Alfons Muchas Glasgemälde im Prager Veitsdom: Eine "Symphonie der Farben" 9783534274970, 9783534274987, 3534274970

Im 19. Jahrhundert führten verschiedenste Entwicklungen zum Entschluss, den im Jahre 1344 begonnenen Prager Veitsdom zu

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Alfons Muchas Glasgemälde im Prager Veitsdom: Eine "Symphonie der Farben"
 9783534274970, 9783534274987, 3534274970

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Dr. Christina Snopko, seit 2020 am Vitrocentre Romont, hat Kunstgeschichte in Basel und Urbino studiert und 2015 an der Universität Basel promoviert. Davor u.a. am Badischen Landesmuseum Karlsruhe tätig.

www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-27497-0

Christina Snopko Alfons Muchas Glasgemälde im Prager Veitsdom

Die Publikation widmet sich dem Glasgemälde von Alfons Mucha im Prager Veitsdom, das er von 1928 bis 1931 schuf. Erstmalig werden die Entstehungsgeschichte und inhaltliche Bedeutung dieses Werkes beleuchtet und mit den damaligen Ereignissen kontextualisiert. Es entstand im Spannungsfeld zwischen kirchlicher Kunst, kommerziellen Interessen sowie dem als Individualkünstler bekannten Mucha, der die nationale Identität der Tschechoslowakischen Republik in den ersten Jahren ab 1918 künstlerisch maßgeblich mitbestimmt hat.

Christina Snopko

Alfons Muchas Glasgemälde im Prager Veitsdom Eine „Symphonie der Farben“

Christina Snopko Alfons Muchas Glasgemälde im Prager Veitsdom

Christina Snopko

Alfons Muchas Glasgemälde im Prager Veitsdom Eine „Symphonie der Farben“

Dissertation zur Erlangung der Würde einer Doktorin der Philosophie vorgelegt der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel von Christina Snopko von Aarau

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über www.dnb.de abrufbar.

wbg Academic ist ein Imprint der wbg © 2022 by wbg (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe des Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der wbg ermöglicht. Satz und eBook: SatzWeise, Bad Wünnenberg Lektorat: Sophie Dahmen, Karlsruhe Umschlagsabbildungen: Bild 1 und 3 – Mucha Trust, Bild 2 – Christina Snopko Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-27497-0 Elektronisch ist folgende Ausgabe erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-27498-7

Inhalt

1. Vorwort

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2. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Biographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Die ersten Jahre: Ivančice, Brünn, Wien, Mikulov . . . . 3.2 Die Aufenthalte in München und Paris . . . . . . . . . . 3.3 Die Jahre in den Vereinigten Staaten . . . . . . . . . . . 3.4 Die Rückkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Die Wahrnehmung und Aufarbeitung von Muchas Werk

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4. Die historischen Persönlichkeiten Kyrill und Method 4.1 Quellenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Historischer Hintergrund und Heiligenlegende . 4.3 Die Bedeutung der Slawenapostel . . . . . . . . .

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5. Die Abfolge der Ereignisse: Eine Rekonstruktion . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Chronologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Die Anfänge des Veitsdoms, Entstehung des Dombauvereins (bis 1926) 5.2.2 Die Ereignisse des Jahres 1927 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Das Jahr 1928: Die Verpflichtung Muchas . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.4 Januar 1929: Der erste Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.5 Mai/Juni 1929: Der zweite Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.6 28. September 1929: Die Einweihung des Veitsdomes . . . . . . . . . . 5.2.7 Die Zeit nach der Eröffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.8 November 1930: Der dritte Entwurf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.9 Das Jahr 1931 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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6. Die Genese des Werkes – Die Festlegung der Reihenfolge . . . . . . . . 6.1 Der Entwurf für die Sitzung des Dombauvereins am 18. Januar 1929 6.2 Der Entwurf für die Sitzung des Dombauvereins am 20. Juni 1929 . 6.3 Die nicht ausgeführten Entwürfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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7. Der erste Entwurf: Slavia als Protagonistin . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Eine Werkbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1 Der obere Teil des Entwurfs: die kleinen Maßwerköffnungen 7.1.2 Die Lanzetten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Die bildliche Darstellung des Geldgebers . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

7.3 Die Versicherungsgesellschaft Banka Slávie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.1 Muchas Projekte mit der Banka Slávie – Die Entstehung der Figur Slavia des Glasgemäldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2 Das Plakatmotiv Slavia für die Banka Slávie von 1907 . . . . . . . . . . . . . 7.3.3 Mucha und die Banka Slávie: eine Chronologie . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4 Die Weiterentwicklung der Slavia-Figur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.1 Die Entstehung der zweiten Slavia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.5 Die Slavia auf der 100-Kronen-Banknote von 1920 . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.6 Die Slavia des ersten Entwurfs im Vergleich mit der Slavia von 1907 und dem Porträt von Josephine Crane-Bradley von 1908 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.7 Muchas Slavia des Glasgemäldes – eine Deutung als Madonnen-Bildnis? . . . . . 7.7.1 Die verschollene Madonna, wohl 1905 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.7.2 Die Madonna der Lilien von 1905 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.7.3 Die Slavia des ersten Entwurfs – völlig verschieden zu Muchas Marienfiguren . 7.8 Die Farbigkeit des ersten Entwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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8. Der zweite Entwurf: Die Kyrilliza und die mittelalterlichen Herrscher . . . . . . . . 8.1 Eine Werkbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.1 Der obere Teil des Entwurfs: Die kleinen Maßwerköffnungen . . . . . . . . 8.1.2 Die Lanzetten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Die Kyrilliza . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Altkirchenslawisch bzw. altkirchenslawische Stilisierungen . . . . . . . . . . 8.2.2 Die Variantenvielfalt in Muchas Kyrilliza . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.3 Die Kyrilliza in Muchas Werk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.4 Ein weiteres Werk im Veitsdom mit der Kyrilliza: Die Holztüre von Josef Cibulka, Štěpán Zálešák und František Vavřich (1929) . . . . . . . . . 8.2.5 Zur Verwendung der Kyrilliza mit altkirchenslawischen Stilisierungen im Veitsdom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Die Glagoliza . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.1 Die Glagoliza in der Holztüre von Cibulka, Zálešák und Vavřich . . . . . . 8.3.2 Die Glagoliza in der tschechischen Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Auswirkungen der Kritik am ersten Entwurf und die Zusammenarbeit mit Josef Cibulka . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5 Die slawischen Herrscher bei Mucha . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.5.1 Inhaltliche Beziehungen der historischen Herrscher . . . . . . . . . . . . . . 8.6 Die erzählenden/epischen Darstellungen der Slawenapostel als Teil von Muchas Historienmalerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.7 Die Farbigkeit des zweiten Entwurfs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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9. Das Glasgemälde im Veitsdom . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Werkbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.1 Christus und die Personifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Die Slavia von 1907 in den Entwürfen und im Glasgemälde . . . . . . . . . . 9.3 Vom zweiten zum dritten Entwurf – Die Wiederverwendung einiger Szenen

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Inhalt

9.4 Die neuen Protagonisten neben den Slawenaposteln – Bořivoj, Ludmilla und Wenzel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.1 Bořivojs Taufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4.2 Wenzel und Ludmilla . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5 Die Inschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.1 Das Spruchband im Fünfpass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.2 Die Dreipässe oberhalb der seitlichen Lanzetten . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.3 Die Kralitzer Bibel bei Mucha . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5.4 Die „Tafel“ mit der Stifterinschrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.6 Die Farbgebung des Glasgemäldes – eine „Symphonie der Farben“ . . . . . . . . 9.7 Muchas dekorative Elemente im Glasgemälde: der Kreis . . . . . . . . . . . . . . 9.8 Die Vögel im Glasgemälde – nur dekorative Elemente oder bedeutungsvoller Inhalt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.9 Mucha und die Freimaurer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.9.1 Die Freimaurerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.9.2 Muchas Verhältnis zu den Freimaurern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.9.3 Parallelen zwischen Muchas Fenster und der Symbolik der Franc-Maçonnerie 10. Die Gattung der Glasmalerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1 Zu den Besonderheiten bei der Arbeit mit Glas . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Die Techniken der Malerei auf Glas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.3 Eine Zusammenstellung von Muchas Glasgemälden . . . . . . . . . . . . . . 10.4 Jeanne d’Arc, Roland à Roncevaux, Saint Hubert, Sainte Barbe, ca. 1895–1897 10.5 Entwurf für ein dreiteiliges Fenster, wohl 1898 . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.6 Glasarbeiten in der Boutique des Juweliers Georges Fouquet, 1900 . . . . . . 10.7 Entwurf für ein Kirchenfenster, um 1900 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.8 Entwurf für ein Glasbild, um 1902 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.9 Entwürfe für Glasgemälde aus Documents décoratifs, 1902 . . . . . . . . . . . 10.10 Glasscheiben in Lancey, um 1902 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.11 Glasgemälde Die vier Jahreszeiten, 1906/1907 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.12 Das Glasgemälde im Deutschen Theater in New York, 1908 . . . . . . . . . . 10.13 Die Glasgemälde im Primatorensaal des Repräsentationshauses in Prag, 1909–1911 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.14 Glasgemälde Morgenröte und Abenddämmerung, Datierung unbekannt . . . 10.15 Muchas architektonische Werke aus Glas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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11. Die Thematik Kyrill und Method bei Mucha . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Kyrill und Method, 1887 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.1 Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.2 Werkbeschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Die slawischen Missionare Kyrill und Method predigen die Lehre Christi in Mähren, 1891 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3 Kyrill und Method im Zusammenhang mit dem Pavillon von Bosnien und Herzegowina bei der Weltausstellung im Jahre 1900 in Paris . . . . . . . .

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Inhalt

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Kyrill und Method im Slawischen Epos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4.1 Die Einführung der slawischen Liturgie, 1912 (Entwurf ca. 1911) . . . Die Slawenapostel in Muchas Werken und in den drei Entwürfen für das Glasgemälde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5.1 Mucha und die Slawenapostel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eine Übersicht über die Verehrung der Slawenapostel und deren Niederschlag in der bildenden Kunst bis ins beginnende 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . 11.6.1 Die Entwicklungen im 19./20. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . .

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12. Muchas Werke im Sinne einer nationalen Identität – eine „Frage des nationalen Ganzen“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 13. Schlusswort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 14. Anleitung für die Aussprache der tschechischen Sprache

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15. Neue Erkenntnisse zu den USA-Aufenthalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 16. Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.1 Selbstständige und unselbstständige Publikationen 16.2 Kataloge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3 Zeitungen, Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . 16.4 Sonstiges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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17. Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184

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1. Vorwort

Die Idee zu einer wissenschaftlichen Aufarbeitung des Glasgemäldes von Alfons Mucha im Prager Veitsdom entsprang der Suche nach einem geeigneten Thema für meine Lizentiatsarbeit im Jahr 2006 an der Universität Basel. Aus großem persönlichem Interesse häufte sich vieles an Material, Kontakten und Erkenntnissen an, was den Umfang einer Lizentiatsarbeit bei Weitem überstieg. Einer der Hauptgründe dafür ist, dass es sich bei dem Glasgemälde von Alfons Mucha im Prager Veitsdom um ein bis zu diesem Zeitpunkt noch wissenschaftlich gänzlich unbeachtetes Gebiet handelt. Diese Tatsache führte relativ schnell nach Vollendung der Lizentiatsarbeit zum Entschluss, eine Dissertation über dieses Glasgemälde zu verfassen. Die Entstehung der vorliegenden Arbeit ist vor allem Prof. Dr. Gottfried Boehm (Basel) und dem leider viel zu früh verstorbenen Dr. Reinhard W. Sänger (Karlsruhe) zu verdanken. Nur durch ihre Unterstützung und wertvollen Hinweise konnten sowohl bereits die erwähnte Lizentiatsarbeit im Jahre 2006 als auch die vorliegende Dissertation, die ich im September 2014 an der Universität Basel eingereicht habe, entstehen. In finanzieller Hinsicht sind die Beiträge der Alice Bucher-Stiftung Luzern, der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft Basel und der Universität Basel zu nennen, die mir ermöglichten, mich gänzlich auf die Dissertation zu fokussieren. Für die umfangreichen Forschungen im Laufe der Dissertation waren Wissen und Kenntnisse aus mehreren verschiedenen Fächern sowie von unterschiedlichen Institutionen erforderlich; einige dieser unentbehrlichen Menschen möchte ich im Folgenden hervorheben. An erster Stelle möchte ich mich bei Sarah und John Mucha sowie den Mitarbeitern der MuchaFoundation und des Mucha-Museums in Prag bedanken. Ihre Arbeit ist für die Erforschung des Œuvres von Alfons Mucha enorm wichtig und war daher für das Entstehen der vorliegenden Arbeit entscheidend. Ebenso gebührt Mgr. Martin Halata

von den Archiven der Prager Burg großer Dank, sowie Petr Štembera, Kurator der Sammlung von Gemälden und Plakaten am Uměleckoprůmyslové museum in Prag. Auch bei Maria Saffiotti Dale vom Chazen Museum of Arts der University of Wisconsin-Madison möchte ich mich an dieser Stelle erkenntlich zeigen. Sie ermöglichte mir den Austausch mit den Nachfahren des amerikanischen Millionärs und Industriellen Charles Richard Crane; durch die großzügige und begeisterte Hilfe von Margaret Timmerman (geb. Bradley) und Richard C. Bradley wurden private Einblicke in eine Familie, die eng mit Alfons Muchas Aufenthalten in den Vereinigten Staaten verbunden ist, möglich. Ebenso möchte ich Heidi Scheffler, East Brewster, herzlich für ihre hilfreichen Hinweise betreffend Muchas Aufenthalt auf Cape Cod danken. Die Beantwortung fachlicher Fragen zur kyrillischen und glagolitischen Schriftsprache verdanke ich Prof. Dr. Markus Giger von der Karls-Universität in Prag sowie Prof. Dr. Marek Nekula vom Bohemicum Regensburg. Auf kunsthistorischer Ebene unterstützten mich mit ihrer unbürokratischen Hilfe Véronique Kientzy vom Musée d’Orsay in Paris, Patrice Mattia des Metropolitan Museum of Art, Dana Haltufová der Galerie hlavního města Prahy sowie Emmanuelle Terrel des Musée des Beaux Arts de Nice. Weitere bedeutende Hinweise verdanke ich den Archivaren Marie Kroeger und Bart Ryckbosch vom Art Institute of Chicago sowie dem Kurator Robert C. Myers vom History Center at Courthouse Square und Sister Mary Louise Gavan der Religious of the Sacred Heart. Schließlich möchte ich mich noch bei Jiří Vácha, einem ehemaligen Mitarbeiter der Česká pojišt’ovna, bedanken – durch seine Recherchen bin ich im Jahre 2006 an wichtige Dokumente der Banka Slávie gelangt. Auf privater Ebene geht mein ganz persönlicher Dank für Rat und Unterstützung zu jeder Stunde an meinen Ehemann Dr. Esaù Dozio – ohne diesen Rückhalt wäre Vieles nicht möglich gewesen. Diese Publikation ist der Begeisterung und dem Engagement von Prof. Friedrich-Wilhelm von Hase,

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Vorwort

Mannheim zu verdanken. Der Druck wurde ermöglicht durch Beiträge des Werenfels-Fonds der Freiwilligen Akademischen Gesellschaft Basel und der Basler Studienstiftung. Allschwil, im Oktober 2021

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Christina Snopko

2. Einleitung

Über ein ganzes Jahrtausend hinweg entstand inmitten einer europäischen Metropole ein Bauwerk, das mit seinen Veränderungen Generationen von Menschen begleitete und die ursprüngliche Bedeutung seines Baus bei Weitem überschritt. Der Veitsdom, begonnen im Jahre 1344 vom bekannten Baumeister Matthias von Arras, ist auf verschiedenste Weise mit Prag, der Tschechischen Republik und der tschechischen Geschichte verbunden; in ihm fand nicht nur die Krönung von Königen aus der böhmisch-mährischen Geschichte statt, er dient auch als Mausoleum einiger Herrscher. Als Teil der seit dem 9. Jahrhundert bestehenden Prager Burg stellt der Veitsdom ein bedeutendes Bauwerk dar – und zwar auf kirchlich-religiöser wie auf symbolischer Ebene. Denn die Prager Burg war lange Zeit das politische Zentrum Böhmens und ist auch heute noch die Residenz des tschechischen Präsidenten. Hier werden die Kronjuwelen aufbewahrt und die gewählten Staatspräsidenten – teilweise auch die Ministerpräsidenten – während eines feierlichen Gottesdienstes in ihrem Amt bestätigt. 1 Begonnen hatte die Geschichte des Kirchenbaus an diesem prominenten Ort mit der vorromanischen Wenzelsrotunde aus dem beginnenden 10. Jahrhundert. Die Reste dieser Rotunde befinden sich unter dem Veitsdom und stammen aus einer Zeit, die von der beginnenden Christianisierung Böhmens und Mährens geprägt war. Zwei Missionare, Kyrill und Method, hatten einige Jahrzehnte vor Baubeginn der Wenzelsrotunde böhmischen und mährischen Herrschern sowie deren Untertanen den christlichen Glauben und – was mindestens ebenso wichtig war – eine erste slawische Schriftsprache gebracht. Die Ankunft dieser Missionare auf mährischem Boden im Jahre 863 stellte für viele nachfolgende Generationen bis zur heutigen tschechischen Bevölkerung ein sehr bedeutendes Ereignis dar.

Im 19. Jahrhundert setzte die letzte Bauphase des Veitsdoms ein: Wie der Kölner Dom war er nicht – wie ursprünglich geplant – fertiggestellt worden und bestand deshalb über mehrere hundert Jahre aus einem gotischen polygonalen Chor, der mit einer provisorischen Wand abschloss. In den 1860er Jahren wurden die Arbeiten mit dem Ziel wiederaufgenommen, den Veitsdom innerhalb der nächsten Jahrzehnte zu vervollständigen. Im Jahre 1929 konnte er mitsamt seinem neuen westlichen Domteil eingeweiht werden und ist bis heute mit seinen imposanten Dimensionen die größte Kirche Tschechiens. 2 Die modernen Bauherren des Veitsdoms mussten im 19. Jahrhundert auch große Teile des bestehenden Chores instandsetzen. Neben den Erneuerungsarbeiten entstand auch ein neuer westlicher Teil des Doms als Verlängerung des bestehenden Chores. Da alle Fensterbereiche des gotischen Bauwerkes erneuert werden mussten, lag eine Neukonzeption sämtlicher Verglasungen nahe, mit der namhafte tschechische Künstler beauftragt wurden. Unter ihnen befand sich auch der aus Mähren stammende Alfons Mucha, der mit seinen knapp 70 Jahren auf eine erfolgreiche internationale Karriere zurückblicken konnte. Das von ihm entworfene Glasgemälde, das im Jahre 1931 eingesetzt wurde, behandelt die Geschichte der beiden Missionare, die den christlichen Glauben und die erste slawische Schriftsprache nach Böhmen und Mähren brachten – und erörtert daher eine Thematik, die für Böhmen und Mähren nach 1000 Jahren immer noch sehr präsent und durch gewisse sozio-politische Entwicklungen des 19. und 20. Jahrhunderts noch weiter in den Vordergrund gerückt ist. Alfons Muchas Karriere hatte einige Jahrzehnte vor der Schaffung des Prager Glasgemäldes in Paris begonnen. Bei den Arbeiten, die er ab 1887 während

Diese Zeremonie fand sowohl 1918 beim ersten Präsidenten der Tschechoslowakei, Tomáš Garrigue Masaryk, als auch bei seinem Nachfolger Edvard Beneš statt. Zwischen 1949 und 1989 unterzogen sich auch einige der fünf kommunistischen Präsidenten diesem Ritual. Die Tradition setzte 1990 Václav Havel fort und auch nach der Entstehung der Tschechischen Republik im Jahre 1993 wurde Václav Klaus im Veitsdom in sein Amt eingeführt. Der bisher Letzte, der sich dieser Tradition unterzog, war der zum Staatspräsidenten gewählte Miloš Zeman im Jahre 2013 sowie nach seiner Wiederwahl 2018. 2 Der dreischiffige Dom ist 124 m lang und 33 m hoch, das Querschiff 60 m breit. Der Hauptturm ragt 99 m in die Höhe. 1

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seines langjährigen Aufenthalts in der Kunstmetropole schuf, handelt es sich insbesondere um dekorative Panneaux, Poster, Plakate und allegorische Darstellungen, die zur Vervielfältigung vorgesehen waren. Mucha wurde zum Inbegriff der Pariser Kunst um die Jahrhundertwende. Seine Entwürfe waren – gemäß der für den Jugendstil charakteristischen Doktrin eines Gesamtkunstwerks – auch für viele Schmuck-, Einrichtungs- und Möbelstücke gedacht. Trotz moderner Massenvervielfältigung und Muchas fast unerschöpflichem kreativem Tatendrang konnte das Verlangen des Publikums nach dem Style Mucha kaum gedeckt werden. Mucha machte in seinem Leben einige wegweisende Bekanntschaften mit Menschen, die seine künstlerische Laufbahn nachhaltig prägten. Dazu zählen unter anderem der Graf Eduard KhuenBelasi, der ihm ab 1885 sein Studium, erst in München, später in Paris, finanzierte und dadurch die Grundlage für seinen Werdegang legte. Auch die damals sehr bekannte Theaterschauspielerin Sarah Bernhardt ist in diesem Zusammenhang zu nennen: Ein für sie gestaltetes Plakat zu einer Theateraufführung zum Jahreswechsel 1894/1895 katapultierte Mucha über Nacht an die Spitze der Pariser Salons. In der Folge nahm sie Mucha unter Vertrag, um weitere Theaterplakate, aber auch die gesamte Bühnenausstattung, Kostüme und den Schmuck für ihre Stücke zu entwerfen. Mit Bernhardt reiste Mucha im Jahre 1904 auch das erste Mal in die Vereinigten Staaten. Während der nächsten Jahre hatte Mucha zwei Lebensmittelpunkte: Er pendelte zwischen den USA und seiner Heimat hin und her. In den Vereinigten Staaten hatte er eine weitere Begegnung mit einem ihm wohlgesonnenen Mäzen: Charles R. Crane, ein amerikanischer Industrieller und Politiker. Dieser finanzierte Mucha seinen Lebenstraum, das Slawische Epos. In diesem aus zwanzig riesigen Gemälden bestehenden Zyklus behandelte der gebürtige Mähre Mucha insbesondere Themen, die allgemein mit dem Slawentum, aber auch mit seiner Heimat zusammenhängen. Begonnen hatte er mit den Gemälden des Epos im Jahre 1911 und ungefähr zur selben Zeit verlegte er seinen Lebensmittelpunkt wieder in seine Heimat. Das Epos beschäftigte ihn bis 1928, als er, zusammen mit Crane, das Werk der Stadt Prag schenkte. In den fast zwei Jahrzehnten, in denen er mit der Ausarbeitung des Epos auf zwanzig Leinwänden 12

mit riesigem Ausmaß beschäftigt war, fanden bedeutende politische Veränderungen statt, die sich nicht nur auf die Lebensumstände der Bevölkerung, sondern auch auf Muchas künstlerische Ausdrucksweise auswirkten. Nach dem Ende der Doppelmonarchie Österreich-Ungarn im Jahre 1918 ging aus dieser unter anderem die Tschechoslowakei als neugegründeter Staat hervor. Diese Entwicklung hatte sich bereits in den Jahrzehnten zuvor durch eine verstärkte Hinwendung zur eigenen Kultur und Fokussierung auf die eigene Geschichte – und Abkehr von der Herrschaft der Habsburger – bemerkbar gemacht. Mucha, geboren im Jahre 1860, war in einer Zeit aufgewachsen, die für die slawische Bevölkerung in Böhmen und Mähren teilweise sehr problematisch war, da diese Regionen zunächst Teil des Kaisertums Österreich waren und ab 1867 zur Doppelmonarchie Österreich-Ungarn gehörten. Diese Zeit wird in der Forschung als prägend für den jungen Mucha angesehen, der sich – ab dem Zeitpunkt seiner Rückkehr in die Heimat 1911 – künstlerisch verstärkt mit slawischen Themen auseinandersetzte. Im Zuge der Staatsgründung 1918 ist nochmals eine weitere Zunahme seiner diesbezüglichen Beschäftigung zu beobachten: Da Mucha von hochoffiziellen Stellen beauftragt wird, neue Staatssymbole – unter anderem ein neues Staatswappen, Banknoten und Briefmarken – zu gestalten, ist sein Einfluss enorm. Wie schon in Paris werden nun Muchas Werke allgegenwärtig. Doch im Unterschied zum Schaffen in der französischen Metropole tragen seine Arbeiten der Spätphase, die mit der Rückkehr in seine Heimat einsetzt, auch eine wichtige politische Botschaft in sich und begleiten die Bevölkerung in ein neues Zeitalter der Unabhängigkeit. Unter diesen Gesichtspunkten erhält sicherlich auch das Prager Glasgemälde weitere Deutungsebenen, die weit über kunsthistorische Forschungsfelder hinausgehen. Die Reaktionen auf Muchas Werke mit patriotischem Inhalt sind in seiner Heimat jedoch nicht immer positiv ausgefallen. Einerseits zeigt sich dies an der ablehnenden Haltung anderer tschechischer Künstler, die die Vergabe von prestigeträchtigen Aufträgen an Mucha, wohl unter anderem wegen seines internationalen Erfolges und seiner Bekanntheit außerhalb seiner Heimat, kritisieren. Andererseits wird sein starker Patriotismus als nicht mehr angebracht bezeichnet. Im Münchner Abkommen vom 29. September 1938 wurde die gerade 20 Jahre alte Nation zer-

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schlagen; das Deutsche Reich besetzte kurze Zeit später große Gebiete der Tschechoslowakei. Mucha, der auch über die Grenzen hinaus als großer Patriot bekannt war, wurde von der Gestapo festgesetzt und verstarb wenig später. Die Besatzung durch die deutsche Wehrmacht, die bis 1945 dauerte, hatte zur Folge, dass sein Werk offiziell verschmäht wurde. Im Jahre 1945 konnte die Tschechoslowakische Republik zwar wieder ausgerufen werden, aber das Land wurde drei Jahre später ein Satellitenstaat der UdSSR und war daher – bis zur Auflösung des Ostblocks – vom Westen weitgehend isoliert. Unter kommunistischer Führung wurde Mucha in seiner Heimat als Künstler kaum beachtet. Im Westen begann nach dem zweiten Weltkrieg, insbesondere in den 1960er Jahren, eine systematische Erforschung des Jugendstils, wodurch auch Mucha zu einer Renaissance verholfen wurde. 3 Der Fokus bei der Erforschung des Künstlers wurde jedoch auf die Zeit und die Werke in Paris gelegt. Jiří Mucha, Muchas Sohn, der im Jahre 1915 geboren wurde, war von Beruf Schriftsteller, Journalist und Redakteur. 4 Angespornt durch das aufkeimende Interesse an der Kunst seines Vaters begann er, zunächst in kurzen Aufsätzen, später in verschiedenen Monographien, dessen Leben aufzuarbeiten. Die erste Monographie erschien im Jahre 1965 in deutscher Sprache. Als Quellen dürften ihm vermutlich mehr die erhaltene Korrespondenz, Erzählungen und andere Aufzeichnungen seiner Eltern gedient haben als seine eigenen Erinnerungen. Alfons Mucha ist erst relativ spät Vater geworden; seine Tochter Jaroslava kam 1909 auf die Welt, da war er bereits 49 Jahre alt – bei Jiří nochmals sechs Jahre älter, was zur Folge hat, dass Jiří die Entstehung vieler Werke seines Vaters nicht selbst miterlebt oder wahrgenommen hat. Eine weitere Schwierigkeit der Monographien von Muchas Sohn ist sicherlich jene der political correctness – er, der bereits in den 1950er Jahren von der kommunistischen Regierung zu Zwangsarbeit und Lagerhaft verurteilt worden war,

musste vermutlich auch in seinen Schriften eine gewisse Selektion der Inhalte vornehmen. Nichtsdestotrotz bilden die Monographien von Jiří Mucha eine unerschöpfliche Quelle für das Leben und Werk seines Vaters und somit eine solide Basis für die Erforschung von Muchas Arbeiten. Einige historische Begebenheiten erschwerten also nach dem Tod des Künstlers für längere Zeit eine systematische Betrachtung und Aufarbeitung seines Œuvres: Zunächst die Besetzung durch das Deutsche Reich und später die kommunistische Führung des Landes, die von 1948 bis zur Auflösung des Ostblocks dauerte. Mucha wurde in seiner Heimat als Künstler über diese gesamte Zeit kaum beachtet und die Isolation des Ostblocks führte dazu, dass man in Muchas Heimat nicht am aufkommenden Interesse am Jugendstil teilhaben oder gar daran anknüpfen konnte. Im Gegenzug konzentrierte sich der Westen während einer langen Zeit hauptsächlich auf die Werke aus Paris, da sein Spätwerk unerreichbar war. Die Aufarbeitung von Muchas Spätwerk konnte also erst mit der Ost-West-Öffnung beginnen. Einen wesentlichen Anteil daran haben Geraldine Mucha, die Witwe des 1991 verstorbenen Jiří, und deren Sohn John Mucha sowie seine Frau Sarah. Sie gründeten zunächst im Jahr nach Jiří Muchas Tod die Mucha Foundation sowie den Mucha Trust. Im Jahre 1998 folgte die Eröffnung des Mucha Museums in Prag. Somit wurde die Basis für die eine wertfreie und systematische Aufarbeitung von Muchas Spätwerk geschaffen – und die Tür für die wissenschaftliche Untersuchung seines gesamten Œuvres geöffnet. Diese allumfassende Betrachtung von Alfons Mucha und seinen Werken ist in den Ausstellungen der letzten Jahre zu beobachten. 5 Eines der wenigen Werke, das immer noch nicht auf wissenschaftlicher Ebene behandelt wurde, war das Prager Glasgemälde. Bisher sind weder die Umstände der Entstehung des Prager Glasgemäldes

In den 1960er Jahren begann das Interesse an Muchas dekorativen Werken der Pariser Epoche. Das Victoria and Albert Museum in London zeigte 1963 die erste Ausstellung nach Muchas Tod, sie wurde in Zusammenarbeit mit Muchas Sohn, Jiří Mucha, erarbeitet, was in der damaligen Zeit und über die Grenze zwischen Osten und Westen hinweg nicht einfach war. Es folgte 1966 eine zweite Ausstellung in der Société des Amis de la Bibliothèque Forney in Paris. 4 Jiří Mucha hatte während des Krieges bei der BBC in London gearbeitet. Er kehrte 1945 in die Tschechoslowakei zurück, wurde aber in den 1950er Jahren von der kommunistischen Regierung wegen Spionage verurteilt. 1954 kam er nach Zwangsarbeit und Lagerhaft frei. 5 Zu den Mucha-Ausstellungen, die in den letzten Jahren stattfanden, s. Kapitel 3.5 und Anm. 50. 3

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noch sein Inhalt oder die beiden nicht ausgeführten Entwürfe einer wissenschaftlichen Betrachtung unterzogen worden. In der vorliegenden Arbeit werden daher zunächst elementare Grundlagen dargelegt: Dazu gehört neben einer Biographie des Künstlers auch eine Darstellung von Kyrill und Method, die deren Mission und kulturhistorische Bedeutung klärt. Danach folgt eine Untersuchung der chronologischen Abfolge der Geschehnisse, die zur Entstehung des Glasgemäldes im Veitsdom geführt haben. Diese Chronologie beinhaltet zunächst die Maßnahmen zur Fortführung des Dombaus, insbesondere jene, die mit dem Einbau der Fenster zusammenhängen. Des Weiteren wird der Fokus in diesem Kapitel auf die an Muchas Glasgemälde beteiligten Parteien gelegt – also den Künstler selbst, die Verantwortlichen des Veitsdomes bzw. der Dombauhütte und die das Glasgemälde finanzierende Versicherungsgesellschaft. Die Absicht dieses Kapitels ist es, zu erforschen, welche Schritte zur Realisierung des Glasfensters durch den damals berühmten, aber in seiner Heimat auch umstrittenen Künstler, geführt haben. Diese Chronologie der Ereignisse bildet somit die Quelle, aus welcher die nachfolgenden Kapitel schöpfen. In einem weiteren Kapitel können aufgrund der chronologischen Untersuchungen die bisherigen Unsicherheiten in der Datierung und die scheinbar unklare Reihenfolge der verschiedenen Entwürfe des Glasgemäldes aufgeklärt werden. Schließlich, nachdem die Abfolge gesichert ist, kann eine übergreifende erste Betrachtung der unterschiedlichen Entwürfe erfolgen. In diesem Zusammenhang werden auch Muchas Beziehung zur finanzierenden Versicherungsgesellschaft ausgeleuchtet sowie weitere Werke untersucht werden. Das folgende Kapitel ist der Gattung der Glasmalerei in Muchas Œuvre gewidmet. Nach einem allgemeinen Überblick über die verschiedenen Techniken wird Muchas Werk im Veitsdom diesbezüglich besprochen und eingeordnet. Danach wird seine mögliche Erfahrung mit Werken aus diesem Material aufgezeigt, die er nicht nur in Europa, sondern auch in den Vereinigten Staaten und über eine lange künstlerische Zeitspanne hatte. Das Anliegen dieses Kapitels ist, belegen zu können, dass Mucha

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bereits genügend Einsicht in diese mit der Tafelmalerei nur bedingt verwandte Kunstgattung hatte. An das in die Heiligenlegenden einführende Kapitel zu Beginn der vorliegenden Arbeit sollen nun weitere Untersuchungen geknüpft werden, die sich mit anderen Werken des Künstlers sowie der Thematik von Kyrill und Method beschäftigen. Zudem wird dargelegt, welche überaus wichtigen Funktionen diese in der westlichen Welt kaum bekannten Heiligen für die slawische und insbesondere böhmische und mährische Kultur des 19. und 20. Jahrhunderts hatten. Schlussendlich folgt ein Kapitel, in welchem dargelegt wird, welche Bedeutung das Prager Glasgemälde in einer Zeit der Suche nach nationaler Orientierung und Identität für die damalige tschechoslowakische Bevölkerung hatte. Dabei wird das Werk in den historischen Prozess eingeordnet, der bereits im 19. Jahrhundert einsetzte und Böhmen, Mähren sowie die Slowakei zu einem neuen nationalen Staat und einer neuen nationalen Identität führte. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, eine bisher noch bestehende Lücke in der Forschung zu schließen. Viele der Aspekte aus der vorliegenden Arbeit wurden in der modernen wissenschaftlichen Untersuchung über Mucha noch nie berücksichtigt oder fast gänzlich außer Acht gelassen. Bei der Betrachtung von Muchas Gesamtwerk handelt es sich schließlich um einen noch relativ jungen Forschungszweig, der erst seit der Beseitigung des Eisernen Vorhangs betrieben werden kann. Da in der vorliegenden Arbeit Zitate, Namen und Bezeichnungen in tschechischer Sprache vorkommen, müssen noch einige Bemerkungen hierzu gemacht werden: Die tschechische Schriftsprache verwendet ausnahmslos das lateinische Alphabet. Zu Beginn des Anhangs ist eine Ausspracheanleitung zu finden. Für die Entwürfe von Muchas Glasgemälde sind die kyrillische Schrift und deren Vorläufer, die Glagoliza, von Bedeutung. Für ein besseres Verständnis ist es an einigen Stellen notwendig, die Lautung der Wörter oder Sätze direkt in den Text zu integrieren. Dies wird mit dem Satzzeichen „/“ gekennzeichnet; also heißt es beispielsweise beim kyrillischen Begriff für „Wort“: CЛOBO /slovo/.

3. Biographie 3.1 Die ersten Jahre: Ivančice, Brünn, Wien, Mikulov Alfons Maria Mucha wurde am 24. Juli 1860 in bescheidenen Verhältnissen im Dorf Ivančice in Mähren geboren. 6 Muchas Vater war Gerichtsdiener und sah für seinen Sohn eine priesterliche Ausbildung vor. Der spätere Künstler wurde in eine Zeit hineingeboren, in welcher man die eigene Sprache und die lokalen Traditionen nur mit Mühe gegen die Habsburger bewahren konnte. Böhmen und Mähren waren damals Teil des Kaiserreichs Österreich, ab 1867 der Doppelmonarchie ÖsterreichUngarn. Diese politische Konstellation, die für die tschechischsprachigen Bewohner teilweise sehr problematisch war, wird bei Mucha als Ursprung einer schon früh einsetzenden Akzentuierung von und Konzentration auf slawische Traditionen und Überlieferungen gesehen. 7 Jiří Mucha beschreibt deren Auswirkungen folgendermaßen: „[…] so wurde für meinen Vater […] der Begriff der Nation und der Heimat zum Synonym für die Pflichten des Künstlers, und er beeinflusste ihn bis ans Ende seines Lebens“. 8 In Ivančice besuchte Mucha die Schule und war Ministrant. Im Alter von elf Jahren kam er als Chorsänger des Domes nach Brünn, wo er bis 1875 blieb und die örtliche Schule besuchte. 9 Sein künstlerisches Talent, das sich bereits sehr früh zeigte, wird in den Büchern seines Sohnes in verschiedenen Anekdoten beschrieben, beispielsweise hatten Jan Umlaufs Fresken in der Kirche von Ústí nad

Orlicí den 15-jährigen Mucha tief beeindruckt und in ihm den Entschluss geweckt, Kunstmaler zu werden. 10 Trotz dieser Erkenntnis kehrte er den Eltern zuliebe zunächst in sein Heimatdorf zurück und arbeitete zwei Jahre als Gerichtsschreiber. Erst dann, im Jahre 1878, bewarb er sich an der Prager Akademie für ein Kunststudium, wurde aber mit folgenden Worten abgewiesen: „Maler gibt es viele, aber Geld wenig. Suchen Sie sich eine andere Tätigkeit, wo Sie sich nützlicher machen können!“. 11 Trotz dieser Zurückweisung zog er nach Wien und begann dort als Malerlehrling für Theaterdekorationen. Gleichzeitig nahm er Malkurse. 12 Sein Arbeitgeber musste Mucha jedoch bald wieder entlassen, nachdem der wichtigste Kunde, das Wiener Ringtheater, am 10. Dezember 1881 abgebrannt war. Auf der Suche nach einer neuen Anstellung gelangte er zufälligerweise ins südmährische Mikulov, wo unter anderem Eduard Graf Khuen-Belasi auf ihn aufmerksam wurde. 13 Dieser beauftragte Mucha im Jahre 1883 mit der Ausmalung des Schlosses Emmahof in Hrušovany nad Jevišovkou (Mähren). 14 Anschließend führte Mucha auch für den Bruder, Egon Graf Khuen, Aufträge in Gandegg (Tirol) aus. Die Grafen beschlossen, Mucha zu fördern und ihm ein Kunststudium in München zu finanzieren. Im September 1885 reiste Mucha aus Gandegg in Richtung München ab.

Weitere biographische Angaben s. Sarah Mucha: Alfons Mucha, London 2000, S. 155–157. Mucha 2000, S. 12. 8 Jiří Mucha: Alfons Mucha. Meister des Jugendstils, Prag 1965, S. 9 und 10. 9 Mucha 1965, S. 10. 10 Jiří Mucha: Alfons Mucha. Ein Künstlerleben, Berlin 1986, S. 32. Jan Umlauf, geboren 1825 in Mlýnice in Mähren, war Schüler der Prager und der Wiener Akademie. Er hat zahlreiche große Altarbilder und Porträts geschaffen. Gestorben ist er im Jahr 1916 in Geiersberg in Böhmen (A. Frankenberger: Art. Jan Umlauf, in: Thieme-Becker). 11 Mucha 1986, S. 38. 12 Mucha 1986, S. 34–47. 13 Mucha 2000, S. 155 und Mucha 1986, S. 47–51. 14 Für weitere Informationen zu Mucha und den Grafen von Khuen-Belasi s. Franz Riedl: Die Grafen Khuen-Belasi als Förderer von Alphons Mucha, in: ARX – Burgen und Schlösser in Bayern, Österreich und Südtirol, Südtiroler Burgeninstitut Bozen (Hrsg.), Bd. 1 (1988), S. 354–362. Die Fresken aus dem Schloss Emmahof sind nicht erhalten geblieben, da das Schloss durch einen Brand zerstört wurde. 6 7

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Biographie

3.2 Die Aufenthalte in München und Paris Im Jahre 1886 begann Mucha sein Studium an der Münchner Akademie der Künste. Das BohèmeUmfeld umfasste viele Landsleute Muchas, von denen einige später seine Wegbegleiter in Paris werden sollten. Seine Zeichnungen und Ölbilder waren geprägt durch eine für München charakteristische „schwungvolle[n], aber glatte[n] Handschrift und relativ blasse Töne“. 15 Muchas Sohn überliefert für die Zeit in München zwei Auszeichnungen für Muchas Werke. 16 Nach Ablauf von zwei Jahren sollte er nach Meinung von Eduard Khuen-Belasi in Paris weiterstudieren, daher schrieb sich Mucha 1887 an der Académie Julian ein. Paris war zu dieser Zeit eine pulsierende Metropole und richtungsweisend für junge aufstrebende Künstler. In der Zwischenzeit war Mucha wieder beim Grafen Khuen-Belasi auf Schloss Emmahof gewesen, um weitere Aufträge auszuführen. Zurück in Paris wechselte Mucha im Dezember 1888 an die Académie Colarossi. Doch schon kurze Zeit später, im Januar 1889, teilte ihm der Graf mit, dass er die finanzielle Unterstützung einstellen würde. 17 Somit musste Mucha sein Studium abbrechen und versuchen, finanziell auf eigenen Füßen zu stehen. In dieser Zeit erhielt er kleinere Aufträge für die Illustration der Zeitschrift Le Petit Illustré sowie für Xavier Marmiers Märchen Les Contes des grand’mères. 18 Später kamen größere Aufträge für La Vie populaire, Le Figaro und Monde Moderne hinzu. 19 Als 1892 der Auftrag von Charles Sei-

gnobos zur Illustration von Scènes et épisodes de l’histoire d’Allemagne folgte, war Mucha bereits eine bekanntere Persönlichkeit in den Pariser Salons. 20 Geschehnisse um Weihnachten 1894 verhalfen Mucha vollends zum Durchbruch: Er sollte in aller Eile das Poster zu Gismonda (ein Drama von Victorien Sardou) für die berühmte und angebetete Schauspielerin Sarah Bernhardt erstellen. 21 Sein unkonventionell neues Design katapultierte ihn über Nacht an die Spitze der Pariser Kunstszene. Die kennzeichnenden Merkmale dieses berühmten Plakats – das lange Hochformat, die gedämpften Farben, die stilisierte Art der Zeichnung sowie der große Detailreichtum in der byzantinischen Dekoration und beim Hintergrund – waren ein einzigartiges Novum. Gleichzeitig hatte er der damals über 50jährigen Schauspielerin Sarah Bernhardt ein altersloses und sinnlich-anmutiges Aussehen verliehen. Diesem Triumph folgte ein Vertrag über sechs Jahre mit Bernhardt. Mucha gestaltete in dieser Zeit neun Plakate für sie, des Weiteren war er Schmuckund Kostümdesigner für ihre Bühnenauftritte. 22 Dank ihrer Förderung wurde bald der Drucker und Verleger Champenois auf ihn aufmerksam, der die kommerziellen Möglichkeiten der dekorativen Kunst Muchas ins Auge fasste. Er sicherte sich die Rechte an den Reproduktionen lithographischer Werke Muchas, was ab 1896 zur Entstehung seiner charakteristischen Panneaux beitrug, beispielsweise

Ausst. kat. Alfons Mucha 1860–1939. Darmstadt: Institut Mathildenhöhe 1980, München 1980, S. 16. Seine Lehrer an der Münchner Akademie waren Ludwig von Löfftz und Ludwig von Herterich (s. Mucha 1986, S. 59 und 60). Er ist für das Jahr 1886 mit der Matrikelnummer 265 eingetragen und besuchte laut Aufzeichnung seit dem Eintritt am 12. Mai 1886 das Fach „Naturklasse“ (00265 Alfons Maria Mucha [getilgt], s. Matrikelbuch 1884–1920, „https://matrikel.adbk.de/matrikel/mb_1884–1920/jahr_1886/matrikel-00265“ [1. 6. 2021]. 16 Mucha 1965, S. 32. Ein prämiertes Gemälde war Susanna im Bade aus dem Jahre 1886. Den zweiten Preis gewann Mucha für Kyrill und Method von 1887; mehr zu diesem Werk s. Kapitel 11.1. 17 Riedl 1988, S. 359. Seine Lehrer für die kurze Zeit an der Académie Colarossi sind nicht überliefert. An der Académie Julian sind die Namen von Muchas Lehrern hingegen bekannt: Jules Joseph Lefebvre (1836–1912), Gustave Boulanger (1824–1888) sowie Jean Paul Laurens (1838–1921), s. Mucha 1965, S. 40. 18 Erstausgabe: Xavier Marmier: Contes des grand’mères, Paris 1892. 19 Mario Amaya: Mucha’s Fantasy, in: Apollo. The International Art Magazine, Bd. 77 (1963), S. 475–477, S. 475; Ann Bridges: Alphonse Mucha. The complete graphic works, New York 1980, S. 10. 20 Erstausgabe: Alfons Mucha, Charles Seignobos: Scènes et épisodes de l’histoire d’Allemagne, Paris 1898. 21 Der Auftrag wurde Mucha von der Druckerei Lemercier in Paris erteilt (Ausst. kat. Alphonse Mucha (1860–1939). Plakate und Druckgraphik, Zürich: Kunstgewerbemuseum 1967, Kornfeld und Klipstein (Hrsg.), Bern 1967, o. S.; Mucha 2000, S. 13); weitere Informationen zur Beziehung Mucha – Bernhardt s. Mucha 2000, S. 43–49. 22 Amaya 1963, S. 475. 15

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Die Aufenthalte in München und Paris

der Vier Jahreszeiten. 23 Obwohl sich Mucha von Champenois ausgebeutet fühlte und bereits nach kurzer Zeit weg von den Massenmedien wollte 24, produzierte er viele Vorlagen für Lithographien und Druckerzeugnisse. Es war ein zweischneidiges Schwert: Gerade die modernen Vervielfältigungstechniken machten ihn zu einem sehr populären Künstler, er sehnte sich jedoch nach inhaltsreicheren Werken abseits der Massenproduktion. Im Jahre 1897 konnte er seine ersten beiden Ausstellungen in der Galerie Bodinière und im Salon des Cent in Paris (mit 107 bzw. 448 ausgestellten Arbeiten) eröffnen. 25 Zwischen 1898 und 1902 produzierte Mucha die meisten seiner Panneaux sowie bedeutende Werbeplakate, unter anderem die Job-Poster von 1896 und 1898, Zodiac von 1896 sowie das Poster Dry Imperial für Moët & Chandon von 1899. 26 Die Pariser Salons waren begierig nach seinen Werken; jeder konnte durch die Reproduzierbarkeit ein Stück vom Style Mucha besitzen. Seine Kunst war im Alltag, durch die Werbung und seine Panneaux, unentwegt in der Öffentlichkeit sichtbar. Mucha erfasste wie kein anderer den Charakter der Übergangszeit zwischen zwei Jahrhunderten, die die Hauptstadt der Kunst an der Seine prägte. Seine Figuren, zumeist weiblich, besaßen ein charakteristisches Aussehen mit einem sehr hohem Wiedererkennungswert: Das den Figuren einen Rahmen gebende ornamentale Haar, der sinnliche Blick, die

reichen byzantinischen Dekorationen und Gewänder sowie die unübersehbaren Konturlinien wurden zu Muchas Markenzeichen. Mucha konnte im Jahre 1897 nicht nur die erste Einzelausstellung in Paris, sondern auch in Prag feiern. 27 Spätestens ab diesem Zeitpunkt muss sein Bekanntheitsgrad auch in seiner Heimat sehr hoch gewesen sein. In Paris hatte er wohl seit 1898 intensiven Kontakt zu den Freimaurern; auch an anderen mystischen Zirkeln und Themen nahm er regen Anteil. 28 Ebenfalls im Jahre 1898 wurde er zum Professor an der Académie Colarossi in Paris ernannt. 29 Er selbst gab auch einige Bücher heraus, darunter das berühmte Le Pater von 1899. 30 Etwas später, in den Jahren 1902 und 1905, erschienen die beiden Werke Documents décoratifs und Figures décoratives. 31 Die als Vorlagenbücher konzipierten Werke bestehen aus diversen Zeichnungen verschiedenster Motive und aus Entwürfen für Gebrauchsgegenstände. In den Jahren in Paris schloss er viele Bekanntschaften mit anderen Künstlern, unter anderem mit Gauguin, mit dem er sein Studio während einiger Monate teilte. 32 Im Jahre 1900 fand die Pariser Weltausstellung statt, bei welcher er den Pavillon von Bosnien-Herzegowina ausstattete. 33 Möglicherweise erwachte in diesem Zusammenhang der innige Wunsch in ihm, ein monumentales Werk über die Geschichte der Slawen zu schaffen.

Bei den Panneaux handelt es sich um Poster, die ohne Schriftzüge auskommen und auf qualitativem Papier oder Stoff gedruckt wurden. Muchas Entwürfe für die Panneaux wurden ebenfalls für Kalender und Postkarten benutzt. Abb. der Vier Jahreszeiten s. Mucha 2000, S. 34, 35. 24 Bridges 1980, S. 11. In einem Interview im Jahre 1901 gestand er, dass er keine Vorlagen mehr für Massenmedien anfertigen wolle (Amaya 1963, S. 477). 25 Sofern es zu diesen Ausstellungen Kataloge oder Beihefte gab, sind sie unbekannt. 26 Abb. s. Job-Poster Mucha 2000, S. 50, 51; Zodiac Mucha 2000, S. 28; Dry Imperial Mucha 2000, S. 52. 27 Petr Wittlich: Alfons Mucha v Obecním domě, Prag 2000, S. 55. 28 Wahrscheinlich wurde er im Jahre 1898 in die Loge „Les inséparables du Progrès“ in Paris eingeladen (Wilhelm Quenzer: Art. Freimaurer, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. XI, Berlin 1983, S. 254, 255). 29 Alfred Fantis: Alfons Mucha. Künstler und Freimaurer, in: Quatuor Coronati Jahrbuch. Jahrbuch für Freimaurerforschung, Bd. 23 (1986), S. 252. 30 Alfons Mucha: Le Pater. Piazza et Cie. (Verleger), Paris 1899. Das Buch erschien in einer Auflage von 510 Exemplaren (390 in französischer Sprache und 120 in tschechischer Sprache), Abb. s. Mucha 2000, S. 60, 61. 31 Alfons Mucha: Documents décoratifs. Panneaux décoratifs, études et applications de fleurs, papiers peints, frises, vitraux, orfèvrerie. Librairie Centrale des Beaux-Arts, Paris 1902 (Abb. s. Mucha 2000, S. 68–77). Ein Buch mit den Tafeln von Documents décoratifs kam 1980 heraus, allerdings ohne Einhaltung der originalen Seitenreihung: Alphonse Mucha, David M. H. Kern: The Art Nouveau Style Book of Alphonse Mucha. All 72 Plates from Documents Décoratifs in Original Color, Mineola New York 1980. Alfons Mucha: Figures décoratives, Paris 1905. Es erschien ebenso wie bei den Documents décoratifs ein Werk mit den gleichen Illustrationen von Mucha, aber wiederum ohne die originale Seitenreihung zu berücksichtigen: Alfons Mucha, Anna Dvořák: Mucha’s Figures Décoratives. 40 plates by Alphonse Mucha, New York 1981. 32 Mucha 2000, S. 117. 33 Für weitere Informationen zur Ausstattung des Pavillons von Bosnien und Herzegowina s. Kapitel 11.3. 23

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Biographie

3.3 Die Jahre in den Vereinigten Staaten Durch die Bekanntschaft mit Sarah Bernhardt eröffneten sich Mucha neue Möglichkeiten: Im Jahre 1904 besuchte er zusammen mit ihr das erste Mal Amerika. Trotz seines großen Erfolges in Paris hatte er finanziell kaum profitieren können. Daher erhoffte er sich, in den USA größere Aufträge zu erhalten. 34 Sein Ziel war auch eine persönliche Weiterentwicklung, die ihn von den meist kommerziellen Entwürfen entfernen sollte. Doch auch in den Vereinigten Staaten wurde er zunächst als der gefeierte Lithograph der Poster und Panneaux empfangen. Muchas wohl insgesamt sechs Aufenthalte in den Vereinigten Staaten dauerten unterschiedlich lang; zwischen den Jahren 1904 und 1913 reiste er immer wieder zwischen seiner Heimat und Nordamerika hin und her. Die von ihm besuchten Orte waren New York City, Philadelphia, Chicago sowie Lake Forest, ein wohlhabender Vorort von Chicago, und Cape Cod, eine Halbinsel im Südosten von Massachusetts. 35 Insbesondere während der ersten Jahre dieser Epoche bezog er sein wesentliches Einkommen aus Kunstunterricht, den er in New York,

Philadelphia und Chicago erteilte. 36 Des Weiteren erhielt er einige Aufträge für Porträts und weitere Arbeiten. Ausschlaggebend für seine weitere künstlerische Entwicklung war das Zusammentreffen mit dem amerikanischen Millionär Charles R. Crane, der ihm die Finanzierung seines Lebenswerkes, des Slawischen Epos, zusagte. 37 Mucha hatte vermutlich seit seiner ersten ausführlicheren Beschäftigung mit der slawischen Geschichte im Jahr 1899/1900, der Ausmalung des Pavillons von Bosnien-Herzegowina, ein noch größeres Werk geplant, um bestimmte Episoden der slawischen Geschichte und einzelner Nationen sowie seine moralische Weltsicht wiederzugeben. Die Schaffung der zwanzig monumentalen Leinwände für das Epos beschäftigte Mucha rund zwei Jahrzehnte: 1928 übergaben er und Crane das gesamte Epos der Stadt Prag. Im Jahre 1906 heiratete er in seiner Heimat Marie Chytilová 38, mit der er zwei Kinder hatte. Die Tochter Jaroslava wurde im Jahre 1909 geboren, der Sohn Jiří 1915.

3.4 Die Rückkehr Mucha hatte ab 1904 die meiste Zeit – abgesehen von den Aufenthalten in den USA – in seiner Heimat verbracht. Der Künstler, der mehr als zwei Jahrzehnte fort gewesen war, verlegte seinen Lebensmittelpunkt immer mehr in sein Heimatland. Allmählich gelang ihm auch die künstlerische Rückkehr. Der Auftrag für die Ausmalung des Primatorensaales im Repräsentationshaus der Stadt Prag im Jahre 1911 war ein großer Schritt in diese Richtung. Mucha war zwei Jahre zuvor eingeladen worden, diesen prestigeträchtigen Auftrag zu über-

nehmen. 39 Muchas Rückkehr war nicht unproblematisch und insbesondere wegen seines Auftrags für den Primatorensaal gab es negative Presse, unter anderem weil sich seine Kollegen teilweise benachteiligt und übergangen fühlten. 40 Auch führten manche Arbeiten seines Spätwerks, die Mucha nach der Rückkehr in seine Heimat geschaffen hatte, zum Vorwurf des rückständigen Patriotismus. Seit der Gründung des Tschechoslowakischen Staates 1918 entwarf Mucha Staatssymbole, beispielsweise die ersten Briefmarken und Banknoten

Bridges 1980, S. 13. Mehr zu seinen Aufenthalten in den Vereinigten Staaten s. Anhang/Neue Erkenntnisse zu den USA-Aufenthalten Kapitel 15 sowie Anna Daley: Alphonse Mucha in Gilded Age America 1904–1921, MA-Arbeit der Parsons School of Art and Design History and Theory 2007 und die Bücher von Muchas Sohn, beispielsweise Mucha 1965, S. 193–273. 36 In New York hatte Mucha ab 1905 die Professur an der New York School of Applied Design for Women inne; in Chicago lehrte er am Art Institute of Chicago. 37 Für weitere Angaben zu Crane und der Finanzierung des Slawischen Epos s. Kapitel 7.4.1 sowie 11.4. 38 Marie Chytilová, genannt Maruška, war eine tschechische Kunststudentin, die an der Académie Colarossi und bei Mucha Veranstaltungen besuchte (s. Ausst. kat. Alfons Mucha. München: Museum Villa Stuck, 2003, Sarah Mucha (Hrsg.), Stuttgart 2003, S. 156). 39 Mucha 2000, S. 17. 40 Weitere Angaben zu Muchas Auftrag im Primatorensaal im Kapitel 10.13. 34 35

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Die Wahrnehmung und Aufarbeitung von Muchas Werk

des neugegründeten Staates. 41 Im Jahre 1919 präsentierte er die bis dahin vollendeten Werke des Slawischen Epos zum ersten Mal in seiner Heimat. 1921 wurden sie auch in den Vereinigten Staaten ausgestellt, weshalb sich die Familie Mucha nochmals für einen längeren Aufenthalt dorthin begab. 42 1928 erfolgte, wie bereits erwähnt, die Übergabe des gesamten Slawischen Epos an die Stadt Prag. In den folgenden Jahren beschäftigte er sich mit den Entwürfen für das Fenster im Veitsdom, welches sein letztes großes Werk wurde. Weiterhin pflegte er den Kontakt zu Freimaurer-Logen, sogar intensiver als in Paris. Zunächst war er verbotenerweise Mitglied der Loge Hiram zu den drei Sternen in Bratislava. 43 Später, als die Freimaurerei nicht mehr untersagt war, wurde er in Prag Mitgründer

und Großmeister der Freimaurerloge Jan Ámos Komenský. 44 Nach dem Einfall der Deutschen in die Tschechoslowakei im Jahre 1939 war Mucha einer der Ersten, die von der Gestapo festgenommen wurden. 45 Muchas bekannte politische Einstellungen – er war kein Feind der Juden, aber ein großer Patriot und den Deutschen gegenüber kritisch eingestellt – zusammen mit der Tatsache, dass er einer der ranghöchsten Freimaurer des Landes war, brachten ihn in Gefahr. Es wurde ihm zwar erlaubt, nach Hause zurückzukehren, aber der Gesundheitszustand des 79-Jährigen war sehr schlecht, sodass er am 14. Juli 1939 in Prag verstarb. Mucha wurde auf dem Friedhof des Vyšehrad, also auf dem Gelände der zweitwichtigsten Prager Burg, bestattet.

3.5 Die Wahrnehmung und Aufarbeitung von Muchas Werk Während der Besatzung der Tschechoslowakei durch die Nationalsozialisten wurden Muchas Werke verboten. 46 Seine Bilder, unter anderem das Slawische Epos, wurden versteckt, um vor der drohenden Zerstörung gerettet zu werden. In dieser Zeit wurde ein großer Teil seines ehemaligen Besitzes und des Besitzes seiner Familie vernichtet. 47 Im Jahre 1948 übernahmen die Kommunisten die Macht und die Tschechoslowakei geriet unter indirekte sowjetische Herrschaft. Wieder wurden Muchas Werke offiziell verboten, diesmal als Symbol bourgeoiser Dekadenz. 48 In den 1960er Jahren flammte in der westlichen Welt das öffentliche Interesse an Muchas Werk auf; allerdings betraf dies in erster Linie seine in Paris entstandenen dekorativen Panneaux und Werbeplakate. Ausstellungen unter anderem in London

und Paris zeigten seine Werke. 49 In dieser Zeit begann auch die wissenschaftliche Aufarbeitung seines künstlerischen Schaffens. Jiří Mucha schuf mit seinen monographischen Büchern, die ab 1965 erschienen, die Grundlage dafür. Mit Muchas Spätwerk allerdings, darunter auch der monumentale Zyklus des Slawischen Epos und das Fenster des Prager Veitsdomes, tat sich die Öffentlichkeit in seiner Heimat lange schwer. Ein Grund dafür mag sein, dass sich Mucha seit seiner Rückkehr in die Heimat vermehrt mit komplexen Darstellungsinhalten auseinandergesetzt hatte, die nicht leicht zu entschlüsseln sind. Seine inhaltlich verflochtenen und vielschichtigen Gemälde des Slawischen Epos mit historischen, philosophischen und humanistischen Botschaften sind ein gutes Beispiel hierfür. Dazu kommt die Problematik der stets prä-

Mehr Informationen zu Muchas Aufträgen von Staatssymbolen s. Kapitel 12. 1921 fand Muchas erfolgreiche Ausstellung seiner Arbeiten im Brooklyner Museum in New York statt (s. Auss. kat. Alfons Mucha: Historical Paintings of the Slavic Nations by Alfons Mucha, New York: The Brooklyn Museum, New York 1921). 43 Quenzer 1983, S. 255. 44 Jan Ámos Komenský (auch Comenius) lebte von 1592 bis 1670. Er war ein bedeutender Pädagoge, Philosoph, Theologe und Bischof aus Mähren und Autor sehr vieler pädagogischer Schriften, Lexika, Wörterbücher und diversen humanistischen Schriften mit Gedankengut der Reformation (s. Milada Blekastad: Comenius. Versuch eines Umrisses von Leben, Werk und Schicksal des Jan Amos Komenský, Oslo/Prag 1969). 45 Bridges 1980, S. 14. 46 Mucha 2000, S. 11. 47 Persönliche Anmerkung von John Mucha (Enkelsohn Alfons Muchas) im Oktober 2006. 48 Mucha 2000, S. 11. 49 Mucha 2000, S. 19. 41

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Biographie

senten Frage nach der nationalen Zugehörigkeit und Identität in Muchas Spätwerk; diese Thematik dürfte vor allem für Muchas Landsleute, die die Zerschlagung ihrer Heimat 1938/1939 und die Okkupation durch das Deutsche Reich bis 1945 erlebt haben, eine schmerzende Erinnerung gewesen sein und es wurde möglicherweise auch deshalb vielfach ignoriert. Erst in den vergangenen Jahren scheint sich das Verhältnis zu Muchas Spätwerk langsam zu ändern. Einen großen Anteil daran tragen sicherlich die Mucha Foundation sowie der Mucha Trust, die ein Jahr nach dem Tod von Jiří Mucha im Jahre 1991 von seiner Witwe Geraldine und dem gemeinsamen

Sohn John Mucha ins Leben gerufen wurden. Im Jahre 1998 wurde das Mucha Museum in Prag gegründet, das seine große Werk-Sammlung auch an international hoch beachteten Ausstellungen teilnehmen lässt. 50 Im Zusammenhang mit den Ausstellungen der letzten Jahre und den zugehörigen Publikationen ist eine wissenschaftliche Aufarbeitung von Muchas Spätwerk zu beobachten, die mit zu einem schlüssigen Gesamtbild seines künstlerischen Schaffens beiträgt. Im Zuge dieser Welle einer neuen, allesumspannenden Beleuchtung von Muchas Schaffen konnten aber noch nicht alle seine Werke der späten Phase eingehend betrachtet werden, beispielsweise fehlte bisher noch das Glasgemälde des Prager Veitsdoms.

Einige der wichtigsten Ausstellungen in den letzten Jahren waren: 2021: Alphonse Mucha. La Beauté Art-Nouveau in Quimper 2018/19: Alphonse Mucha im Palazzo Pallavicini in Bologna 2018/19: Alphonse Mucha im Musée du Luxembourg in Paris 2015–17: Alphonse Mucha – In Quest of Beauty: Russel-Cotes Art Gallery, Bournemouth; Sainsbury Centre for Visual Arts, Norwich; Kelvingrove Art Gallery and Museum, Glasgow; Walker Art Galley, Liverpool 2014: Alfons Mucha – The Road to Glory im Mirbach Palace in Bratislava 2013: Mucha Manga Mystery im Museum Bellerive in Zürich 2013: Alphonse Mucha. An Insight into the Artist in der Mori Arts Center Gallery in Tokyo 2013: Ivan Lendl: Alfons Mucha im Repräsentationshaus in Prag 2009: Alfons Mucha. Meister des Jugendstils in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung in München 2009: Alfons Mucha im Belvedere in Wien 2008/2009: Alphonse Mucha. Seducción, modernidad, utopía in der Fundacion La Caixa in Barcelona

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4. Die historischen Persönlichkeiten Kyrill und Method 4.1 Quellenlage Es sind ungefähr dreihundert schriftliche Quellen erhalten, die in zumeist lateinischer, aber auch griechischer, arabischer und hebräischer Sprache auf die als Slawenapostel bekannten Brüder Kyrill und Method eingehen. 51 Die kritische und auf Fakten basierende Forschung gestaltet sich jedoch schwierig, da viele dieser Quellen nur wenige exakte Angaben enthalten und das Beschriebene sicherlich verklärt ist. Zudem kam insbesondere im 19. Jahrhundert durch die Etablierung der Slawistik als wissenschaftlicher Disziplin und die methodische Aufarbeitung der Heiligenviten von Kyrill und Method eine außerordentliche Vermischung der wenigen

gesicherten Tatsachen mit starker Mythenbildung auf. 52 In den 1980er Jahren wurde die Diskussion um die Slawenapostel und deren Bedeutung nochmals aufgerollt. Einerseits geschah dies 1980 im Zusammenhang mit ihrer Ernennung durch Johannes Paul II. zu Patronen Europas, andererseits wurden 1985 anlässlich des 1100. Todestages von Method zahlreiche Symposien abgehalten, auf denen auch neue Ergebnisse aus der Forschung präsentiert wurden. All dies kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass bis heute über viele Details aus dem Leben der Slawenapostel kaum etwas Sicheres bekannt ist.

4.2 Historischer Hintergrund und Heiligenlegende Die Slawen, mehrere verschiedene Völker und Volksstämme, die große Gebiete zwischen Schwarzem Meer, Mittelmeer und Ostsee besiedelten, lassen sich historisch und archäologisch erst ungefähr ab dem Jahre 500 fassen. 53 Die frühmittelalterliche Chronik des Fredegar nennt den ersten namentlich bekannten Herrscher eines slawischen Reiches: Samo soll im 7. Jahrhundert über das südliche MarchGebiet, also das heutige Mähren, einen Teil Österreichs und einen Teil der Slowakei, geherrscht haben. 54 Aus dem 8. und 9. Jahrhundert sind mehr Angaben überliefert, beispielsweise wird über krie-

gerische Auseinandersetzungen mit den Awaren gegen Ende des 8. Jahrhunderts berichtet. Ein mährisches Reich wird in den Quellen das erste Mal im 9. Jahrhundert erwähnt; dessen Anfänge sind aber völlig ungeklärt. 55 Bei den damals existierenden Fürstentümern bzw. Herrschaftsreichen handelte es sich wohl zumeist um kleinere Volksstämme, die ursprünglich einen nicht-christlichen Glauben hatten. 56 Es existierte ein System mit einer Vielzahl an verschiedensten Gottheiten und Naturwesen, das in vielerlei Hinsicht Ähnlichkeit mit der indogermanischen

Zu den wichtigsten Quellen über Kyrill und Method wird die Vita Constantini gerechnet; sie wurde wohl kurz nach Kyrills Tod in Pannonien geschrieben, als Autor wird Clemens von Ohrid vermutet. Die Vita Methodii hingegen wurde wahrscheinlich von einem Schüler Methods ebenfalls in Pannonien verfasst, möglicherweise sogar noch in seinem Sterbejahr 885 (Janez Vodopivec: Saints Cyrille et Méthode. Patrons de l’Europe, Paris 1986, S. 67 und 68; Friedbert Ficker: Die Heiligen Kyrill und Method in der Kunst. Nachlese zu einer Ausstellung in Sofia, in: Das Münster. Zeitschrift für christliche Kunst und Kunstwissenschaft, Bd. 2 (1996), S. 155). 52 Für weitere Informationen bezüglich der Mythenbildung bei Kyrill und Method s. Kapitel 11.6. 53 Sebastian Brather: Archäologie der westlichen Slawen. Siedlung, Wirtschaft und Gesellschaft im früh- und hochmittelalterlichen Ostmitteleuropa, Berlin et al. 2008, S. 55. Die größte Ausdehnung nach Norden und nach Westen erfolgte wesentlich später: Die Besiedlung zwischen Elbe und Saale ist erst um 600 oder im 7. Jahrhundert nachweisbar (zu den archäologischen Funden s. beispielsweise: Arnold Muhl: Bildnis eines slawischen Gottes, in: Ausst. kat. Schönheit, Macht und Tod. 120 Funde aus 120 Jahren Landesmuseum für Vorgeschichte Halle, Harald Meller (Hrsg.), Halle/S. 2001, S. 88). Die mecklenburgische bzw. pommersche Küste wurden vermutlich um 650 bis 700 erreicht, nach Ostholstein gelangten die Slawen wahrscheinlich nach 700. 54 Die Chronik des Fredegar ist jedoch die einzige Quelle, die Samo aufführt (Brather 2008, S. 62 und 63). 55 Brather 2008, S. 68. Im Zusammenhang mit den Anfängen des mährischen Reiches finden sich die Namen von bekannten Fürsten wie Mojmir, Rastislav und Svatopluk. Für weitere Informationen zu den einzelnen Fürsten s. Kapitel 8.1. 56 Josef Poulík: Großmähren und die Mission des Kyrill und Method, Prag 1985, S. 8. 51

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Die historischen Persönlichkeiten Kyrill und Method

Götterwelt erkennen lässt. 57 Die Bevölkerung hielt wohl in vielen Gebieten bis zur Ankunft von Kyrill und Method am ursprünglichen slawischen Pantheon fest, daran änderten auch zahlreiche, schon davor bestehende Handelsbeziehungen der Slawen – unter anderem zu Byzanz – kaum etwas. 58 Erste Versuche einer Christianisierung des slawischen Gebietes wurden wohl unter anderem von König Ludwig II. vom Ostfrankenreich aus unternommen. 59 Er übte in einigen slawischen Fürstentümern großen Einfluss aus und sandte vor allem Missionare aus dem benachbarten Bayern zu den Slawen, was jedoch nicht vom erhofften Erfolg gekrönt war. 60 Der mährische Fürst Rostislav, der im Jahre 846 an die Macht gekommen war, erreichte 850 durch politisches Geschick die Unabhängigkeit Mährens vom Ostfrankenreich. 61 Er vertrieb die fremden Missionare aus seinem Reich, weil er vorhatte, eine mährische und von Ludwigs Ostfrankenreich unabhängige Kirche aufzubauen. Dafür entsandte er im Jahre 860 oder 861 eine Delegation zu Papst Nikolaus I. nach Rom, um die Schaffung eines Kirchenstaates billigen zu lassen und einen Bischof für dessen Führung zu beordern. 62 Dies wurde jedoch, wohl aus politischen Gründen, abgelehnt. Deshalb sandte Rostislav im Jahre 862 oder 863 das gleiche Begehren an den byzantinischen Kaiser Michael III. und an den Patriarchen von Konstantinopel, Photios. 63 Die Aufgabe wurde den Brüdern Method und Kon-

stantin, der später unter dem Namen Kyrill bekannt werden sollte, anvertraut. Sie hatten wohl beide eine theologische Ausbildung: Kyrill, der den Beinamen der Philosoph trug, war Mönch, und Method übte zu dieser Zeit die Tätigkeit eines Abtes aus. Die Brüder waren bereits missionserfahren: Eine ihrer bis zu diesem Zeitpunkt erfolgreichsten Missionen war die Entdeckung der sterblichen Überreste von Clemens I., der als dritter Nachfolger Petri gilt, auf der Krim im Jahre 860. 64 Kyrill wurde um 826/27 in Thessaloniki geboren, sein Bruder Method war etwas älter. 65 Ihr Vater Leontios soll Offizier in byzantinischen Diensten gewesen sein. Heute geht die Forschung davon aus, dass es sich bei der Familie Kyrills und Methods um Griechen handelte. 66 Sie beherrschten aber trotzdem offenbar die mit dem Bulgarischen eng verwandte slawisch-makedonische Sprache, die in Byzanz und in dessen Hinterland weit verbreitet war. Die byzantinisch-orthodoxen Kirchen der damaligen Zeit kannten keine Einschränkungen im Gebrauch anderer Sprachen in der Liturgie, was sie auch auf andere Regionen zu übertragen suchten, so auch in diesem Fall auf das slawische Gebiet. 67 Da es bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Schriftsprache im großmährischen Raum gab, entwickelten Kyrill und Method zunächst eine eigene Schriftsprache, die Glagoliza. 68 Dadurch war es möglich, ausgewählte christliche Liturgie sowie die Bibel in

Weiterführende Literatur zur slawischen Mythologie s. beispielsweise: Zdeněk Váňa: Mythologie und Götterwelt der slawischen Völker. Die Impulse Ost-Europas, Stuttgart 1992; Josef Růžička: Slovanské Bájesloví (Mythologie), Olomouc 1907; Ignaz Johann Hanusch: Die Wissenschaft des Slawischen Mythus im weitesten, den altpreussisch-lithauischen Mythus mitumfassenden Sinne, Lemberg et al. 1842. 58 Poulík 1985, S. 19. 59 Ludwig der Deutsche oder Ludwig der Fromme, König des Ostfrankenreichs, wurde um 806 geboren und starb 876 (s. beispielsweise: Wilfried Hartmann: Ludwig der Deutsche, Darmstadt 2002). 60 Poulík 1985, S. 20–22. 61 Rostislav (oder Rastislav, Rostislaw) war von 846 bis 871 mährischer Fürst, s. auch Kapitel 8.1.2 und Anm. 429. 62 Brather 2008, S. 70. 63 Günther Stökl (Hrsg.): Zwischen Rom und Byzanz. Leben und Wirken der Slavenapostel Kyrillos und Methodios nach den pannonischen Legenden und der Klemensvita, Bericht von der Taufe Russlands nach der Laurentiuschronik (Slavische Geschichtsschreiber, 1), Graz 1972, S. 93; Poulík 1985, S. 21 und 22. 64 Clemens I. war wohl der dritte Nachfolger Petri und wurde um 50 n. Chr. geboren. Er starb entweder im Jahr 97 oder 101 (Stökl 1972, S. 102; Friedrich Wilhelm Bautz: Art. Clemens I., in: Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. I, Hamm 1990, Sp. 1048–1049). Eine weitere Missionsreise hatte die Brüder im Jahre 854 zu den Arabern geführt (Ficker 1996, S. 155; Stefan Samerski: Die Landespatrone der böhmischen Länder. Geschichte, Verehrung, Gegenwart, Paderborn et al. 2009, S. 161). 65 Evangelos Konstantinou (Hrsg.): Methodios und Kyrillos in ihrer europäischen Dimension (Philhellenische Studien, 10), Frankfurt a. M. 2005, S. 13. 66 Brather 2008, S. 70. 67 Konstantinou 2005, S. 20. 68 Mit der Glagoliza schufen Kyrill und Method ein von anderen Schriften formal unabhängiges, neues Alphabet. Miklas geht davon aus, dass sie sich dabei vermutlich auf griechische Minuskeln sowie kaukasische und semitische Schriftsysteme stützten. Nachgewiesen ist, dass christliche 57

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Historischer Hintergrund und Heiligenlegende

eine Sprache zu übersetzen, die die einheimische Bevölkerung verstand. Die bisherigen Missionare hatten sich an die Weisung der drei heiligen Sprachen gehalten und damit ein Verstehen der liturgischen Texte durch die slawische Bevölkerung verunmöglicht. 69 Kyrill und Method begannen wohl bereits in Byzanz mit der Übersetzung von Glaubenstexten in die Glagoliza. Im Jahre 863 oder 864 sollen sie zum ersten Male mährischen Boden betreten haben. 70 Die slawische Bevölkerung konnte nun, durch die Entwicklung der neuen Schriftsprache, den christlichen Gottesdienst verstehen. Dies bildete die Basis für die Annahme der christlichen Kultur und Bildung auf breiter Fläche sowie die Grundlage für slawische Literatur, was die nachfolgenden Jahrhunderte entscheidend prägen sollte. Doch insbesondere im benachbarten Ostfrankenreich und in Rom stand man Kyrill und Method skeptisch gegenüber. In Mähren wirkten sie bis zum Jahr 867; es folgte ein halbes Jahr in Pannonien beim Fürsten Kocel, der ihre Mission fortan unterstützte. 71 Danach begaben sie sich auf eine Reise, um die Gebeine des heiligen Clemens, die sie 860 auf der Krim entdeckt hatten, nach Rom in die Kirche San Clemente zu überführen. Nach der Übergabe der Reliquien im Jahre 868 an Papst Hadrian II. segnete dieser auch die Übersetzungen liturgischer Texte in die Glagoliza. 72 Im darauffolgenden Jahr erreichten sie sogar trotz aller Wider-

stände, dass der Papst mit der Bulle Gloria in excelsis Deo die slawische Sprache in der Liturgie bewilligte. Method wurde im selben Jahr in Rom zum Erzbischof von Pannonien und Mähren ernannt. 73 Kyrill, der bis zu diesem Zeitpunkt Konstantin geheißen hatte, trat in Rom in ein Kloster ein und nahm dort seinen neuen Namen an, unter dem er auch der Nachwelt bekannt wurde. Kurz danach verstarb er im Jahre 869. 74 Inzwischen wollte sich der Neffe Rostislavs, Svatopluk, mit dem ostfränkischen Reich verbünden. Rostislav, der Initiant der Mission, reagierte mit einem gescheiterten Mordversuch an seinem Neffen, worauf Svatopluk ihn im Jahre 870 gefangen nahm. 75 Damit änderte sich die politische Situation grundlegend, denn Svatopluk wollte die fortschreitende Missionierung verhindern. Method kehrte nach dem Tode seines Bruders nach Mähren zurück. Dabei geriet er jedoch in Gefangenschaft, weil ihn mit Svatopluk verbündete Kirchenvertreter zwingen wollten, auf seinen kirchlichen Rang zu verzichten. 76 In Regensburg wurde er verurteilt und bis 873 wahrscheinlich in Ellwangen gefangen gehalten. 77 Erst auf Druck des neuen Papstes, Johannes VIII., kam Method frei. 78 Nach seiner Entlassung kehrte er schließlich im Jahre 874 in seine Diözese zurück, um die Mission ohne seinen verstorbenen Bruder weiterzuführen. 79 Nach zwischenzeitlichen

Symbole – beispielsweise das Kreuz, der Kreis oder das Dreieck – bei der Formgebung eine wichtige Rolle spielten (Heinz Miklas (Hrsg.): Glagolitica. Zum Ursprung der slavischen Schriftkultur (Schriften der Balkankommission, 41), Wien 2000, S. 58). Zur Glagoliza s. auch Kapitel 8.3. 69 In den Sprachen Latein, Hebräisch und Griechisch soll die Inschrift auf dem Kreuz Christi angebracht worden sein, wie das Evangelium des Johannes mitteilt (Joh 19,20). Die Liturgie war bis zur Ankunft von Kyrill und Method in Mähren ausschließlich in einer dieser Sprachen verlesen worden und daher von der lokalen Bevölkerung nicht verstanden worden. 70 Neuere Forschungsergebnisse präferieren das Jahr 864, s. Samerski 2009, S. 161. 71 Weitere Informationen zum Fürsten Kocel s. Kapitel 8.1.2 und Anm. 428. 72 Zu weiteren Angaben zu Papst Hadrian II. s. Friedrich Wilhelm Bautz, Art. Hadrian II., in: Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. II, Hamm 1990, Sp. 425–427. 73 Konstantinou 2005, S. 13. 74 Kyrill wurde in San Clemente bestattet (Josef Myslivec: Art. Cyrillus (Konstantin) und Methodius. Apostel der Slawen, in: Lexikon der christlichen Ikonographie, Bd. 6, Rom et al. 1990, Sp. 23–26, Sp. 23). 75 Poulík 1985, S. 23. 76 Poulík 1985, S. 23. 77 Einige Autoren gehen auch von einer Einkerkerung in Reichenau aus (Konstantinou 2005, S. 261–269). 78 Zu Johannes VIII.: Michael Plathow: Art. Johannes VIII., in: Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. III, Hamm 1992, Sp. 392–394. 79 Poulík 1985, S. 23. Angeblich soll es sieben Bischöfe im Erzbistum von Method gegeben haben. Diese Anzahl wird in der mittelalterlichen Christianslegende überliefert, die die Christianisierung von Böhmen und Mähren schildert. Aktuelle Forschungsergebnisse zweifeln sie jedoch an; aber auch schon im 19. Jahrhundert äußerte sich Dobrovský kritisch zu dieser Zahl (Johannes Fried: Otto III. und Boleslaw Chrobry. Das Widmungsbild des Aachener Evangeliars, der Akt von Gnesen und das frühe polnische und ungarische Königtum, Stuttgart 2001, S. 93; Jaroslav Kadlec: Die sieben Suffragane des hl.

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Die historischen Persönlichkeiten Kyrill und Method

Schwierigkeiten genehmigte der Papst schließlich im Jahre 880 in der Bulle Industriae tuae den slawischsprachigen Gottesdienst, jedoch unter der Auflage, dass in der Liturgie zunächst lateinisch und dann erst slawisch gelesen werde. 80 Nach dem Tode Methods am 6. April 885 81 wurden die Fortschritte zunächst zunichte gemacht, denn die slawische Liturgie wurde noch im selben Jahr in den westslawischen Gebieten von Pannonien und Mähren wieder verboten. Die Schüler Methods und andere, die die slawische Liturgie pflegten, wurden aus Großmähren verbannt. Viele von ihnen gelangten nach Bulgarien, wo sie sich am Hofe des Zaren Boris entfalten und ungehindert das slawische Schrifttum verbreiten konnten. 82 Hier entwickelten die ehemaligen Schüler der Slawenapostel aus der Glagoliza die Kyrilliza; sie ist die Basis der heute noch geschriebenen kyrillischen Schriftsprachen und wurde nach Kyrill benannt. Das Christentum setzte sich in Böhmen und Mähren schließlich doch durch, zunächst bei der adligen Bevölkerung der Fürstensitze, Ende des 9. Jahrhunderts dann auch bei der ländlichen Bevölkerung. 83 Dass die Mission von Kyrill und Method nicht nur in der Ausübung der Liturgie Früchte trug, beweisen auch die archäologischen Funde

der noch im 9. Jahrhundert in Mähren erbauten steinernen Kirchen. 84 In alten Quellen finden sich zahlreiche Hinweise auf Täuflinge, die sich direkt von den Slawenaposteln oder von deren Schülern haben taufen lassen. Dieser symbolische Akt stellte damals wahrscheinlich nicht nur ein Bekenntnis zum christlichen Glauben dar, sondern galt ebenso als politische Gleichstellung der östlichen Machthaber, da diese von westlichen Herrschern erst mit der Taufe als gleichwertig angesehen wurden. Daher war die Taufe von slawischen Fürsten und hohen Beamten im 9. Jahrhundert wohl keine Seltenheit mehr. 85 Einer der in den historischen Quellen überlieferten Täuflinge ist Fürst Bořivoj, der erste historisch nachweisbare Herrscher von Böhmen. Er bekannte sich zum Christentum, getauft wurde er von Method. 86 Nicht zweifelsfrei gesichert ist der genaue Zeitpunkt der Taufe – sie könnte noch vor Kyrills Tod 869 stattgefunden haben; möglicherweise taufte Method ihn auch zusammen mit seinem Bruder – sowie auch, ob seine Ehefrau Ludmilla zum gleichen Zeitpunkt getauft wurde. Nach der Taufe soll Bořivoj bei Prag eine Kirche errichtet haben, um seinen Glauben zu bekräftigen. 87

4.3 Die Bedeutung der Slawenapostel Das Bruderpaar stellt einen wichtigen Teil nicht nur der tschechischen Geschichte, sondern auch jener der gesamten slawischen Völker und Nationen dar. Ihre Bedeutung besteht darin, dass sie die Basis für die slawische Schriftsprache legten und die sla-

wischsprachige Liturgie durchsetzten. Ihre Mission galt daher nicht nur der Verbreitung des Christentums, sondern der übergeordneten Bildungstätigkeit, die wesentlich für die politische und kulturelle

Methodius in der Legende des sogenannten Christian, in: Franz Zagiba (Hrsg.): Methodiana. Beiträge zur Zeit und Persönlichkeit, sowie zum Schicksal und Werk des hl. Method (Annales Instituti Slavici, 9), Wien/Köln/Graz 1976, S. 61–70 sowie Josef Dobrovský: Cyrill und Method, der Slawen Apostel. Ein historisch-kritischer Versuch, Prag 1823, S. 105). 80 Poulík 1985, S. 24. 81 Der Bestattungsort Methods ist unbekannt (Myslivec 1990, Sp. 23). 82 Poulík 1985, S. 25. 83 Poulík 1985, S. 21. 84 Poulík 1985, S. 18, 20, 21. 85 Poulík 1985, S. 20. 86 Bořivoj I. wurde wohl zwischen 852 und 855 geboren und starb zwischen 888 und 890, die genauen Daten seiner Herrschaft sind unklar. Seine Ehefrau war Ludmilla, die um 860 geboren wurde und im Jahr 921 verstarb, vgl. hierzu Kapitel 8.1.2, Anm. 438; Kapitel 9.1 sowie Kapitel 9.4. Mit Ludmilla zusammen hatte er mindestens zwei Söhne: Vratislav I. sowie Spytihněv I. Der erstgenannte war der Vater von Wenzel, s. Anm. 438, 510, 531 und 532. 87 Bei der Kirche handelt es sich um die Kirche des hl. Clemens in Levý Hradec, das ungefähr zehn Kilometer von Prag entfernt ist (Poulík 1985, S. 33; Verena Friedrich: St.-Veits-Dom, Prag. Weltkulturgut der UNESCO, Passau 1996, S. 2).

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Die Bedeutung der Slawenapostel

Entwicklung der gesamten slawischen Welt verantwortlich war. Die Idee der Mission entwickelte sich zwar aus der byzantinischen Kultur und Religion heraus, jedoch scheint sie universell gültig zu sein. 88 Vodopivec sieht in ihr eine Botschaft der Humanität: Die Kirche sollte – ohne Aufgabe der individuellen Kultur oder Sprache – allen Bevölkerungsgruppen offenstehen. Kyrill und Method werden daher heute auch als das verbindende Glied zwischen verschiedenen Kulturen und Traditionen gesehen. Stanislav Balík drückt dies mit den folgenden Worten aus: „Mit ihrer Tätigkeit wurden letztlich die Grundlagen nicht nur für die tschechische, sondern auch für die mitteleuropäische Zivilisation im Zeichen des Abendlandes gelegt. Diese Tatsache scheint man für selbstverständlich zu halten. An den tsche-

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chischen Schulen beginnt der Unterricht der tschechischen Literaturgeschichte eben mit der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts, mit dem Wirken Konstantins und Methods. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass Europa ohne sie vermutlich ganz anders aussehen würde. Die beiden Heiligen sind daher als Mitbegründer der kulturellen Zivilisation Europas zu verstehen.“ 89 Ihre Wirkung hat eine interkulturelle und eine europäische Dimension, deren Bedeutung offiziell erst in jüngster Zeit – mit der Heiligsprechung 1880 sowie der Ernennung zu Patronen Europas 1980 – anerkannt worden ist. Die Verehrung der Slawenapostel in der Bevölkerung dagegen hat eine lange Tradition und ist tief verwurzelt – und zwar in praktisch jeder slawischen Nation. 90

Vodopivec 1986, S. 170. Stanislav Balík: Kyrill und Method. Verehrungsgeschichte, in: Samerski 2009, S. 164 und 165. Mehr zur Verehrungsgeschichte und Ikonographie der Slawenapostel s. Kapitel 11.6.

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5. Die Abfolge der Ereignisse: Eine Rekonstruktion 5.1 Einführung Die folgende chronologische Darstellung dient einerseits dazu, die Geschehnisse, die zu Muchas Nominierung geführt haben, zu verstehen, andererseits lassen sich auf dieser Grundlage die möglichen Gründe erörtern, weshalb die beiden ersten Entwürfe nicht realisiert wurden. Zudem kann auf diese Weise erstmals die genaue Reihenfolge der drei Entwürfe geklärt werden. In der bisherigen Forschung gab es noch keinerlei Übereinkunft über deren konkrete Entstehungsdaten und keine Untersuchung dazu. Von Mucha selbst sind – nach heutigem Kenntnisstand – keine Dokumente zur Arbeit an dem Glasgemälde erhalten geblieben. Daher müssen andere Quellen herangezogen werden, beispielsweise Dokumente des 1859 gegründeten Prager Dombauvereins, dessen Hauptaufgabe die Vollendung des Veitsdomes war. In den Anfängen bestand der Dombauverein aus einem Präsidenten und bis zu 15 Mitgliedern, die teilweise dem Domkapitel angehörten, unter denen aber auch Juristen, Universitätslehrer und andere Berufe vertreten waren. 91 Doch schon bald nach der Gründung kristallisierte sich unter dem

Protektorat des Erzbischofs von Prag eine komplexere Organisation heraus: Es entstanden spezialisierte Bereiche wie die kommunale Abteilung (odbor pro obecní řízení), die Abteilung für Vermögensverwaltung (odbor pro správu jmění) oder die Abteilung für Kunst (odbor umělecký), die allesamt von der Direktion des Dombauvereins geleitet wurden. 92 Auch in den 1920er und 30er Jahren war der Dombauverein noch ähnlich organisiert; so waren unter der Direktion folgende Abteilungen vorhanden: die Geschäftsleitung (odbor jednatelský), die Abteilung für Vermögensverwaltung (odbor pro správu jmění) und die Abteilung für Kunst (odbor umělecký), zu der auch der Dombaumeister gehörte. Die letztgenannte Abteilung prüfte alle eingereichten künstlerischen Entwürfe und konnte somit entscheiden, welche davon zur Ausführung zugelassen wurden. Dieser Vorgang und die damit verknüpften Dokumente spielen im Zusammenhang mit Muchas Entwürfen eine zentrale Rolle. Eine weitere bedeutende Quelle des Dombauvereins sind die Berichte Výroční zpráva Jednoty pro dostavění hlav. chrámu sv. Víta na hradě pražském 93,

V. Z. J./Výroční zpráva Jednoty pro dostavění hl. chrámu sv. Víta na hradě Pražském (dt.: Jahresbericht des Dombauvereines), Prag [1861–1952], 1861, Teil 2, S. 39. 92 s. V. Z. J. (1862/63) 1863, Teil 2, S. 34 und V. Z. J. (1869/70) 1871, Teil 2, S. 64. 93 V. Z. J./Výroční zpráva Jednoty pro dostavění hlav. chrámu sv. Víta; erschienen von 1861 bis 1952. Der erste Band erschien zwei Jahre nach der Gründung des Dombauvereins bzw. nach der dritten Mitgliederversammlung überhaupt. Die für die Untersuchung herangezogenen Berichte umfassen die Jahre 1868 bis 1932. Die angegebenen Jahreszahlen der Literaturangaben beziehen sich auf das Jahr der Veröffentlichung der Jahresberichte, so beinhaltet beispielsweise V. Z. J. 1929 die Ereignisse des Jahres 1928, die im darauffolgenden Jahr veröffentlicht wurden. Die Inhalte der Jahresberichte wurden – soweit dies überprüft werden konnte – im ersten Halbjahr des nachfolgenden Jahres in einer Sitzung des gesamten Dombauvereins besprochen und danach veröffentlicht. Es darf aber nicht vergessen werden, dass sie zu jeder Zeit die Interessen der Baukommission widerspiegeln. Höchst interessant wäre die Klärung der Frage nach dem Publikum der Jahresberichte; eine Ermittlung der konkreten Auflagenhöhe der jährlich erscheinenden Berichte wäre aufschlussreich, ebenso genauere Angaben zu den direkten Empfängern dieser Publikation. Dies ist aber leider auch unter Einbeziehung der Archive der Prager Burg bisher nicht möglich gewesen (ein großer Dank geht diesbezüglich an Mgr. Martin Halata der Archive der Prager Burg). Die Klärung dieser Fragen wird auch durch die wechselnden, für den Druck verantwortlichen Verlage erschwert. Heute existiert nur noch die Arcibiskupské knihtiskárny (dt.: Erzbischöfliche Buchdruckerei), sodass diesbezüglich kaum mehr Nachforschungen möglich sind. Auch bei der Erzdiözese Prag hat man darüber keine Informationen mehr (freundliche Mitteilung am 23. 6. 2014 von Josef Nerušil, Stellvertretender Direktor der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit des Erzbistums in Prag). Die Verlage für einige Jahrgänge der Dombauverein-Berichte lauten: 1897: Selbstverlag des Vereins 1886/1889/1896/1898–1901/1906/1911/1916/1920/1924–1927: knížecí-arcibiskupské knihtiskárny, Prag 1921/1922: Rohlíčka a Sieverse 1923: Cyrillo-Methodějská knihtiskárna, Kotrba 1928–1932/1934: Státní tiskárna, Prag 91

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Chronologie

die jährlich in Buchform erschienen. Auch wenn es keine Sicherheit darüber gibt, muss angenommen werden, dass die Jahresberichte des Dombauvereins einer größeren Leserschaft zugänglich waren. 94 Es ist davon auszugehen, dass sie nicht nur von den Mitgliedern des Dombauvereins und den Geldgebern gelesen wurden, sondern zumindest auch der politischen Elite und anderen wichtigen Persönlichkeiten in Prag und Umgebung zugänglich waren. Über diese Berichte hinaus werden die Tagespresse und andere öffentlich publizierte Nachrichten miteinbezogen, um eine möglichst vollständige Chronologie der Ereignisse darzustellen. 95 Eine bedeutende Quelle stellen ebenfalls die Dokumente der Banka Slávie dar, die die direkte Zusammenarbeit mit Mucha dokumentieren. 96 Bei der Rekonstruktion der Chronologie wurde der Fokus einerseits auf thematisch ähnliche Werke

sowie Ähnlichkeiten in der Beauftragung gelegt, auch aus der Zeit bevor Alfons Mucha in die Planung des Glasgemäldes miteinbezogen wurde. Dies dient als Basis für später folgende Vergleiche mit Muchas Glasgemälde. Andererseits sollen aber auch bauliche Maßnahmen wie beispielsweise der Einbau der Fenster bzw. der Fensterformen, sprich Maßwerk, provisorische Glaseinsätze etc., dargelegt werden sowie Ereignisse, die mit der Hora-Kapelle zusammenhängen, in die Muchas Glasgemälde eingebaut wurde. Der nun folgende Ablauf der Ereignisse ist in einzelne Abschnitte untergliedert, die jeweils unterschiedlich lange Zeitspannen behandeln. Die Nummerierung der hier folgenden Kapellen und Bereiche des Veitsdomes folgt dem Grundrissplan aus dem Werk von Marie Kostílková aus dem Jahre 2000, s. Abb. 1. 97

5.2 Chronologie 5.2.1 Die Anfänge des Veitsdoms, Entstehung des Dombauvereins (bis 1926) Der Bau des Prager Veitsdomes begann im 14. Jahrhundert unter dem Baumeister Matthias von Arras, nach seinem Tode folgten Peter Parler sowie dessen Söhne. 98 Der Dom konnte wegen verschiedener Ereignisse (Hussitenbewegung, Plünderungen, Brände etc.) nicht fertiggestellt werden und verblieb – wie auch der Kölner Dom – sehr lange ohne einen

Großteil des ursprünglich geplanten Bauwerks. 99 Eine provisorische Abschlusswand schützte den bereits fertiggestellten Chor, sodass dieser genutzt werden konnte. 100 Trotz dieses Zustandes war der Veitsdom das wichtigste Gotteshaus in Prag; ebenso war er als Teil der Prager Burg Krönungskirche und Bestattungsort für Könige und Kaiser. Der Veitsdom hatte also ab dem Baubeginn wichtige Funktionen inne – nicht nur für die Stadt, sondern auch für die gesamte Region und später Nation.

1933: Knihtiskárna Prometheus, Prag 1935/1936: Dyrynková Tiskárna K. Reyl, Prag 94 Eine Bemerkung in einem 1865 erschienenen Artikel in der Zeitung Politik lässt diese Vermutung zu: „Ein Blick in den soeben vertheilten Jahresbericht des hiesigen Dombauvereines […]“, s. Jahresbericht des Dombauvereines (unbekannter Autor), in: Politik 25. 2.1865, S. 3. 95 Besonders in der Anfangszeit des Vereins erschienen Artikel in der Tagespresse, die den Verein, dessen Ziele und Möglichkeiten vorstellten sowie um Unterstützung warben. Beispielsweise folgender Artikel, geschrieben von Vorstandsmitgliedern, der den Dombauverein vorstellt: František Thun, Karel Helminger und Adolf Würfel: Vyzvání, in: Blahověst, 5. 5.1864, S. 203 und 204. 96 Die Protokolle der Banka Slávie befinden sich heute in den Archiven der Versicherung Česká Pojišt’ovna in Prag. Sie wurden im Jahre 1948 – nach der Zusammenführung aller Versicherungen und der Monopolisierung – von der damaligen Československá Pojišt’ovna übernommen. Mit dem Jahr 1968 kam die Föderalisierung der ČSSR und damit auch die Teilung der Versicherung: es entstanden die Česká Státní Pojišt’ovna und die Štátna Slovenská Poist’ovňa; die Protokolle der Banka Slávie befanden sich danach in den Archiven der erstgenannten Versicherung. Erst 1991 wurde das Monopol annulliert. Die Dokumente verblieben aber in den Archiven der Česká Státní Pojišt’ovna in Prag, die heute Česká Pojišt’ovna heißt. 97 Marie Kostílková: Die Fenster der St.-Veit-Kathedrale und ihr Schmuck, Prag 2000, S. 32. 98 s. auch Snopko 2006, S. 10–18. 99 Zur Einführung in die Geschichte des Veitsdomes s. Anton Podlaha: Führer durch den Dom zu Prag, Prag 19117, S. 5 und 6. 100 Für weitere Informationen zur Baugeschichte des Veitsdomes, insbesondere zum Zustand in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und zu den Anfängen des Dombauvereins, s. F. X. Harlas: Der Dom zu Prag. Anlässlich der 900-jährigen Feier der Beendigung des ersten Umbaues der Sct. Veitskirche, in: Oster-Beilage von Politik, 5. 4.1896, S. 1 und 2.

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Die Abfolge der Ereignisse: Eine Rekonstruktion

Matthias von Arras 1344–1352

Peter Parler bis 1399, seine Söhne bis 1419

↑N Gotischer Teil des Veitsdomes 101

Verschiedene Entwicklungen führten dazu, dass sich im 19. Jahrhundert der Wunsch nach einer Fertigstellung des Veitsdomes verstärkte. 102 In den 1830er Jahren wurde diese Absicht so konkret, dass ab 1834 verschiedenste Vorschläge und Baupläne vorgelegt wurden, wie man den Dom unter Berücksichtigung des bereits bestehenden Chores beenden könnte. 103 In der Folge wurde 1859 der Prager Dombauverein gegründet; dieser sollte die Vollendung übernehmen und die überaus notwendigen Reparaturarbeiten am bestehenden Teil durchführen. 104 Der Dombauverein nahm im Jahre 1860 unter dem damaligen Baumeister Josef Kranner die Arbeiten am bestehenden und teilweise baufälligen Domteil auf; sie dauerten bis 1871. 105 Das erste farbige Fens-

ter wurde im Laufe des Jahres 1865 eingesetzt; es handelt sich dabei um das mittlere Glasgemälde der Kapelle des hl. Eremiten Antonius (Kapelle Nr. 8, Abb. 1) im Chor-Bereich des Domes. 106 Im selben Jahr erscheint ein Artikel in der deutschsprachigen und in Prag herausgegebenen Tageszeitung Politik über den Dombauverein. Dessen Arbeit wird als negativ und zu langsam fortschreitend bewertet. 107 Weiter wird die Verwendung der durch Spenden und die Mitgliederbeiträge an den Dombauverein gesammelten Gelder als zu verschwenderisch betrachtet. Diese Haltung der Öffentlichkeit gegenüber der Finanzpolitik des Dombauvereins führte vermutlich in den folgenden Jahrzehnten dazu, dass immer weniger öffentliche Gelder zur Ver-

Abb. aus: Burian 1975, S. 19. Als Gründe dafür sind sicherlich die panslawistische Bewegung sowie ein aufkommendes Nationalbewusstsein zu sehen. Weitere Angaben hierzu s. Kapitel 7.3.2, 7.4.1, 11.6 und 12. 103 Jiří Burian: Der Veitsdom. Auf der Prager Burg, Prag 1975, S. 32. 104 Marie Kostílková: Die Kathedrale von St. Veit. Die Vollendung. Zum 650. Gründungstag der Kathedrale von St. Veit in Ehrfurcht und Bewunderung vor dem Werk unserer Väter, Prager Burgverwaltung (Hrsg.), Prag 1994, S. 37 und Snopko 2006, S. 16. 105 Čeněk Chyský: Pražský Hrad a Chrám sv. Vità, Prag 1929, S. 54. Der Zustand des großen Turmes wird als baufällig bezeichnet (s. Der Besuch des Prager Stadtverordneten-Kollegiums in der ehem. Strafanstaltskirche zu Sct. Wenzel (unbekannter Autor), in: Politik, 15. 3.1898, S. 4). Zu den ersten Arbeiten gehörten unter anderem das Austauschen von Fialen und Maßwerk an den Fenstern, womit 1865 in den Kapellen der Hl. Anna und des Hl. Andreas (Kapellen Nr. 6 und 14; Abb. 1) begonnen wurde (s. V. Z. J. (1864–1865) 1865, Teil I, S. 15). Auch die Bestandteile der TriforiumsFenster sowie die Pilaster und Bogen der Hochchor-Fenster wurden erneuert (s. V. Z. J. (1864–1865) 1865, Teil I, S. 16). 106 V. Z. J. (1864–1865) 1865, Teil I, S. 16 und Kostílková 2000, S. 50. 107 Jahresbericht des Dombauvereines 1865, S. 3. 101

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Chronologie

fügung gestellt wurden und somit vermehrt Sponsoren (Privatleute und Firmen) für einzelne Werke aufkommen mussten. Doch auch überaus positive Worte finden sich in den Medien; so spricht ein Artikel der Zeitung Blahověst des Jahres 1868 von immer noch andauernder Euphorie und Freude über die Gründung des Dombauvereins und erläutert die Wiederaufnahme der Arbeit am Veitsdom. 108 1868 wurde das Dach des Chores erneuert und an der bestehenden Außenfassade sowie im Innenraum fanden Instandsetzungen statt. 109 Auch Teile der Innenausstattung wie der neue Hauptaltar wurden in Angriff genommen. 110 Nach Wiederentdeckung der ursprünglichen Polychromie und Vergoldung konnte diese in einigen der bestehenden Kapellen restauriert werden. 111 Die Grundsteinlegung des neuen Domteiles fand am 30. Oktober 1873 in Anwesenheit wichtiger Politiker wie František Palacký, František Ladislav Rieger und Antonín Otakar Zeithammer statt. 112 Während der folgenden knapp drei Jahre liefen abschließende Ausbesserungsarbeiten am alten Domabschnitt und der Neubau parallel. Im Jahre 1876 konnten schließlich die Reparaturarbeiten am bereits bestehenden Domteiles für be-

endet erklärt werden. 113 Die Dombaukommission schrieb voller Stolz: „[…]; wir wünschen uns, dass diese wichtigste Kirche auf tschechischem Boden einmal glänzt in jener Vollkommenheit, in der ihr Bild vor dem Blick Gottes, ihrem Erbauer, schwebt, sodass sie die Krone unserer Hauptstadt wird; dass über dem Dom hoch zu den Wolken sich ein Turm ranken wird, von seinem Turmknauf werden die Strahlen des Kreuzes bis in die weite Ferne erleuchten; das alles kann der fromme Geist, die Kunst und die Geduld vollbringen.“ 114

Ab dem Jahre 1877 wurde unter dem Dombaumeister Josef Mocker die Arbeit am neuen westlichen Dombereich intensiviert. 115 Einen Höhepunkt stellte 1892 die Vollendung der beiden großen Fronttürme dar, die bis heute einen wesentlichen Teil des äußeren Eindruckes ausmachen. 116 1899 konnte das Langschiff vollständig gedeckt werden, ein Jahr später wurden die Strebebögen an der Außenseite des Schiffes fertiggestellt. 117 Kaiser Franz Josef I. besuchte am 16. Juni 1901 die Baustelle sowie einen Teil des neuen Domes, was die Bedeutung dieses Kirchengebäudes unterstreicht. 118

V Praze, Jednota Svatovítská v semináři (Autor „Š“), in: Blahověst, 5. 8.1868, S. 348. V. Z. J. (1868–1869) 1869, Teil I, S. 25–27. 110 V. Z. J. (1868–1869) 1869, Teil I, S. 27. 111 Beispielsweise in der Kapelle der Hll. Erhard und Ottilie (Kapelle Nr. 11, Abb. 1); hier wurden die Farben Rot und Blau sowie Vergoldung vorgefunden. In der Kapelle der Heiligen Simon und Juda (Kapelle Nr. 13, Abb. 1) kamen auf das 14. Jahrhundert datierte Wandmalereien zum Vorschein, die insgesamt 13 Figuren zeigen, unter anderem den heiligen Wenzel mit einem roten, mit Hermelin gefütterten Umhang und einem Banner in der Hand (s. V. Z. J. (1868–1869) 1869, Teil I, S. 27 und 28). 112 V. Z. J. 1875, S. 4; Kostílková führt jedoch den 29. Oktober 1873 an (Kostílková 2000, S. 74). Der Politiker František Palacký war auch Historiker und hatte mehrere, für Böhmen und Mähren bedeutende und den Zeitgeist prägende Bücher herausgegeben: Er war von offizieller Stelle Böhmens um ein Geschichtswerk gebeten worden, das zwischen 1836 und 1867 in fünf Bänden erschien. Der erste Band wurde auf Deutsch veröffentlicht (Die Geschichte von Böhmen, grösstenteils nach Urkunden und Handschriften, 1836), die späteren Bände auf Tschechisch. Palacký war auf politischer und historischer Ebene äußerst engagiert bei der Herausbildung der Idee eines geschichtsträchtigen, selbstständigen Landesteiles. In der vorliegenden Arbeit ist einerseits Palackýs Einfluss in Bezug auf seine Tätigkeit als Autor nicht von der Hand zu weisen. Andererseits findet er Erwähnung im Zusammenhang mit der Gründung des Vereins Svatobor im Jahre 1862, der tschechische Schriftsteller und deren Familien förderte, und im Zusammenhang mit der Gründungsaktie der Banka Slávie im Jahre 1868; s. auch Kapitel 5.2.3 und 7.3 sowie 7.3.2.1; s. auch: Erin Dusza: Pan-Slavism in Alphonse Mucha’s Slav Epic, in: http://www.19thc-artworldwide.org, Bd. 1 (2014). 113 V. Z. J. 1877, S. 6. 114 „[…]; doufejmež, že tento první chrám země české se jednou zaleskne v oné dokonalosti, v jakéž se obraz jeho vznášel před zrakem duchovním jeho zakladatelův, že bude korunou hlavního města našeho; že nad velechrámem vysoko k oblakům pnouti se bude věž, s jejíž makovice do šíré dálky skvíti se budou paprsky kříže na důkaz, co vše vykonati může zbožná mysl, umění a vytrvalost.“ (V. Z. J. 1877, S. 6). 115 V. Z. J. (1877–1878) 1879, Teil I, ab S. 5. 116 Podlaha 1911, S. 6. 117 V. Z. J. 1900, S. 4 und V. Z. J. 1902, S. 9. 118 V. Z. J. 1902, S. 4. 108

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Für das Jahr 1903 waren erhebliche Fortschritte für den alten und auch für den neuen Domteil zu verzeichnen. 119 Die Anbringung des Maßwerks bezeichnete der Dombauverein als eine der wichtigsten Arbeiten am neuen Bereich des Hauptschiffs und der seitlichen Schiffe überhaupt. 120 Bis Mitte August waren die Steinarbeiten an zwei südlichen Fenstern und an zwei Fenstern des nördlichen Hauptschiffs fertig gestellt, bis Ende Dezember weitere drei nördliche Fenster. 121 Das Ziel des Dombauvereins für das Jahr 1904 war es, das Hochschiff mit seinen Fenstern fertigzustellen. 122 Die Konstruktion der Maßwerkfenster im Langschiff kam gut voran, sodass die Arbeit an den Südfenstern beendet werden konnte. Der Glaser begann danach mit der Verglasung der Maßwerkfenster. 123 1906 konnte die Verglasung des Hochschiffs abgeschlossen werden. 124 Die Steinarbeiten am großen Fenster im südlichen Querschiff wurden im darauffolgenden Jahr beendet. 125 Auch der nördliche Teil dieses Seitenschiffs wurde fertig gestellt, hierzu zählen nicht nur die Steinarbeiten an den Wänden, sondern auch jene an den Fenstern. 126 Im Jahre 1909 waren beinahe das gesamte Querschiff und ein Nordkapellenfenster verglast. 127 Die Arbeiten im Querschiff, in den nördlichen Kapellen und in der Sakristei waren bis Mitte Februar 1910 abgeschlossen. 128

Eine undatierte Fotografie aus der Zeit der Fertigstellung dokumentiert die Ansicht des Hauptschiffs von Westen in Richtung Chor: Die Fenster der Obergaden, des Hochchor-Abschlusses sowie der Dreifaltigkeitskapelle im östlichsten Teil des Chores (Kapelle Nr. 9, s. Abb. 1) weisen offenbar keinerlei farbige Verglasung auf. 129 Auch in einer Publikation von 1944 sind die Hochchor-Fenster noch mit farblosem Glas geschlossen, da das Einsetzen der farbigen Glasgemälde an dieser Stelle erst in den Jahren 1946 bis 1948 erfolgte. 130 Antonín Hora (1824–1906), der langjährige Probst des Veitsdomes, spendete im Jahre 1904 eine beträchtliche Summe aus dem eigenen Vermögen, um eine Kapelle auszustatten. 131 Seit 1882 war er Direktionsmitglied gewesen und wurde nun zum Ehrenmitglied des Dombauvereins ernannt. Bei der Kapelle, die durch seine private Spende finanziert wurde, handelt sich um die später nach ihm benannte Hora-Kapelle, die Mucha rund 25 Jahre später mit dem in der vorliegenden Arbeit behandelten Glasgemälde ausstatten sollte. Im Januar 1909 wurde für die Krypta der neuen erzbischöflichen Grabstätten in dem noch als „dritte Kapelle der Nordseite“ bezeichneten Bereich Erdreich ausgehoben. 132 Der Eingang zur Krypta wird später direkt vor der Hora-Kapelle zu liegen kommen und mit einer Steinplatte bedeckt sein. 133

V. Z. J. 1904, S. 8. V. Z. J. 1904, S. 9. 121 Die zuerst in Angriff genommenen Fenster des Hochschiffs wurden zunächst mit einem blinden Maßwerk versehen, um dann in einem weiteren Schritt in durchbrochene Fenster verwandelt zu werden (s. V. Z. J. 1904, S. 9). In dem darauffolgenden Jahresbericht ist zu lesen, dass die Glaser möglichst schnell ihre Arbeit zu verrichten hatten, um Schaden durch Witterung an der Innenarchitektur zu vermeiden, s. nachfolgenden Text und V. Z. J. 1905, S. 7. 122 V. Z. J. 1905, S. 7. 123 Die Verglasung sollte möglichst schnell geschehen, damit das Regenwasser die Innenseite der verschiedenen Bauteile (insbesondere Maßwerk und Triforium) nicht beschmutzte. Für diese Verglasung wurde nach einer begrenzten Ausschreibung der Glaser Jan Kryšpín ausgewählt; s. V. Z. J. 1905, S. 9 und 10. Die Jahresberichte liefern keinen Hinweis darauf, wie diese erste Verglasung ausgesehen hat. 124 V. Z. J. 1907, S. 13. 125 V. Z. J. 1908, S. 7. 126 V. Z. J. 1908, S. 8. 127 V. Z. J. 1910, S. 12. 128 V. Z. J. 1911, S. 11. 129 Abb.: Chyský 1929, Bildteil o. S. (zwischen S. 64 und 65). Die Kapellen der Seitenschiffe sind aber leider nicht sichtbar auf dieser fotografischen Abbildung. 130 Abb.: Zdeněk Wirth: Metropolitní chrám sv. Víta, Prag 1944, S. 33 und 119. 131 s. V. Z. J. 1905, S. 12: „Antonin Hora jmenován byl čestným členem, odůvodnuje tento návrh dlouholetou činností pana probošta, který jsa již od r. 1882 členem ředitelstva, nejen co jednatel přes 20 000 k pro jednotu odvedl, ale i značnou částku z vlasníího jmění pro vyzdobení jedné kaple věnoval.“ Im Jahre 1906, als Hora starb, wurden seine Zuwendungen von insgesamt 50 000 Kč durch weitere Spenden ergänzt, s. V. Z. J. 1907, S. 17. 132 V. Z. J. 1910, S. 9. 133 Snopko 2006, S. 21. Unter den dort Beigesetzten finden sich: Kardinal František Tomášek (1899–1992), Erzbischof František Kordač (1852–1934), 119

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Welche Bedeutung der Fertigstellung des Veitsdoms beizumessen ist, wird auch am prominenten Besuch der Baustelle deutlich: Im Jahre 1908 wird dieser vom Erzherzog von Österreich, Leopold Salvator von Österreich-Toskana, mit großem Interesse begutachtet. 134 Am 28. Oktober 1918 wurde die Tschechoslowakei gegründet – und Prag zur Hauptstadt auserkoren. Dies bewirkte eine stärkere Konzentration auf die historischen Denkmäler auf Prager Boden. In den drei Jahren vor 1918 hatte der Dombauverein die zuvor zugesprochenen staatlichen Subventionen nicht mehr erhalten, eine prekäre Situation sowie eine Stagnation der Arbeiten waren die Folgen gewesen. 135 Der Dombauverein sammelte aber unabhängig von den staatlichen Hilfen in Eigenverantwortung Spenden und Mitgliederbeiträge mittels freiwilliger Helfer. 136 Vermutlich Ende 1918 oder Anfang 1919 hatte der Dombauverein glücklicherweise während eines Treffens mit dem Präsidenten der Tschechoslowakei, Tomáš Garrigue Masaryk, eine Zusage über bald eintreffende Ersatzzahlungen für die nicht ausbezahlten Subventionen der vergangenen Jahre erhalten, zudem sollten auch weitere Zahlungen aus verschiedenen staatlichen Ministerien folgen. 137 Dank dieser finanziellen Hilfen konnte die Arbeit schließlich wieder aufgenommen werden. 138 So schien es zunächst, dass die folgenden Jahre eine erfolgreiche und rege Bautätigkeit bescheren würden, doch die 1920er Jahre, insbesondere 1922,

bedeuteten für die tschechoslowakische Wirtschaft eine schwere Belastungsprobe: Die tschechoslowakische Krone stieg massiv im Wert, die Stabilisierung der Währung gelang erst 1923. Handel, Industrie und die gesamte Wirtschaft des Landes erlitten massive Verluste. 139 Daher kam es auch 1922 zu einer wesentlichen Verlangsamung der Bauarbeiten am Dom. 140 Trotz der erneuten Schwierigkeiten und der schlechten finanziellen Lage findet sich im jährlichen Bericht über das Jahr 1922 ein erster Hinweis auf eine geplante Eröffnung im Jahre 1929, anlässlich des tausendjährigen Todestages des heiligen Wenzel. 141 Erst dann sollte eine Öffnung der Trennwand zwischen den beiden Gebäudeteilen erfolgen; diese erwähnte Trennwand war vermutlich diejenige, die den unvollständigen Chor jahrhundertelang vor Umwelteinflüssen geschützt hatte. Die Eröffnungspläne konkretisierten sich: Der Dom solle zum erwähnten Jubiläum am 29. September 1929 in einer prächtigen Feier durch den Bischof geweiht werden. Alle baulichen Maßnahmen sollten bis dahin abgeschlossen sein. 142 Für Gottesdienste sollte der Dom aber schon früher, ab dem 12. Mai 1929, zugänglich sein.

5.2.2 Die Ereignisse des Jahres 1927 Obwohl es in den Jahren zuvor zu Schwierigkeiten und einer Drosselung gekommen war, flossen wei-

Kardinal Karl Kašpar (1870–1941), s. Nová arcibiskupská kaple, probošta Hory, biskupa Antonína Podlahy, Tomáškova (unbekannter Autor), in: Katedrála Sv. Víta, Václava a Vojtěcha. Oficiální webové stránky, http://www.katedralasvatehovita.cz/cs/historie-a-dedictvi/informace-o-kaplich-asvatych/nova, [23.1. 2014]. 134 V. Z. J. 1909, S. 12. 135 V. Z. J. 1919, S. 4. Der Staat unterstützte die Fertigstellung des Veitsdomes mit wechselnden Beträgen, s. auch Christine Vendredi-Auzanneau: A Set of New Stained-glass Windows in St Vitus’s Cathedral, Prague. A Study of Patronage and Iconography at the Beginning of the Twentieth Century, in: Journal of Design History, Bd. 3 (2002), S. 167. 136 Diese freiwilligen Helfer werden in den Jahresberichten und den sonstigen Dokumenten Agenten genannt; s. Jahresbericht des Dombauvereines 1865, S. 3. 137 V. Z. J. 1919, S. 5. 138 V. Z. J. 1920, S. 4. 139 Václav Peča: Sixty Years of Insurance Service. The first Decade of the Slavia in the Independent Czechoslovak Insurance in the Years 1918–1928, Prag 1929, S. 50. 140 V. Z. J. 1923, S. 4. Vermutlich flossen in den Jahren 1922 und 1923 die staatlichen Mittel kaum oder nur noch stockend. 141 V. Z. J. 1923, S. 4 und 5. 142 V. Z. J. 1929, S. 5: „Již v loňské výroční zprávě o pracích Jednoty pro dostavění hl. chrámu u sv. Víta na hradě pražském za rok 1929 bylo konstatováno, že program prací stanovený vzhledem k nastávajícímu jubileu tisíciletí mučednické smrti sv. Václava v roce 1929 za vydatné podpory vlády a širší veřejnosti mohl býti dodržen. V minulém roce Jednota dospěla do posledního roku před oslavou tisíciletí svatováclavstého a napiala veškeré své finanční síly, aby plně dostála slibu, že dokončí dóm.“

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Die Abfolge der Ereignisse: Eine Rekonstruktion

tere Gelder aus öffentlicher Hand für die letzte Bauphase. 143 Die Fertigstellung des Doms erfuhr zwar eine breite Unterstützung, wie Chyský in seiner 1929 erschienenen Publikation schreibt. 144 Trotzdem kam es bei der Versorgung der Baustelle immer wieder zu Engpässen. Die Bautätigkeit sowie die Kosten in den Jahren kurz vor 1929 schienen zu explodieren, wie anhand eines Ausgabenvergleichs eindrücklich nachvollzogen werden kann. 145 Für diese Zeit sind in den Jahresberichten viele, unterschiedlich hohe Summen von Firmen und Privatleuten verzeichnet, noch viel mehr als dies in den Jahren zuvor der Fall war. Es war also notwendig, dass einzelne Werke der künstlerischen Ausgestaltung des Domes entweder aus privater Hand oder von Firmen finanziert wurden; auch umsonst arbeitende Künstler waren die Regel. 146 Auch die Versicherungsgesellschaft Banka Slávie ist in dieser entscheidenden Zeit unter den Geldgebern anzutreffen: Im Jahresbericht des Dombauvereins von 1927 wird an zwei Stellen die Summe von 25 000 Kč als Spende von der Banka Slávie erwähnt. 147 Die erste Textstelle ist die Aufzählung, in der auch die Versicherungsgesellschaft genannt wird, als „erfreuliche Mitteilung über die dieses Jahr höher ausfallenden Mitgliederbeiträge“, die insgesamt fast 86 000 Kč ergeben. Die Banka Slávie hat darin nach dem Staropražský společenský klub (dt.: Gesell-

schaftsclub der Prager Altstadt) mit über 29 000 Kč den zweithöchsten Betrag geleistet. Somit ist davon auszugehen, dass die Banka Slávie zumindest in den ausgehenden 1920er Jahren ein zahlendes Mitglied des Dombauvereins war. Weitere diesbezügliche Erwähnungen in den Jahren davor gibt es allerdings nicht, sodass davon auszugehen ist, dass die Banka Slávie vermutlich erst im Jahre 1927 als Mitglied angeworben werden konnte oder zuvor jeweils nur kleinere Spenden getätigt hatte, die keinen Niederschlag in den Jahresberichten fanden. Die Quellenlage der Dokumente der Versicherungsgesellschaft liefert keine Hinweise dazu. 148 Es lässt sich an beiden Stellen jedoch nicht klären, ob die Gelder der Banka Slávie für ein konkretes Projekt eingesetzt werden sollten. Daraus lässt sich schließen, dass es vermutlich bis zur Publikation des Jahresberichtes 1927 – das heißt nach der Sitzung der Dombaukommission im Juni 1928 – noch keine weiteren, für die Öffentlichkeit bestimmten Informationen gab. Es geht also nicht eindeutig aus dem Jahresbericht hervor, ob die 25 000 Kč als Anzahlung für die Finanzierung des Fensters zu sehen sind oder ob diese Spende unabhängig vom geplanten Glasgemälde getätigt wurde. Denn gemessen an den Gesamtkosten des Fensters – die schließlich 310 000 Kč betrugen – handelt es sich bei diesen 25 000 Kč um einen relativ geringen Anteil. 149 Außer dem Glasgemälde von Mucha sind keine weiteren Werke für den Veitsdom bekannt, die durch die Beiträge der Banka Slávie

V. Z. J. 1929, S. 6; Chyský 1929, S. 47, 48 und 55. Chyský 1929, S. 55. 145 Die Ausgaben des Dombauvereins, die in den jährlich erscheinenden Berichten publiziert wurden, stiegen stetig an. Der Höhepunkt wurde mit der Fertigstellung des Domes 1929 erreicht. Die folgende Aufstellung der gesamten Bauausgaben für jeweils ein Jahr belegen dies: 1915: 76 947 Kč (V. Z. J. 1916, S. 18) 1920: 297 521 Kč (V. Z. J. 1921, S. 16) 1925: 1 012 779 Kč (V. Z. J. 1926, S. 19) 1926: 1 328 422 Kč (V. Z. J. 1927, S. 17) 1927: 2 177 005 Kč (V. Z. J. 1928, S. 19) 1928: 2 218 422 Kč (V. Z. J. 1929, S. 19) 1929: 2 505 197 Kč (V. Z. J. 1930, S. 21) 1930: 1 148 166 Kč (V. Z. J. 1931, S. 17) 146 Vendredi-Auzanneau 2002, S. 167. 147 V. Z. J. 1928, S. 5 und 26. Bereits 1871 hatte die Banka Slávie eine größere Summe für den Bau des Veitsdoms gespendet, s. Kapitel 7.3. 148 Zur Problematik von originalen Urkunden und Dokumenten der Banka Slávie s. Kapitel 7.3 und 7.3.3. 149 Die Gesamtsumme von 310 000 Kč setzt sich zusammen aus je 150 000 Kč, die Mucha und der Glaser Veselý erhielten; weitere 10 000 Kč waren für Reparatur-Arbeiten am Maßwerk notwendig; s. Protokoll der Banka Slávie vom 18.11.1930. Die einzelnen Beträge tauchen in den Ausgaben des Dombauvereins in den Jahren 1929 bis 1931 nicht auf, da es sich jeweils um Summen handelt, bei denen die einzelnen Kostenpunkte nicht aufgelistet sind. 143

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finanziert wurden. Die ersten Verhandlungen mit Mucha und der Versicherungsgesellschaft fanden laut deren Dokumenten erst im Herbst des darauffolgenden Jahres, also im Oktober 1928, statt. Dies lässt die Vermutung zu, dass die Vorstellungen der Banka Slávie über ein konkretes Werk oder Projekt bzw. einen bestimmten Künstler zum Zeitpunkt dieser ersten finanziellen Spende von 25 000 Kč noch nicht weit fortgeschritten waren.

5.2.3 Das Jahr 1928: Die Verpflichtung Muchas Zu den beiden Sitzungsterminen der Banka Slávie im Oktober 1928 stand bereits fest, dass Alfons Mucha von der Versicherungsgesellschaft für den Entwurf des Glasfensters vorgesehen war. 150 Zwischen diesen beiden Sitzungen hatte ein Treffen stattgefunden, bei dem der Architekt Kamil Hilbert mit dem Prager Bischof über den Anbringungsort des Glasgemäldes sprach. 151 In der ersten Sitzung war auch von einem in Kürze stattfindenden Treffen mit Mucha die Rede, es geht jedoch nicht aus den Dokumenten hervor, ob diese erste Unterredung noch im Oktober stattgefunden hat. Als Grund für die Stiftung wird in den Protokollen einerseits „ein Zweck für den Menschen und die Nation“ 152 angeführt, andererseits wird auf das 10-jährige Jubiläum des neuen Staates hingewiesen. 153

Die Öffentlichkeit wurde am 27. Oktober 1928, also genau einen Tag vor dem 10-jährigen Jubiläum der Tschechoslowakei, über das Vorhaben in Kenntnis gesetzt. In einem von Professor František Mareš, dem Vorsitzenden des Vereines Svatobor, verfassten Artikel wurden zwei Projekte vorgestellt, die die Versicherungsgesellschaft anlässlich des 10-jährigen Jubiläums finanzieren würde: Zum einen solle mit dem Geld der Banka Slávie die Ehrengruft des Vyšehrader Friedhofs Slavín restauriert werden, das zweite Projekt stellte das Glasgemälde im Veitsdom dar. 154 An dieser Stelle erfolgte auch bereits die Nennung des ausführenden Künstlers Mucha sowie auch der Thematik Kyrill und Method. Am Jubiläumstag wurde dies in einer weiteren Tageszeitung publiziert. 155 Gemäß dieser Mitteilung wurden beide Finanzierungsvorschläge des Präsidenten der Banka Slávie, Josef Hucl, am 24. Oktober einstimmig gutgeheißen. Der Artikel schließt mit den Worten: „Hoffentlich findet das seltene und anspornende Beispiel der Banka Slávie reichlich Nachahmer.“ Im November 1928 fand eine Sitzung der Abteilung für Kunst des Dombauvereins statt 156, die im genannten Jahr aus neun Mitgliedern bestand. 157 In dieser Sitzung wurde das Vorhaben der Banka Slávie besprochen, ein Glasgemälde zu stiften. Außerdem wurde erwähnt, dass Mucha bereits gebeten worden war, einen Entwurf einzureichen. Der Entwurf solle

Protokoll der Banka Slávie vom 9.10. und 23.10.1928; Snopko 2006, S. 23 und 24. Protokoll der Banka Slávie vom 23.10.1928, o. S. 152 Protokoll der Banka Slávie vom 9.10.1928, o. S. 153 Protokoll der Banka Slávie vom 23.10.1928, o. S. 154 „Rovněž jednomyslně byl schválen další jeho návrh, aby pro dóm sv. Víta pořízeno bylo nákladem banky Slavie okno, ozdobené malbou mistra Muchy. Myšlenkou má býti vystižení kulturního významu slovanských věrozvěstů Cyrila a Metoděje. Není pochybností, že krásný příklad pěče o kulturní statky národa a o ocenění literárních pracovníků, o něž pečuje Svatobor, setká se se stejným porozuměním celé československé veřejnosti.“ (František Mareš: Jubilejní dar banky Slavie spolku Svatoboru pro Slavín, in: Národní politika, 27.10.1928, S. 5 und 6). Der Verein Svatobor wurde im Jahre 1862 von František Palacký zur Förderung tschechischer Schriftsteller und ihrer Familien gegründet. Weitere Angaben zum Historiker, Autor und Politiker František Palacký s. auch: Anm. 112. Der Artikel war vermutlich deswegen vom Vorsitzenden des Svatobor verfasst worden, weil der Verein die Arbeiten am Friedhof des Vyšehrad, auf dem viele Schriftsteller und Künstler bestattet wurden, ausführte und die Versicherungsgesellschaft das Geld an ihn ausbezahlte. 155 Jubilejní dary banky Slavie ve prospěch kultury a umění (unbekannter Autor), in: Národní listy, 28.10.1928, S. 6. 156 Das Datum dieses Treffens wird in einem vorbereitenden Dokument für die Sitzung, das die Tagesordnung enthält, als 6.11.1928, in den handschriftlichen Notizen und der Niederschrift mit Schreibmaschine als 13.11.1928 benannt (daher wird es in der Literaturangabe folgendermaßen aufgeführt: Protokoll der Banka Slávie, 6.11./13.11.1928). 157 Im Jahr 1928 bestand die Abteilung für Kunst des Dombauvereins aus folgenden Personen (s. V. Z. J. 1929, S. 24): Otokar Materna (Ingenieur und Bauherr, im Laufe des Jahres verstorben), Antonín Podlaha (Weihbischof und Titularbischof von Prag), Václav Roštlapil (Architekt und Präsident der Abteilung für Kunst), Eduard Šittler (Kanoniker des Veitsdoms), Max Švabinský (Maler, Professor für Angewandte Kunst), Zdeněk Wirth (Kunsthistoriker), Ludvík Lábler (Architekt, Ministeriumsvorstand), Bohumil Kafka (Professor für Bildende Kunst), Josef Zlatník (Ingenieur, Architekt, oberster Baurat). 150 151

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Die Abfolge der Ereignisse: Eine Rekonstruktion

dann von dieser Abteilung des Dombauvereins besprochen und genehmigt werden. 158

schaft begutachten ließ, doch dazu liegen keine Dokumente vor. 161

Welches Fenster Mucha ausstatten sollte wurde erst in den Tagen zwischen dem 9. und dem 23. Oktober 1928 festgelegt. Die noch nicht verplanten Fenster des Veitsdomes (es handelte sich zu diesem Zeitpunkt wohl um die Fenster der Kapellen Nr. 1, 2, 4, 15.1, 15.2, 16, 18, 19, 20, 22, 23, s. Grundriss des Veitsdomes, Abb. 1) unterscheiden sich teilweise massiv in ihrer Größe; bei denjenigen des neuen Domteils stimmen die Größenverhältnisse zwar überein, jedoch ist die Ausrichtung einiger Details wie beispielsweise der Vierpässe nicht bei allen Fenstern gleich.

Spätestens am 9. Januar 1929 muss der Entwurf den Mitgliedern der Abteilung für Kunst des Dombauvereins vorgelegen haben, denn die ersten Gutachten (s. unten) wurden an diesem Tag verfasst.

Mucha wechselte im November 1928 innerhalb von Prag seinen Wohnsitz; der Umzug brachte ihn wesentlich näher an die Prager Burg heran: Ab dem 27. November 1928 hatte er seinen Wohnsitz in der Straße V tišině 781/4 in Prag-Bubeneč, davor hatte er in der Nähe des Vyšehrad – gegenüber der Prager Burg – gewohnt. 159 Während des Jahres 1928 wurden diverse andere Werke im Veitsdom installiert, beispielsweise begann der Glaser Josef Vlasák Ende des Jahres mit dem Einbau des Fensters von František Kysela in die Thunkapelle (Kapelle Nr. 17, s. Abb. 1). 160

5.2.4 Januar 1929: Der erste Entwurf Es ist davon auszugehen, dass Mucha seinen ersten Entwurf kurz vor der Einreichung beim Dombauverein bestimmt auch von der Versicherungsgesell-

Einige Tage später, am 18. Januar 1929, fand eine Sitzung der Abteilung für Kunst des Dombauvereins statt. Anwesend waren von den insgesamt acht Mitgliedern dieser Abteilung fünf: Antonín Podlaha, Václav Roštlapil, Zdeněk Wirth, Josef Zlatník und Ludvík Lábler. 162 Dem Protokoll zu dieser Sitzung ist zu entnehmen, dass der Architekt Lábler zunächst die schriftlichen Beurteilungen von Max Švabinský, Bohumil Kafka, Zdeněk Wirth, Eduard Šittler und Kamil Hilbert vorlas, in denen sie sich jeweils zum vorliegenden Entwurf Muchas äußerten. Kamil Hilbert war nicht Mitglied der Abteilung für Kunst, sondern der oberste Architekt des Dombauvereins und somit Baumeister. Die Abteilung für Kunst des Dombauvereins bestand wie erwähnt aus acht Personen, somit hatte mindestens die Hälfte von ihnen sich schriftlich geäußert, denn diese vier Beurteilungen liegen noch vor und werden nachfolgend besprochen. Die Beurteilung von Kamil Hilbert ist nicht (mehr) im Archiv der Prager Burg aufzufinden, möglicherweise waren die Dokumente des Baumeisters in einem anderen Archiv aufbewahrt worden. 163 In der vorliegenden Dissertation wird zum ersten Mal eingehend auf die Gutachten und Kritiken zu

Protokoll der Banka Slávie, 6.11./13.11.1928, o. S. s. folgende Dokumente: Melderegister der Stadt Prag 1914–1953 sowie die polizeiliche Karteikarte von Alfons Mucha. Der Wohnsitz in PragBubeneč war nur noch ca. 1,5 km Luftlinie von der Prager Burg entfernt. In den Jahren 1915 bis 1917 und von 1920 bis 1924 hatte Mucha direkt unterhalb der Prager Burg auf der Kleinseite gelebt, die Anschrift lautete Thunovská 193; in den Jahren von 1924 bis 1928 lautete seine Adresse Praha II-Nové Město, Podskalská 393/7. 160 V. Z. J. 1929, S. 14; Protokoll des Dombauvereins, 6.11.1928. 161 Zur Problematik der Quellenlage in Bezug auf die Banka Slávie s. Kapitel 7.3 und 7.3.3 bzw. Anm. 274 und 304. 162 Die Abteilung für Kunst des Dombauvereins bestand 1929 nur noch aus acht Mitgliedern, dies waren: Antonín Podlaha (Weihbischof und Titularbischof von Prag, Präsident der Finanzabteilung und stellvertretender Vorsitzender des Dombauvereins), Václav Roštlapil (Architekt und Präsident der Abteilung für Kunst), Eduard Šittler (Kanoniker des Veitsdoms), Max Švabinský (Maler, Professor für Angewandte Kunst), Zdeněk Wirth (Kunsthistoriker, Abteilungsleiter im Bildungsministerium), Ludvík Lábler (Architekt, Ministeriumsvorstand), Bohumil Kafka (Bildhauer, Professor für Bildende Kunst), Josef Zlatník (Ingenieur, Architekt, oberster Baurat); s. V. Z. J. 1930, S. 26. 163 Vermutlich liegt das Gutachten von Hilbert schon länger nicht mehr vor; denn auch in der Publikation von Kostílková wird es im Gegensatz zu den anderen Berichten nicht erwähnt, s. Kostílková 2000, S. 29. 158

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Muchas erstem Entwurf eingegangen; Kostílková hatte zwar bereits im Jahre 2000 auf gewisse Einzelheiten aus den jeweiligen Gutachten hingewiesen. 164 Dass diese Beurteilungen bisher noch nie vollständig bearbeitet worden sind mag dem Umstand geschuldet sein, dass sie handschriftlich verfasst wurden und dadurch teilweise nur schwer lesbar sind. Die ersten beiden Gutachten tragen das Datum vom 9. Januar 1929 und sind von Max Švabinský und Bohumil Kafka. Švabinský trägt in seinem Gutachten verschiedene Kritikpunkte vor. 165 Er ist der Meinung, dass die Farbgebung in der Mitte zu hell sei und nicht wie eine Komposition aus farbigem Glas, sondern wie eine aus bemaltem Glas wirke. Damit drückt er bereits aus, was sich auch in den folgenden zwei Entwürfen von Mucha beobachten lässt: Mucha ist der einzige Künstler, der im Veitsdom ein Glasgemälde (und nicht eine Mosaikverglasung) realisieren will – und dies schlussendlich auch tut. Weiter meint Švabinský, dass Muchas Entwurf eine „Verwandtschaft mit Glasmalereien im Treppenhaus eines Sezessionsmietshauses aufweist“ und dass die Figuren und Ornamente zu groß seien, ebenso die Blumendekoration. Er verlangt, dass die Bildmitte farblich satter werden müsse, damit der Kontrast geringer wirkt. Auch sollte Mucha die Figuren verkleinern. Sehr deutlich wird die Kritik mit diesem Satz: „Ich habe Zweifel, ob dieses Sezessions-

bild in eine Kirche passt, es ist für das Innere der Kirche zu vulgär.“ Gleichwohl drückt Švabinský seine Hochachtung vor Muchas Lebensleistung aus und entschuldigt sich für seine direkten Worte, indem er erklärt, dass die Ausschmückung des Domes eine „Herzensangelegenheit“ für ihn sei. Trotzdem besteht er aber auf einen neuen Entwurf Muchas und legt ihm sogar das „Studium der klassischen Glasmalerei (Chartre)“ nahe, was einer unverblümten Beleidigung gleichkommt, wenn es ein Künstler an einen anderen seines Fachs richtet. Die Worte bezüglich der großen Achtung vor Muchas Lebensleistung scheinen aufgrund der harten und persönlichen Kritik nicht besonders glaubwürdig. Bohumil Kafka hat sein Gutachten ebenso am 9. Januar 1929 verfasst. 166 Er schreibt, dass er sich inhaltlich vollständig Švabinský anschließe; somit ist offensichtlich, dass er Švabinskýs Gutachten vorgelegt bekommen oder zumindest mit ihm darüber gesprochen hat. Ergänzend meint Kafka, dass Mucha den Gedankeninhalt der Komposition erweitern solle; natürlich solle in einer neuen Skizze die Verkleinerung der Figuren erfolgen, somit wäre auch mehr Platz für weitere Gestalten vorhanden. Weiter meint Kafka, dass Mucha für den zweiten Entwurf mit Herrn Professor Cibulka zusammenarbeiten solle, dessen Tätigkeit am Fenster von Kysela und an der Türe von Brunner-Španiel von großem Erfolg gekrönt gewesen sei. 167

Bei Kostílková liest sich der Abschnitt zu den Gutachten folgendermaßen: „Max Švabinský formulierte seine Ablehnung außerordentlich schroff – dieser Entwurf käme ihm wie die Glasmalereien in den Treppenhäusern von Jugendstil-Mietskasernen vor. Der Domherr Eduard Šittler war unzufrieden mit der Gestaltung der Madonna und betonte, dass deren Ikonographie schon längst voll ausgeprägt sei und seit Jahrhunderten weltweit in der Kunst anerkannt sei. Lediglich Zdeněk Wirth vertrat die Ansicht, dass sie keine andere Wahl hätten, als sich mit Muchas Stil und Methode abzufinden; sie könnten jedoch versuchen, ihn zu einer Änderung der Größenverhältnisse zu bewegen und Professor Cibulka zu einer Zusammenarbeit mit Mucha zu gewinnen. Anders als Švabinský, dem eine Mosaikverglasung vorschwebte, plädierte er für Glasmalerei, da Muchas Stil sich schwerlich als Mosaik zum Ausdruck bringen lasse.“ (aus: Kostílková 2000, S. 29 und 30). 165 Die Zitate sind entnommen aus: Gutachten Max Švabinský, 9.1.1929, S. 1–4. Max Švabinský, geboren 1873 in Kroměřiž in Ostmähren, war unter anderem als Maler, Grafiker, Mosaikkünstler und Zeichner tätig. Er war ein Schüler der Prager Akademie und ab 1910 ebendort Professor. Auch er hielt sich zeitweilig in Paris auf (1897), aber auch in Deutschland, Belgien und Holland. Zwei Fenster im Veitsdom basieren auf seinen Entwürfen: Die Aussendung des Heiligen Geistes sowie Das Jüngste Gericht von 1933 und 1935. Bedeutung haben sein graphisches Werk und hier insbesondere die Bildnisse und Radierungen. Sein Porträt des Staatspräsidenten Masaryk, ein Holzschnitt, wurde zum offiziellen Bildnis erklärt. Verstorben ist Švabinský im Jahr 1962 in Prag (V. Volavka: Art. Max Švabinský, in: ThiemeBecker). 166 Die Zitate sind entnommen aus: Gutachten Bohumil Kafka, 9.1.1929, S. 1–3. Bohumil Kafka, geboren im Jahre 1878 in Nová Paka, Böhmen. Kafka war tätig als Bildhauer, Medailleur und Hochschullehrer. Nach einem Studium der Steinbildhauerei in Hořice war Kafka kurz als Steinmetz und Stuckateur in Dresden und Böhmen beschäftigt. Danach folgten weitere Studien an der Kunstgewerbeschule in Prag und erste Ausstellungen, später folgte ebendort eine Anstellung als Assistenz. Höhepunkte in seinem Werk sind Bronzeskulpturen, die auch für die tschechische Skulptur insgesamt von hoher Bedeutung sind. Ab 1916 ist er Professor an der Kunstgewerbeschule in Prag und ab 1924 ordentliches Mitglied der Tschechischen Akademie der Künste und Wissenschaften. Verstorben ist er im Jahre 1942 in Prag (s. I. Pečirka: Bohumil Kafka, in: Vollmer). 167 Die Nennung „Brunner-Španiel“ verweist auf die zwei Künstler Vratislav H. Brunner, der den Entwurf übernahm, und den ausführenden Künstler Otokar Španiel. Es handelt sich bei dem erwähnten Werk um die Bronzetüren der Westfront. 164

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Die Abfolge der Ereignisse: Eine Rekonstruktion

Der Kunsthistoriker Zdeněk Wirth verfasste sein Gutachten am 12. 1. 1929 und somit drei Tage nach Kafka und Švabinský. 168 Auch Wirth schließt sich bezüglich des Maßstabs und der Farbigkeit dem ersten Gutachten an. Er scheint der erste zu sein, dem tatsächlich klar wird, dass Mucha ein Glasgemälde und keine Mosaikverglasung realisieren möchte: „[…], aber Herr Švabinský irrt, wenn er denkt oder wenn er meint, dass Mucha ein Mosaik schaffen will, im Gegenteil: Der Entwurf ist für Glasmalerei. Man kann Muchas Stil mit Mosaik nicht ausdrücken.“ Die folgenden Sätze klingen zum ersten Mal versöhnlich: So ist Wirth der Meinung, dass „Stil und Methodik der [vorliegenden] Arbeit zu akzeptieren [seien], ohne den Maßstab zu ändern.“ Das Gutachten von Eduard Šittler ist das letzte der vier vorhandenen Briefe. 169 Es beginnt mit dem Maßstab: Die Abweichung zu den anderen Fenstern im Veitsdom sei zu groß. Es sei sehr schade, dass es nicht möglich sei, bei einer Kathedrale eine Einheit im Gedankenprogramm und in der künstlerischen Ausführung zu erreichen. Šittler spricht zwar dem Künstler allgemein das Recht zu, „seine Gedanken zu entfalten, auch wenn es auf Kosten oder zum Nachteil des Gesamtbildes gehe“, aber das Recht dieser Kathedrale darauf, dass sich die Künstler aneinander anpassen, wiege höher. Die Anpassung von Künstlern dieser Qualität beträfe nicht nur den Maßstab, sondern auch die gewählte Methodik. Auch Šittler greift damit Muchas Technik der Glasmalerei an und verlangt indirekt eine Änderung zugunsten der Mosaikverglasung. Er kritisiert in seinem Gutachten auch andere Werke massiv; so bezeichnet er beispielsweise den Altar von František Bílek als „fremd“ in Bezug auf das Dominnere. Šittler erklärt in der Folge, dass dies in den meisten Fällen mehr dem einzelnen Werk als seiner Umgebung schade und dadurch die schwächeren Seiten

der Arbeit hervorgehoben würden. Weiter meint er jedoch, dass der Künstler jedes Werk als in sich abgeschlossen entwickeln solle und Verschiedenartigkeit durchaus willkommen sei – „falls nicht ein schablonenhaftes oder monotones Werk entstehen soll“. Dass Muchas Entwurf ihm in dieser Hinsicht aber zu weit geht, beweist der folgende Satz: „Gewisse Übereinstimmung im Arrangement ist hier notwendig.“ Am Ende des sehr langen Briefes kommt Šittler nochmals direkt auf Mucha zu sprechen: So würde ihn „die ganze Methodik“ stören und der Entwurf bestünde nur aus „einer Figur und der Rest sei ausfüllendes Dekor.“ Im Gutachten schreibt Šittler zudem, es scheine ihm, als ob das Fenster nicht für eine Kapelle, sondern für ein hochliegendes Fenster im Hauptschiff entworfen sei, denn dann wäre der Maßstab richtig. Der Theologe Šittler bringt auch etwas zur Sprache, was bisher in keinem anderen Gutachten vorkam: Er schreibt, dass ihm bei der Figur der „Madonna“ viele Grundelemente fehlen würden, die ikonographisch vorhanden sein müssten. Eine Madonna ist jedoch in Muchas Entwürfen nicht zu finden. Mucha hatte aber vielfach die Figur der Slavia – die Personifikation der Slawen und gleichzeitig die namensgebende Figur des Geldgebers – dargestellt; vermutlich hat Šittler eine dieser Slavia-Figuren für die Muttergottes gehalten. 170 Weiter schreibt er: „Ich fürchte, im fertigen Werk wird ein Taubenkranz und ein uninteressantes Bild eines Mädchens mit Blumenstrauß sein, es wirkt armselig, […].“ Sein Fazit am Schluss des Gutachtens: „Es ist zu wenig heilig für eine Kirche.“ In dieser ersten Aufarbeitung der Gutachten wird sichtbar, dass zumindest Kafka und Wirth Einblick

Die Zitate sind entnommen aus: Gutachten Zdeněk Wirth, 12.1.1929, S. 1–2. Zdeněk Wirth (1878–1961) war Kunsthistoriker; ab 1905 war er im Kunstgewerbemuseum in Prag tätig, seit 1907 Mitglied der Wiener Zentralkommission für die Denkmalpflege. Nach seiner Rückkehr von der Front im Jahre 1918 wurde er ins Bildungsministerium aufgenommen; dort war er zunächst Leiter der Abteilung Naturschutz, später Leiter der Abteilung für Bildung. Während der Jahre 1919 bis 1941 war er Mitglied der Abteilung für Kunst des Dombauvereins. Ab 1938 war er Vorsitzender der Nationalen Kulturkommission und später Mitglied des Zentralkomitees der staatlichen Denkmalpflege (für weitere Informationen zu Wirth s. Magdaléna Pokorná: Zdeněk Wirth. 120. výročí narození, in: Akademický bulletin, Bd. 9 (1998)). 169 Die Zitate sind entnommen aus: Gutachten Eduard Šittler, 14.1.1929, S. 1–4. Eduard Šittler (1864–1932) war ab 1898 Pfarrer und ab 1910 Kanoniker des Vyšehrad. Ab 1895 war er in der kirchlichen Abteilung für ethnographische Ausstellungen, später in der Archäologischen Kommission der tschechischen Akademie tätig (Monsignore Eduard Šittler (Autor „W.“), in: Umění (S. p. č. v. p.), Bd. 5 (1932), S. 499). 170 Zu den Gründen, weshalb ein Madonnen-Bildnis bei der mutmaßlich von Šittler gemeinten Figur auszuschließen ist, s. Kapitel 7.7. 168

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in das allererste Gutachten von Švabinský hatten; Šittlers Dokument erwähnt diesbezüglich nichts. Er kritisiert aber zum größten Teil dieselben Punkte und somit kann davon ausgegangen werden, dass zumindest eine mündliche Weitergabe des Inhalts von Švabinskýs Gutachten (möglicherweise auch von Kafkas und Wirths Inhalt) erfolgt war. Die Vorgehensweise, dass die verschiedenen Gutachten von den jeweils anderen Prüfern eingesehen werden können, erscheint ungewöhnlich. Denn auf diese Weise kann eine Beeinflussung der weiteren Gutachten nicht ausgeschlossen werden. Festzuhalten gilt auch, dass in den vier vorhandenen Gutachten kein Wort über das heute fehlende Gutachten von Kamil Hilbert steht. Ein Grund dafür mag sicherlich die Tatsache sein, dass er nicht Mitglied der Abteilung für Kunst war, sondern der Dombaumeister. Daher ist anzunehmen, dass die Mitglieder der Abteilung für Kunst keinen Zugang zu seinen Unterlagen hatten – angesichts der Tatsache, dass Muchas erster Entwurf aber abgelehnt wurde, ist auch vonseiten Hilberts ein negatives Urteil anzunehmen. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass massive und teilweise sehr ungehaltene Kritik an Muchas Entwurf geübt wird. Sogar seine künstlerischen Fähigkeiten per se werden angegriffen. Insbesondere Švabinskýs Gutachten scheint besonders angriffslustig und hält sich beim Ausdruck seiner Missbilligung nicht zurück. Es ist möglich, dass dieses Urteil der Gutachter, das zumindest teilweise auf sehr persönlicher Ebene gefällt wird, auf gewisse Begebenheiten in den Jahren 1909 bis 1911 zurück geht, die in Zusammenhang mit der Ausmalung des Repräsentationshauses in Prag stehen. Mucha hatte damals als alleiniger Künstler die Ausmalung des Primatorensaals, also des wichtigsten Raumes des Gebäudes, ohne vorhergehende Ausschreibung übernehmen dürfen, wogegen andere Künstler nur kleinere Arbeiten zugewiesen bekamen. Bei den ihrer Meinung nach benachteiligten Künstlern handelte es sich um Miko171 172 173

láš Aleš, Jakub Obrovský, Josef Wenig, Jan Preisler, Karel Špilar – und Max Švabinský. 171 Aus Briefen, die sich die Eheleute Mucha zwischen Europa und den Vereinigten Staaten in den Jahren 1909 bis 1911 gegenseitig schickten, wird ersichtlich, dass sich die mutmaßlich übergangenen Kollegen Muchas während seiner Abwesenheit in der heimatlichen Presse über ihre Benachteiligung beschwerten. Maruška Muchová spricht in ihren Briefen von einer Hetze aus Neid, die die Kollegen ihres Mannes angezettelt hätten. Laut dem Sohn Jiří Mucha äußerten diese ihren Unmut darüber, dass ein solch repräsentativer Auftrag von einem Künstler alleine ausgeführt wurde und dass kein Wettbewerb veranstaltet worden war. Jiří Mucha erzählt weiter, dass es sogar Gerüchte gab, wonach sich sein Vater selbst angeboten habe, was als „unkollegial“ empfunden worden sei. 172 Auch ein Artikel in einer Tageszeitung bestätigt dies; hier wird zudem noch darauf hingewiesen, dass Mucha für die Ausmalung des Primatorensaals möglicherweise gar keine Zeit habe, da er an seinem Epos arbeite. 173 Diese Begebenheiten sind zwar zum Zeitpunkt, als Mucha den Entwurf für das Glasgemälde einreicht, bereits rund 20 Jahre her – doch auszuschließen ist es nicht, dass die allzu persönliche und unsachliche Kritik Švabinskýs in einer auf diesen Ereignissen basierenden Abneigung gründet. Auch der Theologe Šittler war sehr direkt in seinen Worten: Er nannte den Entwurf „armselig“, eine Figur darauf „uninteressiert“ und die Darstellung alles in allem „zu wenig heilig“. Jedoch versuchte er zumindest, sein Urteil durch die notwendige Anpassung eines Werkes an die kirchliche Umgebung zu rechtfertigen. Bohumil Kafka formulierte seine Kritik wesentlich neutraler und der Kunsthistoriker Wirth trat ja sogar dafür ein, den Vorschlag Muchas zu akzeptieren. Außerdem wird ersichtlich, dass es auch für Fachleute wie Künstler oder Kleriker nicht einfach ist, Muchas Darstellungen und Symbolik zu entschlüsseln, was an Šittlers Irrtum über die Madonnenfigur sowie an der Unklarheit, in welcher Methode – Glasmalerei oder Mosaiktechnik – Mucha das Fenster ausführen will, deutlich wird.

Mucha 1965, S. 240. Zu weiteren Angaben zu Muchas Arbeit im Repräsentationshaus in Prag s. Kapitel 10.13. Mucha 1965, S. 238. Z městské rady král. hlavního města Prahy. Schůze dne 3. prosince 1909 (unbekannter Autor), in: Národní politika, 4.12.1909, S. 4 und 5.

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Zurück zur Sitzung der Abteilung für Kunst des Dombauvereins am 18. Januar 1929: Nachdem alle Gutachten vorgelesen worden waren, wurde zusammenfassend im Protokoll vermerkt, „dass der Entwurf [von Mucha] nicht geeignet für ein Fenster in der Kathedrale von St. Veit ist, insbesondere aus religiös-kultischen Gründen, sodass der Maßstab und die farbige Komposition sowie das Fenster in der Kirche etwas fremd wirken.“ 174 Es wurde vereinbart, dass der für die Fertigstellung verantwortliche Architekt und Dombaumeister, Kamil Hilbert, Mucha „auf schonendste Art“ auf die Änderungsvorschläge des Komitees hinweisen sollte, mit der Bitte, den Entwurf zu überarbeiten. 175 Des Weiteren sollte Hilbert Mucha empfehlen, dass er „in der Sache der Änderungen oder Ergänzungen von ideologischem Inhalt der Darstellung in Kontakt mit Prof. Cibulka treten“ solle. 176 Unklar bleibt, in welcher Form Mucha über die Kritik und die Änderungswünsche informiert wurde. Vermutlich geschah dies in einem Schreiben oder in einem persönlichen Gespräch mit dem Dombaumeister Kamil Hilbert.

5.2.5 Mai/Juni 1929: Der zweite Entwurf Der Jahresbericht des Dombauvereins überliefert, dass der Glaser Vlasák im Mai 1929 das Einsetzen des Fensters von František Kysela in der Thunkapelle (Kapelle Nr. 17) abschloss. 177 Das Fenster war einige Tage vor der Weihe des Veitsdomes und der Übergabe an die kirchliche Instanz am 12. Mai fertig geworden.

Entwurf von Mucha sind keine Gutachten im Archiv der Prager Burg vorzufinden. Daher bleibt die Frage unbeantwortet, ob sich die einzelnen Mitglieder der Abteilung Kunst zu diesem Entwurf jemals schriftlich geäußert haben. Anwesend bei der Sitzung am 20. Juni 1929 waren: Ludvík Lábler, Antonín Podlaha, Zdeněk Wirth, Bohumil Kafka, Josef Zlatník, Eduard Šittler und der Dombaumeister Kamil Hilbert. Im Protokoll dieser Sitzung ist unter Punkt 7 zu lesen: „Der Bauherr des Domes berichtet über den Stand der Verhandlungen über das Fenster der Banka Slávie. Einige Anwesende erhoben wieder Einwände gegen den Entwurf von Mucha; diese Einwände wurden einstimmig bewilligt. Man wartet auf einen neuen Vorschlag Muchas.“ 178 Offensichtlich wurde die Kritik diesmal ausschließlich von Anwesenden geübt; somit fällt Max Švabinský diesmal als Begutachter weg, da er bei der Sitzung nicht anwesend war. Der Termin der Einreichung von Muchas zweitem Entwurf zeugt vermutlich davon, dass Mucha immer noch den offiziellen Eröffnungstermin, den 28. September 1929, vor Augen hatte und somit – zumindest bis zur erneuten Zurückweisung – auch sein Glasgemälde bis zu diesem Datum vollendet sah. Doch durch die Ablehnung des zweiten Entwurfs konnte das Glasgemälde definitiv nicht mehr bis zu den großen Feierlichkeiten im September 1929 fertiggestellt werden. Im Jahresbericht des Dombauvereins für das Jahr 1928, der nach der Sitzung am 3. Juli 1929 publiziert wurde, taucht auch das erste Mal Muchas Name auf. So ist dem Jahresbericht folgender Eintrag zu entnehmen:

Im Juni hatte Mucha der Kommission offensichtlich einen weiteren Entwurf vorgelegt. Zum zweiten Protokoll der Abteilung für Kunst des Dombauvereins vom 18.1.1929, S. 1: „Po uznáni poznatku a opětovnem prohlednuti návrhu rozvinula se čilá debata, jíž se všíchní prítomní zúčastnili a vyzněla v tom směru, že návrh není dobře vhodny pro okno v dómu sv. Víta, zejména po strance kultu, tak měritka i barevné komposici a že by okno v chramu působylo poněkud cizorodě.“ 175 Protokoll der Abteilung für Kunst des Dombauvereins vom 18.1.1929, S. 1: „Pouhá korektura návrhu nemohla by přinésti žádouci nápravu a usneseno bylo, aby byl mistr A. Mucha panem architektem Hilbertem pozván k rozmluvě při které by, navezuje eventualně na podaná vyjádření, jemu nejšetrnějším způsobem sdělil pronešená přání a jej požadal o přepracování návrhu, neb sděléní nového a aby p. Muchovi odporučil návrh uměl. [uměleckeho] odboru, aby vešel ve přičíně změny nebo doplněni ideového obsahu malby ve styku s prof. Cibulkou, který jemu jistě ochotné vstříc přijde.“ 176 Zur Person Josef Cibulka s. Kapitel 8.4. 177 V. Z. J. 1930, S. 4 und 14. 178 Protokoll der Abteilung für Kunst des Dombauvereins vom 20. 6.1929, Punkt 7, S. 1 und 2: „Stavitel dómu referuje o dosavádním průběhu jednání o okno banky Slavie. Někteří přítomní opětně uplatnili námitky proti náhu [sic! návrhu] Muchovu; námitky ty došly jednohlasného souhlasu. Vyčká se nový návrh Muchův.“ 174

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Chronologie

„Der Verein wünscht sich die Fertigstellung seiner Arbeit, es braucht [dazu] möglicherweise noch nicht alle Einzelheiten, aber es ist immer noch das wichtigste Ziel, dass der Dom [im September 1929] durch das geschätzte Mitglied der Direktion, den hochehrwürdigen Herrn Bischof Jan N. Sedlák, eingeweiht werden kann und [dieser] ihn damit für die gottesdienstliche Funktion eröffnet. Es fehlen allerdings noch verschiedene Baukomponenten: […], die dekorativen Fenster sind bisher noch nicht gesichert, bis auf dasjenige, angeschafft durch die Ausgaben der Ersten tschechischen gegenseitigen Versicherungsgesellschaft, und auf das Fenster, das vorbereitet wird in der Ausführung durch den Meister Mucha mit der großzügigen Bank „Slavia“, […].“ 179

Mit der Publikation dieses Jahresberichtes im Juli 1929 informierte der Dombauverein vermutlich erstmals darüber, dass Mucha ein Glasgemälde des Veitsdomes erschaffen sollte. 180 Dazu wird nochmals Näheres in der gleichen Publikation des Dombauvereins ausgeführt: „Die Banka Slávie hat beschlossen, ein Fenster in der Hora-Kapelle im neuen Teil [des Domes] zu widmen. Die Intention der Bank war es, dass ihr Geschenk für die diesjährigen Feierlichkeiten ausgeführt werden könnte. Wegen der Krankheit von Meister Mucha, des Urhebers des Entwurfes, wird es kaum möglich sein, die Frist einzuhalten. Der Verein, der die Widmung begrüßt, ist überzeugt, dass die Banka Slávie wie zuvor auch in der Zukunft sein Ziel unterstützt.“ 181

In diesem Zusammenhang wird also Muchas angegriffene Gesundheit thematisiert und als Grund dafür genannt, dass das Fenster nicht rechtzeitig

zur Einweihung des Doms fertig sein würde. Keine Erwähnung findet hingegen die Tatsache, dass bis zum Erscheinen dieser Publikation (nach dem Monat Juli 1929) bereits zwei Entwürfe Muchas zurückgewiesen wurden (im Januar sowie im Juni 1929). Es stellt sich hier berechtigterweise die Frage, ob man in diesem Jahresbericht über das Jahr 1928 tatsächlich nur die Ereignisse Revue passieren ließ, oder ob der Dombauverein einfach einen nicht selbstverschuldeten Grund suchte, ohne auf die Spannungen zwischen dem Dombauverein und dem Künstler und die daraus resultierenden Probleme hinweisen zu müssen. Es ist aber auch möglich, dass Mucha selbst – nachdem seine ersten beiden Entwürfe abgelehnt wurden – das Projekt ruhen ließ und sich auf andere Arbeiten konzentrierte bzw. dass er ab Januar 1929 bereits andere Projekte vorgesehen hatte. Ein Hinweis ergibt sich aus einer kurzgehaltenen Postkarte, die im Kunsthandel aufgetaucht ist: Sie trägt das Datum 12. Juni 1929 und Mucha bittet darin auf Tschechisch eine unbekannte Person darum, ihm jemanden zu schicken, mit dessen Hilfe er eine Leinwand von 1,20 � 1 m aus einem Rahmen herausnehmen und in einen anderen zu platzieren will. 182 Er befand sich zu dieser Zeit offensichtlich an seiner Wohnadresse in Prag, wie die Postkarte beweist. 183 Auch mit Buchillustrationen beschäftigte sich Mucha im genannten Jahr: Das Buch Andělíček z baroku (dt.: Der kleine Barock-Engel), erschienen bei J. Otto in Prag, stattete er mit 17 Illustrationen aus. Der Katalogeintrag von Werken einer MuchaAusstellung in der tschechischen Stadt Hradec Králové bestätigt, dass zwei Arbeiten aus dem Jahr 1929 stammen. 184 Es handelt sich aber in beiden Fällen

V. Z. J. 1929, S. 4 (das Zitat auf Tschechisch im Wortlaut: „Jednotě popřáno dovésti své díli, třeba ne ještě do všech jednotlivostí, přece ale již k hlavnímu cíli, takže mohl chrám býti vysvěcen váženým členem ředitelstva, nejdůst. p. biskupem Drem Jam N. Sedlákem a tím otevřen úkonům bohoslužebným. Scházejí sice ještě různé součástky: […] ozdobná okna nejsou dosud zabezpečena, až na ono, pořízené nákladem I. čes. vzájemné pojišt’ovny, a na okno, které munificencí banky „Slavie“ se chystá v provedení mistra Muchy; […]“). 180 Die Banka Slávie bzw. der Verein Svatobor hatten dies bereits im Oktober 1928 publiziert, s. oben. 181 V. Z. J. 1929, S. 7 (das Zitat im Wortlaut: „Banka Slavie rozhodla se věnovati pro Horovu kapli v novostavbě okno. Intencí banky bylo, aby dar její mohl býti proveden již k letošním oslavám. Pro nemoc mistra Muchy, autora návrhu, sotva bude možno lhůtu tuto dodržeti. Jednota, vítajíc toto věnování, je přesvědčena, že banka Slavia jako dříve i v budoucnu ještě podpoří její účel.“). 182 s. Auktionskatalog Livres ancien & modernes, autographes & manuscrits, Bergé & Associés, Paris 17. 5. 2011, S. 98, Kat. Nr. 157. 183 Seine Wohnadresse zu dieser Zeit lautete: V Tišinách č. 4, Praha-Bubeneč, s. Postkarte von Anm. 182. 184 s. Ausst. kat. Hradec Králové 1933, S. 21–30; folgende Katalognummern weisen auf Werke des Jahres 1929 hin: 1 („Studie k obrazu, 32 � 43,5 cm, kresba barevnými tužkami na přírodním papíře z r. 1929“); 17 („Dívčí půlakt zpředu, 34 � 42,5 cm, kresba modrou tužkou na přírodním papíře z r. 1929“) 179

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Die Abfolge der Ereignisse: Eine Rekonstruktion

um kleinere Zeichnungen und nicht um aufwändigere Gemälde. In allen drei Fällen handelt es sich sicherlich nur um einen kleinen Ausschnitt aus Muchas künstlerischem Werk dieser Zeit und keinesfalls um eine lückenlose Wiedergabe in Form einer Auflistung seiner gesamten Arbeiten.

5.2.6 28. September 1929: Die Einweihung des Veitsdomes Die Arbeiten am Dom schritten voran, sodass ab dem 12. Mai 1929 Gottesdienste stattfanden und der Veitsdom plangemäß am 28. September eingeweiht werden konnte. 185 Der damalige Präsident der tschechoslowakischen Republik, Tomáš Garrigue Masaryk, bekundete große Anerkennung für die Arbeit des Dombauvereins und besuchte den Veitsdom im Rahmen der Feierlichkeiten im September. 186 Dieser Besuch zeigt, welche außerordentliche Funktion der Veitsdom nicht nur in religiöser Hinsicht, sondern auch für die politische Welt hatte. Die Eröffnung schlug sich auch in der Tagespresse nieder: Es erschienen diverse Artikel zur Geschichte des Veitsdomes, zur Fertigstellung und zur Einrichtung. Auch die Hora-Kapelle bzw. deren Ausstattung wurde dabei besprochen, beispielsweise in der wöchentlich erscheinenden Zeitschrift Jas: „Neben der Handelsbank und der Tschechischen Gegenseitigen Versicherung sowie weiteren Stiftern, die der Veitsdom immer benötigen wird, trägt auch die Banka Slávie, die ein Buntglasfenster in der HoraKapelle finanziert, mit ihrem Geschenk bei und das gemäß dem Entwurf von Alfons Mucha“. 187 Zur Eröffnung des Veitsdomes im Jahre 1929 sowie in den Folgejahren erschienen auch verschie-

dene Bücher und Monographien, die die Fertigstellung der Kirche besprechen. Die wichtigsten davon sind zweifelsohne die des bereits erwähnten Historikers Čeněk Chyský (Pražský Hrad a chrám sv. Víta) von 1929 und Zdeněk Wirths Metropolitní chrám svatého Víta von 1945. 188 In diesen Bänden wird aber weder auf die Kunstgattung der Glasmalerei im Veitsdom eingegangen noch im Speziellen Muchas Fenster besprochen. Die erste Forscherin, die sich mit dieser Gattung im Veitsdom auseinandersetzte, ist die im Jahre 2004 verstorbene Marie Kostílková mit ihrem Werk Okna Svatovítské katedrály im Jahre 1999. 189

5.2.7 Die Zeit nach der Eröffnung Die Jahresberichte des Dombauvereins über das Jahr 1929 verschweigen Muchas Engagement komplett. Der Jahresbericht erschien im folgenden Jahr (nach der Sitzung des Dombauvereins am 28. Mai 1930), nachdem im Mai und September 1929 zunächst die feierliche Einweihung und danach die Übergabe an den Weihbischof mit Erfolg absolviert worden waren. Somit ist dieser Jahresbericht als eine Art Rekapitulation der bis zur Eröffnung erbrachten Leistungen zu verstehen. Daher werden die zum Wenzel-Jubiläum fertiggestellten Werke – den Kapellen nach geordnet – nacheinander vorgestellt. Für die Hora-Kapelle ist darin Folgendes vermerkt: Sie wurde mit einem Altar versehen, wofür ein aus dem Jahre 1593 stammendes Altarbild, gemalt von Bartholomäus Spranger, vom Maler Emanuel Boháč restauriert worden war. Die weiteren für die Ausstattung verwendeten Werke (ein Kreuz, ein Kerzenhalter und Kanontafeln) hatte der Bildhauer J. V. Čermák entworfen. 190 Das Gemälde aus dem 16. Jahrhundert von

s. V. Z. J. 1930, S. 4: „12. května 1929 vykonal nejdůst. světící biskup Msgre. Dr. Jan Sedlák slavné vysvěcení dómu a 28. září 1929 nejdůst. světící biskup Dr. Antonín Podlaha odevzdání dómu.“; Wirth 1944, S. 78 und 85. 186 V. Z. J. 1930, S. 4. Zum Zeitpunkt des Besuchs von Masaryk war der Veitsdom größtenteils vollständig. Es fehlten nach wie vor diverse Arbeiten, sowohl eher dekorativer Art im Innenbereich als auch bauliche Maßnahmen an der Fassade (s. V. Z. J. 1930, S. 5). 187 Der Artikel beschreibt Details der Ausstattung der Hora-Kapelle: kurz vor dem Erscheinen des Aufsatzes wurde ein Gemälde vom Hofmaler von Kaiser Rudolf II., Bartholomäus Spranger, als Altarbild in der Kapelle angebracht. Ursprünglich befand es sich an der Westwand der Wenzelskapelle, s. Čeněk Chyský: (ohne Titel), in: Jas, 26. 9.1929, S. 6. 188 Zdeněk Wirth (geb. 1878, gest. 1961) war Kunsthistoriker und von 1919 bis 1941 Mitglied der Abteilung für Kunst des Dombauvereins, s. Anm. 168. 189 Die deutschsprachige Ausgabe von Kostílkovás Die Fenster der St.-Veit-Kathedrale erschien im Jahre 2000 (Kostílková 2000). 190 s. V. Z. J. 1930, S. 14: „Kaple Horova opatřena byla oltářem, ve spodní části mramorovým, ve vrchní z opuky, pro nějž pouito bylo antepedia z bžývalého Billenberkova oltáře svatocáclavského a nástěnného obrazu Nanebevzetí Panny Marie, r. 1593 na zazděný portál kaple sv. Václava v tempeře namalovaného a r. 1889 Arch. Mockerem […] odstraněného. Restauraci velmi poškozeného orbazu provedl malíř Emanuel Boháč, kdežto kříž, svícny a kanonické tabulky dodal akad. sochař a řezbář J. V. Čermák.“; zum Maler Bartholomäus Spranger, s. Snopko 2006, S. 21, Anm. 128. 185

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Chronologie

Bartholomäus Spranger befindet sich bis heute in der Kapelle. Die Hora-Kapelle wird in der Abfolge des Jahresberichtes als letzte der Kapellen besprochen; danach folgen Abschnitte zu anderen Innenbereichen des Domes sowie zu den Grabmälern und den Türmen. Auch die Versicherungsgesellschaft Banka Slávie taucht im Bericht des Jahres 1929 nicht auf. Vermutlich mit Absicht wurde auch die Reihenfolge der Kapellen so festgelegt, dass die Hora-Kapelle als Letzte vorgestellt wurde; möglicherweise versuchten die Verantwortlichen, sich noch bis zur Publikation des Bandes nach der Sitzung am 28. Mai 1930 die Möglichkeit offen zu lassen, Text hinzufügen zu können – falls möglicherweise doch noch ein neuer Entwurf Muchas eingereicht und angenommen würde. Doch das war offensichtlich nicht der Fall. Im gleichen Jahresbericht des Dombauvereins wurden Details zur Holztüre unterhalb des Wohlmuth-Chors (Wohlmutová Kruchta) genannt. 191 Diese Arbeit wurde hauptsächlich von der Zemská Banka finanziert, doch auch die Firma Jindřich Röhrs beteiligte sich an den Kosten. František Vavřich hatte das figürliche Motiv und die Ornamente nach einer Vorlage von Štěpán Zálešák geschnitzt. 192 Die Holztüre zeigt als Hauptmotiv mehrere Szenen aus dem Leben der Slawenapostel, die von längeren kyrillischen Inschriften begleitet werden. Im April 1930 begann der Glaser Jan Veselý, der später auch Muchas Fenster ausführte, mit seinem ersten Auftrag im Veitsdom: dem Einsetzen des

Glasgemäldes in der Schatzhaus-Vorhalle (Kapelle Nr. 4, Abb. 1), dessen Entwurf vom Künstler Cyril Bouda stammte. 193 Dem Protokoll der Abteilung für Kunst des Dombauvereins ist zu entnehmen, dass der Glaser, der hier fälschlicherweise mit dem Vornamen Josef genannt wird, nicht nur aus ökonomischen Gründen gewählt wurde, sondern in erster Linie weil es ausdrücklich der Wunsch des Künstlers Bouda war. 194 Am 25. August wurde dieses Glasfenster vollendet. 195 Nachdem es bereits im Jahresbericht des Dombauvereins einen ersten Hinweis auf Muchas angeschlagene Gesundheit gegeben hatte (dessen Glaubwürdigkeit aber in Zweifel gezogen werden kann), kann nun eine unabhängigere Mitteilung darauf angeführt werden: Im August 1930 wird in der Zeitung Národni Politika mitgeteilt, dass sich Mucha mit seiner Frau für eine längere Behandlungsdauer im Kurort Píšt’any aufhalte und für die Dauer seines Aufenthaltes auch über ein angemietetes Atelier verfüge.196 Der Jahresbericht des Dombauvereins, der das Jahr 1930 bespricht und nach der Sitzung am 13. Mai 1931 erschienen ist, thematisiert unter anderem auch die Verglasungen einiger Kapellen. Es ist zu lesen, dass „auch das Fenster der Banka Slávie in der Hora-Kapelle, wie auch das Fenster des Fürsten Jan Schwarzenberg, westlich des zuvor genannten, sowie das Fenster der Frau Marie Mělnická, östlich des [hier] erstgenannten, und das Fenster von Professor Vilém Schubert 197, auf der gegenüberliegenden Seite [der Hora-Kapelle]“ für das Jahr 1930 ein-

Die Bezeichnung geht auf Bonifác Wohlmuth zurück, der im 16. Jahrhundert als Steinmetz und Architekt am Bau des Veitsomes beteiligt war. Die Holztüre von Štěpán Zálešák unterhalb des Wohlmuth-Chores wird im Kapitel 8.2.4 näher behandelt. 192 V. Z. J. 1930, S. 13. 193 s. Protokoll der Abteilung für Kunst des Dombauvereins vom 11.11.1930, Punkt 5, S. 1 und Kostílková 2000, S. 40. 194 s. Protokoll der Abteilung für Kunst des Dombauvereins vom 4. 4.1930, Punkt 2, S. 1: „Stavitel dómu hlási dále, že bylo nutno zadati okno pí. Mělnické pro vysoké stáří věnovatelky a pro její něklid, že se provedení okna nedočká, Josefu [sic!] Veselými za částku Kč 52 000,–. Pro volbu Veselého rozhodla jednak výhodnost jeho nabídky, jinak přání autorovo. Stavitel dómu žádá odbor umělecký, aby zadání dodatečně schválil, což se stalo.“ Die Verwechslung des Vornamens (Josef anstelle von Jan) geht vermutlich auf die Ähnlichkeit mit der ebenfalls an der Verglasung des Veitsdomes beteiligten Firma von Josef Vlasák zurück. 195 V. Z. J. 1931, S. 7 und 8. 196 Národní politika 12. 8.1930, S. 3. Es ist in diesem Zusammenhang die Rede davon, dass Mucha das Atelier habe, um an „weiteren Skizzen aus dem historischen Bereich seines nächsten Werkes, beispielsweise eine Ergänzung seines Epos“ zu arbeiten. Bei der im Artikel erwähnten Ortschaft handelt es sich wohl eher um das slowakische Piešt’any und nicht um das tschechische Píšt’any, da der Ort ausdrücklich in Verbindung mit dem Begriff „lázně“ genannt wird, was als Badekurort übersetzt wird (der Ort Píšt’any verfügt nicht über solche Einrichtungen, aber Piešt’any ist heute noch berühmt dafür). 197 Vilém Schubert zog sich aber im Laufe des Jahres 1930 von der Finanzierung des vorgesehenen Glasgemäldes in der Kapelle vom Heiligen Grab 191

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Die Abfolge der Ereignisse: Eine Rekonstruktion

geplant worden waren. 198 Bei den genannten Fenstern wurde im Januar das Baugerüst errichtet, damit die Steinmetze zunächst Reparaturen ausführen und Armierungseisen im Maßwerk austauschen konnten. Dies wurde bereits entsprechend der jeweiligen Anforderungen in den vorgesehenen Entwürfen ausgeführt. In der Hora-Kapelle wurde dieser Arbeitsschritt aber erst im Laufe des folgenden Sommers 1931 ausgeführt, wie an anderer Stelle zu lesen ist. 199

5.2.8 November 1930: Der dritte Entwurf Am 11. November 1930 fand eine Sitzung der Abteilung für Kunst des Dombauvereins statt. Anwesend waren Antonín Podlaha, Václav Roštlapil, Josef Zlatník, Bohumil Kafka, Zdeněk Wirth und der Dombaumeister Kamil Hilbert. 200 Entschuldigt hatten sich mit Eduard Šittler und Max Švabinský diejenigen, deren Gutachten Muchas ersten Entwurf am schärfsten kritisierten hatten. Bei dieser Sitzung wurde über die Verlängerung der Entwurfsphase für das Glasfenster von Mucha informiert, ein konkreter Grund dafür wurde jedoch nicht genannt. 201 Unter Punkt 4 im Protokoll ist zu lesen, dass der vorgelegte Entwurf bereits durch den städtischen Domherrn genehmigt worden war; Prof. Cibulka hatte sich ebenfalls zustimmend geäußert. Daraus ist zu schließen, dass es sich um den dritten und schlussendlich ausgeführten

Entwurf gehandelt haben muss. Weiter sagt das Protokoll, dass jedoch seitens der Abteilung für Kunst immer noch Einwände gegenüber Mucha vorgebracht wurden, da sich das viel diskutierte Fenster immer noch allzu sehr von den bereits geplanten und fertiggestellten, benachbarten Fenstern unterscheiden würde. Es wurde aber beschlossen, Muchas Individualität nicht einzuschränken und daher wurde der Entwurf einstimmig unter der Bedingung genehmigt, dass Mucha nochmals mit Cibulka „wegen des Maßwerks“ in Kontakt treten solle. Es wird nicht weiter ausgeführt, was mit der Bemerkung zum Maßwerk gemeint ist. Die Form des Maßwerks in der Hora-Kapelle war durch die Pläne des damaligen Dombaumeisters Josef Mocker (1835–1899) vorgegeben und wurde auch durch seinen Nachfolger Kamil Hilbert in diesem Bereich nicht mehr verändert. 202 Es ist denkbar, dass die Bemerkung auf die technische Aufteilung der einzelnen Glasflächen durch Metallstege Bezug nimmt. Denn diese war – wie bei den Kartons der einzelnen Szenen deutlich zu erkennen ist – noch nicht eingezeichnet und musste in einem weiteren Schritt geplant werden. Möglich ist aber auch, dass sich die Bemerkung auf den oberen Teil des Maßwerks bezieht und auf Muchas dekorative Personifikationen der Regionen darin. Dieser Teil wurde – verglichen mit dem zweiten Entwurf – nochmals stark verändert. Josef Cibulka, ein ursprünglich aus der Theologie kommender Spezialist für christliche

(Nr. 18, s. Abb. 1) zurück. Das später an diese Stelle gesetzte Fenster wurde von Marie Novotná finanziert (s. Kateřina Rusoová: Vitráže Maxe Švabinského v katedrále sv. Víta, Václava a Vojtěcha na Pražském hradě, Bachelor-Arbeit Universität Brünn 2007, Anm. 43). 198 Der tschechische Text im Original: „Ve stavební program r. 1930 zařaděno bylo barevné zasklení některých kaplových oken v nové části dómu. Tak okna banky Slavie v kapli Horově, pak okna kníž. Jana Schwarzenberga, západně od předešlého, dále okna pí. Marie Mělnické, východně od prvně jmenovaného, a okna prof. Viléma Schuberta, na straně protější. Ke všem jmenovaným oknům zřízena v lednu pomocná lešení, z nichž kameníci upravovali falce a vyměňovali ztužovací železa v kružbách, podle požadavků příslušných malířských kartonů. Malíř na skle Jan Veselý započal v dubnu osazovati zasklení okna pí. Marie Mělnické, komponovaného akad. malířem Cyrillem Boudou na thema života sv. Štěpána, a dokončil práci do 25. srpna.“, s. V. Z. J. 1931, S. 7 und 8. 199 V. Z. J. 1932, S. 8 und 9. 200 Die Abteilung für Kunst des Dombauvereins bestand im Jahre 1930 aus folgenden acht Mitgliedern: Antonín Podlaha (Weihbischof und Titularbischof von Prag, Präsident der Finanzabteilung und stellvertretender Vorsitzender des Dombauvereins), Václav Roštlapil (Architekt und Präsident der Abteilung für Kunst), Eduard Šittler (Kanoniker des Veitsdoms), Max Švabinský (Maler, Professor für Angewandte Kunst), Zdeněk Wirth (Kunsthistoriker, Abteilungsleiter im Bildungsministerium), Ludvík Lábler (Architekt, Ministeriumsvorstand), Bohumil Kafka (Bildhauer, Professor für Bildende Kunst), Josef Zlatník (Ingenieur, Architekt, oberster Baurat); s. V. Z. J. 1931, S. 22. Im Vergleich zum Jahr 1928 hatte sich nur verändert, dass Václav Roštlapil und Ludvík Lábler bis zum Erscheinen des Jahresberichtes verstorben waren, vgl. Anm. 162. 201 Protokoll der Abteilung für Kunst des Dombauvereins vom 11.11.1930, Punkt 4, S. 1: „Stavitel dómu podal zprávu o předložení náčrtu okna banky Slavie malíře Muchou, o schválení návrhu Metropolitní kapitulou a o schvalujícím stanovisku prof. Cibulky, až na výplně v kružbě, o nichž by jmenovaný ještě s prof. Muchou pojednal. Odbor nedaje si, že návrh Muchův jest odchylný od tří již započatých sousedních oken, leč nechce silné individualitě Muchově činiti překážek a jednohlasně schvaluje návrh však s přáním, aby se autor o kružbě dohodnul ještě s Dr. Cibulkou.“ 202 Gewisse Veränderungen beim Maßwerk wurden von Kamil Hilbert im Bereich des Querschiffs und der Westfront vorgenommen, ansonsten wurden die Vorlagen der Fenster von seinem Vorgänger Mocker bei den Kapellen und im Langschiff übernommen (s. Snopko 2006, S. 18).

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Ikonographie, wurde Mucha möglicherweise für die Findung und Gestaltung gewisser Figuren zur Seite gestellt; möglicherweise galt das auch für die Personifikationen im oberen Bereich des Fensters. Sofern der Dombauverein tatsächlich nochmals eine Überarbeitung bzw. Änderung des oberen Teils des Fensters verlangt haben sollte, so hat Mucha dem Dombauverein im November 1930 vermutlich eine bisher unbekannte Version des dritten Entwurfs vorgelegt. Dies wäre also eine Version, die in den Lanzetten die ausgeführten Glaseinsätze zeigt und in den oberen Fensteröffnungen eine Darstellung, die möglicherweise Ähnlichkeit mit dem zweiten Entwurf aufweist, womöglich aber auch eine komplett andere Figurenkonstellation. Zwischen der Sitzung im November 1930 und der Versendung der einzelnen Vorlagenkartons aus Nizza im April 1931 (s. unten) war genügend Zeit vorhanden, um einen Teil des Entwurfs abzuändern. Es ist aber auch denkbar, dass sich Mucha gegenüber Cibulka und dem Dombauverein durchgesetzt und nichts mehr am dritten Entwurf geändert hat; dann wäre der Entwurf, der im November 1930 dem Dombauverein vorgelegt wurde, mit dem jetzigen Glasgemälde identisch. Ursprünglich war wie gesagt vorgesehen gewesen, Muchas Glasgemälde zur feierlichen Eröffnung des Veitsdomes im September 1929 fertigzustellen. Doch es ist nicht das einzige Werk des Veitsdomes, das mit Verzögerung Einzug in die Kirche hielt: Auch bei Karel Svolinskýs Fenster in der Schwarzenberg-Kapelle (Kapelle Nr. 2, Abb. 1) zieht sich die Vollendung hin, hier wird in den Protokollen

des Dombauvereins auf eine Krankheit des Künstlers verwiesen. 203 Schließlich wurde das Fenster erst im April 1931 eingebaut. Im November 1930 wurde bei einer Sitzung der Banka Slávie die finanzielle Situation bei dem von ihnen bezahlten Glasgemälde besprochen. Erstaunlich ist dabei, dass Mucha als Honorar nur ebenso viel verlangte wie der Glaser für seine Arbeit erhielt (150 000 Kč). 204 Mit dieser Summe soll er ausschließlich die Materialkosten beglichen haben. 205 Mucha verlangte in der Regel bei Werken, die ein Nationalbewusstsein stiften bzw. es unterstützen, nur die Bezahlung der Werkstoffe; auf eine angemessene Entlöhnung verzichtete er in diesen Fällen zumeist. 206

5.2.9 Das Jahr 1931 Mucha hielt sich zu Anfang der 1930er Jahre zumindest zeitweise in Nizza auf, die Angaben zu Dauer und Zeitpunkt schwanken jedoch stark. 207 Die Biographin von Jiří Mucha, Jolana Šopovová, schreibt, dass die Familie Mucha im Dezember 1930 in Nizza ankam und Anfang Juni 1931 wieder in die Heimat zurückkehrte, wo die Eltern ihre Silberhochzeit feierten. 208 Im April 1931 ist in einem tschechischen Zeitungsartikel dokumentiert, dass Mucha in einem Pensionat in Nizza am Entwurf für das Glasgemälde arbeitet und dass ihm als Modelle russische Emigranten dienen. 209 Weiter verrät der Artikel, dass Mucha in dieser Zeit von Nizza aus die fertigen Entwürfe nach Prag schicken wird. Der

Protokoll der Abteilung für Kunst des Dombauvereins 11.11.1930, Punkt 3, S. 1. Protokolle der Banka Slávie, 11.11.1930 und 2.12.1930. 205 Persönliche Anmerkung von John Mucha im Oktober 2006. 206 Auch bei anderen Gelegenheiten, wie beispielsweise der Eröffnung der Ausstellung von fünf (von den damals elf existierenden) Gemälden des Slawischen Epos in Brooklyn im Januar 1921, zeigte sich Mucha von einer äußerst großzügigen Seite: Das Museum wollte Eintrittsgelder von den Besuchern verlangen; Mucha aber bestand darauf, dass seine Kunst für alle umsonst zugänglich sein sollte. Mit seiner Milde brachte Mucha sich und seine Familie mehrfach in finanzielle Probleme, s. Mucha 1986, S. 503. 207 Nach Angaben der Familie Mucha und der Mucha Foundation hielt er sich ab 1932 für zwei Jahre in Nizza auf (Mucha Foundation/Timeline 2019: „1932: Mucha and his family move to Nice, France, where they stay for two years.“). Dies berichtet auch Jiří Mucha in seinen Monographien, er schreibt diese Passage aber offensichtlich aufgrund seiner eigenen Erinnerungen, wie seine Formulierungen vermuten lassen – und nicht nach Notizen seines Vaters (Jiří Mucha: Alfons Mucha, Prag 19943, S. 438). Jiří Mucha war 1932 17 Jahre alt; die monographischen Schriften erschienen ab 1965. Der Aufenthalt in Nizza muss jedoch vor 1932 angesetzt werden. 208 Jiří Mucha ging laut Jolana Šopovová von Frühling bis Sommer 1931 in Nizza zur Schule. Das darauffolgende Schuljahr verbrachte er aber in einer Schule in Lausanne, absolvierte parallel allerdings noch „externe“ Studien in Jindřichův Hradec, s. Šopovová 2011, S. 40. Alfons Mucha und Marie Chytilová hatten im Juni 1906 geheiratet, somit feierten sie im Sommer 1931 ihre Silberhochzeit; s. auch Kapitel 3.3 und Anm. 38. 209 Mistr Alfons Mucha při práci (unbekannter Autor), in: Národní listy, 26. 4.1931, S. 3. Es sind bisher keine Fotografien oder andere Details der Modelle bekannt. 203

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Die Abfolge der Ereignisse: Eine Rekonstruktion

Artikel erschien aufgrund eines schriftlichen Berichts des früheren Finanzministers Augustin Novák, der Mucha in seinem Atelier in der Pension Sollar besucht hatte. 210 Es ist davon auszugehen, dass es sich bei den erwähnten Entwürfen um die zumeist noch erhaltenen Vorlagenkartons handelt, die Mucha jeweils im Maßstab 1:1 erstellte. 211 In Nizza arbeitete Mucha noch mindestens an einem weiteren Gemälde: Bud’ pozdravený, požehnaný prameň zdravia / Dary země entstand für ein Thermalbad in Piešt’any (heutige Slowakei). 212 Jiří Mucha berichtet, dass sein Vater das Atelier des Malers Jules Chéret benutzen konnte, dieses war im „Museum seines Vorgängers und Konkurrenten Chéret“ untergebracht. 213 Somit sind für Mucha mindestens zwei Ateliers in Nizza überliefert. Eine Anfrage bei den städtischen Ämtern von Nizza brachte nur die Klarheit, dass sich Mucha nie offiziell für den Zeitraum der Jahre 1927 bis 1932 in Nizza als Einwohner angemeldet hatte. 214 Denkbar ist allerdings, dass der Besuch an der Côte d’Azur hauptsächlich den Charakter eines Urlaubs oder einer Kur hatte. Dafür hätte er sich nicht anmelden müssen, jedoch ist es erstaunlich, dass sich der wahrscheinlich zwei Jahre dauernde Besuch Muchas in Nizza in keiner bisher bekannten lokalen Zeitung niederschlägt. 215 Auch in Dokumenten

der Stadt Prag findet sich für diesen Zeitraum kein Hinweis auf einen Aufenthalt außerhalb von Prag bzw. in Nizza. 216 Mucha hat wohl, als er in Frankreich war, den Glasmaler Jan Veselý zu einem gemeinsamen Besuch in Paris eingeladen, mit dem Ziel, die dortigen Glasgemälde zu studieren. 217 Es geht aber leider nicht aus der Quelle hervor, ob er dies von Nizza aus tat. Vermutlich im Mai 1931 trafen die Vorlagenkartons per Post beim Glaser Jan Veselý in Prag ein. Dieser konnte mit der Ausführung und Ausarbeitung der einzelnen Glasflächen beginnen. Veselý verwendete Ölfarben, um die Zeichnung auf die Glasstücke aufzutragen. 218 Dies ist für bunte Glasfenster eine äußerst selten anzutreffende Technik. In der Regel werden Glasschmelzfarben aufgetragen, die einzeln eingebrannt werden müssen, damit die Farbe dauerhaft haltbar wird. Das Auftragen der Darstellung mit Ölfarben hat hingegen den Vorteil, dass auch im Nachhinein noch Korrekturen vorgenommen werden können. So ist überliefert, dass Mucha nach der Rückkehr aus Frankreich das fertiggestellte Werk betrachtete und es nochmals überarbeitet werden musste. Es war bereits eingesetzt gewesen und wurde für die Korrekturen wieder abgenommen. 219

Im Artikel in den Národní listy wird das Hotel „Šollarový pensionat“ genannt; es muss sich dabei um die „Pension Sollar“ handeln. Diese befand sich in der Avenue des Baumettes 43–45 in Nizza, s. Nice. Informations générales, villas, liste des habitants par rues, quartiers et numéros de maisons, adresses des habitants, in: Indicateur de Nice des alpes-maritimes et de la principauté de Monaco, Nizza 1931, S. 18 und 451. Die Pension Sollar existiert heute nicht mehr. 211 Die erhaltenen Vorlagenkartons befinden sich im Besitz des Mucha Trust in Prag. 212 Die feierliche Einweihung des Tympanon-Gemäldes im Thermia Palace fand am 15. Mai 1932 statt, somit ist wahrscheinlich, dass Mucha wohl schon im Jahr davor am Gemälde gearbeitet oder es zumindest begonnen hatte (Mucha 1994, S. 432 und 438. Das Gemälde wurde im Jahre 2000 gestohlen, ist aber sechs Jahre später wieder aufgetaucht und befindet sich wieder am originalen Aufstellungsort (Pavol Machovič: Ukradnutý Mucha sa vrátil do Piešt’an, in: Správy.Pravda.sk, 20.12. 2006). 213 Damit kann Muchas Sohn nur das Musée des Beaux Arts de Nice gemeint haben, da es kein Museum mit dem Namen von Jules Chéret in Nizza gibt, aber das erwähnte Museum eine beachtliche Sammlung von Chérets Werken besitzt (Mucha 1994, S. 438). In den Unterlagen des Musée des Beaux Arts de Nice gibt es jedoch keine Anhaltspunkte für die Verwendung eines Raumes durch Mucha (freundliche Mitteilung von Emmanuelle Terrel, Assistante Principale de Conservation, am 4. 9. 2014). Chéret, geboren im Jahre 1836, konnte die letzte Zeit seines Lebens wegen Krankheit sein Atelier nicht mehr selbst benutzen; im September 1932 verstarb er, s. Mucha 1994, S. 438. 214 Korrespondenz mit Nadine Bovis-Aimar (Responsable du Service des Archives Anciennes, Mairie de Nice) vom 19. 3. 2014. 215 Korrespondenz mit Nadine Bovis-Aimar vom 21. 5. 2014 216 Folgende Dokumente konnten eingesehen werden: Melderegister der Stadt Prag 1914–1953 sowie die polizeiliche Karteikarte von Alfons Mucha. 217 Banka Slávie: Bohu ke chvále, vlasti k slávě, umění ke cti věnuje Banka Slávie, Prag 1931, S. 7. Ein genaues Datum oder Angaben zu den besuchten Kirchen sind nicht vorhanden. Es ist auch nicht ganz klar, ob dieser gemeinsame Besuch in Paris tatsächlich stattgefunden hat. Die Erwähnung erinnert an die Beurteilung Max Švabinskýs vom Januar 1929, als er Mucha das „Studium der klassischen Glasmalerei (Chartre)“ nahegelegt hatte, s. Kapitel 5.2.4. 218 Jana Brabcová: Vorlage für ein Fenster der St.-Veits-Kathedrale, in: Ausst. kat. Darmstadt 1980, S. 362. 219 „Hotové kartony posílány pak J. Veselému a po návratu z Francie spatřil A. Mucha dílo dokončené. Vyžadovalo oprav, bylo rozebráno, sneseno a po provedení retuší opět osazeno.“ (Banka Slávie 1931, S. 7). 210

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Chronologie

Dieser Vorgang ist auch in den Jahresberichten des Dombauvereins vermerkt: „Im Juni begann man mit den Vorbereitungen für die Verglasung des von der Banka Slávie gestifteten Fensters. Das Gerüst wurde repariert, neue Fenstereisen eingebaut, der Steinmetz erweiterte den Fenster-Falz, worauf der Kunstglaser J. Veselý am 24. Juni provisorisch als Versuch einige [Glas-]Teile einsetzte. Dieses Fenster, gefertigt nach dem Entwurf des aka-

demischen Malers Alfons Mucha, vollendete der Glaser am 23. September [1931].“ 220 Im Oktober 1931 wurde Muchas Glasgemälde der Öffentlichkeit präsentiert. Es ist anzunehmen, dass Mucha für die Präsentation nach Prag gekommen ist. Im November 1931 muss Mucha dann aber wieder in Nizza gewesen sein, wie aus einem seiner Briefe mit dem Datum „15. XI. 1931“ hervorgeht. 221

s. V. Z. J. 1932, S. 8 und 9: „V červnu započato s přípravami pro zasklení okna věnovaného bankou Slavií. Upraveno lešení, osazena nová okenní železa, rozšířeny kameníkem okenní falce, načež 24. června osadil uměl. sklenář J. Veselý provisorně na zkoušku některé části. Okno toto provedené dle návrhu ak. malíře A. Muchy dokončil sklenář dne 23. září.“ 221 Auktionskatalog Kunst- und Buchauktionen, Galerie Gerda Bassenge, Berlin 25./26. April 2007, Lot. 1681, S. 411. Leider ist nichts darüber bekannt, ob der Brief das Glasgemälde behandelt. Im Katalogtext zur Auktion wird nur das Gemälde Rokycansky erwähnt. 220

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6. Die Genese des Werkes – Die Festlegung der Reihenfolge

Die Tatsache, dass einige der Autoren, die sich mit dem Prager Glasgemälde beschäftigt haben, nur einen der nicht ausgeführten Entwürfe anführen, belegt, dass es bis dato große Unklarheiten in Bezug auf die Entstehungsgeschichte gab. 222 Auch die Nennung der Entstehungsjahre für die einzelnen Entwürfe ist nicht einheitlich. 223 Die Genese von Muchas Glasgemälde lässt sich nun zum ersten Mal stichhaltig aufgrund eines Vergleichs der Entwürfe mit den Informationen aus den Dombauvereinsunterlagen rekonstruieren und belegen.

Folgende Entwürfe des Künstlers zum Glasgemälde im Prager Veitsdom sind bekannt: 224 – ein Entwurf mit einer großen weiblichen Figur im Zentrum (Abb. 2) – ein Entwurf mit kyrillischen Bildinschriften (Abb. 3) und drei Farbstudien davon (Abb. 4–6) – ein Entwurf zum ausgeführten Glasgemälde (Abb. 7 und 8)

6.1 Der Entwurf für die Sitzung des Dombauvereins am 18. Januar 1929 Obwohl die Hinweise im Protokoll des Dombauvereins zur Sitzung am 18. Januar 1929 nicht allzu detailliert sind, lassen die einzelnen, noch vorhandenen Gutachten der Mitglieder – Max Švabinský, Bohumil Kafka, Zdeněk Wirth und Eduard Šittler – mehr Schlüsse zu, da sie mehrere eindeutig identifizierbare Elemente erwähnen. Konkret sind diesbezüglich zu nennen: die zu großen Figuren und die Blumenornamente, der zu helle Mittelteil des Entwurfs, die Tatsache, dass Muchas Entwurf „nur

eine Figur“ zeige und „der Rest […] ausfüllendes Dekor“ sei sowie – und dies ist der klarste Hinweis – die fehlinterpretierte Madonna im Taubenkranz sowie das Mädchen mit Blumenstrauß. 225 All diese Erwähnungen belegen, dass der am 18. Januar 1929 zurückgewiesene Entwurf derjenige mit der großen weiblichen Gestalt im Zentrum ist. Gleichzeitig schließen die in den Gutachten genannten Merkmale aus, dass es um den anderen, nicht ausgeführten Entwurf ging, da sie dort nicht auftauchen.

6.2 Der Entwurf für die Sitzung des Dombauvereins am 20. Juni 1929 Es gibt insgesamt drei bekannte Entwürfe von Mucha für das Glasgemälde im Veitsdom; zugleich gibt es gemäß den Unterlagen des Dombauvereins genau drei von Mucha vorgelegte Entwürfe. Aus den

Ausführungen oben lässt sich folgern, dass der Entwurf mit den kyrillischen Beischriften noch keiner Sitzung des Dombauvereins zugeordnet werden kann. Dass es sich dabei tatsächlich um den Ent-

So spricht der Katalog der Ausstellung des Museums für Kunst und Gewerbe in Hamburg von 1997 nur von einem weiteren Entwurf, der vor demjenigen des ausgeführten Glasgemäldes entstanden sein soll (Ausst. kat. Alfons Mucha. Triumph des Jugendstils, Hamburg: Museum für Kunst und Gewerbe, 1997, Heidelberg 1997, S. 218). Rusoová und Bydžovská nennen als einzigen Entwurf Muchas vor der Erstellung des Glasgemäldes denjenigen mit der großen Slavia im Mittelteil (Rusoová 2007, Kapitel 2.3; Lenka Bydžovská: Výzdoba ve 20. století, in: Klára Benešovská: Katedrála sv. Víta v Praze. K 650. výročí založení, Anežka Merhautová [Hrsg.], Prag 1994, S. 246). 223 Anna Dvořák schreibt gar, dass die drei Vorstudien zum Entwurf Abb. 4–6 bereits im Jahre 1905 entstanden sind (Ausst. kat. Alphonse Mucha. The Spirit of Art Nouveau, San Diego: Museum of Art et al., 1998, Victor Arwas (Hrsg.), Alexandria 1998, S. 298); der Katalog des Museums für Kunst und Gewerbe in Hamburg nimmt für drei Vorstudien, die im Jahre 1929 entstanden sein müssen, das Jahr 1931 als Entstehungsjahr an (Ausst. kat. Hamburg 1997, S. 218). 224 Der Entwurf mit einer großen weiblichen Figur im Zentrum (Abb. 2) sowie jener des ausgeführten Glasgemäldes (Abb. 7) sind im Besitz der Nationalgalerie Prag; die drei Vorstudien sowie der definitive Entwurf mit den kyrillischen Beischriften (Abb. 3–6) befinden sich im Besitz des Mucha Trust in Prag. 225 s. Kapitel 5.2.4. 222

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Die nicht ausgeführten Entwürfe

wurf handelt, der vom Dombauverein im Juni 1929 besprochen worden ist, lässt sich nur indirekt beweisen, da in den Protokollen zur Sitzung am 20. Juni 1929 keine aussagekräftigen Merkmale der Darstellung erwähnt werden. 226 Bei diesem Entwurf handelt es sich um den einzigen, der weder der Sitzung im Januar 1929 noch dem ausgeführten Glasgemälde zugeordnet werden kann. Den in der Abfolge zweiten Entwurf, der im Mucha Museum betrachtet werden kann (Abb. 3), hatte der Künstler bis auf die Farbigkeit schon sehr weit vorangetrieben. Die Figuren des Hauptteils sind mit

wenigen Ausnahmen farblos geblieben. Eine eingehende Besprechung des Inhaltes dieses Entwurfs gibt es bisher noch nicht. 227 Bereits erwähnt worden sind drei Studien Muchas, die die farbliche Gestaltung, die für diesen Entwurf vorgesehen waren, zeigen. Möglicherweise hatte Mucha die drei erwähnten Farbstudien dem eingereichten Entwurf beigelegt. Möglich ist auch, dass Mucha einen stärker ausgearbeiteten Entwurf vorgelegt hatte. Dies würde bedeuten, dass es eine heute verschollene Version dieses Entwurfs geben würde.

6.3 Die nicht ausgeführten Entwürfe In den folgenden Kapiteln werden die beiden Entwürfe, die im vorliegenden Kapitel als Entwurf 1 und Entwurf 2 identifiziert werden konnten, beschrieben, ihre Inhalte dargelegt sowie analysiert und mit möglichen Vorbildern sowie mit der Kritik zum jeweiligen Entwurf in Zusammenhang gebracht. Nach einer eingehenden Beschreibung dieser beiden Entwürfe folgen ikonographische Vergleiche und eine Gegenüberstellung mit Muchas anderen Werken. Ausgehend von der Darstellung der zwei nicht ausgeführten Entwürfe und dem für das schlussendlich realisierte Glasgemälde können – anhand der von Mucha eingebrachten Figuren, anderen Objekte und dargestellten Ereignisse – verschiedene Themenbereiche herausgearbeitet werden. Dadurch ist es schließlich auch möglich, die intendierten Botschaften des Symbolisten Mucha zu ermitteln.

Ein wichtiger Punkt bei der Untersuchung ist die Berücksichtigung der Zurückweisung von Muchas Entwürfen, der Kritik des Dombauvereins bzw. Muchas Reaktionen darauf in den folgenden Entwürfen. Mucha hatte vermutlich im Oktober 1928 mit der Erarbeitung des ersten Vorschlages begonnen. 228 Es ist davon auszugehen, dass er dabei weitestgehend autonom und ohne die Einwirkung äußerer Einflüsse arbeiten konnte. Die nächsten beiden Entwürfe entstanden hingegen jeweils nach massiver negativer Bewertung und starker Ablehnung des vorangehenden Entwurfs durch den Dombauverein. Daher ist es plausibel, dass sich Mucha bei seinem zweiten und dritten Entwurf in seinen Ideen und Konzepten in gewisser Weise einschränkte bzw. jeweils versuchte, einen anderen Weg zu gehen und Alternativen zu seiner ursprünglichen Komposition zu suchen. Aus diesen Überlegungen folgt, dass dem ersten Entwurf eine besondere Bedeutung beizumessen ist.

s. Kapitel 5.2.5. Eine der wenigen Textstellen, die sich mit der als zweiter Entwurf identifizierten Zeichnung auseinandersetzen, findet sich bei Sarah Mucha: „Interessant ist der Vergleich dieser recht nüchternen Studie, die sorgfältig die Namen der slawischen Heiligen anführt, mit dem Fenster, das eine wahre Orgie aus Licht, Farbe und Bewegung ist.“ (Mucha 2000, S. 142). 228 Ab diesem Datum war bekannt, welche Fensterform sein Glasgemälde füllen sollte und somit konnte er frühestens zu diesem Zeitpunkt mit der Detailplanung beginnen. Der erste Entwurf des Fensters wurde am 18. Januar 1929 vom Dombauverein besprochen, s. Kapitel 5.2.4. 226 227

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7. Der erste Entwurf: Slavia als Protagonistin 7.1 Eine Werkbeschreibung 7.1.1 Der obere Teil des Entwurfs: die kleinen Maßwerköffnungen Der obere Fünfpass wird von zwei geflügelten weiblichen Figuren mit Kopfbedeckung eingenommen, die sich aktiv am Tragen des braunen Ringes, den Mucha in die Mitte des Fünfpasses gesetzt hat, zu beteiligen scheinen, indem jede Figur jeweils hinter dem Ring hindurch zur anderen Seite, also zum oberen Rand des Ringes, greift. Dadurch entsteht eine Art diagonale Kreuzform in dem außen mit rosa und grünen Blumen geschmückten Ring. Die beiden seitlichen Vierpässe zieren Köpfe von weiblichen Figuren, die Mucha jeweils mittig und in einen Reigen aus blauen Flügeln gesetzt hat. Sie werden umgeben von einem mit gelben und roten Blumen verzierten blauen Ring. Es scheint auf den ersten Blick fast so, als wären die Köpfe mitsamt den Flügeln zueinander spiegelverkehrt und – bis auf die Ausrichtung – identisch. Doch die Gesichter unterscheiden sich in Details und auch die Flügel sind verschieden gearbeitet, ebenso wie der Dekor der beiden Ringe. Bei den Flügeln handelt es sich nicht um Glieder einer menschenähnlichen Figur wie beispielsweise eines Engels, sondern vielmehr um vervielfachte Taubenflügel. Dies wird durch einen Vergleich mit den Darstellungen in den Spitzen der Lanzetten ersichtlich: Bei diesen handelt es sich um komplett dargestellte Tauben, die der Künstler in Frontalansicht und im Flug zeigt. Ihre Flügel weisen nach oben und sind – um die Spitze der Lanzette fast komplett auszufüllen – leicht gestreckt und etwa in der Mitte eingekerbt. Jeweils die obersten, die mittleren und die unteren zwei Flügel bilden ein zu einer Taube gehörendes Flügelpaar, pro Kopf und pro Vierpass sind es also jeweils Flügelpaare von drei Tauben. Dass Mucha mit einzelnen „Komponenten“ verschiedener Figuren spielt und diese neu zusammenfügt (beispiels-

weise Menschenköpfe mit Taubenflügeln), ist keine neue Erscheinung. Eine Darstellung einer ähnlichen Figur aus Le Pater 229 ist einbeschrieben in die Form einer großen Sichel, der übrige Raum der Sichel wird durch lange Federn ausgefüllt, die die Flügel der Figur bilden. Auch hier erinnert die Figur mit ihren Flügeln weniger an die Erscheinungsform eines Engels, sondern vielmehr an eine Gestalt, die mit einem „Rad“ aus Federn geschmückt ist, von dem nur der sichelförmige Ausschnitt sichtbar ist. 230 Im mittigen Dreipass unterhalb des Fünfpasses befindet sich ebenfalls die geflügelte Figur einer Frau. Sie trägt ein lindgrünes Kleid; zwei lange blonde Zöpfe reichen bis auf ihren Bauch. Auch sie besitzt Flügel, jedoch sind es keine Taubenflügel. Es handelt sich wohl eher um die Darstellung eines geflügelten Wesens wie beispielsweise eines Engels, was sich an der Anbringungsart der Flügel und deren Gestaltung herauslesen lässt – die Figuren im Fünfpass besitzen ein ebensolches Aussehen. Auf der Höhe ihres Bauches befindet sich ebenfalls ein Ring, diesmal jedoch ohne Blumendekoration und in goldener Farbe, sodass er sehr stark mit den anderen drei Ringen in der oberen Maßwerköffnung kontrastiert. Die weibliche Figur mit dem goldenen Ring besitzt eine auffallende Armhaltung: Ihre Arme sind nach unten und leicht nach außen geführt, ihre rechte Hand ist nach außen und zum Betrachter hin geöffnet, die andere Hand weist mit dem Handrücken zum Betrachter. Der Fokus ist auf die Hände und den Kopf dieser Figur gelegt: Diese Bereiche sind mit je einem ausgefüllten, gold-apricotfarbenen Kreis unterlegt, der beinahe der Farbe des Kleides dieser Figur entspricht. Es scheint, als hätte Mucha dieser Einheit aus weiblicher Gestalt und goldenem Ring die Aura von Reinheit und Göttlichkeit verleihen wollen.

Die Eingangsseite des ersten Kapitels von Le Pater zeigt im unteren Bereich eine weibliche Figur mit Flügeln, die mit ihren Händen eine Kugel umfasst (Abb. der Entwurfsskizze s. Ausst. kat. Alfons Mucha, München: Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, 2009/2010, Agnes Husslein-Arco et al. (Hrsg.), München 2009, S. 125). 230 Mucha hat die Kombination einer weiblichen Figur mit einem „Rad“ aus Federn in einem sichelförmigen Sichtfenster mehrfach bei Le Pater angewandt (Abbildungen s. Ausst. kat. München 2009, S. 125–128). 229

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Eine Werkbeschreibung

Insgesamt wirkt der obere Teil des Entwurfs relativ dunkel; einzige Ausnahme ist die Figur im mittleren Dreipass, die durch die goldenen Kreisflächen, ihre helle Bekleidung und den goldenen Ring heraussticht. Der Bereich über und neben ihr erweckt durch sattes Mittel- und Dunkelblau den Eindruck von tiefer Nacht. Durch die goldenen Sterne auf dunkelblauem Grund in den Spickeln sowohl innerhalb des Drei- und Fünfpasses als auch in den Vierpässen wird dieser Eindruck verstärkt. Muchas Intention war es, die sich abhebende Figur so einzusetzen, dass sie den Blick des Betrachters in Richtungen ihrer Arme lenkt.

7.1.2 Die Lanzetten Die große weibliche Figur im Zentrum des Entwurfs dominiert die gesamte Darstellung. Um sie herum bilden unzählige weiße Tauben einen geschlossenen Kreis. Die Figur ist nimbiert und hält in ihrer linken Hand einen brennenden Ring, von dem kleine rote Flammen emporsteigen. Sie trägt ein goldgelbes Gewand und ist in einer sitzenden Position dargestellt. Von ihrem Stuhl sind nur knapp, vor dem die Darstellung begrenzenden und von Mucha eingezeichneten Maßwerkprofil, die beiden seitlich herausragenden Enden der Lehne zu erkennen. Rote Bänder hängen an ihrem Gewand. Ihr langes, rotblondes Haar ist mit Lindenblättern geschmückt – ein Symbol für die Tschechoslowakei, das Mucha immer wieder in seinen Werken eingesetzt hat. 231 In ihrem Schoß ist ein Schwertknauf zu erkennen, der Rest des Schwertes wird von ihren Beinen verdeckt. In unmittelbarer Umgebung der Tauben befinden sich drei weitere Figuren: zwei männliche Gestalten oben und ein Mädchen in traditioneller tschechischer Kleidung und mit Kopfbedeckung unten rechts. Es scheint zwei Blumensträuße aus roten und rosa Blumen zu halten. Die beiden Figuren oben halten eine Schriftrolle und ein Gemälde – auf dem vermutlich Christus dargestellt ist – sowie ein Buch in den Händen. Zwischen ihnen und dem 231 232 233 234 235 236

Rand des von Mucha eingezeichneten Maßwerkprofils befindet sich jeweils eine weitere männliche Figur, die größer dargestellt ist als die beiden, dem Taubenreigen näheren Gestalten. Es handelt sich dabei um die Slawenapostel, wie an den Inschriften in den Nimben zu erkennen ist: „SVATY METHODEJ“ (links) und „SV CYRIL APOSTOL“ (rechts). Der Bischof Method ist deutlich anhand des Palliums über seinem blauen Gewand, der Mitra und des Bischofsstabes zu erkennen. Kyrill dagegen ist in eine dunkelblaue Mönchskutte gehüllt, sein Kopf ist fast komplett von einer Kapuze bedeckt. Mit seiner rechten Hand hält er ein Kreuz empor, das spiegelverkehrt der Stelle entspricht, an der sich Methods Bischofsstab befindet. Die Köpfe bzw. die Kopfbedeckungen der beiden Heiligen sind teilweise durch die Schwanzfedern der Tauben bedeckt, die die Lanzettenspitzen ausfüllen. Die Figuren zwischen den Slawenaposteln und dem Taubenkranz stehen in Verbindung mit Kyrill bzw. Method: Bei Letzterem bezog sich Mucha vermutlich auf die folgende Legende, die allerdings auch schon im 19. Jahrhundert bei einigen Autoren umstritten war: 232 Method soll nicht nur ein Gelehrter gewesen sein, sondern auch ein begnadeter Künstler, der für den bulgarischen Zaren Boris ein Wandbild mit der Darstellung des Jüngsten Gerichts in dessen Haus geschaffen hat. Dobrovský schreibt dazu: „Das Gemälde gerieth so gut, dass es den König erschütterte, und dieser sich in der Folge zur Taufe bequemte.“ 233 Auch Palacký erwähnt diese Episode und nennt dabei Method einen „Mönch und Maler“. 234 Die Bekehrung von Boris soll sich im Jahre 860, also noch vor der eigentlichen Mission bei den Slawen, abgespielt haben und hat den bulgarischen Zaren bewogen, beim byzantinischen Kaiser um die Entsendung von Gelehrten zu diesem Zweck zu bitten. 235 Die Figur neben Kyrill hält vermutlich ein aufgeschlagenes Buch in den Händen – wohl in Anlehnung an die Kyrilliza, die nach Kyrill benannt wurde. 236 Den Raum im unteren Teil des Entwurfs, unter und seitlich vom Taubenkranz, stattete Mucha mit diver-

Weiteres zur Bedeutung der Linde bzw. der Lindenblätter s. Kapitel 7.3.2.1. Dobrovský 1823, S. 80–82. Dobrovský 1823, S. 81. Palacký 1836, S. 119. Palacký 1836, S. 119–120. Kyrill wird von einigen alten Quellen sogar als eigentlicher „Entwickler“ der kyrillischen Schrift angesehen (also ohne dass es die Glagoliza

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Der erste Entwurf: Slavia als Protagonistin

sen floralen Elementen aus. Die stilisierten Blumen, Zweige und anderen Pflanzenteile sind vornehmlich in den Farben Rot, Orange, Violett und Hellgrün gehalten. Im mittleren Bereich befinden sich Zweige, die auf den ersten Blick mit Lindenblättern versehen sind; bei näherer Prüfung erkennt der Betrachter aber, dass es sich um kleine Herzen handelt. Weitere, größere Herzen befinden sich jeweils in der unteren Ecke des Entwurfes. Sie werden von je einem Strahlenkranz umgeben. Aus jeder von ihnen ließ Mucha eine stilisierte Pflanze sprießen. Oberhalb dieser Gewächse zeigt der Entwurf eine Art Wellen oder Wogen, die bogenförmig von unten nach oben verlaufen. Es scheint fast so, als handelte es sich dabei um eine „Essenz“, die von den Pflanzen und den Tauben aufsteigt und in die Darstellung der Slawenapostel hineinfährt. Bei Method sind die bogenförmigen Wellen deutlich stärker. Wahrscheinlich wollte Mucha damit keinen haptisch greifbaren Inhalt darstellen, sondern vielmehr eine von den Augen nicht wahrnehmbare, göttliche Kraft, die die Heiligen befähigt, ihre Aufgaben zu erfüllen. In der untersten Reihe, auf zwei Fensterflächen verteilt, hat Mucha die Stifterinschrift vorgesehen. Der Künstler hat dabei die Enden des Inschriftenmediums, vermutlich die Darstellung einer Papieroder Pergamentrolle, in jeweils drei gleich breite Bahnen aufgebrochen, wovon sich zwei um das Herz schlingen, aus dem die Pflanze wächst. Der Hintergrund ist vor allem im mittleren Bereich, wo die große weibliche Figur und der Taubenkranz zu sehen sind, sehr hell. Das Zentrum besteht aus goldenen Farbtönen, die im unteren Bereich zunächst in ein etwas dunkleres Orange und am Rand in ein Blaugrün übergehen. Im oberen Abschnitt, hinter den beiden allegorischen Figuren, die die Slawenapostel begleiten, sind schemenhaft und ohne Binnenzeichnung die Umrisse von Gebäuden in hellem Grün wahrzunehmen. Links handelt es sich vermutlich um eine Burg, rechts um eine Kirche. Hinter den Bauwerken und in den Randzonen bei Kyrill und Method ist der Hintergrund dunkelblau und schafft so die farbliche Verbindung zum dunk-

len Bereich mit den geflügelten weiblichen Figuren in den kleineren Maßwerköffnungen. Die zwei kleinen Dreipässe oberhalb der seitlichen Lanzetten sind mit einem geometrischen Muster in Dunkelblau, Dunkelgrün und etwas Bordeauxrot aufgefüllt, das an Vorbilder aus dem Pflanzenreich erinnert. Die größeren Spickel außerhalb der kleineren Maßwerköffnungen sind über und über mit Lindenblättern bestückt. Nachdem sich der Betrachter einen ersten Überblick über die gesamte Bildkomposition verschafft hat, wird deutlich, worauf Mucha die weibliche Figur im Dreipass im oberen Bereich des Entwurfs mit ihren Armen zeigen lässt: Werden ihre Arme mit je einer imaginären Linie verlängert, so gelangt der Betrachter zu den beiden Slawenaposteln in den seitlichen Lanzetten. Doch dem Betrachter fällt es schwer, sich auf die beiden Heiligen zu fokussieren. Einerseits lenken die hellen, leuchtenden Farben des Mittelteils mit der weiblichen Figur seine Aufmerksamkeit auf sich. Andererseits hat Mucha verschiedene Bedeutungsgrößen der Figuren gewählt: Die weibliche Gestalt in der Mitte befindet sich in sitzender Position, doch auch in dieser Körperhaltung ist sie höher als die aufrecht stehenden Heiligen. Zudem hat Mucha die Figuren der Slawenapostel teilweise beschnitten: Teile der Köpfe bzw. der Kopfbedeckungen sind von den Tauben verdeckt; die von der Pflanze aufsteigenden, bogenförmigen Linien verbergen insbesondere Methods Unterkörper, die Sicht auf Kyrill ist durch Blattwerk eingeschränkt und ferner sind die beiden Heiligen so knapp seitlich in die Lanzetten eingepasst, dass von Method ein kleiner Teil seines rechten Armes fehlt, bei Kyrill ist es gar der gesamte linke Schulterbereich. Zudem sind ihre Gewänder und die nähere Umgebung dunkelblau, was sie optisch weiter in den Hintergrund rücken lässt. Die Farbe hat Mucha vermutlich ausgewählt, weil er sie mit der Geschichte verbindet: Bereits im Slawischen Epos hatte Mucha diese Farbe für die (mythische) Urzeit verwendet. 237 Und auch unabhängig davon hat Mucha die Farbe Blau als symbolischen Inhalt eingesetzt: Im Plakat für die

gegeben habe). So ist es auch in der Chronik des Kosmas und in der Ludmilla-Legende zu lesen (s. beispielsweise Palacký 1836, S. 120; Dobrovský 1823, S. 40). 237 Dies ist insbesondere in den Gemälden Die Einführung der slawischen Liturgie, Die Slawen in ihrer Ur-Heimat und Die Svantovit-Feier auf der Insel Rügen, alle von 1912, sowie Der heilige Berg Athos von 1926 zu erkennen (s. Ausst. kat. Alfons Mucha. Das Slawische Epos, Krems: Kunsthalle, 1994, Karel Srp/Lenka Bydžovská (Hrsg.), Krems 1994, S. 125). Entweder wählte er für ein Gemälde gesamthaft einen blauen Grundton (Die Slawen in ihrer Ur-Heimat) oder er färbte einzelne Figuren oder Figuren-

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Die bildliche Darstellung des Geldgebers

Festspiele an der Moldau von 1926 hat er im obersten Bereich auch die Slavia dargestellt. 238 Sie ist – im Gegensatz zu den männlichen Figuren im Vordergrund – ebenfalls bläulich. Auffällig ist, dass er grade in den hier aufgeführten Beispielen eine Vermischung von verschiedenen Ebenen – also der aktuellen mit der historischen oder mythologischen – angewandt hat. Die oben besprochenen Beschneidungen und Kappungen der Slawenapostel durch Mucha erstaunen sehr, denn schließlich wurden sie ja in der Projektvergabe der Banka Slávie als Protagonisten des Glasgemäldes auserkoren. Auch dass er den Fokus der

Bildkomposition deutlich auf die weibliche Figur in der Mitte legt überrascht. Zwar bietet Mucha dem Betrachter durch die Armführung der farblich herausragenden Figur im Dreipass oben eine Art „Wegleitung“ an, wodurch dieser dann mit seinem Blick doch bei den Slawenaposteln landet. Durch die oben genannten Stilmittel macht Mucha jedoch klar, welche Relevanz die von ihm gezeigten Figuren haben und wie er diese gegeneinander gewichtet. Die Führung der Augen des Betrachters durch die Armhaltung der Dreipass-Figur mag kaum die Gesamtheit der Hierarchisierung aufwiegen, die Mucha anhand der erwähnten Gestaltungsmittel deutlich macht.

7.2 Die bildliche Darstellung des Geldgebers An dieser Stelle erscheint es notwendig, der Frage nachzugehen, weshalb Mucha die gerade festgehaltene Hierarchisierung der Figuren vornahm. Es ist naheliegend, dass ein Künstler den Geldgeber in die Komposition seines Werkes integriert. Bei Muchas erstem Entwurf war hierfür sicherlich das noch leere Schriftband im unteren Teil vorgesehen. Möglicherweise wäre im Falle der Umsetzung die gleiche Stifterinschrift zu lesen gewesen wie auf dem schließlich ausgeführten Glasgemälde: „BOHU KU CHVÁLE, VLASTI K SLÁVĚ, UMĚNI KE CTI – VĚNUJE BANKA SLÁVIE“ („Gott zum Lob, dem Vaterland zum Ruhm, der Kunst zu Ehren – gewidmet von der Banka Slávie“). 239 Dies ist durchaus denkbar, denn auf dem Schriftband des ersten Entwurfs ist genug Platz vorhanden; sogar etwas mehr als auf der von Mucha dargestellten Inschriftentafel des ausgeführten Entwurfs (s. Kapitel 9.5.4 und Abb. 8). Eine andere Möglichkeit den Geldgeber zu erwähnen ist die Darstellung innerhalb der bildlichen Komposition. Dies hatten bereits zuvor einige

Künstler in ihren Werken für den Veitsdom getan. Der Stifter des Fensters der Hasenburgkapelle (Nr. 16, s. Abb. 1), Jan Kolátor, ließ sich von Cyril Bouda als werkzeugtragender Jüngling neben Kardinal Friedrich Fürst zu Schwarzenberg darstellen, da er als Lehrling bei der abgebildeten Grundsteinlegung des neuen Domabschnitts dabei war. 240 Auch die Mosaikverglasung von František Kysela in der Thunkapelle (Nr. 17, Abb. 1) stellt die Bezugsquelle des Geldes bildlich dar. 241 Die Verglasung wurde von der První Zajméná Česka Pojištovna (dt.: Erste Tschechische Gegenseitige Versicherung) finanziert. Auch in dieser Komposition gibt es eine Stifterinschrift: „Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten – die Erste Tschechische Gegenseitige Versicherung in Prag – zur Erinnerung an das hundertjährige Jubiläums ihrer Gründung.“, ein Zitat des Psalms 126,5 zusammen mit der Nennung des Stifters und des Motivs der Stiftung. 242 Zudem hat Kysela alle Risiken, gegen die man sich bei der Ersten Tschechischen Gegenseitigen Versicherung versichern kann, dargestellt: Hochwasser, Hagel

gruppen, die sich oft in einer erhöhten und schwebenden Position befinden und sich somit farblich und kompositorisch von der übrigen Darstellung in einem Gemälde unterscheiden. Der zweite Fall ist beispielsweise gut beim Werk Die Einführung der slawischen Liturgie zu sehen. 238 Abb. s. Rennert/Weill 1984, S. 361. 239 s. Snopko 2006, S. 39 und 40. 240 Der Entwurf wurde von Cyril Bouda 1933 geschaffen, eingesetzt wurde das fertige Glasgemälde in den Jahren 1933 und 1934. Der Donator ist in diesem Glasfenster in der zweiten Lanzette von links ganz unten zu sehen (s. Kostílková 2000, S. 74; Abb.: Kostílková 2000, S. 75). 241 Abb. s. beispielsweise: http://www.katedralasvatehovita.cz/flash/virtualni_prohlidka [3.1. 2020]. 242 Im Original auf Tschechisch lautet die Stifterinschrift mit dem Psalm-Zitat: „KDOŽ V SLZÁCH ROZSÉVAJÍ V RADOSTI BUDOU ŽNOUTI – PRVNÌ ČESKÁ VZÁJEMNÁ POJIŠT’OVNA – NA PAMĚT STOLETÉHO JUBILEA SVÉHO ZALOŽENÍ“.

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Der erste Entwurf: Slavia als Protagonistin

und Unwetter, Feuer, Tod, Unfall und Alter. 243 Jede dieser sechs Situationen ist auf jeweils vier Bildfeldern in je zwei Registern übereinander dargestellt – zum größten Teil schonungslos und direkt. Zu jeder Schadenssituation fügte Kysela ein passendes Zitat aus der Kralitzer Bibel hinzu. 244 Er hat die entsprechenden Zitate jeweils verkürzt wiedergegeben. Dies wird durch den folgenden Vergleich belegt: Das Bibelzitat zum Unfall stammt aus Psalm 91,11: dt.: „Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen“ 245 Kysela: „ANDĚLŮM SVM O TOBĚ KAZAL ABY TĚ OSTŘÍHALI NA CESTÁCH TVCH“ Kralitzer Bibel: „Nebo andělům svým přikázal o tobě, aby tě ostříhali na všech cestách tvých.“ 246 Der Text zum Hochwasser ist aus dem Hohelied 8,7 entnommen: dt.: „Auch mächtige Wasser können die Liebe nicht löschen; auch Ströme schwemmen sie nicht weg.“ Kysela: „VODY MNOHÉ NEMOHOU UHASITI LASKY ANIŽ ŘEKY JI ZATOPÍ“ Kralitzer Bibel: „Vody mnohé nemohly by uhasiti tohoto milování, aniž ho řeky zatopí.“ 247

Auch die weiteren Zitate für die Darstellungen von Hagelschlag und Unwetter, Feuer, Tod und Alter stammen aus der Kralitzer Bibel und wurden vom Künstler reduziert und mit wenigen Ausnahmen in leicht anderer Wortwahl wiedergegeben. 248 Einzig das Zitat aus dem Psalm 126,5 bei der Stifterinschrift verweist nicht auf die Kralitzer Bibel; als Vorlage hierfür wurde eine unbekannte Bibelübersetzung verwendet. 249 Losgelöst vom Zusammenhang mit dem Geldgeber hätten die Darstellungen in einem katholischen Gotteshaus leicht als zu gewagt beurteilt werden können. Doch durch die biblischen Zitate, die auf die drastischen Bildinhalte bzw. Risiken und deren Vermeidung verweisen, gelang es Kysela, die sehr deutlich veranschaulichten Gefahrensituationen zu legitimieren. Der obere Teil von Kyselas Fenster ist folgendermaßen aufgebaut: Im Fünfpass ganz oben befindet sich Gottes Auge mit der Inschrift „Oko Páně nad spravedlivými“ (dt.: „Das Auge des Herren über die Gerechten“). Darunter im linken Vierpass der heilige Florian, der als Schutzpatron der Feuerwehr gilt und bei Feuer, Stürmen, Kämpfen und Dürre angerufen wird. 250 Rechts im Vierpass ist die heilige Barbara zu sehen, die vor allem von Bergleuten bei Unglücken angerufen wird. In der Mitte im Dreipass befindet sich ein Abbild des heiligen Christophorus, der als Schutzpatron der Seeleute gilt. Durch die Darstellung der genannten Schutzheili-

Vendredi-Auzanneau 2002, S. 172. Zur Kralitzer Bibel s. Kapitel 9.5.3. 245 Diese und die folgenden deutschen Bibelstellen stammen aus: Einheitsübersetzung der Bibel (1972/1974, Revision 1979/80). 246 Diese und die folgenden Bibelstellen stammen aus: Kralitzer Bibel, auf Grundlage der ersten Übersetzung der Unitas Fratrum der Jahre 1579–1593, https://ccel.org [6.11. 2020]. Die gleiche Stelle liest sich in einer Übersetzung aus dem 20. Jahrhundert folgendermaßen: „On svým andělům vydal o tobě příkaz, aby tě chránili na všech tvých cestách.“ Diese und die folgenden Bibelstellen stammen aus: Tschechische Bibel-Übersetzung/český ekumenický překlad, 1961–1979, in: Bibleserver.com. Ein Internet-Angebot von Evangeliumsrundfunk Online in Kooperation mit der Deutschen Bibelgesellschaft, der Stiftung Christliche Medien, der Genfer Bibelgesellschaft, dem Katholischen Bibelwerk, Biblica und ERF Medien Schweiz. 247 Moderne tschechische Übersetzung der Bibel: „Lásku neuhasí ani velké vody a řeky ji nezaplaví.“ 248 Hagelschlag und Unwetter: Klagelieder Jeremias 4,4b, dt.: „Die Kindlein verlangten nach Brot, doch niemand ist da, es ihnen zu brechen“; Kysela: „MALIČCÍ ŽÁDAJÍ CHLEBA NÉNI VŠAK KDO BY HO LAMAL JIM“; Kralitzer Bibel: „Děti prosí za chléb, ale není žádného, kdo by lámal jim.“ Feuer: Psalm 127,1b; dt.: „Wo der Herr nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen“; Kysela: „NESTAVÍ-LI HOSPODIN DOMŮ MARNĚ SE LOPOTÍ KTEŘÍ JEJ STAVĚJÍ“; Kralitzer Bibel: „Nebude-li Hospodin stavěti domu, nadarmo usilují ti, kteříž stavějí jej.“ Tod: Psalm 10,14b; dt.: „Die Armen befehlen es dir, du bist der Waisen Helfer“; Kysela: „NA TEBE ODKÁZÁN JE(ST) CHUĎAS SIROTKŮ TY JSI POMOCNÍKEM“; Kralitzer Bibel: „Na tebet’ se spouští chudý, sirotku ty jsi spomocník.“ Alter: Psalm 71,9, dt.: „Verwirf mich nicht in meinem Alter, verlass mich nicht, wenn ich schwach werde“; Kysela: „NEZAMÍTEJ MNE VE STÁŘÍ SVÉM, KDYŽ SÍLA MÁ MIZÍ, MNE NEOPOUŠTĚJ“; Kralitzer Bibel: „Nezamítejž mne v věku starosti; když zhyne síla má, neopouštějž mne.“ 249 Die Kralitzer Bibel nennt für Psalm 126,5 folgenden Wortlaut: „Ti, kteříž se slzami rozsívali, s prozpěvováním žíti budou“, s. Kralitzer Bibel 1579– 1593. 250 Kostílková 2000, S. 76. 243

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Die Versicherungsgesellschaft Banka Slávie

gen hat Kysela eine „Risiko-Absicherung“ aus himmlischen Sphären wiedergegeben – und zwar gegen die Gefahren auf bzw. unter der Erde, auf dem Wasser und durch das Feuer. Den Namen des Geldgebers – die Erste Tschechische Gegenseitige Versicherung – konnte Kysela nicht sinnvoll in Bildchiffren umwandeln. In Muchas Fall war dies bedeutend einfacher: Die finanzierende Versicherungsgesellschaft hieß laut der Stifterinschrift „Banka Slávie“, also wörtlich „Bank der Slavia“. Die Versicherungsgesellschaft hatte sich nach der Personifikation der Slawen benannt, der in der Zeit des politischen Umbruchs und der Suche nach nationaler Identität eine wichtige Bedeutung zukam. Auch Mucha hatte sich künstlerisch intensiv mit dieser stark symbolisch aufgeladenen Figur auseinandergesetzt, insbesondere im Zusammenhang mit der Banka Slávie. Und er hatte vor, sie höchst prominent ins Zentrum des Glasgemäldes zu platzieren – zusätzlich hervorgehoben durch die hellen und leuchtenden Farben, betont durch den umgebenden Taubenkranz und nicht zuletzt wiedergegeben in Bedeutungsgröße. Interessanterweise befindet sich die Kapelle, für die Kysela dieses Glasgemälde entworfen hat, direkt gegenüber von Muchas Glasgemälde, es ist also die

dritte Kapelle im südlichen Seitenschiff. Erwähnenswert ist auch die Tatsache, dass der Glaser Josef Vlasák vermutlich ab Herbst 1928 an der Installation des Fensters von Kysela arbeitete – also gerade kurz bevor Mucha seinen ersten Entwurf einreichte. 251 Mit großer Wahrscheinlichkeit kannte er den thematischen Inhalt sowie die dargestellte Ikonographie von Kyselas Entwurf. Die Finanzierung der einzelnen Projekte, die vor der Einweihung abgeschlossen sein sollten, wurde in vielen Fällen – wie im Kapitel 5.2.2 aufgezeigt – entweder durch Firmen oder Privatleute gedeckt. Es wurde bereits von Christine VendrediAuzanneau festgestellt, dass in dieser Phase bezogen auf das Bereitstellen von Geldern eine große Rivalität unter den beteiligten Unternehmen herrschte. 252 Sie stellt weiter fest, dass das Sponsoring der Fenster keinem Plan zu folgen scheint und die Finanzierungsmethoden bei den einzelnen Kapellenfenster aus unterschiedlichen Vorschlägen resultierten. 253 Im Falle der Unternehmen scheint es aber in gewissen Fällen so, als würden sich die Fenster – zumindest was den Sponsor und teilweise auch die dargestellten Themen betrifft – gegenseitig antworten. 254 Obwohl Vendredi-Auzanneau keine konkreten Beispiele nennt, erwecken Kyselas Fenster und Muchas erster Entwurf diesen Eindruck.

7.3 Die Versicherungsgesellschaft Banka Slávie Die Banka Slávie, wie sie sich selbst in der Stifterinschrift nannte, hieß damals mit vollem Namen Slávia, Vzájemně Pojišt’ovací Banka v Praze (dt.: Slávia, gegenseitige Versicherungsbank in Prag) oder Vzájemná Pojišt’ovací Banka Slávia (dt.: Gegenseitige Versicherungsbank Slávia) 255 und war zum Zeit-

punkt von Muchas Verpflichtung keine unbekannte oder kleine Versicherung; sie wird auch heute noch als eine der bedeutendsten böhmischen Versicherungsanstalten überhaupt angesehen. 256 Das Gründungsjahr wird in den verschiedenen Quellen mit 1867, 1868 oder 1869 angegeben. 257 Da die Vzájem-

V. Z. J. 1929, S. 14. In der Sitzung der Abteilung für Kunst des Dombauvereins vom 6.11.1928 wurde über den Fortschritt berichtet – somit kann festgehalten werden, dass die Arbeiten am Glasgemälde von Kysela zu diesem Zeitpunkt bereits begonnen waren, s. Protokoll der Abteilung für Kunst des Dombauvereins vom 6.11.1928. Das Einsetzen der Glasstücke schloss Vlasák im Mai 1929 ab, einige Tage vor der feierlichen Einweihung des Veitsdoms durch den Erzbischof Podlaha (s. V. Z. J. 1930, S. 14). 252 Vendredi-Auzanneau, S. 168. 253 Vendredi-Auzanneau, S. 168. 254 Vendredi-Auzanneau, S. 171. 255 In zeitgenössischen Quellen sind beide Namensvarianten zu finden. 256 Karel Schelle: Geschichte der Rechtsregelung des tschechischen Versicherungswesens, München 2009, S. 10. 257 Karel Schelle datiert die Gründung auf das Jahr 1869 (Schelle 2009, S. 10). Marcela Efmertová sieht hingegen den 6. Juni 1869 als Gründungsdatum für die Versicherungsgesellschaft an (s. Marcela Efmertová: České země v letech 1848–1918, Prag 1998, S. 230). Die heutige Versicherungsgesellschaft Slavia selbst nennt auf ihrer Homepage www.slavia-pojistovna.cz 1868 als Gründungsjahr, in ihrer PDF-Broschüre (Slavia Pojišt’ovna: Hisorie pojišt’ovnictví v Čechách, PDF-Broschüre, Prag [2014], S. 7 und 12) werden hingegen die Jahre 1867 bzw. 1869 genannt. 251

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Der erste Entwurf: Slavia als Protagonistin

ná Pojišt’ovací Banka Slávia selbst ihr 60-jähriges Jubiläum im Jahre 1928 gefeiert hat, ist davon auszugehen, dass sie selbst als Gründungsjahr 1868 ansah. Am 26. März jenen Jahres wurde die Gründungsaktie von der schillernden Persönlichkeit František Palacký unterzeichnet; es dauerte jedoch noch bis zum 15. Mai 1869, bis die Wiener Behörden die Bildung einer Versicherungsbank erlaubten, die Kapital und Renten auf einer gegenseitigen Basis versichert. 258 Ungefähr im gleichen Zeitraum entstand auch eine weitere große Versicherung: die Vzájemná Pojišt’ovna Praha (dt.: Gegenseitige Versicherung Prag), also ein Unternehmen, dass sich nach der wichtigsten und größten Stadt Böhmens benannte. Da diese beiden eben genannten Unternehmen – die Vzájemná Pojišt’ovací Banka Slávia und die Vzájemná Pojišt’ovna Praha – führend waren und die Konkurrenz weit hinter sich ließen, wurden sie als die beiden größten Assekuranzen oft nur mit den jeweiligen Namenskürzeln – Slávia, Slavia oder Banka Slávie und Praha – aufgeführt. 259 So lässt sich auch erklären, weshalb sich die damals offiziell Vzájemná Pojišt’ovací Banka Slávia heißende Versicherung in der Stifterinschrift auf Muchas Glasgemälde selbst nur als Banka Slávie bezeichnet und auf die Nennung des vollen Namens verzichtet. Der Verständlichkeit und Übersichtlichkeit halber wird in der vorliegenden Arbeit die Vzájemná Pojišt’ovací Banka Slávia mit dem gleichen Namen bezeichnet, den sie sich selbst im Glasgemälde gab: als Banka Slávie, also als die Bank der Slavia.

Die Gründe, weshalb die Versicherungsgesellschaft gerade nach der Personifikation der Slawen benannt wurde, liegen im Dunkeln. Jedoch präsentierte sie sich von Beginn an als ausgesprochen patriotisch, daher könnte der Name möglicherweise gewählt worden sein, um die Heimatverbundenheit bereits dadurch deutlich zum Ausdruck zu bringen. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass die Personifikation der Slavia in der Kunst des 19. Jahrhunderts allgegenwärtig war, beispielsweise in Svatopluk Čechs 1884 erschienenem literarischem Werk Slávie. 260 In den Anfangsjahren bot die Banka Slávie ausschließlich Lebensversicherungen an und versicherte Kapital und Renten auf gegenseitiger Basis. 261 Ab 1870 wurde die Versicherung auf Feuerschäden erweitert, ein Jahr später kamen Hagelschäden hinzu. 262 Bereits kurz nach der Gründung wurden die Aktivitäten auf die Städte Ljubljana, Wien und Lemberg sowie auf die Regionen Mähren, die Slowakei, Kroatien und Schlesien ausgeweitet. 263 Aufgrund ihres heimatverbundenen Grundgedankens gewann die Versicherung schnell an Popularität. Sie tat sich unter anderem als Unterstützerin vielfältiger, spezifisch slawischer Projekte hervor, was laut eigener Aussage ihr Ansehen weiter steigerte. 264 So finanzierte sie im Jahre 1871 einen Teil des Nationaltheaters in Prag, das von den 1860er bis in die 1880er Jahre entstand und noch heute zu einem der wichtigsten Nationalsymbole gehört. Der gleiche Betrag ging damals auch als Spende an den Veitsdom. 265

s. Peča 1929, S. 2. Es handelt sich bei dieser Publikation um eine englische Übersetzung des ursprünglich auf Tschechisch erschienenen Werkes: Václav Peča: První desetiletí banky Slavie v samostatném státě československém a vývoj československého pojišt’ovnictví 1918–1928, Banka Slávie (Hrsg.), Prag 1929. Beim Politiker und Autor František Palacký handelt es sich um denjenigen, der auch bei der Grundsteinlegung des neuen Domteils des Veitsdomes anwesend war und der 1862 den Verein Svatobor zur Förderung von tschechischen Schriftstellern und ihren Familien gründete, vgl. mit Anm. 112. 259 Dies ergab die Durchsicht einiger versicherungsspezifischer Quellen aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. 260 Svatopluk Čech (1846–1908) verfasste lyrische Werke sowie Prosa und gilt als ein wichtiger böhmischer Schriftsteller mit großem Engagement für eine Einheit der Slawen sowie als Fürsprecher des Panslawismus, s. beispielsweise Arne Novák: Svatopluk Čech. Dílo a osobnost, 2 Bde., Prag 1921 und 1923. In vielen literarischen Werken wird die genannte Personifikation auch oft „slawische Priesterin“ genannt, s. Ivan Dubovický: Czechs in America, Prag 2003, S. 37. 261 s. PDF-Broschüre Slavia Pojišt’ovna o. J.; Peča 1929, S. 2; zur patriotischen Ideologie s. Banka Slávie 1919, S. 35 und 36. 262 Peča 1929, S. 4. 263 Aus dem Gebiet der Slowakei musste sich die Banka Slávie im Jahre 1886 auf Druck der ungarischen Regierung zurückziehen und konnte dort erst wieder nach 1918 Filialen eröffnen; s. Peča 1929, S. 4, 26, 38 und 39. 264 s. Slavia Pojišt’ovna [2014], S. 13: „Díky své základní myšlence Slavia poměrně rychle získala oblibu u tehdejší veřejnosti. I proto, že se snažila podporovat rozmanité české aktivity.“ 265 Die Teilhaber der Banka Slávie hatten in einer Abstimmung im Mai 1871 einstimmig beschlossen, ihren Nettoerlös zu gleichen Teilen dem Nationaltheater und dem Veitsdom zu spenden; s. Národní hospodář. Z vyroční zpravy banky Slavie vyjimáme následující (unbekannter Autor), in: Našinec, 24. 5.1871, S. 3. 258

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Die Versicherungsgesellschaft Banka Slávie

Kurz nach dem 50-jährigen Firmenjubiläum, im Jahre 1919, spendete die Banka Slávie dem Verein Svatobor 500 000 Kč, der damit die Ehrengruft des Vyšehrader Friedhofs, den Slavín, restaurierte. 266 Des Weiteren finanzierte die Versicherung im Jahre 1928 die Bronze-Türen des erwähnten Friedhofs, die in die Krypta hinunterführen.267 Der Versicherung war die Unterstützung solcher Projekte in dieser Zeit enorm wichtig – insbesondere als es noch darum ging, sich vom alles bestimmenden Österreich-Ungarn abzugrenzen und später, um das Nationalbewusstsein und die -Identität zu stärken. Dies belegt auch folgende Aussage aus einer von der Banka Slávie herausgegebenen Publikation: „However, the insurance companies have the power to serve the State […] by developing its creative powers, by multiplying its art treasures, and by making its social tasks easier.“ 268 Ursprünglich als Lebensversicherung gegründet, erweiterte die Banka Slávie mit der Zeit ihr Angebot – im Jahre 1925 konnte man sich bereits gegen Schäden durch Brände, Hagel, Diebstahl und Einbruch, Glasbruch, Unfälle und Schäden an Maschinen und Geräten sowie an Verkehrsmitteln absichern. 269 Das Wachstum der Banka Slávie führte schlussendlich dazu, dass sie in den 1930er Jahren nachweislich die größte Versicherungsgesellschaft der damaligen Tschechoslowakei war, obwohl die 20er Jahre für die Wirtschaft und den Handel eine schwierige Zeit waren. 270 Die Versicherungsgesellschaft überstand auch in den folgenden Jahren mehrfach turbulente Zeiten und politische Umbrüche. Zum Jahreswechsel 1945/1946 musste die Banka Slávie allerdings – wie auch alle anderen tschechoslowakischen Versicherungen – ihre Arbeit einstellen, da es zu einer massenhaften Verstaatlichung von Unternehmen kam. 271 Infolgedessen wurde 1948 ein Monopol eingerichtet, wonach nur eine Versicherungsgesell-

schaft in der gesamten ČSR tätig war: die Československá Pojišt’ovna (dt.: Tschechoslowakische Versicherung). Erst im Jahre 1991 wurde das Monopol aufgehoben und es konnten sich wieder neue Versicherungen formieren. Die wieder zum Leben erweckte Banka Slávie ließ sich, nun unter dem Namen Slavia Pojišt’ovna (dt.: Slavia Versicherung), am 1. Juni 1994 ins Handelsregister eintragen. 272 Sie hat ihren Hauptsitz wieder – wie die berühmte Vorläuferin Banka Slávie – in Prag und bietet unter anderem Motorfahrzeug-, Reise- und Krankenversicherungen für Privatleute an; für Firmen beispielsweise verschiedenste umfangreiche Absicherungsmöglichkeiten für Sachwerte oder Haftpflichtversicherungen. Die Slavia Pojišt’ovna bezieht sich in ihrer aktuellen Firmenphilosophie auf traditionelle Werte und auf ihre Vergangenheit als Banka Slávie.

7.3.1 Muchas Projekte mit der Banka Slávie – Die Entstehung der Figur Slavia des Glasgemäldes In der einschlägigen Literatur finden sich bezüglich des Wirkens von Mucha für die Banka Slávie nur Hinweise auf das Plakatmotiv von 1907 (s. unten und Abb. 9) und auf das Glasgemälde im Veitsdom. Außer diesen beiden Werken werden keine weiteren Verpflichtungen des Künstlers erwähnt. Es existierten aber durchaus weitere, bisher nicht aufgearbeitete Verbindungen zwischen dem Künstler und der Versicherungsgesellschaft. Muchas Werke für die Banka Slávie sind eng verknüpft mit der Figur der Slavia, wie sie im ersten Entwurf des Glasgemäldes vorkommt. Sobald man sich dieser Figur nähert, ergeben sich verschiedenste Fragen, die bislang nicht geklärt wurden. Diese gilt es nun in der Folge durch eine sorgfältige Untersuchung aufzuarbeiten und zu beantworten. Das Fehlen einer Untersuchung zur Figur der

Der Gründer des Vereins, František Palacký, war ein bedeutender Politiker und Historiker und hatte bereits die Gründungsaktie der Banka Slávie 1868 unterzeichnet; s. Peča 1929, S. 60; František Mareš: Jubilejní dar banky Slavie spolku Svatoboru pro Slavín, in: Národní politika, 27.10.1928, S. 5 und 6; s. auch Anm. 112. 267 Ročenka Československé Republiky, Bd. 10 1931, S. 89. 268 Peča 1929, S. 121. 269 s. Slavia Pojišt’ovna [2014], S. 18. 270 Edgar P. Young: Czechoslovakia. Keystone of Peace and Democracy, London 1938, S. 84. 271 Der damalige Präsident Edvard Beneš unterschrieb am 24. Oktober 1945 die Dekrete über die Verstaatlichung der Kohlegruben, Industrieunternehmen, Banken und privaten Versicherungsanstalten. Diese Änderungen traten am 1. Januar 1946 in Kraft. 272 s. Slavia Pojišt’ovna, Kleiner Geschäftsbericht. PDF-Broschüre (Zveřejňované údaje a výsledky pojišt’ovny k 30. 6. 2019), 30. 6. 2019, S. 3. 266

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Der erste Entwurf: Slavia als Protagonistin

Slavia kontrastiert stark mit Häufigkeit und Bedeutung dieser Figur im Werk Muchas. Sie fand in dieser Form bei ihm auf unterschiedlichen Medien und unabhängig von der Banka Slávie Verwendung. Zunächst als deren Werbefigur, dann als Porträt der Tochter eines amerikanischen Industriellen, später auf der Banknote der Tschechoslowakei – und schließlich auch im ersten Entwurf zum Prager Glasgemälde. Muchas Fenster im Veitsdom stellt somit das Ende einer langen Ereigniskette dar, deren Beginn nach bisherigem Kenntnisstand im Jahre 1907 anzusetzen ist. Das häufige Vorkommen dieser Figur in Muchas Œuvre belegt deren Wichtigkeit und immerwährende Gültigkeit im Hinblick auf ihre inhaltliche Bedeutung für den Künstler. Nachfolgend finden sich etappenweise die von Mucha getätigten Schritte erklärt: von der Schöpfung dieser Gestalt über deren Zusammenhang mit der Banka Slávie, das Porträt der Josephine CraneBradley, bis zur Verwendung als Nationalsymbol auf den Banknoten der Tschechoslowakei und schließlich dem Einsatz im Glasgemälde.

7.3.2 Das Plakatmotiv Slavia für die Banka Slávie von 1907 Das oben bereits erwähnte Werbeplakat der Banka Slávie wurde erstmalig im Jahr 1907 veröffentlicht, herausgegeben von der Druckerei Unie in Prag. 273 Das Gemälde, das als Vorlage für die Werbeplakate und andere Produkte diente (s. Abb. 9), war ursprünglich von Mucha zur Banka Slávie gelangt und befindet sich heute im Besitz der Holdinggesellschaft PPF (První privatizační fond; dt.: Der ers-

te Privatisierungsfonds) mit Sitz in Prag. 274 Mucha hatte beim Original nicht nur seine Signatur unterhalb des leeren Feldes für den Werbetext hinzugefügt, sondern auch das Jahr „1907“. 275 Daher muss er es in den Vereinigten Staaten entworfen haben, da er sich von Oktober 1906 bis mindestens Mai 1909 ohne Unterbruch dort aufhielt. 276 Als Protagonistin hatte Mucha die mythologische Personifikation der Slawen – Slavia – eingesetzt. Ausschlaggebend für die Motivwahl waren offensichtlich der Namen der Versicherung und die Tatsache, dass sie sich bereits in der Zeit davor durch diese mythologische Personifikation hatte repräsentieren lassen. Aus den 1880er Jahren ist eine Reklame-Blechtafel erhalten, die die Slavia mit ausgebreiteten Armen zeigt; die kyrillische Schrift darunter weist sie als „Slavia“ aus. 277 Eine ähnliche Gestalt findet sich auch auf Fotografien der firmeneigenen Publikation von 1919 wieder: Darstellungen zeigen eine Aktie aus dem 19. Jahrhundert bzw. eine Lebensversicherung aus den 1870er Jahren (Abb. 10), die jeweils mit einer Slavia illustriert sind. 278 Die Versicherungsgesellschaft legte sich also bereits relativ früh nach ihrer Gründung 1868 auf eine Repräsentation durch die mythologische Figur fest. Es ist allerdings kein Künstler aus den ersten Jahrzehnten der Versicherung bekannt, der eine dieser Figuren kreiert hätte – und aus den jeweils unterschiedlich gestalteten Slavia-Figuren lässt sich schließen, dass hierfür verschiedene Vorlagen genutzt bzw. mehrere Künstler beauftragt worden waren. Offensichtlich hatte jedoch keine dieser eingesetzten Slavia-Figuren längerfristig Bestand. Mucha war somit der erste namhafte Künstler, der das Bild der Banka Slávie nachhaltig prägte.

Später wurde es auch vom Verlag Jan Štenc in Prag herausgegeben. Der Originalentwurf der Slavia von 1907 ist ungefähr im Jahre 1948 in die Archive der Československá Pojišt’ovna bzw. 1991 der heutigen Česká Pojišt’ovna in Prag gelangt; Ende des Jahres 2013 wurde das Werk als Teil einer Kunstsammlung von der Holdinggesellschaft PPF angekauft (freundliche Mitteilung von Jitka Tkadlecová, Senior Communications Officer bei PPF a.s. Prag am 5. 5. 2014). Es ist davon auszugehen, dass sich das Original seit 1907 im Besitz der Banka Slávie befand, darauf deuten folgende Hinweise in den Publikationen von 1919 und 1929 hin: Muchas Slavia ist abgebildet in Banka Slávie 1919, S. 149, die Bildunterschrift dazu lautet: „Reprodukce Muchovy plakety pro Slavii.“ / dt.: „Reproduktion von Muchas Gemälde für die Slavia.“ (die Bezeichnung „plaketa“ kann „Plakette“, aber auch „Tafel“ bedeuten; es ist also wahrscheinlich, dass hier eine „Gemäldetafel“ gemeint ist). Die zweite Hinweis-Stelle ist: „To support home art the Slavia was concerned to secure the works of our prominent masters. It possesses the works of such of our foremost artists as Aleš, Marold, Mucha, Úprka, Knüpfr, Sláviček. The original painting done by Mucha for the Slavia before the war, was used by the State in the printing of the Kč 100,– Czechoslovak note.“ (Peča 1929, S. 60). 275 Es handelt es sich um Tempera auf Papier, 80 � 52 cm. 276 Weitere Angaben zu Muchas Aufenthalten in den Vereinigten Staaten s. Anhang/Neue Erkenntnisse zu den USA-Aufenthalten Kapitel 15. 277 Abb. s. http://www.opojisteni.cz/pojistovny/plechova-historie/plechova-historie-dil-treti/ [2.1. 2020]. Die blecherne Werbetafel kann der Stadt Novi Sad im heutigen Serbien zugeordnet werden, s. Plechová historie (Autor TJ), in: oPojištění.cz. Informace ze světa pojištění a risk managementu. 278 Abb. der Aktie s. Banka Slávie 1919, S. 31. 273

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Die Versicherungsgesellschaft Banka Slávie

Muchas Slavia von 1907 befindet sich in sitzender Position, wie der Künstler auch schon oft andere Frauenfiguren gezeigt hat. Diese Körperhaltung wurde von ihm oft eingesetzt, um eine gewisse Sinnlichkeit und gleichzeitige Spannung in die Darstellung zu bringen: Durch eine leichte Schrägstellung des Unterkörpers bei fast frontaler Darstellung des Oberkörpers und des Kopfes gelang es ihm, die Betonung auch bei einer in ein langes Gewand gekleideten Figur auf die Hüfte zu lenken; die Körperlichkeit der Figur wird somit deutlich hervorgehoben. Durch die partielle Schrägstellung des Körpers und den durch die Beine entstehenden Richtungswechsel wird die Darstellung lebendig und besitzt eine gewisse Raumtiefe – es entsteht eine S-förmige, das ganze Bildfeld dominierende und lebendige Bewegung trotz des für Mucha charakteristisch flächigen Hintergrundes. Auch die Skizze der Cechia, die um 1925 entstand, zeigt eine ähnliche Körperhaltung wie das Plakatmotiv Slavia. Jedoch sind die Rückenlinie und die Kopfhaltung gerade, was der Figur ein statuenähnliches Aussehen verleiht. 279 Die Figur Cechia befindet sich jedoch bildkompositorisch im oberen Bereich eines hochformatigen und oben rund abschließenden Bildausschnitts, im unteren Bildteil setzte Mucha noch weitere Elemente ein. Ihre gerade Haltung ist vermutlich dadurch zu erklären, dass sie die Szenerie unter sich überblicken soll – und nicht, wie die solitär dargestellte Slavia, alleine eine Komposition füllen soll. Andere Nationen wurden von Mucha ebenfalls durch figürliche Personifikationen dargestellt, somit handelt es sich bei den Figuren Slavia und Cechia nicht um seltene Phänomene im Werk des Künstlers. Ein prominentes Beispiel hierfür stellt die Personifikation von Bosnien im Mittelteil von Muchas Gemäldedekoration für den Pavillon von Bosnien und Herzegowina im Jahre 1900 dar. Bosnien, das damals noch unter administrativer Leitung von Österreich-Ungarn stand, wird von Mucha als junges Mädchen in traditioneller Tracht

und mit dunklen Zöpfen unter einer zur Tracht gehörenden Kopfbedeckung dargestellt. 280 Muchas Neigung, Personifikationen und allegorische Gestalten in seine Werke aufzunehmen, zeigte sich jedoch bereits wesentlich früher; sie ist bereits bei der Ausmalung des Schlosses Emmahof des Grafen Khuen-Belasi in Hrušovany nad Jevišovkou zu erkennen. 281 Ein anderes Beispiel für die Darstellung eines Volkes oder einer Nation ist das Werk Frankreich umarmt Böhmen 282, das um 1918 entstand: Eine fast unbekleidete weibliche Figur, die nur ein Tuch mit dem Emblem des böhmischen Löwen über die Schulter gelegt hat, steht mit herabgesunkenen Armen, den Kopf mit geschlossenen Augen nach oben gerichtet, vor einem Holzkreuz; eine männliche Figur mit phrygischer Mütze beugt sich über das Holzkreuz hinunter und küsst sie auf die Wange. In den Händen der zweiten Figur sind die Fesseln zu erkennen, mit denen Böhmen bis vor Kurzem noch an das Kreuz gebunden war. Interessanterweise hatte Mucha für allegorische Figuren sowie für Personifikationen von Ländern immer weibliche Gestalten verwendet – die Darstellung von Frankreich durch eine männliche Figur ist vermutlich die einzige Ausnahme in seinem Werk. Möglicherweise hat Mucha eine Jakobinermütze als passender für einen Mann erachtet, obwohl die „Marianne“ ebenfalls ein „bonnet rouge“ trägt. Außerdem kann durch die Nähe und das Zusammenspiel zwischen einer weiblichen und einer männlichen Figur eine deutlich intimere Atmosphäre entstehen, die an ein Liebespaar erinnert. Weitere Personifikationen, die etwa zur gleichen Zeit entstanden sind wie die Slavia von 1907, sind die beiden Mädchen in den Gemälden für das Deutsche Theater in New York, die die Vereinigten Staaten bzw. Deutschland symbolisieren. 283 In Muchas Werk scheint die Slavia gegenüber Personifikationen anderer Länder oder Regionen durch ihre zahlenmäßige Überlegenheit hervorzustechen. Die hohe Anzahl der Slavia-Darstellungen lässt sich sicherlich mit Muchas Heimatverbun-

Abb. s. Ausst. kat. Kassel 1989, S. 113, Abb. 158. Abb. des Kartons: Ausst. kat. Alfons Mucha. Meditation und Botschaft, Kassel: Museum Fridericianum 1989, Veit Loers (Hrsg.), Kassel 1989, S. 113, Abb. 123; Abb. des ausgeführten Gemäldes s. Ausst. kat. München 2009, S. 212 und 213. Die Personifikation von Bosnien sitzt auf einem Thron, breitet ihre Arme aus und bietet dem Betrachter die Landesprodukte an, die zu beiden Seiten präsentiert werden. 281 Vorwort von Jindřich Čadík in: Ausst. kat. Hradec Králové 1933, S. 5; weitere Informationen zur Ausmalung des Schlosses s. Riedl 1988. 282 Abb. s. Mucha 2000, S. 104. 283 Für weitere Informationen zum Deutschen Theater s. auch Kapitel 10.12. 279

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Der erste Entwurf: Slavia als Protagonistin

denheit und seiner künstlerischen Auseinandersetzung mit der politischen Situation erklären.

also aus den Farben Blau, Rot und Weiß sowie den grünen Lindenblättern.

Wenn wir nun auf das Plakatmotiv Slavia von 1907 zurückkommen, so fällt auf, dass die Füße der Figur nicht zu sehen sind; sie verstecken sich in den mächtigen Gewandfalten. Das Kleid der Slavia ist weiß, an den Ärmeln weist es Dekorationen in dunkler Farbe auf. Auf ihrem Schoß ruht der Knauf eines Schwertes, dessen Klinge auf Slavias linker Seite in die untere Ecke führt. Ihre langen rötlichen Haare sind zu beiden Seiten ihres Kopfes in zwei lange Zöpfe geteilt, in diese und in das Haar auf ihrem Kopf sind Lindenblätter eingeflochten. Ebenso eingeflochten wurden weiße, rote und hellblaue Stoffbänder, die im unteren Bereich die Haarzöpfe verlassen und einen großen Teil ihres Oberkörpers bis zu ihrem Schoss bedecken. Einige dieser Schmuckbänder reichen sogar bis zum unteren Bereich ihres Kleides.

Eine erste Vorstudie des Plakats für die Banka Slávie ist sicherlich in einer Skizze zu sehen, die bisher zwischen 1900 und 1902 datiert wird. 285 Sie zeigt eine weibliche Figur in genau der gleichen sitzenden Position wie im ausgeführten Plakat; auch das Format, ein stark hochrechteckiges Viereck, ist das gleiche. Interessanterweise befindet sich das Schriftfeld fast an gleicher Stelle wie beim 1907 herausgegebenen Plakat der Banka Slávie. Sogar die dekorativen Elemente des Schriftfeldes mit den sonnenähnlichen Strahlenkreisen hat Mucha bereits in dieser Studie entwickelt. Auch der Hintergrund, eine Art Aureole aus mehreren nicht konzentrischen Kreisen, deren Zwischenräume mit verschiedenen Mustern aus floralen und geometrischen Elementen aufgefüllt sind, ist bereits vorhanden. Die beiden Darstellungen unterscheiden sich nur dadurch, dass sie spiegelverkehrt sind, außerdem befinden sich die Hände der späteren Slavia auf Schulterhöhe und in ihrer linken Hand hält sie einen Reifen, während die Figur der Studie den Stab einer Standarte mit rundem Abschluss in ihren Händen hält, die sie auf die Knie gelegt hat. Bei dieser Studie handelt es sich eindeutig um das erste bekannte Konzept der SlaviaFigur von 1907. Es ist sehr gut möglich, dass die Studie während der Arbeit an seinen beiden Werken Documents décoratifs, die erstmalig 1902 herausgegeben wurden, und Figures décoratives, deren Erstausgabe auf 1905 datiert wird, entstanden ist, denn die Rückseite der Studie zeigt einen Blumenfries aus Tulpen. 286 Der gleiche Blumenfries ist in den erwähnten Werken zwar nicht zu finden, jedoch legt die Ausschnitthaftigkeit des Frieses und auch die Nähe der Studie zu diversen Darstellungen in Figures décoratives dies nahe, unter anderem die weibliche Figur in der Mitte der Planche 23 in Figures décoratives: Sie ist mit exakt der gleichen Standarte ausgestattet. 287 Die Arm- und Beinhaltung ist sehr ähnlich, jedoch sind die Arme aus den Figures décoratives angespannter und durchgestreckter und die Figur sitzt nicht auf

Des Weiteren fallen die beiden Tauben auf, die der Künstler an die seitlichen Enden der Stuhllehne gesetzt hat. Somit wird, wenn auch nur indirekt, das Sitzmöbel greifbar, worauf Mucha sie sitzen lässt. Die Vögel auf der Stuhllehne spreizen ihre Flügel weit auseinander und zusammen mit den Federn des Schwanzes entsteht eine Kreisform. Der Bildhintergrund besteht in der Mitte aus einer kreisrunden blauen Fläche, rundherum ist ein Bogen aus zwei nicht konzentrischen Kreisen gezogen, der mit Herzen und Blumen in kleinen Kreisformen sowie Sternen dazwischen dekoriert wurde. Die blaue runde Fläche wird in Richtung des unteren Bildrands immer heller. Sie umgibt die Figur der Slavia nicht ganz, sodass sich ungefähr die Hälfte ihres Kopfes, ein Bereich der Hüfte sowie wohl auch ihre nicht sichtbaren Füße außerhalb dieser blauen Fläche befinden. Zwischen dem Bogen, der mit Herzen, Blumen und Sternen geschmückt ist, und dem Bildrand befinden sich ebenfalls Zweige mit Lindenblättern. Ausgespart wurde ein relativ großer Bereich im unteren Bildfeld, der für die Werbebotschaft vorgesehen war. 284 Insgesamt besteht die Darstellung

Auf den bekannten Plakaten sind jeweils der Name der Versicherung sowie Hinweise auf einige der angebotenen Produkte vorzufinden. Abb. s. Ausst. kat. Kassel 1989, S. 109, Abb. 150. 286 Abb. s. Ausst. kat. Kassel 1989, S. 108, Abb. 150. Erstausgaben: Alfons Mucha: Documents décoratifs. Panneaux décoratifs, études et applications de fleurs, papiers peints, frises, vitraux, orfèvrerie, Paris 1902; Figures décoratives, Paris 1905. 287 Abb. s. auch: Alfons Mucha, Anna Dvořák: Mucha’s Figures Décoratives. 40 plates by Alphonse Mucha, New York 1981, Plate 20. 284 285

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einem Stuhl, sondern scheint in dieser Position zu schweben. Weitere zwei Figuren in Figures décoratives auf Planche 31 zeigen eine gut vergleichbare Sitzhaltung. 288 Insgesamt hat der Künstler viele weibliche Figuren in den Figures décoratives in sitzender oder hockender Haltung dargestellt – jedoch aus unterschiedlichsten Blickwinkeln und mit mal mehr, mal weniger stark gedrehtem Oberkörper, sodass der dem Betrachter zugewandte Teil des Körpers jeweils stark variiert. 7.3.2.1 Die symbolische Botschaft Ende des 18. Jahrhunderts entstand – insbesondere im Vielvölkerstaat Österreich-Ungarn – die sogenannte panslawistische Bewegung. Der Prager Slawenkongress vom Juni 1848 unter dem Vorsitz des Politikers und Autors František Palacký stellt einen wichtige Entwicklungsschritt in dieser politischen Formierung dar; die Forderung nach einem föderalistisch organisierten Staat Österreich-Ungarn, in dem die einzelnen Nationen gleichberechtigt wären, wurde laut. 289 Während des Prager Slawenkongresses wurde unter anderem eine neue Flagge als Symbol für die Slawen eingeführt: Es war eine Trikolore in den Farben Blau, Weiß und Rot; die Linde wurde – als Antwort auf die deutsche Eiche – zum slawischen Symbol erkoren. 290 In der Folge waren die erwähnten Farben und die Blätter der Linde im alltäglichen Leben, aber auch in der bildenden Kunst, Ausdruck dieses neu erweckten Bedürfnisses, gleichbedeutend mit der Konzentration slawischer Autoren auf den literarischen Panslawismus. Auch Mucha hat diese Trikolore zusam-

men mit den Lindenblättern in vielen seiner Werke integriert – die Slavia von 1907 ist eines davon. Interessant ist, dass die Taube – gemeinhin das Symbol für (christliche) Liebe und Freundschaft – auch als Sinnbild für die Bewohner der Slowakei gilt, in Abgrenzung zum tschechischen Falken und dem ungarischen Sperber. 291 Es ist aber unwahrscheinlich, dass Mucha genau diese Bedeutung impliziert hat, als er jeweils zu beiden Seiten der Slavia an den Enden der Stuhllehne eine Taube mit ausgebreiteten Flügeln gesetzt hat – denn im Jahre 1907, als er das Plakatmotiv für die Banka Slávie entwarf, gab es weder eine gemeinsame Nation noch Filialen der Banka Slávie im slowakischen Teil von Österreich-Ungarn 292 noch hatte er einen tschechischen Falken in die Darstellung integriert. 7.3.2.2 Der Ring der Einheit in Muchas Werk und seine Bedeutung bei der Slavia Mit der rechten Hand hält Slavia einige bunte Stoffbänder zusammengerafft, während ihre Linke einen dünnen schwarzen Reifen hochhält, dessen Mittelpunkt sich ungefähr auf der Höhe ihres Kinns befindet. Es handelt sich dabei um den Ring der Einheit; ein immer wiederkehrendes Gestaltungselement mit einer für Mucha eminenten inhaltlichen Aussage. 293 Eine wahrscheinlich ähnliche Funktion wie der Ring in dem Plakatmotiv der Slavia von 1907 dürften auch schon die unzähligen von Mucha in seinen Werken verwendeten Kreise aus Sternen, floralen Elementen, Zweigen und Kränzen gehabt haben. 294 Etliche Kreisformen hat Mucha auch 1910/1911 bei der Ausmalung des Primatorensaales

Abb. s. auch: Mucha/Dvořák 1981, Plate 24. Aus den Forderungen des Kongresses vom Juni 1848 entwickelte sich der Prager Pfingstaufstand: Aufständische versuchten hierbei, weitere Forderungen durchzusetzen, doch er wurde gewaltsam niedergeschlagen. 290 Hans Kohn: Pan-Slavism. Its History and Ideology, New York 19602, S. 82 und 83. 291 Den Slowaken wird traditionell ein „Tauben gleicher Charakter“ nachgesagt; s. Silvia Miháliková: Zwischen Kreuz und Europastern. Politische Symbolik in der Slowakei (Analysen zur Kultur und Gesellschaft im östlichen Europa, 17), Münster 2004, S. 42. Die Vorstellung, dass die Taube als Sinnbild für den Charakter der Slowaken anzusehen ist, stammt aus der traditionellen Volksdichtung und wurde im 19. Jahrhundert – im Zuge der „großslawischen Romantik“ – wiederbelebt, s. Ludwig v. Gogolák: Die Nationswerdung der Slowaken und die Anfänge der tschechoslowakischen Frage 1526–1790 (Beiträge zur Geschichte des slowakischen Volkes, 1), München 1963, S. 134 und 135. 292 s. Kapitel 7.3 und Anm. 263. 293 s. Snopko 2006, S. 49; Ausst. kat. Krems 1994, S. 75; Sayer 1998, S. 150. Auch eine Deutung als Freimaurerisches Symbol wurde vorgeschlagen (s. Bohumil Nuska: K symbolice na platidlech: Slováne, zednáři a Mucha, in: Uměni a řemesla, Bd. 4 (1992), S. 22 und 23), der Kreis wird aber auch von Otokar Kukla im Zusammenhang mit der Einführung der slawischen Liturgie als „Zeichen der Gottheit, des geistigen Wirbelns und der Heiligkeit des Auftrags, den das Volk gerade entgegennimmt“ interpretiert (s. Ausst. kat. Kassel 1989, S. 33). 294 Einige Beispiele für Kreise aus Sternen, floralen Elementen, Zweigen und Kränzen: ein Kranz aus kleinen weißen Sternen auf der letzten Seite, Amen, von Le Pater (Erstausgabe von Le Pater 1899), s. Abb. der endgültigen Entwurfsskizze für Amen im Ausst. kat. München 2009, S. 129; drei ineinander verschränkte Kreise bzw. Kränze – jeweils aus verschiedenen Elementen (Blumen, Dornenzweige und weiteren Pflanzenteilen) – vor einem roten Herz, zu sehen auf dem Plakat für Muchas Ausstellung im Salon des Cent von 1897, s. Abb.: Ausst. kat. München 2009, S. 82; ein Kranz aus Zweigen und Blättern, zu sehen in Friendship, einem Sinnbild für die französisch-amerikanischen Beziehungen, veröffentlicht in: The New York 288

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im Prager Repräsentationshaus dargestellt: Über die Hälfte der einzelnen Darstellungen weist ebenfalls aus Sternen oder Dornenzweigen bestehende Kranzformen oder sogar einen Reifen auf. 295 Die Kuppel selbst zeigt einen Falken, der in einem hellen, aber schmalen Reifen einbeschrieben ist. Seine Flügel und die Schwanzfedern verdecken jedoch Teile des Reifens, der sich als geometrisches Gebilde beinahe abstrakt von seinem von Mucha anschaulich naturgetreu gestalteten Umfeld abhebt. Um den Falken und den Reifen herum befindet sich ein großer breiter Kranz aus dunkelgrünen Zweigen und Lindenblättern. Der Ring bzw. Kranz wird im Plakat als Symbol für den sechsten Sokol-Kongress von 1912 gar mehrfach von Mucha in Szene gesetzt: Die weibliche Figur im Vordergrund hält drei Kränze aus Lindenblättern in ihrer rechten Hand, weitere vier hängen in ihrer Armbeuge. 296 Im Hintergrund ist eine weitere weibliche Gestalt zu erkennen, die von Mucha mit einem Falken in ihrer linken Hand und einem Strahlenkranz in ihrer rechten Hand ausgestattet wurde. 297 Auch in seinem Lebenswerk, dem Slawischen Epos, setzt Mucha dieses Stilelement eindrucksvoll an mehreren Stellen ein. In Die Einführung der slawischen Liturgie von 1912 sowie in Die Apotheose der Slawen von 1926 zeigt er den Ring der Einheit als schlichten und schmalen Reifen bzw. als Kranz aus Lindenblättern. 298 Auch in Der Schwur der Omladina, einem Teil des Epos, ist ein Kranz zu finden. 299 Ein Plakat für die patriotischen Festspiele Slavnostní hra na Vltavě (dt.: Festspiele

an der Moldau) von 1926 zeigt einen muskulösen jungen Mann, der einen Kranz aus Lindenblättern empor streckt. 300 Zumeist ist der Reifen oder Kranz bei Mucha im Zusammenhang mit einer Figur – männlich oder weiblich – oder seltener einem Falken dargestellt. Die untersuchten Figuren mit Ring, Reifen oder Kranz zeigen, dass die Höhe des runden Objektes in Bezug zu der ihn haltenden Figur in Muchas Werk unterschiedlich ist, es befindet sich aber immer mindestens auf Brusthöhe der Figur (außer in den oben erwähnten Fällen, in denen der Kranz im oberen Bereich gefasst und nach unten gehalten wird). Das kreisrunde Gestaltungsmittel ist dabei meist wesentlich größer als der Kopf der ihn haltenden Figur, eine Ausnahme bilden hier die drei ineinander verschränkten Reifen im Salon des Cent von 1897, die einzeln betrachtet kleiner als der Kopf sind (in der Gesamtheit bedecken sie aber eine größere Bildfläche). Mucha verwendete zunächst seit den 1890er Jahren unterschiedlichste, teilweise aus der Geometrie oder der Flora stammende Formen, aus denen er ein Gefüge mit rundem Aussehen bildete. Die in den ersten Jahren vorherrschenden Arbeiten mit Kreisen oder Kränzen dieser Art waren insbesondere religiös motiviert oder beinhalteten einen für den Künstler hohen ideologischen Wert, wie beispielsweise einzelne Illustrationen aus Le Pater oder Plakate für eigene Ausstellungen zeigen. Spä-

Daily News, 3. 4.1904, Abb.: Mucha 2000, S. 140; ein aus Sternen und weiteren Dekor-Elementen bestehender Kreis, zu sehen in Princezna Hyacinta von 1911, einem Ballett von Ladislav Novák und Oskar Nedbal, Abb.: Ausst. kat. München 2009, S. 95. 295 Abbildungen: Ausst. kat. München 2009, S. 233–245. 296 Abb.: Mucha 2000, S. 90. Die Sokol-Bewegung war eine stark national und politisch geprägte Turn-Vereinigung, die in mehreren slawischen Regionen im Laufe des 19. Jahrhunderts ins Leben gerufen wurde. Weitere Angaben zum tschechischen Sokol s. Claire E. Nolte: The Sokol in the Czech lands to 1914. Training for the nation. Basingstoke 2002. Der Begriff „Sokol“ bedeutet in vielen slawischen Sprachen „Falke“. 297 Die „dornenbesetzte Sonne“ – wie sie vom Autor genannt wird – sei ein Symbol „künftiger Hoffnung“ (Mucha 2000, S. 91). 298 Abb. s.: Die Einführung der slawischen Liturgie http://www.muchafoundation.org/gallery/themes/theme/slav-epic/object/213 [6.1. 2020]; Die Apotheose der Slawen: Ausst. kat. München 2009, S. 303. 299 Abb.: Ausst. kat. München 2009, S. 300. Das Werk Der Schwur der Omladina unter der slawischen Linde des Epos von 1926 demonstriert eine Besonderheit im Umgang Muchas mit dem Kranz, die ansonsten nur im zweiten und dritten Entwurf des Glasgemäldes zu finden ist: Ein Kranz aus Blättern wird von der ihn haltenden Figur am oberen Rand ergriffen, sodass er nach unten hängt (ansonsten wird der Kranz oder Reifen von Muchas Figuren jeweils in seinem unteren Bereich angefasst und nach oben gehalten). Genau in dieser Weise ist dies auch im zweiten sowie im ausgeführten Entwurf des Glasgemäldes zu sehen, und zwar bei der Gestalt im untersten Bildfeld der mittleren Lanzette, das heißt bei der für den Betrachter rechten Figur. In beiden Fällen handelt es sich um die Darstellung der Personifikation für die Tschechoslowakische Republik. Es findet sich in der Tat bei diesen beiden Personifikationen des zweiten Entwurfes bzw. des Glasgemäldes auch die Kombination mit der Standarte, die die Slavia im wenige Jahre zuvor entstandenen Werk Der Schwur der Omladina unter der slawischen Linde in der anderen Hand hält. Mucha hat aber die ursprünglich sich in der rechten Hand der Slavia befindende Standarte aus dem Epos-Gemälde von 1926 in die linke Hand der Tschechoslowakei versetzt, der Kranz wanderte analog aus der linken Hand in die Rechte; dieser Wechsel geschah wohl aus Gründen des Arrangements innerhalb des Bildfeldes im Glasgemälde. 300 Abb.: Mucha 2000, S. 91.

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ter reduzierte Mucha dieses Gestaltungsmittel vielfach auf einen schlichten, schmalen Reifen oder verwendete geflochtene Kränze aus Blättern, meist von einer Linde. In dieser Zeit kristallisierte sich ein starker Zusammenhang zu Themen und Motiven seiner Heimat heraus, sodass der Ring mit Muchas Wunsch nach einer Einheit der Slawen gleichzusetzen ist. Ab diesem Zeitpunkt kann man auch tatsächlich von einem Ring der Einheit sprechen. Der vermutlich erste Hinweis auf einen solchen Ring, der aber noch unabhängig vom slawischen Gedanken war, kann bei der erwähnten Darstellung von Le Pater (1899) gefunden werden; hier als Hinweis auf die Geschlossenheit der christlichen Gemeinschaft. Das nächste Werk Muchas, das den Ring eindeutig in den politischen Zusammenhang setzt, ist Friendship, die Freundschaftsdarstellung der Vereinigten Staaten und Frankreich. 301 Die früheste Darstellung des Ringes der Einheit in Bezug auf die Slawen ist tatsächlich im Plakatmotiv für die Banka Slávie 1907 zu sehen. Somit stellt also der SlaviaTypus von 1907 in Muchas Werk eine Besonderheit dar, da er den Beginn eines immer wiederkehrenden Kompositionsmerkmales markiert. Kreis bzw. Kranz gehörten schon sehr früh zu den beliebtesten dekorativen Elementen des Künstlers. Diese Bestandteile der zumeist sehr flächig wirkenden Ausschmückungen seiner Werke nutzte er anfangs als trennende, zusammenführende, akzentuierende und die Augen des Betrachters lenkende Elemente. Zunächst waren die Kreisformen zumeist in seinen dekorativen Panneaux in den flächigen Hintergrund integriert. Später erhielten sie – gleichzeitig mit der Loslösung vom Hintergrund – einen Sinngehalt. 7.3.2.3 Die Verwendung des Plakatmotivs Slavia von 1907 Die Banka Slávie verwendete in den folgenden Jahren die Slavia von 1907 für Werbeplakate in verschiedenen Formaten, des Weiteren wurde sie auf andere Medien platziert. 302 Nachweislich wurden Deckblätter von Versicherungspolicen, Kalender,

Werbehefte und Werbegeschenke wie beispielsweise Keksdosen mit Muchas Slavia versehen. Die Banka Slávie verwendete die von Mucha kreierte Slavia sehr oft, insbesondere dann, wenn es um ihre Wirkung und Repräsentation nach außen ging. Die Gestalt wurde bereits sehr früh zu einem wichtigen Werbeträger bzw. Werbemittel. Das von Mucha entworfene Bild verhält sich wie eine Ikone, die die Versicherungsgesellschaft repräsentiert und mit klar festgelegten Inhalten gleichzusetzen ist. Ziel war sicherlich, in der Bevölkerung einen hohen Wiedererkennungswert zu erreichen, weshalb Muchas Figur-Typus der Slavia ohne Änderungen auf vielen Medien angewendet wurde. Dass dies aber nicht gänzlich erreicht wurde, wird durch ein Gutachten des Dombauvereins bewiesen, worin die Figur als „Madonna“ missinterpretiert wird. 303 Nach der Neugründung der Slavia Pojišt’ovna im Jahre 1994 entdeckte man die heute immer noch gültigen inhaltlichen Aussagen von Muchas Figur von 1907 wieder; daher ist sie auch gegenwärtig auf Prospekten und anderen Dokumenten sowie der offiziellen Web-Präsenz der Versicherung anzutreffen.

7.3.3 Mucha und die Banka Slávie: eine Chronologie Der Entwurf für das Plakat von 1907 wird bisher als Muchas erstes Engagement für die Versicherung angenommen. Die entsprechenden Umstände und Dokumente über den direkten Austausch zwischen Mucha und der Banka Slávie sind unbekannt, da die Unterlagen der Versicherungsgesellschaft – obwohl diese heute wieder existiert – in der Zwischenzeit durch verschiedenste Archive durchgereicht wurden und nicht mehr auffindbar sind bzw. möglicherweise nicht mehr existieren. 304 Auch aus Jiří Muchas Werken sind für die hier relevante Zeit kaum direkte Zitate aus der Korrespondenz seines Vaters vorhanden. Für gewöhnlich sind die gegenseitigen und sehr ausführlichen Briefe seiner zu-

Abb. s. Ausst. kat. San Diego 1998, S. 215. Ein Plakat, das aus den ersten Jahren der Firmengeschichte stammt, befindet sich im Prager Uměleckoprůmyslové museum: es misst 52 � 34 cm und wurde herausgegeben von J. Štenc in Prag, s. freundliche Mitteilung des dortigen Kurators Petr Štembera am 6. 5. 2014. 303 s. Kapitel 5.2.4; Weiteres zur Slavia als Madonna s. Kapitel 7.7. 304 Anfragen an die Slavia Pojišt’ovna und an die Česká Pojišt’ovna brachten leider keine Klärung zum Verbleib möglicher Unterlagen, die die Kommunikation zwischen der Versicherungsgesellschaft und Mucha dokumentieren, s. auch Anm. 96. 301

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künftigen Eltern, die sich seit Oktober 1903 kannten und im Juni 1906 heirateten, eine reiche Quelle an Informationen, die er in den monographischen Schriften über seinen Vater verarbeitet. Doch seit der Heirat im Sommer 1906 und auch während eines längeren USA-Aufenthalts von September/ Oktober 1906 bis 1908 waren die Eheleute Mucha „fast ununterbrochen zusammen“, sodass sich Jiří Mucha ab Sommer 1906 nur auf die weit weniger aussagekräftige Korrespondenz mit anderen Verwandten und Bekannten beziehen konnte. 305 Die Banka Slávie suchte bereits früh ihre Positionierung in einer patriotischen Richtung, wozu sie auch ihre kulturellen Aktivitäten und Gönnerschaften gezielt einsetzte. Wichtig für die Untersuchungen diesbezüglich sind zwei Schriften aus den Jahren 1919 und 1929, die von der Versicherungsgesellschaft selbst heraus gegeben worden sind. 306 Eine Bemerkung des Geschäftsführers, Vacláv Peča, im 1929 herausgegebenen Buch dokumentiert unmissverständlich, dass die Banka Slávie das eigene 60jährige Jubiläum und das 10-jährige Jubiläum der Nation – die beide 1928 stattfanden – als gleich wichtig ansah und auf sehr ähnliche Weise feierte. 307 Zum letztgenannten Ereignis zielt die Unterstützung der Banka Slávie – so Pečas Wortwahl – auf eine „engere und herzlichere Verbindung zwischen allen slawischen Staaten“ ab. Das könnte inhaltlich auf die Finanzierung von Muchas Glasgemälde und der Bronze-Türen des Slavín bezogen sein, da keine weiteren Projektunterstützungen für das genannte Jahr bekannt sind. Erstaunlich ist jedoch, dass in diesem Zusammenhang explizit auf alle slawischen Staaten hingewiesen wird – denn außerhalb von Prag bzw. der damaligen Tschechoslowakei unterstützte die Banka Slávie zu dieser Zeit keine weiteren Projekte. Am Ende des Vorwortes von Peča in der Publikation von 1929 wird auf Ort und Datum des Druckes verwiesen: „At Prague, May 1929“. 308 Zu jenem

Zeitpunkt war zwar bereits klar, dass der erste Entwurf Muchas nicht verwirklicht werden würde, denn er wurde in der Sitzung am 18. Januar 1929 abgelehnt. Der zweite Entwurf wurde in der Sitzung am 20. Juni 1929 vom Dombauverein behandelt. Daher ist es möglich, dass Peča den zweiten Entwurf Muchas gar nicht gesehen hat bzw. nicht gesehen haben konnte, da dieser möglicherweise noch nicht fertig war, bevor seine Schrift im Mai in Druck ging. Er äußert sich in der bereits erwähnten Schrift von 1929 auch konkret zum Glasgemälde und zu Mucha: „To commemorate further the 10th anniversary of the Republic it was decided to present the Cathedral of St. Vitus with a window, and that work of art was entrusted to the great Czech painter Mucha M. A. […]“. 309 Somit ist festzuhalten, dass das Glasgemälde bezüglich der bisherigen Zusammenarbeit zwischen der Versicherungsgesellschaft und Mucha von der Banka Slávie selbst als sehr bedeutsam angesehen wurde. Der eigentliche Grund für die Spende von Muchas Glasgemälde kann mit den hier aufgeführten direkten Bezügen Pečas auch klar benannt werden. Beide Bemerkungen verweisen auf das Jubiläum des noch jungen Staates, der im Jahre 1918 gegründet worden war. Interessanterweise wird das Motiv für die Spende in der Stifterinschrift nicht konkret genannt (wörtlich heißt es hier: „Gott zum Lob, dem Vaterland zum Ruhm, der Kunst zu Ehren – gewidmet von der Banka Slávie“). Ohnehin gibt es ansonsten kaum Angaben in der Stifterinschrift, nicht mal auf das Gründungs- bzw. das Jubiläumsjahr der Versicherungsgesellschaft wird hingewiesen. Die Zusammenarbeit zwischen Mucha und der Banka Slávie führte aber nicht nur zur Kreation eines kommerziellen Plakats und zum Prager Glasgemälde. Im Jahre 1934 gab die Versicherungsbank ein kleines Büchlein mit dem Titel Slavia. Starostlivým matkám (dt.: Slavia. Für fürsorgliche Mütter)

Mucha 1965, S. 223. In diesen beiden Werken finden sich direkte schriftliche Verweise sowohl auf die Slavia von 1907 als Plakatmotiv als auch auf das spätere Glasgemälde im Veitsdom: Banka Slávie 1869–1919, Banka Slávie (Hrsg.), Prag 1919 und Peča 1929. 307 „It [the Banka Slávie] commemorated in a similar manner the 10th anniversary of the country’s independence and again the 60th anniversary of its own foundation. On the latter occasion it also supported the work and activities tending to bring about a closer and heartier connection between all the Slav States.“; s. Peča 1929, S. 122. 308 Peča 1929, S. X. 309 Peča 1929, S. 61. 305

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heraus. 310 Die insgesamt acht Illustrationen stammen von Mucha und zeigen jeweils Mütter mit ihren Säuglingen, der Text stammt von František Luska, einem Professor für Pädiatrie der Karls-Universität in Prag. Das Buch war von der Versicherungsgesellschaft als Leitfaden an frischgebackene junge Mütter abgegeben worden. Dieses Werk Muchas ist bislang kaum beachtet worden; so wird in der Regel das 1929 bei J. Otto in Prag erschienene Werk Andělíček z baroku (dt.: Der kleine BarockEngel) als letzte seiner Buchillustrationen betrachtet. 311 Es folgten, nach dem ersten Buch 1934, mindestens zwei weitere Publikationen zu ähnlichen Themen (entweder in tschechischer oder slowakischer Sprache) der Banka Slávie zusammen mit Luska; es ist jedoch bisher nicht bekannt, ob diese auch Illustrationen von Mucha enthielten. 312 Den Hinweis, dass dies der Fall war, könnte ein Gemälde Muchas von 1936 liefern, das ebenfalls eine Mutter mit ihrem auf ihren Knien stehenden kleinen Kind zeigt. 313 Diese Darstellung wurde für das erste Büchlein von 1934 nicht verwendet; somit ist möglich, dass sie als Vorlage für weitere Publikationen zum gleichen Thema diente. Aber auch aus der Zeit vor dem Plakatentwurf von 1907 finden sich Hinweise auf weitere mögliche Verpflichtungen Muchas durch die Banka Slávie: In der Publikation der Versicherung aus dem Jahre 1919 ist ein Vertrag über eine Lebensversicherung abgebildet, der oben und seitlich mit einer Jugendstil-Darstellung versehen ist (Abb. 11). Oben befindet sich eine figürliche Szene: Mittig steht eine weibliche Figur, in ihrer rechten Hand einen Gegenstand, vermutlich eine Papierrolle, haltend, den anderen Arm ausgestreckt in Richtung einer männlichen Figur. Der Mann trägt einen Bart und kniet,

gestützt auf einen Stock. Ihm gegenüber, auf der anderen Seite der mittigen Figur, befindet sich eine Mutter mit ihrem Kind, die auf die Figur in der Mitte zugehen. Offensichtlich huldigen die drei seitlichen Figuren der in Bedeutungsgröße Dargestellten. Bei ihr handelt es sich um Slavia; sie steht vor einem Baum, dessen Geäst und Blätter sich hinter ihrem Oberkörper stark verbreitern. Im Hintergrund ist die Silhouette einer Stadt zu sehen: zur linken Hand Slavias ein Kirchenbau, zu ihrer Rechten zwei Türme. Es handelt sich dabei um Prag, die Türme gehören zu einer Kirche der Prager Kleinseite. 314 Das erstgenannte Gebäude zeigt wahrscheinlich den noch nicht vollendeten Veitsdom. Daher weist der Kirchenbau eine große Lücke zwischen dem Turm – eigentlich handelt es sich um die beiden von der Seite gesehenen und 1892 vollendeten Fronttürme – und dem mittelalterlichen Chor auf. 315 Der hier tätige Künstler hat aber den bereits unter Peter Parler begonnenen und im 16. Jahrhundert fertig gestellten großen Südturm nicht in die Darstellung miteinbezogen (dieser müsste sich im linken Bereich des Chorteiles befinden). Möglicherweise geschah dies deshalb, weil während den Restaurierungsarbeiten in den 1890er Jahren ein „Abbrechen der obersten Thurmpartie“ erfolgte. 316 Hinter Slavias Kopf befindet sich eine Art Aureole; davon ausgehend zieht sich eine Girlande aus Weintrauben und -blättern horizontal bis in die oberen Ecken der Urkunde, um dann ebenfalls als senkrechte Begrenzung für die figürliche Darstellung zu fungieren. Auf dem Dokument ist keine sichtbare Künstlersignatur verzeichnet, ebenso lässt die Bildunterschrift in der Publikation keinen Schluss darüber zu, wer das Bild entworfen hat. 317 Stilistisch weist die Illustration aber eine auffallende Nähe zu Mu-

Slavia. Starostlivým Matkám, Banka Slávie (Hrsg.), Prag 1934. Ausst. kat. San Diego 1998, S. 95. 312 Die folgenden Werke waren bisher nicht einsehbar: František Luska: Akú peclivost’ potrebuje Vaše diet’a, Banka Slávie (Hrsg.), Prag 1938; František Luska: Jakou péči potrebuje Vaše dítě, Banka Slávie (Hrsg.), Prag 19381, 19402 und 19413. 313 Dieses Gemälde sowie ein weiteres (die Darstellung eines Mädchens in lokaler Tracht; ohne Datierung) befinden sich heute im Besitz der Holdinggesellschaft PPF in Prag; mehr zur PPF s. Anm. 274. 314 Bei der Kirche könnte es sich möglicherweise um die St.-Nikolaus-Kirche (Kostel sv. Mikuláše) handeln. 315 Zum Fortschritt des Baues s. Kapitel 5.2.1. 316 F. X. Harlas: Der Dom zu Prag. Anlässlich der 900-jährigen Feier der Beendigung des ersten Umbaues der Sct. Veitskirche, in: Oster-Beilage der Politik, 5. April 1896, S. 2. 317 In der Publikation wird dem beschriebenen Dokument eine Lebensversicherung aus den 1870er Jahren gegenübergestellt und erklärt: „Vzorce pojistek životních z let sedmdesátých a z doby dnešní.“; dt.: „Beispiele von Lebensversicherungen aus den [18]70er Jahren und von heute.“, s. Banka Slávie 1919, S. 69. 310 311

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Der erste Entwurf: Slavia als Protagonistin

chas Dekorationen für den Pavillon von Bosnien und Herzegowina für die Weltausstellung des Jahres 1900 auf. 318 Insbesondere ist auf die Darstellung der Figuren hinzuweisen und hier speziell auf die verblüffende Ähnlichkeit der männlichen Gestalt der Lebensversicherung mit einigen der männlichen Figuren im Pavillon. Außerdem fällt die aureolenartige Umfassung von Slavias Kopf auf – eine der auffälligsten Eigenheiten von Muchas Werken seit seiner Zeit in Paris, die auf vielen seiner Panneaux und beispielsweise auch in der Publikation Ilsée 1897 hinter den Köpfen von Figuren zu sehen ist. Bei vielen seiner weiblichen Figuren, die mit einer solchen aureolenartigen Umfassung ausgestattet sind, ist von einer Erhöhung der Figur in Richtung Gottheit bzw. höhere Macht auszugehen. 319 Bei der Dekoration des Pavillons verzichtete der Künstler auf seine charakteristischen abstrakten und arabeskenähnlichen Linien und die nach dem Style Mucha gestalteten wallenden Haargebilde; diese hatten seine dekorativen Panneaux aus den Jahren davor in Paris stark geprägt. Er setzte stattdessen vermehrt aus der Natur stammende pflanzliche Dekoration ein: Blumen oder Rankpflanzen, die sich umeinander oder um Bäume winden; Äste, die eindrückliche Wirbel bilden; Schilfrohre, die die Augen des Betrachters lenken. Diese Merkmale scheinen sich in der Darstellung auf der Lebensversicherung zu wiederholen: Es gibt keinerlei abstrakte Arabesken oder Haargebilde, sondern ausschließlich pflanzliche Dekorationen, die das Auge lenken und dadurch einen wichtigen Teil der Bildkomposition bilden. Es ist in diesem Zusammenhang auf eine Fotografie aus der Publikation von 1919 der Banka Slávie zu verweisen, die die Hauptfassade des damaligen Versicherungssitzes in Prag zeigt. 320 Das Gebäude befand sich auf dem Havlíčkovo náměstí (heute: Senovážné náměstí) und wurde im Jahre 1901 vom Architekten Bedřich Bendelmayer konzipiert, die figürliche Dekoration an der Fassade wurde vom Bildhauer Antonín Popp entworfen. 321

Der Schmuck im Giebel zeigt eine Figur der Slavia, die in Gestik, Körperhaltung (mittige Platzierung vor einem Baum, mit einer Stadt im Hintergrund) und aureolenähnlicher Umfassung des Kopfes deutliche Ähnlichkeiten mit der Darstellung auf der Lebensversicherung aufweist. Sogar die Kombination der Slavia mit einer männlichen und einer weiblichen Figur sowie einem Kind ist gegeben; diese Figuren befinden sich jedoch auf der jeweils spiegelverkehrten Seite von Slavia. Der einzige wirkliche Unterschied ist, dass die Slavia auf dem Dokument eine Urkundenrolle in ihrer rechten Hand, die sie auf ihre rechte Hüfte stützt, hält; die Slavia im Gebäudegiebel stützt sich mit ihrer rechten Hand auf einen langen Stab auf. Obwohl die bildliche Komposition viele Übereinstimmungen aufweist, ist es doch offensichtlich, dass die stilistischen Merkmale auf zwei unterschiedliche Künstler hinweisen; der Gestalter der Giebelfiguren ist mit Sicherheit nicht derjenige, der die Darstellung auf der Lebensversicherung geschaffen hat. Es ist aber sehr wahrscheinlich, dass die beiden Werke in engem zeitlichem Abstand geschaffen wurden, möglicherweise weil die Banka Slávie ihr repräsentatives Erscheinungsbild vereinheitlichen wollte. Der Entwurf des Gebäude-Giebels ist höchstwahrscheinlich 1901 oder kurz davor entstanden. Die stilistische Nähe zu Muchas Dekoration des Pavillons von Bosnien und Herzegowina spricht für eine Datierung der Illustration auf der Lebensversicherung um 1899/1900. In den erwähnten Jahren gab es in der seitlichen Ansicht des Veitsdomes aber keine „Lücke“ mehr, wie sie von der Illustration auf der Lebensversicherung gezeigt wird. Die Dokumente des Dombauvereins verzeichnen bis zum Ende des Jahres 1897 große Fortschritte der Bauarbeiten für das noch fehlende Stück des Hauptschiffes; somit war der Zwischenraum zu dieser Zeit bereits bis zu einem gewissen Grad geschlossen. 322 Bereits ein Jahr zuvor muss die Baustelle des noch fehlenden Teilstücks komplett mit einem Gerüst überfangen gewesen sein, wie ein Bericht aus dem

Abbildungen s. Ausst. kat. München 2009, S. 210–231. Anna M. Dvořák: Alphonse Mucha. Book Illustrations and Mural Paintings, Diss. (masch.) University of North Carolina at Chapel Hill 1978, S. 25. 320 Banka Slávie 1919, S. 2. 321 Für weitere Informationen zum Architekten Bedřich Bendelmayer (1871–1932) s. Bedřich Bendelmayer (Autor „W.“), in: Umění (S. p. č. v. p.) Bd. 5 1932, S. 498 und 499; sowie „Bendelmayer, Bedřich“, in: Pavel Vlček: Encyklopedie architektů, stavitelů, zedníků a kameníků v Čechách, Prag 2004, S. 55. 322 V. Z. J. 1898, S. 12 und 13. 318

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Die Versicherungsgesellschaft Banka Slávie

Jahr 1896 zeigt. 323 Somit war bereits zu diesem Zeitpunkt kaum noch etwas von der die Türme und den Chor trennenden Lücke zu sehen. Im Jahr 1898 wurde die Galerie des Hauptschiffs abgeschlossen; es war aber noch ein provisorisches Dachgerüst über der noch offenen Stelle des Kirchenbaukörpers vorhanden, um den Innenraum zu schützen. 324 Im Jahr 1899 konnte dann das Schiff vollständig gedeckt werden. 325 Die beiden großen Fronttürme wurden im Jahre 1892 vollendet; insofern muss die Illustration danach entstanden sein. Der Künstler, der die Lebensversicherung gestaltet hat, verwendete also eine veraltete Ansicht des Veitsdomes. Es ist kaum anzunehmen, dass mit Absicht und in Kenntnis des Fortschritts an der sicherlich größten und prestigeträchtigsten Baustelle von Prag eine nicht mehr aktuelle Ansicht eines so wichtigen Kirchenbaues in die Darstellung integriert wurde. Dieser Umstand kann fast nur dadurch zustande gekommen sein, dass der Künstler zur fraglichen Zeit nicht in Prag gewesen ist, was vollends auf Mucha zuträfe: Seinen Lebensmittelpunkt hatte er immer noch in Paris und war in den betreffenden Jahren nicht regelmäßig in Prag. 326 Die Vorgehensweise, dass Mucha aus der Ferne in Paris ein Projekt für einen Auftraggeber in Prag erstellt, gab es bereits zuvor: Im Jahre 1889 hatte er die Illustrationen Odaliske an die Zeitschrift Zlatá Praha geschickt, diese wurden allerdings erst zwei Jahre später, zusammen mit den Versen von Jaroslav Vrchlický, veröffentlicht. 327 Auch die Illustrationen für Svatopluk Čechs Adamité, erschienen 1897 beim Verlag Simácek in Prag, erledigte Mucha in Paris und schickte die Entwürfe und die fertigen Illustrationen nach Prag. 328 Das im Jahre 1902 entstandene Plakat für die Ausstellung über Landwirtschaft, Industrie und Völkerkunde in Výskov entstand ebenfalls in Paris. 329 Somit würde Muchas Verpflichtung von Paris aus um das Jahr 1899/1900

keine Ausnahme darstellen, da er erwiesenermaßen nie alle Kontakte zu seiner Heimat abbrechen ließ. Die genannten Gründe ermöglichen somit zum ersten Mal eine Zuschreibung der Illustration auf der Lebensversicherung. Der Beginn der Zusammenarbeit zwischen Mucha und der Banka Slávie muss also, ausgehend vom bisher angenommenen Jahr 1907, um ca. acht Jahre früher angesetzt und um mindestens einen Auftrag erweitert werden. Möglicherweise ist eine weitere Verpflichtung für diese Versicherung im Katalog der Mucha-Ausstellung in der Stadt Hradec Králové des Jahres 1933 zu finden. Bei der Katalognummer 4 erhält der Leser folgende Information: „Čtyři návrhy na dekorativní malbu pro banku: alegorie obchodu, průmyslu, zemědělství a kultury, akvarely na papíře, každý 11,5 � 24,7 cm, z r. 1926“ (dt.: „Vier Entwürfe für eine dekorative Malerei für die Bank: Allegorie des Handels, der Industrie, der Landwirtschaft und der Kultur, Aquarelle auf Papier, je 11,5 � 24,7 cm, aus dem Jahr 1926“). 330 Wie bereits oben erwähnt, konnten sich Kunden der Banka Slávie im Jahre 1925 gegen folgendes versichern lassen: Schäden durch Brand, Hagel, Diebstahl und Einbruch, Glasbruch, Unfälle und Schäden an Maschinen und Geräten sowie an Verkehrsmitteln. Seit der Gründung der Banka Slávie im März 1868 war es eine ihrer Hauptaufgaben, Kapital und Renten auf gegenseitiger Basis zu versichern. Durch diese Tätigkeiten bzw. Ausrichtungen der Versicherungsbank ließen sich die vier allegorischen Darstellungen erklären, jedoch sind bis heute weder das Aussehen dieser Entwürfe noch weitere Informationen dazu oder gar die ausgeführten Gemälde zum Vorschein gekommen. In Muchas Schaffen sind keine weiteren Verpflichtungen für eine andere Versicherungsgesellschaft oder Privatbank bekannt, die den Wortlaut „pro banku“ (dt.: „für die Bank“) in der Beschreibung der Katalognummer 4 erklären könnten

F. X. Harlas: Der Dom zu Prag. Anlässlich der 900-jährigen Feier der Beendigung des ersten Umbaues der Sct. Veitskirche, in: Oster-Beilage der Politik, 5. April 1896, S. 2. 324 V. Z. J. 1899, S. 19 und 21. 325 V. Z. J. 1900, S. 4 und V. Z. J. 1902, S. 9. 326 Mucha 1965, S. 180. 327 Mucha 1965, S. 53. Mucha war seit Spätherbst des Jahres 1887 in Paris, s. Mucha 1965, S. 39. 328 Mucha 1966, S. 91 und 92. Der Beginn der Arbeit an Adamité wird von den Quellen in verschiedenen Jahren angesetzt: Mucha 1966a, S. 92 nennt das Jahr 1889, Derek Sayer nennt die frühen 1890er Jahre (Derek Sayer: The Coasts of Bohemia. A Czech history, Princeton (New Jersey) 1998, S. 148). 329 Abb. und Text s. Jack Rennert, Alain Weill: Alphonse Mucha. The complete posters and panels, Uppsala 1984, S. 302 und 303. 330 Ausst. kat. Hradec Králové 1933, S. 21, Katalognummer 4. 323

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Der erste Entwurf: Slavia als Protagonistin

und zeitlich passen würden – es ist nur ein Auftrag für die städtische Sparkasse in Nymburk bekannt. 331 Die Banka Slávie selbst nannte sich selbst in ihren Publikationen sehr oft nur „Banka“ (ohne weitere Hinweise auf Slavia oder auf die Tätigkeit als Versicherung), daher ist es möglich, dass auch Mucha diese Nennung übernommen hätte. Eine andere Deutungsmöglichkeit kann zwar nicht komplett ausgeschlossen werden, erscheint jedoch sehr unwahrscheinlich: Mucha entwarf die neuen tschechoslowakischen Banknoten. 332 Der 50-Kronen-Schein von 1929 gibt zwei Themen der Aquarelle wieder: einen Arbeiter mit einem Hammer und eine Bäuerin in Tracht mit Ähren und einer Sichel. Sie stellen eine Symbiose der beiden Landesteile Tschechien – mit der Darstellung der Industrie – und der Slowakei – mit der Landwirtschaft – dar. 333 Doch insgesamt machen die anderen überlieferten Themen der Aquarell-Entwürfe als Darstellungen auf Banknoten wenig Sinn, da diese auch auf anderen Geldscheinen nicht auftauchen – und die Symbiose als solche offensichtlich nicht auf den Aquarellen zu finden ist, sondern die Themen vom Künstler einzeln dargestellt wurden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich Muchas Engagement bezüglich der Banka Slávie dreiteilt: Die Kreation der Figur Slavia, zunächst wohl im Jahre 1899/1900 als Illustration für Dokumente und später als Plakat, spielt in der Repräsentation der Versicherung eine wesentliche Rolle und prägt insbesondere mit der Gestaltung des Plakats von 1907 maßgeblich das Bild der Banka Slávie nach außen. Es folgt in den Jahren 1928 bis 1931 das

Glasgemälde im Prager Veitsdom, das die Versicherung dem noch relativ jungen Staat zum 10-jährigen Jahrestag widmet. Die dritte Form der Zusammenarbeit zwischen dem Künstler und der Banka Slávie stellen die Buchillustrationen dar, woraus 1934 mindestens ein mit Muchas Zeichnungen versehenes Buch für junge Mütter entstand. Allen von Mucha für die Banka Slávie geschaffenen Werken ist gemeinsam, dass sie als Ziel haben, die Versicherungsbank in einer ganz bestimmten Art zu repräsentieren. Muchas Talent, ein positives Bild für ein Produkt zu erschaffen, das eigentlich visuell nicht spektakulär ist, wurde bereits in der Forschung hervorgehoben und ist bei den Werken für die Banka Slávie entscheidend. 334 Das Prager Glasgemälde stellt dabei inhaltlich einen Bruch zu den anderen Werken dar, da es keinen kommerziellen Charakter aufweist – nichtsdestotrotz aber eine große repräsentative Wirkung inne hat. Die Banka Slávie verwendete nicht nur Muchas Werke für repräsentative oder Werbezwecke. Der 1897 entstandene Radegast von Mikoláš Aleš wurde von der Versicherung für deren Kalender des Jahres 1932 benutzt, es wurde hier aber ein Werk „wiederverwendet“, das bereits existierte. 335 Bei allen Arbeiten von Mucha, die die Banka Slávie nutzte, handelt es sich aber um neue Schöpfungen, die ausschließlich zweckgebunden und zu diesem Anlass entstanden sind. Insofern stellt Muchas Engagement in der Geschichte der Banka Slávie eine große Ausnahme dar und zeigt seine herausragende Position und Bedeutung für die Versicherung.

Mitte der 1930er Jahre schuf Mucha für die städtische Sparkasse der Stadt Nymburk ein Gemälde, das allerdings inhaltlich überhaupt nicht zu den oben genannten Themenbereichen passt. Das Gemälde heißt Poddání Nymburka L. P. 1421 Bohu a pražanům (dt.: Die Unterwerfung Nymburks im Jahre des Herrn 1421 Gott und den Pragern). Mucha hat das historische Ereignis des Einzugs der Hussiten in die Stadt aufgegriffem. Die Entstehung dieses Gemäldes ist in einem Brief vom 7. Oktober 1935 dokumentiert, den Mucha an einen Chefarzt geschrieben hat. Dieser hatte den Künstler im Namen der Sparkasse beauftragt (s. Autographenhandlung Kotte PDF-Onlinekatalog 2014, S. 20, Nr. 43). 332 Mucha gestaltete einige Scheine der ersten Emission im Jahre 1918 und auch einige der zweiten Emission in den Jahren 1920 bis 1923. Später, in den Jahren 1927 und 1929, erschienen zwei weitere Banknoten mit seinen Entwürfen. Jedoch war der Schein von 1927 eine Wiederauflage einer 1919 erschienenen Banknote mit dem gleichen Wert. Für weitere Angaben zu den Banknoten s. Kapitel 7.5 und 12. 333 Abb. s. http://www.papirovaplatidla.cz/bankovky/bankovky-nbcs [6.1. 2020]. 334 Ausst. kat. San Diego 1998, S. 57. 335 Mikoláš Aleš, Miroslav Mičko, Emanuel Svoboda: Nástňné malby, Prag 1955, S. 122; Hana Volavková: Mikoláš Aleš. Kresby a návrhy, Prag 1975, S. 47. 331

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Die Weiterentwicklung der Slavia-Figur

7.4 Die Weiterentwicklung der Slavia-Figur Dieser Untersuchung muss vorausgeschickt werden, dass es – neben der Slavia von 1907 – weitere Slavia-Darstellungen im Werk des Künstlers gibt. Wie schon erwähnt war diese Figur ein in der bildenden und literarischen Kunst des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts weit verbreitetes Thema. Beispiele aus Muchas Werk, welche andersartige Darstellungen der Slavia zeigen, sind unter anderem zu sehen auf dem Plakat Jarní slavnosti pěvecké a hudební v Praze (dt.: Frühlingsfest des Gesanges und der Musik in Prag) von 1914 oder auf demjenigen für Slavnostní hra na Vltavě (dt.: Festspiele an der Moldau) von 1926. Ebenfalls findet sich in seinem Werk eine trauernde, ja sogar weinende Slavia auf dem Plakat für die Loterie Národní Jednoty pro jihozápadní Moravu (dt.: Volkslotterie des mährischen Süd-Westens) von 1912. 336 Eine weitere Slavia ist in Der Schwur von Omladina des Slawischen Epos von 1926 zu sehen: In einem Lindenbaum sitzend und mit gerader Körperachse hält sie ihren Kopf mit geschlossenen Augen nach oben gerichtet. Eine ebenfalls sitzende und mit einem weißen Gewand bekleidete Slavia-Darstellung stammt ungefähr aus dem Jahr 1920 und ist vor einem dekorativen Bogen aus Herzen platziert. 337 Damit hat sie eine gewisse Ähnlichkeit mit der Slavia des ersten Entwurfs, anstelle der Lindenblätter um den Kopf trägt sie eine weiße, haubenartige Kopfbedeckung, darüber einen Kranz aus Margeriten. Auch wählte Mucha hauptsächlich die drei slawischen Farben für den größten Teil der Darstellung. Gemeinsamkeiten zwischen den eben erwähnten Figuren und der Slavia von 1907 sind hauptsächlich in den verwendeten Attributen und Dekorationen zu finden, die die jeweilige Figur umgeben: Lindenblätter oder gar ein -baum (im Falle der trauernden Slavia ist es ein kahler Baum); Kränze oder schmale Reifen, die die Slavia in der Hand hält; die Farben Rot-Weiß-Blau bzw. Rot-Weiß beim Plakat für die mährische Lotterie; bunte Stoff-

bänder in den Haaren, als Dekoration der Kränze oder des Kleides. Die Gestaltung an sich ist jeweils eine komplett andere und die Figuren unterscheiden sich in Haltung und Position, Gestik, Ausdruck und Aussehen. Die Slavia von 1907 stellt in Ikonographie und Themenwahl innerhalb von Muchas Werk keine Besonderheit dar, und Mucha selbst reiht sich in eine lange Riege von Künstlern ein, die sich mit der Personifikation der Slawen auseinandersetzten. Aber keine der anderen Slavia-Darstellungen in seinem Werk hat je seriellen Charakter erhalten und fand als Figurentypus wiederholt in seinen Arbeiten Eingang. Daher verkörpert der 1907 entworfene Slavia-Typus ein einzigartiges Phänomen und bedarf deshalb besonderer Aufmerksamkeit.

7.4.1 Die Entstehung der zweiten Slavia Mucha verbrachte einen Großteil der Jahre 1904 bis 1913 in den Vereinigten Staaten, in dieser Zeit pendelte er immer wieder zwischen seiner Heimat und Nordamerika hin und her. 338 Später, von 1919 bis 1921, lebte die gesamte Familie Mucha für zwei Jahre in den Vereinigten Staaten. Die Orte, an denen sich Mucha hauptsächlich aufhielt, waren insbesondere New York, Chicago, Philadelphia sowie Lake Forest, ein wohlhabender Vorort von Chicago, und East Brewster auf Cape Cod, einer Halbinsel im Südosten von Massachusetts. Es ist an dieser Stelle festzuhalten, dass es zu Muchas Aufenthalt in den Vereinigten Staaten noch sehr viele offene Fragen gibt; unklar sind teilweise die exakten Daten der Ankunft und der Abreise, seine genauen Aufenthaltsorte, aber auch wichtige Details zu Aufträgen und Projekten, die er dort ausführte. Sogar der Verbleib von einigen Werken, die er in den USA schuf, ist bis heute gänzlich unbekannt. 339 Diese Quellenlage führte unerlässlich zu

Abb. s. Rennert/Weill 1984, S. 343. Die Lotterie diente zur Förderung von mährischen Schulen, da die slawischen Minderheiten während der österreichisch-ungarischen Herrschaft viele Einschränkungen erdulden mussten. 337 Abb. s. Gail Naughton: Alphonse Mucha. Visionary Designer – Epic Artist (Slovo. A publication of the National Czech & Slovak Museum & Library, Bd. 1), Iowa 2012, S. 27. 338 Für weitere Angaben s. Anhang/Neue Erkenntnisse zu den USA-Aufenthalten Kapitel 15. 339 Beispielsweise ist der Verbleib von folgenden Werken nicht geklärt: die Porträts von Madame Bergès (1900, Öl auf Leinwand), Mrs. Wissman (1904, Öl auf Leinwand), die Gemälde und das grosse Fenster für das Deutsche Theater in New York (1908); s. Ausst. kat. San Diego 1998, S. 32, 33, 38. 336

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Der erste Entwurf: Slavia als Protagonistin

einer neuen Untersuchung, die im Anhang aufgeführt wird. 340 Die einzige Veröffentlichung, die sich intensiv mit dieser Zeit Muchas auseinandersetzt, ist die Masterarbeit von Anna Daley mit dem Titel Alphonse Mucha in Gilded Age America 1904–1921 von 2007. Eine mindestens ebenso wichtige Quelle für viele Antworten stellt die großzügige Unterstützung von Mitgliedern der Familie Crane-Bradley dar, insbesondere von Mrs. Margaret Timmerman (geb. Bradley). 7.4.1.1 Die Arbeiten Muchas im Auftrag von Charles R. Crane Charles Richard Crane (1858–1939) war ein amerikanischer Industrieller, der eine der damals größten Sanitärfirmen auf dem Weltmarkt besaß. Er hatte mit seiner Frau Cornelia vier Kinder, die das Erwachsenenalter erreichten: Frances Anita (Leatherbee, Masaryk; 1889–1954), Mary Josephine (genannt Josephine; Crane-Bradley, 1886–1952), Richard (Richard Teller Crane III.; 1882–1938) und John Oliver (1900–2000). 341 Crane hatte ab spätestens 1903 einen Wohnsitz in New York, zuvor hatte er in Chicago gelebt. 342 Crane war durch seine beruflichen Tätigkeiten weltweit unterwegs, politisch interessiert und als Philanthrop bekannt. Sein großes Interesse galt der asiatischen, der arabischen, aber auch der slawischen Welt und Kultur. Seit den 1890er Jahren war er eng mit Tomáš Garrigue Masaryk befreundet, der später als erster Präsident der Tschechoslowakei in die Geschichtsbücher eingehen sollte. 343 Einige Jahre später lernte er Mucha kennen. Aufgrund der finanziellen Unterstützung Cranes konnte sich Mucha seinen Lebenstraum erfüllen und sein 20teiliges

Slawisches Epos ausarbeiten. Daher ist dieser Freundschaft eine immense Bedeutung in Muchas Leben und Schaffen beizumessen, weshalb die Beziehung zwischen den Männern und deren Auswirkungen auf Muchas Werke im Folgenden ausgeleuchtet werden muss. In ihre Anfangsphase fällt auch die Erschaffung des Porträts von Cranes Tochter Josephine als Slavia. Durch Details, die Jiří Mucha im Zusammenhang mit dem ersten Zusammentreffen von Mucha mit Crane nennt, und den Abgleichen mit anderen Dokumenten ist nun eine genaue Datierung möglich: Das erstmalige und folgenreiche Aufeinandertreffen von Mucha und Crane muss sich am 30. April 1904 ereignet haben. 344 Rund eineinhalb Jahre später trafen sie sich gemäß den Berichten von Jiří Mucha zufälligerweise wieder. 345 Es müsste sich also, ausgehend vom Bankett am 30. April 1904, um den ungefähren Zeitraum Oktober/November 1905 gehandelt haben. Am 22. November 1905 kam Mucha zum dritten Mal in den Vereinigten Staaten an. 346 Er hatte eine Vorlesungsverpflichtung an der New York School of Applied Design for Women übernommen, sein hauptsächlicher Aufenthaltsort war deshalb vermutlich in dieser Zeit New York. Muchas Sohn schreibt jedoch, dass das Wiedersehen in Chicago stattgefunden habe. 347 Der erste Hinweis auf Projekte Muchas im Zusammenhang mit dieser Stadt findet sich in einem Brief vom 25. April 1906 an seine spätere Frau, als er ihr mitteilt, eine Verpackung für Seife einer Chicagoer Firma entworfen zu haben. 348 Jiří Mucha berichtet weiter, dass sich rasch nach dem zufälligen Wiedersehen zwischen Crane und

s. Anhang/Neue Erkenntnisse zu den USA-Aufenthalten Kapitel 15. Mittels Hinzuziehen von Jiří Muchas Monographien und zeitgenössischen Berichten beispielsweise aus der Tagespresse oder anderen Dokumenten können die Ergebnisse von Anna Daley maßgeblich ergänzt oder in einigen Fällen sogar korrigiert werden. 341 Norman E. Saul: The Life and Times of Charles R. Crane, 1858–1939. Businessman, Philanthropist, and a Founder of Russian Studies in America, Maryland 2013, S. 25. 342 Cranes Wohnung befand sich 31–33 West 12th Street (das Gebäude trägt auch heute noch den Namen Ardea); hier brachte er auch regelmäßig Gäste unter. Während der ersten Jahre in New York blieben aber für die Familie Crane Chicago (Michigan Avenue) und Lake Geneva der Hauptwohnsitz; s. Saul 2013, S. 27. 343 Nach dem Entstehen der Tschechoslowakei mit Masaryk als Präsident wurde Richard Crane, der Sohn von Charles R. Crane, zum Botschafter der Vereinigten Staaten in Prag ernannt. Die Tochter Frances Crane heiratete Masaryks Sohn Jan, s. Mucha 1986, S. 448–451. 344 s. Anhang/Neue Erkenntnisse zu den USA-Aufenthalten Kapitel 15. 345 Mucha 1965, S. 234. Zum möglichen Anlass des Wiedersehens gibt es keine weiteren Anhaltspunkte. 346 s. Anhang/Neue Erkenntnisse zu den USA-Aufenthalten Kapitel 15. 347 Mucha 1969, S. 284; Mucha 1994, S. 366. 348 Mucha 1965, S. 215 und 216. Die Seifenverpackung bestand aus vier kleinen Panneaux mit je einer Figur und verschiedenen Blumen. 340

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Die Weiterentwicklung der Slavia-Figur

Mucha eine enge Freundschaft zwischen den beiden Männern entwickelt habe. 349 Während des ersten Aufenthaltes von Mucha zusammen mit seiner frisch angetrauten Ehefrau (ab Oktober 1906) besuchten sie Anfang des Jahres 1907 in New York drei wichtige Kunstsammlungen. Die von Charles Richard Crane war eine davon, es war wohl auch das erste Mal, dass Muchas Frau Maruška auf Crane traf. Sie war über die Bekanntschaft mit Crane begeistert und bewunderte ihn für seine Kultiviertheit und Intelligenz, wie Briefe an Bekannte dokumentieren. 350 7.4.1.2 Das Porträt von Josephine Crane-Bradley, 1908 Eine große Gemeinsamkeit zwischen Crane und Mucha war sicherlich das Interesse an der slawischen Welt. Diese gemeinsame Begeisterung gipfelte schließlich in der Finanzierung des 20teiligen Slawischen Epos durch den amerikanischen Millionär. Es ist nicht ganz klar, wann in Mucha die Idee gereift ist, Crane um die Finanzierung seines Epos zu bitten; das erste diesbezügliche Gespräch zwischen ihnen muss sich in der Zeit zwischen Oktober 1906 und Frühling oder Juni 1909 zugetragen haben. 351 Die Zusage Cranes, dass er Muchas Slawisches Epos finanzieren werde, folgte an Weihnach-

ten 1909 und wurde Mucha in einem Telegramm übermittelt. 352 In der Zwischenzeit hatte Mucha zwei Porträts von den Töchtern Cranes begonnen, das erste Porträt Anfang des Jahres 1908. Es befindet sich heute in der Nationalgalerie in Prag, zeigt Cranes Tochter Josephine als Slavia und datiert auf 1908 (Abb. 12). 353 Das Gemälde der Josephine CraneBradley gilt als das beste, in den Vereinigten Staaten entstandene Porträt von Mucha – und dies, obwohl die inhaltliche Aussage noch nie eingehend untersucht worden ist. 354 Jiří Mucha schreibt zu diesem Porträt in seiner Monographie: „Als dieser [Charles R. Crane] für seine ältere Tochter Josephine ein Haus [in Madison, Wisconsin] bauen ließ, bestellte er bei Vater das Bild Slavia, dessen Platz schon in den Plänen zu dem Haus eingezeichnet war.“ 355 Das sogenannte First Bradley House war ein Geschenk von Crane zur Hochzeit seiner Tochter Josephine mit Herold Cornelius Bradley am 8. Juli 1908. Es wurde im Jahre 1909 fertiggestellt. 356 In den Plänen des Hauses findet sich im „Dining room“ an der nördlichen Wand ein „Space for picture“. 357 Josephine Crane-Bradley und ihr Ehemann zogen jedoch schon relativ bald nach der Fertigstellung des First Bradley House in ein anderes Haus

Mucha 1965, S. 234. Daley 2007, S. 48 und 49. 351 Jiří Mucha schreibt hierzu: „Schon bei seinem letzten Aufenthalt in den Vereinigten Staaten hatte er mit Mr. Crane über sein Vorhaben gesprochen, ein Slawenepos zu malen. Die Idee gefiel Crane, und er gab ihm zu verstehen, dass er ein solches Werk unterstützen würde.“ Nach seiner Rückreise nach Europa war er in Rosice und zeichnete dort die ersten Skizzen für drei Gemälde. Im November 1909 zeigte Mucha Crane die Entwürfe und Fotografien, die er zur Dokumentation gemacht hatte (Mucha 1965, S. 241). Eine Datierung des ersten Gesprächs scheint also in die Zeit seines insgesamt vierten Aufenthaltes zu fallen; die ersten Entwürfe bekam Crane wohl während des fünften Aufenthaltes zu Gesicht. 352 Mucha 1965, S. 244. 353 Nationalgalerie Prag, Inv. Nr. O 3978; 154 � 92,5 cm; Öl und Tempera auf Leinwand. Das Portrait war ein Geschenk der University of Wisconsin im Jahre 1949 (freundliche Mitteilung von Mgr. Veronika Huliková, Kuratorin der Sammlung des 19. Jahrhunderts der Nationalgalerie Prag am 24. 3. 2014). 354 Einen kurzen Einblick geben Robin Gibson (Ausst. kat. Painting the Century. 101 portrait masterpieces 1900–2000, London: National Portrait Gallery, 2000, Robin Gibson (Hrsg.), London 2000, S. 66) sowie Jana Brabcová-Orlíková (Jana Brabcová-Orlíková: Alfons Mucha (Malá Galerie, Bd. 54), Prag 1996, S. 57). 355 Mucha 1965, S. 235. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass Mucha selbst in Madison (Wisconsin) gewesen ist – das Gemälde kam vermutlich über den Vater von Josephine, Charles R. Crane, von Cape Cod nach Chicago und dann später nach Madison. 356 s. The Old-House Journal, Bd. 1 2005, S. 56; The Journal of Historic Madison Bd. 2 1975, S. 55; Saul 2013, S. 87. Die Hochzeit von Josephine Crane mit Harold Cornelius Bradley fand in Lake Geneva (Wisconsin) statt, s. Wisconsin Historical Society 2014. Das First Bradley House befindet sich an der 106 N. Prospect Ave. in Madison, Wisconsin. Es wurde von den Architekten Louis Sullivan und Grant Elmslie entworfen. Seit 1915 ist es Teil der University of Wisconsin-Madison (freundliche Mitteilung von Maria Saffiotti Dale, Kuratorin des Chazen Museum of Arts, University of Wisconsin-Madison). 357 Die Grundrisspläne des Hauses sind online abrufbar auf der Seite der University Library of Illinois at Urbana-Champaign. Der Grundriss des Erdgeschosses ist auf den 8. Juli 1909 datiert; die Maßangaben des Esszimmers betragen ca. 6 � 6,4 m bei einer Höhe von 3 m. An der Nordseite des Esszimmers befindet sich der Hinweis „Space for picture“, dieser Wandabschnitt ist ungefähr 3,5 m breit. 349 350

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Der erste Entwurf: Slavia als Protagonistin

(Second Bradley House), das ebenfalls in Madison erbaut wurde. 358 In diesem Haus befand sich das Gemälde, wie sich der Sohn von Josephine CraneBradley (und Onkel von Margaret Timmerman), Richard C. Bradley, erinnert, im Eingangsbereich des Hauses am unteren Ende der Treppe des Erdgeschosses, sodass Besucher von Muchas Porträt begrüßt wurden. 359 Gemäß den Angaben von Josephines Sohn befand sich das Gemälde seit seinen frühesten Erinnerungen (ca. 1926) bis 1947 ohne Unterbrechung dort. Im Jahre 1949 gelangte das Gemälde an die Nationalgalerie in Prag, wo es sich noch heute befindet. 360 Zwischen 1947 und 1949 befand es sich im Besitz der University of Wisconsin-Madison, jedoch finden sich bei dieser Station des Gemäldes keinerlei Hinweise zu den Umständen und dem Zeitpunkt des Eingangs. 361 Das Gemälde – es handelt sich dabei nicht um ein Porträt im engeren Sinn – zeigt Josephine CraneBradley als Slavia. Und zwar als ein Abbild des Firmenzeichens für die Banka Slávie von 1907. Bei genauerer Betrachtung der beiden Figuren erkennt man nur in der Haltung des Kopfes sowie im Gesicht Unterschiede: Beim Porträt von Josephine Crane-Bradley hat Mucha verständlicherweise

auf die charakteristischen Züge seiner übersinnlichen und unnahbaren Panneaux-Frauen verzichtet und ein lebensnahes Porträt kreiert. Deutlich erfasst der Betrachter die individuellen Züge von Josephine Crane-Bradley, die zum Zeitpunkt des Porträts 22 Jahre jung war. Äußerst frappant sind die Übereinstimmungen mit einer Fotografie, die kurz vor 1900 entstanden sein muss und Josephine in der Mitte ihrer Familie zeigt (Abb. 14). Die Kopfform, die Augenpartie, die Nase sowie das leicht markante Kinn sind identisch – das Gesicht der damals etwa 13-jährigen Heranwachsenden ist gemäß ihrem Alter auf der Fotografie aber noch deutlich schmaler. Es ist wahrscheinlich, dass Mucha als Vorlage für das Porträt eine Fotografie zur Verfügung gestellt bekam oder Josephine selbst fotografiert hat; denn schließlich sollte das Porträt zusammen mit dem Haus ein Geschenk von Josephines Vater zu ihrer Hochzeit mit Herold Cornelius Bradley sein – ein Geschenk, von dem sie möglicherweise nichts wusste. 362 Bekannt ist zudem, dass Mucha an diesem Gemälde arbeitete, als er in East Brewster auf Cape Cod war, also rund 1500 km Luftlinie entfernt vom späteren Aufstellungsort. 363 Sehr viele Details der Darstellung Josephines entsprechen dem Plakat der Banka Slávie; daher ist

Das Second Bradley House wurde 1914 fertig gestellt und von den Architekten William Purcell und George Elmslie entworfen (s. Hammons 2014). Freundlicher Hinweis von Margaret Timmerman und Richard C. Bradley vom 23. 4. 2014. 360 Freundliche Nachricht von Mgr. Veronika Huliková, Kuratorin der Sammlung des 19. Jahrhunderts der Nationalgalerie in Prag am 24. 3. 2014. 361 Freundliche Mitteilungen von David Null, Direktor der University Archives, University of Wisconsin-Madison am 26. 3. 2014. Im Jahre 1948 verkaufte die Familie Crane-Bradley das Second Bradley House; möglicherweise hängt der Zeitpunkt der Übergabe des Gemäldes an die University of Wisconsin-Madison mit dem Verkauf des Hauses zusammen. Ein plausibler Grund, weshalb das Gemälde an die dortige Universität gelangt ist, ergibt sich aus der langjährigen Tätigkeit von Harold C. Bradley an der University of Wisconsin-Madison: Er war Professor für Chemie und auch Josephine hatte dort gearbeitet und war (vermutlich bis zur Hochzeit) „assistant professor“. Sie lernten sich kennen, als Josephine noch eine Studentin war (s. Miss Crane to Wed Her Tutor July 8. Ceremony Will Take Place on Lawn at Lake Geneva Summer Home (unbekannter Autor), in: Chicago Examiner, 1. 7.1908, S. 4). 362 Mucha besaß seit dem Jahr 1880 eine Kamera und machte in Wien die ersten Aufnahmen. Ihm diente das fotografische Festhalten eines Momentes, einer bestimmten Pose oder Haltung, immer als Hilfselement für seine Werke; nie waren die Fotografien in seinen Augen selbstständige Arbeiten. Dies wird auch daraus ersichtlich, dass er nachlässig mit deren Archivierung umging (s. Daniela Mrázková: Cesty československé fotografie, Prag 1989, S. 34 und 35). Auch viele Fotografien von Muchas Reisen sind erhalten, die beispielsweise Menschen in landestypischer Kleidung oder Bauwerke zeigen und die er dann gemäß den Fotografien in seine Werke übernahm. 363 Cape Cod ist eine Halbinsel von Massachusetts mit mehreren Ortschaften. Hier hatte er bereits den Sommer 1907 im Sommerhaus der mit ihm befreundeten Familie Nickerson in East Brewster verbracht (Mucha 1965, S. 227). Damit ist vermutlich die sog. Nickerson Mansion an der 2871 Main Street in East Brewster gemeint, in der zu dieser Zeit die Witwe Addie Nickerson zusammen mit ihrem Sohn Samuel lebte (https://npgallery.nps. gov/AssetDetail/NRIS/86000300; [9.11. 2020]). Auch im Jahr 1908, als er an dem Gemälde von Josephine Crane-Bradley arbeitete, hatte ihm die Familie Nickerson gemäß Jiří Mucha wieder das Bootshaus zur Verfügung gestellt. Es befand sich am Meeresstrand und unweit des Hauses der Nickersons. Darin hatte Mucha ein Atelier eingerichtet und arbeitete ebenfalls an den Gemälden für das Deutsche Theater in New York. Mucha erhielt dort des Öfteren Besuch von Charles Richard Crane, der von seiner ebenfalls auf Cape Cod befindlichen Sommerresidenz in Woods Hole kam und ab und zu Woodrow Wilson mitbrachte (Mucha 1965, S. 227 und Mucha 1966b, S. 238). Ich danke Heidi Scheffler, East Brewster, herzlich für ihre hilfreichen Hinweise. Im Jahr 1908 soll Mucha wohl auch in einem Bootshaus von Charles R. Crane in Woods Hole gelebt haben (s. Notz 2004, o. S.), doch leider lassen sich keine näheren Angaben wie Zeitpunkt und Dauer finden. Das Bootshaus muss die Sommerresidenz der Familie Crane auf Cape Cod (in Woods Hole) oder zumindest ein Teil davon gewesen sein (s. freundliche Mitteilung von Margaret Timmerman vom 23. 5. 2014; s. ebenfalls Les Garrick: The Coonamessett Ranch Company and the Crane Family Circle, in: Cape Cod Life, Bd. 2 (2007) und Saul 2013, S. 27). 358

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Die Weiterentwicklung der Slavia-Figur

es einfacher, sich auf die Unterschiede zu konzentrieren: Mucha hat bei Josephines Porträt eine gerade Ausrichtung des Kopfes gewählt, sodass sie dem Betrachter auf gleicher Ebene und Auge in Auge gegenüber tritt und damit sehr viel näher sowie lebendiger erscheint als die unnahbare und hieratische Slavia der Versicherungsgesellschaft. Er fügte beim Porträt der Josephine Crane-Bradley einige Elemente hinzu, so finden sich beispielsweise auf ihrem Schoss insgesamt drei kleine blau-schwarze Vögel mit weißem Bauch und rötlich-brauner Kehle (von einem ist nur der Schnabel, ein Teil des Kopfes und ein Flügelansatz zu erkennen). Ein weiterer großer schwarzer Vogel, wohl ein die Flügel spreizender Adler, befindet sich zu Füßen von Josephine, daneben einige Pilze und eine kleine weiße Blume – an dieser Stelle befindet sich bei der Slavia von 1907 das leere Feld für die Werbebotschaft. Der Hintergrund von Josephine, unterhalb des Zierbogens, ist überwiegend himmelblau und weist keine weiteren Lindenblätter auf. Muchas Sohn überliefert ein weiteres interessantes Detail in Zusammenhang mit dem Porträt der Josephine: Als Crane in einem Telegramm zu Weihnachten 1909 die Finanzierung des Epos bestätigt, fügt er auch einen Wunsch hinzu, der das Porträt betrifft:

„Tell Mucha everything satisfactory see Roger Williams. Like Slavia have a musical symbol.“ 364 Das Telegramm ist überliefert in einem Brief vom 25. Dezember 1909 von Mucha an seine Familie. Erklärend fügt er, nachdem er das Telegramm abgeschrieben hat, Folgendes hinzu: „[…]. Außerdem möchte er [Crane], dass ich der Slavia, die er zu Hause hat, noch ein Symbol der Musik hinzumale. Die Musik hatte ich völlig vergessen. Ich werde es gleich tun, sobald ich das Porträt vollendet habe.“ 365 Diese Textstelle kommt allerdings nur in der deutsch- sowie in der englischsprachigen Publikation von 1965 und 1966 vor – die späteren Fassungen enthalten diesen Brief und das komplette Telegramm Cranes nicht. 366 Mit dem „Porträt“ meinte Mucha wohl dasjenige der Schwester Frances Anita Leatherbee, das er im Frühling 1909 begonnen hatte. 367 Was von Crane im englischen Telegramm als „musical symbol“ und von Mucha selbst ebenso bezeichnet wird, wird an anderer Stelle von Jiří Mucha in der deutschsprachigen Monographie von 1965 zu einem „Musikinstrument“, das sie „in der Hand hält“, und in der englischen Fassung von 1966 zu einem „musical instrument“. 368 Diese Bezeichnung kommt, wie bereits der Brief und die Abschrift des

Das gesamte Telegramm lautet: „From Cairo 24th – Leatherbee Lakeforest Illinois – Merry Christmas Leatherbees, Smiths, Cranes, Mucha. Tell Mucha everything satisfactory see Roger Williams. Like Slavia have a musical symbol. Spending Christmas pyramids. Love father, mother, John.“ Mucha feierte Weihnachten in Lake Forest bei Chicago im Hause von Josephines Schwester, Frances Anita Leatherbee, und ihrer Familie. Die Formulierung „Tell Mucha everything satisfactory […]“ bezieht sich auf Muchas Vertragsentwurf zur Finanzierung des Slawischen Epos, den ihm Mucha im November/Dezember 1909 gegeben hatte – Crane hatte ihn auf die Reise nach Ägypten mitgenommen, um ihn zu prüfen. Roger Williams war der Sekretär von Charles R. Crane (s. Mucha 1965, S. 244; Mucha 1966b, S. 248). 365 Mucha 1965, S. 244. Mucha hatte das Porträt von Josephine Crane-Bradley gemäß den Angaben von Jiří Mucha bereits im selben Jahr vollendet, s. Mucha 1994, S. 366 und 367. 366 Dieselbe Textstelle in der englischsprachigen Fassung der Monographie von 1966: „[…] It also means that he would like me to paint a musical symbol on the Slavia which he has at home.“ (Mucha 1966b, S. 248 und 250). Das Telegramm ist in beiden Werken auf Englisch wiedergegeben, was wohl dem originalen Wortlaut entspricht. Der originale Wortlaut von Muchas Briefen, aus denen sein Sohn zitiert, ist wohl in tschechischer Sprache. Die Dokumente des Künstlers sind bisher noch nicht aufgearbeitet und publiziert worden (s. Ausst. kat. München 2009, S. 17; freundliche Mitteilung von John Mucha). 367 Man kann davon ausgehen, dass es sich um ein Porträt im Zusammenhang mit der Familie Crane handelt, denn die Textstelle aus dem von Jiří Mucha zitierten Brief behandelt ausschließlich Details zum Slawischen Epos und anderen Angelegenheiten, bei denen die Cranes mit Mucha zu tun hatten (Mucha 1965, S. 244). Mucha fertigte aber bloß zwei Porträts aus der Crane-Familie an; eines von Josephine und eines von der Schwester Frances Anita Leatherbee. Im Gegensatz zum Porträt von Josephine/Slavia, wo er mit einer Tempera-Öl-Mischtechnik arbeitete, war das Gemälde der Schwester ein reines Ölgemälde und bereitete dem Künstler, wohl wegen mangelnder Erfahrung mit reinen Ölgemälden, große Schwierigkeiten, sodass er es erst im Jahre 1913 beenden konnte. Robin Gibson nennt das Porträt von Frances Anita Leatherbee wegen der Probleme gar „an artistic tour de force“ (Ausst. kat. London 2000, S. 66; s. auch Mucha 1965, S. 234, 235, 237, 244, 249 und 250; Mucha 1966b, S. 238 sowie Alphonse Mucha, World-Famed Artist, Here to Put Happiness in Mrs. Leatherbee’s Portrait (unbekannter Autor), in: Chicago Examiner, 24. 2.1913, S. 9). Am 5. März 1913 ist einer Tageszeitung zu entnehmen, dass er noch in der aktuellen Woche das Porträt von Mrs. Leatherbee fertigstellen und nach Prag zurückreisen wird, s. Finishes Portrait To-Day (unbekannter Autor), in: Chicago Examiner, 5. 3.1913, S. 9. 368 Mucha 1966b, S. 239; Mucha 1965, S. 235. 364

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Der erste Entwurf: Slavia als Protagonistin

ganzen Telegramms, nur in den beiden Publikationen von 1965 und 1966 vor. Die genannte Formulierung hat auch schon andere Kunsthistoriker dazu gebracht, sich auf die Suche nach einem solchen Instrument in dem Gemälde zu machen, so auch Robin Gibson, der im Jahre 2000 diesbezüglich eine nicht korrekte Schlussfolgerung zieht. Er schreibt: „This portrait […] began life as a poster in 1907 for the Czech bank insurance house Slavia […]. The painting that he [Mucha] completed in 1908 differs principally in the primitive, tambourine-like instrument she [Josephine Crane-Bradley] holds which was apparently added on Crane’s instructions in 1910.“ 369 Aus dieser Bemerkung ist zu folgern, dass Gibson den Ring in der Linken Josephines für ein „tamburinähnliches“ Instrument hält (mit ihrer Rechten hält sie nur Stoffbänder zusammen). Es handelt sich dabei aber um den Ring der Einheit, den Mucha auch dem Slavia-Typus der Versicherung von 1907 in die gleiche Hand gegeben hatte: ein dünner kreisrunder Reifen; die Handhaltung der Figur, die Dicke des Reifens, seine Position und Größe im Vergleich zur Figur sind in beiden Fällen dieselben. 370 Somit unterscheiden sich die beiden Slavia-Figuren diesbezüglich überhaupt nicht. Außerdem weist der Ring, der von Josephine Crane-Bradley in ihrer linken Hand hochgehalten wird, auch ikonographisch keinerlei charakteristische Merkmale eines Tamburins wie Metallplättchen oder eine Bespannung mit Leder auf – durch den schlichten Reifen hindurch kann der Betrachter bis auf den Bildhintergrund schauen.

Das „Symbol der Musik“ wurde auf Cranes Wunsch hin gemäß den Angaben von Jiří Mucha noch im Jahre 1910 hinzugefügt. 371 Dass Mucha diese Änderung letztendlich nicht ausgeführt haben könnte, ist sehr unwahrscheinlich. Er hätte sicherlich jeden Wunsch Cranes bezüglich des Porträts erfüllt, denn er war ihm zum Zeitpunkt des Änderungswunsches wegen der Finanzierung des Epos zu großem Dank verpflichtet. Die Tatsache, dass ein mit Musik zusammenhängendes Objekt hinzugefügt werden sollte, scheint auf den ersten Blick nicht besonders außergewöhnlich zu sein, doch Josephine Crane-Bradley war taub 372 – und dies lässt den Wunsch ihres Vaters eigenartig oder gar abwegig erscheinen. Seine Tochter hatte diese Beeinträchtigung, seit sie als kleines Kind krank gewesen war, jedoch konnte sie dank intensiven Stimmtrainings sehr gut sprechen und war eine hervorragende Tänzerin, obwohl sie die Musik nicht hörte. 373 Die Zuwendung Josephines zu dieser Aktivität könnte den Wunsch von Charles R. Crane erklären, jedoch erscheint das „Symbol der Musik“ auch Margaret Timmerman und anderen Familienmitgliedern mysteriös. 374 Interessant ist auch, dass Mucha nicht die Tätigkeit des Tanzens selbst – etwa durch Tanzschuhe – dargestellt hat. Dies würde möglicherweise manchem Betrachter mit dem Wissen über Josephines Taubheit einleuchtender erscheinen, als direkt mit der bildlichen Darstellung auf ebendiese Beeinträchtigung hinzuweisen. 375

Ausst. kat. London 2000, S. 66. Für weitere Informationen zum Ring der Einheit s. Kapitel 7.3.2.2. 371 Mucha 1965, S. 235. Es geht aus Jiří Muchas Schilderung aber leider nicht hervor, woher er diese Information hat. 372 Freundliche Mitteilung von Margaret Timmerman am 23. 4. 2014. 373 „She [Josephine] received expert voice training and became adept at lip reading, to the extent that many people, meeting her, did not realize that she was deaf, and she became a very accomplished dancer – without hearing the music.“ (Saul 2013, S. 27). Die öffentliche Presseberichterstattung machte aus Josephine Crane oft eine Taubstumme, obwohl sie problemlos sprechen konnte (Saul 2013, S. 26, 27 und 115, Anm. 33). Hingegen lassen sich bei Jiří Mucha keine Hinweise auf Musik bezüglich Josephine finden. 374 Freundliche Mitteilung von Margaret Timmerman am 23. 4. 2014. Hingegen lassen sich für Charles R. Crane zahlreiche Verbindungen zur musischen Kunst finden. Sein Interesse diesbezüglich wird unter anderem beschrieben in: Saul 2013, S. 40 und 67 („[…], Crane was virtually overwhelmed by his esposure to Russian culture, especially the Slavic folk music and Orthodox church choirs, […].“ und: „Crane […] had mutual interests, however, in Russian Orthodox Church music and would collaborate on developing an American appreciation of it over a number of years.“); Crane Company 2005, S. 31 („He [Charles R. Crane] began a lifelong quest to educate himself fueled not only by travel, but also by a voracious appetite for books on art and music […].“). Auch Hapgood betont die Zuneigung Cranes zu russischen Volksliedern und schreibt, dass Crane sogar viele Jahre einen aus russischen Immigranten bestehenden Chor in den Vereinigten Staaten unterstützt habe (s. David Hapgood: Charles R. Crane. The Man Who Bet on People, Hanover (New Hampshire) 2000, S. 22 und 23). Bei Muchas Sohn finden sich sogar weitere Angaben hierzu: So soll es ein Symphonieorchester in New York gegeben haben, dass Crane gänzlich finanzierte (Mucha 1986, S. 452). 375 Da die Familie Crane zur politischen und wirtschaftlichen Oberschicht gehörte und regelmäßig in den Medien auch über ihr Privatleben berichtet 369 370

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Die Weiterentwicklung der Slavia-Figur

Wenn man die aktuelle Fotografie des Prager Nationalmuseums mit einer alten, schwarz-weißen Fotografie des Gemäldes von Josephine als Slavia vergleicht, die Jiří Mucha 376 (Abb. 13) veröffentlicht hat, so stellt man zwei kleine Unterschiede fest: Bei der schwarz-weißen Fotografie befindet sich unterhalb der Schwertklinge nichts – bei der Fotografie des heutigen Gemäldes kann man einen hölzernen Gegenstand erkennen. Genauso verhält es sich mit dem Raum hinter dem Griff des Schwertes: Die alte Fotografie zeigt an dieser Stelle nur Pflanzenblätter, Teile des Kleides und Bänder. Das Gemälde zeigt aber genau an dieser Stelle einen unauffälligen, goldbraunen Gegenstand. Die Farbe wirkt beinahe so, als wäre er aus Metall oder zumindest von Metall umgeben. Da es sich um die einzigen Unterschiede im Gemälde handelt, muss es sich dabei um das später hinzugefügte Musikinstrument handeln. Eine Gitarre mit einem runden Korpus käme dabei in Frage; der hölzerne Gegenstand unterhalb der Schwertklinge wäre dabei der mit einem Vogelschnabel verzierte Kopf der Gitarre. Sie ist – im Vergleich zu der gesamten Komposition – sehr unauffällig und dezent in die Darstellung eingesetzt, was wiederum erklärt, weshalb sie bisher noch nie erkannt worden ist. Der hölzerne Gitarrenkopf mit dem Vogelschnabel könnte ohne Weiteres für einen „Halter“ der langen Schwertklinge gehalten werden; der goldene Gitarrenkorpus im Schoss von Josephine fällt ohnehin kaum auf, da das Kleid einen goldbeigen Farbton hat und der goldene Knauf sich genau an dieser Stelle befindet. Die schwarz-weiße Fotografie, die Jiří Mucha publiziert hat, muss also eine alte Fotografie seines Vaters gewesen sein. Er hat sein Werk vermutlich kurz nach der (vermeintlichen) Vollendung abgelichtet, bevor ihn Crane um das Hinzufügen des Musikinstruments bat.

7.4.1.3 Die weitere symbolische Botschaft des Porträts von Josephine Crane-Bradley Zu sehen sind auf Slavias/Josephines Schoss drei Schwalben, genauer gesagt Rauchschwalben. Schwalben gelten als Inbegriff der Auferstehung, des Frühlings und der Hoffnung. Bei ihnen handelt es sich höchstwahrscheinlich nicht um einen weiteren Verweis auf Musik, denn Musik wird generell nicht durch einen Vogel versinnbildlicht, auch in Muchas Werk findet sich kein Beispiel hierfür. 377 Die einzigen Schwalben, die in Muchas Arbeiten zu entdecken sind, sind auf dem Plakat für das Bezirksfest zu Ivančice von 1912 378 und in dem Gemälde Der Druck der Kralitzer Bibel in Ivančice des Slawischen Epos aus dem Jahr 1914 379 zu finden. Im erstgenannten Werk umfliegen sie dabei den charakteristischen Kirchturm von Muchas Heimatstadt, darunter sind Mädchen in typischer Tracht dargestellt. Im Gemälde, das zum Slawischen Epos gehört, umgeben sie in einer engen Formation ebenfalls denselben Kirchturm. Daraus wird ersichtlich, dass Mucha offensichtlich den Heimatbegriff mit Schwalben verbindet; diese Intention könnte er möglicherweise auch beim Porträt von 1908 verfolgt haben. In der unteren rechten Ecke hat Mucha einen schwarzen Adler auf einem Ast dargestellt. Die Flügel hat er leicht ausgebreitet, den Kopf hält er nach schräg vorne und unten gerichtet. Der Adler ist keinesfalls majestätisch dargestellt; er wirkt vielmehr schwach und scheint Josephine untergeordnet; darauf weist auch seine Positionierung unterhalb von Josephines Füßen hin. Der Adler schlechthin, insbesondere der schwarze Adler, symbolisiert ikonographisch einen König oder ein Königreich. Möglicherweise hat Mucha hier auf ein dem Untergang geweihtes Reich verwiesen. Vom Ast des Adlers führt eine „Spur“ aus zunächst kleinen, aber dann immer größer werdenden Pilzen zu Josephine. Sie verheißen Langlebigkeit, die Margerite neben ihnen

wurde, war bereits damals der breiteren Öffentlichkeit bekannt, dass Josephine taub war. Seltsamerweise hat aber der Änderungswunsch ihres Vaters im Zusammenhang mit Musik bezüglich ihres Porträts bisher nie Fragen aufgeworfen. 376 Abb.: s. Mucha 1965, S. 222. 377 Allenfalls können Nachtigallen ein mit Musik verwandtes Thema, den Gesang, symbolisieren. Doch das ist bei Mucha auszuschließen, denn eine Nachtigall hat er für diesen Zweck nicht eingesetzt. Stattdessen verwendete er beim Poster für das Prager Gesangs- und Musikfest im Frühling 1914 neun verschiedenartige Vögel mit deutlich geöffneten Schnäbeln (Abb.: s. Rennert/Weill 1984, S. 351). Auch das Plakat für den mährischen Männerchor von 1911 zeigt einen Vogel unbestimmbarer Art mit weit aufgerissenem Schnabel (Abb.: s. Rennert/Weill 1984, S. 337). Da die Schwalben auf dem Schoß von Josephine Crane-Bradley ihre Schnäbel geschlossen haben, ist ein Zusammenhang mit Gesang ausgeschlossen. 378 Abb.: s. Rennert/Weill 1984, S. 345. 379 Abb.: s. Ausst. kat. San Diego 1998, S. 119, Abb. 15.

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Der erste Entwurf: Slavia als Protagonistin

Glück. Die weiße Blume wurde in Muchas Werken aber auch schon als Symbol für die „tschechischen Felder und Wiesen“ gesehen. 380 Die ganze szenische Darstellung rund um das Portrait von Josephine Crane-Bradley scheint eine Art „Weissagung“ oder zumindest einen innigen Wunsch Muchas auszudrücken: In der Mitte die Personifikation der Slawen mit dem Gesicht von Josephine, die sich vom Joch fremder Herrschaft in Gestalt des schwarzen, österreichischen Adlers befreit, erstarkt und mit guter Hoffnung einen Weg ins Glück, in die Kontinuität und ins positive Leben geht. Die Schwalben sind als Symbol einer Auferstehung eindeutig als Teil dieses Wunsches zu sehen: Sie sitzen auf Josephines bzw. Slavias Schoß und werden von ihr beschützt. Das Schwert, dessen Knauf hinter den Schwalben zu erkennen ist, drückt Kampfbereitschaft aus. Es ist auch möglich, dass der Schutz durch das Schwert auch für den Ring der Einheit, also für die Vereinigung der Slawen, gilt. Der Adler hingegen wird durch die schräg nach unten geführte Klinge des Schwertes bedroht. Das Schwert war zwar bereits bei der Slavia von 1907 an der gleichen Stelle zu finden, jedoch befand sich nichts unterhalb der Klinge (nur das leere Inschriftenfeld). Zu dieser Interpretation passt auch die farbliche Gestaltung der Schwalben: Eigentlich hat die Rauchschwalbe einen metallisch glänzenden, blauschwarzen Rücken und die Bauchseite ist gelblich weiß; charakteristisch für die Federn an der Kehle ist die kastanienbraune Farbe. 381 Doch Mucha hat hier nicht ein Kastanienbraun gewählt, sondern ein sattes Rot, ebenso wenig gestaltete er die Bauchseite der Schwalben „gelblich weiß“, sondern in reinem Weiß. Die slawischen Farben sind als Hinweis auf seine Heimat zu sehen, ebenso wie die Farbgestaltung der gesamten Darstellung: Josephines Kleid ist weiß, die Dekorationen auf ihren Ärmeln blau, die Stoffbänder weiß und rot. Der Hinter-

grund ist zumeist blau, die dekorativen Elemente darin, also die Bogen, sind mehrheitlich in den Farben Rot und Weiß. Sogar die Lindenblätter in den oberen Ecken sind blau. Somit ist praktisch das gesamte Gemälde in den slawischen Farben gehalten. Diese Farbgebung setzte Mucha auch in anderen Darstellungen mit slawischem Hintergrund ein, so beispielsweise auch bei dem Plakat für das Prager Gesangs- und Musikfest im Frühling 1914: Auch hier hat er die Lindenblätter des Kranzes, den Slavia in der Hand hält, sowie die Lindenblätter am Ast in der Farbe Blau gestaltet, um zur restlichen Darstellung in Rot und Weiß die passende dritte Farbe integrieren zu können. Möglicherweise war sowohl für den Künstler selbst als auch für den auftraggebenden und an slawischer Kultur interessierten Crane ausschlaggebend, dass fast zeitgleich zur Hochzeit von Josephine und in Erinnerung an den ersten Slawenkongress in Prag 60 Jahre zuvor der zweite Prager Slawenkongress (vom 12. bis zum 17. Juli 1908) stattfand. 382 Höchstwahrscheinlich stellt die Figur des Adlers die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn dar. Der Künstler war also mit dieser Darstellung der politischen Realität ganze zehn Jahre voraus, als er Slavia, seine Heimat symbolisierend, selbstbewusst und über Österreich-Ungarn dominierend darstellte. Auch die Anzahl der Schwalben könnte Mucha sehr bewusst gewählt haben: Es könnte sich dabei um die drei Regionen Böhmen, Mähren und die Slowakei handeln, die später hauptsächlich die Tschechoslowakei bilden sollten. Im Gegensatz zur Slavia der Versicherungsgesellschaft aus dem Jahr davor handelt es sich bei der Darstellung Josephines um die ungewöhnliche Kombination eines Porträts mit dem Abbild einer hochbrisanten politisch-kulturellen Situation, die aber ausschließlich über die differenzierte Symbolik

Rennert/Weill 1984, S. 382. Beschreibung der Rauchschwalbe s. „Schwalbe“, in: Brockhaus Enzyklopädie, Bd. 17, Wiesbaden 197317, S. 96. 382 Dabei handelte es sich ebenfalls um eine Veranstaltung, die slawische Interessen behandelte und verglichen mit anderen Slawenkongressen der Vergangenheit die meisten Teilnehmer versammelte. Vermieden wurde allerdings eine allzu starke Konzentration auf politische Ziele, vielmehr standen die wirtschaftliche und kulturelle Zusammenarbeit im Mittelpunkt. Im Laufe dieser Veranstaltung wurde der Begriff Neoslawismus geprägt: Im Gegensatz zum Panslawismus sollten dabei kleinere slawische Staatengefüge gebildet werden, ohne dabei Russland miteinzubeziehen; es sollte auch eine noch stärkere Abgrenzung zu Deutschland erfolgen. Die Befürworter des Panslawismus vertraten noch die Meinung, dass Russland die Vorherrschaft in einem Groß-Staat aller Slawen haben sollte (s. Kohn 1960, S. 247 sowie Roland J. Hoffmann: T. G. Masaryk und die tschechische Frage, München 1988, S. 362; zum ersten Slawenkongress in Prag s. Kapitel 7.3.2.1). 380 381

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Die Slavia auf der 100-Kronen-Banknote von 1920

des Künstlers zu entschlüsseln ist. Muchas Porträt von Josephine als Slavia stellt eine maximale Verdichtung von politischen Vorgängen dar. Das Plakatmotiv Slavia von 1907 ist durch den Einsatz von weniger komplexen Inhalten und den Gebrauch auf hauptsächlich tschechischem Boden leichter zu entschlüsseln. Es war praktisch ideal für das breite Publikum und die repräsentativen Zwecke der Versicherungsgesellschaft geeignet; das einzige möglicherweise nicht verständliche Element

war der Ring der Einheit, der erstmals von Mucha als Abbild der slawischen Gemeinschaft verwendet wurde. Josephines Porträt von 1908 war aber – außerhalb von Muchas Heimat – nur mit vielen zusätzlichen Kenntnissen über Symbolik und politische Zustände und Entwicklungen „lesbar“, über die Charles Richard Crane durch seine Bekanntschaft mit Mucha und den späteren Präsidenten der Tschechoslowakei, Tomáš Garrigue Masaryk, aber zweifellos verfügte.

7.5 Die Slavia auf der 100-Kronen-Banknote von 1920 Mucha erhielt im Laufe der Gründung des neuen Staates den Auftrag, zunächst neue Briefmarken und bald darauf auch neue Banknoten zu entwerfen. 383 Es entstanden insgesamt acht Banknoten nach seinen Entwürfen, die in den folgenden Jahren in Umlauf kamen. 384 Im gleichen Zeitraum gab es aber auch weitere, von anderen Künstlern wie beispielsweise Max Švabinský entworfene Banknoten. Die allerersten Banknoten, jene der ersten Emission, waren größtenteils von mangelhafter Qualität, da die Ausstattung der heimischen Druckereien

nicht ausreichend war. Als die Probleme erkannt wurden, begann man bald darauf, fälschungssichere und beständigere Scheine im Ausland drucken zu lassen. Dies erklärt, weshalb innerhalb kurzer Zeit zwei unterschiedliche Versionen von Scheinen mit der gleichen Wertigkeit hergestellt wurden. 385 Unter Muchas Entwürfen befindet sich auch ein 100-Kronen-Schein mit einer Slavia, der im Jahre 1920 in Umlauf gebracht wurde und bis 1939 Gültigkeit besaß. Dies war der zweite Schein mit dieser

Zu Muchas Auftrag und zur Entstehung der Banknoten s. Mucha 1986, S. 498 und 499. Mucha hatte bei der ersten und der zweiten Emission, die 1919 bzw. 1920 bis 1923 stattfanden, an der Gestaltung von insgesamt sechs Banknoten mitgewirkt. Seine Gestaltung bezog sich teilweise auch nur auf eine Seite der Note – in einem solchen Fall ist jeweils nur diese aufgeführt. Auf der Seite www.papirovaplatidla.cz finden sich Abbildungen von allen hier erwähnten Banknoten. 10-Kronen-Schein (Ausgabe 15. 4.1919, gültig von 26. 2.1920 bis 31. 5.1944; Druck: Haase, Prag/Otto a Růžička, Pardubice) Rückseite: Muchas Tochter Jaroslava in zwei Medaillons, jeweils spiegelverkehrt 20-Kronen-Schein (Ausgabe 15. 4.1919, gültig von 31.1.1920 bis 30. 6.1928; Druck: Národní politika, Prag/Česka grafická unie, Prag) Vorderseite: je zwei Medaillons auf jeder Seite mit zwei verschiedenen weiblichen Köpfen Rückseite: zwei Medaillons mit dem Bildnis eines jungen Mannes 100-Kronen-Schein (Ausgabe 15. 4.1919, gültig von 7. 7.1919 bis 31.1.1921; Druck: Národní politika, Prag) Vorderseite: Wappen Rückseite: Falke mittig, rechts und links spiegelverkehrt weibliche Figur 100-Kronen-Schein (Ausgabe 15.1.1920, gültig ab 10.11.1920 bis 30. 6.1939; Druck: American Bank Note Company, New York) Vorderseite: Wappen und Slavia 500-Kronen-Schein (Ausgabe 15. 4.1919, gültig von 20.10.1919 bis 31. 8.1922; Druck: Česká grafická unie, Prag) Vorderseite: zwei Falken, in Medaillons Wappen sowie Bildnis einer Frau Rückseite: Prager Burg, davor die Darstellung einer Familie mit Mutter, Vater und Kind 500-Kronen-Schein (Ausgabe 6.10.1923, gültig von 25.1.1924 bis 31.12.1931; Druck: American Bank Note Company, New York) Vorderseite: Medaillons mit Löwen und dem slowakischen Wappen auf der Brust sowie Bildnis eines Soldaten mit Lindenblättern im Hintergrund Rückseite: Medaillon mit Büste, rechts davon kleines Kind, links davon Löwe Auch später erscheinende Banknoten wurden von Mucha gestaltet: 10-Kronen-Schein (Ausgabe 2.1.1927, gültig von 11. 4.1927 bis 31. 5.1944; Druck: Otto a Růžička, Pardubice/Národní banka Československá, Prag; es handelt sich dabei um eine Wiederverwendung der Gestaltung der 10-Kronen-Note, die ab 1919 gültig war) Rückseite: Muchas Tochter Jaroslava in zwei Medaillons, jeweils spiegelverkehrt 50-Kronen-Schein (Ausgabe 1.10.1929, gültig von 27. 4.1931 bis 30.11.1944; Druck: Národní politika, Prag/Česka grafická unie, Prag) Vorderseite: Wappen der ČSR; Rückseite: Arbeiter mit Hammer und Bäuerin mit Sichel (Symbiose der beiden Landesteile Tschechien mit der Industrie und Slowakei mit der Landwirtschaft) 385 Muchas Entwürfe selbst entsprachen aber „in jeder Hinsicht den Anforderungen an Druckvorlagen“ (Miháliková 2004, S. 32). 383

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Der erste Entwurf: Slavia als Protagonistin

Wertigkeit, den Mucha entworfen hatte, und er wurde in New York von der American Bank Note Company gedruckt. Der Schein zeigt auf der Vorderseite das Staatswappen und die Slavia. 386 Es handelt sich um eine monochrome Reproduktion in grünen Farbtönen der Slavia von 1907 – und damit um eine sehr ähnliche Slavia wie jene auf dem Glasgemälde. Es ist keine neue Variante der Slavia, sondern ein Teil des Plakatentwurfs von 1907, der bis zu den horizontalen und aus dem Schriftfeld herauskommenden Linien geht. In den oberen Bereich desselben ist die Wertigkeit der Banknote in Worten eingeschrieben. Ansonsten wurde keine Änderung vorgenommen. David Hapgood, der Autor einer Biographie über Crane, hatte folgende Vermutung geäußert, weshalb Mucha die Slavia auf der 100-Kronen-Note verwendet hatte: „The Czech artist Alphonse Mucha recorded his nation’s dept to the Cranes in an unusual way. Commissioned to design its new currency, Mucha put a likeness of Crane’s daughter Josephine on the 100-crown bill of 1920.“ 387 Anna Daley war 2007 ebenfalls dieser Meinung. 388 Jedoch handelt es sich bei der Version, die auf der Note zu sehen ist, um eine Darstellung, die zeitlich vor Josephines Porträt anzusiedeln ist und

komplett unabhängig davon entstand. Die Figur auf der Banknote besitzt auch keine individuellen Gesichtszüge, die man hingegen beim erwähnten Porträt von 1908 deutlich ausmachen kann. Daher kann es diesbezüglich keinen Zusammenhang geben, auch wenn dies sehr wohl zur Beziehung zwischen Mucha und Crane passen würde. Ebenso ist anzumerken, dass es sich bei dieser 100-KronenNote um jene aus der zweiten Emission handelt. Diese wurde erst durch die problematischen Druckerzeugnisse notwendig. Wenn sich Mucha tatsächlich mit der Slavia bzw. einem Porträt seiner Tochter bei Crane hätte bedanken wollen, so hätte er sie bereits in der ersten Emission verwendet – wozu er auch Gelegenheit hatte. Von Mucha stammen aus der ersten Emission der 100- sowie der 500-Kronen-Schein (jeweils gültig ab 1919) und auch der 10- und der 20-Kronen-Schein, die ab 1920 Gültigkeit hatten. Doch auf keinem dieser vier Geldscheinen findet sich die Darstellung einer Slavia. Der 100-Kronen-Schein mit der Slavia ist auch heute noch der bekannteste von Muchas Entwürfen; er stellt auch den Beginn der Tradition dar, wonach alle darauffolgenden 100-Kronen-Noten grün und mit der Darstellung der Prager Burg versehen wurden. 389

7.6 Die Slavia des ersten Entwurfs im Vergleich mit der Slavia von 1907 und dem Porträt von Josephine Crane-Bradley von 1908 Wenn der erste Entwurf des Glasgemäldes (Abb. 2) mit den beiden Slavia-Darstellungen von 1907 (Abb. 9) bzw. 1908 (Abb. 12) verglichen wird, fällt sofort die außerordentliche Ähnlichkeit zwischen den drei Darstellungen auf. Die Figur der Slavia auf dem Glasgemälde-Entwurf scheint in vielen Details ihren Vorgängerinnen zu entsprechen. Die wenigen kompositorischen Unterschiede sind schnell aufgelistet: Nur die Positionierung und das Aussehen des Rings der Einheit sowie die Farbgebung

der gesamten Figur weichen von den vorhergehenden Darstellungen ab. Der Ring im ersten Fensterentwurf wurde von Mucha etwas weiter vom Kopf der Slavia weggerückt, vermutlich weil er in seiner ursprünglichen Positionierung durch einen senkrechten Stab der Fensterkonstruktion durchtrennt worden wäre. Insgesamt ist der schlichte und dünne Reifen von 1907 bzw. 1908 etwas vergrößert und mit Flammen ausgestattet worden. 390 Dadurch erhält seine inhaltliche Bedeutung mehr Gewicht

Auf dem 100-Kronen-Schein von 1920 ist das Staatswappen allerdings noch ohne das slowakische Wappen auf der Brust des Löwen abgebildet; bei der ebenfalls von Mucha gestalteten 500-Kronen-Note, die ab 1924 gültig war, hat der Löwe das slowakische Wappen auf der Brust. 387 Hapgood 2000, S. 52. David Hapgood, ein Schriftsteller und Autor, arbeitet unter anderem für die New York Times. Er war Mitglied am von Charles Richard Crane gestifteten Institute of Current World Affairs. 388 Daley 2007, S. 52. 389 Miháliková 2004, S. 33. 390 Bereits die Slavia von 1907 und das Porträt der Josephine Crane-Bradley von 1908 haben unterschiedlich eingefärbte Ringe: Während Josephine 386

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Die Slavia des ersten Entwurfs im Vergleich mit der Slavia von 1907 und dem Porträt von Josephine Crane-Bradley von 1908

und Dramatik. Das Kleid des Fensterentwurfs ist nicht mehr rein weiß, sondern cremefarben wie der Hintergrund, die bunten Bänder des Kleides sind nun nur noch rot. Die Farbe Blau taucht ausschließlich bei den Tauben auf der Stuhllehne sowie bei einigen Tauben im umgebenden Kranz auf. Die slawische Trikolore ist zwar wieder Teil der Darstellung, Mucha hat sie aber auf die Umgebung der Slavia ausgeweitet. Dies könnte auch dazu beigetragen haben, dass die Mitglieder des Dombauvereins keinen Zusammenhang mit Slavia bzw. einem slawischen Thema erkennen konnten: Sie betrachteten nur jede Einzelheit für sich. Ein weiterer kompositorischer Unterschied ist, dass die Slavia nun nicht mehr in einen dekorativen Bogen gesetzt ist, der aus Margeriten, roten Blüten und Herzen besteht, sondern in einen vergleichsweise viel Bildfläche einnehmenden und dichten Kranz aus Tauben, der sich – und dies ist ungewöhnlich für Mucha – vor der Slavia befindet. Die Figuren von 1907 und 1908 sind jeweils von einem sich im Hintergrund befindlichen Bogen „umfasst“. Der dichte Kranz aus Tauben wirkt auf den ersten Blick durch das Gewirr aus Flügeln und Taubenkörpern sehr unruhig. Bei näherer Betrachtung ist zu erkennen, dass sie alle nach oben ausgerichtet sind, genauso wie die Tauben, die Mucha in die Lanzettenspitzen gesetzt hatte. Dies ist möglicherweise als ein innerbildlicher Verweis auf den oberen Bereich des Entwurfs mit den Maßwerköffnungen bzw. auf das dortige Zentrum mit der weiblichen Figur im Dreipass zu verstehen. Fast ohne Veränderungen vorzunehmen hat Mucha das Gesicht der Slavia von 1907 für den ersten Entwurf des Glasgemäldes verwendet. Die Gesichtszüge Josephines sind hingegen nicht zu erkennen. Somit wird deutlich, dass Mucha sich hierbei an der kommerziellen Version von 1907 orientierte – und gleichzeitig die Intention verfolgte, dass das „Fir-

menlogo“ der Banka Slávie Einzug in den Veitsdom erhielt. Es ist durchaus verständlich, dass jedes Unternehmen daran interessiert ist, das eigene Firmenzeichen oder Signet, das bereits vielfach auf Plakaten, Dokumenten und Werbepräsenten zu finden ist, an weiteren prominenten Orten und für viele Menschen zugänglich zu platzieren. Dass dieser Schauplatz ausgerechnet eine katholische Kirche ist, kann aber durchaus als problematisch empfunden werden. Mucha hatte aber sicherlich nicht nur den repräsentativen Aspekt dieses Firmenlogos im Kopf. Für ihn waren der künstlerische Ausdruck und die darin enthaltenen Botschaften wesentlich wichtiger. Es stellt sich jedoch an dieser Stelle mit Recht die Frage, wie der Dombauverein reagiert hätte, wenn Muchas Figur der Slavia als Firmenzeichen erkannt worden wäre. Falls dieser Entwurf vom Dombauverein akzeptiert worden und Teil des Prager Veitsdomes geworden wäre, hätte Muchas Slavia von 1907 und damit das Firmenlogo eines Wirtschaftsunternehmens eine enorme Glorifizierung und Prominenz erfahren. Mucha hatte dem ersten Entwurf eine weitere Figur hinzugefügt: das Mädchen mit den zwei Blumensträußen im unteren Bereich des Taubenkranzes. In den beiden anderen Slavia-Darstellungen von 1907 und 1908 kommt es nicht vor. Die Anordnung innerhalb der Komposition sowie das Aussehen erinnern an das Mädchen neben der Lilien-Madonna von 1905. 391 Jenes Mädchen ist zwar nicht mit einem Blumenstrauß ausgestattet, jedoch hat es einen Kranz aus Efeublättern auf dem Schoß und symbolisiert damit die Erinnerung. 392 Diese Funktion hat das Mädchen des ersten Entwurfs aber nicht; es ist vielmehr wohl ein Teil der slawischen Symbolik. Die roten Blumen, das weiße Gewand und die traditionelle rote Kopfbedeckung nehmen exakt die Farben auf, die auch schon die zentrale Gestalt zeigt.

einen hellblauen Ring in der Hand hält, zeigt die Slavia der Versicherung einen schwarzen Ring; außerdem fällt auf, dass die Konturen beim Plakatmotiv insgesamt dunkler und stärker betont sind. Diese Unterschiede bzw. die stärkere Konturierung gehen sicherlich darauf zurück, dass es sich bei der Slavia von 1907 um eine Darstellung handelt, die als Vorlage für Druckerzeugnisse vorgesehen war. 391 Abb. s. Mucha 2000, S. 107. 392 Mucha 2000, S. 106.

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Der erste Entwurf: Slavia als Protagonistin

7.7 Muchas Slavia des Glasgemäldes – eine Deutung als Madonnen-Bildnis? Im Gutachten von Eduard Šittler ist zu lesen, dass er die zentrale Figur als Madonnen-Bild interpretiere. 393 Er verweist zwar selbst auch darauf, dass die Ikonographie von Mucha völlig unpassend für eine Madonna sei, hinterfragt seine eigene Deutung aber nicht. Dass die zentrale Figur als Darstellung einer Madonna auch für den künstlerisch oft solitäre Wege einschlagenden Mucha ungewöhnlich wäre, zeigen folgende Vergleiche von zwei MadonnenBildnissen des Künstlers: die verschollene Madonna 394 und die Lilien-Madonna 395, beide sind wohl im Jahre 1905 entstanden.

7.7.1 Die verschollene Madonna, wohl 1905 Die erstgenannte Madonna, ein Ölgemälde, ist als schwarz-weiße Abbildung in der Zeitschrift Zlatá Praha von 1910 abgebildet (Abb. 15). 396 Gemäß der Bildunterschrift in Zlatá Praha soll Mucha es für die Kirche Sacré Coeur in New York angefertigt haben. 397 Das Gemälde wird im Jahre 1905 erstmalig erwähnt: Die amerikanische Zeitschrift Everybody’s Magazine nennt als Bestimmungsort für das bereits fertiggestellte Werk eine gleichnamige Kapelle an der Madison Avenue. 398 Später wird die Madonna auch von Muchas Sohn in seinen Monographien thematisiert; er schreibt dazu, dass sie

für die „Kirche Sacré-Coeur“ oder das „Kloster des Heiligen Herzens in New York“ vorgesehen gewesen sei. 399 Es gab aber zu dieser Zeit weder eine Kirche noch ein Kloster an der Madison Avenue in New York. Aus den erwähnten frühen Quellen von 1905 und 1910 lassen sich hauptsächlich drei mögliche Destinationen für das Gemälde ableiten: Einmal die Schule der All Saints Academy an der Ecke der Madison Avenue und der 130th Street, deren Gebäude in den Jahren 1902 bis 1904 gebaut wurde. 400 In dieser Schule gab es nachweislich eine Kapelle, deren Name aber nicht bekannt ist. Die zweite Möglichkeit ist der Convent of Sacred Heart, der von 1881 bis 1934 eine Convent School an der 533 Madison Avenue in New York City besaß. 401 Gemäß den Informationen der Religious of the Sacred Heart, der Dachorganisation dieser Gemeinde, gab es im Schulgebäude eine Kapelle, was durch offizielle Verzeichnisse bestätigt wird. 402 Im Jahre 1934 folgte der Umzug der Schule in die 1 East 91st Street, es sind aber keine Unterlagen zum transferierten Inventar vorhanden. Auch wurde Muchas Madonna, sofern sie ebenfalls an den neuen Standort transportiert worden ist, nicht in der neuen Kapelle aufgestellt. 403 Eine weitere mögliche Platzierung der verschollenen Madonna ist die Kirche St. John the Martyr in

s. Kapitel 5.2.4. Abb. s. Zlatá Praha, Nr. 2 1910, S. 16. 395 Abb. s. Mucha 2000, S. 107. 396 Zlatá Praha, Nr. 2 1910, S. 16. Zur Datierung des Werks: Die Vergrößerung der Abbildung in der Zeitschrift Zlatá Praha lässt unter der Signatur Muchas das Jahr „1903“ erahnen, jedoch sprechen die Bemerkungen zum Werk von Jiři Mucha, der aus den Notizen seines Vaters zitiert, eher für eine Entstehung im Jahr 1905, da sein Vater spätestens ab März und mindestens bis April 1905 daran arbeitete (s. Mucha 1986, S. 406 und Mucha 1969, S. 260). Zumal Mucha erst im Jahre 1904 das erste Mal in New York war. 397 Zlatá Praha, Nr. 2 1910, S. 16 und 22. Die originale Bildunterschrift lautet: „A. Mucha: Madonna. Pro kostel Sacré Coeur v New Yorku.“ (dt.: „A. Mucha: Madonna. Für die Kirche Sacré Coeur in New York.“). 398 „He [Mucha] has recently completed a striking portrait of Archbishop Farley, a Madonna for the Sacred Heart Chapel on Madison Avenue, New York, […].“ (Mucha in America (unbekannter Autor), in: Everybody’s Magazine, v.13, Nr. 8 1905, S. 284). 399 Mucha 1965, S. 200; Mucha 1986, S. 462 und Mucha 1969, S. 293. 400 All Saints, New York, N.Y. (unbekannter Autor), in: John M. Farley (Hrsg.): The Catholic Church in the United States. Undertaken to Celebrate the Golden Jubilee of His Holiness, Pope Pius X, Bd. 3: The Province of Baltimore and The Province of New York, Section I, New York 1914, S. 310. Im Jahre 2011 wurde die Schule aber geschlossen (s. Alice McQuillan: New York Archdiocese to Close 27 Schools, in: nbcnewyork.com). 401 Freundliche Mitteilung von Sister Mary Louise Gavan, Assistant Archivist der RSCJ (Religious of the Sacred Heart) am 12.12. 2013. Einen ähnlichen Gedanken äußerte auch bereits Anna Dvořák, s. Ausst. kat. San Diego 1998, S. 33. 402 Joseph H. Meier, The Official Catholic Directory: The Official Catholic Directory for the year of our Lord, New York 1916, S. 127 (der Eintrag lautet: „Chapels: Convent of the Sacred Heart, 533 Madison ave.“). 403 Es wird vermutet, dass sich die Madonna wahrscheinlich ab 1934 in einem Klassenzimmer befunden haben könnte, freundliche Mitteilung von Sister Mary Louise Gavan, Assistant Archivist der RSCJ (Religious of the Sacred Heart) am 12.12. 2013. 393

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Muchas Slavia des Glasgemäldes – eine Deutung als Madonnen-Bildnis?

New York. 404 Zum Verbleib dieser Madonna ist den hier erwähnten Institutionen nichts bekannt. 405 Der Betrachter mag bei der Figur zunächst an die Unbefleckte Empfängnis denken, obwohl einige charakteristische Attribute dieser Darstellung – beispielsweise die Mondsichel, die Schlange sowie die Weltkugel – fehlen. Dieser Eindruck entsteht durch die Ergriffenheit und Emotionalität im Gesicht der Figur sowie anhand der sich auf der Höhe ihrer Schlüsselbeine befindenden Hände, die sich fast berühren und mit großer Anspannung in die Kleidung greifen. Auch eine Mater Dolorosa könnte in Frage kommen. Wahrscheinlicher ist jedoch eine Himmelfahrt: Die Figur befindet sich auf einem Meer aus Wolken stehend, dünne Schwaden ziehen seitlich an ihr vorbei und bilden eine Art Strudel, der eine Aufwärtsbewegung erkennen lässt, ebenso ist das ausladende und bewegte Gewand insbesondere im unteren Bereich der Figur ein Hinweis darauf. Aber auch eine Kombination der erwähnten drei Marienfiguren ist vorstellbar. Das sehr naturalistisch gestaltete Gesicht der Madonna weicht in seinem Ausdruck stark von Muchas charakteristischen weiblichen Gestalten ab: Er gibt hier keine sinnlich-ästhetische Femme Fatale wieder, sondern eine Frau mit naturnah gestalteten Gesichtszügen. Insgesamt hat der Künstler

zugunsten einer ausgeprägten Binnenmalerei auf eine allzu starke Konturierung mit dunklen Farben verzichtet. Das Gesicht der Figur bildet einen starken Kontrast zu ihrem üppigen Kleid, das fast wie ein Schutz für die Gestalt wirkt. Diese Art der Darstellung fügt sich gut in die anderen Gemälde Muchas ein, die er in New York geschaffen hat, wie beispielsweise das Porträt von Mrs. Wissman von 1904 406 oder das Porträt von Mrs. Harry Toplitz von 1905. 407 Es scheint fast, als ob die Figur den Betrachter direkt anblicken würde. Der geplante Aufstellungsort des Gemäldes war aber vermutlich etwas erhöht über dem Boden – und da es ein extremes Hochformat ist, wird der Blick der Maria über den Betrachter hinweg gegangen sein, was ihr den Ausdruck einer Entrückung in andere Sphären verleiht. 408 Bei anderen Werken mit religiösem Inhalt wie Le Pater von 1899 arbeitete Mucha verstärkt mit der Wirkung von Licht und Schatten sowie verschieden stark eingefärbten Flächen, die einen kräftigen Kontrast bilden. 409 Diese Technik kommt beim Gemälde Madonna von 1905 kaum zum Einsatz. Durch die naturalistische Malerei wird der Gebrauch seiner charakteristischen Konturlinien, die den Style Mucha ausmachen, obsolet. Die stilistische Differenz zwischen dieser Madonna und den Entwürfen für

Mucha erschuf Ende 1904 das Gemälde St. John Nepomucine für die Kirche St. John the Martyr. Er hatte dieser Kirche nebst dem erwähnten Gemälde wohl noch weitere „mural decorations“ versprochen, wie es in der Tagespresse heißt (Sale of Knox Church. Roman Catholics Get Presbyterian Edifice (unbekannter Autor), in: New-York Tribune, 14. 9.1904, S. 13). Für diese Kirche, die zur Bohemian Catholic Church gehörte, war Pastor John T. Prout verantwortlich. In den monographischen Schriften von Jiří Mucha heißt es, dass sein Vater neben der Madonna gleichzeitig auch an einem Porträt des Erzbischofs von New York, John Murphy Farley, arbeitete – es ist aber bis heute nicht ganz klar, ob dieser das Porträt jemals erhalten hat. Den Auftrag für die beiden Gemälde, also die Madonna und das Porträt des Erzbischofs, hatte ihm Prout vermittelt. Berücksichtigt man diese Zusammenhänge, könnte einerseits die Kirche St. John the Martyr als Anbringungsort der Madonna in Frage kommen. Andererseits können die hier erwähnten Geschehnisse auf den Sitz des Erzbischofs, die St. Patrick’s Cathedral in Manhattan, als Aufstellungsort für die verschollene Madonna hinweisen (s. Church gets Paintings. Three Valued at $ 190 000 Given to Bohemian Catholic Congregation (unbekannter Autor), in: New-York Tribune, 27.12.1904, S. 12; Paintings valued at $ 230 000 go to Church (unbekannter Autor), in: The New York Times, 27.12.1904, o. S.; Farley 1914, S. 307; Ausst. kat. San Diego 1998, S. 41, Anm. 9; Mucha 1986, S. 386 und 387). Father John T. Prout, geboren 1875 in New York, war der Sohn böhmischer Eltern. Er war um 1900 Pastor der Kirche St. John Nepomuk und von 1903 bis 1918 Pastor der Kirche St. John the Martyr in New York (Farley 1914, S. 340). Für weitere Details zur Vermittlung der beiden Gemälde durch Prout s. Mucha 1986, S. 386. Weitere Informationen zu John Murphy Farley, der seit 1895 Titularbischof, ab 1902 Erzbischof von New York war und im Jahre 1911 zum Kardinal berufen wurde: John M. Farley: History of St. Patrick’s cathedral, New York 1908, S. 144 und 232; Farley 1914, S. 300; eine Abbildung des Gemäldes von Farley ist zu sehen in: New-York Tribune, 4.12.1907, S. 4. 405 Möglicherweise hat Mucha auch an diesem Gemälde noch viele Jahre nach der offiziellen Fertigstellung weitergearbeitet; dies deutet ein Brief Muchas an, den er am 15. Dezember 1920 aus den USA an seine Frau schrieb: „[…]. Ich arbeite auch an der Madonna.“ Jiří Mucha ist jedoch nicht klar, um welche Madonna es in dem Brief geht; daher vermutet er, dass es „vielleicht die sogenannte ‚amerikanische‘ sein könnte“ (Mucha 1965, S. 270). Es ist durchaus möglich, dass ihm das Gemälde aufgrund der gewählten Technik (Öl) nicht gelingen wollte; auch für das Porträt von Frances Anita Leatherbee hatte er die Ölmalerei gewählt und deswegen Schwierigkeiten, es erfolgreich zu beenden (s. Anm. 367). 406 Abbildungen s. Mucha 1965, S. 196. 407 Abb. s. Ausst. kat. San Diego 1998, S. 34. 408 Über die Dimensionen der verschollenen Madonna von 1905 ist nichts bekannt. 409 Abbildungen s. Ausst. kat. München 2009, S. 123–139. 404

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Der erste Entwurf: Slavia als Protagonistin

das Prager Glasgemälde ist dadurch sehr groß. Doch auch die Art der Darstellung unterscheidet sich: Während Mucha die von Eduard Šittler als Marienfigur gedeutete Figur des ersten Entwurfs mit offenem und geschmücktem Haar sowie Gewandschmuck darstellte, konzentrierte er sich bei der Maria des verschollenen Gemäldes auf das emotional-bewegte Gesicht und die verkrampften Hände. Mucha verzichtete bei der Madonna auch auf die Hinzugabe von Objekten mit symbolischem Inhalt oder Attributen.

7.7.2 Die Madonna der Lilien von 1905 Ursprünglich hatte Mucha diese Marienfigur, die er selbst Virgo purissima nannte, für „die Innendekoration eines Tempels in Jerusalem [gestaltet], wohin er auch für den Herbst desselben Jahres [1905] eingeladen war.“ 410 Doch die Pläne, eine Klosterkirche in Jerusalem mit diesem Gemälde auszustatten, konnten nicht verwirklicht werden, da der Abt des Klosters verstarb. 411 Zu diesem Zeitpunkt war das Gemälde jedoch bereits vollendet. Das Werk, Tempera auf Leinwand, befindet sich heute im MuchaMuseum in Prag. 412 Mucha erwähnt in einem Brief an seine spätere Ehefrau Details zu diesem Werk: „Denk Dir nur, im Zug habe ich die Komposition eines Panneau für Jerusalem entworfen. Ich war wie berauscht und sah und fühle es so deutlich, dass ich fast aufschrie. Es ist die Virgo purissima, zart, weiß, in einem grünen Schimmer am hellblauen Himmel … um den Kopf und die Hüften ranken sich langstengelige Lilien, ein zarter Windhauch weht durch das blonde Haar und verbreitet den berauschenden Duft der Lilienblüten um ihr Haupt. Ein großer Cherub hinter ihr huldigt ihr hingerissen. Zu ihren Füßen hebt ein kleines Mädchen, in dessen blauen Augen sich der blaue Himmel spiegelt, den Blick zu ihr empor. Das Mädchen windet einen Kranz aus weißen Blüten und grünem Laub.“ 413 Das entstandene Gemälde unterscheidet sich von der im Zug entworfenen Mucha 1965, S. 203. Abb. s. Mucha 2000, S. 107. 411 Mucha 1965, S. 204. 412 Die Maße des Werkes sind 247 � 182 cm. 413 Mucha 1965, S. 203, 204. 414 Abb. s. Slovo, Band 1, 2012, S. 21. 410

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Skizze: Das Mädchen zur Rechten der Madonna wendet den Blick dem Betrachter zu und es ist kein Cherub im Hintergrund zu erkennen. Die Marienfigur des ausgeführten Gemäldes befindet sich in der rechten Bildhälfte, ihr langes und ausladendes Gewand sowie ihr Umhang werden vom Wind stark bewegt und bis in die andere Bildhälfte getragen. Ihre geschlossenen Augen und ihr Gesichtsausdruck, der Glückseligkeit und Frieden ausströmt, zeigen sie als ein spirituelles Wesen. Die die Marienfigur umgebenden weißen Lilien sind Symbole der Reinheit. Das oben bereits erwähnte sitzende Mädchen in der linken Bildhälfte kontrastiert in seiner Zartheit und Kindlichkeit mit der Ernsthaftigkeit, die aus ihrem Blick spricht. Auch diese Darstellung unterscheidet sich sehr stark von der Slavia im ersten Entwurf des Prager Glasgemäldes. Während die Lilien-Madonna auf eine spirituell-meditative Art in sich gekehrt ist und der Betrachter ihre Präsenz praktisch nur durch die Plastizität und die starke Bewegung ihrer Kleidung durch den Wind wahrnimmt, scheint die Slavia das Gegenteil zu suggerieren: Sie scheint durch ihren offenen Blick den Kontakt zum Betrachter zu suchen.

7.7.3 Die Slavia des ersten Entwurfs – völlig verschieden zu Muchas Marienfiguren Es ist noch eine weitere Marienfigur in Muchas Werk bekannt: die Skizze Savon Notre Dame, die etwa im Jahre 1896 entstanden ist. 414 Vermutlich ist es in Muchas Werk die einzige Darstellung der Mutter Gottes mit dem kleinen Christuskind im Arm. Womöglich war Mucha hierzu durch zahlreiche traditionelle Madonnen-Darstellungen inspiriert worden, die er in seiner Kindheit und Jugend sehr oft gesehen haben muss. Die Darstellung zeigt eine frontal ausgerichtete Figur mit üppigem und voluminösem Gewand sowie langem Umhang. Die Kleidung geht in einer fast geraden Linie in Richtung der Ecken des Blattes, einzig dort, wo sich der Kopf des Kindes befindet, macht der Umhang einen

Die Farbigkeit des ersten Entwurfs

Bogen, sodass er auch den kleinen Körper komplett umfasst. Mutter und Kind tragen jeweils eine Krone. Hinter der Marienfigur befinden sich dekorative Elemente in einer Kreisfläche. Die Figur an sich ist durch die flächig dargestellte Kleidung und die darauf zu sehenden Muster charakteristisch für die in Paris entstandenen Panneaux. Mucha hat sich also künstlerisch insgesamt nur selten mit der Marienfigur auseinandergesetzt und wenn er dies tat, dann haben seine Mariendarstellungen ein komplett anderes Aussehen und einen anderen Ausdruck als die zentrale Figur auf dem

ersten Entwurf des Glasgemäldes. In keinem der untersuchten Fälle gibt es Ähnlichkeiten bezüglich der Ikonographie, der Attribute, weiterer dargestellter Objekte und der dadurch erzeugten Stimmung beim Betrachter. Während er bei den Mariendarstellungen weit entfernt ist von seinen sinnlichen Frauenfiguren und ihnen eine erhabene Aura verleiht, schafft er bei der Slavia des ersten Entwurfs eine gezielte „Ansprache“ des Betrachters, indem er den Blickkontakt zwischen ihm und Slavia herstellt.

7.8 Die Farbigkeit des ersten Entwurfs Obwohl der Künstler im Vergleich zu den bisher besprochenen Figuren insbesondere die weißen Bereiche der Slavia veränderte und sie dadurch abdunkelte, überwiegt der insgesamt pastellfarbene Eindruck des Mittelteils. 415 Der Kontrast zu den Randpartien mit den Slawenaposteln scheint, insbesondere durch die hellen Farben im mittleren Bereich, sehr groß zu sein. Zu bedenken gilt es allerdings, dass – sofern dieser Entwurf als Fenster ausgeführt worden wäre – die verschiedenfarbigen Glaspartien jeweils einen unterschiedlichen Farbglanz und eine unterschiedliche Leuchtkraft entwickelt hätten. Generell ist dunkel gefärbtes Glas weniger durchlässig für Licht und strahlt dadurch weniger stark; somit hätte der Mittelteil mit der Slavia eine unheimliche Leuchtkraft gehabt, da er relativ hell und transluzent ist. Die Wirkung der einzelnen Farben hätte aber dafür gesorgt, dass die blaugefärbten Randgebiete die umliegenden helleren Farben teilweise überstrahlt hätten – blaues Licht weist ein sehr hohes Strahlungsvermögen auf und lässt die auf der anderen Seite der trennenden Bleischienen liegenden Farbflächen ebenfalls bläulich erscheinen. 416 Auch hätte derselbe Effekt der von Mucha im Mittelteil verwendeten Farben dafür gesorgt, dass sich der cremefarbene Bereich mit den roten Streifen vermischt hätte, wodurch es zu einem

sehr ähnlichen Farbgemenge wie im mittleren Bereich des schlussendlich ausgeführten Glasfensters gekommen wäre. 417 Die Folge wäre ein stark leuchtendes, goldrotes Zentrum gewesen, umgeben von einem die Farben trennenden Kranz aus hellblauen Tauben. An den Kranz hätten sich seitlich die in kräftigem Blau strahlenden Slawenapostel angeschlossen, die die benachbarten Gebiete ebenfalls hätten blau erscheinen lassen. Der obere Bereich des Fensters hätte diese gegensätzliche Strahlung in kleinerem Ausmaß wiederholt, da die seitlichen Vierpässe und der Fünfpass oben ebenfalls vor allem in Blautönen geplant waren, der zentrale Dreipass aber auch hellere und insbesondere goldene Bereiche aufweist. Der untere Bereich des Entwurfs, seitlich und unterhalb der Slavia im Taubenkranz, ist dunkler als das Zentrum, weist aber eine ähnliche Farbigkeit wie dieses auf. Daher wäre dieser Abschnitt des Fensters nicht so stark leuchtend erschienen. Da aber gerade dieser Bereich dem Betrachter am nächsten wäre 418, hätte dieser die unterschiedlichen Bereiche des Glasgemäldes wohl trotzdem ungefähr in gleicher Intensität wahrgenommen. Die Überlegungen zur Leuchtkraft von unterschiedlich farbigem Glas und anderen spezifischen Eigen-

Dieser pastellfarbene Eindruck des Mittelteils wurde von den Mitgliedern des Dombauvereins stark kritisiert, s. Kapitel 5.2.4. Erhard Remmert: Originale Fensterentwürfe des Jugendstils. Ein gesammeltes Vorlagenwerk, Weingarten 1991, S. 16. 417 Intensität und Klarheit einer Farbe werden durch die Nachbarschaft mit einer Kontrastfarbe verstärkt. Sobald sich jedoch zwei Farben nebeneinander befinden, die im Farbkreis ebenfalls nebeneinander liegen, verschwimmen die Farben und ergeben einen neuen Farbton (Remmert 1991, S. 16). 418 Das Fenster der Hora-Kapelle befindet sich ungefähr 4 m über dem Kapellenboden, der wiederum etwas höher gelegen ist als der Boden des Langschiffs. 415

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Der erste Entwurf: Slavia als Protagonistin

schaften und Wirkung der Glasmalerei machen deutlich, dass der Eindruck, den der Betrachter vom Entwurf auf Papier hat, nicht demjenigen entspricht, den das fertige Glasgemälde, gemäß dem ersten Entwurf ausgeführt, gehabt hätte. Mucha hat die Farbauswahl für den ersten Entwurf überlegt

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s. Kapitel 10.

vorgenommen und war sich über deren Auswirkungen bewusst. Hilfreich war diesbezüglich sicherlich seine bisherige Erfahrung mit anderen Glasgemälden, die er im Laufe seines künstlerischen Werkes bereits geschaffen hatte. 419

8. Der zweite Entwurf: Die Kyrilliza und die mittelalterlichen Herrscher 8.1 Eine Werkbeschreibung 8.1.1 Der obere Teil des Entwurfs: Die kleinen Maßwerköffnungen Im oberen Teil des Entwurfs befinden sich insgesamt fünf geflügelte weibliche Figuren mit geflochtenen Haaren; zwei davon – jeweils entgegengesetzt diagonal – im Fünfpass oben, ansonsten je eine Figur in jeder Fensteröffnung. Von zweien ist nur etwas mehr als der Kopf zu sehen, bei den anderen drei geht die Darstellung bis ungefähr zur Hüfte oder sogar darüber hinaus. Vor den beiden Gestalten im Fünfpass befindet sich ein goldener Reifen oder Kreis, ebenso in den zwei Vierpässen und dem Dreipass. Diese Reifen sind mittig in die Fensteröffnungen gesetzt und gut sichtbar, da sie eine auffallende Stärke besitzen und sich in ihrem dunklen Goldton gut vom andersfarbigen Untergrund aus Flügeln, Inkarnat und Gewändern absetzen. Die weiblichen Figuren der beiden äußeren Vierpässe halten mit den Händen ihren jeweiligen Reifen vor der Brust – im Gegensatz zu den anderen Gestalten, deren Reifen von selbst zu schweben scheinen. Das „aktive“ Halten des Ringes hatte der Künstler bereits im oberen Teil des ersten Entwurfes dargestellt, jedoch bei den beiden Figuren im Fünfpass. 420 Die beiden Vierpass-Figuren des zweiten Entwurfs sind von Mucha, wie die entsprechenden Gestalten des ersten Entwurfs, ebenfalls mit je drei Flügelpaaren von Tauben ausgestattet worden. In die oberste Maßwerköffnung hatte Mucha auch schon im ersten Entwurf zwei Figuren gesetzt. Doch deren Darstellung in dieser zweiten Version unterscheidet sich stark von der ersten. Die Gestik der Figuren scheint mysteriös: Sie halten ihre Hände vor oder neben den Kopf bzw. in die Luft; zusammen mit den offensichtlich geschlossenen Augen ergibt sich der Eindruck einer Ekstase oder zumindest eines starken Gefühlsausbruchs. Die 420 421

dramatische Gestik erinnert an ausdrucksstarke Illustrationen wie beispielsweise das Plakat Slavnostní hra na Vltavě (dt.: Festspiele an der Moldau) von 1926 oder einige Seiten bzw. Studien von Le Pater 1899. 421 Der Fünfpass des ersten Entwurfs scheint Ruhe und Einheit auszustrahlen, wohingegen diese Version eine deutliche Spannung zeigt. Bei der Figur direkt darunter im Dreipass handelt es sich kompositorisch um eine Übernahme des früheren Entwurfes, jedoch hat er die Figur im Vergleich zur Fensteröffnung etwas kleiner werden lassen, das neu mit einer Kopfbedeckung versehene Haupt an den rechten Rand gerückt, sodass nun mehr vom Nimbus zu sehen ist, und das andersfarbige Gewand fällt durch eine leichte Schrägstellung des Körpers asymmetrisch. Im ersten Entwurf unterschied sich die Kleidung deutlich von den goldgelben Kreisflächen, nun sind sie farblich fast im gleichen ApricotTon gehalten wie das Kleid. In den beiden Dreipässen oberhalb der äußeren Lanzetten befindet sich je eine Darstellung eines Hauptes mit Kopfbedeckung und Zöpfen, ebenfalls mit je drei Flügelpaaren versehen. Zusammenfassend lässt sich für die figürlichen Darstellungen des oberen Fensterbereichs eine Vereinheitlichung feststellen, die die Gestaltung der Figuren und der Ringe miteinbezieht. Die größeren Zwickel zwischen den Fensteröffnungen sind ausnahmslos – wie auch beim ersten Entwurf – mit grünen Lindenblättern geschmückt. Verglichen mit dem ersten Entwurf zeigt der Zweite eine komplett andere Farbgestaltung: Während der Erste durch die tiefen Blautöne einen Eindruck von dunkler Nacht erweckt, aus welcher der helle Dreipass in der Mitte stark hervortritt, hat Mucha im oberen Bereich des zweiten Entwurfs fast ausschließlich Pastelltöne verwendet. Es dominieren Hellblau und ein warmes Goldgelb. Die einzelnen Maßwerköffnungen scheinen bezüglich der

s. Kapitel 7.1.1. Abb. von Le Pater s. Ausst. kat. München 2009, S. 123, 129–135, 138.

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Der zweite Entwurf: Die Kyrilliza und die mittelalterlichen Herrscher

Farbgebung gleich gewichtet zu sein, was den oberen Bereich insgesamt zusammengehöriger wirken lässt. Diese Einheit kann als Symbol für Geschlossenheit, Unteilbarkeit und Eintracht gesehen werden, was der Bewegtheit der Fünfpass-Figuren eine positive und sich auf die Mittelachse konzentrierende Dynamik verleiht.

8.1.2 Die Lanzetten Wie schon im Dreipass des ersten Entwurfs gibt es auch beim Zweiten an der gleichen Stelle die weibliche Figur, mit der Mucha die Verbindung des oberen Bereichs zu den Lanzetten herstellte. Diesmal werden die goldenen Kreisflächen, die sich unter den weisenden Händen der Gestalt befinden, nicht in den seitlichen Lanzetten wiederholt, sondern in den mittleren: Dort, wo sich im zweiten Entwurf zwei männliche Figuren befinden, leuchten hinter ihren Köpfen goldene Nimben hervor. Auch hier fungieren die goldenen Kreisflächen im oberen und unteren Bereich gleichzeitig als Stilmittel, in-

haltliche Aussage und bildgewordene Anaphern und weisen den Weg zu den Protagonisten. In diesem Entwurf hat Mucha aber keine lateinischen Beischriften verwendet, sondern nur kyrillische. 422 Auch bei den Slawenaposteln sind in kyrillischen Lettern ihre Namen zu lesen: „CB. MEθOДИOC“ (/Sv. Methodios/) und „CB. KИPИЛЛOЗ“ (/Sv. Kirillos/), was der Übersetzung „Heiliger Method“ und „Heiliger Kyrill“ entspricht (für die Transliteration in lateinisches Alphabet s. Abb. 16). 423 In der gleichen Reihe ganz außen hat Mucha zwei Figuren der slawischen Geschichte dargestellt: links Radbod („PATБЪOHЂ“, /Ratbod/) 424, rechts Mojmír („МОИМИРЪ“, /Moimir/). 425 Zwischen Method und Radbod befindet sich die Darstellung einer sitzenden Figur mit Kopfbedeckung, die mit ihrer linken Hand eine Tafel aufgestützt auf ihrem linken Oberschenkel hält. Unter dieser Darstellung befindet sich das kyrillische Wort „ѸMѤTHOCT“ (/umietnost/), das wohl vom altkirchenslawischen Verb „ѸМЊTИ“ (/umnjeti/) abstammt, was „verstehen“ sowie „kön-

Die Entzifferung der Szenen bzw. der Namen historischer Figuren gestaltet sich in einigen Fällen nicht einfach. Dies ist dem Umstand geschuldet, dass tschechische Wörter bzw. Bezeichnungen mit kyrillischen Buchstaben transliteriert wurden, ohne dass es dafür eine grammatikalische Grundlage gäbe; Näheres dazu s. Kapitel 8.2.2. 423 Beim dritten Buchstaben im kyrillischen Wort „МЕθOДИOC“ (/Methodios/) handelt es sich wohl um ein griechisches Theta (θ) und nicht um den ähnlich geschriebenen kyrillischen Buchstaben Fita, denn dieser wird zumeist anders geschrieben: Ф. Nur in altkirchenslawischen Schriften wird Fita auch als θ geschrieben, aber dennoch als /f/ ausgesprochen. Der griechische Buchstabe Theta ist normalerweise im Kyrillischen nicht vorzufinden. Der zweite Buchstabe von „KИPИЛЛOЗ“ (/Kyrillos/) ist nicht gut erkennbar; es könnte sich dabei auch um zwei Buchstaben nacheinander („ИI“, also /ii/) handeln. Vor den beiden Namen stehen die Buchstaben „CB.“, dies entspricht in der lateinischen Schrift „SV.“ – dem Kürzel für das tschechische Wort „svatý“ (dt.: heilig). 424 Radbod (auch: Ratbod, Ratpot, Ratbot) war ab 828 Markgraf der östlichen Gebiete Bayerns, der sogenannten Ostmark und der Karantanischen Mark. Er spielte eine wichtige Rolle beim Schutz der in Pannonien und Slawonien siedelnden Slawen. Vermutlich ab dem Jahre 833 hatte Radbod engen Kontakt zum Nitraer Fürsten Pribina (s. auch Anm. 431). Dieser war zuvor durch Mojmír I. (s. Anm. 425) aus seinem Herrschaftsgebiet vertrieben worden. Radbod ließ Pribina vermutlich in Traismauer (ht. Niederösterreich) taufen. Zusammen mit Rostislav (s. Anm. 429) ging Radbod gegen König Ludwig II. vom Ostfrankenreich vor, weshalb Letzterer Radbod im Jahre 854 absetzte, s. Ernst Dümmler: Geschichte des Ostfränkischen Reiches, 2 Bde., Berlin 1862–1865, Bd. 1, 1862, S. 34, 40, 370; Herwig Wolfram (Hrsg.): Conversio Bagoariorum et Carantanorum. Das Weißbuch der Salzburger Kirche über die erfolgreiche Mission in Karantanien und Pannonien, Wien 1979, S. 117, 129. 425 Mojmír I. war der Begründer der sogenannten Mojmiriden-Dynastie, zu deren bekannteren Mitgliedern unter anderem Rostislav I. (s. Anm. 429), Svatopluk I. (s. Anm. 430), Svatopluk II. und Mojmír II. gehörten. Zum ersten Mal wird Mojmír im Jahre 828 schriftlich erwähnt, zu diesem Zeitpunkt war er bereits mährischer Fürst – der erste, der namentlich bekannt ist. Mojmír vereinigte nach dem Jahre 830 Altmähren und das Nitraer Gebiet zu einem einzigen Staatsgebilde, was für die wirtschaftliche und kulturelle Entfaltung der Region wegweisend war. Er beeinflusste die Entwicklung von Mähren aber auch dadurch, dass er selbst christlichen Glaubens war und deshalb die Arbeit von Missionaren nicht behinderte. Somit fasste unter Mojmír erstmals das Christentum Fuß in Mähren. Überliefert ist auch seine Vorliebe für byzantinische gegenüber westlichen Gelehrten für diese Tätigkeit. Auch František Palacký betont Mojmírs Bedeutung für die Christianisierung und nennt ihn einen „Mann von nicht gewöhnlichem Geiste“ (František Palacký: Geschichte von Böhmen. Grösstentheils nach Urkunden und Handschriften, Bd. 1: Die Urgeschichte und die Zeit der Herzoge in Böhmen bis zum Jahre 1197, Prag 1836, S. 107). Im Jahre 846 wurde Mojmír aber ebenfalls, wie Radbod später auch, von Ludwig II. abgesetzt; an seine Stelle trat dessen Neffe Rostislav (Poulík 1985, S. 10, 20; Palacký 1836, S. 107, 108, 111; L. Poláček: Großmährisches Reich, in: Hoops 1999, S. 78–85). 422

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Eine Werkbeschreibung

nen“ bedeutet. 426 In der modernen russischen Sprache entspricht es wohl dem Begriff „умение“ (/umenie/, dt.: Fähigkeit, Fertigkeit, Kunst). Es handelt sich damit also um eine die Kunst repräsentierende allegorische Figur, die Mucha auch schon im ersten Entwurf Method zur Seite gestellt hatte. Auf der gegenüberliegenden Seite, also zwischen Kyrill und Mojmír, ist die Figur eines bärtigen Mannes zu sehen, der dem Betrachter eine Tafel mit kyrillischen Buchstaben zeigt. Die Inschrift lautet „KІНРИЛИKА“ (/Kirilika/), was die Szene als Allegorie für die nach Kyrill benannte Schriftsprache ausweist

– auch dies entspricht der Darstellung im ersten Entwurf. Im zweiten Register von oben befinden sich weitere sechs Herrscher aus der slawischen Geschichte. Das erste Bildfeld links zeigt den böhmischen Fürsten Slaviteh („CЛAБИTEХЪ“, /Slavitech/). 427 Bei der nächsten Figur handelt es sich um Kocel („KOЦEЛЪ“, /Kozel/) 428, danach folgt Rostislav („POCTИCЛAБ“, /Rostislav/). 429 Als weitere Figur hat Mucha Svatopluk dargestellt („CBЯTOПOЛЪKЪ“, /Svjatopolk/). 430 Die letzten Lanzetten im zweiten

Jean-Paul Deschler: Kleines Wörterbuch der kirchenslavischen Sprache, Peter Rehder (Hrsg.), München 2003, S. 222. Beim ersten kyrillischen Buchstaben dieses Wortes handelt es sich um ein Uk, das als /u/ gelesen wird. In der Regel wird das Uk als Ѹ geschrieben. In diesem Fall jedoch ist das Y dem O als Titla aufgesetzt. Dieser Vorgang ist eine deutliche altkirchenslawische Stilisierung, s. dazu Kapitel 8.2.1; freundlicher Hinweis von Prof. Dr. Markus Giger in Prag. 427 Slaviteh (oder Slavitah, Slawitah) war ein böhmischer Fürst, der um die Mitte des 9. Jahrhunderts gelebt hat. Sein Herrschaftsgebiet war das Weitraer Gebiet – also der westliche Teil der heutigen Tschechischen Republik mit einem kleinen Gebiet in Österreich; das Zentrum dieses Reiches war Weitra im heutigen Niederösterreich. Im Jahre 857 wurde Slaviteh jedoch von den Truppen Ludwigs II. vertrieben, deshalb suchte er Schutz bei Rostislav (s. Anm. 429), s. Palacký 1836, S. 115; Beda Franziskus Dudík: Von den ältesten Zeiten bis zum Jahre 906 (Mährens allgemeine Geschichte. Im Auftrage des mährischen Landesausschusses, Bd. 1), Brünn 1860, S. 133; Josef Žemlička: Herrschaftszentren und Herrschaftsorganisationen, in: Ausst. kat. Europas Mitte um 1000, Budapest: Nationalmuseum et al., 2000–2002, Alfried Wieczorek (Hrsg.), Stuttgart 2000, S. 367. Der letzte Buchstabe beim Namen des Slaviteh scheint ein Ѣ (/ja/), also der kyrillische Buchstabe Jat zu sein. Weil sich dies aber auch mit den verschiedenen Namensvarianten dieses Herrschers nicht in Einklang bringen lässt, wird ein ähnlich aussehendes Härtezeichen Ъ angenommen. 428 Kocel (auch Kozel, Chozel, Chocel, Chozilo oder Chezilo) war der Sohn von Pribina (s. Anm. 431) und wurde vor 833 geboren. Er war ein mährischer Fürst und herrschte nach dem Tod seines Vaters über ein Gebiet am Plattensee. Im Jahre 867 kamen Kyrill und Method, die sich vermutlich auf der Durchreise nach Rom befanden, an seinen Hof. Womöglich bewog der Besuch der Slawenapostel Kocel dazu, die slawische Liturgie zu fördern. Er sorgte wohl zusammen mit Rostislav dafür, dass Method vom Papst zum Erzbischof berufen wurde. Im Jahre 869 wurde Method alleine (sein Bruder war zuvor in Rom verstorben) an seinen Hof geschickt, später sollte er auch an Rostislavs und Svatopluks Hof gelangen, mit dem Auftrag aus Rom, die slawische Liturgie in Mähren zu verbreiten; s. Anm. 429 und 430. Das Herrschaftsgebiet Kocels gehörte danach zur Diözese des Method. Nach Kocels Tod fiel sein Reich dem späteren ostfränkischen König Arnulf von Kärnten zu (Palacký 1836, S. 122; L. Poláček: Großmährisches Reich, in: Hoops 1999, S. 79; Jan Evangelista Bílý: Geschichte der Heiligen Slaven-Apostel Cyrill und Method. Zur tausendjährigen Jubelfeier der Christianisirung von Mähren und Böhmen, Prag 1863, S. 26, 27 und 35; Attila Verók: Kocel, in: Enzyklopädie des europäischen Ostens (EEO), Alpen-Adria Universität Klagenfurt, 2014). 429 Rostislav (oder Rastislav, Rostislaw) war von 846 bis 871 mährischer Fürst. Er war der Nachfolger von Mojmír I. (s. Anm. 425). Gute Beziehungen hatte er wohl zu Kocel (s. Anm. 428), an dessen Hof er sich unter anderem aufgehalten haben soll. Rostislav setzte sich für ein zunehmend vom Ostfrankenreich Ludwigs II. unabhängiges Reich ein. Er war es schließlich auch, der die Bitte an den byzantinischen Kaiser Michael III. richtete, ihm slawischsprachige Missionare zum Aufbau einer eigenen Kirche zu schicken, worauf Kyrill und Method entsandt wurden. Im Jahre 867 hat Rostislav die Brüder an seinem Hof empfangen. Im Jahre 869 soll Method alleine (sein Bruder war zuvor in Rom verstorben) nochmals an seinen Hof gelangt sein, nachdem er bereits bei Kocel gewesen war (vgl. Anm. 428). Gegen Ende der Regierungszeit Rostislavs hatte er eine Fehde mit seinem Neffen Svatopluk (s. Anm. 430), weil dieser sich mit dem Sohn von Ludwig II., Karlmann, verbündete. In der Folge wurde Rostislav gefangen und abgesetzt (s. L. Poláček: Großmährisches Reich, in: Hoops 1999, S. 79; Palacký 1836, S. 121–128; Bílý 1863, S. 26, 35). 430 Svatopluk I. (oder Svetopluk, Svätopluk, Svatopolk) war der Nachfolger von Rostislav (s. Anm. 429). Er war von ungefähr 867 bis 870 Mitregent und von 870 bis 894 alleiniger mährischer Fürst, bis auf eine Unterbrechung im Jahre 871, als er in Gefangenschaft geriet. Im Jahre 869 kam Method alleine (sein Bruder war zuvor in Rom verstorben) an Svatopluks Hof, um die slawische Liturgie in Mähren zu verbreiten. Svatopluk organisierte die mährische Kirche und gründete mit dem Bischof Wiching das Bistum Nitra. Letzterer war vermutlich mitverantwortlich für Methods Verurteilung. Svatopluk distanzierte sich aber nach der Freilassung Methods durch den Papst von seiner bisherigen Politik und unterstellte Method alle Kirchen in seinem Reich, die Messen sollten zudem in slawischer sowie lateinischer Sprache gelesen werden. Im Laufe der folgenden Jahre ergaben sich diesbezüglich allerdings massive Probleme, die um das Todesjahr des Method herum in einem Verbot gipfelten, wonach die slawische Liturgie in seinem Reich nicht mehr praktiziert werden durfte, s. L. Poláček: Großmährisches Reich, in: Hoops 1999, S. 79 und 80; Dobrovský 1823, S. 97 und 98; Palacký 1836, S. 125–134; Bílý 1863, S. 35; Snopko 2006, S. 27. Die Weidenruten, die Svatopluk in seiner linken Hand hält, erinnern an eine alte Legende: So soll er vor seinem Tode seine drei Söhne zu sich gerufen und jeden aufgefordert haben, drei Holzstäbe zu brechen. Doch jeder von ihnen erkannte, dass ein Bruder alleine nur einen Holzstab zerbrechen konnte, aber nicht alle drei Stäbe zusammen. Daraus leitete sich die Erkenntnis ab, dass niemand die drei Brüder besiegen kann, sofern sie zusammenhalten (s. Miháliková 2004, S. 93; Palacký 1836, S. 149 und 150). 426

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Der zweite Entwurf: Die Kyrilliza und die mittelalterlichen Herrscher

Register zeigen links Pribina („ПPИБИHA“, /Pribina/) 431 und rechts Boris („CB. БOPИCЪ“, /Sv. Boris/). 432 Sowohl die Reihe darunter als auch die vierte Reihe beinhalten bereits das große zentrale Mittelbild: zwei weibliche Figuren, ganz ähnlich wie später auf dem tatsächlich ausgeführten Fenster. Die linke Gestalt ist als „CЛABИЯ“ (/Slavia/), die rechte mit dem Kürzel „Ч. CЛ. PEП.“ (/Č. SL. REP./) als Tschechoslowakische Republik gekennzeichnet. Die Figur der Slavia weist Gemeinsamkeiten mit dem zentralen Bild des ersten Entwurfes sowie mit drei Gestalten des ausgeführten Glasgemäldes und der Slavia von 1907 auf. 433 Vom Plakatmotiv für die Banka Slávie stammen ganze Bereiche wie die Armhaltung, die Positionierung des Rings der Einheit und die Kleidung. 434 Die linke Seite des dritten Registers zeigt zunächst eine männliche Figur, vor ihm befinden sich in offensichtlich kniender Haltung zwei weitere männliche Gestalten – von der rechten davon ist nur knapp das Gesicht zu erkennen. Die Inschrift „ПOCEЛCTBѤ“ (/poselstvje/) ist wohl am ehesten mit

„Botschaft“ bzw. „Gesandtschaft“ zu übersetzen. 435 Daneben, in der nächsten Szene, findet sich eine stehende männliche Figur, die von anderen, vor ihr knienden umgeben ist. Eine von diesen hält ein Buch in der Hand. Die Szene ist „CЛAB. KHИГA“ (/slav. kniga/) benannt, was „slawisches Buch“ bedeutet. 436 Mucha hat hier die Übergabe der von Kyrill und Method in die slawische Schriftsprache übersetzten liturgischen Bücher an Papst Hadrian II. dargestellt. Der aufrecht stehende Mann scheint das Schriftstück mit seiner rechten erhobenen Hand zu segnen, hinter ihm ist die leuchtende Sonne zu sehen. Im darunterliegenden Register links wird Method im Kerker gezeigt, wie das Wort „ЖAЛAPЬ“ (/žalar/) bestätigt. 437 Zwischen der Kerkerszene und den beiden Personifikationen in der Mitte hat Mucha die Taufe Bořivojs durch die Slawenapostel dargestellt, sein Name („БOPИВOИ“, /Borivoi/) ist unter der Szene in der Bildunterschrift zu lesen. 438 Auf der rechten Seite der beiden weiblichen Figuren in der Mitte folgt die Darstellung des Todes von Kyrill. Die Szene ist mit den Buchstaben „CМ. KЬIPИЛA“ („Sm. Kirila“) bezeichnet, wobei die

Pribina (auch Privina, Priwina) wurde um das Jahr 800 geboren und war ein mährischer Fürst in Nitra, er starb ungefähr im Jahre 860. Vermutlich geht der älteste Kirchenbau auf slawischem Boden nördlich der Donau auf ihn zurück: Er soll um 830 eine Kirche in Nitra erbaut haben. Daher wird er als Symbol für die Christianisierung angesehen. Der ebenfalls mährische Fürst Mojmír I. (s. Anm. 425) verdrängte Pribina im Jahre 833. Pribina flüchtete daraufhin mit seinem Sohn Kocel (s. Anm. 428) und fand Zuflucht bei Radbod (s. Anm. 424). Am Hofe des Letzteren wurde er im christlichen Glauben unterrichtet und (möglicherweise ein zweites Mal) getauft. Später verließ er Radbod und begab sich mit seinem Sohn Kocel nach Bulgarien. Um 840 erhielt er von König Ludwig I. ein Territorium beim Plattensee, wo er viele Kirchen errichtete. Pribina wird als der erste bekannte Fürst dieser Region angesehen. Seine Grafschaft übernahm nach Pribinas Tod sein Sohn Kocel (s. Dümmler 1865, S. 34, 40, 284, 466, 617; Wolfram 1979, S. 128–139; Palacký 1836, S. 122 und 123). 432 Boris von Bulgarien (auch Boris I.) lebte von der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts bis 907. Er nahm als erster Herrscher Bulgariens spätestens im Jahre 864 den christlichen Glauben an. Möglicherweise geschah dies aber schon im Jahre 860, als Method alleine (und noch vor Beginn der eigentlichen Mission bei den Slawen) am Hofe von Boris war und ihn mithilfe eines Wandbilds bekehrte. Es ist umstritten, ob Kyrill und Method während ihrer Missionsreise an seinem Hofe waren, jedoch sorgte er nach deren Tod dafür, dass die Schüler der Slawenapostel in Bulgarien das Christentum sowie die slawische Schriftsprache ungehindert verbreiten konnten. Sie waren es schließlich auch, die in Bulgarien aus der glagolitischen die kyrillische Schriftsprache entwickelten (Poulík 1985, S. 25; Palacký 1836, S. 119 und 120). 433 Mehr dazu s. Kapitel 9.2. 434 vgl. Kapitel 7.3.2. 435 Das altkirchenslawische Wort посолЪ (/posol/) bedeutet „Gesandter“, „Botschafter“, s. Deschler 2003, S. 157. 436 Deschler 2003, S. 95. 437 Method wurde wohl ungefähr in der Zeit von 870 bis 873 in Ellwangen oder auf der Reichenau gefangen gehalten, nachdem er nicht auf seinen kirchlichen Rang hatte verzichten wollen (s. Poulík 1985, S. 23; Snopko 2006, S. 27). Das tschechische Wort „žalář“ bedeutet „Kerker“ und „Gefängnis“. 438 Der böhmische Fürst Bořivoj I., geboren um 855, ist der erste historisch belegbare Vertreter der Přemysliden. Im Jahre 871 heiratete er Ludmilla, die wahrscheinlich gemeinsame Taufe fand wohl im Jahre 875 statt. Bořivoj starb im Jahre 888, sein ältester Sohn Spytihněv war damals noch minderjährig. Daher dauerte es etwa fünf Jahre, bis Spytihněv die Regierung übernahm; dazwischen war Böhmen dem Mährerreich Svatopluks angegliedert worden. Nach Spytihněvs Tod im Jahre 915 gelangte Vratislav, der zweite Sohn Bořivojs, an die Macht. Dieser war der Vater von Wenzel. Das Herrschergeschlecht der Přemysliden blieb bis ins 14. Jahrhundert in Böhmen an der Macht (Dušan Třeštík: Počátky Přemyslovců. Vstup Čechů do dějin 530–935. Prag 1997, S. 176–195). 431

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Eine Werkbeschreibung

beiden Buchstaben „CM.“ für das altkirchenslawische „cмєрть“ (/smert/) bzw. tschechische „smrt“ („Tod“) steht. 439 Gleich daneben, am rechten Rand, folgt die Illustration des Zusammentreffens zwischen Papst Hadrian und Method. Unter dieser Szene steht „ПAП. AДPИAH“ (/Pap. Adrian/). 440 Die dem Papst von einem Gehilfen gereichten Gefäße und die Gestik des Papstes – er berührt die Stirn Methods – verweisen auf die Salbung als Bischof. 441 In den beiden Bildfeldern darunter, immer noch rechts von der etwas größer dargestellten Personifikationen Slavia und Tschechoslowakei, folgt links eine weitere Szene mit einem Papst, nun ist es Johannes („ПAП. ИOAНE“, /Pap. Joane/). Dargestellt ist die Wiedereinsetzung Methods als Bischof nach dessen Entlassung aus der Gefangenschaft. Rechts daneben ist eine weitere Darstellung mit Papst Hadrian und der gleichen Inschrift wie im Bildfeld direkt darüber zu sehen. Der Papst ist in der hinteren Figur zu erkennen, da dieser das Pallium über seiner linken Schulter trägt, während Method im Vordergrund den Kopf nach hinten zum Papst gewendet hat. Letzterer hält in seiner Linken einen Gegenstand, der in etwa die Form eines nach oben weisenden Dreiecks besitzt. Auf seinem Kopf befindet sich eine kranzähnliche Kopfbedeckung mit zackenförmigen Enden, die nach oben weisen, sodass sie einer Krone ähnelt. Vermutlich handelt es sich bei dem dreieckigen Gegenstand um eine bischöfliche Mitra; die kronenähn-

liche Kopfbedeckung könnte ein Birett sein, mit dem sich ein Bischof außerhalb des Gottesdienstes das Haupt bedeckt. 442 Somit schließt sich dieses Bildfeld an dasjenige direkt darüber an: Papst Hadrian salbt Method nicht nur, sondern er übergibt ihm auch Teile des Bischofsornates. Stab und Ring werden, wie bei der Darstellung darüber, auch hier nicht übergeben. Diese „Verdoppelung“ eines Handlungsmomentes ist ungewöhnlich, insbesondere da die zwei Bildfelder übereinander – und nicht nebeneinander – zu liegen kommen. Schließlich ist in der untersten Reihe, links von der vorgesehenen Stifterinschrift, die Darstellung des Königs von Ungarn zu sehen mit der Benennung „KP. ѸXEPCKH“ (/Kr. Ucherski/). 443 Die Buchstaben „KP.“ entsprechen dem tschechischen Wort für „král“ („König“), „uherský“ bedeutet „ungarisch“. Die stehende Figur stellt Method dar, denn das ihn als Bischof ausweisende Pallium ist gut zu erkennen. Demzufolge muss die vor ihm kniende Figur der König von Ungarn sein. Es erschließt sich nicht gänzlich, auf welche historische Gegebenheit Mucha mit dieser Darstellung verweist. Nachweislich hatte erst König Géza von Ungarn erste Schritte für die Etablierung des Christentums in seinem Reich vollzogen; die definitive Zuwendung muss jedoch seinem Sohn Stephan I. zugeschrieben werden. 444 Da Géza erst um 950 geboren wurde, die Slawenapostel aber bereits im Jahrhundert davor verstarben (Kyrill im Jahre 869 und Method 885), kann es sich bei

Deschler 2003, S. 193. Die Endung beim Namen Kyrills weist auf den Genitiv hin. Altkirchenslawisch „ПÁПA“: Papst; s. Deschler 2003, S. 144. 441 Die Einsetzung von Method als Bischof fand im Jahre 870 statt (s. Europa und seine Regionen. 2000 Jahre europäische Rechtsgeschichte, Andreas Bauer und Karl H. L. Welker (Hrsg.), Köln 2007, S. 71). Das Ritual nach alttestamentlichem Vorbild, bei welchem der Papst eine Salbung des Hauptes bei der Ordination zum Bischof vornahm, gehörte seit dem 10. Jahrhundert zum festen Bestandteil der kirchlichen Tradition in Rom (s. hierfür: Schumacher 2010, S. 59). Über Bräuche aus der Zeit davor finden sich keine Hinweise. Zu dieser Zeremonie gehört ebenfalls die Übergabe von Stab und Ring sowie das Auflegen des Evangeliars, worauf Mucha in diesem Bildfeld allerdings verzichtet hat. Auch dies ist bereits seit dem 10. Jahrhundert überliefert (Schumacher 2010, S. 59). Mucha kann mit dieser Szene auf keinen Fall die Rückkehr Methods in seine Diözese gemeint haben, denn Method wurde nachweislich von Hadrians Vorgänger, also von Papst Johannes VIII., wiedereingesetzt. 442 Das Birett gilt neben Mitra und Stab als weiterer Bestandteil des Bischofsornats und ist seit dem 13. Jahrhundert als Kopfbedeckung für Päpste, Bischöfe und Kanoniker bekannt (s. Hefele 1864, S. 238). 443 Der erste Buchstabe des Wortes „ѸXEPCKH“ ist ein O, dem ein Y als Titla aufgesetzt wurde, vgl. hierzu Anm. 426. 444 Géza (um 950–997) hatte eine gewaltsame Zerstörung von Götzen und Kultstätten des heidnischen Glaubens angeordnet und bat im Jahre 973 Otto I., christliche Missionare in sein Reich zu entsenden. Er ließ auch sich selbst und seine Familie taufen, doch hielt er an traditionellen heidnischen Glaubensinhalten fest, sodass sich der Glaube im Volke trotz vieler, vor allem aus Regensburg kommender Missionare nicht durchsetzte. Wegen kriegerischer Auseinandersetzungen mit Bayern kehrten die meisten Missionare heim, worauf die Christianisierung für zwei Jahrzehnte unterbrochen wurde. Erst unter Gézas Sohn Stephan I. (um 975–1038) wurden wieder Missionare entsandt. Der neue Herrscher setzte sich mit größerer Durchsetzungskraft für den neuen Glauben ein, seine Heirat mit der Tochter des bayerischen Herzogs Heinrich II., Gisela, unterstützte die christliche Mission vom Hofe aus. Auch im Volke setzte sich unter Stephan I. das Christentum durch, s. Markus Hein, Éva Zs. Hein: Art. Ungarn. Christianisierung und Staatsbildung, in: Theologische Realenzyklopädie Bd. 34, Berlin 2002, S. 276. 439

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wbg Snopko / p. 88 / 10.11.2022

Der zweite Entwurf: Die Kyrilliza und die mittelalterlichen Herrscher

dieser Szene um keine Darstellung einer historisch überlieferten Begebenheit handeln – es ist vielmehr eine symbolische Illustration der Tatsache, dass durch die Slawenapostel der christliche Glaube auch in Ungarn Fuß fassen konnte. Eine weitere Deutungsmöglichkeit dieser Szene ergibt sich aus der Tatsache, dass der zweite Bischof von Prag, Adalbert (tschechisch: Vojtěch), den damaligen König Géza und seinen gerade geborenen Sohn Stephan auf einer seiner Reisen im Jahre 984 selbst getauft haben soll. 445 Falls dies der Intention von Mucha entspricht, wäre im Bischof Adalbert zu sehen und in dem vor ihm knienden Mann Géza von Ungarn. Der Tod Methods, rechts vom Feld für die Stifterinschrift, schließt schlussendlich die Darstellungen ab, mit der Bildunterschrift „CM. МЕθOДOBA“ (/sm. Methodova/).446 Dargestellt sind also verschiedene Figuren und Ereignisse, die sich wie folgt gruppieren lassen: – Die Spitzen der mittleren Lanzetten zeigen in Einzeldarstellungen Kyrill und Method. – Zu beiden Seiten befindet sich je eine allegorische Figur („Kunst“ und „Kyrilliza“). – Die zwei Bildfelder ganz außen und die sechs Bildfelder des zweiten Registers zeigen historische Herrscher von Böhmen und Mähren. – Wiederum in den mittleren Lanzetten, über der Stifterinschrift, folgt die Darstellung von Slavia und der Tschechoslowakei.



In den drei untersten Registern sind zu jeder Seite der Slavia bzw. der Tschechoslowakei jeweils fünf erzählerische Szenen aus dem Leben und Wirken der Slawenapostel zu sehen.

Ganz deutlich ist nach dieser Untersuchung des zweiten Entwurfs zu erkennen, dass Mucha auf die Kritik des Dombauvereins vom Januar 1929 reagiert hat. Max Švabinský hatte am ersten Entwurf bemängelt, dass die Figuren zu groß seien, auch Bohumil Kafka war dieser Meinung und schlug eine Verkleinerung vor. 447 Muchas Antwort darauf war die Miteinbeziehung von wesentlich mehr und kleineren Figuren. Es ist jedoch für den Betrachter nicht einfach, die Darstellungen zu überblicken und zu verstehen. Dies liegt zum einen daran, dass es sich um eine Kombination von verschiedensten Themenbereichen und Darstellungsarten handelt, die Mucha dicht gedrängt neben- und übereinander platziert hat: Zu sehen sind allegorische Figuren, Personifikationen, Bildnisse von historischen Herrschern und von den Slawenaposteln sowie verschiedene Handlungsabläufe. Des Weiteren hat Mucha in den mittleren Lanzetten oben die Slawenapostel selbst auf eine sehr ähnliche Weise dargestellt wie die Machthaber. Der Kern der Problematik ist schließlich sicherlich auch in der Art und Weise zu suchen, wie die einzelnen Bildfelder gekennzeichnet sind: mit der kyrillischen Schrift.

8.2 Die Kyrilliza Kyrillische Schriftzeichen kommen ausschließlich in Muchas zweitem Entwurf für das Glasgemälde vor. Sie stellen angesichts der komplexen Komposition mit einigen ähnlichen Darstellungen eine fürs Verständnis erforderliche Komponente dar. Verglichen mit Muchas anderen beiden Entwürfen und gemessen am tatsächlichen Gebrauch der Kyrilliza in Böhmen und Mähren ist es außergewöhnlich, dass der Künstler den kyrillischen Bei-

445

schriften in diesem Entwurf eine solche Wichtigkeit zugesprochen hat. In der Geschichte der modernen tschechischen Sprache gab es nie den Versuch, kyrillische Schriftzeichen zu verwenden. 448 Dies verhielt sich auch kurz vor der Gründung der Tschechoslowakei im Jahre 1918 und in den Anfangsjahren des neuen Staates nicht anders. Es darf daher angenommen werden, dass die Kyrilliza zu Lebzeiten Muchas sehr wahrscheinlich von einem Groß-

Palacký 1836, S. 235 und 236.

446 „CM.

МЕθOДOBA“ steht für tschechechisch „smrt Methodová“ („Tod Methods“). s. Kapitel 5.2.4. 448 Auch heute bildet die Verwendung von lateinischem bzw. kyrillischem Alphabet ein trennendes Merkmal zwischen den slawischen Völkern, die sich für den Katholizismus entschieden, und jenen, die sich der Orthodoxie angeschlossen haben. 447

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Die Kyrilliza

teil der Bevölkerung nicht gelesen werden konnte. 449 Mit großer Wahrscheinlichkeit ist diese Aussage auch bereits für das 19. Jahrhundert zutreffend. 450 Wenn aber ein Betrachter doch des Kyrillischen mächtig ist und die Inschriften auf Muchas zweitem Entwurf zu lesen versucht, dann bemerkt er gewisse Probleme – oder stößt gar an seine Grenzen. Der Grund dafür liegt in Muchas Verwendung von sogenannten altkirchenslawischen Stilisierungen für seine Inschriften.

8.2.1 Altkirchenslawisch bzw. altkirchenslawische Stilisierungen Die Entstehung der Kyrilliza nahm durch die Schüler der Slawenapostel um die Mitte des 10. Jahrhunderts in Bulgarien ihren Anfang. Schnell waren auch die altbulgarischen Dialekte in der Kyrilliza vorhanden – und zwar auch dort, wo sie nicht gesprochen wurden. Diese Umstände führten zu einer Abkopplung der Schriftsprache von der gesprochenen Sprache. Das Altkirchenslawische ist daher insgesamt uneinheitlich und enthält häufig neben historischen sowie späteren Schreibvarianten bzw. Dialekten auch Fehlschreibungen. 451 Trotz dieses Mangels an Homogenität können insgesamt nur wenige Handschriften als wirklich altkirchenslawisch bezeichnet werden. Diese stammen aus dem 10. bis 12. Jahrhundert – und nur ein Bruchteil davon kommt aus Böhmen und Mähren. 452 Altkirchenslawische Stilisierungen gehen aus wesentlich jüngeren Epochen hervor und fanden in Anlehnung an die originale Schriftsprache des 10. bis 12. Jahrhunderts Verwendung. Das heißt, dass in späterer Zeit häufig Buchstaben oder gar ganze Wörter aus altkirchenslawischen Schriften in Kunstwerken eingesetzt wurden, obwohl das Altkirchenslawische weder in der gesprochenen noch in der geschriebenen Sprache von Bedeutung war. Es

konnte dadurch aber eine direkte Anknüpfung an die Slawenapostel und ihre Zeit nicht nur durch das Dargestellte, sondern auch durch die gewählte Sprache erreicht werden. Die Kyrilliza ist innerhalb des Entwurfes also als ein selbstreferenzielles System mit hohem symbolischem Charakter zu verstehen: Die slawische Schriftsprache ermöglichte eine Liturgie, die von der gesamten Bevölkerung verstanden wurde. Im 19. und 20. Jahrhundert bedienten sich – infolge der starken Identitätssuche und Konzentration auf slawische Werte – viele bildende Künstler altkirchenslawischer Stilisierungen. Diese ohnehin bereits selbstreferenzielle Eigenschaft wird von Mucha nochmals erhöht, und zwar mittels der allegorischen Darstellung und der zugehörigen Bildunterschrift „KІНРИЛИKА“ (/Kirilika/) im obersten Register.

8.2.2 Die Variantenvielfalt in Muchas Kyrilliza Beim Übertragen der kyrillischen Begriffe aus Muchas Entwurf in lateinische Lautschrift fallen einige Unterschiede zur modernen Kyrilliza auf, aber auch einige Unstimmigkeiten, die genauer untersucht werden müssen. Zunächst fällt eine grammatikalische Uneinheitlichkeit bei den Namen von Mojmír, Boris und Rostislav auf: Der Erste, „МОИМИРЪ“, weist am Schluss einen reduzierten Vokal bzw. das Härtezeichen Ъ auf, ebenso der zweitgenannte „БOPИCЪ“, während „РОСТИСЛАВ“ nicht mit dem Härtezeichen aufhört. Auch die meisten anderen Namen – auch Methods – weisen kein Härtezeichen auf, obwohl sie eigentlich ein solches haben müssten, denn dies wird üblicherweise bei Wörtern angehängt, die auf einen Konsonanten auslauten. 453 Bei den Namen der beiden Protagonisten ist auffällig, dass Mucha die griechische Variante der Namen gewählt hat: „MЕθOДИOC“ und „KIИPИЛЛOЗ“, also /Methodios/ und /Kirillos/. Die altkirchenslawische Schreibweise ist jedoch diejenige

Freundliche Mitteilung von Prof. Dr. Markus Giger, Karls-Universität in Prag, vom 28. 2. 2014. Freundliche Mitteilung von Marek Nekula vom Bohemicum in Regensburg vom 17. 3. 2014. 451 Deschler verweist in seinem Handbuch auf verschiedene Schreibweisen einiger Laute; so sind auch die Buchstaben O und Ԝ als austauschbar anzusehen (s. Deschler 2003, S. 20; Georg Holzer: Art. Altkirchenslawisch, in: Wieser Enzyklopädie des europäischen Ostens, Bd. 10, Klagenfurt/ Celovec 2002, S. 187). 452 David Kalhous: Slawisches Schrifttum und Liturgie des 10. und 11. Jahrhunderts, in: Lumír Poláček: Frühmittelalterliche Kirchen als archäologische und historische Quelle, Brünn 2010, S. 386. 453 Bei „CB. БOPИCЬ“ (/Sv. Boris/) hat Mucha die korrekte altkirchenslawische Schreibung übernommen, s. Deschler 2003, S. 252. 449 450

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Der zweite Entwurf: Die Kyrilliza und die mittelalterlichen Herrscher

ohne die griechischen Suffixe, konkret „MеθOДЇЍ“, (/Methodii/) und „KѶPІЛЛЪ“, (/Kyrill/) 454, wobei Mucha hierbei eine Mischvariante gewählt hat, weil der Buchstabe И als altkirchenslawische Stilisierung angesehen wird. 455 Wie schon beschrieben handelt es sich beim kyrillischen Buchstaben Uk (/u/) in dem Wort „ѸMѤTHOCT“ (/umietnost/; „Fertigkeit“, „Kunst“) um eine altkirchenslawische Stilisierung: Erkennbar ist dies daran, dass aus dem üblicherweise als Ѹ geschriebenen Buchstaben in diesem Fall das Y dem O als Titla aufgesetzt ist. Diese Variation des Buchstabens Uk findet sich auch im Wort für „ungarisch“ in der Beischrift „KP. ѸXEPCKH“ (/Kr. Ucherski/). Ein weiterer zu beachtender Umstand ist, dass der Herrscher Rostislav altkirchenslawisch in südslawischer Lautung „РАСТИСЛАВЪ“ (/Rastislav/) geschrieben wird. 456 Aber die von Mucha verwendete Form der Lautung ist „Rostislav“, die in der heutigen tschechischen Sprache Gültigkeit besitzt. 457 Beim mährischen Fürsten Svatopluk („CBЯTOПOЛЪKЪ“, /Svjatopolk/) orientierte sich Mucha ebenfalls nicht gänzlich an der traditionellen altkirchenslawischen Schreibweise, die „CBATOПOЛKЪ“ (/Svatopolk/) lauten würde. Zusätzlich zur Änderung des dritten Buchstabens fügte er ein weiteres sogenanntes Härtezeichen Ъ an drittletzter Stelle ein, das für den Buchstaben davor, also Л (/l/), gilt. Mucha hat zudem eine ältere Variante des Namens gewählt, die sich durch eine Lautverschiebung in der dritten Silbe von der modernen Form unterscheidet und näher an der altkirchenslawischen Variante ist. Bei den Namen der Päpste sieht es folgendermaßen aus: Mucha benennt sie „AДPИAH“ (/Adrian/) bzw. „ИOAНE“ (/Joane/) und weicht damit in beiden Fällen wieder deutlich von der altkirchenslawischen Schreibweise ab, die lautet: „AДPЇAHЪ“ (/Adrian/) und „IԜAHHЪ“ (/Ioann/). 458 Allerdings könnte zumindest das Weglassen des Härtezeichens

Ъ am Ende des Namens in beiden Fällen aufgrund von Platzmangel geschehen sein, da jeweils die Bezeichnung „ПAП“ (/Pap/) vorgestellt wurde. Jedoch war Mucha beim Einsatz des Härtezeichens insgesamt nicht konsequent, wie oben ausgeführt wurde. Fest steht, dass Mucha seine Kyrilliza altkirchenslawisch erscheinen lassen wollte, deshalb hat er bestimmte Buchstaben und Schreibweisen von Namen aus der Zeit des 10. bis 12. Jahrhunderts übernommen. Das Miteinbeziehen von tschechischen Sprachformeln aus dem 20. Jahrhundert geht vermutlich darauf zurück, dass sich nicht überall eine Vorlage mit altkirchenslawischen Schreibweisen finden ließ. Neben traditionellen altkirchenslawischen und modernen tschechischen Varianten kommen aber auch griechische Modifikationen zum Einsatz: Die Namen von Kyrill und Method hat er – möglicherweise in Anlehnung an deren Herkunft aus Thessaloniki – mit den griechischen Suffixen versehen.

8.2.3 Die Kyrilliza in Muchas Werk Es scheint das erste und einzige Mal zu sein, dass der Künstler altkirchenslawische Stilisierungen in eines seiner Werke miteinbezogen hat. Die Kyrilliza – allerdings ohne die historisierenden Modifikationen – hat er auch für zwei Gemälde seines Epos verwendet: in Der heilige Berg Athos sowie in Einführung der slawischen Liturgie. Im erstgenannten Gemälde von 1926 lässt er über einer realen Welt aus Pilgern Engel schweben, die Modelle von vier slawischen Klöstern auf dem Berg Athos halten – diese sind mit den Namen in kyrillischer Schrift bezeichnet. 459 In der Mitte dieser zwei Engelsgruppen befinden sich zwei allegorische Figuren, die Banner mit den Worten für „Glauben“ und „Barmherzigkeit“ auf Tschechisch, aber transliteriert in die Kyrilliza, hochhalten. Das zweitgenannte Gemälde, die Einführung der slawischen Liturgie von 1912, zeigt in den Nimben einiger Fi-

Deschler 2003, S. 273 und 277. Kempgen 2014, S. 140. 456 Freundlicher Hinweis von Prof. Dr. Markus Giger, Karls-Universität Prag, am 28. 2. 2014. 457 Deschler 2003, S. 286. 458 Die verschiedenen Schreibweisen von einigen Lauten könnte diese Differenz beim Namen Johannes erklären. Laut Deschler sind beispielsweise die Buchstaben O und Ԝ als austauschbar anzusehen (s. Deschler 2003, S. 20). 459 Ausst. kat. San Diego 1998, S. 120; Abb. s. Ausst. kat. San Diego 1998, S. 121. 454 455

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Die Kyrilliza

guren deren Namen in kyrillischen Lettern. 460 Mucha stellte in diesem Gemälde den Empfang Methods am Hofe von Svatopluk dar, bei der dem mährischen Fürsten eine päpstliche Bulle über die Einführung der slawischen Liturgie in dessen Reich vorgelesen wurde. Bei den beiden erwähnten Werken mag es zunächst erstaunen, dass die Kyrilliza eingesetzt wurde, obwohl sie nicht lesbar ist. Doch der stark emblematische und symbolische Charakter der Kyrilliza erklärt, weshalb sie sich sehr gut als Darstellungselement eignet. Außerdem sind die beiden Werke auch ohne die wenigen kyrillischen Worte verständlich. Bei seinen anderen Darstellungen von Kyrill und Method verzichtete Mucha gänzlich auf den Einsatz der Kyrilliza.

8.2.4 Ein weiteres Werk im Veitsdom mit der Kyrilliza: Die Holztüre von Josef Cibulka, Štěpán Zálešák und František Vavřich (1929) Es stellt sich an dieser Stelle die Frage, ob Mucha der einzige Künstler war, der mit der Kyrilliza arbeitete, also ob dies ein verbreitetes Phänomen oder doch nur eine Ausnahmeerscheinung war. Insgesamt handelt es sich bei der Frage nach der Kyrilliza in anderen Werken der bildenden Kunst um einen noch kaum erforschten Zweig. 461 Ein sehr gut mit Muchas zweitem Entwurf vergleichbares Werk ist die Eichenholztüre des Wohlmuth-Chores von 1929. 462 Es ist die mittlere von drei Türen, die das nördliche Querschiff abschließen; darüber befindet sich die große Orgel. 463 Folgende Personen haben an ihr mitgearbeitet: das

Bildprogramm stammt von Josef Cibulka 464, die Gestaltung übernahm der Künstler Štěpán Zálešák und ausgeführt hat sie der Holzschnitzer František Vavřich. In drei horizontalen Registern erfolgt die Präsentation von insgesamt acht figürlichen Bildfeldern, das Hauptthema ist auch hier Kyrill und Method. 8.2.4.1 Werkbeschreibung Zálešák hat sich im äußeren Erscheinungsbild an den zu beiden Seiten stehenden und aus dem Jahre 1630 stammenden Türen von Kaspar Bechteler orientiert, die Evangelisten und weitere Heilige zeigen. 465 Im unteren Bereich der mittleren Türe befindet sich die Stifterinschrift auf Tschechisch, die Übersetzung lautet: „Die alten Türen, die an den Seiten in die Chorkapelle führen, ergänzte mit einem Werk und schloss damit den mittleren [Tür] Bogen im Jahre des Herrn 1929 die Zemská Banka“. 466 In drei horizontalen Registern erfolgt die Präsentation der figürlichen Bildfelder, wovon jeweils die mittlere Darstellung oben und in der Mitte breiter ist. Im oberen Streifen in der Mitte sind Kyrill und Method beim Übersetzen der Bibel in die von ihnen entwickelte Schriftsprache zu sehen. Seitlich befinden sich zwei Einzeldarstellungen: links Method, erkennbar am Bischofsornat, rechts folglich Kyrill, dargestellt als fleißiger Mönch, wie aus dem neben ihm dargestellten Bienenkorb abzuleiten ist. Das zentrale Bildfeld im mittleren Register stellt das Herzstück der gesamten Tür dar: Die beiden Brüder sind mit einem goldenen Nimbus versehen – neben dem Bildfeld mit der Stifterinschrift ist dies der einzige Bereich, der nicht der natürlichen Farbe

Abb. s. http://www.muchafoundation.org/gallery/themes/theme/slav-epic/object/213 [3.1. 2020]. Sebastian Kempgen: Die kirchenslawischen Inschriften im St. Veitsdom auf der Prager Burg, in: Wiener Slawistischer Almanach, Bd. 72, München/Wien 2013, S. 137. 462 Abb. s. http://www.katedralasvatehovita.cz/flash/virtualni_prohlidka [3.1. 2020]. Weitere Informationen zum Wohlmuth-Chor s. Kapitel 5.2.7. 463 In den Protokollen des Dombauvereins vom 6. November 1928 (ohne Seitenangabe) ist folgendes nachzulesen: „Der Bauherr des Domes berichtet, dass die Zemská Banka eine geschnitzte Holztüre in der mittleren Arkade des Wohlmuth-Chores widmet, […]. Die Firma Röhrs übernimmt alle Schreinerarbeiten, einschließlich der Schließung der Arkaden, während Prof. Zálešák nur die skulpturalen Schnitzereien im unteren Teil der höheren alten geschnitzten Türen in den seitlichen Arkaden ausführt. Für das Bildprogramm ist Dr. J. Cibulka verantwortlich. Alle Kosten übernimmt die Zemská Banka. Prof. Zálešák hat bereits mehrere fertige Modelle und die Kartusche der Hl. Cyril und Method in Eiche ausgearbeitet.“ Auch der Jahresbericht von 1928 nennt Details zur Holztüre, so etwa das Stiftungsmotiv der Zemská Banka: Das Werk von Zálešák soll zum tausendjährigen Todestag des heiligen Wenzel gestiftet werden. Des Weiteren erfährt man hier auch den Namen des ausführenden Handwerkers František Vavřich; s. V. Z. J. 1928, S. 7, 13 und 14. 464 Mehr zu Josef Cibulka s. Kapitel 8.4. 465 Friedrich 1996, S. 42. 466 Die Stifterinschrift auf Tschechisch lautet: „STAROBYLÉ DVEŘE – DO KŮROVÉ KAPLE – PO STRANÁCH VEDOUCÍ – NOVM DÍLEM DOPLNILA – STŘEDNÍ ZAVÍRAJÍC – OBLOUK – ZEMSKÁ BANKA – LETA PÁNE MCMXXIX“. 460 461

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Der zweite Entwurf: Die Kyrilliza und die mittelalterlichen Herrscher

des Holzes entspricht. Kyrill und Method führen – wohl in slawischer Sprache – liturgische Handlungen aus, denn Method zeigt mit seiner Hand auf ein von Kyrill gehaltenes und offenes Buch. Direkt darunter ist in einem kleinen Fries zu sehen, wie die Slawenapostel dem Papst eine Truhe und ein Buch übergeben. Die Szene stellt die Übergabe der Reliquien des Heiligen Clemens im Jahr 868 durch die Slawenapostel an Papst Hadrian II. dar. Bei dieser Gelegenheit soll der Papst die slawische Übersetzung von liturgischen Büchern bestätigt und gesegnet haben. 467 Seitlich befindet sich wiederum je eine Figur: Links ist Zvorad oder (Andreas) Zoerardus zu sehen, rechts befindet sich Jan (oder Johannes) Sarkander. Diese Gestalten sind anhand der einzigen lateinischen Lettern – außer der Stifterinschrift – auf der gesamten Darstellung zu identifizieren. 468 Die kleinen Friese unterhalb von Zoerardus und Sarkander verweisen auf deren Leben; Zoerardus wird als einsamer Eremit gezeigt und bei Sarkander sieht man die Folterwerkzeuge, durch die er sein Leben verlor. Die figürlichen Szenen zu beiden Seiten der Stifterinschrift zeigen aber wieder die Slawenapostel: Links ist Kyrill zu sehen, der einen Gehilfen mit Tonsur, vermutlich einen Mönch, in die Schreibund Übersetzungsarbeit einweist. Auf der rechten Seite erkennt man drei Figuren: einen knienden Mann mit Tiara und Pallium und zwei nimbierte, ebenfalls männliche Figuren im Hintergrund. Dabei handelt es sich wohl um Kyrill und Method. Über der Szene erkennt man zwei überkreuzte Schlüssel, unter der Szene die Jahreszahl „868“. Es handelt sich bei dieser Darstellung nochmals um eine Episode aus der Begegnung der Slawenapostel mit dem Papst, vermutlich ist es die Bestätigung

und Segnung der übersetzten liturgischen Bücher durch den Papst, die die Brüder nach Rom mitbrachten. 8.2.4.2 Die Inschriften Zwischen den Registern befinden sich insgesamt vier Zeilen kyrillische Inschriften, aufgeteilt auf je zwei Zeilen zwischen den Registern. Auch diese Inschriften sind altkirchenslawisch stilisiert. Auch ist eine Art Überschrift oberhalb der figürlichen Szenen vorhanden. Sie lautet: „CИИ CѪTЪ OTbЦИ НAШИ“ (dt.: „Diese sind unsere Väter“) 469

Zwischen dem ersten und dem zweiten Register befinden sich folgende zwei Zeilen: „ZAKONЪ ЖE БOЖИИ COYГOYБO ПPѢЛOЖbШA BЪ NOBЪlИ ѨZЪIKЪ ПPѢДACTA ПИCMENA CЪTBOPbШA ѤMѸ.“

Zwischen dem zweiten und dem dritten Register ist zu lesen: „БЛAГOCЛOBЛѤHЪ bAZЪIKЪ BAЮ ИМbЖЄ ИACѢѨCTA ДѸXO BbNAѨ CЛOBECA BЪ CЪПACENИѤ БEШTИCЛbNѸ ѨZЪIKѸ.“

Bei diesen kyrillischen Inschriften handelt sich um Zitate aus der altkirchenslawischen Quelle Lobrede auf die heiligen Brüder Kyrillos und Methodios. 470 Die Handschrift eines anonymen Autors stammt vermutlich aus dem 12. Jahrhundert und ist bei-

Gewissen Quellen zufolge soll der Papst nach der Segnung der übersetzten Bücher diese auf den Altar der Kirche S. Maria Maggiore gelegt haben, nach anderen Quellen soll sich das in der Peterskirche abgespielt haben; s. Franz Přikryl: Denkmale der Heiligen Konstantin (Cyrill) und Method in Europa, Wien 1920, S. 71. Für die Festlegung der Jahreszahl 868 mit diesen Ereignissen s. beispielsweise: Přikryl 1920, S. 103. 468 Die Heiligen sind in der Darstellung „Sv. Zvorad“ und „Bl. Sarkandr“ genannt. Es handelt sich bei dem Erstgenannten um den heiligen Svorad Ondřej, so sein tschechischer Name. Er stammte möglicherweise aus dem heutigen Polen und hatte von ca. 980 bis ca. 1030 in Nitra (in der heutigen Slowakei) gelebt; s. Art. SS. Zoërardus, Erem. Conf. et Benedictus, Erem. M. (unbekannter Autor), in: Johann Evangelist Stadler, Franz Joseph Heim, Johann Nepomuk Ginal: Vollständiges Heiligen-Lexikon, Bd. 5, Augsburg 1882, S. 864–865. Der Zweitgenannte, „Sarkandr“, wurde im Jahre 1576 geboren. Sarkander war ein mährischer Priester, der 1620 starb. Die Buchstaben „Bl.“ in der Beschriftung verweisen darauf, dass Sarkander zum Zeitpunkt der Schaffung der Holztüre (1929) erst selig gesprochen war; 1993 wurde er von Papst Johannes Paul II. heiliggesprochenen. Weitere Informationen zu Johannes Sarkander s. Stadler/Heim/Ginal 1869, Bd. 3, S. 295–300. 469 s. auch: Kempgen 2014, S. 140. Hierfür konnte keine Entsprechung in altkirchenslawischen Quellen gefunden werden. 470 s. auch Kempgen 2014, S. 142. 467

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Die Kyrilliza

spielsweise bei Osip Maxksimowič Bodjanskij abgedruckt. 471 In anderen Publikationen, wie beispielsweise dem Werk von Ivan Goschew, ist die Textstelle für den ersten Teil der Inschrift nicht zu finden; es handelt sich hierbei um eine andere Abschrift des Textes. Die Inschrift zwischen dem zweiten und dem dritten Register findet sich jedoch im genannten Werk in den Zeilen 312 und 313. 472 Sie wurden in der Tür des Veitsdoms aber in leicht abgeänderter Weise verwendet; diese hängt wahrscheinlich von der jeweiligen Abschrift des Originals und Anpassungen an die Schreibgewohnheiten ab. Die Übersetzung für die ersten beiden Zeilen der Inschrift lautet: 473 „Das göttliche Gesetz habt Ihr vollkommen übersetzt, [es] in die neue Sprache übertragen [und zuvor] Buchstaben für sie geschaffen“.

Die Übersetzung des zweiten Teils lautet: „Selig ist eure Sprache, mit der ihr geistige Reden zum Heil unzähliger Menschen aussät.“ 474

8.2.5 Zur Verwendung der Kyrilliza mit altkirchenslawischen Stilisierungen im Veitsdom Die oben getroffene Feststellung, dass die Kyrilliza für die breite Bevölkerung des 19. und 20. Jahrhunderts nicht lesbar war, verschärft sich in Bezug auf altkirchenslawische oder altkirchenslawisch stilisierte Texte. Es ist davon auszugehen, dass die komplexe liturgische Schriftsprache, die zudem der in

Böhmen und Mähren gesprochenen Sprache fern ist, nur für einen marginalen Kreis der Bevölkerung mit entsprechenden Kenntnissen entschlüsselbar war. 475 8.2.5.1 Die Holztüre und der Vergleich mit Muchas zweitem Entwurf Die Inschriften auf der Holztüre von Cibulka, Zálešák und Vavřich beziehen sich – wie aus den Ausführungen oben ersichtlich wird – eindeutig auf die wichtigste Mission der Slawenapostel: Die Entwicklung der ersten slawischen Schriftsprache für die Liturgie. Sie fügen dem Werk jedoch keine Informationen hinzu, die über den bildlich dargestellten Inhalt hinausgehen würden. Die die Slawenapostel zeigenden Szenen sind auch ohne Dekodierung der Beischriften leicht zu verstehen, da es sich nicht um komplexe Darstellungen handelt. Allgemein verständliche Bildchiffren – der Schreibvorgang, die Ausführung der (slawischen) Liturgie, die Übergabe der Reliquien des Clemens an den Papst, die Weitergabe an einen Schüler sowie die Segnung der übersetzten Bücher – lassen den Betrachter die Handlungsvorgänge verstehen. Die einzige Szene, die ohne zusätzliche Informationen vermutlich nicht eindeutig zuzuordnen wäre, ist die Segnung der liturgischen Übersetzungen durch den Papst. Durch das Hinzufügen der Zahl „868“ ist aber eine klare Identifizierung des dargestellten Geschehens möglich. Weitere Bereiche der Holztüre, die möglicherweise nicht ohne Hilfe verstanden werden können, sind die beiden Figuren von Zoerardus und Sarkander im mittleren Register. Jedoch wurden auch diese Bildfelder mit deren Namen in lateinischen Buchstaben versehen.

Ivan Goschew: Die Heiligen Brüder Kyrillos und Methodios. Materialien aus der Handschriften-Sammlung des kirchlichen Synodalmuseums in Sofia, Sofia 1938, S. 78–98. Teile der ältesten bekannten Fassung der „Lobrede“ wurden publiziert von Osip Maxksimowič Bodjanskij (Osip Maxksimowič Bodjanskij/Oсип Максимович бoдaнcкийъ: Cлoбo пoхбальнo […]/Slovo pochvalno […]), in: Чтения в Обществе истории и древностей российских при Московском университете (ЧОИДР), Bd. April–Juni/2, 1865, S. 5). 472 Goschew 1938, S. 85, 87 und 93. 473 Kempgen 2014, S. 141. 474 Die Übersetzung von Kempgen lautet: „Gesegnet sei Eure Sprache, mit der Ihr die geistlichen Worte ausgesät habt zur Errettung der unzähligen Zungen (= Volk)“ (s. Kempgen 2014, S. 143). Die erwähnten Stellen im Werk von Goschew wurden mit einer tschechischen Übersetzung von Josef Vašica aus dem Jahre 1966 abgeglichen. Die entsprechenden Passagen bei Vašica finden sich in Abschnitt 14. Die Passagen heißen auf Tschechisch: „Blahoslavený jazyk váš, kterým jste rozsévali duchovní řeči ke spáse nesčíslného národa.“ Für die tschechische Übersetzung des Chvalořeč o svatém Cyrilu a Metoději (dt.: Lobrede auf die Heiligen Kyrill und Method) s. Petr Šimík: Chvalořeč o svatém Cyrilu a Metoději, 2005. 475 Freundliche Mitteilung von Markus Giger vom 28. 2. 2014. 471

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Der zweite Entwurf: Die Kyrilliza und die mittelalterlichen Herrscher

Verglichen mit der Holztüre von Cibulka, Zálešák und Vavřich wirkt Muchas zweiter Entwurf durch die Anhäufung und Kombination von unterschiedlichsten Motiven weitaus unübersichtlicher. Die Frage nach der Lesbarkeit der Beischriften in Muchas zweitem Entwurf ist somit eine sehr bedeutende; es ist eine essentielle Frage, die über das Erfassen und Verstehen des Dargestellten entscheidet. In dem betreffenden Protokoll des Dombauvereins ist leider kein konkreter Grund überliefert, weshalb dieser Entwurf abgelehnt worden ist. Die hier gemachten Ausführungen lassen aber den Schluss zu, dass es möglicherweise an der Kombination aus mehreren Faktoren lag: Eine Fülle von unterschiedlichsten Darstellungen wird durch die Kyrilliza mit altkirchenslawischen Stilisierungen erläutert, die es dem Betrachter praktisch unmöglich macht, den Inhalt des Geschriebenen und somit auch den Inhalt des gesamten Werkes zu verstehen. Ein Indiz hierfür ist Muchas komplette Abkehr vom kyrillischen Alphabet für den dritten, ausgeführten Entwurf. In diesem kommen nur Beischriften in lateinischer Schrift vor. Des Weiteren lässt sich eine „Ausdünnung“ des dargestellten Bildinhaltes vom zweiten zum dritten Entwurf feststellen; die Intensität der vom Betrachter aufzunehmenden und zu verarbeitenden Inhalte ist also geringer. 8.2.5.2 Weitere Werke dieser Epoche in der Tschechoslowakei mit Verwendung der Kyrilliza Kyrillische Schriftzeichen sind unter den Zeitgenossen Muchas auch bei anderen Werken außerhalb des Veitsdomes anzutreffen. Ein Beispiel ist die Illustration Svatí Věrozvěstové Cyrill a Methoděj (dt.: Die heiligen Apostel Kyrill und Method) von Mikoláš Aleš aus dem Jahre 1897 (Abb. 17). Die beiden Brüder sind stehend dargestellt, neben ihnen befinden sich zwei weitere männliche Figuren, wohl deren Schüler. Zusammen stehen sie auf

476 477 478

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Kempgen 2014, S. 140, Tabelle. Kaple sv. Cyrila a Metoděje 2005, S. 7. Kempgen 2014, S. 141.

Wolken, während sich unter ihren Füßen dämonische Kreaturen, ausgestattet mit einem Götzenbildnis und einem Weihrauchgefäß, befinden. Method scheint mit einer Art Griffel einige Worte in den Himmel zu schreiben. Es handelt sich dabei um den Anfang des Johannesevangeliums: „HCKONH БѢ CЛOBO – A CЛOBO БѢ OѴ – БOГA A БOГ БѢ – CЛOBO“ /iskoni bje slovo – a slovo bje u – boga a bog bje – slovo/ (dt.: „Im Anfang war das Wort – und das Wort war bei – Gott und Gott war – das Wort“)

Auch hier finden sich deutliche Zeichen für eine altkirchenslawische Stilisierung: Der erste Buchstabe ist ein H für den Laut /i/. Dies wurde so in der älteren Kyrilliza verwendet, hingegen benützt die moderne Sprache für denselben Laut den Buchstaben И. 476 Auch eine Statuengruppe aus Bronze der beiden Brüder vom Künstler Albín Polášek ist diesbezüglich aufzuführen: Sie wurde im Juni 1931 bei einer kleinen Kapelle auf dem Berg Radhošt’ in Mähren aufgestellt und zeigt auf einem aufgeschlagenen Buch ebenfalls das Zitat aus dem Johannesevangelium. 477 Es ist an dieser Stelle festzuhalten, dass sich der Einsatz der kyrillischen Schrift, insbesondere derjenigen mit altkirchenslawischen Stilisierungen, auf dem Gebiet der Tschechoslowakei offensichtlich auf die Thematik der Slawenapostel beschränkt. Insgesamt waren kyrillische Inschriften nicht häufig anzutreffen – auch nicht in der Hochzeit der Identitätssuche der Tschechen und Slowaken. Auch Kempgen stellte fest, dass der Schnitzer der kyrillischen Buchstaben in der Holztüre wohl nicht sehr vertraut mit dieser Schriftsprache war. 478

Die Glagoliza

8.3 Die Glagoliza Es ist bereits erwähnt worden, dass die Bildung der Kyrilliza an das Ergebnis von Kyrills und Methods Mission anknüpfte. Die Brüder hatten zunächst glagolitische Schriftzeichen entwickelt und mit der Glagoliza Teile der Bibel übersetzt. Erst ihre Schüler ließen am Hofe des bulgarischen Zaren Simeon I. die heute als Kyrilliza bekannte Nachfolgeschrift entstehen. 479 Zu diesen historisch-linguistischen Entwicklungen wurde bereits in den vergangenen Jahrhunderten viel geforscht. 480

8.3.1 Die Glagoliza in der Holztüre von Cibulka, Zálešák und Vavřich Teilweise wurde die Glagoliza auch von Künstlern in ihre Werke miteinbezogen; dies geschah aber noch seltener als bei der Kyrilliza. Auch bei der bereits erwähnten Holztüre von Cibulka, Zálešák und Vavřich sind glagolitische Schriftzeichen anzutreffen: Im großen Bildfeld des mittleren Registers befindet sich die Darstellung eines Kreuzes mit der folgenden glagolitischen Inschrift:

ⰋⰔⰍⰑⰐⰉ ⰁⰡⰔⰎⰑⰂ

/iskoni/ /bie slovo/

Im Anfang war [das] Wort

ⰋⰔⰎⰑⰂⰑⰁⰡⰖ ⰁⰑⰃⰀⰋⰁⰑⰃⰠⰁⰡ ⰔⰎⰑ ⰂⰑ

/i slovo bie u/ /bog ai boge bie/ /slo/ /vo/

und [das] Wort war bei Gott und Gott war [das] Wo rt

Es handelt sich dabei wiederum um den Anfang des Johannesevangeliums (s. oben). Auffällig bei der Betrachtung ist, dass praktisch keine Leerstellen als Trennung zwischen den einzelnen Wörtern vorhanden sind – diese sind in der Transliteration dennoch hinzugefügt worden. 481 Des Weiteren fällt auf, dass die Buchstaben für den letzten Begriff /slovo/ („Wort“) auf dem teilweise sehr schmalen Kreuz auf zwei Zeilen verteilt geschrieben wurden. Als Vorlage für das Johannesevangelium in glagolitischen Schriftzeichen könnte eine Abschrift des Codex Assemanianus gedient haben. Dieser stammt aus dem 10. oder 11. Jahrhundert und ist vermut-

lich die älteste erhaltene glagolitische Handschrift überhaupt. 482 Gemäß Informationen des Slawisten Markus Giger ist davon auszugehen, dass die Glagoliza im 19. und 20. Jahrhundert von praktisch niemandem verstanden wurde. 483 Auch die Künstler selbst bildeten wohl keine Ausnahme; nur so lassen sich die fehlenden Leerzeichen und die Verteilung eines Wortes auf zwei Zeilen erklären. Textillustrationen oder Kunstwerke aus der Zeit Muchas weisen sie also nur aus rein emblematischen und symbolischen Gründen auf. Die essentielle Mitteilung wird bereits durch das Vorhandensein glagolitischer Zei-

Die Schüler der Slawenapostel hatten, da es wohl kurz nach dem Tode von Method zu massiven Schwierigkeiten in der Frage um die slawische Liturgie gekommen war, ein Refugium am Hofe des bulgarischen Zaren Simeon I. (von 893 bis 927 Zar von Bulgarien) gefunden (s. Hans-Dieter Döpmann: Die orthodoxen Kirchen in Geschichte und Gegenwart, Frankfurt a. M. 2010, S. 48). 480 Anfang des 19. Jahrhunderts herrschte teilweise noch die Meinung vor, dass die Kyrilliza älter sei als die Glagoliza (beispielsweise Josef Dobrovský), dies wurde aber im Laufe des genannten Jahrhunderts revidiert. Pavel Jozef Šafárik bewies im Jahr 1858 mit seinem Werk Über den Ursprung und die Heimat des Glagolitismus, dass die Glagoliza älter ist (freundliche Mitteilung von Prof. Dr. Markus Giger der Karls-Universität in Prag vom 6. 3. 2014). Diese Diskussion muss Mucha sehr wohl bekannt gewesen sein. Über den Zusammenhang des Zaren mit der Kyrilliza schrieb er: „Er [Zar Simeon I.] hat die slawische Schriftsprache begründet.“ (s. Alfons Mucha: Zlatý věk Bulharska v mé Slovanské epopej, in: Národní listy, 8. 3.1930, S. 2). 481 Üblicherweise wurde in der Glagoliza ein Wortzwischenraum verwendet (s. beispielsweise das Missale Romanum Glagolitice, das als erstes glagolitisches Buch im Jahre 1483 in Venedig gedruckt wurde). 482 Für weitere Informationen zum Codex Assemanianus s. kodeks.uni-bamberg.de. Das Online-Informationssystem für Studium und Unterricht zur Kulturgeschichte der slavischen Länder und Sprachen (http://kodeks.uni-bamberg.de/AKSL/Quellen/AKSL.CdxAssemanianus.htm [11. 4. 2014]). 483 Freundliche Mitteilung von Markus Giger vom 28. 2. 2014. Auch von ausgebildeten Slawisten wird seit dem 19. Jahrhundert nicht mehr erwartet, dass sie die Glagoliza lesen können. 479

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Der zweite Entwurf: Die Kyrilliza und die mittelalterlichen Herrscher

chen an sich vermittelt. Es spielt somit nur eine untergeordnete Rolle, welche Worte damit tatsächlich geschrieben wurden. Interessanterweise wurde ein Bibelzitat gewählt, das sich ursprünglich auf die Schöpfung bezieht, aber auch auf die Entstehung einer neuen christlichen Schriftsprache angewandt werden kann. Aber auch in diesem Fall gilt, wie bei der Betrachtung der kyrillischen Inschriften auf der gleichen Holztüre, dass die Grundaussage des gesamten Werkes auch ohne diese zusätzliche Information leicht verständlich ist.

8.3.2 Die Glagoliza in der tschechischen Kunst Die Glagoliza taucht nur in äußerst wenigen Darstellungen auf; diese stammen vor allem aus dem 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts. Hauptsächlich sind die glagolitischen Schriftzeichen in Dar-

stellungen der Slawenapostel oder der alten Slawen bzw. der traditionellen slawischen Götterwelt zu finden. In anderen thematischen Bereichen kommt der Vorläufer der Kyrilliza allem Anschein nach nicht vor. Somit scheint die Palette der mit der Glagoliza in Verbindung stehenden Themengebiete in der bildenden Kunst stark eingeschränkt zu sein. Beispiele hierfür sind unter anderem in den zahlreichen Illustrationen von Mikoláš Aleš, einem Zeitgenossen Muchas, zu finden: Bei der mit /Pohreb/ beschrifteten Darstellung hat Aleš den tschechischen Begriff „Pohřeb“ (dt.: „Bestattung“) in die Glagoliza transliteriert und unter eine Darstellung alter Slawen gesetzt 484; auch die Benennung von altslawischen Göttern wie Svantovit oder Radegast geschah bei ihm in der Glagoliza. 485 Bei Mucha lässt sich die Glagoliza in keinem seiner Werke finden. Dies ist umso bemerkenswerter, als er sich mit den eben genannten Themengebieten sehr häufig auseinandergesetzt hat. 486

8.4 Auswirkungen der Kritik am ersten Entwurf und die Zusammenarbeit mit Josef Cibulka Nach der vernichtenden Kritik an Muchas erstem Entwurf wurde ihm für seinen nächsten Entwurfsvorschlag die Zusammenarbeit mit Josef Cibulka nahegelegt. 487 Es liegen keine direkten Informationen oder Aufzeichnungen vor, die belegen, welche Änderungen bzw. Entwicklungen des zweiten Entwurfes in welchem Maße auf Cibulka zurück gehen. Daher muss sein möglicher Einfluss auf Muchas

zweiten Entwurf anhand einer kurzen Zusammenfassung der Biographie Cibulkas geklärt werden; hierbei wird der Fokus insbesondere auf seine wissenschaftlichen Arbeiten sowie auf seine Interessen gelegt. Josef Cibulka, geboren im Jahre 1886, hatte in Rom Theologie studiert und wurde dort zum Priester geweiht. 488 Nachdem er nach Böhmen zurück-

Abb. s. Adámek/Dolenský 1928, S. 14. Die Buchstaben sind nicht gänzlich gemäß dem glagolitischen Alphabet gewählt, so wird beispielsweise der Laut /e/ in der Regel als Ⱐ geschrieben. 485 Mikoláš Aleš: Svantovit (Abb. s. Adámek/Dolenský 1928, S. 12); Radegast (Abb. s. Adámek/Dolenský 1928, S. 12). Allerdings verwendet Mikoláš Aleš in der Beschriftung der slawischen Götter auch hier keine reine Glagoliza, sondern scheint für einige Buchstaben, vermutlich wegen fehlender präziser Entsprechung für die Laute, eine Mischform zwischen der Glagoliza und der Kyrilliza zu verwenden. Bei der Benennung von traditionellen slawischen Göttern mit glagolitischen Schriftzeichen scheint es sich auf den ersten Blick um einen Widerspruch zu handeln: Gleichzeitig mit der Einführung der Glagoliza kam es auch zu einer Christianisierung der Bevölkerung. Es ist allerdings bekannt, dass in der Bevölkerung Böhmens parallel zum jungen christlichen Glauben auch die traditionellen Gottheiten noch lange, sogar bis ins 13. Jahrhundert, weiter verehrt wurden (s. Leszek Pawel Slupecki: Heidnische Religion westlicher Slawen, in: Ausst. kat. Budapest 2000, S. 250 und 251). 486 Ein Beispiel für die Beschäftigung mit dem slawischen Pantheon ist das Gemälde Die Svantovit-Feier auf der Insel Rügen von 1912 aus dem Epos. Häufig kommen in Muchas Werk hölzerne Abbilder alter slawischer Götter vor wie in dem Plakat für Loterie Národní Jednoty pro jihozápadní Moravu (dt.: Lotterie des mährischen Süd-Westens) von 1912 oder in Kyrill und Method von 1887. Im letztgenannten Gemälde sind die Bruchstücke eines solchen Götzenbildes zu Füßen von Kyrill drapiert. Auf dem Plakat Slovanská Epopej von 1928 ist im Hintergrund ebenfalls ein Götterstandbild, Svantovit, zu sehen. Auch beinhalten die verschiedenartigen Entwürfe Muchas für das große Fest Slovanstvo bratrské (dt.: brüderliches Slawentum) in Prag etliche Verweise auf die slawischen Götter. Auch Ur-Slawen hat Mucha einige Male dargestellt, beispielsweise im Pavillon für Bosnien-Herzegowina im Jahr 1900 oder im Gemälde des Epos Die Slawen in ihrer Ur-Heimat von 1912. 487 s. Kapitel 5.2.4. 488 Die folgenden Angaben zu seiner Vita stammen aus: Vít Zatloukal: Diplomat viržinka a koňaku, in: udalosti.signaly.cz [30. 6. 2021]. 484

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Auswirkungen der Kritik am ersten Entwurf und die Zusammenarbeit mit Josef Cibulka

gekehrt war, besuchte er universitäre Kurse zur Geschichte der Kirche sowie zu Gesang und Musik. Sein Interesse für die Kunstgeschichte blühte in Wien auf; an der dortigen Universität ließ er sein Doktorat anerkennen. Während dieser Zeit erlangte er als Pädagoge und Wissenschaftler Bekanntheit. An der theologischen Fakultät in Prag unterrichtete er Geschichte der religiösen Kunst sowie christliche Archäologie. Im Jahre 1919 wurde er zum außerordentlichen Professor für Kirchengeschichte und christliche Archäologie an der gerade eingerichteten theologischen Fakultät in Bratislava ernannt. Ab 1922 hatte er erst eine außerordentliche und ab 1926 eine ordentliche Professur in Theologie an der Karls-Universität in Prag inne. In den Jahren 1923 bis 1925 lehrte er Kunstgeschichte an der Technischen Universität in Prag und von 1927 bis 1950 an der Karls-Universität. Im Jahre 1927 folgte die Habilitation in Philosophie. Einen Höhepunkt seiner Karriere erreichte er, als ihm ab 1938/39 die Leitung der Nationalgalerie in Prag übertragen wurde. 489 Nach dem Krieg unterrichtete er bis 1948 weiter an den Universitäten in Prag. Mit seinem Tod 1968 kam auch das Ende der „kunsthistorischen Epoche“ seiner Heimat. Sein Name ist bis heute untrennbar mit der Forschung auf kirchlichem, archäologischem und künstlerischem Gebiet verbunden und prägte für Jahrzehnte die Wissenschaft. Cibulka hatte sich auf wissenschaftlicher Ebene nachweislich mehrfach mit der Thematik der Slawenapostel und der Christianisierung des Gebietes von Böhmen und Mähren auseinandergesetzt, aber

dies geschah hauptsächlich ab Ende der 1950er Jahre und somit nach der für diese Untersuchung relevanten Zeit. 490 Zuvor hatte er sich auf andere Gebiete der christlichen Kunst konzentriert und gab beispielsweise ein umfassendes Werk zur altchristlichen Ikonographie und zu Kreuzigungsdarstellungen heraus. 491 Hervorzuheben ist sicherlich, dass sich Cibulka 1929 auch intensiv mit der Geschichte des Veitsdomes beschäftigte. 492 Zwei Publikationen konzentrieren sich auf die Ikonographie von Heiligen, insbesondere auf das Bild des Wenzel und die Darstellung von Heiligen in der Epoche des Barocks. 493 Es lässt sich festhalten, dass ihm wichtige Erkenntnisse auf dem Gebiet des frühen Kirchenbaues in Böhmen und Mähren gelangen. Josef Cibulka war also ein vielschichtiger Forscher, der sich ab den 1920er Jahren, ausgehend von seiner theologischen Ausbildung, zu einem Fachmann für archäologische und kunsthistorische Fragen entwickelte. Er spezialisierte sich einerseits auf die archäologischen Probleme des Kirchenbaus, beispielsweise die Stätte des Veitsdoms und seiner Vorgängerbauten, andererseits aber auch auf Fragen zur Ikonographie der christlichen Kunst. Cibulka wurde Mucha sicherlich zur Seite gestellt, um dessen bildnerische Ausdrucksweise abzufedern und diesen – gleichsam als Übersetzer – den Gepflogenheiten eines katholischen Gotteshauses anzupassen. Cibulka könnte möglicherweise sogar als Ideengeber für die szenischen Darstellungen mit den Slawenaposteln fungiert haben – zumindest spricht Cibulkas Einfluss bei einem ande-

Cibulka überraschte an der Nationalgalerie mit revolutionären Entscheidungen und vielen Einkäufen – seine Erfahrungen als Priester öffneten ihm die Türen bei kirchlichen Einrichtungen. Es gelang ihm während des Krieges bis auf wenige Ausnahmen, den Betrieb der Galerie aufrecht zu erhalten. Heute ist jedoch bekannt, dass Cibulka die Sammlungen der Nationalgalerie durch konfiszierte Werke aus Beschlagnahmungen der Gestapo und anderer nationalsozialistischer Organisationen ergänzte. 490 Cibulka beschäftigte sich mit Kyrill und Method bzw. dem Christentum auf böhmisch-mährischem Gebiet sowie Bořivoj in folgenden Werken (als alleiniger Autor): Velkomoravský kostel v Modré u Velehradu a začátky křest’anství na Moravě, Prag 1958. Římské kostely, v nichž se na začátku r. 868 konala liturgie slovanská, in: Sborník prací Filozofické Fakulty Brněnské Univerzity. Řada uměnovědná, Bd. 8 (1964), S. 15 und 16. Pohřbení Konstantina-Cyrila v Římě a osudy jeho ostatků, in: Duchovní pastýř, Bd. 15 (1965), Nr. 7, S. 129–130; Nr. 8, S. 151–153; Nr. 9, S. 166–168; Nr. 10, S. 192–195. Der Zeitpunkt der Ankunft der Brüder Konstantin-Cyrillus und Methodius in Mähren, in: Byzantinoslavica, Bd. 26 (1965), S. 318–364. Vypravování legendy Kristiánovy o pokřtění Bořivoje, in: Sborník k sedmdesátinám Jana Květa, Prag 1965, S. 65–72. Die Bekehrung des Böhmerherzogs Bořivoj und der Magnaten des Fürsten Ingo, in: Österreich in Geschichte und Literatur, Bd. 10 (1966), S. 106–112. 491 Josef Cibulka: Starokřest’anská ikonografie a zobrazování Ukřižovaného, Prag 1924. 492 Josef Cibulka: Tisíc let stavby, in: Časopis katolického duchovenstva, Bd. 5/6 (1929), S. 441–459. Im ersten Kapitel dieses Werkes erwähnt er die Slawenapostel als Beginn der Christianisierung. Auch Bořivoj findet Erwähnung, jedoch nicht seine Taufe. Er soll in Levý Hradec – so schreibt es Cibulka – den ersten steinernen Bau auf dem Gebiet der Tschechoslowakei errichtet haben. 493 Josef Cibulka: Socha barokního světce, in: Od pravéku k dnesku. Sbornik k poctě Josefa Pekare II, Prag 1930, S. 127–132. 489

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Der zweite Entwurf: Die Kyrilliza und die mittelalterlichen Herrscher

ren Werk im Veitsdom dafür: Bei der Erschaffung von Štěpán Zálešáks Holztüre 1929 schuf er das Bildprogramm, auch die Miteinbeziehung der kyrillischen Schrift ist bei ihm zu finden. 494 Aus folgenden weiteren Gründen kann die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass Cibulka zumindest einen gewissen Einfluss auf Muchas zweiten Entwurf nahm: Bei der kyrillischen Schrift handelt es sich insgesamt um ein seltenst vorkommendes Element in Muchas Werk und es gab für ihn offensichtlich keine zwingende Erfordernis, die Slawenapostel mit dieser Schrift darzustellen. Außerdem war es das erste Mal, dass Mucha diverse Ereignisse aus deren Leben und Wirken aufgriff und sie zusammen in ein Werk einbrachte. 495 Schließlich feh-

len Hinweise auf die meisten im zweiten Entwurf vorkommenden Herrscher in Muchas weiteren Werken – nur in Die Einführung der slawischen Liturgie des Epos hat er Svatopluk und den Zaren Boris dargestellt. 496 Erwähnenswert ist auch, dass sich der Künstler in seinen bisherigen Illustrationen von Königen, Fürsten oder anderen Herrschern kaum auf eine Darstellung als Halbfigur beschränkt hatte. Diese Art eines Bildnisses reduziert den Bildraum der Figur insgesamt und die Möglichkeiten der Handlung der dargestellten Figur auf ein Minimum – ein ungewöhnlicher Vorgang für Mucha, dessen (Haupt-)Figuren üblicherweise raumgreifend dargestellt und oft zusätzlich von großen aureolenartigen Sphären umgeben sind.

8.5 Die slawischen Herrscher bei Mucha Mucha hatte sich in seinen bisherigen Werken mit einigen der wichtigsten Herrscher aus den mährischen und böhmischen Dynastien beschäftigt. Beispielsweise kommt an prominenter Stelle in den von ihm entwickelten Festspielen Slovanstvo bratrské (dt.: brüderliches Slawentum) an der Moldau Přemysl Otakar II. vor. 497 Im Gemälde Ottokar II., König von Böhmen des Slawischen Epos ist dieser sogar der Protagonist. 498 Des Weiteren hat sich Mucha mit der Darstellung von folgenden Herrschern im Slawischen Epos beschäftigt: Simeon von Bulgarien, Zar Stefan Uroš IV. Dušan von Serbien, Königin Sophia (Ehefrau von Václav IV.), der polnische König Władysław II. Jagiełło und der böhmische König Georg von Podiebrad. 499 Auch für den Pavil-

lon von Bosnien und Herzegowina stellte Mucha einen bosnischen Herrscher in den Mittelpunkt einer seiner Wandgemälde. 500 Zwei der großen Zwickel des Primatorensaals im Repräsentationshaus von Prag zeigen Königin Elisabeth von Böhmen sowie den böhmischen König Georg von Podiebrad. 501 Dies sind aber allesamt Anführer aus späteren Epochen – die im zweiten Entwurf dargestellten Figuren haben aber mehrheitlich im 8. oder im 9. Jahrhundert gelebt; der bulgarische Zar Boris als Jüngster verstarb im Jahre 907. Einzig die Darstellung mit dem König von Ungarn könnte – je nach Interpretation – auf noch spätere Ereignisse im 10. oder sogar 11. Jahrhundert hinweisen. Wie bereits

Mehr dazu s. Kapitel 5.2.7 und 8.2.4. Konkret lautet die Textpassage: „Obrazový program stanovil prof. Dr. J. Cibulka.“, s. Protokoll der Abteilung für Kunst des Dombauvereins des 6.11.1928, ohne Seitenangabe. 495 vgl. Kapitel 11. 496 Gänzlich ist es aber nicht auszuschließen, dass er doch für die umfangreichen Festspiele Slovanstvo bratrské im Jahre 1926 zumindest einige von ihnen miteinbezogen hätte. Von der originalen Dekoration sowie Ausstattung der Schiffe und anderer Objekte ist vermutlich nichts mehr erhalten. Noch vorhanden sind jedoch zahlreiche Zeichnungen und Skizzen Muchas zu dieser Veranstaltung, die jedoch noch nie ausgestellt oder publiziert wurden. Die Zeichnungen befinden sich in der Galeria hlavního města Praha (Ausst. kat. Prag 2005, S. 13). 497 Ausst. kat. Prag 2005, S. 15. Davon ist vermutlich aber kein Bild bzw. keine Fotografie mehr erhalten. 498 Abb.: Ausst. kat. San Diego 1998, S. 111, Abb. 5. 499 Abbildungen s. Ausst. kat. München 2009, S. 270 (Simeon, der Zar der Bulgaren, 1923), 274 (Die Krönung des serbischen Königs Stefan Dušan zum oströmischen Kaiser, 1923), 280 (Königin Sophia unter dem Baldachin in Die Predigt des Magisters Jan Hus in der Bethlehem Kapelle, 1916), S. 278 (Władysław II. Jagiełło als siegreicher Heerführer und König auf einer Erhebung stehend in Nach der Schlacht bei Grünewald, 1924), S. 290 (Der Hussitenkönig Georg von Podiebrad und der Papstlegat Fantin de Valle, 1923). 500 Abb. s. Ausst. kat. München 2009, S. 226 und 227. Es scheint nicht geklärt zu sein, um welchen Herrscher es sich hierbei handelt, möglicherweise ist es einer der beiden ersten bosnischen Bane Borić oder Kulin im 12. Jahrhundert oder es handelt sich um den ersten wirklichen König von Bosnien Stjepan Tvrtko I. Kotromanić im 14. Jahrhundert. 501 Abbildungen s. Ausst. kat. München 2009, S. 236 (Kat. 151), 239 (Kat. 157). 494

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Die slawischen Herrscher bei Mucha

festgestellt wurde, fehlen Hinweise auf die meisten der im zweiten Entwurf vorkommenden Herrscher in Muchas Werk gänzlich. Es ist aber bekannt, dass der Künstler für die Arbeit an seinem Epos eingehend die Werke von František Palacký studiert hatte. 502 Daraus kann geschlossen werden, dass ihm die Herrscher aus der Frühzeit von Böhmen und Mähren sowie deren Bedeutung sicherlich bekannt waren. Bereits festgestellt worden ist, dass die Darstellungsart von Herrschern als Halbfiguren für den Künstler ungewöhnlich ist. Mucha hat ihnen Attribute oder erklärende Gegenstände hinzugefügt: Beispiele hierfür sind die mit einem Gesicht versehene Sonne als Symbol für den ursprünglich heidnischen Glauben von Radbod, das Buch in der linken Hand von Boris sowie die Standarte in der anderen Hand, das teilweise sichtbare Christusmonogramm Chi-Rho auf dem Schild des Rostislav oder die bereits erwähnten drei Holzstäbe von Svatopluk. 503 Eine bestimmte Individualität und Darstellungsbreite wird dadurch ermöglicht – möglicherweise ist es in gewisser Hinsicht auch eine Bestimmungshilfe für die Betrachter, die wegen der Fülle von Einzeldarstellungen und der kyrillischen Schrift ihre Schwierigkeit gehabt haben dürften. Aufgrund der die Handlung einschränkenden Darstellung als Halbfigur sind die im zweiten Entwurf dargestellten Herrscher am besten mit den zwei oben erwähnten großen Zwickeln mit Elisabeth von Böhmen und Georg von Podiebrad im Primatorensaal vergleichbar. Wegen der länglichen Form der Zwickel ist dort aber deutlich mehr von den Figuren sichtbar, sodass der Betrachter bis auf die Füße praktisch den gesamten Körper sieht.

8.5.1 Inhaltliche Beziehungen der historischen Herrscher Es muss nach der Berücksichtigung der historischen Erläuterungen zu den dargestellten Herrschern in Kapitel 8.5 untersucht werden, ob Mucha

zumindest einige der Figuren nach bestimmten Kriterien innerhalb des Entwurfs angeordnet hat. Vermutlich war einer der wichtigsten Leitgedanken Muchas diesbezüglich, die direkte Beziehung der historischen Herrscher zu den Slawenaposteln und deren Einflussnahme darzustellen: Direkt unterhalb von Kyrill und Method, also in der zweiten Reihe von oben, befinden sich Rostislav und Svatopluk (Abb. 15). Der erstgenannte richtete die entscheidende Bitte an den byzantinischen Kaiser Michael III., ihm slawischsprachige Missionare zum Aufbau einer eigenen Kirche zu schicken. Svatopluk wiederum unterstellte Method nach seiner Freilassung alle Kirchen in seinem Reich und legte fest, dass die Messen in slawischer sowie lateinischer Sprache gelesen werden sollten. 504 Weiter fällt auf, dass sich mit Kocel, Rostislav, Svatopluk und Pribina ausschließlich mährische Fürsten im Zentrum befinden. In den seitlichen Lanzetten werden Repräsentanten des östlichen Bayerns (Slaviteh), der Ostmark und der Karantanischen Mark (Radbod), Bulgariens (Boris) sowie wiederum Mährens (Mojmír) dargestellt; dadurch wird die geographische Ausdehnung von Kyrills und Methods Einflussnahme sichtbar. Das Fürstentum Böhmen kommt bei dieser Anordnung nicht vor; das mag wohl daran liegen, dass es historisch betrachtet erst mit Bořivoj fassbar wurde. Mucha legte der Anordnung auch eine chronologische Abfolge zugrunde: Im obersten Register befinden sich die Halbfiguren von Radbod und Mojmír; bei ihnen handelt es sich wohl um die ältesten der Dargestellten. Sie hatten vermutlich keinen direkten Kontakt mit den Slawenaposteln, da sie jeweils einige Jahre vor der erstmaligen Ankunft von Kyrill und Method ihres Amtes enthoben worden waren: Mojmír im Jahre 846 und Radbod im Jahre 854. Die Ankunft der Brüder in Mähren wird für das Jahr 862 angenommen. 505 Doch auch im zweiten Register gibt es Machthaber, die sehr wahrscheinlich nicht direkt mit ihnen in Kontakt kamen. Pribina war gemäß den Informationen Palackýs um das Jahr 861 im Kampf

Dusza 2014, o. S. Mucha soll auch, als er die Gemälde seines Epos auf Ausstellungen gezeigt hat, Zitate aus den Werken von František Palacký neben den jeweiligen Gemälden angebracht haben (Dusza 2014, o. S.). 503 s. Anm. 430. 504 Aus heutiger Sicht erscheint Svatopluks Handeln bezüglich Kyrill und Method nicht geradlinig und teilweise auch problematisch: Der mährische Fürst hatte in den Jahren zuvor mit Wiching einen Konkurrenten Methods unterstützt. Außerdem legte er wohl kurz nach dessen Tod die Messe in lateinischer Sprache als einzig richtige Liturgie fest, s. Kapitel 4.2 sowie 8.1.2, Anm. 430. 505 Palacký 1836, S. 121 und 122. 502

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Der zweite Entwurf: Die Kyrilliza und die mittelalterlichen Herrscher

gefallen. 506 Ebenso lässt sich es sich nicht nachweisen, ob Kyrill und Method selbst je am Hofe von Boris waren. 507 Auch ist es fraglich, ob sich der aus seiner Heimat vertriebene Slaviteh noch am Hofe von Rostislav aufgehalten hat, als der Letztgenannte Kyrill und Method im Jahre 867 bzw. Method alleine im Jahre 869 empfing. Gemäß den historischen Quellen scheint hingegen klar zu sein, dass Kocel, Svatopluk und Rostislav entweder beide Slawenapostel oder zumindest Method an ihrem Hof aufgenommen haben. 508 Nach dieser Betrachtung steht fest, dass Mucha jene Fürsten, die direkt mit den Slawenaposteln interagierten, in deren unmittelbarer Umgebung platzierte. Des Weiteren legte er die Bildfelder nach einer chronologischen sowie einer geographischen Ordnung an. Es stellt sich die Frage, weshalb Mucha eine relativ unbedeutende Persönlichkeit wie Slaviteh in die Darstellung integriert hat. Er ist nur in wenigen Quellen zu finden, zudem sind kaum Details aus seinem Leben bekannt. Auch lassen sich keine Hinweise darauf finden, dass Slaviteh zum (größeren) Umkreis der Slawenapostel gehört oder ihre Mission in einer Art und Weise beeinflusst haben könnte. Möglicherweise ist die Antwort auf diese Frage in der Tatsache zu finden, dass Slaviteh nach der Vertreibung aus seinem Herrschaftsgebiet durch den ostfränkischen König Ludwig II. Schutz bei Rostislav suchte. Mucha hatte eventuell die Intention, durch diese Überlieferungen bezüglich Slaviteh auf einen historisch sehr frühen Zusammenhalt der Slawen gegenüber anderen, fremden Kulturen hinzuweisen. Die Personifikation Slavia verkörpert ebenfalls diesen Zusammenhalt – und gerade diese Figur musste Mucha vom ersten zum zweiten Ent-

wurf aufgrund der Kritik des Dombauvereins wesentlich verkleinern. Mucha traf offensichtlich eine Auswahl, welche Fürsten er in den acht Bildfeldern darstellen wollte. Bei Betrachtung der mährischen und böhmischen Geschichte des 9. und 10. Jahrhunderts fällt auf, dass er bestimmte Anführer überhaupt nicht berücksichtigt hat. Zu ihnen gehört beispielsweise Slavomír, der den mährischen Thron im Jahr 871 übernommen hatte – als Svatopluk von fränkischen Truppen festgenommen wurde und die mährische Bevölkerung annahm, dass er nicht mehr zurück kommen würde. 509 Auch die Söhne Bořivojs, Spytihněv und Vratislav, kommen im Entwurf nicht vor. 510 Gemäß Palacký waren sie beide „fromme Fürsten, denen es nicht sowohl um die Vermehrung und Ausdehnung ihrer Macht nach Außen, als vielmehr um die Verbreitung und Befestigung der neuen Religion in ihrem Lande“ ging. 511 Spytihněv ließ einige Kirchen in Böhmen errichten und war daher bedeutend für die flächendeckende Christianisierung des Reiches. 512 Spytihněv gehörte der bedeutenden und heute noch überaus bekannten Herrscherdynastie der Přemysliden an. Doch dieses Herrscherhaus ist ausschließlich mit der Figur von Bořivoj, Spytihněvs Vater, in einer Darstellung vertreten. Mucha hat sich bei den Darstellungen der Herrscher vor allem mit der frühesten fassbaren Herrscherdynastie, den Mojmiriden, auseinandergesetzt, dazu gehören der namensgebende Mojmír, Svatopluk und Rostislav. Daher scheint es, dass sich der Künstler in den Herrscherbildnissen auf die Zeit kurz vor und während der Mission der Slawenapostel konzentriert hat – als ob er den Vorkommnissen und Herrschern, die als Wegbereiter für die Mission der Slawenapostel gesehen werden können, noch mehr Gewicht verleihen wollte.

Palacký 1836, S. 122. s. Anm. 432. 508 s. Anm. 428, 429 und 430. 509 Slavomír war wohl ein Priester, möglicherweise sogar ein Schüler von Method, der nach der Gefangennahme von Svatopluk an die Spitze des Mährerreiches gewählt worden war und unter Androhung von Strafen zur Übernahme des Amtes gezwungen werden musste. Über sein weiteres Schicksal nach der Rückkehr von Svatopluk ist nichts bekannt (Bílý 1863, S. 50; Palacký 1836, S. 130 und 131). Vgl. Anm. 430. 510 Spytihněv lebte von ca. 875 bis vermutlich 912 und folgte Svatopluk im Jahre 894 auf den mährischen Thron; Vratislav starb vermutlich im Jahre 926 (Palacký 1836, S. 153–157, 202 und 203). 511 Palacký 1836, S. 202. 512 Zu den von ihm erbauten Gotteshäusern gehören unter anderem die Marienkirche in Prag, die St. Peterskirche auf der Burg Budeč und die Kirche St. Georg auf der Prager Burg (Palacký 1936, S. 202). 506 507

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Die erzählenden/epischen Darstellungen der Slawenapostel als Teil von Muchas Historienmalerei

8.6 Die erzählenden/epischen Darstellungen der Slawenapostel als Teil von Muchas Historienmalerei Die insgesamt zehn Darstellungen im unteren Bereich des zweiten Entwurfs können zu Muchas Werken im Bereich der Historienmalerei gezählt werden. Schon früh in seinem künstlerischen Werdegang hatte er sich mit dieser Gattung beschäftigt; neben den bekannten dekorativen Panneaux war sie ein wichtiger Zweig seiner Kunst. Er entwickelte einen eigenen Stil für historische Ereignisse aufgreifende Werke: Sie kommen zumeist ohne die charakteristische starke Umrisslinie sowie die charakteristischen Elemente des Style Mucha aus, die viele dekorative Arbeiten kennzeichnen. Ein eindrückliches Beispiel hierfür sind die Illustrationen für das Buch von Charles Seignobos Scènes et episodes de l’histoire d’Allemagne, das im Jahre 1898 beim Verleger Armand Colin in Paris erschien. 513 Mucha spielt bei den auf das schwarzweiße Medium beschränkten Illustrationen mit starken Kontrasten und betont geschickt anatomische Details, um den Betrachter auf das Essentielle aufmerksam zu machen. Ungefähr zur selben Zeit sollte beim gleichen Verleger ein Buch über die Geschichte Spaniens erscheinen, jedoch verstarb Colin bevor es zur Veröffentlichung kam. Erhalten blieben aber einige von Muchas fertiggestellten Zeichnungen; Jana Brabcová-Orlíková spricht von einer „masterful composition“ der Illustrationen. 514 Den Fokus hatte Mucha weniger auf die Wiedergabe der Handlung als vielmehr auf Haltung, Gestik und Mimik der Figuren gelegt. Damit unterscheiden sich diese Darstellungen deutlich von den er-

zählerischen Szenen der Slawenapostel: Muchas Gewichtung lag hier insbesondere auf den diversen Handlungen – möglicherweise, da diese aus einer gewisse Entfernung wesentlich besser erkennbar gewesen wären als gewisse Details der Figuren. Auch bereits vor den genannten Illustrationen für Seignobos zeigte sich mit der Gestaltung einiger Plakate für Sarah Bernhardts Theaterstücke Muchas großes Interesse für jedes auch noch so kleine historische Detail: Bestickte Gewänder, Schmuck oder der Hintergrund – gut zu sehen beispielsweise bei Gismonda (1894/1895), Lorenzaccio (1896) oder La Samaritaine (1897) – scheinen aus vergangenen Jahrhunderten zu stammen. 515 Jiří Mucha erklärt zur Vorgehensweise seines Vaters: „Bei seiner Arbeit, besonders an den historischen Illustrationen, studierte mein Vater bis ins kleinste Detail das Kunsthandwerk aller Zeiten. Das war mehr als historische Gewissenhaftigkeit – das war sein Steckenpferd. Bis ins hohe Alter zeichnete er auf Schritt und Tritt in seine Skizzenbücher zahllose Details von Gegenständen, Architekturen, Verzierungen, ja sogar Waffen aller Art, beim Aufenthalt in Museen oder nach alten Büchern.“ 516 Auch für das Slawische Epos holte er sich Anregungen und Unterstützung von außen: Gespräche mit Spezialisten wie dem Historiker und Experten für osteuropäische Geschichte Ernest Denis in Paris halfen ihm bezüglich der Auswahl und der Inhalte der dargestellten Themen. 517

8.7 Die Farbigkeit des zweiten Entwurfs Für den zweiten Entwurf, den Mucha im Juni 1929 dem Dombauverein vorlegte, hatte er die Farbigkeit bestimmter Bereiche noch nicht bis ins letzte Detail festgelegt. Dies betrifft insbesondere die Figuren

der historischen Herrscher und jene in den Szenen mit den Slawenaposteln. Daher müssen zur Beurteilung der geplanten Farbigkeit drei Vorstudien dieses Entwurfes heran-

Abbildungen s. Ausst. kat. München 2009, S. 246–255. Interessant ist, dass Mucha vor allem die Ereignisse aus dem Werk von Seignobos illustrierte, die mit seiner Heimat zu tun hatten, beispielsweise den Fenstersturz zu Prag, die Gründung der Prager Universität oder den Reformator Jan Hus auf dem Scheiterhaufen in Konstanz, s. dazu Mucha 1965, S. 55. 514 Ausst. kat. San Diego 1998, S. 227; Abb. einer Illustration mit König Ferdinand aus dem geplanten Werk zu Spaniens Geschichte ebenfalls dort. 515 Abb. Gismonda s. Rennert/Weill 1984, S. 49; Abb. Lorenzaccio s. Rennert/Weill 1984, S. 109; Abb. La Samaritaine s. Rennert/Weill 1984, S. 119. 516 Mucha 1965, S. 78 und 85. 517 Mucha 1965, S. 254. 513

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Der zweite Entwurf: Die Kyrilliza und die mittelalterlichen Herrscher

gezogen werden (Abb. 4–6), wovon eine vom Künstler bezüglich des Kolorits besonders gut ausgearbeitet wurde. 518 Mucha hatte mit seinem zweiten Entwurf wohl eine ähnliche Farbwirkung erzielen wollen wie mit dem vorhergehenden: Jeweils oben und unten im Bereich der Lanzetten hat er eine dunkle Blaufärbung vorgesehen, während der zentrale Bereich in sattem Gelb geplant war. Der erste Entwurf zeigt an dieser Stelle eher gedämpfte Farben wie Beige und Hellgelb. Es kann festgehalten werden, dass Mucha den Kontrast zwischen dem Randbereich und dem Zentrum auf jeden Fall abgemildert und somit auf die Kritikpunkte des Dombauvereins vom Januar 1929 reagiert hatte. 519

Im Unklaren bleibt die Farbigkeit der seitlichen Lanzettenbereiche des zweiten Entwurfs: Hier zeigt die Studie mehrheitlich Orange und Rot, während sich die figürlich ausgearbeitete Version auf Blautöne konzentriert, wobei diese gerade keine Farbgebung der Figuren aufweist. Daher verbleiben gewisse Details zur Farbigkeit im Bereich der Spekulation. Mucha hat im Entwurf die Kleidung der Personifikation der Tschechoslowakei als eine der wenigen Details von Figuren ausgearbeitet und ihr einen orangen Farbton verliehen, was an der entsprechenden Stelle der Studie ebenso signalisiert wird.

Die drei Vorstudien befinden sich im Besitz des Mucha Trust und messen je 40 � 22,5 cm. s. Kapitel 5.2.4. Insbesondere Max Švabinský hatte den zu hellen Mittelteil des ersten Entwurfs und den dadurch entstehenden großen Kontrast zu den anderen Bereichen bemängelt.

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9. Das Glasgemälde im Veitsdom

Die Maße des Fensters betragen 4,9 m in der Breite und 9,95 m in der Höhe. Die einzelnen Fensterflächen sind 64 cm breit und 98 cm hoch. In den vier äußeren Lanzetten bilden jeweils zwei zusammen eine Szene, im mittleren Streifen wird eine Darstellung aus vier bzw. sechs Flächen sowie den Lanzettenspitzen gebildet. Das Maßwerk ist mit jenem der gegenüberliegenden Kapelle des Heiligen Grabes sowie der je-

weils angrenzenden Kapellen identisch. Die Fensterflächen bestehen zumeist aus drei übereinander liegenden rechteckigen Scheiben, die mit Bleischienen verbunden sind. 520 An gewissen Stellen wird diese Dreiteilung zugunsten der Darstellung aufgebrochen, beispielsweise bei der zentralen Szene, in der die eigentliche Dreiteilung das Gesicht und den Nimbus der heiligen Ludmilla durchschneiden sollte, dies aber nicht tut, sondern ihn umfährt.

9.1 Werkbeschreibung 9.1.1 Christus und die Personifikationen In der obersten Fensteröffnung, einem Fünfpass, befindet sich die Darstellung von Christus (Abb. 8). Sein Blick ist gesenkt, seine Arme ragen in die seitlichen Pässe und füllen diese aus. Mit seiner rechten Hand führt er den Segensgestus aus, der wohl dem Betrachter, aber auch der darunter folgenden Darstellung gilt. Die Farbe Blau dominiert den Fünfpass; nur die Hände Christi, das Inkarnat seines Gesichts sowie das angeschnittene goldene Spruchband, von dem ungefähr zwei Drittel zu sehen sind, stellen andersfarbige Akzente dar. Unter der Christusfigur, in den beiden Vierpässen und dem mittleren Dreipass, befinden sich weibliche Gestalten in Nationaltrachten. 521 Sie sind als Personifikationen der Regionen der Tschechoslowakei zu erkennen und sind relativ eng in ihre Maßwerköffnungen eingepasst, sodass Teile ihrer Attribute oder ihres Körpers bzw. Gewandes nicht komplett sichtbar sind. Ganz links ist die Personifikation des mährischen Landes zu sehen; sie ist erkennbar an dem

rot-weiß karierten Adler, der in das Rund einer Standarte eingepasst ist. In ihrer rechten Hand hält sie einen doppelköpfigen Hammer aus Holz. Die Figur ganz rechts hält in der rechten Hand ein Räuchergefäß, das mit einer Wellenlinie verziert ist und über einen deckelartigen, gerillten Aufsatz mit zwei Halteringen verfügt. 522 In ihrer linken Hand befindet sich das byzantinische Doppelkreuz als Symbol für das Wappen der Slowakei. Die mittlere Personifikation, die sich direkt unter Jesus befindet, symbolisiert durch den in eine Standarte eingepassten doppelschwänzigen Löwen Böhmen. Es handelt sich bei ihr um eine Variante der im Jahre 1907 entwickelten Slavia und sie unterscheidet sich in Details – beispielsweise im (Gewand-)Schmuck und der Gestaltung der Haare bzw. der Kopfbedeckung – stark von den anderen beiden Personifikationen. 523 Sie ist jeweils von zwei Büffelköpfen und Tauben sowie am Kopf und an ihrer rechten Seite von Lindenblättern umgeben. Auch in den Zwickeln rund um die Darstellungen der Landesteile, aber auch in den Zwickeln des Fünfpasses Christi sind Lindenblätter als Symbol für die Slawen bzw. für die Tschechoslowakei vorzufinden.

Gewisse äußere Rahmenbedingungen, beispielsweise Eigengewicht und Winddruck, schränken die Größe eines verbleiten Fensterfeldes ein. So können die Fensterfelder in den meisten Fällen nur bis zu einem Meter hoch und ca. 60 cm breit sein (Hortensia von Roda: Die Glasmalereien von Józef Mehoffer in der Kathedrale St. Nikolaus in Freiburg i. Ue. (Beiträge zur Kunstgeschichte der Schweiz, 7), Wabern-Bern 1995, S. 53). 521 Beispiele für Muchas Werke mit charakteristischen Trachten: Plakat für die Ausstellung des tschechischen Nordostens in Hořice (Abb. s. Dalibor Kusák, Marta Kadlečíková: Mucha. Prag 1992, Abb. 47), Plakat für den Gesangsverein der mährischen Lehrer (Abb. s. Kusák/Kadlečíková 1992, Abb. 46). 522 Ein ähnliches Räuchergefäß findet sich auf dem Ausstellungsplakat des Slawischen Epos, 1928 (Abb. s. Mucha 2000, S. 93 rechts). 523 s. Kapitel 7.3.2. 520

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Das Glasgemälde im Veitsdom

9.1.1.1 Der Hauptteil des Fensters: die Szenen aus dem Leben Kyrills und Methods und die Szene mit der Slavia und der Tschechoslowakei Der Hauptteil des Fensters zeigt in den Vertikalfeldern elf Szenen aus dem Leben von Kyrill und Method, eine Darstellung mit der heiligen Ludmilla und ihrem Enkel Wenzel sowie die Verkörperung der Slavia und jene der Tschechoslowakei (Abb. 8). Die seitlichen Szenen, jeweils auf die Glasflächen von zwei Vertikalfeldern verteilt, widmen sich ausschließlich der Vita der Slawenapostel. Die Bildfelder stellen die Missionstätigkeit der Brüder chronologisch dar. Den Beginn macht die oberste Szene unterhalb der Rechten Christi, danach folgen die Szenen unterhalb dieser (Szenen 2 bis 5). Die sich anschließenden Szenen sind diejenigen unter der Linken Christi (Szenen 6 bis 10), beginnend von oben. Die einzelnen Szenen weisen im Hintergrund zumeist für Mucha charakteristische Jugendstil-Dekoration auf, beispielsweise geometrische Formen wie Kreise oder Halbkreise. Mucha hatte ähnliche runde und halbrunde dekorative Muster bereits seit seiner Pariser Zeit vielfach in seinen Panneaux angebracht, in denen sie seinen zumeist weiblichen Figuren zugleich als Hintergrund und als eine Art Aureole dienten. Hier dienen sie teilweise ebenfalls dazu, die Figuren zu erhöhen oder einen Akzent zu setzen. Szene 1 Die nimbierten Slawenapostel empfangen stehend ihren Missionsauftrag vom byzantinischen Herrscher Michael III. Er befindet sich sitzend und mit einer Schriftrolle versehen am linken Bildrand und ist an seiner purpurfarbenen Kopfbedeckung erkennbar. Kyrill, in eine einfache Mönchskutte gehüllt, hält behutsam ein Schriftstück in den Händen, nah an seinen Körper gedrückt. Zur Linken Kyrills befindet sich Method, der zu dieser Zeit Abt war. Bei den beiden vor dem byzantinischen Kaiser niederknienden Figuren handelt es sich vermutlich um slawische Boten, die im Namen des mährischen Fürsten Rostislav den byzantinischen Kaiser um die Entsendung von Missionaren bitten.

Eine Wandöffnung gibt den Blick auf einen kleinen Rundtempel und Bäume frei. Szene 2 Der bärtige Method, im linken Vertikalabschnitt dargestellt, schreibt sitzend an einem Pult. Kyrill, der den Beinamen „der Philosoph“ trägt, stützt seinen Kopf unter der Nase mit seiner rechten Hand auf. Die beiden sind von Büchern und Schriftrollen umgeben. Die Szene gibt die Erschaffung der Glagoliza sowie die Übersetzung von biblischen Texten wieder. Die Seite des Stuhls, auf dem Kyrill sitzt, zeigt ein die Dreifaltigkeit symbolisierendes Scutum Fidei. Szene 3 Die Brüder nehmen als Träger einer Bahre an einer Prozession teil. Sie ist ausladend geschmückt und mit dem Schriftzug „CLEMENS“ versehen. Kyrill trägt zusätzlich in seiner linken Hand eine Kerze. Dies ist die einzige Szene, in welcher die Heiligen nicht nimbiert sind. Die Darstellung nimmt Bezug auf die Überführung der Gebeine des Heiligen Clemens nach Rom im Jahre 869, wo sie in der gleichnamigen Kirche bestattet wurden. 524 Der sich in der Nähe von San Clemente befindende Konstantinsbogen ist im rechten Hintergrund zu erkennen. Bei diesem Aufenthalt in Rom soll Method seine Erzbischofsweihe erhalten haben, was Mucha bei den folgenden Szenen mit Method durch die Pontifikalien und das Pallium verdeutlicht. Szene 4 Dargestellt ist die Segnung von in der Glagoliza verfassten liturgischen Texten durch Papst Hadrian II. Method, mit Pallium und Mitra, sowie Kyrill halten Schriftstücke in den Händen. Der Papst trägt ebenso ein über die Schulter gelegtes Pallium 525 und greift sich, offensichtlich emotional ergriffen, mit der Linken an die Brust, während er mit der rechten Hand die Schriftstücke segnet. In der Armlehne des Papstthrones ist ein kleiner, kaum sichtbarer Vogel abgebildet.

Bautz 1990, Clemens I. Normalerweise wird die linke Schulter des Papstes mit dem Ende des Palliums geschmückt (s. Karl-Heinz Bieritz: Liturgik, Berlin 2004, S. 196); hier wurde aber, vermutlich aus Gründen der Erkennbarkeit und Symmetrie, die rechte Schulter des Papstes gewählt.

524 525

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Werkbeschreibung

Szene 5 Method sitzt trauernd am Sterbebett seines Bruders. Der Körper Kyrills ist in voluminöse Kissen gebettet, in seiner linken Hand befindet sich eine Kette mit einem lindgrünen Kreuzanhänger. Seine andere Hand ruht in jener seines Bruders. Die Szene wird von insgesamt sieben Kerzen erhellt, was möglicherweise auf die überlieferte Anzahl von ebenso vielen Bischöfen zurückgeht, die Method später in seinem Erzbistum unterstellt waren. 526 Bei Kyrill zeigt sich noch immer ein Nimbus, der allerdings weniger hell ist als jener Methods und durch den linken Querarm eines dunklen Kreuzes durchbrochen wird. Der Betrachter nimmt auf dem Stuhl von Method den griechischen Buchstaben Omega wahr, der sich vor einem in vertikaler Richtung stehenden Zweig befindet.

Schoß – es handelt sich dabei wohl um Übersetzungen der Bibel in die Glagoliza.

Szene 6 Method wird ohne Kyrill bei der Ausführung der slawischsprachigen Liturgie gezeigt. Rechts wird ihm von einer weiteren männlichen Figur ein Buch entgegengehalten, aus dem er liest. Eine weitere Gestalt ist kniend vor Method dargestellt. Sehr auffällig ist das Christusmonogramm zur rechten Methods, bei welchem seitlich ein Alpha und ein Omega zu sehen sind. Die beiden griechischen Buchstaben werden auf der Titelseite des aufgeschlagenen Buches, aus welchem Method liest, wiederholt.

Szene 9 Method, aus der Gefangenschaft entlassen, wird vom Papst Johannes VIII. in Rom empfangen. 527 Der Papst legt seine Hände auf jene Methods und auf dessen Haupt und zeigt ihm so, dass er ihn in seine Diözese zurückkehren lässt. Rechts befindet sich die Darstellung eines Möbelstücks, das als Ablage für Kleidungsstücke genutzt wird: Darauf ist ein tuchartiger Schal, wahrscheinlich eine liturgische Stola, zu erkennen, die Method bei dieser Gelegenheit vom Papst wieder zurückerhält. 528

Szene 7 Dargestellt ist der Prozess in Regensburg gegen Method: Dieser befindet sich im rechten Teil des Fensterabschnitts und hält die rechte Hand vor der Brust, während er sich vor vier Kirchenvertretern verteidigt. Die Gestalt, die Method am nächsten ist, wird durch das Pallium ebenfalls als Vertreter eines hohen Kirchenranges ausgewiesen. Dabei könnte es sich um Wiching handeln, der vermutlich an Methods Verurteilung mit beteiligt war. Vor Method befindet sich ein Stoß aus Schriftrollen, auch zwei der anderen Figuren haben Schriftstücke auf ihrem

Szene 8 Der in Szene 7 gezeigte Prozess führte zur Verurteilung Methods; er hätte auf seinen kirchlichen Rang verzichten und die Ausübung der slawischsprachigen Liturgie aufgeben müssen, um in Freiheit zu bleiben. Bis zum Jahre 873 wurde er, wahrscheinlich in Ellwangen, eingekerkert – Method ist in seiner Zelle sitzend und mit deutlich verschmutzter Kleidung dargestellt, während seine Augen geschlossen sind. Ihm gegenüber erkennt man ein Wassergefäß und einen Laib Brot. Die Gitterstäbe seines Gefängnisses sind hinter seinem Nimbus sichtbar. Am unteren Rand der Szene, zu beiden Seiten, sind Garben aus Kornähren zu sehen.

Szene 10 Dargestellt sind der Tod Methods und die Trauer seiner Gefolgsleute. Sein Kopf ist nach hinten auf die Rückenlehne des Stuhls aufgestützt. Methods Nimbus wird, wie auf der gegenüberliegenden Seite bei Kyrill, bereits von anderen dargestellten Gegenständen durchbrochen. In seine linke Hand sind ihm einige Zweige mit weißen Beeren, möglicherweise Schneebeeren oder Myrten, gelegt worden. Diese sind ebenso am linken Bildrand dargestellt. Auffällig ist eine gewisse inhaltliche Symmetrie dieser Szenen, besonders ausgeprägt ist dies im obers-

s. Kapitel 4.2 und Anm. 79. Weitere Angaben zu Johannes VIII. s. Plathow 1992, Sp. 392–394. 528 Die Stola gehört neben anderen Kleidungsstücken – Albe, Zingulum, Tunicella, Dalmatik oder Dalmaticella, Kasel, Manipel, Pallium, Mitra, Pontifikalhandschuhe, -strümpfe und -schuhe – zu den sog. Pontifikalgewändern, also zu den Bischofsgewändern (s. Deborah E. Kraak: Paramente der Christlichen Kirchen. Systematisches Fachwörterbuch (Glossarium Artis, 4), München 20023, S. 51). 526 527

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Das Glasgemälde im Veitsdom

ten Szenenpaar, also den Szenen 1/6, sowie in den Paaren 4/8 und 9/10 zu sehen: Die Szene 1 zeigt die Beauftragung der Slawenapostel mit der Mission zur Einführung der slawischsprachigen Liturgie – deren Ausführung hat Mucha in der Szene 6 dargestellt. Die Szenen 4 und 8 zeigen Begebenheiten mit ihnen wohlwollenden Päpsten. Die Szenen 5 sowie 10 thematisieren den Tod der Slawenapostel. Auch bei den weiteren Paaren fallen Verschränkungen auf: Die Gefangenschaft Methods in der Szene 8 stellt einen Tiefpunkt der Mission dar und wurde von Mucha der Reliquienüberführung der Gebeine des heiligen Clemens nach Rom, also einem unbestreitbaren Höhepunkt im Leben der Slawenapostel, gegenübergestellt. Die Szene 2 zeigt die Schaffung der Glagoliza und die Übersetzung von liturgischen Schriften; in der Szene 7 ist Method bei der Verteidigung dessen zu sehen, was in Szene 2 entwickelt wurde. Mittlere Lanzette, oben Im Gegensatz zu den bisher besprochenen Szenen ist diese figürliche Darstellung nicht auf zwei Felder, sondern auf sechs verteilt; die Figuren darauf sind zudem rund eineinhalbmal so groß wie in den bisherigen Szenen. Der an Mitra, Bischofsstab und Pallium als Bischof erkennbare Method führt die Taufe durch Übergießen des vor ihm knienden böhmischen

Fürsten Bořivoj aus. 529 Dieser ist von hinten mit nacktem Oberkörper dargestellt, den Kopf hat er vornübergebeugt. Seine Kleidungsstücke sowie sein Schwert werden von einem Bediensteten gehalten. Links daneben hat Mucha Kyrill dargestellt, der den Segensgestus ausführt. Ein Buch als Hinweis auf die slawischsprachige Liturgie befindet sich in seiner linken Hand. Im Hintergrund, in der Spitze des rechten Vertikalstreifens, sieht man einen Teil einer mittelalterlichen Burg. Heute geht die Forschung davon aus, dass die Taufe am Hofe des großmährischen Fürsten, vermutlich war es Svatopluk, stattfand. Es muss sich also um eine Burg auf dem Gebiet Großmährens handeln. Ein Zeitungsartikel von 1931 legt die Örtlichkeit auf dem Velehrad fest, was zur Zeit der Slawenapostel zum großmährischen Reich gehörte. 530 Direkt unter dem böhmischen Fürsten befindet sich Bořivojs Ehefrau, Ludmilla 531 – die beiden sind von zahlreichen Lindenblättern umgeben. In Anlehnung an ihren Tod durch Erdrosseln hat Mucha sie dargestellt, wie sie in ihren Armen ein schalähnliches Tuch hält und für das Gebet ihre Augen schließt. Ihr prächtiges Kleid wird auf der Höhe ihres Schoßes von einem orangefarbenen Überwurf unterbrochen, auf dem sich ihr Enkelsohn Wenzel mit dem rechten Ellbogen aufstützt und ebenfalls betend sein Haupt zum Himmel reckt, jedoch mit offenen Augen. 532 Die beiden Figuren bilden eine

Die Taufe, die durch Übergießen vollzogen wird, wurde wahrscheinlich bereits neben dem Untertauchen in einem Taufbecken im frühen Christentum praktiziert, danach kam sie nochmals im Mittelalter auf. Das Übergießen war in der frühmittelalterlichen fränkischen Kirche und auch in Teilen Italiens gängige Praxis (s. Bieritz 2004, S. 568–606). 530 Lidové listy 1.10.1931, o. S.; Poulík 1985, S. 33. Die Forschung konnte die Burg des mährischen Großfürsten bisher archäologisch nicht fassen; dass sie sich in Velehrad befunden haben soll, dafür gibt es weder Belege durch schriftlich-historische Quellen noch archäologische Funde (s. Poulík 1985, S. 27). Auch gibt es keine Antwort darauf, weshalb die Taufe nicht in Bořivojs Herrschaftsreich, also in Böhmen, stattgefunden haben soll. 531 Ludmilla wurde als Tochter des sorbischen Fürsten Slavibor um 856 geboren. Mit 15 Jahren heiratete sie Bořivoj. Die Taufe beider fand wohl im Jahr 875 statt. Nach dem Tod Bořivojs im Jahre 888 folgte nach fünf Jahren, während derer Böhmen an das Großmährische Reich angegliedert wurde, sein noch minderjähriger Sohn Spytihněv. Spytihněv führte die Regierung von 894 bis 915. Nach seinem Tod kam sein Bruder Vratislav von 915 bis 921 an die Macht. Dessen heidnische Ehefrau Drahomira führte nach seinem Tod 921 die Regierung, obwohl offiziell der noch minderjährige Sohn Wenzel als Herrscher anerkannt war. Wenzels Erziehung aber war die Aufgabe von Ludmilla. Weil Drahomira nicht duldete, dass Ludmilla ihren Enkel christlich und insbesondere auch in der slawischsprachigen Liturgie erziehen ließ, wollte sie Ludmilla ermorden lassen. Diese empfing die von Drahomira entsandten Mörder wie Freunde. In der Nacht drangen sie in ihr Schlafzimmer ein. Den Tod vor Augen, bat sie die Mörder um ein letztes Gebet, was ihr gewährt wurde. Ludmilla breitete gemäß der Legende ihre Arme aus und wandte sich an Gott, dann wurde sie mit ihrem Schal erdrosselt (Michael Tupec: Ludmilla. Leben, in: Samerski 2009, S. 169–171; Otto Wimmer: Kennzeichen und Attribute der Heiligen. Innsbruck 2000, S. 203; Ekkart Sauser: Art. Ludmilla, in: Biographisch-bibliographisches Kirchenlexikon, Bd. XVII, Hamm 2000, Sp. 869–870). 532 Wenzel wurde um das Jahr 907 geboren, sein Vater war Vratislav, dessen Eltern Bořivoj und Ludmilla. Auch er war somit Angehöriger der Přemysliden. Beim Tod seines Vaters soll er etwa 13 Jahre alt und daher noch nicht regierungsfähig gewesen sein. In der Folge übernahm seine Mutter, Drahomira, die Regierungsgeschäfte. Wenzel wurde von seiner Großmutter im christlichen Glauben erzogen, was Drahomira missfiel. Deshalb ließ sie Ludmilla töten. Zwischen den Jahren 921 und 925 muss Wenzel die Regierungsgeschäfte übernommen haben und heiratete, der Name seiner Ehefrau ist aber nicht überliefert. Wenzel war wohl der vierte Herrscher Böhmens, der sich taufen ließ. Auf der Prager Burg ließ er – an der Stelle, an der heute der Veitsdom steht – als erste Kirche die Wenzelsrotunde erbauen. Wenzel starb wahrscheinlich am 28. September 929 eines gewaltsamen Todes: Er wurde von seinem Bruder Boleslav in einen Hinterhalt gelockt und 529

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Werkbeschreibung

aus stiller Fürbitte und Innehalten bestehende geschlossene Einheit. Die prominenten hellen Nimben von Ludmilla und ihrem Enkel Wenzel machen ein Gestaltungsmerkmal Muchas sichtbar: Die dadurch entstehende Diagonale kann von Szene 1 bis hin zur Szene 10 gezogen werden, wodurch auf optische Weise die „Lese-Richtung“ gekennzeichnet ist. Mucha selbst war der Meinung, dass es in einer Komposition eine dominierende Hauptlinie geben müsse, und diese sei die „Achse der konkreten Gefühle“. 533 Mittlere Lanzette, unten Diese Darstellung, die aus vier Bildfeldern besteht, knüpft stilistisch und inhaltlich an die Personifikationen der Landesteile im oberen Bereich des Glasgemäldes an. Es handelt sich auch hier um zwei weibliche Figuren, die – erkennbar an den Lindenblättern, den traditionellen Trachten und den slawischen Farben in diesem Bereich – mit Muchas Heimatland in Verbindung stehen. Die linke Figur hat große Ähnlichkeit mit dem Slavia-Typus von 1907, nur die Kopfhaltung und -bedeckung unterscheiden sich: Während die Slavia von 1907 den Betrachter direkt anblickt und unbedeckte Haare hat, weist der mit einer Haube bedeckte Kopf dieser Figur leicht nach unten und ihre Augen sind geschlossen dargestellt. 534 Der untere Teil ihres Kleides ist dunkelrot statt weiß. Andere Details, wie beispielsweise das Halten von Stoffbändern mit der rechten Hand sowie des Reifens in der Linken oder die Positionierung von einzelnen Stoffbändern und Lindenblättern um den Kopf herum, sind fast identisch. Auch in der Broschüre, die 1931 von der Banka Slávie herausgegeben wurde, wird die Figur schon als Slavia bezeichnet. 535

Die andere Figur ist die Personifikation der Tschechoslowakei, wie die Buchstaben „CSR“ auf ihrer Kopfbedeckung in den Farben Weiß, Dunkelrot und Blau belegen. Auch bei ihr hat Mucha einige Merkmale des Plakatmotivs Slavia von 1907 eingebracht: Es ist wohl deren spiegelverkehrte Darstellung, Mucha hat sie sogar im gleichen Gewand abgebildet, einzig die Oberschenkel hat er weiter nach unten geführt. Sie hält eine Standarte in ihrer linken Hand, auf welcher sich eine Taube mit gespreizten Flügeln – auch dieses Element hatte Mucha aus der Darstellung der Slavia von 1907 entnommen – sowie eine stilisierte segnende Hand befinden. Es scheint, als ob sich die beiden Figuren gegenseitig stützen würden. Sie werden durch einen Bogen im Hintergrund eingefasst; auch dieser ist fast identisch zum dekorativen Bogen bei der Slavia von 1907. Die Farben dieses Bereichs sind hauptsächlich jene der slawischen Trikolore, wobei das Rot ein eher dunkles Bordeauxrot ist. Die Darstellung der beiden Personifikationen weist hinter dem dekorativen Bogen eine orangene Hintergrundfarbe auf und verbindet somit den Bereich der Personifikationen mit jenem der großen Taufszene, der insbesondere im unteren Teil ähnliche Farben aufweist. Im Gegensatz zu der Taufszene wirkt aber der Bereich mit den beiden weiblichen Figuren sehr flächig, beinahe statisch und entspricht eher dem Stil von Muchas dekorativen Panneaux. Unter diesen beiden Figuren befindet sich die Stifterinschrift, die durch vier Spiralkreise, jeweils einer an jeder Ecke, und andere dekorative Elemente eingefasst ist. 536 Ähnliche Spiralkreise befinden sich auch in den beiden oberen Ecken dieser Szene.

getötet. Der Grund dafür war möglicherweise, dass diesem Wenzels politische Ausrichtung – eine freundschaftliche Beziehung zu Heinrich I. – missfiel. Sein Grab befand sich ursprünglich in Stará Boleslav, wo er auch starb. Seine Gebeine wurden wahrscheinlich Mitte der Sechziger Jahre des 10. Jahrhunderts auf den Hradschin überführt und in der Veitskirche – dem Vorgängerbau des Veitsdoms – beigesetzt; sie befinden sich heute noch in der berühmten Wenzelskapelle (Kapelle Nr. 15, s. Abb. 1); s. Třeštík 1997, S. 856; Stefan Samerski: Wenzel, Leben, in: Samerski 2009, S. 245–249. 533 Alfons Mucha: Lectures on Art, London/New York, 1975, S. 51. 534 Zum Plakatmotiv Slavia von 1907 s. Kapitel 7.3.2. 535 Banka Slávie 1931, S. 10. 536 Zur Inschrift s. Kapitel 9.5.4.

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Das Glasgemälde im Veitsdom

9.2 Die Slavia von 1907 in den Entwürfen und im Glasgemälde Nach diesen Beobachtungen steht fest, dass Mucha im Jahre 1907 einen Figurentypus der Slavia entworfen hat, den er – neben der Verwendung als Porträt und auf der Banknote – auch in allen drei Entwürfen für das Glasgemälde von 1928 bis 1931 wiederverwendete. Mucha setzte diesen FigurenTypus folgendermaßen ein: – Im ersten Entwurf (Abb. 2) befindet sich die Figur sehr prominent in der Mitte der Darstellung, umringt von weißen Tauben. – Der zweite Entwurf (Abb. 3) zeigt im unteren Feld in der Mitte zwei Personifikationen – die linke davon (von Mucha mit kyrillischen Buchstaben als „Slavia“ bezeichnet) weist mehrere Gemeinsamkeiten mit der Slavia von 1907 auf. – Im ausgeführten Glasgemälde (Abb. 8) hat Mucha sogar kennzeichnende Merkmale der Slavia von 1907 auf drei Figuren ausgeweitet: – einmal die gleiche Figur wie im zweiten Entwurf, nur die Kopfhaltung unterscheidet sich (im unteren Feld der mittleren Lanzette: die linke Personifikation). – zusätzlich die zweite Personifikation im gleichen Bildfeld (spiegelverkehrt), auch der Bogen mit Margeriten, die aus kleinen



Herzen hochwachsen, ist aus dem Poster für die Banka Slávie von 1907 entnommen. Schließlich zeigt der Dreipass im oberen Bereich des Glasgemäldes auch eine Figur, die der Slavia von 1907 entspricht.

Somit gibt es in allen Entwürfen für das Glasgemälde insgesamt fünf Figuren, die mit dem Slavia-Typus von 1907 in Verbindung stehen. Das wiederholte Einbringen dieser Figur belegt deren Bedeutung für den Künstler, der sie erstens auf jedem Entwurf in die Darstellung integrierte und zweitens die Anzahl der verwendeten Slavia-Figuren bis im dritten Entwurf auf drei steigerte. Es kann an dieser Stelle nicht unerwähnt bleiben, dass die fünf weiblichen Figuren aus den drei Entwürfen für das Glasgemälde, die mit dem hier relevanten Slavia-Typus von 1907 in Verbindung stehen, allesamt von Mucha mit Kränzen, Reifen oder runden Standarten mit einbeschriebenem Wappen ausgestattet wurden. Offensichtlich scheint dieser Slavia-Typus untrennbar mit dem Ring der Einheit verbunden zu sein.

9.3 Vom zweiten zum dritten Entwurf – Die Wiederverwendung einiger Szenen Einige der Szenen aus dem Leben der Slawenapostel zeigen Darstellungen, die bestimmten Situationen im zweiten Entwurf (oder Teilen davon) entsprechen. Mucha hat also für den endgültig ausgeführten Entwurf einzelne Szenen aus dem vorhergehenden Entwurf vergrößert, kompositorisch leicht verändert oder die Darstellungen aus einem anderen Blickwinkel gezeigt. Beibehalten hat Mucha ebenfalls die Positionierung von Kyrill und Method in der Spitze der mittleren Lanzetten; er hat sie nur spiegelbildlich angeordnet und ist damit der Darstellung der Taufe in dem kleinen Bildfeld aus dem zweiten Entwurf gefolgt. Der Vergleich der betref-

537

Zu den möglichen Deutungsansätzen s. Kapitel 8.1.2.

108

fenden Details des zweiten Entwurfs mit den jeweiligen Lanzetten aus dem Glasgemälde verdeutlicht die Übernahme von einzelnen Darstellungen (Abb. 19–21). Die von Mucha nicht wiederverwendeten Darstellungen des zweiten Entwurfs sind folglich drei: die beiden Bildfelder mit Papst Hadrian und dasjenige mit dem König von Ungarn, das als einziges Unklarheiten bei der Interpretation bereitete. 537 Die beiden Darstellungen mit Hadrian sind möglicherweise nicht berücksichtig worden, da dieser ohnehin in der Szene 4 die Übersetzungen der Bibel segnet.

Die neuen Protagonisten neben den Slawenaposteln – Bořivoj, Ludmilla und Wenzel

9.4 Die neuen Protagonisten neben den Slawenaposteln – Bořivoj, Ludmilla und Wenzel Mucha hat vom zweiten zum dritten Entwurf nicht nur die Komposition entscheidend geändert, sondern auch neue Figuren eingefügt. Zu diesen Figuren gehören Ludmilla sowie ihr Enkelsohn Wenzel, die in den vorhergehenden Entwürfen überhaupt nicht vorkamen. Bořivoj hingegen wurde im Glasgemälde komplett anders gewichtet als in der Darstellung zuvor, wobei er im ersten Entwurf gar nicht berücksichtigt worden war. Daher bedürfen diese Figuren und die möglichen Gründe, weshalb sie integriert wurden, einer genaueren Betrachtung.

9.4.1 Bořivojs Taufe Im zweiten Entwurf beinhaltete ein kleines Bildfeld die Taufe Bořivojs – daraus lässt sich schließen, dass Mucha also weder der Taufe noch der Figur Bořivojs eine zentrale Bedeutung beigemessen hatte. Im Glasgemälde hingegen ist es die Darstellung in der Mitte, deren Figuren auch in einem größeren Maßstab dargestellt sind. Interessanterweise hat sich der Künstler durch den zweiten Entwurf inspirieren lassen, die Darstellung jedoch maßgeblich erweitert. Bořivoj war nicht der einzige Fürst mit direktem Kontakt zu den Slawenaposteln, denn auch für Kocel, Svatopluk und Rostislav können gemäß den historischen Quellen direkte Beziehungen nachgewiesen werden. Und auch andere slawische Herrscher aus dem zweiten Entwurf waren wie Bořivoj über Jahrhunderte bei der Bevölkerung gegenwärtig und beliebt geblieben. Welche Gründe haben Mucha

also dazu bewogen, seine Taufe als zentrale Handlung für das Glasfenster auszuwählen? Bořivoj ist der erste historisch belegbare Vertreter der Přemysliden, eines Herrschergeschlechts, das Böhmen bis ins 14. Jahrhundert anführte. Zugleich gilt er als erster böhmischer Fürst, der getauft worden ist. Die Bedeutung von Bořivojs Taufe wird auch von František Palacký hervorgehoben: So habe erst dadurch „die Mehrzahl des böhmischen Volkes den Christenglauben“ angenommen, und weiter meint er: „So knüpft sich an […] Methods Namen auch das folgenreichste Ereignis der alten böhmischen Geschichte, die Taufe des Herzogs Bořivoy und dessen Gattin, der heil. Ludmila; und somit der vollendete Sieg des Christenthums über das Heidenthum in Böhmen.“ 538 Zudem soll laut Palacký die erste steinerne Kirche in Böhmen auf Bořivoj zurückgehen: die Clemenskirche auf der Burg Levý Hradec. 539 Somit ist Bořivoj sowohl auf Ebene der Forschung als auch für Gläubige von großer Bedeutung. Um Bořivojs Begräbnisstätte rankten sich viele Legenden; heutige Forscher lehnen aber die konkrete Festlegung eines bestimmten Ortes entschieden ab. 540 Im 19. Jahrhundert wurde von einigen Autoren die Georgskirche auf der Prager Burg als Grabstätte angenommen. 541 Auch um 1900 herrschte die Annahme, sein Grab liege im Bereich der Prager Burg. 542 Später gab es sogar die Vermutung, dass Bořivojs Grabstätte mit einem im Jahre 1911 entdeckten Grab in der Wenzelsrotunde unter dem Veitsdom identisch sei. 543 Möglicherweise waren diese Legenden um die Grabstätte Bořivojs mit aus-

Palacký 1936, S. 135 und 136. Palacký 1836, S. 137. 540 Michal Lutovský, Milena Bravermanová: Hroby a hrobky našich knížat, králů a prezidentů, Prag 2007, S. 11. 541 Bořivoj sei zusammen mit seiner Frau Ludmilla in der St. Georgskirche auf der Prager Burg bestattet worden, dies ist beispielsweise zu lesen bei Anton Thormond Glückselig: Der Prager Dom zu St. Veit. Geschichtlich und kunstarchäologisch dargestellt, Prag 1855, S. 57. 542 In der deutschsprachigen Zeitung Politik ist zu lesen, dass sich auf einer Reise befindende russische Studenten nach dem Hradschin und dem Veitsdom mit den Königsgräbern auch die Grabstätte Bořivojs besichtigen würden. Leider gibt es keine konkreten Angaben zur Lage und dem Aussehen der Grabstätte (Politik, 25. 7.1901). 543 Das betreffende Grab wurde bei Ausgrabungen im Jahre 1911 entdeckt und in den folgenden Jahrzehnten auch von einigen Forschern als Bořivojs Grabstätte interpretiert, beispielsweise von Michal Lutovský: Hroby knížat. Kapitoly z českých dějin a hrobové archeologie, Prag 1997, S. 187. Zu den Ausgrabungen und einer Rekonstruktion der Wenzelsrotunde s. Kamil Hilbert: O nálezech rotundy Václavovy, in: Svatováclavský Sborník, Karel Guth (Hrsg.), Bd. 1, Prag 1934, S. 220–229; Josef Cibulka: Václavova rotunda sv. Víta, in: Svatováclavský Sborník, Karel Guth (Hrsg.), Bd. 1, Prag 1934, S. 230–685. 538

539

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Das Glasgemälde im Veitsdom

schlaggebend für die Entscheidung Muchas, sich auf die bedeutsamste Begebenheit aus dem Leben Bořivojs zu fokussieren. Insbesondere unter dem Aspekt der anhaltenden Kritik an Muchas Entwürfen für das Glasgemälde scheint dies plausibel zu sein, denn damit hatte Mucha eine historische Figur in den Mittelpunkt gerückt, die fest mit der Prager Bevölkerung, der Örtlichkeit des Veitsdoms sowie dem Christentum in Böhmen verbunden war – was von Seiten des Dombauvereins sicherlich nicht beanstandet werden konnte.

in Untersicht in die Darstellung integriert. Die dargestellte Örtlichkeit des Gemäldes aus dem Slawischen Epos ist der Sitz des Fürsten Svatopluk; dieser wird in der aktuellen Forschung in Nitra angenommen, aber auch Velehrad wird in Betracht gezogen. 547 Neben dem sich zurückhaltenden Palacký äußerten andere Autoren ihre konkreten Vermutungen über die Örtlichkeit der Taufe Bořivojs: So soll sie am Hofe Svatopluks stattgefunden haben. 548

Die Frage nach der Stätte von Bořivojs Taufe war schon seit Beginn der wissenschaftlichen Diskussionen in der Slawistik ein Thema. Palacký äußerte sich diesbezüglich zurückhaltend und meinte, dass die Frage nicht beantwortet werden könne. 544 Ein Anhaltspunkt für Muchas Anschauung lässt sich möglicherweise in dem hinter Method dargestellten Gebäude finden: Mucha hatte eine Rotunde von sehr ähnlichem Aussehen bereits im Gemälde Die Einführung der slawischen Liturgie des Epos von 1912 sowie in dem Entwurf dazu dargestellt. 545 Dort besitzt die spiegelbildlich gezeigte, runde Kirche im oberen Bereich der Apsis wesentlich größere Fensteröffnungen, ansonsten ist das Gebäude identisch aufgebaut. 546 Die Perspektive stellt sich im Glasgemälde etwas anders dar; hier hat Mucha die Kirche

9.4.2 Wenzel und Ludmilla Es ist bei der Betrachtung der Viten dieser bedeutungsvollen Heiligen erstaunlich, dass sie Mucha nicht bereits in die früheren Entwürfe miteinbezogen hatte. Wenzel ist unzweifelhaft der wichtigste böhmische Landespatron; so gilt er seit dem 11. Jahrhundert als ewiger Herrscher und als Symbol Böhmens. 549 Im begonnenen Veitsdom ließ Karl IV. im 14. Jahrhundert die Wenzelskapelle als Aufbewahrungsort für dessen Krone errichten und sein Grab neu schmücken. Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurde der Heilige häufig in bildlichen Darstellungen als Erwachsener gezeigt, meistens mit Teilen seiner Ritterausrüstung oder als Reiterstandbild. 550 Muchas Darstellungsart als fast noch kindli-

Palacký 1936, S. 137. Abbildungen s. http://www.muchafoundation.org/gallery/themes/theme/slav-epic/object/213 [3.1. 2020] und für den Entwurf http://www.artplus.cz/cs/aukcni-zpravodajstvi/1/rekordni-mucha [3.1. 2020]. 546 Die Rotunde aus Die Einführung der slawischen Liturgie ist der Georgsrotunde in Thessaloniki aus dem 4. Jahrhundert nachempfunden (Ausst. kat. Alfons Mucha. Slovanská epopej, Moravský Krumlov [2006]); s. zur Georgsrotunde auch Kapitel 11.4.1. Für weitere Angaben zur Georgsrotunde in Thessaloniki s. beispielsweise: Georgios Velenis: Some observations on the original form of the Rotunda in Thessaloniki, in: Balkan Studies. A biannual publication of the Institute for Balkan Studies, Bd. 15 (1974), S. 298–307. Mucha verbrachte im Jahr 1924 einige Zeit in Griechenland; während seines Aufenthaltes hat er auch Thessaloniki besucht. Er erstellte dabei Skizzen und sammelte Anregungen für sein Gemälde Der Berg Athos des Slawischen Epos. Weitere von ihm besuchte Orte waren das Kloster Chilandar auf dem Berg Athos sowie die Halbinsel Halkidike (Mucha 2000, S. 153; Mucha Foundation/Timeline 2019). Es ist anzunehmen, dass er dabei die Georgsrotunde gesehen hat. Anežka Merhautová sieht die Herkunft von Kyrill und Method auch in den Bauformen der ersten böhmischen Kirchenbauten gespiegelt. Die Rotunde als Kirchenform war gegenüber der Basilika oder der Langhauskirche deutlich in der Überzahl (Anežka Merhautová: Romanische Kunst in Polen, der Tschechoslowakei, Ungarn, Rumänien, Jugoslawien, Wien/München 1974, S. 27). Einige andere sehr frühe Beispiele für böhmische oder mährische Rotunden: St. Martins-Rotunde in Vyšehrad (Abbildungen s. Adámek/Dolenský 1928, S. 184); Kostel sv. Jana Křitele in Zborov, Slowakei (Abb. s. Adámek/Dolenský 1928, S. 197). 547 Milan Ferko: Slovak Republic. Old nation, young state, Bratislava 1998, S. 30; vgl. Anm. 760. 548 Der Chronist Christian liefert die entscheidenden Hinweise, s. František Graus: Das großmährische Reich in der böhmischen mittelalterlichen Tradition, in: Annales Instituti Slavici. Veröffentlichungen des Institutum Salisburgo-Ratisbonense des Internationalen Forschungszentrums für Grundfragen der Wissenschaft, Salzburg, und der Österreich-Unesco-Kommission, Franz Zagiba (Hrsg.), Bd. 2, Wien 1966, S. 136. 549 Stefan Samerski: Wenzel, Leben, in: Samerski 2009, S. 245. Bereits seit dem Mittelalter gibt es auch die Bezeichnung „Länder der Wenzelskrone“, die die Regionen Böhmen, Mähren, Schlesien und den Lausitzen umfasst. 550 Ebenfalls für den Veitsdom hat Karel Dvořák 1921 das Standbild eines Wenzel entworfen, der einen Schild hält (Abb. s. Benešovská 1994, S. 248). Das berühmte Reiterstandbild von Josef Václav Myslbek auf dem Wenzelsplatz zeigt Wenzel als Ritter auf dem Pferd, um ihn herum sind die Heiligen Ludmilla, Prokop, Agnes von Böhmen und Adalbert angeordnet. Es entstand bereits im Jahre 1887, wurde aber verschiedentlich verändert. Der 544 545

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Die neuen Protagonisten neben den Slawenaposteln – Bořivoj, Ludmilla und Wenzel

cher, junger Wenzel gänzlich ohne Waffen ist daher außergewöhnlich. So, wie die Taufszene darüber als eine Einheit wirkt, scheint auch der Bereich mit Wenzel und dessen Großmutter Ludmilla kompositorisch ein autonomes Gefüge zu sein. Der Fokus soll daher in der Untersuchung sowohl auf die Einheit bestehend aus Großmutter und Enkel als auch auf die Darstellung als unbewaffneter Betender gelegt werden. Möglicherweise hat sich Mucha bei dieser Darstellung an der Überlieferung orientiert, dass die Beziehung zwischen Großmutter und Enkel sehr eng gewesen sein soll. 551 Eine in der Forschung vertretene Auslegung dieser Einheit lautet, dass Wenzel nach vorne schauend die Zukunft darstellt, während Ludmilla mit ihren geschlossenen Augen für das Gedächtnis und die Vergangenheit steht. 552 In diese Richtung geht auch die Bezeichnung von Ludmilla als „Prophetin-Zauberin“ durch Mžyková. 553 Es ist überliefert, dass Ludmilla von sehr großer Bedeutung für ihren Enkelsohn war, weil sie ihn nach christlichen Werten und mithilfe der christlichen Liturgie erzog. 554 Ludmilla steht auch heute noch für Erziehung, Bildung und Tradition, was wichtige Pfeiler in der christlichen Lehre sind. 555 Mucha stellt somit neben der Taufe die Weitergabe der slawischen Liturgie von Ludmilla an deren En-

kelsohn ins Zentrum seines Glasgemäldes – und Wenzel führt das Erbe von Kyrill und Method erfolgreich in die Zukunft. Eine weitere Deutungsebene ergibt sich bei der Miteinbeziehung alter slawischer Gebete. Aus dem 10. Jahrhundert stammt das Lied Gospodi pomiluj ny (dt.: Herr, erbarme dich), es soll laut historischen Quellen bereits zur Weihe des ersten Prager Bischofs Thietmar im Jahre 973 gesungen worden sein. 556 Etwas jünger ist der Svatováclavský chorál (dt.: Wenzel-Choral). Er ist das zweitälteste bekannte slawische Gebet und stammt wohl aus dem 13. Jahrhundert. 557 Die Betenden wenden sich damit an den Heiligen Wenzel: Er wird um Fürsprache bei Gott angerufen, um Hilfe gegen Ungerechtigkeit und Rettung zu erhalten. Der Wenzel-Choral ist bis heute sehr populär und wäre im Jahre 1918 beinahe tschechoslowakische Nationalhymne geworden. Es erscheint plausibel, dass Mucha mit der Darstellung des betenden und unbewaffneten Wenzels an diese Tradition anknüpft – zumindest der Zusammenhang zum Wenzel-Choral ist sehr naheliegend. Eine sehr persönliche Note erhält die Darstellung des jungen Wenzel durch die Bemerkung von John Mucha, dass es sich um ein Porträt von Muchas Sohn Jiří handele. 558

Bronzeguss und die Aufstellung auf dem Wenzelsplatz folgten in den Jahren 1904 bis 1914 (Zdeněk Wirth: Die Čechoslovakische Kunst von der Urzeit bis zur Gegenwart. Eine Auswahl hervorragender Werke der Architektur, Plastik, Malerei sowie des Kunstgewerbes in der Čechoslovakei, Prag 1926, S. 36). Ein weiterer Wenzel im Veitsdom soll gar ein Werk Peter Parlers sein: In der Wenzelskapelle steht eine Statue des erwachsenen Wenzel, die ihn als bärtigen und schlanken Ritter zeigt (Abb. s. Wirth 1926, o. S.). 551 Michael Tupec: Ludmilla. Verehrungsgeschichte, in: Samerski 2009, S. 171. Wenzel war es schließlich auch, der die sterblichen Überreste seiner Großmutter zur Prager Burg überführen und dort beisetzen ließ. Ludmilla wurde zunächst dort bestattet, wo sie getötet worden war, und zwar in Tetín, ungefähr 40 km von Prag entfernt. Nachdem Wenzel volljährig und damit regierungsfähig geworden war, ordnete er die Überführung der Gebeine in die zu dem Zeitpunkt gerade vollendete Kirche St. Georg an, wo sie sich bis heute befinden. 552 Rick Steves: Rick Steves’ Prague and the Czech Republic, Chicago 2011, S. 121. 553 Marie Mžyková: Zapomenutá díla, Prag 1992, S. 6. 554 s. auch Anm. 531 und 532. 555 Michael Tupec: Ludmilla. Verehrungsgeschichte, in: Samerski 2009, S. 173. 556 Dies ist durch Cosmas von Prag überliefert (Francis Lützow: A History of Bohemian Literature. London 1907, S. 8; František Kurfürst: Válečné dějiny československé, Prag 1937, S. 111). Es kann jedoch nicht nachgewiesen werden, dass es bereits zur Zeit von Wenzel, der im Jahre 929 starb, gesungen wurde. Das Lied ist ein Gebetsruf und bezieht sich auf die Bitte um Gottes Liebe, gleichzeitig ist es eine Huldigung. Die neuere Forschung bestätigt eine mögliche Entstehung im 10. Jahrhundert in Böhmen (Kalhous 2010, S. 389). Das Lied lautet: „Gospodi, pomiluj ny! Jesu Kriste, pomiluj ny! ty spase vsěgo míra – spasiž ny, i uslyš – Gospodi, glasy naše. Daj nám všem gospodi – žizň a mír v zemi! Kerleš, Kerleš, Kerleš!“ (Alois Vojtěch Šembera: Dějiny Řeči a Literatury Československé, Wien 1858, S. 145 und 146; Beda Franziskus Dudík: Geschichte des Benediktiner-Stiftes Raygern im Markgrafthum Mähren. Von der Gründung des Stiftes bis zum Ende der Hussitenstürme, 1048–1449, Brünn 1849, S. 442 und Anm. 27). Zum Lied Gospodi pomiluj ny s. auch Kapitel 11.6.1. 557 Aleš Březina, Eva Velická: Aspekte der Musik, Kunst und Religion zur Zeit der Tschechischen Moderne, Bern et al. 2009, S. 87. Der Text der ersten beiden von den insgesamt vier Strophen lautet: „Svatý Václave, vévodo České země, kněže náš, pros za ny Boha, svatého Ducha! Kriste, eleison. Nebeské jest dvorstvo krásné, blaze tomu kdož tam dojde, život věčný, ohen jasný, svatého Ducha, Kyrieleison.“ (Johannes Hemleben: Onen svět. Představy lidstva o životě po smrti od Egyptské knihy mrtvých po současnost, Prag 2011, S. 226). 558 Freundliche Mitteilung von John Mucha im Oktober 2006.

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Das Glasgemälde im Veitsdom

Interessant ist auch die Betrachtung eines möglichen Zusammenhangs mit dem Veitsdom bzw. der Prager Burg. Während bereits für Bořivoj eine starke lokale Beziehung durch seine sich angeblich auf der Prager Burg befindende Begräbnisstätte belegt werden konnte, scheint sich dies bei Ludmilla und Wenzel noch deutlicher zu manifestieren: Die sich im Veitsdom befindende Wenzelskapelle beherbergt das Grab Wenzels. Ludmillas Gebeine befinden sich in der Kirche St. Georg auf dem Gelände der Prager Burg, wohin sie bereits durch Wenzel überführt wurden. Alle drei Heiligen, also Bořivoj, Ludmilla und Wenzel, waren über die Jahrhunderte bei der tschechischen Bevölkerung sehr beliebt, haben viel Verehrung erfahren und werden bis heute

für ihre Verdienste am Fortbestehen der slawischen Liturgie gefeiert. Es scheint fast, als hätte Mucha mit der Wahl dieser Protagonisten – also Bořivoj, Ludmilla und Wenzel – eine weitere mögliche Abweisung zu verhindern gesucht. Zusammen mit den seitlichen Szenen, deren Entwicklung möglicherweise zum Teil auf Cibulka zurückgeht, konnte der Dombauverein nichts mehr einzuwenden haben – zumindest, was die Themenwahl und die eingesetzten Figuren angeht. Seinen Stil und seine Absicht, das Fenster in Glasmalerei und nicht in Mosaiktechnik zu gestalten, änderte der Künstler aber nicht.

9.5 Die Inschriften In allen drei Entwürfen zum Glasgemälde kommen Inschriften vor; im Glasgemälde selbst ist zusätzlich dazu noch die Stifterinschrift vorhanden. Abgesehen von dieser stellen die Inschriften auf dem Glasgemälde im Gegensatz zu den ersten beiden Entwürfen eine Besonderheit dar. Wie bereits festgestellt, dienten im ersten Entwurf die einzigen Inschriften – aus lateinischen Lettern – ausschließlich zur Kennzeichnung von Kyrill und Method. Der zweite Entwurf wies hingegen nur kyrillische Bezeichnungen auf. 559 Im Glasgemälde befinden sich an insgesamt drei prominenten Stellen Inschriften: an der Spitze des Fensters im Fünfpass bei Christus sowie oberhalb der seitlichen Lanzetten in den Dreipässen. Es handelt sich dabei jeweils nicht wie in den Entwürfen um einzelne Wörter oder Namen, sondern um mehrere zusammenhängende Wörter.

9.5.1 Das Spruchband im Fünfpass Die Inschrift in dem hellen Band unterhalb Christi lautet:

„HLE, JÁ POSÍLÁM VÁS“ (dt.: „Seht, ich sende euch“, wobei „euch“ im Akkusativ steht)

Es handelt sich hierbei um ein verkürztes Bibelzitat aus dem Matthäusevangelium (Mt 10,16). In einer deutschsprachigen Bibel liest sich die Stelle folgendermaßen: „Seht, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe; seid daher klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben!“ Durch die Positionierung der Figuren wird der Eindruck erweckt, als ob Kyrill und Method den Auftrag für ihre Mission direkt von Christus erhalten hätten, um in die sich darunter befindenden Regionen zu reisen. Den tschechischen Wortlaut hatte Mucha nicht aus einer Übersetzung der Bibel des 19. oder 20. Jahrhunderts entnommen, sondern aus einer Ausgabe der Kralitzer Bibel, der allerersten tschechischsprachigen Bibel. 560 Darin liest sich diese Stelle folgendermaßen: „Aj, já posílám vás jako ovce mezi vlky; protož bud’te opatrní jako hadové, a sprostní jako holubice.“ 561

Für weitere Angaben zu den kyrillischen Beischriften des zweiten Entwurfes s. Kapitel 8.1.2. Weitere Angaben zur Kralitzer Bibel s. Kapitel 9.5.3. 561 Kralitzer Bibel 1579–1593. Die neuere tschechische Übersetzung lautet für diese Stelle: „Hle, já vás posílám jako ovce mezi vlky; bud’te tedy obezřetní jako hadi a bezelstní jako holubice.“ (Tschechische Bibel-Übersetzung/český ekumenický překlad, 1961–1979). 559

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Die Inschriften

9.5.2 Die Dreipässe oberhalb der seitlichen Lanzetten Die beiden Dreipässe, die sich oberhalb der beiden äußeren Lanzetten befinden, tragen im Zentrum einen sechsstrahligen Stern, der von lodernden Flammen umgeben ist. Es scheint so, als ob das Feuer aus einer Öllampe direkt unter dem Stern stamme. Dieser sowie die Flammen sind von einem Kreis aus zweiundzwanzig ebenfalls sechsstrahligen Sternen eingefasst. Die Inschrift folgt in roten Buchstaben. Linker Dreipass: „UČTE VŠECKY NÁRODY“, (dt.: „Lehret alle Völker“)

Rechter Dreipass: „KŘTÍCE JE“ 562 (dt.: „Taufet sie“)

Auch hier handelt es sich wiederum um ein verkürztes Bibelzitat aus dem Matthäusevangelium (Mt 28,19). In einer deutschsprachigen Bibel liest sich die Stelle folgendermaßen: „Darum gehet hin und lehret alle Völker und taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes“. Es handelt sich hierbei um den sogenannten Missionsbefehl Jesu, den er seinen Jüngern als Auferstandener erteilte, bevor er in den Himmel fuhr; es ist also ein zentrales Element, das sich in ähnlichem Wortlaut auch in den anderen Evangelien wiederfindet. 563 Und auch diese Zitate sind der Kralitzer Bibel entnommen. 564 Analog zur Inschrift bei Jesus oben können auch in diesem Fall die Worte, die Jesus ursprüng-

lich an seine Jünger richtete, wiederum als an Kyrill und Method gerichteter Befehl Jesu angesehen werden. Es findet durch Mucha also eine Gleichsetzung der biblischen Mission mit derjenigen der Slawenapostel statt. Erwähnenswert ist auch, dass die zentralen Aussagen dieser beiden Inschriften „christliche Lehre“ und „Taufe“ heißen – es sind somit genau die Inhalte, die Mucha im Zentrum des Glasgemäldes dargestellt hat.

9.5.3 Die Kralitzer Bibel bei Mucha Die Zitate aus der Kralitzer Bibel tauchen in der Genese des Glasgemäldes zum ersten Mal im dritten und ausgeführten Entwurf auf; die beiden Entwürfe davor zeigen keinerlei Hinweise darauf. Man könnte also meinen, dass Mucha keine besondere Verbindung zur Kralitzer Bibel hatte. Doch sein Heimatort Ivančice hatte bei der Entstehung der Kralitzer Bibel eine große Bedeutung: Im ungefähr 20 km von Brünn entfernt liegenden Dorf wurde 1562 vom Humanisten und Bischof Jan Blahoslav eine Priesterschule gegründet. Sein Ziel war eine erstmalige Übersetzung der Bibel in die tschechische Sprache auf der Grundlage von hebräischen und griechischen Texten. Der Druck fand zunächst in Ivančice und später, von 1579 bis 1594, im Nachbarort Kralice nad Oslavou statt und musste im Verborgenen geschehen. 565 Neben den Humanisten bezogen sich auch die Reformatoren auf die Kralitzer Bibel. Sie stellt somit eines der wichtigsten Er-

Die für die tschechische Sprache wichtigen diakritischen Zeichen sind kaum sichtbar, aber vorhanden: Alle Buchstaben dieser Inschriften sowie derjenigen bei Christus sind in Majuskeln geschrieben und befinden sich in relativ großer Höhe, was die Sichtbarkeit der jeweiligen diakritischen Zeichen erschwert. Hinzu kommt die Anwesenheit von kleineren dekorativen Elementen in unmittelbarer Nähe der Majuskeln, die eine Unterscheidung zwischen Ornamenten und diakritischen Zeichen mit bloßem Auge unmöglich machen. 563 Ähnliche Stellen in den anderen Evangelien finden sich unter: Mk 16,15; L 24,47; J 15,16. 564 Die Kralitzer Bibel nennt an dieser Stelle: „Protož jdouce, učte všecky národy, křtíce je ve jméno Otce i Syna i Ducha svatého.“ (Kralitzer Bibel 1579–1593). Die gleiche Textstelle in einer tschechischen Bibelübersetzung des 20. Jahrhunderts lautet: „Jděte ke všem národům a získávejte mi učedníky, křtěte je ve jméno Otce i Syna i Ducha svatého.“ (Tschechische Bibel-Übersetzung/český ekumenický překlad, 1961–1979). 565 Jan Blahoslav war der Vorsteher einer Bruderschaft, die die Schule und die Druckerei betrieb. Die ersten Ausgaben von verschiedenen Teilen der Bibel, gedruckt ab 1564 in Ivančice, bildeten die Grundlage für die später als Kralitzer Bibel benannten sechs Bände. Im Jahre 1578 wurde die Druckerei aus Sicherheitsgründen von Ivančice nach Kralice verlegt, da eine tschechischsprachige Bibelausgabe bei den traditionellen Kirchenanhängern keinen Anklang fand. Kurz darauf, in den Jahren 1596, 1601 und 1613, wurden weitere Ausgaben der Kralitzer Bibel gedruckt, ihr Bekanntheitsgrad war damals bereits enorm. Die unterschiedlichen Editionen sind durch verschiedene Textvarianten geprägt – der Bruderschaft wurden deswegen mangelnde theologische Kenntnisse vorgeworfen. Der Einfluss dieser ersten tschechischen Bibelübersetzung darf auch hinsichtlich der Entwicklung der Schriftsprache nicht unterschätzt werden (s. hierfür Daniel Alexander Neval: Die Macht Gottes zum Heil. Das Bibelverständnis von Johann Amos Comenius in einer Zeit der Krise und des Umbruchs, Zürich 2006, S. 51–56). 562

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Das Glasgemälde im Veitsdom

gebnisse der böhmischen und mährischen Reformation dar. Mucha hat in seinem Slawischen Epos dieser Thematik ein Bild gewidmet; im Gemälde Der Druck der Kralitzer Bibel in Ivančice stellte er die Bruderschaft um den Bischof und Humanisten Jan Blahoslav beim Drucken der ersten Seiten dar. Er sah also die Schaffung dieser ersten tschechischsprachigen Bibelübersetzung als sehr bedeutend an. Vermutlich war Mucha in einem gewissen Sinne wohl auch stolz auf seine Herkunftsgemeinde und diese dort erreichten Errungenschaften sowie die Tatsache, dass Jan Blahoslav in Ivančice bestattet worden war. Mucha war nicht der erste Künstler, der Zitate aus der Kralitzer Bibel in sein Fenster integrierte; dies hatte auch schon František Kysela in seiner Mosaikverglasung für die Thunkapelle (Nr. 17, Abb. 1) getan. Wie bereits berichtet, schloss der Glaser Vlasák das Einsetzen der Glasstücke für Kyselas Fenster im Mai 1929 ab, begonnen hatte er mit der Arbeit vor November 1928, also kurz nachdem Mucha von der Banka Slávie beauftragt worden war. 566 Es ist denkbar, dass sich Mucha nach der zweifachen Zurückweisung auch diesbezüglich absichern wollte: Kyselas Zitate entsprachen offensichtlich den Vorstellungen des Dombauvereins für ein katholisches Gotteshaus, obwohl die Kralitzer Bibel fest mit der Reformation verbunden ist. 567

9.5.4 Die „Tafel“ mit der Stifterinschrift Die Stifterinschrift befindet sich im unteren Abschnitt der mittleren Lanzette. Sie ist mit roten und blauen Buchstaben auf hellem Grund verfasst, darum läuft ein bunter Rahmen aus filigranen stilisierten Blüten. Die Ecken sowie die beiden Schmalseiten der Inschriftentafel weisen Spiralornamente und andere dekorative Formen auf. An den unteren Spiralen sind auf kleinen „Schildern“ zu lesen: links „navrhl – Alfons Mucha“ (dt.: „entworfen“) sowie rechts „provedl – Jan Veselý“ (dt.: „ausgeführt“). Die Inschriftentafel erweckt den Eindruck, als sei sie nicht Teil des Fensters, sondern aus Schmiedewerk, das mittels Befestigungslöchern an den Spiralen vor dem Fenster angebracht wurde. 568 Die Inschrift lautet: „BOHU KU CHVÁLE, VLASTI K SLÁVĚ, UMĚNI KE CTI – VĚNUJE BANKA SLÁVIE“ (dt.: „Gott zum Lob, dem Vaterland zum Ruhm, der Kunst zu Ehren – gewidmet von der Banka Slávie“)

Bemerkenswerterweise fehlen die Hinweise auf das Motiv – also auf das im Jahre 1928 gefeierte 10-jährige Jubiläum des Staates – und die Jahreszahl völlig. 569 Möglicherweise wurde auf die Angabe eines Jahres mit Absicht verzichtet, um nicht auf die Verzögerung von ungefähr zwei Jahren aufmerksam zu machen.

9.6 Die Farbgebung des Glasgemäldes – eine „Symphonie der Farben“ 570 Bei den beiden ersten Entwürfen bezog sich die Besprechung der Farbigkeit auf theoretische Erkenntnisse zur Glasmalerei und die jeweiligen farblichen Angaben in den Entwürfen. Muchas zweiter Entwurf birgt zudem noch die Problematik, dass der Künstler diesen farblich nicht komplett definiert hat.

Das Glasgemälde (Gesamtansicht: Abb. 8) beantwortet in dieser Hinsicht jedoch alle Fragen – mehr noch, es beweist dem Betrachter, dass es sich bei der Gattung der Glasmalerei um eine künstlerische Ausdrucksform handelt, die mit Recht einen besonderen Stellenwert genießt. Fotografische Wiedergaben des Fensters können kaum die große Far-

Für weitere Angaben zur Mosaikverglasung von František Kysela s. Kapitel 5.2.3 und 7.2. Über den Grund, weshalb der Dombauverein überhaupt Zitate der Kralitzer Bibel gutgeheißen hatte, lässt sich nur spekulieren. Möglicherweise wegen der Bedeutsamkeit der ersten tschechischsprachigen Bibelübersetzung für die Entwicklung der Sprache, denn dies wird als ein von der Frage nach der Konfessionszugehörigkeit unabhängiger Erfolg der Bruderschaft um Bischof Blahoslav angesehen. 568 Das Vorgehen, dass ein Künstler Objekte, die er zweidimensional darstellt, nur mit ebensolchen Ornamenten versehen kann, beschreibt Mucha ausführlich in seiner 1975 in Buchform erschienenen Vorlesung (Mucha 1975, S. 32). 569 s. Kapitel 7.3.3. 570 Banka Slávie 1931, S. 6. 566 567

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Die Farbgebung des Glasgemäldes – eine „Symphonie der Farben“

bentiefe und deren Reichtum einfangen. Das zur Präsentation im Oktober 1931 veröffentlichte Buch preist berechtigterweise die „Spektralpracht“, die den „Gesängen eines Chores“ gleiche. 571 Die Wirkung der Farben ist gewaltig, obwohl sich das Fenster an der Nordseite des Domes befindet und somit kein direktes Sonnenlicht erhält. Mucha selbst war der Meinung, dass die Farbe dem Charakter und dem Zweck des Kunstwerks untergeordnet sein solle. 572 Die Farben sollen aber, zusammen mit den Linien und Proportionen eines Werkes, den Betrachter auf die Kommunikation mit dem Künstler vorbereiten. 573 Er sah also die Farbkomposition als einen Teil des Gesprächs zwischen dem Betrachter und dem Künstler an – und damit als wesentlichen Teil der Gesamtkomposition. Die Hauptfarben des Glasgemäldes sind Blau, Rot und Gelb. Sie bedecken den größten Teil des Werkes; weitere Farben wie Grün, Braun oder Violett nehmen im Vergleich kleinere Bereiche in Anspruch. Die Töne werden heller, je näher sie dem Zentrum kommen; die Bildmitte leuchtet in Goldrot. Durch diese farbliche Gestaltung sind die einzelnen Szenen der seitlichen Lanzetten nicht einheitlich gestaltet, sondern ordnen sich dem Gesamtbild unter: Auf der dem Zentrum zugewandten Seite finden sich die goldenen Akzente, während der nach außen gerichtete Bereich in dunklem, leuchtendem Blau eingefärbt ist. Wie bereits im Zusammenhang mit dem ersten Entwurf erwähnt, entsteht der Gesamteindruck eines Fensters durch die einzelnen Farben, deren Zusammenstellung, den Farbenglanz und die Leuchtkraft. Die Form des Fensters und die Komposition selbst werden oft als sekundär wahr-

genommen. Bei Mucha sind die Farbübergänge zwischen den einzelnen Farben bzw. Farbflächen kaum wahrnehmbar, da die jeweils nebeneinander liegenden Farben im Farbkreis nah beieinander liegen. 574 Insbesondere im Zentrum führt dies zu einer optischen Verstärkung der wahrgenommenen Farben. Das dominante und alles überstrahlende blaue Glas hebt die übrigen Bereiche hervor. Zudem befindet sich Muchas Glasgemälde an der Nordseite des Veitsdomes und enthüllt hier eine weitere Eigenschaft von blauem Glas sowie anderer kalter Farbtöne: Bei weniger starker Lichteinstrahlung leuchten sie umso heller. 575 Daher nimmt der Betrachter jede Stelle in Muchas Glasgemälde als stark leuchtend wahr: Mucha schuf also ein Fenster, das bis zu den Ecken, bis ins kleinste Detail, eine gewaltige Strahlkraft besitzt, denn die Randzonen strahlen ebenso wie die Mitte. Die grundlegende farbliche Gestaltung hatte Mucha bereits mit dem ersten Entwurf gefunden, jedoch wählte er für das ausgeführte Glasgemälde sattere Farben im Zentrum und verschob gewisse Grenzen der Farbverläufe. Ein möglicher Grund für das Festhalten an dieser Farbkomposition ist vermutlich in der Bedeutung bestimmter Farben in seinem Werk zu suchen. Interessanterweise vermied er dabei Anknüpfungen an die generell geltende Farbbedeutung beispielsweise bei den Symbolisten. 576 Im Zusammenhang mit dem Slawischen Epos ist Muchas Farbwahl untersucht und gut dokumentiert 577: Die Farbe Blau stellt die (mythische) Urzeit dar. Übertragen auf das Glasgemälde könnte es sich um die Zeit vor Kyrill und Method handeln, also die Zeit des Glaubens an die alten slawischen Götter, die ihren Platz hauptsächlich am Rande des Geschehens

Banka Slávie 1931, S. 5 und 6. Mucha 1975, S. 24. 573 Mucha 1975, S. 47. 574 Remmert 1991, S. 16. 575 Remmert 1991, S. 16. 576 Ausst. kat. Krems 1994, S. 125. Symbolisten verbanden mit der Farbe Blau unter anderem Kälte, Trauer oder Sehnsucht; Gelb stand für Licht und höchste Reinheit; die Kombination von Gelb und Rot stand für die Sprache des Blutes; Rot alleine für Geschlechtlichkeit (Hans H. Hofstätter: Symbolismus und die Kunst der Jahrhundertwende, Köln 19753, S. 134–136). Dies verdeutlicht ein weiteres Mal die solitäre Position von Mucha in Bezug auf gängige künstlerische Theorien. 577 Die erste tiefgreifende Auseinandersetzung mit der Bedeutung einzelner Farben fand wohl im Zusammenhang mit dem letzten Gemälde des Epos statt, der Apotheose der Slawen von 1926. So ist in einer Werkbesprechung von 1929 zu lesen, dass die vier Farben Blau, Rot, Schwarz und Gelb für bestimmte inhaltliche Bedeutungen stehen: Der Autor verbinde die Farbe Blau mit der Mythologie, Rot stehe für das Mittelalter, Schwarz für die Knechtschaft und Gelb für die Erneuerung bzw. Wiedergeburt; F. Ž.: K ukončení Muchovy Slovanské Epopeje (dt.: Zur Fertigstellung von Muchas Slawischem Epos), in: Umění (S. p. č. v. p.), Bd. 2 (1929), S. 243. 571

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Das Glasgemälde im Veitsdom

hat, diesem jedoch einen festen Rahmen geben. Damit würde auch übereinstimmen, dass die drei Regionen mehrheitlich von dieser Farbe dominiert werden. Jedoch widerspricht dieser Theorie, dass Jesus darüber ebenfalls in Blau dargestellt ist, auch wenn sich für Muchas Zeitgenossen das alte slawische Pantheon und das Christentum als Monotheismus nicht ausschlossen. Ein Blick auf den ersten Entwurf enthüllt aber, dass Mucha sehr wahrscheinlich Kyrill und Method bzw. ihre Mission mit dieser Farbe verbunden hat: Hier sind im Hauptteil hauptsächlich die Slawenapostel blau eingefärbt. Die Farbe Rot wurde im Slawischen Epos als Farbe der festlichen Blüte der Slawen identifiziert. 578 Im ersten Entwurf hatte Mucha insbesondere Teile der Slavia, die Blumen und das Blumenmädchen in dieser Farbe gestaltet. Der zweite Entwurf zeigt vor allem an zentraler Stelle bei der Figur der Tschechoslowakei die Farbe Rot, gemäß der Studie zum zweiten Entwurf wären diese auch in den Randgebieten der Lanzetten verwendet worden. Im Glasgemälde konzentriert sich diese Farbe hauptsächlich auf den Bereich des jungen Wenzel und seiner Großmutter durch den auf ihrem Schoß liegenden Überwurf. Die Bedeutung der Farbe Rot könnte sich also hier auf die christliche Lehre beziehen, die sich durch Wenzel entwickeln kann. Schließlich stellt die Farbe Gelb in Muchas Zyklus das Allerhöchste dar: die endgültige Befreiung, die im Jahre 1918 erfolgte. 579 Die Farbe Gelb umgibt im ersten Entwurf hauptsächlich die Protagonistin Slavia. Im Glasgemälde ist diese Farbe vor allem bei Bořivoj und dem Method der Taufszene sowie Wenzel und Ludmilla zu finden, was möglicherweise in Analogie als Befreiung und Emanzipa-

tion der slawischen Völker durch die Taufe und christliche Lehre ausgelegt werden kann. Ein nicht zu vernachlässigendes Detail kann in Muchas als Publikation erschienenen Vorlesung zur Kombination der drei Hauptfarben des Glasgemäldes gefunden werden: „Where they [die Farben Rot, Blau und Gelb] are found united they completely satisfy the retina of the eye by occupying all of its nerves, and, if they occupy surfaces proportionate to their luminosity in the solar spectrum, they will impress the retina of the eye most agreeably, that is to say, harmoniously, and the combination itself of these colours would be a harmony.“ 580 An einer anderen Stelle betont der Künstler, dass die wichtigste Farbe am bedeutendsten Punkt oder Bereich des Werkes angebracht werden sollte. 581 Diesen Bereich nennt Mucha „Point of interest“; es kann sich um eine ganze Figur oder einen Teil von ihr handeln. Im Glasgemälde liegt diesbezüglich die Akzentuierung sicherlich im Zentrum. Da Gold (als wichtigste Farbe des Epos) auf die kombinierte Darstellung von Taufe und christlicher Lehre gleichermaßen verteilt ist, hebt Mucha – neben der inhaltlichen Betonung durch die Inschriften und die zentrale Platzierung – diese Thematiken auch durch die Farbgestaltung hervor. Es kann festgehalten werden, dass es schlussendlich vermutlich mehrere Gründe gewesen sind, die zur finalen farblichen Gestaltung des Glasgemäldes geführt haben: Muchas persönliche Farbensymbolik in Bezug auf die Slawen bzw. die Tschechoslowakei, seine allgemein geltenden Gedanken zur Farbenlehre und -wahrnehmung und die speziellen Gestaltungskriterien für die Arbeit mit Glas sowie seine Erfahrung mit diesem Material.

9.7 Muchas dekorative Elemente im Glasgemälde: der Kreis Mucha trug wahrscheinlich mehr als alle anderen Künstler der Epoche zur Entwicklung des dekorativen Elementes bei. 582 Diese, meist aus floralen und

578 579 580 581 582

Ausst. kat. Krems 1994, S. 125. Ausst. kat. Krems 1994, S. 125. Mucha 1975, S. 58. Mucha 1975, S. 14. Amaya 1963, S. 475.

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geometrischen Motiven gebildet, sind allgegenwärtig in Muchas Werk und bilden einen wichtigen Teilaspekt seiner Darstellungen. Nach seinen Erläu-

Muchas dekorative Elemente im Glasgemälde: der Kreis

terungen entstehen bei einem rechtwinkligen Viereck, dessen untere Seite parallel zum Boden angebracht wird, Ornamente aus dem Boden des Vierecks. 583 Dies lässt sich auf das Glasgemälde (ohne den oberen Teil der Maßwerköffnungen) übertragen: Die dekorativen Elemente sind über die gesamte Fläche, ausgehend vom Boden, regelmäßig verteilt. Ausgeprägt beim Glasgemälde ist die Fülle an sich wiederholenden geometrischen Elementen – und hier insbesondere jene der Kreisform. Sogar die Zitate der Kralitzer Bibel hat Mucha in die Kreisform eingearbeitet. Einige dieser Kreise bzw. Kreisformen lassen sich anhand ihrer unterschiedlichen Herkunft und Wirkung unterscheiden. Gemäß Mucha können Kreise in einer Komposition durch Spiralen ersetzt werden, ohne dass sich dadurch deren „Gesetze“ ändern würden. 584 Interessanterweise sind Spiralen ausschließlich in der mittigen Szene unten als einrahmendes Element der beiden Personifikationen und der Stifterinschrift zu finden – sie schließen die genannte Darstellung gegenüber dem übrigen Fenster optisch ab. Bereits erwähnt wurden die unzähligen prominenten architektonischen Bogen, die bei den Maßwerköffnungen im oberen Teil des Fensters und im Hintergrund fast in jeder der seitlichen Szenen in den Lanzetten zu sehen sind. Einzig die Szenen 3 und 7 weisen diese Motive nicht auf; jedoch hat der Künstler hier durch die Positionierung und Haltung der Figuren ebenfalls eine bogenförmige Anordnung geschaffen. In der Architektur der frühen Kirchen und Rotunden aus dem 10. bis 13. Jahrhundert auf dem Gebiet der Tschechoslowakei finden sich über Halbsäulen an der Fassade häufig Blendbogen oder Blendarkaden. Einige von ihnen haben große Ähnlichkeit mit den dekorativen Bogen in den einzel-

nen Szenen des Glasgemäldes. 585 Ähnliche, an Architekturelemente erinnernde Bogenformen, die nach unten entweder offen sind oder deren unterer Bereich von einer Figur verdeckt ist, hat Mucha seit seiner Pariser Phase in vielen dekorativen Werken verwendet. 586 Durch das Einbringen dieser Bogen werden einzelne Szenen oder Bereiche davon in ihrer Bedeutung erhöht und der sakrale Inhalt betont. Historisch ist es als Anbindung an die Zeit der Slawenapostel zu sehen. Zu den kreisförmigen Dekorationen ist auch der von Mucha vielfach verwendete und bedeutungsvolle Ring der Einheit zu zählen. 587 Seine Anbringung geht aber weit über eine dekorative Funktion hinaus und ist eng an die Figur der Slavia bzw. der Tschechoslowakei gebunden. Der Taubenkranz im ersten Entwurf ist vermutlich auch zu dieser Kategorie zu rechnen. Bei der Betrachtung aller mit dem Kreis in Verbindung stehenden Dekorationsformen im Glasgemälde fällt Muchas Spiel mit der Ähnlichkeit zwischen Kreisen, Architekturteilen, Spiralen, Nimben, aureolenartigen Überfängen und dem Kreis der Einheit auf. Diese Kombination ist in jedem Entwurf zu finden; die einzelnen Elemente sind natürlich jeweils anders gewichtet bzw. werden öfter oder seltener eingesetzt. Festzuhalten gilt es aber, dass die Gesamtheit dieser Kreisformen in jedem der Entwürfe von Mucha gezielt zur Blicklenkung in die Komposition eingebettet wurde: Auf optischer Ebene stellen sie entweder ein verbindendes Element dar oder fungieren als Möglichkeit der Betonung bzw. Hervorhebung. Zudem beinhalten einige dieser Dekorationen wichtige Aussagen, die weit über die dekorative Funktion hinaus gehen. Wegen der Fülle an diesem einen Element kann das Glasgemälde insgesamt beinahe als Reigen des

Mucha 1975, S. 32. Das Glasgemälde besitzt zwar nicht die Form eines Vierecks, jedoch sind die in diesem Zusammenhang von Mucha besprochenen Bereiche eines auf der Wand angebrachten Vierecks – die gerade und zum Boden parallele Basis und die geraden und im rechten Winkel zum Boden stehenden Seiten – identisch mit dem Glasgemälde. Nur der obere Bereich, in dem sich die Maßwerköffnungen befinden, unterscheidet das Glasgemälde vom Viereck. Doch der obere Abschluss wird nicht von Mucha erwähnt und scheint somit nicht relevant für diesen Vergleich zu sein. 584 Mucha 1975, S. 31. 585 Beispiele für Blendarkaden oder -bogen: Basilika der hl. Jungfrau Maria in Doksany (Abb.: Merhautová 1974, Abb. 83); Tympanon der St.-Leonhardus-Kirche in Citov, zu Beginn des 13. Jahrhunderts entstanden (Abb.: Merhautová 1974, Abb. 104); Tympanon der Wenzelskirche in Hrusice aus dem 13. Jahrhundert (Abb.: Merhautová 1974, Abb. 109). 586 Als Beispiele hierfür können die Plakate von La Samaritaine von 1897 (Abb.: Ausst. kat. San Diego 1998, S. 148) oder Princezna Hyacinta von 1911 (Abb.: Ausst. kat. San Diego 1998, S. 175) genannt werden. 587 Zum Ring der Einheit s. Kapitel 7.3.2.2. 583

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Das Glasgemälde im Veitsdom

Kreises bezeichnet werden. Sehr wahrscheinlich lässt sich die zahlenmäßige Überlegenheit aus den Überlieferungen der alten slawischen Mythologie

erklären: Hier galt der Kreis als eines der am weitesten verbreiteten Sinnbilder für das Vollendete und das Unendliche. 588

9.8 Die Vögel im Glasgemälde – nur dekorative Elemente oder bedeutungsvoller Inhalt? Neben den bereits erwähnten floralen und geometrischen Formeln der Dekoration kommen auch Tierdarstellungen vor, die mal mehr, mal weniger stark stilisiert sind. In den Entwürfen zum Glasgemälde und im ausgeführten Werk sind Vögel – mit Ausnahme der Büffelköpfe bei der Personifikation von Böhmen und der Katzenprotome in Szene 9 – die einzigen Tierdarstellungen. Sie stellen offensichtlich eine besondere Form der dekorativen Elemente und sicherlich auch einen Inhalt dar, der gemäß Muchas künstlerischem Verständnis für das Glasgemälde unentbehrlich ist – anders ist das wiederholte Anbringen von Vogeldarstellungen in den einzelnen Entwürfen unter gleichzeitiger Ausklammerung fast aller anderen Tierdarstellungen nicht zu erklären. Unter den Tierdarstellungen befinden sich auf allen drei Entwürfen zahlreiche Tauben. 589 Im ersten Entwurf tauchen sie in der Form des großen Kranzes um die Figur der Slavia auf, ebenso sind sie in den Spitzen aller Lanzetten zu finden. In den äußeren vier Lanzetten sind auch im zweiten Entwurf Tauben dargestellt. Im Glasgemälde kommen sie an diversen Stellen vor: Zwei Tauben befinden sich bei der Personifikation von Böhmen, eine weitere bei derjenigen der Tschechoslowakei. Da die Darstellung dieser beiden Figuren wie bereits besprochen auf das Vorbild der Slavia von 1907 zurückgeht, hat Mucha vermutlich auch deswegen den Zusammenhang zwischen der Taube und dieser Figur wiederholt. Tauben scheinen auf den Entwürfen und im Fenster einen christlich konnotierten Bildinhalt hervorzuheben, der wohl auf die Christianisierung

der Regionen durch Kyrill und Method hinweist, denn die Tauben befinden sich in allen Entwürfen ausschließlich in der Nähe der Slawenapostel oder der Regionen, des Staates oder der Slavia. Es sind weitere Vogeldarstellungen im Glasgemälde vorhanden, die keine Tauben darstellen: in der Taufszene, Szene 7 sowie 4. Bei der Taufszene trägt der junge Wenzel zwei kleine stilisierte Vögel auf der Gürtelschnalle. Diese könnten auf die Herrscherdynastie der Přemysliden hinweisen, deren Wappentier der nach dem Dargestellten benannte Wenzelsadler ist. Ohne Zweifel entsprechen die beiden jeweils von der Seite gezeigten und an eine Kinderzeichnung erinnernden Vögel nicht dem von vorne dargestellten und die Flügel ausbreitenden Wappentier. Es könnte aber ein Verweis Muchas auf die Jugendlichkeit Wenzels und im übertragenen Sinn auch auf den im Jahre 1931 noch jungen tschechoslowakischen Staat sein, der sich ebenso wie Wenzel noch entwickeln wird. In der Szene 7 hat Mucha einen Fries mit sitzenden Vögeln in Tondi in die Darstellung integriert. Der etwas voluminöseren Kopfform nach scheint es sich um Eulen zu handeln. Diese Nachtvögel gelten gemeinhin als Symbol der Weisheit, aber auch als Unglücksboten und werden wegen ihrer Tagblindheit auch als Symbol für Dummheit und Narrheit angesehen. Dies lässt sich gut mit dem in der Szene Dargestellten verbinden: Mucha hat in diesem Bildfeld dargestellt, wie Method zu Unrecht der Prozess gemacht wird. In Szene 4 gibt es insgesamt drei Vogeldarstellungen: Einen kleinen Vogel als Dekoration der Armlehne des Papstes sowie zwei Vögel als Kapitel-

Váňa 1992, S. 212. Mucha hat ebenfalls in anderen seiner Werke Vögel dargestellt, im Folgenden einige Beispiele. Darstellungen mit Tauben: eine Tafel der Combinaisons ornementales von 1901, Abb. s. Bridges 1980, S. 103; Briefmarke mit zwei Tauben mit den Werten 2 h, 5 h von 1919, 5 h von 1920, Abb. s. Bridges 1980, S. 182. Briefmarke mit fliegendem Falken in unterschiedlichen Werten, herausgegeben 1918–1920, Abb. s. Bridges 1980, S. 182. Beispiel für nicht näher spezifizierbare Vögel: Eingangsseite des dritten Kapitels von Ilsée, Princesse de Tripoli, 1897, Abb. s. Bridges 1980, S. 93; Werbeposter Moët & Chandon, Dry Impérial, 1899, Abb. s. Bridges 1980, S. 69; Werbeposter Nestlé’s Food for Infants, 1898, Abb. s. Bridges 1980, S. 66.

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Mucha und die Freimaurer

le zu beiden Seiten der die Bildfelder trennenden Fenstersäule (zu sehen ist jeweils nur der vordere Teil des Vogels). Diese stehen vermutlich auch im Zusammenhang mit dem Christentum, obwohl eine zweifelsfreie Identifizierung als Tauben nicht möglich ist. Die Vögel scheinen also bei Mucha nicht nur als dekorative Formel zu dienen, sondern drücken auch symbolische Inhalte aus. Dabei ist es äußerst interessant zu verfolgen, an welchen Stellen und in welcher Größe Mucha die Vögel ins Glasgemälde

gesetzt hat: Die drei Vögel der Szene 4 sind mit bloßem Auge kaum auszumachen, auch die Dekorationen auf der Gürtelschnalle von Wenzel sind für den Betrachter kaum zu erkennen. Die Vögel stellen – ausgehend vom Gesamtbild des Glasgemäldes – nur ein Detail dar; jedoch hat der Symbolist Mucha auch diese Details mit einer inhaltlichen Bedeutung versehen, die oft eben nicht nur Teil der Dekoration ist. Diese bezüglich des Glasgemäldes gemachten Feststellungen entsprechen auch jener Bedeutung, die Mucha den Vögeln im Porträt von Josephine Crane-Bradley beimisst. 590

9.9 Mucha und die Freimaurer Mucha zeigte bereits früh in seinem Leben Interesse an mythischen Zirkeln und an der Freimaurerei. Dass er Freimaurer-Logen angehörte, wurde teilweise bis in die 1980er Jahre ignoriert oder verschwiegen und in vielen wissenschaftlichen Publikationen wird dieser Punkt weiterhin vernachlässigt. 591 Jedoch ist seine Zugehörigkeit zu den Freimaurern für die Interpretation einiger seiner Werke – wenn auch nicht für alle – hoch bedeutsam. Auch bei der Betrachtung des Prager Fensters stößt man zwangsläufig auf verschiedene Darstellungselemente, die in ihrem szenischen Zusammenhang keinen Sinn zu ergeben scheinen. Beispielsweise fällt in der Szene 5 der grüne Zweig auf, der vertikal hinter dem griechischen Buchstaben Omega durchläuft und dessen Funktion zunächst unklar bleibt. Auch bei anderen Details wie den Attributen der Personifikationen im oberen Bereich des Fensters ergeben sich Fragen bezüglich deren Funktion. Daher muss die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, dass Mucha freimaurerische Symbolik in die Darstellung integriert haben könnte.

9.9.1 Die Freimaurerei Sehr wahrscheinlich ist die Freimaurerei im Zusammenhang mit den mittelalterlichen Steinmetzen in England entstanden: In den Bauhütten großer Kirchen arbeiteten die Steinmetze nicht nur zusammen, sondern bildeten auch eine Lebensgemeinschaft. 592 Diese organisierten Gruppen nahmen schließlich auch Angehörige anderer Berufe auf. Im Jahre 1717 bildete sich in England die erste Großloge, die aus vier kleineren Logen entstand. Zu den Handwerkern hatten sich auserwählte Vertreter des Bürgertums und des Adels gesellt. 593 Die Bewegung breitete sich von England zunächst nach Frankreich und Deutschland und später in andere Teile der Welt aus. 594 Nach der Ausbreitung folgten Einschränkungen und Verbote, unter anderem im Kaisertum Österreich, wo die Freimaurerei zu Beginn des 19. Jahrhunderts gänzlich verboten wurde. Nach dem Zusammenschluss von Österreich mit Ungarn verlief die Entwicklung der Freimaurerei ab 1867 unterschiedlich, da jeder der beiden Staaten innenpolitisch autonom war: In Ungarn wurde die Freimaurerei Ende des 19. Jahrhunderts durch liberale Gesetze

s. Kapitel 7.4.1.3. In den 1980er Jahren wurde Mucha fälschlicherweise eine Mitgliedschaft bei den Rosenkreuzern zugeschrieben und sein Werk dahingehend interpretiert (s. Fantis 1986, S. 253). 592 Ursula Terner: Freimaurerische Bildwelten. Die Ikonographie der freimaurerischen Symbolik anhand von englischen, schottischen und französischen Freimaurerdiplomen, Fulda 2001, S. 14; Quenzer 1983, S. 564. Die Symbole der Freimaurer haben häufig die Form von Werkzeug, was mit der Entstehung aus Steinmetzgilden zu erklären ist. 593 Terner 2001, S. 14. 594 In Frankreich wurde die erste Loge im Jahre 1725 gegründet, in Prag entstand die erste Loge 1749 (Quenzer 1983, S. 564; Ludwig Lewis: Geschichte der Freimaurerei in Österreich und Ungarn, Leipzig 1872, S. 20). 590 591

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Das Glasgemälde im Veitsdom

wieder ermöglicht, sodass sich in der heutigen Slowakei, die damals von Ungarn regiert wurde, wieder Logen bilden konnten. 595 In Böhmen und Mähren konnten sich erst ab 1918 wieder Logen bilden. 596 Davor gab es aber sogenannte „Grenzlogen“, die auf slowakischem und ungarischem Gebiet als Freimaurerlogen registriert, auf der österreichischen Seite jedoch als Kulturvereine angemeldet waren. Die freimaurerische Lehre umfasst humanistische Begriffe wie Menschenliebe, Brüderlichkeit und Wohltätigkeit. Eine klassische Ausbildung wird als Grundlage des Zusammenlebens angesehen. Es gilt zwar die Anschauung, dass Gott als Urheber aller Dinge zu sehen sei, jedoch werden keinerlei religiöse Pflichten von den Mitgliedern verlangt, womit die Freimaurerei allen religiösen Gruppierungen offensteht. 597

9.9.2 Muchas Verhältnis zu den Freimaurern Mucha begegnete der Freimaurerei laut eigenen Aussagen das erste Mal in seiner Kindheit, obwohl

sie damals in Mähren offiziell nicht genehmigt war. 598 Wegen des damaligen Verbotes entwickelte sich bei Mucha eine Neugierde, die noch verstärkt wurde, als sein Mäzen Graf Khuen-Belasi große Bewunderung für die Freimaurerei äußerte. 599 In Frankreich konnte er die offen praktizierte Freimaurerei kennenlernen und wurde in den 1890er Jahren in eine der dortigen Logen aufgenommen. 600 In dieser Zeit können auch erste symbolische Verbindungen zum Freimaurertum in seinem Werk festgestellt werden. 601 Als er ab 1904 vornehmlich in den Vereinigten Staaten lebte, hatte er regen Kontakt zu anderen Freimaurern, jedoch war er kein Mitglied einer Loge. 602 Etwa im Jahre 1913 oder 1914 war Mucha in Prag und entdeckte zufälligerweise den dortigen Unpolitischen Verein Harmonia, der zur Grenzloge Hiram zu den drei Sternen von Bratislava gehörte. 603 Daraus spaltete sich nach dem Krieg die Loge Jan Amos Komenský ab, in welcher er im Jahre 1923 zum Großmeister der Loge gewählt wurde. 604 Die Gründung und Entstehungsgeschichte der ersten tschechoslowakischen Logen war nicht einfach, da vielfach die Erfahrung fehlte. Muchas Einfluss ist

Eine gänzliche und im demokratischen Sinn freie Entfaltung gab es für die Freimaurerei auch im ungarischen Teil der Doppelmonarchie nicht: Im ungarischen Sopron und in Bratislava wurden im Jahre 1869 die beiden Logen Verbrüderung und Verschwiegenheit gegründet. Diese standen seit der Gründung „bis zum Ende der österreichisch-ungarischen Monarchie, unter der fürsorglichen Bewachung der Wiener Polizeibehörde“ (Ludwig Brügel: Aus der Frühzeit der österreichischen Freimauerei. 1848 bis 1869, in: Eugen Lennhoff (Hrsg.): Die Gegenwarts-Maurerei. Gesicht/Geist/Arbeit, Festschrift der Großloge von Wien, Wien 1928, S. 70). Nichtsdestotrotz wurden im 19. Jahrhundert in der Slowakei zahlreiche Logen gegründet. Für Bratislava sind folgende Gründungen überliefert: 1874 die Logen Zukunft und Sokrates, 1875 die Loge Schiller, 1877 die Logen Freundschaft und Columbus zum Weltmeer, 1888 die Loge Treue, 1898 die Loge Pionier. Für die Loge Lessing zu den drei Ringen wird die Gründung 1897 ebenfalls in der Slowakei, aber mit unbekanntem Ort angenommen (Hermann Anton: Die Freimaurerei auf dem Gebiete des heutigen Oesterreich. Eine kurze Skizze als Erinnerungsblatt, in: Lennhoff 1928, S. 270). Weitere Angaben zur Geschichte der Freimaurerei in Böhmen und in der Tschechoslowakei bzw. Tschechischen Republik s. Eugen Lennhoff, Oskar Posner, Dieter A. Binder: Internationales Freimaurer Lexikon, überarb. und erw. Aufl. der Ausgabe von 1932, München 2000, S. 849–851. 596 Bernard Michel: Milieux dirigeants et Franc-Maçonnerie en Europe centrale. L’exemple de la Tchécoslovaquie, in: Bulletin de la Société d’histoire moderne. Supplément à la Revue d’histoire moderne et contemporaine 2, Bd. 19 (1977), S. 4. Erst im Mai 1922 wird aber eine neue Dachorganisation für die zahlreichen kleinen Logen gegründet; Mucha ist einer der drei Freimaurer, die mit dieser Gründung beauftragt werden. 597 Quenzer 1983, S. 564. Zur Frage der Religion der Freimaurer: „Freemasonry has been charged with being anti-Christian. Is the charge a valid one? […] Yet in Feemasonry, as a Craft, the denominational barrier is non-existent and any candidate, be he Jew, Christian, Parsee, Hindoo, Mohammedan or Confucian, is eligible for admission, provided also he be of good moral character.“ (Dudley Wright: Has Freemasonry a Mission?, in: Lennhoff 1928, S. 100 und 101). 598 Fantis 1986, S. 253. 599 Fantis 1986, S. 253, 254. Khuen-Belasi war wohl selbst kein Freimaurer, er hatte jedoch eine durchaus positive Meinung von ihnen und beeindruckte damit den jungen Künstler. 600 Die Angaben in den unterschiedlichen Werken schwanken diesbezüglich: Alfred Fantis vertritt die Meinung, dass Mucha im Januar 1898 in der Loge Les inséparables du Progrès aufgenommen worden war (Fantis 1986, S. 255). In einem später erschienenen Beitrag eines Kongresses der Forschungsloge Quatuor Coronati ist jedoch zu lesen, dass er bereits 1893 in die Loge aufgenommen wurde (Alfred Nimmerrichter: Tschechische Brüder kämpften gegen die Nazis. Beiträge zu einem Symposion 1993 in Prag (Quatuor Coronati, 15), Wien 1995, S. 6). 601 s. unten und Anm. 609. 602 Fantis 1986, S. 255. 603 Fantis 1986, S. 255. Hiram zu den drei Sternen war 1913 gegründet worden (Ludwig Brügel: Aus der Frühzeit der österreichischen Freimauerei. 1848 bis 1869, in: Lennhoff 1928, S. 73). 604 Fantis 1986, S. 256. 595

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Mucha und die Freimaurer

diesbezüglich nicht zu unterschätzen; er verfügte über viele internationale Kontakte, was vor allem für die Anfangsphase wichtig war. 605 In der Folgezeit schrieb Mucha zahlreiche Beiträge für die nationale und internationale Freimaurerei. 606 Er beteiligte sich aber auch künstlerisch und entwarf mehrere Abzeichen der Loge Jan Amos Komenský; auch schuf er viele Illustrationen für freimaurerische Zeitschriften. 607 Die zahlreichen Aktivitäten in den Logen sowie die Inhalte der freimaurerischen Lehren haben Mucha sicherlich nicht nur in seiner Persönlichkeit, sondern auch in seinem Werk beeinflusst. Mucha hatte sich künstlerisch in den Jahren ab 1920 vermehrt mit philosophischen Themen sowie der Suche nach Frieden und allumfassender Liebe auseinandergesetzt. 608 Da er lange Zeit in Frankreich verbracht hat, muss angenommen werden, dass er gewisse Gestaltungsprinzipien des französischen Freimaurertums, der Franc-Maçonnerie, übernommen hat. Das erste Werk, das nachweislich einige Zitate davon beinhaltet, ist Le Pater – das Buch erschien 1899. 609 Was die Freimaurerei für ihn bedeutete, drückte Mucha selbst so aus: „Wer in seinem Innersten von der Freimaurerei ergriffen ist, der wird erleuchtet wie bei einer Offenbarung: Bei ihm wird der Glaube ersetzt, sie gibt ihm Lebensfreude und den Willen zum Glück und aus seiner gedanklichen Rede über großartige Zeichen in seinem Herzen fließt unerschöpflich Jugendlichkeit und sät in den geheimsten Winkeln seiner Seele noch neue und immer ergiebigere Samen für die wahre Religion der reinen Menschlichkeit.“ 610

9.9.3 Parallelen zwischen Muchas Fenster und der Symbolik der Franc-Maçonnerie Symbole haben in der Welt der Freimaurer einen sehr hohen Stellenwert. Da die Logen in den einzelnen Ländern unterschiedliche freimaurerische Riten praktizierten (und immer noch praktizieren), entstand eine Vielzahl verschiedener Symbole mit vielfältigen Bedeutungen und Anwendungsarten, die auf Urkunden, Dokumenten und anderen bildlichen Darstellungen verwendet wurden. 611 Neben den bildlich eingesetzten Symbolen wird eine Sprache mit vielen Sinnbildern angewandt – das oben erwähnte Zitat von Mucha ist ein gutes Beispiel hierfür. Im sogenannten englischen Ritual der Freimaurerei ist folgende Definition überliefert: „Freemasonry is a peculiar system of morality, veiled in allegory and illustrated by symbols.“ 612 Die auf bildlicher Ebene in verschiedensten Weisen angewandten Symbole zeigen, dass die Freimaurer kein einheitliches ikonographisches System schufen. Bildliche Symbole können eine lokale Färbung aufweisen, da ihre Erscheinungsformen, ihr Inhalt und auch ihre gesellschaftliche Wirkung dem Wandel unterliegen. 613 Die Bedeutung des Symbols ist jeweils nicht dogmatisch festgelegt; vielmehr kann jeder Freimaurer selbst in einem Symbol einen anderen Inhalt sehen. 614 Wegen dieser „Durchlässigkeit“ und Wandelbarkeit der freimaurerischen Symbole kam es über die Jahrhunderte hinweg oft zur Durchmischung von christlichen und freimaurerischen Symbolen, wobei aber nur wenige christliche Symbole direkt übernommen wurden. Daher haben viele Symbole neben

Auch der erste Außenminister der Tschechoslowakei, Edvard Beneš, sowie der Präsidentensohn Jan Masaryk, der von 1940 bis 1948 Außenminister war, gehörten den Freimaurern an (Nimmerrichter 1995, S. 8). An anderer Stelle heißt es: „Die Mitgliederverzeichnisse der neuen Logen zu verlesen, wäre zu zeitraubend, es sind darin alle wichtigen Repräsentanten der tschechoslowakischen Staatsverwaltung, Politik, Wissenschaft, Kunst, Industrie und Finanz der frühen zwanziger Jahre enthalten.“ (Petr J. Tomáš: Als die Gestapo kam, nahm František Richter Gift. Tschechische Freimaurer in der „zweiten Abwehr“, in: Nimmerrichter 1995, S. 24). 606 Quenzer 1983, S. 257. 607 Quenzer 1983, S. 256. 608 Beispiele hierfür sind folgende Werke: die Gemälde des Slawischen Epos; Weg des Lebens von 1935 (Abb. der Studie: Ausst. kat. Kassel 1989, S. 154); die drei Entwürfe zu Hoffnung, Zeitalter der Liebe und Vernunft von ca. 1935–1938 (Abb. der unvollendeten Studien: Ausst. kat. San Diego 1998, S. 337– 339). 609 Terner 2001, S. 34. 610 Alfons Mucha: Svobodné zednárství, Prag 1924, S. 29 und 30. („Kdo zednářství svou nejvnitřnější bytostí uchvátil, toho ozáří jako zjevení: tomu nahražuje všecko náboženské vyznání, tomu dá radost ze života a vůli ke štěstí a v jeho srdce z památné řeči jeho velkolepých symbolů proudí nevyčerpatelná mladistvost a zasévá v nejtajnější záhyby jeho duše nové a stále plodnější zárodky pravého náboženství nejčistšího lidství.“). 611 Terner 2001, S. 44. 612 Lennhoff/Posner/Binder 2000, S. 64. 613 Miháliková 2004, S. 10. 614 Klaus Kottmann: Die Freimaurer und die Katholische Kirche, Frankfurt a. M. 2009, S. 136. 605

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Das Glasgemälde im Veitsdom

einer christlichen Bedeutung noch andere Sinngebungen. 615 Neben dieser hohen Anzahl von regional und national unterschiedlichen Symbolen gibt es solche, die die fast 300-jährige Geschichte der Freimaurerei ohne Änderung überdauert haben und auch heute noch in ihrer ursprünglichen Bedeutung Verwendung finden. 616 Mucha hat ab 1887 viele Jahre in Frankreich gelebt und dort in den 1890er Jahren Zugang zur Freimaurerei gefunden. Daher ist es plausibel, dass er vor allem den Bedeutungsinhalt und die Sinngebung der Symbole der Franc-Maçonnerie verinnerlicht hatte; zumal es in seiner Heimat später kein funktionierendes freimaurerisches System gab und es zunächst mithilfe aus dem Ausland aufgebaut werden musste.

des Palmenzweigs – wenn vernachlässigt wird, dass die bildliche Darstellung in diesem Falle nicht ganz korrekt wäre. Ein weiteres Symbol, das eine Deutung sowohl in der christlichen als auch in der freimaurerischen Tradition ermöglicht, ist das Schwert der böhmischen Personifikation. Entsprechend steht das Schwert in der Symbolik der Freimaurer für Macht, aber auch für den Krieg und das Gericht. 619 Hier eignet sich allerdings auch die christlich konnotierte Deutung, die das Schwert als Symbol der Glaubenskraft oder als Kraft des Worts Gottes sieht. 620 Dieses Element geht auf die Slavia von 1907 bzw. auf das Porträt von Josephine Crane-Bradley von 1908 zurück – das Schwert dient dort also zur (kriegerischen) Verteidigung des Ringes der Einheit, was dem Sinngehalt der freimaurerischen Symbolik entspricht.

Konkrete Hinweise auf das Vorhandensein freimaurerischer Symbole gibt es im Glasgemälde einige. Beispielsweise ergibt sich zwar durch die christliche Ikonographie eine Erklärung für den Zweig in der Szene 5: In der christlichen Ikonographie gilt der Palmenzweig als Attribut der Märtyrer, als Zeichen des Sieges und des ewigen Lebens. 617 Jedoch sind die von Mucha dargestellten Blätter für einen Palmenzweig deutlich zu kurz und erinnern mehr an einen Akazienzweig, der bei den Freimaurern häufig als Symbol der Unsterblichkeit anzutreffen ist. 618 Das Omega bzw. das Ende wird somit durchbrochen. Aus der Sicht eines in die freimaurerischen Symbole nicht eingeweihten Betrachters ergibt sich eine ähnliche Deutung durch die christliche Ikonographie

Der zweiköpfige Hammer, den Mucha der mährischen Personifikation in die Hand gegeben hat, ist mittels christlicher Ikonographie nicht lesbar. Dagegen trifft man ihn oft auf französischen Diplomen der Franc-Maçonnerie an, denn der Meister der Loge bittet mit dem Symbol der Macht um Ruhe. 621 In der rechten Hand der Allegorie der slowakischen Region befindet sich ein Räuchergefäß, das in der klassischen Auslegung im Zusammenhang mit Aaron, Abraham oder Laurentius vorkommt, wobei es aber immer zusammen mit anderen Attributen verwendet wird, sodass eine christliche Ikonographie ausgeschlossen werden kann. 622 Die freimaurerische Rauchkanne, ein Symbol des reinen Herzens, ist als Darstellung mehrfach in Muchas Werken zu

Terner 2001, S. 84. Terner 2001, S. 83. 617 Wimmer 2000, S. 41. 618 Nach einer Legende der Freimaurer haben die Attentäter, um das Grab des Meisters Hiram zu markieren, einen Akazienzweig in den Boden gesteckt, der neu austrieb und so den Fortgang des Lebens symbolisierte (s. Terner 2001, S. 106; Daniel Béresniak: Symbole der Freimaurer. Wien 1998, S. 72, 73). Akazien sind erkennbar an den eng nebeneinanderstehenden, länglichen Blättern, die zumeist paarweise an der Rispe wachsen (s. französisches Logendiplom von 1802, Abb. s. Terner 2001, S. 222). 619 Der Wachhabende der Logen trägt das Schwert als Zeichen der Macht, sodass er auf die Pflichten anderer aufmerksam machen kann (s. Terner 2001, S. 104; Lennhoff/Posner/Binder 2000, S. 774). 620 Pfleiderer 1898, S. 149. 621 Der doppelköpfige Hammer wird – neben der Funktion als Machtsymbol bei freimaurerischen Treffen – mit dem Meißel zusammen benutzt, um den unbehauenen Stein, das Symbol für den unvollkommenen Zustand des Menschen, in die gewünschte Form zu bringen; somit wird er mit der „agierenden Kraft“ in Verbindung gebracht (Béresniak 1998, S. 52; Terner 2001, S. 57). Daneben ist der Hammer ein Zeichen des „Hammerführenden“, also desjenigen, der die Leitung einer Loge innehat – des Logenmeisters (Lennhoff/Posner/Binder 2000, S. 378). Mucha selbst war auch Logenmeister und versah gerade die Personifikation Mährens mit diesem Symbol der Macht. 622 Pfleiderer 1898, S. 133. 615

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Mucha und die Freimaurer

finden, beispielsweise auf dem Poster für die Ausstellung des Slawischen Epos von 1928. 623 Auch im Gemälde Prophetin 624 von 1896 ist ein großes Rauchgefäß zu finden, ebenso in Kyrill und Method von 1891 (Abb. 22) und im Wandgemälde Die Ankunft der Slawen für den Pavillon von Bosnien und Herzegowina von 1900. 625 Die hier genannten Gefäße sind praktisch identisch, sie haben die gleiche Form und weisen eine sehr ähnliche Dekoration aus wellen- oder zickzackförmigen Linien oder einfachen figuralen Dekorationen auf. Mucha hatte aber wohl generell eine Vorliebe für Räucherwerk; ein Journalist stellte bei einem Besuch von Muchas Atelier im Jahre 1897 fest: „[…] il y a d’autre part un lustre et çà et là des paravents qui pourraient être des confessionnaux; condiment de ce lieu, l’encens y brûle sans cesse. ‚C’est l’odeur que je préfère‘, me dit Mucha.“ 626

Repräsentant verschiedener Bedeutungsinhalte gelesen werden kann.

Bezüglich der drei regionalen Personifikationen kann noch eine weitere Bedeutungsebene hinzugezogen werden: diejenige der alten Götter der Slawen. Der Kriegsgott Svantovit besitzt als eines seiner Attribute ein Schwert 627; der slawische Gott der Naturgewalten, Perun, wird oft mit einem Hammer dargestellt 628 und das Räuchergefäß könnte dem Feuergott Svarog zugeordnet werden. 629 Mit Svantovit, Perun und Svarog sind drei der wichtigsten Götter der Slawen repräsentiert, was mit den das Christentum bringenden Slawenaposteln durchaus in einem sinnvollen Zusammenhang steht. Somit bietet der Freimaurer Mucha dem nicht Freimaurer-kundigen Betrachter eine alternative Deutung an – und entspricht dadurch vollends dem freimaurerischen Usus, dass ein Symbol als

Auffällig ist bei näherer Betrachtung des Fensters die Erhellung der beiden mittleren Lanzetten. Im Gegensatz zu den seitlichen Szenen, die scheinbar alle in Innenräumen stattfinden – mit Ausnahme der Szene 3, die sich wohl in der Dämmerung oder nachts abspielt – scheint Mucha bei der Taufszene einen hell erleuchteten Schauplatz draußen unter freiem Himmel dargestellt zu haben. 633 In der freimaurerischen Symbolik ist die Überwindung der Dunkelheit durch das Licht, also der Sieg des Guten über das Böse, ein bedeutendes Thema. Daher wird in einer bildlichen Komposition die Lichtdarstellung oft am oberen Rand beigefügt, was das Licht der Erkenntnis, das dem Eingeweihten zuteil wird, symbolisiert. 634 Neben dieser Deutung kann das Licht am oberen Bildrand aber auch als göttliche

Ein zweifelsfrei reiner Bedeutungsinhalt auf freimaurerischer Ebene kann dem Hexagramm zugesprochen werden 630: Der sechsstrahlige Stern kommt in vielfacher Wiederholung in den Dreipässen mit den Zitaten der Kralitzer Bibel vor. Er gilt in der freimaurerischen Lehre als wichtiges magisches Symbol und wird als Sinnbild des direkt vom Schöpfer stammenden Urlichts interpretiert. 631 Der Missionsbefehl der Dreipässe wird dadurch direkt mit Gott in Verbindung gesetzt. Erwähnenswert ist im Zusammenhang mit den Zitaten der Kralitzer Bibel auch die Tatsache, dass die tschechischen Freimaurer ausschließlich diese Bibel benutzten und diese in jenen Jahren ein Sinnbild der inneren nationalen Bewegung war. 632

Wenn Rauch aus dem Gefäß aufsteigt, so symbolisiert dieser Gebet sowie Verehrung und steht für einen heiligen Ort (Terner 2001, S. 90, 91). Abb. s. Mucha 2000, S. 93. 624 Abb. s. Mucha 2000, S. 102. 625 Abb. s. Ausst. kat. München 2009, S. 220. 626 Paul Redonnel: Silhouettes à l’encre noire. Alphonse Mucha, in: La Plume 1897, S. 479. 627 Die weiteren Attribute des Svantovit sind ein Trinkhorn, ein Sattel, ein Mundstück des Zaumes und der heilige Schimmel, auf dem nur Svantovit selbst reiten durfte (Váňa 1992, S. 90). 628 In anderen Fällen kann es auch eine Axt sein (Růžička 1907, S. 17, 28–30; Váňa 1992, S. 71–74). 629 Zum Feuergott Svarog s. Váňa 1992, S. 68 und 69. Eine gesicherte Verbindung zwischen einem Räuchergefäß und Svarog kann aber bisher nicht nachgewiesen werden. 630 Eine geeignete Erklärung aus der christlichen Ikonographie kann für den Stern an dieser Stelle nicht gefunden werden. 631 Heinrich Boos: Geschichte der Freimaurerei. Ein Beitrag zur Kultur- und Literatur-Geschichte des 18. Jahrhunderts, Aarau 19062, S. 178; Terner 2001, S. 60. 632 Ausst. kat. Krems 1994, S. 156. 633 Dies wurde auch schon von Marie Mžyková festgestellt; sie weist der Taufszene deswegen eine Nähe zur symbolistischen und meditativen Ebene zu (Mžyková 1992, S. 6). 634 Terner 2001, S. 79; Lennhoff/Posner/Binder 2000, S. 513–515. 623

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Das Glasgemälde im Veitsdom

Lichtquelle interpretiert werden, denn die beleuchteten Bereiche befinden sich unter dem Sohn Gottes, von dem das Licht und der Segen seines Vaters auf die Taufszene strahlt. Auch in der christlichen Deutung ist Licht als Symbol für Gott selbst zu lesen. Die Taufszene findet, wie bereits festgestellt, nicht im Innenraum statt. Die „Arbeit unter freiem Himmel“ ist in der Tradition der Freimaurer wichtig; ursprünglich versammelten sich die Brüder auf den höchsten Hügeln, um vor Überraschungen sicherer zu sein. 635 Womöglich ist dies als ein Hinweis Muchas auf die nicht immer einfache Situation der Slawenapostel zu verstehen. Die Darstellung des Baumes hinter Kyrill kann als Hinweis für die gelungene Mission sowie die Entwicklung der Kyrillischen Schrift und die Bibelübersetzungen interpretiert werden: Der Baum steht für das Werden im Allgemeinen und für das fortschreitende Leben, aber auch für die Vervielfältigung, was durch die Zweige sowie die Blätter, die alle von einem gemeinsamen Stamm sprießen, dargestellt wird. 636 Als christliches Symbol kann der Lebensbaum in Betracht gezogen werden. Eine markante Übereinstimmung zwischen der Symbolik des Freimaurertums und Muchas Glasgemälde kann in der Bedeutung der Farbe Rot festgestellt werden: Sie gilt als die Farbe des Glaubens und der Göttlichen Liebe. 637 Dies verstärkt die im Kapitel 9.4.2 gemachten Schlussfolgerungen zusätzlich. Eine weitere, den Freimaurern zurechenbare Symbolik ist der in der Szene 8 dargestellte aufgeschnittene Laib Brot: Brot wird bei den Festmahlen der Freimaurer auch „Mörtel“ oder „rauer Stein“ genannt und stellt die Notwendigkeit des Lernens dar. 638 Diese Erklärung kann als Gleichnis auf Methods Situation im Gefängnis gesehen werden.

Nach christlicher Ikonographie kann der aufgeschnittene Laib zusammen mit dem als Weinkrug interpretierten Gefäß als Hinweis auf den Körper und das Blut Christi gesehen werden und somit für die Eucharistie stehen. In derselben Szene taucht ein weiteres Symbol auf, welches in der christlichen und ebenso in der freimaurerischen Tradition Verwendung findet: die Getreideähren. In der Heiligenikonographie werden sie vor allem als Attribute von Märtyrern verwendet, aber auch als weiterer Hinweis auf die Eucharistie, als freimaurerische Symbolik tauchen sie im Zusammenhang mit Opfergaben auf. 639 Mucha hat also zweifelsohne bestimmte Symbole mit einem freimaurerischen Bedeutungsinhalt im Glasgemälde eingesetzt. Meist hat er deren Symbolik nur in gewissen Aspekten und sehr gezielt eingesetzt – die Symbole dienen zur Verdeutlichung, zur Akzentuierung und zur Verstärkung des bereits Dargestellten. Interessanterweise hat der Künstler aber zumeist Symbole verwendet, die auch vor einem anderen Hintergrund auf bestimmte Weise interpretiert werden können und auch dann einen sinnvollen Zusammenhang ergeben. Dies eröffnet auch Nicht-Freimaurern den Zugang zu Muchas symbolischer Bildwelt, da sie sich die Bedeutung der dargestellten Symbole aus anderen Bereichen erklären können. Es bleibt als einziger, ausschließlich freimaurerischer Symbolinhalt, der keine Erklärung über andere Deutungsebenen erfährt – die Darstellung des Hexagramms. Dieses fällt auf den ersten Blick bei der Betrachtung des Glasgemäldes nicht als offensichtliche Symbole auf und könnten auch als dekorative Gestaltungsmerkmale Muchas aufgefasst werden. 640

Lennhoff/Posner/Binder 2000, S. 393. Béresniak 1998, S. 75, 77. 637 Kottmann 2009, S. 137. 638 Béresniak 1998, S. 54 und 94. Der raue Stein wird mit dem unvollkommenen Zustand des Menschen gleichgesetzt, an dem er noch mit den Werkzeugen der Steinmetze arbeiten muss. 639 Märtyrer, beispielsweise Johannes, Paulus sowie Donatus, werden mit Ähren versehen (Wimmer 2000, S. 22). In der freimaurerischen Symbolik sprießen Getreideähren aus dem Schwanz eines geopferten Stieres (s. Joseph Schauberg: Vergleichendes Handbuch der Symbolik der Freimaurerei mit besonderer Rücksicht auf die Mythologieen und Mysterien des Alterthums, Bd. III, Schaffhausen 1863, S. 527) 640 So schrieb auch Anna Dvořák in Angesicht der Deutungsmöglichkeiten des Sterns bei Mucha: „It [the star] is used in so many configurations in so many designs that at times it does not have a symbolic, but only a decorative role. […] They [the stars] appear with a frequency that borders on obsession, but a search for the original source of the decorative device opens a wide field of possibilities.“ (Dvořák 1978, S. 24). 635

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Mucha und die Freimaurer

Interessanterweise ergeben sich bei der Betrachtung der ersten beiden Entwürfe kaum Hinweise auf die Darstellung von freimaurerischen Symbolen bzw. es sind überhaupt weniger Inhalte zu sehen, die einen Symbolcharakter aufweisen und die Frage nach der richtigen Interpretation aufwerfen. Einzig die Lichtsymbolik könnte Mucha bereits im ersten Entwurf –

im Zentrum bei der Figur der Slavia – dargestellt haben. All diese Beobachtungen lassen die Tendenz erkennen, dass Mucha von Entwurf zu Entwurf mehr symbolische Inhalte in die Komposition einsetzte – möglicherweise war dies sein Weg, um mit der vom Dombauverein hervorgebrachten Kritik umzugehen.

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10. Die Gattung der Glasmalerei 10.1 Zu den Besonderheiten bei der Arbeit mit Glas Bei der Betrachtung der beiden nicht ausgeführten Entwürfe und des durch sein Farbenspiel beeindruckenden Glasgemäldes stellt sich der Betrachter unweigerlich die Frage, inwieweit der Künstler bereits Erfahrungen in diesem Bereich hatte, bevor er sich an die Gestaltung eines Werkes in diesen Dimensionen und von dieser Bedeutung machte. Bis ins 19. Jahrhundert hinein wurde hauptsächlich die musivische Technik angewandt: Dabei werden viele verschiedene Glasstücke zusammengestellt, die nur sehr wenige und mit speziellen Glasfarben aufgebrachte Details enthalten wie beispielsweise Gesichtszüge oder Hände. Durch die Entwicklung von neuen Farben und Techniken konnten aber in der modernen Glasmalerei auch ganze Darstellungen auf das Glas angebracht werden. Somit müssen heutzutage nicht mehr kleine Glasstücke zusammengefügt werden, sondern die Darstellung kann teilweise oder komplett aufgemalt werden. Insbesondere um 1900, als die technischen Neuerungen eine Erweiterung der Farbpalette mit sich brachten, konnte es bei in dieser Gattung unerfahrenen Künstlern zu einer Überladung mit Farben kommen. 641 Daher ist die Einschränkung auf nur wenige, aber gut zusammenpassende Farben entscheidend. Bei der Technik der Glasmalerei muss der Entwerfer einige Aspekte beachten, die beim Auftragen von Farben auf einen lichtundurchlässigen Malgrund kaum ins Gewicht fallen bzw. überhaupt nicht berücksichtigt werden müssen. Sobald der Künstler mit einem lichtdurchlässigen Material arbeitet, entscheidet er durch die Auswahl des Untergrundes und den Farbauftrag, wie viel Gegenlicht und somit auch wie viel Farbe bzw. Intensität und Wirkung beim Betrachter des Werkes ankommen. Vor diesem Prozess muss er sich dabei auf die Art des Glases (klares, mattes, bereits buntes, welliges,

mit Blasen versehenes) und die Art der Bemalung (opak oder transparent) festlegen. Das Zusammenspiel der einzelnen Farbflächen in Bezug auf die Gesamtwirkung eines Werkes kann ganz anders sein als bei der Tafelmalerei; wegen der Verstärkung durch das Gegenlicht können neue Farbnuancen und -mischungen entstehen, die eigentlich – bei der Betrachtung der einzelnen Partien – gar nicht vorkommen. 642 Auch müssen Kenntnisse über die ortsspezifische Lichteinstrahlung vorhanden sein, denn die definitive Wirkung des Fensters auf den Betrachter ergibt sich erst vor Ort durch das durchscheinende Licht. Dazu kommen noch technische Vorgaben, die beim Entwurf berücksichtigt werden müssen: In regelmäßigen Abständen müssen die schwarzen Bleiruten, die beidseitig Nuten zur Aufnahme der Glasteile haben, eingeplant werden. 643 Um diese zu „verstecken“, eignen sich am besten Konturlinien, die im Vergleich mit der Tafelmalerei etwas breiter ausfallen können. Die Bleiruten stellen daher in der Glasmalerei ein wesentliches graphisches Element dar. Mittels Bleiruten kann auch bis zu einem gewissen Grad eine optische Mischung der Farben in den Randbereichen verhindert werden; sie erhöhen durch den Kontrast zu den farbigen Glasstücken deren Intensität. 644 Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts wird ihnen mehr Gewicht verliehen, und zwar auch in ästhetischer Hinsicht. Bedacht werden muss ebenso, dass die verwendeten Glasscheiben nicht all zu groß werden können und – insbesondere wenn sie an der Außenseite eines Gebäudes angebracht und somit Wind und Wetter ausgesetzt sind – durch ein zusätzliches Netz, zumeist aus Eisen, weiter gesichert werden müssen. 645 Natürlich muss auch die Tatsache Beachtung finden,

Remmert 1991, S. 16. Remmert 1991, S. 16. 643 Die Bleiruten werden an den Schnittpunkten miteinander verlötet, sodass nach und nach die einzelnen Glasstücke zusammengesetzt werden. Danach wird eine abdichtende Kittmasse unter die Bleiruten gebürstet. 644 Looft-Gaude 1987, S. 51. 645 Eine zusätzliche Sicherung gegenüber der Witterung ist mit sogenannten Sturmstangen und Windeisen möglich. 641

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Die Techniken der Malerei auf Glas

dass ein Fenster eine architektonische Fläche eines Gebäudes darstellt. Somit muss es – neben der Funktion als Kunstwerk – auch die Bedingung erfüllen, dass es trotz der farbigen Gläser und möglicher Bemalung noch genügend Tageslicht in den Raum hineinlässt. Solche musivischen oder gemalten Fenster gehen eine dauerhafte „Symbiose“ mit der Architektur ein – denn im Normalfall wird ein Werk kaum jemals an einen anderen Ort versetzt. Anders stellt es sich bei zumeist kleineren Werken aus Glas dar, die sich komplett im Innenraum

befinden und in einen Schaukasten eingebaut sind, sodass sie von hinten beleuchtet werden. Diese Innenraumgestaltung wurde während des Jugendstils sehr populär, da sich der Künstler in dieser Epoche gerne als Gestalter eines Gesamtkunstwerks verstand und von der fortgeschrittenen Elektrifizierung profitierte. Schon allein diese Bemerkungen zum Glasgemälde im Allgemeinen machen deutlich, dass es für das Gelingen eines Werkes aus diesem Material viel Planung und Erfahrung braucht.

10.2 Die Techniken der Malerei auf Glas Die Ausführung des Glasgemäldes wird in der Regel von einem auf diese Arbeit spezialisierten Glasmaler – nicht vom entwerfenden Künstler – übernommen. 646 Der Künstler erstellt somit zunächst einen Entwurf und in einem weiteren Schritt die Vorlagenkartons in der Größe des Glasgemäldes. Der Glasmaler überträgt dann die Zeichnung von den Kartons mit den geeigneten Farben auf die zurecht geschnittenen Glasscheiben. Die Kartons bilden auch die Grundlage für das Zusammensetzen von verschiedenen Glasstücken; diese Arbeit wird vom Glassetzer ausgeführt. Es gibt aber auch Werkstätten, die alle Arbeitsschritte ausführen. Grundsätzlich gibt es drei verschiedene Möglichkeiten, um Farbe auf eine Glasscheibe aufzutragen. 647 Dies kann erstens durch Auftragen von

Glasschmelzfarbe geschehen, die eingebrannt wird. 648 Jede einzelne Farbe muss hierbei separat gebrannt werden; das heißt, je mehr Farben der Künstler für ein Stück Glas vorsieht, desto länger dauert der Herstellungsprozess. Durch das Einbrennen verbindet sich die Glasschmelzfarbe dauerhaft mit dem Untergrund; Korrekturen sind nicht mehr durchführbar. Zweitens gibt es die Möglichkeit, dass Email aufgetragen wird; hierbei wird flüssiger, also heißer, Glasfluss aufgetragen. 649 Diese Methode eignet sich insbesondere für Hohlgläser. Bei Muchas Prager Glasgemälde fand aber eine dritte Art, Glas zu bemalen, Anwendung: Mit dem sogenannten kalten Farbauftrag wird zumeist Öloder Lackfarbe aufgetragen. 650 Im Grunde genommen ist der Vorgang dabei vergleichbar mit der Ta-

Diese Arbeitsteilung in Bezug auf Glasarbeiten bestand wohl auch schon im Mittelalter (Looft-Gaude 1987, S. 55). Friedrich Knaipp: Hinterglas-Künste. Eine Bilddokumentation, Wolfgang Brückner (Hrsg.), Linz 1988, S. 25. 648 Diese Technik wurde wohl im Mittelalter entwickelt. Zunächst gab es ausschließlich die Farben Schwarz und Dunkelbraun, die aufgetragen und gebrannt wurden. Dabei handelte es sich um ein Glaspulver mit dunkel färbenden Zusätzen (z. B. Eisenhammerschlag), das kräftig deckend oder dünn transparent aufgetragen wurde. Dies wird je nach Zusätzen und entstehender Farbe als Schwarz- oder Braunlot bezeichnet. Schattierungen wurden flächig oder schraffiert angelegt. Bei einem dünneren Auftrag erscheint das Schwarz- oder Braunlot je nach verwendeten Zusätzen grau bis braun-rot. Aus flächendeckenden Überzügen wurden „Lichter“ herausgewischt oder mit dem Federkiel „radiert“. Nach 1300 kam als Glasmalfarbe Silbergelb hinzu. Dies war eine Paste aus Ockerbrei und darin gebundenem Silbersalz, durch die man nach dem Brennen eine Gelb- oder Grünfärbung der betreffenden Glaspartien erreichte. Silbergelb wurde insbesondere für die Wiedergabe von Haaren, Nimben, Schmuck oder für Ornamente eingesetzt. Auch Ausschleifen von bestimmten Mustern oder Ornamenten war seit dem 15. Jahrhundert üblich: In zweischichtiges Glas, von dem eine Schicht farblos, die andere beispielsweise rot war, wurde so lange in den farbigen Bereich reingeschliffen, bis sich das gewünschte farblose Emblem vom bunten Glas abhob. Im 15./16. Jahrhundert kamen weitere Farben hinzu, beispielsweise Eisenrot, was ähnlich wie das Silbergelb angewandt wurde. Das Eisenrot bewirkte eine rötliche Färbung der Glasoberfläche. Im 19. Jahrhundert eröffnete der technische Fortschritt durch verschiedene Materialien und neue Verfahren viele weitere Möglichkeiten, sodass praktisch alle Farbtöne durch Bemalung und Einbrennen mit Glasmalfarben erzeugt werden konnten. Die Begrifflichkeit „Glasmalerei“ bezieht sich daher in erster Linie auf musivisch hergestellte Bilder aus Glas mit wenigen gemalten Details, da dies lange Zeit die Regel war – und nicht ausschließlich auf tatsächlich bemalte Glasscheiben, wie es der Name vermuten ließe. Das „Glasgemälde“ besteht aber tatsächlich vor allem aus Malerei. 649 Emailfarben bestehen aus pulverförmigem zerriebenem Farbglas, das mit bleihaltigem flüssigem Glas vermischt wird (Michael Kovacek (Hrsg.): Glas aus 5 Jahrhunderten, Wien 1993, S. 380). 650 Kovacek 1993, S. 381; Lenka Bydžovská: Výzdoba ve 20. století, in: Benešovská 1994, S. 246. 646 647

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Die Gattung der Glasmalerei

felmalerei: Die Prozedur des Einbrennens entfällt und Korrekturen sind nach dem Trocknen der Farbe zum Teil noch möglich. Diese Technik wird äußerst selten angewandt: Ihre Besonderheit liegt darin, dass der Maluntergrund gleichzeitig auch die aufgetragene Farbe schützen muss, weil sie deutlich weniger beständig als die ersten beiden Methoden ist. 651 Der kalte Farbauftrag auf Glas ist seit dem späten Mittelalter überliefert. Zunächst wurde diese Technik wohl in Italien verwendet, hier wurden kirchliche Gebrauchsgegenstände aus Glas mit Ölmalerei sowie Metall- oder Emailarbeiten verziert. 652 In späterer Zeit wurden auch größere Objekte mit Öl- oder Lackfarben versehen. Beispielsweise schmückte man Wandverkleidungen aus Glas mit dem kalten Farbauftrag: Beim Montieren der Scheibe musste darauf geachtet werden, die bemalte Seite gegen die Wand zu richten, damit die Farbe geschützt war. Aus diesem Grund wird dieses Verfahren auch als Hinterglasmalerei bezeichnet – der Farbauftrag muss daher spiegelverkehrt erfolgen. 653 Das heißt, der entwerfende Künstler muss dem Glasmaler eine seitenverkehrte Vorlage liefern. Ebenso muss bei einem solchen Vorgehen die, vom späteren Betrachter aus gesehen, oberste Malschicht zuerst angebracht werden, der Hintergrund der Darstellung zuletzt. Durch die Abdeckungen verschiedener Malschichten wird das nachträgliche Korrigieren schwierig. Daher ist dieses Verfahren sehr anspruchsvoll. Im Falle eines Fensters, das in eine Kirche gesetzt wird, kann die Bemalung theoretisch ebenfalls von hinten durchgeführt werden, sofern ein weiteres

Glas als Schutz von außen angebracht wird. Dies ist bei Muchas Prager Glasgemälde jedoch nicht geschehen, dies belegen auch die Vorlagenkartons des Glasgemäldes, die sich im Besitz des Mucha Trust befinden und allesamt nicht spiegelverkehrt zum Glasgemälde ausgeführt sind. 654 Die bemalte Seite des Glases befindet sich also im Inneren des Veitsdoms. Mucha brauchte dementsprechend keine spiegelverkehrten Vorlagenkartons anfertigen, auch für den Glasmaler Veselý erleichterte sich die Arbeit: Er konnte die Malschichten wie bei einem Tafelbild in der „richtigen“ Reihenfolge auftragen und später einfacher Korrekturen vornehmen. Für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts sind in Paris zahlreiche Ateliers belegt, die sich auf die Herstellung von mit Ölfarben bemalten Glasscheiben für Wandverkleidungen spezialisiert hatten. 655 Diese Scheiben wurden entweder als fliesenartig zusammensetzbare Quadrate oder als riesige Panneaux hergestellt. Mucha, der ab 1887 in Paris lebte und zunächst an der Académie Julian, ab 1888 an der Académie Colarossi studierte, hatte diese Art von Glasbemalung, die auch auf großen Scheiben anwendbar ist, mit großer Wahrscheinlichkeit gesehen. Vielleicht war auch ausschlaggebend, dass so die Verwendung von vielen verschiedenen Farben auf einer Glasscheibe ohne großen Aufwand möglich ist und dass bei diesem Verfahren keine farblichen Unterschiede derselben Farbe auf verschiedenen Glasstücken riskiert werden, die beispielsweise durch eine unterschiedliche Brenndauer oder -temperatur hervorgerufen werden können.

10.3 Eine Zusammenstellung von Muchas Glasgemälden 656 In Dokumentationen zu Muchas Schaffen und zu Ausstellungen, an denen er teilgenommen hatte, sowie in Jiří Muchas Monographien werden immer wieder Entwürfe Muchas für Fenster erwähnt.

Nicht immer sind diese bildhaft überliefert, noch seltener ist das ausgeführte Werk erhalten geblieben. Zumeist sind es nur die Entwürfe des Künstlers oder zeitgenössische, schwarz-weiße Fotogra-

Jana Brabcová: Vorlage für ein Fenster der St.-Veits-Kathedrale, in: Ausst. kat. Darmstadt 1980, S. 362. Knaipp 1988, S. 25 und 26. Es existierte bereits vor 1309 ein Gesetz, wonach es untersagt war, Glas mit Gold und Farbe zu dekorieren, um Email vorzutäuschen (Knaipp 1988, S. 26). 653 Knaipp 1988, S. 25. 654 Die Kartons der Szenen 2, 3, 5 und 10 sowie der Taufszene und des Bildfeldes mit den zwei Personifikationen sind im Mucha Trust vorhanden. 655 Knaipp 1988, S. 33. 656 Hier soll es ausschließlich um seine architektonischen Glasgemälde gehen – und nicht um andere von ihm entworfene Werke in diesem Material, beispielsweise Vasen. 651

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Jeanne d’Arc, Roland à Roncevaux, Saint Hubert, Sainte Barbe, ca. 1895-1897

fien der Glasgemälde, die der Nachwelt erhalten blieben. Dies stellt sicherlich eine Erschwernis in der Betrachtung der Werke dar, denn die Wirkung, die ein farbenprächtiges und strahlendes Glasgemälde auf den Betrachter ausübt, ist eine ganz andere als jene, die von dessen zweifarbiger Fotografie oder dem meist in zurückhaltenden Farben ausgeführten Entwurf ausgeht. Der Zauber eines Glasgemäldes lässt sich nur schwer anhand von Abbildungen nachvollziehen. Dies mag wohl der wesentlichste Grund dafür sein, dass sich das Interesse der Öffentlichkeit an Muchas architektonischen Glasarbeiten bisher in Grenzen hielt und deren Aufarbeitung noch nicht stattgefunden hat. 657 Interessanterweise fanden aber zu Muchas Lebzeiten, ins-

besondere in seiner Pariser Zeit, seine Arbeiten aus Glas große Beachtung und begeisterten das Publikum. Zeitgenössische Quellen zeigen, dass die Glasmalerei in Muchas Werk als gleichwertig zu seinen dekorativen Panneaux angesehen wurde. 658 Bereits zu Muchas Lebzeiten wurden seine Entwürfe häufig kopiert – einige davon wurden sogar in Glasgemälde übertragen. Ein Fenster des Museu del Modernisme in Barcelona zeigt, einander gegenüberstehend, zwei von Muchas Panneaux: die Schlüsselblume sowie die Feder, jedoch handelt es sich nicht um Muchas direkte Schöpfungen. Auch die florale Dekoration um die beiden Figuren herum ist nicht im Style Mucha ausgeführt. 659

10.4 Jeanne d’Arc, Roland à Roncevaux, Saint Hubert, Sainte Barbe, ca. 1895–1897 Die vermutlich ersten Hinweise auf Glasfenster von Mucha sind in der französischen Zeitschrift La Plume von 1897 zu finden. Sie widmete Mucha ihre Juli-Ausgabe und zeigte die Werke des Künstlers, die an der am 5. Juni eröffneten Ausstellung im Salon des Cent zu sehen waren. 660 Insgesamt gibt es Hinweise auf vier Glasgemälde bzw. deren Entwürfe, teilweise sind auch Abbildungen wiedergegeben. Einerseits handelt es sich um drei Fenster, die vom Glasmaler Charles Champigneulle aus Paris ausgeführt wurden: Entrée de Jeanne d’Arc à Orléans, Roland à Roncevaux sowie Saint Hubert. Die beiden erstgenannte Werke sind in der Zeitschrift abgebil-

det (Abb. 23 und 24). 661 In der Ausstellung waren jeweils sowohl die mit Aquarell-Farben erstellten Kompositionsentwürfe als auch die Kartons zu den Glasfenstern zu sehen. 662 Der zeichnerische Charakter und die nicht immer präzis ausgeführten Linien der abgebildeten Werke weisen darauf hin, dass es sich bei den Abbildungen in La Plume wohl um die Kompositionsentwürfe handelt. Des Weiteren ist eine Entwurfsskizze abgebildet und als Sainte Barbe – Projet de Vitrail bezeichnet, jedoch ohne einen Hinweis darauf, ob diese auch ausgeführt worden ist (Abb. 25). 663 Weitere Informationen, beispielsweise das Jahr der Fertigung,

Insbesondere von der heutigen Öffentlichkeit und Forschung werden seine Glasarbeiten zumeist als eine Nebenerscheinung in seinem Gesamtwerk wahrgenommen und daher kaum betrachtet. Aber auch Autoren, die in den 1960er Jahren Muchas Gesamtwerk aufzuarbeiten begannen, beachteten seine Arbeiten zu Glasgemälden kaum. Beispielsweise verschweigt Muchas Sohn, dass an der ersten Ausstellung seiner Werke 1897 im Salon des Cent an der Rue Bonaparte in Paris Entwürfe von Glasgemälden und möglicherweise sogar die Glasgemälde selbst ausgestellt waren, obwohl er ansonsten die Kategorien der Werke beschreibt, die zu sehen waren – also „Zeichnungen, Illustrationen, Plakate, dekorative Panneaux und historische Kompositionen“ (Mucha 1965, S. 77). 658 Folgende Textstellen beziehen sich gleichermaßen auf Muchas Entwürfe zu Glasgemälden und Panneaux: „[…] car Mucha chauffe son atelier à une température insupportable pour nous Français, mais lu permettant, à lui, d’être peu couvert et plus libre pour esquisser ses grandes compositions: vitraux ou affiches.“ (Léon Deschamps: Alfons Mucha, in: La Plume 1897, S. 396) sowie „Ses vitraux, ses menus, ses panneaux décoratifs, cette Ilsée, qui figure tout entière à l’exposition, il faudrait tout citer.“ (Deschamps 1897, S. 400). 659 Die Signatur auf dem Glasgemälde verrät, dass es von der Glasmaler-Familie Maumejean hergestellt wurde, der Buchstabe „B“ unterhalb des Namens steht für Barcelona (freundliche Mitteilung von Beatriz Maeztu, Museu del Modernisme in Barcelona am 23. 6. 2017). Die Panneaux Schlüsselblume und Feder waren 1899 in Paris vom Verleger Champenois herausgegeben worden – entweder auf Papier oder Satin. Zusammen mit der Träumerei waren sie auf einem Paravent angebracht (s. weitere Angaben und Abbildungen: Ausst. kat. Prag 2013, S. 218; Ausst. kat. Darmstadt 1980, S. 65). 660 Der Gründer der Zeitschrift La Plume, Léon Deschamps, hatte auch den Salon des Cent ins Leben gerufen, s. dazu Mucha 1965, S. 77. 661 Abbildungen s. La Plume 1897, S. 446 (Roland à Roncevaux); 447 (Entrée de Jeanne d’Arc à Orléans). Es ist nicht bekannt, was mit den abgebildeten Werken geschehen ist. 662 La Plume 1897, S. 404. 663 Abb. s. La Plume 1897, S. 448. Es ist nicht bekannt, was mit dem Entwurf geschehen ist. Der Mucha Trust besitzt eine Studie dieses Entwurfs, die 657

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Die Gattung der Glasmalerei

den (geplanten) Ort des Einsatzes oder die Dimensionen der Werke, werden nicht genannt. Auch Muchas Sohn erwähnt zumindest drei dieser vier Glasgemälde in seinen monographischen Schriften, ohne jedoch auf Details einzugehen. 664 Die einzige zusätzliche Erläuterung, die sich zu einem dieser Werke finden lässt, stammt aus einer Ausgabe der tschechischsprachigen Zeitschrift Zlatá Praha von 1897: Abgedruckt ist der Entwurf der Sainte Barbe. 665 Die Bildunterschrift weist ihn als Návrh na chrámové okno (dt.: Entwurf für ein Kirchenfenster) aus. Es scheint eindeutig zu sein, dass Mucha diese Arbeiten während seiner Zeit in Paris ausgeführt hatte, denn mit Jeanne d’Arc und Roland beziehen sich zwei der vier Themen explizit auf die französische Geschichte. 666 Beim Saint Hubert benannten Werk ist unklar, um welchen Heiligen dieses Namens es sich dabei konkret handelt, auch gibt es keine bildlichen Anhaltspunkte, da keine Abbildung überliefert ist. Einige Konturlinien bei der Jeanne d’Arc sowie beim Roland sind deutlicher ausgeführt als andere und lassen erkennen, an welcher Stelle unterschiedliche Glasflächen mit Bleiruten hätten zusammengefügt werden sollen. Detaillierte Binnenzeichnungen, viele Details und vergleichsweise wenige kräf-

tige Konturlinien deuten an, dass Mucha auch hier das Bemalen mit geeigneten Glasfarben gegenüber der musivischen Technik bevorzugte. Auch bei der deutlich als Entwurf erkennbaren Skizze zu Sainte Barbe hat Mucha sehr viel Binnenzeichnung vorgesehen. Angaben von breiteren Konturlinien, die die Bleiruten kennzeichnen, sucht man hier vergeblich. Stilistisch sind die überlieferten Darstellungen eher in der Nähe von Muchas historischen Illustrationen anzusiedeln und weniger bei seinen charakteristischen Panneaux dieser Zeit. 667 Ein zeitgenössischer Autor rezensierte die Ausstellung im Salon des Cent und schrieb: „Das meiste Lob gebührt nach meiner Meinung den Glasgemälden; hier finden wir große heroische und mittelalterliche Compositionen, schlicht, ohne Überladung, weder gesucht noch gezwungen. Ein wahrhaft heroischer Hauch weht in Roland à Roncevaux, sowie im Entrée de Jeanne d’Arc à Orléans, wo sich der Künstler die Bizarrerie gestattete, die ganze Scene im Rücken zu zeigen. Der schönste aber von allen diesen Cartons ist die Skizze Sainte Barbe, wo die blitzartige Erscheinung des Engels vor der in Extase versetzten, von ihren Marterinstrumenten umgebenen Heiligen in Bewegung und Schwung einem Tiepolo gleichkommt.“ 668

10.5 Entwurf für ein dreiteiliges Fenster, wohl 1898 Die Zeichnung zeigt einen Entwurf für eine wohl etwa halbkreisförmige Fensteröffnung, wobei die grade Seite nach unten weist (Abb. 26). 669 Die Darstellung ist dreigeteilt: Der Mittelteil nimmt ungefähr – wie jeder der seitlichen Bereiche – einen Drittel der Breite ein, verfügt aber über deutlich

mehr Fläche, weil er bis nach oben reicht. Im Mittelteil befindet sich eine stehende Figur mit erhobenen Armen, ihr Kopf reicht fast bis zum oberen Abschluss. Es handelt sich dabei um eine weibliche Figur, wie der Körperumriss und die Art der Bekleidung zeigen. Die Achse dieser Figur ist aus Sicht

Mucha aber weniger detailliert ausgeführt hat. Die Studie misst 52,6 � 34,9 cm und ist mit Bleistift auf Papier ausgeführt (s. Ausst. kat. Darmstadt 1980, S. 85). 664 Mucha 1965, S. 102. Jiří Mucha verortet jedoch die drei Glasgemälde Jeanne d’Arc, Saint Hubert und Roland à Roncevaux in die Zeit von 1898 bis 1900. 665 Zlatá praha, 3.12.1897, Nr. 4, S. 48. Weitere Angaben zum Entwurf gibt es im Text keine. 666 Roland war ein französischer Graf und Heerführer im heutigen Gebiet der Bretagne, s. Ulrich Mölk: Der hl. Roland. Französisches Rolandslied und lateinischer Pseudo-Turpin im Vergleich, in: Klaus Herbers: Jakobus und Karl der Große. Von Einhards Karlsvita zum Pseudo-Turpin, Tübingen 2003, S. 79–88. 667 Zu nennen ist diesbezüglich das Werk von Charles Seignobos Scènes et Episodes de l’Histoire d’Allemagne von 1898; Abbildungen s. Ausst. kat. München 2009, S. 247–253. 668 W. R.: Die Mucha-Ausstellung in Paris, in: Mitteilungen der Gesellschaft für vervielfältigende Kunst, Bd. 1 (1898), S. 4. 669 Es handelt sich um schwarze Kreide und Pastellfarben auf Papier; der Entwurf misst 47 � 61 cm und befindet sich im Besitz des Mucha Trust. In der genannten Literatur wird die Datierung mit „um 1900“ angegeben (Mucha 2000, S. 137).

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Entwurf für ein dreiteiliges Fenster, wohl 1898

des Betrachters leicht nach rechts verschoben, weil sich im linken Bereich des Mittelteils noch eine hockende Figur befindet. Sie scheint zu beten, ihr Körper ist ganz auf die im Hintergrund stehende weibliche Figur ausgerichtet. Auch in den beiden seitlichen Bereichen befindet sich je eine Figur in vermutlich hockender oder kauernder Körperhaltung. Die Figur ganz links hat ein aufgeschlagenes Buch vor sich. Die Skizze ist noch unausgereift; die Figuren sind noch nicht gänzlich in Details wie Haltung, Geschlecht, Kleidung oder Gestik und Mimik fassbar. Auch die Farbigkeit hatte Mucha noch nicht festgelegt: Die meisten Umrisse und die Fensterform sind mit schwarzer Kreide eingezeichnet, einige weitere Details mit lockeren Strichen aus Pastellfarbe in Hell- und Dunkelblau sowie Orange und Braun. Um das Jahr 1900 stand Mucha in Kontakt mit Père Abel Fabre. Dieser war Redakteur der Zeitschrift Le mois littéraire et pittoresque, für die Mucha einige Titelseiten kreiert hatte. 670 Einige Jahre später hatte ihm Fabre das Projekt der Klosterkirche in Jerusalem vermitteln wollen, das aber später scheiterte. 671 Fabre war selbst auch unter dem Pseudonym Fulcran künstlerisch tätig und beispielsweise am Bau

der Chapelle Notre-Dame de Salut der Congrégation des Assomptionnistes mit beteiligt. 672 Gemäß den Informationen der Congrégation wurde die Kapelle im Jahre 1898 gebaut und besaß insgesamt 21 Glasfenster. 673 Die Kirche wurde im Jahre 1982 abgetragen, einige der Glasgemälde wurden zuvor gesichert. Wohl wegen der oben beschriebenen Nähe zwischen Fabre und Mucha schloss man, dass Mucha ebenfalls am Bau beteiligt gewesen sein soll. Einige Autoren führen Mucha gar als Urheber eines Werks der Chapelle Notre-Dame de Salut, das sich heute im Musée d’Orsay befindet; auch das Musée d’Orsay selbst geht von einem Werk Muchas aus, obwohl es nicht signiert ist. 674 Es wurde von Charles Champigneulle ausgeführt 675 – und damit wohl vom gleichen Glasmaler wie die oben erwähnten Glasgemälde Jeanne d’Arc, Roland à Roncevaux sowie Saint Hubert. Die Darstellungen auf dem Glasgemälde – es sind ausschließlich stilisierte Blüten, Pflanzenteile und streng geometrische Formen sowie einige lateinische Zitate dargestellt – folgen einem sehr entschieden geometrisch angeordneten Jugendstil-Diktat und sind weit entfernt von Muchas sonstigen Werken, die er in den Jahren um 1898 bis 1900 in Paris schuf. Stilistisch lässt sich das Werk nur schwerlich mit Muchas dekorativer

Die betreffenden Ausgaben der Zeitschrift erschienen zwischen den Jahren 1899 und 1912. Gemäß den Informationen von Père Patrick Zago, Archivar der Province de France des Assomptionnistes, hatte Père Abel Fabre auch mehrere Bücher im Bereich der christlichen Kunst herausgegeben und war als Journalist tätig. Fabre verstarb im Jahre 1929. 671 Freundliche Mitteilung von Père Patrick Zago am 1. 8. 2014. Für weitere Informationen zum Projekt der Klosterkirche von Jerusalem s. Kapitel 7.7.2. 672 Freundliche Mitteilung von Père Patrick Zago am 1. 8. 2014. Fabres Beteiligung am Bau der Kapelle wird durch folgende Bemerkung von M. Ladoue beschrieben: „Pour des motifs d’ornementation, mosaïques et émaux, ainsi que pour les vitraux et tapis, c’est également le Père Fabre qui établit les dessins définitifs.“ (L’Assomption et ses œuvres, Bd. 1 (1928), S. 7; s. auch René Huyghe, Dominique Leborgne, Béatrice de Andia: Les Champs-Elysées et leur quartier, Paris 1988, S. 227). Die Congrégation der Assomptionnistes hatte ab 1861 die Liegenschaften der Rue François Ier 8 bis 10 belegt, s. Pierre Joste: Grandes et petites nouvelles de Paris. La chapelle Notre-Dame de Salut, in: Sites et Monuments, Bd. 2 (1980), S. 50. Die Congrégation der Assomptionnistes (dt.: Assumptionisten) ist ein katholischer Männerorden, der im Jahre 1845 in Nîmes gegründet wurde und die Regeln des Heiligen Augustinus von Hippo befolgt (s. www.assomption.org/fr [4. 8. 2014]). 673 Freundliche Mitteilung von Père Patrick Zago, Archivar der Province de France des Assomptionnistes am 1. 8. 2014. Es scheint sich dabei wohl eher um eine Kirche gehandelt zu haben und weniger um eine kleine Kapelle. 674 Bascou 1988, S. 178 (Abb. s. ebenfalls dort); Les récentes acquisitions des musées nationaux 1984, S. 396. Das Glasgemälde aus dem Musée d’Orsay, Inv. Nr. OAO. 972, besteht aus drei Teilen, wovon das größte 5,9 m in der Höhe misst. Die Breite jedes Stücks beträgt 1,46 m (Marc Bascou: Catalogue sommaire illustré des arts décoratifs, Paris 1988, S. 178). Die Autoren Řapek und Moucha gehen von einer Urheberschaft Muchas aus: „[Mucha has] completed a three-panel stained-glass window for the chapel of the Assumption, in the Rue François I, Paris, […].“ (Jiří Řapek, Josef Moucha: Alfons Mucha, Prag 2000, S. 134). Auch Yvan Christ äußert sich gleichermaßen („Le Tchèque Alphonse Mucha dessina ses vastes verrières qui illustrent, avec les fleurs du Modern style, les litanies de la Vierge.“, s. Yvan Christ: Champs-Élysées, Faubourg Saint-Honoré, plaine Monceau. Paris et ses quartiers, Paris 1982, S. 32.). Vor dem Abriss der Kapelle erschien ein kurzer Bericht, der sich unter anderem auch auf Muchas Urheberschaft bezieht („[…] les vitraux, qui seraient l’oeuvre de Mucha, […]“, s. Pierre Joste: Grandes et petites nouvelles de Paris. La chapelle Notre-Dame de Salut, in: Sites et Monuments, Bd. 2 (1980), S. 50). Das Musée d’Orsay besitzt nur dieses eine Glasgemälde aus der Chapelle Notre-Dame de Salut, über den Verbleib der übrigen 20 ist nichts bekannt (freundliche Mitteilung von Véronique Kientzy, Abteilung Dokumentation des Musée d’Orsay am 4. 8. 2014). 675 Les récentes acquisitions des musées nationaux (unbekannter Autor), in: La Revue du Louvre et des Musées de France, Bd. 5/6 (1984), S. 396. 670

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Die Gattung der Glasmalerei

Kunst und seinen geschwungenen Formen in Einklang bringen. Des Weiteren fehlt ein Kennzeichen von Muchas Kunst dieser Jahre, die charakteristisch ausladende Linie, gänzlich. Das Glasgemälde stellt die litanies de la Vierge (dt.: lauretanische Litanei) dar. 676 Die lauretanische Litanei kann zwar auch ausschließlich über nichtfigürliche Elemente dargestellt werden, denn als Präfiguration für Maria können Bilder und Gestalten aus dem Alten Testament und insbesondere dem Hohelied Salomons verwendet werden wie beispielsweise die Bundeslade, der Spiegel der Gerechtigkeit, das geistliche sowie das ehrbare Gefäß, die geheimnisvolle Rose, der Turm aus Elfenbein oder das goldene Haus. Für Mucha wäre aber die nichtfigürliche Darstellung einer Tätigkeit, die sich sehr gut figürlich darstellen lässt, sehr ungewöhnlich. Dass gerade er, der es als Künstler hervorragend verstand, auch abstrakte und nicht haptisch fassbare Vorgänge durch Personifikationen symbolhaft darzustellen, in diesem Fall auf eine Wiedergabe von Figuren verzichten sollte, erscheint wenig glaubhaft. Auch stellen die Schriften von Père Abel Fabre einen Beleg dar: In seinem 1913 erschienenen Band der Pages d’Art Chrétien erwähnt er zwar Mucha – im Zusammenhang mit der Klosterkirche in Jerusalem – und auf derselben Seite auch die Chapelle Notre-Dame de Salut, ohne jedoch auf eine Beteiligung Muchas an ihr hinzuweisen. 677 Zudem schreibt Père Fabre in einem Brief im Jahre 1929 über die effektive Zusammenarbeit mit Mucha, dass sich diese auf sieben Zeichnungen für die bereits erwähnte Zeitschrift Le Mois littéraire et pittoresque beschränkt habe. 678 Eine Urheberschaft Muchas für dieses Glasgemälde ist aus den genannten Gründen gänzlich auszuschließen.

Es ist allerdings möglich, dass – was schlussendlich auch zu dieser Fehldeutung geführt haben könnte – Mucha einen Entwurf für ein Glasfenster der Chapelle Notre-Dame de Salut abgeliefert hat. 679 Aus unbestimmten Gründen wurde es dann aber nie verwirklicht. Denn wenn sich Mucha zumindest in einem Entwurf mit dem Thema der litanies de la Vierge beschäftigt hätte, wäre dies vermutlich in der Entstehungszeit der Kapelle erwähnt worden. Interessanterweise könnte die Thematik sogar mit dem oben besprochenen Entwurf des Mucha Trust übereinstimmen, denn dieser passt zu einer figürlich dargestellten lauretanischen Litanei: Es handelt sich um Gestalten, die einer weiblichen Figur huldigen und sie anbeten. Da Mucha den Entwurf aber nicht komplett ausgearbeitet hat, ist eine sichere Zuweisung nicht möglich. Dass die Fensterform des dreiteiligen Entwurfes nicht gänzlich mit derjenigen des ebenfalls dreiteiligen Glasgemäldes aus dem Musée d’Orsay übereinstimmt, kann nicht gegen diese Überlegungen eingewandt werden: Die Chapelle wurde im Jahre 1898 erbaut; Mucha könnte den Entwurf noch vor der Fertigstellung des Gebäudes und der Fensteröffnungen ausgeführt haben. Auffällig ist auch, dass bei Muchas Entwurf die seitlichen Bereiche im Verhältnis zum mittleren auf der gleichen Höhe abschließen wie die entsprechenden beiden Seitenfenster des Glasgemäldes aus dem Musée d’Orsay. Somit steht zumindest eine gewisse Ähnlichkeit von Muchas Entwurf zur realisierten Fensteröffnung fest, die auch dafür spricht, den hier besprochenen Entwurf mit der Chapelle Notre-Dame de Salut in Paris in Verbindung zu setzen. 680

Bascou 1988, S. 178. Abel Fabre: Pages d’Art Chrétien (Collection artistique, 4), Paris 1913, S. 110. 678 Freundliche Mitteilung von Père Patrick Zago am 1. 8. 2014. Der Brief wurde am 29. 2.1929 von San Remo an Père Baudouy abgeschickt (s. Archives de l’Assomption, Rome, cote RL/75). 679 Der nachweislich früheste Kontakt von Fabre mit Mucha ist im Jahre 1899 anzunehmen, s. Anm. 669. 680 Da der Verbleib der übrigen 20 Glasfenster der Chapelle Notre-Dame de Salut nicht bekannt ist und diese wohl auch nicht publiziert sind, kann nicht abschließend geklärt werden, ob alle Fenster die gleiche Form hatten. 676 677

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Glasarbeiten in der Boutique des Juweliers Georges Fouquet, 1900

10.6 Glasarbeiten in der Boutique des Juweliers Georges Fouquet, 1900 Der Juwelier Georges Fouquet eröffnete 1901 ein neues Verkaufsgeschäft an der Rue Royale 6 in Paris und beauftragte Mucha mit der gesamten Innenausstattung und Dekoration. 681 Der Künstler hatte sich bisher noch nie mit einem solchen alles umfassenden Konzept beschäftigt. Er kreierte einen Schauraum aus den edelsten Materialien wie beispielsweise Mahagoni, Bronze, Leder, Samt sowie Glas und gestaltete damit Lampen, Vitrinen, Verkaufstheken, Tische, Stühle, einen Springbrunnen und Mosaikböden. Im Jahre 1923 musste Muchas Gesamtkunstwerk jedoch zugunsten einer moderneren Einrichtung der Boutique weichen. Die alte Möblierung wurde ausgebaut und später, im Jahre 1941, dem Musée Carnavalet in Paris übergeben. Dort wird ein Nachbau mit der originalen Möblierung präsentiert. Im Innenraum der Boutique gab es an der Rückwand eine Konstruktion mit rechteckigem Grundriss. 682 An dessen Vorderseite war ein Pfau aus Bronze angebracht, dessen rundplastischer Vorderkörper aus dem Aufbau herausragte und den davor aufgebauten Verkaufstisch bekrönte. Der Pfau befand sich innerhalb eines runden Glasbildes einbeschrieben, die Augen seines Rades waren ebenfalls aus buntem Glas. 683 Darüber, auf dem Möbel sitzend, befand sich ein weiterer Pfau mit zusammengefalteten Schwanzfedern, seine Augen waren ebenfalls mit Glasstücken versehen. Zu beiden Seiten des ersten Pfaus befanden sich jeweils zwei hochrechteckige Glasbilder – jeweils eines davon parallel zur Wand, das andere an der Schmalseite des Aufbaus, also im rechten Winkel zum jeweils ersten Glasbild. 684 Die Entwürfe der Glasbilder werden im Musée Carnavalet aufbewahrt. Innerhalb dieser in sich abgeschlossenen Konstruktion gab es

Lichtquellen, die die Bereiche aus Glas von hinten beleuchteten. Die vier hochrechteckigen Glasbilder zeigten ausschließlich Blüten, andere Pflanzenteile und Insekten, aber keine figürlichen Darstellungen. Mucha hatte bei ihnen sowohl die musivische Technik als auch die Technik des Bemalens mit verschiedenen Farben verwendet. Neben der Ausstattung des Innenraums übernahm Mucha auch die Gestaltung der Fassade. Hier integrierte er insgesamt 15 Glas-Medaillons mit unterschiedlichen Frauenköpfen, die in quadratische Rahmen, ebenfalls aus buntem Glas, eingesetzt waren. 685 Die Darstellungen entsprechen vollends dem Style Mucha: Sie zeigen die für ihn charakteristischen weiblichen Gestalten mit langen, wallenden und manchmal zu Ornamenten werdenden Haaren, byzantinischem Haarschmuck und – sofern dies bei den Medaillons sichtbar ist – ebenfalls byzantinischer Kleidung. Der Hintergrund der Medaillons ist einfarbig, der Rahmen der Kreisfläche, also das Glas bis zum Rand des Quadrats, ist allerdings mehrfarbig. Bei den Entwürfen zu den Medaillons sind wieder klar die etwas breiteren Umrisslinien, die Bleiruten im ausgeführten Glasbild, zu erkennen. Die für die Medaillons verwendete Technik war jene der Schwarzlotmalerei. 686 Als Glasmaler ist Léon Fargues in Paris überliefert. Aus zeitgenössischen Beschreibungen geht nicht hervor, ob diese Medaillons von hinten beleuchtet waren. Sie befanden sich ja an der Außenfassade und wurden von innen nicht gesehen. Somit mussten sie wohl mit einer künstlichen Lichtquelle erhellt werden, um von außen auch bei Tageslicht wahrgenommen zu werden.

Zur Ausstattung von Fouquets Boutique s. beispielsweise: Ausst. kat. München 2009, S. 162; Mucha 1965, S. 170–178. Abbildungen s. Ausst. kat. München 2009, S. 172 und 173. 683 Beim Glas für die Augen des Pfauenrades handelt es sich um Pressglas (Ausst. kat. Darmstadt 1980, S. 224). Pressglas ist ein in eine mehrteilige Metallform gepresstes Glas, wobei dieser Vorgang in der Regel mit einem Stempel oder Druckluft ausgeführt wird (Kovacek 1993, S. 381). 684 Abbildungen s. Ausst. kat. München 2009, S. 174 und 175. 685 Die Entwürfe zu acht der Medaillons sind abgebildet in: Ausst. kat. München 2009, S. 182 und 183. 686 Ausst. kat. Darmstadt 1980, S. 207. 681

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Die Gattung der Glasmalerei

10.7 Entwurf für ein Kirchenfenster, um 1900 Es handelt sich dabei um einen vierteiligen Entwurf, bestehend aus hochrechteckigen Einzelpanelen (Abb. 27). 687 Die Darstellung ging jedoch nicht über den Entwurf hinaus, sodass Muchas Komposition nur schwer zu erfassen ist. Auch farblich hatte sich Mucha noch nicht festgelegt, wie die ausschließlich in Kohle festgehaltenen Umrisse be-

legen. Vermutlich ist auf jedem Panel mindestens eine Figur zu sehen; im Bereich ganz links können zwei Gestalten ausgemacht werden, ebenso im zweiten Panel von rechts. Es ist nicht bekannt, welche Kirche mit diesem Glasfenster ausgestattet werden sollte; auch ist kein ausgeführtes Fenster zu diesem Entwurf bekannt.

10.8 Entwurf für ein Glasbild, um 1902 Der Entwurf (Abb. 83), der oben halbrund abschließt, zeigt drei Figuren: die beiden dunklen Gestalten im Vordergrund sind Pilger; die geflügelte Figur dahinter stellt einen Engel dar. 688 Der weiße Engel kontrastiert mit den beiden anderen Gestalten. Seine Figur ist nicht zentral in die Komposition gesetzt, sondern an den Rand gerückt, sodass der linke Flügel sowie ein Teil der Haare nicht ganz zu sehen sind.

Es ist nicht bekannt, für welchen Zweck dieser Entwurf angefertigt wurde. Es handelt sich wohl um einen religiösen Zusammenhang, daher kann auch eine Kirche oder Kapelle als Anbringungsort in Betracht kommen. Geneviève Lacambre setzt diesen Entwurf in Zusammenhang mit der Klosterkirche in Jerusalem. 689

10.9 Entwürfe für Glasgemälde aus Documents décoratifs, 1902 690 Das Buch Documents décoratifs enthält hauptsächlich Zeichnungen von Mucha für Besteck oder Schmuck, aber auch Entwürfe für Möbel, Teppiche und Geschirr sowie Initialen und eine ganze Reihe von Panneaux und ähnlichen dekorativen Darstellungen. Auch wenn diesbezüglich keine Hinweise im Vorwort von Gabriel Mourey gegeben werden, so sind doch in dem von Mucha und dem Verleger Emile Lévy zusammengestellten Buch einige Darstellungen dabei, die sich als Entwürfe für Glasgemälde identifizieren lassen. Die Planche 48 (Abb. 28) zeigt eine für Mucha charakteristische weibliche Figur in einem Stuhl sitzend. Die Darstellung besitzt einen für seine Verhältnisse eher zurückhaltenden Hintergrund: Die Figur ist in einen Nimbus einbeschrieben, der aus

untereinander scharf abgegrenzten floralen Einzelteilen besteht. In einigen Bereichen, insbesondere bei den Haaren, den Blumen sowie bei den Gewändern, gibt es zusätzliche Schraffuren bzw. Binnenzeichnung. Somit scheint die Darstellung geradezu prädestiniert für eine Ausführung als Glasgemälde. Die mächtigen schwarzen Linien, die die Konturen markieren, stellen gleichzeitig auch die Bleiruten im ausgeführten Glasbild dar; die einzelnen Glasflächen innerhalb dieser Markierungen sind jeweils in einem einheitlichen Farbton gehalten. Ähnliche Anpassungen an das Medium Glas sind auch bei weiteren Darstellungen für die Documents décoratifs auszumachen, so beispielsweise bei Planche 13, 45 und 47. 691 Mucha hatte gemäß die-

Es handelt sich dabei um Kohle auf Papier, das Blatt misst 59 � 78 cm und befindet sich im Besitz des Mucha Trust, Inv. Nr. P-001. Abb. s. Ausst. kat. Darmstadt 1980, S. 292. Der Entwurf misst 61 � 41 cm und befindet sich in einer Privatsammlung; es handelt sich dabei um Kohle und Pastell auf grau-grünem Papier, das auf Karton aufgezogen wurde. 689 Ausst. kat. Darmstadt 1980, S. 292. 690 Herausgegeben von Emile Lévy; Verlag Librairie Centrale des Beaux-Arts in Paris. 691 Abbildungen s. Planche 13 Mucha/Kern 1980, Tafel 50; Planche 45 Mucha/Kern 1980, Tafel 9; Planche 47 Mucha/Kern 1980, Tafel 14. In einer von Jiří Muchas Monographien ist Planche 48 aus Documents décoratifs als „Zeichnung zu einem gemalten Fenster. […] Paris 1902“ erwähnt (Mucha 1965, S. 186). 687

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Glasscheiben in Lancey, um 1902

sen Entwürfen wohl zumeist zuvor eingefärbte Glasstücke für die Verwirklichung der Glasfenster vorgesehen, die höchstens schwarze Schraffuren mit Schwarzlot erhalten sollten. Lediglich bei der Darstellung, mit der er das baldige Erscheinen des Buches Documents décoratifs (Planche 13) ankündigte, hatte Mucha auch innerhalb der einzelnen Glasflächen unterschiedliche Farbtöne vorgesehen, die bei einigen Haarsträhnen und dem Stoff auf den Beinen der Figur gut erkennbar sind. Dieser Effekt kann auch durch die Herstellung von Farbverläufen im Glas erreicht werden und muss nicht zwangsläufig durch das Bemalen geschehen. Auch Planche 46 zeigt Entwürfe, die für Glasarbeiten geeignet sind – zwei der drei weiblichen Figuren, die sich jeweils in einem Tondo befinden, sehen denjenigen für die Fassade der Boutique von Fouquet ähnlich. 692 Das Buch Documents décoratifs sollte – genauso wie das im Jahre 1905 erschienene Figures décoratives – die Gier der Öffentlichkeit nach dem Style Mucha stillen. Jiří Mucha schreibt hierzu: „Seine Popularität betrachtete er [Alfons Mucha] als Last, die ihn von der wirklichen Arbeit ablenkte, und um sich das Leben zu erleichtern, entschloss er sich, ein Werk herauszugeben, durch das er mit einem Schlag die zahlreichen Forderungen nach dekorativen Entwürfen befriedigen wollte. Er zeichnete für den Verlag Émile Lévy einen Folioband mit 72 Kartons, der […] ein Musterbuch seiner Ornamentik vom analytischen Studium der Elemente nach der Natur bis zu ihrer praktischen Anwendung darstell-

te. […] Jetzt, dachte er, konnten sich alle, die Entwürfe von ihm wollten, aus seinem Werk auswählen, was sie brauchten.“ 693 Aus diesen Zeilen wird deutlich, dass diese Entwürfe als „Anleitung“ für Reproduktionen gedacht waren; so konnte also jedermann mit dem Buch in der Hand beispielsweise zu einem Goldschmied oder zu einem Glasmaler gehen und sich eines der gezeichneten Objekte nachbilden lassen. Damit kann man auch die Vereinfachung der Glasentwürfe erklären: Der Einsatz von nur einer Farbe – in diesem Fall Schwarzlot – ist wesentlich unkomplizierter und spart im Vergleich zu mehreren Farben Zeit, da die Glasscheibe nicht nach jedem Farbauftrag erneut gebrannt werden muss, ebenso der vermehrte Einsatz der musivischen Technik, die ab den 1890er Jahren durch Louis Comfort Tiffany Popularität erlangt hatte. 694 Dieses Verfahren ist zwar mit einem gewissen Aufwand wegen des Zurechtschneidens von passenden Glasstücken und dem Verbleien verbunden, wohl aber insgesamt weniger kostspielig als wenn der größte Teil der Darstellung durch unterschiedliche Schmelzfarben und wiederholtes Einbrennen gebildet würde. Mucha beachtete damit Aspekte der Praxisnähe und Massentauglichkeit, um eine unabhängige Ausführung seiner Kreationen zu ermöglichen. Dies ist teilweise auch bei den Schmuckentwürfen festzustellen; jedoch finden sich beispielsweise neben eher schlichten und daher einfach herzustellenden Haarnadeln und Ringen (auf Planche 51) auch solche, die hochkomplexe Ornamente aufweisen (Planche 50). 695

10.10 Glasscheiben in Lancey, um 1902 Das Haus, es beherbergt heute das Musée de la Houille Blanche, gehörte einst dem 1833 geborenen Aristide Bergès und befindet sich ungefähr 20 km von Grenoble entfernt in der französischen Gemeinde Lancey. Es ist insbesondere wegen seiner

exquisiten Wandverkleidungen bekannt: Aristide Bergès war selbst ein erfolgreicher Industrieller, tätig auf dem Gebiet der Papierherstellung. 696 Die Inneneinrichtung geht hauptsächlich auf Maurice Bergès, den jüngsten Sohn von Aristide, zurück,

Abb. s. Mucha/Kern 1980, Tafel 49. Mucha 1965, S. 140. 694 s. auch Dvořák 1978, S. 64, Anm. 79. Tiffanys Werke wurden ab 1895 in Paris unter anderem auch im Maison de l’Art Nouveau von Siegfried Bing ausgestellt. 695 Abbildungen: Mucha/Kern 1980, Tafel 28 und 29. 696 Jérémie Cerman: Wallpaper in the Bergès House near Grenoble: From Eclecticism to Art Nouveau, in: Studies in the Decorative Arts, 2005/2006, S. 32 und 33 (Abbildungen s. ebenso dort). 692 693

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Die Gattung der Glasmalerei

der sich für einen heterogenen Fin-de-Siècle-Eklektizismus entschied und selbst auch Künstler war. 697 Die Familie Bergès war befreundet mit Mucha, vermutlich geht diese Freundschaft auf die Bekanntschaft Muchas mit Maurice Bergès zurück, der ebenso wie Mucha in Paris studiert hatte. 698 Aufgrund des im Museum aufbewahrten Schriftverkehrs zwischen Mucha und der Familie ist zumindest ein Besuch im Jahre 1902 anzunehmen, vermutlich gab es aber mehrere Aufenthalte Muchas in Lancey: Für das Jahr 1904 ist im Haus-Inventar ein Raum als „chambre Mucha“ bezeichnet; ein weiterer Raum wird als „ancienne chambre de M. Mucha“ benannt. 699 Die Freundschaft zur Familie blieb über viele Jahre bestehen: So schrieb Mucha viele Briefe an die Familie, unter anderem auch aus New York (1904) und später aus Prag (1912 und 1926). 700

Im Besitz des Museums befinden sich auch ein Dutzend kleinere Glasscheiben mit entweder floralen Motiven (drei Stück) oder Gesichtern weiblicher Figuren (neun Scheiben), die von Mucha erstellt worden sind. Ausgeführt hat sie der Künstler in Öl auf Glas, also abermals in kaltem Farbauftrag. Die Scheiben zeigen die gesamte Darstellung in Ölmalerei, auf ebensolche Weise hat Mucha die etwas dickeren Konturlinien ausgeführt. Der eigentliche Zweck dieser rechteckigen kleinen Glasscheiben bleibt verborgen. Jedoch ist denkbar, dass sie dem Haus als Dekoration hätten dienen sollen bzw. möglicherweise Teil einer Dekoration hätten werden sollen – insbesondere, wenn man die Gesamtheit des Hauses in Betracht zieht: Unzählige Wandverkleidungen zeigen florale Muster und das ganze Gebäude ist in der Jugendstil-Diktion ausgestattet.

10.11 Glasgemälde Die vier Jahreszeiten, 1906/1907 Im Smith Museum of Stained Glass Windows in Chicago befindet sich ein vierteiliges Fenster (Abb. 29), das Muchas berühmtes Panneaux Die vier Jahreszeiten von 1896 zeigt. 701 Dieses vierteilige Werk, das in je einem Panel eine weibliche Figur zeigt, die eine Jahreszeit verkörpert, wurde ursprünglich vom Pariser Drucker Champenois herausgegeben. Es handelt sich dabei um eine der erfolgreichsten dekorativen Arbeiten des Künstlers. Nach Informationen des Museums stammt das vierteilige Fenster aus einem Wohnhaus in Chicago: Der irischstämmige Joseph Downey hatte im April

1906 die Erlaubnis erhalten, auf dem Grundstück 6502 North Sheridan Road ein Wohnhaus zu errichten, der Architekt des Hauses war William Carbys Zimmermann. 702 Rolf Achilles von der School of the Art Institute of Chicago nimmt für den Einbau der Fenster Ende 1906 bzw. Anfang 1907 an. Jedes der qualitativ sehr hochwertigen und in Glasmalerei ausgeführten Fenster misst in der Höhe 121,9 cm und in der Breite 45,7 cm. Chicago wurde um 1900 ein Nukleus vermögender tschechoslowakischer Auswanderer. Tomáš Gar-

Die Werke von Maurice Bergès zeigen seine Nähe zu den Symbolisten sowie sein vielseitiges Interesse an anderen Kulturen, beispielsweise der byzantinischen. S. Cerman 2005/2006, S. 34 und 35. 698 Maurice hatte an der Ecole Centrale des Arts et Manufactures sowie wohl auch an der Ecole des Beaux-Arts in Paris studiert. 1889 übernahm er die Firmengeschäfte seines Vaters, sodass er das Studium in den Jahren zuvor abgeschlossen haben musste. Für 1905 ist im Katalog des Salons der Société des Artistes Français überliefert, dass Maurice ein „élève de M. Mucha“ war, s. Cerman 2005/2006, S. 34 und 45. 699 Cerman 2005/2006, S. 45. 700 Cerman 2005/2006, S. 45. 701 1895 hatte sich Mucha erstmalig mit den Vier Jahreszeiten auseinandergesetzt und diese mit vier weiblichen Figuren verkörpert. Diese Jahreszeiten wurden 1896 in verschiedenen Varianten bezüglich Material und Größe vom Verleger Champenois in Paris herausgegeben. 1898 wurde diese Version in Philadelphia veröffentlicht. Nach dem großartigen Erfolg der Jahreszeiten kam Mucha dem Wunsch von Champenois nach einer weiteren Variante nach: 1897 wurden daher die Vier Jahreszeiten mit einem anderen Aussehen nochmals herausgegeben. Ein Jahr später wurde eine weitere Serie mit erneut anderem Aussehen herausgegeben, jedoch nur bestehend aus Frühling, Sommer und Winter. Hier ist nicht bekannt, ob Champenois wiederum der Verleger war. 1899 folgte dann die vierte Variante der Jahreszeiten (der Verleger war wiederum Champenois). Weitere Angaben zu den einzelnen Varianten und Abb. s. Ausst. kat. Prag 2013, S. 180–195. 702 Diese und die folgenden Informationen stammen von Rolf Achilles, School of the Art Institute of Chicago, wofür ich aufrichtig Dank aussprechen möchte. 697

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Glasgemälde Die vier Jahreszeiten, 1906/1907

rigue Masaryk, Cranes Freund und späterer Präsident der Tschechoslowakei, hielt 1902 eine Vorlesung an der Universität in Chicago, 1907 besuchte er die Stadt nochmals. 703 In diesem Umfeld hielt sich auch Mucha in der Stadt auf; der Zeitraum entspricht seiner vierten USA-Reise von Oktober 1906 bis vermutlich Frühling/Mai 1909. 704 Der Künstler soll hier – bei seinem dritten Besuch in den Vereinigten Staaten – auch das zweite Mal auf Charles Richard Crane getroffen sein, dies muss ungefähr im Oktober/November 1905 gewesen sein. Mucha unterrichtete am Art Institute of Chicago – seine Vorlesungen sind für Oktober/November 1906, März/April 1908 sowie Mai 1909 nachweisbar. 705 Das Art Institute widmete Mucha eine Einzelausstellung mit 75 Werken vom 16. Oktober bis 29. November 1906. 706 Zumindest teilweise überschneiden sich damit Muchas Lehrtätigkeit und Ausstellung seiner Werke sowie der mutmaßliche Zeitpunkt des Einbaus der Fenster; Oktober/November 1906 wäre somit in Betracht zu ziehen. Im November 1906 und zu Beginn des Jahres 1907 stand Mucha auch in Kontakt mit dem Palette & Chisel Club. 707 Weitere Verpflichtungen Muchas in Chicago umfassten 1906/1907 die Gestaltung einer Luxusseifenverpackung der Marke Armour & Co. für die Savon Mucha. 708

Auf den Fenstern ist keine Signatur vorhanden, auch gibt es keinen anderen stichhaltigen Beleg dafür, dass Mucha direkt an der Realisierung beteiligt war. 709 Auch ein Glasmaler ist nicht überliefert. Eine Verbindung zwischen dem Erbauer des Hauses, Downey, oder dem Architekten Carbys Zimmermann zu Mucha oder der böhmischen bzw. slawischen Kultur ist bisher nicht nachweisbar. Mucha hat den ornamentalen Rahmen für die Fenster von Chicago weder in seinen anderen Versionen der Vier Jahreszeiten noch in seinen anderen Werken eingesetzt, jedoch entspricht er seiner Formensprache. Gegen eine Urheberschaft Muchas spricht, dass er sich von seinen dekorativen Werken zu emanzipieren versuchte, seit er zu seiner ersten USA-Reise aufgebrochen war – jedoch hat er nach wie vor dekorative Entwürfe kreiert wie beispielsweise die Verpackung der Savon Mucha. Trotzdem ist auch in Betracht zu ziehen, dass diese Arbeit auf einen seiner Schüler am Art Institute in Chicago zurückzuführen ist oder der Hausbesitzer Downey schlicht Gefallen an den Vier Jahreszeiten von 1896 gefunden hatte. Nach dem Abtragen des Hauses befinden sich die Fenster seit 2003 in der Smith Collection, die bis 2014 in Chicago ausgestellt war.

Valentina von Tulechov: Tomas Garrigue Masaryk. Sein kritischer Realismus in Auswirkung auf sein Demokratie- und Europaverständnis, Göttingen 2011, S. 26. 704 Mucha hatte seinen vierten USA-Aufenthalt in Chicago, aber auch in New York und Cape Cod verbracht; weitere Angaben zu seinen USAAufenthalten s. Anhang/Neue Erkenntnisse zu den USA-Aufenthalten Kapitel 15. 705 Vorlesungen sind für den Zeitraum vom 24. Oktober bis 23. November 1906, vom 17. März bis 2. April 1908 sowie für Mai 1909 nachweisbar; zusätzlich hielt er einige im März/April 1908. Für weitere Angaben zu seinen Vorlesungen in Chicago s. Anhang/Neue Erkenntnisse zu den USAAufenthalten Kapitel 15. Vemutlich hat Mucha am Art Institute auch Bekanntschaft mit Samuel M. Nickerson geschlossen; Nickerson war 1879 Gründungsmitglied und bis zu seinem Tod 1914 Treuhänder des Art Institutes (Annual report of the Trustees of the Art Institute of Chicago, 1935, S. 13). Mucha verbrachte 1908 eine gewisse Zeit im Bootshaus der Nickersons auf Cape Cod; s. Anhang/Neue Erkenntnisse zu den USA-Aufenthalten Kapitel 15. 706 Annual report of the Trustees of the Art Institute of Chicago, 1906/1907, S. 32. 707 Mucha 1965, S. 225. 708 Weitere Angaben und Abb. s. Rennert/Weill 1984, S. 318; Ausst. kat. Prag 2013, S. 261; Mucha 1965, S. 216 und 217. 709 Jedoch ist hier anzumerken, dass auch die Glasarbeiten für die Boutique von Fouquet nicht Muchas Signatur aufweisen. 703

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Die Gattung der Glasmalerei

10.12 Das Glasgemälde im Deutschen Theater in New York, 1908 Das Deutsche Theater wurde am 1. Oktober 1908 an der Madison Avenue in New York eröffnet. 710 Für Mucha war es ein umfangreicher Auftrag, den er in der knapp bemessenen Zeit von nur vier Monaten ab Auftragserteilung ausführte. 711 Es handelte sich – ähnlich wie bei der Boutique von Fouquet in Paris – um die Gesamtgestaltung einer Räumlichkeit mit einzelnen Gemälden; sogar Bühnenbilder und Kostüme entwarf Mucha für einige der aufgeführten Stücke. 712 Es gibt allerdings einige Unsicherheiten bezüglich der Rekonstruktion der von Mucha geschaffenen Werke. Als sicher anzunehmen sind für den Aufführungssaal des Theaters folgende fünf Gemälde: 713 • The Quest of Beauty (über dem Bühnenbogen) • Comedy sowie in einem Tondo darüber die Personifikation der Vereinigten Staaten (rechts neben der Bühne) • Tragedy sowie in einem weiteren Tondo darüber die Personifikation Deutschlands (links neben der Bühne) Dazu kam gemäß Jiří Mucha „ein monumentales farbiges Glasfenster mit der allegorischen Szene Die dramatische Kunst erscheint der Menschheit“. 714

Die konkreten Maße des Fensters oder Details zu seinem Einbauort nennt er aber nicht, es kann sich aber nicht im Aufführungssaal befunden haben. Die zeitgenössischen Fotografien des Aufführungssaales zeigen nämlich keinen Hinweis auf das Glasgemälde, ebenso wenig wird es in den zeitgenössischen Besprechungen des Deutschen Theaters erwähnt. 715 In einer Ausgabe des Zeitschrift Zlatá Praha von 1910 ist ein Entwurf Muchas abgebildet, die Bildunterschrift zeichnet ihn aus als: „A. Mucha: Entwurf eines farbigen Fensters – aus dem Theater in New York“ (Abb. 30). 716 Es muss sich dabei um den Entwurf desjenigen Fensters handeln, das Jiří Mucha erwähnt. Das Glasfenster hatte demnach ungefähr die Form eines verlängerten Halbkreises und schloss nach unten gerade ab. Der Entwurf zeigt entsprechend den Informationen von Muchas Sohn die Personifikation der dramatischen Kunst im oberen Bereich, die mit erhobenen Händen den ihr huldigenden Menschen gegenübertritt. Das im Entwurf eingezeichnete Rechteckmuster stellt wohl die stabilisierenden Eisen dar. 717 Am unteren Rand der Abbildung und damit den Entwurf überlappend befinden sich zwei kleine Figuren: ein Mann und

Das Deutsche Theater, auch als German Theater bezeichnet, befand sich an der Madison Avenue zwischen der 58th und 59th Street; der Haupteingang war zur Madison Avenue hin (German and American Symbols 1908, S. 28). Der Direktor des Theaters war Maurice Baumfeld (Bühnentelegraph New York (Autor C. R.), in: Bühne und Welt, Bd. XXI (1909), S. 264). Das Theater wurde im Jahre 1929, nachdem es bereits kurz nach seiner Gründung von einer anderen Theatergesellschaft übernommen worden war, aufgelöst. Einige Jahre vor dem Deutschen Theater eröffnete 1903 das New Amsterdam Theatre am Broadway in Manhatten. Es besteht bis heute und ist ebenso Zeuge des florierenden Jugendstils in New York. 711 Mucha 1965, S. 229. 712 Beispielsweise entwarf Mucha das Bühnenbild und die Kostüme für das Stück Was ihr wollt, wie dafür erstellte Zeichnungen belegen (s. Mucha 1965, S. 228 und 229). 713 Die Gemälde The Quest of Beauty, Comedy sowie Tragedy maßen jeweils 4 � 8 m; die Tondi 3 � 3 m (Mucha 1965, S. 227; German and American Symbols 1908, S. 28). Abbildungen des Aufführungssaales des Deutschen Theaters in: Architectural record, Bd. 24 (1908), S. 408–416; Architects’ and builders’ magazine, Bd. 41 (1908/1909), S. 89–93; Tragedy und Comedy sind abgebildet in: The International Studio, Bd. 39 (1909–1910), S. 164. 714 Mucha 1965, S. 227. Die Existenz dieses Glasfensters wurde auch noch in jüngerer Zeit angezweifelt (s. beispielsweise: Anna Dvořák: Study for Harmony, in: Ausst. kat. San Diego 1998, S. 292) – wohl wegen der Vermutung, dass das Glasgemälde ursprünglich für die Klosterkirche in Jerusalem geplant war. Dafür gibt es aber keinerlei Anhaltspunkte. Des Weiteren belegen die im Folgenden aufgeführten zeitgenössischen Quellen die Existenz dieses Fensters im Zusammenhang mit dem Deutschen Theater. 715 Vom neuen deutschen Musentempel in New York (Autor E. E.), in: Der Deutsche Vorkämpfer, Bd. 12 (1908), S. 24; Zlatá Praha, Bd. 2 (1910), S. 22. Die englischsprachigen Beiträge beschränken sich auf den Aufführungssaal, obwohl Mucha nachweislich auch andere Räumlichkeiten des Theaters ausstattete. 716 Zlatá Praha, Bd. 8 (1910), S. 93. Eine Abb. in Farbe s. Ausst. kat. San Diego 1998, S. 292 und 293. Ebenfalls in Zlatá Praha ist als „Studie zu einem dekorativen Werk“ der gleiche Entwurf abgebildet, der auch schon bei The World To-Day zu sehen ist (The World To-Day, Bd. 15 (1908), S. 737; Zlatá Praha, Bd. 8 (1910), S. 89). 717 Es ist nicht davon auszugehen, dass es sich hierbei um Kompositionshilfen für die Darstellung auf dem Entwurf handelt, da einige der Linien – in regelmäßigem Abstand – dicker als andere sind. 710

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Die Glasgemälde im Primatorensaal des Repräsentationshauses in Prag, 1909-1911

eine Frau. Es handelt sich also um eine Entwurfsskizze unter Einbeziehung von im Verhältnis dargestellten Besuchern des Deutschen Theaters – somit muss das Fenster mindestens 10 bis 12 m hoch gewesen sein. Die Bemerkung von Jiří Mucha, der das Glasgemälde als „monumental“ bezeichnet, ist somit nachvollziehbar. In zwei Zeitschriften finden sich aber Abbildungen eines weiteren Gemäldes von Mucha im Zusammenhang mit dem Deutschen Theater. Die Bildunterschriften benennen das Gemälde unterschiedlich; einmal lautet der Titel Harmony, unter der zweiten Aufnahme steht Inspiration (Abb. 31). 718 Dieses zuletzt genannte Gemälde hat große Ähnlichkeit mit dem Entwurf für das Glasgemälde: Es zeigt die gleiche Figurenkonstellation, nur sind diese – entsprechend den unterschiedlichen Formaten der Gemälde – leicht anders angeordnet. Möglicherweise hat Mucha mit diesen beiden Werken zusammen, sozusagen als sich ergänzende Arbeiten in unterschiedlichen Materialien, einen zum Deutschen

Theater zugehörigen Raum ausgestattet. Die Bildunterschrift, in der das Gemälde Inspiration genannt wird, verweist auf den Aufstellungsort an der „großen Promenade des neuen Deutschen Theaters“. 719 Daher ist es plausibel, auch das Glasgemälde in dieser Räumlichkeit zu verorten. Wie Jiří Mucha überliefert, überdauerte vermutlich kein Werk aus dem Deutschen Theater die Zeit: „Das Theater schloss schon nach ganz kurzer Zeit seine Tore, es wurde zum Plaza Cinema, und die großen Gemälde, die darin geblieben waren, sind bis heute verschollen. Ein einziges Panneau Harmonie entging [vorerst] diesem Schicksal und hing dann mehrere Jahre lang im Erdgeschoss des Hotels La Salle in Chicago.“ 720 Was mit dem großen Glasfenster und den anderen Werken sowie dem Gemälde Harmony später geschah, ist nicht bekannt. Nur der Entwurf des Glasgemäldes ist im Jahre 1973 wieder aufgetaucht und befindet sich heute im Besitz des Mucha Trust.

10.13 Die Glasgemälde im Primatorensaal des Repräsentationshauses in Prag, 1909–1911 Mucha erhielt im Jahre 1909 den Auftrag, den Primatorensaal des Prager Repräsentationshauses auszustatten. 721 Der Bau des Gebäudes war im Jahre 1905 begonnen worden, eingeweiht wurde es im Jahre 1912. 722 Der oktogonale Primatorensaal stellt den wichtigsten repräsentativen Raum dieses Baus dar.

Dieses Projekt war einer der ersten größeren Aufträge, die er in seiner Heimat erhielt. Es handelte sich auch hier wiederum um die gesamte Dekoration des Raumes; sie umfasst unter anderem die berühmten Gemälde an den Wände, das als Fresko gemalte Deckenbild, acht kleinere Gemälde für die

Die komplette Bildunterschrift lautet: „Harmony – A panel design for a theater“, dabei handelt es sich wohl um den Entwurf des Gemäldes oder um einen noch unfertigen Zustand desselben; s. auch Architects’ and builders’ magazine, Bd. 41 (1908/1909), S. 122, die Bildunterschrift lautet: „Inspiration – Decoration in Grand Promenade of New German Theatre“. Hier ist das Gemälde in einem prächtigen Rahmen zu sehen, woraus abgeleitet werden kann, dass es sich dabei um das vollendete Gemälde handelt. In der Bildunterschrift in der Zeitschrift The World To-Day heißt es, dass die große Figur Harmony mit den Händen, die Tag und Nacht darstellen, entgegengesetzte Kräfte freundschaftlich vereint. Möglicherweise war die Intention Muchas, mehrere Interpretationen zuzulassen; die Szene ließe sich auch auf die beiden im Deutschen Theater repräsentierten Nationen übertragen. 719 Architects’ and builders’ magazine, Bd. 41 (1908/1909), S. 122. 720 Mucha 1965, S. 230. Das Theater schloss bereits im April 1909, also nach rund acht Monaten (Dvořák 1978, S. 93). Die Einrichtung wurde zunächst vom Plaza Theater übernommen, aber im Jahre 1929 wurde auch dieses aufgelöst und von den Gemälden und dem Glasgemälde verliert sich jede Spur. 721 Mucha 1965, S. 253; Mucha 2000, S. 94. Die Verhandlungen mit dem Architekten Osvald Polívka begannen schon im Sommer 1909. Im Januar 1911 reichte er die definitiven Entwürfe ein (Wittlich 2000, S. 68). Da er den größten und bedeutungsvollsten Teil der Ausstattung des gesamten Gebäudes als Auftrag erhielt, protestierten einige seiner Kollegen, weil sie sich benachteiligt fühlten – der Löwenanteil eines so wichtigen Projektes war an einen Künstler gegangen, der schon seit etwa 30 Jahren nicht mehr in der Heimat lebte (s. Mucha 1966a, S. 356; vgl. Kapitel 12). Mucha hatte schon im Jahre 1909 alle Skizzen und Studien, die er für dieses Projektes erstellte, der Stadt geschenkt (Mucha 1966a, S. 356); heute befinden sie sich in der Galerie hlavního města Prahy, aber Entwürfe oder Skizzen zu den Fenstern sind nicht darunter (freundliche Mitteilung von Dana Haltufová am 8. 9. 2014). 722 Ausst. kat. München 2009, S. 232. 718

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Die Gattung der Glasmalerei

Zwickel der Kuppel, einen Vorhang mit Pfauendekoration, Lampen und Büsten. 723 Zur Ausstattung gehörten aber auch drei mehrteilige Fenster, die sich über bzw. neben dem Austritt auf den Balkon befinden. Sie wurden von den Glasmalern V. Staněk und J. Šebek ausgeführt. 724 Das große, oben halbrund abschließende Fenster nimmt, genau wie die sich an den Wänden befindenden drei Gemälde, eine komplette Nische unterhalb einer Stichkappe ein. 725 Zu jeder Seite befindet sich je ein weiteres, halb so breites und weniger hohes Fenster. Die Darstellung im Hauptfenster beinhaltet im oberen Bereich florale Dekorationen, einen Fries aus Tauben, einen Kreis aus Sternen und ein darin einbeschriebenes Herz, von dem aus Wellenlinien ausgesendet werden. Unterhalb der Tauben folgt ein Fries aus geometrischen Ornamenten. 726 Die unteren Flügel des Hauptfensters, die den Austritt zum Balkon flankieren, zeigen spiegelbildlich eine Dekoration aus einer sich windenden Schlange in einem Reifen. Die kleineren seitlichen Fenster sind ebenfalls mit floralen und geometri-

schen Ornamenten versehen. Die Glasfenster bestehen aus blauem, violetten sowie weißem opaken Glas. Bei der Betrachtung des gesamten Primatorensaals wird deutlich, dass die Fenster als Teil der gesamten Raumwirkung gesehen werden müssen. Daher hat Mucha ihnen ein zurückhaltendes Aussehen ohne auffällige Motive verliehen; ihre Farbgebung entspricht den Farben der drei großen Gemälde, die dem Balkon und somit den Glasfenstern gegenüberstehen: Die beiden seitlichen Gemälde – Mit eigener Kraft sowie Das Opfer – werden von blauen Farben dominiert; dazwischen befindet sich das Gemälde Mannbarkeit, das von lila Tönen beherrscht wird. 727 Die in den Fenstern vorkommenden Motive – florale und geometrische Dekorationen, Tauben und das von Sternen eingerahmte Herz sowie die Schlange im Kreis – ordnen sich ebenfalls der Gesamtwirkung des Raumes unter, da sie sehr zurückhaltend sind. Jedoch entsprechen sie Muchas Formensprache und nehmen für ihn charakteristische symbolische Inhalte auf.

10.14 Glasgemälde Morgenröte und Abenddämmerung, Datierung unbekannt Das zweiteilige Glasbild wird von Jan Kukal vor 1920 datiert. 728 Es handelt sich dabei um zwei einzelne Glasgemälde, jedes davon misst 64 � 100,5 cm. 729 Die beiden Werke sind so konzipiert, dass die darauf dargestellten Figuren gegeneinander ausgerichtet sind und daher entweder in ein Fenster oder einen Schaukasten eingebaut worden sein müssen. Als morgendliche Dämmerung ist eine liegende weibliche Figur in einer Landschaft dargestellt. Sie hat ihren Oberkörper leicht aufgerichtet, um die aufgehende Sonne anzublicken. Mit ihrer rechten

Hand schiebt die Figur das Bettlaken zur Seite und weist gleichzeitig auf die Sonne. Die abendliche Dämmerung wurde ebenso als liegende weibliche Figur dargestellt, die sich vor einer Landschaft befindet. Hier hat der Künstler aber den Moment kurz vor dem Einschlafen festgehalten: Die Figur hat bereits ihre Augen geschlossen, greift nach der Bettdecke und zieht sie bis zum Kinn hoch. Bei der Betrachtung der Bleiruten fällt auf, dass sie in auffälliger Weise die dargestellten Figuren

Mucha 1965, S. 253. Der Primatorensaal ist ein oktogonaler Raum; jedes der drei großen Gemälde füllt eine seitliche Wand zwischen zwei Ecken aus. Die Gemälde befinden sich an drei aneinandergrenzenden Seitenwänden; davor und danach folgt je ein Durchgang zu angrenzenden Räumen. Über jedem der drei großen Gemälde gibt es ebenso wie beim mittleren Glasfenster eine Stichkappe, die zum Kuppelfresko führt. 724 Obecní Dům (Repräsentationshaus), Primátorský sál (Primatorensaal), in: www.obecnidum.cz, offizielle Seite des Repräsentationshauses Prag. 725 Abb. s. Wittlich 2000, S. 60. 726 Gemäß Wittlich hat Mucha die gesamte Gestaltung in Zusammenarbeit mit dem Architekten des Repräsentantenhauses Osvald Polívka ausgeführt (Wittlich 2000, S. 74). Die untere Bordüre aus streng geometrischen Formen geht höchstwahrscheinlich auf den Einfluss des Architekten zurück, da sie nicht mit Muchas Stilistik in Einklang zu bringen ist. 727 Abbildungen s. Ausst. kat. München 2009, S. 240–243. 728 Abbildungen s. Ausst. kat. Bratislava 2014, S. 24 und 25. 729 Ausst. kat. Alfons Mucha. Cesta ku sláve, Bratislava: Galéria mesta Bratislavy 2014, Jan Kukal (Hrsg.), Bratislava 2014, S. 24 und 25. Das zweiteilige Glasbild befindet sich in einer Privatsammlung. Weitere Angaben zur Entstehung oder Herkunft sind nicht bekannt. 723

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umkurven. Dies ist insbesondere bei den Oberkörpern und den Köpfen evident. Die Bleiruten bilden dabei nicht die eigentlichen Konturlinien – wie dies bei anderen Glasbildern Muchas der Fall ist –, sondern wurden zumeist in gewissem Abstand zu diesen angebracht. Die Darstellung an sich weist deutliche Züge von Muchas Stilistik auf, auch die Thematik sowie die Darstellungsart fügen sich gut in sein Werk ein. In der Tat sind unter seinen Pariser Werken die Morgenröte und Abenddämmerung aus dem Jahr 1899 zu finden. 730 Die genannten Werke wurden vom Verleger Champenois in Paris vervielfältigt: Die entstandenen Lithographien in Farbe, entweder auf Satin oder Papier gedruckt, konnten käuflich erworben werden. Die Vorlagen, nach denen diese beiden Glasbilder entstanden sind, konkret also die Panneaux Morgenröte und Abenddämmerung von 1899, wurden also nicht für den Zweck eines Glasbildes geschaffen. Im Vergleich mit den Panneaux von 1899 sind

die Konturlinien der Glasgemälde in ihrer Gesamtheit sehr schwach ausgebildet. Muchas Werke, insbesondere jene der Pariser Epoche, zeichnen sich durch eine starke Konturierung aus; dies stellt ein wesentliches Merkmal des Style Mucha dar. Die fehlende Akzentuierung der Umrisslinien und die „umkurvenden“ Bleiruten deuten darauf hin, dass sich ein Glasmaler die Lithographien von 1899 als Vorlage genommen hat, aber dann seinen eigenen Vorstellungen gefolgt ist. Der Glasmaler hat trotzdem ein ansprechendes Ergebnis erzielt, doch hat er Muchas Handschrift verwischt. Es gibt also eindeutige Hinweise darauf, dass Mucha am Prozess der Entstehung dieser beiden Glasgemälde nicht beteiligt war. Die Erläuterungen zu diesen beiden Glasgemälden belegen andererseits auch, wie wichtig und unabdingbar die Mitarbeit des entwerfenden Künstlers für die Arbeit des Glasmalers ist. Die Entstehung dieser Glasgemälde kann aufgrund der gemachten Beobachtungen auch nach 1920 oder gar nach Muchas Tod 1939 erfolgt sein.

10.15 Muchas architektonische Werke aus Glas Mucha hatte sich also über einen langen Zeitraum mit dem Erstellen von Entwürfen für Glasfenster beschäftigt. Durch die erstmalige Auflistung dieser Arbeiten wird ersichtlich, dass er sich sowohl mit profanen als auch mit sakralen Themengebieten und Auftraggebern beschäftigte. Die Bestellungen für Werke der Glasmalerei kamen in der Regel aus drei verschiedenen Richtungen: Einerseits waren es private Bestellungen, daneben gab es Stiftungen von Personen mit öffentlicher Funktion und Aufträge von Institutionen. 731 Die Kirche vergab auf diesem Gebiet bis ins 19. Jahrhundert die meisten Aufträge. 732 Doch mit dem Einsetzen des Jugendstils, in welchem einerseits das Gesamtkunstwerk immer wichtiger wurde und andererseits auch das Glasgemälde an sich mehr an Bedeutung gewann, änderte sich dies: Um 1900 hatte die sakrale Glasmalerei ihren Tiefpunkt. 733 Umso mehr erstaunt es, dass mindestens

vier oder möglicherweise sogar fünf seiner bisher bekannten Glasarbeiten aus diesem Zusammenhang kommen – wobei unklar ist, wie viele davon tatsächlich ausgeführt wurden. Mucha war ganz offensichtlich nicht oder weniger vom Rückgang der sakralen Aufträge betroffen als andere Künstler. Möglicherweise ist der Grund dafür in der Tatsache zu suchen, dass er sich bereits früh mit monumental großen Werken einen Namen gemacht hatte. Doch auch das Phänomen des Gesamtkunstwerks ist bei Mucha vertreten durch die Boutique von Fouquet in Paris, das Deutsche Theater in New York sowie den Primatorensaal in Prag. Dies zeigt die Bedeutung, die Mucha in Bezug auf dieses charakteristische Merkmal des Jugendstils hatte. Festzuhalten ist auch die große Lücke zwischen seinem hier zuletzt aufgezählten Werk, dem Primatorensaal von 1911, und dem Prager Glasgemälde. Nach dem Abflauen des Jugendstils wurden Glasge-

Abb. der Panneaux: Rennert/Weill 1984, S. 259. Gemäß den Angaben in La Plume handelt es sich dabei um Vorlagen für Druckerzeugnisse, die vom Verleger Champenois entweder auf Velinpapier (1000 Exemplare) oder auf Satin (25 Exemplare) gedruckt wurden (La Plume, 15.10.1899, S. 5, Abb. 169 und 170). 731 Looft-Gaude 1987, S. 63. 732 Looft-Gaude 1987, S. 63. 733 Looft-Gaude 1987, S. 63. 730

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mälde nicht mehr häufig gewünscht, dazu kam sicherlich auch Muchas Stiländerung in seinen Werken während der Zeit in den Vereinigten Staaten. Durch das Abweichen von der dekorativen Kunst des Style Mucha, die ihn bekannt gemacht hatte, folgte eine Periode, die künstlerisch sicherlich nicht derart geeignet für das Medium Glas war. Die Glasgemälde des Primatorensaals sowie des Veitsdoms stellen die einzigen Arbeiten dar, die für diesen Zeitraum und in Muchas Heimat zweifelsfrei nachgewiesen werden können. Daher ist es durchaus denkbar, dass ein Entscheidungsträger in der Banka Slávie, beispielsweise der Präsident Josef Hucl, von Muchas Primatorensaal nachhaltig beeindruckt worden war – auch wenn zwischen diesen Glasgemälden rund 20 Jahre liegen. Wie bereits eingangs erwähnt, werden die Darstellungen von Fenstern des Jugendstils zumeist entweder im musivischen Verfahren oder, was erst durch die Fortschritte der Technik im Laufe des 19. Jahrhunderts möglich wurde, durch Bemalung erzielt. Die hier besprochenen Entwürfe bzw. Glasbilder lassen eine deutliche Tendenz erkennen: Mucha wandte in seinen Werken aus Glas hauptsächlich die Technik der Malerei an. Die Variante der Mosaikverglasung mit beschränktem Einsatz der Malerei wählte er nur für die Entwürfe in Documents décoratifs, wobei es ihm hierbei um eine Vereinfachung der Ausführung ging. Zur Bemalungsart im kalten Farbauftrag, die beim Glasgemälde im Veitsdom zur Anwendung kam, konnte bisher nur eine einzige Parallele gefunden werden: die Scheiben aus Lancey, über die keine Details bekannt sind. Es ist hierbei aber anzumerken, dass die meisten seiner Werke in Glas nur als Entwurf bzw. als fotografische Abbildung erhalten geblieben sind, was keine Schlüsse über die technische Ausführung zulässt. Mucha hatte für alle drei Entwürfen für das

Prager Glasfenster konsequent Bemalung vorgesehen. Diese Wahl Muchas führte beim traditionsbewussten Dombauverein zu Irritation, weil ein Entwurf in der musivischen Technik erwartet wurde. 734 Die Autorin Looft-Gaude bringt die Problematik auf den Punkt: „Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Kirche so stark bewahrenden Charakter hatte, dass herausragende künstlerische Leistungen auf dem Gebiet der sakralen Glasmalerei nur unter erheblichen Schwierigkeiten zustande kommen konnten.“ 735 Vermutlich hätten die Verantwortlichen des Dombauvereins, sofern sie freie Wahl gehabt hätten, Mucha nie für den Entwurf eines Fensters im Veitsdom in Betracht gezogen. Dass sich aber traditionelle Werte und eine moderne Umsetzung eines Kunstwerks trotzdem gut vertragen wird beispielsweise auch mit Alexandre Cingrias Fenster Das Gelübde des Gefangenen für die Kirche Notre-Dame des Marches in Broc (Kanton Fribourg) aus dem Jahre 1944 bewiesen. 736 Holger Brülls schreibt zu den beiden unterschiedlichen Annäherungsarten an die Art der Verglasung: „Die Aufsehen erregenden Künstler- oder Malerfenster verbindet fast ausnahmslos eine gewisse Berührungsangst der Künstler […] gegenüber der „klassischen“ musivischen Technik der Bleiverglasung. Durch sie sieht sich mancher Maler offensichtlich zum Grafiker degradiert, und so liegt der Versuch nahe, sich den grafischen und zeichnerischen Anforderungen dieser Technik zu entziehen und einfach dafür zu sorgen, dass eine Werkstatt unter üppiger Anwendung „bleifreier“ Techniken ein Staffeleibild in Glas transponiert. Manchmal gelingt das – aber nur dann, wenn die Handschrift und Palette des Malers von vornherein eine Affinität zum Glas hat.“ 737 Bei Mucha ist diese von Brülls genannte „Affinität zum Glas“ besonders in seinen Pariser Werken zu spüren. Bei manchen Entwürfen aus Documents décoratifs kann man erst auf den zweiten Blick entscheiden, ob die Zeichnung für Glas oder

Reste der mittelalterlichen, musivischen Glasfenster sind in den Kapellen der Heiligen Sigmund und Andreas (Kapelle Nr. 5 und 14) gefunden worden. Die Bevorzugung der älteren Tradition, also der Mosaikverglasung, entsprach eher dem Usus in kirchlichen Gebäuden in der Zeit des beginnenden 20. Jahrhunderts (s. Kapitel 5.2.4; Kostílková 2000, S. 15–17; Looft-Gaude 1987, S. 63). 735 Looft-Gaude 1987, S. 67. 736 Abb. s. Ausst. kat. Glasmalerei der Moderne. Faszination Farbe im Gegenlicht, Karlsruhe: Badisches Landesmuseum 2011, Karlsruhe 2011, S. 64. Die gesamte Darstellung ist aufgemalt, die einzelnen rechteckigen Scheiben wurden mit dem Verfahren der Betonverglasung angebracht und kommen ohne Bleiruten aus. Der als Künstler, Schriftsteller und Dekorateur sowie als Bühnen- und Kostümbildner arbeitende Alexandre Cingria galt als experimentierfreudig. Aufgrund eines Mangels an Blei während der Kriegsjahre suchte er nach Alternativen bei der Verglasung der Kirche in Broc und fand diese im Material Beton. 737 Ausst. kat. Karlsruhe 2011, S. 44. 734

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Muchas architektonische Werke aus Glas

für einen nicht transparenten Malgrund gedacht ist. Die starken Konturierungen einiger seiner Werke, die nicht für Glasarbeiten vorgesehen sind, stellen einen wichtigen Bestandteil der als Style Mucha bekannt gewordenen und eine Epoche prägenden Gestaltungsweise des Künstlers dar. Diese spezifischen Eigenschaften seiner Werke wurden bereits früh bemerkt, so schrieb Georges Denoinville im Jahre 1897: „Certaines affiches de Mucha ont la grâce et les colorations éblouissantes des vitraux gothiques, la majesté des arabesques et des vieux missels.“ 738 Auch ein im Jahre 1935 erschienener Artikel einer tschechisch-sprachigen Zeitschrift vergleicht Muchas Kompositionen mit Vorlagen von Glasgemälden: „Jeho komposice vypadají jako neuskutečnitelné kartony k malovaným oknům […].“ 739 Der Künstler selbst, mit der Ähnlichkeit seiner Entwürfe zur Gattung der Glasgemälde spielend, fügte auch in einige seiner Werke direkte Bezüge zu Glasgemälden ein: Bei den Panneaux der Vier

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Tageszeiten von 1899 sind die einzelnen Figuren in einen Rahmen eingefügt, der sie lanzettförmig umgibt und an gotische Kirchenverglasung erinnert. 740 Auch andere Darstellungen, insbesondere solche aus seiner dekorativen Phase in Paris, weisen fensterähnliche Umrandungen auf, wie beispielsweise die Vier Jahreszeiten von 1897, die Mucha mit einem Rundbogen über der weiblichen Figur ausstattete. 741 Eine ideelle Eigenschaft von farbigen Glasfenstern unterstützt die Gestaltungsweise des Symbolisten Mucha: Licht gilt vermutlich seit Jahrtausenden als Symbol des Göttlichen und besitzt dementsprechend eine sakrale Bedeutung – es wird also nicht nur als Naturphänomen angesehen. 742 Durch diese Vorstellungen wird der Bildträger Glas beispielsweise zum idealen Medium für die Darstellung religiöser Inhalte, aber auch symbolische Gehalte werden dadurch in ihrer Bedeutung hervorgehoben.

Georges Denoinville: ohne Titel, in: La Plume 1897, S. 455. Francouzská Comoedia o 75 letech A. Muchy (Autor „rek.“), in: Národní listy, 28. 8. 1935, S. 5. Abb. s. Rennert/Weill 1984, S. 233–237. Abb. s. Rennert/Weill 1984, S. 152–157. Looft-Gaude 1987, S. 136.

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11. Die Thematik Kyrill und Method bei Mucha

Mucha konnte, als er im Jahre 1928 von der Banka Slávie für das Fenster im Veitsdom verpflichtet wurde, bereits auf eine lange künstlerische Karriere zurückblicken. Daher mag es nicht erstaunen, dass sich der Künstler bei diesem Auftrag nicht das erste Mal mit der Thematik der Slawenapostel auseinandersetzte. Zumal es im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert ein häufig anzutreffendes Thema war, da sich viele darstellende Künstler in einer Zeit der unsicheren nationalen Zugehörigkeit an traditionellen Werten orientierten. Zwar konnte sich Mucha bei den Entwürfen zum Prager Glasgemälde nicht selbst auf ein bestimmtes Thema festlegen, denn diese Wahl hatte ihm der Auftraggeber abgenommen. Muchas Aufgabe bestand aber darin, bestimmte Darstellungen der Slawenapostel auszuwählen und sie gegenüber anderen dargestellten Elementen im innerbildlichen Zusammenhang zu gewichten. Eine Gegenüberstellung mit den ande-

ren, diese Thematik behandelnden Werken dient dem Vergleich, wie er diese Figuren jeweils dargestellt und welche Aspekte er in anderen Fällen hervorgehoben hatte. Muchas Werke sind unter dem Gesichtspunkt der Darstellung der Slawenapostel noch nie eingehend untersucht worden. Knutson, die eine kurze Abhandlung über Muchas Altarbild von 1887 mit Kyrill und Method publizierte und in diesem Zusammenhang eine erste Übersicht bot, beziffert die Anzahl der betreffenden Werke auf insgesamt drei. 743 Es gibt jedoch noch weitere Werke, in denen die Slawenapostel eine Rolle spielen und die von Knutson nicht berücksichtigt wurden. Muchas Werke mit Darstellungen der Slawenapostel sind über einen großen Zeitraum verteilt – von 1887 bis 1931 – und unter verschiedensten Umständen entstanden.

11.1 Kyrill und Method, 1887 11.1.1 Entstehung Mucha schuf im Jahre 1887 für die Kirche der kleinen tschechischen Gemeinde Pisek in North Dakota ein Altarbild (Abb. 18). 744 Gemäß den Angaben Jiří Muchas war es als Abschlussarbeit der Münchner Akademieausbildung entstanden und mit einem Preis ausgezeichnet worden. 745 Aus seinen Schilderungen lassen sich jedoch weder ein genaues Jahr für den Ausbildungsabschluss festlegen noch Details zur gewonnenen Auszeichnung bestimmen.

Roger Diederen zweifelt an, dass das Altarbild wirklich die Abschlussarbeit von Muchas Akademieausbildung in München darstellt. 746 Neue Erkenntnisse Diederens belegen, dass Mucha seine zweijährige Ausbildung von 1885 bis 1887 in München nie offiziell abgeschlossen hat und dass es daher wenig wahrscheinlich erscheint, dass Mucha je eine Abschlussarbeit in München ausführte. Doch bereits im Jahre 1933 wird dieses Altarbild von Mucha in Jindřich Čadíks Vorwort zur Ausstellung in Hradec Králové erwähnt; so meint Čadík in diesem Zusam-

Knutson schreibt hierzu: „In his life, Alfons Mucha painted three large pictures of Saints Cyril and Methodius. The Pisek picture was the first one of the three. The second one is a picture called Introduction of the Slavic Liturgy in the series of paintings, the Slavonic Epopei […]. The third one is a stained glass window in the beautiful Prague Cathedral of Saint Guy. There are also book illustrations on this subject.“ (Faith Chyle Knutson: Painting by Alfons Mucha Graces Pisek, North Dakota, Church, Pisek 1979, S. 6). Diese Aussage Knutsons muss um mindestens ein weiteres (größeres) Werk erweitert werden. 744 Das Altarbild misst ca. 1,9 m � 3,3 m und befindet sich bis heute in der Kirche in Pisek, USA; s. Ivančický Zpravodaj, Bd. 3 (2009), S. 60. Für eine Abb. in Farbe s. http://www.mfr-eng.com/rumreich/mucha/mucha.htm [6.1. 2020]. Für den Entwurf von 1886 (85 � 45, 5 cm; Öl auf Leinwand; Privatsammlung, Tschechien) s. Ausst. kat. San Diego 1998, S. 285, Kat. Nr. 107. Der Bau der Kirche war im Jahre 1884 von tschechischen Siedlern, die sich in den Vereinigten Staaten niedergelassen hatten, nahe der kleinen Schule des Dorfes Pisek begonnen worden, s. Ivančický Zpravodaj, Bd. 3 (2009), S. 59. 745 Mucha 1965, S. 32. 746 Roger Diederen: Hier leuchtete die Flamme der Kunst. Alfons Muchas Münchner Jahre (1885–1887), in: Ausst. kat. München 2009, S. 21. 743

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Kyrill und Method, 1887

menhang, dass „Mucha seine schulische Auszeichnung in München im Jahr 1887 ehrlich verdient hat“. 747 Offensichtlich muss es also doch eine Preisverleihung gegeben haben, bei der Mucha mit gerade diesem Gemälde als Sieger hervorging – vermutlich handelte es sich aber nicht um die Abschlussprüfungen. Die monatlich erscheinenden städtischen Berichte aus Muchas Heimatstadt Ivančice vom März 2009 nennen als Auftraggeber František Rumreich. 748 Er stammte aus derselben Gemeinde wie Mucha und war einer der ersten Siedler in Pisek. 749 Unklar bleibt aber, wann und auf welche Art sich Rumreich mit Mucha bezüglich des Altarbildes abgesprochen hat. Es ist möglich, dass der Kontakt zu Mucha im nicht sehr großen Ort Ivančice bereits über Muchas Familie bestand und dann über den ebenfalls emigrierten Ehemann von Muchas Cousine Terezie Muchová aufrechterhalten wurde. 750 Die ersten Bewohner der neugegründeten Siedlung schwankten in der Frage des Schutzpatrons für die Kirche zwischen den Slawenaposteln und dem tschechischen Heiligen des 14. Jahrhunderts Jan Nepomucký (dt.: Johannes Nepomuk) und entschieden sich schließlich für Letzteren. 751 Vermutlich wurde während dieser Beratungen das Thema des Altarbildes und dessen Größe festgelegt. In einem Briefwechsel Muchas mit seiner Schwester Anděla sowie seinem Großvater erwähnt Mucha,

dass er bis Juni 1887 ein Gemälde fertig stellen soll, damit es von den in die Vereinigten Staaten Reisenden mitgenommen werden kann. 752 Die ab dem Jahre 1884 erbaute Kirche von Pisek wurde 1887 geweiht. Die in der Forschung erwähnten Datierungen des Gemäldes beziehen sich auf die Vollendung der Kirche in jenem Jahr und den erhaltenen Briefen Muchas, obwohl bis zum heutigen Zeitpunkt auf dem Gemälde selbst noch kein Datum entdeckt worden ist. 753 Der Entwurf zum Altarbild, der erstmals im Jahre 1970 publiziert wurde, weist neben der Signatur Muchas unten rechts auch die Jahresnennung 1886 auf. 754 Geld hatte der Künstler für diese Arbeit offensichtlich nicht verlangt. 755 Es war wohl auch nicht das erste Altarbild, das Mucha für die Kirche in Pisek schuf. Vermutlich kurz vor oder um 1884 entstanden ist ein Gemälde mit dem späteren Kirchenheiligen Jan Nepomucký. 756 Über seinen Verbleib ist jedoch nichts bekannt, ebenso wenig sind Details zur Entstehung und Auftragserteilung bekannt. Es würde sich aber wohl mit dem Verlauf des Auftrags für das Gemälde mit den Slawenaposteln in Einklang bringen lassen: Die neuen Siedler bestellen bei einem jungen und mit den Heiligen vertrauten Künstler, der vermutlich für beide Werke kein Geld verlangt, zwei Altarbilder – das erste zum Baubeginn der Kirche mit dem Abbild des Schutzpatrons, das zweite, mit für die Siedlern ebenso bedeutungsvollen Heiligen, in der letzten Bauphase des Kirchenbaus. Die oben erwähnten Zweifel Diederens an der

Ausst. kat. Hradec Králové 1933, S. 6. Ivančický Zpravodaj, Bd. 3 (2009), S. 59. Auf der Homepage von Mark Rumreich, einem Nachfahren des František Rumreich aus Ivančice, wird als dessen Namen Frank Paul Rumreich angegeben (s. Mark Rumreich: Painting by Alfons Mucha). 749 Pisek wurde 1882 gegründet. Die hauptsächlich böhmisch- und mährischstämmigen Siedler benannten ihre neue Heimat nach der fast gleichnamigen Stadt Písek in Südböhmen. 750 Der Ehemann von Muchas Cousine hieß Johann Schüller; an seine Cousine Terezie Muchová selbst finden sich keine weiteren Nachrichten (Jaroslav Sedlář: Zapomenutý obraz Alfonse Muchy, in: Umĕní, Bd. 1 (1970), S. 101; Knutson 1979, S. 5). 751 Knutson 1979, S. 2: „After such a center was established in Pisek, an argument started among the early settlers about choosing a patron saint for their church. Those from Bohemia favored Saint John Nepomucene […]. The settlers from Moravia favored rather Saints Cyril and Methodius, who were Apostles of the Great Moravia of the 9th century and of all Slavs. There were more Bohemians and several John’s in the parish so they won the argument. Ironically, the Pisek Church was dedicated to Saint John Nepomucene while the picture of Saints Cyril and Methodius makes it famous.“ 752 Die Schwester von Rumreich, die zusammen mit ihrem Bruder in den Vereinigten Staaten angekommen war, sollte es nach einem Aufenthalt in der alten Heimat in ihre neue mitnehmen (Ausst. kat. München 2009, S. 21; Mucha 1986, S. 68–70; Ivančický Zpravodaj, Bd. 3 (2009), S. 60). 753 Ein von Mucha selbst auf dem Gemälde angebrachtes Datum könnte vom Rahmen verdeckt sein. Muchas Signatur wurde erst Anfang der 1950er Jahre vom späteren Pastor zweier Gemeinden in North Dakota, Petr Lekavý, entdeckt (s. Knutson 1979, S. 4, Anm. 16 und S. 6, Anm. 22). 754 Sedlář 1970, S. 100–102. Der Entwurf ist nach Sedlář wohl während Muchas Urlaub von der Ausbildung entstanden, als er beim Grafen KhuenBelasi in Hrušovany nad Jevišovkou (dt.: Grusbach) war, um Fresken in dessen Schloss zum Thema der christlichen Barmherzigkeit zu malen (s. Riedl 1988, S. 357). Möglicherweise war der Entwurf im Besitz des Grafen und überdauerte auf Schloss Emmahof die Zeit des Zweiten Weltkrieges, so Sedlář. 755 Dies geht aus Muchas Briefen an seinen Vater hervor, s. Ivančický Zpravodaj, Bd. 3 (2009), S. 60. 756 Knutson 1979, S. 6, Anm. 23. 747

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Die Thematik Kyrill und Method bei Mucha

Entstehung als Abschlussarbeit entsprechen auch den weiteren hier besprochenen Ereignissen, die das Altarbild als Auftragsarbeit – bzw. als den zweiten Teil davon – ausweisen. Das Altarbild mit den Slawenaposteln in Pisek befand sich viele Jahre an seinem ursprünglichen Aufstellungsort im Hauptschiff der Kirche. Während der folgenden Jahrzehnte wurde die Bedeutung der dargestellten Heiligen und des Künstlers vergessen; auch wurde es in den Chor der Kirche verschoben. 757 In den 1950er Jahren wurde ihm dann erstmals nach langer Zeit durch den gebürtigen Mähren Petr Lekavý aus Brünn wieder ein Urheber zugeordnet: Er erkannte Muchas Stil und sah als erster auch dessen Signatur auf dem Gemälde. 758 Das Altarbild wurde erst kürzlich grundlegend restauriert. 759

11.1.2 Werkbeschreibung Mucha hat für die figürliche Darstellung den klassischen pyramidalen Aufbau gewählt: Der Betrachter sieht Kyrill auf der linken Seite. Er ist mit einer schweren und dunklen Mönchskutte, die mit einer Kapuze sein Haupt bedeckt, bekleidet und hat seinen rechten Arm erhoben, um mit dem Zeigefinger in den Himmel zu weisen. Zu seiner Linken befindet sich der weißhaarige Method, am Boden kniend und sein Haupt sowie seinen Blick nach oben gerichtet. Die Figuren der Slawenapostel weisen eine stark rotierende Drehung auf, was wesentlich zur Dramatisierung der Szene beiträgt. Über ihnen erscheint ein Abbild Gottes auf Wolken. Gottes linker Arm ruht auf der Weltkugel, eine Lichterscheinung umgibt ihn, und zwar wie eine Aureole, die aber ihn

selbst nicht zu erhellen scheint, sodass man vom ihm kaum mehr als die Silhouette sieht. Zu Füßen Kyrills liegen Symbole der besiegten heidnischen Religionen: hölzerne Götzenbilder und Sonnensymbole, die Attribute des slawischen Gottes Radegast. Unten rechts ist als langgestreckter Bau die Klosteranlage Velehrad zu sehen, die im 13. Jahrhundert entstand – im 9. und 10. Jahrhundert soll sich an ihrer Stelle wohl der Sitz des mährischen Fürsten befunden haben. 760 Direkt dahinter sind zwei Hügel zu erkennen und die am besten erhaltene Burg Mährens, die Burg Buchlov. 761 Interessanterweise greift Mucha mit der Darstellung dieser zwei Bauten eine Zeit auf, die deutlich nach den Slawenaposteln zu verorten ist. Vermutlich dienen die beiden Örtlichkeiten mit ihren Bauten als Hinweis auf die blühende Epoche der böhmischen und mährischen Herrscher, die nur durch die Mission von Kyrill und Method ermöglicht wurde. Zwischen den Figuren der Slawenapostel befinden sich, dargestellt in hellen Farbtönen, die bischöflichen Attribute – die Mitra, das Pallium und ein Bischofsstab – sowie ein aufgeschlagenes Buch. Mucha hat insgesamt mit einer fast durchgehenden Trennung von hellen und dunklen Flächen gearbeitet, sodass der Betrachter mit starken Kontrasten konfrontiert ist. Ungewöhnlich für Mucha, insbesondere im Vergleich zu seinen stark flächig wirkenden Pariser Panneaux, die ihn berühmt gemacht hatten, ist die räumliche Differenzierung der Komposition. Die zwei dargestellten Bildebenen – die vordere beinhaltet die Darstellung der Slawenapostel, die hintere den Himmel und die Figur Gottes – heben sich dank der Kontraste deutlich voneinander ab.

Ivančický Zpravodaj, Bd. 3 (2009), S. 61. Ivančický Zpravodaj, Bd. 3 (2009), S. 61. Mehr zu Petr Lekavý s. Kapitel 11.5.1 und Anm. 802. 759 Eine erstmalige gründliche Restaurierung war bereits für die 1980er Jahren geplant gewesen. Federführend in dieser Angelegenheit waren kirchliche Vertreter in Pisek sowie die als Restauratorin arbeitende Tochter von Alfons Mucha, Jaroslava Tersová-Muchová. Sie konnte dann aber wegen der schwierigen Ausreisebedingungen der damaligen Tschechoslowakei nicht in die Vereinigten Staaten gelangen, sodass die Restaurierung damals nicht durchgeführt werden konnte (s. Knutson 1979, S. 5; Ivančický Zpravodaj, Bd. 3 (2009), S. 60). 760 Die tschechische Gemeinde Velehrad liegt im tschechisch-slowakischen Grenzgebiet und ist auch noch heutzutage eine berühmte Pilgerstätte mit einem Kloster. Das Zisterzienserkloster wurde im Jahre 1205 von Jindřich, Bruder des Königs Ottokar I. Přemysl, gegründet (Erhard Gorys: Tschechische Republik. Kultur, Landschaft und Geschichte in Böhmen und Mähren, Köln 1994, S. 361). Angeblich wurde Method in Velehrad bestattet (s. Ivančický Zpravodaj, Bd. 3 (2009), S. 61). Bis heute hält sich eine weitere Legende: Bořivojs Taufe durch Method soll wohl in Velehrad stattgefunden haben (Das Schriftwesen und Schrifttum der böhmisch-slowenischen Völkerstämme. In der Zeit des Überganges aus dem Heidentume in das Christentum, Prag 1867, S. 21), vgl. Kapitel 9.4.1. 761 Ivančický Zpravodaj, Bd. 3 (2009), S. 61. Die Burg Buchlov (dt.: Buchlau) wurde wohl in der Mitte des 13. Jahrhunderts als Sitz der böhmischen Könige erbaut (s. Gorys 1994, S. 361 und 362). 757

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Die slawischen Missionare Kyrill und Method predigen die Lehre Christi in Mähren, 1891

11.2 Die slawischen Missionare Kyrill und Method predigen die Lehre Christi in Mähren, 1891 Diese Darstellung (Abb. 22), die auf tschechisch Slovanšti věrozvěstové sv. Cyril a Methoděj hlásaji učeni Kristovo na Moravě heißt, wurde wohl das erste Mal 1892 in der Zeitschrift Světozor und dann noch mindestens ein weiteres Mal 1928 in einem Geschichtsbuch für schulische Zwecke veröffentlicht. 762 Muchas Signatur unten links weist auf das Jahr 1891 hin. Auf die in der Zeitschrift Světozor publizierte Illustration bezieht sich ein Kommentar im wöchentlich erscheinenden Kulturheftes Jizeran vom 23. Januar 1892. 763 Der kurze Bericht über den damals noch unbekannten Mucha – sein großer Durchbruch mit Sarah Bernhardts Gismonda folgte zum Jahreswechsel 1894/95 – lobt den jungen in Paris lebenden Künstler. Es heißt darin, dass in seinem schönen „Karton“ der Slawenapostel, also wohl dem Entwurf zu einem Gemälde, die wahre Größe des Künstlers zum Ausdruck komme und man mit Spannung große Gemälde und auch „diese Szene“ des Malers erwarte. Weitere Hinweise zu diesem Werk lassen sich nicht finden; daher ist auch nicht bekannt, ob Mucha es auch tatsächlich ausgeführt hat bzw. ob es heute noch existiert. Dargestellt sind die Slawenapostel vor einer Gruppe von Menschen; Kyrill kniet im Gebet zur Rechten Methods, dieser hält in seiner Linken ein Kreuz

und steht aufrecht, mit geradem Blick auf die Menschen. Hinter Method bzw. direkt hinter dem von ihm gehaltenen Kreuz befindet sich ein hohes Steindenkmal in Form einer Sonne – die Strahlen sind nicht nur aufgemalt, sondern auch durch die Form des Steines hervorgehoben. Die Sonne weist in ihrer Mitte ein Gesicht auf. Im Vordergrund, zwischen den Brüdern und den Zuhörern, befindet sich ein großes Weihrauchgefäß, aus dem dunkler Rauch emporsteigt. Daneben steht aufrecht eine männliche Figur mit langem Bart und Zöpfen, den Blick direkt auf die Slawenapostel gerichtet. Es handelt sich dabei wohl um den Anführer der dargestellten Menschen, die – bevor Kyrill und Method zu ihnen kamen – das Götzenbild hinter den Slawenaposteln angebetet hatten. Ein Kind im Vordergrund, bekleidet mit einem hellen langen Kleid und einem mehrfach darum geschlungenen Gürtel, trägt einen auffälligen Anhänger, der an einer langen Halskette auf seiner Brust ruht: eine Sonne mit langen Strahlen. Dem Kind werden die Augen von der hinter ihm sitzenden weiblichen Figur zugehalten. Möglicherweise ist dies ein Hinweis Muchas auf die anfänglichen Widerstände, auf die Kyrill und Method in Böhmen und Mähren stießen.

11.3 Kyrill und Method im Zusammenhang mit dem Pavillon von Bosnien und Herzegowina bei der Weltausstellung im Jahre 1900 in Paris Österreich-Ungarn war mit drei Pavillons bei der Weltausstellung in Paris vertreten: einem österreichischen, einem ungarischen sowie einem für die beiden Provinzen Bosnien und Herzegowina. 764 Letzterer hob insbesondere durch die Mischung aus slawischen, christlichen und muslimischen Merkmalen als Treffpunkt zwischen Ost und West

die kulturelle Einzigartigkeit dieser Region hervor. Insgesamt sollte der Eindruck verbreitet werden, dass die österreichische Administration ein blühendes Bosnien und Herzegowina hervorgebracht hätte. 765 Das Gebäude, entworfen vom Architekten Carlo Panek und am Seine-Ufer zwischen dem Pont des

Světozor, 15.1.1892, Bd. 9, S. 100; Adámek/Dolenský 1928, S. 58. Jizeran, 23.1.1892, S. 5. Der Kommentar erschien rund eine Woche nach der ersten Veröffentlichung der Illustration in Světozor. 764 Ausst. kat.: Alfons Mucha – Pařiž 1900. Pavilon Bosny a Hercegoviny na svĕtové výstavĕ. Alphonse Mucha – Paris 1900. The Pavilion of Bosnia and Herzegovina at the World Exhibiton, Prag: Obecnní dům 2002, Milan Hlavačka, Jana Orlíková, Petr Štembera (Hrsg.), Prag 2002, S. 28. 765 Ausst. kat. Prag 2002, S. 44. Offiziell befanden sich die beiden Provinzen aber immer noch unter dem Sultanat der Türkei und nur de facto unter der Herrschaft ÖsterreichUngarns. 762 763

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Die Thematik Kyrill und Method bei Mucha

Invalides und dem Pont de l’Alma liegend, kann charakterisiert werden als „Hybrid-Pavillon“ in einem „Adriatic-Muslim-South Slavonic style“. 766 Für die Ausgestaltung des Pavillons wurden zwei Künstler engagiert: Mucha und Adolf Kaufmann aus Wien. Letzterer entwarf ein großes Panorama von Sarajewo in der zentralen Halle des Pavillons sowie ein Gemälde des Jajc-Wasserfalls und der Buna-Quelle von Monastyr in den Seitenhallen. 767 Über die Gründe, weshalb gerade Mucha als gebürtiger Mähre für die Dekoration des Pavillons ausgewählt wurde, kann nur gemutmaßt werden. 768 Zu seinen Aufgaben gehörte unter anderem die Dekoration der zweigeschossigen und über 12 m hohen zentralen Halle mit einem figürlichen Gemäldezyklus. Über diesem war ein Fries mit Darstellungen bosnischer Legenden angebracht, unter dem Gemäldezyklus mit historisch-dekorativen Szenen befand sich ein vegetabiler Fries. 769 Mucha hatte im Vorfeld der Weltausstellung vom österreichischen Eisenbahnministerium ein Saison-Ticket für die

Bahn erhalten und war wohl im Jahre 1898 für zehn Tage ins Balkangebiet gereist. 770 Der Raum hatte ungefähr die Masse 16 � 8 m; somit war Muchas Gemäldezyklus nahezu 42 m lang. 771 Der mittlere Bereich der Dekoration, also das eigentliche Gemälde, maß ohne die beiden Friese oben und unten ungefähr 3,5 m in der Höhe. Mucha hatte jeweils Teilstücke aus Leinwand als Untergrund genutzt, die im Pavillon mit Holzleisten fixiert wurden. Von der zentralen Halle gelangten die Besucher zu separaten Räumen mit spezifischen Ausstellungen, beispielsweise einer archäologischen Sammlung oder einer „bosnischen Wohnung“. 772 Diese Aufteilung der Innenräume hatte zur Folge, dass Mucha in seinen die gesamte Wand umspannenden Zyklus immer wieder Durchbrüche für Fenster sowie Durchgänge einplanen musste. Eine Szene aus Muchas Gemäldezyklus wurde von einem Zeitgenossen als La Prédication de l’Évangile en Bosnie (dt.: Die Verkündigung des Evangeliums in Bosnien), Les premiers apôtres chrétiens, le Commencement du christianisme oder spä-

Ausst. kat. Prag 2002, S. 29 und 44; Ausst. kat. München 2009, S. 50. Die zeitgenössische Architektur des Pavillons war angelehnt an christliche und muslimische Vorbilder in Bosnien und Herzegowina. Dies sowie der entwerfende Architekt wurden positiv aufgenommen, weil es keine Sammlung aus Versatzstücken der regionalen Architekturgeschichte war (Ausst. kat. Prag 2002, S. 45). Der Pavillon von Bosnien und Herzegowina war vom Pont des Invalides aus gesehen der fünfte Pavillon. Daneben – in Richtung Pont des Invalides – folgte der Pavillon von Österreich, auf der anderen Seite das ungarische Haus (s. Ausst. kat. Prag 2002, S. 15, Plan und S. 23). Die Straße hieß – weil dort die einzelnen Nationen repräsentiert waren – Rue des Nations. 767 Ausst. kat. Prag 2002, S. 30. 768 Alfred Weidinger fügt Muchas Bekanntheit sowie reiche Erfahrungen mit großen Formaten und auf dem Gebiet der Historienmalerei als mögliche Gründe an, s. Alfred Weidinger: Alfons Mucha und der Pavillon für die osmanischen Provinzen Bosnien-Herzegowina auf der Weltausstellung in Paris 1900, in: Ausst. kat. München 2009, S. 50. 769 Es oblag offensichtlich dem damaligen Direktor des bosnisch-herzegowinischen Landesmuseums zu entscheiden, welche Flächen Mucha mit welchem programmatischen Inhalt ausgestalten durfte (Ausst. kat. München 2009, S. 52). An der Stirnseite der Halle hatte Mucha eine weibliche Figur, Bosnien und Herzegowina symbolisierend, dargestellt. Sie präsentierte dem Betrachter die Waren der Provinzen. Im Gemäldezyklus wird die Geschichte von Bosnien und Herzegowina veranschaulicht. Die drei ersten Szenen stellen die prähistorische Zeit dar (mit Nomaden und einfachen Handwerkern). Darauf folgt die Illustration der römischen Zeit. Weiter sind das Eintreffen der Slawen sowie ein Priester mit Weihrauch dargestellt, der den heidnischen Glauben repräsentiert. Eine weitere Szene zeigt die Einführung des Gerichtssystems mit der Darstellung männlicher Figuren, die mit erhobenen Schwertern einen Eid schwören. Die nächste Sequenz zeigt den gezüchtigten Bogomil und verweist damit auf häretische Christen im 12. Jahrhundert. In der nächsten Szene steht ein bekrönter Herrscher, vermutlich stellvertretend für den Aufstieg des bosnischen Fürstentums ab dem 12. Jahrhundert, danach folgt die Darstellung der drei Hauptkonfessionen: der Islam, das orthodoxe und das katholische Christentum. 770 Ausst. kat. München 2009, S. 51. Während dieser Aufenthalte sind Dutzende von Skizzen entstanden, die wohl in den Museen von Sarajewo und Zagreb aufbewahrt werden (s. Ausst. kat. Prag 2002, S. 45). 771 Ausst. kat. München 2009, S. 50 und 54. 772 Mucha entwarf außer der Dekoration für die Haupthalle des Pavillons einen Einband für den offiziellen Katalog sowie ein Plakat, jeweils für die österreichische Sektion; daneben entwarf er das Titelblatt für die Speisekarte für das im Pavillon untergebrachte Restaurant du Pavillon Bosniaque und malte ein Aquarell des Pavillons, das im Figaro Illustré publiziert wurde. Mucha schuf wohl auch Plastiken für den Pavillon, die Personifikationen der beiden Provinzen darstellten und neben dem Panorama von Kaufmann aufgestellt wurden (Ausst. kat. La Bosnie-Herzégovine. L’exposition internationale universelle de 1900 à Paris, Wien 1900, S. 120: „Alphonse Mucha […] – Sculpture de la décoration du hall central du Pavillon de BosnieHerzégovine“). Des Weiteren war er auch mit Werken vertreten, die er unabhängig von der Weltausstellung geschaffen hatte, beispielsweise mit Schmuckentwürfen. 766

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Kyrill und Method im Zusammenhang mit dem Pavillon von Bosnien und Herzegowina bei der Weltausstellung im Jahre

ter auch The Coming of Christianity bezeichnet. 773 Darauf sind mittelalterlich gekleidete Figuren zu sehen, die sich vor einer ein Tragekreuz in ihrer linken Hand haltenden männlichen Figur verneigen und mit verschränkten Händen beten. Der Mann wurde von Mucha ohne Bart und in liturgischen Gewändern dargestellt und scheint im mittleren Alter zu sein. Zu seiner Linken ist eine in eine Mönchskutte gehüllte Figur zu sehen, ebenfalls mit geneigtem Haupt und betend. Ihr Körper ist teilweise nicht zu sehen: Er wird durch die ornamentale Dekoration verdeckt, die den Durchgang zu einem der Räume des Pavillons schmückt. Hinter der das Kreuz haltenden Hand ist wohl eine aus Stein bestehende Stele dargestellt, die ein Sonnensymbol aufweist. Dass es sich um christliche Missionare handelt wird durch diese aussagekräftige Symbolik belegt. Die sehr prominente männliche Figur im Vordergrund links, zu sehen auf einer aktuellen Fotografie des Gemäldes, stellt mit ihren Lindenblättern im Haar einen deutlichen Hinweis auf einen gesamt-slawischen Zusammenhang dieser Szene dar. 774 Bei den beiden Figuren direkt vor den Protagonisten handelt es sich wohl um das Anführerpaar. Sie beten gemeinsam und mit ineinander verschränkten Händen. Sowohl in der Literatur, die rund um die Weltausstellung des Jahres 1900 erschien, als auch in der

späteren Forschung sind diese beiden Figuren nie namentlich benannt worden. Erschwerend kommt hinzu, dass die Rolle der mittelalterlichen Kirche insbesondere auf dem Gebiet Bosniens seit dem 19. Jahrhundert höchst umstritten ist. Sicher ist aber, dass sich auch in dieser Region die slawischsprachige Liturgie durchgesetzt hatte. 775 Ob die beiden Slawenapostel jemals selbst in Bosnien oder der Herzegowina waren, ist nicht bekannt. 776 Aus der Geschichte der betreffenden Gebiete sind jedoch keine Missionare bekannt, die Muchas Darstellung einleuchtend erklären könnten. Daher muss angenommen werden, dass es sich um die beiden Slawenapostel handelt. Das hier behandelte Gemälde befindet sich heute im Prager Kunstgewerbemuseum. 777 Es wurde offensichtlich zu einem unbestimmbaren Zeitpunkt zwischen der Abnahme der Leinwände im Pavillon und dessen erstmaliger wissenschaftlicher Begutachtung durch das Kunstgewerbemuseum Anfang der 1980er Jahre beschnitten. 778 Der Schnitt geht durch die Figur Kyrills; seine betenden Hände sind noch ansatzweise zu erkennen, ebenso wie der linke Bereich seiner Kapuze. Der linke Arm Methods sowie das Kreuz fehlen, ebenso ein großer Teil der ornamentalen Dekoration bei dieser Szene. Das entfernte Teilstück, ebenso wie ein weiterer herausgeschnittener Bereich, sind verschollen. 779

Die zwei erstgenannten Benennungen stammen aus einem zeitgenössischen Beitrag von Père Abel Fabre (Abel Fabre: Un maitre décorateur. Après une visite au pavillon de Bosnie, in: Le Mois littéraire et pittoresque, Bd. 5 (1900), S. 586 und 588). Die Bezeichnung le Commencement du christianisme findet sich in der Beschreibung des Pavillons in einem offiziellen Begleitbuch zur Weltausstellung; s. Exposition internationale (Hrsg.): Paris exposition 1900. Guide pratique du visiteur de Paris et de l’exposition, Paris 1900, S. 232. Als The Coming of Christianity wird die Szene bezeichnet von: Ausst. kat. Prag 2002, S. 53. Abb. s. Ausst. kat. München 2009, S. 222. Abb. der schwarz-weißen historischen Aufnahme s. Ausst. kat. Prag 2002, S. 86. Zu Père Abel Fabre s. auch Kapitel 10.5. 774 Die Tätigkeit der männlichen Gestalt mit den Lindenblättern im Haar ist nicht gänzlich geklärt; möglicherweise ist er ein Träger des diagonal dargestellten Objektes unter Method, bei dem es sich um einen Altar handeln könnte. 775 Pavel Jozef Šafárik: Geschichte der Slawischen Sprache und Literatur, nach allen Mundarten, Ofen 1826, S. 59. Bosnien wird bei Šafárik in einem Atemzug mit anderen Fürstentümern und Regionen – auch Serbien, Bulgarien, Pannonien und Mähren gehören dazu – genannt, welchen Kyrill und Method die slawischsprachige Liturgie brachten. Davor war das Gebiet unterschiedlichen Herrschern zugeteilt gewesen; später wurde es als Lehen weitgehend von Byzanz gelenkt. Es bestand wohl auch schon vor der Mission von Kyrill und Method ein Bistum, das aber nicht die gesamte Fläche Bosniens einnahm. Durch die direkte Nachbarschaft des Gebietes der Herzegowina zu Bosnien hat es über den hier betrachteten Zeitraum zumeist auch die gleiche Entwicklung erlebt wie Bosnien (s. Gustav Thoemmel: Geschichtliche, politische und topografisch-statistische Beschreibung des Vilajet Bosnien. Das ist das eigentliche Bosnien, nebst türkisch Croatien, der Hercegovina und Rascien, Wien 1867, S. 3 und 4, 39). 776 Dunja Melčić: Der Jugoslawien-Krieg. Handbuch zu Vorgeschichte, Verlauf und Konsequenzen, Wiesbaden 20072, S. 236 und 237. 777 Ebenso befinden sich fünf weitere Teilstücke im Uměleckoprůmyslové museum in Prag. Eine weitere Leinwand ist in einer Privatsammlung in Prag aufbewahrt; Fragmente des oberen Frieses mit Darstellungen bosnischer Legenden und des vegetabilen Frieses sind im Besitz des Musée d’Orsay, Paris (s. Ausst. kat. München 2009, S. 49–55; 212–231). 778 Freundliche Mitteilung von Petr Štembera, Uměleckoprůmyslové museum in Prag, am 12. 8. 2014. 779 Was mit dem fehlenden Stück, das Kyrill abbildet, geschehen ist, ist nicht bekannt. Beim zweiten Fehlstück handelt es sich um die Figur eines Mädchens, das die Königskrone in Händen hält. Es wurde wohl lange nach der Abnahme der Gemälde aus dem Pavillon und deren Verlagerung in 773

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Die Thematik Kyrill und Method bei Mucha

Bei der Betrachtung der Darstellungen aus dem Pavillon fällt auf, dass Mucha den Figuren eine gewisse Statik verliehen hat. 780 Dafür sorgt auch die für Mucha ungewöhnliche Darstellung der Bärte und Haare, die fast ausnahmslos streng vertikal und nur mit minimalen zusätzlichen Schlingen und Ornamenten gestaltet sind. Mucha hatte sich bei den großen Gemälden auf eher wenige Figuren in der vorderen Bildebene konzentriert; die Figuren im Hintergrund sind von ihm farblich zurückhaltend gestaltet, was sicherlich als „Lese-Hilfe“ für die Betrachter gedacht war. Die Darstellung strahlt aber trotz der Ruhe einen spürbaren Rhythmus aus. Dieser kommt durch Bäume, Büsche und Blumenmuster zustande, die Mucha in bestimmten Bildbereichen platziert

hat und deren Aussehen und Gestaltung für die Rhythmisierung sorgen. Auch der aus Gefäßen hochsteigende Rauch wurde von Mucha als taktgebendes Mittel eingesetzt. Die auffälligen, in regelmäßigen Abständen angeordneten Ornamente der Türrahmung sorgen ebenfalls für Anziehungspunkte des Auges und weisen gleichzeitig auf das Ende der einen Szene und den Anfang einer neuen hin. Muchas charakteristische voluminöse Haarformen sucht der Betrachter im mittleren Gemäldezyklus vergeblich, nur beim kleinen Figurenfries darüber kommen sie vor. Durch diese stilistischen Merkmale unterscheidet sich der Gemäldezyklus wesentlich von Muchas Panneaux aus der Pariser Zeit.

11.4 Kyrill und Method im Slawischen Epos Mucha erschuf zwischen 1910 und 1928 den Zyklus Das Slawische Epos, ein insgesamt zwanzig Leinwände gewaltigen Ausmaßes umfassendes Werk. 781 Zehn der Leinwände sind der tschechischen Geschichte gewidmet, weitere drei gehören der allgemeinen slawischen Geschichte an. Fünf Gemälde thematisieren andere Nationen (Russland, Bulgarien, Serbien, Kroatien und Polen), eines die slawisch-orthodoxe Kirche, das letzte zeigt, sozusagen als krönenden Abschluss, die Apotheose der Slawen. Geographisch erstrecken sich die Darstellungen auf das Gebiet zwischen der Ostsee, dem Mittelmeer und dem Schwarzen Meer; die illustrierten Ereignisse der Geschichte umfassen etwa 1500 Jahre. 782 In diesem Zyklus widmet sich Mucha zweimal der Thematik der Slawenapostel: In der Einführung der slawischen Liturgie von 1911 stellt er sowohl Kyrill wie auch Method dar; im Gemälde Simeon, Zar der Bulgaren von 1923 zeigt er die Arbeit der aus Großmähren geflohenen Schüler Methods nach dessen Tod am Hofe des bulgarischen Zaren. Dies

belegt den hohen Stellenwert, den er den Slawenaposteln in der Geschichte der Slawen zuschrieb. Da das Gemälde Simeon, Zar der Bulgaren aber nicht die Slawenapostel zeigt, sondern nur deren Schüler, wird es in der vorliegenden Besprechung ausgeklammert. Mucha hatte die ersten elf vollendeten Werke in den USA (Chicago und New York) Anfang der 1920er Jahre ausgestellt und erntete dafür große Anerkennung. 783 Im Jahre 1928 übergab Mucha den vollendeten Zyklus der Stadt Prag. Die Reaktionen seiner Landsleute waren im Gegensatz dazu zumeist negativer Art: Das Epos sei eine Gigantomanie und entspräche rückständigem Akademismus oder gar von der Geschichte überholtem und verherrlichendem Nationalismus. Muchas Auslegungen waren für seine Landsleute „fast ein wenig peinlich“ – er wurde auch mit dem Vorwurf konfrontiert, dass er unerwünschte Ratschläge in ein Land brächte, das er nicht mehr kenne. 784 Diese Reaktionen hatten

Muchas Heimat herausgeschnitten und vermutlich veräußert (Ausst. kat. München 2009, S. 54). Ein ähnliches Vorgehen scheint beim entfernten Bereich mit Kyrill keinen Sinn zu ergeben, denn es ist nichts darauf wiedergegeben, was man als solitäre Darstellung erachten könnte. Möglicherweise wurde es abgetrennt, um einen leichteren Transport zu ermöglichen, denn es handelt sich dabei um den Bereich, der im Pavillon über einem Durchgang angebracht war und somit – bezogen auf die gesamte Höhe des Gemäldezyklus – nur einen relativ schmalen Streifen einnahm. 780 Abbildungen aller noch erhaltenen Gemälde s. Ausst. kat. München 2009, S. 210–231. 781 Sieben Leinwände haben die Maße 8,10 � 6,10 m, fünf Bilder sind 6,10 bzw. 6,20 � 4,05 m groß, weitere acht haben die Maße 4,80 � 4,05 m (s. Ausst. kat. Moravský Krumlov [2006]). 782 Baum 2014, 2. Absatz. 783 Ausst. kat. Krems 1994, S. 19. 784 Ausst. kat. Krems 1994, S. 19; Mucha 2000, S. 11.

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Kyrill und Method im Slawischen Epos

zur Folge, dass das Epos bald zusammengerollt und eingelagert wurde. 785 Somit konnte der Bedingung Muchas, einen repräsentativen Ausstellungsort in Prag zur Verfügung gestellt zu bekommen, lange Zeit nicht entsprochen werden. Die Werke wurden seit 1963 weit weg von Prag, in Moravský Krumlov in Mähren, präsentiert. 786 Ab 2012 wurden die Werke vorübergehend präsentiert, unter anderem 2012 im Prager Messepalast und 2018 während des Festivals RE:PUBLIKA in Brünn, sind jedoch seit 2018 nicht mehr öffentlich zugänglich. 787 Die inhaltlichen Aussagen des Slawischen Epos sind sehr komplex, wahrscheinlich ist dies mit ein Grund für die Ablehnung der Öffentlichkeit gegenüber diesem Werk. Die Symbolik spielt in seinem Epos eine enorme Rolle und ist vielfach nicht auf Anhieb zu entschlüsseln; Mucha setzte symbolische Elemente einerseits aus dem mystisch-christlichen und andererseits auf dem okkulten-esoterischen Bereich ein. 788 Mucha hierarchisierte seine Botschaften im Epos klar: Die humanistische Nachricht an den Betrachter steht über dem nationalen Begriff und der Auseinandersetzung mit der Geschichte. Wolfgang Denk sieht in erster Linie die symbolische Sprache der Freimaurer aus dem Slawischen Epos sprechen, die bisher kaum Beachtung fand. 789 Diese Darstellungsweise kontrastiert stark mit den üblichen Darstellungen von Slawen bzw. Siegern – vermutlich mit ein Grund für die gesamte Problematik um das Epos.

11.4.1 Die Einführung der slawischen Liturgie, 1912 (Entwurf ca. 1911) In der Einführung der slawischen Liturgie ist die Verlesung der päpstlichen Bulle am Sitz des Nachfolgers Rostislavs, des Fürsten Svatopluk, im Jahre 880 dargestellt. 790 Der auf seinem Thron sitzende Herrscher lauscht den Worten des Diakons, der aus der Bulle des Papstes Johannes VIII. vorliest. Method, dargestellt als vom Sonnenlicht hell erleuchtete Gestalt in fast weißem Gewand, hatte die Bulle aus Rom zu Svatopluk gebracht. Er wartet an der Spitze eines Zuges aus Priestern und wird von zwei seiner knienden Schüler flankiert. Im Vordergrund ist das mährische Volk zu sehen, ebenfalls in kniender Haltung. Das Gemälde zeigt dem Betrachter nicht nur die erfolgreiche Einführung der slawischen Liturgie. Es handelt sich hier um einen komplexeren Zusammenhang: Gleichzeitig mit der Bulle wurde Pater Johannes vom Papst entsandt, der Svatopluk eine geheime Botschaft mitzuteilen hatte: Er solle Method zunächst nicht behindern, aber er selbst solle sich ausschließlich an die lateinische Liturgie halten und später Methods Mission scheitern lassen. 791 Pater Johannes befindet sich direkt an Svatopluks rechter Seite, sein Blick kreuzt den Blick Methods. Der dunkle Himmel verweist auf die Widerstände gegen die Mission; gleichzeitig werden die Protagonisten und ihre nähere Umgebung von goldenem Sonnenlicht angestrahlt. Im oberen Bildteil befinden sich einige schwebende Figuren und bilden einen imaginären, surrealen Ausschnitt in der ansonsten wirklichkeitsnahen Darstellung. 792 Kyrill, der in der Darstellung

Ausst. kat. Darmstadt 1980, S. 8. Mucha Museum/Lebenslauf 2014. 787 Markéta Kachlíková: Slawisches Epos – Alfons Muchas Vision der slawischen und tschechischen Geschichte, 6. 7. 2012, in: deutsch.radio.cz und Muchova epopej se na tři měsíce přestěhuje do galerie v Tokiu (Autor ČTK), 12. 7. 2014, in: metro.cz sowie Mucha Foundation/Timeline 2019. Zukünftig soll in Prag ein Ort für die Präsentation gefunden werden. 788 Ausst. kat. Krems 1994, S. 13. 789 Wolfgang Denk: Mythen, historische Imaginationen und humanistische Botschaft. Das Slawische Epos – ein Nationalepos – aus heutiger Sicht, in: Ausst. kat. Krems 1994, S. 13. Als Beispiel nennt Denk das Gemälde Nach der Schlacht bei Grünwald: Den aus der Schlacht siegreich hervorgegangenen Kriegern setzte Mucha den Ausdruck des blanken Entsetzens ins Gesicht – denn sie erkennen am nächsten Tag ihre Taten als schändlich und es überkommen sie große Schuldgefühle. 790 Abb. s. http://www.muchafoundation.org/gallery/themes/theme/slav-epic/object/213 [6.1. 2020]. Abb. des Entwurfs s. http://www.artplus.cz/cs/aukcni-zpravodajstvi/1/rekordni-mucha, [11. 2. 2014]. Näheres zu Rostislav und Svatopluk s. Kapitel 8.1.2 und Anm. 429 und 430. 791 Ausst. kat. Krems 1994, S. 73. 792 Außer Kyrill sind folgende Figuren schwebend dargestellt: die Gruppe links symbolisiert christianisierte Franken, die Vierergruppe rechts besteht aus dem Kiewer Fürsten Igor mit seiner Frau Olga sowie dem bulgarischen Zaren Boris mit seiner Frau (als Symbol für die Verbindung des Mährer785

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Die Thematik Kyrill und Method bei Mucha

der historischen Ereignisse nicht vorkommt, da er zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben war, ist in der himmlischen Ebene anwesend: Er befindet sich in der linken Bildhälfte, sein Haupt ist mit einer Kapuze bedeckt. Bei den Figuren, die ihn direkt umgeben, handelt es sich vermutlich um Schüler der Slawenapostel. Interessanterweise ist diese „himmlische“ Ebene in einem Entwurf zum Gemälde noch nicht präsent. Das Hinzufügen Kyrills kann als Beleg dafür gesehen werden, dass für Mucha die

beiden Slawenapostel nur zusammen dargestellt werden können. Die Rotunde, deren oberer Bereich von der Gestalt Kyrills leicht verdeckt wird, ist dem Vorbild der Georgsrotunde in Thessaloniki nachempfunden – im erwähnten Entwurf ist diese noch deutlicher zu erkennen. 793 Im Vordergrund, also vor dem festlichen Umzug von Method und seinen Anhängern, steht ein Jüngling mit dem Ring der Einheit in der erhobenen rechten Hand.

11.5 Die Slawenapostel in Muchas Werken und in den drei Entwürfen für das Glasgemälde Nach dieser Übersicht über die Werke Muchas mit Darstellungen der Slawenapostel kann festgestellt werden, dass er gewisse Charakteristika für die Darstellung der beiden Heiligen immer wieder eingesetzt hat, beispielsweise ist die Figur des Kyrill zumeist mit der Mönchskutte bekleidet und mit bedecktem Haupt dargestellt. Jedoch ist in drei der Vergleichsbeispiele sein Kopf derart nach vorne geneigt oder von der Kapuze verdeckt, dass kaum Details des Gesichts zu erkennen sind. Diese Eigenart taucht auch bei der Figur des Kyrill im ersten Entwurf und im ausgeführten Glasgemälde ebenfalls auf. Einige der anderen Szenen des Glasgemäldes zeigen aber einen ansonsten nicht verwendeten Kyrill-Typus: In einigen Szenen ist gut erkennbar, dass er bartlos und mit weißen längeren Haaren dargestellt ist. In Szene 5 hingegen ist Kyrill mit braunen kurzen Haaren wiedergegeben. Es erschließt sich nicht ganz, weshalb der Künstler unterschiedliche Darstellungsarten für die gleiche Figur gewählt hat, denn der Entwurf, der im Prager Nationalmuseum aufbewahrt wird, zeigt die genannten Figuren mit jeweils braunen Haaren. Im zweiten Entwurf sowie für das Gemälde in Pisek hat sich Mucha für einen bärtigen Kyrill entschieden. Während bei der Darstellung der verschiedenen Kyrill-Figuren gewisse Ähnlichkeiten auffallen, scheint es bei der Betrachtung von Method, als habe Mucha keinen bestimmten ikonographischen Ty-

pus des Heiligen bevorzugt. Der Künstler hat ihn sowohl als jungen, bartlosen Mann wie auch als Mann mittleren Alters mit dunklen Haaren und Bart dargestellt. Es überwiegen aber Method-Figuren, die Mucha als älteren Mann dargestellt und mit weißem, langem Bart und ebensolchen Haaren versehen hat. Auch für das Glasgemälde hat Mucha die letztgenannte Darstellungsart gewählt. Auffallend ist hierbei der zweigeteilte lange Bart Methods. Es handelt sich dabei um eine Entwicklung, die bereits im Entwurf davor zu sehen ist, aber ansonsten in Muchas Werk nirgends vorkommt. So unterschiedlich Muchas verwendete Darstellung der Figuren insbesondere bei Method ist, so verschiedenartig sind auch die Situationen, in denen Mucha die Slawenapostel dargestellt hat. Es handelt sich zumeist um Darstellungen in einem handlungsbedingten Zusammenhang, beispielsweise um die Ausführung der slawischsprachigen Liturgie, die ebenfalls im Glasgemälde zu sehen ist (jedoch hier ohne Kyrill). Eine interessante Parallele kann beim Vergleich zwischen der Szene 1 des Glasgemäldes und dem Fresko im römischen San Clemente gemacht werden: Das Fresko zeigt links den byzantinischen Kaiser Michael sowie Kyrill, der vor ihm kniet. Dahinter befinden sich zwei weitere und nicht näher identifizierbare Figuren. 794 Mucha hat die Kom-

reichs mit dem Reich der Kiewer Rus und Bulgariens). Bei den sitzenden Figuren in der Mitte handelt es sich um die beiden Schutzheiligen Vladimír Gleb und Boris, die See- und Kaufleute beschützen (s. Ausst. kat. Moravský Krumlov [2006], o. S.). 793 Ausst. kat. Moravský Krumlov [2006]. 794 Das Fresko aus San Clemente, das bei Ausgrabungen im 19. Jahrhundert zum Vorschein kam, wurde im Jahre 1928 in einem Buch für Schulzwecke, das die tschechische Geschichte in Bildern wiedergibt, abgebildet: Adámek/Dolenský 1928, S. 61.

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Die Slawenapostel in Muchas Werken und in den drei Entwürfen für das Glasgemälde

position für das Glasgemälde sehr ähnlich gestaltet, so hat er ebenfalls am linken Bildrand den sitzenden Kaiser dargestellt und in der gleichen Position, die Kyrill im Fresko von San Clemente einnimmt, kommen bei ihm die Boten vor. Kyrill und Method befinden sich dagegen an der Stelle der beiden nicht identifizierbaren Gestalten. Den Sieg der Slawenapostel über die heidnischen Götter hat Mucha auch unabhängig von der Darstellung von Bekehrten illustriert. In seiner frühesten Auseinandersetzung mit den Slawenaposteln ließ er Kyrill auf Götzenbildern stehen, was deren Unterlegenheit auf eine sehr drastische Art demonstriert. In seinen späteren Werken scheint Mucha mehr auf ein Nebeneinander von christlichem Glauben und traditioneller Mythologie bedacht zu sein, was nicht nur im Zusammenhang mit den Slawenaposteln offensichtlich ist, sondern auch in anderen Werken deutlich wird: In den von Mucha mitentwickelten, umfangreichen Festspielen an der Moldau Slovanstvo bratrské im Jahre 1926 brachte er zahlreiche altslawische Symbole mit ein. 795 Möglicherweise hängt dieser festgestellte Einstellungswandel Muchas gegenüber den ursprünglichen slawischen Göttern mit dem ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert einsetzenden Interesse an der alten Götterwelt zusammen. Ignaz Johann Hanusch versuchte sich als einer der ersten Wissenschaftler auf diesem Gebiet und veröffentlichte mit Die Wissenschaft des Slawischen Mythus, im weitesten, den altpreußisch-lithauischen Mythus mitumfaßenden Sinne einen Versuch, die vorchristliche, altslawische Götterwelt zu ordnen. 796 Etwas später trug Lubor Niederle als einer der ersten Forscher die Ergebnisse aus den verschiedenen Wissenschaften zusammen. 797 Ebenso erwarb sich Josef Růžička

große Verdienste auf diesem Gebiet. 798 In den in diesem Kapitel behandelten Werken könnte möglicherweise schon das kleine Kind in der Illustration von 1891, das die Slawenapostel nicht sehen und beim traditionellen Glauben bleiben soll, ein Hinweis auf das aufkeimende Interesse an und die steigende Akzeptanz der alt-slawischen Götterwelt sein. Verständlicherweise hat es der Künstler größtenteils unterlassen, Symbole aus der altslawischen Götterwelt in ein Werk für eine katholische Kirche zu integrieren. Bei der Darstellung von Radbod im zweiten Entwurf befindet sich mit der Sonne der einzige deutliche Hinweis auf die altslawische Mythologie – außer den bereits erwähnten Attributen der Regionen, die aber auch als freimaurerische Symbole gedeutet werden können. 799 Das oben erwähnte Gemälde des Slawischen Epos stellt eine Besonderheit dar: Die Slawenapostel sind in zwei verschiedenen Bildebenen dargestellt, einer realen und einer imaginären, was Mucha auch in anderen seiner Werke gemacht hatte. 800 Jedoch ist diese die einzige Darstellung mit den Slawenaposteln, bei der sie nicht in der gleichen Ebene auftauchen. Dadurch eröffnen sich für den Künstler wesentlich mehr Möglichkeiten für die Darstellung von Handlungssträngen. Ein stilistischer Vergleich zwischen den hier besprochenen Werken und dem Glasgemälde macht deutlich, dass es große Gemeinsamkeiten zwischen den Gemälden für den Pariser Pavillon und dem Glasgemälde gibt. In beiden Werken wirken die Figuren relativ statisch und sind ohne den für den Style Mucha bekannten, ornamentalen Dekor vorzufinden, einzig die Personifikationen der Regionen im Glasgemälde scheinen hier eine Ausnahme zu bilden;

Muchas Tätigkeit bei den Festspielen 1926 bezog viele Bereiche mit ein; beispielsweise die Gestaltung von Schiffen. Die von ihm dargestellten altslawischen Götter waren beispielsweise Perun, Svantovít und Veles (s. Ausst. kat. Prag 2005, ab S. 15). 796 Hanusch 1842. Ignaz Johann Hanusch (1812–1869), auch Ignác Jan Hanuš, war ein gebürtiger Prager Philosoph und Slawist. 797 Lubor Niederle (1865–1944) war ein böhmischer Archäologe und Historiker. Seine Werke bzw. Werkreihen zu Glauben und Religion der alten Slawen galten lange Zeit als wegweisend, beispielsweise: Slovanské starožitnosti. Oddíl kulturní, Život starých Slovanů, základy kulturních starožitností slovanských, 3 Bde., Prag 1902–1925. 798 Hervorzuheben ist beispielsweise: Josef Růžička: Slovanské Bájesloví (Mythologie), Olomouc 1907. 799 Weitere Angaben zu Radbod s. Kapitel 8.1.2 und Anm. 424. 800 Beispiele für die zwei unterschiedlichen Bildebenen sind: die Darstellungen in den Zwickeln sowie die großen Gemälde für den Primatorensaal im Repräsentantenhaus in Prag (1911); aus dem Slawischen Epos: Die Svantovit-Feier auf der Insel Rügen von 1912 und Der Heilige Berg Athos von 1926. Möglicherweise kann der kleine Fries im Pavillon von Bosnien und Herzegowina von 1900 als erste Darstellung dieser Art gedeutet werden: Mucha hat die figürlichen Darstellungen, die bosnische Legenden zeigen, ausschließlich in verschiedenen Blautönen dargestellt. Sie befinden sich über den „realen“ Darstellungen des großen Gemäldezyklus in der Mitte. Die surreale oder mythologische Ebene in den hier genannten Werken ist ebenso nur in blauer Farbe gestaltet (Abb. des kleinen Frieses: Ausst. kat. München 2009, S. 230 und 231). 795

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Die Thematik Kyrill und Method bei Mucha

auch Details wie die Gestaltung von Bärten und Haaren können hier erwähnt werden.

11.5.1 Mucha und die Slawenapostel Mucha schrieb im Dezember 1911 in einem Brief an seine Frau über die Idee zu den ersten drei Gemälden des Slawischen Epos und deren Entstehen: „[…] Das erste [Gemälde ist] prähistorisch, sozusagen der Uranfang, Adam und Eva der Slawen. So wie ich es schon zu Hause skizziert habe; das zweite aus der Zeit des Heidentums, das Fest der Sonne, und das dritte – Methodius bringt die päpstliche Bulle, durch welche das Slawische zur liturgischen Sprache erklärt wird. Das bedeutete die größte Ausdehnung der slawischen Macht.“ 801 An diesen Worten Muchas wird deutlich, dass er den Slawenaposteln und ihrer Mission bezüglich der slawischen Li-

turgie eine große Bedeutsamkeit zuschrieb. Seine Bewunderung für die Brüder ging wohl aber über das gewöhnliche Maß hinaus. Faith Chyle Knutson war in den 1970er und 80er Jahren über Monsignore Lekavý, einen gebürtigen Mähren, in Kontakt mit Muchas Tochter gekommen, die selbst als Malerin und Restauratorin arbeitete. 802 Knutson berichtet in ihrem 1979 erschienen Buch Folgendes: „Mucha loved the Apostles of the Slavs since his childhood. His daughter has in her father’s souvenirs a little book with the life story of the two saints which Mucha cherished all his life.“ 803 Das genannte Büchlein ist bei den Nachkommen nicht mehr auffindbar und es kann auch nicht mehr eruiert werden, um welches Buch es sich konkret handelte. Es bleibt aber die Erkenntnis, dass die Slawenapostel in Muchas Leben eine wichtige Rolle gespielt haben und ihre Bedeutung für ihn wohl über das künstlerische Interesse hinaus geht.

11.6 Eine Übersicht über die Verehrung der Slawenapostel und deren Niederschlag in der bildenden Kunst bis ins beginnende 20. Jahrhundert Die Verehrung und die bildliche Darstellung der Slawenapostel in Böhmen und Mähren haben bereits eine lange Tradition. Sie unterlagen über die Jahrhunderte gesehen einer wechselhaften Entwicklung: Je nach politischer, sozialer und religiöser Situation wurden die Slawenapostel unterschiedlich gewertet, was sich auch in der bildenden Kunst niederschlug. In der Gründungsurkunde des Klosters Emaus von 1347 werden sie erstmals als Landespatrone Böhmens ausgewiesen; als Schutzheilige Mährens werden sie aber erst um 1400 bezeichnet. 804 In die Anfangszeit dieser Verehrung fallen unter anderem

auch Werke im Veitsdom: Noch aus der Zeit Peter Parlers stammen 21 Büsten im unteren Triforium sowie zehn weitere im oberen Triforium, die ungefähr in der Zeit von 1380 bis 1385 entstanden. Darunter befinden sich auch die Bildnisse von Kyrill und Method. 805 Insgesamt gesehen sind aus dieser ersten Epoche nur selten Bildwerke überliefert. Es folgte eine Zeit, in der die Verehrung der Slawenapostel selten war. Während des 17. und 18. Jahrhunderts gewannen sie an Bedeutung: In der Zeit der Gegenreformation und Rekatholisierung unterstützte die ungarische katholische Kirche einhei-

Mucha 1965, S. 254. Freundliche Mitteilung von Faith Chyle Knutson am 13. 7. 2013. Jaroslava Tersová-Muchová, geboren im Jahre 1909, verstarb 1986. Monsignore Petr Lekavý, geboren im Jahre 1910, besuchte von 1923 bis 1931 das Gymnasium in Brünn (die gleiche Schule hatte auch Mucha besucht). Lekavý war künstlerisch sehr interessiert, insbesondere Muchas Slawisches Epos hatte bei ihm einen bleibenden Eindruck hinterlassen. 1950 war er als Flüchtling in die Vereinigten Staaten gekommen. Er war auch derjenige, der Muchas Signatur auf dem Altarbild in Pisek entdeckte (vgl. Anm. 753). Ende der 1970er Jahre war er Pastor von zwei Gemeinden in North Dakota, Saint Bridget’s Catholic Church in Cavalier sowie Saint Patrick’s Catholic Church in Crystal. Im Jahre 1990 verstarb Lekavý (s. Knutson 1979, S. 4 und Anm. 16). 803 Knutson 1979, S. 6. 804 Martin Eggers: Das Erzbistum des Method. Lage, Wirkung und Nachleben der kyrillomethodianischen Mission, München 1996, S. 119. In der Gründungsurkunde des Klosters Emaus werden sie nach der Muttergottes und dem heiligen Hieronymus eingeordnet. Über die Zeit davor gibt es nur Vermutungen, da stichhaltige Belege fehlen. 805 Bernhard Grueber: Die Kathedrale des heiligen Veit zu Prag und die Kunsttätigkeit Kaiser Karl IV. Eine architektonisch-archäologische Studie, Prag 1869, S. 34; Friedrich 1996, S. 18. 801

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Eine Übersicht über die Verehrung der Slawenapostel und deren Niederschlag in der bildenden Kunst bis ins beginnende 20.

mische Kulte, darunter auch den um Kyrill und Method. 806 Papst Pius VI. legte sogar im Jahre 1777 den 14. März als Gedenktag im gesamten Habsburgerreich fest; die Initiative hierfür kam direkt von Kaiserin Maria Theresia. 807 Aber eine nationale Bedeutung erlangten die Slawenapostel während der Regierungszeit der Habsburger nie.

11.6.1 Die Entwicklungen im 19./20. Jahrhundert Der Umstand, dass Böhmen und Mähren seit dem 16. Jahrhundert Teil des Kaiserreichs Österreich sowie von 1867 bis 1918 Territorien der Doppelmonarchie Österreich-Ungarns waren und die slawische Bevölkerung oft unter ungleicher Behandlung zu leiden hatte, erschwerte oder verunmöglichte das Suchen und Finden geeigneter (Vor-)Bilder mit repräsentativen Funktionen. Andererseits wurde dadurch der innerslawische Zusammenhalt und Erfindungsreichtum gefördert. 808 In Ermangelung offizieller Identitätsbilder – die Doppelmonarchie erachtete Kyrill und Method als rein slawische Erscheinungen 809 – wurde der Blick auf die Vergangenheit gerichtet, um aus historischen Epochen und deren Helden eine eigene nationale Identität abzuleiten. 810 Bei solchen Vorgängen geht es in der Regel um Ereignisse und Persönlichkeiten, die mit positiven Begriffen und Gefühlen verbunden sind. Die Slawenapostel waren dafür prädestiniert: Sie stellen mit der ersten slawischen Schriftsprache und dem christlichen Glauben einen wesentlichen Teil der nationalen Identität. Ins-

besondere seit Anfang des 19. Jahrhunderts war der Einfluss der Slawenapostel enorm groß; als Beispiel für ihre Verehrung nennt Palacký das alte Kirchenlied Gospodi pomiluj ny, das angeblich direkt von Kyrill und Method stammen soll. 811 Aber auch bei den bildlichen Darstellungen war in dieser Zeit ein deutlicher Aufschwung zu spüren. Da viele Details aus dem Leben von Kyrill und Method weder festgehalten noch belegt sind, ergibt sich die Möglichkeit, diese unbekannten Parameter aus Mythen, Legenden oder Vermutungen zu ergänzen. 812 Die meist emotional aufgeladenen Ergänzungen führen dazu, dass die nach Identität suchenden Menschen die betreffenden Helden oder Epochen als noch positiver wahrnehmen. 813 Die Tendenz der Mythenbildung wird auch auf künstlerischer Ebene sichtbar: Die im Laufe der Zeit hinzugefügten Ergänzungen finden Eingang in die Darstellungen zeitgenössischer Künstler, beispielsweise wurde Kyrill häufig als Urheber der kyrillischen Schrift inszeniert, auch wenn schon relativ früh auf wissenschaftlicher Ebene die Genese der Kyrilliza über den Zwischenschritt der Glagoliza belegt war. Auf diese Weise lässt der Künstler neue Bilder bzw. Ikonographien und Darstellungsmuster entstehen – er ist somit derjenige, der die Auseinandersetzungen in der Gesellschaft auf der Suche nach nationaler Identität in ihrem Wandel festhält. Für die Slawenapostel lässt sich diesbezüglich Folgendes festhalten: Ab dem 19. Jahrhundert ist eine deutliche Trennung aufgrund der jeweils zu-

Hannes Stekl, Elena Mannová (Hrsg.): Heroen, Mythen, Identitäten. Die Slowakei und Österreich im Vergleich (Wiener Vorlesungen, 14), Wien 2003, S. 56. 807 Stekl/Mannová 2003, S. 56. 808 Beispielsweise wurden verschiedene Vereine, die in Wahrheit politische Ziele verfolgten, unter scheinbar harmlosen Vorwänden gegründet. Der Verein Sokol, der zwar schon um 1860 gegründet wurde und zunächst wohl tatsächlich ein Turnverein war, erhielt in den folgenden Jahrzehnten eine brisante Bedeutung, vgl. Anm. 296. 809 Hultsch 2011, S. 233. 810 Miháliková 2004, S. 44. 811 Palacký 1836, S. 138. Das Kirchenlied ist auch heute noch in der heutigen Tschechischen Republik und der Slowakei sowie in der orthodoxen Kirche bekannt. Weitere Angaben zum Lied: Anm. 556. 812 Miháliková 2004, S. 74. Ein Beispiel für die Diskussion um bestimmte Details aus dem Leben der Slawenapostel ist die Frage nach dem (Erz-)Bistum, das Method wohl nach 870 vom Papst erhalten hatte. So schrieb Moriz Faber 1909, dass es „an sich schon ganz ausgeschlossen [sei], dass zur Zeit der Kaiser Michael III. oder gar seiner beiden Nachfolger innerhalb der byzantinischen Einflusssphäre ein so großes lateinisches Erzbistum mit so vielen Bistümern, deren Mehrzahl auf damals noch byzantinischem Territorium lag, hätte […] errichtet werden können“ (Moriz Faber: Das Recht des Erzbischofs von Antivari auf den Tital Primas von Serbien, in: Wissenschaftliche Mitteilungen aus Bosnien und der Herzegowina, 1909, S. 365). 813 Miháliková 2004, S. 102. 806

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Die Thematik Kyrill und Method bei Mucha

geschriebenen Tätigkeiten der Brüder zu erkennen. 814 Kyrill wurde nun als Mönch mit entsprechender Tracht und bedecktem Haupt dargestellt, seine Attribute waren typischerweise ein Buch und ein Kreuzstab; Method wurde dagegen als Erzbischof wiedergegeben, der in einer Hand ein Gemälde des Jüngsten Gerichts hält und mit der anderen Hand den Segensgestus ausführt. Davor, also zwischen dem 14. und dem 18. Jahrhundert, wurden beide Slawenapostel in Böhmen „fast ausnahmslos als bartlose lateinische Bischöfe“ gezeigt. 815 Auch Muchas Darstellungen der Slawenapostel bilden hier keine Ausnahme und gliedern sich in die ab dem 19. Jahrhundert übliche Spaltung der jeweiligen Tätigkeitsfelder von Kyrill und Method ein. Bei ihm lässt sich jedoch noch eine weitere Tendenz feststellen: Er orientierte sich an keiner bestimmten, festgeschriebenen Ikonographie, die beispielsweise die jeweiligen Attribute für Kyrill und Method vorschreibt, sondern passte das Aussehen und die dargestellten Handlungsmomente jeweils der intendierten Gesamtaussage seines Werkes an und integrierte absichtlich auch wissenschaftlich bereits nicht mehr haltbare Zusammenhänge wie jenen zwischen der kyrillischen Schrift und Kyrill. Neben einer Anreicherung der Viten mit Mythenbildern und einer dadurch entstehenden Neubewertung auf künstlerischer Ebene genossen die Slawenapostel ein vermehrtes Interesse seitens der Wissenschaft. Diese Entwicklung ist als Teil der noch jungen universitären Disziplin der Slawistik zu sehen, die mit dem vielseitigen Gelehrten Josef Dobrovský ihren Anfang nahm. 816 Dobrovský und seine Nachfolger stützten sich auf die umfassenden

Werke von František Palacký, die eine erste ideologische Basis und Einordnung der Slawen und deren Geschichte bildeten. 817 So hatte sich auch schon Palacký äußerst positiv über die Slawenapostel geäußert: Er nannte es „eine hochwichtige That“, dass Kyrill und Method berufen wurden und nach Mähren kamen. 818 In einem anderen Zusammenhang äußerte er sich folgendermaßen über die Brüder: „So knüpft sich an […] Methods Namen auch das folgenreichste Ereigniß der alten böhmischen Geschichte, die Taufe des Herzogs Boříwoj und dessen Gattin, der heil. Ludmila; und somit der vollendete Sieg des Christenthums über das Heidenthum in Böhmen.“ 819 Ebenfalls ein Resultat der Mythenbildung und vermutlich mit ausschlaggebend für die Bedeutung der Slawenapostel bezüglich der nationalen Identität war die Frage nach der Herkunft der Brüder. Sie wurde noch lange Zeit von einer großen Mehrheit der Forscher zugunsten einer slawischen Abstammung beantwortet. 820 Die Slawenapostel wurden ab dem 19. Jahrhundert vermehrt auch in andere Lebensbereiche miteinbezogen, so beriefen sich etwa patriotisch ausgerichtete Vereine vermehrt auf sie: Beispielsweise benannte sich die im Jahre 1848 als Jednota moravská (dt.: Mährische Vereinigung) gegründete Gruppe im darauffolgenden Jahr in Národní jednota sv. Cyrila a Metoděje (dt.: Nationale Vereinigung der hl. Kyrill und Method) um. 821 In Rom kamen in der Unterkirche von San Clemente ab 1857 bei den aufsehenerregenden Ausgrabungen unter der Leitung von Joseph Mullooly Fresken aus dem 9. bis 11. Jahrhundert zum Vorschein; ein Teil davon wurde als Darstellung der Slawenapostel zusammen mit Christus, den Erz-

Anne Hultsch: Ein Russe in der Tschechoslowakei. Leben und Werk des Publizisten Valerij S. Vilinskij 1901–1955 (Bausteine zur slavischen Philologie und Kulturgeschichte, 68), Köln et. al. 2011, S. 233. 815 Hultsch 2011, S. 233. 816 Josef Dobrovský (1753–1829) beschäftigte sich eingehend mit der Sprachforschung, aber auch mit der tschechischsprachigen Literatur und Kultur. Auf ihn gehen umfangreiche Wörterbücher, die allererste Ausgabe einer altkirchenslawischen Grammatik und viele andere bedeutende Schriften zurück (s. beispielsweise Milan Machovec: Josef Dobrovský, Prag 2004). 817 Mehr zu František Palacký s. Anm. 112. 818 Palacký 1836, S. 117. 819 Palacký 1836, S. 135. 820 So schrieb beispielsweise Franz Přikryl 1920, die Familie der Slawenapostel sei „rein slavisch, bloß der Religion nach war sie griechisch.“ (Přikryl 1920, S. 24). S. auch: Franz Grivec: Die Heiligen Slavenapostel Cyrillus und Methodius, Olmütz-Mainz 1928, S. 15 und S. 168, Anm. 1. Franz Grivec selbst war aber der Auffassung, dass die Eltern von Kyrill und Method griechischer Abstammung gewesen seien. Heute geht die Forschung zumeist davon aus, dass Kyrill und Method griechischer Herkunft waren. 821 Hultsch 2011, S. 232. 814

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Eine Übersicht über die Verehrung der Slawenapostel und deren Niederschlag in der bildenden Kunst bis ins beginnende 20.

engeln Michael und Gabriel sowie dem Apostel Andreas und Clemens interpretiert. 822 Sicherlich einen bedeutenden Anteil an der Entwicklung im 19. Jahrhundert haben drei vielbeachtete 1000-jährigen Jubiläen: In den Jahren 1863, 1869 und 1885 wurde der Slawenapostel wegen der erstmaligen Ankunft in Großmähren sowie ihrer Todesjahre gedacht. Diese Ereignisse wurden in der slawischen Welt vielerorts von mehreren Hunderttausend Menschen öffentlich gefeiert und von der katholischen Kirche bekannt gemacht. 823 In der westlichen Welt hingegen, insbesondere in Rom, löste erst ihre Heiligsprechung durch Papst Leo XIII. im Jahre 1880 eine verstärkte Verehrung aus. Ausdruck dessen waren beispielsweise Kapellenweihungen zu Ehren der Slawenapostel, beispielsweise in der Kirche San Clemente. 824 Auch auf den Gebieten der späteren Tschechoslowakei gab es zahlreiche Weihen von Kirchen und Kapellen, ein Beispiel ist die Kaple sv. Cyrila a Metoděje (dt.: Kapelle der Heiligen Kyrill und Method) auf dem Berg Radhošt’ in Mähren, die im Jahre 1885 erbaut worden war. 825 In Prag selbst wurden im Zusammenhang mit den Slawenaposteln ebenfalls Gotteshäuser erbaut, so die im Jahre 1902 erbaute Kathedrale St. Peter und Paul auf dem Vyšehrad:

Der im Jahre 1910 von Jan Kastner geschaffene Altar zeigt insgesamt 21 Figuren um den gekreuzigten Christus, darunter befinden sich auch die Slawenapostel. 826 Ein für die Stadt Prag sehr präsentes Beispiel aus den folgenden Jahrzehnten ist sicherlich die Statuengruppe von Kyrill und Method auf der Karlsbrücke, die Karel Dvořák in den Jahren 1928 bis 1938 schuf. 827 Insgesamt lassen sich also verschiedenste Gründe zusammentragen, die zu einem regelrechten Auftrieb der beiden Heiligen führten und die Rezeption der Slawenapostel in der Kunst befeuerten. Sie begleiteten den Prozess der Bildung eines nationalen Bewusstseins von Anfang an und spielten auch später im 20. Jahrhundert noch eine wichtige Rolle. 828 Nach der Zerschlagung der Tschechoslowakei im Jahre 1939 entstanden das Protektorat Böhmen und Mähren sowie der Slowakische Staat als Satellitenstaat des Deutschen Reiches. Dadurch mussten neue Banknoten und Münzen für die beiden Landesteile hergestellt werden: Die slowakischen 10und 20-Kronen-Münzen wurden mit Kyrill und Method versehen. 829 In anderen slawischsprachigen Ländern und Regionen spielen die Slawenapostel in der kirch-

Obwohl die Namen ausgerechnet bei den beiden betroffenen Figuren nicht wie bei den anderen beigeschrieben stehen, so war die damalige Forschung doch überzeugt, Kyrill und Method vorgefunden zu haben: „The elder, who is believed to be S. Cyril, is tonsured and wears a beard; he holds in his right hand the book of the Gospels, the left hand is open and extended towards our Saviour. He is affectionately guarded by the Archangel Gabriel who has one hand resting on his shoulder; S. Clement, who has also a book in his left hand, makes with his right a gesture of recommendation of him to whom he is indebted for the honour paid to his relics. The other ecclesiastic, believed to be S. Methodius, holds a chalice in his hands which are covered with a white veil. He is clean-shaven, after the manner of the Latins, and tonsured. Behind him stands the Archangel Michal, and beside him S. Andrew.“ (s. Nolan 1925, S. 95, 96, 98–100; Abb. S. 97). Das Fresko soll nach der Meinung von Forschern ein kommemoratives Altarbild oder eine Darstellung eines bestimmten Urteils gewesen sein und das darunter aufgefundene Grab wahrscheinlich die Gebeine von Kyrill enthalten. Das Fresko, das Kyrill vor dem byzantinischen Kaiser Michael zeigt, wurde unter anderem auch 1928 in einem für Schulzwecke konzipierten Bildwerk zur tschechischen Geschichte abgebildet (Adámek/Dolenský 1928, S. 61). 823 Stanislav Balík: Kyrill und Method. Verehrungsgeschichte, in: Samerski 2009, S. 164. 824 Für mehr Informationen s. Louis Nolan: The Basilica of S. Clemente in Rome, Rom 19253, S. 43–49. Jedoch waren die Slawenapostel in Rom auch bereits vor ihrer Heiligsprechung bekannt gewesen, wie eine Darstellung ebenfalls aus der Kirche San Clemente belegt: An der Wand oberhalb des Hauptportals finden sich Kyrill und Method wieder – dargestellt 1711/16 durch den Künstler Pietro Rasina. 825 Kaple sv. Cyrila a Metoděje 2005, S. 5. Für die Statuengruppe von Kyrill und Method vor der Kapelle s. Kapitel 8.2.5.2. 826 Stephen Brook: Prag und Tschechien (Der National Geographic Traveler), Hamburg 2003, S. 126; Walter Koschmal, Marek Nekula, Joachim Rogall (Hrsg.): Deutsche und Tschechen, Geschichte, Kultur, Politik (Beck’sche Reihe, 1414) München 20032, S. 162, 163. 827 Hultsch 2011, S. 233. 828 Miháliková spricht Kyrill und Method auch noch in späterer Zeit einen großen Anteil an der nationalen Identität zu und belegt dies mit folgender kurioser Geschichte: „Laut Aussage des Historikers Jozef Hal’ka entstand im Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei (KSČ) nach dem kommunistischen Umbruch der Plan, eine „Nationalkirche“ mit Kyrill und Method an der Spitze zu gründen. Man wollte die beiden Apostel als erste Träger der Idee des Sozialismus, der Bruderschaft mit dem „Osten“, hier also mit der Sowjetunion, präsentieren. Die Kommunisten standen nämlich vor dem Dilemma, nicht zu wissen, was sie mit der katholischen Kirche machen sollten, weil diese mit dem Vatikan verbunden war, der wiederum den Kommunisten als Verbündeter des amerikanischen Imperialismus galt. Es entstand deshalb der Plan, die Trennung der Kirche von Rom zu betreiben, wozu Kyrill und Method als Träger des slawischen Gedankens dienen sollten.“ (Miháliková 2004, S. 75). 829 Miháliková 2004, S. 43. 822

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Die Thematik Kyrill und Method bei Mucha

lichen Kunst ebenfalls bis heute eine Rolle. In der orthodoxen Kirche werden die Slawenapostel bis heute als Heilige verehrt und zumeist als IkonenBildnisse dargestellt. 830 Sie gehören beispielsweise in Bulgarien zu jeder Kirche, prägen das Leben und den Glauben der orthodoxen Bevölkerung und sind Nationalheilige. Aber auch hier lässt sich ein deutlicher Zusammenhang mit dem Prozess der nationalen Identitätsfindung erkennen: Bulgarien

war fast 500 Jahre lang Teil des Osmanischen Reiches und gelangte erst im Jahre 1878, durch den Frieden von San Stefan, zur Unabhängigkeit. Die Gedenk- und Feiertage zur Erinnerung an die Brüder allerdings überdauerten viele Jahrhunderte und dies scheinbar ohne einen nationalen Hintergrund. 831 Universell gesehen gelten Kyrill und Method auch heute noch als beständige Symbole der Bildung, der Kultur und des Christentums. 832

Claudia Weber: Auf der Suche nach der Nation. Erinnerungskultur in Bulgarien von 1878–1944, Berlin 2006, S. 45. Weber 2006, S. 45 (zitiert aus: Gatja Simeonova: Denjat na Kiril i Metodji, Sofija 1994, S. 9–41). Die erwähnten Gedenk- und Feiertage sind der 14. Februar sowie der 14. Oktober (für Kyrill) und der 6. April sowie der 11. Mai (Method gewidmet). 832 Miháliková 2004, S. 80. 830 831

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12. Muchas Werke im Sinne einer nationalen Identität – eine „Frage des nationalen Ganzen“? Wie bereits in Kapitel 11.6 geschildert wurde, ist die Thematik der Slawenapostel für Böhmen und Mähren sehr bedeutsam für die Entwicklung einer eigenen nationalen Identität. Das Glasgemälde im Prager Veitsdom stellt diesbezüglich aber keine Ausnahme in Muchas Werk dar – der Künstler spielte insgesamt eine wesentliche Rolle für die Bildung der nationalen Identität der Tschechoslowakei. Zum Ausdruck kommt Muchas Bedeutung insbesondere bei Betrachtung der Projekte, die direkt mit der Staatsgründung 1918 zusammenhängen: Er kreierte das neue Staatswappen, aber auch die ersten Briefmarken für den jungen Staat. Mit der Arbeit zu letzteren hatte er bereits vor der offiziellen Gründung des Staates begonnen, Jiří Mucha schreibt hierzu: „Schon im Mai 1918 unterhielt er [Alfons Mucha] Beziehungen zu illegalen Organisationen und zeichnete die ersten tschechoslowakischen Briefmarken mit der Silhouette der Prager Burg, die noch vor dem Zusammenbruch der österreichisch-ungarischen Monarchie gestochen und gedruckt wurden, sodass sie schon am 18. De-

zember 1918 in Umlauf gebracht werden konnten.“ 833 Jan Plachetka führt drei wesentliche Gründe an, die zur Wahl Muchas führten: Der Künstler war international hochangesehen, insbesondere in den USA und in Frankreich, außerdem hatten gerade diese beiden Staaten großen Einfluss auf die Entstehung der Tschechoslowakei, indem sie den Widerstand förderten, und schließlich war Mucha für seinen großen Patriotismus bekannt. 834 Vermutlich waren es auch die gleichen Gründe, die ihm den Auftrag für die ersten tschechoslowakischen Banknoten einbrachten. Es stammen zwar nicht alle Entwürfe der ersten und zweiten Emission, die in den Jahren 1919 bzw. 1920 bis 1923 in Umlauf kamen, von Mucha; einige der herausgegebenen Banknoten gehen auf Künstler wie František Kysela oder Ferdinand Schirnböck zurück. 835 Doch Muchas Engagement diesbezüglich ist nicht zu unterschätzen: Er hat bei vier von insgesamt vierzehn Noten der zwei Emissionen beide Seiten gestaltet, bei zwei weiteren Scheinen hat er jeweils eine Seite entworfen. 836

Mucha 1965, S. 260 und 261. Mit den „illegalen Organisationen“ meinte Jiří Mucha den tschechoslowakischen Nationalausschuss, der das oberste Organ des Widerstandes war und vor allem aus dem Ausland operierte. Dieser Ausschuss ging im Oktober 1918 über in die erste Regierung des neuen Staates; die Mitglieder legten also den Grundstein für den Staat und kümmerten sich auch um Angelegenheiten wie beispielsweise die Frage nach den ersten Briefmarken. Die von Mucha gestalteten Briefmarken sind folgende: Zunächst das Motiv Hradčany, also die Prager Burg mit dem Veitsdom. Wegen Problemen mit den Druckerzeugnissen erschien diese in fünf Varianten und in verschiedenen Werten (Veröffentlichung von Dezember 1918 bis Anfang 1920). Die erste Ausgabe war geschnitten, also ohne Zähnung. Dieses Motiv war wegen der Platzierung der Sonne im Norden umstritten. Daher wurden die letzten zwei Varianten von Hradčany ohne die Sonne hergestellt. Die weiteren Briefmarken von Mucha waren: ein Motiv mit zwei Tauben in verschiedenen Werten, herausgegeben zwischen 1919 und 1920. Das Motiv eines fliegenden Falken zierte die ab 1918 gültige Zeitungsmarke der Tschechoslowakei; eine Gedenkmarke von Mucha mit einem Hussiten kam 1920 und 1921 heraus. Weitere Angaben sowie Abbildungen zu Muchas Briefmarken s. Gerhard Batz: Eine unbekannte Seite von Alfons Mucha. Alfons Mucha und seine Briefmarkenentwürfe, in: http://www.batz-hausen. de/mucha.htm [17.11. 2020]; Bridges 1980, S. 182; Jan Plachetka: Hradčany přes noc zrozené (O první čs. známce malíře Alfonse Muchy), in: Beilage der Mladá fronta, 28.10.1988, S. 4–5. Die erste von Mucha gestaltete Briefmarke Hradčany führte zu großen Diskussionen, weil er deren Ansicht von Süden aus nach Norden blickend gewählt hatte und hinter dem Veitsdom dennoch die (von Mucha symbolisch gemeinte) Sonne zu sehen ist. Zugleich stellt sie aber jene Marke dar, die bis heute noch am bekanntesten ist und unter Sammlern – durch ihre unzähligen Varianten und teilweise unsauberen Druckergebnisse – hohe Preise erzielt. 834 Plachetka 1988, S. 4. 835 Ursprünglich war nur eine Emission, also eine Ausgabe, der Banknoten geplant gewesen. Diese wurde aber in den schlecht ausgestatteten heimischen Druckereien erstellt. Bereits nach kurzer Zeit stand fest, dass wegen der miserablen Druckerzeugnisse weitere Scheine produziert werden mussten. Die ersten Ausgaben der zweiten Emission druckte man deshalb im Ausland; vgl. Kapitel 7.5. 836 Aus der ersten Emission kreierte Mucha vier (von insgesamt sieben) Noten; davon übernahm er bei Dreien jeweils die Vorder- und Rückseite. Es handelt sich dabei um die Scheine mit den Werten von 20, 100 und 500 Kronen, die alle am 15. 4.1919 ausgegeben wurden. Zudem trägt der 10Kronen-Schein dieser Emission auf der Rückseite Muchas Gestaltung. 833

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Muchas Werke im Sinne einer nationalen Identität – eine „Frage des nationalen Ganzen“?

František Kysela hingegen hat nur an einer Banknote mitgewirkt. 837 Muchas Engagement beschränkte sich aber nicht auf diese hochoffiziellen nationalen Symbole. Viele weitere Projekte mit nationalem Charakter kamen hinzu – Muchas Sohn schreibt hierüber: „Neben Banknoten und Marken entwarf Vater jetzt noch eine ganze Reihe von Gegenständen öffentlichen Charakters, ob das nun der Orden des Weißen Löwen oder die Uniformen der Polizei waren. Der neue Staat richtete sich ein, und für Vater war es eine Selbstverständlichkeit, dass er jeden Entwurf, um den er gebeten wurde, umsonst lieferte, und die staatliche Verwaltung, die sich sehr bald nach dem Idealismus der ersten Revolutionstage ernüchterte, nahm bereitwillig die Geschenke eines idealistischen Künstlers entgegen.“ 838 Interessanterweise kann diesbezüglich eine Tendenz in Muchas Schaffen festgestellt werden, die sich schon mehrere Jahre vor der eigentlichen Gründung der Tschechoslowakei abzeichnete: In diesen Zusammenhang gehört sicherlich auch die in der vorliegenden Arbeit bereits erwähnte Ausgestaltung des Primatorensaals im Prager Repräsentantenhaus, mit der er im Jahr 1909 beauftragt worden war. Der Obecní dům wurde als politisches Zentrum und als bedeutungsvoller repräsentativer Bau von Prag konzipiert, dessen Relevanz auch durch die Tradition eines ehemaligen Königshofes an der gleichen Stelle hervorgehoben wird. Zudem wählte Mucha gezielt Darstellungen, die sich auf Tugenden oder Helden beziehen; Wittlich stellte hierzu fest: „Mit dem Pathos der Wandtriptyks im Oberbürgermeistersaale hat sich Mucha unverhohlen zu dem ultranationalen Flügel der tschechischen Gesellschaft bekannt.“ 839 Diese bisher erwähnten Projekte und Aufträge haben eine große Gemeinsamkeit: Sie wurden jeweils von offiziellen Stellen vergeben und repräsentieren

daher auch den städtischen oder staatlichen Willen. In Muchas künstlerischem Werk finden sich aber weitere Arbeiten, die sich stark mit der nationalen Frage und Identität auseinandersetzen, aber auf Muchas eigenes Bestreben zurückzuführen sind, wie beispielsweise das Slawische Epos. Eine dritte Kategorie von Werken resultiert aus Aufträgen Dritter, beispielsweise Privatpersonen oder Firmen. Das Glasgemälde im Veitsdom sowie auch die anderen Projekte der Banka Slávie sowie die im Zusammenhang mit der Figur der Slavia entstandenen Werke von 1907 und 1908 gehören hierzu, ebenso das Plakat Krajinská výstava v Ivančicích (dt.: Bezirksfest in Ivančice) von 1912/1913 840, auch das bereits erwähnte Plakat Jarní slavnosti pěvecké a hudební v Praze (dt.: Frühlingsfest des Gesanges und der Musik in Prag) von 1914. Institutionelle Aufträge scheinen bei Mucha häufig ein lokalpatriotisches Interesse gehabt zu haben; diese Tendenz stellte bereits Looft-Gaude bezüglich der Vergabe von Glasgemälden fest. 841 Im Falle von Muchas Glasgemälde war – neben der bereits ausgeleuchteten Thematik von Kyrill und Method – sicherlich auch der Anbringungsort von großer Bedeutung. Čeněk Chyský formuliert dies in seinem zur Fertigstellung des Veitsdoms erschienenen Buch folgendermaßen: „Daher kann man verstehen, warum unsere Regierung […] für seine [des Veitsdomes] Fertigstellung bis 1929 fünf Millionen Kronen aus öffentlichen Mitteln genehmigt hat, denn es geht tatsächlich nicht nur um ein Thema der Kirche, sondern um eine Frage des nationalen Ganzen.“ 842 Muchas ohnehin schon patriotisch gefärbte Darstellungsweise wurde also bei diesem Werk auf zweifache Weise verstärkt: Einmal durch die von der Banka Slávie gewählte Thematik und einmal durch die Platzierung des Werkes im Veitsdom, der ein Symbol des „nationalen Ganzen“ war. Für Mucha selbst war die Frage der nationalen Identität eine sehr bedeutende. Zur Eröffnung einer

Den 100-Kronen-Schein der zweiten Emission (Ausgabe 15.1.1920) versah er mit der Slavia auf der Vorderseite. Ebenfalls zur zweiten Emission gehört der 500-Kronen-Schein (Ausgabe 6.10.1923), dessen Vorder- und Rückseite er schuf. Für weitere Angaben s. auch Kapitel 7.5. 837 Kysela gestaltete die 50-Kronen-Note der zweiten Emission (Ausgabe: 12. 7.1922), die ab 26. 5.1924 und bis zum 30. 6.1933 Gültigkeit besaß. 838 Mucha 1986, S. 499 und 500. 839 Wittlich 2000, S. 70. 840 Abb. s. Rennert/Weill 1984, S. 345. 841 Looft-Gaude 1987, S. 70. 842 Chyský 1929, S. 47 und 48: „Odtud lze pochopiti, proči naše vláda […] povolila na jeho dostavění do roku 1929 pět milionů korun z prostředků veřejných, nebot’ vskutku tu nejde jen o předmět kultu církevního, nýbrž o věc národního celku.“

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Muchas Werke im Sinne einer nationalen Identität – eine „Frage des nationalen Ganzen“?

Ausstellung im August 1927, die vom Verein der Bildenden Künstler aus Mähren organisiert worden war, hielt Mucha eine Rede, in der er sagte: „Die Nation, die sich nicht in der Geschichte ihrer Kunst verewigen kann, verschwindet, verfliegt spurlos. Eine Nation hat ihre Künstler, die für deren Unsterblichkeit verantwortlich sind. Der Künstler muss die Pflicht spüren, die Unsterblichkeit der Nation zu sichern.“ 843 So wichtig und eindeutig für Mucha selbst die Funktion der Kunst für eine Nation war, so zwiespältig wurde die Beziehung zu seiner Heimat von vielen seiner Zeitgenossen wahrgenommen. Bereits ein Artikel in der Zeitschrift Čas von 1897 reduziert seine Heimatzugehörigkeit „auf seinen Taufschein“, denn „er ist ein rein französisches Phänomen, oder besser ein kosmopolitisches; Slawisches und vor allem Tschechisches kann man bei ihm fast nichts finden“. 844 Womöglich führte diese Reaktion seiner Landsleute, die Mucha sicherlich als Ablehnung aufgefasst haben dürfte, zu einem umso hartnäckigeren Patriotismus in seinen späteren Werken, was teilweise ebenfalls als problematisch wahrgenom-

men wurde. Im Verlaufe der Gestaltung des Primatorensaals im Repräsentantenhaus in Prag von 1909 bis 1911 nahm diese kontroverse Wahrnehmung beinahe skurrile Züge an, als Muchas Kollegen in der Presse gegen ihn Stimmung machten. 845 Auch im Zusammenhang mit dem Slawischen Epos erhoben sich kritische Stimmen, die diese Kombination von altslawischen und patriotischen Darstellungen mit einem als „monströs“ bezeichneten Symbolismus für gescheitert erklärten. 846 Trotz all der Kritiken – oder möglicherweise gerade deshalb – hat es Mucha geschafft, einen gewichtigen Beitrag zur künstlerischen Entwicklung der nationalen Identität beizutragen. Seine Werke prägten den Zeitgeist und den Alltag der Bevölkerung und führten sie durch die ersten Jahre der Tschechoslowakei. Doch die von ihm geschaffenen Symbole wurden nicht nur innerhalb der neuen Nation zu wichtigen Orientierungspunkten, sondern bildeten auch einen bedeutenden Teil der nationalen Wirkung nach außen.

Mistr Alfons Mucha o umění v dějinách národa (Unbekannter Autor), in: Národní politika 2. 8.1927, S. 8: „Který národ nedovedl se zapsati do dějin svým uměním, zmizel, rozplynul se beze stopy. Národ má své umělce, kteří jsou zodpovědní za jeho nesmrtelnost. Umělec má cítit povinnost zajistit národu nesmrtelnost.“ 844 Výstava Alfonsa Muchy (unbekannter Autor), in: Čas, Bd. 50 (1897), S. 790. 845 Weitere Angaben dazu s. Kapitel 5.2.4. 846 F. Ž.: K ukončení Muchovy Slovanstké Epopeje (dt.: Zur Fertigstellung von Muchas Slawischem Epos), in: Umění (S. p. č. v. p.) 1929, S. 243. 843

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13. Schlusswort

Mit dieser erstmaligen wissenschaftlichen Untersuchung von Muchas Glasgemälde im Prager Veitsdom und dessen zwei nicht ausgeführten Entwürfen wird eine Lücke in der Forschung geschlossen. Der Grund für die bisherige Ausklammerung dieses bedeutenden Werkes in der Forschung ist die jahrzehntelange, politisch bedingte Isolation vieler Arbeiten aus Muchas Spätwerk, was wiederum bedeutet, dass die Betrachtung von Muchas Gesamtwerk unter Einbeziehung seines Spätwerks ein noch relativ junger Forschungszweig ist. Das Prager Glasgemälde ist nun eines der letzten Werke, die nach dem Zusammenschluss von Ost und West auf seine Erforschung gewartet haben. Mit der vorliegenden Arbeit wird nicht nur insgesamt ein bisher blinder Fleck der Forschung aufgearbeitet, sondern es können auch bedeutende Einzelergebnisse bezüglich der Teilbereiche im Rahmen der umfangreichen Untersuchungen erzielt werden. Ein wichtiger Meilenstein ist, die Entwicklung der verschiedenen Entwürfe nachvollziehen zu können – und somit deren sichere Datierung zu ermöglichen. Die nicht immer einfache Dreiecks-Beziehung Dombauverein – Mucha – Versicherungsgesellschaft Banka Slávie wird erstmalig aufgerollt und enthüllt eine bewegte Geschichte im Spannungsfeld zwischen kirchlicher Kunst, kommerziellen Interessen sowie einem als Individualkünstler und Patrioten bekannten Mucha. Ebenso liefert die Untersuchung von Muchas Aufenthalten in den Vereinigten Staaten gänzlich neue Erkenntnisse, wodurch einige, immer wieder falsch tradierte Angaben korrigiert werden können. Enthüllt werden mit dem vorliegenden Werk beispielsweise auch die Entstehungsgeschichte und die Bedeutung des Porträts von Josephine Crane-Bradley, bei dem es noch viele Unsicherheiten und offene Fragen gab. Durch

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die Fokussierung auf Muchas Symbole, die er in viele seiner Werke integriert hat, werden wichtige Ergebnisse zu den vielfach vernachlässigten Themen der Freimaurerei und der Kralitzer Bibel erzielt. Die erstmalige Gesamtbetrachtung von Muchas Auseinandersetzung mit der Gattung der Glasmalerei liefert spannende Erkenntnisse und kann Muchas Œuvre dahingehend nicht nur ergänzen, sondern um ein für den Künstler und die Epoche des Jugendstils bedeutendes Tätigkeitsfeld erweitern. Nicht zu vernachlässigen ist ebenso die Tatsache, dass das Prager Glasgemälde in Ölmalerei auf Glas entstanden ist – und die vorliegende Arbeit damit einen wichtigen Beitrag zur Erhaltung dieses Werkes beiträgt. Denn das Glasgemälde ist damit ein äußerst fragiles und kaum zu reinigendes bzw. restaurierendes Werk, auf das sich die Forschung unbedingt noch weiter konzentrieren muss. Natürlich sind auch noch Fragen unbeantwortet geblieben – beispielsweise ob das Gemälde Kyrill und Method von 1887 tatsächlich als Abschlussarbeit für die Münchner Akademie entstanden ist, ob sich das Gutachten des Dombaumeisters Kamil Hilbert zum ersten Entwurf finden lässt oder ob möglicherweise auch – sofern es sie jemals gab – die Gutachten zum zweiten Entwurf entdeckt werden. Die vorliegenden Ergebnisse machen deutlich, dass es sich bei Muchas Glasgemälde im Veitsdom um ein bedeutendes Werk handelt, welches das Zusammentreffen von Muchas politischen und kulturellen Interessen dokumentiert. Muchas künstlerische Botschaft muss als Teil eines übergeordneten Gedankens gelesen werden, dessen Inhalt vollends auf den damals noch jungen Staat ausgerichtet war, sozusagen als „Frage des nationalen Ganzen“.

Anhang

14. Anleitung für die Aussprache der tschechischen Sprache Grundregeln • •



Grundsätzlich ist die erste Silbe eines Wortes zu betonen. Die diakritischen Zeichen Akzent (´) und Ringakzent (°) verlängern den Vokal (beispielsweise á, é, í, ó, ý, ú sowie ů) und können auch in unbetonten Silben vorkommen, da sie keine Auswirkungen auf die Betonung haben, sondern nur auf die Länge. Ein Häkchen auf den Konsonanten c, s und z macht diese zu Zischlauten: č /tsch/, š /sch/ und ž /ʒ/. Andere Konsonanten werden durch das Häkchen erweicht: d, t, n und r. Bei Minus-



• •

keln der Buchstaben d und t erfolgt dieser Vorgang aber graphisch durch einen Apostroph (d’, t’). ě wird wie /je/ gesprochen. Es gibt aber Ausnahmen: nach d, t und n löst ein ě die Erweichung des Konsonanten davor aus. Eine weitere Ausnahme ist nach m, wo es zusammen mit dem m wie /mnje/ ausgesprochen wird. Vor ě und i werden die Konsonanten d, t und n weich ausgesprochen. Die beiden Buchstaben ck werden immer getrennt gesprochen, also als /zk/ (nicht als /kk/).

Die unterschiedlichen Laute auf einen Blick Tschechisch á c č ě é í ň s š ř ů ý z ž

Aussprache (als Referenz: Deutsch) langes a /z/ /tsch/ (wie Zwitschern) /je/ (wie jetzt) langes e langes i /nj/ (wie Bologna) /ß/ /sch/ (wie rasch) /rsch/ (keine Entsprechung; gleichzeitige Artikulation von „Zungen-r“ und /ʒ/) langes u langes y (wird ausgesprochen wie ein langes i) /s/ (wie Rose) /ʒ/ (keine Entsprechung; stimmhaftes /sch/, wie im franz. Journal)

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15. Neue Erkenntnisse zu den USA-Aufenthalten

Die Daten und Informationen zu Muchas Aufenthalten in den Vereinigten Staaten sind rar und widersprechen sich teilweise. Daher besteht die Notwendigkeit, die vorhandenen Daten in ihrer Gesamtheit erstmalig zusammenzuführen und um wichtige Erkenntnisse zu ergänzen. Eine Basis stellt Anna Daleys Masterarbeit von 2007 dar. 1 Ihre Auflistung konnte durch Abgleiche und zusätzliche Daten sowie Rechercheergebnisse teilweise korrigiert und erweitert werden. Insbesondere die Jahre 1906 bis 1909 konnten um einige Details bereichert werden, die auch in die vorliegende Arbeit eingeflossen sind. Insgesamt können 7 USA-Aufenthalte nachgewiesen werden. Ein Hinweis auf eine weitere Reise findet sich bei Wolfgang Swatek von Boskowitz:

Er schreibt, dass Mucha im Jahre 1929 erneut in die Vereinigten Staaten gereist sei, um dort das Ölgemälde The Spirit of Transportation zu vollenden. 2 Diesbezüglich ist jedoch auf eine Bemerkung Jiří Muchas zu verweisen, der den letzten Aufenthalt seines Vaters in den Vereinigten Staaten wesentlich früher ansetzt: Er soll im März 1921 das letzte Mal die Rückreise in Richtung Europa angetreten haben und danach nie wieder in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt sein. 3 Eine mögliche Reise im Jahre 1929 ist bei keinem der anderen Autoren oder Quellen vermerkt, sodass sie als eher unwahrscheinlich zu betrachten ist. Unter Einbeziehung der neuen Erkenntnisse kann Folgendes festgelegt werden:

Anna Daley: Alphonse Mucha in Gilded Age America 1904–1921, MA-Arbeit der Parsons School of Art and Design History and Theory 2007. Anna Daley legte Muchas USA-Aufenthalte folgendermaßen fest: First Trip: March 6 – May 19, 1904, New York Second Trip: January – Late July/Early August 1905, New York Third Trip: November 22, 1905 – May 1906, New York Fourth Trip: October 1906 – November 1909, Chicago and New York Fifth Trip: Late November 1909 – March 17, 1910, Lake Forest and Chicago Sixth Trip: February – Late March/April 1913, Chicago and New York Seventh Trip: Late 1919/Early 1920 – March 1921, New York and Chicago 2 Wolfgang Swatek von Boskowitz: Eine amerikanische Ovation für Alfons Mucha, in: Die Kunst, Bd. 3 (1986), S. 200. Die Quelle für die USA-Reise 1929 ist leider unklar. Das Gemälde The Spirit of Transportation entstand für einen Wettbewerb, bei dem sich insgesamt zwölf „leading American artists“ messen sollten. Der Wettbewerb wurde von der Clark Equipment Company ausgerufen, s. Ausst. kat. The Spirit of Transportation, Chicago: The Art Institute, 1921, Clark Equipment Company Buchanan (Hrsg.), Michigan 1921; Twelve Artists to Contest for Prize (unbekannter Autor), in: The Daily Northwestern, 26.1.1921, S. 1. Nach dem Wettbewerb wurden alle Gemälde der Teilnehmer im Art Institute of Chicago ausgestellt, s. Other Good Shows on (unbekannter Autor), in: American Art News, Vol. 19, Bd. 17, 5. 2.1921, S. 5. Das Archiv der Clark Equipment Company wurde dem Berrien County Historical Association Museum übergeben, nachdem die Ingersoll-Rand Company die Clark Equipment Company übernommen hatte. Doch auch in den Dokumenten des Berrien County Historical Association Museum gibt es keinen Hinweis auf Mucha und einen Besuch der Vereinigten Staaten nach dem Jahre 1921 (freundlicher Hinweis von Robert C. Myers, Curator, History Center at Courthouse Square, Berrien Springs am 6. Juni 2014). 3 Mucha 1965, S. 272. Aus den bisherigen Überlegungen zu Jiří Muchas Werken zu seinem Vater folgt, dass es durchaus möglich ist, dass er sich beispielsweise in einer Jahreszahl oder anderen Details geirrt haben könnte, s. auch Kapitel 1. Aber dass er sich um acht Jahre vertut scheint eher unwahrscheinlich zu sein. 1

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USA-Aufenthalt: 6. März – Ende Mai 1904

1. USA-Aufenthalt: 6. März – Ende Mai 1904 – –

Ankunft 6. März 1904 4 Erstmaliges Aufeinandertreffen von Mucha und Crane am 30. April 1904 5





Gründung der American Slav Society (oder Slav Association) durch Mucha: April bis erste Hälfte Mai 1904 6 Ende Mai 1904: Rückkehr Muchas auf der „Zeeland“ nach Europa 7

2. USA-Aufenthalt: Mitte Januar – Juli 1905 – –

8. Januar 1905: Abreise aus Bremen nach New York 8; Ankunft wohl Mitte Januar 1905 Ankunft in Washington am 26. Mai 1905 und Besuch des Weißen Hauses 9

– –

Über den 4. Juli 1905 Besuch in Oyster Bay (New York) bei Präsident Theodore Roosevelt 10 Ankunft in Europa mit der „Kronland“ am 1. August 1905 11

3. USA-Aufenthalt: 22. November 1905 – Mitte Mai 1906 –

Ankunft in den USA am 22. November 1905 (mit der „Zeeland“) 12



Berechneter Termin des Wiedersehens mit Crane in Chicago 13: Oktober/November 1905 14

Mucha 1965, S. 193. Jiří Muchas Monographien nennen zwei unterschiedliche Jahre für das erste Aufeinandertreffen in New York von Crane und Mucha: 1904 und 1905. Die Nennung des Jahres 1904 erfolgt in: Mucha 1986, S. 450 sowie Jiří Mucha: Kankán se svatozáří. Život a dílo Alfonse Muchy, Prag 1969, S. 284; 1905 wird erwähnt in: Mucha 1965, S. 234 und Jiří Mucha: Alphonse Mucha. Master of Art Nouveau, Prag 1966, S. 238. Auch Achilles nennt beide Jahre als mögliche Daten eines ersten Aufeinandertreffens (Achilles 2015, S. 11). Laut Jiří Mucha fand das Kennenlernen während eines Banketts im Restaurant Delmonico’s in New York statt; das Bankett diente der Unterstützung der Russen im Russisch-Japanischen Krieg (Mucha 1986, S. 450; Mucha 1969, S. 284; Mucha 1965, S. 234 und Mucha 1966b, S. 238). Am Abend des 30. April 1904 wurde eine politische Veranstaltung zu Ehren von Melville E. Stone, dem Geschäftsführer der Associated Press, im Delmonico’s in New York abgehalten (s. Statesmen Pay Tribute to Stone and World’s Greatest News Agency (unbekannter Autor), in: Los Angeles Herald, 1. 5.1904, S. 1 und Newspaper Dispatch Precipitated the War. Melville E. Stone gives Inside Diplomatic History (unbekannter Autor), in: The New York Times, 1. 5.1904, S. 5). Der zitierte Artikel aus der New York Times enthält die Namen einiger Anwesenden. Mucha ist darin nicht erwähnt, jedoch ein „C. B. Crane“. Es ist davon auszugehen, dass dem Autor ein Fehler unterlaufen ist, denn der zweite Vorname von Charles Crane lautet „Richard“. Hinweise auf eine andere Veranstaltung im Delmonico’s in diesem Zusammenhang und während der Anwesenheit des Künstlers in den USA lassen sich nicht finden. In den Tagen vor dem Bankett hatte Mucha eine Vereinigung, die American Slav Society (oder Slav Association – auch hier nennt J. Mucha zwei Varianten), gegründet, was Gegenstand des Gesprächs zwischen Crane und Mucha war, s. Mucha 1965, S. 234; Mucha 1966b, S. 238. Die Gründung kann auf den Zeitraum April bis erste Hälfte Mai 1904 eingegrenzt werden, denn am 19. Mai 1904 fand das erste Bankett dieses Vereins statt; dies korrespondiert auch mit dem rekonstruierten Datum für das Bankett am 30. April (Cassini Predicts Success. Writes of „Glorious End“ to War to Dining Slavs (unbekannter Autor), in: The New York Times 20. 5.1904, S. 2). Die zeitliche Abfolge dieser Ereignisse ergibt Folgendes: Mucha kam am 6. März 1904 zu seinem ersten USA-Aufenthalt mit dem Schiff in New York an. Die Slav Society wurde im Laufe des Aprils gegründet, am 30. April fand das Bankett statt, bei dem sich Crane und Mucha kennenlernten, und am 19. Mai, als die erste Veranstaltung der American Slav Society stattfand, reiste Mucha wieder nach Europa zurück. 6 s. Anhang Anm. 5. 7 Mucha 1986, S. 387. 8 Mucha 1965, S. 207. 9 Mucha 1986, S. 407. Es ist nicht klar, wie lange sich Mucha in Washington aufgehalten hat. 10 Mucha 1986, S. 408. 11 Mucha 1965, S. 209. 12 Mucha 1986, S. 411. Daley gibt als Ankunft in den Vereinigten Staaten ebenfalls den 22. November 1905 an, jedoch nennt sie als Beginn von Muchas Kurs an der New York Applied Design for Women den 1. November 1905 (Daley 2007, S. 27). 13 Mucha 1969, S. 284; Mucha 1994, S. 366. 14 s. Kapitel 7.4.1. 4 5

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Neue Erkenntnisse zu den USA-Aufenthalten



erster nachgewiesener Besuch in Chicago (Mucha teilt seiner späteren Ehefrau in einem Brief –

vom 25. April 1906 mit, eine Seifenverpackung für eine Chicagoer Firma entworfen zu haben) 15 Mitte Mai 1906: Rückreise nach Europa 16

4. USA-Aufenthalt: Oktober 1906 – Frühling/Mai 1909 – –





Abreise aus Europa: 30. September 1906 17, Ankunft wohl Oktober 1906 9 oder 10 Vorlesungen am Art Institute of Chicago: 24., 25., 31. Oktober / 1., 7., 8., 19., 22., 23. November 1906. Die Vorlesungen behandelten die Themen „Composition and color“, außerdem ist noch zu erfahren, dass Mucha „also cunducted a class in drawing from life“. 18 Am 17. November 1906 gab der Palette & Chisel Club in Chicago eine Ehrenveranstaltung für Mucha; auch zu Beginn des Jahres 1907 stand Mucha in Kontakt mit dieser Kunstakademie 19 Weihnachten 1906 verbrachte Mucha in New York 20

– –





Sommer 1907: Cape Cod; vgl. Anm. 363. 17., 19., 24., 26., 31. März und 2. April 1908: Vorlesung als „Scammon Lecture“ (die sog. Scammon Lecture ist offenbar ausgewählten Dozenten vorbehalten): 6 Vorlesungen über „Harmony in Art“, aufgeteilt in drei Teilbereiche: „Harmony of Line“, „Harmony of Proportion“ und „Harmony of Color“ 21 Sommer 1908: Cape Cod; Schaffung des Porträts von Josephine Crane-Bradley (vgl. Kapitel 7.4.1.2 und Anm. 363) im Mai 1909: Vorlesungen über „Composition“ am Art Institute of Chicago 22

Mucha 1965, S. 215 und 216. Daley erwägt jedoch auch einen Besuch in Chicago bereits im Jahre 1905 (Daley 2007, S. 41). Sie führt aus, dass die Eheleute Mucha im Oktober 1906 erstmals bei der böhmischen Familie Černy in Chicago gewohnt haben. Doch bereits am 28. Juni 1905 erschien in der Chicago Tribune ein Porträt Muchas von Milada Černy, einer Pianistin. Dies könnte für einen ersten Aufenthalt in Chicago bereits im Jahre 1905 sprechen. Auch die Autorin Wagner Seineke spricht von einem ersten Kontakt im Jahre 1905 zwischen Mucha und den Černys, s. Kathrine Wagner Seineke: Mucha’s Chicago Poster, in: Chicago History, Bd. 1 (1972), S. 26. 16 Mucha 1965, S. 221. 17 Mucha 1965, S. 223. 18 Annual report of the Trustees of the Art Institute of Chicago, 1906/1907, S. 41. Es sind 9 Daten angegeben, jedoch wird die Vorlesungsanzahl mit 10 genannt. Und weiter: „Mr. Alphonse Mucha, distinguished in Paris as an artist and designer, visited the school in October and November, and delivered a course of ten lectures on Composition and Color, and also conducted a class in drawing from life. Although Mr. Mucha’s drawings, especially his poster designs, give the impression of great freedom and even waywardness, he is a master of academic drawing, and his theories of execution are well formulated. His inculcation in advanced life classes of flowing line rather than academic blocking was most wholesome, and was cordially accepted by both students and teachers. His lectures, although at the disadventage of being delivered through an interpreter, were the most fully attended students’ course we have ever had, the average attendance being 446. Mr. Mucha is engaged again to teach a class in the spring of 1908, and to deliver the Scammon Lectures of that year.“ (Annual report of the Trustees of the Art Institute of Chicago, 1906/1907, S. 48). Muchas Sohn überliefert allerdings, dass die Vorlesungen bereits am 15. Oktober 1906 begonnen hatten (Mucha 1986, S. 427). Vermutlich bezieht sich diese Angabe auf den Semesterbeginn. 19 Freundliche Auskunft von Stuart Fullerton, Archivar des The Palette & Chisel Academy of Fine Arts, Chicago. 20 Mucha 1986, S. 428. 21 Die Daten der Scammon Lectures s. Annual report of the Trustees of the Art Institute of Chicago, 1907/1908, S. 45. „The fourth course of the Scammon Lectures was delivered in March and April, 1908, by Alphonse Mucha, formerly of Paris, now of New York, comprising six lectures upon „Harmony in Art“. The subject was treated under three heads, „Harmony of Line“, „Harmony of Proportion“ and „Harmony of Color“, and was profusely illustrated by sketches in black-and-white and color, executed upon gray paper, during the lectures. Mr. Mucha’s authoritative position as an artist and designer, his definite principles of composition and design, and his charm as a lecturer, attracted audiences which crowded Fullerton Hall, composed in great part of students eager for the instruction of the master. The average attendance, 533, was quite unprecedented. The lectures will be published in book form, with illustrations.“ (Annual report of the Trustees of the Art Institute of Chicago, 1907/1908, S. 47). Es konnten keine Hinweise auf die angekündigte Publikation gefunden werden. Möglicherweise handelt es sich beim 1975 erschienenen Buch „Lectures on Art“ um diese Vorlesungen. Zur Scammon Lecture von Mucha s. auch: Annual report of the Trustees of the Art Institute of Chicago, 1907/1908, S. 52: „Mr. Alphonse Mucha also visited the school again in March and April, during the period of the Scammon lectures, and gave class lectures on composition, and also conducted classes in drawing from life. No teacher has ever excited more interest in the school than Mr. Mucha.“ 22 „Mr. Alphonse Mucha, the Bohemian artist, distinguished as a mural painter and designer of posters in Paris and New York, again visited the 15

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USA-Aufenthalt: 23. November 1909 – Mitte April 1910



Zeitpunkt der Rückkehr nach Europa unbekannt; es muss zwischen Frühling und Mai 1909 gewesen sein 23

5. USA-Aufenthalt: 23. November 1909 – Mitte April 1910 –

Abreise aus Europa am 20. Oktober 1909 24; Ankunft in den USA am 23. November 1909 25

– –

Mucha zeigt Crane im November 1909 die ersten Entwürfe und Fotografien für das Epos 26 Abreise aus den USA: Mitte April 1910 27



Rückreise März 1913 mit der „Aquitania“ 29



Ausstellung des Slawischen Epos: Brooklyn Museum New York (Eröffnung Januar 1921) 32 Ausstellung des Slawischen Epos: School of Applied Design for Women New York (Eröffnung 7. März 1921) 33 26. März 1921: Rückfahrt nach Europa 34

6. USA-Aufenthalt: –

30. Januar 1913 (es ist aber unklar, ob es sich dabei um die Abreise oder die Ankunft handelt) 28

7. USA-Aufenthalt: 1919 – 26. März 1921 –



1919 bis 1921 (für „volle zwei Jahre“, während der Wintermonate in New York, im Sommer auf Cape Cod) 30 Ausstellung des Slawischen Epos: Art Institute of Chicago (15. Juni bis ca. Ende August 1920) 31





school and delivered lectures on composition in May, 1909. No professional lecturer and teacher is more popular with students than Mr. Mucha.“ (Annual report of the Trustees of the Art Institute of Chicago, 1908/1909, S. 55) 23 Im „Frühling 1909“ schafft Mucha noch einige Plakate, vor allem im Atelier des Art Institute of Chicago (Mucha 1965, S. 235). Laut Muchas Sohn reist die Familie am 5. Juni 1909 „über Antwerpen und Paris nach Prag nach Hause“ (Mucha 1965, S. 237, 238). Weiter schreibt Muchas Sohn, dass sein Vater, kurz nachdem er die USA verlassen hatte, zwischenzeitlich noch in Paris und bei Auguste Rodin in Meudon gewesen sei. Weiter nennt Jiří Mucha als Ankunftstag des fünften Aufenthaltes den 23. November 1909 (Mucha 1965, S. 240). Daley datiert diesen Aufenthalt von „October 1906-November 1909“ (Daley 2007, S. 41–62). Angenommen, dass die Nennungen der Daten von Muchas Sohn nicht stimmig wären, so kann Daleys Angabe trotzdem nicht richtig sein: Auch wenn Mucha direkt Anfang November 1909 aus den USA in Richtung Europa abgereist wäre, so ist es kaum anzunehmen, dass er in etwas mehr als drei Wochen per Schiff zweimal über den Atlantik reiste, zumal eine solche Schiffsreise mehr als eine Woche dauerte (gemäß den Angaben von Jiří Mucha dauerte die allererste Reise in die USA vom 26. Februar bis 6. März 1904, also insgesamt 9 Tage; s. Mucha 1965, S. 191 und 193). 24 Mucha 1965, S. 237. 25 Mucha 1965, S. 240. 26 Mucha 1965, S. 241. 27 Mucha 1965, S. 237. 28 Mucha 1965, S. 255. Der Wortlaut bei Jiří Mucha lautet: „Am 30. Januar, als er nach Amerika fuhr, …“. 29 Mucha 1965, S. 255; Mucha 1986, S. 481. Laut Jiří Mucha war sein Vater am 15. März auf dem Schiff. Am 5. März 1913 ist einer Tageszeitung zu entnehmen, dass er noch in der laufenden Woche das Porträt von Mrs. Leatherbee fertigstellen und nach Prag zurückreisen werde, s. Finishes Portrait To-Day (unbekannter Autor), in: Chicago Examiner, 5. 3.1913, S. 9. 30 Mucha 1965, S. 264. 31 Mucha 1965, S. 266. 32 Mucha 1965, S. 266. 33 Mucha 1965, S. 270; Mucha 1986, S. 504. 34 Mucha 1965, S. 272.

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16. Literaturverzeichnis 16.1 Selbstständige und unselbstständige Publikationen Achilles 2015 Rolf Achilles: Alphonse Mucha in Chicago, in: Treasured Legacy. Alphonse Mucha & Jarmila Mucha Plocková in Chicago, Maya Polsky Gallery (Hrsg.), Chicago 2015, S. 9–24. Adámek/Dolenský 1928 Rudolf Adámek, Antonín Dolenský: Obrazy k České Historii. Palackého Dějiny v obrazech, Část Prvá až do vymření Přemyslovců (rok 1306), Prag 1928. Aleš/Mičko/Svoboda 1955 Mikoláš Aleš, Miroslav Mičko, Emanuel Svoboda: Nástňné malby, Prag 1955. Alphonse Mucha, World-Famed Artist 1913 Alphonse Mucha, World-Famed Artist, Here to Put Happiness in Mrs. Leatherbee’s Portrait (unbekannter Autor), in: Chicago Examiner, 24. 2. 1913, S. 9. Amaya 1963 Mario Amaya: Mucha’s Fantasy, in: Apollo. The International Art Magazine, Bd. 77 (1963), S. 475–477. Autographenhandlung Kotte PDF-Onlinekatalog 2014 Autographenhandlung Kotte PDF-Onlinekatalog 2014, in: „http://www.autographenhandlung.de/download/ Onlinekatalog.pdf?PHPSESSID=cf1db90891a2abb 4f27e791394b47687“, [1. 9. 2014]. Banka Slávie 1919 Banka Slávie 1869–1919, Banka Slávie (Hrsg.), Prag 1919. Banka Slávie 1931 Banka Slávie: Bohu ke chvále, vlasti k slávě, umění ke cti věnuje Banka Slávie, Prag 1931. Bascou 1988 Marc Bascou: Catalogue sommaire illustré des arts décoratifs, Paris 1988. Batz 2001 Gerhard Batz: Eine unbekannte Seite von Alfons Mucha. Alfons Mucha und seine Briefmarkenentwürfe, in: „http://www.batz-hausen.de/mucha.htm“, letzte Änderung 4. 11. 2001, [12. 11. 2013].

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16.4 Sonstiges Auszug aus dem Melderegister der Stadt Prag 1914– 1953 Gutachten der Mitglieder der Abteilung für Kunst des Dombauvereins Max Švabinský, 9. 1. 1929; Bohumil Kafka, 9. 1. 1929; Zdeněk Wirth, 12. 1. 1929; Eduard Šittler, 14. 1. 1929 Polizeiliche Karteikarte von Alfons Mucha Protokolle der Banka Slávie (Generaldirektion) 9. 10. 1928, 23. 10. 1928, 6. 11./13. 11. 1928, 11. 11. 1930, 18. 11. 1930, 2. 12. 1930, 27. 1. 1931, 16. 6. 1931, 24. 11. 1931 Protokolle der Abteilung für Kunst des Dombauvereins (Zápis uměleckého odboru) 6. 11. 1928, 18. 1. 1929, 4. 4. 1930, 11. 11. 1930

V. Z. J. = Výroční zpráva Jednoty pro dostavění hl. chrámu sv. Víta na hradě Pražském (dt.: Jahresbericht des Dombauvereins), Prag [1861–1952]. Bis 1908 erschienen als: Ročník jednoty pro dostavění hl. chrámu sv. Víta na hradě Pražském Die angegebenen Jahreszahlen in den Literaturangaben beziehen sich auf das Jahr der Veröffentlichung der Jahresberichte, so beinhaltet beispielsweise „Výroční zpráva Jednoty pro dostavění hl. chrámu sv. Víta 1929“ die Ereignisse des Jahres 1928, die im darauffolgenden Jahr veröffentlicht wurden. Im Falle, dass der Zeitraum von mehr als einem Jahr in einem Band zusammengefasst worden ist, wurde dies – um Missverständnisse auszuschließen – in Klammern hinzugefügt; das Jahr der Publikation steht ohne Klammer jeweils am Schluss des Kürzels, beispielsweise: V. Z. J. (1864–1865) 1865, Teil 1.

National Register of Historic Places https://npgallery.nps.gov/AssetDetail/NRIS/86000300 [7. 6. 2017]

183

17. Abbildungsverzeichnis Abb. 1 Grundrissplan des Veitsdoms in Prag (Abb. aus: Marie Kostílková: Die Fenster der St.-VeitKathedrale und ihr Schmuck, Prag 2000, S. 32) Abb. 2 Alfons Mucha: Entwurf 1, Ende 1928/Anfang 1929 116 � 67,5 cm; Tinte und Aquarell auf Papier Photo © National Gallery Prague 2021, Inv. Nr. K 29288 Abb. 3 Alfons Mucha: Entwurf 2, Januar-Juni 1929 116 � 70 cm; Feder und Aquarell auf Papier Mucha Trust Abb. 4–6 Alfons Mucha: Vor- und Farbstudien zum Entwurf 2, Januar–Juni 1929 Jeweils 40 � 22,5 cm; Kohle und Tusche auf Papier Mucha Trust Abb. 7 Alfons Mucha: Entwurf zum Glasgemälde, im November 1930 dem Dombauverein vorgelegt, 1930 116 � 67,5 cm; Tinte und Aquarell auf Papier Photo © National Gallery Prague 2021, Inv. Nr. K 29289 Abb. 8 Alfons Mucha: Glasgemälde in der Hora-Kapelle im Veitsdom, 1931; Glasmaler: Jan Veselý, Prag 4,9 � 9,95 m; Ölfarben auf Glas, Verbleiung Christina Snopko Abb. 9 Alfons Mucha: Plakatmotiv Slavia für die Banka Slávie, 1907 80 � 52 cm; Tempera auf Papier PPF Group Prag/PPF Art Collection Abb. 10 Banka Slávie: Slavia auf einer Lebensversicherung aus den 1870er Jahren (Abb. aus: Banka Slávie 1919, S. 69) Abb. 11 Obere Hälfte einer Lebensversicherung der Banka Slávie, um 1900 (Abb. aus: Banka Slávie 1919, S. 69)

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Abb. 12 Alfons Mucha: Porträt von Josephine Crane-Bradley, 1908 154 � 92,5 cm; Öl und Tempera auf Leinwand Photo © National Gallery Prague 2021, Inv. Nr. O 3978 Abb. 13 Alfons Mucha: Porträt von Josephine Crane-Bradley, 1908 154 � 92,5 cm; Öl und Tempera auf Leinwand (Abb. aus: Mucha 1965, S. 222) Abb. 14 Fotografie der Familie Crane, ca. 1899 Mit freundlicher Genehmigung von Mrs. Margaret Timmerman, geb. Bradley Abb. 15 Alfons Mucha: Madonna (für die Kirche Sacré Coeur in New York), wohl 1905 Maße unbekannt; wohl Öl auf Leinwand verschollen (Abb. aus: Zlatá Praha, Nr. 2 1910, S. 16) Abb. 16 Entwurf 2, unterer Teil: Transkription (Bildersammlung Snopko) Abb. 17 Mikoláš Aleš: Illustration Svatí Věrozvěstové Cyrill a Methoděj (dt.: Die heiligen Apostel Kyrill und Method), 1897 (Abb. aus: Adámek/Dolenský 1928, S. 55) Abb. 18 Alfons Mucha: Kyrill und Method, 1887 1,9 m � 3,3 m; Öl auf Leinwand Saint John Nepomucene Catholic Church, Pisek, North Dakota (Abb. aus: Zlatá Praha, Bd. 34 (1889), S. 401) Abb. 19–21 Vergleich von Szenen des Glasgemäldes mit Bildfeldern des zweiten Entwurfs Christina Snopko; Mucha Trust

Abbildungsverzeichnis

Abb. 22 Alfons Mucha: Illustration Slovanšti věrozvěstové sv. Cyril a Methoděj hlásaji učeni Kristovo na Moravě (dt.: Die slawischen Missionare Kyrill und Method predigen die Lehre Christi in Mähren), 1891 (Abb. aus: Adámek/Dolenský 1928, S. 58) Abb. 23 Alfons Mucha: Entwurf Entrée de Jeanne d’Arc à Orléans, ca. 1895–1897 (Abb. aus: La Plume 1897, S. 447) Abb. 24 Alfons Mucha: Entwurf Roland à Roncevaux, ca. 1895– 1897 (Abb. aus: La Plume 1897, S. 446) Abb. 25 Alfons Mucha: Entwurf Sainte Barbe – Projet de Vitrail, ca. 1895–1897 (Abb. aus: La Plume 1897, S. 448) Abb. 26 Alfons Mucha: Studie für ein dreiteiliges Fenster, wohl 1898 47 � 61 cm; schwarze Kreide und Pastell auf grauem Papier Mucha Trust

Abb. 27 Alfons Mucha: Entwurf für ein vierteiliges Glasfenster, um 1900 59 � 78 cm; Kohle auf Papier Mucha Trust, Inv. Nr. P-001 Abb. 28 Alfons Mucha: Planche 48 aus Documents décoratifs, 1902 Mucha Trust Abb. 29 Glasfenster Die vier Jahreszeiten Michael Tropea, Chicago Abb. 30 Alfons Mucha: Entwurf des Glasgemäldes des Deutschen Theaters, New York, 1908 (Abb. aus: Zlatá Praha, Bd. 8 (1910), S. 93) Abb. 31 Alfons Mucha: Gemälde Harmony oder Inspiration für das Deutsche Theater, 1908 verschollen (Abb. aus: The World To-Day, Bd. 15 (1908), S. 737)

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Abbildungen

Abb. 1 Grundriss des Veitsdoms in Prag

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Die Kapellen des Veitsdomes 1. Kapelle der Bartoň z Dobenína (der hl. Agnes von Böhmen) 2. Schwarzenbergkapelle 3. Hora-Kapelle (Neue erzbischöfliche Kapelle) 4. Schatzhaus-Vorhalle 5. Kapelle des hl. Sigmund (hl. Urban, Černínkapelle) 6. Kapelle der hl. Anna (Nostitzkapelle) 7. Kapelle der hl. Agathe (Erzbischöfliche Kapelle, Pernstein-, Kinskýkapelle, Kapelle der hll. Kyrill und Metodios) 8. Kapelle des hl. Eremiten Antonius (des Arnošt z Pardubic, St. Johannes des Täufers) 9. Kapelle der hl. Dreifaltigkeit (der Jungfrau Maria, Kaiserkapelle, Kapelle der Berka z Dubé) 10. Kapelle des hl. Adalbert (Vojtěch) und der hl. Dorothea 11. Kapelle des hl. Erhard und der hl. Ottilie Vlašimkapelle, des hl. Johann von Nepomuk) 12. Kapelle der hl. Maria Magdalena (Waldsteinkapelle) 13. Kapelle des hl. Simon und des hl. Juda (Kapelle zum hl. Kreuz) 14. Kapelle des hl. Andreas (des hl. Silvester, Martinicz-, Lobkowiczkapelle) 15. Wenzelskapelle 16. Hasenburgkapelle 17. Thunkapelle 18. Kapelle vom hl. Grab 19. Kapelle der hl. Ludmilla (Taufkapelle) 20. Halle unter dem Südwestturm 21. Langhauswestwand 22. Südliches Querschiff 23. Hochchor-Abschluss

Abb. 2 Alfons Mucha: Entwurf 1, Ende 1928/Anfang 1929

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Abb. 3 Alfons Mucha: Entwurf 2, Januar–Juni 1929

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Abb. 4–6 Alfons Mucha: Vor- und Farbstudien zum Entwurf 2, Januar–Juni 1929

Abb. 7 Alfons Mucha: Entwurf zum Glasgemälde, November 1930

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Abb. 8 Alfons Mucha: Glasgemälde in der Hora-Kapelle im Veitsdom, 1931

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Abb. 9 Alfons Mucha: Slavia, 1907, für die Banka Slávie

Abb. 11 oberer Teil einer Lebensversicherung der Banka Slávie

Abb. 10 Die Slavia auf einer Lebensversicherung aus den 1870er Jahren der Banka Slávie

Abb. 12 (links) und 13 (rechts) A. Mucha: Porträt von Josephine Crane-Bradley, 1908

Abb. 14 Fotografie der Familie Crane, ca. 1899: in der Mitte Josephine (ca. 13 Jahre alt); hinten: Charles R. Crane und seine Ehefrau Cornelia; vorne: Josephines jüngere Schwester Anita Frances und der gemeinsame Bruder Richard

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Abb. 15 Alfons Mucha: Madonna, wohl 1905 für die Kirche Sacré Coeur in New York, verschollen

Abb. 16 Entwurf 2, unterer Teil: Transkription

Abb. 17 Mikoláš Aleš: Svatí Věrozvěstové Cyrill a Methoděj (dt.: Die heiligen Apostel Kyrill und Method), 1897

197 Abb. 18 Alfons Mucha: Kyrill und Method, 1887

Abb. 22 Alfons Mucha: Illustration Die slawischen Missionare Kyrill und Method predigen die Lehre Christi in Mähren, 1891

198

Abb. 19 Vergleich der Szenen 1–5 des Glasgemäldes mit einzelnen Bildfeldern des zweiten Entwurfs

Abb. 20 Vergleich der Taufszene des Glasgemäldes mit einem Bildfeld des zweiten Entwurfs

Abb. 21 Vergleich der Szenen 6–10 des Glasgemäldes mit einzelnen Bildfeldern des zweiten Entwurfs

199 Abb. 23 Alfons Mucha: Entrée de Jeanne d’Arc à Orléans, ca. 1895–1897

Abb. 24 Alfons Mucha: Roland à Roncevaux, ca. 1895–1897

Abb. 25 Alfons Mucha: Sainte Barbe – Projet de Vitrail, ca. 1895–1897

200

Abb. 27 Alfons Mucha: Entwurf für ein vierteiliges Glasfenster, um 1900

Abb. 26 Alfons Mucha: Studie für ein dreiteiliges Fenster, wohl 1898

Abb. 28 Documents décoratifs, 1902: Planche 48

Abb. 29 Glasfenster Die vier Jahreszeiten

201

Abb. 30 Alfons Mucha: Entwurf des Glasgemäldes des Deutschen Theaters, 1908

Abb. 31 Alfons Mucha: Gemälde Harmony oder Inspiration des Deutschen Theaters, New York, 1908

202

Dr. Christina Snopko, seit 2020 am Vitrocentre Romont, hat Kunstgeschichte in Basel und Urbino studiert und 2015 an der Universität Basel promoviert. Davor u.a. am Badischen Landesmuseum Karlsruhe tätig.

www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-27497-0

Christina Snopko Alfons Muchas Glasgemälde im Prager Veitsdom

Die Publikation widmet sich dem Glasgemälde von Alfons Mucha im Prager Veitsdom, das er von 1928 bis 1931 schuf. Erstmalig werden die Entstehungsgeschichte und inhaltliche Bedeutung dieses Werkes beleuchtet und mit den damaligen Ereignissen kontextualisiert. Es entstand im Spannungsfeld zwischen kirchlicher Kunst, kommerziellen Interessen sowie dem als Individualkünstler bekannten Mucha, der die nationale Identität der Tschechoslowakischen Republik in den ersten Jahren ab 1918 künstlerisch maßgeblich mitbestimmt hat.

Christina Snopko

Alfons Muchas Glasgemälde im Prager Veitsdom Eine „Symphonie der Farben“