die Rechtssicherheit an die Zugehörigkeit zu einem bestimmten (staatlichen) Kollektiv band, hatte in Deutschland eine lange Tradition. Langfristig einflussreich blieb in dieser Debatte der Vorstoß des Italieners Pasquale Stanislao Mancinis, der sich im Zuge der italienischen Nationalstaatsbildung für die Durchsetzung des Staatsangehörigkeitsprinzips aussprach, das in Italien Gesetzeskraft erlangte.72 Auch das Deutsche Kaiserreich als verspäteter Nationalstaat und Auswanderungsland entschied sich im BGB für das Staatsangehörigkeitsprinzip.73 Dahinter stand ein imperialer Geltungsanspruch, mit dem das Kaiserreich die Regelung von Erbübertragungen aller Deutschen weltweit beanspruchte. Andere Staaten, darunter die Bundesstaaten des Einwanderungslandes USA und das Zarenreich, griffen das Wohnortsprinzip auf. Beide Prinzipien waren im internationalen Rechtsverkehr nicht widerspruchsfrei zu vereinbaren, worauf die Regierungen der europäischen und US-amerikanischen Staaten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit zwei Maßnahmen reagierten: dem Abschluss bilateraler Abkommen und internationalen Konferenzen zur Rechtsharmonisierung unterschiedlicher nationaler Rechte. Das Deutsche Kaiserreich schloss bereits wenige Monate nach seiner Gründung im Dezember 1871 einen Vertrag mit den Vereinigten Staaten ab. In dieser Konsular-Konvention erkannten beide Staaten die jeweiligen nationalen Erbgesetze des anderen an und verpflichteten sich zur gegenseitigen Amtshilfe, um Nachlass-

70 Die Begriffe Wohnsitzprinzip und Domizilprinzip werden gleichbedeutend verwendet. Vgl. hierzu Gerfried Fischer, Die Entwicklung des Staatsangehörigkeitsprinzips in den Haager Übereinkommen, in: Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 57 (1993), H. 1/2, S. 1–25, S. 3. 71 Gerhard Kegel, Wohnsitz und Belegenheit bei Story und Savigny, in: Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 52 (1988), H. 3/4, S. 431–465. 72 Abbo Junker, Internationales Privatrecht, 3. Aufl., München 2019, S. 46f.; Friedrich Meili, Geschichte und System des internationalen Privatrechts im Grundriss, Leipzig 1892. 73 Dieter Gosewinkel, Einbürgern und Ausschließen. Die Nationalisierung der Staatsangehörigkeit vom Deutschen Bund bis zur Bundesrepublik Deutschland, Göttingen 2001; Oskar Hartwieg/Friedrich Korkisch (Hrsg.), Die geheimen Materialien zur Kodifikation des deutschen Internationalen Privatrecht, S. 1881–1896, Tübingen 1973.

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abwicklungen zu vereinfachen.74 Drei Jahre später vereinbarten das Deutsche Reich und das Zarenreich ein Abkommen, um den Transfer von Nachlässen zwischen ihren beiden Ländern zu vereinfachen.75 Ähnliche Verträge schlossen die drei genannten Länder mit anderen Staaten ab, die sich ebenfalls durch bilaterale Abkommen um eine rechtliche Regelung transnationaler Erbtransfers bemühten.76 Bis zum Vorabend des Ersten Weltkrieges entstand dadurch im transatlantischen Raum ein Geflecht an bilateralen Abkommen, das zumindest einen groben rechtlichen Rahmen für transnationale Erbtransfers und den damit verbundenen Rechtsverkehr vorgab. Sie ermöglichten es Menschen, ihren Nachlassübertrag zu planen, und ihren Rechtsanwälten, Vermögensverwaltern, Testamentsvollstreckern und Erben, sich in konkreten Erbfällen mit ihren Fragen und Bitten um amtliche Unterstützung an die Institutionen des eigenen Staates oder die Auslandsvertretungen anderer Staaten zu wenden und Erbtransfers auf einer von den beteiligten Staaten garantierten Rechtsgrundlage durchzuführen. Das Auswärtige Amt des Deutschen Kaiserreichs bearbeitete in den fünf Jahren von 1910 bis 1914 jährlich etwa 4.000 solcher Anfragen zu Erbfällen mit Auslandsbezug und trug damit – ebenso wie die Botschaften und Konsulate anderer Länder – zum Transfer von Erbschaften über staatliche und rechtliche Grenzen hinweg bei.77 Im Wesentlichen wandten sich Rechtsanwälte, Nachlassverwalter und Erben aus vier Gründen an staatliche Institutionen: Erstens schrieben Personen – darunter Nachlasspfleger, Nachbarn, Freunde und entfernte Verwandte eines Erblassers – an staatliche Einrichtungen und Auslandsvertretungen, um Unterstützung bei der Ermittlung der rechtmäßigen Erben zu erbitten. Staatliche Institutionen kamen diesen Gesuchen durchaus nach. Beispielsweise teilte der Staatssekretär der Vereinigten Staaten dem Sprecher einer Erbengemeinschaft in Kiel über den kaiserlichen Botschafter mit, dass ihm keine Informationen über einen Friedrich F. vorlägen, dass aber ein deutscher Einwanderer namens Fred F. in der US-Armee gedient habe und im August 1898 in Puerto Rico gefallen sei.78 In einem anderen Fall unterstützte

74 Konsular-Konvention zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika nebst. Schlussprotokoll, Fassung vom 11.12.1871, in: Deutsches Reichsgesetzblatt, Bd. 1872, Nr. 13, S. 95–108. 75 Konvention über die Regulierung von Hinterlassenschaften zwischen dem Deutschen Reich und Rußland. Fassung vom 31.10.1874 und 12.11.1874, in: Deutsches Reichsgesetzblatt, Bd. 1875, Nr. 11, S. 136–144. 76 Theodor Niemeyer, Zur Vorgeschichte des Internationalen Privatrechts im deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch, München 1915. 77 Schreiben an den Präsidenten des Reichswanderungsamtes, 7.8.1920, in: BArch, R 1505/36, Reichswanderungsstelle. Reichswanderungsamt: Eingliederung des Nachlassreferats des Ausw. Amts, Bd. 1. 78 NARA, RG 59, General Records of the Department of State, 311.6215 SCH 1 to 311.623/2, Box 3652, 1910–1929, IMG 6547. Für ähnliche Fälle vgl. Kaiserliche Deutsche Botschaft, Newport, R.I., an

Internationales Privatrecht und transnationale Erbtransfers

das US-amerikanische Konsulat in Odessa den Verwalter eines US-amerikanischen Nachlasses. Auf dessen Bitte hin inserierte das Konsulat in einer lokalen Zeitung in Odessa im Jahr 1913 die Bekanntmachung, dass in den USA die Erben eines vor zwölf Jahren verstorbenen Mannes namens Kalmire oder Kalmeyer noch immer gesucht würden.79 Waren die Erben ermittelt, unterstützten staatliche Einrichtungen zweitens bei der Suche von benötigten Dokumenten. Zudem stellten sie beglaubigte Abschriften von vorhandenen Urkunden aus, beziehungsweise bestätigten sie, dass Urkunden beispielsweise während eines Brandes oder infolge von Kriegseinwirkungen verloren gegangen waren.80 Drittens erbaten Rechtsanwälte, Rechtspfleger und Erben regelmäßig staatliche Rechtshilfe, um Auskunft über in einem anderen Staat geltende Erbgesetze und amtliche Verfahren der Nachlassübertragung sowie die Auslegung des Kollisionsrechts zwischen zwei Staaten zu erhalten. Dadurch wollten sich Nachlassverwalter oder Lebensversicherungen absichern, dass sie mit der Auszahlung und dem Übertrag einer Erbschaft an Institutionen oder Personen in einem anderen Land weder gegen Gesetze im eigenen Land noch gegen die Gesetze eines anderen Staates verstießen.81 Außerdem wandten sich Erben, Nachlassverwalter oder Rechtsanwälte an staatliche Behörden, wenn es zu Auseinandersetzungen zwischen ihnen oder innerhalb einer Erbengemeinschaft gekommen war. Charakteristisch für beide Situationen waren Erbübertragungen von Lebensversicherungen an Erben im Ausland.82 Versicherungssummen wurden häufig nicht über das offi-

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Staatssekretär der Vereinigten Staaten W. J. Bryan, 15.7.1914, und Third Assistant Secretary William Phillips an The Secretary of War, 23.7.1914, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, 311.623/3 to 311.623/247, Box 3653, 1910–1929. Herman A. Youdin to State Department, 24.2.1914, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal File, 1910–29, 311.6124 W 285 to 311.613/250, Box 3625. Für ähnliche Fälle vgl. Selling & Brand an das State Department, 24.1.1916, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal File, 1910–29, 311.6124 W 285 to 311.613/250, Box 3625. o. A., Öffentliche Ladung, in: Frankfurter Journal, 13.8.1858. Deutsches Generalkonsulat (Leningrad) an Badischen Justizminister, 18.2.1929, in: BArch, R 901/ 24735, Auswärtiges Amt: Nachlasssachen in Rußland, Januar 1927–Dezember 1932; Reed, Wills, S. 188. Auswärtiges Amt an das Thüringische Amtsgericht, 17.5.1923, in: BArch, R 901/24776, Auswärtiges Amt: die Verhältnisse Sozialistischen Foederativen Sowjet Republik in Nachlassangelegenheiten, Juni 1920–Dezember 1923, Bd. 2. Zur Entstehung und Verbreitung des Geschäftsmodells Lebensversicherung in den USA vgl. Daniel B. Bouk, How our days became numbered. Risk and the rise of the statistical individual, Chicago, London 2015; Jonathan Levy, Freaks of fortune. The emerging world of capitalism and risk in America, Cambridge, MA 2012. Zur transnationalen Vernetzung von Privatbankiers vgl. Ingo Köhler, Vernetzter Reichtum. Sozialstrategien und Transnationalität der Privatbankiers im langen 19. Jahrhundert, in: Eva Maria Gajek/Anne Kurr/Lu Seegers (Hrsg.), Reichtum in Deutschland. Akteure, Räume und Lebenswelten im 20. Jahrhundert, Göttingen 2019, S. 57–76.

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zielle staatliche Nachlassverfahren übertragen, sondern direkt von (Privat-)Banken respektive Versicherungen – oftmals unter Mithilfe weiterer Verwandter der Erblasser und Erben – an die Begünstigten ausbezahlt. In der Regel bezogen Familien staatliche Institutionen nur dann ein, wenn diese Transfers misslangen und Versicherungen Auszahlungen blockierten.83 Als die Hollis & Murchie Versicherung sich beispielsweise weigerte, die vereinbarte Versicherungssumme für den in den USA tödlich verunglückten Fabrikarbeiter Paul N. an dessen in Russland lebende Witwe auszubezahlen, wandte sich diese zuerst an ihren ebenfalls in den USA lebenden Schwager. Dieser drohte der Versicherung mit einer Gerichtsklage, sollte sie die Summe nicht ausbezahlen. Daraufhin fragte die Versicherung beim State Department nach, ob und auf welchem administrativen Weg die Summe an die Erbin in Russland auszubezahlen sei.84 Dieses Beispiel verweist zugleich auf den vierten Typ von Anfragen, die bei staatlichen Institutionen eingingen. Darin baten die Anfragenden um Auskunft darüber, wie der Transfer einer Erbschaft ins Ausland administrativ zu bewerkstelligen war und welche Institutionen solche Transfers durchführten. Da die Staaten selbst diese Aufgabe nicht übernahmen, verwiesen sie in diesem Zusammenhang meist auf private Dienstleister wie Banken. Für Erbtransfers von US-amerikanischen Nachlässen ins Zarenreich schlug das State Department den Administratoren regelmäßig die in St. Petersburg ansässige Russo-English Bank vor, da das US-amerikanische Konsulat sie als besonders zuverlässig einschätzte.85 Staatliche Institutionen trugen mit diesen Dienstleistungen auf der Basis bilateraler Abkommen zur Durchführung und zum Gelingen von transnationalen Erbtransfers bei. Wichtig waren hierfür die häufig angefragten Botschaften und Konsulate der jeweiligen Länder.86 In Deutschland war bis in die 1920er Jahre zudem die Reichsstelle für das Auswanderungswesen in transnationale Erbtransfers

83 Zahlreiche Beispiele hierfür finden sich in NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal File, 1910-29, 311.6124 W 285 to 311.613/250, Box 3625. 84 United States Senate, Committee on Banking and Currency to Secretary of State, 9.7.1915, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal File, 1910-29, 311.6124 W 285 to 311.613/250, Box 3625. American Consulate Petrograd to Secretary of State, 1.10.1915, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal File, 1910-29, 311.6124 W 285 to 311.613/250, Box 3625. 85 American Consulate Petrograd to Secretary of State, 1.10.1915, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal File, 1910-29, 311.6124 W 285 to 311.613/250, Box 3625. Vgl. Rondo Cameron/V. I. Bovykin (Hrsg.), International Banking 1870–1914, New York 1992. 86 Für einen erfolgreichen Erbtransfer vgl. den Erbfall der Riwetta K., die im Jahr 1910 in Frankfurt verstarb. Ein Teil ihres Nachlasses wurde vom Frankfurter Amtsgericht an das Russische Konsulat übergeben, damit dieses die Erbschaft an zwei in Russland lebende Erben ausbezahlen könne. HHStAW, 469/6, 39 IV 17/10 K.

Internationales Privatrecht und transnationale Erbtransfers

involviert, ehe es in der Weimarer Republik zu einer Zentralisierung von Kompetenzen unter dem Dach des Auswärtigen Amtes kam. Bis dahin erfolgte die Beratung von Anfragenden bei jeder Bitte ad hoc, was in einzelnen Institutionen die Ausbildung von Routinen und Expertenwissen erschwerte und von einzelnen Konsulatsmitarbeitern schon vor dem Ersten Weltkrieg kritisiert wurde.87 Trotz dieser internen Kritik an administrativen Abläufen waren die zugrunde liegenden bilateralen Abkommen wichtig, da auf multilateraler Ebene erst ab Ende des 19. Jahrhunderts überhaupt internationale Konferenzen zum internationalen Privatrecht stattfanden. Auf Initiative des Juristen Tobias M. C. Assers lud die niederländische Regierung zur Haager Konferenz für internationales Privatrecht ein, die vom 12. bis 27. September 1893 in Den Haag stattfand. Zu dieser schickten die meisten kontinentaleuropäischen Staaten, darunter Deutschland und Russland, Delegierte, zu denen zahlreiche renommierte Juristen wie Louis Renault und Friedrich Meili zählten. Die Vereinigten Staaten waren hingegen nicht vertreten.88 Die Konferenz ordnet sich in die erste Globalisierungswelle in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein. Intellektuelle, wissenschaftliche Experten und Regierungen dachten auf internationalen Konferenzen über Prozesse, Probleme und Lösungen weltumspannender Vernetzungen nach.89 Zugleich markiert sie eine erste Hochphase der europäischen Kooperation im Bereich des internationalen Privatrechts. Die beteiligten Regierungen beschlossen, die Haager Konferenz für internationales Privatrecht als ständige Einrichtung zu etablieren, um langfristig auf die Vereinheitlichung des Privatrechts hinzuwirken. Aufbauen konnten sie dabei auf die geschlossenen bilateralen Verträge zwischen einzelnen Staaten und die Vorarbeiten verschiedener juristischer Fachkongresse und länderübergreifender juristischer Vereinigungen wie der Association for the Reform and Codification of the Law of Nations oder des Institut de droit international (beide bestehend seit 1873) oder der Internationalen Vereinigung für Vergleichende Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre (gegründet im Jahr 1894), die sich auf ihren Treffen und in ihren Zeitschriften ebenfalls mit Fragen des internationalen Privatrechts auseinandersetzten.90 Nach dem Treffen von 1893 fanden weitere Konferenzen in den Jahren 1894, 1900 und 1904 statt. Der Beitrag der Konferenzen zur Rechtsharmonisierung

87 Auswärtiges Amt an den Präsidenten des Reichswanderungsamtes, 7.8.1920, in: BArch, R 1505/ 36, Reichswanderungsstelle. Reichswanderungsamt: Eingliederung des Nachlassreferats des Ausw. Amts, Bd. 1; Reichsgesetzblatt, 1924, Teil I, S. 402. 88 Schack, Jahre, S. 224ff. 89 Vgl. Payk, Frieden; Niels P. Petersson/Christof Dejung, The Foundations of Worldwide Economic Integration. Power, Institutions, and Global Markets, 1850–1930, Cambridge 2013. 90 Meili, Geschichte, S. 5f.; Willibald Steinmetz, Introduction: Towards a Comparative History of Legal Cultures, 1750–1950, in: Steinmetz (Hrsg.), Private law, S. 1–41, S. 31.

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der nationalen Erbgesetzgebungen fiel allerdings gering aus, weshalb sich Besitzende und Erben bei ihrer (transnationalen) Nachlassplanung beziehungsweise bei der Durchführung von Erbtransfers weiterhin mit einer pluralen Rechtslandschaft konfrontiert sahen und die Nachfrage nach Expertenwissen in Erbangelegenheiten anstieg.91

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Rechtsanwälte und Erbenermittler

5.1 Wachsende Nachfrage nach Beratung und Expertenwissen Unübersichtliche Rechtslagen, Gesetzesänderungen, Reformen der Nachlassinstitutionen und die Entstehung eines wohlhabenden Bürgertums steigerten im 19. Jahrhundert den Bedarf an (Rechts-)Beratung in Erbschaftsangelegenheiten. Insbesondere Wohlhabende begannen vermehrt, Rechtsexperten in die eigene Nachlassplanung einzubeziehen. Ihre Konsultation sollte der Bewältigung von Unsicherheit, der Vermeidung von Fehlern und dem sicheren Vermögensübertrag dienen.92 Diese Nachfrage nach Expertenwissen bedienten Rechtsanwälte, Notare und Banken für ihre meist wohlhabenden Klienten, während der entstehende Ratgebermarkt Wissen für die Mittelklasse popularisierte, beispielsweise über die aktuelle Gesetzeslage und Formalvorschriften bei der Errichtung von Testamenten. Dies war in den USA, im Kaiserreich und im Zarenreich angesichts unübersichtlicher und (nicht) durchgeführter Rechtsreformen ein zentraler Service von Rechtsanwälten und Ratgebern, die dadurch im Zusammenspiel mit staatlichen Institutionen zur Professionalisierung und Standardisierung von Nachlassplanungen beitrugen – sei es, dass Eigentümer auf die vorgedruckten Schablonen in Ratgebern bei der Errichtung ihres Testaments zurückgriffen oder Rechtsanwälte routinemäßig Testamente aufsetzten.93 Im Kontext eines allgemeinen Booms der Ratgeberliteratur erschienen im Kaiserreich um das Jahr 1900 Erbratgeber in hohen Auflagen von über 100.000 Exemplaren.94 Unter Anpassungen an veränderte rechtliche und ökonomische Rahmenbedingungen wurden sie anschließend häufig bis in die 1930er und 1940er Jahre

91 Fischer, Entwicklung, S. 3–6. 92 Wagner, Marriage, S. 345–348, 371. 93 Darauf deuten die Nachlässe von Rechtsanwälten und Kanzleien aus dieser Zeit hin. Emerson C. Harrington Collection, 1890–1945, in: MSA SC 5565-2-6. Stephan Montanarelli Collection, 1960–1980, Folder: Wills and Estates, in: MSA, SC 5800-3-1. 94 Stephanie Kleiner/Robert Suter, Konzepte von Glück und Erfolg in der Ratgeberliteratur (1900–1940). Eine Einleitung, in: Stephanie Kleiner/Robert Suter (Hrsg.), Guter Rat. Glück und Erfolg in der Ratgeberliteratur 1900–1940, Berlin 2015, S. 9–40, S. 11.

Rechtsanwälte und Erbenermittler

mehrfach aufgelegt.95 Diese von Notaren, Rechtsanwälten, Landgerichtsräten oder Amtsgerichtsobersekretären verfassten Erbratgeber richteten sich ihren Titeln und Untertiteln nach zwar an „Jedermann“96 , an Personen „aller Stände und Berufe“97 , an rechtsunkundige Laien oder waren für den „Volksgebrauch“98 konzipiert, inhaltlich sprachen sie jedoch vor allem und explizit wohlhabende männliche Bürger an. Die Erblasser in den angeführten Beispielen waren in der großen Mehrzahl der Fälle Familienunternehmer, Bankdirektoren, Bankiers, Versicherungsdirektoren, Kaufmänner, Handwerksmeister oder höhere Beamte. Ihnen teilten die Ratgeber – 95 Als Beispiele aus der umfangreichen Ratgeberliteratur vgl. Karl Kromer, Recht für Jedermann. Ehe und Familie, Erbschaft und Testament in Frage und Antwort. Rechtskunde für den praktischen Gebrauch, erläutert an vielen Beispielen und Formularmustern, Hamburg 1942; Karl Fuchs, Das Familien-, Ehe- und Erbrecht und das Testament, 12. Aufl., Berlin 1915; Th. Pies, Testament, Erbrecht und Erbvertrag. Was jeder davon wissen muss!, Bonn 1915; Adolf Pallaske, Das Testament. Ein Rathgeber für Jedermann, Breslau 1902; Carl Wester, Wie mache ich mein Testament? Nach dem neuen Bürgerlichen Gesetzbuch. Mit e. Kommentar, Essen-Ruhr 1900; Max Gustav Hallbauer, Das neue Testamentsrecht des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches. Eine gemeinverständliche Darlegung des neuen Testamentenrechts, zugleich ein Hülfsbuch für die, welche einen letzten Willen errichten wollen, Leipzig 1899; Richard Paul, Das Ehe-, Familien- und Erbrecht im Gebiete des preußischen Allgem. Landrechts. Zuverlässiger Ratgeber in Ehe-, Familien- u. Erbschaftsangelegenheiten. Ein praktisches Nachschlagebuch für Familienväter, Braut- und Eheleute, Vormünder, Majorennen und Minorennen, Erblasser und Erben, Testamentsvollstrecker, Leipzig 1888; W. H. Renburg, Wie mache ich mein Testament? Ein gemeinverständlicher Ratgeber für Jedermann, Berlin 1904; Der gesetzkundige Ratgeber in Ehe-, Erb- und Vormundschafts-, Familien- und Eigentums-Angelegenheiten, sowie in Schöffen- und Schiedsgerichts-Sachen im Gebiete des Preußischen Landrechts. Zum praktischen Gebrauch für jedermann, insbesondere für Familienväter, Eheleute, Vormünder, Mündel, Geistliche, Erben, Rentner, Kapitalisten, Hausbesitzer, für Geschworene und Schiedsmänner. Mit vielen Formularen zu Testamenten, Kodizillen, Inventarien, Schenkungs-Verträgen, Anträgen und Klagen in Testaments- und Ehesachen, zu Alimentations-(Schwängerungs-)Klagen, sowie zu Schemas in Vormundschafts-Angelegenheiten, zur Rechnungslegung, zu Dispensionsgesuchen etc. nach der deutschen Zivil-Prozeß-Ordnung und den Ergänzungsgesetzen, Mühlheim a. d. Ruhr 1885. Zur methodischen Einordnung von Ratgebern als Orientierungsmedien in der Moderne vgl. Florian Greiner, „Richtig sterben“ – Populäres Wissen zum Thema „Tod“ seit den 1970er-Jahren, in: Archiv für Sozialgeschichte 55 (2015), 275–296; Sabine Maasen/Jens Elberfeld/Pascal Eitler/Maik Tändler (Hrsg.), Das beratene Selbst. Zur Genealogie der Therapeutisierung in den „langen“ Siebzigern, Bielefeld 2011; Matthieu Leimgruber/Daniela Saxer/Alina Steinbrecher, Ratschlag und Beratung. Editorial, in: Traverse: Zeitschrift für Geschichte/Revue d’histoire 18 (2011), H. 3, S. 15–18. 96 Pallaske, Testament; Renburg, Testament; Hallbauer, Testamentsrecht; Pies, Testament; Deutscher Haus-Advokat, Berlin 1910; Kromer, Recht. 97 Max Mischke, Rat und Hilfe für die Hinterbliebenen bei Todesfällen. Ein praktischer, allgemein verständlicher Ratgeber für Personen aller Stände und Berufe, welcher die wichtigsten Bestimmungen des Gesetzes über das Erbrecht … und andere für Hinterbliebene in Betracht kommende Gesetze enthält, erläutert und zur Anwendung bringt. Unter Beifügung von Beispielen für die Errichtung von Testamenten, Berlin-Britz 1925. 98 Oskar Klaus, Bürgerliches Personen-, Familien- und Erbrecht. Was jedermann davon wissen muß. Für den Volksgebrauch, Dresden 1922.

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im Zusammenspiel mit Artikeln in bürgerlichen Zeitschriften wie der Gartenlaube und mit literarischen Erzählungen99 – in unterschiedlichen Varianten folgende Botschaft mit: Die Bewahrung von Vermögen und dessen sichere Weitergabe im Todesfall wird nicht allein durch das gesetzliche Erbrecht gewährleistet. Stattdessen ist das verantwortliche, eigenständige und tugendhafte Handeln des männlichen Familienoberhaupts notwendig, das durch die Abfassung eines Testaments seine Erben bestimmt. Das Familienoberhaupt gibt sein Vermögen gezielt an ausgewählte Familienmitglieder weiter und trägt durch den Einbezug von vertrauensvollen Testamentsvollstreckern und den Rückgriff auf Expertenwissen dafür Sorge, dass sein Wille nach seinem Tod vollstreckt und sein Vermögen bewahrt wird.100 Schon allein durch seine Nachlassplanung und die Errichtung eines Testaments verdeutlicht er, dass ihm die mit seinem Eigentum einhergehende Verantwortung für seine Familie, seine Bediensteten und die Gesellschaft bewusst ist und er rechtzeitig Sorge dafür trägt, dass sein Nachlass geregelt und geordnet in die rechten Hände seiner Erben übergeht. Ratgeber und Literatur erklärten die Errichtung eines Testaments damit zur Bürgerpflicht, womit die vor Zeugen vollzogene Testamentserrichtung zugleich zu einer Praktik wurde, mit der ein Eigentümer seinen Bürger- und Eigentümerstatus in der Gesellschaft ausdrücken und erzeugen, beweisen und rechtfertigen konnte.101 Diese Ratschläge waren an eine Vielzahl an zeitgenössischen Diskursen anschlussfähig: von der Selbstvergewisserung des Bürgertums über zeitgenössische biologische Vererbungslehren bis hin zum Bedeutungsgewinn von Experten und Fachleuten in Alltagsfragen. 5.2 Private Dienstleister als Ersatzfamilie Eigentümer und Erben fragten die Angebote von privaten Dienstleistern auch nach – oder waren auf deren Dienstleistungen angewiesen –, da diese Leistungen erbrachten, die eigentlich vom Staat oder kommunalen Institutionen geleistet werden sollten oder früher von Familienangehörigen vorgenommen worden waren, aber weder vom Staat noch von der Familie vollständig erbracht werden konnten. Dies betraf beispielsweise die Ermittlung von Erben oder die Beschaffung von Dokumenten, was insbesondere bei transnationalen Erbfällen eine große Rolle spielte. Die Expansion der Dienstleister ist damit auch Ausdruck der Grenzen des Staates und kommunaler Institutionen sowie ausgedehnter Verwandtschaftsnetzwerke, die ihre

99 Ulrike Vedder, Erbe und Literatur. Testamentarisches Schreiben im 19. Jahrhundert, in: Willer/ Weigel/Jussen, Erbe, S. 126–159; Bietz, Erbschaften, S. 83–107; Vedder, Testament. 100 Pallaske, Testament, S. 27, 29–38. 101 Manfred Hettling/Richard Pohle, Bürgertum. Bilanzen, Perspektiven, Begriffe, Göttingen 2019; Hettling/Hoffmann, Wertehimmel. Zur Geschichte der Leistungsgesellschaft vgl. auch Verheyen, Erfindung.

Rechtsanwälte und Erbenermittler

Aufgaben im Nachlasswesen nicht vollständig erfüllten. Insbesondere bei Migranten waren enge Familienangehörige häufig nicht vor Ort anwesend und konnten traditionelle Aufgaben in der Nachlassverwaltung nicht übernehmen. Aus der Sicht von Eigentümern erschienen deswegen private Vorkehrungen unter Einbezug von privaten Dienstleistern für den Vermögenserhalt und Erbübertrag zunehmend häufiger notwendig, wodurch es zu einer Verschiebung von Verantwortlichkeiten im Nachlassübertrag kam. Aufgaben, die bis ins 19. Jahrhundert traditionell Familienangehörige oder enge Vertrauten der Familie erbracht hatten, beispielsweise als Testamentsvollstrecker oder als Guardian noch minderjähriger Erben, wurden auf professionelle Experten übertragen. Explizit diesen Punkt ansprechend warb beispielsweise die Baltimore Trust Company in einer undatierten Werbebroschüre damit, dass sie der Witwe nach dem Tod des männlichen Eigentümers helfen könne, ihre finanziellen Angelegenheiten und die ihrer Familie zu erledigen.102 Für viele Migranten wurden in Erbangelegenheiten Banken (und Versicherungen) wichtige erste Ansprechpartner, die sie schon zu Lebzeiten nutzten, um in der Heimat verbliebenen Verwandten Geld zukommen zu lassen. Zum Teil waren diese Banken selbst von Migranten gegründet worden oder sie bauten enge Beziehungen zu bestimmten Migrantengruppen auf.103 Zugleich begannen diese Banken einzuspringen, falls die staatliche Unterstützung bei der Erbenermittlung oder der Beschaffung von Dokumenten (z. B. Abschriften von Testamenten, Geburts-, Heirats- oder Sterbefallanzeigen) an ihre Grenzen stieß. Verschiedene Banken, deren Geschäftskonzept auf internationale Geldtransfers ausgerichtet war, richteten im 19. Jahrhundert eigene Abteilungen ein, die sich auf diese Dienstleistungen spezialisierten. Dies war unter anderem bei der im Jahr 1849 in Heilbronn gegründeten Agentur für Auswanderung nach Amerika der Fall. Sie organisierte zunächst Geldtransfers zwischen den USA und Deutschland, bevor sie als Eugen Hoerner Bank mit Niederlassungen in den USA begann, Netzwerke und Expertise im Bereich der Erbenermittlung aufzubauen. Mit diesem Serviceangebot etablierte sie sich schließlich als wichtiger Dienstleister für Erbtransfers zwischen den USA und Deutschland.104 102 Baltimore Trust Company, Will Your Family Be Protected in an Emergency?, Baltimore o. J., ohne Seitenangaben; das Zitat befindet sich auf der viertletzten Seite der Broschüre. 103 Kaltenbrunner, Dorf; vgl. auch die Forschungsprojekte von Atiba Pertilla (DHI Washington), Land of Dollars. Money in the Minds of American Immigrants, 1870–1935, und Elisabeth Engel (DHI Washington), United in States of Uncertainty. Insurers and the Risks of the Emerging American Nation. 104 Nach dem Zweiten Weltkrieg beschlagnahmte die U.S.-Armee Akten der in Heilbronn ansässigen Hoerner Bank. Des Weiteren befragte sie einzelne Bankmitarbeiter über ihre Tätigkeiten zur Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft, um herauszufinden, ob die Bank Juden diskriminiert hatte. Schließlich hatte das State Department schon im Ersten Weltkrieg Akten zur Bank angelegt, da sie unter den Enemy Property Act gefallen war. Zusammengenommen gewähren diese Akten Einblicke

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Die Hoerner Bank war nicht die einzige Bank, die eine solche Serviceleistung anbot. Eng mit den deutschen Konsulaten in den Vereinigten Staaten arbeitete auch die in New York ansässige international tätige Bank Knauth, Nachod & Kuhne zusammen, über die Erbschaften regelmäßig an Erben in Deutschland überwiesen wurden.105 Die Unterlagen der Nachlassgerichte von Baltimore, Frankfurt und Odessa sowie die geschalteten Anzeigen der Erbenermittler deuten darauf hin, dass die Zahl der Ermittler ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zunahm und dass zwischen den Dienstleistern in den USA und Großbritannien, Frankreich und Deutschland geschäftliche Beziehungen entstanden. Bereits um 1860 existierte Richardson & Co in Philadelphia, und etwa 15 Jahre später gründete J. B. Martindale in Chicago das Unclaimed Money, Lands and Estates Bureau mit Kontakten zu Geschäftspartnern in Westeuropa.106 Entlang der US-amerikanischen Ostküste scheint es in mehreren größeren Städten zumindest eine solche Agentur gegeben zu haben: Die International Claim Agency war in Pittsburgh, Pennsylvania ansässig, die James Baxter LTD in Newark, New Jersey und die Kanzlei von John P. Payne in New York City.107 Ähnliche Unternehmen entstanden zeitgleich in Europa. In Heilbronn hatte die Hoerner Bank ihren Hauptsitz, in Paris war die auf transnationale Erbtransfers spezialisierte Kanzlei Jouanett & Mayet ansässig und in London das Erbschaftsbüro C. A. V. Smith. In St. Petersburg transferierte die Russo-English Bank Nachlässe zwischen den USA und dem Zarenreich.108

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in die Geschäftspraktiken der Bank in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Vgl. RG 131, Office of Alien Property, Department of Justice/Office of Alien Property/Overseas Office, Entry P 100: Reciprocal Rights of Inheritance Under German Law Files: 01/01/1941 – 12/31/1954, Hoerner Files THRU Reciprocal Rights of Inheritance, Box 17; Bureau of Enemy Trade to State Department, 7.6.1919, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Central Decimal File, 1910–1929, 311.623/248 to 311.623 K 54, Box 3654. Für eine aktuelle Kurzdarstellung der eigenen Geschichte vgl. die Homepage der Hoerner Bank AG, in: https://www.hoernerbank.de/ (letzter Zugriff 19.4.2021). Henry Vollmer, Attorney at Law to State Department, 17.1.1923, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Central Decimal File, 1910–1929, 311.623/248 to 311.623 K 54, Box 3654. Richardson & Co, Richardson & Co’s unclaimed money register of Great Britain and Ireland. A descriptive index of 20,000 names of heirs and next of kin, British subjects who have died intestate in Australia, Tasmania, New Zealand, America and Cape of Good Hope … and unclaimed army and navy prize money from 1665–date, Philadelphia 1880, S. vii.; J. B. Martindale, Unclaimed Money, Lands, and Estates Manual. Devoted to the Interests of all who are in Search of Unclaimed Money, Lands or Estates, Next of Kin, Heirs at Law, Legatees, Chicago 1884, S. 8. International Claim Agency (Pittsburgh, PA), Missing Heirs and Next of Kin. Alphabetically Arranged, Pittsburgh, PA 1912. American Consulate Petrograd, Russia an das State Department, 1.10.1915, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal File, 1910–29, 311.6124 W 285 to 311.613/ 250, Box 3625. Vgl. Cameron/Bovykin, Banking.

Rechtsanwälte und Erbenermittler

Um die Jahrhundertwende begannen neben Banken schließlich auch Verleger und Genealogen, ihre Dienste bei der Erbenermittlung anzubieten. Einer von ihnen war Felix Hugo Moser, der zunächst als Verleger und Journalist tätig war. In dieser Funktion beauftragten ihn deutsche Konsulate regelmäßig, Suchanzeigen nach vermissten Erben aufzugeben. Nach und nach baute Moser dadurch Kontakte zu Konsulaten in verschiedenen Ländern auf. Zugleich spezialisierte er sich auf die Ermittlung von gesuchten Erben und die Erstellung von Familienstammbäumen. Im Jahr 1904 gründete er in Bad Sooden-Allendorf das Zentral-Archiv für Erbengesuche. Sein Sohn Joachim-Friedrich Moser übernahm später das Unternehmen und bezeichnete sich fortan als „Sippenforscher“.109 Bis zum Beginn des Ersten Weltkrieg bildeten private Dienstleister ein internationales Netzwerk aus und berieten die vorwiegend wohlhabenden, männlichen Erblasser bei ihrer (transnationalen) Nachlassplanung und deren Erben bei der Verwaltung und dem Transfer von Erbschaften. Sie stellten wohlhabenden Eigentümern ihre Expertise zur Verfügung und versicherten diesen zugleich, sie als „professionelle Ersatzfamilie“ mit den moralisch höchsten Ansprüchen dabei zu unterstützen, ihr Erbe in der Familie zu bewahren. 5.3 Entstehung eines neuen Dienstleistungssektors Vor dem Hintergrund pluraler und sich wandelnder Rechtslagen sowie staatlicher Nachlassinstitutionen mit beschränkten administrativen Kapazitäten gewannen in den USA, Deutschland und Russland private Dienstleister ab Mitte des 19. Jahrhunderts in Erbschaftsangelegenheiten an Bedeutung. In allen drei Ländern kam es zur Professionalisierung der Rechtsberufe sowie zur Entstehung von Dienstleistern (z. B. Erbenermittler), die sich auf die Beratung und Serviceleistungen in Nachlassangelegenheiten spezialisierten. Im Zarenreich löste die Justizreform im Jahr 1864 einen Professionalisierungsschub unter Anwälten und Richtern aus, auf die vor allem wohlhabende Eigentümer als deren Klienten bei Erbangelegenheiten zurückgriffen.110 Damit gewannen Anwälte und Richter angesichts des im Zarenreich existierenden enormen Rechtspluralismus an Einfluss im Erbprozess und 109 Joachim-Friedrich Moser, Zentral-Archiv für Erbengesuche, 4. Aufl., Bad Sooden-Allendorf 1904. In den folgenden Jahrzehnten spaltete sich das Unternehmen auf, weshalb heute mehrere Nachfolgeunternehmen der Familie Moser in der Schweiz und in Deutschland existieren. Siehe dazu Moser Progenus AG. Internationale Erbenermittlung, Die Geschichte des Erbenermittlungsunternehmens, in: https://www.progenus.ch/ueber-uns/geschichte/ (letzter Zugriff 12.4.2022); Moser Erbenermittlung, in: https://www.moser-erbenermittlung.com/moser-erbenermittlung-badenbaden/ (letzter Zugriff 12.4.2022). 110 Antonov, Bankrupts, S. 263; Joachim von Puttkamer, Die russische Justizreform von 1864. Eine Kontroverse, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 47 (1999), H. 3, S. 405–409; Baberowski, Autokratie.

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bei Erbstreitigkeiten.111 Im Zweifelsfall mussten sie entscheiden, welches Recht anzuwenden und an welche Personen dementsprechend der Nachlass zu verteilen war.112 Aus der Sicht von Eigentümern erschien es deshalb zunehmend sinnvoll, Rechtsexperten frühzeitig in die Nachlassplanung einzubeziehen.113 Zu diesen zählte beispielsweise G. F. Bliumenfeld, ein in Odessa ansässiger Anwalt, der als einer der führenden Rechtsexperten in Landfragen und Erbschaftsangelegenheiten im späten Zarenreich galt.114 Im Kaiserreich waren Rechtsanwalt und Notar klassische bürgerliche Aufstiegsberufe für Männer, die von der gesellschaftlichen Durchsetzung bürgerlicher Ideale profitiert hatten. Frauen waren in Deutschland von diesen Berufsfeldern bis in die frühe Weimarer Republik ausgeschlossen und blieben bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts eine Minderheit.115 Diese größtenteils aus dem Bürgertum stammenden männlichen Dienstleister boten ihre Dienstleistungen im Kaiserreich wiederum vorrangig für andere männliche Bürger und Eigentümer an.116 Erst um die Jahrhundertwende entstanden auch Rechtshilfeangebote für Eigentümer aus dem Kleinbürgertum und aus der Arbeiterschaft. Die meisten Rechtsanwälte und Notare waren dabei Generalisten und nicht auf das Erbrecht und Erbangelegenheiten spezialisiert, Beratungen zur Nachlassplanung und die Beurkundungen von Testamenten gehörten aber zu ihren Routinetätigkeiten.117

111 William Pomeranz, The Practice of Law and the Promise of Rule of Law: The Advokatura and the Civil Process in Tsarist Russia, in: Kritika. Explorations in Russian and Eurasian History 16 (2015), H. 2, S. 235–262. 112 Antonov, Bankrupts, S. 263. 113 Wagner, Marriage. 114 Pomeranz, Practice, S. 249. 115 Lutz Raphael, Rechtskultur, Verrechtlichung, Professionalisierung. Anmerkungen zum 19. Jahrhundert aus kulturanthropologischer Perspektive, in: Dipper (Hrsg.), Rechtskultur, S. 29–48, S. 33; Heinz Haueisen/Hartwig Kittler, Die Frankfurter Rechtsanwaltschaft 1888–1988, in: Horst Henrichs/Karl Stephan (Hrsg.), Ein Jahrhundert Frankfurter Justiz. Gerichtsgebäude A: 1889–1989, Frankfurt am Main 1989, S. 301–312; Reglindis Böhm/Kriemhild Meyer/Bärbel Stock, Frauen in der Frankfurter Justiz. Richterinnen, Staatsanwältinnen, Rechtsanwältinnen, in: Horst Henrichs/Karl Stephan (Hrsg.), Ein Jahrhundert Frankfurter Justiz. Gerichtsgebäude A: 1889–1989, Frankfurt am Main 1989, S. 270–285. 116 Raphael, Rechtskultur, S. 29–48; Hannes Siegrist, Verrechtlichung und Professionalisierung. Die Rechtsanwaltschaft im 19. und frühen 20. Jahrhundert, in: Dipper (Hrsg.), Rechtskultur, S. 101–124; Thomas Ormond, Die Richter im Kaiserreich. Entwicklungstendenzen im Zeitalter der Professionalisierung und Verrechtlichung, in: Dipper (Hrsg.), Rechtskultur, S. 87–100; Köhler, Reichtum. 117 Hannes Siegrist, Advokat, Bürger und Staat, Halbbd. 2, Frankfurt am Main 1996, S. 604–607; Siegrist, Verrechtlichung; Raphael, Rechtskultur, S. 29–48; Ormond, Richter, S. 91; Mathias Schmoeckel (Hrsg.), Form – Verfahren – Struktur. Entwicklungen im Notarberuf seit 1800, Baden-Baden 2019.

Rechtsanwälte und Erbenermittler

Im Unterschied zum Zarenreich und zum Kaiserreich kam es in Maryland über den Einbezug von Rechtsanwälten hinaus bereits um die Jahrhundertwende zum Einbezug von Banken und Trust Companies in private Erbangelegenheiten. Davor verwalteten auch in Baltimore ausschließlich Familienmitglieder oder enge Vertraute der Familie anfallende Nachlässe. Banken galten Familien bis dahin als „soulless corporations“118 , deren Einbezug in private Nachlasstransfers sie ablehnten. Dies änderte sich mit der Jahrhundertwende im Zuge der rapiden Industrialisierung, der Finanzialisierung der Wirtschaft und des Anwachsens großer Vermögen. Außerdem fiel der verstärkte Einbezug von Banken und Trust Companies in die Nachlassplanung in eine wirtschaftliche Transformationsphase, in der sich Vermögen nicht mehr hauptsächlich in Land manifestierte, sondern vermehrt in Unternehmen, Aktien und Staatsanleihen. Eigentum wurde mobil und die Bedeutung von Lebensversicherungen und Banken sowie juristischer Expertise nahm für ökonomisches Handeln zu.119 Die Zahl der in den USA registrierten Trust Companies stieg von 912 im Jahr 1903 auf 2796 im Jahr 1929 an, ebenso nahm das von ihnen verwaltete Vermögen zu.120 In Baltimore eröffnete im Jahr 1885 die Mercantile Trust and Deposit Company of Baltimore ihren Hauptsitz im Stadtzentrum. Bereits im Jahr 1876 war die Safe Deposit and Trust Company of Baltimore gegründet worden, die als eine ihrer Serviceleistungen rechtliche und finanzielle Beratungen in Erbangelegenheiten und der Verwaltung von Trusts anbot.121 Dabei arbeitete sie mit dem Juristen Edward Otis Hinkley zusammen, der im Jahr 1878 das zeitgenössische Standardwerk zum Erbrecht in Maryland verfasst hatte.122 In den ersten fünf Jahren ihres Bestehens verwaltete die Safe Deposit and Trust Company of Baltimore 51 Trusts, in den nächsten fünf Jahren stieg diese Zahl auf 191 an, und bis ins Jahr 1925 war sie am Management von über 5.000 Trusts beteiligt.123 Parallel zu dieser Entwicklung bezogen in Baltimore zunehmend mehr Eigentümer Banken und Trust Companies in ihre Nachlassplanungen ein. So hatte in den 67 analysierten Erbangelegenheiten in Baltimore City aus dem Jahr 1881 kein einziger Erblasser eine Bank oder Trust Company mit der Verwaltung seines Nachlasses betraut.124 30 Jahre später, im Jahr 118 Maryland Trust Company, The Trust Company as Foster Parent, Baltimore 1932, ohne Seitenzahl. 119 Piketty, Kapital und Ideologie, S. 179–182; Katharina Pistor, The Code of Capital. How the Law Creates Wealth and Inequality, Princeton 2019; Bouk, Days; Levy, Freaks. 120 Powell/Looker, Decedent’s Estates, S. 919f. 121 Safe Deposit and Trust Company of Baltimore, The Safe Deposit and Trust Company of Baltimore, Baltimore 1876. 122 Safe Deposit and Trust Company of Baltimore, Safe Deposit. Edward Otis Hinkley, The Testamentary Law and the Law of Inheritance and Apprentices in Maryland, Baltimore 1878. 123 The Safe Deposit and Trust Company of Baltimore, A Series of Articles on Wills and Trust Provisions, Baltimore 1925, S. 28. 124 Dinkel, Nachlassakten.

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1911, fragten schon knapp die Hälfte aller Erblasser (29 von 64) Dienstleistungen einer Bank, Versicherung oder Trust Company nach.125 Überwiegend wohlhabende männliche Eigentümer und (Familien-)Unternehmer griffen in den USA, ähnlich wie im Deutschen Kaiserreich und im Zarenreich in Erbangelegenheiten auf die Dienstleistungen von Rechtsanwälten und in den USA zusätzlich auf Banken und Trust Companies zurück, die ihnen versprachen, den Eigentumsübertrag in der Familie sicherzustellen.126

6.

Erblasser und Erben

6.1 Baltimore, Frankfurt und Odessa um 1900 Baltimore, Frankfurt und Odessa waren um 1900 schnell wachsende, multiethnische und multireligiöse Handelsstädte.127 In allen drei Städten stiegen die Einwohnerzahlen rapide an, und Industrialisierung sowie Globalisierung führten zu tiefgehenden sozialen und ökonomischen Wandlungsprozessen. Die Vermögensungleichheiten in den Städten nahmen zu.128 Große Vermögen und Grundbesitz befanden sich in allen drei Städten größtenteils in den Händen weniger alteingesessener Familien, wohlhabender Kaufleute, erfolgreicher Bankbesitzer sowie Industrieller, die in Baltimore ausschließlich Weiß waren. Darüber hinaus entstand

125 Dinkel, Nachlassakten. 126 Derix, Thyssens; Derix, Helpers. 127 Zur Stadtgeschichte Baltimores vgl. Olson, Baltimore; James B. Crooks, Politics & progress. The rise of urban progressivism in Baltimore, 1895 to 1911, Baton Rouge 1968; Paige Glotzer, How the suburbs were segregated. Developers and the business of exclusionary housing, 1890–1960, New York 2020; Paige Glotzer, Real Estate and the City: Considering the History of Capitalism and Urban History, in: Journal of Urban History 42 (2016), H. 2, S. 438–445; Paige Glotzer, Exclusion in Arcadia: How Suburban Developers Circulated Ideas about Discrimination, 1890–1950, in: Journal of Urban History 41 (2015), H. 3, S. 479–494. Zur Stadtgeschichte Frankfurts seit der Frühen Neuzeit vgl. Schmidt-Funke, Stadtgeschichte(n); Amend/Baumann/Wendehorst/Wunderlich, Reichsstadt; zur vermögenden Elite der Stadt vgl. Hansert, Patriziat; Hansert, Geburtsaristokratie; Hansert, Bürgerkultur; zur Geschichte des Frankfurter Bürgertums vgl. Schimpf, Geld; Roth, Stadt; Duchhardt, Frankfurt; zu Eigentumsübertragungen vgl. Rotenhan, Testamentsstreitigkeiten; Kern, Blickwechsel; Dölemeyer, Vermögenstransfers. Grundlegend für die Geschichte Odessas bis ins Jahr 1914 ist immer noch Herlihy, Odessa. Als weitere Überblicksdarstellung zur Geschichte Odessas vgl. Charles King, Odessa. Genius and Death in a City of Dreams, New York/London 2011; Evrydiki Sifneos, Imperial Odessa. Peoples, Spaces, Identities, Leiden/Boston 2018; Vladimir N. Stanko, Istorija Odesi, Odesa 2002; zur Geschichte der Ukraine vgl. Serhij M. Plochij, The Gates of Europe. A History of Ukraine, London 2015; Kappeler, Geschichte; Kerstin S. Jobst, Geschichte der Ukraine, Stuttgart 2015. 128 Piketty, Kapital und Ideologie.

Erblasser und Erben

eine Mittelklasse, die in Baltimore ebenfalls überwiegend aus Weißen bestand und dort etwa ein Drittel der Stadtbevölkerung ausmachte.129 Der Großteil der Stadtbewohner war in Baltimore, Frankfurt und Odessa um 1900 arm. Dazu zählten in Baltimore vor allem Afroamerikaner und seit 1900 überwiegend aus Osteuropa kommende Einwanderer. Auch in Frankfurt und Odessa machten zugezogene Arbeitsmigranten aus dem Ausland oder aus den umliegenden ländlichen Regionen den Großteil der armen Stadtbevölkerung aus. Unabhängig vom Vermögen zielten die Vorkehrungen der meisten Stadtbewohner auf den Eigentumsübertrag in der Familie. Die Strategien, um dieses Ziel zu erreichen, variierten jedoch in den einzelnen Bevölkerungsgruppen. Grob vereinfacht lassen sich für die Jahrhundertwende drei Modi des Erbübertrags herausarbeiten: der informelle Erbübertrag ohne Einbezug des Gerichts überwiegend in den ärmeren Bevölkerungsschichten, der Erbübertrag entsprechend der gesetzlichen Erbfolge und die testamentarische Nachlassplanung unter Einbezug der staatlichen Einrichtungen überwiegend in den wohlhabenderen Schichten. 6.2 Informelle Erbübertragungen als normaler Erbvorgang Die Rechtsreformen des 19. Jahrhunderts, der Ausbau der Notariate und Gerichte und die Angebote privater Dienstleister zielten vor allem darauf, Besitzenden eine sichere Nachlassplanung zu ermöglichen. Diese sollte die Eigentumsrechte der Erben schützen und den Erbübertrag in der Familie gewährleisten. Gesetze und Institutionen waren nicht darauf ausgelegt, alle Erbübertragungen im jeweiligen Rechtsgebiet und Zuständigkeitsbezirk zu erfassen. Nachlassgerichte erfüllten keine polizeilichen Funktionen, die Erbaufteilungen entsprechend den Erbgesetzen überwachten. In allen drei Ländern erlaubten die Erbgesetze sogar explizit den Erbübertrag ohne Einbezug des zuständigen Gerichts, solange alle Erben mit der Verteilung des Nachlasses einverstanden waren, Gläubiger ausbezahlt und möglicherweise anfallende Steuern entrichtet wurden. Wenn es zudem keines Erbscheins bedurfte, um Zugriff auf ein Erbe zu erhalten, war der Gang zum Gericht nicht notwendig.130

129 Gräser, Class, S. 70. Für einen aktuellen Überblick zur Mittelklasse in den USA im 18. und v. a. 19. Jahrhundert vgl. Gräser, Class; Sven Beckert, The Monied Metropolis. New York City and the Consolidation of the American Bourgeoisie, 1850–1896, Cambridge 2001; Mary P. Ryan, Cradle of the middle class. The family in Oneida County, New York, 1790–1865, Cambridge 1981. Es wird angenommen, dass auch in Baltimore etwa ein Drittel der Stadtbevölkerung zur Mittelklasse gehörte. Zu Baltimore um 1900 vgl. Olson, Baltimore, S. 198–301. Zur Geschichte der Familie in den USA vgl. Heinemann, Wert; Martschukat, Ordnung, insbesondere S. 17–42; Self, Family. 130 HHStAW, 469/6, 39 VI 82/10 K. Vgl. auch HHStAW, 469/6, 39 VI 153/10 K.; 39 VI 99/10 K.; Vgl. auch HHStAW, 469/6, 39 VI 156/10 K.; 39 VI 131/10 K.

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Dies war in der Regel nach dem Tod von Kindern und Jugendlichen der Fall, die als Minderjährige kein Privateigentum besaßen, das vom Gericht zu übertragen gewesen wäre.131 Bei jung verstorbenen Erwachsenen – beispielsweise Dienstmädchen oder Arbeitern – verhielt es sich wie beim Großteil der ärmeren Bevölkerung. Ihre Nachlässe setzten sich hauptsächlich aus Haushaltsgegenständen, Kleidern und Barvermögen zusammen; es handelte sich damit um Mobilien, für deren Übertrag es keine amtliche Genehmigung brauchte. Zudem weigerten sich Banken in Baltimore im 19. Jahrhundert Afroamerikaner als Kunden aufzunehmen, weshalb diese ihre Ersparnisse nicht auf die Bank brachten und dementsprechend auch keine Sparkonten hinterlassen konnten.132 In den USA trug darüber hinaus die relativ hohe Analphabetenquote unter Afroamerikanern und Migranten dazu bei, dass Erben aus diesen Gruppen seltener ein Verfahren am Gericht initiierten, als dies die Erben Weißer Erblasser taten. Die juristisch-technische Sprache an den Gerichten und die Tatsache, dass die Nachlassverfahren in Englisch kommuniziert und ausschließlich von Weißen Richtern geleitet und entschieden wurden, hielt sowohl Afroamerikaner als auch ausländische Migranten ohne oder mit nur rudimentären englischen Sprachkenntnissen davon ab, das Nachlassgericht für Erbschaftssachen aufzusuchen.133 Ähnliches ist für Odessa zu vermuten. Trotz aller bildungspolitischen Initiativen im Zarenreich in den Dekaden um 1900 war die Analphabetenquote hoch. Laut Zensus konnten im Jahr 1897 im Zarenreich lediglich 57 Prozent der städtischen Bevölkerung lesen und schreiben.134 Die Bearbeitungsgebühren der Gerichte und der mitunter

131 HHStAW, 469/6, 39 VI 133/10 K.; 39 IV 95/10 K. In diese Richtung deuten auch die Hinweise zu Erbangelegenheiten bei Andreas Gestrich, German Pauper Letters and Petitions for Relief. New Perspectives on Nineteenth- and Twentieth-Century Poor Relief, in: Lutz Raphael (Hrsg.), Poverty and welfare in modern German history, New York 2020 (Erstveröffentlichung 2017), S. 49–77. 132 William George Paul, The Shadow of Equality: The Negro in Baltimore, 1864–1911, Doctoral Thesis, ProQuest 1972, S. 344–387. Zum Sparverhalten ärmerer Bevölkerungsschichten im Zarenreich vgl. Lutz Häfner, „Leider können aber auch wir Russen nicht ohne Geld auskommen“, in: L’Homme. Europäische Zeitschrift für Feministische Geschichtswissenschaft 22 (2011), H. 2, S. 47–64, S. 57. 133 Kimberley L. Phillips, „But It Is a Fine Place to Make Money“: Migration and African-American Families in Cleveland, 1915–1929, in: Journal of Social History 30 (1996), H. 2, S. 393–413; Kevin Noble Maillard, The Color of Testamentary Freedom, in: SMU Law Review 62 (2009), H. 4, S. 1783–1816; George W. Evans, Cases, 1928–1944, as covered in information gathered by Larry Gibson, Research and Educational Projects at the Maryland State Archives, in: Maryland State Archives, MSA, SC 5339-152-8. 134 Manfred Hildermeier, Geschichte Russlands. Vom Mittelalter bis zur Oktoberrevolution, München 2013, S. 303.

Erblasser und Erben

zeitaufwendige Gang zum Gericht sprachen des Weiteren sogar eindeutig dagegen, derartige Nachlässe amtlich übertragen zu lassen.135 Die Gerichte selbst hatten ebenfalls kein Interesse daran, alle Erbübertragungen zu erfassen und zu bearbeiten. In Maryland erhielt der Register of Wills beispielsweise pro bearbeiteten Nachlass eine Gebühr, die sich an der Höhe der zu übertragenden Erbschaft bemaß. Sein Einkommen verdiente er daher vor allem mit der Bearbeitung von großen Nachlässen, während im Vergleich dazu die Bearbeitung von kleinen für ihn einen bürokratischen Aufwand mit geringen finanziellen Einnahmen bedeutete. Auch deshalb gingen vom Register of Wills – ähnlich wie von den Amtsgerichten in Deutschland und den Notariaten im Zarenreich – keine Initiativen aus, die darauf abzielten, sämtliche Erbtransfers zu erfassen.136 Schließlich waren viele Richter davon überzeugt, dass Erbübertragungen eine private Familienangelegenheit darstellten, aus der sich der Staat weitgehend heraushalten sollte.137 Von staatlicher Seite aus gab es somit keinen Zwang für Erben, Nachlasstransfers unter Einbezug des Gerichts vorzunehmen, und aus der Sicht zahlreicher Erblasser und Erben sprach viel für informelle Übertragungen. Die große Mehrheit der Bevölkerung nutzte diese rechtliche Möglichkeit. Der Staat war in die Mehrzahl aller Erbübertragungen nicht involviert, während religiöse, ethnische, ständische und personale Beziehungen und Zugehörigkeiten, Wertvorstellungen und Traditionen die Nachlassplanung und -verteilung beeinflussten. Für Frankfurt und Odessa erlauben die Aktenlage und die Forschungsliteratur keine Quantifizierung dieses Anteils. Für Baltimore lässt sie sich hingegen bestimmen. Dort erfasste der Orphans’ Court um 1800 nur die Nachlässe von etwa acht Prozent der Bevölkerung – überwiegend die von Weißen, männlichen Großgrundbesitzern. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts gab es so in Maryland bereits eine lange Tradition des nur minimalen Einbezugs des Orphans’ Court in Nachlassangelegenheiten, die sich bis ins 20. Jahrhundert fortsetzte – bei einer leicht steigenden Tendenz des staatlichen Einbezugs.138 In Baltimore führten im Jahr 1881 8,7 Prozent aller Todesfälle zu einem Probate-Verfahren, im Jahr 1911 waren es 12,9 Prozent.139 135 HHStAW, 469/6, 39 VI 133/10 K.; 39 IV 95/10 K.; David Horton, In Partial Defense of Probate: Evidence from Alameda County, California, in: The Georgetown Law Journal 103 (2015), S. 605–664, S. 617; Powell/Looker, Decedent’s Estates. 136 Reed, Wills, S. 164–166; Hinkley, Testamentary Law, S. 210–239. 137 Scoles, Succession, S. 375. 138 Eugene Scoles, Succession; Fierstein/Stein, Role, S. 1111. 139 Die Zahl der jährlichen Probate-Verfahren wurde aus den Akten des Register of Wills selbst ermittelt. Die Informationen zu den Todeszahlen für die angegebenen Jahre sind folgenden Berichten entnommen: Annual Report of the Health Department of the City of Baltimore to the Mayor and City Council of Baltimore for the Fiscal Year Ending December 31, 1881, Baltimore 1882, S. 17; Department of Public Safety, Annual Report Sub-Department of Health to the Mayor and City

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Diese Verhältnisse entsprachen in etwa denen anderer Countys in anderen Bundesstaaten. In Essex County, New Jersey, resultierten im Jahr 1850 weniger als fünf Prozent aller Todesfälle in einem Probate-Verfahren, im Jahr 1900 lag diese Zahl bei ungefähr acht Prozent.140 In New York County und in Kings County zogen im Jahr 1914 jeweils 28 Prozent beziehungsweise 27 Prozent aller Todesfälle von Personen, die zum Zeitpunkt ihres Todes älter als 20 Jahre waren, ein Probate-Verfahren nach sich.141 Sowohl in Baltimore als auch in anderen Regionen der Vereinigten Staaten kam es somit Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur in relativ wenigen Todesfällen zum Erbübertrag unter Einbezug des Gerichts. In den vom Orphans’ Court in Baltimore City bearbeiteten Nachlässen waren Afroamerikaner unterrepräsentiert. Die vom Gericht bearbeiteten Erbschaften stammten zwischen 1881 und 1941 nahezu ausschließlich von Weißen Erblassern. Lag der Anteil von Persons of Color unter allen vom Gericht bearbeiteten Erbfällen um 1881 bei mageren neun Prozent, nahm er in den folgenden Jahrzehnten sogar noch weiter ab, und dies, obwohl der Anteil von Afroamerikanern an der Stadtbevölkerung seit dem 19. Jahrhundert anstieg. Sie stellten um das Jahr 1940 etwa ein Fünftel der Stadtbevölkerung, hinterließen aber nur zwei Prozent der vom Orphans’ Court registrierten Nachlässe. Demgegenüber stammten ganze 98 Prozent der vom Gericht bearbeiteten Erbschaften von Weißen.142 Noch niedriger war der Anteil von Persons of Color unter den Erblassern, die ein Testament hinterließen. Im Jahr 1941 stammte im Untersuchungssample kein einziges vom Gericht eröffnetes Testament von einer Person of Color (PoC). Anhand der wenigen Einzelfälle im Sample, in denen das Nachlassgericht Erbübertragungen von PoCs dokumentierte, lassen sich keine Aussagen zu repräsentativen Erbpraktiken in der afroamerikanischen Bevölkerung von Baltimore um 1900 treffen. Die Informationen, die sich zu sechs dieser Personen finden ließen, erlauben es jedoch, Fragen und Hypothesen zu formulieren, die es in weiteren Studien zu überprüfen gilt. So werfen die Akten zu den vier Erblasserinnen und

Council of Baltimore for the Fiscal Year Ended December 31, 1924, 1925, S. 110; City of Baltimore, One Hundred and Twenty-Seventh Annual Report of the Department of Health, 1941, To the Mayor and City Counsel of Baltimore for the Year Ended December 31, 1941, 1942, S. 12. 140 Lawrence Meir Friedman, Patterns of Testation in the 19th Century: A Study of Essex County (New Jersey) Wills, in: American Journal of Legal History 8 (1964), S. 34–53, S. 35. 141 Powell/Looker, Decedent’s Estates, S. 924. 142 Dinkel, Nachlassakten. Zur Geschichte von Afroamerikanern in Baltimore vgl. Pearl Stewart, Impact of Migration on African American Family Development and Relationships, in: Journal of Family History 32 (2007), H. 1, S. 45–65; Stephen Whitman, The Price of Freedom. Slavery and Manumission in Baltimore and Early National Maryland, Lexington 1997; Christopher Phillips, Freedom’s port. The African American community of Baltimore, 1790–1860, Urbana 1997; Elmer P. Martin/Joanne Mitchell Martin, The Black Extended Family, Chicago/London 1978; Paul, Shadow.

Erblasser und Erben

Abbildung 1 Erblasser in Baltimore City, aufgeteilt nach Jahren und ihrer Kategorisierung durch den Orphans’ Court als „White“ und „Colored“, „African-American“, „Brown“ und „Asian“ in Prozent, 1881–1941. Quelle: Dinkel, Nachlassakten.

Abbildung 2 Verhältnis von Weißen zu People of Color Testatoren in Baltimore in Prozent, 1881–1941. Quelle: Dinkel, Nachlassakten.

zwei Erblassern zunächst die Frage auf, ob sich in dieser Gruppe nur zufällig doppelt so viele Frauen wie Männer finden oder ob dieses Verhältnis repräsentativ ist, woran sich die Frage anschließen lässt, ob Schwarze Frauen aufgrund ihrer intersektionalen Doppeldiskriminierung über race und Geschlecht, die vermutlich weniger als Schwarze Männer zu vererben hatten, dennoch häufiger den Weg über

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den Orphans’ Court wählten.143 Darüber hinaus legen die spärlichen Informationen in den Akten nahe, dass die sechs Personen aus der schon länger in Baltimore bestehenden afroamerikanischen Gemeinschaft stammten und nicht aus der Gruppe der nach dem Bürgerkrieg in die Stadt migrierten Afroamerikaner. Vier von ihnen waren in Baltimore oder im Umland von Baltimore geboren, eine stammte aus Virginia, in einem Fall war der Geburtsort nicht zu ermitteln. Ihre Nachlässe fielen mit einem Wert von durchschnittlich 188 Dollar deutlich geringer aus als die Nachlässe von Weißen. Vier von ihnen arbeiteten als Hausdiener oder Handwerker und hinterließen kein Testament. Über die Verteilung ihres Nachlasses fanden sich keine Einträge in den Akten. Mehr Informationen halten die Akten zu den beiden Personen bereit, die per Testament über ihre Erbschaft verfügten: Priscilla H. war in Baltimore geboren und verwitwet. Sie vermachte ihren Besitz an einen Freund (100 Dollar), an ihre Tochter (50 Dollar) und den Rest an das Aged Men’s and Woman’s Home of the Methodist Episcopal Church of Baltimore.144 Der im Jahr 1826 geborene James A. H. verstarb im Jahr 1911 im Alter von 84 Jahren; er war verheiratet und Bischof einer afro-amerikanischen Kirchengemeinde in Baltimore.145 Zumindest Letzterer gehörte zur kleinen gebildeten Elite der alteingesessenen afroamerikanischen Bevölkerung, die den Aufstieg in die Mittelschicht anstrebte oder bereits geschafft hatte. Mit ihrer Nachlassplanung, insbesondere dem Errichten eines Testaments und dem Vermögenstransfer über den Orphans’ Court, griff sie auf kulturelle Praktiken zurück, die unter der wohlhabenden Weißen Bevölkerung verbreitet waren.146 Während afroamerikanische Erblasser unter den vom Gericht bearbeiteten Erbfällen vom frühen 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts durchgängig unterrepräsentiert waren, änderte sich das Verhältnis von Weißen Frauen und Männern merklich. Noch im kolonialen Maryland stammten nahezu alle von Nachlassgerichten dokumentierten Erbschaften von wohlhabenden Weißen Männern.147 Danach glich sich das Geschlechterverhältnis kontinuierlich an. Im Jahr 1881 stammten in Baltimore bereits 45 Prozent aller bearbeiteten Nachlässe von Frauen, und im Jahr 1911 waren es 48 Prozent.148 Damit nahmen auch die von Frauen verfassten und 143 Zu den ökonomischen Handlungsspielräumen afroamerikanischer Frauen um 1900 vgl. auch Shennette Garrett-Scott, Banking on freedom. Black women in U.S. finance before the New Deal, New York 2019; Tera W. Hunter, Bound in wedlock. Slave and free black marriage in the nineteenth century, Cambridge, MA, London 2017. 144 Last Will and Testament of Priscilla H., JHB 47/304, in: MSA, Register of Wills, Baltimore City, 1911. 145 James A. H., Reference Number C 47,568, in: MSA, Register of Wills, Baltimore City, Administration Record – H, 1911. 146 Stewart, Impact, S. 59. 147 Carr, Development. 148 Dinkel, Nachlassakten.

Erblasser und Erben

vom Orphans’ Court eröffneten Testamente zu. Der Prozentsatz aller von Frauen verfassten Testamente lag um 1800 je nach Region zwischen ca. einem und ca. zwölf Prozent. Lediglich in Rhode Island waren um 1800 bereits etwa 20 Prozent aller Testamente von Frauen verfasst.149 In Baltimore City und Baltimore County stammten im Jahr 1800 neun Prozent aller eröffneten Testamente von Frauen.150 Dies änderte sich im 19. Jahrhundert; insbesondere mit den Married Women Property Acts öffnete sich das Gericht schrittweise für Frauen. Der Anteil der von Frauen verfassten Testamente stieg in Baltimore City und Baltimore County auf 38 Prozent im Jahr 1846 an.151 In der zweiten Jahrhunderthälfte setzte sich dieser Trend fort, begünstigt durch eine Gesetzesänderung in Maryland im Jahr 1872, mit der verheiratete Frauen nun auch ohne Erlaubnis ihres Ehemanns testieren durften. In den für diese Studie erhobenen Samples lag der Anteil der testierenden Frauen im Jahr 1881 bei 43 Prozent, im Jahr 1911 bei 58 Prozent und im Jahr 1941 bei knapp 48 Prozent.152 In Baltimore errichteten damit zu Beginn des 20. Jahrhunderts etwa genauso viele Frauen wie Männer ein Testament. Diese Entwicklung war zugleich charakteristisch für das ganze Land. Auch in anderen Countys stieg die Zahl der testierenden Frauen weiter an.153 Hauptsächlich waren es somit die Nachlässe von älteren Weißen Männern und Frauen, die das Gericht bearbeitete. Über 90 Prozent aller dokumentierten Erbschaften stammten von Weißen, die sich aus Migranten aus Europa und der wohlhabenden Elite der Stadt zusammensetzten. Wohlhabende Bürger suchten damit in Baltimore – ebenso wie in Frankfurt und Odessa – in Erbangelegenheiten das Nachlassgericht auf. Dieses sollte ihre Eigentumstitel bestätigen und den Vermögenstransfer in der Familie gewährleisten, wobei die Strategien variierten, mit denen sie dieses Ziel verfolgten. 6.3 Gesetzliche Erbfolge als Normalfall auf den Nachlassgerichten Obwohl bürgerliche Zeitschriften und Rechtsanwälte um 1900 das Testament als zentrales und wichtigstes Instrument der individuellen Nachlassplanung anpriesen, verfassten im Deutschen Kaiserreich nur verhältnismäßig wenige Personen ein Testament. Die zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstehende Rechtstatsachenforschung kam für verschiedene Regionen des Kaiserreichs zu dem Ergebnis, dass

149 Kristine S. Knaplund, The Evolution of Women’s Rights in Inheritance, in: Hastings Women’s Law Journal 19 (2008), S. 3–52, S. 3f. 150 Richard H. Chused, Married Women’s Property Law: 1800–1850, in: The Georgetown Law Journal 71 (1982–1983), S. 1359–1425, S. 1373. 151 Chused, Women’s, S. 1373. 152 Dinkel, Nachlassakten. 153 Knaplund, Evolution; Shammas/Salmon/Dahlin, Inheritance.

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zu Beginn des 20. Jahrhunderts die große Mehrzahl aller von den Amtsgerichten erfassten Erbschaften entsprechend der gesetzlichen Erbfolge übertragen wurde.154 Verschiedene Autoren erkannten keine Unterschiede zwischen Großstädten, Kleinstädten und ländlichen Regionen, weshalb davon auszugehen ist, dass die folgenden Zahlen für einzelne Regionen – hauptsächlich die zu Preußen – auch für Frankfurt zutreffend sind. Demnach trat die gesetzliche Erbfolge (Intestaterbfolge) in Brandenburg in 75 bis 90 Prozent aller Erbfälle ein, in Schlesien in 60 Prozent sowie in den Königreichen Sachsen und Württemberg in 80 bis 90 Prozent aller Erbfälle.155 Ein ähnliches Bild zeigt sich für Preußen. Dort wurden Erbschaften zwischen 1902 und 1906 in ca. 86 Prozent aller Fälle entsprechend der Intestaterbfolge verteilt. Selbst wenn nur die Todesfälle von Personen über 15 Jahren betrachtet werden, kam es in Preußen immer noch in knapp über 70 Prozent aller Erbfälle zur Anwendung der gesetzlichen Erbfolge.156 Von den Gerichten erfasste Erbschaften wurden damit im Kaiserreich zu Beginn des 20. Jahrhunderts überwiegend entsprechend der im BGB festgelegten gesetzlichen Erbfolge an Verwandte des Erblassers verteilt. Diese Befunde relativieren die zahlreichen Anekdoten zu kuriosen Testamenten, literarischen Verarbeitungen von Testamentsstreitigkeiten und Aufforderungen in bürgerlichen Zeitschriften und Erbratgebern, welche die Testamentserrichtung zum zentralen Akt der individuellen Nachlassplanung erklärten. Exzentrische Testamente und Testamentsstreitigkeiten waren zwar in den Massenmedien und in der Literatur durchweg präsent und wurden als Neugierde hervorrufender Topos auch gerne aufgegriffen.157 Die in Massenmedien publizierten Testamentsfälle erfassten und thematisierten aber eben nur Erbschaftsangelegenheiten einer kleinen Gruppe. Darüber darf auch die Vielzahl von Ratgebern als Hilfe zur Erstellung von Testamenten nicht hinwegtäuschen. Bei den meisten Erbfällen war überhaupt kein Testament vorhanden; stattdessen wurden diese Nachlässe entsprechend der gesetzlichen Erbfolge an Familienmitglieder übertragen. Anders sah es in Baltimore aus. Mit der Professionalisierung der Vermögensverwaltung und dem Einbezug von Banken in Erbangelegenheiten stieg die Testierhäufigkeit in Baltimore ebenso wie in anderen Städten und Countys der USA an. Während in Baltimore um 1800 nur in 14 Prozent aller vom Gericht dokumentierten Erbfälle ein Testament vorhanden war, stieg dieser Anteil im Laufe des Jahrhunderts auf über 42 Prozent im Jahr 1881 sowie auf 48 Prozent im Jahr 1911

154 Martin Segall, Das bürgerliche Recht und die Lebensgewohnheiten, in: Archiv für bürgerliches Recht 32 (1908), S. 410–457; Arthur Nußbaum, Die Rechtstatsachenforschung. Ihre Bedeutung für Wissenschaft und Unterricht, Tübingen 1914. 155 Segall, Recht, S. 436. 156 Zahlen und Statistik aus Segall, Recht, S. 455. Auf den folgenden Seiten finden sich Statistiken zu weiteren Rechtsgebieten im Kaiserreich, die ein ähnliches Bild zeichnen. 157 Vedder, Testament; Bietz, Erbschaften, S. 85–101.

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und 53 Prozent im Jahr 1941 an. In den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts war damit in ungefähr der Hälfte aller vom Orphans’ Court bearbeiteten Erbangelegenheiten ein Testament vorhanden.158 Dies bedeutet zunächst, dass in ungefähr der Hälfte aller dokumentierten Erbfälle das Erbe entsprechend der gesetzlichen Erbfolge an Familienmitglieder fiel. In der anderen Hälfte der Erbfälle nahmen überwiegend Weiße und wohlhabende Erblasser per Testament Einfluss auf die Verteilung ihres Erbes. 6.4 Testatoren und letztwillige Wünsche Testieren als Praktik der Ober- und Mittelschicht

In Baltimore errichteten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zwar deutlich mehr Eigentümer ein Testament als in Frankfurt und vermutlich auch als in Odessa.159 Die soziale Herkunft der Testatoren, die Gründe für ihre Testamentserrichtung und die darin geäußerten letztwilligen Wünsche und Ziele der Nachlassplanung waren in allen drei Städten allerdings ähnlich. In Baltimore, Frankfurt und Odessa waren es nur wenige Tagelöhner, Arbeiter oder Dienstmädchen, sondern überwiegend Personen der wohlhabenden Oberschicht, höhere Beamte, viele selbstständige Handwerker (Schuhmacher, Bäcker, Schneider), Kaufleute und (Bank-)Angestellte wie auch Ärzte, Anwälte, Bankdirektoren und Ingenieure, die ein Testament verfassten. Bei den meisten Erblasserinnen vermerkte das Gericht als Beruf Hausfrau.160 In Frankfurt befanden sich unter den Testatoren Juden, Katholiken und Protestanten. Frauen und Männer testierten etwa gleich häufig.161 Unter den Testatoren in Frankfurt wirkten damit zwei ältere Erbtraditionen fort: die starke Stellung von Frauen im Erbvorgang und die Testamentserrichtung als Praktik des Frankfurter Bürgertums. Diese relative Homogenität der Testatoren darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es selbst innerhalb der jeweiligen städtischen wohlhabenden Schichten enorme Vermögensunterschiede gab. In Baltimore und Frankfurt

158 Dinkel, Nachlassakten. 159 Für Odessa fanden sich keine Angaben zur Testierhäufigkeit. 160 Hausmann, Kaufleute. Das gleiche Phänomen beschreibt stärker deskriptiv Wolfgang Sartor, Das Haus Mahs. Eine internationale Unternehmerfamilie im Russischen Reich: 1750–1918, Olearius Press 2009, S. 84f. 161 Im Jahr 1910 stammten von 51 auf dem Amtsgericht eröffneten Testamenten 20 Testamente von Männern, 19 von Frauen, vier waren gemeinschaftlich von einem Ehepaar errichtet und in acht Fällen war das Geschlecht des Testators nicht zu ermitteln.

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vererbte das reichste Fünftel der Erblasser um 1900 zwischen 80 und 90 Prozent des insgesamt vom Gericht registrierten Nachlassvermögens.162 Wie sahen nun die konkreten Nachlassplanungen dieser Eigentümer aus? Gab es Unterschiede zwischen den „ärmeren“ und „reicheren“ Personen in dieser Gruppe, an welchen Werten orientierten sie sich dabei und an wen übertrugen sie ihr Vermögen? Die Mehrheit aller Testamente waren darauf ausgerichtet, den Eigentumsübertrag in der Familie zu gewährleisten sowie Testator und Erben als Eigentümer zu legitimieren. Die Strategien, um dieses Ziel zu erreichen, variierten hingegen je nach Lebenslage und Vermögen des Erblassers und der Erben. Eine in allen drei Städten ebenfalls verbreitete und davon abweichende Testierpraktik stellte der Tausch „Erbe gegen Pflege“ dar. In diesen Fällen zielte die Nachlassplanung nicht vorranging auf den Vermögensübertrag in der Familie, sondern zunächst auf die soziale Absicherung der älter werdenden Eigentümer. Testamentsversprechen als Altersvorsorge

Armen- und Altersfürsorge leisteten in Baltimore, Frankfurt und Odessa um 1900 kirchliche und private mildtätige Stiftungen sowie staatlich-kommunale Einrichtungen.163 Zu ihren Aufgaben gehörte auch die Sicherung von herrenlosen Erbschaften sowie die Pflegschaft von kleinen und überschuldeten Nachlässen, die Erben ausschlugen. In Frankfurt arbeitete das Amtsgericht hierfür mit Rechtsanwälten und Auktionatoren zusammen, die hinterlassene Kleider, Hausrat und andere Gegenstände schätzten, entsorgten, spendeten oder versteigerten. Geliehene oder noch nicht abbezahlte Gegenstände brachte es an den Verleiher oder Verkäufer zurück.164 Diese staatlichen und kommunalen Strukturen zur Pflege und Versorgung älterer und bedürftiger Menschen waren um 1900 allerdings nur rudimentär vorhanden. Sie reichten nicht aus, um alle Bedürftigen zu versorgen. Älter werdende Menschen, für die kein Platz in diesen Einrichtungen vorhanden war oder die im Alter in der vertrauten Wohnung bleiben wollten, waren daher darauf angewiesen, dass jüngere Personen sie bei Bedarf zu Hause pflegten. Diese Aufgaben übernahmen zumeist nahestehende Bekannte und Familienangehörige, aber auch Personen, die die Pflegetätigkeiten gegen eine direkte Bezahlung oder im Versprechen auf eine

162 Dinkel, Nachlassakten. 163 Anke Sczesny/Rolf Kießling/Johannes Burkhardt (Hrsg.), Prekariat im 19. Jahrhundert. Armenfürsorge und Alltagsbewältigung in Stadt und Land, Augsburg 2014; Gräser, Wohlfahrtsgesellschaft; Robert Jütte, Obrigkeitliche Armenfürsorge in deutschen Reichsstädten der frühen Neuzeit. Städtisches Armenwesen in Frankfurt am Main und Köln, Köln 1984, S. 82–97; Hausmann, Kaufleute, S. 56; Sifneos, Odessa, S. 160–163. 164 Rechtsanwalt jur. Siegfried Schwarzschild an Königliches Amtsgericht, 7.11.1910, in: HHStAW, 469/6, 39 VI 121/10 K.

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spätere Entlohnung leisteten. Die im letzteren Fall getroffene informelle Absprache lautete sinngemäß: ,Pflege du mich bis zu meinem Tod, dafür wirst du durch den Erhalt meines Erbes entlohnt.‘165 Derartige Absprachen finden sich auch in Baltimore, Odessa und Frankfurt bis weit ins 20. Jahrhundert. So lange diente angespartes Vermögen für älter werdende Menschen als „private Altersvorsorge“.166 Dies galt insbesondere für den urbanen Raum, wo die auf dem Land verbreiteten Erbverträge, mit denen Hofbesitzer ihren Hof übergaben, weniger üblich waren. In deutschen Großstädten verpflichteten sich älter werdende Menschen stattdessen bis in die 1940er Jahre bei Einzug in ein Alten- und Pflegeheim, ihr Erbe an das Heim oder das Wohlfahrtsamt zu übergeben.167 Darüber hinaus versprachen Handwerker, Kaufleute, Angestellte und selten Arbeiter per Testament ihr Erbe denjenigen Personen, die sie bei Krankheit oder im Alter pflegten.168 Diese Zusagen wurden meist über das Monetäre hinaus mit dem Verweis auf geteilte Werte, wie die vorausgesetzte und erwartete Liebe von Kindern zu ihren Eltern, Freundschaft oder auch das Pflichtgefühl aller Beteiligten, zusätzlich vertraglich abgesichert. In einem solchen zwischen den Eheleuten S. und der Witwe M. abgeschlossenen Vertrag war beispielsweise festgehalten, dass die Eheleute die Witwe bis zu ihrem Tod pflegen und dafür deren Nachlass erhalten würden. Anschließend spezifizierten sie die Art und Weise, wie die Tätigkeiten ausgeführt werden sollen: „Die Erfüllung des Vertrages soll vom Geist der bestehenden Freundschaft und des gegenseitigen Vertrauens getragen werden.“169 In diesen Absprachen kann die Rückbindung von Pflege an eine emotionale Ebene nicht übersehen werden. Eine enge emotionale und fürsorgliche Beziehung zwischen Gepflegten und Pflegenden blieb zumindest als angestrebtes Ideal einer

165 Zur Bedeutung von Erbe als Altersvorsorge in Deutschland vgl. Christine Fertig/Georg Fertig, Bäuerliche Erbpraxis als Familienstrategie. Hofweitergabe im Westfalen des 18. und 19. Jahrhunderts, in: Brakensiek (Hrsg.), Generationengerechtigkeit, S. 163–187; Volker Lünnemann, Der Preis des Erbens. Besitztransfer und Altersvorsorge in Westfalen, 1820–1900, in: Stefan Brakensiek (Hrsg.), Generationengerechtigkeit, S. 139–162; Jürgen Dinkel, Erbschaften und Altersvorsorge – Über den Wandel von Erb- und Vorsorgepraktiken im 20. Jahrhundert in Frankfurt am Main, in: Dinkel/van Laak, Reader, S. 59–66; Cornelius Torp, Gerechtigkeit im Wohlfahrtsstaat. Alter und Alterssicherung in Deutschland und Großbritannien von 1945 bis heute, Göttingen 2015; Annemone Christians/Nicole Kramer, Who cares? Eine Zwischenbilanz der Pflegegeschichte in zeithistorischer Perspektive, in: Archiv für Sozialgeschichte 45 (2014), S. 395–415. Zum Verhältnis von Altersvorsorge und Erbe in den USA vgl. die ausführliche und informative Studie von Hartog, History. 166 HHStAW, 469/6, 67 IV 750/40 O. 167 Oberregierungsrat: Behandlung der Nachlaßsachen von Insassen der Altersheime, 22.5.1947, in: ISG, Hessischer Städteverband, 31, Altersheime nach 1947. 168 Dinkel, Erbschaften. 169 HHStAW, 469/6, 52 IV 238/50 M.

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Pflegebeziehung bestehen. Gleichzeitig setzte aber auch eine Vermarktlichung von Pflege ein. Private Pflegeleistungen konnten eben nicht mehr unentgeltlich erwartet werden, auch nicht von nahestehenden Personen, sei es aus Liebe, Fürsorge oder kindlicher Pflicht den Eltern gegenüber. Dementsprechend hielt die verheiratete, kinderlose 76-jährige Elisabeth H. im Jahr 1911 in Baltimore in ihrem Testament fest: As my friend Emma L. has come to live with me and has promised to remain with me and care for me and my household affairs until my decease, I give and bequest to her the sum of Five Hundred Dollars to be paid to her by my said Executor provided she is in my employment and living with me at the time of my decease, but if she remains in my employment for one year or longer and shall then leave me, before my decease, she shall then be paid by my said Executor, the sum of Two Hundred and Fifty Dollars, the above provision for said Emma is in addition to the weekly sums I now pay her.170

Umgekehrt erwarteten Pflegende eine Entlohnung ihrer „Pflegearbeit“. Aus diesem Grund wandte sich bereits im Jahr 1907 die Haushälterin Maria W. an das Amtsgericht mit der Bitte um Minderung oder Aufhebung der Erbschaftssteuer. Sie habe bis zum Ableben von Frau Thekla S. 32 Jahre für diese als Haushälterin und Pflegerin gearbeitet. Während dieser Jahre hatte sie nach eigenen Angaben zwar ein kleines Einkommen erhalten, mehrere Bitten um Lohnerhöhung habe Frau S. aber mit der Begründung abgelehnt, dass sie ihre Tätigkeiten eines Tages mit dem Erbe vergelten werde, was mehrere Zeugen bestätigten. In diesem Fall hielt sich Frau S. an ihr Versprechen und vermachte ihrer langjährigen Haushälterin 8923,73 Mark. Davon musste Maria W. allerdings zehn Prozent, also 892 Mark, an Erbschaftssteuern zahlen, da sie nicht mit der Verstorbenen verwandt war. Diese gefühlte Ungerechtigkeit bewegte sie, das Amtsgericht anzuschreiben und zu beklagen, dass es für Personen, die mit der Erblasserin verwandt waren, hohe Freibeträge gebe, weshalb diese keine Steuern zahlen müssten, während sie, die über 30 Jahre eng mit der Verstorbenen verbunden gewesen sei und zusammengelebt habe, dermaßen hohe Steuern auferlegt bekomme.171 Die von Maria W. empfundene Ungerechtigkeit lässt noch eine weitere Interpretation ihres Schreibens zu, wenn die Stigmatisierung gleichgeschlechtlicher

170 Last Will and Testament of Elisabeth H., Liber 109, S. 85, in: MSA, Register of Wills, Baltimore City, 1911. Vgl. auch Last Will and Testament of Mary H., Liber 109, S. 406, in: MSA, Register of Wills, Baltimore City, 1911. 171 Bundesratsausschüsse III und IV, Burghausen, 17.8.1908, Betrifft Bittgesuch der Haushälterin Maria W. in Burghausen, um Nachlaß bzw. Rückvergütung bezahlter Erbschaftssteuer, in: Bay. HStA, MJu 15267, Erbschaftssteuern, Vollzug, Reich, Gesuche um Nachlass in bayrischen Sachen, 1909–11.

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Paare zu dieser Zeit berücksichtigt wird. Im bürgerlichen Familienideal war gleichgeschlechtliche Liebe jedenfalls nicht vorgesehen und musste dementsprechend hinter akzeptierten Formen des Zusammenlebens unsichtbar werden. Während zusammenlebende Männer dabei schnell in den unter Strafe stehenden Verdacht der Homosexualität gerieten, war dies bei Frauen seltener der Fall.172 Doch konnten auch sie sich nicht offen zu ihrer Homosexualität bekennen und mussten Erbweitergaben an den gleichgeschlechtlichen Lebenspartner in akzeptierte Formen der Erbeinsetzung übertragen. Die testamentarische Einsetzung einer „Pflegerin“ oder eines „Pflegers“ als Erbe stellte vor diesem Hintergrund für gleichgeschlechtliche Paare eine Möglichkeit dar, den Lebenspartner in einer gesellschaftlich akzeptierten Konstellation als Erbe einzusetzen, ohne dass sie ihre Beziehung im Testament öffentlich benennen mussten. Gerade weil diese Nachlassplanung darauf abzielte, mögliche Liebesbeziehungen, die sich im Alter eben auch in Fürsorgeleistungen ausdrücken konnten, nicht zu benennen, finden sich in Testamenten kaum oder nur versteckte Hinweise darauf, dass gleichgeschlechtliche Paare diese Möglichkeit nutzten. Im Fall von Maria W. könnte dafür sprechen, dass sie kritisierte, dass der Gesetzgeber bei der Besteuerung eines Erbes zwar zwischen mit dem Erblasser verwandten und nicht verwandten Personen unterschied, dabei aber die persönlichen Beziehungen zwischen diesen Personen nicht berücksichtigte.173 In anderen Testamenten, wie dem der Marie F., lässt der Wortlaut der letztwilligen Bestimmungen eine solche Interpretation zu: „Nach meinem Tod soll all mein Hab und Gut der fast ein Menschenleben mit mir zusammenlebenden Fräulein Adele D. […] zufallen als Entschädigung für die mir ohne Entgelt geleistete Dienste als Betreuerin meines Haushaltes und der mir gewährten Pflege. Durch Uebereignung meines Nachlasses kann ich nur einen kleinen Teil meines Dankes für ihre Aufopferung und Treu abgelten.“174 Für eine genauere Überprüfung der Hypothese, dass gleichgeschlechtliche Paare sich der Absprache „Erbe gegen Pflege“ bedienten, um ihren Besitz in einer gesellschaftlich akzeptierten Weise an mit ihnen nicht verwandte Personen zu vermachen, sind aber mehr Informationen zum Zusammenleben dieser Personen notwendig, als Nachlassakten sie bereithalten. Aus der Perspektive eines Gepflegten und die Vermarktlichung von Pflege anerkennend hielt wiederum ein Frankfurter Kaufmann in seinem im November 1925 errichteten Testament fest, dass ihn zwei seiner Söhne seit 1919 gepflegt und

172 Bärbel Kuhn, Familienstand: ledig. Ehelose Frauen und Männer im Bürgertum (1850–1914), Köln 2000. 173 Bundesratsausschüsse III und IV, Burghausen, 17.8.1908, Betrifft Bittgesuch der Haushälterin Maria W. in Burghausen, um Nachlaß bzw. Rückvergütung bezahlter Erbschaftssteuer, in: Bay. HStA, MJu 15267, Erbschaftssteuern, Vollzug, Reich, Gesuche um Nachlass in bayrischen Sachen, 1909–11. 174 Testament von Marie F., 11.10.1943, in: HHStAW, 469/6, 51 IV 50/50 F.

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versorgt hätten und es nie seine Absicht gewesen sei, dies unentgeltlich hinzunehmen. Beide sollten aus seinem Nachlass einen Voraus von 6.000 Mark erhalten, bevor die restliche Erbschaft verteilt werde.175 Über Pflegeleistungen konnten sich somit Personen (zusätzliche) Erbanteile „verdienen“, ob sie nun mit dem Erblasser verwandt waren oder nicht. Umgekehrt führte diese Erbpraktik dazu, dass Frauen und Männer ihr Eigentum auch an weiter entfernte Verwandte oder an Personen, mit denen sie nicht verwandt waren, vererbten. Das Erbe blieb in solchen Fällen, die meist in der Mittelschicht vorkamen, keineswegs immer in der (engeren) Familie.176 Typisch für solche Absprachen waren testamentarische Bestimmungen wie diese: „Mein letzter Wille und der letzte Wille eines Sterbenden ist heilig. Ich verschenke dem Arnold S. aus O. mein Bett für die langjährige Verpflegung während meiner Krankheit, weil ich ihn nicht bezahlen konnte, da ich leider nichts hatte“, so festgehalten im Testament der 1910 80-jährig in Frankfurt verstorbenen Frau K.177 Die 82-jährige Witwe Margarethe S. erklärte die Zurücksetzung von drei weiteren Kindern und die Einsetzung einer Tochter als Alleinerbin folgendermaßen: „Dies geschieht vor allen Dingen deshalb, weil mich meine Tochter seit etwa fünfzehn Jahren in ihr Heim und in ihre Familie aufgenommen, und mich bis zum heutigen Tage in gesunden und kranken Tagen treu gehegt und gepflegt hat, und dies auch weiterhin tun wird.“178 Die verwitwete Frau W. hielt in ihrem Testament fest, dass sie stets darauf bedacht gewesen sei, „Personen für die Versorgung im Alter und Krankheit zu gewinnen unter dem Versprechen der Erbeinsetzung“,179 und dass sie genau aus diesem Grund nicht ihre Verwandten, sondern ihre Pflegerin als Erbin einsetze. Der strategische Einsatz von Erbversprechen zur Kontingenzbewältigung wird hier besonders deutlich, ebenso wie die Tatsache, dass es überwiegend Frauen waren, die sich auf diese meist informellen Absprachen und Versprechen – Erbe gegen Pflege – einließen.180 Zugleich waren diese Absprachen extrem konfliktanfällig.181 Pflegende stellten nach der Testamentseröffnung immer wieder fest, dass sie vom Gepflegten nicht wie versprochen im Testament bedacht worden waren, oder andere Familienmitglieder und gesetzliche Erben fochten Testamente an, in denen Erbschaften an Personen

175 Testament von Georg F. W., 1.10.1925, in HHStAW, 469/6, 36 IV 1170/25 W. Vgl. auch ZA EKHN, 155/5683 Erbschaft S. 176 Amtsgericht Frankfurt, 52 IV R 210/2000 R und 52 IV T 68/2000 T. 177 Testament der Margarete K., in: HHStAW, 469/6, 39 IV 95/10 K. Für ähnliche Fälle vgl. HHStAW, 469/6, 51 IV 50/50 F.; 469/6, 51 IV 40/50 H.; 51 IV 484/50 K.; 51 IV 20/50 D. 178 Testament von Margarethe S., 5.10.1940, in: HHStAW, 469/6, 67 IV 711/40 S. 179 ZA EKHN, 155/5486, Erbschaft W. 180 Für weitere Beispiele „Erbe gegen Pflege“ vgl. AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 51 IV 11/56 K.; 51 IV 19/56 G.; 51 IV 19/60 B.; 52 IV 507/50 K.; HHStAW, 469/6, 51 IV 12/50 B. 181 Hartog, History.

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übertragen wurden, die nicht zur Familie gehörten. In diesen Fällen mussten dann Richter über die Rechtmäßigkeit der Testamente bestimmen und beurteilen, ob der Lebenswandel einer Person, deren Testament und die darin vorgenommene Verteilungen des Erbes als zwar exzentrisch, aber rechtsgültig oder als Produkt einer (Geistes-)Krankheit oder einer Beeinflussung durch Dritte und damit als ungültig anzusehen seien. Sie erfüllten damit eine wichtige Funktion bei der Aushandlung von gesellschaftlich noch akzeptablen Verhaltensweisen und Normen sowie beim Austarieren gesellschaftlicher, familiärer und individueller Interessen und der Stabilisierung der Eigentums- und Erbordnung. Gerichte als Bewahrer des (Weißen) Familienprinzips

Zum Erbübertrag in der Familie und zur Stabilisierung der Eigentumsordnung leisteten neben der gesetzlichen Erbfolge und den Testatoren auch Richter einen Beitrag. Denn die von Testatoren vorgenommenen Abweichungen von der gesetzlichen Erbfolge, ihre individuellen Erbverteilungen sowie die ihren Erben gemachten Restriktionen und Einschränkungen wurden nicht immer von allen (gesetzlichen) Erben akzeptiert. In diesen Fällen mussten Richter die Gültigkeit der testamentarischen Vorgaben und der Testamente prüfen und entscheiden, ob die letztwilligen Wünsche zu befolgen seien. Über diese Gerichtsstreitigkeiten und kuriosen Testamente existieren zahlreiche Handbücher und Anekdoten, und auch die Massenmedien berichten bis in die Gegenwart immer wieder ausführlich über Testamentsstreitigkeiten.182 Die enorme mediale Aufmerksamkeit verdeckt aber drei für die Stabilität von Erbordnungen wichtige Punkte. Erstens hinterließ der Großteil aller Testatoren überhaupt kein „kurioses“ Testament, sondern ein stark formalisiertes, das – gesellschaftlichen Normen entsprechend – die Weitergabe von Vermögen in der Kernfamilie zum Ziel hatte. Zweitens kam es in Baltimore wie in anderen Countys nur in sehr wenigen Fällen zu einer Testamentsanfechtung. Unter den 90 zufällig ausgewählten Erbfällen aus den Jahren 1881 (30) und 1911 (60) im Verwaltungsbezirk Baltimore City gab es keine einzige Anfechtung. Der Register of Wills in Baltimore verzeichnete für den Zeitraum von 1872 bis 1884 überhaupt „nur“ 48 Fälle, in denen Personen Einspruch gegen ein Nachlassverfahren erhoben. In Baltimore zogen dementsprechend pro Jahr im Durchschnitt vier Probate-Verfahren eine gerichtliche Beschäftigung mit dem Erbfall nach sich, wobei es sich nicht in jedem dieser Einsprüche um eine Testamentsanfechtung handelte.183 Bis ins frühe 20. Jahrhundert stieg die-

182 C. W. Whitmore, Old Wills and odd Testaments. Ancient Documents are Index to life in the Maryland Colony, in: The Baltimore Sun, 3.8.1930. 183 Appeals and Issues, 1851–1884, C160, JHB 8, in: MSA, Register of Wills, Baltimore City.

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se Zahl, ebenso wie die Zahl der Probate-Verfahren, leicht an. Für die 15 Jahre zwischen 1904 und 1919 sind 462 Einsprüche verzeichnet, womit in diesem Zeitraum durchschnittlich 31 Erbfälle pro Jahr zu einer gerichtlichen Überprüfung des Verfahrens führten. In den meisten dieser Verfahren ging es jedoch ebenfalls nicht um die Anfechtung eines Testaments, sondern um Beschwerden über einen angeblich falsch angegebenen Nachlasswert, die zu langsamen oder ungenauen Tätigkeiten der Testamentsvollstrecker oder andere Verzögerungen, die sich aus dem Probate-Verfahren ergaben.184 In anderen Countys der USA war die Situation ähnlich. In Essex County kam es im 19. Jahrhundert bei weniger als einem Prozent der eröffneten Testamente zu deren Anfechtung.185 Richard R. Powell und Charles Looker ermittelten, dass Testamente in New York County zwischen 1914 und 1929 nur in vier Prozent aller Erbübertragungen vor Gericht angezweifelt wurden.186 In Wisconsin (Dane County) fochten Kläger zwischen 1929 und 1944 3,5 Prozent der vom Gericht eröffneten Testamente an.187 Zu einem ähnlichen Ergebnis kamen Marvin Sussman, Judith Cates und David Smith in ihrer umfangreichen Studie zu Erbpraktiken in Cuyahoga County. Dort wurden Ende der 1960er Jahre in etwa einem Prozent aller Erbfälle Testamente vor Gericht angezweifelt.188 Jeffrey A. Schoenblum ermittelte eine ähnlich niedrige Rate für Davidson County. Dort kam es zwischen 1976 und 1984 bei weniger als einem Prozent aller eröffneten Testamente zu deren Anfechtung.189 Diese Befunde relativieren somit die zahlreichen Anekdoten und massenmedialen Berichte über Testamentsstreitigkeiten. Denn in der Praxis erlangte die große Mehrheit aller Testamente ohne Gerichtsstreitigkeiten Rechtskraft.190 Die geringe Zahl an Testamentsanfechtungen erklärt sich nach Lawrence M. Friedman neben der Formalisierung von Testamenten und der Reform der Nachlassinstitutionen daraus, dass alle potentiell klageberechtigten Erben testamentarische Bestimmungen in der Regel als gerecht ansahen. Selbst in Fällen, in denen das Gericht Testamente aufgrund von Formfehlern für ungültig erklärte, kam es

184 185 186 187

Appeals and Issues 1904–1919, T623/C3355, in: MSA, Register of Wills, Baltimore City. Friedman, Patterns. Powell/Looker, Decedent’s Estates, S. 932. Edward Ward/J. H. Beuscher, The Inheritance Process in Wisconsin, in: Wisconsin Law Review (1950), S. 393–426, S. 415ff. 188 Marvin B. Sussman/Judith N. Cates/David T. Smith, The Family and Inheritance, New York 1970, S. 184, 186. 189 Jeffrey A. Schoenblum, Will contests – An empirical Study, in: Real Property, Probate and Trust Journal 22 (1987), S. 607–660, S. 613. Vgl. auch Jeffrey P. Rosenfeld, Disinheritance and Will Contests, in: Cates/Sussman (Hrsg.), Family Systems, S. 75–86, S. 78. 190 Für Frankfurt und Odessa erlaubten die überlieferten Akten und die vorhandene Sekundärliteratur keine derartige Quantifizierung.

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vor, dass sich Familienmitglieder und per (ungültigem) Testament eingesetzte Erben außergerichtlich einigten und an den testamentarischen Vorgaben festhielten, auch wenn dies bedeutete, dass einige Personen damit explizit auf ihre Erbteile verzichteten.191 Jesse H. setzte in seinem Testament beispielsweise als Alleinerben eine Frau ein, mit der er nicht verheiratet war, vor seinem Tod aber über 20 Jahre zusammengewohnt hatte und die er in seinem Testament als sehr enge und gute Freundin bezeichnete. Die Unterschrift im Testament entsprach jedoch nicht den gesetzlichen Formvorgaben, weshalb der Nachlassrichter das Testament für ungültig erklärte, den Bruder des Verstorbenen über die Ungültigkeit des Testaments informierte und ihn zum Erben einsetze. Letzterer teilte dem Richter daraufhin mit, dass er das Testament seines Bruders als gültig anerkenne, er bereit sei, auf sein gesetzliches Erbteil zu verzichten, und wünsche, dass die Freundin seines Bruders dessen Besitz erhalte. Zusätzlich hinterlegte er am Orphans’ Court ein Schreiben, in dem er erklärte, dass, sollte das Gericht ihm das Erbe übertragen, er eine freiwillige Schenkung an die Freundin seines Bruders vornehmen werde, die dem Wert der Erbschaft entspreche.192 In ähnlicher Weise erkannten die Brüder des Frankfurter Kaufmanns Johann C. nach dessen Tod sein Testament und mithin seine darin als Alleinerbin eingesetzte Frau als alleinige Erbin an, obwohl es ohne Unterschrift nicht rechtsgültig war und sie damit freiwillig auf ihre Erbteile verzichteten.193 In diesen Fällen ermöglichten funktionierende Familienbeziehungen eine Umsetzung von letztwilligen Bestimmungen, die nicht den Formerfordernissen entsprachen. Testamente wurden des Weiteren auch deshalb selten angefochten, da es kulturell bedingte Hemmungen gab, Familienangehörige zu verklagen. Einzelnen Erben war es wichtiger, nach außen den Schein einer intakten Familie zu wahren und die Beziehungen zu anderen Familienmitgliedern nicht abreißen zu lassen, als ihre Erbteile vor Gericht einzuklagen. Ein solcher Schritt wurde als extreme Normverletzung betrachtet und als endgültiger Abbruch von Familienbeziehungen angesehen und daher von benachteiligten Erben vermieden. Zudem war es kostspielig und riskant, ein Testament anzufechten.194 Denn viele Testamente enthielten standardmäßig eine „no-contest-clause“, nach der derjenige Erbe seinen Erbteil verlor, der ein

191 192 193 194

Friedman, Dead hands, S. 89–93; Rotenhan, Testamentsstreitigkeiten. Jesse H., Estate number A-1635, in: Register of Wills, Baltimore City, 1971. HHStAW, 469/6, 51 IV 546/50 C. und 51 VI 1448/50 C. Friedman, Dead hands, S. 89–93. Ähnliche Ansichten äußerten mehrere von Marianne Kosmann in den 1990er Jahren interviewte Frauen in der Bundesrepublik; vgl. Kosmann, Frauen, S. 245.

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Testament anzweifelte, falls er das Gerichtsverfahren verlor.195 Charakteristisch hierfür hielten der verwitwete Flaschenbierhändler Nicolaus K. und seine Verlobte Margaretha G. in ihrem gemeinschaftlichen Testament in Frankfurt fest: Wir erwarten von unseren Kindern und Erben, daß sie diesen unseren letzten Willen geträulich befolgen. Sollte aber trotzdem einer von ihnen das Testament oder seine etwaigen Nachträge anzweifeln, oder den Vollzug durch Weigerung der Anerkennung der hier oder später getroffenen Bestimmungen auch nur […] Schwierigkeiten in den Weg legen, so soll der Betroffene zur Strafe, soweit er als Notherbe in Betracht kommt, hiermit zu Gunsten der gehorsamen Miterben auf den Pflichtteil gesetzt werden und, soweit er nicht Notherbe ist, von der Erbschaft gänzlich ausgeschlossen sein. Würden aber sämtliche Kinder wegen Ungehorsam auf den Pflichtteil verwiesen werden müssen, so soll alles dasjenige was gesetzlich nicht auf die Witwe des Testierers fallen darf, an die hiesigen Stadtgemeinde, welche hierdurch insoweit zur Erbin eingesetzt wird, zu Armenzwecken überwiesen werden.196

Solche Klauseln zogen ihre abschreckende Wirkung aus der Tatsache, dass es Klägern im 19. und 20. Jahrhundert nur in wenigen Fällen gelang, ein Testament für ungültig erklären zu lassen. Das Risiko, mit einer abgewiesenen Klage auch das zugewiesene Erbe zu verlieren, war folglich hoch. Erblassern gab der Gesetzgeber mit dem Testament somit ein rechtliches Instrument an die Hand, mit dem sie vorausplanen und über ihren Nachlass verfügen konnten.197 Drittens schließlich gab es von dieser Regel zwei kleinere Ausnahmen, die eng mit dem Erbmuster Pflege gegen Erbe verbunden waren. Denn am erfolgversprechendsten war die Anfechtung eines Testaments, wenn es dem Kläger gelang, das Gericht davon zu überzeugen, dass der Testator zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung geistig nicht mehr in der Lage gewesen war, ein Testament abzufassen (lack of capacity) oder dass er bei der Abfassung seines Testaments von einer dritten Person beeinflusst worden war (undue influence). Erstere Behauptung überzeugte das Gericht vereinzelt bei sehr alten Testatoren, letztere verfing meistens, wenn der Nachlass laut Testamentsbestimmungen an Personen außerhalb der Familie und außerhalb der eigenen sozialen Klasse übertragen werden sollte – zum Beispiel

195 Eine solche Klausel findet sich u. a. im Testament von Elizabeth H., die darin festhielt: „It is my Will and I hereby direct that should any person herein named, attempt to break my will, then the bequest herein made to the party so attempting to be null and void.“ Last Will and Testament of Elizabeth H., JHB 47/425, in: MSA, Register of Wills, Baltimore City. Für Frankfurt vgl. Testament von Johann K., 14.10.1889, in: HHStAW, 469/6, 39 IV 16/10 K. 196 Testament von Nicolaus K., 3.3.1899, in: HHStAW, 469/6, 39 IV 14/10 K. 197 Friedman, Hands, S. 89, 93.

Erblasser und Erben

an die vermeintliche Geliebte, die Pflegerin, an Hauspersonal oder auch an Afroamerikaner.198 Entsprechenden gerichtlichen Entscheidungen lag die Vorstellung zugrunde, dass jeder unbeeinflusste Weiße Eigentümer bei klarem Verstand sein Vermögen natürlich an seine gesetzlichen Erben und enge Familienmitglieder vermache. War dies nicht der Fall, so musste der Verstorbene folglich nicht bei klarem Verstand gewesen sein oder unter dem Einfluss einer dritten Person gestanden haben. Diese Argumentation und Praxis der Rechtsprechung erhob die innerfamiliale Erbweitergabe damit zu einer gesellschaftlichen und juristischen Norm, von der jede Abweichung überzeugend begründet werden musste. Damit erhöhte der Gesetzgeber, trotz aller Bestrebungen, die Testierfreiheit des Einzelnen sicherzustellen und Testamente als sichere Instrumente des Nachlasstransfers zu etablieren, bei familialen Erben die Chancen, Testamente, in denen gegen kulturelle Normen verstoßen und die Interessen der Familie nicht ausreichend berücksichtigt wurden, erfolgreich anzufechten. Dies war vor allem dann gegeben, wenn Testatoren Erbübertragungen an Personen außerhalb der eigenen Familie, sozialen Schicht oder race verfügten.199 Auch Richter stabilisierten damit durch ihre Urteile den gesellschaftlichen Status quo um 1900, den Erbübertrag in der Familie und daraus resultierende Vermögensungleichheiten. Testamente und moral economy

War die eigene Altersvorsorge – und gegebenenfalls die des Ehepartners – gewährleistet, zielten die Testamentsvorgaben der meisten Personen darauf, sich und ihre Erben als Eigentümer zu legitimieren sowie auf den Vermögenserhalt in der Familie.200 Ein Teil der Testatoren nahm hierfür in seinem Testament keinerlei Änderung der gesetzlichen Erbfolge vor. In Frankfurt umfasst diese Gruppe zu Beginn des 20. Jahrhunderts etwa ein Drittel aller Testatoren. Einzelne von ihnen, wie der im Jahr 1910 verstorbene Spenglermeister Johann K., bestimmten sogar explizit, dass ihr Nachlass entsprechend der gesetzlichen Erbfolge zu verteilen

198 Friedman, Hands, S. 82–99. Für ein Beispiel aus Baltimore im späten 20. Jahrhundert vgl. den Erbfall Herbert H., Estate Number A-1679, in: Register of Wills, Baltimore City, 1971. 199 Maillard, Color; Susanna L. Blumenthal, The Deviance of the Will: Policing the Bounds of Testamentary Freedom in Nineteenth-Century America, in: Harvard Law Review 119 (2005–2006), S. 960–1034. 200 Zum Verhältnis von Moral und Ökonomie vgl. E. P. Thompson, The Moral Economy of the English Crowd in the Eighteenth Century, in: Past & Present 50 (1971), H. 1, S. 76–136; Jürgen Finger/ Benjamin Möckel (Hrsg.), Ökonomie und Moral im langen 20. Jahrhundert. Eine Anthologie, Göttingen 2022.

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sei.201 Für diese durchgängig bürgerlichen Testatoren lag der Grund für ihre Testamentserrichtung nicht in der Abänderung der gesetzlichen Erbfolge. Stattdessen nutzten sie ihre Testamentserrichtung, um sich – wie von bürgerlichen Autoren und Erbratgebern empfohlen – als rechtmäßige und verantwortliche Eigentümer in der lokalen Öffentlichkeit darzustellen, zum Beispiel vor den Testamentszeugen und bei der Eröffnung des Testaments. Sie präsentierten sich als Bürger, die durch die Errichtung ihres Testaments vorausschauend, verantwortlich und vorsorgend mit ihrem Eigentum umgingen, dieses zum Nutzen ihrer Familie und der Gesellschaft einsetzten und es an neue verantwortungsvolle Erben und Eigentümer übertrugen. Das heißt, der reine Akt der Testamentserrichtung war schon vor dem Erbfall eine Handlung, in der Eigentumsverhältnisse rechtlich sichtbar gemacht, moralisch gerechtfertigt und dokumentiert wurden und mit dem sich Eigentümer in die bürgerliche Stadtgesellschaft einschrieben. Um diese Funktion zu erfüllen, durften Testamentserrichtungen und -öffnungen nicht nur hinter den verschlossenen Türen eines Notariats erfolgen, sondern mussten Testamentsbestimmungen bis zu einem gewissen Grad auch im näheren und weiteren Bekanntenkreis öffentlich bekannt sein. Und dies war durchaus der Fall. Stadtbewohner erzählten Verwandten und Bekannten vor ihrem Tod vom Inhalt ihres Testaments, und in einigen Fällen zeigten sie es ihnen auch.202 In Odessa druckten die örtlichen Zeitungen sogar Auszüge aus den Testamenten wohlhabender Kaufleute nach deren Tod ab und machten sie damit der Stadtöffentlichkeit zugänglich. Testamente richteten sich vor diesem Hintergrund nie als private letzte Nachrichten nur an die enge Familie, sondern sie dienten vielmehr der Inszenierung des Erblassers und seiner Familie in der Stadtöffentlichkeit als verantwortliche Eigentümer.203 Neben diesen zumindest auch teilweise für die lokale Öffentlichkeit inszenierten Erbpraktiken haben neuere Studien auch auf Strategien hingewiesen, mit denen Personen verborgen vor der Öffentlichkeit von gängigen Normen abweichen konnten. Zentral hierfür waren im Zarenreich bewusst ausgestellte Schuldscheine. Da auch Gläubiger Anspruch auf das Nachlassvermögen besaßen, konnten Schuldscheine in Erbangelegenheiten eine dem Testament ähnliche Funktion erfüllen. Durch die Ausstellung eines Schuldscheins war es möglich, Personen außerhalb der eigenen Familie Zugriffsrechte auf das eigene Erbe zu gewähren, ohne diese

201 Testament von Johann K., 14.10.1889, in: HHStAW, 469/6, 39 IV 16/10 K. Vgl. auch das Testament von Elisabetha K., 14.4.1899, in: HHStAW, 469/6, 39 IV 30/10 K. 202 Auf diesen Aspekt wird im später analysierten Erbfall Therese Jahn ausführlich eingegangen. In Maryland gelten Nachlassakten zudem als public records und sind damit nach Abschluss des Nachlassverfahrens für jedermann einsehbar. 203 Hausmann, Kaufleute. Das gleiche Phänomen beschreibt stärker deskriptiv Sartor, Haus, S. 84f. Vgl. hierfür auch Antonov, Bankrupts, S. 160–170; Farrow, Clan.

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Personen im Testament erwähnen zu müssen. Erste Untersuchungen deuten auf uneheliche Kinder und heimliche Geliebte als Begünstigte solcher Schuldscheine hin. Schließlich schränkten Männer den Zugriff ihrer Erbinnen auf ihr (vorgezogenes) Erbe manchmal durch in das vererbte Grundstück eingetragene Hypotheken und Schulden ein.204 Demgegenüber verpflichteten in die bürgerliche Stadtgesellschaft eingebettete Eigentümer mit ihrem Testament ihre Erben auf dieselben moralisch-bürgerlichen Werte, die sie dazu gebracht hatten, ihr Testament zu errichten. Sie banden somit den Erhalt und Besitz von Eigentum – wie in Erbratgebern, bürgerlichen Zeitschriften und Publikationen nahegelegt – an ein „richtiges“ und „verantwortungsvolles“ Verhalten der Erben und zukünftigen Eigentümer. Eigentümer nutzten die Testamentserrichtung, um ihre Erben auf ihnen wichtige Werte – wie das Bekenntnis zum Glauben und zu einer Religionsgemeinschaft, das respektvolle Verhalten gegenüber den Eltern, den Zusammenhalt unter Geschwistern und die Begleichung ihrer eventuell ausstehenden Schulden – zu verpflichten.205 Manche Personen sollten ihr Erbe erst nach dem Erreichen eines bestimmten Alters, dem Abschluss einer Ausbildung respektive eines Studiums oder ihrer standesgemäßen Verehelichung erhalten.206 Hinter solchen Vorgaben stand die im 18. Jahrhundert herausgebildete Vorstellung, dass insbesondere junge Erben die Mühen, die der Eigentumserwerb mit sich brachte, noch nicht schätzen könnten, weshalb sie dazu neigen würden, ihr Erbe zu verprassen. Der Umgang mit Vermögen müsse langsam gelernt werden, wozu neben der Erziehung in der Kindheit später auch eine Ausbildung gehöre. Erst ab einem gewissen Alter, mit Abschluss einer Ausbildung oder dem Eintreten in den Ehestand war aus dieser Perspektive ein verantwortungsvoller Umgang mit dem Erbe zu erwarten.207 Erfüllten potentielle Erben die an sie gestellten moralischen Anforderungen nicht oder hatten sie aus Sicht der Testatoren erkennen lassen, dass sie moralisch zu keiner bürgerlichen Lebensführung in der Lage waren, weil sie faul waren, der „Trunksucht“ verfallen waren, sich mit Gewalt gegen ihre Eltern gewandt oder der ,Vielweiberei‘ schuldig gemacht hatten, konnte dies zur Schmälerung ihres 204 Erste Überlegungen und empirische Befunde zu diesem Aspekt der Nachlassübertragung finden sich bei Antonov, Bankrupts, S. 160–170. Vgl. auch Farrow, Clan. 205 Last Will and Testament Priscilla H., Liber 47, S. 304, in: MSA, Register of Wills, Baltimore City, 1881. Vgl. auch Last Will and Testament Maria Magdalena H., Liber 109, S. 245, in: MSA, Register of Wills, Baltimore City, 1911; Testament von Julie W. S., 20.1.1919, in: HHStAW, 469/6, 36 IV 252/25 S.; Gemeinschaftliches Testament der Eheleute L., 4.12.1905, in: HHStAW, 469/6, 36 IV 1333/25 L.; Testament von Karl K., 1.7.1903, in: HHStAW, 469/6, 39 IV 7/10 K. Zu Erbpraktiken im Zarenreich vgl. Antonov, Bankrupts, S. 160–170; Farrow, Clan; Wagner, Marriage. 206 Testament der Eheleute K., 4.1.1910, in: HHStAW, 469/6, 39 IV 1/10 K. 207 Sandra Maß, Kinderstube des Kapitalismus? Monetäre Erziehung im 18. und 19. Jahrhundert, Berlin, Boston 2018, S. 65, 67.

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Erbanteils bis hin zur Enterbung führen.208 Wenige Testatoren wie der jüdische Auscher W. in Frankfurt drohten darüber hinaus ihren Kindern mit ihrer Enterbung, sollten sie sich mit einem Angehörigen einer anderen Religionsgemeinschaft verloben oder verheiraten.209 Testatoren banden den materiellen Erhalt eines Erbes an einen aus ihrer Sicht moralisch richtigen Lebenswandel, weshalb eine aus Sicht der Erblasser moralisch falsche Lebensführung der Erben für Letztere materielle Konsequenzen nach sich ziehen konnte. Eine Rückbindung des Eigentumsübertrags an bürgerliche Werte nahmen auch die Testatoren vor, die zusätzlich die gesetzliche Erbfolge änderten.210 In ihren Testamenten finden sich in der Regel eines oder mehrere der folgenden Motive und Erklärungen zur Abänderung der gesetzlichen Erbfolge: Testatoren verpflichteten ihre Erben, Messen für sie und andere verstorbene Familienangehörige halten zu lassen. Zudem vergaben sie Legate an ihre religiösen Gemeinden. Mit ihrem Testament schrieben sich die Gläubigen somit nicht nur ins Bürgertum, sondern auch in ihre Religionsgemeinschaft ein.211

208 Last Will and Testament of Harriet H., Liber 110, S. 70, in: MSA, Register of Wills, Baltimore City, 1911. Vgl. auch Last Will and Testament of William G., JHB, 204/91, in: MSA, Register of Wills, Baltimore City, 1941; Testament von Johannes L., 21.1.1899, in: HHStAW, 469/6, 36 IV 833/25 L.; Gemeinschaftliches Testament der Eheleute M., 5.5.1950, in: HHStAW, 469/6, 52 IV 268/50 M.; Testament der Eheleute L., 21.1.1888, in: HHStAW, 469/6, 36 IV 478/25 L.; Testament der Eheleute K., 4.1.1910, in: HHStAW, 469/6, 39 IV 1/10 K. 209 Testament von Auscher W., 22.10.1917, in: HHStAW, 469/6, 36 IV 1286/25 W. 210 Allgemein zur Geschichte des Testaments und seiner Funktionen vgl. auch aus rechtshistorischer Perspektive Monika Beutgen, Die Geschichte der Form des eigenhändigen Testaments, Berlin 1992. Eine kommentierte Bibliographie mit Schwerpunkten auf das Mittelalter und die Frühe Neuzeit findet sich bei Markwart Herzog/Cecilie Hollberg (Hrsg.), Seelenheil und irdischer Besitz. Testamente als Quellen für den Umgang mit den „letzten Dingen“, Konstanz 2007. Aus Religionsund familiengeschichtlicher Perspektive vgl. u. a. Philippe Ariès, Geschichte des Todes, München 1995; Rudolf Schlögl, Glaube und Religion in der Säkularisierung. Die katholische Stadt Köln, Aachen, Münster 1700–1840, München u. a. 1995; Charlotte Zweynert, Ausgleichende Verfügungen, verbindende Gegenstände, konkurrierende Interessen. Das Testament des zweitgeborenen Francesco Gonzaga aus dem Jahr 1483, in: Christine Fertig/Margareth Lanzinger (Hrsg.), Beziehungen, Vernetzungen, Konflikte. Perspektiven historischer Verwandtschaftsforschung, Köln, Weimar, Wien 2016, S. 37–65; Margareth Lanzinger, Geld und Güter, Transfers und Arrangements. Vermögen und Geschlecht in der Frühen Neuzeit, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 70 (2019), 11/12, S. 605–622; Michael Pammer, Zeitliche und ewige Dinge. Hinterlassenschaften und Seelenheil in oberösterreichischen Testamenten des 18. Jahrhunderts, in: Herzog/Hollberg (Hrsg.), Seelenheil, S. 79–84. 211 Testament von Joseph K., 1.10.1908, in: HHStAW, 469/6, 39 IV 77/10 K.; Testament von Dorothea L., 19.11.1925, in: HHStAW, 469/6, 67 IV 1285/25 L.; Testament von Walter S., 21.9.1921, in: HHStAW, 469/6, 36 IV 57/25 S.; James S., Brief an seine Erben, 3.4.1884, in: MSA SC 732-1-83, Moss Collection of Sands Family Papers; Last Will and Testament Mary H., Liber 109, S. 5f., in: MSA, Register of Wills, Baltimore City, 1911. Zum Mäzenatentum in den USA vgl. Thomas Adam/Simone Lässig/

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Des Weiteren nutzten Testatoren dieser Gruppe gezielt die Vergabe von besonderen Erbstücken, um ihnen wichtige persönliche Nahbeziehungen zu erzeugen, zu bestätigen beziehungsweise zu untermauern, aber auch, um solche Beziehungen abzubrechen. Indem Testatoren bestimmten Personen ihnen (symbolisch) wertvolle und/oder emotional aufgeladene Gegenstände vermachten, bezeugten sie ihre enge, oftmals persönliche Bindung zu den Vermächtnisnehmern.212 Dies konnte losgelöst von älteren Familien- und Geschlechtervorstellungen passieren, in den meisten Fällen war dies aber nicht der Fall. Durch die Vergabe von Erbstücken aktualisierten Testatoren deshalb immer wieder auch ältere Geschlechtervorstellungen, wenn sie geschlechtsspezifisch konnotierte Gegenstände an weibliche Erbinnen (z. B. Bettwäsche, Schmuck) oder an männliche Erben (z. B. Uhren) vermachten.213 Charakteristisch hierfür verteilte die verwitwete Marie Katharina W. in Frankfurt in ihrem Testament bestimmte Erbstücke gezielt an einzelne ihrer Kinder: „Jakob bekommt den Bücherschrank. […] Nanchen bekommt mein Bett […]. Nanchen bekommt das Bild mit ihrer lieben Schwester und Brüder. […] Pauline bekommt den Küchenschrank, ein Andenken an die liebe Großmutter.“214 In Baltimore vermachte die verwitwete, aus Italien eingewanderte Rosa V. L. H. den Großteil ihres Nachlasses zu gleichen Teilen ihren vier Geschwistern. Ihre Kunstsammlung vermachte sie hingegen einer treuen Freundin, die für sie wie eine Schwester gewesen sei und die sie mit dieser Bezeichnung semantisch in ihre Familie integrierte.215 Diese Beispiele verdeutlichen zugleich, dass spezifische Zuwendungen für Erblasser und für Erben emotional wichtig waren, sie wertmäßig aber meist nur einen kleinen Teil der insgesamt zu übertragenden Erbschaft ausmachten. Bilanzierung und Individualisierung in Testamenten

Personen nutzten Testamente außerdem zur Bilanzierung und Individualisierung. Mit ihren Vorgaben versuchten sie, die Verteilung ihres Vermögens an ihre individuelle Lebenssituation und die ihrer Erben anzupassen. Sie verrechneten die Erbteile an ihre Erben mit schon zu Lebzeiten getätigten Eigentumsübertragungen

212

213 214 215

Gabriele Lingelbach (Hrsg.), Stifter, Spender und Mäzene. USA und Deutschland im historischen Vergleich, Stuttgart 2009; Thomas Adam, Buying respectability. Philanthropy and urban society in transnational perspective 1840s to 1930s, Bloomington 2009. Last Will and Testament Mary R. S. Hurst, Liber 109, S. 141, in: MSA, Register of Wills, Baltimore City, 1911. Vgl. auch Last Will and Testament Sarah L. H., Liber 109, S. 101, in: MSA, Register of Wills, Baltimore City, 1911. Testament der Eheleute L., 6.7.1909, in: HHStAW, 469/6, 38 IV 68/10 L.; Testamente der Maria W., 6.2.1939, 12.2.1946, 12.6.1950, in: HHStAW, 469/6, 52 IV 15/56 W. Testament von Marie Katharina W., 8.11.1924, in: HHStAW, 469/6, 36 IV 116/25 W. Last Will and Testament Rosa V. L. H., Liber 109, S. 181, in: MSA, Register of Wills, Baltimore City, 1911.

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und versuchten Ungleichheiten und vermeintliche Ungerechtigkeiten des Lebens durch unterschiedliche Erbteile auszugleichen. Viele auf den ersten Blick ungleiche und ungerechte Erbverteilungen dienten aus Sicht der Testatoren dem genauen Gegenteil: der gleichen Behandlung aller Erben und einer gerechten Verteilung des Erbes. Beispielsweise verrechneten sie bereits zu Lebzeiten an einzelne Kinder getätigte Vermögensübertragungen (z. B. für eine Ausbildung oder als Mitgift) mit deren Erbteilen und zogen die entsprechenden Summen von deren Erbteil ab. Der Frankfurter Spenglermeister Johann K. vermerkte demgemäß in seinem 1889 errichteten Testament: „Meine Tochter Eva K. hat eine Zahlung von Mk. 1000.– […], mein Sohn Karl K. ein solches von Mk 1000.– und mein Sohn Johann K. eine solche von Mk 1400.– die sich aber bis zu seiner Ausbildung auf 2400 Mk erhöht, zum Voraus von mir erhalten und sollen sich diese Beträge bei der Erbtheilung auf ihren Erbtheil als Vorausempfänger anrechnen lassen.“216 Auch andere Handwerker oder Kaufleute, die aus unternehmerischen Überlegungen heraus ihren Betrieb an einzelne Personen vererbten, verpflichteten diese in der Regel, ihre anderen Erben – meist über einen längeren Zeitraum – auszubezahlen oder zumindest für sie zu sorgen.217 In anderen Fällen schienen einzelne Erben aus Sicht der Testatoren das Erbe stärker zu benötigen als andere gleichberechtigte Personen. Durch eine ungleiche Verteilung ihres Vermögens versuchten sie, zum Teil im Gespräch mit ihren Erben und ihnen nahestehenden Personen, Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten des Lebens auszugleichen. Die Eheleute L. erklärten charakteristisch hierfür in ihrem Testament: „Mit Rücksicht darauf, dass unter unseren Kindern unser neunjähriger Sohn Bruno derjenige ist, der der Unterstützung am Meisten bedarf, bestimmen wir, dass unser Sohn Bruno 2/3 unseres Nachlasses erhalten soll, während unsere Tochter, Frau Lina M. und unser Sohn Adolf W. L. je ein Sechstel unseres Nachlasses erhalten sollen.“218

216 Testament von Johann K., 14.10.1889, in: HHStAW, 469/6, 39 IV 16/10 K. Vgl. auch HHStAW, 469/6, 36 IV 1333/25 L. 217 HHStAW, 469/6, 36 IV 290/25 W.; 67 IV 716/40 S. Vgl. Ingo Köhler/Hartmut Berghoff, Familienunternehmen in Deutschland und den USA seit der Industrialisierung. Eine historische Langzeitstudie, München 2019; Schäfer, Familienunternehmen. Vgl. hierzu auch das Dissertationsprojekt von Yassin Abou El Fadil „Familienunternehmen in Deutschland und den USA seit der Industrialisierung“ an der Universität Göttingen. 218 HHStAW, 469/6, 36 IV 1082/25 L. Für weitere Beispiele vgl. HHStAW, 469/6, IV 24/10 L.; Testament von Elisabetha K., 14.4.1899, in: HHStAW, 469/6, 39 IV 30/10 K.; Testament der Eheleute L., 6.7.1909, in: HHStAW, 469/6, 38 IV 6810 L.; Testament von Clara B., 22.6.1945, in: HHStAW, 469/6, 51 IV 562/50 B. Für ähnliche Testamentsbestimmungen in Baltimore vgl. Last Will and Testament of Anna M. H., Liber 47, S. 438, in: MSA, Register of Wills, Baltimore City, 1881; Last Will and Testament of Luise H. H., Liber 111, S. 307, in: MSA, Register of Wills, Baltimore City, 1911; Last Will and Testament of Rosa L. H., Liber 109, S. 181, in: MSA, Register of Wills, Baltimore City, 1911; Last Will and Testament of George L. S., JHB 204/150, in: MSA, Register of Wills, Baltimore

Erblasser und Erben

In Odessa vermachten Kaufleute ihr Vermögen in der Regel an drei Erbengruppen: Der Großteil des Vermögens ging an die enge Familie, weitere Legate an die erweiterte Verwandtschaft und ein Teil an wohltätige Einrichtungen (z. B. an Schulen oder Krankenhäuser) der eigenen Konfession. Innerhalb dieser Gruppen kam es, wie die Nachlassplanungen des Kaufmanns Eugen Schulz, des Bankiers Rafael Chari, des Financiers Solomon G. Zusman und des griechischen Kaufmanns Stefan I. Ralli zeigen, durchaus zu Variationen in der Erbverteilung. Während Schulz sein Vermögen zu gleichen Teilen unter seinen Kindern aufteilte und seine Enkel und verschiedene Wohltätigkeitsorganisationen mit Summen zwischen 5.000 und 10.000 Rubel bedachte, vermachte Chari sein ganzes Vermögen seiner Ehefrau, da die Kinder schon zu Lebzeiten ausbezahlt worden waren. Zusman vermachte den Großteil seines Vermögens einem Bruder und einer Schwester sowie deren Kindern, kleinere Summen gingen an verschiedene wohltätige Einrichtungen. Ralli wiederum bedachte seine Frau und Kinder und zusätzlich die Vereinigung der Tierschützer und die griechische Wohltätigkeitsvereinigung, deren Vorsitzender er zu Lebzeiten gewesen war, mit jeweils etwa 100.000 Rubel.219 Die gesellschaftliche Norm der Weitergabe von Erbe an die eigenen Nachkommen zeigte sich auch bei Testatoren, die nicht aus dem Bürgertum stammten. Denn auch Migranten sowie die Eltern von ausgewanderten Kindern errichteten Testamente, in denen sie die Erbrechte ihrer in einem anderen Land wohnenden Erben noch einmal explizit bestätigten, die bei der Erbteilung nicht übergangen und durch zusätzliche Hinweise zum Aufenthaltsort möglichst leicht gefunden werden sollten.220 Des Weiteren testierten Frauen, um Beziehungen zu ihren unehelichen oder zur Adoption frei gegebenen Kindern zu bestätigten.221 In letzterem Zusammenhang legte das in Frankfurt angestellte Dienstmädchen Philippina K. in ihrem Testament fest: „Zum Erben meines Nachlasses setze ich ein, meinen am 1. Januar 1893 zu Marburg a. d. L. geborenen Sohn August V., welcher infolge Adoption jetzt den Familiennamen W. führt und […] bei Mainz bei seiner Adoptivmutter der jetzigen Ehefrau des Philipp K. wohnt.“222

219 220

221 222

City, 1941; Last Will and Testament of William F. H., Liber 110, S. 506, in: MSA, Register of Wills, Baltimore City, 1911; Last Will and Testament of William B. H., Liber 111, S. 428, in: MSA, Register of Wills, Baltimore City, 1911; Last Will and Testament of Caroline H., Liber 48, S. 102, in: MSA, Register of Wills, Baltimore City, 1881; The Sarah D. Griffen, Clyde Griffen, and Margaret Thibault Collection of Goldsborough Family Papers, in: MSA, SC 2085-42, location: 2/5/9/42. Hausmann, Kaufleute, S. 56; Sifneos, Odessa, S. 160–163. Testament von Elisabetha K., 14.4.1899, in: HHStAW, 469/6, 39 IV 30/10 K.; Testament von Heinrich K., 24.2.1910, in: HHStAW, 469/6, 39 IV 40/10 K.; Testament von Philip S., 12.1.1925, in: HHStAW, 469/6, 36 IV 284/25 S. Testament von Anna K., 30.7.1907, in: HHStAW, 469/6, 34 IV 13/10 K. Vgl. auch HHStAW, 469/6, 67 IV 36/40 L. Testament von Philippina K, 1.1.1893, in: HHStAW, 469/6, 39 IV 127/10 K.

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Die Weitergabe von Vermögen in der eigenen Familie ging in Frankfurt – im Einklang mit älteren Erbtraditionen – mit einer weitgehenden Gleichbehandlung von Töchtern und Söhnen einher.223 Anders sah es hingegen in Odessa und Baltimore aus, wo meist männliche Erblasser häufiger als in Frankfurt die Verfügungsrechte ihrer Erbinnen über das ihnen zugewiesene Erbe beschränkten.224 In Baltimore geschah dies durch informelle Praktiken, indem sie den Erbinnen männliche Testamentsvollstrecker zur Seite stellten, die den Erbübertrag administrierten, die Erbverteilung vornahmen und die Nachlassverwendung beratend begleiteten und kontrollierten. So vererbte die am 29. April 1919 in Baltimore verstorbene Catherine B., Ehefrau des stellvertretenden Präsidenten der Provident Savings Bank of Baltimore, ihr Vermögen zwar zu gleichen Teilen an ihren Sohn und ihre Tochter. Die Erbverteilung nahmen aber ausschließlich ihr Ehemann und ihr Sohn vor. Dementsprechend hielt ihre Tochter und Erbin Margaret in ihrem Tagebuch fest: „I am going to spend tomorrow morning in Baltimore going from bank to bank […] with Father. […] Tomorrow evening Charles + Father are going to decide on the division of Mother’s estate.“225 In weiteren Einträgen beschrieb Margaret, wie die männlichen Familienmitglieder die finanziellen Nachlassangelegenheiten regelten, während sie sich um die Organisation der Beerdigung kümmerte.226 Testatoren schränkten die Handlungsspielräume von Erbinnen zudem dadurch ein, dass sie ihnen Dinge vererbten, die als sichere Wertanlagen galten und mit denen sich nicht handeln ließ. Beliebt war in Baltimore in dieser Hinsicht die Vererbung von Ground Rents an Erbinnen. Grundlage dieser um das Jahr 1900 von zahlreichen Hausbesitzern gewählten Strategie war eine Besonderheit des Immobilienmarktes in Baltimore. Dieser Markt war im 19. Jahrhundert – stark vereinfacht – in zwei Sektoren unterteilt: einen für den Grund und Boden und einen für die darauf stehenden Immobilien. Das Grundeigentum befand sich bis in die Zwischenkriegszeit zum größten Teil in der Hand einer kleinen Elite an wohlhabenden, alteingesessenen Familien, die ihr Land in Form von Ground Rents, die kaum gehandelt, sondern vererbt wurden, an Privatpersonen und Wohnungs-

223 Vgl. Rotenhan, Testamentsstreitigkeiten; Kern, Blickwechsel; Dölemeyer, Vermögenstransfers; Hansert, Patriziat; Hansert, Geburtsaristokratie; Hansert, Bürgerkultur. 224 Zur Beschränkung der Zugriffsrechte von Erbinnen auf ihr Erbe im Zarenreich vgl. Antonov, Bankrupts, S. 160–170. 225 Tagebucheinträge von Margaret D. Boehm am 26.4.1920 und am 27.4.1920, in: Margaret D. Boehm Papers (MS. 44-A), Box 1, Johns Hopkins University, Sheridan Libraries, Special Collections. 226 Tagebucheinträge von Margaret D. Boehm am 1.5.1920, in: Margaret D. Boehm Papers (MS. 44-A), Box 1, Johns Hopkins University, Sheridan Libraries, Special Collections. Zu kulturell bedingten Zugriffsmöglichkeiten auf Geld vgl. auch Viviana A. Zelizer, The Social Meaning of Money. Pin Money, Paychecks, Poor Relief, and other Currencies, New York, NY 1994.

Erblasser und Erben

baufirmen langfristig verpachteten.227 Diese in der Regel jährlich anfallende Pacht galt wiederum in wohlhabenden Familien als eine äußerst sichere und risikoarme Einnahmequelle, weshalb Eigentümer Ground Rents im 19. und frühen 20. Jahrhundert bevorzugt an Töchter übertrugen, während Söhne entsprechende Werte in Aktien oder Bargeld erhielten. Damit stellten sie Erbinnen und Erben insofern gleich, als die Erbteile von Töchtern und Söhnen wertmäßig gleich groß waren. Die Ungleichbehandlung erfolgte hingegen über das konkret zugewiesene Erbe. Während die an Töchter vererbten Ground Rents sich um 1900 kaum in unternehmerisches Kapital umwandeln ließen, boten Aktien und Sparkonten große Handlungsmöglichkeiten. Diese meist an Söhne vermachten Nachlassbestandteile ließen sich leichter in Unternehmen investieren und eröffneten ihnen dadurch andere Möglichkeiten, ihr Erbe zu investieren, zu vermehren – oder auch zu verlieren. Einen verantwortungsvollen und unternehmerisch richtigen Umgang mit diesen Vermögensarten und dem damit verbundenen Risiko trauten Eigentümer in Baltimore – ähnlich wie in Wien oder Odessa zu dieser Zeit – eher ihren Söhnen als ihren Töchtern zu.228 Manche Testatoren beschnitten ganz explizit die Zugriffsmöglichkeiten ihrer Erbinnen auf ihr Erbe oder knüpften dessen Erhalt an bestimmte Auflagen. Zur Überwachung dieser Vorgaben griffen sie vermehrt auf die Dienste von Banken und Trusts zurück, die als Executors und/oder Guardians ihre testamentarischen Vorgaben umsetzen sollten. Der aus Böhmen eingewanderte Victor E. H. vermachte seiner Ehefrau sein Haus und seine Ground Rents, legte aber fest, dass die Executors seines Testaments – sein Sohn, die American Bonding Company of Baltimore und T. Wilson A. – ihr bei der Verwaltung des Hauses und dem Einziehen der Mieten behilflich sein sollten, ebenso wie seine Frau bei allen zukünftigen Entscheidungen in Finanzangelegenheiten den Rat seiner Executors einholen müsse.229 Der Maler John A. H., Sohn eingewanderter Deutscher, beauftragte gleich eine Bank, die Safe Deposit Trust Company of Baltimore, mit der Verwaltung seiner Ländereien,

227 C. Philip Pitt, Ground Rents in Baltimore Now bring Record Prices, o. O., Oktober 1936; o. A., The Maryland Ground Rent System, o. O., 1952; o. A., A short Story on Ground rents, o. O, 1984, in: EPFL, Ground Rents, Jews and Germans in Baltimore. 228 Solomon Liss, The Ground Rent System in Maryland. Second Prize Thesis of the University of Baltimore, Class of 1937, Baltimore, in: EPFL, Envelop, Ground Rent; vgl. auch Charles H. Myers, Sixth Annual Report of the Bureau of Industrial Statistics of Maryland. 1897, Baltimore 1898, S. 82–89. Eine ähnliche Denkweise und Vererbungspraktik hat Sonja Niederacher überzeugend für jüdische Unternehmerfamilien in Wien herausgearbeitet; vgl. Sonja Niederacher, Das Vermögen jüdischer Frauen und Männer in Wien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Gajek/Kurr/ Seegers (Hrsg.), Reichtum, S. 313–328; Niederacher, Eigentum. 229 Last Will and Testament of Victor E. H., JHB 111/242, in: MSA, Register of Wills, Baltimore City. Vgl. auch Last Will and Testament of Ernest H., JHB 47/510, in: MSA: Register of Wills, Baltimore City; Last Will and Testament of Philip H., JHB 47/237, in: MSA, Register of Wills, Baltimore City.

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Genese der bürgerlichen Erbordnung im langen 19. Jahrhundert

seines Hauses sowie seiner Aktien und Kunstwerke und ließ seiner Frau nur die Einnahmen aus diesem Besitz auszahlen. Sein Sohn sollte hingegen nach Erreichen des 21. Lebensjahrs sein Erbe zur freien Verfügung erhalten.230 Testamentarische Besserstellung des Ehepartners

Derartige Beschränkung der Verfügungsrechte von Erbinnen über ihr Erbe waren nicht gleichbedeutend mit dem generellen Ausschluss von Frauen vom Erbe. Im Gegenteil, während ein Teil der männlichen Testatoren die Zugriffsrechte von Frauen einschränkte, gewährte ein anderer Teil Frauen größere Erbteile, als ihnen entsprechend der gesetzlichen Erbfolge zugestanden hätte. Im Jahr 1910 setzten sich in Frankfurt mehr als zehn Prozent der Eheleute gegenseitig als Alleinerbe ein, womit der länger lebende Ehepartner, meistens die Ehefrau, das gesamte Erbe erhielt. In anderen Fällen gewährten sich Ehepartner gegenseitig die alleinigen Nießbrauchrechte am gemeinsamen Eigentum, bevor dieses nach dem Tod des länger lebenden Partners an die gemeinsam testamentarisch bestimmten Erben übergehen sollte. Mit derartigen Abweichungen von der gesetzlichen Erbfolge regierten Testatoren auf die Schlechterstellung des Ehepartners durch das BGB und hielten an älteren Frankfurter Erbtraditionen fest, in denen der Ehepartner erbrechtlich besser gestellt gewesen war als im BGB.231 Zugleich deutet sich in dieser Bevorzugung des überlebenden Ehepartners eine zentrale Entwicklung in den Erbpraktiken von Ehepaaren im 20. Jahrhundert an, die sich nicht nur aus lokalen Erbtraditionen erklärt. Der Wandel von der Generationensolidarität hin zur Partnersolidarität unter Eheleuten zeigte sich zeitgleich auch in Baltimore. In der Stadt an der US-amerikanischen Ostküste bestimmten um 1900 Testatoren in 36 von 190 untersuchten Erbvorgängen lediglich einen einzigen Erben. Von diesen ließ sich in 26 Fällen die persönliche Beziehung zum Erblasser ermitteln. Dies waren in jeweils vier Fällen der eigene Sohn respektive die eigene Tochter, zweimal war es die Schwester, einmal die Nachbarin, einmal eine Institution und 14-mal der überlebende Ehepartner, davon in zwei Fällen der überlebende Ehemann und zwölfmal die überlebende Ehefrau. Um 1900 setzte in Baltimore damit knapp ein Fünftel aller verheirateten Erblasser ihren Ehepartner als Alleinerben ein. Diese Besserstellung der Ehefrauen durch testamentarische Vorgaben verdeutlicht zugleich, dass sich die Positionen von Ehefrauen im Erbprozess im 19. Jahrhundert nicht nur im Erbrecht, sondern auch in konkreten Erbübertragungen verbessert hatten.232 Die 180 Erbinnen in Baltimore im Sample aus den Jahren 1881 und 1911 230 Last Will and Testament of John A. H., JHB 110/329, in: MSA, Register of Wills, Baltimore City. 231 Paul Neumann/Ernst Levi, Das Frankfurter Privatrecht unter der Herrschaft des Bürgerlichen Gesetzbuches. Nachträge und Ergänzungen, Frankfurt am Main 1910, S. 103. 232 Chused, Women’s, S. 1377.

Erblasser und Erben

Tabelle 2 Anzahl der durchschnittlichen Erbenanzahl bei Intestaterbfolge und testamentarischer Erbeneinsetzung in Baltimore, 1881–1941. Jahr 1881 1911 1941

Gesetzliche Erbfolge 3,6 3,4 3,2

Testamentarische Erbeinsetzung 2,4 2,6 2,7

Quelle: Dinkel, Nachlassakten.

erbten im Durchschnitt 1.930 Dollar pro Kopf und damit sogar mehr als die 141 männlichen Erben, die umgerechnet jeweils durchschnittlich 1.653 Dollar erbten. Zugleich verdeutlichen diese Erbverteilungen, dass nahezu alle Testatoren den größten Teil ihres Eigentums an Erben vermachten, mit denen sie verwandt waren. Die im Vergleich zum Kaiserreich großen Verfügungsbefugnisse von Testatoren in den USA und die ansteigende Zahl an Testatoren führte in Baltimore nicht zu einer breiteren Verteilung von Vermögen unter mehr Erben, sondern ähnlich wie in Frankfurt zu einer Konzentration des Vermögens in der engen Familie. Das von Testatoren hinterlassene Vermögen wurde im Durchschnitt sogar unter weniger Erben aufgeteilt als Nachlässe, die entsprechend der gesetzlichen Erbfolge geteilt wurden. Testamente dienten damit in Baltimore hauptsächlich der Koppelung von Vermögen an moralische Werte, der Individualisierung der Nachlassverteilung und der Gewährleistung eines störungsfreien Übertrags von Eigentum innerhalb der eigenen Familie. Legate und Stiftungen

Vor allem sehr wohlhabende Erblasser nutzten ihre Testamente schließlich dazu, um schon zu Lebzeiten begonnene Stiftungstätigkeiten fortzusetzen oder um neue Stiftungen zu gründen.233 Bei Alleinstehenden fehlten eigene Kinder als Erben und es gab neben Geschwistern sowie Nichten und Neffen durchaus auch eine gesellschaftliche Erwartungshaltung an diese Personen, sich durch Stiftungen am Gemeinwesen zu beteiligen, da sie schon der (bürgerlichen) Pflicht zur Familiengründung nicht nachgekommen waren.234 Erblassern mit Kindern wiederum bot sich durch (großzügige) Vermächtnisse an religiöse, wohltätige oder kulturelle Einrichtungen in Frankfurt oder durch die Gründung eigener Stiftungen die Möglichkeit, sich gegenüber der Stadtgesellschaft als verantwortliche und dem Ge-

233 Testament der Eheleute L., 22.3.1894, in: HHStAW, 469/6, 42 IV 18/10 L.; Testament von Karl K., 1.7.1903, in: HHStAW, 469/6, 39 IV 7/10 K.; Testament von Emma L., 19.8.1910, in: HHStAW, 469/6, 42 IV 78/10 L. 234 Kuhn, Familienstand.

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Genese der bürgerlichen Erbordnung im langen 19. Jahrhundert

meinwohl verpflichtet fühlende Eigentümer zu präsentieren. Baltimore, Frankfurt und Odessa besaßen um 1900 bereits eine lange Tradition des Stiftens und Mäzenatentums (in Frankfurt z. B. durch Johann C. Senckenberg und Johann F. Städel im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert). Alteingesessene Familien, erfolgreiche Bankbesitzer sowie Industrielle schrieben sich so um die Jahrhundertwende gleich auf zweifache Weise in die jeweilige Stadtgeschichte ein. Mit ihrer Stiftungstätigkeit wie durch ihre Vermächtnisse schufen sie wissenschaftliche und gemeinnützige Institutionen, die sie mit ihrem Namen verbanden und die das Bild der Innenstadt bis in die Gegenwart prägen.235 Weit über Baltimore hinaus bekannt sind das im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert gegründete Peabody Institute, das Johns Hopkins Hospital und die Johns Hopkins University sowie die Walters Art Gallery.236 Auch in Frankfurt entstanden um die Jahrhundertwende ähnlich wie in anderen deutschen Städten weitere meist von Männern eingerichtete Stiftungen und gemeinnützige Institutionen wie Museen oder Wissenschaftseinrichtungen, die weit über die Stadt ausstrahlten und diese bis heute prägen, darunter die im Jahr 1914 als Stiftungsuniversität eröffnete Königliche Universität zu Frankfurt (heute Johann Wolfgang Goethe-Universität).237 Vermächtnisse an Stiftungen und die Errichtung von (Familien-)Stiftungen erfüllten dabei eine doppelte Funktion. Stiftungen ermöglichten es dem Stifter, sich und seine Familie gegenüber der (Stadt-)Öffentlichkeit als tugendhafte Stadtbürger zu präsentieren, die ihr Eigentum auch zum Wohle der Stadtgesellschaft einsetzten und ihren Besitz damit legitimierten. Mit der bewussten Inszenierung einer Stiftung oder Schenkung in der Öffentlichkeit tauschten der Stifter und seine Familie – mit Bourdieu gesprochen – ökonomisches gegen symbolisches und kulturelles Kapital.238 Darüber hinaus positionierten sie Familienmitglieder in Stiftungsgremien

235 Zum Mäzenatentum in Odessa vgl. Hausmann, Kaufleute; Alexis Hofmeister, Selbstorganisation und Bürgerlichkeit. Jüdisches Vereinswesen in Odessa um 1900, Göttingen 2007, S. 161ff. Zur lokalen Organisation der Gesellschaft in Odessa vgl. darüber hinaus Sartor, Haus, S. 83f.; Guido Hausmann (Hrsg.), Gesellschaft als lokale Veranstaltung. Selbstverwaltung, Assoziierung und Geselligkeit in den Städten des ausgehenden Zarenreiches, Göttingen 2002; Hausmann, Universität. 236 James S., Brief an seine Erben, 3.4.1884, in: MSA SC 732-1-83, Moss Collection of Sands Family Papers; Last Will and Testament Mary H., Liber 109, S. 5f., in: MSA, Register of Wills, Baltimore City, 1911. Zum Mäzenatentum in den USA vgl. Adam/Lässig/Lingelbach, Stifter; Adam, Buying. 237 Zum Mäzenatentum und Stiftungswesen in Frankfurt vgl. Schimpf, Geld; Bruno Müller/Hans-Otto Schembs, Stiftungen in Frankfurt am Main. Geschichte und Wirkung, Frankfurt am Main 2006; Roth, Stadt; Hansert, Bürgerkultur. Zum Stiftungswesen im Kaiserreich vgl. Werner, Stiftungsstadt; Manuel Frey, Macht und Moral des Schenkens. Staat und bürgerliche Mäzene vom späten 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart, Berlin 1999. 238 Pierre Bourdieu, Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital, in: Reinhard Kreckel (Hrsg.), Soziale Ungleichheiten, Göttingen 1983, S. 183–198.

Erblasser und Erben

und bestärkten somit die Vernetzung der Familie mit der politischen, kulturellen und wirtschaftlichen Stadtelite. Demgegenüber dienten Familienstiftungen hauptsächlich der Eigentumssicherung, in denen Vermögen gebunden und für die Familie erhalten werden sollte.239 Es ist daher kein Zufall, sondern entspricht genau diesem Muster, dass der einzige Erblasser im Frankfurter Untersuchungssample aus dem Jahr 1910, der Bankier F. G. A. Adolf K., der einen Teil seines Vermögens per Testament einer Familienstiftung übertrug, der Adolf K. Familienstiftung, zugleich mit einem Nachlass von knapp zwei Millionen Mark der mit Abstand Reichste des Samples war.240 Sein Erbfall verweist damit zugleich auf die enormen Vermögensungleichheiten, welche die Stadtgesellschaft im Jahr 1910 prägten. Steuerminimierung und Vermögensverschleierung

Sehr reiche (Unternehmens-)Familien hatten schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts im Kaiserreich ein Set an Strategien entwickelt, um die Spielräume ihres Vermögenshandeln zu vergrößern, um Vermögen vor dem Staat zu verbergen und um Erbschaftssteuern zu minimieren.241 Mehrere dieser unter sehr wohlhabenden Familien gängigen Strategien des Vermögenshandelns – wie das sogenannte ForumShopping – finden sich auch bei reichen Frankfurter Familien. Mit diesem Begriff werden Handlungen bezeichnet, die sich die Vielfalt an Rechtsäumen innerhalb eines Staates und unterschiedliche staatliche Rechtsräume zu Nutze machen, um Vermögen in einen bestimmten Rechtsraum zu transferieren und dadurch vor dem Zugriff eines einzelnen Staates zu schützen, um anfallende Steuern zu minimieren oder um die gewährte Testierfreiheit innerhalb eines bestimmten Rechtsraumes zu nutzen. In diesem Sinne hielt die aus einer sehr wohlhabenden Familie stammende Emma S.-E. in ihren Memoiren fest, dass sie und ihre Mutter im späten Kaiserreich und bis zur Inflation Anfang der 1920er Jahre sehr gut von den Zinsen des Vermögens leben konnten, das sie beide von ihrer Großmutter und ihrem Vater geerbt hatten. Um die auf ihr Vermögen anfallenden Steuern möglichst gering zu halten, reisten beide im späten Kaiserreich regelmäßig nach Dessau, wo sie einen von mehreren Wohnsitzen besaßen, um in Anhalt ihre Steuern zu bezahlen, waren diese doch dort „niedriger als in Preußen“242 . Andere Erblasser in Frankfurt hinterließen im späten Kaiserreich (Lebens-)Versicherungen, Konten und Unternehmensanteile in anderen Ländern wie den USA, in Frankreich oder in den Niederlanden. Sie 239 Hansert, Patriziat. 240 HHStAW, 469/6, 39 IV 42/10 K. Zum Kontext vgl. Morten Reitmayer, Bankiers im Kaiserreich. Sozialprofil und Habitus der deutschen Hochfinanz, Göttingen 1999, S. 112f. 241 Derix, Thyssens. 242 DTA, 160-1R, Emma S.-E., Autobiographische Beschreibung ihres Lebenslaufs bis 1920, S. 8.

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Genese der bürgerlichen Erbordnung im langen 19. Jahrhundert

erwähnten dieses Vermögen in ihren Testamenten, aus den Akten des Frankfurter Amtsgerichts geht aber nicht hervor, an wen es verteilt wurde und ob dafür Steuern entrichtet wurden.243 Zumindest in einem Fall diente diese Vermögensstreuung nachweislich der bewussten, rechtmäßigen Steuerminimierung.244 Testamente und transnationale Erbangelegenheiten

Charakteristisch für Nachlasstransfers der sehr wohlhabenden Kaufleute und Unternehmerfamilien sowie der zahlreichen Migranten in den drei Städten war schließlich, dass sie häufig auch eine transnationale Dimension besaßen.245 In Baltimore waren zu Beginn des 20. Jahrhunderts etwa ein Viertel bis ein Drittel aller Einwohner Einwanderer der ersten und zweiten Generation mit Verwandten im Ausland, häufig in Europa.246 Auch Odessa blickte um 1900 auf eine lange Geschichte der Ein- und Auswanderung zurück. Die Emigration vor allem jüdischer Kaufleute aus Odessa in andere Länder seit dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, die Heiratspraktiken wohlhabender Kaufleute und ihre transimperialen Unternehmenstätigkeiten führten immer wieder dazu, dass sich im Erbfall Erblasser, Erbschaft und Erben in verschiedenen Ländern befanden. In den von Guido Hausmann untersuchten Erbfällen befanden sich zwei Töchter des in Odessa verstorbenen A. M. Brodskij in Berlin und Antwerpen, und die Wertpapiere von Ralli waren zumindest teilweise in ausländischen Banken eingelagert.247 Auch der Odessaer Kaufmann und Schuhfabrikant Moses Lissiansky weist eine transnationale Biographie auf.248 Die ebenfalls in Odessa ansässige Unternehmensfamilie Mahs besaß seit dem frühen 19. Jahrhundert enge familiale Beziehungen in andere europäische Städte und Regionen, darunter Frankfurt.249 Ebenso war auch eine der wohl berühmtesten Odessaer Familien, die der Efrussis, um 1900 sowohl im Hinblick auf ihre Familienmitglieder als auch auf ihr Vermögen über zahlreiche Länder verstreut.250 Angesichts dieser räumlich ausgedehnten Verwandtschaftsnetzwerke und Vermögensverhältnisse diente die testamentarische Nachlassplanung der

243 244 245 246 247 248

HHStAW, 469/6, 39 IV 62/10 K. Testament von Joseph K., 1.10.1908, in: HHStAW, 469/6, 39 IV 77/10 K. Testament von Johann K., 14.10.1889, in: HHStAW, 469/6, 39 IV 16/10; Derix, Thyssens. Olson, Baltimore, S. 180ff. Hausmann, Kaufleute, S. 49, 57. David Schick, Vertrauen, Religion, Ethnizität. Die Wirtschaftsnetzwerke jüdischer Unternehmer im späten Zarenreich, Göttingen 2017, S. 127–174. 249 Sartor, Haus, S. 105, 120, 158. 250 Für eine literarische Verarbeitung der Familiengeschichte und des Familienbesitzes vgl. Edmund de Waal, Der Hase mit den Bernsteinaugen. Das verborgene Erbe der Familie Ephrussi, RhedaWiedenbrück 2012.

Verteilung von Nachlassvermögen in Baltimore und Frankfurt um 1900

Dokumentation des Besitzes in verschiedenen Ländern und dem Erhalt dieses Vermögens in der Familie.

7.

Verteilung von Nachlassvermögen in Baltimore und Frankfurt um 1900

Die Gesellschaften der USA, Deutschlands und Russlands waren im Übergang vom 19. ins 20. Jahrhundert ebenso wie die übrigen europäischen Gesellschaften durch große Vermögensungleichheiten geprägt.251 In allen europäischen Ländern und den USA besaßen die reichsten zehn Prozent der Bewohner einen Großteil des gesamten Privatvermögens.252 Dies gilt auch für Baltimore und Frankfurt. Sie hinterließen die den Großteil des vererbten Vermögens. In Baltimore stieg der Anteil des von den zehn Prozent der reichsten Erblasser hinterlassenen Vermögen am insgesamt vererbten Vermögen zwischen den Jahren 1881 und 1911 von knapp 60 Prozent auf etwas über 70 Prozent an. Die Vermögensungleichheiten nahmen in der Stadt wie im ganzen Land um die Jahrhundertwende zu. In Frankfurt vererbten die reichsten zehn Prozent aller Erblasser im Jahr 1910 84 Prozent des hinterlassenen Vermögens, womit die stadtweiten Ungleichheiten im Nachlassvermögen in etwa den Vermögensungleichheiten im Land entsprachen. Die wohlhabendsten 20 Prozent hinterließen in beiden Städten in den Jahren 1910/1911 etwa 90 Prozent des gesamten Nachlassvermögens. Am anderen Ende des Vermögensspektrums hinterließen zur gleichen Zeit die jeweils ärmsten zehn bis 15 Prozent aller Erblasser Erbschaften, die auf ihren monetären Wert reduziert nichts wert waren oder sogar aus Schulden bestanden. Die in Baltimore und Frankfurt sichtbar werdenden Unterschiede im Nachlassvermögen fallen damit geringfügig kleiner aus, als sie für die jeweiligen Länder berechnet wurden. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Vermögensunterschiede auch tatsächlich kleiner waren. Bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts verschleierten vor allem sehr wohlhabende Eigentümer einen Teil ihres Vermögens vor staatlichen Institutionen, weshalb der gesamte Wert der zu übertragenden Erbschaften in diesen Fällen in den Nachlassakten zu niedrig angegeben wird. Für die Einordnung der angeführten Zahlen noch wichtiger ist, dass die Gerichte in beiden Städten um die Jahrhundertwende nur sehr wenige Nachlässe und hierbei überwiegend die der wohlhabenden Stadtbürger registrierten. Die große Zahl der von weniger vermögenden Stadtbewohnern hinterlassenen Erbschaften erfassten sie hingegen nicht, weswegen sie auch in den Statistiken nicht sichtbar

251 Piketty, Kapital und Ideologie; Buggeln, Versprechen; Thomas Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert, München 2014. 252 Piketty, Kapital und Ideologie, S. 256, 535ff.

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Genese der bürgerlichen Erbordnung im langen 19. Jahrhundert

werden. Diese veranschaulichen hauptsächlich Vermögensverteilungen innerhalb der wohlhabenden Bevölkerungsgruppen in beiden Städten. Auf die Gesamtheit ihrer Einwohner gesehen waren die tatsächlichen Vermögensungleichheiten in Baltimore und Frankfurt mit hoher Wahrscheinlichkeit noch sehr viel größer. Dies war auch ein Grund, warum nicht nur in diesen Städten, sondern im gesamten transatlantisch-europäischen Raum um 1900 Forderungen laut wurden, das Familienprinzip im Erbübertrag abzuschaffen oder zumindest einzuschränken sowie Vermögen im Moment des Erbübertrags umzuverteilen, um bestehende gesellschaftliche Vermögensungleichheiten abzubauen. Tabelle 3 Gesamtsumme des im analysierten Sample vererbten Vermögens in Dollar in den Jahren 1881 und 1911 in Baltimore City und dessen Verteilung auf Erblasser in Prozent nach Dezilen. Jahr 1881 1911

Gesamtsumme 227.574 1.309.791

1. D.

2. D.

3. D.

4. D.

5. D.

6. D.

7. D.

8. D.

9. D. 10. D.

0 0

0,4 0,1

0,8 0,4

1,5 0,6

1,8 0,9

3,0 1,6

5,7 3,3

8,5 6,5

18,7 15,4

59,6 71,1

Aufgrund von Rundung entspricht der Gesamtwert der einzelnen Dezile nicht immer genau 100 Prozent. Quelle: Dinkel, Nachlassakten.

Tabelle 4 Bruttonachlasssummen in Dollar in den Jahren 1881 und 1911 in Baltimore City im Durchschnitt, Median und aufgeteilt nach Dezilen. Jahr 1881 1911 Jahr 1881 1911

Ø Nachlasssumme 4.064 11.389 Ø Nachlasssumme 4.064 11.389

Median 996 1.379 Median 996 1.379

1. D. 0 2 6. D. 1.123 1.880

2. D. 146 169 7. D. 2.167 3.586

3. D. 348 420 8. D. 3.890 7.759

4. D. 567 670 9. D. 7.103 16.824

5. D. 837 1.035 10. D. 27.114 84.710

Ohne Abzug der mit dem Erhalt der Erbschaft eingegangenen finanziellen Verpflichtungen. Quelle: Dinkel, Nachlassakten.

Tabelle 5 Gesamtsumme des im analysierten Sample vererbten Vermögens in Mark im Jahr 1910 im Amtsgerichtsbezirk Frankfurt am Main und dessen Verteilung auf Erblasser in Prozent nach Dezilen. Jahr 1910

Gesamtsumme 4.513.063

1. D. 2. D. 3. D.

4. D.

5. D.

6. D.

7. D.

8. D.

9. D. 10. D.

-0,1

0,2

0,6

1,0

2,0

3,5

8,3

0

0,1

84,3

Aufgrund von Rundung entspricht der Gesamtwert der einzelnen Dezile nicht immer genau 100 Prozent. Quelle: Dinkel, Nachlassakten.

Verteilung von Nachlassvermögen in Baltimore und Frankfurt um 1900

Tabelle 6 Bruttonachlasssummen in Mark im Jahr 1910 im Amtsgerichtsbezirk Frankfurt am Main im Durchschnitt, Median und aufgeteilt nach Dezilen. Jahr 1910 Jahr 1910

Ø Nachlasssumme 50.145 Ø Nachlasssumme 50.145

Median 3.800 Median 3.800

1. D. -281 6. D. 5.189

2. D. 110 7. D. 9.853

3. D. 415 8. D. 17.683

4. D. 1.447 9. D. 41.539

5. D. 2.998 10. D. 422.876

Ohne Abzug der mit dem Erhalt der Erbschaft eingegangenen finanziellen Verpflichtungen. Quelle: Dinkel, Nachlassakten.

103

II.

Vermögen umverteilen. Revolutionen, Reformen und Reaktionen

Vor dem Hintergrund wachsender Vermögensungleichheiten und einer transnational geführten Debatte über staatliche Maßnahmen zu deren Minimierung entfaltete der Erste Weltkrieg in dreifacher Weise eine katalysierende Wirkung: Mit den steigenden Ausgaben zur Kriegsführung sowie zur Versorgung von Kriegsverletzten und deren Hinterbliebenen stieg der Finanzbedarf der kriegsführenden Länder rapide an. Regierungen begannen mit der Suche nach neuen Einkommensquellen, wodurch die Besteuerung von Erbschaften an Attraktivität gewann. Des Weiteren gerieten in Europa angesichts der Millionen von Toten und Verletzten alte Privilegien des Adels sowie die enormen sozialen Ungleichheiten zwischen der sehr wohlhabenden Elite und dem großen Teil der übrigen Bevölkerung verstärkt in Kritik. Der Ruf wurde lauter, diese Elite und vor allem die als Kriegsgewinnler bezeichneten Großindustriellen stärker an den Kriegs- und Sozialkosten zu beteiligen und einen Teil ihres Vermögens zugunsten der Allgemeinheit umzuverteilen.1 Schließlich veränderten sich während und infolge des Krieges in den beteiligten Ländern, in unterschiedlicher Radikalität, die politischen Machtverhältnisse. In allen Ländern gewannen dadurch Politiker und Parteien aus den liberalen und sozialdemokratisch-sozialistischen Lagern an Macht, die schon vor dem Krieg die Einführung respektive Erhöhung von Erbschaftssteuern gefordert hatten. Ihnen eröffneten sich damit Handlungsspielräume zu weiterreichenden Reformen der Erbgesetzgebung und der Erbschaftsbesteuerung, und in den folgenden Dekaden nutzten viele Regierungen diese sich bietenden Möglichkeiten, um mit Hilfe des Erbrechts Gesellschaften umzugestalten. Die daraus resultierenden revolutionären und reformerischen Änderungen der Erbgesetze hatten zugleich nicht nur eine innenpolitische Stoßrichtung. Die Regierungen der USA, Deutschlands und Russlands veränderten geltendes Erbrecht auch aufgrund außenpolitischer Interessen. Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs begann ein Zeitraum von etwa fünf Jahrzehnten, in dem die Regierungen aller drei Länder ihre bilateralen Konflikte und Kriege auch auf dem Feld des internationalen Privatrechts und der praktischen Kontrolle von transnationalen Erbtransfers austrugen. Sie blockierten zwischenstaatliche Nachlassübertragungen und machten Erbangelegenheiten zum Gegenstand machtpolitischer Auseinandersetzungen.

1 In der Nationalversammlung äußerte u. a. Matthias Erzberger dieses Argument; Rede von Matthias Erzberger, 78. Sitzung, 13.8.1919, in: Verhandlungen der verfassungsgebenden Nationalversammlung, Bd. 329, Stenographische Berichte, Berlin 1920, S. 2414.

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Vermögen umverteilen. Revolutionen, Reformen und Reaktionen

Denn durch die Blockade von Erbtransfers an „feindliche“ Ausländer in einem anderen Staat konnten Regierungen ihre Stärke genauso demonstrieren wie durch das Brechen dieser Blockaden.2 Im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts nahmen somit die verschiedenen Regierungen der demokratisch-kapitalistischen Vereinigten Staaten, der frühen Weimarer Republik, des nationalsozialistischen Deutschlands und der kommunistischen Sowjetunion umfangreiche Änderungen des Erbrechts vor. Gemeinsam war diesen Eingriffen, dass sie auf der im 19. Jahrhundert entstandenen Vorstellung aufbauten, dass sich über das Erbrecht Gesellschaften gestalten ließen. Deutliche Unterschiede gab es hingegen in der Radikalität, Begründung und Ausgestaltung der Änderungen. Sie reichten vom völligen Verbot von Erbtransfers und der revolutionären Abschaffung der bürgerlichen Erbordnung in der Sowjetunion über die Einführung von Erbschaftssteuern in den USA bis hin zur Stärkung des Bauerntums und eines patriarchalischen Familienbilds im nationalsozialistischen Deutschland.

1.

Erben und Vererben in der Sowjetunion, 1917–1964

Im April 1918 verboten die Bolschewiki sämtliche Erbtransfers in ihrem Herrschaftsbereich. Der Besitz des Einzelnen sollte sich in der zu errichtenden sozialistischen Gesellschaft nicht mehr aus seiner familialen Herkunft, sondern aus seinen Leistungen für den Sozialismus herleiten. Gleichwohl blieben ältere Erbtraditionen, die auf den Erbübertrag in der Familie ausgerichtet waren, bestehen. Sie passten sich allerdings den neuen Gegebenheiten an, wie der Erbstreit zwischen Vasilij und seinem Bruder auf der einen Seite und ihrer Stiefschwester auf der anderen veranschaulicht. Die beiden Brüder fochten Ende der 1940er Jahre das Testament ihres Vaters an, in dem dieser sein Haus ausschließlich seiner Tochter vermacht hatte. Formal war das Testament korrekt errichtet und der letzte Wille des Vaters eindeutig. Um dennoch einen Teil des väterlichen Hauses zu erhalten, argumentierten die beiden Brüder vor dem Obersten Gericht mit ihrem großen Beitrag für den Sozialismus. Beide Brüder legten dar, dass sie zwischen 1922 und 1925 und im Großen Vaterländischen Krieg in der Roten Armee gedient und mehrfach ihr Leben für die Sowjetunion aufs Spiel gesetzt hätten. Vasilijs Bruder sei im Krieg darüber hinaus schwer verwundet worden. Er habe seine Gesundheit für die Verteidigung

2 Eric Lohr, Nationalizing the Russian Empire. The Campaign against Enemy Aliens during World War I, Cambridge, MA/London 2003; Ivan G. Sobolev, Bor’ba s „nemeckim zasil’em“ v Rossii v gody Pervoj mirovoj vojny, Sankt Peterburg 2004; Daniela Luigia Caglioti, Property Rights and Economic Nationalism, in: Ute Daniel, Peter Gatrell, Oliver Janz, u. a. (Hrsg.), 1914–1918-online. International Encyclopedia of the First World War, https://encyclopedia.1914-1918-online.net/article/property_ rights_and_economic_nationalism (letzter Zugriff 18.4.2021).

Erben und Vererben in der Sowjetunion, 1917–1964

der Sowjetunion geopfert, so die Brüder. Aus ihrer Sicht war es unverständlich, dass ihre Stiefschwester das Haus alleine erhalten sollte, während sie trotz ihrer Leistungen beim Aufbau und bei der Verteidigung des Sozialismus – und obwohl einer der Brüder ein bedürftiger Invalide war – nach dem Tod des Vaters ohne Dach über dem Kopf dastünden. Diese Ungerechtigkeit, so ihre Forderung an das Gericht, gelte es zu korrigieren und ihnen aufgrund ihres moralisch richtigen Verhaltens und ihres Dienstes für die Sowjetunion ihre Anteile am väterlichen Haus zuzusprechen. Der Ausgang des Erbstreits ist nicht überliefert. Der Fall belegt aber, dass trotz Erbverbot Personen Testamente errichteten und Notariate diese bearbeiteten. Darüber hinaus verteidigten Personen, die sich als überzeugte Sozialisten bezeichneten, nicht das Erbverbot, sondern leiteten umgekehrt aus ihren Leistungen für die sozialistische Gesellschaft Erbansprüche ab.3 Zugleich waren die Brüder weder die ersten noch die einzigen Personen, die so argumentierten und denen zumindest in anderen Fällen Gerichte Erbansprüche zuerkannten.4 Vor diesem Hintergrund wird im Folgenden herausgearbeitet, wie es zum Erbverbot von 1918 und zu der damit verbundenen Abschaffung des Familienprinzips in Nachlassangelegenheiten kam. Daran anschließend werden die Reaktionen, Reformen und Umdeutungen betrachtet, die das Dekret in den folgenden Jahren erfuhr, und es wird gezeigt, wie sowohl im Recht als auch in der Erbpraxis das Familienprinzip zurückkehrte und sich an die Bedingungen der sozialistischen Gesellschaft anpasste. 1.1 Erbverbote als Maßnahmen zum Aufbau des Sozialismus in der Sowjetunion Bereits kurz nach Beginn des Ersten Weltkriegs griff die zaristische Regierung in die existierende Eigentumsordnung ein. Die russische Wirtschaft war stark mit dem Ausland verflochten, knapp die Hälfte des Firmenbesitzes im Zarenreich befand sich in den Händen von Ausländern. Diesen versicherte die Regierung zwar direkt nach Kriegsbeginn noch einmal den Schutz ihres Unternehmens- und Privateigentums, wenige Monate später aber ergriff sie – ähnlich wie andere kriegsführende Staaten – Maßnahmen, die den Abfluss von Kapital in das feindliche Ausland verhindern sollten. Mit der Verstaatlichung von ca. 3.000 mittelständischen Firmen, der erzwungenen Übernahme von Aktien im Wert von ca. 50 Millionen Rubel und der Enteignung von ca. 75.000 Hausbesitzern bewies die Staatsführung, dass sie aus politischen Überlegungen heraus bereit war, in die Eigentumsrechte von als „Feinden“ definierten Personen einzugreifen, und dass sie in der Lage war, deren

3 GARF, F. 9492, Op. 1, D. 1744, S. 40, 70. 4 Für ähnliche Fälle vgl. Cowley, Negotiating, S. 147–151.

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Enteignung durchzuführen. Zugleich produzierten die Enteignungen Vorlagen, mit denen sich Eigentum erfassen ließ, sowie Praktiken und Routinen der Verstaatlichung, an die der sowjetische Staat nach der Machtübernahme bei seinen Eigentumsreformen anknüpfen konnte. Die ersten Verstaatlichungen von Landbesitz unter sowjetischer Herrschaft erfolgten noch nach Plänen, die während des Ersten Weltkriegs im Zarenreich als Maßnahmen gegen feindliche Eigentümer ausgearbeitet worden waren.5 Gleichwohl markiert die Machtübernahme der Bolschewiki eine tiefe Zäsur in der russischen Eigentumsgeschichte. Mit der Oktoberrevolution gelangten zusammen mit Lenin Politiker und Revolutionäre an die Macht, deren Blick auf Erbe und Erbrecht von den radikalen sozialistischen Vordenkern des 19. Jahrhunderts geprägt war. Lenin sprach sich etwa für die Verstaatlichung von Produktionsmitteln und für die Abschaffung des Erbinstituts aus.6 Die neuen Machthaber fanden im Hinblick auf die staatliche Erbgesetzgebung und gängige Erbpraktiken allerdings eine Eigentumsordnung vor, die nur in Ansätzen einen abstrakten Eigentumsbegriff entwickelt hatte, die in der Rechtsprechung nach der ethnischen, religiösen, geschlechtlichen und ständischen Zugehörigkeit einer Person unterschied und die in verschiedenen Regionen des Russischen Imperiums unterschiedlich ausgestaltet war. Insgesamt stützte sie den Status quo, insbesondere den landbesitzenden Adel und wohlhabende Kaufleute, und erfasste einen Großteil der Erbtransfers überhaupt nicht. Ihren eigenen gesellschaftspolitischen Vorstellungen einer zu errichtenden kommunistischen Gesellschaft, die auf der Gleichheit aller Gesellschaftsmitglieder, dem Abbau von Vermögensungleichheiten, dem Leistungsprinzip und dem Aufbau eines starken, sozialistischen Staates basieren sollte, stand die zaristische Eigentumsordnung damit nicht nur diametral gegenüber. Sie erlaubte auch keinen zentralisierten Zugriff auf Eigentum und Erbe, wie ihn die Bolschewiki für die Umgestaltung der Gesellschaft benötigten. Zur Verwirklichung ihrer umfassenden gesellschaftspolitischen Ziele rissen die Bolschewiki daher mit mehreren revolutionären Eingriffen zentrale Säulen der zaristischen Erbordnung ein. Dadurch sollten die zaristischen Eliten – der Adel und der Klerus – entmachtet und enteignet sowie die Grundlagen für die neue sozialistische Gesellschaft gelegt werden.7 Mit dem Dekret vom 5. Dezember 1917 setzten die Bolschewiki die wichtigsten Gesetze des Zarenreichs außer Kraft und lösten

5 Lohr, Nationalizing, S. 55–83, 107; Sobolev, Bor’ba. 6 Schröder, Abschaffung, S. 196ff. 7 Dietmar Neutatz, Träume und Alpträume. Eine Geschichte Russlands im 20. Jahrhundert, München 2013, S. 152–192. Für zwei zeitgenössische Erörterungen über die verschiedenen Maßnahmen vgl. Heinrich Freund, Das Zivilrecht Sowjetrußlands, Mannheim, Berlin, Leipzig 1924, S. 12–17; Kurt Eduard von Gabain, Das Erbrecht in Sowjetrussland. Seine Entwicklung und heutige Geltung, Bern 1929.

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das Gerichts- und Rechtssprechungssystem auf. Sie schafften die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit der Richter ab, hoben die Gewaltenteilung auf und lösten die Notariate auf. Dort aufbewahrte Eigentums- und Personenstandsurkunden und Grundbücher wurden vernichtet. Die Rechtsprechung übernahmen lokale Parteigruppierungen, örtliche Räte, Volksnotare oder Verbände der politischen Polizei (Tscheka).8 Damit waren zugleich Rechtsgrundlagen, Verfahren und Institutionen zur Beglaubigung von Erbrechten und Erbübertragungen beseitigt und die rechtliche Säule der zaristischen Eigentumsordnung zerstört.9 Zusätzlich hoben die Bolschewiki mit den Dekreten vom 26. Oktober 1917 und vom 10. Februar 1918 explizit jegliches Privateigentum an Land, Bodenschätzen, Gewässern und Wäldern auf. An dessen Stelle trat ein öffentliches Nutzungsrecht, das allen zustand, die gewillt waren, den Boden durch eigene Arbeit zu bebauen. Dienten diese Dekrete hauptsächlich der Umgestaltung der ländlichen Eigentumsordnung, so stellt das Dekret vom 20. August 1918 deren städtisches Gegenstück dar. Mit diesem schafften die Bolschewiki alle privaten Rechte an Immobilieneigentum in den größeren Städten ab. In Städten mit mehr als 10.000 Einwohnern erklärten sie alle Gebäude, die einen bestimmten Wert überstiegen, zum staatlichen oder kommunalen Eigentum. Mit dem Dekret vom 14. Dezember 1917 verstaatlichten sie auch alle größeren Industriebetriebe, Banken und Handelsbetriebe. Im Jahr 1920 schränkte der Staat die Eigentumsrechte an kleineren Betrieben und Gutshöfen ein.10 Abgesehen von Wohnhäusern und kleineren Bauernhöfen hatte er damit innerhalb kürzester Zeit den Großteil des immobilen Privateigentums sowie das der orthodoxen Kirche konfisziert und in Staatseigentum überführt. Persönlicher Besitz war in der frühen Sowjetunion im Wesentlichen nur noch an mobilem Eigentum sowie selbst genutztem Wohnraum erlaubt. Doch auch darüber konnten die Eigentümer nur beschränkt verfügen. Durch eine ganze Reihe an Veräußerungsverboten, Handels- und Nutzungsbeschränkungen versuchten die Bolschewiki, jeglichen Güter- und Eigentumstransfer zu kontrollieren.11

8 Avenarius, Geschichte, S. 511; Helmut Altrichter (Hrsg.), Die Sowjetunion: Von der Oktoberrevolution bis zu Stalins Tod (1917–1953). Bd. 1: Staat und Partei, München 1986, S. 93ff.; Neutatz, Träume. 9 Manfred Hildermeier, Geschichte der Sowjetunion, 1917–1991. Entstehung und Niedergang des ersten sozialistischen Staates, München 1998, S. 224–233. 10 Die Dekrete finden sich in englischer Übersetzung in Zigurds L. Zile (Hrsg.), Ideas and Forces in Soviet Legal History. A Reader on the Soviet State and Law, Oxford 1992, S. 116–119. 11 Stephan Merl, Einstellungen zum Privateigentum in Rußland und in der Sowjetunion, in: Siegrist/Sugarman (Hrsg.), Eigentum, S. 135–159, S. 150f.; Eberhardt Pfuhl, Begriff und Stellung des Eigentums in der Sowjetunion, in: Institut für Ostrecht (Hrsg.), Das Eigentum im Ostblock, BerlinZehlendorf-West 1958, S. 25–50; Raisa O. Chalfina, Das persönliche Eigentumsrecht in der UdSSR, Moskau/Berlin 1976.

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Neben der Verstaatlichung von Privatbesitz und der Kontrolle von Eigentumshandeln griffen die Bolschewiki für den Umbau der zaristischen in eine sozialistische Gesellschaft zudem auf die Erbgesetzgebung zurück. Aus ihrer Sicht stellte Erbe „unverdientes Vermögen“ dar, das dem Adel jahrhundertelang eine privilegierte gesellschaftliche Stellung ermöglicht hatte. Diese adeligen Dynastien wollten sie brechen und gewährleisten, dass persönlicher Besitz in der sozialistischen Gesellschaft auf eigenen Leistungen beruhte und nicht vererbt wurde. Aus diesem Grund verboten sie mit dem Dekret vom 27. April 1918 „Über die Abschaffung des Erbrechts“ sämtliche Nachlassübertragungen in ihrem Herrschaftsbereich. Absatz 1 des Dekrets hielt dementsprechend fest: „Die gesetzliche und testamentarische Erbfolge wird abgeschafft. Nach dem Tode des Besitzers wird das ihm gehörende (sowohl bewegliche als auch unbewegliche) Vermögen zum Staatsvermögen der Russischen Sozialistischen Föderativen Republik.“12 Dies galt, wie Artikel 10 festlegte, auch rückwirkend „in Bezug auf sämtliche Erbfälle, die bis zu seinem Erlass eingetreten sind, wenn die Erbschaft durch die Erben noch nicht angenommen, oder zwar angenommen, jedoch noch nicht in Besitz genommen worden ist.“13 Das Erbverbot sollte darüber hinaus nach einem der führenden Juristen der frühen Sowjetunion, Aleksandr Grigor’evič Gojchbarg, eine für den Aufbau des Sozialismus sozial-psychologische und erzieherisch wichtige Wirkung entfalten, individualistische Instinkte in der Bevölkerung beseitigen und den Übertrag von Eigentum von Generation zu Generation dauerhaft unterbrechen. In ihren Stellungnahmen zu Eigentum und Erbe gestanden die Bolschewiki Personen nur noch Nießbrauchrechte an ihrem Besitz zu, die mit ihrem Tod erloschen, während ihr Eigentum komplett an den Staat fiel.14 Um die Umgehung des Verbotes durch Schenkungen zu verhindern, erließ die Regierung am 20. Mai 1918 ein weiteres Dekret, das Schenkungen von mehr als 10.000 Rubel verbot und bei Schenkungen zwischen 1.000 und 10.000 Rubel eine notarielle Beurkundung vorschrieb.15 Von diesen Maßnahmen waren auch alle sich im Ausland befindenden Erben betroffen, die nach zaristischem Recht oder dem Erbrecht ihrer Aufenthaltsländer Anspruch auf ein in der Sowjetunion anfallendes Erbe hatten, sowie Personen in der Sowjetunion, die durch die Dekrete der Bolschewiki ihre Erbrechte an im Ausland anfallende Erbschaften verloren.16 Das von den Bolschewiki eingeführte Verbot

12 Andreas Bilinsky, Das neue sowjetische Erbrecht, in: Jahrbuch für Ostrecht 2/1964, S. 137–171, S. 139. 13 Bilinsky, Erbrecht, S. 141. 14 Gabain, Erbrecht, S. 11f. 15 Bilinsky, Erbrecht, S. 143. 16 Charles Linkins to State Department, 8.10.1919, sowie Antwort des State Department, 20.10.1919, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal File, 1910-29, 311.6124 W 285 to 311.613/250, Box 3625.

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von Erbtransfers zielte damit nicht nur auf die Unterbrechung von Eigentumsübertragungen im Todesfall, sondern in Kombination mit anderen Maßnahmen auf die Abschaffung von Privateigentum an sich, eine Kernsäule der europäischen und der US-amerikanischen Eigentümergesellschaften. Schließlich enteigneten, vertrieben und ermordeten die Bolschewiki Adelige, Großgrundbesitzer und weitere politische Gegner, die sie als Kulaken bezeichneten. Innerhalb weniger Monate waren damit die Rechtsgrundlage und Institutionen der zaristischen Erbordnung abgeschafft, während es zugleich kaum mehr wohlhabende Eigentümer gab, die große Erbschaften hinterlassen konnten. Damit endete schlagartig die ältere von wohlhabenden Kaufleuten gepflegte Erbpraktik, ihr Privateigentum öffentlich sichtbar unter Einbezug der zaristischen Gerichte zu legitimieren und zu übertragen. Derartige Erbübertragungen kamen in der Sowjetunion nicht mehr vor, während die Führung schrittweise begann, den Transfer von Nachlassgegenständen zu legitimieren. 1.2 Systemstabilisierung durch Erbübertragungen: Erbe als staatlich gewährte Fürsorge Ausgangspunkt für das Aufweichen der eigenen ideologischen Position war die Tatsache, dass das Erbverbot von 1918 und die damit verbundenen Ziele von Anfang an im Widerspruch zu den begrenzten finanziellen, administrativen und personellen Ressourcen der Machthaber standen. In den Jahren nach der Oktoberrevolution zerschlugen die Bolschewiki zwar das zaristische Gerichts- und Polizeiwesen und ersetzten die Institutionen durch neue Armee-, (Geheim-)Polizei- und Parteieinheiten. Diese waren angesichts der zahlreich anfallenden Hinterlassenschaften jedoch nicht in der Lage, jede einzelne Erbaufteilung zu überwachen.17 Insbesondere im ländlichen Bereich konnte die Sowjetregierung den Widerstand der Bauernschaft gegen das Erbverbot nicht überwinden und die Verstaatlichung von größeren Nachlässen blieb aus.18 Doch auch in den Städten meldeten Bewohner den staatlichen Behörden anfallende Nachlässe nicht.19 In fiktionalen Texten und Tagebuchaufzeichnungen aus dieser Zeit zeigt sich, dass ältere aus dem Zarenreich stammende Erbtraditionen, Moralvorstellungen und Familienverständnisse in der

17 Vladimir Gsovski, Soviet Civil Law. Private Rights and Their Background under the Soviet Regime. Comparative Survey and Translation of the Civil Code, Code of Domestic Relations, Judiciary Act, Code of Civil Procedure, Laws on Nationality, Corporations, Patents, Copyright, Collective Farms, Labor, and Other Related Laws, 2 Bde., Ann Arbor, Mi, 1948; Vladimir Gsovski, Soviet Law of Inheritance I, in: Michigan Law Review 45 (1946/47), S. 296–320; Vladimir Gsovski, Soviet Law of Inheritance II, in: Michigan Law Review 45 (1947), H. 4, S. 445–468. 18 Freund, Zivilrecht, S. 280; Merl, Einstellungen, S. 153. 19 Gsovski, Soviet Civil Law, S. 624f.

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Bevölkerung noch stark präsent waren und Erbe weiterhin – entsprechend älterer Erbtraditionen und Familienverständnisse – unter verwandten und nahestehenden Personen verteilt wurde – wenn auch angesichts des Erbverbots auf informellen Wegen.20 In wenigen Fällen bezogen die überwiegend aus gebildeten Schichten stammenden Tagebuchschreiber auch direkt Stellung zum Erbverbot. Ein Priester kritisierte den Staat als unwürdigen Erben, der sich nun Kirchenbesitz sowie Kunstwerke und literarische Werke aus vermögenden Familien aneigne, ohne diese Dinge wertschätzen zu können. Andere sahen im Erbverbot eine Schwächung des familialen Zusammenhalts.21 Angesichts dieser in der Bevölkerung weiterhin fest verankerten Erbtraditionen erschien es aus Sicht führender Bolschewiki in der Situation des Bürgerkriegs und ausländischer Interventionen sowie ihrer fragilen Machtposition unklug, zu versuchen, das Erbverbot rigoros durchzusetzen. Zu groß schien die Gefahr, die Unterstützung oder zumindest die Toleranz weiter Bevölkerungsteile, die größtenteils ohnehin keine großen Erbschaften erwarten konnten, zu verlieren und diese gegen sich aufzubringen.22 Schließlich gab es in der sowjetischen Führungsriege durchaus einen Kreis an Personen, die kein Interesse am staatlichen Zugriff auf alle Nachlässe zeigten. Dies betraf vor allem die große Masse kleinerer Nachlässe, die nicht zur Perpetuierung von Vermögensungleichheiten beitrugen und von Bauern und Arbeitern stammten. In den Augen Aleksandr G. Gojchbargs war die Überwachung dieser kleinen Erbübertragungen für die Regierung mit einem hohen, nicht zu rechtfertigenden Verwaltungsaufwand verbunden und ihre Durchführung für den Aufbau der sozialistischen Gesellschaft irrelevant. Für die Bolschewiki sei es sinnvoller, sich nicht mit der Kontrolle und Verwaltung dieser kleinen Nachlässe zu belasten und die

20 Tagebucheintrag von Varvara M.-M., 27.10.1934, in: Prožito, https://prozhito.org/note/255406 (letzter Zugriff 13.5.2021); Tagebucheintrag von Ol’ga S., 4.2.1918, in: Prožito, https://prozhito.org/ note/263169 (letzter Zugriff 13.5.2021). Vgl. auch Tagebucheintrag von Zinaida M., 26.6.1924, in: Prožito, https://prozhito.org/note/224107 (letzter Zugriff 13.5.2021); Tagebucheintrag von Boris D., 8.8.1920, in: Prožito, https://prozhito.org/note/242914 (letzter Zugriff 13.5.2021); Tagebucheintrag von Nikita O., 16.4.1923, in: Prožito, https://prozhito.org/note/17750 (letzter Zugriff 13.5.2021); Tagebucheintrag von Aleksandr Ž., 29.11.1921, in: Prožito, https://prozhito.org/note/12445 (letzter Zugriff 6.7.2022); Tagebucheintrag von Aleksej O., 23.2.1923, in: Prožito, https://prozhito.org/note/ 154170 (letzter Zugriff 6.7.2022). 21 Tagebucheintrag von Stefan S., 10.10.1922, in: Prožito, https://prozhito.org/note/397803 (letzter Zugriff 6.7.2022); Tagebucheintrag von Stepan V., 27.5.1922, in: Prožito, https://prozhito.org/note/ 203798 (letzter Zugriff 6.7.2022). 22 Bilinsky, Erbrecht, S. 144.

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Verantwortung für diese Nachlassüberträge und -aufteilungen den Verwandten des Verstorbenen oder ihm nahestehenden Personen zu übertragen.23 Ungefähr zeitgleich zur politisch-juristisch-administrativen Debatte, ob die Bolschewiki überhaupt versuchen sollten, alle Erbübertragungen zu kontrollieren, zeichnete sich immer deutlicher ein anderes Dilemma der Herrschenden ab. Während die politische Führung allen Mitgliedern der sozialistischen Gesellschaft ein Leben frei von Armut und Hunger versprach und Erbübertragungen verbot, da staatliche Fürsorge die der Familie ersetzen sollte, sah die Realität ganz anders aus. Durch den Krieg und den darauffolgenden Bürgerkrieg waren Infrastrukturen der Daseinsvorsorge in weiten Teilen des Landes stark beschädigt worden. Eine Versorgung der steigenden Zahl an Flüchtlingen, Hungernden, Waisen und Arbeitslosen konnten die Bolschewiki ebenso wenig leisten wie die Überwachung aller Erbtransfers.24 In der Südukraine brach Anfang der 1920er Jahre eine Hungerkrise aus, von der Odessa besonders stark betroffen war. Trotz internationaler Hilfslieferungen verhungerten viele Odessiten; wer konnte, verließ die Stadt. Bis 1923 war die Einwohnerzahl um mehr als 130.000 Menschen auf ca. 316.000 Menschen gesunken.25 Die Situation in der frühen Sowjetunion war somit durch einen tiefgehenden Widerspruch gekennzeichnet. Auf der einen Seite waren Erbtransfers verboten und die zaristischen Nachlassinstitutionen zerstört, um den Aufbau der sozialistischen Gesellschaft voranzutreiben, auf der anderen Seite blieben ältere Erbtraditionen und Familienvorstellungen im Bewusstsein der Bürger bestehen und der Staat war nicht in der Lage, sein Fürsorgeversprechen einzuhalten. Zur Entschärfung dieser sich seit 1917/18 abzeichnenden Situation hatten die Bolschewiki in ihrem allgemeinen Erbverbot von 1918 bereits Ausnahmen definiert, bei denen Eigentumsübertragungen erlaubt waren. In den Artikeln 2, 3, 8 und 9 hatten sie festgelegt, dass Vermögen aus Nachlässen direkt an erwerbsunfähige Verwandte, Ehegatten und andere versorgungsbedürftige Personen, die nicht mit dem Erblasser verwandt sein mussten, übergehen durften, wenn der Verstorbene sie zu seinen Lebzeiten unterstützt hatte.26 Falls der Nachlass nicht zur Versorgung aller dieser Personen ausreichte, sollte „in erster Linie der Bedürftigste von diesen“27 die Erbschaft erhalten. Auch hatten

23 A. G. Goikhbarg, Marriage, Family and Guardianship Law of the Soviet Union (1920), in: Zile (Hrsg.), Ideas, S. 121. 24 Tanja Penter, Odessa 1917. Revolution an der Peripherie, Köln 2000; King, Odessa, S. 179–199; Jörn Grünewald, Baku und Odessa. Arbeiterkultur an der sowjetischen Peripherie (1920–30), Berlin 2004, S. 103f.; Sifneos, Odessa, S. 211–214. 25 Penter, Odessa; King, Odessa, S. 179–199; Grünewald, Baku, S. 90–134; Sifneos, Odessa, S. 211–214; Plochij, Gates. 26 Koelsch, Erbrecht, S. 35. 27 Bilinsky, Erbrecht, S. 140f.

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die Bedürftigen ihren Erbteil vorzugsweise vor den Gläubigern des Verstorbenen zu erhalten. Blieb der Wert des Nachlasses unter 10.000 Rubel und bestand er hauptsächlich aus Hausrat, Handwerksgeräten und Arbeitsinstrumenten, sollte das Erbe direkt an den Ehepartner des Verstorbenen oder andere vom Erblasser zu Lebzeiten unterstützte Personen übergehen. Im Jahr 1920 wurde die fixe Obergrenze von 10.000 Rubel angesichts der inflationsbedingten extremen Preisschwankungen aufgehoben und der Übertrag auch von wertvolleren Nachlässen geduldet.28 Damit eröffneten die Bolschewiki trotz des generellen Verbots von Erbtransfers dem Erblasser kleine Handlungsspielräume für Eigentumsübertragungen an nahestehende Personen im Todesfall.29 Angesichts nur rudimentär vorhandener staatlicher Fürsorgeleistungen verstanden Personen ihren Besitz weiterhin als private, soziale Absicherung, während umgekehrt Pflegende aus ihren Fürsorgeleistungen Ansprüche auf den Nachlass von Verstorbenen ableiteten. Ganz in diesem Sinne forderte eine Antragstellerin vor Gericht den Übertrag des elterlichen Wohnhauses auf ihren Namen, weil sie als einziges von 15 Kindern bei ihren Eltern gewohnt und diese gepflegt habe.30 In einem anderen Fall ließ die verwitwete Maria I. A. in den 1920er Jahren den jüngeren Herrn Zubko J. I. in ihr Haus einziehen, da sie sich nicht mehr selbst versorgen konnte. Letzterer sollte sich als Gegenleistung um sie kümmern und nach ihrem Ableben ihr Haus erhalten, wenn er seine Pflegeleistungen bis zu ihrem Tod erbrachte. Diese zugesagten Versorgungsleistungen erbrachte Zubko nach Ansicht von Maria jedoch nicht. Vor Gericht klagte sie Zubko später an, ihre mangelnden Lese- und Schreibfähigkeiten sowie ihr Vertrauen ausgenutzt zu haben, um sie dazu zu bringen, ihm ihr Haus zu überschreiben. Als Maria allerdings realisierte, dass sie weder die Pflegeleistungen noch Geld für ihr Haus erhielt, wandte sie sich an das Gericht mit der Bitte, ihr Haus zurückzuerhalten. Dies – so ihre Argumentation – sei ihr einziger Besitz und ihre letzte Hoffnung, dass sich jemand im Alter um sie kümmern werde. Der Ausgang der beiden Gerichtsprozesse ist nicht überliefert.31 Sie verdeutlichen jedoch, dass das Erbe weiterhin als individuelle Altersvorsorge verstanden wurde und Pflegende aus ihren Leistungen Ansprüche auf Vermögen aus dem Nachlass des Gepflegten ableiteten. Die ältere Praktik „Erbe gegen Pflege“, mit allem ihr inhärenten Konfliktpotential, existierte in der Sowjetunion weiter. Sowjetische Juristen legten in ihren Auslegungen der Artikel 2, 3, 8 und 9 deshalb großen Wert darauf, festzuhalten, dass diese Ausnahmeregelungen die grundsätzliche Abschaffung der Erbinstitution in keiner Weise in Frage stellten oder aufweichten. Das gemäß den Ausnahmeregeln zu übertragende Eigentum sei überhaupt 28 29 30 31

Goikhbarg, Marriage, S. 121. Bilinsky, Erbrecht, S. 140f. GARF, F. 9492, Op. 1, D. 1744, S. 58. GARF, F. 9492, Op. 1, D. 1744, S. 59f.

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nicht als Erbe anzusehen, sondern als eine Art staatlich gewährte Sozialhilfe an Bedürftige im engen Umfeld des Verstorbenen. Deshalb würden diese Ausnahmen auch wieder zurückgenommen, sobald das sozialistische Sozialsystem einmal vollständig ausgebaut sei. Bis dahin müssten diese Ausnahmen und der Übertrag von Nachlässen akzeptiert werden. Dass damit die soziale Absicherung einer Person weiterhin von persönlichen Nahbeziehungen abhing, blieb sowjetischen Juristen nicht verborgen, sie nahmen diese Tatsache aber als notwendigen Zwischenschritt bei der Umgestaltung der Gesellschaft in Kauf.32 1.3 Erbe und Wirtschaft im Kontext der Neuen Ökonomischen Politik Ein weiterer Schub zur Legalisierung von Erbtransfers erfolgte mit dem Beginn der Neuen Ökonomischen Politik (NEP). Damit reagierte die sowjetische Regierung auf die Folgen ihrer radikalen Eigentumspolitik seit 1917 sowie der Wirtschaftskrise zu Beginn der 1920er Jahre. Um den Handel zu fördern und die Wirtschaft anzukurbeln, akzeptierten die Bolschewiki wieder privatwirtschaftliches Handeln, die Entstehung von Marktbeziehungen und die Notwendigkeit, ein gewisses Maß an Rechtssicherheit zu schaffen – zumindest für eine unbestimmt definierte Übergangszeit. Im zeitgenössischen Verständnis der Bolschewiki war mit der NEP daher keine Abkehr von ihren sozialistischen Zielen verbunden, vielmehr verstanden sie die Maßnahmen als Übergangslösungen, bis es ihnen die innen- und außenpolitische Lage erlauben würde, die notwendigen Maßnahmen zum Aufbau des Sozialismus umzusetzen.33 In der Praxis führten die Einführung marktwirtschaftlicher Regelungen und die Gewährung von persönlichen Eigentumsrechten dazu, dass Personen wieder begannen, Dinge als ihr Eigentum zu verstehen und Zugriffsrechte darauf behaupteten. Die Erlaubnis vom Dezember 1921, städtische Wohnungen zu besitzen, führte dazu, dass sich im Jahr 1928 in der Russischen Republik der UdSSR etwa 85 Prozent der städtischen Wohnhäuser und etwa die Hälfte des Wohnraums in Privatbesitz befanden. Sie konnten damit auch vererbt werden und stellten in vielen Nachlässen den hauptsächlichen Wertgegenstand dar.34 Zugleich belegen diese Zahlen, dass Erbschaften bereits in den 1920er Jahren für viele Bürger der Sowjetunion einen wichtigen Zugang zu Wohneigentum und zu Konsumgütern darstellten. Vor diesem Hintergrund bildete sich eine doppelte Rechtslage für Erbtransfers heraus. Als ersten Schritt hin zur Legalisierung von Nachlasstransfers erließ das Allrussische Zentrale Exekutivkomitee auf Lenins Initiative am 22. Mai 1922 das 32 Zitiert nach Bilinsky, der in seinem Aufsatz die Aussagen Serebrovskijs paraphrasiert: Bilinsky, Erbrecht, S. 142; vgl. Gabain, Erbrecht, S. 13–17; Koelsch, Erbrecht, S. 43–54. 33 Neutatz, Träume, S. 170–179; Hildermeier, Geschichte der Sowjetunion, S. 224–262. 34 Merl, Einstellungen, S. 150–152.

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„Dekret über die grundlegenden privaten Vermögensrechte“.35 Das Dekret gestattete ausdrücklich den Besitz und Erwerb von persönlichem Eigentum und hielt in Artikel 6 fest, dass „das Erbrecht nach Testament und Gesetz zugunsten des Ehegatten und der direkten Abkömmlinge in den Grenzen von 10.000 Goldrubel wieder zugelassen [sei]“.36 Zugleich erteilte das Dekret dem Volkskommissariat für Justiz den Auftrag, ein neues allgemeines Zivilgesetzbuch auszuarbeiten.37 Zunächst unter der Leitung von V. A. Krasnokutskij, später hauptsächlich geführt von N. I. Bernstein und A G. Gojchbarg, arbeitete die nur aus ihren Leitern und deren engsten Mitarbeitern bestehende Kommission innerhalb weniger Monate ein neues Zivilgesetzbuch (ZGB) aus. Die ursprünglich aus zehn Juristen bestehende Kommission wurde dabei im Sommer und Herbst 1922 weiter verkleinert, so dass Gojchbarg, wenn auch nicht als einziger, so doch als maßgeblicher Redakteur des Gesetzbuches gelten kann.38 Dieses trat bereits nach etwa einem halben Jahr der Ausarbeitung am 1. Januar 1923 in Kraft. Räumlich galt das Gesetzbuch nur für die russische Sowjetrepublik (RSFSR), auch wenn an der Abstimmung über dessen Annahme im AZEK auch Vertreter anderer Sowjetrepubliken teilnahmen. Nach der Abstimmung waren es Vertreter aus der ukrainischen Republik, die vorschlugen, dass das AZEK allen anderen Sowjetrepubliken freundlich empfehlen solle, die Gesetze des neuen ZGB auch in ihren Republiken einzuführen. Diese „freundliche“ Anregung verfehlte ihre Wirkung nicht, und zwischen Februar und September 1923 führten auch die anderen Sowjetrepubliken die Gesetze des russischen ZGB ein. In der ukrainischen Republik traten sie am 1. Februar 1923 in Kraft.39 Mit der Einführung des ZGB schufen die Bolschewiki somit wieder eine Rechtsgrundlage, die dazu diente, Nachlasstransfers zu ermöglichen.40 Außenpolitisch sollte sie den Transfer von Erbschaften aus dem Ausland an Erben in der Sowjetunion erleichtern und zugleich dem Staat, der diese Transfers durchführte, Zugang zu ausländischen Devisen eröffnen. Hierfür gründete die Regierung mit dem „Kreditbüro“ im Jahr 1922 sogar eine eigene Institution. Das Kreditbüro hatte die Aufgabe, 35 Zitiert nach Koelsch, Erbrecht, S. 36. 36 Zitiert nach Freund, Zivilrecht, S. 102ff.; vgl. auch Koelsch, Erbrecht, S. 37. 37 Tat’jana E. Novickaja, Graždanskij Kodeks RSFSR 1922 goda. Istorija sozdanija, obščaja charakteristika, tekst, priloženija, Moskva 2012. Für eine deutsche Übersetzung vgl. Bilinsky, Erbrecht. 38 Gabain, Erbrecht, S. 23ff. 39 Die rechtliche Autonomie der einzelnen Republiken war begrenzt, weshalb im Folgenden angenommen wird, dass die Befunde in der nur spärlich vorhandenen Sekundärliteratur zur Rechtsentwicklung des sowjetischen Erbrechts, die sich nahezu ausschließlich auf die Gesetze in der RSFSR beziehen, im Wesentlichen auch auf die anderen Republiken zutreffen. Zum räumlichen Geltungsraum des Zivilgesetzbuches der RSFSR in den 1920er Jahren vgl. Gabain, Erbrecht, S. 26. 40 Koelsch, Erbrecht, S. 37f.; Eugene Huskey, A Framework for the Analysis of Soviet Law, in: The Russian Review 50 (1991), H. 1, S. 53–70.

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Erbansprüche von sowjetischen Bürgern auf im Ausland anfallende Nachlässe zu vertreten und im Erfolgsfall diese Nachlässe aus dem Ausland in die Sowjetunion einzuführen. Damit schuf die Regierung zugleich eine Institution, an die sich Erben wenden konnten, wenn sie mit staatlicher Unterstützung ihre Erbansprüche im Ausland durchsetzen wollten.41 Innenpolitisch sollte das neue ZGB die beiden Eigentumssysteme, das kommunistische und das bürgerliche, synchronisieren, Anreize für privaten Handel und wirtschaftliche Aktivitäten sowie Rechtssicherheit für Eigentumstitel schaffen, da selbst erworbenes Eigentum nun auch an enge Bezugspersonen und an die nächste Generation vererbt werden durfte.42 Die Frage, was aber eigentlich dem Nachlass einer Person zugerechnet werden sollte und damit zu vererben war, beantwortete der Gesetzgeber nicht eindeutig.43 Er definierte zwar, dass sich Grund und Boden, Unternehmen und Gebäude sowie Schiffe und Eisenbahnen nicht mehr in Privatbesitz befinden und folglich auch nicht vererbt werden durften. Darüber hinaus zerfielen die Hinterlassenschaften einer Person jedoch weiterhin in verschiedene, rechtlich unterschiedlich gerahmte Bestandteile. Vom eigentlichen Nachlass einer Person unterschied der Gesetzgeber beispielsweise den „Voraus“.44 Diese Unterscheidung war vor allem für Erbübertragungen in den Städten von großer Bedeutung, da der „Voraus“ gemäß gesetzlicher Definition aus den gewöhnlichen Haushaltsgegenständen und Wirtschaftsvorräten des Erblassers bestand. Anspruch auf den „Voraus“ hatten die gesetzlichen Erben, die mit ihm im gleichen Haushalt gewohnt hatten (Art. 421).45 Für eine ganze Reihe an weiteren Objekten wie Luxusgegenständen, Waffen oder Silbermünzen sowie für Bauernhöfe oder Konzessionsverträge galten zudem Sonderregeln bei der Vererbung. Erst nach Abzug all dieser besonderen Bestandteile einer Hinterlassenschaft galt das übrig gebliebene Vermögen als persönliches Eigentum und wurde nach dem Ableben zum Erbe.46 Diese Erbregelung und die damit einhergehenden unterschiedlichen rechtlichen Definitionen von verschiedenen Teilen der Hinterlassenschaften standen in direkter Kontinuität der zaristischen Erbordnung. Auch in der frühen Sowjetunion kam es nicht zur Herausbildung eines abstrakten Erbkonzeptes. Vielmehr zerfielen die Hinterlassenschaften weiterhin in mehrere konkrete, rechtlich unterschiedlich

41 DAOO, F. 5023, Op. 1, Spr. 7, 1932, Bl. 75; DAOO, F. 5023, Op. 1, Spr. 8, 1932, Bl. 1, 23, 37, 87, 123, 174, 198; DAOO, F. 5023, Op. 1, Spr. 10, 1932, Bl. 309. 42 Koelsch, Erbrecht, S. 38. Gabain, Erbrecht, S. 24. 43 Nasledstvennoe Pravo, in: Novickaja (Hrsg.), Graždanskij Kodeks, S. 205–209. Eine frühe deutsche Übersetzung und Kommentierung des Zivilkodex findet sich bei Freund, Zivilrecht, eine spätere Übersetzung bei Bilinsky, Erbrecht. 44 Koelsch, Erbrecht, S. 44f. 45 Bilinsky, Erbrecht, S. 145. 46 Koelsch, Erbrecht, S. 43.

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gerahmte Bestandteile, auf die verschiedene Personen und Erben, je nach Funktion des Nachlassgegenstandes oder ihres Wohnortes, Anspruch erheben konnten. Verkompliziert wurde diese Vielfalt an Nachlassbestandteilen dadurch, dass die einzelnen Kategorien nicht trennscharf definiert waren. Den Unterschied zwischen einem „gewöhnlichen Haushaltsgegenstand“ und einem Luxusgut legte das Gesetz nicht fest und überließ die Entscheidung darüber im Zweifelsfall dem zuständigen Gericht.47 Das ZGB schuf damit zwar grundsätzlich eine Rechtsgrundlage für Nachlassplanungen und Erbtransfers, mit seiner Vielfalt an Nachlassbestandteilen und deren unscharfer Definition erzeugte es aber auch Unsicherheiten und potentielle Ansatzpunkte für Erbstreitigkeiten. Zu den gesetzlichen Erben zählten nach dem ZGB „Nachkommen des Erblassers in gerader Linie (Kinder, Enkel, Urenkel), der Ehegatte des Erblassers sowie arbeitsunfähige und vermögenslose Personen, die der Erblasser für mindestens ein Jahr vor seinem Tod voll unterhalten hatte (Art. 418)“.48 Alle Personen aus diesen Kategorien erbten zu gleichen Teilen. Die frühe sowjetische Definition des Kreises der gesetzlichen Erben wich damit in drei zentralen Punkten sowohl vom zaristischen Erbrecht als auch von den Erbrechten in den USA und in Deutschland ab. Erstens brach die Sowjetunion zum Teil mit dem Verwandtschaftsprinzip zugunsten des Fürsorgeprinzips. Erbberechtigt waren auch die Personen, die mit dem Erblasser zusammenwohnten und die dieser unterstützt hatte, unabhängig davon, ob oder in welchem Grad sie mit ihm verwandt waren. Damit bestätigte das ZGB die bereits im Dekret von 1918 festgelegte Ausnahme vom Verbot des Erbtransfers zur Versorgung bedürftiger Personen. Neben der Stimulation der Wirtschaft sollten Erbtransfers weiterhin auch der sozialen Absicherung von Personen dienen, die mit dem Tod einer Person ihren Versorger verloren.49 Zweitens beschränkten die Bolschewiki den Kreis der erbberechtigten Verwandten extrem. Außer den eigenen Abkömmlingen waren keine sonstigen Verwandten wie die eigenen Eltern, Geschwister oder andere Verwandte erbberechtigt. Dieser Beschluss stand im Einklang mit anderen Maßnahmen der Bolschewiki, die auf die Abschaffung beziehungsweise Abschwächung familialer Bindungen in der Gesellschaft zielten. Drittens griffen sie Emanzipationsbestrebungen von Frauen seit dem 19. Jahrhundert auf und setzten diese um, indem sie Männer und Frauen rechtlich gleichstellten. Zugleich schlug sich auch die kommunistische Kritik an der bürgerlichen Familie und dem Institut der Ehe dahingehend nieder, dass die neuen Gesetze in Nachlassangelegenheiten nicht mehr zwischen ehelichen und nicht-ehelichen Kindern oder zwischen adoptierten, angenommenen und leiblichen Kindern unterschieden.50 Herrenlose Erbschaften 47 48 49 50

O’Donnell, Ark, S. 125–132. Bilinsky, Erbrecht, S. 145. Koelsch, Erbrecht, S. 47. Bilinsky, Erbrecht, S. 140.

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fielen an die Verwaltung der Gemeinde oder Stadt in der Sowjetrepublik, in der der Erblasser seinen letzten Wohnsitz gehabt hatte, falls in den sechs Monaten nach dem Ableben einer Person keine Erben Ansprüche anmeldeten.51 Mit dem ZGB führte die Regierung schließlich auch wieder eine Erbschaftssteuer ein, die unabhängig vom Verwandtschaftsgrad war und einen Steuerfreibetrag von 1.000 Rubel vorsah. Darüber hinausgehende Erbschaften wurden mit einem Steuersatz von einem Prozent bis zu einem Höchstsatz von 50 Prozent belastet.52 Parallel zur rechtlichen Legalisierung von Erbtransfers und zur Entstehung einer rechtlichen Grundlage für Erbübertragungen entstanden in der Sowjetunion wieder Institutionen, die auf die Bearbeitung von Nachlassangelegenheiten spezialisiert waren und die standardisiert Erbüberträge durchführten. Nachdem direkt nach der Revolution Erbfälle überwiegend nicht mehr dokumentiert worden und nur Parteiorganisationen, lokale Räte und Polizeiorganisationen für die Ausstellung von Erbscheinen verfügbar gewesen waren, änderte sich dies mit der NEP. Mit der Einführung begrenzter marktwirtschaftlicher Elemente und der beginnenden Ausarbeitung eines Zivilgesetzbuches brauchte es auch wieder Institutionen, die Verträge und Eigentumstransfers beurkundeten. Der IV. Gesamtrussische Juristenkongress im Januar 1922 schlug hierfür – ähnlich wie im Zarenreich – Notariate vor, die mit dieser Aufgabe zu betrauen seien. Diesem Vorschlag folgte der Rat der Volkskommissare der RSFSR, der im Oktober 1922 die „Staatsnotariatsordnung“ erließ. Dies war der Auftakt einer Reihe von Dekreten und Verordnungen (Notariatsordnung vom 24.8.1923; „Über die Grundprinzipien der Organisation des Staatsnotariats“ vom 14.5.1926), mit denen Notariate in der UdSSR wieder eingeführt, ihre Zuständigkeiten mit dem neuen ZGB synchronisiert und ihre Tätigkeiten spezifiziert wurden. Zugleich öffneten die Bolschewiki den Beruf des Notars für Frauen, wobei dieser unter Juristen weiterhin schlecht angesehen war. Notare verdienten wenig und sie mussten keine juristische Ausbildung vorweisen. Gleichwohl sollten sie erneut wie im Zarenreich Verträge beurkunden, Notariatsarchive anlegen und Erbangelegenheiten bearbeiten. Im Jahr 1926 erweiterten die Bolschewiki die Befugnisse der Notariate, um die Gerichte von Verwaltungsaufgaben zu entlasten. Damit waren wieder institutionelle Grundlagen für Nachlassangelegenheiten geschaffen worden. Die Bewohner der UdSSR nutzten sie allerdings nur selten, was auch mit einer neuen Aufgabe der Notariate zusammenhing.53 Das zaristische Gerichtswesen und die damit verbundenen Notariate galten Lenin und anderen führenden Bolschewiki als Säulen und Garanten sowohl der zaristischen Ordnung als auch – mit Blick in westliche Länder – des Kapitalismus. Diese 51 Koelsch, Erbrecht, S. 50–52. 52 Bilinsky, Erbrecht, S. 146. 53 Avenarius, Geschichte, S. 511ff.; Friedrich-Christian Schroeder, Das Notariatswesen in der Sowjetunion, in: Deutsche Notar-Zeitschrift (1964), S. 645–671, S. 647ff.

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den Notariaten zugeschriebene Funktionen rechtfertigten ihre Zerschlagung nach der Revolution. Für ihre Wiedereinführung brauchte es daher eine neue Rechtfertigung, die nicht nur in der wirtschaftlichen Wiederbelebung des Landes bestehen konnte. Vielmehr sollten nach Lenin die Notariate auch dazu dienen, den staatlichen Einfluss in privaten Angelegenheiten auszudehnen. Sie sollten Eigentumsund Schuldverhältnisse überwachen und die Rechte der sozialistischen Bürger gewähren, auch im Erbfall. Den Hebel hierfür stellte das sowjetische Erbrecht bereit, nach dem ein Erbe anders als in Deutschland und ähnlich wie in den USA mit dem Tod eines Eigentümers nicht automatisch an dessen Erben überging. In den sowjetischen Republiken mussten Erben innerhalb von sechs Monaten aktiv die Annahme der Erbschaft beim Notariat beantragen und sich die Rechtmäßigkeit der Annahme bestätigen lassen. Zeigten sie die Erbannahme nicht rechtzeitig an oder gewährte das Notariat den Übertrag nicht, fiel der Nachlass an den Staat. Für eine rechtmäßige Erbannahme mussten Erben daher die mit der Erbschaft verbundenen Vermögensverhältnisse gegenüber dem staatlichen Notariat offenlegen und sich diese staatlicherseits bestätigen lassen.54 Mit den Dekreten aus dem Jahr 1922, dem ZGB von 1923 und der Wiedereinführung der Notariate war somit wieder ein rechtlicher Rahmen und eine institutionelle Struktur für Nachlassplanungen und Erbtransfers geschaffen. Charakteristisch für die Zeit der Neuen Ökonomischen Politik und die frühe Sowjetunion war allerdings auch, dass mit dem Inkrafttreten des ZGB das Dekret von 1918 zur Abschaffung des Erbrechts keineswegs formal aufgehoben wurde. Vielmehr klärten die Bolschewiki die Verhältnisse der verschiedenen Dekrete untereinander sowie der einzelnen Dekrete zum ZGB nicht eindeutig, weshalb spätestens ab 1923 unterschiedliche rechtliche Vorgaben für Erbtransfers in der Sowjetunion existierten. Je nach deren Auslegung waren Erbübertragungen verboten oder unter bestimmten Bedingungen und in stark eingeschränktem Rahmen legal. Die Bolschewiki trugen in den nächsten Jahren wenig zur Klärung dieser Unklarheiten bei. Gerichte und Justizbehörden mussten in den folgenden Jahren daher permanent Urteile fällen und weitere Richtlinien erlassen, um Regelungen für Erbkonstellationen zu finden. Die dadurch von den Gerichten erlassenen Urteile differenzierten die Vorgaben des ZGB in einzelnen Aspekten aus, und zugleich verfestigten und bestätigten sie immer wieder den Eindruck, dass Erbübertragungen auf einer rechtlichen Grundlage durchgeführt wurden und werden konnten. Eine ähnliche Wirkung entfalteten weitere kleine Anpassungen des Erbrechts, die in den nächsten Jahren erfolgten und die zusammengenommen darauf hinausliefen, Erbtransfers zu legitimieren. Im Februar 1926 hob die Regierung angesichts der Entwertung des Rubels die Obergrenze für Nachlasswerte endgültig auf, während

54 Schroeder, Notariatswesen, S. 647ff.

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sie zugleich eine progressive Erbschaftssteuer einführte, die jetzt im Höchstsatz 90 Prozent betrug.55 Ein weiteres Dekret vom 28. Mai 1929 gestand den minderjährigen Kindern eines Erblassers erstmals einen Pflichtteil am Nachlass zu und stärkte deren Erbrechte. Im gleichen Dekret erweiterte der Gesetzgeber die Handlungsspielräume von Eigentümern. Diese durften nun auch den Staat, die Kommunistische Partei und andere öffentliche Organisationen in Testamenten als Erben einsetzen.56 Deutlich größere Handlungsspielräume eröffnete ihnen die wichtige Ergänzung der erbrechtlichen Vorschriften des ZGB vom 1. April 1935. Als Anreiz für die Bewohner der Sowjetunion, ihre Ersparnisse auf Konten der staatlichen Sparkassen und Banken anzulegen, schuf die Regierung Gesetze zur Behandlung von Sparvermögen im Todesfall. Sparer konnten nun durch einen schriftlichen Hinterlegungsschein bei der Bank ihr Sparguthaben von ihrem Nachlass separieren, womit es nicht mehr als Teil der Erbschaft galt. Zugleich konnten sie auf dem Hinterlegungsschein Personen benennen, die das Sparvermögen nach ihrem Tod erhalten sollten, ohne dass diese Personen aus dem Kreis der gesetzlichen Erben stammen mussten. Um Zugriff auf das Sparvermögen der sowjetischen Eigentümer zu erhalten, war der Staat bereit, Bankkunden große Verfügungsrechte über ihr Sparguthaben einzuräumen.57 Das war eine Option, die Personen durchaus nutzten und in ihre Nachlassplanung integrierten.58 Parallel zu den Gesetzesänderungen und Verordnungen etablierten die Notariate standardisierte Verfahren zum Nachlassübertrag. In Odessa bearbeitete das neu eingerichtete sozialistische Notariat seit den späten 1920er Jahren wieder regelmäßig Erbangelegenheiten. Mehreren dokumentierten Erbfällen lagen zudem Abschriften oder Kopien von Geburts-, Heirats- und Sterbeurkunden sowie Geschäfts- und Versicherungsvereinbarungen bei, die deutlich vor 1917, in manchen Fällen sogar im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts erstellt worden waren, um Familienverhältnisse und Erbansprüche zu belegen. Sie stammten aus Kirchenbüchern oder den Unterlagen anderer religiöser oder ständischer Vereinigungen, die Odessa im Zarenreich geprägt hatten.59 Bereits wenige Jahre nach der Revolution bildeten sich damit vor Ort wieder Routinen und Institutionen zum staatlich dokumentierten Nachlassübertrag aus.

55 Bilinsky, Erbrecht, S. 147. 56 Cowley, Negotiating, S. 52f. 57 Bilinsky, Erbrecht, S. 147; Reinhart Maurach, Erbrechtsnovellen in der Sovetunion, in: Zeitschrift für Osteuropäisches Recht 2 (1935), H. 4, S. 183–194, S. 190ff. 58 Tagebucheintrag von Konstantin I., 12.7.1941, in: Prožito, https://prozhito.org/note/446884 (letzter Zugriff 13.5.2021); Tagebucheintrag von Davyd V., 3.8.1951, in: Prožito, https://prozhito.org/note/ 584932 (letzter Zugriff 7.7.2022). 59 DAOO, F. 5023, Op. 1, Spr. 8, 1932, Bl. 1, 89, 98, 123, 164f.; DAOO, F. 5023, Op. 1, Spr. 10, 1932, Bl. 87.

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Der Nachweis von Eigentumsrechten und Familienverhältnissen wurde dadurch für Erbübertragungen wieder wichtiger, genauso wie Dokumente, die diese bestätigten, und Institutionen, die deren Echtheit gewährleisteten. Das Notariat in Odessa griff daher auch auf Dokumente und Registrierungen anderer Organisationen und Institutionen zurück, um Eigentumsverhältnisse zu klären und Eigentum neu zuordnen zu können. Nach dem Tod von Eduard D. zog es beispielsweise die Unterlagen der Odessaer Meeresgewerkschaft heran, um das auf den Namen des Verstorbenen registrierte Motorsegelboot „Albert“ auf den Namen seiner Frau Valentina D. umzuschreiben.60 Die in Odessa um das Jahr 1930 dokumentierten Erbfälle weisen bereits eindeutige Spuren einer fortgeführten beziehungsweise erneut eingeführten Standardisierung von Erbübertragungen auf. Dies zeigte sich in der Formelhaftigkeit der Testamentsbestimmungen und deren recht ähnlichem Aufbau. Vor allem aber symbolisierten die staatlichen Beglaubigungsverfahren von Erbüberträgen, in denen Gerichte schon Ende der 1920er Jahre wieder auf standardisierte Vordrucke zurückgriffen, in denen Notariatsbeamte durch Stempel und Unterschrift Eigentumsansprüche bestätigten und in denen Gerichte Gebühren für ihre Dienste verlangten, dass hier staatlich garantierte juristische Akte vollzogen und das Erbe legal zugewiesen wurde, wenn Bürger gegenüber den Notariaten ihre Besitzverhältnisse offenlegten.61 Welche Personen nutzten nun die veränderte Gesetzes- und Institutionenlage für Nachlassplanungen und wie sahen andere Erbpraktiken in Odessa und anderen Regionen der UdSSR aus? 1.4 Erbpraktiken in der frühen Sowjetunion Nach der Oktoberrevolution und dem Bürgerkrieg eroberte die Rote Armee erst im Jahr 1920 die Südukraine und Odessa. Danach schafften die Bolschewiki auch dort die zaristische Verwaltung ab. Politische und rechtliche Entscheidungen wurden zunächst von Armeeeinheiten, Geheimpolizei, Laiengerichten und lokalen Parteivereinigungen meist ohne besondere Ausbildung und administrativen Apparat getroffen. Nach der Gründung des Odessaer Verwaltungsgerichts (Odesskij okružnoj sud/OKRSUD) fielen Erbangelegenheiten in den Zuständigkeitsbereich des dort befindlichen Notariats. Dessen nur lückenhaft überlieferte Unterlagen deuten allerdings darauf hin, dass sich Gericht und Notariat weder mit der Durchsetzung des Erbverbots von 1918 noch mit der Verstaatlichung von Nachlässen befassten. Bis Mitte der 1920er Jahre finden sich keine Akten zu Erbschaftsangelegenheiten.62 60 DAOO, F. 5022, Op. 1, Spr. 14, 1929, Bl. 99. 61 DAOO, F. 5022, Op. 1, Spr. 14, 1929, Bl. 15, 102, 206. 62 In den Findmitteln des DAOO fanden sich bis Mitte der 1920er Jahre keine Eintragungen, die darauf hindeuteten, dass vor staatlichen Organen Erbangelegenheiten verhandelt oder Nachlässe verstaatlicht worden wären.

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Staatliche Institutionen und Parteiorganisationen waren damit in Odessa – ebenso wie in anderen Regionen des Landes – nicht in den Übertrag und die Verteilung von Hinterlassenschaften involviert. Nachlässe wurden informell übertragen und die damit verbundenen Besitztransfers blieben für den Staat unsichtbar. Diese informellen individuellen Auseinandersetzungen mit dem Tod und die daraus resultierenden Besitzübertragungen schlossen an Erbtraditionen des Zarenreichs an und waren weitgehend auf den Erbübertrag in der Familie ausgerichtet.63 Im Zentrum individueller Nachlassregelungen standen weiterhin Testamente, obwohl sowohl Testatoren als auch Erben durchaus bewusst war, dass diese Schriftstücke rechtlich nicht mehr bindend waren.64 Gleichwohl nutzten Testatoren sie wie zu Zarenzeiten, um sich gegenüber ihren Erben zu bestimmten Werten – beispielsweise einer geordneten Lebensführung – zu bekennen, von ihren Erben zu verlangen, ausstehende Schulden zu begleichen, um Verbliebenen Ratschläge mit auf den Weg zu geben und sie auf ihnen wichtige moralische Werte zu verpflichten.65 Nikita O. hinterließ seiner Familie beispielsweise vor einer Dienstreise im März 1920 einen Brief, den seine Angehörigen als sein Testament auffassten und in dem er sie darum bat, falls er nicht mehr zurückkommen sollte, nicht nach seiner Leiche zu suchen, und in dem er seine Tochter aufforderte, keinen Bourgeois zu heiraten.66 Der 61-jährige in Simbirsk (ab 1924 Uljanowsk) wohnende Publizist und Jurist Aleksandr Ž. überlegte, seine Kinder in seinem Testament darauf zu verpflichten, einander zu lieben sowie Gott, ihr Mutterland und ihre leibliche Mutter, da er nichts Materielles zu vererben hatte. Außerdem wünschte er sich eine bestimmte Inschrift auf seinem Grabsteinkreuz, falls es die Finanzen der Familie erlaubten. Diese Ausführungen waren, wie er selbst festhielt, am Testament des Apostels Johannes orientiert und verdeutlichen damit auch die Fortdauer christlicher Überzeugungen in der Bevölkerung.67 Des Weiteren errichteten Personen Testamente, um bestimmte Gegenstände an ausgewählte Personen zu vererben. Durch die gezielte Weitergabe von Erbstücken

63 Tagebucheintrag von Nikolaj F., 18.1.1918, in: Prožito, https://prozhito.org/note/573794 (letzter Zugriff 13.5.2021); Tagebucheintrag von Milica N., 11.4.1921, in: Prožito, https://prozhito.org/note/ 207713 (letzter Zugriff 13.5.2021). 64 Tagebucheintrag von Nikita O., 7.3.1920, in: Prožito, https://prozhito.org/note/17479 (letzter Zugriff 13.5.2021); Tagebucheintrag von Nikolaj F., 14.1.1919, in: Prožito, https://prozhito.org/note/573865 (letzter Zugriff 13.5.2021). 65 Tagebucheintrag von Ljubov’ Š., 5.12.1931, in: Prožito, https://prozhito.org/person/198 (letzter Zugriff 13.5.2021); Tagebucheintrag von Sofja T., 16.9.1918, in: Prožito, https://prozhito.org/note/ 525829 (letzter Zugriff 13.5.2021). 66 Tagebucheintrag von Nikita O., 7.3.1920, in: Prožito, https://prozhito.org/note/17479 (letzter Zugriff 13.5.2021). 67 Tagebucheintrag von Aleksandr Ž., 5.10.1919, in: Prožito, https://prozhito.org/note/12250 (letzter Zugriff 13.5.2021).

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bestätigten sie weiterhin Nahbeziehungen und untermauerten sie emotionale Bindungen auch materiell.68 Die 64-jährige Varvara M.-M. dachte im November 1933 beispielsweise darüber nach, wem sie ihr Tagebuch als Vermächtnis und Erinnerungsstück einmal hinterlassen sollte.69 Derartige Verteilungen von Erbstücken finden sich außer in Tagebucheinträgen, in denen über konkrete Testamente und Nachlassverteilungen berichtet wurde, vor allem in fiktionalen Erzählungen, die ebenfalls den Übertrag und die Verteilung von Hinterlassenschaften thematisierten.70 Die Zuweisung von Erbstücken diente in den 1920er und 1930er Jahren in vielen Fällen nicht nur der materiellen Beglaubigung von Nahbeziehungen. Angesichts der wirtschaftlichen Krise, der Inflation und der Hungersnot besaßen viele Erbstücke und einzelne Gegenstände für Erben auch einen hohen ökonomischen Wert. Das konnten einzelne Möbelstücke, aber auch Schmuck und Diamanten sein, die ihre Besitzer während und im Anschluss an den Ersten Weltkrieg und Bürgerkrieg als undokumentiertes, mobiles Eigentum besser als immobiles Vermögen vor Plünderungen und Verstaatlichungen schützen konnten.71 Der Wert vieler Nachlässe setzte sich in vielen Fällen ausschließlich oder größtenteils aus Mobilien zusammen. Deren gezielte Verteilung erfüllte in der frühen Sowjetunion folglich zwei Funktionen: Sie diente der Bestätigung von Nahbeziehungen und der Verteilung des Erbes, wodurch emotionale und ökonomische Aspekte des Erbvorgangs ineinanderfielen. In der frühen Sowjetunion hielt nicht nur eine (ältere) gebildete und schriftkundige Elite an älteren Erbtraditionen und an der Praxis der Testamentserrichtung fest, sondern auch ihre jüngeren Erben. Besonders deutlich zeigen dies Fälle, in denen sich Erben an testamentarische Erbverteilungen und Verpflichtungen hielten, obwohl sie sich davon enttäuscht zeigten und obwohl ihnen bewusst war, dass Testamente keine Rechtsdokumente darstellten, diese Vorgaben also rechtlich nicht bindend waren. Nikolaj F. war beispielsweise nicht damit einverstanden, wie seine Mutter ihren Nachlass verteilte, und ärgerte sich darüber, dass sie ihn beauftragt hatte, ihre Beerdigung zu organisieren. Gleichwohl kam er dieser Verpflichtung nach.72 68 Tagebucheintrag von Ljubov’ Š., 5.12.1931, in: Prožito, https://prozhito.org/person/198 (letzter Zugriff 13.5.2021). 69 Tagebucheintrag von Varvara M.-M., 11.11.1933, in: Prožito, https://prozhito.org/note/255348 (letzter Zugriff 13.5.2021). 70 Tagebucheintrag von Mixail P., 1.4.1918, in: Prožito, https://prozhito.org/note/188656 (letzter Zugriff 13.5.2021). 71 Tagebucheintrag von Pavel L. 24.1.1925, in: Prožito, https://prozhito.org/note/425951 (letzter Zugriff 13.5.2021). Vgl. hierfür auch die Jagd nach angeblich in einem Stuhl versteckte Juwelen in Il’ja Il’f/Evgenij Petrov, Zwölf Stühle. Roman, Berlin 2000, erstmals im Jahr 1928 veröffentlicht. 72 Tagebucheintrag von Nikolaj F., 14.1.1919, in: Prožito, https://prozhito.org/note/573865 (letzter Zugriff 13.5.2021).

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Dass Personen in der frühen Sowjetunion Testamente errichteten und Erben die darin festgelegten Bestimmungen befolgten, bestätigt somit einmal mehr den Befund, dass Testamente – auch in Russland – nie nur reine Rechtsdokumente dargestellt haben. Ihre Funktion und Bindungskraft als Instrument der Nachlassplanung speiste sich auch aus den moralischen Erwartungen der Testatoren, dass sich ihre Erben an ihre letztwilligen Wünsche hielten. Umgekehrt beachteten Erben eben genau aufgrund dieser geteilten moralischen Werte in der frühen Sowjetunion die rechtlich ungültigen testamentarischen Vorgaben von Erblassern. Ältere Erbpraktiken wirkten dadurch auf informeller Ebene in der frühen Sowjetunion fort, wobei sie durch von Testatoren und Erben geteilte Werte ebenso gestützt und stabilisiert wurden wie durch deren Bestreben, Eigentum vor dem Zugriff des Staates zu verbergen und in ihrem Besitz zu behalten. Das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber dem Staat und den Bolschewiki war groß. Gerüchte, dass der Geheimdienst Erbschaften konfisziere und die eigentlichen Erben verhafte, hielten sich hartnäckig in der Bevölkerung.73 Besitzer sahen den Staat und seine Organe nicht als Beschützer ihres Eigentums an, sondern als Bedrohung für ihren Besitz, die es notwendig machte, Nachlassangelegenheiten im informellen und persönlichen Umfeld zu planen und durchzuführen. Diese personellen Netzwerke waren wiederum in einzelnen Erbfällen so stark, dass selbst wertvollere Nachlässe wie private Bibliotheken und Wohneigentum ohne Einbezug des Staates friedlich geteilt und übertragen wurden.74 Die Fragilität dieser Bindungskräfte zeigte sich, wenn es zu Streitigkeiten zwischen Personen kam, die Anspruch auf hinterlassenes Vermögen erhoben oder sich dieses einfach aneigneten. Angesichts des weit verbreiteten Mangels an Haushaltsgegenständen und Wohnraum war dies häufig der Fall. Verwandte und Bekannte von Verstorbenen stritten über deren hinterlassenes Wohneigentum und Wohnrechte bis hin zu Möbeln und warmen Decken.75 Zusätzliches Konfliktpotential bei Erbverteilungen schuf die von den Bolschewiki angeordnete Auflösung der Ehe. In Erbfällen konnten überlebende (Ehe-)Partner daher ab 1922 mit der teilweisen Legalisierung von Erbtransfers unter Umständen ihre Beziehung zum Verstorbenen

73 Tagebucheintrag von Evgenij L., 30.3.1943, in: Prožito, https://prozhito.org/person/867 (letzter Zugriff 13.5.2021). 74 Tagebucheintrag von Nikolaj H., 22.6.1925, in: Prožito, https://prozhito.org/note/480766 (letzter Zugriff 13.5.2021); Tagebucheintrag von Aleksandr B., 12.10.1921, in: Prožito, https://prozhito.org/ note/124306 (letzter Zugriff 13.5.2021). 75 Tagebucheintrag von Aleksandr Ž, 29.11.1921, in: Prožito, https://prozhito.org/note/12445 (letzter Zugriff 13.5.2021); Tagebucheintrag von Mixail K., 13.12.1934, in: Prožito, https://prozhito.org/note/ 545166 (letzter Zugriff 13.5.2021); Tagebucheintrag von Milica N., 27.10.1929, in: Prožito, https:// prozhito.org/note/209868 (letzter Zugriff 13.5.2021).

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nicht nachweisen, und umgekehrt eröffnete diese Rechtslage Betrügern die Möglichkeit, sich als Lebensgefährten Verstorbener auszugeben, die einen moralischen und später auch rechtlichen Anspruch auf die Hinterlassenschaften eines Erblassers hatten. In diesen Fällen hatten sich um ihr Erbe betrogen fühlende oder tatsächlich betrogene Personen in der frühen Sowjetunion keine und ab 1922 nur beschränkte Möglichkeiten, sich an den Staat zu wenden und diesen um den Schutz ihrer Erbrechte zu ersuchen. Literarische Bearbeitungen dieses Themas legen plausibel nahe, dass kriminelle Banden sowie ethnische und familiale Autoritäten in Räumen, die der Staat nicht durchdrang und nicht kontrollierte, über die Verteilung eines Erbes bestimmten.76 Besitzende und potentielle Erben sahen sich immer wieder vor die Herausforderung gestellt, in einer rechtlich uneindeutigen Lage den Übertrag von Hinterlassenschaften gegen unerwünschte Zugriffe abzusichern, was auch erklärt, warum sich einzelne von ihnen ab Ende der 1920er Jahre in Erbschaftsangelegenheiten wieder an staatliche Notariate wandten.77 Mit der schrittweisen Legalisierung von Erbtransfers im Kontext der Neuen Ökonomischen Politik ab Anfang/Mitte der 1920er Jahre begann das staatliche Notariat in Odessa wieder, Erbschaftsangelegenheiten zu bearbeiten. Zwar ist ein vollständiges Bild seiner Tätigkeiten in den 1920er und in den 1930er Jahren aufgrund der lückenhaften Aktenlage kaum zu erlangen. Für die Jahre 1929, 1932 und 1940 scheinen die Akten zu Erbangelegenheiten aber vollständig vorhanden zu sein. Diesen Unterlagen entsprechend bearbeitete das Notariat 73 Erbschaftsangelegenheiten im Jahr 1929, 276 Fälle im Jahr 1932 und 123 Fälle im Jahr 1940.78 Bei einer ungefähren Einwohnerzahl von etwa 421.000 Menschen im Jahr 1926 und von etwa 604.000 Menschen im Jahr 1939 waren dies verschwindend wenige.79 Diese Zahlen verdeutlichen somit einerseits noch einmal, dass Erbangelegenheiten

76 Il’f/Petrov, Stühle; Isaak Ė. Babel’, Geschichten aus Odessa. Autobiographische Erzählungen, München 1987. Für die wissenschaftliche Beschäftigung mit diesem Thema vgl. Svetlana Natkovich, Odessa as “Point de Capital”: Economics, History, and Time in Odessa Fiction, in: Slavic Review 75 (2016), H. 4, S. 847–871; Erwin Wedel, Odessa als Wiege und Schauplatz der südrussischen Literatur im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, in: Ekkehard Völkl/Walter Koschmal (Hrsg.), Odessa. Kapitel aus der Kulturgeschichte, Regensburg 1998, S. 96–131. 77 Tagebucheintrag von Nina P., 29.12.1939, in: Prožito, https://prozhito.org/note/320422 (letzter Zugriff 13.5.2021); Tagebucheintrag von Vladimir P., 14.8.1940, in: Prožito, https://prozhito.org/note/ 94814 (letzter Zugriff 13.5.2021). 78 DAOO, F. 5022, Op. 1, Spr. 14, Inhaltsverzeichnis für Erbschaftsangelegenheiten 1929, А–Я; DAOO, F. 5023, Op. 1, Spr. 7, Inhaltsverzeichnis für Erbschaftsangelegenheiten 1932, А–В; DAOO, F. 5023, Op. 1, Spr. 8, Inhaltsverzeichnis für Erbschaftsangelegenheiten 1932, Г–И; DAOO, F. 5023, Op. 1, Spr. 9, Inhaltsverzeichnis für Erbschaftsangelegenheiten 1932, К–О; DAOO, F. 5023, Op. 1, Spr. 10, Inhaltsverzeichnis für Erbschaftsangelegenheiten 1932, П–Я. 79 Ralph Melville/Thomas Steffens, Die Bevölkerung, in: Gottfried Schramm (Hrsg.), Handbuch der Geschichte Russlands, Bd. 3/II, Stuttgart 1992, S. 1009–1193.

Erben und Vererben in der Sowjetunion, 1917–1964

in Odessa überwiegend informell abliefen. Andererseits verdeutlichen sie, dass sich in Odessa grob vereinfacht drei verschiedene Personengruppen in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren in Erbschaftsangelegenheiten an das Notariat wandten. Dies waren erstens Personen, die in transnationale Erbfälle verwickelt waren. Sie suchten das Notariat auf, um sich die Annahme einer im Ausland anfallenden Erbschaft genehmigen zu lassen, um das Notariat um Beihilfe bei der Durchsetzung ihrer Erbrechte im Ausland zu bitten oder um dessen Unterstützung beim Transfer von Erbschaften aus dem Ausland in die Sowjetunion zu erlangen. In einer ganzen Reihe von Fällen legten Erben – meist die Frauen verstorbener Auswanderer – auf dem Notariat Zertifikate vor, nach denen sie Anspruch auf die Auszahlung einer im Ausland abgeschlossenen Lebensversicherung hatten. Dabei handelte es sich überwiegend um die Erbinnen von in die USA ausgewanderten und dort verstorbenen Familienangehörigen. Mehreren Erbfällen liegen Schreiben des „Kredit-Büros“ bei und damit der Organisation, die in den 1920er Jahren die Ansprüche sowjetischer Erben im Ausland vertreten sollte. Mehrere sowjetische Bürger fragten den Service des vom Staat eingerichteten „Kredit-Büros“ aktiv nach; zugleich kontrollierte der Staat dadurch aus dem Ausland kommende Erbschaften, mit deren Hilfe er an Devisen kam, die er besteuern konnte.80 Zweitens wandten sich Personen, ebenfalls häufig Frauen, an das Notariat, die sich bei bereits vollzogenen informellen Erbaufteilungen ungerecht behandelt fühlten und sich vom Notariat eine Revision dieser Erbaufteilungen erhofften. Viele dieser Personen befanden sich in einer so großen Notsituation, dass sie nach jedem Strohhalm griffen, der ihnen eine Verbesserung der eigenen Lage versprach, wozu auch die Hoffnungen auf den Erhalt eines Erbes gehörte. Aus ihrer Perspektive erschien das staatliche Notariat – neben anderen familialen, staatlichen und parteilichen Autoritäten – als einer von mehreren Akteuren, an die sie sich wenden konnten, um eigene Erbansprüche gegenüber anderen durchzusetzen. In einem Fall erhielt dadurch eine Witwe vom Notariat die Bestätigung, dass sie und ihre Tochter Anspruch auf den noch ausstehenden Lohn ihres verstorbenen Mannes hatten, der ihr bis dahin vom Arbeitgeber ihres Mannes verweigert worden war.81 Dass diese Nutzung des Notariats nicht auf Odessa begrenzt war, zeigen wiederum die Unterlagen des Obersten Gerichts der Sowjetunion. Das Oberste Gericht verhandelte in den 1930er Jahre mehrere Erbstreitigkeiten, in denen Erben ihr Erbteile

80 DAOO, F. 5023, Op. 1, Spr. 7, 1932, Bl. 75; DAOO, F. 5023, Op. 1, Spr. 8, 1932, Bl. 1, 23, 37, 87, 123, 174, 198; DAOO, F. 5023, Op. 1, Spr. 10, 1932, Bl. 309. 81 DAOO, F. 5022, Op. 1, Spr. 14, 1929, Bl. 3. Für ähnliche Fälle siehe DAOO, F. 5022, Op. 1, Spr. 14, 1929, Bl. 151, 201f., 204, 356.

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einforderten. Meist ging es dabei um eine der größten Mangelwaren und zugleich eines der wertvollsten Besitztümer des Landes: Wohnraum und Wohnhäuser.82 Drittens traten die Besitzer von Wohneigentum und wertvollen Dingen wie Schmuck oder Gemälde an das Gericht heran, um sich ihre Besitzrechte bestätigen und ihre Testamente registrieren zu lassen. Damit versuchten sie sicherzustellen, dass ihre Hinterlassenschaften an ihre Erben entsprechend ihren letztwilligen Wünschen übergingen und nicht von anderen Personen gestohlen wurden. Testatoren in Odessa listeten in ihren Testamenten immer wieder wertvolle Dinge und insbesondere genau und ausführlich ihr Wohneigentum auf. Dies reichte von der genauen Lagebeschreibung der Wohnung über Angaben der Bewohner und deren Wohnrechte bis hin zu Informationen über die Größe und den Zustand von Wohnungen und einzelner Zimmer.83 Auffällig ist zudem, dass in vielen Erbschaftsangelegenheiten, in denen es um „größere“ Erbschaften ging, entweder die Verstorbenen oder die Erben Akademiker mit einem Professoren- oder Doktortitel waren.84 Überwiegend handelte es sich um Mediziner und um Ingenieure, die durchaus größere Summen von über 100.000 Rubel und Wertgegenstände wie Gemälde, Musikinstrumente, Schmuck oder ihre medizinisch-technischen Geräte sowie Wohnungen vermachten. Zumindest in einigen dieser Fälle gab es auch Auslandsbezüge, weil sich der Erblasser, ein Teil der Erben oder ein Teil des Nachlassvermögens im Ausland befanden. Beispielhaft für diesen Personenkreis steht Jakob M. R., Professor des Odessaer Medizinischen Instituts. Er hatte im Oktober 1927 auf dem Pariser Konsulat der Sowjetunion ein Testament errichtet, das seine Erben dem Notariat im Jahr 1929 vorlegten. Darin hatte er bestimmt, dass seine erste Ehefrau alle Gemälde aus seiner Odessaer Wohnung erhalten solle. Sein Labor, seine technischen Gerätschaften, ein Röntgengerät und zwei große Teppiche vermachte er weiteren Personen. Seine zweite Frau sollte seinen restlichen Besitz im In- und Ausland erhalten.85 Auch derartige Nutzungen des Notariats waren nicht auf Odessa beschränkt. Gerichtsprozesse am Obersten Gericht belegen, dass in den 1930er Jahren auch

82 Katherine Zubovich, Housing and Meaning in Soviet and Post-Soviet Russia, in: Kritika. Explorations in Russian and Eurasian History 16 (2015), H. 4, S. 1003–1011; Marcie K. Cowley, The Right of Inheritance and the Stalin Revolution, in: Kritika. Explorations in Russian and Eurasian History 15 (2014), H. 1, S. 103–123, S. 105–112; Mark B. Smith, Property of Communists. The Urban Housing Program from Stalin to Khrushchev, DeKalb 2010; Cowley, Negotiating; Julia Obertreis, Tränen des Sozialismus. Wohnen in Leningrad zwischen Alltag und Utopie 1917–1937, Köln, Weimar, Wien 2004. 83 DAOO, F. 5022, Op. 1, Spr. 14, 1929, Bl. 15, 88, 89. Vgl. auch Tagebucheintrag von Ljubov’ Š., 4.1.1945, in: Prožito, https://prozhito.org/person/198 (letzter Zugriff 13.5.2021). 84 DAOO, F. 5022, Op. 1, Spr. 14, 1929, Bl. 135, 235. Vgl. auch Tagebucheintrag von Nina P., 29.12.1939, in: Prožito, https://prozhito.org/note/320422 (letzter Zugriff 13.5.2021). 85 DAOO, F. 5022, Op. 1, Spr. 14, 1929, Bl. 235.

Erben und Vererben in der Sowjetunion, 1917–1964

in anderen Regionen der Sowjetunion zum Teil hohe Summen und wertvolle Gegenstände vererbt wurden. In einem Erbfall stritten verschiedene Parteien um die richtige Bewertung des Nachlasses, der aus wertvollen Gemälden, hochwertigen Männer- und Damenkleidern, teurem Schmuck sowie einem Haus in Rostow am Don bestand und dessen Höhe sie auf 87.450 bis 112.714 Rubel schätzten.86 Im Fall des verstorbenen Künstlers Alexander A. B. bezifferte das Gericht den Nachlasswert im Jahr 1935 sogar auf 250.000 Rubel. Dazu zählten eine Gemäldesammlung mit 345 Bildern, das wissenschaftliche Gerät/Labor des Verstorbenen und ein zweigeschossiges Haus mit 22 Zimmern im Krasnoborsker Gebiet. In beiden Fällen zielten die Aktivitäten des Notariats und der Gerichte auf den sicheren Übertrag des Erbes. Hierfür verfolgte es im Fall Alexander A. B. sogar Besitzansprüche und den Erwerb von Eigentumstiteln bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts zurück. Zudem korrespondierte es mehrfach mit den Erbinnen des Verstorbenen, dessen Ehefrau und adoptierter Tochter, die sich im nationalsozialistischen Deutschland in Berlin aufhielten.87 Aufschlussreich an beiden Erbfällen und Gerichtsstreitigkeiten sind zwei Aspekte, die einen langsamen Wandel der Erbordnung in der Sowjetunion anzeigen. Erstens wandten sich insgesamt zwar wenige, aber dennoch zunehmend mehr Personen in Nachlassangelegenheiten an die staatlichen Notariate und Gerichte. Sie zeigten dort größere Nachlässe an oder klagten ihren Anspruch darauf ein und bewiesen damit ein Minimum an Vertrauen in den Staat. Dieser erschien ihnen nicht mehr ausschließlich als Bedrohung ihres Besitzes, sondern als ein Akteur, der sie in bestimmten Situationen bei der Durchsetzung ihrer Rechte unterstützen konnte. Und indem Notariate und Gerichte nach alten Eigentumstiteln forschten und entsprechend der Rechtslage entschieden, bestätigten sie dieses Vertrauen. Zweitens verdeutlichen beide Gerichtsstreitigkeiten auch, dass es in den 1930er Jahren in der Sowjetunion wieder möglich war, größere Nachlässe sichtbar für den Staat zu vererben. Ebenso wie in ihren informellen Testamenten hielten Testatoren auch in ihren auf staatlichen Notariaten hinterlegten Testamenten am Familienprinzip fest. In den für Odessa durchgesehenen Testamenten vermachte keine einzige Person ihr Vermögen oder einen Teil davon dem Staat, der Kommunistischen Partei oder einer anderen öffentlichen Organisation. Derartige Vermächtnisse waren seit 1929 zwar legal möglich, und in gewisser Weise boten die Bolschewiki Besitzern damit an, ihren Nachlass freiwillig an den Staat oder Parteiorganisationen vor Ort zu spenden. Dass dieses Angebot nicht angenommen wurde, verdeutlicht nicht nur, dass die Bolschewiki die wohlhabende Kaufmannschaft aus dem Zarenreich

86 GARF, F. 9474, Op. 5, D. 24, S. 6. 87 GARF, F. 9474, Op. 5, D. 100.

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weitgehend enteignet hatten, sondern auch, dass die mit der Kaufmannschaft verbundene Praktik des mäzenatischen Stiftens untergegangen war. Die sowjetische Intelligenzija griff diese Tradition nicht auf, womit die sowjetischen Änderungen des Erbrechts zu einer vermutlich nicht intendierten Erbverteilung führten. Denn Personen mit größerem Besitz übertrugen dies in der Sowjetunion nun nicht einmal mehr zu einem kleinen Teil an den Staat oder die lokale Gesellschaft, sondern ausschließlich an Verwandte und Personen, mit denen sie eng verbunden waren. In anderen Worten: Die Eingriffe der Bolschewiki stärkten in Erbübertragungen das Familienprinzip und damit die Bedeutung der familialen Herkunft. Innerhalb dieses eng umrissenen Personenkreises zeigen sich aber Variationen der Erbverteilung. In vielen Fällen setzten Testatoren nur eine Person als Alleinerbe ein, entweder ihren Ehepartner oder eines ihrer Kinder. In anderen Fällen übertrugen sie ihr Vermögen zu gleichen Teilen an den überlebenden Ehepartner und die Kinder oder nur an die Kinder. Eine Bevorzugung respektive Benachteiligung von Erben aufgrund ihres Geschlechts lässt sich in diesen Testamenten nicht feststellen.88 Zugleich finden sich einige Testamente, in denen Testatoren einzelne Erbgegenstände – wie im Zarenreich – gezielt bestimmten Personen vermachten.89 Duvid M. Š. hielt in seinem Testament beispielsweise fest, dass seine Ehefrau, seine drei Söhne und seine Tochter ihn zu gleichen Teilen beerben sollten. Darüber hinaus vermachte er einem Sohn einen Pelzmantel, einen Anzug und einen Wechsel in Höhe von 90 KRP. Seine Tochter sollte das Klavier, die Nähmaschine, sechs Silberbecher und die Bettwäsche erhalten.90 In wenigen Testamenten legten die Testatoren schließlich eine ungleiche Aufteilung des Nachlasses unter den genannten Erben beziehungsweise unter ihnen nahestehenden Personen fest. Šmul’ A. G. bestimmte, dass, sollte eine seiner Töchter zum Zeitpunkt seines Todes verheiratet sein, sie 40 Prozent seines Nachlasses erhalten und sich seine drei anderen Kindern die verbliebenen 60 Prozent teilen sollten.91 Moško I. G. setzte demgegenüber seinen Sohn als Alleinerben ein, verpflichtete ihn aber, bestimmte Geldsummen an seine Schwester, zwei Cousinen und einen Freund auszubezahlen.92 Evgenija I. R. vermachte ihre Wohnung wiederum zu gleichen Teilen ihrem Sohn und ihre Tochter. Eine ganze Reihe an explizit aufgeführten Haushaltsgegenständen, Möbel und ein Sparkonto sollten aber ausschließlich an die Tochter gehen.93 In anderen

88 DAOO, F. 5023, Op. 1, Spr. 10, 1932, Bl. 278, 559; DAOO, F. 5002, Op. 1, Spr. 14, 1929, Bl. 362; DAOO, F. 5022, Op. 1, Spr. 14, 1929, Bl. 2503ff.; DAOO, F. 5023, Op. 1, Spr. 10, 1932, Bl. 280. 89 DAOO, F. 5022, Op. 1, Spr. 14, 1929, Bl. 235ff. 90 DAOO, F. 5022, Op. 1, Spr. 14, 1929, Bl. 400. Siehe auch DAOO, F. 5022, Op. 1, Spr. 14, 1929, Bl. 201. 91 DAOO, F. 5022, Op. 1, Spr. 14, 1929, Bl. 89. 92 DAOO, F. 5022, Op. 1, Spr. 14, 1929, Bl. 90. 93 DAOO, F. 5023, Op. 1, Spr. 85, 1940, Bl. 251.

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Erbfällen zeigen sich in den 1930er Jahren sogar wieder komplexere Nachlassplanungen und -transfers unter Einbezug von Notaren. Charakteristisch hierfür ist das Testament von Ruchlja A. P. Darin bestimmte sie Ersatzerben, sollte einer ihrer Erben vor ihr versterben und seinen Anteil des Erbes nicht selbst annehmen können. Darüber hinaus ernannte sie auch drei Testamentsvollstrecker.94 In einem anderen Erbfall forderte das Odessaer Notariat zur Klärung von Erbrechten ältere Dokumente – auch aus der vorrevolutionären Zeit – an. Zudem griffen Testatoren bei der Errichtung von Testamenten wieder auf standardisierte Vorlagen zurück.95 Diese Beispiele verdeutlichen drei Charakteristika von staatlich dokumentierten Erbtransfers in den ersten Jahrzehnten der Sowjetunion. In den meisten Erbfällen wurden erstens hauptsächlich Haushaltsgegenstände und Mobiliar sowie Wohnrechte und Wohnraum übertragen, vereinzelt kam es aber auch zum Transfer größerer und wertvoller Erbschaften. Diese Hinterlassenschaften erhielten in Kontinuität zum Zarenreich zweitens überwiegend mit dem Erblasser verwandte Personen. Das Familienprinzip strukturierte weiterhin Testamentsbestimmungen und Erbübertragungen, womit es dazu beitrug, dass Besitz in der Familie blieb und Verwandtschaftsbeziehungen materiell untermauert wurden. Schließlich bildete sich in den 1930er Jahren – innerhalb eines Staates mit totaler Rechtsunsicherheit – sogar eine gewisse Rechts- und Eigentumssicherheit heraus, auf deren Basis Personen wieder Nachlassplanungen vornahmen und Erben Erbschaften erwarteten. Der Übertrag von Erbschaften erfolgte zunehmend wieder routinisiert und standardisiert in der Familie, auch wenn staatlich registrierte Erbüberträge Ende der 1930er Jahre in Odessa weiterhin große Ausnahmen darstellten. 1.5 Erbe als Förderung der Parteielite, Leistungsanreiz und Stärkung der sozialistischen Familie, 1936–1941 Mitte der 1930er Jahre galt der Aufbau der sozialistischen Gesellschaft als weitgehend abgeschlossen. Um die Vererbung von Eigentum zu rechtfertigen, konnte nicht mehr auf Gojchbargs Argumentation aus den frühen 1920er Jahren zurückgegriffen werden. Erbtransfers waren als private Form der Fürsorge nun nicht mehr notwendig und auch nicht tolerierbar, da nun offiziell der Staat seine Bürger versorgte. Gojchbargs Legitimation von Erbtransfers geriet daher verstärkt in Kritik. Juristen wie P. Orlovsky warfen ihm vor, mit seinen Begründungen das System des Zarenreichs nicht ausreichend abgeschafft, sondern bürgerliches und sozialistisches

94 DAOO, F. 5023, Op. 1, Spr. 85, 1940, Bl. 41. Vgl. auch den Erbfall Njura I., in dem die Ehefrau Njura das Erbe ihrer Tochter dadurch absicherte, dass sie ein Sparkonto errichtete mit einem Hinterlegungsschein, der nur ihrer Tochter Zugriff auf ihr Sparguthaben gewährte; Tagebucheintrag von Konstantin I., 12.7.1941, in: Prožito, https://prozhito.org/note/446884 (letzter Zugriff 13.5.2021). 95 DAOO, F. 5023, Op. 1, Spr. 85, 1940, Bl. 37, 298.

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Recht vermischt und am „bürgerlichen“ Familienverständnis festgehalten zu haben. Zeitgleich mit der so vorgebrachten Kritik nahm aber das Eigentum in den Händen der sowjetischen Elite zu. Wollte sie dieses vererben und in der Familie weitergeben, benötigte sie eine andere Legitimation von Erbtransfers, die sie mit der Verfassung von 1936 vorlegte.96 Juristen und die Redakteure der im Dezember 1936 in Kraft getretenen Verfassung (sogenannte Stalin-Verfassung) legitimierten Erbtransfers mit dem damit einhergehenden Leistungsanreiz und der neu eingeführten Eigentumskategorie „persönliches Eigentum“.97 Persönliches Eigentum war Eigentum, das sich ein Bürger der Sowjetunion durch herausragende Dienste an der Gesellschaft selbst erarbeitet hatte.98 Es befand sich somit per Definition in den Händen der besten und produktivsten Mitglieder der Gesellschaft. Und diesen vorbildlich am Ausbau des Sozialismus mitwirkenden Personen gewährte die Regierung Privilegien und zusätzliche Verdienstmöglichkeiten sowie den Übertrag dieses persönlichen Eigentums in der sozialistischen Familie im Todesfall. Zu diesem Personenkreis zählte auch die Parteielite; somit profitierten Regierungsangehörige selbst von dem Gesetz. Erbübertragungen würden dadurch, so die Argumentation der Führung, nicht bourgeoise Ungleichheiten perpetuieren, sondern vorbildliche sozialistische Arbeiter und ihre Familien stärken.99 96 Zur Bedeutung von Privilegien und persönlichen Beziehungen in der Sowjetunion vgl. Sandra Dahlke, Individuum und Herrschaft im Stalinismus. Emel’jan Jaroslavskij (1878–1943), München 2010, S. 366–385; Mervyn Matthews, Privilege in the Soviet Union. A study of elite life-styles under communism, Abingdon, Oxon 2011. Zu materiellem Besitz in der Sowjetunion vgl. Yoram Gorlizki, Communism and the Law, in: Heikki Pihlajamäki/Markus Dirk Dubber/Mark Godfrey (Hrsg.), The Oxford handbook of European legal history, Oxford, New York 2018, S. 1095–1114; O’Donnell, Ark; Charles Hachten, Seperate Yet Governed: The Representation of Soviet Property Relations in Civil Law and Public Discourse, in: Lewis H. Siegelbaum (Hrsg.), Borders of Socialism. Private Spheres of Soviet Russia, New York 2006, S. 65–82. 97 P. Orlovskji, Nekotorye voprosy zakondatel’stva o nasledovanii, in: Sovetskoe Gosudarstvo, 1936, Nr. 2, S. 63; M. Rejxel’, Pravo nasledovanija, in: Sovetsckaja Justicija, 1937, Nr. 5, S. 14–16. Zur Einordnung der Verfassung vgl. Dietmar Neutatz, Die Verfassung (Grundgesetz) der UdSSR, 5. Dezember 1936, in: 100(0) Schlüsseldokumente zur russischen und sowjetischen Geschichte, https://www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_ru&dokument=0021_ver&object= context&st=&l=de (letzter Zugriff 19.2.2021). 98 Artikel 10 definierte persönliches Eigentum wie folgt: „Das persönliche Eigentumsrecht der Bürger an ihren selbsterarbeiteten Einkünften und Ersparnissen, am Wohnhaus und an der häuslichen Nebenwirtschaft, an den Hauswirtschafts- und Haushaltsgegenständen, an den Gegenständen des persönlichen Bedarfs und Komforts, ebenso wie das Erbrecht an dem persönlichen Eigentum der Bürger werden durch das Gesetz geschützt.“ Zitiert nach Bilinsky, Erbrecht, S. 147f. 99 Merl, Einstellungen, S. 155; Cowley, Negotiating, S. 76f.; Dahlke, Individuum, S. 366–385; Matthews, Privilege. Diese offizielle juristische Argumentation teilten nicht alle Bürger. Der Mediziner und Universitätsprofessor Lev N. interpretierte die Stalin-Verfassung und die damit verbundene Bekräftigung des Erbinstituts im Jahr 1937 in seinen Tagebucheinträgen als weiteren Schritt zur Entstehung

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In der Sowjetunion erfolgte dieser Perspektivenwechsel auf die Funktionen von Erbe vor dem Hintergrund der Kampagnen zur Steigerung der Arbeitsproduktion (Stachanow-Bewegung), die im Rahmen des zweiten Fünf-Jahresplans im Jahr 1935 begannen. Um die darin formulierten Planziele zu erreichen, wurden vorbildliche Arbeiter wie der Bergarbeiter Alexei G. Stachanow ausgezeichnet. Als zentraler Anreiz zur Steigerung der Arbeitsleistung waren mit einer solchen Auszeichnung immaterielle und materielle Vorteile verbunden. Das konnten Lohnerhöhungen, rare Konsumgüter wie Kleidung, Radios oder Fahrräder oder die Zuweisung von Wohneigentum sein. Diese Belohnungen galten als persönliches Eigentum und durften nach der Stalin-Verfassung von 1936 auch vererbt werden.100 Die zweite größere Veränderung, mit der sich die Reform des Erbrechts im Jahr 1936 überschnitt, betraf die Familienpolitik. Deren ursprüngliches Ziel, die Auflösung der „bürgerlichen“ Familie und verwandtschaftlicher Nahbeziehungen, hatte nicht nur bei Erbtransfers immer wieder zu Konflikten geführt. Auch vor dem Hintergrund der Stachanow-Kampagnen und der Wiedereinführung von Erbrechten erschienen die frühen Maßnahmen zur Auflösung der Familie als problematisch und dysfunktional, so die Argumentation von sowjetischen Juristen. Denn wenn der Staat es vorbildlichen Arbeitern erlaube, Eigentum zu erwerben und dieses zu vererben, so müsse er auch genauer als bisher spezifizieren, wer die anspruchsberechtigen Erben seien, sollte der Verstorbene kein Testament hinter-

einer sowjetischen Bourgeoisie. Dazu zählte er Überlebende der alten zaristischen Bourgeoisie, Professoren und Ärzte, die eigene Autos besaßen und mehrere tausend Rubel im Monat verdienten, auch da sie Patienten privat behandelten, Schriftsteller und Dichter, die mit ihren Werken große Summen einnahmen, Fabrikleiter, hochrangige Parteifunktionäre und Mitglieder der Geheimpolizei. Diese Gruppe an Personen, so Lev N.s Vorwurf, wüsste aus ihrem Zugriff auf staatliches Eigentum, ihren Professionen und Parteifunktionen sowie den damit einhergehenden Privilegien persönlichen Nutzen für sich und ihre Familien zu ziehen. Sie ließen ihren Kindern eine bessere Bildung zukommen und hätten daher auch ein Interesse daran, ihren persönlichen Besitz und ihre Privilegien an ihre Kinder weiterzugeben. Zugleich würden dadurch die Vermögensungleichheiten zwischen der sowjetischen Bourgeoisie und einfachen Krankenschwestern und Arbeiterinnen, die keine hundert Rubel im Monat verdienten, wieder zunehmen. Als Bestätigung für seine Interpretation der sowjetischen Gesellschaftsentwicklung und seinen Blick auf die sowjetische Elite führte er in seinem Tagebuch die Einführung und Bekräftigung des Erbrechts in der Stalin-Verfassung an. Damit habe die sowjetische Bourgeoisie dafür gesorgt, alle von ihren Vätern angesammelte Privilegien und persönlichen Besitz eines Tages übernehmen zu können. Dies würde dazu führen, so seine Prophezeiung, dass diese Kinder Vermögen erbten und weiteren Besitz anhäuften und reiche Männer würden. Tagebucheintrag von Lev N., 12.1.1937, in: Prožito, https://prozhito.org/ note/36680 (letzter Zugriff 15.2.2021). Für einen ähnlichen Tagebucheintrag, der diese Entwicklung schon früher prognostiziert, vgl. Tagebucheintrag von Stepan V., 27.5.1922, in: Prožito, https:// prozhito.org/note/203798 (letzter Zugriff 13.4.2021). 100 Cowley, Negotiating, S. 77.

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lassen. Ausgehend von einem vermuteten Erblasserwillen, seien dies vor allem nahestehende Personen, der Lebenspartner und seine Kinder. Ähnlich wie Politiker und Juristen in westlichen Ländern sahen sowjetische Juristen in der Möglichkeit, ein Erbe weiterzugeben, einen leistungssteigernden Anreiz. Um sich von den westlich-kapitalistischen Stimmen abzugrenzen, betonten sowjetische Juristen, dass ihr Erbrecht nicht auf die Entstehung und Verfestigung einer bürgerlichen Gesellschaft hinauslaufen werde. Denn erstens befänden sich die Produktionsmittel, das heißt Unternehmen und Fabriken, in staatlichem Besitz und könnten weder erworben noch vererbt werden. Der erwerb- und vererbbare Besitz bewege sich in der Sowjetunion in einem deutlich kleineren Rahmen als in den westlichen Ländern. Dieser Verweis auf die Begrenzung von vererbbaren Vermögen war nicht nur ein Zugeständnis an die kommunistische Ideologie, sondern auch angesichts der weiterhin bestehenden großen Armut wichtig. Denn nur wenn Erbschaften begrenzt wurden, war es für die Regierung überhaupt zu rechtfertigen, Erbtransfers zu legitimieren. Zweitens waren es zuallererst ausgezeichnete Arbeiter und vorbildliche Kommunisten, die überhaupt persönliches Eigentum im größeren Umfang erwarben, wodurch die Einführung von Erbrechten auf die Stärkung und Etablierung der sozialistischen Familie hinauslaufe. Damit erkannte die Regierung die Bedeutung der Familie als wichtige Organisationseinheit von Gesellschaft wieder stärker an und hob zugleich deren sozialistische Ausprägung hervor.101 Umstritten blieb die Frage, wer zur sozialistischen Familie gehören sollte. In der gesetzlichen Erbfolge und angesichts einer stark begrenzten Testierfreiheit lautete die Antwort: der Ehepartner des Verstorbenen und dessen Kinder. Mit dieser Definition beendete der Gesetzgeber zeitgleich mit der Stärkung von Erbrechten seine früheren Versuche zur Abschaffung des Instituts der Ehe und kehrte zu einem bürgerlichen Familienbild zurück.102 Mit der Verfassung war ein Rechtsraum geschaffen worden, in dem der Staat sowohl Eigentums- als auch Erbrechte garantierte und damit prinzipiell Orientierung und Garantien für Eigentumshandeln bot. Im Falle einer Verurteilung entzog der Staat dem Verurteilten jedoch alle Eigentumsrechte.103 Auch im Bereich des Erbrechts zeigt sich damit die Doppelbödigkeit des sowjetischen Rechts. Einerseits existierte ein rechtlicher Rahmen, der zur Durchführung von alltäglichen Abläufen beitrug und an dessen Vorgaben und Logiken sich die Bürger des Landes orientieren konnten. Andererseits

101 Cowley, Negotiating, S. 78. 102 Krepkaja sovetskaja sem’ja, in: Pravda, Nr. 145, 28.5.1936; Otec, in: Pravda, Nr. 157, 9.6.1936. 103 Für einen ersten Überblick über erlassene Richtlinien vgl. M. Grödinger, Erbrechtsnovellen in den Sovjetrepubliken, in: Zeitschrift für Ostrecht 2 (1928), H. 4, S. 1321–1331; Maurach, Erbrechtsnovellen; Neutatz, Träume; Karl Schlögel, Terror und Traum. Moskau 1937, Bonn 2008.

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konnte der Staat diesen Rahmen jederzeit und für jede Person willkürlich aufsprengen und ihm diese Rechte und Garantien entziehen, wovon während der politischen Säuberungskampagnen oder dem Großen Terror eine größere Anzahl an Menschen betroffen war. Ende der 1930er Jahre ging die Möglichkeit des Staates, jederzeit geltendes Eigentums- und Erbrecht bei politischen Vergehen außer Kraft zu setzen, mit der Stärkung von Eigentumsgarantien und Erbrechten einher. Damit nahm die Rechtssicherheit in Erbangelegenheiten zu, und immer mehr Menschen machten von juristischen Mitteln Gebrauch. Selbst in der Hochphase des stalinistischen Terrors fanden Gerichtsprozesse statt, in denen Richter entsprechend der Gesetzeslage über die Verteilung in Erbangelegenheiten entschieden und in denen Personen Testamente beim staatlichen Notariat hinterlegten in der Hoffnung, dass ihre letztwilligen Wünsche nach ihrem Tod beachtet werden. Zeitlich parallel zur Willkür und Schaujustiz des stalinistischen Terrors beurkundeten Notariate Erbrechte und entschieden Gerichte auf der Basis des sowjetischen Erbrechts – zum Teil unter Einbezug zaristischer Eigentumsurkunden – in Erbstreitigkeiten. Das für die 1930er Jahre in der Sowjetunion charakteristische Nebeneinander von Willkür und Normalität zeigt sich auch in Erbangelegenheiten.104 1.6 Eigentum als patriotische Pflicht Die nächsten Anpassungen des sowjetischen Erbrechts erfolgten während und infolge des Zweiten Weltkriegs. Mit dem Überfall auf die Sowjetunion begannen die Nationalsozialisten Eigentum in den besetzten Gebieten zu plündern und zu vernichten sowie Nachlassinstitutionen zu zerstören. Die Bewohner der Sowjetunion waren mit dem Tod von zahlreichen Verwandten und Freunden konfrontiert, und es wurde immer schwieriger, an Lebensmittel, Hausrat oder Wohnungen zu gelangen. Als die Zahl der Toten und Bedürftigen anstieg und sich ab 1943/44 das Ende des Krieges abzeichnete, stellten sich immer mehr Überlebende und nicht zuletzt auch die Führung der Sowjetunion die Fragen, was mit dem Besitz der Toten geschehen war und wie damit zukünftig umgegangen werden sollte. Wer hatte ihn sich angeeignet und wer war dazu berechtigt? Waren die geltenden Erbrechte ausreichend, um den Transfer der innerhalb kürzester Zeit millionenfach anfallenden Erbschaften zu regeln? Waren die vorhandenen Institutionen und staatlichen Organe angesichts des Krieges und der Kriegsfolgen (noch) in der Lage, diesen Besitztransfer zu überwachen, zu steuern, zu beglaubigen und entstehende Konflikte zu lösen? Diese Fragen berührten das Selbstverständnis und die Funktionsfähigkeit des sowjetischen Staates mit seinem Anspruch, durch die Kontrolle und Verteilung von Eigentum eine kommunistische Gesellschaft aufzubauen.

104 Vgl. Schlögel, Terror.

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Auf die Fragen, wie mit den anfallenden Erbschaften während und nach dem Krieg umzugehen sei und wer sie erhalten solle, fand die Regierung verschiedene Antworten. Zugleich waren Erben, Familienmitglieder der Verstorbenen und mehrere unterschiedlich stark vom Krieg betroffene Sowjetrepubliken und Parteiorgane mit ihren jeweils eigenen Interessen in die Aushandlungen eingebunden. Zwischen 1942 und Anfang der 1950er Jahre kam es zusammengenommen zu drei Veränderungen der Erbordnung: Persönliche Eigentumsrechte wurden gestärkt, Erlasse und Verordnungen legitimierten den Transfer von Erbe für große Teile der Bevölkerung, und mit dem (Wieder-)Aufbau von Nachlassgerichten und der professionalisierten Ausbildung von Juristen wurden Institutionen zur Dokumentation von Erbübertragungen geschaffen. Nachdem diese in der westlichen Sowjetunion während des Kriegs weitgehend zerstört worden waren, entstanden dadurch bis Anfang der 1950er Jahre neue Gerichte mit ausgebildeten Juristen, die auf einer breiteren rechtlichen Grundlage institutionell dokumentierte Erbtransfers ermöglichten. Den Ausschlag zur Stärkung von persönlichen Eigentumsrechten sowie zur Legalisierung von persönlichem Besitz gaben zunächst die Verwüstungen durch die Nationalsozialisten. Bereits kurz nachdem der deutsche Vorstoß auf Moskau im Dezember 1941 gestoppt worden war, begannen hochrangige Mitglieder der sowjetischen Regierung, über die Gründung einer Kommission zur Dokumentation der deutschen Kriegsverbrechen und der Kriegsschäden nachzudenken. Im Frühjahr 1942 äußerte sich Vjačeslav M. Molotov zu diesen Vorschlägen, und im November wurde sie schließlich eingerichtet.105 Sie diente der Dokumentation der deutschen Kriegsverbrechen beziehungsweise des von Deutschen und ihren Verbündeten verursachten materiellen Schadens, auch um damit nach dem Krieg Reparationsforderungen legitimieren zu können.106 Ab 1943 begannen Kommissionsmitglieder, Überlebende aus den befreiten Gebieten der westlichen Sowjetunion aufzufordern, den durch Plünderungen, Raub und Zerstörung der Deutschen, ihrer Verbündeten und russischer Kollaborateure erlittenen Schaden an persönlichem Eigentum zu melden und in Formularen zu registrieren. Damit suggerierten die Kampagnen zur Schadensermittlung den

105 Ihr vollständiger Name lautete „Außerordentliche Staatliche Kommission für die Feststellung und Untersuchung der Gräueltaten der deutsch-faschistischen Aggressoren und ihrer Komplizen, und des Schadens, den sie den Bürgern, Kolchosen, öffentlichen Organisationen, staatlichen Betrieben und Einrichtungen der UdSSR zugefügt haben“. 106 Die Kommission stand in der Tradition ähnlicher Vereinigungen, mit denen Staaten und gesellschaftliche Gruppen seit Beginn des 20. Jahrhunderts Zerstörungen dokumentiert und Reparationen eingefordert hatten. Vgl. das Forschungsprojekt von Elisabeth Gallas, „‚We accuse‘ – Zur Geschichte jüdischer Anklage im 19. und 20. Jahrhundert“, Simon Dubnow-Institut, Universität Leipzig.

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Schadensmeldern, dass es individuelles, persönliches Eigentum gab, das Bürger der Sowjetunion rechtmäßig besitzen durften.107 Eine ähnliche Wirkung entfalteten die von der sowjetischen Führung initiierten Spendenkampagnen zur Finanzierung des Krieges. Auch durch die Annahme der Spenden legitimierte der Staat den vorherigen persönlichen Besitz des Gespendeten.108 Indem die Regierung nach dem Krieg das Strafmaß für Diebstahl erhöhte und mehr Personen für Diebstahl nicht nur von Staatseigentum, sondern auch von persönlichem Eigentum verurteilte, bestätigte sie Ende der 1940er Jahre dieses veränderte Verständnis von persönlichem Eigentum.109 Darüber hinaus wurde es während des Krieges erstmals in der Sowjetunion möglich, gegenüber staatlichen Organen den Besitz von größerem „Reichtum“ und wertvollem Eigentum zuzugeben und öffentlich zu machen, ohne sich als Bourgeois oder Kulak verdächtig zu machen. Da es sich ausschließlich um das Bekenntnis zu von Feinden der Sowjetunion geplündertem, zerstörtem und damit verlorenem Eigentum oder um Spenden an den Staat ging, konnte die Schadensmeldung beziehungsweise die Spende sogar als patriotischer Akt gedeutet werden.110 In dem Maße allerdings, in dem der Staat persönliches Eigentum akzeptierte und legitimierte, stellten sich mit fortschreitendem Krieg umso drängender die Fragen, wer Anspruch auf die anfallenden Nachlässe erheben und wie diese angesichts des Kriegs an die rechtmäßigen Erben zu transferieren seien. Mit Heranrücken der Front oder vor einem Kriegseinsatz wandten sich Personen vermehrt ihrer Nachlassplanung zu; entweder indem sie in Gesprächen mit ihnen nahestehenden Personen die Verteilung ihres Besitzes im Fall ihres Ablebens besprachen, in ihren Tagebüchern festhielten, wer ihre Hinterlassenschaften im Falle ihres Todes erhalten sollte, oder indem sie Testamente errichteten.111 Zugleich gewannen in der extremen Notsituation, in der sich viele Menschen in den

107 Vgl. Franziska Exeler, What Did You Do during the War? Personal Responses to the Aftermath of Nazi Occupation, in: Kritika. Explorations in Russian and Eurasian History 17 (2016), H. 4, S. 805–835. 108 Kristy Ironside, Rubles for Victory. The Social Dynamics of State Fundraising on the Soviet Home Front, in: Kritika. Explorations in Russian and Eurasian History 15 (2014), H. 4, S. 799–828. 109 Nathalie Moine, „Fascists have destroyed the fruit of my honest work“. The Great Patriotic War, International Law and the Property of Soviet Citizens, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 61 (2013), H. 2, S. 172–195; Franziska Exeler, The Ambivalent State: Determining Guilt in the Post-World War II Soviet Union, in: Slavic Review 75 (2016), H. 3, S. 606–629; Rüdiger Thomson, Das persönliche Eigentum im Recht der UdSSR, in: Institut für Ostrecht (Hrsg.), Das Eigentum im Ostblock, Berlin-Zehlendorf-West 1958, S. 51–62, S. 59; Immo Rebitschek, Die disziplinierte Diktatur. Stalinismus und Justiz in der sowjetischen Provinz, 1938 bis 1956, Köln, Weimar, Wien 2018, S. 293f. 110 Vgl. Moine, Fascists. 111 Tagebucheintrag von Nina K., 14.11.1941, in: Prožito, https://prozhito.org/note/33966 (letzter Zugriff 13.5.2021).

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westlichen Gebieten der Sowjetunion befanden, alle Hinterlassenschaften eines Verstorbenen – von dessen Wohnung über Hausrat und Kleidungsstücke bis hin zu Essensvorräten – für Personen in dessen Umkreis an Bedeutung für deren eigenes Überleben.112 Vor diesem Hintergrund trafen bereits kurz nach Kriegsbeginn im Volkskommissariat für Justiz die ersten Petitionen ein, in denen Eltern um die Hinterlassenschaften ihrer gefallenen Kinder baten. Nach geltendem Erbrecht besaßen Eltern keine Erbansprüche auf das persönliche Eigentum ihrer (erwachsenen) Kinder, selbst wenn diese weder verheiratet waren noch eigene Kinder hatten; in diesen Fällen trat der Staat das Erbe an. Je länger der Krieg dauerte, desto mehr häuften sich jedoch Petitionen und Beschwerden von Eltern, die nicht auf das persönliche Eigentum ihrer Kinder zugreifen konnten. Eltern verlangten die wenigen Habseligkeiten ihrer Kinder als Erinnerungsstücke und betonten gleichzeitig, dass sie aufgrund der großen Knappheit an Wohnraum, Alltagsgegenständen und Nahrung auf das Erbe angewiesen seien.113 Deshalb hielten sich die meisten Eltern auch schlicht nicht mehr an das Gesetz. Stattdessen eigneten sie sich die Hinterlassenschaften ihrer Kinder an, soweit es ihnen möglich war.114 An der Front übernahmen Soldaten Kleidungsstücke von Gefallenen, um sich beispielsweise im Winter vor der Kälte zu schützen.115 Doch auch wertvollere Gegenstände, die Gefallene bei sich trugen, wie Bargeld, Uhren oder Schmuck, wurden von anderen Soldaten, Parteifunktionären und Gebietsverwaltern, die für deren Verwahrung und Übertrag an die Erben zuständige waren, illegal angeeignet.116 Derartige massenhafte illegale Zugriffe auf mobile Hinterlassenschaften anderer Personen waren nicht auf die Kriegsgebiete beschränkt. Auch im Hinterland kam es zu Streitigkeiten und Intrigen um Hinterlassenschaften. Manches Erbe, so die mehrfachen Andeutungen und Anschuldigungen in Tagebucheinträgen und vor Gericht, geriet in dieser Zeit immer wieder in die Hände derjenigen, die sich Kleidungsstücke, Hausrat oder auch wert-

112 Tagebucheintrag von Varvara M.-M., 31.3.1942, in: Prožito, https://prozhito.org/note/255826 (letzter Zugriff 13.5.2021); Tagebucheintrag von Aleksandr B., 18.1.1942, in: Prožito, https://prozhito. org/note/5229 (letzter Zugriff 13.5.2021); Tagebucheintrag von Elena S., 7.1.1942, in: Prožito, https://prozhito.org/note/51251 (letzter Zugriff 13.5.2021); Tagebucheintrag von Vsevolod I., 4.2.1943, in: Prožito, https://prozhito.org/note/12956 (letzter Zugriff 13.5.2021). 113 Beispiele hierfür finden sich in GARF, F. 9492, Op. 1, D. 1614, S. 47, 49; Peter H. Solomon Jr., Understanding the History of Soviet Criminal Justice: The Contribution of Archives and Other Sources, in: The Russian Review 74 (2015), S. 401–418. 114 Cowley, Negotiating, S. 87f. 115 Tagebucheintrag von Vasilij Ž., 12.12.1941, in: Prožito, https://prozhito.org/note/392097 (letzter Zugriff 13.5.2021). 116 Tagebucheintrag von Lidija O., 11.3.1943, in: Prožito, https://prozhito.org/note/265434 (letzter Zugriff 13.5.2021).

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vollere Dinge wie Gemälde oder Schmuck am schnellsten aneigneten, unabhängig davon, ob sie einen rechtmäßigen Anspruch darauf hatten oder nicht.117 Das Volkskommissariat nahm die in den Petitionen sichtbar werdende Kritik an der Gesetzeslage und den vielfachen Bruch der Gesetze ernst. In einem internen Bericht hielt das Kommissariat darüber hinaus fest, dass die Frage, wer erbberechtigt sei, im Krieg eine besondere Aktualität besitze. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass Kinder nun oftmals vor ihren Eltern starben. Die Toten seien überwiegend 18 bis 20 Jahre alte junge Männer, die als Familienangehörige noch keine Ehefrauen und Kinder, sondern nur ihre Eltern und Geschwister hinterließen.118 Angesichts der prekären Kriegssituation, in der es galt, die Bevölkerung für den vollständigen Kriegseinsatz zu gewinnen, ging das Kommissariat ab 1942 mit mehreren Erlassen auf die Eingaben von Eltern ein und bestimmte, dass das persönliche Eigentum gefallener Soldaten an deren Eltern übertragen werden sollte, falls kein(e) Ehepartner oder Kinder vorhanden waren.119 Dadurch kam es zu einer Erweiterung des Kreises der gesetzlichen Erben und erstmals in der Geschichte der Sowjetunion zu einer Hierarchisierung der Erbberechtigten. Privilegierte Erben waren die (leiblichen wie adoptierten) Kinder, Ehegatten und arbeitsunfähige Eltern des Erblassers sowie Personen, die er zu Lebzeiten versorgt hatte. Erben der neuen zweiten Ordnung waren seine arbeitsfähigen Eltern und Erben der dritten Ordnung seine Geschwister.120 Gleichzeitig verschlechterte sich die rechtliche Stellung von nicht-ehelichen Kindern. Im Zusammenhang mit der Familienrechtsreform im Juli 1944 wurde im sowjetischen Recht erstmals die Unterscheidung zwischen „ehelichen“ und „außerehelichen“ Kindern eingeführt. Dies hatte im Erbrecht zur Folge, dass nur noch die einer registrierten Ehe entstammenden oder vom Vater explizit anerkannten respektive adoptierten Kinder von diesem erbberechtigt waren.121 War dies nicht der Fall, konnten sie nur gegenüber der Mutter Erbansprüche geltend machen. Auch diese Entscheidung war vermutlich vom Kriegsverlauf beeinflusst, insofern als es der sowjetischen Führung in der Familienpolitik darum ging, mit verschiedenen Maßnahmen den sozialen Zusammenhalt in der Familie zu festigen, diese auf gegenseitige Unterstützungsleistungen zu verpflichten und die Geburtenrate

117 Tagebucheintrag von Vsevolod V., 15.4.1942, in: Prožito, https://prozhito.org/note/8238 (letzter Zugriff 13.5.2021). 118 GARF, F. 9492, Op. 1, D. 1641, S. 71f. 119 GARF, F. 9492, Op. 1, D. 1614, S. 15–26, 71–76. Weitere erlassene Bestimmungen finden sich in: GARF, F. 9492, Op. 1, D. 1615. Zur Geschichte von Eingaben an staatliche Behörden vgl. Sheila Fitzpatrick, Supplicants and Citizens. Public Letter-Writing in Soviet Russia in the 1930s, in: Slavic Review 55 (1996), H. 1, S. 78–105. 120 Bilinsky, Erbrecht, S. 148f.; Cowley, Negotiating, S. 87f. 121 Bilinsky, Erbrecht, S. 148.

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zu erhöhen.122 Hierfür wurden Männer, die als Soldaten ihre Ehefrauen teilweise seit Jahren nicht gesehen und im Krieg durch Vergewaltigungen oder in flüchtigen Beziehungen außereheliche Kinder gezeugt hatten, diesen gegenüber von allen sozialen und finanziellen Verpflichtungen befreit. Damit führte die Regierung ein paternalistisches Element des zaristischen Erbrechts wieder in das Familien- und Erbrecht ein, stärkte die Bedeutung der Ehe und nahm Liberalisierungsmaßnahmen aus der Frühzeit der Sowjetunion wieder zurück.123 Die Veränderung des Kreises der gesetzlichen Erben hatte auch Folgen für die Testierfreiheit, die der Gesetzgeber in manchen Punkten ausweitete und in anderen begrenzte. Ein Erblasser konnte seinen Nachlass per Testament nun unter mehreren gesetzlichen Erben verteilen. Darüber hinaus legte die Regierung fest, dass, falls keine gesetzlichen Erben vorhanden waren oder alle gesetzlichen Erben das Erbe ausschlugen, es dem Erblasser auch erlaubt war, sein Eigentum an Personen außerhalb der Familie zu vermachen. Eingeschränkt wurde die Testierfreiheit hingegen durch die Vergrößerung der Anteile der pflichtteilsberechtigten Erben, wodurch das Element der Fürsorge im Erbrecht wieder an Bedeutung gewann. Dauerhaft verwundete Soldaten durften ab September 1942 beispielsweise überhaupt nicht mehr enterbt werden.124 Die Einwirkungen des Krieges auf die Erbgesetzgebung und die Stärkung der Fürsorgefunktion des Erbes hatten schließlich auch Folgen für die Besteuerung von Nachlässen. Mit dem Erlass vom 9. Januar 1943 befreite die sowjetische Führung alle Nachlässe von gefallenen Soldaten von der Erbschaftssteuer. Damit erlaubte sie für eine bestimmte Personengruppe erstmals in der Geschichte der Sowjetunion – und im starken Kontrast zum Erbverbot von 1918 – Erbtransfers in unbegrenzter Höhe.125 Die Senkung und teilweise Rücknahme der Erbschaftssteuer während des Krieges, als die Sowjetunion eigentlich zur Kriegsfinanzierung jede Einnahmequelle benötigte, war vermutlich nicht nur auf den persönlichen Fürsorgecharakter von Erbschaften zurückzuführen, sondern war vom Regime auch deshalb tolerierbar, da der Staat über die Steuer kaum Einnahmen erzielte.126

122 Cowley, Negotiating, S. 98. 123 Diese Verordnung machte der sowjetische Gesetzgeber mit der Reform des Familienrechts im Jahr 1968 wieder rückgängig. Damit kehrte er zur Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Kindern zurück und räumte Letzteren wieder Erbrechte am Nachlass ihrer Väter ein. Koelsch, Erbrecht, S. 109. 124 Koelsch, Erbrecht, S. 58, 63; Cowley, Negotiating, S. 91. 125 Cowley, Negotiating, S. 87. 126 Franklyn Dunn Holzman, Soviet Taxation. The fiscal and monetary problems of a planned economy, Cambridge 1955, S. 214; Kristy Ironside, Between Fiscal, Ideological, and Social Dilemmas: The Soviet „Bachelor Tax“ and Post-war Tax Reform, 1941–1962, in: Europe-Asia Studies 69 (2017), H. 6, S. 855–878.

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Als Folge der verschiedenen Erlasse erhielt der Staat eine wichtigere Rolle beim Transfer von Erbschaften. Denn bis in die 1940er Jahre hatte das Notariat Nachlassübertragungen lediglich genehmigt und beglaubigt. Weder hatte es nach dem Tod einer Person aktiv nach dessen Erben gesucht, noch hat es den Eigentumstransfer unterstützt. Personen, die erben wollten, mussten mit dem Wunsch zu erben innerhalb einer eng gesteckten Frist von drei bis sechs Monaten – je nach Wohnort des Erben – an das Notariat herantreten, sich den Eigentumstransfer genehmigen lassen und diesen bei mobilen Gegenständen auch selbst durchführen. Diese Praxis war mit Kriegsbeginn nicht mehr aufrechtzuerhalten. Zum Teil waren die Fristen schon verstrichen, bevor potentielle Erben vom Tod einer Person erfuhren, und selbst wenn dies nicht der Fall war, war es insbesondere für die Eltern gefallener Soldaten nicht möglich, ins Kriegsgebiet zu reisen, um sich das persönliche Eigentum ihrer Kinder anzueignen. Der Transfer von Nachlässen aus vom nationalsozialistischen Deutschland und seinen Verbündeten besetzten Gebieten war zunächst ohnehin unmöglich und sollte die Amtsgerichte noch lange nach Kriegsende beschäftigen. Sowohl das Plenum des Obersten Gerichts der Sowjetunion als auch der Volkskommissar der Justiz Nikolaj M. Ryčkov erkannten schon bald nach Kriegsbeginn, dass es nicht ausreichte, den Eltern gefallener Soldaten Erbrechte zu gewähren, wenn man diese nicht auch beim administrativen Erbübertrag unterstützte. Im Hinblick auf Erbfälle in den besetzten Gebieten sowie von Mitgliedern der Roten Armee und der Roten Marine erklärte Ryčkov deshalb im Jahr 1942, dass die Fristen, innerhalb derer Erben sich beim Gericht melden mussten, für Friedenszeiten geschaffen worden seien und die außergewöhnlichen Bedingungen eines Krieges nicht berücksichtigen würden.127 Im September des gleichen Jahres gab er bekannt, dass Erben nun drei Jahre Zeit hätten, um bei einem Notariat oder Gericht Erbansprüche anzumelden. Dies bedeutete eine deutliche Fristverlängerung, die allerdings für viele Erbfälle in den besetzten Gebieten immer noch zu kurz war. Für Erbübertragungen noch wichtiger waren daher die Instruktionen des Volkskommissariats vom April 1942. Darin wies es staatliche Organe, insbesondere die Armee, erstmals an, die Hinterlassenschaften von Soldaten – darunter Bargeld, Sparguthaben und andere persönliche Gegenstände – sicherzustellen und an deren gesetzliche Erben zu übertragen. Waren diese nicht bekannt, so sollten staatliche Stellen sie ermitteln. Damit erhielten staatliche Institutionen, im Zweiten Weltkrieg unter anderem die Rote Armee, erstmals den Auftrag, aktiv am Übertrag von Nachlässen mitzuwirken, insbesondere bei deren Sicherstellung und bei der Ermittlung von Erben.128

127 Cowley, Negotiating, S. 91. 128 Cowley, Negotiating, S. 83ff.

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Gegen Ende des Krieges wurden die verschiedenen während des Krieges getroffenen Erlasse am 14. März 1945 im Erlass „Über die gesetzlichen und testamentarischen Erben“ bestätigt und am 12. Juni 1945 als neue Teile des Erbrechts in den Zivilkodex von 1923 eingefügt.129 Bei der Ausarbeitung des neuen Erlasses hatten sich die sowjetischen Bearbeiter wiederum nicht nur an den Erfordernissen des Krieges orientiert, sondern sich auch mit den Erbrechten in England, Frankreich, der Schweiz, den USA und sogar mit dem deutschen BGB sowie mit den russischen Entwürfen von 1905 auseinandergesetzt.130 Wie die früheren Versuche, Erbübertragungen zu regeln, blieben aber auch die zahlreichen Bestimmungen in den zwischen 1945 und 1947 erlassenen Verordnungen und Urteilen des Obersten Gerichts zu Testamentsfragen lückenhaft.131 Dies lag zum einen daran, dass sie während des Krieges in einem relativ kurzen Zeitraum ausgearbeitet worden waren. Zum anderen taten sich nach dem Krieg Fragen und Probleme bei Erbtransfers auf, die während der Ausarbeitung nicht ausreichend bedacht worden waren und auf die der Gesetzgeber nun mit weiteren Erlassen und Gerichtsurteilen reagierte. So waren nach dem Krieg in vielen Erbfällen Personenstandsdokumente wie Geburts-, Heirats-, Adoptions- oder Sterbeurkunden verloren gegangen oder vernichtet worden. Todeserklärungen konnten nicht beschafft werden oder die darin genannten Daten wichen (zum Teil mehrere Jahre) vom tatsächlichen Sterbedatum ab.132 Vor diesem Hintergrund nahmen nach dem Zweiten Weltkrieg die Erbstreitigkeiten vor dem Obersten Gericht der Sowjetunion kurzzeitig zu: Zwischen 1946 und 1950 behandelte es 56 Fälle. Danach nahmen sie wieder ab; in den 1950er Jahren verhandelte das Gericht 46 Erbstreitigkeiten und zwischen 1961 und 1964 nur noch ganze drei Fälle.133 Drei Konfliktkonstellationen traten in den späten 1940er Jahren besonders häufig auf: Erbstreitigkeiten um Wohnraum, Erbstreitigkeiten, die aus der Erweiterung des Erbenkreises resultierten, und schließlich Erbstreitigkeiten, die sich aus der Not der Beteiligten ergaben und in denen Gerichte häufig, ohne auf Besitzurkunden zurückgreifen zu können, entscheiden mussten, wem eine Hinterlassenschaft zuzusprechen sei.134 In dieser Situation bot auch die Verleumdung einer Person eine Möglichkeit, um sie im Falle einer Verurteilung aus der testamentarischen oder gesetzlichen Erbfolge „zu entfernen“ und dadurch ge-

129 130 131 132 133 134

Koelsch, Erbrecht, S. 60. GARF, F. 9492, Op. 1, D. 1615, S. 8–22. Bilinsky, Erbrecht, S. 150. GARF, F. 9492, Op. 1, D. 1438, S. 42–51. Cowley, Negotiating, S. 146. GARF, F. 9492, Op. 1, D. 1744, S. 40, 70; GARF, F. 9492, Op. 1, D. 1744, S. 59f.; GARF, F. 9492, Op. 1, D. 1744, S. 58.

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gebenenfalls selbst anfallendes Erbe zu erhalten.135 Zudem waren viele Eigentumsund Personenstandsurkunden zerstört worden oder verloren gegangen, in anderen Fällen war bei potentiellen Miterben ungewiss, ob sie noch lebten und, falls ja, wo sie sich befanden. Viele Besitzer konnten ihre Eigentumsrechte nicht dokumentieren und trafen unter Umständen auf Personen, die als vermisst oder sogar tot gegolten hatten, aus der Gefangenschaft oder ihrem Kriegseinsatz zurückkehrten und ebenfalls Ansprüche auf genutzte Wohnungen und Gegenstände erhoben. Charakteristisch hierfür ist der Ende der 1940er Jahre geführte Erbstreit zwischen Vasilija D. T. und ihrer Schwägerin Marfoj in der ukrainischen Kleinstadt Perejaslaw. Im Kern ging es dabei um die Fragen, ob das von Vasilijas Eltern hinterlassene Wohnhaus beiden Frauen zu gleichen Teilen gehörte oder ob es Marfoj, deren Mann und Bruder von Vasilija schon verstorben war, alleine zustand. Die von beiden Frauen vor Gericht vorgetragenen Familiengeschichten, mit denen sie ihre Erbansprüche begründeten, waren lang: Sie reichten zeitlich bis ins späte Zarenreich zurück und betrafen mehrere Erbfälle sowie angebliche Kaufverträge in der Familie. Entscheidend für die Richter war allerdings, dass keine der beiden Frauen Belege für ihre Version der Geschichte, was mit dem Haus seit 1904 passiert war und wann es welchen Besitzer gewechselt hatte, vorlegen konnte. Vasilija erklärte dies dem Gericht damit, dass sie im Jahr 1943 während der deutschen Okkupation als Zwangsarbeiterin nach Deutschland verschleppt worden sei und erst nach ihrer Befreiung durch die Rote Armee im Jahr 1945 habe zurückkehren können. In dieser Zeit habe sie alle Personenstandsurkunden und Besitzdokumente aus ihrer Familie verloren. Ähnlich argumentierte ihre Schwägerin Marfoj, als sie dem Gericht mitteilte, das umstrittene Haus sei von den deutschen Besatzern geplündert worden, wobei alle Urkunden – Geburts- und Sterbeurkunden, Erbscheine und Kaufverträge – verloren gegangen seien. Ohne belastbare Besitzdokumente entschied das Gericht daher, zwei Zeugen vorzuladen. Die beiden aus der gleichen Stadt kommenden Personen bezeugten übereinstimmend, dass die Eltern von Vasilija und ihr verstorbener Bruder es nie gewünscht hätten, dass ihre Tochter beziehungsweise seine Schwester ihre Rechte am Haus verliere und dass Vasilija die rechtmäßige Besitzerin einer Haushälfte sei. Sie rekurrierten damit auf das traditionelle Familienprinzip und bezeugten, dass die Erblasser das Vermögen in der Familie halten wollten. Das Gericht glaubte diesen Aussagen und sprach Vasilija daraufhin die eine Haushälfte und Marfoj die andere zu. Der Fall zeigt damit sowohl die Schwierigkeiten auf, mit denen sich Gerichte bei Erbstreitigkeiten konfrontiert sahen, wenn keine der beiden Streitparteien Besitzurkunden vorlegen konnte, als auch

135 Tagebucheintrag von Ljubov’ Š, 10.4.1948, in: Prožito, https://prozhito.org/person/198 (letzter Zugriff 13.5.2021); Tagebucheintrag von Arpenik A., 13.6.1949, in: Prožito, https://prozhito.org/ note/92821 (letzter Zugriff 13.5.2021).

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eine Strategie zur Lösung dieses Problems: die Vorladung von Zeugen. Dadurch wurden wiederum persönliche Nahbeziehungen, lokale Netzwerke und Ansehen in der lokalen Gesellschaft zu wichtigen Ressourcen bei Erbstreitigkeiten.136 Die tiefgehenden Unsicherheiten in Nachlasssachen führten während und nach dem Krieg aber ähnlich wie in der frühen Sowjetunion nicht dazu, dass Personen von ihren älteren Erbtraditionen abließen. Die Einträge von mehreren Tagebuchschreibern deuten auf das Gegenteil hin. Trotz der enormen Rechtsunsicherheit in der spätstalinistischen Sowjetunion errichteten Personen weiterhin detaillierte Testamente, um ihren Nachlass zu regeln, Vorgaben für ihr Begräbnis zu erlassen und sich ihres Glaubens zu versichern.137 Darüber hinaus konsultierten sie Notare, um sich bei der Testamentserrichtung beraten zu lassen.138 In einer politisch unsicheren Situation und angesichts der Not und Armut, mit der sich viele Personen konfrontiert sahen, konnten Nachlassplanungen und Erbüberträge für Besitzer, ihre Familien und Erben sowohl in materieller als auch in religiös-ideeller Hinsicht eine stabilisierende Funktion erfüllen. Unterstützung erfuhren sie dabei in den letzten Jahren unter Stalins Herrschaft und dann unter Chruschtschow nach und nach auch vom Staat, der im Kontext internationaler Auseinandersetzungen um transnationale Erbtransfers im Ost-West-Konflikt und im Zuge innersowjetischer Reformprozesse die Rechtslage vereindeutigte, Erbrechte stärkte und Nachlassinstitutionen ausbaute. 1.7 Erbrechtsreformen als Strategie im Ost-West-Konflikt, 1950er und 1960er Jahre Nach Kriegsende wirkten sich erneut auch außenpolitische Entwicklungen auf die Gestaltung des Erbrechts aus. Seit der NEP hatte sich die Führung der Sowjetunion darum bemüht, dass Nachlässe von Auswanderern an ihre Erben in der Sowjetunion transferiert wurden, um über diese Nachlässe an ausländische Devisen zu gelangen. Nach dem Zweiten Weltkrieg waren es jedoch nicht mehr nur ökonomische Interessen, die dazu führten, dass sich die Führung um ausländische Erbschaf-

136 GARF, F. 9474, Op. 5, D. 1411. 137 Tagebucheintrag von Ljubov’ Š, 3.2.1955, in: Prožito, https://prozhito.org/person/198 (letzter Zugriff 13.5.2021); Tagebucheintrag von Ljubov’ Š, 19.11.1955, in: Prožito, https://prozhito.org/ notes?date=%221955-11-19%22&keywords=%5B%22%D0%B7%D0%B0%D0%B2%D0%B5%D1 %89%D0%B0%D0%BD%D0%B8%D0%B5%22%5D (letzter Zugriff 5.7.2022); Tagebucheintrag von Vera Z., 4.3.1958, in: Prožito, https://prozhito.org/note/415706 (letzter Zugriff 5.7.2022); Tagebucheintrag von Boris V., 18.3.1963, in: Prožito, https://prozhito.org/note/292338 (letzter Zugriff 5.7.2022). 138 Tagebucheintrag von Mixail P., 3.2.1952, in: Prožito, https://prozhito.org/note/511637 (letzter Zugriff 13.5.2021).

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ten bemühte. Mit Beginn des Ost-West-Konflikts begannen US-amerikanische Anwälte und Richter aufgrund ihrer antikommunistischen Überzeugung, Erbtransfers aus den USA in die Sowjetunion zu verhindern. Transnationale Erbschaften gerieten so in den Strudel des Systemkonflikts: Mit der Blockade respektive der Durchführung von Nachlasstransfers konnten beide Konfliktparteien sowohl ihren eigenen Bürgern als auch auf internationaler Ebene beweisen, dass sie in der Lage waren, die Eigentumsrechte ihrer Bürger weltweit zu schützen und deren Erbrechte durchzusetzen. Zu diesem Zweck schuf die Sowjetunion als Nachfolger des Kreditbüros seit 1937 eine eigene auf internationales Recht spezialisierte Organisation, Injurkollegija, und ein weltweites Expertennetzwerk. Über den Aufbau dieser Institution und ihrer Netzwerke hinaus war die Regierung Chruschtschow zudem bereit, das sowjetische Erbrecht zu ändern und seine Rechtsgrundlage transparent zu machen, um ihre außenpolitischen Interessen besser durchsetzen zu können. Amerikanische Nachlassrichter begründeten ihre Blockadehaltung in der Regel mit drei Argumenten: Erstens verwiesen sie auf das Dekret vom April 1918, das Erbübertragungen in der Sowjetunion verbot. Zweitens behaupteten sie, dass die Sowjetunion auch keine Erbschaften aus dem eigenen Land an Erben im Ausland transferiere. Daraus schlussfolgerten sie, dass keine Reziprozität zwischen ihrem Land und der Sowjetunion bestehe, weshalb sie berechtigt seien, Erbtransfers in die Sowjetunion zu untersagen. Schließlich verwiesen sie drittens darauf, dass die Erbrechte von Ausländern im sowjetischen Erbrecht nicht erwähnt und dementsprechend auch nicht definiert seien. Ohne vorhandene Rechtsgrundlage im anderen Land untersage aber wiederum das US-amerikanische Recht den Transfer von Erbschaften. Um diese Vorwürfe, Behauptungen und Argumente zu widerlegen, begann die Regierung Chruschtschow Mitte der 1950er Jahren, ihre Erlasse und Gesetzestexte, nach denen Erbübertragungen in der Sowjetunion legal waren, international zu publizieren. Sie lud internationale Kommissionen ins Land ein, die bestätigten, dass sowjetische Bürger ihr Erbe aus dem Ausland erhielten. Des Weiteren begann die Regierung Ende der 1950er Jahren damit, mit anderen westlichen Ländern – wie der Bundesrepublik – bilaterale Abkommen zu schließen, in denen sich beide Seiten darauf verpflichteten, Nachlässe zu transferieren und nötigenfalls Amtshilfe zu leisten. Schließlich kodifizierte die Regierung erstmals die Erbrechte von Ausländern in der Sowjetunion.139 Das entsprechende Gesetz vom 8. Dezember 1961

139 Lazar A. Lunz, Internationales Erbrecht. Besonderer Teil, Bd. 2, Berlin 1964, S. 269–306. Allgemein zur Geschichte der Staatsangehörigkeit in der Sowjetunion vgl. Gosewinkel, Schutz, S. 178–222, 508–512.

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stellte Ausländer und Staatsangehörige der UdSSR in Erbfragen rechtlich gleich.140 Die sowjetische Führung erkannte darin explizit die Erbrechte von Ausländern an und gewährte diesen auf der Basis des Domizil-Prinzips die gleichen Rechte wie sowjetischen Staatsangehörigen.141 Diese Regelung übernahm die Regierung später in das Zivilgesetzbuch von 1964. Lediglich für Immobilien legte der Gesetzgeber eine Ausnahmeregelung fest: Häuser, die sich in der Sowjetunion befanden, durften nur nach sowjetischem Recht übertragen werden.142 Die Erbrechte von staatenlosen Personen im Ausland erkannte die Regierung hingegen nicht an – eine Regelung, die darauf zielte, aus der Sowjetunion geflohenen Personen ihre Rechte an Erbschaften im Land zu entziehen. Mit der Flucht verloren sie alle Rechte in der Sowjetunion.143 Mit diesen Änderungen und Ergänzungen wurde die sowjetische Erbgesetzgebung anschlussfähiger an die westlichen Modelle. Zugleich erhielten sowjetische Bürger vermehrt staatliche Unterstützung, wenn sie Ansprüche auf Nachlässe im Ausland erhoben. Damit befeuerten diese transnationalen Erbübertragungen zugleich eine sich Ende der 1950er Jahre intensivierende Debatte um die Stellung von ererbtem Besitz und die Folgen von Erbtransfers in der Sowjetunion. 1.8 Das Erbrecht in den Verfassungsreformen von 1963/64 In den 1950er Jahren initiierte Nikita S. Chruschtschow eine umfassende Verfassungsreform. Diese sollte der Entstalinisierung dienen und die Rechtssicherheit in der Sowjetunion erhöhen. So sollte das Vertrauen der Bevölkerung in den Staat wieder wachsen. Von diesen Reformen war auch die Erbgesetzgebung betroffen, deren zahlreiche Regelungen nun erstmals in ein einheitliches Erbgesetz überführt werden sollten. Ursprünglich war eine Dezentralisierung der Gesetzgebung angedacht. Jede Sowjetrepublik sollte ihre eigene Erbgesetzgebung ausarbeiten. Kritiker dieses Vorschlages führten jedoch an, dass dies zu einer unnötigen starken Zersplitterung des Rechtgebietes innerhalb der Sowjetunion führen und weitere Komplikationen im Rechtsverkehr mit sich bringen würde, während sich die unionsweiten Regelungen bewährt hätten.144 Im Ergebnis führte dieser Richtungsstreit zwischen den

140 George Ginsburgs, Inheritance by Foreigners under Soviet Law, in: Iowa Law Review 16 (1965–1966), H. 51, S. 16–74; Walter Rzepka, Die Rechtsstellung der Ausländer in der UdSSR, in: Recht in Ost und West 8 (1964), H. 2, S. 49–55. 141 Zitiert nach Bilinsky, Erbrecht, S. 168. 142 Civil Code of the Russian Soviet Federated Socialist Republic: An English Translation by Whitmore Gray and Raymond Stults (1965), S. 150, in: https://repository.law.umich.edu/books/3/ (letzter Zugriff 24.3.2021). 143 Bilinsky, Erbrecht, S. 169f. 144 Vgl. hierfür die Diskussionsbeiträge in Sovetskaja Justicija 12/1960.

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Befürwortern einer stärkeren Föderalisierung der Sowjetunion und den Befürwortern eines starken Zentralstaates dazu, dass zwar die Unionsrepubliken eigene Zivilgesetzbücher ausarbeiteten – die Ukrainischen SSR verabschiedete ihres am 18. Juli 1963 –, sich die Gesetzbücher der einzelnen Republiken dem Inhalt nach aber alle stark am Zivilkodex der RSFSR orientierten, der am 1. Oktober 1964 in Kraft trat.145 Gleichzeitig kam es ab Anfang der 1950er Jahre, beginnend in den letzten Jahren unter Stalins Herrschaft und dann vor allem unter Chruschtschow, zur Reform des Notariatswesen. Nachlassgerichte und Notariate wurden ausgebaut sowie Notariatsund Gerichtsmitarbeiter geschult und in die sich verändernde Gesetzeslage in der Sowjetunion eingewiesen, um die administrative Bearbeitung von Erbfällen zu vereinheitlichen.146 Mit der Erweiterung der Testierfreiheit und der Stärkung des Erbrechts im und nach dem Zweiten Weltkrieg sowie der Wiederzulassung des Individualeigentums an Wohnhäusern im Jahr 1948 nahm die Bedeutung der Notariate zu. Wer rechtmäßig testieren oder ein Grundstück übertragen wollte, musste dies vom Notariat beglaubigen lassen. Auch bei Rechtsgeschäften und Erbfällen mit dem Ausland mussten Notare deren Rechtmäßigkeit ebenso wie die damit verbundenen Urkunden und Unterschriften beglaubigen. Damit nahm die Zahl der von Notariaten bearbeiteten Erbfälle zu. Das Ministerium der Justiz der Ukrainischen SSR meldete dem Ministerium der Justiz der UdSSR, dass im ersten Halbjahr 1952 in der Ukraine 4801 Erbfälle bearbeitet worden seien und dass diese Zahl im ersten Halbjahr 1953 auf 8939 Erbfälle mit einem Gesamtvolumen von 2.312.529 Rubel angestiegen sei.147 Im Jahr 1958 nahmen alle Notariate in der UdSSR zusammen insgesamt über 16 Millionen notarielle Handlungen vor.148 Auf den Bedeutungsgewinn der Notariate und den Anstieg der Beglaubigungen waren die Notariate nicht vorbereitet. Es fehlten weiterhin Notare und die vorhandenen besaßen häufig keine juristische Ausbildung. Im Jahr 1953 konnten von den 2884 Notaren in der Sowjetunion nur 30,4 Prozent eine juristische Ausbildung vorweisen.149 Darauf reagierten die Justizbehörden mit der Herausgabe von Lehr- und Handbüchern sowie praxisorientierten Zeitschriftenartikeln. Ende der 1950er Jahre publizierte der Zivilrechtler Karl S. Judel’son erstmals ein Lehrbuch

145 Bilinsky, Erbrecht, S. 155. Aufgrund der vorhandenen Sekundärliteratur beruhen die folgenden Analysen vor allem auf der Ausarbeitung des ZG der RSFSR. Ein Vergleich mit dem Zivilgesetzbuch der Ukrainischen SSR steht noch aus. 146 GARF, F. 9492, Op. 1, D. 1438, S. 42–51. 147 GARF, F. 9492, Op. 1, D. 1438, S. 42–51. 148 Schroeder, Notariatswesen, S. 649. 149 Vitali Schmitkel, Notariatsverfassung in Russland. Das notarielle Verfahrensrecht unter besonderer Berücksichtigung des Erb-, Familien-, Immobilien- und Gesellschaftsrechts sowie des Internationalen Privatrechts, Hamburg 2009, S. 31.

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für den Zivilprozess in der Sowjetunion und eine systematische Übersicht über die Aufgaben des sowjetischen Notariats.150 Außerdem wurde eine Heftreihe für Notare aufgelegt und in der juristischen Fachzeitschrift eine Rubrik „Die Praxis des Notars“ eingerichtet.151 Zudem verbesserte sich die Ausbildung der Notare. Diese Bemühungen zur Professionalisierung und zum Ausbau des Notariatswesens waren teilweise erfolgreich. In den 1980er Jahren besaßen etwa 80 Prozent aller tätigen Notare eine juristische Ausbildung. Allerdings verdienten Notare weiterhin schlecht, und viele Notariatsstellen blieben unbesetzt.152 Angesichts des hohen Arbeitsanfalls, des Personalmangels und der zunächst nur wenig vorhandenen juristischen Expertise auf den Notariaten beschränkte sich die Tätigkeit in Erbangelegenheiten vieler Notare auf die standardisierte Errichtung von Testamenten, die Beglaubigung von Dokumenten und die Erteilung von Erbscheinen.153 Während der Ausarbeitung der Zivilgesetzbücher und der Reform der Notariate sahen sich Juristen und Politiker mit einer Entwicklung konfrontiert, in der wachsende Vermögen in der Gesellschaft mit dem Gleichheitsideal des Staates kollidierten: Die Rechtsreformen der letzten Jahrzehnte hatten darauf abgezielt, eine belastbare Rechtsgrundlage und Institutionen für nationale und transnationale Erbtransfers zu schaffen. Gegenüber internationalen Kommissionen und Beobachtern demonstrierte die Regierung stolz die neue Rechtssicherheit in Nachlassangelegenheiten und dass sowjetische Bürger ihr rechtmäßiges Erbe erhielten. Infolgedessen baute eine wachsende Zahl an Personen in der Sowjetunion größere Vermögen auf, die sie vererbten. Möglich wurde dies unter anderem durch die Senkung von Steuern, höhere Löhne und Sonderzahlungen an zum Vorbild erklärte kommunistische Arbeiter, durch Tantiemenzahlungen an Schriftsteller, durch Vorteilsnahme und die Korruption politischer Eliten sowie durch den Erhalt von (großen) Erbschaften aus dem Ausland. Zeitgenössische Darstellungen des Eigentumsrechts in der Sowjetunion und ausländische Gerichtsbeobachter berichteten immer wieder von größeren Erbschaften.154 Demgegenüber begannen zeitgenössische Beobachter in privaten Tagebüchern schon in den 1930er Jahren und öffentlich in den 1950er Jahren angesichts des 150 Karl. S. Judel’son, Sovetskij Graždanskij Process. Učebnik, Moskva 1956; Karl. S. Judel’son, Sovetskij Notariat, Moskva 1959. 151 Schroeder, Notariatswesen, S. 649. 152 Schmitkel, Notariatsverfassung, S. 35f. 153 Schmitkel, Notariatsverfassung, S. 35. Für eine der wenigen deutschsprachigen Beschreibungen des sowjetischen Notarswesen vgl. Schroeder, Notariatswesen. Für einen Überblick über ukrainische und russische Werke zum sowjetischen Notariat vgl. O. Čepec’, Istoriografija stanovlennja i rozvitku institutu notariatu radjans’kogo periodu v Ukraini, in: Jurdidična Nauka 69 (2017), H. 3, 128–137; Avenarius, Geschichte, S. 516–520. 154 George Feifer, Justiz in Moskau. Vorwort von Eduard Zellweger, Bern/München 1965, S. 154; Chalfina, Eigentumsrecht, S. 199.

Erben und Vererben in der Sowjetunion, 1917–1964

nicht mehr zu verbergenden größeren persönlichen Besitzes einzelner Personen von der Entstehung einer neuen Klasse an „roten Millionären“ in der Sowjetunion zu sprechen.155 Diese hätten ihr Vermögen ererbt oder zumindest ohne entsprechende außergewöhnliche Eigenleistungen erhalten. Sozialer Aufstieg durch große Erbschaften widersprach allerdings dem Gleichheitsversprechen des sozialistischen Staates. Davon ausgehend hinterfragten einzelne Journalisten die Rechtmäßigkeit von Erbschaften als nicht selbst erworbenes Vermögen in der sozialistischen Gesellschaft. Öffentlich wurde dieser Widerspruch jedoch nicht ausdebattiert und inhaltlich wurden keine Reformen angestoßen. Die Führungen der Sowjetunion unternahmen nach dem Zweiten Weltkrieg keine Anstrengungen mehr, Erbtransfers zu verhindern oder stärker zu besteuern. Vielmehr legitimierten Juristen sie, und der Staat unterband die öffentliche Berichterstattung über skandalösen Reichtum im eigenen Land. Nach wenigen Monaten waren die kritischen Zeitungsberichte über „rote Millionäre“ wieder aus den Massenmedien verschwunden.156 Damit verfestigte und vergrößerte sich in der sowjetischen Gesellschaft ein Widerspruch, auf dessen einer Seite sich die Führung weiterhin zum Gerechtigkeits- und Leistungsprinzip bekannte und auf dessen anderer sie die Entstehung und Perpetuierung einer neuen Klassengesellschaft förderte und legitimierte. Rechtlich fixierte die Regierung diesen Widerspruch mit den Zivilgesetzbüchern aus den Jahren 1963 und 1964, in denen sie sich zum Gleichheits- und Leistungsprinzip bekannte und zugleich Eigentums- und Erbrechte stärkte. Darin bestätigte sie die Testierfreiheit des Individuums und das Verwandtschaftsprinzip in der gesetzlichen Erbfolge. Laut Artikel 119 durften Testatoren nun ihr gesamtes Vermögen abzüglich der Pflichtteile jeder beliebigen Person vermachen.157 Zugleich verkleinerte der Gesetzgeber den Pflichtteil gesetzlicher Erben. Spar- und Bankguthaben wurden weiterhin nicht dem Nachlass zugerechnet, sondern unterlagen eigenen Regelungen. Mit bei der Bank hinterlegten Bestimmungen konnten die Einzahler festlegen, welche Person ihr Guthaben nach ihrem Tod erhalten sollte. Waren keine Bestimmungen hinterlegt, galt das Bankguthaben als Teil des Nachlasses.158

155 Tagebucheintrag von Lev N., 12.1.1937, in: Prožito, https://prozhito.org/note/36680 (letzter Zugriff 15.2.2021); Wl. Nemcov, Sobstvennost’ i ee Poklonniki, in: Izvestija, 7.8.1959; T. Leshukov, O nasledstvo, in: Literatur i zhizn’, 7.7.1959; M. Semenov, Delo o Nasledstve, in: Izvestija, 6.1.1954; o. A., Sowjet-Union: Rubel-Millionäre. Wege zum Reichtum, in: Der Spiegel (1960), H. 22, S. 53–55; Wolfgang Leonhard, Rote Millionäre bereiten Sorgen. Der bessere Genosse hat eine Datscha – Wie reich darf ein Sowjetmensch sein?, in: Die Zeit, 6.11.1959. 156 Corinna Kuhr-Korolev, Gerechtigkeit und Herrschaft. Von der Sowjetunion zum neuen Russland, Paderborn 2015; Corinna Kuhr-Korolev, „Gerechtigkeit oder Gleichmacherei?“ Die Debatte um die Privilegien der sowjetischen Parteielite, 1986–1991, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History 10 (2013), H. 2, S. 264–282. 157 M. V. Gordon, Nasledovanie po zakonu i po zaveščaniju, Moskau 1967, S. 3. 158 Zitiert nach Bilinsky, Erbrecht, S. 163–166.

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Der Gesetzgeber beschnitt die Erbrechte von bedürftigen Personen, die mit dem Erblasser zusammengelebt hatten, aber nicht mit ihm verwandt waren, während er die Erbrechte enger blutsverwandter Personen und Ehegatten bestätigte und stärkte.159 Mit dem neuen ZGB hielt er an zwei Ordnungen von Erben fest. Der ersten gehörten der Ehepartner, Abkömmlinge und die Eltern des Erblassers an; Adoptiveltern waren im ZGB nicht explizit als Erben aufgeführt, wurden in der Praxis aber als solche behandelt. Zur zweiten Ordnung zählten seine Geschwister und Großeltern.160 Mit diesen Beschlüssen setzte der Gesetzgeber die Stärkung des Verwandtenerbrechts in der gesetzlichen Erbfolge zugunsten des Fürsorgeprinzips fort. Spätestens mit den neuen Zivilgesetzbüchern gab es damit in der Sowjetunion Erbgesetze, die eine im Vergleich zur frühen Sowjetunion hohe Rechtssicherheit und große Testierfreiheit versprachen und die in der gesetzlichen Erbfolge auf den geregelten, standardisierten Transfer von Hinterlassenschaften innerhalb der engen Verwandtschaft des Erblassers ausgelegt waren. Politisches Fehlverhalten konnte zwar weiterhin zum Entzug dieser Rechte führen, ebenso wie umgekehrt politische Netzwerke zusätzliche Privilegien mit sich bringen konnten. Im Prinzip waren damit aber die wesentlichen rechtlichen Grundlagen geschaffen, innerhalb derer bis zur Auflösung der Sowjetunion Erbschaften übertragen wurden und die dazu beitrugen, dass die Bedeutung der familialen Herkunft in der Sowjetunion für den Zugang zu Besitz sowie zu Alltags- und Konsumgütern wieder an Bedeutung gewann und sich Vermögensungleichheiten trotz aller sozialistischen Gleichheitsversprechen weitervererbten.161

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2.1 Erbschaftssteuern zur Stärkung der Demokratie und des Kapitalismus in den USA In den USA gewannen die Befürworter von Erbschaftssteuern seit dem späten 19. Jahrhundert kontinuierlich an politischem Einfluss.162 Ausschlaggebend hier-

159 Koelsch, Erbrecht, S. 102; Bilinsky, Erbrecht, S. 161f. 160 Bilinsky, Erbrecht, S. 159. 161 Für einen ersten Überblick über die Debatten zur Konsumgeschichte in der späten Sowjetunion vgl. Alexandra Oberländer, Sammelrezension: Socialist Consumption or Consuming Socialism? in: HSoz-Kult, 18.11.2016, www.hsozkult.de/publicationreview/id/reb-24440 (letzter Zugriff 13.4.2021); Alexandra Oberländer, “Beam me up/out/somewhere, tovarishch – Negotiating the Everyday in Late Socialism”, in: Kritika. Explorations in Russian and Eurasian History 19 (2018), H. 2, S. 433–444. 162 Eine ausführliche Analyse dieser Debatten findet sich bei Beckert, Vermögen, S. 203–227.

Erben und Vererben in den USA, 1916–2000er Jahre

für waren verschiedene Entwicklungen und Debatten, die sich um die Jahrhundertwende verzahnten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts sprach sich deshalb ein breites Akteursensemble für die Einführung progressiver Steuern, insbesondere auf Nachlässe, aus, um regulierend in die Vermögensverhältnisse der US-Amerikaner einzugreifen. Ein Impuls für diese Entwicklung resultierte aus dem Ende der USamerikanischen Westexpansion. Ende des 19. Jahrhunderts wurden die Grenzen der Land- und Bodenressourcen immer sichtbarer. Das alte Argument, nach dem das Land Wagemutigen und Leistungsbereiten alle Möglichkeiten eröffne, selbst zu Reichtum zu gelangen, verlor dadurch an Überzeugungskraft. Dies galt umso mehr, da zeitgleich mit dem Verschwinden der frontier die riesigen Vermögen in den Händen weniger Industrieller (Familien) sichtbar wurden, die einen Großteil des Landes und der Unternehmen besaßen. Aus der Perspektive der US-amerikanischen Mittelschicht nahmen ihre Chancen zum gesellschaftlichen Aufstieg angesichts schwindender Expansionsmöglichkeiten und vorhandener Reichtumsdynastien in der Oberschicht rapide ab. In Reaktion auf diese Situation begannen Reformer sich Ende des 19. Jahrhunderts im progressive movement zu organisieren, um den aus ihrer Sicht verschwenderischen Lebensstil der Oberschicht zu kritisieren und der Verfestigung von Vermögensungleichheiten entgegenzuwirken. Sie forderten eine faire Besteuerung aller Bürger und höhere Steuern für Reiche. Diese Forderungen machte sich die Demokratische Partei im Präsidentschaftswahlkampf von 1892 zu eigen, als sie sich für die Einführung einer Einkommens- und Erbschaftssteuer aussprach. Unternehmer, Ökonomen und Politiker wie Theodore Roosevelt verlangten die Einführung einer progressiven Nachlasssteuer, da sie große Vermögenskonzentrationen als Gefahr für den Markt und die US-amerikanische Wirtschaft ansahen.163 Einer der reichsten US-Amerikaner, der Philanthrop Andrew Carnegie, befürchtete darüber hinaus, dass die Kinder reicher Eltern ihre Talente nicht mehr nutzen würden und der Reichtum ihre Arbeitsethik durch unverdient ererbtes Vermögen untergraben würde. Er befürwortete vehement die Einführung von hohen Nachlasssteuern, um Leistungsanreize für die Kinder wohlhabender Eltern zu setzen und es dem Staat zu erleichtern, die Beziehungen zwischen Reichen und Armen auszutarieren. Solange derartige Steuern nicht eingeführt seien, so Carnegie weiter, sei es die Pflicht vermögender Eigentümer, ihre nächsten Verwandten nach ihrem Tod moderat finanziell abzusichern und zu gewährleisten, dass der Großteil ihres Eigentums in Form von Stiftungen und Spenden zum Gemeinwohl eingesetzt werde.164 Der Reformökonom

163 Roosevelt, Messages, S. 1514. 164 Andrew Carnegie, The Gospel of Wealth (first published in 1889), in: Andrew Carnegie (Hrsg.), The Gospel of Wealth and other timely Essays, New York 1901, S. 1–44, S. 11, 15. Vgl. auch Thorstein Veblen, The Theory of the Leisure Class. An Economic Study of Institutions, New York 1899.

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Richard T. Ely, der bei seinen Forschungen eng mit Professoren und Stadtverwaltung in Baltimore sowie der Maryland State Tax Commission zusammenarbeitete und seine Ergebnisse auch in der Baltimore Sun publizierte, sah in der Vermögenskonzentration ein Symptom für die Entstehung einer Geldoligarchie und sogar eine Gefahr für die US-amerikanische Demokratie. Für den Ablauf demokratischer Prozesse, so seine Argumentation, sei eine gewisse finanzielle Chancengleichheit aller an demokratischen Debatten und Entscheidungsprozessen beteiligten Bürger notwendig, die aufgrund der extrem divergierenden finanziellen Möglichkeiten nicht mehr gewährleistet schien.165 Ergänzend führten diese auf Veränderungen setzenden Akteure das Argument an, dass die reichen Bürger ohnehin am stärksten von den Diensten des Staates profitieren würden, da er die Sicherheit ihres Privateigentums garantiere, weshalb der Staat umgekehrt Anspruch auf Entschädigung für seine Dienste habe, beispielsweise durch die Besteuerung dieser Vermögen beim Übertrag im Todesfall. Dieses Argument machte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch Präsident Theodore Roosevelt zu eigen, womit die Einführung einer föderalen Erbschaftssteuer zu einem Dauerthema im Kongress wurde.166 Noch vor dem Kriegseintritt der USA verabschiedete die demokratische Mehrheit des Kongresses im Juli 1916 ein Gesetz, das Präsident Woodrow Wilson im September unterzeichnete. Mit dem Revenue Act of 1916 setzte die Regierung eine für das ganze Bundesgebiet geltende Nachlasssteuer in Kraft. Die Bundesregierung belegte alle in den USA anfallenden Nachlässe über 50.000 Dollar mit einer progressiven Steuer, die von einem Prozent bis zu zehn Prozent für Nachlässe von über fünf Millionen Dollar reichte.167 Ähnlich wie zu früheren Kriegszeiten begründete die Regierung die Einführung der Steuer mit der Notwendigkeit, die erwartete Kriegsbeteiligung finanzieren zu müssen. Deutlich häufiger brachten die Fürsprecher der Steuer, die überwiegend Mitglieder der Demokratischen Partei waren, aber ältere Argumente vor, nach denen Privateigentümer eine besondere finanzielle Pflicht gegenüber dem Staat besäßen, der ihr Eigentum schütze und nach denen

165 Ely/Finley, Taxation, S. ix, 318f. 166 Theodor Roosevelt, Annual Message of the President Transmitted to Congress December 3, 1906, in: Office of the Historian, https://history.state.gov/historicaldocuments/frus1906p1/annual (letzter Zugriff 17.4.2021). Für eine detaillierte Analyse der Kongressdebatte im Jahr 1909 vgl. Beckert, Vermögen, S. 214f. 167 Revenue Act of 1916, September 8, 1916, Chap. 463. – An Act to increase the revenue, and for other purposes, in: The Statues at Large of the United States of America from December, 1915 to March, 1917, Concurrent Resolutions of the Two Houses of Congress and Recent Treaties, Conventions, and Executive Proclamations, Vol. XXXIX, Part 1, Washington Government Printing Office 1917, S. 756–801, hier insbesondere S. 777–780.

Erben und Vererben in den USA, 1916–2000er Jahre

ein dynastischer Reichtum die Demokratie und Wirtschaft im Land gefährde.168 Anders als bei früheren zur Kriegsfinanzierung temporär eingeführten Nachlasssteuern nahm die US-amerikanische Regierung dieses Mal die Steuer nach dem Ende des Krieges daher nicht zurück.169 Zwar forderten verschiedene Politiker und politische Gruppierungen dies bis zur Weltwirtschaftskrise, allerdings ohne Erfolg. Stattdessen beschleunigten seit den 1920er Jahren vier Entwicklungen den eingeschlagenen Kurs und führten zur deutlichen Erhöhung der bereits eingeführten Steuern sowie weiteren Erbschaftssteuern. US-amerikanische Befürworter von Erbschaftssteuern beobachteten Diskussionen und Entwicklungen in anderen Ländern, in denen ebenfalls Erbschaftssteuern gefordert, eingeführt und erhöht wurden. Der Verweis auf diese Reformen in anderen Ländern diente wiederum der Legitimation der eigenen Position in nationalen Debatten, wodurch erbschaftssteuerfreundliche Publizisten, Wissenschaftler und Politiker Rückenwind erhielten. Selbst gemäßigte und einflussreichere Politiker und Ökonomen, wie der Präsident der American Economic Association, Irving Fisher, sprachen sich unter Rückgriff auf die in Europa breit diskutierten Pläne des Italieners Eugenio Rignano für die Konfiszierung von Vermögen nach dem dritten intergenerationellen Übertrag aus.170 Fisher forderte in seiner Presidential Address von 1919, das Vermögen beim ersten generationellen Übertrag zu einem Drittel, beim zweiten generationellen Übertrag zu zwei Dritteln und beim dritten anstehenden generationellen Übertrag zu 100 Prozent zu besteuern.171 In Kontinuität zum progressive movement der Jahrhundertwende fand die Erbschaftsbesteuerung in der Zwischenkriegszeit die Unterstützung populärer Bewegungen. Die vom Senator Huey Long in den 1930er Jahren gegründete Initiative Share Our Wealth mit sieben Millionen Mitgliedern schlug 1935 beispielsweise vor, Vermögen von über einer Million Dollar mit einer konfiskatorischen Steuer zu belegen.172 Ein völliges Erbverbot wie in der Sowjetunion schlugen nur einzelne radikale Kräfte vor. Der Geschäftsmann Harlan E. Read forderte beispielsweise in seinem im Jahr 1918 erschienenen Buch „The Abolition of Inheritance“ das Verbot von Nachlasstransfers, die 100.000 Dollar überstiegen.173 Die meisten US-amerikanischen Beobachter waren aber von der radikalen Verstaatlichungspolitik der Bolschewiki und dem totalen Verbot von Erbtransfers schockiert und abgeschreckt. Ihre Zustimmung

168 Für eine detaillierte Analyse der entscheidenden Kongressdebatte vgl. Beckert, Vermögen, S. 216–219. 169 W. Elliot Brownlee, Wilson and Financing the Modern State: The Revenue Act of 1916, in: Proceedings of the American Philosophical Society 129 (1985), H. 2, S. 173–210. 170 Erreygers/Bartolomeo, Debates, S. 606; Antweiler, Erbschaftsteuer. 171 Piketty, Kapital und Ideologie, S. 574f. 172 Jens Beckert, Erben in der Leistungsgesellschaft, Frankfurt am Main, New York, NY 2013, S. 31f. 173 Harlan Eugene Read, The Abolition of Inheritance, New York 1918.

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zur Einführung beziehungsweise Erhöhung von Nachlass- und Erbschaftssteuern resultierte gerade nicht aus der Nachahmung der sowjetischen Politik, sondern wurde von ihnen als notwendige Maßnahme zur Stärkung der US-amerikanischen Demokratie verstanden. Solche Steuern sollten Vermögensdiskrepanzen verringern, dadurch revolutionären Aktivitäten im Land vorbeugen und so Besitz und Eigentum schützen.174 Im Wettstreit mit dem kommunistischen, aber auch dem nationalsozialistischen System verteidigte Präsident Franklin D. Roosevelt 1935 die Erhöhung der Erbschaftssteuern in seiner Rede an den Kongress mit dem Argument, dass eine zu große Vermögenskonzentration die Demokratie im Land gefährde, Erbschaftssteuern dieser Konzentration an Vermögen entgegenwirkten und damit demokratische Prozesse stärkten.175 Des Weiteren verteidigten Kongressabgebordnete aus dem Mittleren Westen die im Jahr 1916 auf föderaler Ebene eingeführte Erbschaftssteuer aus Gründen, die sich aus der Konkurrenz zwischen den einzelnen Bundesstaaten ergaben. Sie sahen in der Steuer ein Instrument, das sich gegen das reiche Establishment der Ostküste richtete und dazu genutzt werden konnte, dessen wirtschaftlichen und politischen Einfluss zu beschränken.176 Mit Beginn der Weltwirtschaftskrise und den Programmen des New Deal stiegen zudem die Staatsausgaben enorm an. Der Staat benötigte zusätzliche finanzielle Einnahmequellen und fand diese auch in der Erbschaftssteuer, deren Sätze er deutlich anhob. Nach Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg waren es wiederum finanzpolitische Argumente, aufgrund derer die Regierung mit dem Victory Tax Act von 1942 vor allem für Reiche die Steuern anhob.177 Zugleich verstummte angesichts der New-Deal-Programme und des Zweiten Weltkriegs die Kritik an den Nachlass- und Erbschaftssteuern nahezu vollständig, während sich eine breite gesellschaftliche und politische Koalition für ihre Erhebung aussprach.178 Zur Erhöhung der Steuern trug schließlich auch das US-amerikanische System der Erbschaftsbesteuerung selbst bei, in dem verschiedene politische und administrative Einheiten um die Einkünfte aus den Steuern konkurrierten. In den meisten Bundesstaaten gab es nicht „die“ eine Erbschaftssteuer. So existierten in Maryland seit dem 19. Jahrhundert die Inheritance Tax und die Tax on Commissions. Beide

174 Piketty, Kapital und Ideologie, S. 588. 175 Franklin D. Roosevelt, Message to Congress on Tax Revision, 19.6.1935, in: The American Presidency Project, https://www.presidency.ucsb.edu/documents/message-congress-tax-revision (letzter Zugriff 17.4.2021). 176 Beckert, Vermögen, S. 220. 177 Piketty, Kapital und Ideologie, S. 587. 178 Für zeitgenössische Zeitungsberichte aus Baltimore City, in denen die Einführung der Erbschaftssteuer gerechtfertigt wurde, vgl. o. A., Ruling hits State Estate Tax Yield, in: The Baltimore Sun, 13.5.1935; o. A., Rules on Use of Inheritance Tax for Needy, in: The Baltimore Sun, 13.9.1936.

Erben und Vererben in den USA, 1916–2000er Jahre

Steuern waren als Einkommenssteuern konzipiert und berechneten sich ausgehend von den einzelnen Erbteilen, die ein Erbe als „Einkommen“ erhielt, und von seinem Verwandtschaftsgrad zum Erblasser. Dazu kam im Jahr 1916 die bundesweit eingeführte Nachlasssteuer, die Federal Estate Tax. Sie und die im Jahr 1929 in Maryland eingeführte Maryland Estate Tax waren hingegen als „Nachlasssteuern“ konzipiert. Mit der Inheritance Tax wurde somit das Einkommen der Erben aus der Erbschaft besteuert und die Erben mussten für ihren Erbanteil Steuern zahlen, während mit der bundesweiten und bundesstaatlichen Estate Tax der Nachlass des Erblassers als Gesamtheit besteuert und die Steuer aus dem Nachlassvermögen beglichen wurde. Wichtig für die Einführung und Erhöhung dieser verschiedenen Steuern war nun, dass verschiedene politische Administrationen die Steuern erhoben und sich die Steuern zum Teil gegeneinander verrechnen ließen. Empfänger der Inheritance Tax waren die Kommune und der Bundesstaat, in dem die Erbschaft anfiel, während die Estate Tax zum Teil an den Bundesstaat und zum größeren Teil nach Washington floss. An der Besteuerung des Nachlasses und der Erben waren somit Kommune, Bundesstaat und Bundesregierung interessiert. Zugleich ließen sich die an eine Instanz gezahlten Steuern zumindest teilweise mit anderen zu zahlenden Steuern verrechnen. Die Erhöhung der Federal Estate Tax konnte beispielsweise dazu führen, dass der Staat Maryland weniger Einnahmen aus der Maryland Estate Tax erhielt. Dadurch entstand wiederum eine Dynamik, die dazu führte, dass die Erhöhung einer dieser Steuern Erhöhungen der anderen Steuern nach sich zog. Die verschiedenen Bundesregierungen erhöhten die Federal Estate Tax etwa in den Jahren 1924, 1935 und 1940, woraufhin die Regierung von Maryland im Jahr 1929 die Maryland State Tax einführte und im Jahr 1935 die Steuersätze der Inheritance Tax erhöhte, um sich ihren Anteil an den anfallenden Steuern zu sichern. Zusätzlich erweiterte sie den Personenkreis, der diese Steuern zahlen musste. In Maryland fiel die Inheritance Tax nun auch für nahe Verwandte des Erblassers – Vater, Mutter, Ehepartner, Kinder und deren Abkömmlinge – in Höhe von einem Prozent des erhaltenen Erbteils an. Für alle anderen Erben erhöhte sie den Steuersatz von 5 auf 7,5 Prozent. Deutlich höher waren die Steuersätze der Federal Estate Tax. Seit dem Jahr 1940 betrug der Spitzensteuersatz für Nachlässe mit einem Wert von über 10 Millionen Dollar ganze 77 Prozent.179 Weitere Gesetze, die Anreize zum „freiwilligen“ Vermögensübertrag an den Staat oder die Gesellschaft setzten, flankierten die staatlichen Maßnahmen zur Vermögensumverteilung. In diesem Sinne befreite die Regierung in Annapolis im Jahr 1924 Legate an staatliche Einrichtungen von den Erbschaftssteuern. Im Jahr 1943 erweiterte sie diese Regelung dahingehend,

179 Scheve/Stasavage, Taxing, S. 103.

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dass sie nun auch für Legate an gemeinnützige Organisationen in Maryland sowie Organisationen, die hauptsächlich in Maryland tätig waren, galt.180 Parallel zur Einführung der Erbschaftssteuer ergriff die Regierung Marylands Maßnahmen, die eine Steuervermeidung erschweren sollten. Zunächst schloss sie 1924 eines der wichtigsten Schlupflöcher zur Umgehung der Steuern, indem sie eine Schenkungssteuer einführte. Damit besteuerte sie auch alle Vermögensübertragungen, die in den zwei Jahren vor dem Tod des Erblassers getätigt worden waren. Darüber hinaus verlangte ein weiteres Gesetz aus dem Jahr 1941 von den Verwaltern eines Nachlasses die Anfertigung eines information report und dessen Abgabe beim Register of Wills. Darin sollten alle Bestandteile der Erbschaft aufgeführt werden, die nicht durch das Probate-Verfahren übertragen wurden, deren Übertrag aber dennoch zu versteuern war.181 Damit veränderte sich zugleich das Aufgabenspektrum des Register of Wills, der bis zum Ersten Weltkrieg hauptsächlich mit der Dokumentation weniger großer Erbschaften beschäftigt war. 2.2 Dilemma des Orphans’ Court seit 1916: Neue Aufgaben, altes Personal Zwischen 1916 und den 1940er Jahren richteten die meisten Bundesstaaten eine neue Steuerbehörde ein, die für die Erfassung und Erhebung der verschiedenen Erbschafts- und Nachlasssteuern zuständig war. Demgegenüber übertrugen die Regierungen von Maryland, Texas und Nebraska diese Aufgabe an die lokalen Registers of Wills. Dieser Entscheidung lag die Überlegung zugrunde, dass der Orphans’ Court über das jedem Erbverfahren beiliegende Inventar ohnehin Einblick in die Zusammensetzung und den Wert eines Nachlasses habe und davon ausgehend relativ unkompliziert auch die anfallenden Steuern erheben könne.182 Damit erhielt das Gericht in Maryland eine neue Aufgabe: Zusätzlich zur Sicherung von Eigentumstiteln sollte es nun auch die auf Erbschaften anfallenden Steuern erheben. Nicht oder nicht ausreichend mitbedacht war bei dieser Aufgabenerweiterung, dass die Gerichte überhaupt nur ein kleinen Bruchteil aller Erbschaften erfassten. Auf diese Tatsache reagierte die Regierung von Maryland dadurch, dass sie den Druck auf Bürger und Erben erhöhte, Eigentumsübertragungen registrieren zu lassen. Bei größeren Nachlässen schrieb sie nun eine verbindliche Registrierung der Nachlassverwaltung vor und begann, Verstöße dagegen gerichtlich zu ahnden.183

180 H. Vernon Eney, Death and Taxes – Maryland Style, in: Maryland Law Review 17 (1957), H. 2, S. 101–120. 181 Eney, Death. 182 Page, Maryland, S. 95ff. Für eine detaillierte Beschreibung der Nachlassbesteuerung und ihrer Erhebung in Maryland vgl. Eney, Death. 183 Reed, Wills, S. 161.

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Zusätzlich reformierte die Regierung das Nachlassverfahren, um es insbesondere für die Erben kleinerer Vermögen günstiger und schneller zu machen. Entscheidend hierfür war der im Jahr 1945 beschlossene Small Estate Act.184 Damit führte die Regierung neben dem regulären Probate-Verfahren ein vereinfachtes Verfahren für kleine Nachlässe ein. Dieses stark standardisierte Verfahren sollte der Registrierung von Erbfällen dienen und es dem Gericht und den Erben ermöglichen, kleinere Nachlässe ohne formelle Nachlassverwaltung zu übertragen. Der Übertrag musste lediglich dem Gericht gemeldet und öffentlich bekannt gegeben werden, ehe er nach nur 30 Tagen rechtskräftig wurde.185 Zusammengenommen führten diese Maßnahmen dazu, dass die Anzahl der von Nachlassgerichten registrierten Erbtransfers stark zunahm. Der Prozentsatz aller Todesfälle, die ein Nachlassverfahren nach sich zogen, stieg in Baltimore von 8,7 Prozent im Jahr 1881 über 12,9 Prozent im Jahr 1911 und 17,2 Prozent im Jahr 1941 auf 48 Prozent im Jahr 1971, um wieder auf 37,7 Prozent im Jahr 2001 abzufallen. Dieser Anstieg der Probate-Verfahren lag zum kleinen Teil daran, dass die Zahl der regulären Probate-Verfahren zunahm, und zum größeren Teil daran, dass mehr Erben das neue Small-Estate-Verfahren nutzten. Sie machten im Jahr 1971 ca. 62 Prozent aller Nachlassverfahren am Orphans’ Court in Baltimore aus, im Jahr 2001 waren es ca. 71 Prozent. In absoluten Zahlen stieg in Baltimore die Zahl der durch das Probate-Verfahren übertragenen Nachlässe – trotz sinkender Bevölkerungszahl – von 2.000 im Jahr 1941 auf 5.210 im Jahr 1971 an, um wieder auf 3.055 im Jahr 2001 zurückzugehen. Die Zeit zwischen Ende der 1940er und den 1970er Jahren stellt damit den Höhepunkt staatlicher Einblicke in Nachlassverfahren in Baltimore dar.186 Der zunehmende Transfer von Erbschaften unter Einbezug der Gerichte war kein Baltimore-spezifisches Phänomen. Auch in anderen Verwaltungsbezirken nahm die Zahl der offiziell registrierten Nachlassüberträge sowohl in absoluten Zahlen als auch im Verhältnis zu den jeweiligen Todesfällen zu. Die nur für wenige Countys und andere Bundesstaaten verfügbaren Zahlen deuten darauf hin, dass es zwischen den 1950er und 1970er Jahren generell zu einem Anstieg der von

184 Small Estate Act: Settlement of Small Estate Law (Art. 93, section 151A, as enacted by Ch. 458 of Acts of 1945). 185 Reed, Wills, S. 164–167. 186 Die Informationen zur Bevölkerung und zu den Todeszahlen für die angegebenen Jahre sind folgenden Berichten entnommen: Annual Report of the Health Department of the City of Baltimore, S. 17; Department of Public Safety, Report, S. 110; City of Baltimore, Report 1941, S. 12; City of Baltimore, One Hundred and Fifty-Eighth Annual Report of the Department of Health, To the Mayor and City Counsel of Baltimore for the Year Ended December 31, 1972, 1973, S. 10; Department of Planning, Maryland State Data Center, https://planning.maryland.gov/MSDC/ Pages/census/censusHistorical.aspx (letzter Zugriff 1.5.2021).

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Gerichten registrierten Erbübertragungen kam. In diesem Zeitraum führten in Baltimore ebenso wie in anderen Countys etwa ein Drittel bis knapp die Hälfte aller Todesfälle zu einem Nachlassverfahren.187 Die Maßnahmen der Bundesstaaten lassen sich vor dem Hintergrund dieser Zahlen zunächst als Erfolg beschreiben. Die Bundesstaaten erhielten umfassendere Einblicke in die Vermögensverhältnisse ihrer Bewohner, da ihre Gerichte in mehr Todesfällen in standardisierten Verfahren das zu übertragende Eigentum registrierten und dessen Übertrag genehmigten, womit sie lokale Eigentumsverhältnisse ordneten und vereindeutigten. Zugleich stieg der Anteil der Erbschaftssteuern an den Gesamtsteuereinnahmen in den 1940er Jahren auf seinen höchsten Stand in der Geschichte der Vereinigten Staaten im 20. Jahrhundert. Dieses Level hielt er bis in die 1970er Jahre bei.188 Zugleich erfolgte mit der Zunahme der registrierten Nachlassfälle und der Einführung des vereinfachten Verfahrens ein Wandel der Klienten und Aufgaben des Orphans’ Court. Ab Mitte des Jahrhunderts war das Gericht in der Mehrzahl aller Erbfälle mit dem Übertrag von kleinen Nachlässen beschäftigt. In der unmittelbaren Nachkriegszeit nutzten hauptsächlich die Erben von jungen, im Krieg gefallenen Soldaten, meistens deren Eltern oder ihre Witwen, das Small-EstateVerfahren, um deren Besitz, im Wesentlichen den noch ausstehenden Sold sowie deren Sparvermögen, zu übertragen.189 Darüber hinaus wandten sich nun vermehrt die Erben von Erblassern an den Orphans’ Court, deren Nachlass ausschließlich oder zum größten Teil aus Ansprüchen auf bereits angefallene Erbschaften,190 noch ausstehende Löhne, Pensionsfonds, (Lebens-)Versicherungen oder aus Schadensersatzforderungen bei tödlichen (Arbeits-)Unfällen bestand. Durch den Einbezug des Nachlassgerichts, so lässt sich der Anstieg dieser Fälle interpretieren, erhofften sich die überwiegend weiblichen Erben – meist die Ehefrauen der Verstorbenen, ansonsten deren Kinder, Eltern oder Geschwister – Unterstützung bei der Durchsetzung ihrer finanziellen Forderungen gegenüber staatlichen Organisationen wie dem Militär oder privaten Versicherungen und Unternehmen.191 Schließlich führte

187 Dunham, Method, S. 248; Fierstein/Stein, Role, S. 1985; Fierstein/Stein, Demography, S. 67; Browder Jr., Patterns; Horton, Defense, S. 627. 188 Beckert, Vermögen, S. 225; Scheve/Stasavage, Taxing, S. 103; Piketty, Kapital und Ideologie, S. 566. 189 In the Matter of the Small Estate of Enrico Ferrante, Folio 1/122/478, Filed 26.1.1946, in: MSA, Register of Wills for Baltimore City; In the Matter of the Small Estate of John Louis Svehla, Jr., JHB 1/11, sowie: In the Matter of the Small Estate of Jesse O. Trevillian, JHB 1/51, beide in: MSA, Register of Wills for Baltimore City, Small Estates 1945, Liber JHB 1. 190 In the Matter of the Small Estate of Margaret Clark, Small Estates 1945, Liber JHB 1/61; In the Matter of the Small Estate of Milton A. Eney, Sr., JHB 1/101; In the Matter of the Small Estate of Carl P. Sause, JHB 1/251; In the Matter of the Small Estate of Philip Herman, JHB 1/241, alle in: MSA, Register of Wills for Baltimore City, Small Estates 1945, Liber JHB 1. 191 In the Matter of the Small Estate of William W. Ensor, Folio 1/106/399, Filed 2.4.1946; In the Matter of the Small Estate of Fred D. Evans, Folio 1/104/420, Filed 3.1.1946, beide in: MSA, Register of

Erben und Vererben in den USA, 1916–2000er Jahre

Abbildung 3 Anteil der von Weißen und People of Color unter Einbezug des Orphans’ Court übertragenen Nachlässe (regular estate und small estate) in Baltimore in Prozent, 1881–2001. Quelle: Dinkel, Nachlassakten.

das Small-Estate-Verfahren dazu, dass auch die Nachlässe von Afroamerikanern häufiger unter Einbezug des Gerichts übertragen wurde. Am deutlichsten zeigt sich der soziale Wandel unter den Nutzern des Nachlassgerichts im Verhältnis der vom Gericht als „White“ kategorisierten Erblasser zu denen, die es als „Colored“, „African-American“, „Brown“ und „Asian“ einordnete und die im Folgenden als Persons of Color oder als Gruppe von Nicht-Weißen bezeichnet werden. Der Anteil Weißer Erblasser sank von durchgängig über 90 Prozent bis ins Jahr 1941 auf 74 Prozent im Jahr 1971, um wieder auf 80 Prozent im Jahr 2001 anzusteigen. Gleichzeitig wuchs der Anteil der von Schwarzen hinterlassenen Erbschaften (regular estate) beim Orphans’ Court von zwei Prozent im Jahr 1941 auf 26 Prozent im Jahr 1971 an und lag immerhin noch bei 20 Prozent im Jahr 2001. Noch deutlicher zeigt sich diese Entwicklung bei der Bearbeitung kleiner Nachlässe (small estate): Im Jahr 1971 stammte etwa ein Drittel aller kleinen Nachlässe von PoCs, im Jahr 2001 waren es knapp zwei Drittel.

Wills for Baltimore City. Zudem: In the Matter of the Small Estate of Frank Arthur Dennis, JHB 1/81; In the Matter of the Small Estate of Henry Dasey, JHB 1/91; In the Matter of the Small Estate of Samuel E. Grove, JHB 1/131; In the Matter of the Small Estate of Leonard Kerry, JHB 1/191; In the Matter of the Small Estate of Margaret M. Nelson, JHB 1/241; In the Matter of the Small Estate of Elmer Simms, JHB 1/41; In the Matter of the Small Estate of Kit Carson White, JHB 1/61; In the Matter of the Small Estate of Richard T. Gaulding III, JHB 1/261; In the Matter of the Small Estate of Edward Price, JHB 1/201; In the Matter of the Small Estate of George D. Stringfellow, JHB 1/1; In the Matter of the Small Estate of Florence F. Robb; JHB 1/271; In the Matter of the Small Estate of Francia C. Horton, JHB 1/161, alle in: MSA, Register of Wills for Baltimore City, Small Estates 1945, Liber JHB 1.

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Diese auf den ersten Blick deutliche Zunahme an Nachlässen von PoCs auf dem Orphans’ Court ist in zweierlei Hinsicht zu relativieren. Die großen Erbschaften (regular estate) stammten weiterhin zum größten Teil von Weißen. Ferner blieben PoCs nicht nur im Verhältnis zu Weißen unterrepräsentiert, sondern auch im Verhältnis zu ihrem Anteil an der städtischen Gesamtbevölkerung. Baltimore wandelte sich nach dem Zweiten Weltkrieg von einer überwiegend von Weißen bewohnten Hafenstadt mit einem großen Anteil europäischer Einwanderer zu einer überwiegend von Afroamerikanern bewohnten Stadt. Die Aufhebung von Segregationsgesetzen führte zu dem als „white flight“ bezeichneten Umzug Weißer Stadtbewohner in neue, weiter im Umland liegende Suburbs, die bereits zu anderen Verwaltungsbezirken wie Baltimore County oder Anne Arundel und nicht mehr zur Baltimore City gehörten, um zumindest die räumliche Distanz zur afroamerikanischen Bevölkerung beizubehalten. In Kombination mit der Krise des Hafens und der Stahlindustrie sank dadurch die Bevölkerung von Baltimore signifikant von ca. 949.728 Einwohner im Jahr 1950 auf 905.787 im Jahr 1970 und nur noch 651.155 im Jahr 2000. In einzelnen Vierteln wie Edmondson Village zogen innerhalb weniger Jahre fast alle Weißen Bewohner ins Umland, während Schwarze aus der überfüllten Innenstadt in die frei werdenden Häuser einzogen.192 Damit veränderte sich zugleich das Verhältnis der Weißen zur afroamerikanischen Stadtbevölkerung. Der Anteil der Weißen sank von ca. 80 Prozent im Jahr 1940 auf ca. 53 Prozent im Jahr 1971 und etwa 30 Prozent im Jahr 2000, während der Anteil der Afroamerikaner von knapp 20 Prozent im Jahr 1940 über 46 Prozent im Jahr 1971 auf ca. 64 Prozent im Jahr 2000 anstieg.193 Weiße stellten damit im Jahr 2000 etwa ein knappes Drittel der Stadtbewohner, hinterließen aber 80 Prozent der großen Erbschaften, während Schwarze etwa zwei Drittel ausmachten, dabei aber nur 20 Prozent der großen Erbschaften vererbten. Ähnlich ausgeprägt zeigt sich diese Entwicklung unter den Erblassern, die ein Testament errichteten. Der Anteil von PoCs unter den Testatoren nahm in der zweiten Jahrhunderthälfte zwar zu, Weiße hinterließen aber weiterhin sehr viel häufiger ein Testament als PoCs. Lediglich in den Small-Estate-Verfahren spiegelte sich im Jahr 2000 das Verhältnis der Stadtbevölkerung annähernd in den vom Nachlassgericht dokumentierten Erbschaften wider.

192 W. Edward Orser, Blockbusting in Baltimore. The Edmondson Village Story, Lexington, KY 1994. 193 Campbell Gibson/Kay Jung, Historical Census Statistics On Population Totals By Race, 1790 to 1990, and By Hispanic Origin, 1970 to 1990, For Large Cities And Other Urban Places In The United States, Working Paper Nr. 76, February 2005, https://www.census.gov/content/dam/Census/library/ working-papers/2005/demo/POP-twps0076.pdf (letzter Zugriff 13.5.2021); United States Census Bureau, Quick Facts, Baltimore City, Maryland; Baltimore County, Maryland, https://www.census. gov/quickfacts/fact/table/baltimorecitymaryland,baltimorecountymaryland/PST045219 (letzter Zugriff 13.5.2021).

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Abbildung 4 Verhältnis von Weißen zu People of Color unter den Testatoren in Baltimore in Prozent, 1881–2001. Quelle: Dinkel, Nachlassakten.

Zeitgleich mit der Zunahme von Nachlässen Schwarzer Erblasser beim Gericht stieg die Anzahl der von Frauen hinterlassenen Erbschaften weiter an, womit sich eine seit dem späten 18. Jahrhundert beobachtbare Entwicklung fortsetzte. Ende des 19. und in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts stammten in Baltimore bereits zwischen 45 und 48 Prozent aller vom Gericht bearbeiteten Nachlässe von Erblasserinnen. Das Verhältnis der von Frauen und Männern hinterlassenen und vom Gericht registrierten Erbschaften hatte sich damit schon fast angeglichen. Im Jahr 1971 stammten 56 Prozent der vom Orphans’ Court dokumentierten Erbschaften (regular estate) von Frauen, und im Jahr 2001 waren es 60 Prozent. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dokumentierte das Gericht damit deutlich häufiger den Übertrag von Erbschaften, die von Frauen hinterlassen wurden, als von solchen, die von Männern stammten. Anders stellte sich dieser Trend hingegen für kleine Nachlässe (small estates) dar. Männer hinterließen in Baltimore in den Jahren 1971 und 2001 65 und 56 Prozent der kleinen und vielfach überschuldeten Nachlässe. Beide Trends zeigen sich wiederum verschärft in der Gruppe der Testatoren. In den regulären Probate-Verfahren stieg der Anteil der von Frauen verfassten Testamente von ca. 43 Prozent im Jahr 1881 auf ca. 69 Prozent im Jahr 2001 an. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts stammten damit mehr als zwei Drittel aller vom Gericht eröffneten Testamente von Frauen. Schließlich gewann der Orphans’ Court durch das Small-Estate-Verfahren erstmals in seiner Geschichte in größerem Umfang Einblicke in die Vermögensverhältnisse der Mittelklassen und vor allem der weniger vermögenden und armen Familien, ging es doch bei den kleinen Nachlässen in den meisten Fällen nicht um den Übertrag von positiven Vermögenswerten, sondern um die Abwicklung von

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Abbildung 5 Verhältnis aller Erblasserinnen zu Erblassern (regular estate und small estate) in Baltimore in Prozent, 1881–2001. Quelle: Dinkel, Nachlassakten.

Abbildung 6 Verhältnis von testierenden Erblasserinnen zu Erblassern in Baltimore in Prozent, 1881–2001. Quelle: Dinkel, Nachlassakten.

überschuldeten Nachlässen. Im Durchschnitt waren kleine Nachlässe in Baltimore im Jahr 2001 mit 10.238 Dollar und im Median immer noch mit 1400 Dollar überschuldet. Beim Großteil der von PoC hinterlassenen Erbschaften dokumentierte und gewährleistete das Gericht somit keinen positiven Eigentumsübertrag, sondern überwachte es die Begleichung von Schulden.

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2.3 Verzögerte Nachlassverfahren und Probleme bei der Erbschaftsbesteuerung Mit der Zunahme der Nachlassverfahren stieg die Arbeitsbelastung des Gerichts an, worauf der Register of Wills personell nicht vorbereitet war. Die Zeitersparnis durch vereinfachte Probate-Verfahren bei small estates glich den Arbeitszuwachs bei weitem nicht aus. Verkompliziert wurde diese Situation dadurch, dass die Mitarbeiter des Gerichts spätestens ab den 1940er Jahren nicht nur den Erbübertrag dokumentieren, sondern zusätzlich die zu erhebenden Steuern berechnen und einziehen sollten. Die Ausgestaltung der Erbschaftssteuer wiederum, die sich im Prinzip aus vier verschiedenen Steuern zusammensetzte, führte zu einem enormen Verwaltungsaufwand für Nachlassverwalter sowie für die mit der Erhebung der Steuern beauftragten Behörden. Neben dem komplizierten Steuererhebungsverfahren trug aus Sicht vieler Experten die im Eigentums- und Erbrecht weiterhin vorgenommene Unterscheidung zwischen real property und personal property zur Unübersichtlichkeit und Verzögerungen bei Nachlasstransfers bei. Die materielle Zusammensetzung einer Erbschaft entschied immer noch darüber, nach welchen Gesetzen einzelne Nachlassgegenstände zu übertragen und zu besteuern waren. Befanden sich darüber hinaus Erblasser und Erben oder das Nachlasseigentum in verschiedenen Bundesstaaten, wurden die Besteuerung und das Probate-Verfahren noch komplexer, da in diesen Fällen erst geklärt werden musste, welches state law für die Besteuerung und den Transfer welchen Nachlassbestandteils anzuwenden war.194 Die 24 Registers of Wills in Maryland waren auf diese Aufgabe nicht vorbereitet. Entsprechend den Reformen des 19. Jahrhunderts bestand ihre Hauptaufgabe bis in die Zwischenkriegszeit in der Dokumentation von Erbtransfers. Die in Maryland lange Zeit einzige Erbschaftssteuer war relativ einfach ausgestaltet und in vielen Fällen gar nicht zu erheben. Die meisten Mitarbeiter des Register of Wills waren daher weder in juristischen noch in Steuerfragen ausgebildet. Mit der Einführung verschiedener weiterer Nachlasssteuern seit 1916 veränderten sich die Aufgaben der Registers of Wills in Maryland, ohne dass damit eine personelle oder fachliche Anpassung einherging. Regelmäßig mussten sie folglich bei Erbfällen beim Attorney General nachfragen, wie die Erbschaftssteuergesetze auszulegen und anzuwenden seien. Insgesamt kam es zwischen 1935 und 1945 zu 396 solcher Gesuche um Anweisung. 122 dieser Nachfragen stellte allein der Register of Wills in Baltimore City. Zwischen 1945 und 1954 machten die Nachfragen aus Baltimore ein Drittel aller diesbezüglichen Nachfragen aus, wodurch es in diesen Fällen zu Verzögerungen

194 Friedman, Dead hands, S. 47.

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des Probate-Verfahrens kam.195 Nachlassüberträge zogen sich über einen immer länger werdenden Zeitraum hin. Dauerten sie in Baltimore im Jahr 1941 durchschnittlich etwas mehr als elf Monate, so waren es im Jahr 2001 durchschnittlich 42 Monate.196 Ihre Bearbeitungszeit hatte sich damit im Zeitraum von 1941 bis 2001 von im Durchschnitt knapp einem Jahr auf fast vier Jahre verlängert. Bei größeren Nachlässen lag die durchschnittliche Bearbeitungsdauer noch deutlich darüber. Der Übertrag der größten 20 Prozent aller Erbschaften dauerte im Jahr 2001 in Baltimore durchschnittlich etwa 66 Monate.197 Darüber hinaus führten die Gesetzeslage und die schlechte personelle Ausstattung der Registers of Wills nach Ansicht verschiedener Kritiker dazu, dass Gesetze in vielen Fällen nicht befolgt und von den staatlichen Behörden – auch aufgrund ihres zu geringen Personals – nicht durchgesetzt werden konnten. Dies hätte zur Folge, dass sich diejenigen, die ehrlich ihre Steuern zahlten, benachteiligt fühlten, während andere, die ihre Steuern nicht zahlten, sich dabei auch noch in Sicherheit wiegen könnten. Dadurch sahen die Kritiker letztlich nicht nur die Stabilität der geltenden Eigentumsordnung, sondern auch das Vertrauen in und den Respekt vor dem Staat bedroht.198 Die lauter werdenden Beschwerden über veraltete, relativ konkrete und wenig abstrakte Eigentumskonzepte sowie das langsame, teure und komplizierte – und zuweilen ungerecht erscheinende – Probate-Verfahren nahm in den 1950er Jahren zu. Mit den veralteten und komplizierten Erbgesetzen und Verfahren des Nachlassübertrags und der Nachlassbesteuerung, so der breite Konsens unter den Experten, ließen sich die Vermögensverhältnisse in einer modernen Dienstleistungsgesellschaft nicht mehr adäquat erfassen, effizient verwalten und besteuern, weshalb nicht nur das Probate-Verfahren, sondern auch die Erbschaftsbesteuerung und die gesetzlichen Eigentumskonzepte reformiert werden müssten.199 In den 1960er und 1970er Jahren forderte dann eine breite Allianz aus Anwälten, Juristen und Professoren in den Law Schools amerikanischer Eliteuniversitäten lautstark eine Reform des Probate-Verfahrens sowie der Nachlassbesteuerung. Dadurch veränderten sich die administrativen Verfahren und die Rechtslage für das Übertragen eines Erbes erneut. Lange bevor die staatlichen

195 Eney, Death. 196 Dinkel, Nachlassakten. In Minnesota dauerten Probate-Verfahren Ende der 1960er Jahre zwischen 16 und 36 Monate; Horton, Defense, S. 620. 197 Dinkel, Nachlassakten. 198 Eney, Death; Stephen E. Fitzgerald, 1844 Inheritance Law Called Out of Date, in: The Evening Sun, 8.1.1941. 199 Einen Überblick über die von den Kritikern vorgebrachten Argumente bietet: Bruce H. Mann, Formalities and Formalism in the Uniform Probate Code, in: University of Pennsylvania Law Review 142 (1993–1994), S. 1033–1062. Für ein Beispiel zeitgenössischer Kritik vgl. Murray Teigh Bloom, Time to Clean Up Our Probate Courts, in: Reader’s Digest, January 1970, S. 112–115.

Erben und Vererben in den USA, 1916–2000er Jahre

Reformen in Kraft traten, setzte allerdings ein Boom der Rechtsberatung ein, die ihren Klienten Unterstützung bei der Nachlassplanung, der Durchführung des komplizierten Probate-Verfahrens und der Steuerminimierung versprach. 2.4 Rechtsanwälte und Banken als Finanzratgeber und Beschützer von Familienwerten Private Dienstleister – Rechtsanwälte, Steuer- und Vermögensberater sowie Banken – warben in Baltimore in der Zwischenkriegszeit in Fortsetzung älterer Werbekampagnen weiterhin damit, sich nach dem Tod eines Erblassers professionell um dessen Familie und Familienangelegenheiten zu kümmern. Am deutlichsten auf den Punkt brachte das Bestreben der Banken und Trust Companies, sich als seriöser, moralisch gefestigter und fähiger Guardian für Familien und insbesondere Erbinnen zu präsentieren, eine – im Jahr 1932 erschienene – Broschüre der Maryland Trust Company mit dem Titel The Trust Company as Foster Parent.200 Darin zeigten die Herausgeber anhand von Beispielen auf, wie sich ihre Mitarbeiter für die Interessen von Familien eingesetzt hatten. So berichtete ein Guardian beispielsweise davon, wie er die Waisen eines verstorbenen Ehepaares auf ihrem weiteren Bildungsweg unterstützt und dafür gesorgt habe, dass diese nun an amerikanischen Eliteuniversitäten studierten.201 Banken sprachen gezielt Männer an und betonten, dass es deren Pflicht sei, für ihre Hinterbliebenen zu sorgen. Die Safe Deposit and Trust Company of Baltimore teilte über Zeitungsanzeigen und Flyer mit: „The making of a Will should not be a matter of solicitation, but the performance of a duty to the family and the selected objects of one’s bounty. The same care should be given to it as in working out any other business problem.“202 Noch deutlicher wurde die Baltimore Trust Company, als sie behauptete: „Trust Company can Help Widow in Case of Need.“203 Die Mercantile Trust and Deposit Company of Baltimore teilte ganz in diesem Sinne ihren Lesern in einer Borschüre mit: „Many hundreds of Baltimore men and women who decided that a permanent institution, specializing in the management of estates, is preferable to an individual,

200 Maryland Trust Company, Trust Company. Das Booklet beruht laut Innenseite des Umschlags auf einer bereits früher veröffentlichten Vorlage der Fidelity Trust Company, Pittsburgh, PA. 201 Maryland Trust Company, Trust Company. 202 The Safe Deposit and Trust Company of Baltimore, A Series of Articles, S. 6f. 203 Baltimore Trust Company, Family, das Zitat befindet sich auf der viertletzten Seite der Broschüre. Vgl. auch Mercantile Trust and Deposit Company of Baltimore, Crossroads of Money. The parting of the Ways for Estates, Large and Small, Baltimore 1931, S. 1; Colonial Trust Company, How to Conserve Your Capital by means of Constant Supervision Competent Research, Baltimore 1936.

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and who concluded that long experience is an important item, have appointed the Mercantile Trust Company as their Executor and Trustee.“204 Rechtsanwälte, Banken und Trust Companies gaben sich in der Zwischenkriegszeit nicht mehr nur als „Ersatzfamilie“ aus, sondern auch als finanzpolitisch kompetente Berater. Sie warben damit, ihre Kunden angesichts der verschiedenen neu eingeführten und erhöhten Erbschaftssteuern bei einem reibungslosen Erbtransfer zu unterstützen, der darauf zielte, einen möglichst großen Anteil des Vermögens in der Familie zu bewahren. Hierfür wiederholten sie in verschiedenen Varianten hauptsächlich zwei Argumente, die sich beide in einer Broschüre der Mercantile Trust and Deposit Company of Baltimore aus dem Jahr 1938 finden. Darin verwies das Unternehmen zunächst darauf, dass in den letzten Jahren verschiedene Nachlass- und Erbschaftssteuern in Kraft getreten seien, die je nach Bundesstaat und zum Teil je nach Nachlassbestandteil variierten. Es könne daher leicht geschehen, dass bei einem Erbübertrag Nachlassgegenstände nicht richtig bewertet und nicht alle anfallenden Steuern beglichen würden, wodurch es beim Erbübertrag zu Problemen kommen könne und Erben mit Strafen rechnen müssten. Es sei ratsam, die Trust Company als Ratgeber in die Nachlassplanung einzubeziehen und sie mit der Testamentsvollstreckung zu beauftragen, damit es nicht zu einem Verstoß gegen die Steuergesetze komme: The Trust Company has had wide experience with inheritance laws in the various states and it is, therefore, in a position to see that all proper taxes are paid, thus reducing to a minimum the danger to either the estate or beneficiaries from a failure to comply with the laws regarding inheritance and transfer taxes.205

Fünfzehn Seiten weiter schlug die Trust Company andere Töne an. Angesichts der mittlerweile in der Broschüre mehrfach erwähnten verschiedenen Nachlasssteuern und der unübersichtlichen Rechtslage komme es – so nun ihre zweite Warnung an den Leser – leicht dazu, dass ein Nachlass zu oft und zu hoch besteuert werde und/oder die Erben zu viele Gebühren und Steuern entrichteten. Das verdiente Vermögen eines Bürgers fließe dadurch in Form von Steuern und Gebühren an den Staat und nicht an seine Erben. Auch deshalb sei es für einen verantwortlichen Eigentümer ratsam, die Trust Company in die Vermögensplanung mit einzubeziehen, um ungerechte Belastungen des Nachlasses und seiner Erben zu vermeiden.206 Das war nun kein Aufruf zur Steuerhinterziehung, aber ein deutlicher Hinweis darauf,

204 Mercantile Trust and Deposit Company of Baltimore, Crossroads, S. 4. 205 Mercantile Trust and Deposit Company of Baltimore, The Management of Trust Property, Baltimore 1938, S. 20. 206 Mercantile Trust and Deposit Company of Baltimore, Management, S. 34f.

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dass die Gesetzeslage Handlungsspielräume bei der Nachlassplanung und beim Erbtransfer bot, die genutzt werden konnten, um die Höhe der zu entrichteten Gebühren und Steuern zu beeinflussen. Mit ähnlichen Argumenten warb die in Baltimore ansässige Colonial Trust Company etwa zeitgleich in einer Informationsbroschüre um (wohlhabende) Klienten: Conservation of a personal fortune through more than one generation naturally involves other factors in addition to effective management during the life of the present owner. Most men and women of means should, in fact, consider their entire investment and estate situation as a single problem. A conference with Colonial Trust officer may suggest methods of making one’s present capital of more lasting benefit to members of the family in the years to come. Mounting estate and inheritance taxes make prompt attention to economical and satisfactory estate arrangements highly desirable. It has been said that few wills written more than five years ago meet today’s conditions. Although this generalization may be an exaggeration, the statement contains enough literal truth to be challenging.207

In diesen Anzeigen verwies die Colonial Trust Company zunächst auf den Wunsch wohlhabender Eigentümer, Vermögen dauerhaft in der Familie zu erhalten. Anschließend führte sie aus, dass es aufgrund der seit dem Ersten Weltkrieg eingeführten und seitdem kontinuierlich angehobenen Nachlass- und Erbschaftssteuern aber schwieriger geworden sei, dieses Ziel zu erreichen. Zahlreiche ältere Testamente und die darin vorgenommenen Regelungen, so die Trust Company, seien nicht an die veränderte Gesetzeslage angepasst, weswegen im Erbfall der Verlust des Familienvermögens drohe. Dies, so ihr Angebot an Wohlhabende, könne aber durch ihren Einbezug in Nachlassplanungen verhindert werden. Weiter führte die Trust Company aus, dass sie Rechts- und Finanzexperten beschäftige, die Eigentümer professionell unterstützen könnten. Eigentümern solle aber bewusst sein, dass Nachlassplanungen keinen einmaligen Akt darstellten, sondern als Bestandteil von Vermögensmanagement als dauerhafte Aufgabe anzusehen seien. Bei dieser dauerhaften Aufgabe bot sie ihren Klienten ihr Wissen und ihre Unterstützung an, um zu gewährleisten, dass deren Vermögen im Erbfall in der Familie bleibe. Als eine ihrer besonderen Dienstleistungen hob die Trust Company dabei die Minimierung der beim Nachlassübertrag anfallenden Gebühren und Steuern hervor: „A Colonial Trust officer will be glad to make practical suggestions concerning such factors as taxes, insurance proceeds, the relative merits of outright gifts and trusts in individual cases, and how to provide cash for necessary transfer expenses.“208

207 Colonial Trust Company, Capital, S. 16. 208 Colonial Trust Company, Capital, S. 16.

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Die Colonial Trust Company und die Mercantile Trust and Deposit Company of Baltimore waren in Baltimore in den 1930er Jahren weder die ersten noch die einzigen Unternehmen auf dem Markt der Nachlassberater, die sich auf derartige Dienstleistungen sowie auf die Errichtung und Verwaltung von Stiftungen und Trusts spezialisiert hatte. Zahlreiche andere Rechtsanwälte, Finanzexperten und Banken boten seit den 1920er Jahren im ganzen Land wohlhabenden Eigentümern ihre Dienstleistungen als „Ersatzfamilie“ und „Steuer- und Finanzexpertin“ an. Als direkte Reaktion auf die erhöhten und neu eingeführten Nachlasssteuern entstanden neue private Dienstleister für die Mittel- und Oberklasse, die in Broschüren ihre Dienstleistungen offerierten.209 Darüber hinaus schalteten sie Zeitungsanzeigen, in denen sie über ältere Erbpraktiken und Traditionen sowie kuriose Testamente berichteten. Diese Artikel waren gespickt mit Anekdoten über Familienstreitigkeiten, merkwürdigen testamentarischen Bestimmungen und ungewöhnlichen Geschichten einzelner Testamente und deren Aufbewahrungsorte. Damit bedienten Banken und Trusts zum einen die Neugier und das Interesse der Leserschaft an den privaten Verhältnissen anderer Personen und Familien, auch wenn diese zum Teil schon lange verstorben waren. Zugleich zeichneten sie aber auch Bilder von chaotischen, ungeregelten und zum Teil ungerechten traditionellen Nachlassübertragungen, die sich deutlich von den modernen, geregelten und geplanten Erbtransfers unterschieden, die Banken und Trust-Firmen ihren Kunden in ihren Broschüren versprachen.210 Eine zwischen Mai und Dezember 1937 wöchentlich in der Baltimore Sun, der auflagenstärksten und auch überregional rezipierten Baltimorer Tageszeitung, abgedruckte Anzeigenserie der Safe Deposit and Trust Company of Baltimore bezog ältere Erbtraditionen und die professionelle Expertise moderner Banken schließlich direkt aufeinander. Ausgangspunkt der den Anzeigen vorangestellten Kurzgeschichten war jeweils ein weit zurückliegender Erbfall, aus dem die Trust Company Rückschlüsse für die Gegenwart zog. Vereinzelt beriefen sich die Artikel dabei positiv auf die Erbregelungen meist älterer, mächtiger Männer wie Lord Baltimore, um dann die Bank an die Werte dieser Männer zurückzubinden. Sie stellten die Trust Company als modernes Äquivalent dieser Männer dar, die in der Gegenwart ähnlich weitsichtige Ratschläge gebe wie beispielsweise Lord Baltimore in früheren Zeiten. In den meisten Fällen verwiesen sie aber auf Komplikationen

209 The Safe Deposit and Trust Company of Baltimore, A Series of Articles, S. 24; Colonial Trust Company, Capital, S. 16f. 210 O. A., Early Settlers’ Wills on File, in: The Baltimore Sun, 19.9.1926; o. A., Large Gilt Edge Bilde Found Locked With Court Records, in: The Baltimore Sun, 18.8.1935; C. W. Whitmore, Old Wills and odd Testaments. Ancient Documents are Index to life in the Maryland Colony, in: The Baltimore Sun, 3.8.1930; Kathrine Scarborough, Old Wills show how early Marylanders lived provisions and phraseology of documents make quaint appeal to people of today, Feather beds, slaves and land were bequeathed, and religious, in: The Baltimore Sun, 19.7.1925.

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bei der Nachlassregelung und auf unnötige Ausgaben für Erblasser und Erben, die sich daraus ergeben hätten, dass der Verstorbene keinen kompetenten Experten in seine Nachlassplanung einbezogen habe. Diese Schwierigkeiten hätten sich damals verhindern lassen (und ließen sich in der Gegenwart verhindern), so dass in unterschiedlichen Variationen wiederholt abgedruckte Fazit der Artikel, wenn die Eigentümer damals fähige Anwälte bei der Nachlassplanung herangezogen hätten (oder in der Gegenwart heranziehen würden), wofür die Bank ihre Dienste anbiete.211 Nachdem zwischen dem späten 19. Jahrhundert und den 1930er Jahren in Baltimore eine neue, auf Erbangelegenheiten spezialisierte Dienstleistungsbranche entstanden war, erlebte dieser Sektor nach dem Zweiten Weltkrieg einen regelrechten Boom. Dies lag zunächst schlicht daran, dass der Staat Maryland seit Ende der 1930er Jahre den politischen Druck auf Erblasser und Erben erhöhte, Nachlässe unter Einbezug des Orphans’ Court zu transferieren, und dass sich infolgedessen die Zahl der Personen, die in Erbfällen mit dem Gericht und dem Probate-Verfahren in Berührung kamen, deutlich erhöhte. Zugleich akkumulierte die Mittelschicht mehr Vermögen, das in Erbfällen zu übertragen war und für das Steuern zu entrichten waren. In Verbindung mit einer wachsenden Ablehnung des lenkenden und in private Angelegenheiten eingreifenden Staates stieg die Nachfrage nach Erbratgebern und professioneller Unterstützung an. Rechtsanwälten, Finanzberatern und Banken gelang es dadurch, sich erstmals größere Teile der Mittelschicht als Klienten zu erschließen. Dieser Boom und der Ausbau des Dienstleistungssektors werden im Folgenden anhand von zwei Fallstudien nachgezeichnet. Im Zentrum der ersten steht der erfolgreichste Erbratgeber in den USA, der dieses Genre für die zweite Jahrhunderthälfte maßgeblich prägte und Wissen zu Gebühren und zur Steuerminimierung popularisierte. Anschließend wird am Beispiel der Johns Hopkins University aufgezeigt, wie sich das Erbschaftsfundraising entwickelte und wie selbst eine wissenschaftliche Einrichtung und Elite-Universität begann, Beratungen anzubieten, die auf die Senkung der Nachlass- und Erbschaftssteuer und den Prestigegewinn der Familie zielten. Ein unwahrscheinlicher Bestseller: Norman Daceys „How to Avoid Probate“ und der Ratgeberboom der 1970er Jahre

Norman F. Dacey war Anfang der 1960er Jahre als Verkäufer von Trusts in Connecticut tätig. Sein Geld verdiente er hauptsächlich durch Provisionen, die er erhielt, wenn seine Kunden einen Trustfonds errichteten. Nebenher schrieb er an

211 Die Anzeigen finden sich in: EPFL, Envelope Wills, Register of Wills, A series of newspaper advertisements inserted in the Sun May 25 – Dec. 21, 1937 by Safe Deposit and Trust Co.

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einem Ratgeber zur privaten Nachlassplanung. Darin kritisierte er im ersten, etwa 50 Seiten umfassenden Teil das in den US-amerikanischen Bundesstaaten übliche Probate-Verfahren: Dieses verzögere erstens den Erbtransfer vom Erblasser auf die Erben. Je nach Bundesstaat und Nachlassgericht dauere der Vermögenstransfer in den meisten Fällen zwischen zwei und fünf Jahren. Zweitens mache das Verfahren die privaten finanziellen Angelegenheiten einer Person öffentlich. Korrekt verwies Dacey darauf, dass die Akten des Nachlassgerichts von jedem Interessierten eingesehen werden durften. Alle Zeitungen beschäftigten daher, so seine Behauptung, Reporter, die diese Akten einsahen, um in der Zeitung daraus zu zitieren, sollten sie Stoff für eine spannende Geschichte liefern oder sollte es sich um einen Prominenten handeln. Schließlich bemängelte Dacey drittens die hohen Kosten des Nachlassverfahrens. Einen ungenannten Anwalt zitierend, teilte er seinen Lesern mit, dass Erben bei kleineren Nachlässen (bis 20.000 Dollar) etwa 20 Prozent und bei mittleren Nachlässen (bis 100.000 Dollar) etwa 10 Prozent des geerbten Vermögens ausgeben müssten, um die Gebühren des Gerichts und der beteiligten Anwälte zu begleichen. Das hart verdiente Geld der Amerikaner werde so in einem teuren Übertragsverfahren verschwendet, bevor es die Familien der Verstorbenen erreiche. Das Probate-Verfahren, so Daceys griffige Formel, sei zeitaufwendig, teuer und gebe die privaten (Finanz-)Angelegenheiten einer Person der Öffentlichkeit preis.212 Anschließend erörterte Dacey im zweiten, etwa 150 Seiten langen Teil des Buches die Vor- und Nachteile verschiedener Strategien, um das Probate-Verfahren zu umgehen oder um dieses zumindest zu beschleunigen und zu vergünstigen. Unter anderem diskutierte er Testamente, Lebensversicherungen, gemeinsame Bankkonten, tenancies-in-common und Trusts als rechtliche Instrumente der Nachlassplanung. Dass der Trust-Verkäufer dabei die Errichtung von Trusts als geeignetste Strategie empfahl, ist weniger überraschend als die Vehemenz, mit der Dacey seine Leser immer wieder aufforderte, sich um ihre Nachlassplanung zu kümmern und diese selbst in die Hand zu nehmen. Hierfür befanden sich am Ende eines jeden Kapitels zu jedem diskutierten rechtlichen Instrument herauslösbare Vordrucke, zugeschnitten auf verschiedene Familienkonstellationen und Vermögensverhältnisse, mit denen sich rechtlich bindende Dokumente erstellen ließen, beispielsweise zur Errichtung eines Testaments, einer Lebensversicherung oder auch eines Trusts. Dabei sei es bei komplizierteren Instrumenten wie Trusts sinnvoll, wie Dacey betonte, das selbst erstellte Dokument noch einmal von einem Fachmann überprüfen zu lassen.213

212 Norman F. Dacey, How to Avoid Probate, 12. Aufl., New York 1966, S. 6. Norman F. Dacey, Why Haven’t You and Your Family Been told these Facts?, in: The Boston Globe (11.9.1966). 213 Dacey, How to Avoid Probate, 1966, S. 129f.

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Mit seinem Manuskript griff Dacey die zeitgenössische Kritik am langsamen und komplizierten Probate-Verfahren auf und bot eine Lösung an: die private Nachlassplanung zu dessen Vermeidung. Gleichwohl gestaltete sich die Veröffentlichung des Manuskripts zunächst als schwierig. Die angefragten Verleger bezweifelten, dass ein derartiger Ratgeber auf großes Interesse bei den Lesern stoßen würde, und lehnten eine Publikation ab. Zudem waren die von Dacey beschriebenen Mängel des gerichtlichen Nachlassübertrags seit den späten 1940er Jahren regelmäßig in Zeitungen und Zeitschriftenartikel vorgebracht worden und Mitte der 1960er Jahre nicht neu.214 Inhaltlich ging er mit seinem Manuskript weder über die zeitgenössische Kritik am Probate-Verfahren hinaus, noch legte er neue Lösungsvorschläge vor. Dacey hielt trotz der Absagen an seinem Buchprojekt fest. Auf eigene Kosten ließ er 10.000 Exemplare seines Ratgebers drucken, den er unter dem Titel How to Avoid Probate veröffentlichte, während er gleichzeitig begann, die Geschäftsführer von Buchläden in Connecticut zu überreden, sein Buch in ihr Sortiment aufzunehmen. Dies gelang ihm unter anderem beim Geschäftsführer des Brentano-Buchladens, der nach Erscheinen des Buchs innerhalb kürzester Zeit mehrere Hundert Exemplare verkaufte. Dieser Erfolg führte wiederum dazu, dass Dacey wenig später einen Vertrag mit Crown Publishers unterzeichnen konnte.215 Dort erschien das Buch im Jahr 1966 und sorgte sogleich für eine der größten Überraschungen auf dem US-amerikanischen Buchmarkt der 1960er Jahre. Der Ratgeber kletterte bis auf Platz eins der New-York-Times-Bestsellerliste und blieb 47 Wochen auf der Liste. In der Sparte „Nonfiction“ wurde How to Avoid Probate zum meistverkauften Buch des Jahres 1966 in den Vereinigten Staaten, weit vor dem zweitplatzierten Buch Human Sexual Response von William Masters und Virginia E. Johnson.216 Bis Mai 1967 verkauften sich nach Daceys eigenen Angaben mehr als 673.000 Exemplare.217 Angesichts des enormen Verkaufserfolges versuchten bald andere Dienstleister im Bereich der Nachlassplanung, die weitere Publikation und Verbreitung des Buchs zu verhindern; die New York County Lawyers Association verlangte sogar sein Verbot. Anwälte aus New York klagten im Jahr 1967 gegen Dacey und argumentierten, dass Dacey keinen juristischen Abschluss besitze, weshalb er seinen Lesern nicht nur schlechte juristische Ratschläge verkaufe, sondern es ihm überhaupt nicht erlaubt sei, juristische Beratungen vorzunehmen. In weiteren Artikeln und Beiträgen in Fachzeitschriften und populären Magazinen warfen Rechtsanwälte aus

214 Murray Teigh Bloom, The Mess in Our Probate Courts, in: Reader’s Digest, October 1966, S. 102–105; No Death Taxes Levied on Joint Bank Accounts, in: Baltimore Sun, 21.6.1937. 215 Edwin McDowell, Book Notes, in: The New York Times, 7.3.1990. 216 Ray Walters, Paperback Talk, in: The New York Times, 27.6.1981; The New York Times Best Seller List, in: The New York Times, 17.7.1966. 217 Can the New York County Lawyers Association Burn this Book? An Open Letter to the People of New York from Norman F. Dacey, in: The New York Times, 3.5.1967.

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anderen Bundesstaaten Dacey vor, dass er nicht über die Sonderregeln in einzelnen Staaten informiere, und schlussfolgerten daraus, dass es besser sei, einen Fachanwalt zu konsultieren, der sich mit den jeweiligen bundesstaatlichen Erbrechten und der individuellen und familiären Situation des Erblassers auskenne, anstatt Daceys lückenhaften, standardisierten und teilweise fehlerhaften Ratschlägen zu folgen.218 Darüber hinaus verschickte die New York State Bar Association eine Infobroschüre Understanding Probate! Don’t be Dead Wrong! an alle Mitglieder, Banken und Verlage im Bundesstaat New York, in der sie vor Daceys Buch warnte. Der Präsident der Bar Association erklärte sogar: „The worst that could happen to a Dacey believer is a term in jail.“219 Als dann auch noch die American Bar Association das Buch kritisierte, verbot der Staat New York dessen Vertrieb. Die Kritik der Anwaltsverbände, das Verbot und das Gerichtsverfahren, das sich an das Verbot anschloss und in dem Dacey gegen dieses klagte, taten dem Verkaufserfolg des Buches keinen Abbruch. Im Gegenteil, Dacey nutzte in geschickter Weise das Gerichtsverfahren, um für sein Buch zu werben. Im Mai 1967 schaltete er in der New York Times eine ganzseitige Anzeige, auf der er neben dem Bild seines Buches die Frage stellte: „Can the New York Court Lawyers Association Burn this Book?“ Im folgenden Fließtext verwies er zunächst richtigerweise darauf, dass er mit seiner Kritik des Probate-Verfahrens nicht allein dastehe, sondern dass andere Anwälte und Juristen sie teilten. Anschließend verglich er das angestrebte Verbotsverfahren der New Yorker Anwälte mit den Bücherverbrennungen der Nationalsozialisten und erklärte sie zu einem Versuch, freie Meinungsäußerungen in den USA zu zensieren. Danach warf er den Anwälten Profitgier vor. Denn sein Buch biete seinen Lesern die gleiche Orientierung, die sich Anwälte durch hohe Gebühren bezahlen ließen. Der Kampf um Meinungsfreiheit und günstige Beratung sei jedoch kein Kampf eines einzelnen Mannes, sondern müsse von der breiten Bevölkerung getragen werden. Es sei folglich an der Zeit für alle, sich darin einzuschalten. Die Anzeige schloss mit der Aufforderung: „You may wish to make your feelings known to the newspapers and other media of communication.“220 Dieser Aufforderung kamen in den folgenden Monaten und Jahren Journalisten und Juristen nach, die das auch aus ihrer Sicht veraltete, komplizierte und teure Probate-Verfahren bei der Nachlassübertragung kritisierten, dessen Reform forder-

218 James N. Zartman, How to Void Dacey – 1980, in: Law Notes General Practice 17 (1981), S. 73–77; Willard L. Eckhardt, Probate Court Sales and Exchanges of Real Property, in: Missouri Law Review 32 (1967), H. 1, S. 45–72. 219 Dacey v. Connecticut Bar Assn., 170 Conn. 520 (Conn. 1976). 220 Can the New York County Lawyers Association Burn this Book? An Open Letter to the People of New York from Norman F. Dacey, in: The New York Times, 3.5.1967.

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ten und auf Daceys Ratgeber hinwiesen.221 Dacey avancierte zu einem öffentlichen und populären Experten. Bis Anfang der 1990er Jahre verkaufte er etwa 2,5 Millionen Exemplare seines Ratgebers. Darüber hinaus trat Dacey in nahezu allen US-amerikanischen Radio- und TV-Sendern auf, um für sein Buch zu werben und um seine Tipps für die Nachlassplanung zu verbreiten. Nach eigenen Angaben war er bis Anfang der 1990er Jahre nicht nur für über 3.200 Stunden in Rundfunk und Fernsehen auf Sendung gewesen, sondern hatte auch Vorträge an mehreren Universitäten der Ivy League sowie auf Veranstaltungen christlicher Institutionen (wie der Episcopal Church in America) und von Wirtschaftsinstituten vor bis zu 5.000 Zuhörern gehalten.222 Sein Buch und seine öffentlichen Auftritte entfalteten damit eine Wucht, der sich weder die massenmediale Öffentlichkeit noch Wissenschaftler und Politiker zu entziehen vermochten. Sie wirkten einerseits auf die Reformdebatten des Nachlassverfahrens zurück und lösten wissenschaftliche Untersuchungen zu diesem Thema aus. Andererseits dynamisierten sie das Feld der Erbratgeber und Dienstleister. Am offensichtlichsten war Daceys Einfluss auf die Ratgeberliteratur zur privaten Nachlassplanung. Einerseits stand sein Buch in der Tradition früherer erfolgreicher Lebensratgeber und Dacey in der Tradition öffentlich auftretender Ratgeberautoren wie Dale Carnegie in der ersten Hälfte des Jahrhunderts.223 Andererseits zog nun Daceys Buch schnell Nachahmer nach sich und löste einen Boom der Erbratgeberliteratur aus. Seit Ende der 1960er Jahre erschien eine kaum zu überschauende Anzahl an Erbratgebern von weiteren Autoren, die auf unterschiedliche Leser in den verschiedensten Familien- und Vermögenssituationen zugeschnitten waren.224 Ebenso kam es im Bereich der privaten Nachlassplanung durch Rechtsanwälte und Banken zu Neugründungen beziehungsweise zum Ausbau entsprechender Abteilungen in den jeweiligen Unternehmen. Mitte der 1970er Jahre konkurrierten in Baltimore, in Maryland und anderen US-Bundesstaaten verschiedene Dienstleister – Juristen, Banken, Trust-Unternehmer, Versicherungen und zunehmend auch

221 William Flanagan, It can take years for you to collect, in: Business Week, 3.6.1972, S. 71–72; Murray Teigh Bloom, Time to Clean Up Our Probate Courts, in: Reader’s Digest, January 1970, S. 112–115; Murray Teigh Bloom, The Mess in Our Probate Courts, in: Reader’s Digest, October 1966, S. 102–105. 222 Diese Angaben finden sich auf dem Buchrücken von Norman F. Dacey, How to Avoid Probate! New Edition for the 1990’s. Includes the Dacey Trusts, New York 1990. Für ähnliche, leicht niedrigere Zahlen vgl. Edwin McDowell, Book Notes, in: The New York Times, 7.3.1990. 223 Kleiner/Suter, Konzepte, S. 14. 224 Rolland G. Riesberg, How to Avoid the Pain and Suffering of Probate!!, Morrow, GA 2016; Mary Randolph, 8 Ways to Avoid Probate, 6. Aufl., Berkeley 2006; Barbara R. Stock, It’s easy to avoid probate, Winter Park, FL 1985; Harold H. Menzel, Write your own will and avoid probate!, New York 1978; Henry W. Dunn, 36 ways to avoid probate and reduce estate taxes. The layman’s guide to estate planning, New York 1967.

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Psychologen – um Klienten. Dieser Konflikt zeigte sich im Kleinen auch in der juristischen Auseinandersetzung zwischen Dacey als einem Verkäufer von Trusts und den New Yorker Anwälten.225 Ähnlich wie in diesem Konflikt warfen auch andere Rechtsanwälte Banken und Finanzberatern vor, dass es ihnen vor allem um Profitmaximierung gehe und nicht um die individuellen Wünsche des Erblassers und das Wohlergehen seiner Familie. Charakteristisch für den Konflikt zwischen Rechtsanwälten und Finanzberatern sowie Banken erklärte ein Rechtsanwalt in einem Interview Ende der 1960er Jahre: I believe banks and insurance companies should be kept out of the wills-estates area. I find insurance companies are prone to give much misinformation for purposes of selling insurance by rather poorly trained salesmen and giving poor tax advice. Banks, primarily in drawing up suggested wills, are more interested in obtaining trusteeships or executorships than they are with true consideration of testators’ problems. However, if the estate is large, work done by some attorneys is not especially knowledgeable.226

Ein anderer Anwalt vermutete sogar, dass große Banken oder Anwaltskanzleien gezielt die Söhne sehr reicher Personen als Mitarbeiter anstellen würden, um sich so Aufträge in der Vermögensplanung von deren Familien zu sichern. Der Ausbau des Dienstleistungssektors verschärfte und erzeugte Konkurrenzen zwischen den verschiedenen Dienstleistern um Aufträge und Klienten, wobei nach Ansicht der Juristen Vermögensberater und Banken an Bedeutung gewannen. Unter umgekehrten Vorzeichen standen Eigentümern bei der Nachlassplanung zunehmend mehr Informationsmöglichkeiten und Dienstleister zur Verfügung, die sie bei der Minimierung von Gebühren und Erbschaftssteuern unterstützten und deren Dienste vor allem wohlhabende Eigentümer umfangreich in Anspruch nahmen.227 Eine Eliteuniversität als Nachlassberater – Ausbau und Professionalisierung des Erbschaftsfundraisings

Zusätzlich zu Rechtsanwälten und Banken boten seit den 1960er Jahren vermehrt gemeinnützige und private Organisationen oder Institutionen juristische und steuerliche Beratungen zur Nachlassplanung an – jedoch nicht, um durch Gebühren

225 Edwin McDowell, Book Notes, in: The New York Times, 7.3.1990. Die Rivalität zwischen auf Erbrecht spezialisierten Anwälten und Dacey setzte sich auch nach dem Gerichtsverfahren fort. Vgl. hierfür z. B. Zartman, Dacey. Weitere Informationen zu diesem Konfliktfeld finden sich bei Sussman/Cates/Smith, Family, S. 221f. 226 Sussman/Cates/Smith, Family, S. 222. 227 Sussman/Cates/Smith, Family, S. 221–226.

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wirtschaftlichen Gewinn zu erzielen, sondern um die von ihnen beratenen Personen davon zu überzeugen, ihr Vermögen in Teilen oder gar vollständig an sie zu vermachen. Dadurch konkurrierten sie nicht nur mit Anwälten und Banken um Klienten, sondern auch mit Familienmitgliedern und Erben um Nachlassanteile. Am sogenannten „Erbschaftsfundraising“ beteiligten sich religiöse Gemeinden ebenso wie wohltätige und kulturelle Einrichtungen. Wichtige Vorreiter bei der Verbreitung des Erbschaftsfundraisings und der Professionalisierung dieses Geschäftsmodells waren wissenschaftliche Einrichtungen, insbesondere Universitäten, die sich ab den 1960er Jahren darauf spezialisierten und eigene Angebote der privaten Nachlassberatung ausbauten. Die Johns Hopkins University in Baltimore war eine davon. Die im Jahr 1876 gegründete und nach ihrem größten Spender benannte Johns Hopkins University (JHU) ging aus dem Baltimorer Mäzenatentum hervor. Doch obwohl Mäzene und Stifter bereits im späten 19. Jahrhundert eine große Bedeutung für kulturelle und wissenschaftliche Einrichtungen besaßen, insbesondere hinsichtlich ihrer Finanzierung, gab es seitens der bedachten Institutionen kaum systematische Anstrengungen, proaktiv Spenden und Legate einzuwerben. Mit dem Ausbau des Staates seit den 1920er Jahren und insbesondere mit dem Anstieg der staatlichen Wissenschaftsförderung während des Zweiten Weltkriegs sowie zu Beginn des Ost-West-Konflikts wurden viele Einrichtungen sogar unabhängiger von privaten Spenden und Legaten, womit die Anreize, Spenden einzuwerben, einerseits sanken. Andererseits empfanden die Direktoren der verschiedenen Einrichtungen die damit einhergehende Abhängigkeit von staatlichen Zuschüssen bald als problematische Einschränkung ihrer Handlungsspielräume. So stellte die Leitung der JHU – wie viele andere Bildungs- und Forschungsinstitutionen – Anfang der 1950er Jahre fest, dass sich ihr Finanzierungsmodell im Laufe der letzten Dekade grundlegend verändert hatte. Während die Finanzierung der Universität im akademischen Jahr 1940/41 zu 40 Prozent auf meist regionalen Investitionen und zu etwa je einem Viertel aus Einnahmen von Studiengebühren und privaten Schenkungen basiert hatte, machten im Jahr 1950/51 staatliche Zuschüsse den Großteil der Einnahmen (60 Prozent) aus. Zehn Jahre zuvor waren es lediglich 0,2 Prozent gewesen.228 Die Universitätsleitung sah diesen Wandel ihres Finanzierungsmodells äußerst kritisch. Da 60 Prozent ihrer Einnahmen vom Staat stammten, so ihre Einschätzung, sei sie in großem Maße von politischen Entscheidungen in der Wissenschaftspolitik abhängig geworden. Für die Zukunft und für den Erhalt ihrer Unabhängigkeit

228 The Johns Hopkins University Survey of the Activities on the Homewood Campus, New York, Chicago, 7.3.1952, in: JHU, Sheridan Libraries, Special Collection, The Johns Hopkins Fund, Inc. Series 3, RG No. 11.005, Box 1.

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sei es daher notwendig, die Finanzierung der Universität wieder auf eine breitere Basis zu stellen und den Einfluss des Staates zu begrenzen. Ähnlich wie in der Führung der Johns Hopkins University mischten sich auch bei anderen Vertretern von Forschungseinrichtungen finanzpolitische Überlegungen mit ideologischen Überzeugungen. Im zu großen staatlichen Einfluss in der Wissenschaft erkannten sie Züge des Sozialismus, dessen weltweite Ausbreitung sie in den USA verhindern und bekämpfen wollten. Ganz in diesem Sinne erklärte Alfred P. Sloan Jr., ehemaliger Präsident von General Motors und seit 1948 Mitglied der American Academy of Arts and Sciences: „It is vital – if we are to perpetuate our free society – that we find a way to keep our colleges, universities, and technological institutions virile, progressive, and – above else – free.“ Karl Compton, der Vorsitzende der M.I.T Corporation ergänzte: „It is vitally important that these institutions keep their independence, the priceless heritage of a freedom that would be threatened if it became necessary to accept government subsidy.“229 Um ihre Abhängigkeit von staatlichen Fördergeldern zu verringern, beschloss die Leitung der JHU Anfang der 1950er Jahre eine ganze Reihe an Maßnahmen: Institutionell verzahnte sie die Abteilungen für Public Relations und Finanzen besser miteinander. Zusätzlich richtete sie in der Universitätsleitung eine neue, diesen übergeordnete Abteilung für University Development ein. Aufgabe des neuen Vice President for University Development war die Koordination der Öffentlichkeitsarbeit und des universitären Fundraisings, die Koordination des Alumni-Büros und das Management des im Jahr 1950 eingerichteten Johns Hopkins Fund. Dessen Grundstock sollte in einer umfangreichen Spendenkampagne eingeworben werden. Die Initiierung einer solchen Fundraising-Kampagne war dabei an sich nicht neu. Ähnliche kurzfristige Bemühungen um Gelder hatte es vereinzelt um 1900 gegeben, ehe diese Versuche zwischen den 1920er und 1940er Jahren zunächst aufgrund der Wirtschaftskrise und dann wegen des Krieges eingestellt worden waren.230 In den 1950er Jahren wollte die Universitätsleitung nicht nur an diese früheren, einzelnen Kampagnen anknüpfen, sondern auch angesichts des wirtschaftlichen Nachkriegsbooms ihr gesamtes Fundraising auf eine kontinuierliche und dauerhafte Basis stellen. Strategisch sollte der neue Vice President seine Befugnisse nutzen, um durch umfangreiche Kampagnen Unternehmen in der Stadt und in der Region als Sponsoren für die Universität zu gewinnen und durch den Aufund Ausbau des Alumni-Netzwerkes Spenden von Absolventen der Universität zu generieren. Innerhalb der nächsten fünf Jahre wollte die Universitätsleitung so mehr als 6 Millionen Dollar für den neuen Johns Hopkins Fund und innerhalb 229 Beide Zitate finden sich im Memorandum: Donaldson Brown to Colonel Roy B. White, 1.7.1954, in: JHU, Sheridan Libraries, Special Collection, The Johns Hopkins Fund, Inc. Series 4, Series 5, RG No. 11.005, Box 2/1. 230 Report of the President of The Johns Hopkins University, 1910–1911, Baltimore 1912, S. 11.

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der nächsten 25 Jahre ca. 75 bis 100 Millionen Dollar einwerben, um wieder unabhängiger von staatlichen Geldern zu werden. Diese hochgesteckten Ziele erreichte die Abteilung für University Development zwar nicht. Während des Austausches mit anderen Universitäten und Forschungseinrichtungen und in ihren jährlichen internen Sitzungen, in denen die durchgeführten Maßnahmen evaluiert und neue geplant wurden, kam es allerdings zu Lernprozessen. Für den Ausbau des Erbschaftsfundraisings war dabei eine Perspektivenverschiebung auf Legate ausschlaggebend. Zu Beginn der Fundraisingkampagnen erkannte die Universitätsleitung, dass sie über Legate die höchsten Einnahmen erzielen konnte. Im Jahr 1953 machten Vermächtnisse an die Universität mehr als ein Drittel der selbstständig eingeworbenen Mittel aus. Darüber hinaus erhielt die Universität Vermächtnisse in Form von seltenen und wertvollen Münzen, Kunstwerken oder Büchern. Die durch Legate eingenommenen jährlichen Summen unterlagen starken Schwankungen, da es in erfolgreichen Jahren einige wenige große Legate waren, die den Unterschied ausmachten. Zugleich erschien es der Leitung unmöglich, mit ihren Maßnahmen auf die Anzahl der Legate und deren Höhe Einfluss zu nehmen. Der Jahresbericht von 1953 betonte die Bedeutung von Erbschaften für die Finanzierung der Universität, warnte aber davor, bei der Haushaltsplanung mit Erbschaften zu rechnen: „Individual gifts and bequests vary over wide ranges. These totals are so largely influenced by single gifts and bequests that prediction of future totals is hazardous.“231 Diese Einstellung änderte sich langsam im Laufe der 1950er Jahre, als die Universitätsleitung feststellte, dass Alumni und andere Personen, die bereits zu Lebzeiten an die Universität gespendet hatten, diese häufig auch in ihrem Testament mit einem Legat bedachten. Innerhalb weniger Jahre begann die Abteilung für University Development deshalb damit, Überlegungen anzustellen, wie sich gezielt, kontinuierlich und planbar Erbschaften akquirieren ließen. In diesem Zusammenhang richtete die Universitätsleitung Anfang der 1960er Jahre mit dem Estate Planning Office eine eigene Unterabteilung ein, deren Aufgabe darin bestand, Legate für die Universität „einzuwerben“.232 Dafür baute das Estate Planning Office zunächst einen Informations- und Rechtsberatungsservice auf. Dieser sollte Personen dazu motivieren, die Universität in ihren Testamenten zu bedenken. Dafür griff das Office in der Kommunikation mit potentiellen Spendern und Legatgebern auf verschiedene Argumente zurück. Es betonte zuerst, dass sich Legate an die Universität nicht gegen das Familienprinzip und die Familie des Gebers richteten. Vielmehr erhöhe

231 Report of the Johns Hopkins Fund to the Board of Trustees, 1953, in: JHU, Sheridan Libraries, Special Collection, The Johns Hopkins Fund, Inc. Series 4, Series 5, RG No. 11.005, Box 2/1. 232 Organization of Trustee Committees to Implement The Johns Hopkins Development Program, ca. 1960, in: JHU, Sheridan Libraries, Special Collection, The Johns Hopkins Fund, Inc. Series 4, Series 5, RG No. 11.005, Box 2/1.

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der Geber durch seine Gabe – und dadurch, dass diese ab einer gewissen Höhe öffentlich mit seinem Namen oder dem seiner Familie verbunden werde – sein Ansehen und das seiner Familie; er tausche also, mit Bourdieu gesprochen, ökonomisches gegen symbolisches Kapital. Als Beleg hierfür wurde auf Johns Hopkins als Vorbild verwiesen, der durch seine Zuwendungen die Gründung der Universität erst ermöglicht habe und dessen Name nun weit über die Stadt hinaus bekannt und geschätzt werde.233 Zusätzlich bedienten sich die Broschüren der Universität ähnlicher Argumente wie die bereits zirkulierenden Ratgeber, wenn es um das Thema Erbschaftssteuer ging. In diesem Zusammenhang hielten sie zunächst fest, dass dieses Thema jeden Erblasser betreffe, der ein Vermögen von über 60.000 Dollar hinterlasse. Ab einem solchen Nachlasswert fielen Steuern an, und angesichts des komplizierten Probate-Verfahrens könne es ohne Beratung durch Experten leicht passieren, dass ein Nachlass zu hoch besteuert werde oder den Erben in der Begleichung von Steuern Fehler unterliefen, die zusätzliche Kosten verursachten. Demgegenüber biete die Universität eine Beratung an, die einen reibungslosen Erbtransfer sicherstelle und gewährleiste, dass Gebühren und Steuern minimal ausfielen. Konkret erklärte die Erbschaftsabteilung in zahlreichen Broschüren und Informationsblättern, dass mit einem Legat an die Universität, ähnlich wie bei einer Spende zu Lebzeiten, Steuervorteile einhergingen. Zusätzlich könnte ein Nachlass nach Abzug eines Legates unter einen niedrigeren Steuersatz fallen, wodurch sich die anfallenden Steuern auf den gesamten Nachlass weiter senken ließen. Dadurch sei es sogar möglich, wie das Estate Planning Office sehr reichen Stiftern vorrechnete, die anfallenden Erbschaftssteuern derart zu senken, dass ihre Erben netto mehr erbten, als wenn der Erblasser der Universität kein Legat hinterlassen hätte und der gesamte Nachlass stattdessen mit einem höheren Steuersatz besteuert worden wäre.234 Im Jahr 1962 war dieses Argument in der Broschüre Challenge wie folgt formuliert: „People are often amazed and pleased to learn that they may be able to make a substantial lifetime or testamentary gift to Johns Hopkins and still leave a larger estate for their beneficiaries – or perhaps increase their incomes while they live.“235 Für ein Legat wiederum biete die Universität dem Erblasser eine kostenlose individuelle Nachlassplanung an. Ab Winter 1968 brachte das Estate Planning Office zusätzlich die Zeitschrift Perspective – On Taxes and Estate Planning heraus,

233 The Johns Hopkins Hospital / The Johns Hopkins University, The Hopkins Bulletin on Planned Giving, Baltimore o. J., S. 1. 234 The Johns Hopkins Hospital / The Johns Hopkins University, The Hopkins Bulletin on Planned Giving, Baltimore o. J., S. 1f.; The Johns Hopkins Hospital / The Johns Hopkins University, The Johns Hopkins Bulletin on Planned Giving. Basic Factors in Estate Planning for Large and Small Estates, Baltimore, o. J, S. 2; Estate Planning Office, Memorandum: The Johns Hopkins Fund, o. J. 235 Estate Planning Benefits Donors, in: Challenge. The Johns Hopkins University. Vol. 3 – No. 1, Sept. 1962, S. 2.

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die ebenfalls der Information und Rechtsberatung diente, und verschickte sie an über 20.000 Alumni. Ihr Ziel fasste der Herausgeber Paul B. Ward in der ersten Ausgabe folgendermaßen zusammen: PERSPECTIVE is a new publication of the Estate Planning Office of the Johns Hopkins Fund. Its purpose is to educate – to provide alumni and friends of Johns Hopkins with information about conserving their estate, minimizing their taxes, and protecting their families. It is intended to be timely, topical, and stimulating – neither exhaustive nor legalistic. In addition, of course, it is our hope that PERSPECTIVE will encourage many of you to consider your part in supporting Johns Hopkins by including the University or the Hospital in your estate plans. We appreciate your comments and suggestions. We encourage you to keep in touch with us and give us the benefits of your thoughts.236

Parallel zu Publikation und Verbreitung dieser Informationsbroschüre arbeitete das Estate Planning Office drei weitere Strategien aus, mit denen bestimmte Personengruppen gezielter angesprochen und von einem Vermächtnis an die Universität überzeugt werden sollten. Dies waren erstens Patienten von Ärzten, die an der Johns Hopkins University School of Medicine ausgebildet worden waren. Hierzu nahm das Estate Planning Office in einem ersten Probelauf Kontakt zu neun Absolventen der Medical School auf, die in Baltimore und Umgebung als praktizierende Ärzte tätig waren. Diese bat sie, ihre Patienten über die Möglichkeiten, Vermögen an die Johns Hopkins University und insbesondere an die Medical School zu vermachen, zu informieren und sie bei Interesse mit dem Estate Planning Office in Verbindung zu bringen. Daraufhin meldeten sich 51 interessierte Personen beim Office, das seine Zusammenarbeit mit Absolventen der Medical School intensivierte. Im April 1965 beschloss es die Aufnahme von 25 Ärzten in das „Ärzte-Komitee“, die als Vertrauensmänner mit dem Office zusammenarbeiten sollten.237 Zweitens – und deutlich wichtiger im Hinblick sowohl auf die Anzahl der angesprochenen Personen als auch im Umfang der erhaltenen Vermächtnisse – war das gezielte Zugehen auf Alumni der Universität. Diese sollten als Multiplikatoren für Vermächtnisse an die Universität werben und nach Möglichkeit auch selbst die Universität unterstützen – sei es zu Lebzeiten oder nach ihrem Tod. Zugute kam den Fundraisern dabei, dass der Anteil der Personen mit einem College-Abschluss

236 Erläuterung auf der Rückseite der ersten Ausgabe von Perspective – On Taxes and Estate Planning, Winter 1968, in: JHU, Sheridan Libraries, Special Collection, The Johns Hopkins Fund, Inc. Series 4, Series 5, RG No. 11.005, Box 2/1. 237 Minutes of the Meeting, held November 24, 1964 und Minutes of the Meeting, held April 12, 1965, in: JHU, Sheridan Libraries, Special Collection, The Johns Hopkins Fund, Inc. Series 4, Series 5, RG No. 11.005, Box 2/1.

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von ca. fünf Prozent im Jahr 1950 auf um die 30 Prozent im Jahr 2010 kontinuierlich anstieg.238 Für diese größer werdende Zahl an Alumni erwies sich der sogenannte Class Fund, den die Universität für jeden Absolventenjahrgang einrichtete und über dessen Volumen sie auf den jährlichen Alumnitreffen informierte, als erfolgreiches Instrument des Fundraisings. In den Unterlagen des Funds finden sich zahlreiche Legate ehemaliger Absolventen im Umfang zwischen 500 Dollar und 5.000 Dollar an den Class Memorial Fund ihres jeweiligen Abschlussjahrgangs.239 Größere Legate vermachten Erblasser meist an die Fakultät, an der sie selbst eingeschrieben waren, verbunden mit dem Wunsch, des Gebers oder seiner Familie zu gedenken. Die Form des Gedenkens variierte dabei, je nach Wunsch der Geber und je nach Höhe des Legates, zwischen dem Anbringen einer Gedenkplakette, der Benennung eines Stipendiums, eines Stockwerkes oder gar eines ganzen Gebäudes nach dem Stifter. Für unentschlossene Geber und zur weiteren Motivation fragte die Universität ab den frühen 1960er Jahren bei ihren Professoren nach, was für Dinge sie für ihre Forschung benötigten, um anhand der Antworten Listen mit unterschiedlich kostspieligen Gegenständen und Stipendien zu erstellen, die mit einem Vermächtnis angeschafft und nach dem Erblasser benannt werden könnten.240 Diese Strategie funktionierte. Charakteristisch für zahlreiche Geber hielt der ehemalige Medizinstudent Elston L. Belknap in seinem Testament fest, dass sein Vermögen nach seinem Tod zunächst seiner Ehefrau zum Nießbrauch zur Verfügung stehen solle und dass nach deren Ableben die Hälfte des verbliebenen Vermögens an die Johns Hopkins University School of Medicine übergehen solle, um einen Fonds für Medizinstudierende, den „The Elston L. Belknap Family Scholarship Fund“, zu gründen.241 In anderen Fällen vermachten verwitwete Ehefrauen ihr Vermögen oder einen Teil davon an die Universität, wenn auch schon ihre vorverstorbenen Ehemänner diese mit einem Legat bedacht hatten. Beispielhaft zeigt sich dieses Vererbungsmuster in einem Brief der Witwe Catherine I. R. Michael an das Estate Planning Office:

238 Robert J. Gordon, The rise and fall of American growth. The U.S. standard of living since the Civil War, Princeton 2016, S. 510. 239 Letter to Beeckman D. Sansford, 30.9.1975, Letter to Katherine B. Dunlop, 11.11.1975 und Letter to Lawrence E. Kohn, 24.3.1977, in: JHU, Sheridan Libraries, Special Collection, Office of the President; Series 14, Bahlke, Mrs. W. H. – BME, RG No. 02.001, Box 8. 240 Report: Opportunities for Modest Support at The Johns Hopkins University, o. J., JHU, Sheridan Libraries, Special Collection, The Johns Hopkins Fund, Inc. Series 4, Series 5, RG No. 11.005, Box 2/1. 241 Charles F. Reese: Re: Estate of Elston L. Belknap, M.D. ’23, 23.9.1974, in: JHU, Sheridan Libraries, Special Collection, Office of the President, Series 14, Bahlke, Mrs. W. H. – BME, RG No. 02.001, Box 8.

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[My husband] and I discussed many times in what form our gift to Hopkins should be expressed. We decided to prefer the School of Medicine, but, acting on the advice of counsel, J. Elmer Weisheit, he did not designate any special use to which the gift should be applied. Even though the corpus will not be available until my death, I am anxious at this time to consider and then to suggest to you or your Board a fitting memorial to my late husband. In this regard, and in keeping with our testamentary scheme, it is my present intention to supplement his gift with a substantial testamentary gift of my own.242

Neben dem Ehepartner und den Eltern gedachten Testatoren auch anderer Familienmitglieder. C. Herbert Baxley versprach der Universität ein Legat in Höhe von 50.000 Dollar sowie weitere Spenden zu seinen Lebzeiten, wenn sie ein Förderprogramm für Studierende aus dem Bereich Engineering oder Science nach seinem Bruder William Brown Baxley benenne, der im Jahr 1917 an der School of Engineering seinen Abschluss gemacht hatte und im Jahr 1918 im Ersten Weltkrieg in Frankreich gefallen war.243 Diese Beispiele verdeutlichen zugleich, dass Erblasser Vermächtnisse an die Universität nicht als gegen Familienmitglieder und -interessen gerichtet verstanden, die dadurch ja weniger erbten, sondern dass solche Legate für sie eine Strategie darstellten, das Ansehen einer Familie und/oder einzelner Personen aus der Familie zu stärken. Durch Legate an die Universität tauschten sie ökonomisches gegen symbolisches Kapital. Insbesondere bei alleinstehenden oder kinderlos verwitweten ehemaligen Absolventen, die einen großen Teil oder ihr ganzes Vermögen der Universität vermachten, fungierte die Universität sogar als Ersatzfamilie. Der Witwer und Rechtsanwalt Gregory Joopanenko teilte dem Estate Planning Office mit, dass er, 1893 in Russland geboren, während der Oktoberrevolution als Mitarbeiter des Zaren ins Ausland geflohen sei und im Jahr 1927 seinen Abschluss an der Johns Hopkins University gemacht habe. Nach dem Tod seiner Frau habe er keine Erben mehr, weshalb er seinen gesamten Nachlass der JHU vermache.244 Gleichwohl bargen Vermächtnisse an gemeinnützige Einrichtungen immer die Gefahr, dass es zu Streitigkeiten zwischen Familienmitgliedern und Institution kam, auch da Institutionen durchaus bereit waren, ihre Ansprüche vor Gericht durchzusetzen.245

242 Catherine I. R. Michael to Steven Muller, 2.9.1978, in: JHU, Sheridan Libraries, Special Collection, Office of the President, Series 14, Bahlke, Mrs. W. H. – BME, RG No. 02.001, Box 8. 243 C. Herbert Baxley to Steven Muller, 27.12.1974, in: JHU, Sheridan Libraries, Special Collection, Office of the President, Series 14, Bahlke, Mrs. W. H. – BME, RG No. 02.001, Box 8. 244 Charles F. Reese to The File, Re: Gregory Joopanenko, 23.11.1977, in: JHU, Sheridan Libraries, Special Collection, Office of the President, Series 14, Bahlke, Mrs. W. H. – BME, RG No. 02.001, Box 8. Für ein ähnliches Beispiel vgl. Sussman/Cates/Smith, Family, S. 114. 245 John H. Ing, exec. Rebecca Monteith v. The Baltimore Association for Improving the Condition of the Poor, in: MSA, SC 5339-257-5.

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Drittens begann das Estate Planning Office gezielt Millionäre in der Stadt, in der Region und im ganzen Land anzusprechen und bei ihnen für Spenden und Vermächtnisse zugunsten der Universität zu werben. Ab 1960 baute das Bequest and Trust Committee, das im Jahr 1963 im neu gegründeten Estate Planning Office aufging, eine eigene Datenbank auf, in der es Millionäre und die Leiter großer Unternehmen systematisch erfasste und mindestens einmal anschrieb. Im Falle einer positiven Rückmeldung – sei es eine Nachfrage zu Johns Hopkins oder gar eine Spende – wanderten diese Personen in eine neue Kategorie und wurden ab dann regelmäßig – mindestens einmal jährlich – kontaktiert. Bereits im Jahr 1960 gründete das Office eine Dependance in New York, um dort auf Veranstaltungen über Vermächtnismöglichkeiten an die Universität zu informieren und Beziehungen zu den wohlhabenden Bewohnern der Stadt aufbauen zu können. Fünf Jahre später koordinierte das Estate Planning Office 131 Mitarbeiter respektive „Vertrauensmänner“, die als Angestellte oder meist ehrenamtlich in 70 Städten der USA über Spenden und Vermächtnisse an die JHU informierten. Weitere Personen reisten permanent durch die einzelnen Bundesstaaten, um wohlhabende Personen zu beraten, von denen sie vermuteten, dass sie einen Teil ihres Vermögens der JHU vermachen könnten.246 So schickte das Estate Planning Office im Jahr 1963 einen Mitarbeiter zu einer potentiellen Geberin nach Kalifornien, weil diese sich unsicher war, ob der Staat Kalifornien ein Legat an die JHU besteuern würde, da kein Reziprozitätsabkommen zwischen den Staaten Kalifornien und Maryland bestehe.247 Insgesamt war das Vorgehen des Estate Planning Office in den Augen der übergeordneten Development-Abteilung und der Universitätsleitung erfolgreich. Es gelang dem Office immer wieder und regelmäßig, Personen davon zu überzeugen, größere Summen der JHU zu vermachen. Die Universitätsleitung baute daraufhin das Estate Planning Office und dessen landesweites Netzwerk weiter aus und hob dessen Budget an. Die Mitarbeiterzahlen stiegen und es erhielt alle paar Jahre weitere Büroräume zugewiesen. Die damit verbundenen zusätzlichen Ausgaben rechneten sich für die Universitätsleitung gleich mehrfach. Denn die vom Office gemeldeten Summen, die die Universität jährlich durch Legate erhielt oder die in neu aufgesetzten Testamenten zukünftig an die Universität gehen sollten, stiegen bis Ende der 1970er Jahre kontinuierlich an.248 Spätestens seit Anfang der 1970er Jahre

246 Minutes of the Meeting, held April 12, 1965, in: JHU, Sheridan Libraries, Special Collection, The Johns Hopkins Fund, Inc. Series 4, Series 5, RG No. 11.005, Box 2/1. 247 Minutes of the Meeting, held Oct 14, 1963, in: JHU, Sheridan Libraries, Special Collection, The Johns Hopkins Fund, Inc. Series 4, Series 5, RG No. 11.005, Box 2/1. 248 Die Akten des Estate Planning Office und der Abteilung für University Development wurden bis ins Jahr 1979 ausgewertet.

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war das Estate Planning Office fester Bestandteil des universitären Fundraisings, mit dessen Einnahmen die Universität in ihren Haushaltsplanungen rechnete.249 Der Ausbau und die Professionalisierung des Erbschaftsfundraisings zwischen den 1950er und Ende der 1970er Jahre betraf nicht nur die Johns Hopkins University. Die Entwicklung an der Universität steht vielmehr beispielhaft für ähnliche Entwicklungen im Hochschulbereich, die wiederum auf Institutionen im religiösen, kulturellen und wohlfahrtsstaatlichen Sektor zurückwirkten. So vollzog sich der Aufbau des Estate Planning Office an der JHU von Beginn an in Konkurrenz zu und im Austausch mit anderen US-amerikanischen Universitäten und auf Fundraising spezialisierte Unternehmen. Ein frühes Beispiel für diesen Austausch stellt eine Konferenz vom 27. Februar bis zum 1. März 1958 im Luxushotel Greenbrier in White Sulphur Springs dar, auf der Vertreter verschiedener Universitäten sich über ihre Erfahrungen im Erbschaftsfundraising austauschten und deren Ergebnisse als sogenannter „Greenbrier Report“ die weiteren Maßnahmen der Universitäten stark beeinflussten.250 Elf Jahre später, im Jahr 1969, hatten nach einem Bericht des US Department of Health, Education and Welfare bereits 53 Prozent aller staatlichen Universitäten und 78 Prozent aller privaten Universitäten ein Development Department zur Koordination ihres Erbschaftsfundraisings eingerichtet.251 Diese Departments arbeiteten eng mit auf Fundraising spezialisierten Unternehmen zusammen. Im Fall der JHU war dies die John Price Jones Company, Inc. Diese beriet wiederum auch andere US-amerikanische Eliteuniversitäten sowie nicht-staatliche und religiöse Institutionen beim Aufbau und bei der Durchführung ihrer Fundraisingkampagnen.252 Nicht zuletzt durch diesen Wissenstransfer professionalisierten sich die einzelnen Fundraisingabteilungen in verschiedenen Einrichtungen.

249 Aus den bis Ende der 1970er Jahre eingesehenen Akten geht nicht hervor, ob die Universität ihre Finanzierungstrategie später wieder änderte beziehungsweise verschiedene Strategien neu gewichtete. Die massive Anhebung der jährlichen tuition fee an der Johns Hopkins University von 2.000 Dollar im Jahr 1960 auf 15.410 Dollar im Jahr 1987 verweist zumindest darauf, dass die Universität auch nach anderen Einnahmequellen suchte. Vgl. hierzu John H. Langbein, The Twentieth-Century Revolution in Family Wealth Transmission, in: University of Chicago Law Occasional Paper No. 25 (1989), S. 1–32, S. 12. 250 John Price Jones Company, Inc., A Recommended Organization for Development to Serve the Johns Hopkins Complex, New York 1969, S. 5, in: JHU, Sheridan Libraries, Special Collection, The Johns Hopkins Fund, Inc. Series 3 Series 4, RG No. 11.005, Box 2/1. 251 John Price Jones Company, Inc, A Recommended Organization for Development to Serve the Johns Hopkins Complex, New York 1969, in: JHU, Sheridan Libraries, Special Collection, The Johns Hopkins Fund, Inc. Series 3 Series 4, RG No. 11.005, Box 2/1. 252 John Price Jones Company, Inc, A Recommended Organization for Development to Serve the Johns Hopkins Complex, New York 1969, in: JHU, Sheridan Libraries, Special Collection, The Johns Hopkins Fund, Inc. Series 3 Series 4, RG No. 11.005, Box 2/1.

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Im Jahr 1997 vermachten Erblasser in den USA 14,3 Milliarden Doller an gemeinnützige Einrichtungen.253 Zugleich stand für Eigentümer und ihre Familien ein ausgebauter Dienstleistungssektor an Ratgebern, privaten Anwaltskanzleien, Banken und professionellen Fundraisern bereit, um sie in Erbangelegenheiten zu beraten. Sie versprachen ihren Klienten, Steuern und Gebühren im Erbübertrag zu minimieren, das Probate-Verfahren zu beschleunigen und trotz aller staatlichen Umverteilungsversuche darauf hinzuwirken, dass das Vermögen in der Familie bleibe oder im Falle von Fundraisern gegen symbolisches Kapital getauscht werde. 2.5 Kontinuitäten und Anpassungen des Familienprinzips. Erbübertragungen in Baltimore, 1941–2001 Auf die deutliche Erhöhung von Erbschafts- und Nachlasssteuern zwischen 1916 und den 1970er Jahren sowie den staatlichen Druck auf die Stadtbewohner, Nachlässe durch das Probate-Verfahren zu übertragen, reagierten viele wohlhabende Eigentümer in Baltimore mit einer intensiveren Nachlassplanung. Der Anteil an Testatoren unter allen Erblassern, die eine große Erbschaft (real estate) hinterließen, stieg in Baltimore von 42 Prozent im Jahr 1881 auf 69 Prozent im Jahr 2001 an. Deutlich niedriger war hingegen die Testierquote unter denjenigen, die nur wenig vererbten (small estate). Von ihnen errichteten im Jahr 1971 nur zwölf Prozent ein Testament, und im Jahr 2001 waren es 21 Prozent. Die stark unterschiedliche Testierquote zwischen Verstorbenen mit einem regular estate und einem small estate verdeutlicht damit noch einmal den Zusammenhang zwischen Eigentumsbesitz und Testierwahrscheinlichkeit. Je weniger Eigentum eine Person in Baltimore besaß, desto wahrscheinlicher verstarb sie, ohne ein Testament zu hinterlassen; je mehr Eigentum sie besaß, desto wahrscheinlicher errichtete sie ein Testament, nahm sie eine aktive Nachlassplanung vor und beschränkte sie den Kreis der Erben. Die Unterschiede in der Testierhäufigkeit bei den beiden unterschiedlichen Nachlassverfahren rufen in Erinnerung, dass Eigentümer von den staatlichen Reformen sehr unterschiedlich betroffen waren. Für arme Erblasser und ihre Familien bedeuteten sie vor allem eine Offenlegung ihrer Besitzverhältnisse, unter Umständen eine staatliche Zwangsverwaltung ihres Vermögens und eine verstärkte Interaktion mit und Kontrolle durch den Staat. Bei wohlhabenden und reichen Eigentümern führten sie dazu, dass ein bestimmter Teil ihres Privatvermögens nicht an ihre (familialen) Erben, sondern an Kommune und Staat übertragen wurde und ihre

253 William H. Gates/Chuck Collins, Wealth and our Commonwealth. Why America should tax accumulated fortunes, Boston 2002, S. 127f.; Shammas/Salmon/Dahlin, Inheritance, S. 134ff.

Erben und Vererben in den USA, 1916–2000er Jahre

Abbildung 7 Verhältnis von Intestaterbfolge zu gewillkürter Erbfolge in Baltimore in Prozent, ca. 1800, 1881–2001. Quellen: Dinkel, Nachlassakten; für das Jahr 1800, Land/Carr/Papenfuse (Hrsg.), Law.

Tabelle 7 Wert von Nachlässen in Dollar, die in Baltimore entsprechend der Intestat- und der gewillkürten Erbfolge vererbt wurden im Durchschnitt und im Median, 1881–2001. Jahr 1881 RE 1911 RE 1941 RE 1971 RE 1971 SE 2001 RE 2001 SE n

Ø IntestatNachlass 4.403 7.457 4.072 7.754 –14 49.642 –2.611 371

Median Intestat-Nachlass 747 771 1.000 4.000 –36 55.192 –1.937 371

Ø Nachlass mit Testament 3.611 15.680 16.421 35.753 245 406.129 –38.973 301

Median Nachlass mit Testament 1.009 4.220 3.628 16.195 117 82.715 –983 301

Quelle: Dinkel, Nachlassakten.

Vermögensverhältnisse öffentlich einsehbar dokumentiert wurden. Die eine Reaktion auf die staatlichen Maßnahmen zur Vermögensumverteilung gab es unter den Einwohnern Baltimores daher nicht. Zwar bestand das übergreifende Ziel von Familien weiterhin darin, das Erbe in der Familie zu halten, die Strategien, um dies zu erreichen, variierten jedoch in den verschiedenen Gruppen und hingen stark von der Höhe und der Zusammensetzung des eigenen Vermögens ab. Dementsprechend lassen sich drei verschiedene Anpassungen des Familienprinzips in Baltimore in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beobachten: die Reaktio-

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Tabelle 8 Anzahl der durchschnittlichen Erbenanzahl bei Intestaterbfolge und testamentarischer Erbeneinsetzung in Baltimore, 1881–2001. Jahr

1881 RE 1911 RE 1941 RE 1971 RE 1971 SE 2001 RE 2001 SE n

Ø gesetzliche Erbfolge 3,6 3,4 3,2 2,5 2,0 2,8 2,8 371

Median gesetzliche Erbfolge 1,0 3,0 3,0 2,0 2,0 2,5 2,5 371

Ø Testament vorhanden 2,4 2,6 2,7 3,3 2,9 2,6 2,0 301

Median Testament vorhanden 2,0 2,0 2,0 1,0 3,0 2,0 1,0 301

Quelle: Dinkel, Nachlassakten.

nen der sehr vermögenden Eigentümer, die der Mittelklasse und die der wenig vermögenden, armen und überschuldeten Erblasser und ihrer Erben. Vermeidung des Probate-Verfahrens und Steuerminimierung – Erbpraktiken reicher Erblasser

Die Definition einer „Oberschicht“ oder einer Gruppe von „reichen Erblassern“ ist schwierig. Im Folgenden werden darunter Eigentümer verstanden, die entweder bereits in zeitgenössischen Studien zu Erbpraktiken als sehr wohlhabend galten – in den 1970er Jahren waren dies Personen mit einem Nachlassvermögen von über 500.000 Dollar und in den 1990er Jahren solche mit einem Vermögen von über fünf Millionen Dollar – oder die in den für diese Studie erhobenen Stichproben in Baltimore aus den Jahren 1971 und 2001 zum reichsten circa einem Prozent gehörten. Diese Definition von reichen Erblassern in Baltimore und in Maryland ist somit nicht kohärent und orientiert sich ausschließlich an der Höhe des hinterlassenen Vermögens. Gleichwohl erlaubt sie es, erste Aussagen zur sozialen Zusammensetzung dieser Gruppe und zu deren Nachlassplanung zu treffen. Erstens handelte es sich bei der Gruppe der vermögend Verstorbenen – zum Teil per Definition als reichstes Prozent – um einen sehr kleinen Personenkreis. Doch auch in Studien, die eine fixe Nachlasshöhe zur Definition heranziehen, wird diese nur von wenigen Personen überschritten. Im Jahr 1966 kategorisierte eine nationsweite Studie der Brookings Institution weniger als drei Prozent aller Erbfälle als „groß“, womit Nachlässe von über einer Million Dollar gemeint waren.254 In

254 Sussman/Cates/Smith, Family, S. 175.

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Maryland hatten im Jahr 1975 von 2210 tätigen Richtern und Anwälten nur sieben Nachlässe mit einem Wert von über 500.000 Dollar bearbeitet.255 Zweitens waren Vermögende in Baltimore überwiegend Weiß und weiblich. In der Stichprobe aus dem Jahr 1971 vermachte eine im Alter von 77 Jahren verstorbene Weiße Witwe mit einem Vermögen von 332.614 Dollar die größte Erbschaft.256 Im Jahr 2001 vererbten Frauen die vier größten Nachlässe im Sample. Die reichste von ihnen, eine verwitwete, kinderlose Weiße, vermachte etwa 6,7 Millionen Dollar.257 Drei weitere Frauen, von denen zwei verwitwet und eine alleinstehend waren, vererbten zwischen knapp 1,5 und zwei Millionen Dollar. Von diesen vier Frauen kategorisierte das Gericht drei als Weiß, für eine fanden sich keine Informationen in der Kategorie race.258 Diese Befunde zu Baltimore decken sich mit den Studien zu anderen Countys, die ebenfalls zu dem Ergebnis kamen, dass überwiegend Weiße die großen Nachlässe vererbten. Spezifisch für Baltimore ist hingegen die Tatsache, dass ausschließlich Frauen die jeweils größten Nachlässe hinterließen. Sie deutet auf eine grundlegend verschiedene Nachlassplanung von reichen Männern und Frauen hin. Während Männer ihr Vermögen stärker vor dem Gericht verbargen und es auf anderen Wegen jenseits des Probate-Verfahrens an ihre Erben transferierten, wurde das Vermögen reicher Frauen häufiger je nach Perspektive durch den Einbezug des Orphans’ Court geschützt oder überwacht durch den Staat sowie die ernannten Testamentsvollstrecker an ihre Erben übertragen. Während Männer auf die Expertise privater Dienstleister vertrauten und sich Handlungsspielräume jenseits des Staates erschlossen, waren Frauen in der Nachlassplanung enger mit staatlichen Institutionen verbunden. Drittens setzten sich die Nachlässe der reichen Erblasser nur zu einem kleinen Teil aus Immobilien, sondern überwiegend aus mobilem Vermögen – hauptsächlich Aktien und Staatsanleihen – zusammen. Im Jahr 1972 bestanden Nachlässe mit einem Wert von über 500.000 Dollar in Maryland im Durchschnitt zu 28 Prozent aus Immobilien und zu 55 Prozent aus Finanzprodukten, überwiegend aus Aktien. Der Anteil von Aktien am Gesamtwert einer Erbschaft lag damit deutlich über dem bundesstaatlichen Durchschnitt. Im Jahr 1972 bestand der Wert eines Nachlasses in Maryland durchschnittlich zu zwölf Prozent aus Aktienguthaben.259 Viertens griff die kleine Gruppe reicher, überwiegend Weißer Erblasser für den Übertrag ihrer Nachlässe in großem Umfang auf die Dienste privater Vermögens-

255 Maryland State Bar Association (Hrsg.), 1975 Economic Survey of the Maryland Bar Association, Sept. 1975, S. 17A. 256 Anne H., Estate Number A-554, in: Register of Wills, Baltimore City, 1971. 257 Elsa W., Estate Number 55196, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001. 258 Carolyn B., Estate Number 57713; Sara L., Estate Number 55683; Florence L., Estate Number 53294, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001. 259 Fierstein/Stein, Demography, S. 96, 100.

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verwalter, Steuerexperten und großer Anwaltskanzleien zurück, die sich auf die Verwaltung großer Vermögen spezialisiert hatten. Dafür verlangten diese wiederum hohe Gebühren, die sich weniger vermögende Eigentümer nicht leisten konnten oder wollten. In Maryland bearbeiteten im Jahr 1975 die acht Prozent der auf Erbangelegenheiten spezialisierten Anwälte, die in Kanzleien mit zehn und mehr Mitarbeitern beschäftigt waren, 61 Prozent aller „großen“ Nachlässe mit einem Wert von über 550.000 Dollar.260 Für deren Dienstleistungen gaben nach einer Erhebung der Maryland State Bar Association reiche Eigentümer in Baltimore im Jahr 1975 mit einem Besitz von über 550.000 Dollar durchschnittlich 11.714 Dollar aus. Etwa zehn Prozent der Eigentümer aus dieser Gruppe sehr Vermögender investierten in Baltimore sogar über 21.000 Dollar in die eigene Nachlassplanung.261 Im Ergebnis führte der Rückgriff reicher Eigentümer auf die Dienste professioneller Experten dazu, dass alle Erblasser mit einem Vermögen von über 500.000 Dollar in Maryland im Jahr 1972 ein Testament hinterließen. Darüber hinaus hatten sie umfangreiche Vorkehrungen zum Transfer ihres Vermögens getroffen, die sich direkt auf die Nutzung des Orphans’ Court auswirkten, beziehungsweise genauer: zur Minimierung oder Vermeidung des Probate-Verfahrens führten.262 Hatte die reiche Oberschicht in Maryland im 19. Jahrhundert noch den Aufbau staatlicher Strukturen zur Stabilisierung der existierenden Eigentumsordnung bei Nachlassübertragungen gefordert und den Orphans’ Court dafür auch hauptsächlich genutzt, so zeigte sie im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts vor dem Hintergrund eines stark kritisierten Probate-Verfahrens und eingeführter Erbschaftssteuern ein nahezu gegenteiliges Verhalten. Reiche nutzten die Möglichkeiten, die sich aus der Materialität ihres Vermögens, den damit verbundenen rechtlichen Rahmungsmöglichkeiten, beispielsweise ihr Eigentum als real property oder als personal property zu klassifizieren, sowie dessen „Mobilität“ ergaben, um mit der Unterstützung spezialisierter Dienstleister anfallende Steuern zu senken und die Gebühren für das Gericht zu vermeiden. Hierfür codierten sie ihr Eigentum um, damit es in günstigere Steuerklassen fiel, oder sie transferierten es in andere nationale und internationale Rechtsgebiete, um selbst darüber zu entscheiden, an welchen Orten und in welchen Rechtsräumen sowie nach welchen Gesetzen ihr Nachlass übertragen und besteuert werden sollte.263 Durch dieses sogenannte Forum-Shopping sollten Vermögen vor dem Staat verschleiert und anfallende Erbschaftssteuern

260 261 262 263

Fierstein/Stein, Role, S. 1117ff. Maryland State Bar Association (Hrsg.), Survey, S. 17A. Fierstein/Stein, Demography, S. 82f. Zur Entstehung internationaler Steueroasen vgl. Ogle, Money; Pistor, Code; Gisela Hürlimann/ W. Elliot Brownlee/Eisaku Ide (Hrsg.), Worlds of Taxation. The Political Economy of Taxing, Spending, and Redistribution Since 1945, Cham 2018; Mittelweg 36, 27 (2018) H. 1, Themenheft: Von Steuern und Staaten; Ogle, Archipelago.

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gesenkt und vermieden werden, wobei die Grenzen zwischen der rechtlich legalen Steuerminimierung und der illegalen Steuerhinterziehung häufig ausgelotet und teilweise überschritten wurden. In den wenigen Fällen, in denen der Orphans’ Court oder die Bundessteuerbehörde (Internal Revenue Service, IRS) die Wertangaben zu einem Nachlass überprüften, stellte sich heraus, dass Nachlassverwalter und Erben diese zu niedrig angesetzt hatten.264 Für ihren Erbübertrag wählten sehr vermögende Eigentümer in Baltimore und in Maryland den lokalen Orphans’ Court nur noch selten aus. Das Vermögen reicher Erblasser wurde in Maryland Anfang der 1980er Jahre – nach der Reform des Probate-Verfahrens, das Überträge jenseits des Gerichts erleichterte – nur noch zu etwa 15 Prozent unter Einbezug der lokalen Gerichte übertragen.265 Diese Abkehr reicher Eigentümer vom Nachlassgericht beschrieb der Juraprofessor John H. Langbein schon zeitgenössisch in einem seitdem viel beachteten Aufsatz als „non-probate revolution“266 . Mit diesem Begriff bezeichnete er die Strategien Vermögender, das gerichtliche Nachlassverfahren zu umgehen oder zu minimieren. Während sich die Gebühren des Gerichts und beteiligter Anwälte bei großen Erbschaften durchschnittlich auf etwa zwei Prozent der Nachlasssumme beliefen, waren es bei kleineren Erbschaften etwa 14 Prozent.267 Zusätzlich trug der Einbezug von privaten Dienstleistern in die Nachlassplanung zur deutlichen Verminderung der anfallenden Erbschaftssteuern bei. Die Erben großer Nachlässe zahlten nach einer Studie des Department of Fiscal Services in Maryland Anfang der 1990er Jahre zum Teil in absoluten Zahlen und in fast allen Fällen prozentual weniger Erbschaftssteuern an den Bundesstaat als die Erben mittlerer Nachlässe. Reichen gelang es durch eine ausgefeilte Planung des Erbübertrags und den Einbezug von Experten besser als Mittelschichtsangehörigen, ihre Steuerlast zu minimieren.268 Im Jahr 2009 wurden in Maryland von allen beim Orphans’ Court überhaupt anfallenden Erbschaften nur 91 Nachlässe und damit 0,2 Prozent aller Nachlässe mit der Federal Estate Tax besteuert; bis ins Jahr 2018 war die Anzahl auf 27 Nachlässe und 0,05 Prozent aller Nachlässe sogar noch weiter gesunken. Alle anderen Erbschaften waren von der Federal Estate Tax befreit.269 264 Esther H., A-1038, in: Register of Wills, Baltimore City, 1971; Nathan H., Estate Number A-1312, in: Register of Wills, Baltimore City, 1971; Adolay H., Estate Number A-1779, in: Register of Wills, Baltimore City, 1971; Florenza F., Estate Number 57238, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001. 265 Fierstein/Stein, Demography, S. 95. 266 John H. Langbein, The Nonprobate Revolution and the Future of the Law of Succession, in: Harvard Law Review 97 (1984), S. 1108–1141. 267 Zitiert nach Horton, Defense, S. 620. 268 Department of Fiscal Services, An Examination of Maryland’s Inheritance Tax, Annapolis 1995, S. 7. 269 Richard Phillips/Steve Wamhoff, The Federal Estate Tax: An important progressive Revenue Source (2018), in: https://www.irs.gov/pub/irs-soi/ninetyestate.pdf (letzter Zugriff: 11.3.2021).

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Die Vermeidung des Probate-Verfahrens und die Minimierung anfallender Erbschaftssteuern stellten einen wichtigen Bestandteil der Nachlassplanungen sehr vermögender Eigentümer in Baltimore und in Maryland dar. Gleichzeitig bestimmten weiterhin ältere Erbtraditionen und Familienvorstellungen ihre Vermögensplanungen, die auf den Vermögenserhalt in der Familie ausgerichtet waren. Erblasser vermachten auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts den größten Teil ihres Erbes an enge Familienmitglieder. Darüber hinaus bedachten sie Mitglieder aus dem erweiterten Familienkreis, Freunde und Bedienstete sowie gemeinnützige Institutionen. Als ein typischer Fall hierfür vererbte der 1971 im Alter von 78 Jahren in Baltimore verstorbene Adolay H. den größten Teil seines überwiegend aus Aktien bestehenden Vermögens an seine Ehefrau und seine Tochter als Nacherbin. Kleinere Legate stellte er für die Roman Catholic Church und einen Neffen aus, dem er zusätzlich seine Briefmarkensammlung übertrug.270 Insbesondere Alleinstehende vererbten immer wieder große Teil oder ihr ganzes Vermögen an gemeinnützige Institutionen. Beispielhaft hierfür ist folgender Erbfall. Die im Jahr 2001 im Alter von 87 Jahren in Baltimore verstorbene, alleinstehende Carolyn B. hinterließ ein Vermögen von knapp 2 Millionen Dollar, das sich aus Aktien (ca. 1,3 Millionen Dollar), Staatsanleihen (ca. 400.000 Dollar) und Sparguthaben (ca. 200.000 Dollar) zusammensetzte. Dieses Vermögen vermachte sie in einem wenige Monate vor ihrem Tod errichteten Testament vier Wohltätigkeitsorganisationen: der Lovely United Methodist Church, der Walters Art Gallery Endowment Foundation, Inc, der Salvation Army und dem International Rescue Committee. Den größten Teil davon bekam die Walters Art Gallery in Baltimore, die das erhaltene Vermächtnis von 600.000 Dollar bevorzugt dazu nutzen sollte, ein Praktikanten- und StipendiatenProgramm fortzuführen, das die Erblasserin schon zu Lebzeiten gefördert hatte. Die Kirchengemeinde beauftragte Caroyln B. damit, mindestens die Hälfte ihres Vermächtnisses von 400.000 Dollar zur Fortführung der begonnen Restaurierungsarbeiten am Kirchengebäude einzusetzen. Während beide Vermächtnisse damit belegen, dass die Testatorin in der Walters Art Gallery und in der Kirchengemeinde aktiv war und mit ihren Vermächtnissen ihr zu Lebzeiten begonnenes Engagement fortsetzte, liegt die Vermutung nahe, dass diese Institutionen ihrerseits um ein Vermächtnis aus ihrem Nachlass geworben hatten.271 Als vermögende, alleinstehende Weiße Frau gehörte sie genau zur Zielgruppe der sich professionalisierenden Erbschaftsfundraiser im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts. Exemplarisch für Erbangelegenheiten vermögender Eigentümer in Baltimore ist der Erbfall W. Elsa W. verstarb im Jahr 2000 verwitwet in Baltimore im Alter von 93 Jahren. Ihr erster Ehemann war im Jahr 1974 verstorben und ihr zweiter

270 Adolay H., Estate Number A-1779, in: Register of Wills, Baltimore City, 1971. 271 Caroyln B., Estate Number 57713, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001.

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Ehemann im Jahr 1989. Sie hinterließ eine Erbschaft in Höhe von ca. 6,7 Millionen Dollar, wobei Immobilien – wie bei vielen anderen Reichen – nur einen kleinen Teil des Nachlassvermögens ausmachten (etwas mehr als 80.000 Dollar). Der Großteil ihres Vermögens – über fünf Millionen – bestand aus Aktien sowie aus den Dividenden von Aktien, die ihr zwei Trusts ausbezahlten, die ihre verstorbenen Ehemänner in den Jahren 1974 und 1989 errichtet hatten. Diese spezifische Zusammensetzung ihres Vermögens beeinflusste wiederum die Verteilung und Besteuerung ihres eigenen Nachlasses: So hatten ihre beiden Ehemänner Elsa W. keine Zugriffsrechte auf das Trust-Vermögen gewährt, sondern ihr lediglich die Dividenden daraus zugewiesen. Zugleich hatten sie in ihren eigenen Testamenten schon festgelegt, wer das Trustvermögen nach dem Tod ihrer Ehefrau zu welchen Teilen erhalten sollte. Etwa vier Millionen Dollar aus dem Nachlass von Elsa W. übertrug ihr Testamentsvollstrecker daher entsprechend den testamentarischen Vorgaben ihrer vorverstorbenen Ehemänner an gemeinsame und adoptierte Kinder, zum Teil an die Nachfahren bereits vorverstorbener Kinder, an Geschwister, Nichten und Neffen sowie Freunde und gemeinnützige Institutionen wie das Sinai Hospital und das Johns Hopkins Hospital in Baltimore. Über die restlichen etwa zweieinhalb Millionen Dollar hatte Elsa W. selbst verfügt. Dieses Vermögen vermachte sie in unterschiedlichen Summen an 24 Personen und Institutionen: Die Begünstigten reichten von Bediensteten über eine enge Freundin, ihre Schwägerin und Stiefenkeln bis hin zu Nichten und Neffen, wobei diese ihr Erbe oder Vermächtnis ebenfalls nicht alle ausbezahlt bekamen. Ein Teil des Vermögens floss in bereits bestehende oder in neu von ihr errichtete Familientrusts, und mehrere Erben erhielten – wie Elsa W. zuvor – nur Ansprüche aus den Dividenden dieser Trusts. Ihre Nachlassverwalter transferierten Vermögen zwischen mindestens sieben verschiedenen (Familien-)Trusts, wobei aus den Unterlagen des Gerichts nicht hervorgeht, welche Personen Zugriff respektive Anspruch auf welches Vermögen erhielten. Diese komplizierte Nachlassplanung war für die Erblasserin und ihre Erben teuer, rentierte sich aber. Die Erben bezahlten an das Gericht eine Gebühr von 2.808 Dollar, Erbschaftssteuern in Höhe von ca. 300.000 Dollar (in etwa 4,5 Prozent des Nachlasswertes) und an ihren Anwalt ca. 40.000 Dollar. Inbegriffen in der Anwaltsrechnung waren aber die Kosten für einen erfolgreich eingelegten Widerspruch am Gericht, durch den der Anwalt die vom Gericht ursprünglich geforderten Erbschaftssteuern in Höhe von 365.000 Dollar (in etwa 5,5 Prozent des Nachlasses) um ca. 65.000 Dollar senkte. Dem Anwalt war es damit gelungen, die zu zahlende Erbschaftssteuer um einen Betrag zu minimieren, der deutlich über

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seinen erhobenen Gebühren lag und der in etwa den gesamten Nachlasswert für die untere Mittelschicht um das Jahr 2000 entsprach.272 Standardisierung des Nachlassübertrags – Erbpraktiken in der Mittelschicht

Erblasser werden zunächst anhand eines einzigen Indikators der Mittelschicht zugerechnet: des Werts ihres hinterlassenen Nachlasses.273 Zeitgenössische Studien aus den 1970er Jahren zählten dazu Nachlässe zwischen 10.000 und 60.000 Dollar. Entsprechend dieser Definition lassen sich in Baltimore im Jahr 1971 knapp 20 Prozent aller Nachlässe dieser Gruppe zurechnen.274 Im Durchschnitt vererbten Mittelschichtsangehörige Nachlässe im Wert von 35.054 Dollar, im Median waren es 27.050 Dollar. Im Jahr 2001 hatte der Nachlass der reichsten 20 Prozent aller Erblasser im Sample abzüglich des reichsten einen Prozents einen Durchschnittswert von 256.974 Dollar, im Median waren es 130.888 Dollar.275 Die Mittelschichtsangehörigen im Sample wiesen über ihre ähnliche Finanzkraft noch weitere Gemeinsamkeiten auf. Sie waren mehrheitlich weiblich und zu über vier Fünfteln Weiß. Die Gruppe der 20 Prozent der wohlhabendsten Erblasser setzte sich in beiden Stichprobenjahren zu etwa zwei Drittel aus Frauen (1971: 71 Prozent; 2001: 66 Prozent) und zu jeweils über 80 Prozent aus Weißen (1971: 86 Prozent; 2001: 82 Prozent) zusammen. Beruflich waren die Männer aus dieser Gruppe vor ihrem Tod in einem Spektrum tätig gewesen, das von Akademikern sowie Ärzten, Angestellten in Leitungsfunktionen in staatlichen Institutionen und Managern in privatwirtschaftlichen Unternehmen über Selbstständige mit kleineren Geschäften wie einer lokalen Schneiderei oder einem Lebensmittelladen, Bankangestellte und Polizisten bis hin zu Hafen- und Stahlarbeitern reichte. Frauen hatten überwiegend als Hausfrauen gearbeitet. Darüber hinaus waren sie als Bibliothekarinnen, Lehrerinnen, Bankangestellte, Krankenschwestern und Sekretärinnen erwerbstätig gewesen. Mittelschichtsangehörige hatten zu Lebezeiten somit selten Berufe innegehabt, die mit enorm großen Gehältern einhergingen, vertraten aber auch selten Berufe aus dem Niedriglohnsektor, auch wenn es einzelne Ausschläge in beide Richtungen gab.

272 Elsa W., Estate Number 55196, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001. Für einen ähnlichen Erbfall vgl. William H., Estate Number A-602, in: Register of Wills, Baltimore City, 1971. 273 Für eine umfassendere Auseinandersetzung mit den Werten und Weltsichten der USamerikanischen Mittelklasse vgl. Christian Johann, Anreiz, Moral, Verdienst. Die Mittelklasse im Wohlfahrtsstaat der USA von Großer Depression bis 1972, Göttingen 2017; Cooper, Family Values; Martschukat, Ordnung, S. 263–354; Self, Family. 274 Insgesamt waren es 21 von 117 Nachlässen, exklusive des reichsten einen Prozents. Vier dieser Nachlässe hatten einen Wert von über 60.000 Dollar. 275 Dinkel, Nachlassakten.

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Auch diese Gruppe fand Mittel und Wege, das als teuer und langsam kritisierte Probate-Verfahren für Nachlassüberträge zu vermeiden und die erhöhte Steuerlast für sich zu begrenzen: Gemeinsame Bankkonten, Lebensversicherungen und Wohnungen, die auf zwei Namen eingetragen waren und mit denen sich – wie von den Ratgebern und Dienstleistern seit den 1960er Jahren gebetsmühlenartig wiederholt – das Verfahren umgehen und Steuern minimieren ließen, waren häufig Bestandteil von Mittelschichtsnachlässen. Vereinzelt nutzten Eigentümer derartige Finanzprodukte auch, um Vermögen an Personen, die nicht zur klassischen und idealisierten Kernfamilie gehörten (z. B. uneheliche Kinder, Freunde oder gleichgeschlechtliche Lebenspartner), unsichtbar für die Öffentlichkeit zu übertragen oder zumindest ohne sie im Testament nennen zu müssen.276 In den meisten Fällen, in denen sich die Beziehungen zwischen Geber und Empfängern dieser Arrangements ermitteln ließen, handelte es sich aber um Verwandte aus dem engeren Kreis der Familie: Ehepartner, Kinder, Enkel, Geschwister, Neffen und Nichten.277 Die Nachlassplanung der Mittelschicht zielte anders als die der Oberschicht nicht zentral darauf, das Probate-Verfahren zu vermeiden und anfallende Steuern zu minimieren. Stattdessen waren ihre Planungen – ähnlich wie zu Beginn des Jahrhunderts – an einer individualisierten und gerechten Weitergabe des eigenen Vermögens in der Familie (beziehungsweise seltener an ihnen nahestehende, aber nicht mit ihnen verwandte Personen) ausgerichtet. Zustande kamen diese im Großen und Ganzen dann trotz aller individuellen Bestimmungen doch sehr ähnlichen Erbüberträge durch mehrere verschiedene, den Erbübertrag beeinflussende Faktoren. Personen aus der Mittelschicht griffen – ebenso wie sehr wohlhabende Personen – bei ihrer Nachlassplanung zu einem großen Teil von um die 70 Prozent auf die Angebote von privaten Dienstleistern zurück. Anderes als reiche Eigentümer konsultierten Mitglieder der Mittelschicht für ihre Planung aber selten auf Erbrecht und Steuervermeidung spezialisierte große Kanzleien. Persönliche Kontakte zu ihren Dienstleistern waren ihnen wichtiger als deren Expertise. Die von ihnen konsultierten Rechtsanwälte und Finanzberater waren ihnen in der Regel von Bekannten empfohlen worden oder sie kannten sie bereits, da sie auf ihre Dienstleistungen schon in früheren Rechtsfällen zurückgegriffen hatten. Dies führte dazu, dass in Maryland Rechtsanwälte, die selbstständig oder in kleineren Zusammenschlüssen

276 Hazel H., Estate Number A-1120, in: Register of Wills, Baltimore City, 1971; Robert G., Estate Number 56171, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001; Rebecca B., Estate Number 56537, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001. 277 Für zahlreiche ähnliche Erbfälle vgl. Elizabeth H., Estate Number A-1373, in: Register of Wills, Baltimore City, 1971; Andrew H., Estate Number A-1406, in: Register of Wills, Baltimore City, 1971 Hanorah B., Estate Number 55552, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001; Anthony F., Estate Number 57238, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001.

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von wenigen Anwälten arbeiteten und als Generalisten tätig waren, über 90 Prozent aller Nachlassplanungen übernahmen. Die von ihnen erbrachte Dienstleistung, meist der Entwurf eines standardisierten Testaments, galt unter Rechtsanwälten als keine besondere fachliche Herausforderung, sondern als eine Praktik, die jeder Rechtsanwalt beherrschen sollte und die viele im Laufe ihres Berufslebens einoder mehrmals ausübten.278 Beratungen in Erbschaftssachen gehörten zum Alltagsgeschäft, das nahezu alle Anwälte anboten, auch wenn sie die Errichtung eines Testaments an sich nicht als besonders lukrativ einschätzten. Mitte der 1970er Jahre verlangten sie in Baltimore dafür bei Nachlässen in Höhe von 61.000 Dollar im Durchschnitt 300 Dollar. Viele Anwälte boten die Errichtung eines Testaments aber auch deutlich günstiger an, im Extremfall sogar für umsonst, wobei die wirtschaftlichen Verluste bei diesen Tätigkeiten einkalkuliert waren. Stattdessen setzten die Anwälte darauf, dass, angelockt von derartigen Angeboten, zumindest ein Teil ihrer Klienten sie auch mit ihrer Nachlassverwaltung beauftragen würde, womit sich wiederum mehr Geld verdienen ließ.279 Zudem war die Errichtung eines Testaments weitgehend standardisiert, sofern die Wünsche des Testators nicht besonders extravagant ausfielen und es nicht darum ging, Steuern oder das Probate-Verfahren in größerem Umfang zu vermeiden. Etwa die Hälfte aller Rechtsanwälte in Maryland gaben in einer Umfrage Mitte der 1970er Jahre an, dass sie bei der Errichtung eines Testaments auf Standardformulare aus Handbüchern zurückgriffen und nach einem Gespräch mit ihren Klienten ihre Sekretärinnen mit der Ausarbeitung des Testamentsentwurfs beauftragten.280 Dies war nicht nur in Maryland eine gängige Praxis. Auch Rechtsanwälte in Ohio sahen die Ausarbeitung von Testamentsentwürfen als Routineaufgabe an, in die sie ihre Sekretärinnen einbanden. Ende der 1960er Jahre beschrieben Rechtsanwälte ihre Arbeitsroutinen bei der Errichtung von Testamentsentwürfen in Interviews mit Soziologen wie folgt: „I use a standard form extensively – in every simple case. There may be some variations from it, but it is generally routine and repetitious.“ – „In 90 per cent of the cases, most wills are pretty much form. The ordinary will is very routine. Of course, we have a wonderful secretary, and I just say, ‘draw up a will.’“ – „The girls have been here seven and sixteen years and have made so many simple wills that I can give them the names of the testator and beneficiaries

278 Sussman/Cates/Smith, Family, S. 226. 279 Maryland State Bar Association (Hrsg.), Survey. 280 Maryland State Bar Association (Hrsg.), Survey. Im Nachlass von Stephen Montanarelli finden sich aus der Zeit, in der er als Anwalt in Maryland tätig war und Klienten bei deren Nachlassplanung beriet, Handbücher und zahlreiche Broschüren mit Vorabdrucken und Formularen zum Transfer von Nachlassvermögen und von Testamenten. Stephan Montanarelli Collection, 1960–1980, Folder: Wills and Estates, in: MSA, SC 5800-3-1. Vgl. auch Fierstein/Stein, Role.

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and let them draw up the will.“281 Die Formelhaftigkeit von Testamenten führte sogar dazu, dass die American Bar Foundation, als sie in den 1980er Jahren anfing, EDV-Programme zu diskutieren, mit denen sich über die reine Textverarbeitung hinaus durch den Rückgriff auf Textbausteine relativ schnell und unkompliziert rechtsgültige Dokumente erstellen ließen, dies am Beispiel von Programmen tat, die auf die Erstellung von Testamenten ausgelegt waren.282 Auf diese extreme Standardisierung von Testamenten reagierten findige Familientherapeuten und Mediatoren seit Ende der 1970er Jahre mit einem neuen Service. Sie boten ihren Kunden nun an, eine „Rede“ ihrer Klienten an ihre Erben und Familie auf einer Audio- oder Videokassette aufzuzeichnen und diese ihren Erben nach ihrem Tod zu übergeben. Im Idealfall erhielten ihre Erben dadurch zusammen mit dem Testament, in dem die finanziellen Angelegenheiten geregelt waren und das öffentlich einsehbar war, eine private und vertrauliche Botschaft des Verstorbenen, die nur für sie bestimmt war.283 Damit spitzte sich zugleich eine seit der Frühen Neuzeit vollziehende Entwicklung zu, nach der religiöse, moralische, emotionale und persönliche Stellungnahmen immer weiter aus Testamenten verschwanden. Im Extremfall waren die finanziellen Angelegenheiten und persönlichen Angelegenheiten eines Erblassers in zwei komplett getrennt voneinander entstandenen, aufbewahrten und überlieferten Dokumenten festgehalten. Gleichwohl blieb die Testamentserrichtung für die Mittelschicht wichtig. In ihren Nachlassplanungen orientierte sie sich kulturell bedingt an älteren Erbtraditionen, anstatt auf die Vermeidung des Probate-Verfahrens zu zielen. Denn allein die Errichtung eines Testaments galt auch im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts – trotz aller Standardisierung und Reduktion auf ökonomische Aspekte – als Zeichen für einen ordentlichen und wertbasierten Lebenswandel sowie als Ausdruck familialer Fürsorge. Charakteristisch für diese Sichtweise erklärte ein Testator im Interview in den 1960er Jahren seine Testamentserrichtung folgendermaßen: „Everyone should make a will for orderly dispensation of funds, to assess our relationships and responsibility. A will gives us a sense of commitment beyond ourselves. It is a step in developing a value system“.284 Ähnliche Aussagen schalteten Anwälte und Banken in ihren Werbeanzeigen, in denen sie die Errichtung eines Testaments und die Vermögensweitergabe in der Familie – unter Minimierung von Steuern und Abgaben an Staat und Gesellschaft – als Ausdruck von familiärer Fürsorge und einer ordentlichen Lebensführung charakterisierten. Mit einem Testament könne

281 Alle Aussagen zitiert nach Sussman/Cates/Smith, Family, S. 219f. 282 Maximilian Herberger, Textverarbeitung und Wissensrepräsentation. Oder: Das nur scheinbar unschuldige Instrument, in: Henrichs/Stephan (Hrsg.), Jahrhundert, S. 260–269, S. 264–268. 283 Edward Collmore, Baltimore is following a national trend with wills you can tape for television, in: News American, 18.1.1980. 284 Zitiert nach Sussman/Cates/Smith, Family, S. 83.

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ein Eigentümer, so eine für Banken, Rechtsanwälte und Lebensversicherungen charakteristische Werbung von Family Resource Management Specialists in Baltimore, folgende neun Ziele erreichen: 1. Provide for your dependents in case of your untimely death. […] 2. Provide for you and your dependents until and during retirement. […] 3. Provide living expenses for your dependents while they wait for the settlement of your estate. […] 4. Share your wealth among your survivors according to your preferences. […] 5. Avoid disrepair of property because possible heirs do not know who will own it after you die. […] 6. Avoid waste of estate through taxes. […] 7. Avoid waste of your estate through legal costs. […] 8. Provide dependents with an opportunity to develop skills in managing an estate. […] 9. Avoid confusion and conflict among survivors in dividing your estate.285

Die Testamentserrichtung stellte auch im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts in der Mittelschicht eine kulturell erwartete Handlung dar, durch die sich ein Testator als verantwortlicher und vorausschauender Eigentümer präsentierte. Diese Verankerung der Testamentserrichtung in älteren Erbtraditionen erklärt auch, weshalb sich die testamentarischen Vorgaben von Mittelschichtsangehörigen im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts kaum von denen um das Jahr 1900 unterschieden. Zwar führten demographische Wandlungsprozesse und die Entfaltung des Konsumzeitalters zu Modifikationen in Testamentsbestimmungen, ansonsten blieben die Gründe für eine Testamentserrichtung und die damit anvisierten Ziele ähnlich. Wie im 19. Jahrhundert nutzten Mittelschichtsangehörige über das gesamte 20. Jahrhundert hinweg ihr Eigentum zur privaten Vorsorge sowie Testamente als rechtliche Instrumente, um Vermögen gegen Pflegeleistungen zu versprechen.286 In den Samples aus den Jahren 1941, 1971 und 2001 finden sich ebenso wie in anderen Studien zu Erbpraktiken in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchgängig Beispiele

285 Patricia M. Tengel, The University of Maryland System, Competent Financial Planning – Your Estate. Goals, Net Worth and Final Instructions, Fact Sheet 414, 1988 (first published 1985) und Zeitungsanzeigen der Maryland State Bar Association, Wills and Estates, vermutlich aus den 1970er oder 1980er Jahren, in: EFPL, Register of Wills. In diesem Envelope finden sich zahlreiche ähnliche Ratgeber, Flyer und Werbebroschüren von Rechtsanwälten, Trust Companies und Finanzberatern. Vgl. auch Banks and Trust Companies of Baltimore, 1968, in: EPFL, Trust Companies – Baltimore – Baltimore Trust Companies. Cooperative Extension Service: Estate Planning for Maryland Families, Bulletin 189, 1980 und Cooperative Extension Service (University of Maryland): Planning for Property Disposition in Maryland, 1972, in: EPFL, Inheritance and transfer tax. 286 Jeffrey P. Rosenfeld, Will Contests. Legacies of Aging and Social Change, in: Robert K. Miller/ Stephen J. McNamee (Hrsg.), Inheritance and Wealth in America, Boston, MA 1998, S. 173–191, S. 183.

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für die Absprache „Erbe gegen Pflege/Fürsorge im Alter“.287 Der nur rudimentäre Ausbau des welfare state, die Vermarktlichung und Privatisierung des Pflegesektors sowie die Professionalisierung von Pflegekräften hatten in Baltimore ebenso wie in anderen Regionen und Städten der USA diese Form der privaten Altersvorsorge, die durchaus im Einklang mit der Privatisierung der eigenen Rentenvorsorge stand, nicht verdrängt. Allerdings wurde es für Personen, die im Alter nicht in einem Pflegeheim, sondern weiterhin zu Hause wohnen wollten, schwieriger, Verwandte zu finden, die bereit waren, private Pflegedienste zu übernehmen. Verwandte wohnten häufig nicht mehr im gleichen Haus oder gar in derselben Stadt, zudem waren Pflegedienste zeitaufwendig und konnten auch emotional anstrengend sein. Neben vertraulichen und engen Beziehungen zwischen Pflegebedürftigen und Pflegern konnten versprochene Erbschaften daher ein weiteres Argument sein, mit denen Pflegebedürftige persönliche Pfleger gewinnen konnten. Die Überzeugungskraft dieses Arguments hing dabei nicht unwesentlich von der Höhe des vorhandenen Vermögens und des versprochenen Nachlasses ab. Dies war auch der 71-jährigen, wohlhabenden Witwe Minnie H. bewusst. Sie hatte Schwierigkeiten, eine Pflegeperson in ihrem Verwandten- und Bekanntenkreis zu finden. Sie versprach daher, einen Extraanteil von ihrem Vermögen derjenigen Person zu vermachen, die sie im Alter pflegen werde. Zugleich hielt sie testamentarisch fest, dass alle Versprechungen und Erbüberträge an ihre Kinder null und nichtig seien, wenn sie eines Tages in ein Altersheim gebracht werde. In diesem Fall solle ihr ganzes Erbe an das Heim gehen, das für sie in ihren letzten Tagen sorge.288 Angesichts der Schwierigkeiten, die sich bei privaten Pflegearrangements ergaben, entstand parallel dazu ein äußerst heterogener Pflegesektor, auf dem staatliche Institutionen und privatwirtschaftliche Unternehmen Dienstleistungen anboten, die durch halblegale oder illegale Angebote von meist ausländischen (überwiegend aus Lateinamerika und von den Philippinen kommenden) Pflegerinnen (überwiegend waren es Frauen, die diese Tätigkeiten ausübten) ergänzt wurden. Angehörige der Mittelschicht konnten daher mit verschiedenen Strategien ihre Versorgung im Alter planen, wozu aber weiterhin das Versprechen von Erbe gegen Pflegeleistungen gehörte.289 Des Weiteren nutzten Mittelschichtsangehörige ihre Testamente nach wie vor, um durch die Vergabe von spezifischen Erbstücken und Statussymbolen wie Ehe-

287 Louise L., Estate Number 17949, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001. Für weitere Beispiele aus anderen Regionen vgl. Sussman/Cates/Smith, Family, S. 124. 288 Last Will and Testament Minnie H., 16.3.1958, Estate Number A-1305, in: Register of Wills, Baltimore City, 1971. 289 Jacqueline Lowe Angel, Inheritance in contemporary America. The social dimensions of giving across generations, Baltimore 2008.

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ringen, Taschenuhren oder Familienbildern eine besondere Verbundenheit mit deren Empfängern zu betonen oder herzustellen.290 Dass es bei diesen Praktiken vor allem um die Bestätigung von Nahbeziehungen ging, zeigt sich auch daran, dass der finanzielle Wert dieser in Testamenten explizit genannten Gegenstände und ihre genaue Zuweisung an bestimmte Erben im Verhältnis zum Wert der gesamten Erbschaft meist verschwindend klein war. Eine ähnliche Funktion erfüllten auch gemeinsame Bankkonten zwischen Großeltern und ihren Enkelkindern, die nach dem Tod eines Großelternteils als joint property an das jeweilige Enkelkind übergingen. Charakteristisch hierfür vermachte die im Jahr 1971 verwitwet verstorbene Minnie B. H. den Großteil ihres Nachlasses in Höhe von 15.242 Dollar zu gleichen Teilen an ihre zwei Söhne und zwei Töchter. Zusätzlich bestand ihr Erbe noch aus zwei Staatsanleihen im Wert von etwa 100 Dollar, von denen sie jeweils eine gemeinsam mit ihrer Enkelin respektive ihrem Enkel besessen hatte und die nun vollständig in deren Besitz übergingen.291 Testatoren nutzten ihre Testamente weiterhin, um ihre (finanziellen) Zuwendungen an ihre Erben zu bilanzieren und an die eigene Lebenssituation sowie die ihrer Erben anzupassen. Selbst auf den ersten Blick ungleiche Erbteilungen orientierten sich in der Regel an der Norm der Gleichbehandlung. In diesen Fällen diente die Festlegung von unterschiedlich großen Nachlassteilen dazu, bereits zu Lebzeiten des Erblassers erfolgte Eigentumstransfers an einzelne Erben auszugleichen und miteinander zu verrechnen. Charakteristisch hierfür ist der letzte Wille der im Jahr 2001 in Baltimore verstorbenen Witwe Margaret N., die darin bestimmte: By way of explanation I wish to be known that the share of my son Bobby is less than that of his sister Peggy because, over the years, my husband and I have made certain contributions and gifts to Bobby that have not been made to Peggy, and the 55% – 45% division has been chosen by me as a method to equalize the respective shares of my two said children; and while this is not mathematically precise, it affects such equalization as I deem reasonable and appropriate at this time.292

Schließlich ermöglichten Testamente Testatoren den Einbezug von Personen in den Erbenkreis, die entsprechend der gesetzlichen Erbfolge nicht geerbt hätten. Mit

290 Gloria E., Estate Number 57368, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001; Irene S., Estate Number 55158, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001 Ella H., Estate Number A-1166, in: Register of Wills, Baltimore City, 1971. 291 Minnie H., Estate Number A-1305, in: Register of Wills, Baltimore City, 1971. Vgl. auch Richard K., Estate Number 55915, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001. 292 Margaret N., Estate Number 55516, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001. Für ein ähnliches Beispiel vgl. Frances Mary H., Estate Number 57220, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001.

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einem Testament konnten Erblasser somit auf ihre persönlichen individuellen Nahbeziehungen reagieren, wodurch sich zugleich zeigt, wie sich Familienvorstellungen und die Bedeutung von Nahbeziehungen in der Mittelschicht im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts verschoben. Dabei kam es sowohl zu einer Verengung des Familienbegriffs auf die Kernfamilie und den Ehepartner als Hauptempfänger von Erbe als auch zu einer Erweiterung des Erbenkreises zugunsten von unehelichen Kindern, nicht verwandten Personen, beispielsweisen Freunden, und zunehmend auch Haustieren, zu denen die Verstorbenen emotionale Beziehungen aufgebaut hatten. Sie ersetzten bei Ledigen familiale Erben und konnten bei älteren Personen, deren Kinder und Verwandte nicht vor Ort waren, an die Stelle der ausgezogenen und nicht mehr präsenten erwachsenen Kinder treten. Diese Verengung des Erbenkreises in der Kernfamilie und dessen gleichzeitige Erweiterung auf nicht verwandte Personen findet sich exemplarisch in der Nachlassplanung einer 59-jährigen Frau in den 1960er Jahren, die Sussmann und seine Kollegen wie folgt wiedergaben: „She is leaving about 80 per cent of her estate to her husband. Her four cats each will receive $1,000 legacies with her husband appointed as their guardian. Specific bequests have been made to friends and to institutions. Other than her husband, her nearest relative is an elderly uncle“.293 In Baltimore vermachte die alleinstehende, im April 1971 im Alter von 80 Jahren verstorbene Hazel H. ihrer Nichte 23.000 Dollar, der Society for the Prevention of Cruelty to Animals 1.000 Dollar, der The Salvation Army 1.000 Dollar, den Friend of Animals Inc. 500 Dollar und der Billy Graham Evangelistic Association 1.000 Dollar.294 Das Testament von Carolyn B. verdeutlicht darüber hinaus, dass Vermächtnisse an religiöse Einrichtungen sowie gemeinnützige und wissenschaftliche Institutionen auch in der Mittelschicht verbreitet waren.295 Die Legate an diese Einrichtungen waren dabei in der Regel monetärer Natur, vereinzelt vermachten Erblasser aber auch Kunstwerke oder Münzsammlungen aus eigenem Besitz.296 Die Individualisierung der Erbverteilung und die Erweiterung des Erbenkreises bot in der zweiten Jahrhunderthälfte immer wieder Anlass zu Erbstreitigkeiten. Insbesondere Legate an Haustiere waren gesellschaftlich umstritten. In einer Umfrage aus dem Jahr 1970 nannten die Befragten Hauskatzen und Hunde am häufigsten als unwürdige Erben, gefolgt von der Kommunistischen Partei, dem Ku Klux Klan, Golfvereinen und schließlich nicht genau benannten subversiven Organisationen im In- und Ausland, die „unamerikanische“ Ziele verfolgten. Einzelne Befragte

293 Zitiert nach Sussman/Cates/Smith, Family, S. 89. Zum Einstieg in die Human-Animal Studies vgl. Mieke Roscher, Human-Animal Studies, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 25.1.2012, http://docupedia.de/zg/Human-Animal_Studies (letzter Zugriff 11.3.2021). 294 Hazel H., Estate Number A-1120, in: Register of Wills, Baltimore City,1971. 295 Carolyn B., Estate Number 57368, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001. 296 Morris L., Estate Number 57026, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001.

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rechneten darüber hinaus HIV-erkrankte Personen zu den unwürdigen Erben. Wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts konnte ein von der Mehrheitsgesellschaft abweichender Lebensstil oder die Einnahme einer politischen Minderheitenposition dazu führen, dass die Erbrechte dieser Person von anderen bestritten wurden.297 Insgesamt kam es aber nur selten zu Testamentsanfechtungen, und die Erben befolgten die letztwilligen Wünsche eines Testators. Zusammengenommen verdeutlichen diese Testamentsvorgaben, dass die Nachlassplanungen von Mittelschichtsangehörigen hauptsächlich darauf ausgerichtet waren, einen reibungslosen Erbtransfer in der Familie zu ermöglichen, individuelle Nahbeziehungen zu bestätigen und ausgleichende Gerechtigkeit in der Behandlung der Erben zu schaffen. Zugleich diente die standardisierte Testamentserrichtung in der Mittelschicht der kulturellen und sozialen Selbstverortung des Testators. Sie waren überwiegend nicht darauf ausgerichtet, das Probate-Verfahren zu vereinfachen oder zu umgehen und die zu entrichtenden Erbschaftssteuern zu minimieren. Die Erbpraktiken der Mittelschicht führte folglich auch dazu, dass der Orphans’ Court ihre Nachlässe trotz vorhandener gemeinsamer Bankkonten sehr viel häufiger erfasste, als dies bei Nachlässen der Oberschicht der Fall war. Bei Nachlässen mit einem Wert zwischen 10.000 und 499.999 Dollar wurden Mitte der 1980er Jahre etwa 75 Prozent des Nachlasses durch das Probate-Verfahren übertragen – im deutlichen Gegensatz zu Nachlässen über 500.000 Dollar, die das Gericht nur zu 15 Prozent übertrug.298 Die intensive Nutzung des Gerichts durch Angehörige der Mittelschicht erklärt sich neben ihrer Nachlassplanung hauptsächlich aus der materiellen Zusammensetzung ihrer Nachlässe. Ihre Erbschaften bestanden zu etwa zehn bis 20 Prozent aus Aktien und zu weiteren etwa 30 bis 40 Prozent aus Haushaltsgegenständen, Schmuck, Lebensversicherungen, privaten Rentenfonds und Sparkonten.299 Die übrigen 40 Prozent der Werte resultierten aus real property – hauptsächlich aus Grundstücken und Wohneigentum, die wertmäßig in der Regel den größten einzelnen Posten in den Nachlässen darstellten. Einige Indizien sprechen sogar dafür, dass der Anteil von Wohneigentum bei mittleren Erbschaften deutlich über 50 Prozent lag.300 Immobilien stellten für Erblasser der Mittelschicht sowie für deren Erben einen besonders wichtigen Nachlassgegenstand dar, der ihre Erbschaftsangelegenheiten prägte, da er an einen Ort gebunden war und sich zwar juristisch, aber nicht materiell teilen ließ.301 Angesichts des deutlichen Rückgangs der Stahl- und Schiffbauindustrie sowie des Sinkens der Einwohnerzahlen von 949.728 im Jahr 1950 auf 651.155 im Jahr 297 298 299 300 301

Sussman/Cates/Smith, Family, S. 211f. Fierstein/ Stein, Demography, S. 95. Fierstein/ Stein, Demography, S. 97–100. Fierstein/Stein, Demography, S. 96–100, 103. Eckhardt, Probate.

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2000 und des damit verbundenen Wertverlusts vieler Wohnungen kam es in der Vererbung von Immobilien zum größten Wandel in den Nachlasspraktiken der Mittelschicht. Diese hatte schon im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts beobachten können, dass unklare Eigentumstitel, besonders bei Grundstücken und Häusern, Eigentum angreifbar machten. So hatten sie seit der Gründung der ersten Suburbs und spätestens im Zuge des redlining/zoning 302 , blockbusting 303 und der white flight der späten 1950er und frühen 1960er Jahre gelernt, dass sich der Wert eines Hauses im Wesentlichen nicht mittels der verwendeten Baumaterialien und deren Verarbeitung bestimmte, sondern anhand seiner Lage. Ein Wissen, das Banken, Immobilienmakler und Anwälte ihren Klienten in Ratgebern, Broschüren und Flyern beibrachten und in Erinnerung riefen. So informierte die Baltimore Urban League ihre Zielgruppe im Jahr 1964 darüber, dass die folgende Aussage falsch sei: „The construction of a house is more important than its location in keeping up its value.“304 Richtig sei hingegen, so ihre wiederholte Aussage: „The condition of the house is not as important as its location.“305 Aus der Sicht von Hauseigentümern und den Erben von Häusern ergaben sich aus diesem Wissen bestimmte Probleme, war es doch für die Eigentümer von Häusern während ihrer Nachlassplanung schwer vorhersehbar, wie sich die Nachbarschaft

302 Als redlining und zoning werden in den USA Praktiken bezeichnet, in denen bestimmte Wohngebiete aufgrund der ethnischen oder sozialen Merkmale ihrer Bewohner von anderen Wohngebieten abgegrenzt und diskriminiert werden, beispielsweise indem die Kommune dort Infrastrukturen der Daseinsversorgung schlechter ausbaut oder indem Banken Personen aus diesen Vierteln Kredite mit schlechteren Konditionen anbieten. Zu diesen Praktiken in Baltimore vgl. Garrett Power/Meade V. Dennistone: The NAACP’s Test Case to Sue Jim Crow out of Maryland with the Fourteenth Amendment, in: Maryland Law Review 63 (2004), H. 773, S. 773–810; Amy E. Hillier, Redlining and the Home Owners’ Loan Corporation, in: Journal of Urban History 29 (2003), H. 4, S. 394–420; Garrett Power, Pyrric Victory: Daniel Goldman’s Defeat of Zoning in the Maryland Court of Appeals, in: Maryland Historical Magazine 82 (1987), H. 4, S. 275–287; Garrett Power, Apartheid Baltimore Style: the Residential Segregation Ordinances of 1910–1913, in: Maryland Law Review 42 (1983), H. 2, S. 289–328. 303 Der Begriff des blockbusting stammt aus dem Militär und dem Zweiten Weltkrieg und bezeichnete in diesem Zusammenhang die Zerstörung ganzer Stadtviertel. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhr der Begriff angesichts rapider Wandlungsprozesse in verschiedenen US-amerikanischen Städten eine andere Bedeutung. Als blockbusting bezeichneten Zeitgenossen und spätere Geistes- und Sozialwissenschaftler seitdem auch die rapide Transformation von Nachbarschaften und Stadtvierteln in den 1950er und 1960er Jahren. In manchen überwiegend von Weißen bewohnten Stadtvierteln verließen innerhalb weniger Jahre bis zu 90 Prozent der Bewohner das Viertel, während mehrheitlich Schwarze Bewohner in diese Viertel zogen. Die damit verbundenen Veränderungen in der ethnischen und sozialen Zusammensetzung werden in dieser Studie unter Rückgriff auf den zeitgenössischen Begriff als blockbusting bezeichnet. Vgl. Orser, Blockbusting. 304 Samuel L. Myers for the „Strengthening the Family Project“ of The Baltimore Urban League, Housing, 1964. 305 O. A., Houses bringing top dollar at auctions in Baltimore, in: News America, 28.2.1981.

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ihres Hauses über die nächsten Jahrzehnte entwickeln und wie sich dies auf den Wert ihres Hauses auswirken würde. Die noch im 19. Jahrhundert verbreitete Anordnung, dass der überlebende Ehepartner ein Haus nutzen dürfe, ehe es nach dessen Ableben unter den eigentlichen Erben (meist den Kindern) aufgeteilt werde, barg vor diesem Hintergrund große Risiken. Denn unter Umständen, wie in einigen vom zoning und blockbusting betroffenen Stadtvierteln, fielen die Häuserpreise innerhalb kürzester Zeit, weshalb für die eigentlichen Erben kaum mehr etwas übrigblieb, wenn die Person mit Nießbrauchrechten den Verkauf verweigerte oder den Wandel der Nachbarschaft zu spät antizipierte. Häuser verloren in Baltimore ihre Funktion als sichere und stabile Investition und wandelten sich zu einer mit Risiken behafteten Wertanlage. Aufgrund der völligen Unvorhersehbarkeit kam es leicht zu Streitigkeiten, wenn Besitzer und potentielle Erben – oder auch nur die Erben unter sich – uneins darüber waren, wie mit einem Haus zu verfahren sei. Beispielhaft zeigt sich das am Erbfall Laura V. H. Als die im Jahr 1905 in Baltimore geborene Laura V. H. im Dezember 1970 starb, hinterließ sie als gesetzliche Erben ihren Ehemann und ihre vier Kinder, zwei Söhne und zwei Töchter. Ihr Nachlass bestand zum größten Teil aus einem Haus, das ca. 10.000 Dollar wert war und ihr allein gehörte, sowie aus Bankguthaben im Wert von ca. 2.500 Dollar. In der Frage, was mit dem geerbten Haus geschehen solle, kam es schnell zum Streit, der im April 1971 zu einem Gerichtsprozess zwischen dem überlebenden Ehemann und zweien seiner Kinder führte. Vor Gericht argumentierte der Ehemann, dass er als Personal Representative seiner Frau selbst entscheiden wolle, was mit dem Haus geschehe. Er habe es während der 47-jährigen Ehe mit seiner Frau instandgehalten, er habe das Recht, darin zu wohnen, und könne auch jetzt entscheiden, ob es am besten sei, das Haus sofort zu verkaufen, es vor einem Verkauf zu renovieren oder es zu behalten. Er berief sich dabei auch auf die unterstützende Beratung zweier seiner Kinder. Demgegenüber argumentierten die beiden anderen Kinder, dass ihr Vater schon älter, alkoholabhängig und manchmal für mehrere Tage nicht ansprechbar sei. Ihr Vater, so ihr Plädoyer, sei mit der Verwaltung des Hauses überfordert und schlicht nicht mehr in der Lage, den Verkauf des Hauses im besten Interesse aller Erben allein zu bewerkstelligen. Dieser Argumentation folgte der Richter nicht ganz. Er entschied, dass der überlebende Ehemann weiter den Nachlass allein verwalten dürfe, auch da ihm zwei seiner Kinder beratend zur Seite stünden. Als Voraussetzung hierfür legte er aber fest, dass der Ehemann eine Sicherheit von 10.000 Dollar auf dem Gericht hinterlege, falls irgendetwas („anything“) mit dem Nachlass geschehe. Abschließend hielt er in seinem Urteil fest: „I hope after the estate is settled that the family gets together and resolves some of the bitterness that might be between them now.“306

306 Laura V. H., Estate Number A-1113, in: Register of Wills, Baltimore City, 1971.

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Auch aufgrund solcher Erbstreitigkeiten, bei denen es unterschiedliche Ansichten darüber gab, wer am besten entscheide, wie mit einem geerbten Haus zu verfahren sei, räumten Erblasser dem überlebenden Ehepartner immer seltener Nießbrauchrechte an Wohneigentum (life estates) ein, damit (Nach-)Erben schnell auf sich verändernde Märkte reagieren und die Immobilie veräußern konnten.307 Eine größer werdende Zahl an Testatoren bestimmte sogar explizit, dass ihr Haus nach ihrem Ableben verkauft und der Erlös unter den Erben aufgeteilt werden solle. Diese testamentarischen Verfügungen schienen nicht nur vor dem Hintergrund des stark volatilen Häusermarkts in Baltimore sinnvoll, sie ergaben sich auch aus der Tatsache, dass die Erben in vielen Fällen nicht mit dem Erblasser im selben Haus und vielfach nicht einmal in derselben Stadt wohnten – womit wiederum eigene Konflikte einhergehen konnten. Eine klare Vorgabe zum Verkauf des Hauses und zum Teil sogar die Ernennung des für den Hausverkauf Verantwortlichen schienen aus dieser Sicht längere Diskussionen zwischen den Erben, was mit dem Haus geschehen solle, überflüssig zu machen und somit ein vorausschauender Beitrag zu einer friedlichen und reibungslosen Nachlassübergabe zu sein.308 Darüber hinaus informierte die Maryland Bar Association in ihren Borschüren zu Erbangelegenheiten seit 1975 regelmäßig auch über Beratungen zu Hausverkäufen, dabei anfallende Gebühren und auf Immobilientransfers spezialisierte Rechtsanwälte und Makler.309 Doch selbst die genauesten Vorausplanungen konnten scheitern und Erbstreitigkeiten nicht verhindern, wenn es zwischen den Erben Konflikte gab, wie der Erbfall Sylvester L. veranschaulicht. Der Afroamerikaner Sylvester L. wurde 1931 in Georgia geboren und zog in den 1940er oder 1950er Jahren nach Baltimore. Dort heiratete er, und das Ehepaar bekam drei Kinder, zwei Töchter und einen Sohn. Sylvester arbeitete bei General Motors am Fließband. Zu einem unbekannten Zeitpunkt erwarb das Ehepaar zu gleichen Teilen ein Haus in Westbaltimore. Als der mittlerweile verwitwete Sylvester im September 2001 verstarb, war die Haushälfte seiner Frau schon an ihre Kinder übertragen und seine Haushälfte stellte den zweitgrößten einzelnen Posten in seinem Nachlass dar. Insgesamt hatte sein Erbe einen Wert von ca. 80.000 Dollar, der sich folgendermaßen zusammensetzte: Sparguthaben (28.000 Dollar), eine Haushälfte (ca. 25.000 Dollar), Staatsanleihen (14.000 Dollar) und eine Lebensversicherung (13.000 Dollar). Seine Erben waren zu jeweils einem Drittel seine Tochter Simone, sein Sohn David und zu jeweils einem Sechstel seine beiden Enkelkinder T. und S., die beiden Kinder einer vorverstorbenen Tochter. Alle vier (Enkel-)Kinder 307 Langbein, Twentieth-Century Revolution; Lawrence M. Friedman, The Dynastic Trust, in: Yale Law Review 73 (1964), H. 4, S. 547–592. 308 Jack O., Estate Number 55423, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001; Anne H., Estate Number A-554, in: Register of Wills, Baltimore City, 1971. 309 Maryland State Bar Association (Hrsg.), Survey, S. 17A.

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wohnten außerhalb von Maryland, sein Sohn David arbeitete und wohnte sogar im Ausland, nämlich in Frankfurt am Main. Mit der Nachlassadministration beauftragte der Orphans’ Court im Dezember 2001 daher Simone, die in Georgia lebte. Dieser Aufgabe kam Simone jedoch nicht nach. In den nächsten sechs Monaten antwortete sie auf keine Schreiben und Mahnungen des Amtsgerichts, mit dem Erbübertrag zu beginnen. Auch die Kommunikation mit den anderen Erben kam zum Erliegen. Im April 2002 stellten die beiden Enkelkinder und David deshalb beim Gericht den Antrag, Simone von ihrer Funktion als Nachlassverwalterin zu entbinden und stattdessen David einzusetzen. Diesem Antrag gab das Gericht im Mai 2002 statt. Erst neun Monate nach dem Tod des verstorbenen Hausbesitzers begann damit überhaupt erst das Probate-Verfahren. David erstellte bis September 2002 ein Inventar und beauftragte einen Immobilienmakler mit dem Verkauf des Hauses. Dieser Verkauf gestaltete sich als schwierig und teuer. Denn der Makler fand keinen Käufer, und so musste David für die Instandhaltung des Hauses, d. h., um notwenige Renovierungen durchführen zu lassen, sowie für Treffen mit dem Makler immer wieder aus Frankfurt anreisen, vor Ort ein Auto mieten und Übernachtungen buchen. Über die Zeit entstanden dadurch Kosten in Höhe von mehreren Tausend Dollar, die sich David aus dem Nachlass nahm. Zudem investierte er einen Teil der Erbschaft in Renovierungsarbeiten, um es leichter verkaufen zu können, was ihm bis Sommer 2003 nicht gelang. Daraufhin beantragten wiederum die beiden Enkelkinder T. und S., David von seiner Aufgabe als Nachlassverwalter zu entbinden, da er sich nicht genügend um den Verkauf des Hauses und den Übertrag der Erbschaft bemühe, sondern auf ihrer aller Kosten luxuriös zwischen Deutschland und den USA hin- und herreise und obendrein zu viel geerbtes Geld in die Renovierung des Hauses stecke, wobei niemand wisse, ob sich das beim Verkauf auszahlen werde. Demgegenüber argumentierte David vor Gericht, dass sich das Haus aufgrund seines schlechten Zustandes ohne Renovierungsarbeiten nicht habe verkaufen lassen und dass die Nachlassverwaltung für ihn zwar schwierig sei, da er in Deutschland lebe, er aber bei seinen Reisen immer versucht habe, günstige Angebote zu finden. Vollends zerstritt sich die Erbengemeinschaft im Herbst 2003, nachdem es Simone gelungen war, das Sparkonto ihres Vaters zu leeren und die 28.000 Dollar Sparguthaben komplett abzubuchen, die sie nun als ihren Erbteil beanspruchte. Ihren Verwandten erklärte sie, dass der Erbfall damit für sie beendet sei. Dies wiederum akzeptierten die übrigen Erben nicht, die nun ihre Schwester beziehungsweise Tante vor dem Orphans’ Court beschuldigten, einen Teil der Erbschaft schlicht gestohlen zu haben. Gleichzeitig warfen die Enkelkinder in Schreiben an das Gericht aber auch ihrem Onkel weiterhin vor, den Erbtransfer zu verzögern und unnötig große Kosten beim Verkauf des Hauses zu verursachen. Von einem geordneten und friedlichen Erbübertrag waren die Erben weit entfernt, und es dauerte noch fast zwei weitere

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Jahre, bis das Haus verkauft und die Erbschaft im Juni 2005 unter ihnen verteilt war.310 Die Erben eines Hauses stellten in Baltimore häufig schnell fest, dass der geschätzte Wert eines Hauses bei einem Verkauf nicht zu erzielen war. In mehreren Fällen fand sich erst gar kein interessierter Käufer. Hatten sie einen Makler mit dem Verkauf beauftragt, kam es schnell zu Beschwerden und sogar zu Klagen vor Gericht, in denen die Erben den vom Gericht bestellten Nachlassverwaltern oder dem von ihnen beauftragten Immobilienmakler vorwarfen, das Haus schlecht anzupreisen oder nicht genügend Energie in dessen Verkauf zu stecken. In nicht wenigen Fällen zog sich der Verkauf eines ererbten Hauses über mehrere Jahre hin, wobei für die Erben Kosten für den Verwalter oder Immobilienmakler ebenso wie für die zu zahlende Property Tax anfielen. Ein ererbtes Haus konnte so schnell aus unterschiedlichen Gründen finanzielle Mehrlasten und Frust bei den Erben hervorrufen, die Steuern für ein nicht genutztes Haus zu zahlen hatten und es trotz größeren Zeitaufwandes nicht verkaufen konnten. In vielen Fällen senkten sie daher nach mehreren Jahren den angepeilten Kaufpreis für ein geerbtes Haus deutlich, um dieses endlich in leichter teilbares und transferierbares Geld umwandeln zu können. Ließ sich ein geerbtes Haus überhaupt nicht verkaufen, stürzten die damit anfallenden Steuern die Erben in einzelnen Fällen sogar in finanzielle Schwierigkeiten. Denn konnten sie das Haus weder sanieren noch verkaufen und die anfallenden Kosten (Steuern und Gebühren am Gericht) nicht begleichen, ordnete das Gericht in der Regel den Zwangsverkauf des Hauses an, was wiederum bei ärmeren Erben vielfach vorkam.311 Wie kompliziert, langwierig und teuer sich der Verkauf eines Hauses am Ende des 20. Jahrhunderts in Baltimore gestalten konnte, veranschaulicht auch das folgende Beispiel, das repräsentativ für eine Reihe ähnlicher Erbfälle aus der Mittelschicht steht: Robert D. war der älteste Sohn und Personal Representative seiner im Jahr 1999 verwitwet verstorbenen Mutter. Diese hatte ihren drei Söhnen ein Haus hinterlassen, das sie im Jahr 1943 mit ihrem Mann für 3200 Dollar gekauft hatte. Nachdem ihr Mann in den 1980er Jahren verstorben war, bewohnte sie das Haus weiter, bis sie im Jahr 1996 in ein Pflegeheim zog. Seitdem bemühten sich ihre Söhne über einen Zeitraum von fünf Jahren um den Verkauf des Hauses. Zunächst beauftragte Robert D. seinen eigenen Sohn mit dem Verkauf, der daran scheiterte. Danach engagierte er nacheinander drei verschiedene Immobilienmakler, bis er das Haus im Jahr 2001 verkaufen konnte. Bis dahin hatten die Erben den geforderten Kaufpreis von anfänglich 44.900 Dollar auf 22.000 Dollar gesenkt. Für die Söhne von Emily D.

310 Sylvester L., Estate Number 58442, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001. Für einen ähnlichen Fall vgl Mary G., Estate Number 56411, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001. 311 Vgl. als Beispiel hierfür John C., Estate Number 56370, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001.

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schien der Erbfall damit abgewickelt, nicht jedoch für den Orphans’ Court. Dieser wies den vom ältesten Sohn erstellten und beim Gericht eingereichten Bericht und die darin vorgenommene Abrechnung zurück und verlangte eine neue Bilanzierung und Dokumentation der Nachlassverwaltung und -verteilung. Dies wiederum veranlasste Robert D. zu einem langen, handgeschriebenen Brief an den Register of Wills, in dem er seine Kosten und Bemühungen, das Haus zu verkaufen, schilderte und sich über dessen Auflagen beschwerte: I will tell you a little about our history which may help you understand how we are impacted by the procedure. This is the first time I registered a will. I am not an attorney nor am I familiar with this procedure. As the oldest son of Emily D. I was appointed to act as representative. [Es folgt eine ausführliche Schilderung seiner verschiedenen Versuche, das Haus zu verkaufen; J. D.] Finally, […] guided us to sale Jan. 26, 2001 for $22000.00. The will was probated Jan. 19, 2001. There is an awfully great deal of attention and time spent by your office for an estate of about $25.000.00. I have spent a lot of time to fulfill my obligations. Why are you exerting so much time and paperwork for our little estate? I am curious to know how much you have spent and how much you have collected from people like us? What is going on? This whole ordeal is taxing on me.312

Der Verkauf eines ererbten Hauses verlief nicht immer so aufreibend und war nicht derart langwierig und mit finanziellen Einbußen verbunden. Es finden sich auch Fälle, in denen Erben Häuser sehr schnell und manchmal sogar deutlich über den geschätzten Marktpreis verkauften.313 Zum Teil lag dies daran, dass sich in Baltimore Rechtsanwälte und Immobilienfirmen zusammenschlossen und auf den Erwerb von vererbten Immobilien spezialisierten. Ihre Mitarbeiter recherchierten in den öffentlich einsehbaren Akten des Orphans’ Court, ob in gerade abgeschlossenen Nachlassübertragungen auch Immobilien transferiert worden waren, um bei entsprechender Lage des Hauses als interessierte Käufer an die Erben heranzutreten.314 Diese Ausnahmen, in denen der Verkauf eines Hauses schnell und lukrativ verlief, bestätigen allerdings nur die zuvor skizzierte Regel, nach der der Verkauf eines ererbten Hauses in Baltimore im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts

312 Robert N. D. to Register of Wills, Baltimore City, 19.11.2001, Emily N. D., Estate Number 55341, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001. 313 Helen M. E., Estate Number 56923 und Alvin C., Estate Number 58212, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001. 314 O. A., A short Story on Ground Rents, o. O, 1984, in: EPFL, Ground Rents, Jews and Germans in Baltimore. Auch ein Großteil der Besucher, mit denen ich während meiner Recherchen am Orphans’ Court in Baltimore ins Gespräch kam, waren Angestellte solcher Firmen. Sie untersuchten die Unterlagen gerade abgeschlossener Erbfälle daraufhin, ob ein Haus Teil des Nachlasses war, an dem ihre eigene Firma Interesse haben oder bei dessen Verkauf ihre Firma behilflich sein könnte.

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schwierig und mit hohen Kosten verbunden war, wobei es in dessen Verlauf immer wieder zu Konflikten und Streit zwischen den Erben oder zwischen Erben, Immobilienmaklern und dem Orphans’ Court kam. Die intensive Nutzung des Nachlassgerichts durch Mitglieder der Mittelschicht konfrontierte deren Erben schließlich intensiv mit dem kritisierten ProbateVerfahren, das sich im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts über einen immer länger werdenden Zeitraum erstreckte. Durchschnittlich dauerte der Übertrag von Erbschaften aus dieser Gruppe in Maryland in den 1970er Jahren knapp 68 Monate und im Median 40 Monate.315 In Baltimore dauerte er im Jahr 2001 im Durchschnitt 67 Monate und im Median 36 Monate. Erben aus der Mittelschicht warteten damit nach dem Tod des Erblassers im Durchschnitt sowohl in den 1970er Jahren als auch im Jahr 2001 ungefähr fünfeinhalb Jahre auf den Erhalt ihres Erbteils.316 Die häufigste Beschwerde, die Erben an Anwälte sowie Nachlassverwalter herantrugen, betraf genau diese aus ihrer Sicht unverständlichen und extrem langen Verzögerungen beim Erbtransfer. Damit eng verbunden waren Beschwerden über die hohen Gebühren des Orphans’ Court für eine aus Sicht vieler Erben langsamen und ineffizienten Bürokratie, die wiederum die Nachfrage nach professioneller Beratung steigerten.317 Die hohen Verkaufszahlen von Ratgebern wie Dacey’s How to Avoid Probate legen nahe, dass viele Eigentümer aus der Mittelschicht diese Ratgeber erwarben. Auf ihre konkreten Nachlassplanungen hatten sie aber nur geringen Einfluss. Wie oben dargelegt, waren die Erbpraktiken der Mittelschicht nur zu einem kleineren Teil auf die Vermeidung des Probate-Verfahrens und der Steuerminimierung ausgelegt. Wichtiger war Erblassern eine individualisierte Erbverteilung in ihrem engen Umfeld und eine Rückbindung des Erbes an subjektiv wichtige Werte. Zusammen mit der spezifischen materiellen Zusammensetzung ihrer Nachlässe führte dies dazu, dass ihre Nachlässe zum größten Teil durch das vielfach kritisierte Probate-Verfahren übertragen wurden und dass sie kaum Steuern vermieden. Das Department of Fiscal Services in Maryland stellte im Jahr 1995 fest, dass Nachlässe im Bundesstaat zwischen 20.000 und 500.000 Dollar durchschnittlich höher besteuert wurden als Nachlässe über 500.000 Dollar.318 Nach dem Probate-Verfahren und dem Abzug aller Steuern und Gebühren ging das hinterlassene Vermögen allerdings weiterhin zum größten Teil in die Hände naher Familienangehöriger über.

315 316 317 318

Fierstein/Stein, Demography, S. 85f. Dinkel, Nachlassakten. Fierstein/Stein, Role, S. 1210. Department of Fiscal Services, Examination, S. 7.

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Schulden und Überwachung – Erbübertragungen bei armen Erblassern

Ebenso wie bei den reichen Stadtbewohnern führten die Gesetzes- und Gerichtsreformen auch bei den ärmeren Bewohnern zu deutlichen Änderungen ihrer Nachlasspraktiken.319 Während der Orphans’ Court die Nachlässe reicher Erblasser im Laufe des 20. Jahrhunderts zunehmend seltener erfasste, war es bei ärmeren genau umgekehrt. Sie vererbten ihren Besitz in den ersten Dekaden des Jahrhunderts noch überwiegend ohne Einbezug des Gerichts, bis der Staat den Druck auf sie erhöhte. Ab 1946 übertrugen sie ihre kleineren Nachlässe vermehrt über ein administrativ vereinfachtes Verfahren. Damit wurde erstmals die Gruppe ärmerer Erblasser in den Akten des Gerichts sichtbar. Auch ihre Erbpraktiken zielten überwiegend auf den Nachlassübertrag in der Familie. In deutlichem Unterschied zur wohlhabenden Ober- und Mittelschicht war der Vermögenserhalt bei ihnen aber prekär und die Gefahr des Scheiterns stand im Raum. Der Nachlasswert von armen Erblassern lag – offiziellen staatlichen Definitionen zufolge – in den 1970er Jahren und 1980er Jahren unter 10.000 Dollar. In Maryland zählten im Jahr 1972 53 Prozent aller Nachlässe zu dieser Kategorie der kleinen Nachlässe.320 Im Sample zu Baltimore aus dem Jahr 1971 waren sogar etwa 80 Prozent aller vom Orphans’ Court dokumentierten Nachlässe klein. Ihr durchschnittlicher Wert betrug 1422 Dollar (95 von 117 Erbfällen). Etwa ein Drittel aller Nachlässe im selben Jahr war überschuldet beziehungsweise bei ihnen gab der Register of Wills deren Wert mit null Dollar an (36 von 117 Erbfällen). Kleine und überschuldete Erbschaften waren in Maryland häufiger ein städtisches als ein ländliches Phänomen. Im Jahr 2001 machten Nachlässe mit einem ermittelten Wert von null oder weniger Dollar sogar knapp 43 Prozent aller vom Register of Wills dokumentierten Erbfälle aus (71 von 167 Erbfällen). Die Erblasser aus dieser Gruppe waren mehrheitlich Männer. Im Jahr 1971 waren 60 Prozent aus dieser Gruppe männlich und im Jahr 2001 waren es 54 Prozent. Des Weiteren kategorisierte das Gericht die Mehrheit von ihnen weiterhin als „Weiße“. Der Anteil der als „colored“ oder „Asian“ kategorisierten Verstorbenen lag mit 33 Prozent im Jahr 1971 und 49 Prozent im Jahr 2001 aber deutlich über denen in den wohlhabenderen Dezilen.321 Die meisten Männer aus dieser Gruppe waren zu Lebzeiten in einem Berufsspektrum beschäftigt gewesen, das vom Bankangestellten und Versicherungsverkäufer über Hafen- und Stahlarbeiter sowie Koch und Mitarbeiter bei der Müllabfuhr bis 319 Allgemein zur Geschichte der Armut in den USA vgl. Louis Hyman, Debtor nation. The history of America in red ink, Princeton 2011; Marisa Chappell, The War on Welfare. Family, Poverty, and Politics in Modern America, Philadelphia, PA 2010. 320 Fierstein/Stein, Demography, S. 88. 321 Dinkel, Nachlassakten.

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hin zu Lkw- und Taxifahrer reichte. Die meisten Frauen waren entweder Hausfrauen oder als Lehrerin, Sekretärin, Kellnerin, Krankenschwester und Pflegerin berufstätig. Sie waren damit überwiegend im Niedriglohnsektor oder in Berufen mit einem mittleren Einkommen beschäftigt gewesen. Der Wert ihrer Nachlässe ergab sich zum größten Teil aus vorhandenen Sparguthaben, Versicherungsleistungen, Barvermögen und Haushaltsgegenständen. Grund- und Wohneigentum war in den 1980er Jahren in Maryland nur in elf Prozent aller kleinen Nachlässe vorhanden.322 Die Hauseigentümerrate unter Afroamerikanern blieb bis weit ins 20. Jahrhundert niedrig. Rassistische zoning-laws, die Personen aufgrund ihrer Hautfarbe vorschrieben, in welchen Stadtteilen sie wohnen und Immobilien erwerben durften, das spätere von Banken und Kreditgebern betriebene redlining, durch das Afroamerikaner schlechter an Kredite kamen, und die Profitgier von Immobilienmaklern während des blockbusting führten dazu, dass nur wenige Afroamerikaner ein Haus erwarben. Doch auch für die Afroamerikaner, die ein Haus kauften, blieb dessen Erhalt und Erbübertrag schwierig. Bis weit ins 20. Jahrhundert waren in Baltimore Kaufverträge üblich, die eine enge Taktung der Ratenzahlung vorsahen, und die in Baltimore spezifische Trennung zwischen Wohneigentum und Grund-/Landeigentum (Ground Rents) führte dazu, dass Kreditraten und Pacht separat, zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedliche Personen oder Institutionen entrichtet werden mussten. Zugleich enthielten Kredit- und Pachtverträge häufig eine Klausel, nach der Gläubiger und Verpächter eine Wohnung und ein Grundstück vom Käufer/ Pächter zurückfordern konnten, wenn dieser nur wenige Ratenzahlungen nicht pünktlich beglich. Arbeitsplatzverluste, von denen Afroamerikaner seit den 1960er Jahren mit dem Niedergang der Stahl- und Schiffbauindustrie besonders stark betroffen waren, konnten so schnell zum Scheitern des gesamten Immobilienerwerbs führen. Zahlreiche Familien konnten die noch ausstehenden Häuserkredite nicht mehr bedienen, woraufhin ihre Häuser auf Betreiben der Gläubiger zwangsversteigert wurden und die Familien ihre gesamten Ersparnisse verloren.323 Noch häufiger als ein Arbeitsplatzverlust führte in Baltimore seit der Zwischenkriegszeit aber der Tod des Wohnungseigentümers zum Fehlschlagen eines Woh-

322 Fierstein/Stein, Demography, S. 99. 323 O. A., A look at Financing Homeownership, in: Real Estate Supplement provided by the AFROAmerican Newspaper, 17.3.1999; o. A., Home ownership, called ’80’s key to better life, ‘symbol of belonging’, in: The Evening Sun, 10.10.1979; o. A., Housing Bias: Good Neighbor Pioneers, in: The Baltimore Sun, 28.2.1966; o. A., Vacant city houses die of neglect, in: News American, 10.12.1978; o. A., 11 live in Kitchen of $18,000 House, in: The Baltimore Sun, 6.2.1959; o. A., The Negro Housing Market, in: The Baltimore Sun, 23.4.1957. Zur Aktualität dieses Problems vgl. Matthew Desmond, Evicted. Poverty and Profit in the American City, London 2016.

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nungserwerbs.324 Die mit dem Tod einer Person verbundene Unterbrechung alltäglicher Routinen, der in der Regel damit verbundene Einkommensausfall und die (umstrittene) und langwierige Regelung des Nachlassübertrags reichten immer wieder aus, um den Immobilienerwerb und -erhalt zum Scheitern zu bringen. Denn auch nach dem Tod eines Wohnungskäufers mussten in der Regel weiterhin noch fällige Raten beglichen und Verantwortlichkeiten für die Instanthaltungen der Immobilie und anfallende Kosten wie die Property Tax oder die Ground Rent geklärt werden. Bei mehreren Erben und angesichts knapper finanzieller Rücklagen war die Wahrscheinlichkeit hoch, dass fällige Rechnungen nicht termingerecht oder überhaupt nicht beglichen wurden, womit Gläubiger das Haus zurückfordern konnten.325 Doch selbst wenn dies nicht geschah, blieb ein Hauskauf für viele Afroamerikaner in Baltimore ein hohes finanzielles Risiko. Für den Wohnungserwerb verschuldete sich häufig die ganze Familie, so dass die finanziellen Ressourcen zur Instandhaltung und Renovierung der erworbenen Häuser knapp oder nicht vorhanden waren, auch wenn dies notwendig gewesen wäre. Viele Afroamerikaner kauften in den 1950er und 1960er Jahren Häuser von die Stadt verlassenden Weißen Eigentümern, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts während der ersten Welle der Suburbanisierung gebaut worden waren und zu diesem Zeitpunkt um die 50 Jahre alt waren. In den Fällen, in denen bei ärmeren Erblassern im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts Wohneigentum Bestandteil des Nachlasses war, befand sich dieses daher häufig in einem miserablen Zustand, es war ohne großen Wert und nur schwer zu verkaufen.326 Die positiven Nachlasswerte bei kleineren Erbschaften ergaben sich somit hauptsächlich aus Sparguthaben, wenigen Aktien und Bargeld. Diesen Werten standen allerdings in vielen Fällen größere Ausstände gegenüber, die sich aus noch zu begleichenden Mietzahlungen des Verstorbenen, Krediten zum Erwerb von Konsumgütern oder Wohneigentum, anderen Gerichtsstreitigkeiten und nicht zuletzt den Bestattungskosten ergaben.327 Anderen Sterbefällen waren (längere)

324 O. A., Maryland Operations of the HOLC Shown, in: The Baltimore Sun, 27.1.1941; o. A., HOLC Forecloses on only 67 Homes, in: The Baltimore Sun, 24.7.1935; Gerald W. S., Estate Number 56070; Mamie M., Estate Number 57148, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001. Allgemein zu diesem Thema vgl. Desmond, Evicted. 325 C. Philip Pitt, Ground Rents in Baltimore Now bring Record Prices, o. O., Oktober 1936; o. A., The Maryland Ground Rent System, o. O., 1952; o. A., A short Story on Ground Rents, o. O, 1984, in: EPFL, Ground Rents, Jews and Germans in Baltimore. 326 John C. H., Estate Number A-1548, in: Register of Wills, Baltimore City, 1971; Gilbert W., Estate Number 56267, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001. 327 Die Geschichte von Armut und Schulden in US-amerikanischen Städten ist vielfach untersucht. Als Einstieg vgl. Desmond, Evicted; Patricia Fernández-Kelly, The Hero’s Fight. African Americans in West Baltimore and the Shadow of the State, Princeton 2015; Hyman, Debtor.

Erben und Vererben in den USA, 1916–2000er Jahre

Krankenhausaufenthalte vorausgegangen, wodurch hohe Kosten für die medizinische Versorgung und Pflege entstanden waren. Im Erbfall des mit 38 Jahren verstorbenen Arbeiters Kenneth D. verlangte das Johns Hopkins Hospital für eine 23-tägige medizinische Versorgung von dessen Witwe 100.000 Dollar.328 Im Fall des alleinstehenden Hausmeisters Robert A. R., der im Alter von 50 Jahren an einer Leberzirrhose starb, forderte das Sinai Hospital von seinem Vater und Alleinerben für einen Tag in der Klinik die Summe von 52.000 Dollar.329 Hohe Pflegeund Krankenhauskosten konnten ebenso wie Schadensersatzklagen auch schnell die Nachlässe von wohlhabenderen Erblassern aufzehren. Je vermögender eine Person war, desto wahrscheinlicher war es allerdings, dass sie eine entsprechende Versicherung besaß, welche die Kosten übernahm, so dass angespartes Vermögen für den Nachlassübertrag übrigblieb.330 Auch bei (Verkehrs-)Unfällen konnte es zu hohen Schadensersatzforderungen kommen, die weit über die angesammelten Ersparnisse einer Person hinausgingen. Im Jahr 2001 verlangten die Erben einer bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückten Person von der Unfallverursacherin Schadensersatz in Höhe von knapp 670.000 Dollar.331 Die wenigsten armen Stadtbewohner hatten ihren Erbtransfer aktiv geplant. Die Administratoren ihrer Nachlässe fanden sich daher häufig in Situationen wieder, in denen es keine testamentarischen Bestimmungen der Verstorbenen darüber gab, was mit dem Nachlass geschehen sollte. Im Jahr 1972 hatten in Maryland nur 31 Prozent aller Personen mit einem Vermögen von weniger als 10.000 Dollar ein Testament hinterlassen.332 Für Baltimore sind die Zahlen noch niedriger; 1971 hinterließen 21 Prozent der Erblasser mit einem kleinen Nachlass ein Testament, im Jahr 2001 waren es 31 Prozent.333 In allen anderen Fällen trat die gesetzliche Erbfolge ein. Für den Übertrag dieser Nachlässe kam in der Regel das vereinfachte ProbateVerfahren für kleine Nachlässe zur Anwendung. Dies verkürzte die Dauer für Erbübertragungen in dieser Gruppe. Im Durchschnitt dauerten Probate-Verfahren bei kleinen Nachlässen in Baltimore im Jahr 2001 knapp 36 Monate, im Median waren es sechs Monate.334 Allerdings waren diese Verfahren häufig mit anderen

328 Kenneth D., Estate Number 57891, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001. 329 Robert A. R., Estate Number 58737, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001. Für ähnliche Fälle vgl. Michael L. W., Estate Number 57771, sowie Tiarieas H., Estate Number 56941, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001. 330 Angel, Inheritance, S. 26f. 331 Tamara N. D., Estate Number 57924, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001. Für einen ähnlichen Fall vgl. Walter L. H. Jr., Estate Number A-2141, in: Register of Wills, Baltimore City, 1971. 332 Fierstein/Stein, Demography, S. 82f. 333 Dinkel, Nachlassakten. 334 Dinkel, Nachlassakten.

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Gerichtsstreitigkeiten oder außergerichtlichen Schlichtungsverfahren verflochten, die den Nachlassübertrag verzögern, verkomplizieren und verteuern konnten. Mehrere arme Erblasser starben eines unnatürlichen Todes. Im Jahr 2001 war dies im Sample der small estates in Baltimore bei 20 von 148 Verstorbenen der Fall. Die Zahl der tödlichen Arbeitsunfälle war unter der ärmeren und weniger gebildeten Bevölkerung höher als in wohlhabenden Bevölkerungsgruppen. Neun Personen waren auf der Arbeit tödlich verunglückt, und ihre Nachlässe bestanden hauptsächlich oder ausschließlich aus Schadensersatzforderungen gegenüber dem Arbeitgeber oder einer Lebensversicherung, die von den Erben in (langwierigen) Rechtsverfahren durchzusetzen waren.335 Acht weitere Personen waren an einer Überdosis Drogen oder an Alkoholmissbrauch gestorben. Drei Erblasser wurden ermordet.336 Alle drei (zwei Männer, eine Frau) waren Afroamerikaner und starben im Alter von 59, 26 und 29 Jahren. Die beiden Männer waren verheiratet, einer hatte einen Sohn. Die Frau war alleinerziehend und hinterließ eine Tochter und einen Sohn. In keinem der drei Fälle reichte das hinterlassene Vermögen aus, um alle Ausstände zu begleichen. Strafrechtliche Ermittlungen verzögerten darüber hinaus die Nachlassverwaltung.337 Die hohe Anzahl an unnatürlichen Todesfällen unter armen Erblassern führte wiederum dazu, dass sie jung und etwa zehn Jahre früher verstarben als Personen, die einen regular estate hinterließen. In den Jahren 1971 beziehungsweise 2001 betrug das Durchschnittsalter von Erblassern mit einem small estate in Baltimore 62 respektive 68 Jahre, das von Erblassern mit einem regular estate 71 respektive 77 Jahre.338 Im Jahr 1971 starben neun von 42 armen Personen mit einem small estate und nur drei von 37 Personen mit einem regular estate vor ihrem 50. Lebensjahr. Im Jahr 2001 verstarben elf von 42 armen Erblassern und nur einer von 51 Erblassern mit einem regular estate vor ihrem 50. Lebensjahr. Deutlich häufiger als Verstorbene aus der Mittel- und Oberschicht hinterließen Arme daher noch minderjährige Kinder, für die das Gericht einen Guardian bestellen musste. Die Administration kleiner Nachlässe konnte daher – trotz vereinfachter Verfahren – kompliziert sein, ihre Verwaltung große Kosten verursachen und sich über längere Zeiträume hinziehen. Der Erbe einer bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückten Frau teilte dem Orphans’ Court vier Jahre nach deren Tod mit, dass ihm noch ca. 750 Dollar von der Unfallverursacherin zustünden und dass noch

335 Dinkel, Nachlassakten. 336 Dies entspricht etwa zwei Prozent der Erblasser im Sample der small estates. In absoluten Zahlen waren insgesamt 256 Personen im Jahr 2001 in Baltimore ermordet worden bei insgesamt 8.096 Todesfällen. Dies entspricht etwa drei Prozent aller Todesfälle. 337 Charles H. R., Estate Number 55843; Melvin D. H., Estate Number 56627; Randy M., Estate Number 58901, alle in: Register of Wills, Baltimore City, 2001. 338 Dinkel, Nachlassakten.

Erben und Vererben in den USA, 1916–2000er Jahre

etwa 300 bis 400 Dollar an Arztrechnungen zu begleichen seien. Den Überblick über den genauen Stand der verschiedenen Forderungen habe er verloren. Nach vier Jahren an Gerichtsverhandlungen sei er am Ende seiner Kräfte und habe kein weiteres Interesse an der Fortführung der Verfahren und der Nachlassadministration: „Mrs. H. is dead and I do not care to proceed further with the matter.“339 Immer wieder stießen die Erben und Administratoren kleiner Nachlässe bei ihrer treuhänderischen Verwaltung von Erbschaften an die Grenzen ihrer zeitlichen und finanziellen Ressourcen sowie ihrer juristischen Kenntnisse bei den Verhandlungen mit Arbeitgebern, Lebensversicherungen und Gläubigern des Erblassers. Anders als Erben aus der Oberschicht und Mittelschicht fehlten ihnen häufig die Mittel, um auf die Unterstützung von Anwälten zurückzugreifen, und umgekehrt lehnten Rechtsanwälte die Übernahme solcher Fälle ab in der Befürchtung, die Klienten seien nicht in der Lage, ihre Gebühren zu begleichen, und würden diese auch nicht aus dem Nachlassvermögen decken können. Die Administratoren kleiner Nachlässe mussten deren Verwaltung daher häufig ohne Rechtsbeistand leisten, während das Gericht die Inventarisierung und Verteilung des vorhandenen Vermögens überwachte. Der Erbfall Veronica V. soll abschließend diese Wechselwirkungen zwischen komplizierteren kleineren Erbschaften, ausbleibender Rechtsberatung und dem Verlust von Eigentum veranschaulichen. Die alleinerziehende Veronica V., Mutter von drei minderjährigen Kindern – ein 13 Jahre alter Sohn und zwei elfjährige Töchter – starb im Juli 2001 in Baltimore City, ohne ein Testament zu hinterlassen.340 Zum Personal Representative und Administrator ihres Nachlasses ernannte das Gericht Sonja S. Sie brachte die drei Kinder der Verstorbenen bei deren Verwandten unter und beantragte beim Gericht, als deren Guardian ernannt zu werden, um ihnen die Erbteile übertragen zu können. Aus den Akten geht nicht hervor, wie weit dieser Prozess fortgeschritten war, als Sonja S. im Jahr 2006 starb. Der Nachlass war jedoch noch nicht übertragen, weshalb das Gericht nun Deborah V., die Schwester von Veronica V., zu dessen Administrator ernannte. Vermutlich war Deborah V. auch mit Sonja S. verwandt, da das Gericht sie ebenfalls mit der Abwicklung von deren Erbe beauftragte. Letzteres bestand aus etwa 1.000 Dollar Bankguthaben und mehreren Tausend Dollar an Ausständen für Versicherungen, Strom- und Kabelfernsehanbieter und das Bestattungsunternehmen.341 Mit der doppelten Nachlassverwaltung war Deborah V. überfordert. Die von ihr ausgefüllten und beim Gericht eingereichten Formulare waren voll von Korrekturen und fehlerhaften Angaben, weshalb das Gericht ihre 339 Elizabeth B. H., Estate Number A-2227, in: Register of Wills, Baltimore City, 1971. 340 Veronica V., Estate Number 58592, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001. Vgl. auch James V. H., Estate Number 56625 und Essie D., Estate Number 55320, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001. 341 Sonja L. S., Estate Number 79624, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001.

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Schreiben immer wieder zurückwies. Vermutlich um den Jahreswechsel 2006/07 wandte sie sich daher an den Rechtsanwalt Adam J. Roa und dessen Kanzlei mit der Bitte, ihr bei der Verwaltung und dem Übertrag beider Nachlässe behilflich zu sein. Nachdem dieser allerdings bei der Durchsicht der Dokumente festgestellt hatte, dass der Großteil des Nachlasses von Veronica V. mittlerweile bereits an deren Kinder ausbezahlt worden war und es hauptsächlich darum ging, die fehlerhaften Formulare von Deborah V. zu korrigieren und sich im Erbfall von Sonja S. mit deren Gläubigern zu einigen, teilte er Deborah V. mit, dass er den Fall nicht (weiter) übernehmen werde: When you first approached our office, it was regarding the estate of both Veronica V. and Sonja S. As the matter progressed and we received more information, it was clear that the estate of Veronica V. had already been opened and closed and needed no further action. The estate of Sonja L. S. is relatively small with many complications. As the remaining estate has creditors that have claims that are anticipated to exceed the value of the estate, it will be an illiquid estate. It is our intention to withdraw our representation regarding both matters and issue a refund to you of any retainer left.342

Daran schloss sich eine längere Liste mit Punkten an, die Deborah V. bei der weiteren Bearbeitung des Nachlasses beachten solle, bevor der Rechtsanwalt seinen Brief beendete und sein Bedauern ausdrückte, dass er den Fall zurückgeben müsse, da die Antragstellerin vermutlich seine Gebühren nicht begleichen könne: „It is regrettable that in cases such as this one that we must withdraw our appearance. However, it is clear our fee will quickly outstrip the value of the estate in quick order.“343 Der Rückzug des Anwalts aus der Erbschaftsangelegenheit war kein Einzelfall.344 Bereits in den 1970er Jahren gaben Rechtsanwälte in Maryland in einer Umfrage an, dass sie in 43 Prozent aller Nachlassverfahren, in die sie involviert seien, Geld verlieren würden. Es erscheint daher plausibel, dass Anwälte insbesondere bei der Verwaltung von kleineren Erbschaften immer wieder Verlust machten, weshalb sie die Zusammenarbeit mit ärmeren Klienten beendeten oder diese gar nicht erst annahmen.345 Für Deborah V. bedeutete die Absage des Anwalts, dass sie beide Nachlässe ohne rechtlichen Beistand verwalten, mit den Gläubigern verhandeln und übertragen musste. Letzteres gelang ihr schließlich im August 2008, 14 Monate

342 Letter of Adam J. Roa, P. C. to Deborah V. (Parkville, MD), 12.6.2007, in: Sonja L. S., Estate Number 79624, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001. 343 Letter of Adam J. Roa, P. C. to Deborah V. (Parkville, MD), 12.6.2007, in: Sonja L. S., Estate Number 79624, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001. 344 Vgl. auch Mildred M. W., Estate Number 55467, in: Register of Wills, Baltimore City, 2001. 345 Fierstein/Stein, Role, S. 1188ff.

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nachdem sie die Absage vom Rechtsanwalt erhalten hatte und ungefähr zwei Jahre nachdem sie die Administration übernommen hatte. Die Erbpraktiken der verschiedenen sozialen Gruppen zusammenfassend lässt sich zunächst festhalten, dass alle Stadtbewohner bestrebt blieben, Eigentum in der Familie zu halten: Das Familienprinzip strukturierte weiterhin den Umgang mit dem jeweiligen Erbe. Die Strategien, um dieses Ziel zu gewährleisten, und die Erfolgswahrscheinlichkeiten variierten zwischen den sozialen Gruppen allerdings enorm. Die Nachlässe ärmerer Bewohner wurden ab 1946 deutlich häufiger als zuvor unter Einbezug und des Gerichts übertragen. Der Orphans’ Court und der Register of Wills trugen in diesen Angelegenheiten jedoch häufig nicht zum Eigentumsübertrag in der Familie bei. Angesichts vieler überschuldeter oder komplizierter Erbfälle erfüllten sie vielmehr eine andere ordnungspolitische Funktion: Sie überwachten die Auflösung der kleinen Nachlässe, worunter auch gemietete Wohnungen fielen, und die Verteilung des vorhandenen Vermögens. Verbliebenes Nachlassvermögen zahlten sie entsprechend einer feststehenden Reihenfolge, mit dem Beerdigungsunternehmen an erster Stelle, zunächst an vorhandene Gläubiger und dann an die Erben des Erblassers aus. Durch die Inventarisierung der Hinterlassenschaften, deren Verteilung und Übertrag trug der Register of Wills zur Vereindeutigung von Eigentumsverhältnissen bei. Insbesondere durch die kontrollierte Übergabe von Wohneigentum oder die Räumung und Säuberung von Wohnungen Verstorbener verhinderte er den Verfall leerstehender Wohnungen und die Entstehung von Slums. Damit trug er vor allem zur Stabilisierung der geltenden Eigentumsordnung bei, weniger zum Vermögensübertrag in der Familie. Anderes sah es bei Angehörigen der Mittelschicht aus. Sie passten ihren Umgang mit Immobilien an, die ihren Status als sichere Wertanlagen verloren. Darüber hinaus zeigten sich in den Vererbungspraktiken der Mittelschicht vor allem Kontinuitäten zum frühen 20. Jahrhundert. Diese Gruppe übertrug ihr Erbe nach Abzug aller Steuern und Gebühren weiterhin größtenteils über das Probate-Verfahren an Familienmitglieder. Auch die kleine Gruppe der reichen Stadtbewohner hielt am Familienprinzip fest. Sie intensivierte und professionalisierte aber ihre Nachlassplanungen, was sich vor allem in der Vermeidung des Probate-Verfahrens zeigte. Während wohlhabende Stadtbewohner um 1900 den Großteil der Klienten des Nachlassgerichts ausmachten, um sich ihre Eigentumstitel bestätigen zu lassen, waren sie um 2000 darum bemüht, das Gericht aus ihren Erbangelegenheiten herauszuhalten. Der Orphans’ Court in Baltimore erfasste um das Jahr 2000 kaum noch große Nachlässe. Die Reaktion der wohlhabenden Schichten auf die Einführung und Erhöhung der Erbschaftssteuern sowie den Ausbau des Probate-Verfahrens bestand in der professionalisierten Minimierung der Steuern und in der Umgehung der Verfahren.

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Erben und Vererben in Deutschland, 1918–1960er Jahre

3.1 Erbschaftssteuer in der Weimarer Republik Nach der Gründung der Weimarer Republik kamen mit der SPD und der linksliberalen DDP zwei Parteien in die Regierung, deren Vertreter sich schon im 19. und frühen 20. Jahrhundert energisch für die staatliche Umverteilung von Erbvermögen ausgesprochen hatten. Zudem hatte sich auch die dritte Partei in der Regierungskoalition, das Zentrum, bereits im späten Kaiserreich unter Matthias Erzberger linken Positionen angenähert. Auf dieser Grundlage führte Erzberger als Finanzminister zwischen Juni 1919 und März 1920 die bis in die Gegenwart umfangreichste Finanz- und Steuerreform der deutschen Geschichte durch.346 Ziel der Reform war es, angesichts der enormen Staatsschulden und des Finanzbedarfs der Republik die Steuereinnahmen zu erhöhen. Hierzu plädierte Erzberger für die Erhöhung der Einkommenssteuer, die Einführung einer dauerhaften Vermögenssteuer in der gesamten Republik und die Erhebung einer einmaligen Vermögensabgabe („Reichsnotopfer“). Im Zentrum seiner Vorschläge stand jedoch die Erbschaftsbesteuerung. Dem Reichstag schlug er vor, die Erbschaftssteuer zur zentralen Besitzsteuer der Republik auszubauen.347 Durch sie sollte die Republik nicht mehr nur ca. 40–50 Millionen Mark wie vor dem Krieg, sondern über 700 Millionen Mark jährlich einnehmen. Um derart hohe Einnahmen zu erzielen, waren umfangreiche Änderungen der Erbschaftsbesteuerung notwendig. Konkret schlug Erzberger drei Maßnahmen vor: Erstens wollte er, wie bereits im Kaiserreich von sozialdemokratischen und linksliberalen Abgeordneten gefordert und in anderen Staaten schon verwirklicht, das Verwandtenerbrecht begrenzen und ein Erbrecht des Staates einführen. An die Stelle nur weitläufig mit einem Erblasser verwandter Erben sollte der Staat als Erbe treten.348 Zweitens plädierte er für die Einführung einer Nachlasssteuer, wie sie beispielsweise in den USA im Jahr 1916 eingeführt worden war, die ausgehend vom Wert des Nachlasses berechnet werden sollte. Erzberger verstand sie als letzte Vermögenssteuer auf den Besitz, den eine Person in ihrem Leben besessen hatte, und als Kontrollsteuer für Einkommen und Vermögen. Sie sollte in der ersten Klasse (Ehegatten und Kinder) zwischen vier und 20 Prozent und in der letzten

346 Buggeln, Versprechen, S. 296–302. 347 Rede von Matthias Erzberger, 50. Sitzung, 8.7.1919, in: Verhandlungen der verfassungsgebenden Nationalversammlung, Bd. 327, Stenographische Berichte, Berlin 1920, S. 1381. Diese und folgende Redebeiträge finden sich auf der Homepage Verhandlungen des Deutschen Reichstags, https:// www.reichstagsprotokolle.de/bundesarchiv.html (letzter Zugriff 18.4.2021). 348 Deutsche Volkspartei, Grundsätze, 19. Oktober 1919, in: http://teachsam.de/geschichte/ges_deu_ weimar_18-33/wei_parteien/dvp/dvp_quellen/wei_par_dvp_Q_2.htm (letzter Zugriff 18.4.2021).

Erben und Vererben in Deutschland, 1918–1960er Jahre

Klasse zwischen 15 und 50 Prozent betragen. Drittens argumentierte er für die Ausdehnung der Erbanfallssteuer, die Erhöhung der Erbschaftssteuersätze und eine dementsprechende Anpassung der Schenkungssteuer. Erzbergers Gesetzesentwürfe legten fest, auch Erbtransfers an Ehegatten und Kinder zu besteuern, die bis dahin von der Steuer befreit waren. Damit wollte er gewährleisten, dass alle Erben besteuert werden. Für Ehegatten und Kinder sah Erzbergers Entwurf einen progressiv ansteigenden Steuersatz auf ihre Erbteile von vier bis 35 Prozent vor. Für entfernte Verwandte nannte er einen Höchststeuersatz von 70 Prozent, der, falls die Erben bereits über ein Vermögen von über 100.000 Mark verfügten, auf bis zu 90 Prozent ansteigen konnte.349 Ergänzend sollte die Anpassung der Schenkungssteuer die Umgehung der Erbschaftssteuer durch Eigentumsübertragungen unter Lebenden verhindern. Mit diesen Gesetzesentwürfen empfahl Erzberger den Abgeordneten des Reichstages, das Verhältnis von Familie und Staat im Erbrecht neu auszutarieren und über die Besteuerung von Nachlässen und Erbschaften umfangreich in private Besitzverhältnisse einzugreifen, um Vermögensungleichheiten abzubauen und hinterlassenes Privatvermögen in größerem Umfang an den Staat umzuverteilen.350 Nach Vorlage des Gesetzesentwurfs diskutierten die Abgeordneten des Reichstags im Frühjahr und Sommer 1919 Erzbergers Gesetzesentwürfe. Dabei stimmten alle Redner mit Erzberger darin überein, dass das Reich neue finanzielle Einnahmequellen benötige, wofür Steuern erhöht oder eingeführt werden müssten.351 Von diesem Konsens ausgehend stellte sich den Abgeordneten nur noch die Frage, welche Steuern angehoben oder neu eingeführt werden sollten.352 Die Befürworter von Erzbergers Vorschlag, die Erbschaftssteuer zur zentralen Besitzsteuer des Reiches auszubauen, profitierten in dieser Auseinandersetzung von zwei weiteren Debatten der unmittelbaren Nachkriegszeit. So stimmten breite Bevölkerungsteile darin überein, dass sogenannte Kriegsgewinnler, die sich häufig im Bild des vermögenden Großindustriellen – zum Teil mit antisemitischer Stoßrichtung – manifestierten, angemessen für die finanziellen und sozialen Folgekosten des Krieges heranzu-

349 Rede von Matthias Erzberger, 50. Sitzung, 8.7.1919, S. 1381. 350 Entwurf eines Erbschaftssteuergesetzes, 16.6.1919, Anlage 376, in: Verhandlungen des Reichstags, Bd. 335, 1919/1920, Berlin 1920. 351 Vgl. z. B. die Rede von Wilhelm Keil, 50. Sitzung, 8.7.1919, in: Verhandlungen der verfassungsgebenden Nationalversammlung, Bd. 327, Stenographische Berichte, Berlin 1920, S. 1389; Rede von Fritz Raschig, 84. Sitzung, 20.8.1919, in: Verhandlungen der verfassungsgebenden Nationalversammlung, Bd. 329, Stenographische Berichte, S. 2654; Rede von Emanuel Wurm, 84. Sitzung, 20.8.1919, in: Verhandlungen der verfassungsgebenden Nationalversammlung, Bd. 329, Stenographische Berichte, S. 2659. 352 Rede von Matthias Erzberger, 76. Sitzung, 11.8.1919, in: Verhandlungen der verfassungsgebenden Nationalversammlung, Bd. 329, Stenographische Berichte, Berlin 1920, S. 2303.

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ziehen seien.353 Vereinfacht zusammengefasst lief diese Diskussion somit auf die Forderung hinaus, Vermögende stärker zu besteuern als weniger Vermögende.354 Darüber hinaus war für die Zeitgenossen unübersehbar, dass Familien und religiöse sowie gemeinnützige, wohltätige Stiftungen bei der Versorgung von Armen, Kriegsversehrten und alten Personen an ihre Grenzen stießen und der Staat immer mehr an deren Stelle trat. Damit unterminierte die Not der Nachkriegsmonate ein wesentliches Argument der Gegner von Erbschaftssteuern, nämlich deren Behauptung, dass Familien die zentrale Organisationseinheit der Gesellschaft darstellen und der Staat deshalb kein Recht habe, mittels Steuern auf das Privateigentum einer Familie zuzugreifen. Von dieser Position rückten in den Reichstagsdebatten nun sogar konservative Redner ab. Arthur Adolf Graf von Posadowsky-Wehner, Abgeordneter der DNVP, erklärte demgemäß im Reichstag: Privateigentum und Familie werden verbunden durch das Erbrecht, sie bilden damit eine Einheit. Aus diesem Grunde, aus diesem ethischen Grunde, waren wir gegen eine Besteuerung des Kindeserbes und gegen eine Besteuerung des Erbteils der Ehegatten. Aber in der Not der Zeit muß man unter Umständen von grundsätzlichen Auffassungen ablassen; wir sind daher bereit, auch in eine sachliche Prüfung der Besteuerung des Erbes der Kinder und der Ehegatten einzutreten.355

Erbschaftssteuern stießen in der unmittelbaren Nachkriegszeit auf konservativer Seite nicht mehr auf den strikten und energischen Widerstand, wie noch in der Zeit des Kaiserreichs. Für einzelne konservative Abgeordnete erschienen sie unter bestimmten Umständen sogar notwendig und akzeptabel. Am Ende der Debatte stimmte Posadowsky-Wehner aufgrund zu hoher Steuersätze zwar gegen den vorgelegten Entwurf, sein zitierter Redebeitrag verdeutlicht aber, dass der konservative Widerstand gegen die Einführung und Erhöhung von Erbschaftssteuern – im Vergleich zu den Debatten im Kaiserreich – sehr viel schwächer ausfiel und solche Steuern nicht mehr prinzipiell abgelehnt wurden. 353 Martin H. Geyer, Kapitalismus und politische Moral in der Zwischenkriegszeit oder: Wer war Julius Barmat?, Hamburg 2018. 354 Der Kriegsgewinnler war ein wiederkehrendes Motiv in den Redebeiträgen zur Erbschaftsbesteuerung am 8. und 9. Juli 1919. Für eines dieser Beispiele vgl. Rede von Emanuel Wurm, 52. Sitzung, 9.7.1919, in: Verhandlungen der verfassungsgebenden Nationalversammlung, Bd. 327, Stenographische Berichte, Berlin 1920, S. 1443. 355 Rede von Arthur Adolf Graf von Posadowsky-Wehner, 52. Sitzung, 9.7.1919, in: Verhandlungen der verfassungsgebenden Nationalversammlung, Bd. 327, Stenographische Berichte, Berlin 1920, S. 1430. Vgl. auch Rede von Wilhelm Farwick, 50. Sitzung, 8.7.1919, in: Verhandlungen der verfassungsgebenden Nationalversammlung, Bd. 327, Stenographische Berichte, Berlin 1920, S. 1393; Rede von August Hampe, 84. Sitzung, 20.8.1919, in: Verhandlungen der verfassungsgebenden Nationalversammlung, Bd. 329, Stenographische Berichte, S. 2655.

Erben und Vererben in Deutschland, 1918–1960er Jahre

In den entscheidenden Debatten um die Reform der Erbschaftssteuer am 8. und 9. Juli sowie am 20. August 1919 profitierte die Regierungskoalition von dieser veränderten Gesamtsituation und dem enormen Finanzbedarf des Reiches. Das am 10. September 1919 in Kraft tretende neue Reichserbschaftssteuergesetz griff nahezu alle ihre Forderungen auf, lediglich die angestrebte Begrenzung des Verwandtenerbrechts und die Einführung eines Erbrechts des Staates war an der Ablehnung konservativer Abgeordneter sowie am Widerspruch von Abgeordneten des Zentrums gescheitert. Deutschland blieb damit eines der wenigen Länder, in denen das Verwandtenerbrecht unbegrenzt galt. Abgesehen davon war es SPD und DDP gelungen, die Ansprüche des Staates an transferiertem Erbvermögen deutlich zu erhöhen und das Familienprinzip einzuschränken. Erstmals wurden Erbüberträge an Ehegatten und Kinder steuerpflichtig. Die für sie geltenden progressiv ansteigenden Steuersätze konnten bis zu 35 Prozent reichen, für weiter entfernte Verwandte des Erblassers sah das Gesetz einen Höchstsatz von 90 Prozent vor. Zusätzlich wurde eine Nachlasssteuer auf alle Nachlässe über 20.000 Mark erhoben, deren Steuersatz bis auf fünf Prozent anstieg.356 Auch schaffte die Regierung die Erbprivilegien des Adels ab. Die Weimarer Verfassung von 1919 hielt in Artikel 155 fest, dass Fideikommisse aufzulösen seien.357 Die umfangreichen staatlichen Zugriffe auf privates Erbvermögen blieben nur für kurze Zeit bestehen. Während der Adel seine Privilegien nicht mehr zurückerhielt, nahm der konservative Widerstand gegen die Erbschaftsbesteuerung in den nächsten Jahren deutlich zu. In unterschiedlichen Varianten argumentierten Politiker konservativer und liberaler Parteien, dass Familien(unternehmen) die zentrale Produktivkraft der Nation darstellten und diese von staatlichen Belastungen zu befreien seien. Ihrer Ansicht nach entzogen die hohen Steuern den Familienunternehmen das notwendige (Investitions-)Kapital. Darüber hinaus argumentierten sie, die Behauptung sei falsch, dass Kinder aus reichen Familien zum Müßiggang neigten.358 Richtig sei vielmehr, dass mit einer Verschärfung der Erbschaftsbesteuerung und der Einführung eines Pflichtteilsrechts des Staates Betriebe, die durch die Tatkraft und die Talente produktiver Familienunternehmer entstanden seien, geopfert

356 Für eine breitere Einordnung dieser Reform in die Steuerreformen der 1920er Jahre vgl. Buggeln, Versprechen, S. 296–302; Stefan Bach/Marc Buggeln, Geburtsstunde des modernen Steuerstaats in Deutschland 1919/1920, in: Wirtschaftsdienst: Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 100 (2020), H. 1, S. 42–48; Wischermann, Erbe; Beckert, Vermögen, S. 271. 357 Conze, Adel, S. 239–247. 358 Rede von Wilhelm Farwick, 78. Sitzung, 13.8.1919, in: Verhandlungen der verfassungsgebenden Nationalversammlung, Bd. 329, Stenographische Berichte, Berlin 1920, S. 2387; Berichterstatter Pohlmann, 20.8.1919, in: Verhandlungen der verfassungsgebenden Nationalversammlung, Bd. 329, Stenographische Berichte, S. 2245.

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und dem sicheren Ruin zugeführt würden.359 In die gleiche Kerbe schlug Oskar Maretzky von der DVP, als er vor der Sozialisierung der deutschen Unternehmen durch die Einführung der Nachlass- und Erbschaftssteuer warnte, die unweigerlich zur „Vernichtung großer wirtschaftlicher Werte“360 führen würden. Als sich Anfang der 1920er Jahre sowohl die politischen Machtverhältnisse als auch die wirtschaftliche Gesamtlage änderten, gelang es, mit diesen Argumenten und dem Verweis auf das Familienprinzip beschlossene Reformen der Erbschaftsbesteuerung schrittweise wieder rückgängig zu machen.361 Beispielsweise reduzierten spätere Regierungskoalitionen die Steuersätze für enge Verwandte um die Hälfte und befreiten den Ehegatten, abgesehen von wenigen Ausnahmen, erneut von der Steuer; die Steuersätze von bis zu 70 Prozent für weiter entfernte Verwandten blieben hingegen bestehen.362 Mit diesen Änderungen wichen die folgenden Regierungen nicht grundsätzlich von der Idee ab, Vermögende stärker zu besteuern und auf den Abbau von Vermögensungleichheiten in der Gesellschaft hinzuwirken. Sie waren aber bereit, Abstriche an diesen Zielen zu machen, wenn der Erbtransfer in der engen Familie vonstattenging. Sie setzten damit starke ökonomische Anreize zur Vermögensweitergabe in der Familie und wertete den Schutz von Familieneigentum gegenüber Staatsinteressen in Form von Steuereinnahmen und dem Gleichheitsversprechen der Republik wieder auf.363 Als der Reichstag das erneut reformierte Erbschaftssteuergesetz im Jahr 1925 verabschiedete, fiel die Erbschaftsbesteuerung daher nicht nur deutlich niedriger aus als Anfang der 1920er Jahre angekündigt, auch zahlreiche Ausnahmen und „Schlupflöcher“ zur Vermeidung von Erbschaftssteuern waren in das Gesetz eingebaut worden. Am wichtigsten und bis heute folgenreichsten war dabei die erneute Stärkung des Familienprinzips. Im Rahmen des Erbschaftssteuergesetzes besagte dies, dass ein bestimmter Betrag steuerfrei an Familienmitglieder vererbt werden durfte. Die Höhe des Freibetrags und die Höhe der Besteuerung des Restbetrages hingen ebenfalls vom Verwandtschaftsgrad des Erben zum Erblasser ab: Je enger der Verwandtschaftsgrad, desto geringer die Besteuerung. Am Ende des von der SPD angestoßenen Reformprozesses stand damit Mitte der 1920er Jahre ein Gesetz, das sich von der Idee, über Erbschaftssteuern im großen Stil Vermögen in

359 Rede von August Hampe, 84. Sitzung, 20.8.1919, in: Verhandlungen der verfassungsgebenden Nationalversammlung, Bd. 329, Stenographische Berichte, S. 2654. 360 Rede von Oskar Maretzky, 84. Sitzung, 20.8.1919, in: Verhandlungen der verfassungsgebenden Nationalversammlung, Bd. 329, Stenographische Berichte, S. 2657; Berichterstatter Pohlmann, 20.8.1919, in: Verhandlungen der verfassungsgebenden Nationalversammlung, Bd. 329, Stenographische Berichte, S. 2245. 361 Buggeln, Versprechen, S. 336. 362 Beckert, Vermögen, S. 273. 363 Beckert, Vermögen, S. 274; Wischermann, Erbe.

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der Gesellschaft umzuverteilen, weitgehend verabschiedet hatte. Die Impulse der unmittelbaren Nachkriegszeit zum Umbau der Eigentumsordnung und zur Umverteilung von Eigentum waren damit nach wenigen Jahren weitgehend verpufft, im großen Unterschied zu ähnlichen Reformen in den USA und der Sowjetunion.364 Zwar waren einige Erbprivilegien abgeschafft und die Erbschaftssteuer im Durchschnitt erhöht worden; entscheidend war allerdings, dass die Reform weiterhin Anreize setzte, Eigentum an enge Familienmitglieder zu vererben, das dann wiederum deutlich niedriger oder gar nicht besteuert wurde. Dies führte dazu, dass der Anteil der Erbschaftssteuern (inklusive Schenkungssteuern) am gesamten Steueraufkommen von Staat, Ländern und Gemeinden in den Jahren 1929/30 mit 0,6 Prozent noch unter dem Anteil von vor dem Krieg lag; 1913/14 hatte er bei 1,4 Prozent gelegen.365 Nach einer kurzen Phase von wenigen Jahren, in denen der Staat versucht hatte, verstärkt und umfangreich auf Erbvermögen zuzugreifen, nahm er davon ab Mitte der 1920er Jahre wieder Abstand, während er das Familienprinzip im Erbrecht erneut bestätigte und stärkte. Die Vermeidung von Erbschaftssteuern blieb damit zwar ein Thema in den Nachlassplanungen vermögender Eigentümer, worauf an späterer Stelle noch ausführlicher eingegangen wird. Die nur moderat angehobenen Steuersätze führten aber zu keinen so starken Abwehrreaktionen, wie sie für die USA herausgearbeitet worden sind. Sehr viel stärker als die politischen Steuerdebatten störte Anfang der 1920er Jahre die Inflation Erbübertragungen in Deutschland. 3.2 Testamente und Inflation Die (Hyper-)Inflation der frühen 1920er Jahren führte zu einer nahezu totalen Entwertung von Staatsanleihen, Sparguthaben und Bargeld, während der Wert von Immobilien und Wertgegenständen im Vergleich dazu enorm anstieg.366 Diese großen Wertveränderungen von einzelnen Nachlassbestandteilen eröffneten einem Teil der testamentarisch eingesetzten Erben neue Handlungsspielräume. Unter Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben konnten einige von ihnen die ökonomischen Turbulenzen zu ihrem eigenen Vorteil nutzen. Dies war immer dann der Fall, wenn Personen noch vor der Inflation ein Testament errichtet hatten, in dem sie Immobilien, Grund- und/oder Landbesitz, Produktionsmittel, Kunstwerke oder Haushaltsgegenstände vollständig oder zum größten Teil an einen Erben übertragen hatten, während andere Erben Bargeld oder den Anspruch auf eine bestimmte an 364 Hans-Peter Ullmann, Der deutsche Steuerstaat. Geschichte der öffentlichen Finanzen vom 18. Jahrhundert bis heute, München 2005, S. 103–106. 365 Wischermann, Erbe, S. 54. 366 Martin H. Geyer, Verkehrte Welt. Revolution, Inflation und Moderne: München 1914–1924, Göttingen 1998.

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sie vom Land-, Immobilien- oder Unternehmenserben auszuzahlende Geldsumme erhielten. Diese testamentarischen Erbregelungen von Landwirten, Handwerkern, Unternehmen und Bürgerlichen, die auf den Erhalt des bäuerlichen Hofes oder des Unternehmens und auf eine möglichst gleiche Behandlung aller Nachkommen abzielten, entfalteten in der spezifischen Situation der Jahre 1922 und 1923 allerdings eine gegenteilige Wirkung.367 Die in testamentarischen Bestimmungen vorgenommene traditionelle Gleichbehandlung aller Abkömmlinge im Frankfurter Raum lief Anfang der 1920er Jahre in vielen Fällen, in denen ein Erbe beispielsweise Bargeld und ein anderer ein Grundstück erhalten sollte, auf das genaue Gegenteil hinaus: eine extreme Ungleichbehandlung der Erben. Es dauerte folglich nicht lange, bis sich aufgrund der veränderten ökonomischen Verhältnisse benachteiligt fühlende Erben über „jedem Gerechtigkeitsgefühl zuwiderlaufende Erbteilungen“368 beschwerten, in gerichtliche Auseinandersetzungen um Erbanteile eintraten und den Staat aufforderten, durch Änderungen der Gesetze oder andere Maßnahmen für die „grössten Härten einen Ausgleich zu schaffen“.369 Angesichts solcher Eingaben und erster Erbstreitigkeiten, die sich aus den inflationsbedingt veränderten Werten einzelner Gegenstände ergaben, befürchtete das Frankfurter Amtsgericht – ebenso wie andere Amtsgerichte – das Verarmen eines Teils der Erben sowie eine Flut an Erbstreitigkeiten, die Familien zerrütten würden.370 Das Frankfurter Amtsgericht begann daher im Jahr 1924 nach dem Vorbild sächsischer Amtsgerichte damit, alle Personen, die ein Testament vor dem 1. Januar 1924 hinterlegt hatten, anzuschreiben.371 In diesen Schreiben wies es darauf hin, dass es sein könne, dass die in Testamenten getroffenen Bestimmungen „durch die starke Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse, insbesondere durch die Geldentwertung, undurchführbar, unzweckmäßig oder überhaupt gegenstandslos geworden [seien] oder daß sie dem wahren Willen des Erblassers nicht mehr [entsprächen]“.372 Das Vorhandensein solcher letztwilliger Verfügungen habe „oft für die hinterbliebenen Beteiligten unliebsame Weiterungen und Kosten zur

367 HHStAW, 469/6, 39 IV 45/10; HHStAW, 469/6, 36 IV 1357/25 L. und 36 VI 193/27 L. 368 Dora N. an die Geschäftsführung des Reichstages, 11.7.1922, in: R 3001/1529, Reichsjustizministerium: Eingaben in Erbschaftsangelegenheiten, Dezember 1900–Dezember 1926. Vgl. auch HHStAW, 469/6, 67 IV 1285/25 L.; HHStAW, 469/6, 36 IV 263/25 L. 369 Dora N. an die Geschäftsführung des Reichstages, 11.7.1922, in: R 3001/1529, Reichsjustizministerium: Eingaben in Erbschaftsangelegenheiten, Dezember 1900–Dezember 1926. 370 HStAM, 270/1098, Erbschaftssache: Tobias K. gegen Heinrich K.; o. A., Inflation und Erbauseinandersetzung, in: Hamburger Fremdenblatt, 26.2.1926; Alfred Karger, Nachprüfung alter Testamente, in: Vossische Zeitung, 23.10.1930. 371 Werner Vogels, Benachrichtigung in Nachlaßsachen. Beseitigung gegenstandslos gewordener Testamente, in: Deutsche Justiz 98 (1936), S. 756–757, S. 756. 372 Ein solches standardisiertes Schreiben findet sich beispielsweise in der Akte HHStAW, 469/6, Paket 465, Ernestine H.

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Folge gehabt; sie sind vor allem häufig der Anlaß für Streitigkeiten und Prozesse, namentlich hinsichtlich der Aufwertung ausgesetzter Beträge geworden“.373 Das Amtsgericht forderte deshalb alle Testatoren auf, ihr Testament im Lichte ihrer aktuellen Vermögenssituation zu überdenken und gegebenenfalls gebührenbefreit anzupassen. Wie viele Angeschriebene dieser Aufforderung nachkamen, geht aus den Akten nicht hervor. Aus Sachsen ist bekannt, dass etwa ein Drittel aller Personen, die ein Testament auf dem Amtsgericht hinterlegt hatten, es änderten.374 Der Anteil in der Stadt am Main dürfte kaum höher gewesen sein. Zahlreiche Schreiben an das Amtsgericht, mit denen die Absender ihr Testament änderten oder zurücknahmen, da sich ihre familiäre und ökonomische Situation seit der Testamentshinterlegung (zum Teil drastisch) verändert hatte, belegen allerdings, dass die Anschreiben des Gerichts auch in Frankfurt Wirkung zeitigten.375 Charakteristisch hierfür teilte die im Jahr 1847 geborene, alleinstehende Pauline S. dem Amtsgericht im April 1925 mit: Da ich nun infolge des Weltkrieges mein Vermögen eingebüsst habe, sind auch die darin enthaltenen Bestimmungen hinfällig geworden, und ich möchte höflich darum ersuchen, mir dieses Testament wieder zurückzugeben. Leider bin ich durch ein langjähriges körperliches Leiden nicht wegfähig und muss deshalb darum bitten, mir das Testament durch einen Beamten persönlich zustellen zu lassen. […] Mit Rücksicht auf meine ungünstige Vermögenslage (ich bin auf die Beihilfe meines Neffen und des Wohlfahrtsamtes angewiesen) bitte ich die niedrigste Gebühr dafür in Ansatz zu bringen.376

Die reine Anzahl der Testamentsänderungen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass viele andere Testatoren nicht auf die Anschreiben des Amtsgerichts reagierten. Auch gelang es dessen Mitarbeitern schlicht nicht, alle Personen zu kontaktieren, die ein Testament hinterlegt hatten, da sie deren Adressen nicht ermitteln konnten. Im Jahr 1934 hielten die Mitarbeiter des Frankfurter Amtsgerichts dementsprechend fest, dass sie noch über 11.000 Testamente aufbewahrten, die vor 1918 errichtet worden waren.377 Eine spätere genauere Überprüfung von 2.049 dieser Testamente, die vor dem 1. Januar 1924 hinterlegt worden waren und bei denen das Amtsgericht erneut versuchte, Kontakt zu den Hinterlegenden aufzunehmen, führte zu dem Ergebnis, dass 122 Personen ihr Testament zurücknahmen, in 361 Fällen entschieden 373 374 375 376 377

HHStAW, 469/6, Gruppe H., Paket 465, Ernestine H. Vogels, Benachrichtigung (1936). HHStAW, 469/6, 36 IV 950/25 L. und 36 IV 700/25 W. Pauline S. an das Amtsgericht Frankfurt, 24.4.1925, in: HHStAW, 469/6, 36 IV 359/25 S. Oberlandesgerichtspräsident an den Landesgerichtspräsidenten, 11.7.1934, in: HHStAW, 460/775, Testamentswesen 1900–1936.

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sich die Hinterleger, ihr Testament unverändert auf dem Amtsgericht zu belassen, und in 536 Fällen stellte das Gericht fest, dass die hinterlegende Person schon verstorben und ihr Testament nach ihrem Tod nicht eröffnet worden war. In 1.030 Fällen und damit in über der Hälfte aller Fälle konnte das Gericht weder die Person ermitteln, die das Testament hinterlegt hatte, noch nahe Familienangehörige.378 Auch andere Amtsgerichte, die im Zuge der Geldentwertung die Hinterleger von Testamenten informieren wollten, stellten ähnliche Probleme bei der Verwahrung von Testamenten, dem Auffinden der Testatoren und der Kommunikation mit deren Familien fest. Ab Ende der 1920er Jahre nahmen sich übergeordnete Justizbehörden dieser Sachlage an, die sie auch nach der nationalsozialistischen Regierungsübernahme weiterverfolgten.379 Auf dem Höhepunkt der Ermittlungen ordnete das Reichsjustizministerium im Jahr 1936 schließlich eine umfangreiche und systematische Überprüfung der Verfahren zur Benachrichtigung in Nachlasssachen an, in deren Verlauf Amtsgerichte im gesamten Deutschen Reich insgesamt rund 470.000 hinterlegte Testamente nachprüften.380 Die Ergebnisse der Untersuchung waren aus Sicht des Justizministeriums erschreckend. Die im Nachlasswesen sichtbar werdenden Missstände waren – so der Bericht des Ministerialrats W. Vogels in der Deutschen Justiz – viel größer als erwartet. Bei etwa einem Drittel aller überprüften Testamente, das heißt in 166.419 Fällen, war der Erblasser schon verstorben, dessen hinterlegtes Testament bei seinem Erbübertrag aber nicht eröffnet worden. Bei einem weiteren Sechstel aller Testamente und damit in 78.661 Fällen war es den Amtsgerichten trotz zweimalig angeordneter umfangreicher Recherchen nicht gelungen, die aktuelle Adresse des Testators ausfindig zu machen. Insgesamt, so das Fazit der Überprüfung, seien etwa die Hälfte aller vor dem 1. Januar 1924 auf den Amtsgerichten hinterlegten Testamente beim Tod des Hinterlegers nicht eröffnet worden beziehungsweise konnten die Gerichte den Aufenthaltsort der betreffenden Personen nicht ermitteln.381 Trotz dieser Defizite in der Kommunikation zwischen Amtsgerichten und Testatoren blieb die erwartete Flut an Erbstreitigkeiten in Frankfurt – ebenso wie in anderen Regionen Deutschlands – aus. Dies lag allerdings weniger an der gerichtlichen Informationskampagne, wie die Justizbehörden nachträglich vermuteten.382 378 Werner Vogels, Die Benachrichtigung in Nachlaßsachen, in: Deutsche Justiz (1939), 1197–1199, S. 1198. 379 Preußischer Justizminister an alle Oberlandesgerichtspräsidenten und den Landesgerichtspräsident Frankfurt am Main, 28.1.1929, betrifft: Sicherstellung rechtzeitiger Öffnung von Testamenten im Todesfall, in: HHStAW, 460/775, Testamentswesen 1900–1936. 380 Vogels, Benachrichtigung (1939). 381 Vogels, Benachrichtigung (1939); Oberlandesgerichtspräsident (Hessen) an Reichsminister der Justiz: Betreff: Testamentsverwahrung, 3.6.1938, in: BArch, R 3001/20748. 382 Hess. Staatsministerium (Minister der Justiz) an Bay. Staatsministerium der Justiz, WürttembergBadische Justizministerium, Zentral-Justizamt für die Britische Zone, Senator für Justiz und Ver-

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Stattdessen stabilisierten familiale Netzwerke und Gerechtigkeitsnormen in einer politisch und ökonomisch instabilen Zeit Erbübertragungen. Die meisten durch die Inflation begünstigten Testamentserben nutzten ihre Handlungsspielräume eben nicht aus und verzichteten auf eine Benachteiligung anderer Erben. Erbengemeinschaften handelten oftmals einvernehmlich und waren zu Kompromissen bereit. Sie griffen als Korrektiv in Erbübertragungen ein, um die Verteilung des Nachlasses für alle Beteiligten so zu organisieren, dass sie akzeptabel waren. Die Mehrheit der begünstigten Erben war an einem Ausgleich mit den anderen Erben interessiert. In einem dieser Fälle überließ ein Sohn einen Teil seines mütterlichen Erbes seiner Schwester, damit diese in etwa den gleichen Erbteil wie er selbst erhielt.383 Ein Mann aus Würzburg teilte dem Frankfurter Amtsgericht mit, dass die Kinder des Verstorben dessen Nachlass längst einvernehmlich unter sich aufgeteilt hätten.384 In anderen Fällen behielten die Erben das privatschriftliche Testament des Verstorbenen zurück, um die gleiche Aufteilung von dessen Vermögen zu erleichtern.385 Mit derartigen innerfamilialen Absprachen trugen Erben dazu bei, dass die enormen mit der Inflation einhergehenden ökonomischen Verwerfungen zu keinen gravierenden Störungen bei testamentarisch geregelten Erbtransfers führten. Die von vielen Testatoren beschworenen bürgerlichen Werte, auf die sie auch ihre Erben verpflichteten, fungierten in der Frühphase der Weimarer Republik als Handlungsanweisung, gewährleisteten Erbübertragungen und stabilisierten Erbengemeinschaften entlang des Familienprinzips. Damit verweisen diese innerfamilialen Aushandlungen auf Kontinuitäten in bürgerlichen Erbangelegenheiten, die das 19. Jahrhundert mit den 1920er Jahren verbanden und die sich deutlich von den Erfahrungen ärmerer Bevölkerungsgruppen unterschieden.386 3.3 Wirtschaftskrisen, Armut und Erbausschlagungen Im Gegensatz zu den wohlhabenderen Einwohnern führten Inflation und Weltwirtschaftskrise unter der ärmeren und verarmten Stadtbevölkerung häufiger zur Unterbrechung des Familienprinzips im Erbvorgang. In Frankfurt stieg die Zahl

383 384 385 386

waltung in Bremen und Herrn Oberlandesgerichtspräsidenten in Karlsruhe, 8.1.1949, in: Bay. HStA, MJu 22570, Bay. Staatsministerium der Justiz, Rücknahme von Testamenten auf Grund der veränderten Verhältnisse. HHStAW, 469/6, 36 IV 252/25 S. S. an das AG Frankfurt, 16.12.1925, in: HHStAW, 469/6, 36 IV 375/25 S. Für einen ähnlichen Fall vgl. die Nachlassakte S. in: HHStAW, 469/6, 36 IV 380/25. Schreiben des Enkels des Erblassers an das Amtsgericht, 29.10.1925, in: HHStAW, 469/6, 36 IV 380/25 S. Vgl. hierzu auch Gunilla Budde/Eckart Conze/Cornelia Rauh (Hrsg.), Bürgertum nach dem bürgerlichen Zeitalter. Leitbilder und Praxis seit 1945, Göttingen 2010.

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Vermögen umverteilen. Revolutionen, Reformen und Reaktionen

der registrierten Empfänger von Armenhilfe von 9.909 Menschen im Jahr 1913 auf 69.500 Menschen im Jahr 1926 an. Zur Zeit der „Goldenen Zwanziger“ lebten damit etwa sieben Mal mehr Hilfsbedürfte als vor dem Krieg in der Stadt; insgesamt waren etwa zwölf Prozent der Stadtbevölkerung auf Unterstützung angewiesen. Unmittelbar nach der Inflation im Jahr 1923 versorgten das Wohlfahrtsamt und lokale Fürsorgeeinrichtungen sogar 39 Prozent der Stadtbewohner. Zu Beginn der Weltwirtschaftskrise im Jahr 1929 galten in den großen deutschen Städten – je nach Interpretation der Statistiken – zwischen sieben und vierzehn Prozent der Stadtbewohner als Empfänger von Unterstützungsleistungen.387 Mit dem Anstieg von Fürsorgeempfängern gaben auch in zunehmend mehr Nachlassverfahren Erben an, dass der jeweilige Erblasser kein Vermögen hinterlassen habe. Sie teilten dem Amtsgericht mit, dass in Erbfällen ein „reiner Nachlasswert nach der Inflationszeit nicht mehr“388 bestehe und „nur noch alte Möbel und wenige Kleider vorhanden“389 seien. Susanne L. erbte beispielsweise im Jahr 1917 von ihrem Ehemann ein Haus mit Garten, das sie im Jahr 1919 für ca. 14.000 Goldmark verkaufte, die sie während der Inflation verlor. Als sie im Jahr 1926 verstarb, setzte sich ihr Nachlass aus verschiedenen Kleidungsstücken, einer silbernen Uhr und 7.400 Mark Schulden zusammen. Ihre Schwiegertochter teilte dem Amtsgericht mit, ihre Schwiegermutter sei „ohne Vermögen zu hinterlassen [und] gänzlich verarmt“390 verstorben. Es war nicht nur die mit der Inflation einhergehende Geldentwertung, die dazu führte, dass Personen ihr Eigentum verloren. Sowohl davor als auch danach trugen schlechte Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne, langjährige Arbeitslosigkeit, Berufsunfähigkeit oder auch Krankheiten dazu bei, dass Verstorbene nur einen kleinen Nachlass oder Schulden hinterließen.391 Mitte der 1920er Jahre kamen die Nachlässe von Soldaten hinzu, die gegen Ende des Ersten Weltkriegs gefallen waren, und die von älteren Personen, die während oder kurz nach Kriegsende verstorben waren und dem Gericht erst mit einigen Jahren Verzögerung gemeldet wurden.392 Auch dadurch nahm die Zahl ausgeschlagener Erbschaften zu. Während das Amtsgericht im Jahr 1910 in ca. 15 Prozent aller von ihm registrierten Erbangelegenheiten die Nachlasspflegschaft übernahm, entweder weil das Gericht

387 Wilfried Rudloff, The Welfare State and Poverty in the Weimar Republic, in: Raphael (Hrsg.), Poverty, S. 105–136, S. 107–110. 388 HHStAW, 469/6, 36 IV 252/25 S. 389 HHStAW, 469/6, 36 IV 252/25 S. Vgl. auch Nachlassakte Pauline S., in: HHStAW, 469/6, 36 IV 359/25, 36 IV 838/25 L. und 36 IV 478/25 L. 390 HHStAW, 469/6, 36 IV 263/25, Johannes L. Für einen ähnlichen Fall vgl. HHStAW, 469/6, 39 IV 46/10 K. 391 HHStAW, 469/6, 36 IV 84/25 S. 392 HHStAW, 469/6, 37 VI 97/25 G.; 35 VI 306/25 W.; 35 VI 105/25 W.; 35 VI 107/25 K.

Erben und Vererben in Deutschland, 1918–1960er Jahre

Tabelle 9 Gesamtzahl der Erbfälle im Sample zu Frankfurt in den Jahren 1910, 1925 und 1940, aufgeteilt nach Erbschaften, die von den Erben angenommen wurden, und Erbschaften, deren Pflegschaft das Amtsgericht übernahm, weil die Erben entweder nicht ermittelt wurden oder die Erbschaft ausschlugen. Jahr

Gesamtzahl der Nachlassakten mit vollständigen Informationen

Von Erben angenommen in absoluten Fällen

Von Erben angenommen in Prozent

1910 1925 1940

75 96 211

64 64 176

85  67  83 

Erbschaft von Erben ausgeschlagen oder Erben nicht ermittelt in absoluten Fällen 11 32 35

Erbschaft von Erben ausgeschlagen oder Erben nicht ermittelt in Prozent 15  33  17 

Quelle: Dinkel, Nachlassakten.

keine Erben ermitteln konnte oder weil die ermittelten Erben das Erbe ablehnten, war dies im Jahr 1925 in ca. 33 Prozent und im Jahr 1940 in ca. 17 Prozent aller Erbangelegenheiten der Fall. In ungefähr jedem dritten Erbfall übernahm das Amtsgericht damit Mitte der 1920er Jahre die Nachlasspflegschaft und wies vorhandenes Nachlasseigentum neuen Eigentümern zu, sei es Schuldnern des Erblassers oder kommunalen Einrichtungen. Bei jedem dritten Erbfall blieb das Erbe nicht in der Familie. Die vielen ausgeschlagenen und „herrenlosen“ Erbschaften unterbrachen nicht nur in etwa einem Drittel aller Erbfälle den Besitzübertrag in der Familie, sie warfen auch mit neuer Dringlichkeit die Frage auf, wer für ihre Bearbeitung zuständig sei. Die Verwandten der Erblasser und die Kommune verwiesen auf das Familienprinzip und sahen die Familie des Verstorbenen in der Verantwortung. Für die Erben verarmter und überschuldeter Erblasser stellten Erbschaften zwar keinen Zugang zu Vermögen dar, sie warfen aber die schambesetzten Fragen auf, ob es der Anstand oder der Ruf der Familie gebiete, die ausstehenden Schulden zu übernehmen, ob man dazu überhaupt in der Lage war und ob das Erbe ausgeschlagen werden sollte. Das Wohlfahrtsamt der Stadt Frankfurt berichtete im Jahr 1916 von „peinliche[n] Momente[n]“,393 die entstünden, wenn es Hinterbliebene von armen Verstorbenen auf deren finanzielle Situation ansprach und nachfragte, ob sie das Erbe an- und die ausstehenden Verbindlichkeiten übernähmen. Wenige Jahre später, als die Zahl überschuldeter Nachlässe zunahm, wies das Wohlfahrtsamt seine Mitarbeiter sogar an, „auf die unterhaltspflichtigen Angehörigen moralisch einzuwirken, daß sie die Restkosten übernehmen, sofern sie in guten Verhältnissen leben oder über

393 Schreiben des Königlichen Standesamtes an das Wohlfahrtsamt am 5.12.1916, in: ISG, Wohlfahrtsamt, 480: Rechtsanspruch der Armenverwaltung gegen die Nachlässe Unterstützter.

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entsprechendes Vermögen verfügen.“394 Aus Sicht des Wohlfahrtsamtes – ebenso wie aus der Sicht einzelner Juristen – sollten die Verwandten des Erblassers und nicht der Staat kleine und überschuldete Erbschaften und alle damit verbundenen Verpflichtungen übernehmen.395 Diese Sichtweise teilten viele Testatoren und Erben in Frankfurt, die auch bei geringer oder keiner vorhandenen materiellen Grundlage im Erbvorgang am Familienprinzip festhielten. Sie erklärten den Übertrag und die Abwicklung einer überschuldeten Erbschaft zur Familienangelegenheit und entlasteten dadurch das Wohlfahrtsamt. Nahezu alle Testatoren verpflichteten ihre Erben, ihre Ausstände zu begleichen und Vertragsvereinbarungen einzuhalten. Die verwitwete Amalie M. legte ihrer Schwester und Alleinerbin auf, „die restliche Miete zu bezahlen + die Wohnung aufzulösen […] + alles Erforderliche zu erledigen“396 . Auch die Familienangehörigen von überschuldet verstorbenen Erblassern fühlten sich verpflichtet, für die Verteilung von kleineren Nachlässen sowie die Begleichung von ausstehenden Schulden einzustehen.397 Ganz explizit findet sich dieses Denken in dem Schreiben eines Stiefsohns, der dem Amtsgericht die Annahme der überschuldeten Erbschaft seiner Stiefmutter kurz nach dem Zweiten Weltkrieg folgendermaßen erklärte, nachdem drei seiner (Stief-)Geschwister die Erbschaft ausgeschlagen hatten: „Die Annahme der Erbschaft und der damit verbundenen Verpflichtungen bedeutet für mich lediglich ein Opfer in Erfüllung einer kindlichen Pflicht gegenüber meiner Stiefmutter, da der Nachlass überschuldet ist.“398 Sowohl die Anweisungen des Wohlfahrtsamtes als auch die Handlungen von Testatoren und Erben legen den Schluss nahe, dass sie Gesellschaft nicht als eine Ansammlung von Individuen verstanden, sondern diese über Familienverbünde dachten, in die die Einzelnen eingebunden und über die sie mit der Gesellschaft verzahnt waren. Erbschaften waren in dieser Logik ebenso wie anfallende Schulden nur rein rechtlich ausschließlich einer einzelnen Person zuordenbar. Über den Familienverband gedacht, hatten darauf aber andere Familienmitglieder Anspruch beziehungsweise waren sie bei Schulden dafür moralisch haftbar.

394 Kreisstelle 9 zur Kenntnisnahme, 14.6.1924, und Rundvfg. Nr. 49, 1.7.1924, in: ISG, Wohlfahrtsamt, 480: Rechtsanspruch der Armenverwaltung gegen die Nachlässe Unterstützter. 395 Heim, Zur Reform des Erbrechts, in: Deutsche Juristen-Zeitung 21 (1916), 5/6, S. 296–302. 396 Testament von Amalie M. vom 16.4.1940, in: HHStAW, 469/6, 67 IV 398/40 M. 397 Vgl. hierfür den Erbfall Friedrich K. Nach dessen Tod im Jahr 1909 schlugen zunächst die per Testament eingesetzte Erbin – eine seiner Schwestern – und danach alle anderen Geschwister die Annahme der kleinen, mit Schulden belasteten Erbschaft aus. Danach übernahm dessen Vater, der Fabrikant Johann K., die Schulden und den Nachlass. HHStAW, 469/6, 39 VI 86/10 K. und HHStAW, 469/6, 39 VI 121/10 K. Vgl. für einen ähnlichen Fall Testament von Anna H., 21.4.1938, in: HHStAW, 469/6, 66 IV 721/40 H. 398 HHStAW, 469/6, 52 IV 555/50 R.

Erben und Vererben in Deutschland, 1918–1960er Jahre

Nicht in jedem Fall waren Erben in der Lage oder willens, eine überschuldete Erbschaft anzunehmen.399 Heinrich W., Angestellter in einer Kohlegroßhandlung, hinterließ im Herbst 1925 Schulden in Höhen von 34.925 Mark, die weder seine Ehefrau und sein Kind noch seine Geschwister übernahmen.400 Mit dem Beschluss, dass Erben überschuldete Erbschaften ausschlagen konnten, hatten die Verfasser des BGB ältere Gesetze bestätigt, die der Perpetuierung von Schulden in Familien entgegenwirken sollten. Personen hafteten nur für die Schulden eines Verstorbenen, wenn sie die Erbschaft annahmen. Schlugen sie die Erbschaft aus, mussten die lokalen Behörden den Nachlass abwickeln, das hieß, vorhandenes Eigentum veräußern und vorhandenes Vermögen unter den Gläubigern verteilen sowie die Wohnung des Verstorbenen säubern und dessen Beerdigung organisieren.401 Die damit einhergehenden Maßnahmen, die Wohnungsauflösung, die Inventarisierung des Nachlasses oder auch die Kommunikation mit Gläubigern, waren für die Behörden – nicht nur in Frankfurt, sondern auch in anderen Städten – oft zeitaufwendig, personal- und kostenintensiv.402 Darüber hinaus beschwerten sich Rechtspfleger, da aus ihrer Sicht die Rechtslage bei der Bearbeitung von ausgeschlagenen und überschuldeten Nachlässen oft nicht ausreichend eindeutig war.403 Die enorm ansteigende Zahl an ausgeschlagenen Erbschaften brachte die Kommune in Schwierigkeiten. Sie kam bei der Bearbeitung und Abwicklung dieser Erbfälle kaum hinterher. Dass zahlreiche gemeinnützige Strukturen der Fürsorge durch die Inflation wegbrachen, verschärfte diese Problemlage. Bis dahin leisteten in Frankfurt kirchliche und private mildtätige Stiftungen sowie staatlich-kommunale

399 HHStAW, 469/6, 39 IV 57/10 K.; 469/6, 66 VI 401/40 K.; 66 VI 323/40 G.; 67 VI 410/40 W.; 35 VI 269/25 W.; 35 VI 263/25 W.; 37 VI 324/25 G.; 35 VI 242/25 K.; 67 VI 447/40 S.; 67 VI 1712/40 S.; 55 VI 314/40 A. 400 HHStAW, 469/6, 35 VI 396/25 W. 401 Selbst Erben, die eine Erbschaft annahmen, hafteten nur für die Schulden des Erblassers bis zu einem Wert, der dem Nachlasswert entsprach. Wendt, Die Haftung des Erben für die Nachlaßverbindlichkeiten, in: Archiv für die civilistische Praxis 86 (1896), H. 3, S. 353–436. 402 Kreisstelle 9 an die Hauptstelle Fürsorgeabteilung, 28.3.1922, in: Wohlfahrtsamt, 480: Rechtsanspruch der Armenverwaltung gegen die Nachlässe Unterstützter. Im Jahr 1925 tauschten sich das Wohlfahrtsamt Frankfurt und das Fürsorgeamt Dresden über die Bearbeitung von ausgeschlagenen Nachlässen aus. Vgl. Fürsorgeamt Dresden an Wohlfahrtsamt Frankfurt, 25.5.1925, und Wohlfahrtsamt Frankfurt an Fürsorgeamt Dresden, 3.6.1925, in: ISG, Wohlfahrtsamt, 480: Rechtsanspruch der Armenverwaltung gegen die Nachlässe Unterstützter. Vgl. auch Blätter für das Breslauer Armenwesen, Nr. 82, März/April 1902, S. 226–227, in: Wohlfahrtsamt, 480: Rechtsanspruch der Armenverwaltung gegen die Nachlässe Unterstützter. 403 Niederschrift über die Sitzung der Dezernenten-Konferenz der Wohlfahrtspflege im RheinMainischen Wirtschaftsgebiet, 29.4.1926, in: ISG, Wohlfahrtsamt, 480: Rechtsanspruch der Armenverwaltung gegen die Nachlässe Unterstützter.

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Einrichtungen Armenfürsorge.404 Zu ihren Aufgaben gehörten auch die Sicherung von herrenlosen Erbschaften sowie die Pflegschaft von kleinen und überschuldeten Nachlässen, die Erben ausschlugen. Bis Anfang der 1920er Jahre musste das Amtsgericht daher nur bei einem kleinen Teil aller ausgeschlagenen Erbfälle tätig werden. Für deren Abwicklung arbeitete es mit Rechtsanwälten und Auktionatoren zusammen, die hinterlassene Kleider, Hausrat und andere Gegenstände schätzten, entsorgten, spendeten oder versteigerten. Geliehene oder noch nicht abbezahlte Gegenstände brachte es an den Verleiher oder Verkäufer zurück.405 Anfang der 1920er Jahre änderte sich das Feld der Fürsorge. Während private und gemeinnützige Einrichtungen an Bedeutung verloren, gewannen kommunale Institutionen an Bedeutung. Vor dem Ersten Weltkrieg betrug das städtische Budget für Wohlfahrt etwa vier Millionen Mark. Darüber hinaus profitierte Frankfurt von seiner langen und ausgeprägten Kultur der bürgerlichen Philanthropie. Zusätzlich zum städtischen Budget stellten private und gemeinnützige Stiftungen sowie Spender und wohltätige Testatoren Hilfsleistungen in Höhe von 2,5 bis drei Millionen Mark zur Verfügung. Private und gemeinnützige Akteure steuerten damit in Frankfurt vor dem Ersten Weltkrieg bis zu über 30 Prozent zum Gesamtbudget für Fürsorge und Wohlfahrt bei. Dieser Anteil brach nach dem Krieg und während der Inflation fast vollständig weg. Ähnlich wie in anderen Städten verloren auch wohlhabende Familien in Frankfurt große Teile ihres Vermögens. Die Zahl der in Frankfurt wohnenden oder dort ihre Steuer zahlenden Millionäre ging von 560 im Jahr 1911 auf 88 im Jahr 1924 zurück.406 Zugleich schrumpfte durch die Geldentwertung das Kapital von wohltätigen Stiftungen, woraufhin sie ihrem Stiftungszweck nicht mehr nachkommen konnten und in vielen Fällen aufgelöst oder verwaltungstechnisch zusammengeschlossen wurden.407 Im Jahr 1926 trugen private Stiftungen und Spenden noch etwa 0,5 Millionen Mark zu den öffentlichen Wohlfahrtsleistungen bei, die etwa 2,5 Prozent des Gesamtbudgets entsprachen.408 Während in Frankfurt somit die Zahl der Armen und Hilfsbedürftigen und die Kosten für deren Unterstützung stark anstiegen, fiel der Anteil privater und gemeinnütziger Fürsorgeleistungen nahezu komplett weg. In dieser Situation übernahm der Staat, insbesondere kommunale Einrichtungen, nahezu

404 Sczesny/Kießling/Burkhardt, Prekariat; Gräser, Wohlfahrtsgesellschaft; Jütte, Armenfürsorge, S. 82–97. 405 Rechtsanwalt jur. Siegfried Schwarzschild an Königliches Amtsgericht, 7.11.1910, in: HHStAW, 469/6, 39 VI 121/10 K. 406 Schimpf, Geld, S. 44. 407 Vgl. beispielsweise die Nachlassakte von Freiherr A. von L., in: HHStAW, 469/6, 36 IV 398/25. Zu Stiftungen in Frankfurt vgl. Schimpf, Geld; Müller/Schembs, Stiftungen. Zu Stiftungen in Hamburg vgl. Werner, Stiftungsstadt. 408 Rudloff, Welfare State, S. 107–110.

Erben und Vererben in Deutschland, 1918–1960er Jahre

vollständig die Aufgaben der Armenfürsorge und die damit verbundenen Kosten. Zu keiner anderen Zeit im 20. Jahrhundert belasteten Ausgaben für wohltätige Zwecke und Fürsorgeeinrichtungen die städtischen Budgets so stark wie in der Weimarer Republik.409 In diesem Kontext gewann in den 1920er Jahren eine schon ältere Funktion des Amtsgerichts enorm an Bedeutung: die Sicherstellung, Pflege und organisatorische Abwicklung von ausgeschlagenen, meist überschuldeten Nachlässen sowie die von überwiegend kleinen Nachlässen, deren Erben nicht gefunden werden konnten. Auf diese enorme Ausweitung ihrer Aufgaben reagierte die Stadtverwaltung mit drei Strategien. Um die durch Nachlassabwicklungen entstandenen Kosten und die Forderungen von Gläubigern zumindest teilweise zu decken, begann das Wohlfahrtsamt möglichst alle Bestandteile eines Nachlasses zu verwerten.410 Es zog nun selbst ältere Kleidungsstücke und Möbel ein oder stritt mit Krankenhäusern, Altenund Pflegeheimen um diese Hinterlassenschaften, wenn Letztere diese nach älteren Erbtraditionen einbehalten hatten.411 Während der Inflation ging das Wohlfahrtsamt sogar dazu über, Erblassern, die es zu Lebzeiten unterstützt hatte und deren Erben das Erbe zurückwiesen, die künstlichen Zähne inklusive der darin befindlichen Platinstifte und Goldfüllungen zu entnehmen und zu veräußern. Auf dem Höhepunkt der Inflation schien diese Maßnahme zumindest aus ökonomischer Sicht vertretbar. Unter seinen Mitarbeitern blieb diese Anordnung aber umstritten. Ein Nachlasspfleger bat das Wohlfahrtsamt sogar explizit, keine geringfügigen Nachlässe mehr bearbeiten zu müssen, da ihm die Angehörigen eines Verstorbenen immer noch „die Hölle heiß“412 machten, da er die Uhr des Verstorbenen habe versteigern lassen und sie ihnen nicht als Erbstück überlassen habe. In anderen Fällen kritisierten Hinterbliebene die strikte und umfängliche Verwertung aller Nachlasssachen durch das Amt rundheraus als unmoralischen Eingriff in die Toten-

409 Rudloff, Welfare State; Gräser, Wohlfahrtsgesellschaft; Jochen-Christoph Kaiser/Hans-Ulrich Thamer in Zusammenarbeit mit Paul Brandmann/Gabriele Bußmann-Strelow/Michael Funk/Julia Paulus, Kommunale Wohlfahrtspolitik zwischen 1918 und 1933 im Vergleich (Frankfurt/Leipzig/ Nürnberg), in: Jürgen Reulecke (Hrsg.), Die Stadt als Dienstleistungszentrum. Beiträge zur Geschichte der „Sozialstadt“ in Deutschland im 19. und frühen 20. Jahrhundert, St. Katharinen 1995, S. 325–370. Allgemein zur Geschichte der Armenfürsorge und Wohlfahrtspolitik in der Zwischenkriegszeit vgl. Christoph Sachsse/Florian Tennstedt, Geschichte der Armenfürsorge in Deutschland. Fürsorge und Wohlfahrtspflege 1871–1929, Bd. 2, Stuttgart 1988. 410 HHStAW, 469/6, 36 IV 84/25 S. und 35 VI 135/25 K. Vgl. auch die Belege zu den ausgeschlagenen Erbschaften. 411 HHStAW, 469/6, 66 IV 215/64 K. 412 Hans Thömes an die Kreisstellenzentrale, 5.5.1926, in: Wohlfahrtsamt, 480: Rechtsanspruch der Armenverwaltung gegen die Nachlässe Unterstützter.

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ruhe.413 Auch wenn Familienmitglieder die Erbschaft ausschlugen, so erwarteten sie dennoch, zumindest persönliche Hinterlassenschaften des Verstorbenen zu erhalten. Als Mitarbeiter des Wohlfahrtsamtes ihnen diese in den 1920er Jahren verweigerten, rief dies Konflikte zwischen Rechtspflegern und Erben hervor. Ursächlich für die Beendigung der vollständigen Veräußerung von Nachlassgegenständen durch das Amt waren zusätzlich zu den Beschwerden von Angehörigen erneut ökonomische Gründe. Der durch den Verkauf der Goldzähne erzielte Erlös rechtfertige den damit verbundenen Verwaltungsaufwand zur Entnahme und Registrierung nicht, so die Argumentation des Beschlusses, mit dem das Amt seine Mitarbeiter Mitte der 1920er Jahre aufforderte, die Entnahme von Zahnfüllungen einzustellen.414 Diesen Beschluss wiederholte das Amt in den folgenden Jahren, nachdem sich Angehörige immer wieder darüber beschwert hatten, dass Krankenhäuser und das Wohlfahrtsamt aus den Nachlässen der von ihnen unterstützten Personen Dinge versteigert hatten, die den Angehörigen wichtig waren und zu denen sie eine emotionale Bindung besaßen. Dementsprechend hieß es in einem dieser Rundschreiben, „daß insbesondere Trauringe und sonstige weniger wertvolle Schmucksachen, die von den Hinterbliebenen mehr als Andenken betrachtet werden, zur Kostendeckung nicht mehr verwendet werden sollen“415 , sondern an die Hinterbliebenen auszuhändigen seien. In einer weiteren Rundverfügung informierte das städtische Fürsorgeamt seine Mitarbeiter darüber, dass „scheinbar wertlose Gegenstände“416 für nahestehende Personen einen hohen emotionalen Wert besitzen können. Des Weiteren schuf das Wohlfahrsamt Frankfurt mit dem Materialverwalter extra eine neue Stelle, die zusätzlich mit einer Bürohilfskraft und mehreren Arbeitern ausgestattet war. Der Materialverwalter sollte die Rechtspfleger des Amtsgerichts bei der Sicherstellung ausgeschlagener Erbschaften unterstützen, die Räumung von Wohnungen vornehmen oder koordinieren, hinterlassenen Hausrat aufbewahren und sich um die Veräußerung der Haushaltsgegenstände kümmern. Im Juni 1925

413 Gesundheitsamt an das Fürsorgeamt, Verwaltungsabteilung, 21.3.1932, in: ISG, Wohlfahrtsamt, 1.445, Nachlässe von in den Krankenhäusern Verstorbenen. 414 Direktor der Städtischen Schulzahnklinik an die Kasse des Wohlfahrtsamtes, 23.11.1926, in: ISG, Wohlfahrtsamt, 480: Rechtsanspruch der Armenverwaltung gegen die Nachlässe Unterstützter. Ganz anders sahen dies offensichtlich die Mitarbeiter eines Krematoriums, denen im Jahr 2008 am OLG Bamberg die illegale Aneignung von Zahngold Verstorbener vorgeworfen wurde. Vgl. hierzu: Krüger, Rolf, §§ 168, 242 StGB. Zueignung von Zahngold eingeäscherter Verstorbener; OGL Bamberg, Urt. v. 29.01.2008 – 2 Ss 125/07, 2 Ss 125/2007, in: RÜ 05/2008, online: https:// www.alpmann-schmidt.de/downloads/entscheidung_monat_mai.pdf (letzter Zugriff 13.8.2019). 415 Gesundheitsamt an das Fürsorgeamt, Verwaltungsabteilung, 21.3.1932, in: ISG, Wohlfahrtsamt, 1.445, Nachlässe von in den Krankenhäusern Verstorbenen. 416 Städtisches Fürsorgeamt: Rundverfügung Nr. 78, 30.10.1929, in: ISG, Wohlfahrtsamt, 1.445, Nachlässe von in den Krankenhäusern Verstorbenen.

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hatte der Materialverwalter hierfür drei große Lagerhallen in Gebrauch, in denen er den Bestand von 135 Haushalten aufbewahrte.417 Schließlich war es Aufgabe des Materialverwalters, die Zusammenarbeit der kommunalen Behörden mit privatwirtschaftlichen Dienstleistern wie Rechtsanwälten, Wohnungsauflösern, Auktionatoren und Erbenermittlern, die sich auf die Bearbeitung verweigerter und „herrenloser“ Nachlässe spezialisiert hatten, zu koordinieren. Zu den Rechtsanwälten, die regelmäßig Aufträge vom Amtsgericht erhielten, zählten der Justizinspektor a. D. Thoemer sowie die Rechtskonsulenten Ludwig und Weinbrenner. In Einzelfällen fragte das Amtsgericht bei den Rechtsanwälten und Nachlassverwaltern Dr. jur. Alex Jessel, Prof. Dr. A. Saenger, Dr. H. Breitbach, Ernst Engel, Walther Weigand und Josef Dillmann an.418 Zudem stand das Frankfurter Amtsgericht im regelmäßigen Austausch mit Auktionatoren wie Adam Henrich oder Cyprian Hahn, die es mit der Bewertung, Auflösung und Versteigerung von Nachlässen beauftragte.419 Dadurch entstand in Frankfurt ein auf die Pflegschaft von ausgeschlagenen Nachlässen spezialisierter Dienstleistungssektor, dessen Tätigkeit bald Kritik hervorrufen sollte. Bereits während des Ersten Weltkriegs berichtete das Detektiv-Institut CaspariRoth Roffi & Pelzer dem Reichskanzler von mehreren ihm bekannten Fällen, in denen Testamentsvollstrecker, Vormünder oder Nachlasspfleger Teile von Erbschaften veruntreut und dadurch Erben und den Staat geschadet hätten.420 Mit der Zunahme abgelehnter Nachlässe in den 1920er Jahren häuften sich derartige Beschwerden. Das Frankfurter Amtsgericht musste sich mit Fällen beschäftigen, in denen wegen Veruntreuung vorbestrafte Personen erneut als Rechtspfleger ernannt worden waren, in denen Rechtspfleger Bargeld aus den Wohnungen der Verstorbenen unterschlagen oder absichtlich ein fehlerhaftes Nachlassinventar erstellt hatten.421 Derartige Vorwürfe wurden auch dem jungen Frankfurter Auktionator Adam Henrich gemacht. In einem mehrjährigen Gerichtsverfahren bezichtigten einige ältere und etablierte Frankfurter Nachlasspfleger, Haushaltsauflöser und Auktionatoren Henrich, dass er den Wert von Nachlässen absichtlich zu niedrig

417 Wohlfahrtsamt Frankfurt an Fürsorgeamt Dresden, 3.6.1925, in: ISG, Wohlfahrtsamt, 480: Rechtsanspruch der Armenverwaltung gegen die Nachlässe Unterstützter. 418 Amtsgericht an den Oberlandesgerichtspräsidenten, 31.7.1931, in: HHStAW, 460/774, Verfahren in Nachlasssachen, 1885–1935. 419 Für von Cyprian Hahn abgewickelte und versteigerte Nachlässe vgl. HHStAW, 469/6, 35 VI 149/ 25 K., 35 VI 2/25 K. und 35 VI 136/25 K. 420 Detektiv-Institut Caspari-Roth Roffi & Pelzer an den Reichskanzler, 10.7.1916, in: BA, R 3001/1529, Reichsjustizministerium: Eingaben in Erbschaftsangelegenheiten, Dezember 1900–Dezember 1926. 421 Anerbengericht an den Landgerichtspräsidenten, 8.12.1934, in: HHStAW, 460/774, Verfahren in Nachlasssachen, 1885–1935. In der Akte finden sich weitere Fälle von Unterschlagungen und Beschwerden über staatlich eingesetzte Nachlasspfleger.

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schätze und inventarisiere, wodurch er Erbe unterschlage und die Erben oder Gläubiger des Verstorbenen um ihr rechtmäßiges Eigentum bringe.422 Bei den anschließenden Nachforschungen stellte sich jedoch heraus, dass Henrich mit vielen anderen Nachlasspflegern und Rechtsanwälten eng zusammenarbeitete und bei diesen einen guten Ruf genoss, da er geschäftstüchtig sei, seine Aufgaben schnell und zuverlässig erledige und keinen Auftrag ablehne, wie einer seiner Auftraggeber zu Protokoll gab: „Bei den Nachlasspflegschaftssachen handelt es sich in den allermeisten Fällen um Sachen aus der Altstadt. Die Wohnungen, Kleider, Möbel u.s.w. sind oft verwanzt und sehr schmutzig. Es hat sich bei den Frankfurter Anwälten herumgesprochen, dass dem Auktionator [Henrich, J. D.] keine Wohnung zu schmutzig, kein Gang zu viel und jede Arbeit recht ist, selbst wenn kein Verdienst heraus kam.“423 Ein anderer Nachlasspfleger ergänzte im Hinblick auf die Arbeitsleistung von Henrich: „Selbst die übelste Mansardenwohnung wurde tadellos geräumt und dem Hauseigentümer in einem sauberen Zustande übergeben.“424 Henrich selbst teilte dem Gericht mit, dass er einen Teil seiner Aufträge zur Räumung von Wohnungen und zur Versteigerung von Hinterlassenschaften von Nachlasspflegern und Rechtsanwälten erhielt. Zum Teil recherchiere er aber auch auf eigene Initiative nach überschuldeten Nachlässen, indem er sich bei Standesämtern und Sterbehäusern erkundige und das Regierungsblatt auf Bekanntmachungen von Konkursen durchsehe, woraufhin er den Angehörigen des Erblassers oder den jeweiligen Behörden anbiete, sich um die Abwicklung des Nachlasses zu kümmern. Dabei mache er nicht in jedem Fall Gewinn, durch seine verlässliche Arbeit komme er aber an genug Aufträge, die ihm ein gewinnbringendes Wirtschaften ermöglichten.425 Dieser Darstellung schloss sich auch der mit dem Fall betraute Gerichtsassessor an, der die Vorwürfe gegen Henrich letztlich als haltlos und „Futter- und Brotneid“ bezeichnete.426 Henrich, dem auch seine fehlende Parteimitgliedschaft in der NSDAP vorgeworfen worden war, konnte seine Arbeit fortsetzen. Bis in die 1950er Jahre war er in Frankfurt bei der Abwicklung

422 Eine Zusammenfassung der Vorwürfe findet sich im Schreiben der Herren Neuhof und Wehler an den Oberlandesgerichtspräsidenten, 9.7.1933, in: HHStAW, 460/774, Verfahren in Nachlasssachen, 1885–1935. 423 Gerichtsassessor an Amtsgerichtsdirektor, Frankfurt a. M., 23.8.1933, in: HHStAW, 460/774, Verfahren in Nachlasssachen, 1885–1935. 424 Rechtsanwälte Engel und Engel-Hansen an das Amtsgericht, 30.8.1933, in: HHStAW, 460/774, Verfahren in Nachlasssachen, 1885–1935. 425 Adam Henrich an den Landgerichtspräsidenten, 14.9.1933, in: HHStAW, 460/774, Verfahren in Nachlasssachen, 1885–1935. 426 Gerichtsassessor an Amtsgerichtsdirektor, Frankfurt a. M., 23.8.1933, in: HHStAW, 460/774, Verfahren in Nachlasssachen, 1885–1935.

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von Nachlässen ein vom Gericht und von Rechtsanwälten regelmäßig konsultierter Geschäftspartner.427 Noch bevor das Gerichtsverfahren zwischen Henrich und anderen Nachlassverwaltern beendet war, ordnete zugleich das Justizministerium Reformen bei der Zusammenarbeit von Amtsgerichten und privaten Dienstleistern an. Als Reaktion auf die bekannt gewordenen Fälle von veruntreuten Erbschaften sollten alle Amtsgerichte die von ihnen als Zwangsvollstrecker und Nachlasspfleger eingesetzten Personen überprüfen und Listen vertrauenswürdiger Ansprechpartner erstellen.428 Die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten und privaten Dienstleistern sollte professionalisiert und die Dienstleister einer stärkeren Kontrolle durch die Amtsgerichte unterworfen werden, um das Vertrauen in staatliche Strukturen während der Nachlasssicherung wieder zu stärken. Dies geschah auch in Frankfurt. Das dortige Amtsgericht meldete dem Oberlandesgerichtspräsidenten die bereits genannten Rechtsanwälte und Auktionatoren, die ihm persönlich bekannt waren und die es als vertrauenswürdig einschätzte.429 Zusammen mit ihnen trug das Amtsgericht in den 1920er und 1930er Jahren weitgehend zuverlässig und routinemäßig zur ordnungsgemäßen Abwicklung von ausgeschlagenen und „herrenlosen“ Nachlässen bei. 3.4 Das Reichserbhofgesetz (REG) Die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten führte schon bald zu einer tiefgehenden Änderung des Erbrechts für die ländliche Bevölkerung. Das am 29. September 1933 von der nationalsozialistischen Regierung beschlossene und ab dem 1. Oktober 1933 im Deutschen Reich geltende Reichserbhofgesetz (REG) sollte die deutsche Bauernschaft stärken und der Vermögensweitergabe und -bewahrung in „arischen“ Familien dienen. Einerseits stand es in der Tradition älterer Reformbestrebungen, die auf eine Vereinheitlichung des (bäuerlichen) Erbrechts zielten. Schon seit dem 16. Jahrhundert gab es in den verschiedenen deutschen Rechtsgebieten weitgehend erfolglose Versuche, die regionale Gültigkeit bäuerlicher Sondererbrechte zu vereinheitlichen. Auch die Kodifikationen des BGB hatten an dieser Vielfalt bäuerlicher Sondererbrechte nichts geändert, da das bäuerliche

427 Vgl. beispielsweise die Nachlassfälle HHStAW, 469/6, 52 VI 383/50 R.; 52 VI 382/50 M.; 51 VI 129/50 K. 428 Informationen aus dem Justizministerialblatt, 10.11.1928, S. 428, Nr. 273, und Informationen aus dem Justizministerialblatt, 7.7.1931, S. 223, Nr. 175, in: HHStAW, 460/774, Verfahren in Nachlasssachen, 1885–1935. 429 Aus diesem Grund fanden sich in den Akten des Nachlassgerichts auch nur wenige Informationen zu den sieben Dienstleistern oder zur Zusammenarbeit zwischen Gericht und Dienstleistern.

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Erbrecht von ihnen ausgeschlossen worden war.430 Ergebnislos blieb auch ein weiterer Versuch der Vereinheitlichung in den 1920er Jahren, weshalb zum Zeitpunkt der nationalsozialistischen Regierungsübernahme in Deutschland verschiedene bäuerliche Sondererbrechte in Kraft waren, die nun durch das für das gesamte Deutsche Reich geltende REG ersetzt wurden. Andererseits ging es Reichsbauernführer Richard Walther Darré, dem Reichsminister für Landwirtschaft und Ernährung, als Initiator der Gesetzesreform um weit mehr als um eine Vereinheitlichung des bäuerlichen Erbrechts. Im Kern zielte das Reichserbhofgesetz auf die Umsetzung der Blut-und-Boden-Ideologie durch eine Veränderung des Sach- und Erbrechts in der bäuerlichen Welt ab. Darrés Prestigeprojekt basierte auf einer rassistischen Politik der Expansion und der Verklärung des Bauerntums.431 Darüber hinaus sollte es zur Stärkung patriarchalischer Strukturen beitragen. Ziel war es, den deutschen Bauernstand zu stärken, die Geburtenrate zu heben und Marktmechanismen aus dem landwirtschaftlichen Bereich zurückzudrängen. Im Reichserbhofgesetz fielen eine agrarromantische Verklärung des Bauerntums, eugenisches Rassedenken, Expansionsbestrebungen und eine Kritik an der Moderne, insbesondere am Stadtleben und an der Industriearbeit, zusammen. Zentraler Hebel des Gesetzes zur gesellschaftspolitischen Umgestaltung war das bäuerliche Erbrecht, das vorgab, dass Erbhöfe mit einer Größe bis 125 Hektar nur noch an einen Erben in der männlichen Linie, den Anerben oder Hoferben, übergeben werden durften, während die Erbrechte der Ehegattin, von Töchtern und allen anderen Söhnen am Hof und an den Äckern abgeschafft wurden. Zugleich schränkten die Nationalsozialisten mit dem Gesetz die Rechte von Gläubigern und Kreditgebern am Erbhof stark ein oder hoben diese gar auf.432 Im Frankfurter Raum betraf das REG vor allem die Bewohner der noch ländlich geprägten Eingemeindungen beispielsweise in Niederursel, Berkersheim oder Eckenheim. Die dort bis zum Oktober 1933 geltenden bäuerlichen Erbrechte –

430 Für einen Überblick über Reformversuche im 16. und 17. Jahrhundert vgl. Landgerichtspräsident an den Oberlandesgerichtspräsidenten, 10.9.1934, in: HHStAW, 458/689; Fertig, Familie. 431 Zwanzger, Reichserbhofgesetz, S. 159, vgl. auch 158–163. 432 Für einen ersten Überblick zur umfangreichen Literatur zum REG und zu dessen Umsetzung in verschiedenen Regionen vgl. Blaschke, Dorfgemeinschaft, S. 157–226; Zwanzger, Reichserbhofgesetz, S. 151–198; Christian Böse, Die Entstehung und Fortbildung des Reichserbhofgesetzes, Frankfurt am Main u. a. 2008; Daniela Münkel, Bäuerliche Interessen versus NS-Ideologie. Das Reichserbhofgesetz in der Praxis, in: Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte 44 (1996), H. 4, S. 549–580; Friedrich Grundmann, Agrarpolitik im „Dritten Reich“. Anspruch und Wirklichkeit des Reichserbhofgesetzes, Hamburg 1979. Allgemein zum Themenkomplex Privatsphäre, Zivilrecht und Gerichtspraxis im Nationalsozialismus vgl. Annemone Christians, Das Private vor Gericht. Verhandlungen des Eigenen in der nationalsozialistischen Rechtspraxis, Göttingen 2020; Christian Sigmundt, Rechtsgewinnung und Erbhofrecht. Eine Analyse der Methoden in Wissenschaft und Rechtsprechung des Reichserbhofrechts, Würzburg 2005.

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beispielsweise das Solmser Landrecht und das Frankfurter Landrecht – sahen eine Realteilung des Hofes vor und standen den Vorgaben des REG damit diametral gegenüber. Das REG eröffnete einem bestimmten Erbenkreis, nämlich den gesetzlichen Anerben, die Möglichkeit, zu eigenen Gunsten und auf Kosten anderer naher Familienmitglieder mit der Tradition der Realteilung und den damit verbundenen Erbtraditionen und Familienwerten zu brechen. Rein rechtlich konnten sie sich dabei auf die Macht eines diktatorischen Regimes stützen, während ältere Erbtraditionen, Gerechtigkeits- und Familienvorstellungen der Umsetzung des Gesetzes entgegenstanden.433 Im Frankfurter Raum stieß das REG – ähnlich wie in anderen traditionellen Realteilungsgebieten – auf Unverständnis und Ablehnung in der Bauernschaft. Etwa 90 Prozent der Bauern lehnten nach Einschätzung des Oberlandesgerichtspräsidenten die Einführung und Umsetzung des REG im Anerbengerichtsbezirk Frankfurt am Main ab. Hofbesitzer, ihre Ehefrauen, Söhne und Töchter wiederholten in unterschiedlichen Varianten ein breites Set an Argumenten, die aus ihrer Sicht gegen die Umsetzung des Gesetzes sprachen. Allen voran betonten die Betroffenen immer wieder, dass das Gesetz ihren lokalen Eigentumspraktiken und Erbtraditionen diametral entgegenstehe. Darüber hinaus erschwere es den Hofbesitzern die Kreditaufnahme und schmälere damit die betrieblichen Investitionsmöglichkeiten. Zudem befürchteten Hofbesitzer – in Übereinstimmung mit ihren Kindern –, dass ihre Töchter ohne späteren Erbteil keine Ehemänner mehr finden und ihre nicht erbenden Söhne die Mitarbeit auf dem Hof einstellen und sich einträglichere Stellen in der Industrie oder im Handel suchen würden. Angesichts des geringen Mechanisierungsgrades der Landwirtschaft und mangelnder finanzieller Ressourcen waren viele Bauern für die Betriebsführung jedoch auf billige oder kostenlose Arbeitskräfte angewiesen, die sie häufig in der eigenen Familie fanden. Mit Erbanteilen entlohnten sie diese nachgeborenen Söhne und Töchter für ihre Arbeiten auf dem Hof. Diese weit verbreiteten informellen Absprachen und gegenseitigen Erwartungen störte das Gesetz zutiefst. Hofbesitzer hatten oft nur sehr begrenzte finanzielle Möglichkeiten, weichende Familienmitglieder von der Mitarbeit am Hof zu überzeugen. Anders als intendiert, stärkte das Gesetz aus Sicht der Hofbesitzer nicht den Bauernstand, sondern beschleunigte die Landflucht unter den fortziehenden Erben. Schließlich führte der Ausschluss der Ehefrau vom Erbe zu deren Enteignung, da sie die Verfügungsrechte über das von ihr in die Ehe eingebrachte Eigentum verlor, womit das Gesetz Eigentumskonflikte in Ehebeziehungen hin-

433 So hat u. a. Michael Zwanzger darauf verwiesen, dass sich die Geschichte des REG als Fallstudie eignet, um die Wechselwirkungen von Zivilrecht und Gesellschaft zu untersuchen. Zwanzger, Reichserbhofgesetz, S. 152f.

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eintrug beziehungsweise traditionellen Familienvorstellungen und Erbpraktiken widersprach.434 Beispielhaft für zahlreiche ähnliche Berichte meldete das Amtsgericht Frankfurt/Höchst dem Landesgerichtspräsidenten im August 1934, dass die Haltung der Bevölkerung gegenüber dem REG eine „stark zurückhaltende“ sei. Die Tradition der Realteilung, das heißt die Gleichbehandlung aller Kinder im Erbvorgang, sei im Frankfurter Raum „fest im Volk verwurzelt. […] Das Gefühl der Zusammengehörigkeit der Familie ist in den Nassauischen Bauernfamilien von jeher ein starkes gewesen. Es ist immer, von geringen Ausnahmen abgesehen, üblich gewesen, dass die Kinder, sobald es ihre körperliche und geistige Reife erlaubte, freiwillig ohne Entgelt im elterlichen Betrieb mitarbeiteten. Sie taten es vertrauensvoll, denn sie wussten ja, dass ein Teil des Hofes, dessen Bearbeitung sie ihre ganzen Kräfte weihten, ihnen später als Erbe zufiel.“ Diesen Familienzusammenhalt, so der Bericht weiter, gefährde das neue Gesetz. Das Gemeinschaftsgefühl der Bauernfamilien wird, zum mindesten in der Übergangszeit, durch die Einführung des Erbhofgesetzes nicht gefördert werden. Im Gegenteil ist zu befürchten, dass die weichenden Erben sich als Familienmitglieder einer untergeordneten Klasse fühlen, ihre Mitarbeit auf dem Hofe aufgeben, und dass so die Familie auseinanderfällt. Die Heiratsaussichten, insbesondere der Töchter sind gering. Das junge Mädchen, das nicht wenigstens einige Äcker mit in die Ehe bringt, bekommt erfahrungsgemäss auf dem Land selten einen Mann. Auf dem elterlichen Hof werden die Kinder schwerlich noch arbeiten wollen, sie haben hier in der Nähe der Grosstadt reichlich Gelegenheit, sich anderen Berufen zuzuwenden, und es ist zu befürchten, dass sie aus dem Land in die Stadt abwandern und die Kinderzahl auf dem Land [sinken werde, J. D.].435

Angesichts dieser im Frankfurter Raum weitverbreiteten Kritik am REG verzögerten, verwässerten oder verhinderten Hofbesitzer, meist in Absprache mit ihren Ehefrauen, Kindern und anderen Verwandten, mit unterschiedlichen Formen resistenten Verhaltens dessen Umsetzung. Ungefähr in jedem dritten Fall legten Hofbesitzer Einspruch gegen die Umwandlung ihrer Höfe in Erbhöfe und die damit verbundene Aufnahme in die Erbhofrolle ein (75 Einsprüche bei 317 Eintragungen).436 Die Zahl der Einsprüche war damit im Frankfurter Raum ebenso wie in

434 Amtsgerichtsrat Dr. Robeck an den Landgerichtspräsidenten in Frankfurt am Main, 4.8.1934, in: HHStAW, 458/689. Ähnliche Aussagen finden sich in den Berichten der Landgerichtspräsidenten von Hechingen (21.8.1934), Usingen (14.8.1934), Limburg (18.8.1934) und Wiesbaden (10.9.1934) in dieser Akte. Amtsgericht Frankfurt am Main an Landesgerichtspräsidenten, 2.8.1934, in: HHStAW, 460/724. 435 Amtsgericht Frankfurt am Main an Landesgerichtspräsidenten, 2.8.1934, in: HHStAW, 460/724. 436 Oberlandesgerichtspräsident an den Preußischen Justizminister, 26.9.1934, in: HHStAW, 458/689.

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den angrenzenden traditionellen Realteilungsgebieten hoch. Des Weiteren schlossen Hofbesitzer und ihre Ehefrauen beziehungsweise Kinder Scheinverträge ab, in denen sie Eigentum aus dem Hof an Familienmitglieder übertrugen, die laut Gesetz vom Erbe ausgeschlossen waren, oder sie verschenkten Teile ihres Besitzes noch zu Lebzeiten an diese. Bauern legten in ihren Testamenten nach wie vor die gleichmäßige Verteilung ihres Erbes unter ihren Kindern fest. Demgemäß hielten die Eheleute H. in ihrem im April 1937 gemeinschaftlich errichteten Testament fest, dass ihre Äcker und Grundstücke zu gleichen Teilen unter ihren zwei Söhnen und zwei Töchtern aufgeteilt werden sollten.437 In Einzelfällen halfen sogar ortsansässige Notare den Bauern bei der Umwidmung von Grundstücken im Grundbuch oder bei Amtsgeschäften, mit denen die Bauern die Bestimmungen des REG umgehen wollten. Zugute kam ihnen dabei, dass Grundbücher vielfach seit Jahrzehnten nicht aktualisiert worden waren und aus den Büchern nicht immer ersichtlich wurde, wer der aktuelle Eigentümer eines Grundstückes war.438 Selbst einzelne Mitarbeiter der Amtsgerichte bezweifelten in internen Stellungnahmen die Sinnhaftigkeit des Gesetzes. In einem dieser Berichte äußerte der Amtsgerichtsrat Dr. Robeck gegenüber dem Präsidenten des Landesgerichts, das REG führe seiner Beobachtung nach dazu, dass die Jüngeren, Klügeren und Abenteuerlustigen vom Land in die Stadt zögen, was die Bauernschaft schwächen und nicht stärken würde. Zusätzlich deute sich ein Rückgang von Eheschließungen sowie ein Geburtenrückgang auf dem Land an, was ebenfalls den Intentionen des Gesetzes widerspräche, das seiner Meinung nach seinen Zweck im Frankfurter Raum verfehlen und genau die gegenteiligen Effekte erzeugen musste.439 In dieser Situation gelang es den lokalen Bauernführern, Anerbengerichten und Parteiorganisationen weder, durch umfangreiche Informationskampagnen die Bauernschaft von der Sinnhaftigkeit des Gesetzes zu überzeugen, noch, durch juristische Drohungen die Akzeptanz des REG in der Bevölkerung zu erhöhen und dessen Befolgung sicherzustellen.440 Im Zulauf auf den beginnenden Krieg beschlossen die zuständigen Stellen daher, die Durchsetzung des Gesetzes auf die Zeit nach dem Krieg aufzuschieben. In der aktuellen Kriegssituation wollten sie die Bevölkerung 437 Testament der Eheleute H., 21.4.1937, in: HHStAW, 469/6, 66 IV 734/40 H. 438 Amtsgerichtsrat Dr. Robeck an den Landgerichtspräsidenten in Frankfurt am Main, 4.8.1934, in: HHStAW, 458/689. Ähnliche Aussagen finden sich in den Berichten der Landgerichtspräsidenten von Hechingen (21.8.1934), Usingen (14.8.1934), Limburg (18.8.1934) und Wiesbaden (10.9.1934) in dieser Akte. Amtsgericht Frankfurt am Main an Landesgerichtspräsidenten, 2.8.1934, in: HHStAW, 460/724. 439 Amtsgerichtsrat Dr. Robeck an den Präsidenten des Landesgerichts, 23.1.1938 und 24.12.1938, in: HHStAW, 458/686. In dieser Akte finden sich ähnliche Berichte aus angrenzenden Verwaltungseinheiten z. B. aus Usingen (29.12.1938), Wiesbaden (27.12.1938) und Idstein (19.1.1939). 440 Vorsitzender des Anerbengerichts Frankfurt/Höchst an den Landgerichtspräsident, 19.5.1936, in: HHStAW, 460/724.

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nicht noch durch ein unbeliebtes Erbgesetz gegen sich aufzubringen.441 Als sich die militärische Lage an der Ostfront im Jahr 1942 zuspitzte, schaltete sich sogar das Oberkommando der Wehrmacht in die Diskussionen um das REG ein und forderte dessen Aussetzung, um die als Soldaten eingesetzten Bauern zu beruhigen. Diese sollten sich in der angespannten militärischen Situation nicht auch noch Gedanken um die Versorgung ihrer Ehefrauen und Kinder nach ihrem Tod machen müssen. Nachdem die Regierung bereits zuvor mit verschiedenen Durchführungsverordnungen Spielräume bei der Umsetzung beziehungsweise Umgehung des REG geschaffen hatte, setzte sie mit der Erbhoffortbildungsverordnung im Jahr 1943 schließlich wesentliche Vorgaben des REG außer Kraft, auch wenn das Gesetzt formal weiterhin galt.442 Endgültig außer Kraft setzten es die Alliierten im Jahr 1947 mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 45.443 Damit waren die nationalsozialistischen Versuche endgültig gescheitert, über Eingriffe in das Erbrecht einen neuen Bauerstand zu schaffen und eine neue Familienhierarchie zu etablieren. Vielmehr veranschaulicht das resistente Verhalten der Bauern im Frankfurter Raum die Beharrungskraft älterer Erbtraditionen und die Zurückhaltung des Staates gegenüber deutschen Familien. Entgegen der Gesetzeslage übertrugen die meisten Landwirte ihr Erbe weiterhin mit großem Aufwand zu gleichen Teilen an ihre Familienmitglieder. 3.5 Das Testamentsgesetz von 1938 und die Arisierung jüdischen Vermögens Anders als bei deutschen Bauern nahmen die Nationalsozialisten bei der Zerstörung der von Juden praktizierten Erbtraditionen keine Rücksicht. Zugleich erfolgte die Unterbindung von Erbtraditionen gegenüber Juden kaum über direkte Eingriffe ins Erbrecht. Das Gesetz über die Errichtung von Testamenten und Erbverträgen vom 31. Juli 1938 enthielt mit dem § 48 zwar eine eindeutig antisemitische Stoßrichtung, gleichwohl hatte es nur wenig Einfluss auf die Erbangelegenheiten von Juden.444 Die Gesetzesänderung fußte auf einer älteren, bis ins 19. Jahrhundert zurückreichenden Kritik an der strengen Auslegung der Formvorschriften bei Tes-

441 Amtsgerichtsrat Dr. Robeck an den Präsidenten des Landesgerichts, 23.1.1938 und 24.12.1938, in: HHStAW, 458/686. 442 Zwanzger, Reichserbhofgesetz, S. 185f. 443 Alliiertes Sekretariat (Hrsg.), Amtsblatt des Kontrollrats in Deutschland, Nr. 14, 31.3.1947, Berlin 1947, S. 256–261. 444 Amtliche Begründung zum Gesetz über die Errichtung von Testamenten und Erbverträgen vom 31.7.1938, in: Deutsche Justiz 100 (1938), S. 1254–1259; Werner Vogels, Das neue Testamentsrecht, in: Deutsche Justiz 100 (1938), S. 1269–1274; Werner Schubert (Hrsg.), Das Familien- und Erbrecht unter dem Nationalsozialismus. Ausgewählte Quellen zu den wichtigsten Gesetzen und Projekten aus den Ministerialakten, Paderborn, München, Wien, Zürich 1993, S. 288–341.

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tamenten, die immer wieder dazu geführt hatten, dass Testamente für ungültig erklärt worden waren. Nachdem es jedoch weder im Kaiserreich noch in der Weimarer Republik trotz verschiedener Initiativen zu einem liberaleren Umgang mit Formfehlern in Testamenten gekommen war, beschäftigten sich Juristen auch im nationalsozialistischen Deutschland mit dieser Thematik. Mit Carl Schmitt an der Spitze gelang es den Kritikern strenger Formvorschriften, mit dem Testamentsgesetz eine Lockerung im Umgang mit Formalien durchzusetzen.445 Das Gesetz zielte auf die Erleichterung einer Testamentserrichtung und die Reduzierung von ungültigen Testamenten aufgrund von Formfehlern.446 Damit stand das Gesetz in der Tradition von Vorschriften und Maßnahmen, die seit dem 19. Jahrhundert eine Erhöhung der Testierquote in der Bevölkerung anstrebten.447 Zugleich reagierte die nationalsozialistische Regierung mit dem Gesetz auf die ebenso alte Kritik an der Testierfreiheit, nach der diese individualistischmaterialistischen Tendenzen Vorschub leiste und zur Schwächung der Familie und (Volks-)Gemeinschaft führe.448 Nationalisten und Gegner der Testierfreiheit hatten sie schon im 19. Jahrhundert als der „germanischen“ Kultur fremd diskreditiert und argumentiert, dass nur die Weitergabe von Erbe in der Familie oder in der Hausgemeinschaft der „germanischen“ Erbtradition entspreche. Diese Rekurse auf eine angebliche „germanische“ Erbtradition waren angesichts der vielfältigen Erbrechte und der Tatsache, dass es Varianten der Testierfreiheit in verschiedenen deutschen Rechtsgebieten gab, nicht empirisch belegbar. Sie entfalteten aber eine ideologische Wirkung und dienten den Gegnern der Testierfreiheit seitdem als Argument zu deren Beschränkung, das bei der Testamentsreform Ende der 1930er Jahre Wirkung entfaltete. Denn eine weniger strenge Auslegung der Testamentsformalien steigerte aus Sicht der Akademie für Deutsches Recht die Gefahr, dass einzelne Testatoren ihr Eigentum und Vermögen nicht Familienmitgliedern vermachten, um den familialen Zusammenhalt zu stärken, sondern an Personen und Institutionen außerhalb der Familie oder sogar an Personen, die aus Sicht der Nationalsozialisten nicht zur Volksgemeinschaft gehörten. Ergänzend zur Lockerung der Formalien bei Testamenten traf der Gesetzgeber mit dem § 48 445 Oliver Vossius, Das Bild des Notars im 19. und 20. Jahrhundert, in: Schmoeckel (Hrsg.), Form, S. 43–122, S. 98, 112f. 446 Stephanie Hanel, Das „gesunde Volksempfinden“ und das Testamentsrecht. § 48 Abs. 2 TestG in der Rechtsprechung des LG Wien von 1938–1945, in: Beiträge zur Rechtsgeschichte Österreichs (2017), S. 240–251, S. 240; Stefan Grundmann, Favor Testamenti: Zu Formfreiheit und Formzwang bei privatschriftlichen Testamenten, in: Archiv für die civilistische Praxis 187 (1987), H. 4/5, S. 429–476. 447 Bietz, Erbschaften, S. 43–106; Lothar Gruchmann, Die Entstehung des Testamentsgesetzes vom 31. Juli 1938. Nationalsozialistische „Rechtserneuerung“ und Reformkontinuität, in: Zeitschrift für Neuere Rechtsgeschichte 7 (1985), S. 53–63; Grundmann, Favor Testamenti, S. 434. 448 Beckert, Vermögen, S. 66–85; Schröder, Abschaffung, S. 83–108.

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daher Vorkehrungen gegen die aus seiner Sicht missbräuchliche Auslegung und Ausnutzung der Testierfreiheit, die er zwar nicht ganz aufhob, aber in bestimmten Konstellationen einschränkte.449 Eine missbräuchliche Ausnutzung der individuellen Testierfreiheit lag demnach bei testamentarischen Zuwendungen an eine Mätresse zuungunsten der Familie, bei der sachlich nicht gerechtfertigten Weitergabe von Familienschmuck, altem Tafelsilber oder Familienerinnerungsstücken an Fremde und bei Zuwendungen an staatsfeindliche Organisationen vor. Letzteres Verbot stand in der kirchenfeindlichen Tradition der Nationalsozialisten und sollte vor allem verhindern, dass ein Religionsdiener in Verkennung seiner Pflichten sich von einem Sterbenden unter bewusster Ausnutzung der Todesnot und der Angst vor Strafen im Jenseits Zuwendungen für kirchliche Zwecke durch Testamente versprechen ließ.450 Schließlich galt die Einschränkung der Testierfreiheit bei der Erbeinsetzung eines „Juden“ zum Erben eines „Ariers“ unter Übergehung „arischer“ Verwandter. Damit gewährte das Testamentsgesetz „arischen“ Familienerben neue Zugriffsrechte auf Erbschaften zuungunsten von testamentarisch eingesetzten „jüdischen“ Erben.451 In der Praxis kam dieser Paragraf und die damit verbundene Diskriminierung von jüdischen Erben im nationalsozialistischen Deutschland nur selten zur Anwendung. In den 149 analysierten Akten zu Erbvorgängen auf dem Amtsgericht Frankfurt im Jahr 1940 berief sich lediglich eine Person auf das Gesetz, um eine Erbteilung zu verhindern, die ihrer Ansicht nach dem „gesunden Volksempfinden“ widersprach, wobei in diesem Fall überhaupt keine Juden in den Nachlassübertrag involviert waren.452 Im Erbfall F. hatte eine Ehefrau nach 26 Jahren Ehe ihr Eigentum ihren beiden Schwestern und nicht ihrem Ehemann vermacht. Unter Berufung auf das Testamentsgesetz versuchte nun der enterbte Ehemann das Testament für ungültig erklären zu lassen, wobei das Gericht seinen Einspruch ablehnte.453 Zu-

449 Heinrich Lange, Das Recht des Testaments. 1. Denkschrift des Erbrechtsausschusses der Akademie für Deutsches Recht, Tübingen 1937; Werner Vogels, Der Stand der Vorarbeiten zur Erneuerung des deutschen Erbrechts, in: Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht (1937), H. 4, S. 743–744. Für eine breite Einordnung der Debatten um Testamentsformalia vgl. Zimmermann, Testamentsformen. 450 Gesetz über die Errichtung von Testamenten und Erbverträgen vom 31. Juli 1938, in: Reichsgesetzblatt, Teil 1, Nr. 123, 3.8.1938, S. 979; Deutsche Justiz, 1938, S. 1254. 451 Hanel, „Volksempfinden“, S. 241; Gerhard Otte, Letzte und vorletzte Dinge in Testamenten heute, in: Herzog/Hollberg (Hrsg.), Seelenheil, S. 231–236, S. 234ff. 452 Zu einem ähnlichen Ergebnis kam die Historische Kommission für Hessen bei ihrer Analyse der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main in Erbschaftssachen von 1933 bis 1945. Vgl. Georg D. Falk/Ulrich Stump/Rudolf H. Hartleib/Klaus Schlitz/Jens-Daniel Braun, Willige Vollstrecker oder standhafte Richter? Die Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main in Zivilsachen von 1933 bis 1945, Marburg 2020, S. 679–706. 453 HHStAW, 469/6, 66 VI 434/40 F. und 66 IV 37/40 F.; Hanel, „Volksempfinden“.

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gleich findet sich in den Akten ein Fall, in dem eine Familie durch Kooperation das Gesetz umging und in dem sich der Widerstand von Familien gegen staatliche Eingriffe zeigt. Ausgangspunkt war das Testament eines im Jahr 1940 verstorbenen katholischen Lehrers, der darin seine im Jahr 1911 getaufte Ehefrau, die den Nationalsozialisten trotzdem als Jüdin galt, enterbte und alles seinen beiden Töchtern vermachte. Dadurch wollte er – so eine seiner Töchter im Jahr 1955 – den Nationalsozialisten keinen Anlass geben, auf sein Vermögen zuzugreifen. Beide Töchter und Erbinnen nahmen das Erbe allerdings nur offiziell an, um es dann, wie es ihre Eltern gewünscht hatten, ihrer Mutter zu überlassen. Diese verstarb im Jahr 1955 und vererbte ihr Eigentum wiederum an ihre beiden Töchter.454 Entscheidender für die Unterbrechung von innerfamilialen Erbübertragungen in jüdischen Familien als das Testamentsgesetz waren die „Arisierung“ jüdischen Besitzes und die Verfolgung und Ausgrenzung der Juden im nationalsozialistischen Deutschland. Sie erfolgten über andere Gesetze und Maßnahmen. In einem mehrstufigen, lokal unterschiedlich ablaufenden Prozess „arisierten“ die nationalsozialistische Regierung, Parteiorgane, lokale Institutionen, Unternehmer, Notare und Einzelpersonen zwischen 1933 und 1945 das gesamte jüdische Vermögen in Deutschland.455 Das Frankfurter Amtsgericht stellte deswegen seit Mitte der 1930er bei Erbübertragungen, in die Juden involviert waren, vielfach fest, dass die in einem Testament angegebenen Vermögenswerte nicht mehr vorhanden seien.456 Doch selbst wenn die Vermögenswerte noch existierten, bedeutete dies nicht, dass die Erben das ihnen zustehende Eigentum erhielten, da sich auch Nachlasspfleger und andere Mitarbeiter des Gerichts am Raub an den Juden beteiligten. Nach dem Tod von Lina R. im Januar 1940 zog beispielsweise zunächst das Finanzamt knapp 18.000 Reichsmark zu viel an Reichsfluchtsteuern vom vorhandenen Nachlass ein.457 Danach forderte ein in Palästina ansässiger Anwalt der Erben die verbleibenden Vermögenswerte, insbesondere die Kleider, Möbel und Erinnerungsstücke

454 HHStAW, 469/6, 66 IV 713/40 K. 455 Allgemein zur Geschichte der „Arisierung“ und Wiedergutmachung vgl. Berthold Unfried, Vergangenes Unrecht. Entschädigung und Restitution in einer globalen Perspektive, Göttingen 2014; Nietzel, Wiedergutmachung; Niederacher, Eigentum; Goschler, Schuld; Frank Bajohr, „Arisierung“ in Hamburg. Judenpolitik, wirtschaftliche Ausschaltung und Liquidierung jüdischer Unternehmen 1933–1945, Hamburg 1997. Zum Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit vgl. Gosewinkel, Schutz, S. 263–283; Miriam Rürup, The Right to be Stateless: Dealing with Statelessness after World War II, in: Jahrbuch des Simon-Dubnow-Instituts 15 (2016), S. 265–286. Zur „Arisierung“ in Frankfurt vgl. die Arbeiten von Benno Nietzel, u. a. Benno Nietzel, Handeln und Überleben. Jüdische Unternehmer aus Frankfurt am Main 1924–1964, Göttingen 2012. 456 HHStAW, 469/6, 67 VI 1674/40 S. 457 HHStAW, 469/6, 67 IV 52/40 R. Zur Geschichte des Reichsfinanzamts vgl. Christiane Kuller, Bürokratie und Verbrechen. Antisemitische Finanzpolitik und Verwaltungspraxis im nationalsozialistischen Deutschland, Berlin, Boston 2013.

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aus dem Nachlass an, wobei es kriegsbedingt zu keinem Übertrag dieser Dinge mehr kam. Der mit der Nachlassverwaltung betraute Wirtschaftsprüfer erhielt stattdessen vom Amtsgericht die Erlaubnis, alle Gegenstände aus der Erbschaft zu versteigern und den Erlös auf ein gesichertes Bankkonto einzubezahlen. Was mit dem Guthaben auf diesem Konto nach dem Krieg geschah, geht aus der Akte nicht hervor.458 Auch das Erbe der Kunstsammlerin und Stifterin Emma Budge, einer Jüdin mit US-amerikanischer und ungarischer Staatsangehörigkeit wurde nicht entsprechend ihren Testamenten verteilt. Als sie 85-jährig im Februar 1937 in Hamburg verstarb, hinterließ sie ein Vermögen von ca. 6,9 Millionen RM. Dessen Verteilung, die sie genau geregelt hatte, sollte von vier von ihr ernannten jüdischen Hamburger Testamentsvollstreckern durchgeführt werden. Diese begannen nach Emma Budges Tod auch mit ihrem Auftrag, konnten ihn aber nicht durchführen. Die Hamburger Devisenbehörde blockierte den Transfer von Gemälden ins Ausland und bemühte sich darum, selbst an das Erbe zu gelangen. Sie verdrängte die Testamentsvollstrecker von ihren Aufgaben und beschlagnahmte die Reisepässe von sich noch in Deutschland befindenden Erben, wovon einer im KZ Buchenwald inhaftiert war. Den anderen Erben wiederum wurde die Ausreise aus Deutschland erst gewährt, nachdem das auf Konten in der Schweiz befindliche Vermögen von Emma Budge an die Reichsbank überwiesen worden war. Nach ihrer Ausreise bekamen sie einen Bruchteil ihres Erbes, während der deutsche Staat den Großteil davon einbehielt. Weitgehend parallel zu diesem Vorgang enteigneten die deutschen Behörden auch die von Emma Budge noch zu Lebzeiten (mit-)gegründeten Stiftungen in Hamburg und in Frankfurt (Henry und Emma Budge Stiftung) und beraubten sie ihres Stiftungskapitals, indem sie das Stiftungsvermögen zusätzlich besteuerten, die Stiftungen teilten und den Stiftungsrat personell veränderten.459 In anderen Fällen waren Juden in Ghettos und Konzentrationslager deportiert worden, wodurch sie in den meisten Fällen ihre deutsche Staatsangehörigkeit verloren und wonach das Amtsgericht folglich nicht mehr für die Bearbeitung ihres Nachlassübertrags zuständig war. Jüdische Erben wiederum, sofern sie überhaupt noch am Leben waren, waren entweder in Deutschland untergetaucht, ins „feindliche“ Ausland emigriert oder befanden sich als Häftlinge in Arbeits- und Konzentrationslagern. Das Amtsgericht sah sich somit in immer weniger Erbfällen mit jüdischer Beteiligung involviert, und in den Fällen, in denen es weiterhin zuständig war, gab es oftmals weder einen Nachlass, der zu übertragen, noch Erben, an die er zu übertragen gewesen wäre. Charakteristisch für Erbschaftsangelegenheiten

458 HHStAW, 469/6, 67 IV 52/40 R. 459 Zur Zerschlagung und Enteignung von jüdischen Stiftungen im Nationalsozialismus vgl. Werner, Stiftungsstadt, S. 316–340, insbesondere zum Erbfall Emma Budge S. 326–332.

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mit jüdischen Erblassern vermerkte das Amtsgericht in der Akte des im Herbst 1940 im Konzentrationslager Dachau ermordeten Friedrich W., dass kein Nachlass vorhanden sei und es keine Erben ermitteln könne.460 Die Schwägerin des im Jahr 1941 verstorbenen Lehrers Isaak S. teilte dem Amtsgericht mit, dass dieser keine Vermögenswerte mehr besessen habe: „[Seine Habe, J. D.] war ihm leihweise von mir überlassen worden, nachdem ihm im Jahr 1938 aus Anlaß der Judenaktion alles zerschlagen worden war.“461 Auch der im Jahr 1939 in Cincinnati verstorbene Frankfurter Rechtsanwalt und Justizrat Ignaz H. hatte in der Pogromnacht und durch Arisierungen seinen Besitz vollständig verloren, so dass sein Sohn wenige Monate vor seinem Tod seine Ausreise aus Deutschland bezahlen musste.462 Die beiden Töchter und Erbinnen des im Jahr 1943 im Konzentrationslager Theresienstadt ermordeten Ferdinand U. befanden sich nach Information des Amtsgerichts in Mexiko und in London und konnten nicht ermittelt und kontaktiert werden.463 Prozesse der „Arisierung“, das heißt die Enteignung und der Raub jüdischen Eigentums,464 und der rechtlichen Diskriminierung hatten die Handlungsspielräume Frankfurter Juden sowohl bei der Nachlassplanung als auch beim Einfordern von Erbschaften innerhalb weniger Jahre deutlich verengt und den Übertrag von Erbe in der Familie vielfach verhindert.465 Gleichwohl bedeutete dies nicht, dass jüdische Erblasser und ihre Familien nicht weiterhin mit verschiedenen Strategien am Familienprinzip und an bürgerlichen Erbtraditionen festhielten. Zwei davon finden sich in der Nachlassplanung der verwitweten Ricke R. In ihrem am 7. Mai 1940 vor dem Frankfurter Notar Walter K. errichteten Testament gab sie den Wert ihres Erbes mit 20.000 RM an. Zu ihren Erben setzte sie einen Neffen und zwei Nichten ein, die in Frankfurt beziehungsweise in Münster lebten. Ihnen machte sie zur Auflage, dem Fräulein Rosi M. und dem Fräulein

460 HHStAW, 469/6, 67 VI 1679/40 W. Vgl. auch HHStAW, 469/6, 66 VI 331/40 H. und 66 VI 1070/ 40 K. 461 HHStAW, 469/6, 66 IV 740/40 S. Weitere Informationen zum Erbfall finden sich in HHStAW, 469/6, 66 VI 1717/40 S. und 52 VI 143/56 S. 462 Bestätigung der Eugen Hoerner G.m.b.H, 2.8.1950, Betr.: Nachlass Ignaz Holz, gestorben 17. Okt. 1939 in Cincinnati, in: RG 131, Office of Alien Property, Department of Justice/Office of Alien Property/Overseas Office, Entry P 100: Reciprocal Rights of Inheritance Under German Law Files: 01/01/1941 – 12/31/1954, Hoerner Files THRU Reciprocal Rights of Inheritance, Box 17. 463 HHStAW, 469/6, 67 IV 43/40 U. Vgl. auch HHStAW, 469/6, 67 VI 1032/40 M. und 66 VI 1062/40 S. 464 Für Forschungsüberblicke dazu vgl. Nietzel, Wiedergutmachung. Allgemein zur Geschichte der „Arisierung“ sowie Wiedergutmachung und Entschädigung vgl. Goschler, Schuld; Hans Günter Hockerts/Christiane Kuller (Hrsg.), Nach der Verfolgung. Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in Deutschland?, Göttingen 2003; Bajohr, „Arisierung“. Zu Frankfurt am Main vgl. Nietzel, Handeln. 465 Vgl. Nietzel, Handeln. Das Eigentumshandeln von Juden in Wien untersucht Sonja Niederacher: Niederacher, Eigentum; Niederacher, Vermögen.

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Ellen W., beide ebenfalls in Frankfurt wohnend, jeweils ein Legat in Höhe von 1.000 RM auszubezahlen. Danach folgten zwei für von Juden um 1940 errichtete Testamente charakteristische Ergänzungen: Erstens bestimmte Ricke R. Fräulein W. zu einer ihrer Erbinnen. Sollte Fräulein W. allerdings zum Zeitpunkt des Erbfalls ausgewandert sein, so sollte sie ihren Anteil verlieren und stattdessen die Mutter von Fräulein W. erben.466 In ähnlicher Weise legten auch andere Juden in ihren Testamenten fest, dass Personen, die sie und das Land verließen, von ihrem Erbe auszuschließen seien.467 Zweitens bezog Ricke R. einen möglichen Verlust ihres Eigentums bei ihrer Testamentserrichtung in Betracht. Demgemäß hielt sie fest: „Sollte sich mein Vermögen zur Zeit des Erbfalles um mehr als die Hälfte vermindert haben, dann sollen die Auflagen für Fräulein M. und Fräulein W. sich auf je 300.– RM […] ermässigen.“468 Die Bestimmungen von Ricke R. lassen sich somit auch als Versuch begreifen, einer Vereinsamung in schwieriger Zeit vorzubeugen und eine rationale Nachlassplanung unter sich rapide verändernden Umständen vorzunehmen, um eine gewünschte Vermögensverteilung unter familialen Erben und ihr nahestehenden Personen zu gewährleisten. 3.6 Erbübertragungen in der Nachkriegszeit Verlorene Dokumente, verschollene Erbschaften und vermisste Erben

Als die US-Armee die Stadt im März 1945 besetzte und damit den Krieg für die Frankfurter beendete, waren knapp 40 Prozent der Gebäude zerstört. Die Einwohnerzahl hatte sich im Vergleich zum Kriegsbeginn in etwa halbiert, von ca. 557.000 Einwohner im Jahr 1940 auf ca. 269.000 im Jahr 1946. Ungefähr 27.000 Frankfurter waren im Krieg gefallen, ca. 10.000 Stadtbewohner waren von den Nationalsozialisten ermordet worden, mehrere Zehntausend befanden sich in Kriegsgefangenschaft oder galten als verschollen. Andere Bewohner waren vor den Nationalsozialisten ins Ausland oder vor den Luftangriffen in ländliche Gebiete geflohen und kehrten nun zum Teil wieder in eine Stadt zurück, die von Trümmern übersät war und in der Mangel an Alltagsgegenständen, Möbeln sowie Wohnraum herrschte.469 Es waren allerdings nicht nur ehemalige Frankfurter, die zurückkehrten. Dass die Stadt bereits im Jahr 1950 die Einwohnerzahlen der Vorkriegszeit wieder nahezu erreichte, lag auch an anderen Migrationsbewegungen. Aus den östlichen Gebieten

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Testament von Ricke R. vom 7.5.1940, in: HHStAW, 469/6, 67 IV 52/40 und 52 VI 313/50 R. Testament von Marianne Sara A. vom 15.10.1940, in: HHStAW, 469/6, 66 IV 729/40 A. Testament von Ricke R. vom 7.5.1940, in: HHStAW, 469/6, 67 IV 52/40 und 52 VI 313/50 R. Werner Bendix, Die Hauptstadt des Wirtschaftswunders. Frankfurt am Main 1945–1956, Frankfurt am Main 2002, S. 9; Frolinde Balser, Aus Trümmern zu einem europäischen Zentrum. Geschichte der Stadt Frankfurt am Main 1945–1989, Sigmaringen 1995.

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des ehemaligen Deutschen Reichs trafen große Flüchtlingsströme ein. Des Weiteren zogen Arbeitssuchende aus Bayern, dem Rheinland und dem ländlichen Hessen in die Stadt. Beide Entwicklungen verschärften wie in anderen Großstädten den Wohnraummangel.470 In diesem Kontext begann um den Jahreswechsel 1949/1950 das Amtsgericht Frankfurt wieder im größeren Umfang – nachdem die stärksten Kriegsschäden am Justizgebäude beseitigt und durch eine Überprüfung der Mitarbeiter mehrere Betrüger, die sich nach dem Krieg als Juristen ausgegeben hatten, aufgeflogen waren – mit der Bearbeitung von angefallenen und neu hinzugekommenen Erbfällen.471 In den einzelnen Ländern waren die Justizminister bereits zuvor während der Währungsreform und der damit einhergehenden Entwertung von Bar- und Sparvermögen aktiv geworden. Um Erbstreitigkeiten während der Währungsreform zu vermeiden, hatten sie ihre Bürger ähnlich wie nach der Inflation aufgefordert, zu prüfen, ob ihre Testamente angesichts der veränderten Verhältnisse noch ihrem Willen entsprachen, und sie gegebenenfalls zu ändern. Vorreiter war dabei der hessische Justizminister, der schon am 8. Januar 1949 alle Gerichte Hessens beauftragt hatte, über die mögliche Rücknahme und Abänderung von Testamenten aufgrund der Währungsreform zu informieren.472 Notare befürworteten das Anschreiben, und die Justizminister der übrigen Länder folgten dem hessischen Beispiel.473 Parallel dazu hatte sich zwischen 1945 und Anfang der 1950er Jahre die Rechtslage mehrmals geändert. Nach der Kapitulation des nationalsozialistischen Deutschlands setzten die Alliierten mit dem Kontrollratsgesetz Nr. 45 das Reichserbhofgesetz außer Kraft. Darüber hinaus führten die Amerikaner in ihrer Besatzungszone, zu der Frankfurt gehörte, das System der föderalen amerikanischen Erbschaftsbesteuerung ein. Die amerikanischen Erbgesetze, aber auch die Juden diskriminieren470 Ulrich Herbert, Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, München 2014, S. 596f. 471 Wilhelm Metzner, Unterbringungsprobleme beim Wiederaufbau nach dem Krieg. Erinnerungen eines Staatsanwalts, in: Henrichs/Stephan (Hrsg.), Jahrhundert, S. 151–154; Adolf Pentz, Erinnerungen an die Jahre 1951–1954, in: Horst Henrichs/Karl Stephan (Hrsg.), Ein Jahrhundert Frankfurter Justiz. Gerichtsgebäude A: 1889–1989, Frankfurt am Main 1989, S. 146–150. 472 Hess. Staatsministerium (Minister der Justiz) an Bay. Staatsministerium der Justiz, WürttembergBadische Justizministerium, Zentral-Justizamt für die Britische Zone, Senator für Justiz und Verwaltung in Bremen und Herrn Oberlandesgerichtspräsidenten in Karlsruhe, 8.1.1949, in: Bay. HStA, MJu 22570, Bay. Staatsministerium der Justiz, Rücknahme von Testamenten auf Grund der veränderten Verhältnisse. 473 Notarausschuss an das Bay. Staatsministerium (Justiz), 22.2.1949, in: Bay. HStA, MJu 22570, Bay. Staatsministerium der Justiz, Rücknahme von Testamenten auf Grund der veränderten Verhältnisse. In dieser Akte finden sich auch die Anschreiben aus anderen Bundesländern sowie die Korrespondenz zwischen den Justizministerien der verschiedenen Bundesländer: Rheinland-Pfalz, Justizministerium an das Bay. Staatsministerium, 6.3.1953, in: Bay. HStA, MJu 22570, Bay. Staatsministerium der Justiz, Rücknahme von Testamenten auf Grund der veränderten Verhältnisse; Schreiben des Amtsgerichts an Anna D., in: HHStAW, 469/6, Paket 205, Akte Anna D.

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de Klausel im Testamentsgesetz von 1938 nahm die Regierung Adenauer Anfang der 1950er Jahre wieder stillschweigend zurück, womit die Erbgesetze des BGB von 1925/1934 wieder in Kraft traten.474 Damit kehrten die Amtsgerichte wenige Jahre nach dem Ende des Krieges zur vertrauten Rechtslage zurück, die eine langfristige Nachlassplanung und einen sicheren Erbtransfer ermöglichen sollten. In der Praxis sahen sich Erblasser und Erben sowie Amtsgerichte bei Erbüberträgen allerdings mit zahlreichen Schwierigkeiten und Problemen konfrontiert. Die gezielte Vernichtung von jüdischen Besitzurkunden und Testamenten während der „Arisierung“, Kriegsschäden und die Flucht und Vertreibung vieler Personen hatten dazu geführt, dass das Frankfurter Amtsgericht, Rechtsanwälte und Notare sowie ihren Nachlass planende Bürger und deren Erben Verträge von Lebensversicherungen, Grundbücher, Personenstandsurkunden, Eheverträge, Testamente oder Erbverträge verloren hatten.475 Auch die von gefallenen Soldaten und Polizisten während des Zweiten Weltkriegs an der Front errichteten Testamente trafen häufig erst viele Jahre später bei den Amtsgerichten ein oder blieben verschollen.476 Dass gesetzlich geforderte Dokumente für den Nachweis der Erbberechtigung wiederholt nicht beschaffbar waren, warf wiederum für die Betroffenen und das Amtsgericht die Fragen auf, wie damit umzugehen sei und welche anderen Dokumente oder Zeugenaussagen ersatzweise zum Beweis und zur Rechtfertigung von Eigentumsansprüchen Verwendung finden könnten. Mit dem Problem vernichteter, verlorener und verschwundener Dokumente eng verbunden waren Veränderungen in der Zusammensetzung von Erbschaften. Die Verfolgungs- und Vernichtungspolitik der Nationalsozialisten sowie von diesen durchgeführte „Arisierungen“, die enemy property acts der Alliierten während des Krieges, die Ankunft vieler Flüchtlinge aus den früheren östlichen Gebieten des

474 Beckert, Vermögen, S. 275ff. Zum Zusammenhang zwischen staatlichen Maßnahmen und Vermögensungleichheiten vgl. Kaelble, Reichtum. Zum Kontext vgl. Marc Buggeln, Die Debatten um staatliche Zugriffsmöglichkeiten auf den privaten Reichtum. Der Einkommensteuerspitzensatz in Deutschland 1871–1955, in: Vierteljahrschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 105 (2018), H. 3, S. 337–364. Die Aufhebung des Verbots im Jahr 1953 hat die ihm zugrunde liegende Vorstellung allerdings nicht aus dem juristischen Diskurs entfernt. Auch in der Bundesrepublik erörterten Juristen immer wieder, wie sich der Einfluss von religiösen Seelsorgern und Pflegerinnen auf von ihnen umsorgte Personen und Sterbende derart kontrollieren lasse, dass eine Ausnutzung dieser emotional aufgeladenen und stark asymmetrischen Machtsituation zum eigenen finanziellen Vorteil oder zum finanziellen Vorteil der religiösen Gemeinde verhindert werden könne, ohne dass diese Überlegungen allerdings neue Verbote nach sich gezogen hätten. 475 HHStAW, 469/6, 52 VI 1566/50 M.; 52 IV T 12/90 T.; 52 VI 1925/55 S.; 36 IV 192/25 L. 476 Bundesminister der Justiz an sämtliche Landesjustizverwaltungen, Betr: Testamente ehemaliger Wehrmachtsangehöriger, 13.11.1950, in: HHStAW, Erbvertrag, Bd. 1; Ernst Holthöfer, Die Erbschaft des vermissten Soldaten, in: Süddeutsche Juristen-Zeitung 3 (1948), H. 10, S. 621–622.

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Deutschen Reiches sowie anderen Ländern des östlichen Europas und die Übernahme von Möbeln und Gebäuden durch die amerikanische Besatzungsmacht nach dem Krieg veränderten die Zusammensetzung von Nachlässen. Entschädigungsund Wiedergutmachungsansprüche sowie andere (Lastenausgleichs-)Ansprüche auf vernichtetes, geraubtes, sich in anderen Staaten – auf Sperrkonten – befindendes oder beschlagnahmtes Eigentum wurden zu festen Bestandteilen von Erbschaften.477 Frankfurter Erben, insbesondere die Erben von Juden, waren häufig mit dieser veränderten materiellen Zusammensetzung von Erbschaften konfrontiert. 84 Prozent des ehemals jüdischen Vermögens in Hessen hatten sich in Frankfurt befunden, und schätzungsweise die Hälfte aller jüdischen Anspruchsberechtigten auf dieses Eigentum war während des Krieges ermordet worden oder in den Jahren nach dem Krieg während der laufenden „Wiedergutmachungsverfahren“ verstorben. Ihre Ansprüche gingen somit auf ihre Erben über.478 In den 316 durchgesehen Erbverfahren aus dem Jahr 1950 waren in 56 Fällen nachweisbar „Wiedergutmachungsansprüche“ Teil des Nachlasses.479 Allerdings lehnte die Mehrheit der Frankfurter in der frühen Bundesrepublik Wiedergutmachungsansprüche ab. Profiteure von „Arisierungen“ und neue Besitzer von Kunstwerken, Häusern, Grundstücken und Wohnungen hatten meist kein Interesse an Rückübertragungen. Zusätzliche Schwierigkeiten entstanden, wenn eine verstorbene Person als Kreditgeber fungiert hatte und ihre Erben sich nun vor die Aufgabe gestellt sahen, die Ausstände von den unter Umständen ebenfalls schon verstorbenen oder an anderen Orten lebenden Kreditnehmern zurückzufordern, um an ihr rechtmäßiges Eigentum zu kommen, oder wenn Personen während der NS-Zeit entmündigt worden waren und ihr Besitz auf verschiedene Eigentümer aufgeteilt worden war.480 Wollten die betroffenen Personen ihr Erbe realisieren, blieb ihnen häufig nur der Gerichtsweg, der langwierig und teuer war und den sie, die selbst geflohen waren und am Existenzminimum lebten, sich häufig nicht leisten konnten.481

477 AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 51 VI 130-131/50 K und Beiakte 51 VI R II 329-330/52; HHStAW, 469/6, 66 VI 407/40 F.; 66 IV 743/40 H.; 51 IV 19/50 D. Für zwei aktuelle Forschungsüberblicke zum Thema vgl. Nietzel, Wiedergutmachung; Christiane Fritsche/Johannes Paulmann, „Arisierung“ und „Wiedergutmachung“ vor Ort: Perspektiven auf die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz deutscher Juden und die Entschädigung nach 1945, in: Fritsche/Paulmann (Hrsg.), „Arisierung“, S. 7–44. Allgemein zur Geschichte der „Arisierung“ sowie Wiedergutmachung und Entschädigung vgl. Bajohr, „Arisierung“; Goschler, Schuld; Hockerts/Kuller (Hrsg.), Verfolgung. Zu Frankfurt am Main vgl. Nietzel, Handeln. 478 Nietzel, Handeln, S. 265, 336. 479 Dinkel, Nachlassakten. 480 HHStAW, 469/6, 52 VI 1925/55 S. und 67 VI 405/40 L. 481 HHStAW, 469/6, 67 VI 1063/40 S. Für weitere Beispiele vgl. Nietzel, Handeln, S. 267–274, Beispiele für daraus resultierende Gerichtsprozesse S. 284–292.

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Die Folgen der nationalsozialistischen Verfolgungs- und Vernichtungspolitik und des Zweiten Weltkriegs führten des Weiteren dazu, dass in mehreren Erbfällen die gesetzlichen Erben der ersten und zweiten Ordnung nicht mehr am Leben waren und weiter entfernte Verwandte nachrückten, zu denen der Erblasser in der Regel nur noch lose oder gar keinen Kontakt mehr besessen hatte und die das Amtsgericht erst ermitteln musste.482 Diese weiter entfernten Verwandten befanden sich in vielen Fällen nicht in Frankfurt, sondern an anderen Orten in der Bundesrepublik, oder sie waren vor den Nationalsozialisten ins Ausland geflohen beziehungsweise befanden sich in der sowjetischen Besatzungszone/DDR. Zudem überlagerte sich ein Teil der Erbfälle mit Erbangelegenheiten, in denen ältere Migrationsbewegungen und Erbübertragungen aus dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert eine Rolle spielten.483 Im Erbfall des im Alter von 74 Jahren im Jahr 1938 in Frankfurt verstorbenen Paul Friedrich F. sahen sich das Amtsgericht Frankfurt und ein Notar in den späten 1940er Jahren beispielsweise mit der Aufgabe konfrontiert, für die Ausstellung des Erbscheins die Erbberechtigten von dessen 1898 in Ohio, USA verstorbener Mutter sowie eines im Jahr 1907 vorverstorbenen Stiefbruders zu ermitteln.484 Die Suche nach rechtmäßigen Erben und die Dokumentation von Erbansprüchen verkomplizierte sich hauptsächlich für jüdische Erben noch dadurch, dass die Nationalsozialisten mehrere Zehntausend Juden ausgebürgert hatten.485 Die durch den Entzug der Staatsbürgerschaft erzeugten Probleme bei Erbtransfers blieben auch nach dem Zweiten Weltkrieg virulent. Denn der deutschen Rechtsordnung zufolge entschied die Staatsangehörigkeit eines Erblassers darüber, nach welchen nationalstaatlichen Erbgesetzen eine Erbschaft zu übertragen war und welche Institution für den Übertrag zuständig war. Weiter hielt die Rechtsordnung fest, dass das deutsche Erbrecht nur bei deutschen Staatsangehörigen zur Anwendung kommen sollte. Bei staatenlosen Erblassern galten hingegen die Erbgesetze des Landes, in dem sie verstorben waren. Die deutschen Amtsgerichte waren in der Bundesrepublik damit rechtlich gesehen nicht dafür zuständig, die sich seit den 1930er Jahren ansammelnden Erbschaften im Ausland verstorbener Staatenloser zu bearbeiten. Allerdings nahm seit den späten 1940er Jahren der politische Druck von Erben, jüdischen Organisationen und seitens der Alliierten auf deutsche Behörden zu, eine

482 HHStAW, 469/6, 52 IV 479/50 S.; 36 IV 177/25 L.; 36 IV 457/25 S.; 36 IV 456/25 S.; 36 IV 453/25 S.; 52 VI 1923/50 S.; Holthöfer, Erbschaft. 483 AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 52 IV 20/50 P., Beiakte 52 VI 2185/52; 52 VI 696/697/50 S. 484 HHStAW, 469/6, 66 VI 436/40 F. 485 Helen Silving to Paul Elkind, Chief of Estates and Trusts Division, Subject: Reciprocal Rights of Inheritance, 8.8.1950, in: NARA, RG 131, Office of Alien Property, Department of Justice/Office of Alien Property/Overseas Office, Entry P 100: Reciprocal Rights of Inheritance Under German Law Files: 01/01/1941 – 12/31/1954, Box 8. Vgl. auch Gosewinkel, Schutz, S. 263–283; Rürup, Right.

Erben und Vererben in Deutschland, 1918–1960er Jahre

Lösung für den Umgang mit jüdischen Nachlässen zu finden. Ab Ende der 1940er Jahre diskutierten Politiker, später die Regierungen der einzelnen Bundesländer und das Parlament in der Bundesrepublik, ob die Abweisung von staatenlosen Erbfällen gerechtfertigt sei und welche Alternativen es dazu gebe. Während einer Debatte des Parlamentarischen Rates im Dezember 1948 argumentierte dabei eine Seite, dass die noch zu gründende Bundesrepublik, nachdem das nationalsozialistische Deutschland Juden zwangsweise ausgebürgert habe, diese nun nicht ohne aktive Willensbekundung der Ausgebürgerten wieder zwangsweise einbürgern dürfe. Andere Beteiligte forderten genau dies, nämlich allen Ausgebürgerten ihre vormalige Staatsangehörigkeit wieder zu verleihen, ohne diese zu befragen, ob sie dies wollten oder nicht. In der Praxis kam es zu einem Kompromiss zwischen beiden Positionen: Die Bundesrepublik gewährte allen Juden, die ihren Wohnsitz in Deutschland hatten oder einen entsprechenden Antrag stellten, die deutsche Staatsbürgerschaft.486 Damit war aber nur für einen kleinen Teil der Erbfälle, in denen Staatenlose verwickelt waren, eine Lösung gefunden. Denn die Maßnahmen änderten nur wenig daran, dass viele deutsche Juden (als Staatenlose) in Konzentrationslagern außerhalb der Grenzen Deutschlands ermordet worden waren oder ihr Leben als Flüchtlinge im Ausland beendet hatten, für die sich die Amtsgerichte weiterhin nicht zuständig sahen. Stattdessen verwiesen die Amtsgerichte in den 1950er Jahren in der Regel bei Nachfragen zu Erbfällen von Staatenlosen auf die Rechtslage und die Institutionen in den Ländern, in denen die betreffende Person verstorben war. Erst im Jahr 1968 legte das Bundesverfassungsgericht fest, dass zwischen dem 25. November 1941 und dem 8. Mai 1945 verstorbene Bürger, denen die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen worden war, nach dem deutschen Erbgesetz beerbt und die Erbfälle von deutschen Amtsgerichten bearbeitet werden müssten. Damit leistete das Verfassungsgericht einen Beitrag zur Bearbeitung von angesammelten Erbfällen sowie zur erneuten Herausbildung einer Rechtsordnung und praktischer Routinen zum Übertrag von jüdischen Nachlässen in der frühen Bundesrepublik.487 Legale und illegale Erbaneignungen

In den letzten Kriegsjahren und der unmittelbaren Nachkriegszeit gerieten viele Menschen in Not und verarmten. Anfang der 1950er Jahre beschrieb das Frank-

486 Vgl. Anhang in Bundesverfassungsgericht an den Hessischen Minister der Justiz, Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14.2.1968, in: HHStAW, Erbrecht, 3480, Bd. 2. Zum Kontext vgl. Michael Brenner (Hrsg.), Geschichte der Juden in Deutschland von 1945 bis zur Gegenwart. Politik, Kultur und Gesellschaft, München 2012. 487 Bundesverfassungsgericht an den Hessischen Minister der Justiz, Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14.2.1968, in: HHStAW, Erbrecht, 3480, Bd. 2.

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furter Amtsgericht die Nachlässe einer Professorenwitwe, eines kaufmännischen Angestellten und eines verwitweten Obergärtners wie folgt: „Vermögen aus den Nachlässen der beiden Verstorbenen ist nicht vorhanden. Die zuletzt verstorbene Ehefrau war ausgebombt und hat nichts hinterlassen.“488 – „Nachlasswert null. Nur persönliche Dinge vorhanden.“489 – Durch die Währungsreform sei vom „Vermögen wenig übrig geblieben. [Der Erblasser, J. D.] war Flüchtling. [Der Nachlass besteht aus, J. D.] Hausrat ohne besonderen Wert.“490 Mit ähnlichen Bemerkungen war ein Großteil der Nachlassakten aus dem Jahr 1950 versehen beziehungsweise erklärten Personen, die zu dieser Zeit ein Testament verfassten, darin, dass sie aufgrund von Kriegsschäden, Flucht oder Währungsreform keinen nennenswerten Nachlass mehr vererben könnten.491 Die Verarmung zahlreicher Stadtbewohner führte in Frankfurt und Umgebung zu einem deutlichen Rückgang philanthropischer Praktiken. Ganz verschwanden sie allerdings nicht.492 Auch in der frühen Bundesrepublik vermachten bürgerliche Erblasser einen Teil ihres Vermögens an Stiftungen oder gemeinnützige Einrichtungen und Organisationen, die sich für die Unterstützung von Flüchtlingen einsetzten.493 Andere vermachten Kleider, Möbel oder Bargeld an die örtliche Kirchengemeinde für die Wiederrichtung von Kirchengebäuden oder die Beschaffung von Kirchenglocken. Dafür erwähnte die Kirchengemeinde die Testatoren und Spender wiederum im Amtsblatt.494 Diese Form der öffentlichen Anerkennung im lokalen Raum stellte einen Anreiz für Spenden und Vermächtnisse an die Kirche dar, sie übte innerhalb von dörflichen Gesellschaften aber auch einen gewissen Druck auf die Bewohner aus, sich daran zu beteiligten.495 Eine andere Erblasserin vermachte einen großen Teil ihres Vermögens an die katholische Kirche, da ihr „der katholische Pfarrer […] nach Einmarsch der amerikanischen Truppen zu Ende des letzten Krieges besonderen Schutz angedeihen lassen [habe, J. D.], als sie als

488 489 490 491 492

AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 51 IV 12/60 K. AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 51 IV 266/81 B. AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 51 IV 5/70 H. HHStAW, 469/6, 52 IV 254/50 R.; 51 IV 19/50 S.; 52 IV T 12/90; 52 VI 1172/50. Bach, Bürgersinn; Rupert Graf Strachwitz, Stiftungen nach der Stunde Null. Die Entwicklung des Stiftungswesens in Westdeutschland nach 1945, in: Geschichte und Gesellschaft (2007), H. 1, S. 99–126. 493 HHStAW, 469/6, 52 IV 474/50 Q. An Einrichtungen zur Unterstützung von Flüchtlingen und an das Rote Kreuz vermachte auch Frau S. große Teile ihres Vermögens. Vgl. AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 52 IV Sch 5/89 S. Zum Anstieg des Mäzenatentums ab den 1970er Jahren vgl. Anne Kurr, Reichtum ausstellen. Kunstmäzenatentum als Repräsentation im öffentlichen Raum am Beispiel des Museum Ludwig in Köln (1969–1986), in: Gajek/Kurr/Seegers (Hrsg.), Reichtum, S. 227–247. 494 ZA EKHN, 155/5484 und 155/6241. 495 Vgl. u. a. die Akten ZA EKHN 155/6241 und 155/5484.

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NS-Kreisfrauenschaftsleiterin inhaftiert werden sollte.“496 Neben der öffentlichen Anerkennung konnten auch Schuldgefühle oder wie im letzten Fall empfundene Dankbarkeit zu Vermächtnissen an gemeinnützige Einrichtungen führen. Die meisten Erblasser waren – ob mit oder ohne Legat – allerdings weiterhin oder angesichts der erlebten Notsituation sogar besonders daran interessiert, ihren verbliebenen Besitz an Familienangehörige zu vererben. Ein älterer Mann hielt in seinem Testament dementsprechend fest, dass seine Tochter seine Möbel und Kücheneinrichtung erhalten solle aus Dankbarkeit für ihre Dienste an ihren Eltern. Seinem Sohn teilte er zu seinem Bedauern mit, dass er ihm nur seine Kleider hinterlassen könne, „wenn er sie denn haben will“.497 Der geschmälerte Nachlass besaß für viele Erben dennoch einen hohen Wert. Angesichts des weitverbreiteten Mangels an nahezu allen Alltagsgegenständen konnte der Erhalt von Geschirr, Bettwäsche, abgetragenen Kleidern, Kochgeschirr oder Möbeln eine deutliche Verbesserung der eigenen Lebenslage bedeuten. Gebrauchs- und Alltagsgegenstände, denen in der Vorkriegszeit nur wenig Wert beigemessen worden war und die in der Regel auch nicht emotional durch ihre Verbindung zum Erblasser aufgeladen waren, gewannen für eine größere Anzahl an Erben letztmals im Konsumzeitalter des 20. Jahrhunderts enorm an Bedeutung.498 Darüber hinaus waren mobile Hinterlassenschaften auch für viele andere Menschen in Not von Wert. Es kam immer wieder zu illegalen Aneignungen von Erbe, die das Amtsgericht weder verhindern noch ahnden konnte. Ursächlich hierfür waren zunächst die durch den Krieg und seine Nachwirkungen gestörten Abläufe innerhalb des Amtsgerichts selbst. Dessen Gebäude war nach Kriegsende teilweise zerstört und die Behörde fing erst in den Jahren 1949/50 wieder mit der geregelten Bearbeitung von Erbfällen an. Bis dahin hatten sich auf dem Gericht viele Erbfälle angesammelt, mit deren Bearbeitung das Gericht nur langsam vorankam und in denen die Erben auf das dringend benötigte Erbe warteten. Es kam daher immer wieder vor, wie Nachlasspfleger und Auktionatoren dem Amtsgericht berichteten, dass sich Personen das nicht ausreichend gesicherte Erbe illegal nahmen und damit verschwanden. Beispielhaft hierfür ist der Fall des Ehepaars K. Das Paar wohnte in Frankfurt, bis der Ehemann im Jahr 1942 verstarb und die Witwe mit den Kindern 1944 oder 1945 nach unterschiedlichen Angaben entweder nach Lohr am Main oder Richtung Thüringen aus der Stadt floh. Das Mobiliar und alle anderen Gegenstände ihres Haushaltes ließ der Oberbürgermeister entsprechend einer Weisung

496 Rechtsanwalt Dieter Huth an die Kirchenleitung der Ev. Kirche, Wiesbaden, 1.6.1964, in ZA EKHN, 155/5670. 497 HHStAW, 469/6, 51 IV 19/56. 498 Wolfgang König, Geschichte der Wegwerfgesellschaft. Die Kehrseite des Konsums, Stuttgart 2019; Wolfgang König, Kleine Geschichte der Konsumgesellschaft. Konsum als Lebensform der Moderne, 2. Aufl., Stuttgart 2013.

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der Militärregierung als sogenanntes „Aktivistenmobiliar“ beschlagnahmen und einer Treuhandstelle übergeben. Im Jahr 1948 sollte dieses Mobiliar wiederum nach einer Direktive der Militärregierung an die ursprüngliche Eigentümerin oder gegebenenfalls deren Erben übergeben werden, was allerdings nicht glückte. In seinem ausführlichen Bericht aus dem Jahr 1950 teilte der mit dieser Aufgabe betraute Nachlasspfleger Franz Wenzel dem Gericht mit, dass es ihm nicht gelungen sei, die Witwe K. oder deren Kinder zu ermitteln; in Lohr hätten sie sich nie polizeilich gemeldet, und für Thüringen gebe es keine Anhaltspunkte, um mit der Suche zu beginnen. Auch sei das Erbe unauffindbar. Das Frankfurter Wohnungsamt habe einzelne Gegenstände aus dem Haushalt K. an Personen verliehen, die nun entweder ebenfalls verschwunden seien oder behaupteten, die Gegenstände nie erhalten zu haben. Konkret führte Wenzel in seinem Bericht eine Person auf, die einen Teil der erhaltenen Gegenstände verkauft habe, um ihre Ausreise in die USA zu finanzieren, und die bei ihrer erfolgten Ausreise den Rest mitgenommen habe. Eine weitere Person bestritt, dass sie jemals Möbel und Gemälde aus dem Haushalt K. erhalten habe, und eine dritte Person antwortete nicht auf seine Anschreiben und war auch persönlich unter der angegebenen Adresse nicht zu erreichen. Wenzel fasste zusammen, dass das Zusammensuchen des relativ kleinen Nachlasses ihm sehr viel Mühe mache und seiner Ansicht nach den Arbeitsaufwand nicht rechtfertige, weshalb er das Gericht darum bat, von der Pflegschaft entbunden zu werden.499 Das Gericht gab dem Antrag statt; der Fall K. war aber um das Jahr 1950 kein Einzelfall. Der mit der Angelegenheit betraute Nachlasspfleger Wenzel bearbeitete gleichzeitig acht weitere, ähnlich gelagerte Fälle. Zugleich berichtete der in Frankfurt tätigte Auktionator Adam Henrich seinen Geschäftspartnern und dem Amtsgericht zu dieser Zeit regelmäßig, dass sich die Übersendung und Erstellung von Inventaren immer wieder verzögere, da die Besitzer von Nachlassgegenständen oft an verschiedenen Stellen wohnten und oftmals nicht anzutreffen beziehungsweise angeblich existierende Nachlassgegenstände nicht aufzufinden seien.500 Amtsgerichte und die Familie konnten in der Nachkriegszeit, als die staatlichen Institutionen erst wieder ihre Arbeit aufnahmen, Familienmitglieder verstreut waren und zahlreiche Menschen sich in großer Not befanden, nicht immer gewährleisten, dass das Erbe in der Familie blieb. Hinterlassenschaften wurden immer wieder illegal von nicht befugten Personen angeeignet. In diesen Fällen zeigen sich die Grenzen des Staates und der Familie in der Nachkriegszeit beim Schutz von Eigentum und bei der Durchsetzung von Eigentumsrechten. Dass diese illegalen Erbaneignungen nicht toleriert wurden und sowohl der Staat als auch die Erblasser gleichwohl am Familienprinzip festhielten, veranschaulichen demgegenüber die

499 HHStAW, 469/6, 51 IV 129/50 K., Abschrift Wohnungsamt Treuhandstelle, 14.1.1950. 500 HHStAW, 469/6, 51 IV 129/50 K., Abschrift Wohnungsamt Treuhandstelle, 14.1.1950.

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Fälle, in denen Erbstreitigkeiten vor Gericht kamen und Richter alte Erbtraditionen schützten. Erbstreitigkeiten und Richter als Bewahrer des bürgerlichen Familienprinzips

Die Notsituation vieler Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg sowie Familienstreit und Habgier führten in der Nachkriegszeit auch zu erbitterten Auseinandersetzungen. Vor Gericht stritten Personen darüber, wer die hinterlassenen (Alltags-)Gegenstände oder vereinzelt gar größere Erbschaften eines Verstorbenen erhalten solle und wer darauf rechtmäßig Anspruch erheben könne.501 Trotz aller Zerstörungen durch den Zweiten Weltkrieg waren in Frankfurt etwa 60 Prozent aller Wohnhäuser intakt geblieben und Grundstücke hatten ihren Wert anders als Sparguthaben nach der Währungsreform behalten.502 Die im Jahr 1950 verwitwet verstorbene Geschäftsinhaberin Johanna M. konnte folglich ein Vermögen im Wert von ca. 250.000 DM vererben, das überwiegend aus Immobilien und Grundstücken bestand. Die verwitwete Ehefrau eines vormaligen Bankiers hinterließ ihren drei Kindern einen Nachlass in Höhe von 95.000 DM inklusive Grundstücke. Der Kaufmann Konrad J. vermachte seiner Ehefrau als Alleinerbin Geschäftsanteile, ein Grundstück und Sparvermögen in Höhe von 73.600 DM.503 Die Tatsache, dass in vielen dieser Nachlässe Immobilien den Großteil des Nachlasswertes ausmachten, barg ihr eigenes Konfliktpotential.504 Das Amtsgericht Frankfurt registrierte für das Jahr 1948 elf und für das Jahr 1950 21 Erbstreitigkeiten.505 Diese ergaben sich zum Teil aus der Unteilbarkeit von Erbvermögen, zum Teil aus der Notsituation der Erben und zum Teil aus persönlichen Feindschaften zwischen ihnen. In vielen dieser Fälle war es den Erben oder anderen Personen, die Anspruch auf eine Erbschaft erhoben, allerdings nicht möglich, die zum Beweis ihrer Ansprüche notwendigen Dokumente vorzulegen. Angesichts dieser lückenhaften Dokumentenlage kam Richtern in diesen Konfliktkonstellationen eine wichtige Rolle zu, da sie meist auf der Grundlage von Zeugenaussagen über die Verteilung und Zuordnung eines Erbes entschieden. Ihr Handlungsspiel-

501 HHStAW, 469/6, 52 VI 391/50 S. und 52 VI 382/50 M. 502 HHStAW, 469/6, 36 IV 1053/25 L. 503 HHStAW, 469/6, 52 IV 510/50 M.; 52 IV 14/50 W. und 52 VI 949/55 T.; 52 IV 495/50 J. Zum Kontext vgl. auch Ralf Banken, Durch Weltwirtschaftskrise und Rüstungsboom. Die Entwicklung der großen Vermögen 1928–1940 in Deutschland, in: Gajek/Kurr/Seegers (Hrsg.), Reichtum, S. 289–312. 504 Testament von Mathilde L. vom 24.5.1940, in: HHStAW, 469/6, 67 IV 416/40 L.; Wertermittlungsbogen, Nachlass Mathilde L., 26.8.1953, in: HHStAW, 469/6, 67 IV 416/40 L. Für ähnliche Bestimmungen vgl. HHStAW, 469/6, 66 IV 57/40 G. 505 Schriftliche Auskunft des Hessischen Ministerium der Justiz, 10.2.2020.

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raum bei der Gewährung beziehungsweise Verweigerung von Erbrechten und die damit verbundene (De-)Stabilisierung der Erbordnung war groß. So urteilten die Richter in einem Teil der Erbstreitigkeiten strikt entsprechend der Aktenlage und der vorliegenden Dokumente. Personen, die Anspruch auf ein Erbe erhoben, aber keine Dokumente vorlegen konnten, die diese Ansprüche bestätigten, verweigerten sie dementsprechend ihre Erbansprüche. So verlor eine Witwe Anfang der 1950er Jahre einen Rechtsstreit mit der Allianz-Versicherung, da sie keine Versicherungsscheine vorlegen konnte, aus denen ihre Ansprüche aus der Lebensversicherung ihres Mannes hervorgegangen wären, und die Versicherungsgesellschaften keine Unterlagen mehr besaß, aus denen der Begünstigte festgestellt werden konnte.506 In anderen Fällen wichen die Richter von der Aktenlage ab, indem sie eidesstattliche Erklärungen als Ersatz für verloren gegangene Dokumente und Personenstandsurkunden akzeptierten und in ihre Beschlussfassung mit einbezogen. Besonders häufig kam dies bei (angeblich) zerstörten, verloren gegangenen, verschwundenen oder in Vergessenheit geratenen Testamenten vor.507 Beispielhaft für derartige Erbstreitigkeiten der Nachkriegszeit ist das Gerichtsverfahren zum Nachlass der im Jahr 1939 verstorbenen Mathilde S. Deren Erbe beanspruchte zum einen komplett ihr Ehemann Eugen S., der nach dem Krieg behauptete, aufgrund eines mit seiner Frau gemeinschaftlich errichteten Testaments, das im Krieg zerstört worden sei, Alleinerbe seiner Frau geworden zu sein. Demgegenüber argumentierte sein Neffe, dass es dieses Testament nie gegeben habe, weshalb ihm ein Teil des Erbes seiner Tante zustehe. Zur Untermauerung ihrer Erbansprüche trugen beide Parteien dem Gericht im Jahr 1950 ihre Version der Vorgänge vor. Eugen S. erklärte dem Gericht, er habe sich in den 1930er Jahren zunächst beim erfahrenen Juristen und angesehenen Frankfurter Senatspräsident Dr. Quinke Ratschläge zur Nachlassplanung eingeholt. Danach habe er mit seiner Ehefrau Mathilde im Jahr 1936 ein gemeinschaftliches Testament errichtet, in dem sich die beiden Ehepartner gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt hätten. Sie hätten ihr Testament privatschriftlich verfasst und in einer Schublade seines Schreibtisches aufbewahrt. Darüber hinaus habe er einige Bekannten und seine beiden Kinder Rolf und Rosemarie über die Existenz, den Aufbewahrungsort und den Inhalt des Testaments informiert. Nach dem Tod seiner Frau im Jahr 1939 sei er entsprechend ihrem gemeinsamen Testament somit Alleinerbe ihres durchaus großen Nachlasses geworden, der sich aus mindestens einem Haus und mehreren Grundstücken zusammensetzte. Das Testament habe er dem Amtsgericht allerdings nicht vorgelegt, auch habe er keinen Erbschein beantragt. Der Erbübertrag sei im Privaten ohne Einbezug des Amtsgerichts geschehen, da seine Kinder und gesetzlichen Erben

506 Senator der Justiz Berlin Haeuseler an Justizminister, 7.11.1969. in: HHStAW, Erbrecht, 3480, Bd. 2. 507 AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 52 IV T 12/90 T.; HHStAW, 469/6, 66 VI 434/40 F.

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mit der testamentarischen Erbverteilung einverstanden gewesen seien. Zwar sei das Verhältnis zu seinem Sohn Rolf zu dieser Zeit schon zerrüttet gewesen, da der Sohn aus der Sicht des Vaters auf die schiefe Bahn geraten sei und viel Geld für „Saufgelag[e] und in Gesellschaft von Frauen übelster Sorte“508 verschwendet habe. Gleichwohl sei Rolf, der im Jahr 1941 als Soldat der Wehrmacht Selbstmord begangen habe, mit der Erbaufteilung einverstanden gewesen. Zwei Jahre später, im Jahr 1943, habe er – Eugen S. – vom Bruder seiner verstorbenen Frau erfahren, dass sein Sohn Rolf kurz vor seinem Tod ein Testament errichtet habe, in dem er seinen Cousin Günther M., den Sohn seines Schwagers, zu seinem Alleinerben ernannt habe. Weiter sei während des Krieges nichts passiert. Im Jahr 1948 habe sein Neffe Günther M. begonnen, auf die Vorlage des gemeinschaftlichen Testaments zwischen Mathilde S. und Eugen S. sowie des Erbscheins, nach dem Eugen S. seine verstorbene Ehefrau alleine beerbt hatte, zu drängen. Beide Dokumente konnte Eugen S. jedoch nicht vorlegen. Das Testament war laut Eugen S. im Jahr 1943 verloren gegangen, als ein Bombenangriff seine Frankfurter Wohnung schwer zerstört habe. Einen vom Amtsgericht ausgestellten Erbschein hatte es nie gegeben, weshalb er diesen im Jahr 1949 beim Amtsgericht beantragte und vom Gericht ausgestellt bekam. Diesen wiederum erkannte sein Neffe nicht an. Nach Günther M. war die Verteilung der Erbschaft im Jahr 1939 keineswegs so friedlich und einvernehmlich abgelaufen, wie es Eugen S. dargestellt hatte. Vielmehr teilte er dem Gericht durch seinen Rechtsanwalt mit, dass es keine Beweise für die Existenz des gemeinschaftlichen Testaments von Eugen und Mathilde S. gebe.509 Auch sei nach dem Tod von Mathilde im Jahr 1939 kein Erbschein ausgestellt worden. Folglich hätten neben dem Ehemann auch die beiden Kinder Rolf und Rosemarie entsprechend der gesetzlichen Erbfolge ihre Mutter beerbt. Diesen Erbteil habe Eugen S. aufgrund des zerrütteten Verhältnisses zu seinem Sohn nicht an Rolf ausbezahlt. Deshalb habe Rolf nach seiner Einberufung in die Wehrmacht ein Testament erstellt, in dem er seinem Vater vorgeworfen habe, ihn um sein Erbe betrügen zu wollen, und Günther M. zu seinen Alleinerben eingesetzt. Dieses Testament konnte Günther M. dem Gericht vorlegen, womit er zugleich von Eugen S. seinen Anteil am Erbe von Mathilde S. einforderte.510 Vom Gericht verlangte er, den im Jahr 1949 ausgestellten Erbschein, wonach Eugen S. Alleinerbe von Mathilde S.

508 Aussage von Eugen S., 31.5.1950, und Eidesstaatliche Erklärung von Eugen S., 21.8.1950, in: HHStAW, 469/6, 52 VI 1401/50 S. 509 Aussage von Eugen S., 31.5.1950, und Eidesstaatliche Erklärung von Eugen S., 21.8.1950, in: HHStAW, 469/6, 52 VI 1401/50 S. 510 Heinz Gentsch (Rechtsanwalt) an das Amtsgericht Frankfurt am Main, 26.1.1951, in: HHStAW, 469/6, 52 VI 1401/50 S.

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geworden sei, für ungültig erklären zu lassen und ihm seinen Anteil am Erbe seiner Tante auszubezahlen. Vor dem Hintergrund der beiden widersprüchlichen Aussagen musste das Gericht im Jahr 1950 klären, ob es das angeblich im Jahr 1943 vernichtete Testament wirklich gegeben hatte, und entscheiden, wer Mathilde S. im Jahr 1939 beerbt hatte. Hierfür fragte es zunächst bei der Kanzlei des Rechtsanwalts Quinke an, ob sie noch Unterlagen zu den Klienten S. habe. Die Kanzlei antwortete, dass auch ihre Unterlagen während des Bombenangriffs im Jahr 1943 vernichtet worden seien und sie keine Auskunft geben könne.511 Danach bat das Gericht die Tochter von Eugen S. um eine Stellungnahme. Die mittlerweile verheiratete Rosemarie erklärte eidesstattlich, dass sie sich genau an das Testament und den Inhalt erinnern könne, in dem sich ihre Eltern gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt hätten. Auch sei die Erbaufteilung, durch die ihr Vater Alleinerbe geworden sei, eine solche „absolute Selbstverständlichkeit“512 gewesen, dass sich ihr Bruder und sie weder damals noch nach ihrer Volljährigkeit jemals um die Nachlassregelung gekümmert hätten. Sie und ihr Bruder seien festen Willens gewesen, dass der gesamte Nachlass ihrer Mutter ohne jede Einschränkung auf ihren Vater habe übergehen sollen. Des Weiteren nannte sie den Namen des Rechtsanwalts, der ihren Vater bei der Testamentserrichtung beraten hatte, und berichtete, dass sich ihre Eltern kurz nach der Testamentserrichtung einen Begräbnisplatz im Gans’schen Mausoleum gekauft hätten.513 Diese Version der Nachlassplanung und Erbverteilung bestätigte im weiteren Verfahren noch eine weitere enge Bekannte der Familie eidesstattlich.514 Das Gericht musste daraufhin entscheiden, ob es den eidesstattlichen Aussagen eines wohlhabenden und angesehenen Bürgers der Stadt, der mit geachteten Rechtsanwälten zusammenarbeitete, seiner mit einem Adeligen verheirateten Tochter und deren Bekannten glaubte, dass es das Testament mit dem behaupteten Inhalt gegeben habe, oder ob es stattdessen der Darstellung des Neffen folgte, der ein Testament vorlegen konnte, in dem Rolf seinem Vater vorwarf, ihn um sein Erbe zu betrügen, und Anspruch auf ein Viertel des Nachlasses von Mathilde S. erhob. Die Entscheidung fiel im Juli 1951. Das Gericht wies die Klage von Günther M. ab und bestätigte die Alleinerbenschaft von Eugen S. Es begründete diese Entscheidung mit den glaubhaften Aussagen von Eugen S., seiner Tochter und deren Bekannten. Dass

511 Schreiben des Amtsgerichts Frankfurt an das Amtsgericht München, 19.6.1951, in: HHStAW, 469/6, 52 VI 1401/50 S. Dass Prozessbevollmächtigte Unterlagen während der Luftangriffe auf die Stadt verloren, kam in Frankfurt immer wieder vor. Vgl. für eine ähnliche Mitteilung an das OLG Frankfurt Falk u. a., Vollstrecker, S. 678, Fn. 37. 512 Eidesstaatliche Erklärung von Rosemarie, 22.8.1950, in: HHStAW, 469/6, 52 VI 1401/50 S. 513 Eidesstaatliche Erklärung von Rosemarie, 22.8.1950, in: HHStAW, 469/6, 52 VI 1401/50 S. 514 Beschluss, Amtsgericht Frankfurt am Main, 11.7.1951, in: HHStAW, 469/6, 52 VI 1401/50 S.

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das gemeinschaftliche Testament nach dem Tod der Mutter nicht dem Nachlassgericht übergeben worden sei, erklärte es mit einer weit verbreiteten Unkenntnis in Testamentssachen, die dazu führe, dass privatschriftliche Testamente oftmals nicht beim Gericht abgegeben würden. Demgegenüber hielt das Gericht die von Rolf S. in seinem Testament erhobenen Vorwürfe, sein Vater habe ihm seinen Erbteil am Erbe seiner Mutter verwehrt, aufgrund seines Lebenswandels für nicht glaubhaft.515 Die Beschlussfassung des Gerichts verweist damit in besonders deutlicher Weise auf die Handlungsspielräume von Richtern in den vielen Erbfällen nach dem Zweiten Weltkrieg, in denen für Erbübertragungen notwendige Dokumente nicht beschafft werden konnten. Letztendlich entschieden die Richter, auch weil es in ihr Weltbild passte, gegen die Aktenlage auf der Basis von eidesstaatlichen Aussagen, die sie als glaubhaft einstuften. Die Frage, wer im Fall von nicht vorhandenen Urkunden und Testamenten glaubhafte Aussagen machen konnte und wem das Gericht folgte, avancierte somit bei Erbstreitigkeiten zu einer entscheidenden Frage. Im Erbfall der Mathilde S. führten ein „bürgerlicher“ Lebenswandel und ein an den Werten und Normen der Mehrheitsgesellschaft orientierter Lebensstil dazu, dass Richter den Aussagen einer Partei glaubten und zu ihren Gunsten entschieden. Eine moralisch „richtige“ Lebensführung zahlte sich in Erbstreitigkeiten materiell aus, während umgekehrt Richter eine „unangepasste“ Lebensweise materiell sanktionierten. Damit stärkten sie, soweit es ihre Handlungsspielräume zuließen, das „bürgerliche“ Familienprinzip in der frühen Bundesrepublik. 3.7 Der Ausbau des Sozialstaates und die Vermarktlichung von Pflege Der Fall Therese Jahn: „Erbe gegen Pflege“ und die „Öffentlichkeit“ eines Erbfalls

Bis in die 1950er Jahre versprachen älter werdende Stadtbewohner in Frankfurt ihr Erbe regelmäßig den Personen, die sie versorgten. Die damit einhergehenden Absprachen „Erbe gegen Pflege“ blieben allerdings störanfällig, solange sie auf informellen Vereinbarungen basierten. Immer wieder kam es zu (Gerichts-)Streitigkeiten zwischen begünstigten und benachteiligten Erben, in denen die informellen Absprachen oder erbrachte Pflegeleistungen angezweifelt und Personen der Erbschleicherei bezichtigt wurden.516 Beispielsweise teilten zwei enterbte Brüder dem Frankfurter Amtsgericht mit, dass sie es als gröbste Beleidigung verstünden, wenn sie im Testament ihrer Mutter und in den Anschreiben des Rechtsanwalts ihrer

515 Beschluss, Amtsgericht Frankfurt am Main, 11.7.1951, in: HHStAW, 469/6, 52 VI 1401/50 S. Für einen ähnlich gelagerten Fall vgl. HHStAW, 469/6, 52 VI 1171/50 L. 516 BArch, R 3001/1533, Reichsjustizministerium: Reichsgerichtliche Entscheidungen zum Erbrecht des bürgerl. Gesetzbuchs, November 1900–Juni 1934, Gerichtsurteile vom 10.7.1919 (gez. Beyer), 18.3.1920 (gez. Wartenberg), 22.3.1923 (gez. Vogel).

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Schwester und Alleinerbin ihrer Mutter lesen müssten, dass sie sich nicht um das Wohlergehen ihrer Mutter gesorgt hätten. Dabei hätten sie in Wahrheit „mit Liebe“ für ihre Eltern gesorgt, zu denen sie „das beste und engste Verhältnis“ gepflegt hätten. Zum Beweis hierfür listeten sie unter anderem für mehrere Jahre auf, wo und mit wem ihre Mutter in den letzten Jahren Weihnachten gefeiert habe, nämlich bei ihnen. Das Testament ihrer Mutter könne daher nur unter dem Einfluss ihrer Schwester entstanden sein, bei der ihre Mutter ihre letzten Lebensjahre verbracht habe.517 Umgekehrt konnten Pflegerinnen und Pfleger feststellen, dass der Gepflegte sie trotz aller Versprechen im Testament teils nicht wie versprochen bedachte. In manchen Fällen waren es Veränderungen der persönlichen Vermögenssituation, die dazu führten, dass Abmachungen nicht eingehalten werden konnten. So bedauerte der im Jahr 1950 verstorbene Alfred P. in seinem Testament, dass infolge „der durch die Kriegs- und Nachkriegsverhältnisse erlittenen grossen Verluste“ seiner Pflegerin „früher gegebene Versprechen nicht eingehalten werden“518 könnten. Selten brachen gepflegte Personen allerdings ihre zuvor mündlich gemachten Versprechen so explizit, wie dies die verwitwete Frau B. in ihrem Testament tat, als sie ihre Tochter zugunsten des aus ihrer Sicht unzureichend versorgten Sohnes weitgehend vom Erbe ausschloss und festhielt: „Mit diesem Testament sind die meiner Tochter Jutta und meinem Schwiegersohn Joachim […] am Krankenbett gemachten Versprechungen gegenstandslos.“519 Ausführlich dokumentiert sind die Rechtsstreitigkeiten um das Erbe der Maria Schmid, in deren Mittelpunkt ihre Nichte Therese Jahn stand und anhand derer sich die Konfliktachsen dieser Vererbungsstrategien und ihre öffentliche Wahrnehmung in der frühen Bundesrepublik der 1950er und 1960er Jahre detailliert untersuchen und herausarbeiten lassen. Zugleich macht das Beispiel anschaulich, dass Nachlassplanungen und Erbübertragungen nur sehr selten nicht oder nur im engsten Familienkreis bekannt waren. Vielmehr zeigt der Fall Jahn charakteristisch für die Mehrheit aller Erbfälle auf, dass neben Erblasser und zukünftigen Erben auch weitere Verwandte, Bekannte und Nachbarn zumindest in Ansätzen in Form von Andeutungen und Anspielungen Einblicke in Nachlassplanungen und interne Vermögensangelegenheiten erhielten. Insofern widerspricht das Beispiel auch der verbreiteten Behauptung, dass über Geld und Erbangelegenheiten nicht gesprochen wurde. Stattdessen verdeutlicht es, dass über den engsten Familienkreis hinaus verschiedene andere mit dem Erblasser und Erben eng verbundene Personen in

517 AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 51 VI 359/70 F. 518 HHStAW, 469/6, 52 IV 465/50 P. 519 AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 51 IV 198/70 B.

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vertraulichen Gesprächen und durch Aussagen, die sie mitgehört hatten, über deren Familienkonstellationen und Vermögensverteilungen Bescheid wussten. Ausgangspunkt des langjährigen Erbstreits zwischen Therese Jahn und zweien ihrer Onkel war der Tod ihrer Tante beziehungsweise Schwester, der in der Nähe von München lebenden, ledigen Maria Schmid im April 1951.520 Diese hatte seit den späten 1930er Jahren mit ihrer im Jahr 1896 geborenen und ebenfalls ledigen Nichte Therese Jahn zusammengelebt. Letztere hatte Maria Schmid bei der Verwaltung und Vermietung ihrer beiden Wohnhäuser unterstützt und den Haushalt ihrer Tante weitgehend allein geführt.521 Abgesehen von Kost und Logis hatte Therese Jahn für ihre Tätigkeiten keinerlei Aufwandsentschädigungen oder gar eine Entlohnung von ihrer Tante erhalten – dafür aber ihr Versprechen, dass sie Therese ihr ganzes Vermögen vermachen werde. Vor Gericht bestätigten später mehrere Familienmitglieder, Bekannte und Nachbarn der Verstorbenen, dass Maria Schmid dieses Versprechen auch ihnen gegenüber sowie im engeren Bekanntenkreis geäußert habe. Sie alle gingen daher nach dem Tod von Maria Schmid davon aus, dass „das Reserl“, wie die Verstorbene Therese Jahn genannt hatte, ihr Vermögen erben solle. Genauso schien es zunächst nach dem Ableben von Frau Schmid am 25. April 1951 auch zu kommen. Es überraschte niemanden, dass Therese Jahn zwei Wochen nach dem Ableben ihrer Tante dem Amtsgericht Vilsbiburg das am 31. November 1942 errichtete Testament ihrer Tante vorlegte, das ihre Tante bei sich in der Wohnung in der Kommode aufbewahrt hatte. Darin ernannte ihre Tante Therese Jahn zu ihrer alleinigen Erbin. Sie solle den gesamten Besitz ihrer Tante erben, das heißt Vermögenswerte von insgesamt ca. 300.000 DM, darunter zwei Wohnhäuser und ca. 10.000 DM in bar. Schon in den 1930er Jahren, als sich Therese Jahn auf dieses Arrangement eingelassen hatte, galt dieses Erbe als wertvoll. Was zu dieser Zeit aber vermutlich keiner der Beteiligten geahnt und vorausgesehen hatte, war die steigende Wertentwicklung der Immobilien. Die Häuser wurden im Krieg nicht zerstört und auch die Währungsreform führte nicht zu ihrer Abwertung. Das Gegenteil war der Fall: Die Häuser stiegen im Wert und weckten auch das Interesse eines Bruders der Verstorbenen. Sebastian Langmeier legte Widerspruch gegen die Erbeinsetzung seiner Nichte ein und behauptete, dass diese das Testament der Tante in der Wohnung vertauscht und durch ein gefälschtes Testament ersetzt habe. Dafür sprach aus seiner Sicht, dass Therese Jahn das Testament dem Amtsgericht erst 14 Tage nach dem Tod ihrer Tante vorgelegt hatte und dieses mit einem Datum unterschrieben war, das es kalendarisch nicht gab, nämlich dem 31. November 1942. 520 Für eine ausführliche Dokumentation des Erbstreits vgl. Bay. HStA, MJu 24027, Erbfall Therese Jahn. 521 Bay. HStA, MJu 24027, Dr. Weiss an den Herrn Generalstaatsanwalt bei dem Oberlandesgericht München, 30.11.1962, S. 9.

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Sebastian Langmeier, der Bruder der Erblasserin und Onkel Therese Jahns, der durch das Testament seine Erbansprüche verloren hatte, zweifelte daraufhin die Echtheit des Testaments an und erzwang vor dem Schöffengericht in Landshut dessen sachverständige Überprüfung. Damit begannen rechtliche Auseinandersetzungen zwischen den Verwandten, in die bald weitere Angehörige und Bekannte der Erblasserin und Therese Jahns, staatliche Stellen und Gerichte sowie bundesweit führende Rechtsexperten, Sachverständige und Graphologen hineingezogen wurden. Insgesamt zog sich der Erbstreit über 14 Jahre von 1951 bis 1965 hin. Der Fall bot der interessierten Öffentlichkeit mit seinen zahlreichen Wendungen alle Zutaten spannender Unterhaltung mit Authentizitätsversprechen und genügend Stoff, um zu diskutieren, wie belastbar ein Versprechen „Erbe gegen Pflege“ war.522 Im ersten großen Gerichtsstreit lehnten die Richter die Klage des Bruders ab. Sie erkannten das Testament in Abkehr vom strikten Formalismus der Justiz des 19. Jahrhunderts trotz fehlerhaften Datums als gültig an, auch da sämtliche Zeugen die Echtheit des Testaments und die informelle Abmachung „Erbe gegen Pflege“ bestätigten. Nachbarn und Bekannte der Verstorbenen, darunter angesehene Persönlichkeiten des Ortes, erklärten übereinstimmend, die Verstorbene Maria Schmid habe ihnen gegenüber zu Lebzeiten mehrfach bekundet, dass sie ihr gesamtes Vermögen ihrer Nichte als Dank für deren aufopferungsvolle Dienste im gemeinsamen Haushalt vererben werde. Mehrere Zeugen bestätigten die zuverlässige (Haus-)Arbeit, die Therese Jahn für ihre Tante verrichtet hatte. Mindestens zwei Personen hatte Maria Schmid darüber hinaus ihr Testament gezeigt und nachgefragt, ob es rechtsgültig sei, und beide hatten ihr die Rechtsgültigkeit bestätigt. Darüber hinaus sagten die Zeugen aus, dass Therese Jahn vom Tod der geliebten Tante aufrichtig erschüttert gewesen sei, was auch erkläre, wieso sie das Amtsgericht erst 14 Tage nach deren Tod aufgesucht habe. Demgegenüber habe sich der Bruder nur kurz auf deren Beerdigung gezeigt, um später das Erbe seiner Schwester einzufordern. Vor diesem Hintergrund entschieden die Richter in ihrem Urteil zugunsten Therese Jahns, die dem von den ortsansässigen Bürgerinnen und Bürgern geteilten Ideal einer aufopferungswilligen Pflegerin entsprach und durch ihre liebevoll geleistete Fürsorge ihrer Tante ein Lebensende im häuslichen Umfeld ermöglicht hatte. Damit entschieden sie zugleich gegen den ortsfremden, aber näher mit der Verstorbenen verwandten Bruder, der aus Sicht der Zeugen und der Regionalpresse

522 Bay. HStA, MJu 24027, Dr. Weiss an den Herrn Generalstaatsanwalt bei dem Oberlandesgericht München, 30.11.1962; o. A., Der Fall Therese Jahn wird in Deggendorf neu aufgerollt, in: Passauer Neue Presse, 15.12.1965; o. A., Zeuge spricht für Therese Jahn, in: SZ, 22.12.1965; o. A., Fall Jahn: Rätsel bleibt ungelöst, in: Münchner Merkur, 23.12.1965.

Erben und Vererben in Deutschland, 1918–1960er Jahre

keinen moralischen Anspruch auf das Erbe hatte. Er galt den Prozessbeobachtern als „neidischer“ und „gieriger“ Verwandter.523 Nach der Urteilsverkündung ging der Bruder in Revision. Seine Anwälte beantragten eine Begutachtung des Testaments durch Graphologen. Damit traten bei Erbangelegenheiten meist im Hintergrund agierende professionelle Experten und Dienstleister in den Vordergrund. Was in diesem Fall folgte, ging später als „schwarze Stunde“ in die Geschichte der Graphologie ein und warf Fragen nach der Rechtsstaatlichkeit in der frühen Bundesrepublik auf.524 Während der erste Gutachter zu dem Ergebnis kam, dass das Testament eindeutig oder mit hoher Wahrscheinlichkeit gefälscht sei, bestätigte der zweite Gutachter dessen Echtheit. Beide Gutachter warfen sich die Anwendung veralteter wissenschaftlicher Methoden vor, woraufhin das Gericht ein drittes Gutachten einholte, das zu dem Schluss kam, dass es sich „höchstwahrscheinlich“ um eine Fälschung handele. Die Richter revidierten daraufhin das erste Urteil: Sie erklärten das Testament für ungültig und setzten den Bruder zum Erben ein. Schlagartig zeigte sich daraufhin im Gerichtssaal und in der öffentlichen Berichterstattung die Fragilität des Abkommens „Erbe gegen Pflege“. Ohne gültiges Testament verlor Therese Jahn trotz ihrer nicht angezweifelten Pflegeleistungen nicht nur ihre Ansprüche am Nachlass der Tante, aufgrund erwiesener Urkundenfälschung verurteilte sie das Gericht auch noch zu einer Freiheitsstrafe. Damit brach sich in der Öffentlichkeit ein anderes, ebenfalls bekanntes Narrativ dieser Konstellation Bahn. Therese Jahn galt der mittlerweile überregional über den Fall berichtenden Presse nun als „Testaments-Fälscherin“, vor allem aber als eine hinterhältige Person, die das Vertrauen ihrer Tante erschlichen und deren Hilfsbedürftigkeit ausgenutzt habe.525 Der Fall war damit aber noch längst nicht abgeschlossen. Im September 1959 erstritt Therese Jahn eine Wiederaufnahme des Verfahrens, in der es nun auch um die Wiederherstellung ihrer Ehre gehen sollte. Neue Zeugenaussagen weckten Zweifel an den Schriftgutachten, woraufhin der Staatsanwalt erfolgreich den Freispruch seiner Mandantin aufgrund des Mangels an Beweisen beantragte.526 Die Seite Langmeier hielt jedoch an der Fälschungsthese fest und argumentierte

523 Für einen Überblick über den Beginn des Prozesses und die Berichterstattung darüber vgl. Bay. HStA, MJu 24027, Dr. Weiss an den Herrn Generalstaatsanwalt bei dem Oberlandesgericht München, 30.11.1962; o. A., Unschuldig im Gefängnis, in SZ, 18.9.1959; o. A., Geprellte obendrein verurteilt, in: Münchner Merkur, 17.9.1959. 524 O. A., Der untaugliche Freispruch, in: Quick 12, Nr. 46, 14.11.1959, S. 50–53; Manfred Lütgenhorst, Bürger dein Recht! Leider – ein notwendiger Bericht, in: Quick 15, Nr. 48, 2.12.1962, S. 30–34. 525 O. A., Der Staatsanwalt ruht nicht, in: Münchner Merkur, 30.9.1959; o. A., Die Tante und das Testament, in: SZ, 16.12.1959. 526 O. A., Das Testament doch gefälscht?, in: Nürnberger Nachrichten, 26.1.1965.

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gegen die Annahme, dass Therese Jahn aufgrund ihrer Unterstützungsleistungen das ganze Erbe ihrer Tante zustehe. Sie verwies auf zwei Zeugen, die bestätigten, dass Maria Schmid vor ihrem Ableben zu unterschiedlichen Zeitpunkten auch erklärt habe, dass sie sowohl ihrem Bruder etwas von ihrem Besitz abgeben werde, weil er ausgebombt sei, als auch dem Kind eines im Krieg gefallenen Stiefsohns, weil dieses nun ohne Vater auf Unterstützung angewiesen sei. Die Seite Langmeier griff damit auf ein weiteres, bekanntes und anerkanntes Motiv in der Erbaufteilung zurück: die besondere Hilfsbedürftigkeit eines Erben.527 Hingegen stärkten die übrigen Zeugen die Erzählung der Nichte. Laut ihren Aussagen hatte sich Therese Jahn aufopferungsvoll um ihre ältere Tante gekümmert, weshalb Maria Schmid ihrer Nichte ihr Erbe versprochen habe. Dabei stützten sie die Glaubwürdigkeit dieser Argumentation durch Aussagen, nach denen Maria Schmid ihnen zu Lebzeiten nicht nur vom Testament erzählt, sondern es ihnen auch gezeigt habe. Interessant ist dabei die Aussage des erst spät im Prozess auftauchenden Zeugen Rottenwallner, der sich besonders gut an das Testament erinnerte und auf Nachfrage des Gerichts dies folgendermaßen erklärte: Zum einen habe ihn die Erblasserin im Jahr 1944 oder 1945 auf das falsche Datum hingewiesen und bei ihm nachgefragt, ob sie deswegen ein neues Testament anfertigen müsse. In dieser Hinsicht habe er sie beruhigt und Frau Schmid erklärt, dass das Testament auch so gültig sei, da ja jeder wisse, dass es den 31. November nicht gebe. Zum anderen gab Herr Rottenwallner zu, dass er als arbeitsloser Berufssoldat (was dafür sprach, dass sich die ganze Episode im Jahr 1945 ereignete) zu dieser Zeit mit dem Gedanken spielte, eine weitere Verwandte von Maria Schmid zu heiraten, „wenn das Kind die Häuser der Erblasserin bekommen würde.“528 Da dies nicht der Fall gewesen sei, habe er diese Heiratspläne nicht weiterverfolgt und seinen Kontakt zur Familie aufgegeben, weswegen er erst spät und lediglich über die Presse auf das Verfahren aufmerksam geworden sei. Insgesamt stärkten die Zeugenaussagen nun wieder die erste Entscheidung des Gerichts und verliehen der dem Testament zugrunde liegende Absprache „Erbe gegen Pflege“ Plausibilität. Therese Jahn kam aus dem Gefängnis frei und das Gericht setzte sie wieder als Alleinerbin ihrer Tante ein. Den Massenmedien galt sie nun als treue Nichte, die unschuldig im Gefängnis gesessen habe, als „Geprellte“ ihrer neidischen Verwandten und als „unschuldige Rentnerin“.529

527 Bay. HStA, MJu 24027, Dr. Weiss an den Herrn Generalstaatsanwalt bei dem Oberlandesgericht München, 30.11.1962, S. 8. 528 Bay. HStA, MJu 24027, Dr. Weiss an den Herrn Generalstaatsanwalt bei dem Oberlandesgericht München, 30.11.1962, S. 11. 529 O. A., Unschuldig im Gefängnis, in: SZ, 18.9.1959; o. A., Geprellte obendrein verurteilt, in: Münchner Merkur, 17.9.1959.

Erben und Vererben in Deutschland, 1918–1960er Jahre

Die Gerichtsstreitigkeiten waren damit noch nicht zu Ende. Denn im nächsten Berufungsverfahren stellte sich heraus, dass Therese Jahn einige der Zeugen zum Meineid angestiftet hatte, was das Pendel der öffentlichen Meinung wieder zugunsten ihres mittlerweile verstorbenen Onkels und dessen Familie ausschlagen ließ.530 Den Schlusspunkt setzten schließlich erneut angeforderte graphologische Gutachten von international anerkannten Experten wie Professor Heiß von der Universität Freiburg und dem Bundeskriminalamt, die nun die Echtheit des Testaments feststellten und den beiden Graphologen, die es zu einer Fälschung erklärt hatten, grobe handwerkliche Fehler vorwarfen.531 Außerdem traten erneut Zeugen auf, die ihrerseits erklärten, dass die Erblasserin ihnen das Testament gezeigt habe und es der Wille von Maria Schmid gewesen sei, alles ihrer Nichte Therese Jahn zu vermachen.532 Nach 14 Jahren Rechtsstreitigkeiten erhielt Therese Jahn im Jahr 1965 das Erbe ihrer Tante zugesprochen.533 Der Presse galt sie letztlich als tapfere Kämpferin gegen missgünstige Verwandte und die Justizmaschinerie, aber auch als arme alte Frau, die ihr Leben und ihr Vermögen verloren hatte.534 Als strahlende Heldin und Vorbild taugte Therese Jahn nicht. Gewinner gab es in diesem Fall keine. Der Bruder war mittlerweile verstorben, das Vermögen der Maria Schmid war durch ein Leben des Bruders mit seiner Frau in „Saus und Braus“ sowie durch die Kosten des Gerichtsstreits aufgezehrt und nicht mehr vorhanden. 530 O. A., Das Testament doch gefälscht?, in: Nürnberger Nachrichten, 26.1.1965; o. A., Der Staatsanwalt ruht nicht, in: Münchner Merkur, 30.9.1959; o. A., Die Tante und das Testament, in: SZ, 16.12.1959; o. A., Frau Jahn wieder in Haft, in: Münchner Merkur, 16.12.1959; o. A., Prozeß gegen Therese Jahn wird wieder aufgerollt. Entlastungszeuge wurde zum Meineid gedrängt, in: Passauer Neue Presse, 18.3.1960; o. A., Das Testament der Tante, in: SZ, 16.3.1960; o. A., Zehn Jahre lang die Justiz beschäftigt. Gefängnis für Therese Jahn – Zwei Frauen zum Meineid angestiftet, in: Münchner Merkur, 17./18.12.1960; o. A., Der Fall Jahn findet kein Ende, in: Münchner Merkur, 20.12.1965. 531 O. A., Graphologie. Kralle des Löwen, in: Der Spiegel, 27/1965, S. 29–42. 532 O. A., Der Fall Therese Jahn wird in Deggendorf neu aufgerollt, in: Passauer Neue Presse, 15.12.1965; o. A., Zeuge spricht für Therese Jahn, in: SZ, 22.12.1965; o. A., Fall Jahn: Rätsel bleibt ungelöst, in: Münchner Merkur, 23.12.1965. 533 Herta Staudinger, Erfolg für Therese Jahn, in: SZ, 23.12.1965; Werner Zwick, Freispruch nach 14 Jahren Kampf!, in: Bild-Zeitung, 23.12.1965; o. A., Sensationelle Aussage im Prozeß Jahn, in: Passauer Neue Presse, 22.12.1965. 534 O. A., Eine Frau fühlt sich als Opfer der Justizmaschinerie, in: Passauer Neue Presse, 23.1.1965; o. A., Eine alte Frau kämpft um ein Testament, in: Münchner Merkur, 29.1.1965; o. A., Prozeßkette um ein Testament, in: SZ, 29.6.1965; o. A., Zehnter Prozeß um ein Testament. Die Rentnerin Therese Jahn kämpft diesmal um Kostenerstattung, in: Nürnberger Zeitung, 22.12.1965; o. A., Sensationelle Aussage im Prozeß Jahn, in: Passauer Neue Presse, 22.12.1965; o. A., Entlastung nach 14 Jahren, in: Bild-Zeitung, 22.12.1965; o. A., Erfolg für Therese Jahn, in: SZ, 22.12.1965; o. A., Freispruch nach 14 Jahren Kampf! Gericht: Angeklagte ist keine Testaments-Fälscherin, in: Bild-Zeitung, 23.12.1965; o. A., Der Fall Therese Jahn wird in Deggendorf neu aufgerollt, in: Passauer Neue Presse, 15.12.1965; o. A., Zeuge spricht für Therese Jahn, in: SZ, 22.12.1965; o. A., Fall Jahn: Rätsel bleibt ungelöst, in: Münchner Merkur, 23.12.1965.

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Therese Jahn, mittlerweile 69 Jahre alt, hatte sechs Monate im Gefängnis verbracht und konnte sich höchstens als moralische Siegerin fühlen. Die zentrale Lehre, die Journalisten aus dem Prozess zogen, war daher eine andere: Für sie stellte der Erbstreit eine deutliche Warnung an Pflegerinnen dar, sich nicht auf die informelle Absprache „Erbe gegen Pflege“ einzulassen. Alte Traditionen und neue Handlungsspielräume in den Nachlassplanungen der Mittelschicht

Trotz des bekannten Konfliktpotentials, das mit der informellen Absprache „Erbe gegen Pflege“ einherging, übernahmen jüngere Erwachsene auch in der Bundesrepublik Pflegeleistungen für ältere Personen, mit denen sie meist verwandt waren. Auch leiteten sie daraus weiterhin Ansprüche auf das Erbe der Gepflegten ab. Der Verweis auf besondere Pflegeleistungen stellte in Frankfurter Testamenten aus den Jahren 1970 und 2000 nicht nur die von Testamentsschreibern am häufigsten angeführte Begründung für die Erbeinsetzung von nicht verwandten Personen dar, sondern wurde auch oft als Argument für eine ungleiche Verteilung von Vermögen unter den gesetzlichen, familialen Erben genannt. Entsprechend dieser Vorstellung, dass nicht verwandte Pflegerinnen – es waren immer noch meist Frauen, die diese Tätigkeiten übernahmen – für ihre Unterstützungsleistungen einen Teil oder das ganze Erbe verdienten, hielt der verwitwete Herr P. im Jahr 1968 in seinem Testament fest: Ich erwarte sowohl von meiner Tochter als auch von meinem Sohn, daß sie nach meinem Ableben Renate weitgehend unterstützen, ihr in jeder Lage helfen und ihr beratend zur Seite stehen. Sie sollen nicht vergessen, daß Renate es war, die mich in allerbester Weise versorgte und pflegte und daß ich ohne sie nicht so lange gelebt hätte. Sie sollen auch daran denken, daß mir Renate ihre schönsten Jahre und ihre Jugend geopfert hat und mir mein Leben noch lebenswert machte. Zu Lebzeiten haben beide Kinder es eingesehen, sie sollen aber auch daran denken, wenn ich tot bin.535

Einem Wunsch, dem die Tochter und Enkelkinder des Testators, sein Sohn war vorverstorben, nachkamen. Allerdings erbten sie in diesem Fall auch den allergrößten Teil des väterlichen Vermögens. Die ihren Eltern gehörenden Grundstücke hatten sie sogar schon zu Lebzeiten überschrieben bekommen. Anders als im Fall Therese Jahn mussten die Kinder nicht befürchten, dass eine Pflegerin ihr Erbe

535 AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 52 IV 1488-89/70 P. Für ähnliche Beispiele vgl. AG Frankfurt, Nachlassabteilung 52 IV R 277/2000 R; 55 IV O 59/2000 O; 51 IV 1171/70 F; 51 IV 16/70 K und 52 IV 635/60 S.

Erben und Vererben in Deutschland, 1918–1960er Jahre

erhielt. Möglichen Konflikten und Spannungen zwischen Erben und Pflegerin, wie sie im Zitat angedeutet werden, war damit die materielle Grundlage entzogen.536 Auch innerhalb der Familie konnten Pflegeleistungen dazu führen, dass Erblasser von der gesetzlichen Erbfolge abwichen, um Personen für ihre Unterstützung zu belohnen oder um sie für unterbliebene Fürsorge und Anteilnahme zu bestrafen. In letzterem Sinne bestimmte die verwitwete Frau H., dass ihr Enkel ein Legat von 10.000 DM erhalten solle, ihre Enkelin aber nichts, da sie „sich in keiner Weise um mich gekümmert [hat], sie hat mich weder besucht noch sonst irgendwelches Interesse an meiner Person gezeigt“.537 Eine ähnliche Begründung führte auch die knapp 70-jährige geschiedene Frau Toni R. in ihrem im Jahr 2000 errichteten Testament an, als sie festhielt, dass weder ihre einzige Tochter noch ihre Geschwister etwas von ihrem Erbe erhalten sollten. Stattdessen setzte sie ihren Neffen zu ihrem Alleinerben ein, „denn nur Er hat für mich alles erledigt, sich um mich gekümmert und alles getan und so weiter“.538 Dass Frau R. ihren Neffen als Alleinerbe einsetzte, ist noch in einer weiteren Hinsicht charakteristisch. Denn neben den eigenen Kindern waren es auch Enkelinnen und Enkel sowie weiter entfernte Verwandte wie Tanten und – seltener – Onkel, Nichten und Neffen, Großnichten und Großneffen oder (Stief-)Geschwister, die Pflegedienste übernahmen. Schließlich zeigt das Beispiel auch, dass, falls enge Familienmitglieder Pflegeleistungen nicht erbringen konnten oder wollten, sich für weiter entfernte Angehörige Möglichkeiten auftaten, über Pflegeleistungen und eine damit einhergehende enge emotionale Beziehung zur gepflegten Person an deren Erbe zu gelangen. Die Frage, ob Pflegeleistungen aus moralischer Verbundenheit zum Gepflegten oder in der Hoffnung auf materielle Entschädigung vollbracht wurden, war dabei nicht immer zweifelsfrei zu entscheiden und rief immer wieder auch den Vorwurf der Erbschleicherei hervor.539 Zugleich kam es mit der Vermarktlichung von Pflegetätigkeiten und dem Ausbau des Sozialstaates zum Rückgang der informellen Absprache „Erbe gegen Pflege“. Die Zahl der Testamente, in denen sie sich findet, nimmt seit den 1950er Jahren deutlich ab. Mit der Professionalisierung des Pflegeberufs wurden Pflegetätigkeiten vermehrt als Lohnarbeit verstanden, die es regelmäßig zu vergüten galt.540 Darüber hinaus öffneten sich für Pflegerinnen im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts zahlreiche Berufsfelder, die weitaus attraktivere und sicherere Verdienstmöglichkeiten mit sich brachten als das Versprechen auf ein Erbe zu einem unbekannten Zeitpunkt in der Zukunft. Dieses dienende Rollen- und Lebensmodell auf einer ökonomisch

536 AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 52 IV 1488-89/70 P. 537 AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 52 IV 415/70 H. 538 AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 52 VI R 210/2000 R. Vgl. auch AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 51 IV 19/60 B. 539 HHStAW, 469/6, 51 IV 11/56 K.; 51 IV 507/50 K.; AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 51 IV 16/70 K. 540 Christians/Kramer, Zwischenbilanz; Bendix, Hauptstadt.

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prekären Basis, mit dem das „Eigenleben“ auf eine unbestimmte Zeit nahezu aufgegeben werden musste und mit dem unter Umständen physisch und psychisch schwere Pflegeleistungen einhergingen, fiel immer mehr aus der Zeit.541 Zusätzlich führte der Ausbau des Sozialstaates dazu, dass insbesondere Erblasser aus der Mittelschicht ihren Besitz nicht mehr als private Altersvorsorge strategisch versprechen mussten. Mit der im Jahr 1957 eingeführten Rentenversicherung konnten älter werdende Stadtbewohner auf ein staatlich organisiertes System der Altersvorsorge zurückgreifen und mussten nicht mehr oder nur noch zu einem kleinen Teil mit privatem Vermögen für Pflegeleistungen aufkommen. Insbesondere für die städtische Mittelschicht vergrößerten sich dadurch die Handlungsspielräume bei ihrer Nachlassplanung, die sie hauptsächlich dazu nutzten, das Erbe in der Familie zu bewahren. 3.8 Erneute Standardisierungen und Routinisierungen von Erbangelegenheiten in der frühen Bundesrepublik Die gesetzliche Erbfolge als Normalfall

Ab den 1950er Jahren bearbeiteten Amtsgerichte wieder routinisiert und standardisiert für große Teile der Bevölkerung Erbangelegenheiten. In etwa 70 Prozent aller Fälle handelte es sich dabei um Erbverteilungen entsprechend der gesetzlichen Erbfolge. Dieser Anteil variierte zwar zwischen verschiedenen Amtsgerichtsbezirken, wie im nächsten Abschnitt zu Testatoren noch detaillierter herausgearbeitet wird, insgesamt aber bestimmte die gesetzliche Erbfolge in der Bundesrepublik am häufigsten die Verteilung von Nachlässen. Diese Erbschaften fielen überwiegend an enge Familienmitglieder. Für die Bundesrepublik stellte das Bundesjustizministerium Anfang der 1970er Jahre drei charakteristische Erbverteilungen nach der gesetzlichen Erbfolge fest: 1.) Ehepartner erbten nur sehr selten – in etwa einem Prozent aller Erbfälle – das von ihrem Ehepartner hinterlassene Vermögen allein. 2.) Noch seltener erbten Verwandte der dritten oder ferneren Ordnung. 3.) Hinterlassenes Vermögen wurde somit in ca. 98 Prozent aller Erbfälle unter Erben der ersten und zweiten Ordnung verteilt. Das Erbe blieb damit in den meisten Fällen entsprechend der gesetzlichen Erbfolge in der engen Familie des Verstorbenen; in der Regel erbten dessen Ehepartner, Kinder, Enkel, Eltern, Geschwister sowie Nichten und Neffen.542

541 Nicole Kramer, Prekäre Geschäfte. Privatisierung und Vermarktlichung der Altenpflege im deutschenglischen Vergleich, in: Zeithistorische Forschungen 17 (2020), H. 2, S. 234–260; Christians/ Kramer, Zwischenbilanz. 542 Bundesminister der Justiz an alle Landesjustizverwaltungen, Tabelle A, 11.4.1972 in: HHStAW, Erbrecht, 3480, Bd. 2.

Erben und Vererben in Deutschland, 1918–1960er Jahre

Tabelle 10 Nachlasssummen von Erblasserinnen und Erblassern in Frankfurt, die entsprechend der gesetzlichen Erbfolge übertragen wurden, im Durchschnitt und im Median, 1910–2001. Jahr

Währung

Ø

Median

Ø Frauen

1910 1925 1940 1950 1970 2000

Mark RM RM DM DM DM

9.738 9.881 9.112 4.652 10.502 84.265

2.250 1.000 1.000 1.300 3.444 20.500

14.731 2.778 3.363 6.852 12.066 76.930

Median Frauen 4.000 500 900 1.450 4.600 23.000

Ø Männer 5.945 16.643 15.016 2.840 9.229 91.121

Median Männer 500 1.400 1.775 1.200 3.200 20.000

In 68 Erbfällen bestand der Wert des Nachlasses ausschließlich aus Wiedergutmachungsansprüchen. Ob diese Ansprüche erfüllt wurden und wie hoch sie gegebenenfalls ausfielen, ging aus den Nachlassakten nicht hervor. In die Statistik sind diese Erbfälle daher nicht aufgenommen worden. Quelle: Dinkel, Nachlassakten.

Dieses bundesrepublikanische Bild lässt sich für Frankfurt dahingehend spezifizieren, dass sich bei Frauen und Männern, die kein Testament errichteten, der Wert der Nachlässe seit den 1950er Jahren anglich, wobei Frauen in der gesetzlichen Erbfolge etwas mehr Vermögen vererbten als Männer. Frauen scheinen damit stärker von den Familienreformen und den Reformen der gesetzlichen Erbfolge und der gestärkten Stellung des Ehepartners profitiert zu haben als Männer, da Ehefrauen ihren Ehegatten häufiger überlebten und beerbten als umgekehrt. Der Tod des Ehemannes rief bei einem größer werdenden Teil von Witwen nicht mehr das Schreckgespenst der Altersarmut hervor, stattdessen verfügten sie über etwas Vermögen, das sie entsprechend der gesetzlichen Erbfolge ihrerseits an ihre Kinder und nahestehende Verwandte vererbten. Testierhäufigkeit und Sozialprofil von Testatoren

Nach dem Zweiten Weltkrieg stieg die Zahl der auf dem Amtsgericht Frankfurt hinterlegten Testamente deutlich an: von 1843 im Jahr 1948 auf 4613 im Jahr 1970.543 Dieser Trend stand im Einklang mit ähnlichen Entwicklungen in Hessen und in der Bundesrepublik. Die Zahl der jährlich bei den hessischen Amtsgerichten hinterlegten Verfügungen von Todes wegen nahm ebenfalls in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts deutlich zu – von 19.578 Testamenten im Jahr 1953 auf 32.908 im Jahr 1973 und 41.750 im Jahr 1993.544 Während die Zahl der hinterlegten Verfügungen in Hessen somit zwischen den 1950er und den 1990er Jahren in etwa

543 Auskunft des Hessisches Ministeriums der Justiz, Schreiben vom 10.2.2020. 544 Übersicht über den Geschäftsanfall in der ordentlichen Gerichtsbarkeit, der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit in Hessen, in: Hessisches Justizministerialblatt, Jahrgänge 1953–2013.

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um 100 Prozent anstieg, wuchs die Bevölkerung im gleichen Zeitraum „nur“ um etwa 50 Prozent. Einen mit der hessischen Entwicklung vergleichbaren Anstieg hat Dieter Leipold für Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen für die 1950er bis 1970er Jahre festgestellt.545 Die Testierhäufigkeit nahm in der Bundesrepublik allerdings nicht an allen Orten gleichermaßen zu. Die wenigen Studien, die bisher Testierquoten für einzelne Amtsgerichtsbezirke und für einzelne Jahrgänge detailliert herausgearbeitet haben, verweisen vielmehr – wie schon im Kaiserreich beobachtet – auf den Zusammenhang von Wohlstand und Testierquote. Die Testierquote war vor allem in den Amtsgerichtsbezirken hoch, in denen besonders viele große und wertvolle Nachlässe anfielen. Nach Ronny Grundig hatten in Neukölln im Jahr 1962 etwa 30 Prozent aller Verstorbenen ein Testament hinterlassen, während Günther Schulte für die Amtsgerichtsbezirke Köln und Brühl im Jahr 1975 eine Testierquote von 20,21 Prozent feststellte.546 Dieter Leipold ermittelte im gleichen Zeitraum für vier oberfränkische Amtsgerichtsbezirke eine Testierquote von ca. 31 Prozent.547 Zehn Jahre später berechnete Andreas Guericke eine Quote von 33,46 Prozent für die Amtsgerichtsbezirke Wiesbaden, Bad Schwalbach und Eltville.548 Eine noch höhere Testierquote stellte schließlich Jeanette Vollmer im Jahr 1995 für die Amtsgerichtsbezirke Kirchhain, Marburg und Königstein/Ts. mit im Durchschnitt 43,55 Prozent fest; in Königstein/Ts. waren es sogar 53,02 Prozent.549 Demgegenüber ermittelte Gabriele Metternich für die Amtsgerichtsbezirke Potsdam, Neuruppin und Lübben im Jahr 2002 eine Testierquote von lediglich 26,4 Prozent.550 An den Orten, an denen verhältnismäßig viele wohlhabende Personen wohnten, errichteten auch viele Bürger ein Testament. Zu diesen Regionen gehörten auch Frankfurt und sein Umland.551 Testatoren aus der Mittelschicht waren in Frankfurt über das 20. Jahrhundert hinweg überdurchschnittlich gebildet und vermögender als Erblasser, die ohne Testament verstarben. Gleichzeitig veränderte sich innerhalb dieser Gruppe das

545 Leipold, Wandlungen, S. 199. 546 Grundig, Vermögen, S. 207; Günther Schulte, Art und Inhalt eröffneter Verfügungen von Todes wegen, Münster 1982, S. 21. 547 Leipold, Wandlungen, S. 193f. 548 Guericke, Untersuchung, S. 28. 549 Jeanette Vollmer, Verfügungsverhalten von Erblassern und dessen Auswirkungen auf das Ehegattenerbrecht und das Pflichtteilsrecht. Ein Reformvorschlag anhand empirisch gewonnenen Tatsachenmaterials, Frankfurt am Main u. a. 2001, S. 41. 550 Metternich, Verfügungsverhalten, S. 32. 551 Die Unterlagen des Amtsgerichts im HHStAW und auf dem Amtsgericht erlauben aber keine Aussagen zur Testierquote im Amtsgerichtsbezirk Frankfurt am Main. Auch das Hessische Justizministerium konnte mir diese Frage nicht beantworten.

Erben und Vererben in Deutschland, 1918–1960er Jahre

Abbildung 8 Verhältnis testierender Erblasserinnen zu testierenden Erblassern in Frankfurt in Prozent, 1910–2000. Quelle: Dinkel, Nachlassakten.

Geschlechterverhältnis mehrmals. Eröffnete das Amtsgericht vor dem Ersten Weltkrieg in Frankfurt noch etwa gleich häufig Testamente von Frauen und Männern, so nahm der Anteil der von Männern verfassten und vom Gericht eröffneten Testamten in den Jahren 1925, 1940 und 1950 zu. Dies erklärt sich vermutlich durch die beiden Weltkriege, in denen mehr Männer als Frauen verstorben waren, deren Nachlässe aber häufig erst in den Jahren nach den Kriegen bearbeitet wurden. In den Jahren 1970 und 2000 kehrte sich das Geschlechterverhältnis in der Gruppe der testierenden Erblasser wieder um. Im Jahr 1970 eröffnete das Gericht ungefähr gleich viele Testamente von Frauen und Männern, bevor im Jahr 2000 erstmals deutlich mehr Testamente von Frauen als von Männern eröffnet wurden. Testierende Frauen vererbten in den Jahren 1910, 1925 und 1940 im Durchschnitt und im Median aber deutlich weniger Vermögen als Männer. Danach kam es in den Jahren 1950 und 1970 – ähnlich wie bei Erblassern ohne Testament – zu einer Angleichung des hinterlassenen Vermögens zwischen den beiden Geschlechtern,552 bevor die Unterschiede zwischen testierenden Frauen und Männern gegen Ende des 20. Jahrhunderts wieder zunahmen. Im Jahr 2000 vererbten testierende Männer im Median doppelt so viel Vermögen wie Frauen. Dieser Vermögenszuwachs bei Männern im Vergleich zu dem bei Frauen zwischen 1970 und 2000 bestätigt angesichts gestärkter Erbrechte von Frauen den

552 Für den Amtsgerichtsbezirk Dortmund stellte Marianne Kosmann zwischen 1960 und 1985 ebenfalls eine Annäherung der Nachlasssummen zwischen Frauen und Männern fest. Vgl. Kosmann, Frauen, S. 92–95.

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Vermögen umverteilen. Revolutionen, Reformen und Reaktionen

Tabelle 11 Nachlasssummen von Testatorinnen und Testatoren in Frankfurt im Durchschnitt und im Median, 1910–2000. Jahr 1910 1925 1940 1950 1970 2000

Währung Mark RM RM DM DM DM

Ø Gesamt 94.482 21.112 42.138 12.411 57.132 261.583

Median Gesamt 12.000 4.000 8.000 4.000 20.000 102.696

Ø Frauen 39.166 15.837 22.760 15.757 72.964 205.854

Median Frauen 3.300 3.104 3.380 5.000 22.000 80.000

Ø Männer 165.025 25.292 52.638 9.949 41.052 349.427

Median Männer 20.700 7.268 11.500 4.000 19.900 160.000

Quelle: Dinkel, Nachlassakten.

Befund, dass Männer im „männlichen Wohlfahrtsstaat“553 bessere Verdienstmöglichkeiten durch Lohnarbeit hatten als Frauen. Die Zeit des „neuen Geistes des Kapitalismus“554 , der Privatisierung öffentlicher Unternehmen und des neoliberalen Wirtschaftens seit den 1970er/1990er Jahren ist demnach auch als ein Zeitraum zu verstehen, indem Männer ihren Vermögensvorsprung gegenüber Frauen wieder ausbauten und ihren finanziellen Vorsprung festigten.555 Erblasser mit und ohne Testament unterschieden sich in Frankfurt ähnlich wie in anderen Regionen der Bundesrepublik und in Kontinuität zur ersten Jahrhunderthälfte vor allem in vier Aspekten: Erstens starben Testatoren in Frankfurt im Durchschnitt jeweils in einem höheren Alter als Erblasser ohne Testament. Allerdings verstarben Personen aus beiden Gruppen über das 20. Jahrhundert hinweg kontinuierlich und parallel zur allgemein steigenden Lebenserwartung immer später. Dadurch glich sich die Lebenserwartung zwischen beiden Personengruppen an. In beiden Gruppen erhielten damit ihre Erben ihr Erbe zu einem immer späteren Zeitpunkt, wobei auch diese Entwicklung typisch für die Bundesrepublik war.556 Zweitens wiesen Personen, die ein Testament verfassten, jeweils einen höheren Bildungsgrad auf als Personen, die kein Testament hinterließen.557 Unter Testatoren in den Samples aus den Jahren 1970 und 2000 Jahr befanden sich nur zwei Arbeiter, aber viele Facharbeiter, Beamte und Selbstständige. Des Weiteren waren

553 Christiane Kuller, Soziale Sicherung von Frauen – ein ungelöstes Strukturproblem im männlichen Wohlfahrtsstaat. Die Bundesrepublik im europäischen Vergleich, in: Archiv für Sozialgeschichte 47 (2007), S. 199–236. 554 Luc Boltanski/Ève Chiapello, Der neue Geist des Kapitalismus, Konstanz 2006. 555 Norbert Frei/Dietmar Süss (Hrsg.), Privatisierung. Idee und Praxis seit den 1970er Jahren, Göttingen 2012. 556 Wolfgang Lauterbach/Kurt Lüscher, Neue und alte Muster des Erbens gegen Ende des 20. Jahrhunderts. Arbeitspapier Nr. 18, 1995, S. 15. 557 Szydlik, Erben, S. 94; Lauterbach/Lüscher, Muster, S. 16.

Erben und Vererben in Deutschland, 1918–1960er Jahre

Tabelle 12 Durchschnittsalter von Erblasserinnen und Erblassern in Frankfurt, unterschieden nach gesetzlicher und testamentarischer Erbfolge. Jahr

Alter Frauen Intestat-Erbfolge

1910 1925 1940 1950 1970 2000

43 60 62 69 71 77

Alter Frauen testamentarische Erbfolge 62 67 69 64 75 82

Alter Männer Intestat-Erbfolge 49 51 61 58 65 66

Alter Männer testamentarische Erbfolge 68 64 68 64 74 73

Quelle: Dinkel, Nachlassakten.

unter den Testatoren 14 Ärzte, Juristen und Bankdirektoren mit einem Universitätsabschluss. Demgegenüber befanden sich unter den Erblassern ohne Testament 13 Arbeiter. Weitere Erblasser hatten als Schweißer, Möbelpacker, Spengler, kaufmännischer Angestellter, Schlosser, Postarbeiter oder Elektriker gearbeitet. Nur sechs Erblasser ohne Testament hatten einen Universitätsabschluss erlangt, von denen vier als Ingenieur und jeweils einer als Arzt und Jurist tätig waren. Auch weibliche Testatorinnen hatten in der Regel einen höheren Bildungsabschluss als Erblasserinnen ohne Testament. Insgesamt war in den Sterbeurkunden der meisten Testatorinnen allerdings wie in denen der meisten Erblasserinnen ohne Testament als Beruf „Hausfrau“ vermerkt.558 Drittens vererbten Testatoren über das gesamte 20. Jahrhundert im Durchschnitt und im Median deutlich größere Nachlässe als Personen, die keine Testamente errichteten. Mit der Akkumulation von Privateigentum stieg das Bedürfnis, über das eigene Vermögen selbst zu verfügen. Tabelle 13 Nachlasssummen unterschieden nach Intestaterbfolge und gewillkürter Erbfolge in Frankfurt im Durchschnitt und im Median, 1910–2000. Jahr

1910 1925 1940 1950*

Währung

Ø Intestat

Median Intestat

Mark GM RM DM

9.738 9.881 9.112 4.652

2.250 1.000 1.000 1.300

558 Dinkel, Nachlassakten.

Ø testamentarische Erbfolge 94.482 21.112 42.138 12.411

Median testamentarische Erbfolge 12.000 4.000 8.000 4.000

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Vermögen umverteilen. Revolutionen, Reformen und Reaktionen

Jahr

Währung

Ø Intestat

Median Intestat

1970 2000

DM DM

10.502 84.265

3.444 20.500

Ø testamentarische Erbfolge 57.132 261.583

Median testamentarische Erbfolge 20.000 102.696

* In 68 Erbfällen bestand der Wert des Nachlasses ausschließlich aus Wiedergutmachungsansprüchen. Ob diese Ansprüche erfüllt wurden und wie hoch sie gegebenenfalls ausfielen, ging aus den Nachlassakten nicht hervor. In die Statistik sind diese Erbfälle nicht aufgenommen. Quelle: Dinkel, Nachlassakten. Tabelle 14 Anzahl der Erben pro Erbfall in Frankfurt nach gesetzlicher Erbfolge (Intestaterbfolge) im Durchschnitt und im Median, 1910–2000. Jahr 1910 1925 1940 1950 1970 2000

Ø Intestat 2,7 3,2 2,5 3,0 2,7 1,6

Median Intestat 2,0 3,0 2,0 2,0 2,0 1,0

Quelle: Dinkel, Nachlassakten.

Die von älter werdenden Erblassern hinterlassenen Vermögenswerte wurden schließlich viertens sowohl in der gesetzlichen als auch in der testamentarischen Erbfolge auf immer weniger Erben verteilt. Der Rückgang der Kinderzahl pro Ehe von vier Kindern im Jahr 1899 auf ein bis zwei Kinder in den 1970er Jahren und die Zunahme kinderloser Ehepaare führten dazu, dass sich die Erbenanzahl in beiden Erbfolgen anglich.559 Erben mussten ihr Erbe mit immer weniger anderen Personen teilen. Über die Hälfte aller gesetzlichen Erben erbte im Jahr 2000 einen Nachlass sogar allein.560 Für die Gruppe der gebildeten und wohlhabenden Eigentümer entstanden seit den 1950er Jahren schnell wieder Routinen und standardisierte Verfahren der testamentarischen Nachlassplanung, die überwiegend auf den Vermögenserhalt in der Familie zielten. Der innerfamiliale Übertrag gelang sogar, wenn, wie das folgende Fallbeispiel zum „verwechselten Testament“ verdeutlicht, auf dem Amtsgericht grobe Fehler passierten.

559 Leipold, Wandlungen, S. 181. Zum Wandel der Familie vgl. Neumaier, Familie. 560 Ohne zwischen testamentarischen und gesetzlichen Erbfällen zu unterscheiden, gab Reiner Braun die durchschnittliche Erbenzahl pro Erbfall in der Bundesrepublik für das Jahr 2000 mit 1,88 an. Reiner Braun, Hat die Erbengeneration ausgespart? Nach der Rentenillusion droht eine Erbschaftsillusion, in: Lettke (Hrsg.), Erben, S. 91–114, S. 107.

Erben und Vererben in Deutschland, 1918–1960er Jahre

Der Fall B.: Das verwechselte Testament und der Wandel von der Generationen- zur Partnersolidarität

Im Jahr 1959 versetzten eine Testamentseröffnung und Erbscheinausstellung auf dem Amtsgericht Wiesbaden den Oberlandesgerichtspräsidenten in Frankfurt und den Hessischen Minister der Justiz in helle Aufregung. Die Gründe für den ihnen zunächst unbegreiflichen Vorfall sollten dringlich aufgeklärt und über das gesamte Verfahren Stillschweigen bewahrt werden. Was war geschehen?561 Ausgangspunkt war der Tod von Heinrich B. in Wiesbaden. Wenige Tage später erschien dessen Witwe im Juli 1959 zur Eröffnung der drei von ihr und ihrem Ehemann auf dem Nachlassgericht in Wiesbaden unter den Nummern 21773, 24775 und 26592 hinterlegten Testamente. Der Rechtspfleger Schönig beauftragte daraufhin die Rechtspflegeanwärterin Pauls damit, diese Testamente aus der Verwahrung zu nehmen und sie der Witwe sowie ihm für das weitere Verfahren vorzulegen. Die Auszubildende griff bei dieser Aufgabe in der Aktenablage allerdings daneben und legte dem Rechtspfleger anstelle des Testaments mit der Nummer 24775 das Testament mit der Aufbewahrungsnummer 24774 vor, das von den Eheleuten P. stammte. Nun passierte das für den Oberlandesgerichtspräsidenten Erklärungswürdige. Denn weder die beiden Rechtspfleger noch die Witwe und ihre beiden anwesenden Kinder bemerkten die Verwechslung, als der Rechtspfleger das vertauschte, falsche Testament eröffnete und verlas. Er erklärte das vertauschte Testament daher für gültig und stellte der Witwe entsprechend den testamentarischen Bestimmungen des falschen Testaments einen Erbschein mit ihr als Alleinerbin aus. Schließlich erstellte der Rechtspfleger Abschriften der Testamente und verschickte diese in zweifacher Ausführung an die Witwe. Zwei Wochen später meldete sich die Witwe erneut beim Nachlassgericht und teilte diesem mit, dass sie die Abschriften eines fremden Testaments erhalten habe. Zugleich bat sie darum, eine Abschrift des richtigen Testaments zu erhalten. Nach Eingang des Schreibens erkannten die Rechtspfleger ihren Irrtum, der intern sofort hohe Wellen schlug. So musste das Amtsgericht den noch lebenden Eheleuten P. mitteilen, dass ihr hinterlegtes Testament versehentlich eröffnet und in Abschriften an eine andere Familie verschickt worden war. Gravierender wog die Frage, warum weder den Rechtspflegern noch der anwesenden Witwe und ihren Kindern aufgefallen war, dass nicht ihr eigenes Testament verlesen worden war, sondern das

561 Die folgende Fallschilderung beruht auf den beiden Schreiben Hessischer Minister der Justiz an den Herrn Landgerichtspräsidenten Wiesbaden durch den Herrn Oberlandesgerichtspräsidenten Frankfurt (Main), 13.8.1959, und Hessischer Landgerichtspräsident durch den Herrn Oberlandesgerichtspräsidenten in Frankfurt (Main) an den Herrn Hessischen Minister der Justiz, 7.9.1959, in: HHStAW, Erbvertrag, Bd. 1, 3482.

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Vermögen umverteilen. Revolutionen, Reformen und Reaktionen

eines Ehepaars mit völlig anderem Nachnamen. Der Oberlandesgerichtspräsident verlangte eine baldige Aufklärung dieses Sachverhalts, da erneut die Frage im Raum stand, ob der Fall auf generelle Probleme bei der Testamentsverwahrung und Eröffnung hinwies, wie sie die Amtsgerichte bereits in den 1920er und 1930er Jahren beschäftigt hatten, auf einen möglicherweise schludrigen Umgang mit anvertrauten Testamenten und ob sich damit eine zentrale Praktik der Nachlassplanung als dysfunktional erwies. Die beiden Rechtspfleger widersprachen der Vermutung, dass die Verwechslung auf generelle Probleme bei der Aufbewahrung von Testamenten hinweise. Stattdessen führten sie den Irrtum auf ein einmaliges individuelles menschliches Versagen und die Ausnahmesituation, in der sich die Witwe befunden hatte, zurück. Der verantwortliche Rechtspfleger vermutete, dass sie nach dem Tod ihres Ehemanns noch unter Schock gestanden habe und in Trauer befangen gewesen sei, weshalb sie die Eröffnung der Testamente nicht aufmerksam verfolgt und die Verwechslung nicht bemerkt habe. Mit dieser Erklärung griff er implizit eine im 19. und frühen 20. Jahrhundert im Bürgertum weit verbreitete Denkfigur auf, nach der trauernde Frauen besonders stark emotional vom Tod ihres Ehemannes betroffen und dadurch in ihrem rationalen Handeln eingeschränkt seien.562 Diese emotionale Befangenheit der Witwe, so ließe sich die Erklärung des Rechtspflegers weiter interpretieren, habe dazu geführt, dass die Trauernde nicht in der Lage gewesen sei, zu erkennen, dass nicht ihr eigenes, sondern ein anderes Testament eröffnet wurde. Auf die ebenfalls anwesenden Kinder ging der Rechtspfleger in seiner Erklärung nicht näher ein. Stattdessen argumentierte er weiter, dass sich der Vorfall am Ende eines langen Arbeitstages ereignet und seine Konzentration zu diesem Zeitpunkt etwas nachgelassen habe. Die Verwechslung, so seine Darstellung, sei ein Einzelfall, in dem eine trauernde Witwe und ein überarbeiteter und müder Rechtspfleger die Verwechslung nicht bemerkt hätten. Mit dieser Erklärung gab sich der Oberlandesgerichtspräsident zufrieden, auch da sich das Ehepaar P. kooperativ zeigte und die Angelegenheit mit der kostenlosen erneuten Aufbewahrung ihres Testaments bewandt sein ließ und da weder die Witwe noch ihre Kinder Einspruch einlegten. Er leitete daher keine weiteren Maßnahmen zur Überprüfung des Testamentseröffnungsverfahrens ein. Die Erklärung des Rechtspflegers soll hier nicht widerlegt werden. Weder lässt sich überprüfen, ob die Witwe in Trauer befangen, noch, ob der Rechtspfleger an diesem Tag tatsächlich müde und überarbeitet war. Stattdessen soll der Fall in breitere Entwicklungen des Testierwesens eingebettet werden, um aufzuzeigen, dass Veränderungen in Testierpraktiken und Routinisierungen bei Erbübertragungen

562 Anna-Maria Götz, Die Trauernde. Weibliche Grabplastik und bürgerliche Trauer um 1900, Köln 2013.

Erben und Vererben in Deutschland, 1918–1960er Jahre

auf den Amtsgerichten die Verwechslung zwar nicht verursacht, aber die Wahrscheinlichkeit, dass es dazu kommen konnte und dass dies nicht bemerkt wurde, merklich erhöht haben. Dadurch wird deutlich, wie wenig individuell und stark standardisiert Testamente und Erbübertragungen bereits Ende der 1950er Jahre waren. Anhaltspunkt hierfür ist ein Satz in dem Bericht des Rechtspflegers, dem der Vorgesetzte keine Beachtung schenkte, der aber höchst aufschlussreich ist. So hielt der Rechtspfleger Schönig in seiner Schilderung des Vorfalls unter anderem fest: „Da es sich um einen einfach gelagerten Fall – gegenseitige Erbeinsetzung – handelte, habe ich die von der Rechtspflegeranwärterin Pauls vorbereitete Verfügung, ohne die Testamente nochmals durchzulesen, unterschrieben.“563 Der Rechtspfleger hatte offensichtlich schon vor der Testamentseröffnung mit einer gegenseitigen Erbeinsetzung der beiden Ehepartner gerechnet, wie sie tatsächlich im vertauschten Testament vorgenommen worden war. Die Eröffnung eines gemeinschaftlichen Testaments gehörte für den erfahrenen Rechtspfleger zur Routine, die keine besondere Aufmerksamkeit erforderte und die auch von einer Auszubildenden durchgeführt werden konnte. Die Entwicklung von Testamentsbestimmungen im 20. Jahrhundert bestätigt seine Einschätzung. Stellte der Jurist Jurij Fedynskyi für die 1930er und 1940er Jahre noch fest, dass Testatoren ihr Eigentum hauptsächlich der nächsten Generation vermachten – und Erbratgeber dazu rieten, „daß jeder Ehegatte sein Testament für sich“564 errichte – , so wandelte sich dieses Bild in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts.565 Es setzte sich im Laufe des 20. Jahrhunderts in der Testierpraktik die ebenfalls bis ins 19. Jahrhundert zurückreichende Tradition durch, nach der sich Ehepartner im Testament gegenseitig als Alleinerben einsetzten. Für den Frankfurter Raum berichtete das Landesgericht Hechingen dem Oberlandesgericht Frankfurt bereits im August 1934, dass sich Ehepartner dort „in weitem Umfang gegenseitig zu Alleinerben“566 einsetzten. Auch in dem bereits geschilderten Erbfalls S. behaupteten nach dem Tod der Ehefrau sowohl ihr Mann als auch ihre Tochter, dass sich die beiden Eheleute in einem verschollenen Testament selbstverständlich gegenseitig als Erben eingesetzt hätten.567 Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen juristische Arbeiten zur Rechtstatsachenforschung auch für andere Räume der Bundesrepublik regelmäßig zu dem Ergebnis, dass der Anteil gemeinschaftlicher

563 Hessischer Minister der Justiz an den Herrn Landgerichtspräsidenten Wiesbaden durch den Herrn Oberlandesgerichtspräsidenten Frankfurt (Main), 13.8.1959, in: HHStAW, Erbvertrag, Bd. 1, 3482. 564 Klaus, Personen-, Familien- und Erbrecht, S. 54. 565 Fedynskyi, Rechtstatsachen. 566 Landgericht Hechingen an das Oberlandesgericht Frankfurt, 21.8.1934, in: HHStAW, 458/689. 567 HHStAW, 469/6, 52 VI 1401/50 S.

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Testamente ansteige568 und verheiratete Testatoren in etwa 90 Prozent der Fälle ihren Ehegatten als Alleinerbe einsetzten – in vielen Fällen mit dem Zusatz, dass gemeinsame Kinder aus der Ehe nach dem Tod des am längsten lebenden Ehepartners gleichberechtigte Nacherben sein sollten.569 Diese Entwicklung zeigt sich auch für das Amtsgericht Frankfurt. In den untersuchten Stichproben war im Jahr 1970 bereits knapp ein Drittel aller eröffneten Testamente gemeinschaftliche (37 von 129), und im Jahr 2000 setzten sich Ehepartner in 50 Prozent aller Testamente gegenseitig zum Alleinerben ein (80 von 160).570 Vor diesem Hintergrund wird zunächst die hohe Wahrscheinlichkeit ersichtlich, mit der ein gemeinschaftliches Testament mit einem anderen gemeinschaftlichen Testament verwechselt werden konnte. Eine weitere Erklärung dafür, dass die Witwe die Verwechslung der Testamente nicht bemerkte, liegt im Formwandel der Testamentsbestimmungen, insbesondere bei von Eheleuten gemeinschaftlich errichteten Testamenten. Seit dem 19. Jahrhundert wurden gemeinschaftliche Testamente immer kürzer und zu rein rechtlichen Dokumenten, die hauptsächlich der Vermögensverteilung dienten. Ausführungen zum persönlichen Seelenheil, zum eigenen Lebenswandel und Ratschläge für die Nachkommen fielen demgegenüber immer kürzer aus oder kamen überhaupt nicht mehr in Testamenten vor. Religiöse und moralische Rückversicherungen sowie die emotionale Bezugnahme zu den Erben und nahestehenden Personen, die bis ins frühe 20. Jahrhundert feste Bestandteile der meisten Testamente waren, lagerten Testatoren in separate Dokumente aus oder nahmen sie mündlich vor.571 Dieser Wandel des Testaments zeigt sich am deutlichsten in den charakteristischen Formulierungen von gemeinschaftlichen Testamenten, wie sie zwischen den 1920er und 1950er Jahren Ratgeber empfahlen und Testierende verwendeten. Als Vorlage für ein gemeinschaftliches Testament empfahl Max Mischke in seinem Ratgeber aus dem Jahr 1925 diese Formulierung: „Ich und meine Ehefrau, wir setzen uns gegenseitig als alleinige Erben ein.“572 Der Rechtsanwalt Dr. Karl Kromer führte als Beispiel für ein kurzes gemeinschaftliches Testament folgenden Text an: „Wir setzen uns gegenseitig als Erben ein.“573 Eine ähnliche Formulierung empfahl der Landgerichtsrat Dr. jur. Hanns Wandrey seinen Lesern: „Für den Fall unseres Todes

568 Nach Marianne Kosmann ist der Anteil gemeinschaftlicher Testamente bei Ehepaaren auf den Amtsgerichten Dortmund und Hörde von 31,4 Prozent im Jahr 1960 auf 62,7 Prozent im Jahr 1985 angestiegen. Kosmann, Frauen, S. 108. 569 Schulte, Art, S. 78, 119, 181f.; Guericke, Untersuchung, S. 62, 73; Vollmer, Verfügungsverhalten, S. 136. 570 Dinkel, Nachlassakten. 571 Vgl. hierfür auch die Beobachtungen von Ariès, Geschichte, S. 598f. 572 Mischke, Rat und Hilfe, S. 51. 573 Kromer, Recht, S. 80.

Erben und Vererben in Deutschland, 1918–1960er Jahre

setzen wir, der Lehrer Paul Winkler und seine Ehefrau Hermine geb. Schönicke, uns gegenseitig als Alleinerben ein.“574 Diese standardisierten Formulierungen griffen wiederum Eheleute auf, die ein gemeinschaftliches Testament verfassten. Die Eheleute R. bestimmten im Juli 1927 in ihrem gemeinschaftlichen, aus einem Satz bestehenden Testament wie im Ratgeber von Mischke empfohlen: „Ich und meine Ehefrau setzen uns gegenseitig zum alleinigen Erben ein.“575 Charakteristisch für den Wortlaut von gemeinschaftlichen Testamenten, die auf dem Amtsgericht Frankfurt in den 1950er Jahren eröffnet wurden, sind die folgenden Beispiele: Die Eheleute S. hielten in ihrem im Jahr 1941 gemeinschaftlich errichteten Testament schlicht fest: „Wir setzen uns gegenseitig als alleinige Erben unseres gesamten Vermögens ein.“576 Noch kürzer fassten sich die Eheleute W., deren Testament aus einem kurzen Satz bestand: „Wir setzen uns gegenseitig zu unseren alleinigen Erben ein.“577 Auf ähnliche Formulierungen griffen auch die Eheleute Sch. und M. bei der Errichtung ihrer Testamente in den Jahren 1950 und 1958 zurück: „Wir setzen uns gegenseitig zum alleinigen Erben unseres gesamten Nachlasses ein. Dem Längstlebenden von uns bleibt es überlassen, über den bei seinem Abschied noch vorhandenen Nachlass frei zu verfügen.“578 Diese Testamentsbestimmungen waren stark standardisiert, kurzgefasst, weitgehend ohne persönlichen Bezug zu den Testierenden und ihren Erben und liefen in ihren Bestimmungen darauf hinaus, dass der überlebende Ehepartner das gesamte gemeinsame Vermögen erben sollte. Nimmt man in diesem Kontext an, dass – wie Gerichte in anderen Erbstreitigkeiten urteilten – sich kaum eine Person mehrere Jahre nach dem Abfassen des eigenen Testaments wortwörtlich, sondern nur sinngemäß an dessen Inhalt erinnern kann, so liegt es nahe, zu vermuten, dass die Witwe bei der Ansicht des Testaments – abgesehen vom Namen der Unterzeichner – keinen Grund hatte, daran zu zweifeln, dass es ihr eigenes Testament war, das ihr der Rechtspfleger vorlegte. Selbst für die Unterschrift erlaubten die

574 Hanns Wandrey, Was jeder vom Erbrecht und Testament wissen muß, Berlin-Schildow 1939, S. 23. Weitere, ähnliche Beispiele finden sich in Wolfgang Klüpfel/Informationsdienst der Sparkassen und Girozentralen, Erben und Vererben. Das Wichtigste über Erbschaft, Erbe und Testament, Stuttgart 1960, S. 23; Franz Hirschwald, Das Testament. Eine gemeinverständliche Einführung mit einer kurzen Erörterung des ehelichen Güterrechts, des Rechts der Offenen Handelsgesellschaft beim Todesfall, des bäuerlichen Erbrechts, der Erbschaftsteuer und Mustern von Testamenten und Gesellschaftsverträgen, Stuttgart 1940, S. 34; Albin Rexheuser, Wie mache ich mein Testament und wie verhalte ich mich als Erbe, Weimar 1932, S. 6. 575 HHStAW, 469/6, 67 IV 47/40 R. 576 HHStAW, 469/6, 52 IV 248/50 S. 577 AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 52 IV 19/60 W. Für ein Testament mit gleichem Wortlaut vgl. AG Frankfurt, Nachlassabteilung 52 IV 22/70 L. 578 AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 52 IV 247/50 S. Vgl. auch AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 52 IV 17/60 M; IV S 37/89 S; 52 IV 1323/70 S; 54 IV F 180/2000.

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gelockerten Testamentsformalia seit 1938 eine Unterschrift wie „euer Vater“ und „eure Mutter“. Beide gemeinschaftlichen Testamente hielten vermutlich in wenigen standardisierten, unpersönlichen Sätzen fest, dass sich die Ehepartner gegenseitig zum Alleinerben einsetzten. Alle bei der Testamentseröffnung Anwesenden erwarteten, dass die Witwe ihren Mann alleine beerben werde, und genau das bestimmte auch das vertauschte Testament. Das verwechselte Testamente der Eheleute B. kann als eine kuriose Ausnahme in den bürokratischen Abläufen der Amtsgerichte verstanden werden, ganz so, wie es offensichtlich auch die Zeitgenossen sahen. In der longue durée lässt sich der Zwischenfall allerdings auch als Produkt veränderter Testierpraktiken und Routinisierungen interpretieren, die solche Zwischenfälle nicht zwangsläufig hervorbrachten, ihr Zustandekommen aber wahrscheinlicher machten.579 Indirekt bestätigt der Fall damit zunächst, wie routinisiert und standardisiert Nachlassplanungen und Erbtransfers für Mittelschichtsangehörige in Frankfurt und im hessischen Umland bereits Ende der 1950er Jahre wieder abliefen. Zugleich verweist er darauf, dass der Erbtransfer von einem Ehepartner an den anderen bereits in den 1950er Jahren selbstverständlich war, und lässt damit einen langfristigen Wandel der testamentarisch eingesetzten Erben erkennen. Von der Generationen- zur Partnersolidarität und die Liberalisierung von Nahbeziehungen

Das Beispiel vom „verwechselten Testament“ verdeutlicht nicht nur die Standardisierung von Testamentsangelegenheiten, sondern auch den langfristigen und langsam ablaufenden Wandel von der Generationen- zur Partnersolidarität. Dieser hatte bereits im 19. Jahrhundert eingesetzt und zeichnete sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer deutlicher ab. Die Nachlassplanungen von Ehepartnern blieben zwar durchgängig hauptsächlich auf den Vermögenserhalt in der Familie ausgerichtet, der Kreis der per Testament bestimmten Erben änderte sich aber. Während Ehepartner im 19. Jahrhundert zum größeren Teil ihren Besitz direkt an ihre Kinder vererbten, setzten sie sich im Laufe des 20. Jahrhunderts häufiger zunächst gegenseitig als Alleinerben ein, bevor ihr Erbe erst in einem zweiten Erbübertrag nach dem Tod des letzten Elternteils an ihre Kinder überging – oder, wenn keine eigenen Kinder vorhanden waren, an Verwandte beziehungsweise gemeinnützige Stiftungen. Begünstigt wurde dieser Wandel durch den Ausbau der

579 In den durchgesehenen Akten des HHStAW war dies der einzige Fall, in dem es zu einer Verwechslung der Testamente kam. Wie häufig solche Vorfälle waren und ob sie sich im 20. Jahrhundert häuften, lässt sich allerdings nur schwer ermitteln. Neben der Aufklärung des Fehlers lag den beteiligten Behörden zumindest in diesem Fall sehr viel daran, ihn möglichst stillschweigend zu behandeln.

Erben und Vererben in Deutschland, 1918–1960er Jahre

staatlichen Altersvorsorge. Älter werdende Menschen mussten ihr Erbe eben nicht mehr Jüngeren versprechen oder es ihnen vorzeitig übergeben, um im Alter versorgt zu sein. Zugleich ging die durchschnittliche Haushaltsgröße in Deutschland von 4,85 Personen im Jahr 1910 auf 2,88 Personen im Jahr 1970 zurück.580 In der Kernfamilie waren damit auch weniger Personen aus dem Vermögen der Eltern zu versorgen. Zunehmend mehr Ehepaare konnten es sich daher vermutlich leisten, sich gegenseitig als Erbe einzusetzen und gleichzeitig die Versorgung ihrer Kinder zu gewährleisten. Von diesem sozialstaatlichen und demographischen Wandel sowie der an Popularität gewinnenden Testierpraktik profitierten mehrheitlich Ehefrauen, die häufiger ihre Ehemänner beerbten als umgekehrt.581 Parallel zu diesen Veränderungen führten die Pluralisierung von Lebensstilen und die wachsende Anzahl an kinderlosen Ehepaaren sowie Single-Haushalten zur Öffnung und Erweiterung des Erbenkreises, wenngleich dieser Prozess zahlenmäßig weniger ins Gewicht fällt als die Verengung auf den Ehepartner. Doch auch diese Entwicklung schloss an ältere Testierpraktiken an. So waren Geschwister, Nichten und Neffen über das 19. und 20. Jahrhundert hinweg akzeptierte und legitime Erben, insbesondere für Personen, die keine eigenen Kinder hatten. Dass auch mit dem Erblasser nur weitläufig verwandte Personen erbten, war nicht ungewöhnlich. Ab den 1960er Jahren öffnete sich dieser Kreis der eingesetzten Erben nun um Personen, die nicht mit dem Verstorbenen verwandt waren. Ausschlaggebend dafür waren zum kleineren Teil – wie zu Beginn des Jahrhunderts – Enterbungen von engen Familienmitgliedern, die aus Sicht der Testatoren einen als unsittlich erachteten Lebenswandel pflegten oder gegen die Werte und Normen des Testators verstoßen hatten. Hauptsächlich waren es weiterhin alleinstehende und kinderlose Erblasser, die ihr Erbe an weiter entfernte Verwandte, nicht mit ihnen verwandte Personen und gemeinnützige Stiftungen vermachten. In den untersuchten Erbfällen finden sich mehrere Vorgänge aus den 1950er bis 1980er Jahren, in denen Eltern einzelne Kinder aus solchen Gründen enterbt hatten. Beispielsweise verweigerte ein Vater seiner Tochter ihren Erbteil, weil sie Beziehungen zu unterschiedlichen Männern unterhalten hatte.582 Ein anderer Testator enterbte seinen Sohn, weil dieser sich weigerte, einer geregelten Arbeit nachzugehen.583 Die in Frankfurt verstorbene Maria Z. enterbte ihre beiden Töchter, da sie sich zu Lebzeiten von ihnen vernachlässigt gefühlt hatte. Stattdessen vermachte sie ihr Vermögen nicht nur ihrem Sohn und dessen Ehefrau, sondern auch ihren

580 Dr. von Spreckelsen an Herrn MinRat von Schack, 24.7.1973, Anhang, S. 1–4, in: BArch, B 141/ 102819 – Reform des Erbrechts – Material, 7.1973 – 2.1977. 581 Kosmann, Frauen, S. 91–95. 582 ZA EKHN, 155/5679. 583 AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 52 IV 8/60 L.; Testament Elisabeth H., 15.2.1973, in: AG Frankfurt, Nachlassabteilung 51 IV H 14/80 H.

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Nachbarn: „Auch mein nächster und bester Betreuer der Nachbar Klemens M. […] ist nicht zu vergessen. Ihm schulde ich viel Dank. Er war immer zur Stelle, wenn ich ihn brauchte.“584 Diese Enterbungen belegen, dass Erblasser von ihren Erben weiterhin das Bekenntnis zu und das Halten an bestimmte (bürgerliche) gesellschaftliche und moralische Werte verlangten. Dazu zählte in diesen Fällen das Führen einer monogamen Beziehung, die Bereitschaft zur beruflichen Ausbildung und ein gewisses Maß an Nähe und Fürsorge zu den Eltern. Erfüllten enge Familienmitglieder diese Erwartungen nicht, waren Testatoren weiterhin bereit, sie vom Erbe auszuschließen. Ihre Erbteile gingen damit an den Ehepartner, an ihre Geschwister oder, falls keine vorhanden waren, an entferntere Verwandte, gemeinnützige Stiftungen oder enge Bekannte des Verstorbenen. Am häufigsten nannten Testatoren Untreue, Gewalthandlungen und die Reaktionen von gesetzlichen Erben auf diese Taten als Grund dafür, dass sie diese auf den Pflichtteil setzten oder vom Erbe ausschlossen. Herr Rudolf B. beispielsweise enterbte seinen zu diesem Zeitpunkt etwas 20-jährigen Sohn nicht nur, weil dieser ein „liederliches Leben“ führe, sondern vor allem, weil er ihm im Rahmen einer „großen Auseinandersetzung“ ins Gesicht gehauen, seiner Stiefmutter, die dem Vater zu Hilfe geeilt war, zwei Zähne ausgeschlagen und danach „keine Reue [Hervorhebung im Original]“ gezeigt und nicht um Verzeihung gebeten habe.585 Die Gewalt des Sohnes gegen seine (Stief-)Eltern war für seinen Vater offensichtlich nicht ausreichend, um ihm sein Erbe zu verweigern. Zu diesem Schritt entschloss der Vater sich erst, so meine Interpretation der besonderen Hervorhebung im Testament, nachdem dieser sich auch nach seiner Gewalthandlung nicht davon distanzierte, nicht um Entschuldigung bat und damit sein Unrecht nicht eingestand. Der Wunsch des Vaters, Erbe in der Familie zu halten, war offensichtlich so stark, dass er bei aufrichtiger Reue des Sohnes diesem sein Vermögen trotz der erfahrenen Gewalt vererbt hätte. Erst das ausbleibende Schuldbekenntnis führte zur Entscheidung des Vaters, ihn zu enterben. Gewalt ging nicht nur von erwachsenen Kindern gegen ihre alten Eltern aus, sondern auch von Ehepartnern. Ganz selten schlossen Männer testamentarisch ihre Ehefrauen vom Erbe aus, weil diese handgreiflich geworden waren.586 Deutlich häufiger nutzten hingegen Ehefrauen Testamente, um ihre Ehemänner für deren

584 Testament von Maria Z., 26.4.1980, in: AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 52 IV Z 83/81 Z. Vgl. auch AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 53 VI S 3/89 S; 51 IV D 38/80 D; 51 IV 1674/70 H; 51 IV 455-56/70 G; 52 IV 158-60/70 W. 585 Testament von Rudolf B., 8.3.1956, in: AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 51 IV 1673/70 B. Vgl. auch für ähnliche Testamentsbestimmungen, die auf die Enterbung von gewalttätigen Familienangehörigen zielten, ZA EKHN, 155/5657 und 155/5679. 586 Testament Werner H., in: AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 51 IV 1489/70 H; 52 IV 13/70 M.

Erben und Vererben in Deutschland, 1918–1960er Jahre

Untreue oder Gewaltausübung nachträglich, das heißt nach ihrem Tod, zu bestrafen. Charakteristisch hierfür enterbte Maria E. in ihrem im Jahr 1940 errichteten Testament ihren Ehemann, „weil er verschiedene Ehescheidungsprozesse gegen mich geführt hat, obwohl ihm kein Ehescheidungsgrund zur Seite stand. […] Mein Ehemann stand und steht auch heute noch in ehebrecherischen und ehewidrigen Beziehungen zu anderen Frauen.“587 Anstatt ihrem Ehemann vermachte sie ihr gesamtes Vermögen ihrer unehelichen Tochter.588 Derartige Fälle, in denen Ehefrauen ihre Ehemänner enterbten, nahmen nach 1945 zu. Für Frankfurt finden sich bereits aus dem Jahr 1950 mehrere Testamente, in denen Ehefrauen ihren Ehemännern Verletzungen ihrer Fürsorgepflichten, zum Teil jahrelange Untreue, die Zeugung eines Kindes mit einer anderen Frau oder körperliche Misshandlungen vorwarfen, weswegen sie diese explizit von ihrem Erbe ausschlossen.589 Trotz solcher zum Teil schweren Vorwürfe war allerdings nur eine dieser Frauen bereits zu ihren Lebzeiten aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen, und keine hatte sich zum Zeitpunkt ihres Todes von ihrem Ehemann scheiden lassen. Möglicherweise hatten die gesellschaftliche Stigmatisierung von Scheidungen, die unsichere politische und wirtschaftliche Lage in der unmittelbaren Nachkriegszeit und/oder die Hoffnung auf Besserungen bei den Männern diese Frauen, die alle um das Jahr 1950 verstorben waren, davon abgehalten, sich vom untreuen, teilweise sogar gewalttätigen Ehemann zu trennen. Am Ende ihres Lebens bot die gesetzliche Testierfreiheit ihnen die Möglichkeit, ihre Ehe zu bilanzieren und ihre Ehemänner für erlittenes Unrecht nachträglich symbolisch und materiell zu bestrafen. Ähnliche Testamente, in denen Frauen ihre Ehemänner anklagten und enterbten oder dem Ex-Mann nach einer Scheidung jeglichen Erbanspruch untersagten, finden sich vermehrt für spätere Jahrzehnte.590 Die verheiratete Johanna W. entzog ihrem Ehemann, von dem sie sich aufgrund ihres hohen Alters nicht mehr scheiden lassen wollte, in vier zwischen 1958 und 1970 verfassten Testamenten Stück für Stück seine Erbanteile.591 Gewährte sie ihrem Ehemann im ersten Testament noch Nießbrauchrechte am Haus und vermachte sie ihm verschiedene Gegenstände, entzog sie ihm im zweiten Testament die Gegenstände und seinen Pflichtteil, da er sie wiederholt körperlich misshandelt habe. Im dritten Testament entzog sie ihm auch die Nießbrauchrechte am Haus, da sich die Misshandlungen fortsetzten. Die

587 HHStAW, 469/6, 66 IV 49/40 E. Vgl. auch HHStAW, 469/6, 67 IV 51/40 M. 588 HHStAW, 469/6, 66 IV 49/40 E. Vgl. für einen ähnlichen Fall HHStAW, 469/6, 52 IV 264/50. 589 HHStAW, 469/6, 52 IV 267/50 L; 51 IV 268 50 H. Vgl. auch Sibylle Plogstedt, Abenteuer Erben. 25 Familienkonflikte, Stuttgart 2011, S. 48f. 590 AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 54 IV F 30/2000 F. 591 Die Testamente und ärztlichen Gutachten zum Erbfall Johanna W finden sich in: AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 52 IV 263/70 W.

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ärztlichen Befunde dazu lagen dem Testament bei. Die Enterbung des Ehemanns und die Abweichung von der gängigen Norm erforderten aus der Sicht von Frau W. offensichtlich eine Begründung und einen detaillierten Nachweis der Vorwürfe. In ihrem letzten, im Jahr 1970 erstellten Testament bestätigte sie noch einmal, dass ihr Ehemann nichts von ihrem Erbe erhalten solle. Ihren Nachlass vermachte sie schließlich ihrer Schwester, einem Neffen und einer Nichte sowie mehreren Freunden und Bekannten, die ihr in den letzten Jahren nahegestanden hatten, und einem Krankenhaus in Frankfurt. Auch im Fall von Frau W. zeigt sich damit, dass sie ihren Ehemann nicht aufgrund einer einmaligen Gewalthandlung enterbte. Erst als sich die Misshandlungen über einen längeren Zeitraum wiederholten und sich beim Ehemann keine Besserung einstellte, schloss sie ihn komplett von ihrem Erbe aus. Möglicherweise schämte sie sich, die erfahrene Gewalt öffentlich zu benennen, oder sie hoffte auf Besserung und Reue bei ihrem Ehemann. Unabhängig von den genauen Gründen verweisen die Beispiele von Rudolf B. und Johanna W. auf die Stärke des Familienprinzips: Testatoren hielten es für notwendig, Abweichungen davon zu begründen, und selbst den Opfern von häuslicher Gewalt fiel es schwer, Täter aus der eigenen Familie zu enterben. Die Testierpraxis von Frau W. ist darüber hinaus, nachdem der Ehemann als Erbe wegfiel und keine Kinder vorhanden waren, auch charakteristisch für die alleinstehender Personen. Neben entfernteren Verwandten vermachten diese ihren Besitz häufiger Institutionen und Personen, mit denen sie nicht verwandt war. Mit dem Anstieg von Single-Haushalten nahm daher auch die Zahl der Erben zu, die nicht mit dem Erblasser verwandt waren.592 Für Dortmund stellte Marianne Kosmann einen Anstieg von nicht verwandten Haupterben von 2,2 Prozent (1960) auf 8,9 Prozent (1985) fest.593 In Frankfurt vererbten im Jahr 1970 17 überwiegend alleinstehende/kinderlose Testatoren aus der Gruppe aller 137 untersuchten testamentarischen Erbfälle (12,4 Prozent) mindestens ein Drittel ihres Nachlasses an Personen, mit denen sie nicht verwandt waren, oder an gemeinnützige Institutionen wie das Rote Kreuz. Im Jahr 2000 war dies bei 22 von 160 Erbübertragungen (13,8 Prozent) der Fall.594 Charakteristisch hierfür begründete die kinderlose Frau I., dass sie einen Bekannten als Alleinerben einsetzte: „Herr P. hat jahrelang bei uns gewohnt und mich stets während dieser Zeit mit Rat und Tat betreut. Aus diesem Grunde vermache ich ihm aus Dankbarkeit alles was ich besitze.“595 Die ledige Zahnärztin Frau S. wiederum vererbte ihren gesamten Besitz an eine Freundin mit dem Verweis darauf, dass sie schon sehr lange zusammenwohnen würden.596 592 593 594 595 596

AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 55 IV B 407/2000 B; 53 IV K 622/2000 K. Kosmann, Frauen, S. 122. Dinkel, Nachlassakten. AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 51 IV 804/70 I. AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 52 IV 1631/70 S.

Erben und Vererben in Deutschland, 1918–1960er Jahre

Möglicherweise handelte es sich im letzten Fall um ein gleichgeschlechtliches Paar, womit die Erbin zwar außerhalb der im BGB definierten Familie stand, emotional aber eng mit der Erblasserin verbunden war. Beide Frauen hätten in diesem Fall die weit verbreitete Erbpraxis, den Ehepartner als Alleinerben einzusetzen, übernommen und entsprechend der Gesetzeslage und den gesellschaftlichen Erwartungen an ihre Familienkonstellation angepasst. Beide Beispiele verdeutlichen zudem, dass sich nicht alle Testatoren bei ihrer Nachlassplanung am Ideal der heterosexuellen, ehelich verbundenen Kernfamilie orientierten. Die bundesrepublikanische Gesellschaft war pluraler, und dies spiegelt sich auch in Testamentsbestimmungen wider. Allerdings verlangte die Erbeinsetzung von nicht verwandten Personen weiterhin nach einer Begründung.597 Im deutlichen Kontrast zu gemeinschaftlichen Testamenten von Ehepaaren oder zu Testamenten, in denen Testatoren die eigenen ehelichen Kinder als Erben einsetzten, ohne dies zu begründen, rechtfertigten jene Testatoren, die weiter entfernte oder nicht verwandte Personen als Erben einsetzten, diesen Entschluss immer. Meist taten sie dies, indem sie auf die „Erbunwürdigkeit“ nahestehender Personen oder auf besondere Unterstützungs- oder Freundschaftsdienste und auf emotionale Beziehungen zu den Erben verwiesen sowie indem sie Letztere semantisch in die Familie integrierten, beispielsweise als „mütterliche Freundin“.598 Die Erbeinsetzung von Familienmitgliedern stellte weiterhin die gesellschaftliche Norm dar. In einzelnen Erbfällen lehnten eingesetzte Erben oder Vermächtnisnehmer ihren Erbteil sogar ab, wenn aus ihrer Sicht engere, aber in Testamenten nicht berücksichtigte Familienmitglieder eigentlich Anspruch auf den Nachlass hatten.599 Von dieser Norm waren Abweichungen aber möglich, wenn sie durch besondere Hilfs- und Pflegedienste oder den Verweis auf emotionale Verbundenheit begründet wurden. Schließlich zeigt sich in den testamentarischen Bestimmungen gegen Ende des 20. Jahrhunderts eine stärkere Fürsorge für und emotionale Bindung an Haustiere. Diese Testierpraktiken knüpften ebenfalls an eine im Kaiserreich einsetzende Entwicklung an, in der sich die emotionalen Beziehungen zwischen Haustieren und ihren menschlichen Besitzern vertieften, bis hin zur Integration des Tieres in die Familie als Familienmitglied.600 Da Tiere in der Bundesrepublik nicht erben kön597 Benno Gammerl, Jenseits der Metronormativität? Westdeutsche Lesben und Schwule zwischen Land und Stadt, in: Franz-Werner Kersting/Clemens Zimmermann (Hrsg.), Stadt-LandBeziehungen im 20. Jahrhundert. Geschichts- und kulturwissenschaftliche Perspektiven, Paderborn, München, Wien, Zürich 2015, S. 155–175. 598 ZA EKHN, 155/5670; AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 52 IV 13/70 M. 599 ZA EKHN, 155/5657. 600 Amir Zelinger, Menschen und Haustiere im Deutschen Kaiserreich. Eine Beziehungsgeschichte, Bielefeld 2018; Maren Möhring, Das Haustier. Vom Nutztier zum Familientier, in: Derix u. a. (Hrsg.), Haus, S. 389–408; Gesine Krüger/Aline Steinbrecher/Clemens Wischermann, Tiere und Geschichte. Konturen einer „Animate History“, Stuttgart 2014; Mieke Roscher, Darf ’s ein bisschen mehr sein?

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nen, setzten Testatoren anstelle ihrer Haustiere andere Personen oder Tierheime als Erben ein, die sie im Gegenzug verpflichteten, für ihre Tiere nach ihrem Tod zu sorgen.601 Der ledige und äußerst vermögende Karl K. hielt im Juli 1903 in seinem Testament ausführlich fest, was mit seinen Vögeln nach seinem Tod geschehen solle: Meine Vögel und Käfige nebst Zubehör sollen, dies bemerke ich ausdrücklich, nicht verkauft werden; sie sollen in guten Besitz kommen, damit dieselben die Pflege weiter erhalten, welche sie bei mir hatten. D.s sollen den Papagei, die gute Lora behalten und vielleicht noch zwei Stück, die übrigen, alles Sänger soll mein Freund R. gleichmäßig verteilen und zwar nach seinem Belieben an meine Freunde […]; die übrigen Käfige, Mehlwurmansätze und drei Vögel nebst Käfigen sollen als Andenken an mich an die Vereinigung für Vogelschutz und Vogelliebhaberei übergeben und daselbst zur Verlosung gebracht werden. Die Auswahl hierzu, mag gleichfalls mein Freund R. treffen.602

Diese Beispiele verweisen damit gleichermaßen auf eine Personengruppe, die besonders häufig Legate oder ihr Erbe an weiter entfernt verwandte oder nicht verwandte Personen sowie gemeinnützige Institutionen vermachte: Es waren häufig Singles, verwitwete Personen ohne Kinder und ältere Personen, die entweder anstelle nicht vorhandener Kinder enge emotionale Beziehungen zu ihren Haustieren aufbauten oder bei denen diese eine emotionale Leerstelle füllten, die mit dem Auszug der erwachsenen Kinder in ihrem Leben entstanden war. Sie beauftragten nahestehende Personen mit der Aufnahme und Pflege der Tiere, wofür sie in der Regel ein Legat oder einen Teil des Erbes erhielten, oder die Tiere wurden einem Tierheim übergeben, das für die Aufnahme ebenfalls aus dem Nachlass entschädigt werden sollte.603 Falls Testatoren ihre letztwillige Fürsorge für Haustiere begründeten, dann ausnahmslos mit der engen emotionalen Verbindung, die zwischen der testierenden Person und dem Tier bestanden hatte, wie die testamentarischen Vorgaben der alleinstehenden Hildegard L. zeigen. In ihrem 1963 errichteten und im Jahr 1966 um einen Nachtrag ergänzten Testament bestimmte sie, dass die als „mütterliche Freundin“ bezeichnete Frau S.-B. aus ihrem Nachlass 200 DM und ein Bild erhalten solle, da sie „sich um gute [Hervorhebung im Original, J. D.] Unterbringung der Hunde kümmern wird. Die entstehenden Auslagen für Kost etc. für die Tiere, bis

Ein Forschungsbericht zu den historischen Human-Animal Studies, in: H-Soz-Kult, 16.12.2016, www.hsozkult.de/literaturereview/id/forschungsberichte-2699 (letzter Zugriff 12.4.2021). 601 Testament von Emma L., 19.8.1910, in: HHStAW, 469/6, 42 IV 78/10 L. 602 Testament von Karl K., 1.7.1903, in: HHStAW, 469/6, 39 IV 7/10 K., Unterstreichungen im Original. 603 AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 52 IV Sch 5/89 S. Auch im Fall der alleinstehenden Frau M. erhielt eine Freundin der Erblasserin ein Vermächtnis, da sie versprochen hatte, sich um die Vögel der Verstorbenen zu kümmern; AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 54 IV M 15/2000 M.

Erben und Vererben in Deutschland, 1918–1960er Jahre

ein guter Besitzer gefunden ist, sind ebenso aus dem Nachlaß zu decken“.604 Im Jahr 2000 bestimmte die verwitwete Frau O. in ihrem Testament, dass sich auch um „unsere vierbeinigen Freunde, Flitzi meinem jetzt 7 jährigen Kater und dem lieben Hund Wanda, jetzt 6 Jahre alt [gekümmert werde, J. D.]. So wünsche ich, daß nach meinem Tode von vorhandenem Bargeld zunächst je 10.000 DM für Katze und Hund entnommen werden. Dieser Betrag soll demjenigen zukommen, der sich verpflichtet die Tiere artgerecht und liebevoll bis zum natürlichen Tode der Tiere zu übernehmen.“605 Diese spezifischen Beispiele verdeutlichen somit einerseits, dass es in der zweiten Jahrhunderthälfte bei einem kleinen Teil der Testatoren durchaus zu einer Erweiterung und Öffnung des Kreises der testamentarisch eingesetzten Erben gekommen war, womit immer wieder die Fragen aktualisiert wurden, wer eigentlich zur Familie zählte und wer innerhalb der Familie welche Erbansprüche erheben konnte. Nicht zuletzt wurden Mensch-Tier-Beziehungen ausgelotet und die Frage nach dem Status von Haustieren als Teil der Familie wurde aufgeworfen.606 Zumindest ein kleiner Teil der Testatoren, häufig Alleinstehende, wählte seine Erben nicht primär anhand verwandtschaftlicher Nähe und Ehezugehörigkeit aus, sondern anhand von empfangenen Unterstützungsleistungen, freundschaftlicher oder liebevoller Verbundenheit und emotionaler Nähe. Gleich in mehrfacher Hinsicht waren in diesen Fällen moralische Überlegungen, Gefühle und Emotionen sowie Vermögenshandeln miteinander verflochten. Andererseits vermachten die meisten Testatoren ihren Besitz zum allergrößten Teil innerhalb der engen Kernfamilie und vermehrt ausschließlich an den Ehepartner. Auch in diesen Transfers waren Moral, Gefühl und Ökonomie miteinander verflochten, der Erbtransfer erfolgte aber kongruent mit gesellschaftlichen Normen und Erwartungshaltungen.607 Seit den 1970er Jahren kamen sämtliche juristische Studien zur Rechtstatsachenforschung zu dem Ergebnis, dass verheiratete Testatoren mit Kindern ihr Vermögen zu etwa 90 Prozent an enge Familienmitglieder vererbten.608 Den niedrigsten Wert wiesen ledige und geschiedene Erblasser auf, doch selbst diese vermachten ihren Besitz zu 60 bis 75 Prozent an Familienmitglieder.609 Diese Zahlen korrespondieren mit den Ergebnissen von öffentlichen Umfragen zum Testierverhalten der deutschen Bevölkerung. Im Jahr 1990 sprachen

604 605 606 607 608

Testament von Hildegard L., 31.3.1963, in: ZA EKHN, 155/5670. Testament von Irene O., 20.2.1991, in: AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 55 IV O 56/2000 O. Krüger/Steinbrecher/Wischermann, Tiere; Roscher, Forschungsbericht. Budde/Conze/Rauh, Bürgertum. Metternich, Verfügungsverhalten, S. 69; Rotering, Untersuchungen, S. 45; Schulte, Art, S. 78; Guericke, Untersuchung, S. 160. 609 Guericke, Untersuchung, S. 56ff.; Vollmer, Verfügungsverhalten, S. 85ff.; Metternich, Verfügungsverhalten, S. 91ff.

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sich in einer Umfrage des Deutschen Jugendinstituts ca. 95 Prozent der Befragten für die Erbweitergabe in der Familie aus.610 Auch findet sich in Testamenten gerade im Hinblick auf materielle Objekte („Erbstücke“) weiterhin regelmäßig der explizit geäußerte Wunsch, dass diese in Familienbesitz bleiben sollten.611 Von diesen Erwartungen und Praktiken wichen nur wenige Testatoren ab. Die meisten vererbten ihren Besitz an Familienangehörige, wodurch ihre individuellen Nachlassregelungen ebenso wie die gesetzliche Erbfolge zum Vermögensübertrag in der Familie beitrug. Die Zugriffsmöglichkeiten des Einzelnen hingen auch in der Bundesrepublik stark von seinem familialen Hintergrund ab.

4.

Umkämpfte Erbschaften – Nachlässe als Gegenstände internationaler Politik

Parallel zu den innenpolitischen Erbrechtsreformen führten die kriegerischen und ideologischen Auseinandersetzungen zwischen den USA, Deutschland und der Sowjetunion seit dem Ersten Weltkrieg auch zur Instrumentalisierung des Erbrechts und von Erbfällen für außenpolitische Ziele. Mit Beginn des Ersten Weltkriegs setzten die einzelnen Kriegsparteien ihre bilateralen Abkommen zur Erleichterung von transnationalen Erbtransfers außer Kraft. Darüber hinaus erließen sie Verordnungen und Gesetze, die Erbübertragungen an Erben im feindlichen Ausland verboten. Das Deutsche Reich untersagte noch im Herbst 1914 Eigentumstransfers nach England (30. September 1914), Frankreich (20. Oktober 1914) und Russland (19. November 1914).612 Im weiteren Kriegsverlauf wurden diese grundsätzlichen Verbote, Zahlungen an Personen im feindlichen Ausland zu tätigen, weiter spezifiziert und sukzessive auf die Länder ausgeweitet, die später in den Krieg gegen Deutschland eintraten, so auch auf die Vereinigten Staaten im Jahr 1917.613 Umgekehrt erließen zunächst das russische Zarenreich im Herbst 1914 und die

610 Walter Bien, Leben in Mehrgenerationenfamilien – Regel oder Sonderfall?, in: Walter Bien (Hrsg.), Eigeninteresse oder Solidarität. Beziehungen in modernen Mehrgenerationenfamilien, Opladen 1994, S. 3–27, S. 26. 611 AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 52 IV 15/56 W und 51 IV 10/56 H; ZA EKHN, 155/6241. 612 Bekanntmachung, betreffend Zahlungsverbot gegen England, 30.9.1914, in: Reichsgesetzblatt, Nr. 83, 1914, S. 421; Bekanntmachung, betreffend Zahlungsverbot gegen Frankreich, 20.10.1914, in: Reichsgesetzblatt, Nr. 89, 1914, S. 443; Bekanntmachung, betreffend Zahlungsverbot gegen Rußland, 19.11.1914, in: Reichsgesetzblatt, Nr. 4548, 1914, S. 479. 613 Bekanntmachung, betreffend die Stundungsvorschriften der Zahlungsverbote gegen das feindliche Ausland, 17.1.1917, in: Reichsgesetzblatt, Nr. 5665, 1917, S. 51; Bekanntmachung, betreffend Zahlungsverbot gegen Italien, 7.6.1917, in: Reichsgesetzblatt, Nr. 5883, 1917, S. 119; Bekanntmachung, betreffend Zahlungsverbot gegen die Vereinigten Staaten von Amerika, 9.8.1917, in: Reichsgesetzblatt, Nr. 5992, 1917, S. 708.

Umkämpfte Erbschaften – Nachlässe als Gegenstände internationaler Politik

Vereinigten Staaten von Amerika im Jahr 1917 Verordnungen, die den Transfer von Nachlässen an Erben in Deutschland verboten. Damit waren die Abkommen und Regelungen zur gegenseitigen Amtshilfe zur Erleichterung von transnationalen Erbschaftstransfers aus der Vorkriegszeit zwischen Deutschland auf der einen und den USA sowie dem russischen Zarenreich auf der anderen Seite außer Kraft gesetzt.614 Mit der Oktoberrevolution verschlechterten sich auch die diplomatischen Beziehungen zwischen den USA und der Sowjetunion rapide und der Transfer von Erbschaften zwischen beiden Ländern kam zum Erliegen. Damit begann ein gut fünfzig Jahre andauernder Zeitraum, in dem die Regierungen der drei Länder zur Demonstration und Durchsetzung ihrer außenpolitischen Interessen Erbtransfers aus ihrem eigenen Staat an Erben in anderen Ländern erschwerten, verzögerten und häufig auch komplett verboten und blockierten oder, genau umgekehrt, diese Blockaden zu durchbrechen versuchten. Je nach Stand der politischen Beziehungen zwischen zwei Ländern fielen diese Eingriffe in Erbübertragungen – die von allen Regierungen längst nicht mehr als rein private Familienangelegenheiten, sondern auch als Teil ihrer Außenpolitik betrachtet wurden – mehr oder weniger strikt aus. Dadurch kam es einerseits zu tiefgehenden staatlichen Einschnitten und Unterbrechung des Familienprinzips in Erbangelegenheiten. Andererseits entstanden neue Strukturen und Akteure, die Erbtransfers trotz aller politischen Hindernisse ermöglichen sollten und die weiterhin auf Erbübertragungen in der Familie ausgerichtet waren. 4.1 Erbtransfers zwischen Deutschland und der Sowjetunion Zwischen Deutschland und Russland wurden seit dem Herbst 1914 keine Erbschaften mehr transferiert. Dies änderte sich weder durch die Oktoberrevolution noch durch die Gründung der Weimarer Republik wesentlich. Die Bolschewiki verboten mit dem Dekret von April 1918 auch sämtliche Erbtransfers über die Staatsgrenzen hinweg. Von diesem strikten Verbot von grenzüberschreitenden Erbübertragungen gab es zunächst lediglich zwei kleine Ausnahmen. Während des russischen Bürgerkriegs gelang es schwedischen und US-amerikanischen Behörden sowie nichtstaatlichen Organisationen wie dem Internationalen Roten Kreuz und dem deutschen Reichswanderungsamt, Nachlässe aus den Gebieten Russlands, die noch nicht unter völliger Kontrolle der Bolschewiki standen, ins Ausland zu transferieren. Dabei handelte es sich überwiegend um kleinere Nachlässe in Form von persönlichen Papieren und Wertgegenständen, die in Paketen auch an Erben

614 Daniela Luigia Caglioti, Property rights in time of war. Sequestration and liquidation of enemy aliens’ assets in Western Europe during the First World War, in: Journal of Modern European History 12 (2014), H. 4, S. 523–545; Caglioti, Property Rights; Lohr, Nationalizing.

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Vermögen umverteilen. Revolutionen, Reformen und Reaktionen

in Deutschland verschickt wurden.615 In wenigen anderen Fällen wich die sowjetische Führung selbst aus ideologischen Überzeugungen von ihrem ideologisch motivierten totalen Erbverbot ab. Die Bolschewiki unterstützten Nachlasstransfers aus der Sowjetunion an Personen in Deutschland, wenn es sich bei den Erblassern um Kommunisten handelte. Dies war unter anderem bei Fridolin L. der Fall, einem Deutschen und Mitglied der KPD, der Anfang der 1920er Jahre in der Sowjetunion verstarb und dessen Habseligkeiten die sowjetische Regierung an seine Erben in Deutschland verschickte.616 In diesem frühen Beispiel deutet sich zugleich eine Logik an, die für die Aufweichung des Erbverbots in der Sowjetunion der 1930er Jahre noch eine wichtige Rolle spielen sollte: die Privilegierung von Erbtransfers unter Kommunisten. Mit dem Vertrag von Rapallo (1922) und dem deutsch-russischen Nachlassabkommen vom 12. Oktober 1925 ergaben sich ab Mitte der 1920er Jahre für kurze Zeit wieder größere Handlungsspielräume für den Transfer von Erbschaften zwischen der Sowjetunion und Deutschland.617 Zudem erlaubte die sowjetische Regierung im Rahmen ihrer Neuen Ökonomischen Politik wieder Erbtransfers, um die Wirtschaft anzukurbeln und nicht zuletzt um an Erbschaften aus dem Ausland zu gelangen. Denn aufgrund der Migrationsbewegungen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, in denen weit mehr Menschen aus dem Zarenreich und der frühen Sowjetunion in westliche Länder geflohen und migriert als umgekehrt aus westlichen Ländern in die Sowjetunion eingewandert waren, benachteiligten die gegenseitigen Blockaden Erben in der Sowjetunion sehr viel stärker als Erben in Deutschland und den USA.618 Zahlreiche Bewohner der Sowjetunion hatten Familienmitglieder im Ausland, von denen sie eine größere Erbschaft erwarten konnten, während umgekehrt nur sehr wenige Amerikaner oder Deutsche auf monetär nennenswerte Erbschaften von Verwandten aus der Sowjetunion hoffen konnten. Schließlich übte die frühe Sowjetunion und das damit verbundene Gesellschaftsprojekt weltweit eine große Faszination auf Sozialisten und Kommunisten aus. Sie begaben sich in die Sowjetunion, um am Aufbau der sozialistischen Gesellschaft mitzuwirken, oder sie bedachten künstlerische oder wissenschaftliche Institutionen in der Sowjetunion in ihrem Testament.619 Die blockierten Erbtransfers benachtei-

615 Abschrift, Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, 14.1.1919, in: BArch, R 906/1733: Auswärtiges Amt, Nachlass des in Reval im Jahr 1913 gestorbenen Graveurs Oskar S. 616 Deutsche Botschaft Moskau an das Auswärtige Amt, 22.1.1925, in: BArch, R 901/2477, Auswärtiges Amt: Verhältnis mit der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik in Nachlassangelegenheiten, Januar 1924 – September 1925, Bd. 2. 617 Reichsgesetzblatt, Teil II, Nr. 1., 13.1.1926, S. 1. 618 Gosewinkel, Schutz; Bade/Oltmer, Normalfall. 619 Cowley, Negotiating, S. 189–195. Für einen ähnlichen Fall vgl. Estate of Gogabashvele, 195 Cal. App. 2d 503, 16 CaL Rptr. 77 (1961).

Umkämpfte Erbschaften – Nachlässe als Gegenstände internationaler Politik

ligten daher in finanzieller Hinsicht nicht nur besonders stark sowjetische Bürger, sondern auch den sowjetischen Staat, dem Einnahmen und Devisen durch die Besteuerung von Erbschaften an sowjetische Bürger sowie Vermächtnisse aus dem Ausland an die Sowjetunion entgingen. Vor diesem Hintergrund gründeten die Bolschewiki im Jahr 1922 mit dem „Kreditbüro“ in Moskau eine Institution, deren Aufgabe darin bestand, hinterlassenes Vermögen aus dem Ausland an Erben in der Sowjetunion zu transferieren. Mit der nationalsozialistischen Regierungsübernahme verschlechterten sich die bilateralen Beziehungen zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion erneut, wovon auch die Erbtransfers zwischen beiden Ländern nicht unberührt blieben. Der Konfrontationskurs des Deutschen Reiches gegenüber der Sowjetunion sowie die offen antislawische und antisemitische Politik der Nationalsozialisten eröffnete deutschen Erben und Rechtsanwälten in Deutschland neue Handlungsräume, wenn es darum ging, Erbschaftstransfers in die Sowjetunion zu verhindern. Beispielhaft zeigt dies der Rechtsstreit um das Erbe einer alleinstehenden und im Jahr 1918 in Stuttgart verstorbenen Frau. Die Erblasserin hatte in ihrem Testament aus dem Jahr 1907 festgelegt, dass ihr Nachlass zu gleichen Teilen unter ihren drei Schwestern aufgeteilt werden solle. Eine ihrer vorverstorbenen Schwestern war mit einem Russen verheiratet gewesen und hatte fünf in Russland lebende Kinder als ihre Nacherben hinterlassen. Die beiden anderen Schwestern lebten in Stuttgart und bemühten sich seit den 1920er Jahren mit Hilfe ihrer Anwälte, die Auszahlung eines Drittels der Erbschaft an ihre in Russland wohnenden Nichten und Neffen zu verhindern. Hierbei half ihnen zunächst, dass seit Beginn des Ersten Weltkriegs keine Erbschaften mehr zwischen Deutschland und Russland transferiert wurden. Dies änderte sich mit dem deutsch-russischen Nachlassabkommen von 1925/26. Die beiden in Deutschland lebenden Schwestern konnten nun nicht mehr auf die Rechtslage verweisen, um den Erbteil ihrer Schwester einzubehalten. Sie änderten daher ihre Strategie und griffen Gerüchte auf, nach denen der sowjetische Staat alle Erbschaften konfiszieren würde. Diese Strategie ermöglichte es den beiden Schwestern, den Erbtransfer zu verzögern. Bis Mitte der 1930er Jahre begründeten ihre Anwälte dem Auswärtigen Amt gegenüber ihre Weigerung, den Erbteil der dritten Schwester an die Verwandten in der Sowjetunion zu übertragen, mit dem Argument, dass Personen in der Sowjetunion ihr Erbe nicht erhielten. Es wäre für die in Stuttgart zurückgebliebenen Familienangehörigen der Erblasserin wie für Letztere selbst unerträglich, wenn hier Familienschmuck und Familienandenken dem russischen Staat ausgeliefert werden müssten, wo doch keinerlei praktische Möglichkeit

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Vermögen umverteilen. Revolutionen, Reformen und Reaktionen

besteht, selbst wenn die russischen Erben auch juristisch geerbt hätten, ihnen diesen irgendwie ohne Gefahr für den Nachlaß zukommen zu lassen.620

Endgültig entschied sich der Fall im Jahr 1936. Das zuständige Amtsgericht nahm eine Neubewertung der Erbangelegenheiten nach nationalsozialistischer Rechtsauffassung vor und urteilte, dass der Nachlass nur unter den in Deutschland lebenden Erben zu verteilen sei. Unter Bezug auf diese Entscheidung teilten die Anwälte der deutschen Erben dem Auswärtigen Amt mit, dass ihre Mandanten den Erbteil ihrer Schwester einbehalten und kein Vermögen in die Sowjetunion überweisen würden: Erben können nur die deutschen Erben oder die russischen ,Erben‘, d. h. der russische Staat sein. Da der letztere bei nationalsozialistischer Rechtsauffassung und Weltanschauung dies niemals sein kann, so muß der in Pflegschaft genommene Nachlaßanteil den deutschen Erben zufallen. Die Pflegschaft länger aufrecht zu erhalten, ist wirtschaftlich unsinnig. Eine etwaige Pflegschaft, die praktisch einer Enterbung der deutschen Erben gleichkäme, ist nicht vertretbar, zumal es sich doch vorliegendenfalls zu einem erheblichen Teil um Familienschmuck und Familienandenken handelt, die im Besitze der deutschen Erben bleiben sollen, zumal die Erblasserin bis zu ihrem Tode von ihrer Schwester und ihren Nichten betreut und mit diesen in einem Haushalt zusammengewohnt hat.621

Ähnlich wie in anderen deutsch-sowjetischen Erbstreitigkeiten behauptete die deutsche Seite somit noch im Jahr 1936, dass Personen in der Sowjetunion ihr Erbe ohnehin nicht erhalten würden. Zusätzlich verwiesen sie auf ältere Erbtraditionen und das „Rechtsempfinden“ der Bevölkerung, wenn es darum ging, Erbschaften nicht ins Ausland zu transferieren. Schließlich hoben die Anwälte die besondere, räumlich-persönliche Nähe der in Deutschland lebenden Schwestern zur Erblasserin und deren erbrachte Pflegeleistungen hervor sowie die große ideelle und emotionale Bedeutung von Familienerbstücken, die in der vor Ort verwurzelten Familie bleiben sollten. Juristisch gesehen war diese Argumentation nicht hieb- und stichfest, und so verwundert es wenig, dass sich der Botschafter der UdSSR im Januar 1937 beim Auswärtigen Amt darüber beschwerte, dass deutsche Amtsgerichte und Testamentsvollstrecker immer wieder Nachlässe aufteilen würden, ohne sowjetische Behörden ausreichend zu informieren und einzubeziehen, wodurch Personen in der Sowjet-

620 Dr. Heine u. a. Rechtsanwälte an das Auswärtige Amt, 18.9.1936, in: BArch, R 3001/20748, Verfahren in Nachlass- und Teilungsfragen, Oktober 1934–Mai 1939. 621 Dr. Heine u. a. Rechtsanwälte an das Auswärtige Amt, 18.9.1936, in: BArch, R 3001/20748, Verfahren in Nachlass- und Teilungsfragen, Oktober 1934–Mai 1939.

Umkämpfte Erbschaften – Nachlässe als Gegenstände internationaler Politik

union regelmäßig ihr rechtmäßiges Erbe vorenthalten werde.622 An der konkreten Praxis änderte die Intervention des sowjetischen Botschafters wenig. Stattdessen führte der Angriff des nationalsozialistischen Deutschlands auf die Sowjetunion wenige Jahre später im Juni 1941 dazu, dass erneut für knapp zwei Jahrzehnte keine Erbschaften zwischen beiden Ländern transferiert wurden. Erst Ende der 1950er Jahre unternahm die Sowjetunion erste Schritte, um transnationale Erbtransfers ins europäische Ausland zu erleichtern. Die UdSSR erneuerte oder schloss neue Abkommen mit Frankreich (erneuert von 1936), Griechenland (1956) und Österreich (1959).623 In diesem Zusammenhang unterzeichnete sie im Jahr 1959 auch ein Abkommen mit der Bundesrepublik Deutschland, in dem sich beide Länder zur gegenseitigen Amtshilfe bei transnationalen Erbfällen und auf Maßnahmen zur Erleichterung von grenzüberschreitenden Erbübertragungen einigten.624 4.2 Erbtransfers zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten Erbtransfers in der Weimarer Republik

Die durch den Ersten Weltkrieg ausgelösten Blockaden von Erbtransfers betrafen auch Erbübertragungen zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland. Mit dem 1917 erfolgten Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg stoppten beide Staaten Erbtransfers zwischen ihren Ländern und stellten Erbschaften als feindliches Privatvermögen, als enemy property unter staatliche Zwangsverwaltung. Diese während des Krieges von beiden Staaten durchgeführten Blockaden hielten die USA bis Anfang der 1920er Jahre aufrecht. Am 8. Dezember 1923 unterzeichneten beide Staaten dann einen Handels- und Freundschaftsvertrag, in dem sie in Artikel IV den Angehörigen beider Nationen das Recht zugestanden, ihren Nachlass an Personen im jeweils anderen Land zu vermachen beziehungsweise Erbschaften aus dem jeweils anderen Land zu erhalten. Die rechtliche Grundlage hierfür bildete jeweils das Erbrecht des Landes respektive Bundesstaates, in dem der Erblasser seinen Wohnsitz gehabt hatte. Kurz danach nahm im Oktober 1924 die Mixed Claim Commission ihre Arbeit auf, die unter anderem der Bearbeitung deutsch-US-

622 Verbalnote der Botschaft der UdSSR an Auswärtiges Amt, 22.1.1937, in: BArch, R 3001/20748, Verfahren in Nachlass- und Teilungsfragen, Oktober 1934–Mai 1939. 623 Lunz, Erbrecht, S. 269–306; W. Reece Bader/Peter O. Brown/Kazimierz Grzybowski, Soviet Inheritance Cases in American Courts and the Soviet Property Regime, in: Duke Law Journal 98 (1966), S. 98–116, S. 111. 624 Bundesgesetzblatt, Teil II, Nr. 11, 21.3.1959, S. 233ff.

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amerikanischer Nachlässe dienen sollte, die während des Kriegs angefallen, aber noch nicht transferiert worden waren.625 Innerhalb kürzester Zeit nahmen daraufhin auf beiden Seiten des Atlantiks staatliche Institutionen und private Dienstleister ihre Tätigkeiten wieder auf.626 Der US-amerikanische Treuhänder für beschlagnahmte Erbschaften, der Alien Property Custodian, teilte im Herbst 1926 dem deutschen Generalkonsulat in New York mit, „dass er noch 28.000 Freigabeanträge zu erledigen habe, die er der Reihe nach bearbeite, soweit sich dies mit dem geringen Personalbestand durchführen lasse“.627 Von deutscher Seite aus betrieben neben den Botschaften, dem Auswärtigen Amt und der Reichsstelle für Nachlassangelegenheiten unter anderem der Bund der Auslandsdeutschen, der Hansabund, die Girozentrale, zahlreiche Erbschaftsbüros sowie deutsch-amerikanische Banken, Treuhänder und Anwaltskanzleien in regem Wetteifer geschäftlich die Ermittlung von Erben und den Transfer von Erbschaften.628 In Frankfurt am Main hatten sich unter anderem die Rechtsanwälte Dr. Ernst De La Fontaine, Ernst Kurt Gramlich, Dr. Fritz Mertens & Dr. Georg Mayer sowie Dr. jur. Wilhelm Remmert auf Nachlasstransfers zwischen den USA und Deutschland spezialisiert. Das US-amerikanischen Konsulat in Frankfurt empfahl sie als Ansprechpartner und Mittelsmänner bei transnationalen Erbangelegenheiten.629 Von diesen transferierte alleine die Reichstelle für Nachlassangelegenheiten zwischen dem 1. Januar 1924 und dem 30. Juni 1927 Erbschaften in Höhe von insgesamt etwa 20 Millionen RM aus dem Ausland an Erben in Deutschland. Der größte Teil davon, etwa 18 Millionen, war dabei aus den Vereinigten Staaten gekommen.

625 Treaty of Friendship, Commerce and Consular Rights, in: U.S. Diplomatic Mission to Germany, https://usa.usembassy.de/etexts/friendtreaty0139.htm (letzter Zugriff 9.1.2019). 626 Bureau of Enemy Trade to State Department, 7.6.1919, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Central Decimal File, 1910–1929, 311.623/248 to 311.623 K 54, Box 3654; Mixed Claims Commission. United States and Germany, Administrative Decision No. IV dealing with Estate Claims, October 2, 1924, in: BArch, R 901/23116, Die Verhältnisse mit den Vereinigten Staaten von Amerika in Nachlassangelegenheiten, Dezember 1922–Dezember 1926; HHStAW, 469/6, 35 VI 257/25 K. 627 Reichsstelle für Nachlässe und Nachforschungen im Ausland an das Auswärtige Amt, 5.10.1926, in: BArch, R 901/23116, Die Verhältnisse mit den Vereinigten Staaten von Amerika in Nachlassangelegenheiten, Dezember 1922–Dezember 1926. 628 Klemann, Aufzeichnung, 31.5.1923, in: BArch, R 906/1778: Auswärtiges Amt, Übersichten der aus dem Ausland überwiesenen Nachlässe, März 1920–April 1928. Vgl. auch Weniger & Walter, Inc. an Eugen Hoerner G.m.b.H., Betreff: Vermögensverwaltung Haug, 8.7.1940, in: RG 131, Office of Alien Property, Department of Justice/Office of Alien Property/Overseas Office, Entry P 100: Reciprocal Rights of Inheritance Under German Law Files: 01/01/1941–12/31/1954, Hoerner Files THRU Reciprocal Rights of Inheritance, Box 17. 629 Law Offices Groman & Rapoport to State Department, 9.7.1940, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal Files, 1940–44, 311.623/604 to 311.623/850, Box 1062.

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Umgerechnet zahlte die Reichsstelle jährlich Nachlasswerte von insgesamt mehr als einer Million Dollar an deutsche Erben aus.630 Diese Summen an übertragenen Erbvermögen verweisen einerseits darauf, dass nach einer mehrjährigen Unterbrechung Nachlässe wieder zwischen den USA und Deutschland überwiegend innerhalb von Verwandtschaftsnetzwerken übertragen wurden. Andererseits dürfen diese transnationalen Transfers nicht darüber hinwegtäuschen, dass der innerfamiliale, grenzüberschreitende Erbübertrag keineswegs in allen Erbfällen gelang. Die an Erbübertragungen beteiligten Akteure sahen sich mit einer ganzen Reihe an Problemen konfrontiert, die den Erbübertrag erschwerten oder scheitern ließen. Ähnlich wie vor dem Krieg gab es weiterhin Schwierigkeiten bei der Ermittlung von Erben. Im Fall des im Jahr 1912 in den USA verstorbenen John S. hatte der zuständige Administrator bereits vor dem Krieg herausgefunden, dass sein Klient als Johan K. geboren worden war und er seinen Namen nach seiner Ankunft in den USA geändert hatte. Gleichwohl gestaltete sich die Suche nach dessen zwei Erben nach dem Krieg schwierig, da einer von ihnen nun im neu gegründeten polnischen Staat wohnte und der Administrator überdies dem Erbenermittler in Deutschland, den er mit der Suche beauftragt hatte, noch falsch geschriebene Ortsnamen an die Hand gegeben hatte. Deswegen verliefen dessen erste Recherchen ergebnislos, ehe er die Erben ausfindig machen und ihnen den Nachlass im Wert von 1400 Dollar ausbezahlen konnte.631 Waren die rechtmäßigen Erben ermittelt, konnten sie häufig nicht die für den ordnungsgemäßen Vermögensübertrag notwendigen Eigentums- oder Personenstandsurkunden vorweisen. Im Erbfall Anna A. beschwerte sich der zuständige Executor beim State Department über das New Yorker Nachlassgericht. Dieses weigere sich, Erbübertragung an die Erben in Deutschland zu genehmigen, da er nur Kopien anstatt der verlangten Originaldokumente vorlegen könne. Die Originaldokumente habe er vor dem Krieg an die deutschen Erben zur Unterschrift geschickt und diese hätten sie während des Krieges verloren. Die Originale seien nicht mehr zu beschaffen, was aus seiner Sicht aber angesichts der Umstände für das Gericht kein Grund sein dürfe, die Freigabe des Nachlasses zu verweigern.632 In anderen Fällen waren die Erben während der Blockadezeit verstorben. Für die mit transnationalen Erbtransfers beauftragten Institutionen bedeutete dies einen

630 Reichsstelle für Nachlässe und Nachforschungen an den Herrn Präsidenten des Statistischen Reichsamtes, 15.7.1927, in: BArch, R 906/1778, Auswärtiges Amt, Übersichten der aus dem Ausland überwiesenen Nachlässe, März 1920–April 1928. 631 Gerard P. Olson to Secretary of State, 28.7.1920, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Central Decimal File, 1910–1929, 311.623/248 to 311.623 K 54, Box 3654. 632 Bureau of Enemy Trade to State Department, 7.6.1919, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Central Decimal File, 1910–1929, 311.623/248 to 311.623 K 54, Box 3654.

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großen zusätzlichen Aufwand. Sie mussten nun die Erben der verstorbenen Erben ebenso ermitteln wie den Verbleib der ursprünglichen Erbschaft.633 Die AmerikaAbteilung des „Bundes der Auslandsdeutschen“ beschrieb ihre Erfahrungen mit derartigen Fällen im Jahr 1926 wie folgt: Je länger sich die Freigabe der beschlagnahmten Vermögen hinzieht, umso häufiger ereignet es sich, daß dieselben durch Ableben der ursprünglichen Eigentümer den Besitzer wechseln, was nicht nur in jedem einzelnen Falle ein kompliziertes Verfahren zum Nachweis der Erbberechtigung gegenüber dem amerikanischen Treuhänder zur Folge hat, sondern bisher auch eine, zuweilen nicht unerhebliche Verminderung des Vermögens durch die amerikanische Nachlaßsteuer verursachte.634

In dieser Situation, als Erbtransfers Anfang der 1920er Jahre wieder erlaubt wurden, sich deren Transfer aber immer wieder als schwierig herausstellte, erinnerten sich aufgrund von Inflation und Arbeitslosigkeit in wirtschaftliche Not geratene Personen ihrer schon länger – zum Teil vor über 100 Jahren – in den USA verstorbenen (angeblichen) Verwandten und begannen mit der Suche nach diesen Erbschaften. Der Erhalt von Erbschaften in „harten Dollar“ gewann für sie als Möglichkeit des Vermögenserwerbs enorm an Bedeutung. Viele Erben wandten sich an auf transnationale Erbtransfers spezialisierte Rechtsanwälte oder deutsche beziehungsweise amerikanische Auslandseinrichtungen und beschrieben ihnen in Briefen, dass sie in Armut lebten und welche Erleichterung die Auszahlung der Erbschaft für sie bedeuten würde, sei es, um die Kinder während des nächsten Winters ernähren zu können oder um eine traurige Zukunft abzuwenden.635 Vereinzelt betonten die Schreiber zudem gegenüber dem State Department, dass sie keineswegs immer mit der deutschen Politik einverstanden gewesen und sie freiheitlich und demokratisch eingestellt seien.636 Erben baten das State Department, deutsche Konsulate,

633 Frank J. Jones to State Department, 21.11.1921, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Central Decimal File, 1910–1929, 311.623/248 to 311.623 K 54, Box 3654; o. A., Die Nachlaßsteuer vom beschlagnahmten Eigentum in Amerika, in: Industrie- und Handelszeitung, 13.5.1926; Fürst & Alexander an Reichsjustizamt, 28.4.1921, in: BArch, R 3001/1529, Reichsjustizministerium: Eingaben in Erbschaftsangelegenheiten, Dezember 1900–Dezember 1926. 634 Die Nachlaßsteuer vom beschlagnahmten Eigentum in Amerika, in: Industrie- und Handelszeitung, 13.5.1926. Vgl. auch Bay. HStA, MJu 16313, Rechtsverkehr mit dem Auslande, Latto Maria, Nachlass, 1912–1925. 635 Department of State to Law Offices Groman & Rapoport, Allentown, Pa., 23.7.1940, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal Files, 1940–44, 311.623/604 to 311.623/ 850, Box 1062; Informationsblatt, „Aufzeichnung über die Verfolgung von Rechtsansprüchen im Staate New York“, ohne Datum, in: HHStAW, 460/964, Geschäfte mit den USA. 636 Simon Meinel to State Department, 7.8.1923, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, 1910–1929, Decimal Files, 311.623 M 24 to 311.624 W 95, Box 3655; Maria Krumm to

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Banken oder Rechtsanwälte blockierte Erbtransfers wieder zu genehmigen, sich verzögernde Erbtransfers zu beschleunigen oder bei der Beschaffung von Dokumenten behilflich zu sein. Während der Weltwirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre berichtete das Generalkonsulat in diesem Zusammenhang an das Auswärtige Amt: Mit der steigenden Not daheim wächst hier seit einiger Zeit die Anfrage in Erbschaftssachen. In den letzten Monaten ist ein ganz plötzliches Steigen der Erkundigungen festzustellen. An einem Tage allein lagen hier etwa 20 Anfragen vor, die sich ausnahmslos auf jahrzehntelange zurückliegende Fälle bezogen, die sämtlich bereits abschliessend behandelt worden waren. Es ergab sich die merkwürdige Erscheinung, dass wie in den schlimmsten Tagen der Inflation die Mehrzahl dieser Anfragen ebenfalls wiederholt veraltet waren und völlig verneinend hatten beantworten werden müssen.637

In den Akten des State Department finden sich für diesen Zeitraum zahlreiche Briefe, in denen sich Personen aus Deutschland über mögliche Erbansprüche auf den Nachlass meist schon länger verstorbener (vermeintlicher) Verwandter erkundigten und in denen sie das State Department um Hilfe bei der Wahrnehmung dieser Ansprüche baten. Unter anderem erkundigte sich die Urenkelin des bereits 1864 in den USA verstorbenen Urgroßvaters beim State Department erneut über den Verbleib von dessen Erbe und fragte, ob dieses nicht an sie ausbezahlt werden könne.638 Eine in Deutschland lebende Witwe eines US-Amerikaners fragte 20 Jahre nach dessen Tod erneut bei der Fraternal Legion, einer Sterbekasse in Baltimore, an, ob sie ihr nicht die Versicherungssumme ihres Mannes von 1.000 Dollar auszahlen könne, da sie in großer Armut lebe.639 Diese Anfragen sind einer-

Secretary of State, 15.2.1923, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, 1910–1929, Decimal Files, 311.623 M 24 to 311.624 W 95, Box 3655. Eduard Mager to State Department, 29.11.1922, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, 1910–1929, Decimal Files, 311.623 M 24 to 311.624 W 95, Box 3655. 637 Generalkonsulat San Francisco an Auswärtiges Amt, 7.8.1931, in: BArch, R 901/22944, Auswärtiges Amt, die Verhältnisse mit den Vereinigten Staaten von Amerika in Nachlassangelegenheiten, 1. Januar 1930 bis Juli 1932, Bd. 2. 638 Evelyn Bentz to Secretary of State, 27.9.1927, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Central Decimal File, 1910–1929, 311.623/248 to 311.623 K 54, Box 3654. 639 Elfriede Beyer to State Department, 18.10.1928, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal Files, 1910–1929, 311.623 M 24 to 311.624 W 95, Box 3655; Eduard Mager to State Department, 29.11.1922, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal Files, 1910–1929, 311.623 M 24 to 311.624 W 95, Box 3655. Vgl. auch W. Krohn an State Department, 21.1.1922, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Central Decimal File, 1910–1929, 311.623/248 to 311.623 K 54, Box 3654. Für ein Beispiel aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg vgl. Rechtsabteilung der Firma August Reiners & Co an High

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seits ein Produkt der wirtschaftlichen und sozialen Umwälzungen in der Weimarer Republik, die Menschen in Notlagen nach jeder Chance greifen ließen. Andererseits schimmert in ihnen aber auch die sich im 19. Jahrhundert herausbildende Vorstellung vom „reichen Onkel aus Amerika“ durch, von dem eine große und überraschende Erbschaft zu erwarten sei.640 Die Notlage großer Bevölkerungsteile und populäre Narrative von überraschenden Millionenerbschaften sowie die Hoffnungen auf unerwartete Auswege aus Armut und Hunger bereiteten zugleich einer Anfang der 1920er Jahre über Deutschland hinwegrollenden Welle an Erbbetrügereien den Boden. Noch deutlich zahlreicher als die Eingaben von Erben in konkreten Erbfällen waren beim State Department oder bei den deutschen Behörden nämlich Eingaben von Personen, die sich aufgrund von Erbengesuchen in Zeitungsanzeigen oder im Rundfunk oder lediglich aufgrund von Gerüchten meldeten und um Unterstützung bei der Wahrnehmung von Ansprüchen auf ein angebliches Millionenerbe baten, oder aber auch von Personen, die bereits auf Betrüger hereingefallen waren und nun um Hilfe und Unterstützung bei der Ergreifung der Täter und der Rückerstattung ihrer Auslagen baten.641 Besonders dreist und erfolgreich ging in dieser Hinsicht der angebliche US-amerikanische Staatsangehörige C. R. de Min vor, der im Jahr 1928 zunächst im Raum Köln an „die verschiedensten Behörden des Reichs und der Länder, Pfarrämter und nichtstaatliche Stellen“ mit der Bitte herantrat, „Nachforschungen nach den Erben des aus den amerikanischen Freiheitskriegen bekannten Generals von Steuben“ durchzuführen. Darüber hinaus setzte er sich mit verschiedensten Personen mit dem Nachnamen Steuben, Stöbe, Steube und ähnlichen Varianten des Nachnamens in Verbindung und bot diesen an, ihnen für die Vorauszahlung von 50 bis 150 RM einen „rechtsgültigen Stammbaum“ zu erstellen. Im Dezember 1928 nahmen die Beschwerden über de Mins Betrügereien ein solches Ausmaß an, dass das Auswärtige Amt sämtliche Landesregierungen und das Preußische Innenministerium über den Betrüger informierte und dessen Verhaftung und

Commissioner, 13.10.1951, in: NARA, RG 260, Records of United States Occupation Headquarters, World War II, Office of Military Government for Germany, OMGUS, The Legal Devision, Box 931. 640 Bay. HStA, MJu 16313, Rechtsverkehr mit dem Auslande, Latto, Maria, Nachlass, 1912–1925; Der Erbonkel aus Amerika, in: Stuttgarter Neues Tageblatt, 9.7.1931. 641 Franz Kaspar Werb an das Auswärtige Amt, 3.12.1922, in: Bay. HStA, MA 101117/2: Millionen (Schwindel-)Erbschaft; Christian Dittmar an den Reichspräsidenten, Meimbressen, den 19.2.1931, in: HStAM, 180 Hofgeismar, 3992, Erbschaftsangelegenheiten 1929–1944; Auswärtiges Amt an Reichsminister der Justiz, 27.12.1928, in: BArch, R 3001/1528, Reichsjustizministerium: das Erbrecht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch, Januar 1912–Februar 1934; Jacob Wittmann to Department of State, 9.11.1925, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal Files, 1910–1929, 311.623 M 24 to 311.624 W 95, Box 3655; Bay. HStA, MJu 16314, Bruchner, Johann Wolfgang, Verlassenschaft.

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Ausweisung anordnete.642 Auch in anderen Fällen warnten kommunale Behörden und übergeordnete staatliche Einrichtungen in Deutschland und in den USA in Zeitungsanzeigen und Rundbriefen vor Erbschleichern und wiesen darauf hin, dass es die angeblichen Millionenerbschaften, die nur auf die rechtmäßigen Erben warteten, nicht gab.643 Staatliche Institutionen und ihre Mitarbeiter waren in den 1920er Jahren allerdings nicht nur Akteure im Kampf gegen Betrüger, sondern, wie eine ganze Reihe an Skandalen rund um deutsche Auslandsvertretungen bekannt machte, zum Teil selbst Teil betrügerischer Netzwerke: In San Francisco wurde eine Kanzlei beschuldigt, die seit zwei Generationen mit dem dortigen Konsulat zusammenarbeitete, bei Erbtransfers nach Deutschland regelmäßig einen Teil der Erbschaft unterschlagen zu haben.644 Das Deutsche Konsulat in New Orleans überführte einen Mitarbeiter und einen von diesem regelmäßig empfohlenen Anwalt des mehrfachen Betruges. Über mehrere Jahre hatte der Anwalt Erben nicht nur zu hohe Gebühren berechnet, sondern insgesamt auch über 10.000 Dollar an Nachlassvermögen veruntreut.645 Erst im Laufe der 1930er Jahre gingen die staatlich registrierten (versuchten) Betrugsfälle zurück.646 Bis dahin sahen sich die mit Erbübertragungen beschäftigten staatlichen und privaten Akteure nicht nur vor die Aufgabe gestellt, Erben und Besitzurkunden zu ermitteln, sondern auch, seriöse Anfragen von betrügerischen zu unterscheiden. Die staatlichen Institutionen, Konsulate, Botschaften und Mitarbeiter im Auswärtigen Amt waren unter diesen Bedingungen nicht auf die Bearbeitung der Erbschaften vorbereitet, die sich angesammelt hatten. In zahlreichen Berichten an das Auswärtige Amt beklagten die deutschen Auslandsvertretungen, dass ihnen 642 Auswärtiges Amt an Reichsminister der Justiz, 27.12.1928, in: BArch, R 3001/1528, Reichsjustizministerium: das Erbrecht nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch, Januar 1912–Februar 1934. 643 Prozeß um eine indische Millionenerbschaft. Merkwürdiger Betrugsfall vor dem Münchner Gericht, in: Münchner Telegramm Zeitung, 14.4.1932. Presseausschnitte finden sich auch in American Consulate General (Frankfurt am Main) to Secretrary of State, 19.6.1939, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal File 1930–1939, 311.6213 to 311.623 Kissling Estate, Box 1228; Generalkonsulat San Francisco an Auswärtiges Amt, 27.12.1930, in: BArch, R 901/22944, Auswärtiges Amt, die Verhältnisse mit den Vereinigten Staaten von Amerika in Nachlassangelegenheiten, 1. Januar 1930 bis Juli 1932, Bd. 2; Bay. HStA, MJu 16311, Renner-Reiner-Reinhard Nachlass, Großbritannien 1869–1939. 644 Deutsches Generalkonsulat, San Francisco an das Auswärtige Amt, 23.4.1932, in: BArch, R 901/ 22917, Die Verhältnisse mit den Ver. Staaten von Amerika in Nachlaßangelegenheiten, von Juli 1932 bis September 1932, Bd. 3. 645 Deutsches Konsulat New Orleans an das Auswärtige Amt, 24.6.1927, in: BArch, R 901/23125, Auswärtiges Amt, Beschwerde des Johann Helmbrecht. 646 Runderlass des Ministers der Justiz vom 12.12.1928 – I N St 14 VII, An sämtliche Behörden, in: HStAM, 180 Hofgeismar, 3992, Erbschaftsangelegenheiten 1929–1944; Justizministerialblatt, 21. Jan. 1931, Nr. 26, S. 39.

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aus den „vielfach besonders schwierigen Nachlaßsachen […] eine außerordentliche Mehrarbeit erwachsen“647 würde. Alleine die Korrespondenz mit den Erben und die Übersetzung notwendiger Dokumente band aus Sicht der Konsulate sehr viele Ressourcen.648 Das Deutsche Konsulat in Cleveland kritisierte darüber hinaus, dass die privaten Erbenermittler hauptsächlich die einfachen Erbfälle bearbeiten würden, während die komplizierten von den Konsulaten übernommen werden müssten: [Private Firmen hätten, J. D.] erfahrungsgemäß nur an den Sachen Interesse, die wirklich Geld einbringen. Kleine Nachlasssachen oder juristisch komplizierte Fälle bei relativ bescheidener Erbmasse überlassen sie gern den Konsulaten. Infolgedessen muß der Konsularanwalt, der nach den Abmachungen mit den amtlichen Vertretungen gehalten ist, alle Sachen zu übernehmen, vielfach gerade auf solche Erbschaften Mühe und Arbeit verwenden, die nicht in Einklang mit seiner Verdienstchance stehen, während ihm die großen, ertragreichen Fälle aus den weiter oben angeführten Gründen entgehen.649

Vor diesem Hintergrund – als es wieder zu Erbtransfers zwischen den USA und Deutschland kam, sich deren Bearbeitung aber immer wieder als schwierig und zeitintensiv herausstellte – setzte Anfang der 1920er Jahre im Auswärtigen Amt eine Diskussion darüber ein, wie sich Erbschaften am effizientesten und sichersten für deutsche Erben aus dem Ausland nach Deutschland transferieren ließen. Auf der einen Seite forderten die Generalkonsulate in San Francisco und in Chicago sowie Mitarbeiter im Auswärtigen Amt eine Zentralisierung der mit transnationalen Erbangelegenheiten befassten staatlichen Institutionen und eine umfassendere und stärkere staatliche Kontrolle aller Nachlassübertragungen. Dadurch sollten Betrügereien verhindert und die Erbrechte deutscher Bürger geschützt werden. Zusätzlich argumentierten sie, dass nur so gewährleistet sei, dass alle Erben auch ihre Steuern zahlen würden. Denn bei den von privaten Büros durchgeführten

647 Klemann, Aufzeichnung, 31.5.1923, in: BArch, R 906/1778, Auswärtiges Amt, Übersichten der aus dem Ausland überwiesenen Nachlässe, März 1920–April 1928. 648 Deutsches Generalkonsultat Chicago an die Deutsche Botschaft, 26.4.1932, in: BArch, R 901/22917, Die Verhältnisse mit den Ver. Staaten von Amerika in Nachlaßangelegenheiten, von Juli 1932 bis September 1932, Bd. 3. 649 Deutsches Konsulat Cleveland zum Bericht der Deutschen Botschaft, Washington, 11.7.1932, in: BArch, R 901/22917, Die Verhältnisse mit den Ver. Staaten von Amerika in Nachlaßangelegenheiten, von Juli 1932 bis September 1932, Bd. 3. Ähnliches berichteten die Konsulate in Chicago und San Francisco: Deutsches Generalkonsulat Chicago an das Auswärtige Amt, 26.4.1932, in: BArch, R 901/22917: Die Verhältnisse mit den Ver. Staaten von Amerika in Nachlaßangelegenheiten, von Juli 1932 bis September 1932, Bd. 3; Generalkonsulat San Francisco an Auswärtiges Amt, 22.1.1932, in: BArch, R 901/22944, Auswärtiges Amt, die Verhältnisse mit den Vereinigten Staaten von Amerika in Nachlassangelegenheiten, 1. Januar 1930 bis Juli 1932, Bd. 2.

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Erbübertragungen sei keineswegs gesichert, dass die Nachlassempfänger auch Steuern entrichten würden. Unter anderem das Generalkonsulat in Chicago vermutete sogar, dass manche Familien bewusst auf die Dienste privater Banken zurückgreifen würden, um Steuern zu sparen.650 Auf der anderen Seite verwiesen die Gegner eines stärkeren staatlichen Engagements und Eingriffs in transnationale Erbangelegenheiten auf die fehlenden administrativen Kapazitäten der Konsulate und Botschaften. Diesen würden sowohl die finanziellen Ressourcen als auch das nötige fachkundige Personal fehlen, um alle anfallenden Erbtransfers zu erfassen und zu bearbeiten. Der Klemann-Bericht hielt in diesem Sinne fest: Es liegt aber für das Auswärtige Amt durchaus kein Grund vor, auf diesem Gebiet eine Ausdehnung der Tätigkeiten unserer Konsulate, die an und für sich schon überlastet sind und für die aus der Freigabe der deutschen Vermögen eine außerordentliche Mehrarbeit erwachsen wird, irgendwie hinzuwirken; vielmehr erscheint es angezeigt, die konsularische Vermittlung möglichst auf solche Fälle zu beschränken, wo ein amtlich zu beachtendes Interesse vorhanden ist.651

Dies, so fährt der Bericht fort, seien Fälle, in denen deutsche Erben um staatliche Vermittlung bäten, wenn es offensichtlich sei, dass sie betrogen wurden, und wenn die Angelegenheiten über Konsularanwälte abgewickelt werden mussten. Klemann und andere Gegner einer staatlichen Aufgabenerweiterung plädierten dafür, Konsulate nur bei wichtigen oder komplizierten Fällen mit dem Transfer zu beauftragen. Darüber hinaus sollten die Konsulate Listen mit vertrauenswürdigen lokalen Rechtsanwälten anfertigen und Erblasser und Erben in einfacheren Fällen an diese verweisen.652 Als Ergebnis dieser Reformdebatte kam es zu einigen wenigen Kompromissen zwischen beiden Gruppen. Den wichtigsten stellte eine in den 1920er Jahren vorge-

650 Deutsches Generalkonsulat Chicago an die Deutsche Botschaft, 26.4.1932, in: BArch, R 901/22917, Die Verhältnisse mit den Ver. Staaten von Amerika in Nachlaßangelegenheiten, von Juli 1932 bis September 1932, Bd. 3; Klemann, Aufzeichnung, 31.5.1923, in: BArch, R 906/1778, Auswärtiges Amt, Übersichten der aus dem Ausland überwiesenen Nachlässe, März 1920–April 1928; Adolf Schmalitz, Staatsbürgerlicher Hilferuf (Denkschrift) 1937, in: BArch, R 3002/109994, Reichsgericht, III. Zivilsenat: Hopfstock / III. 213/1936. 651 Klemann, Aufzeichnung, 31.5.1923, in: BArch, R 906/1778, Auswärtiges Amt, Übersichten der aus dem Ausland überwiesenen Nachlässe, März 1920–April 1928. 652 Deutsches Konsulat Cleveland zum Bericht der Deutschen Botschaft, Washington vom 11.7.1932, 23.4.1932; Deutsches Generalkonsulat, San Francisco an das Auswärtige Amt, 23.4.1932; Deutsches Generalkonsulat Chicago an das Auswärtige Amt, 26.4.1932, alle in: BArch, R 901/22917, Die Verhältnisse mit den Ver. Staaten von Amerika in Nachlaßangelegenheiten, von Juli 1932 bis September 1932, Bd. 3.

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nommene Zentralisierung der Kompetenzen der für transnationale Erbtransfers zuständigen staatlichen Stellen im Auswärtigen Amt dar. Im deutschen Staat übergab die Reichsstelle für das Auswanderungswesen, die unter verschiedenen Namen bis ins Jahr 1924 auch für die Bearbeitung von Nachlass- und Personenstandssachen und für entsprechende Nachforschungen zuständig war, diese Aufgabe zum 1. April 1924 an die neu geschaffene „Reichstelle für Nachlässe und Nachforschungen im Ausland“.653 Drei Jahre später, zum 30. Dezember 1927, löste der Reichspräsident die Reichsstelle wieder auf und übertrug deren Aufgaben dem Reichsminister des Auswärtigen sowie den zuständigen Länderbehörden.654 Transnationale Erbfälle wurden nun wie andere Angelegenheiten mit Auslandsbezug im Auswärtigen Amt koordiniert. Darüber hinaus setzten sich im Wesentlichen die Gegner eines stärkeren Einbezugs staatlicher Stellen in Erbtransfers durch. Im Jahr 1927 teilte das Auswärtige Amt den Konsularbehörden demgemäß als Richtlinie für den Umgang mit transnationalen Erbfällen mit: Die deutschen Konsularbehörden in den Vereinigten Staaten sind wegen starker Geschäftsüberlastung und bei ihrem geringen Personalbestande nicht in der Lage, zugunsten deutscher Erben die gesamte Abwicklung von Nachlässen in den Vereinigten Staaten zu übernehmen. Sie müssen sich in der Regel darauf beschränken, die Erledigung von Nachlass-Sachen geeigneten Rechtsanwälten zu übertragen. Diese werden von ihnen sorgfältig ausgewählt, in der Abwicklung nach Möglichkeit überwacht und im Verkehr mit den deutschen Behörden unterstützt.655

Eine Bearbeitung aller transnationalen Erbtransfers – so die Kernaussage dieser Mitteilung – war angesichts der materiellen und personellen Ressourcen des Staates nicht möglich und nicht erstrebenswert. Stattdessen sollten Erbschaften weiterhin auch mit Unterstützung von privaten Dienstleistern übertragen werden, die der Staat nun besser kontrollieren wollte. Zugleich sollten staatliche Institute diese bei Rechtsfragen und in komplizierten Fällen jederzeit unterstützen. Damit waren nach den Blockadejahren bis Mitte der 1920er Jahre wieder Rahmenbedingungen für transnationale Erbtransfers geschaffen, die Erbfälle wie den von Dorothea N. in Baltimore hervorbrachten. Dabei kam es zwar letztendlich nicht zu einem transnationalen Erbtransfer, dessen Bearbeitung verdeutlicht allerdings paradigmatisch verschiedene Problemlagen und Konfliktmuster, die zu dieser Zeit bei transnationalen Erbtransfers auftraten, sowie die enormen Anstrengungen, die

653 Reichsgesetzblatt, 1924, Teil I, S. 402. 654 Reichsgesetzblatt, 1928, Teil I, S. 4. 655 Auswärtiges Amt an die deutschen Konsularbehörden in den Vereinigten Staaten, 31.8.1927, in: BArch, R 901/23129, Nachlassrecht in Nordamerika, Januar 1927–Dezember 1929.

Umkämpfte Erbschaften – Nachlässe als Gegenstände internationaler Politik

von verschiedenen Akteuren unternommen wurden, um ein Erbe in der Familie zu halten.656 Der Fall Dorothea N.: „Die reiche Nichte aus Amerika“ und die Suche nach verschollenen Erben

Ausgangspunkt des Erbfalls und der folgenden Erbstreitigkeiten um den Nachlass der Dora N. war die Auswanderung der Familie T. aus Deutschland.657 Im Jahr 1869 war der Schneider Heinrich T. in die USA eingewandert, im Jahr 1873 war ihm seine Frau mit den beiden Kindern Wilhelm (William/Willy) und Dorothea (Dora) nach Baltimore gefolgt. Dort wurde noch eine weitere Tochter geboren, die im Jahr 1892 im Alter von 16 Jahren zwei Jahre nach ihrer Mutter verstarb. Wilhelm verließ Baltimore kurz nach der Jahrhundertwende, so dass Heinrich T. allein mit seiner Tochter Dora in der Stadt zurückblieb. Heinrich T. verstarb im Jahr 1915. Seine Tochter Dora betrieb ein kleines Geschäft als Damenschneiderin und heiratete zweimal: Mit George C. war sie bis zu dessen Tod von 1901 bis 1903 verheiratet. Danach heiratete sie im Jahr 1915 erneut. Mit ihrem zweiten Ehemann Edward N. war sie bis zu dessen Tod im Jahr 1922 verheiratet. Beide Ehen waren kinderlos geblieben, so dass Dora ab 1922 ohne Verwandte in der Stadt lebte, als bei ihr eine „Geisteskrankheit“ diagnostiziert und sie in einem Sanatorium untergebracht wurde. Die Verwaltung ihres Vermögens übernahm der Rechtsanwalt Jesse Slingluff, der es im Jahr 1922 auf 50.000 bis 60.000 Dollar schätzte. Drei Jahre später, im Jahr 1925, verstarb Dorothea N. ohne direkte Verwandte in Baltimore. Das Nachlassgericht ernannte Slingluff zu ihrem Nachlassverwalter. Zwei Jahre später gab er das verbliebene Vermögen mit 35.477,25 Dollar an, das überwiegend in Aktien der Baltimore-Ohio Eisenbahngesellschaft angelegt war und für das er ab 1925 Erben suchte. Als Erstes versuchte Slingluff, den Aufenthaltsort von Doras Bruder Wilhelm zu ermitteln, was ihm nicht gelang. Allein in den Adressbüchern von Baltimore fanden sich 25 Personen mit dem Namen William T., von denen sich keiner als der gesuchte Erbe herausstellte. Der Bruder blieb verschollen.

656 Für einen ähnlichen Fall vgl. In the Matter of the estate of Sarah Johnson und In the Matter of the Estate of J. Mortimer Johnson, in: MSA, Baltimore City, RG, Appeals and Issues, 1905–1916, 02/42/07/002, Box 2 T623-2. 657 Die folgenden Ausführungen basieren auf: Frederick F. Schneider an das Deutsche Konsulat, Baltimore, Md, 3.7.1932, und An Herrn Justizrat Lasker, 13.8.1932 in: BArch, R 901/22917, Die Verhältnisse mit den Ver. Staaten von Amerika in Nachlaßangelegenheiten, von Juli 1932 bis September 1932, Bd. 3; Rechtsanwalt Lasker an das Auswärtige Amt, 8.4.1932, in: BArch, R 901/22944, Auswärtiges Amt, die Verhältnisse mit den Vereinigten Staaten von Amerika in Nachlassangelegenheiten, 1. Januar 1930 bis Juli 1932, Bd. 2.

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Als Nächstes begab sich Slingluff im Sommer 1925 nach Deutschland, da er im Nachlass von Dora mehrere Hinweise auf in Deutschland lebende Verwandte in der Region um Vlotho in Ostwestfalen gefunden hatte. Doch auch diese Nachforschungen blieben ohne Erfolg. Slingluff wandte sich an den Rechtsanwalt Fendall Marbury der Firma Marbury & Bernard und beauftragte ihn mit weiteren Recherchen in Deutschland. Marbury begann im Jahr 1926 einen Briefwechsel mit dem Pfarrer Fritz Rüter in Hartum bei Minden in Westfalen, der ergebnislos verlief, da sich herausstellte, dass die in und bei Hartum wohnenden Angehörigen einer Familie T. nicht mit der Erblasserin verwandt waren. Danach wandte sich Marbury im Februar 1928 an die Reichsstelle für Nachlässe und Nachforschungen im Ausland in Berlin, die ihn an den Regierungspräsidenten zu Hildesheim verwies. Letzterer veranlasste eine Rundfunkaufforderung, in der über die Erbensuche berichtet wurde. Dies wiederum führte dazu, dass sich bei Marbury und dem mit ihm zusammenarbeitenden Rechtsanwalt Lasker eine große Anzahl an Personen mit Nachnamen T. und N. meldete in der Hoffnung, zu den gesuchten Erben zu gehören. Tatsächlich waren unter ihnen die schon länger gesuchten Verwandten aus Vlotho, die Familie des Herrn Hermann I., mit der es daraufhin zu einem längeren Briefwechsel kam. Die Rundfunkaufforderung hatte allerdings auch der auf deutsch-USamerikanische Erbenermittlung spezialisierte US-amerikanische Rechtsanwalt Schoeneis gehört, der sich zu dieser Zeit in Deutschland aufhielt. Nach der öffentlichen Bekanntgabe des Gesuchs setzte er sich mit seinem deutschen Geschäftspartner Ernst Koch in Köln in Verbindung, um ebenfalls in die Suche einzusteigen. Ihnen wiederum gelang es, die Familie S., darunter die Tante der Erblasserin, Johanna Christine Dorothee S., geborene T., zu ermitteln, die enger als die Familie I. mit der Verstorbenen verwandt war. Nach einem kurzen Briefwechsel zwischen den Parteien Schoeneis/Koch/S. und Marbury/Lasker/I. verzichtete die Familie I. deshalb auf ihre Erbansprüche. Schoeneis und Koch wiederum vermittelten die Erbin S. an den US-amerikanischen Anwalt Henderson, einen Geschäftspartner von Schoeneis, der bei dem Nachlassverwalter Slingluff im Frühjahr 1928 die Auszahlung des Nachlasses der Dora N. an Johanna S. beantragte, die nun darauf hoffte, von ihrer „reichen Nichte“ in Amerika eine größere Summe zu erben. Slingluff verweigerte jedoch die Auszahlung des Nachlasses an die deutsche Erbin, da er mittlerweile durch parallele, eigene Recherchen den Bruder Doras, Wilhelm, in Philadelphia ausfindig gemacht hatte, der nun als Alleinerbe in Betracht kam. Diese erneute Wendung wollten die Anwälte Schoeneis/Koch nicht akzeptieren. Im Juni 1928 klagten sie in Baltimore gegen den Nachlassverwalter Slingluff und warfen ihm vor, einen „falschen“ Erben ins Feld zu führen, um Doras Erbe nicht an deren rechtmäßige Erben ausbezahlen zu müssen. Im September 1928 kam es daraufhin in Baltimore zur Gerichtsverhandlung, die noch einmal

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wie im Brennglas die Schwierigkeiten der (transnationalen) Erbenermittlung und charakteristische Konfliktkonstellationen solcher Erbtransfers im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts veranschaulicht: Das Gericht sah sich vor die schwierige Aufgabe gestellt, aufgrund fehlender Personenstandsurkunden anhand von Zeugenaussagen und vorgelegten persönlichen Briefen und Fotos die Identität einer Person zu ermitteln und zu beurteilen, ob sie mit dem Erblasser verwandt war oder nicht.658 Denn nach Schoeneis/Koch bewiesen die Verhandlung und das Kreuzverhör des aus ihrer Sicht „falschen“ Erben eindeutig, dass dieser nicht der leibliche Bruder Doras war, sondern ein Betrüger. Der fragliche Bruder war seit fast dreißig Jahren nicht mehr in Baltimore gewesen, obwohl er dort ja angeblich Familie hatte. Zudem, so Schoeneis/Koch, erklärten einige Zeugen, frühere Klassenkameraden des echten Wilhelm T., dass sie die fragliche Person nicht erkannten. Auch konnte der angebliche Bruder sich nicht an zentrale Ereignisse in der Familie T. erinnern oder diese nur sehr ungenau datieren. Vor Gericht konnte er nicht angeben, in welchem Jahr er mit seiner Mutter und angeblichen Schwester in die USA eingereist sei. Den Todestag seiner Mutter datierte er ungefähr zehn Jahre zu spät auf die Jahre um 1900, und auch das Todesdatum seines Vaters war ihm unbekannt. Schließlich war der angebliche William der deutschen Sprache nicht mächtig und konnte keine Ausweispapiere vorlegen. Für die Anwälte der deutschen Erbin war der Sachverhalt damit klar: Sie witterten einen Betrug des Nachlassverwalters, der mit Hilfe eines fingierten Erben den Nachlass einkassieren wollte. Das Gericht sah es anders und folgte der Argumentation Slingluffs. Dieser betonte, dass der Bruder der Erblasserin Wilhelm, William oder Willy als Lackierer in einer Fensterfabrik arbeite und es für Angehörige der Arbeiterschicht in den USA nicht ungewöhnlich sei, dass sie keine persönlichen Ausweispapiere besäßen. Wilhelm selbst erklärte im Kreuzverhör, dass er nun seit ungefähr 30 Jahre ausschließlich Englisch spreche und seine Muttersprache dadurch weitgehend verlernt habe, zumindest wolle er sich vor Gericht in der Sprache ausdrücken, die er am besten beherrsche. Seine Wissenslücken im Hinblick auf seine Familiengeschichte erklärte er damit, dass er keine Aufzeichnungen oder Dokumente besitze, in denen das Jahr ihrer Auswanderung oder der Tod seiner Mutter festgehalten sei, und er diese Fragen aus seinem Gedächtnis heraus beantworten müsse. Ferner sei im Jahr 1903 der Kontakt zu seiner Familie völlig abgerissen, nachdem es auf einer Familienfeier bei seiner Schwester unter Alkoholeinfluss zu Handgreiflichkeiten gekommen sei. Daraufhin habe ihn sein damaliger Schwager des Hauses verwiesen,

658 Als Ersatz für Personenstands- und Besitzstandsurkunden stellte der Orphans’ Court um 1900 Verwandtschaftsbeziehungen und Eigentumsverhältnisse regelmäßig aufgrund von Aussagen unter Eid oder anhand von vorgelegten persönlichen Briefen und Fotografien fest. Vgl. MSA, Estate docket 1911, Liber 61, S. 506, 686; In RE Estate of Ida A. Whiting, in: MSA, Baltimore City, RG, Appeals and Issues, 1905–1916, 02/42/07/002 Box 2 T623-2.

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er habe Baltimore verlassen und keinen Kontakt mehr zu seiner Schwester und seinem Vater gepflegt, weshalb er auch nicht über dessen Tod informiert worden sei. Als Beleg dafür, dass er dennoch der „echte“ Bruder sei, legte er dem Gericht zwei Briefe vor, die ihm seine Schwester in den Jahren 1899 und 1900 geschickt habe und die von Dorothea N. unterzeichnet und an ihren Bruder Wilhelm gerichtet waren. Schließlich gab es auch Zeugen, die ihn als Wilhelm T. identifizierten, da er ein auffälliges Muttermal besaß, an das sie sich erinnerten und das ebenfalls auf einem alten, zum Nachlass gehörenden Familienfoto zu sehen war. Aufgrund dieser Beweise sprach das Gericht ihm im September 1928 das Erbe zu. Die Erbenermittler und Anwälte Schoeneis/Koch erhielten 20 Dollar Aufwandsentschädigung für ihre Recherchen. Damit gaben sie sich nicht zufrieden. Mit Hilfe des Rechtsanwalts Frederick F. Schneider versuchten sie vier weitere Jahre erfolglos über Eingaben beim Konsulat in Baltimore, das Gerichtsurteil zu revidieren. Für sie lag hier ein eindeutiger, weiterer Betrugsfall an deutschen Erben vor, womit sie ihren Fall gezielt mit einer überregionalen Debatte in Deutschland verknüpften, da in jenen Jahren Zeitungen in Deutschland regelmäßig über Erbbetrüger und betrogene deutsche Erben berichteten; dadurch wollten die Rechtsanwälte vermutlich Druck auf den deutschen Staat aufbauen, sie in ihrem Prozess zu unterstützen. Diese Strategie, den Erbstreit als Konflikt zwischen zwei Nationen zu rahmen, schlug allerdings fehl. Sowohl das deutsche Konsulat als auch das Nachlassgericht in Baltimore sahen in dem Fall letztendlich einen Beleg für das Funktionieren der verschiedenen staatlichen und privatwirtschaftlichen Strukturen zur Bearbeitung und Durchführung von lokalen und transnationalen Erbfällen, durch die der Nachlass an den rechtmäßigen familialen Erben ging. Die Klärung des Falls fiel damit in eine Zeit, in der aktualisierte und neue bilaterale Abkommen zwischen den USA und Deutschland sowie staatliche und private Dienstleister wieder Rechtsgrundlagen und Strukturen zur transnationalen Nachlassplanung sowie zur Durchführung von Erbtransfers bereitstellten. Transnationale Erbtransfers zwischen beiden Ländern waren Mitte/Ende der 1920er Jahre zwar bisweilen schwierig und zeitaufwendig, nach und nach wurden sie aber wieder zur Routine. Erbtransfers in den 1930er und 1940er Jahren

Die Phase der relativen Stabilität dauerte nur wenige Jahre, bis die Nationalsozialisten in Deutschland im Jahr 1933 an die Regierung kamen. Die antisemitische Politik der Nationalsozialisten, die „Arisierung“ jüdischen Eigentums sowie die Vertreibung von Juden aus Deutschland beeinträchtigte bald wieder Nachlasstransfers zwischen beiden Ländern. Zwar unterstützte der deutsche Staat bis zum Kriegsbeginn im Dezember 1941 offiziell Erbtransfers zwischen den USA und

Umkämpfte Erbschaften – Nachlässe als Gegenstände internationaler Politik

Deutschland,659 diese Unterstützung fiel bei Juden und anderen Gegnern der Nationalsozialisten in der Praxis allerdings oft weg und schlug in Diskriminierungen sowie Blockaden und Enteignungen um. Zudem führte die Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft bei Juden dazu, dass sich deutsche Stellen nach deren Tod nicht mehr für den Transfer von deren Nachlässen verantwortlich sahen.660 In den USA wuchs seit Mitte der 1930er Jahre die Kritik an der Diskriminierung, Enteignung und Verfolgung von Juden in Deutschland. Sie richtete sich nicht nur gegen die deutsche Regierung, sondern auch gegen die bilateralen Abkommen, die US-amerikanische Nachlassrichter und -verwalter verpflichteten, Erbschaften aus den USA an Erben in Deutschland zu überweisen. Bis ins Jahr 1941 teilte das State Department Nachlassverwaltern mit, dass Erbübertragungen durchzuführen seien, wenn dies der Gesetzeslage entspreche. Dabei verwies das Amt auf den Freundschaftsvertrag von 1923/35 und auf die Vereinbarung vom Dezember 1938, in der sich beide Regierungen verpflichtet hatten, keine Erblasser oder Erben aufgrund ihres Glaubens zu diskriminieren.661 Diese Position des State Department stieß angesichts der bekannter werdenden Diskriminierung und Verfolgung von politischen Gegnern und Juden in Deutschland und von dessen aggressiver Expansionspolitik Ende der 1930er Jahre in den USA auf immer stärkere Kritik. Eine steigende Anzahl an Politikern, Regierungen einzelner Bundesstaaten sowie Abgeordneten des Repräsentantenhauses und des Senats sprachen sich gegen den Transfer von Nachlässen aus den USA nach Deutschland aus. In ihren öffentlichen Stellungnahmen und Schreiben wiederholten diese Kritiker in unterschiedlicher Form hauptsächlich drei Argumente: Erstens stellten sie fest, dass die deutsche Regierung mit ihren diskriminierenden Maßnahmen gegen die vereinbarte Reziprozität und die Gleichbehandlung von Erblassern und Erben in beiden Ländern verstoße, weshalb US-amerikanische Bundesstaaten, Nachlassrichter und Rechtsanwälte nicht mehr an diese Abkommen gebunden seien.662

659 Carl W. Mueller an Eugen Hoerner G.m.b.H., 19.3.1941, und Oberfinanzpräsident Berlin (Devisenstelle) an Emil A. Pieper (Buffalo, N.Y.), 13.6.1940, in: NARA, RG 131, Office of Alien Property, Department of Justice/Office of Alien Property/Overseas Office, Entry P 100, Reciprocal Rights of Inheritance Under German Law Files: 01/01/1941 – 12/31/1954, Hoerner Files THRU Reciprocal Rights of Inheritance, Box 17; HHStAW, 469/6, 52 IV 26/50 S. 660 Gosewinkel, Schutz, S. 176, 263–283; Rürup, Right. 661 Stanley M. Arndt (attorney) to Secretary of State, 3.3.1934, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal File 1930–1939, 311.6213 to 311.623 Kissling Estate, Box 1228; Germany Defers to US on Legacies. Lifts Ban on the Transfer of Inheritance Sums to Any American of Any Faith. Note handed to Welles Charge d’Affaires Includes ‘Reciprocity Provided’ in His Statement of Attitude Discussed With Reich Envoy Follows Philadelphia Decision, in: The New York Times, 21.12.1938. 662 Germany Defers to US on Legacies. Lifts Ban on the Transfer of Inheritance Sums to Any American of Any Faith. Note handed to Welles Charge d’Affaires Includes ‘Reciprocity Provided’ in His

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Zweitens brachten sie vor, dass in Deutschland wohnende Personen, insbesondere Juden und politische Gegner des Regimes, ihr Erbe aus dem Ausland nicht erhalten würden, sondern dass es der deutsche Staat konfisziere. Mit jeder Erbübertragung würden sie daher ihre Pflicht verletzen, nämlich sicherzustellen, dass das Erbe bei den rechtmäßigen Erben ankomme. Ganz in diesem Sinne weigerte sich der US-amerikanische Richter A. B. Duncan im Jahr 1940, einen Nachlass an Erben in Deutschland freizugeben, als er erklärte: I have nothing against the German people, but I know that when money is sent there they do not receive it. It all goes to the government. The fact that Hitler has refused to allow money left by Germans to be sent to heirs in this country is another reason why I do not intend to order any money from this country sent to heirs in Germany.663

Schließlich verwiesen die Kritiker auf die Bilanz der bilateralen Erbtransfers, die zwar keiner genau beziffern konnte, bei der aber alle davon ausgingen, dass deutlich höhere Vermögenswerte von den USA nach Deutschland vererbt würden als umgekehrt. Der unbeschränkte Erbtransfer, so die daraus gezogene politische Schlussfolgerung, käme einer Unterstützung, wenn nicht gar Subventionierung der deutschen Regierung sowie ihrer (Kriegs-)Politik gleich und sei einzuschränken oder ganz zu unterbinden. Mit diesem Argument warb beispielsweise ein Anwalt aus Iowa im Jahr 1938 für eine Gesetzesänderung, die Erbschaftstransfers nach Deutschland unterbinden sollte: Actually, I might add that the United States is again being played for a sucker. In view of the recent developments in Europe of Germany taking over Austria this matter becomes more important, and if Germany has sufficient money to create disturbances in Europe, I do not see why we should play Santa Claus to them in the matter of inheritances. In other words, we are contributing money to Germany apparently for the purpose of re-arming, because undoubtedly if such a law would pass we would have more money in the treasury of the United States than we can hope to get from Germany; in other words, I believe that if a bill were introduced into Congress on this matter the German officials would soon

Statement of Attitude Discussed With Reich Envoy Follows Philadelphia Decision, in: The New York Times, 21.12.1938. 663 German Embassy to Department of State, 22.2.1940, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal Files, 1940–44, 311.623/604 to 311.623/850, Box 1062; John A. Hewicker, Attorney and Counsellor to State Department, 20.8.1940, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal Files, 1940-44, 311.623/604 to 311.623/850, Box 1062.

Umkämpfte Erbschaften – Nachlässe als Gegenstände internationaler Politik

change their attitude because they are smart enough to know that a big source of revenue would be cut off.664

Die US-amerikanischen Kritiker der bilateralen Vereinbarungen zwischen den USA und dem Deutschen Reich beließen es nicht bei öffentlichen Stellungnahmen.665 Sowohl auf föderaler als auch auf einzelstaatlicher Ebene kam es wie in Iowa ab Ende der 1930er Jahre zu politischen Initiativen gegen Nachlassübertragungen ins Deutsche Reich. Der demokratische Kongressabgeordnete Samuel Dickstein, zugleich vermutlich ein sowjetischer Spion und Mitglied des House Committee on Un-American Activities, brachte im Mai 1938 im Repräsentantenhaus einen Gesetzesvorschlag ein, um Vermögenstransfers in bestimmte Länder zu verbieten, wobei er auf das Deutsche Reich zielte.666 Während diese Initiativen auf föderaler Ebene erfolglos blieben, kam es in einzelnen Bundesstaaten wie Oregon zu entsprechenden Gesetzesänderungen.667 Darüber hinaus weigerten sich immer mehr Richter und Testamentsvollstrecker, derartige Erbtransfers zu genehmigen oder durchzuführen, was wiederum auf Erbtransfers spezialisierte Anwaltskanzleien und die deutsche Botschaft in den Vereinigten Staaten aufmerksam beobachteten und zu verhindern suchten. So wandte sich der in Seattle ansässige und auf Erbtransfers nach Deutschland spezialisierte Anwalt H. Otto Giese im Juli 1940 mit der Beschwerde an das State Department, dass es ihm immer wieder passiere, dass lokale Gerichte ihm die Überweisung von Erbschaften nach Deutschland verbieten würden.668 Bereits ein Jahr zuvor hatte die deutsche Botschaft dem State Department Zeitungsausschnitte und Gerichtsentscheide vorgelegt, in denen über

664 William R. Vallance to Department of State, 27.5.1938, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal File 1930–1939, 311.6213 to 311.623 Kissling Estate, Box 1228. Vgl. auch Luce, Forward, Lee & Kunzel to Ed. V. Izac, M.C., 2.10.1939, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal File 1930–1939, 311.6213 to 311.623 Kissling Estate, Box 1228 John A. Hewicker, Attorney and Counsellor to State Department, 20.8.1940, in: NARA, RG 59, Department of State, Decimal Files, 1940–44, 311.623/604 to 311.623/850, Box 1062. 665 Nazi Agents Try To Seize Girl’s $7,000, Lawyer Says, in: St. Louis Daily, 20.12.1938; German Embassy to State Department, 26.11.1940, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal Files, 1940–44, 311.623/604 to 311.623/850, Box 1062. 666 Bill H.R. 10529, A Bill making unlawful the export of money to certain foreign countries, and for other purposes, Introduced to the House of Representatives by Mr. Dickstein, 4.3.1938, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal File 1930–1939, 311.6213 to 311.623 Kissling Estate, Box 1228. 667 Oregon erließ bereits im Jahr 1937 eine solche Beschränkung. Vgl. Veazie & Veazie to Mr. Robert G. Clostermann, German Consul, 16.9.1939, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal File 1930–1939, 311.6213 to 311.623 Kissling Estate, Box 1228. 668 H. Otto Giese (Attorney at Law, Seattle, Washington) to State Department, 25.7.1940, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal Files, 1940–44, 311.623/604 to 311.623/850, Box 1062.

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verweigerte Erbtransfers berichtet wurde, und die US-amerikanische Regierung aufgefordert, die jeweiligen Erbschaften freizugeben.669 Das State Department antwortete auf diese Beschwerden stets, dass es an den geltenden Verträgen festhalte, und führte Fälle an, in denen es zu Nachlasstransfers gekommen war. Aus Sicht des State Department gab es keinen Grund zu weiteren Maßnahmen.670 In Baltimore berichtete die Evening Sun sogar noch im November 1939 und damit zwei Monate nach dem Kriegsausbruch in Europa vom Übertrag einer sich in Baltimore befindlichen Erbschaft in Höhe von 25.000 Dollar an die in Deutschland lebenden Erben.671 Im Gegensatz zur offiziellen Haltung der US-Regierung nahmen aber spätestens ab Sommer 1939 die Blockaden von Erbtransfers nach Deutschland zu. Zum Teil fragten Anwälte beim State Department sogar explizit an, ob es sie bei diesen Maßnahmen unterstützen könne.672 Dem kam das State Department zwar nicht nach, mit Kriegsbeginn in Europa eröffneten sich aber neue Möglichkeiten, mit denen Transfers verzögert und blockiert werden konnten. In einem dieser Fälle war ein Erbe als Soldat der Wehrmacht in Norwegen gefallen, woraufhin die USamerikanische Seite auf die Zusendung einer Sterbeurkunde beharrte und vor der Auszahlung der Erbschaft erst die Erben des Gefallenen ermitteln wollte.673 In einem anderen Fall argumentierte der US-amerikanische Richter, dass die Erben auf dem Gebiet der ehemaligen Tschechoslowakei wohnten, weshalb unklar sei, wie die rechtliche Situation zu bewerten sei.674 Andere Nachlassverwalter gaben wiederum an, dass sie bei der Erbenermittlung das Rote Kreuz eingeschaltet hätten,

669 German Embassy to State Department, 31.10.1939, in: RG 59, Department of State, Decimal File 1930–1939, 311.6213 to 311.623 Kissling Estate, Box 1228; German Embassy to State Department, 22.2.1940, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal Files, 1940–44, 311.623/604 to 311.623/850, Box 1062; German Embassy to State Department, 26.11.1940, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal Files, 1940–44, 311.623/604 to 311.623/850, Box 1062. 670 Department of State to Law Offices Groman & Rapoport, Allentown, Pa., 23.7.1940, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal Files, 1940–44, 311.623/604 to 311.623/850, Box 1062. 671 O. A., Third Will revokes Second: First Valid. Appeals Court Rules on Testaments of Baltimorean Who Died in Germany, in: Evening Sun, 15.11.1939. 672 John A. Hewicker, Attorney and Counsellor to State Department, 20.8.1940, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal Files, 1940–44, 311.623/604 to 311.623/850, Box 1062. 673 Sun Life Insurance Company of America, Baltimore Md. To State Department, 8.1.1941, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal Files, 1940–44, 311.623/604 to 311.623/850, Box 1062. 674 E. F. Thompson, County Judge, Canadian County, El Reno, Oklahoma to congressman Jed Johnson, 3.2.1941, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal Files, 1940–44, 311.623/604 to 311.623/850, Box 1062.

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das aber habe die Nichte und den Neffen des Erblassers, die angeblich in Frankfurt lebten, nicht ermitteln können.675 Diese Begründungen konnten deutsche Behörden, Rechtsanwälte und Erben angesichts der Kriegshandlungen nur schwer und unter hohem Zeitaufwand überprüfen; auch den Forderungen nach weiteren Nachweisen konnte unter Kriegsbedingungen kaum entsprochen werden, was US-amerikanische Richter zum Anlass nahmen, Erbschaften nicht freizugeben. Richter und Treuhänder griffen außerdem Argumente und Hinweise von Familienmitgliedern dankbar auf, wenn es ihnen half, Erbtransfers zu verhindern. So verzögerte die in Los Angeles lebende Nichte zunächst den Nachlasstransfer des 1940 in Baltimore verstorbenen Joseph P. an Erben in Deutschland, indem sie ihn zum legitimen Kind ihres Großvaters erklärte, wodurch sie zur alleinigen Erbin wurde. Der Anwalt der dadurch enterbten Personen in Deutschland legte gegen diese Behauptung zwar Widerspruch ein, die geforderten Nachweisdokumente trafen beim zuständigen amerikanischen Gericht jedoch nicht mehr ein.676 Zudem verordnete der US-amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt am 14. Juni 1941 eine Sperre über in den USA befindliches „feindliches“ Vermögen. Die Nationalsozialisten reagierten darauf am 25. Juni 1941 mit einem Runderlass der Reichsstelle für Devisenbewirtschaftung, der die Versendung oder Überweisung von Vermögenswerten in die Vereinigten Staaten verbot.677 Beide Ländern stellten nun anfallende Erbschaften unter Treuhänderschaft. Damit hatten die Regierungen beider Staaten erneut Vorgaben erlassen, die auf die Unterbrechung von transnationalen Erbtransfers zielten und die mit Kriegsende nicht sofort aufgehoben wurden. Bis Anfang der 1950er Jahre verweigerten amerikanische Nachlassgerichte und einzelne amerikanische Bundesstaaten den Transfer von Erbschaften aus den USA an in der Bundesrepublik lebende Erben. Als Grund für ihre Blockadehaltung führten sie ungelöste Restitutionsfragen an. Aus Sicht amerikanischer Richter und bundesstaatlicher Regierungen waren die Diskriminierungen von jüdischen und amerikanischen Erben während der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft noch nicht wiedergutgemacht.678 Des Weiteren behaupteten sie, dass weiterhin 675 Pullman & Comley to State Department, 14.4.1941, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal Files, 1940–44, 311.623/604 to 311.623/850, Box 1062. 676 Clifford A. Russell (Attorney at Law) to State Department, 11.9.1940, in: NARA: RG 59, General Records of the Department of State, Decimal Files, 1940–44, 311.623/604 to 311.623/850, Box 1062. 677 Eugen Hoerner GmbH an H. Otto Giese, Betrifft: Transfersperre für amerikanische Nachlässe in Deutschland, 12.8.1941, in: RG 131, Office of Alien Property, Department of Justice/Office of Alien Property/Overseas Office, Entry P 100: Reciprocal Rights of Inheritance Under German Law Files: 01/01/1941 – 12/31/1954, Hoerner Files THRU Reciprocal Rights of Inheritance, Box 17. 678 Dr. Claus Seibert to Department of Justice, 4.7.1951, in: NARA, RG 131, Office of Alien Property, Department of Justice/Office of Alien Property/Overseas Office, Entry P 100: Reciprocal Rights of Inheritance Under German Law Files: 01/01/1941 – 12/31/1954, Box 8.

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keine Nachlässe aus Deutschland in die USA transferiert würden. Zwischen den US-amerikanischen Bundesstaaten und der US-amerikanischen Besatzungszone beziehungsweise der Bundesrepublik bestehe daher keine Reziprozität, so die Urteile US-amerikanischer Nachlassgerichte Ende der 1940er und Anfang der 1950er Jahre, weswegen die Blockade von Erbtransfers nach Westdeutschland weiter gerechtfertigt sei. In diesen Stellungnahmen bezogen sich US-amerikanische Richter meist auf die Enteignungen jüdischer Erblasser.679 Auf diese Situation reagierte die Bundesrepublik mit zwei Strategien. Erstens signalisierte sie ihre Bereitschaft, Juden – und deren Erben – für entstandene Eigentumsverluste und erfahrenes Leid zu entschädigen. Ausschlaggebend war hierfür der Druck der US-amerikanischen Militärverwaltung und Regierung, der israelischen Regierung sowie jüdischer Organisationen auf die Bundesregierung, Juden für erlittenes Unrecht zu entschädigen, womit der – in der deutschen Öffentlichkeit umstrittene – Prozess der Wiedergutmachung begann.680 Auf internationalen Konferenzen (wie der Conference on Jewish Material Claims Against Germany), in Form von Gesetzen (wie dem Bundesentschädigungsgesetz) und durch die Gründung von Verwaltungsorganisationen (wie der Hessischen Treuhandverwaltung) zur Registrierung und Bearbeitung von Wiedergutmachungsfällen unternahm die Regierung Schritte zur Rückerstattung von geraubtem Eigentum.681 Zusätzlich spezialisierten sich private Akteure und Dienstleister – Rechtsanwälte, Erbenermittler, jüdische Organisationen oder auch das Rote Kreuz – auf die internationale Ermittlung von Erben und Erbschaften, die Beschaffung von Dokumenten sowie das internationale Privatrecht. Sie stellten Dienstleistungen bereit, um Erbansprüche erheben und durchsetzen zu können oder um Erbschaften an die rechtmäßigen Erben zu transferieren. In Frankfurt etablierte sich der jüdische Rechtsanwalt Max L. Cahn für das Amtsgericht und jüdische Erben als wichtiger Ansprechpartner und Experte bei der Bearbeitung jüdischer Erbfälle.682 Zudem besaß die Jüdische Gemeinde Frankfurts eine Deportiertenkartei und konnte damit bei der Suche nach vermissten Personen helfen.683 Darüber hinaus konnten die Erben jüdischer Erblasser juristische und materielle Unterstützung von Organisationen in Anspruch nehmen, die es sich zum Ziel gesetzt hatten, jüdische Eigentumsforderungen durchzusetzen. Für die Verfolgung von Ansprüchen in der amerikanischen Besatzungszone war

679 U.S. Department of Justice, Overseas Branch an Chefpräsidenten des Landgerichts Berlin (Siegfried Löwenthal), 9.12.1948, in: HHStAW, Erbrecht, 3480, Bd. 1; U.S. Department of Justice, Overseas Branch an das Bundesjustizministerium, 13.10.1953, in: HHStAW, Erbrecht, 3480, Bd. 1. 680 Goschler, Schuld; Unfried, Unrecht. 681 Vgl. Tobias Freimüller, Frankfurt und die Juden. Neuanfänge und Fremdheitserfahrungen 1945–1990, Göttingen 2020; Goschler, Schuld. 682 Freimüller, Frankfurt, S. 64f.; Brenner, Geschichte. 683 HHStAW, 469/6, 52 VI 1925/55 S.

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die Jewish Restitution Successor Organization gegründet worden. Auch die im Jahr 1951 gegründete Hessische Treuhandverwaltung hatte die Aufgabe, jüdische „Wiedergutmachungsansprüche“ anzumelden und einzufordern.684 Die in New York ansässigen Zeitung Aufbau publizierte regelmäßig Erbengesuche.685 Zweitens unternahm das Bundesjustizministerium in enger Zusammenarbeit mit Landesbehörden und auf Erbtransfers spezialisierten Anwälten und Banken große Anstrengungen, den Transfer von Erbschaften aus Deutschland an Erben in den USA wieder zu ermöglichen. So argumentierte das Justizministerium, dass es erstens auch während der nationalsozialistischen Herrschaft nie zur Diskriminierung US-amerikanischer Staatsbürger gekommen sei. Dies gelte auch für Juden mit US-amerikanischer Staatsbürgerschaft, da diese in Nachlassangelegenheiten immer als US-Amerikaner und nicht als Juden behandelt worden seien. Eine Ungleichbehandlung US-amerikanischer Staatsbürger in Erbangelegenheiten habe im nationalsozialistischen Deutschland nicht stattgefunden. Dies lasse sich des Weiteren durch die Aktivitäten der an Erbtransfers beteiligten Rechtsanwälte und Banken belegen. Die dafür notwendigen Unterlagen seien US-Behörden um das Jahr 1950 vorgelegt worden, auch hätten mehrere auf transnationale Erbtransfers spezialisierte Anwälte und Agenturen wie die Hoerner Bank den US-Behörden bestätigt, dass sie bis ins Jahr 1941 regelmäßig Nachlässe in die USA transferiert hätten. Danach hätten sie die entsprechenden Erbsummen auf Sperrkonten eingezahlt, die nun aber wieder freigegeben seien; Nachlässe würden von ihnen wieder an Erben in den USA transferiert werden. Zusätzlich verwiesen deutsche Behörden auf Schreiben US-amerikanischer Anwälte und Kanzleien, die mit den Deutschen zusammenarbeiteten und ihnen den Transfer der Erbschaften bestätigten. Über unterschiedliche Kanäle kommunizierte die deutsche Seite dadurch immer wieder, dass das Prinzip der Gleichbehandlung von deutscher Seite gewahrt worden sei und gewahrt werde und die Blockade von Nachlasstransfers aus den USA in die Bundesrepublik nicht rechtmäßig sei.686

684 Nietzel, Handeln, S. 327. 685 HHStAW, 469/6, 52 VI 1925/55 S. 686 Mr. James D. Hill, Chief Litigation Branch, OAP, to Harold Lee, Chief, Department of Justice, Overseas Branch, Reciprocal Rights of Inheritance Cases, 19.8.1952, in: NARA, RG 131, Office of Alien Property, Department of Justice/Office of Alien Property/Overseas Office, Entry P 100: Reciprocal Rights of Inheritance Under German Law Files: 01/01/1941 – 12/31/1954, Box 8; Karl Schäfer, Alsfeld, an Office of Land Commissioner for Hesse, 20.6.1950, in: NARA, RG 260, Records of United States Occupation Headquarters, World War II, Office of Military Government for Germany, OMGUS, The Legal Devision, Box 931. Vgl. auch Heinrich Moetz to Landeskommissar für Hessen, Abt. Vermögenskontrolle Property Division, 24.7.1950, und Walter Breitkopg to German Consulat Landcommissioner for Hesse, 11.7.1950, in: NARA, RG 260, Records of United States Occupation Headquarters, World War II, Office of Military Government for Germany, OMGUS, The Legal Devision, Box 931.

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Demgegenüber versuchten einzelne US-amerikanische Anwälte zwar weiterhin, zu beweisen, dass US-Amerikaner in Nachlasstransfers während der NS-Herrschaft benachteiligt worden waren.687 Auch blieb unter deutschen Politikern lange Zeit umstritten, ob der deutsche Staat überhaupt für die Bearbeitung von Nachlässen zuständig sei, die von Staatenlosen hinterlassen worden waren.688 In dieser Frage legte das Bundesverfassungsgericht erst im Jahr 1968 fest, dass zwischen dem 25. November 1941 und dem 8. Mai 1945 verstorbene Bürger, denen die deutsche Staatsbürgerschaft entzogen worden war, nach dem deutschen Erbgesetz beerbt und die Erbfälle von deutschen Amtsgerichten bearbeitet werden müssten.689 Bereits zuvor – Anfang der 1950er Jahre – führten die Maßnahmen der deutschen Behörden im Zusammenspiel mit der Westbindung der Bundesrepublik dazu, dass die Vereinigten Staaten ihre Blockadehaltung schrittweise wieder zurücknahmen und Erbtransfers in die Bundesrepublik erlaubten, während gleichzeitig die Konflikte zwischen den USA und der Sowjetunion zunahmen. 4.3 Erbtransfers zwischen der Sowjetunion und den Vereinigten Staaten Erbtransfers zwischen 1917 und den 1940er Jahren

Im Ersten Weltkrieg waren die Vereinigten Staaten und das russische Zarenreich von April bis November 1917 Alliierte gewesen. Nach der Machtübernahme durch die Bolschewiki verschlechterten sich die Beziehungen zwischen beiden Ländern jedoch abrupt. Im russischen Bürgerkrieg unterstützten die USA die Gegner der Bolschewiki, während Letztere auch den Besitz von US-Amerikanern in der Sowjetunion verstaatlichten. Beide Staaten brachen ihre diplomatischen Beziehungen zueinander ab, was innerhalb kürzester Zeit zum Stopp von Erbtransfers zwischen beiden Ländern führte. Die Bolschewiki verboten im April 1918 Erbübertragungen an Personen im Ausland und stellten diese ein. Die den amerikanischen Nachlassverwaltern, Banken und Richtern bekannten russischen Institutionen und Anlaufstellen, mit deren Unterstützung sie bis dahin Erbschaften ins Zarenreich transferiert hatten, fielen damit weg. In den USA dauerte es allerdings noch bis mindestens ins Jahr 1920, ehe USamerikanische Nachlassverwalter, Versicherungen und (Privat-)Banken aufhörten,

687 Richard O. Graw, Fälle der Nichtigerklärung testamentarischer Verfügungen (Anzeige), in: Juristische Rundschau, Januar 1953. 688 Vgl. Anhang zu Bundesverfassungsgericht an den Hessischen Minister der Justiz, Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14.2.1968, in: HHStAW, Erbrecht, 3480, Bd. 2. Zum Kontext vgl. Brenner, Geschichte. 689 Bundesverfassungsgericht an den Hessischen Minister der Justiz, Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 14.2.1968, in: HHStAW, Erbrecht, 3480, Bd. 2.

Umkämpfte Erbschaften – Nachlässe als Gegenstände internationaler Politik

Erbschaften für russische Erben in Fortführung bewährter Routinen und offensichtlich ohne stärkere Berücksichtigung der veränderten politischen und rechtlichen Lage in der Sowjetunion an Michael Oustinoff, den Konsul des zaristischen Russlands in New York, oder an andere Diplomaten und offizielle Vertreter des Zarenreichs zu überweisen. Diese Beträge kamen jedoch nie bei den Erben in der Sowjetunion an. Das State Department warnte in den 1920er Jahren daher davor, Erbschaften an die ehemaligen Botschafter, Konsuln und Diplomaten des Zarenreichs zu übergeben. Diese seien von der sowjetischen Regierung nicht mehr anerkannt und würden erhaltene Geldsummen nicht mehr in die Sowjetunion transferieren. Im gleichen Zug informierte das State Department über Betrüger, die sich als offizielle Vertreter der Sowjetunion oder von in der Sowjetunion lebenden Erben ausgäben und mit dem ergaunerten Vermögen verschwänden.690 Zugleich sahen sich amerikanische Treuhänder und Testamentsvollstrecker immer häufiger mit der Frage konfrontiert, ob sie die Nachlässe von Personen, die während des Bürgerkriegs aus dem Land geflohen oder von den Bolschewiki aus der Sowjetunion vertrieben worden waren, überhaupt an deren Erben in der Sowjetunion überweisen sollten. Nachlassverwalter befürchteten, dass die sowjetische Regierung das Erbe ihrer politischen Gegner verstaatlichen und die Vermögenswerte nicht bei deren Erben ankommen würden. Beispielsweise erklärte der County Judge Litton Hickman dem Secretary of State, dass er mit der Freigabe eines Nachlasses an Erben in der Sowjetunion zögere, da er die Verstaatlichung der Erbschaft befürchte: One of the troubles that we have had is that this man who left this estate was a White Russian and his property has been subject to confiscation by the Soviet Union, and knowing the conditions we have hesitated to turn over this money to the present government.691

690 Poore & Webster, Attorneys at Law to State Department, 16.11.1926; William Williamson to Secretary of State, Re: Probating of estates with foreign heirs, 31.1.1928; The Baltimore and Ohio Railroad Company to the Secretary of State, 19.3.1928, alle in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal File, 1910–29, 311.613/251 to 311.614/SCA 6/17, Box 3626; Leo Schanz an das Auswärtige Amt, 25.8.1930, in: BArch, R 901/24735, Auswärtiges Amt: Nachlasssachen in Rußland, Januar 1927–Dezember 1932; Morris Hershson to State Department, 23.4.1941, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, 311.60 H 54 L Jubica Matkovic/2 to 311.6153 Russian Re-Insurance Co./80, 1940–44, Box 1058. 691 Litton Hickman to Secretary of State, 12.8.1942, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, 311.60 H 54 L Jubica Matkovic/2 to 311.6153 Russian Re-Insurance Co./80, 1940–44, Box 1058. Vgl. auch Pierre A. Fontaine to State Department, 7.6.1940, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, 311.60 H 54 L Jubica Matkovic/2 to 311.6153 Russian Re-Insurance Co./80, 1940–44, Box 1058.

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Zudem erfuhren auch immer mehr amerikanische Verwalter und Richter vom kompletten Erbverbot in der Sowjetunion, wobei sie oft nicht genau einschätzen konnten, welche rechtlichen Auswirkungen dieses Verbot auf Erbtransfers aus den USA an Erben in der Sowjetunion hatte. Ohne offizielle sowjetische Ansprechpartner im Land wandten sie sich an das State Department mit der Bitte um Rechtsauskunft. Die standardisierte, knappe Antwort des State Department auf nahezu alle diese Anfragen lautete, dass keine diplomatischen Beziehungen zwischen beiden Staaten existierten und das Department bei Rechtsfragen und Erbtransfers nicht weiter behilflich sein könne. Im Endeffekt sahen sich die mit der Verwaltung und dem Übertrag von Nachlässen betrauten Verwalter deshalb mit praktischen Schwierigkeiten, offenen Rechtsfragen und immer wieder auftretenden Betrugsfällen konfrontiert, während gleichzeitig private Unternehmen wie Banken, Nachlassrichter und staatliche Institutionen, wie das State Department oder Konsulate, Auskünfte und ihr Mitwirken an Erbübertragungen verweigerten. Die Sowjetunion lehnte Nachlasstransfers für einige Jahre sogar explizit ab. Für die Erben sowohl in den USA als auch in der Sowjetunion bedeutete dies, dass sie für mehrere Jahre nach der Oktoberrevolution keine Vermögenswerte aus ihren amerikanischen respektive russischen Erbschaften erhielten.692 Diese Situation änderte sich mit der zunächst inoffiziellen Annäherung der beiden Staaten Ende der 1920er Jahre und der gegenseitigen offiziellen Anerkennung 1933. Für einen Zeitraum von zehn bis 15 Jahren bis Mitte der 1940er Jahre öffneten sich zwischen den USA und der Sowjetunion dadurch Kanäle, über die Erbschaften von einem Land ins andere übertragen werden konnten. Die zentrale Initiative hierfür ging von den Bolschewiki aus, die im Rahmen der NEP nicht nur ihr Erbverbot lockerte, sondern auch auf internationaler Ebene Maßnahmen ergriffen, um Erbtransfers zu ermöglichen, auch um an Devisen im Ausland zu gelangen. Sie initiierte und finanzierte den Ausbau von neuen Organisationen und Netzwerken, die sowjetische Erben unterstützen sollten, an ihr Erbe im Ausland zu gelangen. Die wichtigste Maßnahme stellte die Gründung des Kreditbüros im Jahr 1922 dar.693 Damit erhielten in Moskau tätige Richter und Anwälte unter dem Direktor des Kreditbüros Aleksandr Jakovlevič Rozenštejn den Auftrag, sowjetische Bürger

692 Poore & Webster, Attorneys at Law to State Department, 16.11.1926, und State Department to James C. Webster, 24.11.1926, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Decimal File, 1910–29, 311.613/251 to 311.614/SCA 6/17, Box 3626. 693 Hinweise zum Kreditbüro fanden sich unter anderem in den Unterlagen von Charles Recht (vgl. zu diesem die weiteren Ausführungen im Text). Vgl. auch die knappe Bestandbeschreibung zu CGA Spb., F. P-1384, 1922–1931, in: https://spbarchives.ru/infres/-/archive/cga/R-1384 (letzter Zugriff 6.7.2020).

Umkämpfte Erbschaften – Nachlässe als Gegenstände internationaler Politik

dabei zu unterstützen, auf ausländischen Sparkonten liegende Guthaben in die Sowjetunion zu transferieren sowie andere finanzielle Ansprüche von Sowjetbürgern im Ausland geltend zu machen. Dies betraf hauptsächlich die Auszahlung und den Transfer von Versicherungspolicen und Erbschaften an in der Sowjetunion lebende Berechtigte und Erben. Um dies zu erreichen, schaltete das Kreditbüro Zeitungsanzeigen, um Erben zu ermitteln, danach klärte es sie über ihre Rechte auf, half bei der Beschaffung und Beglaubigung der notwendigen Dokumente, führte in ihren Namen die transnationalen Korrespondenzen und Verhandlungen mit Versicherungsgesellschaften, Nachlassrichtern und -verwaltern sowie anderen im Ausland lebenden Erben und vertrat diese, falls notwendig, im Ausland vor Gericht. Für diesen Service verlangte das Kreditbüro eine Gebühr in Höhe von etwa 20 Prozent der transferierten Summe, die anschließend noch besteuert wurde. Damit unterstützte das Kreditbüro sowohl transnationale Familien beim Erbtransfer als auch die Regierung bei der Devisenbeschaffung. Die enge Verkopplung von Staatsinteressen und Rechtsberatung personifizierte der Direktor des Büros. Mit Aleksandr Jakovlevič Rozenštejn unterstand es einem hohen Tscheka-Funktionär, der sich Anfang der 1920er Jahre zum Anwalt ausbilden ließ, für kurze Zeit am Obersten Gericht der Sowjetunion arbeitete und danach die Leitung des Büros übernahm. Kurze Zeit später nahm Rozenštejn zusätzlich eine hohe Position in der Amtorg (kurz für Amerikanskaja Torgovlja), der sowjetischen Handelsvertretung in den USA, ein. Damit leitete und koordinierte er zwei wichtige sowjetische Organisationen für Eigentumstransfers zwischen den USA und der Sowjetunion, bis das Kreditbüro Anfang der 1930er Jahre aufgelöst wurde. Rozenštejn fiel im Jahr 1937 den stalinistischen Säuberungen zum Opfer.694 Die Versuche der Sowjetunion, Erbschaften aus dem Ausland in die Sowjetunion zu transferieren, endeten allerdings nicht mit der Auflösung des Kreditbüros und der Ermordung seines Direktors. Im Gegenteil, ab Ende der 1930er Jahre intensivierten die Bolschewiki ihre diesbezüglichen Aktivitäten und bauten innerhalb der nächsten Jahrzehnte ein weltumspannendes Netzwerk an Anwälten und Finanzexperten auf, die auf Nachlasstransfers über Grenzen spezialisiert waren. Einer dieser Anwälte war der in New York ansässige Charles Recht. Er war von den 1920er bis Anfang der 1960er Jahre der wichtigste nicht-staatliche Ansprechpartner und Auftragnehmer sowjetischer Anwaltskollegien in den USA. Sein Werdegang und seine Arbeit gewähren nicht nur Einblicke in die Bearbeitung und Organisation von US-amerikanisch-sowjetischen Erbtransfers, sondern verdeutlichen darüber hinaus auch Charakteristika von auf transnationale Erbtransfers

694 Mixail Tumschis/Vadim Zolotarėv (Hrsg.), Evrei v NKVD SSSR. 1936–1938 gg. Opyt biografičeskogo slovarja, Universitet Dmitriia Pozharskogo 2017, S. 555f.

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spezialisierten Dienstleistern: Viele von ihnen waren im 19. und frühen 20. Jahrhundert selbst eingewandert oder kamen aus Einwandererfamilien, für viele waren Erbtransfers zunächst nur eines von mehreren Geschäftsfeldern, bevor sie sich darauf spezialisierten, und sie waren in weit verzweigte internationale Netzwerke eingebunden, durch die sie einerseits an Aufträge kamen und die sie andererseits für die Bearbeitung ihrer Fälle benötigten. Der internationale Rechtsexperte und Organisator von US-amerikanisch-sowjetischen Erbtransfers Charles Recht

Charles Recht wurde als Karel Recht am 30. April 1887 in Varvažov, Böhmen, geboren.695 Die Rechts waren die einzige jüdische Familie im Ort und Karels Vater war Bürgermeister von drei kleinen Dörfern. Nach dem frühen Tod des Vaters wuchs Karel Recht zunächst bei seinem Onkel auf, der ihn später ans Gymnasium nach Prag schickte. Seine Kindheit und Jugend waren durch einen alltäglich erfahrenen Antisemitismus und damit einhergehende Diskriminierungen geprägt. Diese persönlichen Erfahrungen verknüpft er in seiner Autobiographie mit ausführlichen Erörterungen der Dreyfuss-Affäre als Auswüchse des zeitgenössischen Antisemitismus, die ihn rückblickend erstmals nach Möglichkeiten suchen ließen, entsprechenden Anschuldigungen und Ausgrenzungen etwas entgegenzusetzen. Mit diesen Erfahrungen wanderte Recht mit seiner Familie im Jahr 1900 in die USA aus, wo sie zunächst bei einem Onkel väterlicherseits in New York unterkamen. Dort arbeitete der 13-jährige Recht als Hilfsarbeiter unter anderem in einer Zigarettenfabrik, in Bars und in einer Poststation. Prägend waren aber erneut Erfahrungen der Diskriminierung als Einwanderer und als Jude. Laut eigener Aussage fiel zu dieser Zeit sein Entschluss, sich gegen diese Anfeindungen als Anwalt zu wehren, weshalb er anfing, Englisch zu lernen, um später Rechtswissenschaften studieren zu können. Dies gelang ihm mit finanzieller Unterstützung seines Onkels. Recht schrieb sich an der Law School der New York Universität als Student ein. Sein Geld verdiente er als Übersetzer von tschechischer und deutscher Literatur ins Englische, 695 Die folgenden Ausführungen zu Charles Recht beruhen im Wesentlichen auf zwei unveröffentlichten autobiographischen Manuskripten: Charles Recht, Objections Overruled. Autobiography of a Noncomformist, und Charles Recht, A World to Win. The Autobiography of a Non-Conformist, in: Tamiment Library and Robert F. Wagner Labor Archives, Charles Recht Papers (TAM.176), Box 1. Weitere Informationen bieten die Aussagen von Charles Recht vor dem Special Committee on Un-American Activities, Presseartikel und die im State Department gesammelten Informationen über ihn; vgl. v. a. NARA, RG 59, General Records of the Department of State, 311.60 H 54 L Jubica Matkovic/2 to 311.6153 Russian Re-Insurance Co./80, 1940–44, Box 1058; United States. Congress. House. Special Committee on Un-American Activities, Hearings Before a Special Committee on Un-American Activities. House of Representatives. Seventy-Sixth Congress. First Session on H. ReS. 282, Vol. 8, Washington D.C. 1939, S. 5121–5136.

Umkämpfte Erbschaften – Nachlässe als Gegenstände internationaler Politik

bevor er im Jahr 1909 seinen Abschluss in den Rechtswissenschaften machte. Ein Jahr später nahm die New York City Bar Association Recht offiziell als Mitglied auf. Wie andere auf transnationale Rechtsangelegenheiten spezialisierte Dienstleister (zum Beispiel der Gründer der Hoerner Bank oder einer der wichtigsten USamerikanischen Experten für sowjetisches Recht in den 1940er und 1950er Jahren, Vladimir Gsovski) war Charles Recht ein Immigrant, der aufgrund seiner Biographie mehrere Sprachen beherrschte und dem andere Einwanderer aufgrund seiner Herkunft ihr Vertrauen schenkten. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg arbeitete Recht hauptsächlich als Anwalt für die böhmische Diaspora in New York. Diese beriet und vertrat er in alltäglichen Rechtsstreitigkeiten sowie in Asylverfahren. Darüber hinaus erhielt er gelegentlich Aufträge von der Botschaft Österreich-Ungarns. Durch letztere Tätigkeit lernte er Dr. John Pixley Munn kennen, einen vermögenden und prominenten Vertreter der New Yorker Elite. Munns Tochter Aristine heiratete Recht im Jahr 1915, und sie bekamen zusammen einen Sohn, ließen sich im Jahr 1925 aber wieder scheiden. Zuvor hatte sich Recht über die Familie seiner Frau innerhalb kürzester Zeit Zugänge zur Elite der US-amerikanischen Ostküste verschafft. Sein Schwager war Professor für Englisch in Harvard und ein weiterer Verwandter Professor für Rechtswissenschaften in Yale. Eine Vernetzung in andere Kreise erfolgte zu dieser Zeit über seine Tätigkeiten als Rechtsanwalt und als Experte für Asylangelegenheiten. Während und nach dem Ersten Weltkrieg beriet er immer häufiger Personen und Personengruppen, deren Einreiseanträge abgelehnt wurden und die des Landes verwiesen werden sollten. Eine von ihm publizierte Broschüre zum Asylrecht erreichte eine Auflage von 80.000 Exemplaren. Darüber hinaus vertrat Recht Kriegsgegner, Arbeiterorganisationen, Sozialisten und Kommunisten vor Gericht, denen unpatriotische Aktivitäten vorgeworfen wurden und die deshalb ausgewiesen werden sollten. Durch diese Tätigkeiten knüpfte Recht Beziehungen zu sozialistischen und kommunistischen Organisationen in den USA sowie zu Pazifisten, Frauenrechtlerinnen und Revolutionären aus anderen Ländern. Von 1918 bis 1922 vertrat er außerdem die Gewerkschaft Industrial Workers of the World. Woodrow Wilsons Außenpolitik beförderte Rechts Annäherung an sozialistische Gruppierungen weiter. Er war einer der Zeitgenossen, die von Wilsons Außenpolitik nach dem Ersten Weltkrieg und dem Nicht-Eintritt der USA in den Völkerbund tief enttäuscht waren und ab Anfang der 1920er Jahre in Lenin den politischen Führer sahen, der sich am glaubwürdigsten für das Selbstbestimmungsrecht der Völker und ein gleichberechtigtes Miteinander aller Bevölkerungsgruppen einsetzte.696

696 Erez Manela, The Wilsonian Moment. Self-determination and the International Origins of Anticolonial Nationalism, Oxford, New York 2007.

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Im Jahr 1922 reiste Recht das erste Mal in die Sowjetunion. Zu dieser Zeit kam er auch über Sozialisten und Kommunisten unter seinen Klienten sowie das Finish Soviet Bureau in New York mit Ludwig C. A. Karl Martens, einem inoffiziellen Vertreter der Sowjetregierung in den USA, in Kontakt. Martens beauftragte ihn zunächst damit, Büroräume und Mitarbeiter für eine aufzubauende Vertretung der Sowjetunion zu organisieren.697 Darüber hinaus entwickelte sich schnell eine Männerfreundschaft zwischen den beiden, und Martens ernannte Recht zum Anwalt des Sowjetischen Büros, der inoffiziellen sowjetischen Botschaft in den USA. Dessen Aufbau erwies sich Rechts Erinnerungen zufolge als äußerst schwierig. Es gab massive Vorbehalte US-amerikanischer Behörden gegen die Einrichtung, die noch im Lande weilenden Diplomaten und Botschafter des zaristischen Russlands bestritten dessen völkerrechtlichen Vertretungsanspruch und innerhalb des Büros zeigten sich unter den Mitarbeitern in Miniatur die Richtungs- und Fraktionsstreitigkeiten, wie sie in den 1920er Jahren auch die sowjetische Führung prägten. Der offizielle Aufbau des „Soviet Bureau“ kam allerdings nicht aufgrund interner Richtungsstreitigkeiten zum Stillstand, sondern weil die US-Regierung Martens des Landes verwies und sich weigerte, die Bolschewiki als legitime Regierung anzuerkennen. Das Ende des Sowjetischen Büros läutete zugleich die Blütezeit von Charles Rechts Karriere als Anwalt ein. Infolge des Fehlens einer offiziellen diplomatischen und rechtlichen Vertretung der Sowjetunion in den Vereinigten Staaten übernahm Recht immer mehr die Funktion des zwar inoffiziellen, gleichwohl aber von beiden Seiten akzeptierten rechtlichen Vertreters der Sowjetunion in den USA. Gleichzeitig unternahm er in den 1920er Jahren mehrere internationale Reisen, auf denen er sich unter anderem mit Walter Rathenau besprach, die Dokumentation von antijüdischen Pogromen in Osteuropa unterstützte und Kontakt zu nationalen Unabhängigkeitsbewegungen sowie Friedensaktivisten hielt. In den USA war er unter anderem in den Prozess um die von Henry Ford auf Englisch herausgegebenen Protokolle der Weisen von Zion verwickelt. Hauptsächlich vertrat er jedoch die Interessen sowjetischer Bürger und Organisationen in den USA.698 Nachdem die USA unter Franklin D. Roosevelt im Jahr 1933 die Sowjetunion als Staat anerkannt hatten, half Recht dem Volkskommissar für Auswärtige Angelegenheiten Maksim Maksimovič Litvinov beim Aufbau der sowjetischen

697 Ausführlich zum Soviet Bureau und L. C. A. K. Martens vgl. Chapter XII: Soviet Bureau und Chapter XV: Most Cross*Examined Man, in: Charles Recht, A World to Win. The Autobiography of a Non-Conformist (unveröffentlichtes Manuskript), in: Tamiment Library and Robert F. Wagner Labor Archives, Charles Recht Papers (TAM.176), Box 1. 698 The Hooper-Holmes Bureau, Inc.: Special Report: Recht, Charles, 22.4.1940, in: RG 59, General Records of the Department of State, 311.60 H 54 L Jubica Matkovic/2 to 311.6153 Russian ReInsurance Co./80, 1940–44, Box 1058; Charles Recht: Attorney for Russia, in: New York Herald Tribune, 18.7.1965.

Umkämpfte Erbschaften – Nachlässe als Gegenstände internationaler Politik

Vertretung in den USA. Recht schuf ein sich über das ganze Land erstreckendes Netzwerk an Rechtsanwälten und Kanzleien, die sowjetische Rechtsinteressen vor US-amerikanischen Gerichten vertreten sollten. In einem der bekanntesten Fälle vertrat er persönlich die sowjetischen Komponisten Dmitri Schostakowitsch und Sergei S. Prokofjew, die dem Filmstudio 20th Century Fox Film Corporation verboten, ihre Musik für den ihrer Meinung nach antisowjetischen Film The Iron Curtain (1948) zu verwenden. Rechts Tätigkeiten für die Sowjetunion führten in den USA immer wieder dazu, dass er sich dem Vorwurf der Spionage oder „unamerikanischer“ Tätigkeiten, das heißt Dienstleistungen für die Sowjetunion, ausgesetzt sah. Im Jahr 1939 attackierte ihn Martin Dies als Vorsitzender des Komitees für unamerikanische Aktivitäten, und nach dem Zweiten Weltkrieg geriet er mit J. Edgar Hoover und dem FBI aneinander.699 Gegenüber diesen Vorwürfen beteuerte Recht sein Leben lang, dass er kein Kommunist und Mitglied der Demokratischen Partei sei. In seiner Autobiographie bezeichnet er sich selbst als „Nonconformist“. Darin schrieb er, dass es ihm immer nur darum gegangen sei, benachteiligten und diskriminierten Personen zu ihrem Recht zu verhelfen. Erfolgreich wehrte er alle Anklagen gegen ihn ab. Zeitungsberichte und staatliche Dossiers über ihn kamen ebenfalls zu dem Ergebnis, dass es sich bei Recht um einen wirtschaftlich und juristisch erfolgreichen und seriösen Anwalt handle, der ein international anerkannter Experte auf seinen Spezialgebieten sei, wozu sie das Asylrecht, insbesondere aber das US-amerikanische sowie sowjetische Erbrecht und das internationale Privatrecht zählten.700 Eher zufällig war Charles Recht nach dem Ende des Ersten Weltkriegs aufgefallen, dass US-amerikanische Lebensversicherungen während des Krieges aufgehört hatten, Dividenden oder Versicherungssummen an Begünstigte im Zarenreich und später in der Sowjetunion auszuzahlen.701 Weitere Recherchen ergaben schnell, dass davon die Versicherungspolicen von mehreren Tausend russischen Einwanderern betroffen waren, die als Begünstigte Personen in ihrem Heimatland eingesetzt hatten. Auf Nachfrage bei den Lebensversicherungen erklärten diese, dass sie aufgrund des Krieges und der Revolution aufgehört hätten, Zahlungen an Begünstigte in der 699 United States, Hearings, S. 5121–5136. 700 The Hooper-Holmes Bureau, Inc.: Special Report: Recht, Charles, 22.4.1940, in: RG 59, General Records of the Department of State, 311.60 H 54 L Jubica Matkovic/2 to 311.6153 Russian ReInsurance Co./80, 1940-44, Box 1058; Charles Recht: Attorney for Russia, in: New York Herald Tribune, 18.7.1965. 701 Chapter XIII: Two important cases, in: Charles Recht, A World to Win. The Autobiography of a Non-Conformist, in: Tamiment Library and Robert F. Wagner Labor Archives, Charles Recht Papers (TAM.176), Box 1. In dem Verfahren zu unamerikanischen Tätigkeiten wurde hingegen behauptet, dass der Anstoß zu den Klagen gegen die Lebensversicherungen vom Kreditbüro kam und dieses Charles Recht mit der Vorbereitung und Durchführung der Klagen beauftragte; United States, Hearings, S. 5215f.

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Sowjetunion vorzunehmen, da sie nicht sicher sein könnten, dass die Zahlungen auch ankämen. An dieser Praxis hielten sie nun fest, da Privateigentum in der Sowjetunion abgeschafft worden sei und die Begünstigten das Geld ohnehin nicht erhalten würden. Dieser Argumentation folgte Recht nicht, weshalb er 1919/20 im Auftrag zweier russischer Versicherungsnehmer Klage gegen die New York Life Insurance und die Equitable Life Insurance erhob. Im Laufe des Verfahrens vertrat Recht etwa 12.000 Personen, überwiegend aus der Sowjetunion, aber zum Teil auch aus Polen, Deutschland und den USA, die Ansprüche bei den Versicherungen geltend machten. Recht selbst reiste im Zuge des Verfahrens mehrfach in die Sowjetunion, wo er mit Unterstützung hoher sowjetischer Funktionäre ca. 5.000 Dokumente zusammentrug und in die USA brachte. Die Lebensversicherungen schalteten wiederum im weiteren Verlauf des Verfahrens John Foster Dulles als Mediator ein und erklärten sich am Ende bereit, ca. zwei Millionen Dollar über Charles Recht an Begünstigte in die Sowjetunion zu überweisen. Zur gleichen Zeit erwirkte Recht vor Gericht die Freigabe eines Nachlasses von über 13.000 Dollar an Erben in der Sowjetunion.702 Zusammengenommen stellten diese Fälle und seine Erfolge vor Gericht, so Recht in seiner Autobiographie, für ihn ein Erweckungserlebnis dar, das ihn auf die Benachteiligung von Erben in der Sowjetunion und auf Möglichkeiten, diese Diskriminierung aufzuheben, aufmerksam machte. Ab den 1930er Jahren vertrat Recht deshalb regelmäßig sowjetische Erben erfolgreich vor US-amerikanischen Gerichten. Als er etwa zur gleichen Zeit aus Gründen, die aus den Akten nicht hervorgehen, im Zuge von internen Reformen der sowjetischen Botschaft von seinem Posten als Rechtsberater des sowjetischen Konsuls in den USA zurücktreten musste, begann Recht sich als Anwalt auf transnationale Erbtransfers zwischen den USA und der Sowjetunion zu spezialisieren. Innerhalb kürzester Zeit etablierte er sich auf diesem Gebiet als einer der führenden Experten in den USA. Ende der 1930er Jahre transferierte er jährlich Nachlasssummen in Höhe von ca. 150.000 Dollar aus den USA in die Sowjetunion.703 Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb er der zentrale Ansprechpartner von Injurkollegija, wenn es um transnationale Erbtransfers ging. Darüber hinaus beriet er andere Anwälte und Kanzleien, die im Auftrag sowjetischer Erben arbeiteten. Zusätzlich zu seiner Anwaltstätigkeit baute er mit der in New York ansässigen Anwaltskanzlei Wolf, Popper, Ross, Wolf & Jones, die sich auf Erbrecht spezialisiert hatte und ebenfalls für Injurkollegija arbeitete, ein Netzwerk von Rechtsanwälten und Kanzleien auf. Ende der 1950er Jahre koordinierte Recht zur Durchführung von transnationalen Erbtransfers die Zusammenarbeit von Anwälten und Kanzleien in 15 verschiedenen Städten der

702 Charles Recht: Attorney for Russia, in: New York Herald Tribune, 18.7.1965. 703 United States, Hearings, S. 5132.

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USA. Bestens vernetzt und mit großer Expertise ausgestattet, organisierte er im Kontext des Ost-West-Konflikts an zentraler Stelle Erbtransfers zwischen beiden Staaten.704 Mit seinen Tätigkeiten lässt sich Charles Recht als früher Repräsentant einer Personengruppe zuordnen, die in den letzten Jahren verstärkt in den Fokus der historischen Forschung zu Osteuropa und zum globalen Kapitalismus geraten ist: osteuropäische, kommunistische Bankiers, Wirtschaftsexperten und Finanzdienstleister.705 Zwar war Recht selbst Amerikaner und nicht in der Sowjetunion ausgebildet, er arbeitete aber seit der Zwischenkriegszeit eng mit sowjetischen Organisationen und Rechtsexperten zusammen, um die Rechte und ökonomischen Interessen sowjetischer Bürger und des sowjetischen Staates in den USA zu vertreten. Damit trug er wesentlich zu der Akkumulation von juristischem Wissen, der Organisation von Gerichtsprozessen und der Entstehung von Strukturen zwischen der Sowjetunion und den USA bei, die zunächst zwischen den 1920er und 1940er Jahren grenzüberschreitende Erbtransfers zwischen beiden Ländern ermöglichten, bevor der beginnende Ost-West-Konflikt derartige Transfers erschwerte oder verhinderte – wobei Recht in den 1950er Jahren erneut an der Durchbrechung dieser Blockaden beteiligt war. Erbtransfers im Ost-West-Konflikt

Im Jahr 1951 änderte das U.S. Treasury Department den räumlichen Geltungsbereich der im Jahr 1941 erlassenen Richtlinien, die ursprünglich Eigentumstransfers in das nationalsozialistische Deutschland verboten hatten. Während es diese Bestimmungen Anfang der 1950er Jahre schrittweise für die Bundesrepublik aufhob, galten sie ab 1951 neu für Devisentransfers in die Sowjetunion, Albanien, Bulgarien, die VR China, die Tschechoslowakei, Ungarn, Polen, Rumänien und die DDR. Der Ostblock löste das nationalsozialistische Deutschland als Feind der US-amerikanischen Außenpolitik sowie US-amerikanischer Richter und Erbrechtsanwälte ab.706 Sowjetische Juristen und Politiker kritisierten die US-amerikanischen Blockaden von Erbtransfers daher als gezielte Beleidigung des sowjetischen Staates. Nicht ohne

704 Charles Recht: Attorney for Russia, in: New York Herald Tribune, 18.7.1965; Charles Recht, Lawyer, 78, Dies. Represented Soviet in U.S. since 1919 – Also Writer, in: The New York Times, 17.7.1965. 705 Vgl. Sophie Lambroschini, The USSR’s capitalist bankers: from Financial Cold warriors to Russian State Bankers, the Genealogy of a Managerial Elite (im Jahr 2018 abgeschlossene, aber noch nicht publizierte Dissertation), in: https://www.theses.fr/2018PA100012 (letzter Zugriff 20.4.2021); Philipp Ther, Die neue Ordnung auf dem alten Kontinent. Eine Geschichte des neoliberalen Europa, Berlin 2014. 706 Tatiana Borisova/William B. Simons (Hrsg.), The legal dimension in cold war interactions. Some notes from the field, Leiden 2012.

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Grund verwiesen sie darauf, dass die Maßnahmen und die ihnen zugrunde liegende Argumentation und Rhetorik, mit denen US-amerikanische Bundesstaaten, Nachlassgerichte und Anwälte Erbübertragungen an Erben in der Sowjetunion blockierten, stark denjenigen ähnelten, mit denen die USA zuvor Nachlasstransfers nach Nazi-Deutschland verhindert hätten. Die Sowjetunion werde so auf das gleiche Level gesetzt und genauso behandelt wie das nationalsozialistische Deutschland.707 US-amerikanische Nachlassverwalter und Richter widersprachen diesem Vorwurf und begründeten die Blockade von Erbtransfers aus den Vereinigten Staaten in die osteuropäischen beziehungsweise kommunistischen Länder vor allem mit drei Argumenten: Erstens behaupteten sie mit Verweis auf das Erbverbot von 1918, dass der Besitz von Privateigentum und Erbtransfers in der UdSSR nicht erlaubt seien. Dies führe dazu, dass auch US-Amerikaner nichts von sowjetischen Bürgern erben könnten, weshalb keine Reziprozität zwischen beiden Ländern gegeben sei und US-Amerikaner folglich auch nicht verpflichtet werden könnten, Nachlässe an Erben in der UdSSR zu transferieren.708 Zweitens habe die Abschaffung von Privateigentum in der Sowjetunion zur Folge, dass selbst dann, wenn US-amerikanische Nachlassverwalter Erbschaften transferieren würden, die rechtmäßigen Erben diese nicht erhalten würden, sondern die sowjetische Regierung sie verstaatlichen würde.709 Letztere würde die „harten“ Dollars für ihre eigene, gegen die USA gerichtete Politik verwenden. Jeder Erbübertrag würde daher, so ein Nachlassrichter im Jahr 1948, ein Land stärken, das die USA die ganze Zeit über mit den Füßen trete.710 In ähnlicher Weise begründete ein County Treasurer vor Gericht in New York seine Entscheidung, einen Erbtransfer in die Sowjetunion nicht freizugeben: „[If] this money were turned over to the Russian authorities, it would be used to kill our

707 Charles Recht to Department of State, 2.6.1943, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, 311.60 H 54 L Jubica Matkovic/2 to 311.6153 Russian Re-Insurance Co./80, 1940–44, Box 1058. 708 Morton H. Rosen to State Department, 19.3.1948, und William H. Baker to State Department, 5.8.1948, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, 1945–49, 311.60N3/1-148 to 311.615/12-3149, Box 1642; The Harvard Law Review Association, Aliens. Disabilities. Soviet Citizens Can Inherit Property under California Law Because U.S.S.R. Accords Americans Equal Treatment with Nationals and Permits Them to Inherit Economically Significant Property Interests. Estate of Larkin, 416 P.2d 473, 52 Cal. Rptr. 441 (Sup. Ct. 1966), in: Harvard Law Review 80 (1967), H. 3, S. 675–678. Vgl. hierzu auch im Hinblick auf in der DDR wohnende Erben amerikanischer Nachlässe: Hans Breymann, Die Sicherung ausländischer, insbesondere amerikanischer Erbschaften von SBZ-Bewohnern gegen sowjetische Zugriffsversuche, in: Recht in Ost und West 2 (1958), H. 2, S. 54–58. 709 Harold J. Berman, Soviet Heirs in American Courts, in: Columbia Law Review 62 (1962), H. 257, S. 257–274, S. 257. 710 Berman, Heirs, S. 257.

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boys and innocent people in Southeast Asia“.711 Drittens argumentierten Anwälte und Richter, dass Erbschaften sowjetischer Bürger vor dem Zugriff ihres Staates geschützt werden müssten und daher solange in den USA sicher treuhänderisch zu verwahren seien, bis es eine 100-prozentige Sicherheit gebe, dass die Erben ihr ganzes Erbe erhalten würden und frei darüber verfügen könnten. Diese Argumente gewannen in den USA unter Juristen und Politikern zunehmend an Überzeugungskraft, da Stalins Innen- und Außenpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg die gehegten Befürchtungen zu bestätigen schien. Das sowjetische Erbrecht erwähnte bis in die 1950er Jahre keinen „ausländischen Erben/Erben im Ausland“, und zwischen 1950 und 1956 veröffentlichten das Oberste Gericht der UdSSR und der Ministerrat der UdSSR keine Berichte und Urteile zu aktuellen verhandelten Erbfällen. Erst nach Stalins Tod erlaubte Nikita S. Chruschtschow westlichen Juristen eine unabhängige Durchsicht und Analyse des sowjetischen Erbrechts sowie dessen praktischer Anwendung.712 Diese Maßnahmen standen im Zusammenhang mit weiteren Bestrebungen der sowjetischen Seite, Erbtransfers zwischen beiden Ländern zu ermöglichen. Bis dahin hatten US-amerikanische Familienmitglieder häufig seit mehreren Jahren oder gar Jahrzehnten nichts von ihren Verwandten in der Sowjetunion gehört und die Rechtslage bei transnationalen Erbtransfers blieb unklar. In Kombination mit dem in den USA grassierenden Antikommunismus führte dies in den Vereinigten Staaten immer wieder zur Blockade von Erbtransfers – wie im medial stark beachteten Erbfall Henry von der Heid. Henry von der Heid war ein deutscher Immigrant und starb 1948 in New York. Per Testament hatte er sein gesamtes Vermögen im Wert von ca. 63.000 Dollar an die Staatsbank der UdSSR vermacht und dieser auferlegt, mit seinem Erbe Kunst und Wissenschaft in der Sowjetunion zu fördern. Das New Yorker Amtsgericht lehnte den Transfer jedoch ab. Seiner Begründung nach war Henry von der Heid zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung nicht im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte gewesen, da er ein solches Vermächtnis sonst nie festgelegt hätte. Der Anwalt der sowjetischen Staatsbank, Charles Recht, argumentierte hingegen, dass keinerlei Anzeichen einer Geisteskrankheit beim Erblasser vorgelegen hätten und das Gericht von der Heid nur deshalb für unzurechnungsfähig erklärt habe, da er sein Erbe einem Staat vermacht habe, dem die USA feindlich gegenüberstünden. Dem Einspruch des Anwalts gab das Gericht nicht statt, sondern entschied, dass ein Drittel des Nachlasses an Kultureinrichtungen und Wohlfahrtsorganisation an Heids Wohnort, nämlich Brooklyn in New York, und zwei Drittel an seine nächsten Verwandten gehen sollten. Vom Gericht beauftragte Erbenermittler fanden diese

711 Cowley, Negotiating, S. 180. 712 Berman, Heirs, S. 273.

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in Deutschland. Drei dort lebende Nichten von der Heids erbten auf diesem Wege überraschend insgesamt 41.000 Dollar von ihrem in den USA verstorbenen Onkel. Um dem testamentarischen Erblasserwillen wenigstens teilweise Rechnung zu tragen, schlug Recht nach diesem Beschluss dem Gericht vor, das verbliebene Drittel der Erbschaft nicht Kultureinrichtungen in New York, sondern in der Sowjetunion zu übertragen – dem Moskauer Theater, der Medizinischen Fakultät der Moskauer Universität oder dem Moskauer Zoo. Doch auch diese Initiative blieb erfolglos.713 Der Erbfall von der Heid war in den späten 1940er und frühen 1950er Jahren kein Einzelfall. Als Harold J. Berman, Rechtsprofessor der Law School der HarvardUniversität in den 1950er Jahren, in Philadelphia Gerichtsprozessen beiwohnte, in denen Nachlasstransfers an Erben in der Sowjetunion verhandelt wurden, erklärten Richter regelmäßig, dass sie aufgrund ihrer antikommunistischen Überzeugung keine Erbschaften für den Transfer freigeben würden. In seinen Prozessschilderungen finden sich vielfach ähnliche Aussagen von verschiedenen Richtern: „If you want to say that I’m prejudiced, you can, because when it comes to Communism I’m a bigoted anti-Communist.“714 „I am not going to send money to Russia where it can go into making bullets which may one day be used against my son.“715 Vergleichbare Aussagen waren zwischen Ende der 1940er und Anfang der 1960er Jahre regelmäßig in US-amerikanischen Nachlassgerichten zu hören und in Zeitungen nachzulesen.716 Diese Aussagen spiegelten die weit verbreitete antikommunistische Stimmung in den USA wider. Zugleich verweisen sie auf die Diskrepanz zwischen schriftlich fixierten Erbgesetzen und konkreten Erbpraktiken. Denn laut der Erbgesetzgebung in den US-amerikanischen Bundesstaaten durften Testatoren – abgesehen von Pflichtteilen – frei über ihren Nachlass verfügen und ihn von ihnen selbst bestimmten Personen und Institutionen vermachen. Die angeführten Zitate verdeutlichen hingegen, dass in der Praxis auch die politischen Beziehungen zwischen der Sowjetunion und den USA und die politischen Überzeugungen von Richtern und Anwälten Erbtransfers zwischen beiden Ländern beeinflussten. Trotz der in US-amerikanischen Erbgesetzen allen Eigentümern gewährten Testierfreiheit erschwerten und verhinderten Richter und Anwälte in den 1950er Jahren immer wieder Erbtransfers aus den USA an Erben in der Sowjetunion. Darauf reagierte

713 Cowley, Negotiating, S. 189–195. Für einen ähnlichen Fall vgl. Estate of Gogabashvele, 195 Cal. App. 2d 503, 16 CaL Rptr. 77 (1961). 714 Berman, Heirs, S. 257. 715 Berman, Heirs, S. 257. 716 Für zahlreiche weitere Beispiele vgl. William H. Baker to Secretary of State, 5.8.1948, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, 1945–49, 311.60N3/1-148 to 311.615/12-3149, Box 1642; G. G. Biling to Secretary of State, 5.3.1949, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, 1945–49, 311.60N3/1-148 to 311.615/12-3149, Box 1642; o. A., Jurist Asserts Russia ‘is Kicking U.S. in Teeth’, in: Los Angeles Times, 9.3.1948.

Umkämpfte Erbschaften – Nachlässe als Gegenstände internationaler Politik

die Sowjetunion mit verschiedenen Strategien, die das Anwaltskollegium für internationale Privatrechtsfragen Inostrannaja Juridičeskaja Kollegija (Injurkollegija) koordinierte. Inostrannaja Juridičeskaja Kollegija (Injurkollegija) – das sowjetische Anwaltskollegium für internationale Privatrechtsfragen

Das im Jahr 1937 gegründete Anwaltskollegium für internationale Privatrechtsfragen Inostrannaja Juridičeskaja Kollegija (Injurkollegija) war der institutionelle Nachfolger des Kreditbüros, sah sich aber finanziell und organisatorisch besser ausgestattet.717 Einer seiner Direktoren war der international renommierte Jurist Aleksandr F. Volčkov, der als Richter während der Nürnberger Prozesse tätig gewesen war. Die zentrale Aufgabe des Kollegiums bestand in der Rechtshilfe für sowjetische Bürger und Organisationen im Ausland und für Ausländer, die in der Sowjetunion lebten, insbesondere bei Erbfällen.718 Um die US-amerikanischen Blockaden in Erbangelegenheiten zu durchbrechen, griff das Anwaltskollegium auf verschiedene Strategien zurück: Es erstellte – zum Teil sogar in Kooperation mit US-amerikanischen Diplomaten und Juristen – ausführliche Berichte, in denen es Nachlasstransfers aus der Sowjetunion an USamerikanische Erben dokumentierte. Charles Recht legte dem State Department schon im Jahr 1943 eine Liste vor, nach der er persönlich zwischen den Jahren 1938 und 1942 jährlich Nachlässe in Höhe von insgesamt ca. 100.000 Dollar aus der Sowjetunion an Personen in den Vereinigten Staaten überwiesen habe.719 Des Weiteren unterstützte Injurkollegija US-amerikanische Erben bei der Durchsetzung ihrer Rechte in der Sowjetunion, während es gleichzeitig Fälle zu vermeiden suchte, in denen Erbtransfers aus der Sowjetunion in die USA nicht zustande kamen. Letztere erzeugten aus ihrer Sicht nur Probleme, da sie von US-amerikanischen Richtern und Juristen wieder als Beleg dafür angeführt würden, dass Ausländer nicht von sowjetischen Bürgern erben könnten. Mit seinen Berichten und Hilfsleistungen wollte das Kollegium genau das Gegenteil davon beweisen.720 Schließlich verwies die sowjetische Seite auf das wachsende Netz an Beriozka-(bzw. Vneshosyltorg)Läden in der Sowjetunion. In diesen Geschäften war ein breites Sortiment an westlichen Konsumgütern und Luxusgütern erhältlich. Sowjetische Erben – so

717 Der zentrale Aktenbestand zu Injurkollegija durfte nicht eingesehen werden; GARF, F. 9562, Kollektiv Advokatov „Injurkollegija“ pri Moskovskoj Gorodskoj Kollegii Advokatov. 718 Cowley, Negotiating, S. 180f.; Kaltenbrunner, Dorf, S. 513–527. 719 Charles Recht to Department of State, 2.6.1943, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, 311.60 H 54 L Jubica Matkovic/2 to 311.6153 Russian Re-Insurance Co./80, 1940–44, Box 1058. 720 Cowley, Negotiating, S. 185.

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die Argumentation von Injurkollegija – können diese mit ihrem Erbe erwerben und seien daher ebenso wenig wie westliche Erben bei der Verwendung ihres Erbes eingeschränkt.721 Im Jahr 1964 teilte Vladimir T. Kovalchuk, Vorsitzender der Beriozka-Läden, dem State Department mit: Soviet citizens who receive foreign exchange […] by inheritance from foreign countries, including the USA, may freely and without limitation of any kind exchange it for certificates good for purchases in V/O “Vneshposyltorg” stores of any kind of industrial and food products; they have the right of acquiring, through V/O “Vneshposyltorg” apartments, garages for automobiles, accommodations in rest homes and sanatoriums of the USSR.722

Zusätzlich zu den genannten Maßnahmen lud Injurkollegija Mitte der 1950er Jahre mehrere bilaterale Kommissionen in die Sowjetunion ein, um zu überprüfen, ob die von US-amerikanischen Richtern und Politikern erhobenen Vorwürfe zutrafen. Die Kommissionen bestanden hauptsächlich aus Mitgliedern des State Department respektive der US-amerikanischen Botschaft in Moskau, US-amerikanischen Juristen und Rechtswissenschaftlern sowie sowjetischen Diplomaten und Juristen. Diese Kommissionen untersuchten einzelne Erbfälle – wie den anfangs geschilderten Erbfall Birnbaum – und bekamen die vom Kollegium erstellten Berichte und Dokumentationen vorgelegt. Alle Kommissionen kamen daher relativ schnell zu der Überzeugung, dass in der Regel US-amerikanische Erbschaften an sowjetische Erben ausbezahlt und Erbschaften aus der Sowjetunion und anderen osteuropäischen Ländern an US-amerikanische Erben transferiert wurden. Die Gesetze in den USA und der Sowjetunion würden Erbtransfers erlauben und ermöglichen.723

721 Mehrere Broschüren der Beriozka-Läden finden sich in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Bureau of European Affairs, Office of Soviet Union Affairs, Bilateral Political Relations Section, Bilateral Political Relations Subject Files, 1921–1973, PS 7-1 – Mott, Newcomb: Telegrams & Airgrams, 1965–1967 to V 29-1-Balashova, et al., 1945–1965, Box 22. 722 American Embassy Moscow to Department of State, Transmission of American Inheritances to Soviet Heirs, 1.12.1967, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Bureau of European Affairs, Office of Soviet Union Affairs, Bilateral Political Relations Section, Bilateral Political Relations Subject Files, 1921–1973, PS 7-1 – Mott, Newcomb: Telegrams&Airgrams, 1965–1967 to V 29-1-Balashova, et al., 1945–1965, Box 22. 723 AM Embassy Moscow: Reciprocal Inheritance Rights – Distribution of United States Treasury Checks in the USSR, March 1959 und Concerning the Transfer Abroad of Inherited Sums – Resolved by the Council of Ministers of the USSR on April 21, 1955 No 781 (unofficial translation), 21.4.1955, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Bureau of European Affairs, Office of Soviet Union Affairs, Bilateral Political Relations Section, Bilateral Political Relations Subject Files, 1921–1973, PS 7-1 – Mott, Newcomb: Telegrams & Airgrams, 1965–1967 to V 29-1-Balashova, et al., 1945–1965, Box 22; Kristine Strachan, Estates. Soviet Citizens Can Inherit under California Law, in: California Law Review 55 (1967), H. 2, S. 592–607; American Bar Association, Report of

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Dies wurde noch deutlicher, als die Sowjetunion im Jahr 1961 ihr Erbrecht änderte, um transnationale Erbtransfers zu erleichtern. Um die Vorwürfe USamerikanischer Journalisten und Nachlassrichter zu entkräften, dass es in der Sowjetunion verboten sei, eine Erbschaft anzunehmen, dass kein Privateigentum existiere und dass ein Erbe nicht an Personen außerhalb der Sowjetunion vermacht werden könne, hielten die neuen Gesetze explizit fest, „that foreign citizens enjoy in the USSR the same civil law capacity as Soviet citizens. […] [F]oreign citizens have access to Soviet courts and enjoy equal procedural rights with Soviet citizens. […] Matters of succession are governed by the law of the country in which the deceased had his last permanent residence.“724 Zusätzlich hob die Regierung Beschränkungen der Testierfreiheit auf und erweiterte den Personenkreis, an den Erbe vermacht werden durfte, deutlich. Mit diesen Maßnahmen näherte sich das sowjetische Erbrecht wieder den westlichen Erbrechten an. Sowjetische Juristen unternahmen große Anstrengungen, um ihre US-amerikanischen Kollegen darüber zu informieren, dass es keine rechtlichen Argumente gebe, die gegen einen Transfer von Erbschaften in die Sowjetunion sprächen. Aleksxandr F. Volčkov machte dies in seiner Rede vor der Sektion für Internationales Privatrecht der American Bar Association im Jahr 1968 in Philadelphia deutlich, während andere sowjetische Juristen in englischsprachigen Fachartikeln über das sowjetische Erbrecht aufklärten.725 Trotz dieser Maßnahmen zur Vereinfachung von Nachlasstransfers registrierte Injurkollegija bald, dass US-amerikanische Anwälte und Richter angesichts eines in den USA grassierenden Antikommunismus Erbtransfers weiterhin blockierten. Dies geschah nun hauptsächlich über die extrem strikte Auslegung von Formalvorgaben im Probate-Verfahren. So verlangten US-amerikanische Anwälte von sowjetischen Erben, ihre Originaldokumente auf der US-Botschaft in Moskau vorzulegen und dort beglaubigen zu lassen, was vielen nicht in Moskau wohnenden Personen aus finanziellen Gründen oder aufgrund von Reisebeschränkungen nicht möglich war. Die Anwälte erklärten Testamente aufgrund kleinster Ungenauigkeiten und Formfehler für ungültig oder nutzten das komplizierte Probate-Verfahren, um Erbfreigaben zu verzögern.726

the Committee on Soviet Law, in: American Bar Association (Hrsg.), Proceedings (American Bar Association. Section of International and Comparative Law) 1961, S. 240–255. 724 Bader/Brown/Grzybowski, Cases, S. 106f. 725 Richard P. Brown Jr., Soviet Law and Procedure Concerning Property and Inheritance, in: The International Lawyer 3 (1969), H. 4, S. 787–796. 726 American Embassy Moscow to State Department: Case of Adella Zimavicius Dundys, March 28, 1969, in: NARA, RG 59 General Records of the Department of State, Bureau of European Affairs, Office of Soviet Union Affairs, Bilateral Political Relations Section, Bilateral Political Relations Subject Files, 1921–1973, PS 7-1 – Mott, Newcomb: Telegrams & Airgrams, 1965–1967 to V 29-1-Balashova, et al., 1945–1965, Box 22; Berman, Heirs, S. 269.

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Angesichts dieser andauernden Blockadehaltung und Kooperationsunwilligkeit US-amerikanischer Anwälte und Gerichte entwickelte Injurkollegija zusammen mit der sowjetischen Regierung eine neue Strategie, um Erbtransfers zu gewährleisten: Sie schickten Anfang der 1960er Jahre ein Team von Spitzenjuristen in die USA, das begann, vor US-amerikanischen Gerichten die Herausgabe von Nachlässen einzuklagen. Alexander F. Volčkov führte die Gruppe persönlich an, den das State Department als bestens ausgebildet für Klagen vor US-Gerichten einschätzte. Weitere Mitglieder der Delegation waren die Professoren Sergei Bratus und L. A. Lunc. Bratus war einer der führenden sowjetischen Experten im Bereich des Zivilrechts, Professor einer der wichtigsten Jura-Fakultäten und Mitarbeiter an den Erbrechtsreformen in der Sowjetunion Anfang der 1960er Jahre. Lunc lehrte unter anderem seit 1918 internationales Privatrecht, war Mitglied in sowjetischen und internationalen Juristenvereinigungen und hatte wie sein Kollege ausführlich zu Fragen des Zivil- und internationalen Privatrechts publiziert.727 Zur Vorbereitung der Gerichtsprozesse und zur Unterstützung der Delegation arbeitete Injurkollegija eng mit weiteren sowjetischen Rechtsexperten im Bereich des Völkerrechts, des internationalen Handelsrechts, des sowjetischen Erbrechts, der US-amerikanischen Erbrechte und des internationalen Privatrechts zusammen. Außerdem errichtete das Kollegium Außenstellen in Leningrad, in der Ukraine (in Kiew, Lvov, Uzhgorod), Weißrussland, Lettland, Litauen, Estland und Armenien und damit in den Gebieten, aus denen die meisten Auswanderer stammten. Diese Außenstellen sollten in Zusammenarbeit mit dem Justizministerium, dem Außenministerium, dem Handelsministerium, dem Ministerium für Staatssicherheit und (lokalen) Archiven die Juristen bei der Suche von Erben und der Beschaffung von Dokumenten unterstützen, mit denen Ansprüche auf Nachlässe in den USA geltend gemacht werden konnten. Die Zahl der Mitarbeiter stieg dabei von mindestens 15 Juristen in Moskau Anfang der 1960er Jahre auf 128 Mitarbeiter in Moskau und 58 Mitarbeiter in den Außenstellen Ende der 1980er Jahre.728 Darüber hinaus stieß der Vorsitzende des Kollegiums Volčkov ab Anfang der 1960er Jahre in den verbündeten europäischen Staaten die Gründung ähnlicher auf internationales Zivilrecht spezialisierter Rechtsanwaltsvereinigungen an.729 Durch

727 In re Estate of Larkin, 65 Cal. 2d 60, 416 P.2d 473, 52 Cal. Rptr. 441 (1966). 728 Yuri I. Luryi, History of Soviet Inheritance Abroad. Soviet Heirs to American and Canadian Estates. Soviet/Russian Succession Law. Recent Past and Uncertain Present, in: Donald D. Barry/George Ginsburgs/William B. Simons (Hrsg.), The Revival of Private Law in Central and Eastern Europe. Essays in honor of F. J. M. Feldbrugge, The Hague u. a. 1996, S. 193–221, S. 200f. 729 Abschrift aus dem Aktenvermerk über eine Unterredung [eines Mitarbeiters der Botschaft in Moskau, J. D.] mit dem Stellvertreter des Leiters des Injurkollegiums, Genossen Korobjow, 31.8.1963, in: AfR, Order: Rechtsanwaltsbüro – Grundsatz, Entstehung, Statut, Richtlinien.

Umkämpfte Erbschaften – Nachlässe als Gegenstände internationaler Politik

die Bündelung von juristischer Expertise und die Intensivierung der internationalen Zusammenarbeit sollten, so Volčkov gegenüber dem Leiter des Amtes für den Rechtsschutz des Vermögens der Deutschen Demokratischen Republik, die „Eigentumsrechte der DDR-Bürger im Ausland“730 verteidigt werden. Die Regierung der DDR griff diesen Impuls auch deshalb auf, um den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik, der sich auch auf die internationale Vertretung aller Erben mit west- oder ostdeutscher Staatsangehörigkeit bezog, entgegenzutreten sowie um an ausländische Devisen zu gelangen. Nicht zuletzt profitierten auch einzelne Städte immer wieder von im Ausland anfallenden Erbschaften, wenn Testatoren kulturelle oder anderweitige Einrichtungen aus einer bestimmten Stadt mit Legaten bedachten oder wenn keine gesetzlichen Erben zu ermitteln waren und Kommunen als Fiskalerben Anspruch auf angefallene Erbschaften erhoben.731 In Kombination führten der Druck aus Moskau und eigene Interessen dazu, dass in der DDR das Ministerium der Justiz Anfang der 1960er Jahre – ähnlich wie die Justizministerien in Polen und der Tschechoslowakei – damit begann, Organisationen und Spezialabteilungen zum Schutz des Vermögens ihrer Bürger im Ausland aufzubauen. Im Jahr 1966 gründete es das Amt für den Rechtsschutz des Vermögens der DDR, dem das im Jahr 1967 eingerichtete Rechtsanwaltsbüro für internationale Zivilrechtsvertretung (RAB) unterstand.732 Hierfür suchte das Amt ideologisch zuverlässige fachliche Experten für das internationale Zivilrecht und das Erbrecht anderer Länder, möglichst mit Fremdsprachenkenntnissen, da sie auch im Ausland zum Einsatz kommen sollten.733 Diese Anforderung erfüllten in der DDR zunächst nur wenige Rechtsanwälte, so dass das Justizministerium zeitgleich mit der Gründung des RAB im Januar 1967 einen Lehrgang zur Qualifizierung von Juristen auf dem Gebiet des Schutzes und der Sicherung des Volkseigentums in anderen Staaten an der Akademie für Staats- und Rechtswissenschaft „Walter Ulbricht“ in Potsdam-Babelsberg einführte.734 In den östlichen Nachbarländern nahmen ebenfalls das auf internationales Zivilrecht spezialisierte Anwaltskollegium Nr. 1 in Prag und ein ähnliches Kollegium in Warschau ihre Arbeit auf, die sich

730 Woltschkow an Zentralstelle zum Schutz des Volkseigentums beim Büro des Ministerrats, 16.11.1966, in: AfR, Order: Rechtsanwaltsbüro – Grundsatz, Entstehung, Statut, Richtlinien. 731 Zahlreiche Beispiele für solche Verfahren finden sich in PA AA, MAV 15 Bonn 9886 93 und M 41 544 89. 732 Gesetzesblatt der Deutschen Demokratischen Republik, Teil II, Nr. 79, „Anordnung über die Bestätigung des Status des Rechtsanwaltsbüros für internationale Zivilrechtsvertretung“, 19.8.1967, in: AfR, Order: Rechtsanwaltsbüro – Grundsatz, Entstehung, Statut, Richtlinien. 733 Dr. Benjamin an Büro des Ministerrats der Deutschen Demokratischen Republik, Gen. Prof. Kleyer, 28.10.1963, in: AfR, Order: Rechtsanwaltsbüro – Grundsatz, Entstehung, Statut, Richtlinien. 734 Amt für den Rechtsschutz des Vermögens der Deutschen Demokratischen Republik, Der Leiter, an Präsidenten des Injurkollegiums der Stadt Moskau, Genossen Prof. Woltschkov, 2.1.1967, in: AfR, Order: Rechtsanwaltsbüro – Grundsatz, Entstehung, Statut, Richtlinien.

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international eng mit dem Büro der DDR und Injurkollegija abstimmten und austauschten.735 Über die europäischen sozialistischen Länder hinaus suchte Injurkollegija auch gezielt die Kooperation mit in den USA ansässigen Anwälten und Kanzleien, die sich ebenfalls im Bereich des Erbrechts spezialisiert hatten. Erster Ansprechpartner des Kollegiums in den USA und zentraler Organisator des US-amerikanischen Netzwerkes war Charles Recht, der zusammen mit der ebenfalls in New York ansässigen Anwaltskanzlei Wolf, Popper, Ross, Wolf & Jones die Zusammenarbeit mit Anwälten und Kanzleien in 15 verschiedenen Städten der USA koordinierte. Nach Rechts Tod im Jahr 1965 baute Injurkollegija dieses Netzwerk weiter aus. Im Februar 1975 berichtete die sowjetische Zeitung Izvestija stolz, dass die Anwälte von Injurkollegija gerade ihren fünfzigtausendsten Fall begonnen hätten, woran sich ein längerer Bericht über die Arbeit des Kollegiums anschloss.736 In den 1980er Jahren bestand es aus ungefähr 500 Anwälten, Kanzleien, Banken, Versicherungen, Trusts und Nachlassverwaltern in den USA, die sich darauf spezialisiert hatten, Erbschaften in die Sowjetunion zu transferieren.737 Zum 50. Jubiläum der Organisation im Jahr 1987 gab ihr Direktor, A. Srantsev, an, Erbfälle hätten etwa zwei Drittel aller von Injurkollegija betreuten Fälle ausgemacht. Seine Organisation sei pro Jahr an etwa 1500 transnationalen Nachlasstransfers beteiligt.738 Zu ihren Klienten gehörten dabei auch Verwandte russischer Aristokraten, die nach der Oktoberrevolution aus dem Land geflüchtet waren, sowie Soldaten, die nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr zurückgekehrt waren.739 Jenseits aller ideologischen Überzeugungen hatte die sowjetische Regierung auch ganz handfeste ökonomische Interessen an einem möglichst reibungslosen Transfer von im Ausland anfallenden Nachlässen an in der Sowjetunion lebende Erben. Petrus Buwalda, von 1986 bis 1990 niederländischer Botschafter in Moskau, schätzte diese Arbeit von Injurkollegija, ähnlich wie die schweizerische Auslandsvertretung, als zwar langsam, aber erfolgreich ein, da es

735 Aktenvermerk über ein Gespräch, das der Unterzeichnete [Maiwald, III. Sekretär, J. D.] mit dem Vorsitzenden der Vereinigung der tschechoslowakischen Rechtsanwälte, Genossen Dr. Hrazdiva, und dem Vorsitzenden des Rechtsanwaltskollegiums Nr. 1 in Prag, Genossen Dr. Donner am 24.1.1964 führte, und Goede, Leiter der Abt. Sowjetunion an Leiter des Amtes für den Rechtsschutz des Vermögens der Deutschen Demokratischen Republik, 4.2.1967, in: AfR, Ordner: Rechtsanwaltsbüro – Grundsatz, Entstehung, Statut, Richtlinien. 736 Vladimir Itkin, Delo No. 50.000. Reportaž iz Injurkollegii, in: Izvestija, 26.2.1975. 737 Luryi, History, S. 201. 738 Luryi, History, S. 200f. 739 Anna Ivanova, Shopping in Beriozka. Consumer Society in the Soviet Union, in: Zeithistorische Forschungen/Studies in Contemporary History, Online-Ausgabe, 10 (2013), H. 2, http:// www.zeithistorische-forschungen.de/2-2013/id=4536 (letzter Zugriff 13.4.2023), Druckausgabe: S. 243–263.

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der Organisation immer wieder gelang, sehr alte Dokumente aus den entlegensten Winkeln der Sowjetunion zu beschaffen.740 In den USA kam es in Reaktion auf Injurkollegijas Tätigkeiten und Klagen vor US-Gerichten seit den 1950er Jahren zum Aufbau von Wissensbeständen auf dem Gebiet des sowjetischen und internationalen Privatrechts. Es entstanden große Forschungszentren, und einzelne Juristen spezialisierten sich auf Fragen grenzüberschreitender Erbtransfers. Vladimir Gsovski etablierte sich als einer der führenden US-amerikanischen Experten. Als Leiter der Foreign Law Section in der Library of Congress übersetzte er sowjetische Gesetze ins Englische, die zusammen mit seinen Gesetzesinterpretationen zu Standardwerken wurden.741 Darüber hinaus war Gsovski eine wichtige Kontaktperson des State Department, das er bei transnationalen Erbfällen juristisch beriet.742 Der bereits zitierte Harold J. Berman, Juraprofessor an der Law School in Harvard, war in gewisser Weise einer der Gegenspieler von Gsovski. Berman beobachtete mehrere Gerichtsfälle, in denen es um transnationale Erbschaften ging, und vertrat manchmal selbst sowjetische Erben vor Gericht. Er war Mitglied der bilateralen Kommissionen gewesen, die in den 1950er Jahren Nachlasstransfers in die Sowjetunion untersucht hatten, und er war ein Wissenschaftler, der sich auf der Basis dieser Erfahrungen in seinen Publikationen regelmäßig für die Kooperation mit der Sowjetunion und eine Vereinfachung von Erbtransfers aussprach.743 Weitere US-amerikanische Experten dieser Zeit waren John N. Hazard und George Ginsburgs, die ebenfalls regelmäßig zu diesem Thema publizierten. Ihre Publikationen sind gemeinsam mit denen von Gsovski und Berman ein Produkt der Rechtsstreitigkeiten der 1950er und 1960er Jahre. Darüber hinaus stellen sie trotz ihrer ideologischen Färbung bis in die Gegenwart 740 Petrus Buwalda, They did not dwell alone. Jewish emigration from the Soviet Union 1967–1990, Washington, Baltimore 1997, S. 86; Légation de Suisse en URSS an die Abteilung für Politische Angelegenheiten des Eidgenössischen Politischen Departments, 22.3.1956, in: Diplomatic Documents of Switzerland 1848–1975, https://dodis.ch/12176 (letzter Zugriff 19.4.2021). 741 Gsovski, Soviet Civil Law; Kazimierz Grzybowski/Vladimir Gsovski (Hrsg.), Government, Law, and Courts in the Soviet Union and Eastern Europe, 2 Bde., New York 1959. 742 Memorandum: Right of Foreigners to Inherit Property in the Soviet Union, 7.7.1949, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Bureau of European Affairs, Office of Soviet Union Affairs, Bilateral Political Relations Section, Bilateral Political Relations Subject Files, 1921–1973, PS 7-1 – Mott, Newcomb: Telegrams & Airgrams, 1965–1967 to V 29-1-Balashova, et al., 1945–1965, Box 22; In re Estate of Larkin, 65 Cal. 2d 60, 416 P.2d 473, 52 Cal. Rptr. 441 (1966). 743 American Embassy Moscow: Reciprocal Inheritance Rights – Distribution of United States Treasury Checks in the USSR, March 1959, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Bureau of European Affairs, Office of Soviet Union Affairs, Bilateral Political Relations Section, Bilateral Political Relations Subject Files, 1921–1973, PS 7-1 – Mott, Newcomb: Telegrams & Airgrams, 1965–1967 to V 29-1-Balashova, et al., 1945–1965, Box 22; In re Estate of Larkin, 65 Cal. 2d 60, 416 P.2d 473, 52 Cal. Rptr. 441 (1966).

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einen Großteil der auf Englisch verfügbaren Literatur zu diesem Themenkomplex dar. Anfang der 1960er Jahre trafen Befürworter und Gegner von US-amerikanischen Nachlasstransfers an sowjetische Erben vor US-amerikanischen Gerichten in einigen großen, prominent besetzten und medial beachteten Fällen aufeinander. An den Verhandlungen von In re Estate of Larkin nahmen Professor John N. Hazard von der Columbia Law School und dem Columbia’s Russian Institute, Professor Harold J. Berman, Vladimir Gsovski und Alexander F. Volčkov teil. Die sowjetische Seite gewann diese Fälle, während die Gegner von Nachlasstransfers in die UdSSR Niederlagen einstecken mussten. Die Gerichte entschieden, dass Erbschaften auch an in der Sowjetunion lebende Erben zu übertragen seien.744 Damit waren Präzedenzfälle geschaffen, und das State Department rechnete damit, dass die Gegner von Nachlasstransfers in die Sowjetunion bald weitere Gerichtsfälle verlieren würden. So lebten laut dem Bevölkerungszensus von 1960 etwa 2,2 Millionen Menschen in den USA, die in der Sowjetunion und in Osteuropa geboren worden waren und in der Mehrzahl bereits ein höheres Alter erreicht hatten, womit die Aufteilung ihres Nachlasses bald zu erwarten war. Dazu kamen noch circa fünf Millionen US-Amerikaner der zweiten Einwanderergeneration, die dauerhaft in den USA lebten, aber Verwandte in der Sowjetunion hatten. Nicht eingerechnet waren dabei Personen, die im asiatischen Teil der Sowjetunion geboren waren oder aus anderen, nicht-europäischen kommunistischen Staaten wie der VR China oder Kuba stammten.745 Sowjetische Spezialisten schätzten im Jahr 1975, dass etwa 6,5 Millionen Menschen, die in der Sowjetunion oder im Ostblock geboren worden waren, außerhalb ihrer Länder wohnten, die meisten davon in Kanada und den USA.746 Die Frage, wie Nachlässe in die Sowjetunion respektive in andere kommunistische Länder transferiert werden sollten, schien Anfang der 1960er Jahre und damit zu einem Zeitpunkt der verschärften Ost-West-Konfrontation drängend und mittelfristig noch akuter zu werden. Neben den konkreten verlorenen Gerichtsfällen war es die globale Auseinandersetzung zwischen den USA und der Sowjetunion, die US-Politiker zu einem Umdenken bewog. Angesichts des globalen Kampfes um die

744 In re Estate of Larkin, 65 Cal. 2d 60, 416 P.2d 473, 52 Cal. Rptr. 441 (1966); opinion followed in 65 CaL 2d 886, 416 P.d 491, 52 Cal. Rptr. 459 (1966); Brown Jr., Law; The Harvard Law Review Association, Aliens. 745 Department of State Legal Advisor: Questions concerning rights of inheritance as between citizens of the United States and residents of the Soviet Union, May 10, 1963, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Bureau of European Affairs, Office of Soviet Union Affairs, Bilateral Political Relations Section, Bilateral Political Relations Subject Files, 1921–1973, PS 7-1 – Mott, Newcomb: Telegrams & Airgrams, 1965–1967 to V 29-1-Balashova, et al., 1945–1965, Box 22. 746 Luryi, History, S. 193. Vgl. Kaltenbrunner, Dorf.

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„hearts and minds“ der Afrikaner und Asiaten befürchteten sie, dass die Sowjetunion ihre Erfolge vor US-amerikanischen Gerichten propagandistisch ausnützen und das US-amerikanische Rechtssystem als ungerecht und diskriminierend darstellen würde.747 In diesem Kontext sprachen sich immer mehr US-Politiker für eine Beilegung der Erbschaftsstreitigkeiten mit der Sowjetunion und eine Vereinfachung von Nachlasstransfers aus. Während der Kubakrise stieß diese Fraktion mit ihren Vorschlägen zwar noch einmal auf entschiedenen Widerstand, mit Beginn der Entspannungspolitik setzten sich die US-Regierung und der Supreme Court aber für den Transfer von Nachlässen sowie für deren Vereinfachung ein. Im Jahr 1968 hob das Treasury Department seine Restriktionen gegenüber der Sowjetunion auf. Im gleichen Jahr erklärte der Supreme Court ein Statut des Bundesstaates Oregon, das den Transfer von Nachlässen an Erben in den kommunistischen Staaten des Ostblocks verbot, für ungültig. Ausgangspunkt der Rechtsstreitigkeiten war der Tod einer US-Amerikanerin deutscher Abstammung im Jahr 1962, deren nächste Verwandte, darunter Oswald Zschernig, in der DDR wohnten und denen ihr Nachlassverwalter Miller und das State Land Board of Oregon die Auszahlung des Erbes verweigert hatten, bis der Supreme Court diese Entscheidung für verfassungswidrig erklärte.748 Die Annäherung zwischen den USA und der Sowjetunion führte schließlich im Oktober 1973 zu einer internationalen Konferenz in Washington, auf der die weitere Vereinfachung und Erleichterung von transnationalen Nachlasstransfers beschlossen werden sollte. Bis dahin gaben die politischen und rechtlichen Auseinandersetzungen und Rechtsunsicherheiten zwischen den USA und der Sowjetunion sowie die skizzierten Netzwerke aus Juristen und Diplomaten den Rahmen für Erbübertragungen vor, mit dem sich Erblasser bei der Nachlassplanung und Nachlassverwalter sowie Erben beim Nachlasstransfer konfrontiert sahen. Zugleich kam den staatlichen und nicht-staatlichen Nachlassverwaltern, Erbenermittlern und Juristenvereinigungen wie Injurkollegija bei Nachlasstransfers aus Sicht der Erben eine durchaus ambivalente Rolle zu. Einerseits leisteten sie wichtige Dienstleistungen bei der Suche von Erben, der Beschaffung von Dokumenten oder der rechtlichen Beratung, welche die Transfers vielfach erst ermöglichten. Andererseits äußerten sich sowjetische Erben in den 1970er und 1980er Jahren auch negativ gegenüber den Tätigkeiten des Kollegiums. Deren rechtlicher Beistand ging mit hohen Gebühren einher. In den 1980er Jahren beschwerten sie sich öffentlich über

747 Reportage, in: Literaturnaya Gazeta, No. 12, 22.3.1967. 748 Zschernig v. Miller, 389 U.S. 429 (1968); Kurt Siehr, Die Rechtsstellung von Ausländern im Erbrecht der Vereinigten Staaten von Amerika. Zur Entscheidung des Supreme Court im Fall Zscherning v. Miller, in: Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 33 (1969), H. 2, S. 290–314; Jeff Gerth, Doubt Voiced on Bequest to Heirs in Moscow, in: The New York Times, 25.9.1983.

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diesen Umstand, und es ist zumindest wahrscheinlich, dass sie dies im Privaten auch schon in den 1950er und 1960er Jahren taten. Denn die von Injurkollegija beauftragten US-amerikanischen Anwälte verlangten in der Regel zwischen einem Viertel und einem Drittel der Nachlasssumme als Gebühr für ihre Dienste. Anschließend transferierte das Kollegium den Nachlass in die Sowjetunion, wofür sie Gebühren in Höhe von zehn Prozent des Nachlasses sowie die Übernahme von Sonderausgaben verlangte.749 Das heißt, etwa 40 Prozent des Nachlasses wurden von den beteiligten US-amerikanischen Anwälten und Injurkollegija schon vor dessen Besteuerung aufgebraucht. Doch auch nach Abzug von Gebühren und Steuern erhielten die sowjetischen Erben das restliche Vermögen nicht ausbezahlt. Vielmehr wurde das Nachlassvermögen auf ein Konto der Sowjetischen Staatsbank überwiesen, wofür die Staatsbank wiederum ein Prozent der transferierten Summe als Gebühr verlangte. Dann konnten die Empfänger zwischen zwei Optionen wählen: ihre Dollars in einem festgelegten Wechselkurs gegen Rubel zu tauschen und sich diese ausbezahlen zu lassen oder sich Schecks ausstellen zu lassen, mit denen sie in Beriozka-Läden bezahlen konnten. Durch ungünstige Wechselkurse sank der Wert des letztendlich ausbezahlten Nachlasses dabei weiter, in extrem ungünstigen Fällen um bis zu 30 Prozent.750 Diesem Problem nahm sich auch die im Jahr 1977 gegründete Ukrainian-American Lawyers Association (heute: Ukrainian American Bar Association) an.751 Auf einem ihrer ersten Treffen diskutierte sie Fälle, in denen nur noch etwa zehn Prozent des ursprünglichen Nachlasswertes an sowjetische Erben ausbezahlt worden war.752 Für einige US-amerikanische Anwälte bestätigten diese Fälle ihre Behauptung, dass Nachlässe in der Sowjetunion verstaatlicht würden und die Erben nichts von ihrer Erbschaft erhielten.753 Für die Erben selbst stellten die enormen Abzüge wiederum einen Anreiz dar, staatliche

749 American Embassy Moscow: Reciprocal Inheritance Rights – Distribution of United States Treasury Checks in the USSR, March 1959, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Bureau of European Affairs, Office of Soviet Union Affairs, Bilateral Political Relations Section, Bilateral Political Relations Subject Files, 1921–1973, PS 7-1 – Mott, Newcomb: Telegrams & Airgrams, 1965–1967 to V 29-1-Balashova, et al., 1945–1965, Box 22. 750 Luryi, History, S. 205ff. 751 Ukraïns’ko-Amerikans’ki Advokati Vidbuli v Klivlendi svoju peršu krajovu konferenciju stvorili svoju asocijaciju, in: Svoboda (29.9.1977), in: http://www.uaba.org/page-780762 (letzter Zugriff 13.4.2021). 752 Claudia Brooks, Trust & Estate Planning. The Effect of Soviet Policies on Legacies from Abroad, in: Hastings International and Comparative Law Review 1 (1977), S. 195–213, S. 211. 753 American Embassy Moscow to State Department: Case of Adella Zimavicius Dundys, March 28, 1969, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Bureau of European Affairs, Office of Soviet Union Affairs, Bilateral Political Relations Section, Bilateral Political Relations Subject Files, 1921–1973, PS 7-1 – Mott, Newcomb: Telegrams & Airgrams, 1965–1967 to V 29-1-Balashova, et al., 1945–1965, Box 22.

Umkämpfte Erbschaften – Nachlässe als Gegenstände internationaler Politik

Institutionen wenn möglich aus dem Nachlasstransfer herauszuhalten und auf persönliche Netzwerke zu vertrauen. Unabhängig von diesen Beschwerden zeigen diese Transfers aber vor allem, dass seit den 1920er Jahren ein enormes Wissen über transnationale Vermögenstransfers und die damit verbundenen rechtlichen Fragen sowie entsprechende Netzwerke entstanden waren, die in einer Vielzahl von Fällen zum grenzüberschreitenden Übertrag von Erbe beitrugen und diesen ab den späten 1960er Jahren zwischen den USA, der Bundesrepublik und der UdSSR wieder ermöglichten.

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III. Liberalisierung und Legitimierung des Familienprinzips seit den 1960er Jahren

1.

Politische und rechtliche Reformen von Erbrecht und Erbschaftssteuern

1.1 Liberalisierung des Familien- und Erbrechts Die Regierungen der USA, der Bundesrepublik und der UdSSR reformierten seit den 1960er Jahren erneut ihr Familien- und Erbrecht. Das der gesetzlichen Erbfolge zugrunde liegende bürgerliche Familienbild wurde in allen drei Staaten liberalisiert und an veränderte Gesellschaftsbedingungen angepasst. Dementsprechend stärkten die Bundesrepublik und die USA nun auch die Erbrechte von Ehepartnern, wovon in der Praxis vor allem Ehefrauen profitierten. In der Bundesrepublik vergrößerte der Gesetzgeber mit dem Gleichberechtigungsgesetz vom 18. Juni 1957 die Rechte des längstlebenden Ehepartners am Erbe des verstorbenen Ehepartners, während er die von Kindern und entfernten Seitenverwandten einschränkte.1 In Maryland führten Gesetzesreformen zwischen 1974 und 1981 dazu, dass der Ehepartner nicht mehr ein Drittel, sondern mindestens die Hälfte der vom verstorbenen Ehepartner hinterlassenen Erbschaft erhielt.2 In der Sowjetunion waren Ehepartner bereits seit der Zwischenkriegszeit gleichberechtigt. Im Hinblick auf außereheliche Kinder hob der sowjetische Gesetzgeber mit der Reform des Familienrechts im Jahr 1968 den Beschluss von 1944 auf, nach dem Väter nicht mit ihren außerehelichen Kindern verwandt waren und diese ihnen gegenüber keine Erbansprüche hatten.3 Damit kehrte die Sowjetunion wieder zur Gleichstellung von ehelichen und nichtehelichen Kindern zurück. Kinder hatten erneut unabhängig von ihrer rechtlichen Stellung ein Anrecht auf den Nachlass

1 Gesetz über die Gleichberechtigung von Mann und Frau auf dem Gebiete des bürgerlichen Rechts (Gleichberechtigungsgesetz – GleichberG), in: Bundesgesetzblatt, Jg. 1957, Nr. 26, 21. Juni 1957, S. 609–640; Otte, Einleitung, S. 22. Vgl. auch Ute Frevert, Frauen auf dem Weg zur Gleichberechtigung – Hindernisse, Umleitungen, Einbahnstraßen, in: Martin Broszat (Hrsg.): Zäsuren nach 1945. Essays zur Periodisierung der deutschen Nachkriegsgeschichte, München 1990, S. 113–130; Ulrich Herbert (Hrsg.), Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisierung 1945 bis 1980, Göttingen 2002. 2 Ronald J. Scalise Jr., Intestate Succession in the United States of America, in: Kenneth G. C. Reid/ Marius Johannes de Waal/Reinhard Zimmermann (Hrsg.), Comparative Succession Law. Volume II: Intestate succession, Oxford 2015, S. 401–420. 3 Koelsch, Erbrecht, S. 109.

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ihrer Väter.4 Etwa zeitgleich stärkten auch in den USA beziehungsweise in Maryland die Urteile des Supreme Court sowie der höheren Gerichte Marylands die Rechte von außerehelichen Kindern an den Nachlässen ihrer Eltern.5 In der Bundesrepublik vollzog sich die Gleichstellung von außerehelichen und ehelichen Kindern in zwei Schritten. Der erste erfolgte mit dem Gesetz über die Stellung der nichtehelichen Kinder (NEhelG) vom 19. August 1969. Darin gewährte der Gesetzgeber Kindern aus einer nichtehelichen Beziehung erstmals Ersatzansprüche am Erbe ihrer Eltern.6 Diese Änderung erfolgte in der Bundesrepublik allerdings nicht nur im Einklang mit internationalen Rechtsentwicklungen, sondern auch zu einem Zeitpunkt, als die Zahl außerehelicher Kinder stark abnahm. Die Zahl der Eheschließungen in den zwei Dekaden nach dem Zweiten Weltkrieg war sehr hoch und die Ehe war das dominierende und für kurze Zeit weitgehend unumstrittene Modell für das Zusammenleben von Erwachsenen. Damit einhergehend war die Zahl der nichtehelichen Kinder rückläufig von neun Prozent im Jahr 1880 über 7,3 Prozent im Jahr 1933 auf 4,8 Prozent im Jahr 1968.7 Die Zugeständnisse an außereheliche Kinder erfolgten damit auch zu einem Zeitpunkt, als es prozentual gesehen immer weniger von ihnen gab. Sowohl der langfristige Trend als auch die kurze Hochphase der Eheschließungen und der ehelichen Familiengründungen deuteten darauf hin, dass die Zahl außerehelicher Kinder auch zukünftig abnehmen werde. Sie schienen keine Bedrohung des bürgerlichen Familienideals mehr darzustellen. Trotzdem wurden sie ehelichen Kindern nicht gleichgestellt. Dies geschah erst mit dem Erbrechtsgleichstellungsgesetz vom 16. Dezember 1997.8 Die Reformen verdeutlichen damit, dass es in allen drei Ländern in der zweiten Jahrhunderthälfte zu einer Liberalisierung bei den Familienvorstellungen im Erbrecht

4 Koelsch, Erbrecht, S. 108f.; William Elliot Butler, Soviet law, London 1988. 5 Richard S. Haynes, Notes and Comments: Discrimination on the Basis of Illegitimacy in Maryland’s Wrongful Death Statue, in: University of Baltimore Law Review 3 (1974), H. 2, S. 251–269; Scalise Jr., Intestate Succession, S. 413. 6 Gesetz über die Stellung der nichtehelichen Kinder, in: Bundesgesetzblatt, Jg. 1969, Nr. 80, 22. August 1969, S. 1243–1269; o. A., Uneheliche Kinder in Schweden haben volles Erbrecht, in: FAZ, 6.12.1969. Zum allmählichen Abbau des patriarchalen Leitbilds im BGB mit besonderem Bezug zum Familienund Erbrecht in der frühen Bundesrepublik vgl. Kosmann, Frauen, S. 40–45. Für die zeitgenössische juristische Debatte vgl. Leipold, Wandlungen. Für eine aktuelle Einordnung vgl. Reinhard Zimmermann, Intestate Succession in Germany, in: Reid/Waal/Zimmermann (Hrsg.), Succession Law, S. 181–223, S. 197–202. 7 Heinrich von Spreckelsen, Untersuchung der Frage, welche Änderungen von Vorschriften über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht zu empfehlen sind, S. 3, in: BArch, B 141/102819 – Reform des Erbrechts – Material, Bd. 2, 7.1973 – 2.1977. 8 Gesetz zur erbrechtlichen Gleichstellung nichtehelicher Kinder (Erbrechtsgleichstellungsgesetz – ErbGleichG), in: Bundesgesetzblatt, Jg. 1997, Nr. 84, 19. Dezember 1997, S. 2968–2969.

Politische und rechtliche Reformen von Erbrecht und Erbschaftssteuern

kam, die gesetzliche Erbfolge aber auf die Vermögensweitergabe in der Familie ausgerichtet blieb. Die Reformen der Erbschaftssteuer in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zielten im deutlichen Kontrast zu den Jahrzehnten davor nicht mehr auf eine weitere staatliche Abschöpfung von Erbschaften, sondern reduzierten vielmehr deren Besteuerung. Dabei blieb allerdings eine Kontinuität staatlicher Erbschaftspolitik erhalten: Erneut wurden die Rechte von Familienangehörigen im Erbvorgang gestärkt. Während die Erbschaftssteuern sukzessive sanken, bestätigten die Regierenden in allen drei Ländern das Familienprinzip und das Leitbild des Schutzes von Privateigentum beziehungsweise in der UdSSR von persönlichem Eigentum im Erbvorgang. Funktional waren die reformierten Erbgesetze nunmehr wieder hauptsächlich auf den Vermögenserhalt in der Familie ausgelegt. Obgleich sich somit die staatlichen Ziele bei der Reform des Erbrechts ähnelten, waren die Wege dorthin verschieden. 1.2 Das Familienprinzip in der späten Sowjetunion In der Sowjetunion veränderte sich die Erbordnung weniger durch Gesetzesänderungen als durch deren Neuinterpretation. Nach Einführung der Zivilgesetzbücher von 1963/64 und der darin vorgenommenen Legalisierung von Erbtransfers erfolgten in der Sowjetunion bis zu deren Auflösung keine weiteren tiefgehenden Reformen des Erbrechts mehr. Stattdessen begannen sowjetische Juristen und Juraprofessoren in den 1960er Jahren, Funktionen des Erbes und deren Bedeutung für den Zusammenhalt der sozialistischen Gesellschaft und Familie hervorzuheben. Der Professor und Leiter der Abteilung für Zivilrecht am Charkiver juristischen Forschungsinstitut Michail V. Gordon, ein Experte für Familien-, Erb- und Eigentumsrecht, argumentierte, dass Eigentum in der Regel nicht durch einen Einzelnen, sondern durch den Zusammenhalt in der Familie erworben werde und diese deshalb Anspruch auf den Nachlass eines engen Verwandten habe.9 Seine Kollegin Raïssa O. Chalfina sah es ähnlich. Die in Odessa ausgebildete Juristin spezialisierte sich auf das sowjetische, britische und US-amerikanische Vertrags- und Zivilrecht sowie insbesondere das Erbrecht.10 In ihrem im Jahr 1955 auf Russisch erschienenen und später in mehrere Sprachen übersetzten Werk „Das persönliche Eigentumsrecht in der UdSSR“11 betonte sie, dass jeder sowjetische Bürger, der durch ehrliche Arbeit Eigentum erworben habe, nach seinem Tod darüber auch verfügen dürfe.12 In der Mehrzahl der Fälle sei ein Testament jedoch gar nicht 9 10 11 12

Gordon, Nasledovanie, S. 3. Raïssa O. Chalfina, Pravo nasledovannija v SSSR, Moskau 1952. Chalfina, Eigentumsrecht. Chalfina, Eigentumsrecht, S. 181f.

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notwendig, da die gesetzliche Erbfolge „ganz der Moral, dem Rechtsbewußtsein und den persönlichen Interessen der Bürger“13 entspreche und das Erbe demnach an die nächsten Verwandten übertragen werde. Die Erbübertragung in der Familie galt somit wieder als unumstritten.14 Darüber hinaus thematisierten seit den späten 1960er Jahren auch die großen Zeitungen des Landes öffentlich den Übertrag von Erbschaften. Sie berichteten regelmäßig über die Erfolge des sowjetischen Anwaltskollegiums Injurkollegija, dem es immer wieder gelang, im Ausland anfallende Nachlässe für sowjetische Bürger zu sichern und in die Sowjetunion zu transferieren. Derartige Berichte dienten zweifellos der Legitimierung der sowjetischen Staatsmacht, indem sie den Zeitungslesern aufzeigten, dass sowjetische Juristen in der Lage waren, die Rechte sowjetischer Bürger im Ausland zu verteidigen. Solche Berichte über (größere) Nachlasstransfers aus dem Ausland konnten noch einen weiteren unbeabsichtigten Effekt haben: Auch sie stellten den innerfamilialen Erbübertrag als normal und rechtmäßig dar.15 Artikel in der Izvestija und der Pravda untermauerten und verstärkten diesen Eindruck seit den 1980er Jahren, da Autoren in staatlich kontrollierten Zeitungen Erbübertragungen legitimierten und juristische Ratschläge zur Nachlassplanung und Erbweitergabe in der Familie verbreiteten. Die vermittelte Botschaft lautete: Der Staat erkennt das Recht auf Erbe an, er unterstützt und informiert über Vererbungsmöglichkeiten und bestärkt den Übertrag in der Familie.16 Konkret bestanden die Nachlässe in der Sowjetunion größtenteils aus Haushaltsgegenständen, Konsumgütern und Wohnungen respektive Datschen und Häusern. In ihrer Darstellung des persönlichen Eigentumsrechts in der UdSSR gab Chalfina dementsprechend in den angeführten Erbfällen ein „Haus“17 , „Ersparnisse in Form einer Einlage bei der Sparkasse […], eine Datsche, die Wohnungseinrichtung, ein Auto und andere Gegenstände“18 oder eine „wissenschaftliche Sammlung

13 Chalfina, Eigentumsrecht, S. 195. 14 Chalfina, Eigentumsrecht, S. 195–207. Weitere Beispiele finden sich bei Gordon, Nasledovanie, S. 66ff. 15 Vl. Išimov, Delo No 7222, Reportaž LG, in: Literaturnaja Gazeta, 22.3.1967; Kirill Privalov, Otvety i Voprosy dela No. 51060, in: Literaturnaja Gazeta, 3.8.1988; V. Zachar’ko, Fakty. Injurkollegija razyskivaet, in: Izvestija, 5.1.1973; Vladimir Itkin, Reportaž iz Injurkollegii. Delo No. 50.000, in: Izvestija, 26.2.1975; A. Osdčaja, A. Afanas’ev, Pora pristupat’ k delu, in: Literaturnaja Gazeta, 1.3.1982. 16 Injurkollegija: po nasledstvennym delam pazyskivajutsja, in: Izvestija, 7.7.1981; Injurkollegija: po nasledstvennym delam pazyskivajutsja, in: Izvestija, 15.6.1984; Juridičeskaja služba „Izvestij“. Otkrylos’ Nasledstvo, in: Izvestija, 9.10.1984; Juridičeskaja služba „Izvestij“. Zaveščanie, in: Izvestija, 21.8.1985; Dialog. Otvečaem na voprosy čitatelej. Nasledstvo iz-za granicy, in: Pravda, 19.2.1989. 17 Chalfina, Eigentumsrecht, S. 184. 18 Chalfina, Eigentumsrecht, S. 188. Vgl. auch Tagebucheintrag von Davyd V., 3.8.1951, in: Prožito, https://prozhito.org/note/584932 (letzter Zugriff 13.5.2021).

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von bedeutendem Wert“19 an, die vererbt wurden. Insbesondere Wissenschaftler, Professoren und auch hohe Parteifunktionäre hinterließen immer wieder größere Erbschaften, von denen ihre Nachkommen profitierten und über deren Verteilung diese streiten konnten.20 Die meisten Streitigkeiten resultierten dem emigrierten sowjetischen Juristen Olimpiad S. Ioffe zufolge – und dies zeigt sich auch in den ausgewerteten Tagebüchern – aus der materiellen Unteilbarkeit eines Nachlassgegenstandes. Vor Gericht stritten Erben über die Verteilung von Autos, Wohnungen, Häusern, professioneller Ausrüstung, Werkzeugen oder auch Musikinstrumenten, Bücher- und Briefmarkensammlungen.21 Angesichts der Knappheit an Konsumgütern und Wohnraum stellte eine Erbschaft eine Möglichkeit dar, relativ schnell und unbürokratisch an ein Auto oder ein Haus zu gelangen. Viele Erben wollten sich diese Gelegenheit folglich nicht entgehen und sich ihren Anteil nicht in Geld ausbezahlen lassen.22 Die Routinisierung von Erbtransfers stärkte in der Bevölkerung das Vertrauen darauf, dass Erben ihr Erbe auch wirklich erhielten. Die damit einhergehende Erwartungssicherheit führte dazu, dass Besitzende begannen, zu sparen und einen Teil ihres verfügbaren Eigentums auf staatliche Sparkonten einzuzahlen, damit es nach ihrem Tod an ihre ausgewählten Erben übergehen werde. Dementsprechend hielt der 73-jährige Davyd V. im Jahr 1951 in seinem Tagebuch fest, dass er 200 Rubel angespart und ein Girokonto bei der örtlichen Sparkasse eröffnet habe. Darauf habe er 100 Rubel eingezahlt und zugleich für den Fall der Fälle ein Testament hinterlegt, in dem die Erbin seiner Erbsparnisse benannt war.23 Unter umgekehrter

19 Chalfina, Eigentumsrecht, S. 199. 20 Chalfina, Eigentumsrecht, S. 198, 206. 21 Tagebucheintrag von Vladimir Š., 20.4.1969, in: Prožito, https://prozhito.org/note/62421 (letzter Zugriff 6.7.2022); Tagebucheintrag von Gleb S., 24.5.1969, in: Prožito, https://prozhito.org/note/ 739834 (letzter Zugriff 6.7.2022). 22 Olimpiad S. Ioffe, Soviet civil law, Dordrecht, Boston, Lancaster 1988, S. 364f.; John N. Hazard/ William Elliott Butler/Peter B. Maggs, The Soviet legal system. The law in the 1980s, New York 1984, S. 257f. Vgl. Tagebucheintrag von Oleg B., 1.7.–31.8.1976, in: Prožito, https://prozhito.org/note/ 34303 (letzter Zugriff 6.7.2022); Tagebucheintrag von Antonina Z., 19.6.1980, in: Prožito, https:// prozhito.org/note/596419 (letzter Zugriff 6.7.2022). Der in Moskau wohnende Aleksander G. berichtet von einem im Nordkaukasus geerbtem Haus; Tagebucheintrag von Aleksander G., 30.11.1971, in: Prožito, https://prozhito.org/note/114659 (letzter Zugriff 6.7.2022). Die Ehefrau des vermutlich ebenfalls in Moskau wohnenden Boris V. erbte ein Haus in Dnipropetrowsk und fuhr dorthin, um ihre Rechte an dem Haus geltend zu machen; Tagebucheintrag von Boris V., 12.4.1971, in: Prožito, https://prozhito.org/note/608905 (letzter Zugriff 6.7.2022). 23 Tagebucheintrag von Davyd V., 3.8.1951, in: Prožito, https://prozhito.org/note/584932 (letzter Zugriff 7.7.2022); Tagebucheintrag von Vladimir Š., 20.4.1969, in: Prožito, https://prozhito.org/note/62504 (letzter Zugriff 7.7.2022); Tagebucheintrag von Alla S., 23.11.1975, in: Prožito, https://prozhito.org/ note/518889 (letzter Zugriff 7.7.2022); Tagebucheintrag von Lev L., 28.5.1982, in: Prožito, https:// prozhito.org/note/75730 (letzter Zugriff 7.7.2022).

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Perspektive schrieben Tagebuchschreiber, dass sie selbst auf den Erhalt von Erbe hofften oder über andere, die auf das Erbe von Verwandten warteten.24 Anatolij G. vermutete im Jahr 1979 sogar, dass ein Bekannter ausschließlich vom Nachlass seiner Mutter lebe.25 Schließlich förderte auch Chruschtschows Entstalinisierungspolitik die Akzeptanz von Erbtransfers. Die Familien von Opfern der Terrormaßnahmen aus den 1930er Jahren erhielten nachträglich Sterbeurkunden für ihre Angehörigen ausgestellt, ihre Verurteilungen wurden für nichtig erklärt und die Verstorbenen rehabilitiert. Dadurch stellte sich für die rechtmäßigen Erben der Verstorbenen die Frage, ob sie nach der Rehabilitierung ihrer Verwandten nicht auch Anspruch auf deren Erbe hatten, und zumindest ein Teil versuchte, seine Erbansprüche vor Gericht einzuklagen. Die Erfolgschancen solcher Klagen waren allerdings gering: 25 bis 30 Jahre nach dem Tod der Erblasser war es für ihre Erben häufig unmöglich, die nötigen Dokumente zu beschaffen. Darüber hinaus war es wahrscheinlich, dass weitere Todesfälle während des Zweiten Weltkrieges die Erbfolge zusätzlich verkompliziert hatten und der von der Enteignung begünstigte Eigentümer oder das hinterlassene Erbe nicht mehr auffindbar war. Der rechtlichen Rehabilitation folgte in vielen Fällen keine materielle. Diese Erbfälle und Erbstreitigkeiten verdeutlichen damit einerseits, dass aus rechtlichen Diskriminierungen resultierende soziale Ungleichheiten sich nicht allein durch Rechtsänderungen beseitigen ließen. Andererseits verweisen sie darauf, dass Personen Erbschaften offen bei staatlichen Instituten einfordern konnten und dies auch taten.26 Die damit einhergehende Legalisierung von Erbtransfers stand zwar im Widerspruch zur sowjetischen Ideologie, aber im Einklang mit den Interessen der breiten Bevölkerung, der Parteielite und der Staatsführung. Der Blick auf Erbangelegenheiten liefert damit auch eine Teilerklärung zur Stabilität der Gesellschaft in der späten Sowjetunion.27 Indem die Regierungen Erbtransfers wieder legalisierte

24 Tagebucheintrag von Julija N.-S., 4.8.1971, in: Prožito, https://prozhito.org/note/149142 (letzter Zugriff 7.7.2022); Tagebucheintrag von Vladimir B., 25.2.1993, in: Prožito, https://prozhito.org/note/ 332837 (letzter Zugriff 7.7.2022); Tagebucheintrag von Aleksandr G., 13.10.1971, in: Prožito, https:// prozhito.org/note/114635 (letzter Zugriff 6.7.2022). 25 Tagebucheintrag von Anatolij G., 17.2.1979, in: Prožito, https://prozhito.org/note/186305 (letzter Zugriff 6.7.2022). 26 Cowley, Negotiating, S. 212f. 27 Susanne Schattenberg, Leonid Breschnew. Staatsmann und Schauspieler im Schatten Stalins. Eine Biographie, Köln, Weimar, Wien 2017; Boris Belge/Martin Deuerlein (Hrsg.), Goldenes Zeitalter der Stagnation? Perspektiven auf die sowjetische Ordnung der Brežnev-Ära, Tübingen 2014; Andrew I. Port, Die rätselhafte Stabilität der DDR. Arbeit und Alltag im sozialistischen Deutschland, Bonn 2010; Lewis H. Siegelbaum, Cars for comrades. The life of the Soviet automobile, Ithaca 2008; Lukas Mücke, Die allgemeine Altersrentenversorgung in der UdSSR, 1956–1972, Stuttgart 2013; Galina Ivanova/Stefan Plaggenborg, Entstalinisierung als Wohlfahrt. Sozialpolitik in der Sowjetunion

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und damit die Bedeutung familialer Netzwerke für den Einzelnen wieder auflud, kam sie den Interessen der Bevölkerung und ihren eigenen nach. Der Rückzug des Staates aus Familienangelegenheiten sicherte den Regierungen die Akzeptanz der Bürgerinnen und Bürger. Allein die Tatsache, dass Personen wieder staatliche Notariate für ihre Nachlassplanungen aufsuchten, spricht für ein gewisses Vertrauen in diese Institutionen. Darüber hinaus drückt sich in den Nachlassangelegenheiten ein Minimum an Vertrauen in eine stabile und planbare Zukunft aus. Gleichzeitig wurde die Familie für den Einzelnen wieder wichtiger – als Solidaritätsnetzwerk und um über sie legal an Konsumgüter und persönliches Eigentum zu kommen. Es bildeten sich Routinen des innerfamilialen Besitztransfers heraus, deren rechtliche und politische Rahmenbedingungen sich mit dem Ende der UdSSR Anfang der 1990er Jahre erneut tiefgreifend wandelten. 1.3 Sozialistisches Erbrecht in der unabhängigen Ukraine nach 1990 Mit der Auflösung der Sowjetunion und der Unabhängigkeitserklärung der Ukraine fanden sich die Bürger Odessas in einer neuen staatlichen Ordnung wieder, die auch Einfluss auf ihre Erbangelegenheiten hatte. Erneut kam es zu umfangreichen Änderungen der Rechtslage. Nach der Unabhängigkeit erließ die ukrainische Regierung eine ganze Reihe an Gesetzen und Bestimmungen, mit denen sie die existierende sozialistische Eigentumsordnung in eine westlich-marktwirtschaftliche transformieren wollte. Bereits am 6. März 1990, noch vor der Unabhängigkeit der Ukraine, erließ die Regierung der Sowjetunion das Gesetz „Über das Eigentum in der UdSSR“, mit dem der Gesetzgeber auf wirtschaftliche und rechtliche Probleme reagieren wollte, die im Zusammenhang mit Eigentumshandeln in der späten Sowjetunion entstanden waren. Noch im selben Jahr folgten die Deklaration über die staatliche Souveränität der Ukraine durch den Obersten Rat der Ukraine am 16. Juni 1990 und das Gesetz „Über die wirtschaftliche Unabhängigkeit der Ukraine“, mit dem die Regierung drei unterschiedliche Eigentumsformen einführte: staatliches, kollektives und individuelles/persönliches Eigentum. Das Gesetz „Über das Eigentum in der Ukraine“ trat am 15. April 1991 in Kraft, und am 24. August 1991 erklärte sich die Ukraine für unabhängig. Mit dem Gesetz „Über die Eintragung der Abänderung und der Ergänzungen zu einigen Rechtsakten in der Ukraine“ am 7. Juli 1992 begann die Privatisierung staatlicher Unternehmen.28 Weitere wichtige Schritte für die Etablierung einer neuen Eigentumsordnung waren die Annahme der Verfassung der Ukraine am 28. Juni 1996, die Ratifizierung 1953–1970, Frankfurt am Main 2015; James R. Millar, The Little Deal: Brezhnev’s Contribution to Acquisitive Socialism, in: Slavic Review 44 (1985), H. 4, S. 694–706; Natalya Chernyshova, Soviet Consumer Culture in the Brezhnev Era, Hoboken 2013; Oberländer, „Beam me up“. 28 Moshnyagul, Eigentumsschutz, S. 111–113.

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der Europäischen Menschenrechtskonvention im Jahr 1997 und das Inkrafttreten des Zivilgesetzbuches am 1. Januar 2004, welches das Zivilgesetzbuch von 1963 ersetzte.29 Dem Erbrecht maß die ukrainische Regierung hingegen lange Zeit keine große Bedeutung bei. Zwar betrafen nahezu alle Neuregelungen zur Wirtschaft und zum Eigentumsrecht, seien es Gesetze zum Erwerb oder zur Privatisierung von Wohneigentum oder zum Umgang mit Sparguthaben in staatlichen Banken, auch das Erbrecht, doch wurde dieses selbst nicht reformiert. Das geschah erst im Jahr 2004, als mit der neuen Verfassung auch ein neues Erbgesetz in Kraft trat. Bis dahin galten in der Ukraine die Gesetze der ukrainischen SSR aus dem Jahr 1963.30 Diese Ungleichzeitigkeiten der Reformen im Wirtschafts-, Eigentums- und Erbrecht führten bei Erbübertragungen in der Ukraine zwischen 1991 und 2004 unweigerlich zu einer hohen Rechtsunsicherheit und einer widersprüchlichen Rechtslage. Auf der einen Seite standen die enormen Anstrengungen zur Reform der Eigentumsordnung und die zahlreichen Gesetze, die auf die Einführung marktwirtschaftlicher Prinzipien und von Privateigentum zielten. Auf der anderen Seite gab es ein älteres Erbrecht, das auf ganz anderen ideologischen Annahmen basierte und in dem bestimmte Eigentumsformen, zum Beispiel Privateigentum, überhaupt nicht vorkamen. Vor diesem Hintergrund mussten häufig Gerichte darüber entscheiden, wie mit der Unvereinbarkeit verschiedener Gesetze umzugehen war.31 Die wichtige Rolle, die Gerichten und Notariaten dadurch bei Erbschaftsangelegenheiten zukam, ging nicht mit einer Reform dieser Institutionen einher.32 Dies führte zu Kritik und Reformvorschlägen von Juristen, die es zukünftig noch detaillierter zu untersuchen gilt. Eine von ihnen war Svitlana Ja. Fursa, Professorin an der Kiever Universität und Expertin für das Notariats- und Anwaltswesen. Sie kritisierte, dass der ukrainische Gesetzgeber den Notaren und Testatoren mit Gesetzesänderungen im Jahr 1993 (für Notare) und 2003 (für Testatoren) zwar neue Spielräume bei der Errichtung von Testamenten gewährt habe, Notare und Testatoren diese in der Praxis aber kaum nutzten. Da sie an alten Formvorlagen festhielten, könnten die Testamente kaum individuellen Bedürfnissen entsprechen. Die Tätigkeit vieler Notare sei darauf ausgerichtet, individuelle Wünsche in einem bürokratischen Ablauf in vorhandene, standardisierte Vorlagen zu pressen. Fursa forderte daher zusammen mit anderen Juristen eine Erweiterung der Formvorlagen, vor allem aber eine Sensibilisierung der Notare dafür, auf individuelle Wünsche einzugehen, und deren bessere Fort- und Ausbildung, um Personen in der neuen wirtschaftlichen 29 30 31 32

Moshnyagul, Eigentumsschutz, S. 220. Fursa, Inheritance; Moshnyagul, Eigentumsschutz, S. 184. Moshnyagul, Eigentumsschutz, S. 138. Moshnyagul, Eigentumsschutz, S. 187.

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Situation und angesichts neuer Eigentumsformen besser in der Nachlassplanung beraten zu können.33 Darüber hinaus beschäftigte Juristen der Schutz von Erbberechtigten, wobei sie eine fortdauernde Tradition des Zivilgesetzbuches der ukrainischen SSR als Ursache ausmachten. Im Fokus ihrer Kritik stand die Regelung, dass vormals Erben in der Sowjetunion und später in der unabhängigen Ukraine die Annahme eines Nachlasses aktiv innerhalb von sechs Monaten bei den Notariaten beantragen mussten. Hielten sie diese Frist nicht ein, fiel das Erbe an den Staat. Notariate waren nach dem Tod einer Person zwar mit der Sicherung des Nachlasses, aber nur in sehr begrenztem Umfang mit der Ermittlung der Erben beauftragt. Befanden sich diese im Ausland oder wandten sie sich nicht oder zu spät an das zuständige Notariat, entstanden immer wieder Sachverhalte, in denen die zunächst rechtmäßigen Erben ihre Erbansprüche verloren. Dies konnte passieren, wenn Personen zu spät von einem Todesfall erfuhren oder sie die Regelung nicht kannten, nach der sie ihr Erbe aktiv beantragen mussten. Das fehlende Wissen über dieses Gesetz führte nach Fursa sogar immer wieder zu Problemen in Familien, in denen Erblasser und Erben im gleichen Haus gewohnt hatten. Häufig lebten die Erben in dem vermeintlich geerbten Haus weiter in der Annahme, dass sie nun deren Eigentümer seien, ohne den Übertrag zu beantragen. Dass sie dies hätten tun müssen, erfuhren sie häufig erst dann, wenn sie das Haus verkaufen wollten und feststellen, dass der Moment der Erbannahme längst verstrichen war. Zwar verzichtete der Staat nach Fursa in diesen Fällen auf sein Erbrecht, es entstanden aber trotzdem Situationen, die von Rechtsunsicherheit geprägt waren sowie den Arbeitsanfall und die Belastung auf den Notariaten steigerten. Erbübertragungen in der Ukraine fanden daher in den 1990er Jahren in einem Rechtsraum statt, der durch widersprüchliche Gesetzeslagen, schwache Institutionen und einen engen Nexus von Politik und Justiz sowie politische Instrumentalisierungen der Justiz geprägt war.34 Fehlendes Wissen führte in den Notariaten außerdem bei transnationalen Erbtransfers zu großen Problemen. Zunächst fehlten der Ukraine Experten für transnationale Erbangelegenheiten. Das in der Sowjetunion für transnationale Erbfälle zuständige Anwaltskollegium (Injurkollegija) mit Sitz in Moskau blieb nach dem Zerfall der Sowjetunion mit seinem Personal und mithin seinen internationalen Netzwerken, seiner Fachbibliothek und seinem Archiv in Moskau. Zusätzlich stellte sich nach dem Zerfall der Sowjetunion für ukrainische Notare die Frage, inwiefern die von der Sowjetunion abgeschlossenen internationalen Verträge zur Amtshilfe

33 Fursa, Inheritance, S. 168ff. Vgl. Iryna Dikovska, Testate Succession Under Ukrainian Law (December 17, 2019), in: SSRN, https://ssrn.com/abstract=3505104 oder http://dx.doi.org/10.2139/ssrn. 3505104 (letzter Zugriff 23.3.2022). 34 Fursa, Inheritance; Maria Popova, Politicized Justice in Emerging Democracies. A Study of Courts in Russia and Ukraine, New York 2012.

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bei transnationalen Erbangelegenheiten auch für die unabhängige Ukraine gültig waren beziehungsweise ob der Abschluss neuer Abkommen notwendig war. Diese Rechtsunsicherheit und der Kompetenz- und Wissensverlust im Notariatswesen bei transnationalen Erbtransfers überschnitt sich zeitlich mit verstärkten Migrationsprozessen. Nach der Unabhängigkeit der Ukraine und der Lockerung von Reisebeschränkungen wurde die Ukraine zu einem wichtigen Einwanderungs-, Transit- und Auswanderungsland. Zahlreiche in anderen sowjetischen Republiken wohnende Ukrainer kehrten in den 1990er Jahren zurück. Russen migrierten zwischen Russland und der Ukraine. Viele in der Ukraine lebende Juden wanderten aus, und zunehmend mehr Ukrainer und vor allem Ukrainerinnen zogen dauerhaft oder temporär auf der Suche nach Arbeit in westliche Länder. In den 1990er Jahren wanderten mehrere Millionen Menschen in die Ukraine ein und aus.35 Damit entstand auf den ukrainischen Notariaten eine Situation, in der Notare, die bis Anfang der 1990er Jahre überwiegend standardisiert inländische Erbangelegenheiten mit kleinem Haushaltsvermögen bearbeitet hatten, nun vermehrt Erbfälle mit Auslandsbezug und einer breiteren Palette an unterschiedlichen Eigentumsmanifestationen bearbeiteten sollten. Auch auf diese neue Aufgabe waren die Notare nicht vorbereitet. Es fehlte nicht nur an Erfahrungen in der Bearbeitung von Erbfällen mit Auslandsbezug, sondern auch an juristischem Wissen zum Erbrecht in anderen Ländern und zu deren Kollisionsregelungen im internationalen Privatrecht.36 Trotz dieser Probleme auf den Notariaten blieb das Ziel der Eigentumstransfers aber vermutlich gleich: Erblasser und Erben versuchten, Eigentum in der Familie zu halten, wobei sie ihre Strategien hierfür an die neuen juristischen, administrativen und politischen Realitäten anpassen mussten.37 1.4 Familienprinzip und Sozialstaat in den USA In den Vereinigten Staaten waren Erbschaftssteuern seit ihrer Einführung 1916 umstritten. Bis in die 1960er Jahre unterstützte und verteidigte aber eine breite gesellschaftliche Koalition die Steuern. Dies änderte sich in den 1960er Jahren. Die sozialpolitischen Reformen von Lyndon B. Johnsons Great-Society-Programm entfachten eine allgemeine Debatte über das Verhältnis von Staat, Markt und Familie, in deren Verlauf sich die politischen Lager neu sortierten. Seit den 1970er Jahren setzte sich eine mächtige politische Allianz aus neokonservativen und neoli-

35 Jannis Panagiotidis, Postsowjetische Migration in Deutschland. Eine Einführung, Bonn 2021. 36 Fursa, Inheritance, S. 169. 37 Moshnyagul, Eigentumsschutz, S. 138f.

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beralen Intellektuellen und Politikern für die Senkung und teilweise sogar für die Abschaffung von Erbschaftssteuern ein.38 Dabei griffen die Gegner der Erbschaftssteuer auf Argumente zurück, mit denen bereits in den 1930er Jahren der komplizierte, langsame und teure Mechanismus der Nachlassbesteuerung kritisiert wurde, der dem Staat kaum Einnahmen bescherte. Im Jahr 1956 nahm der Staat Maryland über Erbschaftsteuern „nur“ 4.216.843 Millionen Dollar ein, die lediglich 1,67 Prozent aller bundesstaatlichen Steuereinnahmen in Maryland in diesem Jahr ausmachten.39 Die geringen Einnahmen waren für die Gegner ein weiterer Beleg für die Ineffektivität des Staates bei der Steuererhebung, wodurch im besten Falle nur Steuergelder durch eine aufgeblähte Bürokratie verschwendet würden.40 Im schlimmsten Fall führte aus ihrer Sicht die komplizierte Ausgestaltung der Steuern und die Überforderung der Nachlassinstitutionen dazu, dass die Behörden Nachlasssteuern nicht systematisch erhoben, wodurch sie diejenigen, die gesetzeskonform ihre Steuern zahlten, benachteiligten, während sie andere zur Steuerhinterziehung ermunterten. Schließlich stellten sie grundsätzlich die Frage, ob die geringen Einnahmen, die aus ihrer Sicht überhaupt nicht nennenswert zur Vermögensumverteilung beitragen konnten, es rechtfertigten, dass Erben das komplizierte und langwierige Nachlassverfahren durchlaufen mussten, um Eigentum in der Familie zu erhalten.41 An den Erbschaftssteuern kritisierten deren Gegner nicht nur das komplizierte Erhebungsverfahren, sondern auch die falsche Verwendung der dadurch erzielten Einnahmen. Diese gab der Staat, aus Sicht der Kritiker, größtenteils für Maßnahmen und Bevölkerungsgruppen aus, die diese staatlichen Zuwendungen nicht verdienten. Dazu zählten sie vor allem Menschen und Familien, deren Lebensführung und Zusammenleben nicht ihrem Ideal der produktiven Kernfamilie entsprachen: Empfänger von Sozialhilfe, Alleinerziehende und seit den 1980er Jahren angesichts der Ausbreitung des HI-Virus homosexuelle Männer. Der Lebensstil dieser Gruppen basiere hauptsächlich auf staatlichen Zuwendungen, während sie dem Staat und der Gesellschaft wenig zurückgäben und wirtschaftliches Wachstum damit ver-

38 Als Einstieg und Überblick über die politische Lagerbildung in den Vereinigten Staaten seit dem letzten Drittel des 20. Jahrhunderts vgl. Ezra Klein, Why We’re Polarized, New York 2020. 39 Eney, Death, S. 119; Shale D. Stiller/Roger D. Redden, Statutory Reform in the Administration of Estates of Maryland Decedents, Minors and Incompetents, in: Maryland Law Review 29 (1969), H. 2, S. 85–125. 40 Fierstein/Stein, Demography; Fierstein/Stein, Role; Langbein, Nonprobate Revolution. 41 Lewis, H. H. Walker u. a., Subcommittee Report on Inheritance Taxation to The Maryland Tax Revision Commission of 1939, 5.12.1940. Für die zeitgenössische Kritik an der Erbgesetzgebung und dem Steuererhebungsverfahren vgl. o. A., New Laws Plug Loopholes in Estate Taxes, in: The Evening Sun, 30.4.1936; Stephen E. Fitzgerald, 1844 Inheritance Law Called Out of Date, in: The Evening Sun, 8.1.1941.

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hinderten.42 Paradigmatisch für diese Gruppen standen aus ihrer Sicht im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts alleinerziehende, Sozialhilfe beziehende Mütter, die Ronald Reagan im Wahlkampf von 1976 als „Welfare Queens“ diffamierte und als Verkörperungen staatsgefährdender Familienformen in den öffentlichen Diskurs einführte und verankerte.43 Die Kehrseite dieses Arguments lautete, dass der Staat mit der Erbschaftssteuer nicht nur unwürdige Gesellschaftsmitglieder subventioniere, sondern gleichzeitig die produktive US-amerikanische Familie, die Kernsäule der Gesellschaft, schwäche. Aufbauend auf dieser Diffamierung und Idealisierung von bestimmten Familienformen behaupteten die Kritiker, dass nur die ideale Kernfamilie produktiv Vermögen erwirtschafte, das sie verantwortlich bewahre und an die nächste Generation übertrage, während andere Familienmodelle sich durch Transferleistungen finanzierten und deren Mitglieder dadurch auf Kosten der Gesellschaft und des Staates lebten. Durch eine Senkung der Steuer sei es dem Staat möglich, die Kernfamilie der Mittelschicht zu stärken und zu schützen. In einer moralisch „richtigen“ Lebensführung – gemeint war das Zusammenleben in der Kernfamilie – sahen die Kritiker einen wesentlichen Ausgangspunkt für wirtschaftliche Dynamik und die Voraussetzung für eine verantwortungsvolle Mitwirkung am Gemeinwesen. In früheren Zeiten, so ihre Behauptung, hätten Kinder aus einem moralischen Pflichtgefühl heraus große persönliche Anstrengungen unternommen, um die Fürsorge und Pflege ihrer Eltern zu leisten.44 Ronald Reagan erklärte als Gouverneur von Kalifornien in den 1970er Jahren, dass eine intakte Familie die beste Versicherung gegen Verarmung sei, die je erfunden worden sei.45 Mit der Ausweitung von Social Security sei dieser Impuls für wirtschaftliches Handeln und Arbeitsanstrengungen bei jungen Erwachsenen allerdings verloren gegangen und die Fürsorge zu einem anonymen Vertrag zwischen sich unbekannten Personen geworden. Durch den Rückbau von Social Security und die Senkung von Erbschaftssteuern könne daher die Bande in der Familie wieder gestärkt und ein Anreiz zur Leistungserbringung gesetzt werden. Es gebe unzählige Beispiele, in denen Eltern hart gearbeitet und große Opfer gebracht hätten, um ihren Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen und ihnen eine Erbschaft zur eigenen Lebensführung zu hinterlassen. Der Rückbau von Social Security und die Senkung der Steuern würden sowohl unter Eltern als

42 43 44 45

Cooper, Family Values, S. 30, 218. Martschukat, Ordnung, S. 315f.; Heinemann, Wert, S. 360–376. Milton Friedman/Rose Friedman, Free to Choose. A personal statement, New York 1980, S. 106. Ronald Reagan, Remarks at the Annual Meeting of the National Alliance of Business, 14.9.1987, in: Ronald Reagan. Presidential Library & Museum, https://www.reaganlibrary.gov/archives/speech/ remarks-annual-meeting-national-alliance-business-0 (letzter Zugriff 15.2.2021).

Politische und rechtliche Reformen von Erbrecht und Erbschaftssteuern

auch unter jungen Erwachsenen neue Kräfte und Dynamiken freisetzen, wovon das Wirtschaftswachstum im Land und die ganze Gesellschaft profitieren könnten.46 Schließlich nahmen die Kritiker der Steuern seit den 1970er Jahren eine Umdeutung zentraler Annahmen vor, auf denen die Sozialreformen seit dem Ersten Weltkrieg aufgebaut hatten: der Bedeutung von Vermögens- und Chancengleichheit als wichtige Faktoren wirtschaftlichen Wachstums. Die Schaffung von gleichen Startbedingungen galt vielen Reformbewegungen und Sozialreformern seit dem späten 19. Jahrhundert als erfolgversprechendster Weg, um wirtschaftliches Wachstum zu initiieren, und als Basis der Leistungsgesellschaft, nach der Vermögen aus eigenen Leistungen resultieren sollte. Gegenüber diesen Annahmen argumentierten die Kritiker, dass wirtschaftliche Dynamik auf der Basis von Ungleichheiten entstehe, die sich biologisch in unterschiedlichen Talenten und körperlichen Verfasstheiten, aber auch ökonomisch manifestierten. Der Erhalt einer großen Erbschaft, so ihre Argumentation, sei lediglich einer der vielen Zufälle der Geburt, der Menschen mit unterschiedlichen Talenten und höchst unterschiedlicher körperlicher Physis und Attraktivität hervorbringe, so ihre Argumentation anhand der Beispiele von Marlene Dietrichs schönen Beinen und Muhammad Alis Boxerqualitäten. Und da es unmöglich sei, eine Gleichheit der Talente, Intelligenz oder des Körperbaus herzustellen, so ihre Argumentation weiter, stelle sich die Frage, warum der Staat überhaupt versuchen solle, in einem anderen Bereich, nämlich dem des Eigentumsbesitzes, Gleichheit herzustellen.47 Enorme Vermögensungleichheiten und großer Reichtum im privaten Besitz weniger Einzelpersonen interpretierten sie nicht mehr als Symptom einer Vermögensoligarchie, als Bedrohung der Demokratie und Unterminierung des meritokratischen Leistungsversprechens, sondern als Anreiz für außergewöhnliche Leistungen.48 Der Ökonom und Rechtsprofessor Gordon Tullock beispielsweise betonte, dass Kapitalakkumulationen und der Übertrag von Erbschaften wichtig für das kapitalistische Wirtschaftswachstum seien, da sie es Vermögenden erlaubten, in neue Ideen zu investieren, und ihnen die Zeit und Möglichkeit verschafften, neue Gedanken zu entwickeln und auszuprobieren.49 Zu Beginn der 1970er Jahre stand damit eine breite Palette an Argumenten im Raum, mit denen sich Kritiker gegen die Erbschaftssteuer und das Nachlassverfahren aussprachen. Entscheidend für ihren politischen Einflussgewinn waren drei Entwicklungen, die sich immer stärker miteinander verzahnten. Zunächst waren

46 Friedman/Friedman, Statement, S. 106. 47 Friedman/Friedman, Statement, S. 128–149, insb. S. 137. 48 Lawrence Meir Friedman, Tod, Eigentum und Familie. Die Vereinigten Staaten im 19. und 20. Jahrhundert, in: Siegrist/Sugarman (Hrsg.), Eigentum, S. 45–62. 49 Gordon Tullock, Inheritance Justified, in: The Journal of Law & Economics 14 (1971), H. 2, S. 465–474. Eine ähnliche Argumentation findet sich in der Gegenwart beispielsweise bei Jens Jessen, Karriere ist auch nur Glück, in: Die Zeit, 19.3.2015.

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seit den 1930/1940er Jahren immer mehr Erben mit der Erbschaftssteuer in Berührung gekommen, wodurch – so meine Interpretation – die Kritik an deren komplizierter Ausgestaltung immer mehr verfing. Darüber hinaus befeuerte der seit den 1930er Jahren expandierende und seit den 1960er Jahren boomende Dienstleistungssektor die Kritik am Nachlassverfahren und der Erbschaftssteuer. Bis zu einem gewissen Grad bestand das Geschäftsmodell von Ratgebern wie Norman F. Dacey genau darin, die staatlichen Verfahren als kompliziert, langwierig und teuer darzustellen, um dann Ratschläge und Hilfestellungen für ein vereinfachtes, kürzeres und günstigeres Verfahren sowie zur Steuerminimierung anzubieten. Am gewichtigsten für den Umschwung in der Erbschaftssteuerdebatte war allerdings, dass sich neoliberale und neokonservative Kritiker an der Erbschaftssteuer in der Republikanischen Partei zu einer Allianz zusammenfanden. Sie einte die Vorstellung, dass sich durch die Senkung der Steuer eine idealisierte Familienformation stärken und wirtschaftliches Wachstum generieren ließ.50 Eine zentrale Wegmarke für die Kooperation von neoliberalen und neokonservativen Gruppierungen und den zentralen Wendepunkt in der Erbschaftssteuerpolitik der Vereinigten Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg stellte der Präsidentschaftswahlkampf zwischen dem Kandidaten der Demokratischen Partei George S. McGovern und dem der Republikanischen Partei Richard M. Nixon im Jahr 1972 dar. Der Herausforderer McGovern sprach sich für die Fortsetzung der gesellschaftlichen Liberalisierungspolitik von Präsident Johnson aus und ging auf soziale Bewegungen zu, die sich für die Rechte von Afroamerikanern, Frauen und Homosexuellen aussprachen. Darüber hinaus thematisierte er die wachsenden Vermögensungleichheiten in den Vereinigten Staaten, die er durch eine Reform des Steuersystems, insbesondere durch höhere (Nachlass-)Steuern für Reiche und Unternehmen, wieder verringern wollte. Schenkungen unter Lebenden und Nachlässe ab einem Wert von über 500.000 Dollar, so sein Vorschlag, sollten zukünftig zu 100 Prozent besteuert werden.51 Demgegenüber vertrat der amtierende Präsident Nixon nahezu das gegenteilige Programm. Er versprach unter Rückgriff auf die Forderungen neoliberaler und neokonservativer Strömungen eine Stärkung der Kernfamilie und Steuersenkungen, die zugleich zu einem Rückbau des Staates führen sollten.52 McGoverns krachende Wahlniederlage gegen Nixon führten Zeitgenossen explizit auch auf McGoverns Position in der Erbschaftssteuerfrage zurück. Politiker und Politikberater beider Seiten interpretierten den Wahlausgang als Richtungsentscheid in dieser Frage. McGoverns Niederlage demonstrierte ihnen, wie unpopulär die Forderung nach Nachlasssteuererhöhungen in den 1970er Jahren geworden war.

50 Cooper, Family Values. Vgl. auch Heinemann, Wert; Martschukat, Ordnung. 51 Cooper, Family Values, S. 128. 52 Beckert, Vermögen, S. 234ff.

Politische und rechtliche Reformen von Erbrecht und Erbschaftssteuern

Zugleich diente der Wahlausgang allen Politikern für die nächsten Jahrzehnte als Warnung, sich nicht für die Beibehaltung oder gar Erhöhung der Erbschaftssteuer auszusprechen. Umgekehrt diente der Sieg Nixons nachfolgenden Politikern als Vorbild und als Anreiz, sich für konservative Familienwerte und Steuersenkungen auszusprechen. Mit diesem innenpolitischen Programm gewann schließlich auch Ronald Reagan bei den Präsidentschaftswahlen im Jahr 1980 gegen den amtierenden demokratischen Präsidenten Jimmy Carter. Linke Ökonomen hatten zwar weiterhin wachsende Ungleichheiten kritisiert und eine höhere Besteuerung von Erbschaften gefordert. Politisch ließen sich damit aber keine Wahlen mehr gewinnen. Der Wahlsieg Reagans bestätigte aus Sicht der Zeitgenossen die Lehren aus dem Wahlkampf Nixons.53 Nach dem Wahlkampf von 1972 erfolgte in den USA ein Politikwechsel, in dessen Folge Regierungen sowohl auf bundesstaatlicher als auch auf föderaler Ebene Freibeträge für Familienmitglieder bei der Erbschaftssteuer erhöhten sowie die Nachlass- und Erbschaftssteuer senkten. Manche Bundesstaaten schafften ihre Erbschaftssteuer sogar komplett ab. Auf föderaler Ebene besaßen hierbei der Tax Reform Act of 1976 und der Economic Recovery Tax Act von 1981 große Bedeutung, da sie die Steuerfreibeträge für Familienmitglieder Schritt für Schritt erhöhten. Waren Nachlässe Anfang der 1970er Jahre bis zu einer Höhe von 60.000 Dollar von der Federal Estate Tax befreit, galt die Befreiung Mitte der 1980er Jahre für Nachlässe bis zu einer Höhe von 325.000 Dollar. Dies waren 50 Prozent mehr, als durch eine reine Anpassung an die Inflation gerechtfertigt gewesen wäre.54 Im Jahr 2002 wurden die Steuerfreibeträge schließlich auf eine Million Dollar und im Jahr 2007 auf zwei Millionen angehoben. Auch den seit 1940 geltenden, im internationalen Vergleich extrem hohen Spitzensteuersatz von 77 Prozent bei Nachlässen von über zehn Millionen Dollar senkten die Regierungen ab dem Jahr 1976 kontinuierlich: auf 70 Prozent im Jahr 1977, auf 65 Prozent im Jahr 1982, auf 55 Prozent im Jahr 1984, auf 50 Prozent im Jahr 2002 und auf 45 Prozent im Jahr 2007.55 Anfang der 2000er Jahre verkündete Präsident George W. Bush sogar die komplette Abschaffung der Estate Tax innerhalb der nächsten zehn Jahre. Dazu kam es unter der Präsidentschaft von Barack Obama zwar nicht, die Beibehaltung der Estate Tax wurde allerdings in politischen Auseinandersetzungen mit dem Zugeständnis der weiteren Erhöhung der Freibeträge auf fünf Millionen Dollar im Jahr 2010 und der Senkung des Spitzensteuersatzes auf 35 Prozent erkauft.56

53 Beckert, Vermögen, S. 234ff.; Cooper, Family Values, S. 226. 54 Fierstein/Stein, Role, S. 1119; Darien B. Jacobson/Brian G. Raub/Barry W. Johnson, The Estate Tax: Ninety Years and Counting, in: https://www.irs.gov/pub/irs-soi/ninetyestate.pdf (letzter Zugriff 13.4.2021). 55 Jacobson/Raub/Johnson, Estate Tax. 56 O. A., An Estate Tax Mess, in: The New York Times, 27.12.2009; Scheve/Stasavage, Taxing.

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Analog zu diesem föderalen Trend senkten auch einzelne Bundesstaaten ihre Nachlass- und Erbschaftssteuern. Zwischen den einzelnen US-amerikanischen Bundesstaaten setzte ein regelrechter Unterbietungswettbewerb hinsichtlich niedriger Steuersätze ein. Einige wenige Bundesstaaten hatten überhaupt nie eine bundesstaatliche Erbschaftssteuer eingeführt. Andere hatten mit der Senkung ihrer Erbschaftssteuern schon begonnen, bevor es auf föderaler Ebene dazu kam. Die große Mehrheit begann mit der Senkung oder Abschaffung ihrer Erbschaftssteuern Mitte der 1970er Jahre. New Mexiko schaffte seine Erbschaftssteuern 1976 ab, Kalifornien folgte 1982, Texas 1983 und New York im Jahr 2000.57 Mit der sukzessiven Senkung des Höchstsatzes und der angestrebten Abschaffung der Erbschaftssteuer waren die Vereinigten Staaten international nicht allein. Seit den 1970er Jahren senkte eine ganze Reihe an Staaten den Höchstsatz ihrer Erbschaftssteuer oder schaffte diese ganz ab, wie etwa Kanada im Jahr 1971, Australien im Jahr 1979, Neuseeland im Jahr 1993, Schweden im Jahr 2004 und Österreich im Jahr 2009.58 Die Kritik an der Erbschaftssteuer fußte in den Vereinigten Staaten nicht nur auf neuen Argumenten, sondern auch auf einer anhaltenden Kritik am ProbateVerfahren, die sich bis in die Zwischenkriegszeit zurückverfolgen lässt. Der Erbübertrag erfolgte in den USA über zwei unterschiedliche administrative Vorgänge: Mit dem Probate-Verfahren wurde der Nachlass übertragen und mit der Nachlassbesteuerung das Erbe staatlich abgeschöpft. In der öffentlichen Debatte über die Erbschaftssteuern wurde in der Regel aber nicht zwischen beiden Verfahren unterschieden. Insbesondere die Gegner vermengten in ihren Stellungnahmen häufig beides, womit sie die Kritik am komplizierten und langsamen Probate-Verfahren auf das Verfahren der Nachlassbesteuerung übertrugen, um Letztere zu diskreditieren. Besonders einfach fiel dies den Gegnern der Erbschaftsbesteuerung in Maryland, wo der Orphans’ Court sowohl für das Probate-Verfahren als auch für die Nachlassbesteuerung zuständig war. Da somit dieselbe Behörde beide Verfahren bearbeitete, konnten beide Verfahren leicht und plausibel als ein Verwaltungsvorgang wahrgenommen und kritisiert werden. Parallel zur Senkung der Erbschaftssteuern initiierten die US-amerikanischen Bundesstaaten seit den späten 1960er Jahren Reformen, die das Nachlassverfah-

57 Friedman, Dead hands, S. 175; Corina Eckl, Death Taxes, in: Steven D. Gold (Hrsg.), Reforming state tax systems, Denver, CO 1986, S. 291–306. 58 Scheve/Stasavage, Taxing, S. 107. Zur veränderten Steuerpolitik in westlichen Staaten vgl. auch Hürlimann/Brownlee/Ide (Hrsg.), Worlds; Gisela Hürlimann, Die politische Ökonomie der Steuergerechtigkeit. Diskurse über Steuern, Verteilung und Widerstand seit den 1960er Jahren, in: Mittelweg 36, 27 (2018), H. 1, S. 77–101; Marc Buggeln, Taxation in the 1980s. A Five-Country Comparison of Neo-Liberalism and Path Dependency, in: Marc Buggeln/Martin Daunton/Alexander Nützenadel (Hrsg.), The Political Economy of Public Finance. Taxation, State Spending and Debt since the 1970s, Cambridge 2017, S. 105–125.

Politische und rechtliche Reformen von Erbrecht und Erbschaftssteuern

ren schneller, einfacher und günstiger machen sollten.59 Maryland war einer der Vorreiter dieser Reformwelle.60 Dort ernannte Gouverneur J. Millard Tawes bereits im Jahr 1965 eine Kommission, welche die Erbgesetze und das Probate-Verfahren des Staates prüfen und Vorschläge zu deren Verbesserung ausarbeiten sollte. In ihrem ersten Bericht schlug die Kommission 1966 eine Vereinfachung der Erbschaftsbesteuerung vor.61 In ihrem zweiten, im Dezember 1968 der Öffentlichkeit vorgestellten Bericht breitete sie unter anderem Vorschläge zur Reform des Probate-Verfahrens, des testamentary law und der Nachlassverwaltung aus.62 Beide Vereinfachungen waren aus ihrer Sicht dringend nötig, da – so ihr Fazit – das Erbrecht in Maryland völlig veraltet, kompliziert und voller Widersprüche sei.63 Auf diese Vorschläge reagierte die Regierung in Annapolis mit zwei Maßnahmen.64 Erstens strebte sie eine Harmonisierung und Standardisierung des Nachlassverfahrens und der Testierrichtlinien in den einzelnen US-Bundesstaaten an. Dadurch sollten Nachlässe, deren Transfer von den Gesetzen verschiedener Bundesstaaten geregelt wurde, vereinfacht und beschleunigt werden. Ein langfristig anvisiertes, aber nicht erreichtes Ziel war die Schaffung eines einheitlichen inneramerikanischen Rechtsraums im Bereich der Erbgesetzgebung. Zweitens bestätigte und erweiterte die Regierung die Liste der Nachlassbestandteile (z. B. um Pensionsfonds), die ohne Nachlassverfahren übertragen werden durften.65 Sowohl in Maryland als auch in anderen Bundesstaaten stießen die Reformen zumeist auf positive Resonanz.66 Unter anderem diente die neue Gesetzgebung Marylands in den folgenden Jahren 14 anderen Bundesstaaten bei ihren Reformen des ProbateVerfahrens als Vorbild.67 Insbesondere das vereinfachte Probate-Verfahren und

59 Fierstein/Stein, Role, S. 1108. 60 Fierstein/Stein, Demography, S. 57f. 61 First Report of the Commission to Study and Revise the Testamentary Laws of Maryland, December 26, 1966, S. 1. 62 William L. Henderson, Second Report of Governor’s Commission to Review and Revise the Testamentary Law of Maryland, Article 93 Decedent’s Estates, 1968. 63 Zitiert nach Stiller/Redden, Reform, S. 86f. 64 Für einen detaillierten Überblick über den Verlauf der Diskussionen mit weiterführender Literatur vgl. Stiller/Redden, Reform. Vgl. auch J. Nicholas Shriver/Shale D. Stiller, How to Live – and Die – with Maryland Probate, Houston 1975. 65 Stewart E. Sterk/Melanie B. Leslie, Accidental Inheritance: Retirement Accounts and the Hidden Law of Succession, in: New York University Law Review 89 (2014), S. 165–237; William M. McGovern Jr., Nonprobate Transfers under the revised uniform probate code, in: Albany Law Review 55 (1992), H. 4, S. 1329–1354; James J. Carroll, The Interplay of Probate Assets and Nonprobate Assets in the Administration of a Decendent’s Estate, in: DePaul Law Review 25 (1976), H. 2, S. 363–384; Richard V. Wellman, The Uniform Probate Code: A Possible Answer to Probate Avoidance, in: Indiana Law Journal 44 (1969), H. 2, S. 191–205. 66 Stiller/Redden, Reform, S. 86. 67 Fierstein/Stein, Role, S. 1108f.; Mann, Formalities.

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die erweiterten Möglichkeiten, Eigentum ohne Einbezug des Nachlassgerichts und ohne Besteuerung zu übertragen, stießen allerdings auch auf Kritik. In einer der bis heute am häufigsten zitierten Studien zu diesem Themenkomplex interpretierte John H. Langbein in der Harvard Law Review die Entwicklungen in der Nachlassgesetzgebung und in konkreten Erbpraktiken im Jahr 1984 als „non-probate revolution“68 : Nachlässe würden seit den 1970er Jahren in den USA, gefördert durch staatliche Gesetze und den Wunsch der Erblasser und Erben, wieder seltener durch das Probate-Verfahren übertragen. Darin sah er, ganz in den Denkweisen und Argumentationen der ersten Jahrhunderthälfte verhaftet, eine Gefahr für die gesellschaftliche Ordnung, auf die der Gesetzgeber reagieren müsse. Denn der Staat, so seine Befürchtung, verliere dadurch an Eingriffs- und Steuerungsmöglichkeiten bei der Nachlass- und Eigentumsverteilung in der Gesellschaft.69 Andere Juristen teilten diese Einschätzung. Anfang der 1980er Jahre kamen Jan G. Fierstein und Robert A. Stein in ihrer ausführlichen Studie zu Nachlassverfahren in mehreren Bundessstaaten zu dem Ergebnis, dass, egal wie voll die Regale der Nachlassgerichte und wie voll die Schreibtische des Register of Wills auch erscheinen mochten, der Anteil aller Nachlässe, die unter Einbezug der Gerichte übertragen würden, klein sei.70 Ein signifikanter Teil des Privateigentums werde im Todesfall – in Form von Auszahlungen von Lebensversicherungen, Pensionsfonds, Trusts oder joint property – ohne Einbezug des Staates übertragen, wodurch Eigentum nicht mehr staatlicherseits zugeordnet werden könne und Eigentumstitel veralten würden, die Rechte von Erben und Gläubigern nicht ausreichend geschützt seien und der Staat unter Umständen um seine berechtigten Steuereinnahmen gebracht werde.71 Diese von einflussreichen Juristen in viel beachteten wissenschaftlichen Studien vorgelegten Diagnosen und Bedenken änderten wenig an den Reformen des Nachlassverfahrens. Etwa zur gleichen Zeit, als die Bundesregierung der USA und die Regierungen der Bundesstaaten begannen, die Erbschaftssteuer zu senken, setzten die Bundesstaaten als verstärkenden Effekt dieser Entwicklung Gesetze in Kraft, die zu einem vereinfachten Nachlassverfahren führen sollten, in dem nicht mehr alle Nachlassbestandteile dem Gericht gemeldet werden mussten und größere Vermögensbestände ohne Einbezug des Staates in der Familie vererbt werden durften.

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Langbein, Nonprobate Revolution. Für eine aktuelle Einordnung vgl. Braun/Röthel (Hrsg.), Passing. Langbein, Twentieth-Century Revolution. Fierstein/Stein, The Demography, S. 60. Fierstein/Stein, The Demography, S. 104.

Politische und rechtliche Reformen von Erbrecht und Erbschaftssteuern

1.5 Reformdebatten in der Bundesrepublik In der Bundesrepublik verschwand das Thema „Erbschaften“ nach dem Zweiten Weltkrieg für knapp zwei Jahrzehnte aus der öffentlichen Debatte. Die Regierung Adenauer setzte im Jahr 1951 ohne größere Diskussionen im Bundestag die Steuererhöhungen der Alliierten wieder außer Kraft und führte stattdessen die deutlich niedrigeren Erbschaftssteuersätze von 1925/34 wieder ein.72 Größere Bedeutung für die Finanzierung des Staates entfaltete die Erbschaftssteuer daher in der frühen Bundesrepublik nicht. Ihr Anteil am Gesamtsteueraufkommen blieb auf einem niedrigen Niveau und bewegte sich in den 1950er und 1960er Jahren zwischen 0,2 und 0,3 Prozent aller Steuereinnahmen.73 Auch in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften nahmen die Auseinandersetzungen mit der Erbschaftssteuer Ende der 1940er Jahre ab. Mit den Diagnosen einer „nivellierten Mittelstandsgesellschaft“ (Helmut Schelsky) und eines „Wirtschaftswunders“ gewann die Erzählung von der Leistungsgesellschaft an Plausibilität, während der „Rentier“ als Relikt des 19. und frühen 20. Jahrhunderts erschien. Erst Ende der 1960er Jahre stieg das wissenschaftliche und politische Interesse an Erbschaften wieder deutlich an. Angesichts wachsender Vermögensungleichheiten griff die sozialliberale Koalition das Thema auf. Allerdings verfügten weder das Finanz- noch das Justizministerium oder die Rechts- und Sozialwissenschaften über fundierte empirische Kenntnisse zur Verteilung von Erbvermögen oder darüber, ob das gesetzliche Erbrecht mit den Erwartungen und Werten der Bevölkerung übereinstimmte und mit welchen Praktiken Erbe in der Bundesrepublik transferiert wurde. Bei der Erörterung konkreter Reformvorschläge zeigten das Finanz- und Justizministerium offen ihr Unwissen. Charakteristisch hierfür teilte ein Mitarbeiter des Justizministeriums (Ministerialrat von Schack) dem Bundesjustizminister im Februar 1970 mit: „Der gegenwärtige Stand der Rechtstatsachenforschung […] ist durch ein fast völliges Fehlen empirischen Materials gekennzeichnet. Das erbrechtliche Reformschriftentum bietet nur Vermutungen und subjektive Autorenannahmen von zweifelhaftem Wert. Objektive Feststellungen […] sind nicht möglich.“74 In ähnlicher Weise stellte der Ministerialrat Heinrich von Spreckelsen in einem Gutachten für den Justizminister fest, dass in der Bundesrepublik überhaupt nur

72 Deutscher Bundestag – 177. Sitzung, 23.11.1951, S. 7303; Gesetz zur Änderung des Erbschaftssteuergesetzes, 30.6.1951, S. 759–763, in: Bundesgesetzblatt, Teil 1, Nr. 44, 4.9.1951. Für eine Einordnung dieser Steuersenkung in die Nachkriegszeit vgl. Grundig, Vermögen, S. 49f.; Buggeln, Versprechen, S. 638f. 73 Beckert, Vermögen, S. 274. 74 Referat I A 6, von Schack an Staatssekretär und BMJ, 11.2.1970, in: BArch, B 141/102818 – Reform des Erbrechts – Material, Bd. 1, 09.1969 bis 12.1972.

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in etwa jedem zehnten Todesfall ein Erbschein ausgestellt werde. In etwa 90 Prozent aller Erbübertragungen seien die Amtsgerichte nicht eingebunden und hätten deshalb auch keinen Einblick.75 Das bedeute weiter, so seine Schlussfolgerung: „Brauchbare Feststellungen über die Zahl der Erbfälle […] und über den Durchschnitt der dabei vorkommenden Nachlaßwerte lassen sich für Deutschland nicht treffen.“76 Die Reformdebatten, so diese und andere Stellungnahmen, liefen Ende der 1960er Jahre ohne konkretes Wissen über den Diskussionsgegenstand ab. Auf diese Situation reagierte das Bundesjustizministerium ab dem Jahr 1970 mit einer umfangreichen Kampagne zur Informationsbeschaffung: Über drei Monate mussten 40 ausgewählte Amtsgerichte Erbverfahren in ihrem Zuständigkeitsbereich auswerten; das Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Recht erstellte Gutachten, in denen es das deutsche Recht mit ausländischen Erbgesetzen verglich;77 das Meinungsforschungsinstitut Emnid befragte im März 1971 etwa 2.000 Personen zu ihren Nachlassplanungen;78 die Notarkammer befragte 40 Notare aus dem gesamten Bundesgebiet zu den Erbpraktiken in ihrer Region;79 und sowohl der 49. Deutsche Juristentag 1972 als auch der 19. Deutsche Notartag 1973 befassten sich explizit mit Fragen des Erbrechts.80 In der juristischen Rechtstatsachenforschung erlebte das Erbrecht kurzzeitig eine Konjunktur und es erschienen einige ausführliche Aufsätze und Dissertationen, die sich der statistischen Auswertung von Erbscheinen und Nachlassakten in einzelnen Amtsgerichtsbezirken

75 Heinrich von Spreckelsen, Untersuchung der Frage, welche Änderungen von Vorschriften über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht zu empfehlen sind, S. 10, in: BArch, B 141/102819 – Reform des Erbrechts – Material, Bd. 2, 7.1973 – 2.1977. 76 Heinrich von Spreckelsen, Untersuchung der Frage, welche Änderungen von Vorschriften über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht zu empfehlen sind, S. 11, in: BArch, B 141/102819 – Reform des Erbrechts – Material, Bd. 2, 7.1973 – 2.1977. 77 Heinrich von Spreckelsen, Untersuchung der Frage, welche Änderungen von Vorschriften über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht zu empfehlen sind, S. 10, in: BArch, B 141/102819 – Reform des Erbrechts – Material, Bd. 2, 7.1973 – 2.1977. 78 Emnid-Institut GmbH & Co, Meinungsumfrage zur gesetzlichen Erbfolge, 28.4.1971, in: BArch, B 141/102818 – Reform des Erbrechts – Material, Bd. 1, 09.1969 bis 12.1972. 79 Die Stellungnahmen der Notare finden sich in BArch, B 141/102826 – Reform des Erbrechts – Umfrage bei Notaren, Bd. 1, 07.1971 – 03.1972. 80 Der daraus resultierende, von Helmut Stöcker vorbereitete und von Heinrich von Spreckelsen zusammengestellte Abschlussbericht wurde allerdings nicht veröffentlicht, stattdessen stellten beide Ministerien ihre Bestrebungen, Daten über Erbvermögen und Erbpraktiken systematisch zu sammeln, bereits im Jahr 1973 wieder ein. Heinrich von Spreckelsen, Untersuchung der Frage, welche Änderungen von Vorschriften über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht zu empfehlen sind, in: BArch, B 141/102819 – Reform des Erbrechts – Material, Bd. 2, 7.1973 – 2.1977.

Politische und rechtliche Reformen von Erbrecht und Erbschaftssteuern

widmeten.81 Auf dieser Wissensbasis aufbauend, debattierten daraufhin Juristen und Politiker Reformen der gesetzlichen Erbfolge sowie der Erbschaftssteuer. Gesetzliche Erbfolge und unbeschränktes Verwandtenerbrecht

Die Reformdebatten der gesetzlichen Erbfolge in den 1970er Jahren griffen die bereits im 19. Jahrhundert diskutierte Frage nach der Beschränkung des Verwandtenerbrechts wieder auf. Bei der Ausarbeitung der gesetzlichen Erbfolge im BGB hatten Juristen und Politiker keine Beschränkung des Familienprinzips vorgenommen. Das bedeutete in der Praxis, dass – falls kein Testament und keine engen Familienangehörigen vorhanden waren oder ermittelt werden konnten – entferntere Verwandte erbten. Dabei wurde der Kreis der entfernten Verwandten so lange erweitert, bis sich eine erbberechtigte Person fand. Derartige Fälle kamen in der Bundesrepublik insgesamt zwar selten, aber dennoch immer wieder vor. Anfang der 1970er Jahre fielen etwa 0,2 Prozent aller Erbschaften entsprechend der gesetzlichen Erbfolge an entfernte Verwandte wie Großonkel und Großtante oder Großcousin und Großcousine. Das Erbrecht definierte diese Personen als Erben der vierten oder einer höheren Ordnung. Zu ihnen hatten viele Erblasser zu Lebzeiten in der Regel keinen persönlichen Kontakt mehr besessen, und das hinterlassene Erbe musste häufig in sehr kleinen Teilen unter vielen Personen aufgeteilt werden. Im Fall der im März 1969 im Alter von 88 Jahren verstorbenen Elisabeth R. ermittelte das Amtsgericht Darmstadt beispielsweise 30 gesetzliche Erben. Deren Anteile am vorhandenen Nachlass im Wert von 13.000 DM variierte zwischen 1/8 und 1/84, und es dauerte vier Jahre, bis das Gericht die Erbscheine im März 1973 ausstellte.82 Nach dem Tod der im Alter von 63 Jahren verstorbenen Brigitta B. ermittelte das Amtsgericht Darmstadt über acht Jahre hinweg 16 Erben der dritten Ordnung.83 Die Bearbeitung derartiger Erbfälle war für die Amtsgerichte besonders zeit- und personalintensiv.84 Sie mussten die Nachlässe solange pflegen, bis die

81 Hans A. Stöcker, Die Neuordnung der gesetzlichen Erbfolge im Spiegel des mutmaßlichen Erblasserwillens, in: Zeitschrift für das gesamte Familienrecht (FamRZ) 18 (1971), H. 12, S. 609–618; Leipold, Wandlungen; Schulte, Art; Rotering, Untersuchungen. 82 Auskunft des Amtsgerichts Darmstadt, Nachlaß Elisabeth R., 15.3.1973, in: HHStAW, Erbrecht, 3480, Bd. 2. 83 Auskunft des Amtsgerichts Darmstadt, Nachlaß der Brigitta B., 27.3.1973, in: HHStAW, Erbrecht, 3480, Bd. 2. Für ähnliche Fälle vgl. AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 51 VI 1226/70 B; Auskunft des Amtsgerichts Kassel, Nachlaß Ernst K., 9.5.1973, in: HHStAW, Erbrecht, 3480, Bd. 2. 84 Der Bundesminister der Justiz an die Justizministerien der Länder, 21.4.1972, in: HHStAW, Erbrecht, 3480, Bd. 2.

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gesetzlichen Erben ermittelt, die notwendigen Personenstandsurkunden beschafft und die Erbscheine ausgestellt waren, was häufig mehrere Jahre dauerte.85 Vor diesem Hintergrund regte das Bundesjustizministerium Anfang der 1970er Jahre eine Diskussion der gesetzlichen Erbfolge an, um zu erörtern, ob die unbegrenzte Verwandtenerbfolge noch sinnvoll und zeitgemäß sei.86 Auf der einen Seite sprachen sich Juristen wie Dieter Leipold oder Hans Stöcker, Referent im Bundesjustizministerium, für die Beschränkung der gesetzlichen Erbfolge aus. Aus ihrer Sicht war das Familienverständnis des BGB veraltet, da es von einem sehr weiten Verwandtenverbund ausging, während die moderne Familie vor allem als Kernfamilie aus Eltern und Kindern bestehe. Diese Kernfamilie habe das Recht zu erben, weitläufig mit dem Erblasser verwandte Personen, die diesen möglicherweise nie im Leben gesehen hatten, hätten demgegenüber als „lachende Erben“ kein Recht auf dessen Nachlass. Sie hätten keine Leistungen für den Verstorbenen erbracht, weshalb es in der Leistungsgesellschaft ungerecht erscheinen müsse, ihnen das Erbe zuzusprechen. Auch könnten durch eine Reform des Verwandtenerbrechts die Amtsgerichte deutlich entlastet werden. Anstatt aufwendig „lachende Erben“ zu ermitteln, bliebe mehr Kapazität, um Erbüberträge innerhalb der engen Familie zügig zu bearbeiten. Darüber hinaus würde der Staat, wenn er an die Stelle entfernter Verwandte träte und die Erbschaft übernähme, in diesen Fällen Einnahmen generieren, anstatt kostenaufwendig dafür zu sorgen, dass das Erbe an entfernte Verwandte fiel. Schließlich verwiesen die Befürworter darauf, dass seit dem späten 19. Jahrhundert nahezu alle europäischen Staaten und die USA dazu übergegangen seien, die gesetzliche Erbfolge zu beschränken. So hatten Dänemark (1963), Finnland (1965) und Norwegen (1972) eine solche Begrenzung vorgenommen.87 Demnach erschien die Bundesrepublik im internationalen Vergleich rückständig.88 Auf der anderen Seite sprachen sich einflussreiche Juristen wie Helmut Coing, Direktor des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte in Frankfurt, gegen eine Reform aus. Nach Coing war die Zahl der Fälle, in der Erbschaften an Verwandte der vierten oder einer höheren Ordnung fielen, so selten, dass deren

85 Der Bundesminister der Justiz an alle Landesjustizverwaltungen, 21.7.1972, in: HHStAW, Erbrecht, 3480, Bd. 2. Vgl. auch Rechtspfleger an Amtsgerichtsdirektor Hamburg, 1.6.1972, in: HHStAW, Erbrecht, 3480, Bd. 2. 86 Der Bundesminister der Justiz an die Justizministerien der Länder, 21.4.1972, in: HHStAW, Erbrecht, 3480, Bd. 2. 87 Zum internationalen Kontext und zu den Entwicklungen in anderen Ländern vgl. Holthöfer, Sozialisierung, insbesondere S. 188ff. 88 Stöcker, Neuordnung; Leipold, Wandlungen, S. 173; Erich Steffen, Empfiehlt es sich, das Erb- und Pflichtteilsrecht neu zu regeln?, in: Deutsche Richterzeitung (1972), S. 263–267; Franz Josef Dumoulin, Gesetzliches Erbrecht und Pflichtteilsrecht – Änderungsvorschläge aus der Sicht eines Notars, in: Deutsche Notar-Zeitschrift (Sonderausgabe) (1973), S. 84–107.

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Bearbeitung den staatlichen Institutionen zumutbar sei. Auch die daraus resultierenden staatlichen Einnahmen seien irrelevant. Für eine Beschränkung des Familienprinzips gebe es deshalb keine ausreichenden Gründe. Coing und andere Gegner des Reformvorhabens wollten das Familienprinzip daher nicht oder als Kompromiss höchstens für weit entfernte Verwandte ab der vierten Ordnung beschneiden.89 Mit diesen Argumenten setzten sich die Gegner des Reformvorhabens am Ende durch. Anders als in den meisten anderen europäischen und außereuropäischen Ländern wurde die unbeschränkte Verwandtenerbfolge in der Bundesrepublik als Ergebnis dieser Debatte nicht begrenzt, sondern bestätigt.90 Erbschaftssteuer und Freibeträge für die Familie

Zeitgleich forderten sozialdemokratische und liberale Politiker Anfang der 1970er Jahre eine Erhöhung der Erbschaftssteuer. Angesichts wachsender Vermögensungleichheiten und eines im internationalen Vergleich niedrigen Steuersatzes verlangten sie eine Erhöhung der Spitzensteuersätze und eine neue Grundlage zur Berechnung von Grund- und Wohneigentum. Zugleich bekannten sich sozialdemokratische Politiker aber auch zum Familienprinzip. Parallel zur geforderten Erhöhung der Spitzensteuersätze plädierten sie dafür, die Steuerfreibeträge für enge Familienmitglieder zu erhöhen. Dadurch sollten die Erben kleinerer und mittlerer Erbschaften finanziell entlastet und die Erben großer Nachlässe maßvoll höher besteuert werden.91 Im Ergebnis führte diese Zielsetzung sowohl zur moderaten Erhöhung der Spitzensteuersätze als auch zu einer Erhöhung der Freibeträge durch die sozialliberale Koalition.92 Dieser Kompromiss aus einer etwas erhöhten Besteuerung sehr gro89 Helmut Coing, Gutachten: Empfiehlt es sich, das gesetzliche Erbrecht und Pflichtteilsrecht neu zu regeln?, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des Neunundvierzigsten Deutschen Juristentages, Bd. 1, München 1972, A 11ff.; Leipold, Wandlungen, S. 161. 90 Holthöfer, Sozialisierung, S. 191. Für weiterführende Literatur zu dieser Debatte vgl. auch Zimmermann, Prägung, S. 327f. 91 Für einzelne Positionen in dieser Debatte vgl. Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium der Finanzen, Gutachten zur Reform der direkten Steuern (Einkommenssteuer, Körperschaftssteuer, Vermögenssteuer und Erbschaftssteuer) in der Bundesrepublik Deutschland vom 11. Februar 1967, in: Bundesministerium der Finanzen (Hrsg.), Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen. Entschließungen, Stellungnahmen und Gutachten, 1949–1973, Tübingen 1974, S. 326–400; Hessischer Minister der Finanzen, Entwurf für ein Gesetz zur Änderung des Erbschaftssteuergesetzes und anderer Vorschriften, Wiesbaden 1970; Hellmut Eggers/Achim von Loesch/ Walter Möller (SPD Hessen Süd), Vermögen umverteilen! Frankfurt am Main 1970; Jean-Jacques Servan-Schreiber, Die befreite Gesellschaft. Eine Charta für Europa, Hamburg 1970. Eine ebenfalls ausführliche zeitgeschichtliche Einordnung der Debatte bietet Grundig, Vermögen, S. 119–140. 92 Für eine ausführliche Einordnung der Erbschaftssteuerdebatte in übergeordnete Steuerdebatten der frühen 1970er Jahre vgl. Buggeln, Versprechen, S. 722–745.

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ßer Vermögen und der Entlastung mittlerer und kleiner Vermögen durch erhöhte Freibeträge stieß sogar bei einzelnen Abgeordneten der CDU auf Zustimmung, auch wenn deren Mehrheit die Reform mit dem Argument ablehnte, dass der Staat Familienvermögen schützen und nicht besteuern solle und zu hohe Erbschaftssteuern den Mittelstand gefährden würden.93 Trotz dieser Opposition gegen die Erbschaftssteuerreform senkte die konservativ-liberale Regierung nach dem Regierungswechsel von 1982 die Erbschaftssteuern nicht. Zur Reform der Vermögensund Erbschaftsbesteuerung kam es erst in den 1990er Jahren.94 Während die PDS, die Grünen und die SPD an der Erbschaftssteuer als Einnahmequelle des Staates für eine soziale Grundsicherung oder den Aufbau Ost festhalten wollten, setzten sich Liberale und die Unionsparteien mit ihren Steuersenkungsplänen durch.95 Im Jahr 1997 setzte die konservativ-liberale Regierung die Vermögenssteuer außer Kraft und behielt die Erbschaftssteuer als zentrale das Vermögen belastende Steuer bei. Sie galt als leichter zu erheben. Zugleich nahm sie Rücksicht auf Abgeordnete aus den eigenen Reihen, die eine stärkere Entlastung von familialen Erben und von Familienbetrieben gefordert hatten.96 Dies führte zu neuen Bewertungsregeln von

93 Jürgen Ebeling/Walter Petwaidic, Die enterbte Gesellschaft. Erbschaftsteuer heute und morgen, Wege zur Steuerersparnis, drohende Reformen, Stuttgart 1971; Paul Stahl, Sicherung des Bestandes von Familien-Unternehmen. Gegen die Erbschaftssteuer-Gefahr gibt es keine ausreichenden Gegenmaßnahmen, in: FAZ, 28.12.1971. 94 Zur Einordung dieser Reformen vgl. Buggeln, Versprechen, S. 849–855; Beckert, Vermögen, S. 278–281. Zur Debatte um den Wirtschaftsstandort Deutschland vgl. Wencke Meteling, Internationale Konkurrenz als nationale Bedrohung. Zur politischen Maxime der „Standortsicherung“ in den neunziger Jahren, in: Jessen, Ralph (Hrsg.), Konkurrenz in der Geschichte. Praktiken, Werte, Institutionalisierungen, Frankfurt am Main 2014, S. 289–315. 95 Rede Barbara Höll, Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, 135. Sitzung, 7.11.1996, S. 12057, in: DIP Deutscher Bundestag, http://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/13/13135.pdf#P.12056 (letzter Zugriff 18.4.2021); Antrag der PDS, Den Reichtum umverteilen – Für eine gerechte Ausgestaltung der Erbschaftsbesteuerung, Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, 11.6.1996, in: DIP Deutscher Bundestag, https://dserver.bundestag.de/btd/13/048/1304845.pdf (letzter Zugriff am 18.4.2021); Rede Christine Scheel, Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, 111. Sitzung, 14.6.1996, in: DIP Deutscher Bundestag, https://dserver.bundestag.de/btp/13/13111.pdf (letzter Zugriff 4.5.2021); Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung der Vermögensteuer und der Erbschaftssteuer, Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, 11.6.1996, in: DIP Deutscher Bundestag, http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/13/ 048/1304838.pdf (letzter Zugriff 18.4.2021); Rede Ottmar Schreiner, Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, 68. Sitzung, 9.11.1995, in: DIP Deutscher Bundestag, https://dserver.bundestag.de/btp/13/ 13068.pdf (letzter Zugriff 4.5.2021). 96 Rede Gerda Hasselfeldt, Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, 111. Sitzung, 14.6.1996, in: DIP Deutscher Bundestag, https://dserver.bundestag.de/btp/13/13111.pdf (letzter Zugriff 4.5.2021). Vgl. auch Rede Ernst Hinsken, Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, 128. Sitzung, 10.10.1996, in: DIP Deutscher Bundestag, https://dserver.bundestag.de/btp/13/13128.pdf (letzter Zugriff 4.5.2021); Rede Johannes Selle, Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, 111. Sitzung, 14.6.1996, in: DIP Deutscher Bundestag, https://dserver.bundestag.de/btp/13/13111.pdf (letzter Zugriff 4.5.2021); Rede Heinrich

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Betriebseigentum und zu Befreiungsregelungen, die es insbesondere Vermögenden und (Familien-)Unternehmen erleichterten, anfallende Erbschaftssteuern stark zu minimieren. Damit war die mehrfach reformierte und angepasste Erbschaftssteuer in der Bundesrepublik erneut auf den Schutz von Familienvermögen und von Familienbetrieben ausgelegt. Zugleich bot sie starke ökonomische Anreize, Eigentum in der Familie zu übertragen. Die unter anderem aus der unterschiedlichen Behandlung von Betriebs- und Privatvermögen resultierende ungleiche Besteuerung von Erben erklärte das Bundesverfassungsgericht allerdings im Jahr 2006 und erneut im Jahr 2014 für verfassungswidrig.97 Damit setzte eine bis in die Gegenwart andauernde Reformdebatte über die Ausgestaltung und Funktion der Erbschaftssteuer in der bundesrepublikanischen Gesellschaft ein. 1.6 Transnationale Erbtransfers als „Normalfall“ Analog zu den innerstaatlichen Reformen entstanden ab den 1960er Jahren neue Initiativen, die auf einen rechtssicheren Nachlasstransfer über staatliche Grenzen hinweg abzielten. Bereits wenige Jahre nachdem sozialistische Staaten die Erbschaften ihrer Bürger noch bei US-amerikanischen Gerichten einklagen mussten, schlug das State Department im Rahmen der internationalen Entspannungspolitik einen anderen Ton an. Mit dem Verweis auf eine wachsende Anzahl an Personen, die sich über längere Zeiträume in zwei oder mehr Staaten aufhielten, lud es Anfang der 1970er Jahre zu einer internationalen Konferenz, um zu erörtern, wie Eigentümern eine rechtssichere Nachlassplanung und ihren Erben ein reibungsloser Nachlasstransfer über staatliche Grenzen zu ermöglichen sei.98 Vom 16. bis 26. Oktober 1973 trafen sich daraufhin Vertreter von 42 Staaten zu einer „Convention Providing a Uniform Law on the Form of an International Will“

L. Kolb, 13. Wahlperiode, 128. Sitzung, 10.10.1996, in: DIP Deutscher Bundestag, https://dserver. bundestag.de/btp/13/13128.pdf (letzter Zugriff 4.5.2021). 97 BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 7. November 2006 – 1 BvL 10/02 –, Rn. 1–204, http:// www.bverfg.de/e/ls20061107_1bvl001002.html (letzter Zugriff 16.2.2023); BVerfG, Urteil des Ersten Senats vom 17. Dezember 2014 – 1 BvL 21/12 –, Rn. 1–7, http://www.bverfg.de/e/ls20141217_ 1bvl002112.html (letzter Zugriff 16.2.2023). 98 Thompson R. Buchanan, Counselor for Political Affairs to Oleg Sokolov, 6.6.1973, in: NARA, RG 59, General Records of the Department of State, Bureau of European Affairs, Office of Soviet Union Affairs, Bilateral Political Relations Section, Bilateral Political Relations Subject Files, 1921–1973, PS 7-1 – Mott, Newcomb: Telegrams & Airgrams, 1965–1967 to V 29-1-Balashova, et al., 1945–1965, Box 22. Eine ähnliche Begründung für die Notwendigkeit einer solchen Konferenz findet sich auch bei Paul Abel, Rezension zu: Hans Köhler, Erbschaften im Ausland. Landesbeiträge Europa, Wien 1962, in: International & Comparative Law Quarterly 12 (April 1963), H. 2, S. 731.

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in Washington D.C.99 Neben den USA als Gastgeber und europäischen Staaten, darunter die Bundesrepublik, hatten auch die Sowjetunion und ihre osteuropäischen Verbündeten sowie lateinamerikanische, afrikanische und asiatische Staaten Delegierte gesandt.100 Diese stimmten darin überein, dass es angesichts ökonomischer Verflechtungen, zunehmender Arbeitsmigration, binationaler Eheschließungen und des transnationalen Lebensstils von Experten notwendiger werde, diesen Personen eine rechtssichere Nachlassplanung zu ermöglichen. Genauere Zahlen zur Größe dieser Personengruppe lieferten spätere Erhebungen. In den USA stellte der Rechtsprofessor Eugene F. Scoles für das Jahr 1985 fest, dass so viele US-amerikanische Staatsbürger wie nie zuvor im Ausland lebten oder Ansprüche auf Nachlässe aus dem Ausland hätten. Allein zwischen Deutschland und den Vereinigten Staaten seien seinen Informationen zufolge Anfang der 1980er Jahre 80.000 transnationale Erbfälle in Bearbeitung gewesen. Zugleich steige die Zahl der Ausländer in den USA.101 Im Jahr 2012 wies nach Angaben der Europäischen Kommission etwa jeder zehnte Erbfall in der EU einen Auslandsbezug auf – insgesamt 450.000 Erbfälle pro Jahr bei steigender Tendenz.102 Die Notwendigkeit für internationale Abkommen zur Rechtsharmonisierung ergaben sich für Politiker, Juristen und Eigentümer nicht nur aus der steigenden Zahl dieser Erbfälle, sondern auch aus der Tatsache, dass sie sich angesichts des enormen internationalen Rechtspluralismus nur schwer standardisiert und routinisiert planen und bearbeiten ließen. Transnationale Erbfälle warfen zwar alle ähnliche Fragen auf – beispielsweise nach dem Kollisionsrecht zweier Länder, nach den Definitionen von Erbe, den jeweiligen (bundes-)staatlichen Erbrechten, den darin festgelegten Bestimmungen zu Testamentsformalia oder den Grenzen der Testierfreiheit. Diese Fragen ließen sich allerdings nicht standardisiert beantworten, sondern verlangten je nach Staatsangehörigkeit des Erblassers und der Erben, je nach deren Verwandtschaftsbeziehungen, je nach den involvierten Ländern und je

99 Diplomatic Conference on Wills. Convention Providing a Uniform Law on the Form of an International Will, in: International Legal Materials 12 (1973), H. 6, S. 1298–1311. Zur Vorbereitung und zum Ablauf der Konferenz vgl. Ontario Law Reform Commission, Report on the international convention providing a uniform law on the form of the international will, Ontario 1974; Clifford Hall, Towards a Uniform Law of Wills. The Washington Convention 1973, in: The International and Comparative Law Quarterly 23 (1974), H. 4, S. 851–866; Kurt H. Nadelmann, The Formal Validity of Wills and the Washington Convention 1973 Providing the Form of an International Will, in: The American Journal of Comparative Law 22 (1974), H. 2, S. 365–383. 100 Für eine Liste der Teilnehmer vgl. Diplomatic Conference on Wills, S. 1298. 101 Eugene F. Scoles, The Hague Convention on Succession, in: The American Journal of Comparative Law 42 (1994), H. 1, S. 85–123, S. 86. 102 Sarah Katharina Stork Wersborg, Welches Recht gilt? Die Bestimmung des anzuwendenden Rechts im chinesischen, im deutschen und im europäischen internationalen Erbrecht, Bonn 2018, S. 1.

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nach Zusammensetzung des Nachlasses individuelle Antworten.103 Der Justizminister Nordrhein-Westfalens teilte dem Bundesjustizminister etwa Ende der 1950er Jahre mit, dass insbesondere die Amtsgerichte in der niederländischen Grenzregion ein Interesse an einer Rechtsharmonisierung mit dem Nachbarland hätten. Der Berliner Justizsenator sah wenig später Schwierigkeiten bei der Bearbeitung von Erbfällen von Personen, die aufgrund rassistischer oder politischer Verfolgung das Land verlassen hatten, aber noch die deutsche Staatsangehörigkeit besaßen, und der deutsche Notarbund drängte ab den 1960er Jahren auf Regelungen mit Italien, Spanien und anderen Länder aus dem Mittelmeerraum, aus denen Arbeitskräfte in die Bundesrepublik migrierten.104 Im Jahr 1970 waren auf dem Frankfurter Amtsgericht von 218 Erblassern 56 Erblasser in Gebieten außerhalb der Bundesrepublik geboren, unter anderem in der DDR, der Sowjetunion, Rumänien, Italien, Spanien und der Türkei.105 Auch die Auslandsvertretungen der Bundesrepublik stießen bei transnationalen Erbtransfers an ihre administrativen Kapazitäts- und Wissensgrenzen. Für die häufig zeitaufwendige Suche von Erben und die Beschaffung von Dokumenten mussten Mitarbeiter abgestellt werden. Zusätzlich waren auf den Auslandsvertretungen hinterlegte Testamente und aufbewahrte Akten zu Erbschaftsangelegenheiten während des Krieges und in der Nachkriegszeit in Vergessenheit geraten, beschlagnahmt worden oder verloren gegangen, was die Bearbeitung von Erbschaftssachen verkomplizierte.106 Beispielhaft hierfür teilte das Generalkonsulat in Chicago dem Auswärtigen Amt im August 1951 mit, dass das State Department den Großteil der während des Krieges beschlagnahmten Konsulatsunterlagen zurückgegeben habe. Eine erste Durchsicht von 100 Aktenbündeln, jedes ca. 25 cm hoch, habe 103 HHStAW, 469/6, 67 VI 418/40 S.; HHStAW, 469/6, 67 IV 412/40 R. Beispielhaft ist die Komplexität der bei transnationalen Erbtransfers auftretenden Fragen und Probleme für den Erbfall Wilhelmine S. dokumentiert. Die Erblasserin war als Tochter deutscher Auswanderer im Jahr 1894 in der Ukraine geboren worden und im Jahr 1975 in Freilassing in Bayern verstorben. Ihre Verwandten und Erben befanden sich in den USA, der Bundesrepublik und der Sowjetunion. Ihr Erbe konnte jedoch erst nach einem jahrelangen Rechtsstreit zwischen verschiedenen Familienmitgliedern und der Intervention zahlreicher Rechtsanwälte und Experten wie Injurkollegija aufgeteilt werden. Für eine ausführliche Beschreibung des Falls vgl. Friedrich-Christian Schroeder, Ein seltsamer deutsch-sowjetischer Erbrechtsfall, in: Osteuropa 40 (1990), H. 1, S. 64–67. Vgl. auch den Bericht über die Herausforderungen einer Erbenermittlerin: Michael Thalken, Auf der Suche nach den Erben, in: Kölner Stadt-Anzeiger, 19.10.2007. 104 Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen an BMJ, 18.12.1958; Senator der Justiz, Berlin, an BMJ, 5.1.1959; Gemeinschaft des Deutschen Notariats an BMJ, 18.12.1958, alle in: BArch, B 141/ 22123, HÜ, 5.1958 – 1.1959. 105 Dinkel, Nachlassakten. Für Beispiele vgl. AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 51 VI 60/70 H, 51 IV 261/70 K, 54 VI F 36/2000 F, 55 VI P 99/2000 P sowie 54 VI F 184/2000 F. 106 Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland, Genua, an das Auswärtige Amt, 28.7.1964, in: PA AA, B 84 REF. 504/V5 470.

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dabei ergeben, dass es sich hauptsächlich um Nachlasssachen handele, die zum Teil bis ins Jahr 1910 zurückreichten. Da es verboten war, diese Akten zu vernichten, das Generalkonsulat aber weder ausreichend Personal noch Platz besaß, um die zurückgegebenen Dokumente für Recherchen systematisch aufzubereiten, fragte es beim Auswärtigen Amt an, was mit diesen zu tun sei. Das Auswärtige Amt antwortete dem Konsulat daraufhin, dass es alle Akten bis 1929 abtransportieren und nach Bonn verschiffen dürfe. Die restlichen Akten müsse es aber selbst aufbewahren und für Anfragen in Nachlassangelegenheiten bereitstellen. Dies war dem Konsulat aber, wie es dem Auswärtigen Amt Ende Oktober mitteilte, nur in begrenztem Maße möglich. Nach der Rückmeldung des Amts, so der Generalkonsul, habe er bei einer Speditionsfirma einen Raum angemietet, um dort die zurückgegebenen Unterlagen zu lagern. Diese trafen dort „teils ungebündelt, teils lose und unübersichtlich durcheinander verpackt“ ein, ohne das Akten- oder Inhaltsverzeichnisse vorhanden gewesen wären. Die Sichtung der Kisten musste dann „in einem überfüllten, staubigen Lagerraum vorgenommen werden, der noch während der heissen Sommermonate mit einem starken Naphthalingeruch erfüllt war“.107 Schließlich habe man nur wenige Mitarbeiter für die Sichtung der Akten abstellen können, da diese dringend für andere Aufgaben benötigt worden seien. Im Ergebnis sei es dem Konsulat nur möglich gewesen, die erhaltenen Akten jahrgangsweise zu bündeln, aber keine Aktenverzeichnisse zu erstellen. Ohne weitere Finanzmittel für zusätzliche Räume und Personal müsse er bei Anfragen jedes Mal einen Mitarbeiter in das Lagerhaus schicken und dort in beengten Verhältnissen nach entsprechenden Unterlagen suchen lassen. Schließlich meldeten Konsulate und Botschaften aus allen Weltteilen dem Auswärtigen Amt, dass sie sich mit Restitutionsforderungen sowie Nachlässen von Staatenlosen, Displaced Persons, deutschen Auswanderern, deutschen Staatsangehörigen in der DDR und dem östlichen Europa sowie in die Bundesrepublik migrierten Personen konfrontiert sahen. Es fehle ihnen jedoch die juristische Expertise, um diese grenzüberschreitenden Erbschaftsangelegenheiten zu bearbeiten.108 Die gewünschte Rechtsauskunft konnte das Justizministerium jedoch häufig nicht leisten. Ausschlaggebend hierfür war die Tatsache, dass es die angefragten Handbücher und Handreichungen zur Bearbeitung von Erbfällen mit Auslandsbezug schlicht nicht gab. In internen Berichten hielten Mitarbeiter beider Ministerien regelmäßig fest, dass das Standardwerk von Ferid-Firsching zum „Internationalen

107 Generalkonsulat der Bundesrepublik, Chicago an Auswärtiges Amt, 20.10.1951, in: PA AA, B 84 REF. 504/V5 40. 108 Konsulat der Bundesrepublik Deutschland, Vancouver an Auswärtiges Amt, 8.6.1959; Generalkonsulat der Bundesrepublik Deutschland, Montreal an Auswärtiges Amt, 11.5.1960; Auswärtiges Amt an alle diplomatischen und berufskonsularischen Vertretungen und Wahlkonsulate, 31.12.1959; Bundesjustizministerium an Auswärtiges Amt, 13.4.1959, alle in: PA AA, B 84 REF. 504/V5 470.

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Erbrecht“ bei zahlreichen Anfragen nur bedingt hilfreich sei, da darin nur Kollisionsregelungen mit Frankreich und Italien behandelt würden. Andere juristische Nachschlagewerke würden das Erbrecht in den USA, Österreich und der Schweiz thematisieren, darüber hinaus fehlte es aber an entsprechenden Handbüchern zum Erbrecht in anderen Ländern. Charakteristisch für diese Situation antwortete Dr. Reinicke im Bundesjustizministerium dem Konsulat in Melbourne auf dessen Gesuch nach Rechtsauskunft in einem Erbfall im Juni 1957 wie folgt: Zu der Anfrage des Konsulats […] muß ich zu meinem Bedauern mitteilen, dass es ein modernes Nachschlagewerk, in dem die erbrechtlichen Bestimmungen aller wichtigsten fremden Staaten enthalten sind, in der deutschen – und soweit ich übersehen kann, auch in der ausländischen – Literatur zur Zeit nicht gibt. […] Eine gedrängte Übersicht über das Erbrecht fast aller Staaten der Erde einschließlich der Einzelstaaten der USA findet sich […] in dem Handbuch Martindale-Hubbell […]. Bedauerlicherweise fehlt in den neueren Jahrgängen des Martindale-Hubbell das Recht der Ostblockstaaten, wie Polen, Tschechoslowakei, Ungarn, Bulgarien und Rumänien sowie der baltischen Staaten. Das Erbrecht in diesen Ländern hat sich aber seit ihrer Einbeziehung in den kommunistischen Herrschaftsbereich zum Teil erheblich gewandelt. Ausserdem bestanden zum mindesten vor 1945 in einzelnen dieser Staaten verschiedene Lokalrechtsgebiete. Da erfahrungsgemäß bei Erbrechtsfällen aus diesen Ländern das interlokale und intertemporale Erbrecht eine erhebliche Rolle zu spielen pflegt, dürfte es sich empfehlen, gegebenenfalls das MaxPlanck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Hamburg […], um die Erstattung eines Gutachtens zu bitten.109

In dem Verweis auf rechtswissenschaftliche Forschungsinstitute als juristische Experten in transnationalen Erbangelegenheiten zeigt sich eine Strategie, mit der das Auswärtiges Amt und das Bundesjustizministerium seit den 1950er Jahren auf Schwierigkeiten bei transnationalen Erbfällen reagierten. Sie unterstützten den Aus- und Aufbau von rechtswissenschaftlichen Forschungseinrichtungen sowie die Beschaffung und Verteilung von Handbüchern und Handreichungen für die Bearbeitung transnationaler Erbtransfers. Nach dem Krieg baute das Max-PlanckInstitut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg unter Konrad Zweigert als Direktor zwischen 1963 und 1979 eine internationale Forschungsabteilung auf dem Gebiet des Rechtsvergleichs auf.110 Im Jahr 1953 wurde der Deutsche

109 Dr. Reinicke, Bundesjustizministerium, an das Auswärtige Amt, 25.6.1957, in: PA AA, B 84 REF. 504/V5 469. 110 Ulrich Magnus, Geschichte des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht, 1949–2000, Berlin 2020; Thomas Duve/Stefan Vogenauer/Jasper Kunstreich (Hrsg.), Rechtswissenschaft in der Max-Planck-Gesellschaft, 1948–2002, Göttingen 2023.

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Rat für Internationales Privatrecht als Beratungsgremium des Bundesjustizministeriums eingerichtet.111 Im Jahr 1955 erschien die umfangreiche Loseblattsammlung „Internationales Erbrecht. Quellensammlung mit systematischen Darstellungen des materiellen Erbrechts sowie des Kollisionsrechts der wichtigsten Staaten“.112 Mit einem speziellen Fokus auf die Gesetze, die Rechtspraxis und die Rechtswissenschaften im östlichen Europa wurde im Jahr 1957 das Institut für Ostrecht in München als rechtsfähiger Verein gegründet.113 Eine wichtige Funktion der Erbenermittlung erfüllte darüber hinaus die im Lastenausgleichsarchiv des Bundes in Bayreuth in den 1950er Jahren entstandene Ost-Dokumentation sowie die mehr als 15.000 dort aufbewahrten Gemeindeseelenlisten zum östlichen Europa.114 Parallel zum Aufbau von rechtswissenschaftlicher Expertise und von staatlichen Dokumentationszentren flammte in den 1950er Jahren im Auswärtigen Amt erneut die bis in die Zwischenkriegszeit zurückreichende Debatte nach dem Verhältnis von staatlichen Institutionen und privaten Erbenermittlern auf. Anderes als in der Zwischenkriegszeit zeigte sich diesmal aber ein größerer Teil der Beamten des Auswärtigen Amtes – auch angesichts des offensichtlichen personellen, fachlichen und administrativen Bedarfs an Unterstützung bei transnationalen Erbfällen – einer engeren Zusammenarbeit mit privaten Firmen gegenüber aufgeschlossen.115 Zugleich wandten sich in dieser Situation zahlreiche, meist schon seit mehreren Jahrzehnten im Geschäft tätige, auf Erbtransfers zwischen Nordamerika und Deutschland spezialisierte Erbenermittler an das Auswärtige Amt und boten ihre Dienste an.

111 Lena Krause, Der Deutsche Rat für Internationales Privatrecht, Baden-Baden 2018. 112 Murad Ferid/Heinrich Dörner/Karl Firsching/Rainer Hausmann (Hrsg.), Internationales Erbrecht. Quellensammlung mit systematischen Darstellungen des materiellen Erbrechts sowie des Kollisionsrechts der wichtigsten Staaten, München 1955. 113 Institut für Ostrecht, https://www.ostrecht.de/ueber-uns.html (letzter Zugriff 1.5.2021). 114 Bundesarchiv, Bayreuth, in: https://www.bundesarchiv.de/DE/Content/Artikel/Ueber-uns/Dienst orte/bayreuth.html (letzter Zugriff 1.5.2021). Einer der größten deutschen Erbenermittler, die GEN Gesellschaft für Erbenermittlung mbH, erklärt auf seiner Homepage: „Die Bayreuther Mitarbeiter der GEN Gesellschaft für Erbenermittlung mbH gehen nicht nur Nachlassfällen im Südosten der Bundesrepublik Deutschland nach. Durch die einmaligen Archivbestände vor Ort und die strategisch günstige Lage in der Nähe zu Tschechien, Polen und Österreich können auch internationale Nachlassfälle zeitnah und effektiv bearbeitet werden. Bayreuth ist durch die Bestände des Lastenausgleichsarchivs ein bedeutender Recherchestandort, wann immer Erbenermittler in Deutschland tätig sind und Erben gesucht werden. Hier können familiäre Zusammenhänge geklärt werden, auch wenn in den ehemaligen Ostgebieten oftmals Urkunden und Kirchenbuchbestände nicht mehr auffindbar sind. Unsere Mitarbeiter vor Ort übernehmen jedoch nicht nur die Archivrecherche für die Genealogen anderer Standorte, sondern ermitteln auch selbst Erben.“, in: https://www.gengmbh.de/team-und-standorte/ort/bayreuth/ (letzter Zugriff 12.5.2023). 115 Deutsches Generalkonsulat San Francisco an das Auswärtige Amt, 9.9.1955, und Deutsches Generalkonsulat Chicago an das Auswärtige Amt, 21.2.1955, in: PA AA, B 84 REF. 504/V5 403.

Politische und rechtliche Reformen von Erbrecht und Erbschaftssteuern

Überwiegend waren es Migranten oder die Nachfahren von Migranten, die sowohl Englisch als auch Deutsch beherrschten und über das nötige Fachwissen sowie die notwendigen Kontakte verfügten. Dazu zählten beispielsweise der Deutsch sprechende US-amerikanische Staatsbürger Hans J. Pedersen, der schon in der Zwischenkriegszeit Aufträge von den deutschen Konsulaten in den USA und dem Kölner Bankhaus Ernst Koch erhalten hatte, der seit 1930 mit dem Generalkonsulat in San Francisco zusammenarbeitende deutsche Auswanderer Heinrich F. Bode, der aus Leipzig stammende Hans Breymann, der sich auf Erbtransfers zwischen den USA und der DDR spezialisierte, oder der Deutsch-Amerikaner G. Vernon Leopold.116 Der in Frankfurt ansässige Walther Debusson hatte sich mit seiner Kanzlei ebenfalls seit der Zwischenkriegszeit auf deutsch-US-amerikanische Erbtransfers spezialisiert. Er stand nach eigenen Angaben mit über 150 Anwälten und Kanzleien in den USA in Kontakt und bot dem Auswärtigen Amt sogar an, eine eigene auf transnationale Erbtransfers spezialisierte Abteilung im Amt aufzubauen.117 Dieser Vorschlag ging dem Amt zu weit, insgesamt sprach sich jedoch eine Mehrheit der an der Diskussion beteiligten Konsuln, Botschafter und Mitarbeiter im Auswärtigen Amt für eine intensivere und vertiefte Zusammenarbeit mit privaten Dienstleistern aus.118 Um den Gegnern einer solchen Kooperation entgegenzukommen, einigten sich die Diskutanten auf folgendes Vorgehen: Zunächst sollten Konsulate und Botschaften dem Auswärtigen Amt Listen mit ihnen bekannten privaten Dienstleistern zukommen lassen, auf denen sie deren Vertrauenswürdigkeit bewerteten. Darauf aufbauend fertigte das Auswärtige Amt anschließend eine Rangliste von neun privaten Dienstleistern an, mit denen es eine Zusammenarbeit empfahl beziehungsweise vor denen es warnte. Das Ranking reichte von der Eugen Hoerner GmbH auf Platz eins, über die es keine Beschwerden gab und mit der alle Konsulate ausschließlich positive Erfahrungen gemacht hatten, bis zur Agentur Joachim Friedrich Moser, die nach Ansicht des Amtes zu hohe Gebühren verlangte und über die zahlreiche Beschwerden geäußert worden waren.119 Zusätzlich erstellte es Merkblätter und

116 Hans J. Pedersen an Bank deutscher Länder, Frankfurt am Main, 25.11.1949, sowie Heinrich F. Bode an das Auswärtige Amt, 28.1.1951, in: PA AA, B 84 REF. 504/V5 40; Dr. Hans Breymann an das Auswärtige Amt, 30.7.1957, und Dr. Hans Breymann an Embassy of the United States of America, Bonn, 30.7.1957, in: PA AA, B 84 REF. 504/V5 168; James K. Anderson, Fled Nazis When a Boy, Detroiter Aids Refugees, in: The Detroit News, 21.8.1962. 117 Walther Debusson, Spezial-Regelung von amerikanischen Erbschaften, Frankfurt am Main, an Bundesregierung, 4.12.1950, in: PA AA, B 84 REF. 504/V5 40. 118 Referat 504, Merkblatt: Erbschaftsbüros, Stand Oktober 1954, in: PA AA, B 84 REF. 504/V5 403. 119 Deutsches Generalkonsulat Chicago an das Auswärtige Amt, 21.2.1955; Deutsches Generalkonsulat San Francisco an das Auswärtige Amt, 9.9.1955; Referat 504, Merkblatt: Erbschaftsbüros, Stand Oktober 1954, alle in: PA AA, B 84 REF. 504/V5 403. Das Ranking sah folgendermaßen aus: 1.) Eugen Hörner GmbH, Bankhaus, Heilbronn. 2.) Dr. Kurt Rietzel, Wirtschaftsberater, Mainz.

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Liberalisierung und Legitimierung des Familienprinzips seit den 1960er Jahren

Handreichungen für den Umgang und die Zusammenarbeit mit privaten Erbenermittlern und verpflichtete diese, mit den verlangten Gebühren Maß zu halten. Mit diesen Maßnahmen systematisierte und intensivierte das Auswärtige Amt die Zusammenarbeit mit den privaten Dienstleistern, wodurch staatlich-private Absprachen und Netzwerke entstanden, die zur erleichterten Durchführung grenzüberschreitender Erbfälle beitrugen. Dadurch gelang es Amtsgerichten, Botschaften, dem Auswärtigem Amt und dem Bundesjustizministerium, kurzfristig die Reibungen und Konflikte bei transnationalen Erbtransfers abzumildern. Die Grenzen dieses neuen Arrangements zeigten sich allerdings bereits Mitte der 1960er Jahre, als die Anfragen zu Erbfällen mit Auslandsbezug stark zunahmen. Mit dem gezielten Anwerben von ausländischen Arbeitskräften und der allgemeinen Zunahme der Einwanderung sammelten sich auf den Amtsgerichten Erbfälle mit Auslandsbezug, die neben den „klassischen Aus- und Einwanderungsländern“ vermehrt eine Auseinandersetzung mit den Erbrechten der Länder des Mittelmeerraums erforderten.120 Angesichts dieser Entwicklung hielt der Jurist Franz Josef Dumoulin mit Blick auf die westeuropäischen Länder bereits im Jahr 1964 fest, dass das internationale Privatrecht auf dem Wege sei, in den Kanzleien vieler Anwälte und noch mehr in den Amtsstuben der Notare zu einer alltäglichen Materie zu werden. Auf die Bearbeitung von Erbfällen mit Bezug zum Mittelmeerraum waren Anwälte, Notare und Richter jedoch nicht vorbereitet. In zahlreichen Erbfällen wandten sie sich daher wie erprobt an wissenschaftliche Forschungszentren oder andere Rechtsexperten, um dort Auskunft oder Gutachten einzuholen, womit die Probleme mit transnationalen Erbfällen allerdings nicht gelöst, sondern nur verlagert waren.121 Ab Ende der 1960er Jahre nahmen die Beschwerden von Rechtsexperten und den Direktoren von Forschungseinrichtungen beim Auswärtigen Amt und beim Justizministerium deutlich zu. Sie beklagten, dass es ihnen an der nötigen personellen und finanziellen Ausstattung fehle, um die zunehmenden Anfragen zu transnationalen Erbfällen, die häufig auf fehlerhaften Vorarbeiten beruhten, zügig zu beantworten. Im August 1970 kritisierten darüber hinaus mehrere renommierte 3.) G. L. Kayser, Spedition Mainz. 4.) Otto Wilfert, Frankfurt am Main. 5.) Walter Debusson, Frankfurt am Main. 6.) Jakob Helmich, Wiesbaden, Vertreter des Erbschaftsbüros C. A. V. Smith London. 7.) Dr. jur. Maurice Coutot & Joseph Brocker, Strasbourg. 8.) Heinrich F. Bode, Hamburg. 9.) Joachim Friedrich Moser, Baden-Baden. 120 HHStAW, 469/6, 67 VI 418/40 S.; HHStAW, 469/6, 67 IV 412/40 R.; Justizminister des Landes Nordrhein-Westfalen an BMJ, 18.12.1958, Senator der Justiz, Berlin, an BMJ, 5.1.1959, sowie Gemeinschaft des Deutschen Notariats an BMJ, 18.12.1958, in: BArch, B 141/22123, HÜ, 5.1958 – 1.1959; Schroeder, Erbrechtsfall. 121 Franz Josef Dumoulin, Vereinheitlichung des internationalen Ehegüter- und Erbrechts. Die Vorschläge der Internationalen Union des lateinischen Notariats, in: Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 28 (1964), H. 3, S. 425–435, S. 425f.

Politische und rechtliche Reformen von Erbrecht und Erbschaftssteuern

Juristen den praktischen Wert von Rechtsgutachten, da sich die Bearbeitungszeit der Institute aufgrund von deren Überlastung beständig verlängere, wodurch der Einbezug der Gutachten in die Bearbeitung von transnationalen Erbfällen problematischer werde.122 Das gegenwärtige Niveau der deutschen Zivilrechtsprechung in internationalen Sachen bezeichneten sie als nicht befriedigend, wobei es aus ihrer Sicht ohne Reformen zu keiner Verbesserung kommen werde. Denn auch wenn die familien- und erbrechtlichen Probleme der Flüchtlinge, Vertriebenen und Emigranten für eine Übergangserscheinung von begrenzter Dauer gehalten würden, so verursachten die Probleme der Gastarbeiter eine ansteigende Flut an Anfragen, bei denen kein Ende abzusehen sei.123 Auch der international ausgewiesene Erbrechtsexperte Prof. Murad Ferid, zugleich Vorstand des Instituts für Rechtsvergleichung an der Ludwig-Maximilians-Universität München, beschwerte sich 1973 beim Auswärtige Amt, dass sein Institut jährlich etwa 400 Auskunftsersuche, meistens zu Erbangelegenheiten, von deutschen Behörden im In- und Ausland erhalte. Diese Anfragen, so Ferid weiter, seien „sehr häufig äußerst fehlerhaft und führen daher in Nachlaßverfahren zu großen Schwierigkeiten. Ich halte mich für verpflichtet, darauf aufmerksam zu machen, daß die Zahl derartiger fehlerhafter Erbscheinsanträge seit einigen Jahren sich ganz auffällig und sprunghaft vermehrt“.124 Zur Verbesserung dieser Situation erörterten Juristen Anfang der 1970er Jahre verschiedene Reformmaßnahmen, die dazu führten, dass einzelne Gerichte spezialisierte Abteilungen für Fälle mit Auslandsbezug einrichteten.125 Darüber hinaus befürwortete der Justizminister eine kontinuierliche Fortbildung von Richtern in internationalen Sachen und forderte die Bundesregierung auf, sich auf internationaler Ebene stärker mit anderen Ländern abzustimmen sowie rechtliche und administrative Grundlagen für grenzüberschreitende Erbtransfers zu schaffen.126 Dies resultierte seit den 1960er Jahren in einer Reihe von Abkommen und inter-

122 Karl Arndt/Gerhard Kegel/Wolfgang Lauterbach/Murad Ferid/Paul Heinrich Neuhaus/Konrad Zweigert, Zur Verbesserung der Deutschen Zivilrechtsprechung in internationalen Sachen, in: Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 35 (1971), H. 2, S. 323–331, S. 326. 123 Arndt u. a., Verbesserung, S. 326. 124 Prof. Dr. Dr. h.c. M. Ferid an das Auswärtige Amt, 28.9.1973, in: PA AA, B 84 ZA 160194. 125 Arndt u. a., Verbesserung. Zustimmend zur Denkschrift äußerten sich beispielsweise Dieter Pfaff und Jan Peter Waehler: Dieter Pfaff/Jan Peter Waehler, Familien- und Erbrecht der Flüchtlinge und Umsiedler. Gutachten zum internationalen Privatrecht und Staatsangehörigkeitsrecht sowie zum Recht sozialistischer Länder, Baden-Baden 1972, S. 7f. Vgl. auch Ministerialrat Dr. Böhmer, BMJ, an Prof. Dr. M. Ferid, 14.1.1971, in: BArch, B 141/22107 – Internationale Kommission für das Zivilstandswesen. 126 Denkschrift zur Verbesserung der deutschen Zivilrechtsprechung in internationalen Sachen, in: Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht 38 (1974), H. 4, S. 759–762.

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nationalen Konferenzen, auf denen Länder aus der ganzen Welt den Transfer von Erbe über staatliche und rechtliche Grenzen harmonisierten.127 Auf internationaler Ebene hatte die Regierung Großbritanniens bereits seit den 1950er Jahren für Abkommen geworben, die auf eine stärkere Rechtsharmonisierung im transatlantischen Raum zielten. Bis dahin regelten hauptsächlich bilaterale Abkommen zwischen zwei Staaten Rechtsfragen, die sich aus unterschiedlichen nationalen Erbgesetzgebungen ergaben. Multilaterale Vereinbarungen und Dokumente, an denen sich Eigentümer und Rechtsanwälte bei der Nachlassplanung oder Erben, Anwälte und Richter nach einem Erbfall orientieren konnten, existierten hingegen nicht.128 Angesichts der größer werdenden Personengruppe, die sich dauerhaft in zwei oder mehr Staaten aufhielt, setzten in den 1960er Jahren aber Initiativen ein, die eine multilateral abgesicherte Rechtsharmonisierung und grenzüberschreitende Nachlassplanungen per Testament auf einer sicheren Rechtsgrundlage anstrebten. Seitdem wurden auf internationalen Konferenzen wie jener zum Haager Testamentsformabkommen (1961) und in Washington D.C. (1973) sowie in internationalen Organisationen wie UNIDROIT, dem International Institute for the Unification of Private Law und der Europäischen Gemeinschaft Abkommen unterzeichnet, die Eigentümern und ihren Familien wieder eine rechtssicherere grenzüberschreitende Nachlassplanung ermöglichen sollten.129 Davon profitierten Migranten und transnationale Familien sowie reiche Erblasser und Erben, die eine transnationale Nachlassplanung auch zur Steuerminimierung nutzten. Für die wohlhabenden Bewohner Baltimores wurde dies bereits im letzten Kapitel aufgezeigt. Für Odessa waren für diesen Zeitraum keine Archivrecherchen

127 Denkschrift zur Verbesserung der deutschen Zivilrechtsprechung. 128 Dutta, Succession, S. 551f. 129 Haager Testamentsübereinkommen, 5. Oktober 1961, in: BGBl. 1965 II, S. 1144f. Für einen kurzen Abriss der Geschichte der Haager Konferenzen aus juristischer und rechtshistorischer Sicht vgl. Hans Arnold, Über die Haager Konferenz für Internationales Privatrecht aus Anlaß ihrer Zehnten Tagung, in: Juristen Zeitung 20 (1965), H. 22, S. 708–712; Leo Scheucher, Das Haager Testamentsabkommen, in: Zeitschrift für Rechtsvergleichung (1964), S. 216–223; Ontario Law Reform Commission, Report, S. 1. Vgl. auch Amtsblatt der Europäischen Union, Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, 27.7.2012, in: https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2012:201:0107:0134:DE:PDF (letzter Zugriff 14.5.2021); European Network of Registers of Wills Association, http://www.arert.eu/?lang=en (letzter Zugriff 4.6.2021); Bundesnotarkammer, Zentrales Testamentsregister, https://www.testamentsregister.de/ (letzter Zugriff 13.4.2021); EUFides. Facilitating Cross-Border Real Estate Transactions in Europe/Notaries of Europe. Providing legal certainty, http://www.notaries-of-europe.eu/index.php?pageID=8033 (letzter Zugriff 13.4.2021); Council of Europe, Sammlung Europäischer Verträge – Nr. 77, https://www.coe. int/en/web/conventions/full-list/-/conventions/rms/0900001680073120 (letzter Zugriff 4.6.2021).

Familienprinzip und Steuerminimierung bei wohlhabenden Erblassern in der Bundesrepublik

möglich. Abschließend wird daher an die Erbpraktiken der Frankfurter im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts herangezoomt. Dabei zeigen sich einerseits deutliche Kontinuitäten zu den bereits im letzten Kapitel herausgearbeiteten Praktiken der innerfamilialen Vermögensweitergabe, auf die daher nicht mehr näher eingegangen wird. Andererseits werden vor allem zwei Veränderungen sichtbar: Für wohlhabende Stadtbewohner gewannen zusätzlich zum Vermögensübertrag in der Familie Fragen der (transnationalen) Steuerminimierung an Bedeutung. Am anderen Ende des gesellschaftlichen Vermögensspektrums sah sich eine zunehmend größere Zahl an Erben mit dem Erhalt von überschuldeten Erbschaften konfrontiert. Erbschaften konnten in Frankfurt – ebenso wie in Baltimore – zu Beginn des 21. Jahrhunderts einen großen Vermögensgewinn bedeuten oder Fragen nach dem individuellen, familialen und gesellschaftlichen Umgang mit Armut aufwerfen. Damit hatten Vererbungsstrategien, wie abschließend aufgezeigt wird, auch Einfluss auf Vermögensungleichheiten in der Stadt.

2.

Familienprinzip und Steuerminimierung bei wohlhabenden Erblassern in der Bundesrepublik

2.1 Neue und alte Dienstleister Angesichts wachsender Vermögen, sich pluralisierender Familienkonstellationen und der moderat erhöhten Erbschaftssteuer begann der Ratgebermarkt in der Bundesrepublik in den 1980er Jahren zu boomen.130 In unterschiedlichen Formaten, die von Fernsehauftritten und der Herausgabe von Erbratgebern für ein massen-

130 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet sieben Neuerscheinungen von Erbratgebern für den Zeitraum von 1946 bis 1960, elf von 1961 bis 1975, 18 von 1976 bis 1990 und 60 von 1991 bis 2005. Noch deutlicher wird dieser Anstieg, wenn zusätzlich die Neuauflagen der einzelnen Publikationen in den Blick genommen werden. Der von Wolfgang Klüpfel im Auftrag der Deutschen Sparkassen erstmals im Jahr 1960 herausgegebene Ratgeber Erben und Vererben erschien im Jahr 1991 in seiner 23. und im Jahr 2004 in seiner 34. überarbeiteten Auflage. Der ErbschaftsBlock der Volksund Raiffeisenbanken sowie der R+V-Versicherungsgruppe erreichte zwischen 1991 und 2010 27 Auflagen. Quantitativ nur schwer zu erfassen sind die zahlreichen Artikel und Sonderhefte, die in Zeitungen und Zeitschriften zu dieser Thematik erschienen sind. Auch das Fernsehen sendete seit den 1990er Jahren vermehrt zum Thema Erben. Reportagen zum Erbrecht, zum Verfassen von Testamenten sowie zur gewünschten Vermögensweitergabe sind seitdem fester Bestandteil des TV-Programms. Vgl. als Auswahl hierfür SAT 1: Erben gesucht mit Jörg Wontorra, wöchentliches Magazin, 13 Folgen (Erstausstrahlung 31.3.1994); ARD, Günther Jauch, Unverdient reich – ist Erben gerecht? (17.5.2015); RTL, Kämpf um dein Erbe! (6.12.2014); WDR, Erben in der Patchworkfamilie. Tipps für das richtige Testament (5.11.2014); ARD, Wer hat Recht? Kampf ums Erbe (22.9.2014); ZDF, Die Erbengeneration – Wenn Vermögen den Besitzer wechselt (11.5.2014).

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mediales Publikum bis hin zu spezialisierten und individualisierten Beratungen vermögender Klienten reichten, wurde Wissen zum Thema Erbe verbreitet. Neben Juristen und Notaren boten nun auch Steuerberater, Finanzwirte, Ökonomen, Banken und Versicherungen ihren Klienten Beratungen in Nachlassangelegenheiten an.131 Darüber hinaus entstanden in dieser Zeit nahezu alle gegenwärtig existierenden größeren Unternehmen, Gesellschaften und Vereinigungen, die sich auf das Thema Erben und Vererben spezialisiert haben: die Deutsche Gesellschaft für Erbrechtskunde e. V. im Jahr 1989, die Deutsche Vereinigung für Erbrecht und Vermögensnachfolge e. V. im Jahr 1995, das Deutsche Forum für Erbrecht e. V. im Jahr 1996 und das Erbinnen-Netzwerk „Pecunia“ im Jahr 2003, um nur ein paar Beispiele zu nennen.132 Die Ratschläge dieser Dienstleister zielten weiterhin auf den Vermögenserhalt in der Familie. Allerdings passten sie ihre Empfehlungen an die sich pluralisierenden Lebenswelten und Familienkonstellationen ihrer Kunden an. Der „ErbschaftsBlock“ der Volks- und Raiffeisenbanken richtete seine Ratschläge beispielsweise an Ehepaare und Ledige mit und ohne Kinder, an Geschiedene sowie an Personen, die in einer Lebensgemeinschaft lebten.133 Auch reagierten die Ratgeber auf den Wandel von der Generationen- zur Partnersolidarität und präsentierten die Besserstellung des Ehepartners im Erbvorgang immer häufiger als Normalfall. Dementsprechend warnte der „ErbschaftsBlock“ im Jahr 1991 gleich zu Beginn: „Wenn Sie nicht handeln, muß Ihr Ehepartner alles mit den Verwandten teilen.“134 Die Anpassungen der Dienstleister an gesellschaftliche Wandlungsprozesse führten jedoch nicht dazu, dass sie Erbtransfers in der Familie grundsätzlich hinterfragten. Im Gegenteil, ihre

131 Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken und R+V-Versicherungen, ErbschaftsBlock, 3. Aufl., 1991; Willi H. Grün, Erben – aber richtig. Erbschaftsteuer sparen, Abschreibungsprofite erzielen, Anlagestrategien entwickeln, Berlin 1992; Hans Günter Christoffel/ Norbert Weinmann, Erbschaft, Schenkung, Immobilien und das Finanzamt. Vorsorgen – rechtzeitig und richtig. Mit den neuen Erbschaftsteuer-Richtlinien, dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/ 2002 und dem Entwurf eines Steuerbereinigungsgesetzes 1999, Freiburg im Breisgau 1999; Michael Hübner, Immer Streit ums Erbe? ARAG Ratgeber zum Erbrecht, Düsseldorf 2001; Bernhard Paus, Erben, vererben und das Finanzamt. Steuerstrategien und -tips zur Verminderung der Erbschaftund Schenkungsteuer, Planegg 1998. Zur Geschichte der Ratgeberliteratur und der Nachfrage nach Beratung vgl. Greiner, Wissen; Maasen/Elberfeld/Eitler/Tändler (Hrsg.), Selbst; Christopher Kopper, Reiche Deutsche und transnationale Vermögensanlage. Die Rolle der Banken in der Professionalisierung der Anlageberatung und die Internationalisierung der Vermögensanlage seit den 1970er Jahren, in: Gajek/Kurr/Seegers (Hrsg.), Reichtum, S. 182–198. 132 Pecunia. Das Erbinnennetzwerk, in: http://pecunia-erbinnen.net (letzter Zugriff 13.4.2021). 133 Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken und R+V-Versicherungen, ErbschaftsBlock, 8. Aufl., 1992. Vgl. auch Jan Bittler/Michael Rudolf, So erben Kinder, Düsseldorf 2006. 134 Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken und R+V-Versicherungen, ErbschaftsBlock, 1991, S. 5.

Familienprinzip und Steuerminimierung bei wohlhabenden Erblassern in der Bundesrepublik

Ratschläge bestätigten diese Norm und liefen darauf hinaus, Vermögen in der – nun pluraler gedachten – Familie zu halten. Um dieses Ziel zu erreichen, empfahlen Ratgeber nun immer häufiger Maßnahmen zur Steuerminimierung. Strategien der professionellen Vermögensverwaltung nahmen einen zunehmend größeren Raum ein und wurden zu einem zentralen Element der individuellen Nachlassplanung erklärt. Vermögen sollte in der Familie bleiben und nicht an den Staat fallen, so die in unterschiedlichen Varianten – häufig schon auf den Titelseiten von Erbratgebern – vorgebrachte Botschaft: „Familienbesitz sichern durch optimale Vermögensübertragung“135 , „Erben ohne Streit und Steuern. Sichere Erbfolgeplanung für Sie und Ihre Familie“136 , „Erben, vererben und das Finanzamt. Steuerstrategien und -tips zur Verminderung der Erbschaftsund Schenkungssteuer“137 , „Erben, Vererben und Verschenken. Keine Mark für den Staat“138 oder „Steuern sparen durch rechtzeitige Schenkung“139 . Der letzte Titel verweist zugleich auf eine Strategie, die alle Ratgeber ihren Lesern nahelegten: die Vermögensweitergabe inter vivos, um Erbschaftssteuern zu sparen. Das Spektrum der Ratschläge zur Minimierung oder gar Vermeidung der Steuerlast bei Erbannahmen war aber deutlich breiter. Unter anderem empfahlen Ratgeber, Vermögen in Immobilien anzulegen, da aufgrund des Wertermittlungsverfahrens Immobilien niedriger als Sparguthaben besteuert würden („Vererben Sie Immobilien statt Bargeld“140 ); des Weiteren vermerkten sie, dass sich mit Lebensversicherungen die Erbschaftssteuer umgehen ließ, und für Sonderfälle empfahlen sie die Gründung einer (Familien-)Stiftung.141

135 Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken und R+V-Versicherungen, ErbschaftsBlock, 1992. 136 Hans Flick, Erben ohne Streit und Steuern. Sichere Erbfolgeplanung für Sie und Ihre Familie, Frankfurt am Main 2003. 137 Paus, Erben. 138 Dietmar Kern, Erben, Vererben und Verschenken. Keine Mark für den Staat. Mit Tips zum neuen Erbschaft- und Schenkungssteuergesetz, München 1997. 139 Matthias Jünemann, Immobilien erben und vererben. Alles zum neuen Erbschaftssteuergesetz. Steuern sparen durch rechtzeitige Schenkung, mit Special: So sichern Erben und Erblasser ihre Rechte, Freiburg im Breisgau 2007. Vgl. Christoffel/Weinmann, Erbschaft. 140 Joachim Merkl, Richtig erben und vererben. Was Sie im Testamentsfall beachten sollten, München 1992, S. 118. 141 Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken/R+V-Versicherungen, ErbschaftsBlock. Richtig erben und vererben. Familienbesitz sichern durch optimale Vermögensübertragung. Mit Tipps und Formularen, Neuwied 2010, S. 16; Merkl, Richtig erben und vererben, S. 121; Paus, Erben, S. 142–149. Zum Verhältnis von Lebensversicherungen und Erbe in der Rechtsprechung vgl. Eva Schumann, Erben oder Erwerben? – Die Reichsgerichtsrechtsprechung zu § 331 BGB, in: Martin Avenarius/Rudolf Meyer-Pritzl/Cosima Möller (Hrsg.), Ars Iuris. Festschrift für Okko Behrends zum 70. Geburtstag, Göttingen 2009, S. 467–484.

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Mehrere Ratgeber gaben darüber hinaus zumindest indirekt Hinweise zur Steuerhinterziehung. Diesen Vorwurf umgingen zwar alle Ratgeber dadurch, dass sie an einer Stelle explizit auf die geltende Rechtslage verwiesen.142 Anschließend teilten sie ihren Lesern aber recht unverblümt mit, dass, wer „über sein mögliches Ableben hinaus plant, […] das Finanzamt bereits zu Lebzeiten austricksen“143 kann. Andere Ratgeber arbeiteten, wenn sie auf steuerrechtliche Graubereiche zu sprechen kamen, mit stark rhetorischen Fragen: „Was erfährt das Finanzamt überhaupt von einer Schenkung oder Erbschaft?“ – „Können Sie sich vor der Erbschaftssteuer drücken?“ – Oder auch: „Dicke Klunker im Schließfach – muß Ihre Bank auch darüber plaudern?“144 Auch in diesen Fällen lautete die Antwort des Autors zunächst, dass das Finanzamt sehr viel von einem Nachlasstransfer erfahre und Erben den Erhalt einer Erbschaft anzeigen müssten. Gleichwohl erfahre das Finanzamt unter Umständen nicht alles. Der Autor dürfe nicht zu solchen Maßnahmen raten oder die Erben zu solchen Schritten ermuntern, doch über Vermögen in Schließfächern schrieb er beispielsweise beruhigend: „Es ist also keinesfalls zu befürchten, daß die Bank der Erbschaftssteuerstelle des Finanzamts Mitteilung über den Inhalt des Schließfachs macht.“145 Auch bei Schenkungen zu Lebzeiten, die „bar auf die Tatze“146 gingen, erfahre das Finanzamt unter Umständen nichts von dem Eigentumstransfer. In ähnlicher Weise teilte ein anderer Erbratgeber seinen Lesern mit: Eine gleichmäßige Besteuerung der Erbschaften und der Schenkungen wird allerdings nur in der Theorie erreicht, nicht in der Praxis. Die ,Grauzone‘ steuerlich nicht erfaßter Vermögenserwerbe ist bei Schenkungen viel breiter als in Erbfällen. Schätzungen von Sachkennern gehen bis zu 95 %! Lückenhafte Information der Finanzämter [Hervorhebung im Original, J. D.] Vollständig informiert werden die Finanzämter […] nur über Schenkungen bei inländischem Grundbesitz. Auch in diesem Bereich werden aber nicht alle Vermögenszuwendungen erfaßt, weil eine gemischte (teilentgeltliche) Schenkung oft als normaler Kaufvertrag gestaltet wird. Die Notare sind nicht verpflichtet und oft auch nicht in der Lage, zu prüfen, ob der vereinbarte Kaufpreis dem Verkehrswert entspricht oder in größerem oder gerin-

142 Günter Huber/Clemens Mörmann, Richtig erben und vererben. Klug und vorausschauend das Testament gestalten, 2. Aufl., Planegg 2003, S. 147; Merkl, Richtig erben und vererben, S. 101; Grün, Erben, S. 36. 143 Merkl, Richtig erben und vererben, S. 118. 144 Die Beispiele sind entnommen aus Grün, Erben, S. 35, 36, 37. 145 Grün, Erben, S. 38. 146 Grün, Erben, S. 36.

Familienprinzip und Steuerminimierung bei wohlhabenden Erblassern in der Bundesrepublik

gerem Umfang davon abweicht. Außerdem wissen sie natürlich nicht, ob der vereinbarte Kaufpreis hinterher tatsächlich gezahlt wird.147

Schließlich verwiesen die Ratgeber darauf, dass der Fiskus keine Übersicht über Vermögen habe, das auf Auslandskonten liege.148 Angesichts dieser vielfältigen Möglichkeiten in der Nachlassplanung, so der Hinweis der Volks- und Raiffeisenbanken an ihre Kunden, liege es in der Hand der Eigentümer, „die finanzielle Anteilnahme des Fiskus auf ein Minimum zu begrenzen, ihre Erben vor unnötigen Steuerlasten zu verschonen und sie statt dessen weitgehend ungeschmälert von den Vermögenswerten profitieren zu lassen, die Sie ihr Leben lang über aufgebaut haben.“149 Ratgeber popularisierten nicht nur Wissen zur Steuerminimierung, sie boten häufig auch gleich Dienstleistungen an, die Eigentümer dabei unterstützen sollten, beziehungsweise vermittelten sie entsprechende Kontakte. In vielen Erbratgebern waren die Adressen von Notaren, Rechtsanwälten, Steuerberatern oder Vermögensverwaltern sowie größeren Gesellschaften und Vereinigungen direkt angegeben.150 Für Eigentümer aus der Mittel- und Oberschicht entstand damit ein breites Spektrum an Dienstleistern, auf deren Angebote sie vermehrt zurückgriffen. Der Jurist Günther Schulte stellte schon im Jahr 1982 fest, dass Steuerberater oder (Privat-)Banken insbesondere bei größeren Nachlässen in der Regel in den Erbprozess involviert waren.151 2.2 Erblasser und Erben Das Vermögenshandeln von reichen Frankfurtern zielte auch im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts zuallererst darauf, Eigentum in der Familie zu halten. Die drei

147 Paus, Erben, S. 24, 32f. 148 Grün, Erben, S. 36. 149 Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken/R+V-Versicherungen, ErbschaftsBlock, 2010, S. 14. 150 Bittler/Rudolf, Kinder, S. 169; Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken und R+V-Versicherungen, ErbschaftsBlock, 1992, S. 112; Gerhard Hörner, Erben, vererben, schenken. Die Vermögensnachfolge optimal regeln, Gestaltungsmöglichkeiten richtig nutzen, München 2002, S. 112f.; Klaus M. Lange/Meyers Lexikonredaktion in Zusammenarbeit mit dem FOCUS-Magazin, Ernstfall Erbfall. Das Lexikon zum Erben und Vererben, Mannheim u. a. 1999, S. 208; Claus Steiner, Vermögen vererben – Vermögen erben. Erbrechtswissen für Kundenberater und Ratsuchende. Ein praktischer Leitfaden, Frankfurt am Main 1990, S. 14; Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken und R+V-Versicherungen, ErbschaftsBlock, 1991, S. 3; Bundesminister der Justiz, Erben und vererben, Bonn 1989, S. 3. 151 Schulte, Art, S. 54.

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reichsten Erblasser im Untersuchungssample aus dem Jahr 1970 vererbten ihr Vermögen ausschließlich an enge Familienangehörige. Die Witwe Emma F., die einen Nachlass von knapp über einer Million DM hinterließ, der fast ausschließlich aus Aktien bestand, setzte in ihrem Testament ihren Sohn und ihre Tochter zu gleichen Teilen als Erben ein.152 Die kinderlose Apothekerswitwe Ottilie H. vermachte ihre Grundstücke und Apotheke im Wert von ca. 550.000 DM an einen Neffen und zwei Nichten.153 Der Bankier Alfons K. schließlich vererbte sein Vermögen im Wert von ca. 500.000 DM allein an seine Ehefrau.154 Ähnliche Planungen nahmen auch die sieben reichsten Erblasser aus dem Untersuchungssample des Jahres 2000 vor. Unter den Frankfurter Millionären waren zwei Frauen (beide verwitwet) und fünf Männer (zwei verwitwet und drei verheiratet). Als Beruf gab das Gericht bei den Frauen einmal Hausfrau und einmal keine Tätigkeit an. Unter den Männern waren jeweils ein Handwerksmeister, Ingenieur und Oberstaatsanwalt sowie zwei Kaufleute. Die drei verheirateten Erblasser setzten ihre Ehefrau als Alleinerbin ein.155 Zwei Witwer und eine Witwe benannten ihre Kinder als Alleinerben; zweimal erhielt dadurch der einzige Sohn den gesamten Nachlass, in einem Fall mussten sich drei Töchter das Erbe teilen.156 Eine weitere Witwe vermachte ihren Besitz zwei Enkelinnen und ernannte einen Enkel zu ihrem Testamentsvollstrecker, der den noch minderjährigen Erbinnen ihr Erbe mit Erreichen des 23. Lebensjahres übertragen sollte.157 In einem Fall hatte der Verstorbene durch Nacherbenregelungen seinen Sohn aus erster Ehe von der Erbfolge ausgeschlossen.158 Drei der Verstorbenen hinterließen zudem Vermächtnisse für weitere Familienmitglieder (Geschwister, Nichten und Neffen) sowie Patenkinder. Ähnlich wie Mittelschichtsangehörige vermachten auch Testatoren aus der Oberschicht weiterhin Erbstücke – vor allem Schmuck und Ringe, wertvolle Möbel und vereinzelt auch Musikinstrumente, Gemälde oder Familienfotografien –, um die Beziehungen zu einzelnen Erben und/oder Personen besonders hervorzuheben.159 Ein kleiner Teil der wohlhabenden Frankfurter griff seit den 1970er Jahren außerdem die alte städtische Tradition mäzenatischen Handelns wieder auf und bedachte auch gemeinnützige Institutionen.160 Insgesamt vermachten die reichsten Erblasser in den 152 153 154 155 156 157 158 159 160

AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 51 IV 1348/69 F und 51 VI 107/70 F. AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 51 VI 1692/70 H. AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 51 IV 252/70 K und 51 VI 621/75 K. AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 54 IV F 178/2000 F, 52 IV T 82/2000 T und 55 IV W 42/2000 W. AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 52 IV T 34/2000 T, 52 IV R 11/2000 R und 51 IV E 113/2000 E. AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 52 IV Sch 335/2000 S. AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 54 IV F 178/2000 F, 55 IV W 42/2000 W und 51 IV E 113/2000 E. AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 51 IV 902/70 K, 51 IV 198/70 B und 55 IV W 32/2000 W. Im Jahr 2000 vererbte beispielsweise eine alleinstehende Journalistin einen Teil ihres Vermögens an die SOS-Kinderdörfer, ein kinderloser verheirateter Staatsanwalt seinen Besitz an seine Frau sowie an ein Tierheim und weitere Organisationen zum Tierschutz und eine Witwe die Hälfte ihres

Familienprinzip und Steuerminimierung bei wohlhabenden Erblassern in der Bundesrepublik

erhobenen Stichproben ihr Vermögen aber größtenteils und nahezu ausschließlich engen Familienmitgliedern. Der Vermögenserhalt in der Familie prägte auch das Handeln von Personen, die in Familienkonstellationen lebten, die gesellschaftlich weniger akzeptiert waren. Dann waren aber unter Umständen kompliziertere Vorkehrungen notwendig, wie der Fall von Frau M. veranschaulicht. Sie lebte vor ihrem Tod im Jahr 1963 seit vielen Jahren mit der ebenfalls unverheirateten Frau B. zusammen. Mehrere Indizien deuten in diesem Fall darauf hin, dass es sich bei dem Verhältnis der beiden Frauen um eine Paarbeziehung handelte. Dementsprechend zielten die Handlungen von Frau M. darauf, ihrer Partnerin einen Teil ihres Vermögens zu übertragen, um dadurch ihre emotionale Beziehung zu Frau B. auch materiell zu bestätigen. Um dies zu erreichen, richtete sie ein Schweizer Nummernkonto ein. Noch zu Lebzeiten überwies Frau M. mit Unterstützung eines Rechtsanwalts einen Teil ihres Vermögens auf das Schweizer Konto, auf das neben ihr nur Frau B. Zugriff hatte. Über den anderen Teil ihres Vermögens verfügte sie per Testament und vermachte diesen an ihre Geschwister, Nichten und Neffen. Letztere erbten dadurch von ihrer verstorbenen Schwester beziehungsweise Tante ein Vermögen im Wert von ca. 100.000 DM inklusive verschiedener Grundstücke und Häuser im Umland von Frankfurt. Das Schweizer Konto tauchte in den Akten des Amtsgerichts aber nicht auf. Sowohl die Verwandten als auch eine Freundin der Verstorbenen wussten jedoch davon und waren in ihren Korrespondenzen mit den Rechtsanwälten von Frau M. völlig damit einverstanden, dass Frau B. das „ganze Schweizer Geld“161 erhielt. Der Vermögenstransfer über die Schweiz war somit im engeren Familienkreis bekannt. In den offiziellen Akten des Amtsgerichts und im eröffneten Testament tauchten aber weder das Geld noch ihre Partnerin auf. Frau M. hatte damit nach außen den Schein gewahrt, gesellschaftliche Konventionen eingehalten und ihr Vermögen an ihre familialen Verwandten vererbt. Zugleich hatte sie nur für den engen Familien- und Bekanntenkreis ersichtlich und von diesem akzeptiert einen weiteren Teil ihres Vermögens an ihre Lebenspartnerin übertragen. Indem sie deren Erbteil über die Schweiz transferierte, machte sie diesen Erbvorgang für die deut-

Vermögens an eine Blindenheilanstalt. AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 53 IV L 43/2000 L, 54 IV F 178/2000 F und 52 IV T 68/2000 T. Zur Stiftungskultur in der Bundesrepublik vgl. Kurr, Reichtum; Bach, Bürgersinn. Zum parallel dazu entstehenden Erbschaftsfundraising vgl. O.A., Auch die Grünen für das „Darmstädter Manifest“. „Erbschaftswelle“ zugunsten der Kulturförderung nutzen; SPD skeptisch; Landtagsdebatte, in: FAZ, 29.2.1996. Bach, Bürgersinn. Bernhard von Loeffelholz, Plutokraten verstehen etwas von den Genüssen des Lebens. Die dritte Säule der Kulturförderung erhält ein neues Fundament: Die steuerlichen Erleichterungen für das Mäzenatentum ebnen den Weg für mehr Stiftungen, in: FAZ (15.12.1990). 161 ZA EKHN 155/5670.

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schen Behörden unsichtbar, und zugleich senkte sie die für diesen Vermögensteil anfallenden Erbschaftssteuern. Im Erbfall M. zeigt sich damit neben dem Erbtransfer in der zunehmend liberaler verstandenen Familie zugleich das zweite Ziel in den Nachlassplanungen von Vermögenden: die professionelle Steuerminimierung und teilweise Verschleierung von Vermögen. Dabei griffen sie auf das breite Spektrum an Strategien zurück, die ihnen ihre Ratgeber nahelegten.162 Darüber hinaus profitierten vermögende Familien in Frankfurt insbesondere davon, dass sich der Wert ihrer geerbten Häuser nur schwer und mit größerem Aufwand genau bestimmen ließ.163 Denn die in der Bundesrepublik vom Staat eingeführten Verfahren zur Wertermittlung von Immobilien wurden nur selten aktualisiert, so zum Beispiel in den Jahren 1935 und im Jahr 1964. Infolgedessen gab es eine sich immer weiter verstärkende Tendenz, Immobilien im Erbvorgang unter ihrem tatsächlichen Markt- beziehungsweise Verkaufspreis zu bewerten.164 Dies führte dazu, dass Immobilienerben wertmäßig nur für einen Teil des geerbten Hauses Steuern zahlen mussten. Zusätzliche Handlungsspielräume ergaben sich für Immobilienerben aus den Kapazitätsgrenzen von Amtsgerichten und Finanzbehörden sowie deren zurückhal-

162 DTA, 841-1R und 841-2R; AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 51 IV 762/70 H. 163 Charakteristisch für den Wertzuwachs von Immobilien sind die Erbübertragungen in der Familie B. Den Wert ihres Hauses gaben die testierenden Eheleute B. im Jahr 1957 mit 20.000 DM an. Nach ihrem Tod und bei dessen Übertrag auf ihren Sohn im Jahr 1984 war der Wert des Hauses auf 261.449 DM und nach dessen Tod und dem Übertrag auf seine beiden Kinder im Jahr 1998 auf ca. eine halbe Million DM angestiegen. Noch deutlicher war der Vermögenszuwachs in der Familie E. Der Wert ihrer Grundstücke in Frankfurt betrug beim Erbübertrag im Jahr 1955 5.000 DM, danach stieg dieser beim nächsten Erbübertrag in der Familie auf 500.000 DM im Jahr 1991 und auf 1,2 Millionen DM im Jahr 2000 an. Häuser stellten in Frankfurt weiterhin Vermögensspeicher dar, deren Wert in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stark wuchs. Vgl. u. a. AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 55 VI B 401/2000 B; 53 IV S 134/2000 S; 51 IV E 113/2000 E; 51 VI E 113/ 2000 E. Die Handlungsspielräume, die sich für Eigentümer durch die (Um-)Kategorisierung ihres Eigentums ergaben, wurden in den letzten Jahren facettenreich herausgearbeitet. Vgl. Pistor, Code; Dutta, Erbrecht, S. 481–486, 566–574; Rudolf Lange/Hans Wulff, Höfeordnung. Für die Länder Hamburg, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Kommentar, München 2015; Christina Lubinski, Familienunternehmen in Westdeutschland. Corporate Governance und Gesellschafterkultur seit den 1960er Jahren, München 2010; Tim Kannewurf, Die Höfeordnung vom 24. April 1947, Frankfurt am Main u. a. 2004; Anne Röthel, Ist unser Erbrecht noch zeitgemäß? Gutachten A zum 68. Deutschen Juristentag, in: Ständige Deputation des Deutschen Juristentages (Hrsg.), Verhandlungen des 68. Deutschen Juristentages – Berlin 2010, München 2011, S. A3–112, S. 32. 164 Zur Schwierigkeit, den Wert von Immobilien zu ermitteln, vgl. Michael Dinkel/Björn-Martin Kurzrock, Angebots- und Transaktionspreise von selbstgenutztem Wohneigentum im ländlichen Raum, in: Zeitschrift für Immobilienökonomie 13 (2012), H. 1, S. 5–25; Reinhard Schüssler, Immobilienerbschaften. Eine Schätzung des Volumens und der Verteilungswirkung mit Daten der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1998, in: Lettke (Hrsg.), Erben, S. 115–124, S. 118.

Armut, Schulden und ausgeschlagene Erbschaften in der Bundesrepublik

tender Kontrolltätigkeit. So ermittelten die Behörden den im Wertermittlungsbogen angegebenen Wert einer geerbten Immobilie nicht selbst, sondern die Erben trugen ihn ein. Deren Angaben überprüften die Behörden wiederum nur selten, obwohl sich in allen Fällen, in denen das Frankfurter Amtsgericht die Wertangaben genauer kontrollierte, herausstellte, dass die Wertangaben jeweils um mindestens 100.000 DM zu niedrig angegeben waren.165 Diese Fälle führten aber nicht zu einer systematischeren Überprüfung der Wertangaben. Vielmehr räumten Staat und Behörden den Erben von Immobilien größere Handlungsspielräume bei der Minimierung von Erbschaftssteuern ein als beispielsweisen den Erben von Sparguthaben, bei denen der Wert sehr viel leichter zu ermitteln und zu überprüfen war. Auch der Vermögenstransfer über das Ausland – wie im Erbfall von Frau M. – stellte eine verbreitete Strategie der Steuerminimierung dar.166 Laut Bundesbank stieg das Privatvermögen deutscher Anleger auf Luxemburger Konten von sieben Milliarden DM im Jahr 1985 auf 40 Milliarden DM im Jahr 1990 an. Deutsche Finanzämter und Amtsgerichte erfuhren vom Übertrag dieser Vermögen im Todesfall in der Regel nichts.167 Auf die veränderten ökonomischen und rechtlichen Rahmenbedingungen in der Bundesrepublik reagierten wohlhabende Frankfurter somit mit Nachlassplanungen, die hauptsächlich auf die Minimierung von Steuern und den Vermögenserhalt in der engen Familie ausgelegt waren.

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Armut, Schulden und ausgeschlagene Erbschaften in der Bundesrepublik

Am anderen Ende des gesellschaftlichen Vermögensspektrums zeichnete sich eine andere Entwicklung ab. Während in den zwei Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg selbst kleinere Nachlässe für viele Erben einen hohen Wert besaßen und kaum ausgeschlagen wurden, änderte sich dies seit den 1970er Jahren. Immer mehr Personen schlugen seitdem ihr Erbe aus und unterbrachen damit das Familienprinzip. In Frankfurt stieg die Zahl der ausgeschlagenen Erbschaften von knapp sechs Prozent im Jahr 1970 auf deutlich über 15 Prozent im Jahr 2000 an.168 Das

165 AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 54 VI F 173/2000 F sowie 52 VI V 45/2000 V. 166 Dutta, Erbrecht, S. 566; Ogle, Money; Huerlimann/Brownlee/Ide (Hrsg.), Worlds; Ogle, Archipelago, S. 1435. 167 Kopper, Reiche Deutsche, S. 195. Zu Lichtenstein vgl. Uwe Ritzer, Deutschlands Superreiche zieht es wieder nach Liechtenstein, in: Süddeutsche Zeitung, 29.9.2021. 168 Dinkel, Nachlassakten. Zum Einstieg in die Geschichte der Armut und Ungleichheit in der Bundesrepublik vgl. Winfried Süß, A „New Social Question“? Politics, Social Sciences and the Rediscovery of Poverty in Post-boom Western Germany, in: Raphael (Hrsg.), Poverty, S. 197–224; Sarah Haßden-

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Liberalisierung und Legitimierung des Familienprinzips seit den 1960er Jahren

bedeutet für den Zeitpunkt der Jahrtausendwende eine Ablehnung der rechtmäßig zustehenden Erbschaft in jedem sechsten bis siebten Fall. Ein ähnlicher Trend lässt sich für die gesamte Bundesrepublik feststellen, wobei die Erbausschlagungen in der Großstadt Frankfurt deutlich über dem Bundesdurchschnitt lagen. Während das Bundesjustizministerium Anfang der 1970er Jahren noch von nur 1.000 bis 1.500 überschuldeten Nachlässen pro Jahr ausging, nehmen alle neueren Studien deutlich höhere Zahlen für das 21. Jahrhundert an.169 Angesichts der Tatsache, dass im Jahr 2012 ca. 9,7 Prozent aller Erwachsenen in der Bundesrepublik überschuldet waren, schätzte Martin Kaltwasser, dass in den 2010er Jahren jährlich bis zu 70.000 überschuldete Nachlässe anfielen.170 Auf diese Zunahme reagierten Amtsgerichte und übergeordnete Behörden mit der Ausbildung von spezialisierten Abteilungen und intensivierten Kooperationen mit Nachlasspflegern, um die ausgeschlagenen und an den Staat fallenden Erbschaften abwickeln zu können. Die Notwendigkeit hierfür wurde erstmals in den frühen 1970er Jahren diskutiert, als sich das Bundesjustizministerium im Zuge der Erbschaftssteuerreform erstmals auch einen umfassenderen Überblick über das Phänomen der ausgeschlagenen Erbschaften verschaffte. Es forderte die Justizministerien der einzelnen Länder auf, zu berichten, wie viele Erbschaften in ihrem Verwaltungsbereich jährlich an den Staat fielen, welche Einnahmen sie dadurch erzielten und wie die Bearbeitung dieser Nachlässe vonstattengehe.171 Die eingesandten und zirkulierenden Berichte der einzelnen Bundesländer gewährten allen Beteiligten erstmals einen Blick auf den Umfang und die Schwierigkeiten, die mit verweigerten und herrenlosen Nachlässen einhergingen. Demnach fielen im gesamten Bundesgebiet um das Jahr 1970 einschließlich West-Berlin jährlich schätzungsweise 1.000 bis 1.500 Nachlässe mit einem Gesamtwert von etwa vier bis sechs Millionen DM an den Staat. Dabei handelte es sich in der Mehrzahl der Fälle um Nachlässe, bei denen die Erben die Erbschaft aufgrund von Wertlosig-

teufel, Neue Armut, Exklusion, Prekarität, Berlin, München, Boston 2019; Kaelble, Reichtum; Hans Günter Hockerts/Winfried Süß (Hrsg.), Soziale Ungleichheit im Sozialstaat. Die Bundesrepublik Deutschland und Großbritannien im Vergleich, München 2010. 169 Christina Beck, Die Erbenermittlung in Deutschland. Konfliktfelder bei der Wahrung der Erbeninteressen im Spannungsfeld von Nachlassgericht, Nachlasspflegern, professionellen Erbenermittlern und dem Fiskus, Bonn 2019, S. 97–140; Christina Beck geht allerdings davon aus, dass die an den Staat fallenden Nachlasswerte seit 2015 deutlich ansteigen und zunehmend auch größere Nachlässe an den Staat fallen. Vgl. hierfür Beck, Erbenermittlung, S. 135ff.; Röthel, Erbrecht. 170 Martin Kaltwasser, Der überschuldete Nachlass. Eine Untersuchung zur Verantwortlichkeit von Nachlasspflegern und Fiskalerben bei der Verwaltung überschuldeter Nachlässe, Berlin 2016, S. 20. 171 Ein ausführliche Darstellung der Diskussionen und der Untersuchung findet sich als Anhang bei Dr. von Spreckelsen an Herrn MinRat von Schack, 24.7.1973, in: BArch, B 141/102819 – Reform des Erbrechts – Material, 7.1973 – 2.1977.

Armut, Schulden und ausgeschlagene Erbschaften in der Bundesrepublik

keit oder Überschuldung ausgeschlagen hatten.172 Eine detaillierte Analyse dieser Fälle brachte zudem hervor, dass abgelehnte und an den Staat fallende Erbschaften überwiegend ein städtisches Phänomen waren. Während in Berlin zwischen 1969 und 1971 pro Jahr etwa 250 Erbschaften bei etwa 2,1 Millionen Einwohnern und in Hamburg im Jahr 1970 mit etwa 1,7 Millionen Einwohnern immerhin noch 35 Erbschaften an das Bundesland gefallen waren, lagen die Zahlen für stärker ländlich geprägte Bundesländer deutlich niedriger.173 In Schleswig-Holstein mit ca. 2,5 Millionen Einwohnern waren zwischen 1969 und 1971 pro Jahr etwa 30 Erbschaften an das Bundesland gefallen; im Saarland waren es bei ca. 1,1 Millionen Einwohnern 1970 und 1971 sogar nur vier pro Jahr.174 Darüber hinaus meldeten alle Bundesländer übereinstimmend, dass die an den Staat gefallenen Erbschaften größtenteils überschuldet waren oder sehr klein ausfielen. Dass überwiegend kleine Nachlässe an den Staat fielen, lag auch an einer Veränderung im Dienstleistungssektor: Ab den 1990er Jahren expandierte das Feld der professionellen Erbenermittler, die es sich zur Aufgabe machten, zunächst herrenlose, verhältnismäßig große, provisionsversprechende Erbschaften an die rechtmäßigen Erben zu vermitteln, so dass diese nicht an den Staat fielen. Dabei dominierten zu Beginn des 21. Jahrhunderts ältere und etablierte Unternehmen den Markt, mit der Hoerner Bank AG als wichtigstem Akteur in diesem Bereich. Zugleich entstand eine ganze Reihe neuer Unternehmen, zu denen auch die GEN Gesellschaft für Erbenermittlung mbH gehörte, die im Jahr 1990 aus dem aufgelösten Rechtsanwaltsbüro für internationale Zivilrechtsvertretungen der DDR hervorging.175 Im Jahr 2006 existierten etwa 40 Unternehmen in Deutschland176 und im Jahr 2010 etwa 50 Unternehmen mit mehreren Mitarbeitern sowie unge-

172 Heinrich von Spreckelsen, Untersuchung der Frage, welche Änderungen von Vorschriften über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht zu empfehlen sind, S. 64, in: BArch, B 141/102819 – Reform des Erbrechts – Material, Bd. 2, 7.1973 – 2.1977. 173 Senator der Justiz an den Bundesminister der Justiz, 27.6.1972, und Freie und Hansestadt Hamburg, Justizbehörde an Bundesminister der Justiz, 29.6.1972, in: HHStAW, Erbrecht, 3480, Bd. 2. 174 Justizminister des Landes Schleswig-Holstein an Bundesminister der Justiz, 19.7.1972, Saarland Minister der Justiz an Bundesminister der Justiz, 18.9.1972, und Rheinland-Pfalz Ministerium der Justiz an Bundesministerium der Justiz, 12.7.1972, in: HHStAW, Erbrecht, 3480, Bd. 2. 175 Mehrere Schreiben und Übergabeverträge bezüglich der Auflösung des Rechtsanwaltbüros für Erbenermittlung und Gründung der Erbenermittlung GmbH finden sich in: AfR, Ordner: Finanzordnung, Schriftverkehr RABiZ-AfR und des Berliner Büros für Rechtsanwälte, Kontenführung. 176 Bruno Schrep, Die Spur des Geldes, in: Der Spiegel 46, 2006, S. 52–54.

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fähr 100 Ein-Personen-Büros, die professionell Erben suchten.177 Sie begannen bei herrenlosen Nachlässen ab einem Wert von ca. 40.000 DM zunächst auf eigene Kosten nach Erben zu recherchieren. Im Erfolgsfall traten sie an die Erben heran, um sie bei der Annahme von Erbschaften zu unterstützen, wofür sie ein Honorar in Höhe von ca. 20 bis 30 Prozent des Nachlasswertes verlangten.178 Damit stieg bei größeren Nachlässen die Wahrscheinlichkeit an, dass diese nicht an Kommunen, sondern an zunächst unbekannte familiale Erben fielen. Übrig blieben viele kleine und überschuldete Nachlässe, an denen unter Umständen die Erben kein Interesse hatten und bei denen, falls keine Erben bekannt waren, auch keine professionellen Dienstleister mit der Suche begannen. Die vom Gericht bestellten Rechtspfleger hatten es häufig mit Erblassern zu tun, die schon Jahre vor ihrem Tod keinen Kontakt mehr zu ihren Verwandten gehabt hatten und vereinsamt waren. Dies führte wiederum dazu, dass die Suche nach den Erben in der Regel relativ bald auf Antrag der Rechtspfleger eingestellt wurde. Befanden sich mögliche Erben im Ausland, bedeutete dies bei kleinen Erbschaften fast immer das Ende der Recherchebemühungen.179 Damit fielen diese Erbschaften an den Staat. Der Wert des Gros dieser Nachlässe lag in den 1970er Jahren zwischen null und 5.000 DM, der durchschnittliche Nachlasswert lag zwischen 2.000 DM und 3.000 DM.180 Größere Einnahmen erzielten die Bundesländer sowohl in den 1970er Jahren als auch in den 2000er Jahren im Wesentlichen durch die Übernahme einiger weniger größerer Nachlässe, die Häuser und Grundstücke beinhalteten. Die Gewinne, die durch ausgeschlagene und herrenlose Erbschaften an die Bundesländer fielen, waren daher klein. Zudem verteilten sie sich regional unterschiedlich über die Bundesrepublik. Während wohlhabendere Bundesländer wie Baden-Württemberg berichteten, dass sie in mehreren Fällen Nachlässe mit nicht unbeträchtlichem

177 Semina Kossek, Honoraransprüche des gewerblichen Erbensuchers in Deutschland und Österreich. Zur Begrenzung des Rechtsinstituts der Geschäftsführung ohne Auftrag, Frankfurt am Main 2011, S. 50. Erfahrungsberichte von zahlreichen Erbenermittlern finden sich in Sabine Flick (Hrsg.), Das letzte Hemd hat keine Taschen. Erbenermittler und ihre spannenden Begegnungen mit dem Privatleben von Generationen, Taucha 2014. 178 Tim W. Dornis, Das Dilemma der Erbensucher, in: JuristenZeitung 68 (2013), H. 12, S. 592–598; Christian Bommarius, Erbenermittlung, in: Karl Markus Michel/Ingrid Karsunke/Tilman Spengler (Hrsg.), Kursbuch, März 1999, H. 135, Themenheft: Die Erbengesellschaft, Berlin 1999, S. 97–101, S. 101. 179 AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 51 VI 1422/70 H und 55 VI B 61/2000 B. 180 Justizministerium Baden-Württemberg an den Bundesminister der Justiz, 27.7.1972, Bayrisches Staatsministerium der Justiz an Bundesminister der Justiz, 30.8.1972, und Saarland Minister der Justiz an Bundesminister der Justiz, 18.9.1972, in: HHStAW, Erbrecht, 3480, Bd. 2.

Armut, Schulden und ausgeschlagene Erbschaften in der Bundesrepublik

Tabelle 15 Vom Staat übernommene Erbschaften im Regierungsbezirk Darmstadt, 1969–1971. Jahr

1969 1970 1971

An den Staat gefallene Erbfälle insgesamt 120 147 119

Überschuldete Erbschaften

Erbschaften mit positiver Bilanz

Einnahmen in DM

61 54 57

59 93 62

227.335,05 334.593,87 235.526,56

Quelle: Regierungs-Präsident in Darmstadt an Hessischen Minister der Finanzen, 30.5.1972, und Regierungspräsident in Kassel an Hessischen Minister der Finanzen, 2.6.1972, in: HHStAW, Erbrecht, 3480, Bd. 2.

Vermögen übernommen hatten, hatte das Saarland ausschließlich kleine oder überschuldete Erbschaften erhalten.181 Für Hessen bestätigten die Meldungen des Regierungsbezirks Darmstadt, zu dem Frankfurt am Main gehört, diese Tendenz in den wohlhabenderen Bundesländern. Für die Jahre 1969 bis 1971 meldete der Regierungsbezirk pro Jahr jeweils ca. 130 angefallene Erbschaften, von denen jeweils knapp 60 überschuldet waren, unter denen sich aber auch einige größere Nachlässe befanden. Der Durchschnittswert der angefallenen Erbschaften betrug in diesen drei Jahren ca. 2.000 DM. Dabei handelte es sich aber um Bruttowerte, von denen die mit der Annahme der Erbschaft verbundenen verpflichtenden Ausgaben wie Bestattungskosten oder Renovierungskosten bei Mietwohnungen noch nicht abgezogen waren. Auch der Zeit- und Verwaltungsaufwand, der mit der Bearbeitung dieser Fälle einherging und den die hessischen Amtsgerichte ebenso wie Gerichte in anderen Bundesländern beklagten, war in diese Bilanz noch nicht eingerechnet. Zugleich verwiesen alle Justizbehörden der Länder in ihren Berichten an den Bundesjustizminister auf die mit der Bearbeitung von abgelehnten Erbschaften einhergehenden hohen Arbeitsbelastungen für die Amtsgerichte. Der schleswigholsteinische Justizminister hielt fest, dass „ein Teil dieser Erbschaften dem Land nur deshalb zugingen, weil sämtliche Erben ausgeschlagen hatten, da die Nachlässe überschuldet waren. Hier konnten keine Nettoeinnahmen für das Land erzielt werden. Die Abwicklung machte und macht zum Teil erhebliche Schwierigkeiten mit starkem Büroaufwand.“182 Etwas ausgewogener berichtete demgegenüber im

181 Justizministerium Baden-Württemberg an den Bundesminister der Justiz, 27.7.1972, Bayrisches Staatsministerium der Justiz an Bundesminister der Justiz, 30.8.1972, und Saarland Minister der Justiz an Bundesminister der Justiz, 18.9.1972, in: HHStAW, Erbrecht, 3480, Bd. 2; Beck, Erbenermittlung, S. 97–140. 182 Justizminister des Landes Schleswig-Holstein an Bundesminister der Justiz, 19.7.1972, in: HHStAW, Erbrecht, 3480, Bd. 2.

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Liberalisierung und Legitimierung des Familienprinzips seit den 1960er Jahren

Jahr 1972 der Regierungsdirektor Dr. Pennicher in Darmstadt an den hessischen Finanzminister: Die dem Fiskus nach § 1936 BGB zugefallenen Erbschaften lassen sich zunächst in Nachlässe mit positiver Bilanz und verschuldete Nachlässe unterteilen. Aber auch bei nichtverschuldeten Nachlässen besteht der Nachlass vielfach nur oder fast nur aus wertlosen Habseligkeiten, die entweder zu vernichten sind oder karitativen Verbänden zugeführt werden. Wenn ein nicht nur unerhebliches positives Nachlassvermögen vorhanden ist, so gewähre ich für die Grabstätte des Erblassers eine Dauergrabpflege, bei höherem Nachlassvermögen auch die Errichtung eines Grabmals. Fallen dem Land Hessen Grundstücke, Grundstücksanteile, Wertpapiere, wertvolle Einrichtungsgegenstände oder Schmuck zu, so zieht sich die Abwicklung dieser Fälle oft längere Zeit hin. Der in diesen Nachlaßfällen notwendige Schriftverkehr mit den Amtsgerichten, Geldinstituten, Nachlaßpflegern, Versteigerern und Bürgern nimmt nicht selten großen Umfang an. Auch die Abwicklung eines im Ergebnis verschuldeten Nachlasses (Vermögenswerten stehen höhere Verbindlichkeiten gegenüber) kann einen erheblichen Verwaltungsaufwand verursachen.183

Die Bearbeitung herrenloser und ausgeschlagener Erbschaften beschäftigte die Amtsgerichte Anfang der 1970er Jahre somit bereits merklich, einen Grund für Reformen in den Abläufen der Gerichte sah darin aber noch niemand. Die etablierten Routinen zur Abwicklung ausgeschlagener Erbschaften erschienen den einzelnen Ländern und dem Justizministerium noch ausreichend für deren Bearbeitung.184 Dies änderte sich in den nächsten Jahrzehnten. Der bereits erwähnte Rechtswissenschaftler Martin Kaltwasser vermutete, dass Anfang der 2010er Jahre Forderungen im Wert zwischen 500 Millionen und mehreren Milliarden Euro pro Jahr gegen überschuldete Nachlässe bestanden haben.185 Seit Beginn des 21. Jahrhunderts bildeten sich daraufhin auf den Amtsgerichten eigene Abteilungen für die Bearbeitung dieser Fälle aus. In Frankfurt war im Jahr 2017 die zweitgrößte Abteilung des Nachlassgerichts mit der Bearbeitung von zu-

183 Regierungs-Präsident in Darmstadt an Hessischen Minister der Finanzen, 30.5.1972, in: HHStAW, Erbrecht, 3480, Bd. 2. 184 Heinrich von Spreckelsen, Untersuchung der Frage, welche Änderungen von Vorschriften über die gesetzliche Erbfolge und das Pflichtteilsrecht zu empfehlen sind, S. 63–65, in: BArch, B 141/102819 – Reform des Erbrechts – Material, Bd. 2, 7.1973 – 2.1977. 185 Martin Kaltwasser geht von Forderungen von bis zu 70 Milliarden Euro pro Jahr gegen überschuldete Nachlässe aus, da er eine durchschnittliche Überschuldung pro Nachlass von 180.000 Euro annimmt. Kaltwasser, Nachlass, S. 21. Dieser Wert ist m. E. deutlich zu hoch. Die in Frankfurt ausgeschlagenen Nachlässe, für die konkrete Ausstände angegeben waren, waren deutlich niedriger belastet, wie im Text noch ausgeführt wird. Vgl. auch Beck, Erbenermittlung, S. 135ff.; Röthel, Erbrecht.

Armut, Schulden und ausgeschlagene Erbschaften in der Bundesrepublik

rückgewiesenen Erbschaften beschäftigt.186 In Zusammenarbeit mit spezialisierten Haushaltsauflösern, Auktionatoren und Inkassounternehmen wickelte sie ausgeschlagene Nachlässe ab.187 Auf einer übergeordneten Ebene richteten zudem die Oberlandesgerichte und Finanzministerien der Bundesländer eigene spezialisierte Abteilungen zur Bearbeitung dieser Erbfälle ein.188 In Hessen vermarktet der Landesbetrieb Bau und Immobilien seit dem Jahr 2005 Liegenschaften, die aus Fiskalerbschaften an das Land gefallen waren. Der Großteil der bebauten Grundstücke, Acker- und Grünflächen sowie Waldgrundstücke stammt dabei aus überschuldeten Nachlässen, die von den Erben ausgeschlagen wurden.189 Damit entstanden in Frankfurt und auf Länderebene Strukturen, die bei herrenlosen Nachlässen Erben ermittelten, bei abgelehnten Nachlässen das vorhandene Eigentum neuen Eigentümern zuwiesen und ungewolltes Eigentum entsorgten; das heißt, sie beendeten liminale Situationen, indem sie nach einem Todesfall für eine erneute eindeutige Zuordnung von Eigentum und Eigentümer sowie die Zuweisung von Schuldverhältnissen sorgten und damit Verfügungsrechte über und Verantwortlichkeiten für Eigentum klärten. Aus Sicht der Behörden erfüllten die Gerichte damit weiterhin ihre ordnungspolitische Funktion der Eigentumszuweisung, indem sie Erbfälle immer wieder abschlossen. Aus der Perspektive von überschuldeten Eigentümern und ihren Erben sowie Familienmitgliedern warfen kleine und überschuldete Nachlässe andere Fragen auf. Zentral war für sie zunächst, ob sie eine kleine oder gar überschuldete Erbschaft überhaupt annehmen sollten, womit sie auch alle Pflichten der Erben übernahmen, oder ob es besser war, diese auszuschlagen. Wie sehr waren die Erben dieser Nachlässe moralisch verpflichtet, die Ausstände für verstorbene Familienmitglieder zu übernehmen, und wie ließ sich bei den Erben vorhandenes Vermögen vor den Gläubigern des Erblassers schützen? Die von Erblassern und Erben darauf gegebenen Antworten fielen unterschiedlich aus, wobei das Erbrecht und die darin festgelegten Umgangsoptionen mit Schulden ihnen verschiedene Handlungsoptionen eröffneten. Kleine Vermögen und Schulden bedeuteten nicht, dass ihre Besitzer und Erben keine Handlungsmöglichkeiten hatten, um Vermögen in der Familie zu bewahren; sie hatten nur andere als wohlhabendere Personen.

186 Diese Angabe erhielt ich von den Mitarbeitern des Amtsgerichts während meiner dortigen Recherchen. 187 AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 55 VI B 61/2000 B; 51 VI E 49/2000 E; 52 VI Sch 389/2000 S; Arpad Wolfgang Kali, Nachlaßpfleger und Erbenermittler, Aachen 2001, S. 82f.; Christopher Piltz, Der Nachlass-Stöberer, in: Die Zeit, 13.3.2014. 188 Marike Bartels, Der Staat als Erbe, in: FAZ, 15.5.2013. 189 Landesbetrieb Bau und Immobilien Hessen, Fiskalerbschaften, in: https://lbih.hessen.de/immobili en/fiskalerbschaften (letzter Zugriff 12.4.2021).

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Liberalisierung und Legitimierung des Familienprinzips seit den 1960er Jahren

Bevor auf Strategien des Vermögenserhalts eingegangen wird, gilt es zunächst, eine Praktik zu thematisieren, die explizit nicht auf die Vermögensweitergabe in der Familie ausgerichtet war. Denn ein sehr kleiner Teil aller Erblasser brach den Kontakt zur eigenen Familie bewusst ab. Sie brauchten vorhandene Ersparnisse durch den eigenen Lebenswandel auf, enterbten Familienangehörige und vermachten eventuell verbliebenes Vermögen an Institutionen und Stiftungen. Diese Personen wollten weder ihren Verwandten ein Erbe hinterlassen noch im größeren Stil Vermögen an gemeinnützige Institutionen übertragen. Ihr Vermögenshandeln war weder auf die Zukunft und das Wohl der Familie noch auf das der Gesellschaft ausgerichtet, sondern auf das eigene Wohlbefinden und Streben nach Selbstverwirklichung zu Lebzeiten. Dem Familienprinzip fühlten sie sich nicht mehr verpflichtet. Charakteristisch hierfür ist der Fall des Herrn M.190 Dieser hatte sich in den 1930er Jahren nach 15-jähriger Ehe von seiner Frau und seinem damals vierjährigen Sohn getrennt, aber nicht scheiden lassen. Nach dem Krieg zog Herr M. nach Frankfurt, während seine Frau und sein Sohn in Westberlin wohnen blieben. Seitdem warf M. seiner Frau vor, ihm den Kontakt zu seinem Sohn zu verweigern und diesen gegen ihn aufzuhetzen. Die Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern verbesserten sich dadurch nicht. Im Gegenteil, als Herr M. Ende der 1960er Jahre – mittlerweile etwa seit zehn Jahren pensioniert – sein Testament verfasste, hielt er darin fest, dass seine Frau und sein Sohn nichts von ihm erben sollten und er seine Ersparnisse für Reisen ausgegeben habe: „Diese Erklärung möge dafür dienen, dass ich keinerlei Interesse hatte, von meinem Einkommen Beträge für meine Zukunft bzw. für die meiner Familie zurückzulegen. Seit meiner Pensionierung (1957) habe ich all mein freies Geld in meine Reisen […] investiert, so dass bei meinem Tode nur unbedeutende Beträge auf meinem [Bankkonto, J. D.] zur Verfügung stehen werden.“191 Dieses Ziel erreichte Herr M.: Nach seinem Tod wenige Jahre später war kein Vermögen mehr vorhanden. Seine umfangreiche Diasammlung vermachte er der Universität, und seine Frau und sein Sohn schlugen die übrig gebliebene Erbschaft aus. Die familiale Bande war damit von beiden Seiten gekappt. Deutlich häufiger ging die Unterbrechung des familialen Vermögenstransfers von den Erben aus. Sie lehnten Erbschaften immer wieder ab, weil diese in ihren Augen nur aus wertlosen Dingen bestanden. Mit der Annahme einer solchen Erbschaft war daher kein Vermögenszuwachs verbunden, sondern nur die häufig zeitaufwendige und teure Verpflichtung, den Haushalt des Verstorbenen aufzulösen und

190 AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 52 IV 13/70 M. Für einen ähnlichen Fall, in dem eine Person nach dem Tod der Ehefrau mit seiner neuen Lebensgefährtin durch Weltreisen und später hohe Pflegekosten sein Vermögen aufbrauchte und seinem Sohn nur Schulden hinterließ, vgl. AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 55 IV B 121/2000 B. 191 Testament von Herr M., 20.4.1968, in: AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 52 IV 13/70 M.

Armut, Schulden und ausgeschlagene Erbschaften in der Bundesrepublik

dessen Bestattung zu organisieren. Anders als noch in den Nachkriegsjahrzehnten stellten gebrauchtes Mobiliar oder getragene Kleider in der sich entfaltenden bundesrepublikanischen Konsumgesellschaft kein als wertvoll oder als hilfreich erachtetes Erbe mehr dar, sondern waren Dinge, um deren Entsorgung sich Erben kümmern mussten – oder deren Entsorgung sie durch die Ablehnung der Erbschaft vermieden.192 Auch fühlten sie sich seltener als in der Zwischenkriegszeit aufgrund familialer Verpflichtungen daran gebunden, diese Nachlässe abzuwickeln, weil es der Ruf der Familie gebot. So teilte etwa ein Neffe dem Amtsgericht nach dem Tod seiner Tante im Jahr 1970 mit: „Die Einrichtung [ihres, J. D.] ca. 10 qm Zimmers ist wertlos. Ich habe es ihr vor 10 Jahren zur Verfügung gestellt, als sie als OstzonenFlüchtling zu mir nach Frankfurt kam. […] Beide Schwestern [der Tante, J. D.] haben kein Interesse an den Kleidern, andere Sachen sind nicht vorhanden.“193 Die Erblasserin war zuletzt im Krankenhaus gepflegt worden und es standen noch Forderungen für ihre Pflege im Raum. Diese wollten aber weder der Neffe noch die Schwestern der Verstorbenen übernehmen, und so schlugen sie das Erbe aus. Eine andere Erbin erklärte dem Amtsgericht im Jahr 1990, dass ihre Mutter vor ihrem Tod die letzten 15 Jahre pflegebedürftig gewesen sei, die letzten drei Jahre als schwerbehindert gegolten und nur etwas Pflegegeld bekommen habe. Ihre Mutter habe keine finanziellen Rücklagen bilden können, und ihr gesamtes Vermögen betrug zum Zeitpunkt ihres Todes etwa 2.000 DM und setzte sich vor allem aus gebrauchten Möbeln wie Bett, Schrank und Tisch sowie Geschirr und Haushaltsgegenständen zusammen. Daran war die Tochter allerdings nicht interessiert. Sie schlug das Erbe aus und übergab die Hinterlassenschaften in Absprache mit dem gerichtlichen Rechtspfleger an ihre Kirchengemeinde, die Frankfurter Obdachlose betreute.194 Umgekehrt antizipierte zumindest ein Teil der um das Jahr 1900 geborenen Erblasser in der zweiten Jahrhunderthälfte, dass ihre Erben unter Umständen ihre von ihnen auch als wertvoll betrachteten Hinterlassenschaften nicht gebrauchen oder sogar als nutz- und wertlos einschätzen und einfach wegwerfen würden. Die Perspektiven auf Alltagsgegenstände konnten auch zwischen den Generationen variieren. Ganz in diesem Sinne hielt die im Jahr 1895 geborene und im Jahr 1982 verwitwet verstorbene Elisabeth R. in ihrem im Jahr 1974 errichteten Testament fest: „Es ist mein großer Wunsch, dass nichts von meinen Sachen dem Müll zum Opfer fällt.“195 Was ihre Erben nicht übernehmen wollten, sollten sie der Flüchtlingshilfe spenden. 192 Zum breiteren Kontext vgl. Roman Köster, Hausmüll. Abfall und Gesellschaft in Westdeutschland 1945–1990, Göttingen 2017. 193 AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 51 VI 853/70 D. 194 AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 52 IV T 12/90 T. 195 Testament von Elisabeth R., 8.5.1974, in: AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 52 IV R 34/78 R.

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Liberalisierung und Legitimierung des Familienprinzips seit den 1960er Jahren

Dass Erben von ihnen als wertlos erachtete Nachlässe ausschlugen, lag nicht nur daran, dass sie die mit einer Annahme einhergehenden Verpflichtungen nicht übernehmen wollten. In mehreren Fällen kam hinzu, dass sie sich mit der Ausschlagung auch explizit vom Erblasser distanzierten. Erbfälle aktualisierten in diesen Beispielen nicht Familienbanden, sondern führten Situationen herbei, in denen Erben durch die Ausschlagung auch symbolisch ihre Beziehungen zum Verstorbenen abbrachen. Dies war beispielsweise der Fall, als zwei etwa 40-jährige Söhne in den 1990er Jahren vom Tod ihres Vaters B. erfuhren. Dem Amtsgericht teilten sie mit, dass ihr Vater sie und ihre Mutter vor etwa 30 Jahren verlassen habe und sie seitdem keinen Kontakt mehr zu ihm gehabt hätten. Vom Rechtspfleger erfuhren sie, dass ihr Vater in Deutschland zuletzt von Sozialhilfe gelebt habe und mehrere von Gläubigern angestrengte Gerichtsprozesse gegen ihn liefen. Zugleich gebe es Hinweise auf Vermögenswerte im Ausland, unter anderem auf Depots in der Ukraine und in Österreich. Von alldem wollten sie jedoch nichts wissen und sich nach 30 Jahren ohne Kontakt nicht mit den Angelegenheiten ihres Vaters auseinandersetzen. Sie schlugen die Erbschaft aus.196 In einem anderen Fall lehnte die Tochter aus erster Ehe des Verstorbenen dessen Erbe ab, weil sie befürchtete, dass dieses überschuldet sei, aber auch, weil sie nichts mit dessen zweiter Ehefrau zu tun haben wollte. Dem Amtsgericht teilte sie mit, dass ihr Vater nach der Scheidung von ihrer Mutter im Jahr 1989 im Alter von 61 Jahren nach Thailand ausgewandert sei, dort eine Thailänderin geheiratet habe und später auch dort verstorben sei. Mit dieser Frau und den Angelegenheiten ihres Vaters wolle sie sich nicht beschäftigen.197 Es ist in diesen Fällen nicht möglich zu beurteilen, ob der vermutete geringe Nachlasswert und die durch den jeweiligen Auslandsbezug komplizierten Erbangelegenheiten oder doch eher durch den Erbfall aktualisierte frühere Verletzungen und Kränkungen ausschlaggebend für die Weigerung waren, das Erbe anzunehmen. Der vermutete geringe Wert oder gar befürchtete Schulden dürften aber eine gewichtige Rolle gespielt haben. Denn unter allen analysierten Erbfälle kamen Erbausschlagungen ausschließlich in der Mittelschicht und in ärmeren Familien vor. Dies legt die Interpretation nahe, dass es Erben ab einem gewissen Wert der Erbschaft wichtiger war, diese zu erhalten, als sie auszuschlagen, auch wenn die Beziehungen zum Erblasser schwierig gewesen waren. Derartige Erbannahmen von Familienmitgliedern, von denen sich die Erben eigentlich distanzieren wollten, galt es allerdings zu rechtfertigen. Sie taten dies gegenüber ihrem Umfeld, indem sie das erhaltene Vermögen als Entschädigung für erlittene Kränkungen und (vermeintliche) Ungerechtigkeiten durch den Erblasser bezeichneten oder indem

196 AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 55 VI B 61/2000 B. 197 AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 52 VI V 44/2000 V.

Armut, Schulden und ausgeschlagene Erbschaften in der Bundesrepublik

sie verkündeten, das erhaltene Vermögen zur Wiedergutmachung vergangenen Unrechts einzusetzen, falls sie es selbst als unrechtmäßig erworben verstanden.198 Den häufigsten Grund für Erbausschlagungen stellten Schulden dar.199 Sie ergaben sich vielfach aus Forderungen von Krankenhäusern sowie Pflege- und Altenheimen für Gesundheits- und Fürsorgeleistungen, die der Erblasser noch nicht beglichenen hatte.200 Ebenso konnten sie aus noch nicht getilgten Krediten für den Immobilienerwerb, den Kauf eines Pkws oder die Anschaffung anderer Konsumgüter resultieren.201 In selteneren Fällen führten Arbeitslosigkeit, Suchtprobleme und bisweilen Obdachlosigkeit zum Verlust von Vermögen und zur Anhäufung von Schulden.202 In sehr wenigen Fällen stellte sich nach dem Tod eines Erblassers heraus, dass dieser sich sein Eigentum illegal angeeignet hatte und es ihm überhaupt nicht rechtmäßig gehörte.203 Eine Unternehmerin und ein Unternehmer hatten sich verspekuliert und den jeweils angehäuften Schuldenberg bis zu ihrem Tod durch Bilanzfälschungen vor Geschäftspartnern und durch falsche Behauptungen auch vor Familienmitgliedern verborgen.204 Die Höhe der Ausstände geht aus den Akten des Amtsgerichts nur selten hervor. In den meisten Fällen war der Nachlasswert schlicht mit null DM angegeben. In den wenigen Akten, in denen Ausstände genauer aufgeschlüsselt waren, bewegten sie sich im Jahr 2000 zwischen 2.000 und knapp 40.000 DM; bei einer Person beliefen sich die Ausstände auf etwas über 100.000 DM. Nicht miteingerechnet waren weitere Kosten, die die Erben bei der Erbannahme hätten übernehmen müssen (Erbfallschulden), beispielsweise bis zu drei weitere Monatsmieten, die Haushaltsauflösung und Renovierung der gemieteten Wohnung und die Bestattungskosten. Grund- und Wohneigentum besaß kaum eine verschuldet verstorbene Person. In sozialer Hinsicht waren im Jahr 2000 zwei Personen aus dieser Gruppe zu Lebzeiten als Schneidermeisterin und als Firmeninhaber selbstständig gewesen. Die übrigen Personen aus dieser Gruppe hatten unter anderem als Arbeiter, Bäckereifachverkäuferin, Koch, Schlosser, Angestellter, Taxifahrer, Telefonistin oder

198 Ein bekanntes Beispiel hierfür stellt der Erbfall Tom Koenigs dar. Aus einer Kölner Bankiersfamilie stammend, nahm Tom Koenigs das Erbe seines Vaters zunächst an, um es in einem zweiten Schritt an chilenische Befreiungsorganisationen und den Vietcong zu spenden. Van Laak, Was bleibt?, S. 148. 199 Vgl. beispielsweise AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 52 VI U 9/2000 U; 55 IV B 121/2000 B; 55 IV B 407/2000 B. Für einen ersten Überblick zur Geschichte der Armut und Ungleichheit in der Bundesrepublik vgl. Haßdenteufel, Armut; Kaelble, Reichtum; Süß, Question; Hockerts/Süß, Ungleichheit. 200 AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 55 IV B 111/2000 B; 51 VI D 42/2000 D; 52 IV Sch 326/2000 S. 201 AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 52 VI Sch 184/2000 S; 54 VI F 59/2000 F. 202 AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 54 VI Z 40/2000 Z. 203 AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 55 VI B 61/2000 B. 204 AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 52 IV Sch 189/2000 S.

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Liberalisierung und Legitimierung des Familienprinzips seit den 1960er Jahren

Hausfrau gearbeitet oder waren arbeitslos gewesen. Einen Beruf mit einem höheren Einkommen hatte niemand von ihnen ausgeübt. Die Lebenssituation ihrer Erben wird in den Akten kaum ersichtlich. Sie begründeten ihre Erbausschlagung meist lediglich mit dem Verweis auf die Schulden des Erblassers. In einigen wenigen Fällen teilten die meist gesetzlichen Erben dem Amtsgericht darüber hinaus mit, dass sie seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr zum Verstorbenen gehabt hätten und sich auch deshalb nicht verpflichtet fühlten, sich um dessen Hinterlassenschaften zu kümmern.205 Eine Frau schrieb dem Amtsgericht zudem, dass sie noch vor dem Tod des Ehemannes die Scheidung eingereicht habe, und auch wenn diese noch nicht rechtskräftig sei, so werde sie die Schulden des Ehemannes nicht übernehmen.206 Darüber hinaus gelang es dem Amtsgericht in mehreren Fällen nicht, die Erben zu ermitteln. Diese befanden sich entweder im Ausland – zum Beispiel in den USA oder Kasachstan –, oder es fanden sich bei den Verstorbenen zu wenige Hinweise auf nahe Verwandte, bei denen eine schnelle Kontaktaufnahme möglich war. In beiden Konstellationen stellten die Rechtspfleger relativ bald nach der gesetzlichen Ermittlungsfrist ihre Suche ein, da sie aufgrund geringer oder nicht vorhandener Nachlasswerte davon ausgingen, dass die Erben ihr Erbe ohnehin ausschlagen würden.207 Diese Personen kamen somit überhaupt nicht in die Situation, über die Annahme einer überschuldeten Erbschaft nachdenken zu müssen. In den anderen Fällen konnten familiale Konflikte die Erbausschlagung begünstigen. Hauptsächlich waren es jedoch die Schulden des Verstorbenen, die Erben dazu brachten, dessen Erbschaft abzulehnen. Diese Erben schützten ihr Vermögen und das ihrer noch lebenden Familienmitglieder, indem sie Schulden von verstorbenen Verwandten nicht annahmen, sondern ausschlugen. Erbfälle stellten für sie keine Möglichkeiten dar, um an Vermögen zu gelangen und um Vermögen in der Familie zu bewahren, sondern eine Bedrohung für vorhandene Ersparnisse. Sie handelten damit auch im Einklang mit allen neueren Erbratgebern, die bei überschuldeten Erbschaften nicht mehr an den Ruf der Familie appellierten, sich um die Angelegenheiten des verstorbenen Familienmitglieds zu kümmern, sondern ihren Klienten deutlich rieten, durch „taktische Erbausschlagungen“208 anderweitig in der Familie vorhandenes Vermögen vor Gläubigern zu schützen und in der Familie zu bewahren.209

205 206 207 208 209

AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 53 VI S 143/2000 S. AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 52 IV Sch 189/2000 S. AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 54 VI F 65/2000 F; 53 VI K 164/2000 K. Hübner, Streit, S. 195. Wolfgang Friedrich, Profi-Tips Erbschaft. Richtig erben und vererben, München 1996, S. 99–103; Karl-Heinz Beyer, Vererben und erben – und danach? Was Sie zum Thema Testament und Erbe wissen sollten. Mit für die neuen Bundesländer geltenden Besonderheiten, Leipzig 1993, S. 90–95.

Armut, Schulden und ausgeschlagene Erbschaften in der Bundesrepublik

Die materielle Zusammensetzung kleiner und überschuldeter Nachlässe erleichterte den Erben möglicherweise die Ausschlagung. In den untersuchten Fällen setzten sich die Vermögenswerte der Erblasser nahezu ausschließlich aus Mobilien (Möbel, Kleider, Schmuck usw.) sowie Sparvermögen zusammen. In dem Augenblick, in dem Personen ihr Erbe ausschlugen, verloren sie ihre Ansprüche darauf. In der Regel musste sie dies dem Amtsgericht innerhalb von sechs Wochen nach dem Tod des Erblassers mitteilen. Danach übernahmen Mitarbeiter des Gerichts die Nachlasspflegschaft.210 Bis zu diesem Zeitpunkt hatten Verwandte, bei denen der Kontakt zum Verstorbenen nicht abgerissen war, häufig aber Zugang zu dessen Wohnung und zu seinen Vermögenswerten. Sie hatten daher die Möglichkeit, sich ihnen emotional wichtige Erbstücke und wertvolle Gegenstände illegal anzueignen, ohne dass das Gericht und die Gläubiger des Verstorbenen davon etwas erfuhren. Doch selbst wenn das Gericht feststellte, dass Gegenstände aus dem Nachlass entwendet worden waren, gelang es den Nachlassverwaltern in den durchgesehenen Fällen nie, die dafür verantwortlichen Personen zu ermitteln. In einem Erbfall fehlte plötzlich ein inventarisierter Brillantring, in einem anderen wurden nach der Erbausschlagung vom Girokonto des Verstorbenen noch 6.000 DM abgehoben, und in einem weiteren verschwanden Gemälde aus der sich in Spanien befindlichen Wohnung des Erblassers. In all diesen Fällen zeigten die Nachlasspfleger die Vorgänge zwar an, die Ermittlungen verliefen aber ergebnislos.211 Mit der Erbausschlagung kam es – möglicherweise abgesehen von kleineren illegalen Aneignungen von Erbstücken – zu keinem innerfamilialen Erbübertrag. Stattdessen verweist der familiale Umgang mit überschuldeten Erbschaften auf Strategien der innerfamilialen Vermögensbewahrung in ärmeren Bevölkerungsschichten, die dem Handeln in wohlhabenderen Familien diametral gegenüberstanden. Während sich der Vermögenserhalt für Letztere aus Steuerminimierungen, Erbannahmen und dem Festhalten am Familienprinzip ergab, schützten die Erben ärmere Erblasser ihr Vermögen dadurch, dass sie Erbschaften von überschuldet verstorbenen Familienmitgliedern ausschlugen. Von ihnen wurde weniger stark als noch in der Zwischenkriegszeit erwartet, für die Ausstände von verstorbenen Familienmitgliedern einzustehen. Diese Lockerung des Familienprinzips lässt sich zugleich als eine Entwicklung interpretieren, die es Einzelnen und ihren Familien

Für eine frühe Thematisierung von Schulden und Erbausschlagungen vgl. Wilhelm Gail, Ich mache mein Testament – Ich mache eine Erbschaft. Eine Übersicht über das Erbrecht in Deutschland, Österreich und in der Schweiz. Ein praktischer Ratgeber mit Musterbeispielen, 2. Aufl., Olten, Stuttgart, Salzburg 1966, S. 114ff. 210 Das Erbrecht bietet verschiedene Möglichkeiten der Erbausschlagung und Nachlassinsolvenz. Für einen ersten Überblick hierfür vgl. Kaltwasser, Nachlass. 211 AG Frankfurt, Nachlassabteilung, 51 VI E 49/2000 E; 52 IV 635/70 S.-B; 52 VI 509/70 S.

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Liberalisierung und Legitimierung des Familienprinzips seit den 1960er Jahren

erleichterte, den Kreislauf von Armut und Schulden zu durchbrechen. Erbannahmen und das damit verbundene Festhalten am Familienprinzip musste man sich auch leisten wollen und können. Beide Gruppierungen an unterschiedlichen Polen der Vermögensverteilung wirkten dadurch mit jeweils verschiedenen Handlungen auf gesamtgesellschaftliche Vermögensverteilungen und -ungleichheiten ein. Während die Erben armer Erblasser ihr Eigentum vor dem Zugriff von meist privatwirtschaftlich agierenden Gläubigern (z. B. Banken und Kreditinstituten sowie privaten Pflegeheimen) schützten, beschränkten die Erben wohlhabender Erblasser den Zugriff des Staates auf ihr geerbtes Vermögen. Anders formuliert sahen Arme im Inkassounternehmen eine Bedrohung des eigenen Besitzes, Wohlhabende hingegen im Staat.

4.

Verteilung von Nachlassvermögen in Baltimore und Frankfurt, 1881–2001

Das Thema Erben ist eines, bei dem nicht nur Reichtum, sondern auch Armut sichtbar wird. Dies wird umso deutlicher, wenn die Verteilung von Nachlassvermögen genauer aufgeschlüsselt wird, wie dies für Baltimore und Frankfurt abschließend erfolgt. Dadurch zeigt sich einerseits, dass Erbschaften für einen Teil der Stadtbevölkerung kontinuierlich einen zentralen Zugang zu Vermögen bedeuteten. Andererseits sah sich ein ungefähr ebenso großer Teil mit der Frage konfrontiert, wie mit den von Verwandten hinterlassenen Schulden umzugehen sei. Erbschaften stellten dabei nur eine Möglichkeit dar, Eigentum oder Schulden zu erlangen. Je nach Zeitraum und sozialer Stellung des Erblassers sowie seiner Erben kam ihnen aber eine große Bedeutung zu. Die in den folgenden Statistiken sichtbar werdenden Vermögensungleichheiten waren mit einer hohen Wahrscheinlichkeit noch sehr viel größer als angegeben. Dies liegt zunächst daran, dass die Angaben zum jeweiligen Nachlasswert Bruttoangaben darstellen. Erben in Baltimore und in Frankfurt verpflichteten sich mit der Annahme des Erbes, alle für den Erblasser noch ausstehenden Kosten zu übernehmen. Diese Unkosten wie auch die Bestattungskosten sind hier von den erfassten Werten noch nicht abgezogen.212 Des Weiteren, und dieser Aspekt ist für die Einordnung der Zahlen wesentlich wichtiger, änderte sich die soziale Zusammensetzung der Personen, deren Nachlässe Gerichte überhaupt dokumentierten. Während sie zu Beginn des 20. Jahrhundert überwiegend die Nachlässe von 212 Lukas Weber, Beerdigungskosten. Teurer Abschied, in: FAZ, 25.2.2012; Anselm Waldermann, Bestatter in der Kritik. Gewinne so sicher wie der Tod, in: Spiegel Online, 16.9.2009, http:// www.spiegel.de/wirtschaft/service/bestatter-in-der-kritik-gewinne-so-sicher-wie-der-tod-a-648 511.html (letzter Zugriff 15.5.2021).

Verteilung von Nachlassvermögen in Baltimore und Frankfurt, 1881–2001

Personen aus der Ober- und Mittelschicht bearbeiteten, waren es gegen Ende des Jahrhunderts vor allem die Nachlässe der Mittelschicht und von armen Erblassern. In den Stichproben aus dem frühen Jahrhundert sind arme Erblasser daher deutlich unterrepräsentiert und in denen aus dem späten Jahrhundert fehlen die reichen Erblasser weitgehend. Werden diese Einschränkungen im Hinterkopf behalten, ergeben sich für Baltimore und Frankfurt folgende Verteilungen von Nachlassvermögen: In Baltimore vererbten die reichsten 20 Prozent im Jahr 1911 ca. 87 Prozent des insgesamt vererbten Vermögens. Dieser Anteil sank bis ins Jahr 1971 auf ca. 74 Prozent. Noch deutlicher wird der Rückgang, wenn nur das von den reichsten zehn Prozent vererbte Vermögen betrachtet wird. Diese vererbten im Jahr 1911 71 Prozent des hinterlassenen Vermögens und im Jahr 1971 „nur“ noch 56 Prozent. Vor allem zwischen den Jahren 1941 und 1971 erfolgte damit in Baltimore ausgehend von enormen Vermögensungleichheiten eine stärkere Nivellierung des Nachlassvermögens. Danach stieg der Anteil sowohl des reichsten Dezils als auch der reichsten 20 Prozent am gesamten hinterlassenen Vermögen bis ins Jahr 2001 wieder deutlich an. Im Jahr 2001 vererbten in Baltimore die reichsten 20 Prozent 83 Prozent und die reichsten zehn Prozent 69 Prozent des vererbten Vermögens und damit erneut ähnlich viel wie zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Noch größer wird die Vermögensdiskrepanz zwischen reichen und armen Erblassern, wenn neben den regulären Probate-Verfahren (RE = regular estate) auch die seit dem Jahr 1946 in Maryland möglichen vereinfachten Probate-Verfahren für kleine Nachlässe berücksichtigt werden (SE = small estate). Danach vererbten die reichsten 20 Prozent im Jahr 2001 fast das gesamte hinterlassene Vermögen. Anfang des 21. Jahrhunderts zeigt sich damit in den Nachlassakten in Baltimore eine größere Vermögenskonzentration als um 1900. Auch in Frankfurt vererbten die reichsten 20 Prozent über das 20. Jahrhundert hinweg einen Großteil der übertragenen Nachlasswerte, nämlich über 90 Prozent im Jahr 1910 und immer noch knapp 75 Prozent im Jahr 2000. Der Anteil des Vermögens, das von den reichsten Erblassern hinterlassen wurde, nahm damit im Gegensatz zu Baltimore ab. Das bedeutet jedoch nicht, dass Erbschaften für diese Gruppe auch als Zugangsmöglichkeit zu Vermögen an Bedeutung verloren hätten. Das Gegenteil ist der Fall, wenn die jeweiligen Erbsummen mit anderen Einkommensmöglichkeiten, beispielsweise mit den durchschnittlichen Jahreslöhnen von Metallarbeitern und langjährigen kaufmännischen Angestellten in Frankfurt, verglichen werden. Bis ins Jahr 1940 entsprachen die Erbschaften im reichsten Dezil dem 55- beziehungsweise 80-Fachen und im neunten Dezil dem etwa Zehnfachen eines Jahreslohnes, ehe die Bedeutung von Erbschaften für den Vermögenserwerb dieser Gruppe nach dem Zweiten Weltkrieg stark abnahm. In den Stichprobenjahren 1950 und 1970 erbte das oberste Dezil etwas mehr als das Zehnfache und das

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Liberalisierung und Legitimierung des Familienprinzips seit den 1960er Jahren

Tabelle 16 Gesamtsumme des im analysierten Sample vererbten Vermögens pro Jahr in Baltimore City und dessen Verteilung auf Erblasser in Prozent nach Dezilen, 1881–2001. Jahr 1881 RE 1911 RE 1941 RE 1971 RE 1971 RE + SE 2001 RE 2001 RE + SE

Gesamtsumme 227.574

1. D. 2. D. 3. D. 4. D. 5. D. 6. D. 7. D. 8. D.

9. D.

10. D.

0

0,4

0,8

1,5

1,8

3,0

5,7

8,5

18,7

59,6

1.309.791

0

0,1

0.4

0,6

0,9

1,6

3,3

6,5

15,4

71,1

1.943.201

0,1

0,4

0,6

0,9

1,4

2,4

3,6

7,3

14,7

68,6

1.202.688

0,3

0,8

1,5

1,9

3,1

3,5

6,8

8,5

17,8

55,7

1.203.882

-1,1

-0,4

-0,1

0,1

0,7

1,6

2,9

6,7

16,1

73,5

21.042.601

0,2

0,8

1,4

1,7

2,0

2,7

3,1

4,9

14,5

68,7

20.069.934

-5,8

-0,4

-0,2

0

0,2

1,1

2,6

5,0

8,4

89,1

Aufgrund von Rundung entspricht der Gesamtwert der einzelnen Dezile nicht immer genau 100 Prozent. Quelle: Dinkel, Nachlassakten.

neunte Dezil etwa das Dreifache des Jahreslohnes eines kaufmännischen Angestellten. Seit den 1970er Jahren stieg die Bedeutung von Erbschaften als Modus des Vermögenserwerbs in dieser Gruppe wieder an, und dies, obwohl zeitgleich die Löhne anstiegen und vor allem wohlhabende Frankfurter aus der Stadt ins Umland und damit in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Amtsgerichts zogen, womit sie aus dem Raster dieser Analyse fallen.213 Die Nachlasssummen des reichsten Dezils entsprachen im Jahr 2000 dem 22-fachen und die des neunten Dezils dem siebenfachen Jahreslohn eines Fabrikarbeiters oder kaufmännischen Angestellten. Während in Frankfurt damit die Vermögensungleichheiten in der Stadtgesellschaft geringer ausfielen als in Baltimore, nahm auch in Frankfurt die Bedeutung von Erbschaften für den individuellen Vermögenserwerb wieder zu. Ruft man sich vor diesem Hintergrund noch einmal in Erinnerung, dass in beiden Städten der Großteil des Nachlassvermögens an enge Familienmitglieder übertragen wurde, so wird deutlich, dass die familiale Herkunft den Zugang zu Vermögen stark beeinflusste und allen Indizien zufolge auch bis in die Gegenwart beeinflusst. Diese wachsenden Ungleichheiten im Nachlassvermögen und ihre Sichtbarkeit in öffentlichen und wissenschaftlichen Debatten erklären damit schließlich auch das seit den späten 1990er Jahren wieder kontinuierlich ansteigende gesellschaftliche Interesse am Zusammenhang von Erbschaften und Vermögensungleichheiten. Zunehmend mehr Journalisten, Wissenschaftler und Politiker sehen in der Vererbung 213 Balser, Zentrum, S. 335f.

Verteilung von Nachlassvermögen in Baltimore und Frankfurt, 1881–2001

Tabelle 17 Durchschnittliche Bruttonachlasssummen in Dollar nach Dezilen in Baltimore, 1881–2001. Jahr 1881 RE 1911 RE 1941 RE 1971 RE 1971 RE + SE 2001 RE 2001 RE + SE Jahr 1881 RE 1911 RE 1941 RE 1971 RE 1971 RE + SE 2001 RE 2001 RE + SE

Ø Nachlasssumme 4.064 11.389 10.391 21.867 10.290

Median

1. D.

2. D.

3. D.

4. D.

5. D.

996 1.379 1.947 6.958 1.000

0 2 142 583 -1.109

146 169 365 2.013 -422

348 420 572 3.080 -75

567 670 965 4.553 153

837 1.035 1.471 6.224 688

292.258 120.179

64.000 6.041

5.033 -68.512

24.699 -4.614

40.691 -2.259

50.013 -328

60.910 2.289

Ø Nachlasssumme 4.064 11.389 10.391 21.867 10.290

Median

6. D.

7. D.

8. D.

9. D.

10. D.

996 1.379 1.947 6.958 1.000

1.123 1.880 2.454 8.358 1.755

2.167 3.586 3.856 13.701 3.163

3.890 7.759 7.510 20.457 6.696

7.103 16.824 15.028 35.773 16.153

27.114 84.710 74.062 133.925 80.388

292.258 120.179

64.000 6.041

71.628 12.901

94.117 33.029

147.693 435.352 59.013 99.319

2.064.998 1.117.890

Ohne Abzug der mit dem Erhalt der Erbschaft eingegangenen finanziellen Verpflichtungen. Quelle: Dinkel, Nachlassakten.

großer Privatvermögen Transferprozesse, die nicht mit dem Selbstverständnis einer Leistungsgesellschaft in Einklang zu bringen sind. Stattdessen befürchten sie die Entstehung einer neuen Erbengesellschaft, in der die soziale Position des Einzelnen sich wieder stark aus der seiner Familie ableitet, und damit die Rückkehr feudaler Strukturen, die es durch weitere Reformen, insbesondere der Erbschaftsbesteuerung, zu vermeiden gelte.

397

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Liberalisierung und Legitimierung des Familienprinzips seit den 1960er Jahren

Tabelle 18 Gesamtsumme des im analysierten Sample vererbten Vermögens pro Jahr im Amtsgerichtsbezirk Frankfurt am Main und dessen Verteilung auf Erblasser in Prozent nach Dezilen, 1910–2000. Jahr 1910 1925 1940 1950 1970 2000 Jahr 1910 1925 1940 1950 1970 2000

Gesamtsumme 4.513.063 M 2.507.310 RM 5.433.709 RM 1.912.162 DM 8.798.248 DM 517.262.241 DM Gesamtsumme 4.513.063 M 2.507.310 RM 5.433.709 RM 1.912.162 DM 8.798.248 DM 517.262.241 DM

1. D. -0,1 -1,5 -0,2 -1,5 -0,2 -0,5 6. D. 1,0 1,3 1,5 4,0 3,1 4,1

2. D. 0,0 0,0 0,0 0,7 0,1 0,0 7. D. 2,0 2,5 3,2 4,4 5,5 6,4

3. D. 0,1 0,2 0,4 0,8 0,5 0,3 8. D. 3,5 5,5 5,7 10,8 8,7 12,1

4. D. 0,2 0,2 0,4 1,0 1,3 1,2 9. D. 8,3 12,8 10,3 16,0 14,9 18,7

5. D. 0,6 0,7 1,1 2,7 2,0 2,3 10. D. 84,3 78,2 77,5 61,0 64,1 55,5

Aufgrund von Rundung entspricht der Gesamtwert der einzelnen Dezile nicht immer genau 100 Prozent. Quelle: Dinkel, Nachlassakten. Tabelle 19 Durchschnittliche Bruttonachlasssummen nach Dezilen in Frankfurt, 1910–2000. Jahr 1910 1925 1940 1950 1970 2000 Jahr 1910 1925 1940 1950 1970 2000

Ø Nachlasssumme Median 1. D. 50.145 M 3.800 -281 13.852 RM 1.499 -1.640 24.266 RM 3.000 -338 8.894 DM 2.500 -1.265 33.201 DM 8.600 -598 175.940 DM 54.000 -4.818 Ø Nachlasssumme Median 6. D. 50.145 M 3.800 5.189 13.852 RM 1.499 1.791 24.266 RM 3.000 4.376 8.894 DM 2.500 3.464 33.201 DM 8.600 10.643 175.940 DM 54.000 71.177

2. D. 110 57 122 358 393 455 7. D. 9.853 3.516 7.532 5.291 17.955 114.392

3. D. 415 242 711 947 1.472 4.432 8. D. 17.683 7.710 13.556 8.594 29.420 208.497

4. D. 1.447 468 1.581 1.394 3.932 20.760 9. D. 41.539 17.779 26.661 15.262 48.609 333.072

5. D. 2.998 1.002 2.344 2.102 6.993 43.156 10. D. 422.876 108.976 191.336 58.347 216.984 989.364

Ohne Abzug der mit dem Erhalt der Erbschaft eingegangenen finanziellen Verpflichtungen. Quelle: Dinkel, Nachlassakten.

Verteilung von Nachlassvermögen in Baltimore und Frankfurt, 1881–2001

Tabelle 20 Durchschnittliche Nachlasssummen in Frankfurt im Vergleich zum Vielfachen durchschnittlicher Bruttojahreseinkommen männlicher Metallarbeiter / kaufmännischer Angestellter mit mehrjähriger Berufserfahrung in Frankfurt, geordnet nach Jahren und Dezilen, 1925–2000. Jahr

Ø Jahreslohn

1925 1940 1950 1970 2000 Jahr

ca. 2.000 RM ca. 2.400 RM ca. 4.000 DM ca. 19.200 DM ca. 45.000 DM Ø Jahreslohn

1925 1940 1950 1970 2000

ca. 2.000 RM ca. 2.400 RM ca. 4.000 DM ca. 19.200 DM ca. 45.000 DM

Ø Nachlasssummen in Vielfachem von Jahreslohn 6,9 10,2 2,2 1,7 3,9 Ø Nachlasssummen in Vielfachem von Jahreslohn 6,9 10,2 2,2 1,7 3,9

1. D.

2. D.

3. D.

4. D.

5. D.

-0,8 -0,1 -0,3 0 -0,1 6. D.

0,0 0,1 0,1 0 0,0 7. D.

0,1 0,3 0,2 0,1 0,1 8. D.

0,2 0,7 0,3 0,2 0,5 9. D.

0,5 1,0 0,5 0,4 1,0 10. D.

0,9 1,8 0,9 0,6 1,6

1,8 3,1 1,3 0,9 2,5

3,9 5,6 2,1 1,5 4,6

8,9 11,1 3,8 2,5 7,4

54,5 79,7 14,6 11,3 22,0

Quelle: Dinkel, Nachlassakten; Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1927, S. 279; Statistisches Jahrbuch für das Deutsche Reich 1943, S. 405; Statistisches Jahrbuch für Frankfurt am Main 1951, S. 96f.; Statistisches Jahrbuch für Frankfurt am Main 1971, S. 55–58; Gabriele Gutberlet, Zur Entwicklung zentraler Größen der Einkommensentstehung in Frankfurt am Main zwischen 1991 und 2001: Ergebnisse der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen, FSB 2003/2-3. Marc Szydlik hat für die 1990er Jahre einen mittleren Betrag von 110.000 bis 220.000 DM pro Nachlass in der Bundesrepublik errechnet. Dies deckt sich mit der durchschnittlichen Nachlasshöhe im Stichprobenjahr 2000; vgl. Szydlik, Erben, S. 81.

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Schluss – Das Zeitalter der Familie

Das Zeitalter der Familie: Historische Deutungen des 19. und 20. Jahrhunderts Die transatlantische und europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts wurde häufig entlang ökonomischer, vor allem aber politischer Zäsuren periodisiert und interpretiert. Die vielfach herausgearbeiteten ökonomischen Konjunkturen und Krisen sowie politischen Regimewechsel waren auch für Erbordnungen prägend. Die Abschaffung des Erbinstituts in der frühen Sowjetunion, das nationalsozialistische Reichserbhofgesetz aus dem Jahr 1933 oder die Blockaden von transnationalen Erbtransfers zwischen den USA und der Sowjetunion in der Frühphase des OstWest-Konflikts waren unmittelbare Folgen von innenpolitischen Umbrüchen und/ oder von Veränderungen in den internationalen Beziehungen. Ökonomische Krisen und politische Veränderungen wirkten zudem auf Nachlassinstitutionen ein. Mit diesen Befunden bestätigt die vorliegende Studie die Bedeutung von ökonomischen und politischen Zäsuren für die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Darüber hinaus belegt die Studie mit ihrem spezifischen Blick auf Erbordnungen empirisch und im Einklang mit Arbeiten zur Familien- und Verwandtschaftsgeschichte Kontinuitäten in der transatlantisch-europäischen Gesellschaftsgeschichte vom späten 18. bis ins frühe 21. Jahrhundert: Mit dem Wandel der Gemeinschaft des „ganzen Hauses“ zur (bürgerlichen) Familie im 18. Jahrhundert entstand mit dem neuen Familienmodell eine neue dominierende gesellschaftliche Institution, die Individuen über Verwandtschaftsbeziehungen zusammenschloss, in die Gesellschaft integrierte und zwischen Gesellschaft und dem Einzelnen vermittelte.1 Seitdem richtete sich im Erbrecht und in der Erbpraxis das Handeln von Staat und Justiz, von privaten Dienstleistern wie auch von Familien und Individuen auf den Schutz, die Stärkung und den Erhalt von Familien aus. Erbrecht und Erbpraxis zielten auf die Vermögensweitergabe in der Familie, und umgekehrt erschien und erscheint der Übertrag des Erbes an Familienmitglieder als selbstverständliche, schon fast natürliche Handlung. Der Zeitraum von circa 1800 bis in die Gegenwart stellt im transatlantisch-europäischen Raum das Zeitalter der Familie dar. Dieses Zeitalter brachte seine eigene Ideologie hervor. Nach dieser waren die Handlungen von Staat, Gesellschaft und Individuen auf die Stärkung und den Erhalt der Familie ausgerichtet, und die familiale Herkunft prägte die gesellschaftliche

1 Neumaier, Familie; Heinemann, Wert; Derix u. a. (Hrsg.), Haus; Martschukat, Ordnung; Andreas Gestrich/Jens-Uwe Krause/Michael Mitterauer, Geschichte der Familie, Stuttgart 2003.

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Schluss – Das Zeitalter der Familie

Stellung des Einzelnen. Damit ging eine hohe innerfamiliale Erwartungssicherheit einher, die Familien zusammenhielt und die es Einzelnen in den letzten beiden Jahrhunderten immer wieder ermöglichte, die vielfältigen ökonomischen und politischen Herausforderungen ihrer Zeit zu bewältigen. Anders als der Staat, der, insbesondere in Europa, privates Eigentum, Familie und Leben bedrohen konnte, stellten Familien Akteure dar, die mehrheitlich berechenbar blieben und meist auf die Unterstützung des Einzelnen ausgerichtet waren. Familien ermöglichten es Individuen, politischen und ökonomischen Wandel zu bewältigen, und sie stabilisierten Gesellschaften in Transformationszeiten. Im Fokus auf die Familie sowohl in der Politik und im Recht als auch in der konkreten Erbpraxis zeigen sich für die letzten zwei Jahrhunderte zahlreiche Gemeinsamkeiten und geteilte Wertvorstellungen zwischen den USA, Deutschland und Russland beziehungsweise der Ukraine. Anstatt den transatlantisch-europäischen Raum in unterschiedliche, sich antagonistisch gegenüberstehende Blöcke aufzuteilen, legt der Blick auf Familien und Erbordnungen es nahe, ihn als zusammenhängenden Kulturraum zu verstehen, in dem es zwar lokal und regional unterschiedliche Erbordnungen gab, die aber alle durch das Familienprinzip strukturiert waren und auf den Vermögensübertrag in der Familie hinausliefen.2 Die erstaunliche Persistenz des Familialen und die ihr zugrunde liegende Familienideologie blieben im 19. und 20. Jahrhundert nicht unwidersprochen. Nationalistische und faschistische Ideologien versuchten den Einzelnen aus seiner Familie zu lösen und an Nation, Volk und/oder Führer zu binden. Die Politik der Bolschewiki in der frühen Sowjetunion zielte auf die Auflösung der Familie als ihrer Ansicht nach zentralen Säule der bürgerlichen Gesellschaft, und Sozialdemokraten forderten eine Umverteilung von Erbvermögen sowie die Einbindung des Einzelnen in sozialstaatliche Sicherungssysteme. Befürworter der Leistungsgesellschaft sowie die Vordenker neoliberaler Ideen konzipierten den Einzelnen wiederum als Konsumenten oder „unternehmerisches Selbst“, und somit als jemanden, der sich durch seine Individualität auszeichnete und nicht durch familiale Herkunft. Aus diesen Prozessen der Individualisierung sollen in Verbindung mit der Digitalisierung – so eine aktuelle Gesellschaftsdiagnose – die gegenwärtigen Gesellschaften der Singularitäten hervorgegangen sein.3 Diese allgemeinen Gesellschaftscharakterisierungen treffen für Erbordnungen und die zwei analysierten gesellschaftlichen Teilbereiche (Erbrecht und Familie)

2 Riitta Jallinoja, Families, Status and Dynasties. 1600–2000, London 2017; Sabean/Teuscher/Mathieu, Kinship; Kaser, Macht. 3 Andreas Reckwitz, Die Gesellschaft der Singularitäten. Zum Strukturwandel der Moderne, Berlin 2017; Ulrich Bröckling, Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform, Berlin 2019; Verheyen, Erfindung; Boltanski/Chiapello, Geist.

Das Zeitalter der Familie: Historische Deutungen des 19. und 20. Jahrhunderts

nicht zu. In der Rückschau zeigt sich sehr deutlich, dass die verschiedenen politischen Ideologien des 19. und 20. Jahrhunderts nicht in der Lage waren, die Ideologie der Familie wesentlich herauszufordern oder gar zu verdrängen. Im Gegenteil, gerade die Beispiele, in denen politische Regimes und Ideologen am radikalsten gegen die Ideologie der Familie und existierende Familientraditionen vorgingen, verdeutlichen, dass Maßnahmen gegen das Familienprinzip auf renitentes Verhalten in der Bevölkerung stießen. Familien widersetzten sich politischen Vorgaben und bedrohten dadurch auch die Autorität der jeweiligen Regierungen. Alle politischen Versuche im späten 19. und im 20. Jahrhundert, die Ideologie der Familie abzuschaffen oder zurückzudrängen, wurden im Laufe des letzten Jahrhunderts wieder zurückgenommen, die Bedeutung von Erbschaften für den Vermögenserwerb wurde in der Folge wieder akzeptiert. Die Familie zeigte sich in dem in vielem so extremen und an Zäsuren so reichen 20. Jahrhundert als ein Strukturprinzip von großer Beharrungskraft. Die Rückkehr beziehungsweise erneute Stärkung der Familie im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts erklärt sich nicht zuletzt auch aus dem in der Familie verankerten Solidaritäts- und Verbundenheitsgefühl. Dieses manifestierte sich materiell auch in Erbtransfers und bestätigte sich für die Mehrheit der Menschen über mehrere Generationen in den USA und in Europa immer wieder. Die Persistenz beziehungsweise erneute Stärkung der Familie kann auch als Ausdruck eines nachlassenden oder irritierten Vertrauens in andere Organisationen und Institutionen, die den gesellschaftlichen Zusammenhalt regulieren und steuern, interpretiert werden. Familie verlor weder im Erbrecht noch im Erbfall für Individuen und Gesellschaften an Bedeutung. Sie prägte von der späten Frühen Neuzeit bis ins 21. Jahrhundert zutiefst sowohl das politische und juristische Nachdenken über das Erbe als auch konkrete Nachlassplanungen und Erbverteilungen und damit Zugriffsmöglichkeiten auf Vermögen. Die Gesellschaften des 20. und 21. Jahrhunderts waren und sind keine reinen Leistungsgesellschaften und keine Gesellschaften der Singularitäten, sondern im Kern Erben- und Familiengesellschaften, in denen sich die Zugriffschancen auf Vermögen und die gesellschaftliche Stellung des Einzelnen stark aus seiner familialen Herkunft ableiten und in der das Familienprinzip Erbübertragungen bestimmt.4 Diese generelle Charakterisierung des Zeitalters der Familie sowie des Familienprinzips bedeutet nicht, dass Familienideologie und Familienhandeln seit 1800 unverändert geblieben wären. Das Gegenteil ist der Fall, und insbesondere im Bereich der Familienpolitik lassen sich deutliche Zäsuren ausmachen. Im Bereich der 4 Didier Eribon, Rückkehr nach Reims, Berlin, Frankfurt am Main 2016; Beckert, Erben. Die Bedeutung von familialer Herkunft und neuerdings auch Klasse wird seit einigen Jahren auch literarisch wieder stärker verhandelt: Christian Baron, Ein Mann seiner Klasse, Berlin 2021; Daniela Dröscher, Zeige deine Klasse. Die Geschichte meiner sozialen Herkunft, Hamburg 2018.

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Schluss – Das Zeitalter der Familie

Praktiken vollzogen sich die Wandlungsprozesse hingegen langsam und in langen Zyklen, die nicht mit politischen Zäsuren und häufig auch nicht mit einer bestimmten Generationenfolge kongruent gingen. Die bisherigen Ergebnisse gilt es daher für einzelne gesellschaftliche Bereiche und Akteursgruppen sowie verschiedene Zeiträume abzuschattieren und auszudifferenzieren.

Politische und rechtliche Rahmungen von Erbordnungen In den einzelnen Rechtsgebieten in den USA, im Alten Reich und im Zarenreich herrschte um 1800 eine hohe Rechtspluralität. Zudem hatten sich in ihnen noch keine Institutionen etabliert, die flächendeckend für die Bearbeitung, Dokumentation und Beglaubigung aller Erbübertragungen zuständig waren. Diese kleinteiligen und ständisch geprägten Erbordnungen der Frühen Neuzeit wandelten sich im Laufe des langen 19. Jahrhunderts zu bürgerlichen Erbordnungen. Die bürgerliche Gesellschaft profilierte sich auch gegen die Erbprivilegien des Adels. Angestoßen durch die Ausbildung der neuen Mittelschichten und später der Arbeiterschaft, den Ausbau der Nationalstaaten, die Industrialisierung sowie die Professionalisierung und Verwissenschaftlichung der Rechtsberufe kam es in allen drei politischen Gebilden zu Bestrebungen, bürgerliche Gesetzbücher zu kodifizieren und ein einheitliches Erbrecht auszuarbeiten, das auf alle Hinterlassenschaften der zunächst männlich gedachten Bürger eines Staates anwendbar sein sollte. In dem Maße, in dem sich der Geltungsbereich des Erbrechts ausdehnte, es auf mehr Besitzformen anwendbar wurde sowie für mehr Personen galt, erschien es den Zeitgenossen zunehmend als ein geeignetes, wenn nicht sogar das geeignetste Instrument der Gesellschaftsgestaltung. Über das Erbrecht, so eine im 19. Jahrhundert unter Juristen, Ökonomen und Politikern entstehende und später weit verbreitete Überzeugung, würden sich Besitzverhältnisse in der Gesellschaft verändern lassen, könnten Familien- und Verwandtschaftsverhältnisse sowie Generationenbeziehungen austariert und ganz allgemein die Verhältnisse zwischen Staat, Familie und Individuum neu gestaltet werden. In allen drei Ländern begannen daraufhin Diskussionen über die Ausgestaltung des Erbrechts, in denen sich spezifische konservative, liberale und sozialdemokratisch-sozialistische Positionen herauskristallisierten und einander gegenüberstanden. Konservative verlangten rechtliche Grundlagen für eine verlässliche Nachlassplanung und eine staatlich möglichst geschützte Eigentumsordnung. Liberale forderten eine leistungsorientierte Infragestellung von (adeligen) Erbprivilegien im Sinne einer Freisetzung von innovativen Kräften. Und Sozialisten strebten eine noch grundsätzlichere Infragestellung von Erbrechten an sowie eine staatlich organisierte Umverteilung, zumindest der größeren Erbvermögen im Sinne von mehr Verteilungsgerechtigkeit. Die zentrale Rolle der Familie als Transfergemeinschaft blieb dabei fast überall

Politische und rechtliche Rahmungen von Erbordnungen

erstaunlich unangetastet. Die um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert auszumachenden gravierenden Vermögensunterschiede beruhten nach wie vor auch auf Erbpraktiken, wobei sich vormalige Adelsprivilegien in bürgerliche „Erbhöfe“ des Besitzes transformiert hatten. Auf diese Situation reagierten die Regierungen der Vereinigten Staaten, Deutschlands und der Sowjetunion zwischen dem Ersten Weltkrieg und den 1960er Jahren mit tiefgehenden Eingriffen in die Erbordnungen. Die verschiedenen staatlichen Interventionen, die am radikalsten in der Sowjetunion ausfielen, zielten in allen drei Ländern auf den Abbau von Vermögensungleichheiten, die Umverteilung von Privatvermögen und auf die Stärkung des Leistungsprinzips ab. Darüber hinaus verbanden sich diese revolutionären und reformerischen Maßnahmen mit anderen gesellschaftlichen Projekten, indem sie den Angehörigen bestimmter sozialer Gruppen – etwa dem Adel in Deutschland und ebendiesem sowie dem Klerus in der Sowjetunion – ihre Erbprivilegien entzogen, neue Diskriminierungen für soziale Gruppen (z. B. Afroamerikaner in den USA, Juden im nationalsozialistischen Deutschland) einführten und anderen Gruppen (z. B. den männlichen Hoferben im Nationalsozialismus) neue Erbprivilegien einräumten. Damit setzte sich in der Zwischenkriegszeit der Abbau von älteren, aus der Frühen Neuzeit stammenden Privilegierungen im Erbrecht fort. Zugleich schrieben die Regierungen neue, vermeintlich wissenschaftlich legitimierte Diskriminierungen und Privilegierungen in die Gesetze ein. Schließlich zielten die Veränderungen der Erbgesetzgebung in allen drei Ländern nicht nur darauf ab, die eigene Gesellschaft im Kampf der Systeme zu wappnen; sie waren auch nach außen ausgerichtet. Der Zugriff auf das Eigentum von als „Feinden“ definierten Personen galt in der Hochphase des „Zeitalters der Extreme“ als Ausdruck der eigenen staatlichen Macht und als Ausweis internationaler Durchsetzungsfähigkeit. Mit dem Ersten Weltkrieg begann im transatlantischen Raum eine bis in die 1960er Jahre andauernde Phase, in der die Regierungen aller drei Staaten transnationale Erbschaften an „feindliche Ausländer“ oder von Staatenlosen beschlagnahmten oder – wenn ihnen dies nicht gelang – den Erbübertrag zumindest störten und erschwerten. Zu unterschiedlichen Zeitpunkten zwischen der Zwischenkriegszeit und den 1970er Jahren nahmen die Regierungen im transatlantischen Raum ihre Maßnahmen zur Umverteilung von Erbvermögen aus dem privaten Bereich an Kommunen und den Staat wieder ganz oder weitgehend zurück, während sie zugleich das Familienprinzip wieder stärkten und Privateigentum schützten. Die Ursachen und Akteurskonstellationen, die zu dieser Rückkehr der Familie im Erbrecht führten, waren je nach Land verschieden: In den Vereinigten Staaten kritisierten neoliberale und libertäre Vordenker den in Privatangelegenheiten eingreifenden Staat, während konservative und evangelikale Bewegungen und Politiker im Sozialstaat einen Faktor für den Zerfall der Kernfamilie sahen. Beide Strömungen arbeiteten auf die Zurückdrängung des

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Schluss – Das Zeitalter der Familie

(Sozial-)Staates hin und fanden in den 1970er Jahren in der Republikanischen Partei zusammen. Daraufhin kam es unter den Präsidenten Nixon und Reagan sowohl zum Umbau des Sozialstaates, der Privateigentum zwar noch schützen, aber nicht mehr umverteilen sollte, als auch zur schrittweisen Senkung beziehungsweise Abschaffung der verschiedenen Nachlass- und Erbschaftssteuern. Neben den Staat traten wieder verstärkt der Markt und die Familie als Organisationseinheiten von Gesellschaft und als soziale Absicherung des Einzelnen. Demgegenüber stellten die Bolschewiki in der Sowjetunion kurz nach ihrer Machtübernahme fest, dass sie zumindest kurzfristig nicht in der Lage waren, ihre Versprechungen von einem Leben ohne materielle Not in der aufzubauenden sozialistischen Gesellschaft einzulösen. In diesem Zusammenhang erlaubten sie erneut Erbübertragungen, die sie als Fürsorgeleistungen klassifizierten. Doch auch nachdem der Gesellschaftsumbau unter Stalin Mitte der 1930er Jahre offiziell abgeschlossen war, blieben Erbtransfers erlaubt. Diesmal legitimierte die Führung sie, weil sie dadurch besonders vorbildliche Arbeiter auszeichnen und diese durch materielle Entlohnungen, die auch vererbt werden durften, motivieren sowie die sozialistische Familie stärken wollte. Der Zweite Weltkrieg löste einen weiteren Impuls zur Reform der Erbordnung aus. Angesichts der Millionen von Toten und der verheerenden Kriegsschäden sollte das Bewusstsein für das Recht auf Eigentum belebt werden. Die sowjetische Führung beauftragte erstmals staatliche Organe mit dem Einsammeln und der Übertragung von Erbschaften, um die Moral der Bevölkerung zu heben und um ihren Rückhalt in der Gesellschaft nicht zu verlieren. Das Zulassen von Erbtransfers in der Familie sollte die Akzeptanz der Regierung in der Bevölkerung erhöhen. Die Rücknahme des Erbverbots und die Legalisierung von Erbübertragungen erfolgte in der Sowjetunion somit nicht, weil der Staat übermächtig agierte, sondern genau umgekehrt, weil der Staat bei der Durchführung seiner Aufgaben (soziale Fürsorge, Leistungsanreize im Arbeitsleben) überfordert war. Die Sowjetführung gewährte Familien und Individuen zusätzliche Handlungsspielräume aus einer Position der Schwäche heraus. Insofern könnte man davon sprechen, dass durch die Übernahme von staatlichen Aufgaben durch Familien eine (freilich begrenzte) Liberalisierung der sowjetischen Gesellschaft in Gang gesetzt wurde. Auf jeden Fall kam es durch diesen Übertrag zu einer widersprüchlichen Koexistenz von familial-privatwirtschaftlichen und realsozialistischen Strukturen und Normen, die in Kombination zur Stabilität der Sowjetunion beitrugen.5 In Deutschland hatte bereits in der Weimarer Republik eine Koalition aus Zentrum, konservativen und wirtschaftsnahen Parteien die Senkung der Erbschaftssteu-

5 Dieser Befund schließt an neuere Studien an, die nicht mehr danach fragen, warum die sozialistischen Staaten des östlichen Europas zusammengebrochen sind, sondern warum sie so lange existierten und wie sie sich stabilisierten. Port, Stabilität.

(Überforderte) Nachlassinstitutionen

ern und die Rücknahme der Nachlasssteuern durchgesetzt. Dabei hatte sie sowohl mit dem Schutz der Familie und des Familienvermögens als auch mit der Gefahr, die von hohen Steuern für (Familien-)Unternehmen ausgingen, argumentiert und sich in den politisch instabilen Jahren der frühen Weimarer Republik durchgesetzt. Anders als in der Sowjetunion und in den USA war es daher in Deutschland nur für wenige Jahre zu einer hohen Besteuerung von Erbschaften gekommen, ehe diese wieder auf ein vergleichsweise niedriges Niveau zurückgesetzt wurde. Erst in den 1970er Jahren stieg die Besteuerung von Erbschaften entgegen dem internationalen Trend wieder leicht an, um in den 1990er Jahren im Einklang mit internationalen Entwicklungen und zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes Deutschland wieder gesenkt zu werden. Auf internationaler Ebene beendeten alle drei Länder mit der Westbindung der Bundesrepublik und der Entspannungspolitik im Kalten Krieg ihre Blockaden von Erbtransfers ins „feindliche“ Ausland, während sie in bi- und multilateralen Abkommen rechtliche Grundlagen für einen möglichst ungehinderten transnationalen Erbtransfer legten. Am weitesten ging die Rechtsharmonisierung in der sich entwickelnden Europäischen Union, doch auch die USA, die Sowjetunion und andere europäische und außereuropäische Staaten schlossen bi- und multilaterale Abkommen, um transnationale Nachlassplanungen zu erleichtern. Zugleich setzten sowohl in den USA und der Bundesrepublik als auch in der Sowjetunion beziehungsweise ab 1991 in der Ukraine transnational verflochtene Prozesse ein, die zur Senkung von Erbschaftssteuern führten. In deren Verlauf wurden die von großen Erbschaften hervorgerufenen Vermögensungleichheiten zunehmend akzeptiert oder zumindest nicht mehr skandalisiert. Es entstanden angepasste und modifizierte Rechtslagen und Institutionen, die seitdem die Rechtsgrundlage für Erbtransfers in diesen Ländern und auf internationaler Ebene darstellen und den weitgehend reibungslosen Transfer von Erbschaften in der Familie anstreben.

(Überforderte) Nachlassinstitutionen Durchgängig nahm die Studie die mit Erbvorgängen befassten Nachlassinstitutionen in den Blick und zoomte an die regionalen Beispiele Baltimore, Frankfurt am Main und Odessa heran. In diesen Städten hatte der Staat dauerhaft über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg nur begrenzte Einblicke in konkrete Erbprozesse. Der Großteil aller Erbschaften wurde in den drei Städten seit dem späten 19. Jahrhundert nicht unter Einbezug staatlicher Institutionen, sondern informell übertragen. Am genauesten ließ sich das Verhältnis von gerichtlich erfassten und informellen Erbtransfers für Baltimore bestimmen. Dort bearbeitete der für Erbangelegenheiten zuständige Orphans’ Court im späten 19. Jahrhundert weniger als zehn Prozent aller anfallenden Erbschaften. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts

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stieg dieser Anteil langsam an. Zwischen den 1940er und 1970er Jahren erfasste das Nachlassgericht knapp die Hälfte aller anfallenden Erbschaften. Anschließend sank er bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts wieder auf ungefähr ein Drittel. Für Frankfurt und Odessa war eine derart genaue Bestimmung des Verhältnisses von Todesfällen zu offiziell registrierten Erbfällen auf den Gerichten nicht möglich. Alle Indizien sprechen jedoch dafür, dass der Staat in Frankfurt ebenfalls nur einen kleinen und in Odessa einen sehr kleinen Teil aller Erbübertragungen erfasste. Damit blieb der Staat in allen drei Städten von deutlich mehr als der Hälfte aller Erbübertragungen ausgeschlossen. Darüber hinaus erfassten staatliche Institutionen selbst bei registrierten und dokumentierten Erbfällen häufig nicht das gesamte transferierte Nachlassvermögen. Zwar nahm im 19. und 20. Jahrhundert die (rechtliche) Vielfalt an unterschiedlichen Hinterlassenschaften ab, und es bildete sich die Vorstellung einer abstrakten Erbschaft heraus. Allerdings fielen in keiner der untersuchten Gesellschaften jemals alle Hinterlassenschaften, Eigentumsrechte und Vermögensansprüche eines Erblassers unter den jeweiligen Erbebegriff. Zum Teil existierten ältere Vermögensformen und Rechte an hinterlassenem Eigentum weiter, und noch häufiger entstanden „neue“ Eigentumsformen, zum Beispiel Aktien, gemeinsame Bankkonten, Rentenansprüche, Copyright-Rechte, Trust- und Stiftungsvermögen, deren Übertrag nicht durch das Erbrecht geregelt war oder die entsprechend den geltenden Erbrechten nicht dem Amtsgericht gemeldet werden mussten, wodurch sich für Familien und Erben die Möglichkeit eröffnete, einen Teil des Nachlasses ohne Einbezug der Gerichte zu übertragen. Der Ausbau des modernen Verwaltungsstaates führte vor diesem Hintergrund zwar temporär zur stärkeren Einbindung des Staates in Erbangelegenheiten, rasch allerdings auch zur Überforderung der für Erbangelegenheiten zuständigen Instanzen und ihres Personals. Die Mitarbeiter der Gerichte mussten plötzlich nicht nur deutlich mehr Erbfälle bearbeiten, sondern auch zusätzliche Aufgaben erfüllen. In Maryland bedeutete dies beispielsweise, dass sie auch für die Erhebung der Nachlasssteuer zuständig waren. Darüber hinaus wurden Erbübertragungen juristisch immer facettenreicher, Kriegsfolgen, Restitutionsforderungen sowie Migrationen warfen neue Problemfelder auf, und auch die Klienten der Gerichte änderten sich: Während 1900 überwiegend wohlhabende – und in Baltimore nahezu ausschließlich Weiße – Familien die Gerichte aufsuchten, bearbeiteten sie in der zweiten Jahrhunderthälfte zunehmend häufiger Nachlässe aus der Mittelschicht und von Armen, womit sich Amtsgerichte vermehrt um die Abwicklung von überschuldeten Erbschaften kümmern mussten. Auf die Zunahme der Erbfälle und die neuen Aufgaben waren die Gerichte weder personell noch fachlich vorbereitet. Auf die daraus resultierende Überlastung der Gerichte reagierten die Behörden in allen drei Ländern mit ähnlichen Strategien: Sie erleichterten den Vermögensübertrag von bestimmten Nachlassbestandteilen

„Hidden“ und „Public“ Helpers – Private Dienstleister

ohne Einbezug der Gerichte, womit sich der Staat freiwillig aus den Privatangelegenheiten von Familien zurückzog. Sie reformierten und standardisierten die Nachlassbearbeitung, sie verbesserten die Ausbildung der Amtsgerichtsmitarbeiter, sie schufen Forschungsinstitute für Fragen des Internationalen Privatrechts und sie intensivierten die Zusammenarbeit mit privaten Dienstleistern. In allen drei Staaten und auf internationaler Ebene entstanden in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Abkommen, Strukturen und Gerichte, die in weitgehend standardisierten Verfahren darauf ausgerichtet waren, einen möglichst reibungslosen Transfer von Erbe in der Familie zu gewährleisten. Durch die Sichtbarmachung derartiger Aspekte konnte die Studie in eine Blindstelle aktueller politischer Erbrechts- und Gerechtigkeitsdebatten vorstoßen. Während im öffentlichen Diskurs die Frage thematisiert wird, ob die Erhöhung der Erbschaftssteuer ein geeignetes Mittel der Vermögensumverteilung darstellt, wird weniger darüber gesprochen, ob die vorhandenen staatlichen Institutionen überhaupt in der Lage sind, entsprechende Maßnahmen effektiv durchzusetzen. Darüber hinaus verweisen die in diesem Teil augenfällig gewordenen (Wissens-)Grenzen des Staates im 20. und 21. Jahrhundert auf Kontinuitäten bei Erbübertragungen, die von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart reichen.6 Für frühere Jahrhunderte haben Studien schon mehrfach vielfältige Übertragungsweisen von Erbe jenseits (vor-)staatlicher Institutionen innerhalb von religiösen und vor allem familialen Netzwerken herausgearbeitet.7 Diese informellen Übertragungen nahmen im 20. Jahrhundert zwar ab, sie blieben aber die Regel. Aus diesem Grund erscheint es sinnvoll, in zukünftigen Studien den Nachlassübertrag über das Amtsgericht als „Normalfall“ weiter zu hinterfragen und stärker als eine von mehreren Möglichkeiten des Erbtransfers zu konzeptualisieren. Nicht zuletzt ließe sich dadurch eine zu dichotomische Gegenüberstellung von vormodernen und modernen Erbpraktiken und Institutionen vermeiden, und es könnten gezielt langfristige Kontinuitäten und Wandlungsprozessen in den Erbordnungen von der Frühen Neuzeit bis ins 21. Jahrhundert herausgearbeitet werden.

„Hidden“ und „Public“ Helpers – Private Dienstleister Neben Nachlassgerichten wirkten auch staatliche und private Experten und Dienstleister auf Erbtransfers ein. Deren Entstehung, der Wandel ihres Serviceangebo6 Jörg Ganzenmüller/Tatjana Tönsmeyer, Vom Vorrücken des Staates in die Fläche. Ein europäisches Phänomen des langen 19. Jahrhunderts, Weimar 2016; Scott, Seeing. Zum Verhältnis von Rechtsgeschichte und Wissen vgl. Duve, Rechtsgeschichte. 7 Lanzinger, Vererbung.

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tes sowie der Ausbau von Beraternetzwerken wurde für das späte 19. und das 20. Jahrhundert erst in Ansätzen und dort vornehmlich im Kontext der Reichtumsforschung untersucht.8 Dadurch gerieten vermehrt Personen in den Fokus der Forschung, die als Berater mit juristischer oder ökonomischer Expertise und zum Teil entsprechenden politischen Kontakten Reiche dabei unterstützten, ihr Vermögen in der Familie zu bewahren. Unter anderem boten sie Dienstleistungen an, mit denen Vermögen für den Fiskus (un-)sichtbar gemacht werden konnten, die Reichen halfen, ihren Besitz über rechtliche und staatliche Grenzen zu transferieren, oder die auf Steuerminimierung abzielten. Nicht zuletzt waren solche Berater bei Wohlhabenden und Reichen als Testamentsvollstrecker oder Treuhänder in deren Nachlassplanung, Erbübertragung und Nachlasssicherung involviert. Diese Gruppe von Beratern agierte diskret im Hintergrund. Es waren ausschließlich Männer, meist mit einer hervorragenden Ausbildung, die häufig enge persönliche Kontakte zu ihren vermögenden Klienten hatten, denen sie – zumeist über einen längeren Zeitraum – exklusive und individuell zugeschnittene komplexe Leistungen anboten. Für diese Berater hat sich in der historischen Erbeforschung inzwischen der Begriff der „Hidden Helpers“9 etabliert. An diese Forschungen zu Rechtsexperten und Vermögensberatern schloss die vorliegende Studie an und brachte zwei neue Aspekte zum Vorschein: Erstens wies sie erstmals nach, dass es juristische Beratungsangebote und staatliche „Dienstleistungsangebote“ für Besitzende und Erben auch in den sozialistischen Staaten des Ostblocks gab. Bereits im Jahr 1922 richtete die Sowjetunion mit dem Kreditbüro ein Anwaltskollegium ein, das sich auf internationale Vermögensfragen und Erbtransfers spezialisierte. Dessen Nachfolger, die im Jahr 1937 gegründete Anwaltsvereinigung Injurkollegija, baute dann ein weltweites Netzwerk an Archiven, Rechtsanwälten und Kanzleien auf, um die Eigentumsrechte sowjetischer Bürger im Ausland zu vertreten. Die DDR und die Tschechoslowakei etablierten in den 1960er Jahren nach sowjetischem Vorbild ihre eigenen Anwaltskollegien. In Ostberlin, Prag und Moskau bildeten die jeweiligen Regierungen seitdem sozialistische Kapitalismusexperten aus, die darauf spezialisierten waren, in den westlichen Ländern Gerichtsprozesse um Erbschaften der eigenen Bürger zu führen. In den 1970er und 1980er Jahren erschienen darüber hinaus in der Sowjetunion in den landesweiten Tageszeitungen Berichte, Kolumnen und Leserbriefe, in denen Fragen zur Testamentserrichtung und zum Erbrecht besprochen und Hinweise zur Nachlassplanung gegeben wurden. In der späten Sowjetunion konnten Bürger aus verschiedenen Informationsquellen und von verschiedenen Rechtsexperten

8 Pistor, Code; Ogle, Archipelago; Derix, Thyssens. 9 Derix, Helpers.

„Hidden“ und „Public“ Helpers – Private Dienstleister

Ratschläge und Unterstützung in (transnationalen) Nachlassangelegenheiten erhalten. Im Gegenzug erhielt der Staat dadurch Einblicke in private Vermögens- und Verwandtschaftsverhältnisse. Zweitens zeigte sich, dass das bereits bekannte Akteursspektrum der verschiedenen Dienstleister in den USA und Deutschland größer war, als bislang angenommen: Neben den bereits erwähnten „Hidden Helpers“ rückten vor allem Akteure ins Blickfeld, die öffentlich für ihr Serviceangebot warben. Hierzu zählten beispielsweise Privatbanken und professionelle Erbenermittler, Rechtsanwälte und Kanzleien, die Autoren von Erbratgebern sowie Universitäten. Diese Gruppe an Dienstleistern lässt sich in Anlehnung und in Abgrenzung zu den „Hidden Helpers“ als „Public Helpers“ verstehen. Die Grenzen zwischen beiden Gruppen können im Einzelfall verschwimmen. Charakteristisch für „Public Helpers“ war, dass sie öffentlich sichtbar agierten. Sie warben in Zeitschriften- und Zeitungsanzeigen für ihr Beratungsangebot oder verbreiteten ihre Ratschläge in öffentlichen Vorträgen und publizierten Ratgebern. Mit diesen Formaten und ihrem Serviceangebot sprachen sie allerdings nicht primär die kleine Gruppe sehr reicher Personen als Klienten an, sondern die entstehende wohlhabende Mittelschicht. Deren Mitgliedern boten sie nur wenig auf deren individuelle Familien- und Vermögenssituation zugeschnittene, sondern standardisierte und allgemein gehaltene Ratschläge zum Erbübertrag an. Zeitlich lässt sich die Entstehung der „Public Helpers“ grob in drei Phasen einteilen, die in etwa mit Konjunkturen in anderen Feldern der Beratung übereinstimmen.10 In der ersten, von ca. 1860 bis zum Ersten Weltkrieg reichenden Phase kam es zwar schon zu einer Professionalisierung der Rechtsanwaltschaft, zur Publikation von Rechtsratgebern, zur Durchführung von transnationalen Erbtransfers durch (Auswanderer-)Banken und zur Bearbeitung von transnationalen Erbtransfers in staatlichen Ministerien. Die durchweg männlichen Berater waren aber überwiegend Generalisten, die sich allgemein mit Rechtsfragen oder transnationalen Finanztransfers befassten. Erst in der zweiten Phase zwischen dem Ersten Weltkrieg und den 1950er Jahren entstanden im Kontext von Wirtschaftskrisen, der Einführung und Erhöhung von Erbschaftssteuern und politischen Systemwechseln auf Erbrechtsfragen und Erbtransfers spezialisierte Ratgeber und Dienstleister. In der dritten Phase ab den 1960er Jahren in den USA und zeitlich etwas verzögert ab den 1980er Jahren in der Bundesrepublik setzte eine enorme Popularisierung der Erbratgeber ein. Zudem expandierten ältere auf Erbangelegenheiten spezialisierte Dienstleister und es gründeten sich zahlreiche neue. Sie reagierten damit auf ein gestiegenes Bedürfnis an Beratungsangeboten in der Mittelschicht, die im Laufe des

10 Kleiner/Suter, Guter Rat; Greiner, Wissen; Maasen/Elberfeld/Eitler/Tändler (Hrsg.), Selbst.

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20. Jahrhunderts die Bedeutung von rechtlichem Wissen für den Vermögenserhalt in der Familie erkannte und lernte, dieses nachzufragen. Schließlich ist hervorzuheben: Weder vom Verkaufserfolg von Erbratgebern noch von der Expansion des Dienstleistungssektors kann darauf geschlossen werden, dass sich das öffentlich angebotene Wissen direkt in Erbpraktiken niederschlug. Der Abgleich diverser Ratschläge von populären Erbratgebern mit konkreten Erbpraktiken verweist vielmehr auf komplexere Zusammenhänge zwischen Beratung und Praxis. Einerseits orientierten sich Eigentümer an den Hinweisen von Erbratgebern und übernahmen deren Formvorlagen teilweise sogar eins zu eins in ihre Nachlassplanung. Das war aber vor allen dann der Fall, wenn die von den Ratgebern angebotenen Ratschläge zu ohnehin in der Gesellschaft bestehenden Erbtraditionen und Wertvorstellungen passten. Klienten griffen in diesen Fällen nicht auf Ratgeber zurück, um neues Wissen zu erlangen, sondern um sich bei Experten rückzuversichern, das moralisch und auch gesellschaftlich für richtig Befundene zu tun. Ratgeber in West und Ost aktualisierten, bestätigten und bestärkten in dieser Hinsicht mit ihren Angeboten, öffentlichen Werbeanzeigen sowie Ratschlägen gesellschaftliche Erwartungen und Normen. Das zeigt sich nicht zuletzt daran, dass alle Ratgeber die Vermögensweitergabe in der Familie als Ziel der Nachlassplanung ausgaben. Andererseits griffen Erblasser Ratschläge insbesondere dann nicht mehr auf, wenn sie entweder in der Umsetzung teuer, komplex und zeitaufwendig waren oder wenn sie gesellschaftlichen Normen und Werten zu sehr widersprachen. Beide Effekte zeigen sich etwa in der Rezeption von Norman F. Daceys Ratgeber „How to avoid probate“, in dem er die Errichtung von Trusts und die Umgehung des Probate-Verfahrens empfahl. Die Mittelschicht in Baltimore tat jedoch weder das eine noch das andere. Insofern lässt sich für Daceys Buch paradigmatisch festhalten, was auch für zahlreiche andere Erbratgeber gilt: Es hat sich zwar vielfach verkauft, seine Auswirkungen auf konkrete Erbpraktiken blieben aber mutmaßlich gering. Neues oder popularisiertes Wissen führte nicht automatisch zu neuen Handlungen: Um handlungswirksam zu werden, muss Wissen praktikabel sein sowie sich mit gesellschaftlichen Normen, Werten und Gesellschaftsdeutungen verzahnen und auch aus diesen heraus sinnhaft erscheinen.11

11 Zu ähnlichen Befunden am Beispiel anderer Ratgeberliteratur kommen die Beiträge in Kleiner/Suter, Guter Rat.

Erblasser und Erben: Zum Wandel von Familie und Familienvorstellungen

Erblasser und Erben: Zum Wandel von Familie und Familienvorstellungen In Baltimore, Frankfurt und Odessa plante die Mehrheit aller Eigentümer über den gesamten Untersuchungszeitraum hinweg, ihr Vermögen an meist enge Familienmitglieder zu vererben; und tatsächlich führten die meisten Erbfälle zu einem Vermögenstransfer in der Familie. Die Weitergabe von Erbe in der Familie stellte in allen drei Städten vom 19. bis ins 21. Jahrhundert über alle politischen Zäsuren und Systemwechsel hinweg eine in der Bevölkerung breit akzeptierte und nicht in Frage gestellte Praxis und gesellschaftliche Norm dar, welche die Erfahrungen und Erwartungen von Familien strukturierte. Die Zugriffsmöglichkeiten des Einzelnen auf Vermögen sowie dessen gesellschaftliche Stellung blieben dadurch durchgehend in substanziellem Umfang von seiner familialen Herkunft abhängig. Zugleich veränderten sich seit dem 19. Jahrhundert sowohl die realen Familienformen als auch die kulturellen Wahrnehmungen von Familie. Dieser doppelte Wandel des Konzepts Familie wirkte wiederum auf Nachlassplanungen und Erbübertragungen zurück. In erster Linie veränderte sich der Kreis der Personen, die zur Familie gezählt wurden, und zugleich die Hierarchie der erbwürdigen und erbberechtigten Familienmitglieder. Dies führte bei Testatoren sowohl zu einer Verengung als auch zu einer Öffnung des Kreises der eingesetzten Erben. Am deutlichsten ist die Verengung: Zunehmend häufiger setzten sich Ehepartner gegenseitig zu Alleinerben ein, was langfristig zu einem Wandel von der Generationen- zur Partnersolidarität führte und wodurch insbesondere Witwen im Alter finanziell besser abgesichert waren. Schwächer ausgeprägt und dennoch deutlich als Wandlungsprozess zu erkennen ist die Erweiterung des Erbenkreises. Transnationale Erbfälle zeigen durchgehend auch Familienmitglieder jenseits der Eltern-KindBeziehung (nämlich Geschwister, Tanten, Onkel, Nichten und Neffen) als handelnde Akteure und Erben, die in familiengeschichtlichen Studien häufig außen vor gelassen werden.12 Darüber hinaus bedachten Testatoren im Übergang vom 19. ins 20. Jahrhundert vereinzelt weiter entfernte Verwandte, Stiefkinder und außereheliche Kinder. Insbesondere kinderlose Erblasser vererbten ihren Besitz zudem im Laufe des 20. Jahrhunderts an gleichgeschlechtliche Partner sowie an Nachbarn und Freunde als neu auftretende Erben. Dies deutet darauf hin, dass bei einem kleinen Teil der Testatoren freundschaftliche Beziehungen im Vergleich zu verwandtschaftlichen an Bedeutung gewannen. Schließlich nahmen die Testamente zu, in denen Erblasser ihr Vermögen oder einen Teil davon ihren Haustieren oder Personen und Institutionen vermachten, die nach ihrem Tod für ihre Haustiere sorgen sollten. In dieser Entwicklung zeigen sich veränderte Mensch-Tier-Beziehungen

12 Für Ausnahmen vgl. Leonore Davidoff, Thicker than Water. Siblings and their Relations, 1780–1920, Oxford, New York 2012; Lanzinger/Saurer (Hrsg.), Politiken.

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und die sowohl emotionale als auch materielle Aufwertung dieser Beziehungen durch einzelne Testatoren. Die Verengung und Erweiterung der testamentarisch bedachten Erben verdeutlicht damit sowohl die Dominanz der Kernfamilie als Ideal und gelebte Norm im 20. Jahrhundert als auch die parallel dazu ablaufende Pluralisierung von Familienvorstellungen und Familienhandeln. Erbe wurde zwar durchgängig zum allergrößten Teil und in den meisten aller Erbfälle in der Familie übertragen, die Zugehörigkeiten zur Familie unterlagen aber ständigen Aushandlungsprozessen.

Erben, intersektionale Ungleichheiten und Vermögen Die konkrete Ausgestaltung des Familienprinzips und die Praktiken des Erbübertrags unterschieden sich je nach Größe des Vermögens der jeweiligen Erblasser. Das Vermögen sehr reicher Personen und Familien setzte sich anders zusammen als das der Mittelschicht, und sie nutzten mit Stiftungen und Trusts sowie transnationalen Nachlassplanungen andere Übergabestrategien als die Mittelschicht. Vor allem in armen Familien kam es zudem immer wieder vor, dass Erben überschuldete Nachlässe ausschlugen. Die Erben von armen Erblassern konnten kein wertvolles Erbe erwarten, sondern mussten ihr eigenes Vermögen durch Erbausschlagungen vor dem Zugriff von Gläubigern schützen. Die Erfahrungsräume und Erwartungshorizonte in Erbangelegenheiten unterschieden sich daher stark in den einzelnen Gesellschaftsgruppen. Die Persistenz des Familienprinzips und die Weitergabe von Nachlassvermögen war vor allem ein Phänomen in reichen Familien und in der Mittelklasse und weniger eines in ärmeren Bevölkerungsschichten. Zugleich verweist die große Anzahl an kleinen und überschuldeten Erbschaften in Baltimore und Frankfurt darauf, dass Erbordnungen und Erbpraktiken nicht nur ein Thema der Reichtums-, sondern mindestens ebenso sehr eines der Armutsgeschichte sind. Sehr viel häufiger als mit Millionenerbschaften sahen sich Erben in beiden Städten mit den Schulden eines Verstorbenen und dessen Gläubigern konfrontiert. Sowohl in der öffentlichen Debatte als auch in der zeitgeschichtlichen Forschung ist dieser Aspekt des Erbenthemas aber kaum präsent. Während regelmäßig neue Zahlen zum Wert des jährlich in der Bundesrepublik vererbten Vermögens zirkulieren und Erben zu ihrem Umgang mit Reichtum befragt werden, gibt es nahezu kein Wissen und keine Statistiken zu vererbten Schulden; ebenso selten finden sich Erfahrungsberichte von denjenigen, die vor der Wahl standen, eine überschuldete Erbschaft anzunehmen oder auszuschlagen. Im Einklang mit neueren Studien zur economy of regard und moral economy widersprechen die vorgelegten Befunde zudem älteren Annahmen, die Moralökonomie der Frühen Neuzeit sei in den folgenden Jahrhunderten von einer zweckra-

Erben, intersektionale Ungleichheiten und Vermögen

tionalen Marktwirtschaft abgelöst worden.13 Stattdessen wurde herausgearbeitet, dass Wert- und Moralvorstellungen weiterhin auf Nachlassplanungen und Erbverteilungen einwirkten, wobei sie sich allerdings wandelten. Testatoren belohnten ein moralisch „richtiges“ beziehungsweise bestraften „falsches“ Verhalten von Erben. Das aus Sicht der Erblasser moralisch und normativ „richtige“ Verhalten von Erben konnte sich für diese materiell auszahlen. Erbprozesse machten damit Eigentumshandeln jenseits eines engen betriebswirtschaftlichen Ökonomiemodells sichtbar und gewährten Einblick in die Grundlagen und Funktionsweisen der moral economy sowie der Geschlechterbeziehungen ihrer Zeit. In Baltimore zeigte sich zudem besonders deutlich, dass auch die ethnische Kategorisierung einer Person deren Erbübertragungen maßgeblich beeinflusste. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts dokumentierte das dortige Nachlassgericht nahezu ausschließlich Erbübertragungen von Weißen, deren Eigentumstitel es offiziell beglaubigte. Schwarze übertrugen ihr Erbe hingegen weitgehend ohne Einbezug des Gerichts, wodurch sie im Konfliktfall ihre Rechte an geerbtem Eigentum häufig nicht mit offiziellen Urkunden nachweisen konnten. Ihre Besitzansprüche waren dadurch leichter angreifbar als die von Weißen. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts waren es dann im vereinfachten Nachlassverfahren überwiegend Erbübertragungen von Schwarzen, die das Gericht bearbeitete und bei denen es überwachte, dass Ausstände beglichen und Gläubiger aus dem Nachlassvermögen bedient wurden. Weiße tauchten hingegen seltener in den Gerichtsakten auf, was darauf hindeutet, dass sie das Nachlassverfahren oft umgingen, Gebühren sparten und möglicherweise anfallende Steuern minimierten. Je nach Zeitraum interagierten somit unterschiedliche Gruppen mit dem Gericht, das wiederum für diese verschiedene Funktionen und Aufgaben erfüllte, entweder indem es Eigentumsrechte bestätigte und absicherte oder indem es Ausstände aus dem Nachlass beglich und überschuldete Nachlässe abwickelte.14 Durch die Analyse von Erbordnungen werden nicht nur innerfamiliale, ökonomische und ethnische Ungleichheiten sichtbar, sondern es zeigt sich ein ganzes Spektrum an Ungleichheitskategorien und deren intersektionales Zusammenwirken auf verschiedenen Ebenen: der staatlich-politischen, der kommunal-institutionellen sowie der familialen. Denn in den US-amerikanischen Bundesstaaten, in Deutschland sowie in Russland beziehungsweise der Ukraine beeinflussten vom späten 18. bis ins frühe 21. Jahrhundert zahlreiche Faktoren Erbtransfers, mit denen Staaten, Gesellschaften, Gerichte, Familien und Individuen andere Personen kategorisierten und

13 Finger/Möckel (Hrsg.), Ökonomie; Offer, Gift; Thompson, Economy. 14 Jan Logemann, Racial Capitalism: Race als Kategorie der jüngsten U.S. Sozial- und Wirtschaftsgeschichtsschreibung, in: H-Soz-Kult, 31.1.2022, https://www.hsozkult.de/review/id/reb-98486?title= racial-capitalism-race-als-kategorie-der-juengsten-u-s-sozial-und-wirtschaftsgeschichtsschreibung (letzter Zugriff 16.9.2022).

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unterschieden: der ökonomische Wert und die Materialität ihres Nachlasses, ihre gesellschaftliche Zugehörigkeit (class), ihr Geschlecht, Familienstand und der Grad ihrer Verwandtschaft mit dem Erblasser sowie ihr Alter, ihre Religion, ethnische Zugehörigkeit (race), Bildung, ihr Wohnort oder auch ihre Staatsangehörigkeit. Für die Verteilung von Erbe waren nicht alle diese Kategorien immer gleichermaßen bedeutend. Während einzelne Diskriminierungskategorien im Erbprozess sowohl im Recht als auch in der Praxis an Einfluss verloren (z. B. Religion und Geschlecht), sind mit dem Ausbau des modernen Staates auch neue hinzugekommen (z. B. Staatsangehörigkeit und Staatenlosigkeit). Der Einfluss anderer Kategorien wie „race / ethnische Zugehörigkeit“ unterlag wiederum Konjunkturen, und andere Kategorien blieben nahezu durchweg relevant (z. B. class/Klasse, aber auch Familienstand). Zugleich waren die Bevorzugungen beziehungsweise Benachteiligungen von Erblassern und Erben im Recht, auf den Amtsgerichten und im familialen Handeln meist nicht kongruent. Die auf Erbordnungen und Erbübertragungen einwirkenden Diskriminierungen konnten somit auf unterschiedlichen Ebenen einwirken, aus unterschiedlichen Zeiten stammen und sich gegenseitig abschwächen, neutralisieren oder verstärken. Dadurch kam es zu Variationen bei Erbverteilungen in der Familie, nicht aber zur Abkehr vom Familienprinzip. Die Norm und die Praxis der Vermögensweitergabe in der Familie hatten wiederum unmittelbare Folgen für gesellschaftliche Vermögensungleichheiten. Ökonomen und Soziologen haben für das 20. Jahrhundert ausgehend von einem nationalen Bezugsrahmen die generelle Bedeutung von Erbschaften als Zugang zu Vermögen und die Auswirkungen von Erbtransfers auf die Perpetuierung von gesellschaftlichen Vermögensunterschieden herausgearbeitet.15 Historiker nahmen hingegen im Kontext der Adels-, Bürgertums- und Reichtumsgeschichte häufiger einzelne Familien, soziale Gruppen oder Städte in den Blick, um aufzuzeigen, wie Erbtransfers zum Statuserhalt einzelner Schichten beitrugen.16 Daran anschließend konkretisierte und spezifizierte die Studie allgemeine Beschreibungen von gesellschaftlichen Vermögensverteilungen am Beispiel von zwei Städten. Für Baltimore und Frankfurt wurden in repräsentativen Stichproben über einen Zeitraum von 1880 bis 2001 insgesamt 2.311 Erbfälle ausgewertet. Durch die Analyse von Testamenten, Nachlassakten und privaten Korrespondenzen gerieten dabei Vermögensverteilungen und Eigentumshandeln jenseits des Marktes sowie eines engen und klassischen Ökonomiemodells in den Blick. Dabei zeigte sich, dass nationale und lokale Entwicklungen nicht immer kongruent gingen. Vermögensungleichheiten waren in beiden Städten meist deutlich ausgeprägter als im nationalen Rahmen, und sie veränderten sich aufgrund spezifischer Stadtentwicklungen zu

15 Piketty, Kapital und Ideologie; Szydlik/Schupp, Erbschaften. 16 Niederacher, Eigentum; Werner, Stiftungsstadt.

„Der reiche Onkel aus Amerika“: Transnationale Erbfälle

anderen Zeitpunkten, als es nationsweite Analysen nahelegen. Zugleich hat die Studie für beide Städte herausgearbeitet, dass Erbschaften für die wohlhabende und reiche Oberschicht durchgängig vom späten 19. bis ins 21. Jahrhundert einen wesentlichen Zugang zu Vermögen und auch im Vergleich zu anderen Einkommensarten (z. B. Lohnarbeit) einen wichtigen Faktor für die Perpetuierung von Vermögensungleichheiten darstellten. Die Wahrnehmung dieser Ungleichheiten und die politischen Reaktionen darauf fielen jedoch je nach Zeitraum und Land unterschiedlich aus.

„Der reiche Onkel aus Amerika“: Transnationale Erbfälle Im Zeitalter der Familie war das Familienprinzip nicht an den (National-)Staat gebunden, sondern transzendierte dessen Grenzen. Transnationale Erbtransfers stellten seit dem 19. Jahrhundert einen historischen Normalfall dar.17 Migrationsbewegungen, sich verändernde Grenzverläufe und die Zunahme binationaler Eheschließungen führten dazu, dass sich Erblasser, Erbe und Erben immer wieder in unterschiedlichen Staaten befanden. Gleichwohl sind transnationale Erbfälle bisher weder von der historischen Erbeforschung noch von der Internationalen Geschichte beachtet worden.18 Nahezu allen vorliegenden Studien zu historischen Erbordnungen liegt die Annahme zugrunde, dass sich Erblasser, Erbe und Erben am gleichen Ort oder zumindest in der gleichen Region befanden. Dementsprechend untersuchen sie hauptsächlich Erbtransfers innerhalb eines bestimmten Gerichtsbezirkes, eines einzelnen Rechtsraums und vereinzelt eines Nationalstaates. Für diese Räume schlüsseln sie sodann detailliert Vermögensverteilung, Erbpraktiken und Familienvorstellungen auf. Zugleich transportieren sie damit implizit die Vorstellung von immobilen und ethnisch homogenen Gesellschaften sowie abgeschlossenen Räumen bis hin zum „Container“ Nationalstaat. Denn mobile und häufig subalterne Gesellschaftsgruppen wie Migranten, Staatenlose oder auch ausländische Ehepartner werden in der Regel nicht thematisiert und damit unsichtbar gemacht. Auch die transnationalen Aktivitäten extrem reicher Unternehmerfamilien geraten bei lokal oder national fokussierenden Studien schnell aus dem Blick. Unter umgekehrter Perspektive haben sich Studien zur internationalen und transnationalen Geschichte sowie zur Globalgeschichte kaum mit den (nur auf den ersten Blick rein privaten) Erbschaftsangelegenheiten von transnationalen Familien befasst und so auch

17 Bade/Oltmer, Normalfall. 18 Für einzelne Ausnahmen in diese Richtung vgl. Derix, Thyssens; Schneider, Erbe; Gajek, Erben.

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die oben erwähnten internationalen Abkommen, Dienstleistungsstrukturen und Akteure nicht näher untersucht. Vor diesem Hintergrund unternahm die vorliegende Studie erstmals eine umfassende und empirisch belegte Verschränkung der historischen Erbeforschung mit der transnationalen und internationalen Geschichte. Dadurch führte sie erstens neue Akteure in beide Forschungsfelder ein. Sie konturierte Familien und private Dienstleister als wichtige Akteure der Internationalen Geschichte und das Auswärtige Amt, Botschaften und transnationale Dienstleister als Akteure der historischen Erbeforschung. Zweitens konnte derart ein facettenreicheres Bild von bereits bekannten „klassischen“ Akteuren der internationalen Politik, wie beispielsweise dem State Department, dem Auswärtigen Amt oder der Europäischen Gemeinschaft, sowie von bekannten Konflikten des 19. und 20. Jahrhunderts, wie dem Kalten Krieg, gezeichnet werden. Da bei transnationalen Erbfällen die Erbrechte mindestens zweier Staaten miteinander kollidierten, war die Regelung von transnationalen Erbfällen und die Durchsetzung des eigenen nationalen Rechts eng mit den nationalen und imperialen Projekten der untersuchten Länder verbunden. Seit dem 19. Jahrhundert unternahmen die USA und europäische Staaten zahlreiche Anläufe, um in bilateralen Verhandlungen, auf internationalen Konferenzen oder im Rahmen internationaler Organisationen rechtliche Grundlagen für Erbtransfers über Rechts- und Staatsgrenzen zu schaffen. Zugleich zeigte sich die Macht und Durchsetzungsfähigkeit eines Staates in der Wahrnehmung der Zeitgenossen auch in der Reichweite seiner Gesetze, das heißt in den Zugriffsmöglichkeiten auf seine Staatsangehörigen und deren Eigentum unabhängig von deren konkretem Aufenthaltsort. Bei der Durchführung transnationaler Erbtransfers prallten damit Globalisierungsprozesse des späten 19. Jahrhunderts und imperiale Interessenkonflikte sowie später die Systemkonflikte des 20. Jahrhunderts direkt aufeinander. Durch die Blockade von Erbtransfers an „feindliche“ Ausländer in einem anderen Staat konnten Regierungen ihre Stärke genauso demonstrieren wie durch das Brechen dieser Blockaden. Dadurch transformierten sich Gerichtssäle zu Austragungsorten des Ost-West-Konflikts, und juristisches Wissen über internationales Privatrecht und über das jeweilige Erbrecht einzelner Staaten wurde zu einer wichtigen Ressource in internationalen Auseinandersetzungen. Mit der Blockade transnationaler Erbtransfers stellten Staaten in der Regel nicht das Familienprinzip und den Rechtsanspruch familialer Erben auf eingefrorene Erbschaften in Frage, sondern die Politik anderer Staaten, von denen sie behaupteten, dass sie transferierte Erbschaften beschlagnahmen und nicht an familiale Erben weiterleiten würden. Transnationale Erbfälle besaßen auch eine innenpolitische Dimension. Regelmäßig baten Erben und Familienmitglieder bei grenzüberschreitenden Erbfällen staatliche Institutionen um Unterstützung. Letztere waren seit dem 19. Jahrhundert in die Rechtsberatung und -vertretung, die Erbenermittlung und Dokumenten-

„Der reiche Onkel aus Amerika“: Transnationale Erbfälle

beschaffung und nicht zuletzt die Transfers von Nachlässen eingebunden. Dabei konnten nicht gelingende oder verzögerte Erbtransfers das Vertrauen der betroffenen Familien in die Effektivität und Stärke des eigenen Staates erschüttern, während umgekehrt gelingende Erbtransfers das Zutrauen der Bürger in die Handlungsfähigkeit des eigenen Staates fördern konnten. Aus dieser Logik heraus berichteten Zeitungen in der Sowjetunion ab den 1960er Jahren regelmäßig über gewonnene Erbprozesse im Ausland oder schlicht darüber, dass es sowjetischen Experten und Institutionen erneut gelungen sei, Erbschaften aus dem Ausland an Bürger der Sowjetunion zu transferieren. „Normale“ und unscheinbare transnationale Erbfälle berührten unmittelbar die Souveränität und Stabilität der involvierten Staaten. Zugleich erkannten Regierungen mit ihren Beratungstätigkeiten nicht nur das grenzüberschreitende Familienprinzip an, sondern sie trugen auch aktiv dazu bei, dieses in Handlungen zu übersetzen und Eigentum in der Familie zu bewahren. Im Zeitalter der Familie bildeten sich Moral- und Wertvorstellungen sowie eine Vielzahl an Akteuren und Strukturen heraus, die auf den Erbübertrag in der Familie ausgerichtet waren und die uns derartige Transfers in der Gegenwart als Selbstverständlichkeit erscheinen lassen. Politisch waren Erbtransfers in der Familie und damit einhergehende Vermögensungleichheiten zwar immer umstritten. Sie warfen Gerechtigkeitsfragen auf und stellten das bürgerliche Leistungsideal in Frage. Gleichwohl waren die unterschiedlichen politischen Reformprojekte nicht in der Lage, das Erbtransfers zugrunde liegende Familienprinzip wesentlich zu beschränken. Stattdessen bildeten sich im transatlantisch-europäischen Raum spätestens seit den 1970er Jahren wieder Argumente und gesellschaftspolitische Überzeugungen aus, die im Einklang mit einer weitverbreiteten Praxis Erbübertragungen in der Familie rechtfertigten und damit die Verfestigung von Vermögensungleichheiten hinnahmen.

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Tabelle 1 Übersicht über die Anzahl der ausgewerteten Nachlassakten, geordnet nach Städten und Jahren. ........................................... Tabelle 2 Anzahl der durchschnittlichen Erbenanzahl bei Intestaterbfolge und testamentarischer Erbeneinsetzung in Baltimore, 1881–1941. ........................................................................... Tabelle 3 Gesamtsumme des im analysierten Sample vererbten Vermögens in Dollar in den Jahren 1881 und 1911 in Baltimore City und dessen Verteilung auf Erblasser in Prozent nach Dezilen. ............ Tabelle 4 Bruttonachlasssummen in Dollar in den Jahren 1881 und 1911 in Baltimore City im Durchschnitt, Median und aufgeteilt nach Dezilen. ................................................................................ Tabelle 5 Gesamtsumme des im analysierten Sample vererbten Vermögens in Mark im Jahr 1910 im Amtsgerichtsbezirk Frankfurt am Main und dessen Verteilung auf Erblasser in Prozent nach Dezilen....... Tabelle 6 Bruttonachlasssummen in Mark im Jahr 1910 im Amtsgerichtsbezirk Frankfurt am Main im Durchschnitt, Median und aufgeteilt nach Dezilen. .................................................... Tabelle 7 Wert von Nachlässen in Dollar, die in Baltimore entsprechend der Intestat- und der gewillkürten Erbfolge vererbt wurden im Durchschnitt und im Median, 1881–2001. ................................ Tabelle 8 Anzahl der durchschnittlichen Erbenanzahl bei Intestaterbfolge und testamentarischer Erbeneinsetzung in Baltimore, 1881–2001. ........................................................................... Tabelle 9 Gesamtzahl der Erbfälle im Sample zu Frankfurt in den Jahren 1910, 1925 und 1940, aufgeteilt nach Erbschaften, die von den Erben angenommen wurden, und Erbschaften, deren Pflegschaft das Amtsgericht übernahm, weil die Erben entweder nicht ermittelt wurden oder die Erbschaft ausschlugen........................ Tabelle 10 Nachlasssummen von Erblasserinnen und Erblassern in Frankfurt, die entsprechend der gesetzlichen Erbfolge übertragen wurden, im Durchschnitt und im Median, 1910–2001. ............... Tabelle 11 Nachlasssummen von Testatorinnen und Testatoren in Frankfurt im Durchschnitt und im Median, 1910–2000............................. Tabelle 12 Durchschnittsalter von Erblasserinnen und Erblassern in Frankfurt, unterschieden nach gesetzlicher und testamentarischer Erbfolge. ...............................................................................

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Tabellenverzeichnis

Tabelle 13 Nachlasssummen unterschieden nach Intestaterbfolge und gewillkürter Erbfolge in Frankfurt im Durchschnitt und im Median, 1910–2000. ............................................................... Tabelle 14 Anzahl der Erben pro Erbfall in Frankfurt nach gesetzlicher Erbfolge (Intestaterbfolge) im Durchschnitt und im Median, 1910–2000. ........................................................................... Tabelle 15 Vom Staat übernommene Erbschaften im Regierungsbezirk Darmstadt, 1969–1971............................................................ Tabelle 16 Gesamtsumme des im analysierten Sample vererbten Vermögens pro Jahr in Baltimore City und dessen Verteilung auf Erblasser in Prozent nach Dezilen, 1881–2001............................................. Tabelle 17 Durchschnittliche Bruttonachlasssummen in Dollar nach Dezilen in Baltimore, 1881–2001. ........................................................ Tabelle 18 Gesamtsumme des im analysierten Sample vererbten Vermögens pro Jahr im Amtsgerichtsbezirk Frankfurt am Main und dessen Verteilung auf Erblasser in Prozent nach Dezilen, 1910–2000. ..... Tabelle 19 Durchschnittliche Bruttonachlasssummen nach Dezilen in Frankfurt, 1910–2000. ............................................................ Tabelle 20 Durchschnittliche Nachlasssummen in Frankfurt im Vergleich zum Vielfachen durchschnittlicher Bruttojahreseinkommen männlicher Metallarbeiter / kaufmännischer Angestellter mit mehrjähriger Berufserfahrung in Frankfurt, geordnet nach Jahren und Dezilen, 1925–2000. ........................................................

273

274 385

396 397

398 398

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 Erblasser in Baltimore City, aufgeteilt nach Jahren und ihrer Kategorisierung durch den Orphans’ Court als „White“ und „Colored“, „African-American“, „Brown“ und „Asian“ in Prozent, 1881–1941............................................................. Abbildung 2 Verhältnis von Weißen zu People of Color Testatoren in Baltimore in Prozent, 1881–1941. ........................................ Abbildung 3 Anteil der von Weißen und People of Color unter Einbezug des Orphans’ Court übertragenen Nachlässe (regular estate und small estate) in Baltimore in Prozent, 1881–2001..................... Abbildung 4 Verhältnis von Weißen zu People of Color unter den Testatoren in Baltimore in Prozent, 1881–2001. ..................................... Abbildung 5 Verhältnis aller Erblasserinnen zu Erblassern (regular estate und small estate) in Baltimore in Prozent, 1881–2001. ............ Abbildung 6 Verhältnis von testierenden Erblasserinnen zu Erblassern in Baltimore in Prozent, 1881–2001. ........................................ Abbildung 7 Verhältnis von Intestaterbfolge zu gewillkürter Erbfolge in Baltimore in Prozent, ca. 1800, 1881–2001. ........................... Abbildung 8 Verhältnis testierender Erblasserinnen zu testierenden Erblassern in Frankfurt in Prozent, 1910–2000. .....................

73 73

159 161 162 162 185 271

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Die im Maryland Department der EPFL aufbewahrten Vertical Files beinhalten v. a. Presseausschnittsammlungen und graue Literatur. Die Sammlung deckt ungefähr den Zeitraum von den 1920er bis in die 1980er Jahre ab: Architecture-Domestic Baltimore Housing court, since 1961 Municipal Court Ground Rent Ground Rent – Baltimore Home Owners Loan Corporation Home Ownership Home Ownership – Baltimore Housing – Baltimore, 1970-79 Inheritance and transfer tax Jews and Germans in Baltimore Negroes – Baltimore Housing Negroes – Baltimore Housing, 1970– Real Estate Business – Baltimore Real Property Real Property – Baltimore Register of Wills Taxation, Baltimore Trust Companies – Baltimore – Baltimore Trust Company Trust Companies – Baltimore – Equitable Trust Company Trust Companies – Baltimore – Fidelity Company Trust Companies – Baltimore – Maryland Trust Company Trust Companies – Baltimore – Safe Deposit and Trust Company Gosudarstvennyj Arxiv Rossijskoj Federacii [Staatliches Archiv der Russischen Föderation], Moskau (GARF) F. 9474: Verchovnyj Sud SSSR, 1936–1956 [Oberstes Gericht der UdSSR] F. 9492: Ministerstvo Justicii SSSR, 1936–1956 [Ministerium der Justiz] F. 9562: Kollektiv Advokatov „Injurkollegija“ pri Moskovskoj Gorodskoj Kollegii Advokatov, 1937– [Anwaltskollektiv „Injurkollegija“]

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Zeitungen Augsburger Postzeitung Bild-Zeitung Breslauer Morgen-Zeitung Business Week Der Spiegel Deutsche Reichs-Zeitung

Zeitungen

Deutsche Warte Berlin Die Zeit Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) Frankfurter Journal Frankfurter Ober-Post-Amts-Zeitung Frankfurter Zeitung Gardens, Houses and People. A Mid-Monthly News-Magazine Industrie- und Handelszeitung Izvestija Jüdische Allgemeine Kölner Stadt-Anzeiger Kölnische Zeitung Krefelder Zeitung Literatur i zhizn’ Literaturnaya Gazeta Los Angeles Times Münchner Merkur Münchner Telegramm Zeitung Neueste Mittheilungen New York Herald Tribune New York World-Telegram and Sun News American Norddeutsche Allgemeine Zeitung Nürnberger Nachrichten Passauer Neue Presse Pravda Quick Reader’s Digest Real Estate Supplement provided by the AFRO-American Newspaper Spiegel – Online Staatsbürgerzeitung Stuttgarter Neues Tageblatt Süddeutsche Zeitung Tägliche Rundschau Teltower Kreisblatt The Baltimore Sun The Boston Globe The Evening Sun The New York Times Vorwärts. Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands Vossische Zeitung

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Dank

Das vorliegende Buch beruht auf meiner im Jahr 2021 an der Universität Leipzig eingereichten Habilitationsschrift. Für den anregenden Austausch im dortigen Habilitationsverfahren bedanke ich mich bei allen Kommissionsmitgliedern. Ein besonderer Dank gilt meinen Gutachtern Dirk van Laak, Simone Derix und Ute Schneider. Von der Kritik und den Ratschlägen von Simone Derix und Ute Schneider habe ich weitaus mehr profitiert, als sich in den Fußnoten der Arbeit niedergeschlagen hat. Darüber hinaus haben sie mich in den letzten Jahren in einer kollegialen Art und Weise unterstützt, die ich keineswegs für selbstverständlich halte und die ich sehr zu schätzen weiß. Es ist gut, dass es solche Kolleginnen gibt. Das gilt natürlich auch und in besonderer Weise für Dirk van Laak. Wir haben uns vor mittlerweile 15 Jahren in Gießen kennengelernt, woran sich eine für mich äußerst lehrreiche und schöne Zeit anschloss. Dein Interesse an und Vertrauen in die Menschen um Dich herum schätze ich sehr, ebenso wie Deine Fähigkeit, Dich auf andere Projekte einzulassen, zu assoziieren und diese gewinnbringend zu diskutieren. Sicherlich hat keine Person so sehr mein Wissenschaftsverständnis geprägt wie Du, Dirk, und es ist längst an der Zeit, dafür Danke zu sagen. Dem Arbeitskreis für Moderne Sozialgeschichte danke ich für die Aufnahme des Buchs in seine Schriftenreihe. Insbesondere die konstruktive Rückmeldung von Andreas Thier war bei dessen finaler Überarbeitung äußerst wertvoll. Die unkomplizierte und kooperative Zusammenarbeit mit den Mitarbeiter:innen des Böhlau-Verlages hat eine zügige Publikation ermöglicht. Ohne die finanzielle Förderung von verschiedenen Institutionen und Stiftungen und das darin zum Ausdruck kommende Vertrauen in meine Projektidee wäre dieses Buch nicht entstanden; ohne die damit einhergehenden Erfahrungen und sich öffnenden institutionellen und informellen Diskussionsräume wäre es ein anderes geworden. Für diese Unterstützung bedanke ich mich bei der Justus-Liebig-Universität Gießen (Hessisches Förderprogramm für Post-Docs), dem DHI in Moskau, dem Munich Centre for Global History an der LMU München und der Fritz-Thyssen-Stiftung für Wissenschaftsförderung. Letztere hat zudem durch großzügige Druckbeihilfen die Publikation der Studie maßgeblich ermöglicht. Dem DHI Washington, D. C. und dessen Mitarbeiter:innen verdanken meine Familie und ich ein wissenschaftlich und persönlich außergewöhnlich bereicherndes Jahr auf der anderen Seite des Atlantiks. Wichtige Räume des fachlichen Austausches stellten zu Beginn der Arbeit die gemeinsamen Mensagänge und Kolloquiumsbesuche mit den Kolleg:innen des Historischen Instituts in Gießen dar, dann die Brown Bag Lunches am DHI in

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Dank

Washington sowie die Diskussionen mit meinen Mitfellows in München, später die Treffen meiner Leipziger Habilitationsgruppe sowie gegen Ende der Essener Jour fixe. Auch auf meinen Recherchereisen und Archivbesuchen habe ich von Anderen kollegiale Unterstützung erhalten. Die Hinweise auf bestimmte Archivbestände von Edward C. Papenfuse, Ina Herge und Alexandra Oberländer haben mich an entscheidenden Punkten weitergebracht. Dankbar bin ich auch dafür, dass ich mein Projekt in verschiedenen Kolloquien und auf Tagungen zur Diskussion stellen durfte. Immer wieder sehr inspirierend und motivierend waren darüber hinaus der interdisziplinäre Austausch in der Berliner Gruppe „Liminales Eigentum“, wie auch der epochenübergreifende im DFG-Netzwerk „Erbfälle und Eigentumsübertragungen“. Diese vielen „kleinen“ Gespräche und Treffen haben meine Arbeit tiefgehend geprägt. Ich hoffe sehr, die erfahrene Unterstützung zurückgeben und weitergeben zu können. Manche Kolleginnen und Kollegen wurden zu Freunden: Anna Corsten, Antje Dietze, Mathias Hack, Miriam Pfordte, Konstantin Rometsch, Paul Schwartz, Richard Wetzell und schon seit langer Zeit Florian Hannig und Michael Schellenberger sind ein Stück des Weges – nicht nur metaphorisch, sondern auch physisch – mit mir gegangen, gewandert oder geradelt. Sie haben mich und meine Familie in ihre Wohngemeinschaft aufgenommen; sich die Zeit für lange anregende Gespräche genommen; kritisch, aber freundschaftlich auf Überarbeitungsbedarf hingewiesen; mich angehalten, aus empirischen Befunden Interpretationen zu entwickeln, und sich nicht zuletzt ganze Nächte um die Ohren geschlagen, um noch früh um halb vier die Gliederung eines Textes oder das Leben an sich zu diskutieren. Diese vielen Momente habe ich nicht vergessen und dafür danke ich Euch herzlich. Gewidmet ist dieses Buch meiner Familie: meinem Bruder, für Aufmunterungen, Ablenkungen und die Gewissheit, mich auf ihn verlassen zu können. Meinen Eltern möchte ich sagen: Von Euch habe ich am meisten fürs Leben gelernt. Ein Leben ohne meine Kinder und Frau kann ich mir nicht vorstellen. Niemand ist so eng mit mir durch alle Höhen und Tiefen gegangen wie Du, Jutta, und dafür bin ich dir sehr dankbar.