Aktivistische Leerverkäufe: Grenzen der Zulässigkeit nach der Leerverkaufs- und der Marktmissbrauchsverordnung [1 ed.] 9783428585816, 9783428185818

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Aktivistische Leerverkäufe: Grenzen der Zulässigkeit nach der Leerverkaufs- und der Marktmissbrauchsverordnung [1 ed.]
 9783428585816, 9783428185818

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Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Band 204

Aktivistische Leerverkäufe Grenzen der Zulässigkeit nach der Leerverkaufsund der Marktmissbrauchsverordnung

Von

Alexander Brak

Duncker & Humblot · Berlin

ALEXANDER BRAK

Aktivistische Leerverkäufe

Abhandlungen zum Deutschen und Europäischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht Herausgegeben von Professor Dr. Holger Fleischer, LL.M., Hamburg Professor Dr. Hanno Merkt, LL.M., Freiburg Professor Dr. Gerald Spindler, Göttingen

Band 204

Aktivistische Leerverkäufe Grenzen der Zulässigkeit nach der Leerverkaufsund der Marktmissbrauchsverordnung

Von

Alexander Brak

Duncker & Humblot · Berlin

Der Fachbereichs Rechtswissenschaften der Universität Osnabrück hat diese Arbeit im Jahr 2021 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2022 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Satz: TextFormA(r)t, Daniela Weiland, Göttingen Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 1614-7626 ISBN 978-3-428-18581-8 (Print) ISBN 978-3-428-58581-6 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meinen Paten

Vorwort Das vorliegende Manuskript entstand im Anschluss an mein LL.M.-Studium an der Loyola University Chicago School of Law und wurde während meiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Handels- und Wirtschaftsrecht der Universität Osnabrück angefertigt. Der Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Osnabrück nahm im Sommersemester 2021 die Arbeit als Dissertation an. Die Disputation fand am 22. September 2021 statt. Rechtsprechung und Literatur wurden bis einschließlich April 2021 berücksichtigt. Ich danke meinem Doktorvater Herrn Professor Dr. Andreas Fuchs, LL.M. (Michigan) für die lehrreiche und angenehme Zeit an seinem Lehrstuhl, die gewährten Freiheiten sowie die Betreuung und Unterstützung meines Promotionsvorhabens. Herrn Professor Dr. Lars Leuschner danke ich für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens und die konstruktiven Gespräche während des Entstehungsprozesses. Ohne die vielfältige Unterstützung zahlreicher weiterer Personen hätte die Arbeit nicht fertig gestellt werden können. Für die intensive Durchsicht der Arbeit möchte ich an erster Stelle meinen Paten Professorin Dr. Margret Nemann und Professor Dr. Friedrich Janssen sowie meinem Bekannten Dr. Joachim Totztke, LL.M. (Miami) besonders danken. Meine Paten gehen mir als akademisches Beispiel seit jeher voran und stehen mir mit Rat und Tat zur Seite. Ihnen ist deshalb diese Arbeit gewidmet. Herrn Clemens Nemann möchte ich für seinen Beitrag zu den Druckkosten danken. Dr. Martin Gerding, Dr. Daniel Stüve und meinem ehemaligen Kollegen Andreas Krummen verdanke ich wertvolle Diskussionen und den stetigen Austausch im akademischen Alltag. Mein größter Dank gilt schließlich meinen Eltern Elisabeth Nemann-Brak und Dr. Bernard Brak für Ihren Rückhalt und die Ermöglichung meiner Ausbildung. Ebenfalls haben meine Geschwister Wiebke und Bernd sowie meine Freundin Lina zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen, indem sie mich immerwährend ermutigten. Osnabrück, im April 2022

Alexander Brak

Inhaltsverzeichnis Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 Ziel und Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

Kapitel 1 Grundlagen 23 § 1 Das Geschäftsmodell aktivistischer Leerverkäufer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 A. Der klassische Leerverkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 B. Der aktivistische Leerverkauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 C. Verortung des aktivistischen Leerverkaufs im Kontext von Shareholder und Investor Activism . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 D. Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 I. Steinhoff / Viceroy . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 II. Aurelius / Gotham . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 § 2 Klassische Leerverkäufe aus ökonomischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 A. Chancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 I. Liquidität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 II. Informationsökonomischer Nutzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 III. Volatilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 B. Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 I. Lieferausfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 II. Preisbeeinflussungs- und Destabilisierungspotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 III. Potenzial für Marktmissbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 § 3 Aktivistische Leerverkäufe aus ökonomischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 A. Auswirkungen auf den Kapitalmarkt und die Zielunternehmen . . . . . . . . . . . . . . 42 I. Kapitalmarktrechtliche Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 II. Realwirtschaftliche Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 B. Ökonomische Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50

10

Inhaltsverzeichnis Kapitel 2



Die Regulierung nach der SSR 51

§ 4 Das Verbot ungedeckter Leerverkäufe und das Transparenzregime . . . . . . . . . . . . . 51 A. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 B. Das Verbot ungedeckter Leerverkäufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 C. Das Transparenzregime . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 D. Rechtspolitische Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Kapitel 3

Die Regulierung nach der MAR 59

§ 5 Die Anforderungen an den Research Report gem. Art. 20 I MAR . . . . . . . . . . . . . . . 59 A. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 I. Sachlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 II. Persönlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 III. Räumlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 B. Die inhaltlichen Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 I. Möglichkeiten zur Konkretisierung des neuen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 II. Formale Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 III. Materielle Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 C. Die Offenlegung von Interessenkonflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 D. Organisations- und Anzeigepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 E. Implikationen der Fallbeispiele zur Einhaltung der Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . 83 F. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 § 6 Das Marktmanipulationsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 A. Konzeptionelle Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 I. Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 II. Regelungsgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 III. Auslegungsgrundsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 IV. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 B. Relevante Tatbestände bei aktivistischen Leerverkäufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 I. Der Inhalt des Research Reports als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 II. Scalping, Art. 12 II d MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 1. Das tatbestandliche Erfordernis der Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2. Abgabe unter Ausnutzung eines Medienzugangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

Inhaltsverzeichnis

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3. Das Eingehen von Positionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 4. Nutzziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 5. Fehlende Mitteilung des Interessenkonflikts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 a) Die ordnungsgemäße Offenlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 b) Wirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 c) Gleichzeitigkeit und Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 d) Anwendung auf die Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 6. Subjektive Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 7. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 III. Informationsgestützte Marktmanipulation, Art. 12 I c MAR . . . . . . . . . . . . . 105 1. Der Informationsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 2. Das Verbreiten von Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 a) Der Begriff der Informationsverbreitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 b) Das Verschweigen entgegen bestehender Offenlegungsverpflichtung 111 3. Falsche und irreführende Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 4. Potenzieller Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 a) Falsche und irreführende Signale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 b) Anormales oder künstliches Kursniveau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 5. Subjektive Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 IV. Handels- und handlungsgestützte Marktmanipulation, Art. 12 I a MAR . . . . 129 1. Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 a) Abschluss eines Geschäfts und Erteilung eines Handelsauftrags . . . . 130 b) Jede andere Handlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 c) Die Einbeziehung von Unterlassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 d) Die Anknüpfungspunkte eines aktivistischen Leerverkaufs . . . . . . . . 134 2. Potenzieller Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 3. Ausnahmeregelung Art. 12 I a i. V. m. Art. 13 MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 4. Subjektive Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 V. Der Auffangtatbestand der Marktmanipulation, Art. 12 I b MAR . . . . . . . . . 141 1. Tathandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 2. Täuschungselement . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 a) Täuschungshandlung und verschwiegene Leerverkaufspositionen . . . 144 b) Verbreitung falscher oder irreführender Informationen . . . . . . . . . . . . 145 aa) Der Indikator B (a) Anhang I MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 bb) Der Indikator B (b) Anhang I MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 cc) Zeitlicher Zusammenhang der Indikatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . 148

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Inhaltsverzeichnis c) Klassische Leerverkäufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 3. Beeinflussung und Eignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 a) Verbreitung falscher oder irreführender Informationen . . . . . . . . . . . . 150 b) Verstoß gegen Art. 6 I SSR sowie klassische Leerverkäufe . . . . . . . . . 150 c) Verschweigen von Short-Positionen und Verbreitung zutreffender Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 d) Anwendung auf die Fallbeispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 4. Subjektive Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 VI. Die Besonderheiten des straf- und ordnungswidrigkeitrechtlichen Sanktionsregimes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 1. Kausale Preiseinwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 2. Subjektive Anforderungen und das Verhältnis zur MAR . . . . . . . . . . . . . 155 3. Anwendung auf Aurelius / Gotham . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 C. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157

§ 7 Das Insiderrecht als weitere Grenze? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 A. Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 B. Telos des Insiderrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 C. Insiderinformation und Handelsverbot im Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 I. Der Begriff der Insiderinformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 1. Präzise Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 2. Fehlende öffentliche Bekanntheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 3. Emittenten- und Finanzinstrumentenbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 4. Kursrelevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 II. Insiderhandelsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 D. Die Einordnung aktivistischer Leerverkäufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 I. Der Research Report . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 2. Research Reports auf Grundlage öffentlich verfügbarer Informationen . . 173 a) Vorgängerregelung und Telos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 b) Normgehalt der Erwägungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 c) Inhalt und Voraussetzungen des Erwägungsgrunds Nr. 28 S. 1 MAR . 175 d) Die Rückausnahme des Erwägungsgrunds Nr. 28 S. 2 MAR . . . . . . . 176 e) Der Research Report unter diesen Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . 180 f) Die Kursrelevanz als allgemeine Voraussetzung des Insiderinformationsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 g) Zwischenergebnis und Bewertung der Neuregelung des Erwägungsgrunds Nr. 28 MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183

Inhaltsverzeichnis

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3. Research Reports auf Grundlage nicht öffentlich verfügbarer Informa­ tionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 a) Die öffentliche Bekanntgabe bei grenzüberschreitenden Sachverhalten 185 b) Kursrelevanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 c) Auswirkungen auf die Einordnung des Research Reports . . . . . . . . . 187 II. Die Absicht zur Eingehung von Leerverkaufspositionen . . . . . . . . . . . . . . . . 189 III. Die Absicht der Veröffentlichung eines Research Reports . . . . . . . . . . . . . . . 190 1. Fehlende Einschlägigkeit von Art. 9 V MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 2. Anforderungen des Art. 7 I a MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 3. Anforderungen an das Insidergeschäft gem. Art. 8 I i. V. m. Art. 9 MAR . . 193 a) Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des Art. 8 I MAR . . . . . . . . . . . . 193 b) Nicht-Einschlägigkeit des Art. 9 V MAR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 c) Eine ungeschriebene Ausnahme für seriöse aktivistische Leerverkäufe auf Grundlage der Spector-Grundsätze? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 aa) Die Beurteilung anhand der Ursächlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 bb) Der fehlende Verstoß gegen den Telos des Insiderrechts . . . . . . . 197 cc) Die teleologische Überprüfung anhand von Sondervorteilen . . . 198 d) Die Auswirkungen auf das Verhältnis des Insiderrechts zum Marktmanipulationsverbot beim Scalping . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 E. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 Schlussbetrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216

Abkürzungsverzeichnis a. A. andere(r) Ansicht ABl. Amtsblatt der Europäischen Union am Ende a. E. a. F. alte Fassung AG Aktiengesellschaft / Die Aktiengesellschaft Am. Econ. Rev. The American Economic Review AnSVG Anlegerschutzverbesserungsgesetz Art. Artikel BaFin Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Banking and Finance Review Ban. Fin. Rev. BankR-HdB Bankrechts-Handbuch BB Betriebs-Berater BC Zeitschrift für Bilanzierung, Rechnungswesen und Controlling Begr. Begründung Beil. Beilage BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGH Bundesgerichtshof BGHSt Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht BKR BörsG Börsengesetz bspw. beispielsweise Bt-Drs. Drucksachen des Deutschen Bundestages BVerfG Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE bzgl. bezüglich bzw. beziehungsweise Der Betrieb DB DVFA Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management e. V. EnzEuR Enzyklopädie Europarecht ErwGr. Erwägungsgrund European Securities and Market Authority ESMA Europäische Union EU European Economic Review Eur. Eco. Rev. Europäischer Gerichtshof EuGH Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht EuPrivuWirtR FiMaNoG Finanzmarktnovellierungsgesetz FinAnV Finanzanalyseverordnung FMFG Finanzmarktförderungsgesetz FS Festschrift Financial Services Authority FSA

Abkürzungsverzeichnis

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gem. gemäß GG Grundgesetz Charta der Grundrechte der Europäischen Union GRCh Handbuch des Aktienrechts HdB AktienR Hrsg. Herausgeber(in) i. S. d. im Sinne des Journal of Banking and Finance J. Bank. Fin. Journal of Business J. Bus. The Journal of Finance J. Fin. Journal of Finance and Accountancy J. Fin. Acc. Journal of Financial Economics J. Fin. Eco. Juris PraxisReport zum Bank- und Kapitalmarktrecht jurisPR-BKR JZ JuristenZeitung Kölner Kommentar KK KMRK Kapitalmarktrechts-Kommentar KWG Kreditwesengesetz LG Landgericht Market Abuse Directive MAD MaKonV Marktmanipulations-Konkretisierungsverordnung Market Abuse Regulation MAR mit weiteren Nachweisen m. w. N. Nr. Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht NStZ Northwestern University Law Review Nw. U. L. Rev Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht NZG OLG Oberlandesgericht Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft ORDO Q Rev. Econ. Fin. Quarterly Review of Economics and Finance RegE. Regierungsentwurf Rev. Fin. Review of Finance Review of Financial Studies Rev. Fin. Stud. RL Richtlinie Satz / Seite S. sog. sogenannte(n)/-es Short Selling Regulation SSR StGB Strafgesetzbuch UAbs. Unterabsatz University of Cincinnati Law Review U. Cin. L. Rev. Urt. Urteil vgl. vergleiche VO Verordnung Gesetz zur Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität WiKG Zeitschrift für Wirtschafts- und Steuerstrafrecht Wistra Wertpapier-Mitteilungen Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht WM WpHG Wertpapierhandelsgesetz Gesetz zur Vorbeugung gegen missbräuchliche Wertpapier- und DerivaWpMiVoG tegeschäfte zum Beispiel z. B.

16 ZBB ZfbF ZGR ZHR ZIP

Abkürzungsverzeichnis Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Schmalenbachs Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

Im Übrigen wird verwiesen auf: Kirchner, Hildebert, Abkürzungsverzeichnis der Rechts­ sprache, 9. Aufl., München 2018.

Einführung Leerverkäufe begleiten die Waren- und Finanzmärkte nahezu seit ihrer Entstehung und stellen ein „Urgestein des kapitalmarktrechtlichen Geschehens“ dar.1 Ebenso alt sind die verbreiteten Ressentiments, die gegen Leerverkäufe vorgebracht werden.2 Diese Bedenken gründen im Wesentlichen darin, dass Leerverkäufer auf fallende Kurse spekulieren und immer dann profitieren, wenn andere Marktteilnehmer Verluste erleiden.3 Die Diskussion um Leerverkäufe wurde zuletzt jedoch um eine zusätzliche Variation erweitert: Die der aktivistischen Leerverkäufe. Die Anzahl aktivistischer Leerverkäufe ist im letzten Jahrzehnt erheblich gestiegen,4 sodass das Phänomen zu Recht als „financial innovation“ bezeichnet wird.5 Wie viele andere Entwicklungen im Rahmen des Kapitalmarktes stammt auch dieses Phänomen aus den USA. Von daher war es nur eine Frage der Zeit, dass auch der deutsche Finanzplatz mit seinen Unternehmen in den Fokus der Akteure aktivistischer Leerverkäufe6 rückte. Ab dem Jahr 2016 kam es dann auch zu einigen aktivistischen Leerverkäufen auf Unternehmen wie Wirecard, Ströer, Aurelius oder ProSiebenSat.1.7 Diese Fälle stießen auf eine erhebliche Resonanz bei Wirtschaftsjournalisten und wurden so einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Dabei handelt es sich aber um keine zufällige Entwicklung, sondern um eine logische Konsequenz der fortschreitenden Digitalisierung am Kapitalmarkt. Die aktivistischen Leerverkäufer profitieren davon in zweifacher Hinsicht. Zum einen werden durch den Einsatz digitaler Medien die Informationen viel schneller verbreitet. Zum anderen wirkt sich der automatische Handel durch Algorithmen aus, weil Computer Informationen ohne menschliche Interaktionen erkennen und in Transaktionen umsetzen. Diese Algorithmen sind in der Lage, die im Rahmen 1

Voß, in: 25 Jahre WpHG, 715 (716); Klingenbrunn, Produktverbote, S. 99. Wilken / Bertus, in: BB 2019, 2754 (2754); Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (296); Splinter /  Gansmeier, in: ZHR 184 (2020), 761 (763); Kumpan / Misterek, in: WM 2021, 417 (418); Klingen­ brunn, Produktverbote, S. 100; Lange, Regulierung von Aktienleerverkäufern, S. 11; Appel /  Fos, Active Short Selling by Hedge Funds, S. 1. 3 Schlimbach, Leerverkäufe, S. 2; Findeisen / Tönningsen, in: WM 2011, 1405 (1405). 4 Vgl. nur Appel / Fos, Active Short Selling by Hedge Funds, S. 2. Die zwischenzeitlich seit einem Höchststand 2015 gesunkenen Zahlen nahmen zuletzt wieder zu Reetun, in: Activist Insight, The Activist Anual Review 2020, 1 (36); nunmehr auch Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (294). 5 So Wong / Zhao, Post-Apocalyptic: The Real Consequences of Activist Short-Selling, S. 1; ähnlich Graßl / Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (49) („neuer Trend“). 6 Im Folgenden werden diese Akteure, die einen aktivistischen Leerverkauf durchführen, verkürzt als ‚aktivistischer Leerverkäufer‘ bezeichnet. 7 Möllers, in: NZG 2018, 649 (649). 2

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Einführung

eines aktivistischen Leerverkaufs zentralen negativen Research Reports zu identifizieren und so den Kursverfall zu verstärken.8 Die gegen die Leerverkäufe im Allgemeinen vorherrschenden moralischen Bedenken wurden durch das Auftreten aktivistischer Leerverkäufe vermehrt. Insbesondere die Zielunternehmen werfen den aktivistischen Leerverkäufern vor, falsche Informationen zu streuen. Dadurch würden sie künstlich einen Kursverfall herbeiführen, der lediglich ihrer eigenen Gewinnmaximierung diene.9 Dagegen steht das Selbstverständnis aktivistischer Leerverkäufer, die sich als Verfechter der Meinungsfreiheit begreifen, um so Informationsasymmetrien am Kapitalmarkt abzubauen und eventuellen „Finanzdieben“ auf die Schliche zu kommen.10 Wie so oft hilft auch bei der Beurteilung aktivistischer Leerverkäufe kein Schwarz-Weiß-Denken, wenngleich diese gegenteiligen Positionen das grund­ legende Spannungsverhältnis der Diskussion verdeutlichen. Es stellt sich also die Frage, ob aktivistische Leerverkäufe die Markteffizienz und die Funktionsfähigkeit der Märkte verbessern oder ob sie eher manipulativen eigennützigen Gewinnzwecken dienen.11 Die besondere Problematik einer positiven oder negativen Wirkung liegt letztlich aber immer auf der Ebene des Sachverhalts. Zur Erläuterung sei hier der besonders öffentlichkeitswirksame Fall Wirecard erwähnt. Den Zahlungsdienstleister Wirecard begleiten bereits seit über einem Jahrzehnt immer wieder negative Berichterstattungen in den Medien.12 2016 erhob das bis dahin unbekannte ResearchHaus Zatarra Research & Investigations LLC unter anderem folgende Vorwürfe gegen Wirecard: Betrug, Geldwäsche und ein künstliches Aufblähen der Bilanz.13 Dadurch sank der Börsenwert zwischenzeitlich um ca. 1,3 Milliarden Euro.14 Anfang 2019 folgte eine Reihe von Berichten der Financial Times, in denen ein Bilanzmanipulations- und Korruptionsskandal mit der Veröffentlichung konkreter Informationen und Quellen vermutet wurde.15 Beide Berichterstattungen, die ­Wirecard als falsch und irreführend zurückgewiesen hat, waren nach Aussagen des 8

Möllers, in: NZG 2018, 649 (649); Mülbert, in: ZHR 182 (2018), 105 (110); Wentz, in: WM 2019, 196 (196); Voß, in: 25 Jahre WpHG, 715 (716 Fn. 7); Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (699 f.); Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 41; ähnlich zur wichtigen Rolle der sozialen Medien Mitts, Columbia Law and Economics Working Paper No. 615, S. 9 f. 9 Kartapanis, Activist Short-Sellers and Accounting Fraud Allegations, S. 2. 10 Möllers, in: NZG 2018, 649 (649). 11 Langenbucher / Hau / Wentz, in: ZBB 2019, 307 (307). 12 Zu den ersten Berichterstattungen vgl. Nieding / Nowotka, in: jurisPR-BKR 12/2019 Anm. 1. 13 Zusammenfassung der Vorwürfe bei Nieding / Nowotka, in: jurisPR-BKR 12/2019 Anm. 1; Wirtschaftswoche v. 19. 06. 2016, House of Wirecard, abrufbar unter: https://www.wiwo. de/finanzen/boerse/finanzmaerkte-house-of-wirecard/13708722.html, zuletzt abgerufen am 17. 05. 2021. 14 Nieding / Nowotka, in: jurisPR-BKR 12/2019 Anm. 1. 15 Eine chronologische Abfolge zu den Financial Times-Artikeln findet sich bei Mülbert /  Sajnovits, in: BKR 2019, 313 (314); Nieding / Nowotka, in: jurisPR-BKR 12/2019 Anm. 1.

Einführung

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Unternehmens mit einem erheblichen Anstieg von Leerverkaufspositionen verbunden.16 Vor diesem Hintergrund wurde sodann die BaFin aktiv und ermittelte wegen des Verdachts der Marktmanipulation: Bei Zatarra konnten Personen um Fraser Perring, einem Mitgründer eines weiteren Analyse-Hauses Viceroy Research, als Urheber des Berichts identifiziert werden. Nach der Übergabe des Verfahrens an die Staatsanwaltschaft München I wurde am dortigen Landgericht ein Antrag auf Erlass eines Strafbefehls gestellt.17 Das Verfahren endete jüngst vor der Veröffentlichung der skandalösen Realität bei Wirecard mit einer Einstellung des Verfahrens gegen Geldauflage.18 Während der Berichterstattung der Financial Times nutzte die BaFin eines ihrer schärfsten Mittel und verbot am 18. 02. 2019 per Allgemeinverfügung gem. Art. 20 SSR für einen befristeten Zeitraum die Begründung und Vergrößerung von Netto-Leerverkaufspositionen in Aktien von Wirecard.19 Beide Maßnahmen offenbaren eine voreilige Vorverurteilung aktivistischer Leerverkäufer und unterstellen diesen eine manipulative Absicht.20 Erst im Juni 2020 kam dann schrittweise das wirkliche Ausmaß des Skandals an die Öffentlichkeit, sodass der Fall Wirecard jetzt als größter Wirtschaftskrimi am deutschen Finanzmarkt betitelt wird.21 Das Unternehmen, das über 12 Milliarden Euro seines Börsenwertes verloren hat, ist mittlerweile insolvent, sodass die Mehrheit der Anleger erheblich geschädigt wurde.22 Daher ist es auch nachvollziehbar, 16

Mülbert / Sajnovits, in: BKR 2019, 313 (314). Manager-Magazin v. 11. 12. 2018, Manipulation mit Wirecard-Aktien für Staatsanwalt erwiesen, abrufbar unter: https://www.manager-magazin.de/finanzen/boerse/wirecard-krimi neller-hintergrund-fuer-kursabsturz-im-februar-2016-a-1242977.html, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 18 Vgl. nur Capital v. 18. 11. 2020, Wie die Ermittler die Wirecard-Chefs vom Haken ließen, abrufbar unter: https://www.capital.de/wirtschaft-politik/erste-razzia-bei-wirecardschon-lange-vor-der-pleite/2, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 19 BaFin, Allgemeinverfügung zum Verbot der Begründung und Vergrößerung von NettoLeerverkaufspositionen v. 18. 02. 2019, abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/ Veroeffentlichungen/DE/Meldung/2019/meldung_190218_Allg_Vfg_Wirecard_Verbot_Leer verkaufspositionen.html, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021; Mülbert / Sajnovits, in: BKR 2019, 313 (313). 20 Süddeutsche Zeitung v. 14. 07. 2020, Alles muss auf den Tisch, ohne Geheimniskrämerei, abrufbar unter: https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/wirecard-finanzaufsicht-bafinkommentar-1.4965660, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 21 Vgl. nur Hamburger Morgenpost v. 23. 06. 2020, Ex-Chef festgenommen: Der WirecardKrimi – oder: die verschwundenen Milliarden, abrufbar unter: https://www.mopo.de/news/politikwirtschaft/ex-chef-festgenommen-der-wirecard-krimi---oder--die-verschwundenen-milliarden-36893936; ZDFheute v. 25. 06. 2020, Der Wirecard-Skandal – worum es geht, abrufbar unter: https://www.zdf.de/nachrichten/wirtschaft/wirecard-bilanzskandal-faq-100.html, jeweils zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 22 Beck-Aktuell Nachrichten v. 30. 06. 2020, Bund kündigt nach Wirecard-Skandal Vertrag mit Bilanzprüfern, becklink 2016748; Handelsblatt v. 16. 07. 2020, Finanzministerium zeigt im Fall Wirecard mit dem Finger auf EY, abrufbar unter: https://www.handelsblatt.com/finanzen/ banken-versicherungen/bilanzskandal-finanzministerium-zeigt-im-fall-wirecard-mit-demfinger-auf-ey/26012270.html?ticket=ST-6252906-UOZBKPBxgzOYhqaxPGPs-ap6, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 17

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Einführung

dass den Aufsichtsbehörden in vielfacher Hinsicht schwerwiegende Vorwürfe gemacht werden.23 Ebenso verständlich ist dann auch die Forderung, aktivistische Investoren ernst zu nehmen und ihre Analysen zu berücksichtigen.24 Diese Entwicklungen und das öffentlichkeitswirksame Echo einzelner aktivistischer Leerverkäufe nimmt diese Arbeit deshalb als Anlass, um das Phänomen unter dem aktuellen Rechtsrahmen eingehend zu behandeln.

23 Beck-Aktuell Nachrichten v. 25. 06. 2020, Wirecard stellt Antrag auf Insolvenzverfahren, becklink 2016716; Bourgon, in: BB 2020, 1578 (1578); Tagesschau v. 23. 06. 2020, Die Kontrollmechanismen haben versagt, abrufbar unter: https://www.tagesschau.de/kommentar/ wirecard-131.html, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 24 Handelsblatt v. 08. 07. 2020, Deutschland braucht aktivistische Investoren, abrufbar unter: https://www.handelsblatt.com/meinung/kommentare/kommentar-deutschland-braucht-aktivis tische-investoren/25983072.html?ticket=ST-5514308-DTZgTht0oC4HfoPWiZfr-ap6, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021.

Ziel und Gang der Untersuchung Das Ziel der Abhandlung ist es, die Grenzen der Zulässigkeit des aktivistischen Leerverkaufs unter den zentralen Regulierungen der Leerverkaufsverordnung (Short Selling Regulation, SSR)1 und der Marktmissbrauchsverordnung (Market Abuse Regulation, MAR)2 zu untersuchen. Ausgangspunkt ist dabei die ökonomische Bewertung von aktivistischen Leerverkäufen. Darauf aufbauend sollen die normativen Grenzen des Phänomens herausgearbeitet werden, um so überprüfen zu können, inwieweit diese gesetzlichen Regelungen mit den ökonomischen Überlegungen übereinstimmen. Durch diese Vorgehensweise soll eine Abgrenzung zwischen den positiven und negativen Erscheinungsformen eines aktivistischen Leerverkaufs anhand der gegenwärtigen rechtlichen Instrumente ermöglicht werden. Diese Untersuchung soll durch die Auseinandersetzung mit ausgewählten Pro­ blemstellungen zum wissenschaftlichen Diskurs beitragen, um so insbesondere die jüngere MAR in ihrer Handhabung zu verbessern. Zudem soll sie dabei helfen, den Umgang mit aktivistischen Leerverkäufen in der Praxis zu optimieren und eine Diskussionsgrundlage für die zahlreichen rechtlichen Fragestellungen der Sanktionierung von illegitimen aktivistischen Leerverkäufen zu schaffen. Der Gang der Abhandlung richtet sich daher nach folgender Struktur: Das erste Kapitel widmet sich den Grundlagen der Arbeit, indem zunächst in § 1 das Phänomen des aktivistischen Leerverkaufs definiert wird, wobei der Schwerpunkt der Darstellung in der Verbindung mit der Veröffentlichung eines Research Reports liegt. Sodann werden zwei Beispiele dieser Verbindung vorgestellt, auf die in den weiteren Kapiteln zur Veranschaulichung immer wieder Bezug genommen wird. § 2 stellt die ökonomische Bewertung des klassischen Leerverkaufs dar, um anschließend in § 3 den aktivistischen Leerverkauf aus ökonomischer Perspektive betrachten zu können. Im zweiten Kapitel werden die regulatorischen Anforderungen für den Leerverkauf nach der SSR analysiert und im Licht der ökonomischen Implikationen des § 2 bewertet. 1

Verordnung (EU) Nr. 236/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. 03. 2012 über Leerverkäufe und bestimmte Aspekte von Credit Default Swaps, ABl. EU Nr. L 86 v. 24. 03. 2003, S. 1, im Folgenden wird die englische Abkürzung SSR verwendet. 2 Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 04. 2014 über Marktmissbrauch (Marktmissbrauchsverordnung) und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und der Richtlinien 2003/124/EG, 2003/125/EG und 2004/72/EG der Kommission, ABl. EU Nr. L 173 v. 12. 06. 2014, S. 1, im Folgenden wird die englische Abkürzung MAR verwendet.

22

Ziel und Gang der Untersuchung

Im dritten Kapitel beginnt die Untersuchung der Grenze nach der MAR, die jünger ist als die SSR und den europäischen Kapitalmarkt tiefgreifend verändert hat. Damit eröffnet die MAR aber weitergehende Rechtsfragen, die eine umfassende Beschäftigung nahelegen. In diesem Zusammenhang werden in § 5 die Anforderungen an den Research Report eines aktivistischen Leerverkaufs gem. Art. 20 I MAR erläutert. Nach dem ErwGr. Nr. 7 MAR nimmt in der MAR die Verhinderung von Markmanipulationen und Insidergeschäften einen besonderen Stellenwert ein. Auch in dieser Arbeit wird im § 6 die Grenze nach dem Marktmanipulationsverbot gem. Art. 15 i. V. m. Art. 12 MAR ausführlich thematisiert. Von zentraler Relevanz sind hier die einzelnen Tatbestände des Art. 12 MAR: In diesen werden die unterschiedlichen Anforderungen der neuen Rechtslage ausgelegt und darauf aufbauend die Zulässigkeit aktivistischer Leerverkäufe überprüft. Darüber hinaus werden die zusätzlichen Anforderungen des nationalen Sanktionsregimes erwähnt. Zum Schluss wird gefragt, inwieweit die Erkenntnisse des § 3 mit den vorgefundenen Regulierungen übereinstimmen. § 7 thematisiert das Insiderrecht als weitere Grenze der Zulässigkeit. Während das Marktmanipulationsverbot in der juristischen Aufarbeitung aktivistischer Leerverkäufe dominiert, tritt das Insiderrecht eher in den Hintergrund. Die Arbeit widmet sich deshalb auch dieser Problematik und untersucht im Schwerpunkt mögliche Anknüpfungspunkte des aktivistischen Leerverkaufs als Insiderinformation gem. Art. 7 I a MAR und einem daraus möglicherweise entstehenden Insiderhandelsverbot gem. Art. 14 I a i. V. m. Art. 8 I MAR. Die Schlussbetrachtung fasst die vorgefundenen Ergebnisse zusammen und beantwortet die Frage, inwieweit die Grenzen der Zulässigkeit aktivistischer Leerverkäufe mit ihrer ökonomischen Bewertung übereinstimmen. Da die jeweiligen Regulierungen eine Fülle von Rechtsfragen implizieren, beschränkt sich die vorliegende Arbeit auf ausgewählte und für aktivistische Leerverkäufe besonders virulente Problembereiche. Insofern erhebt sie also keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Kapitel 1

Grundlagen § 1 Das Geschäftsmodell aktivistischer Leerverkäufer Vor der Analyse der ökonomischen Implikationen aktivistischer Leerverkäufe ist es erforderlich, dieses Phänomen näher zu erläutern: Die Bezeichnung dieses Phänomens ist bisher nicht einheitlich: So existieren die Termini „Leerverkaufsaktivismus“1 bzw. „aktivistische Leerverkäufer“2 oder im Englischen „Activist Short Selling“3; Begriffe wie „Leerverkaufsattacken“4 bzw. „Short Seller-Attacke“5 sind dagegen auf den ersten Blick negativ konnotiert.6 Deshalb wird für diese Arbeit die neutralere Bezeichnung des aktivistischen Leerverkaufs verwendet,7 weil das Phänomen durchaus positive Auswirkungen hat und unter Einhaltung zentraler Normen grundsätzlich zulässig ist. Nichtsdesto­ trotz lässt sich das Geschäftsmodell der aktivistischen Leerverkäufer auch als Leerverkaufsattacke kennzeichnen, weil ihm wie bei einem Angriff eine gezielte Stoßrichtung innewohnt. Um aber das Geschäftsmodell der aktivistischen Leerverkäufer zielführend einordnen zu können, ist es zunächst von dem klassischen Leerverkauf abzugrenzen.

A. Der klassische Leerverkauf Die gängige juristische Definition eines Leerverkaufs besagt, dass sich die Finanzinstrumente zum Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses nicht im Eigentum des Leerverkäufers befinden.8 Maßgebliches Kriterium ist danach zunächst die 1

Kocher, in: DB 2016, 2887 (2891); Graßl / Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (51). Bayram / Meier, in: BKR 2018, 55 (55); Langenbucher / Hau / Wentz, in: ZBB 2019, 307 (307). 3 Zhao, Activist Short-Selling, S. 1. 4 Möllers, in: NZG 2018, 649 (649); Bayram / Meier, in: BKR 2018, 55 (55); Graßl / Nikoley­ czik, in: AG 2017, 49 (51); Wilken / Bertus, in: BB 2019, 2754 (2754); Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (291); Brellochs, in: ZGR 2020, 319 (319); Splinter / Gansmeier, in: ZHR 184 (2020), 761 (768); Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 233. 5 Mülbert, in: ZHR 182 (2018), 105 (105); Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (699 f.); Schocken­hoff, in: WM 2020, 1349 (1349); Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 41; Mülbert /  Sajnovits, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Vorb. Art. 1–41 SSR Rn. 71; F. Schäfer, in: Assmann / Schütze / Buck-Heeb, HdB KapitalanlageR, § 21 Rn. 24. 6 Ähnlich Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 233. 7 Uneinheitlich Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 31. 8 Statt vieler, Zimmer / Beisken, WM 2010, 485 (485). 2

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Kap. 1: Grundlagen

fehlende rechtliche Eigentumsposition des Leerverkäufers,9 wobei eine wirtschaftliche Eigentumsposition einer rechtlichen letztlich gleichgestellt wird: Im Fall der Wertpapierleihe wird der Leerverkäufer zwar im rechtlichen Sinne Eigentümer des Wertpapiers, hat aber gleichzeitig eine entsprechende Rückgabeverpflichtung, sodass er nicht wirtschaftlicher Eigentümer des Wertpapiers ist.10 Deshalb ist auch nach Auffassung juristischer Autoren die fehlende wirtschaftliche Eigentumsposition maßgebliches Kriterium für einen Leerverkauf.11 Dieser Definition entspricht auch das Verständnis des europäischen Gesetzgebers in Art. 2 I b SSR.12 Im Gegensatz dazu kommt es aus ökonomischer Perspektive nicht auf die Eigentumsstellung des Leerverkäufers an, sondern ausschließlich auf eine entsprechende Short-Position,13 die dann vorliegt, wenn der Profit des Geschäfts mit fallenden Kursen erwirtschaftet werden soll.14 Erforderlich ist also eine offene Lieferungsverpflichtung, sodass beim Verkauf eine wertkonstante Kaufpreisforderung einer wertvariablen Verbindlichkeit gegenübersteht.15 Die Short-Position ist das Gegenteil einer Long-Position, bei der Gewinne durch Kaufen und Halten von Wertpapieren bei steigenden Kursen erzielt werden.16 Im Fall des Leerverkaufs realisiert der Leerverkäufer einen entsprechenden Spekulationsgewinn, wenn der Aktienkurs nach dem Verkauf gesunken ist und er sich mit der Aktie zur Erfüllung seiner Lieferungsverpflichtung günstiger am Markt eindecken kann.17 Dieses wird Deckungsgeschäft genannt.18 Abzüglich eventueller Gebühren liegt der Gewinn des Leerverkäufers in der Differenz vom Kurs zum Zeitpunkt des Leerverkaufs und dem des späteren Deckungsgeschäftes.19 Deshalb ist der maximale Gewinn auf den Ausgangskurs der Aktie beschränkt, während der Verlust theoretisch in unbegrenzter Höhe möglich ist.20 Dies gilt für eine Long-Position nicht, weil hier eine unbegrenzte Gewinnmöglichkeit einer begrenzten Verlustmöglichkeit gegenübersteht, sodass Leerverkäufe immer risikoreicher als Long-Positionen sind.21 Prüft man die juristische und ökonomische Definition genauer, ist letztere vorzugswürdig. In der juristischen Definition werden nämlich auch Fälle miterfasst, die dem Sinn und Zweck von Leerverkäufen nicht entsprechen.22 Beispielhaft sei 9

Suttner / Kielholz, in: ORDO 62 (2011), 101 (102). Umfassend zur Wertpapierleihe, Schlimbach, Leerverkäufe, S. 112 ff. 11 Vgl. nur Schlimbach, Leerverkäufe, S. 9. 12 M. w. N. Schlimbach, Leerverkäufe, S. 10. 13 Suttner / Kielholz, in: ORDO 62 (2011), 101 (103). 14 Tyrolt / Bingel, in: BB 2010, 1419 (1419). 15 Schlimbach, Leerverkäufe, S. 10. 16 Tyrolt / Bingel, in: BB 2010, 1419 (1419). 17 Suttner / Kielholz, in: ORDO 62 (2011), 101 (102). 18 Schlimbach, Leerverkäufe, S. 8. 19 Tyrolt / Bingel, in: BB 2010, 1419 (1420); Bliss / Molk / Partnoy, Negative Activism, S. 39. 20 Klingenbrunn, Produktverbote, S. 101. 21 Schlimbach, Leerverkäufe, S. 11; Klingenbrunn, Produktverbote, S. 113; Bliss / Molk /  Partnoy, Negative Activism, S. 39. 22 Suttner / Kielholz, in: ORDO 62 (2011), 101 (102 f.); Tyrolt / Bingel, in: BB 2010, 1419 (1419); Tritschler, Die Regulierung von Leerverkäufen als Folge der Finanzkrise, S. 28; Schlimbach, 10

§ 1 Das Geschäftsmodell aktivistischer Leerverkäufer

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hier der Verkauf einer Aktie genannt, die bei Vertragsschluss nur noch nicht übereignet wurde.23 Darüber hinaus können Leerverkäufe sowohl gedeckt (covered) als auch ungedeckt (uncovered oder naked) vorgenommen werden. Um diese beiden Arten adäquat abzugrenzen, gilt es vom Zeitpunkt des Deckungsgeschäfts auszugehen,24 weil nur so dem besonderen Risiko des ungedeckten Leerverkaufs Rechnung getragen wird: Dieses liegt darin, dass der Leerverkäufer sich nicht mehr mit den Finanzinstrumenten eindecken kann.25 Der Leerverkauf ist demnach gedeckt, wenn der Leerverkäufer zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses die fristgerechte Lieferung des Finanzinstruments sichergestellt hat.26 Umgekehrt ist der Leerverkauf ungedeckt, wenn die fristgerechte Lieferung noch nicht sichergestellt ist, die Deckung also erst nach Vertragsschluss erfolgen soll.27 Da die genaue Abgrenzung für das Verbot ungedeckter Leerverkäufe der SSR von zentraler Bedeutung ist, wird diese ebenso wie mögliche Deckungsgeschäfte im zweiten Kapitel eingehend dargestellt. Hier sei nur darauf hingewiesen, dass durch ungedeckte Leerverkäufe im Sinne einer Hebelwirkung erhebliche Gewinne bei geringem Kapitaleinsatz erzielt werden können. Gerade darin liegt der besondere Reiz von ungedeckten Leerverkäufen.28 Leerverkäufe können aus zahlreichen Motiven getätigt werden.29 Das vorrangige Motiv ist die bereits oben erläuterte Verwendung zur Spekulation, um bei fallenden Kursen einen Spekulationsgewinn zu erzielen. Die Hauptstrategie des Leerverkäufers ist es, überbewertete Finanzinstrumente zu identifizieren und darauf zu spekulieren, dass bis zur Eindeckung der Finanzinstrumente der geschätzte geringere Fundamentalwert zu einem Kursrückgang führt.30 Daneben werden Leerverkäufe auch als Risikomanagementmaßnahme (Hedging) zur Absicherung von Kursrisiken einer gehaltenen Long-Position verwendet.31 Ferner greifen Market-Maker Leerverkäufe, S. 11. Bezüglich des gesetzlichen Leerverkaufsbegriffs der SSR kommt dabei Schlimbach zu dem Ergebnis, dass der SSR bei der Auslegung der Definition sowie der gesetzlichen Begriffsausnahmen ein materieller Leerverkaufsbegriff zu Grund liegt, der ebenfalls auf die ökonomische Dimension des Leerverkaufs abstellt, S. 126; abweichend Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 19. 23 Schlimbach, Leerverkäufe, S. 11. 24 Schlimbach, Leerverkäufe, S. 11. 25 Suttner / Kielholz, in: ORDO 62 (2011), 101 (103.); ähnlich Tyrolt / Bingel, in: BB 2010, 1419 (1420). 26 Schlimbach, Leerverkäufe, S. 11. 27 Suttner / Kielholz, in: ORDO 62 (2011), 101 (103); Schlimbach, Leerverkäufe, S. 11. 28 Schlimbach, Leerverkäufe, S. 13. 29 Ausführlich dazu Financial Services Authority, Short Selling Discussion Paper 09/1, S. 7 ff., Rn. 2.10 ff., abrufbar unter: https://www.sbai.org/wp-content/uploads/2016/04/fsa_ short_selling_2009.pdf, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 30 Klingenbrunn, Produktverbote, S. 102. 31 Mülbert / Sajnovits, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Vorb. Art. 1–41 LVVO Rn. 53.

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Kap. 1: Grundlagen

auf Leerverkäufe zurück, um Lücken in ihrem Handelsbestand zu schließen und so einen dauerhaften und reibungslosen Handel von Finanzinstrumenten auch in Zeiten hoher Nachfrage zu garantieren.32

B. Der aktivistische Leerverkauf Im Gegensatz zu einem klassischen Leerverkäufer veröffentlichen nach dem verbreiteten Verständnis aktivistische Leerverkäufer ihre Leerverkaufsposition freiwillig in einem sog. Research Report, der die Gründe für ihre Leerverkaufsposition offenlegt. Ein aktivistischer Leerverkauf weist in dieser Form insgesamt drei Bestandteile auf, die zeitlich variieren können: Den Abschluss eines Leerverkaufs, die Erstellung und Veröffentlichung eines Research Reports sowie die Eindeckung mit den im Kurs gesunkenen Aktien des Zielunternehmens zur Erfüllung der Leerverkaufsverpflichtung.33 In der Regel sondiert der Investor zunächst eine potenzielle Aktie eines Zielunternehmens, worauf dann die Recherche von Informationen und die Erstellung des Research Reports folgt. Anschließend oder zeitgleich wird dann eine Leerverkaufsposition aufgebaut.34 Für das Geschäftsmodell des aktivistischen Leerverkäufers kommt es ausschließlich darauf an, dass eine Short-Position vor der Veröffentlichung gehalten werden muss, um so einen maximalen Gewinn erwirtschaften zu können. Mit dieser Veröffentlichung verfolgen die Leerverkäufer nämlich die Strategie, einen Kursverfall des Zielunternehmens zu verursachen, indem sie andere Long-Investoren vom Verkauf der Aktie überzeugen.35 Im Gegensatz zu den vielfältigen Motiven eines klassischen Leerverkaufs steht also die Spekulation im Vordergrund, dass der prognostizierte Fundamentalwert einen Kursrückgang bewirkt.36 So wird es dem aktivistischen Leerverkäufer möglich, sich günstig mit den erforderlichen Aktien einzudecken und einen Gewinn zu erwirtschaften, der durch die Öffentlichkeitswirksamkeit größer ausfallen soll als im Fall eines klassischen Leerverkaufs. Der aktivistische Leerverkauf kann dabei unterschiedliche Formen annehmen: In der typischen Form ist die natürliche oder juristische Person des Leerverkäufers und der Autor des Research Reports identisch, wobei seine Identität bekannt ist. Es kommt aber auch vor, dass der Research Report – vor allem im Internet – anonym bzw. unter einem Pseudonym veröffentlicht wird, sodass nicht ersichtlich ist, welche natürliche oder juristische Person hinter dem Geschäft steht. Eine weitere 32

Mittermeier, in: ZBB 2010, 139 (140). Wilken / Bertus, in: BB 2019, 2754 (2754); Mülbert, in: ZHR 182 (2018), 105 (105); Graßl / Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (51); F. Schäfer, in: Assmann / Schütze, HdB KapitalanlageR, § 21 Rn. 24. 34 Wilken / Bertus, in: BB 2019, 2754 (2754). 35 Ljungqvist / Qian, 29 Rev. Fin. Stud. (2016), 1975 (1976); Graßl / Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (51). 36 Allgemein hierzu Klingenbrunn, Produktverbote, S. 102. 33

§ 1 Das Geschäftsmodell aktivistischer Leerverkäufer

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Variante ist darin zu sehen, dass die Beziehung zum Finanzjournalismus dahingehend genutzt wird, negative Berichte in die Öffentlichkeit zu streuen, zugleich aber nicht als Leerverkäufer erkennbar zu sein. In diese Richtung gingen die Vorwürfe zur kritischen Berichterstattung durch die Financial Times über Wirecard.37 Zu beachten ist weiterhin, dass die Form der Veröffentlichung über einen Research Report kein zwingender Bestandteil eines aktivistischen Leerverkaufs ist. Wie auch bei anderen aktivistischen Strategien ist die Vorgehensweise vielfältig. So kann der Leerverkäufer seine Short-Position und seine Vorwürfe beispielsweise in einem Interview mit klassischen Medien oder einem veröffentlichten Brief an den Aufsichtsrat gegenüber der Öffentlichkeit mitteilen.38 Zentrales Merkmal eines aktivistischen Leerverkaufs ist mithin ausschließlich die öffentlichkeitswirksame Verbreitung einer Short-Position und der diese Position stützenden Vorwürfe. Gleichwohl stellen sich gerade in der Form der Veröffentlichung über einen Research Report besondere Fragestellungen, denen in der Untersuchung schwerpunktmäßig nachgegangen werden soll.

C. Verortung des aktivistischen Leerverkaufs im Kontext von Shareholder und Investor Activism Aktivistische Investitionsstrategien sind vielfältiger Natur, wobei für die vorliegende Arbeit zwischen Shareholder und Investor Acvtism zu unterscheiden ist.39 Im Shareholder Acvtism bzw. „Aktionärsaktivismus“40 interpretiert ein Aktionär seine Rolle in der gesellschaftsrechtlichen Struktur der Aktiengesellschaft aktiv, nicht passiv.41 Die Basis dieser Aktivität ist das strategische Verhalten von (Minderheits-)Aktionären, die die Geschicke der Gesellschaft in ihrem Interesse durch die Ausübung ihrer Aktionärsrechte oder auf andere Weise zu beeinflussen suchen.42 Bei der Wahrnehmung dieser Aktivitäten spielen vielfältige Ziele und Motive eine Rolle: Zu denken ist hier etwa an den klassischen operativen Aktivismus, bei dem der Unternehmenswert durch strategische und operative Veränderungen maximiert werden soll. Ebenso ist der Socially-Responsible- bzw. Gemeinwohl-Aktivismus zu nennen, der über den Unternehmenswert hinaus weitere Werte und Interessen, z. B. den Umweltschutz, stärker in den Fokus des Unternehmens rücken möchte.43 37

Mülbert / Sajnovits, in: BKR 2019, 313 (314 f.). Langenbucher / Hau / Wentz, in: ZBB 2019, 307 (311). 39 So auch Graßl / Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (49). 40 Heuser, Shareholder Activism, S. 17. 41 Theater / Guski, in: AG 2007, 301 (301). 42 Vgl. m. w. N. Heuser, Shareholder Activism, S. 18. 43 Überblick zu den verschiedenen Arten und verfolgten Zielen aktivistischer Aktionäre jeweils bei Heuser, Shareholder Activism, S. 7 ff.; Mülbert, in: ZHR 182 (2018), 105 (106); Graßl / Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (49); Kocher, in: DB 2016, 2887 (2887 ff.); Inici, Shareholder Engagement, S. 94 ff.; Faure, Verantwortung institutioneller Aktionäre im deutschen Aktienrecht, S. 69 ff. 38

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Kap. 1: Grundlagen

Der Investor Activism knüpft dagegen nicht an die Aktionärsstellung an, sodass der aktivistische Leerverkauf darunter gefasst werden kann.44 Aktivistische Leerverkäufer stehen gerade auf der entgegengesetzten Seite von aktivistischen Aktionären, verfolgen sie doch keine Maximierung, sondern eine Minimierung des Unternehmenswerts.45 Auf diese Weise wollen sie eine günstige Eindeckungsmöglichkeit erreichen und Gewinne aus ihren Leerverkaufspositionen schöpfen. Deshalb sprechen einige Autoren neuerdings auch vom „Negative Activism“.46

D. Fallbeispiele In diesem Abschnitt werden die jeweiligen Grundtypen eines aktivistischen Leerverkaufs anhand von zwei Beispielsfällen identifiziert, um die Auswirkungen der Regulierung auf die unterschiedlichen Ausprägungen eines aktivistischen Leerverkaufs in der Abhandlung zu verdeutlichen. Die beiden Fälle sollen exemplarisch das regulatorische Spannungsfeld des Phänomens aufzeigen. Zum einen wurde mit dem Fall Steinhoff / Viceroy ein insgesamt noch positiv zu bewertender aktivistischer Leerverkauf ausgewählt, weil der Research Report zur Verbesserung der Informationseffizienz beigetragen hat. Letztlich erhärteten sich nämlich die Verdachtsmomente. Zum anderen wird mit Aurelius / Gotham ein negativ einzuordnender Fall dargestellt, bei dem sich die konkreten Vorwürfe nicht bestätigten. Wie aber die aktuellen Ereignisse um das Unternehmen Wirecard dokumentieren, ist die Beurteilung der Grenzen der Zulässigkeit für das Phänomens besonders faktenlastig und letztlich immer eine Frage des Einzelfalls. Oft lässt sich keine trennscharfe Linie zwischen zulässig oder unzulässig ziehen. Verschärft wird diese Problematik dadurch, dass eine anhaltende Periode der Ungewissheit während der Überprüfung der Vorwürfe verursacht wird. Im Fall Wirecard vergingen letztlich knapp vier Jahre bis zur Aufdeckung der tatsächlichen Umstände. Wenngleich die Zeitspanne im jüngsten Fall Grenke Leasing / Viceroy deutlich kürzer war, gab es auch hier eine Phase der Unsicherheit. Während die Vorwürfe zu unlauteren Geschäftspraktiken und Bilanzungereimtheiten vom 14. 09. 202047 zunächst im Zwischenergebnis einer Sonderprüfung überwiegend nicht bestätigt wurden48, kritisierte eine weitere von der BaFin beauftragte Sonderprüfung zwischenzeitlich die Geldwäsche-, Kreditvergabe- und Bilanzierungspraktiken und stützte damit teil 44

Mülbert, in: ZHR 182 (2018), 105 (107); Graßl / Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (51). Mülbert, in: ZHR 182 (2018), 105 (106); Voß, in: 25 Jahre WpHG, 715 (746). 46 Als Gegenstück zum „Positive Activism“, Bliss / Molk / Partnoy, Negative Activism, S. 5; Mitts, Columbia Law and Economics Working Paper No. 615, S. 2. 47 Viceroy Report Grenke Leasing v. 14. 09. 2020, Grenke  – For Your Fraud Financing Needs, S. 1 ff., abrufbar unter: https://viceroyresearch.org/2020/09/15/grenke-for-your-fraudfinancing-needs/, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 48 Finance-Magazin v. 17. 12. 2020, Grenkes Sonderprüfer stellen gemischtes Zwischenzeugnis aus, abrufbar unter: https://www.finance-magazin.de/finanzabteilung/bilanzierung/ grenkes-sonderpruefer-stellen-gemischtes-zwischenzeugnis-aus-2072361/, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 45

§ 1 Das Geschäftsmodell aktivistischer Leerverkäufer

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weise die Vorwürfe.49 Zuletzt erlangte aber das Unternehmen in Widerlegung der zentralen Vorwürfe ein uneingeschränktes Testat für den Konzernabschluss 2020.50

I. Steinhoff / Viceroy Das Unternehmen Viceroy Research, das bis dahin nicht in Erscheinung getreten war, veröffentlichte am 6. 12. 2017 einen ausführlichen Research Report.51 Steinhoff, der zu diesem Zeitpunkt zweitgrößte Möbelkonzern Europas mit Notierung an der Frankfurter Börse,52 musste im Vorfeld des Research Reports per Ad-Hoc-Mitteilung am 5. 12. 2017 über folgende Geschehnisse informieren: Wegen Bilanzunregelmäßigkeiten wurde eine neutrale Prüfung in Auftrag gegeben und die Veröffentlichung des Jahresabschlusses auf unabsehbare Zeit verschoben. Zudem musste der frühere CEO zurücktreten.53 Dabei hatte die Staatsanwaltschaft Oldenburg im August 2017 schon wegen möglichen Bilanzfälschungen54 ermittelt, die vom Unternehmen damals als falsch zurückgewiesen worden waren.55 Der Research Report von Viceroy warf Steinhoff konkrete Transaktionen mit anderen, vermeintlich unabhängigen Unternehmen vor, womit die Erträge von Steinhoff künstlich erhöht wurden.56 Viceroy gab als Kursziel 1,29 Euro an, das einem 57 % Abschlag zum vorherigen Schlusskurs entsprach.57 Der Report konnte 49

Vgl. nur Finance-Magazin v. 10. 03. 2021, Fraser Perring führt 3:2 gegen Grenke, abrufbar unter: https://www.finance-magazin.de/finanzierungen/kapitalmarkt/fraser-perring-fuehrt32-gegen-grenke-2076041/; Spiegel-Online v. 26. 02. 2021, Grenke räumt erneut schwere Fehler ein, abrufbar unter: https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/grenke-raeumt-erneutschwere-fehler-ein-a-bb7924d2-bd6c-4c75-9c5b-28c16858b04a, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 50 Manager-Magazin v. 18. 05. 2021, Grenke erhält Testat für Jahresbilanz, abrufbar unter: https://www.manager-magazin.de/unternehmen/grenke-aktie-mit-kurssprung-kpmg-erstelltuneingeschraenktes-testat-a-54a4ae54-12ee-443e-83b5-65846cf33a0f, zuletzt abgerufen am: 18. 05. 2021. 51 Bloomberg v. 19. 12. 2017, Steinhoff wurde in 5 Jahrzehnten aufgebaut, zerbrach in 2 Tagen, abrufbar unter https://www.welt.de/newsticker/bloomberg/article171737111/Steinhoff-wurdein-5-Jahrzehnten-aufgebaut-zerbrach-in-2-Tagen.html, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 52 Handelsblatt v. 08. 12. 2015, Wo waren Sie beim Börsengang, Herr Jooste?, abrufbar unter: https://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/ikea-konkurrent-steinhoffwo-waren-sie-beim-boersengang-herr-jooste/12692682.html, zuletzt abgerufen am: 01. 10. 2020. 53 Steinhoff Ad-Hoc Mitteilung v. 05. 12. 2017, abrufbar unter: https://www.ariva.de/news/ ad-hoc-steinhoff-international-holdings-n-v-steinhoff-6653807, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 54 Vgl. für einen Überblick zur Abgrenzung zwischen Bilanzpolitik, -kosmetik und -fälschung Rinker, in: BC 2020, 329. 55 Wirtschaftswoche v. 06. 12. 2017, Aufstieg und Fall eines Möbelimperiums, abrufbar unter: https://www.wiwo.de/unternehmen/handel/bilanzskandal-bei-steinhoff-aufstieg-und-fall-einesmoebelimperiums/20676930.html, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021; zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 56 Viceroy Report Steinhoff v. 06. 12. 2017, Steinhoff’s skeletons: off-balance sheet entities inflating earnings, obscuring losses, S. 1 ff., abrufbar unter: https://viceroyresearch.org/ category/steinhoff-etr-jsesnh/, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 57 Viceroy Report Steinhoff v. 06. 12. 2017, S. 1.

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Kap. 1: Grundlagen

zum damaligen Zeitpunkt erstmals konkrete Geschäfte und Strukturen einer möglichen Bilanzfälschung aufzeigen, sodass der Aktienkurs durch den Report um mehr als die Hälfte einbrach.58 Der anderthalb Jahre später veröffentlichte neutrale Prüfbericht bestätigte diese Vorwürfe und legte für den Zeitraum von 2009 bis 2017 betroffene Transaktionen im Wert von insgesamt 6,5 Milliarden Euro offen.59 Dabei musste Steinhoff bereits im Vorfeld des Prüfberichts Abschreibungen in Höhe von 10,5 Milliarden Euro tätigen.60 Verantwortlich für die Scheingeschäfte waren nach den Prüfern ehemalige führende Mitarbeiter, inklusive des früheren CEOs, zusammen mit einigen unternehmensfremden Komplizen.61 Im Dislcaimer des Reports führte Viceroy an, dass sie für seine Erstellung nur öffentlich verfügbare Informationen verwendet hatten.62 Der Report nutzte dabei insbesondere Handelsregisterauszüge und öffentliche Finanzberichte der Steinhoff-Gruppe sowie der mit ihr in Verbindung gebrachten Drittunternehmen. Nach dem Disclaimer sollten die Leser zudem direkte oder indirekte Positionen Viceroys annehmen, die für den Fall eines Kursverfalls entsprechende Gewinne ermög­lichen würden.63 Wie sogleich im § 4 erläutert wird, musste Viceroy im Bundesanzeiger keine Netto-Leerverkaufspositionen veröffentlichen.64 Später gab Viceroy allerdings zu, Leerverkaufspositionen in Steinhoffs Aktien tatsächlich gehalten zu haben.65 Im Jahr 2018 wurde bekannt, dass ein großer Teil der im Report enthaltenen Informationen von einem weiteren Leerverkäufer, Portsea Asset Management, stammten, dessen Bericht vom Juni 2017 aber nicht einem breiten Publikum zugänglich gemacht wurde.66 Viceroy gab daraufhin zwar zu, mit anderen zusammenzuarbeiten, ohne allerdings eine Verbindung zu Portsea zu erwähnen.67 Wes 58

Wirtschaftswoche v. 06. 12. 2017, Aufstieg und Fall eines Möbelimperiums. PWC Bericht v. 15. 03. 2019, Overview of Forensic Investigation, S. 2 ff., abrufbar unter: https:// steinhoffinternational.com/downloads/2019/overview-of-forensic-investigation.pdf; FinanceMagazin v. 18. 03. 2019; Finance-Magazin v. 18. 03. 2019, PwC bestätigt Milliardenbetrug bei Steinhoff, abrufbar unter: https://www.finance-magazin.de/finanzabteilung/bilanzierung/ pwc-bestaetigt-milliardenbetrug-bei-steinhoff-2033351/, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 60 Handelsblatt v. 15. 03. 2019, Buchprüfer sehen Bilanzfälschung bei Möbelkonzern Steinhoff, abrufbar unter: https://www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/pwcbericht-buchpruefer-sehen-bilanzfaelschung-bei-moebelkonzern-steinhoff/24110434.html, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 61 PWC Bericht v. 15. 03. 2019, Overview of Forensic Investigation, S. 2 ff. 62 Viceroy Report Steinhoff v. 06. 12. 2017, S.3. 63 Viceroy Report Steinhoff v. 06. 12. 2017, S.3. 64 Siehe hierzu Kap. 2 § 4 A. 65 Capital v. 21. 03. 2018, Rätsel um Leerverkäufer bei Steinhoff, abrufbar unter: https:// www.capital.de/wirtschaft-politik/raetsel-um-leerverkaeufer-bei-steinhoff, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 66 Capital v. 21. 03. 2018, Rätsel um Leerverkäufer bei Steinhoff. 67 Financial Review v. 13. 07. 2018, Viceroy defends accusation of plagiarism made by South African firm, Intellidex, abrufbar unter: https://www.afr.com/markets/viceroy-defendsaccusation-of-plagiarism-made-by-south-african-firm-intellidex-20180713-h12nlf, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 59

§ 1 Das Geschäftsmodell aktivistischer Leerverkäufer

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halb dieser aktivistische Leerverkauf dennoch positiv zu qualifizieren ist, wird im § 3 näher erläutert.

II. Aurelius / Gotham Am 28. 03. 2017 veröffentlichte Gotham City Research LLC (Gotham), ein marktbekannter Leerverkäufer68, einen Research Report über das Unternehmen Aurelius SE & Co. KGaA, eine börsennotierte Beteiligungsgesellschaft aus der Nähe von München.69 Gotham erhob gegenüber Aurelius unter anderem folgende Vorwürfe: Ungereimtheiten bei der Bilanzierung und zu hoch angesetzte Werte der Unternehmensbeteiligungen.70 Der Wert der Aurelius-Aktie sei danach nicht höher als 8,56 Euro, was einem Wertverlust von 88 % zum damaligen Kursniveau entsprach.71 Im Vorfeld der Veröffentlichung des Research Reports hielt Gotham eine Netto­ leerverkaufsposition i. H. v. 0,80 % an Aurelius.72 Am Tag nach der Veröffent­lichung wurde diese Position auf 0,03 % reduziert, sodass Gotham seine Short-­Position unmittelbar nach dem eingetretenen Kursverlust glattstellte.73 Der realisierte Bruttogewinn soll im einstelligen Millionenbereich gelegen haben.74 Innerhalb einer Woche erfolgten mehrere umfassende Stellungnahmen75 durch Aurelius, in denen die Vorwürfe als falsch bezeichnet und Gotham fundamentale inhaltliche Fehler vorgeworfen wurden.76 68 Tagesschau v. 31. 03. 2017, Wer ist Gotham City?, abrufbar unter: https://www.tagesschau. de/wirtschaft/boerse/hr-boerse-story-14473.html, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 69 Bayram / Meier, in: BKR 2018, 55 (55). 70 Gotham Aurelius Report v. 28. 03. 2017, Aurelius Equity Opportunities SE & Co KGaA: The Next Argues AG or the next Philip Green?, S. 3, 44, abrufbar unter: https://www. gothamcityresearch.com/single-post/2017/03/28/Aurelius-Equity-Opportunities-SE-Co-KGa A-The-Next-Arques-AG-or-the-next-Philip-Green, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 71 Gotham City Aurelius Report v. 28. 03. 2017 – „Aurelius Equity Opportunities SE & Co KGaA: The Next Argues AG or the next Philip Green?“, S. 1. 72 Bundesanzeiger, Veröffentlichung Nettoleerverkaufspositionen Gotham City v. 28. 03. 2017, abrufbar bei Eingabe des Emittenten sowie des Zeitraums unter: https://www.bundesanzeiger. de/pub/de/to_nlp_start?2, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 73 Bundesanzeiger, Veröffentlichung Nettoleerverkaufspositionen Gotham City v. 29. 03. 2017, abrufbar bei Eingabe des Emittenten sowie des Zeitraums unter: https://www.bundesanzeiger. de/pub/de/nlp?6, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 74 Manager-Magazin v. 27. 04. 2017, Gotham-City-Gründer Yu plant weitere Attacken auf Sanierungsholding Aurelius, abrufbar unter: http://www.manager-magazin.de/unternehmen/ artikel/aurelius-hedgefonds-gotham-city-plant-weitere-short-attacken-a-1145123.html, zuletzt abgerufen: 17. 05. 2021. 75 Aurelius, Pressemitteilungen v. 28. 03. 2017, 02. 04. 2017 sowie 08. 04. 2017, abrufbar unter: https://aureliusinvest.de/equity-opportunities/presse/pressemitteilungen/?year=2017, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 76 Aurelius, Pressemitteilung v. 02. 04. 2017, Detailed Statement by AURELIUS Equity Opportunities SE & Co. KGaA in response to Gotham’s assertions, S. 2, abrufbar unter: https://

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Kap. 1: Grundlagen

Daraufhin bekräftigte Gotham in einem weiteren Bericht vom 05. 04. 2017 seine Anschuldigungen und zweifelte zudem die Existenz einzelner schwedischer Tochtergesellschaften an.77 Ein dritter Bericht vom 27. 04. 2017 erhob Vorwürfe gegen die Glaubwürdigkeit des CEO aufgrund eines vermeintlich vorgetäuschten Doktortitels.78 Wenngleich eine detaillierte Überprüfung der zahlreichen Vorwürfe den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, lässt sich doch konstatieren, dass Aurelius wenige Wochen nach den Berichten eine Beteiligung im Wert von 185 Millionen erfolgreich veräußern konnte, die in der Analyse mit nicht einmal 10 % dieses Erlöses bewertet wurde.79 Zudem ließ sich die Existenz schwedischer Tochtergesellschaften aus dem Unternehmensregister ebenso nachweisen80 wie die Haltlosigkeit der Vorwürfe gegen die persönliche Integrität CEO.81 Während letzterer Vorwurf einen irreführenden Gesamteindruck hinterlässt, sind die Vorwürfe hinsichtlich der Unternehmensbeteiligung falsch.82 In einer Presseanfrage gab die BaFin im März 2017 an, den Fall routinemäßig zu untersuchen.83 Ergebnisse dieser Untersuchungen liegen bislang allerdings nicht vor. Weshalb dieser aktivistische Leerverkauf dennoch negativ einzuordnen ist, wird wiederum im § 3 näher analysiert.

aureliusinvest.de/equity-opportunities/presse/pressemitteilungen/detaillierte-stellungnahmeder-aurelius-equity-opportunities-se-co-kgaa-zu-gothams-behauptungen/, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 77 Gotham Aurelius Report v. 05. 04. 2017, Aurelius Equity Opportunities SE & Co KGaA: Do Aurelius’ Swedish subsidiaries exist?, S. 4, 11, abrufbar unter: https://www.gothamcity research.com/single-post/2017/04/05/Aurelius-Equity-Opportunities-SE-Co-KGaA-Do-Aure lius%E2%80%99-Swedish-subsidiaries-exist, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 78 Gotham Aurelius Report v. 27. 04. 2017, Aurelius Equity Opportunities SE & Co KGaA: Can Dirk Markus be trusted? Part 1, S. 1, abrufbar unter: https://www.gothamcityresearch. com/single-post/2017/04/27/Aurelius-Equity-Opportunities-SE-Co-KGaA-Can-Dirk-Markusbe-trusted-Part-I, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 79 Aurelius, Pressemitteilung v. 24. 04. 2017, Aurelius verkauft Kompressorenhersteller SECOP an NIDEC-Gruppe und verdoppelt Dividende, abrufbar unter: https://aureliusinvest. de/equity-opportunities/presse/pressemitteilungen/aurelius-verkauft-kompressorenherstellersecop-an-nidec-gruppe-und-verdoppelt-dividende/, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. Vgl. auch Möllers, in: NZG 2018, 649 (650). 80 Möllers, in: NZG 2018, 649 (653). 81 Im Bericht beruft sich Gotham darauf, dass der CEO Braun einen Doktortitel von der Havard University führe, Braun aber nicht in den Datenbanken der Havard University zu finden sei. Braun sei deshalb im Ganzen nicht glaubwürdig, vgl. Gotham Aurelius Report v. 27. 04. 2017, Aurelius Equity Opportunities SE & Co KGaA: Can Dirk Markus be trusted? Part 1, S. 1. 82 Wentz, in: WM 2019, 196 (198). Vgl. genauer hierzu Kap. 3 § 6 B. III. 3. 83 Finanznachrichten v. 31. 03. 2017, BaFin untersucht Kurskapriolen bei Aurelius, abrufbar unter: https://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2017-03/40330966-bafin-untersuchtkurskapriolen-bei-aurelius-015.htm, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021.

§ 2 Klassische Leerverkäufe aus ökonomischer Perspektive 

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§ 2 Klassische Leerverkäufe aus ökonomischer Perspektive Die Geschichte der Leerverkäufe ist geprägt von einem Auf und Ab zwischen Regulierung und Deregulierung.84 Zuletzt lösten die Weltfinanzkrise 2008 und die europäische Währungskrise eine umfassende Leerverkaufsregulierung aus, die in der EU zur Neuordnung durch die SSR führte.85 Im Zuge dieser Regulierungsvorhaben waren Leerverkäufe wegen der geäußerten Bedenken immer auch Gegenstand zahlreicher ökonomischer Diskussionen, die zahlreiche empirische Untersuchungen zu Chancen und Risiken von Leerverkäufen mit sich brachten. Zum besseren Verständnis dieser Untersuchungen werden grundlegende Begriffe zur Kapitalmarktfunktion vorangestellt. Das primäre Ziel der maßgeblichen Leerverkaufsregulierung liegt nämlich darin, die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte zu schützen.86 Zentrale volkswirtschaftliche Funktion der Kapitalmärkte ist es, Kapital für wirtschaftliche Unternehmungen bereitzustellen und dieses an seine bestmögliche Verwendung zu lenken (Allokation).87 Damit der Kapitalmarkt funktionsfähig ist, muss dieser Kapitalfluss so effizient wie möglich ausgestaltet werden. Diese Allokationseffizienz ist dann gegeben, wenn das Kapital an seine optimale Bestimmung zu möglichst geringen Kosten gelenkt wird.88 Diese Koordinationsleistung wird über den entsprechenden Kurs der Finanzinstrumente gesteuert.89 Dabei gilt es, ein berechenbares Verhältnis zwischen dem Kurs, dem Fundamentalwert und dessen künftigen Erträgen herzustellen.90 Dieser Kurs soll so genau wie möglich den inneren Wert der Finanzinstrumente widerspiegeln.91 Diese Fundamentalwertoder Bewertungseffizienz ist Voraussetzung der Allokationseffizienz.92 Damit aber diese Bewertungseffizienz überhaupt möglich ist, müssen die Kurse möglichst alle

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Umfassende geschichtliche Darstellung bei Lange, Regulierung von Aktienleerverkäufern, S. 66 ff.; Überblick auch bei Mülbert / Sajnovits, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Vorb. Art. 1–41 SSR Rn. 1 ff. 85 Hintergrund der Neuregulierung waren die unmittelbar während der Finanzkrise in zahlreichen Ländern erlassenen temporären Leerverkaufsverbote. Diese sollten durch die SSR abgelöst werden. Vgl. hierzu m. w. N. Mülbert / Sajnovits, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Vorb. Art. 1–41 SSR Rn. 6 f. 86 Tritschler, Die Regulierung von Leerverkäufen als Folge der Finanzkrise, S. 128 ff. 87 Schlimbach, Leerverkäufe, S. 35; Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, S. 21; Waschkowski, Insiderhandel nach der Marktmissbrauchsverordnung, S. 40; ­Findeisen / Tönningsen, in: WM 2011, 1405 (1406). 88 Findeisen / Tönningsen, in: WM 2011, 1405 (1406). 89 Köhler, Die Zulässigkeit derivativer Finanzinstrumente, S. 82 f. 90 Tritschler, Die Regulierung von Leerverkäufen als Folge der Finanzkrise, S. 125 f.; genauer zur Berechnung des Fundamentalwert Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, S. 19 f.; Klöhn, in: Klöhn MAR Vor Art. 7 Rn. 72 ff. 91 Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 5. Teil Rn. 8. 92 Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, S. 21.

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Kap. 1: Grundlagen

kursrelevanten Informationen (Informationseffizienz) enthalten.93 Denn erst dann, wenn diese Kurse informationseffizient gebildet werden, können die Aktienkurse dem Fundamentalwert entsprechen und so eine effiziente Allokation sicherstellen.94 Für diese Informationseffizienz müssen folgende Bedingungen erfüllt werden: Alle kursrelevanten Informationen (strenge Informationseffizienz) oder alle öffentlich bekannten kursrelevanten Informationen (halbstrenge Informationseffizienz) müssen unverzüglich im Kurs enthalten sein.95 Die Geschwindigkeit, mit der die Informationen in den Kurs eingearbeitet werden, wird als relative Effizienz bezeichnet.96 Grundlage dieser Annahmen ist die Kapitalmarkteffizienzhypothese, die in unterschiedlichen Formen immer noch als Basis des heutigen Informationsmodells97 angesehen werden kann,98 wenngleich heute gewisse Einschränkungen dieses Modells wegen bestimmter Irrationalitäten gelten.99 Auf dieser Grundlage lassen sich die Allokations-, Bewertungs- und Informationseffizienz also zusammenfassend als die einzelnen Wirkungsfacetten der sog. Markteffizienz beschreiben.100 Im Kontext der Funktionsfähigkeit ist als weitere Kapitalmarktfunktion die institutionelle Funktionsfähigkeit im Sinne einer Systemstabilität zu nennen,101 die Voraussetzung dafür ist, dass die Allokationseffizienz im Sinne eines funktionierenden Marktes auch stattfinden kann.102 Im Kern soll durch diese Stabilität 93

Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, S. 19. Tritschler, Die Regulierung von Leerverkäufen als Folge der Finanzkrise, S. 127; Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, S. 19. 95 Näher zur Informationseffizienz Langenbucher, Aktien- und Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 26 ff.; Möller, Kapitalmarktaufsicht, S. 96. 96 Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, S. 18; Klöhn, in: Klöhn MAR Vor Art. 7 Rn. 77. 97 Das Informationsmodell wird als Regulierungsinstrument neben dem Kapitalmarktrecht auch in unterschiedlichen Bereichen des Privatrechts verwendet. Primäres Ziel im Kapitalmarktrecht ist es, Informationsasymmetrien durch Informations-, Aufklärungs- und Beratungspflichten abzubauen, um damit letztlich der individuell schlechter informierten Partei eine bestmögliche Anlageentscheidung zu ermöglichen und dadurch gleichzeitig die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes zu verbessern. Vgl. m. w. N. Hacker, Verhaltensökonomik und Normativität, S. 395 ff.; Möllers / Kernchen, in: ZGR 2011, 1 (3); Klöhn, in: ZHR 177 (2013), 349 (350 ff.); zusammenfassend Gerding, Produktverbote, S. 28 ff. 98 Schlimbach, Leerverkäufe, S. 36; grundlegend Fama, 25 J. Fin. 383 (1970), 383 ff.; s. für eine Zusammenfassung aus juristischer Perspektive Klöhn, in: Klöhn MAR Vor Art. 7 Rn. 75 ff.; vgl. für die Darstellung von anderen Grundlagentheorien Klingenbrunn, Produktverbote, S. 44 ff. 99 Zur Kritik an dieser Theorie und jeweils m. w. N. Langenbucher, Aktien- und Kapitalmarktrecht, § 1 Rn. 30 ff.; Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 5. Teil Rn. 17; Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12, S. 22 ff.; umfassend auch Klingenbrunn, Produktverbote, S. 50 ff. 100 Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, S. 59 f. 101 Waschkowski, Insiderhandel nach der Marktmissbrauchsverordnung, S. 39; Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 5. Teil Rn. 12, 9 ff. 102 Waschkowski, Insiderhandel nach der Marktmissbrauchsverordnung, S. 40; Mülbert, in: JZ 2010, 834 (842). 94

§ 2 Klassische Leerverkäufe aus ökonomischer Perspektive 

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dauerhaft die Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte sichergestellt und die Gesamtwirtschaft vor möglichen Schäden geschützt werden.103 Dieses ist erforderlich, damit Anleger generell Vertrauen in den Markt entwickeln können.104 Zwischen der Stabilität und der Allokationseffizienz kann es allerdings in Krisensituationen zu einem Zielkonflikt kommen, da regulatorische Maßnahmen zur Verbesserung der Systemstabilität häufig zu Lasten der Allokationseffizienz gehen.105 Rechtspoli­ tische Aufgabe der Leerverkaufsregulierung ist in einem solchen Konflikt, beiden Zielen zu ihrer jeweils bestmöglichen Wirkungsweise zu verhelfen. Deshalb sind die im Folgenden dargestellten empirischen Auswirkungen der Leerverkäufe von enormer Relevanz.

A. Chancen Grundsätzlich wird in der ökonomischen und der rechtswissenschaftlichen Forschung von einer positiven Wirkung von Leerverkäufen auf die Kapitalmarkteffizienz ausgegangen, wobei der europäische Gesetzgeber im ErwGr. Nr. 5 SSR auf der Basis normaler Marktbedingungen argumentiert. Aus der empirischen Forschung lassen sich drei Kernbereiche ableiten, die Leerverkäufe auf ihre positiven Wirkungen untersuchen: Die Marktliquidität, die Informationseffizienz und die Marktvolatilität.

I. Liquidität Ein liquider Kapitalmarkt liegt vor, wenn Finanzinstrumente jederzeit zu möglichst geringen Transaktionskosten gehandelt werden können.106 Zur Messung der Liquidität werden eine Reihe von Indikatoren herangezogen, unter anderem die Höhe des Bid-Asks-Spreads (Geld-Brief-Spanne) und das durchschnittliche Handelsvolumen.107 Die Liquidität ist ein entscheidendes Qualitätsmerkmal für effiziente Kapitalmärkte, da durch sie eine kostengünstige und schnelle Informationseinpreisung gewährleistet wird.108 Dass die Marktliquidität durch Leerverkäufe gesteigert wird, lässt sich folgenden theoretischen Überlegungen entnehmen: Zum einen führen bei gedeckten Leerverkäufen Wertpapierleihen dazu, dass Wertpapiere wieder auf dem Kapitalmarkt angeboten werden können, die ansonsten 103

Schlimbach, Leerverkäufe, S. 191. Waschkowski, Insiderhandel nach der Marktmissbrauchsverordnung, S. 38. 105 Schinasi, Defining Financial Stability, S. 12; Schlimbach, Leerverkäufe, S. 37; Überblick zu den empirischen Studien zum Verhältnis von Allokationseffizienz und Stabilität bei Klingen­brunn, Produktverbote, S. 65 f. 106 Genauer zur Begriffsbestimmung Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, S. 68 ff. 107 Lange, Regulierung von Aktienleerverkäufern, S. 22 f. 108 Tritschler, Die Regulierung von Leerverkäufen als Folge der Finanzkrise, S. 127 f. 104

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Kap. 1: Grundlagen

beim wirtschaftlichen Eigentümer verblieben wären und nicht dem Markt zur Verfügung gestanden hätten.109 Zum anderen erhöhen auch ungedeckte Leerverkäufe generell das Angebot von Wertpapieren am Markt und ermöglichen dadurch mehr Transaktionen.110 Darüber hinaus können sie Market-Maker in die Lage versetzen, zwischenzeitliche Schwankungen von Angebot und Nachfrage zusammenzuführen, um so die Liquidität des Marktes auch in besonderen Situationen sicherzustellen.111 In der Praxis sollen diese Überlegungen zu einem gesteigerten Handelsvolumen und einem verringerten Bid-Ask-Spread führen. Letztlich wird dies auch durch die Studien bestätigt, die die vorübergehenden Leerverkaufsverbote während der Finanzkrise analysiert und festgestellt haben, dass Verbote die Liquidität verringern.112 Insbesondere sind hier amerikanische Studien zu nennen. Da die SEC dort Leerverkäufe begrenzt auf einzelne Aktien über einen bestimmten Zeitraum verboten hatte,113 konnte so unter anderem die Höhe der Bid-Asks-Spreads dieser Aktien mit derjenigen verglichen werden, die nicht vom Verbot betroffen waren. Ein höherer Bid-Ask-Spread als Kennzeichen niedrigerer Liquidität ließ sich für die Aktien nachweisen, bei denen Leerverkäufe verboten waren.114 Negative Auswirkungen auf die Liquidität konnten auch erste Studien feststellen, die die während der Corona-Krise in der EU und dem Vereinigten Königreich erlassenen vorübergehenden Leerverkaufsverbote auswerteten.115 Im Umkehrschluss demonstrieren diese Wirkungen, dass Leerverkäufe die Liquidität steigern und damit positiv zu bewerten sind.

109

Zimmer / Beisken, in: WM 2010, 485 (486). Zimmer / Beisken, in: WM 2010, 485 (486); Tritschler, Die Regulierung von Leerverkäufen als Folge der Finanzkrise, S. 132; Schlimbach, Leerverkäufe, S. 42. 111 Zimmer / Beisken, in: WM 2010, 485 (486); Schlimbach, Leerverkäufe, S. 42. 112 Beber / Pagano, 68 J. Fin. 2013, 343 (346); für die UK, Marsh / Payne, 36 J. Bank. Fin. (2012), 1975 (1976); FSA, Short Selling, S. 10, Rn. 3.4 sowie Annex 2, Rn. 1, 19 ff.; Clifton /  Snape, The Effect of Short-Selling Restrictions on Liquidity: Evidence from the London Stock Exchange, S. 2; Clifton / Michayluk, The Impact of Short Selling Restrictions and Extreme Uncertainty on Liquidity and Order Flow: Evidence from the London Stock Exchange, S. 33. 113 Überblick hierzu bei Lange, Regulierung von Aktienleerverkäufern, S. 81 ff. 114 Lobanova / Hamid / Prakash, The Impact of Short-Sale Restrictions on Volatility, Liquidity and Market Efficiency: The Evidence from the Short-Sale Ban in the U. S., S. 3; Boehmer /  Jones / Z hang, Shackling Short Sellers: The 2008 Shorting Ban, S. 19 f.; zu den Auswirkungen vom Verbot für ungedeckte Leerverkäufe, Bris, A Short Selling Activity in Financial Stocks and the SEC July 15th Emergency Order, S. 6, 16. 115 Siciliano / Ventoruzzo, ECGI Law Working Paper No. 532/2020, S. 20 f., 28 f.; Losada-­ Lopez / Martinez-Pastor, Analysis of the effect of restrictions on net short positions on Spanish shares between March and May 2020, S. 22 ff.; diese zusammenfassend Kumpan / Misterek, in: WM 2021, 417 (420 f.); ebenfalls kritisch die Bewertung bei Enriques / Pagano, ECGI Law Working Paper No. 513/2020, S. 4. 110

§ 2 Klassische Leerverkäufe aus ökonomischer Perspektive 

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II. Informationsökonomischer Nutzen Auch in informationsökonomischer Hinsicht sollen Leerverkäufe einen posi­ tiven Effekt auf die Preisbildung von Finanzinstrumenten haben, wobei auch dieser auf dem Verhältnis zwischen Allokations- und Informationseffizienz beruhen:116 Um eine effiziente Allokation von Kapital an den Märkten zu erreichen, muss im Rahmen der Preisfindung nach Möglichkeit jede relevante Information verarbeitet werden. Entsprechend ihrer Zielsetzung formulieren Leerverkäufer ihre negative Erwartung, dass das Finanzinstrument überbewertet ist.117 Sie haben also ein wirtschaftliches Interesse, negative Informationen aufzudecken und einzupreisen,118 womit ein entsprechendes Gegengewicht, das eine mögliche Überbewertung und Blasenbildung verhindert, zu optimistischen Long-Investoren vorliegt.119 Letztlich führen die Leerverkäufe auf diese Weise zu einer Annäherung des Aktienkurses an den Fundamentalwert und machen die Preisbildung akkurater. Diese theoretischen Überlegungen werden durch die meisten empirischen Studien bestätigt, die konstatieren, dass Leerverkaufsverbote der Informationseffizienz abträglich sind.120 Leerverkaufsverbote sind nämlich Marktbarrieren für pessimistische Investoren, sodass durch sie ein Ungleichgewicht von pessimistischen und optimistischen Investoren entsteht.121 Allerdings führte dieses nicht eindeutig zu einer signifikanten Überbewertung, sodass die Gefahr einer Blasenbildung nicht zwingend zu sein scheint.122 Im Gegensatz dazu führt das Ungleichgewicht nachweisbar zu einer verlangsamten Verarbeitung von negativen Informationen.123 In dieser Hinsicht sind deshalb negative Wirkungen mit Leerverkaufsverboten ver 116 Die Annahmen basieren auf den grundlegenden Modellen von Miller, 32. J. Fin. (1977), 1151; Diamond / Verrachi, 18 J. Fin. Eco. (1987), 277. Übersicht zu diesen und anderen Modellen bei Gruenewald / Wagner / Weber, Swiss Finance Institute Research Paper No. 09–28, S. 13 f. Im Vergleich zur Messung der Marktliquidität ist die Informationseffizienz mangels entsprechender Standardindikatoren nicht derart einfach überprüfbar. Vgl. näher zu den Indikatoren, Lange, Regulierung von Aktienleerverkäufern, S. 38 f. 117 Mittermeier, in: ZBB 2010, 139 (141). 118 Schlimbach, Leerverkäufe, S. 40; Klingenbrunn, Produktverbote, S. 109. 119 Zimmer / Beisken, in: WM 2010, 485 (486); Mittermeier, in: ZBB 2010, 139 (141); ähnlich Schlimbach, Leerverkäufe, S. 41. 120 Beber / Pagano, 68 J. Fin. 2013, 343 (345, 347); jüngst ebenso zu den Leerverkaufsverboten während der Corona-Krise, Siciliano / Ventoruzzo, ECGI Law Working Paper No. 532/2020, S. 20 f., 28 f.; diese Verbote ebenfalls kritisch bewertend Enriques / Pagano, ECGI Law Working Paper No. 513/2020, S. 4; die positiven Effekte von zulässigen Leerverkäufen feststellend Bris / Goetzmann / Z hu, 62 J. Fin. (2007), 1029 (1031); Fotak / Raman / Yadav, Naked Short Selling: The Emperor’s New Clothes?, S. 22; FSA, Short Selling, S. 10, Rn. 3.3; Boehmer / Wu, 26 Rev. Fin. Stud. (2013), 287 (287 ff.). 121 Zu den Ursachen siehe detailliert Schlimbach, Leerverkäufe, S. 40 f.; Klingenbrunn, Produktverbote, S. 109 f. 122 Dazu näher Klingenbrunn, Produktverbote, S. 109; Boehmer / Jones / Z hang, Shackling Short Sellers: The 2008 Shorting Ban, S. 23; anders wohl Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 37. 123 Vgl. die entsprechenden Studien in Fußnote 122.

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Kap. 1: Grundlagen

bunden, womit im Umkehrschluss von einem positiven Einfluss der Leerverkäufe auf die Informationseffizienz ausgegangen werden kann.

III. Volatilität Inwieweit sich Leerverkäufe auf die Volatilität auswirken, lässt sich durch die empirischen Studien nicht beantworten, da diese zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Als Risikomaß stellt die Volatilität die Schwankungsintensität eines Finanzinstruments innerhalb eines bestimmten Zeitraumes dar:124 Je höher sie ausfällt, desto höher schlägt der Kurs des Finanzinstruments nach oben bzw. unten aus. Exzessive Volatilität ist vor allem aus Stabilitäts- und Vertrauensgründen unerwünscht.125 Ob sich Leerverkäufe auf die Volatilität auswirken, ist schwer zu beurteilen, da schon grundlegende Modelle umstritten sind.126 Daher überrascht es auch nicht, dass die Studien teilweise zu völlig gegenteiligen Ergebnissen kommen: Einige attestieren den Leerverkaufsverboten eine Begünstigung der Volatilität, während legitime Leerverkäufe eine niedrige Volatilität bewirken.127 Andere hingegen konstatieren eine volatilitätsverstärkende Wirkung von Leerverkäufen.128 Wiederum andere sprechen von der Gefahr einer erhöhten Volatilität in Krisensituationen und bei besonders anfälligen Finanzinstituten.129 Insgesamt sollte diese diffuse Studienlage130 bei Regulierungsfragen beachtet werden und die Möglichkeit einer volatilitätsverstärkenden Wirkung von Leerverkäufen in Krisensituationen nicht unberücksichtigt bleiben. Vor allem massenhafte Leerverkäufe können nämlich Signale an den Markt senden und so bereits fallende Kurse durch einen Herdentrieb weiter destabilisieren.131 124

Zur näheren Einordnung Lange, Regulierung von Aktienleerverkäufern, S. 53 f. Lange, Regulierung von Aktienleerverkäufern, S. 53. 126 M. w. N. FSA, Short Selling, Annex 1, Rn. 15 ff.; Lange, Regulierung von Aktienleerverkäufern, S. 54 f. 127 Charoenrook / Daouk, A Study of Market-Wide Short-Selling Restrictions, S. 13, 19; ­Fotak / Raman / Yadav, Naked Short Selling: The Emperor’s New Clothes?, S. 25 f.; eine erhöhte Volatilität während des temporären Leeverkaufsverbot feststellend, aber auch die Finanzkrise hierfür anführend, Boehmer / Jones / Z hang, Shackling Short Sellers: The 2008 Shorting Ban, S. 20. 128 Zu den Auswirkungen der Uptick-Rule als Leerverkaufsrestriktionen, Diether / L ee /  Werner, 64 J. Fin. (2009), 37 (40); ebenso, Bhargava / Konku, 3 J. Fin. Acc. (2010), 104 (113 f.); Clayton / Reinhart / Schmidt, 2 Ban. Fin. Rev. (2010), 87 (95). 129 Liu, Speculative Trading and Crisis, S. 4; ähnlich, Klingenbrunn, Produktverbote, S. 114, 136; Blau / Ness / Ness / Wood, Short Selling during Extreme Market Movements, S. 3 f.; Lange, Regulierung von Aktienleerverkäufern, S. 64. 130 So die Beobachtungen der FSA für die UK, FSA Short Selling, Annex 2, S. 1 f.; ähnlich Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 38; Kumpan / Misterek, in: WM 2021, 417 (418). 131 In dieser Hinsicht Schlimbach, Leerverkäufe, S. 43 f.; Klingenbrunn, Produktverbote, S. 136 („Leerverkäufe als Brandbeschleuniger“). 125

§ 2 Klassische Leerverkäufe aus ökonomischer Perspektive 

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B. Risiken Neben den aufgezeigten Chancen bergen Leerverkäufe auch Risiken. Diese werden mit Gefahren für Lieferausfälle, einem erhöhten Potenzial zur Kursbewegung und sich daraus ergebender Destabilisierung des Finanzsystems und einem besonderen Potenzial für marktmissbräuchliches Verhalten assoziiert.

I. Lieferausfälle Dass ungedeckte Leerverkäufe von Ausfallrisiken bedroht sind, ergibt sich aus ihrer Möglichkeit, auf fallende Kurse zu spekulieren, ohne gleichzeitig entsprechende Eindeckungsvorkehrungen treffen zu müssen.132 Schlagen aus diesem Grund in der Folge Abwicklungen fehl, können Marktstörungen und erhöhte Transaktionskosten verursacht werden.133 Dennoch ist das Ausfallrisiko unbedeutend,134 da insbesondere an deutschen Handelsplätzen die Börsenregelungen mit Erfüllungs- und Zwangseindeckungsverpflichtungen ausreichend sind.135 Dies sehen auch die Aufsichtsbehörden und die europäische Kommission so.136 Von den grundsätzlichen Ausfallrisiken ist die Besonderheit eines Short Squeeze zu unterscheiden: In einer solchen Situation ist die Liquidität des Finanzinstruments derart knapp, dass der Leerverkäufer sich nicht mehr zur Erfüllung seiner Lieferungsverpflichtung eindecken kann.137 Dies führt dann zu Lieferausfällen und extrem steigenden Aktienkursen.138 Letzteres berührt das Preisbeeinflussungspotenzial, das im Weiteren erläutert wird. Da aber ein Short Squeeze äußerst selten vorkommt, lassen sich aus ihm keine relevanten Argumente für ein Ausfallrisiko ableiten.139

II. Preisbeeinflussungs- und Destabilisierungspotenzial Wie bereits im Kontext der Volatilität erörtert, können massenhafte Leerverkäufe ein Signal an den Markt senden.140 Diese Signalwirkung wird von einigen 132

Grundmann, in: HGB Staub Band 11/2, 6. Teil Rn. 552. Mülbert / Sajnovits, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Vorb. Art. 1–41 SSR Rn. 55; Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 46. 134 Klingenbrunn, Produktverbote, S. 111; unklar Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 46. 135 Genauer zu dem System der Zwangseindeckung und dem zivilrechtlichen Hintergrund, Tritschler, Die Regulierung von Leerverkäufen als Folge der Finanzkrise, S. 234; S. 108 f.; Lange, Regulierung von Aktienleerverkäufern, S. 283. 136 M. w. N. Klingenbrunn, Produktverbote, S. 112. 137 Klingenbrunn, Produktverbote, S. 111. 138 Klingenbrunn, Produktverbote, S. 111. 139 Näher hierzu und dem prominentesten Beispiel der Volkswagen AG, Schlimbach, Leerverkäufe, S. 46. 140 Tyrolt / Bingel, in: BB 2010, 1419 (1420). 133

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Kap. 1: Grundlagen

als Ursache für ein exzessives Preisbewegungspotenzial gesehen, das aus Vertrauens- und möglicherweise Stabilitätsgründen ein unerwünschtes Risiko von Leerverkäufen darstellt.141 Diese Annahme gründet in der Überzeugung, dass Leerverkäufe nicht durch Eigenbestände wie bei einer Long-Position begrenzt sind. Dadurch kann der Leerverkäufer beliebig viele Transaktionen in kurzer Zeit mit minimalem finanziellen Eigenaufwand tätigen.142 Insbesondere massenhafte Leerverkäufe bewirken schon per se sinkende Kurse.143 Überdies erhalten die anderen Markteilnehmer durch den Leerverkauf, sofern sie von diesem Kenntnis nehmen konnten, die Information einer Überbewertung der Finanzinstrumente.144 Wenn sie sich nun der Einschätzung des Leerverkäufers im Sinne eines Herdentriebs anschließen, kann im schlimmsten Fall eine regelrechte Verkaufspanik eintreten und ein erheblicher Druck auf die Kurse entstehen.145 Diese Gefährdungslage scheint besonders bei ungedeckten Leerverkäufen zu gelten.146 Dabei sollte jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass der exzessive Preisverfall im Einzelfall durchaus berechtigt sein kann.147 Zudem gilt auch, dass beim Short Squeeze exzessive Preisbewegungen möglich sind: Wenn Leerverkäufe ungedeckt vorgenommen werden, kann ihre Anzahl das Angebot an tatsächlich verfügbaren Finanzinstrumenten übersteigen.148 In letzter Konsequenz führt dies bei einem Short Squeeze zu extrem steigenden Wertpapierkursen, sodass Leerverkäufe nicht zwingend fallende Kurse zur Folge haben müssen.149 Gleichwohl führt auch dieses Phänomen zu sachlich nicht gerechtfertigten Verwerfungen, die die Funktionsfähigkeit des Kapitelmarktes beeinträchtigen.150 Darüber hinaus gibt es die Überzeugung, dass in besonderen Fällen aus dem Preisbeeinflussungspotenzial ein Destabilisierungspotenzial erwachsen kann.151 Bei einer erheblichen Vergrößerung von Short-Positionen können sich nämlich bereits bestehende Liquiditätsengpässe des Zielunternehmens aufgrund der Zurückhaltung der Darlehensgeber verschärfen.152 Deshalb kann dann die Kapital 141 Zu den Hintergründen für eine mögliche Schädigung des Marktvertrauens, siehe FSA, Short Selling, S. 12, Rn. 3.10 f. 142 Schlimbach, Leerverkäufe, S. 44; Zimmer / Beisken, in: WM 2010, 485 (487). 143 Zimmer / Beisken, in: WM 2010, 485 (487). 144 Tyrolt / Bingel, in: BB 2010, 1419 (1420); Schlimbach, Leerverkäufe S. 44 f.; ähnlich ­Zimmer / Beisken, in: WM 2010, 485 (487). 145 Zimmer / Beisken, in: WM 2010, 485 (487); Schlimbach, Leerverkäufe, S. 45 f.; Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 42. 146 Findeisen / Tönningsen, in: WM 2011, 1405 (1406); Schlimbach, Leerverkäufe, S. 44 f. 147 Mülbert / Sajnovits, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Vorb. Art. 1–41 SSR Rn. 56. 148 Näher hierzu Schlimbach, Leerverkäufe, S. 46; zur Bedeutung von gedeckten Leerverkäufen für einen Short Squeeze, Suttner / Kielholz, in: ORDO 62 (2011), 101 (104). 149 Schlimbach, Leerverkäufe, S. 46; Suttner / Kielholz, in: ORDO 62 (2011), 101 (104). 150 Ähnlich Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 43 f. 151 Brunnermeier / Oehmke, 18 Rev. Fin. (2013), 2153 (2154 f.); Zimmer / Beisken, in: WM 2010, 485 (487). 152 Tyrolt / Bingel, in: BB 2010, 1419 (1420).

§ 2 Klassische Leerverkäufe aus ökonomischer Perspektive 

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aufnahme der Zielunternehmen erschwert oder gänzlich unmöglich werden.153 Handelt es sich bei dem Zielunternehmen der Leerverkäufe um ein für das System relevantes – vor allem Kreditinstitute und öffentliche Schuldner154 –, kann ein entsprechender Ausfall die Stabilität des gesamten Finanzmarktes gefährden.155 Wie aber bereits erörtert, kommen die empirischen Studien hinsichtlich der Auswirkungen von Leerverkäufen auf die Volatilität zu unterschiedlichen Ergebnissen, die auch im Rahmen der Bewertung des Preisbewegungspotenzials zu berücksichtigen sind. Ein entsprechendes Destabilisierungspotenzial gilt dann aber nur in temporärer Hinsicht für bestimmte Krisensituationen und für besondere Zielunternehmen.156

III. Potenzial für Marktmissbrauch Eine weitere negative Wirkung von Leerverkäufen scheint in ihrer potenziellen Eignung für marktmissbräuchliches Verhalten zu liegen,157 das vor allem als Marktmanipulation und Insiderhandel zu charakterisieren ist.158 So kann ein regulärer Leerverkauf bewusst dazu missbraucht werden, einen Kursverfall auszulösen bzw. zu verstärken.159 Denkbar ist zudem auch eine Kombination mit der Streuung von Gerüchten oder einem fehlenden Erfüllungswillen mit dem Ziel, Liquiditätsengpässe zu verursachen (abusive naked short selling).160 Inwieweit konkrete marktmissbräuchliche Konstellationen vorliegen, soll an späterer Stelle speziell analysiert werden.161 Festzuhalten gilt hier jedoch, dass keine empirischen Studien vorliegen, die einen höheren Anreiz für marktmissbräuchliches Verhalten der Inhaber von Short-Positionen im Verhältnis zu denjenigen von Long-Positionen belegen konnten.162 Vielmehr ist zu berücksichtigen, dass der Leerverkauf ein grundsätzlich legitimes Handelsgeschäft darstellt und keinen Generalverdacht für marktmissbräuchliches Verhalten rechtfertigt.163

153

Zimmer / Beisken, in: WM 2010, 485 (487). Grundmann, in: HGB Staub Band 11/2, 6. Teil Rn. 552. 155 Suttner / Kielholz, in: ORDO 62 (2011), 101 (104); Findeisen / Tönningsen, in: WM 2011, 1405 (1406); Zimmer / Beisken, in: WM 2010, 485 (487). 156 Klingenbrunn, Produktverbote, S. 116. 157 Vgl. nur Spindler, in: AG 2010, 601 (612); Möllers / Christ / Harrer, in: NZG 2010, 1167 (1168); m. w. N., aber kritisch hinsichtlich der Rechtfertigung für das Verbot ungedeckter Leerverkäufe, Mülbert / Sajnovits, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Vorb. Art. 1–41 SSR Rn. 57. 158 Klingenbrunn, Produktverbote, S. 125. 159 Suttner / Kielholz, in: ORDO 62 (2011), 101 (104 f.). 160 Möllers / Christ / Harrer, in: NZG 2010, 1167 (1168). 161 Siehe Kap. 3 § 6. 162 Schlimbach, Leerverkäufe, S. 48 f. 163 Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 45. 154

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Kap. 1: Grundlagen

§ 3 Aktivistische Leerverkäufe aus ökonomischer Perspektive Vor dem Hintergrund dieser ökonomischen Charakteristiken des klassischen Leerverkaufs stellt sich die Frage, ob aktivistische Leerverkäufe besondere Merkmale aus ökonomischer Perspektive aufweisen, die sie als eigenständiges Phänomen kennzeichnen. In diesem Kapitel werden die Auswirkungen eines aktivistischen Leerverkaufs auf den Kapitalmarkt und die betroffenen Zielunternehmen analysiert. Anschließend sollen die aktivistischen Leerverkäufe einer ökonomischen Bewertung unterzogen werden.

A. Auswirkungen auf den Kapitalmarkt und die Zielunternehmen Der Anstieg der aktivistischen Leerverkäufe und deren erhöhte Medienpräsenz führte in der Wirtschaftswissenschaft zu ersten empirischen Analysen dieses Phänomens. Dabei fokussieren diese Studien insbesondere die Auswirkungen auf den Kapitalmarkt und die betroffenen Zielunternehmen.

I. Kapitalmarktrechtliche Folgen Im Mittelpunkt der Studien stehen die Auswirkungen auf den Aktienkurs, im negativen Sinne können diese als Kursverfall, im positiven Sinne als Preiskorrektur einer Überbewertung bezeichnet werden: Je nach Studie wurde dabei ein durchschnittlicher Kursverfall von ca. 7,5 % am Tag der Veröffentlichung164 bzw. 3 % in einer Zeitraumbetrachtung vor und nach der Veröffentlichung ermittelt.165 Übereinstimmend stellen sie fest, dass der Kursverfall bei einer langfristigeren Betrachtung des nachfolgenden Zeitraums sich noch verstärkte: Für einen Zeitraum von drei Monaten wurde ein Anstieg auf 21,4 % ermittelt, der sich bei Ausdehnung auf 12 Monate auf durchschnittlich 42,3 % erhöhte166 bzw. für ein 100-Tages Fenster bei 7–12 % lag.167 Durch eine andere Studie wurden diese Ergebnisse bestätigt: Die Betrachtung über ein Jahr ergab eine negative Marktreaktion von durchschnittlich 22,4 %, wobei 71,8 % der Zielunternehmen aktivistischer Leerverkäufe in der Stichprobe eine negative Marktreaktion verzeichneten.168 164

Ljungqvist / Qian, 29 Rev. Fin. Stud. (2016), 1975 (1976). Appel / Bulka / Fos, Public Short Selling by Activist Hedge Funds, S. 3. 166 Ljungqvist / Qian, 29 Rev. Fin. Stud. (2016), 1975 (1976). 167 Appel / Bulka / Fos, Public Short Selling by Activist Hedge Funds, S. 3. 168 Bliss / Molk / Partnoy, Negative Activism, S. 18 f. 165

§ 3 Aktivistische Leerverkäufe aus ökonomischer Perspektive 

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Die Studie von Kartapanis fokussierte die Folgen von bestätigten und unbestätigten Bilanzfälschungsvorwürfen:169 Während Aktienkurse von Zielunternehmen mit bestätigten Vorwürfen einem über den gesamten Beobachtungszeitraum anhaltenden Kursverfall ausgesetzt waren, konnte für solche mit unbestätigten Vorhaltungen eine negative Marktreaktion für den Anfang des Zeitraums festgestellt werden, die sich aber im weiteren Verlauf durch eine langsame Kurserholung neutralisierte.170 Ferner wurden die Marktreaktionen aktivistischer Leerverkäufe ins Verhältnis zu klassischen Leerverkäufen gesetzt, wobei eine statistisch signifikant höhere Marktreaktion ersterer feststellbar war.171 Weiterhin ergab die Studie von Ljungqvist / Qian einen Anstieg der Volatilität am Veröffentlichungstag auf durchschnittlich 236 %; für die ersten fünf Tage nach der Veröffentlichung war ein deutlich erhöhtes Niveau weiterhin nachweisbar.172 Zudem manifestieren auch die Auswirkungen auf die Marktliquidität eine enorme Dynamik: Der Wert der Share-Turnovers173 am Veröffentlichungstag wuchs auf durchschnittlich 339 %, die Bid-Ask-Spreads auf 94,8 %.174 Mitts spezialisierte sich auf pseudonyme aktivistische Leerverkäufe und stellte einen Kursverfall fest, dem im Gegensatz zu identitätsbekannten aktivistischen Leerverkäufen eine stärkere Kurserholung folgte.175

II. Realwirtschaftliche Folgen Weitere Studien haben insbesondere die realwirtschaftlichen Auswirkungen aktivistischer Leerverkäufe auf die Zielunternehmen untersucht. Wong / Zhao kommen dabei zum Resultat, dass aktivistische Leerverkäufe neben dem Kapitalmarkt auch die reale Ressourcenallokation erheblich beeinflussen können: Durchschnittlich sank die Investitionsaktivität der Zielunternehmen um 7,2 %, ihre Finanzierungsaktivität um 24,5 % und ihre Auszahlungsaktivität um 7,6 %.176 Auf der Basis 169

Die Vorwürfe wurden in der Studie dann als bestätigt eingeordnet, wenn verglichene Wertpapiersammelklagen (Securities Class Actions) vorlagen oder die U. S.  Securities and Exchange Commission (SEC) ein Accounting and Auditing Enforcement Release (AAER) erließ, vgl. Kartapanis, Activist Short-Sellers and Accounting Fraud Allegations, S. 14, 41. 170 Kartapanis, Activist Short-Sellers and Accounting Fraud Allegations, S. 4 f., 25 f. 171 Zhao, Activist Short-Selling, S. 17. 172 Ljungqvist / Qian, 29 Rev. Fin. Stud. (2016), 1975 (1977). 173 Share-Turnover ist eine Kennzahl für die Messung der Marktliquidität, bei der die Anzahl von gehandelten Aktien innerhalb eines bestimmten Zeitraums durch die im gleichen Zeitraum durchschnittlich ausstehenden Aktien dividiert wird, vgl. Ljungqvist / Qian, 29 Rev. Fin. Stud. (2016), 1975 (2024). 174 Ljungqvist / Qian, 29 Rev. Fin. Stud. (2016), 1975 (1997 f.). 175 Mitts, Short and Distort, S. 21 f., 23 f. 176 Wong / Z hao, Post-Apocalyptic: The Real Consequences of Activist Short-Selling, S. 27.

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Kap. 1: Grundlagen

dieser Ergebnisse identifizieren die Autoren drei Faktoren realwirtschaftlichen Einflusses auf Zielunternehmen: Aktivistische Leerverkäufe erzeugen Unsicherheiten am Markt, sodass eine stärkere Informationsasymmetrie und in deren Folge höhere Kapitalkosten entstehen.177 Daneben führen aktivistische Leerverkäufe zu einer größeren Aufmerksamkeit am Markt, die dann eine stärkere Überwachung durch Anleger bewirkt.178 Darüber hinaus sensibilisiert ein starker Kursverfall die Verantwortlichen des Unternehmens, die Unternehmenspläne kritischer zu betrachten.179 Neben diesen Aspekten wurden insbesondere die Folgen für die Investitionstätigkeit in Relation zu vergleichbaren Unternehmen untersucht und dabei festgestellt, dass aktivistische Leerverkäufe für das Erreichen eines optimalen Investitionsniveaus der Zielunternehmen förderlich sind.180 Die Zielunternehmen hatten also im Vorfeld des aktivistischen Leerverkaufs zu hohe, über dem optimalen Niveau liegende Investitionen getätigt. Allerdings verringerten Unternehmen, die vor einem aktivistischen Leerverkauf unterdurchschnittliche Investitionstätigkeiten aufwiesen, ihre Investitionen signifikant auch im Anschluss an diesen.181 Die Folgen für die Investitionstätigkeiten sind also ambivalent: Auch wenn aktivis­ tische Leerverkäufe grundsätzlich das Investitionsniveau der Zielunternehmen verbessern, können sie im Einzelfall negative Entwicklungen verstärken.182 Zudem stieg die Wahrscheinlichkeit von Rechtsstreitigkeiten nach aktivistischen Leerverkäufen um 11 %. Diese bezogen sich auf Aktionärs-, Bilanzierungs- und Intellectual-Property-Klagen.183 Die bereits erwähnte Studie von Kartapanis untersuchte auch die Auswirkungen auf das Zielunternehmen bei unbestätigten Bilanzfälschungsvorwürfen im Verhältnis zu anderen Vorwürfen: Zielunternehmen, bei denen die Bilanzfälschungsvorwürfe nicht bestätigt werden konnten, hatten über einen Zeitraum von zwei Jahren nach der Veröffentlichung des Research Reports 21 % höhere Prüfungskosten als solche, bei denen der aktivistische Leerverkauf andere Vorwürfe implizierte.184

177 Die Fremdkapitalkosten wurden dabei anhand von Bond-Preisen, durchschnittlichen Zinsraten und Finanzierungsbeträgen berechnet, siehe näher Wong / Z hao, Post-Apocalyptic: The Real Consequences of Activist Short-Selling, S. 19 f. 178 Ausgewertet wurde die jeweilige Erfolgsquote von Wahlvorschlägen der Aktionäre und des Managements bei Aktionärsabstimmungen, Wong / Zhao, Post-Apocalyptic: The Real Consequences of Activist Short-Selling, S. 21. 179 Grundlegend ist hierfür die Annahme der Feedback-Logik des Aktienkurses, näher dazu Wong / Z hao, Post-Apocalyptic: The Real Consequences of Activist Short-Selling, S. 21 f. 180 Das Investitionslevel der Zielunternehmen näherte sich im Durchschnitt an das der Kontrollgruppe an, da Überinvestitionen verringert wurden, Wong / Z hao, Post-Apocalyptic: The Real Consequences of Activist Short-Selling, S. 25 f. 181 Wong / Z hao, Post-Apocalyptic: The Real Consequences of Activist Short-Selling, S. 27. 182 Wong / Z hao, Post-Apocalyptic: The Real Consequences of Activist Short-Selling, S. 27. 183 Appel / Bulka / Fos, Public Short Selling by Activist Hedge Funds, S. 19. 184 Kartapanis, Activist Short-Sellers and Accounting Fraud Allegations, S. 4, 20 ff.

§ 3 Aktivistische Leerverkäufe aus ökonomischer Perspektive 

45

Zudem hatten diese Zielunternehmen ein 9 % höheres Prozessrisiko, ungerechtfertigten Klagen ausgesetzt zu sein.185 Die andere Studie von Zhao analysierte die Eigenschaften von Zielunternehmen, die diese für aktivistische Leerverkäufer interessant machen. Damit zielte sie auf eine bessere Unterscheidung von legitimen aktivistischen Leerverkäufen und solchen manipulativer Art hin. Aktivistische Leerverkäufer nehmen danach diejenigen Unternehmen ins Visier, die besonders auffällige Merkmale von Überbewertungen und Unsicherheiten für die Aktionäre aufweisen.186 Kriterien dieser Überbewertungen waren vorrangig eine höhere Liquidität, Volatilität und short-interest-ratio sowie die Anzahl von Analystenempfehlungen. Für den Unsicherheitsaspekt wurde auf die Versiertheit der Investoren zur Informationsverarbeitung, das Informationsumfeld und den Umfang glaubwürdiger Informationsquellen zurückgegriffen.187 Ferner wurde die Bedeutung dieser Faktoren für den Aktienkurs kurz- und langfristig eruiert: Während Überbewertungsfaktoren den Aktienkurs auf längere Sicht stärker als Informationsunsicherheiten beeinflussen, verhält es sich kurzfristig genau umgekehrt.188 In ähnlicher Weise tendieren aktivistische Leerverkäufer eher dazu, intransparente denn transparente Unternehmen auszuwählen.189

B. Ökonomische Bewertung Das Spannungsverhältnis von aktivistischer Leerverkäufen lässt sich einprägsam als Informative View und Panic View charakterisieren:190 Nach ersterem wird die Informationseffizienz und die Markeffizienz insgesamt gesteigert, da aktivistische Leerverkäufe einen zusätzlichen finanziellen Anreiz bieten, negative Informationen aufzuspüren und diese einzupreisen.191 Damit nähert sich der Aktienkurs dem Fundamentalwert weiter an, sodass Informationsasymmetrien abgebaut werden.192 Diese Verbesserung der Informationseffizienz hat eine gesteigerte Allokations­ effizienz zur Folge. Beide wirken sich auf eine verbesserte Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes aus und steigern damit dessen volkswirtschaftlichen Nutzen.193 Der Anreiz, negative Informationen aufzudecken, ist wegen des zu erwartenden 185

Kartapanis, Activist Short-Sellers and Accounting Fraud Allegations, S. 4, 19 f. Zhao, Activist Short-Selling, S. 4, 19 ff. 187 Zhao, Activist Short-Selling, S. 19 ff. 188 Zhao, Activist Short-Selling, S. 24 f. 189 Zhao, Activist Short-Selling and Corporate Opacity, S. 3, 15 ff. 190 Zhao, Activist Short-Selling, S. 2. 191 Mülbert / Sajnovits, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Vorb. Art. 1–41 SSR Rn. 72. 192 Bayram / Meier, in: BKR 2018, 55 (56); Bliss / Molk / Partnoy, Negative Activism, S. 13; Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 232; Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 43. 193 Mülbert / Sajnovits, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Vorb. Art. 1–41 SSR Rn. 72; Schockenhoff / Culmann, in: AG 2016, 517 (518); Splinter / Gansmeier, in: ZHR 184 (2020), 761 (768). 186

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Kap. 1: Grundlagen

stärkeren Kursverlusts und damit verbundenen höheren Gewinnen bei einem aktivistischen Leerverkauf wesentlich größer als bei einem klassischen.194 Dagegen formuliert der Panic View die besonderen Gefahren von aktivis­tischen Leerverkäufen: Die Veröffentlichung negativer Informationen im Research Report verursacht einen künstlichen Kursverfall in manipulativer Absicht, der im schlimmsten Fall in eine Verkaufspanik mündet.195 Dadurch entfernt sich der Aktienkurs vom Fundamentalwert, sodass diese schwächere Informationseffizienz die Fehlallokation von Kapital ermöglicht.196 Es entsteht eine geringere Allokationseffizienz, die die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes belastet. Es gilt also zu überprüfen, inwieweit die oben dargestellten Folgen Anhaltspunkte für die ökonomische Einordnung liefern: Die Beobachtung von erhöhten Kursverlusten, verstärkter Volatilität und der wechselseitigen Auswirkungen auf die Liquidität in Form von erhöhten Share-Turnovers und von ausgeweiteten BidAsk-Spreads ergeben sich regulär aus der Einpreisung von negativen Informationen, bei der die beobachteten Handelsausschläge nicht zu vermeiden sind. Ob aktivistische Leerverkäufe in der Realität eher dem Informative oder dem Panic View entsprechen, lässt sich durch folgende Beobachtung näher beurteilen: So stellte die Studie von Bliss / Molk / Partnoy bei 71,8 % der untersuchten Stichproben fest, dass auch noch ein Jahr nach Veröffentlichung eine negative Marktreaktion vorlag.197 Bei einem ungerechtfertigten, kurzfristigen Kursverfall im Sinne des Panic View wäre dagegen eine Kurserholung innerhalb dieses Zeitraums anzunehmen. Das Stichprobenergebnis ist also ein erstes Indiz für eine mehrheitlich seriöse Verwendung aktivistischer Leerverkäufe im Sinne des Informative View. Die beobachteten tatsächlichen Auswirkungen dienen dagegen als Argumente für beide Richtungen. Zum einen stellt schon die bloße Möglichkeit, Investitions-, Finanzierungs- und Auszahlungsaktivitäten zu verringern, eine weitere Gefahr von manipulativ eingesetzten aktivistischen Leerverkäufen dar. Es kann also neben der direkten Schädigung der Aktionäre durch den verursachten Kursverlust das Unternehmen selbst geschädigt werden und mit ihm auch seine zukünftigen Aktionäre. Dabei leidet insbesondere die Reputation des Zielunternehmens,198 wodurch das Marktvertrauen in den Emittenten nachhaltig beeinflusst und die oben genannten Unternehmensaktivitäten weiter geschmälert werden können. Zum anderen werden auch positive Effekte durch einen aktivistischen Leerverkauf erzielt. Wie oben dargelegt, fördern sie im Durchschnitt das Erreichen eins 194 Ähnlich den verstärkten positive Effekt aktivistischer Leerverkäufe auf die Preisbildung feststellend, Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (702). 195 Zhao, Activist Short-Selling, S. 2, 11; ähnlich Kartapanis, Activist Short-Sellers and ­Accounting Fraud Allegations, S. 8; Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (705 f.). 196 Bayram / Meier, in: BKR 2018, 55 (56); Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 44. 197 Bliss / Molk / Partnoy, Negative Activism, S. 18 f. 198 Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 231.

§ 3 Aktivistische Leerverkäufe aus ökonomischer Perspektive 

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optimalen Investitionsniveaus, weil die Investitionseffizienz gesteigert wird. Die Analyse von nachfolgenden Ereignissen eines aktivistischen Leerverkaufs – Delisting, Austausch von Wirtschaftsprüfern, korrigierte Gewinnangaben und Überprüfung von Aufsichtsbehörden – deutet auf eine überwiegend seriöse Zielsetzung hin, Überbewertungen aufzudecken.199 Diese Beobachtungen unterstützen demnach auch einen im juristischen Schrifttum erwähnten positiven Einfluss auf die Corporate Governance der Zielunternehmen.200 Grundlage hierfür ist die Annahme, dass aktivistische Investoren durch die Verbesserung der Informationseffizienz gute Corporate Governance belohnen bzw. schlechte Governance sanktionieren.201 Im Gegensatz zu den klassischen passiven Aktionären nehmen aktivistische Investoren nämlich freiwillig eine Monitoring- und Überwachungsfunktion ein, um so – je nach Strategie – einen für sie günstigen Kursanstieg oder Kursverfall in Gang zu setzen.202 Anders als aktivistische Aktionäre üben aktivistische Leerverkäufer aber lediglich mittelbar durch den verursachten Kursverfall Druck auf die Unternehmensverwaltung aus.203 Die Monitoring- und Kontrollfunktion aktivistischer Leerverkäufe trägt wiederum dazu bei, Informationsasymmetrien zwischen Aktionären und Unternehmensverwaltung abzubauen.204 Der zu erwartende Gewinn ist also der Anreiz für die Suche und Auswertung von Informationen und damit einhergehend für einen positiven Einfluss auf die Corporate Governance von Unternehmen. Nach der Studie von Wong / Zhao können im Einzelfall allerdings bei investitionsschwächeren Unternehmen negative Entwicklungen verstärkt werden. Diese ambivalenten Effekte auf das optimale Investitionsniveau, die zu berücksichtigen sind, lassen folgenden Rückschluss zu: Trotz der wohl überwiegend seriös durchgeführten aktivistischen Leerverkäufe kann es Einzelfälle geben, die sich negativ auf die tatsächliche Wirtschaftsleistung von Zielunternehmen auswirken. Diese Ambivalenz205 einer positiven Wirkung auf die Informationseffizienz sowie auf die Corporate Governance der Unternehmen und einer im negativen Sinne zu beurteilenden Eignung für Manipulationen mit realwirtschaftlichen Auswirkungen wird besonders offenbar in den eingangs erwähnten Beispielen. 199

Ljungqvist / Qian, 29 Rev. Fin. Stud. (2016), 1975 (1978f). Langenbucher / Haus / Wentz, in: ZBB 2019, 307 (307 f.); Wentz, in: WM 2019, 196 (197); Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (704). 201 Langenbucher / Haus / Wentz, in: ZBB 2019, 307 (308); „disziplinarische ex-ante Wirkung auf das Management“ Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 43. 202 Langenbucher / Haus / Wentz, in: ZBB 2019, 307 (308); umfassend zu diesem Unterschied Heuser, Shareholder Activism S. 20 ff. 203 Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (704). 204 Informationsasymmetrien sind eines der Kernprobleme des sog. Prinzipal-Agent-Konflikts, m. w. N. Langenbucher / Haus / Wentz, in: ZBB 2019, 307 (307 f.); ähnlich Wentz, in: WM 2019, 196 (197); Vollmerhausen, in: Wistra 2020, 487 (489). Allgemein zum Prinzipal-AgentKonflikt Inici, Shareholder Engagement, S. 21 ff.; speziell in Bezug auf institutionelle Aktionäre Faure, Verantwortung institutioneller Aktionäre im deutschen Aktienrecht, S. 92 ff. 205 So die treffende Beurteilung von Wentz, in: WM 2019, 196 (197 f.). 200

48

Kap. 1: Grundlagen

Aus jüngerer Zeit ist als positives Beispiel eines aktivistischen Leerverkaufs der Fall Steinhoff / Viceroy zu erwähnen, bei dem konkrete Hinweise auf Bilanzmanipulationen durch den Leerverkäufer Viceroy veröffentlicht wurden. Wie spätere neutrale Prüfungen zeigten, waren die im Research Report veröffentlichten Informationen zutreffend, sodass diese in den Aktienkurs schneller eingepreist werden konnten und dieser sich an den Fundamentalwert anglich. Diese positive Wirkung der schnelleren Einpreisung bleibt, obwohl Viceroy einen Großteil seiner Informationen dem früheren Bericht von Portsea entnommen hat. Die grundlegende Aufdeckung und Recherche der Informationen ist Viceroy damit zwar nicht mehr zuzuschreiben, dennoch machte es diese Erkenntnisse erstmals einer großen Öffentlichkeit bekannt. Dadurch leistete Viceroy einen wesentlichen Beitrag, die bestehenden Informationsunsicherheiten über die Bilanzvorwürfe schneller aufzulösen. Im schlimmsten Fall hätten diese Unsicherheiten über den gesamten Zeitraum der neutralen Prüfung angehalten, sodass der Bericht in dieser Hinsicht eine schnellere Angleichung des Aktienkurses an den Fundamentalwert bewirkte. Trotz dieser Entwicklungen verbesserte der Report von Viceroy also die relative Geschwindigkeit der Informationseffizienz. Damit demonstriert dieses Beispiel die erhebliche Relevanz des volkswirtschaftlichen Nutzens aktivistischer Leerverkäufe.206 Auf der anderen Seite muss allerdings solch ein aktivistischer Leerverkauf wie Aurelius / Gotham Erwähnung finden. Hier wurden dem Zielunternehmen ­Aurelius Überbewertungen in der Bilanz, mangelnde Integrität des CEO und die Nichtexistenz einzelner Tochtergesellschaften vorgeworfen, wobei sich diese  – wie oben aufgezeigt – als falsch erwiesen. Deshalb könnte hier ein Verstoß gegen das Marktmanipulationsverbot vorliegen, den es in § 6 zu überprüfen gilt. Der Aktienkurs entfernte sich jedenfalls mit dem Kursverfall erheblich vom Fundamentalwert, was nicht gerechtfertigt war. Im Fall von anonymen oder pseudonymen aktivistischen Leerverkäufen ist die Wahrscheinlichkeit für eine manipulative Absicht erhöht. Die Anonymität erschwert nämlich die Verfolgung unrechtmäßigen Verhaltens und die Durchsetzung entsprechender Strafen, sodass davon kaum eine Abschreckung ausgeht. Damit werden solche aktivistischen Leerverkäufer eher manipulative Mittel zur Erreichung ihres Ziels, einen kurzfristigen erheblichen Kursverfall zu verursachen, einsetzen. Speziell die Studie von Mitts zu den pseudonymen aktivistischen Leerverkäufen belegt, dass auf einen Kursverlust abnormal starke Erholungen folgen. Wäre der Kursverfall berechtigt im Sinne einer aufgedeckten Überbewertung gewesen, käme eine solch starke Kurserholung gerade nicht in Betracht. Diese Kurserholungen bei pseudonymen aktivistischen Leerverkäufen lassen also den Schluss zu, dass diese eher manipulativ eingesetzt werden.207 Wie aber die aktuel 206

Ähnlich die Feststellung von Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 232. In dieser Hinsicht stellt auch Mitts, Short and Distort, S. 6 f. fest, dass gerade pseudonyme aktivistische Leerverkäufe einen Rahmen für manipulative Handlung begründen; daran anschließend ders., Columbia Law and Economics Working Paper No. 615, S. 8; ders. /  Coffee / Cox / Molk / Greene, Petition for Rulemaking on Short and Distort, S. 2. 207

§ 3 Aktivistische Leerverkäufe aus ökonomischer Perspektive 

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len Ereignisse im Fall Wirecard dokumentieren, sind voreilige Schlüsse generell zu vermeiden. Auch pseudonyme aktivistische Leerverkäufe müssen nicht zwingend manipulativ sein. Insgesamt ist zu konstatieren, dass sich aktivistische Leerverkäufe aus ökonomischer Perspektive nicht eindeutig bewerten lassen. Der Versuch, die bisher erschienen Studien auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen, legt nahe, dass die Mehrheit aktivistischer Leerverkäufe mit dem seriösen Ziel vorgenommen wird, Überbewertungen aufzudecken.208 Damit sind sie in ökonomischer Hinsicht positiv zu werten. Allerdings lassen Einzelfälle auch manipulative Einwirkungen vermuten, sodass eine negative Einschätzung ebenso gerechtfertigt erscheint. Die Ambivalenz aktivistischer Leerverkäufe verdeutlichen auch die angeführten Beispiele. Deshalb ist eine Regulierung, die aktivistische Leerverkäufe ohne jegliche Einschränkungen zulässt, ebenso wenig angezeigt wie eine, die das Phänomen wegen ihrer manipulativen Eignung vollständig unterbindet.209 Die Frage, ob ein aktivistischer Leerverkauf positiv oder negativ einzuordnen ist, hängt immer vom Einzelfall ab210 und muss nach dem Wahrheitsgehalt der Informationen des Research Reports beurteilt werden: Wahre negative Fakten sind für den Aktienkurs von Bedeutung und helfen dabei, den Aktienkurs an den Fundamentalwert anzugleichen. Damit wird die Informations-, Bewertungs- und letztlich auch die Allokationseffizienz gesteigert. Zudem ist ein positiver Einfluss auf die Corporate Governance feststellbar, sodass der aktivistische Leerverkauf volkswirtschaftlich positiv ist. Anders stellt sich dies bei unwahren Fakten, tendenziöser Berichterstattung oder Verbreitung falscher Gerüchte dar. Der Aktienkurs entfernt sich dann vom Fundamentalwert. Dadurch wird auch die Informations-, Bewertungs- und Allokationseffizienz beeinträchtigt und der aktivistische Leerverkauf ist als schädigend anzusehen. Für eine bessere Unterscheidung in der Rechtspraxis zwischen legitimen und manipulativen aktivistischen Leerverkäufen ist eine Analyse der oben beschriebenen Eigenschaften der Zielunternehmen hinsichtlich der Überbewertung und der Unsicherheit hilfreich. Solche Untersuchungen könnten zeigen, ob ein aktivistischer Leerverkauf sinnvoll gewesen wäre oder nicht. Bei Unternehmen, die weniger von Überbewertungs- denn von Unsicherheitsfaktoren geprägt sind, steigt die Wahrscheinlichkeit eines manipulativen Geschäfts, da der Leerverkäufer lediglich von der Unsicherheit profitieren wollte.211 In solchen Fällen ist dann eine nähere Untersuchung durch die Aufsichtsbehörden angezeigt. Im umgekehrten Fall ist eher von einem zulässigen aktivistischen Leerverkauf auszugehen, dessen Ziel 208 Jüngst dies auch feststellend Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (297); ähnlich Frömel, ShortSell-Attacken, S. 42. 209 In diese Richtung auch Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (706). 210 Ähnlich kritisch gegenüber einer pauschalen Bewertung, Voß, in: 25 Jahre WpHG, 715 (755). 211 Zhao, Activist Short-Selling, S. 7.

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Kap. 1: Grundlagen

die gewinnbringende Aufdeckung der identifizierten Überbewertung war. Die Berücksichtigung beider Faktoren kann dabei insgesamt für das gesamte Phänomen helfen, die zulässigen von den manipulativen Einzelfällen zu unterscheiden. Auch wenn nach der Studie von Kartapanis nur 30 % der Bilanzfälschungsvorwürfe zutreffend waren, konnte in der Studie aber nachgewiesen werden, dass Research Reports im Verhältnis zu anderen Indikatoren eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, eine Bilanzfälschung zu erkennen.212 Dies zeigt, dass aktivistische Leerverkäufe gerade bei schwerwiegenden Vorwürfen wichtige Anhaltspunkte für die Aufsichtsbehörden liefern können, indem sie das Fehlverhalten von Zielunternehmen aufdecken.213 Sie sollten also Anlass sein, eine eigenständige und detaillierte Prüfung vorzunehmen. Dabei sollte sowohl der aktivistische Leerverkauf als auch des Zielunternehmen in den Blick genommen werden.

C. Ergebnis Die hier vorgenommene ökonomische Bewertung verdeutlicht, dass aktivis­ tische Leerverkäufe als ein eigenständiges Phänomen im Vergleich zum klassischen Leerverkauf einzuordnen sind. Dabei ist für eine Grenzziehung von legitimen und illegitimen aktivistischen Leerverkäufen das Marktmanipulationsverbot von besonderer Relevanz. Um der ökonomischen Einordnung vollständig zu entsprechen, müsste das Marktmanipulationsverbot aktivistische Leerverkäufe grundsätzlich zulassen, da diese positive Auswirkungen haben. Einzelne, manipulative Fälle sollten jedoch wegen ihres schädigenden Effekts verboten und sanktioniert werden. Aufgrund der besonderen Bedeutung des Wahrheitsgehalts für die positive oder negative Beurteilung des einzelnen aktivistischen Leerverkaufs gilt es, in § 6 die normativen Anforderungen zu untersuchen. Dadurch können dann die rechtlichen Kriterien für die Unterscheidung der (Un-)Zulässigkeit des Phänomens gewonnen werden. Darüber hinaus ist aber auch das Insiderrecht eng mit der Frage verbunden, welcher Grad an informationeller Effizienz durch die Aufdeckung und Einpreisung von Informationen erreicht werden kann. In den folgenden Kapiteln ist auf der Grundlage dieser ökonomischen Einordnung zu untersuchen, inwieweit die Tatbestände der SSR und MAR schädliche aktivistische Leerverkäufe verhindern können.

212 213

Kartapanis, Activist Short-Sellers and Accounting Fraud Allegations, S. 3, 17 ff. Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (703); Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 38 ff.

Kapitel 2

Die Regulierung nach der SSR Vor diesen für den aktivistischen Leerverkauf maßgebenden Regulierungen sollen im zweiten Kapitel die rechtlichen Grundlagen des Leerverkaufs zusammenfassend dargestellt werden. In ihrer Grundkonzeption gelten sie nämlich unabhängig von der aktivistischen Ausgestaltung für sämtliche Leerverkäufe. Im Mittelpunkt steht innerhalb der SSR das Verbot ungedeckter Leerverkäufe und die Anordnung von Transparenzpflichten. Abschließend wird unter Berücksichtigung der ökonomischen Implikationen des § 2 zu dieser Regulierung Stellung genommen.

§ 4 Das Verbot ungedeckter Leerverkäufe und das Transparenzregime Nach zwischenzeitlichen Allgemeinverfügungen der BaFin während der Finanzkrise trat im Jahr 2010 das WpMiVoG in Kraft, in dem vor allem ein Verbot ungedeckter Leerverkäufe und Transparenzpflichten für Netto-Leerverkaufspositionen gesetzlich manifestiert wurden.1 Die seit 2012 geltende SSR löste das WpMiVoG ab und vereinheitlichte die bis dahin zersplitterte Rechtslage in der EU.2 Sie ist ein Aspekt einer neueren Entwicklung, in der das Kapitalmarktrecht nicht mehr an Richtlinien orientiert ist, die eine nationale Umsetzung erfordern, sondern an unmittelbar geltenden Verordnungen mit einer besonderen Regelungstiefe.3 Um einen vollintegrierten europäischen Finanzmarkt zu schaffen, werden die Verordnungen überwiegend vollharmonisierend ausgestaltet.4 In diesem Kontext steht dann auch die für aktivistische Leerverkäufe zentrale MAR. Die SSR folgt dem vierstufigen Lamfalussy-Verfahren:5 Auf der ersten Stufe steht die vom Europäischen Parlament und Rat erlassene SSR, auf der zweiten Stufe vier von der Kommission erlassene Durchführungsverordnungen und technische Regulierungs- und Durchführungsstandards, auf der dritten Stufe Empfehlungen und Leitlinien der ESMA an die nationalen Aufsichtsbehörden und auf der vierten Stufe die Verpflichtung 1 Darstellung der zahlreichen Allgemeinverfügungen der BaFin und die Entwicklung hin zum WpMiVoG bei Weick-Ludewick, in: Heidel Aktienrecht, Vor. § 30h WpHG, Rn. 5 ff. 2 Mülbert / Sajnovits, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Vorb. Art. 1–41 SSR Rn. 9 ff. 3 Grundmann, in: HGB Staub Band 11/2, 6. Teil Rn. 561. 4 Schlimbach, Leerverkäufe, S. 80. 5 Ausführlicher dazu Schlimbach, Leerverkäufe, S. 78 f.

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Kap. 2: Die Regulierung nach der SSR

der ESMA zur Kontrolle der Umsetzung.6 Hinsichtlich des Ablaufes eines aktivistischen Leerverkaufs wird die folgende Darstellung sich auf die Reglungsbereiche der SSR beschränken, die Leerverkäufe in Aktien zum Gegenstand haben.

A. Anwendungsbereich Nach Art. 1 I a, b SSR setzt der sachliche Anwendungsbereich Finanzinstrumente voraus, die zum Handel an einem Handelsplatz in der EU zugelassen sind. Für die nähere Bestimmung von Finanzinstrumenten und Derivaten gelten die Definitionen der Richtlinie über Märkte für Finanzinstrumente von 2014 (Markets in Financial Instruments Directive, MiFID II)7.8 Das Verbot ungedeckter Leerverkäufe und das Transparenzregime sind allerdings auf Aktien und öffentliche Schuldinstrumente beschränkt. Aktien sind alle übertragbaren Wertpapiere, die einen Anteil am Grundkapital einer Aktiengesellschaft und bestimmte Mitgliedschaftsrechte verbriefen.9 Die Begriffsbestimmung des Handelsplatzes erfolgt ebenfalls anhand der MiFID II.10 Danach ist der Handelsplatz ein geregelter Markt, ein multilaterales oder ein organisiertes Handelssystem, zu dem die Finanzinstrumente zugelassen sein müssen. Die Zulassung der Finanzinstrumente zum Handel an einem multilateralen Handelssystem erfolgt dabei auf privatrechtlicher Basis ohne hoheitlichen Akt.11 Vom persönlichen Anwendungsbereich ist jede natürliche und juristische Person erfasst, wobei letztere unabhängig von ihrer Rechtsform und ihrem Sitz beurteilt wird.12 In geographischer Hinsicht ist es bereits ausreichend, wenn ein unter den sachlichen Anwendungsbereich fallendes Finanzinstrument vorliegt, ohne dass es auf den Ort des Vertragsschlusses, den Erfolgsort oder die Nationalität der Beteilig-

6

Detailliert Ludewig / Geilfus, in: WM 2013, 1533. Richtlinie (EU) Nr. 65/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. 05. 2014 über Märkte für Finanzinstrumente sowie zur Änderung der Richtlinien 2002/92/EG und 2011/61/EU, ABl. EU Nr. L 173 v. 12. 06. 2014, S. 349, im Folgenden wird die englische Abkürzung MiFID II verwendet. 8 Mülbert / Sajnovits, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 2 SSR Rn. 4. 9 Herleitung der Definition bei, Schlimbach, Leerverkäufe, S. 94. 10 Mülbert / Sajnovits, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 2 SSR Rn. 35. 11 Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 51; Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 51; zum Erfassen von im Freiverkehr getätigten Leerverkäufen genauer Mülbert / Sajnovits, in: Assmann /  Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 1 SSR Rn. 4 f.; Schlimbach, Leerverkäufe, S. 93, 96; Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 52; Grundmann, in: HGB Staub Band 11/2, 6. Teil Rn. 568. 12 Schlimbach, Leerverkäufe, S. 100 f. 7

§ 4 Das Verbot ungedeckter Leerverkäufe und das Transparenzregime 

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ten ankommt.13 Die SSR entfaltet demnach eine extraterritoriale Wirkung.14 In diesem Kontext ist für aktivistische Leerverkäufe insbesondere die Ausnahme von Art. 16 SSR von Bedeutung, bei der Leerverkäufe von Aktien nicht vom Transparenzregime und vom Verbot ungedeckter Leerverkäufe erfasst sind, wenn die Aktien ihren Haupthandelsplatz außerhalb der EU haben. Dieser wird dabei anhand der Umsatzgröße der Aktie von nationalen Aufsichtsbehörden alle zwei Jahre festgelegt.15 Dieses Verständnis bedeutet für aktivistische Leerverkäufe, dass die Vorgaben der SSR immer dann zu beachten sind, wenn die Aktien der Zielunternehmen an einem Handelsplatz innerhalb der EU zugelassen sind oder sich bei dual-listings ihr Haupthandelsplatz in der EU befindet. Für die Beispiele ist dabei wie folgt zu differenzieren: Aurelius ist an der Börse München gelistet und eine Ausnahme gem. Art. 16 SSR liegt nicht vor. Anders verhält es sich bei Steinhoff, bei der die BaFin im April 2016 gem. Art. 16 II SSR feststellte, dass der Haupthandelsplatz dieser Aktien nicht innerhalb der EU liegt.16 Dieses wurde zuletzt wiederum im März 2018 für weitere zwei Jahre bestätigt.17 Damit sind Aktien des Unternehmens Steinhoff für den Zeitraum des aktivis­ tischen Leerverkaufs von Viceroy nicht vom Transparenzregime und vom Verbot ungedeckter Leerverkäufe erfasst gewesen.

B. Das Verbot ungedeckter Leerverkäufe Als erste Beschränkung von aktivistischen Leerverkäufen ist das Verbot ungedeckter Leerverkäufe nach Art. 12 I SSR einschlägig. Wie bereits oben dargelegt, ist für die Differenzierung zwischen ungedeckten und gedeckten Leerverkäufen der Abschluss des Deckungsgeschäfts maßgeblich. Leerverkäufe, bei denen das Deckungsgeschäft erst nach Vertragsschluss vorliegt, sind ebenso verboten wie die nachträgliche Deckung im Laufe desselben Handelstages.18 Für die Sicherstellung der fristgerechten Lieferung der Wertpapiere hat der Leerverkäufer deshalb bis zum 13

Mülbert / Sajnovits, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 1 SSR, Rn. 13; Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 52; Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 53 f. 14 Mülbert / Sajnovits, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 1 SSR, Rn. 13; Schlimbach, Leerverkäufe, S. 102. 15 Details zur Berechnung bei Schlimbach, Leerverkäufe, S. 97. 16 Vgl. die Meldung in der von der ESMA veröffentlichten Liste Exempted Shares under Short Selling Framework v. 1. 04. 2016, abrufbar unter: https://registers.esma.europa.eu/ publication/details?core=esma_registers_mifid_shsexs&docId=shsexs24289shsexs, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 17 Meldung ESMA, Exempted Shares under Short Selling Framework v. 30. 03. 2018, abrufbar unter: https://registers.esma.europa.eu/publication/details?core=esma_registers_mifid_ shsexs&docId=shsexs41120shsexs, zuletzt abgerufen am 17. 05. 2021. 18 Sog. Intraday-Deckung, siehe Weick-Ludewig, in: Heidel Aktienrecht, Vor. § 30h WpHG, Rn. 16.

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Kap. 2: Die Regulierung nach der SSR

Zeitpunkt des Vertragsschlusses19 nach Art. 12 I SSR wenigstens eines der folgenden Deckungsgeschäfte vorzunehmen: Eine Wertpapierleihe oder ein rechtlich gleichwertiges Geschäft, wie z. B. Pensionsgeschäfte oder Repurchase Agreements (Art. 12 I a SSR), eine Leihvereinbarung20 oder die Vereinbarung eines rechtlich gleichwertigen Geschäfts, in dem ein unbedingt durchsetzbarer Anspruch auf Eigentumsübertragung der entsprechenden Wertpapiere besteht (Art. 12 I b SSR), oder eine Lokalisierungszusage eines Dritten, mit der die rechtzeitige Lieferungsmöglichkeit des Wertpapiers an den Käufer zugesichert wird (Art. 12 I c SSR).21 Über diese Regelungen hinaus sieht die SSR temporäre Eingriffsbefugnisse der Aufsichtsbehörden in besonderen Krisenfällen vor.22 In diesem Zusammenhang ermächtigt Art. 20 SSR die nationalen Aufsichtsbehörden, gedeckte Leerverkäufe befristet zu beschränken oder gänzlich zu untersagen.23 Auf dieser Basis verbot die BaFin beispielsweise temporär die Begründung und Vergrößerung von NettoLeerverkaufspositionen in Aktien von Wirecard.24 Die zahlreichen Ausnahmeregelungen vom Verbot der ungedeckten Leerverkäufe wie für Market-Maker oder bei Kursstabilisierungsmaßnahmen sind bei einem aktivistischen Leerverkauf nicht einschlägig.25 Da aktivistische Leerverkäufer vom Verbot des Art. 12 I SSR betroffen sind, können sie die besondere Hebelwirkung von ungedeckten Leerverkäufen nicht nutzen. Sie sind nicht in der Lage, in kurzer Zeit eine große Anzahl von Aktien leer zu verkaufen, ohne auch gleichzeitig die Kosten des Deckungsgeschäfts tragen zu müssen. Eine Aussicht auf große Gewinne bei möglichst geringem Kapitaleinsatz wie im Fall eines ungedeckten Leeverkaufs bleibt den aktivistischen Leerverkäufern also verwehrt. Trotzdem gab es in Deutschland vermehrt aktivistische Leerverkäufe, sodass dieses Phänomen weiterhin zugänglich ist.26 Es haben sich 19

Abzustellen ist insoweit für das Vorliegen des Deckungsgeschäfts auf den Vertragsschluss über den Leerverkauf, der im börslichen Handel der Zeitpunkt der Ausführung der eingestellten Order darstellt, Schlimbach, Leerverkäufe, S. 127. 20 Damit genügt schon die bloße Vereinbarung einer Wertpapierleihe, sodass die Wertpapierleihe noch nicht vollständig abgewickelt worden sein muss. Näher dazu Schlimbach, Leerverkäufe, S. 129 f. 21 Nötig ist hierfür das Vorliegen einer Lokalisierungsbestätigung sowie einer Vormerkungsbestätigung, detailliert m. w. N. Mülbert / Sajnovits, in: ZBB 2012, 266 (272 f.). 22 Die besonderen Eingriffsbefugnisse sind jeweils daran angeknüpft, dass eine Ausnahme­ situation sowie die Erforderlichkeit der Maßnahme vorliegt. Umfassend zu diesen Tat­ bestandsmerkmalen, Schlimbach, Leerverkäufe, S. 190 ff.; ein (kritischer) Überblick hierzu bei Splinter / Gansmeier, in: ZHR 184 (2020), 761 (771 ff.). 23 Schlimbach, Leerverkäufe, S. 200; Wilken / Bertus, in: BB 2019, 2754 (2755). 24 BaFin, Allgemeinverfügung zum Verbot der Begründung und Vergrößerung von NettoLeerverkaufspositionen v. 18. 02. 2019. 25 Hintergrund der Ausnahmeregelungen ist gerade die liquiditätsspendende Funktion von ungedeckten Leerverkäufen und damit die Verbesserung der Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte im Sinne einer Marktpflege, vgl. Schlimbach, Leerverkäufe, S. 137 ff. 26 So auch Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 54.

§ 4 Das Verbot ungedeckter Leerverkäufe und das Transparenzregime 

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durch das Erfordernis, rechtzeitig für eine Deckung zu sorgen, lediglich die Kosten erhöht. Gegebenenfalls können aber weitergehende, temporäre Verbote zu beachten sein.

C. Das Transparenzregime Eine weitere Regulierung nimmt die SSR mit der Einführung eines umfassenden Transparenzregimes für Netto-Leerverkaufspositionen vor. Die Netto-Leerverkaufsposition ergibt sich nach Art. 3 IV SSR aus der Saldierung aller von einer Person eingegangenen Short-Positionen mit allen von ihr gehaltenen Long-Positionen des entsprechenden Unternehmens.27 Nach Art. 9 II SSR ist die Berechnung am Ende des entsprechenden Handelstages durchzuführen, an dem die Person die jeweilige Netto-Leerverkaufsposition hält. Das Transparenzregime hat Melde- und Veröffentlichungspflichten zum Gegenstand. Nach Art. 5 I SSR sind Markteilnehmer dazu verpflichtet, ihre Netto-Leerverkaufspositionen an die zuständigen Behörden zu melden, wenn die Schwellenwerte über- oder unterschritten werden. Diese liegen für Aktien gem. Art. 5 III SSR bei 0,2 % des ausgegebenen Aktienkapitals. Die Meldepflicht besteht danach in Intervallen von 0,1 %. Darüber hinaus müssen nach Art. 6 I SSR Marktteilnehmer die Netto-Leerverkaufsposition gegenüber der Allgemeinheit veröffentlichen, wenn sie die Offenlegungsschwelle, die bei 0,5 % liegt, über- bzw. unterschreiten. Die jeweilige Veröffentlichung erfolgt dabei wiederum in Schritten von 0,1 %. Die Meldung oder Offenlegung hat bis spätestens 15.30 Uhr des folgenden Handelstags stattzufinden, wobei die Daten auf einer zentralen, von den jeweiligen nationalen Aufsichtsbehörden verwalteten Internetseite einzustellen sind, die in Deutschland www.bundesanzeiger.de heißt. Auch im Transparenzregime können temporäre zusätzliche Anforderungen aufgestellt werden. So kann die ESMA nach Art. 28 I a SSR die Meldung und Offenlegung von Netto-Leerverkaufspositionen bei einzelnen Finanzinstrumenten anordnen. Im Zuge der Corona-Krise hat die ESMA die Schwelle zur Meldung von Netto-Leerverkaufspositionen auf 0,1 % abgesenkt, wobei diese Verpflichtung nach zwischenzeitlichen Verlängerungen am 19. 03. 2021 auslief.28 Wie bereits in der Fallbeschreibung erwähnt, veröffentlichte Gotham vor der Publizierung des Research Reports im Bundesanzeiger eine Nettoleerverkaufsposition i. H. v. 0,80 % an Aurelius. 27 Für die technischen Einzelheiten zur Berechnung und den erfassten Long- und ShortPositionen siehe m. w. N. Mülbert / Sajnovits, in: ZBB 2012, 266 (276 ff.). 28 ESMA Decision v. 16. 12. 2020, ESMA 70–155–11608, S. 2 ff.; ESMA Press Release v. 15. 03. 2021; jeweils abrufbar unter: https://www.esma.europa.eu/press-news/esma-news/ esma-allow-decision-reporting-net-short-position-01-and-above-expire, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021.

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Kap. 2: Die Regulierung nach der SSR

D. Rechtspolitische Bewertung Krisenbedingte Regulierungen bringen immer eine gewisse Gefahr der Überregulierung mit sich,29 sodass auch die unter dem Eindruck der Finanzkrise entstandene SSR in dieser Hinsicht zu überprüfen ist. Im § 2 wurde gezeigt, dass insbesondere ungedeckte Leerverkäufe ein erhebliches Preisbewegungspotenzial aufweisen. Gerade bei der ungedeckten Variante können in kurzer Zeit bei geringem finanziellen Aufwand eine erhebliche Anzahl von Leerverkäufen getätigt werden und letztlich durch die entsprechende Signalwirkung ein enormer Kursverfall erzeugt werden. Wenn dann massenhafte Leerverkäufe im Einzelfall mit dem Herdenverhalten anderer Marktteilnehmer zusammentreffen, kann bei systemrelevanten Zielunternehmen aus diesem Preisbewegungspotenzial eine Destabilisierung des gesamten Kapitalmarktes erwachsen. Das präventive Verbot ungedeckter Leerverkäufe der SSR kann diese Auswirkungen unterbinden. Zudem verhindert das Verbot die umgekehrte Folge eines Short Squeeze. Durch die Eindeckungsvoraussetzungen können die getätigten Leerverkäufe nicht mehr die Anzahl der verfügbaren Finanzinstrumente übersteigen. Ferner wird die Möglichkeit für marktmissbräuchliche Verhaltensweisen reduziert, weil das Verbot ungedeckter Leerverkäufe die Anzahl von Leerverkäufen am Markt allgemein verringert. Dem gegenüber stehen die negativen Auswirkungen von Leerverkaufsverboten auf die Liquidität und Markteffizienz. Zwar lässt das Verbot der SSR weiterhin gedeckte Leerverläufe zu. Es werden aber die in finanzieller Hinsicht besonders attraktiven ungedeckten Leerverkäufe verhindert, sodass die verringerte Gesamtanzahl der am Markt getätigten Leerverkäufe eine niedrigere Liquidität und Markteffizienz bewirkt. Im Vergleich dieser Chancen und Risiken des präventiven Verbots ist insbesondere die Studienlage zu berücksichtigen: Während die negativen Auswirkungen der Leerverkaufsverbote auf die Liquidität und Markteffizienz eindeutig nachgewiesen wurden, ist die Studienlage mit Blick auf die Volatilität als Messgröße des Preisbewegungspotenzials uneinheitlich. Deshalb ist es letztlich überzeugender, ein aus dem Preisbewegungspotenzial resultierendes Risiko für die Systemstabilität auf bestimmte Ausnahmesituationen begrenzt zu sehen. Dieses Risiko stellt die besondere Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes dar. Um einen möglichst großen Nutzen der positiven Effekte von Leerverkäufen zu gewährleisten, sind wegen dieses begrenzten Gefahrenpotenzials flexible Eingriffsbefugnisse einem präventiven Verbot ungedeckter Leerverkäufe vorzuziehen.30 Die flexiblen Eingriffsbefugnisse sind nämlich dann das angemessenere Mittel, wenn sie mit einem austarierten Transparenzsystem kombiniert sind und damit das rechtzeitige Eingreifen der Aufsichtsbehörden zur Abwendung der auf 29

Umfassend dazu, Fleischer, in: FS für Hans-Joachim Priester, S. 87 f. So auch der Vorschlag für beschränkte Eingriffsbefugnisse bei leerverkauften Finanzinstituten von Brunnermeier / Oehmke, 18. Rev. Fin. (2013), 2153 (2155). 30

§ 4 Das Verbot ungedeckter Leerverkäufe und das Transparenzregime 

57

gezeigten Gefahren von Leerverkäufen gewährleisten.31 Zudem wird mit diesem Transparenzregime ein mögliches Risiko strafrechtlichen Verhaltens reduziert, da eine verbesserte Aufsicht bereits abschreckend wirkt und so Zielunternehmen effektiver reagieren können.32 Ausfallrisiken werden zu Recht als unbedeutend eingestuft, sodass die Börsenregelungen zu Erfüllungs- und Zwangseindeckungen effektiv genug sind und ein Verbot ungedeckter Leerverkäufe ebenso nicht rechtfertigen können.33 Unabhängig von dieser Bewertung des Verbots ungedeckter Leerverkäufe sind die im Transparenzregime angeordneten Meldepflichten eine notwendige und sinnvolle Regulierung, um die Risiken von Leerverkäufen für die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes einzudämmen.34 Die Beurteilung der Offenlegungspflicht fällt allerdings ambivalent aus: Die höhere Markttransparenz kann zwar eine effizientere Preisbildung bewirken,35 zugleich kann jedoch eine Offenlegung von Investmentstrategien auch zu einem Rückgang von Leerverkäufen führen.36 Außerdem können im Einzelfall signifikante Positionen einen Herdentrieb verursachen.37 Insgesamt ist bezüglich des Verbots ungedeckter Leerverkäufe die Einschätzung zutreffend, die SSR sei eine „krisenbedingte Überreaktion des Gesetzgebers“.38 Das präventive Verbot ungedeckter Leerverkäufe ist gerade nicht angemessen.39 31

Schlimbach, Leerverkäufe, S. 212. Klingenbrunn, Produktverbote, S. 130; Tritschler, Die Regulierung von Leerverkäufen als Folge der Finanzkrise, S. 236 f. 33 Auch so, Lange, Regulierung von Aktienleerverkäufern, S. 282 f.; Tritschler, Die Regulierung von Leerverkäufen als Folge der Finanzkrise, S. 234. 34 Schlimbach, Leerverkäufe, S. 212; Klingenbrunn, Produktverbote, S. 127 f.; Kumpan /  Misterek, in: WM 2021, 417 (427). 35 ESMA, Report on Trends, Risks and Vulnerabilities No. 1, 2018, S. 66, abrufbar unter: https://www.esma.europa.eu/system/files_force/library/esma50-165-538_report_on_trends_ risks_and_vulnerabilities_no.1_2018.pdf?download=1, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 36 Der Effekt dieses Rückgangs von Leerverkäufen ist dabei streitig. Während Schlimbach, Leerverkäufe, S. 213 in Richtung einer liquiditätssenkenden Wirkung argumentiert, konstatiert eine jüngere Studie eine Steigerung der Liquidität gemessen an Bid-Ask-Spreads aber auch eine verschlechterte Preiseffizienz, Jones / Reed / Waller, 29 Rev. Fin. Stud. (2016), 3278 (3294 ff.). 37 ESMA, Report on Trends, Risks and Vulnerabilities No. 1, 2018, S. 64 ff.; ebenso, ­Schlimbach, Leerverkäufe, S. 213; kritisch ebenfalls, Howell, 12 European Company Law (2015), 79 (81 f.); sowie Tritschler, Die Regulierung von Leerverkäufen als Folge der Finanzkrise, S. 238 f.; aus diesen Gründen in Krisenzeiten die Möglichkeit einer Reduktion oder Aussetzung der marktweiten Transparenz für die Aufsichtsbehörden befürwortend, Kumpan /  Misterek, in: WM 2021, 417 (428). 38 Schlimbach, Leerverkäufe, S. 210; ähnlich, Tritschler, Die Regulierung von Leerverkäufen als Folge der Finanzkrise, S. 236 f., 240; a. A. Lange, Regulierung von Aktienleerverkäufern, S. 284 ff. („Vertretbare Vorschrift“); abweichend wohl auch Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 45 f. 39 Klingenbrunn, Produktverbote, S. 137; Schlimbach, Leerverkäufe, S. 211; Tritschler, Die Regulierung von Leerverkäufen als Folge der Finanzkrise, S. 235; Mülbert / Sajnovits, in: ­Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Vorb. Art. 1–41 SSR Rn. 57. 32

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Kap. 2: Die Regulierung nach der SSR

Die Kombination von flexiblen Eingriffsbefugnissen in Krisensituationen mit einem präventiven Transparenzregime wäre hier ausreichend gewesen, um den besonderen Gefahren ungedeckter Leerverkäufe zu begegnen, ohne dabei die positiven Wirkungen auf die Liquidität und Markteffizienz zu verringern. So würde in optimaler Weise die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes als maßgebliches Regulierungsziel auf der einen Seite geschützt und auf der anderen Seite gestärkt werden. Aus diesen Gründen verwundert auch nicht die Annahme einiger Autoren, das präventive Verbot ungedeckter Leerverkäufe sei rechtspolitisch motiviert.40 Hinsichtlich der Bewertung des Transparenzregime ist die Meldepflicht eine notwendige und sinnvolle Regulierung. Die Offenlegungsverpflichtung kann aber wegen ihrer Eignung für mögliches Herdenverhalten kritisch betrachtet werden.

E. Ergebnis Aktivistische Leerverkäufe werden schon mit dem Leerverkauf selbst reguliert. Es dürfen nur gedeckte Leerverkäufe getätigt werden; auch sind Melde- und Offenlegungspflichten zu beachten. Im Einzelfall können weitere Einschränkungen von den Aufsichtsbehörden temporär vorgenommen werden, wie die niedrigere Meldeschwelle während der Corona-Krise dokumentiert. Die nach Inkrafttreten der SSR aufgetretenen aktivistischen Leerverkäufe demonstrieren allerdings, dass die oben erläuterte Regulierung das Phänomen nicht unterbindet. Da die Leerverkäufe im Allgemeinen sich positiv auf die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes auswirken, ist eine weitere Regulierung zur Verhinderung von aktivistischen Leerverkäufen auf dieser Stufe auch nicht angebracht.

40

Vgl. nur Klingenbrunn, Produktverbote, S. 137.

Kapitel 3

Die Regulierung nach der MAR Die MAR trat im Juli 2014 in Kraft und gilt seit Juli 2016 in vollem Umfang.1 Diese Verordnung ist ein wesentlicher Bestandteil in der Entwicklung zu einer europäischen Kapitalmarktunion, in der die primären Rechtsquellen in einem einheitlichen europäischen Regelungswerk (Single Rulebook) enthalten sind.2 Wie bereits erwähnt, nimmt das Marktmanipulationsverbot und das Insiderrecht in der MAR einen besonderen Stellenwert ein. Vor deren rechtlichen Grenzen werden aber die Anforderungen an den Research Report gem. Art. 20 I MAR erläutert.

§ 5 Die Anforderungen an den Research Report gem. Art. 20 I MAR Wie im Folgenden zu zeigen ist, muss dieser Research Report in aller Regel als Anlageempfehlung eingeordnet werden. Genau wie der Leerverkauf ist damit auch der Research Report einer eigenständigen Regulierung gem. Art. 20 I MAR unterworfen. Art. 20 I MAR und die dazugehörige Delegierte Verordnung 2016/9583 lösen den § 34b WpHG a. F. und die konkretisierende Finanzanalyseverordnung (Fin­AnV) ab, die den Art. 6 der Marktmissbrauchsrichtlinie von 2003 (Market ­Abuse Direc­ tive, MAD)4 und die entsprechende Durchführungsrichtlinie 2003/1255 umgesetzt 1

Poelzig, in: NZG 2016, 492 (492). Seibt / Wollenschläger, in: AG 2014, 593 (593); Veil, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 1 Rn. 21 f. 3 Delegierte Verordnung (EU) 2016/958 der Kommission vom 09. 03. 2016 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf die technischen Regulierungsstandards für die technischen Modalitäten für die objektive Darstellung von Anlageempfehlungen oder anderen Informationen mit Empfehlungen oder Vorschlägen zu Anlagestrategien sowie für die Offenlegung bestimmter Interessen oder Anzeichen für Interessenkonflikte, ABl. EU Nr. L 160 v. 17. 06. 2016, S. 15, im Folgenden DelVO 2016/958. 4 Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. 01. 2003 über Insidergeschäfte und Marktmanipulation (Marktmissbrauch), ABl. EU Nr. L 96 v. 12. 04. 2003, S. 16, im Folgenden wird die englische Abkürzung MAD verwendet. 5 Richtlinie 2003/125/EG der Kommission vom 22. 12. 2003 zur Durchführung der Richtlinie 2003/6/EG des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die sachgerechte Darbietung von Anlageempfehlungen und die Offenlegung von Interessenkonflikten, ABl. EU Nr. L 339 v. 24. 12. 2003, S. 73, im Folgenden DurchführungsRL 2003/125. 2

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

haben. Im Hauptaugenmerk dieser Regulierung stehen klassische Finanzanalysten: Als Informationsintermediäre sammeln sie Informationen über Wertpapiere und transferieren diese in eine Auswertung und Empfehlung, um sie anschließend an potenzielle Anleger weiterzugeben,6 sodass diese sie als Entscheidungsgrundlage für ihre Investitionen nutzen können.7 Mit dieser Regulierung wollte der Gesetzgeber nach zahlreichen Skandalen, die von Interessenkonflikten geprägt waren und die Analysen beeinflusst hatten, zukünftig Marktmissbrauch verhindern und das Vertrauen der Anleger in die Integrität und Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts sicherstellen.8 Insbesondere sollten dabei durch Sorgfalts- und Offenlegungspflichten die Objektivität und Neutralität der Finanzanalysen wiederhergestellt werden.9 Ein Marktmissbrauch dieser Art ist auch beim aktivistischen Leerverkauf im Falle einer Veröffentlichung des Research Reports denkbar. Wie oben bereits geschildert, kann eine ungerechtfertigte Verkaufswelle, die ausschließlich den finanziellen Interessen des Initiators geschuldet ist, manipulativ herbeigeführt werden. Die Erfahrungen, dass aktivistische Leerverkäufe zur Manipulation genutzt worden sind, führen auf Anlegerseite oft zu einem Vertrauensverlust. Für den einzelnen Anleger ist nicht offensichtlich, ob es sich um einen seriösen Leerverkauf handelt, der nur Überbewertungen aufdecken will.

A. Anwendungsbereich Für die Prüfung des Anwendungsbereichs ist zu beachten, dass die zugrunde liegenden Definitionen zu einer ‚Anlageempfehlung‘ gem. Art. 3 I Nr. 35 MAR oder einer ‚Empfehlung oder Vorschlag einer Anlagestrategie‘ gem. Art. 3 I Nr. 34 MAR missverständlich sind, da beide wechselseitig aufeinander verweisen.10 Eine Differenzierung zwischen den beiden Definitionen unter der Annahme eines persönlichen (Art. 3 I Nr. 34 MAR) und eines sachlichen Anwendungsbereichs (Art. 3 I Nr. 35 MAR)11 kann schon angesichts der eindeutigen Verwendung von zwei eigenständigen Begriffen im Wortlaut von Art. 20 I MAR nicht überzeugen.12 Dieser vom europäischen Gesetzgeber in Art. 20 I MAR vorgenommenen Unterscheidung widerspricht auch die Ansicht, wonach die in Art. 3 I Nr. 35 MAR

6

Fuchs, in: Fuchs WpHG § 34b Rn. 2. Möllers, in: KK-WpHG § 34b Rn. 3. 8 Fuchs, in: Fuchs WpHG § 34b Rn. 2; Möllers, in: KK-WpHG § 34b Rn. 6 ff. 9 Möllers, in: KK-WpHG § 34b Rn. 10. 10 Koller, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 20 MAR Rn. 4 f.; Kumpan / Schmidt, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 20 MAR Rn. 5 ff.; Meyer, in: FS 25 Jahre WpHG, 939 (949 f.). 11 So Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rothenhöfer, Marktmissbrauchsrecht, § 22 Rn. 9. 12 Kumpan / Schmidt, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 20 MAR Rn. 10; ebenso Fett, in: Schwark / Zimmer KMRK, § 85 WpHG Rn. 8. 7

§ 5 Die Anforderungen an den Research Report gem. Art. 20 I MAR 

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enthaltenen ‚Vorschläge zu Anlagestrategien‘ genauso wie der ‚Anlagevorschlag‘ gem. Art. 3 I Nr. 34 MAR auszulegen seien.13 Überzeugend ist deshalb die Auffassung, dass Art. 3 I Nr. 34 MAR die Grundkonstellation und Art. 3 I Nr. 35 MAR einen Sonderfall darstellt. Danach müssen für eine ‚Empfehlung oder Vorschlag einer Anlagestrategie‘ ausschließlich die Anforderungen des Art. 3 I Nr. 34 MAR vorliegen, während für eine Anlageempfehlung Art. 3 I Nr. 35 und 34 MAR kumulativ heranzuziehen sind.14 Dabei unterscheidet sich Art. 3 I Nr. 35 MAR von Art. 3 I Nr. 34 MAR maßgeblich darin, dass nur die Anlageempfehlungen gem. Art. 3 I Nr. 35 MAR für Verbreitungskanäle oder die Öffentlichkeit vorgesehen sein müssen.15 Auch wenn die Anlageempfehlung im Verhältnis von Art. 3 I Nr. 34 und 35 MAR als Sonderfall einzuordnen ist, nennt der Gesetzgeber in Art. 20 I MAR zunächst Anlageempfehlungen, sodass er in diesen den typischen Hauptanwendungsfall von Art. 20 I MAR sieht.16 Dieser Einordnung folgend werden die Research Reports nun an den Vorgaben für Anlageempfehlungen überprüft.

I. Sachlicher Anwendungsbereich In sachlicher Hinsicht muss der Research Report gem. Art. 3 I Nr. 35 MAR als Information in Bezug auf Finanzinstrumente oder Emittenten einzuordnen sein und eine Empfehlung oder einen Vorschlag zu Anlagestrategien enthalten. Darüber hinaus muss er für die Öffentlichkeit bestimmt sein.17 ‚Information‘ ist weit auszulegen, sodass damit auch Tatsachen und Werturteile erfasst sind,18 die jeder Research Report enthält. Zudem wird jeder Research ­Report 13

So aber die Ansicht von Koller, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 20 MAR Rn. 4 f.; überzeugend hingegen Fett, in: Schwark / Zimmer KMRK, § 85 WpHG Rn. 8. 14 So richtigerweise Kumpan / Schmidt, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 20 MAR Rn. 6 ff.; ebenfalls im Ergebnis ohne nähere Begründung Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 540; ähnlich, ohne aber eine Einordnung als Grund- und Sonderfall vornehmend, Fett, in: Schwark / Zimmer KMRK, § 85 WpHG Rn. 8; abweichend als Gesamtdefinition verstehend Meyer, in: FS 25 Jahre WpHG, 939 (949 f.); ähnlich „im Zusammenhang zu lesen“ Roth /  Blessing, in: Szesny / Kuthe, Kapitalmarkt Compliance, 19. Kapitel Rn. 29; lediglich für die kumulative Prüfung beider Definitionen bei Art. 3 I Nr. 35 MAR Koller, in: Assmann / Schneider /  Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 20 MAR Rn. 4 f. 15 Kumpan / Schmidt, in: Art. 20 MAR Rn. 8, 53, 58; Fett, in: Schwark / Zimmer KMRK, § 85 WpHG Rn. 18 f., 21; a. A. nach der oben erwähnten Begründung Koller, in: Assmann / Schneider /  Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 20 MAR Rn. 4 f., 19; abweichend wohl auch durch die Annahme einer Gesamtdefinition bzw. eines Zusammenhangs Meyer, in: FS 25 Jahre WpHG, 939 (949 f.); Roth / Blessing, in: Szesny / Kuthe, Kapitalmarkt Compliance, 19. Kapitel Rn. 29; anders auch wegen der Differenzierung anhand eines sachlichen und persönlichen Anwendungsbereichs Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 21 Rn. 9, 23; unklar Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 540. 16 Kumpan / Schmidt, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 20 MAR Rn. 13. 17 Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 540. 18 Koller, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 20 MAR Rn. 9.

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

konkret in Bezug auf ein bestimmtes Zielunternehmen als Emittent einer Aktie verfasst.19 Der Begriff ‚Empfehlung‘ schließt in Art. 3 I Nr. 35 MAR den ‚Vorschlag einer Anlagestrategie‘ mit ein und ist als Handlungsalternative, die aus Sicht des Empfehlenden sinnvoll ist, zu begreifen.20 Die Handlungsalternative kann explizit (Kaufen, Halten, Verkaufen) oder implizit mitgeteilt werden.21 Research Reports unterbreiten in der Regel keine expliziten Handlungsalternativen, sondern formulieren Überbewertungen des aktuellen oder zukünftigen Kurses. Letztendlich führt aber auch diese Bewertung zu einer impliziten Empfehlung, die Aktie zu verkaufen.22 Schließlich muss der Research Report für Verbreitungskanäle oder die Öffentlichkeit bestimmt sein. Auch für diese Anforderung ist ein weites Begriffsverständnis maßgeblich. Sämtliche Verbreitungskanäle sind erfasst.23 Die Öffentlichkeit ist nicht nach der konkreten Anzahl der Personen zu bestimmen, sondern ausschließlich dann zu verneinen, wenn eine individuelle Anlageberatung oder eine für interne Zwecke bestimmte Information vorliegt.24 Nach dem Wesensmerkmal des Geschäftsmodells – Veröffentlichen eines Berichts und so das Verursachen einer 19

Der Anlagevorschlag muss gem. Art. 3 I Nr. 34 MAR bestimmt sein. Diese Bestimmtheit gilt wegen der kumulativen Auslegung auch im Art. 3 I Nr. 35 MAR. Vgl. Koller, in: Assmann /  Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 20 MAR Rn. 18. 20 Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 21 Rn. 19, 22; Kumpan /  Schmidt, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 20 MAR Rn. 40, 54. 21 Koller, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 20 MAR Rn. 20. Danach ist insbesondere die Angabe eines konkreten Kursziels eine implizite Empfehlung, weil der Empfänger aus dieser Angabe noch die entsprechende Handlungsentscheidung selber ableiten muss. So auch das Verständnis der ESMA, Questions and Answers on the Market Abuse Regulation Version 14 v. 29. 03. 2019, ESMA 70–145–111, S. 28 Rn. 8.4, abrufbar unter: https://www.esma.europa.eu/system/files_force/library/esma70-145-111_qa_on_ mar.pdf?download=1, zuletzt abgerufen am 17. 05. 2021; dem folgend Koller, in: Assmann /  Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 20 MAR Rn. 20; übereinstimmend auch Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 21 Rn. 21; widersprüchlich Kumpan / Schmidt, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 20 MAR Rn. 57, 48; a. A. Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (717); Fett, in: Schwark / Zimmer KMRK, § 85 WpHG Rn. 21 (dessen Quelle aber in Fn. 54 oben bereits erwähnter Rothenhöfer ist); zu § 34b WpHG a. F. wohl auch a. A. Fuchs, in: Fuchs WpHG § 34b Rn. 23, der aber BaFin, Schreiben vom 21. 12. 2007 zur Auslegung einzelner Begriffe der § 31 Abs. 2 S. 4, § 34b WpHG i. V. m. FinAnV zitiert, das unter 2b) S. 4 ein Kursziel als indirekte Empfehlung einordnet. 22 Speziell für aktivistische Leerverkäufe Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (298); Brellochs, in: ZGR 2020, 319 (322); Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (717); Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 90; allgemein Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 21 Rn. 21; ESMA, Questions and Answers on the Market Abuse Regulation Version 14 v. 29. 03. 2019, ESMA 70–145–111, S. 28 Rn. 8.4. 23 Kumpan / Schmidt, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 20 MAR Rn. 62. 24 Kumpan / Schmidt, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 20 MAR Rn. 60, 64; Fett, in: Schwark / Zimmer KMRK, § 85 WpHG Rn. 23; Koller, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 20 MAR Rn. 24; ähnlich keine bestimmte Personenanzahl fordernd Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 21 Rn. 24 f., 27.

§ 5 Die Anforderungen an den Research Report gem. Art. 20 I MAR 

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möglichst starken Verkaufsbewegung – sind Research Reports eindeutig für die Öffentlichkeit bestimmt:25 Nur wenn der aktivistische Leerverkäufer möglichst viele Anleger von seiner Annahme der Überbewertung überzeugen kann, vermag er einen für ihn rentablen Kursverfall zu verursachen. Der Research Report ist also eine Anlageempfehlung gem. Art. 3 I Nr. 35 MAR, sodass der sachliche Anwendungsbereich eröffnet ist.

II. Persönlicher Anwendungsbereich Der persönliche Anwendungsbereich des Art. 20 I MAR erfasst gem. Art. 3 I Nr. 13 MAR sämtliche natürliche und juristische Personen.26 In Anknüpfung an den sachlichen Anwendungsbereich ist jedoch zusätzlich Folgendes zu beachten. Art. 3 I Nr. 34 MAR unterscheidet zwischen qualifizierten Personengruppen in Unterabsatz i und nicht-qualifizierten Personen in Unterabsatz ii.27 Die DelVO 2016/958 knüpft an diese Unterscheidung an und statuiert für die erstere Gruppe strengere Anforderungen hinsichtlich der objektiven Darstellung. Wegen der kumulativen Anwendung der beiden Definitionen bei der Anlageempfehlung gem. Art. 3 I Nr. 35 MAR, gilt die Unterscheidung des Art. 3 I Nr. 34 MAR nach bestimmten Personengruppen auch bei Art. 3 I Nr. 35 MAR.28 Aktivistische Leerverkäufer könnten sowohl unter Art. 3 I Nr. 34 i oder ii MAR subsumiert werden. Maßgeblich für die Differenzierung ist hier, ob sie in ihrer Haupttätigkeit Anlageempfehlungen erstellen. Diese kann dann angenommen werden, wenn die organisatorische Struktur darauf hinweist und ein wesent­licher Teil der Arbeitszeit und der Ressourcen für die Analysen eingesetzt wird.29 Bei der Einordnung als Haupttätigkeit sind alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.30 Trotz mangelnden Einblicks in die Organisationsstruktur der aktivistischen Leerverkäufer ist festzuhalten, dass der Research Report das wesentliche Instrument ist, die Anlegeröffentlichkeit von einer möglichen Überbewertung zu 25

Ähnlich Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 267. Koller, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 20 MAR Rn. 6; so auch schon der Anwendungsbereich unter der MAD, ESMA Final Report, Draft technical standards on the Market Abuse Regulation v. 28. 09. 2015, ESMA 2015/1455, S. 70 Rn. 326, abrufbar unter: https://www.esma.europa.eu/sites/default/files/library/2015/11/2015-esma-1455_-_ final_report_mar_ts.pdf, zuletzt abgerufen am 17. 05. 2021. 27 ESMA Final Report, Draft technical standards on the Market Abuse Regulation v. 28. 09. 2015, ESMA 2015/1455, S. 71 Rn. 328. 28 Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 21 Rn. 9; ebenso im Ergebnis, aber die von Rothenhöfer vorgenommene Differenzierung zwischen Art. 3 I Nr. 34 MAR als persönlichen und Art. 3 I Nr. 35 MAR als sachlichen Anwendungsbereich überzeugend ablehnend, Kumpan / Schmidt, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 20 MAR Rn. 10 ff., 51. 29 Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 21 Rn. 35; Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (718). 30 Kumpan / Schmidt, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 20 MAR Rn. 20. 26

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

überzeugen. Deshalb ist der Arbeitsschritt der Informationsakquise und -bewertung essentiell für einen erfolgreichen aktivistischen Leerverkauf, wobei dafür ein Großteil der Arbeitszeit und Ressourcen anzusetzen ist. Unerheblich ist, ob der Akteur eines aktivistischen Leerverkaufs daneben noch gelegentlich Long-­ Investments tätigt. Bezugspunkt der Einordnung ist ausschließlich die Erstellung von Anlageempfehlungen. Eine Haupttätigkeit kann sich daher auch dann ergeben, wenn der aktivistische Leerverkäufer zusätzlich Long-Investments tätigt und hierzu entsprechende Research Reports mit Kauf-Empfehlungen veröffentlicht. Eine entsprechende Haupttätigkeit ist nur dann zu verneinen, wenn es sich um einen überwiegend passiven Investor handelt, der nur ausnahmsweise eine Anlageempfehlung veröffentlicht hat. In diesem Fall greift Art. 3 I Nr. 34 ii MAR, wonach für die Anwendbarkeit von Art. 20 I MAR ein direkter Anlagevorschlag erforderlich ist. Dabei ist ein direkter Vorschlag gleichbedeutend mit einem expliziten.31 In aller Regel ist aber aus den oben genannten Gründen davon auszugehen, dass der aktivistische Leerverkäufer als ‚sonstige Person‘ gem. Art. 3 I Nr. 34 i MAR einzustufen ist, der in seiner Haupttätigkeit Anlageempfehlungen erstellt.32 Für den Ausnahmefall, dass diese Anforderung nicht vorliegt, kann Art. 20 I MAR in der Regel nicht angewendet werden, da in den typischen Research Reports gerade nur implizite und keine expliziten bzw. direkten Anlagevorschläge gem. Art. 3 I Nr. 34 ii MAR enthalten sind.33

III. Räumlicher Anwendungsbereich Nach Art. 2 I, IV MAR ist ausschließlich eine Handlung oder Unterlassung in Bezug auf ein Finanzinstrument erforderlich, das zum Handel in der EU zugelassen ist oder für das eine solche Zulassung beantragt wurde.34 Die Handlungsorte und die Herkunft der Beteiligten sind gerade nicht ausschlaggebend für die räumliche Anwendbarkeit der MAR.35 Wie auch die SSR, entfaltet die MAR danach eine extraterritoriale Wirkung.36 Für den Research Report eines aktivistischen Leerverkaufs ist also der räumliche Anwendungsbereich von Art. 20 I MAR dann eröffnet, wenn die Aktie des Zielunternehmens aktivistischer Leerverkäufe zum Handel in der EU zugelassen 31 Koller, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 20 MAR Rn. 17; Kumpan / Schmidt, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 20 MAR Rn. 55. 32 Ähnlich nunmehr Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (300); wohl restriktiver Sieder, ShortSelling-Regulierung, S. 270. 33 So aber auch die richtige Schlussfolgerung zur Verneinung von Art. 3 I Nr. 34 ii MAR Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 270 f. 34 Klöhn, in: Klöhn MAR Art. 2 Rn. 104, 106; Veil, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 3 Rn. 18; Zetsche, in: Gebauer / Teichmann EnzEuR Bd. VI § 7 C Rn. 43 f. 35 Klöhn, in: Klöhn MAR Art. 2 Rn. 106; Zetsche, in: Gebauer / Teichmann EnzEuR Bd. VI § 7 C Rn. 43. 36 Klöhn, in: Klöhn MAR Art. 2 Rn. 104.

§ 5 Die Anforderungen an den Research Report gem. Art. 20 I MAR 

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ist oder ein solcher Antrag gestellt wurde. Irrelevant ist hingegen der Sitz des aktivistischen Leerverkäufers und der Ort, an dem die Empfehlung erstellt wurde.

B. Die inhaltlichen Anforderungen Gem. Art. 20 I MAR müssen diejenigen, die eine Anlageempfehlung geben, für eine objektive Darstellung der Informationen sorgen. Dazu ordnet der Gesetzgeber bestimmte Sorgfaltsstandards an,37 die sich nach formalen und materiellen Kriterien unterscheiden lassen:38 Formale Kriterien beziehen sich auf die Art und Weise der Darstellung, materielle Kriterien auf den inhaltlichen Gegenstand.39 Während die formalen Kriterien vorrangig durch die Art. 2 ff. DelVO 2016/958 konkretisiert werden, lassen sich die materiellen Anforderungen teilweise nur implizit daraus erschließen. Deshalb wird bei letzteren auch auf die zum alten Recht erarbeiteten Rechtsgedanken der Sorgfaltsstandards Bezug genommen.40 Die Konkretisierung der Sorgfaltsstandards ist dabei am Schutzzweck der Stärkung des Anlegervertrauens in die Anlageempfehlung auszurichten.41 Daraus ergibt sich als Empfänger­horizont ein durchschnittlicher Anleger, der über einen gewissen Sachverstand und ein durchschnittliches Fachwissen verfügt.42 Die in diesem Zusammenhang geführte Diskussion, ob zwischen professionellen und privaten Anlegern zu unterscheiden sei,43 ist jedoch bei den Research Reports, die immer an die breite Öffentlichkeit gerichtet sind, unerheblich. 37

Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 540. Früher wurde die objektive Darstellung als Grundsätze sachgerechter Erstellung und Darbietung bezeichnet, Möllers, in: KK-WpHG § 34b Rn. 125. Die formalen und materiellen Kriterien sind aber auch an die Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit gem. § 34b I 1 WpHG a. F. angelehnt, Möllers / L ebherz, in: BKR 2007, 349 (352). Wie oben schon erwähnt, ging ein Teil der Literatur deshalb zu Recht von einem Überschneiden der Sorgfaltsanforderungen zwischen der Pflichtentrias gem. § 34b I 1 WpHG a. F. und der Grundsätze der sachgerechten Erstellung und Darbietung gem. § 34b I 2 WpHG a. F. i. V. m. der FinAnV aus, Fuchs, in: Fuchs WpHG § 34b Rn. 32. 39 Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 21 Rn. 21; eine ähnliche Differenzierung nehmen auch Möllers / L ebherz vor, die zwischen formalen Pflichten der Darstellungsanforderungen gem. §§ 4, 5 FinAnV und inhaltlichen Anforderungen bei der Erstellung einer Analyse gem. § 34b I 1,2 WpHG a. F. differenzieren, in: BKR 2007, 349 (352). Vgl. ebenso Möllers, in: KK-WpHG § 34b Rn. 125, 135. 40 Im Ergebnis auch Rothenhöfer, Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 21 Rn.  1, der aber eine der Pflichtentrias entsprechend grundlegende Verpflichtung direkt aus dem Wortlaut des Art. 20 I MAR begründet. 41 Fuchs, in: Fuchs WpHG § 34b Rn. 32. 42 Möllers, in: KK-WpHG § 34b Rn. 152; ähnlich auch Rothenhöfer, Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 22 Rn. 17. 43 Diese Diskussion bezieht sich deshalb nicht auf die konkrete Ausgestaltung des objek­ tiven Maßstabs des verständigen Anlegers, dessen Ausgestaltung insbesondere im Insiderrecht höchst umstritten ist (vgl. hierzu unten Kap. 3 § 7 C. I. 4.). Allgemein zur Problematik bei Art. 20 I MAR bzw. § 34b WpHG a. F., Vogler, Schadensersatzhaftung für fehlerhafte Wertpapieranalysen, S. 138 ff.; Findeisen, Interessenkonflikte in der Aktienanalyse, S. 182 f.; eine Differenzierung befürwortend wohl Rothenhöfer, Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 22 Rn. 17, 24; ablehnend, Möllers, in: KK-WpHG § 34b Rn. 152. 38

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

Die Sorgfaltsanforderungen sind zudem rechtsverbindlich: Wenngleich Anlageempfehlungen wegen ihrer subjektiven Einschätzung und ihres Zukunftsbezugs nur bedingt detaillierten Gesetzesstandards zugänglich sind, knüpfen die Sorgfaltsanforderungen an den Erstellungsprozess an, der mit objektiven wirtschaftswissenschaftlichen Grundlagen überprüft werden kann.44 Damit sind sie als gesetzlicher Mindeststandard für die sorgfältige Erstellung von Anlageempfehlungen rechtsverbindlich. Für diesen muss jedoch ein entsprechender Bewertungsspielraum des Analysten beachtet werden.45 In dieser Hinsicht sind die Formulierungsversuche aktivistischer Leerverkäufer, in den Disclaimern die Anwendung bestimmter Regeln zu umgehen, irrelevant.46 Dies gilt beispielsweise für die Formulierung von Gotham: „This report is not investment advice or a recommendation or solicitation to buy or sell any securities“47. Ferner sind die Bezugnahmen der aktivistischen Leerverkäufer auf die Meinungs- und Pressefreiheit unerheblich. Zwar erlaubt Art. 21 MAR grundsätzlich die Berücksichtigung der Meinungs- und Pressefreiheit im Rahmen von Art. 20 I MAR, wenn die Anlageempfehlungen zu journalistischen Zwecken oder einer anderen medialen Ausdrucksform erstellt werden. Nach Art. 21 a MAR genießen aber Anlageempfehlungen dann diesen Schutz nicht, wenn den erstellenden Personen ein Vorteil oder Gewinn aus der Informationsverbreitung erwächst. Maßgeblich ist danach, ob bei objektiver Betrachtung die Veröffentlichung deshalb erfolgt, um den Erstellern einen Gewinn einzubringen.48 Da aktivistische Leerverkäufer immer durch die Veröffentlichung des Reports einen Kursverfall verursachen wollen, um die eingegangen Short-Positionen günstig schließen zu können, verfolgen sie ein eigennütziges Profitinteresse. Deshalb scheidet bereits wegen der Ausnahme des Art. 21 a MAR eine tatbestandliche Einschränkung im Lichte des Art. 12 GrCH aus.49

44 Möllers / L ebherz, in: BKR 2007, 349 (351); grundsätzlich auch Vogler, Schadensersatzhaftung für fehlerhafte Wertpapieranalysen, S. 135, 144. 45 Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 21 Rn. 16; Schwalm, Die Erstellung von Finanzanalysen, S. 86 f. 46 Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (299); Brellochs, in: ZGR 2020, 319 (319). 47 Gotham Aurelius Report v. 28. 03. 2017, S. 2. 48 Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (716.). 49 So Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (309 f.); Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (715 f.); ­Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 100 f.; Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 262 f. Allgemein zu Art. 21 MAR Klöhn, in: WM 2016, 2241; Kumpan / Schmidt, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 21 MAR Rn. 1 ff.

§ 5 Die Anforderungen an den Research Report gem. Art. 20 I MAR 

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I. Möglichkeiten zur Konkretisierung des neuen Rechts Nach Art. 20 I MAR müssen Anlageempfehlungen objektiv dargestellt werden, wobei in der dazugehörigen DelVO 2016/958 vor allem Vorgaben zur objektiven Darstellung und Offenlegung von Interessenkonflikten gemacht werden.50 Auf der Basis von Art. 6 I MAD und DurchführungsRL 2003/125 forderte § 34b I 2 WpHG a. F. die ‚sachgerechte Erstellung und Darbietung‘ einer Finanzanalyse, die die FinAnV durch weitere Anforderungen ergänzte. Daneben verpflichtete § 34b I 1 WpHG a. F. die Finanzanalysten zur ‚erforderlichen Sachkenntnis, Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit‘.51 Wie auch im alten Recht benutzt der Gesetzgeber in der MAR unbestimmte Rechtsbegriffe,52 die eine gewisse Rechtsunsicherheit mit sich bringen.53 Diese ist allerdings vom Gesetzgeber bewusst herbeigeführt worden, um Spielraum für die Modernisierung von Analysemethoden zu gewinnen.54 Um für den Rechtsverkehr klare und eindeutige Anforderungen bestimmen zu können, müssen diese unbestimmten Rechtsbegriffe inhaltlich gefüllt und konkretisiert werden.55 Dies geschah in der Vergangenheit durch die Literatur und BaFin, die Mindeststandards formulierten.56 Für die aktuelle Rechtslage ist dagegen offen, welche konkreten inhaltlichen Anforderungen an eine Anlagelageempfehlung zu stellen sind.57 Es ist aber davon auszugehen, dass auf europäischer Ebene die Veränderung von ‚sachgerechter Erstellung und Darbietung‘ zur ‚objektiven Darstellung‘ lediglich sprachlicher Natur 50

Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rothenhöfer, Marktmissbrauchsrecht, § 22 Rn. 17. Diese teilweise als „Pflichtentrias“ bezeichnete Anforderung basiert nicht auf der europäischen Richtliniengesetzgebung zur Finanzanalyse, sondern entstammt der erstmaligen Regulierung der Finanzanalysen in Deutschland durch das 4. FMFG von 2002. Die Formulierung wurde dabei an die Wohlverhaltenspflichten in der Anlageberatung gem. §§ 31 ff. WpHG a. F. angelehnt und bei der Umsetzung der MAD beibehalten. Dies wurde auch auf europäischer Grundlage des Art. 11 der RL 93/22/EWG entwickelt, doch sind diese Anforderungen wegen ihrer individuell-kundenbezogene Interessenwahrungspflicht nicht auf die an die allgemeine Öffentlichkeit bezogenen Finanzanalysen übertragbar, umfassend Findeisen, Interessenkonflikte in der Aktienanalyse, S. 176 f.; Weber, Haftung des Analysten für fehlerhafte Wertpapieranalysen, S. 56 ff.; a. A. ohne nähere Begründung, Schäfer, in: Heidel Aktienrecht § 34b WpHG Rn. 8. 52 Zu § 34b WpHG a. F. Möllers / L ebherz, in: BKR 2007, 349 (351); Fuchs, in: Fuchs WpHG § 34b Rn. 32; zu Art. 20 MAR Möllers, in: NZG 2018, 649 (651); Art. 20 I MAR als „generalklauselartig“ bezeichnend, Veil / Koch, in: WM 2011, 2297 (2304) sowie Walla, in: BB 2012, 1358 (1359); allgemein zur Rechtsunsicherheit bei unbestimmten Rechtsbegriffen, Möllers, Methodenlehre § 9 Rn. 1 ff. 53 Zu § 34b WpHG a. F. Findeisen, Interessenkonflikte in der Aktienanalyse, S. 185. 54 Findeisen, Interessenkonflikte in der Aktienanalyse, S. 185. 55 Vogler, Schadensersatzhaftung für fehlerhafte Wertpapieranalysen, S. 127; Findeisen, Interessenkonflikte in der Aktienanalyse, S. 185; Möllers, in: NZG 2018, 649 (651). 56 So die Bewertung von Möllers, in: NZG 2018, 649 (651 f.). 57 Möllers, in: NZG 2018, 649 (658), der die Regelungen als „unzureichend“ beschreibt. 51

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

ist.58 Davon auszunehmen sind die von der MAR und DelVO 2016/958 neu kategorisierten bzw. ergänzten Regelungen, die dem erweiterten Anwendungsbereich Rechnung tragen.59 Bei der Anwendung gilt es aber insbesondere in den Blick zu nehmen, dass der europäische Gesetzgeber anstelle einer Richtlinie eine unmittelbar geltende Verordnung gesetzt hat. Darüber hinaus hat die MAR im Grundsatz eine vollharmonisierende Wirkung,60 womit sie unionsautonom auszulegen ist. Aus diesem Grund dürfen dann mitgliedstaatliche Erwägungen keine unmittelbare Rolle mehr spielen,61 die eine einheitliche Rechtslage des Art. 20 I MAR gefährden könnten.62 Die in Deutschland im letzten Jahrzehnt erarbeiteten Konkretisierungen zu den inhaltlichen Anforderungen dürften deshalb für eine Konkretisierung des Art. 20 I MAR nicht mehr unmittelbar herangezogen werden. Aufgrund dieser Besonderheiten stellt sich nunmehr die Frage, ob trotz vollharmonisierenden Charakters der MAR wenigstens auf die erarbeiteten Grundsätze für eine sichere Rechtsanwendung als Erkenntnisquellen zurückgegriffen werden darf und kann. Dieses ist aus folgenden Gründen zu bejahen: Die dahinter stehenden allgemeinen Rechtsgedanken gelten bis heute,63 was eine historische und teleologische Auslegung des Art. 20 I MAR ergibt.64 Hinsichtlich der historischen Auslegung ist zu konstatieren, dass die MAD und DurchführungsRL 2003/125 Rechtsgrundlage des § 34b WpHG a. F. und der Fin­ AnV waren.65 Wie oben schon dargestellt, ist die Veränderung durch die MAR vornehmlich sprachlicher Natur. Ferner sind auch Gesetzeszweck und verwendetes Regulierungsmittel identisch geblieben. Diskussionswürdig ist lediglich die an § 31 ff. WpHG a. F. angelehnte Pflichtentrias des deutschen Gesetzgebers gem. § 34 I 1 WpHG a. F., die nicht aus der MAD stammt. Trotzdem sprechen historische Gründe für die Berücksichtigung der zugrundeliegenden Rechtsgedanken. Dabei ist zunächst die teilweise Deckungsgleichheit 58

So die ESMA in ihrem Final Report „does not change significantly the approach set out in the current MAD“, Draft technical standards on the Market Abuse Regulation v. 28. 09. 2015, ESMA 2015/1455, S. 70 Rn. 321; ebenso Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rothenhöfer, Marktmissbrauchsrecht, § 21 Rn. 6; Möllers, KK-WpHG § 34b Rn. 23. 59 ESMA Final Report, Draft technical standards on the Market Abuse Regulation v. 28. 09. 2015, ESMA 2015/1455, S. 75 Rn. 353. 60 Vgl. die Erwägungsgründe Nr. 3–5 der MAR („einheitliche Regeln“; „einheitliches Regelwerk“; „einheitliche Auslegung“); ebenso Seibt / Wollenschläger, in: AG 2014, 593 (595); Poelzig, in: NZG 2016, 528 (529); Schmolke, in: AG 2016, 434 (437); Klöhn, in: Klöhn MAR Einleitung Rn. 50; Veil, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 3 Rn. 26 m. w. N. 61 M. w. N. Möllers, Methodenlehre, § 2 Rn. 71 ff. 62 Vgl. nur den ErwGr. Nr. 1 der DelVO 2016/958, der von harmonisierten Standards spricht. 63 Ähnlich hinsichtlich der Beurteilung einer unsachlichen Stellungnahme, Möllers / Cygla­ kow, in: JZ 2018, 1131 (1136 f.) 64 Vgl. nun auch für die Anforderungen des Marktmanipulationsverbots auf aktivistische Leerverkäufe, Wentz, in: WM 2019, 192 (201). 65 Fuchs, in: Fuchs WpHG § 34b Rn. 1.

§ 5 Die Anforderungen an den Research Report gem. Art. 20 I MAR 

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der Anforderungen von § 34b I 1 und § 34b I 2 WpHG a. F. zu erwähnen,66 die ein Zusammenlesen beider Sätze erlaubte. Die strengeren Anforderungen der §§ 31 ff. WpHG a. F. zur ursprünglichen Pflichtentrias der individuellen Anlageberatung ließen sich ohnehin nicht auf die an die Allgemeinheit gerichteten Finanzanalysen übertragen. Außerdem entwickelten sich einige der materiellen Anforderungen aus den formellen der FinAnV heraus, um so die Richtlinienkonformität herzustellen.67 Damit hatte die Pflichtentrias aber keinen eigenständigen Charakter, sodass eine Beachtung der Rechtsgedanken zur alten Rechtslage bei der Auslegung von Art. 20 I MAR grundsätzlich möglich ist.68 Zudem spricht auch der Telos für diese Möglichkeit: Wie die MAD69 hat auch die MAR mit der Regulierung von Anlageempfehlungen das Ziel, vor Marktmissbrauch zu schützen und das Vertrauen der Anleger in die Integrität und Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes wiederher- bzw. sicherzustellen.70 Die Gesetzesziele, um derentwillen der Gesetzgeber Sorgfaltspflichten und Offenlegungspflichten anordnete, sind also unverändert geblieben. Auf ein solches Verständnis lässt auch der ESMA-Final Report zu den Umsetzungsakten der MAR schließen. Die Neuregelungen des Art. 20 I MAR sind gerade keine signifikante Veränderung des bisherigen Regelungsansatzes der MAD zu Finanzanalysen.71 Auch wenn dem ESMA Report als Leitlinie keine direkte rechtliche Verbindlichkeit zukommt, bewirkt dieser bei der Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe aufgrund des Comply-or-explain-Grundsatzes eine Richtigkeitsvermutung und damit eine faktische Bindungswirkung.72 Lediglich eine generelle Verpflichtung zur Sachkenntnis kann wegen der neuen Systematik unter Art. 20 I MAR nicht mehr angenommen werden. Wie bereits erläutert, differenziert der persönliche Anwendungsbereich gem. Art. 20 I i. V. m. Art. 1 I Nr. 34 i, ii MAR zwischen qualifizierten und nicht-qualifizierten Personen. ErwGr. Nr. 2 DelVO 2016/958 folgt dieser Differenzierung und macht deutlich, dass für bestimmte Personengruppen erhöhte Anforderungen in der DelVO 2016/958 gestellt werden.73 Eine Verpflichtung zur Sachkenntnis auch für nicht 66 So Fuchs, in: Fuchs WpHG § 34b Rn. 32, der von einem teilweisen Überschneiden zwischen den speziell zu § 34b WpHG a. F. entwickelten Grundsätzen der Pflichtentrias und den Grundsätzen der sachgerechten Erstellung und Darbietung ausgeht. 67 Z. B. Möllers / L ebherz, in: BKR 2007, 349 (351), die anhand der Dokumentationspflicht gem. § 3 III FinAnV das Nachvollziehbarkeitsgebot begründen. 68 Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 22 Rn. 15; Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 540. 69 Vgl. nur Fuchs, in: Fuchs WpHG § 34b Rn. 5; Bruchwitz, in: Just / Voß / R itz / Becker, § 34b WpHG Rn. 9. 70 Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 21 Rn. 2; Kumpan / Schmidt, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 20 MAR Rn. 1. 71 ESMA Final Report, Draft technical standards on the Market Abuse Regulation v. 28. 09. 2015, ESMA 2015/1455, S. 70 Rn. 321, S. 75 Rn. 351. 72 Grundlegend hierzu Möllers, Methodenlehre, § 9 Rn. 41, § 3 Rn. 71 ff. 73 Koller, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 20 MAR Rn. 84.

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

qualifizierte Personen würde aber dieser Differenzierung widersprechen, sodass diese generelle Verpflichtung im neuen Recht nicht mehr angenommen werden kann.74 Auf der Basis dieser historischen und teleologischen Begründung kann auf die der alten Rechtslage zugrundeliegenden allgemeinen Rechtsgedanken mit Ausnahme einer generellen Verpflichtung zur Sachkenntnis als Erkenntnisquellen zum Art. 20 I MAR zurückgegriffen werden.

II. Formale Kriterien Der Research Report muss bei ordnungsgemäßer Erstellung eine Vielzahl von formalen Angaben enthalten: Gem. Art. 2 I DelVO 2016/958 sind die Identitäten und Berufsbezeichnungen der natürlichen Personen anzugeben, die den Research Report erstellen.75 Daneben ist der aktivistische Leerverkäufer als für die Veröffentlichung verantwortliche juristische Person zu benennen, Art. 2 I b DelVO 2016/958.76 Weiter sind nach dem Trennungsgebot des Art. 3 I a DelVO 2016/958 Tatsachen und Werturteile, zu denen Prognosen und Bewertungen gehören, voneinander zu trennen. Da eine Anlageempfehlung immer subjektiv-spekulativ ist, sind Werturteile ein integraler Bestandteil,77 sodass an das Trennungsgebot keine überzogenen Anforderungen zu stellen sind.78 Es muss allerdings deutlich werden, welche Informationen als Tatsachen zu werten sind.79 Dabei muss eine bestimmte Form nicht eingehalten werden, vielmehr sind die nötigen Anforderungen im Einzelfall zu prüfen.80 Dies gilt auch ausdrücklich gem. Art. 3 I c DelVO 2016/958 für Prognosen, Vorhersagen und Kursziele, samt ihrer wesentlichen Annahmen.81 Ein weiteres formales Kriterium liegt darin, dass der Report gem. Art. 3 I b DelVO 2016/958 seine wesentlichen Informationsquellen angeben muss. Danach sind Quellen dann wesentlich, wenn sie die Basis für die zentralen Annahmen der Anlageempfehlung sind.82 Grundsätzlich reicht der Hinweis auf die Gattung der 74

Koller, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 20 MAR Rn. 84; ähnlich Fett, in: Schwark / Zimmer KMRK, § 85 WpHG Rn. 36; a. A. ohne weitere Begründung Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 21 Rn. 16. 75 Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 22 Rn. 28. 76 Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 22 Rn. 30. 77 Vogler, Schadensersatzhaftung für fehlerhafte Wertpapieranalysen, S. 164 f.; Meyer, in: AG 2003, 610 (612); Möllers / L ebherz, in: BKR 2007, 349 (351). 78 Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 22 Rn. 21. 79 Koller, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 20 MAR Rn. 40. 80 Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 22 Rn. 21. 81 Kumpan / Schmidt, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 20 MAR 84; Koller, in: Assmann /  Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 20 MAR Rn. 43. 82 Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 22 Rn. 22.

§ 5 Die Anforderungen an den Research Report gem. Art. 20 I MAR 

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Informationsquellen, in Sonderfällen kann aber eine individuelle Nennung erforderlich sein.83 Nach der Warnpflicht84 des Art. 3 I c DelVO 2016/958 muss bei Zweifeln an der Zuverlässigkeit der Quelle in der Anlageempfehlung darauf hingewiesen werden. Diese Anforderung überschneidet sich mit dem materiellen Sorgfaltskriterium der Richtigkeit und Vollständigkeit und wird in diesem Kontext erläutert.85 Gem. Art. 3 I d DelVO 2016/958 sind das Datum und die exakte Uhrzeit anzugeben, wann der Erstellungsprozess abgeschlossen wurde. Maßstab hierfür ist das fertige Dokument.86 Der nach Art. 4 I a DelVO 2016/958 erforderliche Hinweis auf eine mögliche Offenlegung der Empfehlung gegenüber den Emittenten betrifft einen aktivis­ tischen Leerverkäufer nicht, weil dieser gerade auf eine Überraschung abzielt. Er wird daher nicht den Research Report dem Zielunternehmen zugänglich machen.87 Zu den formalen Kriterien gehört nach Art. 4 I b DelVO 2016/958 eine Zusammenfassung der genutzten Bewertungsgrundlagen und -methoden, wobei für den Umfang die Perspektive eines durchschnittlichen Anlegers zugrunde gelegt wird.88 Zudem ist der Umfang auch von der gewählten Bewertungsmethode abhängig,89 wobei für anerkannte Methoden keine Detailtiefe zu verlangen ist.90 Ob auf weiterführende (Art. 4 I c DelVO 2016/958) oder grundlegende Informationen (Art. 4 I d DelVO 2016/958) hingewiesen werden muss, hängt davon ab, ob das Modell geschützt ist oder nicht. Die Bedeutung der Empfehlung und das mit ihr verbundene Anlagerisiko ist gem. Art. 4 I e DelVO 2016/958) zu erläutern. Dies gilt insbesondere für implizite Empfehlungen,91 die in der Regel im Research Report gemacht werden, sodass ein durchschnittlicher Anleger die Bewertung versteht und Risiken angemessen einschätzen kann.92

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Möllers, in: KK-WpHG § 34b Rn. 132. So die Bezeichnung von Möllers zur Vorgängervorschrift des § 3 II 2 FinAnV, KK-WpHG § 34 Rn. 131. 85 So auch die richtige Feststellung von Rothenhöfer, dass Art. 3 I c DelVO 2016/958 formale und materielle Anforderungen enthält, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 22 Rn. 23, Fn. 89. 86 Überzeugend Kumpan / Schmidt, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 20 MAR 85; abweichend auf den Zeitpunkt der geistigen Erstellung abstellend Rothenhöfer, in: Meyer / Veil /  Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 22 Rn. 22. 87 Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (303 Fn. 70); abweichend Wilken / Bertus, in: BB 2019, 2754 (2756). 88 Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 23 Rn. 14. 89 Vogler, Schadensersatzhaftung für fehlerhafte Wertpapieranalysen, S. 165. 90 Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 23 Rn. 14. 91 Koller, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 20 MAR Rn. 49. 92 Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 23 Rn. 17. 84

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

Weitere formale Kriterien sind geplante Aktualisierungen (Art. 4 I f DelVO 2016/958), Datum und Zeitpunkt der genannten Börsenkurse (Art. 4 I g DelVO 2016/958), Änderungen der im letzten Jahr zum selben Emittenten erstellten Empfehlungen (Art. 4 I h DelVO 2016/958) und eine angefügte Liste aller Empfehlungen des letzten Jahres (Art. 4 I i DelVO 2016/958).

III. Materielle Kriterien Die zu beachtenden materiellen Kriterien wurden intensiv von der Literatur vor allem unter Rückgriff auf Standesregeln und Berufsgrundsätze sowie durch Vergleiche mit anderen Rechtsinstituten fortgeschrieben.93 Ein Rückgriff auf diese hat nun auch den Besonderheiten der Anlageempfehlung Rechnung zu tragen.94 Die Anlageempfehlung muss eine vollständige und richtige Datenbasis aufweisen, wobei die Vollständigkeit der Informationen nur relativ ist im Verhältnis zur benutzten Bewertungsmethode.95 Der Analyst hat einen Bewertungsspielraum und kann sich je nach Methode auf bestimmte Informationen beschränken.96 Diese Reduktion muss sich aber an fachlich vertretbaren Kriterien orientieren und alle für die Methode relevanten Informationen einbeziehen.97 Der Grundsatz der Richtigkeit ist ebenfalls zu modifizieren: Aufgrund des subjektiven Charakters der Empfehlung ist Bezugspunkt dieses Grundsatzes nicht das Ergebnis bzw. die Empfehlung selbst, sondern die zur Begründung dieses Ergebnisses herangezogenen Informationen und Daten.98 Wie oben bereits angedeutet, lässt sich dieser Grundsatz aus der Warnpflicht des Art. 3 I c DelVO 2016/958 ableiten: Es besteht für den Analysten eine Überprüfungspflicht, ob die verwendeten Informationen 93 Als einer der Berufsgrundsätze ist dabei vor allem der Verhaltens-Kodex der DVFA zu nennen. Für eine Heranziehung dieser Grundsätze vgl. Fuchs, in: Fuchs WpHG § 34b Rn. 32; Seibt, in: ZGR 2006, 501 (521). 94 So Vogler, Schadensersatzhaftung für fehlerhafte Wertpapieranalysen, S. 148 ff., der die Standesregeln als „sehr weitgehende, überobligationsmäßige Anforderungen“ bezeichnet und deshalb nur als „wertvolle Anhaltspunkte“ versteht sowie eine Heranziehung der Grundsätze zu anderen Informationsformen wie der Emittentenpublizität, der Anlageberatung oder Haftungsgrundsätzen des § 824 BGB zu Warentests nur unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Anlageempfehlung vornimmt. Ebenso im Ergebnis bezüglich des Rückgriffs auf die anderen kapitalmarktrechtlichen Grundsätze, Findeisen, Interessenkonflikte in der Aktienanalyse, S. 177; ähnlich für die Grundsätze der Zulassungsprospekte sowie für die Leitbildfunktion des Verhaltens-Kodex der DVFA im Sinne einer best practice, Meyer, in: AG 2003, 610 (612, 615). 95 Vogler, Schadensersatzhaftung für fehlerhafte Wertpapieranalysen, S. 152. 96 Meyer, in: AG 2003, 610 (612); Findeisen, Interessenkonflikte in der Aktienanalyse, S. 179. 97 Möllers, in: KK-WpHG § 34b Rn. 147; Meyer, in: AG 2003, 610 (612). Umfassend mit näherer Erläuterung zu den Anforderungen bei bestimmten Bewertungsmethoden wie der Fundamentalanalyse, Möllers / L ebherz, BKR 2007, 349 (353 f.). 98 Findeisen, Interessenkonflikte in der Aktienanalyse, S. 178.

§ 5 Die Anforderungen an den Research Report gem. Art. 20 I MAR 

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richtig und wahr sind,99 wobei diese lediglich eine vertretbare Plausibilitätsprüfung meint, für die die Zuverlässigkeit der benutzten Quellen von Bedeutung ist.100 Gibt es Anhaltspunkte für die Unzuverlässigkeit der Quellen, müssen diese umfassender analysiert werden.101 Konkret bedeutet dies, dass bekannte und etablierte Quellen weniger umfangreich geprüft werden müssen als andere.102 Wenn trotz Überprüfung weiterhin an der Zuverlässigkeit der Quelle und der in ihr enthaltenen Information gezweifelt wird, dürfen diese Informationen dennoch bei sachlichen Gründen und einer Angabe gem. Art. 3 I c DelVO 2016/958 verwendet werden.103 Da der Kapitalmarkt sich ständig verändert, dürfen nur aktuelle und keine veralteten Daten als Grundlage genutzt werden.104 In materieller Hinsicht muss die Anlageempfehlung inhaltlich nachvollziehbar sein. Dieser Grundsatz lässt sich aus der Pflicht zur Begründung gegenüber der Aufsichtsbehörde gem. Art. 3 III DelVO 2016/958 herleiten.105 Die Empfehlung ist dann nachvollziehbar, wenn aus einer ex ante Perspektive die Prognose bzw. Stellungnahme mit ihren Datenmaterial in fachlich vertretbarer Weise schlüssig begründet werden kann.106 Daneben ist für eine schlüssige Argumentation die fachlich vertretbare Anwendung der gewählten Bewertungsmethode erforderlich,107 wobei auch hier der Bewertungsspielraum des Analysten beachtet werden will.108 Ein weiteres Kriterium ist die Objektivität und Unvoreingenommenheit. Wie oben aber bereits erwähnt, ist die Empfehlung immer von subjektiven Werturteilen geprägt, sodass eine absolute Objektivität nicht erreicht werden kann.109 Es geht eher um ein Höchstmaß an Unabhängigkeit von sachfremden Erwägungen des Emittenten, Arbeitgebers oder der eigenen Person.110 Sachfremde Erwägungen 99 Vogler, Schadensersatzhaftung für fehlerhafte Wertpapieranalysen, S. 158; Findeisen, Interessenkonflikte in der Aktienanalyse, S. 178. 100 Möllers / L ebherz, in: BKR 2007, 349 (354 f.); Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 22 Rn. 23. 101 Möllers, in: KK-WpHG § 34b Rn. 148; Findeisen, Interessenkonflikte in der Aktien­ analyse, S. 178. 102 Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 22 Rn. 23. 103 Findeisen, Interessenkonflikte in der Aktienanalyse, S. 179; Möllers / L ebherz, in: BKR 2007, 349 (355). 104 Möllers, in: KK-WpHG § 34b Rn. 148; Möllers / L ebherz, in: BKR 2007, 349 (355). 105 Vgl. umfassend zur Herleitung des Nachvollziehbarkeitsgebots aus der vorherigen Nachweispflicht gem. § 3 III FinAnV, Möllers / L ebherz, in: BKR 2007, 349 (355 f.); diese Grundsätze sind auf die heutige Vorschrift des Art. 3 III DelVO 2016/958 entsprechend übertragbar, Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 22 Rn. 13; Roth / Blessing, in: Szesny / Kuthe, Kapitalmarkt Compliance, 19. Kapitel Rn. 91. 106 Möllers / L ebherz, in: BKR 2007, 349 (356); ähnlich Schwalm, die von einer „vernünftigen Erstellung“ spricht, Die Erstellung von Finanzanalysen, S. 153. 107 Vogler, Schadensersatzhaftung für fehlerhafte Wertpapieranalysen, S. 160. 108 Möllers, in: KK-WpHG § 34b Rn. 143; Vogler, Schadensersatzhaftung für fehlerhafte Wertpapieranalysen, S. 161. 109 Möllers / L ebherz, in: BKR 2007, 349 (352); Meyer, in: AG 2003, 610 (612). 110 Möllers, in: KK-WpHG § 34b Rn. 150; Fuchs, in: Fuchs WpHG § 34b Rn. 34, 41.

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

sind insbesondere Konflikte mit anderen wirtschaftlichen oder finanziellen Inte­ ressen.111 Dieser Grundsatz bedeutet aber nicht, dass Interessenkonflikte nicht tatsächlich bestehen dürfen.112 Vielmehr sind diese offenzulegen. Ein Verstoß gegen den Grundsatz der Objektivität liegt aber beispielweise vor, wenn sachfremde persönlich begründete Motivationen bestehen.113 Das hinter einem aktivistischen Leerverkauf stehende Motiv, auf fallende Kurse zu spekulieren und damit einhergehend Gewinne zu erzielen, stellt keine sachfremde Motivation dar, weil die Spekulation in der Marktstruktur angelegt ist und jeder Marktteilnehmer ein Gewinninteresse verfolgt. Wenn sämtliche formale Kriterien der Art. 3, 4 DelVO 2016/958 eine ‚deutliche‘ oder ‚klar und unmissverständliche‘ Darstellung der geforderten Angaben vorschreiben, lässt sich aus diesen Formulierungen auch der materielle Grundsatz der Eindeutigkeit und Klarheit ableiten.114 Die Anlageempfehlung muss in sprachlicher Weise so eindeutig formuliert sein, dass keine Fehlinterpretationen möglich sind.115 Deshalb dürfen keine Übertreibungen oder Mehrdeutigkeiten verwendet werden.116 Maßstab ist wiederum der durchschnittliche Anleger.117 Wie aus den 111

Möllers / L ebherz, in: BKR 2007, 349 (352 f.). Abweichend allein noch zum alten Recht Findeisen, Interessenkonflikte in der Aktienanalyse, S. 181: Nach diesem sollen sich sachfremde Interessen generell nie auf eine Finanzanalyse auswirken dürfen und interessengeleitete Empfehlungen ein Verstoß gegen den Grundsatz der Objektivität und Unvoreingenommenheit darstellen. Dieses gelte unabhängig davon, dass die Interessen ordnungsgemäß offengelegt werden würden, da die Offenlegungsverpflichtung nur die Möglichkeit eines Konflikts betreffe. Richtigerweise sind auch unter der MAR bereits mögliche Interessenkonflikte von der Offenlegungsverpflichtung erfasst, daneben aber gerade auch tatsächlich bestehende Konflikte. Eine – so wie von Findeisen verstandene – weitgehende Reichweite des Grundsatzes der Objektivität und Unvoreingenommenheit lässt sich daraus jedoch nicht ableiten. Die zahlreichen formalen und materiellen Kriterien einer objektiven Darstellung gem. Art. 20 I i. V. m. der DelVO 2016/958 stellen bereits zusammen mit der Offenlegungsverpflichtung im Wesentlichen die Objektivität und Unvoreingenommenheit sicher. 113 Möllers, in: KK-WpHG § 34b Rn. 150. 114 Während der alten Rechtslage wurde zur Begründung das sog. Deutlichkeitsgebot des § 6 I 1 FinAnV herangezogen, Möllers / L ebherz, in: BKR 2007, 349 (356), Möllers, in: KKWpHG § 34b Rn. 152; ähnlich Fuchs, in: Fuchs WpHG § 34b Rn. 36, der den Grundsatz der Eindeutigkeit und Klarheit neben dem Deutlichkeitsgebot auch aus dem Gebot der sorgfältigen und gewissenhaften Erstellung gem. § 34b I 1 a. F. begründet; abweichend Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 22 Rn. 17, der eine Konkretisierung des Gebots der Klarheit und Eindeutig durch die DelVO 2016/958 annimmt, im Ergebnis aber inhaltlich die gleichen Anforderungen an den Grundsatz stellt. Auf eine vergleichbar separate Nennung des Gebots hat der Gesetzgeber in der Neufassung als DelVO 2016/958 verzichtet, sondern die Anforderungen an die Eindeutigkeit und Klarheit unmittelbar innerhalb der jeweiligen Normen geregelt. 115 Faust, in: Schimansky / Bunte / Lwowski BankR-HdB, § 109 Rn. 88b; Fuchs, in: Fuchs WpHG § 34b Rn. 36. 116 Möllers, in: KK-WpHG § 34b Rn. 152. 117 Möllers, in: KK-WpHG § 34b Rn. 152; umfassend zum Anlegerhorizont Vogler, Schadensersatzhaftung für fehlerhafte Wertpapieranalysen, S. 139 ff.; differenzierend Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 22 Rn.  24. 112

§ 5 Die Anforderungen an den Research Report gem. Art. 20 I MAR 

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formalen Kriterien gem. Art. 4 I b, d DelVO 2016/958 hervorgeht, werden Fehl­ interpretationen auch dadurch verhindert, dass die Bewertungsgrundlagen und die daraus folgenden Risiken inhaltlich erläutert werden müssen.118 Diese Erörterungen müssen in einer adäquaten Relation zum Umfang der Empfehlung stehen.119 Das Kriterium der Klarheit verlangt Transparenz und Gradlinigkeit in Form und Inhalt,120 sodass die erforderlichen Angaben für den Leser auf Anhieb deutlich werden.121 Disclaimer, die die Angaben unter Vorbehalt stellen, sind in diesem Kontext irrelevant.122 Ob durch einen Vergleich mit der presserechtlichen Verdachtsberichterstattung das Zielunternehmen bei unbewiesenen Tatsachen zwingend angehört werden muss und die wesentlichen Verteidigungspunkte in der Empfehlung widerzugeben sind,123 erscheint eher zweifelhaft. Die Annahme einer so einschneidenden Rechtspflicht geht deutlich über den Wortlaut des Art. 20 I MAR und der konkretisierenden DelVO Nr. 2016/958 hinaus. Während sich die übrigen materiellen Kriterien wenigstens indirekt aus diesen Vorschriften ableiten lassen, ist dieses de lege lata bei einer so verstandenen Anhörungspflicht nicht möglich.124 Auch wenn in teleologischer Hinsicht der Erwägungsgrund Nr. 1 und Art. 4 I b der DelVO 2016/958 für eine solche Herleitung angeführt wird,125 steht dem in systematischer Hinsicht entgegen, dass der europäische Gesetzgeber ausdrücklich für Ratingagenturen eine Anhörungspflicht in Abschnitt D Teil 1 Nr. 3 Anhang I Rating-VO126 anordnet.127 Ratingagenturen sind – wie die Verfasser von Anlageempfehlungen – Informationsintermediäre. Zudem ist die Rating-VO zeitlich unmittelbar vor der MAR in Kraft getreten. Der konkretisierende Art. 4 I a DelVO 2016/958 enthält aber lediglich die Hinweispflicht auf eine mögliche Offenlegung gegenüber einem Emitten-

118

So auch Findeisen, Interessenkonflikte in der Aktienanalyse, S. 183, der diese Erläuterungspflicht als Teil des Grundsatzes der Eindeutigkeit und Klarheit einordnet; anders Möllers, in: KK-WpHG § 34b Rn. 136, der inhaltlich die gleichen Anforderungen stellt, diese aber als eigenständige inhaltliche Pflicht darstellt. 119 Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 23 Rn. 17. 120 Findeisen, Interessenkonflikte in der Aktienanalyse, S. 183; Möllers, in: KK-WpHG § 34b Rn. 153. 121 Gleichwohl sind drucktechnische Hervorhebungen (wie teilweise im alten Recht erforderlich) nicht zwingend, Formulierungen im Fließtext sind zulässig, Koller, in: Assmann / Schneider /  Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 20 MAR Rn. 54; ähnlich, aber noch zum alten Recht und deshalb mit Hinweis auf entsprechend erforderliche Hervorhebungen, Fuchs, in: Fuchs WpHG § 34b Rn. 36. 122 Koller, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 20 MAR Rn. 54. 123 So aber nunmehr Möllers / Cyglakow, in: JZ 2018, 1131 (1131 ff., 1137); Möllers, in: 53 International Lawyer (2020), 91 (101 ff.); Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 93 f. 124 Ähnlich kritisch Mülbert / Sajnovits, in: BKR 2019, 313 (316). 125 So Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 93 f. 126 Verordnung (EU) Nr. 462/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. 05. 2013 zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1060/2009 über Ratingagenturen, ABl. EU Nr. L 146 v. 31. 05. 2013, S. 1. 127 Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (720).

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

ten, ohne gleichzeitig eine zwingende Anhörung zu statuieren.128 In diese Richtung deutet auch der Verhaltenskodex der Deutschen Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management e. V.129, der keine Anhörungspflicht enthält. Deshalb ist de lege lata eine solche Anhörungspflicht abzulehnen. Gegen eine Erweiterung de lege ferenda spricht, dass der Verlust des Überraschungsmoments auch die positiven Effekte aktivistischer Leerverkäufe durch die Senkung des finanziellen Anreizes gefährdet.130 Das Zielunternehmen würde durch die Anhörung von der bevorstehenden Veröffentlichung gewarnt werden und könnte dieser mittels einer eigenen Stellungnahme zuvorkommen. Dadurch könnte zum einen der Kursverlust weniger stark ausfallen, zum anderen könnte weitere Gegenmaßnahmen des aktivistischen Leerverkäufers mit einer einhergehenden Kostensteigerung erforderlich werden. In beiden Fällen würde sich der Gewinn des Leerverkäufers reduzieren, sodass im schlimmsten Fall die entstandenen Informationskosten nicht mehr gedeckt werden können. Dadurch würde sich dann auch die Anzahl der tatsächlich durchgeführten aktivistischen Leerverkäufe mit ihren positiven Effekten verringern.131

C. Die Offenlegung von Interessenkonflikten Gem. Art. 20 I MAR müssen die Verfasser von Empfehlungen ihre Interessen oder Interessenkonflikte hinsichtlich der bewerteten Finanzinstrumente offen­ legen. Diese Offenlegungsverpflichtung wird durch die Art. 5, 6 DelVO 2016/958 konkretisiert, in denen an die oben dargestellte Differenzierung des Art. 3 I Nr. 34 i, ii MAR zwischen qualifizierten und nicht-qualifizierten Personen angeknüpft wird. Zudem folgt sie dem Grundsatz des disclose-or-abstain: Konflikte sind offenzulegen oder es ist auf eine Verbreitung zu verzichten.132 Da schon der Verdacht der Abhängigkeit und Parteilichkeit den Wert einer Empfehlung beeinträchtigt, ist neben tatsächlich bestehenden Interessenkonflikten auch die Möglichkeit dieser Konflikte erfasst.133 Die Charakterisierung aktivistischer Leerverkäufer als qualifizierte Personen gem. Art. 3 I Nr. 34 i MAR bringt eine Pflicht zur Offenlegung gem. Art. 6 DelVO 2016/958 mit sich. Wenn nämlich die dort beschriebenen Fälle eintreten, wird eine abstrakte Gefährdung der Anleger durch die Interessenkonflikte unwiderleglich

128 Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (720); bzgl. Art. 4 I a DelVO 2019/958 Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (302 Fn. 67). 129 Vgl. Deutsche Vereinigung für Finanzanalyse und Asset Management e. V., DVFA-­ Verhaltenskodex von Mai 2007, S. 2 ff. 130 So jüngst auch die Überlegungen von Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (302 f.). 131 Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (303). 132 Unter Bezugnahme auf diesen Grundsatz auch der Hinweis von Roth / Blessing, in: Szesny / Kuthe, Kapitalmarkt Compliance, 19. Kapitel Rn. 274. 133 Fuchs, in: Fuchs WpHG § 34b Rn. 41; Möllers, in: KK-WpHG § 34b Rn. 159; Rothen­höfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 22 Rn.  37.

§ 5 Die Anforderungen an den Research Report gem. Art. 20 I MAR 

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vermutet.134 Bei einem aktivistischen Leerverkauf ist Art. 6 I a DelVO 2016/958 einschlägig. Danach muss zunächst eine Nettoleerverkaufsposition bei einer Überschreitung von 0,5 % des gesamten emittierten Aktienkapitals offen­gelegt werden. Die Nettoleerverkaufsposition berechnet sich nach den Grundsätzen des Art. 3 SSR.135 Es muss nach Art. 6 I a DelVO 2016/958 nur angegeben werden, dass die Position über 0,5 % hinausgeht, nicht jedoch, wie hoch sie konkret ist.136 Zu beachten ist ferner, dass die Publizitätspflichten der SSR vom Art. 6 I DelVO 2016/958 unabhängig sind und die erneute Veröffentlichung in der Anlageempfehlung nicht ersetzen können.137 Ausnahmsweise sind aber auch Nettoleerverkaufspositionen unterhalb der Schwelle von 0,5 % offenzulegen:138 Grundlage hierfür ist die allgemeine Vorschrift des Art. 5 DelVO 2016/958, nach welcher eine tatsächliche Beeinträchtigung für die Annahme eines Interessenkonfliktes nicht erforderlich ist.139 Vielmehr sind diejenigen Umstände erfasst, die eine mangelnde Objektivität der Empfehlung vermuten lassen.140 Dies gilt zum Beispiel, wenn Anleger in der Empfehlung einen Anreiz zur Manipulation wahrnehmen.141 Zugleich ist aber die Wertung des Art. 6 DelVO 2016/958 zu berücksichtigen, nach welcher nicht jede Beteiligung offen­ legungspflichtig ist.142 Deshalb müssen bei der Beurteilung des Interessenkonflikts nach Art. 5 I DelVO 2016/958 die besonderen Umstände des Einzelfalls eine Gefahr nahelegen, die über eine bloße Beteiligung hinausgeht.143 Die aktivistischen Leerverkäufe stellen eine solche Gefahr dar, weil sie den Leerverkauf mit dem Re 134

Koller, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 20 MAR Rn. 64. ESMA Final Report, Draft technical standards on the Market Abuse Regulation v. 28. 09. 2015, ESMA 2015/1455, S. 78 Rn. 378; Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 23 Rn. 27. 136 ESMA Final Report, Draft technical standards on the Market Abuse Regulation v. 28. 09. 2015, ESMA 2015/1455, S. 78 Rn. 379; Koller, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 20 MAR Rn. 65. 137 In diese Richtung deutet auch das Verständnis der ESMA Final Report 2015/1455, S. 78 Rn. 379. Jüngst auch Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (302). 138 ESMA Final Report, Draft technical standards on the Market Abuse Regulation v. 28. 09. 2015, ESMA 2015/1455, S. 78 Rn. 377; Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 23 Rn. 28. 139 Die ESMA verweist in ihrem Report zwar auf Art. 5 der DurchführungsRL 2003/125, der aber insoweit die Vorgängervorschrift des Art. 5 DelVO 2016/958 darstellt, Final Report, Draft technical standards on the Market Abuse Regulation v. 28. 09. 2015, ESMA 2015/1455, S. 77 Rn. 366 f.; Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 23 Rn. 28. 140 Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 22 Rn. 37. 141 Koller, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 20 MAR Rn. 58; Findeisen, Interessenkonflikte in der Aktienanalyse, S. 187. Abweichend Rothenhöfer, der die Möglichkeit eines Konfliktes für erforderlich hält, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 22 Rn. 37. 142 Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 23 Rn. 28; § 22 Rn. 35. 143 ESMA Final Report, Draft technical standards on the Market Abuse Regulation v. 28. 09. 2015, ESMA 2015/1455, S. 78 Rn. 377; Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 23 Rn. 28. 135

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

search Report verknüpfen, durch dessen erhebliche Vorwürfe die Anleger verstärkt sensibilisiert werden. Aufgrund der brisanten Informationen des Research Reports sind die Anleger auch an der Offenlegung von Nettoleerverkaufspositionen unter der Schwelle von 0,5 % interessiert,144 da sie nur so in die Lage versetzt werden, die Objektivität und Zuverlässigkeit des Research Reports zu bewerten und möglicherweise manipulative Hintergründe zu erkennen. Dies entspricht exakt dem Ziel der Offenlegungsvorschriften. Nach ErwGr. Nr. 6 DelVO 2016/958 soll die Offenlegung so präzise sein, dass der Anleger sich eine sachgerechte Meinung über die Art und Weise des Interessenkonflikts bilden kann.145 Daher erscheint die Offenlegung von Nettoleerverkaufspositionen auch unter der Schwelle von 0,5 % für den aktivistischen Leerverkäufer als verantwortliches Unternehmen gem. Art. 5 I DelVO 2016/958 nicht nur sinnvoll, sondern erforderlich. Wie auch in der Diskussion zu den Offenlegungsanforderungen bei Art. 12 II d MAR wird nunmehr bei Art. 20 I MAR, Art. 5 I DelVO 2016/958 die Angabe der konkreten Höhe einer Leerverkaufsposition befürwortet.146 Der Wortlaut der Normen enthält keine weiteren Vorgaben in Bezug auf die konkrete Positionshöhe.147 Eine solche Angabe widerspricht zwar richtigerweise nicht der Systematik.148 Die Argumentation aber, nach der aus dem Telos zu folgern sei, dass sich der verständige Anleger nur bei entsprechender Angabe des Umfangs der Position eine sachkundige Meinung über einen erheblichen Interessenkonflikt bilden könne,149 überzeugt nicht. Eine trennscharfe Differenzierung zwischen einem „normalen“ und „erheblichen“ Interessenkonflikt ist nämlich nicht möglich, da sie eine Vielzahl von zusätzlichen Informationen, wie die Marktkapitalisierung des Emittenten oder die im Markt verfügbaren Finanzinstrumente, benötigt.150 Um den verständigen Anleger in die Lage zu versetzen, das Ausmaß des Interessenkonflikts und die hinter der Empfehlung stehenden Beweggründe nachzuvollziehen, ist die Angabe der Höhe bei einer erheblichen Position aber nicht erforderlich. Bereits mit der Angabe einer Position und damit des entsprechenden Interessenkonflikts ist der verständige Anleger hinreichend gewarnt und in die Lage versetzt, sich mit der Empfehlung kritisch auseinanderzusetzen. Demgegenüber stellt die Offenlegung der Höhe der Position ohne zusätzliche Informationen, die über den Wortlaut ‚dieser Interessen-

144 Speziell für aktivistische Leerverkäufe Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (301); allgemein Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 22 Rn. 33; ähnlich Vogler, Schadensersatzhaftung für fehlerhafte Wertpapieranalysen, S. 170. 145 ErwGr. Nr. 6 DelVO 2016/958, Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 376; Bayram /  Meier, in: BKR 2018, 55 (58). 146 Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (301 f.); Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (720 f.). 147 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 80. 148 So Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (720), die zu Recht den nicht abschließenden Charakter von Art. 6 I a DelVO 2016/958 hervorhebt. 149 So aber Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (302, 308); ders., in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 376; Vollmerhausen, in: Wistra 2020, 487 (491); ähnlich Bayram / Meier, in: BKR 2018, 55 (58). 150 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 80.

§ 5 Die Anforderungen an den Research Report gem. Art. 20 I MAR 

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konflikt‘ hinausgehen, keinen Mehrwert dar.151 Wortlaut und Telos der Vorschrift sprechen demnach gegen eine Pflicht, auch die Höhe der Position anzugeben.152 In Anlehnung an den Diskurs zu Art. 12 II d MAR wurde in jüngster Zeit auch für Art. 20 I MAR, Art. 5 I DelVO 2016/958 gefordert, die Absicht einer geplanten Schließung der Positionen und dessen Zeitpunkt offenzulegen.153 Diese Diskussion gab es schon während der alten Rechtslage zu § 4 III der Verordnung zur Konkretisierung des Verbots der Marktmanipulation (MaKonV).154 Anknüpfungspunkt beim Marktmanipulationsverbot dabei war und ist jedoch, ob bei einer gehaltenen Long-Position und abgegebenen Kaufempfehlung auch die Verkaufsabsicht den eigennützigen Zweck als Interessenkonflikt darstellt.155 Bei zutreffender Auslegung der MAR ist eine Offenlegungsverpflichtung der geplanten Verkaufsabsicht bei Kauf- und Halteempfehlungen nicht mehr begründbar.156 Auf aktivistische Leerverkäufe ist diese Diskussion ohnehin nicht übertragbar, da der Research Report eine Verkaufsempfehlung ist und der Leerverkäufer nur beabsichtigt, die Position durch den Kauf von Finanzinstrumenten wieder zu schließen. Die geplante Positionsschließung ist aber die logische Konsequenz aus dem bestehenden Interessenkonflikt der Short-Position.157 Entgegen der alten Rechtslage wird die Art und Weise der Offenlegung nicht mehr explizit vorgeschrieben,158 die konkreten Anforderungen sind aber mithilfe des Schutzzwecks an den Adressaten zu orientieren.159 Da durch die Offenlegung 151

In diese Richtung Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 80. Übereinstimmend im Ergebnis, Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 80; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art.  12 MAR Rn. 249; ders., in: ZHR 182 (2018), 105 (108); Mülbert / Sajnovits, in: Assmann / Schneider /  Mülbert, Wertpapierhandelsrecht Vorb. Art. 1–41 SSR Rn. 75. 153 Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (720 f.). 154 Zu Art. 12 II d MAR vgl. Schmolfke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 376; Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn.  81; Mülbert, in: Assmann / Schneider /  Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 249; ders., in: ZHR 182 (2018), 105 (108); Mülbert / Sajnovits, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Vorb. Art. 1–41 SSR Rn. 75; Wentz, in: WM 2019, 196 (200); Graßl / Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (55); zu § 4 III MaKonV BGHSt 59, 105 (116 Rn. 40) = NJW 2014, 1896 (1899); de Schmidt, in: Just / Voß / R itz / Becker WpHG § 20a Rn.  247; Stoll, in: KK-WpHG § 20a Anh. I – § 4 MaKonV Rn. 39. 155 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 81; de Schmidt, in: Just / Voß / R itz / Becker WpHG § 20a Rn.  247. 156 Zur überzeugenden Begründung anhand des Wortlauts der MAR und der fehlenden Tragfähigkeit der Argumentation zu § 4 III MaKonV Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 82; a. A. Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 376. 157 Abweichend Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (720 f.); Vollmerhausen, in: Wistra 2020, 487 (492). 158 Koller, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 20 MAR Rn. 63. 159 So im Ergebnis Findeisen, Interessenkonflikte in der Aktienanalyse, S. 225; vgl. Koller, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 20 MAR Rn. 63, der auf diejenigen Personen abstellt, denen die Empfehlung zugänglich gemacht werden soll oder die sie wahrscheinlich erreichen. 152

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

die Glaubwürdigkeit der Empfehlung überprüfbar werden soll,160 muss diese Offenlegung so spezifisch sein, dass die Anleger das Ausmaß und die Art des Konfliktes leicht einschätzen können.161 Deshalb reichen weder allgemeine Hinweise auf mögliche Interessenkonflikte162 noch eine pauschale Erwähnung derselben im Disclaimer.163 Letztlich sind aktivistische Leerverkäufer immer verpflichtet, die Leerverkaufspositionen im Research Report offenzulegen. Bei einer Position, die über 0,5 % des emittierten Grundkapitals liegt, ist gem. Art. 6 I a DelVO 2016/958 das Überschreiten dieser Grenze zusätzlich mitzuteilen. Für eine Position unterhalb dieses Schwellenwertes ist gem. Art. 5 II DelVO 2016/958 nur über die Leerverkaufsposition zu informieren. Über die konkrete Höhe der Position muss nicht berichtet werden, da mit ihrer Angabe der Anleger schon hinreichend auf einen Interessenkonflikt hingewiesen wird, der sich möglicherweise auf die Empfehlung ausgewirkt haben könnte. Der Anleger kann also das eigene finanzielle Interesse des aktivistischen Leerverkäufers erkennen, das er mit einem Kursrückgang verfolgt. Dieser Weg ermöglicht dem Anleger, den Report einer kritischen Beurteilung zu unterziehen, sodass damit dem Schutzzweck der Norm in ausreichendem Maße entsprochen wird. Wichtig ist aber der eindeutige Hinweis auf eine Leerverkaufsposition, sodass eine pauschale Erwähnung im Disclaimer auf möglicherweise bestehende Interessenkonflikte nicht ausreicht. Die Offenlegungsverpflichtung des Art. 20 I MAR ist von den Publizitätspflichten der SSR zu unterscheiden, sodass die Bekanntmachung über den Bundesanzeiger nicht die Angabe im Research Report ersetzen kann. Der Versuch, sich von der Offenlegungsverpflichtung einseitig im Disclaimer freistellen zu lassen, verstößt gegen den öffentlich-rechtlichen Charakter der Norm und ist deshalb unzulässig.164

D. Organisations- und Anzeigepflicht § 85 I 1 WpHG verpflichtet Unternehmen, die Anlageempfehlungen erstellen, sich so zu organisieren, dass Interessenkonflikte im Sinne des Art. 20 I MAR möglichst gering sind. Nach § 85 I 2 WpHG müssen angemessene Kontrollver 160

Vogler, Schadensersatzhaftung für fehlerhafte Wertpapieranalysen, S. 170. Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 22 Rn. 36; Findeisen, Interessenkonflikte in der Aktienanalyse, S. 225; ähnlich Koller, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 20 MAR Rn. 63, nach dem die Offenlegung so verständlich sein muss, dass die Adressaten leicht die Bedeutung und Tragweite erfassen können. 162 Findeisen, Interessenkonflikte in der Aktienanalyse, S. 225. 163 Möllers, in: KK-WpHG § 34b Rn. 193. 164 Möllers, in: NZG 2018, 649 (653); ders., in: KK-WpHG § 34b Rn. 192; Findeisen, Interessenkonflikte in der Aktienanalyse, S. 188 f. (vgl. aber zur Möglichkeit der vertraglichen Abdingbarkeit bei institutionellen Kundenverhältnissen S. 189 ff.). 161

§ 5 Die Anforderungen an den Research Report gem. Art. 20 I MAR 

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fahren errichtet werden, um etwaigen Verstößen entgegenzuwirken. § 85 WpHG gilt aber lediglich für diejenigen Unternehmen, die nicht als Wertpapierdienstleistungsunternehmen einzuordnen sind, da diese unter die vorrangigen Organisationsvorschriften gem. Art. 36 f. Delegierten Verordnung Nr. 2017/565165 fallen.166 Wertpapierdienstleistungsunternehmen können nach § 2 X WpHG zunächst nur Kredit- und Finanzdienstleistungsinstitute sowie nach § 53 I 1 KWG tätige Unternehmen sein. Von diesen kommt für aktivistische Leerverkäufer ausschließlich die Kategorie eines Finanzdienstleistungsinstituts näher in Betracht, die in § 1 I a KWG definiert wird.167 Aktivistische Leerverkäufer tätigen ihre Transaktionen aber lediglich für sich selber und nicht für Dritte im Sinne des Eigenhandels gem. § 1 I a 1 Nr. 4 c KWG. Ferner sind aktivistische Leerverkäufer bisher bei ihren Eigengeschäften nicht im Sinne von § 1 I a 2 Nr. 2 KWG als Teil einer Institutsoder Finanzholding-Gruppe, der ein CRR-Kreditinstitut (§ 1 III d KWG) angehört, in Erscheinung getreten. Sie sind daher mangels Einordnung als Finanzdienstleistungsinstitut keine Wertpapierdienstleistungsunternehmen gem. § 2 X WpHG, sodass § 85 WpHG anzuwenden ist. § 85 I WpHG enthält keine konkreten, starren Organisationspflichten. Die jeweilige Ausgestaltung hängt vielmehr von der Unternehmensgröße, -struktur und Geschäftstätigkeit ab. Ziel der Organisationspflichten ist im besten Fall die Vermeidung oder jedenfalls die Reduzierung von Interessenkonflikten.168 Die Kernelemente einer diesem Ziel entsprechenden Unternehmensstruktur lassen sich in drei Teilbereiche strukturieren:169 An erster Stelle steht die Steuerung bzw. Trennung von Informationsflüssen zwischen den unterschiedlichen Unternehmensabteilungen vor allem durch die Errichtung von Vertraulichkeitsbereichen (Chinese Walls).170 Zudem ist die Unabhängigkeit der im Research Bereich tätigenden Personen zu stärken, indem diese vor der Beeinflussung anderer Abteilungen durch eventuelle Freigabeerfordernisse geschützt werden171 und ein Entlohnungssystem eingeführt wird, das möglichst wenig Anreize für die Begüns 165

Delegierte Verordnung (EU) 2017/565 der Kommission vom 25. 04. 2016 zur Ergänzung der Richtlinie (EU) Nr. 65/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die organisatorischen Anforderungen an Wertpapierfirmen und die Bedingungen für die Ausübung ihrer Tätigkeit sowie in Bezug auf die Definition bestimmter Begriffe für die Zwecke der genannten Richtlinie, ABl. EU Nr. L 87 v. 31. 03. 2017, S. 1. 166 Koller, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, § 85 WpHG Rn. 1; Fett, in: Schwark / Zimmer KMRK, § 85 WpHG Rn. 1; abweichend Rothenhöfer, in: Meyer / Veil /  Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 22 Rn. 4. 167 Assmann, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, § 2 WpHG Rn. 207. 168 Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 22 Rn. 3 f.; ähnlich Fett, in: Schwark / Zimmer KMRK, § 85 WpHG Rn. 33 a. E. 169 Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 22 Rn. 5. 170 Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 22 Rn. 6 f.; Koller, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, § 85 WpHG Rn.  20; Fett, in: Schwark /  Zimmer KMRK, § 85 WpHG Rn. 33. 171 Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 22 Rn. 10.

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

tigung anderer Unternehmensfelder bietet.172 Ferner sind (vollständige oder zeitlich beschränkte) Handelsverbote der Ersteller von Anlageempfehlungen in Bezug auf die untersuchten Emittenten anzuordnen.173 Diese Vorgaben sind schließlich mit Dokumentationsanforderungen zu flankieren, die die nach § 85 I 2 WpHG erforderlichen Kontrollen ermöglichen.174 Ein als Unternehmen organisierter aktivistischer Leerverkäufer muss sich grundsätzlich an diese Vorgaben halten und entsprechende Regelungen in Bezug auf seine Angestellten anordnen. Der zentrale Interessenkonflikt des gesamten Unternehmens eines aktivis­ tischen Leerverkäufers, die gehaltenen Leerverkaufspositionen, wird von diesen Organisationspflichten jedoch nicht erfasst. Dieser resultiert nämlich aus dem Geschäftsmodell selbst, sodass dessen Reduzierung nie möglich ist. In dieser Hinsicht ist auch eine Einrichtung von Vertraulichkeitsbereichen nicht erforderlich. Die Handels- und Research Abteilung wird im Sonderfall des aktivistischen Leerverkaufs vielmehr eng miteinander arbeiten bzw. eine einheitliche Abteilung darstellen. Gem. § 86 I 1 WpHG muss die Erstellung oder Weitergabe von Empfehlungen gegenüber der BaFin von deren Autor angezeigt werden, um die Durchsetzung der erläuterten Pflichten zu erleichtern.175 Danach muss der aktivistische Leerverkäufer als juristische Person genaue Angaben machen.176 Gem. § 86 I 2 WpHG ist unter anderem die Firma, die Rechtsform, der gesetzliche Vertreter sowie die Adresse der Hauptniederlassung anzugeben, wobei diese Angaben nach § 294 ZPO glaubhaft zu machen sind.177 Darüber hinaus hat der Leerverkäufer nach § 86 I 4 WpHG über beabsichtigte Verbreitungswege des Research Reports zu informieren. Sämtliche Anforderungen sind dabei vor der ersten Veröffentlichung zu erfüllen.178

172

Koller, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, § 85 WpHG Rn. 21; Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 22 Rn. 11; Fett, in: Schwark /  Zimmer KMRK, § 85 WpHG Rn. 33. 173 Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 22 Rn. 11; Fett, in: Schwark /  Zimmer KMRK, § 85 WpHG Rn. 33; Koller, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, § 85 WpHG Rn. 24. 174 Rothenhöfer, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 22 Rn. 12 f. 175 Begr. RegE 1. FiMaNoG,  BT-Drucks. 18/7482, 63; Koller, in: Assmann / Schneider /  Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, § 86 WpHG Rn. 1; Roth / Blessing, in: Szesny / Kuthe, Kapital­ markt Compliance, 19. Kapitel Rn. 250. 176 Koller, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, § 86 WpHG Rn. 3. 177 Koller, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, § 86 WpHG Rn. 3. 178 Fett, in: Schwark / Zimmer KMRK, § 86 WpHG Rn. 4 a. E.; Koller, in: Assmann / Schneider /  Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, § 86 WpHG Rn. 4.

§ 5 Die Anforderungen an den Research Report gem. Art. 20 I MAR 

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E. Implikationen der Fallbeispiele zur Einhaltung der Pflichten Ein aktivistischer Leerverkauf mit der Veröffentlichung eines Research Reports unterliegt also der eigenständigen Regulierung gem. Art. 20 I MAR, da der Report in der Regel als Anlageempfehlung zu qualifizieren ist. Damit sind vielfältige formale und materielle Anforderungen bei der Durchführung des aktivistischen Leerverkaufs zu beachten. Nur im Ausnahmefall eines überwiegend passiven Investors sind die Research Reports mangels direkten Vorschlags nicht von Art. 20 I MAR erfasst. Im Hinblick auf die Rechtspraxis machen die ausgewählten Beispielsfälle insgesamt deutlich, dass die aktivistischen Leerverkäufer der Regulierung keine große Bedeutung beimessen:179 So nennt Viceroy nicht die Urheber des Reports und verstößt damit gegen die Pflicht zur Angabe der Identitäten gem. Art. 2 I DelVO 2016/958. Zudem fehlt die nach Art. 3 I d DelVO 2016/958 erforderliche Zeitangabe des Berichtsabschlusses. Ohne genauer auf die Berechnung von Unternehmensbewertungen einzugehen, ist die erfolgreiche Veräußerung einer Beteiligung für 185 Millionen, die kurze Zeit zuvor von Gotham mit nicht einmal 10 % dieses Erlöses bewertet wurde, ein starkes Indiz dafür, dass in materieller Hinsicht die Bewertung von Gotham im Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung schon nicht nachvollziehbar war. Hinsichtlich der Offenlegung der Interessenkonflikte im Disclaimer gilt es, die beiden Fälle einzeln zu betrachten: Bei Viceroy heißt es: „You should assume that the authors have a direct or indirect interest / position in all stocks […], and therefore stand to realize monetary gains in the event that the price of either declines“180. ­Gotham formuliert vergleichbar: „You should assume that […] ­Gotham City Research LLC has a net short position with respect to the shares […] of the issuer discussed in this report. Therefore, Gotham […] stands to profit in the event the issuer’s share price declines“181. In beiden Fällen wird ausreichend deutlich gemacht, dass eine Short-Position der Verfasser besteht, die einen Profit bei fallenden Kursen ermöglicht, sodass die Offenlegungspflicht des Art. 5 I DelVO 2016/958 eingehalten wurde.182 Gotham veröffentlichte im Bundesanzeiger aber eine Positionshöhe von 0,8 %, sodass zusätzlich im Report eine Angabe gem. Art. 6 I a DelVO 2019/958 erforderlich gewesen wäre, womit ein Verstoß vorliegt. Wie bereits im § 4 erläutert, sind für Viceroy keine Daten über die Höhe der Short-­Position verfügbar. Inwieweit die Anzeigepflicht gem. § 86 I WpHG in den Beispielsfällen eingehalten wurde, kann im Nachhinein aufgrund der stetigen Aktualisierung der Liste 179 So jüngst auch die Praxis bewertend Brellochs, in: ZGR 2020, 319 (322); allgemeine Verstöße feststellend Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 101. 180 Viceroy Report Steinhoff v. 6. 12. 2017, S. 3. 181 Gotham Aurelius Report v. 28. 03. 2017, S. 2. 182 Abweichend wohl in Bezug auf den Wirecard Bericht von Zatarra Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (301 Fn. 61).

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

nicht mehr festgestellt werden.183 Für Viceroy hat die BaFin aber bei einem späteren Research Report zu ProSiebenSat.1 eine Warnung über die Nichtanzeige veröffentlicht184, sodass man vermuten kann, dass gegen diese Pflicht auch beim Report zu Steinhoff verstoßen wurde. Wie bereits ausgeführt, sind die Organisationspflichten in Bezug auf den zentralen Interessenkonflikt des aktivistischen Leerverkäufers als Unternehmen letztlich nicht maßgeblich. Obwohl leichtfertige oder vorsätzliche Verstöße gegen Art. 20 I MAR und die DelVO 2016/958 gem. § 120 XV Nr. 23 WpHG bzw. gegen § 86 I WpHG gem. § 120 II Nr. 14 WpHG als Ordnungswidrigkeit geahndet werden, sind bisher keine Bußgelder verhängt worden. Gegen Gotham ermittelt aber laut jüngster Presse noch die Staatsanwaltschaft Frankfurt.185

F. Ergebnis Unabhängig von den hier aufgezeigten Verstößen ist insgesamt festzuhalten, dass die Regulierung des Art. 20 I MAR aktivistische Leerverkäufe weiterhin zulässt und der ökonomischen Einordnung des Phänomens entspricht. Mit der Pflicht zur Angabe der Identität gem. Art. 2 I DelVO 2016/958 wird zudem aus rechtlicher Sicht das bei anonymen und pseudonymen aktivistischen Leerverkäufen höhere Marktmissbrauchspotenzial begrenzt, sofern auch eine wirksame Rechtsdurchsetzung gewährleistet ist. Die an den Fallbeispielen exemplarisch dargelegten Verstöße und die fehlende Sanktionierung zeigen deutliche Defizite in der Rechtsdurchsetzung. Deshalb verwundert es nicht, dass in der Literatur vielfältige Verbesserungsvorschläge gemacht werden. So werden beispielsweise die konsequentere Nutzung von Handels­ aussetzungen nach § 6 II 4 Var. 2 WpHG bei offensichtlichen Verstößen gegen Art. 20 I MAR186, die Bildung einer europäischen Task Force für Kapitalmärkte187 und eine Intensivierung sowie Stärkung der internationalen Zusammenarbeit der zuständigen Behörden gefordert.188 Darüber hinaus wird die allgemein schon seit

183

Vgl. die aktuelle Version der BaFin vom 27. 02. 2020, abrufbar unter: https://www.bafin. de/DE/Aufsicht/BoersenMaerkte/Marktmissbrauch/Anlagestrategie/anlagestrategie_artikel. html, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 184 BaFin Pressemitteilung v. 12. 03. 2018, Warnung: Verstoß der Viceroy Research Group gegen § 86 Absatz 1 WpHG, abrufbar unter: https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffent lichungen/DE/Meldung/2018/meldung_180309_viceroy_research.html, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 185 Wirtschaftswoche v. 21. 02. 2019, Professionelle Pessimisten und verurteilte Manipulateure, abrufbar unter: https://www.wiwo.de/finanzen/boerse/ungeliebte-shortseller-professionellepessimisten-und-verurteilte-manipulateure/24022118.html, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 186 Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 106. 187 Möllers, in: NZG 2018, 649 (657). 188 So Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 128.

§ 6 Das Marktmanipulationsverbot

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längerem strittige Frage nach schärferen zivilrechtlichen Sanktionen und deren unionsrechtliche Erforderlichkeit im Zusammenhang mit aktivistischen Leerverkäufen erneut diskutiert.189 Eine angemessene Behandlung dieses Problemkreises würde jedoch den eingangs gewählten Rahmen dieser Untersuchung sprengen. Wie aber der Fall Wirecard zeigt, sollten stark eingreifenden Befugnisse, wie der Vorschlag einer konsequenteren Nutzung von Handelsaussetzungen, nur bei gebotener Zurückhaltung und möglichst unter Verwendung von offenen Ermittlungsperspektiven in Betracht gezogen werden. Speziell in Bezug auf Art. 20 I MAR wäre es schon ein Fortschritt, wenn offensichtliche Verstöße mit Bußgeldern tatsächlich geahndet werden würden. Damit würde auf Seiten der aktivistischen Leerverkäufer ein Bewusstsein für die Regulierung geschaffen, sodass ein unmittelbarer Regulierungsbedarf derzeit nicht besteht.

§ 6 Das Marktmanipulationsverbot A. Konzeptionelle Grundlagen I. Telos Das Ziel der MAR ist die Verhinderung von Marktmissbrauch, um so die Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes zu gewährleisten. Diese wird besonders durch das Marktmanipulationsverbot geschützt,190 da Marktmanipulationen in ökono­ mischer Hinsicht mit schädigenden Wirkungen einhergehen.191 Eine schädigende Wirkung ist zunächst die Beeinträchtigung der Allokationseffizienz, weil manipulativ zustande gekommene Fehlbepreisungen eine Fehlleitung des Kapitals hervorrufen und damit nicht zu größtmöglichem Nutzen führen.192 Zudem erhöhen sich die Transaktionskosten, da Marktmanipulationen zum Vertrauens­verlust der Anleger führen. Diese bezweifeln dann nämlich die Aussa 189 Vgl. hierzu nur Schockenhoff / Culmann, in: AG 2016, 517 (519 ff.); Mülbert, in: ZHR 182 (2018), 105 (111); Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (744 ff.); Brellochs, in: ZGR 2020, 319 (324 ff.); Schockenhoff, in: WM 2020, 1349 (1351 ff.); Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 287 ff.; Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 161 ff. 190 Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 23; Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 436; Schmolke, in: Klöhn MAR, Vor Art. 12 MAR Rn. 33; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 22. 191 Vgl. nur Schmolke, in: Klöhn MAR, Vor Art. 12 MAR Rn. 25 ff.; Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, S. 39; kritisch zur ökonomischen Begründung Zetsche, in: Gebauer / Teichmann EnzEuR Bd. VI § 7 C. Rn. 51. 192 Vgl. jeweils m. w. N. Schmolke, in: Klöhn MAR, Vor Art. 12 MAR Rn. 27; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art.  12 MAR Rn.  22; Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 435; Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, S. 38.

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

gekraft der Preise, verzichten auf einzelne Transaktionen oder treten gar aus dem Markt aus.193 Das wiederum bewirkt einen Liquiditätsverlust und erhöht Handelskosten durch erweiterte Bid-Ask-Spreads.194 Zur Verhinderung dieser schädigenden Einflüsse und zur Gewährleistung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes liegt deshalb der zentrale Telos des Manipulationsverbots darin, die Zuverlässigkeit und Wahrheit der Preisbildung vor manipulativen Eingriffen zu schützen.195 Daneben dient es generell der Marktintegrität, weil es das Vertrauen der Anleger stärken und im Ernstfall ein Marktversagen verhindern will.196 Ob auch ein individueller Anlegerschutz197 mit dem Marktmanipulationsverbot verbunden wird, hat für die in dieser Arbeit untersuchten Grenzen der Zulässigkeit keine Relevanz und wird deshalb nicht weiter thematisiert.

II. Regelungsgegenstand Während im Geltungszeitraum der MAD das Marktmanipulationsverbot in der deutschen Richtlinienumsetzung in § 20a WpHG a. F. zu finden war und durch die Bestimmungen der MaKonV ergänzt wurde, ist seit Inkrafttreten der MAR das Verbot in Art. 15 i. V. m. Art. 12 MAR kodifiziert.198 Dies hatte umfassende Änderungen im Marktmissbrauchsrecht zur Folge. Art. 15 MAR statuiert die Verbotsvorschrift, Art. 12 MAR definiert die verbotenen Handlungsweisen.199 Art. 12 MAR weist dabei im ersten Absatz mit vier tatum­schreibenden Varianten die Basistatbestände in lit. a–d auf. Im zweiten Absatz werden in einem nicht abschließenden Katalog zwingende Beispiele bestimmter Manipulationspraktiken beschrieben. Im dritten Absatz wird auf die im Anhang I MAR enthaltenen Indikatoren einzelner Tatbestandsmerkmale verwiesen, die 193

Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, S. 39. Umfassend Schmolke, in: Klöhn MAR, Vor Art. 12 MAR Rn. 26 Mülbert, in: Assmann /  Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 23; ähnlich Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 436. 195 Schmolke, in: Klöhn MAR, Vor Art. 12 MAR Rn. 33; Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 435; Seier, Kartellrechtsrelevante Marktmanipulationen, S. 106. 196 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 23; Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 12 Rn. 3; Schmolke, in: Klöhn MAR, Vor Art. 12 MAR Rn. 33; Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 436; Seier, Kartellrechtsrelevante Marktmanipulationen, S. 107. 197 Vgl. hierzu Schmolke, in: Klöhn MAR, Vor Art. 12 MAR Rn. 34; Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 23; Mülbert, in: Assmann /  Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 24 ff. Zu der hiermit verbundenen Diskussion einer zivilrechtlichen Haftung bei Verstößen gegen das Marktmanipulationsverbot vgl. Sajnovits, Financial- Benchmarks, S. 285 ff.; Schütt, Europäische Marktmissbrauchsverordnung und Individualschutz, S. 448 ff. 198 Schmolke, in: Klöhn MAR, Vor Art. 12 MAR Rn. 60 ff. 199 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Vorb. Zu Art. 12 ff. MAR Rn. 23, 25. 194

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gem. Art. 12 V MAR durch die von der Kommission erlassenen Praktiken gem. Art. 4 i. V. m. Anhang II Delegierten Verordnung 2016/522200 ergänzt werden.201 Da die EU in ihrer Gesetzgebungskompetenz begrenzt ist, wurde zudem die Marktmissbrauchsrichtlinie von 2014 (Criminal Sanctions Market Abuse Direc­ tive, CRIM-MAD)202 erlassen, die entsprechende Vorgaben an die Mitgliedstaaten hinsichtlich der Sanktionierung auf Rechtsfolgenseite enthält.203 Die folgende Darstellung konzentriert sich jedoch auf die Normen der MAR und geht bei einzelnen Auslegungsproblemen der MAR auf die CRIM-MAD ein. Schließlich bleiben die Besonderheiten der nationalen Sanktionsnorm gem. §§ 119, 120 WpHG nicht unerwähnt. Unter Geltung von Art. 1 Nr. 2, Art. 5 MAD und der Umsetzungsvorschrift § 20a WpHG a. F. wurden die verschiedenen Arten von Marktmanipulationen auf der Basis ökonomischer Literatur nach informations-, handels-, und handlungsgestützten systematisiert.204 Entscheidendes Kriterium war das verwendete Manipulationsmittel als Tathandlung.205 Mit der Neuregelung in Art. 12 I MAR wurde diese klare Struktur jedoch aufgeweicht,206 da nunmehr sowohl mit ‚jede andere Handlung‘ gem. Art. 12 I a MAR als auch ‚jegliche sonstige Tätigkeit oder Handlung‘ gem. Art. 12 I b MAR erhebliche Tatbestandserweiterungen und Überschneidungen gegeben sind.207 Diese Erweiterungen beruhen aber auf einer bewussten Entscheidung des Gesetzgebers, um so auch zukünftig neue Formen der Marktmanipulationen zu erfassen.208 Durch diese Neuregelung ist allerdings eine eindeutige Abgrenzung zur Systematisierung der verschiedenen Tatbestandsvarianten nicht mehr anhand des Manipulationsmittels möglich.209 Trotzdem halten einige Autoren an der früheren 200

Delegierte Verordnung (EU) 2016/522 der Kommission vom 17. 12. 2015 zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf eine Ausnahme für bestimmte öffentliche Stellen und Zentralbanken von Drittstaaten, die Indikatoren für Marktmanipulation, die Schwellenwerte für die Offenlegung, die zuständige Behörde, der ein Aufschub zu melden ist, die Erlaubnis zum Handel während eines geschlossenen Zeitraums und die Arten meldepflichtiger Eigengeschäfte von Führungskräften, ABl. EU Nr. L 88 v. 5. 04. 2016, S. 1, im Folgenden DelVO 2016/522. 201 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 MAR Rn. 2; Zetsche, in: Gebauer / Teichmann EnzEuR Bd. VI § 7 C. Rn. 62. 202 Richtlinie 2014/57/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. 04. 2014 über strafrechtliche Sanktionen bei Marktmanipulation (Marktmissbrauchsrichtlinie), ABl. EU Nr. L 173 v. 12. 06. 2014, S. 179, im Folgenden wird die englische Abkürzung CRIM-MAD verwendet. 203 Seier, Kartellrechtsrelevante Marktmanipulationen, S. 90. 204 M. w. N. Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 444. 205 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 12 Rn. 15. 206 So Zetsche, der die Neuregelung als vielschichtige Regelungstechnik mit definitorischen Unschärfen beschreibt, in: Gebauer / Teichmann EnzEuR Bd. VI § 7 C. Rn. 62 f. 207 Schmolke, in: AG 2016, 434 (441). 208 Gerner-Beuerle, in: Lehmann / Kumpan, European Financial Services Law, Art. 12 MAR Rn. 1. 209 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 MAR Rn. 8; ders., in: AG 2016, 434 (441); Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 12 Rn.  15; Zetsche, in: Gebauer / Teichmann EnzEuR Bd. VI § 7 C. Rn. 65; Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, S. 44.

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

Systematisierung fest,210 während andere in lit. a und lit. b des Art. 12 I MAR den Grundtatbestand der handelsgestützten Marktmanipulation und in Art. 12 I c MAR den der informationsgestützten Marktmanipulation erblicken.211 Wiederum andere versuchen eine neue Systematisierung, indem sie lit. a als effektbasiert, lit. b als spezifische Mittel-Effekt-Relation und lit. c als spezifische informationsgestützte Tathandlung einordnen.212 Nach diesem Ansatz zeichnet sich Art. 12 I  c MAR durch die Verbreitung von Informationen im Sinne einer informationsgestützten Marktmanipulation aus.213 Art. 12 I a MAR erfordert lediglich einen potenziellen Effekt eines nicht weiter definierten Verhaltens durch das Senden falscher oder irreführender Signale bzw. durch das Erzielen eines anormalen Kursniveaus. Nach Art. 12 I b MAR muss ein Täuschungsverhalten als Manipulationsmittel, das eine Kursbeeinflussung als Effekt bewirkt oder hierzu geeignet ist, vorliegen.214 Dabei spricht diese Neuregelung zu Recht gegen eine schematische Übertragung der klassischen Systematik auf die Varianten des Art. 12 I MAR. Allerdings kann auch weiterhin für ein grundlegendes Verständnis auf die klassische Systematik der informations-, handels- und handlungsgestützte Marktmanipulation zurückgegriffen werden.215 Dabei gilt es aber stets zu beachten, dass diese nicht mehr uneingeschränkt gilt. Generell bewirkt diese neue Systematik letztlich, dass eine rechtssichere Abgrenzung legitimer von manipulativen Verhaltensweisen weiter erschwert wird.216 In Abgrenzung zu Art. 12 I, II MAR kommt den Indikatoren des Anhangs I MAR keine verbindliche Wirkung zu: Hinsichtlich der Voraussetzungen des 210

Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 444; Poelzig, in: NZG 2016, 528 (536); Zetsche, in: Gebauer / Teichmann EnzEuR Bd. VI § 7 C. Rn. 63 (aber missverständlich, weil in Rn. 65 lit. a und b als Grundtatbestand der handelsgestützten Manipulation dargestellt werden); abweichend, Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 76, 176, der lit. a als handelsgestützten Tatbestand und lit. b als Auffangtatbestand versteht; allein lit.  b als Auffangtatbestand einordnend, Spoerr, in: Assmann / Schneider /  Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, § 119 WpHG Rn. 65; Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 91; Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 2. 211 Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, S. 43; Seibt / Wollenschläger, in: AG 2014, 593 (602); Kiesewetter / Parmentier, in: BB 2013, 2371 (2375); ähnlich de Schmidt, in: Just / Voß / R itz / Becker, § 20a WpHG Rn. 380 f., der aber auch handlungs-, und informationsgestützte Tathandlungen vom Wortlaut der lit. a und lit. b erfasst hält; Zetsche, in: Gebauer / Teichmann EnzEuR Bd. VI § 7 C. Rn. 65 (aber beachte oben Fußnote 210); lediglich handels- und handlungsgestützte Manipulationen bei lit. a und b einordnend, Sieder, ShortSelling-Regulierung, S. 193. 212 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 MAR Rn. 7 ff.; ders., in: AG 2016, 434 (441 f.); kritisch dazu Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 2 Fn. 8. 213 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 MAR Rn. 11. 214 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 MAR Rn. 8 f. 215 In diese Richtung wohl auch das Ergebnis von Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Vorb. Art. 12 ff. MAR Rn. 56; ähnlich Teigelack, in: Meyer / Veil /  Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 12 Rn. 15. 216 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 MAR Rn. 10.

§ 6 Das Marktmanipulationsverbot

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Art. 12 I MAR haben sie keine tatbestandskonkretisierende Bedeutung und keinen Einfluss auf das Vorliegen eines zwingenden Beispiels gem. Art. 12 II MAR.217 Vielmehr stellen sie eine Auslegungs- und Subsumtionshilfe dar und wollen den Aufsichtsbehörden und Marktteilnehmern eine Orientierung im Sinne eines Prüfrasters ermöglichen.218 Gleiches gilt für die präzisierenden Praktiken der DelVO 2016/522,219 die wie die Indikatoren allein Umstände benennen, die auf eine Marktmanipulation hindeuten können und damit Ermittlungen angebracht erscheinen lassen.220 Die Indikatoren und Praktiken sind nicht erschöpfend und nehmen keine abschließende Zuordnung vor,221 sodass immer noch eine einzelfallabhängige Prüfung der Voraussetzungen des Art. 12 I, II MAR erforderlich ist.222 Diese einzelfallabhängige Prüfung ist insbesondere bei aktivistischen Leerverkäufen von Bedeutung, da bei diesen zahlreiche direkte Anknüpfungen zum Tatbestand sowie zu den Indikatoren und Praktiken der Marktmanipulation gem. Art. 12 MAR möglich sind.

III. Auslegungsgrundsätze Hinsichtlich der Auslegung ist insbesondere der angestrebte Harmonisierungsgrad relevant: Die Vorschriften des Marktmanipulationsverbots gem. Art. 15 i. V. m. Art. 12 MAR sind auf Tatbestandsebene als vollharmonisierend einzustufen,223 während für die Rechtsfolgen eines Verstoßes die CRIM-MAD nur mindest­ harmonisierende Regelungen aufstellt.224 Wie bereits erwähnt, hat die Vollharmonisierung eine unionsautonome Auslegung zur Folge, sodass die unmittelbare Anwendung mitgliedstaatlicher Erwägungen grundsätzlich ausgeschlossen ist. Mangels bisher ergangener Entscheidungen des EuGH sind die Normen zunächst von den Rechtsanwendern auszulegen.225 Einzelne Tatbestandsmerkmale lassen

217

Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 6. Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 68; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 6; Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, S. 50. 219 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 67. 220 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 6; Anschütz / Kunzelmann, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 14 Rn. 46; Oulds, in: Kümpel / Mülbert / Früh / Seyfried BKMR, 12. Teil Art. 15, 12 ff. MAR Rn 12.21. 221 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 69, 71; Anschütz / Kunzelmann, in: Meyer / Veil /  Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 14 Rn. 47. 222 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 69; Oulds, in: Kümpel / Mülbert / Früh / Seyfried BKMR, 12. Teil Art. 15, 12 ff. MAR Rn. 12.21. 223 Schmolke, in: Klöhn MAR, Vor Art. 12 MAR Rn. 83; ders., in: AG 2016, 434 (437); ­Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 12 Rn. 5; Bator, in: BKR 2016, 1 (4); Seibt / Wollenschläger, in: AG 2014, 593 (595); Kiesewetter / Parmentier, in: BB 2013, 2371 (2371). 224 Schmolke, in: Klöhn MAR, Vor Art. 12 MAR Rn. 81. 225 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 9. 218

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

sich hingegen auch durch einen Vergleich mit der alten deutschen Rechtslage erschließen.226 Ebenso wie beim Rückgriff auf grundsätzliche Rechtsgedanken bei der Konkretisierungsbedürftigkeit von Art. 20 MAR sprechen auch hier die histo­ rischen und teleologischen Gründe dafür: § 20a WpHG stellt das Umsetzungsgesetz zu Art. 1 Nr. 2, Art. 5 MAD dar.227 Teleologisch verfolgt die MAR mit dem Manipulationsverbot weiterhin den gleichen Schutz wie die MAD.228 Auf die Stellen, die inhaltlich nicht verändert wurden und in ihren Grundzügen den Tatbeständen des § 20a WpHG a. F. und der MAD entsprechen, sind deshalb auch die bislang gewonnenen Erkenntnisse verwertbar.229 Für welche Tatbestandsmerkmale diese Prämisse gilt, wird in der folgenden Analyse und Subsumtion aktivistischer Leerverkäufe gesondert dargestellt. Darüber hinaus ist speziell für die informationsgestützte Marktmanipulation die besondere Vorschrift des Art. 21 MAR einschlägig, nach der grundsätzlich bei einer journalistischen Informationsverbreitung innerhalb der Auslegung des Art. 12 I  c MAR die Meinungs- und Pressefreiheit sowie die journalistischen Standes- und Berufsregelungen zu berücksichtigen sind. Wie bereits bei Art. 20 I MAR ausgeführt, haben aktivistische Leerverkäufer immer aber ein eigennütziges Gewinnerzielungsinteresse, sodass wegen Art. 21 a MAR die Anforderungen des Art. 21 MAR bei den folgenden Ausführungen nicht zu beachten sind.

IV. Anwendungsbereich Für den Anwendungsbereich des Verbots ist zwischen dem sachlichen, persönlichen und räumlichen zu differenzieren, wobei für die letzteren beiden teilweise die gleichen Anforderungen wie für die Regulierung des Art. 20 I MAR gestellt werden: Das Marktmanipulationsverbot gilt sowohl für natürliche als auch juristische Personen.230 Bei Manipulationen von juristischen Personen erstreckt Art. 12 IV MAR das Verbot auf diejenigen natürlichen Personen, die daran beteiligt sind, Beschlüsse umzusetzen. In räumlicher Hinsicht reicht es aus, wenn die Aktie des Zielunternehmens des aktivistischen Leerverkaufs zum Handel in der EU zuge-

226

Vgl. z. B. für Art. 12 I b MAR Anschütz / Kunzelmann, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 14 Rn. 7; generell Schmolke, in: Klöhn MAR, Vor Art. 12 MAR Rn. 88; nunmehr auch Wentz, in: WM 2019, 196 (201). 227 Schmolke, in: Klöhn MAR, Vor Art. 12 MAR Rn. 49, 60. 228 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 12 Rn. 3; Seier, Kartellrechtsrelevante Marktmanipulationen, S. 106. 229 Schmolke, in: Klöhn MAR, Vor Art. 12 Rn. 88; Anschütz / Kunzelmann, in: Meyer / Veil /  Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 14 Rn. 7. 230 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 38; Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 12 Rn. 22.

§ 6 Das Marktmanipulationsverbot

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lassen ist oder ein solcher Antrag gestellt wurde.231 Der Ort der Handlung oder Unterlassung sowie die Herkunft der Beteiligten bzw. der Sitz des Unternehmens ist damit irrelevant, nur ein entsprechender Markteinfluss erforderlich.232 Der sachliche Anwendungsbereich des Marktmanipulationsverbots wird in Art. 2 MAR bestimmt und knüpft an eine Vielzahl von Handelsinstrumenten auf unterschiedlichen Märkten an. Im Vergleich zur MAD und § 20a WpHG a. F. wurde der sachliche Anwendungsbereich erheblich erweitert.233 Diese Erweiterung ist aber für aktivistische Leerverkäufe irrelevant, weil hier als Manipulationsgegenstand ein Finanzinstrument mit einem entsprechenden Marktbezug vorliegt.234 Aktivistische Leerverkäufer richten nämlich ihre Research Reports gezielt auf Unternehmen aus, deren Aktien an einer Börse gehandelt werden und somit Leerverkäufe ermöglichen. Der Anwendungsbereich des Marktmanipulationsverbots gem. Art. 15 i. V. m. Art. 12 MAR ist bei aktivistischen Leerverkäufen also eröffnet.

B. Relevante Tatbestände bei aktivistischen Leerverkäufen I. Der Inhalt des Research Reports als Ausgangspunkt Bevor die einschlägigen Tatbestände des Marktmanipulationsverbots bei aktivistischen Leerverkäufen erarbeitet werden, soll der Inhalt der Research Reports kategorisiert werden. Von diesem ist nämlich für die meisten Varianten des Art. 12 I MAR abhängig, ob ein Verstoß gegen das Marktmanipulationsverbot vorliegt. Der Inhalt des Research Reports ist dann Dreh- und Angelpunkt für die jeweilige Zuordnung: Es muss zwischen inhaltlich bedenklichen und unbedenklichen Research Reports differenziert werden. Als bedenklich ist ein Research Report dann zu charakterisieren, wenn sein Inhalt mit den tatsächlichen Gegebenheiten nicht übereinstimmt. Dafür kann eine Vielzahl von Gründen verantwortlich sein: So können z. B. im Report unwahre Tatsachen behauptet werden. Zudem können wahre Informationen irreführend verwendet werden. Dabei ist zu prüfen, ob objektiv richtige Informationen gewollt

231

Siehe hierzu oben Kap. 3 § 5 A. III.; speziell in Bezug auf das Marktmanipulationsverbot vgl. Schmolke, in: Klöhn MAR, Vor Art. 12 Rn. 113; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 44; Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 12 Rn. 24. 232 Seier, in: Kartellrechtsrelevante Marktmanipulationen, S. 106. 233 Näher zum erweiterten Anwendungsbereich vgl. Schmolke, in: Klöhn MAR, Vor Art. 12 Rn. 103 ff.; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 27 ff. 234 Vgl. oben Fußnote 231 sowie Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 12 Rn. 18 f.

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

tendenziös dargestellt werden. Unvertretbare Stellungnahmen, die den Report insgesamt unplausibel werden lassen, gehören ebenfalls zu dieser Kategorie. Ferner kann die Bedenklichkeit eines Reports auch aus der fehlenden Offenlegung von Interessenkonflikten resultieren. Die folgende Analyse orientiert sich an dieser Unterscheidung und soll die jeweiligen Tatbestandsvarianten näher erarbeiten. Dieses ist notwendig, um die Zulässigkeit von aktivistischen Leerverkäufen anhand des Marktmanipulationsverbots aufzuzeigen.

II. Scalping, Art. 12 II d MAR Aktivistische Leerverkäufe können gegen das sog. Scalping235 gem. Art. 12 II d MAR verstoßen. Dieses lässt sich als die Abgabe einer Stellungnahme ohne Offenlegung eines bestehenden Interessenkonflikts und einer anschließenden Nutzziehung der Auswirkungen skizzieren.236 Das Scalping ist zwingendes Regelbeispiel des Art. 12 I b MAR,237 weil schon unter Geltung der MAD dieses überwiegend dem entsprechenden Basistatbestand gem. Art. 1 Nr. 2 b MAD zugeordnet und deshalb in der Umsetzung explizit in § 4 III Nr. 2 MaKonV als sonstige Täuschungshandlung ausgewiesen wurde.238 Zudem wird das Scalping nunmehr gem. Anhang I B b MAR i. V. m. Anhang II Abschnitt 2 Nr. 2 a, 1 a DelVO 2016/522 im Art. 12 I b MAR verortet.239 Das erfasste Täuschungsunrecht in Art. 12 II d MAR kombiniert die Stellungnahme mit dem Verschweigen des dort bezeichneten Interessenkonflikts.240 Diese Täuschung wird mittels aktiven Tuns verwirklicht, indem bei der Abgabe einer Stellungnahme ohne entsprechende Offenlegung konkludent miterklärt wird, dass die Stellungnahme nicht mit dem sachfremden Ziel der eigennützigen Kursbeeinflussung 235 Diese griffige Bezeichnung hat sich schon zum deckungsgleichen verbindlichen Beispiel für sonstige Täuschungshandlungen gem. Art. 1 Nr. 2 c letzter Spiegelstrich bzw. § 4 III Nr. 2 MaKonV durchgesetzt, vgl. m. w. N., Fleischer, in: Fuchs WpHG § 20a Rn. 67. 236 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 60. 237 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12, Rn. 360; ders., in: ZGR 2020, 291 (306); Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 180; Diversy /  Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 99; Wentz, in: WM 2019, 196 (198); Bayram / Meier, in: BKR 2018, 55 (57); a. A. als zwingendes Beispiel der informationsgestützten Manipulation gem. Art. 12 I c MAR einordnend, Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 3; Stage, Strafbare Marktmanipulation während der Aktienemission im engeren Sinne, Rn. 637; a. A. als Beispiel sowohl des Art. 12 I c MAR sowie Art. 12 I a MAR einordnend, Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 467. 238 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 360. Vgl. zum früheren Meinungsstreit um die Einordnung des Scalping im Insiderrecht und Marktmanipulation Kap. 3 § 7 C. II. 1. 239 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 360. 240 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 361; Wentz, in: WM 2019, 196 (198); Bayram /  Meier, in: BKR 2018, 55 (57).

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behaftet ist.241 Dass es sich beim Scalping mit der Abgabe einer Stellungnahme auch um eine Informationsverbreitung handelt242, kann eine Zuordnung zur informationsgestützten Marktmanipulation als Basistatbestand eher nicht begründen. Rechtliche Auswirkungen ergeben sich aus diesen unterschiedlichen Zuordnungen jedenfalls nicht.243 Für das Tatbestandsmerkmal der Stellungnahme in Art. 12 II d MAR ist es irrelevant, ob diese inhaltlich unbedenklich und vertretbar ist oder eben nicht.244 Maßgeblich für eine Verwirklichung des Art. 12 II d MAR ist ausschließlich, ob der Interessenkonflikt in der Stellungnahme wirksam und ordnungsgemäß offengelegt wird.245 Der Tatbestand des Scalping soll es den Anlegern nämlich ermöglichen, die hinter der Empfehlung stehende Interessenlage und die entsprechenden Bewegründe vollständig einschätzen zu können.246 Art. 12 II d MAR enthält eine „normativ fixierte Markterwartung“, bei der Abgabe von Stellungnahmen bestehende Interessenkonflikte offenzulegen,247 wodurch eine Irreführung der Anleger verhindert werden soll.248 Der zu sanktionierende Täuschungscharakter entsteht also nur bei einer fehlenden Offenlegung trotz bestehenden Interessenkonflikts.249 Ob daneben auch in inhaltlicher Hinsicht eine bedenkliche Stellungnahme vorliegt, ist nur für die Einordnung unter die anderen Varianten des Art. 12 I MAR relevant. Bei aktivistischen Leerverkäufen, die auf inhaltlich unbedenklichen und nicht zu beanstandenden Research Reports basieren, kommt damit primär ein Verstoß gegen das Scalping gem. Art. 12 II d MAR in Betracht.250 Maßgeblich ist dann 241 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 361; ders., in: FS 25 Jahre WpHG, 653 (662); ders., in: ZGR 2020, 291 (307). 242 So aber die Begründung für die Annahme eines Beispiels der informationsgestützten Manipulation von Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 3. 243 So auch das Fazit von Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 362, der insoweit mit einem unproblematischen Nebeneinander von Art. 12 I b MAR und Art. 12 I c MAR argumentiert. Näher zu dieser Problematik Kap. 3 § 6 B. V. 1. 244 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 247; Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 365; Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 467; Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 181 f.; Wentz, in: WM 2019, 196 (198); Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 250; zu § 20a WpHG a. F. BGHSt 48, 373 (380 f.) = NJW 2004, 302 (304); de Schmidt, in: Just / Voß / R itz /  Becker WpHG § 20a Rn. 239. 245 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 360; Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 60. 246 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 74; ähnlich Graßl /  Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (56), wonach das Scalping dem aus der gehaltenen Position resultierenden Interessenkonflikt begegnen soll. 247 So treffend Schmolke, in: FS 25 Jahre WpHG, 653 (666); ähnlich Mülbert / Sajnovits, in: BKR 2019, 313 (317 f.). 248 Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 467. 249 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 375; zu § 20a WpHG a. F. de Schmidt, in: Just / Voß / R itz / Becker WpHG § 20a Rn.  239. 250 So auch die richtige Bewertung von Mülbert / Sajnovits, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Vorb. Art. 1–41 SSR Rn. 75; Mülbert, in: Assmann / Schneider /  Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 253; ders., in: ZHR 182 (2018), 105 (108).

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ausschließlich, ob der aktivistische Leerverkäufer seiner aus Art. 12 II  d MAR resultierenden Verpflichtung zur ordnungsgemäßen und wirksamen Offenlegung des Interessenkonflikts nachgekommen ist. Wie einleitend ausgeführt, kann umfassend auf die Erkenntnisse zur alten Rechtslage zurückgegriffen werden. Der Wortlaut der Regelung des Art. 12 II d MAR mit dem entsprechenden Art. 1 Nr. 2 c letzter Spiegelstrich MAD ist weitgehend unverändert geblieben,251 sodass das alte Rechtsverständnis in den unveränderten Bereichen weiterhin Geltung beanspruchen kann.252 1. Das tatbestandliche Erfordernis der Stellungnahme Der Begriff der Stellungnahme zeichnet sich durch ein wertendes Element aus, dass als Werturteil von einer subjektiven Einschätzung des Wertens und Dafürhaltens geprägt ist253 und mit einer zukunftsgerichteten Prognose verbunden sein kann.254 Dieses Element ist gem. Art. 12 II d MAR zwingender Natur, was sich anhand einer Betrachtung der verschiedenen Sprachfassungen festmachen lässt: Sämtlichen Begriffen kommt im allgemeinen Sprachgebrauch ein wertendes Element zu.255 Deshalb sind unter der Stellungnahme gem. Art. 12 II d MAR sämtliche schriftliche oder mündliche Meinungsäußerungen wertender Natur zu einem Finanzinstrument oder Emittenten zu verstehen.256 Davon umfasst sind insbesondere Anlagestrategieempfehlungen und Anlageempfehlungen gem. Art. 3 I Nr. 34, 35 MAR,257 wobei hierfür auch indirekte Empfehlungen ausreichen.258

251

Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 3; de Schmidt, in: Just / Voß / R itz / Becker WpHG § 20a Rn.  387. 252 de Schmidt, in: Just / Voß / R itz / Becker WpHG § 20a Rn.  387; Graßl / Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (55f). 253 BVerfGE 61, 1 (9) = NJW 1983, 1415 (1416); BGHZ 132, 13 (21) = NJW 1996, 1131 (1133); näher auch Hilgendorf, Tatsachenaussagen und Werturteile, S. 160 ff.; Stage, Strafbare Marktmanipulation während der Aktienemission im engeren Sinne, Rn. 319. 254 Vgl. bspw. zum Prognosebegriff näher Stage, Strafbare Marktmanipulation während der Aktienemission im engeren Sinne, Rn. 331. 255 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 69; Graßl / Nikoley­ czik, in: AG 2017, 49 (55f): Eine Wertung war auch historisch gem. § 4 III Nr. 2 MaKonV vorausgesetzt. Diesem entsprach auch der Art. 1 Nr. 2 c dritter Spiegelstricht MAD, der mit der heutigen Regelung der MAR identisch ist. 256 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 69; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art.  12 MAR Rn.  247; Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 365; Bayram / Meier, in: BKR 2018, 55 (57). 257 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 247; Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 375; ders., in: ZGR 2020, 291 (307); Wentz, in: WM 2019, 196 (198); Bayram / Meier, in: BKR 2018, 55 (57). 258 In Bezug auf Art. 12 II d MAR: Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 365; Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn.  70; Wentz, in: WM 2019, 196 (198); Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 60.

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Demgegenüber sind reine Tatsachenbehauptungen ohne wertendes Element vom Begriff der Stellungnahme auszuschließen.259 Tatsachenbehauptungen dürfen jedoch dann miteinbezogen werden, wenn diese als Grundlage der Stellungnahme dienen.260 Auch tendenziöse Darstellungen von Tatsachenbehauptungen können im entsprechenden Kontext mit Wertungen verbunden werden.261 Maßgeblich für die Einbeziehung einer Tatsachenbehauptung ist letztlich, ob durch sie eine Bewertung entsteht, die einen verständigen Anleger in seiner Anlageentscheidung zu beeinflussen vermag.262 Ein bloßes Aneinanderreihen von Tatsachenbehauptungen reicht jedenfalls nicht aus.263 Ob Gerüchte unter den Begriff der Stellungnahme fallen, ist ebenfalls zu diskutieren. Die alte deutsche Rechtslage sah dieses ausdrücklich gem. § 4 III Nr. 2 MaKonV vor, wobei das einer überschießenden Richtlinienumsetzung des deutschen Gesetzgebers geschuldet war.264 Der heutige Wortlaut erfasst Gerüchte nur noch ausdrücklich als Unterfall der Information im Rahmen von Art. 12 I c MAR und spricht damit gegen eine direkte Einbeziehung als Stellungnahme.265 Dennoch erscheint eine Einbeziehung von Gerüchten unter Übertragung der Grundsätze zur Tatsachenbehauptung möglich, weil auch diese als Grundlage für eine Stellungnahme verwendet werden können.266 Die Eignung, Anleger damit mög­ licherweise zu beeinflussen, rechtfertigt die Gleichbehandlung von Gerüchten mit Tatsachenbehauptungen. Im Ergebnis ist jedenfalls im absoluten Regelfall der Research Report als taugliche Stellungnahme des Art. 12 II d MAR einzustufen. Wie oben schon im Rahmen von Art. 20 I MAR erläutert, stellt dieser mindestens eine indirekte Anlageempfehlung dar. Aktivistische Leerverkäufer zielen mit ihren Research Reports immer auf ein wertendes Element hin, nämlich die Anleger von einer Überbewertung des Zielunternehmens zu überzeugen. Tatsachenbehauptungen wie auch Gerüchte können Grundlage für diese Bewertung sein, sodass sie unter den Begriff der Stellungnahme zu subsumieren sind. 259

Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 69; Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 365; Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 129; Bayram / Meier, in: BKR 2018, 55 (57); Graßl / Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (56); Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 60; abweichend Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 247. 260 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 247; Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 70; Wentz, in: WM 2019, 196 (199); Bayram / Meier, in: BKR 2018, 55 (57). 261 Wentz, in: WM 2019, 196 (199). 262 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 365; Wentz, in: WM 2019, 196 (198). 263 Wentz, in: WM 2019, 196 (199). 264 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 70; Bayram / Meier, in: BKR 2018, 55 (57). 265 Bayram / Meier, in: BKR 2018, 55 (57). 266 So im Ergebnis auch Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 247; Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 182.

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

In den beiden Beispielen Viceroy und Gotham sind die Research Reports eine Stellungnahme gem. Art. 12 II d MAR, da sie indirekt einen Aktienverkauf anregen und deshalb auch als Anlageempfehlung einzuordnen sind. 2. Abgabe unter Ausnutzung eines Medienzugangs Die Stellungnahme muss unter Ausnutzung eines Medienzugangs abgegeben werden, wozu alle traditionellen und elektronischen Medien gehören.267 Einen Zugang zu diesen Medien haben vor allem medial anerkannte Personen wie Finanzanalysten und Wirtschaftsjournalisten, aber durch das Internet auch jede andere denkbare Person.268 Einschränkende Wirkung hat dieses Merkmal damit nicht.269 Die Stellungnahme erfolgt bereits mit ihrer bloßen Entäußerung.270 Mit diesem weiten Verständnis stellt damit die Veröffentlichung eines Research Reports durch einen aktivistischen Leerverkäufer eine Abgabe unter Ausnutzung eines Medienzugangs dar.271 Neben der Veröffentlichung über selbst betriebene Homepages werden entsprechende Hinweise auf den Report auch über Soziale Medien wie Twitter und über Interviews verbreitet. Klassische Medien greifen diese dann auf und sorgen für eine weitergehende Verbreitung. So veröffentlichten Viceroy und Gotham ihre Reports über die eigene Homepage und verbreiteten diesen Bericht weiter über Twitter.272 Darauf folgte eine umfangreiche Presseberichterstattung.

267 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 68; Schmolke, in: Klöhn MAR Art. 12 Rn. 366. 268 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 246; Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 366. 269 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 68; Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 366; ders., in: ZGR 2020, 291 (307). Wentz, in: WM 2019, 196 (199); wohl abweichend, aber ohne nähere Begründung Langenbucher / Hau / Wentz, in: ZBB 2019, 307 (312). 270 Ein Mindestmaß an Öffentlichkeit ist hiermit nicht mehr wie unter der früheren Rechtslage hinsichtlich des Begriffs ‚Kundgabe‘ erforderlich und die Anzahl der potenziellen Empfänger unerheblich. Dieses kommt in der englischen Sprachfassung mit dem Begriff ‚voicing‘ zum Ausdruck. Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 367; Mülbert, in: Assmann / Schneider /  Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 246; Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 71; Wentz, in: WM 2019, 196 (199); a. A. Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 129; Bayram / Meier, in: BKR 2018, 55 (58). 271 So auch Teigelack, in: Meyer  /  Veil  /  Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 73; Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 366; Wentz, in: WM 2019, 196 (199). 272 Viceroy, Twitter-Post v. 6. 12. 2017, abrufbar unter: https://twitter.com/viceroyresearch/ status/938345064828493824, Gotham, Twitter-Post v. 28. 03. 2017, abrufbar unter: https:// twitter.com/GothamResearch/status/846679810466349057, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021.

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3. Das Eingehen von Positionen Art. 12 II d MAR erfordert, dass Positionen in dem entsprechenden Finanzinstrument im Vorfeld eingegangen worden sind, weil nur so der für das Scalping typische finanzielle Interessenkonflikt entsteht.273 Dabei werden sowohl Long- als auch Short-Positionen erfasst, die sich auf das in der Stellungnahme thematisierte Finanzinstrument beziehen müssen.274 Für eine detaillierte Beurteilung des Anlegers, die Tragweite der finanziellen Interessen zu ermessen, ist es zudem unabdingbar, entsprechende Derivate unter den Begriff der Position zu subsumieren.275 Mit Blick auf diesen Schutzzweck ist es unerheblich, ob zwischen dem Positionsaufbau und der Stellungnahme eine besondere zeitliche Nähe vorliegt oder nicht.276 Es reicht allerdings nicht aus, wenn die Position erst nach Abgabe der Stellungnahme eingegangen wird.277 Urheber der Stellungnahme und Inhaber der Position müssen nicht identisch sein,278 auch wenn die englische und französische Sprachfassung hier aktiver formulieren als die deutsche.279 Für die Gewährleistung des Schutzzwecks ist es aber irrelevant, ob die Gefahr aus indirekten wirtschaftlichen Interessen folgt.280 Sollte die Identität für erforderlich gehalten werden, wäre der Tatbestand durch Arbeitsteilung leicht zu umgehen, womit der Schutzzweck ausgehöhlt würde.281 Deshalb wurde von Strafgerichten der entsprechende Straftatbestand der alten Rechtslage als Jedermanns-Delikt charakterisiert und der allgemeinen Regelung zur Täter 273

Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 62; Wentz, in: WM 2019, 196 (199). 274 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 248; Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 64; Wentz, in: WM 2019, 196 (199); Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 62. 275 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 248; Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 65; Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 467; Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 129; a. A. Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 369, der aus Schutzweckgesichtspunkten eine daraus resultierende Verbotslücke wegen der Anwendbarkeit von Art. 12 I b MAR für unerheblich erachtet. 276 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 248; Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 62; Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 371. Ob auch ein gleichzeitiger Positionsaufbau mit der Abgabe der Stellungnahme erfasst wird, ist angesichts des Wortlauts problematisch, hat aber beim aktivistischen Leerverkauf keine Praxisrelevanz. Für ein solches Erfassen könnte letztlich die Schließung von Schutzlücken sprechen, vgl. dazu näher Mülbert, Rn. 248. 277 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 372. 278 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 248; Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 66; Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 370; Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 130; Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 63. 279 ‚While having taken positions‘, ‚apres avoir pris des positions‘, ‚Positionen eingegangen wurden‘, Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 67. 280 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 66. 281 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 370.

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schaft und Teilnahme zugänglich gemacht.282 Diese Erwägungen sind auch unter der Geltung der MAR uneingeschränkt übertragbar.283 Im Hinblick auf aktivistische Leerverkäufe sind die Short-Positionen im Zielunternehmen von Art. 12 II d MAR erfasst, was auch für entsprechende Derivate wie Put-Optionen gilt. In zeitlicher Hinsicht müssen die Positionen vor der Abgabe der Stellungnahme eingegangen sein, um den bei Art. 12 II d MAR typischen Interessenkonflikt und die besondere Gefahr für die Anleger zu verursachen. Wenn der aktivistische Leerverkäufer schon weit im Vorfeld der Veröffentlichung des Research Reports mit dem Positionsaufbau beginnt, unterfällt dieses Verhalten auch Art. 12 II d MAR. Nur der zeitlich nachträgliche Positionsaufbau tangiert nicht Art. 12 II d MAR. Unerheblich ist zudem, wenn Inhaber der Leerverkaufsposition und Urheber des Research Reports nicht identisch sind und arbeitsteilig vorgegangen wird. Daraus ergibt sich auch, dass das Zusammenwirken von finanzkräftigen Geldgebern mit medial-präsenten Finanzanalysten,284 das Zwischenschalten von Strohmännern oder andere personelle Umgehungskonstellationen unter Art. 12 II d MAR fallen. Sowohl bei Gotham als auch bei Viceroy wurden Positionen gehalten, sodass der typische Interessenkonflikt gegeben war. Gotham wies nämlich unmittelbar vor der Veröffentlichung des Reports im Bundesanzeiger eine Netto-Leerverkaufs­ position von 0,8 % in Aktien von Aurelius aus; Viceroy musste zwar im Bundesanzeiger keine Short-Position offenlegen, zeigte diese aber im Disclaimer des Reports an. 4. Nutzziehung Der Manipulator muss Nutzen aus den Auswirkungen auf den Kurs ziehen, wobei dieser Nutzen dann gegeben ist, wenn der Handelnde nach Eintritt der mit der Stellungnahme beabsichtigten Kursbewegung seine zuvor eröffneten Positionen mit Gewinn schließt.285 Der Wortlaut des Art. 12 II d MAR setzt nunmehr ein zweiaktiges Geschehen voraus: Die Stellungnahme muss sich zunächst überhaupt auf den Kurs des Finanzinstruments auswirken, indem sie einen Kursanstieg, Kursverfall oder auch eine künstliche Kursstabilisierung verursacht.286 Im Anschluss daran müssen die dementsprechend höheren bzw. niedrigeren Positionen aufgelöst werden, die je nach Long- oder Short-Charakter im Kursanstieg oder Kursverfall

282

BGHSt 59, 105 (110 Rn. 27 ff.) = NJW 2014, 1896 (1897 f.); OLG München NZG 2011, 1228 (1231); Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 370. 283 So im Ergebnis auch Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 66; Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 370; Brellochs, in: ZGR 2020, 319 (324). 284 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 66. 285 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 374. 286 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 250.

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den Gewinn des Manipulators darstellen.287 Auch der Profit durch Derivate kann als Nutzziehung angesehen werden.288 Zu fragen ist allerdings, ob man schon dann von einer Nutzziehung sprechen kann, wenn ausschließlich eine Wertsteigerung der Positionen vorliegt, ohne dass Gewinne endgültig realisiert wurden. In Anlehnung an die Rechtslage gem. § 4 III Nr. 2 MaKonV wird diese Überzeugung auch unter der Geltung der MAR noch vertreten und mit dem englischen Wortlaut (‚profiting‘) begründet.289 Beachtet werden muss hier allerdings, dass § 4 III Nr. 2 MaKonV anders als die MAR und die MAD nicht den Begriff der Nutzziehung enthielt.290 Der heutige Wortlaut der MAR ist dagegen in sämtlichen Sprachfassungen eindeutig und schreibt vor, dass die Stellungnahme Auswirkungen auf den Kurs haben muss und jene zudem auch vom Manipulator zu seinen Gunsten ausgenutzt werden müssen.291 Eine Wertsteigerung der Positionen ist gerade nur durch die Auswirkungen der Stellungnahme auf den Kurs gegeben. Erst durch eine Schließung der Positionen nutzt der Manipulator auch diese Auswirkung zu seinem Gunsten aus.292 Der Wortlaut der MAR macht damit deutlich, dass eine positive Handlung erforderlich ist.293 Im Wert gestiegene, aber nicht geschlossene Positionen lassen sich im Übrigen von der Versuchsstrafbarkeit des Art. 15 i. V. m. Art. 12 II  d MAR erfassen.294 Letztlich ist damit der eindeutige Wortlaut als Grenze der Auslegung zu verstehen, womit de lege lata eine Positionsschließung für einen vollendeten Verstoß gegen das Scalping zwingend ist.295 Sollte der aktivistische Leerverkauf derart fehlschlagen, dass der Report keine Folgen für den Aktienkurs hat, ist ebenfalls nur eine Versuchsstrafbarkeit mög 287

Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 250; in diese Richtung auch Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 130. 288 Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 467; Mülbert, in: Assmann / Schneider /  Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 Rn. 250. 289 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 374; Zu § 4 III Nr. 2 MaKonV z. B. de Schmidt, in: Just / Voß / R itz / Becker WpHG § 20a Rn.  243. 290 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 83. 291 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 83; Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 130. 292 So auch Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 251; unklar Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 63. 293 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 250; Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 130; Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (723). Mögliche Abgrenzungsproblematiken hinsichtlich einer ungeklärten zeitlichen Nähe zwischen Abgabe der Stellungnahme und Realisierung der Gewinne können eine andere Auslegung nicht rechtfertigen, zumal eine besondere zeitliche Nähe schon im Vorfeld des Eingehens von Positionen nicht von Bedeutung ist, a. A. aber Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 374. 294 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 83. 295 So auch Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 250; Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 83; Zimmer /  Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 130; Wentz, in: WM 2019, 196 (199); a. A. Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 374.

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lich. Es dürfte aber zweifelhaft sein, ob eine fehlende Kursbewegung überhaupt zu einer Untersuchung der Ermittlungsbehörden führt. Die beiden Reports von Viceroy und Gotham bewirkten einen erheblichen Kursverfall, sodass die gehaltenen Short-Positionen in ihrem Wert gestiegen sind. Eine Schließung der Positionen und die Realisierung von Gewinnen ist aber nur im Fall Gotham eindeutig nachzuvollziehen. Nach den Angaben im Bundesanzeiger wurde die Position nach dem Kursverfall um 0,77 % verringert. Wenngleich für Viceroy keine vergleichbaren Daten vorliegen, ist auch hier von einer Schließung der Position auszugehen. 5. Fehlende Mitteilung des Interessenkonflikts Elementar für einen Verstoß gegen das Scalping ist die fehlende ordnungsgemäße und wirksame Offenlegung des Interessenkonflikts, der auf den eingegangenen Positionen beruht. Wie bereits eingangs erwähnt, findet der besondere Täuschungsunwert von Art. 12 II d MAR seine Begründung darin, dass die Stellungnahme mit einer fehlenden Offenlegung kombiniert wird. Grundsätzlich wird der Stellungnahme die konkludente Erklärung des Nichtvorliegens eines Interessenkonflikts entnommen. Anders als bei neutralen Anlageberatern und Experten ist auf den ersten Blick eine konkludente Erklärung bei der Stellungnahme aktivistischer Leerverkäufer eher fernliegend.296 Bei einem erkennbar aktivistischen Auftritt des Investors könnte nämlich anzunehmen sein, dass ein verständiger Anleger297 die Stellungnahme nicht im gleichen Maße neutral und objektiv bewerten und dies bei seiner Anlegeentscheidung berücksichtigen würde. Ein Anleger, der sich auf die Aussagen offen aktivistisch auftretender Investoren verlässt, wäre im Rahmen seiner Eigenverantwortlichkeit weniger schutzwürdig. Wenn zutreffende Informationen verbreitet werden, ist ein ahndender Verstoß gegen den Telos des Marktmanipulationsverbots zu bezweifeln. Dann verursachen nämlich die publik gewordenen zutreffenden Informationen eine berechtigte Kursreaktion, sodass die Markteffizienz nicht beeinträchtigt wird. Diese Überlegungen sind aber für das Scalping aufgrund der gesetzgeberischen Entscheidung zu verneinen: Wie bereits erörtert, normiert Art. 12 II d MAR die Markterwartung, nach der sämtliche Fälle von Interessenkonflikten bei der Abgabe von Stellungnahmen offenzulegen sind.298 Gerade diesem besonderen Schutzzweck des Scalping-Tatbestandes widerspricht aber die angeführte Argumentation: Der Tatbestand soll es dem verständigen Anleger ermöglichen, die hinter der Emp 296

So die Überlegungen von Schmolke, in: FS 25 Jahre WpHG, 653 (666); ders., in: ZGR 2020, 291 (307). 297 Zum Begriff im Marktmanipulationsverbot sogleich Kap. 3 § 6 III. 3. 298 Schmolke, in: FS 25 Jahre WpHG, 653 (666); ders., in: ZGR 2020, 291 (307).

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fehlung stehenden Bewegründe und insbesondere die damit verbundenen finanziellen Interessen vollständig einschätzen zu können.299 Dadurch soll die korrekte Einordnung des Informationsgehalts verbessert werden. Deshalb sind auch bei einem erkennbar aktivistischen Auftritt des Investors Interessenkonflikte offenzulegen. a) Die ordnungsgemäße Offenlegung Der Gesetzgeber hat die Anforderungen, Interessenkonflikte offenzulegen, als unbestimmte Rechtsbegriffe ausgestaltet, bei deren Auslegung der besondere Telos des Scalping-Tatbestandes von Bedeutung ist.300 Wie bei Art. 20 I MAR soll die Offenlegung so präzise sein, dass der Anleger sich eine sachgerechte Meinung über die Art und Weise des Interessenkonflikts bilden kann.301 Die ordnungsgemäße Offenlegung erfordert zunächst konkrete Angaben zum Interessenkonflikt, die keine abstrakten Hinweise erlauben.302 Andernfalls entstünde ein Widerspruch zum Wortlaut: ‚dieser Interessenkonflikt‘, ‚that conflict‘.303 Für diese Vorgabe spricht auch, dass sich der Anleger nur so ein vollständiges Bild von dem Interessenkonflikt machen und jede Empfehlung einzeln auf ihre Glaubwürdigkeit bewerten kann.304 Allgemein gehaltene Ausführungen in Dis­ claimern wie „es könnte ein Interessenkonflikt bestehen“, „nicht auszuschließen ist ein möglicher Interessenkonflikt“ oder ähnliche Formulierungen sind demnach unzulässig.305 Die Diskussion um die erforderliche Angabe einer konkreten Positionshöhe wurde bereits im Rahmen von Art. 20 I MAR dargestellt. Die teleologischen Erwägungen in Art. 20 I und Art. 12 II d MAR sind identisch. Auch der Wortlaut 299

Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 74; in diese Richtung BGHSt 59, 105 (118 Rn. 46) = NJW 2014, 1896 (1900). 300 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 74. 301 ErwGr. Nr. 6 DelVO 2016/958, Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 376; Bayram /  Meier, in: BKR 2018, 55 (58). 302 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 79; Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 376; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 249; ders., in: ZHR 182 (2018), 105 (108); Mülbert / Sajnovits, in: ­Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Vorb. Art. 1–41 SSR Rn. 75; Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 Rn. 182; Wentz, in: WM 2019, 196 (199 f.); Möllers, in: NZG 2018, 649 (653); Graßl / Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (56); ebenso bereits zu § 4 III Nr. 2 MaKonV z. B. BGHSt 59, 105 (116 Rn. 40) = NJW 2014, 1896 (1899); de Schmidt, in: Just / Voß / R itz / Becker WpHG § 20a Rn.  250; Stoll, in: KK-WpHG § 20a Anh. I – § 4 MaKonV Rn. 39. 303 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 79; Vollmerhausen, in: Wistra 2020, 487 (491). 304 In dieser Hinsicht Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 79; Vollmerhausen, in: Wistra 2020, 487 (491). 305 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 79; ähnlich Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 376; ähnlich Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 64.

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

des Art. 12 II d MAR fordert nicht ausdrücklich die Angabe der konkreten Positionshöhe. Wortlaut und Telos sprechen demnach also gegen eine solche Pflicht.306 Ob eine ordnungsgemäße Offenlegung auch Hinweise auf die Motivation des Empfehlenden einschließt, einen Abbau der Position im Anschluss an die Abgabe der Stellungnahme zu planen, wurde ebenfalls bereits bei Art. 20 I MAR thematisiert. Die Offenlegungsverpflichtung erstreckt sich mithin nicht auf die Kaufabsicht des Leerverkäufers, sodass kein Hinweis zum geplanten Abbau der Leerverkaufsposition zur Einhaltung der ordnungsgemäßen Offenlegung gem. Art. 12 II d MAR erforderlich ist.307 b) Wirksamkeit Hinsichtlich einer wirksamen Offenlegung sind die Anforderungen am Ziel der Kenntnisnahme durch den verständigen Anleger zu orientieren:308 Die Ausführungen müssen in der Stellungnahme sprachlich klar und so strukturiert sein, dass die tatsächliche Wahrnehmung durch den Anleger ermöglicht wird und wahrscheinlich ist.309 Eine Offenlegung in einer nicht lesbaren Schriftart oder zu kleinen Schriftgröße310 ist demnach genauso unzulässig wie die Anordnung an einer versteckten Stelle.311 Dies gilt auch für die Verlinkung zu externen Seiten und Dokumenten.312 306

Übereinstimmend im Ergebnis, Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 80; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art.  12 MAR Rn. 249; ders., in: ZHR 182 (2018), 105 (108); Mülbert / Sajnovits, in: Assmann / Schneider /  Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Vorb. Art. 1–41 SSR Rn. 75; Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 253; Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 64; abweichend Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (302, 308); ders., in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 376; Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (724); Vollmerhausen, in: Wistra 2020, 487 (491). 307 So zutreffend, aber ohne nähere Begründung das Ergebnis von Wentz, in: WM 2019, 196 (200); Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 253; ders., in: ZHR 182 (2018), 105 (108); Mülbert / Sajnovits, in: Assmann / Schneider /  Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Vorb. Art. 1–41 SSR Rn. 75; Graßl / Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (55); Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 253; Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 64; a. A. Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (724); Vollmerhausen, in: Wistra 2020, 487 (492). 308 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 74. 309 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 377; Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 75; Bayram / Meier, in: BKR 2018, 55 (58); Graßl / Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (55); zu § 4 III MaKonV de Schmidt, in: Just / Voß / R itz / Becker WpHG § 20a Rn. 248; Stoll, in: KK-WpHG § 20a Anh. I – § 4 MaKonV Rn. 39. 310 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 75; de Schmidt, in: Just / Voß / R itz / Becker WpHG § 20a, Rn.  248. 311 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 75; Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 377; Bayram / Meier, in: BKR 2018, 55 (58); Graßl / Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (55); zu § 4 III MaKonV de Schmidt, in: Just / Voß / R itz / Becker WpHG § 20a, Rn. 248; Stoll, in: KK-WpHG § 20a Anh. I – § 4 MaKonV Rn. 39. 312 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 75; Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 377; Graßl / Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (55); zu § 4 III MaKonV de Schmidt, in: Just / Voß / R itz / Becker WpHG § 20a, Rn.  248; Stoll, in: KK-WpHG § 20a Anh. I – § 4 MaKonV Rn. 39.

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Für aktivistische Leerverkäufe ist es innerhalb des Research Reports Branchenstandard, in Disclaimern auf Interessenkonflikte hinzuweisen.313 Eine besonders wirksame Offenlegung ist auch die Anordnung in der Überschrift des Reports, wie beim aktivistischen Leerverkauf von Muddy Waters / Ströer („Muddy Waters is short in Stroer“).314 c) Gleichzeitigkeit und Öffentlichkeit Darüber hinaus muss der Interessenkonflikt der Öffentlichkeit gleichzeitig offengelegt werden, wobei der Bezugspunkt der Gleichzeitigkeit die Stellungnahme ist.315 Eine der Stellungnahme zeitlich vorgelagerte oder nachträglich publizierte Offenlegung ist damit nicht ausreichend.316 Diese zeitliche Anforderung impliziert die Offenlegung in der Stellungnahme selbst.317 Danach muss also bei einer Leerverkaufsposition trotz ihrer ordnungsgemäßen Offenlegung nach Art. 6 I SSR der daraus bestehende Interessenkonflikt in der Stellungnahme erneut publiziert werden.318 Dem Begriff der Öffentlichkeit kommt bei der Offenlegungsverpflichtung keine eigenständige Bedeutung zu,319 weil die Gleichzeitigkeit eine Integration der Offenlegung des Interessenkonflikts in die Stellungnahme selbst erfordert.320

313

Wentz, in: WM 2019, 196 (200); Möllers, in: NZG 2018, 649 (653). Muddy Waters Ströer Report v. 21. 04. 2016, Ströer: Blue Sky or Being Taken for Ride, S. 1 f., abrufbar unter: http://www.muddywatersresearch.com/research/sax/mw-is-shortstroeer/, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. So auch die Bewertung von Wentz, in: WM 2019, 196 (200); Graßl / Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (55). 315 In diese Richtung Kocher, DB 2016, 2887 (2892); („Zusammenhang“); Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 182 („zusammen“). 316 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 249; Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 379; zu § 4 III Nr. 2 MaKonV Stoll, in: KK-WpHG § 20a Anh. I – § 4 MaKonV Rn. 39. 317 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 379; ders., in: ZGR 2020, 291 (308); Bayram /  Meier, in: BKR 2018, 55 (59). 318 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 78; Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (308); Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 254; Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 66. 319 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 380; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 249; Bayram / Meier, in: BKR 2018, 55 (59). 320 Dazu braucht es kein Mindestmaß einer bestimmten Öffentlichkeit. Wenn nun der Interessenkonflikt in der Stellungnahme selbst ordnungsgemäß, wirksam und gleichzeitig offengelegt wird, entfällt das erforderliche Täuschungspotenzial für eine Tatbestandverwirklichung. Damit aber ist der besonderer Adressatenhorizont ‚Öffentlichkeit‘ der Offenlegung überflüssig, sodass eine Berichtigung mithilfe einer teleologischen Reduktion überzeugt. Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 380; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 249; ähnlich Bayram / Meier, in: BKR 2018, 55 (59), die allein auf den Adressatenhorizont der Stellungnahme abstellen. 314

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

d) Anwendung auf die Fallbeispiele Bei näherer Betrachtung der jeweiligen Formulierung des Disclaimers von ­ iceroy und Gotham mit „you should assume“321 könnte zunächst entgegen den V Anforderungen des Art. 12 II d MAR eine pauschale Offenlegung eines mög­lichen Interessenkonflikts angenommen werden. Gleichwohl wird konkret darauf hingewiesen, dass die gehaltenen Short-Positionen im Fall von Kursverlusten einen entsprechenden Gewinn der Autoren mit sich bringen. Der zugrundeliegende finanzielle Interessenkonflikt wird deshalb in beiden Reports in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Art. 12 II d MAR deutlich, sodass eine ordnungs­gemäße und wirksame Offenlegung festgestellt werden kann.322 Deshalb ist sowohl bei Viceroy / Steinhoff als auch bei Gotham / Aurelius das Scalping des Art. 12 II  d MAR nicht verwirklicht. 6. Subjektive Voraussetzungen Anders als Art. 12 I c MAR enthält Art. 12 II d MAR keine expliziten subjek­ tiven Voraussetzungen für die kapitalmarktrechtliche Verbotsnorm. Das Merkmal der Nutzziehung impliziert aber eine vorsätzliche Begehungsweise.323 Die englische Sprachfassung formuliert dieses als ‚the taking advantage of‘ und macht deutlich, dass der Begriff im Sinne einer Ausnutzung zu verstehen ist.324 Letztere liegt aber nur bei Vorsatz vor.325 7. Zwischenergebnis Zusammenfasend lassen sich folgende Ergebnisse zur Auslegung des neuen Scalping-Tatbestandes gem. Art. 12 II d MAR festhalten: Der Begriff der Stellungnahme erfasst sowohl Meinungsäußerungen wertender Natur als auch Tatsachenbehauptungen und Gerüchte, sofern die letzteren als Grundlage für die wertende Äußerung verwendet werden. Das Tatbestandsmerkmal der Nutzziehung erfordert für eine vollendete Begehung neben einer Wertsteigerung der Positionen zusätzlich auch deren Schließung und damit die Realisierung von Gewinnen. Mit Blick auf die ordnungsgemäße Offenlegung des Interessenkonflikts gilt es, in der Stellung 321

Viceroy Report Steinhoff v. 6. 12. 2017, S. 3; Gotham Aurelius Report v. 28. 03. 2017, S. 2. So auch im Ergebnis in Bezug auf Gotham, Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 255; unklar Vollmerhausen, in: Wistra 2020, 487 (492). 323 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 381; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 251; keine subjektiven Anforderungen annehmend Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 129. 324 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 381. 325 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 381; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 251. 322

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nahme zu diesem konkrete Angaben zu machen, wobei die konkrete Positionshöhe nicht genannt werden muss. Zudem muss auch der beabsichtigte Abbau der Position keine Erwähnung finden.

III. Informationsgestützte Marktmanipulation, Art. 12 I c MAR Die informationsgestützte Marktmanipulation nach Art. 12 I c MAR verbietet die Verbreitung von Informationen, die falsche oder irreführende Signale hinsichtlich des Angebots, des Kurses, der Nachfrage eines Finanzinstruments326 geben oder ein anormales bzw. künstliches Kursniveau herbeiführen. Am Ende des Tatbestandes wird eine subjektive Anforderung statuiert, die eine Kenntnis oder ein Kennenmüssen durch die verbreitende Person voraussetzt.327 Bevor die detaillierte Analyse der jeweiligen Tatbestandmerkmale erfolgen kann, muss die „sprachlich missglückte“328 Formulierung des Tatbestandes näher erläutert werden. Während im objektiven Tatbestand von ‚Informationen, die falsche oder irreführende Signale‘ senden, die Rede ist, setzt Art. 12 I c MAR im subjektiven Zusatz am Ende voraus, dass die verbreiteten Informationen selbst schon falsch oder irreführend sein müssen.329 Das ‚sie‘ im letzten Halbsatz bezieht sich nämlich auf die im eingeschobenen Relativsatz erwähnten Informationen.330 Noch deutlicher kommt das Verständnis in der englischen Fassung zum Ausdruck: ‚That the information was false or misleading‘.331 Der ErwGr. Nr. 47 MAR erwähnt ebenfalls die Verbreitung falscher oder irreführender Informationen.332 Damit ist de lege lata in der Auslegung der objektive mit dem subjektiven Tatbestand zu kombinieren: Konkret heißt dies, dass sowohl die Informationen selbst als auch die davon ausgehenden Signale falsch oder irreführend sein müssen.333 Die Tragweite dieser Friktion im Tatbestand dürfte jedoch gering ausfallen, da falsche und 326 Vgl. zu den weiteren Tatobjekten Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 239, Vor Art. 12 Rn. 103 ff. 327 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 269. 328 Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 49. 329 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 17; Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 49. 330 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 17. 331 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 17; Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 49. 332 Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 49. 333 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 17; Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 49; Saliger, in: Park, Kapital­ marktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 196; ohne Begründung Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 445, 447; Poelzig, in: NZG 2016, 529 (536); in diese Richtung auch Graßl / Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (56); ohne Begründung allein auf falsche oder irreführende Signale abstellend, Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 257 ff.; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 183 ff.; BaFin, Emittentenleitfaden 5. Aufl., Modul C, III.7.3, S. 81.

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irreführende Signale von Informationen in der Regel von ihrerseits falschen und irreführenden Informationen ausgehen.334 1. Der Informationsbegriff Die MAR verzichtet auf eine Definition des Informationsbegriffs im Marktmanipulationsverbot,335 sodass auch hinsichtlich der verschiedenen Angaben im Research Report beim aktivistischen Leerverkauf die Einzelheiten der Subsumtion noch offen sind.336 Nach allgemeiner Überzeugung ist der Informationsbegriff weit auszulegen:337 Daher werden grundsätzlich alle Angaben und Äußerungen ohne Beschränkung in sachlicher oder inhaltlicher Hinsicht erfasst.338 Für die konkrete Erarbeitung des Begriffs ist es außerdem hilfreich, das frühere Verständnis des § 20a WpHG a. F. zu ‚Angaben über Umstände‘ mit in den Blick zu nehmen. Dabei sind Tatsachenbehauptungen auf jeden Fall Bestandteil.339 Diese sind nach allgemeinem deutschen Verständnis als Umstände der Vergangenheit oder Gegenwart definiert, die dem Beweis zugänglich sind.340 Da diese Definition ebenfalls schon von früheren europäischen Behörden zur Begriffsbestimmung der Insiderinformation verwendet wurde, kann sie auf die MAR übertragen werden.341 Auch subjektiv geprägte Werturteile oder Prognosen, die gerade nicht vollständig dem Beweis zugänglich sind, stellen eine Information gem. Art. 12 I  c MAR dar.342 334

So richtigerweise feststellend, Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 49; Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 268. 335 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 242; Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 11. 336 Kocher, in: DB 2016, 2887 (2892). 337 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 242; Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmiss­ brauchsrecht, § 13 Rn. 11; BaFin, Emittentenleitfaden 5. Aufl., Modul C, III.7.1, S. 80; Wentz, in: WM 2019, 196 (201); zu § 20a WpHG a. F. bereits z. B. Fleischer, in: Fuchs WpHG § 20a Rn. 16. 338 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 242; BaFin, Emittentenleitfaden 5. Aufl., Modul C, III.7.1, S. 80. 339 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 242; Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 12; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 177; Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 466; ­Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 194; ­Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 52; BaFin, Emittentenleitfaden 5. Aufl., Modul C, III.7.1, S. 80; Wentz, in: WM 2019, 196 (201); Graßl / Nikoley­ czik, in: AG 2017, 49 (56); Schockenhoff / Culmann, in: AG 2016, 517 (520); zu § 20a WpHG a. F. z. B. Fleischer, in: Fuchs WpHG § 20a Rn. 16. 340 BVerfGE 90, 241 (247) = NJW 1994, 1779 (1779); BGHZ 132, 13 (21) = NJW 1996, 1131 (1133). 341 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 12. 342 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 242; Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 12; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 177; Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 466; Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 52; BaFin, Emittentenleitfaden 5. Aufl., Modul C, III.7.1, S. 80; Wentz, in: WM 2019, 196 (201).

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Dafür spricht ein systematischer Vergleich mit ErwGr. Nr. 28 S. 1 MAR, nach dem Analysen und Bewertungen als Werturteile ausdrücklich aus dem Begriff der Insiderinformation ausgeschlossen werden, sodass e contrario Werturteile im Rahmen der Marktmanipulation grundsätzlich erfasst sind.343 Demgegenüber ist fragwürdig, ob an den Informationsbegriff weitere Anforderungen zu stellen sind: Zur Vorgänger-Begrifflichkeit ‚Angaben über Umstände‘ des § 20a I 1 Nr. 1 Alt. 1 WpHG a. F. wurde rege diskutiert, ob Werturteile und Prognosen nur Bestandteil sind, wenn sich diese auf einen Tatsachenkern stützen können oder ob auch solche Wertungen erfasst sind, die einer sachlichen Tatsachengrundlage entbehren bzw. frei erfundene Gerüchte sind.344 Die Anforderungen an die Tatsachengrundlage von Werturteilen und Prognosen sowie einen Ausschluss von Gerüchten lassen sich jedoch unter Geltung der MAR nicht mehr überzeugend begründen:345 Zum einen erfasst der Wortlaut des Art. 12 I c MAR Gerüchte ohne Einschränkungen,346 zum anderen spricht der weite Informationsbegriff347 wie auch entscheidend der Telos des Marktmanipulationsverbots für die Einbeziehung von Gerüchten und Wertungen ohne sachliche Tatsachengrundlage.348 Elementarer Sinn und Zweck des Marktmanipulationsverbots ist nämlich der Funktionsschutz der Kapitalmärkte vor manipulierten Preisbildungen. Entgegen der früher herrschenden Ansicht konnte die empirische Finanzmarktforschung nachweisen, dass gerade auch Anleger auf Grundlage von Gerüchten als unverbürgte Nachrichten und reinen 343

Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 12; Frömel, ShortSell-Attacken, S. 68. 344 Zum früheren Meinungsstand siehe Fleischer, in: Fuchs WpHG § 20a Rn. 17; Eichel­ berger, Marktmanipulationsverbot, S. 238. 345 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 242; Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 14; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 177; Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 52; Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 85; Wentz, in: WM 2019, 196 (201); BaFin, Emittentenleitfaden 5. Aufl., Modul C, III.7.1, S. 80; a. A. Gerner-­Beuerle, in: Lehmann / Kumpan, European Financial Services Law, Art. 12 MAR Rn. 14; Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 466; darauf verweisend Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, § 7 Rn. 667; Stage, Strafbare Marktmanipulation während der Aktienemission im engeren Sinne, Rn. 309 ff.; Worms, in: Assmann / Schütze / Buck-Heeb, HdB KapitalanlageR, § 10 Rn. 77; in Anlehnung an die früher herrschende Meinung zu § 20a WpHG a. F. ohne weitere Auseinandersetzung mit dem Regelungsregime der MAR an einem überprüfbaren Tatsachenkern für Werturteile und Prognosen festhaltend Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 194; Schockenhoff / Culmann, in: AG 2016, 517 (520). 346 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 244; Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 14; Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 194; de Schmidt, in: Just / Voß / R itz / Becker WpHG § 20a Rn.  381. 347 Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 52; Wentz, in: WM 2019, 196 (201). 348 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 244; Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 14; Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 85.

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Bewertungen handeln.349 Diese Erkenntnisse werden auch durch finanzmarkttheoretische Überlegungen gestützt: Der Rational-Choice-Theory entsprechend handelt ein Anleger nämlich rational auf der Basis von Gerüchten, um die sequentielle Verbreitung derselben durch ein möglichst frühes und rechtzeitiges Herdenverhalten350 ausnutzen zu können, bevor die breite Masse davon Kenntnis erlangt (Momentum Game).351 Auch die Behavioral-Finance-Theory, wonach Gerüchte aufgrund ihrer hohen Verbreitungsgeschwindigkeit den Anleger zu irrationalen, kurzfristigen Handelsaktivitäten verleiten, bestätigt, dass Anleger auf Grundlage von Gerüchten handeln.352 Frei erfundene Gerüchte ohne jegliche sachliche Grundlage353 und reine Werturteile bzw. Prognosen sind in ihrer fehlenden Tatsachengrundlage vergleichbar. Wie das Bild der „Börsengurus“ zeigt, handeln Anleger bereits aufgrund von bloßen Empfehlungen wie „Kaufen“, „Halten“ oder „Verkaufen“, sodass reine Werturteile zur Handlungsgrundlage der Anleger werden.354 Eine Gleichstellung von reinen Wertungen mit frei erfundenen Gerüchten ist deshalb angebracht. Der umfassende Funktionsschutz zur Verhinderung von Manipulationsmöglichkeiten rechtfertigt die Einbeziehung von Gerüchten ebenso wie reine Werturteile und Prognosen. Andernfalls könnte der Manipulator den Tatbestand umgehen.355 Während § 20a I Nr. 1 Alt. 1 WpHG a. F. eine Einschränkung auf bewertungserhebliche Umstände enthielt, um Bagatellfälle aus dem objektiven Tatbestand auszuschließen,356 müssen nach dem Wortlaut der MAR Informationen nicht mehr 349 So die Ergebnisse von empirischen Auswertungen von Übernahmegerüchten und Marktpreisreaktionen, die signifikant höhere Renditen im Vorfeld offizieller Veröffentlichung der Gerüchte in Medien nachweisen konnten. Diese Renditen werden bspw. auf den Diffusionsprozess des Gerüchts aufgrund Handelsaktivitäten professioneller Investoren und einer spekulativen Überreaktion des Marktes zurückgeführt. Pound / Zeckhauser, 63 J. Bus. (1990), 291 (292 f., 299 f.); Zivney / Bertin / Torabzadeh, 36 Q Rev. Econ. Fin. (1996), 89 (97); Böhmer / L öffler, in: ZfbF 51 (1999), 299 (309 f.); diese zusammenfassend: Fleischer / Schmolke, in: AG 2007, 841 (843); ebenso Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 245; Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 14 a. E. aus diesem Grund die Diskussion eher als Problem des potenziellen Effekts ansehend, Gerner-Beuerle, in: Lehmann / Kumpan, European Financial Services Law, Art. 12 MAR Rn. 14. 350 Siehe zum Rational Herding Devenow / Welch, 40 Eur. Eco. Rev. (1996), 603 (605 ff.); Froot / Scharfstein / Stein, 47 J. Fin. (1992), 1461 (1462 f.). 351 Bainbridge, 68 U. Cin. L. Rev. (2001), 1023 (1038); Langevoort, 97 Nw. U. L. Rev. (2002), 135 (148 f., 158 f.); Van Bommel, 58 J. Fin. (2003), 1499 (1500); zusammenfassend Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 245; Fleischer / Schmolke, in: AG 2007, 841 (843 f., 852). 352 M. w. N. Fleischer / Schmolke, in: AG 2007, 841 (843). 353 So Fleischer / Schmolke, in: AG 2007, 841 (853); abweichend Stage, Strafbare Markt­ manipulation während der Aktienemission im engeren Sinne, Rn. 366, die davon ausgeht, dass Gerüchte immer auf Tatsachen basieren, sei es als „Gerücht über Tatsachen“ mit einem unsicheren Tatsachenkern oder „Gerücht als Tatsache“ bei dem das Vorhandensein des Gerüchts selbst die Tatsache darstelle. Gleiches vertritt sie in Bezug auf Prognosen, Rn. 331 f. 354 So richtigerweise schon im Rahmen der Diskussion zu § 20a WpHG a. F., Eichelberger, Das Marktmanipulationsverbot, S. 240 f. 355 Eichelberger, Das Marktmanipulationsverbot, S. 241 f. 356 Die Einschränkung mit dieser Zielsetzung fand sich bereits im § 88 BörsG a. F. und wurde im § 20a WpHG a. F. übernommen, vgl. Begr. RegE. 1. WiKG, Bt-Drs. 10/318, S. 46; Fleischer,

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bewertungserheblich sein.357 Darüber hinaus stellt die MAR innerhalb der Definition von Insiderinformationen gem. Art. 7 I a MAR auf eine Kurserheblichkeit ab und differenziert damit zwischen kurserheblichen und sonstigen Informationen.358 Für das Marktmanipulationsverbot belässt es die MAR bei dem weiten Begriffsverständnis. Es lässt sich also festhalten, dass die Informationen nicht bewertungserheblich sein müssen.359 Nach Viceroy hatte Steinhoff konkrete Transaktionen mit anderen, vermeintlich unabhängigen Unternehmen vorgetäuscht und so die Erträge künstlich erhöht. Damit hat Viceroy eine dem Beweis zugängliche Tatsachenbehauptung formuliert, die Grundlage für den Bewertungsabschlag von 57 % zum vorherigen Schlusskurs war. Diese Beurteilung ist wiederum ein subjektiv geprägtes Werturteil. Gotham schätzte den Wert der Aktie von Aurelius um 88 % geringer als die damalige Marktbewertung ein. Primäre Begründung dafür waren zu hoch angesetzte Werte der Unternehmensbeteiligungen. Grundlage dieses Werturteils war eine eigene Berechnung des Nettovermögenswertes von Aurelius unter Einbeziehung von weiteren Werturteilen und Tatsachen wie veröffentlichten Gewinn- und Verlustrechnungen.360 2. Das Verbreiten von Informationen a) Der Begriff der Informationsverbreitung Hinsichtlich des Verbreitens von Informationen ist die Erklärungsform und der gewählte Erklärungskanal unerheblich.361 Deshalb kommt es nicht darauf an, ob in: Fuchs WpHG § 20a Rn. 24. Schon zum alten Recht wurde kritisiert, dass die Bewertungserheblichkeit faktisch mit dem weiteren Tatbestandsmerkmal der Preiseinwirkungseignung parallel lief und keine Gestaltungen denkbar waren, bei der trotz Bewertungserheblichkeit eine Preiseinwirkungseignung fehlen würde. Jeweils m. w. N. Eichelberger, Das Marktmanipulationsverbot, S. 265 f.; de Schmidt, in: Just / Voß / R itz / Becker WpHG § 20a Rn.  108. Überwiegend wurde deshalb der Preiseinwirkungseignung die praktische Relevanz abgesprochen, vgl. de Schmidt, § 20a. Rn. 108; Stoll, in: KK-WpHG § 20a Rn. 200. Wie Eichelberger, Das Marktmanipulationsverbot, S. 265 f. aber richtigerweise ausführt, war hingegen die Bewertungserheblichkeit der Umstände überflüssig, da dieses nicht der Systematik der MAD entsprach und aus Schutzzweckgesichtspunkten die Preiseinwirkungseignung das geeignetere Tatbestandsmerkmal zum Ausschluss von Bagatellfällen darstellte. 357 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 16, 34. 358 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn.  16. 359 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn.  34; Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 52 a. E.; Zimmer / Bator, in: Schwark /  Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 93; a. A. Trüg, in: Leitner / Rosenau WSS, § 38 WpHG Rn. 48. 360 Gotham Aurelius Report v. 28. 03. 2017, S. 61. 361 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 249; Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 25; Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 448; Diversy /  Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 55; BaFin, Emittentenleitfaden 5. Aufl., Modul C, III.7.1, S. 80.

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die Informationen mündlich, schriftlich oder in elektronischer Form erfolgen362 beziehungsweise ob sie über traditionelle oder moderne Kommunikationskanäle verbreitet werden.363 Die von aktivistischen Leerverkäufern gewählte Veröffentlichung über Websites, Blogs und soziale Medien wie Twitter werden im ErwGr. Nr. 48 MAR ausdrücklich als taugliche Erklärungskanäle miterfasst.364 Wie beim Informationsbegriff sind mangels Legaldefinition des Verbreitungsbegriffs365 dessen konkreten Anforderungen ebenso schwierig zu bestimmen. Einigkeit besteht darüber, dass die Information einem Personenkreis so zugänglich gemacht werden muss, dass sie in deren Herrschaftsbereich gelangt und eine Kenntnisnahme möglich ist.366 Während eine tatsächliche Kenntnisnahme also nicht vorliegen muss,367 ist für die Weitergabe von Informationen die Größe des Personenkreises umstritten. Zu berücksichtigen ist dabei der Telos und ErwGr. Nr. 47 MAR, der die besondere Gefahr für Preisbeeinflussungen in der schnellen Verbreitung und Verselbständigung von falschen und irreführenden Informationen sieht. Aus diesem Grund kann auch die Verbreitung gegenüber nur einer Person unter Umständen für Art. 12 I c MAR ausreichend sein.368 Diese Diskussion hat für die Veröffentlichung eines Research Reports beim aktivistischen Leerverkauf keine Praxisrelevanz: Sowohl legitim als auch illegitim handelnde aktivistische Leerverkäufer haben primär das Ziel, eine möglichst große Breitenwirkung und eine möglichst große Öffentlichkeit zu erreichen. Deshalb bedienen sie sich aller zur Verfügung stehenden Informationskanäle.369 Wie bereits 362

Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 177; Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 55; Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 195. 363 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 249; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 177. 364 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 25; Mülbert, in: ­Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art.  12 MAR Rn.  177. 365 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 246. 366 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 247; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 178; Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 448; BaFin, Emittentenleitfaden 5. Aufl., Modul C, III.7.1, S. 80; ähnlich auf ein „zur Kenntnis bringen“ abstellend, Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 54. 367 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 247; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 178; Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 448; BaFin, Emittentenleitfaden 5. Aufl., Modul C, III.7.1, S. 80. 368 Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 86. Noch weitgehender ohne Differenzierung nach Ausnahmecharakter die Verbreitung gegenüber einer Person für ausreichend haltend Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 25; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 178; Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 448; BaFin, Emittentenleitfaden 5. Aufl., Modul C, III.7.1, S. 80; Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 257; a. A. die Verbreitung gegenüber einer Person ablehnend Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 247; Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn.  54. 369 So auch die Feststellung bzgl. aktivistischer Leerverkäufe von Wentz, in: WM 2019, 196 (201).

§ 6 Das Marktmanipulationsverbot

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im Scalping thematisiert, haben in beiden Fällen Viceroy und Gotham in dieser Art und Weise ihre Research Reports über ihre Homepages und Twitter-Meldungen veröffentlicht und so auch gem. Art. 12 I c MAR verbreitet. Zur genauen Bestimmung der Person, die eine Information verbreitet, muss die Information normativ der Person zugerechnet werden, die dafür die Verantwortung trägt.370 Danach ist derjenige als Täter anzusehen, der über die Erklärung als solche und deren Inhalt im Sinne einer Konzeptionsherrschaft entscheidet bzw. sich diese Information aneignet und so die Verantwortung für die Richtigkeit trägt.371 Bei einem aktivistischen Leerverkauf, in dem der Leerverkäufer auch den Research Report veröffentlicht, kommt damit insbesondere das geschäftsführende Organ als Hauptverantwortlicher in Betracht. Bei einer personellen Trennung – unabhängig ob anonym, pseudonym oder bekannt – von Leerverkäufer und Ersteller des Research Reports ist Letzterer als Verbreitender anzusehen. Für die strafrechtliche Beurteilung können sich zudem Besonderheiten aus der täterschaftlichen Zurechnung aus § 25 StGB ergeben, wobei aber die oben dargestellten Anforderungen ebenfalls zu berücksichtigen sind.372 Hier kommt vor allem eine Mittäterschaft in Betracht, wenn Leerverkauf und Veröffentlichung des Research Reports nicht in einer Hand liegen und dabei die Zurechnungsvoraussetzungen gegeben sind. b) Das Verschweigen entgegen bestehender Offenlegungsverpflichtung Die Neugestaltung der MAR hat zu der Frage geführt, ob das Verschweigen von Informationen entgegen bestehender Offenlegungsverpflichtungen als Unterlassen noch den Tatbestand von Art. 12 I c MAR verwirklicht.373 Für aktivistische Leerverkäufe ist diese Diskussion um eine Unterlassensalternative374 von erheblicher 370 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 251; Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 448; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art.  12 MAR Rn. 179. 371 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 251; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 179; ähnlich in Bezug auf das aufsichtsrecht­liche Verbot zunächst auch Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 56. 372 Die Bedeutung der strafrechtlichen Beurteilung hervorhebend Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn.  56. 373 So das Verständnis der Bundesregierung im Gesetzentwurf zum 1. FiMaNoG, BT-Drs. 18/7482, S. 64; ebenso Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 449; Diversy /  Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 114; de Schmidt, in: Just / Voß / R itz / Becker WpHG § 20a, Rn. 378; BaFin, Emittentenleitfaden 5. Aufl., Modul C, III.7.1, S. 80; Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, § 7 Rn. 670; Brand / Holz, in: NZG 2017, 976 (983); Richter, in: WM 2017, 1636 (1638 f.); Kudlich, in: AG 2016, 459 (462). 374 Zur Behandlung eines Überwachergarantens bei der aktiven Verbreitung durch eine andere Person vgl. z. B. Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 254. Im Zusammenhang mit der Verbreitung durch Unterlassen wird zudem eine Berichtigungs- oder Aktualisierungspflicht

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

Relevanz, weil eine Offenlegungsverpflichtung für Nettoleerverkaufspositionen gem. Art. 6 I SSR als taugliche kapitalmarktrechtliche Publizitätsvorschrift vorliegt.375 In § 20a I 1 Nr. 1 WpHG a. F. hatte der deutsche Gesetzgeber in überschießender Richtlinienumsetzung der MAD376 als informationsgestützte Marktmanipulation verboten, falsche oder irreführende Angaben über Umstände zu machen (Alt. 1) oder solche Umstände entgegen bestehender Rechtsvorschriften zu verschweigen (Alt. 2). Zu fragen ist nun, ob auch mit der MAR ein Unterlassungsdelikt gegeben ist, sodass ein Verstoß aktivistischer Leerverkäufer gegen Art. 6 SSR den Tatbestand der informationsgestützten Marktmanipulation erfüllen würde. Der Wortlaut von Art. 12 I c MAR knüpft ausschließlich an das Verbreiten von Informationen an und enthält, anders als die Vorgängervorschrift des § 20a I 1 Nr. 1 Alt. 2 WpHG a. F., explizit keine Unterlassensalternative mehr.377 Für eine Unterlassensalternative könnte aber Art. 2 IV MAR sprechen, nach dem die Verbote und Anforderungen der MAR sowohl für Handlungen als auch Unterlassungen gelten.378 Dadurch wäre § 13 StGB als unechtes Unterlassungsdelikt anwendbar, sodass das Verschweigen entgegen bestehender Offenlegungsvorschriften von Art. 12 I c MAR erfasst wird.379 Auf den ersten Blick scheint diese Auslegung auch dem ErwGr. Nr. 47

diskutiert, wenn eine zunächst richtige Information später aufgrund veränderter Umstände falsch oder irreführend wird. Eine solche Pflicht kann aber nicht begründet werden, da im Zeitpunkt der Tathandlung kein objektiv pflichtwidriges Verhalten besteht, vgl. zur Thematik näher Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 255; Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 99; Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 116 f. Eine Garantenstellung aus Ingerenz im Rahmen von § 13 StGB ist jedoch nach der hier vertretenen Ansicht aufgrund der fehlenden Anwendbarkeit von § 13 StGB nicht möglich, vgl. die Ausführungen am Ende dieses Abschnittes. 375 So zu § 20a I Nr. 1 Alt. 2 WpHG a. F. de Schmidt, in: Just / Voß / R itz / Becker WpHG § 20a Rn. 99; Schlimbach, Leerverkäufe, S. 225. Im Zentrum der Diskussion um die Unterlassungsstrafbarkeit steht aber vor allem die Tatbestandsverwirklichung bei einer unterlassenen AdHoc-Mitteilung, vgl. nur Vogel, in: Assmann / Schneider, WpHG 6. Aufl., § 20a Rn. 101 ff. Für die aktuelle Diskussion siehe auch Saliger, in: WM 2017, 2329 (2329 ff.). 376 M. w. N. Sajnovits / Wagner, in: WM 2017, 1189 (1191). 377 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 252; Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 26; Bayram / Meier, in: BKR 2018, 55 (60); Saliger, in: WM 2017, 2329 (2331). 378 Brand / Holz, in: NZG 2017, 976 (983); ebenfalls auf Art. 2 IV MAR hinweisend, Begr. RegE. zum 1. FiMaNoG, BT-Drs. 18/7482, S. 64; de Schmidt, in: Just / Voß / R itz / Becker WpHG § 20a, Rn. 378; BaFin, Emittentenleitfaden 5. Aufl., Modul C, III.7.1, S. 80. 379 So wohl Begr. RegE. zum 1. FiMaNoG, BT-Drs. 18/7482, S. 64; BaFin, Emittentenleitfaden 5. Aufl., Modul C, III.7.1, S. 80; Vaupel / Oppenauer, in: AG 2019, 502 (512); Kudlich, in: AG 2016, 459 (462); für eine Anwendbarkeit von § 13 StGB aber gegen eine Verknüpfung zu Art. 2 IV MAR plädierend, Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 144; unklar Brand / Holz, in: NZG 2017, 976 (983); den Begründungsansatz offenlassend, Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 449 (aber in Rn. 445 mit einem nicht überzeugenden Rechtsvergleich zu UK und Malta argumentierend); Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, § 7 Rn. 670.

§ 6 Das Marktmanipulationsverbot

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MAR zu entsprechen, der eine Marktmanipulation im Fall einer absichtlichen Unterschlagung wesentlicher Sachverhalte anordnet.380 Bei differenzierter Betrachtung des Wortlauts und der Systematik der MAR ergibt sich, dass unionsrechtlich ein Unterlassen im Zusammenhang mit Art. 12 I c MAR nicht mehr angenommen werden kann.381 Art. 2 IV MAR erwähnt das Unterlassen nur im allgemeinen Kontext seines Anwendungsbereichs.382 Diesen allgemeinen Charakter von Art. 2 IV MAR unterstreichen im systematischen Vergleich Art. 2 I, II MAR als Definition des sachlichen Anwendungsbereichs und Art. 2 III MAR als Definition des räumlichen Anwendungsbereichs.383 Art. 12 I c MAR ordnet andererseits als spezielle Definitionsnorm an, dass ausschließlich das aktive Verbreiten mit dem Begriff der informationsgestützten Marktmanipulation zu verbinden ist.384 Das bloße Verschweigen einer Information stellt gerade keine Verbreitung dar.385 Wenn allerdings die speziellere Vorschrift eigens bestimmte aktive Handlungen als Marktmanipulation einordnet, verbietet sich ein Rückgriff auf eine allgemeine Anwendungsvorschrift, um Unterlassungen einzubeziehen.386 Maßgeblich für die Bestimmung des erfassten Verhaltens sind vielmehr allein die materiellen, einzelnen Gebote wie das Marktmanipulationsverbot oder die AdHoc-Publizitätspflicht.387 Mit dieser adäquaten Systematik verdeutlicht sich auch der ErwGr. Nr. 47 MAR, der das absichtliche Unterschlagen von Sachverhalten im Zusammenhang von irreführenden Informationen, die zuvor aktiv verbreitet wurden, erläutert.388

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Richter, in: WM 2017, 1636 (1638); so auch in die Problematik einleitend Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 253; Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 28. 381 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 252; Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 29; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR, Rn. 180; Spoerr, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht § 119 WpHG Rn. 64; Trüg, in: Leitner / Rosenau WSS, § 38 WpHG Rn. 53; Oulds, in: Kümpel / Mülbert / Früh / Seyfried BKMR, 12.  Teil Art.  15, 12 ff. MAR Rn.  12.40; Worms, in: Assmann / Schütze / Buck-Heeb, HdB KapitalanlageR, § 10 Rn.  78; Nietsch, in: WM 2020, 717 (718); Schmolke, in: FS 25 Jahre WpHG, 653 (662); Bayram / Meier, in: BKR 2018, 55 (60); Saliger, in: WM 2017, 2329 (2333f); für alle Varianten des Art. 12 I MAR einen Ausschluss annehmend Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 98; Sajnovits /  Wagner, in: WM 2017, 1189 (1192); Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 73. 382 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 28; Saliger, in: WM 2017, 2329 (2332 f.); Sajnovits / Wagner, in: WM 2017, 1189 (1192). Dieses anerkennend, aber dennoch eine Anwendbarkeit von § 13 StGB annehmend, Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger /  Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 144. 383 Saliger, in: WM 2017, 2329 (2333). 384 In diese Richtung auch Thelen, Dark Pools, S. 291. 385 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 252. 386 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 181. 387 Saliger, in: WM 2017, 2329 (2333); Sajnovits / Wagner, in: WM 2017, 1189 (1190). 388 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 253; Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 29; Sajnovits / Wagner, in: WM 2017, 1189 (1192).

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

In diese Richtung könnte auch die einleitende Formulierung des Art. 12 I MAR mit ‚folgende Handlungen‘389 sowie der Wortlaut der für die strafrecht­liche Ahndung maßgeblichen CRIM-MAD weisen, in dessen Definitionsnorm der Marktmanipulation Art. 5 II CRIM-MAD ebenfalls nur ‚folgende Handlungen‘ erwähnt sind.390 Ob sich daraus zwingend ein fehlendes Unterlassungsdelikt für das Marktmanipulationsverbot im Ganzen ergibt, kann an dieser Stelle offen bleiben,391 da die informationsgestützte Marktmanipulation expressis verbis ein aktives Verbreiten der Informationen erfordert. Die Auffassung des Art. 12 I c MAR zu Unterlassungen ist aufgrund der Blankettverweisung392 des deutschen Gesetzgebers in § 119 I WpHG auch im deutschen Strafrecht maßgeblich.393 Die Begründung eines unechten Unterlassungsdelikts über § 13 StGB wäre dann unionsrechtswidrig. Obwohl die im Strafrecht maßgebliche CRIM-MAD nur mindestharmonisierend ausgestaltet ist, würde ein unechtes Unterlassungsdelikt gerade in den Geltungsbereich des materiellen Definitionsbegriffs der vollharmonisierenden MAR eingreifen.394 Für die informationsgestützte Marktmanipulation verbietet der aktive Wortlaut dieser Definition jedenfalls ein unechtes Unterlassungsdelikt. Diese Ausführungen konnten zeigen, dass für aktivistische Leerverkäufer ein Unterlassungsdelikt gem. Art. 12 I c MAR entfällt, wenn die Nettoleerverkaufs­ positionen als Verstoß gegen die Offenlegungspflichten des Art. 6 I SSR verschwiegen werden.395 Inwieweit die Verletzung von Art. 6 I SSR eine Marktmanipulation gem. Art. 12 I a,  b MAR darstellen kann, wird in den jeweiligen Abschnitten diskutiert.

389

Saliger, in: WM 2017, 2329 (2333); Sajnovits / Wagner, in: WM 2017, 1189 (1192). Sajnovits / Wagner, in: WM 2017, 1189 (1193). 391 Siehe hierzu genauer die Darstellung im Rahmen von Art. 12 I a MAR, Kap. 3 § 6 B. IV. 1. c). 392 Zur Blankettinkorporation siehe Spoer, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, § 119 WpHG Rn. 38; Seier, Kartellrechtsrelevante Marktmanipulationen, S. 109. 393 Thelen, Dark Pools, S. 291 f. 394 Umfassend hierzu Saliger, in: WM 2017, 2329 (2333 f.); Sajnovits / Wagner, in: WM 2017, 1189 (1194); Bator, in: BKR 2016, 1 (4); kritisch auch Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 99; nicht überzeugend Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 115. Überdies wären dann immer noch die Voraussetzungen von § 13 StGB nur äußerst schwer begründbar: Siehe hierzu Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 31 a. E.; Saliger, in: WM 2017, 2329 (2335); Sajnovits / Wag­ ner, in: WM 2017, 1189 (1194f). 395 So auch das Ergebnis von Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 10; Mülbert / Sajnovits, in: BKR 2019, 313 (317); Bayram / Meier, in: BKR 2018, 55 (60). 390

§ 6 Das Marktmanipulationsverbot

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3. Falsche und irreführende Informationen Wie einleitend erörtert, müssen schon die Informationen selbst falsch oder irreführend sein. Anknüpfend an die Ergebnisse zum Informationsbegriff werden im Folgenden die Anforderungen an Informationen differenziert in: Tatsachenbehauptungen, Werturteile mit und ohne Tatsachenkern sowie Gerüchte. Als Indizien können die Erkenntnisse zur Definition von ‚unrichtig und irreführend‘ gem. § 20a I 1 Nr. 1 WpHG a. F. bei der unionsautonomen Auslegung der Begriffe ‚falsch und irreführend‘ wiederum herangezogen werden.396 Der für die Umsetzung von § 20a I 1 Nr. 1 WpHG a. F. maßgebliche Art. 1 Nr. 2 lit. c MAD stellt wie die MAR auf falsche oder irreführende Signale ab und postuliert folgende subjektive Anforderungen: Die verbreitende Person wusste oder hätte wissen müssen, dass die Informationen falsch oder irreführend waren. MAR und MAD verwenden also einen identischen Wortlaut.397 Die Diskrepanz des Wortlauts der MAD und MAR zum Begriff ‚unrichtig‘ des § 20a I 1 Nr. 1 WpHG a. F. erklärt sich aus der historischen Genese des Marktmanipulationsverbots auf Grundlage der deutschen Ursprungsvorschrift des § 88 BörsG a. F.398 Darüber hinaus gilt ‚unrichtig‘ im Deutschen als Synonym für ‚falsch‘.399 Schließlich ist auch der beabsichtigte Telos seit Umsetzung der MAD im Verhältnis zur MAR identisch geblieben, sodass das Verständnis der Begriffe ‚unrichtig und irreführend‘ auf die MAR übertragen werden kann, wobei aber dieses gegebenenfalls an den teilweise veränderten Informationsbegriff anzupassen ist. Vor der Auseinandersetzung mit einzelnen Anforderungen ist der Überprüfungsmaßstab, nach welchem falsche oder irreführende Informationen beurteilt werden, zu klären. Die Frage, ob eine falsche oder irreführende Information vorliegt, lässt sich anhand einer objektiv-nachträglichen Betrachtung beantworten.400 Dabei muss der Inhalt der Information objektiv aus der Perspektive eines verständigen Anlegers ausgelegt werden.401 Der objektive Beurteilungsmaßstab des verständigen Anlegers wird im Kapitalmarktrecht zahlreich verwendet und ist 396 Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 88; für den Begriff irreführend Wentz, in: WM 2019, 195 (201); Graßl / Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (56). Speziell zu unrichtigen Werturteilen mit Tatsachenkern Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 19. 397 So auch Wentz, in: WM 2019, 195 (201); Graßl / Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (56). 398 Hierzu Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 5. 399 Duden, Online-Synonymwörterbuch, Eintrag zu ‚falsch‘, abrufbar unter: https://www. duden.de/synonyme/falsch, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021. 400 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 185; Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 257, 49; Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 87; BaFin, Emittentenleitfaden 5. Aufl., Modul C, III.7.3, S. 81. 401 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 185; Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 44; Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 18; ähnlich Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 447; BaFin, Emittentenleitfaden 5. Aufl., Modul C, III.7.3, S. 81.

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

insbesondere im Insiderrecht in seinen Einzelheiten höchst umstritten.402 Eine eingehende Erläuterung würde über den Rahmen dieser Arbeit hinausgehen, sodass für das Marktmanipulationsverbot in diesem Kapitel der verständige Anleger als rationaler, angemessen informierter, mit den Marktverhältnissen vertrauter Akteur begriffen wird.403 Der aus dieser Perspektive festgestellte Inhalt wird sodann mit den objektiven Gegebenheiten verglichen,404 weil nur so ein objektiver Widerspruch zwischen dem Erklärungsinhalt der Information und der tatsächlichen Sachlage bestimmt werden kann.405 Die subjektive Kenntnis des Handelnden, ob eine Information falsch oder irreführend ist, spielt deshalb für den objektiven Tatbestand keine Rolle und muss erst im subjektiven Tatbestand berücksichtigt werden.406 Nachträglich ist die Betrachtung, weil der Vergleich zwischen Erklärungsinhalt und objektiven Gegebenheiten erst nach der Informationsverbreitung zum Zeitpunkt der Ermittlungen im Verwaltungs- oder Strafverfahren stattfindet.407 Ex ante ist sie auf die objektiven Gegebenheiten im Zeitpunkt der Informationsverbreitung zu beziehen,408 um so den Besonderheiten des Kapitalmarktes mit der Schnelllebigkeit und der kurzen Halbwertszeit von Informationen gerecht zu werden.409 Vom objektiven Überprüfungsmaßstab ausgehend, sind Informationen im allgemeinen Sinne als falsch einzuordnen, wenn sie nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entsprechen.410 Für Tatsachenbehauptungen bedeutet dies, dass diese objektiv unwahr sein müssen.411 Objektive Unwahrheit ist grundsätzlich dann anzunehmen, wenn einerseits vorhandene Umstände und Ereignisse als nicht vorhanden und andererseits 402

Vgl. hierzu unten Kap. 3 § 7 C. I. 4. Vgl. m. w. N. Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 44; Mülbert, in: Assmann / Schneider /  Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 185, 64 f. 404 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 185. 405 Eichelberger, Das Marktmanipulationsverbot, S. 242. 406 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 18. 407 So zum Zeitpunkt der Überprüfung der Preiseinwirkungseignung gem. § 20a WpHG a. F. Fleischer, in: Fuchs WpHG § 20a Rn. 34; de Schmidt, in: Just / Voß / R itz / Becker WpHG § 20a Rn. 381. 408 So auch in Bezug auf die Prognose der Bewertungserheblichkeit bzw. dem Zeitpunkt der Preiseinwirkungseignung gem. § 20a WpHG a. F. Schönhöft, Strafbarkeit der Marktmanipulation gemäß § 20a WpHG, S. 68 bzw. S. 83; Stoll, in: KK-WpHG § 20a Rn. 197 bzw. Rn. 202. 409 Vgl. in Bezug auf die Prognose der Bewertungserheblichkeit Schömann, Die Strafbarkeit der Marktmanipulation gem. § 38 Abs. 2 WpHG, S. 49. 410 Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 53; Wentz, in: WM 2019, 195 (201); ähnlich Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 44. Missverständlich BaFin, Emittentenleitfaden 5. Aufl., Modul C, III.7.3, S. 81 („wenn es nicht den Tatsachen entspricht“). Da die BaFin außer diesem Hinweis nicht weiter differenziert, könnte die BaFin Tatsachen auch als Gegebenheiten verstehen. Zu § 20a WpHG Eichelberger, Marktmanipulationsverbot, S. 242. 411 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 185; ähnlich Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 18 („nicht der Wahrheit entspricht“); zu § 20a WpHG a. F. Fleischer, in: Fuchs WpHG § 20a Rn. 20; Eichel­ berger, Marktmanipulationsverbot, S. 245. 403

§ 6 Das Marktmanipulationsverbot

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nicht-vorhandene Umstände und Ereignisse als vorhanden dargestellt werden.412 Diese nach Maßgabe der MAD und § 20a I 1 Nr. 1 Alt. 1 WpHG a. F. entwickelte Definition ist neben den oben aufgeführten Gründen auch deshalb auf die MAR übertragbar, weil in ErwGr. Nr. 47 MAR ausdrücklich auf die Abgabe unrichtiger Informationen und das Erfinden falscher Informationen Bezug genommen wird.413 Bei Kapitalmarktinformationen – insbesondere Research Reports – werden aber nicht immer nur objektiv eindeutig beweisbare Tatsachen angeführt. Vielmehr kann die objektive Wahrheit einer Tatsache von weiteren Abwägungen und Entscheidungen abhängen.414 Besonders offenbar wird diese Abhängigkeit bei der Auswahl von Bewertungsmethoden, die beispielsweise unterschiedliche Ergebnisse bei der Berechnung von Unternehmenskennzahlen hervorrufen kann.415 Deshalb ist in solchen Fällen eine objektive Unwahrheit von Tatsachen erst dann anzunehmen, wenn keine vertretbare Interpretation zur Übereinstimmung von Tatsache und Wirklichkeit führt.416 Im Gegensatz zu Tatsachen lassen sich Werturteile und Prognosen aufgrund ihres subjektiven Charakters nicht ausschließlich anhand objektiver Umstände überprüfen.417 Deshalb überzeugt es aber nicht, automatisch von einer Maßgeblichkeit der inneren Sichtweise auszugehen und ein falsches Werturteil dann zu bejahen, wenn die Bewertung im Widerspruch zur eigenen Meinung des Empfehlenden steht.418 Vielmehr ist innerhalb des objektiven Maßstabs jedem Werturteil und jeder Prognose immer ein gewisser Beurteilungsspielraum zuzugestehen.419 Eine objektive Beurteilung ist aber dann möglich, wenn die Werturteile und Prognosen auf einem identifizierbaren Tatsachenkern beruhen. Dann wird der Maßstab der objektiven Unwahrheit relevant. In diesem Fall kann nämlich schon ein falsches 412

Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 5; Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 53; ohne Differenzierung zwischen Tatsachen und Werturteilen Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 447; Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 196; zu § 20a WpHG a. F. Fleischer, in: Fuchs WpHG § 20a Rn. 20; Eichelberger, Marktmanipulationsverbot, S. 245. 413 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 18. 414 Eichelberger, Marktmanipulationsverbot, S. 245. 415 So das treffende Beispiel von Eichelberger, Marktmanipulationsverbot, S. 245. 416 Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 88; Eichelberger, Marktmanipulationsverbot, S. 245; de Schmidt, in: Just / Voß / R itz / Becker WpHG § 20a Rn.  180; so wohl auch zusammen für Tatsachen und Werturteile Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 196; Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 447. Abweichend, allein auf objektive Beweisbarkeit ohne Hinweis auf einen möglichen Beurteilungsspielraum bei Tatsachen abstellend Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 18; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 185. 417 Schwark, in: Schwark / Zimmer KMRK 4. Aufl., § 20a WpHG Rn. 15. 418 So aber Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (725 f.); dies., in: EBJS HGB Art. 12 MAR Rn. 37. 419 Den Beurteilungsspielraum ebenfalls hervorhebend Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger /  Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 53.

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

Werturteil oder eine falsche Prognose bejaht werden, wenn die zugrundeliegende Tatsachenbehauptung falsch ist oder sich das Werturteil und die Prognose nicht plausibel ableiten lässt.420 Für die Beurteilung der Plausibilität sind insbesondere die Ausführungen zur vertretbaren Interpretation einschlägig. Werturteile und Prognosen mit Tatsachenbasis können zudem gegen die im Folgenden zu skizzierenden Anforderungen an Werturteile und Prognosen verstoßen, die nicht auf Tatsachen basieren.421 Nach der hier vertretenen Ansicht kann der Beurteilungsspielraum schon bei der Beurteilung der objektiven Unwahrheit von Tatsachen berücksichtigt werden. Aus diesem Grund ist die Forderung unnötig, falsche Werturteile und Prognosen mit und ohne Tatsachenkern erst dann anzunehmen, wenn sie eindeutig und schlechterdings unvertretbar sind.422 Diese Werturteile und Prognosen ohne Tatsachenbasis sind erst bei einem Überschreiten des Beurteilungsspielraums als falsch einzuordnen.423 Ein solches Überschreiten liegt aber erst dann vor, wenn das Werturteil oder die Prognose eindeutig und schlechterdings unvertretbar ist.424 Die Annahme einer solchen Unvertretbarkeit bleibt immer eine Frage des Einzelfalls425, wobei diese aber nur mit Zurückhaltung vorgenommen werden sollte.426 So müssen zum Beispiel Verstöße gegen allgemeine Erfahrungssätze oder Angaben ins Blaue hinein ohne vorherige Tatsachenprüfung berücksichtigt werden.427 Bei Angaben ins Blaue ohne vorherige Tatsachenprüfung reicht es nicht aus, dass eine entsprechende Tatsachenprüfung bereits nach den Umständen erwartet werden durfte.428 Vielmehr ist zu prüfen, ob im Einzelfall konkludent miterklärt wird, dass eine entsprechende Tatsachenprü 420 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 19; Diversy / Köp­ ferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 53; nur auf die objektive Unwahrheit abstellend Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 185. 421 Überzeugend Eichelberger, Marktmanipulationsverbot, S. 245; ähnlich auch Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art.  12 MAR Rn.  185. 422 So aber wohl die Ansicht von Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 53; Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 196; Trüg, in: Leitner / Rosenau WSS, § 38 WpHG Rn. 50; unklar Grund­ mann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 447. 423 Eichelberger, Marktmanipulationsverbot, S. 246. 424 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 19; Mülbert, in: ­Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 185; zu § 20a WpHG a. F. siehe Eichelberger, Marktmanipulationsverbot, S. 246; ebenso, aber vergleiche die obigen Ausführungen bei Fußnote 422, Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 53; Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 196; Trüg, in: Leitner / Rosenau WSS, § 38 WpHG Rn. 50. 425 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 19. 426 So explizit in Bezug auf Angaben ins Blaue Eichelberger, Marktmanipulationsverbot, S. 246 f.; de Schmidt, in: Just / Voß / R itz / Becker WpHG § 20a Rn.  181. 427 Trüg, in: Leitner / Rosenau WSS, § 38 WpHG Rn. 50; allein Angaben ins Blaue nennend Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 185. 428 So aber Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 185; Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 88.

§ 6 Das Marktmanipulationsverbot

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fung stattgefunden hat.429 Erst in diesem Fall besteht ein Irreführungspotenzial, sodass von einer falschen Information ausgegangen werden kann, wobei die sachliche Vertretbarkeit derselben irrelevant ist.430 Der eingangs zurückgewiesene Maßstab, ein falsches Werturteil bei einem Widerspruch zur eigenen Meinung anzunehmen, kann für die Beurteilung einer Unvertretbarkeit jedoch Anhaltspunkte liefern. Zu Recht ist es ein starkes Indiz für eine unvertretbare, falsche Bewertung, wenn ein aktivistischer Leerverkäufer unmittelbar im Anschluss an die Veröffentlichung des Reports und dem verursachten Kursverfall nicht nur seine Short-Position wieder schließt, sondern über die zur Erfüllung seiner Lieferungspflichten notwendigen Positionen hinausgehende Zukäufe tätigt.431 Ein solches Indiz liegt jedoch nur dann vor, wenn ein Widerspruch zur eigenen Bewertung besteht, der Leerverkäufer also weitere Zukäufe über dem von ihm in der Bewertung ausgesprochenen Kursziel vornimmt. Die Beurteilung von Gerüchten erfolgt ebenso nach den oben genannten Maßstäben. Die Ungewissheit über den Wahrheitsgehalt zwingt zu keiner abweichenden Beurteilung, da durch die objektiv-nachträgliche Betrachtung ein Vergleich mit den objektiven Gegebenheiten im Nachhinein der Ermittlungen möglich ist.432 Allgemein lassen sich Gerüchte danach als falsch charakterisieren, wenn deren Inhalt nicht zutrifft.433 Die genaue Abgrenzung zwischen falschen Gerüchten und falschen Tatsachen lässt sich allerdings nur schwer ziehen.434 Die Verbreitung von einzelnen unvollständigen, aber inhaltlich richtigen Informationen kann einen unzutreffenden Gesamteindruck verursachen.435 Dieser unzutreffende Gesamteindruck lässt sich einerseits als falsch im oben genannten Sinn436 oder anderseits als irreführend interpretieren.437 Da jedoch beide Alternativen gleichermaßen verboten sind, ergeben sich durch die unterschiedliche 429 Eichelberger, Marktmanipulationsverbot, S. 246; de Schmidt, in: Just / Voß / R itz / Becker WpHG § 20a, Rn. 181. 430 Eichelberger, Marktmanipulationsverbot, S. 246 f. 431 Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (726). 432 So im Ergebnis Stage, Strafbare Marktmanipulation während der Aktienemission im engeren Sinne, Rn. 413. 433 Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (727 f.); ähnlich Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 24. 434 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 24 a. E. 435 Vgl. für eine umfassende Abgrenzung Eichelberger, Marktmanipulationsverbot, S. 247 ff. 436 Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 53; zu § 20a WpHG a. F. Eichelberger, Marktmanipulationsverbot, S. 248, 252. 437 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 20; Trüg, in: Leitner /  Rosenau WSS, § 38 WpHG Rn. 50; Wentz, in: WM 2019, 196 (201); Graßl / Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (56); zu § 20a WpHG a. F. Stage, Strafbare Marktmanipulation während der Aktien­emission im engeren Sinne, Rn. 414; de Schmidt, in: Just / Voß / R itz / Becker WpHG § 20a Rn. 180; Schwark, in: Schwark / Zimmer KMRK 4. Aufl., § 20a WpHG Rn. 16 f.; in Bezug auf falsche Signale Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 262; BaFin, Emittentenleitfaden 5. Aufl., Modul C, III.7.3, S. 81.

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

dogmatische Einordnung keine praktisch relevanten Abweichungen.438 Für die Bejahung eines unzutreffenden Gesamteindrucks muss sich die Unvollständigkeit auf wesentliche Umstände beziehen, die in einem engen Kontext zu den angegebenen Informationen stehen und dieselben entstellen.439 ErwGr. Nr. 47 MAR hebt die Unterschlagung wesentlicher Sachverhalte hervor.440 Erst der unzutreffende Gesamteindruck bewirkt ein zu ahnendes Irreführungspotenzial441, das je nach dogmatischer Einordnung eine falsche oder irreführende Information darstellt. Vom Tatbestand der informationsgestützten Marktmanipulation sind neben falschen auch irreführende Informationen erfasst. Ob diese einen eigenen Anwendungsbereich haben442 oder unter ersteren zu subsumieren sind443, muss mangels praktischer Relevanz hier nicht weiter diskutiert werden.444 Der besseren Verständlichkeit halber orientiert sich die Darstellung im Folgenden am Wortlaut des Gesetzes. Als irreführende Informationen sind solche zu bezeichnen, die isoliert betrachtet inhaltlich richtig sind, aber wegen ihrer Darstellung beim Empfänger eine falsche Vorstellung über den geschilderten Sachverhalt nahelegen.445 Neben den bereits erläuterten unvollständigen Informationen gehören auch solche dazu, die durch ihre Präsentation den Anleger irreführen.446 Dies kann beispielsweise durch eine 438

So richtigerweise Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 20 Fn. 35; Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 88 Fn. 364. 439 Im Ergebnis eine restriktive Anwendung deshalb überzeugend annehmend Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 262; auch Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 89; Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 53; Trüg, in: Leitner / Rosenau WSS, § 38 WpHG Rn. 50; Eichelberger, Marktmanipulationsverbot, S. 248. 440 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 20; Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 262 Fn. 557. 441 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 262. 442 So wohl Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 20; LG Düsseldorf AG 2011, 722 (722). 443 So Eichelberger, Marktmanipulationsverbot, S. 252 f. Eichelberger stellt hier insbesondere auf den objektiven Empfängerhorizont ab, der dazu führt, dass die aus Tätersicht irreführenden Angaben im Ergebnis aufgrund der objektiven Betrachtung für den verständigen Anleger einen nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmenden Erklärungsinhalt aufweisen und deshalb zu unrichtigen Angaben werden. Ebenso Stage, Strafbare Marktmanipulation während der Aktienemission im engeren Sinne, Rn. 414 a. E., Rn. 415. 444 Im Ergebnis auch de Schmidt, in: Just / Voß / R itz / Becker WpHG § 20a, Rn. 183; a.A wohl Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 20. 445 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 20; Trüg, in: Leitner /  Rosenau WSS, § 38 WpHG Rn. 50; Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 447; Wentz, in: WM 2019, 196 (201); Graßl / Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (56); Sieder, ShortSelling-­Regulierung, S. 258; ähnlich Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 53; zu § 20a WpHG a. F. vgl. Begr. RegE AnSVG, BT-Drs 15/3174, 37; ­Fleischer, in: Fuchs WpHG § 20a Rn. 22. 446 Trüg, in: Leitner / Rosenau WSS, § 38 WpHG Rn. 50; Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 262; Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 90; BaFin, Emittentenleitfaden 5. Aufl., Modul C, III.7.3, S. 81.

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evident sachliche Ungleichgewichtung der mitgeteilten Sachumstände oder durch missverständliche Formulierungen geschehen.447 Bildlich gesprochen zählt auch das „Vergraben“ eines bedeutsamen Umstands in einer Vielzahl von unwichtigen Informationen dazu,448 wobei hier immer der Gesamtzusammenhang zu sehen ist.449 Eine Irreführung ist schon dann zu bejahen, wenn die Information die konkrete Gefahr impliziert, den Empfänger zu täuschen.450 Eine tatsächliche Fehlvorstellung muss dagegen nicht gegeben sein.451 Der Überprüfungsmaßstab richtet sich wiederum nach der bereits erläuterten objektiv-nachträglichen Perspektive eines verständigen Anlegers.452 Aktivistische Leerverkäufe können in Research Reports vor allem durch eine stark selektive und einseitige Wiedergabe von Informationen einen irreführenden Gesamteindruck über die tatsächliche wirtschaftliche Lage des Zielunternehmens erzeugen.453 Wann ein solcher irreführender Gesamteindruck allerdings vorliegt, gilt es im Einzelfall genau zu prüfen.454 In diesem Zusammenhang kann man wohl auf die Vorwürfe von Gotham gegenüber Aurelius verweisen, die die Zuverlässigkeit des CEO Markus Braun anzweifeln, weil dieser einen in Harvard erworbenen Doktortitel vortäusche.455 In der Darstellung fehlt allerdings der Hinweis, dass Braun tatsächlich ein entsprechender Titel von der Universität St. Gallen verliehen wurde. Diese Information wäre aber von entscheidender Bedeutung gewesen. Die einseitige Darstellung über den fehlenden Nachweis lässt also beim Empfänger eine falsche Vorstellung über den Sachverhalt entstehen, sodass ein irreführender Gesamteindruck über die Zuverlässigkeit der Person zurückbleibt. Die Unternehmensbewertung von Gotham wird mit weiteren Werturteilen und Tatsachenbehauptungen legitimiert, wobei ein Bewertungsspielraum zu berücksichtigen ist, der unter anderem auch die genutzte Methode umfasst. Ohne die einzelnen Bewertungen der jeweiligen Unternehmensbeteiligungen und die ihnen zugrundeliegenden Tatsachen im Detail nachvollziehen zu können, ist doch die erfolgreiche Veräußerung mit einer Wertdifferenz von über 100 Millionen Euro 447 Graßl / Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (56); zu § 20a WpHG a. F. de Schmidt, in: Just / Voß /  Ritz / Becker WpHG § 20a Rn. 182. 448 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 262 a. E. 449 LG Düsseldorf AG 2011, 722 (722). 450 In Bezug auf irreführende Signale Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 187; BaFin, Emittentenleitfaden 5. Aufl., Modul C, III.7.3, S. 81; ähnlich Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 261; zu § 20a WpHG a. F. Fleischer, in: Fuchs WpHG § 20a Rn. 22. 451 Fleischer, in: Fuchs WpHG § 20a Rn. 22. 452 So im Ergebnis ausdrücklich in Bezug auf irreführende Informationen Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 447; Eichelberger, Marktmanipulationsverbot, S. 251. 453 Wentz, in: WM 2019, 196 (201); ähnlich Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 258. 454 Ausdrücklich in Bezug auf aktivistische Leerverkäufe Graßl / Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (56); allgemeiner Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 23. 455 Gotham Aurelius Report v. 27. 04. 2017, S. 1 ff.

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

zur ursprünglichen Berechnung eine erhebliche Abweichung. Diese Abweichung ist ein starkes Indiz dafür, dass dieses Werturteil schon im maßgeblichen ex-ante Zeitpunkt nicht mehr nachvollziehbar war, die Bewertung sich also nicht plausibel ableiten ließ und deshalb als falsch einzuordnen ist. Danach ist dann auch die berechnete Höhe des Aktienkurses nicht mehr vertretbar und das Werturteil der Gesamtbewertung von Aurelius ist gem. Art. 12 I c MAR falsch. Anders fällt die Beurteilung bei Viceroy aus: Auch wenn eine Überprüfung sämtlicher im Research Report angeführten Transaktionen über den Rahmen dieser Arbeit hinausginge, bestätigt der später abgeschlossene neutrale Bericht von PwC die Plausibilität des prognostizierten Unternehmenswerts auf der Basis von gefälschten Bilanzierungen. Das ausgesprochene Werturteil von Viceroy über Steinhoff ist damit zutreffend, sodass keine falschen Informationen in diesem Report verbreitet wurden. Eine informationsgestützte Marktmanipulation liegt nicht vor. 4. Potenzieller Effekt Der Effekt456 einer Informationsverbreitung muss entweder falsche oder irreführende Signale hinsichtlich des Angebots, des Kurses oder der Nachfrage eines Finanzinstrumentes geben oder ein anormales oder künstliches Kursniveau herbeiführen. Bei beiden Varianten ist eine wahrscheinliche Signal- bzw. Kurswirkung suffizient, sodass eine tatsächliche Beeinflussung nicht erforderlich ist.457 Das Äquivalent zum potenziellen Effekt war gem. § 20a I 1 Alt. 1 WpHG a. F. die Preiseinwirkungseignung.458 Die praktische Relevanz dieses Merkmals für die Begrenzung des Tatbestands wurde aber überwiegend wegen der zwingenden Einschränkung auf bewertungserhebliche Umstände verneint. Mit dem Wegfall dieser Einschränkung erlangt das Tatbestandsmerkmal des potenziellen Effekts nunmehr eine erste begrenzende Wirkung.459 Nach § 20a I 1 Alt. 1 WpHG a. F. musste die Angaben geeignet sein, auf den Börsenpreis eines Finanzinstruments einzuwirken. Im Gegensatz dazu untersagte Art. 1 Nr. 2 c MAD die Verbreitung von solchen Informationen, die falsche und irreführende Signale in Bezug auf Finanzinstrumente geben oder geben könnten. Die MAD ähnelt damit eher der heutigen Formulierung der ersten Variante des potenziellen Effekts.460 § 20a I 1 Alt. 1 WpHG a. F. verharrte in der Begrifflich 456

Schmolke, in: Klöhn MAR Art. 12 Rn. 256. Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 57 bezeichnen deshalb das Tatbestandsmerkmal als Manipulationswahrscheinlichkeit; zur Kurswirkung Schmolke, in: Klöhn MAR Art. 12 Rn 263. 458 Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 57; Teige­ lack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 35. 459 Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 57. 460 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 239. 457

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keit des BörsG a. F. Deshalb kann seine Auslegung wegen des divergierenden Wortlauts nicht unmittelbar zur Konkretisierung der heutigen Begrifflichkeit des potenziellen Effekts beitragen.461 Trotzdem sind die Begrifflichkeiten der MAR kein Neuland für die Rechtsanwendung in Deutschland: § 20a I Nr. 2 WpHG a. F. stellte für die handelsgestützte Marktmanipulation auf die Eignung ab, falsche und irreführende Signale für das Angebot, die Nachfrage oder den Börsenpreis von Finanzinstrumenten‘ zu geben oder ‚ein anormales oder künstliches Kursniveau‘ herbeizuführen. Die Formulierung ähnelt stark den beiden Varianten des potenziellen Effekts des Art. 12 I c MAR, womit eine Angleichung an die handelsgestützte Marktmanipulation stattfindet.462 Daher können die Ausführungen der deutschen Rechtswissenschaft zur handelsgestützten Marktmanipulation gem. § 20a I 1 Nr. 2 WpHG a. F. bei der Auslegung des potenziellen Effekts teilweise fruchtbar gemacht werden,463 nämlich insoweit sie den Besonderheiten der Verwendung von Informationen als Manipulationsmittel Rechnung trägt. a) Falsche und irreführende Signale Ein Signal ist ein Zeichen, dem eine bestimmte Bedeutung entnommen werden kann.464 Nach dem Verständnis zur handelsgestützten Marktmanipulation lag eine Wirkung eines Zeichens für das Angebot, die Nachfrage oder den Kurs dann vor, wenn dieses geeignet war, das Angebots- bzw. Nachfrageverhalten auf dem Markt oder den Marktpreis positiv oder negativ zu beeinflussen.465 Danach impliziert allerdings jedes Geschäft ein entsprechendes Signal.466 Diese Kritik gilt auch für die Wirkung von Informationen: Die MAR setzt voraus, dass verständige Anleger bei ihren Entscheidungen alle verfügbaren Informationen einbeziehen, wodurch grundsätzlich jede Informationsverbreitung auch ein potenzielles Signal für das Angebot, die Nachfrage oder den Preis eines Finanzinstrumentes enthalten kann.467 461

Im Ergebnis ebenfalls Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 35. 462 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 46. 463 Trüg, in: Leitner / Rosenau WSS, § 38 WpHG Rn. 49; Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 35; Oulds, in: Kümpel / Mülbert / Früh / Seyfried BKMR, 12.  Teil Art. 15, 12 ff. MAR Rn. 12.40. 464 Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 60; umfassend Schönhöft, Die Strafbarkeit der Marktmanipulation gem. § 20a WpHG, S. 106. 465 M. w. N. Schönwälder, Grund und Grenzen einer strafrechtlichen Regulierung der Marktmanipulation, S. 133; kritisch Stage, Strafbare Marktmanipulation während der Aktienemission im engeren Sinne, Rn. 556. 466 Vogel, in: Assmann / Schneider, WpHG 6. Aufl., § 20a Rn. 150; Stage, Strafbare Marktmanipulation während der Aktienemission im engeren Sinne, Rn. 557, ebenso zu Art. 12 a MAR Anschütz / Kunzelmann, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 14 Rn. 17; Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, S. 57. 467 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 38; Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 198.

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

Eine Eingrenzung des Tatbestandes muss deshalb eine falsche oder irreführende Signalwirkung vorschreiben, weil nur diese den Handlungsunwert hervorruft. Zur handelsgestützten Marktmanipulation waren die Signale falsch, wenn sie nicht den wahren wirtschaftlichen Verhältnissen auf dem jeweiligen Markt in Bezug auf das Finanzinstrument entsprachen.468 Ein irreführendes Signal lag vor, wenn es geeignet war, einen verständigen Anleger über die wahren wirtschaftlichen Verhältnisse zu täuschen.469 Wahre wirtschaftliche Verhältnisse sollten unter anderem die marktgerechte Nachfrage, das marktgerechte Angebot sowie den marktgerechten Preis oder die Liquidität des Finanzinstruments widerspiegeln.470 In diesem Kontext wurde überzeugend dargelegt, dass der wahre wirtschaftliche Wert nur schwer feststellbar ist, weil dieser von zahlreichen Bewertungsaspekten abhängt.471 Diese Problematik erschwert die Abgrenzung falscher von irreführenden Signalen, sodass ein weites Begriffsverständnis letzterer zu empfehlen ist, das erstere mit einschließt.472 Letztlich ist auschlaggebend, ob eine Fehlvorstellung beim verständigen Anleger hervorgerufen werden kann. Bei Anwendung dieser Vorgaben auf die informationsgestützte Marktmanipulation ist zu beachten, dass für die Verwirklichung des Tatbestandes die Informationen selbst schon falsch oder irreführend sein müssen. Anders als bei der handelsgestützten Marktmanipulation bedarf es nicht falscher und irreführender Signale, um im Ausgangspunkt neutrale, legitime von illegitimen Handelstätigkeiten zu unterscheiden.473 Das Verbreiten von falschen und irreführenden Informationen ist schon im Grundsatz illegitim.474 Damit verbunden sind dann in der Regel falsche und irreführende Signale, sodass es maßgeblich auf die Prüfung der oben beschriebenen Kriterien zur falschen und irreführenden Informationen an-

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M. w. N. Schönwälder, Grund und Grenzen einer strafrechtlichen Regulierung der Marktmanipulation, S. 133; ähnlich Stoll, in: KK-WpHG § 20a Rn. 223; zu Art. 12 a MAR Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 47; Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, S. 57. 469 M. w. N. Schönwälder, Grund und Grenzen einer strafrechtlichen Regulierung der Marktmanipulation, S. 133 f.; a. A. Eichelberger, Marktmanipulationsverbot, S. 290; zu Art. 12  a MAR Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 47. 470 Vogel, in: Assmann / Schneider, WpHG 6. Aufl., § 20a Rn. 150. 471 Vgl. ausführlich dazu Eichelberger, Marktmanipulationsverbot, S. 290; Stoll, in: KKWpHG § 20a Rn. 223; ebenso kritisch Schönwälder, Grund und Grenzen einer strafrechtlichen Regulierung der Marktmanipulation, S. 135; Vogel, in: Assmann / Schneider, WpHG 6. Aufl., § 20a Rn. 150. 472 Zu Art. 12  a MAR Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 47; Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 79, 60; Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, S. 58; Stoll, in: KK-WpHG § 20a Rn. 223; de Schmidt, in: Just / Voß / R itz / Becker WpHG § 20a Rn.  135; abweichend Stage, Strafbare Marktmanipulation während der Aktienemission im engeren Sinne, Rn. 557 ff. 473 So für die Funktion bei Art. 12 I a MAR Spoerr, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, § 119 WpHG Rn. 52. 474 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 40; Worms, in: Assmann / Schütze / Buck-Heeb, HdB KapitalanlageR, § 10 Rn.  80 f.

§ 6 Das Marktmanipulationsverbot

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kommt.475 Aus diesem Grund sind auch keine Grenzfälle denkbar, in denen die vorrangig zur handelsgestützten Marktmanipulation geführte Diskussion um den erforderlichen Wahrscheinlichkeitsgrad476 relevant werden könnte. Um der erforderlichen Signalwirkung als eigenständiges Tatbestandsmerkmal jedoch entsprechend Rechnung zu tragen, ist es im Sinne einer Kontextualisierung erforderlich, die verbreiteten Informationen in die konkrete Marktsituation und die den Marktteilnehmern verfügbaren Informationen einzuordnen.477 Nur so können, dem jeweiligen Handlungsunwert entsprechend, geringfügige von schwerwiegenden zu verbietenden falschen und irreführenden Informationen gefiltert werden. In Extremfällen lässt sich hier leicht differenzieren: Wenn der Verbreitende tatsächlich kausal den Preis eines Tatobjekts beeinflusst, ist damit ein falsches oder irreführendes Signal gesetzt.478 Bei offensichtlich falschen und irreführenden Informationen muss eine Signalwirkung ebenso verneint werden479 wie bei solchen, die für den Empfängerhorizont nicht erkennbar sind.480 In diesen Fällen kann ein verständiger Anleger nicht zu einem bestimmten Marktverhalten veranlasst werden.481 In Betracht kommt dann ausschließlich eine versuchte Marktmanipulation, sofern der entsprechende Vorsatz nachweisbar ist. Für die zwischen diesen Polen liegenden Fälle wird die rechtssichere Handhabung des Tatbestandsmerkmals mangels Konkretisierung durch den Gesetzgeber erschwert.482 Im Gegensatz zur 475

Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 63; Worms, in: Assmann / Schütze / Buck-Heeb, HdB KapitalanlageR, § 10 Rn. 80 f.; ähnlich wohl Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 73 f. 476 Unter der Geltung von § 20a WpHG a. F. bestand Einigkeit darin, dass ein gewisser Wahrscheinlichkeitsgrad anzunehmen war. Offen blieb aber, ob hierfür eine fernliegende Möglichkeit ausreichte oder eine überwiegende Wahrscheinlichkeit erforderlich war, ­Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 93. Diese Problematik besteht auch weiterhin unter der MAR, bei der vom Ausreichen einer typischerweise zu erwartenden Wahrnehmung (so Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 45) bis zum Erfordernis einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit von mehr 50 % plädiert wird, ­Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 79, 64; ­Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 66; Oulds, in: Kümpel / Mülbert / Früh / Seyfried BKMR, 12. Teil Art. 15, 12 ff. MAR Rn. 12.19 Fn. 3; Zimmer /  Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 26. 477 Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 63. 478 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn 42; Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 198. Dieses ist insbesondere in jeder Prüfung des Straftatbestandes gem. §§ 119 I, 120 II Nr. 3 WpHG von Bedeutung, der einen kausalen Einwirkungserfolg vorschreibt, Trüg, in: Leitner / Rosenau WSS, § 38 WpHG Rn. 54; Spoerr, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, § 119 WpHG Rn. 78. 479 Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 63. 480 Sofern es nicht schon an einer Informationsverbreitung fehlt, Teigelack, in: Meyer / Veil /  Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn 42. 481 Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 63; in diese Richtung auch Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art.  12 MAR Rn. 185, 65. 482 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 35.

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

handelsgestützten Marktmanipulation hat dieser nämlich keine Indikatoren zur Konkretisierung des Tatbestandsmerkmals im Anhang der MAR eingefügt und der ESMA keine Verordnungsermächtigung zur weiteren Präzisierung erteilt. Bis zum Erlass weiterer Leitlinien durch die Aufsichtsbehörden muss die Rechtsanwendung versuchen, auf andere Art eine praxisadäquate Handhabung zu erreichen. Trotz fehlender unmittelbarer Anwendbarkeit kann eine Signalgebung dann in Betracht gezogen werden, wenn die Informationen als bewertungserhebliche Umstände gem. § 20a I 1 Nr. 1 Alt. 1 WpHG a. F. i. V. m. § 2 II–IV MaKonV eingeordnet werden können.483 Für die unter dieser Schwelle der Erheblichkeit verbleibenden Fälle ist individuell zu überprüfen, ob die falsche und irreführende Information in der Entscheidung des verständigen Anlegers berücksichtigt worden ist.484 b) Anormales oder künstliches Kursniveau Was unter der Herbeiführung eines anormalen oder künstlichen Kursniveaus konkret zu verstehen ist, wird in der MAR ebenfalls nicht weiter definiert.485 Zunächst ist festzuhalten, dass ‚anormal‘ und ‚künstlich‘ lediglich als Synonyme verwendet werden.486 Wie bei der ersten Alternative des potenziellen Effekts, ist auch diese Formulierung den Begrifflichkeiten zur handelsgestützten Marktmanipulation entnommen.487 Ein Preisniveau war danach künstlich, wenn es nicht mehr als das Ergebnis eines unbeeinflussten Marktgeschehens betrachtet werden konnte.488 Dabei musste das künstliche Preisniveau nach Rechtsprechung des EuGH nicht über einen längeren Zeitraum gehalten werden.489 Auch diese Definition wurde erheblich kritisiert, weil sie zum einen das Konstrukt des „künstlichen Preises“ nicht genau bestimmte und zum anderen eine zirkuläre Argumentation

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Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 43; Oulds, in: Kümpel /  Mülbert / Früh / Seyfried BKMR, 12. Teil Art. 15, 12 ff. MAR Rn. 12.43; Saliger, in: Park, Kapital­marktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 199; Worms, in: Assmann / Schütze / Buck-Heeb, HdB KapitalanlageR, § 10 Rn. 82; als konkrete Beispiele für Informationen mit potenzieller Wirkung als Preissignal anführend, Schmolke, in: Klöhn MAR Art. 12 Rn. 259. 484 So im Ergebnis Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 46; Oulds, in: Kümpel / Mülbert / Früh / Seyfried BKMR, 12. Teil Art. 15, 12 ff. MAR Rn. 12.43. 485 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 50; Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, S. 61. 486 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 54; Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 65; ähnlich Anschütz / Kunzelmann, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 14 Rn. 22. 487 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 49. 488 Anders formuliert bedeutet die Definition nämlich nur, dass ein künstliches Preisniveau dann vorliegt, wenn es manipuliert wurde, de Schmidt, in: Just / Voß / R itz / Becker WpHG § 20a Rn. 138; Stoll, in: KK-WpHG § 20a Rn. 226; ähnlich Vogel, in: Assmann / Schneider, WpHG 6. Aufl., § 20a Rn. 151. 489 EuGH Urt. v. 7. 7. 2011 – C-445/09 CELEX 62009CJ0445 = NJW 2011, 3214.

§ 6 Das Marktmanipulationsverbot

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vor­lag.490 Diese Problematik setzt sich unter Geltung der MAR fort,491 wird aber für die handelsgestützte Marktmanipulation durch die einschlägigen Indikatoren im Anhang I MAR in der Rechtsanwendung wenigstens teilweise entschärft.492 Für die informationsgestützte Marktmanipulation könnte mangels Konkretisierung durch den europäischen Gesetzgeber eine fehlende praktische Handhabbarkeit naheliegen.493 Gleichwohl ist ein eigenständiger Anwendungsbereich des künstlichen Preisniveaus nicht denkbar, ohne dass gleichzeitig auch die erste Alternative bei der informationsgestützten Marktmanipulation vorliegt.494 Der beeinflusste Marktprozess und das Senden falscher und irreführender Signale bedingen sich nämlich bei der Informationsverbreitung wechselseitig. Ein Marktprozess kann nur dann unbeeinflusst sein, wenn die verbreiteten Informationen weder falsche noch irreführende Signale beinhalten.495 Die zweite Alternative ist deshalb für die Prüfung der informationsgestützten Marktmanipulation irrelevant. Bei Übertragung dieser Ergebnisse auf aktivistische Leerverkäufe zeigt sich folgendes Bild: Für die Bejahung des potenziellen Effekts ist entscheidend, dass der Leerverkäufer durch die Verbreitung von Informationen eine möglichst umfassende und schnell eintretende Kursbewegung verursachen will. Deshalb wird er im Research Report vor allem zentrale bewertungserhebliche Umstände anführen, durch die er die Masse von Anlegern beeinflussen kann. Verwendet er dabei falsche oder irreführende bewertungserhebliche Informationen, geben diese auch falsche und irreführende Signale hinsichtlich des Angebots, der Nachfrage und des Aktienkurses des Zielunternehmens. Ein verständiger Anleger würde diese Informationen bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen und unterläge im Ergebnis einer entsprechenden Fehlvorstellung. Der potenzielle Effekt ist also durch die Verbreitung des Research Reports erzielt. Für die strafrechtliche Beurteilung

490

Stoll, in: KK-WpHG § 20a Rn. 226; Vogel, in: Assmann / Schneider, WpHG 6. Aufl., § 20a Rn. 151; umfassend auch Eichelberger, Marktmanipulationsverbot, S. 294 ff. 491 Vgl. nur Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 91; Oulds, in: Kümpel / Mülbert / Früh / Seyfried BKMR, 12.  Teil Art.  15, 12 ff. MAR Rn. 12.18; Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 30; kritisch Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 54 ff.; ausführliche Analyse bei Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, S. 61 ff. 492 Teilweise werden in den Indikatoren und Praktiken auch positiv zu wertende Handelsstrategien mit volkswirtschaftlichem Nutzen beschrieben, sodass teleologische Reduktionen des Art. 12 I a MAR erforderlich sein können, vgl. genauer Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, S. 75 f. 493 So in Bezug auf die Nachweisschwierigkeiten Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 51. 494 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 266; Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 65; in diese Richtung auch Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 92; generell für Art. 12 I a MAR eine weite Überschneidung annehmend, Gerner-Beuerle, in: Lehmann / Kumpan European Financial Services Law Art. 12 MAR Rn. 5. 495 Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 65.

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

ergibt sich dieser aber bereits aus der festzustellenden tatsächlichen Einwirkung auf den Börsenpreis. Mit Blick auf die ausgewählten Beispielsfälle lässt sich daraus folgendes Ergebnis ableiten: Wie oben schon festgestellt, hat Gotham im Research Report falsche Informationen verbreitet, die von einem verständigen Anleger berücksichtigt worden wären und bei ihm zu einer entsprechenden Fehlvorstellung hinsichtlich der Informationen geführt hätten. Deshalb gibt der Research Report ein falsches Signal. Wie im Anschluss noch näher erläutert wird, hat der Leerverkäufer auch tatsächlich auf den Börsenpreis eingewirkt, sodass das Merkmal des potenziellen Effekts erfüllt ist. Da im Fall Steinhoff / Viceroy die Informationen nicht falsch waren, hat der Research Report auch keine falschen und irreführenden Signale gesendet. Ein potenzieller Effekt liegt nicht vor, sodass der aktivistische Leerverkauf nicht gegen das Verbot des Art. 12 I c verstößt. 5. Subjektive Voraussetzungen Nach Art. 12 I c MAR muss der Täter wissen oder hätte wissen müssen, dass die Informationen falsch oder irreführend waren. Während die Kenntnis der Unrichtigkeit ein vorsätzliches Handeln voraussetzt, wird durch das Wissenmüssen auch fahrlässige Unkenntnis sanktioniert.496 Bezugspunkt des Vorsatzes oder der Fahrlässigkeit ist ausdrücklich die Unrichtigkeit oder der irreführende Charakter der Informationen selbst.497 Der potenzielle Effekt als falsches oder irreführendes Signal muss nicht vom subjektiven Element erfasst sein, sodass fehlende Gedanken über die Auswirkungen der Informationsverbreitung irrelevant sind.498 Über diese explizit niedergelegten Anforderungen hinaus bestehen keine subjektiven Voraussetzungen im Sinne eines allgemeinen Vorsatzerfordernisses des Art. 12 MAR.499 Die fahrlässige Unkenntnis ist objektiv zu bestimmen und aufgrund des englischen Wortlauts ‚ought to have known‘ nicht als strengere Leichtfertigkeit zu verstehen.500 496

Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 268; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 199; Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, S. 45; implizit Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 111; Spoerr, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht § 119 WpHG Rn. 85; Rönnau / Wegner, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 28 Rn. 81. 497 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 268; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 200. 498 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 200. 499 Vgl. zur Diskussion um ein allgemeines Vorsatzerfordernis Kap. 3 § 6 B. IV. 4. 500 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 199; Gerner-Beuerle, in: Lehmann / Kumpan, European Financial Services Law, Art. 12 MAR Rn. 17; Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 94; Veil, in: ZGR 2016, 305 (310 f.); so auch für die identische Formulierung bei Art. 12 I d MAR Sajnovits, Financial Benchmarks, S. 137 f.; a. A. Brinckmann, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 15 Rn. 44; Stoll, in: KK-WpHG § 20a Rn. 248.

§ 6 Das Marktmanipulationsverbot

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In praktischer Hinsicht ist aber zu beachten, dass diese Fahrlässigkeit vom nationalen Sanktionsregime wegen der erforderlichen leichtfertigen Begehung gem. § 120 II Nr. 3 WpHG überlagert werden wird.501 Wegen dieser Verknüpfung wird der Fall Aurelius / Gotham mit der möglichen Verwirk­lichung des Art. 12 I c MAR auch erst an dieser Stelle weiter thematisiert. 6. Zwischenergebnis Zu den wesentlichen Auslegungsergebnissen der informationsgestützten Marktmanipulation lässt sich resümieren, dass der Informationsbegriff weit zu verstehen ist und keine Anforderungen an die Tatsachengrundlage von Werturteilen und Gerüchten stellt. Der Tatbestand erfasst jedoch nicht mehr das Verschweigen entgegen bestehender Rechtspflichten. Die verbreiteten Informationen müssen allerdings selbst schon falsch oder irreführend sein, wodurch dann auch regelmäßig ein falsches und irreführendes Signal gegeben wird. Zur besseren Handhabung kann auf die bewertungserheblichen Umstände gem. § 20a I 1 Nr. 1 Alt. 1 WpHG a. F. i. V. m. § 2 II–IV MaKonV zurückgegriffen werden. Die Variante des künstlichen Kursniveaus hat für Art. 12 I c MAR neben der Signalwirkung aber keine eigenständige Bedeutung.

IV. Handels- und handlungsgestützte Marktmanipulation, Art. 12 I a MAR Art. 12 I a MAR ersetzt die alte Regelung der handelsgestützten Marktmanipulation gem. Art. 1 I Nr. 2 a MAD, die von § 20a I 1 Nr. 2 WpHG a. F. umgesetzt wurde.502 Die Erweiterung der Tathandlungen mit der Variante ‚jede andere Handlung‘ und die damit einhergehende fehlende Abgrenzbarkeit der Tatbestandsvarianten des Art. 12 I MAR wurde bereits eingangs erwähnt. Wie sogleich erläutert wird, umfasst Art. 12 I a MAR nach hier vertretener Ansicht letztlich nur handels- und handlungsgestützte Marktmanipulationen.

501

Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 54; Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 111; ähnlich Rönnau / Wegner, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 28 Rn.  81; Anschütz / Kunzelmann, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 14 Rn. 95. Vgl. zur Überlagerung detaillierter Kap. 3 § 6 B. VI. 2. 502 Oulds, in: Kümpel / Mülbert / Früh / Seyfried BKMR, 12. Teil Art. 15, 12 ff. MAR Rn. 12.13.

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

1. Tathandlung Art. 12 I a MAR erfasst als taugliche Tathandlung einen Geschäftsabschluss, die Erteilung eines Handelsauftrags sowie jede andere Handlung. a) Abschluss eines Geschäfts und Erteilung eines Handelsauftrags Geschäfte sind alle Transaktionen mit den in Art. 12 I a MAR genannten Finanzinstrumenten, Waren-Spot-Kontrakten oder Auktionsobjekten, wobei primär deren Erwerb und Veräußerung gemeint sind.503 Für den Abschluss reicht es bereits aus, das Verpflichtungsgeschäft einzugehen.504 Ein Handelsauftrag ist jede Order im kapitalmarktrechtlichen Sinn.505 Erster in Betracht kommender Anknüpfungspunkt bei aktivistischen Leerverkäufen ist die Leerverkaufsposition selbst, bei der vom Leerverkäufer Aktien veräußert werden und eine entsprechende Order erteilt wird. Ein Geschäftsabschluss und eine Erteilung eines Handelsauftrags liegen also vor. b) Jede andere Handlung Darüber hinaus kommt eine Subsumtion unter die Tathandlungsvariante ‚jede andere Handlung‘ in Betracht. Wie bereits diskutiert, ist diese Variante eine erhebliche Erweiterung gegenüber der Vorgängerregelung der MAD und erschwert die Abgrenzung der jeweiligen Tatbestände anhand des Manipulationsmittels. Dabei lassen sich auf den ersten Blick auch handlungs- und informationsgestützte Marktmanipulationen unter diese Variante fassen.506 Die Tathandlung weist mit dieser Erweiterung deshalb zunächst eine gewisse Auffangfunktion auf.507 Deshalb könnten aktivistische Leerverkäufe auch mit der Verbreitung von Informationen von Art. 12 I a MAR erfasst sein. Mit diesem weiten Begriff ‚jede andere Handlung‘ stellt sich dann allerdings die Frage nach der Systematik von Art. 12 I MAR.

503

Statt aller Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 35. M. w. N. Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art.  12 MAR Rn. 53. 505 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 37 f. Die Erteilung des Handelsauftrags liegt bereits mit Zugang beim Adressaten vor. 506 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 50; Anschütz / Kunzelmann, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 14 Rn. 16; negativ abgrenzend, Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 7; Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 76. 507 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 50; für Art. 12 I a und b MAR feststellend, Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 196; umfassend zur Einbeziehung der handlungsgestützten Verhaltensweisen bei Art. 12 I a MAR Zimmer /  Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 18 ff. 504

§ 6 Das Marktmanipulationsverbot

131

Aufgrund dieser Erweiterung kann diese Tathandlungsvariante auf ausschließlich handelsbezogene Marktmanipulationsarten nicht beschränkt werden.508 Vergleicht man Art. 12 I b MAR mit Art. 12 I a MAR, soll nach einer Ansicht mit ersterem eine Differenzierung zur Auffangvariante des letzteren angestrebt gewesen sein.509 Diese Argumentation kann aber nicht überzeugen, da beide Varianten von Art. 12 I a und b MAR sich ausschließlich in sprachlicher Hinsicht unterscheiden. Daraus lassen sich aber keine inhaltlichen Differenzen ableiten.510 Offensichtlich wird dieses bei einem Vergleich zum Englischen, das nur von ‚any other behaviour‘ (lit. a) bzw. ‚any other activity or behaviour‘ (lit. b) spricht.511 Der weite Begriff ‚behaviour‘ hebt sich deutlich von den in Art. 12 I a MAR im Übrigen handelsspezifischen Begriffen von ‚entering into a transaction‘ und ‚placing an order to trade‘ ab. Erfasst wird nach diesem Begriff also jedes Verhalten.512 Der Wortlaut spricht damit gegen eine Begrenzung von Art. 12 I a MAR auf rein handels­ gestützte Marktmanipulationen.513 Für Informationsverbreitungen lässt sich die Überschneidung von Art. 12 I c MAR im Verhältnis zu Art. 12 I a MAR als lex specialis einordnen, womit diese Problematik teilweise entschärft wird.514 Art. 12 I c MAR hat im Gegensatz zu Art. 12 I a MAR explizit subjektive Anforderungen, die bei einer parallelen Anwendung beider Tatbestände für Informationsverbreitungen unterlaufen werden könnten. Deshalb rechtfertigt sich eine Verdrängung von Art. 12 I a MAR durch Art. 12 I c MAR,515 wobei dieser Ausschluss nicht erst auf Konkurrenzebene,516 sondern bereits auf Tatbestandsebene zu verorten ist.517 Unter teleologischen Gesichtspunkten besteht keine Gefahr einer Absenkung des von der MAR gewollten umfassenden Schutzniveaus.518 Sämtliche Fälle informationsgestützter Markt­ manipulationen bleiben nämlich weiterhin von den Tatbestandsvarianten des Art. 12 I b und c MAR erfasst. Zudem sind die auf informationsgestütztem Verhalten beruhenden Praktiken Anhang II Abschnitt 1 Nr. 4 d, e DelVO 2016/522 aufgrund ihres unverbindlichen Charakters ungeeignet, zwingende Vorgaben hin 508

So aber Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 76; Anschütz / Kunzelmann, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 14 Rn. 16; Spoerr, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht § 119 WpHG Rn. 50. 509 So Anschütz / Kunzelmann, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 14 Rn. 16. 510 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 196; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 141. 511 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 196 Fn. 439. 512 Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, S. 51. 513 Worms, in: Assmann / Schütze / Buck-Heeb, HdB KapitalanlageR, § 10 Rn. 38. 514 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 19; ders., in: FS 25 Jahre WpHG, 653 (660); ders., in: ZGR 2020, 291 (305); Anschütz / Kunzelmann, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 14 Rn. 6; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art.  12 MAR Rn. 50; Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 84. 515 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 19. 516 So im Ergebnis die Lösung der in Fußnote 514 zitierten Quellen. 517 So auch Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 16. 518 Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 17.

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

sichtlich der Systematik der MAR zu machen.519 Der Ausschluss auf Tatbestandsebene verhindert systematische Friktionen und ist deshalb aufgrund der eindeutigeren Systematik vorzuziehen. Für die Überschneidungen von Art. 12 I a und b MAR bei handels- und handlungsgestützten Marktmanipulationen muss es de lege lata bei einer parallelen Anwendbarkeit der beiden Tatbestände bleiben. Eine vergleichbare Gefahr wie im Verhältnis von Art. 12 I a zu Art. 12 I c MAR, subjektive Anforderungen zu unterlaufen, existiert hier nicht. Wie noch zu zeigen sein wird, enthält Art. 12 I b MAR zwar wegen des Täuschungselements auch subjektive Anforderungen, dieselben ergeben sich aber erst implizit aus dem Täuschungselement und nicht explizit aufgrund gesetzlicher Anordnung wie bei Art. 12 I c MAR. Darüber hinaus statuieren Art. 12 I a und c MAR beide den potenziellen Effekt der Tathandlung als Geben von falschen und irreführenden Signalen bzw. als Herbeiführung eines künstlichen Kursniveaus. Art. 12 I b MAR hingegen verlangt die Verursachung einer Täuschung. Art. 12 I a und b MAR sind also diesbezüglich nicht vergleichbar. Andererseits kann Art. 12 I b MAR auch nicht den Ausschlussgrund des Art. 12 I a MAR der zulässigen Marktpraxis entwerten, da diese nicht mit der von Art. 12 I b MAR geforderten Täuschung vereinbar ist.520 Es muss damit bei der gesetzgeberischen Entscheidung bleiben, die im sprachlich identischen Wortlaut der Tathandlungsvarianten einen Gleichlauf zwischen lit. a und lit. b annimmt, wenn durch die Tathandlung sowohl ein potenzieller Effekt als auch ein Täuschungselement verursacht wird. c) Die Einbeziehung von Unterlassungen Neben dieser systematischen Einordnung ist die Einbeziehung von Unterlassungen innerhalb der Auffangvariante ‚jede andere Handlung‘ problematisch. Aktivistische Leerverkäufe können gegen die Offenlegungsverpflichtung des Art. 6 I SSR verstoßen, wobei dann eine Tatbestandverwirklichung durch Unterlassen relevant wird. Der Wortlaut der deutschen Fassung des Art. 12 I a MAR ist hinsichtlich der Einbeziehung von Unterlassungen nicht eindeutig521 und schließt diese – anders als Art. 12 I c MAR – nicht von vornherein aus. Wie bereits erläutert, kann Art. 2 IV MAR als Norm des allgemeinen Anwendungsbereichs nicht zur näheren Bestimmung beitragen. Vielmehr gilt es, für jede materielle Verhaltensnorm der MAR isoliert festzustellen, ob ausschließlich aktive Handlungen erfasst sind oder auch Unterlassungen einbezogen werden müssen. Wie die Informationsverbreitung sind auch der Geschäftsabschluss und die Erteilung eines Handelsauftrags aktive Hand 519

Die informationsgestützten Praktiken sind insoweit teleologisch zu reduzieren, Zimmer /  Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 16 f. 520 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 17. 521 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 40.

§ 6 Das Marktmanipulationsverbot

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lungen.522 Solch ein Verständnis legt auch die Formulierung der Auffangvariante ‚jeder anderen Handlung‘ sowie die in Art. 12 I MAR einleitende Begrenzung auf ‚folgende Handlungen‘ nahe. Der englische Wortlaut der Auffangvariante des Art. 12 I a MAR ‚any other behaviour‘ ist aber im Gegensatz zum Handlungs­ begriff der Einleitung des Art. 12 I MAR ‚activities‘ weiter und schließt Unterlassungen ein.523 Die einleitende Formulierung in Art. 12 I MAR von ‚activities‘ beschränkt den gesamten Tatbestand auch nicht auf eine aktive Verwirk­lichung,524 da erst die jeweiligen litterae als die materiellen Definitionsnormen des Markt­ manipulationsverbots einzuordnen sind. Damit überlagern diese Varianten den einleitenden Satz und sind deshalb der Maßstab.525 Gleiches gilt, wenn die CRIM-MAD als Argumentation herangezogen wird, wonach der Art. 5 II CRIM-MAD auf einen generellen Ausschluss einer Verwirklichung des Marktmanipulationsverbots durch Unterlassen in allen Varianten hindeute.526 Maßgeblich bleibt ausschließlich die jeweilige Definitionsnorm des Art. 12 I a MAR. Dieser Maßstab gilt nicht nur für das aufsichtsrechtliche Verbot des Art. 15 MAR, sondern auch für die nationalen Sanktionsnormen der §§ 119, 120 WpHG. Dort greift der deutsche Gesetzgeber nämlich innerhalb der Blankettkette auf die vollharmonisierende Definitionsnorm des Art. 12 I MAR zurück. Diesem Ergebnis entspricht auch der Telos des Marktmanipulationsverbots mit einem möglichst umfassenden Funktionsschutz der Kapitalmärkte, wodurch zukünftige, neue Manipulationsmethoden in jeder Hinsicht erfasst werden können.527 Unter Berücksichtigung des englischen Wortlauts sind also auch Unterlassungen mit der Auffangvariante des Art. 12 I a MAR einbezogen.528 522

Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 119. Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 40; Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, S. 52; in Bezug auf Art. 12 I b MAR Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 119; a. A. Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 58; Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 98; Worms, in: Assmann / Schütze / Buck-Heeb, HdB KapitalanlageR, § 10 Rn. 38 a. E. 524 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 40; näher ders., in: FS 25 Jahre WpHG, 653 (662 f.); a. A. Sajnovits / Wagner, in: WM 2017, 1189 (1192). 525 Ähnlich Schmolke, in: FS 25 Jahre WpHG, 653 (663 f.). 526 So Sajnovits / Wagner, in: WM 2017, 1189 (1193). 527 In diese Richtung Schmolke, in: FS 25 Jahre WpHG, 653 (663); Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, S. 52. 528 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 40; ders., in: FS 25 Jahre WpHG, 653 (663 f.); Oulds, in: Kümpel / Mülbert / Früh / Seyfried BKMR, 12. Teil Art. 15, 12 ff. MAR Rn. 12.41; Bayram / Meier, in: BKR 2018, 55 (60); mit übertragbarer Argumentation in Bezug auf Art. 12 I b MAR Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 119; einschränkend Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 208; a. A. Mülbert, in: Assmann /  Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 58; Worms, in: Assmann /  Schütze / Buck-Heeb, HdB KapitalanlageR, § 10 Rn. 38 a. E.; lediglich in Unterlassen über § 13 StGB bei einem vorsätzlichen Verstoß für möglich haltend Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (722); eine Unterlassungsverwirklichung generell für Art. 12 I MAR ablehnend Zimmer /  Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 98; Saliger, in: WM 2017, 2329 (2333); Sajnovits / Wagner, in: WM 2017, 1189 (1193); Bator, in: BKR 2016, 1 (3 f.); Frömel, Short-SellAttacken, S. 82; kritisch auch für Art. 12 I a–c MAR wegen des Bestimmtheitsgrundsatzes gem. Art. 103 II GG Rückert, in: NStZ 2020, 391 (394 ff.). 523

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

d) Die Anknüpfungspunkte eines aktivistischen Leerverkaufs Für aktivistische Leerverkäufe lassen sich die in Betracht kommenden Anknüpfungspunkte als relevante Tathandlungen wie folgt zusammenfassen: Der Leerverkauf ist ein Geschäftsabschluss und die Erteilung eines Handelsauftrags.529 Daneben kann die unterlassene Veröffentlichung der Leerverkaufsposition gem. Art. 6 I SSR tatbestandsmäßig sein.530 Die Veröffentlichung des Research Reports als Informationsverbreitung ist dagegen wegen der Spezialität des Art. 12 I c MAR von Art. 12 I a MAR ausgeschlossen. Dies gilt ebenso für das Verschweigen der Leerverkaufsposition im Research Report, weil auch in dieser Konstellation die vorwerfbare Tathandlung ausschließlich eine Informationsverbreitung darstellt. Möglich bleibt dagegen eine Verwirklichung des Art. 12 I b MAR. Mit Blick auf die beiden Beispiele verbleibt es damit für die weitere Prüfung des Art. 12 I a MAR bei den getätigten Leerverkäufen. Wie im § 4 erläutert, hat Gotham laut Bundesanzeiger seine Position gem. Art. 6 I SSR veröffentlicht. Im Fall Steinhoff / Viceroy scheidet ein solcher Verstoß bereits wegen der Ausnahme gem. Art. 16 SSR aus.531 2. Potenzieller Effekt Wie die informationsgestützte Marktmanipulation erfordert Art. 12 I a MAR einen potenziellen Effekt der Tathandlungen, wenn falsche oder irreführende Signale gesendet worden sind bzw. ein künstliches Kursniveau herbeigeführt wurde. Da für die Auslegung der informationsgestützten Marktmanipulation die Erkenntnisse zur handelsgestützten Marktmanipulation gem. § 20a I 1 Nr. 2 WpHG a. F. sowie Art. 12 I a MAR thematisiert wurden, kann an dieser Stelle darauf verwiesen werden. Anders als bei Art. 12 I c MAR sind aber die Indikatoren des Anhangs I MAR sowie die Präzisierungen der DelVO 2016/522 für die Rechtspraxis von Relevanz, da sie die abstrakten Vorschriften konkretisieren.532 Für aktivistische Leerverkäufe ist der Indikator A (d) Anhang I MAR entscheidend. Nach diesem lassen sich Positionsumkehrungen innerhalb eines kurzen Zeitraums mit einem wesentlichen Anteil am Tagesvolumen der Transaktionen im jeweiligen Finanzinstrument als Anzeichen für das Vorliegen von falschen oder irreführenden Signalen einordnen. Der Indikator wird nämlich durch die Praktik 529 Abweichend für aktivistische Leerverkäufe allein als möglichen Anknüpfungspunkt allein auf die Verbreitung der Reports abstellend, Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 76. 530 So auch Wilken / Bertus, in: BB 2019, 2754 (2757); Bayram / Meier, in: BKR 2018, 55 (60). 531 Vgl. hierzu oben Kap. 2 § 4 A. 532 Ähnlich die Lösung des Problems in der kasuistischen Beschreibung geeigneter Handlungen sehend Worms, in: Assmann / Schütze / Buck-Heeb, HdB KapitalanlageR, § 10 Rn. 40. Kritische Betrachtung der Indikatoren und Praktiken bei Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, S. 75 f.

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des trash and cash im Anhang II Abschnitt 1 Nr. 4 d DelVO 2016/522 näher bestimmt: Diese wird als die Einnahme einer Short-Position mit anschließenden weiteren Verkäufen und / oder Ausstreuung irreführender negativer Informationen über das Finanzinstrument definiert, zugleich muss der Handelnde beabsichtigen, den Kurs mittels Anlocken weiterer Verkäufer abstürzen zu lassen und die Position bei Erreichen eines niedrigeren Kurses zu schließen. Indem diese Praktik mit dem Ausstreuen irreführender negativer Informationen verknüpft wird, ist sie als der typische Fall eines unzulässigen aktivistischen Leerverkaufs zu bezeichnen.533 Wie die oben vorgenommene systematische Einordnung gezeigt hat, wird hier die Ansicht vertreten, dass ausschließlich die Leerverkaufsposition an sich sowie deren unterlassene Veröffentlichung gem. Art. 6 I SSR von Art. 12 I a MAR erfasst sind. Diese Systematisierung ändert sich auch nicht durch die bloße Zuordnung aktivistischer Leerverkäufe zur Praktik gem. Anhang II Abschnitt 1 Nr. 4 d DelVO 2016/522 bzw. dem Indikator der Positionsumkehrung gem. Anhang I A (d) MAR, da beide unverbindlicher Natur sind.534 In Bezug auf Art. 12 I a MAR deutet diese Strategie aber darauf hin, dass mög­ licherweise durch die weiteren Verkäufe und ein Anlocken falsche oder irreführende Signale gesendet werden können. Dadurch kann auch im Rahmen des aktivistischen Leerverkaufs zusätzlich zur Veröffentlichung eines Research Reports der Kursverfall verstärkt werden.535 Bevor aber diese Besonderheit näherhin beleuchtet wird, muss der Leerverkauf im Allgemeinen unter das Tatbestandsmerkmal des potenziellen Effekts eingeordnet werden. Wie in den §§ 2, 4 umfassend erörtert, stellen Leerverkäufe an sich aufgrund ihrer grundsätzlich positiven Auswirkungen legitime Handelspraktiken dar. Sie bewirken im Ausgangspunkt volkswirtschaftlichen Nutzen und sind deshalb unter bestimmten Voraussetzungen ausdrücklich vom Gesetzgeber erlaubt und gewünscht.536 Die besondere Problematik für die manipulative Einordnung von Leerverkäufen liegt in ihrer Eigenart als effektives Geschäft. Bei diesem wird tatsächlich eine Vermögenstransaktion vorgenommen, sodass dadurch eine rein äußerliche Differenzierung von legitimen Transaktionen erschwert wird.537

533

So auch Wentz, in: WM 2019, 195 (200). Im Ergebnis auch Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 34, die ausgehend von ihrer Einordnung des Art. 12 I a MAR auf ausschließlich handelsgestützte Marktmanipulationen eine teleologische Reduktion auf die handelsgestützten Begehungs­ weisen vornehmen. 535 In diese Richtung deutet auch die Einordnung von Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 143; ähnlich Mülbert / Sajnovits, in: BKR 2019, 313 (317). 536 Voß, in: FS 25 Jahre WpHG, 715 (746). 537 Worms, in: Assmann / Schütze / Buck-Heeb, HdB KapitalanlageR, § 10 Rn. 57 f.; ähnlich Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 34, 40. Zu effektiven Geschäften im Allgemeinen umfassend Schönhöft, Strafbarkeit der Marktmanipulation gemäß § 20a WpHG, S. 93 ff. 534

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

Im Kontext der um die Leerverkäufe stattfindenden Diskussion lässt sich zunächst konstatieren, dass diese keinesfalls automatisch falsche oder irreführende Signale aussenden oder ein künstliches Kursniveau gem. Art. 12 I  a MAR bewirken. Leerverkäufer haben gerade kein generell höheres Risiko für marktmissbräuchliches Verhalten als Inhaber von Long-Positionen. Wenn ein Leerverkäufer in Erwartung von fallenden Kursen bei Vertragsschluss einen transaktionswilligen Käufer ermittelt, der seinerseits auf gleichbleibende oder steigende Kurse spekuliert, ergibt sich dadurch ein tatsächlich bestehendes Angebots- und Nachfrageverhältnis.538 Dieses gilt ebenso für den Leerverkauf ohne Deckungsgeschäft als Verstoß gegen Art. 12 I SSR: Die Annahme einer konkludenten Erklärung des Leerverkäufers über die Einhaltung der Vorgaben der SSR ist nicht sachgerecht, da keine marktmanipulationsrelevante Redlichkeitserwartung des Marktes über die Einhaltung dieser Vorgaben besteht.539 Für den Käufer ist die Einhaltung dieser Vorgaben gerade irrelevant für die Erfüllung seiner eigenen Transaktion,540 sodass bei ihm keine entsprechende Erwartung vorhanden ist. Auch Leerverkäufe zur gezielten Kursbeeinflussung, bei der sogar im Einzelfall ein Vertrauensverlust des Marktes in das Finanzinstrument bewirkt werden kann, führt zunächst zu keiner anderen Bewertung: Es bleibt bei dem ursprünglich zutreffenden Signal, dass Finanzinstrumente verkauft werden.541 Es irren also lediglich die anderen Mark­ teilnehmer, nach denen der Leerverkäufer aus Überbewertungsgründen gehandelt habe.542 Dieser Irrtum ist grundsätzlich nicht zu beachten,543 da die Markteilnehmer falsche Schlüsse gezogen haben und der Leerverkäufer nur deren begrenzte Rationalität ausgenutzt hat.544 Auch im Extremfall kann das gesunkene Kursniveau ein rational erklärbares Herdenverhalten sein.545 Ausnahmsweise wird aber dann ein falsches Signal gesendet, wenn sich die subjektiv verfolgte Manipulationsabsicht zur gezielten Kursbeeinflussung auch objektiv manifestiert: Dabei muss der Umfang der getätigten Leerverkäufe so erheblich sein, dass das spekulative Element des Leerverkaufs von der Manipulationsabsicht überlagert wird und der 538

Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 72. Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 72; Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 Rn. 33; Schlimbach, Leerverkäufe, S. 221 f. 540 Schlimbach, Leerverkäufe, S. 222. 541 Schlimbach, Leerverkäufe, S. 224; Zimmer / Beisken, in: WM 2010, 485 (488); in diese Richtung auch Wentz, in: WM 2019, 196 (200); unklar, ob allein auf massenhafte Leerverkäufe an sich oder auf die zusätzliche, für bear raids typische Verbreitung von Gerüchten abstellend Findeisen / Tönningsen, in: WM 2011, 1405 (1408); ohne weitere Erläuterung eine Marktmanipulation annehmend Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 178. 542 Worms, in: Assmann / Schütze / Buck-Heeb, HdB KapitalanlageR, § 10 Rn. 58; Zimmer /  Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 33 Fn. 123. 543 Schlimbach, Leerverkäufe, S. 223 f.; Worms, in: Assmann / Schütze / Buck-Heeb, HdB KapitalanlageR, § 10 Rn. 58. 544 Klingenbrunn, Produktverbote, S. 122. 545 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 72. 539

§ 6 Das Marktmanipulationsverbot

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Leerverkäufer die für ihn günstige Kursänderung selbst verursacht.546 Von einem falschen Signal kann auch dann ausgegangen werden, wenn der Leerverkäufer von vornherein keine Eindeckungswilligkeit hatte, sich die leerverkauften Finanzin­ strumente zu beschaffen (abusive naked short sale).547 Der Abschluss des Kaufvertrags enthält die konkludente Erklärung des Leerverkäufers, seine vertraglichen Pflichten zu erfüllen. Deshalb führt das Anbieten von Finanzinstrumenten mit einem fehlenden Willen zur Lieferung einen verständiger Anleger über die Angebotssituation in die Irre.548 Im Gleichlauf mit dieser konkludenten Erklärung kann auch die fehlende Erfüllungsfähigkeit aufgrund eines eingetretenen Short Squeeze ein tatbestandsmäßiges falsches Signal aussenden, weil sich auch in diesem Fall die Nichterfüllung als Verstoß gegen die konkludente Erklärung kursfeststellend auswirkt.549 Beide Fallgruppen konnten bei aktivistischen Leerverkäufen aber bislang nicht beobachtet werden. Für die oben bereits angesprochene Verwendung des Research Reports mit weiteren Leerverkäufen ist zu beachten, dass die in Anhang II Abschnitt 1 Nr. 4 d DelVO 2016/522 beschriebene Praktik des trash and cash die Absicht des Leerverkäufers zwingend voraussetzt, weitere Verkäufer anzulocken und so einen Kursverfall zu verursachen.550 Im Anschluss an die Argumentation zu Leerverkäufen im Allgemeinen ist eine restriktive Auslegung dieser Praktik notwendig: Dabei ist eine objektive Manifestierung der subjektiven Manipulationsabsicht erforderlich, sodass nur ein erheblicher Umfang von Leerverkäufen zu einer verwerflichen Signalwirkung führen kann. Aufgrund des unverbindlichen Charakters der Praktiken und Indikatoren ist diese restriktive Auslegung zulässig. Die konkrete Bestimmung des erheblichen Umfangs ist eine Frage des Einzelfalls, wobei es für aktivistische Leerverkäufe eher eine Frage der Theorie ist: Bei einem typischen aktivistischen Leerverkauf wird die Kursveränderung primär von der Veröffentlichung des Research Reports verursacht.551 Dies belegen die ausgewählten Beispiele, bei denen 546 Worms, in: Assmann / Schütze / Buck-Heeb, HdB KapitalanlageR, § 10 Rn. 58; Zimmer /  Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 33; de Schmidt, in: Just / Voß / R itz /  Becker WpHG § 20a Rn. 181; Stoll, in: KK-WpHG § 20a Rn. 248; ähnlich Schönhöft, Strafbarkeit der Marktmanipulation gemäß § 20a WpHG, S. 97 f.; allgemeiner eine objektive Irreführungshandlung fordernd Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, S. 61; weitergehend auch für großvolumige Leerverkäufe keine Unzulässigkeit annehmend Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 72; Klingenbrunn, Produktverbote, S. 122 f.; ähnlich Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 204. 547 Vgl. jeweils m. w. N. Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 72; Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 178. 548 Schlimbach, Leerverkäufe, S. 222. 549 Klingenbrunn, Produktverbote, S. 119; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 72. 550 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 115; Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 143. 551 Ähnlich nun Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (304); noch weitgehender deshalb generell Art. 12 I a MAR bei aktivistischen Leerverkäufen ausschließend, Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (721).

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

die erheblichen Kursausschläge mit dem Zeitpunkt der Veröffentlichung des Research Reports zusammenfielen. Hinsichtlich der Beurteilung einer Signalwirkung durch eine unterbliebene Offenlegung gem. Art. 6 I SSR ist zunächst das Verhältnis zum Marktmanipulationsverbot zu klären. Wenngleich dem Art. 6 I SSR eine gewisse Präventionswirkung gegenüber Marktmanipulationen zukommt, da durch die verbesserte Überwachung seitens der Aufsichtsbehörden auch eine höhere Abschreckung besteht552, ist aber nicht jeder Verstoß gegen die SSR per se auch ein Verstoß gegen das Marktmanipulationsverbot.553 Diese verfügt nämlich über ein eigenständiges Sanktionsregime.554 Trotzdem kann im Einzelfall ein Verstoß gegen die Vorgaben der SSR auch ein irreführendes Signal gem. Art. 12 I a MAR aussenden. Das Verschweigen einer nach Art. 6 I SSR veröffentlichungspflichtigen Leerverkaufsposition kann ein solch irreführendes Signal bewirken,555 da ein verständiger Anleger das von der Veröffentlichung ausgehende Signal bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigen würde.556 Leerverkäufe in veröffentlichungspflichtiger Höhe stellen nämlich eine kursrelevante Information dar: Einerseits wird durch sie ein Verkaufssignal der Überbewertung ausgesendet, anderseits geht von ihnen auch das durch die späteren Deckungskäufe zu erwartende Kaufsignal aus.557 Anders als bei der Einordnung von Leerverkäufen ist in diesem Fall nicht der Leerverkauf als effektives Geschäft Bezugspunkt des falschen Signals, sondern das Signal des Offenlegungsgebots des Art. 6 I SSR. Unterlässt der Leerverkäufer die gesetzlich angeordnete Veröffentlichung seiner Position, wird ein verständiger Anleger durch die fehlenden Informationen getäuscht und somit in die Irre geführt. Eine Irreführung scheidet jedoch dann aus, wenn im jeweiligen Research Report das grundsätzliche Bestehen einer Short-Position offengelegt wurde und der aktivistische Leerverkäufer lediglich seiner Verpflichtung aus Art. 6 I SSR nicht nachgekommen war, da ein verständiger Anleger die identischen Signale zum Offenlegungsgebot des Art. 6 I SSR faktisch wahrnehmen konnte.558 Unter Berücksichtigung der verschiedenen Anknüpfungspunkte im Rahmen von aktivistischen Leerverkäufen verbleibt als tatbestandsmäßiger Effekt für die weitere Prüfung des Art. 12 I a MAR damit nur ein Verstoß gegen die Offenlegungsverpflichtung gem. Art. 6 I SSR und weitere Leerverkäufe in erheblichem Umfang mit objektiver Manifestierung der subjektiven Manipulationsabsicht. 552

Vgl. dazu oben Kap. 2 § 4 D. Schmolke, in: Klöhn MAR, Vor Art. 12 Rn. 156; Bayram / Meier, in: BKR 2018, 55 (60); de Schmidt, in: Just / Voß / R itz / Becker WpHG § 20a Rn.  180. 554 Bayram / Meier, in: BKR 2018, 55 (60 f.). 555 Bayram / Meier, in: BKR 2018, 55 (61); Schockenhoff / Culmann, in: AG 2016, 517 (520); Schlimbach, Leerverkäufe, S. 225; so auch im Ergebnis Wilken / Bertus, in: BB 2019, 2754 (2757); a. A. Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 10, 180 f.; ders., in: ZHR 182 (2018), 105 (108); Mülbert / Sajnovits, in: BKR 2019, 313 (317). 556 Bayram / Meier, in: BKR 2018, 55 (61); Schlimbach, Leerverkäufe, S. 225. 557 Bayram / Meier, in: BKR 2018, 55 (61); Schlimbach, Leerverkäufe, S. 225. 558 Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 266. 553

§ 6 Das Marktmanipulationsverbot

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In den Beispielen weisen die getätigten Leerverkäufe keinen verwerflichen potenziellen Effekt gem. Art. 12 I a MAR auf: Gotham hielt lediglich eine NettoLeerverkaufsposition von 0,8 % und auch bei Steinhoff / Viceroy sind keine Anhaltspunkte für einen erheblichen Umfang der getätigten Leerverkäufe ersichtlich. Wie in § 4 bereits festgestellt, kam Gotham seiner Offenlegungsverpflichtung gem. Art. 6 I SSR nach, während Viceroy gem. Art. 16 II SSR von dieser schon nicht erfasst war. Art. 12 I a MAR ist demnach in beiden Fällen nicht verwirklicht worden. 3. Ausnahmeregelung Art. 12 I a i. V. m. Art. 13 MAR Art. 12 I a MAR sieht eine Ausnahme vom Marktmanipulationsverbot vor, sofern legitime Gründe für das Handeln gegeben sind und dieses gem. Art. 13 MAR als zulässige Marktpraxis von der Aufsichtsbehörde anerkannt wurde. Art. 12 I a MAR erfasst bei aktivistischen Leerverkäufen ausschließlich den Verstoß gegen die Offenlegungsverpflichtung nach Art. 6 I SSR sowie weitere Leerverkäufe unter den obigen restriktiven Annahmen. Für diese Fälle sind aber von vornherein keine legitimen Gründe denkbar,559 sodass deshalb auf eine detaillierte Analyse der Ausnahmeregelung verzichtet wird.560 4. Subjektive Voraussetzungen Art. 12 I a MAR ist ebenfalls ein Tatbestand, bei dem der europäische Gesetzgeber auf subjektive Anforderungen verzichtet hat. Anders als bei Art. 12 II d MAR und Art. 12 I b MAR enthält der Tatbestand zudem keine besonderen Merkmale, die implizit ein subjektives Verhalten erkennen lassen. Wie bereits angemerkt, kann im europäischen Kapitalmarktrecht – entgegen der herrschenden Meinung bei § 20a I 1 WpHG a. F.561 – kein ungeschriebenes, allgemeines Vorsatzerfordernis verlangt werden.562 Die Einbeziehung fahrlässiger Unkenntnis in Art. 12 I c MAR lässt den Gegenschluss zu, dass keine allgemeinen subjektiven Anforderungen gelten sollen.563 Der europäische Gesetzgeber stellt heute nämlich keinen Sachzusammenhang zwischen Marktmanipulation und Vorsatzerfordernis her,564 559 In diese Richtung auch zur Vereinbarkeit der Täuschungsvoraussetzung in Art. 12 I b zu Art. 13 MAR Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 17. 560 Vgl. hierzu Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 13 Rn. 1 ff.; Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, S. 49 f. 561 Vgl. hierzu m. w. N. Fleischer, in: Fuchs WpHG § 20a Rn. 73. 562 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 300; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 73; Oulds, in: Kümpel / Mülbert / Früh / Seyfried BKMR, 12. Teil Art. 15, 12 ff. MAR Rn. 12.65; Poelzig, in: NZG 2016, 528 (536); Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 198; a. A. Stoll, in: KK-WpHG § 20a Rn. 248. 563 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 297. 564 So aber Stoll, in: KK-WpHG § 20a Rn. 248.

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

sondern hält einen aufsichtsrechtlichen Verstoß grundsätzlich auch ohne Vorsatzelement für möglich. Dieses Verständnis zeigt sich anhand einer instrumentellen Auslegung von der CRIM-MAD, deren ErwGr. Nr. 23 keinen Nachweis des Vorsatzes bei Sanktionen wegen Verstößen der MAR fordert.565 Ebenso verlangt Art. 5 I CRIM-MAD nur in schweren Fällen und bei Vorsatz eine strafrechtliche Sanktionierung und impliziert damit auch umgekehrt eine vorsatzlose Markt­ manipulation.566 Diesem Verständnis hat sich auch die ESMA angeschlossen.567 Subjektive Voraussetzungen werden bei Art. 12 I a MAR damit grundsätzlich erst auf der Ebene des Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenrechts relevant.568 5. Zwischenergebnis Art. 12 I a MAR erfasst nach hier vertretener Ansicht handels- und handlungsgestützte, nicht aber informationsgestützte Marktmanipulationen. Wie aber die Diskussion um die tatbestandliche Erweiterung zeigt, lässt sich de lege lata keine vollständig klare und rechtssichere Struktur erkennen, die Art. 12 I a MAR ausschließlich als den handelsgestützten, Art. 12 I c als den informationsgestützten Tatbestand und Art. 12 I b MAR als Auffangtatbestand klassifiziert. De lege fe­ renda ließe sich die Systematik aber verbessern, indem der in Art. 12 I a MAR verwendete Begriff ‚jede andere Handlung‘ auf ‚jede anderweitig handelsgestützte Handlung‘ begrenzt werden würde. Dadurch würde sich die Abgrenzbarkeit der jeweiligen Tatbestände verbessern, ohne aber eine Absenkung des Schutzniveaus zu verursachen. In einem solchen Fall müssten aber auch die sich überschneidenden Indikatoren und die präzisierenden Praktiken der DelVO 2016/überarbeitet werden. Die Auslegung des Art. 12 I a MAR hat weiterhin gezeigt, dass Unterlassungen erfasst sind. Hinsichtlich eines zu ahnenden potenziellen Effekts von klassischen Leerverkäufen bedarf es neben der Fallgruppe von abusive naked short sales letztlich ihres erheblichen Umfangs, bei dem sich die subjektive Manipulationsabsicht objektiv manifestiert. Gleiches gilt bei der Verwirklichung des trash and cash gem. Anhang II Abschnitt 1 Nr. 4 d DelVO 2016/522. Eine allgemeine 565

Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 300; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 78; Oulds, in: Kümpel / Mülbert / Früh / Seyfried BKMR, 12. Teil Art. 15, 12 ff. MAR Rn. 12.65; Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, S. 55 f.; Poelzig, in: NZG 2016, 528 (536). 566 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 78; umfassend Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, S. 55. 567 ESMA Final Report, ESMA’s technical advice on possible delegated acts concerning the Market Abuse Regulation v. 3. 02. 2015, ESMA 2015/224, S. 78 Rn. 12, abrufbar unter: https:// www.esma.europa.eu/system/files_force/library/2015/11/2015-224.pdf?download=1, zuletzt abgerufen am: 17. 05. 2021; Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 300; Oulds, in: Kümpel /  Mülbert / Früh / Seyfried BKMR, 12. Teil Art. 15, 12 ff. MAR Rn. 12.65. 568 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 73; Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 15 Rn. 30; Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, S. 56.

§ 6 Das Marktmanipulationsverbot

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subjektive Tatbestandsvoraussetzung kann für Art. 12 I  a MAR hingegen nicht angenommen werden.

V. Der Auffangtatbestand der Marktmanipulation, Art. 12 I b MAR Art. 12 I b MAR erfasst nach dem hier vertretenen Verständnis sämtliche Arten der Marktmanipulation und enthält ebenso wie Art. 12 I a MAR Elemente eines Auffangtatbestandes.569 In engem Zusammenhang mit diesem stehen sodann die Indikatoren gem. Art. 12 III i. V. m. Anhang I Abschnitt B MAR und deren Konkretisierungen nach Art. 4 II i. V. m. Anhang II Abschnitt 2 DelVO 2016/522. Die neue Regelung der MAR ersetzt den Art. 1 Nr. 2 b MAD und erweitert diesen insbesondere um die dritte Tathandlungsvariante ‚jegliche sonstige Tätigkeit oder Handlung‘.570 1. Tathandlung Taugliche Tathandlung des Art. 12 I b MAR ist ein Geschäftsabschluss, die Erteilung eines Handelsauftrags sowie jegliche sonstige Tätigkeit oder Handlung. Bis auf die Variante der sonstigen Tätigkeit oder Handlung ist der Tatbestand identisch mit den Tathandlungen des Art. 12 I a MAR,571 weswegen auf die Ausführungen zu diesem verwiesen wird. Die Auffangvariante des Art. 12 I a MAR divergiert im Wortlaut zwar mit ‚jede andere Handlung‘, woraus sich aber kein inhaltlicher Unterschied zwischen den beiden Varianten ableiten lässt.572 Bestätigt wird diese Auffassung bei einem Vergleich zum Englischen, das nur von ‚any ­other behaviour‘ (lit. a) bzw. ‚any other activity or behaviour‘ (lit. b) ausgeht.573 Wie auch Art. 12 I a MAR ist Art. 12 I b MAR damit ein mögliches Unterlassungsdelikt.574 Der Tatbestand des Art. 12 I b MAR ist also grundsätzlich neben der 569

Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 196. Vgl. für eine detaillierte Erläuterung sogleich die Darstellung zur Tathandlung. 570 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 193. 571 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 195; Oulds, in: Kümpel / Mülbert / Früh / Seyfried BKMR, 12. Teil Art. 15, 12 ff. MAR Rn. 12.31; Anschütz / Kunzelmann, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 14 Rn. 82; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 141. 572 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 196; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 141; a. A. Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 66 nach denen die Hinzunahme der Tätigkeit auf ein weiteres Verständnis hindeute. 573 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 196 Fn. 439. 574 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 196; a. A. Mülbert, der in dem Vorspiegeln falscher Tatsachen zwingend ein aktives Tun sieht, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 143; dem folgend Worms, in: Assmann / Schütze / Buck-Heeb, HdB KapitalanlageR, § 10 Rn. 66, 68.

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

handels­gestützten Marktmanipulation auch offen für handlungs- und informations­ gestützte Manipulationen.575 Deshalb ist wieder eine Analyse der Systematik erforderlich. Bezüglich des Verhältnisses zwischen Art. 12 I a und b MAR wurde bereits konstatiert, dass ein Nebeneinander der Tatbestandsvarianten in den Überschneidungsbereichen ohne systematische Friktionen möglich ist. Dies gilt auch für das Verhältnis von Art. 12 I b und c MAR – anders als im Verhältnis von Art. 12 I a und c MAR –, weil keine subjektiven Anforderungen unterlaufen werden können: Wie am Ende des Abschnitts gezeigt wird, erfordert Art. 12 I b MAR Vorsatz und ist damit strenger in subjektiver Hinsicht als Art. 12 I c MAR.576 Eine Spezialität des Art. 12 I c MAR gegenüber Art. 12 I b MAR ist deshalb nicht erforderlich und eine parallele Anwendung grundsätzlich möglich.577 Im Gegensatz zu dieser Annahme gibt es auch Autoren, die Art. 12 I b MAR gegenüber Art. 12 I c MAR als spezieller bewerten, wenn die Informationsverbreitung in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einer Transaktion steht.578 Sie vertreten die Ansicht, dass ein zeitlicher und sachlicher Zusammenhang der Informationsverbreitung mit Handelsaktivitäten diese verdrängende Spezialität rechtfertigt.579 Eine Überprüfung zeigt, dass der Wortlaut von Art. 12 I b MAR offen ist und keine unmittelbaren Anhaltspunkte für oder gegen eine verdrängende Wirkung bei entsprechendem Konnex enthält. Ein Anhaltspunkt für die Annahme einer verdrängenden Wirkung bei gegebenem Konnex könnte sich möglicherweise aus dem Indikator B (a) Anhang I MAR ergeben, nach dem die Geschäfte mit der Verbreitung von falschen oder irreführenden Informationen verbunden sind. Dabei liegt die besondere Indizwirkung im engen personellen und zeitlichen Zusammenhang zwischen Fehlinformation und Transaktion, die den Aufsichtsbehörden eine leichtere Aufdeckung im Verhältnis zur rein informationsgestützten Marktmanipulation ohne Transaktion ermöglicht.580 Aber auch diese Argumentation überzeugt nicht, 575

Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 196; Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 67; insbesondere das Überschneiden zu Art. 12 I  c MAR hervorhebend, Gerner-­Beuerle, in: Lehmann / Kumpan, European Financial Services Law, Art. 12 MAR Rn. 10. 576 In diese Richtung Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 21. Vgl. zum Vorsatzerfordernis des Art. 12 I b MAR näher unten Kap. 3 § 6 B. IV. 4. 577 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 21; Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 68; a. A. Zetsche, in: Gebauer / Teichmann EnzEuR Bd. VI, § 7. C. Rn. 81. 578 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 141; dem sich anschließend Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 68. 579 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 141. 580 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 161; Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 68. Zimmer / Bator argumentieren im Übrigen, dass der zeitlich-sachliche Zusammenhang eine zusätzliche objektive Tatbestandsanforderung darstelle, der eine Kompensation für das nach ihrer Ansicht bei Art. 12 I b MAR nicht erforderliche und allein in Art. 12 I c MAR vorausgesetzte subjektive Merkmal sei. Nach der hier vertretenen Ansicht sprechen jedoch die besseren Argumente für die Bejahung eines subjektiven Elements bei Art. 12 I b MAR.

§ 6 Das Marktmanipulationsverbot

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da die fehlende Verbindlichkeit der Indikatoren des Anhangs der MAR und der konkretisierenden Praktiken der DelVO 2016/522 beachtet werden muss.581 Ein Verhalten kann auch einem Indikator entsprechen, ohne gleichzeitig den jeweiligen Tatbestand des Art. 12 I MAR zwingend zu realisieren.582 Der Vorteil einer verdrängenden Wirkung im Falle eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen Informationsverbreitung und Transaktion könnte zunächst eine eindeutigere Systematik des Marktmanipulationsverbots suggerieren, da eine präzisere Abgrenzung der jeweiligen Tatbestandsvarianten des Art. 12 I MAR ermöglicht werden würde. Bezüglich aktivistischer Leerverkäufe ergäbe sich dann folgende Zuordnung: Bei einem typischen aktivistischen Leerverkauf ist Art. 12 I b MAR einschlägig.583 Die Verbreitung des Research Reports steht grundsätzlich immer im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Leerverkauf als Transaktion, weil die Leerverkaufsposition und die damit einhergehende Gewinnmöglichkeit den grundlegenden Anreiz für das Geschäftsmodell bildet. Allerdings bleibt bei dieser Annahme offen, welche Grenze beim zeitlichen Zusammenhang zwischen Leerverkauf und Veröffentlichung des Research Reports zu ziehen ist, also ob beispielsweise ein Aufbau einer Position ein Jahr vor der Veröffentlichung noch zur Bejahung des Zusammenhangs genügt. Hier gilt es, je nach Einzelfall zu entscheiden, wobei unter anderem die Recherchedauer für den Research Report und dessen Abfassung relevante Kriterien sind. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich dann aber oft, dass eine präzise Abgrenzung kaum möglich ist. Zudem wird sich diese Frage für den typischen aktivistischen Leerverkauf wohl nie stellen, da aus Risikogründen mit dem Positionsaufbau in der Regel erst unmittelbar vor der Veröffentlichung des Reports begonnen wird. Insgesamt wird jedenfalls die Aufsichtspraxis diesen Fragestellungen keine besondere Bedeutung beimessen, da auch bei fehlendem Zusammenhang eine Verwirklichung nach Art. 12 I c MAR möglich bleiben soll.584 Zusammenfassend ist deshalb de lege lata überzeugender von einem Nebeneinander beider Tatbestandsvarianten für die Verbreitung von Informationen auszugehen. Eine Abgrenzung anhand eines unmittelbaren Zusammenhangs zwischen Informationsverbreitung und Transaktion bedeutet für die Rechtstatsächlichkeit ausschließlich eine rein theoretische Systematisierung, die keine weitergehende Klarheit schafft. Deshalb ist Art. 12 I b MAR ausschließlich als Auffangtatbestand einzuordnen, weil Art. 12 I  a MAR auf Tatbestandsebene keine informations­ 581

Vgl. dazu die genauer die obigen Ausführungen im Rahmen des Verhältnisses von Art. 12 I a und c MAR, Kap. 3 § 6 B. IV. 1. b). 582 Auf diese Argumentation stützt sich Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 50, selbst, um dort die fehlende Aussagekraft der Indikatoren zu unterstreichen. 583 Ebenso Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 161. 584 So auch der Hinweis von Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 165.

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

gestützten Marktmanipulationen erfasst. Art. 12 I b MAR ist dagegen offen für sämtliche Manipulationsmittel und erfüllt somit eine Auffangfunktion. Bei diesem Verständnis der Konkurrenzverhältnisse sind insgesamt mehrere Anknüpfungen aktivistischer Leerverkäufe im Rahmen von Art. 12 I b MAR möglich: Zunächst ist die Leerverkaufsposition sowohl ein Geschäftsabschluss als auch ein Handelsauftrag. Zudem fällt die Veröffentlichung des Research Reports als informationsgestützte Marktmanipulation unter die Auffangvariante der sonstigen Tätigkeit oder Handlung des Art. 12 I b MAR. Anders als bei Art. 12 I a MAR ist bei der Veröffentlichung des Research Reports auch das Verschweigen des Interessenkonflikts in demselben miteinbezogen. Mit der Einordnung als Unterlassungsdelikt kann auch die unterlassene Veröffentlichung der Leerverkaufsposition entgegen Art. 6 I SSR von Art. 12 I b MAR erfasst sein. Hinsichtlich dieser Anknüpfungen ist zu prüfen, ob ihnen eine zu sanktionierende Täuschung zukommt. 2. Täuschungselement a) Täuschungshandlung und verschwiegene Leerverkaufspositionen Der Wortlaut des Art. 12 I b MAR verlangt als weiteres Tatbestandsmerkmal das ‚Vorspiegeln falscher Tatsachen‘ oder die ‚Verwendung sonstiger Kunstgriffe oder Formen der Täuschung‘. Im Kern kommt es aber ausschließlich darauf an, ob eine Täuschungshandlung vorliegt.585 Die Varianten ‚Vorspiegeln falscher Tatsachen‘ und ‚Verwendung sonstiger Kunstgriffe‘ haben keine eigenständige Bedeutung, sondern sind als alternative Umschreibung einer Täuschung zu sehen.586 Überträgt man den Rechtsgedanken des § 4 I MaKonV auf die aktuelle Vorschrift, ist eine Täuschungshandlung jedes Verhalten, das die objektive Eignung besitzt, einen verständigen Anleger über die gegenwärtigen und zukünftigen Marktverhältnisse in die Irre zu führen.587 Ein Täuschungserfolg im Sinne einer tatsächlichen Irreführung eines Anlegers ist nicht erforderlich.588 Eine Täuschungs 585

Ähnlich Bayram, Manipulative Handelspraktiken gem. Art. 12 MAR, S. 44. Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 198; Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 91; Anschütz / Kunzelmann, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 14 Rn. 83; Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 177; Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 71; anders im Aufbau Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 142 f.; ebenso Worms, in: Assmann / Schütze / Buck-Heeb, HdB KapitalanlageR, § 10 Rn. 67 f. 587 Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 177; Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 73; Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 199; Wentz, in: WM 2019, 196 (201); zur Übertragbarkeit speziell auch Köpferl / Wegner, in: WM 2017, 1924 (1929). 588 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 200; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn 143; Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 177. 586

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handlung kann sowohl ausdrücklich als auch konkludent vorgenommen werden.589 Mit der Erfassung konkludenter Täuschungshandlungen ist auch die Annahme einer Täuschungshandlung für das bloße Verschweigen eines eigenen Wertpapierbesitzes verbunden.590 Im Scalping enthält gem. Art. 12 II d MAR die Stellungnahme die konkludente Erklärung, dass sie nicht mit der sachfremden Zielsetzung der eigennützigen Kursbeeinflussung vorgenommen wurde.591 Wie bereits oben ausgeführt, sind vom Scalping eingegangene Short-Positionen erfasst. Auch im Rahmen des Art. 12 I b MAR ist eine verschwiegene Leerverkaufsposition mit dem Verschweigen eines eigenen Wertpapierbesitzes vergleichbar, da ein Interessenkonflikt vorliegt.592 Eine verschwiegene Leerverkaufsposition ist bei der Verbreitung eines Research Reports damit neben Art. 12 II d MAR auch für Art. 12 I b MAR eine relevante Täuschungshandlung.593 Ein Nebeneinander beider Tatbestände ist auch ohne Friktionen möglich, solange der besonderen Wertung des Art. 12 II d MAR Rechnung getragen wird, dass bei einer ordnungsgemäßen und wirksamen Offenlegung im Sinne des Art. 12 II d MAR auch eine konkludente Täuschung innerhalb von Art. 12 I b MAR entfällt.594 Die fehlende Offenlegung der Leerverkaufsposition gem. Art. 6 I SSR ist bereits unter Art. 12 I a MAR ein irreführendes Signal. Wie dargelegt, handelt es sich bei der Veröffentlichungspflicht um eine kursrelevante Information, die ein verständiger Anleger bei seiner Bewertung berücksichtigen würde. Die objektive Eignung zur Irreführung eines verständigen Anlegers liegt demnach vor, sodass auch eine Täuschungshandlung gem. Art. 12 I b MAR anzunehmen ist, wobei ein Nebeneinander beider Tatbestände unbedenklich ist. b) Verbreitung falscher oder irreführender Informationen Daneben liegt bei aktivistischen Leerverkäufen eine Täuschungshandlung durch die Verbreitung falscher oder irreführender Informationen im Research Report vor.595 Ein verständiger Anleger wird dann nämlich über die Richtigkeit der Informationen in die Irre geführt. Diese Täuschung bleibt auch dann, wenn eine ordnungsgemäße Offenlegung des Interessenkonflikts gem. Art. 12 II d MAR vorliegt.596 Maßgeblich für die Annahme, ob es sich im Research Report um falsche oder irreführende Informationen handelt, sind allein die im Rahmen von Art. 12 I c

589

Zur Herleitung der aus dem Betrugsrecht bekannten konkludenten Täuschung auf Art. 12 I b MAR umfassend Köpferl / Wegner, in: WM 2017, 1924 (1929). 590 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 199. 591 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 361; Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 80. 592 Wentz, in: WM 2019, 196 (201). 593 Schmolke, in: FS 25 Jahre WpHG, 653 (666); Wentz, in: WM 2019, 196 (201). 594 Bayram / Meier, in: BKR 2018, 55 (59); Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 80. 595 Wentz, in: WM 2019, 196 (201); Bayram / Meier, in: BKR 2018, 55 (59). 596 Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 80.

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

MAR aufgestellten Grundsätze und Differenzierungen. Im Rahmen der Tathandlung wurde bereits diskutiert, dass ein Nebeneinander des Art. 12 I b und c MAR aus systematischer Sicht zulässig ist. aa) Der Indikator B (a) Anhang I MAR Dass das Verbreiten falscher oder irreführender Informationen durch den Research Report einbezogen ist, deutet zunächst der Indikator B (a) Anhang I MAR an, nach dem Handelsaufträge und Geschäfte mit der Verbreitung falscher oder irreführender Informationen als Indiz für eine Täuschungshandlung gesehen werden. Im Rahmen von aktivistischen Leerverkäufen wird dieser Indikator durch mehrere Praktiken näher konkretisiert, wobei die Verbreitung falscher oder fehlerhafter Marktinformationen im Anhang II Abschnitt 2 Nr. 1 a DelVO 2016/522 zu nennen ist. Für die Bestimmung dieser Kriterien kann ebenfalls auf die Ausführungen zu Art. 12 I c MAR verwiesen werden.597 Es besteht kein sachlicher Unterschied zwischen der Marktinformation und dem Informationsbegriff. Obwohl die Praktik zwar im Gegensatz zu Art. 12 I c MAR strengere Anforderungen mit Blick auf Positionen aufstellt, führt diese dennoch nicht zu einem eigenständigen Anwendungsbereich.598 Mit Bezugnahme auf die vorteilhafte Position kann sich die Praktik aber zusätzlich mit Art. 12 II d MAR überschneiden.599 Zudem kann die Praktik der Eröffnung einer Position und Schließung derselben unmittelbar nach deren Offenlegung unter Betonung des langfristigen Charakters der Investition im Anhang II Abschnitt 2 Nr. 1 b DelVO 2016/522 bei aktivistischen Leerverkäufen einschlägig sein: Der Leerverkäufer muss dafür im Research Report zunächst seinen langfristigen Anlagehorizont mitteilen, um die seiner Ansicht nach bestehende Überbewertung des Zielunternehmens zu bekräftigen. Unmittelbar nach der von ihm verursachten Kursreaktion muss er aber dann einen Großteil seiner Short-­Positionen wieder schließen.600 Darüber hinaus wird auf das oben bereits im Rahmen von Art. 12 I a MAR dargestellte trash and cash im Anhang II Abschnitt 2 Nr. 1 d DelVO 2016/522 Bezug genommen, das aber hier in der Alternative der gestreuten falscher oder irreführender Informationen erfasst ist. Verwiesen sei hier wiederum auf die Ausführungen von Art. 12 I c MAR.

597

Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 213; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR, Rn. 161. 598 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 213; vgl. bereits oben die a. A. von Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 161, der einen eigenständigen Anwendungsbereich von Art. 12 I b MAR bei einem unmittelbaren Zusammenhang zu einer Transaktion annimmt. 599 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 214; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 164. 600 In diese Richtung auch Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 216.

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bb) Der Indikator B (b) Anhang I MAR Mit der Einordnung des Research Reports als Anlageempfehlung kann ebenfalls der Indikator B (b) Anhang I MAR auf die Einbeziehung aktivistischer Leerverkäufe hindeuten. Dazu muss der im zeitlichen Zusammenhang mit Transaktionen erstellte oder verbreitete Research Report unrichtig, verzerrt oder von materiellen Interessen beeinflusst sein. Entgegen dem Wortlaut reicht es nicht, wenn eine Anlageempfehlung erstellt wird. Es muss eine Weitergabe derselben hinzukommen, die einen verständigen Anleger in die Irre führen kann und damit erst dem Täuschungscharakter im Sinne von Art. 12 I b MAR entspricht.601 Offen ist zudem, nach welchen Anforderungen die Unrichtigkeit der Anlageempfehlung zu bestimmen ist. Die Kriterien zu Anlageempfehlungen gem. Art. 20 I MAR i. V. m. DelVO 2016/958 können nicht für die Annahme der Unrichtigkeit unreflektiert übernommen werden.602 Bloße Formverstöße können keinen vom Manipulationsverbot zu ahnenden Täuschungscharakter begründen.603 Es bedarf vielmehr einer Prüfung der Unrichtigkeit der Anlageempfehlungen unter Beachtung der Besonderheiten des Marktmanipulationstatbestands. Deshalb sollten die in der Anlageempfehlung verbreiteten jeweiligen Informationen nach den Kriterien des Art. 12 I  c MAR überprüft werden. Diese unterscheiden je nach Einordnung Tatsachenbehauptungen, Werturteile mit und ohne Tatsachenkern sowie Gerüchte.604 Dafür spricht auch die Auslegung zur verzerrten Anlageempfehlung: Diese stimmt mit dem Begriff der irreführenden Information gem. Art. 12 I c MAR überein und überprüft die Eignung, ob ein verständiger Anleger in die Irre geführt werden kann.605 Ferner muss bei der Anwendung des Indikators der folgende Widerspruch zur Systematik des Art. 12 II d und Art. 12 I b MAR beachtet werden: In einer nachweislich von materiellen Interessenkonflikten beeinflussten Anlageempfehlung entfällt der Täuschungscharakter, wenn der Interessenkonflikt nach den strengen Anforderungen des Art. 12 II d MAR ordnungsgemäß und wirksam offengelegt wird.606 601 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 227, 231; Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 189; Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 82. 602 So aber Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 190. 603 So innerhalb der übertragbaren Ausführungen zu Art. 12 I c MAR, Mülbert, in: Assmann /  Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 188; für Art. 12 I b nunmehr Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 82. 604 Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 82; ebenso im Ergebnis Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 173, aber missverständlich, weil im Rahmen von Art. 12 I  c MAR auf die Anforderungen von Art. 20 MAR abstellend, Rn. 188. 605 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 227; Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 190; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 173 Fn. 2; Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 82. 606 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 232; Worms, in: Assmann / Schütze / Buck-Heeb, HdB KapitalanlageR, § 10 Rn. 74.

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

Die Beeinflussung durch einen materiellen Interessenkonflikt bewirkt, isoliert betrachtet, keinen Täuschungsgehalt der Anlageempfehlung,607 weshalb der überschießende Wortlaut des Indikators aufgrund des konstitutiven Charakters der Täuschungshandlung in Art. 12 I b MAR korrigiert werden muss: Ein Indikator für manipulatives Handeln ist nur dann zu vermuten, wenn dieser Anlageempfehlung eine ordnungsgemäße und wirksame Offenlegung des Interessenkonflikts fehlt.608 Nur mithilfe dieser Korrektur entspricht er dem Schutzzweck des Scalping gem. Art. 12 II d MAR. Ein verständiger Anleger wird durch die Offenlegung in die Lage versetzt, die hinter der Anlageempfehlung stehenden Bewegründe in seine Entscheidung miteinzubeziehen und den Informationsgehalt adäquat zu bewerten. Solange die Anlageempfehlung inhaltlich zutreffend ist, kann der Anleger nicht mehr in die Irre geführt werden. Eine manipulationsrechtlich zu ahndende Täuschung ist also zu negieren. Andernfalls würde die ausdrückliche gesetzgeberische Entscheidung des Art. 12 II d MAR über Art. 12 I b MAR bei Anwendung des Indikators unterlaufen werden. Insgesamt bedarf es also in Bezug auf den Indikator einer Auslegung unter manipulationsrechtlichen Besonderheiten, die allerdings eine Korrektur des missglückten Wortlauts notwendig macht. Der Indikator für aktivistische Leerverkäufe wird daneben durch die Praktik der Verbreitung falscher oder fehlerhafter Marktinformationen im Anhang II Abschnitt 2 Nr. 2 a i. V. m. Abschnitt 2 Nr. 1 a DelVO 2016/522 näher bestimmt. Hier gilt ebenso wie beim Indikator, dass die Analyse allein nicht genügt, sondern deren Weitergabe erforderlich ist.609 Auch hier ist die Praktik des trash and cash Anhang II Abschnitt 2 Nr. 2 c i. V. m. Abschnitt 1 Nr. 3 d DelVO 2016/522 einschlägig. cc) Zeitlicher Zusammenhang der Indikatoren Beide in Betracht kommende Indikatoren erfordern einen zeitlichen Zusammenhang zwischen Verbreitung der Information bzw. Anlageempfehlung und der getätigten Transaktion. Weitere Anforderungen zur Bestimmung des erforderlichen Zusammenhangs sind nicht enthalten.610 Beim aktivistischen Leerverkauf werden die Positionen immer vor der Informationsverbreitung eröffnet. Der zeitliche Zusammenhang zwischen der Short-Position und dem Research Report ist bei einem typischen aktivistischen Leerverkauf gegeben, da mit dem Positionsaufbau in der 607

Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 190. 608 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 383; ähnlich Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 82; unklar Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 188, 173, der in den Ausführungen zum Indikator diese Pro­ blematik nicht erwähnt, aber an anderer Stelle ausführt, dass eigene wirtschaftliche Interessen unschädlich seien, solange die Grenzen des Scalping nicht überschritten sind. 609 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 231. 610 Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 192.

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Regel erst unmittelbar vor der Veröffentlichung begonnen wird. Für den Fall eines längerfristigen Aufbaus im Vorfeld der Veröffentlichung ist insbesondere die Recherchedauer in die Beurteilung des zeitlichen Zusammenhangs einzubeziehen. c) Klassische Leerverkäufe Hinsichtlich der Täuschung durch die Tätigung der Leerverkäufe an sich gelten die Ausführungen zu Art. 12 I a MAR: Grundsätzlich handelt es sich bei Leerverkäufen um legitime Handelspraktiken, bei denen nur in Ausnahmefällen zu ahndende falsche oder irreführende Signale gesendet werden. In solchen Situationen kommt ihnen ein im Rahmen von Art. 12 I b MAR zusätzlich erfasster Täuschungsgehalt zu, der allerdings nur theoretisch die Möglichkeit von abusive naked short sales sowie weiteren Leerverkäufen in erheblichen Umfang eröffnet. 3. Beeinflussung und Eignung Die Täuschungshandlung muss entweder den Kurs eines Finanzinstrumentes beeinflussen oder mindestens die Eignung dazu bieten. Obwohl der deutsche Wortlaut mit Eignung zur Kursbeeinflussung die Begrifflichkeit des § 20a I 1 Nr. 3 WpHG a. F. übernimmt, bedarf es aufgrund des englischen Wortlauts ‚likely‘ und in Übereinstimmung mit dem potenziellen Effekt in Art. 12 I a und c MAR einer unionrechtskonformen Auslegung als wahrscheinliche Kursbeeinflussung.611 Der Kurs ist der nach den Regeln des jeweiligen Handelsplatzes zustande gekommene Preis des Finanzinstruments,612 wobei dieser durch das künstliche Erhöhen, Erniedrigen oder Stabilisieren beeinflusst wird.613 Für das aufsichtsrechtliche Verbot muss eine tatsächliche Kursbeeinflussung nicht vorliegen.614 Die Problematik der Bestimmbarkeit eines künstlichen Kursniveaus des Art. 12 I c MAR setzt sich fort, sodass hier die Indikatoren und Praktiken zum Täuschungselement die Handhabbarkeit der Vorschrift erleichtern können.615 611

Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 234; Anschütz / Kunzelmann, in: Meyer / Veil /  Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 14 Rn. 85; Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 91. 612 Auch ein bereits verfälschter Kurs kann tauglicher Beeinflussungsgegenstand sein, Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 235; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 146. 613 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 236; die Künstlichkeit anhand einer entgegen den Markttrend verlaufenden Veränderung festmachend, Mülbert, in: Assmann / Schneider /  Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 147; hierzu auch de Schmidt, in: Just /  Voß / R itz / Becker WpHG § 20a Rn.  115. 614 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 237. 615 Ähnlich Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 177; weitergehend keinen inhaltlichen Unterschied zu Art. 12 I a, c MAR feststellend, Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 29.

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

a) Verbreitung falscher oder irreführender Informationen Für die Verbreitung falscher oder irreführender Informationen im Research Report deuten die oben aufgezeigten Indikatoren und Praktiken auf ein entsprechend manipulatives Handeln hin, sodass auch hier eine wahrscheinliche Kursbeeinflussung nur ausnahmsweise abzulehnen sein wird. Kriterium dafür ist die Einordnung der Information selbst als falsch oder irreführend. In Grenzfällen bietet sich deshalb an, die in Art. 12 I c MAR dargestellte Differenzierung anhand bewertungserheblicher Umstände heranzuziehen. Aktivistische Leerverkäufer verwenden regelmäßig bewertungserhebliche Umstände, sodass in diesen Fällen immer auch eine Kursbeeinflussung angenommen werden kann, wenn falsche oder irreführende Informationen im Research Report verbreitet wurden. Der Kurs des Zielunternehmens wurde dann künstlich reduziert. b) Verstoß gegen Art. 6 I SSR sowie klassische Leerverkäufe Hinsichtlich eines Verstoßes gegen Art. 6 I SSR sowie des Zusammentreffens mit weiteren Leerverkäufen gelten die Ausführungen zu Art. 12 I a MAR. Wenn in diesen Fällen ein irreführendes Signal gesendet wird, liegt auch ein wahrscheinlich künstlich verstärkter Kursverfall vor, sodass eine wahrscheinliche Kursbeeinflussung anzunehmen ist. c) Verschweigen von Short-Positionen und Verbreitung zutreffender Informationen Genauer zu untersuchen ist aber ein Verschweigen der Short-Position im Research Report bei gleichzeitiger Verbreitung zutreffender Informationen. Zunächst einmal führt die Verbreitung der richtigen Information zu einer Korrektur des Kurses und damit zu einer korrekten Bewertung durch den Markt.616 Ursache der Kursbeeinflussung ist also grundsätzlich die richtige Information und nicht das Verschweigen der Short-Position. Eine Kursbeeinflussung durch die fehlende Offenlegung kann aber im Einzelfall dann anzunehmen sein, wenn die Offenlegung zu einer anderen Bewertung der richtigen Informationen führen würde.617 Dies könnte insbesondere bei entsprechender Größe der Short-Position gegeben sein. Hier könnte es wahrscheinlich sein, dass der Kurs auch durch die fehlende Offenlegung beeinflusst worden wäre. Ein verständiger Anleger hätte bei Kenntnis der Position die Information kritischer bewertet und gegebenenfalls eine andere oder geringere Transaktion vorgenommen. Im Vergleich mit anderen Rechtsinstituten (Art. 6 II SSR, Art. 20 I MAR i. V. m. Art. 6 I a DelVO 2016/958) er 616 617

Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 155. Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 156.

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scheint eine Richtgröße der Short-Position von 0,5 % für eine mögliche Relevanz der Offenlegung angemessen, da der Gesetzgeber hier von einem entsprechenden Informationsbedürfnis der Anleger auszugehen scheint. In der Praxis wird diese Konstellation jedoch nicht relevant, da die Aufsichtsbehörde in einer solchen Konstellation primär den Tatbestand des Scalping prüft. Für diesen ist die Richtigkeit der Information aber irrelevant, weil in Art. 12 II d MAR die normativ fixierte Markterwartung an eine Offenlegung statuiert wird. Wie bereits geprüft, erfüllen aktivistische Leerverkäufe bei einer fehlenden Offenlegung immer schon den Tatbestand des Art. 12 II d MAR. Ob daneben noch Art. 12 I b MAR verwirklicht wird, ist für die Ahndung der fehlenden Offenlegung unter das Marktmanipulationsverbot letztlich unerheblich. d) Anwendung auf die Fallbeispiele Zur Einordnung der Beispiele unter die Tatbestandsmerkmale der Täuschung und Kursbeeinflussungseignung kann im Wesentlichen auf Art. 12 I a und c MAR sowie Art. 12 II d MAR Bezug genommen werden: Die Leerverkäufe von Gotham und Viceroy können mangels eines erheblichen Umfangs, der eine objektive Manifestierung der subjektiven Manipulationsabsicht belegen würde, auch im Rahmen von Art. 12 I b MAR keine Irreführung der Anleger verursachen. Zudem kann keine Täuschung im Hinblick auf die eingehaltene Offenlegungspflicht gem. Art. 6 I SRR angenommen werden. Schließlich wurde auch der Interessenkonflikt auch gem. Art. 12 II d MAR in beiden Research Reports ordnungsgemäß offengelegt. Bezüglich dieser Anknüpfungen verstoßen die aktivistischen Leerverkäufe also nicht gegen Art. 12 I b MAR. Dagegen wurden von Gotham falsche und irreführende Informationen verbreitet, weshalb neben Art. 12 I c MAR auch nach Art. 12 I b MAR eine zu ahnende Täuschungshandlung mit Kursbeeinflussung vorliegt. 4. Subjektive Voraussetzungen Art. 12 I  b MAR benennt keine subjektiven Voraussetzungen für die Tatbestandsverwirklichung.618 Die Verhaltensweisen ‚Vorspiegelung falscher Tatsachen‘ und ‚Verwendung sonstiger Kunstgriffe oder Formen der Täuschung‘ implizieren aber einen Vorsatz des Täters.619 Zum ‚Vorspiegeln‘ und ‚Täuschen‘ gehört immer auch Vorsatz, was sich besonders deutlich im englischen Wortlaut zeigt: ‚Employ‘ sowie ‚deception‘ bzw. ‚contrivance‘ sind nämlich ziel- und zweckgerichtete Be 618

Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 157. Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 298; Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 157; Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 197; unklar Anschütz / Kunzelmann, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 14 Rn. 95; Poelzig, in: NZG 2016, 528 (536); offen Buck-Heeb, Kapitalmarktrecht, § 7 Rn. 661. 619

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

griffe.620 Schließlich deuten auf ein solches Verständnis auch die vorsätzlich zu verwirklichenden Praktiken der Indikatoren im Anhang I B und Anhang II Abschnitt 2 DelVO 2016/522 hin.621 Dass in subjektiver Hinsicht im Fall Aurelius / Gotham nicht nur gegen die informationsgestützte Marktmanipulation, sondern auch gegen Art. 12 I  b MAR wahrscheinlich verstoßen worden ist, wird im Anschluss im Sanktionsregime näher thematisiert. 5. Zwischenergebnis Anders als Art. 12 I a MAR erfasst Art. 12 I b MAR sämtliche Manipulationsarten und hat mit der hier vertretenen Systematisierung als einziger Tatbestand eine wirkliche Auffangfunktion. Zudem ist eine verdrängende Wirkung des Art. 12 I b MAR gegenüber Art. 12 I c MAR abzulehnen. Im Wortlaut des Art. 12 I b MAR sind weitere Formulierungen enthalten, die aber lediglich das zentrale Merkmal der Täuschung ohne eigenständige Bedeutung umschreiben. Eine konkludente Täuschung über das Verschweigen einer eigenen Position muss verneint werden, wenn nach Art. 12 II  d MAR der entsprechende Interessenkonflikt offengelegt wurde. Die Wertung des Art. 12 II d MAR ist darüber hinaus auch im Indikator B (b) Anhang I MAR zu beachten, der nur dann bei einer nachweislich von materiellen Interessen beeinflussten Anlageempfehlung auf eine Manipulation hindeuten kann, wenn auch die ordnungsgemäße und wirksame Offenlegung des Interessenkonflikts fehlt. Anders als der deutsche Wortlaut suggeriert, erfordert Art. 12 I b MAR nicht eine Eignung zur Kursbeeinflussung, sondern die Wahrscheinlichkeit derselben. Letztlich impliziert Art. 12 I b MAR in subjektiver Hinsicht eine vorsätzliche Begehung.

VI. Die Besonderheiten des straf- und ordnungswidrigkeitrechtlichen Sanktionsregimes Im Mittelpunkt des nationalen Sanktionsregimes stehen die strafrechtlichen und ordnungswidrigkeitrechtlichen Sanktionen: § 119 I i. V. m. § 120 XV Nr. 2 WpHG beinhaltet den Straftatbestand, § 120 XV Nr. 2 WpHG die Ordnungswidrigkeit. Neben den bereits erörterten Kriterien ist für den Straftatbestand der Taterfolg einer kausalen Preiseinwirkung durch die Tathandlung und auf subjektiver Tatseite Vorsatz erforderlich.

620 Umfassend unter Einbeziehung zum amerikanischen Verständnis des Scienter-Erfordernis Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 298. 621 Mülbert, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 12 MAR Rn. 157.

§ 6 Das Marktmanipulationsverbot

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1. Kausale Preiseinwirkung Der Preiseinwirkungserfolg der Straftat ist das Unterscheidungsmerkmal zur Ordnungswidrigkeit,622 die sich auf einen subjektiven Vorsatz oder ein leichtfertiges Handeln beschränkt. Aufgrund der kausalen Preiseinwirkung ist die strafrecht­liche Marktmanipulation ein Erfolgsdelikt.623 Objekt der Einwirkung müssen unter anderem Börsenpreise gem. § 24 I 1 BörsG sein, die während der Börsenöffnungszeiten erzielt worden sind.624 Eingewirkt meint dabei eine künstliche Erhöhung, Absenkung oder Stabilisierung des Preises entgegen den wahren wirtschaftlichen Verhältnissen am Markt.625 Nach überzeugenderer Ansicht bedarf es auch bei rein handelsgestützten Marktmanipulationen keines Drittgeschäfts für die Annahme einer Einwirkung.626 Als Erfolgsdelikt muss die Manipulationshandlung die Einwirkung als Erfolg grundsätzlich kausal und in objektiv zurechenbarer Weise verursacht haben,627 wobei schon eine Mitursächlichkeit, die im Strafprozess die volle richterliche Überzeugung erfordert, ausreichend ist.628 Im Kapitalmarktrecht zeigt sich hier aber die Nachweisproblematik dieser Kausalkette,629 weil in der Kapitalmarkttheorie keine eindeutigen wissenschaftlichen Kausalgesetze zu den Preisbildungsmechanismen existieren.630 Vielmehr hängt die Preisbildung von einer Vielzahl von Faktoren ab, sodass bei strengen, objektiv naturgesetzlichen Kausalitätsnachweisen wegen dieser Multikausalitäten ein Nachweis der Preiseinwirkung nahezu unmöglich ist.631 622

Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 256; Birkner, Einwirkungserfolg bei der Marktmanipulation, S. 8. 623 Diese Verschärfung für die Anknüpfung an die Strafbarkeit ist unionsrechtskonform, vgl. dazu Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 15 Rn. 118. 624 Die Variante des Marktpreises kommt für solche Finanzinstrumente in Betracht, bei denen die Märkte nicht den rechtlichen Status einer Börse haben, Rönnau / Wegner, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 28 Rn.  60 f. 625 BGHSt 59, 80 (87 Rn. 18) = NZG 2014, 315 (317); BaFin, Emittentenleitfaden 5. Aufl., Modul C, III.8, S. 82; Spoerr, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, § 119 WpHG Rn. 75; Rönnau / Wegner, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 28 Rn. 63. 626 Wie aber bereits im Art. 12 MAR erläutert, wird regelmäßig bei einem aktivistischen Leerverkauf eine rein handelsgestützte Marktmanipulation nicht verwirklicht. Vgl. deshalb zu der Diskussion m. w. N. BGHSt 59, 80 (91 Rn. 25) = NZG 2014, 315 (318); Rönnau / Wegner, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 28 Rn.  64; Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger /  Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 103 f. 627 Rönnau / Wegner, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 28 Rn. 58. 628 Spoerr, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, § 119 WpHG Rn. 79 f.; ähnlich Rönnau / Wegner, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 28 Rn. 65. 629 Vgl. aber aus strafrechtlich Sicht auch schon die erheblichen Probleme der materiellen Kausalitätserfordernisse Schönwälder, Grund und Grenzen einer strafrechtlichen Regulierung der Marktmanipulation, S. 226 ff. 630 Eichelberger, Marktmanipulationsverbot, S. 324 f. 631 BGHSt 48, 373 (384) = NJW 2004, 302 (305); eine umfassende theoretische Einordnung bei Schönwälder, Grund und Grenzen einer strafrechtlichen Regulierung der Marktmanipulation, S. 323 ff.

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

Zur Verhinderung einer Aushöhlung des Straftatbestandes632 stellt der BGH deshalb in ständiger Rechtsprechung an den Nachweis der Preiseinwirkungskausalität „keine überspannten Anforderungen“.633 Die richterliche Überzeugung von der Mitursächlichkeit der Manipulationshandlung ist deshalb für den Nachweis des Einwirkungserfolgs anhand einer Gesamtbewertung der vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse und Indiztatsachen ausreichend.634 Das bedeutet aber nur, dass andere mögliche Mitursachen für den konkreten Erfolg ausgeschlossen werden können.635 Zu den zentralen Indizien gehören: Der Vergleich des Preisverlaufs und Umsatzes des Finanzinstruments vor und nach der Manipulationshandlung, die Preis- und Umsatzentwicklung am Börsentag, das getätigte Ordervolumen, der Zeitabstand zwischen Manipulationshandlung und Preisentwicklung, das Verhältnis der Preisentwicklung zur marktüblichen Volatilität und das Verhältnis der Preisstabilisierung zur vorherigen Preisentwicklung.636 Selbst wenn diese Grundsätze herangezogen werden, fällt der Nachweis einer Preiseinwirkung schwerer, je liquider und je volatiler das Finanzinstrument ist.637 In der Praxis wird deshalb in der Regel ein Sachverständigengutachten erforderlich sein.638 Diese Rechtsprechung sieht sich aber erheblicher Kritik ausgesetzt, weil die Grenze zum Gefährdungsdelikt verwischt wird639 und ein prozessual eindeutiger Nachweis häufig nur in klar gelagerten Ausnahmefällen möglich ist, die zu einer erkennbar sprunghaften Veränderung des Preisniveaus nach der Manipulation führen.640 Manipulativ eingesetzte aktivistische Leerverkäufe gehören aber zu diesen Ausnahmefällen, da die Preiseinwirkung im Verhältnis zu rein handelsgestützten 632

BGHSt 48, 373 (384) = NJW 2004, 302 (305); Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 106; Eichelberger, Marktmanipulationsverbot, S. 325. 633 Grundlegend BGHSt 48, 373 (384) = NJW 2004, 302 (305); BGHSt 59, 105 (117 Rn. 42) = NJW 2014, 1896 (1899 f.); BGH AG 2016, 547 (548 f. Rn. 24); kritisch Schönwälder, Grund und Grenzen einer strafrechtlichen Regulierung der Marktmanipulation, S. 348 ff. 634 Spoerr, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, § 119 WpHG Rn. 80; Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 256; „Prozessual-pragmatisches Ausschlussverfahren“ Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 107. 635 Eichelberger, Marktmanipulationsverbot, S. 325; Spoerr, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, § 119 WpHG Rn. 80; ähnlich Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger /  Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 107. 636 BGHSt 48, 373 (384) = NJW 2004, 302 (305); ergänzend Spoerr, in: Assmann / Schneider /  Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, § 119 WpHG Rn. 80 f. 637 Spoerr, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, § 119 WpHG Rn. 84; Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 256. 638 Umfassend zur damit einhergehenden Problematik eines Gutachterstreits Eichelberger, Marktmanipulationsverbot, S. 332 ff. 639 Vgl. nur Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 256; Trüg, in: Leitner / Rosenau WSS, § 38 WpHG Rn. 94; Birkner, Einwirkungserfolg bei der Marktmanipulation, S. 15 f.; Spoerr, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht § 119 WpHG Rn. 84. 640 Birkner, Einwirkungserfolg bei der Marktmanipulation, S. 15; Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 256.

§ 6 Das Marktmanipulationsverbot

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Marktmanipulationen relativ einfach wegen der starken Preisbeeinflussung durch die Veröffentlichung eines Research Reports nachgewiesen werden kann. Dies gilt auch für Aurelius / Gotham, bei dem der Kurs der Aktie nach Veröffentlichung des Reports um ca. die Hälfte eingebrochen war.641 Ohne auf sämtliche Indizien und die in einem Sachverständigengutachten zu nennenden Faktoren einzugehen, spricht also in diesem Fall das Indiz des Preisvergleichs vor und nach der Manipulationshandlung für die Annahme einer kausalen Preiseinwirkung. Im Gegensatz zur Kausalität ist der Nachweis der objektiven Zurechnung generell weniger problematisch und umgekehrt nur ausnahmsweise zu verneinen.642 Im Fall eines aktivistischen Leerverkaufs realisiert sich immer auch das vom Täter gesetzte Risiko im verursachten Börsenpreis. Für den Fall einer fehlenden bzw. nicht nachweisbaren Preiseinwirkung kann eine Versuchsstrafbarkeit bei entsprechendem Vorsatz des Täters in Betracht kommen.643 2. Subjektive Anforderungen und das Verhältnis zur MAR Hinsichtlich der subjektiven Anforderungen des Sanktionsregimes bedarf es mindestens der leichtfertigen Verwirklichung. Leichtfertigkeit ist bei einem objektiv schweren Sorgfaltspflichtverstoß dann gegeben, wenn der Täter das außer Acht lässt, was sich ihm bei Berücksichtigung seiner Fähigkeiten und Erkenntnisse hätte aufdrängen müssen.644 Für die strafrechtliche Verwirklichung ist Vorsatz im Sinne des dolus eventualis ausreichend,645 wonach der Täter die Tatbestandsver-

641

Manager-Magazin v. 3. 04. 2017, https://www.manager-magazin.de/finanzen/boerse/aure lius-prueft-anzeige-gegen-gotham-aktie-erholt-sich-weiter-a-1141593.html. 642 Diskutiert wird hier vor allem ein Ausschluss aufgrund eines freiverantwortlichen Dazwischentretens Dritter, bei der Marktteilnehmer die Manipulationshandlung erkannt haben und dennoch entsprechend handeln. Die Einordnung eines aktivistischen Leerverkaufs als legitim oder illegitim unmittelbar im Anschluss der Veröffentlichung des Research Reports wird in der Praxis jedoch nur äußerst schwer vorzunehmen sein. Vielmehr herrscht zunächst eine unklare Faktenlage vor, sodass dieser Ausschlussgrund hier nicht weiter relevant ist. Vgl. zur allgemeinen Diskussion Birkner, Einwirkungserfolg bei der Marktmanipulation, S. 16 f. 643 Spoerr, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, § 119 WpHG Rn. 84; Birkner, Einwirkungserfolg bei der Marktmanipulation, S. 16. 644 BaFin, Emittentenleitfaden 5. Aufl., Modul C, III.10, S. 83; Vogel, in: Assmann / Schneider, WpHG 6. Aufl., § 20a Rn. 130; umfassend zum Begriffsverständnis Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 14 Rn. 57 ff. 645 Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 112; Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 261; Spoerr, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, § 119 WpHG Rn. 86; eine weitergehende Manipulationsabsicht ausdrücklich ablehnend, BGHSt 59, 80 (91 Rn. 25) = NZG 2014, 315 (318); a. A. Trüg, in: Leitner / Rosenau WSS, § 38 WpHG Rn. 183; kritisch in Bezug auf das unionsrechtliche Begriffsverständnis aber eine unionsrechtlich zulässige Verschärfung konstatierend Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 15 Rn. 58, 117.

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

wirklichung für möglich hält und billigend in Kauf nimmt.646 Der Vorsatz muss sich auf sämtliche objektive Tatbestandsmerkmale beziehen.647 Hinsichtlich des Verhältnisses zu den subjektiven Anforderungen in der kapitalmarktrechtlichen Aufsichtsnorm ist festzuhalten, dass die Anforderungen im Sanktionsregime davon divergieren. Zum einen ist das Aufsichtsrecht weniger streng als das Sanktionsregime, weil fahrlässige Unkenntnis in Art. 12 I c MAR genügt. Dabei überlagert aber das Sanktionsregime mit der strengeren leichtfertigen Begehung das Aufsichtsrecht.648 Andererseits stellt das Aufsichtsrecht in Art. 12 I b und Art. 12 II d MAR mit dem Vorsatzerfordernis strengere Anforderungen an die subjektive Tatseite auf als das Sanktionsregime der Ordnungswidrigkeit. Eine vergleichbare Konstellation gab es bereits mit dem allgemeinen ungeschriebenen Vorsatzerfordernis in § 20a I WpHG a. F., das eine Einschränkung der verwaltungsrechtlichen Eingriffsbefugnis der BaFin bewirkte.649 Die heutige Eingriffsbefugnis der BaFin, die eine Verfolgung von Leichtfertigkeit vorsieht, wird damit ebenfalls auf Grund der strengeren Anforderungen von Art. 12 I b und Art. 12 II d MAR beschränkt. Für die Praxis hat dies zur Folge, dass für beide Tatbestände im Ordnungswidrigkeitenrecht auch Vorsatz erforderlich ist. Andernfalls würde der Täter nämlich nicht die einschlägigen Art. 15 i. V. m. Art. 12 I b bzw. Art. 12 II d MAR innerhalb der Verweisungskette der Blankettvorschrift des § 120 II Nr. 3 WpHG verwirklichen, was aber die Prämisse für die Ordnungswidrigkeit ist. In der Regel wird die Ordnungswidrigkeit dann aber hinter einer verwirklichten Straftat zurücktreten. Relevanz erlangt die Ordnungswidrigkeit ausschließlich, wenn der Straftatbestand nicht bejaht werden kann, weil es beispielsweise an der erforderlichen Preiseinwirkung fehlt oder der Vorsatz nicht in Bezug auf die Preiseinwirkung nachweisbar ist.650 3. Anwendung auf Aurelius / Gotham Im Fall Aurelius / Gotham ist demnach für eine Sanktionierung als Ordnungswidrigkeit bei der objektiv verwirklichten informationsgestützten Marktmanipu 646

BaFin, Emittentenleitfaden 5. Aufl., Modul C, III.9, S. 82; Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 261. 647 Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 111; S­ aliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 261. 648 Teigelack, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 13 Rn. 54; Diversy / Köpferl, in: Graf / Jäger / Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, § 38 WpHG Rn. 111; ähnlich Rönnau / Wegner, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 28 Rn.  81; Anschütz / Kunzelmann, in: Meyer /  Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 14 Rn. 95; a. A. den unionsrechtlichen niedrigeren Verschuldensmaßstab für das jeweilige Tatbestandsmerkmal auch im deutschen Sanktionsregime geltend lassend Veil, in: ZGR 2016, 305 (311). 649 Schmolke, in: Klöhn MAR, Art. 12 Rn. 295. 650 So generell zur Bedeutung der Ordnungswidrigkeit BaFin, Emittentenleitfaden 5. Aufl., Modul C, III.10, S. 83; de Schmidt, in: Just / Voß / R itz / Becker WpHG § 20a Rn.  252; ebenfalls auf die Schwierigkeiten der Nachweisbarkeit hinweisend, Seier, Kartellrechtsrelevante Marktmanipulationen, S. 108.

§ 6 Das Marktmanipulationsverbot

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lation gem. Art. 12 I c MAR der Nachweis von subjektiver Leichtfertigkeit erforderlich. Sollte auch der Nachweis eines dolus eventualis gelingen, kommt wegen der vorliegenden kausalen Preiseinwirkung jedoch auch eine Verwirklichung des Straftatbestandes in Betracht. Daneben wäre dann auch eine Straftat wegen der vorsätzlichen Verwirklichung des Art. 12 I b MAR einschlägig. Die Problematik der subjektiven Tatseite gründet letztlich auch in ihrer praktischen Nachweisbarkeit, in der eine umfangreiche Auswertung interner und externer Dokumente erforderlich sein wird. Insbesondere für den Nachweis einer positiven Kenntnis von der Unrichtigkeit der Informationen ist zudem der Beurteilungsspielraum zu berücksichtigen, sodass auf das der Unternehmensbewertung durch Gotham zugrundeliegende Tatsachen- und Datenmaterial ausreichend eingegangen werden muss. Mangels entsprechenden Einblicks und bisher nicht abgeschlossener Ermittlungen kann an dieser Stelle hinsichtlich der subjektiven Verwirklichung deshalb keine endgültige Aussage getroffen werden.

C. Ergebnis Die bisherige Analyse hat gezeigt, dass aus der Sicht von Rechtsanwendern die neue Ausgestaltung des Marktmanipulationsverbotes der MAR normativ nicht gelungen ist.651 Der Tatbestand ist zunächst von sprachlichen Ungenauigkeiten durchzogen, was sich beispielhaft an der erforderlichen Prüfung falscher und irre­führender Informationen in Art. 12 I  c MAR oder an der fehlerhaften Übersetzung der Eignung zur Kursbeeinflussung statt einer wahrscheinlichen Kursbeeinflussung in Art. 12 I b MAR zeigt. Die Ungenauigkeiten beziehen sich aber nicht nur auf einzelne Varianten der Definitionsnorm, sondern auch auf die Struktur und Systematik. Dieser Mangel erschwert erheblich die Abgrenzung der einzelnen Varianten voneinander. Nach hier vertretener Auffassung erfüllt de lege lata lediglich Art. 12 I  b MAR eine tatsächliche Auffangfunktion. Zudem verursacht der offene Tatbestand konkrete Probleme, wie etwa die Einordnung von Art. 12 I a, b MAR als Unterlassungsdelikt, die bis zur gerichtlichen Klärung als offen bezeichnet werden muss.652 Trotz dieser Kritik ist aber auch zu konstatieren, dass der Gesetzgeber seinem Ziel näher gekommen ist, einen zukunftsoffenen, möglichst flexiblen Tatbestand der Marktmanipulation zu schaffen. Einige Probleme des Tatbestands, wie die offene Struktur, sind wohl diesem Ziel geschuldet.653 De lege ferenda ließe sich diese Struktur durch eine Begrenzung des Art. 12 I a MAR auf handelsgestützte Marktmanipulationen verbessern. Insgesamt sind 651

Kritisch auch die Bewertung von Meyer / Veil / Rönnau, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, Vorwort, S. V; Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 82 f.; Schmolke, in: Klöhn MAR, Vor Art. 12 Rn. 85; ähnlich von „Herausforderungen für den Rechtsanwender“ sprechend ders., in: FS 25 Jahre WpHG, 653 (667 f.). 652 So auch das Ergebnis von Zimmer / Bator, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 12 MAR Rn. 102. 653 In diese Richtung auch Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 83.

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

nähere Erläuterungen seitens der Aufsichtsbehörden weiterhin angezeigt. Auch die jüngst erschienene Aktualisierung zum Modul C des Emittentenleitfaden hat daran nichts geändert. In einigen Punkten wird eine Rechtssicherheit erst mit den Entscheidungen der Judikative hergestellt sein.654 Für aktivistische Leerverkäufer kommen zahlreiche Anknüpfungspunkte für das Marktmanipulationsverbot gem. Art. 15 i. V. m. Art. 12 I, II MAR in Betracht, wobei allerdings festzuhalten ist, dass das Marktmanipulationsverbot aktivistische Leerverkäufe nicht von vornherein untersagt. Positiv formuliert sind diese Leerverkäufe vielmehr grundsätzlich zulässig, wenn der im Research Report verbreitete Inhalt zutreffend ist, der Interessenkonflikt im selbigen offenlegt wurde und die Publizitätsvorschriften der SSR bei den eingegangenen Leerverkaufspositionen eingehalten wurden. Dieses Ergebnis entspricht auch der ökonomischen Einordnung aktivistischer Leerverkäufe im § 3: Grundsätzlich verbessern diese die Markteffizienz und sind deshalb positiv zu beurteilen. Manipulativ eingesetzte aktivistische Leerverkäufe sind dagegen schädigend und deshalb nach dem Marktmanipulationsverbot unzulässig, wobei allerdings die normativ fixierte Besonderheit des Scalping gem. Art. 12 II d MAR zu beachten ist. Unzulässig ist darüber hinaus auch die Verbreitung zutreffender Informationen ohne Offenlegung des Interessenkonflikts. Diese Besonderheit führt nun zu einer Divergenz von der ökonomischen Beurteilung, da die Verbreitung zutreffender Informationen unter den Gesichtspunkten der Markteffizienz positiv zu sehen ist. Der europäische Gesetzgeber ordnet damit das Ziel, eine möglichst weitgehende Markteffizienz zu erreichen, dem Ziel unter, den Anlegern eine informierte Investitionsentscheidung unter Berücksichtigung zugrunde­ liegender Interessenkonflikte zu ermöglichen. Mit dieser Regelung wird die Informationsasymmetrie hinsichtlich bestehender Interessenkonflikte abgebaut, das letztlich wieder der Zielsetzung des Informationsmodells entspricht.

§ 7 Das Insiderrecht als weitere Grenze? A. Ausgangspunkt Neben der zentralen Grenze des Marktmanipulationsverbots bedarf es für aktivistische Leerverkäufe auch einer Überprüfung, ob das Insiderrecht dem Phänomen als weitere Grenze entgegensteht. Obwohl dieser Aspekt in der Literatur zunächst weniger thematisiert wurde, zeigt sich die mögliche Relevanz des Insiderrechts bereits anhand der historischen Entwicklung zum Scalping: Über zwei Jahrzehnte war in Deutschland die Einordnung des Scalping im Marktmanipulationsrecht und Insiderrecht umstritten. Wie im § 6 bereits erläutert, handelt es sich bei 654

Ähnlich resümierend Schmolke, in: FS 25 Jahre WpHG, 653 (667 f.).

§ 7 Das Insiderrecht als weitere Grenze?

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einem aktivistischen Leerverkauf gerade um die entgegengesetzte Durchführung des klassischen Scalping, bei dem der Research Report eine implizite Verkaufsempfehlung darstellt. Das Opel-Urteil des BGH entschied die Diskussion um die Zuordnung des Scalping. Dieses nahm das Scalping aus dem Anwendungsbereich des Insiderrechts heraus und ordnete es allein dem Marktmanipulationsverbot zu.655 Nach dieser Grundsatzentscheidung war die Diskussion allerdings nicht beendet, sondern setzte sich durch eine inzwischen ergangene EuGH-Rechtsprechung fort. Aus diesem Grund gilt es zu prüfen, ob unter Geltung der MAR die Einordnung des Scalping anhand der Argumentation des BGH noch haltbar ist. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf ausgewählte Problembereiche des Insiderrechts, die für die Einordnung von aktivistischen Leerverkäufen besonders relevant sind. Dabei steht die Untersuchung der drei möglichen Anknüpfungspunkte des Phänomens als Insiderinformation gem. Art. 7 I a MAR und einem daraus möglicherweise entstehenden Insiderhandelsverbot gem. Art. 14 I a i. V. m. Art. 8 I MAR im Mittelpunkt. Die Einordnung der aktivistischen Leerverkäufe wird nach folgenden Anknüpfungspunkten der Insiderinformation vorgenommen: Dem Research Report, der Absicht des Eingehens von Leerverkaufspositionen sowie der Absicht der Veröffentlichung des Research Reports. Innerhalb dieser Einordnung werden auch die folgenden grundsätzlichen Probleme unter Geltung der MAR behandelt: Die Behandlung von selbst geschaffenen inneren Tatsachen als Insiderinformation, das Vorliegen einer Insiderinformation von Bewertungen und Analysen auf ausschließlich öffentlich verfügbaren Angaben nach ErwGr. Nr. 28 MAR sowie die Widerlegung der Nutzungsvermutung einer Insiderinformation im Insidergeschäft gem. Art. 8 I i. V. m. Art. 9 MAR.

B. Telos des Insiderrechts Insiderhandel ist in der juristischen und ökonomischen Literatur nunmehr über mehrere Jahrzehnte Gegenstand einer ausgiebigen Diskussion. Umso weniger verwunderlich sind deshalb die zahlreichen und kontrovers debattierten Geltungsgründe für das Insiderrecht. Darum soll hier im Folgenden keine vollständige theoretische Ausarbeitung erfolgen, sondern allein das Verständnis des europäischen Gesetzgebers dargestellt werden.656 Dieses ist nämlich vorrangig für die teleo­ logische Auslegung der in Frage kommenden europäischen Vorschriften. 655

BGHSt 48, 373 (377 f.) = NJW 2004, 302 (303). Vgl. für eine umfassende Erörterung der verschiedenen Geltungsgründe des Insiderrechts inklusive zentraler Kritikpunkte Klöhn, in: Klöhn MAR, Vor Art. 7 Rn. 25 ff.; Kumpan /  Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 1 MAR Rn. 1 ff.; ausführliche Hinweise auf die zahlreiche wirtschaftswissenschaftliche Literatur Hopt / Kumpan, in: Schimansky / Bunte /  Lwowski BankR-HdB, § 107 Rn. 3 Fn. 7; Hopt, in: FS 25 Jahre WpHG, 503 (512 ff.). 656

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

Gem. ErwGr. Nr. 24 MAR rekurriert der europäische Gesetzgeber für die Prüfung eines Verstoßes gegen das Insiderhandelsverbot auf den Zweck der Verordnung, „der darin besteht, die Integrität des Finanzmarkts zu schützen und das Vertrauen der Investoren zu stärken, das wiederum auf der Gewissheit beruht, dass die Investoren gleichbehandelt und vor der missbräuchlichen Verwendung von Insiderinformationen geschützt werden“. Vergleichbar sieht ErwGr. Nr. 23 MAR das wesentliche Merkmal von Insidergeschäften in dem „ungerechtfertigten Vorteil, der mittels Insiderinformationen zum Nachteil Dritter erzielt wird, die diese Informationen nicht kennen, und infolgedessen in der Untergrabung der Integrität der Finanzmärkte und des Vertrauens der Investoren“. Hieraus lässt sich deutlich erkennbar ableiten, dass der Gesetzgeber nach wie vor den primären Schutzzweck des Insiderrechts in der Gewährleistung des Prinzips des gleichberechtigten Informationszugangs (equal access) einordnet.657 Dieses europäische Verständnis der Regulierungsbedürftigkeit des Insiderrechts führt die historisch gewachsene Auffassung der Insiderrichtlinie658 und MAD sowie der zentralen Entscheidungen des EuGH unverändert fort.659 Mit der Gewährleistung des gleichberechtigten Informationszugangs werden die allgemeinen Verordnungszwecke zum Schutz der Funktionsfähigkeit der Kapitalmärkte und des Anlegervertrauens verwirklicht.660 Zur besseren Verständlichkeit des unrechtsbegründenden Umstands ist zudem eine kurze Erläuterung zum ökonomischen Hintergrund des equal access erforderlich. Es ist zu klären, wer nach dem Verständnis des europäischen Gesetzgebers benachteiligter Dritter ist und inwieweit dadurch eine Schädigung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes und des Anlegervertrauens verursacht wird. Es gilt sich zunächst zu vergegenwärtigen, dass die Integrität des Kapitalmarktes regelmäßig mit dem Begriff der Markteffizienz umschrieben wird. Dabei geht es nicht nur um das grundsätzliche Bestehen der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes, sondern auch um dessen höchstmögliche Effizienz.661 Grundlage hierfür ist die Kapitalmarkteffizienzhypothese. Darüber hinaus muss eine konkrete Bestimmung der benachteiligten Personen von Insiderhandel im Kontext einer Betrachtung der Preisbildung an Kapitalmärkten unter Einarbeitung neuer Informationen in die Markpreise erfolgen. Dabei wird überwiegend auf das grundlegende Modell der Informationsarbitrage von

657 Klöhn, in: Klöhn MAR, Vor Art. 7 Rn. 38, 129; Krause, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 5 Rn. 4; Assmann, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Vor Art. 7 Rn. 29. 658 Richtlinie 89/592/EWG des Rates vom 13. 11. 1989 zur Koordinierung der Vorschriften betreffend Insider-Geschäfte, ABl. EU Nr. L 334 v. 18. 11. 1989, S. 30. 659 Klöhn, in: ZBB 2017, 261 (263); ders., in: FS 25 Jahre WpHG, 523 (531). 660 Veil, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 7 Rn. 4; Assmann, in: Assmann /  Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Vor Art. 7 Rn. 29. 661 Augstein, Neue Ansätze im Insiderrecht und ihre Auswirkungen auf die Beurteilung gestreckter Sachverhalte, S. 53.

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Großmann / Stieglitz zurückgegriffen.662 Demzufolge werden Fundamentalwerte von Finanzinstrumenten nicht immer vollständig im Marktpreis widergegeben.663 Das Aufdecken und Ausnutzen dieser Differenz zwischen Fundamentalwert und Marktpreis wird als (Informations-)Arbitragegeschäft definiert.664 Kapitalmarktakteure lassen sich anhand von Arbitragegeschäften in zwei Gruppen einteilen: Auf der einen Seite stehen Informationshändler, die kursrelevante Informationen suchen und analysieren, um so für sie vorteilhafte Arbitragegeschäfte zu tätigen.665 Demgegenüber stehen Utilitätshändler als rational uninformierte Anleger. Diese wollen keine Arbitragemöglichkeiten identifizieren, sondern haben andere Motive, wie beispielsweise die Tätigung von Portfolioinvestments, durch die der Anleger allein im Wege einer diversifizierten Anlagestrategie eine Marktrendite erzielen möchte.666 Informationshändler sind der Dreh- und Angelpunkt der Informationseffizienz. Sie beginnen ihre Transaktionen mit dem Entdecken der Arbitragemöglichkeit und tätigen diese bis zur Angleichung der Marktpreise an den Fundamentalwert, also bis die Arbitragemöglichkeit verstrichen ist.667 In dieser Profitmöglichkeit der Informationshändler liegt der Anreiz, Informationen zu suchen und auszuwerten, die im Ergebnis zu einer besseren Informationseffizienz führen.668 Informationshändler lassen sich zudem nach zahlreichen Gesichtspunkten einteilen, wobei die Differenzierung zwischen Insider- und Outsider-Informationshändler für die weiteren Ausführungen maßgeblich ist.669 Zwischen beiden Gruppen besteht eine Konkurrenz um die Ausbeutung der Arbitragemöglichkeiten.670 Mit Blick auf die Identifizierung von Arbitragemöglichkeiten haben Insider-­ Informationshändler einen privilegierten Zugang zu nicht öffentlich bekannten Informationen. Outsider-Informationshändler verfügen über keinen entsprechenden Zugang und können deshalb allein mittels der Analyse öffentlich bekannter Informationen die Profitmöglichkeiten identifizieren.671 Während Outsider gezielt in die Informationssuche und -analyse investieren und dabei mit anderen Outsidern um die Aufdeckung der Arbitragemöglichkeit wetteifern, akquirieren Insider nicht in vergleichbarem Umfang Informationen, sondern stoßen unter Umständen auch zufällig auf diese und nehmen diesbezüglich regelmäßig eine Monopolstellung

662

Grossmann / Stieglitz, 70 Am. Econ. Rev. (1980), 393; m. w. N. zur Rezeption in juristischer und ökonomischer Literatur Klöhn, in: Klöhn MAR, Vor Art. 7 Rn. 84. 663 Klöhn, in: ZBB 2017, 261 (263). 664 Klöhn, in: ZHR 177 (2013), 349 (354). 665 Klöhn, in: ZHR 177 (2013), 349 (354). 666 Klöhn, in: ZHR 177 (2013), 349 (354). 667 Klöhn, in: Klöhn MAR, Vor Art. 7 Rn. 88. 668 Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, S. 62 f. 669 Umfassende Darstellung zur weiteren Einteilung bei Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, S. 48 ff. 670 Klöhn, in: ZBB 2017, 261 (263). 671 Klöhn, in: ZBB 2017, 261 (263); ders., in: ZHR 177 (2013), 349 (354).

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ein.672 Aufgrund dieser Monopolstellung führt der Handel von Insidern dazu, dass die Arbitragegeschäfte allein zu ihrem Gunsten ausgebeutet werden und nicht mehr den Outsidern zur Verfügung stehen, wenngleich diese Zeit und Kosten zur Identifizierung aufgewendet haben.673 Neben diesen Verlusten besteht für Outsider zudem die Gefahr, weitere Verlustgeschäfte zu machen, indem sie in Unkenntnis des Insiderhandels diesen fälschlicherweise als fundamental ungerechtfertigte Preisbewegung (noise) einordnen.674 Utilitätshändler sind dagegen weitgehend vom Insiderhandel nicht betroffen, da sich ihre Profite und Verluste aufgrund der Zufälligkeit der Betroffenheit vom Insiderhandel ausgleichen.675 Geschädigte bzw. benachteiligter Dritte von Insider­ handel sind demnach vorrangig Outsider-Informationshändler.676 Wenn für die Outsider-Informationshändler die Arbitragemöglichkeit reduziert wird und damit Verluste einhergehen, bewirkt der Insiderhandel weniger Suchanreize für die Outsider, im schlimmsten Fall deren Marktaustritt.677 Diese Gefahr der Verdrängung der Outsider-Informationshändler stellt eine erhebliche Beeinträchtigung der Informationseffizienz dar,678 wobei diese Beeinträchtigung nicht durch entsprechenden Insiderhandel ausgeglichen werden kann.679 Aufgrund seiner Monopolstellung bewirkt der Insiderhandel sogar eine ineffektive Informationseinpreisung, indem Informationen zur Ausnutzung möglichst lange zurückgehalten werden.680 Es kann also festgehalten werden, dass der unrechtsbegründende Umstand des Insiderhandels die Ausnutzung von Insiderinformationen zur Erreichung eines ungerechtfertigten Vorteils zulasten der Outsider-Informationshändler ist.681 Deshalb ist das Verbot vom Insiderhandel erforderlich. Dieses ermöglicht einen ausreichenden Anreiz für Outsider-Informationshändler, sich im fairen Wettbewerb um die Aufdeckung von Arbitragemöglichkeiten am Markt zu beteiligen.682 Das Insiderhandelsverbot fördert primär den gleichberechtigten Zugang zu kursrelevanten Informationen.683 672

Klöhn, in: ZBB 2017, 261 (263); ders., in: ZHR 177 (2013), 349 (354 f.). Klöhn, in: ZBB 2017, 261 (263). 674 Klöhn, in: ZBB 2017, 261 (263); ders., in: ZHR 177 (2013), 349 (373). 675 Augstein, Neue Ansätze im Insiderrecht und ihre Auswirkungen auf die Beurteilung gestreckter Sachverhalte, S. 62; Klöhn, in: ZHR 177 (2013), 349 (372). 676 Klöhn, in: Klöhn MAR, Vor Art. 7 Rn. 129; ders., in: ZBB 2017, 261 (264). Zu den Auswirkungen auf Liquiditätsanbieter sogleich. 677 Klöhn, in: Klöhn MAR, Vor Art. 7 Rn. 110. 678 Klöhn, in: Klöhn MAR, Vor Art. 7 Rn. 110, 112; Hopt / Kumpan, in: Schimansky / Bunte /  Lwowski BankR-HdB, § 107 Rn. 3. 679 Die früher vertretene Annahme, Insiderhandel sei aufgrund seiner positiven Auswirkungen nicht regelungsbedürftig, wird heutzutage nicht mehr ernsthaft vertreten und wurde empirisch widerlegt, Veil, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 7 Rn. 4. Eine Darstellung der zentralen Argumente findet sich bei Klöhn, in: Klöhn MAR, Vor Art. 7 Rn. 96 ff. 680 Klöhn, in: Klöhn MAR, Vor Art. 7 Rn. 109, 133. 681 Kumpan / Schmidt, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 3. 682 Klöhn, in: ZBB 2017, 261 (264). 683 Klöhn, in: Klöhn MAR, Vor Art. 7 Rn. 38; Veil, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 7 Rn. 1; Kumpan / Schmidt, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 8 MAR Rn. 5. 673

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Ökonomisch betrachtet, stellt es den kompetitiven Markt für die Outsider-Informationshändler sicher.684 Dieser Schutzzweck wiederum hat positive Folgen für die Funktionsfähigkeit des Finanzmarktes insgesamt, da Liquiditätsanbieter auf das für sie beim Insider­handel bestehende Verlustrisiko mit erweiterten Bid-Ask-Spreads oder einer Reduzierung der Transaktionsmenge reagieren.685 Ersteres führt zu erhöhten Handelskosten für den Gesamtmarkt, letzteres bewirkt eine Verringerung der Markttiefe, also eine niedrigere Liquidität.686 Das Insiderhandelsverbot verhindert diese Auswirkungen und sichert so die Integrität des Kapitalmarkts,687 der zudem durch seine Effizienz und Liquidität wiederum das Anlegervertrauen stärkt und zu mehr Investitionen führt.688 Zwischen Anlegerschutz und Funktionsschutz der Kapitalmärkte besteht also eine Wechselwirkung.689 Die viel diskutierte Frage, ob ein individualschützender Charakter des Insiderrechts besteht, ist für die in dieser Arbeit behandelten Aspekte irrelevant, sodass darauf nicht eingegangen wird.690 Im Kontext dieser Abhandlung ist aber noch darauf hinzuweisen, dass die Informationseffizienz in ihrer halbstrengen Variante allein einen theoretischen Idealzustand darstellt.691 Dies erkennt der Gesetzgeber gem. ErwGr. Nr. 28 MAR an: Dort geht er davon aus, dass Markteilnehmer auf Grundlage öffentlich bekannter Informationen nach diesen Arbitragemöglichkeiten suchen und durch diese Profit­möglichkeiten entsprechende Suchanreize haben.692 Wäre der Markt nach der halbstrengen Variante vollständig effizient, wäre dieser Erwägungsgrund

684

Klöhn, in: Klöhn MAR, Vor Art. 7 Rn. 39; ders., in: ZBB 2017, 261 (264). Klöhn, in: Klöhn MAR, Vor Art. 7 Rn. 92. Damit können auch Liquiditätsanbieter von Insiderhandel geschädigt werden, die aber diesem durch die höheren Bid-Ask-Spreads entgegenwirken können, Klöhn, in: Klöhn MAR, Vor Art. 7 Rn. 92 Rn. 114 f. 686 Klöhn, in: Klöhn MAR, Vor Art. 7 Rn. 92; 114; 134 ff. 687 Veil, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 7 Rn. 4; Hopt / Kumpan, in: Schimansky / Bunte / Lwowski BankR-HdB, § 107 Rn.  3; Assmann, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Vor Art. 7 Rn. 29. 688 Augstein, Neue Ansätze im Insiderrecht und ihre Auswirkungen auf die Beurteilung gestreckter Sachverhalte, S. 60. 689 Krause, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 5 Rn. 5; Veil, in: Meyer / Veil /  Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 7 Rn. 4; Augstein, Neue Ansätze im Insiderrecht und ihre Auswirkungen auf die Beurteilung gestreckter Sachverhalte, S. 60. 690 Vgl. zur allgemeinen Diskussion der Schutzrichtung Kumpan / Misterek, in: Schwark /  Zimmer KMRK, Art. 1 MAR Rn. 5 ff.; zur Bedeutung dieser Frage im Kontext der zivilrechtlichen Haftung beispielsweise, Augstein, Neue Ansätze im Insiderrecht und ihre Auswirkungen auf die Beurteilung gestreckter Sachverhalte, S. 340 ff.; umfassend zur Diskussion einer zivilrechtlichen Haftung im Kapitalmarktrecht Cless, Unionsrechtliche Vorgaben für eine zivilrechtliche Haftung bei Marktmissbrauch, S. 34 ff. 691 Klöhn, in: Klöhn MAR, Einleitung Rn. 71, Art. 7 Rn. 335; Kumpan / Misterek, in: Schwark /  Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 255; zudem konnte die Behavioral Finance als empirischer Verhaltensforschung bestimmte limits of arbitrage feststellen, vgl. hierzu Klöhn, Kapitalmarkt, Spekulation und Behavioral Finance, S. 126 ff. 692 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 335. 685

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überflüssig.693 Kein rational handelnder Anleger könnte den Markt auf Grundlage öffentlicher Informationen schlagen und hätte deshalb keinen Anreiz zur Auswertung öffentlich bekannter Informationen.694 Die Gewährleistung und Förderung der Arbitragegeschäfte ist aber gerade erforderlich, um die in der Realität nicht vollends gegebene Informationseffizienz durch eine schnellere Einpreisung von Informationen zu verbessern.695

C. Insiderinformation und Handelsverbot im Überblick Der Begriff der Insiderinformation ist das grundlegende Tatbestandsmerkmal sämtlicher insiderrechtlichen Ge- und Verbote der MAR, da das europäische Modell des Insiderrechts auf dem sog. Einheitsprinzip basiert.696 Danach beziehen sich neben den Verboten der Art. 8, 10, 14 MAR auch die Vorschriften zur Marktsondierung gem. Art. 11 MAR sowie die Ad-Hoc-Publizitätspflicht gem. Art. 17 MAR auf Art. 7 I a MAR, sodass die Begrifflichkeit unterschiedslos innerhalb der MAR gilt.697 Die folgende Darstellung will lediglich einen Überblick über den Insiderinformationsbegriff und das Insiderhandelsverbot geben, sodass mit Ausnahme vereinzelter Diskussionen auf eine detaillierte Erläuterung verzichtet wird.

I. Der Begriff der Insiderinformation Nach Art. 7 I a MAR setzt der Insiderinformationsbegriff in vier Tatbestandsmerkmalen (1.) eine präzise Information voraus, (2.) die nicht öffentlich bekannt ist, (3.) einen Emittenten- oder Finanzinstrumentenbezug aufweist und (4.) eine Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung (Kursrelevanz) hat. 1. Präzise Information Informationen implizieren alle Vorgänge, die Gegenstand einer kognitiven Wahrnehmung sind.698 Die früher vom BGH in der Opel-Entscheidung vertretene Ansicht, dass Informationen zwingend einen Drittbezug aufweisen müssen, lässt sich unter der Geltung der MAR nicht mehr halten. Dieses Urteil legte den Insiderinformationsbegriff restriktiv aus und nahm das Scalping aus dem Tatbestand des Insiderhandelsverbots heraus und ordnete es dem Marktmanipulationsverbot 693

Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 335. Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 335, Klöhn, in: WM 2016, 1665 (1666). 695 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 335; Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 256. 696 Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 1. 697 Krause, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 1. 698 Krause, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 21. 694

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zu.699 Als Begründung diente ihm ein Drittbezug von Informationen, sodass selbst geschaffene innere Tatsachen – in diesem Fall die Absicht eine Empfehlung auszusprechen – nicht Bezugspunkt einer Insiderinformation gem. § 13 I WpHG a. F. sein konnten. Es wurde angenommen, dass man sich selbst nicht über eigene Pläne informieren könne.700 Diese restriktive Auslegung wurde schon damals stark kritisiert, wobei vor allem an der Kompatibilität mit dem Georgakis-Urteil des EuGH701 gezweifelt wurde.702 Unter Geltung der MAR ist diese Auslegung inzwischen nicht mehr haltbar; denn Art. 9 V MAR ordnet an, dass das eigene Wissen über einen Erwerbs- oder Veräußerungsentschluss von Finanzinstrumenten noch keine Nutzung einer Insiderinformation darstellt. Dies bedeutet aber, dass eigene Handelsabsichten als selbst geschaffene innere Tatsachen sehr wohl eine Insiderinformation darstellen können.703 Andernfalls wäre Art. 9 V MAR überflüssig, wenn selbst geschaffene innere Tatsachen schon kein Insiderwissen begründen könnten.704 Dieses Verständnis wird auch in ErwGr. Nr. 31 MAR wiederholt, wonach dem Erwerb oder der Veräußerung von Finanzinstrumenten eine entsprechende Entscheidung der Person vorausgeht und diese Kenntnis nicht als Nutzung einer Insiderinformation gelten soll.705 Zwar nimmt ErwGr. Nr. 54 S. 3 MAR diese Bezugspunkte wieder aus dem Insiderinformationsbegriff heraus, indem eigene Handelspläne nicht als Insiderinformation betrachtet werden sollen, wobei aber unmittelbar der eklatante Widerspruch zur normativen Regelung des Art. 9 V MAR auffällt.706 Bei detaillierter Betrachtung des Erwägungsgrunds Nr. 54 S. 3 MAR lässt sich zudem feststellen, dass dieser nicht im Zusammenhang mit den anderen Erwägungsgründen zum Insiderhandelsverbot (ErwGr. Nr. 23 ff.) steht, sondern im Umfeld zur Ad-hocPublizität (ErwGr. Nr. 49 ff.). Deshalb ist wegen dieser Fehlplatzierung und des offensichtlichen Normwiderspruchs von einem Redaktionsversehen auszugehen, das

699

Klöhn, in: Beil. zu ZIP 22/2016, 44 (44); Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 22. 700 BGHSt 48, 373 (377 f.) = NJW 2004, 302 (303). 701 EuGH v. 10. 5. 2007 –Rs. C-391/04, Slg. 2007 I-3741 Rn. 35. 702 M. w. N. Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 23; vgl. zum Meinungsstand auch Langenbucher / Hau / Wentz, in: ZBB 2019, 307 (314). 703 So Klöhn, in: Beil. zu ZIP 22/2016, 44 (44); ders., in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 26; ­Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 23; Krause, in: Meyer / Veil /  Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 24; Buck-Heeb, in: Assmann / Schütze / Buck-Heeb, HdB KapitalanlageR, § 8 Rn. 82; Graßl / Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (58); Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 170; Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 87; unklar Langenbucher / Hau /  Wentz, in: ZBB 2019, 307 (314); offen Hilgendorf / Kusche, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, Art. 7 MAR Rn. 41; a. A. ohne weitere Begründung Wuntke / Richter, in: Frodermann / Jannott HdB AktienR, Kap. 13 Rn. 210. 704 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 26. 705 Buck-Heeb, in: Assmann / Schütze / Buck-Heeb, HdB KapitalanlageR, § 8 Rn. 83. 706 Klöhn, in: Beil. zu ZIP 22/2016, 44 (46); Krause, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 24.

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den ErwGr. Nr. 12 REMIT-VO unangepasst übernommen hat.707 Selbst geschaffene innere Tatsachen können somit Gegenstand einer Insiderinformation sein. Für die Feststellung einer präzisen Information ordnet Art. 7 II 1 MAR eine zweistufige Prüfung an, wonach es sich zunächst bei der Information um gegebene Umstände bzw. eingetretene Ereignisse oder zukünftige Umstände bzw. Ereignisse handeln muss.708 Dabei wird zwischen solchen Umständen und Ereignissen differenziert, die einen Gegenwarts- oder Vergangenheitsbezug aufweisen und solchen, die in der Zukunft liegen.709 Umstände und Ereignisse als tauglicher Gegenstand einer Insiderinformation können Tatsachen, subjektive Wertungen, Empfehlungen, Absichten und Gerüchte sein.710 Dass subjektive Wertungen und Empfehlungen neben Tatsachen erfasst sind, ergibt sich e contrario aus ErwGr. Nr. 28 S. 1 MAR, der Analysen und Bewertungen auf der Grundlage von öffentlich verfügbaren Angaben aus dem Insiderinformationsbegriff herausnimmt.711 Wie bereits gezeigt, sind Absichten als selbst geschaffene innere Tatsachen ebenfalls einbezogen. Für ein weites Verständnis spricht zudem die bereits bei der Umsetzung der MAD in § 13 WpHG a. F. vorgenommene Abkehr vom vorherigen Begriff der ‚Insidertatsache‘.712 Zukünftige Umstände oder Ereignisse müssen dabei vernünftigerweise zu erwarten sein, wie z. B. Pläne, Absichten und Vorhaben.713 In der zweiten Stufe muss die Information eine ausreichende Kursspezifität aufweisen, wobei dieses Tatbestandsmerkmal durch seine unklare Grenze zur Kursrelevanz geprägt ist: In der Literatur nimmt die Mehrheit nur eine Evidenzkontrolle vor, wonach nur offensichtlich irrelevante Informationen ohne detaillierte Prüfung der Kursrelevanz frühzeitig aus dem Insiderinformationsbegriff ausgeschlossen werden.714 Unpräzise Informationen können allein weiche Informationen sein, die durch eine Unsicherheit des Informationsgegenstandes und bzw. oder Unsicherheit der Information selbst geprägt sind.715 In diese Überprüfung fließen damit im Ergebnis die Kriterien zur Bestimmung der Kursrelevanz ein.716 707 Klöhn, in: Beil. zu ZIP 22/2016, 44 (46); Krause, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 24; Hopt / Kumpan, in: Schimansky / Bunte / Lwowski BankR-HdB, § 107 Rn. 93. 708 Krause, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 28. 709 Krause, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 28. 710 Krause, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 31; Hopt / Kumpan, in: Schimansky / Bunte / Lwowski BankR-HdB, § 107 Rn.  44; ähnlich Waschkowski, Insiderhandel nach der Marktmissbrauchsverordnung, S. 154. 711 Krause, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 35; Assmann, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art.  7 Rn.  33. 712 Hopt / Kumpan, in: Schimansky / Bunte / Lwowski BankR-HdB, § 107 Rn. 44. 713 Krause, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 58. 714 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 84; Krause, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 28; Waschkowski, Insiderhandel nach der Marktmissbrauchsverordnung, S. 163; kritisch Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 92; Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 34 ff. 715 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 81. 716 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 85.

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2. Fehlende öffentliche Bekanntheit Das Merkmal der fehlenden öffentlichen Bekanntheit ist zusammen mit der Kursrelevanz zentrales Abgrenzungsmerkmal zur Annahme des spezifischen Informationsvorteils der Insider.717 Vor Inkrafttreten der MAR erachtete der deutsche Gesetzgeber und dementsprechend die herrschende Meinung das Konzept der Bereichsöffentlichkeit für ausreichend. Danach kann eine Information als öffentlich bekannt gewertet werden, wenn eine unbestimmte Zahl von Marktteilnehmern die Möglichkeit der Kenntnisnahme hatte und so davon ausgegangen werden konnte, dass sie in den Kurs eingepreist wurde.718 Maßgebliche Marktteilnehmer waren allein institutionelle und professionelle Anleger, nicht aber das breite Anlegerpublikum.719 Auch wenn der MAR keine explizite Entscheidung entnommen werden kann, lässt sich nach dieser das Konzept der Bereichsöffentlichkeit nicht mehr halten. Erforderlich ist nämlich nun für die Annahme einer öffentlichen Bekanntheit die mögliche Kenntnisnahme des breiten Anlegerpublikums.720 Es besteht aus allen professionellen und nicht professionellen Anlegern, die als Informationshändler nach Informationen suchen, um diese am Kapitelmarkt auszubeuten.721 Die Wortlautauslegung im Vergleich sämtlicher Sprachfassungen zeigt, dass vom Gesetzgeber ein bewusster Gleichlauf zum Öffentlichkeitsbegriff der Ad-hoc-Publizität gem. Art. 17 I UAbs. 2 MAR im Sinne eines breiten Anlegerpublikums gewollt ist.722 Zudem würde in systematischer Hinsicht aufgrund des Einheitsprinzips mit seiner vorangestellten Insiderinformation ein engeres Verständnis des Art. 7 I a MAR im Widerspruch zum verfolgten Öffentlichkeitsziel des Art. 17 MAR stehen.723 Histo 717 Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 92; Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 122. 718 M. w. N. zum damaligen Meinungsstand und dem widersprüchlichen Verständnis der BaFin Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 124 f.; Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 94 f. 719 Krause, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 76. 720 So die heute herrschende Ansicht, vgl. nur Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 126; ders., in: ZHR 180 (2016), 707 (719); Krause, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 81; Buck-Heeb, in: Assmann / Schütze / Buck-Heeb, HdB KapitalanlageR, § 8 Rn. 91; ­Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 100, m. w. N. in Fn. 357; BaFin, Emittentenleitfaden 5. Aufl., Modul C, I.2. 1. 1, S. 10; Waschkowski, Insiderhandel nach der Marktmissbrauchsverordnung, S. 169; a. A. Assmann, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 7 Rn. 65 f.; Hilgendorf / Kusche, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, Art. 7 MAR Rn. 58; Augstein, Neue Ansätze im Insiderrecht und ihre Auswirkungen auf die Beurteilung gestreckter Sachverhalte, S. 143, 146. 721 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 132; Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 102. 722 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 127; ders., in: ZHR 180 (2016), 707 (715 f.); Kumpan /  Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 97. 723 Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 98. Zudem verstieße dieses gegen das Verbot der selektiven Informationsweitergabe gem. Art. 10 I i. V. m. Art. 17 VIII MAR, Klöhn, in: ZHR 180 (2016), 707 (717 f.).

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risch hat dieser Öffentlichkeitsbegriff auf europäischer Ebene seine Grundlagen bereits in der Börsenzulassungsrichtlinie724 aus dem Jahr 1979.725 Vor allem widerspricht das Konzept der Bereichsöffentlichkeit dem Telos der informationellen Chancengleichheit. Professionelle Anleger erhielten ansonsten einen Zeitvorsprung gegenüber dem breiten Anlegerpublikum zur Ausnutzung bestehender Arbitragemöglichkeiten.726 Für die öffentliche Bekanntheit von Informationen ist es erforderlich, diese einem breiten Anlegerpublikum zugänglich zu machen. Dies muss in einer mit Art. 17 I UAbs. 2 MAR i. V. m. Art. 2 I a Durchführungsverordnung 2016/1055727 vergleichbaren Art und Weise geschehen.728 Diese Anforderungen sind allerdings zu modifizieren, da gerade nicht nur per Ad-hoc-Mitteilung bekannt gemachte Informationen die öffentliche Bekanntheit i. S. d. Art. 7 I a MAR bewirken können.729 Eine tatsächliche Kenntnisnahme des breiten Anlegepublikums ist weiterhin nicht erforderlich.730 3. Emittenten- und Finanzinstrumentenbezug Hinsichtlich des Emittenten- bzw. Finanzinstrumentenbezugs wird teilweise eine eigenständige Bedeutung schon aufgrund der Überschneidung mit der Kursrelevanz angezweifelt,731 wobei aktivistische Leerverkäufer sich im Research Report immer auf ein einzelnes Zielunternehmen beziehen und ihre Vorwürfe sowohl mit unternehmensinternen und- externen Informationen als auch entsprechenden Finanzmarktinformationen untermauern. Der Zielsetzung entsprechend liegt also immer auch ein Emittenten- und Finanzinstrumentenbezug vor.

724

Richtlinie 79/279/EWG des Rates vom 09. 03. 1979 zur Koordinierung der Bedingungen für die Zulassung von Wertpapieren zur amtlichen Notierung an einer Wertpapierbörse, ABl. EU Nr. L 66 v. 16. 03. 1979, S. 21. 725 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 128; ders., in: ZHR 180 (2016), 707 (718). 726 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn.1 29; ders., in: ZHR 180 (2016), 707 (718 f.); Krause, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn.  80. 727 Durchführungsverordnung (EU) 2016/1055 der Kommission vom. 29. 06. 2016 zur Festlegung technischer Durchführungsstandards hinsichtlich der technischen Mittel für die angemessene Bekanntgabe von Insiderinformationen und für den Aufschub der Bekanntgabe von Insiderinformationen gemäß Verordnung (EU) Nr. 596/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates, ABl. EU. Nr. L 173 v. 30. 06. 2016, S. 47. 728 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 130; ders., in: ZHR 180 (2016), 707 (725 f.). 729 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 130. 730 Klöhn, in: ZHR 180 (2016), 707 (724); Krause, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 81. 731 Vgl. nur Klöhn, in: Klöhn MAR Art. 7 Rn. 116 f.; Krause, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 94; Waschkowski, Insiderhandel nach der Marktmissbrauchsverordnung, S. 170 ff.

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4. Kursrelevanz Mit der Kursrelevanz wird die Eignung zur erheblichen Kursbeeinflussung umschrieben, die gem. Art. 7 IV MAR vorliegt, wenn ein verständiger Anleger die Information wahrscheinlich als Teil seiner Anlageentscheidung nutzen würde.732 Von daher ist zunächst die Eignung zur Kursbeeinflussung und im Anschluss die Erheblichkeit zu prüfen.733 Erstere ist anhand einer nachträglichen ex-ante Prognose aus objektiver Sicht des verständigen Anlegers zu ermitteln.734 Nicht erforderlich für die Feststellung der Kursrelevanz ist eine tatsächliche Preisänderung nach Bekanntwerden der Information, sondern ausreichend ist die wahrscheinliche Eignung im ex-ante Zeitpunkt der Prognose.735 Nach herrschender Ansicht muss es sich um eine überwiegende Wahrscheinlichkeit handeln.736 Der objektive Beurteilungsmaßstab des verständigen Anlegers ist in seinen Einzelheiten hinsichtlich des erforderlichen Grads an Professionalität und Rationalität umstritten.737 Teilweise wird aber auch die praktische Relevanz der Diskussion in Frage gestellt, da bei der Bewertung von Sachverhalten die unterschiedlichen Sichtweisen zu meist vergleichbaren Ergebnissen kommen werden.738 Diese Diskussion näher zu erläutern, würde allerdings über den Rahmen dieser Arbeit hinausgehen. Die Kriterien zur Feststellung der Eignung der Kursbeeinflussung richten sich im Grundsatz nach der Fundamentalwertrelevanz der Informationen: Der verständige Anleger berücksichtigt diejenigen Informationen, die die Gesamtheit aller öffentlich bekannten Informationen so verändern, dass eine andere Beurteilung des Finanzinstruments geboten ist,739 wobei alle Umstände des Einzelfalls zu wür-

732

Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 156; Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 19, 119. 733 Krause, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 100; Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 120. 734 Krause, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 101; Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 125 f. 735 BaFin, Emittentenleitfaden 5. Aufl., Modul C, I.4.2.5.2.2.1, S. 61. 736 Vgl. zum aktuellen Meinungsstand Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 191, aber zur berechtigten Kritik aufgrund des objektiv-normativen Charakters der Prognose Rn. 192 f.; grundlegend Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 283. 737 M. w. N. jeweils Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 267 ff.; Kumpan / Misterek, in: Schwark /  Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 130 ff.; Waschkowski, Insiderhandel nach der Marktmissbrauchsverordnung, S. 194 ff.; Langenbucher, in: AG 2016, 417 (418 ff.). 738 So zumindest für das Insiderrecht Buck-Heeb, in: Assmann / Schütze / Buck-Heeb, HdB KapitalanlageR, § 8 Rn. 116. Die gewichtigen Argumente, den verständigen Anleger als die normative Personifizierung des effizienten Markts in der halbstrengen Variante der Kapitalmarkteffizienzhypothese zu verstehen, sind für das Insiderrecht aber nicht von der Hand zu weisen, vgl. Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 271 ff.; ders., in: ZHR 177 (2013), 349 (377); dem folgend Krause, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 116; Kumpan /  Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 142; umfangreich auch dies., in: ZHR 184 (2020), 180 (203 ff.). 739 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 170, 176.

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digen sind.740 Je nach Gegenstand der Information ergeben sich unterschiedliche Anforderungen, die sowohl zahlreich als auch unterschiedlich diskutiert werden741 und nur teilweise für diese Arbeit relevant sind. Die Erheblichkeit der Kursbeeinflussung soll in der zweiten Prüfstufe Bagatell­ fälle vom Insiderrecht ausschließen.742 Nach überwiegender Auffassung liegt diese Erheblichkeit dann vor, wenn die Information auf den verständigen Anleger einen Verkauf- oder Kaufanreiz ausübt und es sich um ein lohnenswertes Geschäft handelt.743

II. Insiderhandelsverbot Die regulatorische Struktur des Insiderhandelsverbots ähnelt der des Marktmanipulationsverbots und differenziert zwischen Verbots- und Definitionstatbestand: Art. 14 a MAR beinhaltet das Verbot des Insiderhandels und Art. 8 I MAR die Definition des maßgeblichen Insidergeschäfts. Es wird flankiert von den weiteren Insiderverboten des Empfehlungs- und Verleitungsverbots gem. Art. 14 b i. V. m. Art. 8 II, III MAR sowie dem Offenlegungsverbot gem. Art. 14 c i. V. m. Art. 10 MAR, die nicht näher ausgeführt werden. Hinsichtlich des sachlichen und räumlichen Anwendungsbereichs kann auf die entsprechenden Ausführungen der §§ 5, 6 verwiesen werden. In Art. 8 V MAR ist ebenfalls eine dem Art. 12 IV MAR vergleichbare Norm enthalten. Im persön­ lichen Anwendungsbereich sind letztlich natürliche und juristische Personen gleichermaßen erfasst.744 Der Anwendungsbereich des Insiderhandelsverbots ist also für aktivistische Leerverkäufe regelmäßig eröffnet. Ein Insidergeschäft gem. Art. 8 I 1 MAR liegt im Wesentlichen vor, wenn eine Person über Insiderinformationen verfügt und unter Nutzung derselben Finanzinstrumente erwirbt oder veräußert. 740

Krause, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 108; Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 151 f.; Buck-Heeb, in: Assmann / Schütze / BuckHeeb, HdB KapitalanlageR, § 8 Rn. 119. 741 Kocher, in: NZG 2018, 1410 (1411). 742 Krause, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 118; Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 175. 743 Krause, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 119; Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 211 f.; Waschkowski, Insiderhandel nach der Marktmissbrauchsverordnung, S. 172 f.; umfassend Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 170 ff. 744 Art. 8 IV MAR differenziert ferner zwischen Primär- und Sekundärinsidern anhand des Zugangs zu Insiderinformationen. Ob das Insiderhandelsverbot aber für aktivistische Leerverkäufer Anwendung findet, ist letztlich unabhängig von der weiteren Differenzierung des Art. 8 V MAR, vgl. in allgemeiner Hinsicht Buck-Heeb, in: Assmann / Schütze / Buck-Heeb, HdB KapitalanlageR, § 8 Rn. 138; Kumpan / Schmidt, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 8 MAR Rn. 11 ff.

§ 7 Das Insiderrecht als weitere Grenze?

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Taugliche Tathandlungen sind der Erwerb und die Veräußerung von Finanz­ instrumenten sowie die Stornierung oder Auftragsänderung derselben, jedoch nicht das Unterlassen eines Wertpapiergeschäfts.745 Zentrales Tatbestandsmerkmal ist die Nutzung einer Insiderinformation, die das Verfügen über die Insiderinformation im Sinne einer rein tatsächlichen Kenntnis des Insiders voraussetzt.746 Die weiteren Prämissen für die Annahme einer Nutzung von Insiderinformationen waren bereits während der Geltung der MAD umstritten, wobei die überwiegende Mehrheit die Kausalität zwischen Kenntnis der Insiderinformation und Transaktion forderte.747 In diesem Zusammenhang erging die Spector-Entscheidung des EuGH. Nach der sog. Spector-Regel soll der Erwerb oder die Veräußerung von Insiderpapieren in Kenntnis der Insiderinformationen auch die Nutzung gem. Art. 2 I MAD widerlegbar vermuten lassen.748 Die Widerlegbarkeit dieser Vermutung richtete sich mit der sog. Spector-Ausnahme danach, ob die Transaktion gegen den Schutzzweck der MAD verstieß.749 Trotz zahlreicher Kritik hat der Gesetzgeber die Spector-Regel und Spector-Ausnahme ausdrücklich der MAR im ErwGr. Nr. 24 S. 3 MAR zugrunde gelegt und in Art. 8, 9 MAR implementiert.750 Die Implementierung der Spector-Vermutung in der MAR indiziert nunmehr die Kausalität zwischen der Insiderinformation und dem Transaktionsentschluss.751 Für die Widerlegung der Vermutung muss der Insider darlegen und beweisen, dass die Insiderinformation nicht für die Transkation kausal war.752 Mit der Bezugnahme auf den potenziellen Verstoß gegen den Schutzzweck im ErwGr. Nr. 24 S. 3 MAR ist die Widerlegung der Vermutung aber im Ergebnis eine umfassende Wertungsfrage.753 Zur Erleichterung hat der Gesetzgeber in nicht abschließender Art die fallgruppenartigen Ausführungen des EuGH zur Spector-Ausnahme in Art. 9 I-V MAR als legitime Handlungen kodifiziert.754

745

Veil, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 7 Rn. 24, 35. Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 8 Rn. 96; Klöhn, in: Langenbucher EuPrivuWirtR, § 6 Rn. 108; Waschkowski, Insiderhandel nach der Marktmissbrauchsverordnung, S. 212. 747 Klöhn, in: Langenbucher EuPrivuWirtR, § 6 Rn. 108; m. w. N. zum damaligen Meinungsstand Klöhn, in: KK-WpHG § 14 Rn. 119. 748 EuGH v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08, Slg. 2009, I-12073 Rn. 62 (Spector Photo Group). 749 EuGH v. 23. 12. 2009 – Rs. C-45/08, Slg. 2009, I-12073 Rn. 62 (Spector Photo Group). 750 Klöhn, in: Langenbucher EuPrivuWirtR, § 6 Rn. 110 f.; Kumpan / Schmidt, in: Schwark /  Zimmer KMRK, Art. 8 MAR 58; Waschkowski, Insiderhandel nach der Marktmissbrauchsverordnung, S. 213 f. Die Terminologie Spector-Regel/-Ausnahme ist immer noch anwendbar Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 8 Rn. 127. 751 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 8 Rn. 126; Kumpan / Schmidt, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 8 MAR Rn. 60. 752 Kumpan / Schmidt, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 8 MAR Rn. 57. 753 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 8 Rn. 120; Kumpan / Schmidt, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 8 MAR Rn. 59. 754 Kumpan / Schmidt, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 8 MAR Rn. 59; Waschkowski, Insiderhandel nach der Marktmissbrauchsverordnung, S. 214. 746

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

D. Die Einordnung aktivistischer Leerverkäufe Fraglich ist, inwieweit die unterschiedlichen Anknüpfungspunkte in der Abfolge eines aktivistischen Leerverkaufs zur Annahme einer Insiderinformation gem. Art. 7 I a MAR führen und ob hierbei die festgestellten Insiderinformationen eine Nutzung im Sinne des Insidergeschäfts gem. Art. 8 I MAR darstellen können.

I. Der Research Report Der Research Report eines aktivistischen Leerverkaufs kann unter mehreren Aspekten als eine Insiderinformation gem. Art. 7 I a MAR eingeordnet werden. Falls die Tatbestandsmerkmale des Art. 7 I a MAR vorliegen, würde das Eingehen der Leerverkaufsposition in Kenntnis und unter Nutzung dieser Insiderinformation(en) ein Insidergeschäft gem. Art. 8 I MAR darstellen und so gegen das Insiderhandelsverbot verstoßen. 1. Grundlagen Für die Einordnung des Research Reports als präzise Information ist vorrangig zwischen dem Research Report selbst und seiner Faktengrundlage zu unterscheiden. Der Research Report als solcher ist eine Anlageempfehlung und kann als präzise Information im Sinne des Art. 7 I a MAR angenommen werden. Werturteile im Allgemeinen sind als Informationen über Umstände einzuordnen.755 Charakteristisches Merkmal des Research Reports als Anlageempfehlung ist gerade die Analyse und Bewertung des Zielunternehmens. Bevor die Auswirkungen des bereits angesprochenen und für die Insiderqualität besonders bedeutsamen ErwGr. Nr. 28 MAR thematisiert werden, gilt es, auf die dem Research Report zugrundeliegenden Fakten einzugehen. Diese setzen sich zusammen aus Tatsachen, Prognosen oder wiederum Werturteilen und werden vom Ersteller zur stärkeren Überzeugungskraft und als Beweis für die Richtigkeit seiner Behauptungen verwendet. Die Faktenbasis kann ihrerseits als Gegenstand einer Insiderinformation betrachtet werden.756 Wenn es sich bei den zugrundeliegenden Fakten also selbst um nicht öffentlich bekannte, kursrelevante Informationen handelt, kann bereits so eine Insiderinformation gem. Art. 7 I a MAR vorliegen und allein deshalb ein Insiderhandelsverbot begründen.757 Relevantes Beispiel für aktivistische Leerver 755

Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 71. Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 74; Krause, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 36; Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 71. 757 So auch Schockenhoff / Culmann, in: AG 2016, 517 (524). 756

§ 7 Das Insiderrecht als weitere Grenze?

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käufe ist das Verwenden einer nicht öffentlich bekannten unternehmensinternen Information eines Whistleblower mit einer erheblichen Kursbeeinflussungseignung. Da die Faktenbasis schon selber als Insiderinformation zu qualifizieren ist, bedarf es keines Rückgriffs mehr auf den Research Report. Für die insiderrechtliche Beurteilung des Research Reports selbst als Insiderinformation ist der ErwGr. Nr. 28 MAR von herausragender Bedeutung. Dieser besagt, dass Analysen und Bewertungen, die aufgrund öffentlich verfügbarer Angaben erstellt wurden, nicht als Insiderinformation angesehen werden sollten. Zudem sollte die bloße Tatsache, dass Geschäfte auf der Grundlage von Analysen und Bewertungen getätigt werden, nicht als Nutzung von Insiderinformationen gelten. Aus diesem Grund ist zu differenzieren, ob ein Research Report ausschließlich auf der Grundlage von öffentlich verfügbaren Angaben erstellt wurde, oder nicht. Da ErwGr. Nr. 28 MAR im Insiderrecht eine der zentralen Änderungen der MAR gegenüber der alten Rechtslage ist, bedarf es einer detaillierten Erörterung. 2. Research Reports auf Grundlage öffentlich verfügbarer Informationen a) Vorgängerregelung und Telos Die Vorgängerregelung im ErwGr. Nr. 31 MAD, die in § 13 II WpHG a. F. umgesetzt wurde, sah vor, dass aufgrund öffentlicher Angaben erstellte Analysen und Bewertungen nicht als Insiderinformation aufzufassen waren und das Tätigen von Geschäften auf deren Grundlage nicht als Insidergeschäft galt.758 Der Zweck von § 13 II WpHG a. F. war, die Sammlung, Auswertung und Nutzung öffentlich bekannter Informationen durch Informationshändler zu ermöglichen, ohne dabei der Gefahr einer Erfassung vom Insiderverbot ausgesetzt gewesen zu sein.759 Die dadurch gewonnenen Arbitragegelegenheiten ergaben sich nicht aufgrund eines privilegierten Zugangs zu Informationen, sondern durch besondere Analysefähigkeiten. Damit verstießen sie nicht gegen den Grundsatz des gleichberechtigten Informationszugangs.760 Die Gewährleistung einer möglichst schnellen Einarbeitung öffentlich bekannter Informationen und die damit gegebene Verbesserung der Markteffizienz schützte nämlich die Finanzmarktintegrität.761 Dieses klare Regelungskonzept wurde durch die Einführung der neu hinzugekommenen Rückausnahme in ErwGr. Nr. 28 S. 2 MAR modifiziert. ErwGr. Nr. 28

758

Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 336. Klöhn, in: WM 2016, 1665 (1665). 760 Klöhn, in: WM 2016, 1665 (1665); Meyer, in: FS 25 Jahre WpHG, 939 (968). 761 Klöhn, in: WM 2016, 1665 (1665). 759

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

S. 1 MAR verfolgt im Ausgangspunkt weiterhin den Telos von § 13 II WpHG a. F.762 Wie in den allgemeinen Ausführungen zum Telos des Insiderrechts bereits erwähnt, stellt er die Anerkennung des Gesetzgebers dar, dass die halbstrenge Variante der Kapitalmarkteffizienzhypothese allein ein theoretischer Idealzustand ist und die Förderung der Suche, Sammlung und Einarbeitung öffentlich bekannter Informationen zur Verbesserung der Markteffizienz erforderlich ist. Dieser Wertschöpfungsprozess soll weiterhin möglich bleiben.763 Das Erfassen einer daraus entstehenden Analyse bzw. Bewertung als Insiderinformation würde aber diesem Schutzweck diametral widersprechen.764 Bei der Ausgestaltung dieses Schutzniveaus hat es der europäische Gesetzgeber innerhalb der Transformation der MAD auf Verordnungsebene allerdings unterlassen, eine vergleichbar ausdrücklich normative Bereichsausnahme wie § 13 II WpHG a. F. im Art. 7 MAR zu installieren. Stattdessen wurde allein der ErwGr. Nr. 28 MAR unter Ergänzung der neuen Rückausnahme aufgenommen. Für die Anwendbarkeit ist damit zunächst der Normgehalt der Erwägungsgründe zu klären. b) Normgehalt der Erwägungsgründe Erwägungsgründe werden ausdrücklich nicht als verfügender Teil des Rechtsakts angesehen und sind deshalb keine selbstständige Rechtsquelle. Vielmehr werden sie vom Gesetzgeber zur Erfüllung seiner Begründungspflicht gem. Art. 296 II AEUV eingeführt.765 Trotzdem besteht Einigkeit darüber, dass die Erwägungsgründe normative Bedeutung entfalten, unklar ist aber ihre dogmatische Einordnung sowie der Grad ihrer Normativität.766 In Deutschland werden sie überwiegend als Auslegungshilfen bezeichnet, wobei deren Relevanz unterschiedlich bewertet wird. Sie reicht von einer fehlenden Verbindlichkeit bis zu einer qualifizierten Bedeutung.767 Die hier vorgenommene Untersuchung beschränkt sich auf die Anwendung des für die Praxis maßgeblichen Verständnisses des EuGH. Der EuGH bestimmt, dass die Erwägungsgründe den Inhalt oder das Ziel eines Rechtsakts präzisieren, aber keine Abweichung vom Rechtsakt begründen können.768 Erwä 762

Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 332 f.; BaFin, Emittentenleitfaden 5. Aufl., Modul C, I.2. 2. 4, S. 24. 763 Krause, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 39. 764 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 333. 765 Klöhn, in: WM 2016, 1665 (1667); Waschkowski, Insiderhandel nach der Marktmissbrauchsverordnung, S. 146 f.; Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 1 MAR Rn. 50. 766 Klöhn, in: Klöhn MAR, Einleitung Rn. 65 f. 767 Überblick zum Meinungsbild bei Klöhn, in: WM 2016, 1665 (1667); Waschkowski, Insiderhandel nach der Marktmissbrauchsverordnung, S. 146 f.; ausführlich Köndgen, in: Riesenhuber Eur. Methodenlehre, § 6 Rn. 48 ff. 768 EuGH Urt. v. 10. 01. 2006 – Rs. C-344/04, Slg. 2006, I-403 Rn. 76 (IATA u. ELFAA); Rs. C-136/04, Slg. 2005, I-10095 Rn. 32 (Deutsches Milch-Kontor); Klöhn, in: WM 2016, 1665 (1667); Waschkowski, Insiderhandel nach der Marktmissbrauchsverordnung, S. 148.

§ 7 Das Insiderrecht als weitere Grenze?

175

gungsgründe sind danach bei der Auslegung der Norm solange zu berücksichtigen, wie nicht der eindeutige Wortlaut der Norm diesen entgegensteht.769 Anders als § 13 II WpHG a. F. enthält Art. 7 I a MAR eine Regelungslücke, die durch Auslegung geschlossen werden und den ErwGr. Nr. 28 MAR als Präzisierung berücksichtigen muss.770 c) Inhalt und Voraussetzungen des Erwägungsgrunds Nr. 28 S. 1 MAR ErwGr. Nr. 28 S. 1 MAR schafft eine echte Bereichsausnahme vom Insider­ informationsbegriff gem. Art. 7 I a MAR.771 Analysen und Bewertungen, die den Voraussetzungen des Erwägungsgrunds entsprechen, werden vom Insiderinformationsbegriff ausgenommen. Auf ihrer Grundlage können Transaktionen getätigt werden, ohne dass sie gegen das Insiderhandelsverbot verstoßen. Wie sich deutlich aus der englischen Sprachfassung ergibt, gilt die Bereichsausnahme dabei aber nur für die Analyse selbst (‚per se‘) und nicht für die Absicht des Verfassers oder Dritter, die Analyse zu nutzen, zu veröffentlichen oder eine Empfehlung auszusprechen.772 Inwiefern diese Absichten eine Insiderinformation begründen können, wird später beleuchtet. Um in den Genuss der Bereichsausnahme zu kommen, muss eine Bewertung oder Analyse vorliegen, die aufgrund öffentlich verfügbarer Angaben verfasst wurde. Eine Bewertung ist eine Meinungsäußerung über Finanzinstrumente, die grundsätzlich den Fundamentalwert des Finanzinstruments nicht unmittelbar verändert (Wertänderungsinformation), sondern allein eine davon abweichende Meinung zum Ausdruck bringt und so mittelbar die Einschätzung anderer Markteilnehmer verändern kann (Werteinschätzungsinformation).773 Eine Analyse stellt eine methodische Untersuchung mit dem Ziel einer besseren Einschätzung des Fundamentalwerts oder der Handelsbedingungen dar.774 Sie kann neben einer Werteinschätzungsinformation auch als Wertänderungsinformation die unmittelbare

769

Waschkowski, Insiderhandel nach der Marktmissbrauchsverordnung, S. 149. Klöhn, in: WM 2016, 1665 (1667 f.); Waschkowski, Insiderhandel nach der Marktmissbrauchsverordnung, S. 149; Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 254. 771 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 329; Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 253, 255; ähnlich Assmann, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 7 Rn. 33. 772 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 371; Klöhn, in: WM 2016, 1665 (1671); vgl. zur früher streitigen Diskussion Mennicke / Jakovou, in: Fuchs WpHG § 13 Rn. 178; a. A. damals noch Klöhn, in: KK-WpHG § 13 Rn. 311. 773 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 343, 164 f. 774 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 344. 770

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

Erkenntnis von Fundamentalwertveränderungen beinhalten.775 In den Research Reports kombiniert ein Leerverkäufer die Elemente einer Bewertung mit einer Analyse. Deshalb können diese je nach Faktengrundlage auch als Wertänderungsinformation gelten. Die Formulierung öffentlich verfügbarer Angaben ist im Wortlaut zunächst unklar, ist aber bei teleologischer Auslegung gleichbedeutend mit den entsprechenden Tatbestandsmerkmalen des Insiderinformationsbegriffs gem. Art. 7 I a MAR.776 Angaben sind Informationen jeder Art und die öffentliche Verfügbarkeit liegt vor, wenn die öffentliche Bekanntheit im Sinne des breiten Anlegerpublikums gegeben ist.777 Als zusätzliche Voraussetzung muss die Analyse ausschließlich aufgrund öffentlich bekannter Informationen erstellt worden sein. Anders als in § 13 II WpHG a. F. wird diese Prämisse nicht mehr ausdrücklich im ErwGr. Nr. 28 S. 1 MAR erwähnt. Aber nur mit diesem Erfordernis entspricht eine Analyse dem besonderen Schutzzweck, der den Ausschluss aus dem Insiderinformationsbegriff rechtfertigt.778 Die Ausschließlichkeit ist zu verneinen, wenn nicht öffentlich bekannte Umstände für die Analyse kausal waren.779 Diese Kausalität ist dann gegeben, wenn sie sich auf einen kursrelevanten Faktor auswirkt, wozu bereits ein Bestätigen oder eine bessere Begründung des Ergebnisses ausreichend ist.780 Bis zu dieser Grenze ist die Kenntnis nicht öffentlich bekannter Informationen unschädlich.781 Ist das Kriterium der Ausschließlichkeit nicht gegeben, entfällt lediglich das Privileg der Bereichsausnahme. Für die Annahme einer Insiderinformation muss Art. 7 I a MAR und insbesondere die Kursrelevanz weiter geprüft werden.782 d) Die Rückausnahme des Erwägungsgrunds Nr. 28 S. 2 MAR Die Rückausnahme in ErwGr. Nr. 28 S. 2 MAR ist als die wesentliche Veränderung zu § 13 II WpHG a. F. zu bewerten, wobei sie dessen seit Jahrzehnten unbe 775

Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 344. Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 257; Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 346 f.; weiter auch allgemein zugängliche Informationen als öffentlich verfügbar i. S. d. ErwGr. Nr. 28 einordnend Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (312); ebenso Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (733). Vgl. hierzu noch genauer Kap. 3 § 7 D. I. 2. 777 Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 258; Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 347. 778 Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 259; implizit Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 348. 779 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 349; Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 259. 780 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 349; Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 259. 781 Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 259. 782 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 350. Vgl. hierzu unten Kap. 3 § 7 D. I. 1. e). 776

§ 7 Das Insiderrecht als weitere Grenze?

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strittenen Grundsatz relativiert.783 Neben sprachlichen Übersetzungsfehlern zeichnet sich der Erwägungsgrund durch Unklarheiten in der inhaltlichen Reichweite aus, die sich im weiten Wortlaut anhand der Beschreibung von Regelbeispielen zeigen.784 Diese inhaltliche Reichweite lässt sich zwar durch eine einschränkende Auslegung lösen, vermag aber dennoch nichts an dem im Ausnahmefall neubegründeten Sanktionsrisiko für die Durchführung aktivistischer Leerverkäufe zu ändern. Im Wortlaut ordnet ErwGr. Nr. 28 S. 2 MAR im Sinne einer Versagung der Privilegierung aus Satz 1 das mögliche Erfassen als Insiderinformation an, wenn beispielweise die Veröffentlichung oder Verbreitung der Analyse oder Bewertung vom Markt routinemäßig erwartet wird und zur Preisbildung von Finanzinstrumenten beiträgt oder wenn die Analyse Ansichten eines anerkannten Marktkommentators oder einer Institution enthält, die die Preise von Finanzinstrumenten beeinflussen können. Nach diesem weiten Wortlaut kann grundsätzlich jede Analyse anerkannter Marktkommentatoren oder Institutionen mit der Eignung zur Kursbeeinflussung als Insiderinformation eingeordnet werden, auch wenn sie auf ausschließlich öffentlich bekannter Informationen basiert.785 Im Ergebnis würde dann jeder Informationshändler, der hinreichend erfolgreich ist, um in eine dieser Kategorien eingeordnet zu werden, daran gehindert, auf der Grundlage seiner Analysen gewinnbringende Transaktionen zu tätigen.786 Zulässig wären danach allein Transaktionen im Anschluss an eine Veröffentlichung. Diese hätte aber eine verringerte Gewinnspanne und eine erhebliche Reduzierung der Suchanreize für öffentlich bekannte Informationen mit einer Verschlechterung der Markteffizienz zur Folge.787 Ein solches Verständnis steht aber in eklatantem Widerspruch zur Wertung des ErwGr. Nr. 28 S. 1 MAR und ist durch eine einschränkende Auslegung aufzulösen, indem die Rückausnahme um die ungeschriebene Voraussetzung des Veröffentlichungszwecks der Analyse erweitert werden muss.788 Diese ergibt sich aus der historischen Genese. Die vom Wortlaut getragene, weitgehende Rückausnahme entspricht nämlich nicht der Absicht des Gesetzgebers,789 die sich daran 783

Klöhn, in: AG 2016, 423 (427); Meyer, in: FS 25 Jahre WpHG, 939 (968). Klöhn, in: WM 2016, 1665 (1665 f.); Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 260 f. 785 Klöhn, in: WM 2016, 1665 (1666); Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 261. 786 Klöhn, in: WM 2016, 1665 (1666); Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 261. 787 Klöhn, in: WM 2016, 1665 (1666). 788 Zusammenfassend Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR 262 f.; grundlegend Klöhn, in: AG 2016, 423 (427); ders., in: WM 2016, 1665 (1668 f.); dem folgend Hopt / Kumpan, in: Schimansky / Bunte / Lwowski BankR-HdB, § 107 Rn. 60a; Krause, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn.  43 f.; Wilken / Bertus, in: BB 2019, 2754 (2757). 789 Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 258. 784

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erkennen lässt, dass das Merkmal zwischenzeitlich im Gesetzgebungsprozess als eine weitgehende Rückausnahme eingefügt wurde, letztlich aber trotz Streichung in den heutigen Regelbeispielen des Satz 2 weiterhin vorausgesetzt wird.790 Die heutige Formulierung kann deshalb als Kompromiss bezeichnet werden, zumal sie die extensive Rückausnahme weiter einengen wollte.791 Wie eingangs dargelegt, würden die Regelbeispiele ohne Berücksichtigung dieses Zwecks erheblich weiter zu verstehen sein. Damit aber würden sie dem intendierten Kompromisscharakter widersprechen. Nur mithilfe dieser ungeschriebenen Voraussetzung kann ein Widerspruch zum Telos des ErwGr. Nr. 28 S. 1 MAR verhindert werden: Die von der Rückausnahme erfassten Analysen verfolgen dann nicht mehr den schützenswerten Hauptzweck der Identifizierung von Arbitragemöglichkeiten durch Auswertung öffentlich bekannter Informationen, sondern werden mit dem primären Ziel der Veröffent­lichung erstellt.792 Wie die Regelbeispiele als weitere geschriebene Voraussetzung demonstrieren, sind die Analysen aufgrund einer Marktroutine (Regelbeispiel Nr. 1) oder der Reputation des Erstellers (Regelbeispiel Nr. 2 und 3) besonders kursrelevant.793 Diese Fallgruppen sind vom Inhalt der Analyse losgelöst, sodass die Verwertungsmöglichkeit nicht durch besondere Analysefähigkeiten, sondern durch einen privilegierten Zugang entsteht.794 Die von diesen Fallgruppen erfassten Analysten verfolgen ohnehin regelmäßig das Ziel, mit der Veröffentlichung ihrer Analysen Profite zu erwirtschaften und nicht selbst entsprechende Geschäfte zu tätigen. Ansonsten wäre eine Geheimhaltung zur alleinigen Ausbeutung profitabler.795 In dieser Form führt die Rückausnahme darüber hinaus auch nicht zu verringerten Suchanreizen für Buy-Side-Analysten, die ihre Analysen ohne Veröffentlichung für ihre eigenen Geschäfte nutzen und so die Informationseffizienz verbessern.796 Verhindert wird so allein die Ausnutzung eines ungerechtfertigten Doppelprofits, 790 Das Gesetzgebungsverfahren zum Erwägungsgrund gleicht einem Hin und Her, in: dem die Übernahme der Regelung der MAD in einigen Entwürfen und Stellungnahmen erst vergessen, dann wiederum eingefügt und anschließend wieder gestrichen wurde. Dieser Prozess mündete sodann als erster Kompromiss in der Einfügung einer Rückausnahme zum früheren Grundsatz, wonach sämtliche Analysen und Bewertungen von der Rückausnahme erfasst waren, die zum Zweck einer Veröffentlichung oder Verbreitung erstellt wurden. Diese Formulierung wurde wiederum im Anschluss mit dem endgültigen Inhalt der Rückausnahme abgeschwächt. Zur detaillierten Herleitung anhand der jeweiligen Entwurfsfassungen siehe Klöhn, in: WM 2016, 1665 (1668 f.); Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 264; Hopt / Kumpan, in: Schimansky / Bunte / Lwowski BankR-HdB, § 107 Rn. 60a. 791 Klöhn, in: WM 2016, 1665 (1669); Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 264. 792 Klöhn, in: WM 2016, 1665 (1669); Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 263. 793 Klöhn, in: WM 2016, 1665 (1669). 794 Klöhn, in: WM 2016, 1665 (1670). 795 Hopt / Kumpan, in: Schimansky / Bunte / Lwowski BankR-HdB, § 107 Rn. 60a; Kumpan /  Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 263. 796 Klöhn, in: WM 2016, 1665 (1669).

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der sowohl auf die Verwertung der Analyse mithilfe von Transaktionen als auch auf ihre Verbreitung gegen Entgelte zielt.797 Unter Anwendung dieser historischen und teleologischen Auslegung müssen also für das Eingreifen der Rückausnahme gem. ErwGr. Nr. 28 S. 2 MAR zwei Voraussetzungen kumulativ vorliegen: (1) Eine Analyse zum Zweck der Verbreitung oder Veröffentlichung und (2) die besondere Kursrelevanz der Analyse in Gestalt einer der Regelbeispiele. Während unter einer Veröffentlichung das Herstellen einer breiten Öffentlichkeit verstanden wird, ist eine Verbreitung die Vorstufe dazu. Diese ist dann gegeben, wenn so viele Kenntnis von der Information haben, dass von einer Einarbeitung in den Marktpreis auszugehen ist.798 Es handelt sich also wegen der anderen Zielsetzung um ein von der Informationsverbreitung im Marktmanipulationsverbot gem. Art. 12 I c MAR divergierendes Verständnis. Der Verbreitungs- oder Veröffentlichungszweck muss im Zeitpunkt der Erstellung vorliegen.799 Wie bereits erwähnt, lassen sich die drei Regelbeispiele in zwei Fallgruppen kategorisieren, die beide unabhängig von Inhalt und Methode der Analyse besonders kursrelevant sind. Ursache dieser besonderen Kursrelevanz ist in der ersten Fallgruppe des Regelbeispiels Nr. 1 die routinemäßige Erwartung. Die Analyse muss gerade wegen ihrer routinemäßigen Erwartung vom Markt zur Preisbildung von Finanzinstrumenten beitragen, was insbesondere bei Berichten von Ratingagenturen der Fall ist.800 In der zweiten Fallgruppe hängt die besondere Kursrelevanz im Regelbeispiel Nr. 2 von der Reputation und Stellung des Urhebers als anerkannter Marktkommentator (natürliche Person) ab. Im Regelbeispiel Nr. 3 von der Reputation und Stellung der Institution (juristische Person), die Preise beeinflussen kann.801 Voraussetzung für das Eintreten dieser Regelbeispiele ist die Erwartung, dass die Analysen dieser Personen zur Preisbildung beitragen.802 Entscheidend ist ein stillschweigender Konsens der Marktteilnehmer über die fundierten Analysen und die Qualität des Marktkommentators bzw. der Institution.803 Erforderlich ist also die Kombination einer ausreichenden Öffentlichkeitswirksamkeit mit einer gewissen Vorbildfunktion.804 Anerkannte Marktkommentatoren sind unter diesen Prämissen renommierte Finanz- und Wirtschaftsjournalisten oder auch einzelne 797

Hopt / Kumpan, in: Schimansky / Bunte / Lwowski BankR-HdB, § 107 Rn. 60a; Kumpan /  Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 263. 798 Klöhn, in: WM 2016, 1665 (1670). 799 Klöhn, in: WM 2016, 1665 (1670 f.). 800 Klöhn, in: WM 2016, 1665 (1671); Meyer, in: FS 25 Jahre WpHG, 939 (968 f.). 801 Klöhn, in: WM 2016, 1665 (1671); Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 267; ähnlich Meyer, in: FS 25 Jahre WpHG, 939 (969). 802 Klöhn, in: WM 2016, 1665 (1671 f.). 803 Klöhn, in: WM 2016, 1665 (1671 f.). 804 Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 267.

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besonders erfolgreiche Händler.805 Zentralbanken und Forschungsinstitute gelten als Institutionen, die Preise beeinflussen können.806 Diese Regelbeispiele sind nicht abschließend. Dennoch braucht es für die Annahme ungeschriebener Fälle eine strenge Vergleichbarkeit, in deren Rahmen insbesondere die Vereinbarkeit mit dem Grundsatz des gleichberechtigten Informationszugangs und eine hinreichende Vorhersehbarkeit für die Marktteilnehmer gegeben sein muss.807 Falls beide Voraussetzungen der Rückausnahme erfüllt sind, gilt Folgendes: Eine Insiderinformation gem. Art. 7 I a MAR liegt nicht automatisch vor, sondern es wird allein das Privileg der Bereichsausnahme des ErwGr. Nr. 28 S. 1 MAR versagt, sodass für die Annahme einer Insiderinformation gem. Art. 7 I a MAR noch die weiteren Merkmale der fehlenden öffentlichen Bekanntheit und der Kursrelevanz festgestellt werden müssen.808 e) Der Research Report unter diesen Voraussetzungen Der Research Report eines aktivistischen Leerverkaufs wird regelmäßig, sofern die eigenen Angaben im Disclaimer zutreffend sind, ausschließlich auf der Basis öffentlich bekannter Informationen erstellt.809 Explizit formulieren Gotham und Viceroy „based upon publicly available information“810 bzw. „Information […] has been obtained from public sources“811. Damit fällt der Research Report zunächst unter das Privileg der Bereichsausnahme des ErwGr. Nr. 28 S. 1 MAR. Wesentliches Merkmal dieses Geschäftsmodells ist nun aber die Veröffentlichung des Research Reports, sodass die ungeschriebene Voraussetzung der Rückausnahme des Satz 2 immer einschlägig ist.812 Deshalb ist zu untersuchen, ob dem aktivistischen Leerverkauf eine von Inhalt und Methodik unabhängige besondere Kursrelevanz im Sinne der Regelbeispiele zukommt. Eine Begründung im Sinne der 805

Klöhn, in: WM 2016, 1665 (1671 f.). Klöhn, in: WM 2016, 1665 (1672). 807 Klöhn, in: WM 2016, 1665 (1672); Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 268. 808 Klöhn, in: WM 2016, 1665 (1672); Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 269; Meyer, in: FS 25 Jahre WpHG, 939 (969). 809 Graßl / Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (57); Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 241. 810 Gotham Aurelius Report v. 28. 03. 2017, S. 2. 811 Viceroy Report Steinhoff v. 6. 12. 2017, S. 3. 812 Zutreffend Wilken / Bertus, in: BB 2019, 2754 (2758); Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 242; unklar Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 86; abweichend Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (313), der zwischen der zugrundeliegenden Analyse und der Veröffentlichung des Reports trennt und für die Analyse den primären Zweck in der Nutzung von Arbitragemöglichkeiten sieht. Dem folgend Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (736 f.). Indes ist hierbei aber zu berücksichtigen, dass dennoch die Veröffentlichung des Reports immer wesentliches Merkmal des Geschäftsmodells ist. Vgl. zu den gegebenenfalls negativen Auswirkungen auf die Suchanreize der seriösen aktivistischen Leerverkäufer unten Kap. 3 § 7 D. I. g). 806

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ersten Fallgruppe kann nicht gegeben werden, weil der Research Report immer für den Markt nicht planbar ist und seine Veröffentlichung nicht routinemäßig erwartet werden kann.813 Die zweite Fallgruppe kann in doppelter Hinsicht relevant werden. Zum einen kann auf die besondere Reputation der Organisationseinheit des aktivistischen Leerverkäufers als juristische Person im Sinne einer Institution, die Preise beeinflussen kann, abgestellt werden. Zum anderen kommt auch ein Rückgriff auf die leitende natürliche Person im Sinne eines anerkannten Marktkommentators in Betracht. Typischerweise wird der Organisationseinheit des aktivistischen Leerverkäufers aber keine, einer Zentralbank oder einem Forschungsinstitut vergleichbare Reputation am Markt zukommen.814 Aber auch die bisher in der Öffentlichkeit zum Teil als „Star-Shortseller“ gehandelten natürlichen Personen, die als Gesichter des aktivistischen Leerverkäufers im Rampenlicht stehen, verfügen zum derzeitigen Stand nicht über ein im Sinne des Erwägungsgrunds erforderliches Maß an Reputation, um als anerkannte Marktkommentatoren zu gelten. Es besteht gerade kein marktweiter Konsens über die besondere Qualität von Research Reports. Vielmehr überwiegt zurzeit noch der schlechte Ruf von aktivistischen Leerverkäufern.815 Aus diesem Grund lässt sich auch keine ungeschriebene Fallkonstellation annehmen. Regelmäßig wird damit der Research Report nicht den Prämissen der Rückausnahme entsprechen und so weiter in den Genuss des Privilegs der Bereichsausnahme kommen. Deshalb kann der Research Report nicht als Insiderinformation gem. Art. 7 I a MAR gewertet werden. Etwas anderes könnte nur dann angenommen werden, wenn sich ein einzelner aktivistischer Leerverkäufer am Markt eine so bedeutende Reputation aufgebaut hat, dass dem Research Report eine vergleichbare besondere Kursrelevanz allein aufgrund des Renommees seines Verfassers zukommt. Konkret dürfte damit eine über mehrere Jahre in zahlreichen Research Reports und unter Verwendung präziser und korrekter Analysemethoden bewiesene Seriosität erforderlich sein, die weithin im Markt Anerkennung erfährt. Nur dann kann die Rückausnahme eingreifen, sodass auch der Research Report Gegenstand einer Insiderinformation sein kann, wenn er sich auf ausschließlich öffentlich bekannter Informationen beruft. Zum derzeitigen Stand lässt sich damit festhalten, dass die vorhandene negative Einschätzung aktivistischer Leerverkäufer am Markt die oben skizzierte Ausnahme nur hypothetisch erscheinen lässt. Dies belegen auch die beiden Beispiele, wobei jedenfalls für Gotham die negative Einschätzung am Markt mit dem ma 813

Ähnlich Langenbucher / Hau / Wentz, in: ZBB 2019, 307 (315); Sieder, Short-Selling-­ Regulierung, S. 242. 814 So auch Graßl / Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (57); Langenbucher / Hau / Wentz, in: ZBB 2019, 307 (315); einschränkend wohl, aber bereits ein Nichteingreifen des primären Veröffentlichungszwecks annehmend, Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (313); a. A. wohl ein generelles Erfassen annehmend Wilken / Bertus, in: BB 2019, 2754 (2758). 815 Ähnlich Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 242; Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 87.

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nipulativen Report bei Aurelius gerechtfertigt ist. Aber auch Viceroy hat aktuell am Markt weder als juristische Person eine mit einer Zentralbank oder einem Forschungsinstitut vergleichbare Reputation, noch ist Fraser Perring als deren leitende Person hinreichend erfolgreich, um als anerkannter Marktkommentator gelten zu können. Dennoch kann die zukünftige Entwicklung gegebenenfalls einen solchen Grenzfall verursachen, weshalb die weitere Untersuchung der Voraussetzungen des Insiderinformationsbegriffs angezeigt ist. Da nach dem Geschäftsmodell der Research Report bis zur Veröffentlichung geheim bleibt, soll im nächsten Schritt allein die Kursrelevanz geprüft werden. f) Die Kursrelevanz als allgemeine Voraussetzung des Insiderinformationsbegriffs Für die Feststellung der Kursrelevanz ist nach den oben dargestellten Grundsätzen die Fundamentalwertrelevanz der Information und das Vorliegen eines entsprechenden Handelsanreizes aus der Perspektive des verständigen Anlegers entscheidend. Ein Research Report als Kombination aus Analyse und Bewertung kann sowohl aus Wertänderungsinformationen als auch Werteinschätzungsinformationen bestehen.816 Werteinschätzungsinformationen, für die besondere Maßstäbe zur Feststellung der Kursrelevanz aufgrund ihrer analytischen Unsicherheit gelten, prägen in der Regel eine Analyse.817 Im Zentrum dieser Maßstäbe steht die Verlässlichkeit der Analyse: Wenn diese ausreichend gegeben ist, wird sie durch den verständigen Anleger in seiner Anlageentscheidung berücksichtigt.818 Unter Anwendung des Probability-Magnitude-Tests, der nach zutreffender Ansicht weiterhin zulässig ist und plausible Ergebnisse liefert,819 ist zu überprüfen, wie hoch der Grad der Verlässlichkeit der Analyse als Zutreffenswahrscheinlichkeit (Probability) und wie groß die Diskrepanz zwischen impliziertem Fundamentalwert und derzeitigem Preis des Finanzinstruments ist (Magnitude).820 Dabei bedingen sich beide Größen

816

Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 343 f. Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 226. 818 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 227. 819 Vgl. für eine Einordnung der Diskussion um den Probability-Magnitude-Test im Zusammenhang mit den maßgeblichen Entscheidungen des EuGH und BGH, Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 153 ff., die überzeugend darlegen, dass eine Anwendung des Tests weiterhin möglich ist und nicht im Widerspruch zur EuGH und BGHRechtsprechung steht, Rn. 157; einschränkend Krause, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn. 110 ff.; die Anwendbarkeit des Tests als durch die Rechtsprechung bestätigt sehend Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 199; ebenfalls die Anwendbarkeit befürwortend Teigelack, in: BB 2016, 1604 (1606); ablehnend Assmann, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 7 Rn. 45; Mennicke / Jakovou, in: Fuchs WpHG § 13 Rn. 76d, 132. 820 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 228; ders., in: WM 2016 1665 (1672). 817

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(Proabality und Magnitude) wechselseitig.821 Die Verlässlichkeit richtet sich dabei nach folgenden Kriterien: Die Person des Urhebers, dessen Ansehen und Analysefähigkeiten; die Qualität und Substanz der Begründung, die Art der Methodik und der Hintergrund der Analyse.822 Wenn man diese Kriterien auf die von der Rückausnahme erfassten aktivis­ tischen Leerverkäufer anwenden würde, lässt sich festhalten, dass der Research Report von einem verständigen Anleger in seiner Entscheidung berücksichtigt wird. Die Leerverkäufer müssten einen geradezu außergewöhnlichen Ruf haben, den sie sich durch besondere Analysefähigkeiten erworben haben. Eine herausragende Qualität mit ausreichend substantiierten Begründungen und unter Verwendung anerkannter Methoden des Research Reports würde diese Kompetenzen bringen. Es würde also ein hoher Grad an Verlässlichkeit der Analysen bestehen. Darüber hinaus weicht ein aktivistischer Leerverkäufer typischerweise immer signifikant von der allgemeinen Markterwartung ab, sodass auch eine ausreichende Diskrepanz des Research Reports zum Preis des Finanzinstruments gegeben ist. Es lässt sich also konstatieren, dass in diesen hypothetisch angenommenen Ausnahmefällen die Kursrelevanz vorhanden wäre, sodass eine Insiderinformation gem. Art. 7 I a MAR vorläge. g) Zwischenergebnis und Bewertung der Neuregelung des Erwägungsgrunds Nr. 28 MAR Wie oben ausgeführt, besteht für den aktivistischen Leerverkäufer nur theoretisch die Möglichkeit, von der Rückausnahme des ErwGr. Nr. 28 S. 2 MAR erfasst zu werden, sodass ein entsprechender Research Report als Insiderinformation gem. Art. 7 I a MAR qualifiziert werden kann. Das Eingehen von Leerverkaufspositionen kann dann ein Insidergeschäft gem. Art. 8 I MAR und somit einen Verstoß gegen das Insiderhandelsverbot gem. Art. 14 I a MAR darstellen.823 Es ist zwar mit Blick auf den ErwGr. Nr. 28 MAR generell richtig, dass sich aufgrund der restriktiven Auslegung der Rückausnahme die Negativauswirkungen auf die Suchanreize und Markteffizienz von Informationshändlern in Grenzen halten. Es werden nämlich die für die Markteffizienz wichtigen Buy-Side-Analysten nicht erfasst, sondern nur Sell-Side-Analysten, die nicht den Primärzweck 821

Je höher die Verlässlichkeit ist, umso niedriger kann die Bedeutung der Analyse mit einer geringeren Diskrepanz zwischen dem Fundamentalwert und Preis sein; je höher die Bedeutung umso geringer kann der Grad der Verlässlichkeit sein, Klöhn, in: WM 2016 1665 (1672); ähnlich das Abweichen von der Markterwartung hervorhebend Meyer, in: FS 25 Jahre WpHG, 939 (969). 822 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 231; ders., in: WM 2016 1665 (1672 f.). 823 Noch weitgehender ein generelles Erfassen aktivistischer Leerverkäufe unter die Rück­ ausnahme annehmend und deshalb das Insiderhandelsverbot als große Gefahr für das Phänomen sehend, Wilken / Bertus, in: BB 2019, 2754 (2758).

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

der Identifizierung von Arbitragemöglichkeiten haben.824 Wenn eine besondere Kursrelevanz aufgrund der Fallgruppen der Rückausnahme gegeben ist, beruht die besondere Verwertungsmöglichkeit nicht mehr allein auf den persönlichen Analysefähigkeiten, sondern auch auf einem privilegierten Zugang zur Information.825 Die Verhinderung der Ausnutzung von Doppelprofiten aus der Kombination von Transaktionsgeschäften und der Veräußerung der Analysen ist dann gerechtfertigt.826 Die von der Rückausnahme erfassten aktivistischen Leerverkäufer kämen dann allerdings in ein Dilemma: Sie würden nämlich Transaktionen tätigen, ohne den Research Report unmittelbar zu verkaufen, zugleich aber mit seiner Veröffent­ lichung versuchen, ihre Gewinnspanne zu vergrößern.827 Damit ständen sie für die Regulierung genau zwischen den Buy-Side- und Sell-Side-Analysten und es ließe sich fragen, ob das Geschäftsmodell wie die Doppelprofite von Sell-Side-Analysten als ungerechtfertigt anzusehen ist. Zweifel an der Vergleichbarkeit entstehen auf jeden Fall, wenn man seriöse aktivistische Leerverkäufer mit unseriösen gemeinsam in den Blick nimmt. Die von der Rückausnahme erfassten äußerst seriösen Leerverkäufer stellen gerade das Paradebeispiel der nach Markteffizienzgesichtspunkten erwünschten Form eines aktivistischen Leerverkaufs dar. Umgekehrt kommen dann weniger seriöse Leerverkäufer in den Genuss des Privilegs der Bereichsausnahme. Das aber bedeutet, dass die besonders positiv einzuordnenden Leerverkäufer gegenüber den nicht erfassten Leerverkäufern benachteiligt werden und damit weniger Anreize zur Suche sowie zur seriösen Aufarbeitung von Informationen haben.828 Unter Markteffizienzgesichtspunkten ergibt diese Schlechterstellung also keinen Sinn. Auf der anderen Seite lässt sich anführen, dass die zusätzliche Verwertungsmöglichkeit des Leerverkäufers nicht ausschließlich auf dessen eigenen Analysefähigkeiten beruht. Die Kursrelevanz basiert dann nämlich auch auf einer vom Markt anerkannten Vorbildfunktion und Öffentlichkeitswirksamkeit. Die sich daraus ergebende Verwertungsmöglichkeit würde dann zu einem gewissen Teil auch aus dem privilegierten Zugang hervorgehen. Das aber wäre ein Verstoß gegen den Grundsatz des gleichberechtigten Informationszugangs. De lege lata birgt die Rückausnahme des ErwGr. Nr. 28 S. 2 MAR also theoretisch ein mögliches Risiko für die Durchführung der besonders seriösen aktivis­ tischen Leerverkäufe. Eine Nichtbeachtung der Rückausnahme für diese Fälle unter teleologischen Gesichtspunkten der Markteffizienz erscheint zwar denkbar,829 könnte aber auch bei Einschlägigkeit einer Fallgruppe dem gesetzgeberi 824

So Klöhn, in: WM 2016, 1665 (1669). Klöhn, in: WM 2016, 1665 (1670). 826 Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 263. 827 Zutreffend in dieser Richtung nun Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (313). 828 In diese Richtung nunmehr auch Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (313). 829 So wohl nun der Vorschlag von Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (313). 825

§ 7 Das Insiderrecht als weitere Grenze?

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schen Willen widersprechen. Eine rechtssichere Lösung des spezifischen Problems lässt sich derzeit nicht erreichen. Diese Beobachtungen geben aber Anlass, die Rechtslage um den ErwGr. Nr. 28 MAR noch einmal generell zu überdenken: Die alte Fassung des Grundsatzes von § 13 II WpHG und ErwGr. Nr. 31 MAD kam seit der Insiderrichtlinie von 1989 ohne Rückausnahme aus.830 Dabei wurden keine entsprechenden Defizite festgestellt, sodass gefragt werden kann, ob die Rückausnahmen überhaupt erforderlich sind, um Doppelprofite zu verhindern. Da nach altem Verständnis sämtliche, unter den oben beschriebenen Prämissen vorgenommenen aktivistischen Leerverkäufe unter das Privileg der Bereichsausnahme fallen, ist deren derzeitige theoretische Erfassung hinsichtlich der Markteffizienz nicht widerspruchsfrei. De lege ferenda wäre also eine Rückkehr zum früheren Grundsatz ohne Rückausnahme wünschenswert. Dieser Grundsatz sollte aus Gründen der Rechtssicherheit aber auch unmittelbar im verfügenden Normtext des Art. 7 MAR selbst und nicht in den Erwägungsgründen statuiert werden. 3. Research Reports auf Grundlage nicht öffentlich verfügbarer Informationen Wenn der Research Report nicht auf ausschließlich öffentlich verfügbaren Informationen basiert, greift für seine insiderrechtliche Bewertung nicht das Privileg der Bereichsausnahme des ErwGr. Nr. 28 S. 1 MAR. Er ist also tauglicher Anknüpfungspunkt einer Insiderinformation gem. Art. 7 I a MAR und muss an dessen Voraussetzungen gemessen werden. Für diese Konstellation soll noch einmal im Detail der Frage nachgegangen werden, wann bei Übertragung des Begriffs der öffentlichen Bekanntheit eine Information als nicht öffentlich bekannt in grenzüberschreitenden Sachverhalten angesehen werden muss (a)). Diese Frage ist als Prämisse für das Eingreifen der Bereichsausnahme des ErwGr. Nr. 28 S. 1 MAR von außerordentlicher Relevanz, sodass die folgenden Ausführungen mit den bisherigen zu verknüpfen sind. Liegt eine entsprechende Kursrelevanz des Research Reports vor (b)), ergeben sich daraus eigene Implikationen für die in der Praxis durchgeführten aktivistischen Leerverkäufe (c)), sodass diese gesondert zu erörtern sind. a) Die öffentliche Bekanntgabe bei grenzüberschreitenden Sachverhalten Aktivistische Leerverkäufe sind in Deutschland in der Regel internationale Sachverhalte, weil sie bisher allein von ausländischen Marktteilnehmern gegen deutsche Zielunternehmen ausgeführt wurden. Daher lässt sich fragen, was die 830

Schwark / Kruse, in: Schwark / Zimmer KMRK, 4. Aufl., § 13 WpHG Rn. 2.

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

Maßgabe der öffentlichen Bekanntheit im Sinne von Art. 7 I a MAR in grenzüberschreitenden Sachverhalten meint. Daraus ergibt sich, inwieweit Informationen, die aus ausländischen Quellen stammen, im Research Report verwendet werden können. Gerade dieser Aspekt bestimmt die weiteren Grenzen der intensiven Recherche und Informationssammlung aktivistischer Leerverkäufe. Wie einleitend bereits ausgeführt, bedarf es für die Annahme der öffentlichen Bekanntheit gem. Art. 7 I a MAR einer modifizierten Anwendung der Vorschriften über die Veröffentlichung von Ad-Hoc-Mitteilungen. Bei der Weitergabe an Redaktionen, Nachrichtenagenturen und vergleichbare Informationsdienste ist eine öffentliche Bekanntheit erst mit der Verbreitung durch diese anzunehmen.831 Öffentliche Bekanntheit soll auch nicht durch die Veröffentlichung in Regional- und Lokal­ medien erreicht werden, sondern nur durch bundesweit erhältliche Publikationen.832 In diesem Zusammenhang kann aber mit der elektronischen Verbreitung eine rechtssichere Abgrenzung erschwert werden. Die Veröffentlichung durch den Emittenten auf seiner Webseite oder die Bekanntgabe über soziale Medien genügt aber nicht.833 Für grenzüberschreitende Sachverhalte innerhalb der EU kommt es grundsätzlich darauf an, dass eine öffentliche Bekanntgabe gegenüber dem breiten Anleger­ publikum in den jeweiligen Mitgliedstaaten vorliegt, in welchen die Finanzinstrumente zum Handel zugelassen sind.834 Maßgebliche Sprache ist neben den in den Herkunftsstaaten akzeptierten immer auch Englisch.835 Eine im Ausland erfolgte Veröffentlichung kann solange nicht als öffentlich bekannt gewertet werden, bis eine vergleichbare Veröffentlichung im Herkunftsstaat der Zulassung der Finanzinstrumente vorliegt. b) Kursrelevanz Bei einem Research Report, der (teilweise) auf der Grundlage von nicht öffentlich bekannten Informationen erstellt worden ist, kann sich dessen Kursrelevanz aus zwei Gründen ergeben: Zum einen wird die Verwendung von nicht öffentlich bekannten Informationen, die selbst kursrelevant sind, in der Regel auch zu einer Kursrelevanz der Analyse führen.836 Beispielhaft sei wiederum auf Informationen von Whistleblowern verwiesen. 831

Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 134. Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 135; ders., in: ZHR 180 (2016), 707 (726 f.). 833 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 137 f.; ders., in: ZHR 180 (2016), 707 (727 f.); umfassend zu den sozialen Medien jüngst Buck-Heeb, in: AG 2021, 42 (44 f.). 834 Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 106. Es kann damit bei Doppel- und Mehrfachnotierungen der Zugang des breiten Anlegerpublikums in mehreren Staaten erforderlich werden. Umfassend zu den verschiedenen Konstellationen innerhalb der EU Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 150 ff.; ders., in: ZHR 180 (2016), 707 (719 ff.); Kumpan /  Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 107 ff. 835 Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 107. 836 So im Ergebnis auch Wilken / Bertus, in: BB 2019, 2754 (2758). 832

§ 7 Das Insiderrecht als weitere Grenze?

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Falls den nicht öffentlich bekannten Grundlagen des Research Reports keine entsprechende eigenständige Kursrelevanz zukommt, gilt es, in den Analysen die analytische Unsicherheit und das Kriterium der Verlässlichkeit zu berücksichtigen. c) Auswirkungen auf die Einordnung des Research Reports Die bisherigen Ausführungen ergeben, dass Fakten des Research Reports aus ausländischen Quellen grundsätzlich bis zum Zeitpunkt der Verbreitung im Herkunftsland als nicht öffentlich bekannt einzustufen sind und damit die Bereichsausnahme des ErwGr. Nr. 28 S. 1 MAR zu versagen ist. Bei vorliegender Kursrelevanz der Analyse oder der zugrundeliegenden Information wird eine Insiderinformation gem. Art. 7 I a MAR zu bejahen sein, sodass der Leerverkäufer unter das Insider­ handelsverbot fiele. Diese Einschränkung reduziert sodann auch den Anreiz, Fakten intensiv zu recherchieren. Eine intensive Recherche wäre allerdings für die Markteffizienz positiv und wünschenswert. Wenn die Verwendung von fremdsprachigen oder regionalen Informationen für den Research Report verboten sind, widerspricht dies auf den ersten Blick den Wertungen des ErwGr. Nr. 28 S. 1 MAR:837 Ist nämlich die entsprechende Quelle für jedermann mittels intensiver Recherche ohne Rechtsverstöße zugänglich, basiert die daraus resultierende Arbitragemöglichkeit in der Tat primär auf den eigenen Analyse- und Recherchefähigkeiten und steht im Einklang zur Wertung des ErwGr. Nr. 28 S. 1 MAR, weil sie durch die eigene Leistung legitimiert ist. Aus diesen Gründen wird nunmehr vertreten, dass eine öffentliche Verfügbarkeit gem. ErwGr. Nr. 28 S. 1 MAR bereits dann anzunehmen ist, wenn alle Markt­ teilnehmer die theoretische Möglichkeit haben, auf legalem Wege Zugang zu den Informationen zu erlangen.838 Für ein solch weites Verständnis könnte zwar zunächst der vom Begriff der öffentlichen Bekanntheit i. S. d. Art. 7 I a MAR divergierende Wortlaut des ErwGr. Nr. 28 S. 1 MAR sprechen.839 Die positiven Auswirkungen einer intensiven Recherche auf die Markteffizienz werden aber zugunsten der Gewährleistung des gleichberechtigten Informationszugangs eingeschränkt. Dieser ist nicht gegeben, wenn die Informationen zwar im Ausland bereits öffentlich bekannt und grundsätzlich von jedem Anleger erlangt werden könnten, wegen ihrer Sprache oder regionalen Verbreitung im maßgeblichen Herkunftsstaat des Zielunternehmens aber (noch) nicht publik gemacht sind.840 Ein weites Verständnis der öffentlichen Verfügbarkeit in ErwGr. Nr. 28 S. 1 MAR würde zu einer divergierenden Auslegung zum Merkmals der öffentlichen Bekanntheit in Art. 7 I a MAR führen. 837

Langenbucher / Hau / Wentz, in: ZBB 2019, 307 (315). Langenbucher / Hau / Wentz, in: ZBB 2019, 307 (315); Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (733); Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (312). 839 Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (733). 840 A. A. Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (312); Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (734 f.). 838

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

Diese divergierende Auslegung kann aber auch dann nicht überzeugen, wenn beachtet wird, dass die Faktenbasis ein selbständiger Gegenstand einer Insider­ information gem. Art. 7 I a MAR sein kann. Für die Beurteilung der Insiderqualität einer Fakteninformation sind die Anforderungen des Art. 7 I a MAR maßgeblich. Wenn eine kursrelevante Fakteninformation nach dem weiten Verständnis zu ErwGr. Nr. 28 MAR öffentlich verfügbar wäre, ohne im maßgeblichen Herkunftsstaat öffentlich bekannt zu sein, würde der Analyst bereits aufgrund der eigenständigen Insiderinformation hinsichtlich der Fakteninformation vom Insiderhandelsverbot erfasst werden. Die Privilegierung der Analyse durch die weite Auslegung der öffentlichen Verfügbarbarkeit wäre dann hinfällig. Dieses Ergebnis macht deutlich, dass Analysten gerade dann nicht von der Privilegierung erfasst sind, wenn sie ihren Bewertungen Insiderwissen gem. Art. 7 I a MAR zugrunde gelegt haben.841 Andernfalls würde ein privilegierter Informationszugang im Vergleich zu den Anlegern des Herkunftsstaats entstehen. Diese weite Auslegung kann daher wegen des Verstoßes gegen den Telos des gleichberechtigten Informationszugangs im Herkunftsstaat nicht überzeugen. Die Reduzierung der positiven Auswirkungen auf die Markteffizienz ist deshalb zum Schutz dieses Telos hinzunehmen.842 Sollte ein aktivistischer Leerverkäufer also im Besitz einer entsprechenden Information sein, verbleiben ihm im Wesentlichen zwei Möglichkeiten, um dem Vorwurf eines möglichen Insiderhandelsverstoßes zu entkommen. Erstens: Er verschiebt die Durchführung des aktivistischen Leerverkaufs, bis die entsprechende Information im maßgeblichen Herkunftsstaat des Zielunternehmens öffentlich bekannt ist. Zweitens: Er initiiert selber eine entsprechende Veröffentlichung, die bekannt wird, bevor er den aktivistischen Leerverkauf durchführt. Im Fall einer solchen eigenen Veröffentlichung der Insiderinformation verstößt der Leerverkäufer auch nicht gegen das Offenlegungsverbot gem. Art. 14 I c i. V. m. Art. 10 I MAR. Denn diese Veröffentlichung führt aufgrund der erreichten öffentlichen Bekanntheit dazu, dass die Information keine Insiderinformation mehr darstellt und wegen des gleichberechtigten Informationszugangs von keinem Insider mehr unrechtmäßig verwendet werden kann.843

841

So überzeugend Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 258; im Ergebnis ebenfalls Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 347. 842 Abweichend Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (312); Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (733). Kritisch, aber ohne weitere Ausführungen Langenbucher / Hau / Wentz, in: ZBB 2019, 307 (315). 843 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 10 Rn. 20, 25; Wilken / Bertus, in: BB 2019, 2754 (2756); Kumpan / Grütze, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 10 MAR Rn. 9; ähnlich Hopt / Kumpan, in: Schimansky / Bunte / Lwowski BankR-HdB, § 107 Rn. 102; einschränkend Buck-Heeb, in: Assmann / Schütze / Buck-Heeb, HdB KapitalanlageR, § 8 Rn.  235.

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II. Die Absicht zur Eingehung von Leerverkaufspositionen Wie bereits im Überblick ausführlich dargelegt, ist die vom BGH in der OpelEntscheidung vertretene restriktive Auslegung des Begriffs der Insiderinformation anhand eines erforderlichen Drittbezugs unter Geltung der MAR nicht mehr haltbar. Aus diesem Grund können Absichten nach dieser Rechtslage in Deutschland Bezugspunkt von Insiderinformationen werden. Dabei sind für aktivistische Leerverkäufe zwei Absichten zu differenzieren. Zeitlich zunächst wird die Veröffentlichung des Research Reports intendiert, dem dann die Absicht folgt, Leerverkaufspositionen einzugehen. Dafür ist üblicherweise ein ausreichendes Rechercheergebnis über ein Zielunternehmen erforderlich. Nichtsdestotrotz scheint eine umgekehrte Reihenfolge oder ein Zusammenfallen jedenfalls möglich. Da die Absicht zur Eingehung von Leerverkaufspositionen weniger problematisch ist als die Absicht der Veröffentlichung des Reports, wird sie vorangestellt. Art. 9 I – V MAR bezieht sich auf die Spector Regel, welche die Nutzung einer Insiderinformation für die Annahme des Insidergeschäfts vermutet, indem er die nicht abschließenden, fallgruppenartigen Spector-Ausnahmen des EuGH kodifiziert. Danach gilt die Vermutung, eine Insiderinformation genutzt zu haben, als widerlegt. Liegt ein Ausnahmefall nach Art. 9 MAR vor, ist also aufgrund fehlender Nutzung der objektive Tatbestand nicht erfüllt, sodass diesem Art. 9 MAR eine tatbestandsauschließende Wirkung zukommt.844 Art. 9 V MAR postuliert, dass das bloße Wissen einer Person über den eigenen Entschluss, ein Finanzinstrument zu erwerben oder zu veräußern, bei der anschließenden Umsetzung des Entschlusses keine Nutzung einer Insiderinformation darstellt.845 Nach dieser Regelung geht nämlich einem Erwerb oder einer Veräußerung von Finanzinstrumenten immer eine entsprechende Entscheidung des Handelnden voraus.846 Der Grund der Aktivität liegt dann in der dem Geschäft zugrundeliegenden Motivation und nicht in der Information über den eigenen Entschluss.847 Eine Kausalität ist dann nicht gegeben, sodass kein Insidergeschäft anzunehmen ist.848 Die Absicht, Leerverkaufspositionen einzugehen, stellt danach gem. Art. 9 V MAR bei der anschließenden Tätigung des Leerverkaufs keine Nutzung einer Insiderinformation dar, sodass kein Insidergeschäft und damit kein Verstoß gegen des Insiderhandelsverbot vorliegt.849

844

Veil, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 7 Rn. 48; Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 9 Rn. 1; differenzierend Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 440. 845 Kumpan / Schmidt, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 9 MAR Rn. 82; Veil, in: Meyer /  Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 7 Rn. 79. 846 Veil, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 7 Rn. 80. 847 Klöhn, in: ZBB 2017, 261 (270). 848 Klöhn, in: ZBB 2017, 261 (270). 849 Kocher, in: DB 2016, 2887 (2891); ähnlich Wilken / Bertus, in: BB 2019, 2754 (2757 f.).

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

Für diesen Anknüpfungspunkt lässt sich also festhalten, dass selbst geschaffene innere Tatsachen sehr wohl nach neuer Rechtslage unter Geltung von Art. 7 I a MAR Bezugspunkt einer Insiderinformation sein können. Die Absicht des Leerverkäufers, Leerverkaufspositionen einzugehen und diese zu realisieren, kann aber nach Art. 9 V MAR – unabhängig von den weiteren Tatbestandsmerkmalen der Insiderinformation des Art. 7 I a MAR – nicht als Insidergeschäft gem. Art. 8 I MAR qualifiziert werden. Ein Verstoß gegen das Insiderhandelsverbot liegt nicht vor. Ein Insidergeschäft (und in der Folge ein Insiderhandelsverbot) ist erst dann gegeben, wenn Dritte von der Absicht des Leerverkäufers Kenntnis erlangen und diese Information für Transaktionen nutzen.850

III. Die Absicht der Veröffentlichung eines Research Reports Problematischer für die Zulässigkeit des Geschäftsmodells aktivistischer Leerverkäufer gestaltet sich die Absicht, einen Research Report zu veröffentlichen. 1. Fehlende Einschlägigkeit von Art. 9 V MAR Art. 9 V MAR ist für die insiderrechtliche Bewertung der Absicht des Leerverkäufers, einen Research Report zu veröffentlichen, nicht einschlägig,851 da dieser nur für die selbst geschaffene innere Tatsache über den eigenen Entschluss, Finanzinstrumente zu erwerben und zu veräußern, gilt.852 Andere innere Tatsachen wie die Intention, bestimmte Finanzinstrumente zu empfehlen, sind von Art. 9 V MAR nicht erfasst.853 2. Anforderungen des Art. 7 I a MAR Wegen der fehlenden Einschlägigkeit des Art. 9 V MAR müssen für diesen Bezugspunkt die Tatbestandsmerkmale des Art. 7 I a MAR als Voraussetzung des Insidergeschäfts detailliert analysiert werden. Im Mittelpunkt steht dabei allein das Merkmal der Kursrelevanz, weil die anderen Tatbestandsmerkmale gegeben sind: 850

Allgemein Kumpan / Schmidt, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 9 MAR Rn. 85. Langenbucher / Hau / Wentz, in: ZBB 2019, 307 (314). 852 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 9 Rn. 132; BaFin, Emittentenleitfaden 5. Aufl., Modul C, I.4.2.5.2.1.6, S. 59. 853 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 9 Rn. 132; Kumpan / Schmidt, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 9 MAR Rn. 86; Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (313); unklar Wilken / Bertus, in: BB 2019, 2754 (2757 f.), nach denen der eigene Handel in Kenntnis der eigenen Handelsabsicht keine Nutzung von Insiderinformationen sei und so in den Fällen des Scalping für sich genommen kein Verstoß gegen das Insiderhandelsverbot vorläge; ebenfalls unklar Hilgendorf / Kusche, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, Art. 7 MAR Rn. 41. 851

§ 7 Das Insiderrecht als weitere Grenze?

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Die Absicht, einen Research Report zu veröffentlichen, ist als selbst geschaffene, innere Tatsache eine präzise Information, die im maßgebenden Zeitpunkt der Tätigung des Leerverkaufs auch nicht öffentlich bekannt ist.854 Generell gilt für die Überprüfung der Kursrelevanz aus der Perspektive des verständigen Anlegers, ob eine gegebene Information die Gesamtheit aller öffentlich bekannten Informationen so verändert, dass eine andere Bewertung des Finanzinstruments geboten ist. In diesem Fall würde der verständige Anleger die Information wahrscheinlich als Teil seiner Anlageentscheidung berücksichtigen. Unseriöse Research Reports führen im Fall ihrer Veröffentlichung weder zu einer Änderung des Fundamentalwertes des Finanzinstruments noch helfen sie bei einer besseren Werteinschätzung desselben. Sie beruhen auf nicht fundierten Fakten und zielen allein darauf ab, einen ungerechtfertigten Kursverfall zu verursachen und eine günstige Eindeckungsmöglichkeit zu schaffen. Ein verständiger Anleger ändert nämlich seine Bewertung des Fundamentalwerts nicht allein durch eine unfundierte Empfehlung eines anderen Markteilnehmers.855 Vielmehr ist es aus der objektiven Perspektive eines verständigen Anlegers heraus möglich, mittels öffentlich bekannter Informationen fundierte von unfundierten Empfehlungen zu unterscheiden.856 Problematisch ist bei dieser Annahme jedoch, dass unseriöse Research Reports Kurse tatsächlich beeinflussen können und deshalb im realen Marktgeschehen sehr wohl von Anlegern in ihrer Entscheidung berücksichtigt werden. Aus diesem Grund wird auch die Ansicht vertreten, dass in dem Maßstab des verständigen Anlegers bei aktivistischen Leerverkäufen die Ergebnisse der empirischen Finanzmarktforschung zu beachten sind. Danach fließen nämlich auch mögliche irrationale Reaktionen anderer Marktteilnehmer in die Entscheidung des verständigen Anlegers ein, sodass dieser aufgrund der bisherigen Erkenntnisse die irrationalen Handlungen der übrigen Marktteilnehmer bei unseriösen Research Reports mit in seine Anlageentscheidung einbeziehen würde. Dadurch wäre ebenfalls bei fundamental irrelevanten, unfundierten Research Reports eine Kursrelevanz gegeben.857 Diese Auffassung kann aber nicht überzeugen. Eine solche Öffnung des Maßstabs des verständigen Anlegers würde zu einem konturlosen Standard und einer 854 Abweichend lediglich Frömel, Short-Sell-Attacken, S. 88, die im Wege einer objektiven Beurteilung anführt, dass sich die Research Reports überwiegend auf öffentlich bekannte Informationen stützen. Dies ist aber schon deshalb nicht überzeugend, weil die Fakten des Reports und die Absicht der Veröffentlichung eigenständige Bezugspunkte der Insiderinformation sind. 855 Graßl / Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (58); ähnlich Klöhn, in: Beil. zu ZIP 22/2016, 44 (46); ders., in: KK-WpHG § 13 Rn. 17. 856 Graßl / Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (58); ähnlich Klöhn, in: Beil. zu ZIP 22/2016, 44 (46); ders., in: KK-WpHG § 13 Rn. 17. 857 So die Überlegungen von Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 246. Basierend auf dem IKB-Urteil des BGH, BGHZ 192, 90 (107 f. Rn. 44) = NJW 2012, 1800 (1805); ähnlich auch Mennicke / Jakovou, in: Fuchs WpHG § 13 Rn. 142a, 149.

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

Beeinträchtigung der Rechtssicherheit führen.858 Vor allem würden erhebliche Widersprüche bei der Ad-hoc-Publizität entstehen, da wegen des Einheitsprinzips ein solches Verständnis nicht auf das Insiderhandelsverbot begrenzt wäre. So könnten bei der Berücksichtigung von Irrationalitäten tatsächlich fundamentalwert-relevante Informationen dieser Pflicht nicht unterliegen, während gleichzeitig lediglich durch allgemeine Hysterie entstandene Umstände veröffentlicht werden müssten.859 Bei einem rationalen Begriffsverständnis würde so auch kein „Freibrief“ für aktivistische Leerverkäufer gegeben sein.860 Vielmehr fügt sich das hier vertretene Verständnis in die Schutzrichtung des Insiderrechts und Markt­ manipulationsverbots passend ein. Bei den in Frage stehenden unseriösen Research Reports droht sich der Kurs vom Fundamentalwert zu entfernen. Dieses Rauschen (noise) kann zwar durch privates Wissen vorweggenommen werden, wobei das Entfernen vom Fundamentalwert und dessen Vorwegnahme aber vom Marktmanipulationsverbot und nicht vom Insiderrecht verhindert werden soll.861 Da unseriöse Research Reports jedenfalls entweder als falsche Information eine informationsgestützte Marktmanipulation gem. Art. 12 I c MAR oder bei einer aus der fehlenden Offenlegung von Interessenkonflikten resultierenden Unseriösität einen Verstoß gegen Art. 12 II MAR darstellen können,862 entstehen auch keine Strafbarkeitslücken. Die Verhinderung von Marktmissbrauch ist damit weiterhin gewährleistet. Damit liegt nach diesem rationalen Verständnis bei einem unseriösen Research Report weder eine unmittelbare noch mittelbare Fundamentalwertrelevanz vor, sodass die Gesamtheit aller öffentlich bekannten Informationen nicht so verändert wird, dass eine andere Bewertung des Zielunternehmens gerechtfertigt wäre. Von hier ergibt sich in logischer Konsequenz, dass ein verständiger Anleger auch die Information über die geplante Veröffentlichung bei seiner Anlageentscheidung nicht berücksichtigt, weil sie keinen Mehrwert für ihn bei der Einschätzung des Fundamentalwerts hat. Es lässt sich also festhalten, dass der Absicht, einen unseriösen Research Report zu veröffentlichen, keinerlei Kursrelevanz zukommt.863 Anders fällt die Beurteilung aus, wenn es sich bei dem Research Report um eine seriöse, weil fundamental gut begründete Empfehlung handelt. In diesem Fall kann der Research Report selbst aufgrund seines Untersuchungsergebnisses zur Änderung des Fundamentalwerts des Zielunternehmens führen oder mittelbar eine profunde, vom Markt differierende Werteinschätzung ausdrücken. Damit würde ihm 858

Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 140; Krause, in: Meyer / Veil / Rönnau, Marktmissbrauchsrecht, § 6 Rn.  116; Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 287; ders., in: AG 2012, 345 (349). 859 Kumpan / Misterek, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 7 MAR Rn. 140. 860 So aber Sieder, Short-Selling-Regulierung, S. 246. 861 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 27, 287; ders., in: Beil. zu ZIP 22/2016, 44 (46). 862 Vgl. für das Eingreifen der weiteren Varianten des Marktmanipulationsverbots ausführlich oben Kap. 3 § 6 B. IV. und V. 863 Graßl / Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (58); Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (314).

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aber eine Fundamentalwertrelevanz zukommen,864 sodass ein verständiger Anleger auch schon die Absicht, solch einen Research Report zu veröffentlichen, bei seiner Anlageentscheidung berücksichtigt, weil er von der Veröffentlichung des Reports eine Kursveränderung erwartet.865 Die Kursrelevanz läge vor. Es ist also auch zwischen den Reports von Aurelius / Gotham und Steinhoff /  Viceroy zu differenzieren: Im Hinblick auf die Kursrelevanz könnte ein Anleger nach der Kunstfigur des verständigen Anlegers beim Report von Gotham erkennen, dass dieser nur einen ungerechtfertigten Kursverfall verursachen wollte. Eine Kursrelevanz des Reports läge dann nicht vor, sodass der Absicht Gothams, diesen Report zu veröffentlichen, ebenfalls keine Kursrelevanz zukommen kann. Anders ist dieses bei Viceroy: Hier kommt sowohl dem Report selbst als auch der Absicht, diesen zu veröffentlichen, eine Kursrelevanz zu, weil es hier um seriöse zutreffende Informationen geht. Ebenso könnte sich eine Fundamentalwertrelevanz aus einer bisher nicht öffentlich bekannten, aber kursrelevanten Faktenbasis des Research Reports ergeben.866 Dies gilt beispielsweise für geheime Whistleblower-Informationen. Wie aber bereits oben thematisiert, handelt es sich bei diesen Informationen dann selbst um Insiderinformationen gem. Art. 7 I a MAR. Zusammenfassend lässt sich folgendes Ergebnis festhalten: Unfundierte und mangelhafte Research Reports, die allein einen ungerechtfertigten Kursverfall intendieren, führen auch für die Veröffentlichungsabsicht zu einer fehlenden Kursrelevanz, sodass diese Absicht keine Insiderinformation gem. Art. 7 I a MAR ist. Umgekehrt liegt eine Kursrelevanz und eine Insiderinformation dieser Absicht vor, wenn auch dem Research Report eine Fundamentalwertrelevanz zukommt. 3. Anforderungen an das Insidergeschäft gem. Art. 8 I i. V. m. Art. 9 MAR a) Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des Art. 8 I MAR Ein Insidergeschäft gem. Art. 8 I MAR kann nur dann vorliegen, wenn die unter 2. geschilderten Prämissen gegeben sind. Leerverkäufe sind von dem Moment an als Insidergeschäft zu betrachten, in welchem der Leerverkäufer die Absicht, einen Research Report zu veröffentlichen, gefasst hat. Von diesem Zeitpunkt an hat der Leerverkäufer logischerweise Kenntnis von dieser Insiderinformation, wobei die Nutzung derselben für seine Transaktion vermutet wird. Die Transaktion geschieht dann in Antizipation derjenigen Kursbewegung, die durch die Veröffentlichung des Research Reports verursacht wird.867 864

Klöhn, in: Beil. zu ZIP 22/2016, 44 (46); Graßl / Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (58). So allgemein zur Kursrelevanz von den weiteren Absichten, Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 371 a. E. 866 In diese Richtung Klöhn, in: Beil. zu ZIP 22/2016, 44 (46). 867 So Langenbucher / Hau / Wentz, in: ZBB 2019, 307 (314). 865

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Kap. 3: Die Regulierung nach der MAR

b) Nicht-Einschlägigkeit des Art. 9 V MAR Wie unter 1. erläutert, ist die Ausnahme von Art. 9 V MAR nicht auf die Absicht der Veröffentlichung eines Research Reports anwendbar. Konkret heißt dies, dass das Insiderhandelsverbot dann einschlägig ist, wenn die Kursrelevanz des geplanten Research Reports gegeben ist. Zusammenfassend lässt sich konstatieren, dass nach dem Insiderrecht dann nur der folgende Ablauf legitim wäre: Das Sammeln der Information, die Erstellung und Veröffentlichung des Research Reports, wobei erst mit der Veröffentlichung auch Leerverkaufspositionen eingegangen werden können.868 Dieses Prozedere würde aber eine geringere Gewinnspanne des Leerverkäufers bewirken, da der Markt bereits zum Teil auf die Veröffentlichung des Research Reports reagiert hätte. Daraus ergibt sich die Frage, ob so noch ein ausreichend großer finanzieller Anreiz für das Geschäftsmodell gegeben wäre, wobei zu beachten ist, dass innerhalb des Insiderrechts wiederum seriöse Leerverkäufer schlechter gestellt werden als unseriöse. Deshalb muss überprüft werden, ob die verringerten positiven Auswirkungen auf die Markteffizienz durch die Beschränkung der aktivistischen Leerverkäufe noch mit dem Telos des Insiderrechts übereinstimmen. Die Untersuchung ist nur für die Fundamentalwertrelevanz angezeigt, die in der Seriosität des Research Reports gründet. Wenn die Fundamentalwertrelevanz in der Verwendung von nicht öffentlich bekannten, kursrelevanten Fakteninformationen wurzelt, liegt bereits so ein Insiderhandelsverbot und ein Verstoß gegen den Telos vor. c) Eine ungeschriebene Ausnahme für seriöse aktivistische Leerverkäufe auf Grundlage der Spector-Grundsätze? Wie bereits erörtert, vermuten die Spector-Grundsätze, dass die Kenntnis einer Insiderinformation auch zu deren Nutzung führt, wobei diese Annahme widerlegbar ist. Dafür trägt allerdings der Insider selbst die Darlegungs- und Beweislast. Dieselbe muss dann nicht allein nach Kausalitätsgesichtspunkten erfolgen, sondern erfordert eine Wertung dahingehend, dass kein Verstoß gegen den Telos des Insiderrechts vorliegt.869 Unter diesen rechtlichen Vorzeichen soll nun die unter b) aufgeworfene Frage beantwortet werden. Hier ist zu beachten, dass Art. 9 MAR hinsichtlich der Wertungsgesichtspunkte im ErwGr. Nr. 24 S. 3 MAR keine abschließende Regelung darstellt.870 Die Spector-­ 868

Langenbucher / Hau / Wentz, in: ZBB 2019, 307 (314). Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 8 Rn. 120; Kumpan / Schmidt, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 8 Rn. 59, Art. 9 Rn. 12; Langenbucher, in: FS 25 Jahre WpHG, 551 (559 f.); abweichend allein auf die Erlangung von Sondervorteilen abstellend, Bachmann, Das europäische Insiderhandelsverbot, S. 50 ff. 870 Statt aller m. w. N. Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 8 Rn. 133; Kumpan / Schmidt, in: Schwark /  Zimmer KMRK, Art. 9 Rn. 10. 869

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Vermutung kann also auch dann widerlegt werden, wenn kein Fall von Art. 9 I – V MAR einschlägig ist und andere Gründe für eine fehlende Kausalität bzw. einen fehlenden Verstoß gegen den Telos des Insiderrechts sprechen.871 aa) Die Beurteilung anhand der Ursächlichkeit In diesem Kontext ist festzustellen, dass eine Publikation diese Ausnahme diskutiert und der Frage nachgeht, ob der Leerverkäufer „die Kenntnis von der anstehenden Veröffentlichung des kritischen Berichts als von ihm selbst geschaffene Insiderinformationen verwenden darf.“872 Nach Ansicht dieser Autoren trifft dies zu, da „der Leerverkäufer seine eigene unternehmerische Entscheidung umsetzt, die ihrerseits nicht auf Insidertatsachen beruht.“873 Für die Autoren dieser Quelle ist entscheidend, dass die Absicht des Leerverkäufers, einen Research Report zu veröffentlichen, Bestandteil der einheitlichen unternehmerischen Entscheidung ist und deshalb auch umgesetzt werden kann.874 Diese Argumentation beruht darauf, dass die Umsetzung eigener Entscheidungen die Nutzung nicht impliziert, da Pläne und Entschlüsse von Handlungen zu unterscheiden sind.875 In der Logik dieser Argumentation besteht dann für das Scalping keine Ursächlichkeit zwischen dem Aktienerwerb und der Insiderinformation über den Entschluss, eine Kaufempfehlung auszusprechen.876 Danach hat diese Insiderinformation nur für Dritte Relevanz und könnte für diese ein Insiderhandelsverbot als für sie fremde Absichten begründen.877 Neben dieser Ansicht gab es bereits zur Rechtslage unter § 14 WpHG a. F. eine andere Betrachtungsweise zur Einordnung des Scalping: Danach ist der Aktienerwerb in Kenntnis einer beabsichtigten Empfehlungsveröffentlichung nicht auch als unmittelbare Umsetzung der eigenen Absicht, die Empfehlung zu veröffent­ lichen, zu qualifizieren. Der Aktienerwerb dient nicht unmittelbar der Umsetzung dieser Absicht, sodass die Abgabe einer Empfehlung vom Aktienerwerb unabhängig ist.878

871 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 8 Rn. 133 ff.; Kumpan / Schmidt, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 9 Rn. 10 ff.; Hopt / Kumpan, in: ZGR 2017, 765 (774 Fn. 42). 872 Schockenhoff / Culmann, in: AG 2016, 517 (524). 873 Schockenhoff / Culmann, in: AG 2016, 517 (524). 874 Schockenhoff / Culmann, in: AG 2016, 517 (524) Fn. 45. 875 Assmann, in: Assmann / Schneider, WpHG 6. Aufl., § 14 Rn. 31; ders., in: Assmann /  Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 8 Rn. 33. 876 Assmann, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 8 Rn. 64 a. E. 877 So allgemein Assmann, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art.  8 Rn. 34. 878 So für die Form des Scalping bei einem Aktienerwerb und anschließender Kaufempfehlung Mennicke, in: Fuchs WpHG, § 14 Rn. 162.

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In der Überprüfung beider Perspektiven lässt sich zunächst feststellen, dass die Argumentation, Absichten seien grundsätzlich von der Handlung und damit von deren Nutzung zu unterscheiden, für die ungeschriebene Ausnahme aktivistischer Leerverkäufe nicht überzeugt. Vielmehr muss im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung der Kausalitätsanforderungen und Wertungsgesichtspunkte eruiert werden, ob ein Verstoß gegen den Telos des Insiderrechts vorliegt oder nicht. Dabei gilt es zunächst zu problematisieren, ob die Abfolge bei diesem Geschäftsmodell insgesamt noch als einheitliche unternehmerische Entscheidung zu qualifizieren ist. Es muss also unter Berücksichtigung der oben genannten Kriterien geprüft werden, ob für Leerverkäufe eine ungeschriebene Ausnahme von der SpectorVermutung und demzufolge kein Verstoß gegen das Insiderhandelsverbot angenommen werden kann. Zur Argumentation, die Umsetzung eigener Entschlüsse impliziere generell keine Nutzung, lässt sich sagen, dass sie sich ausschließlich auf jene bezieht, die eine Transaktion durchführen.879 Hier ist m. E. die Argumentation auch nachzuvollziehen, was auch Art. 9 V MAR und ErwGr. Nr. 31 MAR bestätigen. Allerdings ist daraus kein Automatismus abzuleiten, die Absicht der Veröffentlichung eines Research Reports als einheitliche unternehmerische Entscheidung anzusehen. Es bedarf einer unmittelbaren Umsetzung der unternehmerischen Absicht, um von einer erlaubten Eigennutzung zu sprechen.880 Allgemein ist zwar das Aussprechen einer Empfehlung, ein Finanzinstrument zu erwerben oder zu veräußern, unabhängig von dessen Erwerb oder Veräußerung.881 Tatsächlich spricht aber für eine Mitursächlichkeit der Intention, einen Research Report zu veröffentlichen, die folgende Überlegung: Der Leerverkäufer wird seine Leerverkaufsentscheidung wohl üblicherweise erst dann treffen, wenn er auf der Grundlage einer ausreichenden Informationsrecherche den Entschluss zur Veröffentlichung des Research Reports gefasst hat.882 Die einheitliche unternehmerische Entscheidung wäre danach dann ausschließlich die Tätigung des Leerverkaufs als Transaktion und eine erlaubte Eigennutzung nur der Entschluss, Leerverkaufspositionen einzugehen. Demgegenüber ist aber auch zu berücksichtigen, dass die Veröffentlichung eines Research Reports immer auch das Eingehen von Leerverkaufspositionen bedingt und damit die Besonderheit und den Kern dieses Phänomens ausmacht. Deshalb kann die Durchführung eines aktivistischen Leerverkaufs als einheitliche unternehmerische Entscheidung angesehen werden, sodass zu dieser Entscheidung sämtliche Schritte des Phänomens gehören: Auswahl eines Zielunternehmens, Informationsrecherche, Abschluss von Leerverkäufen, Veröffentlichung des Research Reports und Glattstellung von Leerverkäufen. Diese Argumentation 879 Das ergibt sich aus dem jeweiligen Kontext der Ausführungen, vgl. Assmann, in: Assmann / Schneider, WpHG 6. Aufl., § 14 Rn. 31; ders., in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 8 Rn. 33 f. 880 Mennicke, in: Fuchs WpHG, § 14 Rn. 68. 881 Mennicke, in: Fuchs WpHG, § 14 Rn. 162. 882 Das auch anerkennend Schockenhoff / Culmann, in: AG 2016, 517 (524) Fn. 45.

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impliziert sodann auch, dass die Absicht der Veröffentlichung ebenso Teil dieser einheitlichen unternehmerischen Entscheidung ist. Es lässt sich also resümieren, dass je nach Verständnis der unternehmerischen Entscheidung eine Mitursächlichkeit der Absicht sowohl bejaht als auch verneint werden kann, sodass der wertungsmäßigen Beurteilung eines möglichen Verstoßes gegen den Telos des Insiderrechts ein besonderer Fokus zukommt:883 bb) Der fehlende Verstoß gegen den Telos des Insiderrechts Die bisherigen Ausführungen haben gezeigt, dass der primäre Schutzzweck des Insiderrechts in der Förderung eines gleichberechtigten Informationszugangs besteht. Damit soll ein ausreichender Anreiz für Outsider-Informationshändler geschaffen werden, sich in fairem Wettbewerb um die Aufdeckung von Arbitrage­ möglichkeiten am Markt zu beteiligen und den kompetitiven Markt der OutsiderInformationshändler sicherzustellen. Auf dieser Grundlage kommt es für die (Un-)Widerlegbarkeit der Spector-­ Vermutung darauf an, ob das zu untersuchende Erwerbs- oder Veräußerungsgeschäft die Anreize von Outsider-Informationshändlern, sich am Kapitelmarkt zu beteiligen, verringert oder erhöht.884 Falls keine negative Anreizwirkung des jeweiligen Geschäfts vorliegt, verstößt es nicht gegen den Telos des Insiderrechts, womit die Spector-Vermutung für die Nutzung einer Insiderinformation widerlegt werden kann.885 In der ökonomischen Einordnung aktivistischer Leerverkäufe konnte ein grundsätzlich positiver Effekt auf die Markteffizienz festgestellt werden. Mit der Verbindung von Leerverkäufen und der Veröffentlichung eines Research Reports haben Leerverkäufer die Möglichkeit, eine höhere Gewinnmarge zu erzielen. Diese wiederum macht eine intensivere Informationsrecherche lukrativer. Deshalb ist es naheliegend, dass aktivistische Leerverkäufer vermehrt in den Markt der Outsider-Informationshändler eintreten. Dafür spricht auch die insgesamt gestiegene Anzahl des Leerverkaufsaktivismus886, sodass man das Entstehen einer weiteren Gruppe von Outsider-Informationshändlern beobachten kann: Neben denjenigen, die ausschließlich mittels Transaktionen die Arbitragemöglichkeiten ausnutzen, und denjenigen, die durch Veräußerungen von Recherchen mittelbar diese Möglichkeiten verwenden, treten die aktivistischen Leerverkäufer hinzu. Sie veröffent 883

Nun wohl ähnlich Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (315). Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 8 Rn. 137; Kumpan / Schmidt, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 8 Rn. 59. 885 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 8 Rn. 136; Kumpan / Schmidt, in: Schwark / Zimmer KMRK, Art. 8 Rn. 59. 886 Appel / Fos, Active Short Selling by Hedge Funds, S. 2; Reetun, in: Activist Insight, The Activist Annual Review 2020, 1 (36). 884

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lichen einen Research Report, schöpfen aber mittels Transaktionen die Gewinne ab. Der kompetitive Markt der Informationshändler wird also verbreitert. Durch diese Tatsache wird der Anreiz für die übrigen Outsider-Informationshändler jedoch nicht verringert.887 Die Transaktion  – Abschluss der Leerverkäufe – unterscheidet sich nicht von den Transaktionen anderer Outsider-Informationshändler. Sie wetteifern gemeinsam um die Ausbeutung der auf dem Markt bestehenden Arbitragemöglichkeiten. Indem die aktivistischen Leerverkäufer hinzukommen, werden zusätzliche Informationen gesammelt und Analysen erstellt, die zu einer besseren Qualität der Werteinschätzungen am Markt führen können. Dies hat wiederum positive Auswirkungen auf den kompetitiven Markt, sodass das Sprichwort „Konkurrenz belebt das Geschäft“ sich bewahrheitet. Wenngleich die aktivistischen Leerverkäufe manipulativ missbraucht werden können, muss die insiderrechtliche Bewertung der Anreizwirkung unabhängig davon beurteilt werden. Dies gilt umso mehr, weil hier nur seriöse, gut fundierte Research Reports auf allein öffentlich bekannten Informationen auf die Frage hin untersucht werden, ob sie eine ungeschriebene Ausnahme von der Spector-­ Vermutung rechtfertigen. Von einer negativen Anreizwirkung aktivistischer Leerverkäufe auf die Outsider-­ Informationshändler ist also aufgrund dieser Annahmen eher nicht auszugehen. cc) Die teleologische Überprüfung anhand von Sondervorteilen Diese Überzeugung hält auch der weitergehenden Betrachtung stand, die das Tatbestandsmerkmal der Nutzung ausschließlich anhand eines unverdienten Sondervorteils des Insiders überprüft.888 Es besteht hier kein ungerechtfertigter Doppelprofit durch die Kombination einer Transaktion mit der Veräußerung von Analysenergebnissen, auch wenn dieser zur Rechtfertigung der Rückausnahme des ErwGr. Nr. 28 S. 2 MAR angeführt wird. Aktivistische Leerverkäufer erwirtschaften keine Profite durch die Veräußerung ihrer Analysen, sondern allein mittels Transaktionen. Der durch diese Kombination entstehende höhere Profit des Leerverkäufers stellt ebenfalls im Verhältnis zu den übrigen Outsider-Informationshändlern keinen unverdienten Sondervorteil dar. Hier gilt es nochmals zu betonen, dass der Beurteilungsgegenstand ausschließlich der seriöse Research Report ist. Für diesen bedarf es einer umfassenden Informationsrecherche und -auswertung, sodass eine 887 Abweichend Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (315), der stattdessen eine einschränkende Auslegung des Art. 8 I MAR für aktivistische Leerverkäufe mittels eines Wertungstransfers aus Marktmanipulationsrecht vorschlägt und mit dieser Lösung keine Nutzung der entsprechenden Absicht begründet. 888 Vgl. hierzu Bachmann, Das europäische Insiderhandelsverbot, S. 50 ff.

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höhere Gewinnmarge in Kenntnis der Insiderinformation – die eigene Absicht der Veröffentlichung des Research Reports – nicht unverdient ist. Vielmehr basiert sie auf den besonderen Analysefähigkeiten des Leerverkäufers und steht damit auch im Einklang mit dem besonderen Telos des ErwGr. Nr. 28 MAR.889 Diese teleologischen Erwägungen sprechen also für eine einheitliche unternehmerische Entscheidung des gesamten aktivistischen Leerverkaufs, sodass eine ungeschriebene Ausnahme bei der Nutzung der Insiderinformation – die Absicht, einen Research Report zu veröffentlichen – angenommen werden kann.890 Diese Begründung führt auch im Fall Steinhoff / Viceroy dazu, dass die Insiderinformation – die Absicht, einen Research Report zu veröffentlichen – nicht genutzt wurde, weshalb hier auch kein Verstoß gegen das Insiderhandelsverbot gem. Art. 14 I a i. V. m. Art. 8 I MAR vorliegt. d) Die Auswirkungen auf das Verhältnis des Insiderrechts zum Marktmanipulationsverbot beim Scalping Es geht nunmehr darum, die Implikationen zur Einordnung des Scalping aufzuzeigen: Zunächst ist festzuhalten, dass der früher vom BGH vorgenommene Ausschluss eines Insiderverstoßes für das Scalping anhand eines Drittbezugs der Insiderinformation heute nicht mehr haltbar ist.891 Anders als die Literatur vermuten lässt, ist die Zuordnung des Scalping unter Geltung der MAR zugunsten des Marktmanipulationsverbots nicht eindeutig gegeben.892 Im Grundsatz ist aber richtig, dass das Sanktionsregime des Marktmanipulationsverbots primär einschlägig ist: In der Regel wird beim Scalping die Empfehlung unbegründet sein, keine Kursrelevanz aufweisen und deshalb nicht gegen das 889 So auch überzeugend Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (738), die aber bereits die Privilegierung des ErwGr. Nr. 28 S. 1 MAR auch auf die Absicht der Veröffentlichung erstreckt und so zu einer insiderrechtlichen Zulässigkeit dieses Bezugspunkts gelangt. 890 Nunmehr im Ergebnis hinsichtlich einer fehlenden Nutzung übereinstimmend Schmolke, in: ZGR 2020, 291 (316); im Ergebnis ebenfalls ein fehlendes Insidergeschäft bei der Absicht der Veröffentlichung annehmend, Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (738); wohl auch Mülbert, in: ZHR 182 (2018), 105 (108); a. A. eine Nutzung und einen Verstoß gegen das Insiderhandelsverbot in Betracht ziehend, Langenbucher / Hau / Wentz, in: ZBB 2019, 307 (314 f.); Sieder, Short-Selling Regulierung, S. 247. 891 Vgl. ausführlich in Kap. 3 § 7 C. I. 1.; ein Vorabentscheidungsverfahren am EuGH vor einer erneuten BGH-Entscheidung fordernd Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 346 a. E. 892 Vgl. nur den alleinigen Hinweis auf die – nach richtigem Verständnis nicht mehr tragfähige – BGH-Rechtsprechung bei Worms, in: Assmann / Schütze / Buck-Heeb, HdB Kapital­ anlageR, § 10 Rn. 70; Saliger, in: Park, Kapitalmarktstrafrecht, §§ 119, 120 WpHG i. V. m. Art. 15, 12 MAR Rn. 256; im Ergebnis ebenso, aber auf die in seinen Augen generell fehlende Ursächlichkeit der Insiderinformation für das Handeln des Betroffen abstellend, Assmann, in: Assmann / Schneider / Mülbert, Wertpapierhandelsrecht, Art. 7 Rn. 17 f., Art. 8 Rn. 64.

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Insiderhandelsverbot verstoßen. Die Aufgabe des Drittbezugs einer Insiderinformation hat letztlich keine Auswirkung auf die insiderrechtliche Beurteilung.893 Wie aber oben ausgeführt, kann bei fundierten Empfehlungen eine Kursrelevanz und ein möglicher Verstoß gegen das Insiderhandelsverbot neben einer möglichen Marktmanipulation vorliegen.894 Mit der hier vertretenen einheitlichen unternehmerischen Entscheidung ist ein solches Nebeneinander aber ausschließlich dann möglich, wenn die Fundamentalwertrelevanz in der Verwendung von nicht öffentlich bekannten, kursrelevanten Fakteninformationen wurzelt. Dieses Ergebnis entspricht auch der in der Diskussion vorgebrachten und oben bereits erläuterten Schutzrichtung des Marktmanipulationsverbots und Insiderhandelsverbots.895 Diese Argumentation ist aber keine absolut starre Zuordnung des Scalping, sondern lediglich eine grundlegende Orientierung. Selbst der Gesetzgeber weicht in seiner konkreten Ausgestaltung des Scalping gem. Art. 12 II d MAR von diesem Grundsatz ab: Der Tatbestand enthält die normativ fixierte Markterwartung an die Offenlegung eines bestehenden Interessenkonflikts. Für den sanktionierten Täuschungscharakter ist die inhaltliche Vertretbarkeit der Stellungnahme irrelevant. Ein Verstoß gegen das Scalping gem. Art. 12 II d MAR liegt demnach bei fehlender Offenlegung auch dann vor, wenn die Stellungnahme inhaltlich richtig ist und keine Entfernung von dem Fundamentalwert des Finanzinstruments droht.

E. Ergebnis Insgesamt ist zu konstatieren, dass das Insiderhandelsverbot, anders als es die Literatur zum Ausdruck bringt, eine weitere Grenze neben dem zentralen Marktmanipulationsverbot für die Durchführung aktivistischer Leerverkäufe zieht. Für die drei unterschiedlichen Anknüpfungspunkte gilt folgende Differenzierung: Zunächst kann festgehalten werden, dass der Research Report selbstständig Gegenstand einer Insiderinformation sein kann. Davon zu unterscheiden sind aber die Informationen der Faktenbasis, die ihrerseits zu einer Insiderinformation werden können, dann nämlich, wenn sie nicht öffentlich bekannt und kursrelevant sind. In diesem Falle würde unabhängig von der Einordnung des Research Reports das 893

So Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 27; ders., in: Beil. zu ZIP 22/2016, 44 (46). Klöhn, in: Beil. zu ZIP 22/2016, 44 (46); Graßl / Nikoleyczik, in: AG 2017, 49 (58); in der früheren Diskussion bereits Mennicke / Jakovou, in: Fuchs WpHG, § 13 Rn. 59; ­Mennicke, in: Fuchs WpHG, § 14 Rn. 161 f.; weitergehender wohl generell sowohl einen Verstoß gegen das Insiderecht als auch das Marktmanipulationsverbot annehmend, Buck-Heeb, in: Assmann /  Schütze / Buck-Heeb, HdB KapitalanlageR, § 8 Rn. 87; Grundmann, in: HGB Staub Band 11/1, 6. Teil Rn. 346. 895 Klöhn, in: Klöhn MAR, Art. 7 Rn. 27, 287; ders., in: Beil. zu ZIP 22/2016, 44 (46); ­Poelzig, in: ZHR 184 (2020), 697 (728 f.). 894

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Tätigen von Leerverkäufen im Vorfeld seiner Veröffentlichung eine Nutzung dieser Insiderinformation im Sinne des Insidergeschäfts gem. Art. 8 I MAR bedeuten und das Insiderhandelsverbot gem. Art. 14 I a MAR verwirklichen. Für die Beurteilung des Research Reports als selbstständiger Gegenstand gilt, dass er in der Regel auf der Grundlage ausschließlich öffentlich bekannter Informationen erstellt wird: Damit fällt er in die Bereichsausnahme des ErwGr. Nr. 28 S. 1 MAR und ist deshalb nicht als Insiderinformation gem. Art. 7 I MAR anzusehen. Wenngleich der Veröffentlichungszweck der Rückausnahme des ErwGr. Nr. 28 S. 2 MAR vorliegt, kommt dem Research Report mangels entsprechender Reputation am Markt üblicherweise das Privileg der Bereichsausnahme zu. Mangels Insiderinformation liegt also kein Insidergeschäft vor und dem Leerverkauf im Vorfeld der Veröffentlichung steht das Insiderhandelsverbot nicht entgegen. Wie gezeigt, kann nur hypothetisch angenommen werden, dass durch eine besonders hohe Reputation des Leerverkäufers die Rückausnahme greift und das Privileg versagt wird. Dann wären allerdings die weiteren Voraussetzungen der Insiderinformationen gem. Art. 7 I a MAR ebenfalls gegeben. De lege lata stünde das Insiderhandelsverbot dem Phänomen der aktivistischen Leerverkäufe entgegen. Solange die Rechtslage zu ErwGr. Nr. 28 MAR ungeklärt ist, besteht also nur ein hypothetisches Risiko für die Durchführung eines aktivistischen Leerverkaufs,896 wobei dieses erst durch die Umgestaltung des früheren Grundsatzes gem. § 13 II WpHG a. F. in der MAR neu hinzugetreten ist. Gerade dieser Ausnahmefall ist aber Anlass, die Regelung des Erwägungsgrunds zu kritisieren, sodass diese de lege ferenda überdacht werden sollte. Ein Research Report, der nicht ausschließlich auf der Grundlage öffentlich bekannter Informationen erstellt wird, ist nicht der Bereichsausnahme des ErwGr. Nr. 28 S. 1 MAR zuzuordnen. Die Verwendung einer nicht öffentlich bekannten, kursrelevanten Faktenbasis führt üblicherweise auch zu einer kursrelevanten Analyse. Damit kann diese aber als Insiderinformation gewertet werden. Sollte im Einzelfall die nicht öffentlich bekannte Information keine Kursrelevanz haben, kann es trotzdem zu einer Kursrelevanz der Analyse kommen. In beiden Fällen würde dies wiederum zu einem Insidergeschäft führen und gegen das Insiderhandelsverbot verstoßen. Die grundsätzlich positiven Auswirkungen auf die Markteffizienz und Corporate Governance werden zugunsten des gleichberechtigten Informationszugangs beschränkt. Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten kann auch bei Übereinstimmung mit den Wertungen des ErwGr. Nr. 28 S. 1 MAR eine solche Beschränkung vorliegen. Aus dem Anknüpfungspunkt der Absicht zur Eingehung von Leerverkaufspositionen ergibt sich kein insiderrechtliches Risiko hinsichtlich eines Verstoßes gegen das Insiderhandelsverbot nach Art. 9 V MAR. 896

Ähnlich die ungeklärte Rechtslage hervorhebend, Wilken / Bertus, in: BB 2019, 2754 (2758).

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Für die Absicht der Veröffentlichung des Research Reports als taugliche Insider­ information gilt nach hier vertretener Argumentation die gleiche Beurteilung: Die teleologischen Erwägungen sprechen für die Annahme einer ungeschriebenen Ausnahme von der Nutzungs-Vermutung des Insiderhandelsverbotes für seriöse Research Reports. Hierbei ist aber zu beachten, dass anders als im Fall von Art. 9 V MAR keine Rechtssicherheit besteht und die gerichtlichen Entwicklungen abzuwarten sind. Es lässt sich also ein abgestuftes Modell der Grenzziehung innerhalb der jeweiligen Anknüpfungspunkte für aktivistische Leerverkäufe nach dem Insiderhandelsverbot resümieren: Die Verwendung von nicht öffentlich bekannten, kursrelevanten Informationen im Research Report ist immer verboten. Hinsichtlich eines Research Reports, der ausschließlich auf öffentlich bekannten Informationen basiert, ist eine Grenze nur hypothetisch dann anzunehmen, wenn ein Ausnahmefall der Rückausnahme gem. ErwGr. Nr. 28 S. 2 MAR gegeben ist. Sowohl für die Absicht, Leerverkaufspositionen einzugehen, als auch für die Absicht, einen Research Report zu veröffentlichen, ergibt sich keine insiderrechtliche Grenze. Hinsichtlich des Scalping lässt sich das Fazit ziehen, dass die Zuordnung zum Marktmanipulationsverbot und Insiderrecht unter Geltung der MAR nicht eindeutig ist. Vielmehr kann beim Scalping unter Umständen sowohl das Marktmanipulationsverbot gem. Art. 12 II  d MAR als auch das Insiderhandelsverbot einschlägig sein.

Schlussbetrachtung Abschließend lässt sich zunächst festhalten, dass das Phänomen des aktivis­ tischen Leerverkaufs von der SSR und MAR umfassend reguliert wird. Dabei ist keine dieser Regulierungen wegen dieses Phänomens geschaffen worden. Dies erscheint auch deswegen nicht erforderlich, da sich der aktivistische Leerverkauf letztlich aus einzelnen Bestandteilen zusammensetzt, die am Kapitalmarkt bekannt und regelmäßig anzutreffen sind. Nach der SSR ist das Verbot ungedeckter Leerverkäufe und das Transparenzregime einzuhalten. Der aktivistische Leerverkauf ist also in dieser Hinsicht zulässig, wenn gem. Art. 12 I SSR bis zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses über den Leerverkauf ein Deckungsgeschäft vorgenommen wird. Zudem muss die eingegangene Leerverkaufsposition bei entsprechender Höhe nach Art. 5 I SSR der BaFin gemeldet bzw. nach. Art. 6 I SSR der Öffentlichkeit mitgeteilt werden. Schließlich können temporär weitere Regulierungen zu beachten sein, wie z. B. die corona­ bedingte Absenkung der Meldepflichtschwelle. Die Verbindung des Leerverkaufs mit dem Research Report ist in dieser Hinsicht irrelevant. Der aktivistische Leerverkauf wird mit der Veröffentlichung eines Research Reports zusätzlich von Art. 20 I MAR reguliert: Als Anlageempfehlung muss der Research Report objektiv dargestellt werden, wobei eine Vielzahl formaler und materieller Kriterien zu beachten ist. Daneben müssen die Autoren des Reports Interessenkonflikte offenlegen und die Erstellung sowie die Weitergabe desselben der BaFin anzeigen. Das Marktmanipulationsverbot gem. Art. 15 i. V. m. Art. 12 MAR enthält zahlreiche Anknüpfungspunkte für einen aktivistischen Leerverkauf, weshalb es auch immer wieder thematisiert wird. Nach diesem Verbot ist ein aktivistischer Leerverkauf dann zulässig, wenn der im Research Report verbreitete Inhalt zutreffend ist, der Interessenkonflikt in ihm offengelegt wurde und die Publizitätsvorschriften der SSR bei den eingegangenen Leerverkaufspositionen eingehalten worden sind. Wenngleich das Insiderrecht in diesem Kontext nicht im Vordergrund steht, stellt es mit dem Insiderhandelsverbot gem. Art. 14 I a i. V. m. Art. 8 MAR durchaus eine weitere Grenze der Zulässigkeit aktivistischer Leerverkäufe dar. Für die in der Abhandlung untersuchten Anknüpfungspunkte bei der Erstellung und Verbreitung eines Research Reports wird das Phänomen in der folgenden Abstufung begrenzt: Die Verwendung von nicht öffentlich bekannten, kursrelevanten Informationen im Research Report ist immer verboten. Hinsichtlich eines Research Reports, der ausschließlich auf öffentlich bekannten Informationen basiert, ist eine Grenze nur hypothetisch dann anzunehmen, wenn ein Ausnahmefall der Rück-

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Schlussbetrachtung

ausnahme gem. ErwGr. Nr. 28 S. 2 MAR gegeben ist. In aller Regel verbleibt der aktivistische Leerverkauf aber in der Praxis in der Bereichsausnahme des ErwGr. Nr. 28 S. 1 MAR, sodass er mangels Insiderinformation und Insiderhandelsverstoßes zulässig ist. Sowohl für die Absicht, Leerverkaufspositionen einzugehen, als auch für die Intention, einen Research Report zu veröffentlichen, ist das Insiderhandelsverbot nicht verwirklicht. Im § 3 kommt die ökonomische Bewertung zu dem Ergebnis, dass die Mehrheit aktivistischer Leerverkäufe seriös und mit positiven Auswirkungen auf die Markteffizienz und Corporate Governance der Zielunternehmen vorgenommen wird. Dennoch konnten manipulative Hintergründe in Einzelfällen aufgezeigt werden. Für die Frage, ob die Grenzen nach der SSR und MAR mit dieser ökonomischen Bewertung übereinstimmen, gilt Folgendes: Da die Anforderungen der SSR weiterhin das Phänomen erlauben, werden durch sie auch die positiven Wirkungen nicht eingeschränkt. Es werden lediglich durch die Verpflichtung eines gedeckten Leerverkaufs die Kosten erhöht. Diese Regulierung entspricht also der ökono­m ischen Bewertung. Ebenfalls verhindern die Anforderungen von Art. 20 I MAR nicht die positiven Wirkungen eines aktivistischen Leerverkaufs. Die Pflicht zur Identitätsangabe ist hingegen eine sinnvolle Ergänzung, um das höhere Missbrauchspotenzial für anonyme oder pseudonyme aktivistische Leerverkäufe zu begrenzen, wenn eine wirksame Rechtsdurchsetzung gesichert ist. Damit können in dieser Hinsicht die negativen Auswirkungen vermindert werden, sodass auch Art. 20 I MAR mit der ökonomischen Bewertung übereinstimmt. Die Auseinandersetzung mit dem Marktmanipulationsverbot konnte ein ähn­ liches Bild aufzeigen: Die ökonomisch positiven aktivistischen Leerverkäufe sind solange erlaubt, wie keine manipulative Einwirkung vorliegt. Dies gilt allerdings nicht für das Scalping gem. Art. 15, 12 II d MAR wegen der normativ fixierten Offenlegungserwartung: Die Verbreitung zutreffender Informationen, die informationsökonomisch positiv zu bewerten ist, verstößt auch dann gegen das Marktmanipulationsverbot, wenn der Interessenkonflikt nicht offengelegt wird. Nach der ökonomischen Bewertung aktivistischer Leerverkäufe ist diese Offenlegungserwartung bei zutreffenden Informationen aber nicht erforderlich. Die Verbesserung der Markteffizienz wird also dem Ziel untergeordnet, den Anlegern eine informierte Investitionsentscheidung unter Berücksichtigung zugrundeliegender Interessenkonflikte zu ermöglichen. Die größte Abweichung von der ökonomischen Einordnung aktivistischer Leerverkäufe ist in der insiderrechtlichen Grenze zu sehen. Das Insiderrecht verfolgt einen eigenständigen Schutzzweck, der in der Gewährleistung des gleichberechtigten Informationszuganges liegt. Dieser tritt für aktivistische Leerverkäufe neben ihre ökonomische Beurteilung. Die Folge ist, dass die positive Wirkung aktivistischer Leerverkäufe auf die Markteffizienz maßgeblich vermindert wird. Neue, nicht öffentlich bekannte, kursrelevante Informationen dürfen nach dem Insider-

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handelsverbot nicht als Grundlage eines aktivistischen Leerverkaufs genutzt werden. In dieser Hinsicht gewichtet der europäische Gesetzgeber den Schutzzweck des Insiderrechts also höher als die Verbesserung der Informationseffizienz, die durch die Aufdeckung und Einpreisung neuer, unbekannter, kursrelevanter Informationen entstehen würde. Damit der informationsökonomische Nutzen aus der Auswertung öffentlich bekannter Informationen möglichst groß bleibt, sollte aber nach Ansicht des Autors eine ungeschriebene Ausnahme vom Insiderhandelsverbot für die eigene Insiderinformation – die Absicht, einen Research Report zu veröffentlichen – bei seriösen aktivistischen Leerverkäufen gemacht werden. Resümierend lässt sich also festhalten, dass bis auf das Insiderrecht die ökonomische Bewertung des aktivistischen Leerverkaufs auch den Grenzen der Zulässigkeit in der SSR und MAR entspricht. Lediglich das Insiderrecht vermindert mit seinem besonderen Telos den informationsökonomischen Nutzen erheblich. Die hier vertretene Auslegung zu der ungeschriebenen Ausnahme ermöglicht aber einen weiteren Nutzen der informationsökonomischen Auswirkungen, eben jener, die nicht den Telos des Insiderrechts berühren. Auf diese Weise werden beide Gesichtspunkte miteinander in Einklang gebracht. Inwieweit für die untersuchten Grenzen des aktivistischen Leerverkaufs in SSR und MAR in der Rechtspraxis tatsächlich Rechtsdurchsetzungsdefizite bei Verstößen bestehen, bedarf einer weitergehenden Untersuchung. Hier stellen sich komplexe Rechtsfragen, die insbesondere im unionsrechtlichen Erfordernis einer zivilrechtlichen Sanktionierung zu verorten sind. Die Effektivität und Struktur der Aufsichtsbehörden gilt es dabei ebenso in den Blick zu nehmen. An dieser Stelle sei aber noch einmal der Fall Wirecard erwähnt, der eindrucksvoll demonstriert hat, dass einseitige Ermittlungen nicht zielführend sind: Aktivistische Leerverkäufe können gerade positive Wirkungen entfalten und müssen ohne generelle Abneigung ernstgenommen werden. Dennoch darf die manipulative Einwirkungsmöglichkeit, die sich mit ihnen eröffnet, nicht außer Acht gelassen werden. Nur so lassen sich nämlich die positiven volkswirtschaftlichen Wirkungen aktivistischer Leerverkäufe für den Kapitalmarkt nutzbar machen und gleichzeitig manipulative Verstöße verhindern. Wie der Fall Wirecard nahelegt, besteht hier auf Seiten der Aufsichtsbehörden deutlicher Verbesserungsbedarf. Das grundlegende Instrumentarium für eine ökonomisch zielführende Regulierung stellen die SSR und MAR jedenfalls für aktivistische Leerverkäufe bereit.1 Mit Blick auf die MAR ist aber auch die schwere Zugänglichkeit und teilweise bestehende Rechtsunsicherheit für die Rechtsanwender negativ einzuschätzen.

1

Ähnlich Mülbert, in: ZHR 182 (2018), 105 (112).

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Sachwortverzeichnis Absichten  165 f. Abusive naked short sale  137 Aktivistischer Leerverkauf  26 f., 42 ff. Allokationseffizienz  33, 45 f., 85 Angaben ins Blaue  118 Anlageentscheidung  127, 138, 169 Arbitragegeschäft 161

Informationshändler  161, 167, 173, 177, 198 Insiderhandel  41, 159 f., 162 Insiderhandelsverbot  159, 170 ff. Insiderinformation  164 ff. Investor Activism  28 Irrationalitäten  32, 192

BaFin  19, 53 f. Behavioral-Finance-Theory 108 Bewertungseffizienz 33 Bid-Ask-Spread  35 f., 46, 163

Kapitalmarkteffizienzhypothese  34, 160, 174 Kursrelevanz  169 ff. Kursniveau  122 f., 126, 134 ff. Kursspezifität 166

Comply-or-explain-Grundsatz 69 Corporate Governance  47 f. Deckungsgeschäft  25, 54, 136 Doppelprofit  178, 184 f., 198 Drittbezug  164 f., 200 Equal access  160 Erfüllungsfähigkeit 137 ESMA  51 f., 55, 140 Fundamentalwert  33 f. Geschäfte 130 Gerüchte 108 Großmann 161 Handelsgestützte Marktmanipulation  87 f., 123 f., 129 ff. Handlungsgestützte Marktmanipulation ​ 87 f., 129 ff. Hebelwirkung  25, 54 Hedging 25 Herdenverhalten  56, 136 Indikator  86 f., 141 Informationsasymmetrie  18, 34, 44 ff., 158 Informationseffizienz  34, 37, 45 ff., 161

Leerverkäufe  23 ff. Lieferausfall 39 Liquidität  35 f., 46, 56, 163 Long-Position  24, 136 Market-Maker  25 f., 36, 54 Markteffizienz 34 Marktinformation 146 Marktmanipulationsverbot  85 ff. Marktmissbrauch  41, 56, 60, 69, 85, 136 Monopolstellung  161 f. Noise 161 Normgehalt  174 f. Offenlegungspflicht  69, 76 ff., 100 ff. Organisationspflicht  80 ff. Outsider 162 Outsider-Informationshändler  162, 197 f. Pflichtentrias  67, 69 Praktiken  87, 89 Preisniveau 125 Preisstabilisierung 154 Probability-Magnitude-Test  182 f. Prognosen  117 f. Put-Optionen 98

Sachwortverzeichnis Ratingagenturen  175, 179 Rational-Choice-Theory 108 Research Report  26 f., 59 ff. Scalping  92 ff., 199 f. Shareholder Activism  27 Short-Position 24 Short Squeeze  39 f., 56, 137 Spector  171, 189, 194 f. Stellungnahme  94 ff. Stieglitz 161 Systemstabilität  34 f., 56

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Tatsachenbehauptung  95, 106 Transaktionskosten  35, 39, 85 Transparenzregime 55 Trash and Cash  135, 137, 140, 146, 148 Utilitätshändler  161 f. Verständiger Anleger  65, 115 f., 169, 191 f. Vertrauensverlust  60, 85, 136 Volatilität  38 f., 46, 56 Werturteil  106 f., 117 f. Wahrscheinlichkeitsgrad 125